Strafrecht IV Delikte gegen die Allgemeinheit [5 ed.] 9783725574414

Das Lehrbuch «Strafrecht IV» aus der Reihe «Zürcher Grundrisse des Strafrechts» behandelt die Straftaten gegen Gemeinint

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German Pages 798 [801] Year 2017

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Bibliografische Angaben
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Vorbemerkungen zur fünften Auflage
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Allgemeine Literatur (Auswahl)
Abkürzungen
6. Titel Verbrechen und Vergehen gegen die Familie (Art. 213–220)
§ 1 Inzest (Art. 213)
1. Tatbestand (Abs. 1)
2. Privilegierung Minderjähriger (Abs. 2)
3. Beteiligung
4. Weitere Fragen
§ 2 Mehrfache Ehe oder eingetragene Partnerschaft (Art. 215)
1. Eheschluss bzw. Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaft durch den bereits Verheirateten oder in eingetragener Partnerschaft Lebenden (Abs. 1)
2. Strafbarkeit des zweiten Ehegatten oder eingetragenen Partners (Abs. 2)
3. Weitere Fragen
§ 3 Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Geschützte Ansprüche
1.11 Unterhaltsansprüche unter Ehegatten
1.111 Unterhaltsbeiträge gemäss ZGB Art. 163
1.112 Betrag zur freien Verfügung gemäss ZGB Art. 164
1.113 Ausserordentliche Beiträge gemäss ZGB Art. 165
1.12 Unterhaltsansprüche zwischen geschiedenen Ehegatten
1.13 Unterhaltsansprüche von Kindern
1.14 Unterstützungsansprüche gegenüber Angehörigen
1.2 Tatbestandsmässiges Verhalten
2. Subjektiver Tatbestand
3. Prozessvoraussetzung (Abs. 2)
3.1 Antragsberechtigung
3.2 Ort der Antragstellung
3.3 Fristbeginn und Wirkungen des Antrages
4. Weitere Fragen
4.1 Versuch und Teilnahme
4.2 Konkurrenzfragen
4.3 Räumliche Geltung von Art. 217 und Gerichtsstand
§ 4 Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Fahrlässige Begehung
4. Weitere Bemerkungen
4.1 Konkurrenzfragen
4.2 Mitteilungspflichten und -rechte
§ 5 Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Minderjährige Person
1.3 Tatbestandsmässiges Verhalten
2. Subjektiver Tatbestand
3. Prozessvoraussetzung
4. Weitere Fragen
4.1 Rechtfertigungsgründe
4.2 Konkurrenzen
7. Titel Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen (Art. 221–230)
§ 6 Einleitung
§ 7 Brandstiftung (Art. 221)
1. Zur Struktur der Norm
2. Brandstiftung nach Art. 221 Abs. 1
2.1 Objektiver Tatbestand
2.11 Feuersbrunst
2.12 Folgen der Feuersbrunst
2.121 Schaden eines anderen
2.122 Herbeiführen einer Gemeingefahr
2.2 Subjektiver Tatbestand
3. Brandstiftung nach Art. 221 Abs. 2
3.1 Objektiver Tatbestand
3.2 Subjektiver Tatbestand
4. Privilegierter Tatbestand von Art. 221 Abs. 3
5. Weitere Fragen
5.1 Deliktsstadien
5.2 Konkurrenzfragen
§ 8 Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst (Art. 222)
1. Grundtatbestand von Abs. 1
1.1 Verursachen der Feuersbrunst
1.2 Pflichtwidrig unvorsichtiges Verhalten
2. Qualifizierter Tatbestand von Abs. 2
3. Konkurrenzfragen
§ 9 Verursachung einer Explosion (Art. 223)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
2.1 Vorsätzliche Verursachung einer Explosion
2.2 Fahrlässige Verursachung einer Explosion
3. Privilegierter Tatbestand
4. Konkurrenzen
§ 10 Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226)
1. Allgemeines
2. Gefährdungsdelikte (Art. 224, 225)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.11 Tatmittel
2.12 Tathandlung
2.13 Gefährdung
2.2 Subjektiver Tatbestand
2.21 Gefährdung in verbrecherischer Absicht (Art. 224)
2.22 Gefährdung ohne verbrecherische Absicht, fahrlässige Gefährdung (Art. 225)
2.3 Privilegierte Fälle
2.4 Weitere Fragen
3. Vorbereitungshandlungen (Art. 226)
§ 11 Kernenergiedelikte (Art. 226bis und 226ter)
1. Allgemeines
2. Gefährdungsdelikt (Art. 226bis)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.11 Tatmittel
2.12 Tathandlung
2.13 Gefährdung
2.2 Subjektiver Tatbestand
2.21 Vorsätzliche Gefährdung (Abs. 1)
2.22 Fahrlässige Gefährdung (Abs. 2)
2.3 Weitere Fragen
3. Vorbereitungshandlungen (Art. 226ter)
§ 12 Verursachung einer Überschwemmung oder eines Einsturzes (Art. 227)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Tathandlung
1.2 Bewirken einer Gefährdung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Privilegierter Fall von Ziff. 1 Abs. 2
4. Konkurrenzen
§ 13 Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutzvorrichtungen (Art. 228)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Handlungsobjekt und Tathandlung
1.2 Bewirken einer Gefährdung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Privilegierter Tatbestand
4. Weitere Fragen
§ 14 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täter
1.2 Begriff des Bauwerks und des Abbruchs
1.3 Tatbestandsmässiges Verhalten
1.4 Gefährdung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Art. 229 als unechtes Unterlassungsdelikt
3.2 Konkurrenzen
3.21 Zusammentreffen mit anderen Gefährdungsdelikten
3.22 Konkurrenz mit Verletzungsdelikten
3.3 Verjährung
§ 15 Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen (Art. 230)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Opfer und Tatobjekte
1.2 Täterkreis und tatbestandsmässiges Verhalten
1.3 Gefährdung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Fahrlässige Verübung und Sachverhaltsirrtum
4. Weitere Fragen
4.1 Ergänzende Strafbestimmungen
4.2 Konkurrenzfragen
8. Titel Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Gesundheit (Art. 230bis–236)
§ 16 Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen (Art. 230bis)
1. Vorsatzdelikt (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
1.3 Unterlassen, Versuch
2. Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2)
3. Abgrenzung zu GTG Art. 35, Konkurrenzen
§ 17 Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231)
1. Die Neufassung der Norm durch das Epidemiegesetz
1. Der objektive Tatbestand
2. Der subjektive Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Art. 231 als Unterlassungsdelikt
3.2 Auswirkungen der «Einwilligung» des Infizierten
3.3 Konkurrenzfragen
§ 18 Verbreiten von Tierseuchen (Art. 232)
1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1)
2. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)
§ 19 Verbreiten von Schädlingen (Art. 233)
1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1)
2. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)
§ 20 Verunreinigung von Trinkwasser (Art. 234)
1. Vorsatzdelikt
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Fahrlässigkeit (Abs. 2)
3. Weitere Bemerkungen
§ 21 Herstellen von gesundheitsschädlichem Futter (Art. 235)
1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1)
2. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)
3. Einziehung (Ziff. 3)
§ 22 Inverkehrbringen von gesundheits­schädlichem Futter (Art. 236)
1. Vorsatzdelikt (Abs. 1)
2. Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2)
3. Einziehung (Abs. 3)
4. Verhältnis zu Art. 235
9. Titel Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Verkehr (Art. 237–239)
§ 23 Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237)
1. Anwendungsbereich
1.1 Allgemeines
1.2 Die Anwendbarkeit von Art. 237 im Strassenverkehr
2. Vorsatzdelikt (Ziff. 1)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.11 Tatobjekt: Öffentlicher Verkehr
2.12 Tathandlung
2.13 Gefährdungserfolg
2.2 Subjektiver Tatbestand
2.3 Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 1 Abs. 2)
3. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)
4. Weitere Fragen
§ 24 Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238)
1. Rechtsgut
2. Angriffsobjekt
3. Vorsatzdelikt (Abs. 1)
3.1 Objektiver Tatbestand
3.11 Täter und Opfer
3.12 Tathandlung
3.13 Gefährdung von Menschen oder fremdem Eigentum
3.2 Subjektiver Tatbestand
4. Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2)
4.1 Die erforderliche Gefährdung
4.2 Sorgfaltswidrigkeit
5. Weitere Fragen
5.1 Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen
5.2 Prozessuales
§ 25 Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239)
1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.11 Geschützte Betriebe
1.12 Tathandlung und Taterfolg
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)
3. Weitere Fragen
10. Titel Fälschung von Geld, amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht (Art. 240–250)
§ 26 Einleitung und allgemeine Bestimmungen (Art. 249 und 250)
1. Regelungsmaterie, geschütztes Rechtsgut und Entwicklung der Gesetzgebung
2. Zahlungsmittel
3. Einziehung (Art. 249)
4. Anwendung auf Geld- und Wertzeichen des Auslandes (Art. 250)
5. Verfolgung
1. Abschnitt: Gelddelikte
§ 27 Geldfälschung (Art. 240)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Versuch und Vollendung
3.2 Der «besonders leichte Fall» gemäss Abs. 2
3.3 Anwendungsbereich von Art. 240
3.4 Konkurrenzen
§ 28 Geldverfälschung (Art. 241)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Strafmilderungsgrund, Abgrenzungen
§ 29 In Umlaufsetzen falschen Geldes (Art. 242)
1. Abs. 1
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Abs. 2
3. Weitere Fragen
3.1 Versuch und Teilnahme
3.2 Konkurrenzen
§ 30 Nachmachen von Banknoten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 243)
1. Schutzobjekte
2. Vorsatzdelikt (Abs. 1)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.11 Nachmachen von Banknoten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen (al. 1–3)
2.12 Einführen, Anbieten oder in Umlaufsetzen solcher Gegenstände (al. 4)
2.2 Subjektiver Tatbestand
3. Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2)
4. Konkurrenzen und Abgrenzung
§ 31 Einführen, Erwerben, Lagern falschen Geldes (Art. 244)
1. Grundtatbestand (Abs. 1)
1.1 Objektive Elemente
1.2 Subjektive Elemente
2. Qualifizierter Tatbestand (Abs. 2)
3. Konkurrenzen
2. Abschnitt: Fälschung von amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht (Art. 245, 246 und 248)
§ 32 Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245)
1. Schutzobjekte
2. Fälschung und Verfälschung amtlicher Wertzeichen (Ziff. 1)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
2.3 Strafbarkeit der Auslandstat
2.4 Konkurrenzen
3. Verwendung gefälschter amtlicher Wertzeichen (Ziff. 2)
3.1 Objektiver Tatbestand
3.2 Subjektiver Tatbestand
3.3 Konkurrenzfragen
§ 33 Fälschung amtlicher Zeichen (Art. 246)
1. Tatobjekte
2. Fälschung und Verfälschung amtlicher Zeichen (Abs. 1)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
2.3 Konkurrenzen
3. Verwendung falscher und gefälschter amtlicher Zeichen (Abs. 2)
3.1 Tatbestand
3.2 Konkurrenzen und Abgrenzungen
§ 34 Fälschung von Mass und Gewicht (Art. 248)
1. Zweck der Bestimmung
2. Objektiver Tatbestand
3. Subjektiver Tatbestand
4. Konkurrenzen
3. Abschnitt: Gemeinsame Bestimmung betreffend Geld und Wertzeichen
§ 35 Fälschungsgeräte; unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Art. 247)
1. Anfertigung und Erwerb von Fälschungsgeräten (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
1.3 Versuch und Konkurrenzen
2. Unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Abs. 2)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
11. Titel Urkundenfälschung (Art. 251–257)
§ 36 Einleitung
1. Die erfassten Aufzeichnungen
1.1 Gemeinsames Merkmal: Menschliche Gedankenäusserung
1.2 Schriften
1.3 Aufzeichnungen auf Bild- und Datenträgern
1.4 Zeichen
2. Voraussetzungen für die Urkundenqualität von Aufzeichnungen
2.1 Erkennbarkeit des Ausstellers
2.2 Beweisbestimmung und Beweiseignung
2.21 Allgemeines
2.22 Beweisbestimmung
2.23 Beweiseignung
3. «Öffentliche Urkunden», «Urkunden des Bundes»
4. Urkunden des Auslandes gemäss Art. 255
5. Nicht strafbare Handlungen gemäss Art. 317bis
§ 37 Urkundenfälschung (Art. 251)
1. Überblick
2. Objektive Tatbestandsmerkmale (Ziff. 1 Abs. 2 und 3)
2.1 Urkundenfälschung i.e.S. (materielle Fälschung)
2.2 Falschbeurkundung (intellektuelle Fälschung)
2.21 Falschbeurkundung als qualifizierte schriftliche Lüge
2.22 Unmittelbare und mittelbare Falschbeurkundung
2.3 Gebrauch gefälschter Urkunden
3. Subjektiver Tatbestand
3.1 Vorsatz
3.2 Besondere Absicht
3.21 Schädigung eines andern am Vermögen oder an andern Rechten
3.22 Verschaffen eines unrechtmässigen Vorteils
4. Privilegierter Tatbestand (Ziff. 2)
5. Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen
§ 38 Fälschung von Ausweisen (Art. 252)
1. Charakterisierung der Bestimmung
2. Fälschungsdelikte
2.1 Objektiver Tatbestand
2.11 Tatobjekte
2.12 Tathandlungen
2.2 Subjektiver Tatbestand
3. Missbrauch echter Schriften
4. Konkurrenzen
§ 39 Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253)
1. Erschleichung einer Falschbeurkundung (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Gebrauch erschlichener Urkunden (Abs. 2)
3. Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen
§ 40 Unterdrückung von Urkunden (Art. 254)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Privilegierter Tatbestand
4. Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen
§ 41 Grenzverrückung (Art. 256)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Verhältnis zu anderen Urkundendelikten
§ 42 Beseitigung von Vermessungs- und Wasserstandszeichen (Art. 257)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Verhältnis zu den anderen Urkundendelikten
12. Titel Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden (Art. 258–263)
§ 43 Einleitung
§ 44 Schreckung der Bevölkerung (Art. 258)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Versuch, Konkurrenzen
§ 45 Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259)
1. Öffentliche Aufforderung zu einem Verbrechen (Abs. 1 und 1bis)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Öffentliche Aufforderung zur Gewalttätigkeit (Abs. 2)
3. Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen
§ 46 Landfriedensbruch (Art. 260)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Begriff der öffentlichen Zusammenrottung
1.2 Strafbare Teilnahme an der Zusammenrottung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Objektive Strafbarkeitsbedingung
4. Strafausschlussgrund (Abs. 2)
5. Konkurrenzfragen
§ 47 Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis)
1. Allgemeines
2. Objektiver Tatbestand
3. Subjektiver Tatbestand
4. Strafausschlussgrund (Abs. 2)
5. Strafbarkeit der Auslandstat (Abs. 3)
6. Weitere Fragen
6.1 Konkurrenzen
6.2 Versuch
6.3 Teilnahme
§ 48 Kriminelle Organisation (Art. 260ter)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Begriff der kriminellen Organisation
1.2 Strafbare Verhaltensweisen
1.21 Beteiligung an der Organisation (Ziff. 1 Abs. 1)
1.22 Unterstützung der Organisation (Ziff. 1 Abs. 2)
2. Subjektiver Tatbestand
3. Versuch und Teilnahme
4. Strafmilderungsgrund (Ziff. 2)
5. Weitere Fragen
5.1 Konkurrenzfragen
5.2 Die Strafbarkeit der Auslandstat (Ziff. 3)
§ 49 Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen (Art. 260quater)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Subsidiaritätsklausel
§ 50 Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies)
1. Entstehungsgeschichte und kriminalpolitischer Hintergrund der Norm
2. Voraussetzungen der Strafbarkeit
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Ausschlussklauseln (Abs. 3 und 4)
3.2 Verhältnis zu anderen Strafnormen
4. Bundesgerichtsbarkeit
§ 51 Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261)
1. Störung der Glaubensfreiheit (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Störung der Kultusfreiheit (Abs. 2 und 3)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
§ 52 Rassendiskriminierung (Art. 261bis)
1. Charakterisierung der Bestimmung
2. Gemeinsame Bezugspunkte der Straftatbestände
2.1 Erfasste Bevölkerungsgruppen
2.2 Die Begriffe des Diskriminierens und der Herabsetzung
2.3 Das Merkmal der Öffentlichkeit
3. Die tatbestandsmässigen Verhaltensweisen
3.1 Öffentlicher Aufruf zu Hass und Diskriminierung (Abs. 1)
3.2 Öffentliches Verbreiten diskriminierenden Gedankengutes (Abs. 2)
3.3 Vorbereitung und Teilnahme an Propagandaaktionen (Abs. 3)
3.4 Öffentliches Diskriminieren oder Herabsetzen von Personen oder Gruppen (Abs. 4 Alt. 1)
3.5 Leugnen, Verharmlosen oder Rechtfertigen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Abs. 4 Alt. 2)
3.6 Tätige Diskriminierung (Abs. 5)
3.7 Subjektiver Tatbestand
4. Weitere Fragen
4.1 Versuch und Teilnahme
4.2 Deliktsbegehung über Medien
4.3 Rechtfertigungsgründe
4.4 Konkurrenzfragen
§ 53 Störung des Totenfriedens (Art. 262)
1. Verunehrung von Ruhestätten, Leichen, Leichenzügen und Leichenfeiern (Ziff. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Wegnahme von Leichen oder Teilen davon (Ziff. 2)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
§ 54 Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (Art. 263)
1. Wesen des Deliktes
2. Objektiver Tatbestand
3. Subjektiver Tatbestand
4. Die Begehung der Rauschtat
5. Weitere Fragen
5.1 Versuch und Teilnahme
5.2 Verhältnis zur «actio libera in causa» (Art. 19 Abs. 4)
5.3 Prozessuales
12. Titelbis und quaterVölkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264–264a) sowie gemeinsame Bestimmungen (Art. 264k–264n)
§ 55 Entstehungsgeschichte
§ 56 Völkermord (Art. 264)
1. Voraussetzungen der Strafbarkeit
1.1 Objektiver Tatbestand
1.11 Täterkreis
1.12 Die geschützten Gruppen
1.13 Tathandlungen
1.14 Vollendung, strafbare Vorbereitungshandlungen
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Weitere Fragen
2.1 Handeln auf Befehl oder Anordnung (Art. 264l)
2.2 Konkurrenzen
2.3 Weltrechtsprinzip (Art. 264m)
2.4 Immunität (Art. 264n)
2.5 Bundesgerichtsbarkeit und Militärgerichtsbarkeit
§ 57 Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)
1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.11 Handeln im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung
1.12 Die einzelnen Tatbestandsvarianten
1.13 Vollendung, strafbare Vorbereitungshandlungen
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Weitere Fragen
2.1 Konkurrenzen
2.2 Qualifizierungen und Privilegierungen (Abs. 2 und 3)
2.3 Weltrechtsprinzip (Art. 264m) und Immunität (Art. 264n)
12. Titelter und quater Kriegsverbrechen (Art. 264b–264j) sowie gemeinsame Bestimmungen (Art. 264k–264n)
§ 58 Entstehungsgeschichte
1. Tatbegehung im Zusammenhang mit einem internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (Art. 264b)
2. Zuständigkeit der Zivil- und der Militärgerichtsbarkeit
3. Weltrechtsprinzip (Art. 264m)
4. Immunität (Art. 264n)
§ 59 Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c)
1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1 und 2)
1.1 Geschützte Personen und Güter
1.2 Objektiver Tatbestand
1.3 Subjektiver Tatbestand
2. Weitere Fragen
2.1 Qualifikation nach Abs. 3 und Privilegierung in Abs. 4
2.2 Konkurrenzen
§ 60 Angriffe gegen zivile Personen und Objekte (Art. 264d)
1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Weitere Fragen
2.1 Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3)
2.2 Konkurrenzen
§ 61 Ungerechtfertigte medizinische Behandlung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der Menschenwürde (Art. 264e)
1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Weitere Fragen
2.1 Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3)
2.2 Konkurrenzen
§ 62 Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten (Art. 264f)
1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Weitere Fragen
2.1 Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3)
2.2 Konkurrenzen
§ 63 Verbotene Methoden der Kriegführung (Art. 264g)
1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Weitere Fragen
2.1 Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3)
2.2 Konkurrenzen
§ 64 Einsatz verbotener Waffen (Art. 264h)
1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Weitere Fragen
2.1 Besonders schwerer Fall (Abs. 2)
2.2 Konkurrenzen
§ 65 Bruch eines Waffenstillstandes oder des Friedens, Vergehen gegen einen Parlamentär, verzögerte Heimschaffung von Kriegsgefangenen (Art. 264i)
1. Voraussetzungen der Strafbarkeit
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Konkurrenzen
§ 66 Andere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht (Art. 264j)
13. Titel Verbrechen und Vergehen gegen den Staat und die Landes­verteidigung (Art. 265–278)
§ 67 Einleitung
1. Entwicklung der Gesetzgebung
2. Realprinzip
3. Presserechtliche Bestimmungen
4. Prozessuales
5. Diplomatische Immunität
1. Abschnitt: Verbrechen oder Vergehen gegen den Staat (Art. 265 bis 271)
§ 68 Hochverrat (Art. 265)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Schutzobjekt
1.2 Tatbestandsmässige Handlungen
1.3 Verfassungshochverrat (Abs. 2)
1.4 Behördenhochverrat (Abs. 3)
1.5 Gebietshochverrat (Abs. 4)
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzfragen
§ 69 Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266)
1. Grundtatbestand (Ziff. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 2)
3. Konkurrenzen
§ 70 Gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete ausländische Unternehmungen und Bestrebungen (Art. 266bis)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
§ 71 Diplomatischer Landesverrat (Art. 267)
1. Die einzelnen Tatbestandsvarianten
1.1 Geheimnisverrat (Ziff. 1 Abs. 1, Ziff. 2)
1.2 Urkunden- oder Beweismittelverrat (Ziff. 1 Abs. 2)
1.3 Ungetreue Amtsführung schweizerischer Unterhändler, sog. «landesverräterische Untreue» (Ziff. 1 Abs. 3)
2. Weitere Fragen
§ 72 Verrückung staatlicher Grenzzeichen (Art. 268)
§ 73 Verletzung schweizerischer Gebietshoheit (Art. 269)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzfragen
§ 74 Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen (Art. 270)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
§ 75 Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Geschütztes Rechtsgut
1.2 Tatbestandsmässige Handlung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Sonderfall der Entführung ins Ausland (Ziff. 2)
4. Weitere Fragen
4.1 Konkurrenzprobleme
4.2 Völkerrechtliche Folgen der Entführung
4.3 Prozessuale Folgen der Entführung (Problem des «male captus»)
2. Abschnitt: Verbotener Nachrichtendienst (Art. 272–274)
§ 76 Politischer Nachrichtendienst (Art. 272)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Begriff und Gegenstand des politischen Nachrichtendienstes
1.2 Tatbestandsmässige Handlungen
1.3 Handeln im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes
1.4 Handeln zum Nachteil der Schweiz, ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen
1.5 Teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs
2. Subjektiver Tatbestand
3. Qualifizierter Tatbestand
4. Konkurrenzfragen
§ 77 Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Begriff des Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisses
1.11 Begriff des Geheimnisses
1.12 Begriff des Fabrikationsgeheimnisses
1.13 Begriff des Geschäftsgeheimnisses
1.14 Richtlinien der Bundesanwaltschaft
1.2 Tatbestandsmässige Handlungen
1.21 Auskundschaften von Geheimnissen
1.22 Zugänglichmachen von Geheimnissen
1.3 Empfänger der wirtschaftlichen Nachricht
2. Subjektiver Tatbestand
3. Qualifizierter Fall (Abs. 3)
4. Rechtswidrigkeit
4.1 Gesetzliche Rechtfertigungsgründe
4.2 Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe
5. Konkurrenzfragen
§ 78 Militärischer Nachrichtendienst (Art. 274)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Gegenstand und Begriff der militärischen Nachrichten
1.2 Tatbestandsmässige Handlungen
1.3 Handeln für einen fremden Staat zum Nachteil der Schweiz
2. Subjektiver Tatbestand
3. Schwerer Fall (Ziff. 1 Abs. 4)
4. Weitere Fragen
4.1 Einziehung
4.2 Konkurrenzen
3. Abschnitt: Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung (Art. 275–275ter)
§ 79 Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung (Art. 275)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Begriff der verfassungsmässigen Ordnung
1.2 Tatbestandsmässige Handlung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzfragen
§ 80 Staatsgefährliche Propaganda (Art. 275bis)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzen
§ 81 Rechtswidrige Vereinigung (Art. 275ter)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzen
4. Abschnitt: Störung der militärischen Sicherheit (Art. 276–278)
§ 82 Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten (Art. 276)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Öffentliche Aufforderung zur Dienstpflichtverletzung (Ziff. 1 Abs. 1)
1.2 Verleitung zur Dienstverletzung (Ziff. 1 Abs. 2)
2. Subjektiver Tatbestand
3. Qualifizierter Fall (Ziff. 2)
4. Recht auf freie Meinungsäusserung
§ 83 Fälschung von Aufgeboten oder Weisungen (Art. 277)
§ 84 Störung des Militärdienstes (Art. 278)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzen
14. Titel Vergehen gegen den Volkswillen (Art. 279–283)
§ 85 Einleitung
§ 86 Störung und Hinderung von Wahlen und Abstimmungen (Art. 279)
1. Störung und Hinderung von Versammlungen, Wahlen und Abstimmungen (Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Hinderung und Störung von Referendums- und Initiativbegehren (Abs. 2)
3. Konkurrenzfragen
§ 87 Eingriffe in das Stimm- und Wahlrecht (Art. 280)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Versuch
3.2 Konkurrenzen
§ 88 Wahlbestechung (Art. 281)
1. Aktive Wahlbestechung (Abs. 1 und 2)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Passive Wahlbestechung (Abs. 3)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
§ 89 Wahlfälschung (Art. 282)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 2)
4. Konkurrenzfragen
§ 90 Stimmenfang (Art. 282bis)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
§ 91 Verletzung des Abstimmungs- und Wahlgeheimnisses (Art. 283)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Verhältnis zu Art. 320
15. Titel Strafbare Handlungen gegen die öffentliche Gewalt (Art. 285–295)
§ 92 Einleitung
1. Geschütztes Rechtsgut und Entwicklung der Gesetzgebung
2. Beamter, Behörde, Mitglied einer Behörde
2.1 Beamter
2.2 Behörde und Behördenmitglieder
2.3 Beamte und Behörden des Auslandes und internationaler Organisationen
3. Amtshandlung
3.1 Innerhalb der Befugnisse liegende Amtshandlung
3.2 Hinderung einer Amtshandlung
3.3 Abgrenzung und Konkurrenz zur Begünstigung
4. Prozessuales
§ 93 Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Geschützte Amtshandlung
1.2 Die tatbestandsmässigen Verhaltensweisen und gegebenenfalls ihr Erfolg
1.21 Hinderung einer Amtshandlung durch Gewalt oder Drohung
1.22 Nötigung zu einer Amtshandlung
1.23 Tätlicher Angriff
2. Subjektiver Tatbestand
3. Qualifizierter Fall (Ziff. 2)
3.1 Passive Teilnahme an der Zusammenrottung
3.2 Aktive Beteiligung an der Zusammenrottung
3.3 Aufruhr und Demonstrationsfreiheit
4. Weitere Fragen
4.1 Rechtfertigungsgründe
4.2 Konkurrenzfragen
§ 94 Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Tatbestandsmässige Handlung
1.2 Auswirkungen auf die Amtshandlung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzfragen
§ 95 Amtsanmassung (Art. 287)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Amtsanmassung im nicht militärischen Bereich
1.11 Amtsanmassung im Allgemeinen
1.12 Amtsanmassung durch Beamte
1.2 Anmassung militärischer Befehlsgewalt
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Vollendung der Tat
3.2 Konkurrenzen und Abgrenzungen
§ 96 Bruch amtlicher Beschlagnahme (Art. 289)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Handlungsobjekte
1.11 Begriff der Sache
1.12 Begriff der Beschlagnahme und Anwendungsfälle
1.13 Überprüfungsbefugnis des Strafrichters
1.2 Tatbestandsmässige Handlung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen
§ 97 Siegelbruch (Art. 290)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Tatobjekt
1.2 Tatbestandsmässige Handlung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzfragen
§ 98 Verweisungsbruch (Art. 291)
1. Allgemeines
2. Objektiver Tatbestand
2.1 Der Ausweisungsentscheid
2.2 Tatbestandsmässiges Verhalten
3. Subjektiver Tatbestand
4. Weitere Fragen
4.1 Rechtsirrtum
4.2 Verjährung
4.3 Beteiligung
4.4 Konkurrenzen
§ 99 Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)
1. Allgemeines
1.1 Art. 292 als Blankettbestimmung
1.2 Anwendungsbereich von Art. 292
1.3 Subsidiärer Charakter von Art. 292
2. Objektiver Tatbestand
2.1 Amtliche Verfügung
2.2 Tatbestandsmässiges Verhalten
3. Subjektiver Tatbestand
4. Weitere Fragen
4.1 Strafrichterliche Überprüfung der missachteten Verfügung
4.2 Teilnahme, Versuch
4.3 Rechtfertigungsgründe
4.4 Konkurrenzfragen
4.41 Andauernder Ungehorsam
4.42 Weitere Konkurrenzfragen
§ 100 Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293)
1. Allgemeines
2. Objektiver Tatbestand
2.1 Schutzobjekte
2.11 Geltende Praxis
2.12 Für eine Praxisänderung und/oder eine Revision sprechende Gesichtspunkte
2.13 Folgerungen
2.2 Täter
2.3 Tathandlung
3. Subjektiver Tatbestand
4. Weitere Fragen
4.1 Geringe Bedeutung des Geheimnisses
4.2 Versuch und Teilnahme
4.3 Konkurrenzfragen
4.4 Gerichtsstand bei Veröffentlichung durch Massenmedien
§ 101 Missachtung eines Tätigkeitsverbots oder eines Kontakt- und Rayonverbots (Art. 294)
1. Entwicklung der Gesetzgebung und Gegenstand der Regelung
2. Objektiver Tatbestand
3. Subjektiver Tatbestand
4. Rechtfertigungsgründe und Konkurrenzen
§ 102 Missachtung von Bewährungshilfe oder Weisungen (Art. 295)
1. Entwicklung der Gesetzgebung und Gegenstand der Regelung
2. Objektiver Tatbestand
3. Subjektiver Tatbestand
4. Teilnahme, Rechtfertigungsgründe und Konkurrenzen
16. Titel Störung der Beziehungen zum Ausland (Art. 296–302)
§ 103 Einleitung
1. Entwicklung der Gesetzgebung
2. Geschütztes Rechtsgut
3. Prozessuales
§ 104 Beleidigung eines fremden Staates (Art. 296)
1. Allgemeines
2. Objektiver Tatbestand
3. Subjektiver Tatbestand
4. Weitere Fragen
§ 105 Beleidigung zwischenstaatlicher Organisationen (Art. 297)
§ 106 Tätliche Angriffe auf fremde Hoheitszeichen (Art. 298)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
§ 107 Verletzung fremder Gebietshoheit (Art. 299)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Unerlaubte Amtshandlungen auf fremdem Staatsgebiet (Ziff. 1 Abs. 1)
1.2 Völkerrechtswidriges Eindringen auf fremdes Staatsgebiet (Ziff. 1 Abs. 2)
1.3 Störung der staatlichen Ordnung eines fremden Staates (Ziff. 2)
2. Subjektiver Tatbestand
3. Rechtfertigungsgründe
§ 108 Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen (Art. 300)
1. Allgemeines
2. Objektiver Tatbestand
2.1 Feindseligkeiten gegenüber einem Kriegführenden
2.2 Feindseligkeiten gegenüber fremden Truppen
3. Subjektiver Tatbestand
§ 109 Nachrichtendienst gegen fremde Staaten (Art. 301)
1. Tatbestand (Ziff. 1)
2. Einziehung (Ziff. 2)
17. Titel Verbrechen und Vergehen gegen die Rechtspflege (Art. 303–311)
§ 110 Falsche Anschuldigung (Art. 303)
1. Direkte falsche Anschuldigung (Ziff. 1 Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Indirekte falsche Anschuldigung (Ziff. 1 Abs. 2)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Rechtfertigungsgründe; Ausübung prozessualer Verteidigungsrechte
3.2 Strafausschluss- und -milderungsgrund (Art. 308 Abs. 1)
3.3 Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen
§ 111 Irreführung der Rechtspflege (Art. 304)
1. Falsche Anzeige (Ziff. 1 Abs. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Falsche Selbstbezichtigung (Ziff. 1 Abs. 2)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Privilegierter Tatbestand (Ziff. 2)
3.2 Strafausschluss- und Milderungsgrund (Art. 308 Abs. 1)
3.3 Konkurrenzfragen
§ 112 Begünstigung (Art. 305)
1. Verfolgungsbegünstigung
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Vollzugsbegünstigung
2.1 Objektiver Tatbestand
2.2 Subjektiver Tatbestand
3. Selbstbegünstigung
3.1 Grundsatz und Umfang der Straflosigkeit
3.2 Teilnahme an Selbstbegünstigung
4. Weitere Fragen
4.1 Versuch
4.2 Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen
4.3 Strafausschlussgrund (Abs. 2)
§ 113 Geldwäscherei (Art. 305bis)
1. Wesen und strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäscherei
2. Grundtatbestand (Ziff. 1)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.11 Täterkreis
2.12 Tatobjekte: Vermögenswerte, die aus einem Verbrechen herrühren
2.13 Tathandlung
2.2 Subjektiver Tatbestand
3. Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 2)
4. Weitere Fragen
4.1 Versuch
4.2 Teilnahme
4.3 Unterlassen
4.4 Irrtum
4.5 Bundesgerichtsbarkeit
4.6 Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen
§ 114 Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)
1. Strafbarkeit nach Abs. 1
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
1.3 Weitere Fragen
1.31 Versuch und Vollendung
1.32 Täterschaft und Teilnahme
1.33 Mehrheit strafbarer Handlungen
1.34 Bundesgerichtsbarkeit
2. Melderecht des Financiers (Abs. 2)
§ 115 Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Erforderliches Verfahren
1.2 Beweisaussage der Partei
1.3 Tathandlung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Qualifizierter Tatbestand (Abs. 2)
4. Weitere Fragen
§ 116 Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)
1. Allgemeines
2. Objektiver Tatbestand des falschen Zeugnisses
2.1 Aussage in einem gerichtlichen Verfahren
2.2 Zeugeneigenschaft
2.21 Fehlende Zeugnisfähigkeit
2.22 Stellung als Prozesspartei
2.23 Stellung als «materiell Beschuldigter»
2.3 Einhaltung der Zuständigkeits- und Formvorschriften für die Zeugenanhörung
2.4 Inhalt der Aussage
2.41 Aussage «zur Sache»
2.42 Erhebliche und unerhebliche Aussagen zur Sache
2.43 Falschheit der Aussage
3. Subjektiver Tatbestand
4. Versuch des falschen Zeugnisses
5. Qualifizierter Tatbestand
6. Weitere Fragen
6.1 Teilnahme
6.2 Konkurrenzfragen
6.3 Strafmilderungs- und Ausschlussgründe (Art. 308)
7. Abgabe eines falschen Gutachtens; falsche Übersetzung
7.1 Abgabe eines falschen Befundes oder Gutachtens
7.2 Falsche Übersetzung
§ 117 Befreiung von Gefangenen (Art. 310)
1. Allgemeines
2. Gefangenenbefreiung durch Einzelpersonen (Ziff. 1)
2.1 Tatbestand
2.2 Weitere Fragen
2.21 Versuch
2.22 Abgrenzungen und Konkurrenzen
3. Tatbegehung durch einen zusammengerotteten Haufen (Ziff. 2)
§ 118 Meuterei von Gefangenen (Art. 311)
1. Grundtatbestand und Qualifikation
2. Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen
18. Titel Strafbare Handlungen gegen die Amts- und Berufspflicht (Art. 312–322bis)
§ 119 Einleitung
§ 120 Amtsmissbrauch (Art. 312)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Tathandlung
1.3 Vollendung der Tat
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen
§ 121 Gebührenüberforderung (Art. 313)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen
3.1 Verhältnis zu Art. 322quater (Sich-bestechen-Lassen) und Art. 322sexies (Vorteilsannahme)
3.2 Verhältnis zu Art. 146 (Betrug) und Art. 312 (Amtsmissbrauch)
§ 122 Ungetreue Amtsführung (Art. 314)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzen
3.1 Verhältnis zur ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158)
3.2 Verhältnis zum Tatbestand des Sich-bestechen-Lassens (Art. 322quater)
§ 123 Urkundenfälschung im Amt (Art. 317)/Nicht strafbare Handlungen (Art. 317bis)
1. Vorsätzliche Urkundenfälschung (Ziff. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
1.3 Teilnahme aussenstehender Personen
2. Fahrlässige Urkundenfälschung (Ziff. 2)
3. Nicht strafbare Handlungen gemäss Art. 317bis
4. Konkurrenzen
§ 124 Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318)
1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1)
1.1 Objektiver Tatbestand
1.2 Subjektiver Tatbestand
1.3 Qualifizierter Tatbestand
2. Fahrlässigkeitstatbestand (Ziff. 2)
3. Abgrenzung und Konkurrenzen
§ 125 Entweichenlassen von Gefangenen (Art. 319)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Versuch und Teilnahme
4. Konkurrenzen
§ 126 Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Schutzobjekt
1.3 Kenntnis des Täters vom Geheimnis infolge seiner Stellung
1.4 Schweigepflicht
1.5 Tatbestandsmässiges Verhalten
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Vollendung und Versuch
3.2 Strafbare Teilnahme
3.3 Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen
4. Rechtfertigungsgründe
4.1 Gesetzliche Informationsrechte und -pflichten nach Art. 14
4.2 Notstand (Art. 17)
4.3 Einwilligung der vorgesetzten Behörde (Art. 320 Ziff. 2)
4.4 Einwilligung des Verletzten
4.5 Wahrung berechtigter Interessen
§ 127 Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Geheimnis
1.3 Kenntnisnahme vom Geheimnis bei der Berufsausübung
1.4 Tatbestandsmässiges Verhalten
2. Subjektiver Tatbestand
3. Antragserfordernis
4. Weitere Fragen
4.1 Versuch und Teilnahme
4.2 Abgrenzungen und Konkurrenzen
4.3 Das Berufsgeheimnis im Prozess
5. Rechtfertigungsgründe
5.1 Gesetzliche Anzeigepflichten und Melderechte (Art. 321 Ziff. 3)
5.2 Notstand, rechtfertigende Pflichtenkollision und Wahrung berechtigter Interessen
5.3 Einwilligung des Geheimnisherrn (Art. 321 Ziff. 2)
5.4 Bewilligung durch die vorgesetzte Behörde oder die Aufsichtsinstanz (Art. 321 Ziff. 2)
§ 128 Berufsgeheimnis in der Forschung am Menschen (Art. 321bis)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Schutzobjekt und tatbestandsmässiges Verhalten
1. Subjektiver Tatbestand
3. Rechtfertigungsgrund nach Humanforschungsgesetz gemäss Art. 34 Abs. 2
4. Konkurrenzen
§ 129 Verletzung des Post- und Fernmelde­geheimnisses (Art. 321ter)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Tathandlung
2. Subjektiver Tatbestand
3. Rechtswidrigkeit
4. Konkurrenzen
5. Prozessuales
§ 130 Verletzung der Auskunftspflicht der Medien (Art. 322)
1. Auskunftspflicht der Medienunternehmen (Abs. 1)
2. Impressumspflicht für Zeitungen und Zeitschriften (Abs. 2)
3. Angaben namhafter Beteiligungen
4. Strafbares Verhalten
4.1 Objektiver Tatbestand
4.11 Täterkreis
4.12 Strafbares Verhalten
4.2 Subjektiver Tatbestand
§ 131 Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung (Art. 322bis)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Verhindern der strafbaren Veröffentlichung
1.3 Subsidiarität
2. Subjektiver Tatbestand
3. Fahrlässige Nichtverhinderung der strafbaren Veröffentlichung
4. Weitere Fragen
19. Titel Bestechung (Art. 322ter–322decies)
§ 132 Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale
1. Entwicklung der Gesetzgebung
2. Geschützte Rechtsgüter
3. Gemeinsame Merkmale der Amts- und der Privatbestechung
3.1 Aufbau der Tatbestände
3.2 Tathandlungen
3.21 Tathandlungen des Extraneus
3.22 Tathandlungen des Intraneus
3.3 Einziehung der Zuwendungen
3.4 Verantwortlichkeit im Unternehmen
4. Der Bestechung von Amtsträgern (Art. 322ter–322sexies) gemeinsame Merkmale
4.1 Amtsträger
4.11 Mitglieder einer richterlichen oder anderen Behörde, Beamte
4.12 Amtlich bestellte Sachverständige
4.13 Übersetzer oder Dolmetscher
4.14 Schiedsrichter
4.15 Angehörige der Armee
4.16 Private, welche öffentliche Aufgaben erfüllen
4.17 Lobbyisten?
4.2 Der «nicht gebührende Vorteil»
4.21 Allgemeines
4.22 Dienstrechtlich erlaubte, geringfügige und sozial übliche Vorteile
4.3 Der Bezug zur amtlichen Tätigkeit, Amtsführung
4.31 Amtliche Tätigkeit
4.32 Amtsführung
4.4 Kantonale Gerichtsbarkeit/Bundesgerichtsbarkeit
§ 133 Bestechen (Art. 322ter)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Der nicht gebührende Vorteil
1.3 Tathandlungen
1.4 Adressat des Vorteils
1.5 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit
1.6 Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten
1.7 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des Amtsträgers
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Teilnahme
3.2 Konkurrenzfragen
3.3 Abgrenzungen
§ 134 Sich-bestechen-Lassen (Art. 322quater)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Der nicht gebührende Vorteil
1.3 Tathandlungen
1.4 Adressat des Vorteils
1.5 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit
1.6 Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten
1.7 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des Amtsträgers
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Teilnahme
3.2 Konkurrenzfragen
§ 135 Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Der nicht gebührende Vorteil
1.3 Tathandlungen
1.4 Adressat des Vorteils
1.5 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Teilnahme
3.2 Konkurrenzfragen und Abgrenzungen
§ 136 Vorteilsannahme (Art. 322sexies)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Der nicht gebührende Vorteil
1.3 Tathandlungen
1.4 Adressat des Vorteils
1.5 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit
2. Subjektiver Tatbestand
3. Verhältnis zu Art. 322quinquies
§ 137 Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies)
1. Aktive Bestechung fremder Amtsträger nach Art. 322septies Abs. 1
1.1 Objektiver Tatbestand
1.11 Täterkreis
1.12 Der nicht gebührende Vorteil
1.13 Tathandlungen
1.14 Der fremde Amtsträger als Adressat des Vorteils
1.15 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit
1.16 Pflichtwidrige oder im Ermessen stehende Handlung
1.17 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des fremden Amtsträgers
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Passive Bestechung fremder Amtsträger nach Art. 322septies Abs. 2
2.1 Schutzobjekt
2.2 Objektiver Tatbestand
2.21 Täterkreis und Vorteilsadressat
2.22 Der nicht gebührende Vorteil
2.23 Tathandlungen
2.24 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit
2.25 Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten
2.26 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des fremden Amtsträgers
2.3 Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Geltungsbereich
3.2 Teilnahme
§ 138 Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale
1. Allgemeines
2. Treueverhältnis (Dreiecksverhältnis)
3. Der nicht gebührende Vorteil
4. Adressat des Vorteils
5. Tathandlungen
6. Zusammenhang mit der dienstlichen oder geschäftlichen Tätigkeit
7. Das Merkmal der «pflichtwidrigen oder im Ermessen stehenden Handlung oder Unterlassung»
8. Das Äquivalenzverhältnis
9. Genehmigung und Geringfügigkeit
10. Subjektiver Tatbestand
11. Kantonale Gerichtsbarkeit/Bundesgerichtsbarkeit
§ 139 Bestechen (Art. 322octies)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Treueverhältnis (Dreiecksverhältnis)
1.2 Täterkreis
1.3 Der nicht gebührende Vorteil
1.4 Tathandlungen
1.5 Adressat des Vorteils
1.6 Zusammenhang mit dienstlicher oder geschäftlicher Tätigkeit
1.7. Das Merkmal der «pflichtwidrigen oder im Ermessen stehenden Handlung oder Unterlassung»
1.8 Das Äquivalenzverhältnis
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Teilnahme
3.2 Konkurrenzen
3.3 Bestechung ausländischer Privatpersonen
§ 140 Sich-bestechen-Lassen (Art. 322novies)
1. Objektiver Tatbestand
1.1. Treueverhältnis (Dreiecksverhältnis)
1.2 Täterkreis
1.3 Der nicht gebührende Vorteil
1.4 Tathandlungen
1.5 Adressat des Vorteils
1.6 Zusammenhang mit dienstlicher oder geschäftlicher Tätigkeit
1.7 Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten
1.8 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des Bestochenen
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Teilnahme
3.2 Konkurrenzen
20. Titel Übertretungen bundes­rechtlicher Bestimmungen (Art. 323–332)
§ 141 Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren (Art. 323)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterschaft
1.2 Die einzelnen Tatbestände
2. Subjektiver Tatbestand
3. Abgrenzungsfragen
3.1 Verhältnis zu betrügerischem Konkurs und zum Pfändungsbetrug (Art. 163 Ziff. 1)
3.2 Verhältnis zum Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)
§ 142 Ungehorsam dritter Personen im Betreibungs-, Konkurs- und Nachlassverfahren (Art. 324)
1. Die einzelnen Tatbestände
2. Abgrenzungsfragen
2.1 Verhältnis zum betrügerischen Konkurs und Pfändungsbetrug (Art. 163 Ziff. 2)
2.2 Verhältnis zum Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)
§ 143 Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher (Art. 325)
1. Objektiver Tatbestand
1.1 Täterkreis
1.2 Tatbestandsmässige Handlungen
2. Subjektiver Tatbestand
3. Fahrlässige ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher
4. Verfolgungsverjährung
5. Abgrenzung zur Unterlassung der Buchführung (Art. 166)
§ 144 Widerhandlungen gegen die Bestimmungen zum Schutz der Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen (Art. 325bis und 326bis)
1. Das strafbare Verhalten von Vermietern
1.1 Objektiver Tatbestand
1.11 Kreis der Täter
1.12 Mietverhältnis betreffend Wohn- und Geschäftsräume
1.13 Tatbestandsmässige Verhaltensweisen
1.2 Subjektiver Tatbestand
2. Strafbares Verhalten von Mitverantwortlichen (Art. 326bis Abs. 2 und 3)
2.1 Objektiver Tatbestand
2.11 Kreis der Mitverantwortlichen
2.12 Tatbestandsmässiges Verhalten
2.2 Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzen
§ 145 Übertretung firmenrechtlicher Bestimmungen (Art. 326ter)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
§ 146 Unwahre Auskunft durch eine Personal­vorsorgeeinrichtung (Art. 326quater)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Abgrenzungen
§ 147 Nachmachen von Postwertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 328)
1. Tatbestandsmässiges Verhalten (Ziff. 1)
2. Einziehung (Ziff. 2)
3. Abgrenzungen
§ 148 Verletzung militärischer Geheimnisse (Art. 329)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Weitere Fragen
3.1 Strafbarkeit von Versuch und Gehilfenschaft
3.2 Konkurrenzen
§ 149 Handel mit militärisch beschlagnahmtem Material (Art. 330)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzen
§ 150 Unbefugtes Tragen der militärischen Uniform (Art. 331)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Abgrenzungen
§ 151 Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332)
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
3. Konkurrenzfragen
Anhang: Terminologie des schweizerischen Strafrechts (Strafrecht IV)
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Strafrecht IV Delikte gegen die Allgemeinheit [5 ed.]
 9783725574414

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den, welches die Dozierenden dieses Faches an der Universität Zürich verwenden. Er erlaubt es, bei Bedarf weitere Autoren aus diesem Kreis einzubeziehen.

Strafrecht II

Strafrecht I Verbrechenslehre

Schwarzenegger/Hug/Jositsch

Donatsch/ Tag

Strafrecht I

Verbrechenslehre

n die Grundrisse Strafrecht ein Lehrmittel betont wers Faches an der Universität ei Bedarf weitere Autoren

Neunte Auflage

55517_UG_Strafrecht_II.indd 1

29.04.13 11:08

ISBN 978-3-7255-6782-9

ZÜRCHER GRUNDRISSE DES STRAFRECHTS Daniel Jositsch (Hrsg.)

Zürcher Grundrisse des Strafrechts, herausgegeben von Andreas Donatsch

Christian Schwarzenegger Markus Hug Daniel Jositsch

Andreas Donatsch Marc Thommen Wolfgang Wohlers

Strafrecht II

Strafrecht IV

Strafen und Massnahmen

Delikte gegen die Allgemeinheit 5. Auflage

Achte, aktualisierte und teilweise vollständig überarbeitete Auflage

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ISBN 978-3-7255-5280-1

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Die Tafeln zu ­diesem Lehrbuch

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ZÜRCHER GRUNDRISSE DES STRAFRECHTS Daniel Jositsch und Stefan Flachsmann (Hrsg.)

Andreas Eckert Stefan Flachsmann Bernhard Isenring Nathan Landshut Hans Maurer Stefan Wehrenberg

Tafeln zum Strafrecht IV Besonderer Teil II Mit ausgewählten Strafbestimmungen von SVG und BetmG 4. Auflage

ISBN 978-3-7255-7021-8

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ISBN 978-3-7255-7185-7

ISBN 978-3-7255-7732-3

Donatsch / Thommen / Wohlers Strafrecht IV  Delikte gegen die Allgemeinheit 5. Auflage

Andreas Donatsch Unter diesem Sammeltitel erscheinen die Grundrisse Strafrecht Brigitte Tag I – IV. Damit soll deren Charakter als ein Lehrmittel betont werZürcher Grundrisse des Strafrechts

es Strafrechts

8. Auflage

Zürcher Grundrisse des Strafrechts, herausgegeben von Andreas Donatsch

Strafen und Massnahmen

9. Auflage

Das Lehrbuch «Strafrecht IV» aus der Reihe «Zürcher Grundrisse des Strafrechts» behandelt die Straftaten gegen Gemeininteressen. Seit der Vorauflage sind zusätzliche Bestimmungen in Kraft getreten, so Art. 322octies– 322decies StGB (Privatbestechung). Einige Normen haben zufolge revidierter Gesetze einen teilweise neuen Inhalt erhalten: der Tatbestand der Missachtung eines Tätigkeitsverbots oder eines Kontakt- und Rayonverbots (Art. 294 StGB), die Missachtung der Bewährungshilfe oder Weisungen (Art. 295 StGB) sowie die Verletzung des Berufsgeheimnisses in der Forschung am Menschen (Art. 321bis StGB). Das Lehrbuch dient dem Praktiker als Orientierungshilfe und entspricht den Bedürfnissen der Studierenden.

ZÜRCHER GRUNDRISSE DES STRAFRECHTS Daniel Jositsch (Hrsg.)

Andreas Donatsch Marc Thommen Wolfgang Wohlers

Strafrecht IV Delikte gegen die Allgemeinheit 5. Auflage

ZÜRCHER GRUNDRISSE DES STRAFRECHTS Daniel Jositsch (Hrsg.)

Andreas Donatsch Marc Thommen Wolfgang Wohlers

Strafrecht IV Delikte gegen die Allgemeinheit 5. Auflage

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, vorbehalten. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über­ setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. © Schulthess Juristische Medien AG, Zürich · Basel · Genf  2017 ISBN 978-3-7255-7441-4 www.schulthess.com

Vorbemerkungen zur fünften Auflage Das «Strafrecht IV» ist vollständig überarbeitet und wo nötig ergänzt worden (Stand Januar 2017). Das Werk stellt eine konzise Darstellung der Tatbestände von Art.  213 bis 332 StGB dar. Im Kapitel zum Korruptionsstrafrecht wer­ den neu die Tatbestände der Privatbestechung gemäss Art. 322octies–322decies StGB behandelt. Wie bisher werden die für die Handhabung der einschlägigen Bestimmungen wesentlichen Gesichtspunkte unter Einbezug der höchstrich­ terlichen Rechtsprechung sowie der Lehre erörtert. Die Bezeichnungen der Tatbestände werden jeweils in französischer, italieni­ scher und englischer Sprache sowohl im Text wie auch in einer Terminologieta­ belle im Anhang aufgeführt. Zu berücksichtigen ist, dass dem angelsächsischen Recht viele der im schweizerischen Strafrecht verwendeten strafrechtlichen Begriffe fremd sind, weshalb die Übersetzungen ins Englische als Umschrei­ bungen zu verstehen sind. Die Überarbeitung bzw. Neubearbeitung des Textes ist wie folgt aufgeteilt worden: Titel 7, 8, 12, 12bis, 12ter, 12quater, 13, 16, 17 (Wohlers); Titel 6, 10 (Thommen); Titel 9, 11, 14, 15, 18, 19, 20 (Donatsch). Für die materiell-rechtlichen Vorarbeiten und die formellen Korrekturen sowie die Abschlussarbeiten danken wir dem Team des Lehrstuhls Donatsch (lic. iur. Irene Arnold, RA MLaw Mischa Demarmels, RA MLaw Bettina Klein, MLaw Antonija Mendeš, MLaw Ursula Niedermann, RA lic. iur.  Jasmina Smokvina), demjenigen des Lehrstuhls Thommen (BLaw Luca Ranzoni) sowie demjenigen des Lehrstuhls Wohlers (MLaw Linda Bläsi, stud. iur. Elif Haks­ kaya, stud. iur. Felix Multerer). Für Hinweise auf Fehler, aber auch für Kritik und Anregungen im Hinblick auf eine allfällige weitere Auflage sind wir jederzeit dankbar. Wolfgang Wohlers Jur. Fakultät Universität Basel Peter Merian-Weg 8, PF 4002 Basel

Marc Thommen Rechtswissenschaftl. Institut Treichlerstrasse 10 8032 Zürch

Andreas Donatsch Widenbüelstrasse 24 8103 Unterengstringen

III

Inhaltsübersicht Vorbemerkungen zur fünften Auflage .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. III Allgemeine Literatur (Auswahl) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. LI Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. LV

6. Titel Verbrechen und Vergehen gegen die Familie (Art. 213–220)  § 1 § 2 § 3 § 4 § 5

1

Inzest (Art. 213) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 1 Mehrfache Ehe oder eingetragene Partnerschaft (Art. 215) ............... 4 Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217) . . .................... 6 Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219) . . ............ 21 Entziehen von Minderjährigen (Art. 220) .. ................................. 25

7. Titel Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen (Art. 221–230) 

33

§ 6 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 33 § 7 Brandstiftung (Art. 221) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 34 § 8 Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst (Art. 222) .................. 41 § 9 Verursachung einer Explosion (Art. 223) . . . ................................. 44 § 10 Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226) ............ 47 § 11 Kernenergiedelikte (Art. 226bis und 226ter) .................................. 53 § 12 Verursachung einer Überschwemmung oder eines Einsturzes (Art. 227) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 58 § 13 Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutz­ vorrichtungen (Art. 228) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 60 § 14 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229) .. ... 62 § 15 Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen (Art. 230) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 68

8. Titel Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Gesundheit (Art. 230bis–236)  § 16 § 17 § 18 § 19

72

Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene ­Organismen (Art. 230bis) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 72 Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231) . . ......................... 76 Verbreiten von Tierseuchen (Art. 232) .. . . . . ................................. 83 Verbreiten von Schädlingen (Art. 233) .. . . . . ................................. 84

V

Inhaltsübersicht § 20 § 21 § 22

Verunreinigung von Trinkwasser (Art. 234) . . . . ............................. 85 Herstellen von gesundheitsschädlichem Futter (Art. 235) ................ 87 Inverkehrbringen von gesundheits­schädlichem Futter (Art. 236) .. ...... 88

9. Titel Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Verkehr (Art. 237–239)  § 23 § 24 § 25

Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237) . . ............................. 90 Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238) .. . . . ............................. 97 Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239) ........ 102

10. Titel Fälschung von Geld, amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht (Art. 240–250)  § 26

90

107

Einleitung und allgemeine Bestimmungen (Art. 249 und 250) . . ......... 107

1. Abschnitt: Gelddelikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 110 § 27 § 28 § 29 § 30 § 31

Geldfälschung (Art. 240) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 110 Geldverfälschung (Art. 241) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 113 In Umlaufsetzen falschen Geldes (Art. 242) . . . . ............................. 114 Nachmachen von Banknoten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 243) .. . . . . . . . . . . . . . ............................. 117 Einführen, Erwerben, Lagern falschen Geldes (Art. 244) ................. 120

2. Abschnitt: Fälschung von amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht (Art. 245, 246 und 248) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 123 § 32 § 33 § 34

Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245) .. .............................. 123 Fälschung amtlicher Zeichen (Art. 246) .. . . . . . .............................. 128 Fälschung von Mass und Gewicht (Art. 248) . . .............................. 131

3. Abschnitt: Gemeinsame Bestimmung betreffend Geld und Wertzeichen ...... 134 § 35

Fälschungsgeräte; unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Art. 247) .134

11. Titel Urkundenfälschung (Art. 251–257) 

137

§ 36 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 137 § 37 Urkundenfälschung (Art. 251) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 151 § 38 Fälschung von Ausweisen (Art. 252) .. . . . . . . . . . . ............................. 166

VI

Inhaltsübersicht § 39 § 40 § 41 § 42

Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253) .................... 173 Unterdrückung von Urkunden (Art. 254) .. ................................. 176 Grenzverrückung (Art. 256) .. . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 180 Beseitigung von Vermessungs- und Wasserstandszeichen (Art. 257) . 181

12. Titel Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden (Art. 258–263) 

183

§ 43 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 183 § 44 Schreckung der Bevölkerung (Art. 258) . . . . ................................. 184 § 45 Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 187 § 46 Landfriedensbruch (Art. 260) . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 191 § 47 Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis) ........................... 198 § 48 Kriminelle Organisation (Art. 260ter) .. . . . . . . ................................. 205 § 49 Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen (Art. 260quater) . . .... 214 § 50 Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies) . . .......................... 215 § 51 Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261) ...................... 221 § 52 Rassendiskriminierung (Art. 261bis) . . . . . . . . . ................................. 226 § 53 Störung des Totenfriedens (Art. 262) . . . . . . . . ................................. 244 § 54 Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (Art. 263) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 249

12. Titelbis und quater Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264–264a) sowie gemeinsame Bestimmungen (Art. 264k–264n) 

255

§ 55 Entstehungsgeschichte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 255 § 56 Völkermord (Art. 264) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 259 § 57 Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a) . . ........................ 275

12. Titelter und quater Kriegsverbrechen (Art. 264b–264j) sowie gemeinsame Bestimmungen (Art. 264k–264n) 

293

§ 58 Entstehungsgeschichte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 294 § 59 Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c) .. ........... 301 § 60 Angriffe gegen zivile Personen und Objekte (Art. 264d) .................. 307

VII

Inhaltsübersicht § 61 § 62 § 63 § 64 § 65 § 66

Ungerechtfertigte medizinische Behandlung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der Menschenwürde (Art. 264e) .. ................ 311 Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten (Art. 264f) .. ....... 314 Verbotene Methoden der Kriegführung (Art. 264g) ....................... 316 Einsatz verbotener Waffen (Art. 264h) .. . . . . . . . . ............................. 320 Bruch eines Waffenstillstandes oder des Friedens, Vergehen gegen einen Parlamentär, verzögerte Heimschaffung von Kriegsgefangenen (Art. 264i) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 322 Andere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht (Art. 264j) ........ 324

13. Titel Verbrechen und Vergehen gegen den Staat und die Landes­verteidigung (Art. 265–278) 

326

§ 67 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 326 1. Abschnitt: Verbrechen oder Vergehen gegen den Staat (Art. 265–271) ........ 328 § 68 § 69 § 70 § 71 § 72 § 73 § 74 § 75

Hochverrat (Art. 265) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 328 Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266) . . .... 331 Gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete ausländische Unter­ nehmungen und Bestrebungen (Art. 266bis) .. . . ............................. 333 Diplomatischer Landesverrat (Art. 267) .. . . . . . . ............................. 334 Verrückung staatlicher Grenzzeichen (Art. 268) ........................... 337 Verletzung schweizerischer Gebietshoheit (Art. 269) ...................... 338 Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen (Art. 270) ......... 340 Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271) . . ............. 342

2. Abschnitt: Verbotener Nachrichtendienst (Art. 272–274) ....................... 348 § 76 § 77 § 78

Politischer Nachrichtendienst (Art. 272) .. . . . . . .............................. 348 Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273) . . ............................ 353 Militärischer Nachrichtendienst (Art. 274) . . . . .............................. 361

3. Abschnitt: Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung (Art. 275–275ter) .365 § 79 § 80 § 81

Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung (Art. 275) ................. 365 Staatsgefährliche Propaganda (Art. 275bis) .. . . .............................. 367 Rechtswidrige Vereinigung (Art. 275ter) .. . . . . . . ............................. 369

4. Abschnitt: Störung der militärischen Sicherheit (Art. 276–278) ................ 370 § 82

VIII

Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienst­ pflichten (Art. 276) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 371

Inhaltsübersicht § 83 § 84

Fälschung von Aufgeboten oder Weisungen (Art. 277) . . .................. 373 Störung des Militärdienstes (Art. 278) .. . . . . ................................. 374

14. Titel Vergehen gegen den Volkswillen (Art. 279–283) 

376

§ 85 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 376 § 86 Störung und Hinderung von Wahlen und Abstimmungen (Art. 279) .377 § 87 Eingriffe in das Stimm- und Wahlrecht (Art. 280) ......................... 379 § 88 Wahlbestechung (Art. 281) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 381 § 89 Wahlfälschung (Art. 282) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 384 § 90 Stimmenfang (Art. 282bis) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 387 § 91 Verletzung des Abstimmungs- und Wahlgeheimnisses (Art. 283) ....... 388

15. Titel Strafbare Handlungen gegen die öffentliche Gewalt (Art. 285–295)391 § 92 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 391 § 93 Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285) ........... 399 § 94 Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286) ................................. 405 § 95 Amtsanmassung (Art. 287) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 408 § 96 Bruch amtlicher Beschlagnahme (Art. 289) ................................. 412 § 97 Siegelbruch (Art. 290) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 415 § 98 Verweisungsbruch (Art. 291) .. . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 417 § 99 Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292) .. .................... 422 § 100 Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293) ........ 433 § 101 Missachtung eines Tätigkeitsverbots oder eines Kontaktund Rayonverbots (Art. 294) .. . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 441 § 102 Missachtung von Bewährungshilfe oder Weisungen (Art. 295) .......... 445

16. Titel Störung der Beziehungen zum Ausland (Art. 296–302) 

448

§ 103 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 448 § 104 Beleidigung eines fremden Staates (Art. 296) ............................... 449 § 105 Beleidigung zwischenstaatlicher Organisationen (Art. 297) .............. 452 § 106 Tätliche Angriffe auf fremde Hoheitszeichen (Art. 298) . . ................. 453 § 107 Verletzung fremder Gebietshoheit (Art. 299) ............................... 454 § 108 Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen (Art. 300) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 456 § 109 Nachrichtendienst gegen fremde Staaten (Art. 301) ....................... 459

IX

Inhaltsübersicht

17. Titel Verbrechen und Vergehen gegen die Rechtspflege (Art. 303–311)  § 110 § 111 § 112 § 113 § 114 § 115 § 116 § 117 § 118

461

Falsche Anschuldigung (Art. 303) .. . . . . . . . . . . . . . ............................. 461 Irreführung der Rechtspflege (Art. 304) .. . . . . . .............................. 471 Begünstigung (Art. 305) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 475 Geldwäscherei (Art. 305bis) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 488 Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter) .511 Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306) . . . . ............................. 524 Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307) . 529 Befreiung von Gefangenen (Art. 310) .. . . . . . . . . .............................. 542 Meuterei von Gefangenen (Art. 311) .. . . . . . . . . . . ............................. 547

18. Titel Strafbare Handlungen gegen die Amts- und Berufspflicht (Art. 312–322bis) 

549

§ 119 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 549 § 120 Amtsmissbrauch (Art. 312) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 549 § 121 Gebührenüberforderung (Art. 313) .. . . . . . . . . . . . .............................. 555 § 122 Ungetreue Amtsführung (Art. 314) . . . . . . . . . . . . . .............................. 557 § 123 Urkundenfälschung im Amt (Art. 317)/Nicht strafbare Handlungen (Art. 317bis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 562 § 124 Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318) . . . . . . . . . . . ............................. 567 § 125 Entweichenlassen von Gefangenen (Art. 319) .............................. 571 § 126 Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320) ............................... 573 § 127 Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321) .............................. 585 § 128 Berufsgeheimnis in der Forschung am Menschen (Art. 321bis) .. ......... 601 § 129 Verletzung des Post- und Fernmelde­geheimnisses (Art. 321ter) .......... 604 § 130 Verletzung der Auskunftspflicht der Medien (Art. 322) ................... 608 § 131 Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung (Art. 322bis) . . .... 613

19. Titel Bestechung (Art. 322ter–322decies)  § 132 § 133 § 134 § 135

X

618

Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale ........................ 618 Bestechen (Art. 322ter) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 634 Sich-bestechen-Lassen (Art. 322quater) . . . . . . . . . . . ............................. 639 Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies) .. . . . . . . . . . .............................. 642

Inhaltsübersicht § 136 Vorteilsannahme (Art. 322sexies) . . . . . . . . . . . . . . ................................. 645 § 137 Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies) ............................ 646 § 138 Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestands­ merkmale .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 653 § 139 Bestechen (Art. 322octies) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 664 § 140 Sich-bestechen-Lassen (Art. 322novies) .. . . . . . ................................. 666

20. Titel Übertretungen bundes­rechtlicher Bestimmungen (Art. 323–332) 

670

§ 141 Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren (Art. 323) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 670 § 142 Ungehorsam dritter Personen im Betreibungs-, Konkurs- und Nach­ lassverfahren (Art. 324) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 673 § 143 Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher (Art. 325) .............. 675 § 144 Widerhandlungen gegen die Bestimmungen zum Schutz der Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen (Art. 325bis und 326bis) ................ 679 § 145 Übertretung firmenrechtlicher Bestimmungen (Art. 326ter) .............. 683 § 146 Unwahre Auskunft durch eine Personal­vorsorgeeinrichtung (Art. 326quater) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 685 § 147 Nachmachen von Postwertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 328) . 686 § 148 Verletzung militärischer Geheimnisse (Art. 329) . . ......................... 688 § 149 Handel mit militärisch beschlagnahmtem Material (Art. 330) ........... 690 § 150 Unbefugtes Tragen der militärischen Uniform (Art. 331) . . ............... 691 § 151 Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332) . . . . . . ................................. 692 Anhang: Terminologie des schweizerischen Strafrechts (Strafrecht IV) ....... 695 Sachregister . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 711

XI

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen zur fünften Auflage .. . . . . . . . . . ................................. III Allgemeine Literatur (Auswahl) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. LI Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. LV

6. Titel Verbrechen und Vergehen gegen die Familie (Art. 213–220)  § 1

1

Inzest (Art. 213) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 1 1. Tatbestand (Abs. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 2 2. Privilegierung Minderjähriger (Abs. 2) . . ................................ 2 3. Beteiligung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 3 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 3

§ 2

Mehrfache Ehe oder eingetragene Partnerschaft (Art. 215) ..... 4 1. Eheschluss bzw. Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaft durch den bereits Verheirateten oder in eingetragener Partner­ schaft Lebenden (Abs. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 4 2. Strafbarkeit des zweiten Ehegatten oder eingetragenen Partners (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 5 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 5

§ 3

Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217) ............. 6 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 7 1.1 Geschützte Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 7 1.11 Unterhaltsansprüche unter Ehegatten .. ...................... 9 1.111 Unterhaltsbeiträge gemäss ZGB Art. 163 . . ......... 9 1.112 Betrag zur freien Verfügung gemäss ZGB Art. 164 .11 1.113 Ausserordentliche Beiträge gemäss ZGB Art. 165 .12 1.12 Unterhaltsansprüche zwischen geschiedenen Ehegatten . 12 1.13 Unterhaltsansprüche von Kindern ........................... 12 1.14 Unterstützungsansprüche gegenüber Angehörigen ........ 14 1.2 Tatbestandsmässiges Verhalten . . . . . . ................................. 14 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 17 3. Prozessvoraussetzung (Abs. 2) .. . . . . . . . . . ................................. 18 3.1 Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 18 3.2 Ort der Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 19 3.3 Fristbeginn und Wirkungen des Antrages . . ........................ 20 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 20 4.1 Versuch und Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . ................................. 20

XIII

Inhaltsverzeichnis 4.2 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 20 4.3 Räumliche Geltung von Art. 217 und Gerichtsstand .. ............ 21

§ 4

Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219) .... 21 1. 2. 3. 4.

§ 5

Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 21 Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 23 Fahrlässige Begehung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 23 Weitere Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 23 4.1 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 23 4.2 Mitteilungspflichten und -rechte .. . . . . . . ............................. 24

Entziehen von Minderjährigen (Art. 220) ............................ 25 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 26 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 26 1.2 Minderjährige Person .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 27 1.3 Tatbestandsmässiges Verhalten . . . . . . . . . . ............................. 27 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 30 3. Prozessvoraussetzung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 30 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 31 4.1 Rechtfertigungsgründe .. . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 31 4.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 31

7. Titel Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen (Art. 221–230)33 § 6 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 33 § 7

Brandstiftung (Art. 221) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 34 1. Zur Struktur der Norm .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 35 2. Brandstiftung nach Art. 221 Abs. 1 . . . . . . . . . . ............................. 35 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 35 2.11 Feuersbrunst .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 35 2.12 Folgen der Feuersbrunst .. . . . . . . . . ............................. 36 2.121 Schaden eines anderen .. .............................. 36 2.122 Herbeiführen einer Gemeingefahr .................. 37 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 38 3. Brandstiftung nach Art. 221 Abs. 2 . . . . . . . . . . ............................. 38 3.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 38 3.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 39 4. Privilegierter Tatbestand von Art. 221 Abs. 3 . . ......................... 39 5. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 40 5.1 Deliktsstadien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 40 5.2 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 40

XIV

Inhaltsverzeichnis

§ 8

Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst (Art. 222) ........ 41 1. Grundtatbestand von Abs. 1 .. . . . . . . . . . . . . ................................. 42 1.1 Verursachen der Feuersbrunst .. . . . . . ................................. 42 1.2 Pflichtwidrig unvorsichtiges Verhalten . . ............................ 42 2. Qualifizierter Tatbestand von Abs. 2 .. . . ................................. 43 3. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 43

§ 9

Verursachung einer Explosion (Art. 223) ............................. 44 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 44 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 45 2.1 Vorsätzliche Verursachung einer Explosion ........................ 45 2.2 Fahrlässige Verursachung einer Explosion ......................... 45 3. Privilegierter Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 46 4. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 46

§ 10 Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226) .47 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 47 2. Gefährdungsdelikte (Art. 224, 225) .. . . . ................................. 47 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 47 2.11 Tatmittel .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 47 2.12 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 48 2.13 Gefährdung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 49 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 49 2.21 Gefährdung in verbrecherischer Absicht (Art. 224) ....... 49 2.22 Gefährdung ohne verbrecherische Absicht, fahrlässige Gefährdung (Art. 225) . . . . . . . . ................................. 50 2.3 Privilegierte Fälle .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 51 2.4 Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 51 3. Vorbereitungshandlungen (Art. 226) .. . ................................. 52

§ 11 Kernenergiedelikte (Art. 226bis und 226ter) ........................... 53 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 53 2. Gefährdungsdelikt (Art. 226bis) .. . . . . . . . . ................................. 54 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 54 2.11 Tatmittel .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 54 2.12 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 55 2.13 Gefährdung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 55 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 56 2.21 Vorsätzliche Gefährdung (Abs. 1) ............................ 56 2.22 Fahrlässige Gefährdung (Abs. 2) . . ............................ 56 2.3 Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 56 3. Vorbereitungshandlungen (Art. 226ter) .................................. 57

XV

Inhaltsverzeichnis

§ 12 Verursachung einer Überschwemmung oder eines Einsturzes (Art. 227) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 58 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 58 1.1 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 58 1.2 Bewirken einer Gefährdung .. . . . . . . . . . . . ............................. 59 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 59 3. Privilegierter Fall von Ziff. 1 Abs. 2 .. . . . . . . . ............................. 59 4. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 60

§ 13 Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutzvorrichtungen (Art. 228) .. . . . . . ............................. 60 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 60 1.1 Handlungsobjekt und Tathandlung . . . . .............................. 60 1.2 Bewirken einer Gefährdung .. . . . . . . . . . . .............................. 61 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 61 3. Privilegierter Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 62 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 62

§ 14 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 62 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 63 1.1 Täter .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 63 1.2 Begriff des Bauwerks und des Abbruchs ............................ 64 1.3 Tatbestandsmässiges Verhalten . . . . . . . . . .............................. 64 1.4 Gefährdung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 65 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 66 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 66 3.1 Art. 229 als unechtes Unterlassungsdelikt .......................... 66 3.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 67 3.21 Zusammentreffen mit anderen Gefährdungsdelikten ..... 67 3.22 Konkurrenz mit Verletzungsdelikten ........................ 67 3.3 Verjährung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 67

§ 15 Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheits­ vorrichtungen (Art. 230) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 68 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 68 1.1 Opfer und Tatobjekte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 68 1.2 Täterkreis und tatbestandsmässiges Verhalten . . ................... 69 1.3 Gefährdung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 70 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 70 3. Fahrlässige Verübung und Sachverhaltsirrtum ......................... 70 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 71

XVI

Inhaltsverzeichnis 4.1 Ergänzende Strafbestimmungen .. . . ................................. 71 4.2 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 71

8. Titel Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Gesundheit (Art. 230bis–236) 

72

§ 16 Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen (Art. 230bis) .. . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 72 1. Vorsatzdelikt (Abs. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 73 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 73 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 74 1.3 Unterlassen, Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 75 2. Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2) .. . . . . . . . . . . . ................................. 75 3. Abgrenzung zu GTG Art. 35, Konkurrenzen ........................... 76

§ 17 Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231) . . ................. 76 1. 2. 3. 4.

Die Neufassung der Norm durch das Epidemiegesetz .. ............... 77 Der objektive Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 78 Der subjektive Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 80 Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 81 4.1 Art. 231 als Unterlassungsdelikt . . . . . ................................. 81 4.2 Auswirkungen der «Einwilligung» des Infizierten . . ............... 81 4.3 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 82

§ 18 Verbreiten von Tierseuchen (Art. 232) ................................. 83 1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 83 2. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . ................................. 83

§ 19 Verbreiten von Schädlingen (Art. 233) ................................. 84 1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 84 2. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . ................................. 84

§ 20 Verunreinigung von Trinkwasser (Art. 234) .. ........................ 85 1. Vorsatzdelikt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 85 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 85 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 86 2. Fahrlässigkeit (Abs. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 86 3. Weitere Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 87

§ 21 Herstellen von gesundheitsschädlichem Futter (Art. 235) ....... 87 1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 87

XVII

Inhaltsverzeichnis 2. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 88 3. Einziehung (Ziff. 3) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 88

§ 22 Inverkehrbringen von gesundheits­schädlichem Futter (Art. 236) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 88 1. 2. 3. 4.

Vorsatzdelikt (Abs. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 88 Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 89 Einziehung (Abs. 3) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 89 Verhältnis zu Art. 235 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 89

9. Titel Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Verkehr (Art. 237–239) 

90

§ 23 Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237) ........................ 90 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 90 1.1 Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 90 1.2 Die Anwendbarkeit von Art. 237 im Strassenverkehr .. ........... 91 2. Vorsatzdelikt (Ziff. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 93 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 93 2.11 Tatobjekt: Öffentlicher Verkehr .. ............................. 93 2.12 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 93 2.13 Gefährdungserfolg .. . . . . . . . . . . . . . . .............................. 94 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 95 2.3 Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 1 Abs. 2) . . .......................... 95 3. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . .............................. 95 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 96

§ 24 Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238) ........................... 97 1. Rechtsgut .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 97 2. Angriffsobjekt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 97 3. Vorsatzdelikt (Abs. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 98 3.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 98 3.11 Täter und Opfer .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 98 3.12 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 98 3.13 Gefährdung von Menschen oder fremdem Eigentum ..... 98 3.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 99 4. Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 100 4.1 Die erforderliche Gefährdung .. . . . . . . . . . ............................. 100 4.2 Sorgfaltswidrigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 101 5. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 101 5.1 Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen .............................. 101 5.2 Prozessuales .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 102

XVIII

Inhaltsverzeichnis

§ 25 Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 102 1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 103 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 103 1.11 Geschützte Betriebe . . . . . . . . . . . . ................................. 103 1.12 Tathandlung und Taterfolg .. . ................................. 104 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 105 2. Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . ................................. 106 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 106

10. Titel Fälschung von Geld, amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, 107 Mass und Gewicht (Art. 240–250)  § 26 Einleitung und allgemeine Bestimmungen (Art. 249 und 250) .107 1. Regelungsmaterie, geschütztes Rechtsgut und Entwicklung der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 107 2. Zahlungsmittel .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 108 3. Einziehung (Art. 249) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 109 4. Anwendung auf Geld- und Wertzeichen des Auslandes (Art. 250) .109 5. Verfolgung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 109

1. Abschnitt: Gelddelikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 110 § 27 Geldfälschung (Art. 240) .. . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 110 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 110 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 111 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 111 3.1 Versuch und Vollendung .. . . . . . . . . . . . ................................. 111 3.2 Der «besonders leichte Fall» gemäss Abs. 2 ........................ 112 3.3 Anwendungsbereich von Art. 240 .. ................................. 112 3.4 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 113

§ 28 Geldverfälschung (Art. 241) .. . . . . . . . . . . . . ................................. 113 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 113 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 114 3. Strafmilderungsgrund, Abgrenzungen .................................. 114

§ 29 In Umlaufsetzen falschen Geldes (Art. 242) . . ........................ 114 1. Abs. 1 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 114 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 114 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 115

XIX

Inhaltsverzeichnis 2. Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 115 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 116 3.1 Versuch und Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 116 3.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 116

§ 30 Nachmachen von Banknoten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 243) ........................... 117 1. Schutzobjekte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 117 2. Vorsatzdelikt (Abs. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 118 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 118 2.11 Nachmachen von Banknoten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen (al. 1–3) .. . . . . . . . . . . . .............................. 118 2.12 Einführen, Anbieten oder in Umlaufsetzen solcher Gegenstände (al. 4) .. . . . . . . . . . . . . . .............................. 118 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 119 3. Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 119 4. Konkurrenzen und Abgrenzung .. . . . . . . . . . . . ............................. 119

§ 31 Einführen, Erwerben, Lagern falschen Geldes (Art. 244) ........ 120 1. Grundtatbestand (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 120 1.1 Objektive Elemente .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 120 1.2 Subjektive Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 121 2. Qualifizierter Tatbestand (Abs. 2) .. . . . . . . . . . ............................. 121 3. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 122

2. Abschnitt: Fälschung von amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht (Art. 245, 246 und 248) .. . . . . . .............................. 123 § 32 Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245) . . ....................... 123 1. Schutzobjekte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 123 2. Fälschung und Verfälschung amtlicher Wertzeichen (Ziff. 1) ........ 124 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 124 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 125 2.3 Strafbarkeit der Auslandstat .. . . . . . . . . . . .............................. 125 2.4 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 125 3. Verwendung gefälschter amtlicher Wertzeichen (Ziff. 2) ............. 126 3.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 126 3.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 127 3.3 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 127

§ 33 Fälschung amtlicher Zeichen (Art. 246) ............................... 128 1. Tatobjekte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 128 2. Fälschung und Verfälschung amtlicher Zeichen (Abs. 1) ............. 128

XX

Inhaltsverzeichnis 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 128 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 129 2.3 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 129 3. Verwendung falscher und gefälschter amtlicher Zeichen (Abs. 2) .130 3.1 Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 130 3.2 Konkurrenzen und Abgrenzungen .................................. 130

§ 34 Fälschung von Mass und Gewicht (Art. 248) .. ....................... 131 1. Zweck der Bestimmung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 131 2. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 131 3. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 132 4. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 133

3. Abschnitt: Gemeinsame Bestimmung betreffend Geld und Wertzeichen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 134 § 35 Fälschungsgeräte; unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Art. 247) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 134 1. Anfertigung und Erwerb von Fälschungsgeräten (Abs. 1) ............ 134 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 134 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 134 1.3 Versuch und Konkurrenzen .. . . . . . . . ................................. 135 2. Unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Abs. 2) ..................... 135 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 136 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 136

11. Titel Urkundenfälschung (Art. 251–257) 

137

§ 36 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 137 1. Die erfassten Aufzeichnungen .. . . . . . . . . . ................................. 139 1.1 Gemeinsames Merkmal: Menschliche Gedankenäusserung ..... 139 1.2 Schriften .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 140 1.3 Aufzeichnungen auf Bild- und Datenträgern . . ..................... 141 1.4 Zeichen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 142 2. Voraussetzungen für die Urkundenqualität von Aufzeichnungen . 143 2.1 Erkennbarkeit des Ausstellers .. . . . . . ................................. 143 2.2 Beweisbestimmung und Beweiseignung ............................ 145 2.21 Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 145 2.22 Beweisbestimmung .. . . . . . . . . . . ................................. 146 2.23 Beweiseignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 147 3. «Öffentliche Urkunden», «Urkunden des Bundes» .................... 150

XXI

Inhaltsverzeichnis 4. Urkunden des Auslandes gemäss Art. 255 .............................. 150 5. Nicht strafbare Handlungen gemäss Art. 317bis . . ....................... 151

§ 37 Urkundenfälschung (Art. 251) .. . . . . . . . . . . . . ............................. 151 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 151 2. Objektive Tatbestandsmerkmale (Ziff. 1 Abs. 2 und 3) . . .............. 152 2.1 Urkundenfälschung i.e.S. (materielle Fälschung) .................. 152 2.2 Falschbeurkundung (intellektuelle Fälschung) .. ................... 155 2.21 Falschbeurkundung als qualifizierte schriftliche Lüge . . ... 155 2.22 Unmittelbare und mittelbare Falschbeurkundung ......... 161 2.3 Gebrauch gefälschter Urkunden .. . . . . . .............................. 162 3. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 162 3.1 Vorsatz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 162 3.2 Besondere Absicht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 163 3.21 Schädigung eines andern am Vermögen oder an andern Rechten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 163 3.22 Verschaffen eines unrechtmässigen Vorteils ................ 163 4. Privilegierter Tatbestand (Ziff. 2) . . . . . . . . . . . .............................. 164 5. Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen .. . . . . ............................. 165

§ 38 Fälschung von Ausweisen (Art. 252) .. . . . . . ............................. 166 1. Charakterisierung der Bestimmung . . . . . . . . . ............................. 166 2. Fälschungsdelikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 167 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 167 2.11 Tatobjekte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 167 2.12 Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 169 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 170 3. Missbrauch echter Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 171 4. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 172

§ 39 Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253) ........... 173 1. Erschleichung einer Falschbeurkundung (Abs. 1) ..................... 173 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 173 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 175 2. Gebrauch erschlichener Urkunden (Abs. 2) ............................ 175 3. Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen .. . . . . ............................. 175

§ 40 Unterdrückung von Urkunden (Art. 254) . . ........................... 176 1. 2. 3. 4.

XXII

Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 176 Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 178 Privilegierter Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 179 Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen .. . . . .............................. 179

Inhaltsverzeichnis

§ 41 Grenzverrückung (Art. 256) .. . . . . . . . . . . . . ................................. 180 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 180 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 180 3. Verhältnis zu anderen Urkundendelikten ............................... 180

§ 42 Beseitigung von Vermessungs- und Wasserstandszeichen (Art. 257) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 181 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 181 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 181 3. Verhältnis zu den anderen Urkundendelikten . . ........................ 181

12. Titel Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden (Art. 258–263) 

183

§ 43 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 183 § 44 Schreckung der Bevölkerung (Art. 258) ............................... 184 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 184 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 186 3. Versuch, Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 186

§ 45 Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 187 1. Öffentliche Aufforderung zu einem Verbrechen (Abs. 1 und 1bis) . 187 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 187 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 189 2. Öffentliche Aufforderung zur Gewalttätigkeit (Abs. 2) . . .............. 190 3. Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen .. ................................. 191

§ 46 Landfriedensbruch (Art. 260) .. . . . . . . . . . . ................................. 191 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 192 1.1 Begriff der öffentlichen Zusammenrottung .. ....................... 192 1.2 Strafbare Teilnahme an der Zusammenrottung . . .................. 193 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 194 3. Objektive Strafbarkeitsbedingung .. . . . . . ................................. 195 4. Strafausschlussgrund (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . ................................. 196 5. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 197

§ 47 Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis) . . ................. 198 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 198 2. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 199

XXIII

Inhaltsverzeichnis 3. 4. 5. 6.

Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 202 Strafausschlussgrund (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 202 Strafbarkeit der Auslandstat (Abs. 3) . . . . . . . .............................. 203 Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 204 6.1 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 204 6.2 Versuch .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 204 6.3 Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 204

§ 48 Kriminelle Organisation (Art. 260ter) .. . . . ............................. 205 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 206 1.1 Begriff der kriminellen Organisation . . . ............................. 206 1.2 Strafbare Verhaltensweisen .. . . . . . . . . . . . .............................. 209 1.21 Beteiligung an der Organisation (Ziff. 1 Abs. 1) ............ 209 1.22 Unterstützung der Organisation (Ziff. 1 Abs. 2) ............ 209 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 211 3. Versuch und Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 211 4. Strafmilderungsgrund (Ziff. 2) . . . . . . . . . . . . . . .............................. 212 5. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 212 5.1 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 212 5.2 Die Strafbarkeit der Auslandstat (Ziff. 3) ........................... 213

§ 49 Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen (Art. 260quater) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 214 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 214 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 215 3. Subsidiaritätsklausel .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 215

§ 50 Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies) . . .................. 215 1. Entstehungsgeschichte und kriminalpolitischer Hintergrund der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 216 2. Voraussetzungen der Strafbarkeit .. . . . . . . . . . .............................. 218 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 218 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 219 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 220 3.1 Ausschlussklauseln (Abs. 3 und 4) .. . . . . ............................. 220 3.2 Verhältnis zu anderen Strafnormen .. . .............................. 221 4. Bundesgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 221

§ 51 Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261) ............. 221 1. Störung der Glaubensfreiheit (Abs. 1) .. . . . . ............................. 223 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 223 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 225 2. Störung der Kultusfreiheit (Abs. 2 und 3) .. ............................. 225

XXIV

Inhaltsverzeichnis 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 225 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 226

§ 52 Rassendiskriminierung (Art. 261bis) . . . ................................. 226 1. Charakterisierung der Bestimmung . . . . . ................................. 228 2. Gemeinsame Bezugspunkte der Straftatbestände ...................... 229 2.1 Erfasste Bevölkerungsgruppen .. . . . . ................................. 229 2.2 Die Begriffe des Diskriminierens und der Herabsetzung .. ....... 232 2.3 Das Merkmal der Öffentlichkeit . . . . ................................. 234 3. Die tatbestandsmässigen Verhaltensweisen ............................. 235 3.1 Öffentlicher Aufruf zu Hass und Diskriminierung (Abs. 1) ..... 235 3.2 Öffentliches Verbreiten diskriminierenden Gedankengutes (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 236 3.3 Vorbereitung und Teilnahme an Propagandaaktionen (Abs. 3) . 237 3.4 Öffentliches Diskriminieren oder Herabsetzen von Personen oder Gruppen (Abs. 4 Alt. 1) .. . . . . . . ................................. 237 3.5 Leugnen, Verharmlosen oder Rechtfertigen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Abs. 4 Alt. 2) . . .......................... 239 3.6 Tätige Diskriminierung (Abs. 5) .. . . ................................. 241 3.7 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 242 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 243 4.1 Versuch und Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . ................................. 243 4.2 Deliktsbegehung über Medien . . . . . . ................................. 243 4.3 Rechtfertigungsgründe .. . . . . . . . . . . . . . ................................. 243 4.4 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 243

§ 53 Störung des Totenfriedens (Art. 262) .. ................................. 244 1. Verunehrung von Ruhestätten, Leichen, Leichenzügen und Leichenfeiern (Ziff. 1) .. . . . . . . . . . . . . . ................................. 245 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 245 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 247 2. Wegnahme von Leichen oder Teilen davon (Ziff. 2) . . ................. 247 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 247 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 249

§ 54 Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungs­ fähigkeit (Art. 263) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 249 1. 2. 3. 4. 5.

Wesen des Deliktes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 249 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 250 Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 251 Die Begehung der Rauschtat .. . . . . . . . . . . . ................................. 251 Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 253 5.1 Versuch und Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . ................................. 253

XXV

Inhaltsverzeichnis 5.2 Verhältnis zur «actio libera in causa» (Art. 19 Abs. 4) ............ 253 5.3 Prozessuales .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 254

12. Titelbis und quater Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264–264a) sowie gemeinsame Bestimmungen (Art. 264k–264n) 

255

§ 55 Entstehungsgeschichte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 255 § 56 Völkermord (Art. 264) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 259 1. Voraussetzungen der Strafbarkeit .. . . . . . . . . . . ............................. 260 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 260 1.11 Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 260 1.12 Die geschützten Gruppen .. . . . . . . .............................. 264 1.13 Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 267 1.14 Vollendung, strafbare Vorbereitungshandlungen .......... 269 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 269 2. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 271 2.1 Handeln auf Befehl oder Anordnung (Art. 264l) .................. 271 2.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 271 2.3 Weltrechtsprinzip (Art. 264m) .. . . . . . . . . ............................. 272 2.4 Immunität (Art. 264n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 273 2.5 Bundesgerichtsbarkeit und Militärgerichtsbarkeit ................ 274

§ 57 Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a) .................. 275 1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1) .............................. 276 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 276 1.11 Handeln im Rahmen eines ausgedehnten oder systemati­ schen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung ................. 276 1.12 Die einzelnen Tatbestandsvarianten .......................... 279 1.13 Vollendung, strafbare Vorbereitungshandlungen .......... 290 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 290 2. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 291 2.1 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 291 2.2 Qualifizierungen und Privilegierungen (Abs. 2 und 3) ........... 292 2.3 Weltrechtsprinzip (Art. 264m) und Immunität (Art. 264n) ..... 292

XXVI

Inhaltsverzeichnis

12. Titelter und quater Kriegsverbrechen (Art. 264b–264j) sowie gemeinsame Bestimmungen (Art. 264k–264n) 

293

§ 58 Entstehungsgeschichte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 294 1. Tatbegehung im Zusammenhang mit einem internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (Art. 264b) .. ................... 296 2. Zuständigkeit der Zivil- und der Militärgerichtsbarkeit .............. 299 3. Weltrechtsprinzip (Art. 264m) .. . . . . . . . . . ................................. 300 4. Immunität (Art. 264n) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 301

§ 59 Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c) .301 1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1 und 2) ...................... 301 1.1 Geschützte Personen und Güter .. . . . ................................. 302 1.2 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 302 1.3 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 306 2. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 306 2.1 Qualifikation nach Abs. 3 und Privilegierung in Abs. 4 .......... 306 2.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 306

§ 60 Angriffe gegen zivile Personen und Objekte (Art. 264d) ......... 307 1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1) .............................. 307 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 307 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 310 2. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 311 2.1 Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3) .. ............. 311 2.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 311

§ 61 Ungerechtfertigte medizinische Behandlung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der Menschenwürde (Art. 264e) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 311 1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1) .............................. 311 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 311 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 313 2. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 313 2.1 Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3) .. ............. 313 2.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 313

§ 62 Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten (Art. 264f) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 314 1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1) .............................. 314 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 314

XXVII

Inhaltsverzeichnis 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 315 2. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 315 2.1 Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3) .. ............. 315 2.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 315

§ 63 Verbotene Methoden der Kriegführung (Art. 264g) ............... 316 1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1) .............................. 316 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 316 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 319 2. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 319 2.1 Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3) .. ............. 319 2.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 320

§ 64 Einsatz verbotener Waffen (Art. 264h) . . . .............................. 320 1. Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1) .............................. 320 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 320 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 322 2. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 322 2.1 Besonders schwerer Fall (Abs. 2) . . . . . . . . ............................. 322 2.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 322

§ 65 Bruch eines Waffenstillstandes oder des Friedens, Vergehen gegen einen Parlamentär, verzögerte Heimschaffung von Kriegsgefangenen (Art. 264i) .. . . . . . . . . . . . . . . ............................. 322 1. Voraussetzungen der Strafbarkeit .. . . . . . . . . . . ............................. 322 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 322 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 324 2. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 324

§ 66 Andere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht (Art. 264j) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 324

13. Titel Verbrechen und Vergehen gegen den Staat und die Landes­ verteidigung (Art. 265–278) 

326

§ 67 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 326 1. Entwicklung der Gesetzgebung .. . . . . . . . . . . . . ............................. 326 2. Realprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 327 3. Presserechtliche Bestimmungen .. . . . . . . . . . . . ............................. 327 4. Prozessuales .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 327 5. Diplomatische Immunität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 328

XXVIII

Inhaltsverzeichnis

1. Abschnitt: Verbrechen oder Vergehen gegen den Staat (Art. 265–271) ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 328 § 68 Hochverrat (Art. 265) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 328 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 328 1.1 Schutzobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 328 1.2 Tatbestandsmässige Handlungen .. . ................................. 329 1.3 Verfassungshochverrat (Abs. 2) .. . . . ................................. 329 1.4 Behördenhochverrat (Abs. 3) .. . . . . . . ................................. 330 1.5 Gebietshochverrat (Abs. 4) . . . . . . . . . . . ................................. 330 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 330 3. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 330

§ 69 Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 331 1. Grundtatbestand (Ziff. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 331 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 331 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 332 2. Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 2) .. . . . . . ................................. 332 3. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 332

§ 70 Gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete ausländische Unternehmungen und Bestrebungen (Art. 266bis) .. ................ 333 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 333 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 334 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 334

§ 71 Diplomatischer Landesverrat (Art. 267) .. ............................. 334 1. Die einzelnen Tatbestandsvarianten . . . . ................................. 335 1.1 Geheimnisverrat (Ziff. 1 Abs. 1, Ziff. 2) ............................. 335 1.2 Urkunden- oder Beweismittelverrat (Ziff. 1 Abs. 2) . . ............. 336 1.3 Ungetreue Amtsführung schweizerischer Unterhändler, sog. «landesverräterische Untreue» (Ziff. 1 Abs. 3) .. .................... 337 2. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 337

§ 72 Verrückung staatlicher Grenzzeichen (Art. 268) . . .................. 337 § 73 Verletzung schweizerischer Gebietshoheit (Art. 269) . ............ 338 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 338 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 340 3. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 340

XXIX

Inhaltsverzeichnis

§ 74 Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen (Art. 270) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 340 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 341 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 341

§ 75 Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271) ..... 342 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 343 1.1 Geschütztes Rechtsgut .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 343 1.2 Tatbestandsmässige Handlung .. . . . . . . . . ............................. 343 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 346 3. Sonderfall der Entführung ins Ausland (Ziff. 2) .. ...................... 347 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 347 4.1 Konkurrenzprobleme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 347 4.2 Völkerrechtliche Folgen der Entführung .. .......................... 347 4.3 Prozessuale Folgen der Entführung (Problem des «male ­captus») .. . . . . . . . . . .............................. 348

2. Abschnitt: Verbotener Nachrichtendienst (Art. 272–274) . . .............. 348 § 76 Politischer Nachrichtendienst (Art. 272) .............................. 348 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 349 1.1 Begriff und Gegenstand des politischen Nachrichtendienstes .349 1.2 Tatbestandsmässige Handlungen .. . . . . . ............................. 350 1.3 Handeln im Interesse eines fremden Staates oder einer auslän­ dischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes .351 1.4 Handeln zum Nachteil der Schweiz, ihrer Angehörigen, Ein­ wohner oder Organisationen .. . . . . . . . . . . ............................. 351 1.5 Teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs ............... 351 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 352 3. Qualifizierter Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 353 4. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 353

§ 77 Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273) ...................... 353 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 354 1.1 Begriff des Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisses ............ 355 1.11 Begriff des Geheimnisses .. . . . . . . . .............................. 355 1.12 Begriff des Fabrikationsgeheimnisses ........................ 356 1.13 Begriff des Geschäftsgeheimnisses .. .......................... 357 1.14 Richtlinien der Bundesanwaltschaft .......................... 357 1.2 Tatbestandsmässige Handlungen .. . . . . .............................. 357 1.21 Auskundschaften von Geheimnissen .. ....................... 357 1.22 Zugänglichmachen von Geheimnissen ...................... 358 1.3 Empfänger der wirtschaftlichen Nachricht ......................... 358

XXX

Inhaltsverzeichnis 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 359 3. Qualifizierter Fall (Abs. 3) .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 359 4. Rechtswidrigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 360 4.1 Gesetzliche Rechtfertigungsgründe .. ................................ 360 4.2 Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe ............................ 360 5. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 361

§ 78 Militärischer Nachrichtendienst (Art. 274) . . ......................... 361 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 362 1.1 Gegenstand und Begriff der militärischen Nachrichten .......... 362 1.2 Tatbestandsmässige Handlungen .. . ................................. 362 1.3 Handeln für einen fremden Staat zum Nachteil der Schweiz .... 363 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 363 3. Schwerer Fall (Ziff. 1 Abs. 4) .. . . . . . . . . . . . ................................. 364 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 364 4.1 Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 364 4.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 364

3. Abschnitt: Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung (Art. 275–275ter) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 365 § 79 Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung (Art. 275) ........ 365 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 365 1.1 Begriff der verfassungsmässigen Ordnung ......................... 365 1.2 Tatbestandsmässige Handlung .. . . . . ................................. 366 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 367 3. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 367

§ 80 Staatsgefährliche Propaganda (Art. 275bis) ........................... 367 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 367 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 368 3. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 369

§ 81 Rechtswidrige Vereinigung (Art. 275ter) . . ............................. 369 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 369 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 370 3. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 370

4. Abschnitt: Störung der militärischen Sicherheit (Art. 276–278) ....... 370 § 82 Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten (Art. 276) .. . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 371 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 371

XXXI

Inhaltsverzeichnis 1.1 Öffentliche Aufforderung zur Dienstpflichtverletzung (Ziff. 1 Abs. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 371 1.2 Verleitung zur Dienstverletzung (Ziff. 1 Abs. 2) ................... 372 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 372 3. Qualifizierter Fall (Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 373 4. Recht auf freie Meinungsäusserung .. . . . . . . .............................. 373

§ 83 Fälschung von Aufgeboten oder Weisungen (Art. 277) ........... 373 § 84 Störung des Militärdienstes (Art. 278) .. . .............................. 374 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 374 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 375 3. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 375

14. Titel Vergehen gegen den Volkswillen (Art. 279–283) 

376

§ 85 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 376 § 86 Störung und Hinderung von Wahlen und Abstimmungen (Art. 279) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 377 1. Störung und Hinderung von Versammlungen, Wahlen und Abstimmungen (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 377 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 377 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 378 2. Hinderung und Störung von Referendums- und Initiativbegehren (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 378 3. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 379

§ 87 Eingriffe in das Stimm- und Wahlrecht (Art. 280) ................. 379 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 379 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 380 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 380 3.1 Versuch .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 380 3.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 380

§ 88 Wahlbestechung (Art. 281) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 381 1. Aktive Wahlbestechung (Abs. 1 und 2) .. . . .............................. 381 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 382 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 383 2. Passive Wahlbestechung (Abs. 3) .. . . . . . . . . . . ............................. 383 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 383 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 384

XXXII

Inhaltsverzeichnis

§ 89 Wahlfälschung (Art. 282) .. . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 384 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 384 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 386 3. Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 2) .. . . . . . ................................. 386 4. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 386

§ 90 Stimmenfang (Art. 282bis) .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 387 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 387 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 388

§ 91 Verletzung des Abstimmungs- und Wahlgeheimnisses (Art. 283) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 388 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 389 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 389 3. Verhältnis zu Art. 320 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 389

15. Titel Strafbare Handlungen gegen die öffentliche Gewalt (Art. 285–295) 

391

§ 92 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 391 1. Geschütztes Rechtsgut und Entwicklung der Gesetzgebung ......... 391 2. Beamter, Behörde, Mitglied einer Behörde .............................. 392 2.1 Beamter .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 392 2.2 Behörde und Behördenmitglieder .. ................................. 394 2.3 Beamte und Behörden des Auslandes und internationaler Organisationen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 394 3. Amtshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 395 3.1 Innerhalb der Befugnisse liegende Amtshandlung ................ 395 3.2 Hinderung einer Amtshandlung .. . . ................................. 396 3.3 Abgrenzung und Konkurrenz zur Begünstigung .................. 398 4. Prozessuales .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 398

§ 93 Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285) .399 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 399 1.1 Geschützte Amtshandlung .. . . . . . . . . . ................................. 399 1.2 Die tatbestandsmässigen Verhaltensweisen und gegebenenfalls ihr Erfolg .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 400 1.21 Hinderung einer Amtshandlung durch Gewalt oder Drohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 400 1.22 Nötigung zu einer Amtshandlung ............................ 401 1.23 Tätlicher Angriff .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 401

XXXIII

Inhaltsverzeichnis 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 402 3. Qualifizierter Fall (Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 402 3.1 Passive Teilnahme an der Zusammenrottung ...................... 403 3.2 Aktive Beteiligung an der Zusammenrottung . . .................... 403 3.3 Aufruhr und Demonstrationsfreiheit . .............................. 404 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 404 4.1 Rechtfertigungsgründe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 404 4.2 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 404

§ 94 Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286) .......................... 405 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 405 1.1 Tatbestandsmässige Handlung .. . . . . . . . . ............................. 405 1.2 Auswirkungen auf die Amtshandlung . . ............................. 407 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 407 3. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 407

§ 95 Amtsanmassung (Art. 287) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 408 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 408 1.1 Amtsanmassung im nicht militärischen Bereich .................. 408 1.11 Amtsanmassung im Allgemeinen ............................ 408 1.12 Amtsanmassung durch Beamte .. ............................. 409 1.2 Anmassung militärischer Befehlsgewalt ............................ 410 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 411 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 412 3.1 Vollendung der Tat .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 412 3.2 Konkurrenzen und Abgrenzungen .. . . .............................. 412

§ 96 Bruch amtlicher Beschlagnahme (Art. 289) .......................... 412 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 412 1.1 Handlungsobjekte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 412 1.11 Begriff der Sache .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 413 1.12 Begriff der Beschlagnahme und Anwendungsfälle . . ....... 413 1.13 Überprüfungsbefugnis des Strafrichters ..................... 414 1.2 Tatbestandsmässige Handlung . . . . . . . . . . .............................. 414 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 414 3. Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen .. . . . .............................. 414

§ 97 Siegelbruch (Art. 290) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 415 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 415 1.1 Tatobjekt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 415 1.2 Tatbestandsmässige Handlung .. . . . . . . . .............................. 416 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 416 3. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 416

XXXIV

Inhaltsverzeichnis

§ 98 Verweisungsbruch (Art. 291) .. . . . . . . . . . . ................................. 417 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 417 2. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 418 2.1 Der Ausweisungsentscheid .. . . . . . . . . . ................................. 419 2.2 Tatbestandsmässiges Verhalten . . . . . . ................................. 420 3. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 421 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 421 4.1 Rechtsirrtum .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 421 4.2 Verjährung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 421 4.3 Beteiligung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 421 4.4 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 422

§ 99 Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292) ............. 422 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 423 1.1 Art. 292 als Blankettbestimmung .. . ................................. 423 1.2 Anwendungsbereich von Art. 292 .. ................................. 423 1.3 Subsidiärer Charakter von Art. 292 . . ................................ 424 2. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 425 2.1 Amtliche Verfügung .. . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 425 2.2 Tatbestandsmässiges Verhalten . . . . . . ................................. 427 3. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 428 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 428 4.1 Strafrichterliche Überprüfung der missachteten Verfügung ..... 428 4.2 Teilnahme, Versuch .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 431 4.3 Rechtfertigungsgründe .. . . . . . . . . . . . . . ................................. 431 4.4 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 432 4.41 Andauernder Ungehorsam . . . . ................................. 432 4.42 Weitere Konkurrenzfragen . . . ................................. 432

§ 100 Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 433 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 433 2. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 434 2.1 Schutzobjekte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 434 2.11 Geltende Praxis .. . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 434 2.12 Für eine Praxisänderung und/oder eine Revision ­sprechende Gesichtspunkte .. . ................................. 435 2.13 Folgerungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 438 2.2 Täter .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 438 2.3 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 439 3. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 439 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 440

XXXV

Inhaltsverzeichnis 4.1 Geringe Bedeutung des Geheimnisses .............................. 440 4.2 Versuch und Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 440 4.3 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 440 4.4 Gerichtsstand bei Veröffentlichung durch Massenmedien ....... 441

§ 101 Missachtung eines Tätigkeitsverbots oder eines Kontaktund Rayonverbots (Art. 294) .. . . . . . . . . . . . . . . .............................. 441 1. 2. 3. 4.

Entwicklung der Gesetzgebung und Gegenstand der Regelung ..... 441 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 443 Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 444 Rechtfertigungsgründe und Konkurrenzen . . ........................... 444

§ 102 Missachtung von Bewährungshilfe oder Weisungen (Art. 295) .445 1. 2. 3. 4.

Entwicklung der Gesetzgebung und Gegenstand der Regelung ..... 445 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 445 Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 446 Teilnahme, Rechtfertigungsgründe und Konkurrenzen .............. 447

16. Titel Störung der Beziehungen zum Ausland (Art. 296–302) 

448

§ 103 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 448 1. Entwicklung der Gesetzgebung .. . . . . . . . . . . . . ............................. 448 2. Geschütztes Rechtsgut .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 448 3. Prozessuales .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 449

§ 104 Beleidigung eines fremden Staates (Art. 296) . . ...................... 449 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 450 2. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 450 3. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 451 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 451

§ 105 Beleidigung zwischenstaatlicher Organisationen (Art. 297) .... 452 § 106 Tätliche Angriffe auf fremde Hoheitszeichen (Art. 298) ......... 453 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 453 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 453

§ 107 Verletzung fremder Gebietshoheit (Art. 299) . . ...................... 454 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 454 1.1 Unerlaubte Amtshandlungen auf fremdem Staatsgebiet (Ziff. 1 Abs. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 454

XXXVI

Inhaltsverzeichnis 1.2 Völkerrechtswidriges Eindringen auf fremdes Staatsgebiet (Ziff. 1 Abs. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 455 1.3 Störung der staatlichen Ordnung eines fremden Staates (Ziff. 2) 455 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 456 3. Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 456

§ 108 Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen (Art. 300) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 456 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 456 2. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 457 2.1 Feindseligkeiten gegenüber einem Kriegführenden . . ............. 457 2.2 Feindseligkeiten gegenüber fremden Truppen ..................... 458 3. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 459

§ 109 Nachrichtendienst gegen fremde Staaten (Art. 301) ............... 459 1. Tatbestand (Ziff. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 459 2. Einziehung (Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 460

17. Titel Verbrechen und Vergehen gegen die Rechtspflege (Art. 303–311) 

461

§ 110 Falsche Anschuldigung (Art. 303) . . . . . . ................................. 461 1. Direkte falsche Anschuldigung (Ziff. 1 Abs. 1) ......................... 461 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 461 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 466 2. Indirekte falsche Anschuldigung (Ziff. 1 Abs. 2) ....................... 467 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 467 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 468 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 469 3.1 Rechtfertigungsgründe; Ausübung prozessualer Verteidigungs­ rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 469 3.2 Strafausschluss- und -milderungsgrund (Art. 308 Abs. 1) ....... 470 3.3 Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen .............................. 470

§ 111 Irreführung der Rechtspflege (Art. 304) . . ............................. 471 1. Falsche Anzeige (Ziff. 1 Abs. 1) .. . . . . . . . . ................................. 471 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 471 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 472 2. Falsche Selbstbezichtigung (Ziff. 1 Abs. 2) .............................. 473 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 473

XXXVII

Inhaltsverzeichnis 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 474 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 475 3.1 Privilegierter Tatbestand (Ziff. 2) .. . . . . . ............................. 475 3.2 Strafausschluss- und Milderungsgrund (Art. 308 Abs. 1) ........ 475 3.3 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 475

§ 112 Begünstigung (Art. 305) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 475 1. Verfolgungsbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 476 1.1 Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 476 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 480 2. Vollzugsbegünstigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 481 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 481 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 484 3. Selbstbegünstigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 484 3.1 Grundsatz und Umfang der Straflosigkeit .......................... 484 3.2 Teilnahme an Selbstbegünstigung .. . . . . ............................. 485 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 486 4.1 Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 486 4.2 Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen .............................. 486 4.3 Strafausschlussgrund (Abs. 2) .. . . . . . . . . .............................. 487

§ 113 Geldwäscherei (Art. 305bis) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 488 1. Wesen und strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäscherei . . ........ 491 2. Grundtatbestand (Ziff. 1) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 493 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 494 2.11 Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 494 2.12 Tatobjekte: Vermögenswerte, die aus einem Verbrechen herrühren .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 495 2.13 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 501 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 505 3. Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 2) .. . . . . . . . . .............................. 506 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 508 4.1 Versuch .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 508 4.2 Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 508 4.3 Unterlassen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 509 4.4 Irrtum .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 510 4.5 Bundesgerichtsbarkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 510 4.6 Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen .............................. 510

§ 114 Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 511 1. Strafbarkeit nach Abs. 1 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 514 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 514

XXXVIII

Inhaltsverzeichnis 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 519 1.3 Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 520 1.31 Versuch und Vollendung . . . . . . ................................. 520 1.32 Täterschaft und Teilnahme .. . ................................. 520 1.33 Mehrheit strafbarer Handlungen ............................. 521 1.34 Bundesgerichtsbarkeit .. . . . . . . . ................................. 521 2. Melderecht des Financiers (Abs. 2) .. . . . . ................................. 521

§ 115 Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306) .. ........................ 524 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 525 1.1 Erforderliches Verfahren .. . . . . . . . . . . . ................................. 525 1.2 Beweisaussage der Partei .. . . . . . . . . . . . ................................. 525 1.3 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 527 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 527 3. Qualifizierter Tatbestand (Abs. 2) .. . . . . . ................................. 528 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 528

§ 116 Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 529 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 529 2. Objektiver Tatbestand des falschen Zeugnisses ........................ 530 2.1 Aussage in einem gerichtlichen Verfahren .. ........................ 530 2.2 Zeugeneigenschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 531 2.21 Fehlende Zeugnisfähigkeit . . . . ................................. 531 2.22 Stellung als Prozesspartei .. . . . ................................. 532 2.23 Stellung als «materiell Beschuldigter» . . ...................... 532 2.3 Einhaltung der Zuständigkeits- und Formvorschriften für die Zeugenanhörung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 533 2.4 Inhalt der Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 534 2.41 Aussage «zur Sache» .. . . . . . . . . . ................................. 534 2.42 Erhebliche und unerhebliche Aussagen zur Sache ......... 535 2.43 Falschheit der Aussage .. . . . . . . ................................. 536 3. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 537 4. Versuch des falschen Zeugnisses . . . . . . . . ................................. 537 5. Qualifizierter Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 538 6. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 538 6.1 Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 538 6.2 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 539 6.3 Strafmilderungs- und Ausschlussgründe (Art. 308) .............. 539 7. Abgabe eines falschen Gutachtens; falsche Übersetzung . . ............ 540 7.1 Abgabe eines falschen Befundes oder Gutachtens . . ............... 541 7.2 Falsche Übersetzung .. . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 541

XXXIX

Inhaltsverzeichnis

§ 117 Befreiung von Gefangenen (Art. 310) .. . . . ............................. 542 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 542 2. Gefangenenbefreiung durch Einzelpersonen (Ziff. 1) ................. 544 2.1 Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 544 2.2 Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 545 2.21 Versuch .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 545 2.22 Abgrenzungen und Konkurrenzen ........................... 545 3. Tatbegehung durch einen zusammengerotteten Haufen (Ziff. 2) .... 546

§ 118 Meuterei von Gefangenen (Art. 311) .. . . . . ............................. 547 1. Grundtatbestand und Qualifikation .. . . . . . . .............................. 547 2. Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen .. . . . . ............................. 548

18. Titel Strafbare Handlungen gegen die Amts- und Berufspflicht (Art. 312–322bis) 

549

§ 119 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 549 § 120 Amtsmissbrauch (Art. 312) .. . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 549 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 550 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 550 1.2 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 550 1.3 Vollendung der Tat .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 553 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 554 3. Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen .. . . . . ............................. 554

§ 121 Gebührenüberforderung (Art. 313) .. . . . . . . ............................. 555 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 555 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 556 3. Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen .. . . . .............................. 556 3.1 Verhältnis zu Art. 322quater (Sich-bestechen-Lassen) und Art. 322sexies (Vorteilsannahme) .. . . . . . . . ............................. 556 3.2 Verhältnis zu Art. 146 (Betrug) und Art. 312 (Amtsmiss­ brauch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 557

§ 122 Ungetreue Amtsführung (Art. 314) .. . . . . . .............................. 557 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 558 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 561 3. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 561 3.1 Verhältnis zur ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158) .. ..... 561 3.2 Verhältnis zum Tatbestand des Sich-bestechen-Lassens (Art. 322quater) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 562

XL

Inhaltsverzeichnis

§ 123 Urkundenfälschung im Amt (Art. 317)/ Nicht strafbare Handlungen (Art. 317bis) . . ............................ 562 1. Vorsätzliche Urkundenfälschung (Ziff. 1) ............................... 562 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 562 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 565 1.3 Teilnahme aussenstehender Personen . . ............................. 565 2. Fahrlässige Urkundenfälschung (Ziff. 2) ................................ 566 3. Nicht strafbare Handlungen gemäss Art. 317bis . . ....................... 566 4. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 567

§ 124 Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318) .. ................................ 567 1. Vorsatzdelikt (Ziff. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 568 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 568 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 569 1.3 Qualifizierter Tatbestand .. . . . . . . . . . . . ................................. 570 2. Fahrlässigkeitstatbestand (Ziff. 2) .. . . . . . ................................. 570 3. Abgrenzung und Konkurrenzen .. . . . . . . . ................................. 570

§ 125 Entweichenlassen von Gefangenen (Art. 319) ....................... 571 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 571 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 572 3. Versuch und Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 573 4. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 573

§ 126 Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320) ........................ 573 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 576 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 576 1.2 Schutzobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 576 1.3 Kenntnis des Täters vom Geheimnis infolge seiner Stellung .. ... 578 1.4 Schweigepflicht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 579 1.5 Tatbestandsmässiges Verhalten . . . . . . ................................. 579 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 580 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 580 3.1 Vollendung und Versuch .. . . . . . . . . . . . ................................. 580 3.2 Strafbare Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 581 3.3 Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen .............................. 581 4. Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 582 4.1 Gesetzliche Informationsrechte und -pflichten nach Art. 14 .... 582 4.2 Notstand (Art. 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 583 4.3 Einwilligung der vorgesetzten Behörde (Art. 320 Ziff. 2) ........ 583 4.4 Einwilligung des Verletzten .. . . . . . . . . ................................. 584 4.5 Wahrung berechtigter Interessen .. . ................................. 585

XLI

Inhaltsverzeichnis

§ 127 Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321) ...................... 585 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 588 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 588 1.2 Geheimnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 591 1.3 Kenntnisnahme vom Geheimnis bei der Berufsausübung ....... 591 1.4 Tatbestandsmässiges Verhalten . . . . . . . . . .............................. 593 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 594 3. Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 594 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 595 4.1 Versuch und Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 595 4.2 Abgrenzungen und Konkurrenzen . . . . . . ............................. 595 4.3 Das Berufsgeheimnis im Prozess . . . . . . . .............................. 596 5. Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 597 5.1 Gesetzliche Anzeigepflichten und Melderechte (Art. 321 Ziff. 3) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 597 5.2 Notstand, rechtfertigende Pflichtenkollision und Wahrung berechtigter Interessen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 598 5.3 Einwilligung des Geheimnisherrn (Art. 321 Ziff. 2) .............. 598 5.4 Bewilligung durch die vorgesetzte Behörde oder die Aufsichts­ instanz (Art. 321 Ziff. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 600

§ 128 Berufsgeheimnis in der Forschung am Menschen (Art. 321bis) .601 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 602 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 602 1.2 Schutzobjekt und tatbestandsmässiges Verhalten ................. 602 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 603 3. Rechtfertigungsgrund nach Humanforschungsgesetz gemäss Art. 34 Abs. 2 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 603 4. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 604

§ 129 Verletzung des Post- und Fernmelde­geheimnisses (Art. 321ter) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 604 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 605 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 605 1.2 Tathandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 606 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 607 3. Rechtswidrigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 607 4. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 607 5. Prozessuales .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 608

§ 130 Verletzung der Auskunftspflicht der Medien (Art. 322) .......... 608 1. Auskunftspflicht der Medienunternehmen (Abs. 1) ................... 609

XLII

Inhaltsverzeichnis 2. Impressumspflicht für Zeitungen und Zeitschriften (Abs. 2) .. ....... 610 3. Angaben namhafter Beteiligungen .. . . . . ................................. 611 4. Strafbares Verhalten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 612 4.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 612 4.11 Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 612 4.12 Strafbares Verhalten .. . . . . . . . . . ................................. 612 4.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 612

§ 131 Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung (Art. 322bis) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 613 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 613 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 614 1.2 Verhindern der strafbaren Veröffentlichung ....................... 614 1.3 Subsidiarität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 615 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 616 3. Fahrlässige Nichtverhinderung der strafbaren Veröffentlichung .... 616 4. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 617

19. Titel Bestechung (Art. 322ter–322decies) 

618

§ 132 Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale ............... 618 1. Entwicklung der Gesetzgebung .. . . . . . . . . ................................. 620 2. Geschützte Rechtsgüter .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 622 3. Gemeinsame Merkmale der Amts- und der Privatbestechung . . ..... 623 3.1 Aufbau der Tatbestände .. . . . . . . . . . . . . ................................. 623 3.2 Tathandlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 624 3.21 Tathandlungen des Extraneus ................................. 624 3.22 Tathandlungen des Intraneus .. ................................ 625 3.3 Einziehung der Zuwendungen .. . . . . ................................. 625 3.4 Verantwortlichkeit im Unternehmen . . .............................. 625 4. Der Bestechung von Amtsträgern (Art. 322ter–322sexies) ­gemeinsame Merkmale .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 627 4.1 Amtsträger .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 627 4.11 Mitglieder einer richterlichen oder anderen Behörde, Beamte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 627 4.12 Amtlich bestellte Sachverständige ............................ 628 4.13 Übersetzer oder Dolmetscher ................................. 628 4.14 Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 628 4.15 Angehörige der Armee .. . . . . . . ................................. 629 4.16 Private, welche öffentliche Aufgaben erfüllen . . ............. 629 4.17 Lobbyisten? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 629

XLIII

Inhaltsverzeichnis 4.2 Der «nicht gebührende Vorteil» .. . . . . . . . ............................. 630 4.21 Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 630 4.22 Dienstrechtlich erlaubte, geringfügige und sozial übliche Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 632 4.3 Der Bezug zur amtlichen Tätigkeit, Amtsführung . ............... 633 4.31 Amtliche Tätigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . .............................. 633 4.32 Amtsführung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 634 4.4 Kantonale Gerichtsbarkeit/Bundesgerichtsbarkeit ................ 634

§ 133 Bestechen (Art. 322ter) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 634 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 634 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 634 1.2 Der nicht gebührende Vorteil .. . . . . . . . . . . ............................. 635 1.3 Tathandlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 635 1.4 Adressat des Vorteils .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 635 1.5 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit . . .......................... 635 1.6 Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten .......... 635 1.7 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des Amtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 637 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 638 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 638 3.1 Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 638 3.2 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 638 3.3 Abgrenzungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 639

§ 134 Sich-bestechen-Lassen (Art. 322quater) .. . . .............................. 639 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 639 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 639 1.2 Der nicht gebührende Vorteil .. . . . . . . . . . . ............................. 640 1.3 Tathandlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 640 1.4 Adressat des Vorteils .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 640 1.5 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit . . .......................... 640 1.6 Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten .......... 640 1.7 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des Amtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 641 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 641 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 641 3.1 Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 641 3.2 Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 641

§ 135 Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies) .. . . . .............................. 642 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 642 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 642

XLIV

Inhaltsverzeichnis 1.2 Der nicht gebührende Vorteil .. . . . . . . ................................. 642 1.3 Tathandlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 642 1.4 Adressat des Vorteils .. . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 643 1.5 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit . . .......................... 643 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 644 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 644 3.1 Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 644 3.2 Konkurrenzfragen und Abgrenzungen .. ............................ 644

§ 136 Vorteilsannahme (Art. 322sexies) .. . . . . . . . ................................. 645 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 645 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 645 1.2 Der nicht gebührende Vorteil .. . . . . . . ................................. 645 1.3 Tathandlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 645 1.4 Adressat des Vorteils .. . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 645 1.5 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit . . .......................... 646 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 646 3. Verhältnis zu Art. 322quinquies .. . . . . . . . . . . . ................................. 646

§ 137 Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies) .................... 646 1. Aktive Bestechung fremder Amtsträger nach Art. 322septies Abs. 1 . 647 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 647 1.11 Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 647 1.12 Der nicht gebührende Vorteil ................................. 647 1.13 Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 648 1.14 Der fremde Amtsträger als Adressat des Vorteils .. ......... 648 1.15 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit ..................... 649 1.16 Pflichtwidrige oder im Ermessen stehende Handlung . . ... 649 1.17 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des fremden Amtsträgers .. . . . . . . . . ................................. 649 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 650 2. Passive Bestechung fremder Amtsträger nach Art. 322septies Abs. 2 . 650 2.1 Schutzobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 650 2.2 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . ................................. 650 2.21 Täterkreis und Vorteilsadressat ............................... 650 2.22 Der nicht gebührende Vorteil ................................. 651 2.23 Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 651 2.24 Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit .. ................... 651 2.25 Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten . 651 2.26 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des fremden Amtsträgers .. . . . . . . . . ................................. 651 2.3 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 652

XLV

Inhaltsverzeichnis 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 652 3.1 Geltungsbereich .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 652 3.2 Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 652

§ 138 Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 653 1. Allgemeines .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 655 2. Treueverhältnis (Dreiecksverhältnis) .. . . . . .............................. 655 3. Der nicht gebührende Vorteil .. . . . . . . . . . . . . . .............................. 656 4. Adressat des Vorteils .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 658 5. Tathandlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 658 6. Zusammenhang mit der dienstlichen oder geschäftlichen Tätigkeit .658 7. Das Merkmal der «pflichtwidrigen oder im Ermessen stehenden Handlung oder Unterlassung» .. . . . . . . . . . . . . . ............................. 659 8. Das Äquivalenzverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 660 9. Genehmigung und Geringfügigkeit . . . . . . . . . ............................. 660 10. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 662 11. Kantonale Gerichtsbarkeit/Bundesgerichtsbarkeit . . ................... 663

§ 139 Bestechen (Art. 322octies) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 664 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 664 1.1 Treueverhältnis (Dreiecksverhältnis) . . .............................. 664 1.2 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 664 1.3 Der nicht gebührende Vorteil .. . . . . . . . . . . ............................. 664 1.4 Tathandlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 664 1.5 Adressat des Vorteils .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 665 1.6 Zusammenhang mit dienstlicher oder geschäftlicher Tätigkeit . 665 1.7 Das Merkmal der «pflichtwidrigen oder im Ermessen ­stehenden Handlung oder Unterlassung» .......................... 665 1.8 Das Äquivalenzverhältnis .. . . . . . . . . . . . . . .............................. 665 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 666 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 666 3.1 Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 666 3.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 666 3.3 Bestechung ausländischer Privatpersonen . . ........................ 666

§ 140 Sich-bestechen-Lassen (Art. 322novies) .. . . . ............................. 666 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 667 1.1. Treueverhältnis (Dreiecksverhältnis) . . .............................. 667 1.2 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 667 1.3 Der nicht gebührende Vorteil .. . . . . . . . . . . ............................. 667 1.4 Tathandlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 667 1.5 Adressat des Vorteils .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 667

XLVI

Inhaltsverzeichnis 1.6 Zusammenhang mit dienstlicher oder geschäftlicher Tätigkeit . 668 1.7 Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten .......... 668 1.8 Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des Bestochenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 668 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 668 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 668 3.1 Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 668 3.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 669

20. Titel Übertretungen bundes­rechtlicher Bestimmungen (Art. 323–332) 

670

§ 141 Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren (Art. 323) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 670 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 670 1.1 Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 670 1.2 Die einzelnen Tatbestände .. . . . . . . . . . ................................. 671 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 672 3. Abgrenzungsfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 672 3.1 Verhältnis zu betrügerischem Konkurs und zum Pfändungs­ betrug (Art. 163 Ziff. 1) . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 672 3.2 Verhältnis zum Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 673

§ 142 Ungehorsam dritter Personen im Betreibungs-, Konkursund Nachlassverfahren (Art. 324) .. . . . . ................................. 673 1. Die einzelnen Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 673 2. Abgrenzungsfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 675 2.1 Verhältnis zum betrügerischen Konkurs und Pfändungsbetrug (Art. 163 Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 675 2.2 Verhältnis zum Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 675

§ 143 Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher (Art. 325) .... 675 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 676 1.1 Täterkreis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 676 1.2 Tatbestandsmässige Handlungen .. . ................................. 676 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 677 3. Fahrlässige ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher ......... 677 4. Verfolgungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 678 5. Abgrenzung zur Unterlassung der Buchführung (Art. 166) .......... 678

XLVII

Inhaltsverzeichnis

§ 144 Widerhandlungen gegen die Bestimmungen zum Schutz der Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen (Art. 325bis und 326bis) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 679 1. Das strafbare Verhalten von Vermietern .. . ............................. 680 1.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 680 1.11 Kreis der Täter .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 680 1.12 Mietverhältnis betreffend Wohn- und Geschäftsräume . 680 1.13 Tatbestandsmässige Verhaltensweisen ....................... 680 1.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 681 2. Strafbares Verhalten von Mitverantwortlichen (Art. 326bis Abs. 2 und 3) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 682 2.1 Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 682 2.11 Kreis der Mitverantwortlichen .. . ............................. 682 2.12 Tatbestandsmässiges Verhalten ............................... 682 2.2 Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 683 3. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 683

§ 145 Übertretung firmenrechtlicher Bestimmungen (Art. 326ter) .... 683 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 684 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 685

§ 146 Unwahre Auskunft durch eine Personal­vorsorgeeinrichtung (Art. 326quater) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 685 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 686 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 686 3. Abgrenzungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 686

§ 147 Nachmachen von Postwertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 328) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 686 1. Tatbestandsmässiges Verhalten (Ziff. 1) .. . . ............................. 686 2. Einziehung (Ziff. 2) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 687 3. Abgrenzungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 687

§ 148 Verletzung militärischer Geheimnisse (Art. 329) . . ................. 688 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 688 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 689 3. Weitere Fragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............................. 689 3.1 Strafbarkeit von Versuch und Gehilfenschaft ...................... 689 3.2 Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................. 689

XLVIII

Inhaltsverzeichnis

§ 149 Handel mit militärisch beschlagnahmtem Material (Art. 330) .690 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 690 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 690 3. Konkurrenzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 691

§ 150 Unbefugtes Tragen der militärischen Uniform (Art. 331) ....... 691 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 691 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 692 3. Abgrenzungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 692

§ 151 Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332) ................................ 692 1. Objektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 692 2. Subjektiver Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 693 3. Konkurrenzfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 694

Anhang: Terminologie des schweizerischen Strafrechts (Strafrecht IV) . . ......... 695 Sachregister .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................. 711

XLIX

Allgemeine Literatur (Auswahl) J.-B. Ackermann/ G. Heine (Hrsg.)

Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, Hand- und Studienbuch, Bern 2013 (zit.: Bearbeiter, Wirtschaftsstrafrecht)

P. Albrecht/ G. Jenny/ M. Schubarth

Kommentar zum schweizerischen Strafrecht: Schweizeri­ sches Strafgesetzbuch, Besonderer Teil, Bd. 4, Delikte gegen die sexuelle Integrität und gegen die Familie, Art.  187–200, Art. 213–220 StGB, Bern 1997 (zit. Bearbeiter)

U. Cassani

Commentaire du droit pénal suisse, Code pénal suisse, Partie spéciale, Vol. 9, Crimes ou délits contre l’administration de la justice, Art. 303–311 CP, hrsg. von M. Schubarth, Bern 1996 (zit. Cassani)

B. Corboz

Les infractions en droit suisse, 2 Bde., 3. Aufl., Bern 2010 (zit. Corboz, Vol. I bzw. Vol. II)

A. Donatsch

Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen, 10. Aufl., Zürich 2013 (zit. Strafrecht III)

A. Donatsch/B. Tag

Strafrecht I, Verbrechenslehre, hrsg. von A. Donatsch, 9. Aufl., Zürich 2013 (zit. Strafrecht I)

A. Donatsch/ T. Hansjakob/ V. Lieber (Hrsg.)

Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), 2. Aufl., Zürich 2014 (zit. Bearbeiter, StPO Kommentar)

A. Donatsch (Hrsg.)

StGB, Schweizerisches Strafgesetzbuch und JStG sowie Straf­ bestimmungen des SVG, BetmG und AuG, inkl. V-StGBMStG, Rechtshilfekonkordat, OHG und OHV, Auszüge aus dem BGG, BStP, SGG sowie AT aStGB (bis Ende 2006 in Kraft gewesene Fassung), mit Kommentar zu StGB und JStG sowie zu den Strafbestimmungen des SVG, BetmG und AuG, 19. Aufl., Zürich 2013 (zit. Bearbeiter, StGB-Kommentar)

E. Hafter

Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, 2 Bde., Berlin 1937/43 (zit. Hafter, BT I bzw. BT II)

K. Hauri

Militärstrafgesetz (MStG), Kommentar, Bern 1983 (zit. Hauri)

J. Hurtado Pozo

Droit pénal, Partie spéciale, Genf 2009 (zit. Hurtado Pozo, Par­ tie spéciale)

LI

Allgemeine Literatur (Auswahl) P. Logoz

Commentaire du Code Pénal Suisse, Partie spéciale, 2 Bde., Neuchâtel 1955/56 (zit. Logoz)

M. A. Niggli

Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Schweizeri­ sches Strafgesetzbuch, Besonderer Teil, Bd. 6a, Fälschung von Geld, amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht, Art.  240–250 sowie Art.  327 und 328 StGB, Bern 2000 (zit. ­Niggli)

M. A. Niggli/ H. Wiprächtiger (Hrsg.)

Basler Kommentar, Strafrecht I, Art. 1–110 StGB, Jugendstraf­ gesetz, 3. Aufl., Basel 2013, (zit. Bearbeiter, BSK StGB I)

M. A. Niggli/ H. Wiprächtiger (Hrsg.)

Basler Kommentar, Strafrecht II, Art. 111–392 StGB, 3. Aufl., Basel 2013 (zit. Bearbeiter, BSK StGB II)

P. Popp

Kommentar zum Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927, Beson­ derer Teil, St. Gallen 1992 (zit. Popp)

M. Pieth

Schweizerische Strafprozessordnung, 3. A. Basel 2016

M. Pieth

Strafrecht, Besonderer Teil, Basel 2014

M. Pieth

Wirtschaftsstrafrecht, Basel 2016

N. Schmid

Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl., Zürich 2013 (zit. Schmid, Strafprozessrecht)

N. Schmid (Hrsg.)

Kommentar Einziehung  – Organisiertes Verbrechen  – Geld­ wäscherei, Bd. I, Einziehung (StGB Art. 69–73), Organisiertes Verbrechen (StGB Art. 260ter), Finanzierung des Terrorismus (StGB Art.  260quinquies), 2. Aufl., Zürich 2007 (zit. Bearbeiter, Kommentar Einziehung I)

N. Schmid (Hrsg.)

Kommentar Einziehung  – Organisiertes Verbrechen  – Geld­ wäscherei, Bd. II, Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (StGB Art. 305ter), Internationale Amts- und Rechtshilfe bei Einziehung, organisiertem Verbrechen und Geldwäscherei, Bundesgesetz zur Bekämpfung der geldwä­ scherei im Finanzsektor (Geldwäschereigesetz, GwG) vom 10.  Oktober 1997, Zürich 2002 (zit. Bearbeiter, Kommentar Einziehung II)

LII

Allgemeine Literatur (Auswahl) H. Schultz

Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, ein Grundriss, Bd. I, Die allgemeinen Voraussetzungen der kri­ minalrechtlichen Sanktionen, 4. Aufl., Bern 1982 (zit. Schultz, AT I)

Ch. Schwarzenegger/ M. Hug/D. Jositsch

Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, hrsg. von A. Donatsch, 8. Aufl., Zürich 2007 (zit. Strafrecht II)

G. Stratenwerth

Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Die Straftat, 4. Aufl., Bern 2011 (zit. Stratenwerth, AT I)

G. Stratenwerth

Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, 2. Aufl., Bern 2006 (zit. Stratenwerth, AT II)

G. Stratenwerth/ G. Jenny/F. Bommer

Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, Straftaten gegen Individualinteressen, 7. Aufl., Bern 2010 (zit. Stratenwerth/ Jenny/Bommer, BT I)

G. Stratenwerth/ F. Bommer

Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, Straftaten gegen Gemeininteressen, 7. Aufl., Bern 2013 (zit. Stratenwerth/Bommer, BT II)

S. Trechsel/M. Pieth (Hrsg.)

Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich 2012 (zit. Bearbeiter in: Trechsel/Pieth)

H. Vest/M. Schubarth

Delikte gegen den öffentlichen Frieden (Art. 258–263 StGB), hrsg. von M. Schubarth, Bern 2007 (zit. Bearbeiter)

LIII

Abkürzungen a.A.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

AC

Appeals Chamber

a.E.

am Ende

AGVE

Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide

AIDS

Acquired Immune Deficiency Syndrome

AJP

Aktuelle Juristische Praxis (Lachen)

al.

alinea

Alt.

Alternative

alt Art.

alte Fassung des Artikels

alt BV

alte Fassung BV

a.M.

anderer Meinung

Amtl.Bull. NR

Amtliches Bulletin Nationalrat

Amtl.Bull. StR

Amtliches Bulletin Ständerat

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

AS

Amtliche Sammlung des Bundesrechts

ASMZ

Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift (Volketswil)

AT

Allgemeiner Teil

Aufl.

Auflage

BankG

Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen (Bankenge­ setz) vom 8. November 1934 (SR 952.0)

BB

Bundesbeschluss

BBl

Bundesblatt (Bern)

Bd./Bde.

Band/Bände

BEHG

Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel (­Börsengesetz) vom 24. März 1995 (SR 954.1)

Bericht Strafrahmenharmonisierung

Erläuternder Bericht zum Bundesgesetz über die Harmonisie­ rung der Strafrahmen im Strafgesetzbuch, im Militärstrafge­ setz und im Nebenstrafrecht

LV

Abkürzungen Bericht Tätigkeits-, Kontakt- und Rayon­ verbot

Erläuternder Bericht zur Änderung der Bundesverfas­ sung, des Strafgesetzbuches, des Militärstrafgesetzes und des Jugendstrafgesetzes (Tätigkeitsverbot und Kontakt- und Ray­ onverbot) vom Januar 2011 (https://www.bj.admin.ch/dam/ data/bj/sicherheit/gesetzgebung/berufsverbot/vn-ber-d.pdf)

BetmG

Bundesgesetz über die Betäubungsmittel und die psychotro­ pen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz) vom 3.  Oktober 1951 (SR 812.121)

betr.

betreffend

BG

Bezirksgericht/Bundesgesetz

BGE

Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichtes

BGer

Bundesgericht/unpublizierter Entscheid des Bundesgerichts

BGH

Bundesgerichtshof (Deutschland)

BJM

Basler Juristische Mitteilungen (Basel)

Botschaft 1979

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetz­ buches und des Militärstrafgesetzes (Gewaltverbrechen) vom 10. Dezember 1979, BBl 1980 I 1241 ff.

Botschaft 1985

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafge­ setzbuches und des Militärstrafgesetzes (Strafbare Handlun­ gen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie) vom 26. Juni 1985, BBl 1985 II 1009 ff.

Botschaft 1985 II

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetz­ buches (Insidergeschäfte) vom 1. Mai 1985, BBl 1985 II 69 ff.

Botschaft 1988

Botschaft zum BG über den Datenschutz (DSG) vom 23. März 1988, BBl 1988 II 413 ff., insbesondere 490

Botschaft 1989

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetz­ buches (Gesetzgebung über Geldwäscherei und mangelnde Sorgfalt bei Geldgeschäften) vom 12. Juni 1989, BBl 1989 II 1061 ff.

Botschaft 1991

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafge­ setzbuches und des Militärstrafgesetzes (Strafbare Handlun­ gen gegen das Vermögen und Urkundenfälschung) sowie betreffend die Änderung des BG über die wirtschaftliche Lan­ desversorgung (Strafbestimmungen) vom 24. April 1991, BBl 1991 II 969 ff.

LVI

Abkürzungen Botschaft 1992

Botschaft über den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und über die entsprechende Straf­ rechtsrevision vom 2. März 1992, BBl 1992 III 269 ff.

Botschaft 1993

Botschaft zu einem BG über die Börsen und den Effektenhan­ del (Börsengesetz, BEHG) vom 24. Februar 1993, BBl 1993 I 1369 ff., insbesondere 1428 f.

Botschaft 1993 II

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafge­ setzbuches und des Militärstrafgesetzes (Revision des Einzie­ hungsrechts, Strafbarkeit der kriminellen Organisation, Mel­ derecht des Financiers) vom 30. Juni 1993, BBl 1993 III 277 ff.

Botschaft 1996

Botschaft zum revidierten Fernmeldegesetz (FMG) vom 10. Juni 1996, BBl 1996 III 1405 ff., insbesondere 1452 f.

Botschaft 1996 II

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetz­ buches und des Militärstrafgesetzes (Medienstraf- und Ver­ fahrensrecht) vom 17. Juni 1996, BBl 1996 IV 525 ff.

Botschaft 1996 III

Botschaft zum Bundesgesetz zur Bekämpfung der Geldwä­ scherei im Finanzsektor (Geldwäschereigesetz, GwG) vom 17. Juni 1996, BBl 1996 III 1101 ff.

Botschaft 1998

Botschaft zur Änderung des schweizerischen Strafgesetzbu­ ches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwen­ dung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zum BG über das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998, BBl 1999, 1979 ff.

Botschaft 1999

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafge­ setzbuches und des Militärstrafgesetzes (Revision des Kor­ ruptionsstrafrechts) sowie über den Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen über die Bestechung ausländischer Amtsträ­ ger im internationalen Geschäftsverkehr vom 19. April 1999, BBl 1999, 5497 ff.

Botschaft 1999 II

Botschaft zum Bundesgesetz über die Währung und die Zah­ lungsmittel (WZG) vom 26. Mai 1999, BBl 1999, 7258 ff.

Botschaft 1999 III

Botschaft betreffend das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes sowie die entsprechende Revision des Strafrechts vom 31. März 1999, BBl 1999, 5327 ff.

LVII

Abkürzungen Botschaft 2000

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafge­ setzbuches und des Militärstrafgesetzes (Strafbare Handlun­ gen gegen die sexuelle Integrität/Verjährung bei Sexualdelik­ ten an Kindern und Verbot des Besitzes harter Pornografie) vom 10. Mai 2000, BBl 2000, 2943 ff.

Botschaft 2000 II

Botschaft über das Römer Statut des Internationalen Strafge­ richtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts vom 15. November 2000, BBl 2001, 391 ff.

Botschaft 2001

Botschaft zu den Volksinitiativen «MoratoriumPlus – Für die Verlängerung des Atomkraftwerk-Baustopps und die Begren­ zung des Atomrisikos (MoratoriumPlus)» und «Strom ohne Atom – Für eine Energiewende und die schrittweise Stillle­ gung der Atomkraftwerke (Strom ohne Atom)» sowie zu einem Kernenergiegesetz, BBl 2001, 2665

Botschaft 2002

Botschaft betreffend die Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus und zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge sowie die Änderung des Strafgesetzbuches und die Anpassung weiterer Bundesgesetze vom 26. Juni 2002, BBl 2002, 5390 ff.

Botschaft 2003

Botschaft zum Bundesgesetz über die Öffentlichkeit der Ver­ waltung (Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ) vom 12. Februar 2003, BBl 2003, 1963 ff.

Botschaft 2004

Botschaft über die Genehmigung und die Umsetzung des Strafrechts-Übereinkommens und des Zusatzprotokoll des Europarates über Korruption (Änderung des Strafgesetzbu­ ches und des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbe­ werb) vom 14. November 2004, BBl 2004, 6983 ff.

Botschaft 2007

Botschaft zum UNO-Übereinkommen gegen Korruption vom 21. September 2007, BBl 2007, 7349 ff.

Botschaft 2008

Botschaft über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umset­ zung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 23. April 2008, BBl 2008, 3863 ff.

Botschaft 2009

Botschaft zum Bundesgesetz über die Forschung am Men­ schen vom 21. Oktober 2009, BBl 2009, 8045

LVIII

Abkürzungen Botschaft 2012

Botschaft zur Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen» sowie zum Bundesgesetz über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot (Ände­ rung des Strafgesetzbuchs, des Militärstrafgesetzes und des Jugendstrafgesetzes) als indirektem Gegenvorschlag vom 10. Oktober 2012, BBl 2012, 8819 ff.

Botschaft 2012 II

Botschaft zur Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen» sowie zum Bundesgesetz über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot (Ände­ rung des Strafgesetzbuches, des Militärstrafgesetzes und des Jugendstrafgesetzes) als indirekten Gegenvorschlag, BBl 2012, 8819 ff.

Botschaft 2013

Botschaft zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Mili­ tärstrafgesetzes (Umsetzung von Art. 121 Abs. 3–6 BV über die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer) vom 26. Juni 2013, BBl 2013, 5975 ff.

Botschaft 2014

Botschaft über die Änderung des Strafgesetzbuchs (Korrup­ tionsstrafrecht) vom 30. April 2014, BBl 2014 3591 ff.

Botschaft 2014 II

Bundesratsbeschluss über das Ergebnis der Volksabstimmung vom 18. Mai 2014 (Bundesbeschluss über die medizinische Grundversorgung; Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen»; Volksinitiative «Für den Schutz fairer Löhne [Mindestlohn-Initiative]; Bundesgesetz über den Fonds zur Beschaffung des Kampfflugzeuges Gri­ pen [Gripen-Fonds-Gesetz]) vom 18. August 2014, BBl 2014, 6349 ff.

Botschaft 2014 III

Botschaft zu einer Änderung der Schweizerischen Zivilgesetz­ buches (Kindesunterhalt) vom 29. November 2013, BBl 2014, 529 ff.

Botschaft 2016

Botschaft zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militär­ strafgesetzes (Umsetzung von Art. 123c BV) vom 3. Juni 2016, BBl 2016, 6115 ff.

Botschaft AT

Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbu­ ches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwen­ dung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht vom 21.  Sep­ tember 1998, BBl 1999, 1979 ff.

Botschaft ZPO

BBl 2006, 7413 (siehe FN 2907)

BPG

Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (SR 172.220.1)

LIX

Abkürzungen BPV

Bundesamt für Privatversicherungen

BSK

Basler Kommentar

BstGer

Bundesstrafgericht

BT

Besonderer Teil

BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht (Deutschland)

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

c.

contra

CP

Code pénal/Codice penale

CPS

Code pénal suisse

DBG

Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer vom 14. Dezem­ ber 1990 (SR 642.11)

DDR

Deutsche Demokratische Republik

d.h.

das heisst

dies.

dieselbe(n)

Diss.

Dissertation

DSG

Bundesgesetz über den Datenschutz vom 19.  Juni 1992 (SR 235.1)

EGMR

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Strassburg)

EGV-SZ

Entscheide der Gerichts- und Verwaltungsbehörden des Kan­ tons Schwyz

eidg.

eidgenössisch

EMRK

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grund­ freiheiten vom 4. November 1950 (SR 0.101)

EpG

Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankhei­ ten des Menschen (Epidemiegesetz) vom 18. Dezember 1970 (SR 818.101)

Erw.

Erwägung

ESBK

Eidgenössische Spielbankenkommission

ETA

Euskadi Ta Azkatasuna (deutsch: Baskenland und Freiheit; baskische Untergrundorganisation)

LX

Abkürzungen et al.

et alii

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EuGRZ

Europäische Arlington)

evtl.

eventuell

Grundrechte-Zeitschrift

(Kehl/Strassburg/

f./ff.

und folgende (Seite/Seiten)

FATF

Financial Action Task Force on Money Laundering

FINMA

Eidgenössische Finanzmarktaufsicht

FinfraG

Finanzmarktinfrastrukturgesetz vom 19. Juni 2015, (AS 2014 5339)

FN

Fussnote

fp

forumpoenale (Bern)

Fr.

Schweizer Franken

FS

Festschrift

GA I

Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwun­ deten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde vom 12. August 1949 (SR 0.518.12)

GA II

Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwun­ deten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See vom 12. August 1949 (SR 0.518.23)

GA III

Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefange­ nen vom 12. August 1949 (SR 0.518.42)

GA IV

Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 (SR 0.518.51)

gl.M.

gleicher Meinung

GS

Gedächtnisschrift

GwG

Bundesgesetz über die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung im Finanzsektor (Geldwäsche­ reigesetz) vom 10. Oktober 1997 (SR 955.0)

GwV ESBK

Verordnung der Eidgenössischen Spielbankenkommission über die Sorgfaltspflichten der Spielbanken zur Bekämpfung der Geldwäscherei (Geldwäschereiverordnung) vom 12. Juni 2007 (SR 955.021)

LXI

Abkürzungen GwV-FINMA

Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht über die Verhinderung von Geldwäscherei und Terrorismusfinan­ zierung (Geldwäschereiverordnung-FINMA) vom 8. Dezem­ ber 2010 (SR 955.033.0)

HAVE

Haftung und Versicherung (Zürich)

HIV

Human Immunodefiency Virus

HRegV

Handelsregisterverordnung vom 17.  Oktober 2007 (SR 221.411)

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

hrsg./Hrsg.

herausgegeben/Herausgeber

IACHR

Inter-American Commission on Human Rights

ICC

International Criminal Court (Internationaler Strafgerichts­ hof)

ICJ

International Court of Justice

ICTR

International Criminal Tribunal for Rwanda

ICTY

International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia

i.E.

im Einzelnen

i.e.S.

im engeren Sinne

insbes.

insbesondere

IPBPR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (SR 0.103.2)

IRSG

Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz) vom 20. März1981 (SR 351.1)

i.S.

im Sinne

IStGH

Internationaler Strafgerichtshof (= International Criminal Court [ICC])

i.V.m.

in Verbindung mit

JdT

Journal des Tribunaux, (Lausanne)

KAG

Bundesgesetz über die kollektiven Kapitalanlagen (Kollektiv­ anlagengesetz) vom 23. Juni 2006 (SR 951.31)

Konformitätsbericht GRECO

Konformitätsbericht über die Schweiz, Erste und Zweite Eva­ luationsrunde, verabschiedet von der GRECO an ihrer 46. Vollversammlung (Strassburg, 22.–26. März 2010)

LXII

Abkürzungen Krim

Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis (Heidelberg)

krit.

kritisch

LGV

Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung vom 23. November 2005

LGVE

Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide (Luzern)

lit.

litera

LMG

Bundesgesetz über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (Lebensmittelgesetz) vom 9. Oktober 1992 (SR 817.0)

LS

Zürcher Loseblattsammlung, zitiert nach Ordnungsnummern (Zürcher Gesetzessammlung)

MKGE

Entscheidungen des Militärkassationsgerichts

MROS

Money Laundering Reporting Office Switzerland

MStG

Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (SR 321.0)

m.w.H.

mit weiteren Hinweisen

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

N

Note/Randnote

NATO

North Atlantic Treaty Organization

NGO

Non-Governmental Organization

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (München/Frankfurt a.M.)

Nr.

Nummer

NR

Nationalrat

NS

Nationalsozialismus

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht (München/Frankfurt a.M.)

NZZ

Neue Zürcher Zeitung (Zürich)

OECD

Organization for Economic Co-operation and Development

OECD-Konvention

Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung aus­ ländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17. Dezember 1997, in Kraft getreten für die Schweiz am 30. Juli 2000 (SR 0.311.21)

OGer

Obergericht

OHG

Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opfer­ hilfegesetz) vom 23. März 2007 (SR 312.5)

LXIII

Abkürzungen OR

Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Fünfter Teil: Obligationenrecht, vom 30. März 1911 (SR 220)

PKG

Praxis des Kantonsgerichtes Graubünden (Chur)

Pr

Die Praxis (bis 1990: Die Praxis des Bundesgerichts)

PrSG

Bundesgesetz über die Produktesicherheit vom 12. Juni 2009 (SR 930.11)

recht

Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis, (Bern)

Rep.

Repertorio di Giurisprudenza Patria (Bellinzona)

rev.

revidiert(e/es)

RICPT

Revue internationale de criminologie et de police technique (Genf)

RS

Rechtsprechung in Strafsachen (auch RStrS, Bern)

S.

Seite

s.

siehe

SAV

Schweizerischer Anwaltsverband

SchKG

Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889 (SR 281.1)

schweiz.

schweizerisch

Sem

La Semaine judiciaire (auch SJ, Genf)

SIA

Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein

sic!

Zeitschrift für Immaterialgüter- Informations- und Wettbe­ werbsrecht (Zürich)

Sida/SIDA

Syndrome immuno-déficitaire acquis (siehe auch AIDS)

SJK

Schweizerische Juristische Kartothek (Genf)

SJZ

Schweizerische Juristen-Zeitung (Zürich)

SNB

Schweizerische Nationalbank

sog.

sogenannt

SR

Systematische Sammlung des Bundesrechts

SRO

Selbstregulierungsorganisationen

ST

Der Schweizer Treuhänder (Zürich)

StGB

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (SR 311.1)

LXIV

Abkürzungen StHG

Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14.  Dezember 1990 (SR 642.14)

StPO

Schweizerische Strafprozessordnung (Strafprozessordnung) vom 5. Oktober 2007 (SR 312.0)

StR

Ständerat

Strafrechts­ übereinkommen

Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption vom 27.  Januar 1999, in Kraft getreten für die Schweiz am 1. Juli 2006 (SR 0.311.55)

SUVA

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt

SVG

Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SR 741.01)

SZW

Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zürich)

TC

Trial Chamber

TPF

Entscheide des schweizerischen Bundesstrafgerichts (offizielle Sammlung)

TREX

Der Treuhandexperte (Zürich)

u.a.

unter anderem (anderen)/und andere(s)

u.Ä.

und Ähnliche(s)

UÇK

Ushtria Çlirimtare e Kosovës (Befreiungsarmee des Kosovo)

u.E.

unseres Erachtens

UN, UNO

United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen)

UNESCO

United Nations Educational, Scientific and Cultural Organi­ zation

UNO-Konvention

Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31. Oktober 2003, in Kraft getreten für die Schweiz am 24. Oktober 2009 (SR 0.311.56)

USA

United States of America

usw.

und so weiter

u.U.

unter Umständen

UVG

Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 20. März 1981 (SR 832.20)

UWG

Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 19. Dezember 1986 (SR 241)

LXV

Abkürzungen VO

Verordnung

v.a.

vor allem

VBF

Verordnung über die berufsmässige Ausübung der Finanzin­ termediation vom 18. November 2009 (SR 955.071)

VE

Vorentwurf

VE Strafrahmenharmonisierung

Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Harmonisierung der Strafrahmen im Strafgesetzbuch, im Militärstrafgesetz­ buch und im Nebenstrafrecht ()

VG

Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeits­ gesetz) vom 14. März 1958 (SR 170.32)

vgl.

vergleiche

VIH

Virus de l’Immunodéficience Humaine

Vol.

Volume

VSB 92

Vereinbarung über die Standespflicht der Banken vom 1. Juli 1992

VSB 03

Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken vom 2. Dezember 2002.

VSB 08

Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken vom 7. April 2008

VUV

Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufs­ krankheiten (Verordnung über die Unfallverhütung) vom 19. Dezember 1983 (SR 832.30)

VVG

Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungs­ vertragsgesetz) vom 2. April 1908 (SR 221.229.1)

WG

Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz) vom 20. Juni 1997 (SR 514.54)

WHO

World Health Organization

z.B.

zum Beispiel

ZBGR

Schweizerische Zeitschrift für Beurkundungs- und Grund­ buchrecht (Wädenswil)

ZBJV

Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins (Bern)

ZBl

Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungs­ recht (Zürich)

LXVI

Abkürzungen ZG

Zollgesetz vom 18. März 2005 (SR 631.0)

ZGB

Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10.  Dezember 1907 (SR 210)

ZGRG

Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung in Grau­ bünden (Chur)

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert(e)

ZP I

Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.  August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte vom 8. Juni 1977 (SR 0.518.521)

ZP II

Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.  August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaff­ neter Konflikte vom 8. Juni 1977 (SR 0.518.522)

ZPO

Schweizerische Zivilprozessordnung (Zivilprozessordnung) vom 19. Dezember 2008 (SR 272)

ZR

Blätter für Zürcherische Rechtsprechung (Zürich)

ZSR

Zeitschrift für Schweizerisches Recht (Basel)

ZStrR

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (Bern)

z.T.

zum Teil

LXVII

§ 1  Inzest (Art. 213)

6. Titel § 1

Verbrechen und Vergehen gegen die Familie (Art. 213–220)

Inzest (Art. 213)

Literaturauswahl: F. Baumann, Die Blutschande und ihre rechtlichen Folgen, SJZ 63 (1967) 323, J. Hurtado Pozo, La protection pénale du bien juridique famille, in: Familie und Recht, Festschrift für B. Schnyder, hrsg. von P. Gauch/J. Schmid/P.-H. Steinauer/P. Tercier/F. Werro, Freiburg 1995, 443, M. A. Niggli/S. Maeder, Beischlaf, parlamentarische Vorstösse und andere erregende Dinge, AJP 9 (2016) 1159, M. Schubarth, Strafloser Geschwisterinzest?, ZStrR 133 (2015) 34 (zit. Schubarth, Geschwisterinzest), derselbe, Zur Rationalität des Inzestverbotes im Lichte der ausserrecht­ lichen Erkenntnisse zum Inzest, in: Kriminologie, Kriminalpolitik und Strafrecht aus internatio­ naler Perspektive, Festschrift für M. Killias, hrsg. von A. Kuhn et al., Bern 2013, 779 (zit. Schubarth, FS Killias), derselbe, Eigenhändiges Delikt und mittelbare Täterschaft, ZStrR 114 (1996) 330 (zit. Schubarth, Eigenhändiges Delikt), M. Stettler, L’évolution de la protection civile et de la protection pénale de la famille, in: Le rôle sanctionnateur du droit pénal, hrsg. von J. Gauthier, Fribourg 1985, 101, G. Stratenwerth, Inzest und Strafgesetz, in: Familienrecht im Wandel, Festschrift für H. Hin­ derling, hrsg. von A. Staehelin/F. Vischer, Basel 1976, 301.

Welches Rechtsgut durch die Bestimmung (Inzest/Inceste/Incesto/Incest)1 gewährleistet wird und ob es strafrechtlichen Schutzes bedarf, ist umstritten2. Das Bundesgericht und ein Teil der Lehre nennen den Schutz des Nachwuchses vor Erbschäden bzw. -krankheiten als Zweck von Art. 213 StGB3. Ein weiterer Sinn wird darin gesehen, dass das familiäre Umfeld von sexuellen Beziehungen freigehalten werden soll4 («Reinheit der Familie»5), was jedoch abzulehnen ist6.

1  Bis 1989 mit «Blutschande» betitelt, Botschaft BBl 1985 II 1009, 1045. 2  Vgl. z.B. Schubarth, N 7 ff. zu Art. 213, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 2 f. m.w.H.,

Schubarth, FS Killias, 785, vgl. auch EGMR Urteil vom. 12.04.2012, Stübing v. Germany, 43547/08. 3  Ausführlich Schubarth, FS Killias, 779 ff., 784, «Vermeidung der bei Inzestkindern auftre­ tenden Krankheiten», für Niggli/Maeder, 1172, historisch bedingt bloss «mittelbares Inter­ esse», da es eigentlich um ökonomische Kollektivinteressen gehe. 4  BGE 77 IV 170, Eckert, BSK StGB II, N 2 zu Art. 213, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 2, Trechsel/Christener-Trechsel, N 1 zu Art. 213. 5  BGE 83 IV 160. 6  Ebenso Niggli/Maeder, 1172, welche sich fragen, weshalb dann nur Vaginal-, nicht aber Oral- oder Analverkehr die Familie tangieren soll, kritisch auch Schubarth, N  9  ff. zu Art. 213, ausserdem gehören auch die Ehegatten zum familiären Umfeld.

1

§ 1  Inzest (Art. 213)

1.

Tatbestand (Abs. 1)

Der Tatbestand wird objektiv von Blutsverwandten unterschiedlichen Geschlechts7 in gerader Linie sowie von voll- und halbbürtigen Geschwis­ tern8 erfüllt, welche miteinander den Geschlechtsverkehr vollziehen, und zwar unabhängig davon, ob empfängnisverhütende Mittel verwendet werden. Wird das Rechtsgut auf den Schutz vor Erbkrankheiten eingeschränkt, dann ist nur die biologische, nicht die registerrechtlich festgehaltene Verwandtschaft mass­ gebend9. Erfasst wird demnach auch der Geschlechtsverkehr zwischen ausser­ ehelichen Blutsverwandten10, nicht aber derjenige unter bloss miteinander ver­ schwägerten Personen. Die Tathandlung besteht im Beischlaf, den das Bundesgericht als «die naturge­ mässe Vereinigung der Geschlechtsteile»11 definiert hat. Als solche soll bereits das Eindringen in den Scheidenvorhof gelten12. Bloss beischlafsähnliche Hand­ lungen genügen demnach nicht13. Subjektiv wird Vorsatz gefordert, der höchstens im unwahrscheinlichen und an das Schicksal von Ödipus und Iokaste erinnernden Fall fehlen könnte, dass die Beteiligten nicht um ihre Verwandtschaft wissen.

2.

Privilegierung Minderjähriger (Abs. 2)

Beteiligte, die im Zeitpunkt des Beischlafs minderjährig, also nach ZGB Art. 14 noch nicht 18 Jahre alt sind, bleiben straflos, wenn sie (nach dem Sinn des Gesetzes von dem oder der anderen Beteiligten) verführt worden sind. Trifft dies nicht zu, ist der Geschlechtsverkehr auch zwischen zwei minderjährigen Blutsverwandten strafbar.

7  Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3362. 8  Zum Geschwisterinzest siehe ausführlich Schubarth, Geschwisterinzest, 34 ff. 9  Corboz, Vol. I, N 4 f. zu Art. 213, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3368. 10  BGE 82 IV 102. 11  BGE 99 IV 152, 101 IV 3. 12  BGE 77 IV 170, 99 IV 153, Eckert, BSK StGB II, N 5 zu Art. 213, Trechsel/Christener-

Trechsel, N 2 zu Art. 213, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 6.

13  Vgl. allerdings auch BGE 77 IV 170, vgl. auch Niggli/Maeder, 1159 ff., insb. 1172.

2

§ 1  Inzest (Art. 213)

3. Beteiligung Inzest stellt einen Anwendungsfall notwendiger Beteiligung dar, bei dem sich i.d.R. beide Partner strafbar machen14. Es soll sich ausserdem um ein eigenhän­ diges Delikt handeln, welches nur von den Blutsverwandten begangen werden kann15. Folgt man dem, so können sich Dritte weder als Mittäter noch als mit­ telbare Täter, sondern ausschliesslich der Anstiftung und der Gehilfenschaft zu diesem Delikt strafbar machen.

4.

Weitere Fragen

Eine Frau, welche von einem Blutsverwandten vergewaltigt wird, scheidet schon deshalb als Täterin des Inzests aus, weil sie den Beischlaf nicht «voll­ zieht», sondern nur erduldet. Gleiches gilt im Fall der Widerstandsunfähigkeit einer oder eines Beteiligten bei Schändung nach Art.  191. Wird ein derarti­ ges Delikt an einer oder einem urteilsunfähigen Blutsverwandten verübt, muss diese bzw. dieser bezüglich des Inzestes regelmässig als zurechnungsunfähig gelten. Sollte der eine Beteiligte den Verkehr durch Ausnützen einer Abhängig­ keit eines Minderjährigen i.S. von Art. 188 erlangt haben, ist das Opfer nicht strafbar. Wenn ein verführter Minderjähriger bereits straffrei ist, muss dies für einen aus Abhängigkeit gefügigen umso mehr gelten. Grundsätzlich muss für Minderjährige bezüglich Art. 193 (Ausnützung der Notlage) dasselbe gel­ ten. Erwachsene Opfer hingegen sind unter Berücksichtigung von Art. 48 lit. a Ziff. 4 zu bestrafen. Für den dominierten Partner kommt aber der Schuldaus­ schlussgrund der Unzumutbarkeit normgemässen Verhaltens in Betracht, was ebenso für Verkehr unter dem Einfluss einer Nötigung i.S. von Art. 181 (in der neben Art.  190 verbleibenden Variante «durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit») oder mit einem Kind (Art. 187) gilt16. Der Partner, welcher gegenüber einer oder einem Blutsverwandten durch den Beischlaf einen der Tatbestände von Art. 187–193 erfüllt, ist im Hinblick auf

14  Ausgenommen die Fälle von Abs. 2 (hiervor Ziff. 2), sowie bei Vergewaltigungen (nach­

stehend Ziff. 4).

15  Vgl. Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.6, Corboz, Vol. I, N 7 zu Art. 213, Eckert, BSK StGB II, N 9 zu

Art. 213, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3374, Stratenwerth, AT I, § 13 N 18, Trechsel/ Christener-Trechsel, N 6 zu Art. 213, a.M. Schubarth, N 19 zu Art. 213, Schubarth, Eigen­ händiges Delikt, 330. 16  Dazu Strafrecht I, § 27.

3

§ 2  Mehrfache Ehe oder eingetragene Partnerschaft (Art. 215)

die Verschiedenartigkeit der geschützten Rechtsgüter sowohl nach der betref­ fenden Bestimmung wie auch gemäss Art. 213 zu verurteilen17.

§ 2

Mehrfache Ehe oder eingetragene Partnerschaft (Art. 215)

Literaturauswahl: F. Gautschi, Die mehrfache Ehe im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1953, H.F. Pfenninger, Die Strafbarkeit der mehrfachen Ehe (Bigamie), SJZ 63 (1967) 369.

1.

Eheschluss bzw. Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaft durch den bereits Verheirateten oder in eingetragener Partnerschaft Lebenden (Abs. 1)

Nach dieser Bestimmung (Mehrfache Ehe oder eingetragene Partnerschaft/ Pluralité de mariages ou de partenariats enregistrés/Bigamia nel matrimonio o nell’unione domestica registrata/Bigamy) wird bestraft, wer eine Ehe schliesst oder eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eintragen lässt, obwohl er bereits verheiratet ist oder in eingetragener Partnerschaft lebt18. Während der Dauer einer formell rechtsgültigen19 ersten Ehe oder eingetragenen Partnerschaft darf demnach keine weitere solche eingegangen werden. Der Tatbestand wird allein durch den formell rechtsgültigen Abschluss der verbotenen Ehe bzw. Eintra­ gung einer Partnerschaft vollendet; Art. 215 ist als Zustands-, nicht als Dauer­ delikt ausgestaltet20. Eine Teilnahme ist demnach auch bis zum Zeitpunkt der Eintragung möglich21. Wer nicht vorsätzlich eine mehrfache Ehe oder einge­ tragene Partnerschaft eingeht, seinen Irrtum aber später erkennt und trotz­ dem vorsätzlich in diesem Zustand verbleibt, der erfüllt den Tatbestand nicht (dolus subsequens)22. 17  BGE 120 IV 197, Corboz, Vol. I, N 12 zu Art. 213, Eckert, BSK StGB II, N 10 zu Art. 213,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 11.

18  Zur eingetragenen Partnerschaft siehe BG über die eingetragene Partnerschaft vom

18.6.2004, in Kraft seit 1.1.2007 (PartG, SR 211.231).

19  Corboz, Vol. I, N 2 zu Art. 215, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 14. 20  BGE 105 IV 327, Eckert, BSK StGB II, N 10 ff. zu Art. 215, vgl. zu den erwähnten Begrif­

fen Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.4.

21  Eckert, BSK StGB II, N 10 zu Art. 215, so könnte sich bspw. die mitwissende Zivilstands­

beamtin der Gehilfenschaft strafbar machen.

22  BGE 105 IV 327.

4

§ 2  Mehrfache Ehe oder eingetragene Partnerschaft (Art. 215)

Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Insbesondere muss der Täter bei der Hei­ rat bzw. Eintragung der Partnerschaft um den Vorbestand einer gültigen Ehe oder eingetragenen Partnerschaft wissen oder mindestens mit der Möglichkeit rechnen, dass seine bestehende Ehe oder eingetragene Partnerschaft (noch) gültig ist.

2.

Strafbarkeit des zweiten Ehegatten oder eingetragenen Partners (Abs. 2)

Das Gesetz erfasst den nicht vorverheirateten oder bereits in eingetragener Partnerschaft Lebenden nicht als Teilnehmer an der Tat des (Ehe-)Partners, sondern durch die spezielle Regelung in Art. 215 Abs. 2 («wer mit einer Per­ son, die verheiratet ist …»). Das strafbare Verhalten erschöpft sich auch hier in der verbotenen Heirat bzw. der gesetzeswidrig erlangten eingetragenen Part­ nerschaft als solcher.

3.

Weitere Fragen

Das Prinzip der Monogamie entspricht dem Ordre public der Schweiz. Der Abschluss einer zweiten Ehe oder eingetragenen Partnerschaft hierzulande ist deshalb auch dann strafbar, wenn einer oder beide der Beteiligten Angehörige eines Staates sind, der die Polygamie erlaubt. Hingegen bleibt ein verheirateter oder in eingetragener Partnerschaft lebender Schweizer straflos, wenn er sich in einem Land, welches die Mehrfachehe zulässt, mit einer Angehörigen die­ ses Staates verheiratet. Weil der Tatbestand als Tätigkeitsdelikt ausgestaltet ist, kann als Ort der Begehung nur derjenige der unzulässigen Eheschliessung bzw. des Zivilstandsamtes, welches die gesetzeswidrige eingetragene Partnerschaft beurkundete, gelten. Da dieses Verhalten in solchen Ländern straflos bleibt, lässt sich auch Art. 6 Ziff. 1 nicht anwenden23. Als schlichtes Tätigkeitsdelikt beginnt das Delikt der mehrfachen Ehe oder ein­ getragenen Partnerschaft im Zeitpunkt ihres Abschlusses zu verjähren (Art. 98).

23  BGE 105 IV 330, vgl. auch BGE 118 IV 307, ferner VPB 42 (1978) Nr. 46.

5

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

§ 3

Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

Literaturauswahl: P. Albrecht, Wann beruht die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten auf bösem Willen?, SJZ 72 (1976) 223, C. Arndt/G. Brändli, Berechnung des Betreuungsunterhalts – ein Lösungsansatz aus der Praxis, FamPra.ch 2017, 236, V. Bräm, Auswirkungen von Art. 163– 165 ZGB auf Renten bei Scheidung und Getrenntleben, SJZ 84 (1988) 57, P. Breitschmid, Fragen um die Zwangsvollstreckung bei Alimentenbevorschussung (Art. 289 ff. ZGB), SJZ 88 (1992) 83, U. Broder, Delikte gegen die Familie, insbesondere Vernachlässigung von Unterhaltspflichten, ZStrR 109 (1992) 290, A. Bucher, Elterliche Sorge im schweizerischen und internationalen Kontext, in: Familien in Zeiten grenzüberschreitender Beziehungen, Familien- und migra­ ­ tionsrechtliche Aspekte, 7. Symposium zum Familienrecht 2013, hrsg. von A.  Rumo-Jungo/​ C.  Fountoulakis, Zürich/Basel/Genf 2013, 1, F. Clerc, Vernachlässigung von Unterstützungs­ pflichten, SJK Nr. 865, T. Geiser, Übersicht über die Revision des Kindesunterhaltsrechts, AJP 10 (2016) 1279, H. Hausheer/R. Reusser/T. Geiser, Kommentar des Eherechts, Bern 1988, C. Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts und des übrigen Verwandtschaftsrechts, 5. Aufl., Bern 1999, derselbe, Die Dauer der elterlichen Unterhaltspflicht, in: Beiträge zum Familien- und Vormund­ schaftsrecht, Schuldrecht, Internationalen Privatrecht, Verfahrens-, Banken-, Gesellschafts- und Unternehmensrecht, zur Rechtsgeschichte und zum Steuerrecht, Festschrift für M. Keller, hrsg. von P. Forstmoser, Zürich 1989, 19, C. Hegnauer/P. Breitschmid, Grundriss des Eherechts, 4. Aufl., Bern 2000, J. Müller, Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten im Sinne von Art. 217 StGB, ZStrR 82 (1966) 254, F. Riklin, Herabsetzung von Unterhaltsleistungen wegen (absicht­ licher) Verminderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit?, Nachtrag aus strafrechtlicher Sicht, ZBJV 128 (1992) 533, S. Sandoz, L’art. 217 CPS protège-t-il le montant à libre disposition de l’art. 164 CCS?, in: Le droit pénal et ses liens avec les autres branches du droit, Mélanges en l’honneur Gauthier, hrsg. von N. Schmid, Bern 1996, 153, A. Spycher, Kindesunterhalt: Recht­liche Grundlagen und praktische Herausforderungen  – heute und demnächst, FamPra.ch (2016) 1, P.  Steiner, Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten, SJZ 73 (1977) 186, M. Stettler, Schweizerisches Privatrecht, Bd. 3, Das Kindesrecht, Basel 1992.

Bei diesem in der Praxis recht häufig zur Anwendung gelangenden echten Unterlassungstatbestand geht es darum, dass jemand familienrechtlich begrün­ dete vermögensrechtliche Unterhalts- und Unterstützungspflichten nicht oder nur unzureichend erfüllt. Wenn der Gesetzgeber hier ausnahmsweise solche privatrechtliche Pflichten mit den Mitteln des Strafrechts durchzusetzen sucht, so deshalb, weil familiäre Unterhaltsleistungen für die Berechtigten oft von existenzieller Bedeutung sind24.

24  Vgl. OGer ZH vom 5.12.2014, LZ140 010, Erw. 3.3.2.

6

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Geschützte Ansprüche

Die in Art. 217 (Vernachlässigung von Unterhaltspflichten/Violation d’une obligation d’entretien/Trascuranza degli obblighi di mantenimento/Neglect of duty to support the family) genannten Pflichten ergeben sich aus verschiedenen familienrechtlichen Beziehungen25. Die Frage, ob ein derartiges Verhältnis zwi­ schen zwei Personen besteht, entscheidet sich nach den Bestimmungen des ZGB, insbesondere über die Ehe (ZGB Art.  96  ff.) und das Kindesverhält­ nis (ZGB Art. 252 ff.). Auch gestützt auf das Bundesgesetz über die eingetra­ gene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare entstehen familiäre Beziehun­ gen, welche Unterhalts- und Unterstützungspflichten während und nach der Auflösung der eingetragenen Partnerschaft begründen (PartG Art. 13, Art. 27, Art.  34). Für das Bestehen solcher Pflichten begründender familiärer Bezie­ hungen sind die Eintragungen im Zivilstandsregister massgebend. So ist in der Regel das Bestehen eines Kindesverhältnisses aus den Eintragungen im Zivilstandsregister ersichtlich. Wird geltend gemacht, das eingetragene Kin­ desverhältnis entspreche nicht der natürlichen Abstammung, so befreit dies nicht eo ipso von den aus der eingetragenen Beziehung erwachsenden Unter­ halts- bzw. Unterstützungspflichten26. Umgekehrt begründet das biologische Kindesverhältnis  – beispielsweise im Fall der altrechtlichen Zahlvaterschaft (ZGB alt Art. 319) – keine entsprechenden Pflichten, solange der betreffende Status nicht zivilgerichtlich festgestellt ist27. Somit macht sich der biologische Vater nicht strafbar, wenn er die mit der Mutter vertraglich vor der Feststellung des Kindesverhältnisses vereinbarten Unterhaltsbeiträge nicht leistet28. Ebenso wenig macht sich der nicht mit der Mutter verheiratete Vater strafbar, welcher vor dem Eintritt der Rechtskraft des Vaterschaftsurteils keinen Unterhalt für das Kind leistet; anders verhält es sich nur dann, wenn er gestützt auf vorsorg­

25  BGE 122 IV 209, Broder, 296, Corboz, Vol. I, N 5 zu Art. 217, Hurtado Pozo, Partie spé­

ciale, N 3428 ff., Bosshard, BSK StGB II, N 4, 8 ff. zu Art. 217, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 23 ff. 26  Bosshard, BSK StGB II, N 8 zu Art. 217, BGE 86 IV 180 ff. 27  Albrecht, N 17 zu Art. 217, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3433, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 25, Bosshard, BSK StGB II, N 8 zu Art. 217. 28  BGE 108 II 530, 136 IV 123 f.

7

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

liche Massnahmen zur entsprechenden Leistung verpflichtet ist29. Der zivilge­ richtlich festgestellte Status ist für das Strafgericht bindend30. Bevorschusst das Gemeinwesen die Kosten für den Unterhalt, so fehlt den dar­ aus resultierenden Erstattungsansprüchen die familienrechtliche Natur und ihnen kommt kein Schutz durch Art. 217 zu31. Bei den Pflichten handelt es sich um Unterhalts- oder Unterstützungspflichten. Der Umfang der Leistungspflicht und damit des geschützten Anspruchs kann je nach dem ihm zugrunde liegenden familienrechtlichen Verhältnis unter­ schiedlich sein und bedarf nicht notwendigerweise einer vorgängigen Feststel­ lung durch das Zivilgericht32. In solchen Fällen stellt sich die Frage, in wel­ cher Weise das Strafgericht zu ermitteln hat, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmass eine Leistungspflicht besteht. Je nach der konkreten familienrecht­ lichen Situation findet zu diesem Zweck nach der Rechtsprechung entweder die «direkte» oder die «indirekte» Methode Anwendung33. Bei der Ersteren kann das Strafgericht selber Bestand und Umfang der Pflicht feststellen, wenn diese nicht schon zivilgerichtlich verbindlich bestimmt (worden) sind. Nach der indirekten Methode muss dagegen die Regelung vom Zivilgericht oder durch Vereinbarung getroffen worden sein. Im letzteren Fall, jedenfalls im Fall eines Zivilurteils, hat das Strafgericht die Richtigkeit der betreffenden Rege­ lung nicht zu überprüfen34; das gilt auch für ein ausländisches Urteil35. Immer­ hin hat das Strafgericht auch dann, wenn die zu erbringende Leistung durch ein Urteil festgelegt worden ist, den seit dem Urteilszeitpunkt allfällig deut­

29  BGE 136 IV 123 ff. (anders noch für alt Art. 217 Ziff. 1 Abs. 2 i.V.m. ZGB alt Art. 319:

BGE 78 II 322), a.M. Albrecht, N 32 zu Art. 217.

30  Albrecht, N 18, 41 zu Art. 217. 31  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 28, Albrecht, N 22 zu Art. 217, entgegen BGE 71 IV

204, 78 IV 44, 81 IV 269, Breitschmid, 84 f., Bosshard, BSK StGB II, N 8 zu Art. 217, Trechsel/Christener-Trechsel, N 5 zu Art. 217; a.M. die Vorauflage. 32  BGE 89 IV 22. 33  Vgl. BGE 128 IV 88 f., vgl. auch Bosshard, BSK StGB II, N 19 f. zu Art. 217, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3458. 34  BGE 73 IV 178, 93 IV 2, Corboz, Vol. I, N 12 zu Art. 217, Broder, 301 f., Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3458, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 29, a.M. zwar nicht bezüg­ lich der Statusfeststellungen, wohl aber des Ausmasses der Leistungspflicht Albrecht, N 43 zu Art. 217. 35  SJZ 59 (1963) 347.

8

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

lich schlechteren Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Pflichtigen Rechnung zu tragen36. Nach BGE 71 IV 195 und 73 IV 179 hängt der strafrechtliche Schutz des so ermittelten Anspruchs nicht davon ab, ob der Berechtigte die Leistungen des Pflichtigen wirklich benötigt oder nicht. Indessen hat das Bundesgericht später entschieden, dass im letzte­ ren Fall bei einer Lohnpfändung nicht in das Existenzminimum des Alimentenschuld­ ners eingegriffen werden darf 37, was wohl auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 217 beachtet werden muss.

1.11

Unterhaltsansprüche unter Ehegatten

Die Unterhaltsansprüche werden in ZGB Art. 163–165 geregelt. Diese Bestim­ mungen gelten auch für Ehegatten, die unter altem Recht geheiratet und einen altrechtlichen Güterstand beibehalten haben (SchlT Art. 8).

1.111

Unterhaltsbeiträge gemäss ZGB Art. 163

a) Im Regelfall der Führung eines gemeinsamen Haushaltes gemäss ZGB Art.  163 Abs.  1 sorgen die Ehegatten «gemeinsam, ein jeder nach sei­ nen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie». Gemäss ZGB Art. 163 Abs. 2 verständigen sich die Eheleute untereinander, wer welchen Beitrag leistet und in welcher Form. Strafrechtlich bedeutsam sind neben den so festgelegten Geldzahlungen auch vereinbarte Naturalleistungen in der Form, dass ein Ehegatte auf seine Kosten den Wohnraum oder die benötigten Lebensmittel und andere Verbrauchsmaterialien zur Verfügung stellt38. Arbeitsleistungen (Besorgen des Haushaltes, Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des anderen Ehegatten) zählen indessen wohl nicht zum Unter­ halt in dem engen Sinn, wie ihn Art. 217 Abs. 1 schützen will.39 Massge­ bend sind die entsprechenden Verpflichtungen für die Dauer der Ehe, selbst wenn die häusliche Gemeinschaft nie bestanden hat40.

36  Albrecht, N 46 f. zu Art. 217, vgl. hinten Ziff. 1.2. 37  BGE 111 III 15, BGer vom 12.6.2007, 6S.113/2007, Erw. 3.3. 38  Albrecht, N 17 zu Art. 217, a.M. Hegnauer/Breitschmid, N 16.35, wonach nur Geldzah­

lungen erfasst seien.

39  Durch Neuregelung der Kinderbetreuung als Teil des Kindesunterhaltes dürfte diese neu

einen Unterhaltsbeitrag darstellen (dazu hinten 1.13).

40  BGE 76 IV 118.

9

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

Im Gegensatz zum alten Recht trifft den Ehemann keine primäre Unter­ haltspflicht für die Familie41. Verzichtet der Gesetzgeber auf eine genaue Zuordnung der Aufgaben innerhalb der Ehe, so kann dies in der Pra­ xis zu einer Erschwerung des Tatbestandsnachweises führen, da sich die Pflicht zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen eindeutig aus den Umstän­ den ergeben muss42. Die abgesprochene Rollenverteilung muss daher von einer gewissen Dauer sein43, oder es muss unter den Ehegatten ausdrück­ lich geregelt worden sein, wer welchen Beitrag erbringt, damit festgestellt werden kann, ob und allenfalls in welcher Höhe ein Unterhaltsanspruch des einen Partners gegenüber dem andern besteht. Von der einmal getrof­ fenen Regelung kann der eine Ehegatte – ohne Zustimmung des andern – nicht mehr grundlos abweichen44. Vermögen sich die Ehegatten nicht dar­ über zu verständigen, welche Leistungen jeder von ihnen an den Unterhalt der Familie zu erbringen hat, so setzt das Gericht gemäss ZGB Art. 173 auf Begehren eines Ehegatten die Geldbeiträge fest. Der Tatbestand von Art. 217 Abs. 1 kann aber auch erfüllt werden, ohne dass die Ansprüche gegenüber dem betreffenden Ehegatten durch ausdrück­ liche Vereinbarung mit dem anderen oder durch gerichtlichen Entscheid festgelegt worden wären45. Alsdann sind sie nach der direkten Methode vom Strafgericht zu bestimmen46. b) Im Fall der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes werden die bisher getroffenen Regelungen über Unterhaltsleistungen hinfällig. Das Gericht muss gemäss ZGB Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 auf Begehren eines Ehegatten u.a. die Geldbeiträge, die der eine dem andern schuldet, festlegen. Der vom Strafrecht gewährte Schutz bezieht sich auf in dieser Weise vom Zivilgericht bestimmte, aber auch auf aussergerichtlich für die Dauer der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes von den Ehegatten vereinbarte Ansprüche. Selbst 41  Vgl. BBl 1907 589, 629, Art. 160 des ZGB von 1907, welcher lautete: «Er [der Ehemann]

bestimmt die eheliche Wohnung und hat für den Unterhalt von Weib und Kind in gebüh­ render Weise Sorge zu tragen.» 42  BGE 128 IV 90 f., Hegnauer/Breitschmid, N 16.35. 43  Beispiel: Der Ehemann besorgt den Haushalt und betreut die Kinder, während die Ehe­ frau einer externen Tätigkeit nachgeht und Geldleistungen für die Familie erbringt. 44  Hegnauer/Breitschmid, N 16.25. 45  Vgl. BGE 89 IV 22, 128 IV 88, 90. 46  Die direkte Methode kommt v.a. für den Unterhaltsanspruch der Ehegatten und Kin­ der zur Anwendung, BGE 70 IV 168, 89 IV 22, 100 IV 175, vgl. dagegen aber ZR 104 (2005) N 23.

10

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

in Ermangelung bzw. vor einer derartigen Regelung kann sich jedoch der Pflichtige nach Art.  217 Abs.  1 strafbar machen, etwa wenn er die eheli­ che Gemeinschaft ohne Grund aufgelöst hat oder wenn der Anspruchs­ berechtigte aus einem vom Gesetz in ZGB Art. 175 vorgesehenen Grund (Gefährung seiner Persönlichkeit, seiner wirtschaftlichen Sicherheit oder des Wohls der Familie) oder im Einverständnis mit dem Ehegatten wegge­ zogen ist47. In solchen Fällen findet nicht die indirekte, sondern die direkte Methode Anwendung48. Keine Leistungen beanspruchen kann der Ehe­ gatte, der schon bisher den vollen Unterhalt aus eigenem Erwerb bestrit­ ten hat. c) Ist bereits eine Scheidungs- oder Trennungsklage anhängig, so werden die für die Dauer des Prozesses zu leistenden Unterhaltsbeiträge regelmässig als vorsorgliche Massnahme nach ZPO Art. 276 Abs. 1 vom Zivilgericht fest­ gelegt. Die Pflichten beschränken sich in diesem Fall auf die so bestimmten finanziellen Leistungen. Diese dürfen alsdann auch nicht mehr in natura erbracht werden49. Fehlt es an einer gerichtlichen Regelung und auch an einer entsprechenden Parteivereinbarung, so kann sich der Pflichtige gleichwohl strafbar machen, wenn er die in diesem Fall nach der direkten Methode zu bestimmenden Leistungen an seinen Ehegatten nicht erbringt50.

1.112

Betrag zur freien Verfügung gemäss ZGB Art. 164

ZGB Art. 164 steht zwar mit ZGB Art. 163 und 165 unter dem Randtitel «Unter­ halt der Familie». Mit dem darin vorgesehenen Betrag zur freien Verfügung soll aber nicht der Unterhalt, d.h. das, was nach der Lebensstellung und Leis­ tungsfähigkeit der Ehegatten zum Leben notwendig und nützlich ist, bestritten werden, sondern er dient zur Befriedigung von Bedürfnissen, die darüber hin­

47  Diese Situationen stellen sich i.d.R. dort, wo ein Ehegatte eine geringe bis keine wirt­

schafltiche Leistungsfähigkeit aufweist. Dieser soll nicht jederzeit nach Belieben die ehe­ liche Wohnung auflösen und direkt Unterhalt verlangen können. Es wird von ihm die Einhaltung von ZGB Art. 175 verlangt. Zieht er mit entsprechendem Grund aus, entsteht eine strafrechtlich geschützte Unterhaltspflicht. Ebenso wenig soll der «Versorger» der Familie die Wohnung ohne Grund nach ZGB Art. 175 verlassen können, um dann bis zur gerichtlichen Festlegung keinen Unterhalt zu bezahlen, BGE 80 IV 22, 100 IV 175. 48  Vgl. vorne Ziff. 1.1. 49  BGE 106 IV 37, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3435. 50  BGE 89 IV 22, 128 IV 88.

11

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

ausgehen. Deshalb darf im Fall der Nichtbezahlung dieser Beträge der Straftat­ bestand von Art. 217 nicht zur Anwendung gelangen51.

1.113

Ausserordentliche Beiträge gemäss ZGB Art. 165

Hat ein Ehegatte im Beruf oder Gewerbe des anderen erheblich mehr mitge­ arbeitet als sein Beitrag an den Unterhalt der Familie verlangt, so hat er dafür Anspruch auf eine angemessene Entschädigung. Wird diese nicht geleistet, so kann aber kein strafrechtlicher Schutz beansprucht werden52.

1.12

Unterhaltsansprüche zwischen geschiedenen Ehegatten

Gemäss ZGB Art.  125 Abs.  1 (nachehelicher Unterhalt) fällt die Unterhalts­ pflicht des einen Ehegatten gegenüber dem anderen Ehegatten mit der Auf­ lösung der Ehe grundsätzlich dahin. Es wird erwartet, dass jeder Ehegatte für seinen Unterhalt selbst aufkommt, unter Einschluss der Altersvorsorge. Ein allfälliger nachehelicher Unterhaltsanspruch hängt somit von der Eigenver­ sorgungsfähigkeit des geschiedenen Ehegatten ab. Ein solcher Unterhaltsan­ spruch steht unter strafrechtlichem Schutz. Ebenfalls strafrechtlich geschützt sind weiterhin die Beiträge nach ZGB alt Art. 151, die vor dem 1.1.1988 rechts­ kräftig begründet worden sind und die vom Scheidungsgericht zugesproche­ nen Bedürftigkeitsrenten nach alt ZGB Art. 152. Die Vernachlässigung der Unterhaltszahlungen durch den Pflichtigen kann auch dann strafrechtlich geschützt sein, wenn sie nach einer Wiederverheira­ tung des geschiedenen Ehepartners erfolgt53.

1.13

Unterhaltsansprüche von Kindern

Gemäss ZGB Art. 276 Abs. 2 sorgen die Eltern gemeinsam für den Unterhalt ihrer Kinder, wobei sie von dieser Pflicht in dem Masse befreit werden, als den Kindern zugemutet werden kann, den Unterhalt aus ihrem Arbeitserwerb oder anderen Mitteln zu bestreiten (ZGB Art. 276 Abs. 3). Die Unterhaltspflicht ent­ steht aus dem zivilrechtlichen Kindesverhältnis und untersteht gegenüber dem minderjährigen Kind keiner weiteren Bedingung. Sie hängt insb. weder vom 51  Corboz, Vol. I, N 7 zu Art. 217, Hegnauer/Breitschmid, N 16.48, 16.52, Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 26 N 27, Trechsel/Christener-Trechsel, N 2 zu Art. 217, Bosshard, BSK StGB II, N 9 zu Art. 217. 52  Corboz, Vol. I, N 7 zu Art. 217. 53  BJM 1997, 213 ff.

12

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

Zivilstand der Eltern noch von der elterlichen Sorge oder der Obhut ab54. Eine Ausnahme stellen vom Gericht als vorsorgliche Massnahme verfügte Unter­ haltsbeiträge vor Ergehen eines Vaterschaftsurteils (ZPO Art. 303 Abs. 2) dar, welche bereits vor Entstehung des Kindesverhältnisses vom strafrechtlichen Schutz erfasst werden55. Die Unterhaltspflicht dauert grundsätzlich bis zur Volljährigkeit des Kindes, unter bestimmten Voraussetzungen auch dar­über hinaus bis zum Abschluss einer angemessenen Ausbildung (ZGB Art.  277). Die Erfüllung der Pflicht erfolgt meist in natura, also durch Pflege, Erziehung und Betreuung, Besorgung von Nahrung und Kleidern etc. Ansonsten erfolgt die Erfüllung durch Geldzahlung. Grundsätzlich können daher beide Eltern­ teile den Tatbestand von Art. 217 Abs. 1 erfüllen, ohne dass es einer vorherigen zivilrechtlichen Festlegung der Leistungen bedürfte56. Gläubiger der Leistung ist grundsätzlich das Kind. Solange dieses minderjährig ist, wird die Pflicht jedoch durch Leistung an den gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt (ZGB Art. 289). Das Kindesrecht hat in den letzten Jahren mehrere Änderungen erfahren57. Da die Unterhaltspflicht der Eltern unabhängig vom Zivilstand bzw. zivilstandli­ chen Änderungen besteht, berührt eine Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes, Anhängigkeit einer Trennungs- oder Scheidungsklage, Scheidung oder Trennung diese grundsätzlich nicht. Wohnten die Eltern zusammen, so werden sich nach einem Auszug die Pflichtentragung und die finanzielle Lage verän­ dern, insb. wird ein Elternteil regelmässig eine grössere Naturalleistung als der andere erbringen, wodurch eine Geldzahlungspflicht des letzteren entsteht  – stets unter Berücksichtigung der jeweiligen Leistungsfähigkeit. Eine quantita­ tive Festlegung der Pflicht erfolgt auf entsprechende Klage hin (ZGB Art. 279), in einem eherechtlichen Verfahren oder durch vertragliche Regelgung58. Auf­ grund der früheren Praxis, die Obhut grundsätzlich einem Elternteil zuzu­ teilen, führte dies automatisch dazu, dass der nicht obhutsberechtigte Eltern­ teil seinen Unterhaltsbeitrag in Form einer Geldzahlung zu leisten hatte (ZGB aArt. 276 Abs. 2). Heute insb. mit der Möglichkeit der alternierenden/gemein­ samen59 Obhut (ZGB Art. 298 Abs. 2ter) sind die Verhältnisse nicht mehr so 54  Siehe Botschaft BBl 2014 II 529, 538, BGer vom 12.12.2011, 5A_618/2011, Erw. 3.2. 55  BGE 136 IV 123 ff., Broder, 300, Bosshard, BSK StGB II, N 14 zu Art. 217, ablehnend Alb-

recht, N 32 zu Art. 217.

56  Vgl. dagegen ZR 104 (2005) N. 23 (vgl. vorne Ziff. 1.111 lit. a). 57  Siehe Spycher, 1 ff., Geiser, 1279 ff. 58  Breitschmid, BSK ZGB I, N 1 zu Art. 276. 59  Geiser, 1283, ausführlich Bucher, 89 ff.

13

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

klar, sodass die Pflichten im Einzelfall eruiert werden müssen. Klar ist, dass wenn das Kind mehrheitlich bei einem Elternteil lebt, es im Ergebnis wohl auch weiterhin auf eine Geldzahlung durch den anderen Elternteil hinauslau­ fen wird. Neu ist, dass auch die Betreuungskosten als Kinderkosten von Eltern gemeinsam zu tragen sind (ZGB Art. 276 Abs. 2)60. Die Aufhebung des Auf­ enthaltsbestimmungsrechts durch die Kindesschutzbehörde gemässt ZGB Art. 310 führt nicht mehr explizit (ZGB aArt. 276), aber faktisch weiterhin zu einer Geldleistungspflicht, da die Möglichkeit zur Naturalleistung aufgehoben ist, was auch beide Elternteile gleichzeitig betreffen kann.

1.14

Unterstützungsansprüche gegenüber Angehörigen

Die Ansprüche Bedürftiger auf Unterstützung durch ihre Verwandten in aufund absteigender Linie – namentlich durch erwachsene Kinder – gemäss ZGB Art. 328 sind durch Art. 217 Abs. 1 gemäss bundesgerichtlicher Praxis unab­ hängig davon geschützt, ob die an sich Unterstützungspflichtigen vom Zivilge­ richt zu bestimmten Leistungen verpflichtet worden sind61. In der Regel findet hier jedoch die indirekte Methode Anwendung.

1.2

Tatbestandsmässiges Verhalten

Das tatbestandsmässige Verhalten wird vom Gesetz dahingehend umschrie­ ben, dass der Täter die eingangs erwähnten Pflichten «nicht erfüllt». Das trifft dann zu, wenn er eine ihm obliegende entsprechende Leistung im gebotenen Zeitpunkt überhaupt nicht oder nur teilweise in der geschuldeten Weise (in Geld oder natura)62 erbringt63 oder wenn er ohne entsprechende Ermächtigung des unterhaltsberechtigten Gläubigers an einen Dritten leistet, um dessen Schulden zu tilgen64. Hat dies bei Unterhaltspflichten in natura zu geschehen oder sind die zu erbringenden Zahlungen nicht festgelegt worden, so ist der Moment massgebend, in welchem die betreffende Leistung erforderlich wird. In den übrigen Fällen bestimmt sich der gebotene Zeitpunkt nach der Fälligkeit der gerichtlich bestimmten oder vereinbarten Leistungen. Leistet der Unterhalts­ 60  Botschaft BBl 2014 529, 551  f., ausführlich zum Betreuungsunterhalt Arndt/Brändli,

236 ff.

61  BGE 128 IV 86 ff., 90, anders BGE 70 IV 167, Corboz, Vol. I, N 9 zu Art. 217. 62  BGE 106 IV 37, 114 IV 124 f., Corboz, Vol. I, N 15 zu Art. 217. 63  BGE 114 IV 124, Albrecht, N 48 zu Art. 217, Corboz, Vol. I, N 15 zu Art. 217, Bosshard,

BSK StGB II, N 4 zu Art. 217, Trechsel/Christener-Trechsel, N 11 zu Art. 217.

64  BGE 106 IV 37.

14

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

pflichtige mehr, als er müsste, so kann er diese Mehrleistung auf später fällige Forderungen anrechnen lassen65. Art. 217 Abs. 1 wird als reines «Unbotmässigkeitsdelikt»66 schon damit vollen­ det, dass der Täter die ihm obliegende Leistung nicht rechtzeitig, d.h. im Zeit­ punkt der Fälligkeit67, erbringt, ohne dass es eines darüber hinausgehenden Erfolgseintritts (Notlage, Bedürftigkeit usw.) oder einer gewissen Dauer der Pflichtvernachlässigung bedürfte. Weiter handelt es sich um ein Dauerdelikt68. Wegen solchen Verhaltens macht sich indessen nur strafbar, wer über die nöti­ gen Mittel zur Erfüllung der ihm obliegenden Unterhalts- oder Unterstüt­ zungspflichten verfügt oder verfügen könnte. Diese Voraussetzung entspricht dem allgemeinen Erfordernis der Tatmacht bei Unterlassungsdelikten69 und geht für die Variante «verfügen könnte» sogar über blosse Tatmacht hinaus. Massgebend ist, ob der Pflichtige im Rückblick auf die betreffende Periode in der Lage gewesen wäre, die Unterhaltszahlungen zu leisten70. Ob und inwieweit der Pflichtige über die erforderlichen Mittel verfügt, lässt sich aus SchKG Art. 93 (beschränkt pfändbares Einkommen) ableiten71. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass bei Unterhaltsforderungen der Gläubiger insoweit auf den Notbedarf des Schuldners greifen darf, als bei einer Lohn­ pfändung in diesen eingegriffen würde72. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Unterhaltsbeiträge für den Notbedarf des Gläubigers unentbehrlich sind73. Dabei ist der Eingriff in das Existenzminimum in der Weise vorzunehmen, dass sich Gläubiger und Schuldner in analoger Weise einschränken müssen74. Dieses Privileg der Unterschreitung des Notbedarfs kommt nur dem persön­

65  BGer vom 19.7.2011, 6B_72/2011, Erw. 3.4 f. 66  Vgl. Strafrecht I, § 29 Ziff. 1.1 lit. c. 67  BGer vom 25.8.2003, 6S.152/2003, BGer vom 28.10.2004, 6S.248/2004, Bosshard, BSK

StGB II, N 4 zu Art. 217,Corboz, Vol. I, N 16 zu Art. 217, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 30. 68  BGE 132 IV 49. 69  Vgl. Strafrecht I, § 29 Ziff. 1.1 lit. b. 70  Albrecht, N 53 zu Art. 217, Corboz, Vol. I, N 20 ff. zu Art. 217, Bosshard, BSK StGB II, N 4 zu Art. 217, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 31, vgl. auch BGE 133 III 59 f. 71  BGE 121 IV 277  f., BGer vom 12.6.2007, 6S.113/2007, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3460. 72  BGE 74 IV 156, 101 IV 53, 121 IV 278, kritisch Albrecht, N 57 zu Art. 217. 73  RS 1996 Nr. 67, BGer vom 12.6.2007, 6S.113/2007. 74  BGE 121 IV 278, BGer vom 12.6.2007, 6S.113/2007, BGE 135 III 66.

15

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

lich betreibenden Unterhaltsgläubiger zu, nicht aber Dritten, wie dem Gemein­ wesen, das sich Unterhaltsforderungen abtreten lässt75. Ob der Täter in der Lage gewesen wäre, seinen Verpflichtungen nachzukom­ men, beurteilt sich aber nicht nur nach seinen tatsächlichen Verdienstverhält­ nissen. Erlauben diese ihm die Leistung der geschuldeten Unterhaltsbeiträge nicht, so ist immer noch zu prüfen, ob er keine ihm nach den Umständen (berufliche Qualifikation, Gesundheitszustand, Alter, Arbeitsmarktsituation76) zumutbare besser bezahlte Tätigkeit hätte finden können77 bzw. ob ihm die Aufnahme eines Nebenerwerbs78, die Intensivierung einer bisher unregelmäs­ sigen Tätigkeit79 oder der Wechsel von einer selbständigen zu einer unselb­ ständigen Tätigkeit80 zumutbar gewesen wäre. Umso mehr ist der Schuldner verpflichtet, überhaupt einem Erwerb nachzugehen, der es ihm mindestens erlaubt, die Unterhaltspflichten zu erfüllen81. Wenn sich eine Person demnach strafbar macht, wenn sie zwar einerseits nicht über ausreichende Mittel zur Pflichterfüllung verfügt, es andererseits aber unterlässt, ihr offenstehende und zumutbare Möglichkeiten zum Geldverdienen zu ergreifen, muss dies gemäss Bundesgericht auch für jene Person gelten, die es unterlässt, ihr offenstehende und zumutbare Möglichkeiten zu ergreifen, gebundenes Vermögen liquid zu machen82. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss sodann dem in zweiter Ehe verheirateten Pflichtigen selbst dann die Leistung der festgesetzten Unterhaltsbeiträge an Frau und Kinder aus erster Ehe zugemutet werden, wenn sein Einkommen den Notbedarf der zweiten Familie nicht oder nur knapp deckt83. Immerhin gilt dies nur bis zu dem Betrag, der zugunsten der Leis­ tungsempfänger gepfändet werden könnte. Zu berücksichtigen ist neu, dass die Unterhaltspflichten gegenüber einem minderjährigen Kind grundsätzlich den anderen familienrechtlichen Pflichten vorgehen (ZGB Art. 276a). Hat eine 75  BGE 116 III 10, BGer vom 12.6.2007, 6S.113/2007. 76  Albrecht, N 63 zu Art. 217. 77  Eingehend Müller, 273 ff., zur entsprechenden Beschränkung des Rechts auf freie Wahl

und Ausübung eines Berufes, BGE 114 IV 124, 126 IV 133, Hurtado Pozo, Partie spé­ ciale, N 3465. 78  BGer vom 6.2.2008, 6B_571/2007 zur Aufnahme eines Nebenerwerbs durch einen Bau­ ern. 79  BGer vom 24.11.2009, 6B_730/2009 zum Ausbau der Erwerbstätigkeit einer Prostitu­ ierten. 80  BGer vom 12.6.2007, 6S.113/2007. 81  ZR 73 (1974) Nr. 4. 82  BGer vom 28.10.2004, 6S.248/2004. 83  BGE 111 III 19, 116 III 12.

16

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

Person mehrere familienrechtliche Pflichten gleichzeitig zu erfüllen, deckt ihr aktuelles bzw. potenziell mögliches Einkommen jedoch nur die Unterhalts­ pflicht gegenüber dem (minderjährigen) Kind, so kann diese Person nicht für die Nichterfüllung gegenüber dem Ehepartner bestraft werden.

2.

Subjektiver Tatbestand

Subjektiv ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualvorsatz genügt84. Der Täter muss sich bewusst sein, dass er zufolge einer familienrechtlichen Beziehung bestimmte Unterhaltsleistungen zu erbringen hat und über die zur Erfüllung seiner Pflichten nötigen Mittel verfügt oder verfügen könnte. Er muss also seine Leistungspflicht kennen und deren Nichterfüllung wollen oder zumin­ dest in Kauf nehmen85. Der für den Vorsatz erforderliche Wille wird regelmässig anzunehmen sein, wenn der Täter in Kenntnis dieser Umstände trotz vorhandener Mittel die Leis­ tung im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit nicht erbringt. Gleiches gilt, wenn er im Wissen um Möglichkeiten, seine finanzielle Lage so zu verändern, dass er dies (auch nur teilweise) tun könnte, von diesen keinen Gebrauch macht. Besteht keine zivilgerichtliche Regelung der Unterhaltsbeiträge und kommt mithin die direkte Methode zur Anwendung, dann können keine hohen Anforderungen an die Kenntnis des Leistungspflichtigen über den Inhalt die­ ser Pflicht gestellt werden. Wer um eine Leistungspflicht weiss, jedoch ledig­ lich deren Höhe nicht kennt und deshalb nicht leistet, der handelt vorsätzlich. Wer die Leistungspflicht jedoch summenmässig unterschritten hat, dem wird der Vorsatz nur schwer nachzuweisen sein. Vorsatz wird sodann nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass jemand seine Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen durch ein gerichtliches Urteil für mate­ riellrechtlich unrichtig hält86. Entsprechende Fehlvorstellungen wären unter dem Gesichtspunkt des Rechtsirrtums nach Art. 21 zu würdigen87. Kein Vorsatz besteht, wenn der Schuldner der geschiedenen Ehefrau die Unter­ haltsbeiträge nicht mehr bezahlt, weil er nicht in der Lage ist, sich ein zuverläs­

84  BGer vom 14.6.2004, 6S.91/2004. 85  BGer vom 25.8.2003, 6S.152/2003. 86  Vgl. aus der Rechtsprechung zu alt Art. 217, z.T. allerdings im Rahmen des objektiven

Tatbestandes BGE 71 IV 194, 73 IV 178, 76 IV 119.

87  Zur Berufung auf Rechtsirrtum vgl. auch BGer vom 28.10.2004, 6S.248/2004.

17

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

siges Bild über die relativ komplexe Sach- und Rechtslage zu machen und weil er sich auf die Auskünfte eines Sozialarbeiters verlässt88.

3.

Prozessvoraussetzung (Abs. 2)

Durch eine frühere Revision des StGB vom 5.  Oktober 1950 wurde die Ver­ nachlässigung von Unterstützungspflichten zu einem Antragsdelikt ausgestal­ tet. Das führte dazu, dass Art.  217 in der Praxis weitgehend als Druckmit­ tel gegenüber dem Unterhalts- oder Unterstützungspflichtigen eingesetzt wird. Erbringt dieser die geschuldeten Leistungen auf Strafantrag hin, zieht der Gläu­ biger diesen meistens zurück, besonders wenn dem Täter eine Strafe mit unbe­ dingtem Vollzug droht und er in der Zeit ihrer Verbüssung überhaupt keine Unterhaltsbeiträge mehr zahlen könnte.

3.1 Antragsberechtigung Antragsberechtigt ist zunächst und primär der Anspruchsberechtigte als der durch die Tat Verletzte i.S. von Art. 30; für weniger als 18 Jahre alte Geschä­ digte und für Urteilsunfähige hat deren gesetzlicher Vertreter zu handeln (Art. 30 Abs. 2 und 3). Ausserdem steht nach Art. 217 Abs. 2 ein davon unab­ hängiges Antragsrecht auch den vom Kanton bezeichneten Behörden zu. Die neueren kantonalen Sozialhilfegesetze sehen regelmässig eine Leistungspflicht ausschliesslich der Wohngemeinde des Hilfesuchenden vor, woraus sich die Antragsberechtigung der entsprechenden Behörden ergibt89. Gemäss Bundes­ gericht90 dient die Regelung von Art. 217 Abs. 2 nicht in erster Linie den Inter­ essen der «Armenkasse», sondern des Anspruchsberechtigten. Sie soll zum Zug kommen, wenn der Geschädigte bzw. sein gesetzlicher Vertreter in unge­ rechtfertigter Weise dem Schuldner gegenüber untätig bleibt91. Dementspre­ chend setzt das Antragsrecht der Behörde nicht voraus, dass sie «selbst» – d.h. das Gemeinwesen – materiell geschädigt worden ist92. Kommt das Gemeinwe­ sen für den Unterhalt auf, so geht nach ZGB Art. 131 Abs. 3 und ZGB Art. 289 Abs. 2 der Unterhaltsanspruch auf das Gemeinwesen über. Die Revision von 1989 dehnte die Antragsberechtigung der Behörden auf von den Kantonen 88  RS 1996 Nr. 67. 89  Vgl. z.B. für den Kanton Zürich das Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfe­

gesetz) vom 14. Juni 1981 (LS 851.1) § 32.

90  BGE 78 IV 98. 91  BGE 119 IV 317, 122 IV 209 f. 92  BGE 119 IV 318.

18

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

bezeichnete «Stellen» aus. Damit sind Amtsstellen sowie private Organisatio­ nen gemeint, die sich mit dem Eintreiben von Unterhaltsbeiträgen befassen93. Obschon das Recht, Strafantrag zu stellen, grundsätzlich höchstpersönlich und unübertragbar ist, kann durch eine generelle Vollmacht dem Vertreter die Ent­ scheidung überlassen werden, ob er Strafantrag stellen will oder nicht94. Die Kantone bezeichnen meist Fürsorge- und Armenbehörden, z.T. auch Kin­ des- und Erwachsenenschutzbehörden, als antragsberechtigt. Keine solche Befugnis kommt ausländischen Instanzen sowie anderen schweizerischen Behörden zu, selbst wenn diese die Ansprüche gegenüber dem Schuldner kraft Subrogation erworben haben95. Seit der letzten Revision schreibt das Gesetz den legitimierten Behörden und Stellen vor, das Antragsrecht unter Wahrung der Interessen der Familie aus­ zuüben. Damit ist v.a. die Rücksichtnahme auf das Weiterbestehen einer Ehe gemeint; der blosse Umstand, dass zwischen geschiedenen Gatten ein gutes Einvernehmen herrscht, verbietet jedenfalls die Stellung eines Strafantrags nicht96. Die Beachtung des erwähnten Gebotes lässt sich nicht als Gültigkeits­ vorschrift auffassen; infrage kommt nur, dass seine Missachtung in krassen Fäl­ len als rechtsmissbräuchliche Stellung eines Strafantrags qualifiziert wird und dieser deshalb unbeachtlich bleibt97.

3.2

Ort der Antragstellung

Als Begehungsort, an dem der Strafantrag zu stellen ist, gilt im Fall der Ver­ nachlässigung von Unterstützungspflichten der Wohnsitz des Berechtigten (vgl. StPO Art. 31 Abs. 1)98. Obliegt die Verfolgung dieses Vergehens im kon­ kreten Fall aber nach StPO Art. 34 Abs. 1 der Behörde eines anderen Ortes, so kann auch dort die Bestrafung des Schuldners beantragt werden99.

93  BGE 119 IV 317. 94  BGE 122 IV 209. 95  BGE 78 IV 215, Bosshard, BSK StGB II, N 23 zu Art. 217, Albrecht, N 90 zu Art. 217, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 35.

96  BGE 119 IV 318. 97  Bosshard, BSK StGB II, N 25 zu Art. 217, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 36. 98  BGE 98 IV 207, 108 IV 171. 99  BGE 98 IV 207, 108 IV 170 = Pr 72 (1983) Nr. 22.

19

§ 3  Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

3.3

Fristbeginn und Wirkungen des Antrages

Die Antragsfrist beginnt in der Regel mit dem Tag, an welchem der Schuld­ ner mit seiner Leistung in Verzug gerät, da dem Verletzten bzw. seinem gesetz­ lichen Vertreter in jenem Zeitpunkt normalerweise Tat und Täter bekannt sein werden (vgl. Art. 31). Da es sich bei Art. 217 um ein Dauerdelikt handelt, beginnt die Antragsfrist erst mit der letzten schuldhaften Unterlassung zu lau­ fen100. Der fristgemäss gestellte Antrag erfasst alsdann bei periodisch geschul­ deten Leistungen nicht nur den betreffenden unerfüllten Anspruch, sondern wirkt – wenn der Pflichtige während einer gewissen Zeit und ohne Unterbre­ chung schuldhaft die Zahlung der Unterhaltsbeiträge unterlässt – auch auf die früher nicht erbrachten Leistungen zurück. Dagegen erstreckt er sich nicht auch auf künftige weitere Unterlassungen, kann aber immerhin noch durch eine Erklärung des Antragsberechtigten während des Verfahrens auf den bis dahin vergangenen Zeitraum ausgedehnt werden101.

4.

Weitere Fragen

4.1

Versuch und Teilnahme

Bloss versuchte Vernachlässigung von Unterstützungspflichten kommt bei diesem reinen Unbotmässigkeitsdelikt nicht in Betracht, wohl aber straf­ bare Anstiftung sowie Gehilfenschaft, z.B. durch Vertuschung der finanziel­ len Verhältnisse des Pflichtigen oder wenn der Arbeitgeber entgegen dem Ent­ scheid eines Zivilgerichts den von seinem Arbeitnehmer als Unterhaltsbeitrag geschuldeten Lohnanteil nicht der berechtigten Gattin zukommen lässt, son­ dern den gesamten Lohn dem Arbeitnehmer überweist102.

4.2 Konkurrenzfragen Verfügt der Täter über Werte, die zugunsten des Unterhaltsberechtigten gepfän­ det wurden, so besteht echte Konkurrenz zwischen Art. 217 und Art. 169 (Ver­ fügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte)103.

100  BGE 132 IV 53 ff., BGer vom 19.7.2011, 6B_72/2011, Erw. 3.3, vgl. auch BGE 118 IV

327, 121 IV 275, 126 IV 132.

101  Vgl. RS 1990 Nr. 721. 102  BGE 132 IV 49. 103  BGE 99 IV 146 zu aArt. 169.

20

§ 4  Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219)

4.3

Räumliche Geltung von Art. 217 und Gerichtsstand

Als Begehungsort der Vernachlässigung von Unterstützungspflichten gilt der Wohnsitz des Berechtigten104. Demzufolge befindet sich dort der Gerichts­ stand, und des Weiteren kann die Tat gemäss Art. 3 Abs. 1 auch dann in der Schweiz verfolgt werden, wenn der Schuldner im Ausland wohnt105.

§ 4

Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219)

Literaturauswahl: U. Broder, Delikte gegen die Familie, insbesondere Vernachlässigung von Unterhaltspflichten, ZStrR 109 (1992) 290, U. Frauenfelder Nohl, Strafrecht und Kinderschutz in der Praxis, Krim 48 (1994) 747, B. Loppacher, Erziehung und Strafrecht, Unter besonderer Berücksichtigung der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219 StGB), Zürich/ Basel/Genf 2011, L. Moreillon, Quelques réflexions sur la violation du devoir d’assistance ou d’éducation (art. 219 nouveau CP), ZStrR 116 (1998) 431, H. Schultz, Bedingter Strafvollzug III, SJK Nr. 1197 (zit. Schultz, SJK).

Das durch Art. 219 (Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht/Violation du devoir d’assistance ou d’éducation/Violazione del dovere d’assistenza o educazione/Neglect of duty of care or education) geschützte Rechtsgut ist die physi­ sche und psychische Entwicklung bzw. Integrität des Minderjährigen im Rah­ men eines Fürsorge- oder Erziehungsverhältnisses106.

1.

Objektiver Tatbestand

Den Tatbestand erfüllt, wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und diese dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet. Minderjährig ist, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (ZGB Art. 14 e contrario). Täter kann nur sein, wer Pflichten der genannten Art gegenüber Minderjähri­ gen hat. Dabei muss er im Verhältnis zu diesen eine eigentliche Garantenstel104  BGE 105 IV 329 f. 105  In früheren Entscheiden wie BGE 87 IV 153 und 91 IV 231 war man zum gleichen

Ergebnis gelangt, indem man den Wohnort des Berechtigten fälschlicherweise als Ort des Erfolgseintrittes i.S. von Art. 8 bezeichnete. 106  BGE 125 IV 68  f., BGer vom 20.3.2009, 6B_993/2008, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3496, siehe auch Loppacher, 61 f.

21

§ 4  Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219)

lung107 einnehmen, da das tatbestandsmässige Verhalten auch in einer reinen Unterlassung bestehen kann108. Ob von einer solchen Garantenstellung aus­ zugehen ist, ist aufgrund der konkreten Umstände zu bestimmen, wobei vor allem die gefährdeten Interessen und die Beziehung zwischen dem potenziell Verantwortlichen und dem Minderjährigen zu berücksichtigen sind109. Dabei ist mit Bezug auf das Verhältnis zwischen Verantwortlichen und Minderjäh­ rigen vorauszusetzen, dass dieses von einer gewissen Intensität sowie Dauer ist110, da Personen mit nur ganz vorübergehenden Obliegenheiten gegenüber einem Kind nicht den allgemein für dessen Wohl Verantwortlichen gleichge­ stellt werden dürfen. Infrage kommen deshalb namentlich Eltern, Adoptiv-, Pflege- und Tageseltern, Kinderbetreuende, Krippen-, Hort-, Spital- und Heim­ personal, Lehrer, Schul- bzw. Internatsverantwortliche111, Vormünder, Arbeit­ geber112 und Beistände. Nicht pflichtig i.S. von Art. 219 sind dagegen beispiels­ weise Babysitter, Tourenleiter und Lehrer für Einzelstunden, wenn diese nur gelegentlich tätig werden. Der Inhalt der Fürsorge- und Erziehungspflichten im Einzelnen ist nicht ein­ fach zu bestimmen. Der Tatbestand ist in dieser Hinsicht relativ unbestimmt, was mit Blick auf Art. 1 problematisch ist113. Allerdings können und sollten, wo immer solche bestehen, die zivilrechtlichen Pflichten herangezogen werden, sei dies aus dem Kindesverhältnis oder dem Lehr- oder Betreuungsvertrag114. Erst wenn diese als Folge des pflichtwidrigen Verhaltens tatsächlich eintritt, ist der tatbestandsmässige Erfolg gegeben und das Delikt vollendet. Es han­ delt sich bei dieser Norm somit um ein konkretes Gefährdungsdelikt115. Nicht erforderlich ist, dass das Verhalten des Täters zu einer tatsächlichen Beein­ trächtigung der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit führt116. 107  Dazu Strafrecht I, § 30 Ziff. 2.11. 108  BGE 125 IV 68, Corboz, Vol. I, N 3 zu Art. 219, Eckert, BSK StGB II, N 3, 8 zu Art. 219,

Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3500, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 42, Trechsel/ Christener-Trechsel, N 1 ff. zu Art. 219. 109  BGE 125 IV 69. 110  Corboz, Vol. I, N 7 zu Art. 219, Eckert, BSK StGB II, N 5 zu Art. 219, Schubarth, N 7 zu Art. 219, Trechsel/Christener-Trechsel, N 1 zu Art. 219. 111  BGE 125 IV 69, 70. 112  BGE 126 IV 139 f. 113  Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3514. 114  Ausführlich Loppacher, 72 ff., 82 ff. 115  Corboz, Vol. I, N 16 zu Art. 219, Eckert, BSK StGB II, N 10 zu Art. 219, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3512. 116  BGer vom 20.3.2009, 6B_993/2008.

22

§ 4  Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219)

Was die Erfüllung des Tatbestandes durch aktives Tun anbelangt, muss es sich – wie sich aus Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3 und Art. 126 Abs. 2 ergibt – um mehr als eine gelegentliche übermässige Züchtigung handeln117. Bei Unterlassungen kann sich das Problem stellen, gegen welche Selbstgefährdungen von Jugendlichen ihre Erzieher einschreiten, und inwieweit sie umgekehrt deren Entwicklung fördern müssen118. Besonders schwierig wird ein Verhalten zu erfassen sein, welches Kinder und Jugendliche psychisch beeinträchtigt119.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art.  219 Abs.  1 erfordert Vorsatz. Der Täter muss insbesondere um die tat­ sächlichen Voraussetzungen der Garantenstellung, um die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens und die Gefährdung des Minderjährigen wissen. Diese muss als Folge des pflichtwidrigen Verhaltens mindestens als naheliegende Möglich­ keit vorausgesehen und in Kauf genommen werden.

3.

Fahrlässige Begehung

Die Tat kann nicht nur vorsätzlich, sondern auch fahrlässig verübt werden, wofür ungewöhnlicherweise nur fakultativ eine geringere Mindeststrafe vorge­ sehen wird (Art. 219 Abs. 2).

4.

Weitere Bemerkungen

4.1 Konkurrenzfragen Da Art.  219 die physische und psychische Entwicklung des Minderjährigen schützt, steht dieser grundsätzlich in unechter Konkurrenz zu den Delikten gegen Leib und Leben120. Erfüllt der Täter am Minderjährigen den Tatbestand eines Deliktes gegen Leib und Leben, die sexuelle Integrität oder die Freiheit, so ist Art. 219 nach h.L. dann zusätzlich anwendbar, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Täters quantitativ oder zeitlich darüber hinausgeht und auch insofern eine Mitursache der Gefährdung des Opfers darstellt121, möglicher­ 117  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 43. 118  Vgl. Trechsel/Christener-Trechsel, N 3 zu Art. 219. 119  Beispiele bei Loppacher, 154 f. 120  Eckert, BSK StGB II, N 13 zu Art. 219, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 46. 121  Corboz, Vol. I, N 17 und 21 ff. zu Art. 219, Eckert, BSK StGB II, N 14 zu Art. 219, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 26 N 47, Trechsel/Christener-Trechsel, N 7 zu Art. 219, BGer

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§ 4  Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219)

weise kann aber sogar eine einzelne solche Tat ausreichen. Darin, dass die Ver­ letzung von einer Person ausgeht, welcher das Kind vertraut und die es schüt­ zen soll, kann bereits eine Gefährdung der Entwicklung und ein zusätzlicher Unrechtsgehalt liegen122. Art. 187 schützt die sexuelle Entwicklung von unter 16-Jährigen abstrakt, wel­ che von der körperlichen und geistigen Entwicklung in Art. 219 umfasst wird. Grundsätzlich würde Art. 219 als konkretes Gefährdungsdelikt dem abstrak­ ten demnach vorgehen. Da Ersteres aber milder bestraft wird, ist Art. 187 der Vorzug zu geben, auch wenn dies dogmatisch nicht befriedigt. Nach Bundesgericht geht Art. 188 (sex. Handlungen mit Abhängigen) als lex spezialis Art. 219 vor123. Die sexuelle Nötigung (Art. 189) und die Vergewal­ tigung (Art. 190) sollten jedoch aufgrund der unterschiedlichen Rechtsgüter (sex. Selbstbestimmung anstatt Entwicklung) in echter Konkurrenz zu Art. 219 stehen124.

4.2

Mitteilungspflichten und -rechte

Im Zusammenhang mit Art.  219 ist daran zu erinnern, dass nach Art.  364 Amts- und Berufsgeheimnisträger i.S.  von Art.  320 und 321 berechtigt sind, den Kindesschutzbehörden Mitteilung zu machen, wenn an einem Minder­ jährigen eine strafbare Handlung verübt wurde, falls die Information in des­ sen Interesse liegt.

vom 28.11.2000, 6 S.736/2000, Erw. 1.d, BGE 126 IV 136 ff., a.M. und von grundsätzlich echter Konkurrenz zu Art. 128, 129, 187, 189, 190 und 194 ausgehend, Loppacher, 156 ff. 122  Zum Ganzen Loppacher, 156 ff. 123  BGE 126 IV 140. 124  Ebenso Loppacher, 160.

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§ 5  Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)

§ 5

Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)

Literaturauswahl: A. Bucher, Elterliche Sorge im schweizerischen und internationalen Kontext, in: Familien in Zeiten grenzüberschreitender Beziehungen, Familien- und migrationsrechtliche Aspekte, 7. Symposium zum Familienrecht 2013, hrsg. von A. Rumo-Jungo/C. Fountoulakis, Zürich/Basel/Genf 2013, 1, B. Deschenaux, L’enlèvement international d’enfants par un parent, Bern 1995, derselbe, Résoudre rapidement les enlèvements d’enfants à moindre frais, AJP 7 (1994) 907, S. Hüppi, Straf- und zivilrechtliche Aspekte der Kindesentziehung gemäss Art. 220 StGB mit Schwergewicht auf den Kindesentführungen durch einen Elternteil, Diss. Zürich 1988, H. Kuhn, «Ihr Kinderlein bleibt, so bleibt doch all»: neuere schweizerische Rechtsprechung zum Haager Kindesentführungs-Übereinkommen, AJP 9 (1997) 1093, B. Sauterel, L’enlèvement de mineurs, Diss. Lausanne 1991, M. Schaefer-Altiparmakian, Aspects juridiques de l’enlèvement d’enfants par un parent: le conte de fées à rebrousse-poil, Étude systématique du phénomène d’enlèvement d’enfants, Diss. Fribourg 2001, M. Schubarth, Begünstigen durch Beherbergen?, ZStrR 94 (1977) 158.

Die Bestimmung (Entziehen von Minderjährigen/Enlèvement de mineur/Sottrazione di minorenne/Abduction of minors) schützt – wie in der heutigen Geset­ zesversion bereits aus dem Wortlaut ersichtlich – den Inhaber des Rechts der Bestimmung des Aufentshaltsortes des Minderjährigen. Die minderjährige Per­ son selbst wird weiterhin lediglich mittelbar geschützt125. Im früheren Wortlaut wurde zunächst der Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt126 und anschliessend der Inhaber des Obhutsrechts127 geschützt. Die Bestimmung wurde dabei fortlaufend an die Veränderungen der zivilrechtlichen Ausgangs­ lage angepasst. Das Bundesgericht hat die Bestimmung aber bereits vor dem aktuellen Wortlaut dahingehend interpretiert, dass der Tatbestand diejenige Person schützt, welche über den Aufenthaltsort des Kindes bestimmen darf128. Wer dies im Einzelnen ist, beurteilt sich nach den Regeln des Zivilrechts129. Die

125  BGE 128 IV 159, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3541, zum früheren Wortlaut, Eckert,

BSK StGB II, N 6 zu Art. 220, Hüppi, 42, Schubarth, N 8 zu Art. 220, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 27 N 3. 126  AS 1989 2449, 2453. 127  AS 2014 357, 365. 128  BGE 141 IV 210, 128 IV 160, 125 IV 15, 118 IV 63. 129  BGE 141 IV 210, 128 IV 160, Corboz, Vol. I, N  11 zu Art.  220, Schubarth, N  20 zu Art. 220.

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§ 5  Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)

elterliche Sorge130 schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen (ZGB Art. 301a Abs. 1)131.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Als Täter kommt nach bundesgerichtlicher Praxis – mit Ausnahme der minder­ jährigen Person selber – jedermann in Betracht, der das Recht zur Bestimmung des Aufenthaltsortes des Minderjährigen nicht allein und uneingeschränkt ausübt. Das Delikt kann also einmal durch Aussenstehende, sodann aber in verschiedenen Fällen auch von einem Elternteil begangen werden, namentlich a) bei gemeinsamer elterlicher Sorge beider Eltern (unabhängig von deren Zivilstand) von demjenigen, der den Aufenthaltsort des Kindes wechseln will und dabei die erforderliche Zustimmung des andern Elternteil nicht ein­ holt (ZGB Art.  301a Abs.  2)132. Diese muss eingeholt werden, wenn der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt (ZBG Art. 301a Abs. 2 lit. a)133 oder der Wechsel des Aufenthaltsort erhebliche Auswirkungen auf die Aus­ übung elterlichen Rechte des anderen Elternteils hat (ZGB Art. 301a Abs. 2 lit. b)134; b) grundsätzlich von Eltern, die das Sorgerecht nicht innehaben oder denen die elterliche Sorge (vgl ZGB Art. 311) oder das Aufenthaltsbestimmungs­ recht (ZGB Art. 310) entzogen wurde135. Umstritten war, ob Art.  220 zum Schutz von Besuchsrechten desjenigen in Anspruch genommen werden kann, der nicht das Aufenthaltsbestimmungs­ recht inne hat. Diese Frage wurde mittlerweile insofern geklärt, als in der Revi­ 130  Vgl. dazu BGE 128 IV 160 f., 162, wo u.a. festgestellt wird, auch blossen «Registereltern»

könne die elterliche Sorge zukommen und auch bei solchen könne «ein schutzwürdiges Interesse an der Bewahrung des Familienfriedens bzw. am Schutz der Befugnisse des faktisch Erziehungsberechtigten bestehen». 131  Vgl. BGE 142 III 484. 132  Vgl. Bucher, 68. 133  Vgl. BGE 142 III 484 f. 134  BGE 142 III 484 f., BBl 2011 9077 ff., 9108, BGE 141 IV 210; Vgl. auch, jedoch zum alten Recht ZR 115/2017, 20 ff. 135  Zu beachten ist, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht an das Sorgerecht anknüpft und nicht auf andere Personen übertragen werden kann. Dieses Recht fällt dann aus­ nahmsweise an die KESB. Siehe dazu Bucher, 37.

26

§ 5  Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)

sion des ZGB betreffend elterliche Sorge ausdrücklich darauf verzichtet wurde, die Vereitelung des Besuchsrechts in Art. 220 zu integrieren und unter Strafe zu stellen136. Fraglich ist, wie die Besuchsrechtsvereitelung zwischen Eltern mit gemeinsamer Sorge zu behandeln ist. Um der Rechtssicherheit Willen sollte der Anwendungsbereich von Art. 220 bei gemeinsamer elterlicher Sorge deshalb auf die in Art. 301a ZGB geregelten Fälle beschränkt werden137. Der Besuchs­ berechtigte ist im Übrigen auf die zivilrechtlichen Interventionsmöglichkeiten (begleitetes Besuchsrecht etc.) zu verweisen138.

1.2

Minderjährige Person

Massgebend ist ZGB Art. 14. Liegt ein internationaler Sachverhalt vor, sind die Regeln des IPRG139, insbesondere IPRG Art. 35, massgebend.

1.3

Tatbestandsmässiges Verhalten

Strafbar macht sich, wer eine minderjährige Person dem Inhaber des Rechts zur Bestimmung des Aufenthaltsortes entzieht oder sich weigert, sie ihm zurückzugeben. a) «Entziehen» bedeutet nach der Praxis des Bundesgerichts die örtliche Tren­ nung der minderjährigen Person vom Inhaber des Aufenthaltsbestim­ mungsrechts, und zwar ungeachtet dessen, ob die minderjährige Person damit einverstanden ist oder nicht140. Weiter ist vorauszusetzen, dass der Täter die minderjährige Person durch eigenes Handeln aus dem Einfluss­ bereich des Berechtigten entfernt, zu welchem auch ein allfälliger von die­ sem bestimmter auswärtiger Aufenthaltsort des Kindes oder Jugendli­ chen gehört. Nur wenn die minderjährige Person noch nicht urteilsfähig ist, könnte es auch ausreichen, sie zum Weggehen aufzufordern. Schliess­ lich ist erforderlich, dass die minderjährige Person an einen neuen Aufent­

136  BBl 2011 9077 ff., 9096, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 27 N 5, zur Diskussion vor der

Revision siehe ZR (109) 2010 N. 62, Corboz, Vol. I, N 31 zu Art. 220, Eckert, BSK StGB II, N 14 zu Art. 220, Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3549, Schubarth, N 38 zu Art. 220, BGE 98 IV 37 ff., 128 IV 159 f., BGer vom 1.6.2010, 5D_171/2009, Hüppi, 268 ff., Trechsel/Christener-Trechsel, N 2 zu Art. 220. 137  Bucher, 69. 138  So bereits zum alten Recht Eckert, BSK StGB II, N 14 f. zu Art. 220. 139  Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht, SR 291. 140  BGE 99 IV 270, 101 IV 303, 128 IV 163.

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§ 5  Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)

haltsort gebracht wird141. So erfüllt z.B. den Tatbestand nicht, wer ein Kind gegen den Willen des Berechtigten bloss zu einem Ausflug mitnimmt. Mit der Verbringung an den neuen Aufenthaltsort ist der Tatbestand in Form des Entziehens vollendet; es handelt sich dabei nicht um ein Dauerdelikt142. b) Die zweite Begehungsform, die Verweigerung der Rückgabe der minder­ jährigen Person, wird in der Regel nur in zwei Konstellationen aktuell, wobei sich die minderjährige Person in jedem Fall bereits in der tatsächli­ chen Obhut des Täters befinden muss143: –– Jemand hat das Kind bloss vorübergehend, aber insoweit rechtmässig zu sich genommen (bei Ausübung seines Besuchsrechts oder im Einver­ ständnis mit dem Inhaber der Sorge); –– das Kind, welches sich dem Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts bereits selber entzogen hat oder ihm von einem Dritten entzogen wurde, wird an einen neuen Aufenthaltsort verbracht144, oder nicht mehr her­ ausgegeben145. Die Strafbarkeit hängt stets davon ab, ob der Täter zur Herausgabe des Kinds rechtlich verpflichtet ist146. Dies wird einmal der Fall sein, wenn das Kind jemandem gemäss gerichtlichem Urteil oder Vereinbarung nur vor­ übergehend übergeben worden und die dafür festgesetzte Dauer abgelau­ fen ist147. Da die elterliche und vormundschaftliche Sorge gegenüber jeder­ mann durchgesetzt werden kann, trifft auch andere Personen, bei denen sich das Kind befindet, eine solche Rechtspflicht. Das strafbare Verhalten besteht darin, dass sich der Täter weigert, die min­ derjährige Person dem Berechtigten herauszugeben. Es kann dies ausser in Form einer mündlichen oder schriftlichen Mitteilung auch etwa in der Weise geschehen, dass der Täter sich weigert, die betroffene Person nach einem Ferienaufenthalt in die Obhut des Inhabers der elterlichen Sorge

141  Corboz, Vol. I, N 25 zu Art. 220, Eckert, BSK StGB II, N 25 zu Art. 220, Hurtado Pozo,

Partie spéciale, N 3558.

142  Eckert, BSK StGB II, N 26 zu Art. 220, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 27 N 6 m.w.H., a.M.

Trechsel/Christener-Trechsel, N 5 zu Art. 220, Corboz, Vol. I, N 35 zu Art. 220, Hüppi, 64.

143  BGE 125 IV 16, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 27 N 7. 144  Vgl. BGE 99 IV 271, 101 IV 305, Eckert, BSK StGB II, N 27 zu Art. 220. 145  BGE 101 IV 303. 146  BGE 91 IV 231, 92 IV 159. 147  Vgl. BGE 104 IV 92, 110 IV 37, 128 IV 163 betreffend Überschreiten des Besuchsrechts.

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§ 5  Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)

zurückzugeben148, dass er diese an einen anderen Ort verbringt149, dass er sie versteckt oder den Berechtigten, der sie abholen will, daran tätlich oder mit Drohungen hindert. Die blosse Unterlassung der Rückgabe ist demnach noch nicht tatbestands­ mässig, sondern es wird zumindest vorausgesetzt, dass der Täter von sich aus oder auf eine Aufforderung hin zum Ausdruck bringt, dass er den Min­ derjährigen in seiner Obhut nicht nur vorübergehend behalten bzw. die Wiederherstellung der rechtmässigen elterlichen Obhut oder des vor­ mundschaftlichen Sorgeverhältnisses nicht nur vorübergehend verhindern möchte150. Entsprechend verhält sich nicht tatbestandsmässig, wer die minderjährige Person bei der Ausübung des Besuchsrechts zu spät zurückbringt151 oder wer sie vorübergehend beherbergt152. Nicht mehr im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers ist diesbezüglich das Bundesgericht, welches fest­ hielt, ein Vorenthalten könne namentlich im Fall gesehen werden, in dem «ein Elternteil, dem im Rahmen vorsorglicher Massnahmen ein Besuchs­ recht zugesprochen wurde, dieses Besuchsrecht überschreitet (…)»153. Aus der gesetzlichen Formulierung erhellt aber auch, dass der potenzielle Täter grundsätzlich nicht verantwortlich gemacht werden kann, wenn die Rückkehr einer minderjährigen Person zum Inhaber des Aufenthaltsbe­ stimmungsrechts ausschliesslich an deren eigener Weigerung scheitert154. Es ist durchaus denkbar, dass ein Jugendlicher seiner «Herausgabe» einen Widerstand entgegensetzt, dessen Überwindung unmöglich oder unzu­ mutbar ist. Die Weigerung der Herausgabe stellt im Gegensatz zur Tatbestandsva­ riante des Entziehens ein Dauerdelikt dar155. Die Tat ist mithin schon durch die Verweigerung der Herausgabe der minderjährigen Person vollendet, 148  BGE 125 IV 16 f., vgl. auch BJM 1997, 76 ff. 149  Vgl. schon BGE 110 IV 37. 150  BGE 125 IV 16, Corboz, Vol. I, N 40 f. zu Art. 220, Eckert, BSK StGB II, N 28 zu Art. 220,

Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3562 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 27 N 7, vgl. auch Hüppi, 273. 151  Für das frühere Recht: BGE 104 IV 92 ff. 152  Für das frühere Recht: BGE 99 IV 271 ff. 153  BGE 128 IV 160, siehe vorne Ziff. 1.1. 154  Eckert, BSK StGB II, N 30 zu Art. 220, Trechsel/Christener-Trechsel, N 4 zu Art. 220. 155  A.M. mit Bezug auf diese Differenzierung Corboz, Vol. I, N 35 zu Art. 220.

29

§ 5  Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)

kann aber auch weiterhin durch Aufrechterhaltung des unrechtmässigen Zustands begangen werden. c) Da die minderjährige Person, welche sich selber dem Inhaber des Rechts zur Bestimmung des Aufenthaltsortes entzieht oder vorenthält, nach Art. 220 straflos bleibt, muss dies auch für Verhaltensweisen anderer Personen gel­ ten, die als blosse Beihilfe zu solchem Tun erscheinen. Entgegen der frühe­ ren Praxis156 fällt daher das – auch nicht bloss vorübergehende – Beherber­ gen, Verpflegen oder Transportieren eines entlaufenen Jugendlichen nicht unter die genannte Bestimmung157. Anders verhält es sich allerdings, wenn jemand die entlaufene Person nicht nur beherbergt, sondern konkrete Massnahmen ergreift, um Inhaber der elterlichen Sorge an der Ausübung ihrer Rechte in Bezug auf die minderjährige Person zu hindern; verbringt er diese bspw. ins Ausland und mietet dort eine gemeinsame Wohnung, ist damit von vornherein ausgeschlossen, dass die Rückgabe einzig an der Wei­ gerung des Jugendlichen scheitert158.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art. 220 erfordert Vorsatz. Daran kann es v.a. fehlen, wenn eine Drittperson die bestehenden Sorgerechtsverhältnisse nicht kennt und deshalb das Kind einem Unberechtigten herausgibt oder dem Berechtigten vorenthält.

3. Prozessvoraussetzung Das Delikt wird nur auf Antrag des oder der Verletzten verfolgt. Als solche kommen zunächst die Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts in Betracht. Üben die Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemeinsam aus, so steht ihnen das Antragsrecht unabhängig voneinander zu159. Bei Bevormundeten hat der Vormund, im Fall ihrer Heimeinweisung die Vormundschaftsbehörde als anordnende Behörde jenes Recht. Keine Antragsberechtigung kommt nach der bundesgerichtlichen Praxis den Jugendschutzbehörden zu160. Ebenso wenig komme eine solche der entzogenen Person selber zu. 156  BGE 99 IV 271. 157  Corboz, Vol. I, N 28 zu Art. 220, Eckert, BSK StGB II, N 29 zu Art. 220. 158  BGer vom 20.5.2010, 6B_813/2009, Erw. 3.6 f. 159  BGE 92 IV 2 f., 108 IV 24 f. 160  BGE 108 IV 24 f., anders aber Hüppi, 205, für Vormundschafts- und Jugendstrafbehör­

den als Inhaber der Obhut ohne «Restgewalt».

30

§ 5  Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)

Ein vom Berechtigten gestellter Strafantrag kann nach der Judikatur rechts­ missbräuchlich und damit unwirksam sein, wenn der Verletzte durch eigenes grobes Unrecht dem Täter Anlass zur Entziehung der minderjährigen Person gegeben hat161. Die Antragsfrist beginnt – sofern der Täter bekannt ist – im Fall des Entziehens mit dem Wegbringen der minderjährigen Person zu laufen, bei der Verweige­ rung ihrer Rückgabe erst mit der Beendigung des rechtswidrigen Zustands162. Diese Situation ist insofern unbefriedigend, als der Täter, welcher den Min­ derjährigen den Berechtigten eigenhändig «wegnimmt», privilegiert wird. Die Antragsfrist sollte deshalb in beiden Fällen erst ab Rückkehr des Minderjähri­ gen zu laufen beginnen.163 Dies könnte bspw. damit begründet werden, dass die Verweigerung der Rückgabe eine mitbestrafte Nachtat zum Entziehen dar­ stellt.

4.

Weitere Fragen

4.1 Rechtfertigungsgründe Denkbar ist unter den Voraussetzungen von Art.  17164 die Rechtfertigung durch Notstandshilfe. Dafür muss jedoch der minderjährigen Person bei dem Inhaber der Sorge eine unmittelbare Gefahr für ihre physische oder psychi­ sche Gesundheit drohen, die nicht anders abgewendet werden kann als durch sofortige Wegnahme des Kindes oder Verweigerung seiner Herausgabe. In aller Regel wird daher zivil- und/oder strafrechtliche Hilfe beansprucht wer­ den müssen, um ein gefährdetes Kind vom Inhaber der Sorge zu trennen.

4.2 Konkurrenzen Neben Art. 220 sind auch Art. 183, 185 und 185bis anwendbar, wenn das Entzie­ hen bzw. Verweigern der Rückgabe der minderjährigen Person damit bewerk­ stelligt wird oder verbunden ist, dass man ihre Fortbewegungsfreiheit auf­ hebt, sie entführt, als Geisel nimmt oder dem «Schutz des Gesetzes entzieht» (Art. 185bis). Denn die entsprechenden Bestimmungen schützen die minder­

161  BGE 104 IV 95, 105 IV 231, 128 IV 163 f. 162  Zur Variante der Verweigerung der Rückgabe BGE 141 IV 213 f. 163  So wohl auch Trechsel/Christener-Trechsel, N 5 zu Art. 220, 164  Vgl. dazu Strafrecht I, § 20.

31

§ 5  Entziehen von Minderjährigen (Art. 220)

jährige Person selber, nicht den Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts165. Verbringt jedoch ein Elternteil, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht innehat, ein Kind unter 16 Jahren an einen anderen Aufenthaltsort, fällt dies nach neu­ erer Bundesgerichtspraxis nicht unter Art. 183 Ziff. 2, auch wenn die räumli­ che Veränderung nicht dem Wohl des Kindes dient166. Die Konkurrenzfrage mit Art. 220 stellt sich in diesem Fall somit nicht mehr.

165  BGE 118 IV 61 ff., Corboz, Vol. I, N 59 zu Art. 220, Eckert, BSK StGB II, N 37 zu Art. 220,

Hurtado Pozo, Partie spéciale, N 3577, Schubarth, N 52 zu Art. 220, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 27 N 12, Trechsel/Christener-Trechsel, N 8 zu Art. 220, a.M. Sauterel, 142. 166  Im Entscheid noch «elterliche Sorge» BGE 126 IV 221 ff.

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§ 6 Einleitung

7. Titel

Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen (Art. 221–230)

§ 6 Einleitung Literaturauswahl: J.-B. Ackermann/K. Schröder, Zum rechtlichen Gefährdungsbegriff, insbeson­ dere in Art. 230bis StGB, in: Recht des ländlichen Raums, Festgabe der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern für Paul Richli zum 60. Geburtstag, hrsg. von J. Schmid/H. Seiler, Zürich 2006, 1, E. Delaquis, Bemerkungen zu den gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen des StGB, ZStrR 57 (1943) 106, E. Frey, Die Gefährdungsstraftatbestände des Schweizerischen Atomgesetzes, ZStrR 78 (1962) 70, W. Nägeli, Straftatbestände bei Bränden und Explosionen, Krim 25 (1971) 535, 593, F. Riklin, Baurecht und Gemeingefahr, Zur Dogmatik der gemeingefähr­ lichen Delikte, in: Gauchs Welt, Festschrift für Peter Gauch zum 65. Geburtstag, hrsg. von P. Tercier/M. Amstutz/A. Koller/J. Schmid/H. Stöckli, Zürich 2004, 887, G. Stratenwerth, Gemein­ gefährliche Straftaten, ZStrR 80 (1964) 8.

Die Bestimmungen dieses siebten Titels, ergänzt durch das Kernenergiege­ setz167, Art. 88 ff., erweitern den in den beiden ersten Titeln des BT gewähr­ ten Schutz von Leib, Leben und Vermögen, indem sie schon denjenigen mit Strafe bedrohen, der durch ein bestimmtes Verhalten konkrete Gefahren für solche Rechtsgüter schafft. Von einer konkreten Gefahr kann nur dann die Rede sein, wenn die Verwirklichung des infrage stehenden Risikos nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist, wobei der notwendige Grad der Wahr­ scheinlichkeit nicht für alle Straftatbestände gleich ist, sondern sich auch am Wert der geschützten Rechtsgüter und an der Höhe der Strafdrohung orientie­ ren muss168. Gefährdungsdelikte sind – unabhängig davon, ob sich die Gefahr realisiert – bereits dann vollendet, wenn der Täter einen Zustand hervorruft, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge einen Unfall mit Personen- bzw. Sachscha­ den für andere wahrscheinlich macht169. Kommt es zu Schädigungen, so tritt das Gefährdungsdelikt in echte Konkurrenz zu dem damit erfüllten Verlet­ zungstatbestand, wenn auch dessen Erfolg vom Vorsatz des Täters umfasst oder (bei Fahrlässigkeitsdelikten) für diesen voraussehbar war170. 167  SR 732.1. 168  Vgl. hierzu Ackermann/Schröder, 14 ff. 169  Vgl. BGE 94 IV 260, 103 IV 243, 123 IV 130, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 7 ff.

vor Art. 221.

170  Vgl. Riklin, 904.

33

§ 7  Brandstiftung (Art. 221)

Der Titel «Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen» scheint nahezule­ gen, dass eine solche Gefahr für eine Vielzahl von Menschen oder Sachen ent­ stehen muss. Tatsächlich reicht allerdings schon die Gefährdung eines Einzel­ nen aus. Unklar ist allein, ob dieser Einzelne – wie von der h.L. gefordert – als ein vom Zufall ausgewählter «Repräsentant der Allgemeinheit» betroffen sein muss171 oder aber jede Individualgefahr ausreichend ist. Zu folgen ist der erst­ genannten Ansicht: Angesichts des Umstandes, dass die Art. 221 ff. unter dem Titel «Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen» stehen sowie angesichts der hohen Strafdrohungen wird man die Ausweitung des Strafbarkeitsbereichs in das Vorfeld konkreter Rechtsgutsbeeinträchtigungen nur dadurch rechtfer­ tigen können, dass die infrage stehenden Tathandlungen nicht nur ein einziges Individuum, sondern die Allgemeinheit gefährden. Dass der Begriff der Gemeingefahr ausschliesslich bei Brandstiftung (Art. 221 Abs.  1) und fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst (Art.  222 Abs.  1) ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal genannt wird, ändert nichts daran, dass auch bei den Art. 223 ff. die Gefährdung einer bestimmten Person nicht aus­ reicht, sondern diese «Repräsentant der Allgemeinheit» sein muss172. Nicht zum Tatbestand gehört, dass der Täter die Verwirklichung der Gefahr in Form des Schadenseintrittes will; es reicht aus, dass der Täter mit Gefährdungsvorsatz handelt, d.h., dass ihm die mit seiner Handlung verbundene Gefahr bewusst ist und er sie trotzdem vornimmt.

§ 7

Brandstiftung (Art. 221)

Literaturauswahl: B. Berchtold, Das Verbrechen der Brandstiftung unter besonderer Berücksichti­ gung der kantonalen Strafgesetzgebung und der VE zum Schweiz. StGB, Diss. Zürich 1943, U. Broder, Die Abklärung von Brandfällen, Krim 39 (1985) 49, M. Brunner, Die Brandstiftung und die fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst i.S.  von Art.  221 und 222 StGB, Diss. Zürich 1986, H. G. Hinderling/P. Goepfert, Sandoz-Brand, Haftung im Fadenkreuz von Völkerrecht, Ak­tienrecht und Strafrecht, SJZ 83 (1987) 57, W. Nägeli, Straftatbestände bei Bränden und Explo­ sionen, Krim 25 (1971) 535, 593, R. Vossen, Persönlichkeit und Motive des Brandstifters, Krim 26 (1972) 347, Ph. Weissenberger, Versuchte qualifizierte Brandstiftung, ZBJV 133 (1997) 568.

171  So Pieth, BT, 200, Riklin, 893 ff., Trechsel/Fingerhuth, N 2 vor Art. 221, Stratenwerth/

Bommer, BT II, vor § 28 N 4 f., Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 11 vor Art. 221, die allerdings präzisierend verlangen, dass die Handlung ex ante betrachtet eine Mehrzahl von Repräsentanten der Allgemeinheit in Gefahr bringen kann. 172  Vgl. hierzu Riklin, 896 ff.

34

§ 7  Brandstiftung (Art. 221)

1.

Zur Struktur der Norm

Der Straftatbestand der Brandstiftung (Incendie intentionnel/Incendio intenzionale/Arson) enthält in Abs. 1 und Abs. 2 zwei Straftatbestände, die durch das privilegierte Delikt in Abs. 3 ergänzt werden. Abs. 1 erfasst die Fälle, in denen der Täter zum Schaden eines anderen oder unter Herbeiführung einer Gemeingefahr eine Feuersbrunst verursacht. Der mit qualifizierter Strafe bedrohte Abs. 2 setzt voraus, dass der Täter Leib und Leben von Menschen in Gefahr gebracht hat, wobei wiederum, auch wenn dies in der Norm nicht aus­ drücklich ausgesprochen wird, erforderlich ist, dass diese Gefährdung durch das Herbeiführen einer Feuersbrunst bewirkt wird. Umstritten ist, ob es sich bei Abs. 2 um ein eigenständiges Grunddelikt handelt, um eine dritte Variante der strafbaren vorsätzlichen Brandstiftung173 oder aber um eine Qualifikation des Grunddeliktes nach Abs. 1174. Die Einstufung des Abs. 2 als Qualifikationstatbestand zu Abs. 1 wird durch die Formulierung der Norm nahegelegt, erweckt aber bereits deshalb Beden­ ken, weil eine Qualifikation allenfalls im Hinblick auf Abs. 1 Alt. 2 (Gemeinge­ fahr), nicht aber im Hinblick auf Abs. 1 Alt. 1 in Betracht zu ziehen ist. Letzt­ lich geht es allein darum, ob bei Abs. 2 das gefährdete Individuum oder die gefährdeten Individuen «Repräsentanten der Allgemeinheit» sein müssen175. Dies alles ändert aber nichts daran, dass es sich bei Abs. 2 nicht um einen Qua­ lifikationstatbestand, sondern um eine eigenständige Form der vorsätzlichen Brandstiftung handelt176.

2.

Brandstiftung nach Art. 221 Abs. 1

2.1

Objektiver Tatbestand

2.11 Feuersbrunst Der Täter muss eine Feuersbrunst verursachen. Um als solche zu gelten, muss das Feuer eine gewisse Erheblichkeit, d.h. eine Intensität oder Ausdehnung erreichen, aufgrund der es vom Urheber selber nicht mehr gelöscht werden

173  Vgl. BGE 123 IV 131. 174  So wohl Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 3 zu Art. 221. 175  Vgl. hierzu vorne § 6. 176  BGE 123 IV 131, Corboz, Vol. II, N 35 zu Art. 221, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II,

§ 28 N 19.

35

§ 7  Brandstiftung (Art. 221)

kann177. Dass die Flamme «zum Himmel lodert», ist nicht erforderlich, auch ein Glimmen oder Glühen kann ausreichen178. Als Brandobjekte sind nicht nur Gebäude denkbar, sondern alle brennbaren Objekte, z.B. auch Fahrzeuge, Wäl­ der, Grasflächen179. Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es nicht an; taugli­ che Tatobjekte sind auch Sachen, die im Eigentum des Täters stehen180.

2.12

Folgen der Feuersbrunst

Die Verursachung einer Feuersbrunst allein erfüllt den Tatbestand der Brand­ stiftung nicht. Dazu müssen als weitere Tatbestandsmerkmale hinzutreten «der Schaden eines andern» oder «die Herbeiführung einer Gemeingefahr». Beispiel: Zündet jemand seine eigene, weit abgelegene und alleinstehende Alphütte an, so liegt kein Tatbestand nach Art. 221 vor.

2.121

Schaden eines anderen

Die Alternative «Schaden eines andern» erfasst die Fälle, in denen es durch die Feuersbrunst zur Schädigung eines fremden persönlichen Rechtsguts kommt181. Angesichts dessen, dass die Gefährdung von Personen in Abs. 2 eine spezielle Regelung erfahren hat, werden in Abs. 1 allein Sachschäden erfasst182. So betrachtet, handelt es sich bei Abs.  1 der Bestimmung um einen qualifi­ zierten Fall von Sachbeschädigung nach Art. 144183. Das legt es nahe, wie bei der Sachbeschädigung denjenigen als «anderen» zu betrachten, der am betrof­ fenen Brandobjekt  – bei einer Liegenschaft auch am Mobiliar  – ein Eigen­

177  BGE 85 IV 227, 105 IV 129 f. = Pr 79 (1990) Nr. 343, BGE 107 IV 182, 117 IV 285 = Pr

81 (1992) Nr. 210, BGer vom 23.11.2016, 6B_145/2016, Erw. 2.1, BstGer vom 8.11.2011, SK.2011.1, Erw. 2.2.1, BstGer vom 22.7.2011, SK.2011.6, Erw. 3.3.4, RS 1996 Nr. 68, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 221, Pieth, BT, 201, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 6, Trechsel/Fingerhuth, N  2 zu Art.  221, zur Kasuistik vgl. Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 7 f. zu Art. 221. 178  BGE 105 IV 130, RS 1977 Nr. 281, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 8 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 8. 179  Vgl. BGE 85 IV 227, 91 IV 139, 116 IV 1, Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 221. 180  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 8. 181  Vgl. Corboz, Vol. II, N 21 zu Art. 221, Pieth, BT, 202. 182  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 11 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 12, Trechsel/Fingerhuth, N 1 zu Art. 221. 183  Vgl. Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 10 zu Art. 221: Schädigungen, mit denen der Berechtigte einverstanden ist, bleiben ausser Betracht.

36

§ 7  Brandstiftung (Art. 221)

tums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht hat184. Was Liegenschaften anbe­ langt, kommen ausserdem Hypothekargläubiger in Betracht, sofern der durch die Tat verminderte Wert die Pfandforderung nicht mehr ausreichend deckt185. Nicht geschützt werden dagegen bloss obligatorisch Berechtigte186. Gleiches gilt für die Gesellschaft, bei der eine durch den Brand beschädigte oder zer­ störte Sache versichert ist, die gemäss VVG Art. 14 Abs. 1 nicht haftet, wenn der Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigte den Brand absichtlich herbeigeführt hat187.

2.122

Herbeiführen einer Gemeingefahr

Für den Begriff «Gemeingefahr» kann zunächst auf die vorstehenden Ausfüh­ rungen verwiesen werden188. Die konkrete Gefährdung von Menschen erfüllt den mit qualifizierter Strafdrohung versehenen Tatbestand von Art. 221 Abs. 2. In den übrigen Fällen verursacht der Täter regelmässig einen Sachschaden (auch) zum Nachteil von anderen. Die praktische Bedeutung der Gemeingefahr als zweite Tatvariante beschränkt sich damit auf die Fälle, in denen der Täter nur eigene Objekte anzündet, aber das Feuer eine Vielzahl fremder Sachen in konkrete Brandgefahr bringt. Die Gefahr, dass das Feuer auf ein benachbartes Gebäude überzugreifen droht, wird man hier dann als ausreichend ansehen können, wenn damit gleichzeitig auch das darin befindliche Mobiliar konkret gefährdet wird189. Die Gefährdung der Feuerwehrleute bleibt dagegen ausser Betracht190.

184  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 12 zu Art. 221, Trechsel/Fingerhuth, N 3 zu Art. 221,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 12.

185  BGE 107 IV 184, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 12 zu Art. 221. 186  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 12 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28

N 12, a.M. Brunner, 53, vgl. auch Trechsel/Fingerhuth, N 3 zu Art. 221.

187  BGE 85 IV 228, 105 IV 40, 107 IV 182, Corboz, Vol. II, N 22 zu Art. 221, Roelli/Fleischan-

derl, BSK StGB II, N 12 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 13, Trechsel/ Fingerhuth, N 3 zu Art. 221. Erbringt der Versicherer die Leistung trotzdem, weil ihm ein solcher Sachverhalt verschwiegen wurde, ist der ihm dadurch erwachsene Schaden allenfalls als Folge eines Betruges nach Art. 146 anzusehen. 188  Vgl. vorne § 6. 189  Vgl. BGE 83 IV 30, kritisch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 14. 190  BGE 83 IV 31, Corboz, Vol. II, N 27 zu Art. 221, Pieth, BT, 202, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 15, Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 221, vgl. auch Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 14 zu Art. 221, die zu Recht auch Schaulustige ausgrenzen.

37

§ 7  Brandstiftung (Art. 221)

2.2

Subjektiver Tatbestand

Der Vorsatz des Täters muss darauf gerichtet sein, eine Feuersbrunst zu entfa­ chen und dadurch entweder einen anderen zu schädigen oder eine konkrete Gemeingefahr hervorzurufen191. Im Sinne des dolus eventualis reicht es aus, wenn der Täter diese Entwicklung für möglich hält und sie für den Fall ihres Eintritts in Kauf nimmt192.

3.

Brandstiftung nach Art. 221 Abs. 2

Dieser mit erhöhter Strafe belegte Tatbestand findet Anwendung, wenn der Täter mit der von ihm verursachten Feuersbrunst willentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt.

3.1

Objektiver Tatbestand

Vorausgesetzt wird, dass das vom Täter gelegte Feuer eine konkrete Individual­ gefahr für Leib und Leben schafft, wobei im Hinblick auf die hohe Strafdro­ hung ein hoher Grad an Gefährdung gegeben sein muss193. Weiterhin muss die Gefährdung stets die direkte Folge des Brandes sein194, es genügt nicht, wenn Helfer und insbesondere die Angehörigen der eingreifenden Feuerwehr in Gefahr für Leib und Leben geraten195. Während nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bereits die Gefährdung einer einzigen, individuell bestimm­ ten Person ausreichen soll196, ist nach der in der Literatur herrschenden und auch hier befürworteten Auffassung zu verlangen, dass es sich bei dem konkret gefährdeten Einzelnen um einen oder mehrere vom Zufall ausgewählte Reprä­ sentanten der Allgemeinheit handelt197. 191  BGer vom 23.11.2016, 6B_145/2016, Erw. 2.1, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 16

zu Art. 221.

192  Vgl. BGE 105 IV 40, 107 IV 184, Corboz, Vol. II, N 30 zu Art. 221, Roelli/Fleischanderl,

BSK StGB II, N 16 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 16 f.

193  BGE 121 IV 74 = Pr 85 (1996) Nr. 24, 123 IV 130 f., Kantonsgericht St. Gallen GVP 2010

Nr. 101, Corboz, Vol. II, N 37 zu Art. 221, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 18 f. zu Art. 221. 194  Corboz, Vol. II, N 38 zu Art. 221. 195  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 18 zu Art. 221. 196  BGE 117 IV 286 = Pr 81 (1992) Nr. 210, 123 IV 130 f., wohl zustimmend Corboz, Vol. II, N 39 zu Art. 221. 197  Pieth, BT, 203, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 17 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 19.

38

§ 7  Brandstiftung (Art. 221)

Folgt man dieser sog. Repräsentationstheorie, kann Abs. 2 den Fall erfassen, in dem der Brandstifter sein eigenes abgelegenes Gebäude anzündet, in wel­ chem sich zufällig ein anderer Mensch befindet und gefährdet wird198. Setzt der Brandstifter sein Gebäude dagegen in Brand, um genau diese Person zu gefähr­ den – entweder um diese Person zu töten oder um ihr die Brandlegung in die Schuhe schieben zu können – bleibt es, abgesehen von den Fällen, in denen Art. 221 Abs. 1 Alt. 1 greift, bei der Anwendung der Art. 111 ff. und 123 ff.

3.2

Subjektiver Tatbestand

Neben dem Willen, eine Feuersbrunst zu verursachen, muss der Täter durch den Brand wissentlich jemanden in Gefahr bringen, womit direkter Vorsatz gemeint ist: Weiss er mit Bestimmtheit um die mit der Brandlegung verbun­ dene Gefahrenlage, so will er diese auch199. Auf die Brandlegung an einem Gebäude bezogen, muss sich also der Täter bewusst sein, dass sich darin min­ destens ein Mensch befindet und fraglich ist, ob dieser sich unversehrt retten kann oder gerettet werden kann. Am subjektiven Tatbestand würde es hin­ gegen fehlen, wenn der Täter im Sinne eines Eventualvorsatzes200 bloss mit der Möglichkeit rechnet, dass sich Personen im Haus aufhalten und alsdann gefährdet werden könnten201.

4.

Privilegierter Tatbestand von Art. 221 Abs. 3

Nach der Gesetzessystematik kann die Privilegierung auf alle Fälle von Brand­ stiftung nach Abs.  1 und Abs.  2 von Art.  221 angewendet werden202. Aller­ dings wird es sich stets nur um einen geringen oder gänzlich ausgebliebenen Sach- oder Personenschaden handeln können, sodass die Subsumtion unter 198  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 19. 199  BGE 105 IV 132, 117 IV 286 = Pr 81 (1992) Nr. 210, 123 IV 130, Kantonsgericht St. Gal­

len GVP 2010 Nr. 101, Corboz, Vol. II, N 40 zu Art. 221, Roelli/Fleischanderl, N 21 zu Art. 221, Trechsel/Fingerhuth, N 8 zu Art. 221. 200  Dazu Strafrecht I, § 9 Ziff. 2.413. 201  Kantonsgericht St. Gallen GVP 2010 Nr. 101, Corboz, Vol. II, N 41 zu Art. 221, Roelli/ Fleischanderl, BSK StGB II, N 21 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 20, Trechsel/Fingerhuth, N 8 zu Art. 221. Das schliesst nicht aus, dass eventualvorsätzliche Tötung angenommen wird, wenn sich tatsächlich jemand im Gebäude befindet und in den Flammen umkommt. 202  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 24, a.M. Brunner, 80 ff.: Beschränkung auf Taten ohne Gemeingefahr.

39

§ 7  Brandstiftung (Art. 221)

Art.  221 Abs.  3 z.B. auch dann möglich ist, wenn eine durch den Brand in Gefahr gebrachte Person infolge des Feuers eine leichte Rauchvergiftung oder leichte Verbrennungen erleidet203. Bei Sachschäden ist von einem «geringen Schaden» auszugehen, wenn sich der unmittelbar durch den Brand angerich­ tete Schaden im Verhältnis zum Gesamtwert des Brandobjektes in engen Gren­ zen hält204 oder wenn es sich um ein insgesamt wertloses Objekt handelt205. Relevant ist nicht der Schaden, den der Täter anrichten wollte, sondern derje­ nige, den er angerichtet hat206.

5.

Weitere Fragen

5.1 Deliktsstadien Tätigkeiten zur planmässigen und konkreten Vorbereitung einer Brandstiftung nach Art. 221 sind nach Art. 260bis strafbar207. Vollendet ist die Tat bei Eintritt der Schädigung bzw. Gemeingefahr, im Falle von Art. 221 Abs. 2 mit dem Eintritt einer konkreten Gefahr für Menschen. Ein strafbarer Versuch kann auch nach bereits erfolgter Brandlegung gegeben sein, nämlich wenn diese nicht zu einer Feuersbrunst führte208 oder die vom Täter gewollte Schädigung bzw. Gefährdung ausblieb209. Nur unter diesen besonde­ ren Voraussetzungen kommen seine allfälligen Bemühungen um die Löschung des von ihm gelegten Feuers als tätige Reue nach Art. 23 in Betracht.

5.2 Konkurrenzfragen Werden infolge der Feuersbrunst, die zur Schädigung eines anderen oder zu einer Gemeingefahr führt, Menschen verletzt oder gar getötet, so liegt ausser 203  Corboz, Vol. II, N 44 zu Art. 221, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 22 zu Art. 221. 204  Roelli/Fleischanderl, N 23 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 25, kritisch

hierzu Corboz, Vol. II, N 46 zu Art. 221, und Trechsel/Fingerhuth, N 9 zu Art. 221, der de lege ferenda eine Konkretisierung entsprechend Art. 172ter fordert, kritisch hierzu wiederum Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 25 zu Art. 221. 205  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 23 f. zu Art. 221 mit Nachweisen aus der kantona­ len Rechtsprechung. 206  SJZ 70 (1974) 332, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 23 zu Art. 221. 207  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 221, vgl. dazu hinten § 47. 208  BGE 117 IV 285 = Pr 81 (1992) Nr. 210, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 221, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 15 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 9, Trechsel/Fingerhuth, N 2 zu Art. 221. 209  Vgl. BGE 123 IV 131, SJZ 93 (1997) 418 f., Weissenberger, 569.

40

§ 8  Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst (Art. 222)

Brandstiftung nach Art. 221 Abs. 1 oder 2 je nach Erfolg und subjektivem Tat­ bestand eine Körperverletzung (Art. 122, 123, 125) oder ein vorsätzliches oder fahrlässiges Tötungsdelikt (Art. 111 ff.) vor210. Beispiel: Der verbitterte Ehemann zündet das Haus seines Nebenbuhlers an, der nach dem Willen des Täters ums Leben kommt. Gleichzeitig erleidet auch der auf Besuch weilende Freund, von dessen Anwesenheit der Täter keine sichere Kenntnis hat, den Tod. Hier liegt Brandstiftung nach Art. 221 Abs. 2 in echter Idealkonkurrenz mit Mord (Art. 112) und fahrlässiger Tötung (Art. 117) vor.

Art.  129 wird stets von Art.  221 konsumiert211. Darüber hinaus verdrängt Art. 221 – auch bei bloss versuchter Brandstiftung – den Tatbestand der Sach­ beschädigung nach Art. 144212. Echte (Real-)Konkurrenz besteht dagegen zwi­ schen Art. 221 und (Versicherungs-)Betrug nach Art. 146213.

§ 8

Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst (Art. 222)

Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 7.

Nach den allgemeinen Regeln für das Fahrlässigkeitsdelikt setzt der Tatbestand von Art.  222 (Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst/Incendie par négligence/Incendio colposo/Arson by negligence) voraus, dass jemand unvorsätz­ lich eine Feuersbrunst hervorruft, und zwar durch ein pflichtwidrig unvor­ sichtiges Verhalten. Dessen Folge, die Schädigung anderer, das Entstehen einer Gemeingefahr oder die konkrete Gefährdung von Leib und Leben, muss für den Täter vorhersehbar und durch pflichtgemässes Verhalten zu verhindern gewesen sein214.

210  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 28 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28

N 28, Trechsel/Fingerhuth, N 11 zu Art. 221.

211  Corboz, Vol. II, N 52 zu Art. 221, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 28 zu Art. 221,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 28, Trechsel/Fingerhuth, N 11 zu Art. 221.

212  Corboz, Vol. II, N 51 zu Art. 221, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 28 zu Art. 221,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 27, Trechsel/Fingerhuth, N 11 zu Art. 221.

213  BGE 75 IV 177, 85 IV 229, Corboz, Vol. II, N 54 zu Art. 221, Roelli/Fleischanderl, BSK

StGB II, N 29 zu Art. 221, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 29, Trechsel/Fingerhuth, N 11 zu Art. 221. 214  Vgl. Strafrecht I, § 32.

41

§ 8  Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst (Art. 222)

Art. 222 ist auch dann anzuwenden, wenn der Täter hinsichtlich einer Kompo­ nente fahrlässig, im Übrigen aber vorsätzlich gehandelt hat, wie z.B. in den Fäl­ len des bewusst fahrlässigen Verursachens einer Feuersbrunst in Verbindung mit Vorsatz hinsichtlich der Gefährdung von Menschen215.

1.

Grundtatbestand von Abs. 1

1.1

Verursachen der Feuersbrunst

Der Täter muss durch sein Tun die oder mindestens eine Ursache für eine Feu­ ersbrunst216 gesetzt haben; hat er eine Garantenstellung inne, kommt auch die Unterlassung einer Handlung in Betracht, durch welche ein solches Ereignis mit grosser Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können217.

1.2

Pflichtwidrig unvorsichtiges Verhalten

Was als pflichtgemäss sorgfältiges Verhalten bei feuergefährlichen Tätigkei­ ten bzw. bei der Überwachung entsprechender Gefahrenquellen zu gelten hat, ist in beträchtlichem Ausmass in einer Reihe gesetzgeberischer Erlasse kon­ kretisiert worden. Als Beispiel sei erwähnt die Zürcher Verordnung über den vorbeugenden Brandschutz vom 8. Dezember 2004218, welche zahlreiche Vor­ schriften über den Umgang mit Feuer und ähnlichen Gefahrenquellen, die Aufbewahrung und Beseitigung von brennbarem Material, den Umgang mit feuer- und explosionsgefährlichen Stoffen, Feuerungs- und Kaminanlagen, die Sicherheit auf Baustellen und in Betrieben sowie die feuerpolizeilichen Kon­ trollen enthält, die von bestimmten Personen auch durch Unterlassung von Sicherheitsmassnahmen und ähnlichen Vorkehren erfüllt werden können. Wo keine besonderen Sicherheitsvorschriften bestehen, richtet sich die anzuwen­ dende Sorgfalt unmittelbar nach der Legaldefinition in Art. 12 Abs. 3219.

215  Vgl. Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 14 zu Art. 222, Stratenwerth/Bommer, BT II,

§ 28 N 32.

216  Vgl. zu diesem Begriff § 7 Ziff. 2.11. 217  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 222. 218  LS 861.12. 219  So auch Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 8 zu Art. 222, vgl. dazu etwa BGE 91 IV

139, RS 1973 Nr. 555 betr. Ablegen einer brennenden Zigarette, SJZ 62 (1966) 221 und RS 1971 Nr. 100 betr. Schweiss- und Lötarbeiten, RS 1979 Nr. 687 betr. Umgiessen von Benzin. Weitere Kasuistik bei Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 f. zu Art. 221.

42

§ 8  Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst (Art. 222)

In der Regel wird zumindest für einen normal Intelligenten das Entstehen einer Feuersbrunst unter Schädigung eines anderen bzw. der Schaffung einer Gemeingefahr als Folge der Missachtung von Sorgfaltspflichten vorhersehbar sein. Eher in die juristische Witzkiste gehört das in BGE 105 IV 333 behandelte Urteil des Berner Obergerichts, welches jemanden wegen fahrlässiger Verursachung einer Feu­ ersbrunst verurteilte, der durch unbedachte Äusserungen über die Wünschbarkeit eines solchen Ereignisses ohne Anstiftungsvorsatz einen anderen zu einer Brandstif­ tung anregte. Dass diese Auffassung falsch ist, ergibt sich nicht wie vom Bundesgericht angenommen aus mangelnder Adäquanz des Kausalzusammenhangs, sondern aus dem Fehlen einer allgemeinen Sorgfaltspflicht, welche Vorsicht bei Gesprächen über heikle Themen gebieten würde220.

2.

Qualifizierter Tatbestand von Abs. 2

Auch Art. 222 sieht in Abs. 2 einen Straftatbestand für die Fälle vor, in denen der Täter durch eine fahrlässig verursachte Feuersbrunst – neben der Schädigung eines anderen oder der Herbeiführung einer Gemeingefahr – fahrlässig Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt. Damit wird wie bei Art. 221 Abs. 2 eine konkrete Gefahr vorausgesetzt, die sich auch auf einen einzigen Menschen beschränken kann221. Wenn das Gesetz hier nochmals den Ausdruck «fahr­ lässig» verwendet, betont es damit, dass auch diese Folge für den Täter nach Massgabe von Art. 12 Abs. 3 vorhersehbar gewesen sein muss. Dies dürfte im Allgemeinen zutreffen, wenn für den Täter erkennbar war, dass sein sorgfalts­ widriges Verhalten zu einer Feuersbrunst führen könnte, in deren Gefahrenbe­ reich sich auch Menschen befinden. Der qualifizierte Tatbestand kommt aber selbstverständlich nur dann zur Anwendung, wenn durch die Feuersbrunst tat­ sächlich jemand unmittelbar konkret gefährdet wurde222.

3. Konkurrenzfragen Zu Art. 117 und Art. 125 besteht echte Konkurrenz223. Gleiches gilt im Verhält­ nis zu Art. 229 Abs. 2224.

220  Vgl. Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 10 zu Art. 222, Pieth, BT, 204 f. 221  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 11 zu Art. 222. 222  Vgl. auch vorn § 7 Ziff. 3.1. 223  Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 222, Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 222. 224  Cour d’appel pénal du Tribunal cantonal RFJ 2015, 274 f.

43

§ 9  Verursachung einer Explosion (Art. 223)

§ 9

Verursachung einer Explosion (Art. 223)

1.

Objektiver Tatbestand

In objektiver Hinsicht muss der Täter eine Explosion verursachen und dadurch Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringen. Der Begriff der Explosion erfasst das Freisetzen von Druckenergie, die eine zerstörende Wirkung nach aussen entwickelt225, wobei schon eine sog. Ver­ puffung (schnelles Abbrennen) genügt226. Als explosionserzeugend nennt Art. 223 (Verursachung einer Explosion/Explosion/Esplosione/Causing an explosion) «Gas, Benzin, Petroleum und ähnliche Stoffe». Auf welche Art und Weise der Täter die von Art.  223 erfassten Stoffe zur Explosion bringt, ist irrele­ vant227. Erfasst werden von Art. 223 aber nur Stoffe, die nicht zum Explodie­ ren bestimmt sind228. Wird die Explosion durch Sprengstoff oder Kernenergie bewirkt, kommen die Sondertatbestände Art. 224 ff.229 bzw. des Kernenergie­ gesetzes (KEG)230 Art. 88 ff. zur Anwendung231. Durch die Explosion müssen Leib und (oder) Leben von Menschen oder frem­ des Eigentum in Gefahr gebracht werden. Angesichts der hohen Strafdrohung und zur Vermeidung von Friktionen mit den bestehenden Verletzungsdelikten wird man auch hier verlangen müssen, dass es sich bei den konkret gefährde­ ten Personen oder Sachen um vom Zufall ausgewählte Repräsentanten der All­ gemeinheit handelt232. Wird durch die Explosion nur Eigentum des Täters oder nur dieser selbst gefährdet, ist Art. 223 nicht anzuwenden233.

225  Nicht erfasst ist das Herbeiführen einer «Implosion», a.M. Corboz, Vol. II, N  6 zu

Art. 223, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 4 zu Art. 223, Trechsel/Fingerhuth, N 1 zu Art. 223. 226  BGE 110 IV 70, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 4 zu Art. 223. 227  Vgl. etwa BGE 110 IV 69: Entzünden eines Gas-Luft-Gemisches. 228  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 223, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 4 zu Art. 223, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 4, Trechsel/Fingerhuth, N 1 zu Art. 223. 229  Hinten § 10 Ziff. 2. 230  SR 732.1. 231  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 223, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 4. 232  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 223, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 223, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 5, vgl. auch SJZ 85 (1989) 381. Vgl. dazu vorn §§ 6 und 7 Ziff. 1 und 3.1. 233  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 223, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 223.

44

§ 9  Verursachung einer Explosion (Art. 223)

2.

Subjektiver Tatbestand

2.1

Vorsätzliche Verursachung einer Explosion

Beim Tatbestand von Art.  223 Ziff.  1 muss zum Vorsatz, eine Explosion zu bewirken, die wissentliche Gefährdung von Menschen oder fremden Sachen hinzutreten. Wird demnach in dieser Hinsicht sogar direkter Vorsatz verlangt, muss dies ebenfalls schon für die Verursachung der Explosion als solche gelten. Der subjektive Tatbestand ist also nicht gegeben, wenn der Täter nur mit der Möglichkeit der Anwesenheit von Leuten im Gefahrenbereich rechnet oder nur annimmt, sein Handeln könnte eventuell zu einer Explosion führen234. Glaubt der Täter, mit der Explosion keine solche Gefahr herbeizuführen, so fehlt es am erforderlichen Wissen. Es bleibt zu prüfen, ob eine fahrlässige Ver­ ursachung einer Explosion i.S. von Ziff. 2 vorliegt.

2.2

Fahrlässige Verursachung einer Explosion

Art. 223 Ziff. 2 bedroht fahrlässiges Verhalten, welches zu einer Explosion mit Gefährdung im Sinne von Ziff.  1 hiervor führt, ebenfalls mit Strafe. Bei der Lagerung und Handhabung explosionsgefährlicher Stoffe sind allgemeine Vor­ sichtsregeln zu beachten, wie z.B. das Rauchverbot beim Abfüllen von Benzin oder Wasserstoff oder die Pflicht, einen unerfahrenen Arbeitnehmer oder Kun­ den vor der Abgabe explosionsgefährlicher Stoffe über deren Handhabung zu instruieren235. Den Massstab der gebotenen Vorsicht bilden aber auch beson­ dere Sorgfaltspflichten, die sich z.B. in Richtlinien von Herstellern bestimmter Apparate236 oder der SUVA237 finden. Der Fahrlässigkeitstatbestand ist auch dann anwendbar, wenn der Täter bei einer von ihm gewollten Explosion pflichtwidrig die mit ihr verbundenen Gefahren verkennt oder wenn er die Explosion bewusst fahrlässig im Wissen um die Gefährdung verursacht238.

234  Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 223, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 7 zu Art. 223. 235  BGE 110 IV 75, SJZ 73 (1977) 207. 236  Vgl. BGE 110 IV 71, SJZ 73 (1977) 207, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N  10 zu

Art. 223.

237  Vgl. , besucht am 4.5.2017. 238  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 zu Art. 223, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 9.

45

§ 9  Verursachung einer Explosion (Art. 223)

3.

Privilegierter Tatbestand

Ist bei der vorsätzlichen Verübung nur ein geringer Schaden entstanden oder drohte bei der Gefährdung infolge des geringen Ausmasses der Explosion nur ein geringer Schaden, kann nach Ziff. 1 Abs. 2 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder auf Geldstrafe erkannt werden. Eine Privilegierung ist auch dann nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn Menschen konkret gefährdet wor­ den sind239. Es handelt sich nach Auffassung des Bundesgerichts um ein nach Art. 97 Abs. 1 lit. c verjährendes Vergehen240. Diese Auslegung vermag nicht zu überzeugen, weil der Rich­ ter im Falle von Art. 223 Ziff. 1 Abs. 2 die Strafe mildern kann, aber nicht mildern muss.

4. Konkurrenzen Geht der Vorsatz neben der Gefährdung auch auf Tötung oder Körperverlet­ zung, liegt echte Idealkonkurrenz von Art. 223 Ziff. 1 mit Art. 111 ff. bzw. 122 f. vor241. Eine Kombination von Art. 223 Ziff. 1 oder 2 ist ebenfalls möglich mit fahrlässiger Tötung (Art.  117) bzw. fahrlässiger Körperverletzung (Art.  125), wenn diese Folgen zwar nicht gewollt, aber doch voraussehbar waren. Art. 129 wird von Art. 223 Ziff. 1 verdrängt (lex specialis)242. Führt die Explosion zu einer – nachfolgenden – Feuersbrunst (Art. 221, 222), so geht dieser Tatbestand grundsätzlich vor, namentlich im Hinblick auf die umfassendere Tatbestandsumschreibung und die höhere Strafdrohung. Reicht allerdings das Gefährdungspotenzial der Explosion weiter als dasjenige der Brandstiftung, ist Idealkonkurrenz zwischen Art. 221 bzw. 222 und 223 zu prü­ fen243.

239  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 8, 11 zu Art. 223. 240  BGE 108 IV 44, 46. 241  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 12 zu Art. 223, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29

N  10, jeweils unter Hinweis auf die Gemeingefahr, die von den Verletzungsdelikten nicht erfasst wird, vgl. auch Trechsel/Fingerhuth, N 9 zu Art. 223, für die Fälle, in denen eine über die Verletzung hinausgehende Gefährdung bestand. 242  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 12 zu Art. 223, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 10, jeweils ohne Beschränkung auf Ziff. 1. 243  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 27 zu Art. 221, Trechsel/Fingerhuth, N 6 zu Art. 223, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 11: Vorrang desjenigen Tatbestandes, der die schwerere Begehungsform oder die weiter gehende Gefährdung erfasst.

46

§ 10  Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226)

§ 10 Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226) Literaturauswahl: J. Meier, Sprengstoffdelikte, Krim 29 (1975) 299, J. Rehberg, Die Sprengstoffdelikte des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Krim 26 (1972) 43, 101, F. Stämpfli, Das revidierte Sprengstoffgesetz mit einem Überblick über die Anwendung des Sprengstoffgesetzes von 1894, ZStrR 38 (1925) 51, H. Suter, Die Abklärung von Sprengstoffdelikten, Krim 29 (1975) 274, 322.

1. Allgemeines Angesichts der von Sprengstoffen und giftigen Gasen ausgehenden Gefahren und ihrer Ausnützung durch anarchistische Bewegungen sah sich der Bund schon frühzeitig veranlasst, über Sprengstoffdelikte zu legiferieren. Art.  224 und 225 entsprechen fast wörtlich dem Sprengstoffgesetz von 1924, Art. 1 und 3, das seinerseits auf einem Gesetz von 1894 beruht. Das Aufkommen des Ter­ rorismus Ende der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts veranlasste den Bund, das Herstellen, das Lagern, den Handel und das Verwenden von Spreng­ stoffen verwaltungsrechtlich eingehend zu regeln. Es gelten dafür das BG über explosionsgefährliche Stoffe vom 25. März 1977244 und die zugehörige Verord­ nung245. Strafrechtlich werden bestimmte, die Begehung von Sprengstoffdelik­ ten ermöglichende Vorbereitungshandlungen durch Art. 226 erfasst. Für Straftaten nach Art. 224 bis 226 besteht nach StPO Art. 23 Abs. 1 lit. d Bun­ desgerichtsbarkeit. Entsprechende Verfahren werden jedoch meist an die Kan­ tone delegiert, soweit die Delikte keinen politischen Hintergrund haben.

2.

Gefährdungsdelikte (Art. 224, 225)

2.1

Objektiver Tatbestand

2.11 Tatmittel Art. 224 und 225 bezeichnen als Tatmittel Sprengstoffe und giftige Gase, wobei derzeit nur die ersteren von praktischer Bedeutung sind. Für die Bestimmung der Sprengstoffe gelten die im Sprengstoffgesetz Art. 5 und in der Sprengstoff­

244  Sprengstoffgesetz, SR 941.41. 245  Sprengstoffverordnung vom 27. November 2000, SR 941.411.

47

§ 10  Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226)

verordnung Art.  2 enthaltenen Formulierungen246. Sprengstoffgesetz Art.  5 Abs. 1 lautet: «Sprengstoffe sind einheitliche chemische Verbindungen oder Gemische solcher Ver­ bindungen, die durch Zündung, mechanische Einwirkung oder auf andere Weise zur Explosion gebracht werden können und die wegen ihrer zerstörenden Kraft, sei es in freier oder verdämmter Ladung, schon in verhältnismässig geringer Menge gefährlich sind.»

Bekannte Sprengstoffe sind Dynamit, Trinitrotoluol (Trotyl) und Schwarzpul­ ver. Sogenannte Molotow-Cocktails, die als Brandwurfkörper verwendet wer­ den, können nicht als Sprengstoff gelten, ebenso wenig pyrotechnische Gegen­ stände i.S.  von Sprengstoffgesetz, Art.  7247. Auf Erzeugnisse dieser letzteren Art finden die Art. 224–226 allerdings dann Anwendung, wenn sie besonders grosse Zerstörungen bewirken oder zu destruktiven Zwecken verwendet wer­ den248. Giftige Gase sind alle gasförmigen Stoffe, die in ihrer konkret verwen­ deten Menge geeignet sind, eine Leib oder Leben gefährdende Vergiftung her­ vorzurufen249.

2.12 Tathandlung Im Gesetz ist die Tathandlung nicht umschrieben. Es kann sich um irgendei­ nen Umgang mit Sprengstoff handeln, welcher Risiken für Rechtsgüter eröff­ net250. Dass es zu einer Detonation gekommen ist, gehört nicht zum Tatbe­ stand251. Es genügt z.B. das Anbringen einer mit einer Zeitzündung versehenen

246  BGE 103 IV 242 = Pr 67 (1978) Nr. 37, 104 IV 235, BstGer vom 8.11.2011 und Berichti­

gung vom 21.3.2012, SK.2011.1, Erw. 3.1.1, BstGer vom 22.7.2011, SK.2011.6, Erw. 4.3.2, BstGer vom 3.11.2016, BG.2016.31, Erw. 2.4.2, Trechsel/Fingerhuth, N 2 zu Art. 224. 247  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 224, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 4 zu Art. 224. 248  BGE 104 IV 234, RS 1990 Nr. 818, BGer vom 20.9.2012, 6B_299/2012, Erw. 2.2 ff., Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 224, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 4 zu Art. 224, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 15. 249  Vgl. Corboz, Vol. II, N 6 f. zu Art. 224, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 5 zu Art. 224, Stratenwerth/Bommer, BT II, §  29 N  15, einschränkend Trechsel/Fingerhuth, N  3 zu Art. 224: nur eigentliche Giftgase, die als Kampfgase Verwendung finden. 250  BstGer vom 17.12.2010, SK.2010.17, Erw. 2.3.1, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 224. 251  BstGer vom 17.12.2010, SK.2010.17, Erw. 2.3.1, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 224, Roelli/ Fleischanderl, BSK StGB II, N 7 zu Art. 224, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 16, Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 224.

48

§ 10  Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226)

Ladung an einem bewohnten Haus oder das Verbringen von Sprengstoff mit Höhenzündung in ein Flugzeug252.

2.13 Gefährdung Dem Wortlaut nach muss die Tathandlung alternativ oder kumulativ Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden. Während das Bun­ desgericht jede konkrete individuelle Gefahr genügen lässt253, wird man auch hier verlangen müssen, dass die konkret gefährdeten Personen die Allgemein­ heit repräsentieren254.

2.2

Subjektiver Tatbestand

2.21

Gefährdung in verbrecherischer Absicht (Art. 224)

Die Strafbestimmung von Art. 224 (Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht/Emploi, avec dessein délictueux, d’explosifs ou de gaz toxiques/Uso delittuoso di materie esplosive o gas velenosi/Causing danger by means of explosives and toxic gases with criminal intent) erfordert vorsätzli­ ches Handeln «in verbrecherischer Absicht». Der Gefährdungsvorsatz liegt vor, sobald der Täter die mit dem geplanten Ein­ satz von Sprengstoff verbundene Gefahr kennt und trotzdem handelt255; nicht erforderlich ist, dass er die mit der Gefahr verbundene Schädigung anderer an Leib, Leben oder Eigentum ebenfalls will256. Die verbrecherische Absicht besteht darin, dass der Täter den Sprengstoff ein­ setzt, um vorsätzlich ein darüber hinausgehendes Verbrechen oder Vergehen

252  Vgl. BGE 115 IV 12  f. = Pr 79 (1990) Nr.  125, BstGer vom 17.12.2010, SK.2010.17,

Erw. 2.3.2.

253  BGE 103 IV 243 = Pr 67 (1978) Nr. 37, 115 IV 113, vgl. auch BstGer vom 17.12.2010,

SK.2010.17, Erw.  2.3.1, BstGer vom 8.11.2011 und Berichtigung vom 21.3.2012, SK.2011.1, Erw. 3.1.1, Corboz, Vol. II, N 12 f. zu Art. 224. 254  Vgl. SJZ 85 (1989) 381, OGer Luzern vom 4.2.2010, 2 109 111, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 224, N 3 zu Art. 225, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 17, 27, Trechsel/Fingerhuth, N 5 zu Art. 224. Vgl. auch vorn §§ 6 und 7 Ziff. 3.1. 255  BstGer vom 17.12.2010, SK.2010.17, Erw. 2.3.1, BstGer vom 8.11.2011 und Berichtigung vom 21.3.2012, SK.2011.1, Erw. 3.1.2, BstGer vom 3.11.2016, BG.2016.31, Erw. 2.4.3, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 zu Art. 224. 256  BGE 103 IV 243 = Pr 67 (1978) Nr. 37, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 224.

49

§ 10  Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226)

zu verüben257. Eine entsprechende Eventualabsicht soll nach Auffassung des Bundesgerichts258 ausreichen, was angesichts der hohen Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe fragwürdig erscheint, wenn der Täter bloss Sach­ schaden in Kauf nahm259. Beispiele für beachtliche verbrecherische Absichten: Der Terrorist sprengt ein öffentli­ ches Gebäude in die Luft, der Täter unterstützt seine Erpressung mit einem Bomben­ anschlag, der Dieb sprengt den Tresor auf.

2.22

Gefährdung ohne verbrecherische Absicht, fahrlässige Gefährdung (Art. 225)

Fehlt die verbrecherische Absicht, gelangt Art.  225 (Gefährdung ohne verbrecherische Absicht. Fahrlässige Gefährdung/Emploi sans dessein délictueux ou par négligence/Uso colposo di materie esplosive o gas velenosi/Causing danger without criminal intent or through negligence) zur Anwendung, bei dem sowohl vorsätzliches als auch fahrlässiges Verhalten erfasst und – wenig sachgemäss – einander in Bezug auf die Strafdrohung gleichgestellt werden260. Die Bestrafung wegen Fahrlässigkeit kommt insbesondere bei unsachgemäs­ ser Handhabung im Rahmen der an sich erlaubten Verwendung von Spreng­ stoffen in Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft oder Militär in Betracht261. Das Mass der Sorgfaltspflichten ergibt sich in erster Linie aus den in Ziff. 1 zitier­ ten Erlassen des Bundes. Die in Art.  225 enthaltene vorsätzliche Gefährdung ohne verbrecherische Absicht ist ohne grosse praktische Bedeutung. Zu denken ist beispielsweise an die Situation, dass jemand ihm selber gehörende Objekte sprengen will, um sie zu beseitigen, oder zum Vergnügen oder aus Interesse mit Sprengstoff hantiert und dabei um die entstehende Gefahr weiss.

257  BGE 103 IV 243 = Pr 67 (1978) Nr. 37, 115 IV 13 = Pr 79 (1990) Nr. 125, 115 IV 113,

­ stGer vom 17.12.2010, SK.2010.17, Erw. 2.3.1, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 B zu Art. 224, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 19, Trechsel/Fingerhuth, N 7 zu Art. 224. 258  BGE 103 IV 243. 259  Vgl. Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 224, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 zu Art. 224, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 20, Trechsel/Fingerhuth, N 7 zu Art. 224. 260  Kritisch auch Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 8 zu Art. 225, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 24, Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 225. 261  Vgl. BGer vom 16.1.2014, 6B_604/2012, Erw. 4.1 und 4.4 ff., Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 225.

50

§ 10  Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226)

2.3

Privilegierte Fälle

Art. 224 Abs. 2 erlaubt es dem Richter, auf Freiheitsstrafe auch unter einem Jahr (bis maximal drei Jahre) oder auf Geldstrafe zu erkennen, wenn nur Eigentum in unbedeutendem Umfang gefährdet worden ist. Dies gilt auch dann, wenn tatsächlich eine Sachbeschädigung in einem solch beschränkten Ausmass bewirkt wurde. Ausgeschlossen ist die Anwendung der Bestimmung, wenn der Vorsatz des Täters auf Gefährdung fremden Eigentums in grösserem Ausmass oder von Personen ging262. Was den Tatbestand von Art. 225 anbelangt, kann nach Abs. 2 dieser Bestim­ mung in leichten Fällen auf Busse erkannt werden. Hierbei dürfte in der Regel zu fordern sein, dass vom Täter höchstens ein geringer Sachschaden gewollt bzw. vorauszusehen war und es auch tatsächlich bei einer entsprechenden Schädigung geblieben ist, wie z.B. bei der Sprengung eines Briefkastens263.

2.4

Weitere Fragen

In der Regel führt ein Sprengstoffanschlag auch zu realen Rechtsgutsverlet­ zungen, wie Beeinträchtigungen von Leib und Leben oder von Eigentum. Sind Kausalzusammenhang und entsprechender Vorsatz nachgewiesen, so stehen Mord (Art. 112), vorsätzliche Tötung (Art. 111), Körperverletzung (Art. 122, 123) und Sachbeschädigung (Art. 144) bzw. Versuch hierzu in echter Idealkon­ kurrenz zu Art. 224, der zwar die Gefährdung, nicht aber die anschliessende Verletzungshandlung erfasst, der andererseits aber durch die Einbeziehung der Gemeingefährlichkeit über die Verletzungsdelikte hinausgeht264. Echte Idealkonkurrenz kann ferner bestehen zwischen Art. 225 und fahrlässi­ ger Tötung (Art. 117) oder fahrlässiger Körperverletzung (Art.125), wenn der Täter einerseits fahrlässig durch Sprengstoff Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt und andererseits die so geschaffene Gefahr zu einer für ihn voraussehbaren Tötung oder Körperverletzung eines anderen führt265. 262  BGE 103 IV 244 = Pr 67 (1978) Nr. 37, 115 IV 113, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29

N 22, Trechsel/Fingerhuth, N 8 zu Art. 224.

263  Vgl. AGVE 1988, 87 Nr. 23, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 7 zu Art. 225, Trechsel/

Fingerhuth, N 5 zu Art. 225 m.w.H.

264  BGE 103 IV 245 = Pr 67 (1978) Nr.  37, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N  12 zu

Art. 224, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 23, Trechsel/Fingerhuth, N 11 zu Art. 224.

265  RS 1997 Nr. 236, Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 225, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9

zu Art. 225, Trechsel/Fingerhuth, N 6 zu Art. 225.

51

§ 10  Delikte mit Sprengstoffen und giftigen Gasen (Art. 224–226)

Als Folge eines Sprengstoffanschlags kann eine Feuersbrunst ausbrechen. Hat der Täter dies gewollt und in Kauf genommen oder fahrlässig bewirkt, so kon­ kurrieren Art. 224 oder Art. 225 mit Art. 221 bzw. Art. 222 echt266. Dies des­ halb, weil die Handlungsweise des Täters weder durch die beiden letztgenann­ ten Bestimmungen noch durch jene über die Sprengstoffdelikte allseitig erfasst wird267. Gleiches gilt, wenn der Täter sowohl Brandmittel als auch Sprengstoff einsetzt268.

3.

Vorbereitungshandlungen (Art. 226)

Mit Rücksicht auf die Gefährlichkeit von Sprengstoffen und giftigen Gasen stellt Art. 226 (Herstellen, Verbergen, Weiterschaffen von Sprengstoffen und giftigen Gasen/Fabriquer, dissimuler et transporter des explosifs ou des gaz toxiques/ Fabbricazione, occultamento e trasporto di materie esplosive o gas velenosi/Manufacturing, concealing, transporting explosives and toxic gases) in drei Absätzen bestimmte Vorbereitungs- und Beihilfehandlungen zu Art. 224 unter eine selb­ ständige Strafdrohung. Voraussetzung bildet bei allen Tatbeständen, dass der Täter um die geplante verbrecherische Verwendung des Materials durch den oder die Haupttäter weiss oder eine solche annehmen muss. Mit dieser Formulierung wird wie bei der Hehlerei (Art. 160) nichts anderes als der Eventualvorsatz umschrieben269. Nicht erforderlich ist, dass der Täter sich eine genaue Vorstellung von der ver­ brecherischen Verwendung macht270. Es genügt, dass er nach den Umständen damit rechnet und den Einsatz von Sprengstoffen oder giftigen Gasen zur Ver­ übung von Straftaten in Kauf nimmt, bei denen es sich nach Auffassung des Bundesgerichts um Verbrechen im technischen Sinne (Art.  10 Abs.  2) han­ deln muss271. Zu denken ist etwa an die Übergabe von Dynamit an Diebe, wobei sich der Täter bewusst ist, dass die Abnehmer damit einen Tresor aufsprengen könnten. 266  Corboz, Vol. II, N 21 zu Art. 224, N 12 zu Art. 225. 267  Differenzierend Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 12 zu Art. 224, N 9 zu Art. 225. 268  BGer vom 12.11.2012, 6B_719/2011, Erw. 5.2.1. 269  BGE 118 IV 410, Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 226, Trechsel/Fingerhuth, N 5 zu Art. 226,

abweichend Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 32, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 7 zu Art. 226. 270  Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 226. 271  Vgl. BGE 103 IV 244 = Pr 67 (1978) Nr. 37, BGE 104 IV 244, a.M. Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 7 zu Art. 226, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 32.

52

§ 11  Kernenergiedelikte (Art. 226bis und 226ter)

Art. 226 Abs. 1 erfasst das eigentliche Herstellen von Sprengstoffen und giftigen Gasen, nicht aber das Herstellen der Ausgangsprodukte, aus denen der Spreng­ stoff erst noch hergestellt werden muss; insoweit ist aber Bestrafung wegen Ver­ suchs von Art. 226 in Betracht zu ziehen272. Abs. 2 erfasst den der Herstellung nachfolgenden Umgang mit diesen Stoffen. Aufgrund der schwereren Strafdrohung umfasst Abs. 1 den Abs. 2. Abs. 3 erfasst allein die Anleitung zur Herstellung von Sprengstoffen oder gif­ tigen Gasen, nicht dagegen die Anleitung zu deren Verwendung; insoweit ist allein Gehilfenschaft denkbar, wenn eine Tat nach Art. 224 ausgeführt wird273. Kommt es zur Ausführung des Sprengstoffdeliktes, ist der Täter grundsätzlich allein nach Art.  224 bzw. 225 zu bestrafen274. Gibt der Täter einen Teil der Sprengmittel zum verbrecherischen Gebrauch an einen Dritten weiter und ver­ übt er mit dem Rest der Sprengladung selber einen Anschlag, liegt allerdings echte Realkonkurrenz zwischen Art. 224 und 226 vor275. Wollte der Täter einen Anschlag mit Brandmitteln und mit Sprengstoff verüben, liegt echte Konkur­ renz von Art. 226 und Art. 260bis i.V.m. Art. 221 vor276.

§ 11 Kernenergiedelikte (Art. 226bis und 226ter) Literaturauswahl: B. Roelli, Die neuen Kernenergiedelikte im Schweizerischen Strafgesetzbuch, ZStrR 124 (2006) 208.

1. Allgemeines Der unerlaubte Umgang mit Kernenergie war bereits im früheren Bundes­ gesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie vom 23.12.1959 (AtomG) unter Strafe gestellt worden (Art. 29 und 32). Seit der im Jahre 2005 272  Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 226, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 4 zu Art. 226, kri­

tisch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 41.

273  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 226, Trechsel/Fingerhuth, N 3 zu Art. 226. 274  BstGer vom 17.12.2010, SK.2010.17, Erw. 2.4.2, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 29 N 42,

differenzierend zwischen Art. 224 und Art. 225: Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 zu Art. 226, Trechsel/Fingerhuth, N 6 zu Art. 226, für echte Realkonkurrenz dagegen Suter, 324. 275  BGE 103 IV 245 = Pr 67 (1978) Nr. 37, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 zu Art. 226. 276  BGer vom 12.11.2012, 6B_719/2011, Erw.  5.2.1, BstGer vom 22.7.2011, SK.2011.6, Erw. 6.2.1.

53

§ 11  Kernenergiedelikte (Art. 226bis und 226ter)

erfolgten Ablösung des AtomG durch das Kernenergiegesetz (KEG)277 finden sich entsprechende Straftatbestände in KEG Art. 88 ff. sowie in den Art. 43 ff. des Strahlenschutzgesetzes (StSG)278. Zusätzlich sind zum gleichen Zeitpunkt auch die Art. 226bis (Gefährdung durch Kernenergie, Radioaktivität und ionisierende Strahlen/Danger imputable à l’énergie nucléaire, à la radioactivité et aux rayonnements ionisants/Pericolo dovuto all’energia nucleare, alla radioattività e a raggi ionizzanti/Causing danger by means of nuclear energy, radioactivity or ionising radiation) und 226ter (Strafbare Vorbereitungshandlungen/Actes préparatoires punissables/Atti preparatori punibili/Criminal preparatory activities) in das Kernstrafrecht eingefügt worden279. Art.  226bis erfasst Gefährdungen durch Kernenergie, Radioaktivität und ionisierende Strahlen. Der Straftatbe­ stand entspricht weitgehend dem früher in AtomG Art. 29 geregelten Straftat­ bestand der Freisetzung von Atomenergie. Art. 226ter stellt in Parallele zu den Art. 260bis, 226 Vorbereitungshandlungen unter Strafe. Die Verfolgung der Straftaten nach Art. 226bis und 226ter fällt nach StPO Art. 23 Abs. 1 lit. d in die Zuständigkeit der Bundesgerichtsbarkeit. Gleiches gilt für die Straftatbestände des KEG (vgl. KEG Art. 100 Abs. 1). Eine Besonderheit besteht darin, dass bei den Straftatbeständen des Art. 226bis f. eine Freiheits­ strafe zwingend mit einer Geldstrafe verbunden werden muss.

2.

Gefährdungsdelikt (Art. 226bis)

2.1

Objektiver Tatbestand

2.11 Tatmittel Tatmittel sind Kernenergie, Radioaktivität und ionisierende Strahlen. Radio­ aktivität ist gemäss KEG Art. 3 lit. e «jede Art von Energie, die bei der Spal­ tung oder Verschmelzung von Atomkernen frei wird». Radioaktivität ist die bei bestimmten Atomkernen280 vorhandene Eigenschaft, sich spontan unter Frei­ setzung ionisierender Strahlung in andere Atomkerne umzuwandeln281. Taug­ liche Tatmittel sind alle Stoffe und Stoffgemische, welche radioaktives Mate­ rial in welcher Form auch immer enthalten, unter anderem auch radioaktive

277  SR 732.1. 278  SR 814.50. 279  Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 226bis. 280  Vgl. die Übersicht bei Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 11 zu Art. 226bis. 281  BBl 1988 II 232, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 226bis.

54

§ 11  Kernenergiedelikte (Art. 226bis und 226ter)

Abfälle aus Kernkraftwerken, Kliniken usw.282. Ionisierende Strahlen sind alle Arten korpuskolarer und elektromagnetischer Strahlen, deren Energie aus­ reicht, Elektronen aus Atomen herauszulösen283. Hierzu gehören z.B. die von radioaktiven Stoffen ausgehende Strahlung sowie Röntgenstrahlen284, nicht aber die von Starkstromleitungen erzeugte Strahlung285.

2.12 Tathandlung Die Tathandlung besteht darin, dass der Täter durch ein wie auch immer gear­ tetes rechtlich relevantes Handeln Strahlung freisetzt286, z.B. durch das Ver­ abreichen einer Überdosis an Röntgenstrahlen, die Entsorgung radioaktiver Abfälle oder das Herbeiführen eines Störfalls in einer Nuklearanlage287. Dass es zu einer Explosion kommt, ist nicht erforderlich288. Eine Tatbegehung durch Unterlassen ist erfasst, soweit der Täter Garant ist. Die Garantenstellung kann sich entweder aus der Stellung als Garant für die Beherrschung einer Gefahren­ quelle ergeben oder aus Ingerenz289.

2.13 Gefährdung Die Freisetzung der Strahlung muss alternativ oder kumulativ Leben und Gesundheit von Menschen oder fremdes Eigentum von erheblichem Wert konkret290 gefährden, wobei auch hier wieder zu verlangen ist, dass die kon­ kret gefährdeten Personen oder Sachen die Allgemeinheit repräsentieren291. Das Merkmal der «Gesundheit» ist gleich wie das in anderen Tatbeständen des 282  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 226bis, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 12 zu Art. 226bis,

Trechsel/Fingerhuth, N 2 zu Art. 226bis.

283  BBl 1988 II 232, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 226bis, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II,

N 14 zu Art. 226bis.

284  BBl 1988 II 232, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 15 zu Art. 226bis. 285  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 4. 286  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 226bis, Pieth, BT, 207. 287  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 17 zu Art. 226bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30

N 4.

288  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 17 zu Art. 226bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30

N 4.

289  Vgl. auch Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 18 zu Art. 226bis. 290  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 226bis, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 17 zu Art. 226bis,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 4.

291  Pieth, BT, 207, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 zu Art. 226bis, Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 30 N 5, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 226bis sowie vorne §§ 6 und 7.

55

§ 11  Kernenergiedelikte (Art. 226bis und 226ter)

7. Titels verwendete Merkmal «Leib» zu verstehen: Erfasst ist nur die physische Integrität, nicht aber die psychische292. Für die Bestimmung des Merkmals des «erheblichen» Werts von Eigentum kann auf die Auslegung des «erheblichen Schadens» bei der Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 3)293 zurückgegriffen wer­ den294.

2.2

Subjektiver Tatbestand

2.21

Vorsätzliche Gefährdung (Abs. 1)

Abs.  1 verlangt vorsätzliches Verhalten, wobei Eventualvorsatz ausreichend ist295. Für den Gefährdungsvorsatz gelten die Ausführungen zu Art. 221 ent­ sprechend296.

2.22

Fahrlässige Gefährdung (Abs. 2)

Über Abs. 2 wird auch die fahrlässige Herbeiführung einer Gefährdung erfasst. Die Sorgfaltspflichtwidrigkeit kann sowohl darin bestehen, dass die einschlägi­ gen Strahlenschutzvorschriften nicht beachtet werden (Ausführungsverschul­ den), als auch darin, dass der Täter über die für den Umgang mit den infrage stehenden Stoffen notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse nicht verfügt (Übernahmeverschulden)297. Insoweit geltend die Ausführungen zu Art. 222 entsprechend298.

2.3

Weitere Fragen

Die Freisetzung von Strahlung kann zu Beeinträchtigungen von Leib und Leben oder von Eigentum führen. Ist dies der Fall, stehen die einschlägi­ gen Delikte (Art.  111  f., 117, 122  f., 125, 144) in echter Idealkonkurrenz zu 292  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 10 zu Art. 226bis, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 9 zu

Art. 226bis.

293  Vgl. hierzu Strafrecht III, § 15 Ziff. 3. 294  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 226bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 5, a.M. Roelli/

Fleischanderl, BSK StGB II, N 17 zu Art. 226bis, Trechsel/Fingerhuth, N 2 zu Art. 226bis: Zu berücksichtigen seien auch die Kosten der Entsorgung. 295  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 226bis, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 24 zu Art. 226bis, Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 226bis. 296  Vgl. vorn § 7. 297  Vgl. Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 25 f. zu Art. 226bis. 298  Vgl. vorn § 8.

56

§ 11  Kernenergiedelikte (Art. 226bis und 226ter)

Art. 226bis 299. Gegenüber Art. 129 ist Art. 226bis lex specialis300. In Bezug auf die Art. 221 f., 224 ff. besteht echte Konkurrenz301. Art. 226bis verdrängt StSG Art. 43, 43a sowie KEG Art. 88 ff., soweit Art. 226bis die infrage stehende Tat ihrem Unrechtsgehalt nach vollständig abdeckt302.

3.

Vorbereitungshandlungen (Art. 226ter)

Mit Rücksicht auf die besondere Gefährlichkeit der Freisetzung von Strahlung hat der Gesetzgeber die Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen für not­ wendig erachtet303. Bei der Ausgestaltung des Straftatbestands, der an die Stelle der ausser Kraft getretenen Vorgängernorm von AtomG Art. 32 getreten ist, hat sich der Gesetzgeber an bereits bestehenden Normen orientiert. Hat der Täter sich auch nach Art. 226bis strafbar gemacht, tritt Art. 226ter (Strafbare Vorbereitungshandlungen/Actes préparatoires punissables/Atti preparatori punibili/ Criminal preparatory activities) im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück304. Abs. 1 erfasst planmässige konkrete technische oder organisatorische Vorberei­ tungen zu einem Delikt nach Art. 226bis 305. Der Sache nach dehnt Abs. 1 den Anwendungsbereich des Art.  260bis auf Delikte nach Art.  226bis aus. Für die Auslegung des Abs. 1 kann auf die Ausführungen zu Art. 260bis verwiesen wer­ den306. In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, wobei hier – wie auch bei Art. 260bis 307 – Eventualvorsatz nicht ausreichend ist308. Abs. 2 und 3 entsprechen Art. 226 Abs. 2 und 3309. Für die Auslegung der ein­ zelnen Merkmale kann deshalb auf die Ausführungen zu Art. 226 Abs. 2 und

299  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 28 zu Art. 226bis. 300  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N  28 zu Art.  226bis, Trechsel/Fingerhuth, N  8 zu

Art. 226bis.

301  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 28 zu Art. 226bis, a.M. Trechsel/Fingerhuth, N 8 zu

Art. 226bis.

302  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N  29 zu Art.  226bis, Trechsel/Fingerhuth, N  8 zu

Art. 226bis.

303  Botschaft 2001, 2802. 304  Corboz, Vol. II, N 30 zu Art. 226ter. 305  Vgl. Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 7 zu Art. 226ter. 306  Vgl. § 47. 307  Vgl. § 47 Ziff. 3. 308  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N  15 zu Art.  226ter, Trechsel/Fingerhuth, N  1 zu

Art. 226ter, a.M. Corboz, Vol. II, N 21 zu Art. 226ter.

309  Corboz, Vol. II, N 13 und 18 zu Art. 226ter.

57

§ 12  Verursachung einer Überschwemmung oder eines Einsturzes (Art. 227)

3 verwiesen werden310. In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, wobei hier Eventualvorsatz ausreichend, aber auch erforderlich ist311. Umstritten ist, ob eine Teilnahme an den Vorbereitungshandlungen strafbar ist312 und ob bei Abs. 2 und 3 der Versuch strafbar ist313.

§ 12 Verursachung einer Überschwemmung oder eines Einsturzes (Art. 227) 1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Tathandlung Die nach Art. 227 (Verursachen einer Überschwemmung oder eines Einsturzes/ Inondation. Ecroulement/Inondazione. Franamento/Causing a flood, collapse or landslide) relevante Tathandlung kann alternativ bestehen in der –– Herbeiführung einer Überschwemmung (bei der Wassermassen in einem grösseren, nicht kontrollierbaren Ausmass ausbrechen)314; –– Verursachung des Einsturzes eines Bauwerkes, d.h. einer stabilen Baute im oder über dem Erdboden315; –– Bewirkung eines Erd- oder Felsabsturzes, der von erheblichem Ausmass sein muss316. Das betreffende Ereignis kann vom Täter auf beliebige Weise bewirkt werden, z.B. durch Beschädigen des Damms eines Stausees, worauf sich die Wassermas­ sen auf das darunter liegende Gebiet ergiessen. Denkbar ist auch ein unechtes

310  Vgl. hierzu auch Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 8 ff. und 14 zu Art. 226ter. 311  Corboz, Vol. II, N 23 zu Art. 226ter, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 16 zu Art. 226ter. 312  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 5 zu Art. 226ter. 313  Verneinend Corboz, Vol. II, N 28 zu Art. 226ter, bejahend dagegen Roelli/Fleischanderl,

BSK StGB II, N 6 zu Art. 226ter.

314  Vgl. Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 227, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 5 zu Art. 227,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 15.

315  Vgl. Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 227, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 5 zu Art. 227,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 16.

316  Vgl. Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 227, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 5 zu Art. 227,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 17.

58

§ 12  Verursachung einer Überschwemmung oder eines Einsturzes (Art. 227)

Unterlassungsdelikt bei Bestehen einer Garantenpflicht317, was z.B. bei einem Bauingenieur oder Sanitärinstallateur relevant werden kann318.

1.2

Bewirken einer Gefährdung

Die Überschwemmung oder der Ein- bzw. Absturz muss eine Gefährdung von Leib oder Leben oder von fremdem Eigentum herbeiführen, wobei wiederum zu verlangen ist, dass es sich um eine Gefährdung einer oder mehrerer Perso­ nen handelt, die als Repräsentanten der Allgemeinheit betroffen sind319.

2.

Subjektiver Tatbestand

Der Tatbestand von Art. 227 Ziff. 1 erfordert Vorsatz in Bezug auf die Tathand­ lung. Der Täter muss sich ausserdem bewusst sein, dass durch sie Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr gebracht werden; dies­ bezüglich genügt dolus eventualis nicht320. Hat der Täter unwillentlich, aber infolge pflichtwidriger Unvorsichtigkeit die Überschwemmung oder den Ein- bzw. Absturz und die damit verbundene Gefährdung bewirkt, oder war er sich deren nicht bewusst, so ist er wegen Fahrlässigkeit nach Art. 227 Ziff. 2 strafbar321.

3.

Privilegierter Fall von Ziff. 1 Abs. 2

Das Vorsatzdelikt kann mit milderer Strafe geahndet werden, wenn nur ein geringer Schaden entstand. Davon wird wohl abzusehen sein, wenn der Vor­ satz des Täters weiterging.

317  Vgl. Strafrecht I, § 30 Ziff. 2.11. 318  Vgl. BGE 115 IV 202, wo das Bundesgericht zu Unrecht das Unterlassungs- in ein Bege­

hungsdelikt umgedeutet hat.

319  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 15, vgl. auch Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 3

zu Art. 227, Trechsel/Fingerhuth, N 2 zu Art. 227: Angesichts der hohen Strafdrohung seien unter die Norm nur Vorgänge von einiger Erheblichkeit zu subsumieren; kritisch hierzu wiederum Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 227. Vgl. auch vorn §§ 6 und 7 Ziff. 3.1. 320  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 227, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 227. 321  Vgl. BGE 115 IV 202, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 8 zu Art. 227.

59

§ 13  Beschädigung elektrischer Anlagen usw. (Art. 228)

4. Konkurrenzen Echte Idealkonkurrenz besteht mit Verletzungsdelikten (Art. 111, 117, 122, 123, 125)322, mit Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237) oder von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239), sofern die Gefährdung entsprechende weiter gehende Folgen nach sich zog und diese vom Vorsatz des Täters umfasst bzw. für ihn vorhersehbar waren323.

§ 13 Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutzvorrichtungen (Art. 228) 1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Handlungsobjekt und Tathandlung

Das Angriffsziel von Art. 228 (Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutzvorrichtungen/Dommages aux installations électriques, travaux hydrauliques et ouvrages de protection/Danneggiamento d’impianti elettrici, di opere idrauliche e di opere di premunizione/Damaging electrical installations, hydraulic structures and safety measures) bilden elektrische Anlagen, d.h. Anla­ gen, die bestimmt sind, elektrische Energie zu produzieren oder zu liefern324, Wasserbauten325 sowie Schutzvorrichtungen gegen Naturereignisse, wie Berg­ stürze oder Lawinen326, wobei angesichts der hohen Strafdrohung nur Fälle von einiger Erheblichkeit in Betracht kommen können327. 322  Vgl. BGE 115 IV 201, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 10 zu Art. 227, Trechsel/Fin-

gerhuth, N 5 zu Art. 227.

323  Corboz, Vol. II, N 17 f. zu Art. 227, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 10 zu Art. 227. 324  Z.B. Turbinenanlagen von Elektrizitätswerken, Hochspannungsleitungen, Transforma­

torenstationen. BGer vom 6.2.2003, 6S.268/2002, Erw. 5.2 f. hat offengelassen, ob ein Zählerkasten als elektrische Anlage aufzufassen ist; erfasst seien jedenfalls die Ein- und Ausgangsleitungen zum Zählerkasten. 325  Namentlich Dämme, Wehre, Deiche oder Schleusen. 326  Z.B. Verbauungen oder Schutzwälder. Nicht erfasst sein sollen Blitzableiter (vgl. Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 228, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 228, Trechsel/Fingerhuth, N 1 zu Art. 228). 327  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 6 zu Art. 228, Trechsel/Fingerhuth, N 1 zu Art. 228, vgl. aber auch MKGE 8 Nr. 21, PKG 1950 56 = RS 1952 Nr. 127: Stromzähler in einem Wohnblock als taugliches Angriffsziel.

60

§ 13  Beschädigung elektrischer Anlagen usw. (Art. 228)

Die Tathandlung besteht in der Beschädigung oder Zerstörung der geschütz­ ten Einrichtung. Es entspricht dies den in Art. 144 bei der Sachbeschädigung umschriebenen Handlungen328.

1.2

Bewirken einer Gefährdung

Entsprechend der üblichen Struktur der Gefährdungsdelikte muss die Tat­ handlung zu einer Gefährdung von Menschen oder fremdem Eigentum führen, wobei auch hier zu verlangen ist, dass die gefährdeten individuellen Rechtsgü­ ter die Allgemeinheit repräsentieren329. Verneint wurde das Vorliegen einer Gefährdung bei der Beschädigung eines Elektro­ mastes, wodurch die nicht unter Strom stehende Leitung heruntergerissen wurde330. Bejaht wurde sie dagegen bei Manipulationen an einem elektrischen Zähler mit Siche­ rungsanlage, wobei der Täter zur Unterbrechung des Zählers Zündhölzchen einschob und die defekten Sicherungen mit Stanniol einwickelte. Auf solche Weise wird die Gefahr eines Kurzschlusses und einer Feuersbrunst geschaffen331.

2.

Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand erfordert entweder Vorsatz mit wissentlicher Gefährdung (Ziff. 1) oder Fahrlässigkeit (Ziff. 2)332. In letzterem Falle kann Sorgfalts­ widrigkeit sowohl in Bezug auf Beschädigung und Gefährdung als auch auf die Gefährdung allein gegeben sein. So wurde ein Ehepaar nach Art. 228 Ziff. 2 verurteilt, das aus Gründen der Ersparnis den Zählimpuls unterbrach, dabei aber nicht die damit verbundene Gefahr bedachte333.

328  Vgl. Strafrecht III, § 15 Ziff. 1.2. 329  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 3 zu Art. 228, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30

N 23, vgl. aber auch BGer vom 6.2.2003, 6S.268/2002, Erw. 5.2 f., SJZ 62 (1966) 257. Vgl. auch vorn §§ 6 und 7 Ziff. 3.1. 330  SJZ 39 (1942/43) 415. 331  PKG 1950 56, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 228, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 23, a.M. Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N  6 zu Art.  228, Trechsel/Fingerhuth, N  1 zu Art. 228: Gefährdung durch Elektrizität ist erforderlich, Gefährdung durch Ausfall der Stromversorgung reicht nicht. 332  Vgl. Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 zu Art. 228. 333  PKG 1950 56.

61

§ 14  Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229)

3.

Privilegierter Tatbestand

Auch Art. 228 Ziff. 1 Abs. 2 kennt beim Vorsatzdelikt den privilegierten Tatbe­ stand des geringen Schadens334.

4.

Weitere Fragen

Die Beschädigung von elektrischen Anlagen oder Wasserbauten kann zu einer Feuersbrunst (Art.  221, 222) bzw. Überschwemmung (Art.  227) führen. Je nach subjektivem Tatbestand liegt dann echte Idealkonkurrenz von Art. 228 mit Art. 221/222 oder Art. 227 Ziff. 1 oder 2 vor335. Art.  228 berücksichtigt nicht, dass die Beschädigung von elektrischen Anla­ gen usw. die Versorgung mit elektrischem Strom zeitweilig über weite Gebiete unterbrechen kann. Zu Art. 239 besteht deshalb echte Idealkonkurrenz336. Art.  228 kann schliesslich echt konkurrieren mit Art.  142, Art.  238337 oder Art. 248338. Art. 144 wird durch Art. 228 verdrängt339.

§ 14 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229) Literaturauswahl: F. Bendel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Verletzung der Regeln der Baukunde, Diss. Genf 1960, derselbe, Die fahrlässige Tötung und Körperverletzung beim Bauen, ZStrR 79 (1963) 25 (zit. Bendel, Bauen), derselbe, Aus dem Baustrafrecht, Krim 21 (1967) 267, M.  Brunner, Die Brandstiftung und die fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst i.S.  von Art. 221 und 222 StGB, Diss. Zürich 1986, J. Hurtado Pozo, Les prescriptions du droit pénal sur la con­struction, ZStrR 105 (1988) 249, G. Maranta, Fahrlässige Tötung und Gefährdung durch fahr­ lässige Verletzung der Regeln der Baukunde, Krim 19 (1965) 647, F. Riklin, Zum Strafbestand des Art. 229 StGB (Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde), Baurecht 1985 Heft 4, 44 (zit. Riklin, Baurecht), derselbe, Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Architekten, in: Das Architektenrecht, Freiburg 1995, 513, R. Rohr, Die Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde, Diss. Zürich 1960, R. Schumacher, Sicheres Bauen und sichere Bauwerke, Wer haftet? Alle!, Freiburg 2010. 334  Dazu vorn § 12 Ziff. 3. 335  Vgl. auch Corboz, Vol. II, N 11 f. zu Art. 228, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 13

zu Art. 229.

336  MKGE 8 Nr. 21. 337  SJZ 39 (1942/43) 415, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 228. 338  PKG 1950 56. 339  Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 228, a.M. Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 228.

62

§ 14  Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229)

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täter Art. 229 (Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde/Violation des règles de l’art de construire/Violazione delle regole dell’arte edilizia/Causing danger by violating construction regulations) ist ein Sonderdelikt340 für bestimmte Berufsangehörige, die Arbeiten an einem Bauwerk ausführen oder leiten und in deren Verantwortungsbereich die Wahrung der Regeln der Baukunde fällt341. Als Täter kommen z.B. infrage342: Architekten, Ingenieure, Baumeister, Baulei­ ter343, Bauarbeiter, nicht aber der Bauherr344, es sei denn, dieser handelt in einer der eben genannten Funktionen. Es können mehrere Personen in einer hier­ archischen Stufenfolge oder auch nebeneinander verantwortlich sein345, jeder aber nur für Ereignisse infolge von Regelverstössen in seinem Verantwortungs­ bereich346. Der Umfang des jeweiligen Verantwortungsbereichs bestimmt sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls, wobei neben den einschlägi­ gen gesetzlichen Bestimmungen auch die vertraglichen Vereinbarungen und die im konkreten Fall ausgeübten Funktionen zu beachten sind347. Hat z.B. der Unternehmer seine Verantwortung für die Einhaltung der Regeln der Bau­

340  Von der Struktur des Delikts her handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt,

vgl. fp 2011, 13 f. mit Anm. Konopatsch, BGer vom 11.4.2013, 6B_543/2012, Erw. 1.3.3, OGer Zürich vom 15.3.2013, SB120 370, Erw. B.1, LGVE 2014 I Nr. 2. 341  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 20 ff. zu Art. 229, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 31. 342  Vgl. hierzu Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 24 ff. zu Art. 229. 343  Vgl. fp 2011, 13 ff. mit Anm. Konopatsch. 344  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 31, a.M. SJZ 59 (1963) 347, 62 (1966) 256, Bendel, Bauen, 30, vgl. auch Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 33 zu Art. 229 m.w.H. 345  BGE 104 IV 103  f., BGer vom 30.1.2003, 6S.181/2002, Erw.  3.2, BGer vom 3.8.2004, 6P.58/2003, Erw.  6.1, BGer vom 27.4.2006, 6S.403/2005, Erw.  6, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 20 ff. zu Art. 229, Trechsel/Fingerhuth, N 6 zu Art. 229. 346  BGE 109 IV 17, fp 2011, 13 ff. mit Anm. Konopatsch, BGer vom 3.8.2004, 6P.58/2003, Erw. 6.1, BGer vom 13.3.2012, 6B_566/2011, Erw. 2.3.3, OGer Zürich vom 15.3.2013, SB120 370, Erw. B.1, Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 229, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 20 ff. zu Art. 229, Schumacher, N 239 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 31. 347  BGer vom 3.8.2004, 6P.58/2003, Erw. 6.1, BGer vom 11.4.2013, 6B_543/2012, Erw. 1.3.3, Pieth, BT, 205: Der Architekt habe für Fehler einzustehen, die sich gerade aus den Plä­ nen ergeben.

63

§ 14  Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229)

kunde an einen Spezialisten delegiert, bleibt er für die Auswahl, die Instruk­ tion und die Überwachung der eingesetzten Person verantwortlich348.

1.2

Begriff des Bauwerks und des Abbruchs

Als Bauwerk i.S. von Art. 229 gilt jede bauliche oder technische Anlage, die mit Grund und Boden verbunden ist349. Als Hauptbeispiele werden in diesen Ent­ scheiden aufgeführt: Alle Arten von Hoch- und Tiefbauten wie Häuser, Bah­ nen, Kanäle und dergleichen, blosse Teile solcher Bauten, sofern sie mit diesen oder dem Erdboden fest verbunden sind, inklusive etwaiger Hilfskonstruktio­ nen, wie z.B. Gerüste350. Der Abbruch muss keine totale Zerstörung des Bauwerkes zur Folge haben; es kann sich auch um eine (Teil-)Demontage handeln351.

1.3

Tatbestandsmässiges Verhalten

Das tatbestandsmässige Verhalten besteht darin, dass der Täter die anerkann­ ten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt, entweder durch aktives Tun oder – praktisch bedeutsam  – durch Unterlassen352 der gebotenen Sicherungsmass­ nahmen353. Die Regeln sind in gesetzlichen Erlassen sowie geschriebenen und ungeschrie­ benen Vorschriften enthalten, die der Unfallverhütung dienen und den gesi­

348  BGer vom 3.8.2004, 6P.58/2003, Erw. 6.1 f., BGer vom 27.4.2006, 6S.403/2005, Erw. 7.2,

BGer vom 11.4.2013, 6B_543/2012, Erw. 1.3.3.

349  BGE 90 IV 249, 115 IV 48, Corboz, Vol. II, N 6 f. zu Art. 229, Roelli/Fleischanderl, BSK

StGB II, N 7 zu Art. 229, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 27, weiter gehend Trechsel/Fingerhuth, N 2 zu Art. 229: Einbeziehung von Fahrnisbauten. 350  BGE 90 IV 249, 104 IV 99, Trechsel/Fingerhuth, N 3 zu Art. 229. 351  Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 229, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 12 zu Art. 229. 352  Vgl. hinten Ziff. 3.1. 353  BGE 90 IV 249, 101 IV 30 f., 109 IV 17, 109 IV 126, BGer vom 11.4.2013, 6B_543/2012, Erw. 1.3.3, OGer Zürich SB150 298 vom 17.12.2015, Erw. 3.1, OGer Zürich SB120 370 vom 15.3.2013, Erw.  B.1, Corboz, Vol. II, N  16 zu Art.  229, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 9 zu Art. 229, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 30, Trechsel/Fingerhuth, N 7 zu Art. 229.

64

§ 14  Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229)

cherten Erkenntnissen der Baukunde entsprechen354. Als Quellen355 zu erwäh­ nen sind beispielsweise die bundesrechtlichen Verordnungen über Verhütung von Betriebsunfällen356, die Verordnung über die Sicherheit und den Gesund­ heitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Bauarbeiten357 oder die Normen des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). Der Regelverstoss braucht sich nicht in einer Beeinträchtigung des Bauwerks als solchem auszuwirken, sondern kann auch ausschliesslich Hilfseinrichtun­ gen wie z.B. Gerüste betreffen oder sich im unvorsichtigen Umgang mit Bau­ maschinen und -apparaten erschöpfen358; Art. 229 will Leib und Leben aller Menschen schützen, die im Zusammenhang mit einem Bau betroffen werden können359. Die Tathandlung muss im Rahmen der Leitung oder Ausführung von Bauoder Abbrucharbeiten erfolgen. Zu den Bauarbeiten gehören sowohl Planung, Berechnung und technische Konstruktion als auch die Ausführung der Arbei­ ten selber, nicht aber spätere Kontrollen von Bauten auf deren Zustand.

1.4 Gefährdung Die Missachtung der technischen Grundsätze muss zu einer Gefährdung füh­ ren. Im Gegensatz zu den anderen Delikten des 7. Titels muss diese sich stets auf Leib oder Leben beziehen, wobei das Gesetz ausdrücklich eine Gefahr für den Täter allein nicht genügen lässt360. Es muss sich um eine «bautypische» Gefahr handeln361, wobei die betroffene Person bzw. die betroffenen Personen die Allgemeinheit repräsentieren müssen362. 354  BGE 104 IV 99, 106 IV 268, 109 IV 128, BGer vom 13.3.2012, 6B_566/2011, Erw. 2.3.3,

BGer vom 13.3.2012, 6B_566/2011, Erw. 2.3.2, Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 229, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 28, Trechsel/Fingerhuth, N 5 zu Art. 229. 355  Vgl. hierzu im Einzelnen Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 13 ff. zu Art. 229. 356  SR 832.31 ff. 357   Bauarbeitenverordnung, SR 832.311.141, vgl. diesbezüglich fp 2011, 13, 15 mit Anm. Konopatsch. 358  Vgl. BGE 115 IV 49, Riklin, Baurecht, 44. 359  BGE 115 IV 49. 360  SJZ 62 (1966) 256. 361  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 41 zu Art. 229, Trechsel/Fingerhuth, N 8 zu Art. 229, offengelassen in BGE 115 IV 50. 362  Pieth, BT, 206, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 32, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 41 zu Art. 229, Trechsel/Fingerhuth, N 8 zu Art. 229, vgl. hierzu vorne § 7 Ziff. 3.1, unklar Corboz, Vol. II, N 27 zu Art. 229.

65

§ 14  Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229)

2.

Subjektiver Tatbestand

Bei der vorsätzlichen Begehung ist auf den Gefährdungswillen zu achten. Wer wissentlich Sicherheitsvorschriften verletzt, obwohl er weiss, dass dadurch Leib und Leben von Menschen gefährdet werden, hat damit auch die Gefährdung wissentlich mitgewollt363. Bei der fahrlässigen Verübung muss sich die Fahrlässigkeit  – entgegen der unvollständigen Formulierung im Gesetz – sowohl auf die Verletzung der Bau­ regeln wie auch auf die dadurch entstandene Gefährdung beziehen364; sie kann sowohl eine unbewusste als auch eine bewusste sein365. Bei einer Mehrheit von Verantwortlichen kommt Nebentäterschaft infrage366.

3.

Weitere Fragen

3.1

Art. 229 als unechtes Unterlassungsdelikt

Erschöpft sich das Fehlverhalten in einem blossen Nichtstun, setzt die Strafbar­ keit voraus, dass der infrage stehenden Person eine Garantenstellung zukommt, was z.B. bei Architekten, Ingenieuren und Bauführern der Fall sein kann. Der­ artige Personen können den Tatbestand auch dann erfüllen, wenn sie selber nicht aktiv zum fehlerhaften Vorgehen beigetragen haben367. Zu denken ist etwa daran, dass ihnen ein solches mit Gefahren verbundenes Verhalten ande­ rer wegen Vernachlässigung ihrer Aufsichts- und Kontrollpflichten entgangen ist (Fahrlässigkeit) oder dass sie sogar die Verletzung von Regeln der Baukunde durch die Arbeiter bewusst tolerierten, obschon sie die damit verbundenen Gefahren kannten (Vorsatz). In solchen Fällen richtet sich die Strafbarkeit nach den besonderen Sorgfaltspflichten von Garanten im Rahmen von Art. 12 Abs. 3 und den allgemeinen Regeln über das unechte Unterlassungsdelikt368. 363  SJZ 63 (1967) 279. Zu den dennoch bestehenden Nachweisschwierigkeiten vgl. Roelli/

Fleischanderl, BSK StGB II, N 45 zu Art. 229.

364  RS 1961 Nr. 189, Corboz, Vol. II, N 37 zu Art. 229, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II,

N 46 zu Art. 229, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 36, Trechsel/Fingerhuth, N 10 zu Art. 229. 365  BGE 90 IV 251, 109 IV 128, Corboz, Vol. II, N 31 zu Art. 229, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 46 zu Art. 229. 366  Strafrecht I, § 15 Ziff. 2, SJZ 59 (1963) 347, zur Pflicht des Vorgesetzten vgl. BGE 109 IV 17. 367  Vgl. die Fallgestaltungen bei BGer vom 3.8.2004, 6P.58/2003, Erw. 5.2 und 6.3, BGer vom 16.2.2009, 6B_969/2008, Erw. 5.2. 368  Dazu Strafrecht I, § 30.

66

§ 14  Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229)

3.2 Konkurrenzen 3.21

Zusammentreffen mit anderen Gefährdungsdelikten

Die fehlerhafte Bauausführung kann zu einer Feuersbrunst (Art.  221, 222), zu einer Überschwemmung bzw. zu einem Einsturz (Art. 227) oder zu einer Beschädigung elektrischer Anlagen bzw. von Wasserbauten (Art.  228) füh­ ren. Alsdann wird echte Idealkonkurrenz der zitierten Strafbestimmungen mit Art. 229 angenommen, wenn die jeweiligen objektiven und subjektiven Tatbe­ stände erfüllt sind369.

3.22

Konkurrenz mit Verletzungsdelikten

Verwirklicht sich die Gefährdung in einer Tötung oder Verletzung von Men­ schen, so kommen namentlich fahrlässige Tötung (Art.  117) oder Körper­ verletzung (Art.  125) in echter Idealkonkurrenz mit Art.  229 Abs.  1 oder 2 infrage370. Dabei ist durchaus denkbar, dass der Täter die Gefährdung vorsätz­ lich, die Verletzung dagegen nur fahrlässig herbeiführt371. Wird ausser dem Getöteten oder Verletzten niemand sonst gefährdet, so kon­ sumieren Art. 117 bzw. Art. 125 den Art. 229372. Echte Konkurrenz ist dann gegeben, wenn eine Person verletzt und andere Personen gefährdet wurden373.

3.3 Verjährung Es kommt gelegentlich vor, dass sich ein Fehler bei der Erstellung eines Baues erst später zu einer konkreten Gefährdung entwickelt. Bei einem solchen Sach­ verhalt kann sich die Frage der Verfolgungsverjährung nach Art. 97 ff. stellen. Weil Art. 229 nicht ein Dauerdelikt, sondern ein Zustandsdelikt ist, beginnt die 369  Siehe Bendel, Bauen, 38, Brunner, 137, SJZ 48 (1952) 129, a.M. bzgl. Art. 227 Roelli/Flei-

schanderl, BSK StGB II, N 55 zu Art. 229, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 38: Vor­ rang des Art. 227 wegen der höheren Strafdrohung. 370  Vgl. BGE 101 IV 31, 109 IV 16, BGer vom 30.1.2003, 6S.181/2002, Erw. 3.2.2, BGer vom 3.8.2004, 6P.58/2003, Erw. 5.1, BGer vom 11.4.2013, 6B_543/2012, Erw. 1.3.1, Corboz, Vol. II, N 38 zu Art. 229, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 54 zu Art. 229, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 37, Trechsel/Fingerhuth, N 13 zu Art. 229. 371  SJZ 63 (1967) 243. 372  OGer Zürich vom 6.2.2015, UE140 103, Erw. 4.3, Riklin, Baurecht, 49, Trechsel/Fingerhuth, N 13 zu Art. 229, einschränkend Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 37. 373  OGer Zürich vom 15.3.2013, SB120 370, Erw. B.1, RS 2001 Nr. 128, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 54 zu Art. 229, zweifelnd Corboz, Vol. II, N 38 zu Art. 229.

67

§ 15  Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen (Art. 230)

Verjährung nach Art. 98 mit der Ausführung bzw. bei mehreren Fehlern mit der letzten mangelhaften Arbeit zu laufen. Diese Rechtslage kann dazu führen, dass zum Zeitpunkt des gefährdenden Ereignisses, z.B. beim Einsturz einer Decke, die Tat bereits verjährt ist374.

§ 15 Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen (Art. 230) Literaturauswahl: M. Carrard, La responsabilité pénale en matière d’accidents du travail, ZStrR 104 (1987) 276, R. Germann, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Arbeitgeber und Arbeit­ nehmer bei Verletzung von Vorschriften der Arbeitssicherheit, Diss. Zürich 1984, E. Schmid, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Betriebsunfällen, ZStrR 104 (1987) 310.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Opfer und Tatobjekte

Durch das Delikt nach Art.  230 Ziff.  1 Abs.  1 oder Ziff.  2 (Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen/Supprimer ou omettre d’installer des appareils protecteurs/Rimozione od omissione di apparecchi protettivi/Removal or non-installation of safety measures) kann jedermann betroffen werden. Vorab sind die Beteiligten aber unter Betriebsangehörigen zu finden. Art. 230 bildet insofern einen wichtigen Teil des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschut­ zes375. Die Handlungen und Unterlassungen von Art. 230 werden begangen an Sicher­ heitsvorrichtungen in Fabriken, anderen Betrieben mit Unfallrisiken, wie z.B. Garagen mit Werkstattbetrieben, oder an Maschinen, wobei diese Vorrich­ tungen zur Verhinderung von Unfällen dienen müssen376. Für die Pflicht zur Anbringung solcher Einrichtungen und deren Umfang ist eine Vielzahl von Bestimmungen massgebend377. Solche Obliegenheiten ergeben sich für alle Betriebe, die versicherte Arbeitnehmer beschäftigen, seit dem 1. Januar 1984 namentlich aus dem UVG und der gestützt dar­ auf erlassenen Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten 374  Strafrecht I, § 41, Riklin, Baurecht, 49 ff. 375  FZR 2015, 378. 376  FZR 2015, 377 ff. 377  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 7 zu Art. 230.

68

§ 15  Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen (Art. 230) (VUV) vom 19. Dezember 1983378. Von Bedeutung ist auch etwa das Produktsicher­ heitsgesetz vom 12. Juni 2009379.

1.2

Täterkreis und tatbestandsmässiges Verhalten

Bestraft wird nach Ziff.  1 Abs.  1 jedermann, der Sicherheitsvorrichtungen beschädigt, zerstört, beseitigt, unbrauchbar macht oder ausser Betrieb setzt. Dies gilt auch dann, wenn die Sicherheitsvorrichtung ohne gesetzliche Ver­ pflichtung freiwillig angebracht wurde380. Ein Beschädigen oder Zerstören liegt dann vor, wenn die Sicherheitsvorrichtung durch einen Eingriff in die Sub­ stanz in ihrer Funktion beeinträchtigt wird. Die Beeinträchtigung oder Auf­ hebung der Funktionsfähigkeit ohne Substanzeingriff erfüllt die Varianten des Unbrauchbarmachens oder Ausserbetriebsetzens. Wird die Sicherheitseinrich­ tung entfernt, liegt ein Beseitigen vor381. Ziff. 1 Abs. 2 umschreibt ein echtes Unterlassungsdelikt382. Als Sonderdelikt betrifft es v.a. denjenigen Täter, der nach der Betriebsorganisation die Sicher­ heitsmassnahmen zu treffen hätte, die Sicherheitsvorrichtungen aber nicht anbringt, wobei die diesbezügliche Verantwortlichkeit auch bei mehreren Per­ sonen liegen kann383. Neben Leitern und Angehörigen von Betrieben kommen als Täter auch weitere Personen in Betracht, die gesetzlich (vgl. OR Art. 328 Abs. 2), vertraglich oder nach dem Ingerenzprinzip zum Anbringen von unfall­ verhütenden Vorrichtungen verpflichtet sind384. Beschränkt ist der Anwen­ dungsbereich der Unterlassungsvariante aber auf das Nichtanbringen von Sicherheitsvorrichtungen, deren Anbringung gesetzlich vorgeschrieben ist385.

378  SR 832.30. 379  SR 930.11. 380  Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 230, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 10 zu Art. 230,

Trechsel/Fingerhuth, N 3 zu Art. 230.

381  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 10 zu Art. 230. 382  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 230. 383  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 40. 384  BGE 76 IV 79, 81 IV 121, SJZ 74 (1978) 126, Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 230, Roelli/

Fleischanderl, BSK StGB II, N 11 f. zu Art. 230, kritisch zur Weite und Unbestimmtheit des Kreises der Verpflichteten: Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 40, Trechsel/Fingerhuth, N 2 zu Art. 230. 385  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 230, Roelli/Fleischanderl, N 11 ff. zu Art. 230, Trechsel/Fingerhuth, N 3 zu Art. 230.

69

§ 15  Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen (Art. 230)

1.3 Gefährdung Die Tat wird dadurch vollendet, dass das aktive oder passive Verhalten des Täters zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben von Mitmenschen führt, wobei auch hier eine Gemeingefahr im Sinne der Repräsentationstheorie zu fordern ist386. Zwischen der Beeinträchtigung der Schutzanlage bzw. der ungenügenden387 Sicherung und dem Eintritt der Gefährdung muss ein Kausalzusammenhang bestehen388. Die Strafbarkeit entfällt, wenn die entfernte Sicherheitsvorrich­ tung selbst eine nicht erheblich geringere Gefahr geschaffen hatte389. Gleiches muss gelten, wenn eine gefährliche Sicherheitsvorrichtung nicht angebracht wurde.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art.  230 Ziff.  1 verlangt vom Täter Vorsatz. Er muss also beispielsweise die Sicherheitsvorrichtungen bewusst und gewollt beschädigen und die damit ver­ bundene Gefahr wissentlich herbeiführen; dolus eventualis in Bezug auf die Gefährdung genügt nicht390.

3.

Fahrlässige Verübung und Sachverhaltsirrtum

Art.  230 Ziff.  2 erfasst die fahrlässige Verübung. Die Pflichtwidrigkeit muss sich sowohl auf die Handlung wie auch auf die daraus resultierende Gefähr­ dung beziehen391. Kannte der Täter die im konkreten Fall relevanten Sicherheitsvorschriften nicht, hätte er sie aber kennen können, liegt ein Sachverhaltsirrtum i.S.  von Art. 13 Abs. 2 vor und nicht ein Rechtsirrtum nach Art. 21392. Hätte der Täter 386  Stratenwerth/Bommer, BT II, §  30 N  41, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N  16 zu

Art. 230, Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 230. Vgl. auch vorn §§ 6 und 7 Ziff. 3.1.

387  Nach BGE 81 IV 222 f. ein adäquater Kausalzusammenhang. 388  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 16 zu Art. 230. Zum hypothetischen Kausalzusam­

menhang beim Unterlassungsdelikt siehe Strafrecht I, § 30 Ziff. 2.15.

389  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 16 zu Art. 230, Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 230. 390  SJZ 74 (1978) 126, Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 230, Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II,

N 18 zu Art. 230, überholt BGE 73 IV 230.

391  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 19 zu Art. 230. 392  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 18 zu Art. 230, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30

N 42.

70

§ 15  Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen (Art. 230)

den Irrtum bei pflichtgemässer Sorgfalt vermeiden können, ist er nach Art. 230 Ziff. 2 wegen fahrlässiger Tatbegehung zu bestrafen (Art. 13 Abs. 2).

4.

Weitere Fragen

4.1

Ergänzende Strafbestimmungen

Von Bedeutung sind insbesondere die UVG Art. 112 Abs. 4 und Art. 113. Es handelt sich dabei um Tätigkeits- bzw. Unbotmässigkeitsdelikte mit abstrakter bzw. konkreter Gefährdung. Wer z.B. als Arbeitgeber die in der Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV) vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen nicht trifft, wird nach UVG Art.112 Abs. 4 mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bestraft. Haft oder Busse droht gemäss UVG Art. 113 Abs. 1 Ziff. 3 dem Arbeitnehmer, welcher den Vorschriften über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten zuwider­ handelt. Bei fahrlässigem Verhalten droht allein Busse (UVG Art. 113 Abs. 2).

4.2 Konkurrenzfragen Führt das nach UVG Art. 112 und 113 erfasste Fehlverhalten zu einer Gefähr­ dung von Menschen nach Art. 230, ist ausschliesslich dieser Tatbestand anzu­ wenden393. Wenn Menschen getötet oder verletzt werden, liegt zu den Art.  111  ff. und 122 ff. echte Konkurrenz vor394. Gleiches gilt für Art. 144395.

393  SJZ 74 (1978) 126, vgl. auch Germann, 167 ff. 394  BGE 73 IV 233, 76 IV 81, SJZ 74 (1978) 126, Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 230, Roelli/­

Fleischanderl, BSK StGB II, N 23 zu Art. 230, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 30 N 44, Trechsel/Fingerhuth, N 9 zu Art. 230. 395  Roelli/Fleischanderl, BSK StGB II, N 25 zu Art. 230.

71

§ 16  Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen

8. Titel

Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Gesundheit (Art. 230bis–236)

§ 16 Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen (Art. 230bis) Literaturauswahl: J.-B. Ackermann/K. Schröder, Zum rechtlichen Gefährdungsbegriff, insbeson­ dere in Art. 230bis StGB, in: Recht des ländlichen Raums, Festgabe der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern für Paul Richli zum 60. Geburtstag, hrsg. von J. Schmid/H. Seiler, Zürich 2006, 1 (zit. Ackermann/Schröder, FS Richli); A. Barbezat, La mise en danger par les orga­ nismes génétiquement modifiés, sous l’angle de l’art. 230bis CP, ZStrR 129 (2011), 363.

Der am 1.  Januar 2004 in Kraft getretene Straftatbestand ist im Zusammen­ hang mit dem Erlass des Gentechnikgesetzes (GTG)396 geschaffen worden397. Das GTG enthält in Art. 35 einen Straftatbestand, der dann zur Anwendung kommt, wenn die Vorgaben des GTG zum Umgang mit gentechnisch verän­ derten Organismen missachtet werden (GTG Art.  35 Abs.  1). Werden Men­ schen, Tiere oder die Umwelt in schwere Gefahr gebracht, kommt der als Ver­ gehenstatbestand ausgestaltete GTG Art.  35 Abs.  2 zur Anwendung. Über Art. 230bis (Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen/Mise en danger par des organismes génétiquement modifiés ou pathogènes/ Pericoli causati da organismi geneticamente modificati o patogeni/Causing danger by means of genetically modified or pathogenic organisms) sollen einem Vor­ schlag der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates folgend, «schwere Schädigungen von Leib und Leben von Menschen oder der biologischen Vielfalt durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organis­ men» als Verbrechen geahndet werden398.

396  Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich (Gentechnikgesetz, GTG)

vom 21. März 2003, SR 814.91, AS 2003, 4803 ff.

397  Zur Entstehungsgeschichte der Norm vgl. Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 1 zu

Art. 230bis, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 230bis. 398  Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerats vom 30.  April 2001, Amtl.Bull. StR 2001 Beilagen, 8. Tagung der 46. Amtsdauer, 00.008, Ziff. 7.

72

§ 16  Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen

Geschütztes Rechtsgut ist zum einen die körperliche Integrität des Menschen, zum anderen und vor allem aber das Interesse der Allgemeinheit daran, die natürlichen Ressourcen der Umwelt von schwerwiegenden Beeinträchtigun­ gen durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen freizuhalten (vgl. auch GTG Art. 6 bis 9)399.

1.

Vorsatzdelikt (Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

In objektiver Hinsicht enthält die Norm drei Tatbestandsvarianten. Die Tat­ handlung kann darin bestehen, dass a) gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen freigesetzt werden400. Eine Freisetzung ist gegeben, wenn die Organismen nicht mehr in geschlos­ senen Systemen gehalten werden, bei denen aufgrund von Einschliessungs­ massnahmen ein Kontakt der Organismen mit Menschen, Tieren oder der Umwelt ausgeschlossen ist (vgl. GTG Art. 10). Handelt der Täter im Rah­ men eines bewilligten Freisetzungsversuches (vgl. GTG Art. 11) oder wer­ den die Organismen mit Bewilligung in den Verkehr gebracht (vgl. GTG Art. 12), ist sein entsprechendes Verhalten gerechtfertigt401; b) der Betrieb einer Anlage zur Erforschung, Aufbewahrung oder Produk­ tion von gentechnisch veränderten oder pathogenen Organismen gestört wird402; c) der Transport gentechnisch veränderter oder pathogener Organismen gestört wird. Eine Störung liegt vor, wenn durch eine Einwirkung die Ein­ schliessungsmassnahmen i.S. von GTG Art. 10, USG403 Art. 29b in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden404. Unter «Organismen» sind nach GTG Art. 5 Abs. 1 zelluläre und nicht zellu­ läre Einheiten zu verstehen, die zur Vermehrung oder zur Weitergabe von Erb­ 399  Vgl. auch Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 3 zu Art. 230bis, Barbezat, 376 f. 400  Vgl. im Einzelnen Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 13 f. zu Art. 230bis, Barbezat,

378.

401  Differenzierend Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 48 f. zu Art. 230bis. 402  Barbezat, 378. 403  Bundesgesetz über den Umweltschutz vom 7.  Oktober 1983 (UmweltschutzG, USG),

SR 814.01.

404  Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 16 zu Art. 230bis.

73

§ 16  Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen

material fähig sind405. Gentechnisch veränderte Organismen sind nach GTG Art. 5 Abs. 2 solche, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommt. Pathogene Organismen sind solche, die Krankheiten verursachen können (vgl. USG Art. 7). Der objektive Tatbestand setzt weiter voraus, dass es zu einer Gefährdung von Leib und Leben von Menschen (Abs.  1 lit.  a) kommt oder die natürli­ che Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen oder deren Lebensräume schwer gefährdet wird (Abs. 1 lit. b). Da die Fälle, in denen Menschen, Tiere oder die Umwelt in schwere Gefahr gebracht werden, bereits durch den Vergehenstatbestand des GTG Art. 35 Abs. 2 erfasst werden, ist beim Verbrechenstatbestand des Art. 230bis im Verhältnis dazu eine gestei­ gerte Gefahr erforderlich406, wobei die Abgrenzung im Einzelfall schwierig ist. Hinsichtlich der Gefährdung für Leib und Leben von Menschen bedarf es einer konkreten Gefährdung407, wobei hier die Gefährdung einer einzelnen Person ausreicht, wenn diese als Repräsentantin der Allgemeinheit erscheint408. Nicht erfasst sind Gefahren für die psychische Integrität, wie z.B. Angstzustände, die als Folge einer Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen auftreten können409. Eine schwere Gefährdung der Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflan­ zen oder von deren Lebensräumen ist dann anzunehmen, wenn es im Falle der Realisierung zu einer nachhaltigen Störung kommen würde410.

1.2

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der Täter vorsätzlich handelt. Dies setzt zunächst die Kenntnis des Täters voraus, dass sich sein Verhalten auf gen­ technisch veränderte oder pathogene Organismen bezieht. Zudem muss der

405  Barbezat, 367 f., 377. 406  So auch Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 230bis. 407  Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 5 und 18 ff. zu Art. 230bis, Barbezat, 379 f.,Corboz,

Vol. II, N 17 zu Art. 230bis.

408  Vgl. vorn § 6 sowie Ackermann/Schröder, FS Richli, 19 FN 92, Ackermann/Schröder, BSK

StGB II, N 4 und 24 zu Art. 230bis, Barbezat, 379, Pieth, BT, 208, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 28 N 19. 409  Ackermann/Schröder, FS Richli, 12 f. 410  Ackermann/Schröder, FS Richli, 21, Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N  27  ff. zu Art. 230bis, Barbezat, 380 f., Corboz, Vol. II, N 20 zu Art. 230bis.

74

§ 16  Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen

Täter mindestens in Kauf nehmen411, dass es durch sein Verhalten zur Freiset­ zung dieser Organismen kommt oder sein Verhalten eine sicherheitsrelevante Störung des Umgangs mit diesen Organismen zur Folge hat. Weiter ist erforderlich, dass der Täter weiss oder wissen muss, dass er durch diese Handlungen Leib oder Leben von Menschen gefährdet (Abs. 1 lit. a) oder die natürliche Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen oder deren Lebensräume schwer gefährdet (Abs. 1 lit. b). Die Formu­ lierung weiss oder wissen muss bedeutet nicht, dass insoweit neben vorsätzli­ chem auch fahrlässiges Verhalten den Tatbestand von Abs. 1 erfüllt. Ihre Funk­ tion besteht vielmehr allein darin, klarzustellen, dass eine eventualvorsätzliche Begehung bereits dann anzunehmen ist, wenn der Täter erkannt hat, dass es möglicherweise zu einer Gefährdung kommen könnte412.

1.3

Unterlassen, Versuch

Soweit der Täter eine Garantenstellung hat, kann das Delikt auch durch Unter­ lassen begangen werden413. Praktisch relevant ist dies insbesondere bei den Personen, die als Betreiber einer Anlage, als Verantwortliche für einen Trans­ port oder als Leiter von Versuchen die Verantwortung dafür zu tragen haben, dass die nach GTG Art. 10 oder USG Art. 29b erforderlichen Einschliessungs­ massnahmen getroffen werden. Der Versuch ist strafbar. Geht der Täter irrig davon aus, dass es sich um gen­ technisch veränderte oder pathogene Organismen handelt, oder kann eine zur Anwendung des Art.  230bis führende Gefährdung nicht eintreten, kann ein untauglicher Versuch gegeben sein (Art. 22).

2.

Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2)

Nach Abs. 2 ist fahrlässiges Verhalten als Vergehen strafbar. Erfasst werden hier die Fälle, in denen die Freisetzung oder die Störung i.S. von Abs. 1 nicht vor­ sätzlich erfolgt, sondern auf ein sorgfaltswidriges Verhalten des Täters zurück­ 411  Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 30 zu Art. 230bis, Corboz, Vol. II, N 23 zu Art. 230bis,

Trechsel/Fingerhuth, N 5 zu Art. 230bis, a.A. Barbezat, 383.

412  Corboz, Vol. II, N 23 zu Art. 230bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 6, im Ergeb­

nis auch Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 31 ff. zu Art. 230bis, abweichend Barbezat, 381 ff.: Über die Formulierung werde nur der direkte Vorsatz ersten und zweiten Grades erfasst. 413  Vgl. Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 45 ff. zu Art. 230bis.

75

§ 17  Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231)

zuführen ist414. Anzuwenden ist Abs.  2 aber auch dann, wenn die Freiset­ zung oder Störung zwar vorsätzlich erfolgt ist, der Täter aber hinsichtlich der Gefährdung nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig gehandelt hat415.

3.

Abgrenzung zu GTG Art. 35, Konkurrenzen

Fehlt es an einer konkreten Gefahr für Leib und Leben von Menschen und/ oder hat die Gefährdung von Tieren und Pflanzen und deren Lebensräu­ men nicht den Grad einer schweren Gefährdung erreicht, kann die Tat, wenn sich diese auf gentechnisch veränderte Organismen bezieht, von GTG Art. 35 erfasst sein416. Ist überdies auch der Tatbestand von Art.  230bis erfüllt, wird GTG Art. 35 als das mildere Delikt verdrängt (Subsidiarität)417. Bezieht sich der Vorsatz des Täters auf eine Tat nach Art. 230bis Abs. 1, kann in den Fällen, in denen eine zur Anwendung von Art. 230bis ausreichende Gefährdung von vornherein nicht eintreten konnte, der untaugliche Versuch des Art. 230bis in echter Konkurrenz zur vollendeten Tat nach GTG Art. 35 stehen418. Im Verhältnis zu den Tötungs- und Körperverletzungsdelikten (Art.  111  ff., 122 ff.) besteht schon aufgrund der unterschiedlichen Rechtsgüter echte Kon­ kurrenz419. Überdies ist es praktisch ausgeschlossen, dass sich die bei Art. 230bis erforderliche Gefährdungssituation allein auf die verletzten oder getöteten Per­ sonen beschränken wird420.

§ 17 Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231) Literaturauswahl: P. Baumann, Strafrechtliche Probleme im Zusammenhang mit einer AIDSInfektion, in: Recht gegen AIDS, hrsg. von P. Baumann, Bern 1987, 137, F. Beglinger, Revision Art. 231 StGB (Verbreiten menschlicher Krankheiten) – Entwurf des Bundesrats mutlose und auf 414  Zum Sorgfaltsmassstab vgl. Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 39 ff. zu Art. 230bis,

Barbezat, 384.

415  Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 38 zu Art. 230bis. 416  Barbezat, 385. 417  Trechsel/Fingerhuth, N 7 zu Art. 230bis, vgl. auch Barbezat, 385 (lex specialis). 418  Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N 50 zu Art. 230bis, Barbezat, 385. 419  Barbezat, 385  f. und im Ergebnis auch Ackermann/Schröder, BSK StGB II, N  51 zu

Art. 230bis, vgl. auch Trechsel/Fingerhuth, N 7 zu Art. 230bis, für die Fälle, in denen wei­ tere Menschen gefährdet werden. 420  So auch Corboz, Vol. II, N 29 zu Art. 230bis.

76

§ 17  Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231) HIV fixierte Kosmetik, AJP 2011, 320, W. Bottke, Strafrechtliche Probleme von AIDS und der AIDS-Bekämpfung, in: Die Rechtsprobleme von AIDS, hrsg. von G. Pfeiffer/B. Schünemann, Baden-Baden 1988, 171, A. Cereghetti, Autour de la pénalisation de la transmisson du sida, plä­ doyer 5/2005, 56, N. Dongois, Quelle répression pénale en cas de Transmission du VIH par voie sexuelle?, ZStrR 133 (2015), 42, F. Felder, Der strafrechtliche Schutz gegen die Verbreitung über­ tragbarer menschlicher Krankheiten, Diss. Zürich 1929, O. Guillod, Lutte contre le sida: quel rôle pour le droit pénal?, ZStrR 115 (1997) 130, Ch. Huber, Ausgewählte Fragen zur Strafbarkeit der HIV-Übertragung, ZStrR 115 (1997) 113, derselbe, HIV-Infektion und Aids-Erkrankung im Lichte des Art. 231 StGB sowie der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, SJZ 85 (1989) 149, F. Hübner, Faut-il encore pénaliser la transmission du VIH en Suisse?, plädoyer 6/1996, 46, G. Jenny, Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1999, ZBJV 136 (2000) 637, K.-L. Kunz, Aids und Strafrecht, Die Strafbarkeit der HIV-Infektion nach schweizerischem Recht, ZStrR 107 (1990) 39, derselbe, Strafbarkeit der HIV-Infektion, jusletter vom 14.2.2005, derselbe, Fahrlässige HIV-Übertragung nach Risikokontakten, fp 2009, 44, J. Lob, Sida et droit pénal, SJZ 83 (1987) 163, P. Mösch Payot/K. Pärli, Der strafrechtliche Umgang mit HIV/Aids in der Schweiz im Lichte der Anliegen der HIV/Aids-Prävention: status quo, Reflexion, Folgerungen, Teil 1, AJP 18 (2009) 1261, Teil 2, AJP 18 (2009) 1288, M. Müller, Strafrecht und Epidemierecht in der AidsBekämpfung, AJP 2 (1993) 915, R. Müller, Opfer zum Täter gemacht?, plädoyer 2/1987, 10, H. Vest, Vorsatz bezüglich der Übertragung des HI-Virus durch ungeschützte heterosexuelle Sexualkon­ takte, AJP 9 (2000) 1168, Ph. Weissenberger, Die Einwilligung des Verletzten bei den Delikten gegen Leib und Leben, Bern 1996, W. Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts  – zur Dogmatik «moderner» Gefährdungsdelikte, Berlin 2000.

1.

Die Neufassung der Norm durch das Epidemiegesetz

Tatbestand von Art.  231 (Verbreiten menschlicher Krankheiten/Propagation d’une maladie de l’homme/Propagazione di malattie dell’uomo/Transmission of human diseases) ist in objektiver Hinsicht erfüllt, wenn jemand eine gefähr­ liche übertragbare menschliche Krankheit verbreitet. Gemäss der ursprüng­ lichen Fassung der Strafnorm war sowohl vorsätzliche Verhalten (Ziff. 1) als auch fahrlässiges Verhalten strafbar (Ziff. 2). Für das Vorsatzdelikt war neben dem Grundtatbestand, bei dem in subjektiver Hinsicht nur Vorsatz erforder­ lich war, noch ein Qualifikationstatbestand für die Fälle vorgesehen, in denen der Täter aus gemeiner Gesinnung handelte (Ziff. 1 Abs. 2). Im Rahmen der Reform des Epidemiegesetzes hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Strafnorm auf den früheren Qualifikationstatbestand beschränkt, womit neu nicht nur die Fälle fahrlässiger Infizierung gänzlich straflos gestellt sind, sondern Art. 231 auch bei den Vorsatztaten nur noch die Fälle erfasst, in denen der Täter aus gemeiner Gesinnung handelt421. Damit hat sich – bezogen auf die praktisch im Vordergrund stehenden Fälle der Infi­ 421  Zur Reform vgl. Niggli/Maeder, BSK StGB II, N 2 ff. zu Art. 231, Pieth, BT, 209.

77

§ 17  Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231)

zierung mit dem HIV-Virus zum einen der Streit um die Frage erledigt, wann bzw. unter welchen Voraussetzungen von einem fahrlässigen Verhalten auszu­ gehen ist422; darüber hinaus wird auch bei vorsätzlichem Verhalten der Anwen­ dungsbereich auf die Fälle beschränkt, in denen der Täter aus gemeiner Gesin­ nung handelt423. Art. 231 wird ergänzt durch die Vorschriften des EpG, insbesondere Art. 30 ff., über Massnahmen gegenüber kranken, krankheitsverdächtigen, angesteckten oder ansteckungsverdächtigen Personen, Massnahmen gegenüber der Bevöl­ kerung und bestimmten Personengruppen (EpG Art. 40) sowie Massnahmen im internationalen Personenverkehr (EpG Art. 41 ff.), wobei sich strafrechtli­ che Bestimmungen in den EpG Art. 82 f. finden, mit denen vorsätzliche und fahrlässige Verstösse gegen bestimmte Pflichten aus dem EpG geahndet wer­ den.

2.

Der objektive Tatbestand

Als Täter kommt jedermann in Betracht, der einer anderen Person Krankheits­ keime verabfolgt. Erfasst wird zum einen derjenige, der einen anderen mit einem Kranken zusammenbringt, zum anderen aber auch der Kranke selbst, der Krankheitserreger auf andere Personen überträgt. In den Fällen, in denen die mit einem Krankheitserreger infizierte Person die Weiterverbreitung nicht mehr zu kontrollieren vermag, erfüllt sogar derjenige den Tatbestand, der sich selber infiziert424. Als übertragbare menschliche Krankheit gilt eine solche, die durch Erreger ver­ ursacht wird und unmittelbar oder mittelbar  – durch einen Zwischenträger, wie z.B. die Nadel einer Injektionsspritze – auf den Menschen übertragen wer­ den kann425. Gefährlich ist eine Krankheit dann, wenn sie die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung eröffnet426; daran fehlt es, wenn die Realisierung dieser Gefahr aufgrund der bestehenden Behandlungsmög­ lichkeiten mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann427. Ande­ 422  Vgl. hierzu Strafrecht IV, 3. Aufl., § 17 Ziff. 2. 423  Vgl. hierzu unten 3. 424  Vgl. dazu Niggli/Maeder, BSK StGB II, N 26 f. zu Art. 231. 425  Vgl. EpG Art. 3 lit. a sowie Niggli/Maeder, BSK StGB II, N 33 zu Art. 231. 426  Niggli/Maeder, BSK StGB II, N 32 zu Art. 231, Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 231, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 11, Trechsel/Fingerhuth, N 1 zu Art. 231, Dongois, 45.

427  Vgl. BGE 116 IV 128 = Pr 80 (1991) Nr.  105, BGer vom 25.2.2016, 6B_1237/2015,

Erw. 5.4, Niggli/Maeder, BSK StGB II, N 32 zu Art. 231.

78

§ 17  Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231)

rerseits darf aber nicht gefordert werden, dass die Krankheit bei der vom Täter angesteckten Person bereits ausgebrochen ist428. Praktisch bedeutsam ist dies insbesondere bei der Immunschwächekrankheit AIDS429, bei der zwischen einer feststellbaren Infektion mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV) und einem akuten Krankheitsausbruch u.U. lange Zeit verstreichen kann430. Krankheitswert hat bereits die HIV-Seropositivität als solche431. Nach herrschender Meinung ist die Tat schon damit vollendet, dass die Krank­ heit auf eine einzige Person übertragen wurde, weil diese dann ihrerseits andere Menschen infizieren kann432. Nach einer in der Literatur vertretenen Gegen­ auffassung soll es demgegenüber einer gemeingefährlichen Handlung bedür­ fen, die sich zusätzlich in einem konkreten Erfolg realisieren muss, wobei der Infizierte als Repräsentant der Allgemeinheit betroffen sein muss433. Wäh­ rend nach h.M. z.B. die Infizierung einer anderen Person mit dem HIV-Virus den Tatbestand erfüllen kann434, wäre unter Zugrundelegung der Gegenauf­ fassung die Infizierung im Rahmen des Geschlechtsverkehrs mangels unmit­ telbarer Gemeingefährlichkeit der Tathandlung abzulehnen435. Richtigerweise wird man es im Rahmen des Art. 231 ausreichen lassen müssen, dass der Täter durch die Infizierung einer anderen Person eine Gefahrenquelle schafft, die er nicht zu kontrollieren vermag436. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Träger des HIV-Virus den Virus auf eine Person überträgt, der die Infi­ zierung entweder nicht bekannt ist oder die gegen ihren Willen in das infrage stehende Verhalten einbezogen wurde, etwa durch eine Vergewaltigung. Noch 428  BGE 116 IV 132 f. = Pr 80 (1991) Nr. 105, 125 IV 245, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 231,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 12, Trechsel/Fingerhuth, N 15 ff. zu Art. 231.

429  Acquired Immune Deficiency Syndrome. 430  Vgl. Mösch Payot/Pärli, 1271 f. 431  Vgl. hierzu BGE 116 IV 125 ff. = Pr 80 (1991) Nr. 105, Dongois, 45, vgl. aber auch Mösch

Payot/Pärli, 1282 f.

432  BGE 125 IV 245, 131 IV 3, Baumann, 22, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 231, Dongois,

45 f., Lob, 133 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 12, Trechsel/Fingerhuth, N 4 zu Art. 231, Weissenberger, 176. 433  Beglinger, BSK StGB II, 2. Aufl., N 2 ff., 16, 26 ff., 37 zu Art. 231. 434  BGE 116 IV 133 = Pr 80 (1991) Nr. 105, 125 IV 242, 131 IV 10 f. mit Besprechung Kunz, jusletter vom 14.2.2005, N 10, SJZ (1988) 403, SJZ (2000) 115, Trechsel/Fingerhuth, N 1 zu Art. 231, vgl. auch die – kritische – Darstellung der Rechtsprechung bei Beglinger, BSK StGB II, 2. Aufl., N 30 ff. zu Art. 231, kritisch auch Cereghetti, 59 f. 435  Vgl. Beglinger, BSK StGB II, 2. Aufl., N 26 f. zu Art. 231: Erfasst wäre allerdings auch nach dieser Auffassung das Inverkehrbringen HIV-verseuchter Blutpräparate. 436  Es handelt sich bei Art. 231 um ein Beispiel für den Deliktstypus des Eignungs- bzw. konkreten Gefährlichkeitsdeliktes, vgl. hierzu Wohlers, 297 ff., 311 ff.

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§ 17  Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231)

nicht abschliessend geklärt ist, ob etwas anderes dann zu gelten hat, wenn sich die infizierte Person im Sinne einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung in Kenntnis der beim Täter bestehenden Infizierung und der daraus resultie­ renden Gefahren auf das zu ihrer Infizierung führende Verhalten eingelassen hat437. Nach hier vertretener Auffassung kann die Anwendung von Art.  231 gestützt auf diese Begründung deshalb nicht entfallen, weil die Selbstgefähr­ dung des sich möglicherweise Infizierenden nur mit Blick auf seine individuel­ len Rechtsgüter Wirkung entfalten kann, nicht aber hinsichtlich des Rechtsguts der öffentlichen Gesundheit438. Denkbar wäre ein Ausschluss der Tatbestands­ mässigkeit wohl nur dann, wenn die nachfolgende Ansteckung weiterer Perso­ nen in Anbetracht der konkreten Verhältnisse praktisch ausgeschlossen wer­ den kann439. Der Nachweis, dass ein HIV-positiver Patient von einer bestimmten Person infiziert wurde und diese damit den objektiven Tatbestand vollständig erfüllt hat, wird u.U. schwierig sein, weil oft andere Ansteckungsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen wer­ den können440. Umso mehr gilt dies für leichter übertragbare Krankheiten. Bei Schei­ tern des Beweises kommt nur Versuch in Betracht441.

3.

Der subjektive Tatbestand

In subjektiver Hinsicht muss der Täter vorsätzlich und aus einer gemeinen Gesinnung heraus handeln, wobei aufgrund des zusätzlichen Erfordernisses der gemeinen Gesinnung Eventualvorsatz nicht genügen kann; erforderlich ist vielmehr direkter Vorsatz 1. Grades: Die Verbreitung der Krankheit muss das Zwischen- oder Endziel des Täters sein442. Direkter Vorsatz in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn der Täter im Bewusstsein seiner eigenen Erkrankung eine Handlung vornimmt, die – wie er weiss – die Möglichkeit einer Infektion eröff­ net, die er als Konsequenz seines Verhaltens wünscht, z.B. weil er sich durch das Verbreiten der Krankheit an seinem sozialen Umfeld rächen will.

437  Vgl. hierzu BGE 131 IV 8 ff., 134 IV 207 ff. mit krit. Besprechung Kunz, fp 2009, 46 f.,

Corboz, Vol. II, N 20 zu Art. 231, Mösch Payot/Pärli, 1275 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 14, Trechsel/Fingerhuth, N 18 und 20 zu Art. 231. 438  BGE 131 IV 11. 439  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 5, kritisch hierzu Mösch Payot/Pärli, 1273 f. 440  Vgl. BGE 134 IV 199 ff., Beglinger, BSK StGB II, N 41 zu Art. 231, Trechsel/Fingerhuth, N 20 zu Art. 231. 441  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 13, Trechsel/Fingerhuth, N 23 zu Art. 231. 442  Niggli/Maeder, BSK StGB II, N 49 zu Art. 231, Stratenwerth/Wohlers, N 4 zu Art. 231.

80

§ 17  Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231)

Erforderlich ist des Weiteren, dass der Täter aus gemeiner Gesinnung handelt. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter aus besonders niederträchtigen Moti­ ven handelt443. Im Ergebnis beschränkt sich der Anwendungsbereich der Straf­ norm damit auf die Fälle, in denen der Täter die Krankheit aus Rache verbrei­ tet oder aus terroristischen Motiven444.

4.

Weitere Fragen

4.1

Art. 231 als Unterlassungsdelikt

Der Tatbestand kann entsprechend den allgemeinen Lehren über das unechte Unterlassungsdelikt445 durch passives Verhalten nur von jemandem erfüllt wer­ den, der eine Garantenstellung einnimmt. Der blosse Umstand, dass jemand selber an einer übertragbaren Krankheit leidet oder mit ihr infiziert ist, lässt sich aber kaum als ein Fall von Ingerenz auffassen, die dazu verpflichten würde, durch aktives Tun andere Personen vor Ansteckung zu bewahren. Nicht straf­ bar ist daher ein Patient, der Besuche an seinem Krankenbett zulässt, obwohl er mit der Möglichkeit einer Übertragung seines Leidens rechnet und sie in Kauf nimmt. Nicht als Unterlassung konstruiert werden kann indessen der Fall, dass sich jemand mit einer anderen Person sexuell betätigt, ohne diese über seine HIV-Infektion zu ori­ entieren oder mindestens zur Verwendung eines Präservativs aufzufordern. Da mit der Beteiligung am geschlechtlichen Verkehr eine Ursache für die Krankheit im natur­ wissenschaftlichen Sinn gesetzt wird, handelt es sich alsdann um ein Begehungsdelikt. Ebenfalls kein Unterlassungsdelikt, sondern ein Begehungsdelikt in mittelbarer Täter­ schaft verwirklicht derjenige, der einem nichtsahnenden Drogenabhängigen eine mit dem AIDS-Virus infizierte Spritze übergibt.

4.2

Auswirkungen der «Einwilligung» des Infizierten

Denkbar ist, dass der Infizierte die Ansteckungsgefahr oder gar die eigene Erkrankung bewusst in Kauf nimmt und dies dem Täter ausdrücklich oder durch konkludentes Verhalten zu verstehen gibt, etwa indem er sich mit dem Infizierten nach Kenntnisnahme von dessen Gesundheitszustand freiwillig sexuell betätigt. Eine rechtfertigende Einwilligung liegt in diesem Verhalten 443  Niggli/Maeder, BSK StGB II, N 52 zu Art. 231, Trechsel/Fingerhuth, N 6 zu Art. 231, vgl.

auch BGE 104, IV 247, 106 IV 25.

444  Pieth, BT, 209. 445  Strafrecht I, §§ 28 und 30.

81

§ 17  Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231)

schon deshalb nicht, weil sich der Tatbestand von Art.  231 als Delikt gegen die öffentliche Gesundheit nicht oder mindestens nicht ausschliesslich gegen Rechtsgüter richtet, welche der individuellen Disposition der angesteckten Per­ son unterliegen würden446. Im Übrigen findet die Verfügungsmacht des Ein­ zelnen über seine eigenen Rechtsgüter auch dann eine Grenze, wenn ihm eine schwere Gesundheitsschädigung oder der Tod droht447.

4.3 Konkurrenzfragen Vor allem bei tatsächlichem Ausbruch der nachgewiesenermassen vom Täter auf eine andere Person übertragenen Krankheit stellt sich die Frage nach der Konkurrenz zwischen Art. 231 und vorsätzlicher Körperverletzung nach Art. 122 oder 123, bei tödlichem Ausgang zwischen Art. 231 und Art. 111 bzw. 112. Wird der Täter, der auch solche Folgen bedacht und in seinen Willensent­ schluss aufgenommen hat, für eines dieser Delikte gegen Leib und Leben bestraft, steht dieses Delikt grundsätzlich in echter Konkurrenz zu Art.  231, da dieser Straftatbestand abstrakte Gefahren für die öffentliche Gesundheit erfasst, welche über die Einwirkungen auf den vom Täter direkt geschädigten Menschen hinausgehen448. Wer vorsätzlich und aus gemeiner Gesinnung han­ delnd den HIV-Virus auf einen andern überträgt, muss daher in einem solchen Fall sowohl wegen Verbreitens gefährlicher Krankheiten nach Art. 231 als auch wegen schwerer Körperverletzung nach Art. 122 bestraft werden449. Art. 123, 125 werden dagegen durch Art. 231 verdrängt, weil sie notwendigerweise in Art. 231 mit enthalten sind (soweit es um den direkt Infizierten selbst geht)450. Hat die vom Täter angesteckte Person tatsächlich einen weiteren Menschen infiziert und an Leib oder Leben geschädigt, hat Ersterer dafür nur einzustehen, wenn ihm ein

446  Niggli/Maeder, BSK StGB II, N 58 zu Art. 231, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 14,

Weissenberger, 176 ff., a.M. Trechsel/Fingerhuth, N 18 zu Art. 231, vgl. Strafrecht I, § 22 Ziff. 2.1, vgl. auch RS 1998 Nr. 385. 447  A.M. Trechsel/Fingerhuth, N 18 zu Art. 231: Es gehe nicht um die Einwilligung in die Verletzung, sondern in die Gefährdung; diese sei gültig. 448  Abweichend für einfache Körperverletzung Baumann, 143, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 17 m.w.H. 449  BGE 116 IV 134 = Pr 80 (1991) Nr. 105, 125 IV 255, 134 IV 203, 139 IV 216 ff., 141 IV 101 ff., SJZ (2000) 118, Corboz, Vol. II, N 21 zu Art. 231, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 17, Trechsel/Fingerhuth, N 8 zu Art. 231. 450  Corboz, Vol. II, N 21 zu Art. 231, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 17, Trechsel/Fingerhuth, N 8 zu Art. 231, a.M. Weissenberger, 177.

82

§ 18  Verbreiten von Tierseuchen (Art. 232) so weit gehender Vorsatz nachgewiesen wird und der zuerst Infizierte ausserdem nichts von seiner Ansteckung wusste451.

Kann dem sich seiner Krankheit bewussten Täter kein Vorsatz in Bezug auf eine durch die Ansteckung bewirkte gesundheitliche Schädigung der von ihm infizierten Person nachgewiesen werden, so wird er immerhin aufgrund von Art. 117 oder Art. 125 zu verurteilen sein; seine Übertragungshandlung stellt sorgfaltswidrig-unvorsichtiges Verhalten nach Art. 12 Abs. 3 dar.

§ 18 Verbreiten von Tierseuchen (Art. 232) 1.

Vorsatzdelikt (Ziff. 1)

Der objektive Tatbestand von Art. 232 (Verbreiten von Tierseuchen/Propagation d’une épizootie/Propagazione di epizoozie/Transmission of epizootic diseases) wird dadurch erfüllt, dass jemand unter Haustieren452 eine Seuche – d.h. eine schwere, leicht übertragbare Krankheit453  – verbreitet. Hierfür genügt schon das Infizieren eines einzelnen Tieres; es sei denn, eine Weiterübertragung der Krankheit sei ausgeschlossen, was z.B. bei medizinischen Experimenten an iso­ liert gehaltenen Tieren der Fall sein kann454. In subjektiver Hinsicht ist das Wissen des Täters um die erwähnte Natur der Krankheit sowie sein Wille zu ihrer Verbreitung erforderlich, wobei Eventual­ vorsatz genügt. Strengere Strafe droht dem Täter, welcher aus gemeiner Gesinnung einen gros­ sen Schaden verursacht hat455.

2.

Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)

Ausser den unter Ziff. 1 hiervor erwähnten objektiven Merkmalen wird gefor­ dert, dass der Täter die Seuche aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit verbrei­ 451  Vgl. vorn Ziff. 1.42. 452  Vgl. Ackermann, BSK StGB II, N 18 ff. zu Art. 232, Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 232. 453  Vgl. Ackermann, BSK StGB II, N 23 f. zu Art. 232, Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 232, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 18.

454  Vgl. Ackermann, BSK StGB II, N 13 ff., 21 f., 29 ff. zu Art. 232 mit einem Überblick über

die denkbaren Lösungsansätze.

455  Vgl. Ackermann, BSK StGB II, N 43 ff. zu Art. 232, der zu Recht eine enge Auslegung

dieses rechtsstaatlich höchst bedenklichen Merkmals verlangt.

83

§ 19  Verbreiten von Schädlingen (Art. 233)

tet hat. Entsprechende Sorgfaltspflichten treffen vor allem die Halter von Tie­ ren und beziehen sich auf das Erkennen einer bei diesen aufgetretenen Seuche sowie Massnahmen gegen eine Weiterverbreitung.

§ 19 Verbreiten von Schädlingen (Art. 233) 1.

Vorsatzdelikt (Ziff. 1)

Der objektive Tatbestand von Art.  233 (Verbreiten von Schädlingen/Propagation d’un parasite dangereux/Propagazione di parassiti pericolosi/Transmission of harmful parasites) besteht darin, dass jemand einen für die Land- oder Forstwirtschaft gefährlichen, d.h. schwere Schäden an land- oder forstwirtschaftlich genutzten Pflanzen456 verursachenden und leicht übertragbaren Schädling457 verbreitet (oder weiterverbreitet). Die Tat ist mit der Übertragung des Schäd­ lings auf bisher von ihm nicht befallene Nutzpflanzen vollendet458. In subjektiver Hinsicht ist das Wissen des Täters um die erwähnte Natur des Schädlings erforderlich und sein Wille zu dessen Verbreitung. Dolus eventua­ lis genügt. Strengere Strafe wird für den Täter vorgesehen, der aus gemeiner Gesinnung einen grossen Schaden verursacht459.

2.

Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)

Hier muss die Verbreitung des Schädlings auf sorgfaltswidriges Verhalten des Täters zurückzuführen sein. Entsprechende Vorsichtspflichten können sich v.a. auf das Erkennen und Melden von Schädlingsbefall sowie Massnahmen gegen eine Ausdehnung beziehen und namentlich Grundeigentümer, Pächter sowie das Forstpersonal treffen.

456  Vgl. Ackermann, BSK StGB II, N 8 ff. zu Art. 233, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 233. 457  Vgl. Ackermann, BSK StGB II, N 11 ff. zu Art. 233, Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 233. 458  Ackermann, BSK StGB II, N 4, 15 ff. zu Art. 233, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 233. 459  Vgl. hierzu § 17 FN 433.

84

§ 20  Verunreinigung von Trinkwasser (Art. 234)

§ 20 Verunreinigung von Trinkwasser (Art. 234) Literaturauswahl: R. Hunger, Die Sanierungspflicht im Umweltschutz- und im Gewässerschutzge­ setz, Zürich 2010.

1. Vorsatzdelikt 1.1

Objektiver Tatbestand

Tatbestandsmässig nach Art.  234 (Verunreinigung von Trinkwasser/Contamination d’eau potable/Inquinamento di acque potabili/Contamination of drinking water) verhält sich, wer Trinkwasser für Menschen oder Haustiere mit gesundheitsschädlichen Stoffen verunreinigt, d.h. mit solchen, die sich qualitativ und quantitativ zur Verursachung erheblicher Schädigungen der Gesundheit von Menschen oder Tieren eignen460. Es muss sich um Wasser handeln, welches zum Trinken bestimmt ist und entsprechend verwendet wird461, wobei die Ver­ unreinigung auch schon vor der Fassung des Wassers in Leitungen erfolgen kann, etwa durch das Verbringen gesundheitsschädlicher Stoffe auf den Erd­ boden im Quellgebiet. Die erforderliche Gefährdung von Menschen bzw. Tie­ ren liegt auch dann vor, wenn das Wasser nur einem beschränkten Kreis von Benützern zugänglich ist462. Der Tatbestand wird dadurch vollendet, dass der gesundheitsschädliche Stoff in das zu Trinkzwecken benützte Wasser gelangt463; weiter gehender Folgen für Menschen oder Tiere bedarf es nicht. Auch bereits verunreinigtes Wasser kann weiter verunreinigt werden464.

460  Ackermann, BSK StGB II, N 13 zu Art. 234, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 234, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 31 N 23.

461  Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 234, Trechsel/Fingerhuth, N 1 zu Art. 234, Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 31 N 22, fordern eine konkrete Gefährdung von Personen, vgl. aber auch BGE 78 IV 176, 98 IV 205, wonach es ausreichen soll, dass das Wasser in absehbarer Zeit als Trinkwasser verwendet werden könnte, vgl. auch Ackermann, BSK StGB II, N 9 zu Art. 234: Es reiche aus, dass das Wasser mit Trinkwasser in engster Verbindung steht. 462  BGE 78 IV 175 ff., Ackermann, BSK StGB II, N 11 zu Art. 234, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 234, Hunger, 237, eine konkrete Gefahr, dass einzelne Menschen oder Tiere davon trinken, fordern Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 22, Trechsel/Fingerhuth, N 2 zu Art. 234. 463  Ackermann, BSK StGB II, N 18 ff. zu Art. 234, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 234. 464  SJZ 62 (1966) 333, Hunger, 237, Trechsel/Fingerhuth, N 2 zu Art. 234.

85

§ 20  Verunreinigung von Trinkwasser (Art. 234)

1.2

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss die Stoffe willentlich ins Wasser bringen oder mindestens in Kauf nehmen, dass sie dorthin gelangen, und zwar im Bewusstsein, dass es sich bestimmt oder möglicherweise um gesundheitsschädliche Stoffe handelt und das Wasser zu Trinkzwecken verwendet wird. Weiter gehende Absichten sind nicht erforderlich465.

2.

Fahrlässigkeit (Abs. 2)

Die neben den vorstehend unter Ziff. 1.1 genannten Merkmalen erforderliche Sorgfaltsverletzung466 wird gegeben sein, wenn der Täter aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit alternativ a) gesundheitsschädliche Stoffe ins Trinkwasser gelangen lässt, so bei unvor­ sichtigem Düngen des Bodens im Quellgebiet467; b) nicht erkennt, dass von ihm ins Trinkwasser eingeführte Stoffe gesundheitsschädlich sind, bzw. eine von ihm erkannte derartige Möglichkeit nicht berücksichtigt; c) nicht erkennt oder die von ihm bemerkte Möglichkeit nicht berücksichtigt, dass das von ihm mit solchen Stoffen verunreinigte Wasser zu Trinkzwecken verwendet wird. Da zwischen pflichtwidrigem Verhalten und Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs ein grösserer Zeitraum liegen kann, wird bei Abs. 2 auch die Verunreinigung von Wasser erfasst, bei dem vorauszu­ sehen war, dass es in absehbarer Zeit zu Trinkzwecken benützt wird468. Ver­ bringt jemand Stoffe ins Wasser, mit dessen Verwendung als Trinkwasser regelmässig gerechnet werden muss, oder trägt er für solches Wasser die Verantwortung, so kann die Fahrlässigkeit auch darin bestehen, dass der Täter dessen Benützung zu Trinkzwecken nicht oder nur mit unzulängli­ chen Mitteln auszuschliessen sucht.

465  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 17. 466  Die entsprechenden Sorgfaltsanforderungen sind weitgehend in Spezialerlassen kodifi­

ziert, vgl. Ackermann, BSK StGB II, N 24 zu Art. 234.

467  Vgl. BGE 97 I 174, 102 IV 186. 468  Im Resultat gleich BGE 98 IV 204, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 14.

86

§ 21  Herstellen von gesundheitsschädlichem Futter (Art. 235)

3.

Weitere Bemerkungen

Führt die Verunreinigung des Trinkwassers über die Gefährdung hinaus zur Schädigung von Menschen oder Tieren an Leib und Leben, so tritt Art. 234 in echte Konkurrenz zu Art. 111 ff., 122 f., 125 oder 144469. Wurde ausser dem Tatbestand von Art.  234 gleichzeitig ein solcher des BG über den Schutz der Gewässer vom 24. Januar 1991470, Art. 70 f., erfüllt, so fin­ det gemäss Art. 72 dieses Erlasses nur Art. 234 Anwendung. Ausschliesslich nach den Bestimmungen des Gewässerschutzes kann es andererseits geahndet werden, wenn jemand gesundheitsschädliche Stoffe in nicht zu Trinkzwecken verwendetes Wasser einbringt oder Trinkwasser mit anderen als gesundheits­ schädlichen Stoffen verunreinigt.

§ 21 Herstellen von gesundheitsschädlichem Futter (Art. 235) 1.

Vorsatzdelikt (Ziff. 1)

Objektiv erfüllt den Tatbestand von Art. 235 (Herstellen von gesundheitsschädlichem Futter/Altération de fourrages/Fabbricazione di foraggi nocivi/Producing harmful animal feed), wer (natürliches) Futter oder (künstliche) Futtermittel471 so behandelt oder herstellt, dass sie bei bestimmungsgemässer Verwendung die Gesundheit von fremden472 Haus- oder Nutztieren mehr als nur unerheb­ lich gefährdet473. Subjektiv muss der Täter wissen, dass die von ihm betriebene Herstellungsoder Behandlungsart Gefahren für die Gesundheit von Tieren eröffnet, und dennoch den Willen haben, die betreffenden Stoffe zur Verwendung als Fütte­ rungsmittel zu produzieren bzw. zu bearbeiten. Es genügt auch, wenn jemand 469  Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 234, Hunger, 237, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 25,

a.M. Trechsel/Fingerhuth, N 5 zu Art. 234: Vorrang der Verletzungsdelikte, wenn keine Gefährdung anderer als der verletzten Menschen und Tiere, vgl. auch Ackermann, BSK StGB II, N 25 zu Art. 234: In diesen Fällen ist Art. 234 gar nicht erfüllt, es gibt also keine Konkurrenzsituation. 470  SR 814.20. 471  Vgl. Ackermann, BSK StGB II, N 7 f. zu Art. 235, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 235. 472  Ackermann, BSK StGB II, N 9 zu Art. 235, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 31 N 29. 473  Ackermann, BSK StGB II, N 10 ff. zu Art. 235.

87

§ 22  Inverkehrbringen von gesundheits­schädlichem Futter (Art. 236

die erwähnten Umstände nur als Möglichkeit erkennt und in Kauf nimmt (Eventualvorsatz). Qualifizierte Strafe sowie obligatorische Veröffentlichung des Urteils (Art.  68)474 drohen demjenigen, der das Behandeln oder Herstellen gesund­ heitsschädlichen Futters gewerbsmässig475 betreibt.

2.

Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)

Die in Ziff. 2 vorausgesetzte pflichtwidrige Unvorsichtigkeit nach Art. 12 Abs. 3 kann sich v.a. darauf beziehen, dass der Täter die gesundheitsgefährdenden Auswirkungen seiner Herstellungs- oder Behandlungsweise nicht erkennt oder auf ihr Ausbleiben vertraut.

3.

Einziehung (Ziff. 3)

Diese Bestimmung sieht obligatorisch die Einziehung der gesundheitsschädli­ chen Ware vor.

§ 22 Inverkehrbringen von gesundheits­ schädlichem Futter (Art. 236) 1.

Vorsatzdelikt (Abs. 1)

Der Tatbestand von Art.  236 (Inverkehrbringen von gesundheitsschädlichem Futter/Mise en circulation de fourrages altérés/Commercio di foraggi adulterati/ Distributing harmful animal feed) besteht objektiv darin, dass jemand gesund­ heitsschädliches Futter oder gesundheitsschädliche Futtermittel476 einführt, lagert, feilhält oder in Verkehr bringt. Damit alle genannten Verhaltensweisen als gleichermassen strafwürdig erscheinen, wird für die beiden ersten voraus­

474  Vgl. Strafrecht II, § 7 Ziff. 6.14. 475  Vgl. Ackermann, BSK StGB II, N 16 zu Art. 235. 476  Ackermann, BSK StGB II, N 5 zu Art. 236, postuliert eine Beschränkung auf i.S. von

Art. 235 hergestelltes bzw. behandeltes Futter und Futtermittel, ebenso Corboz, Vol. II, N 1 f. zu Art. 236.

88

§ 22  Inverkehrbringen von gesundheits­schädlichem Futter (Art. 236

zusetzen sein, dass die eingeführten bzw. gelagerten Produkte tatsächlich zur Verwendung als Tierfutter bestimmt sind477. Der subjektiv verlangte Vorsatz setzt namentlich voraus, dass der Täter um die Schädlichkeit des von ihm eingeführten, gelagerten, feilgehaltenen oder in Ver­ kehr gebrachten Produkts sowie um dessen vorgesehene Verwendung zu Fut­ terzwecken weiss. Eventualvorsatz genügt. Das Urteil gegen den Täter muss veröffentlicht werden (Art. 236 Abs. 1 Satz 2).

2.

Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2)

Die in Abs.  2 verlangte pflichtwidrige Unvorsichtigkeit kann sich namentlich darauf beziehen, dass der Täter die Schädlichkeit des von ihm eingeführten, gelagerten, feilgehaltenen oder in Verkehr gebrachten Produktes trotz entspre­ chenden Anhaltspunkten nicht erkennt.

3.

Einziehung (Abs. 3)

Diese Massnahme ist zwingend vorgeschrieben.

4.

Verhältnis zu Art. 235

Was das Feilhalten oder anderweitige Inverkehrbringen gesundheitsschädli­ chen Futters anbelangt, will es Art. 236 ermöglichen, neben dem Hersteller bzw. Bearbeiter auch denjenigen zu bestrafen, der das Produkt vertreibt. Tut dies der Hersteller oder Bearbeiter selber, so fällt er demnach allein unter Art. 235478.

477  Ackermann, BSK StGB II, N 6 ff. zu Art. 236, postuliert die Intention zum Inverkehr­

bringen: Einführen und Lagern zum Zweck der Verfütterung an eigene Tiere ist nicht tatbestandsmässig, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 4 ff. zu Art. 236. 478  Ackermann, BSK StGB II, N 21 zu Art. 235, kritisch Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 236.

89

§ 23  Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237)

9. Titel

Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Verkehr (Art. 237–239)

§ 23 Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237) Literaturauswahl: P. Antonioli, Quelques cas récents de responsabilité pénale en matière d’accidents de ski, ZStrR 99 (1982) 129, J. Boll, Grobe Verkehrsregelverletzung, Eine eingehende Darstellung der Praxis des Bundesgerichtes, Davos 1999, S. Bürgi, Der Raser im Strafrecht, Die raserspezifi­ schen Normen und ihre Ursprünge in Medien und Politik, Diss. Luzern 2014, F. Cardinaux France, Le concours et les disposition pénales de la loi fédérale sur la circulation routière, Diss. Lausanne 1986, K. Danegger, Ist Art. 237 StGB (Störung des öffentlichen Verkehrs) auf der Ski­ piste anwendbar?, ZBJV 108 (1972) 433, M. Heierli, Die Bedeutung des Vertrauensprinzips im Strassenverkehr und für das Fahrlässigkeitsdelikt, Diss. Zürich 1996, W. Padrutt, Strafrechtliche Aspekte des Skilaufs und des Lawinenunfalls in schweizerischer Sicht, SJZ 63 (1967) 333, derselbe, Rechtsprobleme um Raupenfahrzeuge auf Skipisten, SJZ 85 (1989) 317, J. Rehberg, Aktuelle Fra­ gen des Strassenverkehrs-Strafrechts, ZStrR 101 (1984) 337, J. Schuh (Hrsg.), Verkehrsdelin­ quenz – Délinquance routière, Reihe Kriminologie, Bd. 7, Grüsch 1989, H. Schultz, Rechtspre­ chung und Praxis zum Strassenverkehrsrecht, 5 Bde., Bern 1968–1990, H.-K. Stiffler, Schweizerisches Schneesportrecht, 3.  Aufl., Bern 2002, B. Suter, Fahrlässige Verletzung und Gefährdung im Verkehrsstrafrecht, Diss. Zürich 1976.

Art. 237 (Störung des öffentlichen Verkehrs/Entraver la circulation publique/Perturbamento della circolazione pubblica/Disruption of public transport), konzi­ piert als konkretes Gefährdungsdelikt, droht demjenigen Strafe an, der den öffentlichen Verkehr hindert, stört oder gefährdet und dadurch Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt. Ziff. 1 erfasst die vorsätzliche, Ziff. 2 die fahrlässige Erfüllung dieser Tatbestandsmerkmale.

1. Anwendungsbereich 1.1 Allgemeines Als Schutzobjekt bezeichnet das Gesetz ganz allgemein den öffentlichen Ver­ kehr, soweit Leib und Leben Dritter gefährdet werden479. Im Speziellen wird der Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser und in der Luft erwähnt. Darüber hinaus verbleiben Verkehrsräume auf dem Erdboden ausserhalb von Strassen und solche, die mit ihm fest verbunden sind, wie namentlich Schwebebahnen 479  BGer vom 26.5.2015, 6B_689/2015, Erw. 1.1.

90

§ 23  Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237)

durch Masten. Der Eisenbahnverkehr bzw. der schienengebundene Verkehr wird durch die besondere Bestimmung von Art. 238 geschützt.

1.2

Die Anwendbarkeit von Art. 237 im Strassenverkehr

Auf dem praktisch bedeutsamen Gebiet des Strassenverkehrs gelangt Art. 237 nur begrenzt zur Anwendung480. Den Verkehr auf öffentlichen Strassen regelt nämlich in erster Linie das SVG (SVG Art. 1 Abs. 1). Nach Art. 1 Abs. 1 der zugehörigen VRV gelten als Strassen die von Motorfahrzeugen, motorlosen Fahrzeugen oder Fussgängern benützten Verkehrsflächen. Öffentlich sind nach Abs.  2 dieser Bestimmung Strassen, die nicht ausschliesslich privatem Gebrauch dienen, d.h. einem unbeschränkten Kreis von Benützern zur Verfü­ gung stehen. SVG Art. 90481, eine Bestimmung die – wie Art. 237 – ebenfalls dem Schutz des Verkehrs sowie von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer dient, hat folgenden Wortlaut: «1Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollzie­ hungsvorschriften des Bundesrates verletzt. 2Mit

Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit ande­ rer hervorruft oder in Kauf nimmt.

3Mit

Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzli­ che Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen. 4Absatz

3 ist in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit über­ schritten wird um: a. mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;

b. mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt; c. mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt; d. mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt. 5Artikel

dung.»

237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches findet in diesen Fällen keine Anwen­

480  Bürgi, 127. 481  SVG Art.  90 Abs.  1 und 2 gilt gemäss SVG Art.  100 Ziff.  1 sowohl für vorsätzliche

als auch für fahrlässige Verletzungen von Verkehrsregeln. Dagegen setzt SVG Art. 90 Abs. 3 zumindest Eventualvorsatz voraus.

91

§ 23  Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237)

Nach dem eben wiedergegebenen Abs.  5 der Bestimmung kommt also aus­ schliesslich SVG Art.  90 zur Anwendung, wenn ein Verkehrsteilnehmer durch vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung von Verkehrsregeln fahrlässig Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt482. Entsprechende konkrete Gefährdungen werden namentlich den Tatbestand von SVG Art.  90 Abs.  2 erfüllen, können aber auch unter Abs. 1 der Bestimmung fallen, wenn sie aus keiner «groben» Verletzung von Verkehrsregeln resultieren483. Wird zumin­ dest eventualvorsätzlich eine elementare Verkehrsregel verletzt und dabei das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingegan­ gen, kommt SVG Art. 90 Abs. 3 zur Anwendung. Der Tatbestand der fahrlässi­ gen Störung des öffentlichen Verkehrs nach StGB Art. 237 Ziff. 2 kommt aber dann zum Zug, wenn infolge Verjährung eine Verurteilung wegen Verletzung der Verkehrsregeln nach SVG Art. 90 nicht mehr möglich ist484. Was den Anwendungsbereich von StGB Art. 237 anbelangt, bleibt Folgendes festzuhalten: a) Sowohl Ziff. 1 als auch Ziff. 2 sind auf Gefährdungen auf nicht öffentlichen Strassen anwendbar. Beispiele für solche Verkehrsflächen: Dem Verkehr mit Motorfahrzeugen dienende Verkehrsflächen eines Flughafens oder durch signalisiertes Betretungs- und Fahr­ verbot dem allgemeinen Verkehr entzogener Vorplatz einer Liegenschaft (BGE 101 IV 175).

b) Gleiches gilt für Gefährdungen von Teilnehmern am öffentlichen Strassen­ verkehr durch Aussenstehende485. c) StGB Art. 237 Ziff. 1 ist anwendbar auf den Verkehrsteilnehmer, welcher durch regelwidriges Verhalten vorsätzlich bzw. eventualvorsätzlich andere an Leib und Leben gefährdet486.

482  Vgl. BGE 90 IV 153, Corboz, Vol. II, N 25 zu Art. 237. 483  Für Einzelheiten muss auf die strassenverkehrsrechtliche Literatur und Praxis (z.B. BGE

131 IV 133 ff.), verwiesen werden.

484  BGer vom 1.10.2003, 6S.312/2003, Erw. 1. 485  Die z.B. Steine auf Fahrbahnen fallen lassen. 486  Bürgi, 127.

92

§ 23  Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237)

2.

Vorsatzdelikt (Ziff. 1)

2.1

Objektiver Tatbestand

2.11

Tatobjekt: Öffentlicher Verkehr

Er besteht in der Fortbewegung von Menschen und/oder Gütern mit beliebigen Mitteln – also nicht nur mit Fahrzeugen, sondern auch zu Fuss487 – in einem jedermann bzw. einem unbestimmten Personenkreis zugänglichen Bereich, mithin auf Verkehrsflächen bzw. in entsprechenden Räumen, die dem öffentli­ chen Verkehr dienen488, insbesondere auf den bereits erwähnten Strassen, auf Plätzen, Flüssen (dazu gehört z.B. auch das River Rafting)489, Seen490, markier­ ten Skipisten491, Strecken von Schwebebahnen, Sessel- und Skiliften oder im Luftraum492. Unerheblich sind die an der Verkehrsfläche allenfalls bestehen­ den Eigentumsverhältnisse493.

2.12 Tathandlung Strafbar macht sich, wer durch irgendwelche Handlungen oder – im Falle einer Garantenpflicht – Unterlassungen494 den Verkehr hindert, stört oder gefährdet. Darunter versteht man die zeitweilige Verunmöglichung des normalen Ver­ kehrsablaufes, dessen Beeinträchtigung oder die Herbeiführung eines Zustan­ des, der eine solche Auswirkung auf den Verkehr haben könnte. Das dazu führende Verhalten kann von beliebiger Art sein495. Ist die Gefährdung auf mehrere derartige Verhaltensweisen zurückzuführen, so erfüllt jeder Störer den Tatbestand496.

487  BGE 85 IV 237, 106 IV 371. 488  BGE 134 IV 259, BstGer vom 29.01.2016, SK.2015.39, Erw. 3.1. 489  BGE 134 IV 263 f. 490  BGE 88 IV 1 ff., ZR 62 (1963) Nr. 122. 491  BGE 125 IV 9 ff., 138 IV 124 ff., BstGer vom 15.9.2006, SK.2006.2, Erw. 2.1.1, Stiffler,

N 590.

492  Vgl. BGE 101 IV 175, für den Luftverkehr BGE 102 IV 27 f., 105 IV 43 ff., MKGE 9 Nr. 6. 493  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 237, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 6. 494  BGE 134 IV 259 ff. 495  Vgl. z.B. BGE 84 IV 49 f., 106 IV 122 ff., 116 IV 182 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II,

§ 32 N 7.

496  BGE 85 IV 79.

93

§ 23  Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237)

2.13 Gefährdungserfolg Beim Grundtatbestand von Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 muss durch die Tathandlung eine konkrete Individualgefahr für Leib und Leben mindestens eines Men­ schen hervorgerufen werden497. Das Bundesgericht umschreibt sie als «eine nahe und ernstliche Wahrscheinlichkeit für die Verletzung oder Tötung eines Menschen»498. Die Voraussetzung, wonach es bloss vom Zufall abhängen dürfe, wer das konkret gefährdete Opfer ist, wurde mit BGE 100 IV 54  f. aufgege­ ben499. Die Gemeingefahr im Sinne der Gefährdung eines grösseren Perso­ nenkreises braucht nicht als Tatbestandsmerkmal nachgewiesen zu werden500. Die Gefährdung kann sich nach der bundesgerichtlichen Praxis auf jeder­ mann beziehen, insbesondere – aber nicht nur – natürlich auf Personen, wel­ che als Benützer eines Transportmittels oder als Fussgänger am öffentlichen Verkehr teilnehmen, auch auf Mitinsassen des vom Täter gesteuerten Fahr­ zeuges501 oder auf Verkehrspolizisten502. Mit einer derartigen Auslegung wird jedoch nicht berücksichtigt, dass der Zweck der Norm – jedenfalls auch – darin besteht, den öffentlichen Verkehr zu schützen. Entsprechend muss an sich vor­ ausgesetzt werden, dass nicht nur Leib und Leben von Personen, sondern auch der öffentliche Verkehr gefährdet wird503. Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Tathandlung und Gefähr­ dung wird durch Zufall oder erfolgreiche Gegenmassnahmen des Opfers bzw. eines Dritten nicht unterbrochen504.

497  Vorn § 6, BGE 85 IV 137, 106 IV 122, 371, ZR 62 (1963) Nr. 122. 498  BGE 85 IV 137, 106 IV 371, BGer vom 1.10.2003, 6S.321/2003, in BGE 106 IV 123 für

vorsätzliche Begehung in problematischer Weise eingeschränkt. Nach Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 32 N 8, soll die «ernstzunehmende Möglichkeit des Erfolgseintritts» genügen. 499  Kritisch dazu Fiolka, BSK StGB II, N 24 zu Art. 237, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 9. 500  BGE 134 IV 259, SJZ 58 (1962) 28, Corboz, Vol. II, N 18 zu Art. 237, Stratenwerth/Bommer, BT II, §  32 N  9, Trechsel/Fingerhuth, in: Trechsel/Pieth, N  12 zu Art.  237, a.M. Fiolka, BSK StGB II, N 24 zu Art. 237. 501  BGE 100 IV 55, 105 IV 45 ff., BGer vom 5.2.2009, 1B_267/2008. 502  BGE 106 IV 371. 503  Fiolka, BSK StGB II, N 24 zu Art. 237, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 9. 504  BGE 85 IV 138, 106 IV 123, BGer vom 1.10.2003, 6S.321/2003, Erw. 2.2, BstGer vom 29.1.2016, SK.2015.39, Erw. 3.1.

94

§ 23  Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237)

2.2

Subjektiver Tatbestand

Der nach Art. 237 Ziff. 1 notwendige Vorsatz muss sich sowohl auf die Hin­ derung, Störung oder Gefährdung des öffentlichen Verkehrs als auch auf die Gefährdung mindestens eines Menschen beziehen. Erforderlich ist hierbei, dass die Gefährdung eines Verkehrsteilnehmers wissentlich geschieht, d.h., dass der Täter die mit seiner Handlung verbundene Gefahr erkennt und trotz­ dem handelt505.

2.3

Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 1 Abs. 2)

Bringt der Täter durch sein Verhalten – z.B. durch einen Bombenanschlag auf ein zum Start rollendes Flugzeug506 – wissentlich Leib und Leben vieler Men­ schen in Gefahr, wird er nach Ziff. 1 Abs. 2 strenger bestraft. Nach BGE 106 IV 125 genügt es in dieser Hinsicht, wenn mehr als zehn Personen betroffen sind507. Da Ziff. 1 Abs. 2 die wissentliche Gefährdung vieler Menschen voraus­ setzt, ist die Anwendung dieses qualifizierten Tatbestandes bei bloss eventual­ vorsätzlicher Gefährdung ausgeschlossen508. Beispiele: Der Täter stellt absichtlich ein Hindernis auf die Strasse, worauf es zu einer Kollision mit nachfolgender Beeinträchtigung des Verkehrs und Gefährdung von Men­ schen kommt. Jemand fährt in vorsätzlicher Missachtung des Haltezeichens eines Ver­ kehrspolizisten509 in unverminderter Geschwindigkeit auf diesen zu (Ziff. 1 Abs. 1)510.

3.

Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)

Art.  237 Ziff.  2 erfordert zunächst die gleichen objektiven Merkmale wie Ziff. 1 der Bestimmung. Fahrlässige Störung des öffentlichen Verkehrs kommt in Betracht, wenn der Täter schon bezüglich der Hinderung, Störung oder Gefährdung des Verkehrs unvorsätzlich handelt oder wenn ihm mindestens das Wissen um die dadurch bewirkte Gefährdung von Menschen fehlt. Stets muss er sich aber pflichtwidrig-unvorsichtig im Sinne von Art. 12 Abs. 3 ver­

505  Vgl. vorn § 7 Ziff. 2.2, BGE 106 IV 371, Bürgi, 128. 506  ZR 71 (1972) Nr. 7. 507  Kritisch Fiolka, BSK StGB II, N 25 zu Art. 237, Trechsel/Fingerhuth, in: Trechsel/Pieth,

N 15 zu Art. 237.

508  Vorn § 7 Ziff. 2.2. 509  SVG Art. 27 Abs. 1. 510  BGE 106 IV 371.

95

§ 23  Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237)

halten haben, um sich nach Art. 237 Ziff. 2 strafbar zu machen511. Diese Qua­ lifikation kann sich aus der Verletzung einer in Anwendung von Art. 12 Abs. 3 konkretisierten besonderen Regel für die betreffende Verkehrssparte (Vor­ schriften über den Luft- und Schiffsverkehr, FIS-Regeln für Skifahrer usw.), aber auch generell aus der Missachtung der nach den Umständen und persön­ lichen Verhältnisse erforderlichen Vorsicht ergeben. Beispiele: Infolge eines unvorsichtigen Wendemanövers kentert ein Lastschiff, wobei ein Insasse ertrinkt512. Wasserskifahrer und Motorbootführer gefährden durch zu rasches und zu nahes Fahren am Ufer die Schwimmer513. Die Verantwortlichen eines Bergbahnunternehmens unterlassen es pflichtwidrig, eine lawinengefährdete Piste zu sperren, worauf Skifahrer verletzt bzw. getötet werden514.

4.

Weitere Fragen

Führt die vorsätzliche oder fahrlässige Gefährdung zu einer voraussehbaren und vermeidbaren körperlichen Schädigung von Menschen, so stellt sich die Frage der Konkurrenz. Werden ausser dem Getöteten oder Verletzten noch andere Personen konkret gefährdet, so sind auch diese betroffen, was für Ideal­konkurrenz von Art. 237 mit fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung spricht515. Andernfalls wird die Gefährdung nach Art. 237 Ziff. 2 durch den Verletzungstatbestand abgegolten516 – jedenfalls sofern für die Erfüllung des Tatbestands nicht eine Gefährdung des öffentlichen Verkehrs vorausgesetzt wird. Immerhin bleibt diese Bestimmung anwendbar, wenn bei einfacher Kör­ perverletzung nach Art. 125 Abs. 1 kein Strafantrag gestellt worden ist517.

511  Vgl. auch BGE 95 IV 2, 134 IV 262. 512  BGE 100 IV 54. 513  BGE 88 IV 1 f., ZR 62 (1963) Nr. 122. 514  BGE 125 IV 9 ff., 138 IV 124 ff. 515  BGE 75 IV 124 f., 91 IV 215, Pr 96 (2007) Nr. 119, Erw. 10.1. 516  BGE 75 IV 124 f., 91 IV 213 ff., 94 IV 81, Corboz, Vol. II, N 28 zu Art. 237, Fiolka, BSK

StGB II, N 29 zu Art. 237, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 14, Trechsel/Fingerhuth, in: Trechsel/Pieth, N 19 zu Art. 237, a.M. BGE 76 IV 125 f. 517  BGE 96 IV 41, ZR 84 (1985) Nr. 20, vgl. auch BGer vom 1.10.2003, 6S.312/2003, Erw. 1.1.

96

§ 24  Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238)

§ 24 Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238) Literaturauswahl: R. Ischer, La protection de la sécurité des chemins de fer par les art. 238 et 239 CP, ZStrR 60 (1946) 89, M. Schubarth, Sicherheitsdispositiv und strafrechtliche Verantwortlich­ keit im Eisenbahnverkehr, SJZ 92 (1996) 37, E.  Zwicky, Der Strafschutz der schweizerischen Eisenbahnen nach dem Inkrafttreten des StGB, Diss. Zürich 1946.

1. Rechtsgut Art. 238 (Störung des Eisenbahnverkehrs/Entrave au service des chemins de fer/ Perturbamento del servizio ferroviario/Disruption of rail transport) stellt im Ver­ hältnis zu Art.  237 wie auch zu Art.  239518 eine Sonderbestimmung für die Störung des Eisenbahnverkehrs dar. Geschützt ist dessen Sicherheit, soweit Leib und Leben von Personen, aber auch wirtschaftliche Interessen519 gefähr­ det sind. Die Bestimmung geht von den erheblichen Gefahrenmomenten aus, die dem Eisenbahnbetrieb innewohnen. Sie erfasst aber auch von aussen kom­ mende Beeinträchtigungen. Geschützt ist nur der technische Ablauf des Verkehrs, während die Störung des administrativen oder kommerziellen Betriebes von Bahnen (Billettschal­ ter, Wartesaal, Reparaturwerkstatt, Depoträume etc.) nur nach Art. 239 erfasst werden kann520.

2. Angriffsobjekt Das Angriffsobjekt besteht im sicheren Verkehr von Eisenbahnen, d.h. von Unternehmungen, die nach ihrer Zweckbestimmung von jedermann zur Beför­ derung von Personen und Gütern benützt werden können und deren Fahr­ zeuge auf oder an Schienen laufen521. Massgebendes Kriterium ist die Schie­ nengebundenheit des Fahrzeuges.

518  BGE 116 IV 46, Corboz, Vol. II, N 26 zu Art. 237. 519  Z.B. Transportgut. 520  BGE 84 IV 20, 86 IV 105 f. = Pr 49 (1960) Nr. 159 Erw. 1, BGE 116 IV 46, Fiolka, BSK

StGB II, N 9 zu Art. 238, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 18.

521  Eisenbahngesetz Art. 1 Abs. 2 (SR 742.101).

97

§ 24  Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238) Zum Eisenbahnverkehr gehört unter anderem der Verkehr einer Standseilbahn, einer Strassenbahn522, einer Metro523, nicht dagegen von Schwebebahnen, Skiliften oder Trolleybussen, die über Art. 237 geschützt sind.

Der Einsatz der betreffenden Bahn muss dem öffentlichen Verkehr die­ nen, sodass beispielsweise der Verkehr auf privaten Anschlussgeleisen ausser Betracht fällt524.

3.

Vorsatzdelikt (Abs. 1)

3.1

Objektiver Tatbestand

3.11

Täter und Opfer

Als Täter kommen sowohl Betriebsangehörige als auch Aussenstehende in Betracht, und von der Störung bzw. Gefährdung kann jedermann betroffen werden, also neben dem Bahnpersonal auch der Fahrgast, der Eigentümer von Transportgut oder Drittpersonen, z.B. jemand, der auf einem Perron wartet, oder der Motorfahrzeugführer, der einen versehentlich nicht geschlossenen Bahnübergang überquert525.

3.12 Tathandlung Unter Störung i.S.  der Marginalie ist jede zeitweilige Verunmöglichung bzw. Beeinträchtigung des normalen Eisenbahnverkehrs zu verstehen526, ebenso ein Zustand, der solche Ereignisse befürchten lässt. Derartige Störungen im weiten Sinne können durch aktives Tun oder – im Falle des Bestehens einer Garanten­ pflicht – durch Unterlassungen bewirkt werden. Beispiele: Ein Attentäter entfernt ein Gleisstück oder ein Streckenwärter belässt ein Hin­ dernis auf den Schienen.

3.13

Gefährdung von Menschen oder fremdem Eigentum

Die Störung i.S. des Randtitels muss zur Gefährdung von Leib und Leben von Menschen oder auch nur – was sehr weit geht – von fremdem Eigentum führen. 522  BGE 88 IV 88 ff. 523  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 238. 524  RS 1964 Nr. 54, Fiolka, BSK StGB II, N 10 zu Art. 238. 525  Vgl. BGE 80 IV 182 f., 84 IV 20 ff., 86 IV 106 = Pr 49 (1960) Nr. 159 Erw. 1, 87 IV 90. 526  Behinderung oder Störung i.S. des Gesetzestextes.

98

§ 24  Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238)

Als typische Beispiele für die zu befürchtenden Ereignisse nennt Art. 238 die Entgleisung oder einen Zusammenstoss; es genügen aber auch weniger drama­ tische Vorkommnisse wie das Umstürzen exponiert stehender Personen oder das Herunterfallen von Gepäckstücken bei einer brüsken Vollbremsung. Gefährdung bedeutet, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine Tötung oder Verletzung von Menschen bzw. eine Beschädigung oder Zerstörung frem­ der Sachen (z.B. von Transportgut) naheliegt527. Eine konkrete Individualge­ fahr reicht aus528. Die Voraussetzung, wonach es bloss vom Zufall abhängen dürfe, wer das konkret gefährdete Opfer ist, wurde aufgegeben529. Kommt es zu einer Kollision oder Entgleisung, wird in aller Regel die erforderliche Gefähr­ dung zu bejahen sein530. Das Moment der abstrakten Gemeingefahr ist in der Störung des Eisenbahnverkehrs an sich enthalten531. Die Tathandlung532 muss eine Ursache für den Eintritt der Gefährdung bilden.

3.2

Subjektiver Tatbestand

Art.  238 Abs.  1 verlangt, dass sich der Täter, der mit seinem Tun verbunde­ nen Störung im erwähnten weiten Sinne bewusst ist und diese auch will; ferner muss er mit Bestimmtheit wissen, dass er dadurch eine Gefährdung von Men­ schen oder fremdem Eigentum herbeiführt. Der für den Vorsatz weiter erfor­ derliche Wille kommt darin zum Ausdruck, dass der Täter die Handlung in diesem Wissen vornimmt533. Beispiele: Vorsätzlich wird die Tat etwa verübt durch absichtliche Beschädigung von Geleisen, Legen von Hindernissen, Werfen von festen Gegenständen gegen den fah­ renden Zug.

527  BGE 87 IV 90, 93 I 79 f., 124 IV 115 f., SJZ 67 (1971) 324. 528  Vgl. vorn § 6, BGE 80 IV 182 f., SJZ 84 (1988) 66. 529  Vgl. BGE 100 IV 54 f., kritisch dazu Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 20. 530  Vgl. BGE 116 IV 45. 531  Ablehnend Fiolka, BSK StGB II, N 17 zu Art. 238. 532  Vorn Ziff. 3.12. 533  Vorn § 7 Ziff. 2.2.

99

§ 24  Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238)

4.

Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2)

4.1

Die erforderliche Gefährdung

Bei der fahrlässigen Tatbegehung muss der Täter Menschen oder fremdes Eigentum erheblich gefährden. Es handelt sich hier um ein sog. «Eisenbah­ nerprivileg», durch das Bahnangestellte davor bewahrt werden sollen, allzu schnell mit dem Strafrecht in Konflikt zu geraten; die Schwere der Pflichtwid­ rigkeit erscheint dafür allerdings kein sachgerechteres Kriterium zu sein534. Für die Auslegung des Merkmals der Erheblichkeit der Gefährdung kommt es nach der Praxis auf die Bedeutung des Schadens bzw. auf dessen (hypotheti­ sche) Grösse im Falle der Verwirklichung der Gefahr an535. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nicht die Gefahr einer Verletzung des Rechtsgu­ tes höher sein muss als dies nach Abs. 1 verlangt ist, sondern dass die Schädi­ gung, welche im Falle einer Realisierung der Gefährdung in einer Verletzung eintreten würde, nicht mehr als leicht erachtet werden kann. In diesem Sinne liegt in der konkreten Gefahr einer einfachen Körperverletzung keine uner­ hebliche Gefahr536. Sodann muss das Kriterium der Erheblichkeit der Gefähr­ dung – trotz der Absicht des historischen Gesetzgebers, das Bahnpersonal vor Konflikten mit dem Strafrecht zu bewahren  – auch gelten, wenn Dritte den Eisenbahnverkehr stören, etwa dadurch, dass sie ihren Personenwagen im Lichtraumprofil der Bahn anhalten537. Die Veranlassung einer Schnellbremsung durch den Triebfahrzeugführer538 bildete früher einen wichtigen Anwendungsfall von Art. 238 Abs. 2. Angesichts der technischen Fortschritte führt aber nunmehr ein solcher Vorgang, selbst im Falle der Kollision mit einem Personenwagen539, nicht (mehr) automatisch zu einer Gefährdung im Sinne des Gesetzes; entscheidend sind vielmehr die Verhältnisse im Einzelfall540.

534  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 24. 535  BGE 86 IV 106 = Pr 49 (1960) Nr. 159 Erw. 2, 87 IV 89 f., 93 I 79 f., 116 IV 46 ff., 124

IV 116, Corboz, Vol. II, N 19 zu Art. 238, Trechsel/Fingerhuth, in: Trechsel/Pieth, N 8 f. zu Art. 238. 536  BGE 87 IV 89. 537  BGE 124 IV 116. 538  Z.B. durch einen das Gleis unvorsichtig passierenden Fahrzeuglenker oder Fussgänger. 539  BGE 124 IV 119. 540  BGE 116 IV 45, 124 IV 119, SJZ 67 (1971) 325.

100

§ 24  Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238)

4.2 Sorgfaltswidrigkeit Der Täter muss mit Blick auf die Verhinderung der Störung i.S.  des Randti­ tels pflichtwidrig handeln. Insbesondere muss die Voraussehbarkeit einer sich daraus ergebenden erheblichen Gefährdung von Menschen und Sachen bejaht werden können541, auch wenn sich die Fahrlässigkeit nach dem Gesetzestext nur auf die Störung allein zu beziehen scheint. Die für den Eisenbahnverkehr zu beachtenden Verhaltensregeln lassen sich für das Personal aus einer Vielzahl von Reglementen542, für den Motorfahrzeug­ führer aus SVG Art. 28, 32, 38, VRV Art. 24, 25, 52 Abs. 4543 ableiten. Diese Vorschriften bilden den Ausgangspunkt für die Bemessung der individuellkonkret zu beachtenden Sorgfaltspflicht im Sinne von Art. 12 Abs. 3. Neben den Umständen sind insbesondere die persönlichen Verhältnisse des poten­ ziellen Täters zu berücksichtigen. Wissen, Erfahrungen und Überbeanspru­ chung in einer konkreten Situation sind dabei wichtige Elemente544. Auch eine allfällige gewohnheitsmässige Nichtbeachtung derartiger Vorschrif­ ten hebt deren Geltung nicht auf 545.

5.

Weitere Fragen

5.1

Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen

Werden durch Störung des Eisenbahnverkehrs Menschen nicht nur gefährdet, sondern auch verletzt, so hat der Verletzungstatbestand Vorrang vor Art. 238 Abs. 2. Von echter Konkurrenz ist hingegen auszugehen, wenn zusätzlich wei­ tere Personen oder Sachwerte erheblich gefährdet worden sind546. Im Allge­ meinen geht Art.  238 dem Art.  237 vor; echte Konkurrenz ist nur möglich, wenn durch das betreffende Verhalten sowohl der durch Art. 237 wie auch der durch Art.  238 geschützte Verkehr beeinträchtigt werden, was dort der Fall sein kann, wo sich die Verkehrsfläche zwischen bzw. im Bereich der Schienen

541  Vgl. BGE 87 IV 91 f. 542  Vgl. dazu etwa BGE 77 IV 180, 88 IV 108 f., 104 IV 19, 126 IV 18 ff. 543  Dazu SJZ 84 (1988) 65 f. 544  BGE 99 IV 65, 104 IV 19. 545  RS 1975 Nr. 877. 546  Fiolka, BSK StGB II, N 33 zu Art. 238, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 28, Trechsel/

Fingerhuth, in: Trechsel/Pieth, N 14 zu Art. 238.

101

§ 25  Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239)

befinden (z.B. auf Niveauübergängen etc.)547. Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Art. 238 und SVG Art. 90. Schliesslich ist Idealkonkurrenz möglich zwischen Art. 238 und den gemeingefährlichen Delikten nach Art. 221–230548. Ist die Gefährdung von Menschen oder fremdem Eigentum nicht erheblich i.S. von Art. 238 Abs. 2, so ist subsidiär nicht etwa die Anwendung von Art. 237 Ziff. 2, wohl aber die Anwendung von Art. 239 Ziff. 2 zu prüfen549.

5.2 Prozessuales Ist der Täter Beamter der SBB und hat er das Delikt bei seiner Berufsausübung begangen, muss für seine Strafverfolgung nach Art. 15 Abs. 1 und 2 des Ver­ antwortlichkeitsgesetzes vom 14. März 1958 (SR 170.32) die Ermächtigung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements eingeholt werden550. Für die Praxis ist sodann von Bedeutung die VO über die Sicherheitsuntersuchung von Zwischenfällen im Verkehrswesen (VSZV)551.

§ 25 Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239) Literaturauswahl: H. Rychner, Strafrechtlicher Schutz des Telegraphen- und Telephonbetriebes, SJZ 39 (1942/43) 500, K. Staub, Hinderung, Störung und Gefährdung von Betrieben, die der All­ gemeinheit dienen, Diss. Zürich 1941, F. Vischer, Der politische Streit, in: Privatrecht, öffentliches Recht, Strafrecht, Grenzen und Grenzüberschreitungen, Festgabe zum Schweizerischen Juristen­ tag 1985, hrsg. von der Juristischen Fakultät der Universität Basel, Basel 1985, 449.

Art. 239 (Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen/Entrave aux services d’intérêt général/Perturbamento di pubblici servizi/Disruption of public services), auf den die Überschrift des 9. Titels wenig passt, schützt im Gegensatz zu Art. 237 und 238 nicht vor den Gefahren des Verkehrs, sondern den unge­ störten Betrieb von bestimmten Einrichtungen, an dem die Allgemeinheit ein

547  BGE 78 IV 105, RS 1979 Nr. 692, Corboz, Vol. II, N 25 zu Art. 238, Fiolka, BSK StGB II,

N 30 zu Art. 238, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 29.

548  Vgl. dazu SJZ 39 (1942/43) 415 betr. Art. 229 (Beschädigung elektrischer Anlagen). 549  BGE 116 IV 45 ff., BGer vom 20.7.2012, 6B_217/2012, Erw. 3.2, Corboz, Vol. II, N 24 zu

Art. 238, hinten § 25 Ziff. 2.

550  Vgl. BGE 93 I 78 f. 551  SR 742.161.

102

§ 25  Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239)

Interesse hat552. Teilweise bestehen dafür besondere gesetzliche Bestimmun­ gen, so z.B. im BG betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanla­ gen vom 24. Juni 1902 (SR 734.0) oder im BG über Rohrleitungsanlagen zur Beförderung flüssiger oder gasförmiger Brenn- oder Treibstoffe vom 4. Okto­ ber 1963 (SR 746.1).

1.

Vorsatzdelikt (Ziff. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

1.11

Geschützte Betriebe

Das Gesetz nennt öffentliche Verkehrsanstalten (zu denen es auch den Postund Fernmeldebetrieb zählt) sowie generell allgemeine Versorgungsbetriebe, namentlich solche für Wasser, Licht, Kraft oder Wärme. Ob diese Betriebe vom Staat, der Gemeinde oder von einem Privaten geführt werden, ist unerheb­ lich553. Bei privaten Unternehmungen bildet deren Konzessionspflicht einen wichtigen Anhaltspunkt für ihre der Allgemeinheit dienende Widmung554. Massgebend muss nach der ratio legis sein, dass die betreffende Leistung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird, dass ein entsprechendes Interesse der Öffentlichkeit an deren Inanspruchnahme besteht555 und dass die Leistung grundsätzlich von jedermann beansprucht werden kann. Demnach fallen zur Hauptsache unter Art. 239 Eisenbahnen, die Post- und TelecomBetriebe, Bus- und Schiffsbetriebe, Schwebebahnen, Skilifte, Rohrleitungsanlagen, Gas-, Elektrizitäts- und Trinkwasseranlagen, sofern diese ihre Dienste der Öffentlich­ keit zur Verfügung stellen. Auch Radio- und Fernsehanstalten mit Service-public-Leis­ tung556 werden in dieser Hinsicht als Betriebe i.S. von Art. 239 Ziff. 1 Abs. 1 zu betrach­

552  BGE 116 IV 46. 553  Vgl. auch BGE 85 IV 232, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 239, Fiolka, BSK StGB II, N 6 zu

Art. 239, Trechsel/Fingerhuth, in: Trechsel/Pieth, N 2 zu Art. 239, tendenziell auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 32. 554  BGE 85 IV 232 f., SJZ 73 (1977) 43. 555  Vgl. Corboz, Vol. II, N 4 f. zu Art. 239. 556  Insbesondere zur Sicherstellung der Kommunikation in ausserordentlichen Lagen, vgl. dazu Fernmeldegesetz (FMG) vom 30. April 1997 (SR 784.10), Art. 46 f.

103

§ 25  Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239) ten sein557, ebenso auch Gemeinschaftsantennenanlagen558. Fraglich erscheint, ob den Versorgungsbetrieben die Entsorgungsanstalten gleichzusetzen sind559.

1.12

Tathandlung und Taterfolg

Art. 239 Ziff. 1 kann durch irgendeine gegen den ordnungsgemässen Betrieb des Unternehmens gerichtete Handlung – bei Bestehen einer Garantenpflicht auch durch eine Unterlassung – erfüllt werden, die zu seiner Hinderung, Stö­ rung oder Gefährdung in sachlich-funktioneller Hinsicht560 führt. Dieser tat­ bestandsmässige Erfolg besteht im Stilllegen, in der Beeinträchtigung des normalen Betriebsablaufs oder im Herbeiführen eines Zustands, der solche Ereignisse befürchten lässt. Auch die mit dem Betriebsablauf im Zusammen­ hang stehenden administrativen und kommerziellen Vorgänge werden des Schutzes teilhaftig. Geschützt ist die Abwicklung des gesamten technischen, administrativen oder kaufmännischen Betriebes, jedenfalls soweit die der Öffentlichkeit angebotene Leistung betroffen ist561. Die Auslegung der den tatbestandsmässigen Erfolg kennzeichnenden Begriffe ist in der Weise vorzunehmen, dass der betreffende Betrieb insgesamt oder doch in erheblichem Mass gestört wird562. Namentlich geht die Anwendung von Art. 239 zu weit, wenn der Betrieb bloss punktuell beeinträchtigt wird, z.B. ein einzelner Beleuchtungsmast oder Hydrant563 ohne weitere Folgen für die Versorgung ausfällt. Beispiele für Anwendungsfälle von Art. 239: Beschädigung einer Gas- oder Stromlei­ tung, wodurch die Belieferung eines Quartiers oder Dorfes ausfällt564. Verunreinigung einer städtischen Trinkwasseranlage, weshalb die Wasserzulieferung während Wochen

557  Trechsel/Fingerhuth, in: Trechsel/Pieth, N 2 zu Art. 239, a.M. Corboz, Vol. II, N 8 zu

Art. 239, Fiolka, BSK StGB II, N 12 zu Art. 239, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 31.

558  Vgl. RS 1991 Nr. 30. 559  Im positiven Sinn SJZ 65 (1969) 192, 195 für Abwasseranlagen, zustimmend Fiolka, BSK

StGB II, N 14 zu Art. 239.

560  Fiolka, BSK StGB II, N 20 zu Art. 239, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 35. 561  BGE 72 IV 68, Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 239, Fiolka, BSK StGB II, N 15 zu Art. 239,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 34, Trechsel/Fingerhuth, in: Trechsel/Pieth, N 3 zu Art. 239. 562  BGer vom 20.7.2012, 6B_217/2012, Erw. 3.2, Fiolka, BSK StGB II, N 19 zu Art. 239, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 35, SJZ 39 (1942/43) 366, in der Sache auch Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 239. 563  Offen gelassen in BGer vom 20.7.2012, 6B_217/2012, Erw. 3.3.1. 564  BGE 90 IV 253, RS 1992 Nr. 225.

104

§ 25  Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239) eingestellt wird565. Demolierung der Anlage und Ausserbetriebsetzung eines Skilifts566. Blockierung des Tramverkehrs durch Demonstranten567. Manipulation bzw. Beschä­ digung eines Hydranten, wodurch die Löschwasserversorgung in dem vom jeweiligen Hydranten abgedeckten Gebiet bis zur Wiederinstandstellung unterbrochen wurde. Insgesamt waren 13 Hydranten vom Unterbruch betroffen568.

Die Behinderung oder Störung muss von gewisser Dauer sein. Beispiele: Das Bundesgericht hat die Anwendbarkeit der Bestimmung im Falle des Unterbruchs eines Bahnbetriebes während über einer Stunde bejaht569, nicht aber im Falle der Verspätung eines Zuges um 15 Minuten570 bzw. eines Busses um 5 Minuten571.

Politisch brisant ist die Anwendung von Art.  239, wenn durch einen Streik des Personals die Aufrechterhaltung des Betriebes erschwert oder gar aufge­ hoben wird. Die kollektive Arbeitsniederlegung in Privatbetrieben ist zwar in der Schweiz erlaubt. Doch muss der Arbeitskampf verhältnismässig sein572. Eine Arbeitsniederlegung, welche die Versorgung der Bevölkerung empfind­ lich beeinträchtigt oder gar lahm legt, kann nicht als legales Mittel angesehen werden. Das Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (SR 172.220.1) ermäch­ tigt den Bundesrat in Art. 24 Abs. 1, das Streikrecht für bestimmte Kategorien von Angestellten zu beschränken oder aufzuheben. Von dieser Kompetenz hat der Bundesrat in der Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 in Art. 96 Gebrauch gemacht573.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Für die Strafbarkeit ist Vorsatz auf Hinderung, Störung oder Gefährdung einer der in Art. 239 Ziff. 1 genannten Betriebe erforderlich; dolus eventualis genügt.

565  SJZ 65 (1969) 192. 566  BGE 85 IV 233 f., SJZ 73 (1977) 42. 567  BGE 97 IV 78. 568  BGer vom 20.7.2012, 6B_217/2012, Erw. 3. 569  BGE 116 IV 49. 570  Vgl. dazu BGE 119 IV 302. 571  Vgl. dazu BGer vom 30.8.2016, 6B_1150/2015, Erw. 5.2.2. 572  Vischer, 465, BGE 111 II 250 ff., ZR 84 (1985) Nr. 79 und 93. 573  SR 172.220.111.3.

105

§ 25  Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239)

2.

Fahrlässigkeitsdelikt (Ziff. 2)

Hier führt der Täter den tatbestandsmässigen Erfolg in dem unter Ziff. 1.12 hiervor erwähnten Sinn unwillentlich, aber durch pflichtwidrige Unvorsichtig­ keit i.S. von Art. 12 Abs. 3 herbei. Für die Bemessung der Sorgfaltspflichten des Täters bestehen unter Umständen besondere Dienstvorschriften574. Fraglich ist, ob zur Begründung der Fahrlässigkeit auch die Verletzung von Verkehrsregeln genügt, da deren Schutzzweck regelmässig darin liegt, schädliche Folgen im Strassenbereich zu vermeiden, nicht aber, Auswirkungen auf Betriebe i.S. von Art. 239 zu verhindern575.

3.

Weitere Fragen

Idealkonkurrenz kann mit folgenden Delikten bestehen: Vorsätzliche oder fahrlässige Tötung (111–113, 117), Körperverletzung (Art. 122–125), Sachbe­ schädigung (Art. 144)576, unrechtmässige Entziehung von Energie (Art. 142), gemeingefährliche Delikte (Art.  221–230)577, Verunreinigung von Trinkwas­ ser (Art. 234), Zuwiderhandlung gegen BG über den Schutz der Gewässer vom 24. Januar 1991 (SR 814.20), Art. 70 f.578. Hingegen gehen Art. 237 und Art. 238 der Anwendung von Art. 239 vor579. Die letztgenannte Bestimmung ist immerhin anwendbar, wenn fahrlässige Störung des Eisenbahnverkehrs gemäss Art.  238 Ziff.  2 mangels erheblicher Gefähr­ dung von Leib oder Leben bzw. fremden Eigentums ausser Betracht fällt580.

574  SJZ 65 (1969) 193. 575  Vgl. aber RS 1992 Nr. 225. 576  SJZ 73 (1977) 43. 577  BGE 90 IV 253, MKGE 8 Nr. 21. 578  Vgl. auch SJZ 65 (1969) 191, 195. 579  BGE 72 IV 30. 580  BGE 116 IV 45 ff., Fiolka, BSK StGB II, N 34 zu Art. 239, vgl. Schwaibold, BSK StGB II,

Aufl. 2, N 25 zu Art. 239, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 32 N 42, und Trechsel/Fingerhuth, in: Trechsel/Pieth, N 14 zu Art. 238, welche sich dafür aussprechen, Art. 239 bei Bahnbeamten zufolge des «Eisenbahnerprivilegs» in derartigen Konstellationen nicht anzuwenden.

106

§ 26  Einleitung und allgemeine Bestimmungen (Art. 249 und 250)

10. Titel

Fälschung von Geld, amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht (Art. 240–250)

Literaturauswahl: S. Gless/P. Kugler/D. Stagno, Was ist Geld? Und warum schützt man es?, recht 2015, 82, S. B. Kim, Gelddelikte im Strafrecht, Diss. Zürich 1991, R. Montanari, Falschgelddelikte und Betrug, Kommentar zu BGE 6S.101/2007 vom 15. August 2007, jusletter vom 15.10.2007, M. A. Niggli/G. Fiolka, Geld, Gold und die Kunst der Gesetzgebung, ZStrR 119 (2001) 257, M. Raggenbass, Strafrechtlicher Schutz von Banknoten, Der revidierte Tatbestand gemäss Art. 327 StGB, SJZ 92 (1996) 57, D. Sahin, «Systemnoten» – eine andere Form der Kleinkriminalität, fp 2015, 164, H. Schultz, Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1973, ZBJV 110 (1974) 394 (zit. Schultz, Rechtsprechung 1973), D. Stoll, Le bitcoin et les aspects pénaux des mon­ naies virtuelles, fp 2015, 99, W. Wohlers, Konkurrenzprobleme bei Geldfälschungsdelikten, zugleich Besprechung von BGE 133 IV 256 sowie BGer v. 5.10.2007, 6B_392/2007, fp 2008, 121.

§ 26 Einleitung und allgemeine Bestimmungen (Art. 249 und 250) 1.

Regelungsmaterie, geschütztes Rechtsgut und Entwicklung der Gesetzgebung

Die den Tatbeständen von Art.  240  ff. zugrunde liegenden Normen verbie­ ten es, Geld zu fälschen (Art. 240), zu verfälschen (Art. 241) oder ohne Fäl­ schungsabsicht nachzumachen, sodass die Gefahr einer Verwechslung entsteht (Art. 243). Mit Strafe bedroht wird aber auch, wer die betreffenden Falsifikate als echt oder unverfälscht in Umlauf setzt (Art. 242 Abs. 1, Art. 243 Abs. 1 al. 4) oder sie nur schon zu diesem Zweck einführt, erwirbt oder lagert (Art.  243 Abs. 1 al. 4, Art. 244). Der Vollständigkeit halber ist auf Art. 328 hinzuweisen, wonach das Nachmachen von Postwertzeichen des In- und Auslandes ohne Fälschungsabsicht unter Strafe gestellt ist.

107

§ 26  Einleitung und allgemeine Bestimmungen (Art. 249 und 250)

Nach der heute vorherrschenden Lehre schützen die Geldfälschungsdelikte das Interesse der Öffentlichkeit bzw. das allgemeine Interesse an der Sicherheit des Geldverkehrs581. Sie stellen zumeist abstrakte Gefährdungsdelikte dar582.

2. Zahlungsmittel Unter «Geld» versteht das Gesetz in den genannten Bestimmungen im einzel­ nen Metall-, Papiergeld583 und Banknoten des In- und des Auslandes (Art. 250), denn auch Geld anderer Staaten wird in der Schweiz zur Zahlung entgegenge­ nommen und eingewechselt. Nach der h.L. und Rechtsprechung fällt jedes von einem völkerrechtlich anerkannten Staat oder von einer durch diesen ermäch­ tigten Stelle als Wertträger beglaubigtes Zahlungsmittel unter den strafrecht­ lichen Geldbegriff, solange es einen gesetzlichen Kurs hat584. Eine rein virtu­ elle und private Währung, wie bspw. «Bitcoins», fällt damit nicht unter die Art. 240 ff. 585. Ein früheres Zahlungsmittel, welches ausser Kurs gesetzt wor­ den ist, stellt ebenso kein Geld im erwähnten Sinne dar, während der blosse Rückruf wegen der Verpflichtung der Banken, das zurückgerufene Geld weiter­ hin anzunehmen, an der Geldeigenschaft nichts ändert586. Da ausschliesslich Metall- und Papiergeld sowie Banknoten unter dem strafrechtlichen Schutz der Art. 240 ff. stehen, fallen Buch- und Girogeld sowie andere Zahlungsmittel wie z.B. Wechsel, Check oder Kreditkarten aus dem Anwendungsbereich der Geld­ fälschungsdelikte. Werden Geldzeichen gefälscht, welche nicht den strafrecht­ lichen Schutz der Art. 240 ff. geniessen, kommt allenfalls der Tatbestand der Warenfälschung (Art. 155) zur Anwendung. In der Schweiz besitzt der Bund allein das Monopol zur Ausgabe von Münzen, Banknoten und anderen gleichartigen Geldzeichen587. Das Recht zur Ausgabe

581  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 8 vor Art. 240, Niggli, N 60 vor Art. 240 ff., Straten-

werth/Bommer, BT II, § 33 N 1, Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 240, vgl. dazu Botschaft 1999 II, 7282 f. 582  Hierzu Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.33. 583  Papiergeld kann in wirtschaftlich gestörten Zeiten an die Stelle des Hart- bzw. Metall­ geldes treten. 584  BGE 78 I 225, 82 IV 201, Corboz, Vol. II, N 2 f. zu Art. 240, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 3 vor Art. 240, Niggli, N 42 vor Art. 240 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 4. 585  Gless/Kugler/Stagno, 88 f., ebenso Stoll, 105. 586  BGE 76 IV 164 f. 587  BV Art. 99 Abs. 1.

108

§ 26  Einleitung und allgemeine Bestimmungen (Art. 249 und 250)

von Banknoten und die Münzversorgung hat der Bund der Schweizerischen Nationalbank übertragen588.

3.

Einziehung (Art. 249)

Falsifikate i.S. von Art. 240 ff., falsche oder verfälschte Masse, Gewichte, Waa­ gen und andere Messgeräte sowie Fälschungsgeräte unterliegen nach der Bestimmung von Art.  249 (Einziehung/Confiscation/Confisca/Confiscation) stets der Einziehung. Die Einziehung gemäss Art. 249 ist zwingend anzuord­ nen589. Die betreffenden Gegenstände sind stets unbrauchbar zu machen oder zu vernichten.

4.

Anwendung auf Geld- und Wertzeichen des Auslandes (Art. 250)

Nach Art.  250 (Geld und Wertzeichen des Auslandes/Monnaies et timbres de valeur étrangers/Monete e bolli di valore esteri/Foreign currency and stamps) bezieht sich der Anwendungsbereich der Fälschungsdelikte des 10. Titels nicht nur auf inländische Geld- und Wertzeichen, sondern auch auf ausländisches Metall- und Papiergeld, auf ausländische Banknoten sowie auf Wertzeichen des Auslandes. Nicht erfasst werden demzufolge ausländische amtliche Zei­ chen, Masse, Gewichte, Waagen und weitere Messinstrumente.

5. Verfolgung Die strafrechtliche Verfolgung der Fälschungsdelikte betreffend Metallgeld, Papiergeld und Banknoten, amtliche Wertzeichen und sonstige Zeichen des Bundes sowie Mass und Gewicht untersteht gemäss StPO Art. 23 Abs. 1 lit. e der Bundesgerichtsbarkeit. Davon ausgenommen sind jedoch Fälschungsde­ likte mit Bezug auf ausländische Zahlungsmittel.

588   Vgl. BG über die Schweizerische Nationalbank (Nationalbankgesetz, NBG) vom

3. Oktober 2003 (SR 951.11), BG über die Währung und die Zahlungsmittel (WZG) vom 22. Dezember 1999 (SR 941.10), Münzverordnung (MünzV) vom 12. April 2000 (SR 941.101). 589  BGE 123 IV 57.

109

§ 27  Geldfälschung (Art. 240)

1. Abschnitt: Gelddelikte § 27 Geldfälschung (Art. 240) 1.

Objektiver Tatbestand

Den schwerwiegendsten Tatbestand des 10. Titels, auch als «Falschmünzerei»590 bezeichnet, begeht objektiv, wer Geld im vorher erwähnten Sinne fälscht, um es als echt in Umlauf zu bringen (Geldfälschung/Fabrication de fausse monnaie/ Contraffazione di monete/Counterfeiting money). Das bedeutet, dass der Täter unbefugterweise Metallgeld, Papiergeld oder Banknoten herstellt, und zwar in einer Art, welche den Produkten den Anschein der Echtheit verleiht. Im Vordergrund steht das «Nachmachen» von Geld, d.h. die Imitation offizieller Zahlungsmittel. Mindestens theoretisch kommt aber auch die Herstellung von sog. «Fantasiegeld» in Betracht, falls dieses für einen Durchschnittsbetrach­ ter als echt erscheint591, so z.B. wenn jemand selber in dieser Form gar nicht existierende Banknoten eines weit entfernten Kleinstaates entwerfen und pro­ duzieren sollte592. Ein Fälschungshandlung kann aber auch darin liegen, dass unfertige Originalnoten ausserhalb des zulässigen Herstellungsprozesses wei­ terverarbeitet werden593. Da im alltäglichen Geschäftsverkehr keine allgemeine Pflicht zur Prüfung der Echtheit von Geld besteht594, ist nicht auf die Qualität bzw. Überzeugungskraft der Fälschungen, sondern auf die Entstehung einer Verwechslungsgefahr mit echtem Geld abzustellen. Entsprechend der Natur von Art.  240 als abstrak­ tes Gefährdungsdelikt muss es ausreichen, wenn das gefälschte Geld geeignet ist, auch nur bei bloss flüchtiger Betrachtung als echt zu erscheinen595. Wenn die Fälschungen jedoch selbst vom Durchschnittsbetrachter leicht erkennbar sind, kann nicht von einer Verwechslungsgefahr gesprochen werden596. Unter 590  So verwendet auch im Internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Falschmünze­

rei vom 20. April 1929, SR 0.311.51.

591  Dies dürfte bei dem von Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 5, erwähnten silbernen

Zehnfrankenstück ausgeschlossen sein.

592  Corboz, Vol. II, N 2 f. zu Art. 240. 593  Konkret wurden die Noten zugeschnitten und Fantasieseriennummern aufgedruckt,

TPF 2015 51.

594  Kim, 72, Niggli, N 16 zu Art. 240. 595  Vgl. hierzu BGE 123 IV 58 f., Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 240. 596  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 11 zu Art. 240, Niggli, N 18 zu Art. 240.

110

§ 27  Geldfälschung (Art. 240)

diesem Gesichtspunkt ist bei Fälschungen ausländischen Geldes auch der Bekanntheitsgrad der nachgemachten Währung zu berücksichtigen597. Dienen die Falsifikate nicht der Täuschung von Menschen, sondern lediglich der Überlistung einer Maschine (z.B. Metallplättchen zum Gebrauch an Münzoder Spielautomaten), so ist der objektive Tatbestand nicht gegeben, weil nicht ein Mensch, sondern lediglich eine Maschine «getäuscht» werden soll598.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art. 240 Abs. 1 verlangt Vorsatz bezüglich der eben genannten objektiven Tat­ bestandsmerkmale. Insbesondere muss der Täter um den gesetzlichen Kurs des von ihm imitierten Geldes wissen599. Weiter wird vorausgesetzt, dass er dieses fälscht, um es «als echt in Umlauf zu bringen». Damit umschreibt das Gesetz eine Absicht im technischen Sinne600. Diese bezieht sich ausschliesslich auf die Zweckbestimmung des Falschgeldes, setzt also nicht voraus, dass der Fälscher selbst das Falsifikat als echt in Umlauf bringen will601. Es genügt also bereits, wenn der Fälscher weiss, dass das von ihm hergestellte Falschgeld von anderen Personen  – insbesondere kommen Käufer seiner Falsifikate infrage – als echt in Umlauf gesetzt wird, oder er dies auch nur im Sinne einer Eventualabsicht in Kauf nimmt602. Die umschriebene Absicht muss im Zeitpunkt der Tathandlung des Fälschens vorhanden sein603. Geld setzt in Umlauf, wer dieses als Zahlungsmittel oder zu andern Zwecken entgeltlich oder unentgeltlich anderen Personen abgibt604.

3.

Weitere Fragen

3.1

Versuch und Vollendung

Die Tat ist mit der Herstellung auch nur einer einzigen falschen Münze oder Banknote vollendet. Vor der Fertigstellung liegt stets ein Versuch vor, sofern 597  Kim, 73, Niggli, N 24 zu Art. 240. 598  Niggli, N 30 zu Art. 240, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 5. 599  BGE 82 IV 202. 600  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 9 Ziff. 3. 601  BGE 119 IV 157 f., Niggli, N 37 zu Art. 240, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 8. 602  BGE 119 IV 157 f. = Pr 83 (1994) Nr. 146, Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 240. 603  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 17 zu Art. 240, Niggli, N 38 zu Art. 240. 604  BGE 80 IV 265.

111

§ 27  Geldfälschung (Art. 240)

bereits mit der Fälschungshandlung begonnen worden und der erforderliche subjektive Tatbestand gegeben ist. Wird nicht mit der Ausführung der Tat­ handlung begonnen, kann Strafbarkeit gemäss Art. 247 für die Vorbereitungs­ handlungen der Anfertigung oder Beschaffung von Gerätschaften zur Herstel­ lung von Falschgeld gegeben sein605. Stellt jemand Falsifikate her, welche ohne Weiteres als solche erkennbar sind und nicht den Anschein von Echtheit erwe­ cken, liegt ebenfalls ein blosser (allenfalls untauglicher) Versuch vor.

3.2

Der «besonders leichte Fall» gemäss Abs. 2

Der Grundtatbestand in Abs. 1 enthält eine Strafdrohung von einem Jahr bis maximal 20 Jahren Freiheitsstrafe606. Abs. 2 sieht demgegenüber eine mildere Strafe für «besonders leichte Fälle» vor. Dabei ist insbesondere an Fälle zu denken, bei welchen nur auf wenige Exemplare beschränkte Fälschungen mit geringem Nominalwert hergestellt werden. Mit der Verneinung eines beson­ ders leichten Falls bei der Herstellung einer Serie von vier schwer erkennba­ ren Falsifikaten einer Tausendernote hat das Bundesstrafgericht die Schwelle – in Anbetracht der massiven Strafdrohung – sehr tief angesetzt607. Denkbar ist die Annahme eines leichten Falles auch, wenn die Fälschung als ungeschickt zu erachten ist, trotzdem aber Verwechslungsgefahr besteht, weil sich die Fäl­ schung angesichts der Umstände nicht als plump erweist608.

3.3

Anwendungsbereich von Art. 240

Nach Abs. 3 ist der Täter überdies strafbar, wenn er die Tat im Ausland began­ gen sowie wenn er die Schweiz betreten hat609 und nicht ausgeliefert wird, immer unter der Voraussetzung, dass die Tat auch am Begehungsort strafbar ist. Mit dieser Norm ist die Schweiz ihrer durch das Internationale Abkommen vom 20. April 1929 zur Bekämpfung der Falschmünzerei610, Art. 9 Abs. 1 und 605  Dazu hinten § 35. 606  Vgl. Art. 40. 607  TPF 2015 53 f. 608  BGE 119 IV 159, 133 IV 256 Erw.  3.2, BGer vom 5.10.2007, 6B_392/2007, Erw.  2.2,

Stratenwerth/Bommer, BT II, §  33 N  9, Trechsel/Vest, N  8 zu Art.  240, s. auch Niggli, N 49 ff. zu Art. 240, welcher die Privilegierung nach Abs. 2 bei einer besonders plum­ pen Fälschung mangels Verwechslungsgefahr ablehnt und sich für die Annahme eines Fälschungsversuchs nach Abs. 1 ausspricht. 609  Vgl. dazu BGE 116 IV 252 f. 610  SR 0.311.51.

112

§ 28  Geldverfälschung (Art. 241)

2, auferlegten Verpflichtung zur Strafverfolgung nachgekommen. Ob darin eine Verwirklichung des Weltrechtsprinzips (Universalitätsprinzip)611 oder ein Anwendungsfall stellvertretender Strafrechtspflege612 gesehen wird, hängt von der Definition dieser Prinzipien ab613.

3.4 Konkurrenzen Bringt der Täter die Fälschung in Umlauf, so handelt es sich bei Art. 242 Abs. 1 um eine mitbestrafte Nachtat614. Handelt der Täter ohne Fälschungsabsicht, kann der subsidiäre Tatbestand von Art. 243615 zur Anwendung gelangen. BG über die Währung und die Zahlungsmittel vom 22. Dezember 1999 (WZG)616 Art. 11 Abs. 1, ist im Verhältnis zu Art. 240 ebenfalls subsidiär617.

§ 28 Geldverfälschung (Art. 241) 1.

Objektiver Tatbestand

Der Täter erfüllt ihn dadurch, dass er echtes, gültiges Geld verfälscht (Geldverfälschung/Falsification de la monnaie/Alterazione di monete/Falsification of money), d.h. dieses Änderungen unterzieht. Im Hinblick auf den im Gesetz verwendeten Finalsatz muss dies in der Weise geschehen, dass der Täter der Münze oder Banknote den Anschein eines höheren Nennwertes verleiht, wenn auch bloss bei flüchtiger Betrachtung durch ihren Empfänger. Im Hinblick auf den erforderlichen Anschein eines höheren Wertes ist auch hier die Verwechs­ lungsgefahr massgebend618. Es kommt indessen selten vor, dass jemand den aufgeprägten oder aufgedruckten Nennwert durch Beifügen weiterer Zahlen verändert und so z.B. aus einer Zehndollarnote eine Hundertdollarnote macht. Wird nicht mehr gültiges Geld so verändert, dass es den Anschein eines gülti­ gen Zahlungsmittels erhält, ist dies nicht als Geldverfälschung nach Art. 241, 611  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 10, Trechsel/Vest, N 9 zu Art. 240. 612  Kim, 55 ff., Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 25 zu Art. 240, Niggli, N 58 ff. zu Art. 240. 613  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.4 und 2.6. 614  Vgl. Strafrecht I, § 38 Ziff. 2.42, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 23. Anders hinge­

gen BGE 119 IV 154, 133 IV 260 f., Corboz, Vol. II, N 18 zu Art. 240 und N 7 zu Art. 242.

615  Vgl. hierzu § 30. 616  SR 941.10. 617  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 27 zu Art. 240. 618  Vgl. vorn § 27 Ziff. 1.

113

§ 29  In Umlaufsetzen falschen Geldes (Art. 242)

sondern als eigentliche Fälschungshandlung i.S.  von Art.  240 zu qualifizie­ ren619. Ein Spezialfall bildet die «Systemnote», zu deren Herstellung einzelne Teile verschiedener echter Noten zusammengeklebt werden. Es ist ungeklärt, ob es sich dabei um eine Fälschungs- oder Verfälschungshandlung handeln soll620. Die praktische Relevanz dieser Frage ist allerdings gering.

2.

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht kann auf das in § 25 Ziff. 2 Ausgeführte verwiesen wer­ den mit der Modifikation, dass der Täter bei Art. 241 die Absicht hat, das Fal­ sifikat als Zahlungsmittel mit einem höheren als seinem tatsächlichen Nennwert in Umlauf zu bringen. Auch hier bezieht sich die Absicht allein auf die Zweck­ bestimmung des verfälschten Geldes. Nicht vorausgesetzt ist somit, dass der Täter das Falsifikat selbst als echt in Umlauf bringen will.

3.

Strafmilderungsgrund, Abgrenzungen

Da Art. 241 Abs. 2 den gleichen Strafmilderungsgrund wie Art. 240 Abs. 2 vor­ sieht, kann in Bezug auf den privilegierten Tatbestand auf jene Ausführungen verwiesen werden621. Wird mit der Ausführung der Tathandlung nicht begonnen, kommt allenfalls eine Bestrafung wegen Vorbereitungshandlungen i.S.  von Art.247622 infrage. Fehlt es an der Fälschungsabsicht, kann Art. 243623 anwendbar sein.

§ 29 In Umlaufsetzen falschen Geldes (Art. 242) 1. Abs. 1 1.1

Objektiver Tatbestand

Tatbestandsmässig verhält sich, wer falsches oder verfälschtes Geld624 als echt oder unverfälscht in Umlauf setzt (In Umlaufsetzen falschen Geldes/Mise en cir619  Niggli, N 13 zu Art. 241, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 5. 620  Vgl. Sahin, 164 ff. 621  § 27 Ziff. 3.2. 622  Vgl. dazu hinten § 35. 623  Vgl. dazu § 30. 624  Vgl. hierzu §§ 27 Ziff. 1 und 28 Ziff. 1.

114

§ 29  In Umlaufsetzen falschen Geldes (Art. 242)

culation de fausse monnaie/Messa in circolazione di monete false/Distributing counterfeit money). Das bedeutet, dass der Täter das Falschgeld als Zahlungs­ mittel oder zu anderen Zwecken entgeltlich oder unentgeltlich an andere Per­ sonen weitergibt, ohne dass diese über die Fälschung orientiert sind oder wer­ den625. Unter «In Umlaufsetzen» ist jedes Handeln zu verstehen, mit welchem der Gewahrsam oder eine eigene Verfügungsgewalt zugunsten einer ausser­ halb des involvierten Täterkreises stehenden Person aufgegeben wird626. Das kann auch der Fall sein, wenn das Geld in einen Automaten geworfen wird, welcher von einem Dritten geleert wird. Der Tatbestand wird nach Praxis und herrschender Lehre allerdings nur erfüllt, wenn der Empfänger gutgläubig, d.h. nicht eingeweiht, ist627. Die Tat ist mit der Übergabe auch nur eines Falsifikates an einen nicht einge­ weihten Dritten vollendet.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Strafbar macht sich nur, wer das Falschgeld vorsätzlich als echt oder unver­ fälscht in Umlauf setzt, wobei auch Eventualvorsatz genügt. Insbesondere muss das im Bewusstsein geschehen, dass die betreffenden Banknoten oder Mün­ zen gefälscht sind oder mindestens diese Möglichkeit besteht. Zudem muss der Täter zumindest billigend in Kauf nehmen, dass der Abnehmer das Falschgeld möglicherweise als echtes Geld verwenden wird. Straflos bleibt daher, wer die Falsifikate selber gutgläubig entgegengenommen hat und das Geld in der Folge weitergibt, ohne der Fälschung bzw. Verfälschung gewahr zu werden.

2. Abs. 2 Art.  242 Abs.  2 sieht dieselbe Sanktion vor wie Abs.  1 und erfasst diejenige Person, welche das Falschgeld gutgläubig entgegengenommen hat, daraufhin die Fälschung entdeckt und den ihr zugefügten Schaden in der Folge an einen nächsten Empfänger des Falschgeldes abzuwälzen versucht. 625  Vgl. BGE 119 IV 162. 626  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 9 zu Art. 242, Niggli, N 15 ff. zu Art. 242 m.w.H.,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 18, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 242.

627  Vorbehalten bleibt die Konstellation der Mittäterschaft sowie die Weitergabe an einen

Beteiligten, BGE 123 IV 13, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 15 zu Art. 242, Niggli, N 23 zu Art. 242, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 19, a.M. Trechsel/Vest, N 2 f. zu Art. 242.

115

§ 29  In Umlaufsetzen falschen Geldes (Art. 242)

3.

Weitere Fragen

3.1

Versuch und Teilnahme

Wer Falsifikate einem Eingeweihten bzw. einer bösgläubigen Person überlässt, kann nicht wegen Versuchs bestraft werden628. Von einem strafbaren Versuch ist hingegen auszugehen, wenn der Täter das Geld schon aus der Hand gegeben hat oder zur Zahlung bereithält, der Empfänger aber noch vor Annahme der Münzen oder Scheine die Fälschung bemerkt. Versuch liegt auch vor, wenn ein gefälschtes Geldstück vom Automaten nicht akzeptiert und ausgeworfen wird. Wird einem Eingeweihten bzw. einer bösgläubigen Person falsches Geld über­ lassen, so beurteilt sich dessen Beteiligung am in Umlaufsetzen nach den Regeln über die Täterschaft, Anstiftung und Gehilfenschaft629.

3.2 Konkurrenzen Wird das Falschgeld vom Fälscher oder Verfälscher selber in Umlauf gesetzt, so ist er u.E.  ausschliesslich nach den mit höherer Strafdrohung versehenen Art. 240 oder 241 zu bestrafen. Art. 242 bildet beim Vertrieb eigener Falsifi­ kate eine mitbestrafte Nachtat630, weil diese Bestimmung nur in ergänzender Weise die Bestrafung von selber an der Fälschung nicht beteiligten Mittelsmän­ nern ermöglichen will631. Demgegenüber lehnt das Bundesgericht die Lehre der mitbestraften Nachtat ab und hebt mit Blick auf den Willen des Gesetzge­ bers die eigenständige Strafwürdigkeit von Herstellungs- und Absatzhandlun­ gen hervor632. Zum Verhältnis von Art. 242 zum Betrug nach Art.146 hält das Bundesgericht in BGE 133 IV 262 f. in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung633 fest, dass die beiden Bestimmungen unterschiedliche Rechtsgüter schützen und deshalb in echter Konkurrenz zueinander stehen. Dem ist zuzustimmen. Wird 628  BGE 123 IV 15, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 19 zu Art. 242, Niggli, N 28 zu

Art. 242, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 19, a.M. Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 242.

629  BGE 123 IV 13 ff. 630  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 38 Ziff. 2.42. 631  Im Ergebnis ebenso Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 33 zu Art. 242, Niggli, N 49 ff.

zu Art. 242, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 23, Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 242, mit Einschränkungen BGE 119 IV 161, vgl. auch BGE 121 IV 201. 632  133 IV 260 f., so auch Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 242, Weder, StGB-Kommentar, N 2 zu Art. 242, vgl. auch Wohlers, 122 f. (echte Konkurrenz nur bei vollendetem Delikt). 633  BGE 99 IV 11.

116

§ 30  Nachmachen ohne Fälschungsabsicht (Art. 243)

zur Begehung eines Betruges Falschgeld i.S. von Art. 242 Abs. 1 eingesetzt, hat somit eine zusätzliche Bestrafung wegen in Umlaufsetzens falschen Geldes zu erfolgen, ansonsten die abstrakte Gefährdung der Sicherheit des Geldver­ kehrs unbestraft bliebe634. Wird mit dem Absetzen des Falschgeldes durch den Getäuschten nicht nur der Tatbestand von Art. 242 Abs. 2, sondern zugleich auch der Tatbestand des Betruges erfüllt, ist unklar, ob von echter Konkurrenz auszugehen ist. Die Regelung von Art. 242 Abs. 2 ist nur damit zu erklären, dass der Gesetzgeber den entsprechenden Verhaltensweisen – jedenfalls ursprüng­ lich  – weniger Unwert beimass als denjenigen von Abs.  1. Das müsste dazu führen, dass ausschliesslich Art. 242 Abs. 2 als abschliessende Sonderregelung zur Anwendung gelangt635. Andererseits ist bei der Hingabe von Falsifikaten in aller Regel von arglistigen Vorkehren auszugehen, da man im Geschäftsver­ kehr auf die Echtheit der staatlich emittierten Zahlungsmittel vertrauen kön­ nen muss. Wer (zunächst nicht als solches erkanntes) Falschgeld in Umlauf bringt, begeht somit in aller Regel auch einen Betrug636.

§ 30 Nachmachen von Banknoten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 243) 1. Schutzobjekte Art.  243 (Nachmachen von Banknoten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen ohne Fälschungsabsicht/Imitation de billets de banque, de pièces de monnaies ou de timbres officiels de valeur sans dessein de faux/Imitazione di biglietti di banca, monete o valori di bollo ufficiali senza fine di falsificazione/Reproducing bank notes, coins or official stamps without intent to commit forgery) schützt nicht nur Banknoten mit amtlichem Kurs und amtliche Wertzeichen des In- und Aus­ landes637, sondern stellt im Gegensatz zu alt Art. 327 auch die Herstellung von Gegenständen unter Strafe, welche in Kurs stehenden Münzen ähnlich sind. 634  Kim, 90, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 36 zu Art. 242, Niggli, N 61 zu Art. 242,

Schultz, Rechtsprechung 1973, 394, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 24, Trechsel/ Vest, N 5 zu Art. 242, Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 242, nunmehr auch BGE 133 IV 262 f. 635  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 37 zu Art. 242, Niggli, N 62 zu Art. 242, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 29, a.M. Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 242, unklar BGE 133 IV 263. 636  BGE 133 IV 262 f., vgl. zum Ganzen Wohlers, 122. 637  Vgl. Art. 250.

117

§ 30  Nachmachen ohne Fälschungsabsicht (Art. 243)

Vor der Revision der Geldfälschungsdelikte war die Nachahmung von Münzen ohne Fälschungsabsicht indirekt durch das am 1. Mai 2000 aufgehobene BG über das Münzwesen vom 18. Dezember 1970 unter Strafe gestellt.

2.

Vorsatzdelikt (Abs. 1)

2.1

Objektiver Tatbestand

2.11

Nachmachen von Banknoten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen (al. 1–3)

Strafbar macht sich nach Abs.  1 al. 1–3 zunächst, wer eines der genannten Schutzobjekte wiedergibt, d.h. originalgetreu reproduziert, oder nachahmt und dadurch in einer dem Vorbild ähnelnden Weise darstellt. Eine tatsächli­ che Übereinstimmung des hergestellten Falsifikats mit dem Original wird nicht vorausgesetzt, sondern es muss lediglich die Gefahr einer Verwechslung mit echten Noten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen geschaffen werden (was auch durch Machenschaften eines Dritten geschehen kann). Für die Frage, ob eine Verwechslungsgefahr besteht, stehen bei den Banknoten einerseits die Grössenverhältnisse zwischen Original und Imitation und andererseits die Beschaffenheit des Materials im Vordergrund. Für die Münzen sind Gepräge, Gewicht und Grösse von primärer Bedeutung. Aufgrund der stetig wachsenden Bedeutung von Geldautomaten im Zahlungs­ verkehr ist die Imitation neu auch dann strafbar, wenn bei Personen oder bei Geräten die Gefahr einer Verwechslung mit echten Geld- oder Wertzeichen geschaffen wird638.

2.12

Einführen, Anbieten oder in Umlaufsetzen solcher Gegenstände (al. 4)

Gemäss Abs. 1 al. 4 macht sich strafbar, wer «solche Gegenstände», d.h. mit echten Banknoten, Münzen oder amtlichen Wertzeichen verwechselbare Fal­ sifikate, einführt, anbietet oder in Umlauf setzt. Nicht von al. 4 erfasst und als solches straflos sind indessen der blosse Besitz, Erwerb und das Lagern der betreffenden Gegenstände639, sofern keine Veräusserungsabsicht i.S. von Art. 244 gegeben ist.

638  Botschaft 1999 II, 7283. 639  Vgl. Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 24 zu Art. 243, Niggli, N 29 zu Art. 327.

118

§ 30  Nachmachen ohne Fälschungsabsicht (Art. 243)

2.2

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss einerseits vorsätzlich handeln und die durch die Herstellung der Falsifikate hervorgerufene Verwechslungsgefahr zumindest in Kauf neh­ men. Andererseits wird vorausgesetzt, dass er «ohne Fälschungsabsicht» handelt. Richtigerweise ist damit gemeint, dass die Imitationen nach dem Willen des Täters nicht als echtes Geld oder echte Wertzeichen in Umlauf gesetzt, also nicht zur Täuschung im Verkehr verwendet werden sollen.

3.

Fahrlässigkeitsdelikt (Abs. 2)

Die unter Ziff. 2.1 genannten Verhaltensweisen sind auch bei fahrlässiger Tat­ begehung strafbar640. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Täter die von ihm geschaffene Möglichkeit einer Verwechslungsgefahr641 aus pflichtwid­ riger Unvorsichtigkeit verkennt oder diese beim Einführen, Anbieten oder in Umlaufsetzen der Tatobjekte sorgfaltswidrig ausser Acht lässt. Die Beurteilung der Fahrlässigkeit erfolgt nach dem allgemeinen Massstab von Art. 12 Abs. 3642.

4.

Konkurrenzen und Abgrenzung

Art.  243  findet im Verhältnis zu den Art.  240  ff. als subsidiärer Tatbestand Anwendung, wenn in subjektiver Hinsicht kein Vorhaben der Täuschung im Verkehr besteht643 oder dieses dem Täter nicht rechtsgenügend nachgewiesen werden kann. Werden die Falsifikate von demjenigen eingeführt, angeboten oder in Umlauf gebracht, der sie ohne Fälschungsabsicht hergestellt hat, so gehen die inkrimi­ nierten Handlungen nach Abs. 1 al. 4 als mitbestrafte Nachtaten644 in Abs. 1 al. 1–3 auf645. Setzt der Täter, welcher bei der Herstellung der Falsifikate noch ohne Fälschungsabsicht handelte, das Falschgeld anschliessend vorsätzlich als

640  Kritisch dazu Niggli, N 35 zu Art. 327. 641  Vgl. hierzu § 27 Ziff. 1. 642  Vgl. Strafrecht I, § 32 Ziff. 1.2. 643  Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 243, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 29 zu Art. 243. 644  Vgl. Strafrecht I, § 38 Ziff. 2.42. 645  Siehe auch vorn § 29 Ziff. 3.2.

119

§ 30  Nachmachen ohne Fälschungsabsicht (Art. 243)

echt oder unverfälscht in Umlauf, so ist er ausschliesslich nach Art. 242646 zu bestrafen647.

§ 31 Einführen, Erwerben, Lagern falschen Geldes (Art. 244) In Art.  244 (Einführen, Erwerben, Lagern falschen Geldes/Importation, acquisition et prise en dépôt de fausse monnaie/Importazione, acquisto e deposito di monete false/Importing, acquiring and storing counterfeit money) erklärt der Gesetzgeber Verhaltensweisen für strafbar, die sich als eigentliche Vorbereitungshandlungen zum Tatbestand von Art. 242 (in Umlaufsetzen falschen Gel­ des) charakterisieren lassen. Sie schliessen ihrerseits an ein bereits strafbares Verhalten an, wie Geldfälschung oder Geldverfälschung.

1.

Grundtatbestand (Abs. 1)

1.1

Objektive Elemente

Als Tatobjekt kommt falsches oder verfälschtes Geld des In- und des Auslan­ des im bereits erwähnten Sinne infrage, sei es in Form von Metallgeld, Papier­ geld oder Banknoten. Strafbar ist, wer solche Gegenstände einführt, erwirbt oder lagert. Unter «Ein­ führen» versteht man das Verbringen dieser Gegenstände in die Schweiz648, unter «Lagern» das Vorrätighalten in einem seiner Verfügungsgewalt unterste­ henden Raum649 (verbunden jeweils mit der Absicht, das Falschgeld bei Gele­ genheit als echt oder unverfälscht in Verkehr zu bringen). Wenn das Gesetz das «Erwerben» neben den beiden anderen Verhaltensweisen besonders erwähnt, kann damit nicht die blosse Begründung von Gewahrsam gemeint sein. Vor­ auszusetzen ist vielmehr, dass der Täter das Geld rechtlich oder wirtschaft­ lich seinem Vermögen einverleibt, z.B. als Zwischenhändler, Pfandgläubiger oder Gesellschafter650, wobei der Erwerb auch durch Diebstahl, Veruntreuung 646  Vgl. hierzu § 29. 647  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 29 zu Art. 243. 648  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 244. 649  BGE 103 IV 249 f., 119 IV 266 ff. 650  BGE 80 IV 255, zustimmend Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 244, Stratenwerth/Bommer, BT

II, § 33 N 38, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 244.

120

§ 31  Einführen, Erwerben, Lagern falschen Geldes (Art. 244)

oder Fund begründet werden kann651. Wer dagegen Falschgeld bloss treuhän­ derisch entgegennimmt, um es einem Dritten weiterzugeben, kann nur wegen Beihilfe zu einem von diesem oder vom Auftraggeber begangenen Delikt nach Art.  240  ff. bestraft werden652. Richtigerweise verlangt das Bundesgericht namentlich im Zusammenhang mit diesem Tatbestandsmerkmal seit Langem eine Neuregelung653. Bei allen drei Tatvarianten handelt es sich um Tätigkeitsdelikte, bei der Vari­ ante des Lagerns überdies um ein Dauerdelikt. Demnach kann der Tatbestand in der Variante des Lagerns auch dadurch erfüllt werden, dass man das Falsch­ geld eines andern übernimmt und weiterhin «am Lager hält». Mit Recht wurde daher in BGE 103 IV 249 auch derjenige für strafbar erklärt, der beim Bezug von Räumen darin von seinem Vorgänger zurückgelassenes Falschgeld vorfand und dieses dort beliess, um es bei Gelegenheit als echt in Umlauf zu bringen.

1.2

Subjektive Elemente

Der Täter muss nicht nur vorsätzlich handeln, sondern das Falschgeld aus­ serdem einführen, erwerben oder lagern, um es «als echt oder unverfälscht in Umlauf zu bringen». Diese Absicht im technischen Sinn654 liegt vor, wenn der Täter direkt anstrebt, dass die Falsifikate von ihm oder jemand anderem als echt oder unverfälscht in Verkehr gebracht werden655.

2.

Qualifizierter Tatbestand (Abs. 2)

Nach Art. 244 Abs. 2 ist derjenige Täter strenger zu bestrafen, welcher Falsch­ geld «in grosser Menge» einführt, erwirbt oder lagert. Mit diesem unbestimm­ ten Qualifikationsmerkmal wird dem Richter ein weiter Ermessensbereich ein­ geräumt. Es wird vorgeschlagen, von einer grossen Menge auszugehen, wenn eine ernstliche Störung des Geldmarktes oder die Schädigung vieler Leute zu befürchten ist656. Weshalb ausschliesslich Art. 244 in Abs. 2 eine Qualifikation bei grosser Menge vorsieht, während dies bei den restlichen Geldfälschungstat­ 651  Kim, 93, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 11 zu Art. 244. 652  Vgl. Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 244, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 38. 653  BGE 123 IV 16 f. 654  Vgl. vorn § 27 Ziff. 2 und Strafrecht I, § 9 Ziff. 3. 655  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 16 zu Art. 244, Niggli, N 23 zu Art. 244. 656  Trechsel/Vest, N  5 zu Art.  244, kritisch Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N  26  f. zu

Art. 244, Niggli, N 36 zu Art. 244.

121

§ 31  Einführen, Erwerben, Lagern falschen Geldes (Art. 244)

beständen ausser Acht gelassen wird, ist nicht nachvollziehbar. Ebenso unklar ist, weshalb die Vorbereitungshandlung zum Falschgeldvertrieb mit höherer Strafe bedroht werden soll als das eigentliche in Umlaufsetzen gemäss Art. 242. In der Praxis wurde das Vorliegen einer grossen Menge bei einem Betrag von Fr. 34 000 verneint657, bei Fr. 800 000 hingegen bejaht658. Ob das Bundesgericht bei Fr. 800 000 heute noch von einer ernstlichen Störung ausgehen würde, ist zu bezweifeln.

3. Konkurrenzen Führt oder lagert der Fälscher bzw. Verfälscher selbst seine Produkte ein, so ist er gemäss h.L. ausschliesslich nach Art. 240 oder 241 zu bestrafen659, da die von Art. 244 erfassten Tathandlungen bei dieser Konstellation als mitbestrafte Nachtaten gelten. Das Bundesgericht schien seine frühere gegenteilige Auffas­ sung, dass im Verhältnis der Art. 240 ff. und 244 echte Konkurrenz660 anzu­ nehmen sei, vorübergehend aufgegeben zu haben, indem es von einer mit­ bestraften Nachtat ausging661. Mit einem neuen Entscheid kehrte es nun zur Annahme echter Konkurrenz zurück662. Setzt der Täter das von ihm eingeführte, erworbene oder gelagerte Geld anschliessend selber in Verkehr, so ist nach wohl herrschender Lehre allein Art. 242 anwendbar, zumal die Bestrafung wegen in Umlaufsetzens falschen Geldes auch vorausgegangene Vorbereitungshandlungen miterfasst663. Erfüllt das Verhalten des Täters mehrere der von Art. 244 Abs. 1 erfassten Tat­ bestandsvarianten, so kann mehrfache Tatbegehung vorliegen.

657  RS 1949 Nr. 238. 658  SJZ 61 (1965) 144. 659  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 31 zu Art. 244. Dies ist auch dann der Fall, wenn er

die Falsifikate nachträglich in Umlauf bringt (vgl. vorn § 29 Ziff. 3.2).

660  BGE 77 IV 15, 80 IV 255, ebenso RS 1993 Nr. 383. 661  BGE 119 IV 154 ff., vgl. auch Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 31 zu Art. 244, Nig-

gli, N 40 zu Art. 244, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 41, kritisch Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 244. 662  BGer vom 17.10.2011, 6B_56/2011, Erw.  4.3, BGE 133 IV 260  f., Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 32 zu Art. 244 663  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 32 zu Art. 244, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 41, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 244, vgl. auch BGE 119 IV 161, a.M. Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 244, mit der an sich nachvollziehbaren Begründung, dass Art. 244 Abs. 2 die höhere Strafe androht als Art. 242.

122

§ 32  Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245)

2. Abschnitt: Fälschung von amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht (Art. 245, 246 und 248) Ähnlich wie bei den Geldfälschungsdelikten geht es in den nachfolgend zu besprechenden Tatbeständen um die abstrakte Gefährdung öffentlicher Inter­ essen vermögensrechtlicher und immaterieller Art. Die den genannten Bestim­ mungen zugrunde liegenden Normen wollen das in amtliche Zeichen gesetzte Vertrauen schützen. Bei diesen handelt es sich um Zeichen, welche einen gewis­ sen Wert verkörpern (Art. 245), welche die erfolgte Prüfung oder Genehmi­ gung eines Gegenstandes bekunden (Art. 246) oder welche die Richtigkeit von Messvorgängen bezeugen (Art. 248). Die von den Fälschungshandlungen betroffenen Objekte unterliegen nach der Bestimmung von Art. 249 der Einziehung. Mit Ausnahme der Fälschung kantonaler und ausländischer Wertzeichen fal­ len die hier behandelten Straftaten gemäss StPO Art. 23 Abs. 1 lit. e unter die Bundesgerichtsbarkeit.

§ 32 Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245) 1. Schutzobjekte Art. 245 (Fälschung amtlicher Wertzeichen/Falsification des timbres officiels de valeur/Falsificazione di valori di bollo ufficiali/Forgery of official stamps) bezieht sich ausschliesslich auf amtliche Wertzeichen, gemäss Art. 250 auch auf solche des Auslandes. Amtlich ist ein Wertzeichen, wenn es für den amtlichen Verkehr bestimmt ist664. Als Beispiele für solche Objekte nennt das Gesetz Postmar­ ken, Stempel- oder Gebührenmarken. Die Aufzählung ist nicht abschliessend. Entsprechend kommen als amtliche Wertzeichen gleichwertige Aufdrucke wie z.B. diejenigen von Frankiermaschinen in Betracht. Entscheidend ist, dass es sich um Zeichen handelt, welche vom Staat, einer öffentlich-rechtlichen Kör­ perschaft oder Anstalt herausgegeben wurden665, dass sie für den amtlichen 664  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 245, Vgl. Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 9 ff. zu Art. 245,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 5.

665  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 245, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 12 f. zu Art. 245,

Niggli, N 20 zu Art. 245.

123

§ 32  Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245)

Verkehr bestimmt sind und eines ähnlichen Schutzes bedürfen wie Geld, weil sie in beschränktem Umfang als Zahlungsmittel verwendet werden oder zur Bescheinigung einer Zahlung dienen666. Ausserdem dürfen sie nicht ausser Kurs gesetzt sein667. Typische Erscheinungsformen für amtliche Wertzeichen sind z.B. Autobahnvignetten668, Abfallvignetten oder Gebührenmarken der öffentlichen Verwaltung. Von Art.  245 nicht erfasst werden u.a. die Herstellung und Verwendung fal­ scher Rationierungsmarken669, Essensmarken einer privaten Kantine oder aus­ ser Kraft gesetzte Briefmarken670. Die Fälschung derartiger Wertzeichen kann aber als Urkundendelikt (Art. 251 ff.) oder als Warenfälschung (Art. 155) straf­ bar sein.

2.

Fälschung und Verfälschung amtlicher Wertzeichen (Ziff. 1)

2.1

Objektiver Tatbestand

Abs. 1 stellt das Fälschen, d.h. das unberechtigte Nachahmen amtlicher Wert­ zeichen, sowie deren Verfälschung, also die unbefugte Abänderung der Wert­ zeichen671, unter Strafe. Die von Abs. 1 erfassten Handlungen sind inhaltlich deckungsgleich mit denjenigen von Art. 240 und 241, sodass auf die entspre­ chenden Ausführungen verwiesen werden kann672. Eine Verfälschungshand­ lung begeht bspw., wer eine Autobahnvignette auf Klarsichtfolie aufklebt und so am Fahrzeug anbringt673. Begründet wurde dies damit, dass die Vignette durch das Aufkleben auf die Folie ihren Wert verlor und anschliessend abgeän­ dert wurde und ihr so der Anschein der Gültigkeit verliehen wurde.674

666  BGE 72 IV 31, dazu kritisch Niggli, N 23 zu Art. 245. 667  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 245, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 5. 668  BGE 141 IV 336. 669  BGE 72 IV 31. 670  BGE 77 IV 175. 671  So z.B. das nachträgliche Einsetzen eines höheren Wertes in den Abdruck einer Fran­

kiermaschine.

672  Vgl. vorn § 27 Ziff. 1 und § 28 Ziff. 1. 673  BGE 141 IV 339. 674  Ob das Bundesgericht auch so entschieden hätte, wenn der Beschwerdeführer die Rän­

der der Vignette nicht abgeschnitten hätte, ist unklar. Es wäre dann wohl eher Art. 245 Ziff. 1 Abs. 2 StGB einschlägig.

124

§ 32  Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245)

Nach Abs. 2 ist ebenfalls strafbar, wer entwerteten amtlichen Wertzeichen den Anschein von Gültigkeit verleiht675. Die Tat ist mit der Fertigstellung auch nur eines Falsifikates vollendet. Dessen Verwendung braucht also nicht erfolgt, wohl aber in subjektiver Hinsicht beab­ sichtigt worden zu sein676.

2.2

Subjektiver Tatbestand

Die tatbestandsmässige Handlung muss von Vorsatz getragen sein und ausser­ dem erfolgen, um die Wertzeichen als echt oder unverfälscht (Abs.1) bzw. als gültig (Abs. 2) zu verwenden. Damit ist Absicht im technischen Sinne gemeint677, die sich nicht auf einen entsprechenden Gebrauch der Falsifikate durch den Täter selber zu beziehen braucht. Es genügt also, wenn dieser die Fälschung im Wissen darum vornimmt, dass ein anderer die davon betroffenen Wertzei­ chen als echt, unverfälscht oder gültig verwenden wird. In voluntativer Hin­ sicht reicht es, wenn der Täter dies will oder zumindest in Kauf nimmt678.

2.3

Strafbarkeit der Auslandstat

Gemäss Ziff. 1 Abs. 3 ist der Täter auch strafbar, wenn er die Tat im Ausland begangen hat, in der Schweiz angehalten679 und nicht ausgeliefert wird, und wenn die Tat auch am Begehungsort strafbar ist. Insofern gilt für die Wertzei­ chenfälschung je nach Definition680 das Weltrechtsprinzip681 bzw. im Falle der Unmöglichkeit der Auslieferung der Grundsatz der stellvertretenden Strafver­ folgung682 durch die schweizerischen Behörden.

2.4 Konkurrenzen Art. 245 stellt – jedenfalls teilweise – einen Spezialfall der Urkundenfälschung nach Art.  251 Ziff.  1 Abs.  2 dar, da sich diese gemäss Art.  110 Abs.  4 auch auf sog. Beweiszeichen bezieht. Als lex specialis ginge die Fälschung amtlicher 675  V.a. durch Entfernung von Stempelaufdrucken. 676  Vgl. Ziff. 2.2. 677  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 9 Ziff. 3. 678  Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 245, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 21 f. zu Art. 245. 679  Vgl. dazu BGE 116 IV 252. 680  Vgl. vorn § 27 Ziff. 3.3. 681  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.4. 682  Vgl. dazu Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.6.

125

§ 32  Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245)

Wertzeichen demnach Art. 251 eigentlich vor. Da Art. 245 eine geringere Straf­ drohung vorsieht als Art. 251, läuft dies auf eine sachlich nicht zu rechtferti­ gende Privilegierung der Fälschung eines amtlichen Wertzeichens gegenüber der Urkundenfälschung hinaus683. Vorbereitungshandlungen im Zusammenhang mit Geräten i.S. von Art. 247 für die Fälschung amtlicher Wertzeichen sind nach diesem Tatbestand zu beurtei­ len684. Das Nachahmen amtlicher Wertzeichen ohne Fälschungsabsicht wird von Art. 243 Abs. 1 al. 3 erfasst685. Macht der Täter Postwertzeichen ohne Fälschungsabsicht nach, um sie als nachgemacht in Verkehr zu bringen, ohne sie entsprechend zu kennzeichnen, so ist er nach Art. 328 Ziff. 1 zu bestrafen. Bei ausser Kurs gesetzten, gefälschten Wertzeichen ist Warenfälschung zu prü­ fen686.

3.

Verwendung gefälschter amtlicher Wertzeichen (Ziff. 2)

3.1

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand wird dadurch erfüllt, dass jemand falsche, verfälschte oder entwertete amtliche Wertzeichen als echt, unverfälscht oder gültig verwendet. Dies ist dann der Fall, wenn das betreffende Wertzeichen allein oder ein mit ihm versehener Gegenstand einem Dritten übergeben wird, sei es als Zah­ lungsmittel, oder aber um eine gebührenpflichtige Leistung zu erhalten. Unter dem Begriff «verwenden» ist der bestimmungsgemässe Gebrauch der Zeichen gemeint, weshalb nur die Verwendung im amtlichen Verkehr gemäss den für das jeweilige Wertzeichen geltenden Bestimmungen als Tathandlung infrage kommt687. Unerheblich ist, ob der Täter selber die Wertzeichen zuvor gutgläu­ big erworben hat oder ob er von der Fälschung seinerseits Kenntnis hatte688.

683  Vgl. auch Niggli, N 52 zu Art. 245, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 5. 684  Vgl. dazu hinten § 35. 685  Vgl. vorn § 30. 686  Vgl. dazu BGE 77 IV 175, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 245, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB

II, N 34 zu Art. 245, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 5.

687  Niggli, N 59 f. zu Art. 245, zustimmend Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 13. 688  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 28 zu Art. 245, Niggli, N 57 zu Art. 245.

126

§ 32  Fälschung amtlicher Wertzeichen (Art. 245)

Vollendet ist die Tat dann, wenn der Täter seinen Gewahrsam am Falsifikat aufgegeben hat und das Wertzeichen dem amtlichen Verkehr zugeführt wor­ den ist. Beispiele: Aufgeben eines Briefes mit einer schon vorher gebrauchten Marke nach Besei­ tigung des darauf befindlichen Stempelabdruckes.

3.2

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur, wer sich vorsätzlich in der eben geschilderten Weise verhält, wobei auch Eventualvorsatz genügt. Insbesondere muss der Täter wissen oder zumindest in Kauf nehmen, dass das von ihm verwendete Wertzeichen falsch oder verfälscht bzw. ungültig ist.

3.3 Konkurrenzfragen Bei Art. 245 Ziff. 2 handelt es sich um einen subsidiären Tatbestand, welcher die Verwendung gefälschter amtlicher Wertzeichen durch andere Personen als den Fälscher selbst erfassen will. Dementsprechend ist nur nach Ziff. 1 der genann­ ten Bestimmung zu verurteilen und zu bestrafen, wer die von ihm eigenhändig gefälschten Zeichen als echt, unverfälscht oder gültig verwendet689. Werden die Falsifikate durch andere Personen als den Fälscher verwendet, so lässt sich dieses Verhalten – analog zur in BGE 133 IV 262 f. begründeten Pra­ xis – sowohl unter Art. 245 Ziff. 2 als auch unter Betrug (Art. 146) subsumie­ ren (echte Konkurrenz)690. Die blosse Übergabe der Falsifikate an einen beliebigen Dritten als Zahlungs­ mittel fällt nicht unter Art. 245 Ziff. 2, sondern ist unter dem Gesichtspunkt des Betruges (Art. 146) oder der Urkundenfälschung (Art. 251) zu beurteilen691.

689  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 35 zu Art. 245, offengelassen bei Corboz, Vol. II,

N 16 zu Art. 245. Würde man die in BGE 133 IV 260 f. begründete Praxis zum Verhält­ nis von Art. 243 und Art. 240 f. auf die vorliegende Konstellation übertragen, so müsste demgegenüber von echter Konkurrenz ausgegangen werden. 690  Offengelassen bei Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 245. 691  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 37 zu Art. 245, Niggli, N 59 ff. zu Art. 245.

127

§ 33  Fälschung amtlicher Zeichen (Art. 246)

§ 33 Fälschung amtlicher Zeichen (Art. 246) 1. Tatobjekte Schutzobjekt von Art.  246 (Fälschung amtlicher Zeichen/Falsification des marques officielles/Falsificazione di marche ufficiali/Forgery of official symbols) sind amtliche Zeichen, die von einer Behörde an einem Gegenstand angebracht werden, um das Ergebnis einer Prüfung festzustellen oder um eine Genehmi­ gung zu dokumentieren. Ein Zeichen gemäss Art. 246 ist nach BGE 76 IV 32 dadurch charakterisiert, dass es seinen gedanklichen Inhalt erst durch Anbringung an einem Gegen­ stand erlangt, indem dadurch bekundet wird, dass dieser amtlich geprüft oder genehmigt sei692. Als Beispiele erwähnt das Gesetz Stempel der Gold- und Sil­ berkontrolle, Stempel der Fleischschauer und Marken der Zollverwaltung. Die Aufzählung ist nicht abschliessend. Nicht erfasst werden also amtliche Zeichen, die anderen Zwecken als den genannten dienen, wie etwa der Versiegelung von Gegenständen und Räu­ men. Ebenso wenig bezieht sich Art. 246 auf Bescheinigungen über das Ergeb­ nis einer Prüfung oder über eine Genehmigung, soweit solche Dokumente zu einer vom betreffenden Gegenstand gesonderten Aufbewahrung bestimmt sind. Die amtlichen Zeichen des Auslands fallen nicht unter den Anwendungsbe­ reich von Art. 246, zumal diese in Art. 250693 nicht explizit erwähnt werden694.

2.

Fälschung und Verfälschung amtlicher Zeichen (Abs. 1)

2.1

Objektiver Tatbestand

Mit Strafe bedroht wird sowohl das Fälschen (Nachmachen) als auch das Verfälschen, also die Abänderung eines amtlichen Zeichens der genannten Art. Ers­ teres kann nicht nur durch Manipulationen am bezeichneten Gegenstand (z.B. durch Aufzeichnen eines Stempels) erfolgen, sondern auch durch Nachma­ chen des zur Anbringung eines Zeichens verwendeten Gerätes (z.B. Herstel­ lung eines falschen Stempels). Doch wird die Tat auch in diesem zweiten Fall erst damit vollendet, dass der Täter das Zeichen auf der Sache anbringt. 692  Vgl. auch BGE 103 IV 34. 693  Vgl. dazu § 26 Ziff. 4. 694  BGE 103 IV 31.

128

§ 33  Fälschung amtlicher Zeichen (Art. 246)

Nicht nach Art. 246 strafbar macht sich derjenige, welcher ein echtes amtliches Zeichen auf einem Gegenstand anbringt, obwohl dieser nicht – wie dadurch verurkundet  – geprüft oder genehmigt oder obwohl das Zeichen aus inhalt­ lichen Gründen zu Unrecht angebracht worden ist695. Ein solches Verhalten kann nur durch Art. 251 Ziff. 1 oder Art. 317 (sofern ein Beamter beteiligt ist) als unrichtige Beurkundung mit einem Beweiszeichen696 verfolgt werden und untersteht demzufolge einer höheren Strafdrohung697.

2.2

Subjektiver Tatbestand

Die Fälschung bzw. Verfälschung der Zeichen muss vorsätzlich geschehen, und zwar «um sie als echt oder unverfälscht zu verwenden». Unter dieser Absicht im technischen Sinne698 ist sinngemäss zu verstehen, dass der Täter dem bezeich­ neten Gegenstand im Verkehr mit Behörden oder Dritten (z.B. Käufern) den Anschein geben will, geprüft bzw. genehmigt worden zu sein. Es genügt, wenn der Täter weiss oder zumindest mit der Möglichkeit rechnet, dass die Falsifi­ kate von einer anderen Person in der genannten Weise verwendet werden.

2.3 Konkurrenzen Amtliche Zeichen gemäss Art.  246 stellen stets auch Beweiszeichen i.S.  von Art. 110 Abs. 4 dar, deren Fälschung oder Verfälschung von Art. 251 mit Strafe bedroht wird. Anwendung findet jedoch immer nur Art. 246 als der speziel­ lere Tatbestand699.

695  BGE 76 IV 32, 103 IV 34, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 245, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB

II, N 13 zu Art. 246, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 21.

696  Vgl. Art. 110 Abs. 4. 697  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 25 zu Art. 246, Niggli, N 40 zu Art. 246, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 34 N 22, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 246.

698  Vgl. Strafrecht I, § 9 Ziff. 3. 699  Vgl. BGE 76 IV 33, wohl auch Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 25 zu Art. 246, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 22, anders aber 103 IV 35 f., zum Verhältnis zwischen Art. 246 und VStrR Art. 14 und 15 vgl. BGE 103 Ia 218.

129

§ 33  Fälschung amtlicher Zeichen (Art. 246)

3.

Verwendung falscher und gefälschter amtlicher Zeichen (Abs. 2)

3.1 Tatbestand Der Tatbestand wird objektiv dadurch erfüllt, dass jemand falsche oder gefälschte amtliche Zeichen «als echt oder unverfälscht verwendet». Im Gegen­ satz zu Art. 245 Ziff. 2 erschöpft sich der bestimmungsgemässe Gebrauch dieser Zeichen nicht in der Verwendung im amtlichen Verkehr, da die von Art. 246 Abs. 2 geschützten Zeichen auch gegenüber Dritten den Nachweis der amtli­ chen Prüfung oder Kontrolle belegen sollen700. Subjektiv wird Vorsatz vorausgesetzt, wobei auch Eventualvorsatz genügt. Ins­ besondere muss der Täter wissen oder zumindest in Kauf nehmen, dass das amtliche Zeichen gefälscht oder verfälscht ist.

3.2

Konkurrenzen und Abgrenzungen

Wie beim Paralleltatbestand des Art. 245 Ziff. 2 gilt Art. 246 Abs. 2 als mitbe­ strafte Nachtat zu Abs. 1 dieser Bestimmung, wenn der Fälscher bzw. Verfäl­ scher selbst die Falsifikate im Nachhinein als echt oder unverfälscht verwen­ det701. Fälscht der Täter amtliche Zeichen ohne Täuschungsabsicht, kommt die Anwendung von Art. 243 nicht infrage, zumal das Tatobjekt von Art. 246 nicht von jener Bestimmung erfasst wird. Wird ein gefälschtes amtliches Zeichen verwendet, um jemanden zu betrügen, so besteht zwischen Art. 146 und Art. 246 Abs. 2 echte Konkurrenz702. Denn mit der Abgabe der falsch bezeichneten Sache an den Betrogenen ist die weiter­ gehende Gefahr verbunden, dass das Falsifikat vom Abnehmer an Dritte wei­ tergegeben wird.

700  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 19 zu Art. 246, Niggli, N 35 zu Art. 246. 701  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 245, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 24 zu Art. 246,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 26. Würde man die in BGE 133 IV 260 f. begrün­ dete Praxis zum Verhältnis von Art. 243 und Art. 240 f. auf die vorliegende Konstella­ tion übertragen, so müsste demgegenüber von echter Konkurrenz ausgegangen werden. 702  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 245.

130

§ 34  Fälschung von Mass und Gewicht (Art. 248)

§ 34 Fälschung von Mass und Gewicht (Art. 248) 1.

Zweck der Bestimmung

Art. 248 (Fälschung von Mass und Gewicht/Falsification des poids et mesures/ Falsificazione dei pesi e delle misure/Forgery of weights and measures) schützt das Vertrauen, welches in Handel und Verkehr amtlichen Eichzeichen entge­ gengebracht wird703. Mit Strafe bedroht wird das Anbringen und Verwenden falscher Zeichen dieser Art an Massen, Gewichten, Waagen und anderen Mess­ instrumenten704. Der ratio legis entsprechend gilt dies unabhängig davon, ob die Verwendung amtlich geeichter Masse, Gewichte oder Messgeräte im kon­ kreten Fall vorgeschrieben ist oder nicht. Inhaltlich besteht ein Zusammen­ hang sowohl mit der Warenfälschung gemäss Art. 155 wie auch mit der Fäl­ schung amtlicher Zeichen gemäss Art. 246.

2.

Objektiver Tatbestand

Art.  248 bedroht verschiedene Verhaltensweisen mit Strafe, sofern sie «zum Zwecke der Täuschung in Handel und Verkehr» erfolgen. Daraus lässt sich jedoch nicht schliessen, dass die Täuschung zulässig ist, wenn das verwendete Eichzeichen zwar falsch ist, jedoch den Messwert zutreffend wiedergibt705. a) Nach Abs. 2 macht sich strafbar, wer an Objekten der eingangs unter Ziff. 1 genannten Art ein falsches Eichzeichen anbringt oder ein vorhandenes Eichzeichen verfälscht. Zur Vornahme von Eichungen sind nur das Bun­ desamt für Messwesen und die kantonalen Eichstätten berechtigt706. Ein falsches Eichzeichen bringt an, wer ohne solche Befugnis ein Objekt mit einem Zeichen versieht, welches dem Anschein nach eine amtliche Eichung festhält. Straflos bleibt also z.B., wer Literstriche auf ein Gefäss aufmalt, die

703  Vgl. dazu z.B. Bundesgesetz vom 9. Juni 1977 über das Messwesen (SR 941.20), Mess­

mittelverordnung vom 15.  Februar 2006 (SR 941.210), Verordnung des EJPD vom 16. April 2004 über nichtselbsttätige Waagen (SR 941.213), Verordnung des EJPD vom 19. März 2006 über selbsttätige Waagen (SR 941.214). 704  Wie z.B. Elektrizitäts- und Wärmezähler. 705  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 12 zu Art. 248, Niggli, N 31 zu Art. 248, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 248, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 31. 706  Vgl. BG vom 9. Juni 1977 über das Messwesen (SR 941.20).

131

§ 34  Fälschung von Mass und Gewicht (Art. 248)

nicht dem tatsächlichen Inhalt entsprechen. Ein vorhandenes Eichzeichen verfälscht, wer ein echtes Zeichen dieser Art unbefugterweise abändert707. b) Abs. 3 erfasst das Verändern geeichter Messinstrumente. Der Täter lässt in diesem Fall die Eichung als solche unberührt, verändert aber das Messgerät derart, dass ein falsches Messresultat entsteht. Zu denken ist etwa an das Verringern eines Gewichtes, das Einsetzen einer schwächeren Feder in eine Federwaage oder Eingriffe in die Elektronik eines modernen Messgerätes. c) Abs.  4 bedroht denjenigen mit Strafe, der falsche oder verfälschte Masse, Gewichte, Waagen oder andere Messinstrumente gebraucht. Sinngemäss soll damit – entsprechend den Bestimmungen von Art. 245 Ziff. 2 und 246 Abs.  2  – derjenige erfasst werden, der die von einem anderen hergestell­ ten falschen Masse, Gewichte oder Messgeräte entsprechend dem damit verfolgten widerrechtlichen Zweck verwendet. Entgegen dem durch den Wortlaut von Art. 248 Abs. 4 erweckten Anschein erfasst die Bestimmung daher auch den Gebrauch von Massen, Gewichten oder Messinstrumenten, die im Sinne von Abs.  3 der Bestimmung verändert wurden, beschränkt sich anderseits aber auf geeichte Objekte dieser Art708. Die von Art.  248 geschützten Gegenstände «gebraucht» derjenige, welcher sie in Handel oder Verkehr verwendet. Die Tat ist in den Fällen von Abs. 2 und 3 mit dem Anbringen des falschen bzw. verfälschten Zeichens oder mit der Abänderung des richtig geeichten Masses, Gewichts oder Messapparates vollendet. Bei der Variante von Abs.  4 bedarf es hierzu der  – wenn auch nur einmaligen  – Verwendung des betreffenden Objektes.

3.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur, wer einen der eben umschriebenen objektiven Tatbestände vorsätzlich und zum Zwecke der Täuschung in Handel und Verkehr erfüllt. Hie­ für reicht es bereits aus, wenn der Täter ein entsprechendes Täuschungsvorha­ ben eines anderen für möglich hält und dieses zumindest in Kauf nimmt.

707  Vgl. den in SJZ 55 (1959) 245 geschilderten Fall, der allerdings als Fälschung behan­

delt wurde.

708  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 20 zu Art. 248, Niggli, N 44 zu Art. 248, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 34 N 35 m.w.H.

132

§ 34  Fälschung von Mass und Gewicht (Art. 248)

4. Konkurrenzen Wenn der Täter, welcher die Masse, Gewichte, Waagen oder Messinstrumente i.S.  der Abs.  2 und 3 selber gefälscht, verfälscht oder verändert hat, diese anschliessend zur Täuschung gemäss Abs.  4 gebraucht, ist der Gebrauch als mitbestrafte Nachtat709 zu erachten710. Im Verhältnis zu Art. 246 bildet Art. 248 eine lex specialis711. Die Bestrafung wegen eines mit falschen Massen, Gewichten oder Messinstru­ menten verübten Betruges gilt die mit deren Herstellung und Gebrauch ver­ bundene weiter gehende abstrakte Gefährdung von Handel und Verkehr nicht ab. Zwischen Art. 146 und Art. 248 besteht daher in solchen Fällen echte Kon­ kurrenz712. Ausschliesslich nach Art. 146 ist zu bestrafen, wer andere durch die Verwen­ dung ungeeichter Masse, Gewichte oder Messinstrumente irreführt, um sie zu schädigen und sich unrechtmässig zu bereichern. Das Anbringen eines echten Eichzeichens (durch einen Eichmeister), welches nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, ist als Falschbeurkundung im Amt mit einem Beweiszeichen i.S. von Art. 317 i.V.m. Art. 110 Abs. 4 zu ver­ folgen.

709  Vgl. Strafrecht I, § 38 Ziff. 2.42. 710  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 248, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 26 zu Art. 248,

Niggli, N 54 zu Art. 248, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 37, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 248. Würde man die in BGE 133 IV 260 f. begründete Praxis zum Verhältnis von Art. 243 und Art. 240 f. auf die vorliegende Konstellation übertragen, so müsste demge­ genüber wohl von echter Konkurrenz ausgegangen werden. 711  Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 248, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 27 zu Art. 248, Niggli, N 55 zu Art. 248. 712  BGE 71 IV 207, 100 IV 179, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 37, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 28 zu Art. 248.

133

§ 35  Fälschungsgeräte; unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Art. 247)

3. Abschnitt: Gemeinsame Bestimmung betreffend Geld und Wertzeichen § 35 Fälschungsgeräte; unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Art. 247) 1.

Anfertigung und Erwerb von Fälschungsgeräten (Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Nach dieser Bestimmung (Fälschungsgeräte; unrechtmässiger Gebrauch von Geräten/Appareils de falsification et emploi illicite d’appareils/Strumenti per la falsificazione e uso illegittimo di strumenti/Counterfeiting equipment and unlawful use of equipment) macht sich strafbar, wer Geräte zum Fälschen von Metall­ geld, Papiergeld, Banknoten oder amtlichen Wertzeichen anfertigt oder sich verschafft, um sie unrechtmässig zu gebrauchen. Sinngemäss muss es sich dabei um Instrumente handeln, die schon nach ihrer objektiven Beschaffenheit typischerweise den genannten Zwecken dienen, also nicht bloss auch für Fäl­ schungen benützt werden können, wie dies z.B. auf Farbkopierer oder Druck­ geräte zutrifft713. Als Geräte können nur Apparate und Werkzeuge für den Fälschungsprozess wie Giessformen, Prägestempel, Clichés usw. gelten. Materialien, aus denen die Falsifikate hergestellt werden (Papiere, Metalle) fallen nicht unter die Bestimmung. Unter «anfertigen» wird das Herstellen einer Sache verstanden714. «Sich ver­ schaffen» kann der Täter die Geräte durch Kauf, Miete, Leihe, Schenkung oder auf deliktische Weise. Die Tat ist damit vollendet, dass er Gewahrsam am betreffenden Objekt erlangt. Stellt der Täter das Gerät selber her, so tritt die Vollendung mit dessen Fertigstellung ein.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss die Fälschungsgeräte vorsätzlich anfertigen bzw. sich verschaf­ fen, und zwar «um sie unrechtmässig zu gebrauchen», womit sinngemäss aus­ 713  Kim, 97, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 7 f. zu Art. 247, Niggli, N 11 ff. zu Art. 247,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 44.

714  Niggli, N 15 zu Art. 247.

134

§ 35  Fälschungsgeräte; unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Art. 247)

schliesslich Handlungen gemeint sind, welche die Tatbestände von Art.  240, 241 oder 245 erfüllen. Gleichgültig bleibt dagegen, ob diese Handlungen vom Hersteller oder Erwerber selber oder von einem anderen vorgenommen wer­ den sollen. Es genügt, wenn der Täter mit der Möglichkeit einer entsprechen­ den Verwendung rechnet und sie in Kauf nimmt (Eventualabsicht)715.

1.3

Versuch und Konkurrenzen

Die in Art. 247 Abs. 1 umschriebenen Verhaltensweisen stellen Vorbereitungs­ handlungen zu den Fälschungsdelikten von Art. 240, 241 und 245 dar, die vom Gesetz ausnahmsweise mit Strafe bedroht werden. Deshalb kann nur die vollendete Herstellung oder Beschaffung von Fälschungsgeräten716 strafbar sein, nicht aber der blosse Versuch zu solchem Tun717. Aus dem gleichen Grund ist der Hersteller oder Erwerber des Gerätes, welcher es anschliessend auch benützt, nach h.L. nur aufgrund von Art. 240, 241 oder 245 bzw. wegen Versu­ ches zu einem dieser Delikte zu bestrafen718. Das Unrecht der vorausgegange­ nen Vorbereitungshandlung ist damit abgegolten, und sie wird zur mitbestraf­ ten Vortat719.

2.

Unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Abs. 2)

Nach dieser Bestimmung wird ebenso bestraft, wer Geräte zur Herstellung von Metallgeld, Papiergeld, Banknoten oder amtlichen Wertzeichen «unrechtmässig verwendet». Damit kann nicht ein Gebrauch zu Fälschungszwecken gemeint sein. Denn ein solcher wäre bereits als versuchte oder gar vollendete Tat nach Art. 240, 241 oder 245 strafbar. Vielmehr geht es darum, dass Geräte unrecht­ mässig gebraucht werden, welche an sich legalerweise zur Herstellung von Münzen, Banknoten oder Wertzeichen verwendet werden. Das kann nur dann der Fall sein, wenn diese Geräte durch eine hierzu überhaupt oder unter den konkreten Umständen unbefugte Person gebraucht werden720.

715  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 15 zu Art. 247, Niggli, N 22 zu Art. 247. 716  Vgl. vorn Ziff. 1.1. 717  Ebenso Niggli, N 24 zu Art. 247, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 48, Trechsel/Vest,

N 1 zu Art. 247, kritisch Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 247.

718  Ebenso Niggli, N 29 zu Art. 247, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 49. 719  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 38 Ziff. 2.41. 720  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 247, Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 21 zu Art. 247, Nig-

gli, N 34 zu Art. 247, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 33 N 46.

135

§ 35  Fälschungsgeräte; unrechtmässiger Gebrauch von Geräten (Art. 247)

2.1

Objektiver Tatbestand

Er besteht darin, dass der Täter  – ohne dazu befugt zu sein  – ein Gerät der genannten Art benützt, um damit Münzen, Banknoten oder Wertzeichen her­ zustellen. Mit dem Beginn des Herstellungsvorganges ist die Tat vollendet.

2.2

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur, wer vorsätzlich handelt, wobei Eventualvorsatz genügt. Dazu gehört insbesondere das Bewusstsein des Täters, nicht zur Herstellung der vor­ her erwähnten Objekte befugt zu sein.

136

§ 36 Einleitung

11. Titel

Urkundenfälschung (Art. 251–257)

§ 36 Einleitung Literaturauswahl: G. Arzt, Bankkunden, Bankformulare, Falschbeurkundung, recht 28 (2010) 37, T. von Ballmoos, Tückenreiches Zusammenspiel von Wertpapier- und Aktienrecht, Anmerkungen zu BGE 123 IV 132, ZBJV 134 (1998) 779, M. Betschart, Zum Verhältnis der gemeinrechtlichen Urkundendelikte zu den Steuerstraftatbeständen, Zugleich eine Besprechung des Bundesgerichts­ urteils 6B_367/2007 vom 10. Oktober 2007, teilweise abgedruckt in BGE 133 IV 303 ff., recht 26 (2008) 109, M. Boog, Buchführungs- und Urkundendelikte in der wirtschaftlichen Krise, in: Kon­ kurs und Strafrecht: Strafrechtliche Risiken vor, in und nach der Generalexekution, hrsg. von J-.B. Ackermann/W. Wohlers, Zürich 2011, 19 (zit.: Boog, Buchführungsdelikte), T. Brändle, Afrikani­ sche Check- und Zahlungsauftragsbetrüger, Krim 51 (1997) 601, B. von Büren, Urkundenfäl­ schung: Eingriff in fremde Urkundenhoheit, SJZ 72 (1976) 237, F. Chappuis, Le notaire et les fon­ dateurs face aux risques pénaux dans la création de sociétés, la représentation des fondateurs et la procuration face au droit pénal (art. 251, 253 et 317 CP), Sem 127 (2005) 141, B. Corboz, Le faux dans les titres, ZBJV 131 (1995) 534 (zit. Corboz, Le faux), A. Donatsch, Art. 83–222, in: Kommen­ tar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2b, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG), hrsg. von M. Zweifel/P. Athanas, 2. Aufl., Basel 2008, Art. 186 (zit. Donatsch, DBG), derselbe, Art. 59–61, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die Har­ monisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG), hrsg. von M. Zweifel/P. Athanas, 2. Aufl., Basel 2002, Art. 59 (zit. Donatsch, StHG), derselbe, Verdeckte Gewinnausschüt­ tung, unwahre Buchhaltung, Falschbeurkundung, Steuerbetrug, Besprechung von BGE 122 IV 25 ff., SZW 69 (1997) 259 (zit. Donatsch, Verdeckte Gewinnausschüttung), P. Ferrari, La consta­ tation fausse, le mensonge écrit, ZStrR 112 (1994) 153, P. Gabus, La fradeur, le faussaire, l’escroc et l’assureur, Etude de l’évolution doctrinale et jurisprudentielle récente en matière de fraude à l’assurance privée, Sem 121 (1999) Vol. II 21, L. Glanzmann-Tarnutzer, Art. 251 StGB und die Erstellung einer inhaltlich falschen Rechnung, AJP 11 (2002) 763, A. Haefliger, Urkundendelikte, SJK Nr.  138, derselbe, Der Begriff der Urkunde im schweizerischen Strafrecht, Basel 1952, L. Handschin, Rechnungslegung im Gesellschaftsrecht, Basel 2013, M. Jean-Richard-dit-Bressel, Schutz des fremden Fiskus durch die schweizerische Strafgerichtsbarkeit?, fp 2010, 243, G. Jenny, Aktuelle Fragen des Vermögens- und Urkundenstrafrechts, ZBJV 124 (1988) 393, G. Jenny/G. Stratenwerth, Zur Urkundenqualität elektronischer Aufzeichnungen, ZStrR 108 (1991) 197, D. Kienapfel, Grundprobleme des Urkundenstrafrechts in rechtsvergleichender Sicht, ZStrR 98 (1981) 25, S. Kilgus, Haftung für Unterschriftenfälschung im Bankverkehr und die Zulässigkeit ihrer Wegbedingungen, Diss. Zürich 1987, U. Kohlbacher, Der strafrechtliche Schutz von Beweis­ zeichen, Ein Beitrag zur Reform der Urkundendelikte, Basel/Stuttgart 1991, K.-L. Kunz, Grund­ strukturen des neuen Vermögens- und Urkundenstrafrechts, ZBJV 132 (1996) 189, M. Lebedkin, Bilanzerklärung als Urkunde?, SJZ 77 (1981) 73, H. Maihold, Falschbeurkundung & Co., die unwahre Urkunde im Strafrecht, ius.full 2009, 86, L. Moreillon/J. Gauthier, L’application dans le temps de la novelle du 17 juin 1994 (infractions contre le patrimoine et faux dans les titres), ZStrR 113 (1995) 369, M. A. Niggli, Präzisierung der Rechtsprechung zu Art. 251, AJP 5 (1996) 498, H. Ottiger, Treten am Ort bei der Falschbeurkundung, fp 2010, 46, B. Paoletto, Die Falschbeurkun­

137

§ 36 Einleitung dung beim Grundstückkauf, Diss. Zürich 1973, C. Remund/S. Bosshard/O. Thormann, Le faux intellectuel dans le droit pénal économique, in: Droit pénal économique, hrsg. von J. Hurtado Pozo/​O. Thormann, Zürich 2011, Ch. Riedo, «Eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf» – Bemerkungen zur Urkundenunterdrückung nach Art. 254 StGB, AJP 12 (2003) 917, L. Rohner, Computerkriminalität, Diss. Zürich 1976, U. Scherrer, Strafbare Formen falscher schrift­ licher Erklärungen, Diss. Bern 1977, N. Schmid, Fragen der Falschbeurkundung bei Wirtschafts­ delikten, ZStrR 95 (1978) 274 (zit. Schmid, Falschbeurkundung), derselbe, Streitgegenstand «Computerurkunde», Einige Betrachtungen zur gegenwärtigen Diskussion im Rahmen der pen­ denten Revision des schweizerischen Vermögens- und Urkundenstrafrechts, ZStrR 109 (1992) 98, derselbe, Buchführungsdelikte im Zeitalter der Datenverarbeitung, in: Bewertung, Prüfung und Beratung in Theorie und Praxis, Festschrift für Carl Helbling, hrsg. von A. Zünd/G. Schultz/B. U. Glaus, Zürich 1992, 333, derselbe, Zu den Begriffen der Daten, der Datenverarbeitung und der Datenverarbeitungsanlage im neuen Vermögens- und Urkundenstrafrecht, in: Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Schweizerischen Kriminalistischen Gesellschaft, ZStrR 110 (1992) 315 (zit. Schmid, FS SKG), derselbe, Die Urkundendelikte nach der Revision des Vermögens- und Urkundenstrafrechts vom 17. Juni 1994, AJP 4 (1995) 25 (zit. Schmid, Revision), derselbe, Das neue Vermögens- und Urkundenstrafrecht, SJZ 91 (1995) 1, derselbe, Zur strafrechtlichen Verant­ wortlichkeit des Revisors, ST 70 (1996) 193, derselbe, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Revisors, Zürich 1996, A. Schmidt, Faux dans les titres, Bilan faux et comptes annuels faux d’une société anonyme, CP 251, Sem 118 (1996) 307, derselbe, Faux dans les titres, Comptabilité com­ merciale, Sem 121 (1999) Vol. I 411, derselbe, Faux dans les titres, Critère de la confiance particu­ lière attachée à un document écrit, Résumé d’arrets récents, Sem 122 (2000) Vol. I 157, M. Schubarth, Zur Auslegung der Urkundendelikte, ZStrR 113 (1995) 387 (zit. Schubarth, Urkundendelikte), derselbe, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Bd., Delikte gegen das Vermögen, Art. 137–172 StGB, Bern 1990 (zit. Schubarth, Kommentar Vermögensdelikte), E. Stieger, Buchführungsdelikte nach Art. 957–962 und Art. 662–670 OR und ihre Erfassung durch das StGB, Diss. Zürich 1975, G. Stratenwerth, Urkundendelikte unter dem Aspekt der Wirtschaftskri­ minalität, SJZ 76 (1980) 1, derselbe, Die Falschbeurkundung in der neueren Praxis des Bundesge­ richts, recht 16 (1998) 166 (zit. Stratenwerth, Falschbeurkundung), H. Tschopp/P. W. Pfefferli, Die Anwendung des Rasterelektronenmikroskopes in der Urkundenuntersuchung, Krim 52 (1998) 137, C. Ringelmann, Wirtschaftsstrafrecht, 525, H. Vest, Probleme des Urkundenstrafrechts, AJP 12 (2003) 883, H. Walder, Ist die Ausstellung einer unwahren «Bilanzerklärung» strafbar?, SJZ 77 (1981) 205, derselbe, Falsche schriftliche Erklärungen im Strafrecht, insbesondere die sog. «Falsch­ beurkundung» nach StrGB Art. 251, ZStrR 99 (1982) 70 (zit. Walder, Falschbeurkundung).

Die Art.  251  ff. schützen das Vertrauen, welches im Rechtsverkehr einer Urkunde sowie bestimmten Zeichen (Art.  256  f.) als Beweismittel entgegen­ gebracht wird und sie als sog. Gewährschaftsträger erscheinen lässt721. Es han­ delt sich also um den Schutz eines allgemeinen Rechtsgutes. Immerhin ist es möglich, dass durch ein Urkundendelikt auch unmittelbar Individualinteres­ sen beeinträchtigt werden; alsdann ist dem Betroffenen die prozessuale Stel­ lung eines Geschädigten einzuräumen722. Durch den Tatbestand von Art. 254, 721  Vgl. BGE 95 IV 73, 114 IV 29, 117 IV 36, 129 IV 133 f., 132 IV 59, 138 IV 134. 722  Vgl. BGE 119 Ia 346, BGer vom 16.2.2012, 6B_26/2012, Erw. 2.4.

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§ 36 Einleitung

bei welchem es um die Verfügbarkeit der Urkunden als Beweismittel geht, wer­ den sogar ausschliesslich solche Interessen geschützt. Weitere, dem gleichen Zweck dienende Bestimmungen finden sich in anderen Titeln des StGB. Namentlich ist auf Art. 317 (Urkundenfälschung im Amt) und Art. 318 (fal­ sches ärztliches Zeugnis) hinzuweisen, welche in den §§ 108 und 109 behandelt wer­ den, aber auch auf Art. 240 ff.723. Zu erwähnen sind sodann für den Bereich des Ver­ waltungsstrafrechts VStrR Art. 14 und 15. Eine Reihe besonderer, den entsprechenden Tatbeständen des StGB vorgehender Urkundendelikte finden sich in BG über die technischen Handelshemmnisse vom 6. Oktober 1995724, Art. 23–27. Sie beziehen sich auf Akkreditierungs-, Prüf-, Konfor­ mitäts- und Zulassungsbescheinigungen sowie auf Berichte und Zertifikate im Zusam­ menhang mit der Einhaltung von technischen Vorschriften für den grenzüberschrei­ tenden Verkehr mit Produkten und gelten auch für ausländische Urkunden.

Nach der Legaldefinition von Art. 110 Abs. 4 sind Urkunden «Schriften, die bestimmt und geeignet sind, oder Zeichen, die bestimmt sind, eine Tatsa­ che von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Die Aufzeichnung auf Bild- und Datenträgern steht der Schriftform gleich, sofern sie demselben Zweck dient». Der Urkundenbegriff, wie er im materiellen Recht verwendet wird, ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Urkunde im prozessualen Sinne725. Im Folgenden sollen zunächst die drei vom Gesetz erfassten Arten von Auf­ zeichnungen behandelt werden726; anschliessend wird dargelegt, unter wel­ chen Voraussetzungen ihnen Urkundenqualität zukommt727.

1.

Die erfassten Aufzeichnungen

1.1

Gemeinsames Merkmal: Menschliche Gedankenäusserung

In allen Fällen geht es ausschliesslich um Aufzeichnungen menschlicher Gedankenäusserungen (sog. Erklärungen). Der Inhalt der betreffenden Erklärung muss sich grundsätzlich aus dem Schriftstück selbst oder aus der Verbindung von Schriftstück und damit fest verbundenem Bezugsobjekt ergeben. Der in der Aufzeichnung festgehaltene Gedankeninhalt muss eine Erklärung be­inhalten, 723  Vorne §§ 26 ff. 724  SR 946.51. 725  Vgl. dazu StPO Art. 192, A. Donatsch, StPO Kommentar, N 5 f. zu Art. 192. 726  Nachstehend Ziff. 1. 727  Hinten Ziff. 2.

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§ 36 Einleitung

mithin an Dritte gerichtet sein. Durch dieses Kriterium lässt sich die Urkunde von Entwürfen oder ausschliesslich privaten Notizen abgrenzen728. Zahlen, Zeichen oder Texte, die von Apparaten selbsttätig aufgezeichnet oder angebracht werden (z.B. Kilometerzähler, Fahrtenschreiber, Gaszähler, Ther­ mometer, Fabriknummern, automatische Registrierungen durch einen Com­ puter usw.) fallen ausser Betracht729. Massgebend für den Urkundencharakter einer Aufzeichnung ist indessen nicht, wie sie hergestellt worden ist, sondern lediglich, ob sie einem bestimmten Urheber als Ergebnis einer Gedankenäusserung zugerechnet werden kann730. Sind die Aufzeichnungen von Apparaten nicht als Ergebnis einer selbsttäti­ gen Registrierung von Daten zu erachten, weil das betreffende Gerät nur als Rechen- oder Schreibhilfe eingesetzt wird, so kann demnach eine Urkunde vorliegen731. Dies ist beispielsweise beim Registrierstreifen einer Kasse der Fall. Ebenso kann ein Schriftstück als Gedankenäusserung einer Person zugerech­ net werden, welche zu dessen Erstellung eine Datenverarbeitungsanlage ein­ setzt und deren Produkt «nach aussen hin erkennbar autorisiert»732. Abbil­ dungen von Gegenständen oder Personen kommen als Urkunden nicht infrage.

1.2 Schriften Als Schrift lässt sich jedes zumindest für einen bestimmten Kreis von Perso­ nen unmittelbar lesbare – wenn auch allenfalls erst nach Vergrösserung – und verständliche System von Symbolen (insbesondere Buchstaben und Zahlen) auffassen. Ob die Schrift gut oder kaum lesbar ist, ist nicht von Belang. Neben Hand- und Maschinenschriften in gängigen Sprachen kommen demnach theo­ retisch auch Stenogramme, codierte Texte usw. in Betracht, während akusti­ sche Aufzeichnungen sowie Pläne, Fotografien etc. ohne Text nicht erfasst wer­ den733. Nicht als Schrift  – sondern allenfalls als Zeichen734  – gelten sodann

728  BGE 116 IV 349, Boog, BSK StGB I, N 13 ff. zu Art. 110 Abs. 4. 729  BGE 116 IV 349, Corboz, Vol. II, N 50 zu Art. 251, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 8,

Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 3 vor Art. 251.

730  Boog, BSK StGB I, N 4 zu Art. 110 Abs. 4, Dupuis u.a., Code pénal, N 6 zu Art. 251, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 8.

731  Boog, BSK StGB I, N 21 zu Art. 110 Abs. 4, Corboz, Vol. II, N 50 zu Art. 251. 732  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 8. 733  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 251. 734  Vgl. hinten Ziff. 1.4.

140

§ 36 Einleitung

Daten, welche nur lesbar sind, wenn sie zuvor umgewandelt werden, was ins­ besondere bei Aufzeichnungen auf Datenträgern der Fall ist735. Die Schrift, welche kopiert oder reproduziert worden ist, stellt wiederum eine Schrift dar736. Die Beweisbestimmung der Urkunde erfordert, dass sie auf einer Unterlage aus beliebigem Material angebracht ist; genau betrachtet kann es sich daher nur um Schriftstücke handeln. Ausserdem müssen Material und Schrift von einiger Beständigkeit sein737. Schriften im Schnee, im Sand, auf einer beschlagenen Fensterscheibe oder auf einem Bildschirm etc. genügen dieser Anforderung nicht.

1.3

Aufzeichnungen auf Bild- und Datenträgern

Seit der Revision vom 17.  Juni 1994738 sind den Schriften die Aufzeichnungen auf Bild- und Datenträgern gleichgestellt. Bezüglich der Aufzeichnungen auf Bildträgern ist diese Neuerung weitgehend überflüssig739. Der Gesetzge­ ber dachte dabei v.a. an Mikrofilme. Da und soweit auf diesen Schriftstücke in verkleinerter Form abgelichtet sind, erhalten sie dadurch selber den Charak­ ter von Schriftstücken. Von praktischer Bedeutung sind deshalb nur die Auf­ zeichnungen auf Datenträgern, welchen das Bundesgericht freilich schon vor der Gesetzesänderung Urkundenqualität zugestanden hat740. Entsprechend ist die Erwähnung von Bildern zusätzlich zu den Daten überflüssig741. Mit den Aufzeichnungen auf Datenträgern sind ausschliesslich ursprünglich in Schriftform gekleidete Informationen gemeint, welche von einer automatisier­ ten Datenverarbeitungsanlage mithilfe der zu dieser gehörenden Programme in nicht direkt visuell erkennbarer, codierter Form entgegengenommen und zum Zwecke der Verarbeitung, Speicherung oder Rückwandlung in Schrift­

735  Boog, BSK StGB I, N 11 zu Art. 110 Abs. 4, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 6. 736  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 251. 737   Sog. Perpetuierungsfunktion der Urkunde, vgl. zu diesem Fragenkreis Boog, BSK

StGB I, N 3, 8 zu Art. 110 Abs. 4, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 251, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 6 m.w.H. 738  Vgl. dazu Botschaft 1991, 1079. 739  Boog, BSK StGB I, N 93 zu Art. 110 Abs. 4, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 34. 740  BGE 116 IV 345. 741  Boog, BSK StGB I, N 93 zu Art. 110 Abs. 4, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 34.

141

§ 36 Einleitung

form auf Disketten, Festplatten usw. aufgezeichnet werden742. Den Urkunden gleichgestellt werden solche Informationen jedoch nur dann, wenn sie – wür­ den sie in traditioneller Form festgehalten – als Schrift- oder Zeichenurkunde zu qualifizieren wären743. Im Hinblick auf die von ihnen ebenfalls zu erfüllende Perpetuierungsfunktion müssen sie auf einem Datenträger aufgezeichnet sein, der auf längerfristige Speicherung angelegt und gegen unbefugte Änderun­ gen geschützt ist, wofür sog. Permanentspeicher (Festplatten, Disketten, Mag­ netstreifen, USB-Sticks u.Ä.) infrage kommen744. Gemäss Bundesgericht kann auch die mit einer elektronischen Signatur verschlüsselte, nicht ausgedruckte E-Mail diesen Anforderungen entsprechen745. Der Ausdruck ab einem Datenträger hat selbstverständlich den Charakter einer gewöhnlichen Schrifturkunde.

1.4 Zeichen Der Gesetzgeber von 1937 meinte damit bildliche oder symbolische, auf einem Objekt angebrachte Darstellungen wie etwa in der Landwirtschaft einzelner Kan­ tone noch verwendete Haus-, Vieh- oder Kerbzeichen, die Beweiszwecken die­ nen können. Im Gegensatz zu einer Schrifturkunde sind sie nicht aus sich sel­ ber heraus verständlich; vielmehr ergibt sich ihr Erklärungsinhalt erst daraus, dass sie unmittelbar an einem Objekt angebracht sind746. Erst durch eine sol­ che konkrete Verwendung wird ihre Beweisfunktion ersichtlich. Im Zuge der Entwicklung von Handel und Technik sind weitere Zeichen relevant geworden. So können etwa der auf einem Stück Fleisch angebrachte Stempel dessen Her­ kunft aus einem bestimmten Schlachthaus belegen747 sowie das Künstler- bzw. Handwerkerzeichen die jeweilige Urheberschaft bezeugen748. Weiter werden als Zeichen etwa der Strichcode und die Preisetikette anerkannt, welche mit der betreffenden Ware fest verbunden sind749. 742  Vgl. Strafrecht III, § 13 Ziff. 1, Schmid, FS SKG, 320, ders., Revision, 28, auch zur Natur

solcher Informationen als menschliche Gedankenäusserungen.

743  Botschaft 1991, 993, Boog, BSK StGB I, N 87 zu Art. 110 Abs. 4, Schmid, Revision, 28. 744  BGE 116 IV 349, Boog, BSK StGB I, N 96 zu Art. 110 Abs. 4, Schmid, Revision, 30, vgl.

auch hinten Ziff. 2.23 lit. c.

745  BGE 138 IV 212 f. 746  Ebenso Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 25, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 15

vor Art. 251.

747  Vgl. BGE 103 IV 30 f. 748  Boog, BSK StGB I, N 69 zu Art. 110 Abs. 4. 749  Boog, BSK StGB I, N 73 zu Art. 110 Abs. 4, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 25.

142

§ 36 Einleitung

Obschon Art. 110 Abs. 4 im zweiten Satz die Aufzeichnungen auf Datenträgern dem Wortlaut nach nur den Schrifturkunden gleichstellt, muss dasselbe sinn­ gemäss auch für Zeichen gelten, die einer Datenverarbeitungsanlage eingege­ ben werden. In Betracht fallen etwa auf Objekten angebrachte Balken- oder Strichcodes, deren Erklärungsinhalt nur nach Umwandlung in Schriftform durch den Computer lesbar wird. Auch mit diesem Hilfsmittel hergestellte Katasterpläne im Zusammenhang mit den betreffenden Grundbucheinträgen können den Charakter von Beweiszeichen für Lage und Ausmass von Grund­ stücken erhalten750.

2.

Voraussetzungen für die Urkundenqualität von Aufzeichnungen

2.1

Erkennbarkeit des Ausstellers

Es handelt sich hierbei um ein ungeschriebenes Merkmal, dessen Erforderlich­ keit von der h.L. durchwegs bejaht wird751. Während das Bundesgericht diese Voraussetzung für die Urkundenqualität einer Aufzeichnung in seiner frühe­ ren Rechtsprechung offengelassen hat752, hat es diese schliesslich wenigstens implizit anerkannt753. Dass das Bundesgericht die Erkennbarkeit des Ausstel­ lers (stillschweigend) voraussetzt, ergibt sich aus seiner Definition der echten Urkunde, bei welcher der wirkliche mit dem ersichtlichen Aussteller identisch sein muss754. Abgesehen davon kann mit Schriften, welche niemandem als Urheber zugeordnet werden können, also anonymen Schriften, kein Urkun­ denbeweis geführt werden. Solchen Schriften wird im Rechtsverkehr zu Recht kein Vertrauen entgegengebracht. Die Anforderung der Erkennbarkeit des Ausstellers setzt nicht notwendiger­ weise voraus, dass die Urkunde dessen Namen enthält oder gar von diesem unterschrieben worden ist. Massgebend ist nach der «Geistigkeitstheorie», wem die Urkunde als autorisierte Erklärung zugerechnet werden kann, mit­ hin «auf wessen Willen die Urkunde nach Existenz und Willen zurückgeht»755. 750  Schmid, Revision, 28. 751  Boog, BSK StGB I, N 4, 38 ff. zu Art. 110 Abs. 4, Corboz, Vol. II, N 51 zu Art. 251, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 35 N 18 ff., Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 13 vor Art. 251.

752  BGE 116 IV 351, 117 IV 37. 753  BGE 118 IV 258 f., 131 IV 130, 138 IV 213, vgl. auch 120 IV 181. 754  Donatsch, DBG, N 16 zu Art. 186, BGE 122 IV 27. 755  BGE 128 IV 268, 132 IV 60, 137 IV 169, BGer vom 15.2.2017, 6B_1128/2016, Erw. 2.2;

Boog, BSK StGB I, N 43 zu Art. 110 Abs. 4, Dupuis u.a., Code pénal, N 14 f. zu Art. 251.

143

§ 36 Einleitung

Kann die Aufzeichnung nach ihrem Inhalt und den Umständen ihrer Entste­ hung oder Verwendung einer bestimmten Person zugeordnet werden, so ist die ausdrückliche Nennung ihres Ausstellers entbehrlich756. Dies gilt auch für den Fall, dass eine Unterzeichnung an sich vorgeschrieben ist, beispiels­ weise für Inventar, Betriebsrechnung und Bilanz gemäss OR Art. 961. Ausstel­ ler ist nach dem Gesagten auch derjenige, in dessen Namen (i.V.) oder Auf­ trag (i.A.) ein Schriftstück unterzeichnet wird757. Sodann reicht es aus, wenn der Täter auf einem von ihm selbst angefertigten Empfangsschein die unle­ serliche Unterschrift eines angeblichen Vertreters des Empfängers anbringt758. Namentlich bei sog. Massenurkunden genügt bereits der Umstand, dass die Erklärung bestimmten Personen zugeschrieben werden kann759. Demgegen­ über fehlt es an der Erkennbarkeit des Ausstellers, wenn dieser nicht allein auf­ grund des Schriftstücks, sondern ausschliesslich zufolge weiterer Beweismittel identifiziert werden kann760. Nicht erforderlich ist, dass der wirkliche Aussteller aus der Urkunde ersichtlich wird. Die unechte Urkunde ist gerade dadurch charakterisiert, dass über den wirklichen Aussteller getäuscht wird761. Bei den Beweiszeichen werden offenbar geringere Anforderungen an die Erkennbarkeit des Ausstellers gestellt als bei Schriften. Zwar wird verlangt, dass das Zeichen einer bestimmten Person zugeordnet werden könne762, jedoch ist dies gerade bei den Hauszeichen und Siegeln regelmässig nicht der Fall, indem diese Zeichen häufig von allen oder allen männlichen Angehörigen einer Fami­ lie verwendet werden, mithin also nicht individuell zugeordnet werden kön­ nen.

756  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 20. 757  Donatsch, DBG, N 16 zu Art. 186. 758  BGE 116 IV 51. 759  So etwa den Organen eines Unternehmens, dessen Name oder Logo auf der Preiseti­

kette gedruckt ist, oder wie in BGE 116 IV 351 f. dem zur Vornahme einer Computer­ buchung befugten Bankangestellten, vgl. weiter BGE 137 IV 167. 760  A.M. Haefliger, 406 f. 761  Donatsch, DBG, N 16 zu Art. 186. 762  Boog, BSK StGB I, N  69 zu Art.  110 Abs.  4, Stratenwerth/Bommer, BT II, §  35 N  28, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 15 zu Art. 251.

144

§ 36 Einleitung

2.2

Beweisbestimmung und Beweiseignung

2.21 Allgemeines Zur Urkunde wird eine Schrift nur, wenn der schriftlichen Äusserung bzw. dem Zeichen sowohl Beweisbestimmung als auch Beweiseignung763 zukommt. So kann etwa ein Kaufvertrag über eine Liegenschaft vom Fälscher wohl zum Beweis dieses Geschäftes bestimmt, aber wegen Formungültigkeit nicht dafür geeignet sein764. Dagegen begnügt sich der die Beweiszeichen betreffende Text immer noch mit deren Beweisbestimmung, obschon auch für sie ausserdem die entsprechende Eignung vorausgesetzt werden muss, wenn mit ihnen eine Tatsache belegt werden soll. Für die Aufzeichnung auf Bild- und Datenträgern ergibt sich dies deutlicher, indem das Gesetz ihre Gleichstellung mit Schriftur­ kunden davon abhängig macht, dass sie «demselben Zweck dient». Um Urkundenqualität zu haben, muss die Aufzeichnung zum Beweis von rechtserheblichen Tatsachen geeignet sein. Hierunter sind nach der bundesge­ richtlichen Rechtsprechung Fakten zu verstehen, «welche allein oder in Ver­ bindung mit anderen Tatsachen die Entstehung, Veränderung, Aufhebung oder Feststellung eines Rechts bewirken». Ausserdem werden dazu auch «Indizien, die den Schluss auf erhebliche Tatsachen zulassen, und ebenso Hilfstatsachen» gerechnet, «welche für die Beurteilung des Werts oder der Beweiskraft eines Beweismittels von Bedeutung sind»765. Mit dieser Definition wird der Kreis der Tatsachen, welche potenziell rechtserheblich sein können, sehr weit gezogen766. Die Erfordernisse von Beweisbestimmung und -eignung sind besonders beim Tatbestand der Falschbeurkundung von erheblicher praktischer Bedeutung767. Sie sind restriktiv auszulegen. Namentlich wird zur Abgrenzung zwischen der Falschbeurkundung und der schriftlichen Lüge eine qualifizierte Beweiseig­ nung verlangt768.

763  Gesamthaft auch als «Beweiserheblichkeit» bezeichnet. 764  BGE 103 IV 151. 765  BGE 113 IV 80 m.w.H. 766  Boog, BSK StGB I, N 22 ff. zu Art. 110 Abs. 4, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 10. 767  Dazu § 37 Ziff. 2.2. 768  BGE 117 IV 39, 167, 118 IV 364 f., 120 IV 127, 362, 121 IV 134, 122 IV 27 f., 123 IV 64,

125 IV 23, 126 IV 68, 129 IV 134, Boog, BSK StGB II, N 71 zu Art. 251, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 36 N 36, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 9 zu Art. 251. Vgl. dazu hinten § 37 Ziff. 2.21.

145

§ 36 Einleitung

2.22 Beweisbestimmung Das Element der Beweisbestimmung kann sich nach bundesgerichtlicher Auf­ fassung entweder unmittelbar aus dem Gesetz ergeben oder aus dessen Sinn oder Natur abgeleitet werden769. Ob ein Schriftstück bzw. einzelne Teile davon oder ein Zeichen zum Beweis bestimmt ist, beurteilt sich nicht (nur) gestützt auf die subjektive Zwecksetzung, sondern auch gestützt darauf, ob die Beweis­ bestimmung objektiv erkennbar ist. Es wird in diesem Zusammenhang zwi­ schen Absichts- und Zufallsurkunden unterschieden. Die Absichtsurkunden wiederum unterteilt man in Dispositivurkunden und Zeugnisurkunden. Dispositivurkunden zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Erklärung verkörpern, an welche Rechtsfolgen geknüpft sind wie etwa ein Ver­ tragsangebot770, eine Abtretungserklärung771, ein Kündigungsschreiben oder ein Testament. In solchen Fällen ist die Erklärung regelmässig zwar primär zur Rechtsgestaltung bestimmt, soll aber gleichzeitig auch belegen, dass der ent­ sprechende Akt erfolgt ist. Zeugnisurkunden enthalten Berichte über Tatsa­ chen oder Vorgänge772. Entwürfen fehlt die Beweisbestimmung in der Regel, weshalb sie keine Urkunden dar­ stellen. Schwierig zu beurteilen ist die Frage der Beweisbestimmung bei Computerur­ kunden, weil zwischen Schriften im Entwurfs- und im Endstadium häufig nur schwer unterschieden werden kann773.

Zufallsurkunden sind menschliche Gedankenäusserungen, denen im Moment des Verfassens die subjektive Zwecksetzung der Beweisbestimmung fehlt, die jedoch nachträglich deshalb zu Urkunden werden, weil sich jemand zu Beweis­ führungszwecken darauf beruft. Solche Erklärungen werden demnach erst dadurch zum Beweis bestimmt, dass man sie dann tatsächlich zu solchen Zwe­ cken in äusserlich erkennbarer Weise einsetzt. In derartigen Fällen beschränkt sich die Problematik auf die Frage der Beweiseignung. Der Liebesbrief des verheirateten Mannes an seine Geliebte wird nach Bekanntwerden von dessen ausserehelichem Verhältnis durch Einreichung beim Gericht nachträglich zum Beweis im Scheidungsverfahren bestimmt.

769  Vgl. BGE 115 IV 118, 120 IV 126, 123 IV 63 f., 125 IV 22, 132 IV 59. 770  BGE 100 IV 277. 771  BGE 72 IV 73. 772  Boog, BSK StGB I, N 35 zu Art. 110 Abs. 4. 773  Boog, BSK StGB I, N 99 zu Art. 110 Abs. 4.

146

§ 36 Einleitung

2.23 Beweiseignung Das Schriftstück muss geeignet sein, rechtserhebliche Tatsachen zu bewei­ sen. Ob sich eine Erklärung in diesem Sinn zum Beweis eignet, bestimmt sich gemäss der Bundesgerichtspraxis774 und der Lehre775 nach dem Gesetz oder der Verkehrsübung. Unbestrittenermassen kann die Beweiseignung nur für solche Umstände gege­ ben sein, bezüglich welcher sich das Schriftstück überhaupt äussert776. Umge­ kehrt setzt die Urkundenqualität nicht voraus, dass sich die Beweiseignung auf alle Sachverhalte bezieht, welche im betreffenden Schriftstück erwähnt wer­ den. In diesem Sinne ist der Urkundencharakter eines Schriftstückes relativ777. So belegen z.B. Rechnungen – sofern diesen überhaupt Urkundencharakter zukommt778 – wohl, dass ihr Aussteller vom Adressaten Zahlung der betreffenden Beträge gefordert hat, nicht aber auch, dass diese den Leistungen des Rechnungsstellers entsprechen779. Ausnahmsweise kann Rechnungen Urkundenqualität zukommen, so etwa, wenn diese im Zollverkehr als Beleg für die Richtigkeit der Deklaration verwendet werden780 oder wenn deren Aussteller eine garantenähnliche Stellung zukommt781; ebenso verhält es sich, wenn Rechnungen nach einer materiellen Prüfung mit einem Prüfungsvermerk versehen werden782. Schliesslich kommt Rechnungen Urkundenqualität zu, wenn diese Bestandteile der Buchhaltung sind783, nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung über­ dies sogar dann, wenn diese bestimmt sind, Bestandteile der Buchhaltung nicht nur des Rechnungsstellers, sondern auch des Rechnungsempfängers zu werden784. Ein Wech­ sel (OR Art. 1096 ff.), in welchem sich der Aussteller zur Bezahlung eines bestimmten Geldbetrags verpflichtet, beinhaltet die Anerkennung dieser Schuld, jedoch kann damit

774  BGE 117 IV 36, 120 IV 126, 122 IV 335 f., 125 IV 22, 276 f., 126 IV 67, 129 IV 55, 132

IV 59.

775  Corboz, Vol. II, N  22 zu Art.  251, Boog, BSK StGB I, N  30 zu Art.  110 Abs.  4, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 12 m.w.H., Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 7 vor Art. 251. 776  BGE 133 IV 38. 777  BGE 129 IV 134, 132 IV 59, 138 IV 135, Corboz, Vol. II, N 28 zu Art. 251. 778  Vgl. dazu BGE 115 IV 228 f., 117 IV 37 ff., 131 IV 128 f., 138 IV 135, Corboz, Vol. II, N 29 zu Art. 251. 779  Vgl. BGE 119 IV 56 ff., 142 IV 122. 780  Vgl. BGE 96 IV 152 f. 781  Vgl. BGE 103 IV 184 f., 119 IV 564. 782  Vgl. BGE 131 IV 131 f. 783  Vgl. BGE 117 IV 39 f., 138 IV 135 f., vgl. auch Ringelmann, Wirtschaftsstrafrecht, § 18 N 43. 784  Vgl. BGE 129 IV 136 ff. m.w.H., 138 IV 139.

147

§ 36 Einleitung aber nicht der Beweis des Zahlungswillens erbracht werden785. Eine schriftliche Offerte und deren in gleicher Form erfolgte Annahme belegen ausschliesslich, dass ein entspre­ chendes Angebot unterbreitet und von der Gegenseite akzeptiert wurde. Sie erbringen hingegen keinen Beweis dafür, dass die abgegebenen Erklärungen dem tatsächlichen Willen der Parteien entsprechen. Gleiches gilt ganz allgemein auch für Geschäftskor­ respondenzen786. Protokolle über die Äusserungen einer anderen Person787 vermögen wohl zu beweisen, dass der Befragte das im Protokoll Wiedergegebene wirklich ausge­ sagt hat, nicht aber auch, dass die entsprechenden Äusserungen den Tatsachen entspre­ chen. Die Angabe von Börsenkurswerten erlaubt keine Aussage über den inneren Wert einer Aktie, sondern nur über deren Handelswert zu einem bestimmten Zeitpunkt788. Oder es sei etwa an eine Bestätigung über das Bestehen einer Prüfung gedacht, welcher die Beweiseignung bezüglich der dem Kandidaten erteilten Noten zukommt, nicht aber dafür, dass diese seinen Leistungen entsprochen haben oder dass er tatsächlich an der auf dem Schriftstück vermerkten Adresse wohnt.

Massgebend für die Beweiseignung ist nicht die Beweiskraft (d.h. die auf den konkreten Einzelfall bezogene Glaubhaftigkeit) der Erklärung, sondern ledig­ lich ihre «Beweistauglichkeit»789, d.h. ihre generelle Eignung zur Erbringung des Beweises. Obwohl eine unordentlich geführte Buchhaltung oder eine von Rechenfehlern strot­ zende Bilanz nicht den Eindruck der Glaubhaftigkeit erwecken, stellen beide Schrift­ stücke Urkunden dar. Dem Schriftstück, welches namens einer GmbH ausgestellt wor­ den ist, welche nie existiert hat, kommt keine Beweiseignung zu790.

Dass «Dispositivurkunden» zum Beweis für die in ihnen verkörperte Erklärung geeignet sind, ist selbstverständlich. Anders verhält es sich, wenn sie den für ihre Gültigkeit einzuhaltenden Formvorschriften nicht entsprechen; ein sol­ ches Schriftstück kann jedoch in anderem Zusammenhang bzw. unter einem anderen Gesichtswinkel rechtlich erheblich sein791. Bei den übrigen Aufzeich­ nungen kann die Eigenschaft der Beweiseignung dagegen fraglich sein. Nach­ folgend einige allgemeine Bemerkungen zur Beweiseignung: a) Sie kann sich bei «gewöhnlichen Absichtsurkunden» schon aus dem Gesetz allein ergeben oder ableiten lassen, so z.B. aus OR Art. 957 für die Buchhal­ 785  BGE 142 IV 122 ff. 786  Vgl. BGE 120 IV 29, vgl. auch BGE 120 IV 126 f. 787  Z.B. anlässlich einer Zeugeneinvernahme, vgl. BGE 106 IV 373. 788  BGE 133 IV 38. 789  BGE 105 IV 193, 103 IV 33, 101 IV 278 f., vgl. auch Boog, BSK StGB I, N 28 zu Art. 110

Abs. 4, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 14.

790  BGer vom 28.10.2016, 6B_1342/2015, Erw. 3.4. 791  Vgl. BGE 103 IV 151.

148

§ 36 Einleitung

tung und ihre Bestandteile792 oder aus OR Art. 216 für die öffentliche Beur­ kundung eines Grundstückkaufs793. b) Gewisse Schrifturkunden können sich nach der Verkehrsübung auch dann zum Beweis eignen, wenn es sich nicht um Originale mit eigenhändiger Unterschrift des Verfassers der Erklärung handelt. Darunter fallen v.a. im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs erstellte Fotokopien, welche als solche erkennbar sind. Voraussetzung ist allerdings, dass sie als Ersatz für das Original anerkannt sind und dass ihnen ebenso Vertrauen entge­ gengebracht wird wie einem Original794. Gleiches gilt für das vom empfan­ genden Telefaxgerät angefertigte Schriftstück, falls das beim Absender zur Fernkopie verwendete Original selber Urkundenqualität hat795. Ohne Zwei­ fel kommt auch einer solchen Kopie Beweiseignung zu, mit welcher vorge­ spiegelt werden soll, es handle sich um das Original (Scheinoriginal)796. c) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Aufzeichnungen eines Computers Beweiseignung zukommt, darf noch nicht als hinreichend geklärt gel­ ten. Allgemein wird indessen vorausgesetzt, dass dafür nur gespeicherte Daten von hohem Standard infrage kommen797. Keinesfalls kann sodann der Schutz solcher Aufzeichnungen über denjenigen von Schrifturkunden hinausgehen, zumal keine Äusserung ohne Beweiseignung allein durch ihre elektronische Speicherung zur Urkunde wird. Dieser Charakter dürfte einer solchen Aufzeichnung erst dann zuteil werden, wenn ihr Ausdruck im Wesentlichen einer Schrifturkunde entsprechen würde. Als unproble­ matisch gilt schon heute, dass elektronisch geführte – wie auch traditionell betriebene  – Buchhaltungen798 und damit im Zusammenhang der regis­ trierte Transfer von Vermögenswerten799 sowie mit EDV erstellte öffentli­ che Register (so z.B. das Handelsregister des Kantons Zürich) Urkunden­ charakter haben800. 792  Vgl. BGE 115 IV 228, 118 IV 40. 793  Vgl. BGE 84 IV 164. 794  Vgl. BGE 114 IV 28 ff., 115 IV 57 f., 116 IV 193, Boog, BSK StGB I, N 47 zu Art. 110

Abs. 4, Corboz, Le faux, 538.

795  BGE 120 IV 181. 796  Vgl. dazu BGE 137 IV 170 f., Boog, BSK StGB I, N 47 ff. zu Art. 110 Abs. 4. 797  Von «hohem Standard» sind Daten, deren – nach genau festgelegten Regeln erfolgte –

Registrierung auf einem Datenträger auf längerfristige Speicherung angelegt und gegen unbefugte Veränderungen geschützt ist. Hierzu Schmid, Revision, 30. 798  Vgl. OR Art. 957 Abs. 4. 799  Vgl. BGE 116 IV 350 ff. 800  Botschaft 1991, 969 ff., vgl. auch Schmid, Revision, 30.

149

§ 36 Einleitung

3.

«Öffentliche Urkunden», «Urkunden des Bundes»

Im Anschluss an die eingangs zitierte Legaldefinition der Urkunde gemäss Art. 110 Abs. 4 umschreibt das Gesetz in Abs. 5 den Begriff der öffentlichen Urkunde, der früher in Lehre und Rechtsprechung Anlass zu grösseren Dis­ kussionen bot. Bedeutsam war er vor allem deshalb, weil alt Art. 251 Ziff. 2 die Fälschung einer solchen Urkunde einer qualifizierten Strafdrohung unterstellt hatte. Da diese Bestimmung aber anlässlich der Revision vom 17. Juni 1994 gestrichen wurde, ist Art. 110 Abs. 5 seit dem 1. Januar 1995 nicht mehr von Bedeutung und verblieb offenbar nur versehentlich im Gesetz. Hinzuweisen ist aber darauf, dass StPO Art. 23 Abs. 1 lit. f die Verbrechen und Vergehen des elften Titels des Besonderen Teils der «Bundesgerichtsbarkeit» unterstellt, sofern Urkunden des Bundes (ausgenommen Fahrausweise und Belege des Postzahlungsverkehrs) in Betracht kommen. Als solche gelten nach der Rechtsprechung Schriftstücke, die von einer Behörde oder einem Beamten des Bundes in hoheitlicher Funktion oder in Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder gewerblicher Verrichtungen ausgestellt wurden801.

4.

Urkunden des Auslandes gemäss Art. 255

Gestützt auf Art.  255 (Urkunden des Auslandes/Titres étrangers/Documenti esteri/Foreign documents) sind alle Urkundentatbestände  – auch die nicht erwähnten Art. 317802 sowie Art. 317bis803 – nicht nur auf Urkunden inländi­ scher, sondern auch auf solche ausländischer Herkunft anwendbar, soweit es um Schrifturkunden geht. Während ausländische Wertzeichen gestützt auf Art.  250 inländischen Wert­ zeichen gleichgestellt sind, werden ausländische amtliche Zeichen in der zitier­ ten Bestimmung nicht erwähnt. Daraus folgt, dass die Fälschung amtlicher Zeichen des Auslands nicht strafbar ist, wohl hingegen – über Art. 255 – die Fälschung ausländischer privater Zeichen. Dieses Resultat wird vom Bundes­ gericht als unbefriedigend erachtet, aufgrund der Entstehungsgeschichte aber als lex lata hingenommen804.

801  BGE 96 IV 163. 802  Boog, BSK StGB II, N 1 zu Art. 255, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 255. 803  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 52. 804  BGE 103 IV 31, ebenso Boog, BSK StGB II, N 2 zu Art. 255, Corboz, Vol. II, N 4 zu

Art. 255.

150

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

Die tatbestandsmässige Handlung muss i.S. von Art. 3 Abs. 1 in der Schweiz begangen worden sein, um deren «Strafrechtshoheit»805 zu begründen. Wird eine im Ausland hergestellte unechte oder unwahre Urkunde in der Schweiz in den Rechtsverkehr gebracht, kommt allenfalls eine Bestrafung nach Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3 in Betracht.

5.

Nicht strafbare Handlungen gemäss Art. 317bis

Nach Art.  317bis (Nicht strafbare Handlungen/Actes non punissables/Atti non punibili/Non-criminal acts) macht sich in Anwendung von StPO Art.  289 Abs. 4 lit. a806 nicht nach Art. 251, 252, 255 und 317 strafbar, «wer mit rich­ terlicher Genehmigung im Rahmen einer verdeckten Ermittlung zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung seiner Legende Urkunden herstellt, verändert oder gebraucht». Dasselbe gilt für denjenigen, der «mit richterlicher Genehmigung für eine verdeckte Ermittlung Urkunden herstellt oder verändert».

§ 37 Urkundenfälschung (Art. 251) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 36.

1. Überblick Art. 251 (Urkundenfälschung/Faux dans les titres/Falsità in documenti/Forgery of a document), ein mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren als Höchststrafe bedrohtes, abstraktes Gefährdungsdelikt, umfasst in Ziff. 1 Abs. 2 zunächst die Fälschung und Verfälschung einer Urkunde sowie die Benützung der echten Unterschrift bzw. des echten Handzeichens eines andern zur Herstellung einer unwah­ ren Urkunde, auch als «Blankettmissbrauch» bezeichnet. Diese drei Fälle las­ sen sich zusammengefasst als Urkundenfälschung i.e.S. umschreiben und sind dadurch gekennzeichnet, dass der Täter eine unechte Urkunde herstellt. Dabei bedeutet «unecht», dass die betreffende Schrift überhaupt nicht oder aber nicht vollständig von demjenigen stammt, der als ihr Urheber erscheint. Die weiter genannten Verhaltensweisen, bei denen der Täter «eine recht­ lich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden lässt», sind 805  Zum Territorialitätsprinzip vgl. Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.2. 806  Mit Einführung der StPO wurde das BG über die verdeckte Ermittlung aufgehoben und

mit kleinen redaktionellen Änderungen in StPO Art. 286 ff. überführt.

151

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

Fälle der sog. Falschbeurkundung. Sie betreffen die Schaffung einer unwahren Urkunde, d.h. einer schriftlichen Erklärung, welche zwar eine echte Urkunde darstellt, deren Inhalt aber nicht den Tatsachen entspricht. Ziff. 1 Abs. 3 der Gesetzesbestimmung stellt schliesslich den Gebrauch einer unechten oder unwahren Urkunde unter Strafe. Jede dieser drei Varianten des objektiven Tatbestandes, die nachstehend unter Ziff. 2 näher behandelt werden, muss in subjektiver Hinsicht vom Vorsatz des Täters sowie von einer in Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 geregelten besonderen Absicht getragen sein807. Ein privilegierter Tatbestand findet sich in Ziff. 2 der erwähn­ ten Bestimmung808. Der Tatbestand der Urkundenfälschung gemäss Art.  251 StGB kann grund­ sätzlich nur durch aktives Tun, nicht aber durch Unterlassen erfüllt werden809.

2.

Objektive Tatbestandsmerkmale (Ziff. 1 Abs. 2 und 3)

In objektiver Hinsicht wird zunächst vorausgesetzt, dass sich das tatbestands­ mässige Verhalten auf eine Urkunde i.S. von Art. 110 Abs. 4 bezieht810.

2.1

Urkundenfälschung i.e.S. (materielle Fälschung)

Das vom Gesetz zunächst erwähnte «Fälschen» wird als das Herstellen einer unechten Urkunde definiert811 und meint den Fall, dass die ganze Urkunde nicht von dem darauf angegebenen oder aus ihr ersichtlichen Aussteller, sondern von einem anderen angefertigt wird. Entsprechend liegt das Wesen der Urkunden­ fälschung i.e.S. darin, dass über die Identität des Ausstellers getäuscht wird812. Wirklicher Aussteller einer Urkunde ist die Person, welcher die Urkunde im Rechtsverkehr als von ihr autorisierte Erklärung zugerechnet werden kann813. 807  Dazu hinten Ziff. 3. 808  Dazu hinten Ziff. 4. 809   BGer vom 18.6.2012, 6B_844/2011, Erw.  3.1., BGer vom 17.5.2013, 6B_711/2012,

Erw. 2.4., Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 251.

810  Dazu vorn § 36 Ziff. 2. 811  Vgl. Boog, BSK StGB II, N 3 zu Art. 251, Corboz, Vol. II, N 55 zu Art. 251, Trechsel/Erni,

in: N 3 zu Art. 251, Trechsel/Pieth, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 4 ff.

812  BGE 125 IV 22 f., 277, 126 IV 67, 128 IV 268, 132 IV 60, 131 IV 127, 132 IV 60, 137 IV

169, 138 IV 134, 212.

813  BGE 128 IV 268, 132 IV 60, 137 IV 169, Boog, BSK StGB II, N 3 zu Art. 251.

152

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

Gemäss der insoweit vorherrschenden Geistigkeitstheorie ist dies jene Person, auf deren Willen die Urkunde nach Existenz und Inhalt zurückzuführen ist. Von Bedeutung ist dies insbesondere bei Vertretungsverhältnissen, selbst bei der sogenannten verdeckten Stellvertretung814. Die vom Vertreter im Einverständnis des Vertretenen mit dem Namen des Letzteren unterzeichnete Willensäusserung, die der Vertretene nach Inhalt und Existenz gewollt hat, stellt grundsätzlich eine echte Urkunde dar, selbst wenn das Vertretungsverhält­ nis nicht erkennbar und somit verdeckt ist815. Anders verhält es sich nur bei eigen­ händigen Urkunden (z.B. letztwillige Verfügung), bei denen derjenige als wirklicher Aussteller anzusehen ist, der sie tatsächlich niedergeschrieben oder zumindest unter­ zeichnet hat816. Sofern die Vertretung rechtlich unzulässig ist, stellt der das fragliche Schriftstück trotzdem Unterzeichnende eine unechte Urkunde her817. Wer als nicht bevollmächtigter Vertreter einer Gesellschaft eine Schrift unterzeichnet, obwohl er sich der hierzu fehlenden Vertretungsmacht bewusst ist, stellt eine unechte Urkunde her818; überschreitet der Unterzeichnende demgegenüber lediglich seine interne Befugnis, ist von einer echten Urkunde auszugehen819. Eine echte Urkunde liegt in der Regel auch vor, wenn der wirkliche Aussteller nicht mit seinem bürgerlichen Namen unterzeichnet, sondern beispielsweise mit seinem Künstlernamen bzw. einem Pseudonym oder einem Alias-Namen, sofern dadurch nicht über die Identität getäuscht wird820. Erst recht ist das der Fall, wenn er ein Dokument mit seinem wirklichen Namen, aber nicht mit seiner gewohnten Unterschrift unterzeichnet (z.B. um einen missbräuchlichen Geld­ bezug durch einen Dritten vorgeben zu können). Unecht ist die Urkunde hingegen dann, wenn der Aussteller zwar mit dem richtigen Namen unterschreibt, aber vor­ täuscht, eine andere Person mit demselben Namen zu sein, z.B. sein Vater mit densel­ ben Vor- und Nachnamen821.

Es ist nicht erforderlich, dass der Aussteller den Inhalt seiner Erklärung (im Detail) kennt822. Es genügt, wenn er im Bewusstsein unterzeichnet, eine beweiserhebliche Erklärung abzugeben. Nur wenn der Aussteller das nicht weiss, kann in derartigen Fällen eine Urkundenfälschung i.e.S. vorliegen. 814  Walder, Falschbeurkundung, 70. 815  BGE 128 IV 268, 132 IV 60, vgl. auch BGer vom 26.3.2012, 6B_772/2011, Erw. 1.2.3. 816  BGE 128 IV 268 f. 817  BGE 128 IV 268 f., 132 IV 60, Boog, BSK StGB II, N 24 zu Art. 251. 818  RS 2001 Nr. 122, vgl. auch BGE 123 IV 19 ff., Boog, BSK StGB II, N 15 zu Art. 251, Cor-

boz, Vol. II, N 58 zu Art. 255.

819  Boog, BSK StGB II, N 16 zu Art. 251, Dupuis u.a., Code pénal, N 17 zu Art. 251. 820  Vgl. BGE 106 IV 374, 132 IV 60, vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 10 und

Walder, Falschbeurkundung, 88.

821  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 11. 822  Dupuis u.a., Code pénal, N 12 zu Art. 251.

153

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

Als Aussteller einer unechten Urkunde kommt nicht nur eine natürliche, son­ dern auch eine juristische Person infrage, für welche bekanntlich deren Organe handeln823. Eine Urkunde «verfälscht», wer eine Erklärung mit Urkundenqualität, die von einem anderen verfasst worden ist, nachträglich eigenmächtig abändert; der so geschaffene Erklärungsinhalt stammt alsdann nicht mehr (in seiner Gesamt­ heit) vom Aussteller der Urkunde. Da der Verfasser der abgeänderten Urkunde und der aus ihr selbst ersichtliche Aussteller nicht identisch sind, handelt es sich um eine unechte Urkunde. Die «Verfälschung» kann durch Ergänzen, Verändern oder durch Beseitigen von Teilen der bisherigen Erklärung erfolgen, sofern dadurch ein anderer Inhalt der Urkunde entsteht. Der «Blankettmissbrauch» schliesslich besteht darin, dass jemand vor der auf einem Blatt oder Formular angebrachten echten Unterschrift oder dem echten Handzeichen eines anderen eine schriftliche Erklärung anbringt, die nicht des­ sen Willen entspricht. Weil diese Erklärung wiederum nicht vom angegebenen Aussteller – dem Unterzeichneten – stammt, handelt es sich auch in diesem Fall um eine unechte Urkunde, wie sie vom Gesetz ausdrücklich bezeichnet wird. Beispiele: Fälschung eines Schuldscheines ist gegeben, wenn jemand einen solchen auf den Namen eines anderen anfertigt und mit dessen nachgeahmter Unterschrift versieht. Verfälscht wird ein solcher Schein, der zunächst wirklich vom Schuldner ausgestellt wurde, dadurch, dass man den darin angegebenen Betrag von Fr. 10 000 auf Fr. 100 000 abändert. Blankettmissbrauch wäre gegeben, wenn jemand einen Brief ins Gerät dik­ tiert und das für ihn vorgesehene Blatt blanko unterzeichnet und dann seine Sekretä­ rin darauf den Text einer Schuldanerkennung einsetzt.

Für die Strafbarkeit bleibt es bedeutungslos, ob die unechte Urkunde zugleich unwahr – was die Regel bildet – oder aber wahr ist824. Stellt der Gläubiger, welcher einen Schuldschein verloren hat, einen neuen Schuld­ schein mit demselben Inhalt aus und unterzeichnet er diesen mit dem Namen des Schuldners, so liegt eine unechte Urkunde vor, welche inhaltlich wahr ist. Würde der Gläubiger gleich auch noch den Schuldbetrag in wahrheitswidriger Weise zu hoch ein­ setzen, so würde dies nichts daran ändern, dass von einer unechten Urkunde auszu­ gehen wäre, weil sie über den Aussteller täuscht und darüber hinaus auch inhaltlich unwahr ist.

Im Falle der Fälschung bedarf es nicht notwendigerweise der Unterzeichnung mit dem Namen des vorgegebenen Ausstellers, so etwa, wenn die Erklärung 823  BGE 125 IV 19, Dupuis u.a., Code pénal, N 13 zu Art. 251. 824  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 6.

154

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

nach Gesetz oder Verkehrssitte, z.B. bei Bankabrechnungen, auch ohne Unter­ schrift als Beweismittel betrachtet wird825. Dies gilt auch im Fall, in welchem die Unterzeichnung an sich vorgeschrieben ist, beispielsweise für Inventar, Betriebsrechnung und Bilanz nach OR Art. 961. Im kaufmännischen Verkehr werden denn auch regelmässig nicht unterschriebene Kopien dieser Urkun­ den verwendet. Umstritten ist, ob unter das Verfälschen einer Urkunde auch deren nachträgliche Abänderung durch den Aussteller selber fällt. Dies ist zu verneinen, weil auch die abgeänderte Erklärung vom wirklichen Aussteller stammt und die Abänderung nicht die Echtheit, sondern allenfalls die Wahrheit der Urkunde betrifft826. Aus dem gleichen Grund kann entgegen der Praxis827 auch die Rück­ datierung einer Erklärung nicht als Urkundenfälschung i.e.S., sondern höchs­ tens als Falschbeurkundung828 strafbar sein829.

2.2

Falschbeurkundung (intellektuelle Fälschung)

2.21

Falschbeurkundung als qualifizierte schriftliche Lüge

Als Falschbeurkundung gilt das unrichtige Beurkunden einer rechtserhebli­ chen Tatsache. Erste Voraussetzung für die Unwahrheit einer Urkunde ist, dass sich diese zur betreffenden Tatsache überhaupt äussert830. Findet sich auf einer Quittung der Vermerk, der geschuldete Betrag sei bezahlt worden, so kann damit höchstens die Leistung des betreffenden Geldbetrages bewiesen wer­ den, nicht aber, dass eine Pflicht zur Bezahlung tatsächlich bestanden hat. Gleiches gilt für die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen des bezeugten Sachverhalts. So wird z.B. mit dem Eintrag im Eheregister lediglich der Akt der Eheschliessung beur­ kundet, nicht aber die Ehefähigkeit der Eheleute, mit dem Jagdpatent nur die Ertei­

825  Vgl. vorn § 36 Ziff. 2.1. 826  Boog, BSK StGB II, N 59 zu Art. 251, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 16 f., tenden­

ziell auch Corboz, Vol. II, N 75 f. zu Art. 255, a.M. Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 4 zu Art. 251, vgl. BGE 88 IV 30 ff. = Pr 51 (1962) 306 ff., BGE 97 IV 216 f., 102 IV 193 f., 115 IV 57 f., offengelassen bei Corboz, Vol. II, N 75 f. zu Art. 251. 827  Vgl. z.B. BGE 88 IV 31 und 102 IV 193. 828  Vgl. hinten Ziff. 2.2. 829  Gl.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 17, vgl. nunmehr auch BGE 122 IV 338. 830  BGE 131 IV 130 f., 133 IV 38, 142 IV 119 ff., Dupuis u.a., Code pénal, N 31 zu Art. 251, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 31, vgl. vorne § 36 Ziff. 2.23.

155

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251) lung der Bewilligung, nicht aber das Vorhandensein der dafür erforderlichen materiel­ len Voraussetzungen831.

Umgekehrt vermag die Urkunde nicht für alle Sachverhalte Beweis zu erbrin­ gen, zu welchen sie sich äussert. Sind im Schriftstück Umstände unwahr dar­ gestellt, mit Bezug auf welche die Beweiseignung fehlt, liegt nicht eine Falsch­ beurkundung, sondern lediglich eine schriftliche Lüge vor. In diesem Sinne ist der Urkundencharakter eines Schriftstückes relativ832. Der Tatbestand der Falschbeurkundung betrifft ausschliesslich echte, aber inhaltlich unwahre Urkunden833, bei unechten Urkunden liegt unabhängig von ihrem Inhalt stets eine Urkundenfälschung i.e.S. vor. Unrichtig ist eine Tatsache, wenn der darin bezeugte Sachverhalt nicht mit den wirklichen Verhältnissen übereinstimmt834. Dies trifft auch auf den besonde­ ren Fall zu, dass die Aufzeichnung bestimmter Sachverhalte in einer Urkunde unterbleibt, von der nach Gesetz oder Verkehrsübung Vollständigkeit voraus­ gesetzt wird, z.B. im Rahmen einer Buchhaltung oder eines vormundschaftli­ chen Inventars835. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich der Inhalt der potenziell unwahren Urkunde zum Sachverhalt als solchem oder zur Erklärung äussert836. So kann dem Protokoll einer Befragung oder einer Versammlung nur entnommen wer­ den, was die befragten Personen gesagt haben bzw. welche Beschlüsse gefasst wurden. Diese Schriftstücke äussern sich aber nicht dazu, ob die Person wahr­ heitsgemäss ausgesagt hat837 oder ob die Beschlüsse in Kenntnis des wirkli­ chen Sachverhalts gefällt worden sind. Der Mitteilung über den Kurswert einer Aktie in einem Depotauszug lässt sich entnehmen, welchen Wert die betref­ fende Effekte zum massgebenden Zeitpunkt an der Börse hatte, nicht aber wel­ ches damals deren tatsächlicher innerer Wert war838. Demgegenüber bezeugt die Eintragung einer Geburt im Zivilstandsregister nicht die Erklärung gegen­ 831  BGE 80 IV 115 f. 832  BGE 119 IV 56, 121 IV 134, 123 IV 63, 125 IV 22, 126 IV 67, 142 IV 122, Corboz, Le

faux, 546, Donatsch, StHG, N 21 zu Art. 59, Schubarth, Urkundendelikte, 390, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 35. 833  BGE 129 IV 133 f., 131 IV 129, 132 IV 14 f., 138 IV 134, 212, 142 IV 121. 834  Vgl. BGE 75 IV 166, 117 IV 37, 125 IV 22, 277, 126 IV 67, 138 IV 134, 212, 142 IV 121. 835  Vgl. BGE 100 IV 25, 121 IV 218. 836  Boog, BSK StGB II, N 83 zu Art. 251, ders., Buchführungsdelikte, 33. 837  BGE 106 IV 373 f. 838  BGE 133 IV 38.

156

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

über dem Zivilstandsbeamten, sondern die Geburt selbst839. In unterzeich­ neten Prüfungsvermerken in Verbindung mit den jeweiligen Rechnungen ist nicht bloss die Erklärung zu sehen, dass der Ausgabe zugestimmt werde, son­ dern die Bestätigung für die inhaltliche Prüfung der Rechnungen840. Dem Wechsel (OR Art. 1096 ff.) kann entnommen werden, dass sich sein Aussteller zur Anerkennung der betreffenden Schuld äussert, nicht aber zu seinem Zah­ lungswillen841. Während regelmässig relativ einfach festgestellt werden kann, ob eine Erklä­ rung in diesem Sinn unwahr ist, bereitet die Frage, ob es sich um eine so genannte «einfache schriftliche Lüge» oder eine qualifizierte Lüge handelt, wel­ che als Falschbeurkundung zu erachten ist, öfters grössere Schwierigkeiten842. Kriterien, die eine allgemeingültige Abgrenzung erlauben, finden sich weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung, weshalb die Grenze zwischen Falschbeurkundung und strafloser schriftlicher Lüge für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände gezogen werden muss843. Das Bun­ desgericht stellt in seiner neueren Rechtsprechung an die Beweisbestimmung und Beweiseignung einer Urkunde im Zusammenhang mit der Falschbeurkun­ dung besondere Anforderungen. Danach muss der Urkunde eine im Verhält­ nis zur gewöhnlichen schriftlichen Äusserung erhöhte Überzeugungskraft oder Glaubwürdigkeit zukommen und der Adressat muss der Erklärung aufgrund der Glaubwürdigkeit ein besonderes Vertrauen entgegenbringen844. Nach der Praxis des Bundesgerichts zum gemeinstrafrechtlichen Tatbestand der Falschbeurkundung ist von einer unwahren Urkunde und nicht lediglich von einer schriftlichen Lüge auszugehen, «wenn der Urkunde eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt, d.h. wenn allgemein gültige objektive Garan­ tien die Wahrheit der Erklärung gewährleisten, wie sie u.a. in der Prüfungs­ pflicht einer Urkundsperson oder in gesetzlichen Vorschriften liegen, die, wie etwa die Bilanzvorschriften der OR Art. 958 ff., gerade den Inhalt bestimmter

839  BGE 78 IV 111. 840  BGE 131 IV 131. 841  BGE 142 IV 122 ff. 842  Zur Unterscheidung zwischen Urkunde und blosser schriftlicher Lüge vgl. u.a. BGE 129

IV 134, 142 IV 121.

843  BGE 125 IV 23, 126 IV 67 f. 844  BGE 122 IV 27 ff., 336, 123 IV 64 f., 136 ff., 125 IV 22 ff., 277, 126 IV 67 f., 138 IV 212.

157

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

Schrift­stücke näher festlegen»845. Objektive Garantien für die Wahrheit einer Urkunde können jedoch auch in der besonders vertrauenswürdigen, garantenähnlichen Stellung des Ausstellers erblickt werden846. «Blosse Erfahrungsre­ geln hinsichtlich der Glaubwürdigkeit irgendwelcher schriftlicher Äusserun­ gen genügen dagegen nicht, mögen sie auch zur Folge haben, dass sich der Geschäftsverkehr in gewissem Umfang auf die entsprechenden Angaben ver­ lässt847». Von erhöhter Glaubwürdigkeit ist zunächst im Falle der öffentlichen Beurkundung auszugehen, so etwa beim öffentlich beurkundeten Vertrag (Verurkun­ dung des Kaufpreises im Kaufvertrag848), beim Handelsregistereintrag (Grün­ dung einer Gesellschaft849)850. Ob gesetzliche Bestimmungen die inhaltliche Wahrheit einer Erklärung garan­ tieren, ist in der Regel durch Auslegung zu ermitteln. Dies trifft zu bei der Buchhaltung mit ihren Bestandteilen (Belege, Bücher [Hauptbuch, Kas­ sabuch, Journal, Aktiv- und Passivkonten, Aufwand- und Ertragskonten], Buchhaltungsauszüge, Bilanzen und Erfolgsrechnung, Inventar)851 zufolge OR Art.  957  ff., sei sie in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht oder freiwillig geführt852. Unerheblich ist, ob die Buchhaltung gegebenenfalls durch die Gene­ ralversammlung genehmigt worden ist oder nicht853. So erfüllen die (teilweise) unterlassene Verbuchung von Einnahmen oder Ausgaben sowie die Verbu­ chung von Vorgängen, welche effektiv nicht stattgefunden haben, z.B. fiktiver

845  BGE 123 IV 65, 137, 125 IV 23, 131 IV 127, vgl. auch BGE 79 IV 163, 91 IV 7, 119 IV

57, 120 IV 27, 202 f., 362 f., 122 IV 28, 336, 125 IV 23, 126 IV 68, 129 IV 134, 131 IV 127 f., 132 IV15, 138 IV 134. 846  BGE 120 IV 28, 363, 121 IV 134  ff., 125 IV 279, 132 IV 15, 142 IV 121, BGer vom 15.2.2017, 6B_1128/2016, Erw. 2.2; kritisch Stratenwerth, Falschbeurkundung, 167 f. 847  BGE 119 IV 57, 120 IV 27, 127, 123 IV 137, 125 IV 23, 132 IV 15, 138 IV 134, 142 IV 121. 848  BGE 84 IV 164. 849  BGE 81 IV 243 ff., 101 IV 61, 147 f., 103 IV 241, 107 IV 129. 850  Boog, BSK StGB II, N 85 zu Art. 251 m.w.H., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 37. 851  BGE 116 IV 54 f., 118 IV 40, 119 IV 57, 120 IV 127, 122 IV 28, 125 IV 23, 126 IV 68, 129 IV 135, 131 IV 127, 132 IV 15, 138 IV 135 f., 141 IV 376, Boog, BSK StGB II, N 86 ff., 95 zu Art. 251, Corboz, Le faux, 550, Donatsch, StHG, N 24 zu Art. 59, ders., Verdeckte Gewinnausschüttung, 259 ff., Schmid, Falschbeurkundung, 280 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 39. 852  BGE 91 IV 190 = Pr 55 (1966) 158 ff., 125 IV 23 ff., 129 IV 135, Boog, BSK StGB II, N 88 zu Art. 251, kritisch Ringelmann, § 18 N 36, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 40. 853  BGE 120 IV 131 f., 129 IV 135, BGer vom 19.8.2010, 6B_327/2010, Erw. 4.4.

158

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

Passiven, den Tatbestand der Falschbeurkundung854. Die Bilanz855 – unzwei­ felhaft die von der Generalversammlung abgenommene Bilanz856 – ist jeden­ falls unwahr, wenn die Aktiven klarerweise über- und die Passiven klarerweise unterbewertet sind857. Im umgekehrten Fall scheidet eine Falschbeurkundung hingegen aus, sofern Aktiven nicht vollständig unerwähnt (Schwarzgeldkon­ ten) bleiben und überdies keine Buchführungsvorschriften verletzt werden858. Bei der Erfolgsrechnung liegt eine Falschbeurkundung vor, wenn Lohnzah­ lungen als Sachaufwand oder auf einem anderen sachfremden Aufwandkonto gebucht werden, und zwar unabhängig davon, ob die Zahlung aufgrund geleis­ teter Arbeit geschuldet oder als verdeckte Gewinnausschüttung zu charakteri­ sieren ist859. Ebenfalls aufgrund gesetzlicher Bestimmungen wird die inhaltli­ che Wahrheit einer Erklärung garantiert bei Emissionsprospekten860. Entgegen der bisherigen Praxis wird die an die Revisionsstelle gerichtete Vollständig­ keitserklärung im Falle inhaltlicher Unwahrheit richtigerweise nicht mehr als Falschbeurkundung erachtet861. Demgegenüber kommt den gesetzlich vor­ geschriebenen Revisions- und Kontrollstellenberichten – anders als etwa der Vollständigkeitserklärung862 – erhöhte Glaubwürdigkeit zu863. Eine Garantie für die Wahrheit soll wie erwähnt die garantenähnliche Stellung des Ausstellers bilden. Eine solche haben gemäss Praxis des Bundesgerichts der Protokollführer der Universalversammlung im Verhältnis zum Handelsregis­ terführer864, der Arzt, welcher einen unwahren Krankenschein ausstellt865, der bauleitende Architekt, der die Schlussabrechnung prüft und trotz überhöhter Rechnungen genehmigt866, der leitende Angestellte einer Bank, welcher den 854  BGE 101 IV 57, 103 IV 39 f., 114 IV 31, 118 IV 40, 125 IV 30, 132 IV 16, Boog, Buchfüh­

rungsdelikte, 40, Corboz, Le faux, 550, Schmid, Falschbeurkundung, 287, 301 ff., Ringelmann, § 18 N 38, BGE 101 IV 57, 103 IV 39 f., 114 IV 31, 118 IV 40. 855  BGE 125 IV 23, 277, 126 IV 68, 129 IV 135, Boog, BSK StGB II, N 94 f. zu Art. 251, Donatsch, StHG, N 24 zu Art. 59. 856  BGE 103 IV 25 f. 857  Boog, BSK StGB II, N 96 zu Art. 251, Donatsch, StHG, N 26 zu Art. 59. 858  Donatsch, StHG, N 26 zu Art. 59, Schmid, Falschbeurkundung, 294. 859  BGE 122 IV 29 f. 860  BGE 120 IV 125 ff. 861  BGE 132 IV 18 ff., anders noch BGE 105 IV 193 f. 862  BGE 132 IV 19. 863  BGE 132 IV 19 f., BGer vom 16.6.2014, 6B_134/2014, Erw. 3.3. 864  BGE 120 IV 204, 123 IV 137. 865  BGE 103 IV 184, 117 IV 169 f. 866  BGE 119 IV 57 f.

159

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

Bankkunden schriftlich unzutreffende Angaben betreffend deren Kontostand macht867 und  – nicht einfach nachvollziehbar  – der Grossist, welcher Anti­ lopenfleisch als europäisches Wildfleisch deklariert (im Verhältnis zwischen Grossist und Endabnehmer)868. Stellte schon nach der früheren Praxis die von jemandem ausgestellte unzu­ treffende Rechnung869 keine Falschbeurkundung dar, so gilt dies nach der seitherigen Rechtsprechung z.B. grundsätzlich auch dann, wenn sie vom Rechnungssteller quittiert worden ist und einem Dritten, z.B. einer Versiche­ rungsgesellschaft, vorgelegt wird870. Dasselbe gilt für die Quittung871. Anders verhält es sich, wenn die Rechnung zum Bestandteil einer Buchhaltung wird872 oder wenn ihre Richtigkeit aus einem anderen Grund als durch objektive Garantien gewährleistet erscheint. Auf derselben Linie liegt etwa die Feststellung, die Erstattung unrichtiger Regierapporte trotz Unterzeichnung der sie angeblich überprüfenden Bau­ leitung falle nicht unter Art.  251 Ziff.  1 Abs.  2873. Ebenso wenig geniessen durch den Arbeitnehmer erstellte unrichtige Arbeitsrapporte874 oder durch den Arbeitgeber ausgefertigte Lohnabrechnungen875 erhöhte Glaubwürdigkeit. Vom Bundesgericht offengelassen wurde schliesslich die Frage, ob die Anga­ ben in einem auf dem europäischen Einheitsformular verfassten Unfallproto­ koll erhöhte Beweiskraft besitzen876. Die Errichtung einer inhaltlich falschen, einfach-schriftlichen Vertragsur­ kunde, bei welcher weder besondere Garantien für ihre Richtigkeit noch eine garantenähnliche Stellung gegenüber dem Getäuschten bestehen, beweist zwar, dass die Vertragspartner eine bestimmte Willenserklärung abgegeben haben, nicht aber deren inhaltliche Richtigkeit, insbesondere nicht, dass die Erklärun­ gen dem wirklichen Willen entsprechen, dass keine Willensmängel bestehen oder dass keine Simulation vorliegt877. 867  BGE 120 IV 363 f. 868  BGE 119 IV 295, kritisch Stratenwerth, Falschbeurkundung, 168. 869  Vgl. dazu vorne § 36 Ziff. 2.23. 870  Vgl. BGE 117 IV 39, 121 IV 135. 871  BGE 121 IV 134 f. 872  Vgl. BGE 115 IV 228, 118 IV 40. 873  BGE 117 IV 166. 874  BGE 118 IV 364. 875  BGer vom 24.1.2011, 6B_827/2010, Erw. 4.5.3. 876  BGE 118 IV 254. 877  BGE 120 IV 29, BGer vom 27.5.2015, 6B_72/2015, Erw. 1.5.

160

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

Die skizzierte Rechtsprechung lässt Fragen offen und vermag nicht alle Zwei­ felsfälle zu beseitigen. So leuchtet es nicht unbedingt ein, dass das Bestehen von Vorschriften über den Inhalt von Erklärungen deren Beweiskraft in allen Fällen erhöht. Dies würde praktisch weitgehend auf die Annahme hinauslau­ fen, solche Vorschriften würden in aller Regel eingehalten. Nicht zu verkennen ist letztlich auch der Umstand, dass der Kreis von Personen mit einer besonders vertrauenswürdigen, garantenähnlichen Stellung keine scharfen Konturen besitzt.

2.22

Unmittelbare und mittelbare Falschbeurkundung

Strafbar ist nicht nur, wer eine rechtlich erhebliche Tatsache eigenhändig unrichtig beurkundet, sondern ebenfalls, wer dies durch eine Drittperson tun lässt. Damit weist das Gesetz ausdrücklich darauf hin, dass die Tatvariante der Falschbeurkundung auch in mittelbarer Täterschaft878 erfüllt werden kann879. Vorauszusetzen ist dafür, dass die beurkundende Person (was praktisch kaum vorkommen dürfte) unter Zwang gesetzt oder aber getäuscht wird und deshalb eine Tatsache unrichtig bezeugt. Weiss die beurkundende Person hingegen um die Unwahrheit ihrer Erklärung oder nimmt sie diese zumindest in Kauf, so kann der Initiant der Falschbeurkundung nicht als mittelbarer Täter, sondern nur als Anstifter ins Recht gefasst werden. Da die «Erschleichung einer falschen Beurkundung» durch Täuschung eines Beamten oder einer Person öffentlichen Glaubens unter den Spezialtatbestand von Art.  253 Abs.  1  fällt880, kommt der Falschbeurkundung in mittelbarer Täterschaft gemäss Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 nur eine geringe praktische Bedeu­ tung zu. Bejaht wurde ein solches Verhalten u.a. für den Fall, dass jemand einen anderen eine Quittung unterschreiben lässt, bevor er ihm eröffnet, die Schuld nicht in bar bezahlen, sondern mit einer Gegenforderung verrechnen zu wol­ len. Da die Quittung den Anschein der Barzahlung erweckt, wird der Ausstel­ ler getäuscht und als Tatmittler eingesetzt881, wobei allerdings nach der gelten­ den Praxis eine unwahre Quittung nicht als Falschbeurkundung erachtet wird, es sei denn, deren Richtigkeit erscheine aus einem besonderen Grund als durch objektive Garantien gewährleistet882. 878  Vgl. dazu Strafrecht I, § 15 Ziff. 3. 879  Z.B. BGE 120 IV 134. 880  Dazu hinten § 39 Ziff. 1. 881  SJZ 89 (1993) 181. 882  Vgl. vorn Ziff. 2.21.

161

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

2.3

Gebrauch gefälschter Urkunden

Nach Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3 wird bestraft, wer «eine Urkunde dieser Art zur Täu­ schung gebraucht». Mit dieser Verweisung auf Abs. 2 werden sowohl unechte als auch unwahre Urkunden als Tatobjekt von Abs. 3 einbezogen883. Mit dem «Gebrauch» ist die Verwendung der Urkunde im Rechtsverkehr gegenüber einem Dritten zum Zweck der Täuschung gemeint, die jedoch nicht zu gelin­ gen braucht. Die Tat ist vollendet, wenn die unechte oder unwahre Urkunde in den Machtbereich der zu täuschenden Person gelangt und ihr auf diese Weise zugänglich gemacht wird884. Im Falle der Versendung des betreffenden Schrift­ stückes trifft dies zu, sobald es dem Empfänger zugestellt worden ist885. Für die Strafbarkeit des Gebrauchens ist nicht erforderlich, dass der Hersteller der Urkunde den subjektiven Tatbestand von Art. 251 Ziff. 1 erfüllt hat886. Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung beschränkt sich weitgehend auf von einem Dritten hergestellte Urkunden, weil nach den Intentionen des Gesetzgebers der Gebrauch einer vom Täter selber im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 angefertigten unechten oder unwahren Urkunde als mitbestrafte Nach­ tat zu diesem letzteren Delikt gelten soll887.

3.

Subjektiver Tatbestand

3.1 Vorsatz Vorausgesetzt wird zunächst der Vorsatz der Verwirklichung sämtlicher objek­ tiven Tatbestandsmerkmale. Eventualvorsatz genügt. In den Fällen von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 müssen zudem das Bewusstsein und der Wille vorhanden sein, dass die Urkunde – wenn auch durch jemanden anderen – als echt bzw. wahr verwendet wird888.

883  BGE 106 IV 273 f. 884  BGE 120 IV 131, Boog, BSK StGB II, N 163 f. zu Art. 251, Donatsch, DBG, N 33 zu

Art. 186.

885  Dupuis u.a., Code pénal, N 43 zu Art. 251, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 52 (unter

Bezugnahme auf BGE 120 IV 131).

886  BGE 105 IV 245 f. 887  Vgl. hinten Ziff. 5. 888  BGE 100 IV 182, 101 IV 59, 103 IV 185, 135 IV 15, 138 IV 140, 141 IV 377.

162

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

3.2

Besondere Absicht

Als subjektives Unrechtselement erfordert Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 eine beson­ dere Absicht im technischen Sinn889, wobei Eventualabsicht genügt890. Der Täter muss, und zwar gerade durch den täuschenden Gebrauch der Urkunde891, beab­ sichtigen, «jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen» oder diese Möglichkeit zumindest billigend in Kauf nehmen. Dies setzt voraus, dass der Täter in Täuschungsabsicht handelt und die Urkunde im Rechtsverkehr als echt bzw. als wahr verwenden will892, um den Adressaten zu einem rechtser­ heblichen Verhalten zu veranlassen. Der Täter muss nicht wissen, worin der Vorteil besteht893. Zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes ist indessen nicht erforderlich, dass die beabsichtigte Täuschung auch tatsächlich gelingt.

3.21

Schädigung eines andern am Vermögen oder an andern Rechten

Nach BGE 83 IV 77 f. entspricht der Begriff des Vermögens demjenigen bei den Straftaten gegen dieses Rechtsgut. Unter «anderen fremden Rechten» werden nicht nur Vermögensrechte, sondern alle subjektiven Rechte verstanden. Eine Schädigung liegt stets dann vor, wenn die Ausübung dieser Rechte durch die Urkundenfälschung erschwert oder vereitelt wird894. Eventualabsicht genügt895.

3.22

Verschaffen eines unrechtmässigen Vorteils

Gemäss dem Gesetzestext braucht der vom Täter angestrebte Vorteil nicht ver­ mögensrechtlicher Natur zu sein, auch wenn dies in der Regel der Fall ist. Nach der äusserst weit gehenden und oft kritisierten Bundesgerichtspraxis genügt als Vorteil jede Besserstellung896, wobei sich deren Unrechtmässigkeit nicht 889  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 9 Ziff. 3. 890  BGE 102 IV 195, 135 IV15, Corboz, Vol. II, N 175 zu Art. 251, Boog, BSK StGB II, N 182,

185 zu Art. 251, Dupuis u.a., Code pénal, N 50 zu Art. 251.

891  BGE 101 IV 59, 135 IV 12, 138 IV 141. 892  Vgl. BGE 101 IV 59, 103 IV 185, 121 IV 223, 135 IV 15, 138 IV 141, 141 IV 377, Cor-

boz, Vol. II, N 172 zu Art. 251, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 24, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 12 zu Art. 251. 893  BGE 135 IV 15, 138 IV 141. 894  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 22. 895  BGE 102 IV 195. 896  BGE 118 IV 259 m.w.H., 141 IV 378.

163

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

nur aus dem Ziel, sondern auch aus den zu seiner Verfolgung verwendeten Mitteln ergeben kann897. Dementsprechend wurde z.B. Personen Handeln in unrechtmässiger Vorteilsabsicht vorgeworfen, welche unechte oder unwahre Urkunden erstellten bzw. verwendeten, um sich ihre Spionagetätigkeit zu erleichtern898, sich einen guten Kunden zu erhalten899, um den Konsequenzen beruflicher Nachlässigkeit zu entgehen900 oder ein befürchtetes Strafverfah­ ren abzuwenden901. Sogar die Absicht des Täters, mit der gefälschten Urkunde ein ihm wirklich zustehendes Recht durchzusetzen, soll nach der bundesge­ richtlichen Praxis zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes ausreichen902. Ob bereits der in der Urkunde selber liegende «Beweisvorteil» als Besserstel­ lung genügen soll, ist in der Lehre indessen umstritten. Stratenwerth/Bommer kritisieren die Praxis zutreffenderweise dahingehend, dass sie das Absichtser­ fordernis nahezu bedeutungslos mache, «da der im Beweiswert der Urkunde als solcher liegende Vorteil bei gefälschten Urkunden immer unrechtmässig» sei903. Nach deren Auffassung soll als relevante Besserstellung nur ein mithilfe des Beweiswerts der Urkunde angestrebter Vorteil gemeint sein, auf den der Täter keinen Anspruch hat904.

4.

Privilegierter Tatbestand (Ziff. 2)

In Bezug auf die Strafe werden «besonders leichte Fälle» privilegiert. Nach der Rechtsprechung muss das Verhalten in Anbetracht der gesamten Umstände des Einzelfalles in objektiver wie in subjektiver Hinsicht Bagatellcharakter auf­ weisen, was nach einem strengen Massstab zu beurteilen ist905.

897  BGE 121 IV 92. 898  BGE 101 IV 205. 899  BGE 115 IV 58. 900  BGE 121 IV 92. 901  BGE 118 IV 259 f., 120 IV 364, 121 IV 90. 902  BGE 102 IV 34 f., 106 IV 42 f., 376 f., 119 IV 236 f. 903  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 23. 904  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 23, zustimmend auch Boog, BSK StGB II, N 210

zu Art. 251.

905  BGE 71 IV 216, 103 IV 40, 114 IV 126 f., 128 IV 271 f., vgl. zudem RS 1990 Nr. 819,

Dupuis u.a., Code pénal, N 58 f. zu Art. 251.

164

§ 37  Urkundenfälschung (Art. 251)

5.

Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen

Die Bestrafung wegen Urkundenfälschung i.e.S. schliesst Falschbeurkundung aus. Der Gebrauch eines Falsifikats durch den Hersteller stellt eine mitbestrafte Nachtat906 dar907. Die Bestrafung des Herstellers wegen anschliessendem täu­ schendem Gebrauch der Urkunde nach Abs. 3 kommt allerdings dann infrage, wenn der Täter für die Urkundenfälschung als solche ausnahmsweise nicht bestraft werden kann, z.B. weil er diese im Ausland oder ohne den erforderli­ chen subjektiven Tatbestand begangen hat908. Da es sich bei den Geldfälschungsdelikten (Art.  240  ff.) um eigenständige Straftatbestände und nicht um Spezialnormen im Verhältnis zu den Urkun­ dendelikten handelt, kommen die Urkundendelikte nicht einmal ersatzweise zur Anwendung909. Die Art. 245 f., 248 wie auch 256 f. sind im Verhältnis zu den Urkundendelikten als leges speciales zu erachten910. Wer eine von ihm selber oder einem Dritten hergestellte unechte oder unwahre Urkunde für einen Betrug benützt, ist angesichts der verschieden­ artigen Rechtsgüter sowohl nach Art.  251 wie auch nach Art.  146 zu verur­ teilen und zu bestrafen911. Selbstverständlich ist die Anwendung dieses letz­ teren Tatbestandes nicht ausgeschlossen, wenn die irreführende schriftliche Erklärung mangels Beweiseignung die Voraussetzungen einer Urkundenfäl­ schung nicht erfüllt912. Durchwegs findet neben Art. 146 auch Art. 251 Anwen­ dung auf denjenigen, welcher mit gefälschten Belegen kantonale Studienbei­ träge erschleicht913. Nach einem Teil der Lehre geht die Urkundenfälschung im Betrug auf, wenn die fragliche Urkunde ausschliesslich zur Begehung des betreffenden Betrugs dient und eine weiter gehende Gefährdung im Rechtsver­ kehr auszuschliessen ist914. 906  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 38 Ziff. 2.42. 907  BGE 96 IV 167, 100 IV 182, 243, 120 IV 22. 908  Vgl. BGE 95 IV 73 und 96 IV 167 zum früheren Recht. 909  Boog, BSK StGB II, N 227 zu Art. 251 m.w.H. 910  Boog, BSK StGB II, N 227 zu Art. 251, Corboz, Vol. II, N 192 zu Art. 251, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 36 N 58.

911  BGE 71 IV 209 ff., 100 IV 179, 105 IV 247, 129 IV 53 ff., 138 IV 213, Corboz, Vol. II,

N 189 zu Art. 251.

912  Vgl. BGE 120 IV 16 betr. eine unwahre Rechnung. 913  BGE 112 IV 22 ff. 914  Boog, BSK StGB II, N 222 zu Art. 251, Dupuis u.a., Code pénal, N 64 zu Art. 251, Schu-

barth, Kommentar Vermögensdelikte, N 127 zu Art. 148, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 59.

165

§ 38  Fälschung von Ausweisen (Art. 252)

Während der Unrechtsgehalt bei der Erschleichung eines gerichtlichen Nachlassvertrages nach Art. 170 vorab in der Irreführung der Rechtspflege besteht915, soll durch den Tatbestand der Urkundenfälschung die Sicherheit des Rechts­ verkehrs geschützt werden; deshalb ist zwischen Art. 170 und Art. 251 echte Konkurrenz anzunehmen916. Wer durch ein Urkundenfälschungsdelikt Steuervorschriften umgehen will, aber auch eine Verwendung der betreffenden Urkunde im nicht fiskalischen Bereich zur Erlangung eines unrechtmässigen Vorteils in Kauf nimmt, ist nebst Steuerbetruges (nach dem anwendbaren Steuerrecht) auch wegen des Urkun­ dendelikts zu bestrafen917. Urkundenfälschungen und Erschleichung falscher Beurkundungen auf dem Gebiete des eidgenössischen Verwaltungsrechts fallen unter den Spezialtatbe­ stand von VStrR Art. 15. Diese Bestimmung lässt jedoch die private Falschbe­ urkundung bewusst straflos, was eine diesbezügliche subsidiäre Anwendung von Art.  251 Ziff.  1 ausschliesst918. Von echter Konkurrenz kann nach den Regeln der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur dann ausgegangen wer­ den, wenn der Täter den Gebrauch der betreffenden Urkunde ausserhalb der Verwaltung beabsichtigt oder in Kauf nimmt.

§ 38 Fälschung von Ausweisen (Art. 252) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 36, Ch. Uehlinger, Die Fälschung von Ausweisen nach Art. 252 StGB, Diss. Zürich 1993.

1.

Charakterisierung der Bestimmung

Offensichtlich bezweckt Art.  252 (Fälschung von Ausweisen/Faux dans les certificats/Falsità in certificati/Forgery of credentials) analog zu Art.  251 den Schutz des Vertrauens, das Ausweisschriften, Zeugnissen und Bescheinigun­ gen in der Öffentlichkeit entgegengebracht wird919. Art.  252 ist als abstrak­

915  BGE 84 IV 161. 916  Vgl. Pr 77 (1988) Nr. 146 und BGE 114 IV 34 betr. Bilanzen. 917  Vgl. BGE 108 IV 29, 117 IV 184 ff., 122 IV 30, 133 IV 303 ff., Donatsch, StHG, N 50 zu

Art. 59, Donatsch, DBG, N 44 zu Art. 186.

918  BGE 108 IV 182 f., vgl. auch RS 1990 Nr. 820, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 36 N 60. 919  Vgl. BGE 95 IV 73.

166

§ 38  Fälschung von Ausweisen (Art. 252)

tes Gefährdungsdelikt konzipiert920. Die tatbestandsmässigen Handlungen des Fälschens, Verfälschens und des Gebrauchs zur Täuschung in Abs. 2 und 3 der Bestimmung entsprechen denjenigen der Urkundenfälschung gemäss Art. 251 Ziff.  1 Abs.  2 und 3921, während ein entsprechendes Vorbild für Abs.  4 von Art. 252 fehlt. Die Umschreibung des tatbestandsmässigen Verhaltens in Art. 252 Abs. 2 und 3 wirft sogleich die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen diese Bestim­ mung und nicht diejenige von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 und 3 zur Anwendung gelangen soll. Nach vorherrschender Lehrmeinung922 und wohl auch der Praxis923 regelt Art. 252 Abs. 2 und 3 privilegierte Fälle der Urkundenfälschung. Art. 252 ist somit richtigerweise auf Ausweisschriften, Zeugnisse und Bescheinigungen etc. nur anwendbar, sofern diese die Merkmale einer Urkunde aufweisen924, welche der Legaldefinition von Art. 110 Abs. 4 entsprechen.

2. Fälschungsdelikte 2.1

Objektiver Tatbestand

2.11 Tatobjekte a) Unter den Begriff der «Ausweisschriften» fallen zunächst amtliche Papiere925, welche es der darin genannten Person ermöglichen sollen, ihre Identität zu belegen, wie etwa Pass926, Identitätskarte927 und Heimatschein. Gleiches gilt für Dokumente, die jemandem die Erteilung einer Bewilligung attestieren (z.B. Führerausweis928, Niederlassungsbewilligung), ihn als Beamten kenn­ 920  BGE 97 IV 210, Dupuis u.a., Code pénal, N 2 zu Art. 252. 921  Dazu vorn § 37 Ziff. 2. 922  Vgl. Boog, BSK II, N 3 zu Art. 252, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 2 ff., Trechsel/

Erni, in: Trechsel/Pieth, N 7 zu Art. 252.

923  BGer vom 6.8.2014, 6B_346/2014, Erw. 2.4. 924  Boog, BSK StGB II, N 2 zu Art. 252, Dupuis u.a., Code pénal, N 7 zu Art. 252, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 37 N 4, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 2 zu Art. 252, Uehlinger, 78, offengelassen in BGE 95 IV 70, offengelassen bei Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 252. 925  Nach Art. 255 auch solche anderer Staaten. 926  BGE 99 IV 125, 117 IV 170 ff. 927  BGE 99 IV 125. 928  BGE 98 IV 58 (vgl. aber auch SVG Art. 97 und zu den Konkurrenzverhältnissen BGE 111 IV 27).

167

§ 38  Fälschung von Ausweisen (Art. 252)

zeichnen929 oder ein besonderes Rechtsverhältnis zu einer öffentlich-recht­ lichen Anstalt dartun930. Insoweit wird es sich in aller Regel um Papiere mit Urkundencharakter handeln. Vergleichbare private Schriften, welche als Ausweise gekennzeichnet sind (wie z.B. die Legitimationskarte einer pri­ vaten Schule), dürften dagegen den «Bescheinigungen» zuzurechnen sein. b) Unter «Zeugnissen» werden dem üblichen Sprachgebrauch entsprechend Schriften verstanden, die der darin genannten Person bestimmte, im Rah­ men einer schulischen oder beruflichen Ausbildung (Schul-, Examenszeug­ nisse etc.), Arbeitstätigkeit (Arbeitszeugnisse931) usw. erbrachte persönliche Leistungen oder das Bestehen von Prüfungen bestätigen. c) Unter die Generalklausel der «Bescheinigungen» fallen alle verbleiben­ den Schriften, welche sich objektiv dazu eignen, das Fortkommen der darin genannten Person zu erleichtern; auf diese Formulierung des Gesetzes wird im Rahmen des subjektiven Tatbestandes zurückzukommen sein932. Nach dem Sinn von Art. 252 und dem Wortlaut seines Abs. 4, der von nicht für «ihn», (d.h. für den Täter) bestimmten Schriften spricht, müssen die Bestä­ tigungen stets einen Bezug zu den Eigenschaften, Fähigkeiten oder Verhaltensweisen einer darin genannten Person aufweisen. Infrage kommen daher etwa – Urkundenqualität vorausgesetzt – Anerkennung des von einer aus­ ländischen Universität verliehenen Doktortitels933, schriftliche Referenzen für die Stellen- oder Wohnungssuche, Atteste über besuchte Kurse oder den Gesundheitszustand des Inhabers, Bestätigungen über durchgeführte Aus­ stellungen mit Werken eines Künstlers, deren positive Beurteilung durch einen Sachverständigen usw. Da die von Art. 252 erfassten Schriften den Nachweis der Identität oder der materiellen oder formellen Qualifika­ tion einer Person erbringen sollen, erscheint es zumindest problematisch, Papiere, welche die Eigenschaften von Sachen bekräftigen (wie z.B. den für ein Motorfahrzeug ausgestellten Ausweis über die bestehende Haftpflicht­ versicherung934), den Tatobjekten von Art. 252 zuzurechnen935.

929  Z.B. der Polizeiausweis. 930  Z.B. Legitimationskarten für Schüler staatlicher Mittelschulen, Studenten usw. 931  BGE 95 IV 70. 932  Dazu nachstehend Ziff. 2.2. 933  BGer vom 28.4.2014, 6B_317/2014, Erw. 5. 934  Entgegen ZR 63 (1964) Nr. 14. 935  Das Bundesgericht hat die Anwendbarkeit dieser Bestimmung in Bezug auf EG-Trans­

portdokumente zutreffenderweise verneint (RS 1990 Nr. 820).

168

§ 38  Fälschung von Ausweisen (Art. 252)

2.12 Tathandlungen Strafbar macht sich zunächst, wer Schriften der genannten Art fälscht oder verfälscht. Zur Erläuterung dieser Begriffe wird auf die Ausführungen zu den identischen Tatbestandsmerkmalen von Art.  251 Ziff.  1 Abs.  2 verwiesen936. Als darin mitenthalten kann der Fall des Blankettmissbrauches betrachtet wer­ den, der z.B. gegeben wäre, wenn leere, aber bereits mit Faksimileunterschrift gestempelte Ausweise gestohlen und mit Personalien von Interessenten ausge­ füllt würden. Obschon die Tatvariante der Falschbeurkundung in Art. 252 nicht ausdrücklich Erwähnung findet, umfasst die Fälschung von Ausweisen nach der Praxis des Bundesgerichts implizit auch die intellektuelle Fälschung. Begründet wird dies damit, dass die Falschbeurkundung – anders als bei allen vergleichbaren Vor­ schriften – im Tatbestandsmerkmal des Fälschens enthalten sei937. Obwohl es zu sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnissen führt, wenn die Falschbeurkundung in Anwendung des Grundtatbestandes gemäss Art.  251 bestraft oder aber im Rahmen der Ausweisfälschung straflos bleibt, erscheint es mit Blick auf Art. 1 angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung unzu­ lässig, davon auszugehen, Art. 252 erfasse neben der Urkundenfälschung auch die Falschbeurkundung. Erachtet man Art. 252 im Verhältnis zu Art. 251 als privilegierten Tatbestand, so scheidet auch die Möglichkeit einer Bestrafung der Falschbeurkundung im Zusammenhang mit Ausweisen in Anwendung von Art. 251 aus. Nach Abs. 3 wird mit Strafe bedroht, wer gefälschte oder verfälschte Ausweis­ schriften, Zeugnisse oder Bescheinigungen zur Täuschung gebraucht. Dies gilt indessen für den Hersteller der unechten bzw. unwahren Schriften nur dann, wenn er wegen der Fälschungshandlung ausnahmsweise nicht nach Art. 252 Abs.  2 bestraft werden kann938. Der ausschliessliche Besitz zum (allfälligen) späteren Gebrauch wird vom Tatbestand nicht erfasst939.

936  Vgl. hierzu § 37 Ziff. 2.1. 937  BGE 70 IV 169 ff., BGer vom 7.7.2000, 9X.1/1999, zustimmend Boog, BSK StGB II, N 10

zu Art. 252, Dupuis u.a., Code pénal, N 15 zu Art. 252, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 5 zu Art. 251, im Ergebnis auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 5. 938  Botschaft 1991, 1080, vgl. § 37 Ziff. 2.3 zur analogen Rechtslage bei Art. 251. 939  BGE 117 IV 174.

169

§ 38  Fälschung von Ausweisen (Art. 252)

2.2

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss vorsätzlich und in Täuschungsabsicht handeln. Ausserdem muss er die Absicht haben, «sich oder einem anderen das Fortkommen zu erleichtern». Dieser Ausdruck könnte in engster Auslegung ausschliesslich auf berufliche Aspekte bezogen werden. Demgegenüber lässt das Bundesgericht in Übereinstimmung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers940 richtiger­ weise jede Verbesserung der persönlichen Lage genügen941. Daraus ergeben sich allerdings Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber der Absicht des Täters, sich oder einem anderen einen unrechtmässigen Vor­ teil zu verschaffen, welcher die Herstellung bzw. den täuschenden Gebrauch einer unechten bzw. unwahren Schrift mit Urkundencharakter unter Art. 251 Ziff. 1 fallen lässt. Die Problematik ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass das Bundesgericht auch den von Art. 251 Ziff. 1 geforderten unrechtmässigen Vorteil in einem äusserst weiten Sinne versteht942. Nach der Auffassung des Bundesgerichts ist Urkundenfälschung gemäss Art. 251 stets dann anzu­ nehmen, «wenn eine Schrift dieser Art nur mittelbar dem Fortkommen dient und in Wirklichkeit jemandem einen weitergehenden unrechtmässigen Vorteil verschaffen soll»943. Die mit der Erleichterung des Fortkommens einer Person angestrebte Besserstellung darf somit für sich alleine betrachtet nicht unrecht­ mässig sein, da nur das Fehlen einer Schädigungs- oder Vorteilsabsicht die Privi­ legierung nach Art. 252 rechtfertigt944. Den subjektiven Tatbestand der Urkundenfälschung gemäss Art.  251 Ziff.  1 Abs.  1 hat das Bundesgericht nicht als erfüllt erachtet, als jemand auf dem Gesuchsformular zur Erteilung eines Lernfahrausweises die Unterschrift der Mutter als gesetzlicher Vertreterin der minderjährigen Bewerberin fälschte, um dieser zu ermöglichen, den Führerausweis raschestmöglich zu erwer­ ben und damit indirekt ihre inskünftige Berufsausübung zu vereinfachen945. Ebenso fällt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Ermöglichung bzw. Erleichterung des Grenzübertritts mittels eines gefälschten fremden­ 940  Vgl. Uehlinger, 98 ff. 941  BGE 98 IV 59, zustimmend Boog, BSK StGB II, N 16 zu Art. 252, Dupuis u.a., Code

pénal, N 20 zu Art. 252, Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 252, Trechsel/Erni, N 7 zu Art. 252, kritisch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 7. 942  Vgl. vorn § 37 Ziff. 3.22. 943  BGE 101 IV 205 f., 111 IV 26. 944  Boog, BSK StGB II, N 16 zu Art. 252, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 7 zu Art. 252, nunmehr auch BGer vom 6.8.2014, 6B_346/2014, Erw. 2.4. 945  BGE 111 IV 26.

170

§ 38  Fälschung von Ausweisen (Art. 252)

polizeilichen Ausweises unter Art.  252946. Weiter hat das Bundesgericht die Eröffnung eines Wertschriftendepots zur Einzahlung betrügerisch erlang­ ter Gelder947 sowie die mit der Fälschung bezweckte Selbstbegünstigung des Täters zur Anwendung von Art.  252 genügen lassen948, obschon es Vorteile der letzterwähnten Art ansonsten in ständiger Rechtsprechung als unrecht­ mässig erachtet949. Demgegenüber hat das Bundesgericht die Anwendbarkeit von Art. 252 in zwei Fällen abgelehnt und stattdessen nach Art. 251 bestraft, in denen es um die Erhöhung des Geschäftsumsatzes bzw. die Erfüllung von Agentenaufträgen ging950. In der Tat kann das entscheidende Kriterium für die Anwendbarkeit von Art. 252 nur darin erblickt werden, dass die mit der illegalen Fälschung oder dem Gebrauch von Ausweisschriften, Zeugnissen und Bescheinigungen mit Urkundenqualität angestrebte Besserstellung im Gegensatz zu Art. 251 für sich alleine betrachtet nicht unrechtmässig ist. Die Anwendung des privilegierten Tatbestandes gemäss Art. 252 ist somit nur dann gerechtfertigt, wenn der Täter durch die Fälschung der erwähnten Schriften den Zugang zu legalen Chancen anstrebt951. Dies gilt etwa für denjenigen, welcher aufgrund einer gefälschten Referenz oder eines verfälschten Zeugnisses den anderen Bewerbern um eine Arbeitsstelle oder Wohnung vorgezogen wird, ein privates Stipendium oder Darlehen für seine Ausbildung erhält, nicht aber für denjenigen, welcher mit einem verfälschten Ausweis Zutritt zu einer Veranstaltung oder eine andere Leistung erlangt, die ihm sonst gar nicht zugänglich wäre952. Gleiches wird für die Einräumung einer dem Täter nicht zustehenden Ver­ günstigung gelten.

3.

Missbrauch echter Schriften

Nach Art.  252 Abs.  4 macht sich auch strafbar, wer «echte, nicht für ihn bestimmte Ausweisschriften, Zeugnisse oder Bescheinigungen zur Täuschung 946  BGE 117 IV 175. 947  BGE 99 IV 126. 948  BGE 98 IV 58. 949  BGE 74 IV 56, 76 IV 106 f., 101 IV 205, 118 IV 260. 950  BGE 70 IV 123, 101 IV 205 f. 951  Vgl. BGE 111 IV 26, PKG 1991 Nr. 14, Boog, BSK StGB II, N 16 zu Art. 252, Corboz, Vol.

II, N 20 zu Art. 252, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 7 zu Art. 252, Uehlinger, 149 ff., kritisch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 7. 952  So aber der in BGE 111 IV 26 aus SJZ 65 (1969) 351 zitierte Entscheid betr. Kinobesuch durch einen Jugendlichen unter dem Mindestalter.

171

§ 38  Fälschung von Ausweisen (Art. 252)

missbraucht». Es geht hier um eine blosse Falschlegitimation, welche das Gesetz inkonsequenterweise im Zusammenhang mit den ganz anders gearteten Fäl­ schungsdelikten mit Strafe bedroht. Die tatbestandsmässige Handlung besteht darin, dass der Täter eine für jemand anderen bestimmte Schrift der genannten Art gegenüber einem Dritten verwen­ det und dabei ausdrücklich oder konkludent vorgibt, diese sei auf ihn selber ausgestellt. Dass der Dritte sich dadurch wirklich täuschen lässt, wird für die Vollendung des Tatbestandes nicht gefordert. Subjektiv muss der Täter auch in Abs.  4 in der Absicht handeln, «sich oder einem anderen das Fortkommen zu erleichtern», wofür auf die Ausführungen unter Ziff. 2.2 hiervor verwiesen werden kann. Als unlogisch erscheint aller­ dings, dass der Missbrauch einer nicht dem Täter zustehenden echten Aus­ weisschrift oder Bescheinigung mit Urkundencharakter zwar dann strafbar wäre, wenn er damit ausschliesslich eine Erleichterung seines Fortkommens beabsichtigt (Art. 252 Abs. 4), nicht aber dann, wenn er darüber hinausgehend einen unrechtmässigen Vorteil anstrebt953.

4. Konkurrenzen Die Fälschung und der irreführende Gebrauch von unechten bzw. unwahren Ausweisschriften, Zeugnissen und Bescheinigungen ist stets nach Art. 251 zu ahnden, wenn der Täter jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten schädigen will oder einen über die Erleichterung des Fortkommens hinausge­ henden unrechtmässigen Vorteil anstrebt954. Im Verhältnis zu SVG Art. 97 (Missbrauch von Ausweisen und Schildern im Strassenverkehr) gelangt Art. 252 nur dann ausschliesslich bzw. zusätzlich zur Anwendung, wenn das betreffende Verhalten überhaupt nicht oder nur teil­ weise von einem der Tatbestände von SVG Art.  97 erfasst wird955. Die Fäl­ schung von Führerausweisen fällt unter Art. 252956. Da die Urkundendelikte

953  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 7, sehen darin den Grund dafür, dass das Bundesge­

richt in den vorher erwähnten Entscheiden Art. 252 auch auf eine widerrechtliche Bes­ serstellung des Täters anwendete. 954  BGE 70 IV 121, 81 IV 287, 101 IV 177, 205 f., 111 IV 26, Boog, BSK StGB II, N 38 zu Art. 252, Corboz, Vol. II, N 27 ff. zu Art. 252, Dupuis u.a., Code pénal, N 24 zu Art. 252. 955  Dazu im Einzelnen Uehlinger, 176 ff., vgl. auch Boog, BSK StGB II, N 22 zu Art. 252. 956  BGE 111 IV 27 f.

172

§ 39  Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253)

gemäss alt ANAG Art. 24 nicht in das geltende AuG übernommen worden sind, stellt sich die entsprechende Konkurrenzproblematik nicht mehr957.

§ 39 Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter §  36, B. Paoletto, Die Falschbeurkundung beim Grund­ stückkauf, Diss. Zürich 1997, C.-N. Robert, Erschleichen einer falschen Beurkundung, SJK 1985 Nr. 65.

Art.  253 (Erschleichung einer falschen Beurkundung/Obtention frauduleuse d’une constatation fausse/Conseguimento fraudolento di una falsa attestazione/ Fraudulently obtaining a false certification) enthält in Abs. 1 einen Spezialfall der mittelbaren Falschbeurkundung958 durch Täuschung eines Beamten oder einer Person öffentlichen Glaubens, in Abs. 2 den dazugehörenden Fall, dass jemand von der dadurch erschlichenen unwahren Urkunde Gebrauch macht.

1.

Erschleichung einer Falschbeurkundung (Abs. 1)

Strafbar macht sich, «wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrich­ tig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt».

1.1

Objektiver Tatbestand

Die tatbestandsmässige Handlung entspricht im Wesentlichen dem «Beurkun­ den lassen» nach Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2. Der objektive Tatbestand von Art. 253 Abs. 1 zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter einen Beamten i.S. von Art. 110 Abs. 3959 oder eine Person öffentlichen Glaubens angeht. Personen öffentlichen Glaubens sind staatlich zur Aus­ stellung öffentlicher Urkunden ermächtigte Privatpersonen, wie sie v.a. Kan­ tone mit privatem Notariat kennen960. Der Begriff der öffentlichen Urkunde 957  Vgl. dazu BGE 117 IV 174 zu alt ANAG Art. 23. 958  Vgl. hierzu § 37 Ziff. 2.22. 959  Zum Begriff des Beamten vgl. § 92 Ziff. 2.1. 960  Z.B. Basel, Bern, Graubünden, Zug.

173

§ 39  Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253)

ist in Art. 110 Abs. 5 definiert und umfasst ausser öffentlich zu beurkunden­ den zivilrechtlichen Geschäften sämtliche weiteren Schriftstücke, die von einer Behörde, einem Beamten oder einer Person öffentlichen Glaubens kraft ihrer staatlichen Autorisation zu Beweiszwecken ausgestellt werden. Die Tathandlung besteht darin, dass eine inhaltlich unwahre Beurkundung rechtlich erheblicher Tatsachen durch Täuschung des zur Beurkundung Beru­ fenen bewirkt wird. Hierfür bedarf es keines arglistigen Vorgehens, sondern einer blossen Irreführung, welche in einfachen Falschangaben gegenüber der Urkundsperson bestehen kann961. Diese muss kraft ihres Amtes zur Ausstel­ lung der betreffenden Urkunde ermächtigt sein. Da Art.  253 Abs.  1 eine «Täuschung» der Urkundsperson voraussetzt, darf diese ihrerseits nicht im Wissen um die Unwahrheit der von ihr beglaubigten Erklärung handeln. Handelt die Urkundsperson mit Vorsatz, so kann derje­ nige, welcher die Falschbeurkundung bewirkt hat, nur als Anstifter zu der vom Funktionär begangenen Falschbeurkundung im Amt nach Art. 317 Ziff. 1 zur Verantwortung gezogen werden962. Fehlt der Urkundsperson jedoch der Vor­ satz, so macht sie sich selber immerhin wegen fahrlässiger Falschbeurkundung nach Art. 317 Ziff. 2 strafbar, wenn sie die Unwahrheit der von ihr zu beglaubi­ genden Umstände aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit verkannt hat963. Der Tatbestand von Art. 253 wird beispielsweise erfüllt durch Angabe eines zu nied­ rigen Preises beim Grundstückkauf 964, durch unwahre Angaben über Einlagen bei der Gründung einer Aktiengesellschaft965, Vorgabe unrichtiger Eigentumsverhältnisse an einem Flugzeug bei dessen Anmeldung zur Eintragung im Luftfahrzeugregister966, Erwirkung der Ausstellung von Ausweisen durch Angabe unrichtiger Personalien967, Veranlassung der Beurkundung gültiger Universalversammlungen und der Eintragung der gefällten Beschlüsse zweier Aktiengesellschaften ins Handelsregister durch ein materiell nicht berechtigtes Organ unter Vorweisung aller Inhaberaktien der Gesell­ schaften968, in Versuchsform auch durch Anmeldung der ungültigen Wahl eines Ver­ waltungsrates beim Handelsregister969 oder durch die unwahre Angabe bei einer Kapi­ 961  Vgl. BGE 100 IV 242 f., 101 IV 61 f., 146 ff., 123 IV 138 ff., vgl. auch BGE 119 IV 322 ff. 962  Vgl. hierzu hinten § 122 Ziff. 1. 963  Vgl. hierzu hinten § 122 Ziff. 2. 964  Vorn § 36 Ziff. 2.21, vgl. auch RS 2001 Nr. 145. 965  BGE 81 IV 243 ff., 101 IV 61 f., 146 ff., BGer vom 16.6.2014, 6B_134/2014, Erw. 3.5., vgl.

auch RS 1996 Nr. 71.

966  BGE 97 IV 213 ff. 967  BGE 101 IV 306 ff. (mit dem Zweck, verbotenen Nachrichtendienst zu betreiben). 968  BGE 123 IV 132 ff. 969  BGE 120 IV 207.

174

§ 39  Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253) talerhöhung, die Barliberierung sei erfolgt, obwohl der Geldbetrag von vornherein im Anschluss an die Gründung an den Einzahler zurückgegeben werden sollte970. Verneint worden ist der Tatbestand mangels einer «Beurkundung»971 etwa bei der Erwirkung einer Jagdbewilligung durch falsche Angaben972 oder hinsichtlich der Anerkennung vorgetäuschter Forderungen durch den Konkursiten bei Erstellung des Kollokations­ plans973.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Unter diesem Gesichtspunkt ist neben dem Vorsatz des Täters Täuschungsabsicht erforderlich. Eventualvorsatz genügt. Somit genügt es, wenn der Täter mit der Möglichkeit der Unwahrheit rechnet und eine falsche Beurkundung durch den Beamten in Kauf nimmt974. Besondere Absichten muss der Täter mit sei­ nem Tun im Gegensatz zu Art. 251 Ziff. 1 nicht verfolgen.

2.

Gebrauch erschlichener Urkunden (Abs. 2)

Nach dieser Bestimmung wird bestraft, wer eine i.S. von Art. 253 Abs. 1 erschli­ chene Urkunde gebraucht, «um einen andern über die darin beurkundete Tat­ sache zu täuschen». Der objektive Tatbestand entspricht trotz der etwas genau­ eren Formulierung jenem von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3, sodass diesbezüglich auf die zu diesem Tatbestand gemachten Ausführungen verwiesen werden kann975.

3.

Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen

Nach Art. 253 Abs. 2 kann nur bestraft werden, wer sich nicht schon wegen der Erschleichung der unwahren Urkunde nach Abs. 1 strafbar gemacht hat976. Lässt sich das Verhalten unter Art. 253 Abs. 1 subsumieren und gebraucht der Täter anschliessend die betreffende Urkunde, so tritt Art. 253 Abs. 2 als mitbestrafte Nachtat977 hinter den Grundtatbestand zurück.

970  Vgl. BGer vom 19.6.2000, 6S.213/1998, Erw. 3. 971  Vgl. hierzu vorn § 36 Ziff. 2.2. 972  BGE 80 IV 115 ff. 973  BGE 105 IV 105 f. 974  BGE 120 IV 207. 975  § 37 Ziff. 2.3. 976  BGE 100 IV 243. 977  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 38 Ziff. 2.42.

175

§ 40  Unterdrückung von Urkunden (Art. 254)

Im Verhältnis zu Art. 251 geht Art. 253 vor, und dies auch dann, wenn der sub­ jektive Tatbestand von Art. 251 vollständig erfüllt ist978. Sofern der Eintrag eine rechtlich erhebliche Tatsache betrifft, geht Art. 253 dem Tatbestand gemäss Art. 153 vor979. Betrügerischer Konkurs oder Pfändungsbetrug gemäss Art. 163 Ziff. 1 konsu­ miert die durch Täuschung des Konkursamtes begangene Erschleichung einer Falschbeurkundung nach Art. 253980. Das Erschleichen einer falschen Beurkundung zur Umgehung kantonaler Steu­ ervorschriften ist jedenfalls dann zusätzlich nach Art. 253 Abs. 1 zu bestrafen, wenn der Täter eine Verwendung der Urkunde im nicht fiskalischen Bereich zumindest in Kauf genommen hat981.

§ 40 Unterdrückung von Urkunden (Art. 254) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 36.

Der Tatbestand von Art.  254 (Unterdrückung von Urkunden/Suppression de ­titres/​Soppressioni di documento/Suppression of documents) Abs. 1 schützt die Verwendbarkeit von Urkunden zu Beweiszwecken. Abs.  2 erklärt die Tat zu einem Antragsdelikt, wenn sie sich gegen Angehörige oder Familiengenossen richtet. Daraus wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber dieses Urkundendelikt ausschliesslich als Straftat gegen Individualinteressen betrachtet.

1.

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand wird dadurch verwirklicht, dass jemand «eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf, beschädigt, vernichtet, bei­ seiteschafft oder entwendet». Angriffobjekte sind Urkunden i.S. von Art. 110 Abs. 4982. Sie können auch unwahr sein, sofern sie ihrerseits – wie Belege für eine kaufmännische Buchhaltung – Bestandteil einer anderen Urkunde sind983. 978  Boog, BSK StGB II, N 30 zu Art. 253, Corboz, Vol. II, N 20 zu Art. 253, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 37 N 24.

979  Weissenberger, BSK StGB II, N 11 zu Art. 152. 980  BGE 105 IV 105 f. 981  BGE 117 IV 183 f. 982  Vgl. hierzu vorn § 36. 983  BGE 118 IV 40.

176

§ 40  Unterdrückung von Urkunden (Art. 254)

Die Urkunde selbst muss jedoch echt sein, ansonsten ihr Beweiswert keinen Schutz verdient984. Für die Verfügungsberechtigung ist nicht das Eigentum an der Schrift bzw. an deren Träger massgebend, sondern die Befugnis, von ihrer Funktion als Beweismittel Gebrauch zu machen985. Das bedeutet praktisch, dass der Tatbe­ stand auch vom Eigentümer der Urkunde selber erfüllt werden kann, sofern ein anderer in der genannten Weise an der Urkunde berechtigt ist986. Zu weit gehend lässt es das Bundesgericht sogar genügen, wenn an der Urkunde nie­ mand ausser der Eigentümer berechtigt ist, diesen aber eine gesetzliche Pflicht zu ihrer Aufbewahrung trifft987. Die tatbestandsmässige Handlung des «Beschädigens» erfordert eine derart weit gehende Beeinträchtigung der Schrift, dass diese nicht mehr zum Beweis gebraucht werden kann; eine Voraussetzung, die im Fall des «Vernichtens» stets gegeben ist. «Entwenden» (zutreffend wäre «wegnehmen») stellt bloss einen Fall des «Beiseiteschaffens» dar. Hierunter versteht die bundesgericht­ liche Praxis, dass der Täter dem Berechtigten den Gebrauch der Urkunde als Beweismittel verunmöglicht, indem er sie seinem Zugriff entzieht oder diesen zumindest erheblich erschwert988. Das kann geschehen, indem der Täter die Urkunde in eigenen Gewahrsam nimmt oder sie im Herrschaftsbereich des Berechtigten versteckt989. Dagegen genügt es nicht, wenn jemand dem Berech­ tigten die Urkunde bloss vorenthält, d.h. eine ihn treffende Pflicht zur Her­ ausgabe oder zur sofortigen Weiterleitung an die betriebsintern zuständige Stelle missachtet990. Die Schrift muss nicht endgültig beiseite geschafft wer­ den. Schon ihr vorübergehender Entzug erfüllt zumindest dann den Tatbe­ stand von Art. 254 Abs. 1, wenn die Urkunde vom Berechtigten zu Beweiszwe­ cken im betreffenden Zeitraum benötigt wird991. Allein im Umstand, dass der Inhaber der Urkunde seiner rechtlich durchsetzbaren Herausgabepflicht nicht

984  Boog, BSK StGB II, N 5 zu Art. 254, Kohlbacher, 94, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37

N 28; a.M. Corboz, Vol II, N 2 zu Art. 254, Dupuis u.a., Code pénal, N 4 zu Art. 254.

985  Vgl. BGE 96 IV 168 f. 986  So z.B. wenn jemand die auf ihn ausgestellten Papiere eines von ihm bloss «geleasten»

Wagens vernichtet.

987  BGE 96 IV 168 f., kritisch dazu auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 29. 988  BGE 90 IV 135 f., 100 IV 26, 113 IV 70. 989  Vgl. BGE 100 IV 26 betr. Verwahren einer Urkunde im Pult am Arbeitsplatz. 990  BGE 90 IV 135, 113 IV 71. 991  Vgl. BGE 90 IV 135 f., 113 IV 71.

177

§ 40  Unterdrückung von Urkunden (Art. 254)

bzw. zu spät nachkommt, liegt kein Entziehen im Sinne dieses Tatbestands992. In allen Fällen bleibt es unerheblich, ob der Berechtigte noch über ein Doppel der ihm gegenüber unterdrückten Urkunde verfügt oder den Beweis für den darin bezeugten Sachverhalt anderweitig zu erbringen vermag. Bei Computerurkunden kommen als tatbestandsmässige Handlungen insbe­ sondere das Löschen oder Verändern von Daten infrage sowie andere Eingriffe, die ein Verschwinden oder Verstecken von registrierten Daten zur Folge haben und dem Berechtigten deren Gebrauch zu Beweiszwecken verunmöglichen993.

2.

Subjektiver Tatbestand

Ausser dem Vorsatz ist wie bei der Urkundenfälschung nach Art. 251 die Absicht des Täters erforderlich, «jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten zu schädigen oder sich oder einem anderen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen». In dieser Hinsicht wird auf die Ausführungen zu jenem Tatbe­ standsmerkmal994 verwiesen. Immerhin sei auch an dieser Stelle angemerkt, dass nach der Praxis schon die Unterdrückung einer Urkunde zur beabsichtig­ ten Vertuschung einer vom Täter verübten Straftat dem erforderlichen subjek­ tiven Unrechtselement entspricht995. Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal muss stets auch die Absicht gegeben sein, dem Berechtigten die Beweisführung mit der Urkunde zu verunmögli­ chen996. Der in Art. 254 vorausgesetzte widerrechtliche Vorteil muss sich dem­ nach aus dem Umstand ergeben, dass diese dem Berechtigten entzogen wor­ den ist997.

992  Boog, BSK StGB II, N 7 zu Art. 254, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 30. 993  Boog, BSK StGB II, N 12 zu Art. 254 m.w.H. 994  Vgl. dazu § 37 Ziff. 3.2. 995  BGE 96 IV 169. 996  BGE 87 IV 19 f., vgl. BGE 73 IV 188. 997  BGE 87 IV 19 f., Boog, BSK StGB II, N 14 zu Art. 254, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37

N 32.

178

§ 40  Unterdrückung von Urkunden (Art. 254)

3.

Privilegierter Tatbestand

Gemäss Art. 254 Abs. 2 wird die Unterdrückung einer Urkunde zum Nachteil eines daran berechtigten Angehörigen oder Familiengenossen i.S. von Art. 110 Abs. 1 und 2 nur auf Antrag verfolgt998.

4.

Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen

Für die Abgrenzung zu den Aneignungsdelikten ist der subjektive Tatbestand massgebend. Wird eine Urkunde ihrem Eigentümer weggenommen oder sonst wie entzogen, kann dies Diebstahl, allenfalls auch Veruntreuung darstellen, v.a. wenn es sich um Wertpapiere oder Sparhefte handelt999. Die nötige Abgren­ zung von Art. 254 zu den Vermögensdelikten ergibt sich aus dem subjektiven Tatbestand. Während der widerrechtliche Vorteil, auf den es der Täter abge­ sehen hat, bei den Art. 137 ff. jedenfalls in der Aneignung besteht, liegt die­ ser Vorteil bei der Urkundenunterdrückung demgegenüber darin, dass dem Berechtigten der Gebrauch der Urkunde zur Beweisführung entzogen wird1000. Art. 254 ist deshalb nur dann anwendbar, wenn der Täter die Schrift gewollt als Beweismittel entzieht und davon profitieren will, dass sie dem Berechtig­ ten entzogen ist, also weder Aneignungswille noch Bereicherungsabsicht vor­ liegen1001. Urkundenunterdrückung geht als lex specialis der Sachentziehung nach Art. 141 grundsätzlich vor. Werden durch das Verhalten des Täters indessen weitere, über Art. 254 hinausgehende und nach Art. 141 strafbare Rechte tan­ giert, ist von echter Konkurrenz auszugehen1002. Im Falle des Vernichtens und Beschädigens einer Urkunde ist angesichts der unterschiedlichen verletzten Rechtsgüter echte Konkurrenz mit Sachbeschädi-

 998 Vgl. zu dieser Regelung die entsprechenden Bestimmungen bei den Eigentumsdelik­

ten und bei Betrug, Strafrecht III, § 6 Ziff. 2.22.

 999 Vgl. BGE 72 IV 118, 87 IV 18 ff. 1000  BGE 87 IV 18 f. 1001  BGE 73 IV 187 f., vgl. BGE 87 IV 18 f. In BGE 114 IV 136 f. und 116 IV 191 f. wäre

demnach richtigerweise Urkundenunterdrückung statt Veruntreuung anzunehmen gewesen. 1002  Boog, BSK StGB II, N  28 zu Art.  254, Corboz, Vol. II, N  9 zu Art.  253, Dupuis u.a., Code pénal, N 16 zu Art. 254, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 35, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 8 zu Art. 254.

179

§ 41  Grenzverrückung (Art. 256)

gung nach Art. 144 anzunehmen1003. Entsteht durch die Unterdrückung eines Bestandteils eine unwahre Gesamturkunde (z.B. im Rahmen der kaufmänni­ schen Buchhaltung), ist echte Konkurrenz zwischen Art.  251 und Art.  254 anzunehmen1004.

§ 41 Grenzverrückung (Art. 256) 1.

Objektiver Tatbestand

Strafbar ist, wer «einen Grenzstein oder ein anderes Grenzzeichen besei­ tigt, verrückt, unkenntlich macht, falsch setzt oder verfälscht». Schutzob­ jekt von Art.  256 (Grenzverrückung/Déplacement de bornes/Rimozione di termini/Moving of boundary markers) sind nicht nur künstliche Grenzzeichen zur Markierung des Grundeigentums (Steine, Pfähle, Hecken etc.), sondern auch natürliche Zeichen wie z.B. Wasserläufe oder Gräben. Erfasst sind hiermit jedoch nur private Markierungen zur Abgrenzung von Grundstücken unterein­ ander; die Verrückung staatlicher Grenzzeichen wird durch Art. 268 erfasst1005.

2.

Subjektiver Tatbestand

Wie bei der Urkundenfälschung nach Art. 251 wird die Strafbarkeit subjektiv an den Vorsatz sowie die Absicht geknüpft, «jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmäs­ sigen Vorteil zu verschaffen»1006.

3.

Verhältnis zu anderen Urkundendelikten

Das falsche Setzen und die Verfälschung eines Grenzzeichens liessen sich u.U. auch als Falschbeurkundung mittels eines Beweiszeichens bzw. Fälschung eines solchen nach Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 auffassen, die Beseitigung und das Unkenntlichmachen als Unterdrückung eines solchen Zeichens nach Art. 254. 1003  Ebenso Boog, BSK StGB II, N 30 zu Art. 254, Dupuis u.a., Code pénal, N 18 zu Art. 252,

Stratenwerth/Bommer, BT II, §  37 N  35, differenzierend Trechsel/Erni, in: Trechsel/ Pieth, N 8 zu Art. 254, a.M. Corboz, Vol II, N 9 zu Art. 254. 1004  Vgl. BGE 118 IV 40, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 28, Trechsel/Erni, in: Trech­ sel/Pieth, N 8 zu Art. 254. 1005  Dazu hinten § 72. 1006  Vgl. hierzu § 37 Ziff. 3.2.

180

§ 42  Beseitigung von Vermessungs- und Wasserstandszeichen (Art. 257)

Doch geht Art. 256 als der speziellere Tatbestand Art. 251 sowie Art. 254 vor. Lediglich der vom Tatbestand der Grenzverrückung nicht erfasste Fall, dass jemand das von einem anderen angebrachte falsche Grenzzeichen zur Täu­ schung eines Dritten verwendet, ist nach Art.  251 Ziff.  1 Abs.  3 zu beurtei­ len1007.

§ 42 Beseitigung von Vermessungs- und Wasserstandszeichen (Art. 257) 1.

Objektiver Tatbestand

Er besteht darin, dass jemand «ein öffentliches Vermessungs- oder Wasser­ standszeichen beseitigt, verrückt, unkenntlich macht oder falsch setzt» (Beseitigung von Vermessungs- und Wasserstandszeichen/Déplacement de signaux trigonométriques ou limnimétriques/Soppressione di segnali trigonometrici e limnimetrici/Removal of survey points and water level indicators). Im Gegensatz zu Art. 256 werden Markierungen geschützt, die der Erstellung von Bodenplänen und Landkarten dienen, wobei der Fall des Verfälschens fehlt. Ohne praktische Bedeutung ist heute die Verrückung eines Wasserstandszeichens, mit dem der Gesetzgeber ursprünglich Markierungen zur Feststellung des Umfangs einer Wasserberechtigung meinte1008. Geräte zur Aufzeichnung des Pegelstandes und sogenannte Hochwassermar­ ken dienen nicht der Feststellung rechtserheblicher Tatsachen und erfahren deshalb keinen strafrechtlichen Schutz.

2.

Subjektiver Tatbestand

Im Gegensatz zu den anderen Urkundendelikten reicht bei Art. 257 der Vorsatz aus. Besondere Absichten sind nicht erforderlich, da in diesem Fall nur öffent­ liche Interessen auf dem Spiel stehen.

3.

Verhältnis zu den anderen Urkundendelikten

Im Allgemeinen geht Art. 257 als lex specialis den Art. 251 und 254 vor. Diese Bestimmungen müssen indessen ausschliesslich Anwendung finden, wenn 1007  SJZ 53 (1957) 349. 1008  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 37 N 43.

181

§ 42  Beseitigung von Vermessungs- und Wasserstandszeichen (Art. 257)

das Vermessungszeichen – das ein Beweiszeichen darstellt – in einer der dort genannten besonderen Absicht beseitigt, verrückt, unkenntlich gemacht oder falsch gesetzt wird.

182

§ 43 Einleitung

12. Titel

Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden (Art. 258–263)

§ 43 Einleitung Literaturauswahl: G. Fiolka/M. A. Niggli, Strafrechtlicher Schutz von Religionsgemeinschaften im reellen und virtuellen Raum, in: Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nach schweizerischem Recht, hrsg. von R. Pahud de Mortanges/E. Tanner, Zürich 2005, 705 (zit. Fiolka/ Niggli, Religionsgemeinschaften).

Gemeinsam ist den im 12. Titel zusammengefassten Bestimmungen nur, dass diese sich nicht ohne Weiteres einem der vorausgehenden Titel zuordnen lies­ sen1009. Auf eine Störung des «öffentlichen Friedens», verstanden als Vertrauen der Öffentlichkeit in ein geschütztes friedliches Zusammenleben, beziehen sich unmittelbar nur die drei ersten Bestimmungen. Für die anderen Bestim­ mungen gilt, dass diese, wie zahlreiche Artikel in anderen Titeln des StGB auch, den «öffentlichen Frieden» allenfalls indirekt schützen. Der «öffentliche Frie­ den», der grundsätzlich durch jede Straftat berührt wird1010, stellt nach alledem kein selbständiges Rechtsgut dar1011. Andererseits sind die Art. 258–263 nicht als abschliessende Regelung von Delikten gegen die öffentliche Ruhe, Sicher­ heit und Ordnung zu erachten. Die Kantone sind gemäss Art. 335 Abs. 1 befugt, entsprechende ergänzende Übertretungstatbestände zu schaffen1012. Der früher ebenfalls im 12. Titel des StGB enthaltene Tatbestand der Tierquä­ lerei (alt Art. 264) ist durch das BG über den Tierschutz vom 16. Dezember 20051013 aufgehoben und durch die Strafbestimmungen in Art. 26 dieses Erlas­ ses ersetzt worden.

1009  Stratenwerth/Bommer, BT II, vor § 38 N 2, Vest, N 3 vor Art. 258. 1010  Vgl. auch Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 707, Stratenwerth/Bommer, BT II,

vor § 38 N 1, Vest, N 2 vor Art. 258.

1011  Fiolka, BSK StGB II, N 7 zu Art. 258, vgl. auch Vest, N 2 ff. vor Art. 258. 1012  BGE 71 IV 104, 117 Ia 475. 1013  SR 455.

183

§ 44  Schreckung der Bevölkerung (Art. 258)

§ 44 Schreckung der Bevölkerung (Art. 258) Literaturauswahl: S.  Heimgartner, Amokdrohung bei «Freunden» auf facebook  – keine Schre­ ckung der Bevölkerung?, jusletter 6. Juli 2015; T. Murmann/S. Roth, Bemerkungen zu BGer, Urteil vom 8. April 2015 i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich – 6B_256/2014, fp 2015, 200.

Strafbar macht sich nach dieser Bestimmung (Schreckung der Bevölkerung/ Menaces alarmant la population/Pubblica intimidazione/Causing fear and alarm among the general public), wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt. Rechtsgut der Norm ist das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung1014.

1.

Objektiver Tatbestand

«Androhen» setzt voraus, dass der Täter eine Gefahr für die im Gesetz genann­ ten Rechtsgüter in Aussicht stellt und dabei mindestens sinngemäss zu ver­ stehen gibt, dass er auf die Herbeiführung jener Gefahr Einfluss hat1015. Es reicht aus, dass die Androhung ernst gemeint erscheint; dies kann auch dann der Fall sein, wenn der Täter gar nicht in der Lage ist oder nicht beabsich­ tigt, die Gefahr herbeizuführen1016. Von «Vorspiegeln» ist auszugehen, wenn der Täter eine bereits bestehende Gefahr schildert, die nach seinem Wissens­ stand nicht besteht1017. Eigenständige Bedeutung hat die Alternative des Vor­ spiegelns einer Gefahr in den Fällen, in denen der Täter die Bevölkerung mit­ tels Meldung über ihr angeblich drohende Gefahren, die von Drittpersonen oder Katastrophen ausgehen, warnt1018. Nicht erfasst ist, wer die Öffentlichkeit bloss vor tatsächlichen, seiner Beherrschung entzogenen Gefahren warnt1019.

1014  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 2, Vest, N 1 zu Art. 258, vgl. auch Fiolka, BSK StGB

II, N  5  ff., 10 zu Art.  258: Geschützt sei auch das Interesse daran, Fehlallokationen gesellschaftlicher und materieller Ressourcen möglichst zu vermeiden. 1015  Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 258, Fiolka, BSK StGB II, N 13 zu Art. 258, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 258, Vest, N 6 zu Art. 258. 1016  Fiolka, BSK StGB II, N 14 zu Art. 258, Vest, N 6 zu Art. 258. 1017  Fiolka, BSK StGB II, N 15 zu Art 258, Vest, N 9 zu Art. 258. 1018  Vgl. Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 258, Vest, N 10 zu Art. 258. 1019  Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 258, vgl. auch Fiolka, BSK StGB II, N 16 zu Art. 258 sowie Vest, N 10 zu Art. 258, wo allerdings die innere mit der äusseren Tatseite vermengt wird.

184

§ 44  Schreckung der Bevölkerung (Art. 258)

Die Androhung oder Vorspiegelung der Gefahr muss die Bevölkerung1020 in Schrecken versetzen. Unter «Bevölkerung» darf nicht die Gesamtheit der Ein­ wohner eines Gebietes verstanden werden. Es genügt, wenn eine grössere Zahl von Personen betroffen ist, wie etwa – je nach den Adressaten der Drohung – Angehörige bestimmter Gemeinden, Konfessionen, Rassen, Parteien oder bestimmter Bevölkerungsschichten1021, wobei es nicht erforderlich ist, dass die gesamte Gruppe in Schrecken versetzt wird1022. Erfasst sind z.B. Todesdrohun­ gen, die sich gegen die Sozialarbeiter einer bestimmten Stadt richten1023. Als «Bevölkerung» ist nach BGE 141 IV 219 aber auch eine Gruppe von Personen aufzufassen, die sich als Repräsentanten der Allgemeinheit «eher zufällig und kurzfristig gleichzeitig an einem bestimmten Ort befinden, beispielsweise in einem Kaufhaus, in einem öffentlichen Verkehrsmittel oder in einem Sportsta­ dion», nicht aber eine Gruppe von Facebook-Freunden1024. Ein Versetzen in «Schrecken» liegt bereits dann vor, wenn die Betroffenen sich bedroht fühlen, d.h. ernsthaft von einer Gefahr für ihre Rechtsgüter ausge­ hen1025. Angesichts der ratio der Norm wird man allerdings nicht jede ange­ drohte Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum als ausreichend ansehen können. Erforderlich ist, dass die Gefahr sich dazu eignet, die Bevölkerung in Schre­ cken zu versetzen. Die in Aussicht gestellte Gefahr muss mithin eine gewisse Schwere aufweisen, die sich allerdings generell-abstrakt nicht näher umschrei­ ben lässt, sondern von den Umständen des Einzelfalls abhängt1026. Neben den in der bundesrätlichen Botschaft1027 als Beispiele für vorgespiegelte Gefah­ ren genannten Fällen eines falschen Bombenalarms in einem Flughafenge­ bäude oder einem Warenhaus sind sicherlich auch Katastrophenmeldungen im Radio erfasst1028. Die Bedrohung Einzelner ist geeignet, die Bevölkerung in 1020  Zur Beschränkung des Tatbestands auf die Schreckung der Bevölkerung in der Schweiz

vgl. Vest, N 20 zu Art. 258.

1021  Fiolka, BSK StGB II, N 25 zu Art. 258, Vest, N 16 zu Art. 258. 1022  Fiolka, BSK StGB II, N 27 zu Art. 258, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 5, Trechsel/

Vest, N 1 zu Art. 258, Vest, N 16 zu Art. 258.

1023  BGer vom 3.7.2014, 6B_175/2014, Erw. 2.3.1. 1024  Im Ergebnis zustimmend Murmann/Roth, 101, eher kritisch Heimgartner, Rz. 13 ff.; zur

rechtlich abweichenden Würdigung der Vorinstanz vgl. OGer Zürich vom 25.11.2013, SB130 371, Erw. 2.2.2 ff. 1025  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 258, Fiolka, BSK StGB II, N 28 zu Art. 258, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 38 N 5, Vest, N 16 zu Art. 258. 1026  Vgl. auch Vest, N 11 ff. zu Art. 258. 1027  Botschaft 1991, 1082. 1028  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 4, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 258.

185

§ 44  Schreckung der Bevölkerung (Art. 258)

Schrecken zu versetzen, wenn nach den Umständen mit einer Ausdehnung der Gefahr auf weitere Menschen gerechnet werden muss1029.

2.

Subjektiver Tatbestand

Die Strafbarkeit beschränkt sich auf die vorsätzliche Erfüllung des objektiven Tatbestandes. Der Täter muss dabei seine Drohung zwar nicht wahrmachen wollen, aber mit dem Bewusstsein und Willen handeln, dass sie – wenn auch nur möglicherweise – von einem grösseren Kreis von Menschen zur Kenntnis genommen wird und sie in Schrecken versetzt1030.

3.

Versuch, Konkurrenzen

Strafbarer Versuch liegt vor, wenn die Drohung entweder schon nicht verstan­ den oder entgegen den Erwartungen des Täters nicht ernst genommen wird1031. Art. 258 geht als speziellerer Tatbestand der Drohung nach Art. 180 vor1032. Hin­ gegen findet Art. 285 zusätzlich Anwendung, wenn der Täter mit der Drohung zugleich eine Nötigung von Behörden oder Beamten bezweckt1033. Verwirk­ licht der Täter angekündigte Delikte, so ist er nicht nur derentwegen, sondern auch aufgrund von Art. 258 zu bestrafen, da die Schreckung der Bevölkerung regelmässig einen weiteren Personenkreis betrifft und deshalb nicht als straf­ lose Vortat aufgefasst werden kann1034. Wendet sich jemand mit Falschangaben über angeblich drohende Gefahren an einen Sicherheits- oder Rettungsdienst, namentlich die Polizei, erfüllt er den Tatbestand des falschen Alarms nach Art. 128bis. Eine zusätzliche Verurteilung aufgrund von Art.  258 kommt in Betracht, wenn der Alarm an das angeb­

1029  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 258, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 4, Trechsel/Vest,

N 1 zu Art. 258, Vest, N 17 zu Art. 258, vgl. auch Fiolka, BSK StGB II, N 20 zu Art. 258.

1030  Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 258, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 6, Vest, N 21 zu

Art. 258.

1031  Vest, N 22 zu Art. 258. 1032  Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 258, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 8, Trechsel/Vest,

N 5 zu Art. 258, Vest, N 24 zu Art. 258.

1033  Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 258, Fiolka, BSK StGB II, N 36 zu Art. 258, Vest, N 27 zu

Art. 258.

1034  Fiolka, BSK StGB II, N 39 zu Art. 258, Vest, N 29 zu Art. 258.

186

§ 45  Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259)

lich bedrohte Publikum weiterverbreitet wird und der Täter mindestens damit rechnet1035.

§ 45 Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259) Literaturauswahl: A. Meili/M. Galfano, Medienrechtliche und medienethische Schranen für Online-Leserkommentare, Medialex 2016, 38.

1.

Öffentliche Aufforderung zu einem Verbrechen (Abs. 1 und 1bis)

1.1

Objektiver Tatbestand

Vorausgesetzt wird, dass jemand durch Wort, Schrift, Bild oder Gesten1036 zur Verübung eines Verbrechens i.S. von Art. 10 Abs. 2 auffordert1037. Das Delikt, das sich gegen einzelne Menschen, Gruppen von Personen oder die Allge­ meinheit richten kann1038, muss nicht explizit genannt werden; es genügt, wenn für den unbefangenen Adressaten aus dem Gesamtzusammenhang her­ aus erkennbar ist, auf was für ein Verbrechen der Täter abzielt1039. Im Gegen­ satz zur Anstiftung nach Art. 241040 müssen die zu verübenden Straftaten bei Art. 259 (Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit/Provocation publique au crime ou à la violence/Pubblica istigazione a un crimine o alla violenza/Public instigation to commit a crime or an act of violence) nur der Gattung nach erkennbar sein1041. Der Aufruf zu bestimmten Vorbereitungs­ handlungen reicht dann aus, wenn diese offensichtlich nur zur Begehung von

1035  Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 258, Fiolka, BSK StGB II, N 35 zu Art. 258, Trechsel/Vest,

N 5 zu Art. 258, Vest, N 25 zu Art. 258.

1036  Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 259. 1037  Fiolka, BSK StGB II, N 17 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 11, Vest,

N 12 zu Art. 259.

1038  Fiolka, BSK StGB II, N 16 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 13, Vest,

N 12 zu Art. 259.

1039  BGE 111 IV 153, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 259, Fiolka, BSK StGB II, N 14 zu Art. 259,

Vest, N 12 zu Art. 259.

1040  Vgl. Strafrecht I, § 13 Ziff. 2. 1041  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 14, Vest, N 13 zu Art. 259.

187

§ 45  Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259)

Verbrechen dienen können und damit implizit auch zur Begehung dieser Taten aufgefordert wird1042. Bei der Aufforderung muss es sich um eine Äusserung von gewisser Eindring­ lichkeit handeln, die nach Form und Inhalt geeignet ist, den Willen der Adres­ saten zu beeinflussen1043. Die Aufforderung kann unter einer Bedingung erge­ hen1044. Es reicht also z.B. aus, wenn Anschläge für den Fall der Nichterfüllung einer Forderung in Aussicht gestellt werden. Die Aufforderung muss allerdings eindeutig auf die Verübung von Verbrechen gerichtet sein1045, wobei auch der Kontext zu beachten ist, in dem die Äusserungen gefallen sind1046. Die Aufforderung muss stets öffentlich ergehen. Dies trifft einmal auf Äusse­ rungen zu, die von jedermann zur Kenntnis genommen werden können, wie z.B. solche in Massenmedien, auf verteilten Flugblättern oder auf angeschlage­ nen Plakaten1047. Öffentlich ergeht aber auch schon eine Aufforderung, die sich nur an einen grösseren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhän­ genden Kreis von Personen richtet1048. Mithin genügt es schon, wenn derar­ tige Aufforderungen über soziale Netzwerke (Twitter, Facebook usw.) verbrei­ tet werden1049 oder wenn in einer politischen Versammlung dazu aufgerufen wird, Verbrechen zu begehen. Um eine Aufforderung zur gemeinsamen Ver­ übung solcher Straftaten braucht es sich indessen nicht zu handeln. Nicht erforderlich ist, dass die Aufforderung zur Kenntnis genommen oder der Aufforderung nachgelebt wird1050. Die Tat ist bereits dann vollendet, wenn der Täter die Aufforderung in einer Weise ergehen lässt, die es ermöglicht, dass

1042  Vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 15 zu Art. 259. 1043  BGE 111 IV 152, Kantonsgericht Graubünden vom 9.2.2016, SK2 15 33, Erw. 3b, Cor-

boz, Vol. II, N 1 zu Art. 259, Fiolka, BSK StGB II, N 10 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 14, Vest, N 9 zu Art. 259. 1044  Fiolka, BSK StGB II, N 12 zu Art. 259. 1045  Fiolka, BSK StGB II, N 12 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 14. 1046  Vgl. Kantonsgericht Graubünden vom 9.2.2016, SK2 15 33, Erw. 3c.dd zu Äusserun­ gen eines Bischofs über homosexuelles Verhalten. 1047  BGE 111 IV 153, 130 IV 114, Vest, N 7 zu Art. 259. 1048  BGE 111 IV 154, Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 15, Trechsel/Vest, N 3a zu Art. 259, Vest, N 7 zu Art. 259. 1049  Fiolka, BSK StGB II, N 13 zu Art. 259, Meili/Galfano, 40. 1050  Corboz, Vol. II, N 5 f. zu Art. 259, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 259, Vest, N 4 und 10 zu Art. 259.

188

§ 45  Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259)

ein grösserer Personenkreis davon Kenntnis erhalten kann1051, woran es fehlt, wenn nächtlich angebrachte Plakate alsbald wieder entfernt werden1052. Art.  259 Abs.  1 erfasst Taten, bei denen die öffentliche Aufforderung in der Schweiz begangen werden (Territorialitätsprinzip)1053. Schon nach allgemei­ nen Grundsätzen ist des Weiteren ein Schweizer strafbar, welcher eine Tat nach Art. 259 Abs. 1 im Ausland begeht (aktives Personalitätsprinzip) sowie ein aus­ ländischer Täter, wenn sich seine im Ausland begangene Tat gegen Schwei­ zer richtet (passives Personalitätsprinzip)1054. Gemäss Art. 259 Abs. 1bis ist die öffentliche Aufforderung zum Völkermord (Art. 264) schon dann nach schwei­ zerischem Recht strafbar, wenn der Völkermord, zu dem der Täter im Ausland aufgefordert hat, zumindest teilweise in der Schweiz begangen werden soll1055.

1.2

Subjektiver Tatbestand

In Bezug auf die genannten objektiven Merkmale wird stets Vorsatz gefor­ dert. Dazu gehört v.a., dass der Täter weiss oder mindestens mit der Möglich­ keit rechnet, dass seine Äusserung als Aufforderung zu Verbrechen verstanden wird, und er dies will bzw. in Kauf nimmt. Hingegen braucht sich sein Vorsatz nicht auch darauf zu beziehen, dass die von ihm angeregte Tat wirklich began­ gen werde1056. Keine Kenntnis muss der Täter ferner davon haben, dass das betreffende Delikt ein Verbrechen im technischen Sinne darstellt. Es genügt eine «Parallelwertung in der Laiensphäre»1057, d.h., dass der Täter mit einer erheblichen Strafdrohung rechnet1058.

1051  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 15, Trechsel/Vest,

N 4 zu Art. 259.

1052  Vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 15, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 259, Vest,

N  11 zu Art.  259, a.M. BGE 111 IV 154: «Wie lange diese Möglichkeit in concreto besteht, ist ohne Belang». 1053  Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.2. 1054  Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.62. 1055  Vgl. aber Fiolka, BSK StGB II, N 27 zu Art. 259: Es brauche einen Anknüpfungspunkt nach den Art. 3 ff. 1056  Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 259, Vest, N 19 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 16, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 259. 1057  Vgl. Strafrecht I, § 9 Ziff. 2.311. 1058  Fiolka, BSK StGB II, N 21 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 16, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 259, Vest, N 19 zu Art. 259.

189

§ 45  Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259)

2.

Öffentliche Aufforderung zur Gewalttätigkeit (Abs. 2)

Abs.  2 dehnt die Strafbarkeit nach Abs.  1 auf denjenigen aus, der öffentlich zu einem Vergehen mit Gewalttätigkeit gegen Menschen oder Sachen auffordert. «Vergehen» ist wiederum im technischen Sinne zu verstehen, d.h. als ein Delikt i.S. von Art. 10 Abs. 31059. Unter Gewalttätigkeit ist, wie bei Art. 2601060, die Anwendung von Gewalt im Sinne einer physischen Einwirkung auf Personen oder Sachen zu verstehen, die zu mehr als nur unerheblichen Beeinträchtigungen führt1061. Als Gewalttätig­ keiten gegen Personen kommen zunächst alle Vergehen in Betracht, die schon nach ihrem Tatbestand notwendigerweise oder mindestens regelmässig physi­ sche Einwirkungen auf Menschen in sich schliessen, so etwa Körperverletzung mit Schädigung des Körpers (Art. 122, 123), Nötigung durch Gewalt (Art. 181), Vergewaltigung (Art. 190), gewaltsame Gefangenenbefreiung (Art. 310 Ziff. 1 und 2) oder Gewalt gegen Beamte bzw. Behörden (Art. 285 Ziff. 1 und 2). Dass die Begehung eines Vergehens nach Aufforderung des Täters im konkreten Einzelfall mit Gewalt im weiteren Sinne verbunden wird, reicht demgegenüber nicht1062. Beispiel: Das Blockieren des Eingangs zu einer Räumlichkeit durch sich niedersetzende oder hinlegende Personen und das Verüben von harmlosen Rempeleien kann nicht als Gewalttätigkeit gelten1063.

Versteht man auch die Gewalttätigkeit gegen Sachen als beliebige physische Einwirkung auf Gegenstände, so erfüllt die Aufforderung zu irgendeiner Sach­ beschädigung (Art.  144) den Tatbestand. Erforderlich ist hier allerdings ein «Eingriff in die Substanz», sodass z.B. leicht entfernbare Schmierereien an Gebäuden noch nicht als Gewalttätigkeit gelten können1064.

1059  Fiolka, BSK StGB II, N 18 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 12, Vest,

N 14 zu Art. 259.

1060  Vgl. nachstehend § 46 Ziff. 3. 1061  BGE 103 IV 245 = Pr 67 (1978) Nr. 37, BGE 108 IV 35, 178 f., Vest, N 14 zu Art. 259,

vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 12, der eine Beschränkung auf «eigent­ liche Gewaltakte» befürwortet, ablehnend hierzu de lege lata: Vest, N 18 zu Art. 259. 1062  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 12. 1063  So auch Vest, N 17 zu Art. 259, vgl. aber den zu Art. 260 ergangenen Entscheid BGE 99 IV 217 = Pr 63 (1974) Nr. 125. 1064  Fiolka, BSK StGB II, N  19 zu Art.  259, tendenziell noch restriktiver Vest, N  15 zu Art. 259.

190

§ 46  Landfriedensbruch (Art. 260)

3.

Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen

Fordert jemand in nicht öffentlicher Weise zur Verübung von Verbrechen oder gewalttätigen Vergehen auf, so macht er sich ausschliesslich wegen Anstiftung (Art. 24) zu diesen Taten strafbar. Wer andererseits eine öffentliche Aufforde­ rung zu solchen Delikten damit verbindet, ganz bestimmte Einzelpersonen zur Verübung näher gekennzeichneter Straftaten zu animieren, ist sowohl wegen Anstiftung zu diesen Taten als auch aufgrund von Art.  259 zu bestrafen1065. Erfüllt die öffentliche Aufforderung gleichzeitig die Tatbestandselemente von Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 2, wird Art. 259 konsumiert1066.

§ 46 Landfriedensbruch (Art. 260) Literaturauswahl: K. Bühler, Aufruhr und Landfriedensbruch im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1976, F. Falb, Demonstrationen und Strafrecht, ZStrR 91 (1975) 231, M. Kern, Kommuni­ kationsgrundrechte als Gefahrenvorgaben, Zürich 2012 (Diss. Freiburg 2011), R. Müller Brunner/C. Schlatter, Zuschauen ist kein Landfriedensbruch, plädoyer 1/2013, 11, F. Schürmann, Der Begriff der Gewalt im schweizerischen Strafgesetzbuch, Diss. Basel 1986, H. Vest, Landfrie­ densbruch – Zufallsjustiz gegen Oppositionelle, SJZ 84 (1988) 247, D. Weingärtner, Demonstra­ tion und Strafrecht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum deutschen, niederländischen und schweizerischen Recht, Freiburg i.Br. 1986, D. Wipf, Wider das Aufleben der Urhorde, ZStrR 134 (2016), 265, W. Wohlers, Anmerkung zu Appellationsgericht BS fp 2012, 277, derselbe, Anmer­ kung zu OGer Zürich fp 2012, 331, derselbe, Anmerkung zu OGer Bern fp 2013, 333.

Bestraft wird nach Art.  260 (Landfriedensbruch/Emeute/Sommossa/Rioting), wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit verein­ ten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden. Strafbar ist bereits die Beteiligung an einer derartigen Zusammenrottung als solche, der Verübung von Gewalttätigkeiten kommt nur die Bedeutung einer objektiven Strafbarkeitsbedingung zu1067. Mit der Ausdehnung des Strafbarkeitsbereichs in das Vorfeld des eigentlich rechtsgutsgefährdenden Verhaltens soll den Beweisschwierigkeiten Rechnung 1065  Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 18, Trechsel/Vest,

N 5 zu Art. 259, Vest, N 25 ff. zu Art. 259, differenzierend Fiolka, BSK StGB II, N 32 ff. zu Art. 259. 1066  TPF 2015, 1, Erw. 2.2.3. 1067  BGE 108 IV 36, 124 IV 271, OGer Bern fp 2013, 336, OGer Zürich vom 12.11.201, SB 120 237, Erw. 2.3, OGer Zürich vom 7.6.2012, SB110 765, Erw. 3.2, OGer Zürich vom 29.10.2015, SB150 160, Erw. 4.1, Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 260, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 260, Wipf, 266, Wohlers, fp 2012, 279.

191

§ 46  Landfriedensbruch (Art. 260)

getragen werden, die auftreten können, wenn Straftaten aus einer Menschen­ menge heraus begangen werden1068. Angesichts dessen, dass Beweisschwierig­ keiten allein die Vorverlagerung des Strafbarkeitsbereichs nicht ohne Weiteres zu legitimieren vermögen1069, erscheint eine restriktive Auslegung der Norm geboten, welche den Anwendungsbereich auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen die Teilnahme an der Veranstaltung unter Berücksichtigung der Ver­ sammlungs- und Meinungsfreiheit bereits für sich gesehen als strafwürdiges Unrecht qualifiziert werden kann1070.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Begriff der öffentlichen Zusammenrottung

Nach der Praxis des Bundesgerichts1071 ist unter «Zusammenrottung» eine Menschenansammlung zu verstehen, die nach aussen als vereinte Macht erscheint, und die – wie aus dem Titel sowie der systematischen Stellung von Art. 260 hergeleitet wird – von einer für die Friedensordnung bedrohlichen Grundstimmung getragen ist. Aus wie vielen Personen eine Ansammlung bestehen muss, damit sie als Menge qualifiziert werden kann, ist noch nicht abschliessend geklärt. Während zum Teil eine nicht ohne Weiteres feststellbare Zahl von Menschen verlangt wird1072, soll es nach der h.M. auf den Einzelfall ankommen, wobei dann auch Gruppen von neun Personen als «Menge» erachtet werden können1073.

1068  Zur Entstehungsgeschichte der Norm und zu den aus heutiger Sicht überholten Vor­

stellungen des historischen Gesetzgebers von der Gefährlichkeit von Menschenan­ sammlungen vgl. Wipf, 268 ff.; kritisch gegenüber der im Hinblick auf die Meinungs­ äusserungs-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit problematische Ausweitung des Anwendungsbereich der Strafnorm Pieth, BT, 225. 1069  Vest, N 3 und 36 zu Art. 260. 1070  Vgl. auch Fiolka, BSK StGB II, N 7 f. zu Art. 260, Vest, N 5 f. zu Art. 260. 1071  BGE 103 IV 245, 108 IV 34, 124 IV 270 f., BGer vom 10.6.2014, 6B_863/2013, Erw. 5.4, vgl. auch Appellationsgericht BS fp 2012, 278, OGer Bern fp 2013, 335 f., OGer Zürich vom 12.11.2012, SB120 237, Erw. 2.2, OGer Zürich vom 7.6.2012, SB110 765, Erw. 3.2, Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 260, Fiolka, BSK StGB II, N 11 ff. zu Art. 260, Vest, N 8 zu Art. 260. 1072  Fiolka, BSK StGB II, N 15 zu Art. 260, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 22. 1073  Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 260 m.w.H., vgl. auch Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 260, a.M. Vest, N 10 zu Art. 260.

192

§ 46  Landfriedensbruch (Art. 260)

Belanglos ist, ob sich die Menge spontan oder aufgrund eines Aufrufes zusam­ mengefunden hat, und ob dies zu einem deliktischen Zweck geschehen ist oder nicht1074. Auch eine zunächst friedliche Versammlung kann nach Eintritt eines Stimmungsumschlages eine Zusammenrottung im Sinne des Gesetzes sein1075. Öffentlich ist die Zusammenrottung, wenn sich ihr eine unbestimmte Zahl beliebiger Personen anschliessen kann1076. Dies ist nach Auffassung der Recht­ sprechung auch dann noch der Fall, wenn die Polizei eine Menschenmenge eingekesselt hat1077.

1.2

Strafbare Teilnahme an der Zusammenrottung

Nach Auffassung des Bundesgerichts nimmt an einer Zusammenrottung jeder­ mann teil, der «kraft seines Gehabens derart im Zusammenhang mit der Menge steht, dass er für den unbeteiligten Beobachter als deren Bestandteil erscheint». Es wird nicht vorausgesetzt, dass der Betreffende selber irgendeine «Kampf­ handlung» vornimmt oder sonst wie aktiv die friedensbedrohende Stimmung unterstützt. Es «genügt, dass er sich nicht als bloss passiver, von der Ansamm­ lung distanzierter Zuschauer gebärdet»1078. Die Auslegung des Bundesgerichts kann sich auf Art. 260 Abs. 2 stützen. Diese Bestimmung setzt voraus, dass den Tatbestand von Abs. 1 bereits erfüllt, wer an der Zusammenrottung teilnimmt, ohne zur Gewaltanwendung aufgerufen und damit die friedensbedrohende Haltung auch nur mit Worten gefördert zu haben. Die bundesgerichtliche Auffassung erscheint darüber hinaus auch sachlich gerechtfertigt, da jede in der Menge befindliche Person das Gewicht der von der Ansammlung ausgehenden Friedensbedrohung erhöht. Geboten erscheint allerdings eine Einschränkung: Personen, die ohne oder gegen ihren Willen in eine Zusammenrottung hineingelangt sind und/oder diese nicht 1074  Vest, N 9 zu Art. 260. 1075  BGE 108 IV 34. 1076  BGE 108 IV 34, 176, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 260, Fiolka, BSK StGB II, N 10 zu

Art. 260, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 22, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 260, Vest, N 7 zu Art. 260. 1077  BGer vom 10.6.2014, 6B_863/2013, Erw. 5.6, OGer Bern fp 2013, 336 mit krit. Anmer­ kung Wohlers. 1078  BGE 108 IV 36, 124 IV 271, BGer vom 10.6.2014, 6B_863/2013, Erw.  5.4 und 5.6, Appellationsgericht BS fp 2012, 278 mit Anmerkung Wohlers, OGer Bern fp 2013, 338, OGer Zürich vom 12.11.2012, SB120 237, Erw. 2.4, OGer ZH fp 2012, 332, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 260, kritisch hierzu Bühler, 86 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 24, Vest, N 12 ff. zu Art. 260.

193

§ 46  Landfriedensbruch (Art. 260)

ohne Weiteres verlassen können, nachdem sie deren friedensbedrohende Hal­ tung erkannt haben bzw. die Stimmung in diesem Sinne umgeschlagen ist, fal­ len nicht unter den Anwendungsbereich der Norm, wenn sie sich in zumut­ barem Masse darum bemühen, die Zusammenrottung zu verlassen1079. Keine Teilnehmer sind Personen, die als Schaulustige (Gaffer) das Geschehen ver­ folgen1080 oder die sich zwar in der Menge aufhalten, dort aber äusserlich erkennbar einer zusammenrottungsfremden Tätigkeit nachgehen, wie z.B. in Ausübung ihres Berufes tätige Sanitäter und Journalisten1081. Gleiches gilt für Personen, die in eine in Bewegung befindliche Zusammenrottung hineingera­ ten und sich dann aus dieser nicht ohne Weiteres entfernen können1082. Kein Teilnehmer ist im Übrigen derjenige, der sich darauf beschränkt, die Zusam­ menrottung zu organisieren, ohne selbst daran teilzunehmen1083.

2.

Subjektiver Tatbestand

Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, wobei es genügt, «wenn der Täter sich wissentlich und willentlich einer Zusammenrottung, d.h. einer Menschenmenge, die von einer für die Friedensordnung bedrohlichen Grund­ stimmung getragen wird, anschliesst oder in ihr verbleibt; denn wer solches tut, muss mit Gewaltakten rechnen»1084. Es reicht aus, dass sich der Teilnehmer jener Stimmung bewusst ist, welche schon die Möglichkeit der Verübung von Gewaltakten aus der Zusammenrottung heraus in sich schliesst1085. Er braucht

1079  Vgl. Vest, N 18 zu Art. 260, sowie Wohlers fp 2012, 279 f.; vgl. auch Fiolka, BSK StGB

II, N 35 zu Art. 260, der in diesen Fällen den subjektiven Tatbestand verneinen will.

1080  OGer Zürich fp 2012, 332 mit Anm. Wohlers, OGer Zürich vom 12.11.2012, SB120 237,

Erw. 2.4, vgl. auch Müller Brunner/Schlatter, 12 f.

1081  Fiolka, BSK StGB II, N 18 zu Art. 260 mit Hinweisen auf abweichende Judikatur, vgl.

auch Vest, N 16 f. zu Art. 260.

1082  OGer Zürich vom 9.2.2016, SB150 429, Erw.  2.3.1  ff. Die Behauptung, nur zufällig

in die Zusammenrottung geraten zu sein, darf nicht leichthin als Schutzbehauptung abgetan werden, so zutreffend Fiolka, BSK StGB II, N 35 zu Art. 260. 1083  Fiolka, BSK StGB II, N 22 zu Art. 260, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 25, Vest, N 19 zu Art. 260. 1084  BGE 108 IV 36, BGer vom 10.6.2014, 6B_863/2013, Erw. 5.8, OGer Bern fp 2013, 338 mit krit. Anmerkung Wohlers. 1085  Fiolka, BSK StGB II, N 35 zu Art. 260, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 26.

194

§ 46  Landfriedensbruch (Art. 260)

nicht, wie das Bundesgericht früher1086 angenommen hatte, darüber hinaus die Verübung von Gewalttätigkeiten zu billigen1087.

3.

Objektive Strafbarkeitsbedingung

Die Teilnahme an einer öffentlichen Zusammenrottung ist nach dem Gesetz nur strafbar, wenn aus dieser heraus – während der Anwesenheit des Täters1088 – Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen begangen werden. Nach der bundesgerichtlichen Praxis reicht es dafür aus, wenn ein einzelner Teilnehmer solche Handlungen verübt, sofern sie als «Tat der Menge» erscheinen, d.h. von der die öffentliche Ordnung bedrohenden Grundstimmung der Zusammen­ rottung getragen werden1089. Aus der Wendung «mit vereinten Kräften» folgt indes, dass eine grössere Anzahl von Teilnehmern gewalttätig werden muss. Nur darin kann eine adäquate Umsetzung der bedrohlichen Grundstimmung einer ganzen Zusammenrottung in die Tat erblickt werden1090. Dass es im Übrigen nicht ausreicht, wenn einzelne Leute aus einer an sich friedlichen Menge her­ aus gewalttätig werden1091, ergibt sich schon daraus, dass in einem solchen Fall das objektive Tatbestandsmerkmal der «Zusammenrottung» fehlt. Als Gewalttätigkeit genügt nach der bundesgerichtlichen Praxis1092 jede physi­ sche Einwirkung auf Personen oder Sachen; weder die Anwendung besonde­ rer Kraft noch die Verursachung schwerer Schäden wird gefordert. So wurden z.B. Tätlichkeiten gegen eine Person, das Schleudern von Pflastersteinen gegen Menschen, das Zerstören von Fenster- und Schaufensterscheiben als Gewalt­ tätigkeiten betrachtet, aber auch schon das Werfen von Farbbeuteln gegen Gebäude und nicht leicht entfernbare Schmierereien an Fassaden. Auch der 1086  Zuletzt in BGE 99 IV 219. 1087  So aber OGer Zürich fp 2012, 332 ff. mit Anm. Wohlers, OGer Zürich vom 9.2.2016,

SB 150 429, Erw. 2.2, Fiolka, BSK StGB II, N 35 zu Art. 260, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 26, Trechsel/Vest, N 7 zu Art. 260, Vest, N 29 zu Art. 260. 1088  OGer Zürich fp 2012, 332, OGer Zürich vom 9.2.2016, SB150 429, Erw. 2.2, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 260, Fiolka, BSK StGB II, N 22 zu Art. 260, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 25, Vest, N 19 zu Art. 260. 1089  BGE 103 IV 245, 108 IV 35, 124 IV 271, BGer vom 10.6.2014, 6B_863/2013, Erw. 5.4 und 5.7, OGer BE fp 2013, 336 f. mit krit. Anmerkung Wohlers, OGer Zürich SB110765 vom 7.6.2012, Erw. 3.2; vgl. auch Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 260. 1090  So auch Fiolka, BSK StGB II, N 32 f. zu Art. 260. 1091  Vgl. BGE 108 IV 35, Appellationsgericht BS fp 2012, 278, Vest, N 24 f. zu Art. 260. 1092  Vgl. BGE 103 IV 245, 108 IV 35, 176, 124 IV 271 f., BGer vom 10.6.2014, 6B_863/2013, Erw. 5.7.1.

195

§ 46  Landfriedensbruch (Art. 260)

gezielte Wurf einer Fackel (Leuchtpetarde) auf 20 bis 30m entfernt befindli­ che Polizeibeamte ist als Gewalttätigkeit eingestuft worden1093. Und schliess­ lich wurde sogar das aggressive Versperren des Zugangs zu einem Kino durch eine bedrohlich wirkende Menschenmenge als Gewalttätigkeit qualifiziert1094. Richtigerweise sind Bagatellbeeinträchtigungen wie z.B. folgenlose Tätlichkei­ ten aus dem Anwendungsbereich auszuscheiden1095. Angriffe auf Sachen, bei denen es zu keiner Substanzbeeinträchtigung kommt bzw. Verunreinigungen, die ohne grossen Aufwand entfernt werden können, reichen ebenfalls nicht aus1096. Schliesslich wird man die Fälle passiven Widerstands1097 sowie die Fälle aus dem Anwendungsbereich ausnehmen müssen, bei denen Gewalttä­ tigkeiten nicht ausgeübt, sondern lediglich angedroht werden1098. Die Einbe­ ziehung dieser Fälle widerspricht nicht nur dem klaren Wortlaut des Geset­ zes1099, sondern auch seinem Sinn. Eine verbale Äusserung ist nichts anderes als eine Ausdrucksform der bereits vom objektiven Tatbestand vorausgesetz­ ten friedensbedrohenden Grundstimmung.

4.

Strafausschlussgrund (Abs. 2)

Nach dieser Bestimmung bleiben diejenigen Teilnehmer an der Zusammen­ rottung straffrei, die sich auf behördliche Aufforderung hin entfernen, sofern sie weder selbst Gewalt angewendet noch zur Gewaltanwendung aufgerufen haben. Dabei handelt es sich um einen Spezialfall von tätiger Reue nach Voll­ endung eines Deliktes, der ausnahmsweise zur gänzlichen Strafbefreiung führt, offenbar um die Wiederherstellung der Ordnung ohne unmittelbaren Zwang zu ermöglichen1100. Analog anzuwenden ist Abs. 2 auf diejenigen Teilnehmer, 1093  Vgl. BGer vom 10.6.2014, 6B_863/2013, Erw. 5.7.3, OGer Bern fp 2013, 337. 1094  Vgl. BGE 99 IV 217 = Pr 63 (1974) Nr. 125. 1095  Vgl. OGer Bern fp 2013, 337 mit Anmerkung Wohlers, Vest, N 23 zu Art. 260, aber

auch Fiolka, BSK StGB II, N 26 zu Art. 260: die Zufügung vorübergehender physischer Schmerzen reicht. 1096  Fiolka, BSK StGB II, N 27 zu Art. 260, Pieth, BT, 226 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 23. 1097  Vgl. Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 260, Fiolka, BSK StGB II, N 25 zu Art. 260, Vest, N 21 zu Art. 260, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 260: Sitzstreik ist keine Gewalttätigkeit. 1098  Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 260, Vest, N 22 zu Art. 260. 1099  Fiolka, BSK StGB II, N 30 zu Art. 260, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 23, Vest, N 22 zu Art. 260. 1100  Vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 38 zu Art. 260: «goldene Brücke» zum Rückzug, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 28, Vest, N 26 zu Art. 260.

196

§ 46  Landfriedensbruch (Art. 260)

die sich schon vor der Aufforderung durch die Polizei aus eigenem Entschluss entfernt haben1101. Nicht auf den Strafausschlussgrund vermag sich dagegen zu berufen, wer sich erst entfernt, wenn die Polizei mit unmittelbarem Zwang einschreitet, um die Zusammenrottung aufzulösen1102. Umso weniger kann Art. 260 Abs. 2 Anwendung finden, wenn sich der Teilnehmer alsdann durch Flucht seiner Verhaftung entziehen will1103.

5. Konkurrenzfragen Wer sich zur Zeit der Verübung von Gewalttätigkeiten nicht in der Menge befindet, kann höchstens wegen Beihilfe oder Anstiftung zu Landfriedens­ bruch bzw. wegen Aufforderung zur Gewalttätigkeit nach Art. 259 Abs. 21104 bestraft werden1105. Kann jemandem ausser der Teilnahme an einer Zusammenrottung auch nach­ gewiesen werden, dass er aus dieser heraus Gewalttätigkeiten verübte, so ist er sowohl wegen der hierbei erfüllten Tatbestände (Sachbeschädigung, Körper­ verletzung usw.), als auch nach Art. 260 zu verurteilen. Die Bestrafung wegen der Verübung von Gewaltdelikten gilt die umfassendere Störung der Frie­ densordnung nicht ab, und umgekehrt werden über diese hinaus individuelle Rechtsgüter verletzt1106. Greift ein zusammengerotteter Haufen Beamte oder Behörden während der Aus­ übung einer Amtstätigkeit gewalttätig an, so sind Teilnehmer an der Zusam­ menrottung sowohl nach Art. 260 als auch aufgrund von Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 zu bestrafen, da entsprechende Angriffe auf die öffentliche Gewalt zugleich den öffentlichen Frieden stören1107. Aus analogen Erwägungen ist auch echte Kon­ kurrenz zwischen Art. 260 und Art. 310 Ziff. 2 Abs. 1 anzunehmen, wenn der zusammengerottete Haufen gewaltsam Gefangene befreit1108. 1101  Fiolka, BSK StGB II, N 41 zu Art. 260, Vest, N 26 zu Art. 260. 1102  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 260, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 28, vgl. auch

Fiolka, BSK StGB II, N 40 zu Art. 260, mit dem Hinweis darauf, dass die Strafbarkeit damit nicht unwesentlich vom Vorgehen der Polizei abhängig ist. 1103  Pr 72 (1983) Nr. 69, Trechsel/Vest, N 9 zu Art. 260. 1104  Vgl. dazu vorne § 45 Ziff. 2. 1105  Vest, N 31 zu Art. 260. 1106  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 260, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 38 N 29, Trechsel/Vest, N 10 zu Art. 260, Vest, N 30 zu Art. 260, a.M. Fiolka, BSK StGB II, N 45 zu Art. 260: Art. 260 werde im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängt. 1107  BGE 103 IV 246, 108 IV 176, Trechsel/Vest, N 10 zu Art. 260, Vest, N 33 zu Art. 260. 1108  Vest, N 33 zu Art. 260, einschränkend Fiolka, BSK StGB II, N 49 zu Art. 260.

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§ 47  Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis)

§ 47 Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis) Literaturauswahl: G. Arzt, Zur Revision des Strafgesetzbuches vom 9. Oktober 1981 im Bereich der Gewaltverbrechen, ZStrR 100 (1983) 257, P.-H. Bolle, Premier bilan de la réforme du Code pénal suisse relative aux actes de violence criminels (1982–1988), ZStrR 107 (1990) 381, J.-F. Meylan, Les actes préparatoires délictueux en droit pénal suisse, Lausanne 1990, G. Schild, Straf­ befreiender Rücktritt von den strafbaren Vorbereitungshandlungen gemäss Art.  260bis Abs.  2 StGB, recht 11 (1993) 101, H. Schultz, Gewaltdelikte, Geiselnahmen und Revision des Strafgesetz­ buches, ZBJV 115 (1979) 453, derselbe, Strafbare Vorbereitungshandlungen nach StGB Art. 260bis und deren Abgrenzung vom Versuch, ZStrR 107 (1990) 68, J.-M. Schwenter, De quelques prob­ lèmes, réels ou imaginaires, posés par les nouvelles dispositions réprimant les actes de violence, ZStrR 100 (1983) 281.

1. Allgemeines Schon der Gesetzgeber von 1937 hatte Vorbereitungshandlungen zu bestimm­ ten einzelnen Delikten für strafbar erklärt; die entsprechenden Regelungen wurden systematisch bei den betreffenden Straftatbeständen eingeordnet1109. Das BG über die Änderung des StGB vom 9. Oktober 19811110 fasste die straf­ baren Vorbereitungshandlungen zu verschiedenen Gewaltdelikten in einer ein­ zigen Bestimmung zusammen, die sich deshalb nur unter den «Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden» einordnen liess. Systematisch gehörten die Normen über die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen eher in den Allgemeinen Teil des StGB1111. Art.  260bis (Strafbare Vorbereitungshandlungen/Actes préparatoires délic­tueux/ Atti preparatori punibili/Criminal preparatory activities) erklärt in Abs. 1 den­ jenigen für strafbar, welcher planmässig konkrete technische oder organi­ satorische Vorkehrungen trifft, deren Art und Umfang zeigen, dass er sich anschickt, eine der nachfolgenden strafbaren Handlungen auszuführen, näm­ lich vorsätzliche Tötung (Art. 111), Mord (Art. 112), schwere Körperverletzung (Art. 122), Verstümmelung weiblicher Genitalien (Art. 124), Raub (Art. 140), Freiheitsberaubung bzw. Entführung (Art. 183), Geiselnahme (Art. 185), Ver­ schwindenlassen (Art. 185bis), Brandstiftung (Art. 221), Völkermord (Art. 264),

1109  Vgl. z.B. für die Warenfälschung Art. 155 Ziff. 1 al. 2 und für Sprengstoffdelikte Art. 226. 1110  AS 1982, 1530 ff. 1111  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 1, Vest, N 4 und 8 zu Art. 260bis, a.M. Baumgart-

ner, BSK StGB II, N 3 zu Art. 260bis.

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§ 47  Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis)

Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art.  264a) sowie Kriegsverbrechen (Art. 264c–264h). Die Legitimität der vom Gesetzgeber «mit einer Reihe einschränkender Kau­ telen umgebenen»1112 Pönalisierung der Vorbereitungshandlungen als solchen ist in grundsätzlicher Hinsicht nicht zu bestreiten1113. Der Gefahr eines Gesin­ nungsstrafrechts ist durch eine die einschränkenden Kautelen ernst nehmende enge Auslegung zu begegnen1114.

2.

Objektiver Tatbestand

Als Vorbereitungshandlung hat jede Vorkehr zu gelten, welche die Ausfüh­ rung einer in Art.  260bis genannten Tat ermöglichen soll. Selbstverständlich sind zahlreiche Handlungen denkbar, die sowohl solchen als auch anderen und insbesondere legalen Zwecken dienen können. Die nötigen Abgrenzun­ gen werden schon im objektiven Tatbestand vorgenommen. Die betreffenden Kriterien stellen auf Art und Umfang der Vorbereitungshandlungen ab; diese müssen nach der Wendung «dass er sich anschickt …» ausserdem schon ein fortgeschrittenes Stadium erreicht haben. a) Erfasst werden nur Vorbereitungshandlungen technischer und organisatorischer Natur. Zur ersten Gruppe gehören alle Vorkehren, die der Beschaf­ fung und Bereitstellung von Deliktswerkzeugen und anderen Hilfsmitteln zur Tatausführung dienen1115, so z.B. das Herstellen von Brandsätzen für Brandstiftungen oder der Ankauf bzw. Diebstahl von Waffen und Funk­ geräten für Raub1116 oder Geiselnahme1117. Als technische Vorbereitungs­ handlung muss aber auch gelten, wenn jemand Apparaturen funktionsun­ tüchtig macht, die einem deliktischen Vorgehen im Wege stehen könnten, wie z.B. Alarm- und Fernmeldeeinrichtungen1118, oder wenn jemand 1112  BGE 111 IV 157. 1113  Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 260bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 2, Vest, N 2 zu

Art. 260bis.

1114  Vgl. auch Engler, BSK StGB II, N 2 zu Art. 260bis. 1115  BstGer vom 22.7.2011, SK.2011.16, Erw. 3.3.2, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 260bis, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, §  40 N  8, Trechsel/Vest, N  2 zu Art.  260bis, Vest, N  17 zu Art. 260bis. 1116  BGE 111 IV 158 f. 1117  Vgl. BGE 111 IV 150. 1118  Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 260bis, Engler, BSK StGB II, N 9 zu Art. 260bis, Vest, N 17 zu Art. 260bis.

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§ 47  Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis)

deliktsrelevante Informationen beschafft, indem er den in Aussicht genom­ menen Tatort oder die Lebensgewohnheiten des potenziellen Opfers aus­ kundschaftet1119. Organisatorische Vorbereitungen sind nicht nur Massnahmen zur Koordi­ nation verschiedener für die Deliktsverwirklichung notwendiger Teilakte, sondern entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch überhaupt alle Vorkehren nicht technischer Art, die den reibungslosen Ablauf der beab­ sichtigten Straftat ermöglichen sollen1120. Beispiele: Rollenverteilung zwischen Mittätern1121, Instruktion von Gehilfen, fin­ gierte Anrufe an Hausbewohner oder Polizei, um sie vom Tatort fernzuhalten, Bereitstellung eines «Gefängnisses» für die zu nehmende Geisel, probeweises «Durchspielen» eines Deliktsplans.

b) Erforderlich sind konkrete Vorbereitungshandlungen, die nach Art und Umfang der betroffenen Vorkehrungen zeigen, dass der Täter sich anschickt, eine der in Art.  260bis genannten strafbaren Handlungen zu verüben1122. Das bedeutet nicht, dass der Täter schon unmittelbar im Begriff sein muss, zur Ausführung der Tat zu schreiten1123. Das Gesetz verlangt nicht einmal, dass die Vorkehren auf ein nach Ort, Zeit oder Begehungsweise konkre­ tisiertes Delikt Bezug haben1124. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass die Handlungen nach Art und Umfang so weit gediehen sind, dass die infrage stehenden Verhaltensweisen nach aussen als Vorbereitung zu einer bestimmten Art von Delikt erkennbar sind1125.

1119  Engler, BSK StGB II, N 9 zu Art. 260bis, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 260bis, a.M. Corboz,

Vol. II, N 15 f. zu Art. 260bis: organisatorische Vorkehren, vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 8: eigentlich weder das eine noch das andere. 1120  BstGer vom 22.7.2011, SK.2011.16, Erw. 3.3.2, Engler, BSK StGB II, N 10 zu Art. 260bis, Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 260bis, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 260bis, a.M. Vest, N 16 und 18 zu Art. 260bis. 1121  Vgl. BGE 111 IV 150, 118 IV 367 f. 1122  Vgl. BstGer vom 22.7.2011, SK.2011.16, Erw.  3.3.2, Appellationsgericht Basel-Stadt BJM 2012, 319 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 9, Vest, N 19 zu Art. 260bis. 1123  Insoweit ist es missverständlich, wenn in BGE 111 IV 150, 111 IV 158 davon gespro­ chen wird, der Täter müsse «psychologisch an der Schwelle zur Tatausführung ange­ langt» sein. 1124  In diese Richtung aber Engler, BSK StGB II, N 8 zu Art. 260bis. 1125  BGE 111 IV 158  f., BGer vom 18.12.2001, 6P.128/2001, Erw.  10 c/aa, BGer vom 18.2.2005, 6P.173/2004, Erw. 3, Corboz, Vol. II, N 12, 18 zu Art. 260bis, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 40 N 7, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 260bis, Vest, N 12 zu Art. 260bis.

200

§ 47  Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis)

Art und Umfang der Vorkehrungen werden nur als Kriterien für die Erkenn­ barkeit der deliktischen Absicht genannt. Das Gesetz verlangt nicht etwa besonders geartete oder umfangreiche Vorkehrungen. Diese müssen nur so weit gediehen sein, dass vernünftigerweise angenommen werden kann, der Täter werde seine damit manifestierte Deliktsabsicht ohne Weiteres in Richtung Ausführung der Tat weiterverfolgen1126. Die mit den betreffen­ den Handlungen verbundene Indizwirkung hängt von den Verhältnissen im Einzelfall ab. Bedeutsam können dafür etwa die Art der vorgesehenen Tat, die Zahl der Täter und die Umstände sein, unter welchen die infrage stehenden Vorkehren getroffen wurden bzw. zutage treten. Beispiele: Wer sich Waffen beschafft und einen Wagen entwendet, wird noch nicht aufgrund von Art. 260bis verurteilt werden können1127. Hingegen lässt es sich als strafbare Vorbereitungshandlungen zu Raub qualifizieren, wenn die betreffenden Personen die für die Begehung des Raubüberfalls notwendigen Tatwerkzeuge ange­ schafft und bereitgestellt sowie das in Aussicht genommene Tatobjekt ausgekund­ schaftet haben1128. Nach Auffassung des Bundesgerichts kann es auch bereits ausrei­ chen, dass die Täter potenzielle Tatobjekte ausgekundschaftet und sich Gedanken über die Art und Weise der Tatdurchführung gemacht haben1129. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, wenn jemand Schiessübungen veranstaltet, sich eine Anlei­ tung zur Herstellung von Brandsätzen beschafft und studiert, oder wenn verschie­ dene Personen in allgemeiner Form über die Möglichkeit der Verübung einer Gei­ selnahme diskutieren1130.

c) Die Vorbereitungshandlungen müssen planmässig getroffen werden. Nicht erforderlich ist, dass der an den Vorbereitungshandlungen Beteiligte den

1126  Vgl. BGer vom 18.12.2001, 6P.128/2001, Erw. 10 d/aa, Appellationsgericht Basel-Stadt

BJM 2012, 319 f.

1127  Vgl. aber Appellationsgericht Basel-Stadt BJM 2012, 319 ff.: Es reiche aus, wenn der

psychisch beeinträchtigte und sozial isolierte Täter sich Schusswaffen und Munition beschafft und Dritten gegenüber einen seine früheren Vorgesetzten einbeziehenden Mitnahmesuizid ankündigt. 1128  BGE 111 IV 158, Engler, BSK StGB II, N 4 ff. und 11 zu Art. 260bis, Corboz, Vol. II, N 18 zu Art. 260bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 9, Vest, N 11 zu Art. 260bis. 1129  BGer vom 18.2.2005, 6P.173/2004, Erw. 4.2. 1130  Corboz, Vol. II, N 11, 17 zu Art. 260bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 9, Engler, BSK StGB II, N 11 zu Art. 260bis, Vest, N 13 f. zu Art. 260bis.

201

§ 47  Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis)

deliktischen Plan auch selber entworfen hat1131. Die deliktische Absicht des Täters muss sich in einer Mehrzahl von Handlungen manifestieren1132. Beispiele: Planmässigkeit ist schon dann gegeben, wenn jemand einen Brandsatz herstellt und die Rauchfühler oder Sprinkleranlage in einem Gebäude ausser Funk­ tion setzt. Anders wäre zu entscheiden, wenn jemand einerseits Waffen und ande­ rerseits Brandsätze stiehlt.

3.

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss vorsätzlich handeln, d.h. die betreffenden Vorkehren willent­ lich treffen, um ein von ihm allein oder zusammen mit anderen beabsichtigtes, unter Art. 260bis fallendes Verbrechen vorzubereiten1133. Eventualvorsatz fällt schon im Hinblick auf die objektiv erforderliche Planmässigkeit der Vorkeh­ ren ausser Betracht1134.

4.

Strafausschlussgrund (Abs. 2)

Der Täter bleibt nach Abs. 2 zwingend1135 straflos, wenn er aus eigenem Antrieb die Vorbereitungshandlungen nicht zu Ende führt. Die Art. 23 Abs. 1 nachgebil­ dete Regelung erfasst nicht den Rücktritt vom geplanten Delikt, sondern den Rücktritt von den Vorbereitungshandlungen1136, wobei nach der ursprüngli­ chen Auffassung des Bundesgerichts wie folgt zu differenzieren war: Soweit der Täter bestimmte von ihm geplante Vorbereitungshandlungen noch nicht ausgeführt hatte, konnte er dadurch in den Genuss der Straffreiheit gelangen, 1131  BGE 111 IV 150, Engler, BSK StGB II, N  6 zu Art.  260bis, Corboz, Vol. II, N  12 zu

Art. 260bis.

1132  BGE 111 IV 150 f., 111 IV 158, Appellationsgericht Basel-Stadt BJM 2012, 318, Engler,

BSK StGB II, N 6 zu Art. 260bis, Pieth, BT, 239, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 6, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 260bis. 1133  BGE 111 IV 150, BstGer vom 22.7.2011, SK.2011.16, Erw. 3.3.2, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 260bis, Vest, N 20 zu Art. 260bis. 1134  BstGer vom 22.7.2011, SK.2011.16, Erw. 3.3.2, Engler, BSK StGB II, N 12 zu Art. 260bis, unklar Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 10, Vest, N 20 zu Art. 260bis, vgl. aber auch Corboz, Vol. II, N 22 zu Art. 260bis, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 260bis: hinsichtlich der in Aussicht genommenen Tat reiche dolus eventualis aus. 1135  Corboz, Vol. II, N 27 zu Art. 260bis. 1136  Nach der älteren Rechtsprechung des BGer war es nicht ausreichend, wenn der Täter lediglich von der Ausführung der Haupttat absah, vgl. BGE 115 IV 124 f. = Pr 78 (1989) Nr. 233, BGE 118 IV 369, vgl. nun aber die Praxisänderung in: BGE 132 IV 129 = Pr 96 (2007) Nr. 61.

202

§ 47  Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis)

dass er die eigentlich noch geplanten wesentlichen Vorbereitungshandlungen nicht ausführte, obwohl er die Möglichkeit hierzu gehabt hätte; hatte der Täter dagegen alle geplanten Vorbereitungshandlungen bereits ausgeführt, musste er seinen Willen zur Aufgabe der deliktischen Absicht nach aussen erkennbar manifestieren, etwa durch das Rückgängigmachen der bereits getroffenen Vor­ kehren1137. In der Doktrin ist demgegenüber schon seit Längerem die Auffas­ sung vertreten worden, dass der Verzicht auf die weitere Ausführung des delik­ tischen Planes unabhängig davon ausreichend sei, ob der Täter die geplanten Vorbereitungshandlungen ganz oder nur teilweise umgesetzt hat1138. Das Bun­ desgericht hat sich dieser Auffassung nunmehr angeschlossen. Art.  260bis Abs. 2 ist unabhängig davon, ob die Vorbereitungshandlungen abgeschlossen sind oder nicht, bis zu dem Zeitpunkt anwendbar, in welchem der Täter die Schwelle zum strafbaren Versuch erreicht1139. Voraussetzung ist, dass der Täter auf die Ausführung seines deliktischen Planes verzichtet, wobei er – entspre­ chend Art. 23 Abs. 1 – aus eigenem Antrieb handeln muss1140.

5.

Strafbarkeit der Auslandstat (Abs. 3)

Strafbar ist auch, wer die Vorbereitungshandlung im Ausland begeht, wenn die beabsichtigten strafbaren Handlungen in der Schweiz verübt werden sol­ len, wobei Art. 3 Abs. 2 anwendbar ist. Bei dieser Ausdehnung des Territoriali­ tätsprinzips1141 wird die Gerichtsbarkeit für die Vorbereitungshandlungen aus derjenigen der vorbereiteten Tat abgeleitet.

1137  Vgl. BGE 115 IV 126 ff. = Pr 78 (1989) Nr. 233, BGE 118 IV 369. 1138  Vgl. Engler, BSK StGB II, N 15 zu Art. 260bis, Corboz, Vol. II, N 31 f. zu Art. 260bis, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 13.

1139  Praxisänderung in: BGE 132 IV 130 f. = Pr 96 (2007) Nr. 61, Engler, BSK StGB II, N 15

zu Art. 260bis, Corboz, Vol. II, N 32 zu Art. 260bis, Trechsel/Vest, N 9 zu Art. 260bis, Vest, N 23 zu Art. 260bis. 1140  BGE 115 IV 128 ff. = Pr 78 (1989) Nr. 233, BGE 118 IV 369 f., 132 IV 131 f., BGer vom 23.7.2015, 6B_90/2015, Erw.  1.2.2  ff., OGer Zürich vom 22.9.2014, SB140 175, Erw. 4.1 ff., Engler, BSK StGB II, N 14 zu Art. 260bis, Corboz, Vol. II, N 30 zu Art. 260bis, Trechsel/Vest, N 9 zu Art. 260bis, Vest, N 24 zu Art. 260bis, vgl. auch Strafrecht I, § 12 Ziff. 1.42. 1141  Vgl. Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.11.

203

§ 47  Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis)

6.

Weitere Fragen

6.1 Konkurrenzen Art. 260bis bezieht sich ausschliesslich auf deliktische Vorhaben, die nicht zur Ausführung gelangen. Führt jemand das von ihm vorbereitete Verbrechen in der Folge aus, so ist er nur wegen dieser Tat zu bestrafen, was freilich das Bun­ desgericht nur für den Fall gelten lassen will, dass Vorbereitungs- und Aus­ führungshandlungen kraft ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammen­ hangs bei «natürlicher Betrachtung» als ein einheitliches Tun erscheinen1142. Echte Konkurrenz ist jedenfalls dann gegeben, wenn die Vorbereitungshand­ lungen des Täters nicht nur dem von ihm tatsächlich verübten, sondern noch weiteren geplanten Verbrechen galten1143. Echte Konkurrenz besteht auch zu Art. 226 Abs. 21144.

6.2 Versuch Da Art. 260bis den Täter bereits im Sinne einer Ausnahme für strafbar erklärt, bevor er mit der Ausführung des von ihm geplanten Deliktes beginnt, müssen bloss versuchte Vorbereitungshandlungen straflos bleiben1145.

6.3 Teilnahme Art.  260bis bildet lediglich eine Ausnahme in Bezug auf den Zeitpunkt der Erfassbarkeit deliktischer Betätigung, lässt aber im Übrigen die Regelungen des Allgemeinen Teils des StGB unberührt. Die Teilnahme an strafbaren Vor­ bereitungshandlungen ist daher grundsätzlich strafbar1146. Aus dem unter

1142  BGE 111 IV 149, zustimmend Engler, BSK StGB II, N 19 zu Art. 260bis, Corboz, Vol. II,

N 38 zu Art. 260bis, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 15, vgl. auch Vest, N 31 zu Art. 260bis. 1143  Corboz, Vol. II, N  38 zu Art.  260bis, vgl. auch BGE 121 IV 200 zum Verhältnis von Art. 260bis zu BetmG Art. 19 Abs. 1. 1144  BGer vom 12.11.2012, 6B_722/2011, Erw. 5.2.1. 1145  BGE 115 IV 125 f. = Pr 78 (1989) Nr. 233, Engler, BSK StGB II, N 17 zu Art. 260bis, Corboz, Vol. II, N 34 zu Art. 260bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 14, Trechsel/Vest, N 7 zu Art. 260bis, Vest, N 26 zu Art. 260bis. 1146  Engler, BSK StGB II, N 18 zu Art. 260bis, Corboz, Vol. II, N 37 zu Art. 260bis, Trechsel/Vest, N 8 zu Art. 260bis, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 14, Vest, N 29 zu Art. 260bis: gänzliche Straflosigkeit der Teilnahme.

204

§ 48  Kriminelle Organisation (Art. 260ter)

Ziff.  6.2 Ausgeführten ergibt sich allerdings, dass die versuchte Anstiftung straflos bleibt. Zielen die Vorkehrungen ausschliesslich darauf ab, es einer anderen Person zu ermöglichen, ein Delikt zu begehen, kommt allein Beihilfe zu dieser Tat in Betracht.

§ 48 Kriminelle Organisation (Art. 260ter) Literaturauswahl: G. Arzt, Organisierte Kriminalität – Bemerkungen zum Massnahmenpaket des Bundesrates vom 30.  Juni 1993, AJP 2 (1993) 1187, derselbe, Kriminelle Organisation (StGB 260ter), in: Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, hrsg. von N. Schmid, Bd. I, 2. Aufl., Zürich 2007, § 4 (zit. Arzt, Kommentar), derselbe, Vorverlagerung des Schutzes gegen kriminelle Organisationen und Gewalt – alte Dogmen in einer neuen Welt, ZStrR 124 (2006) 350 (zit. Arzt, Vorverlagerung), C. Del Ponte, L’organisation criminelle, ZStrR 113 (1995) 240, A.  Eicker, Anti-Terrorismus-Gesetzgebung im Lichte der Prozeduralisierung des Strafrechts, in: Auswirkungen des Terrorismus auf Recht, Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von P. Juchli/M. Würmli, Bern 2006, 197, M. Forster, Kollektive Kriminalität, Basel 1998, derselbe, Die Strafbarkeit der Unterstützung (insbesondere Finanzierung) des Terrorismus, ZStrR 121 (2003) 423, G. Godenzi, Strafbare Beteiligung am kriminelle Kollektiv, Bern 2015 (Habil. Zurüch 2015), L. Krauskopf, Geldwäscherei und organisiertes Verbrechen als europäische Herausforderung, ZStrR 108 (1995) 385, K.-L. Kunz, Massnahmen gegen die organisierte Kriminalität, plädoyer 1/1996, 32, N.  Leu/D. Parvex, Das Verbot der «Al-Quaïda» und des «Islamischen Staats», AJP 2016, 756, S. Oesch, Die organisierte Kriminalität – eine Bedrohung für den Finanzplatz Schweiz?, Zürich 2010, M. Pieth, Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens in der Schweiz, ZStrR 109 (1992) 257, derselbe, «Das zweite Paket gegen das Organisierte Verbrechen», die Überlegungen des Gesetzgebers, ZStrR 113 (1995) 225, N. Roulet, Das kriminalpolitische Gesamtkonzept im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, Basel 1997, derselbe, Organisiertes Verbrechen: Tatbe­ stand ohne Konturen, plädoyer 5/1995, 24, N. Schmid, Zu den neuen Bestimmungen des Strafge­ setzbuches in Art. 58 f., 260ter und 305ter Abs. 2, ZGRG 14 (1995) 2, H. Schultz, Die kriminelle Ver­ einigung, ZStrR 106 (1989) 15 (zit. Schultz, Vereinigung), A. Stegmann, Organisierte Kriminalität, Feindstrafrechtliche Tendenzen in der Rechtsetzung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, Bern 2004, H. Vest, «Organisierte Kriminalität» – Überlegungen zur kriminalpolitischen Instru­ mentalisierung des Begriffs, ZStrR 112 (1994) 121, V. Zanolini, Art. 260ter StGB (Kriminelle Orga­ nisation): Was hat die Ausdehnung der Strafbarkeit in der Praxis gebracht?, in: Freiheit ohne Grenzen – Grenzen der Freiheit, hrsg. von G. Mühlemann/A. Mannhart, Zürich 2008, 227.

Nach Ziff.  1 Abs.  1 der Bestimmung (Kriminelle Organisation/Organisation criminelle/Organizzazione criminale/Criminal organisation) wird mit Verbre­ chensstrafe bedroht, «wer sich an einer Organisation beteiligt, die ihren Auf­ bau und ihre personelle Zusammensetzung geheim hält und die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mit­ teln zu bereichern». Gleiches gilt gemäss Abs. 2 für denjenigen, der eine solche

205

§ 48  Kriminelle Organisation (Art. 260ter)

Organisation in ihrer verbrecherischen Tätigkeit unterstützt. Die als Bestand­ teil des BG über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes vom 18. März 1994 in das Gesetz eingefügte Bestimmung soll einer Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität die­ nen1147, vermag diese Zielsetzung in der Praxis aber, soweit ersichtlich, allen­ falls ansatzweise zu erreichen1148 und ist wegen der mit der Vorverlagerung des Strafbarkeitsbereichs auf die Zugehörigkeit zu und der Unterstützung von Ver­ brechensorganisationen verbundenen Lösung von der eigentlichen Unrechts­ tat selbst nicht unbedenklich1149. Der Gefahr eines Missbrauchs als Instru­ ment zur Durchsetzung von Verdachtsbestrafungen ist durch eine am Ziel der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität orientierte enge Auslegung Rech­ nung zu tragen1150.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Begriff der kriminellen Organisation

Das Gesetz verwendet den Ausdruck «Organisation», um klarzustellen, dass an die infrage kommenden Personengruppen höhere Anforderungen zu stel­ len sind als an eine «Bande» i.S. von Art. 139 Ziff. 3 Abs. 2 und Art. 140 Ziff. 3 Abs. 21151. Dass mehrere Personen den Willen haben, bei der Verübung meh­ rerer Straftaten zusammenzuwirken, reicht nicht aus. Erforderlich ist viel­ mehr ein rechtliches oder auch faktisches Gebilde mit einer festen und auf Dauer angelegten Struktur1152, deren Bestand prinzipiell unabhängig ist vom

1147  Vgl. Botschaft 1993 II, 295, zur Entstehungsgeschichte der Organisationsdelikte des

schweizerischen Strafrechts vgl. Godenzi, 221 ff., zu den Schwierigkeiten, den Begriff des organisierten Verbrechens zu definieren, vgl. Pieth, BT, 243 ff. 1148  Vgl. die Auswertung der bisherigen Praxis bei Zanolini, 231 ff. 1149  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, §  40 N  17, Trechsel/Vest, N  2 zu Art.  260ter. Zur Unmöglichkeit, die Strafnorm in den tradierten Bahnen der Rechtsgutstheorie zu legi­ timieren, vgl. Godenzi, 246 ff. 1150  So auch BGE 132 IV 136, Arzt, Kommentar, N 113, Vest, N 6 zu Art. 260ter. Kritisch zu den Versuchen, die individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens mit den tradierten Instrumenten des Individualstrafrechts begrenzen zu wollen: Godenzi, 282 ff., 305 ff. 1151  Corboz, Vol. II, N 1a zu Art. 260ter, Vest, N 10 zu Art. 260ter, zur Abgrenzung der kri­ minelle Organisation von der Bande vgl. Godenzi, 279 ff. 1152  BGE 129 IV 273 f., 133 IV 239, Vest, N 11 und 17 zu Art. 260ter, zum Erfordernis der Organisationsstruktur vgl. auch Godenzi, 270 ff., Pieth, BT, 245 f.

206

§ 48  Kriminelle Organisation (Art. 260ter)

Ausscheiden einzelner Mitglieder1153, woran es bei einem Zusammenschluss familiär eng verbundener Personen in der Regel fehlen wird1154. Dass einzelne Mitglieder mit speziellen Fähigkeiten unersetzbar sein können, steht der Ein­ ordnung als Organisation nicht entgegen1155. Dass andererseits eine entspre­ chende Struktur schon bei nur drei Mitgliedern möglich sein soll, erscheint zweifelhaft1156. Zweck der Organisation muss die Begehung von Verbrechen i.S. von Art. 10 Abs. 2 sein. Die Verwirklichung verbrecherischer Aktivitäten muss nicht unbe­ dingt das ausschliessliche, wohl aber das zentrale Anliegen der Organisation sein1157. Einerseits kann es um die Begehung von Gewaltverbrechen gehen, zu welchen alle Delikte mit physischen Einwirkungen auf Menschen oder Sachen wie etwa Straftaten gegen Leib und Leben, je nach den Umständen aber auch Raub und Erpressung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, Brandstiftung oder Sprengstoffdelikte gehören können1158. Neben terroristischen Organisa­ tionen1159 sind aber auch mafiaähnliche Organisationen erfasst, deren Zielset­ zung darin besteht, sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern1160. Inso­ 1153  BGE 129 IV 273 f., 132 IV 133 f., 133 IV 239, Engler, BSK StGB II, N 6 zu Art. 260ter,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 21, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 260ter, Vest, N 12 zu Art. 260ter. 1154  BGE 132 IV 137  f., Engler, BSK StGB II, N  6 zu Art.  260ter, Corboz, Vol. II, N  3 zu Art. 260ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 21, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 260ter. 1155  Vgl. Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 260ter, Vest, N 13 zu Art. 260ter. 1156  Engler, BSK StGB II, N 6 zu Art. 260ter, Zanolini, 243 FN 74, vgl. auch Arzt, Kommentar, N 121 ff., der mindestens sieben Personen für erforderlich erachtet, vgl. aber auch Vest, N 20 f. zu Art. 260ter: wenigstens drei, regelmässig aber mehr Personen. 1157  Engler, BSK StGB II, N 9 zu Art. 260ter, Godenzi, 273 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 23, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 260ter. 1158  BGE 128 II 360 f., 132 IV 134, 133 IV 70 mit Anm. Heimgartner, fp 2008, 38 ff., Arzt, Kommentar, N 148 f., Engler, BSK StGB II, N 10 zu Art. 260ter, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 260ter, Trechsel/Vest, N 7 zu Art. 260ter, Vest, N 33 zu Art. 260ter. 1159  Nach der Rechtsprechung sind z.B. die italienischen Roten Brigaden, die baskische ETA und das Netzwerk Al-Qaïda (BGE 133 IV 70 m.w.H.), die kosovoalbanische ANA (BGE 131 II 242), die türkische TKP/ML (BGer vom 23.2.2016, 1C_644/2015, Erw.  5.9  ff.) und der Islamische Staat (BstGer vom 10.4.2014, BH.2014.1, Erw.  3.4, ­BstGer vom 15.7.2016, SK.2016.9, Erw. 1.13.1 ff., BstGer vom 4.10.2016, BH.2016.3, Erw. 4.4 m.w.H.) als Organisationen im Sinne des Art. 260ter einzustufen. Ob es sich bei der PKK um eine terroristische Organisation handelt, hat das BGer ebenso offen­ gelassen (BGE 133 IV 82 ff.) wie die Einstufung der DHKP-C (BGE 138 IV 58). 1160  BGer vom 6.5.2014, 6B_422/2013, Erw. 8.2.1, TPF 2013, 8 Erw. 2.13.3 f., Leu/Parvex, 759.

207

§ 48  Kriminelle Organisation (Art. 260ter)

weit werden neben allen als Verbrechen ausgestalteten Vermögensdelikten namentlich der Handel mit Betäubungsmitteln, Kriegsmaterial, Nuklearstof­ fen oder sogar mit Menschen sowie die Förderung der Prostitution infrage kommen1161, nicht aber etwa die Vorteilsgewährung nach Art. 322quinquies als blosses Vergehen. Die Zwecksetzung braucht noch nicht in Taten umgesetzt, sondern nur in den festgestellten organisatorischen Vorkehren manifestiert worden zu sein1162. Praktisch gesehen dürfte allerdings der Beweis für das Vor­ handensein krimineller Ziele ohne bereits aus dem Schosse der Organisation heraus verübte Verbrechen nur selten zu führen sein1163. Das weitere Erfordernis der Geheimhaltung des Aufbaus, der Struktur und der personellen Zusammensetzung soll die Abgrenzung gegenüber legalen Organi­ sationen ermöglichen1164. Erforderlich ist eine systematische Abschottung der Organisation gegenüber Aussenstehenden und hier vor allem gegenüber den Strafverfolgungsorganen1165, wie sie insbesondere auch durch die «legale Fas­ sade» eines Handels- oder anderen Unternehmens mit «offiziellen» Organen erreicht werden kann1166. Zum «Aufbau» werden namentlich die Rollenvertei­ lung, die Befehlsstrukturen und das Beziehungsnetz gehören, zur «personellen Zusammensetzung» der Kreis von Beteiligten, deren Aufgaben und hierarchi­ sche Stellung1167. Zu verlangen ist weiterhin, dass die Organisation das Bestre­ ben hat, ihre Mitglieder zum Schweigen zu verpflichten und Widerhandlungen mit Sanktionen belegt1168; darauf, ob die Geheimhaltung tatsächlich gelingt, kommt es nicht an1169.

1161  BGE 129 IV 274, 132 IV 134, 133 IV 239, BGer vom 6.5.2014, 6B_422/2013, Erw. 8.2.1,

Arzt, Kommentar, N 150 f., Engler, BSK StGB II, N 11 zu Art. 260ter, Trechsel/Vest, N 7 zu Art. 260ter, Vest, N 34 zu Art. 260ter. 1162  Vest, N 35 zu Art. 260ter. 1163  Vgl. Engler, BSK StGB II, N 9 zu Art. 260ter, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 260ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 23, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 260ter, kritisch zur Handha­ bung des Beweisproblems durch die Praxis Zanolini, 237 ff. 1164  Engler, BSK StGB II, N 8 zu Art. 260ter, Godenzi, 278 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 22, Vest, N 23 zu Art. 260ter. 1165  Vgl. BGE 132 IV 134, 133 IV 239, Arzt, Kommentar, N 136 ff., Engler, BSK StGB II, N 8 zu Art. 260ter, Pieth, BT, 246 f., kritisch zu diesem Kriterium Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 260ter. 1166  Vgl. BGE 132 IV 138. 1167  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 23, Vest, N 24 ff. zu Art. 260ter. 1168  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 260ter, a.M. Vest, N 30 zu Art. 260ter. 1169  Vest, N 26 zu Art. 260ter.

208

§ 48  Kriminelle Organisation (Art. 260ter)

1.2

Strafbare Verhaltensweisen

1.21

Beteiligung an der Organisation (Ziff. 1 Abs. 1)

Dieser Tatbestand setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass sich der Täter in die Organisation eingliedert, im Hinblick auf deren verbrecherische Zielset­ zung eine Tätigkeit entfaltet und sich – sofern er keine Führungsposition über­ nimmt – dem Organisationszweck unterordnet1170. Dass die Mitwirkung des Täters unmittelbar diesem Zweck dienen muss, wird man entgegen der Bot­ schaft nicht verlangen müssen1171. Es genügt eine wesentliche Funktion bei der Planung, Vorbereitung, Ausführung oder Überwachung von Straftaten oder bei «Gegenleistungen» für verbrecherisch erlangtes Geld, wie bei der Gewäh­ rung von «Schutz» für erpresste Geschäftsleute, bei der Verwertung, Erhal­ tung bzw. Vermehrung deliktisch erlangter Mittel oder eine vergleichbare Auf­ gabe1172. Die Zugehörigkeit zur Organisation muss stets auf längere Zeit angelegt sein; eine auf einzelne Taten beschränkte Mitwirkung reicht nicht aus1173.

1.22

Unterstützung der Organisation (Ziff. 1 Abs. 2)

Mit diesem Tatbestand wird nach h.M. die Strafbarkeit auf Personen ausge­ dehnt, welche zwar der Organisation nicht angehören, diese aber in ihrer kriminellen Tätigkeit unterstützen1174, wobei hier ein unmittelbarer Zusammenhang mit der verbrecherischen Tätigkeit der Organisation, nicht aber notwendiger­ weise mit einem konkreten, von der Organisation geplanten oder durchgeführ­

1170  BGE 129 IV 275 = Pr 93 (2004) Nr. 89, BGE 132 IV 135, 133 IV 71, 128 II 361, 131

II 241, BGer vom 23.2.2016, 1C_644/2015, Erw. 5.4.1, Engler, BSK StGB II, N 12 zu Art.  260ter, Corboz, Vol. II, N  7 zu Art.  260ter, Leu/Parvex, 760, Pieth, BT, 247, Vest, N 37 f. zu Art. 260ter, kritisch hierzu Godenzi, 323 ff., 327 ff. 1171  So auch Engler, BSK StGB II, N 12 zu Art. 260ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 25, Vest, N 39 zu Art. 260ter. 1172  BGE 132 IV 135, 133 IV 71, 134 IV 187 f. = Pr 97 (2008) Nr. 147, BGE 128 II 361, ­BstGer vom 4.10.2016, BH.2016.3, Erw. 4.4 f., Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 260ter, Leu/ Parvex, 760, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 25. 1173  Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 260ter, Vest, N 43 zu Art. 260ter, kritisch hierzu Godenzi, 333 ff. 1174  BGE 132 IV 135, vgl. aber auch TPF 2013, 11 f.: auch Nichtmitglieder können Betei­ ligte sein, kritisch zur Differenzierung nach Mitgliedern und Nichtmitgliedern auch Godenzi, 363 f.

209

§ 48  Kriminelle Organisation (Art. 260ter)

ten Delikt gegeben sein muss1175. Den Tatbestand erfüllt, wer Waffen an eine terroristische Gruppierung liefert, Vermögenswerte einer kriminellen Organi­ sation verwaltet oder in anderer Weise logistische Hilfeleistungen erbringt1176. Nicht unter den Tatbestand fällt grundsätzlich, wer für die Organisation Propa­ ganda macht oder ihr Sympathie bezeugt1177. Anders liegt es aber dann, wenn die infrage stehende Tätigkeit nicht allein propagandistischen Zielen, sondern auch dazu dient, das verbrecherische Potenzial der Organisation zu stärken1178. Nicht erfasst ist, wer Dienste erbringt, die als Dienstleistungen des alltäglichen Bedarfs nicht unmittelbar deliktische Aktivitäten fördern1179, oder sogar aus­ schliesslich den allfälligen legalen Teil ihrer Tätigkeit betreffen, wie z.B. das Erbringen von Arbeitsleistungen für die als Fassade vorgeschobene Handels­ gesellschaft1180. Die Bestimmung soll sich in erster Linie gegen Mittelspersonen richten, die als Bindeglieder zu legaler Wirtschaft, Politik und Gesellschaft einen entscheiden­ den Beitrag zur Stärkung der Organisation leisten1181, etwa durch die Versor­ gung mit Waffen, das Beschaffen konspirativer Wohnungen sowie das Liefern von Informationen1182. Der Begriff der «verbrecherischen Tätigkeit» ist aller­ dings nicht auf die Ausführung von Straftaten beschränkt, sondern umfasst ebenso die Erhaltung und Vermehrung der deliktisch erlangten Werte. Erfasst sind damit auch die Verwaltung von Geldern der Organisation sowie die Ent­ gegennahme und Verschiebung deliktisch erlangter Vermögenswerte zum Zweck der Investition1183.

1175  BGE 133 IV 71, 128 II 361 f., BGer vom 23.3.2016, 1C_644/2015, Erw. 5.4.2, Engler,

BSK StGB II, N 13 zu Art. 260ter, Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 260ter, Pieth, BT, 247, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 26, Vest, N 46 zu Art. 260ter. 1176  BGE 133 IV 71, 135 IV 135, 131 II 242, BGer vom 23.2.2016, 1C_644/2015, Erw. 5.4.2, TPF 2013, 13 ff., Engler, BSK StGB II, N 13 zu Art. 260ter, Vest, N 47 zu Art. 260ter. 1177  BGE 133 IV 71, 135 IV 135, Engler, BSK StGB II, N 14 zu Art. 260ter, Vest, N 49 zu Art. 260ter. 1178   BstGer vom 22.5.2014, SK.2013.39, Erw.  1.3.6; BstGer vom 15.7.2016, SK.2016.9, Erw. 1.14.1; Leu/Parvex, 761 ff., Pieth, BT, 247 f. 1179  Vest, N 50 ff. zu Art. 260ter. 1180  BGE 128 II 362. Kritisch hinsichtlich der Möglichkeit, die Unterstützung der legalen und illegalen Tätigkeit der Organisation voneinander abzugrenzen Arzt, Kommentar, N 162 ff., ders., Vorverlagerung, 367. 1181  Engler, BSK StGB II, N 14 zu Art. 260ter, Vest, N 47 zu Art. 260ter. 1182  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 26. 1183  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 260ter.

210

§ 48  Kriminelle Organisation (Art. 260ter)

Nach der ratio legis bedarf es in allen Fällen keines Nachweises dafür, dass der Täter ein konkretes Einzeldelikt unterstützt hat, das von den an der Organisa­ tion Beteiligten verübt wurde1184.

2.

Subjektiver Tatbestand

Die Norm enthält zwei Tatbestände, die beide jeweils nur vorsätzlich begangen werden können, wobei allerdings dolus eventualis ausreicht1185.

3.

Versuch und Teilnahme

Nach der Botschaft1186 soll bei Art. 260ter Ziff. 1 sowohl der Versuch als auch Teilnahme straflos bleiben. Dem kann aber aus den gleichen Überlegungen wie bei Art. 260bis nur in Bezug auf den Versuch beigepflichtet werden1187. Die Ein­ schränkung des Anwendungsbereichs der Norm hat nicht durch eine generelle Beschneidung des Anwendungsbereichs zu erfolgen, sondern dadurch, dass die einzelnen Tatbestandsmerkmale eng ausgelegt und im Übrigen auf prozes­ sualer Ebene die Anforderungen an den Beweis hoch gehalten werden. Nach der hier vertretenen Auffassung lässt sich derjenige nicht zur Verantwor­ tung ziehen, welcher die Bereitschaft zur Übernahme einer Tätigkeit in der Organisation zwar bekundet, diese aber noch nicht aufgenommen hat. Anders muss es sich bei der Anstiftung zu einer (dann tatsächlich erfolgten) Betei­ ligung an einem solchen Gebilde und zur Unterstützung seiner kriminellen Tätigkeit verhalten. Es erscheint nicht angemessen, dass z.B. ein Politiker oder Wirtschaftsmagnat straflos bleiben sollte, der jemanden dazu bestimmt hat, als Mittelsmann der Organisation beizutreten oder sie zu unterstützen, um so von ihrer Tätigkeit indirekt profitieren zu können. Strafbare Beihilfe an eine Ein­ zelperson bei deren Beteiligung an der kriminellen Organisation wird neben Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 1 kaum von praktischer Bedeutung sein.

1184  BGE 128 II 361 f., 131 II 242. 1185  BGE 132 IV 135, 133 IV 71, Engler, BSK StGB II, N 14 zu Art. 260ter, Corboz, Vol. II,

N 9 zu Art. 260ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 27, Vest, N 55 zu Art. 260ter.

1186  Botschaft 1993 II, 304, zustimmend Arzt, Kommentar, N  187  ff., Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 40 N 30.

1187  Vgl. vorne § 47 Ziff. 6.3, gl.M. Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 260ter, Schultz, Vereinigung,

27, vgl. auch Arzt, Vorverlagerung, 366, a.M. Vest, N 61 ff. zu Art. 260ter: weder Ver­ such noch Teilnahme seien erfasst.

211

§ 48  Kriminelle Organisation (Art. 260ter)

4.

Strafmilderungsgrund (Ziff. 2)

Nach dieser Bestimmung kann der Richter die Strafe im Sinne von Art. 48a mildern, «wenn der Täter sich bemüht, die weitere verbrecherische Tätig­ keit der Organisation zu verhindern». Die in der Literatur auch als «kleine Kronzeugenregelung»1188 bezeichnete Bestimmung soll der Botschaft1189 zufolge nicht etwa die Überführung weiterer Beteiligter erleichtern, sondern die Privilegierung desjenigen Täters ermöglichen, der direkt oder indirekt künftige Taten der Organisation zu verhindern sucht, etwa durch die Warnung anvisierter Opfer oder Mitteilungen an die Polizei. Blosse konkrete Bemühun­ gen in dieser Richtung reichen aus1190; welchen Motiven sie entspringen und ob ihnen Erfolg beschieden war, kann nur für das Ausmass der Strafreduktion von Bedeutung sein1191.

5.

Weitere Fragen

5.1 Konkurrenzfragen Bezieht sich die Beteiligungs- oder Unterstützungshandlung lediglich auf kon­ kret bestimmte Einzeltaten, die aus dem Schosse der kriminellen Organisation heraus begangen werden, ist der Täter ausschliesslich wegen Mittäterschaft beim betreffenden Delikt bzw. Anstiftung oder Beihilfe dazu schuldig zu spre­ chen1192. Gehen seine Aktivitäten zugunsten der Organisation über eine sol­ che nachweisbare Beteiligung an einer konkreten strafbaren Handlung hinaus, ist im Sinne einer echten Konkurrenz ausserdem Art. 260ter anzuwenden1193. Analoge Überlegungen müssen für das Verhältnis zu Art. 260bis gelten: Hat sich ein Mitglied der kriminellen Organisation nachweisbar an der Vorbereitung einer konkreten Tat im Sinne dieser Bestimmung beteiligt, darüber hinaus aber

1188  Engler, BSK StGB II, N 16 zu Art. 260ter, Vest, N 58 zu Art. 260ter, vgl. auch Arzt, Kom­

mentar, N 204.

1189  Botschaft 1993 II, 303. 1190  Pieth, BT, 248, Vest, N 59 zu Art. 260ter. 1191  Pieth, BT, 248, Vest, N 59 zu Art. 260ter. 1192  BGE 133 IV 239 f., 137 IV 47. 1193  BGE 132 IV 135 f., 133 IV 71, Arzt, Kommentar, N 218, Engler, BSK StGB II, N 20 zu

Art. 260ter, Corboz, N 15 zu Art. 260ter, Pieth, BT, 249, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 35, Vest, N 68 zu Art. 260ter.

212

§ 48  Kriminelle Organisation (Art. 260ter)

noch weitere Aktivitäten zu ihren Gunsten entwickelt, besteht wiederum echte Konkurrenz1194. Art.  275ter wird durch Art.  260ter verdrängt1195. Im Verhältnis zu Art.  305bis Ziff.  1 besteht echte Konkurrenz1196, während Art.  260ter durch Art.  305bis Ziff. 2 verdrängt wird1197. Auch Art. 2 Abs. 1 Al-Quaïda/IS-Gesetz geht als das jüngere Spezialgesetz dem Art. 260ter vor1198.

5.2

Die Strafbarkeit der Auslandstat (Ziff. 3)

Diese der Regelung von Art. 260bis nachgebildete Bestimmung erweitert das Ubiquitätsprinzip nach Art. 8 in der Weise, dass es für die Strafbarkeit im Aus­ land erfolgter Aktivitäten im Interesse einer kriminellen Organisation nach Art.  260ter genügt, wenn diese ihre verbrecherische Tätigkeit (auch) in der Schweiz ausübt oder dies zu tun beabsichtigt1199. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn durch die Anwendung der Ziff. 3 zu einer Ausdehnung des Anwendungs­ bereichs des schweizerischen Strafrechts auf im Ausland verwirklichte und als solche nicht der schweizerischen Geldwäschereistrafnorm unterliegende füh­ renden Taten führen würde1200. Werden die strafbaren Handlungen im Wesent­ lichen im Ausland begangen, untersteht die Straftat nach Art. 260ter der Bun­ desgerichtsbarkeit (StPO Art. 24 Abs. 1 lit. a). Gleiches gilt, wenn die strafbaren Handlungen in mehreren Kantonen begangen werden und kein eindeutiger Schwerpunkt in einem Kanton besteht (StPO Art. 24 Abs. 1 lit. b).

1194  Vgl. aber auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 33, Vest, N 69 zu Art. 260ter, die

von einem Verhältnis der Alternativität ausgehen, sowie Engler, BSK StGB II, N 21 zu Art. 260ter, der in solchen Fällen stets nur Art. 260ter angewendet wissen will. 1195  Engler, BSK StGB II, N 23 zu Art. 260ter, Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 260ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 32, Vest, N 70 zu Art. 260ter. 1196  Engler, BSK StGB II, N 24 zu Art. 260ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 34, vgl. auch Vest, N 71 f. zu Art. 260ter, a.A. Pieth, BT, 249. 1197  Engler, BSK StGB II, N 24 zu Art. 260ter, Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 260ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 34, Vest, N 72 zu Art. 260ter, vgl. auch BGE 137 IV 47 = Pr 100 (2011) Nr. 99. 1198   BstGer vom 15.7.2016, SK2016.9, Erw.  1.15, anders noch BstGer vom 2.5.2014, SK.2013.39, Erw. 1.2.9 bezogen auf Art. 2 der Al-Quaïda-Verordnung. 1199  BGer vom 6.5.2014, 6B_422/2013, Erw. 7.1, Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 260ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 36, Vest, N 64 zu Art. 260ter. 1200  BGE 137 IV 46 f. = Pr 100 (2011) Nr. 99.

213

§ 49  Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen (Art. 260quater)

§ 49 Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen (Art. 260quater) Literaturauswahl: P. Weissenberger, Die Strafbestimmungen des Waffengesetzes, AJP 9 (2000) 153.

Die Norm (Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen/Mise en danger de la sécurité publique au moyen d’armes/Messa in pericolo della sicurezza pubblica con armi/Endangering public safety with weapons) wurde durch das BG über Waffen, Waffenzubehör und Munition vom 20. Juni 19971201 in das StGB ein­ geführt und ist am 1. Januar 1999 in Kraft getreten. Die Norm soll nicht einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder den öffentlichen Frie­ den begegnen, sondern erfasst Verhaltensweisen, die zwar für sich gesehen ein Rechtsgut weder konkret gefährden noch gar beeinträchtigen, an die aber eine andere Person zu deliktischen Zwecken anknüpfen kann und die aufgrund die­ ses ihr immanenten Risikos gesellschaftlich nicht toleriert werden sollen1202. Der Sache nach handelt es sich um Vorbereitungshandlungen, die zur eigen­ ständigen Tat erhoben werden1203. Aus diesem Grunde sollte die versuchte Tat als straflos angesehen werden1204.

1.

Objektiver Tatbestand

Bestraft wird, wer Schusswaffen, verbotene Waffen, wesentliche Waffenbe­ standteile, Waffenzubehör, Munition oder Munitionsbestandteile verkauft, vermietet, verschenkt, überlässt oder vermittelt. Für die Auslegung der Tatob­ jekte der Norm ist auf die Legaldefinitionen in WG Art. 4 zurückzugreifen1205. Der Tathandlungskatalog erfasst jegliche Form der Mitwirkung an der Über­ tragung des Gewahrsams an eine andere Person1206. Ob es in der Folge zur Begehung eines Verbrechens oder Vergehens kommt, ist für die Strafbarkeit 1201  SR 514.54. 1202  Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 260quater. 1203  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, §  40 N  37, Vest, N  1 zu Art.  260quater, Weissenber-

ger, 168 f.

1204  So auch Engler, N 2 zu Art. 260quater, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 39, Weissen-

berger, 170, a.M. BGE 130 IV 25.

1205  BGE 130 IV 21, Engler, BSK StGB II, N 2 zu Art. 260quater, Corboz, Vol. II, N 4 ff. zu

Art. 260quater, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 39, Vest, N 4 zu Art. 260quater, vgl. auch Weissenberger, 156 ff. 1206  Engler, BSK StGB II, N 3 zu Art. 260quater, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 260quater, Vest, N 5 zu Art. 260quater.

214

§ 50  Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies)

nach Art. 260quater irrelevant1207; das Delikt ist bereits mit der Vornahme der Tathandlung als solcher vollendet1208.

2.

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht wird trotz der Formulierung «obwohl er weiss oder annehmen muss, dass sie zur Begehung eines Verbrechens oder Vergehens die­ nen sollen» allein vorsätzliches Handeln erfasst, wobei aber Eventualvorsatz genügt1209.

3. Subsidiaritätsklausel Bestraft werden soll der Täter gemäss Art.  260quater nur dann, wenn «kein schwererer Straftatbestand erfüllt ist». Kann das infrage stehende Verhalten als Gehilfenschaft zu einer mit schwererer Strafe bedrohten Tat geahndet werden, tritt Art. 260quater als formell subsidiär zurück1210; ist die unterstützte Tat mit einer geringeren Strafdrohung ausgestattet, verdrängt Art.  260quater die Straf­ barkeit wegen Gehilfenschaft zu diesem Delikt1211.

§ 50 Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies) Literaturauswahl: G. Arzt, Vorverlagerung des Schutzes gegen kriminelle Organisationen und Gewalt – alte Dogmen in einer neuen Welt, ZStrR 124 (2006) 350 (zit. Arzt, Vorverlagerung), derselbe, Finanzierung des Terrorismus (StGB 250quinquies), in: Kommentar Einziehung, Organisier­ tes Verbrechen, Geldwäscherei, hrsg. von N. Schmid, Bd. I, 2. Aufl., Zürich 2007, § 5 (zit. Arzt, Kommentar), U. Cassani, Le train de mesures contre le financement du terrorisme: une loi néces­ saire?, SZW 75 (2003) 293 (zit. Cassani, mesures), dieselbe, Droit pénal économique 2003–2005: actualité législative (responsabilité de l’entreprise, financement du terrorisme, corruption), in: 1207  Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 260quater, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 39. 1208  Corboz, Vol. II, N  15 zu Art.  260quater, Weissenberger, 169, kritisch insoweit Straten-

werth/Bommer, BT II, § 40 N 39.

1209  BGE 130 IV 24, Engler, BSK StGB II, N 4 zu Art. 260quater, Corboz, Vol. II, N 17 zu

Art. 260quater, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 260quater, Vest, N 8 zu Art. 260quater, Weissenberger, 169 f. 1210  BGE 130 IV 24. 1211  Engler, BSK StGB II, N 7 zu Art. 260quater, Corboz, Vol. II, N 20 zu Art. 260quater, dif­ ferenzierend Weissenberger, 170, kritisch zur Ausgestaltung der Subsidiaritätsklausel Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 42, Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 260quater.

215

§ 50  Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies) Aktuelle Anwaltspraxis 2005, hrsg. von W. Fellmann/T. Poledna, Bern 2005, 671 (zit. Cassani, Droit pénal économique), A. Eicker, Anti-Terrorismus-Gesetzgebung im Lichte der Prozedurali­ sierung des Strafrechts, in: Auswirkungen des Terrorismus auf Recht, Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von P. Juchli/M. Würmli, Bern 2006, 197, M. Forster, Die Strafbarkeit der Unterstützung (insbesondere Finanzierung) des Terrorismus, ZStrR 121 (2003) 423 (zit. Forster, Strafbarkeit), derselbe, Zur Abgrenzung zwischen Terroristen und militanten «politischen» Widerstandskämp­ fern im internationalen Strafrecht, ZBJV 141 (2005) 213 (zit. Forster, Abgrenzung), derselbe, Ter­ roristischer Massenmord an Zivilisten als «legitimer Freiheitskampf» (im Sinne von Art. 260quin­ quies Abs.  3 StGB) kraft «Analogieverbot»?, ZStrR 124 (2006) 331 (zit. Forster, Terrorismus), D. Jositsch, Terrorismus oder Freiheitskampf? – Heikle Abgrenzungsfragen bei der Anwendung von Art. 260quinquies StGB, ZStrR 123 (2005) 458, B. Perrin/J. Gafner, Droit pénal – Pénal law, Le droit de la lutte antiterroriste, in: L. Heckendorn Urscheler (Hrsg.), Rapports suisses présentés au XIXe Congrés international de droit comparé Vienne, du 20 juillet au 26 juillet 2014, Zürich 2014, 351, M. Pieth, Criminalizing the Financing of Terrorism, Journal of International Criminal Jus­ tice 4 (2006) 1074, H. Vest, Terrorismus als Herausforderung des Rechts, Zürich 2005 (zit. Vest, Terrorismus).

1.

Entstehungsgeschichte und kriminalpolitischer Hintergrund der Norm

Als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 wurde auch in der Schweiz die Notwendigkeit geprüft, zusätzliche, auf die Bekämpfung des Terrorismus gerichtete strafrechtliche Normen zu schaffen1212. Die im Entwurf des Bundesrates vorgeschlagene Einführung einer allgemeinen Terrorismus­ strafnorm (Art.  260quinquies des Entwurfs)1213 ist im parlamentarischen Ver­ fahren gescheitert. Mit dem Bundesgesetz über die Änderung des Strafgesetz­ buches und des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs vom 21. März 20031214 wurde dann jedoch eine Strafnorm eingeführt, mit der die Finanzierung terroristischer Gewaltverbrechen unter Strafe gestellt wird. Art. 260quinquies (Finanzierung des Terrorismus/Financement du terrorisme/Finanziamento del terrorismo/Financing terrorism)1215 erfasst das Verhalten von Personen, die Vermögenswerte sammeln oder zur Verfü­ gung stellen, um dadurch terroristische Straftaten1216 zu unterstützen. Mit der Einführung dieser Bestimmung, die am 1. Oktober 2003 in Kraft getreten ist, ist die Schweiz einer sich aus der Ratifizierung des UNO-Übereinkommens zur 1212  Nachweise hierzu bei Forster, Strafbarkeit, 424 FN 1, Jositsch, 459  f., vgl. auch Arzt,

Kommentar, N 8 ff. sowie Pieth, BT, 249 ff.

1213  Vgl. hierzu Botschaft 2002, 5434 und 5438 f. 1214  AS 2003, 3043 ff. 1215  Entspricht Art. 260sexies des Entwurfs. 1216  Zum Begriff der terroristischen Straftat vgl. Perrin/Gafner, 355 ff.

216

§ 50  Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies)

Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 erge­ benden Verpflichtung nachgekommen1217. Die Norm dehnt den Bereich strafbaren Verhaltens auf das Vorfeld der eigent­ lichen terroristischen Aktivitäten aus, mit dem doppelten Ziel, zum einen «dem Terrorismus die finanzielle Grundlage zu entziehen»1218 und zum ande­ ren sicherzustellen, dass der Finanzplatz Schweiz nicht zur Finanzierung ter­ roristischer Aktivitäten missbraucht wird1219. Die Norm soll Strafbarkeitslü­ cken schliessen, die nach Auffassung des Gesetzgebers auftreten können, wenn es um Terrorakte geht, die nicht von einer Organisation i.S.  von Art.  260ter verübt werden sollen, sondern von einer schwächer strukturierten Gruppie­ rung oder von einem Einzeltäter und bei denen das Sammeln und Weiterleiten der finanziellen Mittel durch nicht der Organisation selbst angehörende Dritte weder unter Art. 260bis noch unter Art. 260ter subsumiert werden kann1220. Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, mit dem die durch etwa­ ige Terroranschläge beeinträchtigten Rechtsgüter sehr weit im Vorfeld etwai­ ger Anschläge geschützt werden sollen1221. Ob der Versuch der Finanzierung des Terrorismus als strafbar aufzufassen ist, ist umstritten1222. Gleiches gilt für die Strafbarkeit der Teilnahme1223.

1217  SR 0.353.22. 1218  Botschaft 2002, 5402, skeptisch dahingehend, dass dies gelingen wird: Cassani, Droit

pénal économique, 689 f.

1219  Botschaft 2002, 5391. 1220  Botschaft 2002, 5433, Jositsch, 460  f., kritisch hierzu Arzt, Kommentar, N  12, Fors-

ter, Abgrenzung, 436, vgl. auch Trechsel/Vest, N  1 zu Art.  260quinquies, Vest, N  8 zu Art. 260quinquies, Fiolka, BSK StGB II, N 11 zu Art. 260quinquies: die Norm decke eine doch recht schmale Strafbarkeitslücke ab. 1221  Fiolka, BSK StGB II, N 12 zu Art. 260quinquies, Vest, N 5 zu Art. 260quinquies. 1222  Bejahend – unter Verweis auf die entsprechenden völkerrechtlichen Vorgaben – Fiolka, BSK StGB II, N 12 zu Art. 260quinquies, vgl. auch Arzt, Kommentar, N 38, Corboz, Vol. II, N 35 zu Art. 260quinquies, verneinend Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 51, Vest, N 29 zu Art. 260quinquies, mit dem Verweis darauf, dass es hier um die Pönalisierung von Vor­ bereitungshandlungen geht. 1223  Bejahend Arzt, Kommentar, N 36 f., Corboz, Vol. II, N 35 zu Art. 260quinquies, Vest, N 30 zu Art. 260quinquies, verneinend Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 51.

217

§ 50  Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies)

2.

Voraussetzungen der Strafbarkeit

2.1

Objektiver Tatbestand

In objektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der Täter Vermögenswerte sammelt oder zur Verfügung stellt. Der Begriff «Vermögenswert» soll wie bei Art. 70 weit zu verstehen sein1224. Erfasst sind wirtschaftliche Vorteile jeder Art, unter anderem auch unbewegliche Sachen und Dienstleistungen1225, unabhängig davon, ob diese legalen oder illegalen Ursprungs sind1226. Taugliche Tatob­ jekte sind auch Schriftstücke oder Urkunden, auch solche in elektronischer oder digitaler Form, die das Recht auf Vermögenswerte oder Rechte an diesen verkörpern oder belegen1227. Eine relevante wirtschaftliche Besserstellung liegt auch in der Verminderung der Passiven einer terroristischen Organisation1228. Die Tathandlungen des Sammelns und des Zur-Verfügung-Stellens von Ver­ mögenswerten erfassen nicht nur den Akt des Einsammelns der finanziellen Mittel bei Dritten sowie den Akt des unmittelbaren Bereitstellens der Mittel für den oder die Terroristen, sondern darüber hinaus auch alle zwischenzeitlichen Transaktionen inklusive der Verwaltung der entsprechenden Finanzmittel1229. Das Delikt ist schon dann vollendet, wenn Finanzmittel gesammelt oder wei­ tergeleitet werden. Dass die Mittel tatsächlich zur Begehung eines Terroraktes eingesetzt werden, ist nicht erforderlich1230. Es handelt sich bei Art.  260quin­ quies um ein Delikt mit überschiessender Innentendenz1231: Strafbar ist, wer in objektiver Hinsicht eine Finanzierungshandlung durchführt, wenn er hierbei 1224  Botschaft 2002, 5442, vgl. auch Arzt, Kommentar, N 14, Cassani, mesures, 296, Fiolka,

BSK StGB II, N  15 zu Art.  260quinquies, Perrin/Gafner, 359, Trechsel/Vest, N  2 zu Art. 260quinquies. 1225  Fiolka, BSK StGB II, N  15  f. zu Art.  260quinquies, a.M. Vest, N  9 zu Art.  260quinquies, ders., Terrorismus, 57, sowie – bezüglich Dienstleistungen – Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 260quinquies, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 45. 1226  Botschaft 2002, 5402, Forster, Strafbarkeit, 443. 1227  Botschaft 2002, 5402. 1228  Botschaft 2002, 5442 FN 159, Cassani, mesures, 296, Fiolka, BSK StGB II, N  15 zu Art. 260quinquies, a.M. Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 260quinquies, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 45. 1229  Botschaft 2002, 5442, Fiolka, BSK StGB II, N 17 ff. zu Art. 260quinquies, Perrin/Gafner, 359, Pieth, BT, 252, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 260quinquies, a.M. Arzt, Kommentar, N 23: bei der blossen Verwaltung fehle es an einer Begründung der Verfügungsmacht. 1230  Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 260quinquies, Fiolka, BSK StGB II, N 13 zu Art. 260quinquies, Vest, N 8 zu Art. 260quinquies, vgl. auch Cassani, mesures, 304. 1231  Fiolka, BSK StGB II, N 13 zu Art. 260quinquies.

218

§ 50  Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies)

in subjektiver Hinsicht die Absicht hat, die Finanzmittel für die Finanzierung eines terroristischen Gewaltverbrechens einzusetzen1232.

2.2

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist vorsätzliches Handeln. Nicht strafbar ist, wer finanzielle Mittel sammelt, weiterleitet oder zur Verfügung stellt und hierbei fahrlässig verkennt, dass diese Gelder ganz oder zu einem gewissen Teil auch in terroristische Kanäle fliessen. Gleiches gilt nach Abs. 2 dann, wenn der Täter eventualvor­ sätzlich handelt, wenn er also die Möglichkeit erkennt und sich mit dieser abfindet, dass die finanziellen Mittel der Finanzierung terroristischer Gewalt­ verbrechen dienen könnten1233. Der Täter muss die Absicht haben, ein Gewaltverbrechen1234 zu finanzie­ ren, wobei dieses Verbrechen noch nicht zwingend ein Terroranschlag sein muss1235. Ziel des Gewaltverbrechens muss es sein, die Bevölkerung – bzw. ein Teil von ihr1236 – einzuschüchtern1237 oder einen Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen1238. Die Tat muss also darauf gerichtet sein, die Durchführung eines entsprechenden Gewaltverbre­ chens durch die Gewährung finanzieller Mittel zu unterstützen. Entgegen den Ausführungen in der Botschaft wird man dies aber nicht nur dann annehmen können, wenn es sich bei der Begehung von Terrorakten um das eigentliche Ziel des Täters handelt1239; richtigerweise wird man es auch ausreichen lassen müssen, dass der Täter sicheres Wissen davon hat, dass es sich bei der Gruppe, 1232  Botschaft 2002, 5441, Jositsch, 460, vgl. aber auch Vest, N 11 zu Art. 260quinquies: die

Vermögenswerte müssen im Hinblick auf einen bestimmten oder doch bestimmbaren Anschlag hin gesammelt werden. 1233  Arzt, Kommentar, N  55  ff., Cassani, mesures, 296  f., dies., Droit pénal économique, 692, Corboz, Vol. II, N 29 zu Art. 260quinquies, Fiolka, BSK StGB II, N 20 zu Art. 260quin­ quies, Jositsch, 461  f., Stratenwerth/Bommer, BT II, §  40 N  47, Trechsel/Vest, N  4 zu Art. 260quinquies, Vest, N 15 f. zu Art. 260quinquies, ders., Terrorismus, 57 f. 1234  Zur näheren Bestimmung dieses Begriffs vgl. Arzt, Kommentar, N  10  ff., Cassani, mesures, 297 f., Fiolka, BSK StGB II, N 24 ff. zu Art. 260quinquies, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 46. 1235  So auch Arzt, Kommentar, N 29, a.M. Fiolka, BSK StGB II, N 41 zu Art. 260quinquies, Jositsch, 463 ff. 1236  Vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 31 ff. zu Art. 260quinquies. 1237  Vgl. Arzt, Kommentar, N 13. 1238  Vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 35 ff. zu Art. 260quinquies, Vest, Terrorismus, 58. 1239  Vgl. Botschaft 2002, 5442.

219

§ 50  Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies)

um deren Unterstützung es geht, um eine terroristische Gruppe handelt, die Gewaltverbrechen plant und ausführt1240.

3.

Weitere Fragen

3.1

Ausschlussklauseln (Abs. 3 und 4)

Nach Abs.  3 «gilt» die Tat nicht als Straftat i.S.  von Art.  260quiniquies, wenn diese «auf die Herstellung oder Wiederherstellung demokratischer und rechts­ staatlicher Verhältnisse oder die Ausübung oder Wahrung der Menschen­ rechte gerichtet» ist. Mit dieser Klausel soll die Unterstützung «legitimer» Frei­ heitskämpfer und entsprechender politischer Widerstandsgruppen aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeschlossen werden1241. Die Beantwortung der Frage, anhand welcher Kriterien legitime Freiheitskämpfer und Wider­ standsgruppen von illegitimen abzugrenzen sind, hat der Gesetzgeber bewusst den Strafverfolgungsorganen aufgebürdet1242. Massgebend für die Abgrenzung müssen in jedem Fall die einschlägigen Übereinkommen bzw. Protokolle der UNO sein1243. Ergänzend und konkretisierend wird man auf die in der inter­ nationalstrafrechtlichen Praxis des Bundesgerichts entwickelten Massstäbe zur Abgrenzung paramilitärischer Konflikte und terroristischer Aktivitäten zurückgreifen müssen1244. Nicht weniger Anwendungsprobleme dürfte die ebenfalls äusserst vage Klausel aufwerfen, nach der Abs. 1 keine Anwendung finden soll, wenn mit der Finan­ zierung Handlungen unterstützt werden sollen, «die nicht im Widerspruch mit

1240  So auch Forster, Strafbarkeit, 444, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 47, vgl. auch

Arzt, Kommentar, N 31 ff., Corboz, Vol. II, N 32 zu Art. 260quinquies, Fiolka, BSK StGB II, N 22 zu Art. 260quinquies, Pieth, BT, 253, a.M. Vest, Terrorismus, 58. 1241  Kritisch hierzu Cassani, mesures, 299 ff., dies., Droit pénal économique, 693, Fiolka, BSK StGB II, N 42 ff. zu Art. 260quinquies, Jositsch, 463 ff., scharf ablehnend auch Arzt, 368, vgl. auch ders., Kommentar, N 47 ff. 1242  Vgl. Botschaft 2002, 5439, BGE 130 II 344, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 49, zu Recht kritisch hierzu Forster, Strafbarkeit, 445. 1243  SR 0.748.710.1, SR 0.748.710.2, SR 748.710.3, SR 748.710.31, SR 0.351.4, SR 0.351.5, SR 0.732.031, SR 0.747.71, SR 0.747.711 etc. 1244  Vgl. hierzu Forster, Abgrenzung, 213 ff., ders., Terroristischer Massenmord, 333 ff., Vest, N 24 ff. zu Art. 260quinquies, kritisch zur Übertragbarkeit Fiolka, BSK StGB II, N 46 ff. zu Art. 260quinquies, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 26 f. zu Art. 260quinquies, mit dem Hinweis darauf, dass es nicht um Legitimität der terroristischen Akten, sondern um die Legiti­ mität der Finanzierung als solche gehe.

220

§ 51  Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261)

den in bewaffneten Konflikten anwendbaren Regeln des Völkerrechts stehen» (Abs. 4)1245.

3.2

Verhältnis zu anderen Strafnormen

Wenn der subjektive Tatbestand des Art.  260quinquies nicht gegeben ist, kann der Financier in den Fällen, in denen ein konkreter Terrorakt unterstützt wird, wegen Gehilfenschaft zu diesem Delikt verurteilt werden, sofern er insoweit mit mindestens Eventualvorsatz gehandelt hat1246. Zu den Art.  260bis oder Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 2 besteht echte Konkurrenz, soweit deren Voraussetzun­ gen durch ein Verhalten erfüllt werden, dass über die Finanzierung hinausgeht. Soweit sich das Verhalten in der Finanzierung erschöpft, tritt Art. 260quinquies als subsidiär zurück1247. Zu Art. 305bis besteht echte Konkurrenz1248.

4. Bundesgerichtsbarkeit Die strafbaren Handlungen nach Art.  260quinquies unterstehen der Bundesge­ richtsbarkeit (StPO Art. 24 Abs. 1).

§ 51 Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261) Literaturauswahl: J.-B. Ackermann, Satire und Strafrecht, in: Strafrecht als Herausforderung, hrsg. von J.-B. Ackermann, Zürich 1999, 79, F. Clerc, Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit, SJK 1941 Nr. 53, G. Fiolka, Äusserungsdelikte: Die strafrechtliche Regulierung von Kommunikation im Lichte der Sprachphilosophie Wittgensteins, jusletter vom 24.7.2006 (zit. Fiolka, Äusserungs­ delikte), G. Fiolka/M. A. Niggli, Strafrechtlicher Schutz von Religionsgemeinschaften im reellen und virtuellen Raum, in: Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nach schwei­ zerischem Recht, hrsg. von R. Pahud de Mortanges/E. Tanner, Zürich 2005, 705, D. Häusermann, 1245  Vgl. auch Cassani, mesures, 302 f., dies., Droit pénal économique, 693 sowie Fiolka,

BSK StGB II, N 54 ff. zu Art. 260quinquies.

1246  Botschaft 2002, 5442  f., Arzt, Kommentar, N  73, Fiolka, BSK StGB II, N  67 zu

Art. 260quinquies, a.A. Pieth, BT, 255: Art. 260quinquies als lex specialis.

1247  Botschaft 2002, 5442, Forster, Strafbarkeit, 446, Trechsel/Vest, N 8 zu Art. 260quater, Vest,

N 34 und 38 zu Art. 260quinquies, a.M. Fiolka, BSK StGB II, N 68 f. zu Art. 260quinquies, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 52: Art. 260quinquies sei stets subsidiär, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 38 f. zu Art. 260quinquies. 1248  Corboz, Vol. II, N 40 zu Art. 260quinquies, Fiolka, BSK StGB II, N 70 zu Art. 260quinquies, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 52, Trechsel/Vest, N 8 zu Art. 260quater.

221

§ 51  Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261) Grenzen des materiellrechtlichen Gefühlsschutzes (Art. 261 StGB) – prozedurales Recht als Alter­ native, AJP 16 (2007) 31, H. Hempel, Die Freiheit der Kunst, Eine Darstellung des schweizerischen, deutschen und amerikanischen Rechts, Diss. Zürich 1991, F. Jenal, Religiöser Frieden durch straf­ rechtliche Zensur? – Warum Art. 261 StGB aufgegeben werden sollte, Zürich 2017, C. Kranich, Schützenswert ist der öffentliche Friede, Zur Störung der Glaubensfreiheit durch Kunstwerke, plädoyer 1/1986, 13, D. Krauss, Der strafrechtliche Konflikt zwischen Glaubensfreiheit und Kunstfreiheit, in: Gedächtnisschrift für Peter Noll, hrsg. von R. Hauser/J. Rehberg/G. Straten­ werth, Zürich 1984, 209, M. Niggli/G. Fiolka, Art. 261bis StGB und die Meinungsäusserungsfrei­ heit, in: GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (Hrsg.), Gedanken zur RassismusStrafnorm, 20 Jahre Art.  261bis StGB, Zürich 2016, 71, S.  Schädler, Der Schutz des religiösen Friedens als Staatsaufgabe, Diss. Zürich 2014, R. Pahud de Mortanges, Gotteslästerung! Blasphe­ miestrafnormen als Mittel zur religiösen Diskriminierung, in: N.  Queloz/M. Niggli/C. Riedo (Hrsg.), Droit pénal et diversités culturelles, Mélanges en l’honneur de José Hurtado Pozo, Genf 2012, 315, M. C. Senn, Der «gedankenlose» Durchschnittsleser als normative Figur, Medialex 1998, 150.

Das der Norm (Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit/Atteinte à la liberté de croyance et des cultes/Perturbamento della libertà di credenza e di culto/Disruption of freedom of religion and worship) zugrunde liegende Rechtsgut ist nicht die Religion an sich, sondern die Überzeugung Dritter in Glaubenssachen, d.h. «die Achtung vor dem Mitmenschen und seiner Überzeugung in religiösen Dingen und damit auch der religiöse Friede»1249. Konkret geht es darum, die glaubensbezogenen Überzeugungen des Einzelnen1250 vor einer mit elemen­ taren Geboten der Toleranz nicht zu vereinbarenden Missachtung zu schüt­ zen1251.

1249  BGE 86 IV 23, 129 IV 104, ZR 85 (1986) Nr. 44, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 261, Schäd-

ler, 318 ff., Schubarth, N 2 f. zu Art. 261, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 2, Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 261, kritisch zum Abstellen auf den Schutz des öffentlichen Frie­ dens: Fiolka, BSK StGB II, N 8 zu Art. 261, Jenal, 7 ff. 1250  BGE 120 Ia 225, 129 IV 104, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 261, Fiolka, BSK StGB II, N 7 zu Art. 261, vgl. auch Schädler, 315 ff. 1251  Vgl. auch Schubarth, N 7 zu Art. 262, Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 709: gra­ vierende Verletzungen religiöser Gefühle; kritisch zum Gefühlsschutz Jenal, 17 ff., der selbst auf die Missachtung der Identität des Betroffenen abstellt.

222

§ 51  Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261)

1.

Störung der Glaubensfreiheit (Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Erfasst werden zwei verschiedene Verhaltensweisen: a) Beschimpfung oder Verspottung der Überzeugung anderer in Glaubenssachen. Gefordert wird damit ein Verhalten, welches den Glauben von Mit­ menschen in unsachlicher Weise herabsetzt oder lächerlich macht1252. Dass der Gottesglaube als wichtiges Beispiel ausdrücklich genannt wird, ändert nichts daran, dass neben den jeweiligen Ausprägungen des Glaubens an Gott durch verschiedene Religionen auch Naturreligionen und atheistische Weltanschauungen geschützt werden1253. Erfolgen kann die Beschimpfung oder Verspottung durch Wort, Schrift, Bild oder Gebärde1254. Beispiele: Darstellung einer Kreuzigung, wobei an die Stelle Christi eine nackte Frauengestalt in sexuell aufreizender Pose tritt oder ein den Werken Walt Disneys nachgebildetes Schwein mit Heiligenschein1255.

b) Verunehrung von Gegenständen religiöser Verehrung, wie z.B. Altäre oder Heiligenbilder, nicht aber immaterieller religiöser Dogmen1256. Es muss sich dabei um ein aktives Verhalten handeln, wie z.B. Beschimpfen, Ver­ spotten oder Beschmutzen, durch welches der Täter zum Ausdruck bringt, dass er den Gegenstand – und damit auch die dessen Verehrung zugrunde liegende Überzeugung – verachtet1257. Die angeführten Handlungen sind in beiden Tatbestandsvarianten nur dann strafbar, wenn sie «öffentlich und in gemeiner Weise» erfolgen. Der Begriff «in gemeiner Weise» kennzeichnet weder das Motiv noch die Gesin­ nung des Täters, sondern das äussere Erscheinungsbild des Verhaltens. Die 1252  Vgl. BGE 129 IV 105, Fiolka, BSK StGB II, N 22 ff. zu Art. 261. 1253  Fiolka, BSK StGB II, N  18 zu Art.  261, Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 710,

Jenal, 46 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 4, Schubarth, N 17 und 49 zu Art. 261, Schädler, 322  ff., kritisch zur Einbeziehung des Atheismus: Corboz, Vol. II, N  4 zu Art. 261. 1254  Fiolka, BSK StGB II, N 21 zu Art. 261, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 5. 1255  BGE 86 IV 23, SJZ 67 (1971) 227, vgl. auch Fiolka, BSK StGB II, N 42 ff. zu Art. 261 m.w.N. 1256  Fiolka, BSK StGB II, N 26 f. zu Art. 261, Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 711, Schädler, 326 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 10. 1257  Fiolka, BSK StGB II, N 28 zu Art. 261, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 11.

223

§ 51  Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261)

Wendung besagt, dass die Verletzung der Überzeugung eine gewisse Schwere erreichen, die Glaubensbeschimpfung eine grobe sein muss, d.h. ein mit den in einer pluralistischen Gesellschaft zu achtenden elementaren Geboten der Toleranz nicht zu vereinbarender besonders krasser Ausdruck der Missach­ tung anderer Überzeugungen1258. Ob dies zutrifft, soll nach Auffassung des Bundesgerichts «nach dem Durchschnittsempfinden der Anhänger des ange­ griffenen Glaubens» zu beurteilen sein1259. Richtigerweise wird man nicht auf die faktische Empfindlichkeit abzustellen haben, sondern auf die in der Gesell­ schaft gültigen sozialen Normen betreffend den Diskurs über religiöse The­ men1260, wobei dann neben den generell gewandelten Anschauungen betref­ fend die Offenheit von entsprechenden Diskussionen auch und vor allem die Gewährleistungen der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Wissenschaft und Kunst zu beachten sind1261. Soweit Schubarth1262 ergänzend die Notwen­ digkeit betont, die jeweilige Verhaltensweise in ihrem konkreten Kontext zu würdigen, ist dem entgegenzuhalten, dass bei einer – im Hinblick auf die ratio legis gebotenen  – restriktiven Interpretation von vornherein nur Verhaltens­ weisen erfasst sind, die unabhängig davon, in welchem Kontext sie vorgenom­ men werden, als Verstösse gegen elementare Gebote der Toleranz ihrerseits nicht toleriert werden können. Als «öffentlich» hat das Verhalten zu gelten, wenn die Beschimpfung, Verspot­ tung oder Verunehrung für einen grösseren unbestimmten Personenkreis wahrnehmbar ist1263. So kann z.B. das Beschmutzen eines in der Kirche befind­ lichen, nicht aber eines in der Wohnung eines Privaten aufgehängten Heili­ genbildes durch Art. 261 erfasst werden. Dass die Äusserung solcher Verach­ tung tatsächlich von einer grösseren Anzahl von Menschen oder auch nur von 1258  Vgl. BGE 120 Ia 225, ZR 85 (1986) Nr. 44, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 261, Fiolka, BSK

StGB II, N 30 zu Art. 261, Schubarth, N 29 zu Art. 261, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 6, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 261. 1259  ZR 85 (1986) Nr.  44, so auch Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 711, kritisch hierzu Schädler, 333 ff. 1260  So auch Fiolka, BSK StGB II, N  31, 33, 40 zu Art.  261, vgl. aber auch Häusermann, 34 sowie Fiolka, Äusserungsdelikte, N  70: der Richter sei gar nicht in der Lage, die Schwere der Gefühlsverletzung adäquat zu ermitteln. 1261  Vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 35 ff. zu Art. 261, Jenal, 55 ff., Krauss, 223 ff., Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 39 N 6, Schubarth, N 5 und 30 zu Art. 261, a.M. BGE 86 IV 23, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 261. 1262  Schubarth, N 28 ff. zu Art. 261, vgl. auch Schädler, 338 f. 1263  Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 261, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 7, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 261.

224

§ 51  Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261)

einer Einzelperson wahrgenommen worden ist, wird indessen nicht voraus­ gesetzt1264. Das Delikt ist mit Vornahme der tatbestandsmässigen Handlung vollendet.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss vorsätzlich handeln, d.h., er muss sich bewusst sein, dass er mit seiner Handlungsweise die Überzeugung anderer Menschen in Glaubenssa­ chen öffentlich und in grober Weise verletzt1265.

2.

Störung der Kultusfreiheit (Abs. 2 und 3)

2.1

Objektiver Tatbestand

Wiederum werden zwei verschiedene Verhaltensweisen erfasst: a) Tatbestandsmässig sind zunächst die Verhinderung, Störung und öffent­ liche Verspottung1266 von verfassungsmässig gewährleisteten Kultushandlungen. Diese brauchen ihrerseits weder öffentlich zu sein1267 noch got­ tesdienstlichen Charakter zu haben, sodass auch etwa schamanische oder wieder aufgenommene keltische Rituale strafrechtlichen Schutz erfah­ ren1268, wenn und soweit die infrage stehenden Praktiken nicht illegal sind oder die Sittlichkeit bzw. die öffentliche Ordnung verletzen1269. Beispiele für geschützte Kultushandlungen: Prozessionen, religiöse Handlungen in Kirchen oder innerhalb geschlossener Versammlungen, Taufe und letzte Ölung in Privatwohnungen, Meditationsveranstaltungen.

Nicht erfasst sind Veranstaltungen, in denen es, wie z.B. im Religionsunter­ richt, um die Vermittlung von Glaubensinhalten geht, bei denen in profa­ ner Weise über Glaubensfragen referiert oder diskutiert wird, oder die der Organisation einer Glaubensgemeinschaft dienen, wie z.B. eine Kirchge­ 1264  Fiolka, BSK StGB II, N 14 zu Art. 261. 1265  BGE 86 IV 24, Schubarth, N 41 zu Art. 261, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 261. 1266  Z.B. durch ein persiflierendes Strassentheater. 1267  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 261, Fiolka, BSK StGB II, N 51 zu Art. 261, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 39 N 14.

1268  Fiolka, BSK StGB II, N 54 zu Art. 261, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 14, vgl. aber

auch Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 261, sowie Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 261, die freiden­ kerische Vereinigungen vom Schutz des Art. 261 ausnehmen wollen. 1269  Fiolka, BSK StGB II, N 55 zu Art. 261, Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 713.

225

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

meindeversammlung1270. Gleiches gilt für die von Kirchen und Religions­ gemeinschaften erbrachten sozialen Dienstleistungen1271. b) Verunehrung eines Ortes oder Gegenstandes, der für einen verfassungsmäs­ sig gewährleisteten Kultus bzw. für eine solche Kultushandlung bestimmt ist, wie z.B. Kirchen, Abdankungshallen, Messgewänder und Abendmahl­ geschirr1272. Die Verunehrung1273 bezieht sich hier auf Objekte, welche nicht selbst religiös verehrt werden, aber zur Durchführung kultischer Handlungen verwendet werden1274. Im Gegensatz zu Abs. 1 braucht – mit Ausnahme der Verspottung von Kultus­ handlungen – das Verhalten nicht öffentlich zu sein.

2.2

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss vorsätzlich handeln. Ausserdem muss er böswillig sein1275. Dies setzt voraus, dass es ihm gerade darum geht, die Pietätsgefühle der Menschen zu verletzen, welche die betroffenen Kultstätten benutzen bzw. an Kulthand­ lungen teilnehmen1276. Daran kann es z.B. fehlen, wenn ein Verkehrsteilneh­ mer sich aus Ungeduld Bahn durch eine Prozession verschafft.

§ 52 Rassendiskriminierung (Art. 261bis) Literaturauswahl: J.-F. Aubert, L’article sur la discrimination raciale et la Constitution fédérale, AJP 3 (1994) 1079, C. Bernhard, Das Rechtsgüter-Trilemma, Von der Legitimität staatlichen Stra­ fens am Beispiel der Völkermordleugnung, Diss. Basel 2011, D. Exquis/M. A. Niggli, Recht, Geschichte und Politik. Eine Tragikomödie in vier Akten über das Rechtsgut bei Leugnung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 261bis Abs. 4 zweite Satzhälfte StGB), AJP (2005) 424, G. Fiolka, Keine illegale rassistische Medieninformation, Medialex 2005, 51,

1270  Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 712. 1271  Fiolka, BSK StGB II, N 52 f. zu Art. 261. 1272  Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 713, Schubarth, N  53 zu Art.  261, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 39 N 18.

1273  Vgl. hierzu vorne Ziff. 1.1 lit. b. 1274  ZR 85 (1986) Nr. 44, Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 261, Stratenwerth/Bommer, BT II,

§ 39 N 18.

1275  Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 713, vgl. aber auch Schubarth, N 51 zu Art. 261:

Das Merkmal sei Teil des objektiven Tatbestands.

1276  Dolus eventualis reicht nicht, vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 59, 64 zu Art. 261, a.M. Schu-

barth, N 52 zu Art. 261.

226

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis) G. Fiolka/M. A. Niggli, Das Private und das Politische. Der Begriff der Öffentlichkeit im Strafrecht am Beispiel der Bundesgerichtsentscheide vom 21. Juni 2000 und vom 23. August 2000 betreffend Rassendiskriminierung, AJP 10 (2001) 533 (zit. Fiolka/Niggli, Öffentlichkeit), G. Fiolka/M.  A. Niggli, Strafrechtlicher Schutz von Religionsgemeinschaften im reellen und virtuellen Raum, in: Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nach schweizerischem Recht, hrsg. von R. Pahud de Mortanges/E.  Tanner, Zürich 2005, 705 (zit. Fiolka/Niggli, Religionsgemein­ schaften), M. Forster, Fall Perinçek: Der Europäische Gerichtshof stellt das Leugnen des Genozids an den Armeniern unter den Schutz der Menschenrechte, fp 2014, 53, A. Guyaz, L’incrimination de la discrimination raciale, Bern 1996, F. Hänni, Die schweizerische Anti-Rassismus-Strafnorm und die Massenmedien, Diss. Bern 1997, derselbe, Rassendiskriminierung im Strafrecht: Eingren­ zungen nötig, plädoyer 4/1997, 28, D. Jositsch, Strafrecht gegen Rassendiskriminierung, Diss. St. Gallen 1993, D. Jositsch/M. von Rotz, Die Entstehung und Entwicklung des Straftatbestands gegen Rassendiskriminierung (Art.  261bis StGB) aus einem rechtspolitischen Blickwinkel, in: GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (Hrsg.), Gedanken zur Rassismus-Strafnorm, 20 Jahre Art. 261bis StGB, Zürich 2016, 71,K.-L. Kunz, Neuer Straftatbestand gegen Rassendiskri­ minierung, ZStrR 109 (1992) 154, derselbe, Zur Unschärfe und zum Rechtsgut der Strafnorm gegen Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB und Art. 171c MStG), ZStrR 116 (1998) 223 (zit. Kunz, Unschärfe), J. P. Müller/M. Schefer, Grundrechte in der Schweiz: im Rahmen der Bundes­ verfassung, der EMRK und der UNO-Pakte, 4. Auflage, Basel 2008, P. Müller, Die neue Strafbe­ stimmung gegen Rassendiskriminierung – Zensur im Namen der Menschenwürde?, ZBJV 130 (1994) 241, derselbe, Abstinenz und Engagement des Strafrechts im Kampf gegen Ausländerfeind­ lichkeit, AJP 5 (1996) 659, derselbe, Bewährung des Strafrechts als Mittel gegen Ausländerfeind­ lichkeit?, AJP 7 (1998) 784, S. Müller, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Verweisungen durch Hyperlinks nach deutschem und Schweizer Recht, Berlin 2011 (Diss. Zürich 2010), N.  Naguib/F. Zannol, Zehn Jahre Strafnorm gegen Rassendiskriminierung (Art.  261bis StGB, Art. 171c MStG): ein Rückblick unter Einbeziehung der nicht publizierten Praxis, recht 5/2006, 161, M. A. Niggli, Rassendiskriminierung. Ein Kommentar zu Art.  261bis StGB und Art.  171c MStG, 2. Aufl., Zürich 2007 (zit. Niggli, Kommentar), derselbe, Rassendiskriminierung. Gericht­ spraxis zu Art. 261bis StGB, Analysen, Gutachten und Dokumentation der Gerichtspraxis 1995– 1998, Zürich 1999, derselbe, Zur Unschärfe des Strafrechtes, seiner Funktion und der Bedeutung von Rechtsgütern, ZStrR 117 (1999) 84 (zit. Niggli, Unschärfe), M. Niggli/G. Fiolka, Art. 261bis StGB und die Meinungsäusserungsfreiheit, in: GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitis­ mus (Hrsg.), Gedanken zur Rassismus-Strafnorm, 20 Jahre Art.  261bis StGB, Zürich 2016, 71, M. A. Niggli/C. Mettler/D. Schleiminger, Zur Rechtsstellung des Geschädigten im Strafverfahren wegen Rassendiskriminierung, AJP 7 (1998) 1057, F. Riklin, Die neue Strafbestimmung der Ras­ sendiskriminierung (Art. 261bis StGB), Medialex 1995, 36, R. Rom, Die Behandlung der Rassen­ diskriminierung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1995, D. Schleiminger, Rassistische Beschimpfung versus Rassendiskriminierung am Beispiel von «Drecksasylant», fp 2014, 307, S. Schürer, Im Grenzbereich der freien Rede, ZSR 2014, 347, R. Strauss, Das Verbot der Rassendis­ kriminierung: Völkerrecht, Internationales Übereinkommen und schweizerische Rechtsordnung, Diss. Zürich 1991, D. Thürer, Leugnung von Völkermord als Strafnorm – eine strafrechtlich-völ­ kerrechtliche Perspektive, in: GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (Hrsg.), Gedan­ ken zur Rassismus-Strafnorm, 20 Jahre Art. 261bis StGB, Zürich 2016, 125, H. Vest, Zur Leugnung des Völkermords an den Armeniern 1915, AJP 9 (2000) 66.

227

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

1.

Charakterisierung der Bestimmung

Mit der durch das BG vom 18. Juni 1993 in das StGB eingefügten1277 und seit dem 1.  Januar 1995 in Kraft stehenden Norm (Rassendiskriminierung/Discrimination raciale/Discriminazione razziale/Racial discrimination) erfüllte die Schweiz eine Verpflichtung, welche sie durch die Ratifikation des internatio­ nalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminie­ rung eingegangen war1278. Mit der Strafbestimmung soll nach Auffassung des Bundesrates verhindert wer­ den, dass der öffentliche Frieden gefährdet und das Vertrauen in die Rechts­ ordnung erschüttert wird1279. Weitgehend durchgesetzt hat sich die insbeson­ dere von Niggli1280 entwickelte Auffassung, wonach die in der Botschaft1281 nur mit «Angriffspunkt» bezeichnete Menschenwürde als unmittelbar geschütztes Rechtsgut betrachtet werden muss und dieser Schutz sich nur im Sinne einer Reflexwirkung auch auf die Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens aus­ wirkt1282. Geschützt ist aber nicht die Menschenwürde als individuelles Rechts­ gut, sondern eine für die pluralistische Gesellschaft unabdingbare Verhaltens­ norm: Die Wahrung und Achtung des Grundsatzes der angeborenen Würde und Gleichheit aller Menschen1283. Praktische Bedeutung hat diese Differen­

1277  Vgl. dazu die Botschaft 1992, 269. 1278  BGE 123 IV 205, vgl. auch das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder

Form von Rassendiskriminierung vom 21. Dezember 1965, SR 0.104, in Kraft getreten für die Schweiz am 29. Dezember 1994. 1279  Botschaft 1992, 309 f., vgl. auch Jositsch/von Rotz, 37 ff., Kunz, Unschärfe, 230, Riklin, 38, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 261bis, Vest, N 19 zu Art. 261bis, a.M. Niggli, Unschärfe, 89 ff., ders., Kommentar, N 286 ff. 1280  Niggli, Kommentar, N 328 ff. und 376 ff. 1281  Botschaft 1992, 309. 1282  BGE 123 IV 206, 126 IV 24 = Pr 89 (2000) Nr.  176, 128 I 222, 129 IV 99, 131 IV 25, 133 IV 311, BGer vom 16.9.2003, 6S.148/2003, Erw.  2.1, BGer vom 31.10.2005, 6S.297/2005, Erw. 2.3, BGer vom 3.1.2017, 1B_320/2015, Erw. 2.3 und 4.1, OGer Bern vom 15.3.2016, SK.2015.164, Erw. III.10.1, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 261bis, Naguib/ Zannol, 165 f., Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 8 zu Art. 261bis, kritisch hierzu Bernhard, 108 ff., 114 ff., a.M. Pieth, BT, 231, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 261bis, Kunz, Unschärfe, 228 ff., Vest, N 14 ff. zu Art. 261bis, zumindest für Abs. 4 zweiter Satzteil auch BGE 129 IV 105, kritisch hierzu Niggli, Kommentar, N 338 ff. 1283  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 22, vgl. auch Bernhard, 219 ff., Niggli, Unschärfe, 102 ff., ders., Kommentar, N 281 ff.; zur Konzeption des Abstellens auf einen normati­ ven Grundkonsens vgl. auch Bernhard, 189 ff.

228

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

zierung für die Frage, wem die prozessuale Stellung eines Geschädigten bzw. Opfers zukommt1284.

2.

Gemeinsame Bezugspunkte der Straftatbestände

Die Norm enthält verschiedene Tatbestandsvarianten, bei denen es sich durch­ gängig um schlichte Tätigkeitsdelikte sowie abstrakte Gefährdungsdelikte handelt1285 und deren gemeinsamer Bezugspunkt darin besteht, dass einzelne Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe (Rasse, Ethnie oder Religion) diskriminiert oder herabgesetzt werden, wobei mit Ausnahme der von Abs. 3 und 5 erfassten Verhaltensweisen ein Handeln in der Öffentlichkeit vorausgesetzt wird.

2.1

Erfasste Bevölkerungsgruppen

Vorweg ist klarzustellen, dass sich die von Art.  261bis mit Strafe bedrohten Handlungen stets gegen bestimmte oder mindestens bestimmbare konkrete Personengesamtheiten richten müssen. Wenn jemand die Angehörigen aller nicht christlichen Religionen oder pauschal alle Ausländer herabsetzt, fällt eine derartige Äusserung nur dann unter den Anwendungsbereich der Norm, wenn derartige Bezeichnungen einen Sammelbegriff für eine oder mehrere konkrete Ethnien darstellen1286. a) Zugehörige einer Ethnie sind dadurch charakterisiert, dass sie sich sel­ ber – allenfalls auch fälschlich1287 – als eine von der übrigen Bevölkerung unterscheidende Gemeinschaft von Menschen empfinden und auch von 1284   Vgl. BGE 129 IV 95, 131 IV 78 = Pr 94 (2005) Nr.  109, BGer vom 31.10.2005,

6S.297/2005, Erw. 2.2 ff., vgl. aber auch BGer vom 3.1.2017, 1B_320/2015, Erw. 2.4 ff.: entscheidend sei nicht das geschützte Rechtsgut, sondern die Angriffsrichtung. Für die Zubilligung der Geschädigtenstellung für jeden Angehörigen der betroffenen Volks­ gruppe: Niggli, Kommentar, N 546 ff., Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 88 f. zu Art. 261bis, Niggli/Mettler/Schleiminger, 1057 ff., Vest, N 23 und 127 ff. zu Art. 261bis, a.M. Kunz, Unschärfe, 231, vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 22: Schutz des Einzelnen ist nur blosser Reflex. 1285  Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 261bis, Kunz, Unschärfe, 230 f., Vest, N 22 zu Art. 261bis, a.M. Niggli, Kommentar, N 456, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 9 zu Art. 261bis, vgl. aber auch Botschaft 1992, 310, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 261bis. 1286  Vgl. Niggli, Kommentar, N  605, 673, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N  17 zu Art. 261bis, Trechsel/Vest, N 11 zu Art. 261bis. 1287  BGE 123 IV 207.

229

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

der übrigen Bevölkerung als solche verstanden werden. Dafür sind kumu­ lativ verschiedene Kriterien erforderlich, nämlich einerseits wesentliche Gemeinsamkeiten hinsichtlich Geschichte und Schicksal, andererseits gemeinsame Wertvorstellungen und Verhaltensnormen (Sprache, Tradi­ tion, Brauchtum usw.)1288. Dabei entwickeln sich diese Merkmale erst dann zum ethnischen Kriterium, wenn sie sowohl von der Gruppe selbst als auch von anderen zur Abgrenzung gegenüber der übrigen Bevölkerung verwen­ det werden1289. Dies ist z.B. bei der Gruppe der in der Schweiz lebenden Kosovaren der Fall1290. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist der Umstand, dass die Zugehö­ rigkeit zu einer Nation nach diesen Merkmalen nur insofern ohne Weiteres erfasst wird, als die Staatsbürgerschaft regelmässig auch der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie entspricht oder mindestens in der Öffentlich­ keit so verstanden wird, was z.B. bei «Schweizern» nicht,1291 wohl aber bei den «Israeli» der Fall ist, wenn mit diesem Begriff das «Judentum» gemeint ist1292, aber etwa auch bei einer Tat der Fall sein kann, die sich gegen «Tür­ ken» richtet, wenn entweder konkret die Mitglieder der türkischen Ethnie gemeint sind oder der Begriff als Sammelbegriff für die Mitglieder der tür­ kischen und der kurdischen Ethnien gebraucht wird1293. b) Die vorstehend genannten Kriterien gelten auch für den Begriff der Rasse. Die Besonderheit liegt hier darin, dass deren Angehörigen  – wenn auch fälschlicherweise  – bestimmte erbliche Merkmale zugeschrieben werden,

1288  Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 261bis, Niggli, Kommentar, N 668 ff., Naguib/Zannol, 166 f.,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 26, Trechsel/Vest, N 12 zu Art. 261bis, Vest, N 28 zu Art. 261bis. 1289  Vgl. Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 261bis, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 13 zu Art. 261bis, Niggli, Kommentar, N 667 ff., a.M. wohl Botschaft 1992, 310, Trechsel/Vest, N 11 zu Art. 261bis. 1290  OGer Bern vom 15.3.2016, SK.2015.164, Erw.  III.10.4.4, bestätigt durch BGer vom 13.4.2017, 6B_610/2016. 1291  Vest, N 30 ff. zu Art. 261bis, zu den insoweit in der Praxis ergangenen divergierenden Entscheiden vgl. Naguib/Zannol, 167. 1292  Vgl. Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 16 zu Art. 261bis. 1293  Schleiminger, BSK StGB II, N 15 zu Art. 261bis, Vest, N 34 zu Art. 261bis, Niggli, Kom­ mentar, N 729 bezüglich eines Lokalverbots.

230

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

sodass ein biologischer Umstand als Fundament der Gruppenbildung gilt1294. c) Der Begriff der Religion erfasst jede Überzeugung, die sich auf das Verhältnis des Menschen zum Göttlichen, zum Transzendentalen bezieht und weltan­ schauliche Dimensionen hat1295. Da der Inhalt des Bekenntnisses nicht aus­ schlaggebend ist, fällt selbst der Atheismus darunter1296. Art. 261bis schützt allerdings ausschliesslich religiöse Gruppen1297. Entscheidend ist also wie­ derum, dass sich die Angehörigen der Religion selber als Gruppe emp­ finden und diese auch von der übrigen Bevölkerung als solche aufgefasst wird1298. Zu fordern ist ausserdem, dass die Gemeinschaft schon über eine gewisse Tradition verfügt und zudem einige Stabilität bekundet hat, wobei allerdings die Zahl ihrer Mitglieder theoretisch keine Rolle spielen darf1299. Zu den Angehörigen der nach Art. 261bis geschützten Gruppen religiöser Ausrichtung sind zweifellos alle Menschen zu rechnen, die sich zu einer der Weltreligionen, z.B. zum christlichen oder jüdischen Glauben1300, bzw. einer der darin vertretenen Konfessionen oder zu besonderen Zweigen bzw. Abspaltungen von ihnen bekennen1301. Die Schwierigkeiten beginnen bei den gemeinhin als «Sekten» bezeichneten Gemeinschaften. Hier wird das Element der Tradition von Bedeutung sein. Es dürfte aber in dieser Hin­ sicht auch ausreichen, wenn Gruppen an frühere, in unserer Zeit nur noch latente Traditionen anknüpfen, wie etwa an das Keltentum oder an andere vorchristliche Religionen. Keinen Schutz beanspruchen können dagegen sektiererische Gruppen, die einer ausschliesslich psychologischen Weltan­ schauung huldigen oder solche, die sich zwar als «Kirche» bezeichnen, aber

1294  Vgl. BGE 124 IV 124 = Pr 87 (1998) Nr. 107, Niggli, Kommentar, N 618 ff., Naguib/Zan-

nol, 166, Schleiminger/Mettler, BSK StGB II, N 14 zu Art. 261bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 25, Trechsel/Vest, N 11 zu Art. 261bis, Vest, N 27 zu Art. 261bis. 1295  BGE 119 Ia 183, Müller/Schefer, 254  ff., Niggli, Kommentar, N  694  ff., Riklin, 38  f., Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 18 zu Art. 261bis, Vest, N 35 f. zu Art. 261bis. 1296  Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 261bis, Trechsel/Vest, N 13 zu Art. 261bis, kritisch dazu Rom, 117 f. 1297  Vgl. zum Begriff der Gruppe, Niggli, Kommentar, N 562 ff. 1298  Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 18 zu Art. 261bis, Trechsel/Vest, N 14 zu Art. 261bis. 1299  Vgl. Niggli, Kommentar, N 702. 1300  BGE 123 IV 209, 124 IV 124 = Pr 87 (1998) Nr. 107, BGer vom 3.1.2017, 1B_320/2015, Erw. 2.3. 1301  BGer vom 16.9.2003, 6S.148/2003, Erw. 2.4: «l’Eglise catholique romaine», vgl. auch Niggli, Kommentar, N 706 ff.

231

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

unter diesem Deckmantel wirtschaftliche Interessen verfolgen1302. Glei­ ches gilt für destruktive Kulte, die in einer mit dem Verständnis der religiö­ sen Einstellung als freiheitlichem Bereich unvereinbaren Weise gegenüber ihren Mitgliedern irgendwelchen Zwang, auch im Sinne der Schaffung psy­ chischer Abhängigkeiten, zur Anwendung bringen1303. Bei alledem ist zu betonen, dass nach der ratio legis nicht nur Gruppen und ihre Mitglieder erfasst werden, auf welche die genannten Merkmale tatsäch­ lich zutreffen. Vielmehr muss es genügen, wenn der Täter sie ihnen bloss zuschreibt1304. Auch mit dieser Modifikation werden aber die genannten Krite­ rien in zahlreichen Fällen keine klare Grenzziehung zwischen geschützten und nicht geschützten Personengesamtheiten ermöglichen. Die Aufzählung der genannten Gruppen im Gesetz muss als abschliessend betrachtet werden1305, sodass etwa die Herabsetzung von Angehörigen sexu­ eller Minderheiten1306, von Mitgliedern religiös geprägter politischer Parteien oder von Anhängern subkultureller Strömungen vor Art.  1 straflos bleiben muss1307.

2.2

Die Begriffe des Diskriminierens und der Herabsetzung

Das gemeinsame und entscheidende Merkmal dieser beiden Begriffe liegt darin, dass der Täter die betroffenen Personen durch sein Verhalten in einer äusser­ lich ersichtlichen Weise, anknüpfend an ihre Zugehörigkeit zu einer ethnisch, rassisch oder religiös definierten Gruppe, in ihrer Menschenwürde beeinträch­ tigt, d.h. ihren Anspruch auf prinzipiell gleiche Anerkennung missachtet1308. 1302  Zur Scientology-Kirche vgl. SJZ 93 (1997) 205 ff., Naguib/Zannol, 168, Niggli, Kom­

mentar N 715, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 19 zu Art. 261bis, Vest, N 37 zu Art. 261bis. 1303  Vgl. Fiolka/Niggli, Religionsgemeinschaften, 722 f., Niggli, Kommentar, N 717 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 27, a.M. Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 18 zu Art. 261bis, Vest, N 38 zu Art. 261bis. 1304  BGer vom 4.11.2015, 6B_627/2015, Erw. 2.1, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 261bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 28, Niggli, Kommentar, N 604. 1305  Niggli, Kommentar, N 597, Pieth, BT, 232, Vest, N 40 zu Art. 261bis. 1306  Niggli, Kommentar, N 767 ff., zur Diskussion um eine Erweiterung des Anwendungs­ bereichs vgl. Jositsch/von Rotz, 54 ff. 1307  Vgl. aber auch Niggli, Kommentar, N 742: Eine Subkultur kann zur Ethnie werden. 1308  BGE 124 IV 124 f. = Pr 87 (1998) Nr. 107, BGE 133 IV 311, OGer Bern vom 15.3.2016, SK.2015.164, Erw. III.11.2.1, Niggli, Kommentar, N 1026 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 32, Trechsel/Vest, N 18, 22 zu Art. 261bis, Vest, N 52 zu Art. 261bis.

232

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

Nach Auffassung des Bundesgerichts ist auf den Sinn einer Äusserung abzustel­ len, wie er sich für den unbefangenen Durchschnittsadressaten unter Beach­ tung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles ergibt1309. Bei Äusserungen im Rahmen politischer Debatten ist beispielsweise zu beachten, dass bei diesen gewisse Vereinfachungen und Übertreibungen üblich sind1310. Unzweifelhaft erfasst wird von Art.  261bis jede (öffentliche) Äusserung, wel­ che den Angehörigen der betroffenen Gruppen die Gleichstellung mit ande­ ren als menschliches Wesen abspricht, so wenn sie sinngemäss dahin geht, ihnen komme die Qualität als Mensch überhaupt nicht zu, sie seien in die­ ser Hinsicht minderwertig oder gar, es komme ihnen kein Lebensrecht zu1311. Problematischer ist die Abgrenzung bei Ausführungen, welche den Angehö­ rigen bestimmter Rassen oder Religionen  – wenn auch verallgemeinernd  – regelmässig negativ bewertete Charaktereigenschaften zuschreiben, wie z.B. «faul», «unzuverlässig», «hinterlistig» oder «unbeherrscht». Ebenso verhält es sich, wenn ihnen bestimmte Verhaltensweisen unterstellt werden, wie z.B. eine besondere Neigung zur Kriminalität1312. Hier müssen auch quantitative Betrachtungsweisen ins Spiel gebracht werden. Es wird z.B. nicht ausreichen, wenn einer Volksgruppe bloss eine einzelne Eigenschaft oder Verhaltensweise zugeschrieben oder abgesprochen wird. Vielmehr muss, damit von einer Ver­ letzung der Würde als Mensch gesprochen werden kann, die Gesamtpersön­ lichkeit der Gruppenmitglieder betroffen sein1313. Dass eine Äusserung als pie­ täts- oder geschmackslos, als zynisch oder als borniert einzustufen ist, reicht für sich gesehen nicht aus, um den Anwendungsbereich des Art.  261bis zu eröffnen1314. In diesem Zusammenhang ist des Weiteren auch der Freiheit der 1309  BGE 131 IV 28, 133 IV 312, BGer vom 16.9.2003, 6S.148/2003, Erw.  2.6.1, BGer

vom 27.4.2009, 6B_664/2008, Erw. 3.1.1 = fp 2009, 213, OGer Bern vom 15.3.2016, SK.2015.164, Erw. III.11.2.1, bestätigt durch BGer vom 13.4.2017, 6B_610/2016. 1310  BGE 128 IV 58 f., 131 IV 28, BGer vom 27.4.2009, 6B_664/2008, Erw. 3.1.1 = fp 2009, 213. 1311  Vgl. Niggli, Kommentar, N 1105, 1137, 1193, 1242. 1312  Vgl. BGE 131 IV 23 ff. mit kritischer Anm. Fiolka, Medialex 2005, 52: Nichterfassung einer Medienmitteilung einer politischen Partei, in welcher darauf hingewiesen wird, dass Einwanderer aus dem Kosovo eine überdurchschnittliche Kriminalitätsrate auf­ wiesen; OGer Bern vom 15.3.2016, SK.2015.164, Erw. III.11.2.1 ff. = fp 2017, 67 ff. zum SVP-Plakat «Kosovaren schlitzen Schweizer auf». 1313  Niggli, Kommentar, N 187, sieht das entscheidende Merkmal darin, dass den Angehö­ rigen einer Gruppe die Gleichberechtigung als menschliche Wesen abgesprochen wird. 1314  Vgl. SJZ 102 (2006) 366 f.: Die im Anschluss an die Übertragung der Terroranschläge vom 11.9.2001 ausgestossenen Rufe «PLO Heil» und «Sieg Heil» i.V.m. der Äusse­

233

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

Meinungsäusserung Rechnung zu tragen: Der Straftatbestand der Rassendis­ kriminierung darf nicht dazu führen, dass die in öffentlichen Debatten unver­ zichtbare sachliche Kritik verunmöglicht bzw. beschränkt wird1315.

2.3

Das Merkmal der Öffentlichkeit

Mit Ausnahme von Art. 261bis Abs. 3 und 5 werden ausdrücklich nur öffent­ liche Äusserungen für strafbar erklärt. Bei der Auslegung des Begriffes der Öffentlichkeit sollten nach der älteren Rechtsprechung grundsätzlich die im Zusammenhang mit anderen Bestimmungen des Besonderen Teils des StGB (Art.  152 Abs.  2, 259, 261 Abs.  1, 276 Ziff.  1) entwickelten Kriterien mass­ gebend sein: Als öffentlich galt, was an einen unbestimmten oder grösseren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Kreis von Perso­ nen gerichtet war1316, wobei die konkreten Umstände des jeweiligen Einzel­ falles entscheidend waren1317. So war es ausreichend, dass die Handlung bzw. Äusserung von zufällig anwesenden oder hinzukommenden Dritten wahrge­ nommen werden konnte, sofern nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit dem Hinzutreten Aussenstehender gerechnet werden musste1318; Gleiches galt, wenn bei einer «geschlossenen» Veranstaltung ein unkontrollierter Besucher­ kreis zugelassen wurde1319. Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichts ist dagegen jede Handlung oder Äusserung öffentlich, die nicht im privaten Rahmen erfolgt. Privat sind Äusserungen oder Handlungen damit nur noch dann, wenn sie in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Ver­ trauen geprägten Umfeld vorgenommen werden1320, womit dann auch Veran­ rung «da fallen die Säulen des Kapitalismus endlich in sich zusammen» werden durch Art. 261bis nicht erfasst. 1315  Vgl. BGE 131 IV 27 ff., BGer vom 16.9.2003, 6S.148/2003, Erw. 2.2, BGer vom 27.4.2009, 6B_664/2008, Erw. 3.1.2 ff. = fp 2009, 213, OGer Bern vom 15.3.2016, SK.2015.164, Erw. III.11.2.1. 1316  BGE 123 IV 208, 126 IV 178 mit Besprechung Fiolka/Niggli, Öffentlichkeit, 533  ff., BGer vom 16.9.2003, 6S.148/2003, Erw. 2.3. 1317  BGE 126 IV 178 f., 126 IV 234 = Pr 90 (2001) Nr. 105 mit Besprechung Fiolka/Niggli, Öffentlichkeit, 533 ff., BGer vom 30.5.2002, 6S.635/2001, SJZ 98 (2002) 421. 1318  Vgl. hierzu auch Niggli, Kommentar, N 981 ff. 1319  Überblick über die Kasuistik bei Naguib/Zannol, 175 f., Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 27 zu Art. 261bis. 1320  Vgl. BGE 130 IV 119 mit zustimmender Anm.  Schleiminger Mettler, AJP 2 (2005) 237 ff., BGE 133 IV 312 mit Anm. Schleiminger Mettler, fp 2008, 147 f., vgl. auch Naguib/ Zannol, 176  f., BGer vom 24.2.2011, 6B_1024/2010, Erw.  4.2, BGer vom 4.11.2015, 6B_627/2015, Erw. 2.1, OGer Bern vom 15.3.2016, SK.2015.164, Erw. III.10.3, zustim­

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§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

staltungen als öffentlich gelten können, bei denen eine Einlasskontrolle statt­ findet1321. Nach diesen Kriterien ist das im Abstimmungskampf oft als Beispiel zitierte und diskutierte Gespräch am Stammtisch als öffentlich zu betrachten, sofern es von den Nachbartischen aus oder von vorbeigehenden Personen, auf wel­ che die «Runde» nicht achtet, ohne besondere Vorkehren und Mühe mit ange­ hört werden kann1322. Hingegen fallen Diskussionen unter Bekannten in einer Privatwohnung oder Äusserungen in einem Rundbrief an einen Freundes­ kreis1323 oder gegenüber einer geschlossenen Gruppe, z.B. einer Schulklasse, ausser Betracht, selbst wenn der Täter keine Kontrolle über die allfällige Wei­ tergabe des Inhalts an Aussenstehende hat1324. Gleiches gilt für den Fall, dass ein Buchhändler ein rassendiskriminierendes Werk in beschränkter Anzahl und an einem für Kunden nicht einsehbaren Ort aufbewahrt1325.

3.

Die tatbestandsmässigen Verhaltensweisen

3.1

Öffentlicher Aufruf zu Hass und Diskriminierung (Abs. 1)

Nach Abs. 1 wird erfasst, wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskrimi­ nierung aufruft, wobei nach dem Sinn dieser sprachlich verunglückten Bestim­ mung die Personen bzw. Personengruppen als «Zielscheibe», nicht als Adressat der propagierten Diskriminierung zu verstehen sind1326. «Hass» verlangt mehr als blosse Ablehnung, Verachtung oder Antipathie; erforderlich ist eine funda­ mental feindliche Gesinnung1327. Erfasst sind die Fälle, in denen der Täter ent­ mend Niggli, Kommentar, N 965 ff. und 988 ff., Pieth, BT, 233, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 23 f. zu Art. 261bis, ablehnend dagegen Trechsel/Vest, N 15 zu Art. 261bis, Vest, N 18 ff. vor Art. 258. 1321  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 31. 1322  Vgl. auch Vest, N 37 vor Art. 258, a.M. SJZ 92 (1996) 317 f., Trechsel/Vest, N 15 zu Art. 261bis. 1323  Vgl. aber auch BGE 123 IV 210, 126 IV 25 f = Pr 89 (2000) Nr. 176: Versenden eines Schreibens an einen grossen Adressatenkreis erfüllt das Merkmal der Öffentlichkeit. 1324  BGE 126 IV 180 f., Trechsel/Vest, N 15 zu Art. 261bis, a.M. Niggli, Kommentar, N 999. 1325  BGE 126 IV 235 = Pr 90 (2001) Nr. 105. 1326  Zur Kasuistik vgl. Naguib/Zannol, 170 f., Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 35 zu Art. 261bis. 1327  Vgl. Pr 89 (2000) Nr. 159 959, Niggli, Kommentar, N 1051 ff., Vest, N 49 zu Art. 261bis.

235

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

weder derartige Gefühle bei den Adressaten seiner Äusserung durch das Schü­ ren von Emotionen hervorbringt oder in denen er die Adressaten dazu bringt, bereits vorhandenem Hass freien Lauf zu lassen. Dieses Verhalten kann zwar kaum unter den Begriff des «Aufrufens» subsumiert werden, wohl aber unter die weiter gehenden romanischen Texte («celui qui, …, aura incité …», «chi­ unque incita …»)1328. Erforderlich ist eine gesteigerte Eindringlichkeit der Ein­ wirkung1329.

3.2

Öffentliches Verbreiten diskriminierenden Gedankengutes (Abs. 2)

Strafbar ist nach Abs. 2 die öffentliche Verbreitung von Ideologien, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind1330. Dabei erfasst der Begriff «Ideologie» nicht nur geschlossene weltanschauliche Systeme, sondern jede Form einschlä­ gigen Gedankenguts, wie z.B. die nationalsozialistische Weltanschauung1331. Ein Verbreiten liegt nicht schon im blossen Bekenntnis zu einer bestimmten Ideologie, sondern setzt ein Werben oder Propagieren in dem Sinne voraus, dass andere Menschen für die Ideologie gewonnen oder in ihrer Überzeugung gefestigt werden sollen1332. Dies kann neben verbalen Äusserungen auch durch nonverbale Handlungen und Gesten geschehen, wie z.B. durch das Zeigen des sog. Hitlergrusses1333. Der Begriff der «Verleumdung» setzt anders als bei

1328  Vgl. BGE 123 IV 207, 124 IV 124 = Pr 87 (1998) Nr. 107, Niggli, Kommentar, N 1064 f.,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 33, vgl. auch Rom, 124.

1329  Niggli, Kommentar, N  1068, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N  34 zu Art.  261bis,

Trechsel/Vest, N 19 zu Art. 261bis, Vest, N 45 f. zu Art. 261bis.

1330  Zur Kasuistik vgl. Naguib/Zannol, 171 f., Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 39 zu

Art. 261bis.

1331  BGE 140 IV 104, vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 34, Vest, N 53 ff. zu

Art. 261bis, a.M. Trechsel/Vest, N 20 zu Art. 261bis, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 40 zu Art. 261bis: Einschlägig sei Abs. 4. 1332  BGE 140 IV 105. 1333  BGE 140 IV 105 ff. mit Anmerkung S. Werly, Medialex 2014, 160 f., allerdings nur für die Fälle, in denen sich der Täter mit der Geste werbend an die Öffentlichkeit wendet; zur Diskussion um eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Strafnrom auf den Gebrauch bestimmter Symbole vgl. Jositsch/von Rotz, 43 ff.

236

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

Art. 174 kein Handeln «wider besseres Wissen» voraus1334. Es reicht, dass die Gruppe generell in menschenwürdewidriger Weise herabgewürdigt wird1335.

3.3

Vorbereitung und Teilnahme an Propagandaaktionen (Abs. 3)

Abs. 3 stellt die Teilnahme an sowie die Organisation und Förderung von Taten i.S. von Abs. 1 und Abs. 2 als eigenständiges Delikt unter Strafe1336. Die Alterna­ tiven des Organisierens und Förderns erfassen Vorbereitungshandlungen wie z.B. das Schreiben von Reden und das Entwerfen von Plakaten1337. Die «Teil­ nahme» an Propagandaaktionen ist ebenfalls im Sinne einer aktiven Unter­ stützung zu verstehen; die blosse Anwesenheit bei einer einschlägigen Veran­ staltung als Zuhörer kann ebenso wenig ausreichen1338 wie der Besitz oder das Einführen von Propagandamaterial, wenn dieses ausschliesslich dem Eigen­ gebrauch dient1339. Die Vorbereitung und Teilnahme an Propagandaaktionen brauchen nicht öffentlich zu erfolgen. Erforderlich ist nur, dass die betreffende Propaganda selbst auf die Öffentlichkeit bezogen ist1340.

3.4

Öffentliches Diskriminieren oder Herabsetzen von Personen oder Gruppen (Abs. 4 Alt. 1)

Nach Abs. 4 Alt. 1 wird mit Strafe bedroht, wer öffentlich durch Wort, Schrift, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion herabsetzt oder diskri­ miniert, wobei hier ausdrücklich gefordert wird, dass dies in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise geschieht1341. Entscheidend ist, wie das infrage stehende Verhalten von einem unbefangenen durchschnittlichen Drit­ 1334  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 34, Trechsel/Vest, N 23 zu Art. 261bis. 1335  A.M. Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 41 zu Art. 261bis: Die Alternative der Ver­

leumdung erfasse den Sonderfall, in dem der Vertreter oder Befürworter selbst nicht an die Ideologie glaube. 1336  Corboz, Vol. II, N 25a zu Art. 261bis, Niggli, Kommentar, N 1231, Vest, N 65 zu Art. 261bis. 1337  Zur Kasuistik vgl. Naguib/Zannol, 172, Niggli, Kommentar, N 1233, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 46 zu Art. 261bis. 1338  Trechsel/Vest, N 28 zu Art. 261bis, Vest, N 64 zu Art. 261bis. 1339  Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 47 zu Art. 261bis, Vest, N 64 zu Art. 261bis. 1340  Corboz, Vol. II, N 25a zu Art. 261bis, Vest, N 63 zu Art. 261bis. 1341  BGE 140 IV 69 und 72 f. mit Besprechung Schleiminger Mettler, fp 2014, 309 f., Pr 89 (2000) Nr. 159 S. 957 f., OGer Schaffhausen SJZ 112 (2016), 239, vgl. auch Niggli, Kom­

237

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

ten unter Beachtung der konkreten Umstände interpretiert wird1342. Erfasst wird z.B. der Tweet «Vielleicht brauchen wir wieder eine Kristallnacht … dies­ mal für Moscheen»1343. Äusserungen wie «schwarze Sau», «Dreckjugo» oder «Saujude» fallen ebenfalls eindeutig in den Anwendungsbereich der Straf­ norm; anders liegt es bei Äusserungen, denen ein Bezug auf die Kategorien einer bestimmten Rasse, Ethnie oder Religion fehlen, wie z.B. «Sauauslän­ der» oder «Dreckasylant», es sei denn, die Bezeichnung stellt sich bei unbe­ fangener Betrachtung als Synonym für eine bestimmte Rasse oder Ethnie oder als Sammelbegriff für eine Mehrzahl konkreter Ethnien oder Rassen dar1344. Nach Auffassung des OGer Schaffhausen sollen die Bezeichnungen «Jugofutz», «Jugoschlampe» oder «Jugohure» zwar als primitive, fremdenfeindlich moti­ vierte Ehrverletzungen einzustufen sein, nicht aber als rassistische Angriffe auf die Menschenwürde1345. Tätlichkeiten oder gar Gebärden werden allerdings für sich allein genommen kaum zum Ausdruck bringen können, dass damit ihr Adressat gerade im Hinblick auf seine Rasse oder Religion als minder­ wertig hingestellt wird; in aller Regel wird zusätzlich ein verbaler Kommentar erforderlich sein oder es müssen die Umstände, unter denen die konkrete Tat begangen wird, den rassistischen Hintergrund des Verhaltens für einen unbe­ fangenen Dritten klar erkennbar machen1346. Gar keine Herabsetzung oder Diskriminierung lässt sich darin erblicken, dass sachliche Kritik an der Einstel­ lung oder am Verhalten einer ethnischen bzw. religiösen Gruppierung geübt wird, indem beispielsweise in einem Zeitungsartikel die Haltung einer Reli­ gionsgemeinschaft zu einer bestimmten Sachfrage, z.B. zur Abtreibung oder zur Gleichstellung von Mann und Frau, kritisiert wird1347. Dies kann selbst

mentar, N 1276 ff., Vest, N 72 ff. zu Art. 261bis, kritisch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 38: Abs. 4 sei neben Abs. 1 bis 3 überflüssig. 1342  BGE 133 IV 312, 140 IV 69, BGer vom 14.10.2015, 6B_1100/2014, Erw. 3.2, BGer vom 4.11.2015, 6B_627/2015, Erw. 2.5. 1343  BGer vom 4.11.2015, 6B_627/2015, Erw. 2.6 ff., vgl. auch OGer Zürich vom 27.4.2015, SB140 436, Erw. 5.3 ff. 1344  BGE 140 IV 70 ff. mit kritischer Besprechung Schleiminger Mettler, fp 2014, 308 f., vgl. auch OGer Schaffhausen SJZ 112 (2016), 240. 1345  OGer Schaffhausen SJZ 112 (2016), 240. 1346  Vgl. BGE 133 IV 313 ff. mit Anm. Schleiminger Mettler, fp 2008, 147 f., Niggli, Kom­ mentar, N 1254, zur Kasuistik vgl. im Übrigen Naguib/Zannol, 173, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 52 ff. zu Art. 261bis. 1347  BGer vom 16.9.2003, 6S.148/2003, Erw. 2.6.1 f., betreffend den Umgang der römischkatholischen Kirche mit pädophilen Priestern.

238

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

dann gelten, wenn diese Kritik mit einem Werturteil wie «verbrecherisch» oder «sexistisch» verbunden wird1348.

3.5

Leugnen, Verharmlosen oder Rechtfertigen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Abs. 4 Alt. 2)

Weiter wird in Abs. 4 Alt. 2 die sog. Auschwitzlüge als solche unter Strafdro­ hung gestellt. Bestraft wird, wer «aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht»1349. Anders als bei den anderen Tatbegehungs­ varianten geht es hier nicht um Rassendiskriminierung als solche, sondern um das Bestreiten bzw. Rechtfertigen historisch belegter Verbrechen gegen die Menschheit1350, wobei insbesondere die Leugnung oder Verharmlosung des Völkermords an den Juden während der nationalsozialistischen Herr­ schaft erfasst wird1351. Das BGer ist davon ausgegangen, dass auch andere Fälle des Leugnens eines Völkermords erfasst sind, wie z.B. die Leugnung des Völ­ kermords an den Armeniern, der 1915 im Osmanischen Reich stattgefun­ den hat1352. Diese Rechtsprechung ist allerdings von der Grossen Kammer des EGMR als unzulässige Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäusse­ rung eingestuft worden1353. De facto wird man deshalb davon ausgehen müs­ sen, dass die Bezeichnung des Delikts als «Verbot der Auschwitzlüge» nicht nur eine beispielhaft-plakative Kurzumschreibung darstellt, sondern den Anwen­ dungsbereich der Strafnorm vollständig und abschliessend umschreibt. 1348  BGE 131 IV 28 f., SJZ 96 (2000) 372. 1349  Vgl. z.B. BGE 126 IV 20 = Pr 89 (2000) Nr. 176, BGE 126 IV 230 = Pr 90 (2001) Nr. 105,

weitere Hinweise zur Praxis der Strafgerichte bei Naguib/Zannol, 174, Niggli, Kom­ mentar, N 1418 ff., insbesondere N 1433 ff. 1350  Corboz, Vol. II, N 30 f. zu Art. 261bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 39, vgl. aber auch BGE 126 IV 26 = Pr 89 (2000) Nr. 176, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 60 ff. zu Art. 261bis. 1351  Vgl. BGE 127 IV 206 ff., Pr 89 (2000) Nr. 159 948 ff., BGer vom 24.2.2011, 6B_1024/2010, Erw.  4, BGer vom 14.10.2015, 6B_1100/2014, Erw.  3.1 und 3.9, Niggli, Kommentar, N 1412, 1434 ff. 1352  Vgl. BGer vom 12.12.2007, 6B_398/2007, Erw.  3  ff. = fp 2008, 156  ff., BGer vom 16.9.2010, 6B_297/2010, Erw. 3 f., fp 2009, 214 ff., Niggli, Kommentar, N 916, 1437 ff. 1353  EGMR, Grand Chamber, vom 15.10.2015, Perinçek c. Suisse (No. 27510/08) mit Bespre­ chung H. Vest/M. Simon, fp 2016, 535 ff.; vgl. auch EGMR vom 17.12.2013, Perinçek c. Suisse (No. 27510/08) mit Besprechung M. Forster, fp 2014, 53 ff. sowie S. Schürer ZSR 2014, 347 ff.; zur kritischen Auseinandersetzung mit diesen Entscheiden vgl. auch Niggli/Fiolka, 85 ff., Thürer, 129 ff., Pieth, BT, 236.

239

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

Umstritten ist, was mit der Formulierung «aus einem dieser Gründe» gemeint sein soll. Der Bundesrat wollte mit der fraglichen Wendung offenbar zum Aus­ druck bringen, dass nur Opfer rassistisch oder religiös motivierter Verbrechen gemeint seien1354. In dem zum Gesetz gewordenen Text hat diese Intention keinen klaren Ausdruck gefunden; dieser kann vielmehr auch so verstanden werden, dass mit dieser Formulierung die Motivation des Täters zur Verbrei­ tung der Auschwitzlüge gemeint ist1355, was in den Fällen, in denen der Täter allein aus Gewinnstreben handelt bzw. eine direkte Absicht zur Diskriminie­ rung nicht nachzuweisen ist, zu sachlich kaum zu rechtfertigenden Strafbar­ keitslücken führen würde1356. Dass in den Konzentrationslagern des NS-Staates jene Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden, die Anlass zur Pönalisierung der Auschwitz­ lüge gaben, muss als vom Gesetzgeber erwiesen betrachtete Tatsache gesehen werden und soll daher im konkreten Strafverfahren keines besonderen Bewei­ ses bedürfen1357. Wenn man nicht davon ausgeht, dass der Anwendungsbereich der Strafnorm von vornherein auf die Leugnung des Holocaust beschränkt ist, stellt sich die Frage, was in den Fällen gelten soll, die noch nicht in gleicher Weise als historisch verbürgt gelten können1358 bzw. bei denen die Einordnung als Völkermord umstritten ist1359. Da eine klare Grenzziehung nicht möglich ist, sollte generell von derartigen Einschränkungen der Verteidigungsmöglichkei­ ten des Beschuldigten Abstand genommen werden: Wenn der Staat bestimmte Meinungsäusserungen als solche unter Strafe stellt, gebietet es die Fairness des Verfahrens, dem Beschuldigten die Möglichkeit zu eröffnen, die Wahrheit sei­ 1354  Vgl. Botschaft 1992, 313 f. 1355  Niggli, Kommentar, N 1225, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 39, Vest, 70, offenge­

lassen in BGE 126 IV 26 = Pr 89 (2000) Nr. 176, BGer vom 16.9.2010, 6B_297/2010, Erw. 4.2 ff., OGer Zürich, fp 2010, 270 ff. mit kritischer Anmerkung Höhener/Sager. 1356  Die Auffassung, dem Leugnen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit liege stets eine diskriminierende Motivation zugrunde (so Pieth, BT, 236, Schleiminger, BSK StGB II, N 65 zu Art. 261bis, Niggli, Kommentar, N 1503 i.V.m. N 1320 ff.) überzeugt ebenso wenig wie der Hinweis, die zur Umschreibung des Täterhandelns verwendeten Tätig­ keitswörter liessen keinen Raum für ehrbare Motive (so aber Trechsel/Vest, N 38 zu Art. 261bis). 1357  BGE 121 IV 85, Niggli, Kommentar, N 909 ff., Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 64 zu Art. 261bis, Vest, 70. 1358  Vgl. Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 64 zu Art. 261bis. 1359  Bejahend zur Anwendung des Art. 261bis auf die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich: fp 2008, 156 ff., fp 2009, 214 ff., vgl. auch Exquis/ Niggli, 424 ff.

240

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

ner Äusserungen unter Beweis zu stellen. Der nicht zu leugnenden Gefahr, dass derartige Beweiserhebungen ausarten und dem Beschuldigten ein willkomme­ nes Podium bieten können, ist nicht durch generelle Beweiserhebungsverbote zu begegnen, sondern durch eine sachgerechte Verfahrensführung1360.

3.6

Tätige Diskriminierung (Abs. 5)

In Abs. 5 wird derjenige mit Strafe bedroht, der eine von ihm angebotene Leis­ tung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert, was die Botschaft1361 als «eigentliche Diskriminierung» bezeichnet und was nicht öffent­ lich zu geschehen braucht. Gegenstand dieser Bestimmung können irgendwelche Leistungen sein, insbe­ sondere Sach- als auch Dienstleistungen1362, wenn diese «für die Allgemein­ heit bestimmt» sind. Abgesehen von den Fällen, in denen klare Rechtsregeln bestehen, welche eine grundsätzliche Pflicht zur Erbringung von Leistungen an alle Interessenten vorsehen1363, ist zweifelhaft, anhand welcher Kriterien zu entscheiden ist, ob es sich um eine Leistung mit einer derartigen Bestimmung handelt. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, es müsse sich um Ver­ träge handeln, bei denen die Person des Vertragspartners in den Hintergrund trete, weil Leistung und Gegenleistung standardisiert und das Bestehen des Vertragsverhältnisses nicht auf Dauer angelegt sei1364. Erfasst sind damit neben Einrichtungen wie Theatern und Kinos auch Hotels und Restaurants1365. Wes­ halb Vertragsverhältnisse ausscheiden sollen, die auf Dauer angelegt sind, ist nicht nachvollziehbar. Richtigerweise müssen auch solche unter die Norm fal­ len, beispielsweise der Miet- oder Pachtvertrag1366.

1360  Vest, N 93 zu Art. 260bis. 1361  Botschaft 1992, 314. 1362  Niggli, Kommentar, N 1523 ff., Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 72 zu Art. 261bis,

Vest, N 105 zu Art. 261bis.

1363  Z.B. Beförderungspflicht für konzessionierte Transportunternehmungen und Taxibe­

triebe.

1364  Vgl. Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N  74 zu Art.  261bis, Trechsel/Vest, N  41 zu

Art. 261bis, Vest, N 107 ff. zu Art. 261bis.

1365  Corboz, Vol. II, N 36 zu Art. 261bis, Trechsel/Vest, N 41 zu Art. 261bis, zur Kasuistik im

Einzelnen Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 82 f. zu Art. 261bis.

1366  Niggli, Kommentar, N 1557 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 41, vgl. auch Vest,

N 110 zu Art. 261bis.

241

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

Art. 261bis Abs. 5 begründet zwar keinen Bewirtungszwang, greift aber dann ein, wenn die Verweigerung einer Leistung in einer Art und Weise erfolgt, die mit dem im gesellschaftlichen Grundkonsens enthaltenen Verbot öffentlicher Segregation und Apartheid nicht zu vereinbaren ist. Gleiches gilt grundsätzlich für Stellenausschreibungen, Wohnungsange­ bote, Heiratsannoncen und ähnliche Angebote. Dass diese Angebote nicht für jedermann erbracht werden können, ändert nichts daran, dass sie, weil sie grundsätzlich an jedermann gerichtet sind, bestimmten Adressaten nicht aus ethnisch, rassisch oder religiös motivierten Gründen vorenthalten werden dürfen1367. In den Fällen, in denen eine Leistung von vornherein nicht der All­ gemeinheit, sondern nur einer bestimmten Gruppe angeboten wird (sog. posi­ tive Diskriminierung), greift Abs. 5 nur dann, wenn keine sachlichen Gründe für die Beschränkung gegeben sind und diese der Umgehung des Diskrimi­ nierungsverbotes dient1368. Sachliche Gründe für eine Leistungsverweigerung können z.B. darin liegen, dass zurückliegende Zusammenkünfte einer ethni­ schen Gruppe in einem Lokal mit ungebührlichem oder gar verbotenem Ver­ halten verbunden waren. Die Befürchtung, dass es zu Zusammenstössen mit den zum Kreis der Gäste gehörenden Angehörigen einer anderen Volksgruppe kommen könnte, rechtfertigt den Ausschluss indes nicht ohne Weiteres; ent­ scheidend ist, von welcher Gruppe die Spannungen ausgehen.

3.7

Subjektiver Tatbestand

Subjektiv ist in allen Fällen Vorsatz erforderlich, wobei Eventualvorsatz aus­ reicht1369. Insbesondere gehört dazu das Bewusstsein  – auch in Form einer «Parallelwertung in der Laiensphäre»1370 – und der Wille des Täters, mit sei­ nem Verhalten jemanden oder eine Personenmehrheit unter Berufung auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Rasse oder Religion herabzusetzen bzw. zu ihrer Diskriminierung aufzurufen oder ihnen deswegen eine Leistung zu verweigern.

1367  Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 75 zu Art. 261bis, Vest, N 111 ff. zu Art. 261bis, a.A.

Pieth, BT, 237.

1368  Niggli, Kommentar, N 1618 ff., Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 76 zu Art. 261bis,

Vest, N 114 zu Art. 261bis. 1369  BGE 123 IV 210, 124 IV 125 = Pr 87 (1998) Nr. 107, Niggli, Kommentar, N 1665, Vest, N 117 zu Art. 261bis. 1370  Vgl. Strafrecht I, § 9 Ziff. 2.311.

242

§ 52  Rassendiskriminierung (Art. 261bis)

4.

Weitere Fragen

4.1

Versuch und Teilnahme

Da die Tat bereits mit einer herabsetzenden Äusserung oder anderweitigen Verhaltensweise i.S.  von Art.  261bis vollendet ist, kommt Versuch höchstens dann in Betracht, wenn noch niemand von ihr Kenntnis genommen hat1371. Dagegen sind strafbare Anstiftung und Beihilfe ohne Weiteres denkbar, letztere allerdings nur insoweit, als die Unterstützung diskriminierender Aktivitäten nicht wie in Art. 261bis Abs. 2 zu einer Form von Täterschaft verselbständigt ist.

4.2

Deliktsbegehung über Medien

Obwohl es sich um Äusserungsdelikte handelt, fallen Straftaten nach Art. 261bis richtigerweise nicht unter die presse- und medienstrafrechtliche Sonderrege­ lung des Art. 28, da die mit der Anwendung dieser Norm verbundene Beschrän­ kung der Verantwortlichkeit dem Sinn und Zweck des Art. 261bis zuwiderlau­ fen würde1372.

4.3 Rechtfertigungsgründe Verhalten, welches sich unter Art.  261bis subsumieren lässt, ist nicht durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt1373. Auch eine Rechtfertigung wegen eines schutzwürdigen wissenschaftlichen oder kulturellen Wertes schei­ det aus1374.

4.4 Konkurrenzfragen Erfüllt der Täter mit ein und derselben Handlung mehrere Alternativen des Art. 261bis, liegt keine Idealkonkurrenz vor, sondern ein Einheitsdelikt1375. 1371  Vest, N 118 zu Art. 260bis. 1372  BGE 125 IV 211 = Pr 89 (2000) Nr. 16, AJP 9 (2000) 1039 ff. mit krit. Anm. Schleimin-

ger Mettler, BGE 126 IV 177, Corboz, Vol. II, N 39 zu Art. 261bis, Niggli, Kommentar, N 1747 ff., a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 45, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 87 zu Art. 261bis, Vest, N 121 zu Art. 261bis. 1373  Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 28 zu Art. 261bis. 1374  BGer vom 16.9.2010, 6B_297/2010, Erw. 4.3, Trechsel/Vest, N 44 zu Art. 261bis. 1375  So auch Vest, N 126 zu Art. 261bis, vgl. aber auch Niggli, Kommentar, N 1788, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 85 zu Art. 261bis, die von einem Vorrangverhältnis der verschiedenen Tatbestandsvarianten untereinander ausgehen.

243

§ 53  Störung des Totenfriedens (Art. 262)

Echte Konkurrenz ist dann anzunehmen, wenn eine Diskriminierung mit der strafbaren Beeinträchtigung weiterer individueller oder allgemeiner Rechtsgü­ ter einhergeht, wie z.B. Sachbeschädigungen beim Anbringen entsprechender Parolen an Hausfassaden oder Körperverletzungen, allenfalls auch Landfrie­ densbruch im Gefolge von Auseinandersetzungen unter rassistischen Paro­ len1376. Bleibt es dagegen bei einem Aufruf zur Diskriminierung, der auch Gewalttätigkeiten umfasst, geht Art. 259 mit seiner strengeren Strafdrohung vor1377. Im Verhältnis zu Art. 177 ist echte Konkurrenz anzunehmen, wenn man der Konzeption folgt, nach der Art.  261bis eine gesellschaftlich als fundamental empfundene Verhaltensnorm schützt1378.

§ 53 Störung des Totenfriedens (Art. 262) Literaturauswahl: R. Bieri, Der strafrechtliche Schutz des Totenfriedens, Diss. Frei­ burg 1954, E. Hafter, Leichensektion und Strafrecht, ZStrR 54 (1940) 259, H. Hinderling, Nochmals zur Frage der Zulässigkeit von Organübertragungen, SJZ 65 (1969) 231, M. Niggli/G. Fiolka, Art. 261bis StGB und die Meinungsäusserungsfreiheit, in: GRA Stif­ tung gegen Rassismus und Antisemitismus (Hrsg.), Gedanken zur Rassismus-Straf­ norm, 20 Jahre Art. 261bis StGB, Zürich 2016, 71, R. Schöning, Rechtliche Aspekte der Organtransplantation unter besonderer Berücksichtigung des Strafrechts, Diss. Zürich 1996, M. Splisgardt, Widerrechtlichkeit von klinischen Obduktionen, Diss. Zürich 2007.

Die Bestimmung (Störung des Totenfriedens/Atteinte à la paix des morts/Turbamento della pace dei defunti/Disturbing the peace of the dead) bedroht verschie­ dene schwerwiegende Angriffe auf die Ehrfurcht gegenüber Verstorbenen mit Strafe. Gewährleistet werden soll ein mit den herrschenden Pietätsvorstellun­ gen konformes Verhalten, bei dem es allerdings weniger um den Schutz eines Rechtsguts im üblichen Sinne als vielmehr um die Gewährleistung gesellschaft­

1376  Corboz, Vol. II, N 41 zu Art. 261bis, Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 86 zu Art. 261bis,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 46, Trechsel/Vest, N 46 zu Art. 261bis, vgl. aber auch Niggli, Kommentar, N 1791 ff.: grundsätzlich stets echte Konkurrenz, unechte Konkur­ renz nur bei Tätlichkeiten im Verhältnis zu Art. 261bis Abs. 4 1. Hälfte. 1377  Corboz, Vol. II, N 40 zu Art. 261bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 46, Strauss, 237, a.M. Trechsel/Vest, N 46 zu Art. 261bis, Vest, N 124 zu Art. 261bis. 1378  Vgl. Corboz, Vol. II, N 41 zu Art. 261bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 46, a.M. Schleiminger Mettler, BSK StGB II, N 86 zu Art. 261bis.

244

§ 53  Störung des Totenfriedens (Art. 262)

lich gültiger Verhaltensnormen geht1379. Bei Ziff. 2 kann das geschützte Rechts­ gut im Obhutsrecht des Berechtigten gesehen werden1380.

1.

Verunehrung von Ruhestätten, Leichen, Leichenzügen und Leichenfeiern (Ziff. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Nach Ziff. 1 Abs. 1 wird bestraft, wer die Ruhestätte eines Toten (Grab, Urnen­ nische, Mausoleum)1381 verunehrt, d.h., gegen diese in einer Weise tätig wird, welche nach den Regeln des sozialen Zusammenlebens als Verletzung der Ehr­ furcht gegenüber dem Verstorbenen angesehen wird1382. Die Verunehrung muss freilich «in roher Weise» erfolgen. Diese Wendung bezieht sich nicht auf die Beweggründe oder Gesinnung des Täters, sondern auf dessen äusse­ res Benehmen und Vorgehen. Bestraft werden soll nicht jeder Unfug auf einem Friedhof, sondern nur das den herrschenden Pietätsvorstellungen krass zuwi­ derlaufende Verhalten1383. Beispiele: Das Verstellen von Grabplatten und Kränzen sowie die Wegnahme einzelner zum Grabschmuck gehörender Gegenstände genügt nicht. Anders wäre zu entscheiden, wenn Grabsteine umgestürzt, stark beschädigt oder beschmiert sowie wenn Leichen ohne Anlass ausgegraben werden1384. Nicht tatbestandsmässig sind weiterhin die straf­ prozessual begründete Exhumierung einer Leiche1385 und die Aufhebung eines Grabes nach Ablauf der sog. Liegefrist1386.

Ziff. 1 Abs. 2 erfasst die Verunehrung bzw. Störung eines Leichenzuges oder einer Leichenfeier. 1379  So auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 47, vgl. auch BGE 129 IV 173 = Pr 92

(2003) Nr. 182, BGE 129 I 301, OGer Zürich vom 7.4.2010, SE090 044, Erw. 3.1.1, vgl. aber auch Schubarth, N 3 zu Art. 262: Schutz tiefverwurzelter Tabus, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 262, Fiolka, BSK StGB II, N 6 zu Art. 262, Splisgardt, 112 ff., Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 262, die auf den Schutz des Pietätsgefühls abstellen. 1380  Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 262. 1381  Vgl. Fiolka, BSK StGB II, N  9  ff. zu Art.  262, Schubarth, N  11  ff. zu Art.  262, Splisgardt, 116. 1382  Vgl. ZR 48 (1949) Nr. 68. 1383  Vgl. BGE 109 IV 129, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 262, Fiolka, BSK StGB II, N 14 zu Art. 262, Schubarth, N 20 zu Art. 262, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 49. 1384  Vgl. BGE 109 IV 129. 1385  Splisgardt, 116 f., vgl. aber auch Schubarth, N 22 zu Art. 262: gerechtfertigt. 1386  Schubarth, N 23 zu Art. 262: gerechtfertigt.

245

§ 53  Störung des Totenfriedens (Art. 262)

Ziff.  1 Abs.  3 stellt die Verunehrung sowie die öffentliche Beschimpfung eines Leichnams unter Strafe. Beim Leichnam handelt es sich um den Körper eines verstorbenen Menschen1387. Für die Alternative der Verunehrung gelten die Ausführungen zu Ziff. 1 Abs. 1 entsprechend1388. Beispiele: Das Verbrennen eines Leichnams gilt ebenso als Verunehrung1389 wie die Leichenschändung oder das Zerteilen einer Leiche mit anschliessendem Versenken der Teile in einem Gewässer1390. Gleiches gilt, wenn der handlungspflichtige Garant es unterlässt, den bei einem Bergunfall erheblich beschädigten Körper des Leichnams zu waschen, was zur Folge hat, dass der Leichnam zwei Tage lang in seinem Blut badet und ein Teil davon über das Leichentuch fliesst1391. Demgegenüber erblickt das Bundes­ gericht darin, dass der Abwart einer Leichenhalle im Auftrag der Angehörigen Gold­ zähne vom Gebiss eines Toten abnahm, keine Verunehrung1392. Andererseits hat das Bundesgericht eine Verunehrung in einem Fall angenommen, in dem ein Bestattungs­ unternehmer veranlasste, dass der Herzschrittmacher eines Leichnams vor dessen Kre­ mierung von einem seiner Angestellten mittels eines Taschenmessers entfernt wurde, wobei das Bundesgericht massgeblich darauf abstellte, dass die Entfernung durch einen Arzt hätte erfolgen müssen1393. Eine Verunehrung liegt selbstverständlich auch nicht vor bei der Öffnung der Leiche eines Spitalpatienten, die mit seiner Einwilligung oder derjenigen seiner Angehörigen vorgenommen wird1394. Umstritten ist, ob dies auch dann gilt, wenn die Obduktion zwar lege artis, aber ohne Einwilligung durchgeführt wird1395.

Die Alternative der Beschimpfung erfasst – entsprechend der Beschimpfung nach Art.  1771396  – die Äusserung negativer Werturteile über das Verhalten des Verstorbenen zu Lebzeiten1397. Üble Nachrede (Art. 173) gegenüber Ver­ storbenen sowie Verleumdung solcher (Art. 174) fallen ausschliesslich unter diese Tatbestände (vgl. Art. 175). Tatsachenbehauptungen sind von Art. 262 1387  Fiolka, BSK StGB II, N 22 zu Art. 262, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 262 sowie ausführlich

Schubarth, N 29 ff. zu Art. 262, Splisgardt, 117 ff.

1388  Vgl. auch Splisgardt, 122 ff. 1389  OGer Zürich vom 7.4.2010, SE090 044, Erw.  3.1.1  f. unter Verweis auf BGer vom

22.10.2003, 6S.104/2002 sowie BGer vom 24.1.2002, 6S.668/2001.

1390  BGer vom 9.10.2003, 6S.309/2003, Erw. 3. 1391  BGer fp 2010, 275 f., kritisch zu diesem Entscheid Fiolka, BSK StGB II, N 28 zu Art. 262. 1392  BGE 72 IV 155, vgl. auch Splisgardt, 127 f. 1393  BGE 129 IV 174 = Pr 96 (2003) Nr. 182, mit krit. Anm. Donatsch/Frei, SJZ 99 (2003)

586 f., vgl. auch Splisgardt, 126 f.

1394  BGE 98 Ia 519, 111 Ia 233, Splisgardt, 129 f. 1395  Vgl. hierzu ausführlich Splisgardt, 131 ff. 1396  Vgl. Strafrecht III, § 43 Ziff. 5. 1397  Splisgardt, 121.

246

§ 53  Störung des Totenfriedens (Art. 262)

nur dann erfasst, wenn sich der beschimpfende Charakter aus der Form der Äusserung ergibt1398. Beispiel: Die Grabrede, in der ein Prediger die Lebensführung des Verstorbenen rügte, wurde nicht als Beschimpfung eines Leichnams betrachtet1399.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist Vorsatz, auch in Bezug auf die Verletzung des Pietätsgefühls, im Falle der Störung eines Leichenzuges oder einer Leichenfeier überdies böswilliges Handeln. Daran kann es z.B. fehlen, wenn ein eiliger Autolenker ein Trau­ ergeleit behindert.

2.

Wegnahme von Leichen oder Teilen davon (Ziff. 2)

2.1

Objektiver Tatbestand

Der Tatbestand setzt voraus, dass jemand einen Leichnam oder Teile eines Leichnams oder die Asche eines Toten wider den Willen des Berechtigten wegnimmt. Beim Leichnam kann es sich sowohl um einen noch nicht beerdigten wie auch einen bereits bestatteten Toten handeln. Mit der Aufhebung eines Grabes nach Ablauf der «Liegefrist» muss jedoch der Schutz dahinfallen1400. Künstliche Teile bilden Bestandteile eines Leichnams, wenn und solange sie mit diesem fest verbunden sind, wie z.B. Goldzähne und Goldbrücken1401 oder Herzschrittmacher1402. Fehlt es an einer solchen Verbindung, wie z.B. bei Hörgeräten und künstlichen Gebis­ sen, oder wurde diese gelöst, sind allein die Art. 137 ff. einschlägig1403. Schwierigkeiten bereitet die Beantwortung der Frage nach der Berechtigung an einer Leiche, die regelmässig kein Objekt eines dinglichen Rechtes sein kann. Etwas anderes gilt nur für Leichen bzw. Teile von solchen, die bereits anatomi­ schen Instituten gehören, und bei deren Wegnahme die Art. 137 ff. anwendbar sind1404. «Berechtigt» sind in erster Linie die Angehörigen des Verstorbenen. 1398  Vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 26 zu Art. 262, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 262. 1399  BGE 73 IV 189. 1400  A.M. Fiolka, BSK StGB II, N 50 ff. zu Art. 262. 1401  BGE 112 IV 35. 1402  BGE 129 IV 174 = Pr 92 (2003) Nr. 182. 1403  Vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 23 f. zu Art. 262, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 52. 1404  Fiolka, BSK StGB II, N 43 zu Art. 262, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 52, Trechsel/

Vest, N 8 zu Art. 262, der dies auch für Explantate annehmen will, die wieder verwen­ det werden sollen, wie z.B. Nieren, die zum Zwecke der Spende entnommen wurden.

247

§ 53  Störung des Totenfriedens (Art. 262)

Hinterlässt der Verstorbene keine Angehörigen, so wird man diejenige Person oder Institution, welche rechtmässig den Gewahrsam an der Leiche ausübt, als berechtigt zu betrachten haben. Berechtigte können hiernach die Leitung eines Krankenhauses oder eines pathologischen Instituts sein1405, nicht aber Straf­ verfolgungsbehörden1406. Die Tathandlung besteht in der Wegnahme, worunter nach Auffassung des Bundesgerichts jede eigenmächtige Verfügung eines Unbefugten fallen soll1407, während die Literatur die Entfernung aus dem Gewahrsam bzw. der tatsäch­ lichen Obhut des Berechtigten für erforderlich hält1408. Ein Handeln «wider den Willen» des Berechtigten liegt bereits dann vor, wenn dessen Zustimmung fehlt1409. Die Entnahme von Organen zum Zwecke der Transplantation ist nach Art. 14 i.V.m. Transplantationsgesetz Art. 81410 nur dann gerechtfertigt, wenn der Ver­ storbene zugestimmt hat oder – wenn keine dokumentierte Zustimmung oder Ablehnung der verstorbenen Person vorliegt – die nächsten Angehörigen ihre Zustimmung erteilt haben1411. Darüber hinausgehend soll sie nach einer in der Doktrin vertretenen Auffassung auch im Falle fehlenden Einverständnisses als Notstandshilfe gerechtfertigt werden können1412. Tatsächlich ist es aber höchst zweifelhaft, ob die vom Gesetzgeber mit der Regelung in Transplantationsge­ setz Art.  8 geschaffene differenzierte Regelung durch den Rückgriff auf den allgemeinen Rechtfertigungsgrund des Notstands de facto überspielt werden kann1413. Die Entfernung von Leichenteilen bei Obduktionen wird durch die­ jenige gesetzliche Grundlage gedeckt, welche die Sektion als solche erlaubt1414.

1405  Vgl. BGE 112 IV 35. 1406  Fiolka, BSK StGB II, N 53 ff. zu Art. 262, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 53, a.M.

BGE 98 Ia 519, 101 II 190.

1407  BGE 112 IV 37. 1408  Vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 47 zu Art. 262, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 39 N 54,

Splisgardt, 148 ff.

1409  Vgl. BGE 112 IV 36. 1410  Bundesgesetz vom 8. Oktober 2004 über die Transplantation von Organen, Geweben

und Zellen (Transplantationsgesetz, SR 810.21).

1411  Zur Bestimmung der Person des Berechtigten vgl. Splisgardt, 161 ff., zu den Vorausset­

zungen der Einwilligung vgl. Splisgardt, 170 ff.

1412  Vgl. BGE 98 Ia 512, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 262, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 262,

Fiolka, BSK StGB II, N 58 zu Art. 262, ablehnend hierzu Splisgardt, 216 ff.

1413  So aber Fiolka, BSK StGB II, N 58 zu Art. 262. 1414  Vgl. BGE 129 IV 173 = Pr 92 (2003) Nr. 182.

248

§ 54  Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (Art. 263)

2.2

Subjektiver Tatbestand

Die Strafbarkeit beschränkt sich auf die vorsätzliche Tatbegehung1415. Vor allem gehört dazu, dass sich der Täter bei seiner Wegnahmehandlung bewusst ist oder es mindestens in Kauf nimmt, gegen den Willen des Berechtigten vor­ zugehen. Anders als Ziff.  1 von Art.  262 erfordert Ziff.  2 keinen Willen des Täters, den Leichnam zu verunehren. Da das Motiv der Wegnahme belang­ los bleibt, macht sich auch strafbar, wer dabei aus wissenschaftlichem Inter­ esse handelt1416.

§ 54 Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (Art. 263) Literaturauswahl: W. Brandenberger, Bemerkungen zur Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit, Diss. Bern 1970, J. Rehberg, Die strafrechtliche Bedeutung der Alkoho­ lisierung, Krim 37 (1983) 507, J.-M. Schwenter, L’irresponsabilité fautive selon l’art. 263 du CPS, Diss. Lausanne 1971.

1.

Wesen des Deliktes

Nach Art.  263 (Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit/Actes commis en état d’irresponsabilité fautive/Atti commessi in istato di irresponsabilità colposa/Commission of a criminal offence while in a state of voluntarily induced mental incapacity) Abs. 1 wird bestraft, «wer infolge selbstverschuldeter Trunkenheit oder Betäubung unzurechnungsfähig ist und in diesem Zustand eine als Verbrechen oder Vergehen bedrohte Tat verübt». Diese aus kriminalpolitischen Erwägungen geschaffene Bestimmung ermöglicht es, auch solche Personen strafrechtlich zu verfolgen, die bei der Begehung eines Delikts schwer berauscht und daher zurechnungsunfähig waren. Ohne diese Sonder­ regelung müssten derartige Täter – ausgenommen im Falle einer «actio libera in causa»1417  – straflos gelassen werden, auch wenn sie für ihren enthemm­ ten Zustand und die geschwundene Selbstkontrolle selber verantwortlich sind.

1415  Bedingter Vorsatz reicht aus, auf die Motive kommt es nicht an, vgl. Corboz, Vol. II,

N 6, 8 zu Art. 262.

1416  BGE 112 IV 36. 1417  Dazu hinten Ziff. 5.2.

249

§ 54  Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (Art. 263)

Um diese Konsequenz zu vermeiden, ist in Art. 263 das Bewirken der eigenen Zurechnungsunfähigkeit durch Berauschung zu einem eigenständigen Straftat­ bestand ausgestaltet worden, bei dem die Verübung des Delikts im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (sog. Rauschtat) nach Auffassung des Bundesgerichts die Bedeutung einer objektiven Strafbarkeitsbedingung1418 hat. Im Widerspruch zu dieser Einordnung der Rauschtat steht allerdings, dass deren Schwere für die Bewertung des tatbestandsmässigen Verhaltens doch von Bedeutung ist, weil der Zurechnungsunfähige einerseits straflos bleibt, wenn er bloss eine Übertre­ tung begeht, andererseits strenger bestraft wird, wenn die Rauschtat in einem mit Freiheitsstrafe als einziger Strafe bedrohtem Verbrechen besteht (Art. 263 Abs. 2)1419. Denkbar erscheint es deshalb, die Begehung der Rauschtat als ein schuldindifferentes Unrechtsmerkmal einzustufen1420. Auch diese Einordnung kann allerdings nichts daran ändern, dass die Norm mit dem Schuldprinzip nicht zu vereinbaren ist: Das Sich-Berauschen als solches ist nicht strafwürdig, die Rauschtat als solche ist nicht zurechenbar. Die Bestimmung begründet eine grundsätzlich aufgegebene Haftung für den Erfolg1421. Art. 263 steht in engem Zusammenhang mit Art. 19 f. und würde sowohl syste­ matisch als auch von der Sache her – es geht um die schuldgelöste Zurechnung der Rauschtat – eher in den Allgemeinen Teil des StGB gehören1422.

2.

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand wird durch jemanden erfüllt, der sich betrinkt oder auf andere Weise, etwa durch den Konsum von Rauschmitteln oder Medika­ menten, betäubt, bis er zurechnungsunfähig i.S. von Art. 19 ist1423. Da es sich hierbei um eine relative Eigenschaft handelt, wird es als massgebend betrachtet werden müssen, dass der betreffenden Person in Bezug auf die von ihr verübte Rauschtat die Einsichts- oder Bestimmungsfähigkeit abging1424. Wird dem Täter das Rauschmittel gegen seinen Willen verabreicht, kann es an einer straf­ 1418  BGE 83 IV 162 = Pr 46 (1957) Nr. 169, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 263. 1419  Vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 63. 1420  Bommer, BSK StGB II, N 14 zu Art. 263, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 263, Vest, N 23 f. zu

Art. 263.

1421  Vgl. BGE 104 IV 254 ff. = Pr 68 (1979) Nr. 60, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 53,

Bommer, BSK StGB II, N 4 zu Art. 263, Vest, N 2 zu Art. 263.

1422  So auch Bommer, BSK StGB II, N 1 zu Art. 263, Vest, N 3 zu Art. 263. 1423  Bommer, BSK StGB II, N 7 f. zu Art. 263, Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 263, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 40 N 57, vgl. auch Vest, N 13 ff. zu Art. 263.

1424  Bommer, BSK StGB II, N 6 zu Art. 263, Vest, N 11 zu Art. 263.

250

§ 54  Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (Art. 263)

rechtlich relevanten Handlung fehlen1425; betäubt sich der Täter unter dem Eindruck der Androhung oder Anwendung von Gewalt, kann sein Verhalten gerechtfertigt sein1426.

3.

Subjektiver Tatbestand

Die Trunkenheit oder Betäubung muss «selbstverschuldet» sein. Diese Formu­ lierung, welche auf dem veralteten sog. psychologisch-normativen Schuldbe­ griff1427 beruht, schliesst zwei Voraussetzungen in sich: a) Der Täter muss in Bezug auf die Trunkenheit bzw. Betäubung, aber auch hin­ sichtlich der dadurch bewirkten Zurechnungsunfähigkeit, vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Ersteres trifft zu, wenn sich jemand willentlich bis zum Verlust der Selbstkontrolle betrinkt oder betäubt oder Rauschgift konsumiert. Versetzt sich der Täter ungewollt in einen mit Zurechnungsun­ fähigkeit einhergehenden Rausch oder Betäubungszustand, so liegt Fahr­ lässigkeit vor, wenn der Täter das bei pflichtgemässer Sorgfalt hätte ver­ meiden können1428. Diese Voraussetzung wird nur ausnahmsweise fehlen, so wenn jemand eine bei ihm bestehende abnormale Alkoholintoleranz nicht kennt oder über die ihm vorgesetzten Getränke bzw. Betäubungsmit­ tel getäuscht worden ist1429. b) Erforderlich ist weiter, dass der Täter bei Beginn seines Alkohol- oder Betäubungsmittelkonsums noch schuldfähig war. Daran kann es fehlen, wenn es sich um einen schwer geisteskranken oder geistesschwachen Men­ schen handelt. Schwere Alkoholabhängigkeit vermag die Schuldfähigkeit höchstens ausnahmsweise auszuschliessen1430.

4.

Die Begehung der Rauschtat

Wer den vorher umschriebenen objektiven und subjektiven Tatbestand schuld­ haft erfüllt, wird nur dann bestraft, wenn er im Zustand der Zurechnungsun­ fähigkeit entweder ein Verbrechen oder ein Vergehen verübt (Art. 10), wobei ein 1425  Vest, N 20 zu Art. 263. 1426  Vgl. Bommer, BSK StGB II, N 23 zu Art. 263, Vest, N 20 zu Art. 263. 1427  Vgl. Strafrecht I, § 23 Ziff. 2. 1428  Vgl. Art. 12 Abs. 3 und hierzu Strafrecht I, §§ 32 ff. 1429  Bommer, BSK StGB II, N 9 zu Art. 263, Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 263, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 40 N 58, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 263, Vest, N 19 zu Art. 263.

1430  Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 263, weiter gehend Bommer, BSK StGB II, N 24 zu Art. 263.

251

§ 54  Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (Art. 263)

Versuch genügt1431. Handelt es sich um ein Verbrechen, das nur mit Freiheits­ strafe geahndet werden kann, findet Art. 263 Abs. 2 mit einer höheren Straf­ drohung Anwendung. Das Rauschdelikt muss nicht nur in objektiver1432, sondern auch in subjektiver Hinsicht erfüllt sein. Handelt es sich um eine Vorsatztat, muss der Täter diese also trotz seines Rauschzustandes mit Wissen und Willen verübt haben (zumindest in der Form eines sog. «natürlichen» Vorsatzes)1433. Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn die zur Schädigung eines Rechtsgutes führende Verhal­ tensweise Sorgfaltsregeln zuwiderläuft, die der Täter im nüchternen Zustand hätte einhalten müssen1434 und bei deren Beachtung jene Folge nicht eingetre­ ten wäre1435. Da Art. 263 dem Täter nur die Berufung auf die fehlende Zurechnungsfähig­ keit verunmöglicht, diesen im Übrigen aber nicht schlechter stellen soll, als er stehen würde, wenn er nüchtern gewesen wäre, entfällt eine Bestrafung aus Art. 263 auch dann, wenn der Täter zwar den Tatbestand des Rauschdelikts ver­ wirklicht, dies aber gerechtfertigt ist1436. Gleiches gilt dann, wenn die Verant­ wortlichkeit des Täters für die Rauschtat nicht nur mangels Zurechnungsfähig­ keit, sondern darüber hinaus auch aufgrund anderer Schuldausschlussgründe nicht gegeben ist, z.B. wegen eines entschuldigenden Notstandes oder wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums1437. Das Verbot der Schlechterstellung des Berauschten ist im Übrigen auch der Grund dafür, dass der Zurechnungs­ unfähige in den Fällen, in denen die Rauschtat nur auf Antrag hin verfolgt wird,

1431  BGE 83 IV 162 = Pr 46 (1957) Nr. 169, Bommer, BSK StGB II, N 18 zu Art. 263, Cor-

boz, Vol. II, N 4 zu Art. 263, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 67, Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 263, Vest, N 26 zu Art. 263. 1432  Hieran fehlt es trotz der Verwirklichung eines tatbestandlichen Erfolges dann, wenn der Täter aufgrund seiner Berauschung nicht mehr rechtlich relevant handelt, vgl. Bommer, BSK StGB II, N 15 zu Art. 263. 1433  Vgl. Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 263, Vest, N 27 zu Art. 263, zu den Schwierigkeiten, den Vorsatz in der Praxis nachzuweisen, vgl. BGE 83 IV 162 und hierzu Bommer, BSK StGB II, N 17 zu Art. 263, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 68, zur Problematik der Rele­ vanz rauschbedingter Irrtümer vgl. Bommer, BSK StGB II, N 18 zu Art. 263, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 69. 1434  Bommer, BSK StGB II, N 19 zu Art. 263, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 70, vgl. aber auch Vest, N 28 zu Art. 263: im noch nicht vollständig berauschten Zustand. 1435  Strafrecht I, § 32, Ziff. 2.5. 1436  Bommer, BSK StGB II, N 20 zu Art. 263, Vest, N 29 zu Art. 263. 1437  Bommer, BSK StGB II, N 21 zu Art. 263, Vest, N 32 zu Art. 263.

252

§ 54  Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (Art. 263)

nur dann bestraft werden kann, wenn der durch die Rauschtat Verletzte dies beantragt1438.

5.

Weitere Fragen

5.1

Versuch und Teilnahme

Ein strafbarer Versuch der Begehung von Art. 263 ist nicht denkbar: In den Fällen, in denen es dem Täter nicht gelingt, den Zustand der Unzurechnungs­ fähigkeit zu erreichen, erfolgt die Bestrafung aus dem begangenen Delikt. In den Fällen, in denen er den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit erreicht, dann aber keine Rauschtat begeht, fehlt es an dieser Voraussetzung der Straf­ barkeit1439. Anstiftung und vollendete Beihilfe zu Art.  263 wären als Beteili­ gungsformen aus dogmatischer Sicht möglich, würden aber die an sich schon problematische Ausschaltung des Schuldgrundsatzes weiter vertiefen und sind deswegen abzulehnen1440.

5.2

Verhältnis zur «actio libera in causa» (Art. 19 Abs. 4)

Zu beachten ist stets, dass der Täter zum Zeitpunkt, als er sich betäubte und damit den Tatbestand von Art. 263 erfüllte, die Rauschtat noch nicht gewollt haben durfte. Handelt es sich hierbei um ein Fahrlässigkeitsdelikt, darf ferner für ihn zu jener Zeit auch nicht voraussehbar gewesen sein, dass er den betref­ fenden tatbestandsmässigen Erfolg verursachen könnte. Andernfalls findet Art. 263 keine Anwendung1441. a) Vorsätzliche actio libera in causa Der Täter hat noch bei voller oder nur verminderter Zurechnungsfähig­ keit den Entschluss zur Verübung der Tat gefasst und in der Folge willent­ lich seine Zurechnungsunfähigkeit herbeigeführt, um in diesem Zustand das Delikt zu begehen. Alsdann ist er nicht nach Art. 263, sondern wegen vorsätzlicher Verübung der im Rausch begangenen Straftat zu verurteilen. 1438  BGE 104 IV 250, Bommer, BSK StGB II, N  29 zu Art.  263, Corboz, Vol. II, N  8 zu

Art. 263, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 72, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 263, Vest, N 36 zu Art. 263. 1439  Bommer, BSK StGB II, N 25 zu Art. 263, Vest, N 38 zu Art. 263. 1440  So auch Bommer, BSK StGB II, N 28 zu Art. 263, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 75, vgl. auch Vest, N 43 zu Art. 263. 1441  Bommer, BSK StGB II, N 11 zu Art. 263, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 263, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 40 N 60, Trechsel/Vest, N 8 zu Art. 263.

253

§ 54  Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (Art. 263)

b) Fahrlässige actio libera in causa Der Täter hat bei voller oder verminderter Zurechnungsfähigkeit zwar kei­ nen Entschluss gefasst, die später verübte Tat zu begehen, aber er hätte zu jenem Zeitpunkt vorhersehen können, dass dies möglicherweise gesche­ hen würde. Berauscht er sich trotzdem, so liegt darin eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit. Der Täter ist wiederum nicht nach Art. 263, sondern nur wegen fahrlässiger Begehung des später tatsächlich (vorsätzlich oder fahr­ lässig) verübten Deliktes zu verurteilen, sofern dieses nicht nur bei Vorsatz strafbar ist. In den Fällen, in denen der Täter anfänglich nur hätte voraussehen kön­ nen, dass er im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit ein schweres Ver­ brechen verüben würde, kann sich das Problem ergeben, dass die Straf­ androhung für das betreffende Fahrlässigkeitsdelikt geringer ist als die des Art.  263 Abs.  2. Unbillig erscheinende Privilegierungen können in die­ sen Fällen dadurch vermieden werden, dass man die Strafuntergrenze des Art. 263 Abs. 2 für das in fahrlässiger actio libera in causa begangene Delikt als massgebend ansieht1442.

5.3 Prozessuales Beging jemand in selbstverschuldeter starker Angetrunkenheit ein Verge­ hen oder Verbrechen, kann im Einzelfall selbst bei festgestelltem Blutalko­ holgehalt schwer zu beurteilen sein, ob die Zurechnungsfähigkeit des Täters gänzlich aufgehoben oder nur vermindert war. Lässt sich dies nicht feststel­ len, ist umstritten, ob der Beschuldigte wegen der im Rausch begangenen Tat bestraft werden kann1443. Da sich der Grundsatz «in dubio pro reo» jedenfalls auch auf die Verbrechenselemente der Tatbestandsmässigkeit und Rechtswid­ rigkeit bezieht, muss der Beschuldigte in einem derartigen Fall mit Blick auf Art. 263 freigesprochen werden. Wegen des im Rausch begangenen Deliktes kann er bestraft werden, falls die Zurechnungsunfähigkeit gutachterlich nicht attestiert werden kann.1444

1442  So im Ergebnis auch Bommer, BSK StGB II, N 36 zu Art. 263, der allerdings für diese

Fälle die Annahme echter Konkurrenz befürwortet.

1443  Bejahend Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 263, a.M. Bommer, BSK StGB II, N 35 zu Art. 263,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 40 N 56, Vest, N 52 zu Art. 263.

1444  Zum umstrittenen sog. Alternativurteil vgl. Bommer, BSK StGB II, N 38 zu Art. 263.

254

§ 55 Entstehungsgeschichte

12. Titelbis und quater Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264–264a) sowie gemeinsame Bestimmungen (Art. 264k–264n) § 55 Entstehungsgeschichte Literaturauswahl: O. Abo Youssef, Die Stellung des Opfers im Völkerstrafrecht, Diss. Zürich 2008, K. Ambos, Internationales Strafrecht, 2.  Aufl., München 2008, B. Benoit Landale, Das Komple­ mentaritätsprinzip des Römer Statuts und seine Auswirkungen auf die Schweiz, in: Kriegsverbre­ cherprozesse in der Schweiz, hrsg. von A. Ziegler/S.  Wehrenberg/R. Weber, Zürich 2009, 243, F. Bommer, Zur Strafverfolgungspflicht der Schweiz bei Kriegsverbrechen im Ausland, ZBJV 141 (2005) 417, M. Cottier, The Case of Switzerland, in: The Rome Statute and Domestic Legal Orders, Volume I, hrsg. von C. Kress/F. Lattanzi, Baden-Baden 2000, 219, derselbe, Die «Umsetzung» des Römer Statuts hinsichtlich der Kriegsverbrechen, jusletter vom 14.3.2005, C. Del Ponte, Die UNTribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda – Herausforderungen für die Anklagebehörde, ZStrR 119 (2001) 317, D. Demko, Die von der Genozidkonvention geschützten «Gruppen» als Rege­ lungsgegenstand des «Specific Intent», SZIER 19 (2009) 223, C. Ehlert, Die Revision des Römer Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof, jusletter vom 6.12.2010, A. Fabbri, Die Anwend­ barkeit des schweizerischen Strafrechts bei Völkerstrafrechtstaten – eine Bestandesaufnahme, in: Humanitäres Völkerrecht, Volume 19, 4/2006, 282, A. Fabbri/F. Noto, Internationale Kooperation zwischen Justizbehörden bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen – eine Auslegeordnung aus Schweizer Sicht, in: Kriegsverbrecherprozesse in der Schweiz, hrsg. von A. Ziegler/S. Wehrenberg/​ R. Weber, Zürich 2009, 263, S. Gless, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., Basel 2015, L. Gschwend, Das «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse» der Pro Juventute – Ein Fall von Völkermord in der Schweiz?, in: Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für S.  Trechsel, hrsg. von A. Donatsch/M. Forster/C. Schwarzenegger, Zürich 2002, 373, C. Kress/L. von Holtzendorff, Der Kompromiss von Kampala über das Verbrechen der Aggression, GA 158 (2011), 65, J. Lindenmann, Völkerrechtliche Anforderungen an die Schweiz für die Zusammenarbeit mit den internationalen Strafgerichten, in: Kriegsverbrecherprozesse in der Schweiz, hrsg. von A. Ziegler/S. Wehrenberg/R. Weber, Zürich 2009, 215, L. Morreillon, La Suisse et les crimes con­ tre l’humanité, in: Droit pénal humanitaire, hrsg. von L. Moreillon/A. Bichovsky/M. Massouri, Basel 2009, 459, H. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl., Baden-Baden 2015, H. Vest, Die bundesrätliche Botschaft zum Beitritt der Schweiz zur Völkermord-Konven­ tion  – kritische Überlegungen zum Entwurf eines Tatbestands über Völkermord, ZStrR 117 (1999) 351 (zit. Vest, Botschaft), derselbe, Zur Leugnung des Völkermords an den Armeniern 1915, AJP 9 (2000) 66 (zit. Vest, Armenier), derselbe, Zum Verhältnis zwischen Bürgerkrieg und Völker­ mord in Ruanda, SJZ 96 (2000) 258 (zit. Vest, Zum Verhältnis), derselbe, Genozid durch organi­

255

§ 55 Entstehungsgeschichte satorische Machtapparate, Baden-Baden 2002 (zit. Vest, Machtapparate), derselbe, Zum Hand­ lungsbedarf auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts  – Elemente eines Gesetzgebungsvorschlags, ZStrR 121 (2003) 46 (zit. Vest, Handlungsbedarf), derselbe, Kriegs- und Menschheitsverbrechen – Strafverfolgung «light»? AJP 13 (2004) 614 (zit. Vest, Kriegs- und Menschheitsverbrechen), derselbe, Zum Universalitätsprinzip bei Völkerrechtsverbrechen. Bemerkungen de lege ferenda, ZStrR 123 (2005) 313 (zit. Vest, Universalitätsprinzip), H. Vest/C. Sager, Die bundesrätliche Bot­ schaft zur Umsetzung der Vorgaben des IStGH-Statuts – eine kritische Bestandesaufnahme, AJP 18 (2009) 423, H. Vest/A. Ziegler/J. Lindenmann/S. Wehrenberg (Hrsg.), Die völkerstrafrechtlichen Bestimmungen des StGB, Zürich 2014, S. Wehrenberg, Die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Militärjustiz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, jusletter vom 14.3.2005, S. Wehrenberg/A. Ziegler, Grundlagen der Verfolgung und Beurteilung von Kriegsverbrechen: Zuständigkeit der Schweiz und in der Schweiz – Anwendbares Recht, in: Kriegsverbrecherprozesse in der Schweiz, hrsg. von A. Ziegler/S. Wehrenberg/R. Weber, Zürich 2009, 73, R. Wyss, Die Zusammenarbeit der Schweiz mit dem Internationalen Strafgerichtshof, ZStrR 120 (2002) 129.

Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sonstige Ver­ stösse gegen elementare Regeln des humanitären Völkerrechts sind bisher  – wenn überhaupt  – vornehmlich durch Ad-hoc-Tribunale verfolgt und abge­ urteilt worden1445. Am Anfang der Entwicklung standen die nach Ende des 2. Weltkriegs in Nürnberg und in Tokio durchgeführten Kriegsverbrecherpro­ zesse1446. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durch die Resolution 827 vom 25. Mai 1993 den Interna­ tionalen Gerichtshof zur Verfolgung der im Zusammenhang mit dem Ausein­ anderfallen des Staates Jugoslawien begangenen Verletzungen des humanitä­ ren Völkerrechts sowie durch die Resolution 955 vom 8. November 1994 den Internationalen Strafgerichtshof für die Verfolgung der in Ruanda verübten Massenverbrechen geschaffen. Auch bei diesen Gerichtshöfen handelt es sich wiederum um Ad-hoc-Tribunale, denen allerdings – anders als den Tribuna­ len von Nürnberg und Tokio – erstmalig auch die Kompetenz zukommt, das Delikt des Völkermords zu verfolgen1447. Mit dem am 17. Juli 1998 in Rom verabschiedeten Statut («Römer Statut») zur Errichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes (ICC)1448 ist nun erstmalig ein Völkerstrafgerichtshof geschaffen worden, der nicht mehr den Status eines Ad-hoc-Tribunals besitzt. Die Zuständigkeit des Gerichtsho­ 1445  Vgl. aber MStG Art. 108 ff. und hierzu Botschaft 1999 III, 5345 f., sowie Pieth, BT, 256,

Vest, Zum Verhältnis, 258 ff., Ziegler, AJP 9 (2000) 215 ff.

1446  Vgl. Botschaft 1999 III, 5330, Botschaft 2000 II, 396. 1447  Botschaft 1999 III, 5331. 1448  Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998, SR 0.312.1, in

Kraft getreten für die Schweiz am 1. Juli 2002. Zur Entstehungsgeschichte des Statuts vgl. Botschaft 2000 II, 398 ff.

256

§ 55 Entstehungsgeschichte

fes umfasst die Beurteilung besonders schwerer Verbrechen, welche die inter­ nationale Gemeinschaft als Ganzes betreffen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie das noch nicht exakt definierte Delikt der Aggression (vgl. ICC-Statut Art. 5 ff.)1449. Ob der Gerichtshof sich zu einem praktisch wirksamen Instrument zur Verfolgung völkerstrafrecht­ lich relevanter Verbrechen entwickeln wird, muss die Zukunft weisen. Beden­ ken bestehen insbesondere deshalb, weil zwei gewichtige ständige Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die USA und China, das Statut nicht ratifiziert haben und eine Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof verwei­ gern1450. Die Schweiz hat für die Zusammenarbeit mit dem ICC eine gesetz­ liche Grundlage geschaffen1451 und den Anwendungsbereich der Art.  306– 308 durch die Neufassung des Art. 309 lit. b auf Verfahren vor internationalen Gerichten, deren Zuständigkeit die Schweiz als verbindlich anerkennt, ausge­ dehnt1452. Hinsichtlich des Verhältnisses des ICC zu den nationalen Strafverfolgungs­ behörden ist zu beachten, dass der ICC nur dann tätig wird, wenn nationale Gerichte die Strafverfolgung nicht gewährleisten können (vgl. Römer-Statut Art. 17)1453. Die Verpflichtung, «die notwendigen gesetzgeberischen Massnahmen zu ergrei­ fen (…) und insbesondere wirksame Strafen für Personen vorzusehen, die sich des Völkermords» schuldig machen, ergibt sich für die Unterzeichnerstaaten aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Verhütung und Bestra­ fung des Völkermords vom 9. Dezember 1948 («Genozidkonvention»)1454. Die Schweiz, die diesem Übereinkommen im Jahre 2000 beigetreten ist1455, ist der 1449  Zu den Delikten vgl. im Einzelnen Botschaft 2000 II, 422 ff., 492 ff., zur voranschrei­

tenden Definition des Straftatbestands der Aggression vgl. Ehlert, N 8 ff., Gless, N 850 f. sowie ausführlich Kress/v. Holtzendorff, 68 ff. 1450  Vgl. Pieth, BT, 257. 1451  BG über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ZISG) vom 22.  Juni 2001, SR 351.6, in Kraft getreten am 1.7.2002. Zur Zusammenarbeit der Schweiz mit den internationalen Strafgerichtshöfen vgl. Gless, N 968 ff., Lindenmann, 215 ff., Wyss, 129 ff. 1452  BG über die Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes (Rechtspfle­ gedelikte vor internationalen Gerichten) vom 22. Juni 2001, AS 2002, 1491. 1453  Botschaft 2000 II, 416 f., 427. 1454  Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9. Dezem­ ber 1948, SR 0.311.11, in Kraft getreten für die Schweiz am 6.12.2000. Zur Entstehung des Übereinkommens vgl. Botschaft 1999 III, 5331 ff. 1455  Vgl. Botschaft 2000 II, 499.

257

§ 55 Entstehungsgeschichte

Verpflichtung zur Pönalisierung des Völkermords mit dem am 15. Dezember 2000 in Kraft getretenen Straftatbestand des Art. 264 nachgekommen. Der Straftatbestand des Völkermords soll in erster Linie die Existenz und den Fortbestand der durch bestimmte Merkmale gekennzeichneten Bevölkerungs­ gruppen als soziale Einheiten gewährleisten1456. Schutzgegenstand der Norm ist mithin das kollektive Interesse der Staatengemeinschaft an der Ahndung von Verstössen gegen das allgemein als verbindlich anerkannte völkerrechtli­ che Verbot des Völkermords1457. Angesichts des eigenständigen und bisher sin­ gulären Schutzgegenstandes wurde diese Norm zu Recht in keinen der beste­ henden Titel des StGB eingegliedert. Der neu geschaffene Titel 12bis (Straftaten gegen die Interessen der Völkerge­ meinschaft) sollte gemäss den ursprünglichen Vorstellungen des Gesetzge­ bers nach der Ratifikation des Statuts des ICC um einen Tatbestand erweitert werden, nämlich um denjenigen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit1458. Auch die Einbeziehung dieses weiteren Straftatbestands in den Titel 12bis rechtfertigt sich durch seine völkerstrafrechtliche Schutzrichtung: Verbrechen gegen die Menschlichkeit richten sich zwar unmittelbar gegen Einzelpersonen, sie waren als solche aber auch nach geltendem Recht bereits strafbar. Der spe­ zifische Unrechtsgehalt der Tat als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ergibt sich daraus, dass die Tat im Zusammenhang mit einem systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung steht und damit als grobe Missachtung des humani­ tären Völkerrechts, völker- und menschenrechtliche Mindeststandards infrage stellt1459. Umstritten ist, ob Art. 264a neben dem kollektiven Interesse an der Wahrung gewisser Mindeststandards des humanitären Völkerrechts auch noch dem Schutz von Individualgütern dient1460.

1456  Botschaft 1999 III, 5338, Ambos, § 7 N 129, Vest, PK, N 1 zu Art. 264, Vest, in: Vest et

al., N 18 f. zu Art. 264, vgl. aber auch Gless, N 803: Neben dem kollektiven Rechtsgut seien auch die individuellen Rechtsgüter der einzelnen Gruppenmitglieder zu berück­ sichtigen. 1457  Vgl. Botschaft 1999 III, 5332, 5342, 5349 f., Botschaft 2000 II, 494, Wehrenberg, BSK StGB II, N 13, 62 zu Art. 264, vgl. aber auch Vest, in: Vest et al., N 2 zu Art. 264: Es gehe um den Schutz von Gruppen(rechten) und nur mittelbar um Individuen. 1458  Botschaft 1999 III, 5346, Botschaft 2000 II, 393, Wehrenberg, BSK StGB II, N  26 zu Art. 264. 1459  Botschaft 1999 III, 5346, Botschaft 2000 II, 393, Gless, N 822, Vest, PK, N 2 zu Art. 264. 1460  Gless, N  823. Für einen kombinierten Schutz individueller und überindividueller Rechtsgüter z.B. Ambos, § 7 N 173, Satzger, § 16 N 32.

258

§ 56  Völkermord (Art. 264)

Mit dem Bundesgesetz über Änderungen von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts1461 ist der Tatbestand des Völkermords modifiziert und der Titel 12bis durch den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a) ergänzt worden. Schliesslich sind im Titel 12quater spezielle Regelun­ gen für die Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit (Art. 264k–264l) kodifiziert und die Anwendbarkeit von Auslandtaten (Art.  264m) sowie der Ausschluss der relativen Immunität (Art. 264n) geregelt worden.

§ 56 Völkermord (Art. 264) Literaturauswahl: O. Abo Youssef, Die Stellung des Opfers im Völkerstrafrecht, Diss. Zürich 2008, K. Ambos, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., München 2008, F. Bommer, Zur Strafverfolgungs­ pflicht der Schweiz bei Kriegsverbrechen im Ausland, ZBJV 141 (2005) 417, N. Capus, Die Unver­ jährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschheit nach schweizerischem und nach internationa­ lem Recht, recht 24 (2006) 247, C. Del Ponte, Die UN-Tribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda – Herausforderungen für die Anklagebehörde, ZStrR 119 (2001) 317, D. Demko, Die von der Genozidkonvention geschützten «Gruppen» als Regelungsgegenstand des «Specific Intent», SZIER 19 (2009) 223, A. Fabbri, Die Anwendbarkeit des schweizerischen Strafrechts bei Völker­ strafrechtstaten  – eine Bestandesaufnahme, in: Humanitäres Völkerrecht, Vol. 19, 4/2006, 282, S. Gless, Internationales Strafrecht, Basel 2011, L. Gschwend, Das «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse» der Pro Juventute – Ein Fall von Völkermord in der Schweiz?, in: Strafrecht, Straf­ prozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für S. Trechsel, hrsg. von A. Donatsch/M. Forster/​ C. Schwarzenegger, Zürich 2002, 373, M. Husmann, Die neuen Bestimmungen in Art. 264k–n StGB zur Umsetzung allgemeiner Grundsätze des Römer Statuts, jusletter vom 23.5.2011, M.  Massouri/L. Magri, Le génocide, in: Droit pénal humanitaire, hrsg. von L. Moreillon/​ A. Bichovsky/M. Massouri, Basel 2009, 231, L. Morreillon, Crime de génocide et intention: bloca­ ges juridiques ou blocage politique?, in: Droit pénal humanitaire, hrsg. von L. Moreillon/​ A. Bichovsky/M. Massouri, Basel 2009, 251, derselbe, La Suisse et les crimes contre l’humanité, in: Droit pénal humanitaire, hrsg. von L. Moreillon/A. Bichovsky/M. Massouri, Basel 2009, 459 (zit. Moreillon, Suisse), H. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl., Baden-Baden 2015, H. Vest, Die bundesrätliche Botschaft zum Beitritt der Schweiz zur Völkermord-Konven­ tion  – kritische Überlegungen zum Entwurf eines Tatbestands über Völkermord, ZStrR 117 (1999) 351 (zit. Vest, Botschaft), derselbe, Zur Leugnung des Völkermords an den Armeniern 1915, AJP 9 (2000) 66 (zit. Vest, Armenier), derselbe, Zum Verhältnis zwischen Bürgerkrieg und Völker­ mord in Ruanda, SJZ 96 (2000) 258 (zit. Vest, Zum Verhältnis), derselbe, Genozid durch organi­ satorische Machtapparate, Baden-Baden 2002 (zit. Vest, Machtapparate), derselbe, Zum Universa­ litätsprinzip bei Völkerrechtsverbrechen. Bemerkungen de lege ferenda, ZStrR 123 (2005) 313 (zit. Vest, Universalitätsprinzip), H. Vest/​C.  Sager, Die bundesrätliche Botschaft zur Umsetzung der 1461  BG vom 18.  Juni 2010 über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des

Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, in Kraft seit 1.1.2011 (AS 2010, 4963, vgl. auch Botschaft 2008, 3863 und den dazugehörigen Entwurf in BBl 2008, 3973).

259

§ 56  Völkermord (Art. 264) Vorgaben des IStGH-Statuts  – eine kritische Bestandesaufnahme, AJP 18 (2009) 423, H. Vest/​ A. Ziegler/J. Lindenmann/S. Wehrenberg (Hrsg.), Die völkerstrafrechtlichen Bestimmungen des StGB, Zürich 2014, S. Wehrenberg, Die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Militärjustiz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, jusletter vom 14.3.2005, A. Ziegler/S. Wehrenberg, Völkerrecht­ liche Immunität vor Strafverfolgung in der Schweiz, in: Kriminologie, Kriminalpolitik und Straf­ recht aus internationaler Perspektive, Festschrift für Martin Killias zum 65. Geburtstag, Bern 2013, 1111.

1.

Voraussetzungen der Strafbarkeit

1.1

Objektiver Tatbestand

1.11 Täterkreis In der Praxis wurde und wird das Delikt des Völkermords überwiegend durch kollektiv agierende Täter begangen. Art.  264 (Völkermord/Génocide/Genocidio/​Genocide) setzt indes ein kollektives Handeln nicht voraus; strafbar kann sich grundsätzlich auch ein allein agierender Einzeltäter machen1462, bei dem dann allerdings – abgesehen von den Fällen, in denen er seine völkermörderi­ sche Absicht nach aussen kundgibt – der Nachweis des subjektiven Tatbestands praktisch unlösbare Schwierigkeiten aufwirft1463. Die Voraussetzungen für die Annahme von Täterschaft und Teilnahme rich­ ten sich nicht nach den im Völkerstrafrecht und in der Praxis der Internatio­ nalen Strafgerichtshöfe entwickelten Grundsätzen1464; relevant sind vielmehr die im schweizerischen Strafrecht allgemein geltenden Regelungen der Beteili­ gungslehre1465. Der Befehlsgeber, Planer oder Organisator eines Völkermords kann auch dann als Mittäter strafbar sein, wenn er nicht selbst unmittelbar an der Ausführung der Tat beteiligt ist1466. Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda hat eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit im vorste­ hend beschriebenen Sinne für die Personen angenommen, welche die Verfol­ gungen der Tutsis in Ruanda zugelassen, diese unterstützt oder angeheizt und/

1462  ICTY (TC) vom 14.12.1999, Prosecutor v. Jelisić, N  100  ff., Corboz, Vol. II, N  1 zu

Art. 264, Pieth, BT, 261, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 41 N 6, Wehrenberg, BSK StGB II, N 23 zu Art. 264. 1463  Botschaft 2000 II, 498 f. (zu Art. 6 Römer Statut). 1464  Zur völkerstrafrechtlichen individual criminal responsibility vgl. Ambos, § 7 N 14 ff., Gless, N 754 ff., Satzger, § 15 N 50 ff. 1465  Wehrenberg, BSK StGB II, N 43 zu Art. 264. 1466  Vgl. Strafrecht I, §§ 13 ff.

260

§ 56  Völkermord (Art. 264)

oder gar selbst an ihnen teilgenommen haben1467. Gleiches hat der Internatio­ nale Gerichtshof für Ex-Jugoslawien z.B. für die Personen angenommen, wel­ che die Angriffe angeordnet haben, die dann zu Massakern an den Mitgliedern bestimmter ethnischer Gruppen geführt haben1468. Wer sich darauf beschränkt, die unmittelbar handelnden Täter mit Waffen zu versorgen und/oder diese zum Tatort transportiert, wird in der Regel nur als Gehilfe einzustufen sein. Derjenige, der sich darauf beschränkt, andere zur Begehung der Tat aufzurufen – gegebenenfalls auch über Massenmedien1469 –, wird als Anstifter zu gelten haben. Soweit es um einen öffentlichen Aufruf zur Begehung eines Völkermords geht, der wenigstens zum Teil auch in der Schweiz begangen werden soll, kommt eine Strafbarkeit nach Art. 259 Abs. 1bis in Betracht1470. Als mittelbarer Täter ist derjenige strafbar, der sich zur Ausführung der Tat eines vorsatzlosen Werkzeugs bedient1471, was bei Völkermord indes praktisch weitgehend ausgeschlossen erscheint. Eher praktisch relevant sind die Fallge­ staltungen, in denen die Personen, welche die Tat unmittelbar ausführen, unter nötigendem Zwang handeln1472 oder in denen sich der Täter zur Begehung des Völkermords eines organisierten Machtapparates bedient1473. Zusätzlich hat der Gesetzgeber mit Art.  264k (Strafbarkeit des Vorgesetzten/ Punissabilité du supérieur/Punibilità dei superiori/Criminal liability of supe­riors) spezielle Regelungen für die Verantwortlichkeit von Vorgesetzten kodifiziert, mit denen die im Völkerrecht entwickelten Grundsätze zur Verantwortlichkeit von Vorgesetzten (command responsibility)1474 in das schweizerische Recht 1467  Vgl. z.B. ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 704 ff., ICTR (TC) vom

27.1.2000, Prosecutor v. Musema, N 890 ff.

1468  Vgl. z.B. ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 429 ff., 560 ff., 582 ff., 635 ff. 1469  Zur Verantwortlichkeit von Personen, die über Massenmedien zur Teilnahme an

den Ausschreitungen aufgerufen haben, vgl. ICTR (TC) vom 3.12.2003, Prosecutor v. Nahimana et al., N 949 ff. 1470  Vgl. hierzu vorne § 45 Ziff. 1.1. 1471  Vgl. Strafrecht I, § 15 Ziff. 3.2 a) und b). 1472  Vgl. Strafrecht I, § 15 Ziff. 3.2 c) und e). 1473  Vgl. Botschaft 2008, 3952. 1474  Vgl. Pieth, BT, 258 f., Vest, PK, N 1 ff. zu Art. 264k und aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N  289  ff., ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N  330  ff., ICTY (TC) vom 16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N  38  ff., ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 401 ff., ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 519 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4,

261

§ 56  Völkermord (Art. 264)

übernommen werden1475. Anknüpfungspunkt der Verantwortlichkeit ist hier der Grundsatz, dass Vorgesetzte verpflichtet sind, das humanitäre Völkerrecht durchzusetzen. Vorgesetzte im Sinne dieser Regelung sind1476: Kommandan­ ten militärischer Einheiten, Kommandanten paramilitärischer Einheiten sowie Militär- und Zivilpersonen, die faktisch als Befehlshaber militärischer oder paramilitärischer Einheiten fungieren oder die als Führungspersonen in der Wirtschaft oder der Verwaltung Führungsaufgaben innerhalb von Organisati­ onen, Betrieben und Behörden eine vergleichbare Position innehaben. Voraus­ setzung ist stets, dass eine effektive Kontrolle über die Untergebenen ausgeübt werden kann, was insbesondere dann der Fall ist, wenn eine Befehlsverweige­ rung sanktioniert werden kann1477. Bejaht wurde die «command responsibi­ lity» in der Rechtsprechung der Internationalen Gerichtshöfe unter anderem N 113 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 557 ff., ICTR (TC) vom 24.6.2011, Prosecutor v. Nyiramasuhuko, N 5599 ff., ICTY (AC) vom 28.2.2013, Prosecutor v. Perišić, N 75 ff., ICTY (TC) vom 6.9.2011, Prosecutor v. Perišić, N 137 ff. i.V.m. N 1651 ff., ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 1021 ff., ICTY (AC) vom 30.6.2016, Prosecutor v. Stanišić, N 59 ff., ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N 109 ff., Vest, Machtapparate, 181 ff., 251 ff. sowie Ambos, § 7 N 57, Gless, N 943 i.V.m. N 724 ff., 778 ff., Satzger, § 15 N 64 ff. 1475  ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 300 ff., ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 355 ff., ICTY (TC) vom 31.7.2003, Prosecutor v. Stakić, N 459, vgl. auch Botschaft 2008, 3948 ff. sowie Moreillon, Suisse, 491 ff. 1476  Vgl. Botschaft 2008, 3949 f., Fiolka, BSK StGB II, N 25 ff. zu Art. 264k, Vest, in: Vest et al., N 69 ff. zu Art. 264k. 1477  Fiolka, BSK StGB II, N 13 ff. zu Art. 264k, Vest, in: Vest et al., N 60 ff. zu Art. 264k, Vest/Sager, 443, vgl. auch Hussmann, N 10 f. sowie aus der Rechtsprechung der Inter­ nationalen Strafgerichtshöfe: ICTR (TC) vom 6.12.2010, Prosecutor v. Hategekimana, N 654, ICTR (TC) vom 22.1.2004, Prosecutor v. Kamuhanda, N 604 ff., ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema, N 217 ff., ICTY (TC) vom 16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N 57 ff., 723 ff., ICTR (AC) vom 29.4.2014, Prosecutor v. Karemera, N 164 ff., ICTR (TC) vom 2.2.2012, Prosecutor v. Karemera, N 1495, ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 405 ff., ICTR (AC) vom 10.12.2013, Prosecutor v. Ndahimana, N  49  ff., ICTR (TC) vom 30.12.2011, Prosecutor v. Ndahimana, N  726, 734 ff., ICTR (AC) vom 30.6.2014, Prosecutor v. Ndindiliyimana, N 72 ff., ICTR (TC) vom 17.5.2011, Prosecutor v. Ndindiliyimana, N 1917, ICTR (TC) vom 19.6.2012, Prosecutor v. Nizeyimana, N 1476 ff., ICTR (TC) vom 24.6.2011, Prosecutor v. Nyiramasuhuko, N 5647 ff., vgl. auch ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 566 ff., wo aufgrund eines mangelnden Nachweises der entsprechenden Befehlsgewalt Freisprü­ che erfolgt sind. Vgl. auch die differenzierte Beurteilung in ICTR (TC) vom 7.12.2007, Prosecutor v. Karera, N  564  ff., wo die Befehlsgewalt über bestimmte Tätergruppen bejaht und über andere verneint wurde.

262

§ 56  Völkermord (Art. 264)

für die militärischen Befehlshaber, die in Ex-Jugoslawien für Gefangenenlager verantwortlich waren, in denen an den Gefangenen Verbrechen verübt worden sind1478. Gleiches wurde angenommen für die Befehlshaber der Einheiten, die Verbrechen an Zivilisten und Kriegsgefangenen begangen haben1479. Der Inter­ nationale Strafgerichtshof für Ruanda hat die Kommandoverantwortlichkeit unter anderem für den zur Zeit der Massaker an den Tutsis amtierenden Pre­ mierminister1480, für die für bestimmte Verwaltungsbezirke verantwortlichen Personen1481 und auch für den Leiter einer Tee-Fabrik bejaht, der nichts dage­ gen unternommen hatte, dass sich die unter seiner Autorität stehenden Mit­ arbeiter der Fabrik unter Verwendung der zur Fabrik gehörenden Sachmittel – insbesondere Kraftfahrzeuge – an der Verfolgung der Tutsis beteiligt hatten1482. Verantwortlich ist der Vorgesetzte nach Art.  264k zum einen dann, wenn er weiss oder fahrlässig nicht erkennt1483, dass ihm unterstellte Personen eine Tat nach dem zwölften Titelbis begehen oder begehen werden, und er dies nicht verhindert (Art. 264k Abs. 1), obwohl es ihm möglich wäre1484. Das Gleiche gilt aber auch dann, wenn der Vorgesetzte weiss oder fahrlässig nicht erkennt, dass ihm unterstellte Personen eine Tat nach dem zwölften Titelbis begangen 1478  Vgl. z.B. ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 605 ff., 737 ff., 776 ff., vgl.

aber auch ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 566 ff., 671 ff., 689 ff.: Freispruch mangels Beweis. 1479  Vgl. z.B. ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 721 ff., ICTY (AC) vom 29.4.2004, Prosecutor v. Blaškić, N  65  ff., ICTY (TC) vom 26.1.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 842 f., ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 647 ff., vgl. aber auch ICTY (TC) vom 16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N 735 ff.: Freispruch mangels Beweis. 1480  ICTR (TC) vom 4.9.1998, Prosecutor v. Kambanda, N 39 f. 1481  Vgl. z.B. ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N 476 ff., ICTR (AC) vom 1.6.2001, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N 293 ff. 1482  Vgl. ICTR (TC) vom 27.1.2000, Prosecutor v. Musema, N 880, 882, 893 ff. 1483  Vgl. hierzu Fiolka, BSK StGB II, N 68 ff. zu Art. 264k, Vest, PK, N 7 zu Art. 264k, Vest, in: Vest et al., N 123 ff. zu Art. 264k sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N 64 ff., ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 523 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 562 ff. 1484  Vgl. hierzu Fiolka, BSK StGB II, N 45 ff. zu Art. 264k sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N 72 ff., ICTR (TC), Prosecutor v. Kamuhanda, N 610, ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N 229, ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 426 ff., 432 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 567.

263

§ 56  Völkermord (Art. 264)

haben, und er nicht angemessene Massnahmen ergreift, um die Bestrafung des Täters sicherzustellen (Art. 264k Abs. 2)1485. Erforderlich ist, dass der Vorge­ setzte in der Lage gewesen wäre, die für die Verhinderung der Tat bzw. die Ver­ folgung der Täter notwendigen Massnahmen zu ergreifen1486, wobei es bei der Bemessung der Handlungspflichten auf das konkrete Unterstellungsverhältnis ankommt1487. Bei Personen, die selbst nicht in der Lage sind, eine Verfolgung einzuleiten, reicht die Meldung an eine hierzu kompetente Stelle aus1488. In subjektiver Hinsicht ist entweder vorsätzliches Verhalten erforderlich, wobei bedingter Vorsatz ausreichend ist, oder es muss Fahrlässigkeit gegeben sein. Ein fahrlässiges Verhalten ist dann gegeben, wenn der Vorgesetzte aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen und der Umstände hätte wis­ sen müssen, dass seine Untergebenen Straftaten begehen, begangen haben oder begehen werden und er diese Informationen ausser Acht gelassen hat1489.

1.12

Die geschützten Gruppen

Art. 264 stellt bestimmte, in Abs. 1 lit. a bis d näher beschriebene Verhaltens­ weisen unter Strafe, mit denen Mitglieder einer durch ihre Staatsangehörig­ keit, Rasse, Religion oder ethnische Zugehörigkeit gekennzeichneten Gruppe in ihren Rechtsgütern beeinträchtigt werden. 1485  Vgl. hierzu Fiolka, BSK StGB II, N 45 ff. zu Art. 264k sowie aus der Rechtsprechung der

internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N 91 ff., ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 526 ff., ICTY (AC) vom 19.5.2010, Prosecutor v. Boškoski, N 259 ff., vgl. auch Moreillon, Suisse, 492 ff. 1486  Vgl. Pieth, BT, 259 sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichts­ höfe: ICTR (AC) vom 29.4.2014, Prosecutor v. Karemera, N 318 ff., ICTR (TC) vom 2.2.2012, Prosecutor v. Karemera, N  1500  f., ICTR (AC) vom 10.12.2013, Prosecutor v. Ndahimana, N 75 ff., ICTR (AC) vom 30.6.2014, Prosecutor v. Ndindiliyimana, N 102 ff., ICTY (TC) vom 6.9.2011, Prosecutor v. Perišić, N 156 ff. 1487  Vgl. Botschaft 2008, 3951 sowie ICTR (AC) vom 1.6.2001, Prosecutor v. Kayishema, N 302 f., ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 441 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 121 ff. 1488  Vgl. ICTY (AC) vom 19.5.2010, Prosecutor v. Boškoski, N  231  ff., ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 123, ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 568. 1489  Vgl. Botschaft 2008, 3952 sowie aus der Rechtsprechung der Internationalen Gerichts­ höfe ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N  309  ff., ICTY (AC) vom 29.7.2004, Prosecutor v. Blaškić, N 62, ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 387 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 432 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 120.

264

§ 56  Völkermord (Art. 264)

Für die Begriffe Rasse, Religion und Ethnie kann auf die entsprechenden Aus­ führungen zum Straftatbestand der Rassendiskriminierung verwiesen werden (Art. 261bis)1490. Mit der Aufnahme des Merkmals der Staatsangehörigkeit soll sichergestellt werden, dass auch die Fälle erfasst sind, in denen sich die Tat gegen Ange­ hörige eines Staates richtet, die verschiedenen Ethnien angehören1491. Wie beim Straftatbestand der Rassendiskriminierung (Art.  261bis) muss es auch bei Art. 264 ausreichen, dass eine Gruppe nach dem Verständnis der Aussen­ welt durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet ist, diese also als Gruppe wahrgenommen wird1492; dass die Merkmale, auf welche die Kennzeichnung als Gruppe gestützt wird, tatsächlich gegeben sind, ist nicht erforderlich1493. So kann z.B. offenbleiben, ob sich die Bevölkerungsgruppen der Hutus und der Tutsis in Ruanda wirklich aufgrund ethnischer oder rassischer Merkmale unterscheiden; relevant ist allein, dass dies von den Betroffenen und von Aus­ senstehenden so gesehen wird1494. Als geschützte Ethnien anerkannt wurden in der Praxis unter anderem die bosnischen Muslime und die bosnischen Kro­

1490  So auch Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 264, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 41 N 2, Vest,

in: Vest et al., N 95 ff. zu Art. 264, Wehrenberg, BSK StGB II, N 27 ff. zu Art. 264. Zur Auslegung des Art. 261bis vgl. § 52 Ziff. 2.1. 1491  Vgl. Botschaft 1999 III, 5347 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 41 N 2. Nicht erfasst sind damit nationale Minderheiten, die nicht gleichzeitig eine von der Mehrheitsbe­ völkerung zu unterscheidende Ethnie darstellen, vgl. Vest/Sager, 430. Kritisch zur Ver­ wendung des Begriffs der Staatsangehörigkeit Vest, in: Vest et al., N 87 ff. zu Art. 264. 1492  Vgl. Botschaft 2008, 3918 f. Zur Auslegung des Art. 261bis vgl. vorne § 52 Ziff. 2.1, zur Auslegung des Begriffs der Gruppe im Rahmen der internationalen Rechtsprechung zum Genozidtatbestand vgl. Demko, 229 ff., Gless, N 805 ff. 1493  So auch Stratenwerth/Bommer, BT II, §  41 N  3, Wehrenberg, BSK StGB II, N  28 zu Art. 264. 1494  Vgl. hierzu Vest, PK, N 3 zu Art. 264 sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 702, ICTR (TC) vom 31.3.2011, Prosecutor v. Gatete, N 584, ICTR (TC) vom 6.12.2010, Prosecutor v. Hategekimana, N 679, ICTR (TC) vom 2.2.2012, Prosecutor v. Karemera, N 1608, ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N 34 ff., 522 ff., ICTR (TC) vom 28.4.2005, Prosecutor v. Muhimana, N 509 ff., ICTR (TC) vom 5.7.2010, Prosecutor v. Munyakazi, N 495, ICTR (TC) vom 21.2.2003, Prosecutor v. Ntakirutimana, N 780, ICTR (TC) vom 6.12.1999, Prosecutor v. Rutaganda, N 400.

265

§ 56  Völkermord (Art. 264)

aten1495 sowie die in der Region Darfur lebenden Gruppen der Fur, der Musa­ lat und der Zaghwa1496. Nicht in den Schutzbereich des Straftatbestands fielen unter Geltung der ursprünglichen Fassung der Norm Gruppen, die allein durch soziale oder poli­ tische Kriterien gekennzeichnet sind1497. Nicht erfasst waren damit z.B. die Verfolgung der von der Hutu-Mehrheit als politisch unzuverlässig eingestuften Minderheit der gemässigten Hutus oder der Auto-Genozid der Roten Khmer an der kambodschanischen Oberschicht, soweit deren Mitglieder ebenfalls zur Ethnie der Khmer gehörten1498. Nach Auffassung des Bundesrats war diese Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm de lege lata grundsätz­ lich hinzunehmen, weil die Einbeziehung sozialer Gruppen zu grosse Schwie­ rigkeiten bei der Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Norm zur Folge gehabt hätte1499. Andererseits ging aber auch der Bundesrat davon aus, dass eine sich in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda abzeichnende Einbeziehung derartiger Gruppen in den Anwendungs­ bereich des Straftatbestands des Völkermords bei der Auslegung des schwei­ zerischen Rechts zu berücksichtigen sei1500. Durch die Neufassung der Norm, die jetzt ausdrücklich auch die durch «soziale oder politische Zugehörigkeit gekennzeichnete Gruppe» einbezieht1501, ist die Ausdehnung des Anwen­ dungsbereichs der Norm, die der Sache nach schon immer zu befürworten war, nunmehr in einer mit der Wortlautgrenze zu vereinbarenden Art und Weise geregelt worden1502.

1495  Vgl. hierzu ICTR (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 736, ICTY (TC) vom

14.12.1999, Prosecutor v. Jelisić, N 72.

1496  Vgl. ICC (Pre-Trial Chamber) vom 4.3.2009, Prosecutor v. al Bashir, N 115 f., 137. 1497  Botschaft 1999 III, 5347. 1498  Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 264, Wehrenberg, BSK StGB II, N 34 zu Art. 264. 1499  Botschaft 1999 III, 5347. 1500  Botschaft 2000 II, 496, Botschaft 2008, 3918. 1501  Vgl. Botschaft 2008, 3918 f., Gless, N 954, Wehrenberg, BSK StGB II, N 35 f. zu Art. 264. 1502  Vgl. Vest, in: Vest et al., N 118 zu Art. 264.

266

§ 56  Völkermord (Art. 264)

1.13 Tathandlungen Die Tathandlungen bestehen darin, dass a) mindestens zwei1503 Mitglieder einer geschützten Gruppe getötet1504 oder in schwerwiegender Weise in ihrer körperlichen oder geistigen Unver­ sehrtheit geschädigt werden (Abs. 1 lit. a). Erfasst werden hier alle Angriffe auf die physische oder psychische Integrität der Gruppenmitglieder, wenn diese zu mehr als unerheblichen, nicht notwendigerweise bleibenden Beeinträchtigungen führen1505. Dies kann z.B. bei Folterungen und sons­ tigen Misshandlungen der Fall sein, aber auch bei Vergewaltigungen und anderen Formen der Anwendung sexueller Gewalt1506. Nicht erfasst ist die kulturelle oder religiöse Unterdrückung als solche1507; b) Mitglieder einer geschützten Gruppe Lebensbedingungen unterworfen werden, die geeignet sind, die Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten (Abs.  1 lit.  b). Erfasst ist hier neben der Internierung in Vernichtungsla­ gern die Überführung in die faktische Sklaverei sowie der Entzug medi­ zinischer Betreuung und/oder der notwendigen Güter für den täglichen

1503  So auch Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 264, Vest, PK, N 5 zu Art. 264, Vest, in: Vest et al.,

N 142 zu Art. 264, a.M. Botschaft 2000 II, 498 (zu Art. 6 Römer Statut), vgl. auch Gless, N 811. 1504  Zum Massaker an der männlich-muslimischen Bevölkerung der Enklave Srebrenica vgl. ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 543. 1505  Vgl. Vest, in: Vest et al., N 153 ff. zu Art. 264 sowie aus der Rechsprechung der inter­ nationalen Strafgerichtshöfe: ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N 108 ff., ICTR (TC) vom 28.4.2005, Prosecutor v. Muhimana, N 502, ICTY (AC) vom 8.4.2015, Prosecutor v. Tolimir, N 201 ff., Gless, N 813. Kritisch zur Unbe­ stimmtheit der Norm Stratenwerth/Bommer, BT II, § 41 N 4. 1506  Vest, in: Vest et al., N 160 ff. zu Art. 264, Wehrenberg, BSK StGB II, N 39 zu Art. 264, vgl. auch Botschaft 2000 II, 497 (zu Art. 6 Römer Statut) sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTR (TC) vom 17.6.2004, Prosecutor v. Gacumbitsi, N  291  ff., ICTR (TC) vom 1.11.2010, Prosecutor v. Kanyarukiga, N  637, ICTR (TC) vom 31.3.2011, Prosecutor v. Gatete, N 584, ICTR (TC) vom 24.6.2011, Prosecutor v. Nyiramasuhuko, N 5731, ICTR (TC) vom 30.12.2011, Prosecutor v. Ndahimana, N 805 ff., ICTR (TC) vom 2.2.2012, Prosecutor v. Ngirumpatse, N 1609, ICTR (TC) vom 31.5.2012, Prosecutor v. Nzabonimana, N 1703, ICTR (TC) vom 19.6.2012, Prosecutor v. Nizeyimana, N 1493, ICTR (TC) vom 20.12.2012, Prosecutor v. Ngirabatware, N 1381, ICTY (TC) vom 14.12.1999, Prosecutor v. Jelisić, N 63 ff. 1507  Wehrenberg, BSK StGB II, N 39 zu Art. 264, vgl. auch ICTY (AC) vom 8.4.2015, Prosecutor v. Tolimir, N 230 f.

267

§ 56  Völkermord (Art. 264)

Bedarf1508. Systematische Vertreibungen («ethnische Säuberungen») sind jedenfalls dann erfasst, wenn mit der Vertreibung auch der Zusammenhalt der Gruppe zerstört wird1509. Nicht ausreichend sind Massnahmen, durch welche die Gruppenmitglieder lediglich in ihrer psychischen Befindlichkeit beeinträchtigt werden1510; c) Massnahmen angeordnet oder getroffen werden, die auf eine Geburten­ regelung innerhalb einer geschützten Gruppe gerichtet sind (Abs. 1 lit. c). Erfasst sind nicht nur unter Zwang durchgeführte Sterilisationen und Kas­ trationen, sondern jede Form der Geburtenverhinderung, die z.B. auch durch eine Trennung der Geschlechter erreicht werden kann1511 oder dadurch, dass sich vergewaltigte Frauen nicht mehr fortpflanzen können, sei dies nun als Folge der durch die Tat erlittenen Traumatisierung oder – was insbesondere in patriarchalischen Gesellschaften der Fall sein kann – zufolge des Umstands, dass die betroffene Frau aus der Gesellschaft ausge­ stossen wird1512; d) mindestens zwei1513 Kinder der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt werden (Abs.  1 lit.  d). Die Einbeziehung der zweifelsfrei eben­ falls strafwürdigen Fälle, in denen ein derartiger biologischer oder kulturel­ ler Genozid durch Drohungen bewirkt wird, muss de lege lata an der Wort­ lautgrenze scheitern1514.

1508  Vest, PK, N 6 zu Art. 264, Vest, in: Vest et al., N 166 f. zu Art. 264, Wehrenberg, BSK

StGB II, N 40 zu Art. 264, vgl. auch Botschaft 2000 II, 497 (zu Art. 6 Römer Statut) sowie ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 503, Gless, N 814. 1509  Vgl. ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 737 ff., EGMR vom 12.7.2007, Jorgic c. Deutschland, Nr. 74613/01 Ziff. 103 ff. = fp 2008, 73 mit Anm. Wohlers, kri­ tisch hierzu Vest, in: Vest et al., N 170 ff. zu Art. 264, vgl. auch ICTY (AC) vom 8.4.2015, Prosecutor v. Tolimir, N 232 ff. 1510  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 264. 1511  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 264, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 41 N 5, Vest, PK, N 6 zu Art. 264. 1512  Vgl. Botschaft 2000 II, 497 sowie Gless, N 816, Vest, in: Vest et al., N 183 ff. zu Art. 264. 1513  Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 264, Vest, in: Vest et al., N 190 zu Art. 264. 1514  A.M. Vest, PK, N 6 zu Art. 264, Vest, in: Vest et al., N 198 zu Art. 264, Wehrenberg, BSK StGB II, N 42 zu Art. 264, sowie Botschaft 2000 II, 497 (zu Art. 6 Römer Statut), vgl. auch Gless, N 819.

268

§ 56  Völkermord (Art. 264)

1.14

Vollendung, strafbare Vorbereitungshandlungen

Das Delikt ist in objektiver Hinsicht vollendet, wenn eine der vorne genann­ ten Alternativen erfüllt ist. Darauf, ob die betroffene Gruppe ganz oder teil­ weise vernichtet wird oder es auch nur zu umfassenden Massnahmen gegen diese Gruppe kommt, die eine entsprechende konkrete Gefahr begründen würden, kommt es nicht an1515. Bei Art. 264 handelt es sich um ein Delikt mit überschiessender Innentendenz: Erforderlich ist allein die Absicht, die Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten1516. Neben dem nach allgemeinen Grundsätzen möglichen versuchten Delikt werden über Art.  260bis auch Vorbereitungshandlungen zum Völkermord erfasst1517. Der öffentliche Aufruf zum Völkermord kann von Art. 259 Abs. 1bis erfasst werden1518.

1.2

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist vorsätzliches Handeln erforderlich, wobei Eventual­ vorsatz ausreichend ist1519. Hinzukommen muss die Absicht, eine der in Abs.  1 genannten geschützten Gruppen als solche ganz oder teilweise zu vernichten. Es reicht aus, dass der Täter eine Gruppe zwar nicht insgesamt auslöschen will, wohl aber einen rele­ vanten Teil1520, etwa die in einem abgrenzbaren Gebiet lebenden Gruppenmit­

1515  Wehrenberg, BSK StGB II, N 15, 47 zu Art. 264, Gless, N 821, vgl. auch Botschaft 2000

II, 498 (zu Art. 6 Römer Statut), vgl. aber auch ICC (Pre-Trial Chamber) vom 4.3.2009, Prosecutor v. al Bashir, N 124 und hierzu Gless, N 804. 1516  Botschaft 1999 III, 5338  f., Vest, Botschaft, 354, Wehrenberg, BSK StGB II, N  47 zu Art. 264. 1517  Botschaft 1999 III, 5339, 5351, Corboz, Vol. II, N 19 zu Art. 264, Wehrenberg, BSK StGB II, N 44 f., 82 zu Art. 264. 1518  Vgl. vorne § 45 Ziff. 1.1. 1519  Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 264, Pieth, BT, 262, Vest, in: Vest et al., N 146 und 202 zu Art. 264, Wehrenberg, BSK StGB II, N 47 zu Art. 264, vgl. auch Botschaft 2000 II, 498 (zu Art. 6 Römer Statut). 1520  Zum diesbezüglichen Streitstand vgl. Vest, in: Vest et al., N 259 ff. zu Art. 264 sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTR (TC) vom 6.12.2010, Prosecutor v. Hategekimana, N 668, ICTY (AC), Prosecutor v. Tolimir, N 239 ff., ICTY (TC) vom 12.12.2012, Prosecutor v. Tolimir, N 769 ff.

269

§ 56  Völkermord (Art. 264)

glieder1521, wie z.B. die in der Enklave Srebrenica lebenden bosnischen Mus­ lime1522. In der Genozidkonvention ist vorgesehen, dass sich die Tat gegen die Gruppe «als solche» richten muss. Diese Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm war – wohl aufgrund eines Redaktionsversehens1523 – in die ursprüng­ liche Fassung des Art. 264 nicht übernommen worden, sie war aber nach all­ gemeiner Auffassung auf dem Wege einer berichtigenden Auslegung in die Norm hineinzuinterpretieren1524 und ist jetzt durch die Neufassung auch aus­ drücklich übernommen worden1525: Der Anwendungsbereich der Norm ist damit auf die Fälle zu beschränken, in denen die Tat gerade aus dem Grunde begangen wird, die betroffene Gruppe als solche auszulöschen1526. Dies bedeu­ tet nicht, dass der Täter aus rassistischen oder sonst wie diskriminierenden Gründen zur Tat motiviert worden sein muss; erforderlich ist allein, dass er – gegebenenfalls auch nur unter anderem – handelt, um die Gruppe ganz oder zum Teil auszulöschen1527, was dann im konkreten Einzelfall auch nachzuwei­ sen ist1528. Der ICTY hat beispielsweise eine auf die Vernichtung der bosni­ schen Muslime und/oder der bosnischen Kroaten durch die bosnischen Serben 1521  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 264 sowie ICTR (TC) vom 17.6.2004, Prosecutor v. Gacum-

bitsi, N 258, ICTY (TC) vom 14.12.1999, Prosecutor v. Jelisić, N 82 f., ICTY (AC) vom 5.7.2001, Prosecutor v. Jelisić, N 45 ff., ICTR (TC) vom 7.12.2007, Prosecutor v. Karera, N 534, ICTR (TC) vom 28.4.2005, Prosecutor v. Muhimana, N 514 ff., ICTR (TC) vom 11.9.2006, Prosecutor v. Mpambara, N 8, ICTY (TC) vom 3.9.2001, Prosecutor v. Sikirica et al., Judgement on Defence Motions to acquit, N 63 ff. 1522  Vgl. hierzu Vest, in: Vest et al., N 275 ff. zu Art. 264 sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N  581  ff., ICTY (AC) vom 19.4.2004, Prosecutor v. Krstić, N  6  ff., ICTY (AC) vom 30.1.2015, Prosecutor v. Popović, N  419  ff., ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 831 ff., 864 ff., ICTY (AC) 8.4.2015, Prosecutor v. Tolimir, N 186 ff., ICTY (TC), Prosecutor v. Toilimir, N 774 f. 1523  Vgl. Wehrenberg, BSK StGB II, N 53 zu Art. 264. 1524  Botschaft 1999 III, 5348 f. 1525  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 41 N 7, Vest, PK, N 8 zu Art. 264. 1526  Eine entsprechende Forderung war insbesondere von Vest, Botschaft, 355  ff., erho­ ben worden. 1527  Zum Streitstand umfassend Vest, in: Vest et al., N 205 ff. zu Art. 264, vgl. auch Wehrenberg, BSK StGB II, N 54 zu Art. 264 sowie aus der Rechtsprechung der internationa­ len Strafgerichtshöfe: ICTR (AC) vom 9.7.2004, Prosecutor v. Niyitegeka, N 47 ff., ICTY (TC) vom 3.9.2001, Prosecutor v. Sikirica et al., N 87 ff. 1528  Zu den insoweit bestehenden Beweisproblemen vgl. Vest, in: Vest et al., N  244 zu Art. 264.

270

§ 56  Völkermord (Art. 264)

abzielende Absicht als nicht gegeben angesehen1529. Fehlt es an dieser Absicht, verbleibt es bei der Anwendung der Art. 111 ff., 123 ff., 181, 183 und 189 f. Das Merkmal der Absicht ist andererseits nicht dahingehend zu verstehen, dass es dem Täter notwendigerweise gerade darauf ankommen muss, die Gruppe zu vernichten (direkter Vorsatz in der Form der Absicht); es reicht aus, wenn ihm bekannt ist, dass er mit seinem Handeln notwendigerweise einen Beitrag in diesem Sinne leistet1530. Erfasst sind damit auch Mitläufer, die sich – ohne dies selbst als eigenes Ziel anzustreben – an Massnahmen beteiligen, die auf die Vernichtung von durch Art. 264 geschützten Gruppen abzielen.

2.

Weitere Fragen

2.1

Handeln auf Befehl oder Anordnung (Art. 264l)

Die Strafbarkeit des Handelns auf Befehl war bereits in MStG alt Art. 20 Abs. 2 kodifiziert. Nach Art. 264l (Handeln auf Befehl oder Anordnung/Actes commis sur ordre d’autrui/Commissione di un reato in esecuzione di un ordine/Acting on orders) ist der Täter, der auf Befehl oder auf Anordnung handelt, strafbar, wenn er sich der Rechtswidrigkeit des Befehls oder der Anordnung zur Zeit der Tat faktisch und aktuell bewusst war1531. Die Anforderungen an die Annahme der Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Befehls oder der Anordnung sind im Hinblick darauf, dass es bei den Verbrechen des Völkermords und den Verbre­ chen gegen die Menschlichkeit um schwerwiegende Verstösse gegen elemen­ tare Grundsätze des humanitären Völkerrechts geht, hoch anzusetzen1532.

2.2 Konkurrenzen Handlungen, die sich gegen ein und dieselbe Gruppe richten, stellen auch dann, wenn verschiedene Gruppenmitglieder betroffen sind und/oder verschiedene Alternativen des Art.  264 erfüllt werden, ein Einheitsdelikt dar1533. Im Ver­ hältnis zu den Art. 111 ff., 123 ff. und 189 f. besteht schon aufgrund der unter­ 1529  ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N  989, ICTY (TC) vom 27.9.2006,

Prosecutor v. Krajišnik, N 867 ff.

1530  Vgl. Vest, Armenier, 68 f., Vest, PK, N 8 zu Art. 264, Vest, in: Vest et al., N 5 zu Art. 264l,

Wehrenberg, BSK StGB II, N 48 zu Art. 264.

1531  Fiolka, BSK StGB II, N 28 ff. zu Art. 264l, Gless, N 944, kritisch hierzu Vest/Sager, 444,

Husmann, N 30.

1532  Botschaft 2008, 3953, Moreillon, Suisse, 496, Pieth, BT, 260, Vest, PK, N 5 zu Art. 264l. 1533  Wehrenberg, BSK StGB II, N 82 zu Art. 264.

271

§ 56  Völkermord (Art. 264)

schiedlichen geschützten Rechtsgüter echte Konkurrenz: Hat der Täter zusätz­ lich noch Delikte gegen Individualrechtsgüter begangen, macht er sich auch nach diesen strafbar1534. Gleiches gilt für die Kriegsverbrechen des Titels 12ter, soweit man bei diesen von einer individualgüterschützenden Konzeption1535 ausgeht. Liegt tatbestandlich ein Völkermord vor, wird ein gleichfalls tatbestandlich gegebenes Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art.  264a verdrängt, soweit sich dieses allein gegen Mitglieder der nach Art.  264 geschützten Gruppe richtet1536.

2.3

Weltrechtsprinzip (Art. 264m)

Auf das gemäss Art.  101 unverjährbare Delikt des Völkermords findet nach Art.  264m (Auslandtaten/Actes commis à l’étranger/Reati commessi all’estero/ Criminal offences carried out abroad) das Weltrechtsprinzip1537 Anwendung1538: Ein Täter, der eine Tat nach Art. 264 im Ausland begangen hat, unterliegt der Strafverfolgung wegen Art. 264, wenn er in der Schweiz ergriffen wird1539 und nicht ausgeliefert bzw. einem internationalen Strafgericht, dessen Zuständig­ keit die Schweiz anerkennt, überstellt werden kann1540. Art. 264 kommt aller­ dings entgegen der Regelung in Art. 7 Abs. 1 lit. a auch dann zur Anwendung,

1534  Corboz, Vol. II, N 21 zu Art. 264, Vest, PK, N 16 zu Art. 264, Vest, in: Vest et al., N 331

zu Art. 264, Wehrenberg, BSK StGB II, N 82 zu Art. 264, vgl. aber auch Botschaft 1999 III, 5346, 5348, wo von «subsidiär» anwendbaren Delikten die Rede ist. 1535  Vgl. hinten § 58. 1536  Vgl. Pieth, BT, 263, Vest, PK, N 16 zu Art. 264, Wehrenberg/Ziegler, 95. 1537  Fabbri, 284, vgl. ergänzend Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.4. 1538  Zur Zulässigkeit des Weltrechtsprinzips bei der Ahndung von Völkermord vgl. EGMR vom 12.7.2007, Jorgic c. Deutschland, Nr.  74613/01 Ziff.  66  ff. = fp 2008, 73 mit Anm. Wohlers. 1539  Zur Kritik an der ausnahmslosen Unzulässigkeit von Abwesenheitsverfahren vgl. Vest, Handlungsbedarf, 64, ders., Kriegs- und Menschheitsverbrechen, 614, ders., Universa­ litätsprinzip, 316 sowie Abo Youssef, 213. 1540  Wobei dieses kann als wird zu lesen ist. Erfasst sind auch die Fallgestaltungen, bei denen die Auslieferung nicht erfolgt, weil der betreffende Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Strafverfolgung zu betreiben, oder bei denen eine grundsätzlich mögliche Auslieferung daran scheitert, dass der Betroffene kein faires Verfahren und/ oder die Todesstrafe zu erwarten hat, vgl. Fiolka, BSK StGB II, N 14 zu Art. 264m, vgl. auch Abo Youssef, 211 ff. (zu alt Art. 264 Abs. 2).

272

§ 56  Völkermord (Art. 264)

wenn die Tat entweder am Begehungsort überhaupt nicht strafbar ist oder aber dort eine für den Täter günstigere Regelung gilt1541. Ein enger Bezug zur Schweiz – wie er zwischenzeitlich im MStG vorgesehen war1542 – ist nach Art. 264m nicht erforderlich, um die Zuständigkeit der Schwei­ zer Strafbehörden zu begründen1543. Dass die Strafbehörden der Schweiz nicht gezwungen sind, aufwendige und wenig aussichtsreiche Abwesenheitsverfah­ ren bei Taten zu führen, bei denen kein Bezug zur Schweiz besteht, wird durch Art. 264m Abs. 2 sichergestellt1544. Anwendbar bleibt gemäss Art. 264m Abs. 3 das in Art. 7 Abs. 4 und 5 normierte sog. Erledigungs- und Anrechnungsprin­ zip1545, wobei allerdings eine Ausnahme für die Fälle gilt, in denen der im Aus­ land erfolgte Freispruch oder Erlass oder die Verjährung dazu diente, den Täter in ungerechtfertigter Weise vor Strafe zu bewahren1546. Zu Kompetenzkonflik­ ten mit dem Ex-Jugoslawien-Gerichtshof oder dem Ruanda-Gerichtshof kann es nicht kommen, weil diese Gerichtshöfe ausschliesslich für Taten zuständig sind, auf die – wegen des Rückwirkungsverbots (Art. 2 Abs. 1) – Art. 264 nicht anwendbar ist1547.

2.4

Immunität (Art. 264n)

Nach Art.  264n (Ausschluss der relativen Immunität/Exclusion de l’immunité relative/Esclusione dell’immunità relativa/Exclusion of relative immunity) ste­ hen die Regelungen über die Immunität bestimmter Amtsträger (sog. rela­ tive Immunität) einer Strafverfolgung wegen Völkermords nicht entgegen1548.

1541  Vgl. Botschaft 2008, 3954, Abo Youssef, 213, Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 264. Zur Kri­

tik vgl. Husmann, N 36, 48.

1542  Im Zuge der Neufassung ist dieses Erfordernis auch im MStG wieder aufgegeben wor­

den, vgl. Botschaft 2008, 3899 f., zustimmend Gless, N 947, Vest/Sager, 426, vgl. auch – zu den entsprechenden Forderungen im Schrifttum – Vest, Kriegs- und Menschheits­ verbrechen, 614, Wehrenberg, BSK StGB II, N 45a zu Art. 264. 1543  Botschaft 2008, 3954, Bommer, 425, Husmann, N 34 f., Pieth, BT, 261, Vest, Universa­ litätsprinzip, 321. 1544  Botschaft 2008, 3954 ff. 1545  Botschaft 2008, 3956, vgl. hierzu auch Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.61. 1546  Husmann, N 45 f. 1547  Vgl. Wehrenberg, BSK StGB II, N 75 ff. zu Art. 264. 1548  Vgl. Ziegler/Baumgartner, in: Vest et al., N 7 ff. zu Art. 264n.

273

§ 56  Völkermord (Art. 264)

Anwendbar bleiben dagegen die Regelungen der absoluten Immunität (BV Art. 162 Abs. 1, VG Art. 2 Abs. 2)1549.

2.5

Bundesgerichtsbarkeit und Militärgerichtsbarkeit

Die Verfolgung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterliegt, soweit die Zivilgerichtsbarkeit zuständig ist, der Bundesgerichtsbar­ keit (StPO Art. 23 Abs. 1 lit. g)1550. Eine Delegation an kantonale Behörden ist nicht möglich (StPO Art. 23 Abs. 1 lit. g i.V.m. Art. 25 Abs. 1 Satz 2). Die Ver­ folgung obliegt auch dann der zivilen Gerichtsbarkeit, wenn es sich um Taten handelt, die im Rahmen bewaffneter Konflikte von Zivilpersonen oder von ausländischen Militärpersonen verübt wurden (vgl. MStG Art. 3 Abs. 1 Ziff. 7, 8, 9 e contrario)1551. Die Militärgerichtsbarkeit bleibt zuständig, soweit die Tat von einer Person mit schweizerischem militärischen Status (vgl. MStG Art. 3 Abs. 1 Ziff. 1, 2, 3 und 6 sowie Art. 3 Abs. 2) begangen wird oder sich eine im Ausland begangene Tat, unabhängig davon, von wem sie begangen wurde, gegen einen Angehöri­ gen der Schweizer Armee richtet (vgl. MStG Art. 10 Abs. 1quater). Eine integrale Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit besteht dann, wenn sich die Schweiz selbst im Krieg befindet (MStG Art. 5 Abs. 1 Ziff. 1 lit. d). Wird jemand mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt, oder sind mehrere Personen an Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit betei­ ligt, die teils der militärischen und teils der zivilen Gerichtsbarkeit unterstellt sind, so kann der Bundesrat auf Antrag des Oberauditors oder des Bundesan­ walts alle Personen entweder der zivilen oder der militärischen Gerichtsbarkeit unterstellen (vgl. MStG Art. 221a).

1549  Vgl. hierzu Botschaft 1999 III, 5350, Botschaft 2008, 3957 f., Corboz, Vol. II, N 14 zu

Art. 264, Wehrenberg, BSK StGB II, N 24 zu Art. 264, Ziegler/Baumgartner, in: Vest et al., N 13 ff. zu Art. 264n, Husmann, N 55 ff. 1550  Botschaft 1999 III, 5352, Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 264, Fabbri, 284 f., Wehrenberg, BSK StGB II, N 54 zu Art. 264. 1551  Vgl. auch Botschaft 2008, 3905.

274

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

§ 57 Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a) Literaturauswahl: K. Ambos, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., München 2008, A. Becker, Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, Berlin 1996, N. Capus, Die Unverjährbar­ keit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach schweizerischem und internationalen Recht, recht 24 (2006) 247, S. Gless, Internationales Strafrecht, Basel 2011, C. Grammer, Der Tatbestand des Verschwindenlassens einer Person, Berlin 2005, S. Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, Berlin 2004, B. de Moerloose/J. Meylan, Les crimes contre l’humanité, in: J. Meylan (Hrsg.), La lutte contre l’impunité en droit suisse, 2. Aufl., Bern 2015, 92, L. Moreillon, La Suisse et les crimes contre l’humanité, in: Droit pénal humanitaire, hrsg. von L. Moreillon/A. Bichovsky/M. Massouri, Basel 2009, 459, M. Nasel, Les crimes contre l’humanité, in: Droit pénal humanitaire, hrsg. von L. Moreillon/A. Bichovsky/M. Massouri, 2. Aufl., Basel 2009, 179, H. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl., Baden-Baden 2015, H. Vest/C. Sager, Die bundesrätliche Bot­ schaft zur Umsetzung der Vorgaben des IStGH-Statuts – eine kritische Bestandesaufnahme, AJP 18 (2009) 423, H. Vest/A. Ziegler/J. Lindenmann/S. Wehrenberg (Hrsg.), Die völkerstrafrechtlichen Bestimmungen des StGB, Zürich 2014, A. Ziegler/S. Wehrenberg, Völkerrechtliche Immunität vor Strafverfolgung in der Schweiz, in: Kriminologie, Kriminalpolitik und Strafrecht aus internatio­ naler Perspektive, Festschrift für Martin Killias zum 65. Geburtstag, Bern 2013, 1111.

Der Straftatbestand Art. 264a (Verbrechen gegen die Menschlichkeit/Crimes contre l’humanité/Crimini contro l’umanità/Crimes against humanity) wurde durch die UN-Vollversammlung am 11.12.1946 und in den Nürnberger Prinzipien der International Law Commission anerkannt und ist heute sowohl Teil des gewohnheitsrechtlich anerkannten Völkerstrafrechts als auch in den Statuten des ICTY1552, des ICTR1553 und des ICC1554 verankert1555. Der Kreis tauglicher Täter wird – wie beim Völkermordtatbestand – über die an der Tat unmittelbar beteiligten Personen hinaus auf die Vorgesetzten nach Art. 264k erweitert (command responsibility)1556.

1552  Updated Statute of the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia,

September 2009, , besucht am 20.6.17. 1553  Statute of the International Criminal Tribunal for Rwanda, 31.  Januar 2010, , besucht am 20.6.17. 1554  SR 0.312.1, vgl. vorne § 55 FN 1371. 1555  Vgl. Vest, in: Vest et al., N 1 ff. zu Art. 264a. 1556  Vgl. hierzu vorne § 56 Ziff. 1.11.

275

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

1.

Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

1.11

Handeln im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung

Der Straftatbestand ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter bestimmte – in Abs. 1 lit. a bis j im Einzelnen umschriebene – schwere Delikte begeht, wobei er «im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivil­ bevölkerung» handelt. Dieses Element begründet den spezifischen Unrechts­ gehalt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der darin liegt, dass die Ein­ zeltat eingebettet ist in ein planmässiges Vorgehen eines Staates oder einer Organisation, welches die Begehung der Tat erleichtert und den Opfern die Gegenwehr erschwert1557. Es reicht aus, dass es ein Staat oder eine Organi­ sation unterlässt, die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in ihrem Einflussbereich zu verhindern1558. Beispiele für das Vorliegen eines Angriffs sind die Verfolgung der Tutsi in Ruanda1559, das Vorgehen gegen die muslimischen und kroatischen Bevölkerungsteile in Bosnien-Herzegowina1560 und auch das Vorgehen der Regierungskräfte des Sudan gegen die Zivilbevöl­ kerung der Region Darfur1561. 1557  Botschaft 2008, 3921, Gless, N 957, Vest, in: Vest et al., N 23 ff. zu Art. 264a. Vgl. dazu

auch ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N  579  ff., ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 198 ff., ICTY (AC) vom 29.7.2004, Prosecutor v. Blaškić, N 96 ff., ICTR (TC) vom 17.6.2004, Prosecutor v. Gacumbitsi, N 299, ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 178 ff., ICTY (AC) vom 26.1.2005, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 93 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 705 ff., ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac, N 85 ff., ICTY (TC) vom 14.1.2000, Prosecutor v. Kupreškić, N 543 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 150 f., ICTR (TC) vom 27.1.2000, Prosecutor v. Musema, N 202 ff., ICTY (TC) vom 7.5.1997, Prosecutor v. Tadić, N 644 ff., Ambos, § 7 N 182 ff., Moreillon, 482 f. 1558  Botschaft 2008, 3921 f. sowie ICTY (TC) vom 14.1.2000, Prosecutor v. Kupreškić, N 552: Es reicht aus, dass die Taten toleriert werden. 1559  Vgl. ICTR (TC) vom 17.6.2004, Prosecutor v. Gacumbitsi, N  303, ICTR (TC) vom 5.7.2010, Prosecutor v. Munyakazi, N  503, ICTR (TC) vom 30.12.2011, Prosecutor v. Ndahimana, N 835 ff., ICTR (TC) vom 17.5.2011, Prosecutor v. Ndindilyimana, N 2087, ICTR (TC) vom 19.6.2012, Prosecutor v. Nizeyimana, N  1542  ff., ICTR (TC) vom 31.5.2012, Prosecutor v. Nzabonimana, N 1779. 1560  Vgl. ICTY (TC) vom 29.11.2002, Prosecutor v. Vasiljević, N 39 ff., vgl. auch ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 762 ff. 1561  Vgl. ICC (Pre-Trial Chamber) vom 4.3.2009, Prosecutor v. al Bashir, N 79 ff.

276

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

Der Angriff setzt nicht zwingend unmittelbare Gewaltanwendung voraus1562, es genügt die Anwendung von vis compulsiva1563. Erforderlich ist aber, dass die infrage stehenden Massnahmen durch einen hohen Organisationsgrad und/ oder dadurch gekennzeichnet sind, dass sie sich gegen eine grössere Anzahl von Opfern richten1564. Angriffe auf einzelne Personen reichen dann aus, wenn sie keine isolierten Einzelakte darstellen, sondern Teil eines übergreifenden Gesamtvorgangs – eines Angriffs – sind1565. Dies wurde z.B. bejaht für das Vor­ gehen der Regierungskräfte des Sudan und der unter ihrer Kontrolle stehenden Milizen in der Region Darfur1566, für die Angriffe auf die mehrheitlich von bos­ nischen Muslimen bewohnten Ortschaften in Bosnien-Herzegowina1567 und für die Angriffe auf die albanische Bevölkerung des Kosovo durch serbische Kräfte1568. Verneint wurde der Zusammenhang für die Delikte, welche von Angehörigen der kosovarischen Befreiungsarmee (UÇK) im Jahre 1998 zum Nachteil der serbischen Bevölkerung des Kosovo sowie zum Nachteil vermute­ ter albanisch-kosovarischer Kollaborateure begangen wurden1569. Der Angriff muss sich gegen die Zivilbevölkerung richten1570. Dass sich einzelne Kämpfer unter eine Gruppe von Zivilisten gemischt haben, stellt die Annahme 1562  Botschaft 2008, 3921, vgl. auch ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 581,

ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac, N 86.

1563  Vgl. Vest, in: Vest et al., N 36 zu Art. 264a. 1564  Botschaft 2008, 3922, Gless, N 957, Vest, in: Vest et al., N 41 ff. zu Art. 264a, Wehren-

berg/Ehlert, BSK StGB II, N 23 ff. zu Art. 26a sowie aus der Rechtsprechung der inter­ nationalen Strafgerichtshöfe: ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 580, ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., N 150 ff., ICTR (TC) vom 27.01.2000, Prosecutor v. Musema, N 202 ff., ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 206 f., ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac, N 85 ff., ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N 28. 1565  Botschaft 2008, 3922, vgl. auch Vest, in: Vest et al., N 39 f. zu Art. 264a, Wehrenberg/ Ehlert, BSK StGB II, N 23 ff. zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der internatio­ nalen Strafgerichtshöfe: ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 582, ICTR (TC) vom 13.4.2006, Prosecutor v. Bisengimana, N 48, ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac, N  96, 99  ff., ICTY (TC) vom 14.1.2000, Prosecutor v. Kupreškić, N 550, ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 189. 1566  Vgl. ICC (Pre-Trial Chamber) vom 4.3.2009, Prosecutor v. al Bashir, N 60 ff. 1567  Vgl. ICTY (AC) vom 17.12.2004, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 104 f. 1568  Vgl. ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 2 of 4, N 1180 ff. 1569  Vgl. ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 191 ff., 228. 1570  Zum Begriff der Zivilbevölkerung vgl. Vest, in: Vest et al., N 65 ff., 79 ff. zu Art. 264a, Vest, PK, N 7 zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 18 f., 24 zu Art. 264a.

277

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

eines Angriffs auf die Zivilbevölkerung nicht infrage1571. Im Hinblick auf den Schutzzweck des humanitären Völkerrechts und des Art. 264a wird man neben der allgemeinen Zivilbevölkerung auch Angehörige von Streitkräften zum geschützten Personenkreis zählen müssen, welche die Waffen niederge­ legt haben oder sich aufgrund von Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder anderer Ursachen nicht nur vorübergehend ausser Gefecht befinden1572. Der ICTY hat einen Angriff auf die Zivilbevölkerung verneint, als kroatische Kämpfer, die sich unter die Zivilbevölkerung eines Hospitals gemischt hatten, von den serbischen Einheiten ausgesondert und in der Folge exekutiert worden sind; diese Taten seien allein als Kriegsverbrechen zu bestrafen1573. Ohne Bedeutung ist es, ob der Angriff in Friedens- oder in Kriegszeiten erfolgt1574. Verbrechen gegen die Menschlichkeit können sowohl im Rahmen eines bewaffneten Konflikts als auch unabhängig von einem solchen began­ gen werden1575.

1571  Die Gruppe muss aber überwiegend aus Zivilisten bestehen (predominantly civilian),

vgl. Vest, in: Vest et al., N 72 zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der internatio­ nalen Strafgerichtshöfe: ICTY (AC) vom 29.7.2004, Prosecutor v. Blaškić, N 115, ICTR (TC) vom 17.6.2004, Prosecutor v. Gacumbitsi, N 300, ICTY (TC) vom 15.4.2011, Prosecutor v. Gotovina, N 1705, ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N  128, ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N  56, ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N  146, 148, ICTR (TC) vom 28.4.2005, Prosecutor v. Muhimana, N 528, ICTR (TC) vom 27.1.2000, Prosecutor v. Musema, N 207, ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 754, ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N 26, ICTY (TC) vom 7.5.1997, Prosecutor v. Tadić, N 638. 1572  Bejahend Botschaft 2008, 3920  f., vgl. auch ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 582, ICTR (TC) vom 27.1.2000, Prosecutor v. Musema, N 207, ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 209 ff., ICTY (AC) vom 29.7.2004, Prosecutor v. Blaškić, N 113, ICTY (TC) vom 15.4.2011, Prosecutor v. Gotovina, N 1678, ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 56, ICTY (TC) vom 14.1.2000, Prosecutor v. Kupreškić, N 547 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judge­ ment 1 of 4, N 147, ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 442 ff., ICTY (TC) vom 7.5.1997, Prosecutor v. Tadić, N 639 ff. 1573  Vgl. ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 479 f. 1574  Botschaft 2008, 3921. 1575  Vgl. ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 66 ff.

278

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

1.12

Die einzelnen Tatbestandsvarianten

Die Norm setzt voraus, dass der Täter im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung mindestens eine der in Abs.  1 lit.  a bis j definierten Tathandlungsvarianten erfüllt. Anders als beim Völkermord ist bei Art. 264a nicht erforderlich, dass das Opfer einer bestimm­ ten Gruppe angehört. a) Lit. a, Vorsätzliche Tötung (Meurtre/Omicidio intenzionale/Intentional killing) Erforderlich ist, dass der Täter den Tod eines oder mehrerer Menschen ver­ ursacht. Erfasst wird jede mit Vorsatz ausgeführte Tötung1576, also nicht nur die vorsätzliche Tötung i.S. von Art. 111, sondern auch Tötungen, die nach schweizerischem Recht als Einzeltat unter die Art.  112  ff. zu subsu­ mieren wären1577. In der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichts­ höfe wurde das Vorliegen vorsätzlicher Tötungen beispielsweise bejaht bei Tötungen in Gefangenenlagern1578 sowie bei Erschiessungen von Zivilis­ 1576  Vgl. Vest/Sager, 431 sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichts­

höfe: ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N  587  ff., ICTY (AC) vom 27.1.2014, Prosecutor v. Đordević, N 543 ff., ICTY (TC) vom 23.2.2011, Prosecutor v. Đordević, N 1705 ff., ICTR (TC) vom 27.01.2000, Prosecutor v. Musema, N 214 f., ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 216 f., ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 381 ff., ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 424 f., 431 ff., ICTY (TC) vom 15.4.2011, Prosecutor v. Gotovina, N 1724 ff., ICTY (AC) vom 19.7.2010, Prosecutor v. Haradinaj, N 424 ff., ICTR (TC) vom 6.12.2010, Prosecutor v. Hategekimana, N 702, ICTY (AC) vom 28.2.2005, Prosecutor v. Kvočka et al., N 259 ff., ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 485, ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 229, 233, 235 f., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 715, 718, ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 485, ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 137 f., ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 58 ff., ICTR (TC) vom 28.4.2005, Prosecutor v. Muhimana, N 568 f., ICTR (TC) vom 17.5.2011, Prosecutor v. Ndindiliyimana, N 2091, ICTR (TC) vom 20.12.2012, Prosecutor v. Ngirabatware, N  1552, ICTR (TC) vom 24.6.2011, Prosecutor v. Nyiramasuhuko, N 6068, ICTR (TC) vom 31.5.2012, Prosecutor v. Nzabonimana, N 1792, ICTY (TC) vom 6.9.2011, Prosecutor v. Perišić, N 102 ff., ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 787 ff., ICTY (TC) vom 31.7.2003, Prosecutor v. Stakić, N 58 ff., ICTY (TC) vom 6.12.1999, Prosecutor v. Vasiljević, N 205. 1577  Vest/Suter, in: Vest et al., N 99 ff. zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 35 f. zu Art. 264a. 1578  Vgl. ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N  813  ff., ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 330 ff.

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ten durch (para-)militärische Einheiten oder Milizen1579. Eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit wurde aber auch bei demjenigen ange­ nommen, der die Übergabe von Zivilisten an lokale Milizen zum Zwecke der Tötung angeordnet hatte1580. b) Lit. b, Ausrottung (Extermination/Sterminio/Extermination) Erfasst sind hier zunächst die Fälle unmittelbarer Massentötungen1581, wie z.B. die Massaker an den Tutsis in Ruanda1582, an der muslimischen und kroa­tischen Bevölkerung der Krajina1583 und an der Liquidierung der männlich-muslimischen Bevölkerung in Srebrenica1584. Eine feste Untergrenze für das Merkmal der Vernichtung «vieler Menschen» besteht nicht1585. Dass Täter nur sein kann, wer selbst eine Vielzahl von Tötungen begeht1586, hätte eine unangemessene Privilegierung von Schreibtischtätern 1579  Vgl. ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 645 ff., 735 ff., ICTY (TC) vom

16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N 728 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 718 f., ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 486 ff. 1580  Vgl. ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 654 ff. 1581  Vgl. Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 23 ff. zu Art. 264a sowie aus der Rechtspre­ chung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTR (AC) vom 1.6.2001, Prosecutor v. Akayesu, N  591, ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N  720  f., ICTY (AC) vom 4.12.2012, Prosecutor v. Lukić, N 536 ff., ICTR (TC) vom 5.7.2010, Prosecutor v. Munyakazi, N 506, ICTR (TC) vom 30.12.2011, Prosecutor v. Ndahimana, N 839, ICTR (TC) vom 17.5.2011, Prosecutor v. Ndindiliyimana, N  2109, ICTR (TC) vom 20.12.2012, Prosecutor v. Ngirabatware, N 1546, ICTR (TC) vom 21.2.2003, Prosecutor v. Ntakirutimana, N 813, ICTR (TC) vom 24.6.2011, Prosecutor v. Nyiramasuhuko, N 6048, ICTR (TC) vom 31.5.2012, Prosecutor v. Nzabonimana, N 1782, ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 799 ff., ICTR (TC) vom 6.12.1999, Prosecutor v. Rutaganda, N 403 ff. 1582  Vgl. z.B. ICTR (TC) vom 14.12.2011, Prosecutor v. Bagosora, N 394 ff., ICTR (AC) vom 13.4.2006, Prosecutor v. Bisegimana, N  61  ff., ICTR (TC) vom 17.6.2004, Prosecutor v. Gacumbitsi, N 307 ff., ICTR (AC) vom 29.4.2014, Prosecutor v. Karemera, N 655 ff. 1583  Vgl. z.B. ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 388 ff. 1584  Vgl. z.B. ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 66 ff. und passim, vgl. auch ICTY (TC) vom 12.12.2012, Prosecutor v. Tolimir, N 727 ff. 1585  Vgl. Vest/Suter, in: Vest et al., N  129  ff. zu Art.  264a sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 391, ICTR (TC) vom 7.12.2007, Prosecutor v. Karera, N 552, ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N 145, ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 501 f., ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 62 ff., ICTY (TC) vom 31.7.2003, Prosecutor v. Stakić, N 640. 1586  So Vest/Sager, 431 Vest/Suter, in: Vest et al., N 129 ff. zu Art. 264a.

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§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

zur Folge. Es muss ausreichen, dass der Täter für eine Vielzahl von Tötun­ gen zumindest (mit-)verantwortlich ist  – gegebenenfalls auch als Vorge­ setzter i.S. von Art. 264k1587. Erfasst sind neben den Massentötungen auch sog. Slow-death-Massnah­ men1588, d.h. das Auferlegen von Lebensbedingungen, die geeignet sind, die Vernichtung eines Teils der Bevölkerung («viele Menschen») herbeizufüh­ ren, wie z.B. das Vorenthalten des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medi­ kamenten1589 oder die indirekte Tötung durch Unterbringung in Gefäng­ nissen und Lagern mit lebensbedrohlichen Unterbringungsbedingungen, wie z.B. bei der Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten1590. c) Lit. c, Versklavung (Éduction en esclavage/Riduzione in schiavitù/Enslavement) Versklavung liegt dann vor, wenn sich der Täter die Ausübung aller oder einzelner höchstpersönlicher Rechte einer Person gegen deren freien Wil­ len anmasst und diese damit unter Negierung ihres Selbstbestimmungs­ rechts wie «Eigentum» behandelt1591. Erforderlich ist, dass der Täter durch Anwendung von Gewalt, durch Zwang, durch den Missbrauch eines Abhän­ gigkeitsverhältnisses oder auf sonstige Art und Weise die physische oder psychische Kontrolle über eine andere Person erlangt1592. Die Tathand­ lungsvariante erfasst unter anderem («namentlich») den Menschenhandel, die sexuelle Ausbeutung im Rahmen eines längerfristigen Freiheitsentzugs 1587  Vgl. hierzu vorne § 56 Ziff. 1.11 sowie Vest/Suter, in: Vest et al., N 140 zu Art. 264a, Vest,

PK, N 13 zu Art. 26a und aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichts­ höfe: ICTR (TC) vom 13.4.2006, Prosecutor v. Bisengimana, N 72 ff., ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 390, ICTR (TC) vom 11.9.2006, Prosecutor v. Mpambara, N 9, ICTR (TC) vom 15.7.2004, Prosecutor v. Ndindabahizi, N 481 ff., ICTY (TC) vom 29.11.2002, Prosecutor v. Vasiljević, N 227. 1588  Vgl. Vest, PK, N 13 zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 41 zu Art. 264a. 1589  Botschaft 2008, 3923, vgl. auch Vest/Suter, in: Vest et al., N 138 f. zu Art. 264a und aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 498. 1590  Vgl. ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 222 ff. 1591  Botschaft 2008, 3923 f., vgl. auch Vest/Suter, in: Vest et al., N 172 ff. zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 350, ICTY (TC) vom 22.2.2001, Prosecutor v. Kunarac et al., N 519 ff., ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac et al., N 107, 116 ff. 1592  Botschaft 2008, 3923, vgl. auch Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N  45 zu Art.  264a sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac et al., N 119.

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§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

und die ökonomische Ausbeutung durch Zwangsarbeit1593. Dass das Opfer über die Ausbeutung hinaus auch noch in sonstiger Weise schlecht behan­ delt wird, ist keine Voraussetzung für die Annahme des Tatbestands1594, kann aber dazu führen, dass auch Art. 264a Abs. 1 lit. f, g oder j erfüllt sind. d) Lit. d, Freiheitsberaubung (Séquestration/Sequestro di persona/Deprivation of liberty) Lit. d erfasst nicht jeden unrechtmässigen Freiheitsentzug, sondern nur die Fälle, in denen der Freiheitsentzug so schwerwiegend ist, dass er gegen die Grundregeln des Völkerrechts verstösst1595. Eine Verhaftung ohne hinrei­ chenden Haftgrund und/oder unter Verletzung des Anspruchs auf recht­ liches Gehör führt nicht zwingend zur Annahme einer unrechtmässigen Freiheitsberaubung i.S. von Abs. 1 lit. d. Erfasst sind nur willkürliche Ver­ haftungen1596, also solche, die ohne jede Rechtsgrundlage erfolgen1597 und/ oder bei denen dem Inhaftierten insgesamt ein faires Verfahren vorenthal­ ten wird1598. Erfasst ist des Weiteren auch die Internierung oder Ghettoi­ sierung1599. Der Freiheitsentzug muss nicht von langer Dauer sein1600. Unzumutbare Haftbedingungen können als Zufügen grosser Leiden i.S. von lit. f oder aber als andere unmenschliche Behandlung i.S. von lit. j erfasst werden1601. 1593  Botschaft 2008, 3924, vgl. auch Vest/Suter, in: Vest et al., N 177 ff. zu Art. 264a, Weh-

renberg/Ehlert, BSK StGB II, N 45, 47 zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac et al., N 119, ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 358 ff., ICTY (AC) vom 17.9.2003, Prosecutor v. Krnojelac, N 189 ff. 1594  ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac et al., N 123. 1595  Vgl. Vest/Suter, in: Vest et al., N 254 zu Art. 264a. 1596  Vgl. Vest/Suter, in: Vest et al., N 258 f. zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 50 zu Art. 264a. 1597  Botschaft 2008, 3924, vgl. auch – zur Internierung von Zivilisten – ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 559 ff., 1125 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 279 ff., 773 ff., ICTY (AC) vom 17.12.2004, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 116, ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 110 ff., ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 87, 412. 1598  Vgl. hierzu ICTY (AC) vom 17.12.2004, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 70 ff., ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 113 ff. 1599  Vgl. Vest, PK, N 15 zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 48 zu Art. 264a. 1600  Botschaft 2008, 3925, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 51 zu Art. 264a. 1601  Vgl. ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N  1073  ff., ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 133 ff., 189 ff.

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§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

e) Lit. e, Verschwindenlassen von Personen (Disparitions forcées/Sparizione forzata di persone/Enforced disappearance of persons) Die  – insbesondere während der Militärdiktaturen in Argentinien und Chile weit verbreitete1602 – Praxis des Verschwindenlassens von Personen ist dadurch gekennzeichnet, dass Personen verhaftet und entführt werden, um ihnen für längere Zeit die Freiheit zu entziehen, und sodann die Aus­ kunft über ihren Verbleib zu verweigern1603. Da in diesen Fällen die ver­ schiedenen Handlungen regelmässig von verschiedenen Personen ausge­ führt werden, hat der Gesetzgeber zwei selbständige Tatvarianten definiert, mit denen der Struktur als zweiaktives verbrecherisches Gesamtvorhaben Rechnung getragen wird1604: Zum einen sind die Person erfasst, die im Auf­ trag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation daran mitwirken, andere Personen zu entführen oder ihnen sonst wie die Freiheit zu nehmen (lit. e Ziff. 1, operative Täter)1605, und zum anderen die Personen, die sich im Auftrag eines Staates oder einer Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht weigern, Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib der entführten Person zu geben (lit. e Ziff. 2, Informationstäter)1606. Der Informationsverweigerung ist die Falschinformation gleichzustel­ len1607. Nicht erfasst sind Entführungen durch Gruppierungen, die auto­ nom ohne Rückendeckung durch den Staat handeln1608. Erfasst ist anderer­ seits aber auch die Person, die lediglich als «kleines Rad» mitwirkt, indem sie z.B. allein die Auskunft verweigert1609. f) Lit. f, Folter (Torture/Tortura/Torture) Erfasst sind die Fälle, in denen der Täter einem unter seinem Gewahrsam oder seiner Kontrolle stehenden Menschen gezielt grosse Leiden oder eine schwere Schädigung des Körpers oder der physischen oder psychischen

1602  Vgl. Vest/Suter, in: Vest et al., N 266 ff. zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II,

N 53 zu Art. 264a.

1603  Botschaft 2008, 3925. 1604  Vgl. auch Vest/Sager, 432 f., Vest/Suter, in: Vest et al., N 283 ff. zu Art. 264a, Vest, PK,

N 16 zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 52 zu Art. 264a.

1605  Vgl. Vest/Suter, in: Vest et al., N 296 ff. zu Art. 264a. 1606  Vgl. Vest/Suter, in: Vest et al., N 312 ff. zu Art. 264a. 1607  Vgl. Vest/Sager, 433, Vest/Suter, in: Vest et al., N 316 zu Art. 264a. 1608  Botschaft 2008, 3926, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 55 zu Art. 264a. 1609  Botschaft 2008, 3926, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 57 zu Art. 264a.

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§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

Gesundheit zufügt1610. Durch die alternative Ausgestaltung der Norm ist sichergestellt, dass auch Foltermethoden erfasst sind, die dem Betroffenen zwar grosse Leiden zufügen, die aber keine nachweisbaren schweren Schä­ digungen zur Folge haben1611. Aus welchen konkreten Gründen oder Moti­ ven heraus der Täter handelt, ist für Art. 264a lit. f irrelevant1612. Erfasst werden neben gewaltsam und/oder unter Todesdrohungen durch­ geführten Verhören1613 auch die Fälle, in denen Gefangene ausserhalb von Verhören durch Aufseher misshandelt1614 oder von diesen gezwungen wer­ den, sich gegenseitig zu misshandeln1615. Nach der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe werden neben dem Verabreichen hefti­ ger Schläge und dem Zufügen von Verbrennungen oder Elektroschocks auch sexuelle Übergriffe als Folter eingestuft1616. Bejaht wurde dies z.B. in einem Fall, in dem einer unbekleideten Frau verbunden mit der Drohung 1610  Vest/Suter, in: Vest et al., N 377 ff. zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der inter­

nationalen Strafgerichtshöfe: ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 681, ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 481 ff., ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N  180  ff., ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 507 ff., ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 235 ff., ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 74, ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 513 ff., ICTY (TC) vom 31.3.2003, Prosecutor v. Naletilić and Martinović, N 339 ff. 1611  Zur Abgrenzung der sog. Brachialfolter von den Fällen der weissen Folter vgl. Vest/ Suter, in: Vest et al., N 391 ff. zu Art. 264a. 1612  Botschaft 2008, 3926 f., vgl. auch Vest/Sager, 433. Zur abweichenden Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe vgl. ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 594 f., ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 452 ff., 494 f., ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N  179, 185  f., ICTY (TC) vom 22.2.2001, Prosecutor v. Kunarac et al., N 485. 1613  Vgl. ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N  676  ff., ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N  237, ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N  421  f., ICTY (TC) vom 31.3.2003, Prosecutor v. Naletilić and Martinović, N 345 ff. 1614  Vgl. ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 490 ff., 519 ff., ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N  913  ff., ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 189 ff., ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 290 ff., ICTY (TC) vom 31.3.2003, Prosecutor v. Naletilić and Martinović, N 345 ff. 1615  Vgl. ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N  1007, ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 499, 501. 1616  ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 512 ff., ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 480 ff., 936 ff., 955 ff., ICTY (TC) vom 10.12.1998, Prosecutor v. Furundžija, N 163 f., 264 ff., ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac, N 150 f., 182 ff., ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 76, Gless, N 825.

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§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

«to cut out her private parts if she does not tell the truth» ein Messer an den Innenseiten der Beine entlanggeführt wurde1617. Als Folter ist aber auch der Zwang eingestuft worden, Vergewaltigungen oder Exekutionen beizuwoh­ nen und Leichen von Freunden und Bekannten beerdigen zu müssen1618. g) Lit. g, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung (Atteinte au droit à l’autodétermination sexuelle/Lesione dell’autodeterminazione sessuale/Violation of sexual autonomy) Lit. g erfasst zunächst einmal die Vergewaltigung sowie die erzwungene Duldung von sexuellen Handlungen vergleichbarer Schwere1619, womit  – jedenfalls dann, wenn man der herrschenden Interpretation des entspre­ chenden Wortlauts bei Art. 189 folgt1620 – unter anderem auch der erzwun­ gene Anal- und Oralverkehr erfasst ist sowie die Fälle, in denen die Täter in die Körperöffnungen des Opfers mit künstlichen Gegenständen eindrin­ gen1621. Die Internationalen Strafgerichtshöfe haben es aber auch ausrei­ chen lassen, dass das Opfer gezwungen wurde, nackt gymnastische Übun­ gen vor Publikum zu absolvieren1622. Die Variante der Gefangenhaltung einer zwangsweise geschwängerten Frau erfasst die Fälle, in denen der Täter mit der Absicht handelt, hierdurch die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerungsgruppe zu beeinflussen. 1617  ICTY (TC) vom 10.12.1998, Prosecutor v. Furundžija, N 267. 1618  ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 503 ff., ICTY (TC) vom 12.6.2007,

Prosecutor v. Martić, N 76.

1619  Vgl. Vest/Suter, in: Vest et al., N 489 ff. zu Art. 264a. 1620  Vgl. hierzu Strafrecht III § 60 Ziff. 1.11, kritisch zur Verwendung dieser Terminolo­

gie Vest/Sager, 434.

1621  Zur entsprechenden Judikatur der Internationalen Strafgerichtshöfe vgl. ICTR (TC)

vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 686 f., ICTY (AC) vom 27.1.2014, Prosecutor v. Đordević, N 844 ff., ICTY (TC) vom 23.2.2011, Prosecutor v. Đordević, N 1766 ff., ICTR (TC) vom 17.6.2004, Prosecutor v. Gacumbitsi, N 321, ICTR (TC) vom 28.4.2005, ICTR (AC) vom 8.5.2012, Prosecutor v. Hategekimana, N  160, ICTR (TC) vom 6.12.2010, Prosecutor v. Hategekimana, N 723, ICTR (TC) vom 2.2.2012, Prosecutor v. Karemera, N 1676, Prosecutor v. Muhimana, N 535 ff., ICTR (TC) vom 27.01.2000, Prosecutor v. Musema, N 222 ff., ICTY (TC) vom 16.11.1998, ICTR (TC) vom 17.5.2011, Prosecutor v. Ndindiliyimana, N  2121, ICTR (TC) vom 24.6.2011, Prosecutor v. Nyiramasuhuko, N 6075, Prosecutor v. Delalić, N 478 f., ICTY (TC) vom 10.12.1998, Prosecutor v. Furundžija, N 174 ff., ICTY (TC) vom 22.2.2001, Prosecutor v. Kunarac et al., N 437 ff., ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac et al., N 127. 1622  Vgl. ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 688, 694, 697, ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 199.

285

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

Praktisch relevant ist dies in den Fällen, in denen das Austragen und die Geburt des Kindes das soziale Gefüge der Bevölkerung, zu welcher die Frau gehört, destabilisieren kann1623. Ob der Täter selbst oder eine dritte Person die Vergewaltigung durchgeführt hat, ist hierbei irrelevant1624. Die Tathandlungsvariante der zwangsweisen Sterilisierung erfasst jede Form einer medizinisch nicht indizierten Verunmöglichung einer künf­ tigen Fortpflanzung gegen den Willen des betroffenen männlichen oder weiblichen Opfers1625. Die Tathandlungsvariante der Nötigung zur Prostitution erfasst u.a. auch die Fälle, bei denen der Täter keinen unmittelbar absehbaren Vorteil erlangt1626. h) Lit. h, Vertreibung oder zwangsweise Überführung (Déportation ou transfert forcé de population/Deportazione o trasferimento forzato/Deportation or forcible transfer of population) Die Variante der «Vertreibung» erfasst die Konstellationen, in denen die Zivilbevölkerung eines Staates oder besetzten Gebietes ganz oder teilweise ausgewiesen oder an einen bestimmten Ort im Ausland gebracht wird. Die Variante der «zwangsweisen Überführung» ist dann einschlägig, wenn Bevölkerungsteile innerhalb eines Staates vertrieben oder umgesiedelt wer­ den1627. Erfasst sind damit vor allem die sog. «ethnischen Säuberungen»1628, wie z.B. die Vertreibung der bosnisch-muslimischen Bevölkerung aus Sre­

1623  Botschaft 2008, 3928 f., Vest/Suter, in: Vest et al., N 547 zu Art. 264a. 1624  Botschaft 2008, 3929, Vest/Suter, in: Vest et al., N 561 zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert,

BSK StGB II, N 63 zu Art. 264a.

1625  Botschaft 2008, 3929, Vest/Suter, in: Vest et al., N 529 ff. zu Art. 264a. 1626  Botschaft 2008, 3928, vgl. aber auch Vest/Suter, in: Vest et al., N 524 ff. zu Art. 264a:

dass jemand aus der Prostitution einen Vorteil erlange, sei in dieser logisch impliziert.

1627  Vgl. ICTY (AC) vom 27.1.2014, Prosecutor v. Đordević, N  528  ff., ICTY (TC) vom

15.4.2011, Prosecutor v. Gotovina, N 1737 ff., ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 521, ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 165, ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 892, ICTY (TC) vom 30.5.2013, Prosecutor v. Stanišić and Simatović, N 991 ff., ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N  61  ff. Zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung der beiden Va­rianten vgl. ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 540 ff., ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N  521, ICTY (TC) vom 31.7.2003, Prosecutor v. Stakić, N 671 ff., ICTY (AC) vom 22.3.2006, Prosecutor v. Stakić, N 288 ff. 1628  Botschaft 2008, 3930, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 68 zu Art. 264a.

286

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

brenica1629 oder die Vertreibung der bosnisch-muslimischen und bos­nischkroatischen Bevölkerung aus der Krajina1630. Vertreibungen sind auch dann tatbestandsmässig, wenn die Opfer aus Todesangst oder weil ihre Lebens­ grundlagen zerstört worden sind oder aus Angst vor Repressalien oder Dis­ kriminierungen von sich aus das Gebiet, in dem sie sich aufhalten, verlas­ sen1631. Vorausgesetzt ist bei allen Varianten, dass die betroffenen Menschen aus einem Gebiet vertrieben werden, «in dem sie sich rechtmässig aufhal­ ten». Wann dies der Fall ist, entscheidet sich nicht nach dem nationalen Recht, sondern nach den Grundsätzen des Völkerrechts1632. Diese lassen es zu, dass ausländische Staatsangehörige unter bestimmten Voraussetzun­ gen ausser Landes gebracht werden bzw. ihnen innerhalb eines Landes ein bestimmter Aufenthaltsort zugewiesen wird1633. Die Dislozierung kann aus militärischen Gründen aber auch deshalb erfolgen, weil nur so die Sicher­ heit der betroffenen Personen gewährleistet werden kann1634. Der Tatbestand ist bereits dann erfüllt, wenn eine einzelne Personen ver­ trieben oder überführt wird – vorausgesetzt, dass die Einzeltat im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölke­ 1629  Vgl. ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 524 ff., ICTY (AC) vom 9.5.2007,

Prosecutor v. Blagojević and Jokić, N 104 ff. ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 914 ff. 1630  Vgl. ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 159, 546 ff. 1631  ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 600 ff., ICTY (TC) vom 15.4.2011, Prosecutor v. Gotovina, N  1739, ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N  724, ICTY (AC) vom 17.3.2009, Prosecutor v. Krajišnik, N  308, ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N  426  ff., ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 165, ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 896, ICTY (TC) vom 31.7.2003, Prosecutor v. Stakić, N 688 ff., ICTY (AC) vom 22.3.2006, Prosecutor v. Stakić, N 279 ff., ICTY (TC) vom 30.5.2013, Prosecutor v. Stanišić and Simatović, N 993. 1632  Botschaft 2008, 3930. 1633  Botschaft 2008, 3930, Vest, PK, N  19 zu Art.  264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 67 zu Art. 264a. 1634  Vgl. Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N  69 zu Art.  264a sowie aus der Rechtspre­ chung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 725, ICTY (AC) vom 17.3.2009, Prosecutor v. Krajišnik, N 308, ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 109, ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N  166, ICTY (TC) vom 6.9.2011, Prosecutor v. Perisić, N 115, ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N 901 ff., ICTY (TC) vom 30.5.2013, Prosecutor v. Stanišić and Simatović, N 994.

287

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

rung erfolgte1635. Dass der Täter mit der Intention handelt, die Person end­ gültig und unwiderruflich zu vertreiben, ist nicht erforderlich1636. i) Lit. i, Verfolgung und Apartheid (Persécution et apartheid/Persecuzione e apartheid/Persecution and apartheid) Lit. i setzt voraus, dass einer Gruppe von Menschen in schwerwiegender Weise Grundrechte vorenthalten oder entzogen werden. Erfasst sind neben Beeinträchtigungen von Leib, Leben und sexueller Integrität auch der Ent­ zug des Rechts auf freie Wahl des Aufenthaltsortes, des Rechts auf Arbeit, der Entzug des Wahlrechts sowie die Zerstörung von Eigentum oder ent­ schädigungslose Enteignungen sowie die systematische Verweigerung fai­ rer Gerichtsverfahren.1637 Auch das Einrichten eines Regimes der syste­ matischen Unterdrückung (die sog. Apartheid) kann zur Anwendung des Tatbestands führen1638. Erforderlich ist, dass die vom Täter vorgenommene Handlung «im Zusam­ menhang mit einer Tat nach dem zwölften Titelbis oder dem zwölften Titel­ ter oder zwecks systematischer Unterdrückung oder Beherrschung einer rassischen Gruppe» steht1639, wobei es nicht darauf ankommt, ob dieses Delikt vom Täter selbst oder von einer dritten Person begangen worden 1635  Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 70 zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der

internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (AC) vom 17.3.2009, Prosecutor v. Krajišnik, N 309. 1636  ICTY (AC) vom 22.3.2006, Prosecutor v. Stakić, N  307, a.A. noch ICTY (TC) vom 31.7.2003, Prosecutor v. Stakić, N 687. 1637  Botschaft 2008, 3930, vgl. auch Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N  71 zu Art.  264a sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (AC) vom 29.7.2004, Prosecutor v. Blaškić, N 143 ff., ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 998 ff., ICTY (TC) Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 198, 201 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 740, ICTY (TC) vom 14.1.2000, Prosecutor v. Kupreškić, N 616, ICTR (TC) vom 24.6.2011, Prosecutor v. Nyiramasuhuko, N 6096 f., ICTY (TC) vom 6.9.2011, Prosecutor v. Perisić, N 117 ff., ICTY (TC) vom 10.6.2010, Prosecutor v. Popović, N  964  ff., vgl. auch ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N 78 f. 1638  Botschaft 2008, 3931, Vest/Noto, in: Vest et al., N 703 zu Art. 264a, Vest, PK, N 20 zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 72 zu Art. 264a. 1639   Vgl. ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N  197, 202  ff., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 733 ff., 784 ff., ICTY (TC) vom 14.1.2000, Prosecutor v. Kupreškić, N  616, ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 115, 119 f., ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Jud­ gement 1 of 4, N 175 ff., ICTY (AC) vom 22.3.2006, Prosecutor v. Stakić, N 328, ICTY

288

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

ist1640 und ob das konkrete Opfer tatsächlich zu der Gruppe gehört, die der Täter diskriminieren will1641. Bejaht wurde das Vorliegen einer Verfolgung z.B. für die Behandlung der bosnischen Muslime und bosnischen Kroaten durch die bosnischen Serben1642, für die Behandlung der bosnischen Mus­ lime durch die die bosnischen Kroaten1643 und auch für die Vertreibung der kroatischen Bevölkerung aus der Krajina1644. j) Lit. j, Andere unmenschlichen Handlungen (Autres actes inhumains/Altri atti inumani/Other inhumane acts) Lit. j erfasst als Auffangtatbestand «andere Handlungen von vergleichbarer Schwere». Mit dem Erfordernis, dass diese Handlungen «einem Menschen grosse Leiden oder eine schwere Schädigung des Körpers oder der phy­ sischen oder psychischen Gesundheit» zufügen, soll dem Legalitätsprin­ zip Genüge getan und verhindert werden, dass Handlungen von geringer Schwere erfasst werden. Dass die Verwendung derartiger Generalklauseln für das Schweizer Strafrecht kein Novum ist1645, ändert nichts daran, dass die im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot (Art. 1) bedenkliche Auffang­ klausel eine restriktive Auslegung erfordert1646.

(TC) vom 7.5.1997, Prosecutor v. Tadić, N 699 ff., ICTY (TC) vom 29.11.2002, Prosecutor v. Vasiljević, N 246 ff., kritisch hierzu Vest/Sager, 435. 1640  Botschaft 2008, 3931. 1641  ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N  993, ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 118. 1642  Vgl. ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N  998  ff., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 727 ff., ICTY vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 437 ff., ICTY (TC) vom 2.8.2001, Prosecutor v. Krstić, N 533 ff., ICTY (TC) vom 31.7.2003, Prosecutor v. Stakić, N 774 ff. 1643  Vgl. ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 492 ff., ICTY (AC) vom 17.12.2004, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 101 ff., 653 ff., ICTY (TC) vom 14.1.2000, Prosecutor v. Kupreškić, N 749 ff., ICTY (TC) vom 31.3.2003, Prosecutor v. Naletilić and Martinović, N 632 ff. 1644  Vgl. ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 354 ff. 1645  Botschaft 2008, 3932, Vest/Noto, in: Vest et al., N 719 zu Art. 264a. 1646  Zu den Problemen der Auslegung in diesem Zusammenhang vgl. Vest/Noto, in: Vest et al., N 723 ff. zu Art. 264a, Vest, PK, N 21 zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 74 zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 269 ff., ICTY (AC) vom 17.12.2004, N 117, ICTY (TC) vom 14.1.2000, Prosecutor v. Kupreškić, N 563 ff., ICTY (TC) vom 6.9.2011, Prosecutor v. Perišić, N 109 ff., ICTY (TC) vom 31.7.2003, Prosecutor v. Stakić, N 719 ff.

289

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

1.13

Vollendung, strafbare Vorbereitungshandlungen

Das Delikt ist in objektiver Hinsicht bereits dann vollendet, wenn eine der vorne genannten Alternativen erfüllt ist. Es ist nicht erforderlich, dass es zu einer Vielzahl von Einzeltaten kommt1647. Neben dem nach allgemeinen Grundsätzen möglichen versuchten Delikt wer­ den über Art. 260bis auch Vorbereitungshandlungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfasst.

1.2

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist vorsätzliches Handeln erforderlich, wobei Even­ tualdolos ausreichend ist1648. Soweit der objektive Tatbestand normative Tat­ bestandsmerkmale enthält, muss der Täter diese Merkmale im Sinne einer «Parallelwertung in der Laiensphäre» nachvollziehen1649. Dies ist z.B. bei der Tathandlungsvariante des Abs. 1 lit. d dann der Fall, wenn sich der Täter bewusst ist, dass er andere Personen in schwerwiegender Weise in ihrer Bewe­ gungsfreiheit beeinträchtigt, ohne dass hierfür ein verhältnismässiger Grund besteht1650. Der Täter muss «in Kenntnis des Angriffs» handeln. Er muss zwar nicht alle Details des Angriffs kennen, er muss sich aber bewusst sein, dass seine Tat Teil eines Angriffs gegen die Zivilbevölkerung ist1651, wobei das Wissen aus den

1647  Botschaft 2008, 3922, Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 75 zu Art. 264a. 1648  Vgl. Vest, PK, N 22 zu Art. 264a, Vest, in: Vest et al., N 80 ff. zu Art. 264a, Wehrenberg/

Ehlert, BSK StGB II, N 76 zu Art. 264a.

1649  Vgl. Wehrenberg/Ehlert, BSK StGB II, N 77 zu Art. 264a. 1650  Botschaft 2008, 3925. 1651  Botschaft 2008, 3922, vgl. auch Vest, PK, N 10 zu Art. 264a, Wehrenberg/Ehlert, BSK

StGB II, N 78 zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Straf­ gerichtshöfe: ICTR (TC) vom 13.4.2006, Prosecutor v. Bisengimana, N 57, ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 248 ff., ICTY (AC) vom 29.7.2004, Prosecutor v. Blaškić, N 121 ff., ICTR (TC) vom 17.6.2004, Prosecutor v. Gacumbitsi, N 302, ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N  133  f., ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 185, ICTY (AC) vom 17.12.2004, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 99 f., ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 59, ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 153 ff., ICTR (TC) vom 11.9.2006, Prosecutor v. Mpambara, N 11, ICTR (TC) vom 28.4.2005, Prosecutor v. Muhimana, N 530.

290

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

Tatumständen abgeleitet werden kann1652. Ist der Angriff erst im Entstehen, reicht es aus, wenn der Täter den Angriff mit seiner Tat vorantreiben will1653. Dass die Tat aus besonderen Motiven heraus begangen wird oder beim Täter besondere Absichten vorliegen, ist bei Art. 264a – anders als beim Völkermord­ tatbestand (Art.  264)1654  – grundsätzlich nicht erforderlich1655. Einzige Aus­ nahme ist der Tatbestand der Verfolgung (Art. 264a lit. i)1656.

2.

Weitere Fragen

2.1 Konkurrenzen Art. 264a Abs. 1 lit. b verdrängt in der Alternative der Massentötung Art. 264a Abs. 1 lit. a. Gleiches gilt für die Verfolgung nach Art. 264a Abs. 1 lit. i im Hin­ blick auf die vom Täter begangene Zusammenhangstat, wenn es sich bei dieser um eine Tat nach Art. 264a ff. handelt. Ist dagegen Art. 264 erfüllt, verdrängt dieser Tatbestand Art. 264a lit. i. Erfüllt der Täter mit einer Handlung im natürlichen Sinne verschiedene Tat­ handlungsvarianten des Art.  264a, liegt ein Einheitsdelikt vor. Gleiches gilt, wenn mehrere Handlungen im natürlichen Sinne eine natürliche Handlungs­ einheit darstellen. Anderenfalls liegt echte (Real-)Konkurrenz vor. Im Verhältnis zu den Art. 111 ff., 123 ff. und 189 f. besteht schon aufgrund der unterschiedlichen geschützten Rechtsgüter echte Konkurrenz: Hat der Täter zusätzlich Delikte gegen Individualrechtsgüter begangen, macht er sich auch nach diesen strafbar. Gleiches gilt – jedenfalls dann, wenn man bei den Kriegs­ 1652  Botschaft 2008, 3922, vgl. Vest, in: Vest et al., N 83 zu Art. 264a sowie aus der Recht­

sprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 259. 1653  Botschaft 2008, 3922. 1654  Vgl. vorne § 56 Ziff. 1.2. 1655  Botschaft 2008, 3923, vgl. auch Vest, in: Vest et al., N  84 zu Art.  264a, Wehrenberg/ Ehlert, BSK StGB II, N  79 zu Art.  264a sowie aus der Rechtsprechung der interna­ tionalen Strafgerichtshöfe: ICTR (AC) vom 1.6.2001, Prosecutor v. Akaesu, N 464 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 186 f., ICTY (AC) vom 15.9.1999, Prosecutor v. Tadić, N 284 ff., a.A. noch ICTY (TC) vom 7.5.1997, Prosecutor v. Tadić, N 650 ff. 1656  Vgl. oben Ziff. 1.12 lit. i sowie Vest, in: Vest et al., N 84 zu Art. 264a, Vest/Noto, in: Vest et al., N 678 ff. zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Straf­ gerichtshöfe: ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 213 f., 220, ICTY (TC) vom 15.3.2002, Prosecutor v. Krnojelac, N 435 f.

291

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

verbrechen von einer individualgüterschützenden Konzeption ausgeht1657  – auch für etwaig erfüllte Straftatbestände des Titels 12ter.

2.2

Qualifizierungen und Privilegierungen (Abs. 2 und 3)

Für die Tat nach Abs. 1 ist eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und 20 Jahren zu verhängen. Betrifft die Tat viele Menschen oder hat der Täter grausam1658 gehandelt, kann nach Abs. 2 auf lebenslängliche Freiheitsstrafe erkannt werden. Handelt es sich bei der Tat nach Abs. 1 lit. c–j um einen weniger schweren Fall, ist eine Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr möglich.

2.3

Weltrechtsprinzip (Art. 264m) und Immunität (Art. 264n)

Auf das Delikt des Verbrechens gegen die Menschlichkeit findet nach Art. 264m das Weltrechtsprinzip in gleicher Weise Anwendung wie beim Straftatbestand des Völkermords1659. Auch die Regelungen über die Immunität (Art.  264n) sind entsprechend anwendbar1660.

1657  Vgl. hierzu hinten § 58. 1658  Vgl. hierzu Strafrecht III, § 60 Ziff. 3.4. 1659  Vgl. vorne § 56 Ziff. 2.3. 1660  Vgl. vorne § 56 Ziff. 2.4.

292

§ 57  Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a)

12. Titelter und quater Kriegsverbrechen (Art. 264b–264j) sowie gemeinsame Bestimmungen (Art. 264k–264n) Literaturauswahl: O. Abo Youssef, Die Stellung des Opfers im Völkerstrafrecht, Diss. Zürich 2008, K. Ambos, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., München 2008, J. Ancelle, Les crimes de guerre dans les conflits armés non internationaux, in: Droit pénal humanitaire, 2. Aufl., hrsg. von L. Moreil­ lon/A. Bichovsky/M. Massouri, Basel 2009, 117, F. Bommer, Zur Strafverfolgungspflicht der Schweiz bei Kriegsverbrechen im Ausland, ZBJV 141 (2005) 417, U. Cassani/S. Gless/P. Popp/R. Roth, Droit pénal international Suisse et entraide en matière pénale (2007/2008), SZIER 19 (2009) 47, M. Cottier, Die «Umsetzung» des Römer Statuts hinsichtlich der Kriegsverbrechen, jusletter vom 14.3.2005, M. Husmann, Die neuen Bestimmungen in Art. 264k–n StGB zur Umsetzung all­ gemeiner Grundsätze des Römer Statuts, jusletter vom 23. Mai 2011, K. du Pasquier, Les violat­ ions des Conventions de Genève, in: Droit pénal humanitaire, 2. Aufl., hrsg. von L. Moreillon/​ A. Bichovsky/M. Massouri, Basel 2009, 95, M. Duttweiler, Der «enge» Bezug in Art. 9 Abs. 1bis MStG und sein Verhältnis zum Völkerrecht, jusletter vom 21.3.2005, S.  Gless, Internationales Strafrecht, Basel 2011, P. Grant, Für eine Spezialeinheit zur Verfolgung von Kriegsverbrechern, plädoyer 4/2010, 20, K. Hauri, Militärstrafgesetz (MStG), Kommentar, Bern 1983, J.-M. Henckaerts/L. Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Volume 1, Rules, Cambridge 2005, H. Maleh, Les crimes de guerre, in : J. Meylan (Hrsg.), La lutte contre l’impunité en droit suisse, 2. Aufl., Bern 2015, 119, L. Moreillon, La Suisse et les crimes contre l’humanité, in: Droit pénal humanitaire, 2. Aufl., hrsg. von L. Moreillon/A. Bichovsky/M. Massouri, Basel 2009, 459, F. Noto, Male captus, bene detentus bei Völkerrechtsverbrechen?, ZStrR 131 (2013), 104, derselbe, Setzt Art. 264m Abs. 1 StGB einen Auslieferungsvorrang voraus?, AJP 2013, 66, A. Petrig/A. Felder, Offene Türen für Kriegsverbrecher, plädoyer 5/2005, 28, P. Popp, Kommentar zum Militär­ strafgesetz vom 13. Juni 1927, Besonderer Teil, St.Gallen 1992, L. Rienzo, Das Universalitätsprin­ zip bei der Strafverfolgung von Völkerrechtsverbrechen nach schweizerischem Strafrecht, Zürich 2014 (Diss. Luzern 2013), R. Roth/Y. Jeanneret, Droit suisse, in: Jurisdictions nationales et crimes internationaux, hrsg. von A. Cassese/M. Delmas-Marty, Paris 2002, 275, H. Satzger, Internationa­ les und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl., Baden-Baden 2015, C. Suter, Voraussetzungen der Straf­ barkeit von Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, Basel 2011 (Diss. Bern 2010), D. Weber, Erfahrungen aus den Kriegsverbrecherprozessen in der Schweiz, in: Kriegs­ verbrecherprozesse in der Schweiz, hrsg. von A. Ziegler/S. Wehrenberg/R. Weber, Zürich 2009, 17, H. Vest, Zum Verhältnis zwischen Bürgerkrieg und Völkermord in Ruanda, SJZ 96 (2000) 258 (zit. Vest, Verhältnis), derselbe, Zum Handlungsbedarf auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts – E ­ lemente eines Gesetzgebungsvorschlags, ZStrR 121 (2003) 46 (zit. Vest, Handlungsbedarf), derselbe, Kriegs- und Menschheitsverbrechen  – Strafverfolgung «light»?, AJP 13 (2004) 614 (zit. Vest, Kriegs- und Menschheitsverbrechen), derselbe, Zum Universalitätsprinzip bei Völkerrechts­ verbrechen. Bemerkungen de lege ferenda, ZStrR 123 (2005) 313 (zit. Vest, Universalitätsprinzip), H.  Vest/C. Sager, Die bundesrätliche Botschaft zur Umsetzung der Vorgaben des IStGH-­ Statuts  –  eine kritische Bestandesaufnahme, AJP 18 (2009) 423, H. Vest/A. Ziegler/J.  Linden­­-

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§ 58 Entstehungsgeschichte mann/S. Wehrenberg (Hrsg.), Die völkerstrafrechtlichen Bestimmungen des StGB, Zürich 2014, R. Weber/B. Ott, Enquêtes militaires suisses pour crimes de guerre commis au Rwanda, in: Kriegs­ verbrecherprozesse in der Schweiz, hrsg. von A. Ziegler/S. Wehrenberg/R. Weber, Zürich 2009, 99, S.  Wehrenberg, Die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Militärjustiz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, jusletter vom 14.3.2005, S. Wehrenberg/I. Bernhard, Kindersoldaten – Heraus­ forderung für das Kriegsvölkerrecht, ASMZ 173 (2007) 16, A. Ziegler, Bemerkungen zum Ent­ scheid des Militärkassationsgerichts Yverdon-les-Bains vom 27.4.2001 (Strafverfahren c. N., Ver­ letzung kriegsrechtlicher Bestimmungen), AJP 12 (2002) 215, A. Ziegler/S.  Wehrenberg, Völkerrechtliche Immunität vor Strafverfolgung in der Schweiz, in: Kriminologie, Kriminalpoli­ tik und Strafrecht aus internationaler Perspektive, Festschrift für Martin Killias zum 65. Geburts­ tag, Bern 2013, 1111.

§ 58 Entstehungsgeschichte Die als Kriegsverbrechen bezeichneten schweren Verletzungen des in bewaff­ neten Konflikten geltenden humanitären Völkerrechts haben ihre Grundla­ gen in den Haager Abkommen und Erklärungen von 1899 und 1907 sowie in den vier Genfer Abkommen vom 12.  August 19491661 nebst den Zusatzpro­ tokollen vom 8. Juli 19771662. Ziel der Straftatbestände dieses Abschnittes ist es, exzessive Kriegsgräuel zu verhindern und zu gewährleisten, dass das ius in bello durchgesetzt und so die Menschlichkeit auch im Rahmen bewaffne­ ter Konflikte so weit wie möglich gewahrt wird. Geschützt werden zum einen Nichtkombattanten, zu denen sowohl die Zivilbevölkerung als auch die ausser Gefecht gesetzten Angehörigen von Streitkräften gehören, zum anderen aber auch die am Kampf teilnehmenden Angehörigen von Streitkräften, die davor geschützt werden sollen, bestimmten Methoden oder Mitteln der Kampffüh­ rung ausgesetzt zu werden. 1661  Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der

bewaffneten Kräfte im Felde vom 12. August 1949 (GA I), SR 0.518.12, Genfer Abkom­ men zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See vom 12.  August 1949 (GA II), SR 0.518.23, Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 (GA III), SR 0.518.42, Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 (GA IV), SR 0.518.51. 1662  Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte vom 8.  Juni 1977 (ZP I), SR 0.518.521, Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.  August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte vom 8.  Juni 1977 (ZP II), SR 0.518.522, vgl. hierzu auch du Pasquier, 95 ff., Fiolka/Zehnder, BSK StGB II, N 15 vor Art. 264b, Ziegler/Baumgartner, in: Vest et al., N 1 ff. vor Art. 264b.

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§ 58 Entstehungsgeschichte

Welche Rechtsgüter mit den entsprechenden Straftatbeständen geschützt wer­ den sollen, ist noch nicht abschliessend geklärt. Nicht zu bestreiten ist, dass es jedenfalls auch um den Schutz klassischer Individualrechtsgüter geht, wie z.B. das Leben, die körperliche Integrität, die Freiheit und die sexuelle Integrität; umstritten ist, ob darüber hinaus auch – oder vielleicht sogar vorrangig – über­ individuelle Rechtsgüter geschützt sind, wie z.B. der Weltfriede1663. Im schweizerischen Strafrecht wurden Kriegsverbrechen seit 1968 über MStG alt Art. 109 erfasst1664, der über eine auf das humanitäre Völkerrecht verwei­ sende Generalklausel Kriegsverbrechen für strafbar erklärt hat1665. Mit dem Gesetz zur Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs wird die den Anforderungen des Legali­ tätsprinzips (Art. 1) nur ungenügend Rechnung tragende Generalklausel des MStG alt Art.  109 durch eine Reihe von konkret ausformulierten Straftatbe­ ständen (Art. 264c–i) ersetzt. Diese Straftatbestände stellen die durch das Völ­ kerrecht und das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs als schwer qualifizierten Verletzungen des humanitären Völkerrechts unter Strafe1666. Zusätzlich wird in Art. 264j ein Auffangtatbestand geschaffen, der es ermögli­ chen soll, schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts auch dann zu bestrafen, wenn diese nicht von den Art. 264c–i erfasst werden1667. Die entsprechenden Strafnormen sind nicht nur in das MStG (vgl. dort Art. 110 ff.), sondern auch in das StGB eingestellt worden, weil die Verfolgung von Kriegsverbrechen zukünftig auch in den Zuständigkeitsbereich der Zivil­ justiz fällt1668. Auch für die im Titel 12ter zusammengefassten Kriegsverbrechen gelten zusätz­ lich zu den allgemeinen Regeln der Täterschaft und Teilnahme1669 die beson­

1663  Vgl. einerseits Gless, N 833, die eine individualgüterschützende Konzeption präferiert,

und andererseits Fiolka/Zehnder, BSK StGB II, N 13 f. vor Art. 264b, Ziegler/Baumgartner, in: Vest et al., N 47 vor Art. 264b. 1664  Vgl. Ziegler/Baumgartner, in: Vest et al., N 16 ff. vor Art. 264b. 1665  Zu den Bedenken gegen die wesentlich auf einen Blanketttatbestand abstellende Kon­ zeption vgl. Gless, N 937, Moreillon, 487, Popp, N 4 vor Art. 108 sowie N 2 zu Art. 109, Vest, Verhältnis, 260 f. 1666  Botschaft 2008, 3933. 1667  Botschaft 2008, 3933. 1668  Botschaft 2008, 3933. 1669  Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die Anordnung zur Bombardierung von Sarajevo vgl. ICTY (TC) vom 12.12.2007, Prosecutor v. Dragomir Milošević, N 954 ff.,

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§ 58 Entstehungsgeschichte

deren Regelungen zur Strafbarkeit des Vorgesetzten (Art. 264k)1670 sowie zum Handeln auf Befehl (Art. 264l)1671.

1.

Tatbegehung im Zusammenhang mit einem internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (Art. 264b)

Kriegsverbrechen sind schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts, die im Rahmen bewaffneter Konflikte stattfinden. Konsequenterweise ist der Anwendungsbereich (Champ d’application/Campo d’applicazione/Scope of application) der Art.  264d–j durch Art.  264b grundsätzlich beschränkt auf Taten, die im Zusammenhang mit internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikten stehen1672. Ein derartiger bewaffneter Konflikt ist dann gegeben, wenn sich Staaten untereinander bewaffneter Gewalt bedienen oder wenn fortgesetzte bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Regierungsein­ heiten und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Grup­ pen stattfinden (vgl. die inhaltlich weitgehend übereinstimmenden Art. 2 f. der Genfer Konventionen sowie Art. 1 der ZP I und II von 1977)1673. Erforderlich ist, dass die in den Konflikt involvierten Gruppen über eine Befehlsstruktur und einen gewissen Mindestorganisationsgrad verfügen, die es ihnen ermög­ lichen, anhaltende und konzentrierte militärische Operationen zu planen und durchzuführen sowie hierbei ein Mindestmass an Disziplin zu wahren1674. Mit diesem Erfordernis sollen Fälle unorganisierter Unruhen, aber auch terroristi­ sche Aktivitäten aus dem Anwendungsbereich der Art. 264c ff. ausgeschieden

für die Angriffe auf verschiedene Städte in Bosnien-Herzegowina vgl. ICTY (AC) vom 29.7.2004, Prosecutor v. Blaškić, N 306 ff. 1670  Vgl. vorne § 56 Ziff. 1.11. 1671  Vgl. vorne § 56 Ziff. 2.1. 1672  Zur Entwicklung und Ausgestaltung dieses Merkmals in der Rechtsprechung der Inter­ nationalen Strafgerichtshöfe vgl. Fiolka/Zehnder, BSK StGB II, N 11 ff. zu Art. 264b, Ziegler/Baumgartner, in: Vest et al., N 73 ff. vor Art. 264b, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 7 ff. zu Art. 264c. 1673  Botschaft 2008, 3933 f., Ancelle, 118 ff., Fiolka/Zehnder, BSK StGB II, N 2 ff. zu Art. 264b. 1674  ICC (Pre-Trial Chamber) vom 4.3.2009, Prosecutor v. al Bashir, N 60 ff., ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 626, ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N 171, ICTR (TC) vom 27.1.2000, Prosecutor v. Musema, N 257, ICTY (TC) vom 30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 85 ff.

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§ 58 Entstehungsgeschichte

werden1675. Beispiele, in denen ein bewaffneter Konflikt angenommen wurde, sind die Auseinandersetzungen in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Ruanda1676, in Bosnien-Herzegowina1677 und im Kosovo1678. Da in diese Aus­ einandersetzungen auch ausländische Mächte involviert waren1679, handelte es sich um internationale bewaffnete Konflikte1680. Demgegenüber handelt es sich bei dem Konflikt in der sudanesischen Provinz Darfur um einen inner­ staatlichen bewaffneten Konflikt1681. Bewaffneten Konflikten gleichgestellt werden Besetzungen, die auch dann in den Anwendungsbereich der Art.  264c ff. fallen, wenn den Besatzern kein bewaffneter Widerstand geleistet wird1682. Die der Entwicklung des humanitären Völkerrechts entsprechende Gleichbe­ handlung internationaler und innerstaatlicher bewaffneter Konflikte erfährt 1675  ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 126,

ICTY (TC) vom 7.5.1997, Prosecutor v. Tadić, N 562, vgl. auch IACHR vom 18.11.1997, Abella v. Argentina, N 149 ff. mit dem Verweis auf Studentenunruhen, Gefängnisrevol­ ten, terroristische Angriffe usw. 1676  Vgl. ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 621, 627, 639, ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N 172, ICTR (TC) vom 20.12.2012, Prosecutor v. Ngirabatware, N 1570, ICTR (TC) vom 24.6.2011, Prosecutor v. Nyiramasuhuko, N 6150. 1677  Vgl. ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 63 ff., 75 ff., ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N  144  ff., ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 182 ff., 208 ff., ICTY (TC) vom 16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N 23 ff., 173, 722, ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 25 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 704, 707 ff., ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac, N 56, ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 41 ff., 343 ff., ICTY (TC) vom 12.12.2007, Prosecutor v. Dragomir Milošević, N 871 f., ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 405 ff., ICTY (TC) vom 31.7.2003, Prosecutor v. Stakić, N 571 ff. 1678  Vgl. ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 840 sowie Judgement 2 of 4, N 1180. 1679  BGH vom 21.2.2001, in NStZ 21 (2001) 660, vgl. auch ICC (Pre-Trial Chamber) vom 29.1.2007, Prosecutor v. Lubanga, N 167 ff. zur Beteiligung von Uganda und Ruanda an dem Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo, der in den Jahren 2002 und 2003 stattgefunden hat. 1680  Vgl. ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 66 ff., 342 ff., ICTY (AC) vom 15.9.1999, Prosecutor v. Tadić, N 146 ff., BGH vom 21.2.2001, in NStZ 21 (2001) 660. 1681   Vgl. ICC (Pre-Trial Chamber) vom 27.4.2007, Prosecutor v. Harun and Kushayb, N 31 ff., ICC (Pre-Trial Chamber) vom 4.3.2009, Prosecutor v. al Bashir, N 57 ff. 1682  Botschaft 2008, 3934, Fiolka/Zehnder, BSK StGB II, N 20 zu Art. 264b.

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§ 58 Entstehungsgeschichte

nur dort eine Ausnahme, wo ein Tatbestand seiner Natur nach auf innerstaat­ liche Konflikte nicht anwendbar ist, wie z.B. bei den Bestimmungen, welche die Behandlung von Kriegsgefangenen regeln, die es in einem innerstaatlichen Konflikt definitionsgemäss nicht gibt1683. Auch die in Art.  264c unter Strafe gestellten schweren Verletzungen der Genfer Konventionen wären nur im Fall internationaler bewaffneter Konflikte anwendbar, wenn man darauf abstellt, dass es bei dieser Norm um die Pönalisierung schwerer Verfehlungen gegen die Genfer Abkommen geht, die wiederum nach traditionellem Verständnis nur für internationale Konflikte Geltung haben1684. Diese Sichtweise, die bereits in der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe zunehmend infrage gestellt wurde1685, kann aber vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Einbe­ ziehung innerstaatlicher bewaffneter Konflikte durch Art. 264c Abs. 2 zumin­ dest für das schweizerische Recht nicht aufrechterhalten werden. Der notwendige funktionale Zusammenhang mit einem bewaffneten Kon­ flikt ist dann gegeben, wenn die Begehung der Tat durch den Konflikt erleich­ tert oder überhaupt erst ermöglicht wurde1686. Es reicht also ein funktionaler Zusammenhang; dass in unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat Kampf­ handlungen stattgefunden haben, ist nicht erforderlich1687. Erfasst sind z.B. Taten, die in Gefangenenlagern und in Vernehmungszentren begangen wer­ den1688. Gleiches gilt für Taten, die von den Angehörigen (para-)militärischer Kampfeinheiten während kriegerischer Auseinandersetzungen an Zivilisten 1683  Botschaft 2008, 3935, Fiolka/Zehnder, BSK StGB II, N 29 ff. zu Art. 264b. 1684  Vgl. Botschaft 2008, 3937 f. 1685  Vgl. ICTY (AC) 29.7.2004, Prosecutor v. Blaškić, N 167 ff., ICTY (AC) vom 15.9.1999,

Prosecutor v. Tadić, N 166 ff., jeweils m.w.H., Vest/Sager, 437 f.

1686  Vgl. auch Fiolka/Zehnder, BSK StGB II, N 33 ff. zu Art. 264b und aus der Rechtspre­

chung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 10.7.2008, Prosecutor v. Boškoski, N 293 ff., ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 193 ff., ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac, N 58 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 128, ICTR (TC) vom 17.5.2011, Prosecutor v. Ndindiliyimana, N  2132, ICTR (TC) vom 20.12.2012, Prosecutor v. Ngirabatware, N 1571, ICTR (TC) vom 24.6.2011, Prosecutor v. Nyiramasuhuko, N 6153 ff., ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N 34, ICTY (TC) vom 7.5.1997, Prosecutor v. Tadić, N 573 ff., ICTY (TC) vom 29.11.2002, Prosecutor v. Vasiljević, N 25. 1687  ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 193 f., ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac, N  58, ICTY (TC) vom 12.12.2007, Prosecutor v. Dragomir Milošević, N 919. 1688  Vgl. ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N  196  f., ICTY (TC) vom 10.12.1998, Prosecutor v. Furundžija, N 61 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 423 f.

298

§ 58 Entstehungsgeschichte

begangen werden1689 und auch für Vernichtungsaktionen, die von paramili­ tärischen Todesschwadronen in den von den Kampftruppen eroberten Gebie­ ten durchgeführt werden1690. Ob der funktionale Zusammenhang gegeben ist oder nicht, ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen1691. Nicht erfasst sind Verbre­ chen, welche allein aus privaten Gründen oder Motiven bei Gelegenheit eines bewaffneten Konflikts begangen werden, wie z.B. ein Mord aus Eifersucht, der ausgeführt wird, weil der Täter die für ihn günstige Gelegenheit nutzt1692. In subjektiver Hinsicht muss der Täter die Umstände kennen, aus denen sich das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ergibt. Dass der Täter den Konflikt als internationalen oder nationalen bewaffneten Konflikt einstuft, ist dagegen nicht erforderlich.

2.

Zuständigkeit der Zivil- und der Militärgerichtsbarkeit

Wird ein Kriegsverbrechen von einem Angehörigen der Schweizer Armee oder einer sonstigen Person mit schweizerischem militärischen Status (vgl. MStG Art. 3 Abs. 1 Ziff. 1, 2, 3 und 6) verübt, liegt die Zuständigkeit für die Verfol­ gung und Ahndung dieser Tat bei der Militärgerichtsbarkeit. Gemäss MStG Art. 3 Abs. 2 gilt dies auch für gewisse Dienstpflichtige, Militärangehörige oder Zivilpersonen dann, wenn diese ein Kriegsverbrechen während eines Ausland­ einsatzes begehen. Wird ein Kriegsverbrechen in Friedenszeiten von einer in- oder ausländi­ schen Zivilperson oder einer ausländischen Militärperson begangen, liegt die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung dieser Tat bei der Zivilgerichts­ barkeit, wobei Bundesgerichtsbarkeit besteht (vgl. StPO Art. 23). Eine Delega­ tion an kantonale Behörden kommt nicht in Betracht (vgl. StPO Art. 23 Abs. 1 lit.  g i.V.m. Art.  25 Abs.  1 Satz 2). Die Militärgerichtsbarkeit bleibt in Frie­ denszeiten allein dann zuständig, wenn sich die Tat gegen einen Angehöri­ gen der Schweizer Armee im Ausland richtet (MStG Art. 3 Ziff. 9 oder Art. 10 Abs. 1quater). Erst in Kriegszeiten wäre eine integrale Zuständigkeit der Militär­

1689  Vgl. ICTY (TC) vom 16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N 723 ff. 1690  Vgl. Vest, Verhältnis, 263 f. 1691  Vgl. – zur Verantwortlichkeit von ruandischen Amtsträgern (bourgmestre) für die an

den Tutsis begangenen Verbrechen – ICTR (TC) vom 2.9.1998, Prosecutor v. Akayesu, N 634, 640 ff., ICTR (TC) vom 17.6.2004, Prosecutor v. Gacumbtsi, N 239 ff., ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, N 599 ff. sowie Ziegler, 216 ff. 1692  Botschaft 2008, 3934.

299

§ 58 Entstehungsgeschichte

gerichtsbarkeit für alle Kriegsverbrechen gegeben, egal von wem diese began­ gen werden (MStG Art. 5).

3.

Weltrechtsprinzip (Art. 264m)

Die Schweizer Strafbehörden sind unabhängig davon für die Verfolgung und Ahndung von Kriegsverbrechen zuständig, ob Kriegsverbrechen in der Schweiz oder aber im Ausland begangen worden sind. Handelt es sich bei dem Kriegsverbrechen um eine der Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit unterste­ hende Auslandtat, ist der Täter nach Art. 264m (Auslandtaten/Actes commis à l’étranger/Reati commessi all’estero/Criminal offences carried out abroad) Abs. 1 strafbar, wenn er sich in der Schweiz befindet1693 und nicht an einen anderen Staat ausgeliefert oder an ein internationales Strafgericht, dessen Zuständig­ keit die Schweiz anerkennt, überstellt wird1694. Die im bisherigen Recht vor­ gesehene weitere Einschränkung, wonach die Anwendbarkeit des schweize­ rischen Strafrechts zusätzlich davon abhängen sollte, dass ein «enger Bezug» zur Schweiz vorhanden sein musste1695, wurde nicht in das nunmehr geltende Recht übernommen1696. Kriegsverbrechen unterliegen auch dann der Strafverfolgung wegen den Art. 264c–j, wenn die Tat entweder am Begehungsort überhaupt nicht strafbar ist oder aber dort eine für den Täter günstigere Regelung gilt1697. Anwendbar bleiben gemäss Art. 264m Abs. 3 das in Art. 7 Abs. 4 und 5 normierte sog. Erle­ 1693  Umstritten ist, ob nur die freiwillige Anwesenheit oder auch die durch gesetzeskon­

formen oder sogar gesetzes- bzw. völkerrechtswidrigen Zwang bewirkte Anwesenheit ausreichend ist, vgl. Noto, Male captus, 105 ff., Vest/Noto, in: Vest et al., N 19 ff. zu Art. 264m. 1694  Die vom Wortlaut her anderslautenden Norm («und nicht … überstellt wird») wird in der Botschaft 2008, 3953 in dem Sinne interpretiert, dass eine Zuständigkeit der Schweiz nur dann besteht, wenn die Auslieferung oder Überstellung nicht erfolgen kann. Tatsächlich reicht es – dem Wortlaut der Norm folgend – aus, dass eine Auslie­ ferung bzw. Überstellung aus welchen Gründen auch immer faktisch nicht erfolgt, vgl. Husmann, N 37, Noto, Auslieferungsvorrang, 67 ff., Vest/Noto, in: Vest et al., N 26 ff. zu Art. 264m und jetzt auch TPF 2015, 15 f.; allgemein zur Subsidiarität der Strafver­ folgung von Völkerrechtsverbrechen durch die Strafbehörden der Schweiz vgl. Rienzo, N 253 ff. 1695  Zur Kritik an diesem Erfordernis vgl. Gless, N  947 sowie ausführlich Abo Youssef, 216  ff., Bommer, 420  ff., Vest, Universalitätsprinzip, 317, ders., Kriegs- und Mensch­ heitsverbrechen, 614. 1696  Rienzo, N 64 ff. 1697  Vgl. Botschaft 2008, 3954 sowie vorne § 56 Ziff. 2.3.

300

§ 59  Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c)

digungs- und Anrechnungsprinzip1698. Eine Ausnahme gilt nach Art.  264m Abs. 3 allerdings dann, wenn der Freispruch oder Erlass oder die Verjährung der Strafe im Ausland das Ziel hatte, den Täter dadurch in ungerechtfertigter Weise vor Strafe zu schützen.

4.

Immunität (Art. 264n)

Nach Art.  264n (Ausschluss der relativen Immunität/Exclusion de l’immunité relative/Esclusione dell’immunità relativa/Exclusion of relative immunity) ste­ hen die Regelungen über die Immunität bestimmter Amtsträger (sog. rela­ tive Immunität) einer Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen nicht entge­ gen. Anwendbar bleiben dagegen die Regelungen der absoluten Immunität (BV Art. 162 Abs. 1 i.V.m. VG Art. 2 Abs. 2)1699.

§ 59 Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c) 1.

Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1 und 2)

Art.  264c (Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen/Infractions graves aux conventions de Genève/Gravi violazioni delle Convenzioni di Ginevra/ Serious violations of the Geneva Conventions) stellt bestimmte schwere Verlet­ zungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949 unter Strafe. Abs. 1 ist dann einschlägig, wenn die Tat im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt oder einer Besatzung begangen wird, Abs. 2 dann, wenn ein Zusammenhang mit einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt besteht. In jedem Fall ist erforderlich, dass die Tat «gegen eine nach dem humanitä­ ren Völkerrecht geschützte Person oder gegen ein geschütztes Gut» gerichtet ist. Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber dafür Sorge getragen, dass die schweren Verletzungen, die nach den Genfer Abkommen nur für interna­ tionale Konflikte gelten, in dem Umfang, in dem dies sachlich angemessen ist, auch auf innerstaatliche Konflikte Anwendung finden können1700.

1698  Botschaft 2008, 3956, vgl. hierzu auch Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.61. 1699  Vgl. hierzu Botschaft 1999 III, 5350, Botschaft 2008, 3957 f. sowie oben § 56 Ziff. 2.4. 1700  Vgl. Botschaft 2008, 3937 f.

301

§ 59  Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c)

1.1

Geschützte Personen und Güter

Der Kreis der geschützten Personen ist je nach Genfer Abkommen unterschied­ lich1701. So sind nach dem I. Genfer Abkommen in erster Linie verwundete und kranke Militärangehörige sowie Sanitäts- und Seelsorgepersonal geschützt (vgl. GA I Art. 3–5), nach dem II. Genfer Abkommen verwundete, kranke und schiffbrüchige Mitglieder der bewaffneten Kräfte zur See (vgl. GA II Art. 3–5), nach dem III. Genfer Abkommen Kriegsgefangene sowie die ihnen gleichge­ stellten Personen (vgl. GA III Art. 4 f.) und nach dem IV. Genfer Abkommen Zivilpersonen in der Gewalt der Gegenpartei, deren Nationalität sie nicht besit­ zen (vgl. GA IV Art. 4)1702. Der ICTY hat allerdings in seiner Rechtsprechung den Begriff der Zivilperson ausgedehnt und im Hinblick auf interethnische Konflikte festgehalten, dass auch solche Personen darunter fallen können, wel­ che die gleiche Staatsangehörigkeit wie diejenige der potenziellen Täter besit­ zen1703. Erfasst sind damit alle Individuen, die nicht aktiv an den Feindselig­ keiten teilnehmen, wie z.B. Gefangene, die sich in einem Internierungslager befinden1704. Auch der Kreis der geschützten Güter bestimmt sich nach den verschiedenen einschlägigen Abkommen. Geschützt sind beispielsweise Medikamente und Sanitätsmaterial1705, die für das Überleben der Zivilbevölkerung unentbehr­ lichen Güter, wie Kleidung und Nahrungsmittel1706, und auch Kulturgüter1707.

1.2

Objektiver Tatbestand

Die Norm erfasst die folgenden schweren Verletzungen der Genfer Konven­ tionen (vgl. GA I Art. 50, GA II Art. 51, GA III Art. 130, GA IV Art. 147)1708:

1701  Vgl. du Pasquier, 103 ff., Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 14 ff. zu Art. 264c. 1702  Botschaft 2000 II, 391 ff., 524. 1703  ICTY (AC) vom 15.7.1999, Prosecutor v. Tadić, N 164 ff., ICTY (TC) vom 16.11.1998,

Prosecutor v. Delalić, N 263 ff.

1704  ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N 275. 1705  GA IV Art. 23, 55. 1706  GA IV Art. 23, 89 Abs. 1, ZP I Art. 69. 1707  ZP II Art. 16. 1708  Vgl. dazu du Pasquier, 106 ff.

302

§ 59  Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c)

a) Vorsätzliche Tötung (Abs. 1 lit. a)1709 Erfasst ist hier die Erschiessung von Kriegsgefangenen1710 oder von Kämp­ fern, die sich ergeben haben1711. Gleichfalls erfasst sind aber auch Erschies­ sungen von Zivilisten durch (para-)militärische Einheiten1712 sowie die durch Bombardierungen von Städten verursachten Tötungen1713. b) Geiselnahme (Abs. 1 lit. b) Erfasst ist, wer eine Person in seine Gewalt bringt bzw. in seiner Gewalt hält. Dabei muss der Täter mit dem Tod, einer Körperverletzung oder mit der Fort­ dauer der Freiheitsberaubung drohen, um dadurch einen Staat, eine inter­ nationale zwischenstaatliche Organisation, eine natürliche oder juristische Person oder eine Gruppe von Personen zu einem Tun oder Unterlassen als Voraussetzung für die Sicherheit oder die Freigabe der Geisel zu nötigen1714. c) Verursachung grosser Leiden oder schwerer Schädigungen des Körpers oder der Gesundheit (Abs. 1 lit. c) Zu den im Wortlaut der Norm ausdrücklich erwähnten Anwendungsfällen der Folter und der unmenschlichen Behandlung kann auf die Ausführun­ gen zu Art. 264a Abs. 1 lit. f und j verwiesen werden1715. Anwendungsfälle 1709  Vgl. dazu Art. 264a Abs. 1 lit. a und hierzu vorne § 57 Ziff. 1.12 und Keshelava/Zehn-

der, BSK StGB II, N 30 zu Art. 264c sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 10.7.2008, Prosecutor v. Boškoski, N 304 ff., ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N 38 ff. 1710  Vgl. ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 484 ff. 1711  Vgl. IACHR vom 18.11.1997, Abella v. Argentina, N 331 ff. 1712  Vgl. ICTY (TC) vom 16.11.2005, Prosecutor v. Halilović, N 723 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 841 ff., BstGer vom 5.3.2015, RR.2014.318, Erw. 6.6. 1713  Vgl. Suter/Vest, in: Vest et al., N 30 zu Art. 264c sowie aus der Rechtsprechung der inter­ nationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 31.1.2005, Prosecutor v. Strugar, N 237 ff. 1714  Vgl. Suter/Vest, in: Vest et al., N 58 zu Art. 264c sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 158, ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 311 ff., vgl. auch das Internationale Übereinkommen gegen Geiselnahme vom 17.12.1979, SR 0351.4. 1715  Vgl. vorne § 57 Ziff. 1.12 und Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 41 ff. zu Art. 264c, Suter/Vest, in: Vest et al., N 94 ff., 100 ff. zu Art. 264c sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 154 ff., ICTY (TC) vom 10.7.2008, Prosecutor v. Boškoski, N 381 ff., ICTY (TC) vom 10.12.1998, Prosecutor v. Furundžija, N 134 ff., ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 243 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2007, Prosecutor v. Mrkšić, N 512 ff., ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N 47 ff.

303

§ 59  Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c)

aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe sind unzu­ mutbare Bedingungen in Gefangenenlagern1716, die Verwendung von Zivi­ listen als menschliche Schutzschilder1717 sowie das Verursachen schwerer Verletzungen durch Bombardierungen1718. Die des Weiteren erwähnten biologischen Versuche sind nur dann straf­ bar, wenn sie weder medizinisch gerechtfertigt bzw. nicht therapeutischer Art sind noch im Interesse des Betroffenen liegen1719. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn pseudowissenschaftliche Experimente von der Art getätigt wer­ den, wie sie die Nationalsozialisten an den Insassen von Konzentrationsla­ gern durchgeführt haben1720. d) Durch militärische Erfordernisse nicht gerechtfertigte Zerstörung oder Aneignung von Gut in grossem Ausmass (Abs. 1 lit. d) Bei beiden Alternativen werden nur Beeinträchtigungen erfasst, die eine gewisse Mindestschwelle überschreiten. Dass dies der Fall ist, kann sich aus dem bei einer Vielzahl von Betroffenen eingetretenen Gesamtschaden erge­ ben, aber auch aus der Tatsache, dass einzelne Opfer in besonders schwer wiegender Weise betroffen sind1721. Die Alternative der Aneignung zivilen Gutes erfasst sowohl die Aneignung zu privaten Zwecken1722 als auch die organisierte Beschlagnahme im Rah­ men der Ausbeutung besetzter Gebiete1723. Die Zerstörung oder Aneignung von zivilem Gut muss rechtswidrig erfol­ gen. Ob und unter welchen Voraussetzungen welche Arten von feindli­ 1716  Vgl. ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N  1073, ICTY (TC) vom

30.11.2005, Prosecutor v. Limaj, N 285 ff., 652.

1717  Vgl. ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 186, ICTY (TC) vom 31.3.2003,

Prosecutor v. Naletilić and Martinović, N 262 ff.

1718  Vgl. ICTY (TC) vom 31.1.2005, Prosecutor v. Strugar, N 262 ff. 1719  Botschaft 2000 II, 525. 1720  Botschaft 2000 II, 525. 1721  Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 131 zu Art. 264c, Keshelava/Zehnder, BSK StGB

II, N 51 zu Art. 264c sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichts­ höfe: ICTY (AC) vom 17.12.2004, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 80 ff. ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N 87 ff. 1722  ICTY (TC) vom 27.3.2013, Prosecutor v. Stanišić, N 83. 1723  ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N  184, ICTY (TC) vom 16.11.1998, Prosecutor v. Delalić, N  590  f., ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 351 ff., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 765 ff., ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 101, 357.

304

§ 59  Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c)

chem Gut zerstört oder beschlagnahmt werden dürfen, regelt das huma­ nitäre Völkerrecht. Die Beschlagnahme oder Zerstörung ist grundsätzlich dann zulässig, wenn hierfür eine militärische Notwendigkeit besteht1724. Nie gerechtfertigt sein können Handlungen, welche gegen das Recht des bewaffneten Konflikts verstossen, wie z.B. die Beschlagnahme medizini­ scher Einrichtungen1725 und des Eigentums von Hilfsgesellschaften oder die Vernichtung von Kulturgütern1726. e) Zwangsrekrutierung (Abs. 1 lit. e) Erfasst ist die Nötigung einer Person zur Dienstleistung in den Streitkräf­ ten einer feindlichen Macht, wie beispielsweise die erzwungene Teilnahme von Kriegsgefangenen an militärischen Handlungen und der Zwangsein­ satz von Kriegsgefangenen und/oder der ausländischen Zivilbevölkerung für militärische Zwecke, z.B. für Schanzarbeiten1727. Werden Personen aus den in den Genfer Abkommen genannten Gründen zu Arbeitsleistungen angehalten, erfüllt dies den Tatbestand nicht1728. f) Rechtswidrige Vertreibung, Überführung oder Gefangenhaltung (Abs. 1 lit. f) Diese Tatbestände, die weitestgehend denjenigen im Rahmen der Ver­ brechen gegen die Menschlichkeit (vgl. Art. 264a Abs. 1 lit. d und h) ent­ sprechen1729, können im Einzelfall durch die mit einem bewaffneten 1724  ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 341, 346, ICTY (TC)

vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 93, 102, ICTY (TC) vom 31.1.2005, Prosecutor v. Strugar, N 295. 1725  Die Zerstörung eines Spitals erfüllt den Tatbestand, vgl. ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 157. 1726  Botschaft 2000 II, 525 und 528. 1727  Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 56 zu Art. 264c, Vest, PK, N 8 zu Art. 264a sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N  735  ff., ICTY (TC) vom 27.9.2006, Prosecutor v. Krajišnik, N 757 ff., ICTY (TC) vom 31.3.2003, Prosecutor v. Naletilić and Martinović, N 262 ff. 1728  Botschaft 2000 II, 526, vgl. dazu auch GA III Art. 49–57 sowie GA IV Art. 40, 51 f. und hierzu Forster/Vest, in: Vest et al., N 152 zu Art. 264c sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 31.3.2003, Prosecutor v. Naletilić and Martinović, N 250 ff. 1729  Vgl. vorne § 57 Ziff. 1.12 sowie Botschaft 2000 II, 527: Erfasst sind auch Vertreibun­ gen und Überführungen (Deportationen) für welche eine Besatzungsmacht nur mit­ telbar verantwortlich ist, wie z.B. in den Fällen, in denen die Einwanderung der eige­ nen Bevölkerung in das besetzte Gebiet veranlasst und/oder erleichtert wird, was dann zur Verdrängung der ursprünglichen Bevölkerung führt.

305

§ 59  Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen (Art. 264c)

Konflikt einhergehenden Notwendigkeiten gerechtfertigt sein (vgl. betref­ fend Kriegsgefangene GA III Art. 21 ff. sowie betreffend Zivilisten GA IV Art. 41 ff., 45, 49)1730. g) Verweigerung eines fairen Gerichtsverfahrens vor Verhängung oder Voll­ streckung einer schweren Strafe (Abs. 1 lit. g) Vorausgesetzt wird, dass der Täter der geschützten Person gezielt Rechte vorenthält1731. Erforderlich ist ein (direkt-)vorsätzliches Handeln; gewöhn­ liche Rechtsfehler, wie sie in jedem Verfahren versehentlich vorkommen können, erfüllen den Tatbestand dagegen nicht1732.

1.3

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualdolos ausrei­ chend ist1733.

2.

Weitere Fragen

2.1

Qualifikation nach Abs. 3 und Privilegierung in Abs. 4

Die Tat nach Abs. 1 und Abs. 2 ist mit Freiheitsstrafe zwischen fünf und zwan­ zig Jahren bedroht. In besonders schweren Fällen, namentlich dann, wenn die Tat viele Menschen betrifft oder der Täter grausam handelt, kann nach Abs. 3 auch auf lebenslängliche Freiheitsstrafe erkannt werden. Handelt es sich bei einer Tat nach Abs. 1 lit. c–g um einen weniger schweren Fall, ist auch nach Abs. 4 eine Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und fünf Jahren möglich.

2.2 Konkurrenzen Erfüllt der Täter mit einer Handlung im natürlichen Sinne verschiedene Alter­ nativen des Art. 264c, liegt ein Einheitsdelikt vor. Gleiches gilt, wenn sich ver­ schiedene natürliche Handlungen des Täters zu einer natürlichen Handlungs­ 1730  Botschaft 2000 II, 526 und Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N  61, 63 zu Art.  264c,

Noto/Vest, in: Vest et al., N 160 ff., 165 ff. zu Art. 264c sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 158. 1731  Vgl. Forster/Vest, in: Vest et al., N 183 ff. zu Art. 264c. 1732  Botschaft 2000 II, 526, vgl. auch Forster/Vest, in: Vest et al., N 194 zu Art. 264c. 1733  Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 8 ff. zu Art. 264c.

306

§ 60  Angriffe gegen zivile Personen und Objekte (Art. 264d)

einheit zusammenfassen lassen. Anderenfalls liegt echte (Real-)Konkurrenz vor. Im Verhältnis zu Art. 264a liegt jedenfalls dann echte Konkurrenz vor, wenn man bei Art. 264c von einer individualgüterschützenden Konzeption1734 aus­ geht. Die auf den Schutz individueller Rechtsgüter abzielenden allgemeinen Straftatbestände, wie die Art. 111 ff., 122 ff., 181 ff., 187 ff., werden grundsätz­ lich durch Art. 264c verdrängt (lex specialis). Eine Ausnahme gilt für Art. 112, der – wie die höhere Strafdrohung zeigt – vom Unrechtsgehalt her nicht voll­ ständig in Art. 264c enthalten ist. Im Verhältnis zu Art.  264d–f liegt echte Konkurrenz vor, weil der durch den besonderen Schutz bestimmter Personen oder Objekte charakterisierte Unrechtsgehalt der Art. 264d–f nicht vollständig in Art. 264c enthalten ist. Auch im Verhältnis zu den Art. 264g–i ist aufgrund des eigenständigen Unrechtsge­ halts dieser Normen von echter Konkurrenz auszugehen.

§ 60 Angriffe gegen zivile Personen und Objekte (Art. 264d) 1.

Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand dieser Norm (Angriffe gegen zivile Personen und Objekte/Attaque contre des civils ou des biens de caractère civil/Attacchi contro persone e beni di carattere civile/Attacks against civilians and civil objects) besteht darin, dass der Täter an einem Angriff teilnimmt, der sich gegen min­ destens eines der in Abs. 1 lit. a–e genannten Schutzobjekte richtet. Es handelt sich um ein Gefährdungsdelikt. Der objektive Tatbestand ist bereits dadurch erfüllt, dass der Angriff in Gang gesetzt wird. Ein vollendetes Delikt liegt auch dann vor, wenn der Angriff nicht dazu führt, dass die angegriffenen Personen oder Objekte tatsächlich geschädigt werden, womit auch der fehlge­ schlagene Angriff ein vollendetes Delikt darstellt1735. Geschützt sind: 1734  Vgl. vorne § 58. 1735  Botschaft 2008, 3939, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 17 zu Art. 264d, vgl. aber

auch: ICTY (TC) vom 12.12.2007, Prosecutor v. Dragomir Milošević, N 950 m.w.H.

307

§ 60  Angriffe gegen zivile Personen und Objekte (Art. 264d)

a) Zivilpersonen, die an Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen (Abs. 1 lit. a), womit der Sache nach alle eindeutig als Nichtkombattanten einzu­ stufenden Personen gemeint sein dürften1736. Zivilisten, die in die Kämpfe eingreifen, werden zu Kombattanten und verlieren damit den Status als geschützte Personen1737. Ein gegen Zivilpersonen gerichteter Angriff kann auch dann vorliegen, wenn sich unter den angegriffenen Personen auch Kombattanten befinden1738. Erfasst sind z.B. militärisch nicht notwendige Bombardierungen von Städten, wie z.B. die Bombardierungen der Altstadt von Dubrovnik im Dezember 19911739, von Sarajevo und anderen Städten in Bosnien-Herzegowina in den Jahren 1992 bis 19941740 und von Zagreb im Jahre 19951741. Ein weiteres Beispiel sind Angriffe durch Scharfschützen, die sich gezielt gegen die Zivilbevölkerung richten1742. Soweit sich Angriffe gegen militärische Objekte richten, können zivile Opfer zur Anwendung des Art. 264g Abs. 1 lit. a führen. b) Personen, Einrichtungen, Material und Fahrzeuge, die an humanitären Hilfsmissionen oder friedenserhaltenden Missionen teilnehmen, welche in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen stattfinden (Abs. 1 lit. b). Der Anwendungsbereich der Norm geht weit über MStG alt 1736  Vgl. Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N  15  ff. zu Art.  264d, Ziegler/Baumgartner,

in: Vest et al., N 87 ff. vor Art. 264b, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 19 ff. zu Art. 264d sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 177, ICTY (TC) vom 10.7.2008, Prosecutor v. Boškoski, N 301 ff., ICTR (TC) vom 21.5.1999, Prosecutor v. Kayishema and Ruzin­ dana, N 179, ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 51 ff., ICTY (TC) vom 12.12.2007, Prosecutor v. Dragomir Milošević, N 945 ff., ICTY (TC) vom 31.1.2005, Prosecutor v. Strugar, N 282 sowie zur unklaren Begrifflichkeit Vest/Sager, 439 f. 1737  Vgl. ICTR (TC) vom 27.1.2000, Prosecutor v. Musema, N 189, 279, 328, IACHR vom 18.11.1997, Abella v. Argentina, N 178 f. 1738  Vgl. ICTY (AC) vom 30.11.2006, Prosecutor v. Galić, N 136. 1739  Vgl. ICTY (TC) vom 31.1.2005, Prosecutor v. Strugar, N 182 ff., 280 ff. 1740  Vgl. ICTY (AC) vom 30.11.2006, Prosecutor v. Galić, N 110 ff., 248 ff., 353 ff., ICTY (TC) vom 12.12.2007, Prosecutor v. Dragomir Milošević, N 939 ff. 1741  Vgl. ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 456 ff., 472. 1742  Zum Verbot direkt auf die Zivilbevölkerung gerichteter Angriffe durch das humanitäre Völkerrecht vgl. ICTY (AC) vom 29.7.2004, Prosecutor v. Blaškić, N 109, ICTY (AC) vom 30.11.2006, Prosecutor v. Galić, N 130, 190, ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 326, ICTY (AC) vom 17.12.2004, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 48, 58 ff., ICTY (TC) vom 14.1.2000, Prosecutor v. Kupreškić, N 521 ff., ICTY (AC) vom 12.6.2002, Prosecutor v. Kunarac, N 527 ff., ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 464 ff., ICTY (TC) vom 31.1.2005, Prosecutor v. Strugar, N 224 ff.

308

§ 60  Angriffe gegen zivile Personen und Objekte (Art. 264d)

Art. 111 Abs. 1 hinaus, der lediglich bei Feindseligkeiten gegen Personen anwendbar war, die unter dem Schutz des Roten Kreuzes, des Roten Halb­ mondes, des Roten Löwen mit der roten Sonne oder des Kulturgüterschil­ des standen. Erfasst sind nunmehr z.B. auch Anschläge auf Konvois und auf die Lager und sonstigen Einrichtungen dieser Missionen1743. Ausgenom­ men sind die Missionen, deren Mandat nicht darauf gerichtet ist, den Frie­ den zu erhalten, sondern diesen mit Gewalt durchzusetzen1744, oder die aus anderen Gründen in das Kampfgeschehen eingreifen und dadurch ihren Status als Nichtkombattanten verloren haben1745. c) Zivile Objekte, die keine militärischen Ziele darstellen, wie z.B. unver­ teidigte Siedlungen und Gebäude oder entmilitarisierte Zonen (Abs.  1 lit. c)1746. d) Sanitätseinheiten, Gebäude, Material und Fahrzeuge, die in Übereinstim­ mung mit dem humanitären Völkerrecht ein Schutzzeichen verwenden, das Schutz unter den Genfer Abkommen gewährt (Abs. 1 lit. d)1747. Angriffe auf diese Schutzobjekte waren auch bereits nach MStG alt Art. 111 Abs. 1 straf­ bar. Das Fehlen eines Schutzzeichens ist dann irrelevant, wenn auch ohne Schutzzeichen ohne Weiteres zu erkennen ist, dass es sich um ein geschütz­ tes Objekt handelt, was z.B. bei als solchen eindeutig erkennbaren Spitälern und Sammelplätzen für Kranke und Verwundete der Fall ist1748. e) Kulturgüter, wie z.B. die zum von der UNESCO anerkannten Weltkultur­ erbe gehörende Altstadt von Dubrovnik1749. Geschützt sind auch die mit dem Schutz von Kulturgütern betrauten Personen sowie die für Transport von Kulturgütern verwendeten Fahrzeuge1750. Geschützt sind des Weiteren 1743  Botschaft 2008, 3939, Keshelava/Zehnder, N 21 ff. zu Art. 264d. 1744  Vgl. Vest, PK, N 4 zu Art. 264d. 1745  Botschaft 2008, 3939, Botschaft 2000 II, 531. 1746  Vgl. Botschaft 2000 II, 532. Zur Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen

Zielen vgl. Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 27 f. zu Art. 264d, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 51 ff. zu Art. 264d. 1747  Vgl. Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 78 ff. zu Art. 264d, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 34 zu Art. 264d. 1748  Vgl. Botschaft 2000 II, 532, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 38 zu Art. 264d, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 82 zu Art. 264d. 1749  Vgl. Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 42 f. zu Art. 264d, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N  92  ff. zu Art.  264d sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 31.1.2005, Prosecutor v. Strugar, N 313 ff. 1750  Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 96 zu Art. 264d.

309

§ 60  Angriffe gegen zivile Personen und Objekte (Art. 264d)

auch Gebäude, in welchen religiöse Handlungen stattfinden, wie z.B. Kir­ chen und Moscheen1751, sowie Gebäude, die der Kunst, Erziehung, Wissen­ schaft oder Wohltätigkeit dienen (Abs. 1 lit. e). Der Schutz entfällt, wenn die Objekte zu militärischen Zwecken genutzt wer­ den1752. Umstritten ist, ob der Schutz auch bereits dann entfällt, wenn das infrage stehende Objekt Teil eines militärischen Objekts ist oder in dessen unmittelbarer Nähe liegt1753. Auch wenn man dies verneint, erfasst Art. 264d Abs. 1 lit. b–e doch nur gezielte Angriffe, nicht aber Beschädigungen oder Zer­ störungen, die als ungewollte Nebenfolge des Angriffs auf das militärische rele­ vante Ziel auftreten1754. In diesen Fällen kann allerdings, wenn die Zerstörun­ gen unverhältnismässig sind, Art. 264c Abs. 1 lit. d und/oder Art. 264g Abs. 1 lit. a zur Anwendung kommen.

1.2

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, nicht aber das Vorliegen einer besonderen Absicht, wie z.B. der Intention, Terror zu verbreiten1755.

1751  Vgl. ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N  640  ff., ICTY (TC) vom

12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 361, ICTY (TC) vom 31.3.2003, Prosecutor v. Naletilić and Martinović, N 606 ff. 1752  Vgl. allgemein Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 39 zu Art. 264d, Vest, PK, N 5 zu Art. 264d. Bei der Altstadt von Dubrovnik war dies nicht der Fall, vgl. ICTY (TC) vom 31.1.2005, Prosecutor v. Strugar, N 279 f. 1753  Vgl. Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N  101  f. zu Art.  264d sowie aus der Recht­ sprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (TC) vom 3.3.2000, Prosecutor v. Blaškić, N 185, ICTY (TC) vom 1.9.2004, Prosecutor v. Brðanin, N 596, 598, ICTY (AC) vom 16.11.2012, Prosecutor v. Gotovina, N 49 ff., ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 98, vgl. auch ICTY (TC) vom 26.2.2001, Prosecutor v. Kordić and Čerkez, N 362. 1754  Vgl. ICTY (TC) vom 26.2.2009, Prosecutor v. Milutinović et al., Judgement 1 of 4, N 208, ICTY (TC) vom 31.3.2003, Prosecutor v. Naletilić and Martinović, N 604 f., ICTY (TC) vom 31.1.2005, Prosecutor v. Strugar, N 310 ff. 1755  Vgl. Vest, PK, N  8 zu Art.  264d sowie aus der Rechtsprechung: ICTY (TC) vom 12.12.2007, Prosecutor v. Dragomir Milošević, N 953 i.V.m. N 873 ff., zum in der Recht­ sprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe anerkannten Delikt des Verbreitens von Terror vgl. ICTY (AC) vom 30.11.2006, Prosecutor v. Galić, N 79 ff.

310

§ 61  Ungerechtfertigte medizinische Behandlung

2.

Weitere Fragen

2.1

Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3)

Die Tat nach Abs. 1 ist mit Freiheitsstrafe zwischen drei und zwanzig Jahren bedroht. In besonders schweren Fällen, namentlich dann, wenn die Tat viele Menschen betrifft oder der Täter grausam handelt, kann nach Abs. 2 auch auf lebenslängliche Freiheitsstrafe und in weniger schweren Fällen nach Abs. 3 auf Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und fünf Jahren erkannt werden.

2.2 Konkurrenzen Im Verhältnis zu Art. 264 und Art. 264a liegt jedenfalls echte Konkurrenz vor, wenn man bei Art. 264d von einer individualgüterschützenden Konzeption1756 ausgeht. Auch im Verhältnis zu Art. 264c sowie Art. 264e–i liegt aufgrund des unterschiedlichen Unrechtsgehalts der Straftatbestände echte Konkurrenz vor. Demgegenüber werden die auf den Schutz individueller Rechtsgüter abzie­ lenden allgemeinen Straftatbestände  – mit Ausnahme des Art.  112  – durch Art. 264d verdrängt.

§ 61 Ungerechtfertigte medizinische Behandlung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der Menschenwürde (Art. 264e) 1.

Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand von Art.  264e (Ungerechtfertigte medizinische Behandlung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der Menschenwürde/Traitement médical immotivé, atteinte au droit à l’autodétermination sexuelle ou à la dignité de la personne/Trattamento medico ingiustificato, le­sione dell’autodeterminazione sessuale e della dignità umana/Unjustified medical treatment, violation of sexual rights and human dignity) besteht darin, dass der Täter im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt eine vom humanitä­ ren Völkerrecht geschützte Person durch medizinisch nicht indizierte Behand­ lungen in ihrer physischen oder psychischen Integrität verletzt oder gefährdet 1756  Vgl. vorne § 58.

311

§ 61  Ungerechtfertigte medizinische Behandlung

(Abs. 1 lit. a), in schwerwiegender Weise in ihrer sexuellen Selbstbestimmung verletzt oder gefährdet (Abs.  1 lit.  b) oder in ihrer Menschenwürde verletzt (Abs. 1 lit. c). a) Lit. a erfasst die Fälle, in denen der Täter eine vom humanitären Völker­ recht geschützte Person einem medizinischen Verfahren unterzieht, das nicht durch ihren Gesundheitszustand geboten ist und das nicht mit all­ gemein anerkannten medizinischen Grundsätzen in Einklang steht. Nicht erfasst sind nur die Massnahmen, die beide Bedingungen erfüllen, d.h. durch den Gesundheitszustand geboten sind und mit allgemein anerkann­ ten medizinischen Grundsätzen in Einklang stehen1757. Nicht im Einklang mit allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen steht eine Behand­ lung dann, wenn sie nicht im Interesse und nicht mit der (mutmasslichen) Zustimmung des Betroffenen erfolgt und/oder die gemeinhin geltenden Anforderungen an die Diagnose und die lege artis erfolgende Behandlung nicht eingehalten werden1758. Erforderlich ist weiterhin, dass die geschützte Person durch den medizinischen Eingriff körperlich schwer geschädigt oder in ihrer physischen oder psychischen Gesundheit schwer verletzt oder gefährdet wird (Abs. 1 lit. a). b) Lit. b erfasst die auch bereits in Art.  264a Abs.  1 lit.  g umschriebenen schwerwiegenden Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung1759: Verge­ waltigungen und andere sexuelle Handlungen von vergleichbarer Schwere; die Gefangenhaltung einer zwangsweise geschwängerten Frau, in der Absicht, hierdurch die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen; die zwangsweise Sterilisierung, also die Verunmöglichung einer künftigen Fortpflanzung gegen den Willen des betroffenen männli­ chen oder weiblichen Opfers; die Nötigung zur Prostitution, die auch die Fälle erfassen muss, bei denen der Täter keinen unmittelbar absehbaren Vorteil erlangt. c) Lit. c erfasst schwerwiegende Fälle entwürdigender oder erniedrigender Behandlungen. Schwerwiegend ist eine derartige Behandlung dann, wenn sie allgemein von jeder vernünftigen Person als schwerwiegender Angriff

1757  So auch Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 13 zu Art. 264e, Noto/Vest, in: Vest et al.,

N 9 zu Art. 264e, Vest, PK, N 1 zu Art. 264e, Vest/Sager, 440.

1758  Botschaft 2008, 3940, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 13 zu Art. 264e. 1759  Vgl. ergänzend vorne § 57 Ziff. 1.12.

312

§ 61  Ungerechtfertigte medizinische Behandlung

auf die Menschenwürde anerkannt wird1760. Massgebend ist ein objektivpersonalisierter Massstab; zu berücksichtigen ist aber auch der kulturelle Hintergrund des Opfers1761. Erfasst sind z.B. der auf Gefangene ausgeübte Zwang, nackt auf Tischen zu tanzen oder die Notdurft in ihren Kleidern zu verrichten1762.

1.2

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualdolos ausrei­ chend ist1763.

2.

Weitere Fragen

2.1

Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3)

Die Tat nach Abs. 1 ist mit Freiheitsstrafe zwischen drei Jahren und zwanzig Jahren bedroht. In besonders schweren Fällen, namentlich dann, wenn die Tat viele Menschen betrifft oder der Täter grausam handelt, kann nach Abs. 2 auch auf lebenslängliche Freiheitsstrafe und in weniger schweren Fällen nach Abs. 3 auf Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und fünf Jahren erkannt werden.

2.2 Konkurrenzen Im Verhältnis zu Art. 264 und Art. 264a liegt jedenfalls dann echte Konkur­ renz vor, wenn man bei Art. 264e von einer individualgüterschützenden Kon­ zeption1764 ausgeht. Auch im Verhältnis zu Art.  264c–d sowie Art.  264f–i liegt aufgrund des unterschiedlichen Unrechtsgehalts der Straftatbestände echte Konkurrenz vor. Demgegenüber werden die auf den Schutz individuel­ ler Rechtsgüter abzielenden allgemeinen Straftatbestände – mit Ausnahme des Art. 112 – durch Art. 264e verdrängt.

1760  Suter/Vest, in: Vest et al., N 62 ff. zu Art. 264e, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 17

zu Art. 264e.

1761  Botschaft 2008, 3940, Botschaft 2000 II, 528, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 17 f. zu

Art. 264e, Suter/Vest, in: Vest et al., N 58 ff. zu Art. 264e.

1762  Botschaft 2008, 3941, vgl. auch Suter/Vest, in: Vest et al., N 66 ff. zu Art. 264e. 1763  Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 8 zu Art. 264e. 1764  Vgl. vorne § 58.

313

§ 62  Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten (Art. 264f)

§ 62 Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten (Art. 264f) 1.

Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

In objektiver Hinsicht setzt Art. 264f (Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten/Recrutement ou utilisation d’enfants soldats/Reclutamento e impiego di bambini-soldato/Recruitment and use of child soldiers) voraus, dass der Täter ein Kind unter fünfzehn Jahren für Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen rek­ rutiert, ein Kind in diese eingliedert oder zur aktiven Teilnahme an bewaffne­ ten Konflikten oder zur aktiven Unterstützung der an einem Konflikt betei­ ligten Truppen verwendet1765. Der Tatbestand ist beispielsweise erfüllt, wenn Kinder zu Bewachungsaufgaben oder als Bodyguards eingesetzt werden, nicht dagegen, wenn sie allein in Kantinen oder als Hausangestellte für Offiziere arbeiten müssen1766. Ob das Kind unter Zwang rekrutiert wird oder sich den Streitkräften oder bewaffneten Gruppen freiwillig anschliesst, ist irrelevant1767. Es handelt sich um ein Dauerdelikt. Die Tat dauert an, bis das Kind die Truppe verlässt oder 15 Jahre alt wird1768. Bei der Festlegung des Schutzalters hat sich der Gesetzgeber auf den Bereich beschränkt, der von allen einschlägigen völkerrechtlichen Vereinbarungen erfasst wird. Die Anhebung des Schutzalters auf 18 Jahre hat sich international gesehen bisher noch nicht durchsetzen können1769.

1765  Vgl. Forster/Vest, in: Vest et al., N 20 ff. zu Art. 264f, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II,

N 11 zu Art. 264f sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICJ vom 19.12.2005, DRC v. Uganda, N 210, ICC (Pre-Trial Chamber) vom 29.1.2007, Prosecutor v. Lubanga, N 249 ff. 1766  Vgl. Forster/Vest, in: Vest et al., N 25 ff. zu Art. 264f sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICC (Pre-Trial Chamber) vom 29.1.2007, Prosecutor v. Lubanga, N 262 f. 1767  Vgl. Forster/Vest, in: Vest et al., N 22 zu Art. 264f, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 11 zu Art. 264f sowie aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICC (Pre-Trial Chamber) vom 29.1.2007, Prosecutor v. Lubanga, N 244 ff. 1768  Vgl. ICC (Pre-Trial Chamber) vom 29.1.2007, Prosecutor v. Lubanga, N 248. 1769  Botschaft 2008, 3941, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 4 zu Art. 264f.

314

§ 62  Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten (Art. 264f)

1.2

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, wobei dolus eventualis aus­ reicht1770. Bezogen auf das Alter des Kindes reicht es aus, dass der Täter in Kauf nimmt, dass die rekrutierten Kinder möglicherweise noch nicht 15 Jahre alt sind1771.

2.

Weitere Fragen

2.1

Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3)

Die Tat nach Abs.  1 ist mit Freiheitsstrafe zwischen drei und zwanzig Jah­ ren bedroht. In besonders schweren Fällen, namentlich dann, wenn die Tat viele Menschen betrifft oder der Täter grausam handelt, kann nach Abs. 2 auf lebenslängliche Freiheitsstrafe und in weniger schweren Fällen nach Abs. 3 auf Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und fünf Jahren erkannt werden.

2.2 Konkurrenzen Im Verhältnis zu Art. 264 und Art. 264a liegt jedenfalls dann echte Konkur­ renz vor, wenn man bei Art. 264f von einer individualgüterschützenden Kon­ zeption1772 ausgeht. Auch im Verhältnis zu Art.  264c–e sowie Art.  264g–i liegt aufgrund des unterschiedlichen Unrechtsgehalts der Straftatbestände echte Konkurrenz vor. Demgegenüber werden die auf den Schutz individuel­ ler Rechtsgüter abzielenden allgemeinen Straftatbestände – mit Ausnahme des Art. 112 – durch Art. 264f verdrängt.

1770  Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 12 zu Art. 264f. 1771  Vgl. Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 12 zu Art. 264f sowie Wehrenberg/Bernhard,

16  ff. mit Verweisen auf die ersten einschlägigen Verurteilungen durch den Special Court for Sierra Leone. 1772  Vgl. vorne § 58.

315

§ 63  Verbotene Methoden der Kriegführung (Art. 264g)

§ 63 Verbotene Methoden der Kriegführung (Art. 264g) 1.

Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Die Norm (Verbotene Methoden der Kriegführung/Méthodes de guerre prohibées/Metodi di guerra vietati/Prohibited methods of warfare) erfasst verschie­ dene, mit den Vorgaben des humanitären Völkerrechts nicht zu vereinbarende Handlungen. a) Angriffe mit unverhältnismässigen Konsequenzen für die Zivilbevölkerung und/oder die Umwelt (Abs. 1 lit. a) Anders als in Art. 264d Abs. 11773 ist hier nicht nur der absichtlich gegen Zivilpersonen oder zivile Objekte gerichtete Angriff erfasst, der nach huma­ nitärem Völkerrecht per se unzulässig ist1774, sondern auch der Angriff, der sich gegen ein militärisches Ziel richtet, bei dem aber mit unverhältnis­ mässigen Schäden für Zivilpersonen, zivile Objekte oder die Umwelt zu rechnen ist1775. In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der Täter weiss oder annehmen muss, dass Schäden drohen, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Die Konsequenzen einer falschen Einschätzung richten sich nach den allgemei­ nen Irrtumsregeln1776: Hat der Täter nicht erkannt, dass Schäden in einem als unverhältnismässig einzustufenden Ausmass drohen, liegt ein Tatbe­ standsirrtum vor (Art. 13). Hat der Täter die von ihm zutreffend vorausge­ sehenen Schäden rechtsirrig als noch verhältnismässig eingestuft, liegt ein Verbotsirrtum vor (Art. 21).

1773  Vgl. vorne § 60. 1774  Vgl. vorne § 60 Ziff. 1.1 lit. a FN 1636 sowie ICTY (AC) vom 29.7.2004, Prosecutor v.

Blaškić, N 109, ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 68, vgl. aber auch Botschaft 2008, 3942, wo offenbar angenommen wird, dass der absichtlich gegen Zivil­ personen oder zivile Objekte gerichtete Angriff ausschliesslich von Art. 264d erfasst wird. 1775  Vgl. Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 20 ff. zu Art. 264g sowie aus der Rechtspre­ chung der internationalen Strafgerichtshöfe: ICTY (AC) vom 30.11.2006, Prosecutor v. Galić, N 190 ff., ICTY (TC) vom 12.6.2007, Prosecutor v. Martić, N 69. 1776  Botschaft 2008, 3942, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 20 zu Art. 264g, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 199 zu Art. 264g.

316

§ 63  Verbotene Methoden der Kriegführung (Art. 264g)

b) Verwendung menschlicher Schutzschilde (Abs. 1 lit. b) Erfasst sind sowohl die Fälle, in denen vom humanitären Völkerrecht geschützte Personen1777 eigens zum Zweck der Verwendung als mensch­ liche Schutzschilder an einen anderen Ort verbracht werden, als auch die Fälle, in denen der Täter die bereits an einem Ort anwesenden Personen in diesem Sinne verwendet oder in denen militärische Einheiten oder Ausrüs­ tungsgegenstände absichtlich in die Nähe geschützter Personen verlegt wer­ den, um jene so vor Angriffen zu schützen1778. c) Plünderungen und unverhältnismässige Eingriffe in fremdes Gut (Abs.  1 lit. c) Geschützt ist sowohl privates als auch öffentliches Eigentum1779. Erfasst sind sowohl individuelle Akte der Aneignung für den privaten oder per­ sönlichen Gebrauch als auch die Beschlagnahme von Eigentum im Rah­ men der systematischen Ausbeutung besetzter Gebiete und der sog. Kriegs­ raub an Verwundeten, Kranken oder Toten auf dem Schlachtfeld. Nicht erfasst ist dagegen die Aneignung fremden Eigentums, soweit diese durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts gerechtfertigt ist1780. Über die Varianten des Vorenthaltens lebensnotwendiger Güter und des Behinderns von Hilfslieferungen ist auch das Aushungern der Zivilbevölkerung sowie das Vorenthalten von Medikamenten erfasst1781. Die Vollendung des Tatbe­ stands setzt nicht voraus, dass Menschen sterben1782. d) Tötung und Verwundung von Kombattanten in heimtückischer Weise oder nachdem diese sich ausser Gefecht befinden (Abs. 1 lit. d) Eine Tötung oder Verwundung erfolgt dann in heimtückischer Weise, wenn der Gegner auf perfide Weise dazu verleitet wird, sich auf den Schutz des humanitären Völkerrechts zu verlassen1783. Nicht erfasst sind dagegen die Fälle, in denen der Gegner durch Kriegslisten irregeführt oder veranlasst 1777  Vgl. vorne § 60. 1778  Botschaft 2008, 3942, Botschaft 2000 II, 532, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 23 zu

Art. 264g, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 55 ff. zu Art. 264g.

1779  Botschaft 2008, 3942, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 81 zu Art. 264g. 1780  Botschaft 2008, 3942. 1781  Botschaft 2008, 3943, Botschaft 2000 II, 533, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al.,

N 109 ff. zu Art. 264g.

1782  Botschaft 2008, 3943, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 46 zu Art. 264g. 1783  Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N  140  ff. zu Art.  264g, Keshelava/Zehnder, BSK

StGB II, N 52 zu Art. 264g.

317

§ 63  Verbotene Methoden der Kriegführung (Art. 264g)

wird, sich unvorsichtig zu verhalten1784. Die Tötung von Feinden, welche die Waffen gestreckt haben oder sich sonst nicht mehr zur Wehr setzen, war bereits nach MStG alt Art. 112 Abs. 1 strafbar. Ausser Gefecht sind Kombat­ tanten, die sich ergeben haben oder die aufgrund einer Verwundung nicht mehr kampffähig sind1785. Angesichts dessen, dass in der Realität moderne kriegerische Auseinandersetzungen nicht mehr allein durch das unmittel­ bare Aufeinandertreffen feindlicher Kämpfer geprägt sind, wird man alle Personen in den Schutzbereich der Norm einbeziehen müssen, die erkenn­ bar von einer Mitwirkung an der Kampfführung Abstand genommen haben und willens sind, sich bedingungslos zu ergeben1786. e) Verstümmelungen (Abs. 1 lit. e) Die Verstümmelung toter gegnerischer Kombattanten war bereits nach altem Recht strafbar (vgl. MStG alt Art. 112 Abs. 2). Erfasst sind die Fall­ gestaltungen, in denen der Täter beim Opfer Glieder oder Organe entfernt oder das Äussere einer Person dauerhaft entstellt1787. Die Verstümmelung lebender Personen fällt  – wenn die Voraussetzungen erfüllt sind  – auch unter StGB Art. 264a Abs. 1 lit. f respektive Art. 264c Abs. 1 lit. c. f) Verweigerung des Pardons (Abs. 1 lit. f) Mit der Verweigerung des Pardons wird sanktioniert, wer den Befehl erteilt, niemanden am Leben zu lassen oder dies dem Gegner androht1788. g) Missbrauch der Schutzzeichen des humanitären Völkerrechts (Abs. 1 lit. g) Lit. g erfasst den Missbrauch der Parlamentärflagge, der Flagge und sons­ tiger Abzeichen und Uniformen des Feindes oder der Vereinten Nationen sowie der Schutzzeichen des humanitären Völkerrechts, wie z.B. des Roten Kreuzes, des Roten Halbmondes oder des Schutzzeichens für Kulturgü­ ter1789. Der Missbrauch der Schutzzeichen des humanitären Völkerrechts war bereits nach altem Recht durch MStG alt Art. 110 mit Strafe bedroht. 1784  Botschaft 2008, 3943, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 145 zu Art. 264g. 1785  Botschaft 2008, 3943, Botschaft 2000 II, 529, Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 57 zu

Art. 264g.

1786  So bereits Popp, N 4 zu Art. 112 MStG. 1787  Vgl. Botschaft 2000 II, 527. 1788  Botschaft 2008, 3943, vgl. dazu auch ZP I Art. 40 sowie Baumgartner/Ziegler, in: Vest

et al., N 155 zu Art. 264g.

1789  Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N  168  ff. zu Art.  264g, Keshelava/Zehnder, BSK

StGB II, N 69 ff. zu Art. 264g.

318

§ 63  Verbotene Methoden der Kriegführung (Art. 264g)

Dass der Missbrauch dieser Zeichen den Tod oder die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität von Menschen zur Konsequenz hat, ist nicht erforderlich. Erfasst ist bereits der blosse Missbrauch als solcher1790, also Verwendungen, die durch die einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen nicht gedeckt sind.1791 Ein Beispiel ist hier die Inanspruchnahme des Roten Kreuzes durch Angehörige von Streitkräften, die weder Sanitätspersonal noch Verwundete oder Kranke sind und die deshalb keinen Anspruch auf den besonderen Schutz des Roten Kreuzes haben, die diesen aber doch in Anspruch nehmen, wenn sie z.B. zur Flucht in einem Sanitätsfahrzeug mit­ fahren oder sich in einem Feldspital verstecken oder dieses als Lagerstätte für Waffen verwenden. h) Kolonisierung besetzter Gebiete (Abs. 1 lit. h) Erfasst sind die Fälle, in denen eine Besatzungsmacht einen Teil seiner Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet überführt oder einen Teil der angestammten Bevölkerung des besetzten Gebietes zumindest teilweise innerhalb oder ausserhalb desselben umsiedelt. Beide Tatvarianten können sowohl mittelbar als auch unmittelbar begangen werden1792. Von mittelba­ rer Begehung ist dann auszugehen, wenn die Besatzungsmacht die Umsied­ lung der Zivilpersonen zwar nicht selber durchführt, sie für diese aber indi­ rekt verantwortlich ist1793.

1.2

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualdolos aus­ reicht1794.

2.

Weitere Fragen

2.1

Qualifizierter und privilegierter Fall (Abs. 2 und 3)

Die Tat nach Abs. 1 ist mit Freiheitsstrafe zwischen drei und zwanzig Jahren bedroht. In besonders schweren Fällen, namentlich dann, wenn die Tat viele Menschen betrifft oder der Täter grausam handelt, kann nach Abs. 2 auch auf 1790  Botschaft 2008, 3943 f., Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 178 zu Art. 264g. 1791  Vgl. Botschaft 2000 II, 530, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 173 ff. zu Art. 264g. 1792  Botschaft 2000 II, 527. 1793  Botschaft 2000 II, 527, vgl. auch ZP I Art. 85 Ziff. 4. 1794  Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 7 zu Art. 264g.

319

§ 64  Einsatz verbotener Waffen (Art. 264h)

lebenslängliche Freiheitsstrafe und in weniger schweren Fällen nach Abs. 3 auf Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und fünf Jahren erkannt werden.

2.2 Konkurrenzen Im Verhältnis zu Art. 264 und Art. 264a liegt jedenfalls dann echte Konkurrenz vor, wenn man bei Art.  264g von einer individualgüterschützenden Konzep­ tion1795 ausgeht. Im Verhältnis zu Art. 264c–f sowie Art. 264h–i liegt aufgrund des unterschiedlichen Unrechtsgehalts der Straftatbestände echte Konkurrenz vor. Demgegenüber werden die auf den Schutz individueller Rechtsgüter abzie­ lenden allgemeinen Straftatbestände  – mit Ausnahme des Art.  112  – durch Art. 264g verdrängt.

§ 64 Einsatz verbotener Waffen (Art. 264h) 1.

Voraussetzungen der Strafbarkeit (Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Die Norm (Einsatz verbotener Waffen/Utilisation d’armes prohibées/Impiego di armi vietate/Use of prohibited weapons) stellt die Verwendung bestimmter ver­ botener Waffen unter Strafe. Dass durch die Verwendung Menschen zu Tode kommen oder verletzt werden, ist nicht erforderlich; erfasst ist die blosse Ver­ wendung bestimmter Waffen als solche. Verboten sind: a) Die Verwendung von Gift oder von vergifteten Waffen, also von solchen Waffen, die bei Gebrauch Gift freisetzen (Abs. 1 lit. a). Die toxischen Sub­ stanzen müssen geeignet sein, entweder den Tod oder einen schwerwiegen­ den Gesundheitsschaden zu verursachen1796. b) Die Verwendung biologischer oder chemischer Waffen unter Einschluss gif­ tiger oder erstickender Gase, Stoffe und Flüssigkeiten (Abs. 1 lit. b). Zu die­ sen Stoffen gehören grundsätzlich u.a. auch Reizgase, Tränengase und Pfef­ fersprays, deren Verwendung nur im Rahmen von Polizeieinsätzen oder

1795  Vgl. vorne § 58. 1796  Botschaft 2000 II, 533, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 31 zu Art. 264h.

320

§ 64  Einsatz verbotener Waffen (Art. 264h)

polizeiähnlichen Einsätzen zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Ord­ nung im Rahmen friedenserhaltender Missionen zulässig ist1797. c) Abs. 1 lit. c erfasst die Verwendung von Munition, die in den Körper eines Menschen eindringt und dort explodiert (sog. explodierende Munition)1798 sowie von Geschossen, die sich im Körper eines Menschen ausdeh­ nen oder flachdrücken und dadurch erhöhte Leiden verursachen (sog. Deformationsgeschosse)1799. d) Die Verwendung von Splittergeschossen (Abs.  1 lit.  d), d.h. von Waffen, welche primär darauf abzielen, Verletzungen durch Splitter hervorzuru­ fen, welche durch Röntgenstrahlen im menschlichen Körper nicht entdeckt werden können1800. e) Die Verwendung von Laserwaffen (Abs. 1 lit. e). Das Verbot zielt auf Waffen, welche so konstruiert sind, dass sie – primär und/oder sekundär – dazu die­ nen, die dauerhafte Erblindung des Auges zu verursachen1801. Die Aufzählung in Abs. 1 lit. a–e ist abschliessend. Der Gesetzgeber hat dar­ auf verzichtet, einen Auffangtatbestand zu schaffen, mit dem die Verwendung aller Waffen, deren Einsatz gegen Grundsätze des humanitären Völkerrechts verstösst, erfasst werden könnte1802. Die Verwendung von Antipersonenminen ist durch keine der Alternativen erfasst; sie widerspricht nach Auffassung des Gesetzgebers derzeit auch noch nicht dem Völkergewohnheitsrecht1803. Dem­ gegenüber verstösst der Einsatz von Atomwaffen in aller Regel gegen grundle­ gende Prinzipien des humanitären Völkerrechts1804.

1797  Botschaft 2008, 3944. Zu den verbotenen biologischen und chemischen Waffen vgl.

Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 20 ff. zu Art. 264h, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 39 ff., 42 ff. zu Art. 264h 1798  Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 54 zu Art. 264h. 1799  Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 52 f. zu Art. 264h. 1800  Botschaft 2008, 3945  f., vgl. dazu auch Henckaerts/Dowald-Beck, 275, Baumgartner/ Ziegler, in: Vest et al., N 56 ff. zu Art. 264h. 1801  Botschaft 2008, 3946, vgl. auch Henckaerts/Dowald-Beck, 292, Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 60 zu Art. 264h. 1802  Botschaft 2008, 3946 f., kritisch hierzu Vest/Sager, 441 vgl. auch Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 63 zu Art. 264h. 1803  Botschaft 2008, 3946. 1804  Botschaft 2008, 3946.

321

§ 65  Bruch eines Waffenstillstandes oder des Friedens

1.2

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich.

2.

Weitere Fragen

2.1

Besonders schwerer Fall (Abs. 2)

Die Tat nach Abs. 1 ist mit Freiheitsstrafe zwischen drei und 20 Jahren bedroht. In besonders schweren Fällen kann auch auf lebenslängliche Freiheitsstrafe erkannt werden.

2.2 Konkurrenzen Im Verhältnis zu Art. 264 und Art. 264a liegt jedenfalls dann echte Konkurrenz vor, wenn man bei Art.  264g von einer individualgüterschützenden Konzep­ tion1805 ausgeht. Im Verhältnis zu Art. 264c–g sowie Art. 264i liegt aufgrund des unterschiedlichen Unrechtsgehalts der Straftatbestände echte Konkur­ renz vor1806. Demgegenüber werden die auf den Schutz individueller Rechts­ güter abzielenden allgemeinen Straftatbestände – mit Ausnahme des Art. 112 – durch Art. 264h verdrängt.

§ 65 Bruch eines Waffenstillstandes oder des Friedens, Vergehen gegen einen Parlamentär, verzögerte Heimschaffung von Kriegsgefangenen (Art. 264i) 1.

Voraussetzungen der Strafbarkeit

1.1

Objektiver Tatbestand

Die Norm enthält drei Tatbestände: a) Der Bruch eines Waffenstillstandes oder des Friedens (Rupture d’un armistice ou de la paix/Rottura di un armistizio o della pace/Violation of a ceasefire or peace agreement) gemäss lit. a verstösst gegen die Haager Landkriegs­ 1805  Vgl. vorne § 58. 1806  Vest, PK, N 4 zu Art. 264h.

322

§ 65  Bruch eines Waffenstillstandes oder des Friedens

ordnung1807 und war bereits nach altem Recht durch MStG alt Art.  113 erfasst1808. b) Die Vergehen gegen einen Parlamentär (Délit contre un parlementaire/ Reati contro un parlamentario/Offences against a peace negotiator) in Form der Misshandlung, Beschimpfung und des Zurückhaltens eines Parlamen­ tärs (lit. b) verstossen ebenfalls gegen die Haager Landkriegsordnung (vgl. die Anlage zur Haager Landkriegsordnung, Art. 32 ff.) und war auch bereits nach altem Recht durch MStG alt Art. 114 erfasst. Geschützt sind nicht nur der Parlamentär selbst, sondern auch etwaige Begleitpersonen1809. Die Variante des Misshandelns erfasst auch das Verursachen psychischer Leiden1810. Als Beschimpfen gelten unmittelbar gegen den Parlamentär gerichtete Beleidigungen unter Einschluss tätlicher Beleidigungen, z.B. durch Anspucken1811. Das Zurückhalten erfasst die Fälle, in denen der Par­ lamentär daran gehindert wird, seinem freien Willen entsprechend in den Herrschaftsbereich seiner Partei zurückzukehren1812. Nicht dazu gehören die Fälle, in denen dem Parlamentär lediglich eine bestimmte Route vorge­ schrieben wird oder in denen Begleiter des Parlamentärs gegen dessen Wil­ len freiwillig zurückbleiben1813. Die Rückkehr wird rechtmässig unterbun­ den, wenn der Parlamentär seine Stellung missbraucht hat (vgl. Anlage zur Haager Landkriegsordnung, Art. 33 Abs. 3). c) Die verzögerte Heimschaffung von Kriegsgefangenen (Retardement du rapatriement de prisonniers de guerre/Ritardo nel rimpatrio di prigionieri di guerra/Delayed repatriation of prisoners of war) nach Beendigung der akti­ ven Feindseligkeiten (lit. c) verstösst gegen das ZP I zu den Genfer Abkom­ men von 19491814.

1807  Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober

1907, SR 0.515.112, in Kraft getreten für die Schweiz am 11.7.1910.

1808  Zum Waffenstillstand vgl. Anlage zur Haager Landkriegsordnung, Art. 36 ff. 1809  Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N 19 f. zu Art. 264i, Forster/Vest, in: Vest et al., N 18 f.

zu Art. 264i.

1810  Forster/Vest, in: Vest et al., N 21 zu Art. 264i. So auch bereits Popp, N 6 zu Art. 114

MStG.

1811  Forster/Vest, in: Vest et al., N 22 zu Art. 264i, vgl. auch Popp, N 7 zu Art. 114 MStG. 1812  Forster/Vest, in: Vest et al., N 23 zu Art. 264i. 1813  Popp, N 8 zu Art. 114 MStG. 1814  Forster/Vest, in: Vest et al., N 27 zu Art. 264i.

323

§ 66  Andere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht (Art. 264j)

1.2

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich.

2. Konkurrenzen Im Verhältnis zu Art. 264 und Art. 264a liegt jedenfalls dann echte Konkurrenz vor, wenn man bei Art.  264i von einer individualgüterschützenden Konzep­ tion1815 ausgeht. Im Verhältnis zu Art. 264c–h liegt aufgrund des unterschied­ lichen Unrechtsgehalts der Straftatbestände echte Konkurrenz vor1816. Dem­ gegenüber werden die auf den Schutz individueller Rechtsgüter abzielenden allgemeinen Straftatbestände – mit Ausnahme des Art. 112 – durch Art. 264i verdrängt.

§ 66 Andere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht (Art. 264j) Mit dieser Norm (Andere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht/Autres infractions au droit international humanitaire/Altre violazioni del diritto internazionale umanitario/Other violations of international humanitarian law) will der Gesetzgeber gewährleisten, dass neue, seltenere oder weniger schwer wie­ gende Kriegsverbrechen auch dann unter schweizerischem Strafrecht straf­ bar sind, wenn sie nicht ausdrücklich in den Art.  264c ff. erfasst, wohl aber im Völkerrecht anerkannt sind. Ob diese – vom Gesetzgeber rein pragmatisch begründete1817 – Verfahrensweise mit den Grundsätzen zu vereinbaren ist, die aufgrund des Legalitätsprinzips (Art.  1; nulla poena sine lege) an materiell­ strafrechtliche Normen zu stellen sind, erscheint zweifelhaft1818. Die Generalklausel des Art.  264j entspricht weitgehend der bisher in MStG alt Art. 109 enthaltenen Blankettnorm. Voraussetzung für eine Bestrafung ist, dass die infrage stehende Verhaltensweise in einem für die Schweiz verbindli­ 1815  Vgl. vorne § 58. 1816  Vest, PK, N 4 zu Art. 264i. 1817  Vgl. Botschaft 2008, 3947. 1818  So auch Keshelava/Zehnder, BSK StGB II, N  2 zu Art.  264j, vgl. auch Vest, PK, N  1

zu Art. 264j: rechtsstaatlich höchst bedenklich, aber wohl nicht verzichtbar. Vgl. aber auch Vest/Sager, 442: der Balanceakt zwischen notwendiger Bestimmtheit und not­ wendiger Flexibilität sei gut gelungen. In diese Richtung wohl auch Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 2 zu Art. 264j.

324

§ 66  Andere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht (Art. 264j)

chen völkerrechtlichen Vertrag oder durch Völkergewohnheitsrecht für straf­ bar erklärt worden ist1819.

1819  Vgl. Baumgartner/Ziegler, in: Vest et al., N 8 ff. zu Art. 264j.

325

§ 67 Einleitung

13. Titel

Verbrechen und Vergehen gegen den Staat und die Landes­ verteidigung (Art. 265–278)

§ 67 Einleitung Literaturauswahl: F. Bänzinger/L. Leimgruber, Das neue Engagement des Bundes in der Strafver­ folgung, Kommentar zur «Effizienzvorlage», Bern 2001, H. Kauer, Der strafrechtliche Staats­ schutz der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter besonderer Berücksichtigung der legislato­ rischen Entwicklung zwischen 1933/1945, Diss. Bern 1948, M. Kern, Kommunikationsgrundrechte als Gefahrenvorgaben, Umgang mit kommunikationsbedingten Gefahren in den Rechtsordnun­ gen der USA, Deutschlands und der Schweiz, Zürich 2012 (Diss. Freiburg 2011), W. Lüthi, Delikte gegen den Staat im schweizerischen und bernischen Strafgesetzbuch, ZBJV 77 (1941) 385, derselbe, Der strafrechtliche Staatsschutz der Schweiz, Bern 1948, derselbe, Der verstärkte Staats­ schutz, ZBJV 87 (1951) 137, derselbe, Zur neueren Rechtsprechung über die Delikte gegen den Staat, ZStrR 69 (1954) 298, W. Real, Staatsschutzrevision, ZStrR 65 (1950) 61, M. Rutz, Notwen­ digkeit und Grenzen des strafrechtlichen Schutzes der verfassungsmässigen Ordnung, ZStrR 86 (1970) 347, H. Walder, Probleme des Staatsschutzes, ZBJV 110 (1974) 249.

1.

Entwicklung der Gesetzgebung

Die Legitimation zur Pönalisierung von Handlungen, welche den Staat (Bund und Kantone) in seiner Existenz oder in seinen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Grundlagen bedrohen, steht im Grundsatz ausser Streit1820. So wurden derartige Verhaltensweisen schon durch das BG über das Bun­ desstrafrecht vom 4. Februar 1853 mit Strafe bedroht. Die faschistischen und na­tionalsozialistischen Umtriebe in den 1930er-Jahren erforderten auf schwei­ zerischer Seite entsprechende Abwehrmassnahmen in Form zusätzlicher Straf­ bestimmungen. Zu diesem Zweck erging der BB betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft vom 21. Juni 1935, das sog. «Spitzelgesetz», dessen Bestimmungen in das StGB von 1937 übernommen wurden. Die Erfah­ rungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg riefen nach einer Revision

1820  Vgl. Rutz, 348 ff., s. aber auch Rutz, 365 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, vor § 44 N 3,

Trechsel/Vest, N 2 vor Art. 265, jeweils zur Problematik der unbestimmt formulierten Tatbestände und der weiten Vorverlagerung des Bereichs strafbaren Verhaltens.

326

§ 67 Einleitung

einzelner Bestimmungen des Staatsschutzes, die durch das BG vom 5. Okto­ ber 19501821 erfolgte.

2. Realprinzip Gemäss Art.  4 gilt für die meisten Delikte dieses Titels das sog. Real- oder Staatsschutzprinzip, d.h., die entsprechenden Taten werden auch dann in der Schweiz verfolgt und bestraft, wenn ihr Urheber im Ausland tatbestandsmäs­ sig gehandelt hat.

3.

Presserechtliche Bestimmungen

Einige Straftaten des 13. Titels können über Medien begangen werden. Die insoweit in alt Art.  27 Ziff.  6 vorgesehene Einschränkung des Redaktionsge­ heimnisses ist im Zuge der Neuregelung des Medienstrafrechts weggefallen. Da der Katalog des Art.  28a Abs.  2 lit.  b die Straftatbestände des 13. Titels nicht erfasst, ergibt sich eine Pflicht zur Offenlegung der Identität des Autors und sonstiger, dem Quellenschutz unterliegender Informationen nur in den in Art. 28a Abs. 2 lit. a umschriebenen konkreten Notsituationen sowie – über Art. 28a Abs. 2 lit. b – für den Straftatbestand des Art. 266 Ziff. 2.

4. Prozessuales Die Straftaten des vorliegenden Titels unterstehen, soweit sie gegen den Bund oder eine Behörde des Bundes gerichtet sind, der Gerichtsbarkeit des Bundes (StPO Art. 23 Abs. 1 lit. h). Die Übertragung an die kantonalen Behörden ist nach StPO Art. 25 möglich und in gewöhnlichen Fällen auch üblich1822. Weil es sich bei den Art. 265 bis 278 zum grössten Teil um politische Delikte handelt, bedarf es für ihre gerichtliche Verfolgung einer Ermächtigung seitens des Bundesrates bzw. des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (vgl. StPO Art. 8)1823. Solange die Ermächtigung nicht vorliegt, trifft die Bun­ desanwaltschaft allein sichernde Massnahmen, welche die Grundlagen für die bundesrätliche Entscheidung schaffen sollen.

1821  BG betreffend Abänderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 5.  Oktober

1950, AS 1951, 1.

1822  Vgl. Bänzinger/Leimgruber, N 83 ff. 1823  Vgl. Trechsel/Vest, N 5 vor Art. 265.

327

§ 68  Hochverrat (Art. 265)

5.

Diplomatische Immunität

Namentlich bei den Delikten des Nachrichtendienstes (Art. 272 bis 274) sind unter Umständen in der Schweiz akkreditierte Diplomaten mitbeteiligt. Als solche geniessen sie nach Wiener Übereinkommen über diplomatische Bezie­ hungen vom 18. April 19611824, Art. 29 und 38, Straffreiheit in der Schweiz1825, werden aber gegebenenfalls zur «persona non grata» erklärt und müssen das Land verlassen.

1. Abschnitt: Verbrechen oder Vergehen gegen den Staat (Art. 265–271) § 68 Hochverrat (Art. 265) Literaturauswahl: F. H. Comtesse, Der strafrechtliche Schutz gegen hochverräterische Umtriebe im schweizerischen Bundesrecht, Zürich 1942, M. Rutz, Notwendigkeit und Grenzen des straf­ rechtlichen Schutzes der verfassungsmässigen Ordnung, ZStrR 86 (1970) 347, R. Schnorf, Der Hochverrat im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1935, F. Schürmann, Der Begriff der Gewalt im schweizerischen Strafgesetzbuch, Basel/Frankfurt a.M. 1986, F. Vischer, Der politische Streik, in: Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1985, hrsg. von der Juristischen Fakultät der Uni­ versität Basel, Basel 1985, 451.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Schutzobjekt Art. 265 (Hochverrat/Haute trahison/Alto tradimento/Treason) schützt die Ver­ fassung des Bundes und der Kantone (nicht aber entsprechende Erlasse der Gemeinden)1826, die Funktionsfähigkeit der verfassungsmässigen Staatsbehör­ den der Eidgenossenschaft und ihrer Gliedstaaten sowie die territoriale Inte­ grität der Schweiz.

1824  SR 0.191.01. 1825  Strafrecht I, § 5 Ziff. 4.4. 1826  Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 265.

328

§ 68  Hochverrat (Art. 265)

1.2

Tatbestandsmässige Handlungen

Die hochverräterische Handlung ist darauf ausgerichtet, die drei genannten Rechtsgüter einzeln oder kumulativ zu beeinträchtigen. Kennzeichnend ist, dass die angestrebten Veränderungen mit Gewalt erreicht werden sollen. Ein typisches Beispiel des Hochverrates bildet der Staatsstreich mit Verübung von Landfriedensbruch (Art. 260) und Aufruhr (Art. 285 Ziff. 2). Das tatbestandsmässige Verhalten ist als Tätigkeits- und Absichtsdelikt1827 sehr weit gefasst. Es reicht aus, dass nach der Planung des Täters im weiteren Verlauf durch ihn selbst oder durch Dritte Gewalt i.S. des Art. 181 angewendet werden soll1828. Ein auf Umsturz ausgerichteter Generalstreik ist nur dann kein Hoch­ verrat, wenn er ohne Gewalt i.S. der physischen Einwirkung verlaufen soll1829. Liegt eine die Anwendung von Gewalt umfassende und auf einen nach Ort, Zeit und Begehungsweise hinreichend konkretisierten Angriff bezogene1830 Intention vor, ist das Delikt vollendet, sobald der Täter irgendwelche auf das hochverräterische Ziel gerichtete Handlungen vornimmt, selbst ohne tat­ sächlich Gewalt angewendet zu haben. Im Ergebnis werden damit nicht nur Vorbereitungshandlungen als vollendeter Hochverrat bestraft, sondern auch Verhaltensweisen, die als Teilnahme an einem hochverräterischen Angriff ein­ zustufen sind1831. Je nach der Zielrichtung unterscheidet das Gesetz drei Arten des Hochverrates:

1.3

Verfassungshochverrat (Abs. 2)

Angesichts der ratio legis reicht es nicht aus, dass die Intention des Täters auf irgendeine (materielle) Verfassungsänderung gerichtet ist. Das Tatziel muss vielmehr der Erlass einer neuen Verfassung oder eine Abänderung fundamen­ taler Staatsstrukturen und -prinzipien sein1832.

1827  Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 265, Flachsmann, BSK StGB II, N 3 zu Art. 265. 1828  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 265, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 44 N 11. 1829  Flachsmann, BSK StGB II, N 16 zu Art. 265, Rutz, 354 f., Stratenwerth/Bommer, BT II,

§ 44 N 10, Vischer, 464.

1830  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 44 N 11, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 265. 1831  BGE 98 IV 128, Flachsmann, BSK StGB II, N 3 zu Art. 265, Stratenwerth/Bommer, BT

II, § 44 N 11, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 265.

1832  Vgl. Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 265, Flachsmann, BSK StGB II, N 6, 8 zu Art. 265, Pieth,

BT, 269, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 44 N 4, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 265.

329

§ 68  Hochverrat (Art. 265)

1.4

Behördenhochverrat (Abs. 3)

Diese Form des Hochverrates ist darauf gerichtet, die obersten Organe des Staates, nämlich das Parlament, die Landes- bzw. die Kantonsregierung oder das Bundesgericht bzw. die obersten kantonalen Gerichte abzusetzen oder sie in einem als wesentlich einzustufenden Ausmass an der Ausübung ihrer Gewalt zu hindern, indem z.B. die Mitglieder der betreffenden Behörde gefan­ gen genommen werden1833. Tathandlungen, die sich gegen Behörden richten, die durch Abs.  3 nicht geschützt sind, oder bei denen es an einer relevanten Behinderung der durch Abs. 3 geschützten Organe fehlt, fallen unter Art. 2851834.

1.5

Gebietshochverrat (Abs. 4)

Bei dieser Tatbestandsvariante geht die Täterschaft darauf aus, Gebiet von der Eidgenossenschaft abzutrennen, d.h. dem Ausland einzuverleiben oder zu ver­ selbständigen oder von einem Kanton auf einen andern zu verschieben1835.

2.

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist, dass der Täter vorsätzlich handelt. Er muss die betreffende Handlung bewusst und gewollt auf ein gewaltsam zu erreichendes hochver­ räterisches Ziel hin ausführen. Dass er bereit ist, selber Gewalt einzusetzen, wird nicht gefordert1836. Der Einsatz von Gewalt muss aber angestrebt wer­ den, sodass insoweit dolus eventualis nicht ausreicht, sondern Absicht erfor­ derlich ist1837.

3. Konkurrenzfragen Echte Idealkonkurrenz ist in erster Linie möglich mit Delikten gegen Leib und Leben (Art. 111 bis 126) sowie gegen die Freiheit, namentlich Nötigung (Art. 181), Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183) sowie Geiselnahme 1833  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 265, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 265. 1834  Flachsmann, BSK StGB II, N 11 zu Art. 265, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 44 N 6,

Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 265.

1835  Corboz, N 9 zu Art. 265, Flachsmann, BSK StGB II, N 12 zu Art. 265, Pieth, BT, 269,

Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 265.

1836  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 265, Flachsmann, BSK StGB II, N 15 zu Art. 265. 1837  Trechsel/Vest, N 7 zu Art. 265, a.M. Flachsmann, BSK StGB II, N 15 zu Art. 265.

330

§ 69  Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266)

(Art. 185)1838. Art. 285 ist gegenüber Art. 265 Abs. 3 subsidiär. Art. 265 wird seinerseits durch Art. 266 konsumiert1839.

§ 69 Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266) 1.

Grundtatbestand (Ziff. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Art.  266 (Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft/Atteinte a l’indépendance de la Confédération/Attentati contro l’indipendenza della Confederazione/Attacks on the independence of the Confederation) bedroht Hand­ lungen mit Strafe, die darauf gerichtet sind, die Unabhängigkeit der Schweiz zu gefährden oder zu verletzen1840. Angriffsobjekt des sog. «politischen Landes­ verrates» ist die Existenz der Schweiz als unabhängiger souveräner Staat, der seine Angelegenheiten ohne Einmischung von aussen entscheiden kann1841. Die Handlung des Täters kann direkt auf eine Aufhebung oder Einschränkung der Souveränität der Schweiz gerichtet sein (Ziff. 1 Abs. 1), sie kann aber auch in der Förderung der entsprechenden Einmischung einer fremden Macht in die Angelegenheiten der Eidgenossenschaft bestehen (Ziff. 1 Abs. 2)1842. Wie bei Art.  265 sind auch bei Art.  266 Teilnahme- und Vorbereitungshandlungen als selbständiges Delikt strafbar. Aus der hohen Strafdrohung ist indes­ sen zu folgern, dass nicht jede noch so harmlose Handlung genügen kann. Das Bundesgericht verlangt, dass «nicht nur eine bloss abstrakte, sondern eine kon­ krete Gefährdung» der Souveränität gegeben sein muss. Eine solche liege nur dann vor, «wenn der geschaffene Zustand die Verletzung wahrscheinlich, nicht

1838  Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 265. 1839  BGE 73 IV 107, Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 265, Flachsmann, BSK StGB II, N 17 zu

Art. 266, Trechsel/Vest, N 8 zu Art. 265.

1840  Flachsmann, BSK StGB II, N 2 zu Art. 266, Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 266. 1841  BGE 70 IV 141 = Pr 33 (1944) Nr. 145, BGE 73 IV 101, Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 266,

Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 266, vgl. aber auch Pieth, BT, 270: die Formulierung sei anti­ quiert. 1842  Vgl. BGE 73 IV 100 ff.: Bemühungen der Führer schweizerischer Erneuerungsbewe­ gungen, die auf eine Einordnung der Schweiz in ein «grossgermanisches Reich» abziel­ ten.

331

§ 69  Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266)

jedes Mal schon dann, wenn er sie objektiv möglich macht»1843. Das Bundes­ gericht verlangt also, dass die Tathandlung nicht nur mit der Intention vor­ genommen wird, die Souveränität der Schweiz zu beeinträchtigen, sondern – über den Wortlaut der Norm hinausgehend  – durch die Tathandlung eine Situation geschaffen wird, aufgrund derer mit einer gewissen Wahrscheinlich­ keit damit zu rechnen ist, dass sich die intendierte Beeinträchtigung tatsäch­ lich realisieren könnte.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Art. 266 erfordert Vorsatz. Der Täter muss also wissen und wollen, dass seine Handlung auf die Verletzung oder Gefährdung der Unabhängigkeit der Schweiz gerichtet ist1844. Handeln mit dolus eventualis genügt1845.

2.

Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 2)

Will der Täter durch sein Verhalten die Schweiz in einen Krieg verwickeln, und tritt er zu diesem Zweck mit der Regierung eines fremden Staates oder mit deren Agenten in Kontakt, wird die Tat schwerer bestraft (Ziff. 2 Abs. 1). Dass auf sein Ansinnen eingegangen wird, ist nicht erforderlich. Für schwere Fälle sieht Ziff.  2 Abs.  2 die Möglichkeit der Verhängung einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe vor.

3. Konkurrenzen Soll mithilfe einer fremden Macht ein gewaltsamer Umsturz in der Schweiz herbeigeführt werden, liegt auch hochverräterischer Landesverrat nach Art.  265 vor, der allerdings durch Art.  266 verdrängt wird1846. Art.  266 geht auch Art. 275bis und 275ter vor, soweit über die dort erfassten Handlungen hin­ ausgehende landesverräterische Handlungen vorgenommen werden1847. 1843  BGE 73 IV 101, vgl. auch BGE 70 IV 141 = Pr 33 (1944) Nr. 145, kritisch zur Unbe­

stimmtheit dieses Ansatzes Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 7, vgl. auch Kern, 290 f.

1844  Vgl. BGE 70 IV 142 = Pr 33 (1944) Nr. 145. 1845  BGE 73 IV 103, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 266, kritisch insoweit Trechsel/Vest, N 5 zu

Art. 266, vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 8 f.

1846  BGE 73 IV 107, Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 265, Flachsmann, BSK StGB II, N 17 zu

Art. 266, Trechsel/Vest, N 8 zu Art. 265.

1847  BGE 73 IV 104.

332

§ 70  Gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete ausländische Unternehmungen

§ 70 Gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete ausländische Unternehmungen und Bestrebungen (Art. 266bis) 1.

Objektiver Tatbestand

Art. 266bis (Gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete ausländische Unternehmungen und Bestrebungen/Entreprises et menées de l’étranger contre la sécurité de la Suisse/Imprese e mene dell’estero contro la sicurezza della Svizzera/Foreign activities and endeavours directed against the security of Switzerland) will Handlungen erfassen, die noch nicht den Tatbestand des Landesverrats nach Art. 266 erfüllen, aber für die Schweiz in ihren Auslandsbeziehungen verhäng­ nisvoll werden könnten1848. Die durch die Revision von 1950 geschaffene, weit­ gehende und unbestimmte Strafbestimmung erfasst zwei Tatbestände1849: Die erste Tatbestandsvariante besteht in der Aufnahme von Verbindungen mit einem fremden Staat, seinen Parteien, mit andern ausländischen Organisa­ tionen1850 oder mit Agenten. Die zweite Tatbestandsvariante besteht im Auf­ stellen oder Verbreiten unwahrer bzw. entstellender Behauptungen, und zwar sinngemäss über die politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Verhält­ nisse in der Schweiz. Beide Verhaltensweisen müssen darauf gerichtet sein, ausländische, gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete Unternehmungen oder Bestrebungen her­ vorzurufen bzw. zu unterstützen. Dass die Sicherheit der Schweiz beeinträchtigt oder konkret gefährdet wird, ist nicht erforderlich. Der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltete Tatbe­ stand ist bereits mit der Kontaktaufnahme bzw. mit dem Aufstellen/Verbrei­ ten der Behauptungen vollendet1851. Nicht erfasst sind Verhaltensweisen, die von vornherein objektiv ungeeignet sind, die geschützten Interessen zu gefähr­ den1852. Die ältere Rechtsprechung ist in der Annahme der Gefährdungseig­ nung sehr weit gegangen. 1848  Vgl. Flachsmann, BSK StGB II, N 2 zu Art. 266bis. 1849  Vgl. auch Corboz, Vol. II, N 2 ff. zu Art. 266bis, Pieth, BT, 270 f. 1850  Vgl. hierzu Flachsmann, BSK StGB II, N 6 zu Art. 266bis, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 266bis. 1851  Flachsmann, BSK StGB II, N 3, 5 zu Art. 266bis. 1852  Vgl. Flachsmann, BSK StGB II, N 7 zu Art. 266bis, enger wohl Corboz, Vol. II, N 5 zu

Art.  266bis: abstrakte Gefährdung reiche nicht, kritisch zur Weite des Anwendungs­ bereichs der Norm Stratenwerth/Bommer, BT II, §  45 N  21, Trechsel/Vest, N  1 zu Art. 266bis.

333

§ 71  Diplomatischer Landesverrat (Art. 267) Beispiel: Rede eines Politikers auf einem internationalen kommunistischen Journalis­ tentreffen in Ungarn, wobei die Schweiz in unwahrer Weise als ein Zentrum ameri­ kanischer Spionage und kriegshetzerischer Propaganda bezeichnet wurde. Derartige Äusserungen hätten nach Auffassung des Bundesgerichts Interventionen des Ostblocks provozieren und die Sicherheit der Schweiz beeinträchtigen können1853.

2.

Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Der Täter muss im Bewusstsein handeln, mit einem fremden Staat, einer ausländischen Partei usw. in Verbin­ dung zu treten bzw. die Schweiz im erwähnten Sinn anzuschwärzen. Bei die­ sem Tatbestandselement wird auch Wissen um den unwahren oder entstellen­ den Charakter seiner Äusserungen gefordert, wobei hier Eventualvorsatz nicht ausreicht1854. Dazu muss die Absicht kommen, ausländische, gegen die Sicher­ heit der Schweiz gerichtete Unternehmungen oder Bestrebungen hervorzuru­ fen oder zu unterstützen1855, wobei insoweit umstritten ist, ob Eventualabsicht ausreicht1856.

3.

Weitere Fragen

In schweren Fällen wird die Tat mit höherer Strafe geahndet (Abs. 2). Gegen­ über Art. 266 ist Art. 266bis subsidiär1857.

§ 71 Diplomatischer Landesverrat (Art. 267) Literaturauswahl: D. Barrelet, Les indiscrétions commises par la voie de la presse, SJZ 79 (1983) 22, P. Thormann/A. von Overbeck, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Bd., Zürich 1941. 1853  BGE 79 IV 24  ff., Corboz, Vol. II, N  6 zu Art.  266bis, kritisch Trechsel/Vest, N  4 zu

Art. 266bis: «die Anlegung solcher Maulkörbe dürfte vor EMRK 10 kaum standhalten», vgl. auch Kern, 291 f. 1854  Flachsmann, BSK StGB II, N  8  f. zu Art.  266bis, a.M. wohl Corboz, Vol. II, N  7 zu Art. 266bis, offengelassen in BGE 79 IV 34. 1855  Vgl. BGE 79 IV 33, kritisch zur Weite und Unbestimmtheit des subjektiven Tatbe­ stands Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 18 ff. 1856  Bejahend: Flachsmann, BSK StGB II, N 10 zu Art. 266bis, kritisch: Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 23, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 266bis. 1857  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 266bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 25, Trechsel/ Vest, N 6 zu Art. 266bis.

334

§ 71  Diplomatischer Landesverrat (Art. 267)

Während Hochverrat und politischer Landesverrat (Art. 265 und 266) unmit­ telbare Angriffe auf die Souveränität des Staates erfassen, pönalisiert Art. 267 (Diplomatischer Landesverrat/Trahison diplomatique/Tradimento nelle rela­ zioni diplomatiche/Diplomatic treason) Verhaltensweisen, die als Vorstufe zu den genannten Verbrechen dienen können. Neben dem Vorsatzdelikt (Ziff.  1, 2), bei dem Handeln mit dolus eventualis ausreicht, werden durch Ziff. 3 auch Fälle erfasst, in denen der Täter ganz oder teilweise fahrlässig handelt. Zu denken ist hier etwa an die Fälle, in denen der Geheimnischarakter bestimmter Gegenstände verkannt oder Akten mit Staats­ geheimnissen unsorgfältig aufbewahrt werden. Eine zurückhaltende Annahme fahrlässigen Verhaltens ist nicht nur bei der «landesverräterischen Untreue» i.S. von Ziff. 1 Abs. 3 angezeigt, sondern generell geboten1858.

1.

Die einzelnen Tatbestandsvarianten

1.1

Geheimnisverrat (Ziff. 1 Abs. 1, Ziff. 2)

Die tatbestandsmässige Handlung besteht hier darin, dass (Staats-) Geheim­ nisse preisgegeben werden, deren Bewahrung dem Wohle der Eidgenossen­ schaft dient. Der Begriff des Staatsgeheimnisses erfasst Tatsachen, Erkenntnisse und Gegen­ stände, die nur einem beschränkten Personenkreis zugänglich oder bekannt sind und hinsichtlich deren ein Wille zur und ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht1859. Der abweichende Ansatz, eine Tatsache dann schon als geheim einzustufen, wenn sie dem vom Gesetz genannten Destinatär nicht bekannt oder zugänglich geworden sei1860, würde auch offenkundige und anhand allgemein zugänglicher Quellen zu ermittelnde Informationen erfas­ sen, was den Bereich strafwürdigen Verhaltens überdehnt1861. Andererseits ist es nicht erforderlich, dass sich die Tat auf ein dem Täter anvertrautes Geheim­ nis bezieht1862. Die Tathandlung besteht in der wie auch immer bewerkstelligten unmittelba­ ren Mitteilung oder in Vorkehren, die Zugang zu den Geheimnissen ermögli­ 1858  Vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 35. 1859  BGE 126 IV 242, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 267, Flachsmann, BSK StGB II, N 7 zu

Art. 267, Pieth, BT, 271 f.

1860  Vgl. BGE 65 I 50, 104 IV 177. 1861  Vgl. Flachsmann, BSK StGB II, N 7 zu Art. 267, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 30. 1862  Flachsmann, BSK StGB II, N 6 zu Art. 267.

335

§ 71  Diplomatischer Landesverrat (Art. 267)

chen. Im letztgenannten Fall kommt eine unechte Unterlassung infrage, etwa beim Liegenlassen eines Dokuments1863. Das Ausspionieren von Staatsgeheim­ nissen wird dagegen durch Ziff. 1 Abs. 1 nicht erfasst; zur Anwendung kom­ men gegebenenfalls vielmehr die Art. 272 bis 2741864. Empfänger der unzulässigen Mitteilungen sind bei Taten nach Ziff. 1 fremde Staaten sowie deren Mittelsleute (Agenten), nicht aber die Öffentlichkeit. Die öffentliche Bekanntmachung oder das Zugänglichmachen eines Staatsgeheim­ nisses für die Öffentlichkeit wird in Ziff. 2 gesondert erfasst und ist mit einer gegenüber Ziff. 1 milderen Strafdrohung versehen. Einer Kenntnisnahme durch den Empfänger bedarf es weder in den Fällen der Ziff. 1 noch in Ziff. 21865. Die Interessen der Schweiz brauchen durch die Geheimnisverletzung weder tatsächlich beeinträchtigt noch konkret gefährdet worden zu sein. Die Hand­ lungsweise des Täters muss aber immerhin geeignet sein, schweizerische Inter­ essen in Mitleidenschaft zu ziehen, also abstrakt zu gefährden. Weiterhin muss das Geheimnis schutzwürdig sein. Nicht tatbestandsmässig ist der Verrat eines sog. «illegalen Staatsgeheimnisses»1866, das gegen die verfassungsmässigen Grundlagen der Schweiz verstösst, z.B. Abmachungen, die gegen die Neutrali­ tätsverpflichtung der Schweiz verstossen würden.

1.2

Urkunden- oder Beweismittelverrat (Ziff. 1 Abs. 2)

Ziff. 1 Abs. 2 pönalisiert das Verfälschen, das Vernichten, das Beiseiteschaffen und die «Entwendung» (Wegnahme) von Urkunden oder Beweismitteln, die sich auf Rechtsbeziehungen des Bundes oder der Kantone mit einem frem­ den Staat beziehen. Im Gegensatz zu Abs. 1 muss hier als tatbestandsmässiger Erfolg zumindest eine konkrete Gefährdung staatlicher Interessen nachgewie­ sen sein1867, d.h. eine konkrete Gefährdung der Unabhängigkeit oder der poli­ tischen bzw. wirtschaftlichen Sicherheit des Bundes oder eines Kantons.

1863  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 267, Flachsmann, BSK StGB II, N 4 zu Art. 267. 1864  Flachsmann, BSK StGB II, N 10 zu Art. 267, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 34. 1865  Flachsmann, BSK StGB II, N 3 zu Art. 267. 1866  Flachsmann, BSK StGB II, N 7 zu Art. 267, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 267. 1867  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 267, Flachsmann, BSK StGB II, N 3, 11 zu Art. 267.

336

§ 72  Verrückung staatlicher Grenzzeichen (Art. 268)

1.3

Ungetreue Amtsführung schweizerischer Unterhändler, sog. «landesverräterische Untreue» (Ziff. 1 Abs. 3)

Ziff. 1 Abs. 3 enthält ein Sonderdelikt für schweizerische Bevollmächtigte, die bei Unterhandlungen mit einer ausländischen Regierung bzw. ihren Vertretern schweizerische Interessen benachteiligen. Zu denken ist etwa an Verhandlungen mit anderen Staaten über Handelsverträge oder Steuerabkommen, wobei die wirtschaftlichen oder fiskalischen Interessen der Schweiz missachtet werden.

2.

Weitere Fragen

Der diplomatische Landesverrat enthält in Art.  267 Ziff.  1 Abs.  1 Elemente der Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320), in Abs. 2 dieser Bestimmung Elemente der Urkundendelikte (Art. 251 ff., 317) und allgemein Elemente der ungetreuen Amtsführung (Art.  314). Diesen Bestimmungen geht Art.  267 angesichts seiner hohen Strafdrohung vor. Die Verletzung militärischer Geheimnisse nach MStG Art. 86 wird durch die Militärjustiz geahndet. Dies gilt selbst dann, wenn der Täter eine Zivilperson ist (MStG Art. 3 Ziff. 7)1868. Zwischen Art. 267 und MStG Art. 86 ist echte Kon­ kurrenz möglich.1869

§ 72 Verrückung staatlicher Grenzzeichen (Art. 268) Das Verbot, öffentlich-rechtliche Grenzzeichen, namentlich Grenzsteine, die zur Feststellung der Grenzen der Eidgenossenschaft, von Kantonen und Gemeinden dienen, zu verrücken, schützt das hoheitliche Interesse an der Beständigkeit und Klarheit der Grenzen1870. Beim objektiven Tatbestand ist Art.  268 (Verrückung staatlicher Grenzzeichen/Déplacement de bornes officielles/Rimozione di termini di confine pubblici/ Moving of state boundary markers) gleich konstruiert wie die Verrückung pri­ 1868  Flachsmann, BSK StGB II, N 7 zu Art. 267, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 26. 1869  A.M. Whrenberg, BSK StGB II, N 22 zu Art. 268, Hafter, BT II, 647, Thormann/von

Overbeck, N 6 zu Art. 267.

1870  Wehrenberg, BSK StGB II, N 2, 9 zu Art. 268.

337

§ 73  Verletzung schweizerischer Gebietshoheit (Art. 269)

vater Grenzzeichen nach Art.  2561871. Die Tathandlung besteht in der Besei­ tigung, dem Verrücken oder Unkenntlichmachen, Falschsetzen bei der Ver­ marchung oder sonstigem Verfälschen, indem z.B. der Grenzverlauf auf dem Zeichen falsch angebracht wird. Art. 268 erfordert Vorsatz. Abweichend von Art. 256 ist keine Schädigungsab­ sicht oder eine Absicht auf Erlangung eines Vorteils erforderlich1872.

§ 73 Verletzung schweizerischer Gebietshoheit (Art. 269) Literaturauswahl: J.P. Müller/L. Wildhaber, Praxis des Völkerrechts, 3. Aufl., Bern 2001, W.Wengler, Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs im Nicaragua-Fall, NJW 39 (1986) 2994.

Die Norm (Verletzung schweizerischer Gebietshoheit/Violation de la souveraineté territoriale de la Suisse/Violazione della sovranità territoriale svizzera/Violation of Swiss territorial sovereignty) schützt die Gebietshoheit als das terri­ toriale Element des Staates. Die Gebietshoheit umfasst die Berechtigung zur Ausübung tatsächlicher Herrschaftsgewalt in allen ihren staatlichen Funktio­ nen betreffend Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung1873. In räum­ licher Hinsicht erstreckt sich die Gebietshoheit auf Erde, Luft und Wasser1874.

1.

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass jemand in die Schweiz eindringt, und zwar unter Verletzung des Völkerrechts. Nach den Prinzipien des Völkerrechtes ist jedes Völkerrechtssubjekt1875 ver­ pflichtet, die staatliche Souveränität und damit auch die territoriale Integrität anderer Staaten zu respektieren. Handlungen eines Staates auf fremdem Staats­ gebiet sind deshalb unzulässig1876. Die massgebenden Völkerrechtssätze sind

1871  Vgl. § 41. 1872  Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 268, Wehrenberg, BSK StGB II, N 12 zu Art. 268. 1873  Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 269. 1874  Vgl. BGE 26 I 450, Wehrenberg, BSK StGB II, N 13 zu Art. 269. 1875  Bei diesen handelt es sich immer noch in erster Linie um Staaten, vgl. Wehrenberg, BSK

StGB II, N 8 zu Art. 269.

1876  BGer vom 15.7.1982, P.1201/81, publiziert in EuGRZ 10 (1983) 437.

338

§ 73  Verletzung schweizerischer Gebietshoheit (Art. 269)

durch die Urteilspraxis des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag entwi­ ckelt worden: Im sog. «Lotus-Fall» von 1927 wurde bemerkt, das internationale Recht erlege den Staa­ ten die Verpflichtung auf, jede Machtausübung auf fremdem Territorium zu unterlas­ sen, sofern dies nicht durch besondere Bestimmungen erlaubt sei1877. Diese Auffassung bestätigte und vertiefte das Gericht 1986 im «Nicaragua-Fall»1878. Die Ausübung von Gewalt eines fremden Staates in einem andern Staat ist nicht nur durch die UNO-Charta in Art. 2 Abs. 4 verboten. Das Verbot gilt heute kraft Gewohnheits­ recht allgemein. Die Völkerrechtsverletzung ist besonders deutlich bei direkten mili­ tärischen Aktionen oder bei staatlicher Unterstützung subversiver oder terroristischer bewaffneter Aktivitäten in einem andern Staat.

Keine Verletzung von Völkerrecht liegt vor, wenn der betroffene Staat in das Eindringen einwilligt oder völkerrechtliche Rechtfertigungsgründe vorliegen, wie z.B. die Selbstverteidigung gegenüber einem bewaffneten Angriff. Aus dem Erfordernis des Handelns in Verletzung des Völkerrechts ergibt sich, dass der Tatbestand von Art. 269 nur durch Organe bzw. Beauftragte fremder Staaten oder Personen erfüllt werden kann, die deren Macht repräsentieren. Erfasst sind damit sicherlich Truppenangehörige, nicht aber Freischärler und Terroristen, die auf eigene Faust und nicht für einen anderen Staat handeln1879. Das Geschworenengericht des Kantons Zürich hat arabische Terroristen nach Art. 269 verurteilt, die einen Anschlag auf ein israelisches Flugzeug in ZürichKloten verübt hatten und zu diesem Zweck in die Schweiz eingereist waren1880. Problematisch ist dieser Entscheid, weil nicht ersichtlich ist, dass der Anschlag mit Unterstützung eines fremden Staates erfolgte. In die Schweiz dringt nicht nur ein, wer sich gewaltsam oder heimlich Zutritt auf ihr Gebiet verschafft. Eine gewöhnliche Einreise genügt, wenn sie völker­ rechtswidrigen Zwecken dient. Die blosse Verletzung nationaler Rechtsnor­ men (Fremdenpolizei, Zollbestimmungen) reicht dagegen nicht aus1881.

1877  Müller/Wildhaber, 375 ff. 1878  Müller/Wildhaber, 24 ff., 813 ff. 1879  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 269, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 47 N 5, Trechsel/Vest,

N 3 zu Art. 269, Wehrenberg, BSK StGB II, N 9 zu Art. 269.

1880  Vgl. ZR 71 (1972) Nr. 7, kritisch hierzu auch Wehrenberg, BSK StGB II, N 10, 23 zu

Art. 269.

1881  Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 269, Wehrenberg, BSK StGB II, N 14 f. zu Art. 269.

339

§ 74  Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen (Art. 270)

2.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist allein vorsätzliches Handeln. Der Täter muss also bewusst und gewollt in schweizerisches Hoheitsgebiet eindringen, was bei Überfliegen der Landesgrenze durch einen fremden Militärpiloten schwer nachweisbar sein wird1882. Sodann muss der Täter sich dabei bewusst sein, als Organ oder Beauf­ tragter eines Staates zu handeln. Zum Vorsatz gehört auch das Bewusstsein des Täters, in Verletzung des Völ­ kerrechts zu handeln1883.

3. Konkurrenzfragen Verwirklicht der Täter auch die Art. 265, 266, 271 besteht echte Konkurrenz zu Art. 2691884.

§ 74 Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen (Art. 270) Literaturauswahl: W. Voska, Der Schutz schweizerischer Hoheitszeichen im Strafrecht, Diss. Zürich 1955.

Die Norm (Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen/Atteinte aux emblèmes suisses/Offese agli emblemi svizzeri/Physical attacks on Swiss national emblems) soll nach h.M. die Ehre und Autorität bzw. Selbstachtung des Staa­ tes schützen1885.

1882  So auch Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 269. 1883  In ZR 71 (1972) Nr. 7 scheint das Zürcher Geschworenengericht das allfällige Fehlen

eines solchen Bewusstseins als Problem des Rechtsirrtums zu betrachten, vgl. auch Wehrenberg, BSK StGB II, N 14 zu Art. 269: Es könne ein Sachverhaltsirrtum oder ein Rechtsirrtum gegeben sein. 1884  BGer vom 2.4.2003, 8G.32/2003, Erw. 1.6, Wehrenberg, BSK StGB II, N 22 zu Art. 269. 1885  BGE 129 IV 201 = Pr 92 (2003) Nr. 201, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 47 N 7, Wehrenberg, BSK StGB II, N 1 und 8 zu Art. 270, a.M. Hafter, BT II, 680: Schutz «patrioti­ scher Gefühle».

340

§ 74  Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen (Art. 270)

1.

Objektiver Tatbestand

Angriffsobjekte sind die von einer Behörde angebrachten Hoheitszeichen, wie Wappen und Fahnen des Bundes oder der Kantone. Anders als in einigen ande­ ren Ländern ist in der Schweiz das Verbrennen einer Nationalflagge für sich gesehen nicht strafbar1886. Angesichts der vom Wortlaut her weiter gehenden romanischen Textfassungen können auch öffentlich gezeigte Embleme einbe­ zogen werden, z.B. die Fahne bei einem Defilee1887. Nicht mit dem Gesetzes­ text zu vereinbaren ist demgegenüber die Einbeziehung der Hoheitszeichen von Gemeinden1888. Gleiches gilt für Wappen und Fahnen von Bund und Kan­ tonen, die von Privaten an ihren Gebäuden angebracht bzw. gehisst oder sonst wie gezeigt werden1889, etwa durch die Verwendung auf einem militärkriti­ schen Flugblatt1890 oder auf einem Buchumschlag1891. Die Tathandlung besteht in der Wegnahme oder Beschädigung des Zeichens oder sonstigen an ihm vorgenommenen beleidigenden Handlungen (z.B. durch Anbringen verächtlich machender Zusätze); bloss verbale Beleidigun­ gen reichen nicht aus1892. Auch die Verwendung eines Hoheitszeichen auf einem Buchumschlag fällt nicht unter Art. 2701893.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art.  270 verlangt Vorsatz und Böswilligkeit. Insbesondere ist vorauszuset­ zen, dass der Täter mit Beleidigungswillen handelt, d.h. mit der Absicht, dem geschützten Objekt in seiner Funktion als Hoheitszeichen die Missachtung zu bekunden.

1886  Wehrenberg, BSK StGB II, N 19 zu Art. 270. 1887  Wehrenberg, BSK StGB II, N 17 zu Art. 270. 1888  Vgl. auch Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 270, Wehrenberg, BSK StGB II, N 16 zu Art. 270. 1889  Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 270, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 47 N 9, Trechsel/Vest,

N 1 zu Art. 270, Wehrenberg, BSK StGB II, N 17 zu Art. 270.

1890  BGE 102 IV 46 ff., Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 270, Wehrenberg, BSK StGB II, N 17 zu

Art. 270.

1891  Vgl. BGE 129 IV 201 f., betreffend das Titelbild auf dem Buch «Imperfect Justice» von

Stuart Eizenstat, das ein über das Schweizerkreuz gelegtes Hakenkreuz aus Goldbar­ ren zeigt. 1892  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 270, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 47 N 9, Wehrenberg, BSK StGB II, N 2, 18 zu Art. 270. 1893  BGE 129 IV 201 = Pr 92 (2003) Nr. 201.

341

§ 75  Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271)

Fehlt es hieran, kann das Verhalten des Täters ausschliesslich als Diebstahl (Art. 139), Sachentziehung (Art. 141) oder Sachbeschädigung (Art. 144) erfasst werden. Sind Vorsatz und Böswilligkeit gegeben, besteht echte Konkurrenz zu diesen Delikten1894.

§ 75 Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271) Literaturauswahl: P. Boss, L’autorisation d’exécuter un acte pour un État étranger dans la pratique récente, Anwaltsrevue 2017, 77, U. Cassani, «Pretrial discovery» sur sol suisse et protection pénale de la souveraineté territoriale, SZW 64 (1992) 10 (zit. Cassani, Pretrial discovery), V. Delnon/B. Rüdy, Strafbare Beweisführung?, ZStrR 116 (1998) 314, A. Donatsch, Art. 271 Ziff. 1 StGB und das Recht auf Befragung von Entlastungszeugen, in: Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für S.  Trechsel, hrsg. von A. Donatsch/M. Forster/C. Schwarzenegger, Zürich 2002, 587, A. Eicker, Zur Strafbarkeit des Kopierens und Verkaufens sowie des Ankaufens von Bankkun­ dendaten als schweizerisch-deutsches Tatgeschehen, jusletter vom 30.8.2010, L. Frei, Schweizeri­ sche Unternehmen in den USA als Diener zweier Herren, Amerikanische Verfahrenspflichten und schweizerische Geheimhaltung, SJZ 82 (1986) 73, D. Gauthey/A. Markus, Zivile Rechtshilfe und Artikel 271 Strafgesetzbuch, ZSR 2015 I 359, D. Graf, Mitwirkung in ausländischen Verfah­ ren im Spannungsfeld mit Art. 271 StGB, GesKR 2016, 169, G. Heine, Entwendete und staatliche angekaufte Bankdaten: viel Lärm um nichts?, ASA 79 (2010/2011) 524, R. C. Honegger, Amerika­ nische Offenlegungspflichten in Konflikt mit schweizerischen Geheimhaltungspflichten, Diss. Zürich 1986, M. Husmann, Art. 271 Strafgesetzbuch – Dreh- und Angelpunkt im Steuerstreit, zu Recht?, AJP 2014, 654, derselbe, Wirtschaftlicher Nachrichtendienst: Schutz kollektiver Rechtsgü­ ter – Bedrohung für den Einzelnen?, in: J.-B. Ackermann/M. Hilf (Hrsg.), TOP SECRET, Geheim­ nisschutz und Spionage, Zürich 2015, 59, A. Lobsiger/R. Markus, Überblick zu den vier neuen Konventionen über die internationale Rechtshilfe, SJZ 92 (1996) 177 und 202, W. Lüthi, Zur neu­ eren Rechtsprechung über die Delikte gegen den Staat, ZStrR 69 (1954) 298, C. Markees, Die Vor­ nahme von Prozesshandlungen auf schweizerischem Gebiet zuhanden eines ausländischen Ver­ fahrens im Lichte des Art. 271 StGB, SJZ 65 (1969) 33, R. Matteotti/S. Marx/A. Schwarz, Straf­ rechtliche Fallstricke der internationalen Transparenz im Steuerrecht, Expert Focus 11/16, 900, J. P. Müller/L. Wildhaber, Praxis des Völkerrechts, 3. Aufl., Bern 2001, J. Outry, Verletzung schwei­ zerischer Gebietshoheit durch verbotene Handlungen für einen fremden Staat, Diss. Zürich 1951, P. Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2001 (zit. Popp, Grund­ züge), K. Reichlin, Schweizerischer Staatsschutz gegen ausländisches Wirtschaftsrecht, ZBI 65 (1964) 89, 121, D. Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, Diss. Zürich 1987, S. Trechsel, Grundrechtsschutz bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, EuGRZ 14 (1987) 69 (zit. Trechsel, Zusammenarbeit), U. Zulauf, Kooperation mit dem Ausland, Verrat an der Schweiz?, in: Wirtschaftsrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Festschrift für P. Nobel, hrsg. von R. Waldburger/C. M. Baer/U. Nobel/B. Bernet, Bern 2005, 1075.

1894  Wehrenberg, BSK StGB II, N 28 zu Art. 270.

342

§ 75  Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271)

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Geschütztes Rechtsgut

Art.  271 (Verbotene Handlungen für einen fremden Staat/Actes exécutés sans droit pour un Etat étranger/Atti compiuti senza autorizzazione per conto di uno Stato estero/Unlawful activities on behalf of a foreign state) ist dazu bestimmt, die Ausübung fremder Staatsgewalt auf dem Boden der Schweiz und im Luft­ raum über der Schweiz zu verhindern1895. Geschützt wird das staatliche Macht­ monopol1896. Wie Art. 269 beruht auch Art. 271 auf dem Gedanken, dass die Souveränität der Staaten durch andere Staaten geachtet werden muss und dem­ zufolge Hoheitsakte ihrer Behörden auf fremdem Territorium grundsätzlich unstatthaft sind.

1.2

Tatbestandsmässige Handlung

Nach Art. 271 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 ist es verboten, ohne Bewilligung für einen fremden Staat Handlungen vorzunehmen, zu fördern oder zu erleichtern, die nach schweizerischer Rechtsauffassung nur einer Behörde oder einem Beam­ ten des Inlandes zukommen. Gleiches soll nach dem anlässlich der Revision von 1950 erweiterten Gesetzestext auch gelten, wenn solche Tätigkeiten für eine ausländische Partei oder andere Organisation betrieben werden. Der Gesetzgeber denkt hier offenbar an Institutionen, die unter den in einem aus­ ländischen System herrschenden Verhältnissen faktisch staatliche Macht aus­ üben1897. Ziff.  1 Abs.  3 dehnt die Strafbarkeit auf denjenigen aus, der Hand­ lungen der erwähnten Art Vorschub leistet. Dabei handelt es sich also um eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe zu solchem Tun1898, die z.B. dadurch erfüllt wird, dass Kundendaten einer in der Schweiz domizilierten Bank ausser­ halb des Rechtshilfeweges ausländischen Steuerbehörden zugänglich gemacht werden1899. 1895  Boss, 77, Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 271, Gauthey/Markus, 365 f., Graf, 171, Husmann,

655, ders., BSK StGB II, N 5 f., 64 zu Art. 271, Pieth, BT, 276, zur Entstehungsgeschichte der Strafnormen vgl. Husmann, BSK StGB II, N 1 f. vor Art. 271. 1896  Vgl. BVGer vom 9.11.2016, A-1683/2016, Erw. 4.2, Husmann, 655, Pieth, BT, 276, ders., Wirtschaftsstrafrecht, 250, Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 271. 1897  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 47 N 15, Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 271, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 271 für die Staatsparteien des ehemaligen Ostblocks sowie Sem 1978, 359 ff. für die ETA. 1898  BGE 114 IV 133, Graf, 171, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 271. 1899  Eicker, Rz. 10, Heine, 528 f., Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 271.

343

§ 75  Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271)

Dass der Täter Beamter eines anderen Staates und daher dort zu amtlichen Handlungen befugt ist, wird nicht gefordert. Es genügt, dass die vorgenom­ mene Tätigkeit ihrem Wesen und Zweck nach und unter Zugrundelegung der schweizerischen Rechtsordnung amtlichen Charakter trägt1900 und in Aus­ übung hoheitlicher Funktionen für einen fremden Staat bzw. eine ausländische Partei oder andere Organisation ausgeführt wird1901, was schon dann gegeben ist, wenn die Tätigkeit dem Staat oder der Institution nach dem Willen des Täters zugutekommen soll, auch wenn sie vielleicht nicht in deren wohlver­ standenem Interesse liegt1902. Diese Eigenschaft kommt namentlich der Aus­ übung polizeilicher Funktionen und Ausführung eigentlicher Untersuchungs­ handlungen wie z.B. Verhaftung, Einvernahmen1903, Beschlagnahmen zu straf-, steuer- oder devisenrechtlichen Zwecken zu1904. Auch die solchen Zwecken dienende Provokation zu einem Vergehen, z.B. zu einem Zollvergehen durch einen Lockspitzel, ist nach Art. 271 strafbar1905. Beispiele: Agenten des israelischen Geheimdienstes drangen heimlich in den Keller eines Hauses in Köniz (BE) ein, von dem sie annahmen, dass dort eine Person wohnhaft war, die der Mitgliedschaft in der «Hizbollah» verdächtigt wurde, einer Gruppierung, der vom Geheimdienst verschiedene, gegen Israel gerichtete Bombenattentate ange­ lastet wurden. Die Agenten wurden in flagranti beim Einbau einer Telefonabhöran­ lage ertappt, die dem Ziel dienen sollte, die Telefongespräche des A. aufzuzeichnen1906. Eine Gruppe von sechs italienischen Staatsbürgern, der unter anderem zwei Parlamen­ tarier angehörten, begab sich auf das Betreibungs- und Konkursamt Lugano-Viganello, um dort, weil der Rechtshilfeweg als zu langwierig angesehen wurde, Dokumente ein­ zusehen, an denen eine Parlamentarische Untersuchungskommission in Italien inter­ essiert war, die eine Schmiergeldaffäre aufzuklären hat1907.

Ausländische Behörden, die der Ausübung hoheitlicher Gewalt zuzurechnende Handlungen in der Schweiz vornehmen wollen, müssen sich der Instrumente

1900  Vgl. BGE 65 I 43, 114 IV 130 f., Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 271, Donatsch, 590 f., Hus-

mann, BSK StGB II, N 13, 19 ff. zu Art. 271, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 47 N 14.

1901  BGE 114 IV 132, Gauthey/Markus, 369  ff., Husmann, BSK StGB II, N  15, 42  ff. zu

Art. 271, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 47 N 14.

1902  Husmann, BSK StGB II, N 43 zu Art. 271. 1903  Zu Einvernahmen, die mittels Telefon, E-Mail oder Video aus dem Ausland heraus

erfolgen, vgl. Husmann, BSK StGB II, N 66 ff. zu Art. 271.

1904  BGE 114 IV 130 f., Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 271. 1905  Vgl. Lüthi, 310. 1906  BGer vom 7.7.2000, 9X.1/1999, vgl. hierzu Husmann, BSK StGB II, N 19 zu Art. 271. 1907  Vgl. NZZ Nr. 107 vom 10./11.5.2003, 13, NZZ Nr. 108 vom 12.5.2003, 8.

344

§ 75  Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271)

der internationalen Rechtshilfe1908 bedienen1909. Zu Friktionen kommt es dann, wenn ausländische Behörden zur Abklärung von Steuerdelikten, Insiderge­ schäften und Kartellrechtsverstössen auf das Gebiet anderer Staaten übergrei­ fen. Gemäss ihrem Rechtsverständnis versuchen insbesondere amerikanische Richter gelegentlich, Vorladungen und Befehle zur Herausgabe von Dokumen­ ten und zur Beschaffung anderer Informationen direkt an in der Schweiz nie­ dergelassene Personen zu richten, wobei sie für den Fall der Säumnis drakoni­ sche Strafen androhen («subpoena»)1910. Beweiserhebungen in Zivil- und Strafsachen und auch Zustellungen amt­ licher Mitteilungen fallen in den Bereich der von Art.  271 erfassten Amts­ handlungen1911. Die geschilderten grenzüberschreitenden Übergriffe auslän­ discher Behörden können zwar allein schon aus praktischen Gründen in der Schweiz nicht verfolgt werden. Anders kann es aber bei Personen liegen, die in der Schweiz darauf hinwirken, diese Aktivitäten umzusetzen. Wer die Ver­ nehmung eines Zeugen für ein ausländisches Verfahren in der Schweiz durch­ führt, macht sich nach Ziff. 1 Abs. 1 strafbar, wer die Durchführung der Ver­ nehmung organisatorisch unterstützt, nach Ziff. 1 Abs. 31912. Wenn und soweit eine Vernehmung nicht nur der vorbereitenden Abklärung, sondern unmittel­ bar prozessualen Zwecken dient, gilt dies auch dann, wenn die Vernehmung von den Vertretern einer ausländischen Prozesspartei durchgeführt wird1913. Schweizer Bürger, die von der Massnahme betroffen sind, die also z.B. als Zeu­ gen vernommen werden, können zum einen wegen der Mitwirkung an der Vernehmung nach Ziff. 1 Abs. 3 strafbar sein1914, zum anderen kann sich eine Verantwortlichkeit unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Bankgeheim­ nisses nach BankG Art. 47 oder des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes nach

1908  Vgl. hierzu im Einzelnen Popp, Grundzüge. 1909  Vgl. BstGer vom 18.11.2015, RR.2015.196, Erw. 2.2.1, Husmann, BSK StGB II, N 23

zu Art. 271.

1910  Vgl. hierzu umfassend Boss, 78 ff., Graf, 173 ff. sowie die Falldarstellung bei Honeg-

ger, 51 ff.

1911  Vgl. Gauthey/Markus, 373  ff., Husmann, BSK StGB II, N  26  ff. zu Art.  271, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 47 N 14; vgl. auch Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 251; zur Prob­ lematik des Austausch von Steuer-Rulings vgl. Matteotti/Marx/Schwarz, 903 ff. 1912  BGE 114 IV 133, vgl. aber auch Husmann, BSK StGB II, N 38 f. zu Art. 271. 1913  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 271, Delnon/Rüdy, 329 ff., Donatsch, 592 ff., Zulauf, 1087, weiter gehend BGE 114 IV 132, Husmann, BSK StGB II, N 26 f. zu Art. 271, Trechsel/ Vest, N 3 zu Art. 271. 1914  Vgl. Gauthey/Markus, 390 ff., offengelassen bei Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 271.

345

§ 75  Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271)

Art.  273 ergeben1915. Kein Fall des Vorschubleistens ist die blosse Annahme direkt zugestellter ausländischer amtlicher Schriftstücke1916. Werden aller­ dings auf die Anfrage einer ausländischen Behörde hin Informationen offen­ gelegt, fällt dies als Vorschubleisten in den Anwendungsbereich des Art. 271, wenn die Informationserhebung durch die ausländische Behörde nach schwei­ zerischem Rechtsverständnis als Amtshandlung einzustufen ist1917. Die Einwilligung des Verletzten in Form der Zustimmung des von der Amts­ handlung betroffenen Privaten rechtfertigt deren Vornahme nicht1918. Erfolgt diese jedoch mit Bewilligung der zuständigen schweizerischen Behörde1919, schliesst dies bereits den Tatbestand aus1920. Die Bewilligung kann im Einzel­ fall erteilt werden, sie kann aber auch für bestimmte Arten von Handlungen generell erteilt werden, was namentlich aufgrund von IRSG Art. 65a und von Rechtshilfeübereinkommen geschehen ist1921. Art. 271 selbst stellt – entgegen der von der Verwaltung geübten Praxis1922  – keine Rechtsgrundlage für die Erteilung von Bewilligungen zur Verfügung1923.

2.

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist, dass der Täter mit Wissen und Willen im Interesse eines frem­ den Staates etc. auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft Handlungen vornimmt, die nach schweizerischem Recht als amtliche, hoheitliche Tätigkeit zu beurtei­ len sind1924. Politische oder unerlaubte Absichten müssen sich damit nicht ver­ binden1925.

1915  Frei, 76 f. 1916  Zulauf, 1087, Husmann, BSK StGB II, N 39 zu Art. 271. 1917  A.M. Zulauf, 1088. 1918  Husmann, BSK StGB II, N 63 zu Art. 271. 1919  Vgl. BGE 106 Ib 262, Donatsch, 589 FN 11, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 271. 1920  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 271, Husmann, BSK StGB II, N 50 zu Art. 271, Trechsel/

Vest, N 4 zu Art. 271.

1921  Vgl. Husmann, BSK StGB II, N 51 ff. zu Art. 271, Graf, 172, Lobsiger/Markus, 177 ff.,

202 ff.

1922  Vgl. Graf, 172, Husmann, BSK StGB II, N 55 f., 60 f. zu Art. 271. 1923  Hierzu umfassend Husmann, BSK StGB II, N  57  ff. zu Art.  271, ders., Steuerstreit,

658 ff., ders., Wirtschaftlicher Nachrichtendienst, 87 ff.

1924  Husmann, BSK StGB II, N 71 zu Art. 271, Trechsel/Vest, N 7 zu Art. 271. 1925  Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 271, Husmann, BSK StGB II, N 71 zu Art. 271.

346

§ 75  Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271)

3.

Sonderfall der Entführung ins Ausland (Ziff. 2)

Nach Art. 271 Ziff. 2 ist zu bestrafen, wer jemanden durch Gewalt, List (d.h. durch Täuschung) oder Drohung ins Ausland entführt, um ihn einer fremden Behörde, Partei oder anderen Organisation zu überliefern oder einer Gefahr für Leib und Leben auszusetzen1926. Ein politisches Motiv muss der Tat nicht zugrunde liegen1927. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts fällt auch unter Ziff. 2, wer den Geschädigten einer ausländischen Zollfahndungsstelle übergibt, um in der Zeit der Abwesenheit des Opfers den Inhalt des Autos aus­ zuplündern1928. Vollendet ist das Delikt mit dem Wegbringen des Opfers aus der Schweiz in einer der genannten Absichten. Bis dahin liegt auch bei gelungener Entfüh­ rung lediglich Versuch vor. Ziff. 3 stellt allerdings auch Vorbereitungshandlun­ gen unter Strafe.

4.

Weitere Fragen

4.1 Konkurrenzprobleme Bei den Taten nach Art. 271 Ziff. 1 ist eine echte Konkurrenz zu den Art. 269, 272 ff. denkbar1929. Art. 271 Ziff. 2 verdrängt als (schärfere) Spezialbestimmung Art. 183 Ziff. 1 Abs. 21930; hingegen kann echte Konkurrenz zu Art. 185 vorlie­ gen, wenn mit der Entführung des Betroffenen jemand zu einem bestimmten Verhalten genötigt werden soll1931.

4.2

Völkerrechtliche Folgen der Entführung

Die vom ausländischen Staatsorgan zu verantwortende Verschleppung ver­ stösst gegen das völkerrechtliche Einmischungs- und Gewalt(Interventions-) Verbot1932 und ist unter Umständen auch deshalb völkerrechtswidrig, weil das Vorgehen mit dem (staatsvertraglich) geregelten Auslieferungsrecht nicht ver­

1926  Zum Begriff der Entführung vgl. Strafrecht III, § 54 Ziff. 2.1. 1927  Husmann, BSK StGB II, N 76 zu Art. 271. 1928  BGE 80 IV 151,155, kritisch hierzu Stratenwerth/Bommer, BT II, § 47 N 19. 1929  Vgl. Husmann, BSK StGB II, N 73 zu Art. 271. 1930  Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 271. 1931  Trechsel/Vest, N 12 zu Art. 271. 1932  Vgl. Müller/Wildhaber, 415 ff.

347

§ 76  Politischer Nachrichtendienst (Art. 272)

einbar ist. Der Entführte muss deshalb auf Verlangen dem Staat, aus dessen Gebiet er entführt wurde, zurückgegeben werden1933.

4.3

Prozessuale Folgen der Entführung (Problem des «male captus»)

Ob der verantwortliche ausländische Staat dem dorthin Entführten den Pro­ zess machen darf, ist umstritten. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hält ein solches Verfahren – Extremfälle vorbehalten – für zulässig1934. Die Begrün­ dung, es bestehe keine Regel des Völkerrechts, nach der gegen Entführte kein Strafverfahren durchgeführt werden dürfe, ist jedoch fragwürdig und deckt jedenfalls nicht die ganze Problematik ab. Das Bundesgericht1935 und das Zür­ cher Obergericht1936 sind mit Recht strenger. Die Missachtung der Justizför­ migkeit des Verfahrens, wie sie durch das Prozessrecht und EMRK Art. 5 und 6 vorgeschrieben ist, kann ein Hindernis zur Auslieferung oder zur Durchfüh­ rung des Verfahrens bilden1937.

2. Abschnitt: Verbotener Nachrichtendienst (Art. 272–274) § 76 Politischer Nachrichtendienst (Art. 272) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 67, A. Amstein, Die Bestimmungen über den politischen und militärischen Nachrichtendienst nach schweizerischem Recht, Diss. Bern 1949, W. Balsiger, Der verbotene Nachrichtendienst, ZStrR 68 (1953) 47, R. Corbaz, L’espionnage en droit suisse, ZStrR 68 (1953) 57, R. Gerber, Die Beweggründe beim verbotenen Nachrichtendienst, in: Aktu­ elle Probleme der Kriminalitätsbekämpfung, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Schweize­ rischen Kriminalistischen Gesellschaft, ZStrR 110 (1992) 307, E.  Lohner, Der verbotene Nach­ richtendienst, ZStrR 83 (1967) 23, 134.

1933  BGer vom 15.7.1982, P.1201/81, publiziert in EuGRZ 14 (1983) 437. 1934  BVerfG, EuGRZ 13 (1986) 18, BVerfG, NJW 39 (1986) 3021. 1935  BGer vom 15.7.1982, P.1201/81, publiziert in EuGRZ 14 (1983) 435. 1936  ZR 66 (1967) Nr. 119. 1937  Siehe im Einzelnen Trechsel, Zusammenarbeit, 71 ff.

348

§ 76  Politischer Nachrichtendienst (Art. 272)

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Begriff und Gegenstand des politischen Nachrichtendienstes

Gegenstand des politischen Nachrichtendienstes (service de renseignements politiques/spionaggio politico/political espionage) sind alle Vorgänge, die für die Staats- oder Parteiführung fremder Staaten aufschlussreich sein können, wie z.B. die Absichten der Regierung und deren Beurteilung durch andere, die Stimmung der Bevölkerung gegenüber dem Regime, die Gesinnung und die charakterlichen Eigenschaften bestimmter Personen oder die Zusammenset­ zung und die Aktivitäten gewisser Gruppen1938. Der politische Charakter der Nachricht beurteilt sich allein nach den Interessen ihres Empfängers1939. Rele­ vant ist alles, was der fremde Staat bzw. die ausländische Partei oder Organisa­ tion (Ziff. 1 Abs. 1) über Schweizer, Einwohner der Schweiz oder schweizeri­ sche Verbände in Erfahrung zu bringen versucht1940. Beispiele: Ein in der Folge vom Bundesstrafgericht verurteiltes Ehepaar informierte einen ausländischen Geheimdienst über die von der Schweiz getroffenen Massnah­ men zur Wahrung der Neutralität, die Überwachung verdächtiger Ausländer durch die schweizerische Polizei, die Grenzkontrolle und anderes mehr1941. Ein eingebürgerter Schweizer unterrichtete einen ungarischen Botschaftsattaché über die Organisation und die Tätigkeit der ungarischen Emigrantenkolonie1942.

Ob die Fakten wahr oder falsch sind, ist irrelevant1943. Ebenso wenig müssen sie nach Auffassung der Rechtsprechung geheim sein. Erfasst werden auch Tat­ sachen, die noch nicht allgemein, aber eventuell einer begrenzten Öffentlich­ keit bekannt sind, vom fremden Staat jedoch nur durch besondere Erkundi­ gungen oder Meldungen in Erfahrung gebracht werden können1944. Es soll ausreichen, wenn sie wie bei einem Puzzle nur Teilstücke betreffen, jedoch in

1938  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 272. 1939  BGE 101 IV 197, 80 IV 84, Husmann, BSK StGB II, N 9 zu Art. 272, Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 46 N 8, Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 272.

1940  Vgl. Husmann, BSK StGB II, N 9 zu Art. 272. 1941  BGE 101 IV 183. 1942  SJZ 80 (1984) 271. 1943  BGE 101 IV 196, Corboz, Vol. II, N  3 zu Art.  272, Husmann, BSK StGB II, N  9 zu

Art. 272, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 7, Trechsel/Vest, N 3 vor Art. 272.

1944  BGE 101 IV 189, Husmann, BSK StGB II, N 6 zu Art. 272.

349

§ 76  Politischer Nachrichtendienst (Art. 272)

Verbindung mit andern Tatsachen und Kombinationen zu einem Gesamtbild führen1945.

1.2

Tatbestandsmässige Handlungen

Strafbar macht sich nach Auffassung von Rechtsprechung und h.L., wer –– Nachrichtendienst betreibt, d.h., Tatsachen der eben erwähnten Art aus­ forscht, entsprechende Meldungen entgegen nimmt, sammelt, auswertet oder weitergibt, wobei bereits mit der auf eine Nachricht bezogenen Tätig­ keit der Tatbestand erfüllt ist1946. Ob der Täter in eine Organisation ein­ gebunden ist, soll ebenso unbeachtlich sein1947 wie der Umstand, ob seine Tätigkeit auf Dauer angelegt ist oder nicht1948; –– einen solchen Dienst einrichtet, d.h. Vorbereitungen trifft, welche den Nachrichtendienst ermöglichen und nach aussen absichern sollen, nament­ lich sich die Mittel hierzu verschafft und sie zum Gebrauch bereithält1949; –– für solche Dienste anwirbt, d.h. andere dazu bestimmt, sich für Tätigkeiten der genannten Arten zur Verfügung zu stellen1950; –– solchen Diensten Vorschub leistet, d.h. Tätigkeiten der erwähnten Arten unterstützt oder erleichtert1951. Erfasst sind damit als selbständiges Delikt auch Teilnahmehandlungen, der Versuch und sogar jede Vorbereitungs­ handlung, wie die Installation und der Betrieb eines Gerätes zur Ausstrah­ 1945  BGE 80 IV 89, SJZ 80 (1984) 272, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 272, Husmann, BSK StGB

II, N 8 zu Art. 272, kritisch zur Erfassung des Sammelns von Open-source-Material Pieth, BT, 272, einschränkend Trechsel/Vest, N 3 vor Art. 272: relevant seien nur Infor­ mationen, die allein in der Schweiz zu beschaffen seien, a.M. insoweit Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 46 N 7. 1946  BGE 101 IV 189, 82 IV 163, 80 IV 82 f., Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 272, Husmann, BSK StGB II, N 20 zu Art. 272. 1947  Vgl. Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 272, Husmann, BSK StGB II, N 20 zu Art. 272, kritisch insoweit Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 9 ff. 1948  Husmann, BSK StGB II, N 20 zu Art. 272, vgl. aber auch Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 272: Der Täter müsse zumindest mit der Intention handeln, im Rahmen eines organisier­ ten Nachrichtendienstes tätig zu werden. 1949  BGE 101 IV 188 f., LGVE 1988 I Nr. 49, Erw. 3d, Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 272, Husmann, BSK StGB II, N 19 zu Art. 272. 1950  BGE 65 I 331, Husmann, BSK StGB II, N 21 zu Art. 272, Trechsel/Vest, N 5 vor Art. 272. 1951  BGE 101 IV 189, 82 IV 163, 80 IV 82 f., 74 IV 202, Husmann, BSK StGB II, N 22 zu Art. 272, Trechsel/Vest, N 5 vor Art. 272.

350

§ 76  Politischer Nachrichtendienst (Art. 272)

lung und Inempfangnahme politischer Meldungen oder die Anschaffung und Benützung einer umfangreichen Fotoausrüstung1952.

1.3

Handeln im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes

Die insbesondere in autoritären Regimen übliche Vermischung von Staat, Par­ tei und parastaatlichen Einrichtungen veranlasste den Gesetzgeber, den Kreis der Empfänger auf Parteien und andere Organisationen des Auslandes auszu­ dehnen. Der Begriff der ausländischen Organisation umfasst auch supranatio­ nale Organisationen und verlangt nicht mehr als eine Mehrheit von Personen, die mehr oder weniger organisiert gemeinsam ein politisches Ziel verfolgen1953. Im Allgemeinen wird die Spitzeltätigkeit im Auftrage eines bestimmten Emp­ fängers betrieben werden. Der Täter kann aber auch spontan handeln1954.

1.4

Handeln zum Nachteil der Schweiz, ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen

Geschützt werden die Schweiz als Staatssubjekt, ihre Bürger und alle auf ihrem Gebiet ansässigen natürlichen oder juristischen Personen sowie internationale Organisationen, wie sie namentlich in Genf niedergelassen sind1955. Dass für die Schweiz oder ihre Bewohner ein Schaden eintritt oder auch nur droht, ist nicht erforderlich. Es reicht aus, dass sich die Tat gegen mindestens eines der genannten Schutzobjekte richtet1956.

1.5

Teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs

Mit Strafe bedroht wird unter Zugrundelegung der in Literatur und Recht­ sprechung herrschenden Auffassung alles, was auf Erkundung, Übermittlung oder Feststellung von Fakten ausgerichtet ist, die für den Empfänger von poli­ 1952  BGE 101 IV 188, Husmann, BSK StGB II, N 23 zu Art. 272. 1953  BGE 82 IV 162, 80 IV 86, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 272. 1954  BGE 101 IV 197, 82 IV 163, Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 272, Trechsel/Vest, N 7 vor

Art. 272.

1955  Vgl. Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 272, Husmann, BSK StGB II, N 27 zu Art. 272, Trech-

sel/Vest, N 1 f. zu Art. 272.

1956  BGE 101 IV 196 f., 89 IV 207, 80 IV 88 f., 74 IV 203, SJZ 45 (1949) 89 = ZR 48 (1949)

Nr. 99, Trechsel/Vest, N 6 vor Art. 272.

351

§ 76  Politischer Nachrichtendienst (Art. 272)

tischer Bedeutung sein können. Ob der Empfänger der Nachrichten einen Vor­ teil erlangt, ist irrelevant1957. Das bereits in früheren Auflagen erhobene Postulat, die erlaubte diplomati­ sche Berichterstattung und den internationalen Pressedienst aus dem Straf­ barkeitsbereich herauszunehmen, hat vor diesem Hintergrund seine Berech­ tigung behalten, kann aber auf der Grundlage der durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts geprägten herrschenden Auslegung nicht erreicht wer­ den. Die Ausgrenzung nicht strafwürdiger Fälle über den subjektiven Tatbe­ stand zu suchen1958, greift zu kurz und ist mit Rechtsunsicherheiten belastet. Der Ansatz, die Bestimmung der nicht strafwürdigen Fälle der Exekutive zu überlassen (vgl. StPO Art. 8), überzeugt ebenfalls nicht: Die Umschreibung des Strafwürdigen ist Sache der Legislative. Sie hat abstrakt zu erfolgen und kann nicht im Einzelfall und orientiert an (tages-) politischen Opportunitätserwä­ gungen erfolgen. Ansatzpunkte für die nach alledem gebotene einschränkende Auslegung der Norm1959 sind eine weiter gehende Beschränkung der für den politischen Nachrichtendienst relevanten Informationen sowie eine restriktive Interpretation der Tathandlungsvarianten.

2.

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss vorsätzlich, d.h. mit Wissen und Willen, politischen Nach­ richtendienst im Interesse eines Staates, einer ausländischen Partei oder Orga­ nisation betreiben. Er muss ferner um die Eignung seines Verhaltens zur Benachteiligung der Schweiz oder ihrer Bewohner wissen und sie in seinen Willensentschluss aufnehmen; dolus eventualis genügt1960. Der Vorsatz fehlt bei demjenigen, der sich unwissentlich für eine Dienstleis­ tung missbrauchen lässt, weil er über den politischen Zweck der von ihm ver­ langten Auskunft nicht orientiert ist1961.

1957  BGE 89 IV 208, 101 IV 197, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 272. 1958  Vgl. Husmann, BSK StGB II, N 29 zu Art. 272. 1959  In diese Richtung auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 16, vgl. auch Husmann,

BSK StGB II, N 10 ff. zu Art. 272.

1960  Husmann, BSK StGB II, N 28 zu Art. 272. 1961  Husmann, BSK StGB II, N 28 zu Art. 272, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 272.

352

§ 77  Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273)

3.

Qualifizierter Tatbestand

Ob ein Fall als «schwerer Fall» nach Ziff. 2 von Art. 272 einzustufen ist, ist im Einzelfall anhand der Tatumstände zu beurteilen1962, wobei das Gesetz zwei Beispiele gibt. Massgebend sind insbesondere die Intensität des Nachrichten­ dienstes, die Auswirkungen für die Schweiz oder für die ausspionierte Person, nach der neueren Rechtsprechung aber nicht mehr das persönliche Verschul­ den des Täters1963. BGE 101 IV 199 wandte Ziff. 2 auf zwei Agenten an, die während Jahren unter falschem Namen tätig waren und Nachrichten übermittelten, die im Kriegsfall die Schweiz schwer benachteiligt hätten.

4. Konkurrenzfragen Steigert sich die Spionage bis zum diplomatischen Landesverrat, so ist Art. 267 anzuwenden1964. Auch Art. 266bis konsumiert den Art. 2721965. Art. 272 wird in der Regel auch verbotene Handlungen für einen fremden Staat nach Art. 271 umfassen, wobei dann echte Konkurrenz gegeben ist1966.

§ 77 Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter §§ 75, 76, E. Bucher, Zur Abgrenzung der Delikte gegen die Landesverteidigung gegenüber dem Tatbestand wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (StGB Art. 273), SJZ 68 (1972) 165, A. Eicker, Zur Strafbarkeit des Kopierens und Verkaufens sowie des Ankaufens von Bankkundendaten als schweizerisch-deutsches Tatgeschehen, jusletter 30.8.2010, R. Gerber, Einige Probleme des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes, ZStrR 93 (1977) 257, O. A. Germann, Wirtschaftlicher Nachrichtendienst nach Art. 273 des Schweizerischen Strafgesetzbu­ ches, Wirtschaft und Recht 1957, 11, D. Graf, Strafbewehrter Geheimnisverrat im grenzüber­ schreitenden Kontext, SJZ 112 (2016), 193, G. Heine, Die Verletzung des Bankgeheimnisses: neue Strafbarkeitsrisiken der Bank bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, in: S.  Emmeneger (Hrsg.), Cross-Border Banking, Bern 2009, 159, T. Hug, Der wirtschaftliche Nachrichtendienst im schweizerischen Recht, Diss. Bern 1961, M. Husmann, Wirtschaftlicher Nachrichtendienst:

1962  Trechsel/Vest, N 7 zu Art. 272, vgl. auch Husmann, BSK StGB II, N 31 zu Art. 272. 1963  Vgl. LGVE 1988 I Nr. 49, Erw. 3. Das BGer hat diesen Entscheid im Ergebnis korri­

giert, hierbei aber nicht die Nichtberücksichtigung des als schwer eingestuften persön­ lichen Verschuldens beanstandet, sondern auf die objektive Schwere der Tat abgestellt. 1964  Corboz, Vol. II, N 18 zu Art. 272. 1965  Husmann, BSK StGB II, N 36 zu Art. 272. 1966  Husmann, BSK StGB II, N 73 zu Art. 271, Trechsel/Vest, N 12 zu Art. 271.

353

§ 77  Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273) Schutz kollektiver Rechtsgüter  – Bedrohung für den Einzelnen?, in: J.-B. Ackermann/M. Hilf (Hrsg.), TOP SECRET, Geheimnisschutz und Spionage, Zürich 2015, 59, K. Lamm, Wirtschaftli­ cher Nachrichtendienst, BJM 1957, 193, G. Muscietti, wirtschaftlicher Nachrichtendienst – eine richterliche Perspektive, in: J.-B. Ackermann/M. Hilf (Hrsg.), TOP SECRET, Geheimnisschutz und Spionage, Zürich 2015, 113, A. Plüss, Datenlieferungen im Rahmen des sogenannten USProgramms, AJP 2015, 1360, D. Riggenbach, Wirtschaftlicher Nachrichtendienst, Diss. Basel 1966, T. Rohner/U. Furrer, Knacknüsse bei der Lieferung von Daten durch Schweizer Banken an die USA, ST 2013, 515, T. Rohner/M. Peter, Programm zur Beilegung des Steuerstreits der Schweizer Banken mit den USA, ST 2013, 732, W. Rothenfluh, Der verbotene Transfer geschäftlicher, wirt­ schaftlicher und technologischer Informationen, ZSR 104 (1985) 348, G. Stratenwerth/W. Wohlers, Schwarzgeld, Strafbarkeitsrisiken für die Mitarbeiter schweizerischer Banken, ZStrR 129 (2010), 429, U. Zulauf, Kooperation mit dem Ausland, Verrat an der Schweiz?, in: Wirtschafts­ recht zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Festschrift für P. Nobel, hrsg. von R. Waldburger/C. M. Baer/U. Nobel/B. Bernet, Bern 2005, 1075.

Als bedeutendes internationales Zentrum von Banken, Handelsgeschäften und industriellen Unternehmungen war und ist die Schweiz eine wichtige Ziel­ scheibe der ausländischen Wirtschaftsspionage. Seit dem sog. «Spitzelgesetz» von 19351967 wird deshalb auch der wirtschaftliche Nachrichtendienst (service de renseignements économiques/spionaggio economico/industrial espionage) strafrechtlich verfolgt; es handelt sich um ein Delikt, das bis auf den heutigen Tag nicht an Bedeutung verloren hat. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte und aus der systematischen Einord­ nung in den 13. Titel ergibt, handelt es sich um eine Norm, die dem Schutz überindividueller öffentlicher Interessen dienen soll1968. Konkret geht es um den Schutz der wirtschaftlichen Gesamtinteressen der Schweiz1969.

1.

Objektiver Tatbestand

Die Norm enthält zwei voneinander unabhängige Tatbestände1970: Das Aus­ kundschaften eines Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses (Abs. 1) und das Zugänglichmachen eines Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses (Abs.  2). Die erste Variante ist unabhängig davon erfüllt, ob es später zu einer Offen­ barung des Geheimnisses kommt; die zweite Variante setzt nicht voraus, dass 1967  AS 1935, 482. 1968  BGE 71 IV 218, 101 IV 313, 108 IV 47, vgl. auch Husmann, BSK StGB II, N  7 zu

Art. 273.

1969  BGE 141 IV 163, BstGer fp 2014, 328, BstGer SK.2014.46 vom 27.11.2015, Erw. 3.1.1,

Husmann, BSK StGB II, N 6 zu Art. 273.

1970  Vgl. Corboz, Vol. II, N 8 ff. zu Art. 273.

354

§ 77  Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273)

es sich um ein Geheimnis handelt, das zuvor i.S. des Abs. 1 ausgekundschaf­ tet wurde1971. Dass der wirtschaftliche Nachrichtendienst zu einer Schädigung oder kon­ kreten Gefährdung schweizerischer Interessen führt, bildet kein Tatbestands­ merkmal. Art. 273 ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt1972.

1.1

Begriff des Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisses

Objekt des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes ist das Fabrikations- und Geschäftsgeheimnis1973. Anders als bei Art. 162 muss dem Täter keine Geheim­ haltungspflicht obliegen; ferner geht es bei Art. 273 nicht um die Werkspionage seitens eines Konkurrenten, sondern um die im Interesse der Schweiz liegende Abwehr fremder Einblicke in Betriebe der schweizerischen Volkswirtschaft.

1.11

Begriff des Geheimnisses

Gegenstand des Geheimnisses nach Art. 273 sind wirtschaftlich bedeutsame Tatsachen, die lediglich einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und vom Ausland nur mit einiger Mühe festgestellt werden können1974. Bezüglich dieser Tatsachen müssen ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse und ein Geheimhaltungswille bestehen1975. Aus der Einordnung der Norm als Delikt zum Schutz überindividueller schwei­ zerischer Interessen folgt, dass nur die Geheimnisse geschützt sind, die einen Bezug zur Schweiz haben und deren Offenlegung deswegen die Interessen der Schweiz als Staat berührt1976. Anzunehmen ist dies z.B. dann, wenn die Offenle­ gung des Geheimnisses die Geschäftsinteressen eines in der Schweiz ansässigen

1971  BGE 101 IV 200, 85 IV 141 = Pr 48 (1959) Nr. 188, Trechsel/Vest, N 11 zu Art. 273. 1972  BGE 101 IV 313, 111 IV 79, 141 IV 163, BstGer fp 2014, 328, Husmann, BSK StGB II,

N 8 zu Art. 273, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 273, vgl. Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.33.

1973  BstGer vom 27.11.2015, SK.2014.46, Erw. 3.1.2; dazu Strafrecht III, § 35 Ziff. 1. 1974  BGE 104 IV 177, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 273, Husmann, BSK StGB II, N 15 zu

Art. 273, Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 253, Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 273, Husmann, 64.

1975  BGE 98 IV 210, 101 IV 199, 101 IV 313, 104 IV 178 f., 111 IV 79, 141 IV 163, BstGer

fp 2014, 328, BJM 1995, 33 f., Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 273, Husmann, BSK StGB II, N 11 zu Art. 273, Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 254. 1976  Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 273, Husmann, BSK StGB II, N 7, 16, 45 ff. zu Art. 273, Trechsel/Vest, N 9 zu Art. 273, Husmann, 65 ff., insbesondere 71 ff., Pieth, BT, 274.

355

§ 77  Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273)

in- oder ausländischen Unternehmens beeinträchtigt1977. Nicht ausreichend ist demgegenüber der Umstand, dass der an der Wahrung des Geheimnisses Inter­essierte ein Bankkonto in der Schweiz unterhält1978. Im Falle eines Joint Venture zwischen einer hiesigen und einer fremden Unternehmung kommt es darauf an, ob der schweizerische Beteiligte ein Interesse an der Geheimhaltung und einen entsprechenden Willen hat. Fehlt es an diesem, werden regelmässig auch die staatlichen Interessen der Schweiz nicht mehr berührt1979. Inhaltlich kann sich das Geheimnis auch auf vertragswidrige Abmachun­ gen mit Dritten oder nach dem Recht des Empfangsstaates illegale Vorgänge beziehen, wie z.B. auf einen im Ausland verfolgbaren Devisenschmuggel1980. Erfasst wird auch die Übergabe von Daten einer Bank mit Sitz in der Schweiz an ausländische Behörden1981. Unzutreffende Behauptungen über angebliche Geheimnisse können nach dem Wortlaut der Norm nicht ausreichen1982.

1.12

Begriff des Fabrikationsgeheimnisses

Fabrikationsgeheimnisse bilden das technische Know-how eines Unterneh­ mens. Sie beziehen sich auf die Herstellung von Produkten jeder Art1983. Beispiel: Das Bundesstrafgericht verurteilte Alfred Frauenknecht, weil er aus dem Betrieb der Maschinenfabrik Sulzer in Winterthur Pläne und Zeichnungen für die Her­ stellung von Triebwerken für Kampfflugzeuge lieferte, die gegenüber dem Staat Israel einem Waffenausfuhrverbot unterstanden1984.

1977  Vgl. BGE 98 IV 210 f., 101 IV 313 f., 104 IV 182, 111 IV 80 = Pr 74 (1985) Nr. 133

Erw. 4b, Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 273, Graf, 199 f.

1978  Cassani, Pretrial discovery, 15, a.M. Husmann, BSK StGB II, N 49 zu Art. 273, Ger-

ber, 281.

1979  RS 1990 Nr. 822, 1991 Nr. 31. 1980  BGE 74 IV 104, 101 IV 314. 1981  BGE 141 IV 165 ff., BstGer fp 2014, 329, BstGer vom 14.5.2014, BB.2013.156, Erw. 5.1 f.,

BstGer vom 16.4.2014, BB.2013.133, Erw. 5.1 f., Eicker, Rz. 8, 23; Heine, 177; Stratenwerth/Wohlers, 438 f., Pieth, BT, 275. 1982  So auch Husmann, BSK StGB II, N 14 zu Art. 273, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 26, Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 273, a.M. Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 273, BGE 71 IV 218, 74 IV 103: Mit der Norm solle der Nachrichtendienst als solcher bekämpft werden. 1983  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 273. 1984  BGE 97 IV 111 ff.

356

§ 77  Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273)

1.13

Begriff des Geschäftsgeheimnisses

Geschäftsgeheimnisse beziehen sich auf unternehmerische Tatsachen (Kalku­ lationen, Abmachungen mit Lieferanten oder Kunden usw.) oder auf ökonomi­ sche Verhältnisse eines Einzelnen bzw. eines Unternehmens (z.B. Geschäftsbe­ ziehungen mit einer Bank, Lohnverhältnisse)1985. Beispiel: Der Angestellte eines Chemiekonzerns in Basel spielte den Behörden der Euro­ päischen Gemeinschaft (EG) «management informations» zu, die nach seiner Ansicht Verstösse der Konzernleitung gegen das Freihandelsabkommen der Schweiz mit der EG bzw. das EG-Kartellrecht belegten1986.

1.14

Richtlinien der Bundesanwaltschaft

Die Frage, ob die Offenlegung einer bestimmten Information in den Anwen­ dungsbereich des Art. 273 fällt, kann im Einzelfall schwierig zu entscheiden sein. In der Praxis bieten die – allerdings für die Gerichte unverbindlichen und inhaltlich «sehr interpretationsbedürftigen»1987  – Richtlinien der Bundesan­ waltschaft eine gewisse Hilfe1988. Diese Richtlinien besagen sinngemäss Folgendes: Ein schweizerisches Unternehmen darf über eigene Geheimnisse Auskunft geben, wenn keine gesamtschweizerischen Interessen wie z.B. an der Kriegsvorsorge- und Pflichtlagerhaltung berührt werden. Ist ein Dritter (z.B. der Bankkunde) Geheimnisherr, muss die um Auskunft angegangene Person vorher dessen Einverständnis einholen.

1.2

Tatbestandsmässige Handlungen

1.21

Auskundschaften von Geheimnissen

Abs. 1 bedroht das Auskundschaften von Fabrikations- und Geschäftsgeheim­ nissen mit Strafe. Darunter wird jede auf Ermittlung des Geheimnisses gerich­ tete Erkundungstätigkeit verstanden1989. Keine tauglichen Täter sind damit die Geheimnisträger, die rechtmässig Kenntnis vom Geheimnis besitzen. Als Tätigkeitsdelikt ist der Tatbestand bereits mit einer einzigen auf Informations­ 1985  Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 273. 1986  BGE 104 IV 175 ff. 1987  Kritisch Stratenwerth/Bommer, BT II, §  46 N  31: Die Norm genüge aufgrund ihrer

Unklarheit rechtsstaatlichen Mindestanforderungen nicht.

1988  Vgl. den Abdruck bei Husmann, BSK StGB II, N 46 zu Art. 273, Gerber, 289. 1989  BstGer vom 27.11.2015, SK.2014.46, Erw.  3.1.5, Husmann, BSK StGB II, N  58 zu

Art. 273, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 30, Trechsel/Vest, N 11 zu Art. 273.

357

§ 77  Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273)

beschaffung abzielenden Handlung vollendet. Ob der Täter dabei Erfolg hat, ist unerheblich. Straflos bleiben allein Vorbereitungshandlungen, wie z.B. die blosse Annahme eines entsprechenden Auftrags1990.

1.22

Zugänglichmachen von Geheimnissen

Nach Abs.  2 von Art.  273 ist sodann strafbar, wer ein Geheimnis einem im Gesetz genannten Adressaten1991 zugänglich macht und ihm so die Möglich­ keit verschafft, in wirtschaftliche Geheimnisse Einblick zu nehmen1992. Täter kann bei dieser Variante auch ein sog. Geheimnisträger sein, welcher kraft sei­ ner dienstvertraglichen oder amtlichen Tätigkeit Kenntnis von den betreffen­ den Tatsachen erhalten hat. Andererseits kommt aber auch irgendein ande­ rer in Betracht, der Hinweise beliebiger Art darüber gibt, wie der ausländische Interessent zu entsprechenden Informationen gelangt (z.B. durch Vermittlung zwischen diesem und einem für Bestechungsgelder empfänglichen Geheim­ nisträger). Die Tat ist damit vollendet, dass die fremde amtliche Stelle, Orga­ nisation oder Unternehmung bzw. deren Agent die Möglichkeit erhält, vom Geheimnis Kenntnis zu nehmen1993, unabhängig davon, ob sie einen entspre­ chenden Auftrag gegeben hat oder nicht1994, und unabhängig davon, ob die Information für den Empfänger brauchbar ist oder nicht1995. Dass eine auslän­ dische Unternehmung oder staatliche Stelle tatsächlich Kenntnis vom Geheim­ nis erlangt, ist nicht erforderlich1996. Nach der Rechtsprechung reicht bereits eine Teillieferung, die für sich allein gesehen die Aufdeckung des Geheimnis­ ses noch nicht erlaubt1997. Der Bereich des strafbaren Versuchs soll bereits mit dem Antritt der Reise zum vereinbarten Ort der Übergabe erreicht sein1998.

1.3

Empfänger der wirtschaftlichen Nachricht

Die tatbestandsmässige Handlung muss darauf abzielen, das Geheimnis einer fremden staatlichen Stelle, einer ausländischen Organisation (z.B. einer Par­ 1990  Husmann, BSK StGB II, N 58 zu Art. 273. 1991  Hinten Ziff. 1.3. 1992  Vgl. BstGer fp 2014, 329, BstGer vom 27.11.2015, SK.2014.46, Erw.  3.1.5, RS  1990

Nr. 822, 1991 Nr. 31, Husmann, BSK StGB II, N 59 zu Art. 273.

1993  BJM 1995, 36. 1994  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 273. 1995  BJM 1995, 32 f. 1996  Husmann, BSK StGB II, N 59 zu Art. 273, Trechsel/Vest, N 11 zu Art. 273. 1997  BGE 111 IV 82, BstGer fp 2014, 329, BJM 1995, 33. 1998  BGE 104 IV 180 f.

358

§ 77  Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273)

tei), einem fremden – staatlichen oder privaten1999 – Unternehmen oder einem ihrer Agenten bekannt zu machen. Agent ist, wer – mit oder ohne Auftrag – im Interesse einer der genannten Stellen als deren «Anlaufstelle» handelt2000.

2.

Subjektiver Tatbestand

Beide Arten von tatbestandsmässigem Verhalten sind nur bei Vorsatz strafbar, wobei in beiden Varianten dolus eventualis genügt2001. Im Falle des Auskund­ schaftens (Abs. 1) ist zusätzlich die Absicht erforderlich, das Geheimnis einem der genannten Adressaten zugänglich zu machen2002. Vorsätzliches Handeln ist dann gegeben, wenn der Täter den Sachverhalt zutreffend erkannt und die dem Gesetz zugrunde liegenden tatbestandsmässi­ gen Wertungen zumindest laienhaft nachvollzogen hat. Die Unkenntnis des Art. 272 als solche schliesst den Vorsatz nicht aus, es kann aber ein Rechtsirrtum (Art. 21) gegeben sein; zur Bestrafung genügt allerdings bereits das Bewusstsein des Täters, etwas Unrechtes zu tun2003.

3.

Qualifizierter Fall (Abs. 3)

Bei der Abgrenzung zwischen dem Grundtatbestand und den schweren Fäl­ len kommt es nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts nur noch auf die objektive Schwere der Tat an. Irrelevant sind dagegen persönliche Ver­ hältnisse, Eigenschaften und Umstände, wie z.B. die Verletzung einer beson­ deren Treuepflicht2004.

1999  Husmann, BSK StGB II, N 50 ff. zu Art. 273, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 28. 2000  Husmann, BSK StGB II, N  55 zu Art.  273, Stratenwerth/Bommer, BT II, §  46 N  29,

Trechsel/Vest, N 10 zu Art. 273.

2001  Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 273, Husmann, BSK StGB II, N 62 zu Art. 273. 2002  Vgl. auch Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 273, Husmann, BSK StGB II, N 62 zu Art. 273. 2003  Vgl. BGE 104 IV 183 f. 2004  Vgl. BGE 108 IV 46 f., 111 IV 80 = Pr 74 (1985) Nr. 133, BstGer fp 2014, 330, BstGer

vom 27.11.2015, SK.2014.46, Erw. 3.1.6, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 273: es sei objektive und subjektive Schwere zu verlangen.

359

§ 77  Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273)

4. Rechtswidrigkeit 4.1

Gesetzliche Rechtfertigungsgründe

Die Möglichkeit einer Bewilligung wie bei Art. 271 existiert im Rahmen des Art.  273 zwar nicht2005. Gibt der Zeuge oder der Editionspflichtige (z.B. als Bankier) in einem Rechtshilfeverfahren im Rahmen einer bestehenden Rechts­ hilfepflicht Auskünfte, liegt ein Fall von Art. 14 vor2006. Die Strafbarkeit des Betroffenen nach Art. 273 wird dagegen nicht ausgeschlossen, wenn sich der Zeuge (z.B. ein Bankier) ausserhalb eines Rechtshilfeverfahrens zur Auskunfts­ erteilung ins Ausland begibt und dem Prozessgericht ohne Einwilligung des Geheimnisherrn (im Beispiel: des Bankkunden) die nötigen Angaben liefert. Wird der Betroffene von einer ausländischen Stelle direkt angegangen und dro­ hen ihm für den Fall der Auskunftsverweigerung Beugestrafen oder andere schwerwiegende Sanktionen, kann sich eine Rechtfertigung aus Art. 17 erge­ ben. Voraussetzung hierfür ist, dass die drohenden Gefahren die Beeinträch­ tigung der durch Art. 273 geschützten Interessen überwiegen und die Gefahr nicht auf andere Weise, etwa durch Einschaltung der für den Rechtsverkehr mit dem Ausland zuständigen eidgenössischen Stellen, abgewehrt werden kann2007. Besonderheiten sind dann zu beachten, wenn der Geheimnisträger im Ausland lebt und damit den dort geltenden Zeugnis- und Editionspflichten unterwor­ fen ist. Der Zeuge muss hier prüfen, ob ihm das Fabrikations- und Geschäfts­ geheimnis ein Recht zur Verweigerung der Aussage oder der Herausgabe von Dokumenten einräumt2008.

4.2

Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe

Die Preisgabe eines Geheimnisses stellt dann keinen Verrat dar, wenn der Geheimnisherr eingewilligt hat. Da die Norm die Interessen der Schweiz schüt­ zen will, kann die Einwilligung zwar nicht rechtfertigend wirken; aufgrund der Einwilligung des Berechtigten fehlt es aber an dem für die Einordnung als Geheimnis notwendigen Geheimhaltungswillen und damit an einem Hand­ 2005  Husmann, BSK StGB II, N 21 zu Art. 273, Pieth, BT, 275, Plüss, 1361; Rohner/Peter, 783,

Rohner/Furrer, 520, vgl. aber auch Husmann, 86 ff.

2006  Husmann, BSK StGB II, N 64 ff. zu Art. 273, Pieth, BT, 275, Stratenwerth/Bommer, BT

II, § 46 N 32, Trechsel/Vest, N 16 zu Art. 273.

2007  Vgl. Husmann, BSK StGB II, N 68 ff. zu Art. 273, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46

N 33, Trechsel/Vest, N 15 zu Art. 273.

2008  So z.B. deutsche ZPO § 384 Ziff. 1.

360

§ 78  Militärischer Nachrichtendienst (Art. 274)

lungsobjekt i.S. des Art. 2732009. Anders liegt es nur dann, wenn die infrage ste­ hende Information unmittelbare staatliche Interessen betrifft, die der Disposi­ tion des Einwilligenden entzogen sind2010.

5. Konkurrenzfragen Kundschaftet der Täter das Geheimnis aus (Abs.  1) und leitet er anschlies­ send seine Erkenntnisse ans Ausland weiter (Abs. 2), wird er allein nach Abs. 1 bestraft, die Weiterleitung bildet eine straflose Nachtat2011. Geht man davon aus, Art. 273 schütze nur Gesamt-, nicht aber Individualinte­ ressen2012, ist echte Idealkonkurrenz mit Art. 162 bzw. BankG Art. 47 (Verlet­ zung des Bankgeheimnisses) möglich2013. Verrät der Täter Geheimnisse, die für den Adressaten gleichzeitig von wirt­ schaftlichem und militärischem Interesse sind, so ist echte Idealkonkurrenz von Art. 273 mit MStG Art. 86 (Verletzung militärischer Geheimnisse) gege­ ben, sofern der entsprechende Vorsatz auch in Bezug auf diese Bestimmung besteht2014. Gleiches gilt für das Verhältnis zu den Art. 272 und 2742015.

§ 78 Militärischer Nachrichtendienst (Art. 274) Literaturauswahl: W. Balsiger, Der verbotene Nachrichtendienst, ZStrR 68 (1953) 47, E. Lohner, Der verbotene Nachrichtendienst, ZStrR 83 (1967) 23, 134.

2009  LGVE 1988 I Nr. 49, Erw. 4a, vgl. auch Pieth, BT, 275, Trechsel/Vest, N 14 zu Art. 273,

Zulauf, 1089 sowie – umfassend und differenzierend – Husmann, BSK StGB II, N 75 i.V.m. N 16 ff. 2010  Vgl. Trechsel/Vest, N 14 zu Art. 273. 2011  BGE 101 IV 200, Corboz, Vol. II, N 19 zu Art. 273, Husmann, BSK StGB II, N 87 zu Art. 273, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 35. 2012  Vorne vor Ziff. 1. 2013  BGE 101 IV 203 f., 111 IV 80 ff., Husmann, BSK StGB II, N 88 zu Art. 273, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 21 zu Art. 273, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 36, Trechsel/Vest, N 18 Art. 273. 2014  BGE 97 IV 123, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 36, Trechsel/Vest, N 18 zu Art. 273. 2015  LGVE 1988 I Nr. 49, Erw. 3b, Corboz, Vol. II, N 21 zu Art. 273, Husmann, BSK StGB II, N 89 zu Art. 273.

361

§ 78  Militärischer Nachrichtendienst (Art. 274)

1.

Objektiver Tatbestand

Die Norm (Militärischer Nachrichtendienst/Service de renseignements militaires/Spionaggio militare/Military espionage) schützt das Interesse an der Lan­ desverteidigung2016. Erfasst wird, wer für einen fremden Staat zum Nachteile der Schweiz militärischen Nachrichtendienst betreibt, einen solchen Dienst einrichtet, für ihn anwirbt oder diesen Tätigkeiten Vorschub leistet.

1.1

Gegenstand und Begriff der militärischen Nachrichten

Neben den eigentlichen, durch MStG Art.  86 geschützten militärischen Geheimnissen interessieren sich fremde Staaten möglicherweise auch für mili­ tärisch bedeutsame Belange, die zwar einem grösseren Kreis von Personen bekannt oder zugänglich sind, aber von einem anderen Staat nur durch beson­ dere Vorkehren, den militärischen Nachrichtendienst, in Erfahrung gebracht werden können. Zu denken ist etwa an Planung und Organisation der Landes­ verteidigung2017, die Belegung von Kasernen, die Bewaffnung, die Versorgung und den Nachschub, den Standort militärischer Einrichtungen. Neben Infor­ mationen, die direkt und unmittelbar militärische Bedeutung haben, werden in der Praxis auch Tatsachen mit primär politischer oder wirtschaftlicher Natur erfasst, wenn diese ihrer Natur nach geeignet sind, militärpolitische Massnah­ men mitzubestimmen2018.

1.2

Tatbestandsmässige Handlungen

Sie beziehen sich stets auf Informationen über militärisch bedeutsame Belange, entsprechen mit dieser Abweichung aber ganz den nach Art. 272 Ziff. 1 straf­ baren Verhaltensweisen2019. Erfasst wird jedes Verhalten, das sich irgendwie in die Kette derjenigen Handlungen einreiht, welche die Einrichtung oder den Betrieb eines militärischen Nachrichtendienstes ausmacht. Da schon jede der­ artige Handlung an sich militärischen Nachrichtendienst darstellt, entfällt eine Differenzierung nicht nur zwischen Versuch und Vollendung, sondern auch

2016  Vgl. Husmann, BSK StGB II, N 5 zu Art. 274. 2017  BGE 101 IV 192. 2018  Vgl. LGVE 1988 I Nr. 49, Erw. 5a, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 274, vgl. auch Husmann,

BSK StGB, N 9 ff. zu Art. 274, kritisch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 46 N 20.

2019  Vgl. hierzu vorne § 76 Ziff. 1.2.

362

§ 78  Militärischer Nachrichtendienst (Art. 274)

zwischen Anstiftung, Mittäterschaft oder Gehilfenschaft2020. Ob die Nachricht richtig oder unzutreffend ist, spielt keine Rolle2021.

1.3

Handeln für einen fremden Staat zum Nachteil der Schweiz

Der Nachrichtendienst muss für einen fremden Staat betrieben werden. Der Kreis der Empfänger ist damit enger als bei Art. 272. Nichtstaatliche paramili­ tärische Gruppen sind nicht erfasst2022. Ist der Adressat eine den Staat tragende Partei, liegt der Tatbestand von Art. 274 dann vor, wenn man von der Identität von Staat und Partei ausgehen kann2023. Der Nachrichtendienst muss zum Nachteil der Eidgenossenschaft betrieben werden. Erfolgt er von der Schweiz aus gegenüber einem Drittstaat, so gelangt Art. 301 zur Anwendung2024. Der Ausdruck «zum Nachteil der Schweiz» drückt lediglich den Gegensatz zum «fremden Staat» aus. Die Tätigkeit muss sich auf schweizerische Verhältnisse beziehen. Dass der Eidgenossenschaft ein Scha­ den erwachsen ist oder droht, wird nicht gefordert2025. Gleiches gilt für die For­ mulierung «für einen fremden Staat»: Weder muss dieser einen Vorteil erlangt haben2026, noch bedarf es überhaupt eines Handelns im Auftrag.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art. 274 ist ein mit Vorsatz zu verübendes Delikt. Der Täter muss namentlich wissen, dass die betroffenen Informationen von militärischer Bedeutung und für einen ausländischen Staat als Empfänger bestimmt sind. Wer sich, ohne dies zu realisieren, in einen militärischen Nachrichtendienst einlässt, insbe­ sondere wenn er nicht über den Adressaten der Information unterrichtet ist, handelt höchstens fahrlässig und bleibt daher straflos.

2020  BGE 61 I 414 f. 2021  BGE 89 IV 207. 2022  Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 274. 2023  Vgl. Husmann, BSK StGB II, N 15 zu Art. 274, ablehnend Stratenwerth/Bommer, BT

II, § 46 N 20.

2024  Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 274. 2025  BGE 89 IV 207, 101 IV 196 f., Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 274, Husmann, BSK StGB

II, N 16 zu Art. 274.

2026  BGE 89 IV 208, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 274, Husmann, BSK StGB II, N 16

zu Art. 274.

363

§ 78  Militärischer Nachrichtendienst (Art. 274)

3.

Schwerer Fall (Ziff. 1 Abs. 4)

Die Annahme eines schweren Falles hing nach der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichts von den dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen sowie von den gesamten Tatumständen ab, die bei der Abwägung des Verschuldens zu berücksichtigen sind2027. Angesichts der gleich liegenden Problemstellung wird man annehmen müssen, dass sich das Bundesgericht zukünftig an der zu Art. 273 entwickelten, auf die objektive Schwere der Tat abstellenden Formel orientieren wird2028.

4.

Weitere Fragen

4.1 Einziehung Nach Art. 274 Ziff. 2 sind die Korrespondenzen und das Material einzuziehen. Die allgemeinen Normen (Art. 69 ff.) bleiben subsidiär anwendbar2029.

4.2 Konkurrenzen Richtet sich der Nachrichtendienst gleichzeitig gegen die Schweiz und einen Drittstaat (z.B. bei Meldungen über die der schweizerischen Armee vom Aus­ land gelieferten Waffen), besteht echte Konkurrenz zwischen Art. 274 und 301, sofern auch in Bezug auf diesen letzteren Tatbestand Vorsatz nachgewiesen werden kann2030. Echte Konkurrenz ist sodann mit Art. 272 möglich, wenn die übermittelte Nachricht für den fremden Staat auch politische Bedeutung auf­ weist und der Täter dies weiss oder mindestens damit rechnet und den Verrat in Kauf nimmt2031. Art. 267 verdrängt den Art 2742032. Spioniert der Täter militärische Geheimnisse aus, um sie einer fremden Macht zu verraten, wird er nach der schwereren Strafbestimmung von MStG Art. 86

2027  Siehe BGE 101 IV 195. 2028  So auch Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 274, vgl. auch Husmann, BSK StGB II, N 19 ff. zu

Art. 274, vgl. LGVE 1988 I Nr. 49, Erw. 10b.

2029  Husmann, BSK StGB II, N 24 zu Art. 274. 2030  Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 274, Husmann, BSK StGB II, N 31 zu Art. 274, Trechsel/

Vest, N 5 zu Art. 301.

2031  Husmann, BSK StGB II, N 30 zu Art. 274, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 274. 2032  Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 274, Husmann, BSK StGB II, N 31 zu Art. 274.

364

§ 79  Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung (Art. 275)

bestraft und untersteht diesfalls auch als Zivilperson der Militärgerichtsbarkeit (MStG Art. 3 Ziff. 7)2033.

3. Abschnitt: Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung (Art. 275–275ter) Literaturauswahl: P.-P. Jaccard, La mise en danger de l’ordre constitutionnel en droit pénal suisse, Diss. Lausanne 1983, M. Rutz, Notwendigkeit und Grenzen des strafrechtlichen Schutzes der ver­ fassungsmässigen Ordnung, ZStrR 86 (1970) 347, M. Kern, Kommunikationsgrundrechte als Gefahrenvorgaben, Zürich 2012 (Diss. Freiburg 2011), J. C. Wenger, Die Gefährdung der verfas­ sungsmässigen Ordnung (Art. 275–275ter StGB), Diss. Zürich 1954.

§ 79 Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung (Art. 275) 1.

Objektiver Tatbestand

In Ergänzung zu Art. 265 schützt Art. 275 (Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung/Atteintes à l’ordre constitutionnel/Attentati contro l’ordine costituzionale/Attacks on the constitutional order) Bund und Kantone vor Handlungen, die darauf gerichtet sind, die verfassungsmässige Ordnung auf rechtswidrige Weise zu stören oder zu ändern. Die relativ vage Bestimmung bietet in ver­ schiedener Hinsicht Auslegungsschwierigkeiten und birgt die Gefahr in sich, dass durch sie die politische Betätigung beeinträchtigt werden könnte. Der drohenden Gefahr des Gesinnungsstrafrechts ist durch eine restriktive Ausle­ gung zu begegnen2034.

1.1

Begriff der verfassungsmässigen Ordnung

Unter der verfassungsmässigen Ordnung sind – wie bei Art. 265 – die in der Bundes- oder Kantonsverfassung verankerten Grundsätze des demokratischen, 2033  BGE 97 IV 122, SJZ 79 (1983) 147, Husmann, BSK StGB II, N 33 zu Art. 274, Trech-

sel/Vest, N 4 zu Art. 274.

2034  Vgl. BGE 98 IV 127, Corboz, Vol. II, N 1 und 4 zu Art. 275, Landshut, BSK StGB II,

N 3, 16 zu Art. 275, vgl. auch Kern, 293, der für eine Aufhebung oder wenigstens Ein­ schränkung der Norm eintritt.

365

§ 79  Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung (Art. 275)

freiheitlichen Rechtsstaates und die ordnungsgemässe Ausübung der Amtsge­ walt durch die verfassungsmässigen Behörden zu verstehen2035.

1.2

Tatbestandsmässige Handlung

Art. 275 erfasst Vorbereitungs- und Teilnahmehandlungen, die nicht auf den unmittelbaren gewaltsamen Umsturz i.S. von Art. 265 abzielen, aber doch den Zweck haben, in fernerer Zukunft die Grundstrukturen des Staates zu zerstö­ ren oder die Behörden funktionsunfähig zu machen. Beispiel: In den Prozessen gegen Genfer und Zürcher Terroristen erfolgte eine Verurtei­ lung nach Art. 275, weil die Beteiligten sich Waffen, Munition, Funkgeräte und Labor­ einrichtungen verschafften, um später illegal und gewaltsam die bestehende Rechtsord­ nung aufzuheben2036.

Anders als bei Art. 265 muss das intendierte Tatmittel nicht notwendigerweise die Anwendung von Gewalt umfassen; es reicht die Anwendung irgendwel­ cher rechtswidriger Mittel2037, sodass z.B. die Vorbereitung eines rechtswidri­ gen Massen- oder Generalstreiks auch dann erfasst wäre, wenn dieser gewalt­ los ablaufen soll2038, nicht aber die im Wege einer legalen Verfassungsreform angestrebte Revision2039. Da es sich bei der Norm um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, braucht das tatbestandsmässige Handeln weder eine Änderung oder Störung der beste­ henden Ordnung zu bewirken noch überhaupt Erfolg zu versprechen2040. Um den Anwendungsbereich der Norm angemessen zu beschränken, erscheint es zum einen geboten, nur die Vorbereitung von Unternehmungen zu erfassen, die auf die Beseitigung der freiheitlichen Demokratie als solche abzielen2041;

2035  BGE 98 IV 127, SJZ 71 (1975) 365. 2036  BGE 98 IV 128 f., kritisch zur Einbeziehung weit im Vorfeld liegender Vorbereitungs­

handlungen: Stratenwerth/Bommer, BT II, § 48 N 7.

2037  Vgl. BGE 98 IV 127 f., Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 275, Landshut, BSK StGB II, N 11 zu

Art. 275, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 48 N 6.

2038  Vgl. Landshut, BSK StGB II, N 10 zu Art. 275. 2039  Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 275. 2040  SJZ 71 (1975) 365, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 275, Landshut, BSK StGB II, N 7 zu

Art. 275.

2041  Vgl. Landshut, BSK StGB II, N 5 zu Art. 275, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 48 N 5.

366

§ 80  Staatsgefährliche Propaganda (Art. 275bis)

zum anderen wird man den Begriff der Störung restriktiv zu interpretieren haben2042.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art. 275 verlangt Vorsatz; dazu gehört namentlich, dass der Täter um die Zweck­ bestimmung seiner Handlung weiss oder sie mindestens in Kauf nimmt2043. Hingegen ist unerheblich, ob er beabsichtigt, selber im gegebenen Zeitpunkt gewaltsam vorzugehen2044.

3. Konkurrenzfragen Art. 275 ist subsidiär zu Art. 265 sowie Art. 266 und konsumiert seinerseits Art. 275bis sowie Art. 275ter 2045.

§ 80 Staatsgefährliche Propaganda (Art. 275bis) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 79, R. Kappeler, Der Begriff der Staatsgefährlichkeit, Diss. Zürich 1952, I. Zellweger, Die strafrechtliche Beschränkung der politischen Meinungsäusserungs­ freiheit (Propagandaverbot), Diss. Zürich 1975.

1.

Objektiver Tatbestand

Nach Art.  275bis (Staatsgefährliche Propaganda/Propagande subversive/Propaganda sovversiva/Propaganda endangering the state) ist strafbar, wer eine Pro­ paganda des Auslandes betreibt, die auf den gewaltsamen Umsturz der verfassungsmässigen Ordnung2046 der Eidgenossenschaft oder eines Kantons gerichtet ist. Die Norm, welche die Strafbarkeit von Umsturzpropaganda abschliessend regelt2047, begründet die Gefahr der Pönalisierung von Gesinnungen und ist aus diesem Grunde – wie auch Art. 275 – restriktiv auszulegen.

2042  Vgl. hierzu Landshut, BSK StGB II, N 6 zu Art. 275, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 48

N 6.

2043  BGE 98 IV 128. 2044  SJZ 71 (1975) 364 lit. c. 2045  BGE 98 IV 131, Corboz, Vol. II, N 12 f. zu Art. 275, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 275. 2046  Dazu vorn §§ 68 Ziff. 1.3 und 79 Ziff. 1.1. 2047  Landshut, BSK StGB II, N 10 zu Art. 275bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 48 N 10.

367

§ 80  Staatsgefährliche Propaganda (Art. 275bis)

Als strafbare Propaganda des Auslandes ist Werbung zu verstehen, die zur Ausbreitung der in einem fremden Staat herrschenden Ideologien betrieben wird und auf einen gewaltsamen Umsturz des bestehenden Rechtszustandes bzw. den Sturz der verfassungsmässigen Organe in der Schweiz ausgeht2048. Zu denken ist etwa an eine für die gewaltsame Unterwerfung unseres Landes unter nicht schweizerische Herrschaft betriebene Werbung, wobei allerdings – anders als bei Art. 265 – ein Bezug zu einem nach Zeit, Ort und Begehungs­ weise bestimmten konkreten hochverräterischen Unternehmen nicht erforder­ lich ist2049. Staatsgefährliche Propaganda setzt voraus, dass die Gedankengänge ihrer Ver­ fasser für andere Leute ersichtlich sind. Als Kommunikationsmittel infrage kommen vornehmlich Veröffentlichungen in Zeitungen, Flugblättern, Pla­ katen oder das Halten von Reden. Verhaltensweisen, welche von Mitbürgern nicht wahrgenommen werden, wie z.B. der Besitz und die Lektüre subversiver Schriften, fallen deshalb von vornherein ausser Betracht2050. Im Gegensatz zu seinem gesetzgeberischen Vorläufer stellt Art. 275bis das Vorschubleis­ ten zur Propaganda nicht mehr unter Strafe. Deshalb sind Vorbereitungshandlungen als solche nicht strafbar und Teilnahmehandlungen dürfen nicht als Täterschaft beur­ teilt werden, auch wenn hierdurch im letzteren Punkte Beweisschwierigkeiten entste­ hen2051.

2.

Subjektiver Tatbestand

Die staatsgefährliche Propaganda ist nur strafbar, wenn sie mit Wissen und Willen betrieben wird. Dem Täter müssen die ausländische Herkunft der Propa­ ganda und ihr auf einen gewaltsamen Umsturz gerichtetes Ziel bekannt sein. Er muss sich bewusst sein, dass die Äusserungen von Dritten wahrgenommen werden können2052. Erforderlich ist zudem die Absicht einer politischen Beein­ flussung der Adressaten2053.

2048  Landshut, BSK StGB II, N 3 zu Art. 275bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 48 N 12 ff.,

Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 275bis.

2049  Landshut, BSK StGB II, N 8 zu Art. 275bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 48 N 14. 2050  BGE 68 IV 147, Landshut, BSK StGB II, N  2 zu Art.  275bis, Trechsel/Vest, N  2 zu

Art. 275bis. 2051  Dazu BGE 69 IV 21, vgl. auch Kern, 294. 2052  Landshut, BSK StGB II, N 5 zu Art. 275bis. 2053  BGE 68 IV 147, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 275bis.

368

§ 81  Rechtswidrige Vereinigung (Art. 275ter)

3. Konkurrenzen Art. 275bis ist subsidiär zu den mit höherer Strafdrohung versehenen Art. 265, 266 und 266bis sowie zu den Art. 275 und 275ter 2054.

§ 81 Rechtswidrige Vereinigung (Art. 275ter) Literaturauswahl: G. Godenzi, Strafbare Beteiligung am kriminellen Kollektiv, Bern 2015 (Habil. Zürich 2015).

1.

Objektiver Tatbestand

Art.  275ter (Rechtswidrige Vereinigung/Groupements illicites/Associazioni illecite/Unlawful association) erfasst Verhaltensweisen im Vorfeld von Vorberei­ tungshandlungen zu Hoch- und Landesverrat (Art.  265 und 266), zu Unter­ nehmungen und Bestrebungen gegen die Sicherheit der Schweiz (Art. 266bis), zu verbotenen Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271), zu verbotenem Nachrichtendienst (Art. 272 bis 274) und zur Gefährdung der verfassungsmäs­ sigen Ordnung nach Art. 275 sowie 275bis. Strafbar macht sich, wer eine Vereinigung gründet, die eine oder mehrere der genannten Ziele verfolgt oder deren Tätigkeit (faktisch) auf sie gerichtet ist (Abs. 1). Gleiches gilt für den, der einer solchen Vereinigung beitritt oder sich an ihren Bestrebungen beteiligt (Abs. 2) oder der – selbst erfolglos – zur Bildung solcher Vereinigungen auffordert oder deren Weisungen befolgt (Abs. 3)2055. Vereinigung ist ein auf eine gewisse Dauer angelegter Zusammenschluss Gleich­ gesinnter zur Verfolgung eines gemeinsamen Ziels, wobei es auf die juristische Form nicht ankommt2056. Der Begriff ist weiter als derjenige der Verbrechens­ organisation i.S. von Art. 260ter und Art. 305bis 2057. Die Strafbarkeit geht ausserordentlich weit, jedenfalls weiter als bei Art. 266bis (gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete ausländische Unternehmungen 2054  Landshut, BSK StGB II, N 12 zu Art. 275bis, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 275bis. 2055  Zu den verschiedenen Tathandlungsvarianten vgl. Godenzi, 395 ff. 2056  Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 275ter, Godenzi, 383 ff., Landshut, BSK StGB II, N 2 f. zu

Art. 275ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 48 N 18.

2057  BGE 129 IV 273 = Pr 93 (2004) Nr. 89.

369

§ 81  Rechtswidrige Vereinigung (Art. 275ter)

und Bestrebungen). Die Praxis muss sich bemühen, der Gefahr der Bestrafung für eine Gesinnung zu begegnen2058.

2.

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist Handeln mit Vorsatz. Der Täter muss die rechtswidrige Zweck­ bestimmung bzw. Tätigkeit der Vereinigung kennen und ihre Ziele fördern wollen2059, wobei dolus eventualis reicht2060.

3. Konkurrenzen Gegenüber Art. 265, 266 und 275 ist Art. 275ter subsidiär, soweit sich die Ziel­ setzung der Vereinigung darin erschöpft, den in diesen Normen erfassten Zustand herbeizuführen2061. Gleiches gilt im Verhältnis zu Art. 260ter, der den Art. 275bis konsumiert2062.

4. Abschnitt: Störung der militärischen Sicherheit (Art. 276–278) Die Art.  276 bis 278 sollen gemeinsam mit MStG Art.  98, 100 und 103 die Schlagkraft der Truppe und damit die militärische Sicherheit gewährleisten2063. Das StGB gilt in Friedenszeiten für Zivilpersonen, das MStG für Personen, die nach dessen Art. 3 diesem Gesetz unterstehen, wie namentlich Dienstpflichtige während ihres Militärdienstes2064.

2058  Kritisch zur Weite der Norm: Landshut, BSK StGB II, N 4 ff. zu Art. 275ter, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 48 N 20, Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 275ter.

2059  Landshut, BSK StGB II, N 8 zu Art. 275ter. 2060  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 275ter. 2061  BGE 73 IV 103, 98 IV 130, Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 275ter, Stratenwerth/Bommer,

BT II, § 48 N 22.

2062  Corboz, Vol. II, N 6 f. zu Art. 275ter, Landshut, BSK StGB II, N 10 zu Art. 275ter, Trech-

sel/Vest, N 2 zu Art. 275ter.

2063  Vgl. Wehrenberg, BSK StGB II, N 1 zu Art. 276. 2064  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 49 N 2, 6, Wehrenberg, BSK StGB II, N 4, 9 zu Art. 276.

370

§ 82  Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten

§ 82 Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten (Art. 276) 1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Öffentliche Aufforderung zur Dienstpflichtverletzung (Ziff. 1 Abs. 1)

Art. 276 (Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten/Provocation et incitation à la violation des devoirs militaires/Provocazione ed incitamento alla violazione degli obblighi militari/Instigation and inducement of the violation of military duties) Ziff. 1 Abs. 1, der inhaltlich MStG Art. 98 Ziff. 1 Abs. 1 entspricht, bedroht denjenigen mit Strafe, welcher öffentlich zum Unge­ horsam gegen militärische Befehle, zur Dienstverletzung, zur Dienstverwei­ gerung oder zum Ausreissen auffordert. Im Verhältnis zu Art.  259 stellt die Bestimmung z.T. eine lex specialis, z.T. aber auch einen ergänzenden Tatbe­ stand dar, weil die Aufforderung nach Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 auch bestimmte Vergehen ohne Gewalttätigkeit betreffen kann. Als Delikte, zu denen aufgefordert wird, kommen folgende Tatbestände des MStG in Betracht: Militärischer Ungehorsam gegenüber einem individuellen Befehl (Art.  61), Dienstverletzungen, wie z.B. Nichtbefolgung von allgemeinen Dienstvorschriften, wie sie in Reglementen enthalten sind (Art.  72), Missbrauch und Verschleuderung von Material (Art. 73), Wachtvergehen nach Art. 76 (z.B. durch eigenmächtiges Verlassen des Wachtpostens) sowie Dienstverweigerung und das Verlassen der Truppe, um sich der Wehrpflicht zu entziehen (Art. 81).

Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt2065: Dass die genann­ ten Delikte in der Folge auch begangen werden, wird vom Tatbestand nicht vorausgesetzt. Die Tat ist mit der öffentlichen Aufforderung vollendet2066. Als Aufforderung gilt jede mündliche oder schriftliche Äusserung, die nach Form und Inhalt eine gewisse Eindringlichkeit aufweist und bei objektiver Beurteilung geeignet ist, den Willen des Adressaten zu beeinflussen2067. Im Unterschied zur Anstiftung (Art.  24) richtet sich die Aufforderung nicht an

2065  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 276, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 49 N 5, Trechsel/Vest,

N 1 zu Art. 276.

2066  BGE 97 IV 106, 108, 109, 99 IV 95, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 49 N 5, Trechsel/Vest,

N 1 zu Art. 276, Wehrenberg, BSK StGB II, N 6, 17 zu Art. 276.

2067  BGE 97 IV 106, 99 IV 95, Wehrenberg, BSK StGB II, N 16 zu Art. 276.

371

§ 82  Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten

Einzelpersonen. Sie will vielmehr eine unbestimmte Mehrzahl von Personen stimmungsmässig in Bewegung setzen2068. Beispiel: Rede an einer öffentlichen Kundgebung mit der Aufforderung an die jungen Zuhörer, keinen Militärdienst zu leisten und die militärischen Papiere zu zerreissen2069.

Die Aufforderung ergeht öffentlich, wenn sie unter Umständen vorgebracht wird, welche ihre Wahrnehmung durch einen unbestimmten Personenkreis ermöglichen2070.

1.2

Verleitung zur Dienstverletzung (Ziff. 1 Abs. 2)

Die in Ziff. 1 Abs. 2 umschriebene Tat entspricht MStG Art. 98 Ziff. 1 und rich­ tet sich – im Unterschied zu Abs. 1 – an eine oder mehrere konkrete Einzel­ personen, welche dienstpflichtig sein müssen. Von der Anstiftung (Art. 24) ist die Verleitung kaum zu trennen; sie stellt aber ein verselbständigtes Teilnah­ medelikt dar2071. Die Tathandlung besteht in der persönlichen Einwirkung auf die betreffende Person, um sie zur Begehung einer der im Gesetz genannten strafbaren Hand­ lungen zu veranlassen2072. Weil es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, ist es nicht nötig, dass der Dienstpflichtige tatsächlich ungehorsam wird, den Dienst verweigert usw.2073.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art.  276 ist ein Vorsatzdelikt. Der Täter muss also im Bewusstsein handeln, dass seine Äusserungen mindestens möglicherweise als Aufforderung zu Ver­ haltensweisen gemäss Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 verstanden werden, und dies auch wollen. Der in der Literatur2074 geforderte, auf die Verwirklichung jener Tat durch die Adressaten gerichtete Wille wird bei gebotener enger Auslegung auch in den Fällen des Ziff. 1 Abs. 1 stets gegeben sein2075. 2068  Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 276. 2069  BGE 97 IV 105. 2070  Vgl. BGE 111 IV 153 (zu Art. 259), Wehrenberg, BSK StGB II, N 16 zu Art. 276. 2071  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 49 N 6, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 276, Wehrenberg, BSK

StGB II, N 19 zu Art. 276.

2072  MKGE 9 Nr. 132. 2073  MKGE 9 Nr. 132. 2074  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 49 N 7. 2075  Vgl. Trechsel/Vest, N 5 zu Art. 276, Wehrenberg, BSK StGB II, N 21 zu Art. 276.

372

§ 83  Fälschung von Aufgeboten oder Weisungen (Art. 277)

3.

Qualifizierter Fall (Ziff. 2)

Geht die Aufforderung auf Meuterei bzw. Vorbereitung einer Meuterei, oder wird zu solchen Handlungen verleitet, so wird die Tat gemäss Ziff. 2 schwerer geahndet. Die Meuterei stellt nach MStG Art. 63 eine Zusammenrottung meh­ rerer Personen dar, die sich an Gehorsamsverweigerung, an Drohung oder Tät­ lichkeiten gegen Vorgesetzte oder Höhere beteiligen.

4.

Recht auf freie Meinungsäusserung

Das Bundesgericht begnügte sich mit der Feststellung, EMRK Art.  10 gelte nur innerhalb der Schranken des Gesetzes2076. Richtigerweise wird man eine Bestrafung aufgrund von Art. 276 nur unter Vorbehalt der Verhältnismässig­ keit als mit BV Art. 16, EMRK Art. 10 und IPBPR Art. 19 vereinbar ansehen können2077.

§ 83 Fälschung von Aufgeboten oder Weisungen (Art. 277) Die Strafbestimmung von Art. 277 (Fälschung von Aufgeboten oder Weisungen/ Falsification d’ordre de mise sur pied ou d’instructions/Falsificazione d’ordini o di istruzioni/Forgery of military orders or instructions), die MStG Art.  103 entspricht, erfasst Sonderfälle der Urkundendelikte, wobei im Gegensatz zu Art. 251 und 254 keine besondere Absicht gefordert wird2078. Anders als bei den Art. 251 und 254 wird sowohl vorsätzliches (Ziff. 1) als auch fahrlässiges Verhalten (Ziff. 2) geahndet. Tatobjekte sind Aufgebote und Weisungen2079. Aufgebote sind die Einberufung von Stellungspflichtigen oder Wehrpflichtigen, namentlich auf Plakaten, sowie die individuellen Marschbefehle. Für den Dienstpflichtigen bestimmte Wei­

2076  BGE 99 IV 99. 2077  Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 276, Wehrenberg, BSK StGB II, N 17 zu Art. 276, kritisch Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 49 N 5: Eine klare Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Äusserungen im Rahmen der politischen Auseinandersetzung über den Sinn militärischer Landesverteidigung sei damit nicht erreicht. 2078  Wehrenberg, BSK StGB II, N 3 zu Art. 277. 2079  Vgl. Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 277, Wehrenberg, BSK StGB II, N 12 zu Art. 277.

373

§ 84  Störung des Militärdienstes (Art. 278)

sungen sind Schriftstücke über allgemein gültige Anordnungen, wie z.B. die Mitnahme von Munition und Verpflegung beim Einrücken. Stets muss es sich um militärische Anordnungen oder Schriftstücke handeln, die einen solchen Eindruck erwecken2080. Irreführungen von Wehrpflichti­ gen, die in privaten Schriftstücken wie z.B. Flugblättern erfolgen, fallen nicht unter Art.  277. Auch Anordnungen an im Dienst befindliche Truppen sind nicht erfasst2081. Die tatbestandsmässigen Verhaltensweisen bestehen im Fälschen, Verfäl­ schen, Unterdrücken oder Beseitigen eines Aufgebots oder einer Weisung bzw. darin, dass der Täter ein gefälschtes oder verfälschtes Dokument im Sinne von Art. 277 gebraucht. In Bezug auf diese Handlungsweisen kann auf die Ausfüh­ rungen zu Art. 251 und 254 verwiesen werden2082. Die Blankettfälschung und die Falschbeurkundung als Fälle von Art. 251 werden von Art. 277 nicht erwähnt und sind damit nicht mitumfasst2083.

§ 84 Störung des Militärdienstes (Art. 278) 1.

Objektiver Tatbestand

Die Norm (Störung des Militärdienstes/Entraver le service militaire/Turbamento del servizio militare/Disruption of military service) soll den militärischen Dienstbetrieb vor Behinderungen durch Störungen von aussen schützen2084. Die Umschreibung des strafbaren Verhaltens entspricht MStG Art. 100 Abs. 1. Angriffsobjekt sind schweizerische Militärpersonen i.S. von MStG Art. 3, wel­ che sich aktuell im Dienst befinden2085. Strafbar macht sich, wer eine sich im Dienst befindende Militärperson auf irgendeine Weise in der Ausübung ihrer dienstlichen Funktionen hindert oder stört. Dass die Handlungsweise militärische Sicherheit infrage stellt, ist nicht 2080  Wehrenberg, BSK StGB II, N 11 zu Art. 277. 2081  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 277, Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 277, Wehrenberg, BSK StGB

II, N 16 zu Art. 277.

2082  Vorn §§ 37, 40, vgl. auch Wehrenberg, BSK StGB II, N 14, 16 zu Art. 277. 2083  Stratenwerth/Bommer, BT II, §  49 N  13, Trechsel/Vest, N  1 zu Art.  277, Wehrenberg,

BSK StGB II, N 15 zu Art. 277, a.M. Hafter, BT II, 690, Hauri, N 6 zu MStG Art. 103.

2084  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 49 N 20, Wehrenberg, BSK StGB II, N 2, 12 zu Art. 278. 2085  Wehrenberg, BSK StGB II, N 15 zu Art. 278.

374

§ 84  Störung des Militärdienstes (Art. 278)

Tatbestandsmerkmal2086. Das Verhalten des Täters muss aber bewirken, dass der Angegriffene seine Funktion – wenn auch nur vorübergehend – nicht aus­ üben kann, oder dass der normale Dienstbetrieb beeinträchtigt bzw. mehr als nur unerheblich erschwert wird. Blosse Taktlosigkeiten oder Unfug, die einer Militärperson unbequem sein können, sind nicht erfasst2087.

2.

Subjektiver Tatbestand

Störung des Militärdienstes kann nur vorsätzlich begangen werden. Der Täter muss sich namentlich der hindernden bzw. störenden Folgen seines Tuns auf den Militärbetrieb bewusst sein und sie auch wollen2088.

3. Konkurrenzen Echte Konkurrenz ist mit verschiedenen anderen Delikten denkbar, z.B. mit Körperverletzung (Art.  122  ff.), Nötigung (Art.  181), Hausfriedensbruch (Art. 186). Art.  278 ist gegenüber Art.  285 Ziff.  1 Spezialbestimmung, auch wenn der Angegriffene – z.B. als Instruktor – Beamteneigenschaft besitzt. Dagegen kann Aufruhr vorliegen, wenn die Voraussetzungen von Art. 285 Ziff. 2 – z.B. bei Zusammenrottung gegenüber einem beamteten Offizier – gegeben sind.

2086  MKGE 6 Nr. 104, SJZ 56 (1960) 222 f., Wehrenberg, BSK StGB II, N 4 zu Art. 278. 2087  Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 278, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 49 N 20, Trechsel/Vest,

N 1 zu Art. 278, Wehrenberg, BSK StGB II, N 14 zu Art. 278.

2088  Wehrenberg, BSK StGB II, N 16 zu Art. 278.

375

§ 85 Einleitung

14. Titel

Vergehen gegen den Volkswillen (Art. 279–283)

§ 85 Einleitung Literaturauswahl: M. Balmelli, Die Bestechungstatbestände des schweizerischen Strafgesetzbu­ ches, Diss. Bern 1996, O. Feldmann, Die Bestechungsdelikte, Diss. Freiburg 1967, N.  Braun, Stimmgeheimnis, Eine rechtsvergleichende und rechtshistorische Untersuchung unter Einbezug des geltenden Rechts, Diss. Bern 2005, Y. Hangartner/A. Kley, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, W. Linder/​ C. Moser/S. Hardmeier, Unregelmässigkeiten bei erleichterter Stimmabgabe, in: Thurgauer Ver­ fassungs-Abstimmung als Ursache zu einer Untersuchung des Forschungszentrums für schwei­ zerische Politik an der Universität Bern über Unregelmässigkeiten bei erleichterter Stimmabgabe, Arbon 1990, N. von Arx, Post-Demokratie – Die briefliche Stimmabgabe in der Schweiz, AJP 7 (1998) 933.

Es liegt im öffentlichen Interesse, dass die festgestellten Ergebnisse von Volks­ abstimmungen und -wahlen dem wahren Willen des Souveräns entsprechen. Die Bestimmungen dieses Titels versuchen dies in verschiedener Hinsicht zu gewährleisten. Art. 282 wendet sich gegen eine direkte Verfälschung des fest­ gestellten Ergebnisses; dieses soll den tatsächlich abgegebenen und gesetz­ lich massgebenden Stimmen entsprechen. Die übrigen Bestimmungen wol­ len garantieren, dass der einzelne Bürger bei der Stimmabgabe seinem wahren Willen Ausdruck geben kann. Handlungen, die sich dagegen richten und so den Volkswillen indirekt verfälschen, lassen sich jedoch strafrechtlich nur insoweit erfassen, als es um massive Einwirkungen auf Stimmbürger geht. Entgegen dem durch den Wortlaut einzelner Bestimmungen erweckten Anschein beziehen sich diese entsprechend ihrem Titel ausschliesslich auf eidgenössische, kantonale und kommunale Volkswahlen und -abstimmungen. Entsprechende Vorgänge in Parlamenten und Exekutivbehörden fallen daher nach h.L. nicht unter diese Artikel2089. Ebenso wenig schützen sie Wahlen und Abstimmungen privater Körperschaften2090. Die Delikte des 14. Titels unterstehen der Bundesgerichtsbarkeit, wenn sie sich gegen den Volkswillen bei eidgenössischen Wahlen, Abstimmungen, Referen­ 2089  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 279, Dupuis u.a., Code pénal, N 2 zu Art. 259, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 50 N 5, Wehrle, BSK StGB II, N 7 vor Art. 279.

2090  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 279, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 5, Wehrle, BSK

StGB II, N 6 vor Art. 279.

376

§ 86  Störung und Hinderung von Wahlen und Abstimmungen (Art. 279)

dums- oder Initiativbegehren richten2091. Nicht der Bundesgerichtsbarkeit untersteht demnach das kantonale Prozedere zur Einreichung einer Standes­ initiative oder Ständeratswahlen2092.

§ 86 Störung und Hinderung von Wahlen und Abstimmungen (Art. 279) 1.

Störung und Hinderung von Versammlungen, Wahlen und Abstimmungen (Abs. 1)

Diese Bestimmung (Störung und Hinderung von Wahlen und Abstimmungen/ Violences/Perturbamento ed impedimento di elezioni e votazioni/Disruption and obstruction of elections) bedroht denjenigen mit Strafe, der eine durch Verfas­ sung oder Gesetz vorgeschriebene Versammlung, Wahl oder Abstimmung durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile hindert oder stört.

1.1

Objektiver Tatbestand

Vorausgesetzt wird stets eine rechtlich vorgeschriebene Versammlung, Wahl oder Abstimmung. Als derartige Versammlungen gelten etwa Landsgemein­ den, Versammlungen von politischen Gemeinden, Schulgemeinden, Bürger­ gemeinden, Kirchgemeinden etc., in denen verhandelt und abgestimmt wird. Die Wahlen und Abstimmungen können im Rahmen derartiger Versammlun­ gen2093, aber auch an der Urne oder auf elektronischem Weg durchgeführt wer­ den. «Wahlversammlungen» in Gemeinden, Konsultativabstimmungen usw. geniessen daher keinen Schutz. Die tatbestandsmässige Handlung besteht darin, dass der Täter die Durchfüh­ rung einer an der Urne oder in einer Versammlung vorzunehmenden Wahl oder Abstimmung mit bestimmten Mitteln hindert oder stört. Erfasst wird ein solches Verhalten nur, wenn sich der Täter entweder der Gewalt oder der Androhung ernstlicher Nachteile bedient. Insofern entspricht die Tat­ handlung derjenigen bei der Nötigung nach Art. 1812094. Im Gegensatz zu die­ 2091  StPO Art. 23 Abs. 1 lit. h. 2092  Vgl. Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 4 vor Art. 279. 2093  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 279. 2094  Vgl. hierzu die Ausführungen in Strafrecht III, § 51.

377

§ 86  Störung und Hinderung von Wahlen und Abstimmungen (Art. 279)

ser Bestimmung genügt jedoch eine anderweitige Beeinträchtigung von Ver­ sammlungsteilnehmern oder Abstimmenden in ihrer Handlungsfreiheit nicht, wie v.a. die akustische Störung von Versammlungen2095. Gewalt und Andro­ hung ernstlicher Nachteile können sich sowohl gegen die Stimmberechtigten richten (z.B. indem man sie am Zutritt zur Urne hindert), als auch gegen die mit der Durchführung von Wahlen usw. betrauten Organe (z.B. indem jemand die Gemeindevorsteherschaft bei der Vornahme einer Abstimmung in der Gemeindeversammlung stört). Die Tat ist damit vollendet, dass die Versammlung, Wahl oder Abstimmung behindert oder gestört, d.h. deren Ablauf als Ganzes gehemmt oder auch nur erschwert wird2096. Eine gänzliche Verhinderung des entsprechenden Vor­ gangs wird demnach nicht gefordert, wohl aber ein Verhalten, das über die Behinderung bestimmter einzelner Teilnehmer hinausgeht.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur, wer die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich erfüllt. Insbesondere muss der Täter die Nötigungsmittel mit dem Willen einsetzen, dadurch den Ablauf der Versammlung, Wahl oder Abstimmung im erwähnten Sinne zu behindern oder zu stören.

2.

Hinderung und Störung von Referendums- und Initiativbegehren (Abs. 2)

Nach dieser Bestimmung macht sich strafbar, wer die Sammlung oder die Ablieferung von Unterschriften für ein Referendums- oder ein Initiativbegeh­ ren durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile hindert oder stört. Die Tathandlung richtet sich also gegen Personen, welche Unterschriftenbo­ gen für ein entsprechendes Begehren austeilen, einziehen, zur Unterzeichnung bereithalten oder abliefern2097. Im Übrigen entspricht der objektive und sub­ jektive Tatbestand demjenigen von Art. 279 Abs. 1.

2095  Ebenso Dupuis u.a., Code pénal, N 7 zu Art. 259, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 8. 2096  Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 279, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 8. 2097  Die Hinderung an der Unterzeichnung als solche wird durch Art. 280 erfasst, vgl. hin­

ten § 87.

378

§ 87  Eingriffe in das Stimm- und Wahlrecht (Art. 280)

3. Konkurrenzfragen Art. 279 geht als die speziellere Bestimmung den Tatbeständen von Art. 180 (Drohung) und Art.  181 (Nötigung) vor. Er findet daher allein Anwendung, selbst wenn – was er nicht voraussetzt – das tatbestandsmässige Verhalten dazu führt, dass die zuständigen Organe von der Durchführung einer Versammlung, Wahl oder Abstimmung absehen müssen2098. Richtet sich die Tat nicht gegen die Sammlung oder die Ablieferung von Unter­ schriften für ein Referendums- oder ein Initiativbegehren, sondern gegen ein­ zelne bestimmte Personen, so ist nicht Art.  279, sondern allenfalls Art.  280 anwendbar2099.

§ 87 Eingriffe in das Stimm- und Wahlrecht (Art. 280) 1.

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand wird einmal dadurch erfüllt, dass man einen Stimm­ berechtigten an der Ausübung des Stimm- oder Wahlrechts, des Referendums oder der Initiative durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile hin­ dert (Art. 280 Abs. 1). Insoweit wird der Schutz, welchen Art. 279 der unge­ störten Durchführung von Abstimmungen und Wahlen sowie Unterschrif­ tensammlungen für Referendums- und Initiativbegehren insgesamt gewährt, in einem gewissen Sinne ausgedehnt: Art.  280 (Eingriffe in das Stimm- und Wahlrecht/Atteinte au droit de vote/Attentati contro il diritto di voto/Infringement of the right to vote) verbietet schon das Abhalten einzelner Bürger von der Beteiligung an Abstimmungen, Wahlen und Unterschriftensammlungen der genannten Art2100. Immerhin ist hier der Begriff des Hinderns nicht bloss i.S. des Erschwerens zu verstehen, sondern als gänzliches Unterbinden der Aus­ übung entsprechender Teilnahmerechte2101; andernfalls wäre Art.  279 über­ flüssig. Demnach wird die Tat erst dadurch vollendet, dass die Anwendung von

2098  Damit wäre eine vollendete Nötigung gegeben. 2099  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 279, Dupuis u.a., Code pénal, N 12 zu Art. 279, Trechsel/Vest,

in: Trechsel/Pieth, N 5 zu Art. 279.

2100  Nicht aber von der Teilnahme an Versammlungen. 2101  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 280, Dupuis u.a., Code pénal, N 3 zu Art. 280, Wehrle, BSK

StGB II, N 2 zu Art. 280.

379

§ 87  Eingriffe in das Stimm- und Wahlrecht (Art. 280)

Gewalt oder die Androhung ernstlicher Nachteile2102 gegenüber einem Stimm­ bürger diesen veranlasst, von der Abgabe seiner Stimme bzw. seiner Unter­ schrift abzusehen. Gleichgestellt wird nach Art. 280 Abs. 2 der Fall, dass jemand einen Stimmbe­ rechtigten durch Mittel der genannten Art nötigt, eines der in Art. 280 Abs. 1 umschriebenen Rechte überhaupt oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, wobei gesetzlich vorgesehener Stimmzwang durch die Bestimmung nicht erfasst ist2103. Bei dieser Variante wird die Tat damit vollendet, dass der Betrof­ fene unter dem Einfluss der Nötigung seine Stimme abgibt bzw. das Referen­ dums- oder Initiativbegehren unterzeichnet.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art. 280 erfordert Vorsatz. Namentlich muss der Täter den Stimmbürger dazu veranlassen wollen, seine Teilnahmerechte nicht auszuüben (Art. 280 Abs. 1) bzw. dies überhaupt oder in einem bestimmten Sinn zu tun (Art. 280 Abs. 2), und zwar durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile.

3.

Weitere Fragen

3.1 Versuch Ein strafbarer Versuch liegt vor, wenn die nötigende Handlung nicht zum gewünschten Verhalten des betroffenen Stimmbürgers führt oder wenn die­ ser sich ohnehin in der vom Täter gewollten Weise verhalten hätte und somit der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg fehlt.

3.2 Konkurrenzen Zu den Konkurrenzfragen ist zu bemerken, dass der Eingriff in das Stimm- und Wahlrecht nach Art.  280 notwendigerweise auch den Tatbestand der Nöti­ gung nach Art. 181 erfüllt, aber Art. 280 als die speziellere Norm vorgeht. Da diese Bestimmung, anders als Art. 279, ausser den öffentlichen Interessen an der Äusserung des wahren Volkswillens auch die individuellen Teilnahme­ rechte des Bürgers schützt, werden beide Bestimmungen anzuwenden sein, 2102  Vgl. dazu vorn § 86 Ziff. 1.1. 2103  Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 280, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 13, Trechsel/Vest,

in: Trechsel/Pieth, N 2 zu Art. 280.

380

§ 88  Wahlbestechung (Art. 281)

wenn jemand vorsätzlich durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile eine Wahl, Abstimmung oder Unterschriftensammlung hindert oder stört und dadurch willentlich Stimmberechtigte davon abhält, daran teilzunehmen2104.

§ 88 Wahlbestechung (Art. 281) Im Interesse einer dem wahren Willen des Bürgers entsprechenden Stimmab­ gabe wird dieser nicht nur vor nötigenden Eingriffen geschützt, sondern auch vor der Einflussnahme durch Gewährung von Vorteilen, und zwar erstaunli­ cherweise in sehr weit gehendem Masse. So werden die Tatbestände des Art. 281 (Wahlbestechung/Corruption électorale/Corruzione elettorale/Electoral corruption) im Gegensatz zu jenen von Art. 280 bereits durch bestimmte Handlun­ gen erfüllt, die erst auf die Beeinflussung von Stimmbürgern abzielen; dass sol­ che sich in der vom Täter gewünschten Weise verhalten, ist nicht erforderlich. Dies wohl deshalb, weil der Kausalzusammenhang zwischen der Gewährung von Vorteilen an einen Bürger und dessen Verhalten bei einer Wahl, Abstim­ mung oder Unterschriftensammlung schwieriger nachzuweisen ist als derje­ nige zwischen einer Nötigung und einem derartigen Verhalten. In sehr weit gehender Weise wird sodann nicht nur derjenige mit Strafe bedroht, welcher mit der Gewährung von Vorteilen Bürger zu beeinflussen sucht (aktive Wahlbestechung), sondern auch der Stimmberechtigte, der solche Vorteile annimmt (passive Wahlbestechung). Gemäss dem Gesetzestext muss der betreffende Vorteil nicht erheblich sein2105. Dies wird jedoch teilweise verlangt2106.

1.

Aktive Wahlbestechung (Abs. 1 und 2)

Strafbar macht sich, wer einem Stimmberechtigten ein Geschenk oder einen andern Vorteil anbietet, verspricht, gibt oder zukommen lässt, damit er in einem bestimmten Sinne stimme oder wähle, einem Referendums- oder einem Initiativbegehren beitrete oder nicht beitrete (Art. 281 Abs. 1), bzw. damit er an einer Wahl oder Abstimmung nicht teilnehme (Art. 281 Abs. 2). Die Einfluss­ 2104  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 280, a.M. Dupuis u.a., Code pénal, N 9 zu Art. 280, Trechsel/

Vest, in: Trechsel/Pieth, N 4 zu Art. 280, Wehrle, BSK StGB II, N 8 zu Art. 280.

2105  Wehrle, BSK StGB II, N 6 zu Art. 281. 2106  Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 1 zu Art. 281.

381

§ 88  Wahlbestechung (Art. 281)

nahme in dem Sinne, dass der Betreffende an der Wahl teilnehme, wird von der Bestimmung nicht erfasst2107. Es handelt sich um ein gemeines Delikt2108. Mit diesen Bestimmungen soll verhütet werden, dass jemand Stimmberech­ tigte für seine Zwecke «kaufen» kann.

1.1

Objektiver Tatbestand

Die tatbestandsmässige Handlung besteht darin, dass jemand einem Stimm­ bürger ein Geschenk oder einen andern Vorteil2109 gibt, zukommen lässt oder auch nur schon anbietet bzw. verspricht. Es ist davon auszugehen, dass man dem Stimmberechtigten einen Vorteil auch über eine diesem nahestehende Person zukommen lassen kann2110. Wie die Formulierung «damit er …» zum Ausdruck bringt, muss dies schon objektiv zu einem ganz bestimmten Zweck geschehen: Der Vorteil wird als Gegenleistung dafür in Aussicht gestellt bzw. gewährt, dass der vom Täter angegangene Bürger seine Stimme oder Unter­ schrift in einem bestimmten Sinne abgibt oder nicht abgibt. Der Vorteil muss auch vom Täter als Belohnung für ein solches Verhalten gekennzeichnet oder mindestens nach den Umständen als solche erkennbar sein2111. Straflos ist es demnach, Bürgern unabhängig von ihrer Stimmabgabe oder Unterschriften­ leistung Vorteile zu versprechen oder zukommen zu lassen. Beispiele: Eine Partei verteilt an beliebige Passanten oder in alle Briefkästen eines Quar­ tiers Geschenke, um für ihre Kandidaten zu werben. Ein Politiker stellt für den Fall sei­ ner Wahl ganzen Bevölkerungsklassen Steuererleichterungen in Aussicht.

Die Tat ist damit vollendet, dass der Täter einen derart gekennzeichneten Vorteil auch nur einem Bürger anbietet, verspricht, gibt oder zukommen lässt. Nicht gefordert wird, dass dieser sich in Bezug auf die betreffende Wahl, Abstim­ mung usw. auch in der vom Täter gewünschten Weise verhält oder nur schon sich dazu entschliesst2112.

2107  Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 281, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 17. 2108  Hierzu Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.1. 2109  Dieser braucht nicht unbedingt geldwerten Charakter zu haben. 2110  Dupuis u.a., Code pénal, N 6 zu Art. 281, Wehrle, BSK StGB II, N 7 zu Art. 281 m.w.H. 2111  Sonst wäre der Strafbarkeit sowohl des Anbietens und Versprechens als auch des Ver­

sprechen- oder Gebenlassens eines Vorteils in Art. 281 Abs. 3 der Boden entzogen. Vgl. auch Wehrle, BSK StGB II, N 5 zu Art. 281. 2112  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 281, Dupuis u.a., Code pénal, N 8 zu Art. 281, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 50 N 18.

382

§ 88  Wahlbestechung (Art. 281)

1.2

Subjektiver Tatbestand

Gefordert wird Vorsatz. Insbesondere muss der Täter den Vorteil willentlich als Belohnung für das von ihm gewünschte Verhalten in Aussicht stellen oder gewähren.

2.

Passive Wahlbestechung (Abs. 3)

Nach dieser Bestimmung wird mit gleicher Strafe bedroht, wer sich als Stimm­ berechtigter einen Vorteil für ein Verhalten gemäss Abs. 1 oder 2 versprechen oder geben lässt. Damit soll verhindert werden, dass jemand sein Stimmrecht zu sachwidrigen Zwecken missbraucht. Täter kann nur ein Stimmberechtigter sein, weshalb diese Tatbestandsvariante ein Sonderdelikt2113 darstellt.

2.1

Objektiver Tatbestand

Vorauszusetzen ist stets, dass jemand dem Täter als Belohnung für ein Ver­ halten der genannten Art einen Vorteil in Aussicht stellt. Er erfüllt alsdann den Tatbestand, wenn er sich diesen Vorteil «geben lässt», d.h., die betreffende Zuwendung annimmt, oder sich diesen auch nur «versprechen lässt». Das setzt voraus, dass der Stimmberechtigte dem ihn Bestechenden ausdrücklich zusagt oder konkludent zu erkennen gibt, sich gegen Belohnung in dem von ihm gewünschten Sinne zu verhalten. Beispiel für tatbestandsmässiges Verhalten: Ende Juni 1981 wurden in Zürich an Pas­ santen Flugblätter verteilt, die angeblich von den Verkehrsbetrieben der Stadt Zürich stammten und u.a. folgenden Text enthielten: «Alle Zürcher, die mit ihrer Unterschrift auf untenstehendem Talon bezeugen, dass sie der POCH-Initiative ‹Parkhäuser vors Volk› im September zustimmen werden, erhalten von der VBZ ein Gratis-Jahresabo offeriert». Eine Reihe von Personen sandten den Talon ein2114.

Die Tat ist mit einer der beiden eben umschriebenen Handlungen vollendet, und zwar unabhängig davon, ob der Stimmberechtigte den Wünschen des Bestechenden nachkommt oder nicht2115. Das Verlangen eines Vorteils ist – anders als nach Art. 322quater und Art. 322sexies – nicht tatbestandsmässig. 2113  Hierzu Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.1. 2114  Vgl. zum Sachverhalt H. U. Helfer, Manipulierte Eidgenossen, Eine Dokumentation,

2. Aufl., Zürich 1991, 45 f.

2115  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 281, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 19.

383

§ 89  Wahlfälschung (Art. 282)

2.2

Subjektiver Tatbestand

Nur die vorsätzlich begangene passive Wahlbestechung ist strafbar. Damit wird namentlich vorausgesetzt, dass der Stimmberechtigte den ihm angebotenen Vorteil als Belohnung für ein Verhalten gemäss Art. 281 Abs. 1 oder 2 auffasst und ihn in diesem Sinne entgegennimmt bzw. sich versprechen lässt. Hingegen braucht er nicht willens zu sein, seine Zusage für eine bestimmte Stimmabgabe usw. tatsächlich einzuhalten. Im vorstehenden Beispielsfall nahm die Bezirksanwaltschaft Zürich mit Verfügung vom 18. März 1983 von der Einleitung einer Untersuchung v.a. deshalb Umgang, weil ein grosser Teil der Einsender von Talons das gefälschte Flugblatt nicht ernst genom­ men habe.

§ 89 Wahlfälschung (Art. 282) 1.

Objektiver Tatbestand

Art.  282 Ziff.  1 (Wahlfälschung/Fraude électorale/Frode elettorale/Electoral fraud) umfasst drei verschiedene Verhaltensweisen, die z.T. Anwendungsfälle von Urkundendelikten nach Art. 251 und 254 darstellen, aber ausschliesslich nach der erstgenannten Bestimmung zu beurteilen sind. a) Mit Strafe bedroht wird, wer ein Stimmregister (d.h. ein amtliches Verzeich­ nis der stimmberechtigten Einwohner) fälscht, verfälscht, beseitigt oder vernichtet. Hinsichtlich dieser Begriffe, die auch bei den Urkundendelikten verwendet werden, kann auf die Ausführungen dazu verwiesen werden2116. Der Wortlaut von Art. 282 Ziff. 1 Abs. 1 ist allerdings zu eng geraten. Auch Falschbeurkundungen in Stimmregistern erfüllen den Tatbestand, insbeson­ dere wenn ein Beamter dort nicht existente oder nicht stimmberechtigte Personen einträgt2117. b) Gleiches gilt für denjenigen, der unbefugt an einer Wahl oder Abstimmung oder an einem Referendums- oder Initiativbegehren teilnimmt (Art.  282 Ziff.  1 Abs.  2). Dies kann durch Abgabe der Stimme in einer Versamm­ lung, Einlegen eines Stimmzettels in der Urne oder Unterschreiben eines der genannten Begehren geschehen. Es bestehen verschiedene mögliche 2116  Vgl. vorne §§ 37 und 40. 2117  Gl.M. Dupuis u.a., Code pénal, N 4 zu Art. 282, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 26,

Wehrle, BSK StGB II, N 3 zu Art. 282, kritisch Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 282.

384

§ 89  Wahlfälschung (Art. 282)

Gründe für die fehlende Teilnahmebefugnis des Täters. Namentlich kom­ men fehlendes Aktivbürgerrecht im Hinblick auf Alter oder Staatszugehö­ rigkeit2118 und mangelnder Wohnsitz im betreffenden Gemeinwesen oder Kanton infrage. Zur Beteiligung an einem Referendums- oder Initiativbe­ gehren ist aber auch derjenige nicht (mehr) befugt, welcher dieses schon einmal unterschrieben hat2119. Strafbar ist auch, wer mit Stimmzetteln, die Dritten zugestellt worden sind, brieflich mehrfach abstimmt. Ferner erfüllt den Tatbestand, wer einen entsprechenden Unterschriftenbogen mit einem anderen Namen als dem eigenen unterzeichnet, auch wenn er dies «in Ver­ tretung» des Betreffenden tut2120. Formfehler beim Ausfüllen von Wahl­ zetteln (z.B. Ausfüllen desselben mit Schreibmaschine etc.) vermögen den Tatbestand nicht zu erfüllen2121. Werden die Wahl- oder Stimmzettel ledig­ lich für Dritte ausgefüllt, ohne sie danach an die Behörden abzugeben, liegt keine unbefugte Teilnahme an einer Wahl oder Abstimmung i.S. von Art. 282 Ziff. 1 Abs. 2 vor2122. Mit der unbefugten Teilnahme an der Wahl, an der Abstimmung oder an einem Referendums- oder Initiativbegehren ist der Tatbestand erfüllt. Anders als bei der Variante gemäss Abs.  3 setzt der Tatbestand kein ver­ fälschtes Ergebnis voraus2123. c) Strafbar nach Art. 282 Ziff. 1 Abs. 3 macht sich schliesslich, wer das Ergebnis einer Wahl, einer Abstimmung oder einer Unterschriftensammlung zur Ausübung des Referendums oder der Initiative fälscht (sog. Wahlbetrug). Als Bei­ spiele hierfür nennt das Gesetz das Hinzufügen, Ändern, Weglassen oder Streichen von Stimmzetteln oder Unterschriften, das unrichtige Auszählen und die unwahre Beurkundung des Ergebnisses. Die betreffenden Verhal­ tensweisen müssen sich stets dahin auswirken, dass das amtlich ermittelte, massgebende Ergebnis dem tatsächlichen Stimmenverhältnis nicht ent­ spricht, auch wenn die Differenz nur eine einzige Stimme ausmacht.

2118  Vgl. BGE 101 IV 206 betr. als Schweizerbürger getarnte Spione, BGE 138 IV 72. 2119  Vgl. BGE 138 IV 75, ZR 76 (1977) Nr. 19, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 282, Dupuis u.a.,

Code pénal, N 6 zu Art. 282. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 29, Wehrle, BSK StGB II, N 7 zu Art. 282. 2120  BGE 112 IV 84 f., 138 IV 72, Wehrle, BSK StGB II, N 7 zu Art. 282. 2121  Wehrle, BSK StGB II, N 5 zu Art. 282. 2122  BGE 138 IV 76, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 29, Wehrle, BSK StGB II, N 6 zu Art. 282. 2123  BGE 138 IV 72.

385

§ 89  Wahlfälschung (Art. 282)

Mit einer der genannten Verhaltensweisen wird die Tat bereits vollendet. Nicht erforderlich ist, dass die von der Fälschung betroffene Wahl oder Abstimmung ohne die Manipulation des Täters anders ausgegangen wäre bzw. dass diese für das positive oder negative Ergebnis der Unterschriftensammlung Bedeu­ tung hatte2124.

2.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar macht sich nur, wer mit Vorsatz handelt. Dieser kann durchaus infolge Irrtums entfallen, so z.B. wenn sich ein Mitglied des Wahlbüros bei der Ermitt­ lung des Ergebnisses verzählt oder es jemandem bei der Unterzeichnung eines Volksbegehrens nicht mehr bewusst ist, dass er dieses bereits früher unter­ schrieben hat.

3.

Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 2)

Mit einer erhöhten Mindeststrafe wird bedroht, wer bei dem in Ziff. 1 umschrie­ benen Verhalten in amtlicher Eigenschaft handelt, d.h. gerade mit der Führung von Stimmregistern oder der Ermittlung der Ergebnisse der betreffenden Wahl, Abstimmung oder des betreffenden Volksbegehrens betraut ist. In amtlicher Eigenschaft kann überdies der Tatbestand gemäss Art. 282 Ziff. 1 Abs. 3 began­ gen werden.

4. Konkurrenzfragen Im Verhältnis zu Art. 251 und 254 geht Art. 282 Ziff. 1 als Spezialtatbestand vor, obschon es sich bei den erstgenannten Tatbeständen um die schwereren Delikte handelt und insofern ein Wertungswiderspruch besteht2125. Gleiches gilt für das Verhältnis von Art.  282 Ziff.  2 zur Urkundenfälschung im Amt gemäss Art. 317 Ziff. 12126. Demgegenüber wird die mittelbare Falschbeurkun­ dung nach Art. 252 durch Art. 282 nicht tangiert2127.

2124  Wehrle, BSK StGB II, N 8 zu Art. 282. 2125  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 282, Dupuis u.a., Code pénal, N 14 zu Art. 282, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 50 N 26, Wehrle, BSK StGB II, N 18 zu Art. 282.

2126  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 282, Dupuis u.a., Code pénal, N 14 zu Art. 2820, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 50 N 26.

2127  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 27.

386

§ 90  Stimmenfang (Art. 282bis)

§ 90 Stimmenfang (Art. 282bis) Diese Bestimmung (Stimmenfang/Captation de suffrages/Incetta di voti/Irregular gathering of votes) wurde durch das BG über die politischen Rechte vom 17.  Dezember 19762128 zum Schutz gegen mögliche Missbräuche im Zusam­ menhang mit der brieflichen Stimmabgabe in das StGB eingefügt und steht seit 1. Juli 1978 in Kraft. Den Übertretungstatbestand erfüllt, wer Wahl- oder Stimmzettel planmässig einsammelt, ausfüllt oder ändert oder wer derartige Wahl- oder Stimmzettel verteilt, ohne sie i.S. von Art. 282 zu verfälschen. Mit solchen Verhaltensweisen kann namentlich unbeholfenen Stimmbürgern Abs­ tinenz bei Urnengängen oder eine Stimmabgabe i.S. des Täters aufoktroyiert und damit ihr Stimmrecht missbraucht werden2129.

1.

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand wird einmal durch planmässiges Einsammeln, Ausfüllen und Ändern von Wahl- oder Stimmzetteln erfüllt. Mit dem Einsam­ meln von Stimmzetteln, die den Bürgern korrekt von amtlicher Seite zugestellt oder übergeben worden sind, kann sowohl deren Elimination aus dem Ver­ fahren bezweckt wie auch angestrebt werden, dass die Adressaten von ihrem Stimmrecht überhaupt oder nach den Vorschlägen der einsammelnden Perso­ nen – die an der Urne als ihre Stellvertreter auftreten – Gebrauch machen. Das Ausfüllen (leerer) und die Änderung von (mit gedruckten Kandidatenlisten versehenen) Formularen ist v.a. in der Form denkbar, dass der oder die Täter Stimmberechtigte zu Hause aufsuchen und an deren Stelle die Stimm- oder Wahlzettel für den Urnengang vorbereiten. In allen Fällen muss die Täterschaft planmässig handeln, indem sie z.B. in ganzen Häuserblocks oder auch nur schon in Altersheimen sämtliche bzw. bestimmte Gruppen von Stimmberechtigten angeht oder die betagten Einwoh­ ner eines Quartiers ermittelt und aufsucht. Nicht strafbar macht sich dagegen, wer nur die Stimm- oder Wahlzettel einzelner Bürger im Sinne einer zulässi­ gen Hilfeleistung einzieht, ausfüllt oder abändert, was erfahrungsgemäss von gewissen Stimmbürgern gerne ihren Vertrauenspersonen überlassen wird2130.

2128  SR 161.1. 2129  BGE 138 IV 73. 2130  BGE 138 IV 73.

387

§ 91  Verletzung des Abstimmungs- und Wahlgeheimnisses (Art. 283)

Strafbar ist sodann auch das Verteilen ausgefüllter sowie abgeänderter Stimmund Wahlzettel. Ein solches Vorgehen kommt freilich praktisch nur in Betracht, wenn sich die Täterschaft in den Besitz der benötigten Formulare setzen kann. Es wird dies in der Regel nur durch das Einsammeln von Stimm- oder Wahl­ zetteln bei Stimmberechtigten möglich sein. Das Verteilen muss im Gegensatz zu den übrigen Tathandlungen nach Art. 282bis nicht planmässig geschehen, setzt aber doch begrifflich die Abgabe von Formularen an eine grössere Zahl von Personen voraus2131. Die Tat ist mit einer der genannten Verhaltensweisen vollendet, ohne dass es hierzu eines weiter gehenden Erfolgs bedürfte. Insbesondere brauchen die ein­ gesammelten, ausgefüllten oder geänderten Formulare nicht im Stimmlokal abgegeben worden zu sein oder gar das Resultat des Urnenganges beeinflusst zu haben2132.

2.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar macht sich nur, wer vorsätzlich handelt. Ein Vorgehen nach Art. 282bis ohne Wissen und Willen ist ohnehin praktisch undenkbar.

§ 91 Verletzung des Abstimmungs- und Wahlgeheimnisses (Art. 283) Dieser Vergehenstatbestand (Verletzung des Abstimmungs- und Wahlgeheimnisses/Violation du secret du vote/Violazione del segreto del voto/Violation of electoral secrecy) bezieht sich ausschliesslich auf Wahlen und Abstimmun­ gen, die nach den massgebenden rechtlichen Bestimmungen geheim durch­ zuführen sind2133. Die Verletzung des Abstimmungs- und Wahlgeheimnisses berührt indirekt die Freiheit des Bürgers bei der Stimmabgabe. Eine entspre­ chende Gefahr könnte ihn möglicherweise bei der Ausübung seines Stimmund Wahlrechts beeinflussen.

2131  Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 282bis, Dupuis u.a., Code pénal, N 12 zu Art. 282bis, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 50 N 35.

2132  BGE 138 IV 73. 2133   Was v.a. bei entsprechenden Prozeduren in Versammlungen nur ausnahmsweise

zutrifft.

388

§ 91  Verletzung des Abstimmungs- und Wahlgeheimnisses (Art. 283)

1.

Objektiver Tatbestand

Dieser besteht darin, dass sich jemand durch unrechtmässiges Vorgehen Kennt­ nis davon verschafft, wie einzelne Berechtigte stimmen oder wählen. Die Tat ist also schon damit vollendet, dass der Täter eine solche Kenntnis erlangt, ohne dass er seine Feststellung Drittpersonen offenbaren müsste. Man kann aber auch durchaus legal erfahren, wie ein bestimmter Bürger gestimmt hat, so etwa wenn dieser von einem Bekannten darüber befragt wird oder ein Mitglied des Wahlbüros seine Handschrift kennt. Dementsprechend ist nur strafbar, wer sich die Kenntnis durch ein unrechtmässiges Vorgehen ver­ schafft, etwa durch heimliches Öffnen von Stimmkuverts, Einsichtnahme in Urnen durch Aussenstehende oder Lesen des Stimmzettels durch ein Mitglied der Wahlbehörde beim Abstempeln des Stimmzettels auf der Rückseite2134. Es genügt, wenn der Täter auf diese Weise Kenntnis davon erlangt, wie auch nur ein einziger Bürger gestimmt hat. Die Formulierung «einzelne Berechtigte» stellt lediglich klar, dass das Ausspionieren eines noch nicht bekannten Teiloder Gesamtergebnisses eines Urnengangs nicht unter Art. 283 fällt.

2.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur, wer das Abstimmungs- oder Wahlergebnis i.S. der vorstehen­ den Ausführungen mit Vorsatz verletzt. Daran fehlt es z.B., wenn jemand an der Urne in der Hand seines «Vordermannes» zufällig dessen ausgefüllten Stimmzettel sieht.

3.

Verhältnis zu Art. 320

Wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses i.S. von Art. 320 macht sich strafbar, wer als mit der Durchführung eines Urnengangs betrauter Funktionär seine durch rechtmässiges Vorgehen erlangten Feststellungen über die Stimmabgabe einzelner Berechtigter Drittpersonen offenbart2135. Art. 283 findet in solchen Fällen keine Anwendung. Lässt sich das Verhalten des Funktionärs sowohl unter Art. 283 wie auch Art. 320 subsumieren, ist von echter Konkurrenz aus­ zugehen. Im Falle des unbefugten Öffnens eines verschlossenen Stimmkuverts 2134  Nach Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 283 und Stratenwerth/Bommer, BT II, § 50 N 39 soll

auch der Blick auf den Stimmzettel eines anderen Stimmberechtigten darunter fallen, a.M. Wehrle, BSK StGB II, N 5 zu Art. 283. 2135  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 283.

389

§ 91  Verletzung des Abstimmungs- und Wahlgeheimnisses (Art. 283)

wird Art. 179 durch Art. 283 konsumiert2136. Im Verhältnis zwischen Art. 283 und Art. 321ter ist von echter Konkurrenz auszugehen2137.

2136  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 283, Wehrle, BSK StGB II, N 10 zu Art. 283. 2137  Wehrle, BSK StGB II, N 10 zu Art. 283.

390

§ 92 Einleitung

15. Titel

Strafbare Handlungen gegen die öffentliche Gewalt (Art. 285–295)

§ 92 Einleitung Literaturauswahl: O. Birch, Delikte gegen Beamte, Krim 19 (1965) 327, M. Bötschi, Die Rechtmäs­ sigkeit der Amtshandlung bei den Delikten gegen die Staatsgewalt gemäss Art.  285/286 StGB, Diss. Zürich 1980, A. Hauswirth, Die Selbstbegünstigung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Bern 1984, K. Kolb, Die Widersetzung gegen Behörden und Beamte nach eidgenössischem und kantonalem Recht, Thun 1960, A. Righetti, Il funzionario nel diritto penale svizzero, Rep. 94 (1964) 3, H. Schultz, Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1963, ZBJV 101 (1965) 3 (zit. Schultz, Rechtsprechung 1963), F. Schürmann, Der Begriff der Gewalt im schwei­ zerischen Strafgesetzbuch, Diss. Basel 1976, M. Sidler, Widersetzlichkeit und Beamtennötigung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1974, J. Sieber, Der Begriff des Beamten im Schweize­ rischen Strafgesetzbuch, Diss. Freiburg 1962, derselbe, Der Begriff des Beamten im Schweizeri­ schen Strafgesetzbuch, ZStrR 82 (1966) 78 (zit. Sieber, ZStrR 1966), H. Wiprächtiger, Gewalt und Drohung gegenüber Beamten und Angestellten im öffentlichen Verkehr unter besonderer Berück­ sichtigung des Bahnpersonals, SJZ 93 (1997) 209.

1.

Geschütztes Rechtsgut und Entwicklung der Gesetzgebung

Während der 13. Titel den Staat in seiner Existenz und seinen Grundlagen schützt, betreffen die Straftatbestände des 15. Titels Delikte gegen die Durch­ setzung der Rechtsordnung, die durch hoheitliche Anordnungen und Voll­ zugshandlungen verkörpert wird. Verpönt werden also Angriffe auf die staatliche Autorität, die sich auf Verfassung und Gesetz stützt. Geschützt werden soll daher nicht in erster Linie die eine Amtshandlung durchführende Person2138, sondern primär die Amtshandlung als solche. Die hier getroffene Regelung ist nicht abschliessend. Die Kantone und durch entsprechende Delegation in kantonalen Erlassen die Gemeinden können ergänzende verwaltungsrechtliche Übertretungstatbestände nach Art.  335 Abs. 1 erlassen2139. 2138  Vgl. zur Geschädigtenstellung eines Beamten in Bezug auf Art.  285 und Art.  286

ZR 110 (2011) 237.

2139  BGE 81 IV 164 f., 117 Ia 476 f., vgl. auch BGE 125 I 375.

391

§ 92 Einleitung

2.

Beamter, Behörde, Mitglied einer Behörde

2.1 Beamter Die allgemeine Definition für den Begriff des Beamten findet sich in Art. 110 Abs. 3. Danach sind Beamte im weiteren Sinne Personen, die in der öffentli­ chen Verwaltung und der Rechtspflege amtliche Funktionen ausüben. Gemeint ist die Verrichtung öffentlich-rechtlicher Aufgaben des Gemeinwesens, in des­ sen Auftrag der Beamte tätig wird. Bei diesen Gemeinwesen handelt es sich um den Bund2140, die Kantone, die Gemeinden, selbständige öffentlich-recht­ liche Anstalten2141 und Zweckverbände mit öffentlich-rechtlicher Zielsetzung. Die Tätigkeit des Beamten braucht nicht notwendig hoheitlicher Natur zu sein; die Verrichtungen können auch tatsächlicher Art sein. Entscheidend ist stets, dass sie im Dienste einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe wahrgenommen wer­ den2142. Art. 110 Abs. 3 unterscheidet zwischen Beamten im engeren Sinn und Ange­ stellten. Diese Unterscheidung ist jedoch nicht von Bedeutung, weil es nur dar­ auf ankommt, ob die betreffende Person für das Gemeinwesen eine amtliche Funktion ausübt. Weil der strafrechtliche Begriff des Beamten im weiteren Sinne ein rein funktio­ neller ist, macht es keinen Unterschied, ob der Betreffende öffentlich- oder pri­ vatrechtlich2143 angestellt ist, auf Amtszeit oder vorübergehend gewählt wurde sowie ob er haupt- oder nebenamtlich, besoldet oder ehrenamtlich tätig ist2144. Die Unterscheidung zwischen Beamten und Mitgliedern von Behörden – beide Kategorien nehmen öffentlich-rechtliche Aufgaben für das Gemeinwesen wahr  – erfolgt aufgrund ihrer Stellung zu diesem. Anders als das Behörden­ mitglied steht der Beamte tendenziell in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Gemeinwesen2145. 2140  Vgl. näher BGE 114 IV 35 f. 2141  BGE 135 IV 202. 2142  BGE 70 IV 218 f., 71 IV 144, 76 IV 151, 91 IV 73 f., 121 IV 220, 123 IV 76, 141 IV 332 f.,

SJZ 60 (1964) 141, 65 (1969) 210 f., ZR 76 (1977) Nr. 99.

2143  BGE 135 IV 202. 2144  Vgl. Oberholzer, BSK StGB I, N 12 zu Art. 110 Abs. 3. 2145  BGE 76 IV 102, 121 IV 220, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 285, Heimgartner, BSK StGB II,

N 6 vor Art. 285, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 6, a.M. Oberholzer, BSK StGB I, N 12 zu Art. 110 Abs. 3, Sieber, ZStrR 1966, 82, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 12 zu Art. 110.

392

§ 92 Einleitung

Beamte oder Angestellte sind neben Polizeibeamten etc. beispielsweise Ange­ stellte von öffentlichen Verkehrsbetrieben, sofern ihre jeweilige Tätigkeit öffent­ lich-rechtlicher Natur ist (so im Zusammenhang mit der Kontrolle von Fahr­ ausweisen2146), von einem Gemeinwesen mit einer Ersatzvornahme betraute Angestellte einer privaten AG2147 oder nicht öffentlich-rechtlich angestellte Notare im Zusammenhang mit der öffentlichen Beurkundung2148. Keine Beamten sind demgegenüber etwa die Angestellten einer Kantonal­ bank2149, Schiedsrichter, Sachverständige, Dolmetscher und Angehörige des Heeres, wie sich dies aus ihrer Gegenüberstellung zu den Beamten in den Art. 253, 322ter ff. und 317 ergibt. Unter dem alten Vormundschaftsrecht2150 hat das Bundesgericht entschieden, dass der Amtsvormund  – im Gegensatz zum Privatvormund2151  – Beamten­ funktion innehabe, insbesondere weil ihm eine Treuepflicht obliege, weil ihm aufgrund seiner Stellung ein erhöhtes Vertrauen zukomme, weil seine Amts­ stelle professionell organisiert sei und weil «jedenfalls hinsichtlich Erstellung von Inventar und Berichten sowie der Rechnungslegung höhere Anforde­ rungen gestellt» würden als an den privaten Vormund2152. Weshalb aus die­ sen Umständen darauf geschlossen werden können soll, dass die Tätigkeit des Amtsvormundes eine amtliche sei, ist nicht nachvollziehbar. Im Sinne einer lex specialis zu Art. 110 Abs. 3 gelten gemäss Art. 285 Ziff. 1 Abs. 2 sowie Art. 286 Abs. 2 als Beamte «auch Angestellte von Unternehmen nach dem Eisenbahngesetz vom 20. Dezember 19572153, dem Personenbeför­ derungsgesetz vom 20.  März 20092154 und dem Gütertransportgesetz vom 19.  Dezember 20082155 sowie Angestellte der nach dem Bundesgesetz vom 18. Juni 2010 über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffent­

2146  Wiprächtiger, 210. 2147  Heimgartner, BSK StGB II, N 4 vor Art. 285.  2148  BGE 128 I 281; Heimgartner, BSK StGB II, N 4 vor Art. 285 (anders noch Vorauflage).  2149  ZR 55 (1956) Nr. 129, SJZ 52 (1956) 278, RS 1965 Nr. 20, 1977 Nr. 229. 2150   Am 1.  Januar 2013 ist das Erwachsenenschutzrecht in Kraft getreten (vgl. ZGB

Art. 360 ff., insbes. Art. 390 ff. betreffend die Beistandschaften).

2151  BGE 76 IV 151 f., 121 IV 222. 2152  BGE 121 IV 222 f. 2153  SR 742.101, vgl. betreffend Angestellte der SBB AG BstGer vom 9.12.2014, BB.2014.105,

Erw. 2.2.

2154  SR 745.1. 2155  SR 742.41.

393

§ 92 Einleitung

lichen Verkehr mit Bewilligung des Bundesamts für Verkehr beauftragten Organisationen»2156.

2.2

Behörde und Behördenmitglieder

Die Auslegung dieser Begriffe überlässt das Gesetz der Rechtsprechung und Wissenschaft. Der Begriff der «Behörde» bezieht sich auf Organe des Gemeinwesens aller drei Gewalten: Legislative, Exekutive und Justiz. Die Qualifikation ist unabhängig davon, ob es sich um ein Einzel- oder Kollegialorgan handelt. So sind etwa Behörden das Parlament, der Bundesrat, der Regierungsrat, der Vorstand von politischen und Schulgemeinden, Kommissionen des Gemeinderats, Gerichte aller Stufen, aber auch die Fakultät einer Universität2157. Schliesslich zählt das Bundesgericht auch den Generalstabschef der Armee zu den Behörden im Sinne von Art. 285 f.2158. Als Behördenmitglied gilt eine Person, die einer Behörde angehört. Auch Behördenmitglieder üben amtliche Funktionen aus.

2.3

Beamte und Behörden des Auslandes und internationaler Organisationen

Nach herrschender Auffassung geniessen diese Personen den Rechtsschutz der Art. 285 ff. nicht, zumal die Beziehungen zum Ausland von den Strafbestim­ mungen des 16. Titels erfasst werden2159.

2156  SR 745.2. 2157  BGE 107 IV 118. 2158  BGE 114 IV 35 f. 2159  BGE 132 II 88 f., Heimgartner, BSK StGB II, N 8 vor Art. 285, Sieber, ZStrR 1966, 110,

ZR 65 (1966) Nr. 55, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 7 vor Art. 285, a.M. Schultz, Rechtsprechung 1963, 33.

394

§ 92 Einleitung

3. Amtshandlung 3.1

Innerhalb der Befugnisse liegende Amtshandlung

Als Amtshandlung gilt im vorliegenden Zusammenhang jede Tätigkeit eines Beamten oder Behördenmitglieds in seiner öffentlich-rechtlichen Funktion2160. Dazu gehören Handlungen in Ausübung staatlicher Macht, solche zur Erfül­ lung staatlicher Aufgaben im Allgemeinen wie auch entsprechende Vorberei­ tungs- und Begleithandlungen2161. Zu den Vorbereitungshandlungen gehören beispielsweise die Fahrt an den Ort, an welchem die Amtshandlung vorzu­ nehmen ist und die Rückfahrt oder eine Rekognoszierung im Hinblick auf die Amtshandlung2162. Umgekehrt ist zu beachten, dass nicht jede Verrichtung eines Beamten oder Behördenmitglieds anlässlich ihrer Aufgabenerfüllung als Amtshandlung zu qualifizieren ist2163. So stellt die beleidigende Bemerkung eines Beamten, die in keinerlei Zusammenhang mit der Erfüllung der öffent­ lich-rechtlichen Aufgabe steht, keine Amtshandlung dar2164. Umstritten ist, aufgrund welcher Kriterien zwischen Handlungen, die inner-, und solchen, die ausserhalb der Amtsbefugnisse liegen, zu unterscheiden ist. Innerhalb der Amtsbefugnisse liegen alle Amtshandlungen, für welche der Beamte bzw. das Behördenmitglied örtlich und sachlich zuständig ist2165, und dies nicht nur innerhalb, sondern auch ausserhalb der Dienstzeit2166. Sind die örtliche und sachliche Zuständigkeit gegeben, liegt die betreffende Amtshand­ lung innerhalb der Amtsbefugnisse, sofern sie nicht unter Berücksichtigung der Schwere des Verstosses sowie des Aspektes der Rechtssicherheit wegen

2160  Heimgartner, BSK StGB II, N 9 vor Art. 285, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 8 vor

Art. 285.

2161  BGer vom 13.5.2008, 6B_132/2008, Erw. 3.3. 2162  BGE 90 IV 139, 103 IV 248. 2163  Heimgartner, BSK StGB II, N 9 vor Art. 285, Wiprächtiger, 211; in sehr weit gehender

Weise geht das Bundesgericht davon aus, die Durchführung des Schulbetriebs stelle eine Amtshandlung dar (BGer v. 11.1.2011, 6B_891/2010, Erw. 3.2). 2164  BGE 110 IV 92. 2165  BGE 74 IV 61 f., 78 IV 119, 95 IV 175, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 52 N 5, Trechsel/ Vest, in: Trechsel/Pieth, N 10 vor Art. 285. 2166  Heimgartner, BSK StGB II, N 11 vor Art. 285, Wiprächtiger, 212.

395

§ 92 Einleitung

offensichtlicher Mängel nichtig2167 ist2168. Massgebend sind demnach grund­ sätzlich die Nichtigkeitsgründe gemäss öffentlichem Recht. Auf die Frage, ob Rechtsmittel gegen den nichtigen Hoheitsakt keinen wirksa­ men Schutz versprechen, kann es hingegen nicht ankommen2169. Für alle Amtshandlungen, welche nicht nichtig sind, besteht die Vermutung der Rechtmässigkeit, welche nur auf dem Weg über die Anfechtung der Amts­ handlung widerlegt werden kann.

3.2

Hinderung einer Amtshandlung

Eine Amtshandlung hindert, wer den Amtsträger in der Weise behindert, dass die Amtshandlung unterbleibt oder ihre Durchführung in nicht unerhebli­ cher Weise2170 verzögert oder erschwert wird2171. Ein weiter gehender Erfolg ist nicht erforderlich2172. Eine vollständige Verhinderung der Amtshandlung ist somit nicht vorausgesetzt2173. Die Hinderung muss in einer Widersetzlichkeit bestehen, die als aktives Tun zu erachten ist2174. Der blosse (passive) Ungehorsam gegenüber dem die Amts­ handlung Ausübenden scheidet aus2175.

2167  Anders als die herrschende Lehre will Heimgartner, BSK StGB II, N 19 ff. vor Art. 285,

zur Unterscheidung zwischen innerhalb der Amtsbefugnisse liegenden und nichtigen Amtshandlungen nur teilweise auf die Evidenztheorie abstellen. 2168  BGE 74 IV 62 f., 78 IV 118 f., 95 IV 175, BGer vom 8.11.2008, 6B_393/2008, Erw. 2.1. (wo ausdrücklich auf BGE 132 II 342 ff. verwiesen wird), Bötschi, 277, Corboz, Vol. II, N 13 zu Art. 285, Heimgartner, BSK StGB II, N 15 ff. vor Art. 285, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 52 N 7, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 23 vor Art. 285, a.M. Sidler, 79 ff. 2169  Heimgartner, BSK StGB II, N 24 vor Art. 285, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 52 N 6 f., a.M. BGE 98 IV 45. 2170  BGE 105 IV 49 f. 2171  BGE 120 IV 139, 124 IV 129, 127 IV 118, Heimgartner, BSK StGB II, N 4 zu Art. 286. 2172  BGE 120 IV 139, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 286, Dupuis u.a., Code pénal, N 7 zu Art. 285, Heimgartner, BSK StGB II, N 4 zu Art. 286, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 52 N 9 f., Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 2 zu Art. 286. 2173  BGE 90 IV 137, 133 IV 102. 2174  BGE 120 IV 140, 124 IV 129, 127 IV 118. 2175  BGE 120 IV 118, 124 IV 130, 127 IV 118, Heimgartner, BSK StGB II, N 9 zu Art. 286.

396

§ 92 Einleitung

Die Widersetzlichkeit muss sich kausal bzw. hypothetisch-kausal störend auf die Amtshandlung auswirken2176. Das hat u.a. zur Folge, dass die Amtshand­ lung – zu ihr gehören wie erwähnt auch die Vorbereitungs- und Begleithand­ lungen – bereits im Gange sein muss und nicht lediglich bevorstehen darf2177. Die Widersetzung besteht somit in der Regel in einem Verhalten, welches als Handlung zu qualifizieren ist («une résistance qui implique une certaine activité»2178). Eine solche ist beispielsweise zu bejahen, wenn der von der Amtshandlung (potenziell) Betroffene diese stört, indem er mit den Händen fuchtelt2179, davon fährt, bevor der Beamte  – wie beabsichtigt  – den Innenoder den Kofferraum des Fahrzeugs durchsuchen oder die Befragung zu Ende führen konnte2180, wenn er Widerstand beim Anlegen der Handfesseln leis­ tet2181 oder wenn er die wegen ihrer möglicherweise zu starken Abdunklung zu kontrollierenden Fensterscheiben im Verlaufe der Vorbereitung der Kon­ trolle  – mithin während der Amtshandlung  – senkt und damit die Feststel­ lung des relevanten Sachverhalts erschwert2182. Dasselbe muss gelten, wenn ein Fahrzeuglenker Manifestanten auffordert, sich um sein Fahrzeug aufzustellen, um Kontrollen zu verhindern2183. Demgegenüber lässt sich ein Verhalten dann nicht unter die tatbestandsmässige Handlung subsumieren, wenn jemand ohne Garantenstellung sich weigert, die Amtshandlung zu erleichtern, so etwa ein die Geschwindigkeitskontrolle störendes Auto vom eigenen Grundstück zu entfernen2184. Unterlassungen können dann tatbestandsmässig sein, wenn der Betroffene aufgrund einer aus Rechtsnormen oder allgemeinen Prinzipien ableitbaren Garantenpflicht zur Förderung der Amtshandlung durch die Besei­ tigung eines Hindernisses verpflichtet ist2185. Die Weigerung, den Sitzungs­ raum einer Behörde trotz entsprechender Aufforderung zu verlassen, nachdem das Betreten desselben zufolge Einwilligung straflos bleibt, stellt einen weite­

2176  BGE 127 IV 118, 133 IV 102. 2177  BGE 133 IV 105. 2178  BGE 127 IV 118, vgl. auch BGE 120 IV 140, 124 IV 130. 2179  BGE 74 IV 63. 2180  BGE 85 IV 143 f., 103 IV 248. 2181  BGer vom 7.7.2016, 6B_166/2016, Erw. 3.2. 2182  BGE 133 IV 100 f., 106. 2183  BGE 127 IV 118. 2184  A.M. BGE 95 IV 175. 2185  BGE 120 IV 140, Heimgartner, BSK StGB II, N 11 zu Art. 286, Stratenwerth/Bommer,

BT II, § 52 N 9.

397

§ 92 Einleitung

ren Anwendungsfall der strafbaren Unterlassung dar, wenn dadurch die Amts­ handlung – die Durchführung der Sitzung – gehindert wird2186.

3.3

Abgrenzung und Konkurrenz zur Begünstigung

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung besteht zwischen Art. 286 und Art.  305 echte Konkurrenz. Als Begründung dafür wird ausgeführt, das Ver­ halten desjenigen, der in eine Amtshandlung eingreift, die sich bereits in Gang befindet und sich in klar erkennbarer Weise gegen ihn richtet, erschöpfe sich nicht in blosser Selbstbegünstigung. In derartigen Fallkonstellationen verübe der Täter in Selbstbegünstigung einen zusätzlichen Rechtsbruch, indem er sich einer konkreten amtlichen Anordnung widersetzt und die Durchführung der Amtshandlung hindert2187. Demgegenüber sei ausschliesslich wegen Selbst­ begünstigung zu belangen, wer in ein amtliches Verhalten eingreift, welches (noch) nicht als konkret eine Person betreffende Amtshandlung – zu einer sol­ chen gehören wie erwähnt auch die Vorbereitungs-2188 und Begleithandlun­ gen – erachtet werden kann oder aber wer einer solchen Amtshandlung zuvor­ kommt2189. Diese Auffassung ist nachvollziehbar, weil Selbstbegünstigungen denkbar sind, ohne dass mit demselben Verhalten eine Amtshandlung behin­ dert wird. In der Doktrin wird die erwähnte bundesgerichtliche Praxis im Falle der reinen Selbstbegünstigung weitgehend abgelehnt2190. Dieser Auffassung ist der Vorzug zu geben2191.

4. Prozessuales Die Handlungen des 15. Titels unterstehen, soweit sie gegen die Eidgenossen­ schaft gerichtet sind, der Bundesgerichtsbarkeit2192. Grundsätzlich kann die Staatsanwaltschaft des Bundes gemäss Art. 25 Abs. 1 StPO jedoch die Strafsa­ che an einen Kanton delegieren.

2186  BGE 107 IV 118 f. 2187  BGE 85 IV 144, 124 IV 130 f., 133 IV 105. 2188  Vgl. BGer vom 4.9.2008, 6B_115/2008, Erw. 4.3.2. 2189  BGE 133 IV 106, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 286, Hauswirth, 158 ff. 2190  Heimgartner, BSK StGB II, N 13 zu Art. 286, Roth, 222 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II,

§ 52 N 12, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 4 zu Art. 286.

2191  Vgl. dazu die Ausführungen zur Begünstigung in § 111 Ziff. 3.1, § 112 Ziff. 4.2 lit. c. 2192  StPO Art. 23 Abs. 1 lit. h, BGE 70 IV 215 f.

398

§ 93  Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285)

§ 93 Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285) Literaturauswahl: M. Bötschi, Die Rechtmässigkeit der Amtshandlung bei Delikten gegen die Staatsgewalt gemäss Art. 285/286, Diss. Zürich 1980, K. Bühler, Aufruhr und Landfriedensbruch im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1976, F. Falb, Demonstrationen und Strafrecht, ZStrR 91(1975) 231, C. Hegnauer, Zur Strafbarkeit der Widersetzlichkeit gegen Amtshandlungen, SJZ 52 (1956) 101, W. Padrutt, Zum Tatbestand der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, Krim 10 (1956), 376, 413, A. Roth, Entwicklungen im Strassenverkehrsrecht, SJZ 95 (1999) 222, R.Schneider, Das Widerstandsrecht in Staatsrecht und Staatstheorie der Gegenwart, Diss. Zürich 1962, F. Schürmann, Der Begriff der Gewalt im schweizerischen Strafgesetzbuch, Diss. Basel 1986, M. Sidler, Widersetzlichkeit und Beamtennötigung im Schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1974, H. Wiprächtiger, Gewalt und Drohung gegenüber Beamten oder Angestellten im öffent­ lichen Verkehr unter besonderer Berücksichtigung des Bahnpersonals, SJZ 93 (1997) 209.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Geschützte Amtshandlung

Art. 285 (Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte/Violence ou menace contre les autorités et les fonctionnaires/Violenza o minaccia contro le autorità e i funzionari/Violence and threats against authorities and officials) bezieht sich auf Amtshandlungen im vorstehend umschriebenen Sinn2193. Diese müssen innerhalb der Amtsbefugnisse der Behörde, des Mitglieds einer Behörde oder des Beamten liegen2194. Abgesehen von der Fallkonstellation, in welcher die Amtshandlung auf einem nichtigen Hoheitsakt beruht, kann der Rechtsstaat Gewalt oder Drohung gegen seine Organe nicht dulden. Gegenüber einer nicht qualifiziert rechtswidrigen oder bloss unzweckmässigen Verfügung stehen dem Bürger die entsprechen­ den Rechtsmittel zur Verfügung. Ihrer, nicht aber gewalttätiger Methoden, hat sich der Bürger zu bedienen2195.

2193  Vorn § 92 Ziff. 3. 2194  Vgl. dazu vorn § 92 Ziff. 3.1. 2195  BGE 78 IV 118, 95 IV 175, SJZ 59 (1963) 381, 63 (1967) 219.

399

§ 93  Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285)

1.2

Die tatbestandsmässigen Verhaltensweisen und gegebenenfalls ihr Erfolg

Die sog. «gewaltsame Widersetzung» kann in den nachstehenden drei Formen verübt werden:

1.21

Hinderung einer Amtshandlung durch Gewalt oder Drohung

Bei dieser Tatbestandsvariante wird die Behörde, das Behördenmitglied oder der Beamte durch Gewalt bzw. Drohung veranlasst, eine vorgesehene Amts­ handlung zu unterlassen. Gewalt ist – gleich wie bei der Nötigung2196 – jede physische Einwirkung auf den Amtsträger, mit welcher der mit der Amtshandlung verbundene tatsäch­ liche oder zu erwartende amtliche Zwang überwunden wird2197. Das Schaffen physischer Hindernisse, wie beispielsweise das Einschliessen oder das Errich­ ten von Barrikaden zum Versperren des Weges, ist nach überwiegender Dok­ trin nicht als Gewalt zu qualifizieren2198; nach dem Bundesgericht kann darin «ein der Anwendung von Gewalt ähnliches Mittel» gesehen werden2199. Dem kann nicht gefolgt werden. In derartigen Verhaltensweisen kann unter Umstän­ den aber eine Drohung2200 gesehen werden2201. Die Anwendung von Gewalt oder Drohung bewirkt eine Behinderung des Amtsträgers in der Weise, dass die Amtshandlung unterbleibt oder ihre Durch­ führung in nicht unerheblicher Weise verzögert oder erschwert wird2202. Sofern sich die Gewaltanwendung oder die Drohung nicht gegen den die Amtshandlung Ausführenden richtet, lässt sich das betreffende Verhalten nicht unter Art. 285 subsumieren2203. Entsprechend ist die Anwendung von Art. 285 2196  Strafrecht III, § 51 Ziff. 1.11. 2197  Zum Begriff der Gewalt vgl. die entsprechenden Ausführungen zur Nötigung, Straf­

recht III, § 51 Ziff. 1.11.

2198  Dupuis u.a., Code pénal, N 9 zu Art. 285, Heimgartner, BSK StGB II, N 7 zu Art. 285,

Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 4 zu Art. 285, a.M. Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 285, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 52 N 20. 2199  BGE 119 IV 306, 309. 2200  Zum Begriff der Drohung vgl. die Ausführungen betreffend «Androhung ernstlicher Nachteile» zur Nötigung, Strafrecht III, § 51 Ziff. 1.12. 2201  Vgl. BGE 90 IV 138 f., Heimgartner, BSK StGB II, N 7 zu Art. 285. 2202  Vgl. dazu vorn § 92 Ziff. 3.2. 2203  Heimgartner, BSK StGB II, N 8 zu Art. 285, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 52 N 20. Die Frage, ob auch Gewalt an Drittpersonen oder Sachen mit physischer bzw. psychi­

400

§ 93  Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285)

ausgeschlossen, wenn sich der Betroffene mit voller Kraft ausschliesslich an einen Gegenstand, beispielsweise ein Treppengeländer, klammert.

1.22

Nötigung zu einer Amtshandlung

Bei dieser Form der Widersetzung zwingt der Täter die Amtsperson zur Vor­ nahme einer Amtshandlung, wobei die Tatmittel wiederum Gewalt oder Dro­ hung2204 umfassen. Der tatbestandsmässige Erfolg der Nötigung liegt darin, dass der Betroffene die von ihm verlangte Handlung vorzunehmen beginnt2205. Gleich wie bei der Nötigung ist allerdings eine Einschränkung in dem Sinne angebracht, dass auch hier die im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechts­ widrigkeit bei der Nötigung entwickelten Kriterien anzuwenden sind (Zweck oder Mittel sind unerlaubt, oder das Mittel steht zum Zweck nicht im rich­ tigen Verhältnis, oder ihre Verknüpfung ist rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig)2206. Ein rechtswidriges Verhalten seitens des Täters liegt nur vor, wenn die abverlangte Amtshandlung nicht rechtmässig ist, oder wenn mit unverhältnismässigen Mitteln ein an sich erlaubter Zweck erreicht werden soll. Die Drohung mit einer Beschwerde gegenüber einem säumigen Beamten, die endlich gebotene Amtshandlung vorzunehmen, ist rechtmässig2207. Die Drohung wird indes­ sen zu einer widerrechtlichen, wenn dem betreffenden Beamten in Aussicht gestellt wird, sein ehebrecherisches Verhältnis mit der Sekretärin werde mit der Beschwerde dem Vorgesetzten hinterbracht.

1.23

Tätlicher Angriff

Schliesslich ist die Verübung einer Tätlichkeit2208 bei der Vornahme einer Amtshandlung strafbar. Der Tatbestand setzt nicht voraus, dass der körperli­ che Kontakt vom Täter ausgeht oder dass dem Betroffenen Schmerzen zuge­ scher Zwangswirkung (vgl. z.B. Schuss auf Kind des Beamten) auf den Amtsträger dar­ unter fällt, wird allerdings kontrovers diskutiert, vgl. Heimgartner, BSK StGB II, N 9 zu Art. 285. 2204  Heimgartner, BSK StGB II, N 12 zu Art. 285, Sidler, 118 f., Trechsel/Vest, in: Trechsel/ Pieth, N 7 zu Art. 285. 2205  Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 285, a.M. Heimgartner, BSK StGB II, N 12 zu Art. 285, wonach die Amtshandlung ausgeführt werden muss. 2206  Strafrecht III, § 51 Ziff. 3. 2207  BGE 94 IV 118. 2208  Art. 126, vgl. dazu Strafrecht III, § 3 Ziff. 4; weiter BGer vom 6.3.2017, 6B_798/2018, Erw. 4.2.

401

§ 93  Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285)

fügt werden2209; immerhin muss die Einwirkung i.S.v. Art. 126 von einer gewis­ sen Intensität sein2210. Entscheidend ist, dass der Täter gegen den Beamten während seiner Amtshandlung tätlich wird2211. Ein tätlicher Angriff liegt auch vor, wenn der Beamte ausweicht, mithin wenn lediglich der Versuch einer Tät­ lichkeit i.S. von Art. 126 gegeben ist2212. Diese Tatvariante ergänzt diejenige der Hinderung einer Amtshandlung, indem der tätliche Angriff sich nicht gegen deren Vornahme zu richten braucht, d.h., die Amtshandlung braucht – sieht man von den durch den Umstand der Tätlichkeit bewirkten Einschränkung ab – nicht behindert zu werden.

2.

Subjektiver Tatbestand

Für das Vorsatzdelikt von Art. 285 Ziff. 1 ist erforderlich, dass der Täter die amtliche Eigenschaft und den amtlichen Charakter der Tätigkeit kennt und davon ausgeht, seine Handlungsweise richte sich gegen eine nicht offensicht­ lich rechtswidrige Handlung eines zuständigen Amtsträgers. Sodann muss der Täter die mit seiner Handlungsweise verbundenen Folgen (Hinderung, Nöti­ gung) wollen.

3.

Qualifizierter Fall (Ziff. 2)

Wird die Hinderung, Nötigung oder Tätlichkeit nach Ziff. 1 von einem «zusam­ mengerotteten Haufen» begangen, so liegt das qualifizierte Delikt des sog. «Aufruhrs» nach Art. 285 Ziff. 2 vor. Die Verwandtschaft zum Landfriedens­ bruch nach Art. 260 ist augenfällig und es kann insoweit auf die Ausführun­ gen hierzu in § 46 Ziff. 1.1 verwiesen werden. Der Unterschied besteht nament­ lich darin, dass von Verhaltensweisen nach Art. 285 Ziff. 2 die Ausübung einer Amtshandlung in Mitleidenschaft gezogen wird und sich die Angriffe direkt gegen Behördenmitglieder oder Beamte richten. Eine weitere Abweichung zu Art. 260 besteht insoweit, als beim Aufruhr die Ansammlung nicht in der Öffentlichkeit stattfinden muss.

2209  BGE 117 IV 16. 2210  BGer vom 6.3.3017, 6B_798/2016, Erw. 4.2.; vgl. auch Heimgartner, BSK StGB II, N 15

zu Art. 285.

2211  BGE 101 IV 64 f. 2212  Heimgartner, BSK StGB II, N 15 zu Art. 285, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 8 zu

Art. 285.

402

§ 93  Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285)

3.1

Passive Teilnahme an der Zusammenrottung

Nach Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 ist strafbar, wer sich in zusammengerotteten Hau­ fen aufhält, ohne sich selber an den Gewalttätigkeiten zu beteiligen2213. Nur der passive, von der Zusammenrottung distanzierte, nicht als Teil derselben erscheinende Zuschauer ist nicht als Teilnehmer zu erachten2214. Die Straf­ barkeit der passiven Teilnahme knüpft an die Vorstellung an, die Anwesenheit in einer Zusammenrottung von Menschen übe einen massenpsychologischen Effekt aus und fördere so die Bereitschaft zu Ausschreitungen. Es handelt sich somit um ein abstraktes Gefährdungsdelikt2215. Wesentlich ist, dass eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder ein Beam­ ter durch Gewalt bzw. Drohung an einer Amtshandlung gehindert bzw. zu einer solchen genötigt wird oder solche Personen während ihrer Amtshand­ lung tätlich angegriffen werden. Weil die Teilnahme an der Zusammenrottung als solche bestraft wird, müssen diese Ereignisse nicht vom Vorsatz des Täters erfasst sein; es handelt sich bei diesen um objektive Strafbarkeitsbedingun­ gen2216. Zu fordern ist allerdings, dass der Täter um den unfriedlichen Verlauf der Demonstration weiss und die Tathandlungen von der Zusammenrottung aus verübt werden.

3.2

Aktive Beteiligung an der Zusammenrottung

Von einer aktiven Beteiligung an der Zusammenrottung ist auszugehen, wenn der Teilnehmer Gewalt an Personen oder Sachen verübt. Nach dem Wortlaut der Bestimmung wäre der Tatbestand erfüllt, wenn der Teilnehmer im zusam­ mengerotteten Haufen, aus welchem von einem oder mehreren anderen Teil­ nehmern tatbestandsmässige Handlungen gemäss Art.  285 Ziff.  1 begangen werden, beispielsweise eine Privatperson angreift oder deren Sache beschä­ digt2217. Die Norm wird jedoch gemäss Praxis und herrschender Lehre res­

2213  BGE 108 IV 36. 2214  BGE 108 IV 36. 2215  Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.33. 2216  Strafrecht I, § 8 Ziff. 3, vorn § 46 Ziff. 3, BGE 98 IV 48, 103 IV 245 = Pr 67 (1978)

Nr. 37, 108 IV 35, Heimgartner, BSK StGB II, N 25 zu Art. 285, kritisch Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 52 N 31. 2217  Umstritten, vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 52 N 33.

403

§ 93  Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285)

triktiv in dem Sinne ausgelegt, dass die Gewalttätigkeit den Tatbestand von Art. 285 Ziff. 1 mit verwirklichen muss2218. Zu fordern ist zudem, dass der Teilnehmer aus der Menge heraus handelt.

3.3

Aufruhr und Demonstrationsfreiheit

Der Tatbestand von Art. 285 Ziff. 2 wird erfahrungsgemäss im Zusammenhang mit einer unfriedlich verlaufenden Demonstration verübt. Für die Würdigung des Aufruhrs im Lichte der Demonstrationsfreiheit ist auf die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Landfriedensbruch zu verweisen2219. Die Polizei ist befugt, eine auf öffentlichem Grund und Boden ohne Bewilligung durch­ geführte Demonstration aufzulösen. Ein Widerstand der Menge gegen solche Amts­ handlungen kann deshalb nicht rechtmässig sein.

4.

Weitere Fragen

4.1 Rechtfertigungsgründe Solche gelangen wohl kaum zur Anwendung. Der Widerstand gegen nichtige Amtshandlungen ist nicht tatbestandsmässig. Notwehr, Notstand oder überge­ setzliche Rechtfertigungsgründe lassen sich kaum denken, wenn davon ausge­ gangen wird, dass fehlerhafte Verfügungen mit den vom Gesetz vorgesehenen Mitteln angefochten werden müssen.

4.2 Konkurrenzfragen Art. 285 konsumiert Art. 126, nicht aber Art. 122 f.2220 und Art. 1442221. Ebenso konsumiert Art. 285 die Art. 180, 181 sowie 2862222. Im Verhältnis zu Art. 260 ist von echter Konkurrenz auszugehen, sofern sich die Gewalt nicht aus­ schliesslich gegen die Amtsträger und ihre Sachen richtet2223. Zur Konkurrenz 2218  BGE 103 IV 246, 108 IV 178, Dupuis u.a., Code pénal, N 21 zu Art. 285, Heimgartner,

BSK StGB II, N 21 zu Art. 285, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 52 N 33, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 11 zu Art. 285. 2219  Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 16 zu Art. 285. 2220  BGE 103 IV 247. 2221  BGE 103 IV 247. 2222  Corboz, Vol. II, N 26 f. zu Art. 285, Dupuis u.a., Code pénal, N 24 zu Art. 285. 2223  Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 16 zu Art. 285, zu weitgehend BGE 103 IV 246, 108 IV 179, Corboz, Vol. II, N 28 zu Art. 285.

404

§ 94  Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286)

zwischen Art. 285 und Art. 305 wird auf die Ausführungen zur Begünstigung verwiesen2224.

§ 94 Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter §§  92 und 93, E.  Frei, Hinderung einer Amtshandlung, Krim 35 (1981), 87, 126, R. Schnetzer, Die Abgrenzung der Hinderung einer Amtshandlung gemäss Art. 286 StGB vom blossen Ungehorsam, Diss. Basel 1979, H. Wiprächtiger, Gewalt und Drohung gegenüber Beamten oder Angestellten im öffentlichen Verkehr unter besonderer Berücksichtigung des Bahnpersonals, SJZ 93 (1997) 209.

1.

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand besteht darin, dass jemand eine Behörde, ein Behör­ denmitglied oder einen Beamten2225 an einer Amtshandlung hindert, die innerhalb ihrer Amtsbefugnis liegt2226. Die Amtshandlung braucht sich nicht unbedingt gegen den Täter zu richten.

1.1

Tatbestandsmässige Handlung

Die Tathandlung nimmt eine Mittelstellung zwischen der Gewalt und Dro­ hung gegen Behörden und Beamte (Art. 285) und dem Ungehorsam gemäss Art. 292 ein. Der Tatbestand (Hinderung einer Amtshandlung/Empêchement d’accomplir un acte officiel/Impedimento di atti dell’autorità/Interference with the activities of officials) erfordert, dass der Täter den Amtsträger an einer Amtshandlung hin­ dert2227. Während die Hinderung der Amtshandlung gemäss Art. 285 aktive Gewaltanwendung gegen die Amtsträger voraussetzt, findet Art. 286 Anwen­ dung bei blossem sog. passivem Widerstand. Aktiver Widerstand kann nur dann unter Art. 286 fallen, wenn er nicht mit den in Art. 285 angeführten Mit­ teln erfolgt2228 bzw. nicht die dort geforderte Intensität aufweist.

2224  Vgl. § 112 Ziff. 4.2 lit. c. 2225  Dazu vorn § 92 Ziff. 2. 2226  Vgl. dazu vorn § 92 Ziff. 3.1. 2227  Vgl. dazu vorn § 92 Ziff. 3.2. 2228  BGE 120 IV 139.

405

§ 94  Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286) Als Hinderung einer Amtshandlung durch aktives Tun gilt nach der Rechtsprechung das Zudrücken der Wohnungstüre gegenüber dem Einlass begehrenden Beamten, das Festklammern an einem Pfosten oder das Ausstrecken eines Arms, um den Zutritt zu einem Raum zu verhindern2229. Keine Hinderung einer Amtshandlung liegt demge­ genüber vor, wenn nicht in deren Durchführung bzw. Ablauf eingegriffen wird, son­ dern deren Ergebnis beeinflusst wird, so wenn – ohne diese selbst zu behindern – vor Geschwindigkeitskontrollen gewarnt wird2230.

Wie bereits ausgeführt, fällt die blosse Untätigkeit in der Form der Nichtbe­ folgung einer amtlichen Aufforderung bzw. des Ungehorsams nicht unter das Tatbestandsmerkmal der Hinderung einer Amtshandlung2231 und damit nicht unter Art. 286. In solchen Fällen ist eine Bestrafung allenfalls nach Art. 2922232 oder nach dem Nebenstrafrecht2233 möglich, sofern die dort vorgeschriebenen Formvorschriften beachtet worden sind. Kein Fall von Art. 286 liegt z.B. vor, wenn ein Automobilist sich weigert, einem Polizei­ beamten zur Vornahme eines Atemlufttests zu folgen2234, oder wenn der Ehemann die Frage nach dem Aufenthalt der gesuchten Ehefrau nicht beantwortet2235, oder wenn der Beifahrer in einem Personenwagen den Lenker nicht daran hindert, die Vornahme einer Kontrolle zu vereiteln, indem er nichts dagegen unternimmt, dass dieser auf einen Polizeibeamten losfährt und so die Durchfahrt bei der Sperre erzwingt2236.

Durch rein passives Verhalten kann der Tatbestand nur erfüllt werden, wenn der Normadressat infolge einer gesetzlichen Pflicht oder gestützt auf eine ent­ sprechende Garantenstellung verpflichtet ist, die Durchführung der Amts­ handlung zu fördern2237. Die Anwendbarkeit der Bestimmung ist bejaht worden, als eine ungebetene Personen­ gruppe die Fortführung einer Sitzung verhinderte, indem sie sich trotz einer entspre­ chenden gesetzlichen Pflicht weigerte, das Lokal zu verlassen2238.

2229  SJZ 67 (1971) 24, 69 (1973) 39 = ZR 71 (1972) Nr. 9. 2230  BGE 103 IV 187, 107 IV 196. 2231  Vorn § 92 Ziff. 3.2. 2232  BGE 120 IV 139. 2233  Z.B. SVG Art. 99 Ziff. 3bis. 2234  BGE 110 IV 93 f. 2235  BGE 103 IV 247 f. 2236  BGE 120 IV 139. f. 2237  Vgl. vorn § 92 Ziff. 3.2, BGE 103 IV 248, 120 IV 140. 2238  BGE 107 IV 118.

406

§ 94  Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286)

1.2

Auswirkungen auf die Amtshandlung

Wie erwähnt, handelt es sich bei Art.  286 ebenso wie bei Art.  285 um ein Erfolgsdelikt2239. Der tatbestandsmässige Erfolg liegt darin, dass die Amts­ handlung unterbleibt oder ihre Durchführung erschwert, erheblich verzögert oder behindert wird2240.

2.

Subjektiver Tatbestand

Art. 286 verlangt Vorsatz. Eventualvorsatz genügt. Der Täter muss wissen, dass es sich um einen Amtsträger handelt, welcher eine Amtshandlung ausführt, die nicht nichtig ist. Entsprechend setzt der Vorsatz nicht voraus, dass der Täter davon ausgeht, die betreffende Handlung sei rechtmässig2241. Geht der Täter zu Unrecht davon aus, der Hoheitsakt, welcher der Amtshandlung zugrunde liegt, sei nichtig, so handelt er in einem Sachverhaltsirrtum gemäss Art. 132242.

3. Konkurrenzfragen Im Verhältnis zu Art.  285 ist Art.  286 subsidiär2243. Demgegenüber geht Art. 286 Art. 292 vor2244, wobei jedoch Art. 286 nicht nur deshalb angewen­ det werden darf, weil eine Voraussetzung von Art.  292  fehlt2245. Im Verhält­ nis zu SVG Art. 91a kann dann keine Konkurrenz bestehen, wenn der Motor­ fahrzeugführer der amtlichen Aufforderung zur Blutentnahme lediglich nicht nachkommt; in einem solchen Fall kann sein Verhalten nicht unter Art. 286 subsumiert werden2246. Renitenz des Schuldners im Betreibungs- und Kon­ kursverfahren erfassen die Sonderbestimmungen der Art. 163–170 sowie 323 f. Erst wenn der Schuldner durch Gewalt oder Drohung bzw. durch persönli­ che Behinderung die Zwangsvollstreckungshandlung infrage stellt, kommen

2239  Vorn § 92 Ziff. 3.2, BGE 120 IV 140 m.w.H. 2240  Vgl. vorn § 92 Ziff. 3.2, BGE 120 IV 139, 124 IV 129, 127 IV 118. 2241  Heimgartner, BSK StGB II, N 15 zu Art. 286, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 52 N 13,

a.M. wohl BGE 116 IV 156, Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 286.

2242  Unzutreffend BGer vom 8.11.2008, 6B_393/2008, Erw. 2.3, unklar BGE 116 IV 156. 2243  Dupuis u.a., Code pénal, N 19 zu Art. 286, Heimgartner, BSK StGB II, N 17 zu Art. 286,

Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 10 zu Art. 286.

2244  ZR 56 (1957) Nr. 69, Dupuis u.a., Code pénal, N 20 zu Art. 286. 2245  BGE 110 IV 95. 2246  BGE 110 IV 94, vgl. auch BGer vom 2.11.2010, 6B_680/2010, Erw. 4.2.2.

407

§ 95  Amtsanmassung (Art. 287)

Art. 285 resp. Art. 286 zum Zuge. Das Verhältnis zur Begünstigung wird im Zusammenhang mit jenem Tatbestand behandelt2247.

§ 95 Amtsanmassung (Art. 287) Literaturauswahl: B. Güggi, Die Amtsanmassung und die Befehlsanmassung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Freiburg 1943, K. Hauri, MStG Art. 69.

Art.  287 (Amtsanmassung/Usurpation de fonctions/Usurpazione di funzioni/ Usurpation of office) wird ergänzt durch den Tatbestand der Befehlsanmassung gemäss MStG Art. 69.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Amtsanmassung im nicht militärischen Bereich

1.11

Amtsanmassung im Allgemeinen

Strafbar macht sich, wer unbefugt eine amtliche, d.h. öffentlich-rechtliche und hoheitliche2248 Handlung vornimmt oder vorzunehmen versucht, die einem Beamten, einer Behörde oder einem Behördenmitglied zusteht2249, mithin wer unbefugt Machtbefugnisse auszuüben versucht2250. Ob es genügt, wenn sich der Täter nicht das entsprechende Amt anmasst, sondern nur einzelne Befug­ nisse, ist umstritten2251. Zu beachten ist dabei, dass der Betreffende in derarti­ gen Fällen regelmässig konkludent vorgibt, in Ausübung eines Amtes zu han­ deln. Ob sich der Betreffende unbeholfen verhält, ist nicht von Belang2252. Im ersten der zitierten Bundesgerichtsentscheide2253 wird ausgeführt, der Täter habe – ohne sich ausdrücklich als Polizeibeamter auszugeben – mit einer der Verkehrsjacke der Kantonspolizei ähnlichen Verkehrskadettenjacke bekleidet einen Motorfahrzeug­ lenker angehalten, diesen auf möglichen Alkoholkonsum hingewiesen und aufgefor­ 2247  Vgl. hinten § 111 Ziff. 3.1, § 112 Ziff. 4.2 lit. c. 2248  Corboz, Vol II, N 1 zu Art. 287, Heimgartner, BSK StGB II, N 3 zu Art. 287, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 54 N 3.

2249  Dazu vorn § 92 Ziff. 2. 2250  Pr 85 (1996) Nr. 174, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 3 zu Art. 287. 2251  Befürwortend Pr 85 (1996) Nr. 174, BGE 128 IV 167, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 54

N 4, ablehnend Heimgartner, BSK StGB II, N 4 zu Art. 287.

2252  BGE 128 IV 167, Dupuis u.a., Code pénal, N 7 zu Art. 287. 2253  Pr 85 (1996) Nr. 174.

408

§ 95  Amtsanmassung (Art. 287) dert, sich auszuweisen. Dieses Verhalten kann nach hier vertretener Auffassung auch so interpretiert werden, dass sich der Täter nicht nur einzelne amtliche Befugnisse, son­ dern das Amt eines Kantonspolizisten angemasst hat.

Der Tatbestand wird also nicht schon dadurch erfüllt, dass jemand vorspiegelt, Beamter zu sein, indem er z.B. Titel verwendet, die nur Behördenmitgliedern oder Beamten zukommen2254. Vielmehr muss der Täter unter ausdrücklicher oder konkludenter Vorgabe einer solchen Stellung eine Anordnung hoheitli­ cher Natur treffen, bei der es sich aber nicht um eine Zwangsmassnahme zu handeln braucht2255. Beispiele: Ein Privater gibt sich als Beamter der Feuerpolizei aus, kontrolliert eine Hei­ zungsanlage und stellt dafür ein Attest aus, wofür er sich eine «Gebühr» auszahlen lässt. Jemand unterzieht unter Berufung auf seine angebliche Stellung als Amtsarzt eine Frau einer «gynäkologischen» Untersuchung. Ein Privater befestigt einen «polizeilichen Rapport» an der Windschutzscheibe eines parkierten Wagens. Den Beanstandungsrapport hat er aus dem gefundenen Bussen­ block ausgefüllt, welchen eine Polizeibeamtin verloren hat. Da es an der rechtswidrigen Absicht fehlt – der angestrebte Vorteil hat nur in der persönlichen Genugtuung, nicht jedoch im widerrechtlichen Eingriff in die Rechtssphäre eines Dritten bestanden – ist der Tatbestand nicht erfüllt2256.

Zu beachten ist, dass in der Gesetzgebung Privaten ausnahmsweise Kompeten­ zen erteilt werden, die in der Regel nur einem Beamten zustehen. Wer davon Gebrauch macht, erfüllt den Tatbestand nicht, wenn die betreffenden Voraus­ setzungen gegeben sind. Beispiel: Festnahmerecht des Privaten gemäss StPO Art. 218.

1.12

Amtsanmassung durch Beamte

In der Literatur wird angenommen, dass der Tatbestand von Art.  287 auch durch einen Beamten, ein Behördenmitglied oder einen Träger militärischer Befehlsgewalt erfüllt werden kann, nämlich wenn der Betreffende amtliche Handlungen vornimmt, die ausserhalb seiner Kompetenz liegen2257.

2254  SJZ 42 (1946) 325, ZR 49 (1950) Nr. 84. 2255  BGer vom 18.12.1984 i.S. U.W., Erw. 2a. 2256  BGE 128 IV 165 ff. 2257  Vgl. etwa Hafter, BT II, 753, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 54 N 4.

409

§ 95  Amtsanmassung (Art. 287)

Dem kann ohne Weiteres beigepflichtet werden, soweit es sich um Übergriffe des Funktionärs in einen fremden Verwaltungszweig bzw. in ein anderes Amt oder gar in den Bereich einer anderen Staatsgewalt handelt. Beispiel: Der Zivilstandsbeamte trägt im Register einen vermissten Ehegatten als ver­ schollen ein, damit der andere Partner wieder heiraten kann. Er ist sich dabei bewusst, dass eine Verschollenerklärung und deren Eintrag im Register nur vom Richter ange­ ordnet werden dürften2258.

Hingegen wird man die Anmassung eines Amtes im Sinne von Art. 287 kaum darin erblicken dürfen, dass ein Beamter innerhalb seines Tätigkeitsbereiches die ihm zustehenden Kompetenzen überschreitet, also sich nicht das «Amt», sondern nur einzelne Befugnisse anmasst2259. Der Zweck der Bestimmung kann nicht darin bestehen, die Abgrenzung der Kompetenzen verschiedener im gleichen Sachbereich tätiger Gerichte oder Verwaltungsbehörden oder gar der Befugnisse verschiedener Beamter innerhalb der gleichen Amtsstelle mit Kriminalstrafen zu sichern2260. Kompetenzüberschreitungen dieser Art können aber als Amtsmissbrauch im Sinne von Art. 3122261 geahndet werden, wenn der Beamte damit das Ziel ver­ folgt, sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen. Das Bundesgericht hielt Art. 312 und nicht Art. 287 für erfüllt, als ein Gemeindepoli­ zist die Räumung einer Unfallstelle anordnete und die Augenzeugen entliess (wozu nur die Kantonspolizei kompetent gewesen wäre), um damit einen beteiligten Fahrzeug­ lenker zu begünstigen2262.

Im Einzelfall kann es schwierig sein, zwischen der Kompetenzüberschreitung im eigenen Tätigkeitsbereich einerseits und der Anmassung von Kompetenzen, die ausschliesslich einem anderen Amt zustehen, zu unterscheiden.

1.2

Anmassung militärischer Befehlsgewalt

Mit dieser Tatbestandsvariante wird MStG Art. 69 ergänzt, indem die Anmas­ sung militärischer Befehlsgewalt durch Zivilpersonen ausserhalb des Aktiv­ dienstes erfasst wird. Die Bestimmung ist so auszulegen, dass die (versuchte) 2258  ZGB Art. 35. 2259  A.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 54 N 4. 2260  Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 4 zu Art. 287. 2261  Dazu hinten § 119. 2262  BGer vom 18.12.1984 i.S. U.W., Erw. 2b.

410

§ 95  Amtsanmassung (Art. 287)

Anmassung der militärischen Befehlsgewalt strafbar ist. Allein durch das Tra­ gen einer militärischen Uniform oder durch das Vorspiegeln, einen bestimm­ ten militärischen Grad zu haben, wird der Tatbestand nicht erfüllt2263.

2.

Subjektiver Tatbestand

Die Amtsanmassung ist nur bei vorsätzlicher Verübung strafbar. Am erforder­ lichen Wissenselement würde es z.B. fehlen, wenn jemand fälschlicherweise annimmt, die von ihm vorgenommene Handlung stehe auch einem Privaten zu. Sodann muss der Täter in rechtswidriger Absicht handeln, wobei Eventualab­ sicht genügt2264. Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn ein rechtswidriges Hand­ lungsziel verfolgt wird. Der Täter kann jedoch auch in rechtswidriger Absicht handeln, wenn er ein an sich gerechtfertigtes Handlungsziel anstrebt. Nach der Entstehungsgeschichte von Art. 287 sollen mit dem Merkmal der rechtswidrigen Absicht Fälle ausge­ schieden werden, in denen der Täter etwa nur ein Verbrechen verhindern oder drohenden Schaden von anderen abwenden will, was indessen vielfach schon durch Notstandshilfe gedeckt wäre2265. Das Absichtserfordernis hat jedoch insofern eine darüber hinausgehende praktische Bedeutung, als der Private, der in dringenden Fällen anstelle eines Beamten notwendige Vorkehren trifft, auch dann straflos bleibt, wenn keiner der – zumeist auf die Wahrung indivi­ dueller Rechtsgüter ausgerichteten – Rechtfertigungsgründe vorliegt. Dies gilt allerdings nur, wenn er sein Handlungsziel mit Mitteln verfolgt, welche für die Verfolgung des Ziels notwendig sind, und wenn er darüber hinaus nicht in unzulässiger Weise in fremde Individualrechte eingreift2266. Beispiele: Ein Privater übernimmt auf einer Strassenkreuzung die Verkehrsregelung, um ein «Chaos» zu entwirren, oder sperrt den Tatort eines soeben geschehenen Ver­ brechens ab.

2263  Heimgartner, BSK StGB II, N 9 zu Art. 287, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 54 N 5 f. 2264  Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 287, Heimgartner, BSK StGB II, N 11 zu Art. 287. 2265  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 54 N 7. 2266  BGE 128 IV 168 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 54 N 7.

411

§ 96  Bruch amtlicher Beschlagnahme (Art. 289)

3.

Weitere Fragen

3.1

Vollendung der Tat

Das Delikt ist vollendet, sobald der Usurpator mit der Ausübung der Amts­ handlung beginnt, gleichgültig, ob er damit zum Ziel gelangt oder nicht2267.

3.2

Konkurrenzen und Abgrenzungen

Art.  287 kann zu einer Reihe von Delikten in echte Idealkonkurrenz treten, so z.B. zu Betrug gemäss Art. 146, Nötigung gemäss Art. 181, Freiheitsberau­ bung gemäss Art.  183  f., Geiselnahme gemäss Art.  185 sowie Urkundenfäl­ schung bzw. Fälschung von Ausweisen gemäss Art. 251 f. Es werden hier über­ all andere Rechtsgüter als die Amtsgewalt beeinträchtigt. Art. 3312268 ist gegenüber Art. 287 subsidiär; zwischen den zwei Strafbestim­ mungen besteht also unechte Gesetzeskonkurrenz.

§ 96 Bruch amtlicher Beschlagnahme (Art. 289) Eine Missachtung der öffentlichen Gewalt i.S.  des 15. Titels kann im Bruch amtlich beschlagnahmter Gegenstände bestehen. Geschützt ist das öffentlichrechtliche Gewaltverhältnis, das von Behörden oder Beamten an bestimmten Gegenständen begründet wird.

1.

Objektiver Tatbestand

Gemäss Art.  289 (Bruch amtlicher Beschlagnahme/Soustraction d’objets mis sous main de l’autorité/Sottrazione di cose requisite o sequestrate/Removal of property subject to seizure) macht sich strafbar, wer eine Sache, die amtlich mit Beschlag belegt ist, der amtlichen Gewalt entzieht. Täter kann ein allfälliger Inhaber des Gegenstandes oder jeder andere sein.

1.1 Handlungsobjekte Die Tat bezieht sich auf «amtlich mit Beschlag belegte Sachen». 2267  MKGE 7 Nr. 55, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 287. 2268  Unbefugtes Tragen der militärischen Uniform.

412

§ 96  Bruch amtlicher Beschlagnahme (Art. 289)

1.11

Begriff der Sache

Art. 289 bezeichnet als Tatobjekt eine Sache. Doch ist diese Umschreibung zu eng. Analog zum Verstrickungsbruch nach Art. 169 ist davon auszugehen, dass auch beschlagnahmte Forderungen von Art. 289 erfasst werden2269.

1.12

Begriff der Beschlagnahme und Anwendungsfälle

Die Beschlagnahme ist eine Zwangsmassnahme, durch welche Sachen im genannten Sinn der freien Disposition des bisherigen Inhabers entzogen und der behördlichen Verfügungsgewalt unterworfen werden. In der Regel wird der Gegenstand in den Gewahrsam einer Behörde oder eines Dritten2270 über­ führt. Nötig ist dies freilich nicht; es genügt unter Umständen, dass die Sache mit einem Verfügungsverbot beim bisherigen Inhaber verbleibt2271. Beschlagnahmen kommen im Rechtsleben relativ häufig vor; im Folgenden seien einige Anwendungsfälle genannt: a) Strafprozessuale Beschlagnahme zum Zwecke der Sicherung des Beweises oder der Einziehung nach StPO Art. 263 ff. und Art. 69 f. und zur Sicherung der durch das Strafverfahren entstehenden Kosten2272; b) Beschlagnahme in Form der Pfändung oder der Verarrestierung nach SchKG Art.  91  ff., 275 sowie die Konkursbeschlagnahme nach SchKG Art. 1972273; c) Beschlagnahmen im Zusammenhang mit vorsorglichen Massnahmen vor Einleitung oder während der Durchführung eines Zivilprozesses2274; d) Beschlagnahme als Mittel des Verwaltungszwangs, so z.B. nach SVG Art. 542275 sowie ZG Art. 832276.

2269  Strafrecht III, § 41 Ziff. 1, Corboz, Vol II, N 1 zu Art. 289, Stratenwerth/Bommer, BT

II, § 53 N 28.

2270  Z.B. Schrankfach einer Bank. 2271  SchKG Art. 98 Abs. 2, dazu hinten Ziff. 3. 2272  Vgl. z.B. StPO Art. 268. 2273  Siehe dazu hinten Ziff. 3. 2274  So z.B. ZPO Art. 261 ff., PatG Art. 77. 2275  Abnahme des Führer- oder Fahrzeugausweises und Beschlagnahme von Fahrzeugen,

die den Sicherheitsvorschriften nicht entsprechen.

2276  Beschlagnahme und Verwertung des Zollpfands, siehe dazu auch hinten Ziff. 3.

413

§ 96  Bruch amtlicher Beschlagnahme (Art. 289)

1.13

Überprüfungsbefugnis des Strafrichters

Der Strafrichter hat die Zweckmässigkeit der Beschlagnahme nicht zu prüfen. Den Strafschutz von Art. 289 kann er einzig versagen, wenn die Zwangsmass­ nahme offensichtlich widerrechtlich, d.h. nichtig ist2277.

1.2

Tatbestandsmässige Handlung

Die Tathandlung besteht darin, dass der behördliche Zugriff auf die «Sache» dauernd oder vorübergehend aufgehoben wird. Das kann durch Wegnahme, Zerstören, Verstecken, Verändern usw. geschehen.

2.

Subjektiver Tatbestand

Der von Art. 289 geforderte Vorsatz ist dann gegeben, wenn der Täter von der amtlichen Beschlagnahme der betroffenen Sache Kenntnis hat und sie der amt­ lichen Gewalt entziehen will. Eine besondere Absicht, etwa in Bezug auf eine Schädigung, verlangt das Gesetz nicht.

3.

Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen

Art. 289 kann mit einer Reihe von Strafbestimmungen echt konkurrieren, so insbesondere mit einem Aneignungsdelikt nach Art. 137–139, Art. 144 (Sach­ beschädigung), Art. 290 (Siegelbruch)2278 oder Art. 305 (Begünstigung). Der speziellere Tatbestand von Art.  169 der Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte (in SchKG-Verfahren) geht Art. 289 vor. Fehlt dem Täter aber der dort geforderte Vorsatz, die Gläubiger zu schädigen, kommt Art. 289 zur Anwendung2279. Auch allfällige besondere Bestimmungen in der Nebenstrafgesetzgebung schliessen die Anwendung von Art. 289 aus, wie z.B. ZG Art. 122 (Zollpfand­ unterschlagung).

2277  Vgl. vorn § 92 Ziff. 3.1, Dupuis u.a., Code pénal, N 5 zu Art. 289, Hagenstein, BSK StGB

II, N 5 zu Art. 289, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 29.

2278  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 289, Hagenstein, BSK StGB II, N 17 zu Art. 289, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 53 N 39.

2279  BGE 75 IV 174 f., 119 IV 135, Dupuis u.a., Code pénal, N 9 zu Art. 289, Hagenstein,

BSK StGB II, N 16 zu Art. 289.

414

§ 97  Siegelbruch (Art. 290)

§ 97 Siegelbruch (Art. 290) Der Tatbestand (Siegelbruch/Bris de scellés/Rottura di sigilli/Breaking a seal) besteht darin, dass jemand ein amtliches Zeichen, namentlich ein Siegel, mit dem eine Sache verschlossen oder gekennzeichnet ist, erbricht, entfernt oder unwirksam macht.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Tatobjekt Als solches wird als Hauptanwendungsfall amtlicher Zeichen zunächst das Siegel genannt. Dieses enthält einen Abdruck eines Stempels auf einer fes­ ten Unterlage, z.B. auf Siegellack, Papier, einer Plombe. Darüber hinaus erfasst Art.  290 weitere Kennzeichen, die mit einem festen Gegenstand verbunden sind und dem Zwecke dienen, eine Sache behördlich in Verschluss zu nehmen oder zu identifizieren2280; genannt werden etwa Klebestreifen oder Stempel­ abdrucke. Insoweit stellt das Siegel die Verkörperung einer Verfügung dar2281. Geschützt ist ausschliesslich das amtliche Zeichen (Siegel), das eine Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit zur Ausübung oder Sicherung amtlicher Auf­ gaben anbringt2282. Nur wenn die Siegelung nichtig ist2283, scheidet die Anwen­ dung von Art. 290 aus. Beispiele bilden die Siegelung der Erbschaft2284, die Siegelung beschlagnahmter Papiere2285, die Siegelung von Räumen in Konkursverfahren2286 und das Anbringen des Siegels durch den Notar bei der Beglaubigung2287.

Das Verschliessen bedeutet das Versperren eines Raumes, eines Couverts, eines Pakets usw. Eine Etikettierung zur Identifikation erfolgt z.B. zur Beweissiche­ rung einer dem Sachverständigen zu übersendenden Blutprobe. Auch die von einem Privaten gefertigten Zeichen sind durch Art. 290 geschützt, wenn er sein Siegel in Zusammenhang mit einem Amtsakt anzubringen berech­ 2280  BGE 95 IV 14 = Pr 58 (1969) Nr. 132. 2281  BGE 95 IV 13. 2282  BGE 95 IV 14 = Pr 58 (1969) Nr. 132. 2283  Vgl. vorn § 92 Ziff. 3.1. 2284  ZGB Art. 552, ZH EG ZGB § 125. 2285  StPO Art. 248. 2286  SchKG Art. 223. 2287  ZH EG ZGB § 247 Abs. 4.

415

§ 97  Siegelbruch (Art. 290)

tigt ist, z.B. bei der Versiegelung nach StPO Art. 248. Im Übrigen besteht höchs­ tens ein mittelbarer Schutz durch Art. 179 (Verletzung des Schriftgeheimnis­ ses).

1.2

Tatbestandsmässige Handlung

Die Tathandlung zielt darauf ab, den Verschluss oder die Identifikation aufzu­ heben bzw. unwirksam zu machen. Das kann auf verschiedene Weise gesche­ hen, z.B. durch Ablösen oder Beschädigen des Zeichens. Ob das Umgehen des Siegels (Betreten des Zimmers durch das offene Fenster anstatt durch die mit Siegel verschlossene Tür) tatbestandsmässig ist, ist umstritten2288. Der Siegelbruch ist mit der Vornahme einer derartigen Handlung vollendet. Dass der Täter ein Weiteres tut, z.B. Kenntnis vom Schriftstück nimmt, welches versiegelt gewesen ist, ist nicht erforderlich.

2.

Subjektiver Tatbestand

Der Täter ist strafbar, wenn er vorsätzlich handelt. Dieses Element verlangt die Kenntnis vom amtlichen Charakter des Zeichens und dass der Täter trotzdem das Zeichen willentlich entfernt oder unbrauchbar macht. Eine weitere Absicht ist nicht gefordert.

3. Konkurrenzfragen Art. 290 kann vor allem echt konkurrieren mit Art. 179 (Verletzung des Schrift­ geheimnisses), Art. 289 (Bruch amtlicher Beschlagnahme) und mit einem Ver­ mögensdelikt, namentlich mit Art. 169 (Verfügung über gepfändete, mit Arrest belegte oder amtlich aufgezeichnete Sachen)2289.

2288  Befürwortend Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 290, Riedo, BSK StGB II, N 31 zu Art. 290,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 38, ablehnend Dupuis u.a., Code pénal, N 9 zu Art. 290, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 12 zu Art. 290. 2289  Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 14 zu Art. 290, a.M. Riedo, BSK StGB II, N 35 zu Art. 290.

416

§ 98  Verweisungsbruch (Art. 291)

§ 98 Verweisungsbruch (Art. 291) Literaturauswahl: M. Caroni/T. Gächter/D. Thurnherr (Hrsg.), Bundesgesetz über die Auslände­ rinnen und Ausländer (AuG), Bern 2010, M. Caroni/T. Grasdorf-Meyer/L. Ott/N.  Scheiber, Mi­grationsrecht, 3. Aufl., Bern 2014, C. Nägeli/N. Schoch, Ausländische Personen als Straftäter und Straftäterinnen, in: Ausländerrecht, Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – von A(syl) bis Z(ivilrecht), hrsg. von P. Über­ sax/​B. Rudin/T. Hugi Yar/T. Geiser, 2. Aufl., Basel 2009, 1099, V. Roschacher, Die Strafbestimmun­ gen des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG), Diss. Zürich 1991, M. Spescha/H.-P. Thür/A. Zünd/P. Bolzli/C. Hruschka (Hrsg.), Migra­ tionsrecht, Kommentar, Schweizerisches Ausländergesetz (AuG), Asylgesetz (AsylG) und Freizü­ gigkeitsabkommen (FZA) mit weiteren Erlassen, 4. Aufl., Zürich 2015, P. M. Trautvetter, Die Aus­ weisung von Ausländern durch den Richter im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1957.

1. Allgemeines Bei Art.  291 (Verweisungsbruch/Rupture de ban/Violazione del bando/Breach of an expulsion order) handelt es sich um einen Spezialfall des Ungehorsams gegen amtliche Entscheide2290. Bestraft wird die Missachtung der Landesver­ weisung. Als Ausweisung gilt das Gebot gegenüber einem Ausländer, das Gebiet der Schweiz ab einem bestimmten Zeitpunkt zu verlassen und das Verbot, das betreffende Gebiet während einer festgelegten Dauer wieder zu betreten2291. Da die gerichtliche Landesverweisung im Zuge der Revision des AT StGB2292 wie auch des AT MStG2293 seit dem 1. Januar 20072294 gesetzlich nicht mehr vorgesehen war, bezog sich Art. 291 während einiger Zeit ausschliesslich auf die administrative (fremdenpolizeiliche) Ausweisung. Seit dem 1. Oktober 2016 ist das neue Ausschaffungsrecht in Kraft2295. Nach Art. 66a ordnet das Strafgericht – unter Vorbehalt von Abs. 2 und 3 − die obli­ gatorische Landesverweisung an, wenn es eine ausländische Person wegen der in dessen Abs. 1 lit. a–o umschriebenen Delikte verurteilt. Gegen eine schuld­ unfähige Person und im Falle des Absehens von einer Strafe kann eine Lan­ 2290  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 13. 2291  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 291, Trautvetter, 92, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 4

zu Art. 291.

2292  Botschaft AT, 2101. 2293  Botschaft AT, 2209. 2294  AS 2006, 3535. 2295  AS 2016, 2337, vgl. auch Botschaft 2013.

417

§ 98  Verweisungsbruch (Art. 291)

desverweisung demnach nicht angeordnet werden. Sodann kann die Lan­ desverweisung in weiteren Fällen fakultativ ausgesprochen werden. Die Landesverweisung dauert 5 bis 15 Jahre, im Wiederholungsfall 20 Jahre oder lebenslänglich. Die Bestimmung zur Landesverweisung (rev. Art. 67f), welche durch die Revision des Sanktionenrechts auf den 1. Januar 2018 hätte in Kraft treten sollen, ist durch das Inkrafttreten der Änderungen des Strafgesetzbuches zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative auf den 1.  Oktober 2016 gegen­ standslos geworden. Die Wegweisung gemäss AuG2296 Art.  64  ff. sowie AsylG2297 Art.  44  ff. fällt nicht unter den Anwendungsbereich von Art. 291; ihre Missachtung wird nicht mit Strafe nach dieser Bestimmung bedroht. Auch der Verstoss gegen ein Ein­ reiseverbot nach AuG Art. 67 wird nicht nach Art. 291 bestraft2298; er fällt unter die Strafbestimmung von AuG Art. 115. Die Ausweisung, deren Missachtung durch Art. 291 sanktioniert wird, kann gestützt auf Art. 66a ff.2299 sowie gestützt auf AuG Art. 68 und AsylG Art. 65 oder aber gestützt auf eine Anordnung des Bundesrats in Anwendung von BV Art. 121 Abs. 2 in Verbindung mit BV Art. 184 Abs. 3 sowie BV Art. 185 Abs. 1 und 2 erfolgen. Zu beachten sind dabei die Bestimmung gemäss Flüchtlings­ konvention2300 Art. 32, das Non-Refoulement-Gebot nach Flüchtlingskonven­ tion Art. 33 Abs. 1 sowie AsylG Art. 5 Abs. 1 und das Übereinkommen betref­ fend Staatenlose, Art. 31 Abs. 12301.

2.

Objektiver Tatbestand

Als Täter kommen nur Ausländer oder Staatenlose infrage, weil Schweizerbür­ ger aufgrund des uneingeschränkten Niederlassungsrechts gemäss BV Art. 24 2296  Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (Aus­

ländergesetz), SR 142.20.

2297  Asylgesetz vom 26. Juni 1998, SR 142.31. 2298  Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 291, Nägeli/Schoch, N 22.19, a.M. Roschacher, 157. 2299  Botschaft 2013, 6020 ff. 2300  Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, abgeschlossen in Genf am 28. Juli

1951, von der Bundesversammlung genehmigt am 14. Dezember 1954, Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 21. Januar 1955, in Kraft getreten für die Schweiz am 21. April 1955, SR 0.142.30. 2301  Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen, abgeschlossen in New York am 28. September 1954, von der Bundesversammlung genehmigt am 27. April 1972, Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 3. Juli 1972, in Kraft getreten für die Schweiz am 1. Oktober 1972, SR 0.142.40.

418

§ 98  Verweisungsbruch (Art. 291)

weder aus der Schweiz noch aus einem Kanton ausgewiesen werden dürfen. Der Tatbestandsvariante des «Brechens einer Kantonsverweisung» kommt daher keinerlei Bedeutung mehr zu2302.

2.1

Der Ausweisungsentscheid

Der Verweisungsbruch setzt zunächst einen Ausweisungsentscheid voraus. Darin ist die Dauer der Ausweisung anzugeben. Diese beginnt an dem Tag zu laufen, an welchem die Person aus der Schweiz ausreist (Art. 66c Abs. 5). a) Die Ausweisung ist durch das zuständige Gericht bzw. die zuständige Behörde anzuordnen. Bei diesen handelt es sich um das Strafgericht oder um das Bundesamt für Polizei. Ausnahmsweise kann der Bundesrat selbst die Ausweisung gestützt auf BV Art. 121 Abs. 2 anordnen. Im Falle eines Rechtsmittelentscheides ist eine richterliche Behörde zuständig. b) Die Anordnung muss rechtskräftig und vollstreckbar sein. Das bedeutet, dass der Ausweisungsentscheid nicht oder nicht mehr mit einem ordentli­ chen Rechtsmittel anfechtbar ist2303. c) Einen Hinweis auf die Straffolgen des Verweisungsbruches muss die Anordnung nicht enthalten, wie sich aus einem Textvergleich mit Art. 292 ergibt2304. d) Die administrative Landesverweisung muss von der zuständigen Behörde ausgehen2305 sowie inhaltlich und verfahrensrechtlich den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. e) Bei der Frage, ob bzw. inwieweit die Ausweisungsverfügung materiell rechtmässig sein muss, sind dieselben Kriterien zu berücksichtigen wie bei Art. 2922306. Der Strafrichter ist an die Verfügung nicht gebunden, sofern diese nicht durch ein Verwaltungsgericht überprüft werden kann; in einem solchen Fall überprüft er die Frage der allfälligen Rechtswidrigkeit umfas­ send, nicht aber, ob die Behörde innerhalb des ihr zustehenden Ermessens 2302  Nägeli/Schoch, N 22.18. 2303  BGE 71 IV 219 f., 98 IV 109 = Pr 61 (1972) Nr. 202, Freytag, BSK StGB II, N 34 zu

Art. 291.

2304  ZR 41 (1942) Nr. 107, 44 (1945) Nr. 26. 2305  Corboz, Vol. II, N 7 f. zu Art. 291, Dupuis u.a., Code pénal, N 8 zu Art. 291. 2306  Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 291, Dupuis u.a., Code pénal, N 10 zu Art. 291, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 53 N 16, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 9 zu Art. 291.

419

§ 98  Verweisungsbruch (Art. 291)

zweckmässig entschieden hat2307. Besteht die Möglichkeit verwaltungsge­ richtlicher Kontrolle oder ist das Verfahren vor einem Verwaltungsgericht hängig, so ist der Strafrichter gemäss Bundesgericht und einem Teil der Doktrin an die Verfügung gebunden, es sei denn, diese leide an einer offen­ sichtlichen Rechtsverletzung oder an Ermessensmissbrauch2308. Demge­ genüber vertritt ein anderer Teil der Lehre die Auffassung, in einer solchen Fallkonstellation sei eine umfassende Rechtskontrolle durch den Strafrich­ ter zu gewähren2309. An einen rechtskräftigen Entscheid des Verwaltungs­ gerichts ist der Strafrichter in jedem Fall gebunden2310. Die vom Bundesge­ richt entwickelten Lösungsansätze und die mit diesen übereinstimmende Doktrin sind vertretbar2311.

2.2

Tatbestandsmässiges Verhalten

Das tatbestandsmässige Verhalten besteht darin, dass der Täter dem Auswei­ sungsentscheid von vornherein nicht nachkommt, nach Ablauf eines vorüber­ gehend bewilligten Aufenthaltes im Land verweilt2312 oder später das Gebiet der Schweiz erneut betritt. In den Konstellationen der illegalen Einreise ist die Tathandlung mit dem Grenzübertritt bzw. mit dem Passieren des offiziellen Grenzübergangs oder auf einem Flughafen mit dem Verlassen des Transitbe­ reichs durch die Passkontrolle erfüllt2313. In allen Fällen handelt es sich um ein Dauerdelikt2314.

2307  BGE 129 IV 250 = Pr 93 (2004) Nr. 71, Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 291, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 53 N 16.

2308  BGE 129 IV 249 f. = Pr 93 (2004) Nr. 71, Corboz, Vol. II, N 8 Art. 291, Trechsel/Vest, in:

Trechsel/Pieth, N 9 zu Art. 291.

2309  Freytag, BSK StGB II, N 33 zu Art. 291, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 16 i.V.m.

N 7.

2310  BGE 129 IV 249 = Pr 93 (2004) Nr. 71, Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 291, vgl. auch (teil­

weise in Zusammenhang mit anderen Rechtsnormen) BGE 98 IV 267, 104 IV 137, 121 IV 31, 124 IV 307 f., a.M. Freytag, BSK StGB II, N 33 zu Art. 291, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 7, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 9 zu Art. 291. 2311  Vgl. dazu hinten § 99 Ziff. 4.1. 2312  BGE 70 IV 174. 2313  BGE 119 IV 166. 2314  Dazu Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.4, BGE 104 IV 188 = Pr 67 (1978) Nr. 124.

420

§ 98  Verweisungsbruch (Art. 291)

Die Verurteilung aufgrund von Art. 291 bewirkt insofern eine «Zäsur», als das Aufrechterhalten des Dauerzustandes nach dem Urteil als selbständige Tat zu werten ist2315.

3.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur die vorsätzliche Begehung. Der Täter muss um das Bestehen des (noch) gültigen Ausweisungsentscheides wissen und dennoch in der Schweiz verbleiben bzw. in ihr Gebiet einreisen wollen. Erforderlich ist ferner sein Wis­ sen darum, dass er sich auf verbotenem Territorium aufhält. Irrt er sich dies­ bezüglich, kann Eventualvorsatz also ausgeschlossen werden, so liegt ein Sach­ verhaltsirrtum gemäss Art. 13 Abs. 1 vor.

4.

Weitere Fragen

4.1 Rechtsirrtum Verkennt der Täter die rechtliche Tragweite einer an sich klaren Ausweisungs­ verfügung, so ist seine Widerhandlung nicht entschuldbar, besonders wenn eine Erkundigung bei der anordnenden Behörde zumutbar gewesen wäre2316.

4.2 Verjährung Bei Art. 291 als Dauerdelikt beginnt die Verfolgungsverjährung erst mit dem Verlassen des Bundes- oder Kantonsgebietes2317.

4.3 Beteiligung Als Täter kommt nur der Adressat des Ausweisungsentscheides infrage2318. Neben Anstiftung zu Verweisungsbruch ist v.a. strafbare Beihilfe möglich, die bei diesem Dauerdelikt bis zur Ausreise des Täters aus der Schweiz geleistet werden kann2319.

2315  BGE 135 IV 9. 2316  BGE 100 IV 247. 2317  Art. 98 lit. c, Strafrecht I, § 41 Ziff. 3 lit. c. 2318  Freytag, BSK StGB II, N 15 zu Art. 291. 2319  Vgl. Strafrecht I, § 14 Ziff. 2.11.

421

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

4.4 Konkurrenzen Im Verhältnis zu Art. 291 ist Art. 292 subsidiär2320. Wer einen des Landes Verwiesenen bei seinem Verbleiben in der Schweiz unter­ stützt und sich dadurch der Gehilfenschaft zu Art. 291 schuldig macht, wird regelmässig ausschliesslich wegen Vollstreckungsbegünstigung nach Art. 305 zu bestrafen sein2321. Art. 291 wird durch fremdenpolizeiliche Strafbestimmungen in AuG Art. 115 ergänzt. Bestraft wird danach u.a., wer über die gesetzliche Aufenthaltsbewilli­ gung hinaus in der Schweiz bleibt oder trotz Einreisesperre die Schweiz betritt. AuG Art. 115 ist im Verhältnis zu Art. 291 subsidiär2322. Eine Einreise trotz Einreiseverbot i.S. von AuG Art. 67 wird nach AuG Art. 115 Abs. 1 lit. a bestraft und nicht nach StGB Art. 291.

§ 99 Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292) Literaturauswahl: M. Buttliger, Schweigepflicht der Banken im Strafverfahren, SJZ 90 (1994) 377, W. Eigenmann, Die Androhung von Ungehorsamsstrafen durch den Richter, Diss. Zürich 1964, F.  Gygi, Zur strafrechtlichen Überprüfung von Verwaltungsverfügungen, ZStrR 94 (1977) 399, T. Jaag, Die Überprüfung von Verwaltungsakten im strafgerichtlichen Kassationsverfahren, SJZ 76 (1980) 157, V. Jeanneret, Note sur l’arrêt du tribunal fédéral (Chambre des poursuites et des faillites) du 30 septembre 1999 (P 7B 126/1999), Sem 122 (2000) Vol. I 106, R. Kägi-Diener, Justiz und Verwaltung (aus der Sicht der Bindung des ordentlichen Richters an Verwaltungsakte), Diss. Zürich 1979, C. Kölz, Die Zwangsvollstreckung von Unterlassungsdelikten im schweizerischen Zivilprozessrecht, Unter Berücksichtigung ausgewählter kantonaler Verfahrensgesetze und des Entwurfs für eine schweizerische Zivilprozessordnung, Diss. Zürich 2007, M. Kummer, Die Voll­ streckung des Unterlassungsurteils durch Strafzwang, ZStrR 94 (1977) 377, R. Loepfe, Ungehor­ sam gegen amtliche Verfügungen, Diss. Zürich 1947, H. Nef, Prüfung von Verwaltungsverfügun­ gen durch den Strafrichter?, in: Erhaltung und Entfaltung des Rechts in der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichtes, Festgabe der schweizerischen Rechtsfakultäten zur Hundert­ jahrfeier des Bundesgerichts, Basel 1975, 213, M. Ogg, Die verwaltungsrechtlichen Sanktionen und ihre Rechtsgrundlagen, Diss. Zürich 2002, H. Reiser, Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB durch Schiedsgerichte?, in: Schweizerisches und internationales Zwangsvollstreckungsrecht, 2320  Corboz, Vol. II, N 31 Art. 291, Dupuis u.a., Code pénal, N 17 zu Art. 291, Freytag, BSK

StGB II, N 45 zu Art. 291, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 14 zu Art. 291.

2321  Vgl. hinten § 111 Ziff. 2.1 und BGE 104 IV 188 f. = Pr 67 (1978) Nr. 124. 2322  BGE 100 IV 245 f., 104 IV 191 = Pr 67 (1978) Nr. 124, Corboz, Vol. II, N 32 Art. 291,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 22.

422

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292) Festschrift für K. Spühler, hrsg. von H. M. Riemer/M. Kuhn/D. Vock/M. A. Gehri, Zürich 2005, 265, A. Schmidt, Tribunal fédéral, 1ère Cour civile, 26 octobre 1998, No 4P.117/1998, Sociétés SFC c. C. A., Procédure civile, Obligation de produire des pièces, Droit d’être entendu, Caractère sub­ sidiaire de l’art. 292 CP, Cst. 4, CP 292, OJ 84 al. 2, 87, PPF 268 ch. 1, LPC 40 lit. d, 186, 203, LJP 38, Rés. par André Schmidt, Sem 121 (1999) Vol. I 186, P. Stadler, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292 StGB), Diss. Zürich 1990.

1. Allgemeines 1.1

Art. 292 als Blankettbestimmung

Als Blankettbestimmung erhält Art.  292 (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen/Insoumission à une décision de l’autorité/Disobbedienza a decisioni dell’autorità/Disobeying official orders) seinen Inhalt erst durch die von einer Verwaltungsstelle oder einem Gericht ausgesprochene Anordnung gegen­ über einer oder mehreren Person(en). Durch die mit dieser für den Fall ihrer Missachtung verbundene Strafdrohung soll die Durchsetzung des Hoheits­ aktes sichergestellt werden. Daraus ergibt sich, dass mit der Norm einerseits bezweckt werden soll, die betreffende Verfügung durchzusetzen. Andererseits soll der Ungehorsam bestraft werden. Da Art.  292 als Blankettstrafnorm zu erachten ist, liegt das Unrecht des Verhaltens unmittelbar in der Tatsache des Ungehorsams gegen die betreffende Verfügung2323 und mittelbar in der Miss­ achtung der Norm, auf welcher diese Verfügung basiert2324.

1.2

Anwendungsbereich von Art. 292

Der Anwendungsbereich von Art. 292 ist weit gespannt: a) Im Verwaltungsrecht gilt Art. 292 als eines der wichtigsten Mittel des Ver­ waltungszwangs2325. Beispiele: Die kantonale Gesundheitsdirektion entzieht einem Arzt die Bewilligung zur Berufsausübung und droht ihm für den Fall der Zuwiderhandlung die Über­ weisung an den Strafrichter nach Art. 292 an. Der Kantonschemiker verlangt von einem Früchte- und Gemüsegrosshändler unter Hinweis auf Art. 292 innert einer bestimmten Frist ein schriftliches Qualitätssicherungskonzept2326. 2323  Dupuis u.a., Code pénal, N 3 zu Art. 292, Kummer, 382 f., Riedo/Boner, BSK StGB II,

N 15 f. zu Art. 292.

2324  Stadler, 19 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 2. 2325  Z.B. in Zürich gemäss VRG § 30 Abs. 2. 2326  BGE 124 IV 306 f.

423

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

b) Auch im Prozessrecht gelangt Art. 292 zur Anwendung: –– Für die nach dem Zwangsvollstreckungsrecht zu vollziehenden Zivilur­ teile ist Art. 292 das Mittel, die Erfüllung von Pflichten zu Unterlassun­ gen oder zu persönlichen Leistungen zu erwirken2327. Beispiel: Der Richter kann dem Beklagten unter Hinweis auf Art. 292 die per­ sönlichkeitsverletzende Behauptung verbieten, er sei der Vater des Kindes, und ihm gleichzeitig untersagen, mit dem Kind in Kontakt zu treten2328.

–– Im Strafprozess wie auch im Zivilprozess kann ein Zeuge unter Hinweis auf Art. 292 zur Aussage veranlasst werden, die er bis anhin zu Unrecht verweigert hat2329. Beispiel: Eine Tatzeugin hat als formelle Zeugin ausgesagt, weigert sich jedoch anlässlich einer zweiten Befragung, sich in dieser Eigenschaft erneut zur Sache zu äussern. Steht ihr kein Zeugnisverweigerungsrecht zu, so kann sie auf Art. 292 hingewiesen und – falls sie die Aussage weiterhin verweigert – zufolge Verstosses gegen die Aussagepflicht und die erwähnte Strafbestimmung dem Strafrichter überwiesen werden2330.

c) Im Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren findet Art. 292 ebenfalls ein relativ breites Anwendungsgebiet. So kann bei der Einkommenspfändung i.S. von SchKG Art. 93 der Schuldner unter Androhung der Ungehorsams­ strafe verpflichtet werden, einen Stellenwechsel dem Betreibungsamt mit­ zuteilen2331. Sodann bildet Art. 292 im Arrestvollzug nach SchKG Art. 275 ein Mittel, bei Dritten (meistens Banken) Auskunft über die von ihnen ver­ wahrten Arrestgegenstände zu erwirken. Die Androhung der Überwei­ sung an den Strafrichter darf allerdings nur ausgesprochen werden, wenn der Bestand der Arrestforderung durch einen Rechtsöffnungstitel i.S. von SchKG Art. 80 und 82 ausgewiesen ist2332.

1.3

Subsidiärer Charakter von Art. 292

Der Tatbestand von Art.  292 hat insofern subsidiären Charakter, als seine Anwendung entfällt, falls die Nichtbefolgung einer amtlichen Verfügung als 2327  ZPO Art. 343 Abs. 1 lit. a, vgl. auch BGE 127 IV 121 f. 2328  BGE 108 II 348 ff. = Pr 72 (1983) Nr. 87. 2329  Vgl. etwa ZPO Art. 167 Abs. 1 lit. b, StPO Art. 176 Abs. 2. 2330  ZR 101 (2002) Nr. 13. 2331  BGE 83 III 6 f., ZR 56 (1957) Nr. 52, 81 (1982) Nr. 66. 2332  BGE 107 III 99, 153 f. = Pr 71 (1982) Nr. 77, BGE 109 III 24.

424

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

solche einen besonderen Straftatbestand des eidgenössischen oder kantonalen Rechts erfüllt2333. Trifft dies zu, ist schon die Strafandrohung nach Art. 292 in der Verfügung unwirksam und kann zu keiner Bestrafung nach dieser Bestim­ mung führen2334. Beispiele: Nichtabgabe ungültiger oder entzogener Ausweise oder Kontrollschilder trotz behördlicher Aufforderung wird von SVG Art. 97 Abs. 1 lit. b erfasst2335. Die Behörde, welche das Hausrecht über Gebäude des Gemeinwesens ausübt, braucht ein Hausver­ bot nicht mit dem Hinweis auf die Straffolgen von Art. 292 zu versehen. Die Missach­ tung des Verbotes erfüllt den Tatbestand des Hausfriedensbruches nach Art. 1862336. Die Missachtung der Anwesenheits- und Auskunftspflicht gemäss SchKG Art. 91 ist ausschliesslich nach Art. 323 zu bestrafen2337.

Anders verhält es sich dann, wenn das durch die Verfügung untersagte Verhal­ ten schon ohnehin (d.h. ohne entsprechende behördliche Anordnung) strafbar ist, z.B. als Ehrverletzung oder als unlauterer Wettbewerb2338.

2.

Objektiver Tatbestand

2.1

Amtliche Verfügung

Der objektive Tatbestand setzt zunächst eine an den Täter gerichtete amtliche Verfügung voraus. Dazu ist im Einzelnen Folgendes auszuführen: a) Bei der amtlichen Verfügung kann es sich um eine solche des Verwaltungs­ rechts wie auch um ein Urteil, einen prozessleitenden Beschluss bzw. eine prozessleitende Verfügung, eine einstweilige Anordnung2339 oder eine Voll­ streckungsverfügung2340 handeln. Stets besteht diese in einem konkreten Entscheid in einem bestimmten Fall gegenüber einer bestimmten Person,

2333  BGE 121 IV 32, im letzteren Fall kann dies allerdings nur gelten, wenn die Anordnung

im betreffenden Kanton missachtet wurde.

2334  BGE 105 IV 249, 106 IV 280, 121 IV 32, 124 IV 69 f., Corboz, Vol. II, N 29 f. zu Art. 292,

Riedo/Boner, BSK StGB II, N 20 ff. zu Art. 292 m.w.H., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 12, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 18 zu Art. 292. 2335  Vgl. BGE 88 IV 119 = Pr 52 (1963) Nr. 13. 2336  BGE 100 IV 52 f. = Pr 63 (1974) Nr. 150. 2337  BGE 106 IV 281 f. 2338  BGE 121 IV 33, 124 IV 70, Corboz, Vol. II, N 31 zu Art. 292, Riedo/Boner, BSK StGB II, N 24 zu Art. 292, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 18 zu Art. 292. 2339  ZPO Art. 261 f. 2340  ZPO Art. 337 ff.

425

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

mit welchem ein Sachverhalt in rechtsverbindlicher Weise geregelt wird. Verwaltungsinterne Anordnungen stellen keine solchen Entscheide dar2341. Inhaltlich besteht die Verfügung  – jedenfalls u.a.  – in einer hinreichend bestimmten Verhaltensanweisung an eine bestimmte bzw. eindeutig bestimmbare Person oder mehrere bestimmte bzw. eindeutig bestimmbare Personen2342. Die amtliche Verfügung im dargelegten Sinne muss von einer Amtsstelle ausgehen, welche örtlich, sachlich und funktionell zuständig ist2343. Einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung zur Androhung von Art. 292 im konkreten Fall bedarf es nach übereinstimmender Lehre nicht2344. Wird ein Zivilprozess durch Klageanerkennung oder Vergleich erledigt, muss eine im Rahmen der Vereinbarung vorgesehene Möglichkeit der Ungehorsamsstrafe vom Richter im Erledigungsentscheid bestätigt worden sein2345.

b) Immer muss es sich um eine Anordnung handeln, die gegen eine bestimmte Person oder einen Kreis bestimmbarer Personen gerichtet ist2346. Juristi­ sche Personen können im Rahmen des Grundsatzes «societas delinquere non potest»2347 nicht Adressaten einer solchen Anordnung sein, sondern ausschliesslich die für sie handelnden natürlichen Personen2348. Geht aus der Anordnung hervor, dass sich diese an die betreffenden Vertreter richtet, so genügt dies den Anforderungen gemäss Art. 2922349. c) Das vom Adressaten verlangte Verhalten muss genau umschrieben sein, damit ersichtlich wird, was von ihm gefordert wird2350. Die Verfügung muss nicht schriftlich, sondern kann auch mündlich eröffnet werden, sofern sich 2341  BGE 131 IV 33 f., Dupuis u.a., Code pénal, N 8 zu Art. 292. 2342  BGE 78 IV 239, Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 292. 2343  BGE 122 IV 342. 2344  Vgl. etwa Riedo/Boner, BSK StGB II, N 86 zu Art. 292, Stadler, 62, Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 53 N 4, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 9 zu Art. 292.

2345  ZR 76 (1977) Nr. 57. 2346  BGE 78 I 307 = Pr 42 (1953) Nr. 55, 78 IV 238 f. 2347  Gemäss Art. 102 wird dieser Grundsatz teilweise durchbrochen. 2348  Dupuis u.a., Code pénal, N 4 zu Art. 292, Riedo/Boner, BSK StGB II, N 74 ff. zu Art. 292,

Stadler, 75, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 6 zu Art. 292.

2349  BGE 78 IV 239. 2350  BGE 124 IV 311, 127 IV 121, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 292, Dupuis u.a., Code pénal,

N 11 zu Art. 292, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 5, Riedo/Boner, BSK StGB II, N 80 zu Art. 292, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 13 zu Art. 292.

426

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

dies mit dem einschlägigen Recht, auf welchem die Anordnung basiert, ver­ einbaren lässt. d) Wie sich aus dem französischen und italienischen Text ergibt, hat die Verfügung den ausdrücklichen Hinweis auf die Busse als Straffolge des Art. 292 für den Fall ihrer Nichtbefolgung zu enthalten. Eine entsprechende frühere Androhung in einem anderen Verfahren reicht nicht aus2351, wohl aber soll es genügen, wenn eine solche im gleichen Verfahren erfolgt ist2352. e) Die Verfügung muss vollstreckbar sein. Das ist bei formell rechtskräftigen Entscheiden, d.h. bei Entscheiden, gegen welche kein ordentliches Rechts­ mittel zur Verfügung steht oder bei welchen ein solches infolge Fristver­ säumnis nicht mehr ergriffen werden kann, regelmässig der Fall. Wird ein ausserordentliches Rechtsmittel ergriffen, ist der Vollzug der Verfügung einzig ausgeschlossen, wenn dem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zukommt2353. f) Die Verfügung muss dem Adressaten tatsächlich zugegangen sein; selbst bei schuldhafter Vereitelung der Zustellung durch den Adressaten darf ihr Empfang nicht fingiert werden2354, weil der Adressat der Anordnung, der deren Inhalt nicht kennt, ihr jedenfalls nicht vorsätzlich zuwiderhandeln kann, wie dies Art. 292 voraussetzt2355. Selbst wenn der Empfänger vor der Zustellung der Verfügung von dieser Kenntnis erlangt hat, kann diese keine Rechtswirkungen entfalten, wenn nicht erstellt ist, dass der Beschwerde­ führer auch von der entsprechenden Strafandrohung nach Art. 292 Kennt­ nis hatte2356.

2.2

Tatbestandsmässiges Verhalten

Es besteht darin, dass der Verfügung keine Folge geleistet wird. Das geschieht durch ein Tun oder eine Unterlassung, je nachdem ob die Verfügung ein Ver­ bot oder ein Gebot enthält.

2351  BGE 68 IV 46 f., 105 IV 249. 2352  BGE 86 IV 28. 2353  BGE 90 IV 82, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 292, Riedo/Boner, BSK StGB II, N 189 f. zu

Art. 292.

2354  Stadler, 76. 2355  BGE 119 IV 240 f. 2356  BGer vom 20.5.2010, 6B_280/2010, Erw. 3.3.

427

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

3.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur der vorsätzlich verübte Ungehorsam. Deshalb muss der Täter nicht nur Verfügung und Strafandrohung empfangen, sondern grundsätzlich auch zur Kenntnis genommen haben2357. Ausserdem muss sich sein Wille dar­ auf richten, der Verpflichtung nicht nachzukommen. Eventualvorsatz genügt. Davon ist beispielsweise auszugehen, wenn der Adressat der Anordnung in Kauf nimmt, die ihm zugestellte Verpflichtung nicht zu erfüllen2358.

4.

Weitere Fragen

4.1

Strafrichterliche Überprüfung der missachteten Verfügung

Einen breiten Raum nimmt die Diskussion ein, in welchem Umfang der Straf­ richter bzw. der Untersuchungsbeamte an die amtliche Verfügung gebunden ist. Dazu ist differenzierend Folgendes zu bemerken: a) Die Strafjustiz überprüft, ob die Voraussetzungen der Androhung von Ungehorsamsstrafe in der Verfügung beachtet worden sind2359, ob z.B. neben der Zuständigkeit oder der Vollstreckbarkeit beim Arrestvollzug ein Vollstreckungstitel vorlag2360, ob der Ungehorsam nicht nach einer ande­ ren Strafbestimmung zu verfolgen wäre2361 und ob der Adressat sich kon­ kret bestimmen lässt2362. b) Der Strafrichter hat die Angemessenheit und Zweckmässigkeit der getroffe­ nen Anordnung nicht zu überprüfen2363. c) Ob er ihre Rechtmässigkeit beurteilen darf, ist umstritten. Die Rechtslage ist beim Ungehorsam nicht die gleiche wie bei Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte nach Art.  2852364, weil es bei Art.  285 um aktiven 2357  BGE 119 IV 240 f. 2358  BGE 119 IV 240. 2359  BGE 98 IV 109 f. = Pr 61 (1972) Nr. 202. 2360  Vgl. vorn Ziff. 1.2 lit. c. 2361  Vgl. vorn Ziff. 1.3. 2362  Vgl. vorn Ziff. 2.1 lit. b. 2363  BGE 98 IV 110 = Pr 61 (1972) Nr. 202, 100 IV 68 = Pr 63 (1974) Nr. 222, 129 IV 250,

Riedo/Boner, BSK StGB II, N 200 zu Art. 292, Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 292, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 6, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 12 zu Art. 292. 2364  Vorn § 93 Ziff. 1.1.

428

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292) Widerstand gegen die öffentliche Gewalt geht und bei Art. 292 um blosses Nicht­ befolgen einer Anordnung.

Rechtmässig ist eine Verfügung, wenn sie in formeller und inhaltlicher Hinsicht den Anforderungen der Rechtsordnung entspricht (formelle und materielle Rechtmässigkeit). Rechtmässigkeit im formellen Sinne liegt vor, wenn die Zuständigkeit und die Formvorschriften beim Erlass der Anordnung beachtet worden sind. Materielle Rechtmässigkeit bedeutet, dass sich der Inhalt der Verfügung auf eine gesetzli­ che Grundlage abstützt, verhältnismässig ist und nicht auf einem Ermessensmiss­ brauch beruht.

Wendet man sich im Einzelnen der Kognitionsbefugnis zu, so wird die Dop­ pelfunktion von Art. 292 besonders deutlich. Je nachdem, welche Funktion im Vordergrund steht, bieten sich unterschiedliche Lösungen an2365: –– Geht man von der vollstreckungsrechtlichen Betrachtungsweise aus, so ist für eine inhaltliche Überprüfung der Anordnung kein Raum. Nach schweizerischem Vollstreckungsrecht wird deren inhaltliche Richtig­ keit, mit Rücksicht auf die materielle Rechtskraft, in der Phase der Voll­ streckung des Urteils bzw. der Verwaltungsverfügung, nicht mehr über­ prüft2366. Anders verhält es sich lediglich, wenn die Anordnung nichtig ist2367. Damit kann insbesondere ein hohes Mass an Rechtssicherheit gewähr­ leistet werden. Die Gefahr, dass staatliche Anordnungen nicht voll­ streckt werden, ist gebannt, ebenso die Möglichkeit widersprechender Urteile zwischen Verwaltung und Zivilrichter einerseits und Strafrich­ ter andererseits. –– Zur gegenteiligen Auffassung führt die strafrechtliche Betrachtungsweise. Eine Verfügung kann den Bürger nicht zum Gehorsam zwingen und zu seiner Bestrafung führen, wenn das von ihm erwartete Verhalten auf einem rechtswidrigen Akt beruht. Der Strafrichter, der das Gesetz anwendet, kann nicht an Verwaltungsverfügungen gebunden sein, die ihrerseits die Folge eines Gesetzesverstosses darstellen2368. Konsequen­ 2365  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 7. 2366  SchKG Art. 81, IPRG Art. 27 Abs. 3 (Verbot der révision au fond). 2367  Dazu vorn § 92 Ziff. 3.1, vgl. weiter Riedo/Boner, BSK StGB II, N 202 zu Art. 292. 2368  BGE 98 IV 109 = Pr 61 (1972) Nr. 202, im gleichen Sinne Stratenwerth/Bommer, BT II,

§ 53 N 7, ZR 53 (1954) Nr. 118.

429

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

terweise müsste dies entgegen der bundesgerichtlichen Praxis2369 unab­ hängig davon gelten, ob die Verfügung verwaltungsgerichtlich über­ prüft werden konnte und dies tatsächlich geschehen ist2370. –– Eine vermittelnde Lösung vertritt das Bundesgericht in Bezug auf ver­ waltungsrechtliche Verfügungen2371. Danach dürfen (nicht nichtige) Urteile der Verwaltungsgerichte nicht überprüft werden2372. Verwal­ tungsverfügungen von Administrativbehörden, gegen die sich der Betroffene mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (vgl. VGG Art. 31 ff.) oder an das Bundesgericht (vgl. BGG Art. 82 ff. bzw. Art. 72 f.) hätte wehren können, sind nur auf offensichtliche Rechtsver­ letzung und Ermessensmissbrauch zu überprüfen2373. Freie Kognition steht dem Strafrichter nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung hin­ gegen zu, wenn die Verfügung von einer Verwaltungsbehörde ausge­ gangen ist, ohne dass sich der Bürger dagegen bei einem Verwaltungs­ gericht hätte beschweren können; in einem solchen Fall überprüft der Strafrichter die Frage der allfälligen Rechtswidrigkeit umfassend, nicht aber, ob die Behörde innerhalb des ihr zustehenden Ermessens zweck­ mässig entschieden hat2374. Diese Lösungsansätze des Bundesgerichts sind vertretbar: Von zentraler Bedeutung ist zunächst, widersprüchliche Entscheide zwischen Verwaltungs- und Zivilrichter einerseits und Straf­ richter andererseits zu vermeiden. Falls von der Möglichkeit der verwal­ tungsgerichtlichen Kontrolle nicht Gebrauch gemacht wird, ist davon auszugehen, der Rechtsunterworfene sei mit der betreffenden Verfü­ gung einverstanden bzw. er habe sich mit dieser abgefunden. Es kann bei dieser Sachlage nicht Aufgabe des Strafrichters sein, den betreffen­ den Entscheid – unter Umständen nach Ablauf der Rechtsmittelfrist für das verwaltungsgerichtliche Rechtsmittel – umfassend auf seine Recht­ 2369  Vorne Ziff. 4.1 lit. c. 2370  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 7, vgl. auch Riedo/Boner, BSK StGB II, N 226 zu

Art. 292.

2371  BGE 98 IV 110 = Pr 61 (1962) Nr. 202, 99 IV 166, 104 IV 137, 121 IV 31, 124 IV 307 f.,

129 IV 249.

2372  Ebenso Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 292, Dupuis u.a., Code pénal, N 15 zu Art. 292,

Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 12 zu Art. 292.

2373  Ebenso Corboz, Vol. II, N  16 zu Art.  292, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N  12 zu

Art. 292.

2374  Ebenso Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 292, Dupuis u.a., Code pénal, N 15 zu Art. 292,

Riedo/Boner, BSK StGB II, N 216 zu Art. 292, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 16, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 12 zu Art. 292.

430

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

mässigkeit hin zu überprüfen. Während des Rechtsmittelverfahrens ist es Sache der richterlichen Rechtsmittelinstanz, einen rechtskonformen Entscheid zu gewährleisten. Bei Bedarf kann dem Rechtsmittel die auf­ schiebende Wirkung erteilt werden. Die Frage der Überprüfbarkeit einer zivilrichterlichen Verfügung auf ihre Rechtmässigkeit wurde in BGE 121 IV 32 offengelassen, weil sie im entschiedenen Fall mit einem zivilrechtlichen Rechtsmittel hätte ange­ fochten werden können und dies unterblieben war. Der Kassationshof tendiert also dahin, die Überprüfung in solchen Fällen in keinem grös­ seren Masse zuzulassen als bei Verwaltungsverfügungen.

4.2

Teilnahme, Versuch

Gehilfenschaft und Versuch sind, da es sich um eine Übertretung handelt, gemäss Art. 105 Abs. 2 nicht strafbar. Anstiftung wird dagegen strafrechtlich erfasst.

4.3 Rechtfertigungsgründe Rechtfertigungsgründe sind denkbar und von der Rechtsprechung auch schon zugestanden worden. Nach BGE 104 IV 232 kann Notstand gemäss Art.  17 vorliegen, wenn eine medizinische Massnahme mithilfe von Art. 292 durchgesetzt werden soll, die Massnahme aber gesundheitsgefährdend ist. Notstand müsste auch bejaht wer­ den, wenn ein mit einem Berufsverbot belegter Mediziner jemanden notfall­ mässig behandelt. In einem kantonalen Entscheid ist einem Zeugen, dem als Beugestrafe Art. 292 angedroht worden ist, der Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtig­ ter Interessen zugebilligt worden. Dieser Zeuge hat die Aussage verweigert, um einen Informanten nicht preisgeben zu müssen, der ihm über angebliche öffentliche Missstände berichtet hat2375. Die diesem Entscheid zugrunde lie­ gende Auffassung ist abzulehnen, weil auf diese Weise die allgemeine Zeugnis­ pflicht2376 beschnitten und für gewisse privilegierte Personen contra legem ein faktisches Zeugnisverweigerungsrecht geschaffen würde2377. 2375  SJZ 83 (1987) 101. 2376  StPO Art. 163. 2377  Vgl. auch Strafrecht I, § 22 Ziff. 5.

431

§ 99  Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

4.4 Konkurrenzfragen 4.41

Andauernder Ungehorsam

Schwierigkeiten bereitet die Behandlung des andauernden Ungehorsams gegenüber der Verfügung. Kommt der Täter der Aufforderung, einen rechtmässigen Zustand wieder her­ zustellen, d.h. ein andauernd rechtswidriges Verhalten aufzugeben, sich z.B. an das Konkurrenzverbot nach OR Art. 340 ff. zu halten, nicht nach, ist eine mehrfache Bestrafung möglich, und es liegt kein Verstoss gegen den Grund­ satz «ne bis in idem» vor2378. Wird der Täter hingegen zu einer bestimmten einzelnen Handlung aufgefor­ dert2379 und kommt er trotz Bestrafung der Verfügung nicht nach, so erscheint eine erneute Bestrafung ausgeschlossen2380, es sei denn, es laufe eine Frist für weitere Handlungen wie z.B. bei einer periodischen Leistung.

4.42

Weitere Konkurrenzfragen

Wie schon unter Ziff. 1.3 ausgeführt, gehen speziellere Bestimmungen, welche Widerhandlungen gegen eine Anordnung mit Strafe bedrohen, dem Art. 292 vor. Unter den betreffenden Normen seien etwa erwähnt Art. 120, 169, ein in Anwendung von Art. 199 erlassenes kantonales Verbot2381, Art. 2862382, 289– 2912383, 2942384, 3232385, 3242386, SVG Art. 97 Ziff. 1 Abs. 22387 und BG betref­ fend Massnahmen gegen die Tuberkulose vom 13.  Juni 1928 (SR 818.102), Art. 172388.

2378  BGE 88 IV 120, 104 IV 230 f. = Pr 68 (1979) Nr. 64, SJZ 58 (1962) 319, Dupuis u.a.,

Code pénal, N 21 zu Art. 292.

2379  Z.B. als Zeuge auszusagen. 2380  Corboz, Vol. II, N 32 zu Art. 292, Riedo/Boner, BSK StGB II, N 272 zu Art. 292, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 53 N 9, anders BGE 121 II 289 f.

2381  BGE 124 IV 71 f. 2382  BGE 110 IV 95. 2383  Riedo/Boner, BSK StGB II, N 31 ff. zu Art. 292. 2384  Vgl. hinten § 101 Ziff. 4. 2385  BGE 106 IV 280 f. 2386  Corboz, Vol. II, N 30 zu Art. 292. 2387  BGE 88 IV 119 = Pr 52 (1963) Nr. 13. 2388  Zuwiderhandlungen gegen eine Einzelverfügung, dazu BGE 104 IV 230  ff. = Pr 68

(1979) Nr. 64.

432

§ 100  Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293)

§ 100 Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293) Literaturauswahl: C. Auer, Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) versus Pressefreiheit (Art. 10 EMRK), ZBJV (2009) 65, D. Barrelet, Les indiscrétions commises par la voie de la presse, SJZ 79 (1983) 17, S. C. Brunner, Die neue Informationsschutzverordnung des Bundes: Das Öffentlichkeitsprinzip am Scheideweg?, Medialex 2008, 6, G. T. Chatton/S. Grodecki, Art. 10 CEDH, art. 293 CP: condamnation d’un journaliste pour publication de débats officiels secrets: violation de la liberté d’expression, AJP 15 (2006) 1294, B. Cottier/R. J. Schweizer/N. Widmer, in: Öffentlichkeitsgesetz, Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung vom 17. Dezember 2004 (BGÖ), hrsg. von S. C. Brunner/L. Mader, Bern 2008, 126, H. Keller/D. Kühne, Vertraulichkeit der Diplomatie contra Meinungsäusserungsfreiheit  – Der Fall Stoll gegen die Schweiz vor der Grossen Kammer des EGMR, in: Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2007/2008, hrsg. von A. Epiney/T. Civitella, Zürich/Basel/Genf 2008, 229, A. Meili, Der Geheim­ nisschutzartikel Art.  293 im Lichte der neueren Gerichtspraxis, Medialex 2000, 135, F. Riklin, Zulässige Veröffentlichung amtlicher geheimer Akten, Urteil der 2. Strafkammer des Oberge­ richts des Kantons Bern vom 27.  April 1999 (Nr.  096/II/99), Medialex 1999, 175, M. Schefer, Öffentlichkeit und Geheimhaltung in der Verwaltung, in: Die Revision des Datenschutzgesetzes/ La révision de la Loi sur la protection des données, hrsg. von A. Epiney/P. Hobi, Zürich/Basel/ Genf 2009, 67, D. Schmohl, Der Schutz des Redaktionsgeheimnisses in der Schweiz, Eine straf­ rechtliche Betrachtung unter Berücksichtigung der europäischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen, Diss. Zürich 2013, S.  Schürer, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), zweite Kammer, 1.  Juli 2014, Nr.  56925/08, A.B. contre Suisse, AJP 23 (2014) 1246, M. Schwaibold, Stoll gegen die Schweiz 1:6, fp 2008, 180, H. Stadler, Indiskretionen im Bund, ZBJV 136 (2000) 112, B. Wilson, Le conflit entre la protection des informations confidentielles et la liberté de la presse à la lumière de l’affaire Stoll c. Suisse: et si la minorité avait raison?, in: Les droits de l’homme et la constitution, Etudes en l’honneur du Professeur Giorgio Malinverni, hrsg. von A. Auer/A. Flückiger/M. Hottelier Genf/Zürich/Basel 2007, 307.

1. Allgemeines Art.  293 (Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen/Publication de débats officiels secrets/Pubblicazione di deliberazioni ufficiali segrete/Publication of secret official hearings) ergänzt den Schutz des Amtsgeheimnisses nach Art. 320, indem in bestimmten Fällen auch Privatpersonen für strafbar erklärt werden, die durch Recherchen oder Indiskretion von entsprechenden geheim zu haltenden Tatsachen erfahren und diese an die Öffentlichkeit bringen. Indi­ rekt bildet Art. 293 dadurch auch einen Schutz für die ungestörte Meinungs­ bildung innerhalb eines staatlichen Organs2389.

2389  BGE 107 IV 188.

433

§ 100  Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293)

2.

Objektiver Tatbestand

2.1 Schutzobjekte 2.11

Geltende Praxis

Von der Diskretionspflicht sind amtliche Akten oder Verhandlungen betrof­ fen, die Vorgänge oder Erkenntnisse enthalten, welche im öffentlichen Inter­ esse geheim bleiben oder nach dem Willen des Gesetzes oder der Auffassung des betreffenden Organs zumindest vorübergehend von Einflüssen von aussen abgeschirmt werden sollen. Massgebend ist gemäss geltender Praxis somit der formelle Geheimnisbe­ griff2390. Geheim sind danach «Akten, Verhandlungen oder Untersuchun­ gen», die gemäss Gesetz oder zufolge einer Geheimhaltungserklärung von der Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit ausgeschlossen sein sollen2391. Nach dem formellen Geheimnisbegriff ist es damit nicht entscheidend, ob die Tat­ sache nur einem kleinen Personenkreis bekannt ist sowie ob Geheimhaltungs­ wille und Geheimhaltungsinteresse vorhanden sind (materieller Geheimnis­ begriff). Die Geheimhaltung amtlicher Akten verlangen z.B. ZGB Art. 970 Abs. 1 und 970a Abs. 2 (Grundbuch), SchKG Art. 8a (Akten der Zwangsvollstreckung), VO vom 29. Septem­ ber 2006 über das Strafregister (VOSTRA-Verordnung), Art. 22 ff.2392, StHG Art. 39 Abs.  1, StPO Art.  69  f. (Ausschluss der Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen), StPO Art. 101 (Gerichtsakten), StPO Art. 73 (Untersuchungsgeheimnis).

Das bedeutet, dass der Tatbestand von Art.  293 nach geltender Praxis ver­ letzt sein kann, obschon eine Vielzahl von Personen Kenntnis vom betreffen­ den Sachverhalt hat, was jedenfalls dann problematisch ist, wenn bereits eine breite Öffentlichkeit davon hat Kenntnis nehmen können2393. In einer derar­ tigen Konstellation kann eine Verurteilung mit EMRK Art. 102394 bzw. IPBPR

2390  BGE 114 IV 36, 126 IV 244 ff. 2391  BGE 107 IV 188, 108 IV 187 f., 114 IV 36, 126 IV 244, SJZ 77 (1981) 269, Corboz, Vol.

II, N 2 zu Art. 293, Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 293, Fiolka, BSK StGB II, N 15 zu Art. 293, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 41, Trechsel/Vest, in: Trechsel/ Pieth, N 4 zu Art. 293. 2392  SR 331. 2393  Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 6 zu Art. 293. 2394  EGMR vom 21.1.1999, Fressoz und Roire c. Frankreich, Nr. 29183/95, Ziff. 53, vgl. auch EGMR vom 22.5.1990, Weber c. Schweiz, Nr. 11034/84, Ziff. 49 ff.

434

§ 100  Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293)

Art. 19 unvereinbar sein, sofern nicht ein Anwendungsfall gemäss EMRK 10 Ziff. 2 bzw. IPBPR Art. 19 Ziff. 3 gegeben ist2395. Grundsätzlich dürfen Behörden Tatsachen nicht beliebig für geheim erklären. Erforderlich ist, dass sich die betreffende Behörde bei der Geheimhaltungs­ erklärung innerhalb der Amtsbefugnisse bewegt; entsprechend setzt diese ein legitimes Geheimhaltungsinteresse voraus2396. Der Strafrichter prüft aus­ schliesslich, ob die Geheimhaltungserklärung vertretbar erscheint2397. Bei der betreffenden Norm, auf welcher der Ausschluss der Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit basiert, braucht es sich nach bisheriger Rechtspre­ chung nicht um ein Gesetz im formellen Sinne zu handeln, eine Verordnung oder ein Reglement, wie beispielsweise das Geschäftsreglement des National­ rats2398, genügt. Ebenso genügt der behördliche Geheimhaltungsbeschluss bzw. eine entsprechende Verfügung. Daraus muss nur ersichtlich sein, dass die betreffenden «Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen» geheim zu halten sind; es wird nicht verlangt, dass dies ausdrücklich – etwa mit den Ausdrücken «geheim» oder «vertraulich» etc.2399 – festgehalten sein muss2400.

2.12

Für eine Praxisänderung und/oder eine Revision sprechende Gesichtspunkte

Diese Praxis des Bundesgerichts zum Geheimnisbegriff basiert auf dem damals generell geltenden Grundsatz der Geheimhaltung und ist inzwischen für den Bereich, für welchen das Öffentlichkeitsprinzip zur Anwendung gelangt, zu überprüfen. Für den Bund ist in dieser Hinsicht das BGÖ2401 massgebend2402. In dessen Art. 6 wird der Grundsatz der Öffentlichkeit der Bundesverwaltung verankert. Damit wird im Bund der Bereich des Verwaltungshandelns, der weiterhin der Geheimhaltung unterliegen kann, klarer als bisher abgegrenzt: 2395  Vgl. dazu BGE 126 IV 250. 2396  Fiolka, BSK StGB II, N 17 zu Art. 293, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 5 zu Art. 293. 2397  BGE 126 IV 246 (mit Bezug auf Art. 293 Abs. 3), BstGer vom 18.8.2011, SK.2011.7,

Erw. 4.5.

2398   Art.  20 Abs.  4 des Geschäftsreglements des Nationalrates vom 3.  Oktober 2003

(SR 171.13), vgl. dazu BGE 107 IV 189, 108 IV 189.

2399  BGE 108 IV 188, 114 IV 36, 126 IV 242. 2400  BGE 77 IV 182 f., 107 IV 188. 2401  Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung

(Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ), SR 152.3.

2402  Für den Kanton Zürich vgl. Gesetz vom 12. Februar 2007 über die Information und

den Datenschutz (IDG), LS 170.4.

435

§ 100  Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293)

Er umfasst Informationen, die nicht in den Geltungsbereich des BGÖ fallen (vgl. BGÖ Art. 2 f.), die durch spezielle bundesgesetzliche Bestimmungen als geheim erklärt werden (vgl. BGÖ Art. 42403) oder die unter die abschliessend aufgezählten Ausnahmebestimmungen nach BGÖ Art. 72404 bzw. Sonderfälle nach Art. 8 Abs. 1–4 fallen2405. Darüber hinaus kann die Verwaltung gemäss Informationsschutzverordnung vom 4. Juli 20072406 zum Schutz der Landesin­ teressen bestimmte schutzwürdige Informationen als «geheim», «vertraulich» oder «intern» klassifizieren (vgl. insb. ISchV Art. 2 lit. a und Art. 4 ff.). Dies ist mit Bezug auf den Anwendungsbereich des BGÖ – sowie vergleichba­ rer kantonaler Gesetze – bei der Interpretation von StGB Art. 293 zu berück­ sichtigen. Demnach liegt es nicht in der Kompetenz der entsprechenden Behörden (für den Bund: BGÖ Art. 2), ausserhalb des vorgegebenen Rahmens Dokumente für geheim zu erklären. Steht die Veröffentlichung von Dokumen­ ten bei einer derartigen Rechtslage zur Diskussion, kann Art. 293 demnach nur zur Anwendung gelangen, wenn die Voraussetzungen einer Geheimhaltung (für den Bund nach BGÖ Art. 7 bis 9) erfüllt sind2407. Das Öffentlichkeitsprin­ zip berührt damit den bundesgerichtlichen formellen Geheimnisbegriff: An diesem kann jedenfalls dort, wo der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt, nicht fest­ gehalten werden, wenn widersprüchliche Situationen vermieden werden sol­ len, wonach strafrechtlich eine Handlung als tatbestandsmässig erachtet wird, obwohl die zugrunde liegende Anordnung der Geheimhaltung rechtswidrig erfolgte2408.

2403  Bspw. das Glaubhaftmachen eines Interesses im Fall der Einsicht in das Grundbuch,

vgl. ZGB Art. 970 Abs. 2.

2404  Botschaft zum BGÖ vom 12. Februar 2003, BBl 2003, 2006. 2405  Brunner, 7. 2406  Verordnung über den Schutz von Informationen des Bundes (ISchV), SR 510.411. 2407  Schefer, 93, zu den Voraussetzungen für die Geltendmachung einer Ausnahmeklausel

i.S. von BGÖ Art. 7 vgl. aber Cottier/Schweizer/Widmer, 129 ff., wonach der im BGÖ verankerte Mechanismus des Schutzes von Geheimhaltungsinteressen auf dem Beste­ hen bzw. Nichtbestehen eines Schadensrisikos und nicht auf einer eigentlichen Inter­ essenabwägung beruhe; sobald die Behörde von einem ernsthaften Risiko ausgehen müsse, dass ein substanzieller Schaden eintritt, müsse das Dokument – ungeachtet der Legitimität der Gründe, aus denen ein Gesuch um Zugang zur Information gestellt wird – geheim gehalten werden (eine Ausnahme gilt nur für den Schutz der Privat­ sphäre Dritter nach BGÖ Art.  7 Abs.  2, wo das konkrete Interesse am Zugang zur Information in Abwägung gezogen werden kann). 2408  Schefer, 94 f. Vgl. hierzu BstGer vom 18.8.2011, SK.2011.7, Erw. 4.5 ff.

436

§ 100  Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293)

Das Festhalten am formellen Geheimnisbegriff ist inzwischen aber auch unab­ hängig von der Geltung des Öffentlichkeitsprinzips unter Druck geraten. Nicht nur wurde diese konstante Praxis des Bundesgerichts seitens der Lehre immer wieder kritisiert2409. Zu beachten ist im Weiteren auch ein wegweisendes Urteil des EGMR: In der Urteilsbegründung i.S. Stoll c. Schweiz wird die bisherige bundesgerichtliche Praxis im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Art. 10 Ziff. 2 der EMRK infrage gestellt. Zwar wurde die Beschwerde gegen das betreffende Bundesgerichtsurteil nach anfänglicher Gutheissung anschliessend mit Ent­ scheid der grossen Kammer des EGMR abgewiesen2410, dies jedoch nur des­ halb, weil das Bundesgericht in seinen Erwägungen doch noch auf die Güterab­ wägung eingegangen war, obwohl es eine solche für nicht erforderlich erachtete (allerdings nur im Sinne eines obiter dictum und ohne eine differenzierte Aus­ einandersetzung mit den infrage stehenden Interessen)2411. Auch wenn im konkreten Fall letztlich keine Verletzung des Art. 10 Ziff. 2 der EMRK ange­ nommen wurde, lässt das Urteil keinen Zweifel daran, dass eine Interessen­ abwägung i.S. von EMRK Art. 10 Ziff. 2 vorgenommen werden muss, um die Notwendigkeit der Bestrafung des Journalisten wegen Veröffentlichung amt­ licher geheimer Dokumente zu überprüfen2412; die Effektivität des Schutzes der EMRK setzt demnach eine eingehende Abwägung zwischen öffentlichem Informationsinteresse und den übrigen auf dem Spiele stehenden Interessen voraus. Das Geheimhaltungsinteresse überwiegt nicht einfach automatisch2413. Im Falle des strafrechtlichen Untersuchungsgeheimnisses sind etwa das Recht auf Information der Öffentlichkeit und das Recht der Öffentlichkeit auf Infor­ mation gegen das Recht auf Unabhängigkeit des Gerichts, gegen das Interesse an einem effektiven Strafverfahren, gegen den Anspruch auf Respektierung der Unschuldsvermutung sowie gegen das Recht auf Privatsphäre der beschuldig­ ten Person abzuwägen2414. Zumindest teilweise sind diese Interessen verfas­ sungs- und konventionsrechtlich geschützt2415.

2409  Vgl. u.a. Barrelet, 17 ff., Chatton/Grodecki, 1300, Meili, 137 f., Schwaibold, 182. 2410  Vgl. BGE 126 IV 236 sowie EGMR vom 25.4.2006 und 10.12.2007, Stoll c. Schweiz,

Nr. 69698/01 = fp 2008, 134.

2411  Vgl. BGE 126 IV 254 f. Erw. 9, Auer, 66, Keller/Kühne, 240 f., Schefer, 97. 2412  Vgl. unter vielen Keller/Kühne, 241 mit weiteren Verweisen in FN 52. 2413  Vgl. Schwaibold, 185. 2414  EGMR (Grosse Kammer) vom 29.3.2016, Bédat c. Schweiz, Nr.  56925/08, Ziff.  55,

anders in derselben Angelegenheit noch EGMR vom 1.7.2014, A.B. c. Schweiz, Nr. 56925/08, Ziff. 37 ff. 2415  EGMR vom 29.3.2016, Bédat c. Schweiz, Nr. 56925/08, Ziff. 51.

437

§ 100  Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293)

Jedenfalls ist Art. 293 unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen Rechtspre­ chung verfassungs- und konventionskonform auszulegen.

2.13 Folgerungen Für die Auslegung von Art. 293 erweisen sich die gemäss bisheriger Praxis ver­ wendeten Kriterien der richterlichen Überprüfung der behördlichen Geheim­ haltungserklärung eines Dokumentes einerseits sowie der allfälligen Anwen­ dung des Rechtfertigungsgrunds der Wahrung berechtigter Interessen als Korrektiv für den rein formellen Geheimnisbegriff nicht als ausreichend2416. Ebenso wenig führt eine bloss «der Vollständigkeit halber» vorgenommene Abwägung2417 zu einer gesicherten Interessenabwägung, wie sie gemäss EMRK Art. 10 Ziff. 2 vorzunehmen wäre2418. Soll Art. 293 konventionskonform aus­ gelegt werden, kann letztlich also nicht konsequent am formellen Geheimnis­ begriff festgehalten werden2419. Ebenso wenig ist das Abstellen auf diesen in Bereichen sinnvoll, in welchen das Öffentlichkeitsprinzip Geltung hat. Lösen liesse sich die aufgezeigte Problematik mit einer Auslegung, welche sich am materiellen Geheimnisbegriff orientiert2420. Denkbar ist de lege ferenda auch eine Anpassung des Wortlauts, wobei die Verpflichtung zur Interessen­ abwägung in die Bestimmung aufgenommen wird, oder aber gar die gänzliche Streichung des Art. 2932421.

2.2 Täter Verletzt werden kann das Geheimnis von jedermann, gleichgültig, ob es der Täter als Behördenmitglied oder Beamter kennt oder es ausspioniert respek­ tive von einem andern erfährt. Beispiel: Der Täter bewegt einen Bekannten, der die Protokolle des Gemeinderates ein­ bindet, dazu, ihm Abschriften aus dem Protokoll zu beschaffen, die er alsdann in einem Flugblatt veröffentlicht2422. 2416  Vgl. dazu BGE 126 IV 246, 250, Fiolka, BSK StGB II, N 46 zu Art. 293, Keller/Kühne,

238 ff., Schefer, 96.

2417  Vgl. vorn FN 2418. 2418  Keller/Kühne, 241. 2419  Vgl. unter vielen Keller/Kühne, 238 mit weiteren Verweisen in FN 40. 2420  Vgl. hierzu aber Fiolka, BSK StGB II, N 29 und N 44 zu Art. 293 betreffend die Prob­

lematik bezüglich Abs. 3.

2421  Vgl. hierzu z.B. Entwurf zur Änderung von Art. 293 StGB, BBl 2016 7341. 2422  BGE 77 IV 182.

438

§ 100  Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293)

2.3 Tathandlung Das tatbestandsmässige Verhalten besteht darin, dass der Täter «etwas an die Öffentlichkeit bringt», d.h. in der Bekanntmachung der als Geheimnis zu behan­ delnden Tatsache an einen grösseren Kreis von Personen. Wie sich v.a. aus den romanischen Texten ergibt, genügt eine teilweise Mitteilung des Geheimnisses. Es kann dies auf verschiedene Weise geschehen, vor allem durch Veröffentli­ chung in den Massenmedien2423 oder durch Bekanntgabe in einer Versamm­ lung. Nicht strafbar ist demnach die Mitteilung einer Einzelperson gegenüber, sofern nicht eine Veröffentlichung durch diese in Kauf genommen wird. Strafbar ist nach dem Wortlaut von Art.  293 nur die widerrechtliche Veröf­ fentlichung. Diese Präzisierung ist an sich überflüssig. Damit soll ausdrück­ lich gesagt werden, dass die Öffnung der Akten oder die Bekanntgabe von Verhandlungen oder Untersuchungen straflos bleibt, wenn sie auf einer aus­ nahmsweisen gesetzlichen oder behördlichen Ermächtigung beruht2424. Dies gilt auch, wenn sich der Täter auf einen allgemeineren Rechtfertigungsgrund berufen kann. Ein solcher lässt sich indessen aus dem allgemeinen Informa­ tionsauftrag der Medien nicht herleiten2425.

3.

Subjektiver Tatbestand

Art. 293 ist ein Vorsatzdelikt. Der Täter muss sich – wenn auch nur im Sinne des Eventualvorsatzes – der geheimen Natur seiner für die öffentliche Mittei­ lung dienenden Unterlagen bewusst sein; ferner muss er die Indiskretionen mit Wissen und willentlich begehen. Bedient sich der Hauptverantwortliche eines Mittelsmannes, so ist diesem als Voraussetzung für die Annahme strafbarer Beteiligung nachzuweisen, dass er über den Willen des Haupttäters zur Veröffentlichung unterrichtet ist und sie auch billigt.

2423  Vgl. BGE 119 IV 251 (Ausstrahlung im Fernsehen). 2424  Vgl. etwa StPO Art. 74 betreffend Orientierung der Öffentlichkeit über das Strafver­

fahren.

2425  BGE 107 IV 191, 126 IV 248 f.

439

§ 100  Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293)

4.

Weitere Fragen

4.1

Geringe Bedeutung des Geheimnisses

Ist «das an die Öffentlichkeit gebrachte Geheimnis von geringer Bedeutung», so kann der Richter gemäss Art. 293 Abs. 3 von jeglicher Strafe absehen. Mit dieser Bestimmung soll der Normadressat vor übertriebener Geheimnis­ krämerei geschützt werden2426. Mit zu berücksichtigen ist bei dieser Regelung, dass der Strafrichter einer Geheimhaltungserklärung nur dann die Geltung versagt, wenn diese unvertretbar erscheint2427. Entsprechend kann Art.  293 Abs.  3 zur Anwendung gelangen, wenn die Geheimhaltungserklärung zwar nicht gerade als unvertretbar, wohl aber als problematisch erachtet wird. All­ gemein ist die Gesamtheit der Umstände zu würdigen. Dabei ist namentlich das Geheimhaltungsinteresse zu gewichten2428. Überdies ist mit zu berück­ sichtigen, ob die betreffenden Tatsachen bereits einer Vielzahl von Personen bekannt sind2429.

4.2

Versuch und Teilnahme

Versuch bleibt nach Art. 105 Abs. 2 straflos. Anstiftung wird bestraft, ebenso Gehilfenschaft, weil dies in Art. 293 Abs. 2 speziell so vorgesehen ist. Mittel­ bare Täterschaft, die eine gewisse praktische Bedeutung hat, ist ebenfalls straf­ bar. Wird die als Geheimnis zu behandelnde Tatsache vom Täter mittels der Druckerpresse an die Öffentlichkeit gebracht, richtet sich die Verantwortlich­ keit nach Art. 28.

4.3 Konkurrenzfragen Betrifft die Tathandlung nicht nur ein Geheimnis i.S. von Art. 293, sondern auch ein materielles Staats-, Militär- oder Amtsgeheimnis, so ist sie nach den strengeren Strafbestimmungen von Art. 267 oder 320 Ziff. 1 bzw. MStG Art. 86 zu ahnden. Das gilt auch für den Anstifter, der das Geheimnis der Öffentlich­ keit bekannt machen will. 2426  BGE 126 IV 245 f. m.w.H. 2427  BGE 126 IV 246. 2428  Als Auslegungshilfe können die in Art. 7 des Öffentlichkeitsgesetzes angeführten Kri­

terien dienen, vgl. SR 152.3.

2429  Fiolka, BSK StGB II, N 43 zu Art. 293.

440

§ 101  Missachtung eines Tätigkeits- oder Kontakt- und Rayonverbots (Art. 294)

Echte Idealkonkurrenz kann mit den strafbaren Handlungen gegen den Geheim- und Privatbereich (Art.  179  ff.) vorliegen, wenn der Täter z.B. die Beratungen einer Kollektivbehörde abhört (Art. 179bis) und die Mitteilungen anschliessend i.S. von Art. 293 an die Öffentlichkeit bringt2430.

4.4

Gerichtsstand bei Veröffentlichung durch Massenmedien

Der Gerichtsstand befindet sich für Pressepublikationen gemäss StPO Art. 35 regelmässig am Ort, an welchem das Medienunternehmen seinen Sitz hat, für Bekanntgabe in Radio oder Fernsehen am Ort des Sendestudios2431.

§ 101 Missachtung eines Tätigkeitsverbots oder eines Kontakt- und Rayonverbots (Art. 294) Literaturauswahl: M. Lehner, Das Berufsverbot als Sanktion im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1991.

1.

Entwicklung der Gesetzgebung und Gegenstand der Regelung

Mit Verfügung vom 16. Mai 2011 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die eidge­ nössische Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen» zustande gekommen ist2432. In der Folge arbeitete der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag aus, wel­ chen die eidgenössischen Räte als selbständige Gesetzesvorlage – losgelöst von der Volksinitiative  – angenommen haben2433. Die Gesetzesänderung ist auf den 1. Januar 2015 in Kraft getreten2434. In der Volksabstimmung vom 18. Mai 2014 ist die Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen» von Volk und Ständen ange­ nommen worden2435. In der Folge hat der Bundesrat eine Botschaft zur Umset­ 2430  Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 293, Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 293. 2431  BGE 119 IV 252. 2432  BBl 2011, 4435. 2433  BBl 2013, 9683. 2434  AS 2014, 2055, 2068. 2435  BBl 2014, 6349.

441

§ 101  Missachtung eines Tätigkeits- oder Kontakt- und Rayonverbots (Art. 294)

zung von BV Art. 123c ausgearbeitet2436. Die vorgeschlagene Revision u.a. des StGB orientiert sich eng am Wortlaut der erwähnten BV-Bestimmung. Es ist daher absehbar, dass die gesetzliche Regelung der Massnahme des Tätigkeits­ verbots gemäss Art.  67, wohl nicht aber Art.  294 und 295, in nächster Zeit erneut revidiert werden. Verglichen mit der lex lata wird die Umsetzung von BV 123c insofern eine Verschärfung zur Folge haben, als einerseits der Katalog der Delikte, die die Anordnung eines zwingenden Tätigkeitsverbotes zur Folge haben, ausgeweitet wird und als andrerseits für die Anordnung des zwingen­ den Tätigkeitsverbotes keine Mindeststrafe mehr vorausgesetzt wird. Zudem müssen die zwingenden Verbote stets lebenslänglich angeordnet werden. Mit dem Bundesgesetz über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Ray­ onverbot vom 13. Dezember 20132437, welches – wie erwähnt – am 1. Januar 2015 in Kraft getreten ist, sind u.a. Art. 294 (Missachtung eines Tätigkeitsverbots oder eines Kontakt- und Rayonverbots/Infraction à l’interdiction d’exercer une activité, à l’interdiction de contact ou à l’interdiction géographique/Violazione dell’interdizione di esercitare un’attività o del divieto di avere contatti e di accedere ad aree determinate/Violation of an order prohibiting the undertaking of certain activities, a restraining order or an order prohibing a person from entering specified zones) sowie das Berufsverbot gemäss alt Art. 67 revidiert worden. Das Berufsverbot wird auf organisierte ausserberufliche Tätigkeiten ausgewei­ tet2438. Erhöhten Schutz erfahren dabei minderjährige oder besonders schutz­ bedürftige Personen2439. Personen, welche deshalb verurteilt worden sind, weil sie die sexuelle Integrität von Minderjährigen oder Abhängigen beeinträchtigt haben, sollen grundsätzlich nicht mehr mit diesen arbeiten dürfen. Ein Tätigkeitsverbot kann verhängt werden, selbst wenn die Anlasstat nicht in Ausübung dieser Tätigkeit begangen wurde. Neben der Missachtung eines Tätigkeitsverbots (Art. 294 Abs. 1) wird die Miss­ achtung eines Kontakt- und Rayonverbots2440 unter Strafe gestellt (Art.  294 Abs. 2). Diese Bestimmung ist nicht ausschliesslich auf Taten ausgerichtet, die an Kindern und Jugendlichen oder an besonderes schutzbedürftigen Personen

2436  Botschaft 2016, 6115 ff. 2437  Vgl. Botschaft 2012 II, 8866 f. 2438  Vgl. Art. 67 und 67a. 2439  Vgl. das qualifizierte Tätigkeitsverbot im revidierten Art. 67 Abs. 2 und 3, vgl. auch

Botschaft 2012 II, 8860 f.

2440  Vgl. Art. 67b.

442

§ 101  Missachtung eines Tätigkeits- oder Kontakt- und Rayonverbots (Art. 294)

begangen werden, sondern beispielsweise auch im Zusammenhang mit häusli­ cher Gewalt oder dem «Stalking» von Bedeutung2441. Art. 294 bezieht sich nur auf die Massnahme nach Art. 67, nicht aber auf Wei­ sungen betreffend Berufsausübung i.S. von Art. 44 Abs. 2. Verwaltungs- oder disziplinarrechtlich verhängte Berufsverbote sind strafrechtlich auf kantonales Strafrecht nach Art. 335 Abs. 2 oder auf Art. 292 abzustützen.

2.

Objektiver Tatbestand

Der Tatbestand von Art.  294 enthält zum einen die strafrechtliche Sanktion für die Missachtung eines Tätigkeitsverbots, also für das Ausüben einer Tätig­ keit, welche einer Person unter den Voraussetzungen von Art. 67, MStG Art. 50 oder JStG Art. 16a untersagt wird (Abs. 1)2442. Zum anderen wird der Verstoss gegen ein Kontakt- und Rayonverbot gemäss Art.  67b, MStG Art.  50b oder JStG Art. 16a sanktioniert (Abs. 2)2443. Art. 294 ist ein Sonderdelikt2444. Täter kann nur sein, wer mit einem Tätigkeits­ verbot gemäss Abs. 1 und/oder mit einem Kontakt- und Rayonverbot i.S. von Abs. 2 belegt worden ist. Inhaltlich besteht der Entscheid in einer hinreichend bestimmten Verhaltens­ anweisung betreffend das Tätigkeits- oder das Kontakt- bzw. Rayonverbot gegenüber einer bestimmten bzw. eindeutig bestimmbaren Person. Dieses Tätigkeits- bzw. Kontakt- und Rayonverbot muss vom zuständigen Gericht ausgehen und im Tatzeitpunkt rechtskräftig sein2445. Nicht erfasst sind administrative und disziplinarrechtliche Massnahmen. Schliesslich muss der Entscheid betreffend das Tätigkeits- bzw. Kontakt- und Rayonverbot dem Täter tatsächlich zugegangen sein; der Empfang darf nicht fingiert werden, weil der Adressat der Anordnung, der deren Inhalt nicht kennt, ihr jedenfalls nicht vorsätzlich zuwiderhandeln kann.

2441  Vgl. Bericht Tätigkeits-, Kontakt- und Rayonverbot, 19. 2442  Zu Inhalt und Umfang des Tätigkeitsverbots vgl. den revidierten Art. 67a. 2443  Für Jugendliche, welche gegen JStG Art. 16a verstossen, sind die Sanktionen des JStG

anwendbar.

2444  Vgl. auch Dupuis u.a., Code pénal, N 2 zu alt Art. 294, Fiolka, BSK StGB II, N 6 zu

Art. 294.

2445  Das Verbot wird am Tag wirksam, an welchem das Urteil rechtskräftig wird (vgl. den

revidierten Art. 67c Abs. 1 zum Vollzug der Verbote).

443

§ 101  Missachtung eines Tätigkeits- oder Kontakt- und Rayonverbots (Art. 294)

Da es sich beim Tätigkeits- bzw. Kontakt- und Rayonverbot um einen rechts­ kräftigen Gerichtsentscheid handelt, ist der Richter, welcher über den Tatvor­ wurf der Missachtung dieses Verbots zu entscheiden hat, an diesen Entscheid gebunden. Lediglich ein nichtiger Entscheid ist unbeachtlich. Strafbar ist jede Betätigung, die dem Verbot widerspricht. Teilweise wird es um eine während eines gewissen Zeitraumes stattfindende Widerhandlung gehen, die dann als sog. Einheitstat zu betrachten ist2446.

3.

Subjektiver Tatbestand

Der Vorsatz verlangt, dass der Täter Kenntnis vom Tätigkeitsverbot bzw. dem Kontakt- und Rayonverbot und seiner Fortdauer hat und diesem trotzdem willentlich zuwiderhandelt. Die Strafdrohung von Art. 294 braucht der Täter nicht zu kennen und sie muss ihm – anders als bei Art. 292 – nicht speziell zur Kenntnis gebracht werden.

4.

Rechtfertigungsgründe und Konkurrenzen

Die Rechtswidrigkeit kann nach Art. 15 oder Art. 17 ausgeschlossen sein, wenn der Täter – z.B. als Mediziner – Notwehr- oder Notstandshilfe leistet. Echte Idealkonkurrenz mit andern Delikten ist möglich, z.B. beim Arzt, der bei seiner unerlaubten Berufstätigkeit eine fahrlässige Körperverletzung begeht. Ist neben dem strafrechtlichen Tätigkeitsverbot auch eine administrative oder disziplinarrechtliche Verurteilung zu einem Berufsverbot ausgesprochen wor­ den, so geht für die Dauer des strafrechtlichen Verbots Art. 294 dem Ungehor­ sam nach Art. 292 vor2447.

2446  Strafrecht I, § 38 Ziff. 2.2. 2447  Fiolka, BSK StGB II, N 14 f. zu (alt) Art. 294.

444

§ 102  Missachtung von Bewährungshilfe oder Weisungen (Art. 295)

§ 102 Missachtung von Bewährungshilfe oder Weisungen (Art. 295) 1.

Entwicklung der Gesetzgebung und Gegenstand der Regelung

Für die Entwicklung der Gesetzgebung kann auf die entsprechenden Ausfüh­ rungen zu Art. 294 verwiesen werden2448. Grundsätzlich wird der Vollzug der Berufsverbote im privaten Bereich durch den Strafregisterauszug für Privatpersonen sichergestellt. In diesem Sinne wird der Vollzug letztlich den Arbeitgebern überlassen, welche den potenziellen Arbeitnehmer auffordern, einen Strafregisterauszug beizubringen. Allerdings besteht diesbezüglich eine Lücke bei selbständiger Berufs- oder organisierter ausserberuflicher Tätigkeit. Gestützt auf Art.  372 sind die Kantone verpflichtet, gerichtlich angeordnete Berufsverbote durch die kantonale Vollzugsbehörde zu vollziehen. Demgegen­ über werden Anordnungen von Bewährungshilfe und Weisungen betreffend Tätigkeits-, Kontakt- und Rayonverbote, welche im Rahmen von Weisungen für die Probezeit angeordnet werden, von der Bewährungshilfe kontrolliert (Art. 95). Zwar kann im Falle einer Missachtung der Anordnung der Bewährungshilfe oder von Weisungen gemäss Art. 95 Abs. 4 lit. a die Probezeit verlängert wer­ den. Das Tätigkeitsverbot sowie das Kontakt- und Rayonverbot können jedoch auch unabhängig vom Bestehen einer Probezeit angeordnet werden. Entzieht sich der Verurteilte dieser Bewährungshilfe, die unabhängig von einer Probe­ zeit angeordnet worden ist, so kommen die Massnahmen nach Art. 95 Absätze 4 und 5 nicht zur Anwendung und die Situation blieb bisher ohne Konsequen­ zen. Durch Art. 295 wird diese Lücke geschlossen.

2.

Objektiver Tatbestand

Die Erfüllung des Übertretungstatbestands von Art.  295 (Missachtung von Bewährungshilfe oder Weisungen/Non-respect de l’assistance de probation ou des règles de conduite/Violazione dell’assistenza riabilitativa e delle norme di condotta/Violation of a parole order or conduct order) setzt in der ersten Tat­ 2448  Vgl. vorn § 101 Ziff. 1.

445

§ 102  Missachtung von Bewährungshilfe oder Weisungen (Art. 295)

bestandsvariante voraus, dass sich die betreffende Person der Bewährungs­ hilfe entzieht, d.h. jeden Kontakt verweigert und weder am Wohn- noch am Arbeitsort erreichbar ist. Nach der zweiten Tatbestandsvariante macht sich strafbar, wer Weisungen nicht befolgt. Eine Rückfallgefahr ist nicht erforderlich2449. Art. 295 stellt ein Sonderdelikt dar. Täter kann nur eine Person sein, gegenüber welcher Bewährungshilfe oder Weisungen angeordnet worden sind. Inhaltlich besteht der Entscheid in einer hinreichend bestimmten Verhaltens­ anweisung gegenüber einem bestimmten oder eindeutig bestimmbaren Adres­ saten. Sowohl die Bewährungshilfe wie auch die Weisungen müssen vom Gericht oder von der Vollzugsbehörde angeordnet werden. Die Anordnung muss im Tatzeitpunkt vollstreckbar sein. Schliesslich muss der Entscheid betreffend das Tätigkeits- bzw. Kontakt- und Rayonverbot dem Täter tatsächlich zugegangen sein; der Empfang darf nicht fingiert werden, weil der Adressat der Anordnung, der deren Inhalt nicht kennt, ihr jedenfalls nicht vorsätzlich zuwiderhandeln kann. Sofern die rechtskräftige Anordnung betreffend Bewährungshilfe oder die Weisung vom Gericht ausgesprochen wird, ist der Richter, welcher über den Tatvorwurf der Missachtung zu befinden hat, an diesen Entscheid gebunden. Lediglich ein nichtiger Entscheid ist unbeachtlich. Demgegenüber sind in Rechtskraft erwachsene Anordnungen der Vollstreckungsbehörde vom Straf­ richter zu überprüfen. Dessen Kognition muss dieselbe sein, wie sie das Bun­ desgericht in seiner Rechtsprechung zu Art. 292 entwickelt hat2450.

3.

Subjektiver Tatbestand

Der Vorsatz verlangt, dass der Täter Kenntnis von der Anordnung der Bewäh­ rungshilfe oder von den Weisungen sowie ihrer Fortdauer hat und diesen trotzdem mit Willen zuwiderhandelt. Die Strafdrohung von Art. 295 braucht der Täter nicht zu kennen und sie muss ihm – anders als bei Art. 292 – nicht speziell zur Kenntnis gebracht werden.

2449  Botschaft 2012 II, 8867. 2450  Vgl. vorn § 99 Ziff. 4.1 lit. cc.

446

§ 102  Missachtung von Bewährungshilfe oder Weisungen (Art. 295)

4.

Teilnahme, Rechtfertigungsgründe und Konkurrenzen

Anstiftung ist strafbar, hingegen nicht Gehilfenschaft oder Versuch (Art. 105 Abs. 2). Die Rechtswidrigkeit kann ausgeschlossen sein, wenn der Täter beispielsweise im Rahmen einer rechtfertigenden Pflichtenkollision höher- oder gleichwer­ tige Interessen wahrnimmt als diejenigen, welche dem Interesse an der Einhal­ tung der Bewährungshilfe oder der Weisung entsprechen. Echte Idealkonkurrenz mit anderen Delikten ist möglich. Zu denken ist etwa an den Fall, in dem der Täter die Weisung missachtet, sich nicht an einem bestimmten Ort aufzuhalten (z.B. Brennpunkt der Drogenszene)2451, wenn er sich dabei nach BetmG Art. 19 Abs. 1 strafbar macht.

2451  Vgl. z.B. Imperatori, BSK StGB I, N 14 zu Art. 94.

447

§ 103 Einleitung

16. Titel

Störung der Beziehungen zum Ausland (Art. 296–302)

§ 103 Einleitung Literaturauswahl: G. Perrenoud, De la révision des Art. 296, 297 et 302 CP, ZStrR 65 (1950) 40, E. Zellweger, Schweiz. Neutralitätsstrafrecht, ZStrR 55 (1941) 61.

1.

Entwicklung der Gesetzgebung

Weil die Pflege der Beziehungen zum Ausland von der Eidgenossenschaft wahr­ zunehmen ist (vgl. BV alt Art. 8, BV Art. 54), hat diese bereits im BG über das Bundesstrafrecht vom 4.  Februar 1853 Strafbestimmungen für Delikte erlas­ sen, die zu Störungen der Beziehungen zum Ausland führen können. In verän­ derter und ergänzter Form haben die entsprechenden Tatbestände Eingang in Art. 296–301 gefunden. Die Partialrevision vom 5. Oktober 1950 passte diese Bestimmungen zum Teil den veränderten Verhältnissen an.

2.

Geschütztes Rechtsgut

Wie sich bereits aus der Titelbezeichnung ergibt, schützen die Art. 296 bis 301 die nationalen Interessen der Schweiz an der Pflege korrekter Beziehungen zu ausländischen Staaten2452. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, indi­ rekt bzw. sekundär geschützt seien auch die Interessen des von der Tat betrof­ fenen fremden Staates2453. Schwere Beeinträchtigungen der Beziehungen zu ausländischen Staaten ber­ gen erheblichen Konfliktstoff in sich und können zu schwerwiegenden Belas­ tungen in den zwischenstaatlichen Beziehungen führen. Der Eintritt derartiger Komplikationen bildet jedoch kein Element der als abstrakte Gefährdungsde­ likte ausgestalteten Art. 296 ff.2454.

2452  So auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 51 N 1. 2453  Omlin, BSK StGB II, N 2 vor Art. 296, Trechsel/Vest, N 1 vor Art. 296, a.M. Zellweger,

64 f., bezüglich Verhaltensweisen, deren Ahndung völkerrechtlich geboten ist.

2454  Omlin, BSK StGB II, N 7 vor Art. 296, allgemein zu diesem Deliktstypus: Strafrecht I,

§ 8 Ziff. 2.33.

448

§ 104  Beleidigung eines fremden Staates (Art. 296)

3. Prozessuales Die hier zu behandelnden Delikte unterstehen der Bundesgerichtsbarkeit (StPO Art. 23 Abs. 1 lit. i). Die Untersuchung und Beurteilung kann aber an die Kan­ tone delegiert werden (vgl. StPO Art. 25). In verfahrensrechtlicher Hinsicht muss weiter beachtet werden, dass die Tat­ bestände der Art.  296 bis 301 Ermächtigungsdelikte sind2455. Die Rücksicht­ nahme auf ihren äusserst heiklen politischen Charakter legt es nahe, dass der Bundesrat der Durchführung eines einschlägigen Strafverfahrens zustimmen muss (Art.  302 Abs.  1). Der Bundesrat entscheidet grundsätzlich nach Kri­ terien der aussenpolitischen Opportunität2456. In Friedenszeiten ordnet die Landesregierung die Verfolgung von Taten gemäss Art. 296 und 2972457 aller­ dings nur an, wenn die fremde Regierung oder die internationale Organisation darum nachsucht (Art. 302 Abs. 2). Bei diesem Ersuchen handelt es sich nicht um einen Strafantrag nach Art. 30 ff., sondern um ein prozessuales Erfordernis eigener Art2458. Die Ermächtigung ist an keine Frist gebunden und kann, wenn sie einmal erteilt wurde, nicht wieder zurückgenommen werden2459. Solange die Ermächtigung noch nicht erteilt ist, führt die Bundesanwaltschaft2460 allein vorläufige Ermittlungen durch.

§ 104 Beleidigung eines fremden Staates (Art. 296) Literaturauswahl: H. Heuberger, Die Beleidigung eines fremden Staates, Diss. Bern 1943, G. Simson, Der Ehrenschutz ausländischer Staatsoberhäupter, Diplomaten und Staatssymbole im Licht der Rechtsvergleichung, in: Festschrift für E. Heinitz, hrsg. von H. Stüttger/H. Blei/P. Hanau, Ber­ lin 1972, 737.

2455  Omlin, BSK StGB II, N 5 vor Art. 296, allgemein zu den Ermächtigungsdelikten: Straf­

recht I, § 38.

2456  Trechsel/Vest, N 1 zu Art. 302. 2457  Vgl. hierzu §§ 103 f. 2458  Vgl. Omlin, BSK StGB II, N 7 zu Art. 302. 2459  Omlin, BSK StGB II, N 3 zu Art. 302, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 51 N 2. 2460  Zur Möglichkeit einer Delegation an die kantonalen Behörden unter Vorbehalt der

späteren Ermächtigung vgl. Omlin, BSK StGB II, N 3 zu Art. 302.

449

§ 104  Beleidigung eines fremden Staates (Art. 296)

1. Allgemeines Die gegenseitige Achtung der Staaten zu fördern ist ein Anliegen des klassi­ schen Völkerrechts. Demzufolge sorgt jeder Staat dafür, dass Institutionen und Repräsentanten des anderen nicht verunglimpft werden. Zu diesem Schutz sind die Staaten durch das Wiener Übereinkommen vom 18.  April 19612461 für Diplomaten verpflichtet. Nach dessen Art. 29 ist die Person des Diploma­ ten unverletzlich. Für Staatsoberhäupter und andere Repräsentanten ergeben sich entsprechende Regelungen aus dem ungeschriebenen Völkergewohnheits­ recht2462.

2.

Objektiver Tatbestand

Beleidigung ist die Bezeugung von Missachtung durch Wort, Schrift, Gebär­ den, Tätlichkeiten und andere Mittel2463, wobei es irrelevant ist, ob die Tat nach den Kategorien der Art.  173  ff. als eine üble Nachrede, Verleumdung oder Beschimpfung einzuordnen wäre2464. Die Bekundung der Missachtung richtet sich nicht unmittelbar an den fremden Staat; dies geschieht vielmehr dadurch, dass entsprechende Handlungen gegenüber einem der in Art.  296 (Beleidigung eines fremden Staates/Outrages aux Etats étrangers/Oltraggio ad uno Stato estero/Insulting a foreign state) genannten Repräsentanten des betref­ fenden Staates (z.B. Staatspräsident, Minister, Botschafter, Geschäftsträger)2465 vorgenommen werden2466. Beispiel: Der Journalist Justh versetzte im Jahre 1926 im Genfer Völkerbundspalast vor aller Öffentlichkeit dem ungarischen Ministerpräsidenten Graf Bethlen eine Ohrfeige mit den Worten: «Pour l’honneur de la nation hongroise et au nom du peuple hong­ rois».

Der Angriff muss darauf abzielen, das Ansehen des fremden Staates und zumin­ dest nicht ausschliesslich die individuelle Ehre des angegriffenen Würdenträ­

2461  SR 0.191.01. 2462  Omlin, BSK StGB II, N 2 zu Art. 296. 2463  Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 296. 2464  Omlin, BSK StGB II, N 20 zu Art. 296, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 51 N 4, Trech-

sel/Vest, N 2 zu Art. 296.

2465  Vgl. hierzu Omlin, BSK StGB II, N 13 ff. zu Art. 296. 2466  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 296, Omlin, BSK StGB II, N 11 zu Art. 296, Trechsel/Vest,

N 1 zu Art. 296.

450

§ 104  Beleidigung eines fremden Staates (Art. 296)

gers zu beeinträchtigen2467. Ob die Tat bei einem amtlichen Anlass oder inner­ halb des Privatlebens des Amtsträgers geschieht, ist unerheblich. Voraussetzung der Bestrafung solcher Taten ist, dass sie in der Öffentlichkeit geschehen, d.h. für einen grösseren, unbestimmten Personenkreis wahrnehm­ bar sind2468. Die Bestimmung von Art. 296 ist ohne Rücksicht auf den Aufent­ haltsort des Beleidigten anwendbar, dieser braucht sich mit anderen Worten zur Tatzeit nicht in der Schweiz zu befinden2469.

3.

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist Vorsatz. Der Täter muss sich bewusst sein, dass er seine Hand­ lung gegenüber einem hohen Vertreter eines fremden Staates vornimmt und durch sein Verhalten Missachtung kundtut, was der Täter denn auch will2470. Im Einzelnen gelten für den Vorsatz die für die entsprechenden Ehrverletzun­ gen erforderlichen Elemente.

4.

Weitere Fragen

Erfolgt die Beleidigung durch das Mittel der Druckerpresse, sind die speziellen presserechtlichen Bestimmungen von Art. 28 f. zu beachten. Unklar ist, ob bei reinen Tatsachenbehauptungen und gemischten Werturtei­ len analog zu Art. 173 Ziff. 2 Entlastungsbeweise2471 zulässig sind. Das kann wohl nur für den Wahrheitsbeweis gelten2472. Problematisch ist des Weiteren die analoge Anwendbarkeit der Regelungen über die Provokation und Retor­ sion (Art. 177 Abs. 2, 3)2473. In Art. 302 Abs. 3 wird die für die Verfolgung von Ehrverletzungen nach den Art. 173 ff. geltende vierjährige Verjährungsfrist (Art. 178) auf zwei Jahre redu­ ziert.

2467  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 296. 2468  Omlin, BSK StGB II, N 19 zu Art. 296, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 296. 2469  Omlin, BSK StGB II, N 19 zu Art. 296. 2470  Omlin, BSK StGB II, N 24 zu Art. 296, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 296. 2471  Vgl. Strafrecht III, § 44 Ziff. 3.3. 2472  Omlin, BSK StGB II, N 29 f. zu Art. 296, bejahend Stratenwerth/Bommer, BT II, § 51

N 4, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 296, kritisch Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 296.

2473  Vgl. Omlin, BSK StGB II, N 21 f. zu Art. 296.

451

§ 105  Beleidigung zwischenstaatlicher Organisationen (Art. 297)

Ist der Repräsentant des fremden Staates auch in seiner persönlichen Ehre betroffen, besteht angesichts der unterschiedlichen geschützten Rechtsgüter echte Konkurrenz zu den allgemeinen Ehrverletzungsdelikten (Art. 173 ff.)2474. Wird der fremde Staat nicht in der Person seines Repräsentanten beleidigt, son­ dern durch eine Kollektivanschuldigung (z.B. «Staat von Verbrechern»), kann weder über Art. 296 noch über Art. 173 ff. eine Bestrafung erwirkt werden2475.

§ 105 Beleidigung zwischenstaatlicher Organisationen (Art. 297) Die Schweiz beherbergt  – namentlich in Genf  – eine Reihe von internatio­ nalen Organisationen, wie z.B. die UNO, UNESCO und WHO2476. Der Ehr­ schutz zugunsten dieser Institutionen wird, unabhängig davon, ob es sich um zwischenstaatliche oder supranationale Organisationen handelt2477, durch Art. 297 (Beleidigung zwischenstaatlicher Organisationen/Outrages à des institutions interétatiques/Oltraggi a istituzioni internazionali/Insulting an international organisation) gewährleistet. Ferner pönalisiert Art. 297 die Beleidigung zwischenstaatlicher Organisationen, die nicht in der Schweiz niedergelassen sind, aber hier tagen. Wie bei Art.  296 erfolgt die Tat nicht direkt gegen die Institution, sondern durch einen öffentlichen Angriff auf einen ihrer «offiziellen Vertreter». Dar­ unter sind zu verstehen die Verwaltungsräte der Organisationen, deren Gene­ raldirektoren und andere Spitzenfunktionäre sowie die bei der Organisation akkreditierten Staatsvertreter2478. Ehrangriffe auf die Vertreter von Mitglied­ staaten sind nach den Art. 173 ff., 296 zu ahnden. Im Übrigen sind die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Art. 297 die gleichen wie bei Art. 2962479.

2474  So auch Trechsel/Vest, N 6 zu Art. 296, Omlin, BSK StGB II, N 33 zu Art. 296, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 51 N 5, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 296.

2475  Zu den Art. 173 ff. vgl. Strafrecht III, § 45 Ziff. 1.3. 2476  Siehe im Einzelnen die sog. Sitzverträge in SR 0.192.120 ff. 2477  Vgl. hierzu Omlin, BSK StGB II, N 2 zu Art. 297. 2478  Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 297. 2479  Vgl. vorn § 103.

452

§ 106  Tätliche Angriffe auf fremde Hoheitszeichen (Art. 298)

§ 106 Tätliche Angriffe auf fremde Hoheitszeichen (Art. 298) Literaturauswahl: G. Simson, Der Ehrenschutz ausländischer Staatsoberhäupter, Diplomaten und Staatssymbole im Licht der Rechtsvergleichung, in: Festschrift für E. Heinitz, hrsg. von H. Stütt­ ger/​H. Blei/P. Hanau, Berlin 1972, 737.

1.

Objektiver Tatbestand

Eine Beleidigung fremder Staaten kann auch in Form einer Entehrung seiner Hoheitszeichen geschehen. Wegen ihres Symbolgehaltes werden diese von dip­ lomatischen sowie konsularischen Missionen – besonders bei festlichen Anläs­ sen  – öffentlich gezeigt. Hoheitszeichen werden denn auch von den Wiener Übereinkünften über die diplomatischen und konsularischen Beziehungen von 1961 und 19632480 anerkannt. Der Angriff richtet sich gegen die von in der Schweiz anerkannten ausländi­ schen Vertretungen angebrachten Wappen, Fahnen und anderen Hoheitszei­ chen. Sie müssen öffentlich, d.h. an einem allgemein zugänglichen Ort gehisst oder angebracht sein, um strafrechtlichen Schutz zu erhalten. Dass Art. 298 (Tätliche Angriffe auf fremde Hoheitszeichen/Atteinte aux emblèmes nationaux étrangers/Offese agli emblemi di uno Stato estero/Physical attacks on the national emblems of a foreign state) anders als österreichisches StGB § 317 die Embleme zwischenstaatlicher Organisationen nicht erwähnt und diesen damit keinen Strafschutz gewährt2481, ist de lege lata im Hinblick auf Art. 1 hinzunehmen. Strafbar sind die Wegnahme und Beschädigung des Hoheitszeichens sowie daran vorgenommene beleidigende Handlungen2482.

2.

Subjektiver Tatbestand

Es wird zunächst einmal Vorsatz gefordert. Der Täter muss wissen, dass es sich beim Tatobjekt um das Hoheitszeichen eines fremden Staates handelt, das von einer anerkannten Vertretung angebracht wurde. Weiter muss der Täter

2480  SR 0.191.01/02. 2481  Omlin, BSK StGB II, N 8 zu Art. 298. 2482  Vgl. Omlin, BSK StGB II, N 12 ff. zu Art. 298.

453

§ 107  Verletzung fremder Gebietshoheit (Art. 299)

böswillig handeln, d.h., es bedarf einer feindseligen Gesinnung, die mit einem Handeln mit Eventualvorsatz nicht zu vereinbaren ist2483.

§ 107 Verletzung fremder Gebietshoheit (Art. 299) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter §§ 73 und 75, V. Delnon/B. Rüdy, Strafbare Beweisführung?, ZStrR 116 (1998) 314.

1.

Objektiver Tatbestand

Die Bestimmung (Verletzung fremder Gebietshoheit/Violation de la souveraineté territoriale étrangère/Violazione della sovranità territoriale di uno Stato estero/Violation of foreign territorial sovereignty) pönalisiert drei verschiedene Verhaltensweisen, die nur teilweise dem entsprechen, was Art. 269 unter «Ver­ letzung schweizerischer Gebietshoheit» versteht.

1.1

Unerlaubte Amtshandlungen auf fremdem Staatsgebiet (Ziff. 1 Abs. 1)

Bei dieser Bestimmung handelt es sich um das Gegenstück zum Tatbestand der verbotenen Handlungen für einen fremden Staat gemäss Art. 271 Ziff. 1 Abs. 12484. In Analogie zu jener Bestimmung ist Art. 299 Ziff. 1 Abs. 1 sinnge­ mäss dahingehend zu ergänzen, dass der Täter die unerlaubte Handlung für eine Behörde der Schweiz vornimmt, da nur in diesen Fällen die Beziehungen der Schweiz zum Ausland gestört werden können2485. Beispiele sind hier die Durchführung von Festnahmen, Verhaftungen oder sonstigen Zwangsmass­ nahmen ohne Inanspruchnahme der Rechtshilfe des fremden Staates oder die Durchführung von Einvernahmen für eine schweizerische Gerichtsbehörde auf dem Gebiet eines fremden Staates2486. Nicht einschlägig ist Art. 299 dage­ gen dann, wenn jemand sich nicht als Träger schweizerischer Hoheitsgewalt 2483  Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 298, Omlin, BSK StGB II, N 16 zu Art. 298. 2484   BGer vom 22.7.2013, 6B_235/2013, Erw.  1.1, BstGer SK.2014.16 vom 24.9.2014,

Erw. 2.1.2.1.

2485   BGer vom 22.7.2013, 6B_235/2013, Erw.  1.1, BstGer vom 24.9.2014, SK.2014.16,

Erw. 2.1.2.1, Omlin, BSK StGB II, N 5, 12 und 16 zu Art. 299, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 51 N 12, zweifelnd Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 299. 2486  Vgl. BstGer vom 24.9.2014, SK.2014.16, Erw. 2.1.3.1, BstGer vom 29.1.2013, SK.2012.20, Erw. 2.1, Omlin, BSK StGB II, N 14 zu Art. 299.

454

§ 107  Verletzung fremder Gebietshoheit (Art. 299)

betätigt, wie z.B. ein Anwalt, der für seinen Klienten im Ausland private Abklä­ rungen vornimmt2487. Anders als in Art. 299 Ziff. 2 wird nicht gefordert, dass der Täter von der Schweiz aus handelt; Ziff. 1 Abs. 1 der Bestimmung stellt ausdrücklich Amtshandlun­ gen auf dem fremden Staatsgebiet unter Strafe. Damit nimmt der Gesetzgeber auch die schweizerische Gerichtsbarkeit für solche Auslandtaten in Anspruch, weicht also bewusst vom Territorialitätsprinzip ab2488.

1.2

Völkerrechtswidriges Eindringen auf fremdes Staatsgebiet (Ziff. 1 Abs. 2)

Diese Bestimmung stellt das genaue Spiegelbild des Tatbestandes von Art. 269 (Verletzung schweizerischer Gebietshoheit) dar. Da die Tat erst vollendet ist, wenn der Täter sich bereits rechtswidrig im frem­ den Staatsgebiet befindet, muss auch insoweit schweizerische Gerichtsbarkeit angenommen werden.

1.3

Störung der staatlichen Ordnung eines fremden Staates (Ziff. 2)

Diese Bestimmung bildet in gewissem Sinne ein Gegenstück zum Hochver­ rat nach Art. 2652489. Wie bei diesem wird ein gewaltsames Vorgehen voraus­ gesetzt, welches nur auf irgendeine Störung der staatlichen Ordnung abzielen muss. Eine solche braucht zwar nicht bewirkt worden zu sein; blosse Vorberei­ tungshandlungen, wie z.B. die Beschaffung von Waffen oder das Anwerben von Söldnern, genügen jedoch nicht. Erforderlich ist, dass das Verhalten das Ver­ suchsstadium erreicht2490. Art. 299 Ziff. 2 will – analog Art. 265 bezüglich der Schweiz – Angriffe auf eine fremde staatliche Ordnung aus dem Gebiet der Schweiz heraus pönalisieren.

2487  Delnon/Rüdy, 334, Omlin, BSK StGB II, N 12 zu Art. 299, Stratenwerth/Bommer, BT II,

§ 51 N 12, kritisch Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 299.

2488  Omlin, BSK StGB II, N 15 zu Art. 299, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 299, allgemein zum

räumlichen Geltungsbereich des StGB vgl. Strafrecht I, § 5 Ziff. 2.

2489  Vgl. Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 299. 2490  Omlin, BSK StGB II, N 20 zu Art. 299.

455

§ 108  Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen (Art. 300)

2.

Subjektiver Tatbestand

Alle drei Tatbestandsvarianten sind nur strafbar, wenn der Täter alle Tatbe­ standsmerkmale mit Wissen und Willen erfüllt2491.

3. Rechtfertigungsgründe Als solche kommen gegebenenfalls infrage: Notwehr (Art.  15), Notstand (Art.  17) und Einwilligung der zuständigen Organe des betroffenen auslän­ dischen Staates2492. Grösste Zurückhaltung ist bei der Annahme einer Amts­ pflicht i.S. von Art. 14 angezeigt: Auch die strafprozessuale Verfolgungspflicht (Legalitätsprinzip) gibt Strafverfolgungsbehörden kein Recht, die Entführung eines ausländischen Beschuldigten in die Schweiz zu inszenieren.

§ 108 Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen (Art. 300) Literaturauswahl: K. Hauri, MStG Art. 92, R. Hauser, Neutralität und Neutralitätsstrafrecht, in: Festschrift für H. Tröndle, hrsg. von H.-H. Jescheck/T. Vogler, Berlin 1989, 773, O. C. Rohner, Der strafrechtliche Schutz der schweizerischen Neutralität, Diss. Freiburg 1944.

1. Allgemeines Art.  300 (Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen/ Actes d’hostilité contre un belligérant ou des troupes étrangères/Atti di ostilità contro un belligerante o contro truppe straniere/Hostility towards a belligerent country or foreign troops), der für Zivilpersonen gilt, korrespondiert mit MStG Art. 92, dem in Kriegszeiten und im Falle eines aktiven Dienstes auch Zivilper­ sonen unterstehen bzw. unterstellt werden können (MStG Art. 4 Ziff. 1, Art. 5). Diese Bestimmungen sind Ausdruck der «immerwährenden Neutralität», wie sie der Schweiz am Wiener Kongress von 1815 und im Pariser Friedensver­ trag von 1815 zugestanden wurde. Die Neutralität erlangt in Kriegszeiten vor allem in dem Sinne Bedeutung, dass die Schweiz sich nicht in die kriegeri­ schen Auseinandersetzungen einmischen darf. Die Einzelheiten ergeben sich 2491  BGer vom 6.10.2015, 6B_1169/2014, Erw.  1.1, BstGer vom 24.9.2014, SK.2014.16,

Erw. 2.1.2.4.

2492  Dazu Strafrecht I, § 22 Ziff. 2.

456

§ 108  Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen (Art. 300)

aus dem V. Haager Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutra­ len Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges vom 18. Oktober 19072493. Das Abkommen bindet einzig den Staat als Völkerrechtssubjekt. Art. 5 Abs. 2 des Abkommens verpflichtet indessen den Staat, für Handlungen, die der Neu­ tralität zuwiderlaufen und auf seinem Gebiete begangen werden, Strafe vorzu­ sehen.

2.

Objektiver Tatbestand

Für sämtliche Tathandlungen wird vorausgesetzt, dass sie in der Schweiz oder von der Schweiz aus begangen werden.

2.1

Feindseligkeiten gegenüber einem Kriegführenden

Die Handlung muss während eines Krieges begangen werden, von dem sich die Schweiz im Hinblick auf ihre Neutralität fernhält. Der Begriff des Krieges ist nicht eindeutig zu fassen. Nach dem GA I2494 Art. 2 wird bei der Definition auf einen «bewaffneten Konflikt» oder auf die «gewaltsame Besetzung» abgestellt. Da es sich um einen zwischenstaatlichen Konflikt handelt, fällt der Bürger­ krieg nicht unter das zit. Abkommen. Bei Eingriffen in innerstaatliche Feindseligkeiten innerhalb eines anderen Staates ist Art. 300 deswegen nicht anwendbar2495; zu prüfen ist in diesen Fällen aber die Anwendung von Art. 299 Ziff. 22496.

«Feindseligkeiten» sind Handlungen militärischer Natur, also Kampfhandlun­ gen im eigentlichen Sinne sowie diejenigen Handlungen, die hiermit in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen2497. Zur Auslegung ist das in Ziff.  1 erwähnte Haager Abkommen von 1907 heranzuziehen: Nach Art.  2 dürfen Kriegführende keine Truppen oder Munition durch neutrales Gebiet transportieren. Art. 3 untersagt es, auf neutralem Territorium Funkstationen oder sonstige Anlagen für die militärische Nachrichtenübermittlung einzurichten oder zu betreiben.

2493  SR 0.515.21. 2494  SR 0.518.12. 2495  Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 300, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 51 N 20. 2496  Dazu vorn § 106 Ziff. 1.3. 2497  Vgl. Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 300, Omlin, BSK StGB II, N 11 ff. zu Art. 300, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 51 N 20, Trechsel/Vest, N 3 zu Art. 300.

457

§ 108  Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen (Art. 300) Art. 4 verbietet, auf dem Gebiete einer neutralen Macht zugunsten eines Kriegführen­ den kombattante Truppen zu schaffen und entsprechende Werbestellen zu bilden. Art. 5 hält eine neutrale Macht an, keine Handlungen auf ihrem Hoheitsgebiet zu dul­ den, die i.S. der Art. 2 bis 4 verboten sind.

Mit den Tathandlungen des Unternehmens und des Unterstützens von Feind­ seligkeiten werden Verhaltensweisen erfasst, die bezogen auf das geschützte Rechtsgut lediglich Versuchscharakter haben bzw. Beihilfehandlungen darstel­ len. Da es sich aber um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, ist die Tat mit der Vornahme der Tathandlung vollendet, unabhängig davon, ob es zu einer Begünstigung eines Kriegsführenden gekommen ist oder nicht2498. Täter kann jedermann sein. Beim Unterlassungsdelikt i.S.  von Art.  5 des Abkommens kommen die Mitglieder der Landesregierung als Verantwortliche für die Unterstützung der Feindseligkeiten infrage. Der Schweizer, der als Einzelner in eine ausländische Armee eintritt, macht sich des fremden Militärdienstes nach MStG Art. 94 strafbar.

2.2

Feindseligkeiten gegenüber fremden Truppen

Gemäss Art. 300 Abs. 2 ist strafbar, wer Feindseligkeiten gegen fremde, in der Schweiz zugelassene Truppen unternimmt. In Betracht fallen nur Handlungen militärischer Natur, wie z.B. ein bewaffneter Überfall auf ein Truppenlager. Bei den Feindseligkeiten kann es sich um Angriffe auf internierte Truppen han­ deln2499. Da sich inzwischen im Rahmen internationaler Zusammenarbeit aus­ ländische Truppen auch zu Ausbildungszwecken in der Schweiz aufhalten2500, kann sich ein Angriff gemäss Art. 300 Abs. 2 auch gegen derartige Formatio­ nen richten2501. Teilnehmer an militärischen Sportveranstaltungen sind keine «Truppen», auch wenn sie Uniform tragen2502. Individuell motivierte Feindseligkeiten, wie Tätlichkeiten (Art. 126), Drohun­ gen (Art. 180), Nötigungen (Art. 181) und Ehrverletzungen (Art. 173 ff.), sind 2498  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 51 N 21: Schon das Unternehmen von Feindseligkei­

ten ist strafbar.

2499  Omlin, BSK StGB II, N 10 zu Art. 300. 2500  Vgl. Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG)

vom 3. Februar 1995 (SR 510.10), Art. 48a Abs. 1 lit. b.

2501  Vgl. Omlin, BSK StGB II, N 10 zu Art. 300, Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 300, a.M. Straten-

werth/Bommer, BT II, § 51 N 23.

2502  Vgl. Trechsel/Vest, N 4 zu Art. 300.

458

§ 109  Nachrichtendienst gegen fremde Staaten (Art. 301)

jedenfalls nach den entsprechenden Strafbestimmungen zu beurteilen. Soweit der betroffene Einzelne als Repräsentant der «Truppe» angegriffen wird, kann aber zusätzlich auch Art. 300 Abs. 2 anwendbar sein2503.

3.

Subjektiver Tatbestand

Art. 300 erfordert Vorsatz. Der Täter muss alle die Strafbarkeit begründenden Tatbestandsmerkmale wissentlich und willentlich erfüllen. Notwendig ist ins­ besondere, dass der Täter um die kriegerische Verwicklung und die unfriedli­ chen Aspekte seiner Handlungsweise weiss und sie billigt.

§ 109 Nachrichtendienst gegen fremde Staaten (Art. 301) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 108, E. Lohner, Der verbotene Nachrichtendienst, ZStrR 83 (1967) 23, D. Sontag, Zum Begriff des Vorschubleistens in Art. 301 StGB und 93 MStG, ZStrR 63 (1948) 93.

Art. 301 (Nachrichtendienst gegen fremde Staaten/Espionnage militaire au préjudice d’un Etat étranger/Spionaggio in danno di Stati esteri/Military espionage against a foreign state) wird für Militärpersonen durch MStG Art. 93 ergänzt; in Kriegszeiten gilt diese Bestimmung auch für Zivilpersonen (MStG Art.  5 Ziff. 1).

1.

Tatbestand (Ziff. 1)

Der Nachrichtendienst im Sinne dieser Artikel knüpft an Art.  274 an. Der Unterschied besteht darin, dass der Nachrichtendienst sich nicht gegen die Schweiz richtet, sondern gegen einen fremden Staat und auch zugunsten eines fremden Staates betrieben oder eingerichtet wird2504. Der Kreis der Adressaten stimmt nicht mehr unbedingt mit den heutigen Verhältnissen überein. Es feh­ len die zwischenstaatlichen Organisationen (z.B. die NATO) und nicht staatli­ che Herrschaftsverbände, wie z.B. Aufständische in einem Bürgerkrieg. Der Grund der Strafbarkeit liegt in der Neutralitätswidrigkeit der Handlung und den sich daraus ergebenden Störungen in den Beziehungen der Schweiz 2503  A.M. Omlin, BSK StGB II, N 10 zu Art. 300. 2504  BGE 101 IV 191, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 301, Trechsel/Vest, N 2 zu Art. 301.

459

§ 109  Nachrichtendienst gegen fremde Staaten (Art. 301)

zu den betroffenen Staaten2505. Eine konkrete Gefährdung oder gar Störung der Beziehungen zum Ausland ist jedoch nicht Tatbestandsmerkmal2506. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Staat, gegen den sich der Nachrichtendienst richtet, einen Nachteil oder ob der Staat, zugunsten dessen der Täter handelt, einen Vorteil erlangt hat2507. Der militärische Nachrichtendienst umfasst eine Tätigkeit, die sich gegen die Landesverteidigung im weitesten Sinne richtet. Um geheime Tatsachen braucht es sich dabei nicht zu handeln. Erfasst sind auch Tatsachen, die zwar nicht all­ gemein, aber doch einem grösseren Kreis von Personen bekannt sind, welche ihrerseits keine Pflicht zur Geheimhaltung trifft. Beispiel: Vorbereitende Handlungen in der Schweiz, um von hier aus Mitteilungen über die NATO-Streitkräfte und die Deutsche Bundeswehr an den Nachrichtendienst der ehemaligen DDR zu senden2508.

Im Übrigen darf auf die Ausführungen zum militärischen Nachrichtendienst verwiesen werden2509.

2.

Einziehung (Ziff. 2)

Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, dass die Korrespondenz und das Material (vgl. Art. 69) eingezogen werden müssen2510.

2505  BGE 97 IV 122. 2506  BGE 101 IV 191, ZR 63 (1964) Nr. 17, Omlin, BSK StGB II, N 4 zu Art. 301, Trechsel/

Vest, N 1 zu Art. 301.

2507  BGE 89 IV 207 f., Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 301, Omlin, BSK StGB II, N 18 zu Art. 301. 2508  BGE 101 IV 191. 2509  Vgl. vorn § 78. 2510  Omlin, BSK StGB II, N 29 zu Art. 301.

460

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

17. Titel

Verbrechen und Vergehen gegen die Rechtspflege (Art. 303–311)

§ 110 Falsche Anschuldigung (Art. 303) Literaturauswahl: J. Faes, Die falsche Anschuldigung und die Irreführung der Rechtspflege, Krim 35 (1981) 421, R. Hügli, Die falsche Anschuldigung und die Irreführung der Rechtspflege, Diss. Bern 1948, H. Menzel, Die falsche Anschuldigung nach deutschem und schweizerischem Straf­ recht, Diss. Freiburg 1963, G. Messmer, Der strafrechtliche Schutz der Rechtspflege vor Irrefüh­ rung, Krim 19 (1965) 433, J. Rehberg, Die falsche Deliktsbezichtigung im österreichischen und schweizerischen Strafrecht, in: Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie, Festschrift für Franz Pallin zum 80. Geburtstag, hrsg. von W. Melnizky/O. F. Müller, Wien 1989, 333, H. Schultz, Falsche Anschuldigung, Irreführung der Rechtspflege und falsches Zeugnis, ZStrR 73 (1958) 212 (zit. Schultz, Falsche Anschuldigung).

Art.  303 (Falsche Anschuldigung/Dénonciation calomnieuse/Denuncia mendace/False accusation) schützt die Organe der Strafrechtspflege vor einer Irre­ führung in dem Sinne, dass die Strafverfolgung auf eine bestimmte Person hin fehlgeleitet wird. Weiter soll damit auch der Einzelne davor bewahrt werden, dass man ihn ohne wirklichen Grund in ein Strafverfahren verwickelt. Das Delikt schützt also nicht nur die Zuverlässigkeit der Strafrechtspflege, sondern auch den betroffenen Einzelnen in seinen individuellen Rechtsgütern2511. Die Norm erfasst einerseits die direkt gegenüber der Behörde vorgebrachte fal­ sche Anschuldigung, andererseits eine Form der indirekten falschen Anschul­ digung durch «arglistige Veranstaltungen».

1.

Direkte falsche Anschuldigung (Ziff. 1 Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

a) Der Täter muss einen Nichtschuldigen eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigen, d.h. zunächst eine bestimmte Person einer solchen Straftat 2511  BGE 89 IV 206, 115 IV 3, 132 IV 25, 136 IV 176, 136 IV 175  f., 141 IV 447 = Pr

105 (2016) Nr.  75, BGer vom 2.12.2006, 6P.178/2006, Erw.  5, BGer vom 3.7.2012, 1B_220/2012, Erw.  1.1, BGer vom 1.10.2012, 6B_344/2012, Erw.  2.1, BGer vom 24.3.2015, 6B_859/2014, Erw.  1.2.1, OGer Zürich vom 29.5.2015, SB130426, Erw. 2.1.2.3, Cassani, N 1 zu Art. 303, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 303, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 5 f. zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 2, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 1 zu Art. 303.

461

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

bezichtigen. Der Beschuldigte braucht dabei nicht namentlich genannt zu werden; es genügt, dass er bestimmbar ist2512. Fehlt es an dieser Vor­ aussetzung, kann allenfalls Irreführung der Rechtspflege nach Art. 304 in Betracht kommen2513. Da die Behörden der Strafrechtspflege nach dem Legalitätsprinzip regel­ mässig bei Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente für ein strafbares Verhalten zur Einleitung eines Verfahrens verpflichtet sind, ist es erforder­ lich, aber auch ausreichend, dass der Täter mündlich oder schriftlich tat­ sächliche Umstände mitteilt, die geeignet sind, einen Anfangsverdacht zu begründen2514. Dies ist auch dann der Fall, wenn es sich bei der angebli­ chen Straftat um ein Antragsdelikt handelt2515. Es reicht aus, dass sich der Anfangsverdacht für irgendein strafbares Verhalten ergibt. Bezieht sich die Bezichtigung auf ein Verbrechen oder Vergehen, ist der Strafrahmen der Ziff. 1 anwendbar; ist das infrage stehende Verhalten als Übertretung einzu­ stufen, gilt der mildere Strafrahmen der Ziff. 2. Die Behauptung eines Sach­ verhalts, der nur ein Disziplinarvergehen enthält, reicht dagegen nicht2516. Beschränkt sich der Täter darauf, unzutreffende Behauptungen rechtlicher Art aufzustellen oder aus den Strafverfolgungsbehörden bereits bekannten Tatsachen rechtliche Schlussfolgerungen zu ziehen, ist der Tatbestand nicht erfüllt2517. Strafbar ist allein die Bezichtigung eines Nichtschuldigen. Nicht schuldig ist, wer die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung objektiv nicht verübt hat. Gleiches gilt für den Fall, dass jemand unwillentlich den objektiven Tatbe­ stand eines Deliktes erfüllt hat, welches nur bei vorsätzlicher Begehung mit Strafe bedroht ist2518. Kann die Straftat wegen Verjährung nicht mehr ver­ folgt werden, kommt es darauf an, ob man die Verjährung als Prozesshin­ 2512  BGE 85 IV 83, 132 IV 25, Cassani, N 9 zu Art. 303, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 303, Del-

non/Rüdy, BSK StGB II, N 9 zu Art. 303, Pieth, BT, 289, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 12, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 2 zu Art. 303. 2513  Dazu hinten § 110. 2514  BGE 132 IV 25, Cassani, N 11 zu Art. 303, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 303, Delnon/ Rüdy, BSK StGB II, N 17 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 53 N 7, Trechsel/ Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 303. 2515  OGer Zürich vom 29.5.2015, SB130426, Erw. 2.1.2.3. 2516  BGE 95 IV 21, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 16 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 9, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 3 zu Art. 303. 2517  OGer Zürich vom 29.5.2015, SB130426, Erw. 2.1.2.2, Pieth, BT, 289, Trechsel/AffolterEijsten, N 4 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 7. 2518  BGE 72 IV 76, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 10 zu Art. 303.

462

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

dernis oder als Strafaufhebungsgrund einordnet2519: Bei der Einordnung als blosses Prozesshindernis führt der Eintritt der Verjährung nicht dazu, dass der Täter als «nicht schuldig» anzusehen ist. Hat der Beschuldigte tatsächlich eine Straftat begangen, so macht sich der Anzeigeerstatter nur dann nach Art. 303 strafbar, wenn er ihm ein schwereres oder anderes Delikt zur Last legt, indem er z.B. den wirklich begangenen Diebstahl durch das «Hin­ zudichten» einer Gewaltanwendung als Raub darstellt. Blosse Übertrei­ bungen hinsichtlich der wirklich verübten Tat, z.B. durch Angabe eines zu hohen Deliktsbetrages, genügen dagegen nicht2520. Wurde zur Abklärung des fraglichen Sachverhaltes schon früher ein Ver­ fahren durchgeführt, das mit einer Einstellung des Verfahrens oder dem Freispruch des Beschuldigten geendet hat, steht die Nichtschuld des Betrof­ fenen – vorbehaltlich einer Wiederaufnahme des Verfahrens – für die Straf­ verfolgungsbehörden verbindlich fest2521. Im Interesse von Rechtssicher­ heit und -frieden verdient der Beschuldigte auch dann Schutz, wenn dieser im vorangegangenen Prozess zu Unrecht einer Strafe entging. Wird die Nichtschuld des Beschuldigten erst zu einem Zeitpunkt nach der Beschul­ digung festgestellt, ist zwar der objektive Tatbestand erfüllt, es wird aber bei einem nicht bösgläubigen Täter am subjektiven Tatbestand fehlen2522. Fehlt es auch zum Zeitpunkt, in dem über die Strafbarkeit des Beschuldigers zu entscheiden ist, an einer rechtskräftigen Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten, hat der Richter, der über die Strafbarkeit des Beschul­ digers zu entscheiden hat, die Vorfrage der Strafbarkeit des Beschuldig­ ten selbst zu entscheiden2523. Der Versuch, die Strafverfolgungsbehörden durch eine Wiederholung des gleichen Vorwurfs zur Durchführung eines Strafverfahrens zu bewegen, fällt in den Anwendungsbereich der Norm2524. 2519  Vgl. Strafrecht I, § 39 Ziff. 1. 2520  ZR 66 (1967) Nr. 60, vgl. auch BGE 72 IV 76, Cassani, N 10 zu Art. 303, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 55 N 13, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 303.

2521  BGE 136 IV 176  ff., BGer vom 3.7.2012, 1B_220/2012, Erw. 2.2, OGer Zürich vom

29.5.2015, SB130426, Erw. 2.1.2.4.

2522  BGE 136 IV 178. 2523  OGer Zürich vom 29.5.2015, SB130426, Erw. 2.1.2.4, vgl. aber auch Kantonsgericht St.

Gallen GVP 2011 Nr. 56: Das Verfahren wegen falscher Anschuldigung sei vorläufig einzustellen, bis Klarheit über die Schuld oder Nichtschuld des Beschuldigten herbei­ geführt worden sei. 2524  Vgl. BGE 72 IV 75, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 303, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 2 zu Art.  303, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, §  55 N  14, vgl. auch Cassani, N  12 zu Art. 303, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 11 zu Art. 303.

463

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

Nicht gegen Art. 303 verstösst dagegen, wer die Behörden durch Angabe von Revisionsgründen dazu bewegen will, eine Wiederaufnahme des Ver­ fahrens in die Wege zu leiten. Was der Anzeigende bezweckt hat, ist im Ein­ zelfall durch Auslegung seiner Erklärung zu ermitteln. b) Die Beschuldigung muss bei «der Behörde» erfolgen. Unproblematisch erfasst sind die Fälle, in denen sich der Täter direkt an eine Strafverfol­ gungsbehörde wendet. Der Tatbestand ist darüber hinaus aber auch dann erfüllt, wenn sich der Täter an eine Stelle wendet, die zur Weiterleitung an die Strafverfolgungsbehörde verpflichtet ist2525. Wendet sich der Täter an eine Privatperson oder an eine staatliche Stelle, die nicht zur Weiterlei­ tung verpflichtet ist, ist der Tatbestand dann erfüllt, wenn mit der Weiter­ leitung zu rechnen ist und diese tatsächlich erfolgt. Unterbleibt die Weiter­ leitung, ist der objektive Tatbestand auch dann nicht erfüllt, wenn der Täter mit einer Weiterleitung gerechnet hat2526. Zu prüfen bleibt dann ein ver­ suchtes Delikt. Nach Auffassung des Bundesgerichts fällt eine falsche Anschuldigung, die von der Schweiz aus an eine ausländische Behörde gerichtet wird, in den Anwendungsbereich des Art. 3032527. Da es nicht Aufgabe der schweizeri­ schen Strafrechtsnormen sein kann (und auch nicht sein darf), die Funk­ tionsfähigkeit der Organe ausländischer Staaten zu gewährleisten, wird man dieser Rechtsprechung nur für Fälle folgen können, in denen es entweder um eine Strafverfolgung vor internationalen Gerichten geht (vgl. Art. 309 lit. b) oder bei denen die ausländischen Behörden die Bezichtigung an eine schweizerische Strafverfolgungsbehörde weiterleiten (und der Täter auch insoweit vorsätzlich gehandelt hat). Die Interessen des Bezichtigten werden durch Art. 174 und – soweit er inhaftiert wurde – durch Art. 183 geschützt. Gleichgültig bleibt, ob der Täter den Vorwurf mündlich oder schriftlich oder in sonstiger Weise erhoben, und ob er sich dabei zu erkennen gege­

2525  Cassani, N 14 zu Art. 303, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT

II, § 55 N 6, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 5 zu Art. 303, weiter gehend noch Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 19 ff. zu Art. 303, die alle Behörden der eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Verwaltung und Justiz als «Behörde» i.S. von Art. 303 Ziff. 1 anse­ hen. 2526  A.M. wohl Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 6. 2527  BGE 89 IV 205, 104 IV 242, a.M. Cassani, N  2  ff. zu Art.  303, Corboz, Vol. II, N  6 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 5, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 5 zu Art. 303.

464

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

ben hat oder nicht2528. Er braucht nicht einmal aus eigener Initiative eine Strafanzeige zu erstatten. Den Tatbestand erfüllt auch, wer von der Poli­ zei, einem Untersuchungsbeamten oder Richter befragt wird und bei dieser Gelegenheit einen anderen fälschlicherweise eines Deliktes bezichtigt2529. c) Art.  303 will seinem Wortlaut und Sinn nach ausschliesslich verhindern, dass eine ungerechtfertigte Strafverfolgung gegen eine bestimmte Per­ son herbeigeführt wird. Ist gegen diese ein Verfahren wegen eines Deliktes bereits eröffnet worden, erfüllt derjenige, der alsdann den Betroffenen der nämlichen Tat bezichtigt oder entsprechende früher erhobene Anschuldi­ gungen wiederholt, schon den objektiven Tatbestand jener Bestimmung nicht2530. Versuch der falschen Anschuldigung kommt in Betracht, wenn der Täter im Moment seines Vorwurfes keine Kenntnis davon hat, dass gegen den Beschuldigten wegen des betreffenden Sachverhaltes bereits ein Verfahren eröffnet worden ist2531. d) Der objektive Tatbestand ist mit der Beschuldigung vollendet2532, d.h., wenn die Behörde von ihr Kenntnis genommen hat2533. Insbesondere braucht gegen den Beschuldigten kein Verfahren eröffnet worden zu sein, z.B. weil die Anzeige noch vorher widerrufen wird oder sich sogleich als haltlos erweist2534. Hat der Täter seine Anschuldigung – z.B. in einem Schreiben – bereits an die Adresse der Behörde gerichtet, diese aber davon noch keine Kenntnis erlangt, kann ein strafbarer Versuch gegeben sein.

2528  Cassani, N 15 zu Art. 303, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II,

§ 55 N 8, zur anonymen Anschuldigung vgl. BGE 85 IV 82, 95 IV 21.

2529  BGE 85 IV 82, 95 IV 20, Kantonsgericht St. Gallen GVP 2011 Nr. 56, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 55 N 8.

2530  Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 303, vgl. auch BGE 102 IV 107 und 111 IV 163, welche

für diesen Fall den subjektiven Tatbestand verneinen, vgl. auch BGer vom 3.7.2012, 1B_220/2012, Erw. 2.2, OGer Zürich vom 3.4.2012, UE110184, Erw. 2.5. 2531  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 29 zu Art. 303. 2532  BGE 72 IV 75. 2533  Cassani, N 28 zu Art. 303, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 29, 37 zu Art. 303, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 21: unabhängig von der Kenntnisnahme, mit dem Vorliegen bei der Behörde. 2534  BGer vom 24.3.2015, 6B_859/2014, Erw. 1.3.1, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 21, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 9 zu Art. 303.

465

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

1.2

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss den Geschädigten vorsätzlich bei der Behörde einer Straftat bezichtigen. Dazu gehört insbesondere, dass er das von ihm angezeigte Verhal­ ten mindestens möglicherweise für strafbar hält. Nicht erforderlich ist, dass der Täter den angezeigten Sachverhalt rechtlich zutreffend qualifiziert2535. Geht der Täter irrig davon aus, das infrage stehende Verhalten sei strafbar, liegt ein untauglicher Versuch vor2536. Gefordert wird sodann, dass der Täter bei seiner Beschuldigung wider besseres Wissen handelt, d.h. im sicheren Bewusstsein, dass die von ihm berich­ tete Handlung entweder überhaupt nicht oder doch nicht von der beschul­ digten Person verübt wurde. Eventualvorsatz genügt hier also nicht2537. Diese Regelung will es im kriminalpolitischen Interesse der Aufdeckung von Strafta­ ten jedermann ermöglichen, eine bestimmte von ihm eines Deliktes verdäch­ tigte Person auch dann bedenkenlos anzuzeigen, wenn er nicht mit Bestimmt­ heit von ihrer Täterschaft weiss. Ist dem Täter bekannt, dass ein früheres Strafverfahren über den Gegenstand seiner Anschuldigung durch Einstellung oder Freispruch beendet wurde, wird regelmässig ein Handeln wider besseres Wissen anzunehmen sein2538. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, wenn im Zusammenhang mit dem gegen einen Untersuchungsrichter erhobenen Vorwurf des Hausfriedensbruchs und der Einschüchterung gerichtliche Ent­ scheide betreffend die Rechtmässigkeit der betreffenden Zwangsmassnahmen vorliegen, in denen das Vorgehen des Untersuchungsrichters als gesetz- und verhältnismässig eingestuft wird2539. Aus solchen Entscheiden lässt sich nicht mit hinreichender Klarheit die Nichtschuld des Untersuchungsrichters ablei­ ten. Am Handeln wider besseres Wissen kann es auch dann mangeln, wenn zwar ein rechtskräftiger Freispruch oder eine Einstellung vorliegt, der Täter

2535  Sonst vermöchte sich weder nach Ziff. 1 noch Ziff. 2 von Art. 303 strafbar zu machen,

wer die Einteilung der Delikte gar nicht kennt.

2536  BGE 95 IV 21 f., vgl. aber auch fp 2009, 221 mit Anm. Stratenwerth, Cassani, N 29 zu

Art. 303, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 303.

2537  BGE 76 IV 244, 136 IV 177, OGer Zürich vom 29.5.2015, SB130426, Erw. 2.1.2.5, OGer

Zürich vom 3.4.2012, UE110184, Erw. 2.5, Cassani, N 21 zu Art. 303, Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 303, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 26 f. zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 20, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 8 zu Art. 303. 2538  Schultz, Falsche Anschuldigung, 235 f., entgegen BGE 72 IV 76. 2539  BGE 136 IV 177 f.

466

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

aber von wesentlichen neuen Indizien für die Täterschaft des von ihm Beschul­ digten Kenntnis erhalten hat2540. Schliesslich muss der Täter in der Absicht handeln, gegen den Geschädigten eine Strafverfolgung herbeizuführen. Darin braucht jedoch nicht der Zweck der Beschuldigung zu liegen, da «Absicht» hier im technischen Sinne des Begrif­ fes zu verstehen ist2541. Es reicht aus, wenn der Täter bloss mit der Möglich­ keit rechnet, infolge seiner Anschuldigung werde ein Verfahren gegen die von ihm bezeichnete Person eröffnet und er eine solche Entwicklung in Kauf nimmt2542. Eine derartige Eventualabsicht kann z.B. dann vorliegen, wenn der Täter sich durch die falsche Bezichtigung eines anderen von einem Deliktsver­ dacht befreien will2543. Wie sich schon aus den Ausführungen zum objektiven Tatbestand unter Ziff. 1.1 lit. c hiervor ergibt, reicht die Absicht, ein bereits ein­ geleitetes Strafverfahren andauern zu lassen, nicht aus2544.

2.

Indirekte falsche Anschuldigung (Ziff. 1 Abs. 2)

2.1

Objektiver Tatbestand

Der ausdrücklichen Beschuldigung wird nach der genannten Bestimmung der Fall gleichgestellt, dass jemand «in anderer Weise arglistige Veranstaltungen trifft». Diese müssen in schlüssiger Weise auf die Täterschaft einer bestimm­ ten Person hinsichtlich einer bestimmten Straftat hinweisen, die diese Tat in Tat und Wahrheit nicht begangen hat2545. Wiederum kann es sich sowohl um ein überhaupt nicht verübtes als auch um ein von einer anderen Person began­ genes Delikt handeln. Durch die «Veranstaltungen» muss ein konkreter Deliktsverdacht gegen eine bestimmte Person geschaffen werden. Den Tatbestand erfüllt z.B., wer am Tat­ ort Spuren anbringt oder Effekten deponiert, die scheinbar vom Bezichtigten 2540  Zur Frage, ob in diesen Fällen überhaupt eine strafbare Bezichtigung vorliegt, vgl.

vorne Ziff. 1.1 lit. a.

2541  Vgl. Strafrecht I, § 9 Ziff. 3, BGE 85 IV 83. 2542  OGer Zürich vom 29.5.2015, SB130426, Erw. 2.1.2.5, Cassani, N 24 zu Art. 303, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 21, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 9 zu Art. 303.

2543  Vgl. BGE 80 IV 119. 2544  Vgl. BGE 102 IV 107, 111 IV 163, BGer vom 24.3.2015, 6B_859/2014, Erw. 1.3.1, Cas-

sani, N 23 zu Art. 303, Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 303, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 30 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 21, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 9 zu Art. 303. 2545  BGE 132 IV 26.

467

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

zurückgelassen wurden, oder wer diesem unbemerkt Diebesgut zuschiebt2546. Gleiches gilt für denjenigen, der sich als tatverdächtige Person bei einer Ein­ vernahme als jemand anderes ausgibt2547. Keine Tat nach Art. 303 Ziff. 1 Abs. 2 begeht dagegen, wer mit einer anderen Person vereinbart, dass diese sich bei der Behörde fälschlicherweise eines von ihm selber verübten Deliktes bezich­ tigt2548. «Arglistig» ist das Vorgehen des Täters dann, wenn es nicht leicht durchschau­ bar ist und objektiv die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen den Geschä­ digten erwarten lässt2549. Demnach müssen die Veranstaltungen so angelegt sein, dass sie voraussichtlich zur Kenntnis der Strafbehörden gelangen, so etwa durch polizeiliche Ermittlungen am Tatort oder eine Meldung gutgläu­ biger Dritter. Arglistige Veranstaltungen setzen regelmässig ein aktives Tun voraus2550. Wer bloss eine Aufklärung des Geschädigten oder der Behörden unterlässt, welche die einer bestimmten Person zu Unrecht drohende Strafverfolgung abzuwen­ den vermöchte, erfüllt den Tatbestand nicht2551. Der Tatbestand ist vollendet, wenn der Täter die Veranstaltungen, die nach seinen Vorstellungen zur Eröffnung eines Verfahrens gegen den Geschädigten führen würden, vollständig durchgeführt hat2552.

2.2

Subjektiver Tatbestand

Gefordert wird zunächst, dass der Täter mit seinen Veranstaltungen vorsätzlich auf das strafbare Verhalten einer bestimmten oder bestimmbaren Person hin­ weist. Wie bei Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 muss der Täter mit Bezug auf die Unschuld

2546  BGE 132 IV 26, Cassani, N 17 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 16. 2547  BGE 132 IV 27 f. 2548  BGE 111 IV 164. 2549  BGE 132 IV 28. 2550  Vgl. Cassani, N 18 zu Art. 303, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 25 zu Art. 303, a.M. Trech-

sel/Affolter-Eijsten, N 6 zu Art. 303.

2551  BGE 111 IV 164, abweichend Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 16, Cassani, N 18

zu Art. 303 für die Fälle, in denen der Täter zunächst gutgläubig eine falsche Bezichti­ gung aufstellt und diese dann nach Erlangung der Kenntnis von der Nichtschuld nicht berichtigt. Fraglich bleibt auch in diesem Fall, wie ein blosses Unterlassen als arglistig eingestuft werden kann. 2552  Vgl. BGE 102 IV 107, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 37 zu Art. 303.

468

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

jener Person direkt vorsätzlich handeln2553. Weiter muss der Täter die Absicht haben, eine Strafverfolgung herbeizuführen2554.

3.

Weitere Fragen

3.1

Rechtfertigungsgründe; Ausübung prozessualer Verteidigungsrechte

Die Einwilligung des zu Unrecht Bezichtigten hat keine rechtfertigende Wir­ kung, da sich die falsche Anschuldigung nicht nur gegen ihn, sondern in erster Linie gegen die Rechtspflege richtet2555. Auch die Amtspflicht einer Behörde zur Strafanzeige rechtfertigt nicht jede Beschuldigung2556. Wird jemand selbst eines strafbaren Verhaltens verdächtigt, so bildet dies keinen Rechtfertigungs­ grund dafür, dass er einen anderen der betreffenden Tat bezichtigt2557. Ein Zeuge oder eine Auskunftsperson, kann sich für die im Rahmen einer Befra­ gung gegebenen Antworten auf Art. 14 StGB berufen2558. Im Wege einer teleologischen Reduktion sind dagegen die Fälle aus dem Anwendungsbereich der Norm auszuschliessen, in denen ein Beschuldigter von seinen prozessualen Verteidigungsrechten Gebrauch macht, indem er z.B. den Anzeigeerstatter oder den ihn belastenden Zeugen wider besseres Wissen der Lüge und damit der falschen Anschuldigung oder Zeugenaussage bezich­ tigt. Gleiches gilt für das Bestreiten der Tatbegehung2559 – auch wenn dies not­ wendigerweise die Beschuldigung einer anderen Person impliziert2560.

2553  Cassani, N 18 zu Art. 303, Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 303, Delnon/Rüdy, BSK StGB II,

N 26 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 18.

2554  Dazu wiederum vorn Ziff. 1.2. 2555   BGer vom 2.12.2006, 6P.178/2006, Erw.  5, a.M. Trechsel/Affolter-Eijsten, N  10 zu

Art. 303: Es liege Art. 304 vor.

2556  BGE 93 I 86. 2557  BGE 132 IV 26, Cassani, N 25 f. zu Art. 303, Corboz, Vol. II, N 21 zu Art. 303, Trechsel/

Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 303, vgl. dazu hinten § 111 Ziff. 3.1.

2558  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 45 zu Art. 303, vgl. auch BGE 132 IV 178 f. (zur paralle­

nen Problematik ehrenrühriger Behauptungen).

2559  Trechsel/Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 303. 2560  BGE 132 IV 26.

469

§ 110  Falsche Anschuldigung (Art. 303)

3.2

Strafausschluss- und -milderungsgrund (Art. 308 Abs. 1)

Der Richter kann die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von einer Bestrafung absehen, wenn der Täter seine falsche Anschuldigung aus eigenem Antrieb berichtigt, bevor durch sie ein Rechtsnachteil für einen anderen ent­ standen ist. Es stellt dies insofern eine Art von tätiger Reue dar2561. Vorausgesetzt wird also, dass der Täter bei der Behörde seine Anzeige in einem späteren Zeitpunkt aus eigener Initiative  – die gegebenenfalls auch auf eine Anregung durch Dritte zurückgehen kann – widerruft; es genügt nicht, wenn er die Anschuldigung auf Vorhalt ihrer Unglaubwürdigkeit hin zurücknimmt oder dies unter dem massiven Druck von Drittpersonen geschieht2562. Das Motiv der Berichtigung bleibt belanglos. Ein Rechtsnachteil für den Angezeigten liegt nicht bereits in der formellen Eröffnung eines Verfahrens2563, wohl aber darin, dass sich der Betroffene in einem Verhör zu verantworten hat oder die Behörde ihm gegenüber Zwangs­ massnahmen wie Verhaftung oder Beschlagnahme ergreift.

3.3

Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen

Wer einen anderen wider besseres Wissen der Verübung einer Straftat beschul­ digt, erfüllt damit stets auch den Tatbestand der Verleumdung nach Art. 174 Ziff. 1 Abs. 1. Deshalb findet diese Bestimmung keine Anwendung2564, sofern der Täter seine Beschuldigung lediglich an eine Behörde und nicht auch an eine private Drittperson richtet2565. Fehlt der direkte Vorsatz hinsichtlich der Unwahrheit der vorgetragenen Behauptung und damit der Tatbestand von Art. 303, so kommt üble Nachrede gemäss Art. 173 in Betracht2566. Echte Kon­ kurrenz besteht im Verhältnis zu Art. 141 (im Fall einer Beschlagnahme) und zu Art. 183 (im Fall einer Verhaftung)2567. 2561  Vgl. Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 33 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56

N 48.

2562  BGE 108 IV 105, vgl. auch Cassani, N 8 zu Art. 308, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56

N 49.

2563  A.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 50. 2564  Vgl. BGE 69 IV 116, 76 IV 245, 115 IV 3, Corboz, Vol. II, N 22 zu Art. 303, Delnon/

Rüdy, BSK StGB II, N 38 zu Art. 303, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 13 zu Art. 303, zwei­ felnd Cassani, N 33 zu Art. 303, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 24. 2565  Vgl. BGE 141 IV 447 f. = Pr 105 (2016) Nr. 75. 2566  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 38 zu Art. 303. 2567  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 39 zu Art. 303, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 13 zu Art. 303.

470

§ 111  Irreführung der Rechtspflege (Art. 304)

§ 111 Irreführung der Rechtspflege (Art. 304) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 110.

Art.  304 (Irreführung der Rechtspflege/Induire la justice en erreur/Sviamento della giustizia/Misleading the judicial authorities) erfasst Verhaltensweisen, bei denen der Täter wie bei der falschen Anschuldigung die Strafbehörden in die Irre führt, im Gegensatz zu Art. 303 dabei jedoch keine unschuldige Drittper­ son belastet2568. Deshalb sieht das Gesetz bei Art. 304 einen geringeren Straf­ rahmen vor. Die Irreführung der Rechtspflege kann einerseits in der Anzeige einer tatsächlich nicht verübten Straftat (Ziff. 1 Abs. 1), andererseits in der fal­ schen Selbstbezichtigung des Täters (Ziff. 1 Abs. 2) bestehen. Anders als bei Art. 303 Ziff. 1 Abs. 2 bleibt nach Art. 304 straflos, wer durch das Legen von Spuren usw. vortäuscht, dass ein Delikt begangen wurde, ohne gegenüber der Behörde eine entsprechende Behauptung aufzustellen. Dass die Täuschung gelingt, d.h. eine Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane wirk­ lich ausgelöst wird, ist nicht erforderlich (abstraktes Gefährdungsdelikt)2569.

1.

Falsche Anzeige (Ziff. 1 Abs. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand erfordert zunächst, dass der Täter einen – als Verbre­ chen, Vergehen oder Übertretung – strafbaren Sachverhalt bei einer Behörde anzeigt. Der Begriff der Behörde ist hier wie bei Art. 303 zu verstehen2570. Die entsprechende mündliche oder schriftliche Mitteilung kann – wie bei Art. 303 – nicht nur in Form einer Strafanzeige im eigentlichen Sinne erfolgen, sondern auch z.B. anlässlich einer behördlichen Befragung gemacht werden2571. Geht der Täter irrigerweise davon aus, dass der von ihm den Behörden mitgeteilte Sachverhalt eine strafbare Handlung sei, kommt lediglich eine Verurteilung wegen untauglichen Versuchs (Art. 22 Abs. 1) in Betracht2572.

2568  Es fehlt die «persönliche Spitze», vgl. BGE 86 IV 185, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 5

zu Art. 304.

2569  Cassani, N 3 zu Art. 304, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 7 zu Art. 304. 2570  Vgl. vorn § 109 Ziff. 1.1 lit. b. 2571  Vgl. BGE 75 IV 178, 85 IV 82, BGer vom 27.10.2007, 6B_179/2007, Erw. 5.1, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 55 N 27.

2572  BGer vom 27.10.2007, 6B_179/2007, Erw. 5.2.1.

471

§ 111  Irreführung der Rechtspflege (Art. 304)

Sodann wird vorausgesetzt, dass die angezeigte Handlung in Tat und Wahr­ heit nicht verübt wurde2573. Es genügt also nicht, wenn jemand über Umstände eines wirklich begangenen Deliktes falsche Angaben macht2574, so z.B. den Betrag des ihm gestohlenen Geldes zu hoch beziffert oder die von ihm selber verübte Straftat einem Unbekannten zur Last legt2575. Nicht unproblematisch sind die Fälle, in denen der Anzeigende eine tatsächlich begangene Tat ledig­ lich so darstellt, dass diese rechtlich anders zu würdigen ist, indem er etwa durch das «Hinzudichten» einer Gewaltanwendung einen tatsächlich begange­ nen Diebstahl als Raub erscheinen lässt. Angesichts dessen, dass die Strafver­ folgungsbehörden hier zu Recht in Anspruch genommen werden und – jeden­ falls dann, wenn lediglich zu Unrecht eine Qualifikation behauptet wird – ein unnötiger Mehraufwand regelmässig nicht entstehen wird, wird man diese Fälle aus dem Anwendungsbereich der Norm herauszunehmen haben. Anders liegt es, wenn der Anzeigende ein gänzlich anderes Delikt als verübt darstellt, indem er z.B. zur Vertuschung einer eigenen Veruntreuung behauptet, es sei ein Diebstahl begangen worden2576. Die Tat ist damit vollendet, dass die Anzeige von der Behörde zur Kenntnis genommen wird2577. Diese braucht sie nicht für richtig gehalten zu haben.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Subjektiv wird in Bezug auf die Anzeige des Deliktes Vorsatz verlangt, wozu ins­ besondere auch gehört, dass der Täter um die Strafbarkeit der von ihm gemel­ deten Handlung weiss oder sie in Kauf nimmt2578. Sodann muss er die Anzeige wider besseres Wissen erstatten, d.h. im sicheren Bewusstsein ihrer Unwahrheit. Insofern lässt das Gesetz dolus eventualis nicht genügen2579. Wie bei Art. 303 soll es im Interesse der Aufdeckung von Verbrechen jedermann gewährleistet 2573  Cassani, N 4 zu Art. 304, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 304, Delnon/Rüdy, BSK StGB II,

N 10 zu Art. 304, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 28, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 3 zu Art. 304. 2574  Vgl. BGE 72 IV 140, 75 IV 178. 2575  SJZ 67 (1971) 160. 2576  Cassani, N 8 zu Art. 304, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 11 zu Art. 304, Pieth, BT, 290, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 3 zu Art. 304. 2577  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 26 zu Art. 304. 2578  Vgl. BGE 86 IV 186, BGer vom 27.10.2007, 6B_179/2007, Erw. 5.4.1 f., Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 304, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 32, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 5 zu Art. 304. 2579  BGer vom 27.10.2007, 6B_179/2007, Erw. 5.3.

472

§ 111  Irreführung der Rechtspflege (Art. 304)

werden, auch dann straflos ein Delikt zur Anzeige bringen zu können, wenn er es für bloss möglicherweise begangen hält. Anders als bei Art. 303 braucht der Täter nicht in der Absicht zu handeln, durch seine Anzeige ein Strafver­ fahren in Gang zu setzen. Belanglos bleibt sein Motiv bzw. der von ihm mit der Anzeige verfolgte Zweck, der z.B. darin bestehen kann, unberechtigter­ weise Versicherungsleistungen zu erlangen oder ein vom Anzeigeerstatter sel­ ber begangenes anderes Delikt zu vertuschen2580.

2.

Falsche Selbstbezichtigung (Ziff. 1 Abs. 2)

2.1

Objektiver Tatbestand

Täter dieser Tatbestandsvariante ist, wer sich selbst bezichtigt2581. Wer eine andere Person dazu veranlasst, sich bei der Behörde fälschlicherweise einer Tat zu bezichtigen, macht sich wegen Anstiftung zur Irreführung der Rechts­ pflege nach Art. 304 Ziff. 1 Abs. 2 schuldig2582. Ziff. 1 Abs. 2 setzt voraus, dass sich der Täter bei der Behörde2583 einer Hand­ lungsweise beschuldigt, die strafbar ist und welche er in Tat und Wahrheit nicht begangen hat. Dabei kann es sich sowohl um das in Wirklichkeit von einem anderen verübte Delikt wie auch um eine überhaupt nicht begangene Straf­ tat handeln2584. Den Tatbestand erfüllt nicht, wer bei der Anzeige eines von ihm tatsächlich verübten Deliktes lediglich dessen nähere Umstände unrich­ tig schildert. Die Selbstbeschuldigung braucht nicht in der Form einer Anzeige im eigent­ lichen Sinne zu erfolgen. Erfasst werden auch die Fälle, in denen der Täter anlässlich einer behördlichen Befragung fälschlicherweise angibt, eine Straf­ tat begangen zu haben, wobei sich der Täter nicht ausdrücklich der betreffen­ den Tat bezichtigen muss. Es genügen anderweitige Angaben, die unmittelbar auf seine Täterschaft schliessen lassen, so z.B. wenn er sich als Lenker eines an einem Unfall beteiligten Fahrzeuges ausgibt, dem die Behörden nach den 2580  Vgl. BGE 75 IV 179. 2581  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 6 zu Art. 304, a.M. Cassani, N 11 zu Art. 304, Trechsel/

Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 304.

2582  Vgl. BGE 111 IV 165, a.M. Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 304: Mittäterschaft sei

möglich.

2583  Vgl. dazu vorne § 109 Ziff. 1.1 lit. b. 2584  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 14 zu Art. 304, Cassani, N 9 zu Art. 304, Corboz, Vol. II,

N 5 zu Art. 304, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 304.

473

§ 111  Irreführung der Rechtspflege (Art. 304)

Umständen des Falles eine Verletzung von Verkehrsregeln und allenfalls ein Fahrlässigkeitsdelikt gegen Leib und Leben zur Last legen. Es genügt, dass er die Rolle des Beschuldigten übernimmt. Dies muss selbst dann gelten, wenn er als angeblicher Lenker ein verkehrsregelwidriges Verhalten bestreitet2585. Eine besondere Lage besteht bei einem falschen Geständnis. Ist jemand eines bestimmten Deliktes verdächtig und in eine Strafuntersuchung involviert wor­ den, und gibt er alsdann die ihm von der Behörde vorgehaltene Tat fälschli­ cherweise zu, so erfüllt er den objektiven Tatbestand von Art. 304 Ziff. 1 Abs. 2 nicht. Denn in diesem Fall hielt die Behörde den Beschuldigten schon vor des­ sen Selbstbezichtigung irrtümlich für den Urheber der ihm vorgeworfenen Tat. Wer bloss einen solchen Irrtum aufrechterhält oder verstärkt, macht sich nach der ratio legis nicht strafbar2586. Sofern er mit seinem Verhalten einen andern decken will, kann er allerdings den Tatbestand von Art. 305 erfüllen2587.

2.2

Subjektiver Tatbestand

Subjektiv wird Vorsatz gefordert2588. Dieser hat sich namentlich darauf zu erstrecken, dass das angezeigte Verhalten strafbar ist2589, wobei dolus even­ tualis genügt. Ausserdem muss der Täter im Bewusstsein der Unwahrheit sei­ ner Selbstbezichtigung handeln («fälschlicherweise»)2590, woran es ausnahms­ weise – etwa bei Erinnerungslücken – fehlen kann2591. Gleichgültig bleibt das Motiv, das z.B. darin liegen kann, den wirklichen Täter vor Strafe und anderen Nachteilen zu bewahren oder sich selbst «interessant zu machen». Der Absicht, eine Strafverfolgung herbeizuführen, bedarf es nicht2592.

2585  BGE 111 IV 160, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 304, kritisch Cassani, N 16 zu

Art. 304, Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 304, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 15 zu Art. 304.

2586  BGE 111 IV 161, Cassani, N  15 zu Art.  304, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N  15 zu

Art. 304, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 304.

2587  Vgl. BJM 2002, 23, 25. 2588  Über den Vorsatz hinausgehende besondere Absichten sind entgegen Cassani, N 20 zu

Art. 304, nicht vonnöten.

2589  BGE 86 IV 186. 2590  Vgl. Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 18. 2591  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 33. 2592  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 19 zu Art. 304.

474

§ 112  Begünstigung (Art. 305)

3.

Weitere Fragen

3.1

Privilegierter Tatbestand (Ziff. 2)

In «besonders leichten Fällen» von Irreführung der Rechtspflege kann der Richter von einer Bestrafung Umgang nehmen. Dabei wird v.a. an die von kei­ nen weiteren kriminellen Absichten getragene Anzeige geringfügiger Delikte zu denken sein, besonders wenn sie auf ihre Richtigkeit hin leicht überprüft werden kann2593.

3.2

Strafausschluss- und Milderungsgrund (Art. 308 Abs. 1)

Diese Bestimmung wird regelmässig anzuwenden sein, wenn der Täter seine Anzeige aus eigener Initiative – und nicht erst auf behördlichen Vorhalt – wider­ ruft. Ein Rechtsnachteil für einen anderen kann erst dann entstehen, wenn die Strafbehörden aufgrund einer Anzeige gemäss Art. 304 Ziff. 1 Abs. 1 gegen eine bestimmte Person vorgehen.

3.3 Konkurrenzfragen Zeigt jemand ein überhaupt nicht verübtes Delikt an und bezeichnet gleichzei­ tig eine bestimmte oder bestimmbare Person als Täter, so findet ausschliess­ lich Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 als die speziellere Bestimmung Anwendung2594. Zu einem versuchten oder vollendeten Versicherungsbetrug (Art.  146) besteht echte Konkurrenz2595.

§ 112 Begünstigung (Art. 305) Literaturauswahl: R. Bettenhausen, Die Begünstigung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Basel 1970, S. Cimichella, Die Geldstrafe im Schweizer Strafrecht, Diss. Zürich 2005, A. Hauswirth, Die Selbstbegünstigung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Bern 1984, C. Hohler, Grenzen der Straf­ verteidigung, fp 2009, 296, J. Rehberg, Aktuelle Probleme der Begünstigung (StGB Art. 305), ZBJV 117 (1981) 357, D. Schmohl, Der Schutz des Redaktionsgeheimnisses in der Schweiz, Diss. Zürich 2013, M. Schubarth, Begünstigung durch Beherbergen?, ZStrR 94 (1977) 158, G. Stratenwerth,

2593  Vgl. auch Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 23 zu Art. 304. 2594  Cassani, N 26 zu Art. 304, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 304, Stratenwerth/Bommer, BT

II, § 55 N 37, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 8 zu Art. 304.

2595  Cassani, N 27 zu Art. 304, Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 304, Delnon/Rüdy, BSK StGB

II, N 27 zu Art. 304.

475

§ 112  Begünstigung (Art. 305) Darf der Verteidiger dem Beschuldigten raten, zu schweigen?, SJZ 74 (1978) 217, derselbe, Begüns­ tigung durch Verweigerung der Zeugenaussage?, recht 2 (1984) 93, W. Studer, Begünstigung im Sinne von Art. 305 StGB, Diss. Zürich 1984.

Art.  305 (Begünstigung/Entrave à l’action pénale/Favoreggia mento/Assisting offenders) schützt das kollektive Interesse am Funktionieren der schweizeri­ schen Strafrechtspflege2596. Diese soll vor Machenschaften bewahrt werden, welche die Verfolgung und Bestrafung bestimmter Personen wegen Verbre­ chen, Vergehen oder Übertretungen2597 erschweren oder gar verunmög­ lichen2598. Hinsichtlich der durch Art.  101 erfassten Delikte dehnt der am 9. Oktober 1981 eingefügte Abs. 1bis von Art. 305 den Schutz auf die ausländi­ sche Rechtspflege aus2599. Art. 305 Abs. 1 unterscheidet zwischen der Verfolgungsbegünstigung und der Vollzugsbegünstigung. Abs. 2 stellt einen besonderen Strafausschluss- und -mil­ derungsgrund dar2600.

1. Verfolgungsbegünstigung 1.1

Objektiver Tatbestand

Der Täter muss «jemanden» der Strafverfolgung entziehen. a) Dass die begünstigte Person tatsächlich ein Delikt begangen hat, ist nicht erforderlich2601. Diese Auslegung ist nicht nur vom Wortlaut her möglich, sondern auch nach Sinn und Zweck der Norm geboten: Geschützt wird nicht der Strafanspruch des Staates, der tatsächlich nur gegenüber dem «wirklich» Schuldigen bestehen kann; geschützt wird vielmehr die Institu­ tion der Strafrechtspflege, deren Funktionsfähigkeit durch prozessfremde Eingriffe Dritter nicht infrage gestellt werden soll. Der Vorwurf, der hier 2596  BGE 141 IV 462, BGer vom 9.12.2015, 6B_659/2015, Erw. 2.2, Pieth, BT, 294. 2597  Erfasst werden alle Verfahren, die gemäss EMRK Art. 6 eine strafrechtliche Anklage

betreffen, vgl. Trechsel/Affolter-Eijsten, N 3 zu Art. 305.

2598  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 5 zu Art. 305, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 1 zu Art. 305. 2599  Vgl. BGE 104 IV 241, Cassani, N 2 zu Art. 305, Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 305, Delnon/

Rüdy, BSK StGB II, N 6 zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 17.

2600  Hinten Ziff. 4.3. 2601  BGE 69 IV 120, 99 IV 275, 101 IV 315, 104 IV 242, 141 IV 462 f., SJZ 76 (1980) 317,

Cassani, N 5 ff. zu Art. 305, Corboz, Vol. II, N 12, 43 zu Art. 305, Rehberg, 377, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 2 zu Art. 305, a.M. Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 26 zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 6.

476

§ 112  Begünstigung (Art. 305)

vertretene Standpunkt reduziere die Norm auf ein blosses Delikt gegen den äusseren Gang des Verfahrens2602 übersieht, dass eine funktionsfä­ hige Strafrechtspflege kein Selbstzweck ist, sondern eine elementare Vor­ aussetzung für ein gedeihliches gesellschaftliches Miteinander. Der Gegen­ standpunkt, nach dem die Norm dann nicht anwendbar sein soll, wenn die begünstigte Person in Tat und Wahrheit zu Unrecht verfolgt wird, steht vor dem Problem, dass der einzelne Bürger dies im Regelfall nicht mit grösse­ rer Sicherheit entscheiden kann als die Strafverfolgungsbehörden. Letztlich würde dieser Standpunkt darauf hinauslaufen, dass die Norm praktisch kei­ nen Anwendungsbereich mehr hat, weil entweder der Begünstigte wirklich nicht schuldig ist oder aber dem Täter doch nicht widerlegt werden kann, dass er subjektiv an dessen Unschuld geglaubt und damit nicht vorsätzlich gehandelt hat. b) Die Norm setzt voraus, dass der Täter einen anderen der Strafverfol­ gung «entzieht». Dieses Tatbestandsmerkmal darf nach einhelliger Auf­ fassung nicht dahin verstanden werden, dass der Täter den Begünstigten ein für allemal vor dem Zugriff der Strafbehörden bewahrt und insbeson­ dere dessen Verurteilung überhaupt vereitelt. Das Bundesgericht hat den tatbestandsmässigen Erfolg zunächst davon abhängig gemacht, dass der Begünstigte «mindestens für eine gewisse Zeit» der Strafverfolgung entzo­ gen wird2603. In seiner jüngeren Rechtsprechung hat es das Bundesgericht dann aber genügen lassen, dass die Tathandlung als solche geeignet ist, den Begünstigten für eine gewisse Zeit der Strafverfolgung zu entziehen2604. Mit dieser Rechtsprechung wird indessen Art. 305 zu einem abstrakten Gefähr­ dungsdelikt umgedeutet, während der dort verwendete Ausdruck «ent­ zieht» klarerweise für die Vollendung der Begünstigung einen tatsächlich eingetretenen Erfolg fordert2605. Angesichts der ratio legis ist zu verlangen, dass der Täter durch sein Verhalten eine – wenn auch nur vorübergehende – Erschwerung der Ermittlung oder Verfolgung eines Straftäters bzw. Verdäch­

2602  So aber Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 6, vgl. auch Delnon/Rüdy, BSK StGB II,

N 26 zu Art. 305, vgl. auch Pieth, BT, 294 mit einer Differenzierung danach, ob die Strafbehörden ein Verfahren bereits eingeleitet haben oder nicht. 2603  BGE 99 IV 276 f., 106 IV 192, vgl. auch Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 23 zu Art. 305, Pieth, BT, 295, Schmohl, 163 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 9. 2604  BGE 114 IV 39. 2605  Kritisch auch Cassani, N 14 zu Art. 305, Corboz, Vol. II, N 26 zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 23 zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 9, Trechsel/AffolterEijsten, N 6 zu Art. 305, vgl. auch hinten lit. c.

477

§ 112  Begünstigung (Art. 305)

tigen bewirkt2606, was in der neueren Praxis des Bundesgerichts jedenfalls der Sache nach auch so gesehen wird2607. Mit dem Eintritt dieses tatbe­ standsmässigen Erfolgs ist die Begünstigung vollendet. Dafür kommen v.a. folgende Handlungen in Betracht: –– Die unrichtige Darstellung des deliktischen Sachverhaltes oder der Täterschaft bzw. entsprechender Indizien durch Veränderungen tatsächlicher Art (z.B. durch Beseitigung von Spuren) oder durch Falschaussagen gegenüber Behörden2608. Die wahrheitswidrige Angabe, nichts zu wissen, ist nur dann strafbar, wenn eine Garantenpflicht besteht, die den Täter zur Mitwirkung bei der Strafverfolgung verpflichtet2609. –– Die Verhinderung der ordnungsgemässen Abnahme von Beweisen, z.B. durch Beseitigen von Beweismitteln2610, sowie der Durchführung von Massnahmen zu deren Sicherung2611. Kein prozessordnungswidri­ ger Eingriff und damit auch keine für Art. 305 relevante Tathandlung liegt in der berechtigten Ausübung eines Zeugnisverweigerungs- oder Editionsverweigerungsrechts2612. Gleiches gilt für prozessual zulässige Aktivitäten der Verteidigung2613, wie z.B. für den Rat gegenüber dem Beschuldigten, von seinen prozessualen Rechten Gebrauch zu machen, z.B. den ihm gegenüber erhobenen Vorwurf zu bestreiten bzw. sich

2606  Näher dazu Rehberg, 377 ff. 2607  BGE 129 IV 140 f., 141 IV 463, BGer vom 7.1.2015, 6B_444/2014, Erw. 2.3, vgl. auch

OGer Zürich vom 7.5.2014, SB130229, Erw.  1, vgl. aber auch fp 2010, 347 mit krit. Anm.  Bachmann, wo sich das BGer letztlich doch wieder damit begnügt, dass das infrage stehende Verhalten geeignet war, den Täter der Strafverfolgung zu entziehen. 2608  Trechsel/Affolter-Eijsten, N 9 zu Art. 305, Schmohl, 164 f. 2609  So auch Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 25 zu Art. 305; zur Garantenpflicht vgl. BGE 74 IV 164, 109 IV 47, 123 IV 72 = Pr 86 (1997) Nr. 128, BGE 141 IV 463, ablehnend zur Garantenpflicht eines Zeugen Schmohl, 165. 2610  Vgl. etwa plädoyer 4/1996, 63 f., SJZ 58 (1962) 28. 2611  Vgl. z.B. plädoyer 4/1996, 63 f.: Veranlassen der Löschung beweisrelevanter Daten, ver­ bunden mit der Verwahrung der Sicherungskopie durch den Verteidiger, SJZ 76 (1980) 82: Schmuggel von Kassibern eines Untersuchungshäftlings durch seinen Verteidiger. 2612  BGE 101 IV 315, 106 IV 278, 117 IV 470, 120 IV 106 f., Cassani, N 18 ff. zu Art. 305, Corboz, Vol. II, N  32  ff. zu Art.  305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N  25 zu Art.  305, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 12 zu Art. 305, a.M. Rehberg, 382 ff., Bettenhausen, 63 unter Verweis auf die allgemeine Bürgerpflicht zur Zeugnisablegung und zur Edition von Beweismitteln. 2613  Hohler, 297.

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§ 112  Begünstigung (Art. 305)

dazu auszuschweigen2614, oder die mit zulässigen Mitteln – also ohne Zwang und Täuschung – erwirkte Rücknahme eines Strafantrags durch den Verletzten2615. Und Gleiches gilt schliesslich auch bei der Offenle­ gung von Erkenntnissen, die der Verteidiger im Rahmen einer zuläs­ sigen Akteneinsicht gewonnen hat, gegenüber dem Beschuldigten2616. Eine Begünstigungshandlung liegt erst dann vor, wenn die Verteidigung Handlungen vornimmt, die nicht nur standesrechtlich, sondern straf­ prozessual unzulässig sind2617, wie z.B. die Einwirkung auf einen nicht zur Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen, mit dem Ziel, ihn zu einem Schweigen oder zu einer bestimmten wahrheitswidrigen Aussage zu veranlassen. –– Die Gewährung von Fluchthilfe oder Obdach an strafrechtlich Ver­ folgte2618, wobei hier und bei anderen nur mittelbar die Strafverfolgung tangierenden Verhaltensweisen in besonderer Weise darauf zu ach­ ten ist, dass ausschliesslich diejenigen Fälle bestraft werden können, in denen die im Einzelfall infrage stehende Handlung die Strafverfolgung konkret erschwert bzw. verzögert hat2619. –– Personen, welche kraft ihres Amtes als Polizeifunktionär, Untersu­ chungsbeamter, Staatsanwalt usw. an der Strafverfolgung beteiligt sind2620 und den ihnen dabei obliegenden Pflichten gegenüber einer bestimmten konkret tatverdächtigen Person nicht nachkommen, ver­ wirklichen den Tatbestand durch Unterlassen2621. Nicht erfasst sind die Fälle, in denen die Strafverfolgungsorgane prozessordnungsgemäss von 2614  Vgl. Cassani, N 28 ff. zu Art. 305, Corboz, Vol. II, N 31 zu Art. 305, Trechsel/Affolter-

Eijsten, N 10 zu Art. 305.

2615  Cassani, N 28 ff. zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 10. 2616  So auch Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 10 zu Art. 305 mit Hinweis auf die abweichende

Auffassung der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte des Kantons Zürich (ZR 91/92 [1992/1993] Nr. 17). 2617  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 9 zu Art. 305. 2618  Vgl. dazu BGE 114 IV 39, wonach auch das Beherbergen eines Flüchtigen während einer einzigen Nacht genügen kann, und demgegenüber BGE 117 IV 372, in dem die Strafbarkeit eines Ehepaares verneint wurde, welches den Verfolgten verpflegte und während einiger Stunden im Hause verweilen liess, vgl. auch Trechsel/Affolter-Eijsten, N 8 zu Art. 305, der nach der Gefährlichkeit des Täters differenzieren will. 2619  Vgl. auch Cassani, N 16 zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 23 zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 9. 2620  Vgl. BGE 109 IV 47, 141 IV 463. 2621  Cassani, N 18 zu Art. 305, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 12 zu Art. 305.

479

§ 112  Begünstigung (Art. 305)

einer Verfolgung absehen und das Verfahren einstellen können (Oppor­ tunitätsprinzip) oder bei denen sich eine Verzögerung im Rahmen des Ermessens hält2622. Bei anderen Personen kommt es auf den Einzelfall an: Ein Jagdaufseher, der ein Jagdvergehen nicht anzeigt, kann wegen Begünstigung strafbar sein2623, wogegen ein Tierpräparator, der die Per­ sonen nicht anzeigt, die ihm geschützte Tiere zum Ausstopfen überge­ ben haben, mangels Garantenpflicht nicht strafbar ist2624. c) Die Verfolgungsbegünstigung kann in einem beliebigen Zeitpunkt bis zum Ergehen eines rechtskräftigen Urteils über den Begünstigten begangen wer­ den. Dass gegen diesen schon ein Verfahren eingeleitet worden ist, ist nicht erforderlich2625. So macht sich z.B. auch strafbar, wer die Entdeckung eines Delikts vorerst überhaupt verhindert oder dem Täter unmittelbar nach der Tat zur Flucht verhilft. Selbst vor Verübung eines geplanten Delikts getrof­ fene Massnahmen zur Bewahrung des Täters vor Verfolgung kommen in Betracht, wenn diese dadurch nach der Tat wirklich erschwert worden ist. Ein Beispiel ist hier das vor der Tat erfolgte Beschaffen eines Passes, unter dessen Verwendung der Täter dann nach der Tat ins Ausland flüchtet2626.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss vorsätzlich handeln, wobei dolus eventualis genügt2627. Eine besondere Absicht oder ein besonderer Beweggrund sind nicht erforderlich2628, namentlich braucht das Motiv nicht darin zu liegen, den behördlichen Zugriff auf den Begünstigten zu erschweren2629. Nach Auffassung des Bundesgerichts soll indessen für den Vorsatz des Täters das Wissen darum genügen, dass sich 2622  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 8 zu Art. 305. 2623  BGE 74 IV 164. 2624  BGE 123 IV 72 f. = Pr 86 (1997) Nr. 128. 2625  BGE 69 IV 120, 101 IV 316, Cassani, N 10 zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 18

zu Art. 305, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 3 zu Art. 305, vgl. aber Pieth, BT, 295: Die Ein­ leitung muss mindestens unmittelbar und erwartbar bevorstehen. 2626  Cassani, N 8 zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 16 zu Art. 305, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 57 N 7. 2627  Kantonsgericht Freiburg vom 15.12.2015, 501 2015 95, Erw. 2.a. 2628  BGE 99 IV 278, 103 IV 100, Cassani, N 32 zu Art. 305, Corboz, Vol. II, N 40 zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 29 zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 15, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 15 zu Art. 305. 2629  So auch BGE 114 IV 40, Corboz, Vol. II, N 41 zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 16.

480

§ 112  Begünstigung (Art. 305)

sein Verhalten dazu eignet, den behördlichen Zugriff auf die gesuchte Person zu erschweren bzw. zeitlich zu verzögern2630 . Nach der hier vertretenen Mei­ nung muss dagegen der Täter die Ermittlung oder Überführung eines Straftä­ ters bzw. Verdächtigen mit Wissen und Willen tatsächlich erschweren. Dabei braucht ihm allerdings weder die zu verfolgende Person2631 noch die verübte Straftat näher bekannt zu sein; Kenntnis von anstehenden Verfolgungsmass­ nahmen genügt.

2. Vollzugsbegünstigung 2.1

Objektiver Tatbestand

Erfasst werden die Fälle, in denen der Täter jemanden «dem Strafvollzug oder dem Vollzug einer der in den Art.  59–61, 63  f. vorgesehenen Massnahmen» entzieht. a) Der Begriff «Strafvollzug» umfasst die Vollstreckung der in den Art. 34 ff. vorgesehenen Strafen. Erfasst wird jedenfalls auch der Freiheitsentzug gemäss JStG Art.  252632. Richtigerweise ist im Weiteren die persönliche Leistung nach JStG Art. 23 einzubeziehen2633. Nicht dazu gehören der Voll­ zug von jugendstrafrechtlichen Massregeln nach JStG Art. 12–152634. Überhaupt ungeschützt bleibt – mit Ausnahme der von Art. 305 Abs. 1bis erfassten Fallgestaltungen – der Vollzug der von ausländischen Gerichten ausgesprochenen Sanktionen2635. Das Gleiche gilt für Massnahmen, die sich auf eine ausserstrafrechtliche Gesetzesgrundlage stützen; das Entzie­ hen der von ihnen betroffenen Personen vor ihrer Durchführung lässt sich höchstens gemäss Art. 220 erfassen2636. b) Innerhalb dieses Rahmens kann sich der strafrechtliche Schutz sinnvoller­ weise nur auf Vollzugsformen beziehen, welche der Staat durch unmittelbaren Zwang gegenüber dem Verurteilten durchzusetzen vermag. Dies gilt u.a. auch für denjenigen, der eine gegenüber dem Verurteilten angeord­ nete ambulante Behandlungsmassnahme oder die Befolgung einer ihm für 2630  BGE 114 IV 39. 2631  Vgl. ZR 78 (1979) Nr. 71. 2632  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 55 N 5. 2633  Vgl. dazu Corboz, Vol. II, N 23 zu Art. 305. 2634  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 5, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 5 zu Art. 305. 2635  Es sei denn, er wäre von der Schweiz übernommen worden, vgl. IRSG Art. 85 ff. 2636  Vgl. BGE 96 IV 75, 99 IV 275 betr. administrative Einweisungen nach früherem Recht.

481

§ 112  Begünstigung (Art. 305)

sein Verhalten während einer Probezeit auferlegten Weisung in irgendeiner Weise behindern sollte. c) Da sowohl die Geldstrafe wie auch die Busse höchstpersönlicher Natur sind, stellt sich die Frage, ob derjenige, welcher solche Geldleistungen anstelle des Verurteilten erbringt, eine Vollzugsbegünstigung begeht. An sich dürfte unbestritten sein, dass der Verurteilte die Vermögenseinbusse per­ sönlich zu tragen hat. Problematisch erscheint es in diesem Zusammen­ hang etwa, wenn Unternehmen die Bussen ihrer Arbeitnehmer bezahlen und diese damit indirekt beim Verstoss gegen strafrechtliche Verbote unter­ stützen. Beispiel dafür könnte ein Transportunternehmen sein, welches sei­ nen Chauffeuren die Bussen wegen Missachtens der Vorschriften über die Arbeits- und Ruhezeit bezahlt, weil zufolge des Verstosses gegen die ent­ sprechenden Normen kürzere Transportzeiten ermöglicht werden2637. Im Weiteren sind bereits Projekte gestartet worden, Versicherungen gegen Bus­ sen anzubieten; diese Bestrebungen sind jedoch nicht weiterverfolgt wor­ den. Trotz diesen Bedenken ist zu beachten, dass die Strafvollzugsorgane zwar den Entzug der Freiheit gegenüber dem zu einer Freiheitsstrafe Verurteil­ ten durchsetzen können. Sie vermögen aber nicht zu erzwingen, dass eine Geldzahlung zur tatsächlichen Verminderung des Vermögens des Ver­ pflichteten, verbunden mit einer persönlichen Betroffenheit, führt. An sich liesse sich zwar nachprüfen, ob der Verurteilte die Geldzahlung sel­ ber aus eigenen Mitteln bestreitet. Aus eigenen Mitteln würde er jedoch auch dann leisten, wenn er dafür das Darlehen eines Dritten in Anspruch nähme, wobei ihm die entsprechende Schuld anschliessend erlassen wer­ den könnte. Ebenso verhielte es sich, wenn der Verurteilte die Zahlung zwar selbst leisten würde, dafür aber danach von einem Dritten, beispielsweise einem Unternehmen, einen Betrag in gleicher Höhe erhielte (Schenkung nach Bezahlung der Geldstrafe bzw. der Busse). Daraus folgt, dass die Voll­ streckungsbehörden faktisch nur die Zahlung des Geldbetrags erzwingen, nicht aber die mit einer Strafe an sich verbundene «persönliche Betroffen­ heit» beim Verurteilten bewirken können. Bei dieser Sachlage erscheint es sinnvoll, die Bezahlung einer Geldstrafe oder Busse durch Dritte nicht als

2637  Verordnung über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Führer von leich­

ten Personentransportfahrzeugen und schweren Personenwagen vom 6.5.1981, SR 822.222.

482

§ 112  Begünstigung (Art. 305)

Vollzugsbegünstigung zu qualifizieren2638. Demgegenüber ist auch nach hier vertretener Auffassung eine Vollzugsbegünstigung gegeben, wenn die für den Vollzug einer Busse zuständigen Behördenmitglieder oder Beamten eine rechtmässig ergangene Bussenverfügung annullieren2639. d) Zum Begriff des «Entziehens» gehört nach mehreren Entscheiden des Bun­ desgerichts2640, dass die Ergreifung des Täters bzw. der Straf- oder Mass­ nahmevollzug an diesem um «eine gewisse Zeit» verzögert wird2641. Dabei geht es v.a. um die Verhinderung oder Erschwerung des Vollzugs freiheitsentziehender Strafen und Massnahmen. Dies kann insbesondere durch Beherbergung, Transportierung oder finanzielle Unterstützung des Verur­ teilten geschehen2642, mindestens theoretisch aber auch durch die Verbüs­ sung einer Freiheitsstrafe anstelle des Verurteilten. Nicht nach Art. 305, sondern nach Art. 310 macht sich strafbar, wer dem Verurteilten Hilfe beim Entfliehen aus der Vollzugsanstalt leistet2643. Keine Begünstigung begeht selbstverständlich auch, wer bloss den im Gang befindlichen Strafvollzug erschwert, indem er z.B. Gefangene gegen das Personal aufwiegelt2644. e) Vollzugsbegünstigung kann sowohl vor der Vollstreckung einer Sanktion als auch während ihres Vollzuges geleistet werden. Im ersten Fall muss immer­ hin vorausgesetzt werden, dass bereits ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist2645. Vollendet ist die Tat damit, dass die Ergreifung oder Wiederergrei­ fung des Begünstigten zum Zwecke des Vollzuges tatsächlich erschwert wird.

2638  Cassani, N 11 zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 20 f. zu Art. 305, a.M. Trechsel/

Affolter-Eijsten, N 11 zu Art. 305, vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 10 mit einer Differenzierung zwischen direkter Zahlung, die erfasst sei, und der Gewährung eines Darlehens, die nicht strafbar sei, zum Meinungsstand vgl. auch Cimichella, 258 ff. 2639  Vgl. BGer fp 2011, 331. 2640  Vgl. vorn Ziff. 1.1 lit. b FN 2428 und 2429. 2641  Ähnlich Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 9. 2642  Vgl. BGE 99 IV 278, 103 IV 99, 104 IV 189, 106 IV 191, 114 IV 39, RS 1990 Nr. 823, 1992 Nr. 227. 2643  Vgl. dazu hinten § 116, namentlich Ziff. 2.22 zur näheren Abgrenzung. 2644  Vgl. BGE 99 IV 276. 2645  Vgl. vorn Ziff. 1.1 lit. c.

483

§ 112  Begünstigung (Art. 305)

2.2

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist Vorsatz, d.h. das Wissen um den dem Begünstigten drohenden oder bei ihm in Gang befindlichen Vollzug einer Sanktion, sowie um sein Vor­ haben, sich diesem zu entziehen, und der Wille, ihn hierbei zu unterstützen. Die Motive für einen solchen Entschluss bleiben belanglos. Etwaige Drohun­ gen können allenfalls zur Annahme eines Rechtfertigungsgrundes führen und sind im Übrigen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen2646.

3. Selbstbegünstigung 3.1

Grundsatz und Umfang der Straflosigkeit

Wer sich selber der Strafverfolgung oder -vollstreckung entzieht, begeht keine strafbare Begünstigung2647. Dies deshalb, weil es als eine dem Selbsterhaltungs­ trieb entspringende natürliche Reaktion hingenommen werden muss, dass ein von Bestrafung bedrohter Mensch dieser entgegenwirkt. Nach dem Grund­ satz a maiore ad minus» bleibt der von Strafverfolgung oder -vollstreckung Bedrohte auch dann straflos, wenn er einen anderen dazu anstiftet oder diesem dabei Gehilfenschaft leistet, ihn – den Bedrohten – zu begünstigen2648. Nicht strafbar ist sodann auch die sog. Mitbegünstigung, d.h. die von einem Tat­ beteiligten zugunsten eines anderen begangene Erschwerung der Verfolgung, aber nur wenn sie notwendigerweise mit seiner Selbstbegünstigung einhergeht und von einem auf diese letztere gerichteten Willen getragen wird2649. Dies gilt auch dann, wenn der Begünstigende selbst überhaupt noch nicht verdächtigt wird, an der Tat beteiligt gewesen zu sein; entscheidend ist, ob der Begünsti­ gende beteiligt war oder nicht: Ist dies der Fall, hängt der natürliche Wille zur Selbsterhaltung nicht davon ab, dass ein Verfahren gegen den Begünstigenden

2646  Vgl. BGer fp 2011, 332, Kantonsgericht Freiburg vom 15.12.2015, 501 2015 95, Erw. 2 f. 2647  BGE 73 IV 239, 96 IV 168, 115 IV 230 f., 118 IV 260, 133 IV 103, Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 57 N 12.

2648  BGE 115 IV 232 f., Cassani, N 25 zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 32 zu

Art.  305, Stratenwerth/Bommer, BT II, §  57 N  13, Trechsel/Affolter-Eijsten, N  14 zu Art. 305, a.M. noch BGE 73 IV 239, 111 IV 166. 2649  BGE 101 IV 315, 102 IV 31, Cassani, N 24 ff. zu Art. 305, Corboz, Vol. II, N 52 f. zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 11 zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 12, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 13 zu Art. 305.

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§ 112  Begünstigung (Art. 305)

eingeleitet worden ist2650. Der Tatbeteiligte kann stets nur wegen der Beteili­ gung an der Vortat belangt werden, nicht aber wegen Begünstigung2651. Der besonderen Situation des von Strafverfolgung oder -vollstreckung Bedroh­ ten wird allerdings ausschliesslich dadurch Rechnung getragen, dass Art. 305 auf ihn keine Anwendung findet. An der Strafbarkeit wegen anderer Strafta­ ten ändert sich auch dann nichts, wenn diese gerade Mittel der Selbstbegünsti­ gung sind2652. So macht sich der Verfolgte z.B. strafbar, wenn er, um nicht über­ führt zu werden, Urkundendelikte begeht2653 oder einen anderen zu falschem Zeugnis anstiftet2654. Das Gleiche gilt, wenn er seine Verfolgung durch die fal­ sche Anschuldigung eines anderen (Art.  303) oder Irreführung der Rechts­ pflege (Art.  304) abzuwenden sucht. Keine Bestrafung erfolgt wegen Hinde­ rung einer Amtshandlung (Art.  286), da und soweit die Begünstigung  – im Gegensatz zu den vorher genannten Delikten – regelmässig mit der Hinderung einer Amtshandlung einhergeht2655.

3.2

Teilnahme an Selbstbegünstigung

Nach Art. 24 Abs. 1 ist nur Anstiftung zu einem strafbaren Verhalten mit Strafe bedroht2656. Daher bleibt auch derjenige straflos, welcher den Verfolgten dazu bewegt, sich selber zu begünstigen, z.B. zu flüchten oder die Spuren seiner Tat zu verwischen. Grundsätzlich gilt dies auch für die Gehilfenschaft zur Selbstbegünstigung. Zu beachten ist allerdings, dass in den Fällen, in denen das Verhalten des Dritten die Strafverfolgung oder -vollstreckung konkret erschwert, eine täterschaftli­ che Fremdbegünstigung gegeben ist.

2650  A.M. RS 1993 Nr. 469. 2651  Cassani, N 9 zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 12, 38 zu Art. 305, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 57 N 7, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 13 zu Art. 305.

2652  BGE 124 IV 130, 133 IV 103, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 14, Trechsel/Affol-

ter-Eijsten, N 13 zu Art. 305.

2653  BGE 74 IV 56, 96 IV 168, 118 IV 260. 2654  BGE 73 IV 244, 81 IV 40, 118 IV 182, hinten § 115 Ziff. 6.2. 2655  Vgl. vorn Ziff. 4.2 lit. c, a.M. BGE 85 IV 144, 124 IV 130 ff., 133 IV 104 ff. 2656  Vgl. Strafrecht I, § 13.

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§ 112  Begünstigung (Art. 305)

4.

Weitere Fragen

4.1 Versuch Strafbarer Versuch der Begünstigung liegt vor, wenn jemand bereits auf die Hin­ derung eines Strafverfahrens gegen eine bestimmte Person abzielende Hand­ lungen vorgenommen hat, diese aber nicht zu einer Erschwerung der Verfol­ gung geführt haben (z.B. bei sofort als falsch erkannten Aussagen)2657.

4.2

Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen

a) Entgegen der vorherrschenden Meinung braucht bei der Verfolgungsbe­ günstigung die Straftat, deretwegen ihrem Urheber die Verfolgung droht, im Zeitpunkt der begünstigenden Handlung nicht unbedingt abgeschlossen zu sein2658. Wird diese Letztere schon vorher begangen, so fällt sie aller­ dings nur dann unter Art. 305, wenn sie allein auf die Erschwerung der Ver­ folgung gerichtet ist. Erleichtert sie dagegen gleichzeitig die Verübung jener Straftat, so dürfte ausschliesslich Beihilfe zu dieser anzunehmen sein2659, sofern die Gehilfenschaft nicht nach Art. 105 Abs. 2 straflos bleibt. b) Verbirgt jemand Sachen, die von einem anderen in strafbarer Weise erlangt worden sind, so stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Art. 305 in der Form der Verfolgungsbegünstigung und Hehlerei (Art. 160). Geht es dem Täter sowohl um das Verheimlichen von Beweismaterial als auch um die Erhaltung des Deliktsguts, so dürfte Idealkonkurrenz zwischen Begüns­ tigung und Hehlerei anzunehmen sein2660. Bezweckt er dagegen nur, die Sachen als mögliche Beweisgegenstände zu beseitigen, etwa durch Ver­ senken von Diebesgut in einem See, wird er ausschliesslich aufgrund von Art. 305 zu verurteilen sein2661. c) Durch die Verfolgungs- oder Vollstreckungsbegünstigung wird regelmäs­ sig auch im Sinne von Art. 286 eine Amtshandlung (z.B. Festnahme, Beweis­ erhebung) gehindert, wenn man hierfür auch deren Erschwerung genü­ gen lässt2662. Unter dieser Voraussetzung kann daher Art.  286 in Fällen

2657  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 33 zu Art. 305. 2658  Vgl. vorn Ziff. 1.1 lit. c. 2659  Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 7. 2660  Strafrecht III, § 31 Ziff. 5.2. 2661  Vgl. ZR 78 (1979) Nr. 87. 2662  Vgl. vorn § 94 Ziff. 1.2.

486

§ 112  Begünstigung (Art. 305)

von Begünstigung nicht zusätzlich Anwendung finden2663. Anders verhält es sich indessen, wenn Art. 305 mit Gewalt und Drohung gegen Beamte gemäss Art.  285 einhergeht, oder jemand Beweismaterial trotz behördli­ cher Verfügung nicht herausgibt und dadurch den Tatbestand von Art. 292 erfüllt2664. d) Erfolgt die Begünstigung in Form einer Falschanzeige nach Art. 303 oder 304, so treten diese Bestimmungen in echte Konkurrenz zu Art. 305, da die Organe der Rechtspflege nicht nur in der Verfolgung des Schuldigen gehin­ dert, sondern darüber hinaus in eine falsche Richtung irregeführt werden sollen2665.

4.3

Strafausschlussgrund (Abs. 2)

Nach dieser Bestimmung kann der Richter von einer Bestrafung Umgang neh­ men, wenn der Täter in so nahen Beziehungen zum Begünstigten steht, dass sein Verhalten entschuldbar ist2666. Darunter fallen nach h.L. nicht nur ver­ wandtschaftliche oder weitere rechtlich begründete, sondern auch andere, ins­ besondere freundschaftliche Beziehungen oder Abhängigkeitsverhältnisse2667. Nach Auffassung des Bundesgerichts kommt das Privileg auch dem Teilnehmer an einer Begünstigung zugute2668. Es besteht darin, dass der Richter auf Strafe verzichten2669 oder diese nach freiem Ermessen mildern kann; ein Freispruch ist dagegen nicht möglich2670.

2663  So auch Pieth, BT, 296, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 12, Trechsel/Affolter-Eijs-

ten, N 6 zu Art. 286, a.M. BGE 124 IV 130 ff., 133 IV 104 ff.

2664  ZR 78 (1979) Nr. 71 Erw. D. 2665  Vgl. OGer Zürich vom 7.5.2014, SB130229, Erw. 2, vgl. auch betr. Art. 304 BGE 111 IV

161, 165, zur Konkurrenz mit falschem Zeugnis vgl. hinten § 115 Ziff. 6.2.

2666  Vgl. hierzu BJM 1976, 170. 2667  Cassani, N 38 zu Art. 305, Corboz, Vol. II, N 49 zu Art. 305, Stratenwerth/Bommer, BT

II, § 57 N 20, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 17 zu Art. 305.

2668  BGE 73 IV 241, im Ergebnis zustimmend Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 20. 2669  D.h. von ihr «Umgang nehmen». 2670  Trechsel/Affolter-Eijsten, N 17 zu Art. 305, vgl. auch BGE 106 IV 193, wo allerdings von

einem fakultativen «Schuldausschliessungsgrund» die Rede ist.

487

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

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§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis) nisationsmängel als Anknüpfungspunkt im Unternehmensstrafrecht, Aufgezeigt am Beispiel der Geld­wäschereibekämpfung im Private Banking einer Bank-AG, Diss. Zürich 2006, M. Giannini, Anwaltliche Tätigkeit und Geldwäscherei, Diss. Zürich 2005, E.  Gnägi, Strafrechtliche Geldwä­ schereibekämpfung im Spannungsverhältnis zwischen internationalen Anforderungen und schweizerischen Interessen, in: Aus der Werkstatt des Rechts, Festschrift zum 65. Geburtstag von Heinrich Koller, hrsg. von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes für Justiz, Basel 2006, 337, C. Graber, Geldwäscherei, Diss. Bern 1990 (zit. Graber, Diss.), derselbe, Der Vor­ täter als Geldwäscher, AJP 4 (1995) 515 (zit. Graber, Vortäter), derselbe, GwG, Zürich 2003, Y. Griesser, Geldwäschjerei (Art. 305bis StGB), in: A. Cavallo et al. (Hrsg.), Liber amicorum für Andreas Donatsch, Zürich 2012, 135, H. Guggenbühl, Geldwäscherei aus Zürcher Sicht, Krim 49 (1995) 217, U. Hänsenberger, Verfall der Demokratie, Überlegungen zur Bekämpfung der Geld­ wäscherei und des Drogenhandels in der Schweiz, in: Zentrum und Peripherie: Zusammenhänge, Fragmentierungen, Neuansätze, Festschrift für R. Bäumlin, hrsg. von R. Herzog, Chur 1992, 243, C. Heierli, Zivilrechtliche Haftung für Geldwäscherei, Diss. Zürich 2012, M. Hess/O. Abo Youssef, Die Übergangsbestimmungen zum qualifizierten Steuervergehen als Geldwäschereivortat, juslet­ ter vom 25. April 2016, P. C. Honegger/M. A. Frey, Sorgfaltspflichten und Geldwäscherei, SJZ 90 (1994) 341, N. Huber, Wer untersteht dem Geldwäschereigesetz?, ST 6–7 (1999) 565, derselbe, Zu Fragen der Unterstellung von Angehörigen des Anwalts- und Notarenstandes unter das Geld­ wäschereigesetz (GwG) sowie der Aufsichtstätigkeit der Kontrollstelle für die Bekämpfung der Geldwäscherei, Anwaltsrevue 4 /1999, 18, D. Jositsch/M. von Rotz, Das Finanzmarktstrafrecht der Schweiz – Status quo unter Einbezug der neusten Gesetzesänderungen, des internationalen Ein­ flusses sowie der anstehenden Neuerungen, SZW 2016, 592, N. Huber/N. Polli, La loi sur le blan­ chiment d’argent dans le secteur non bancaire, ST 3 (2000) 198, K.-L. Kunz, Massnahmen gegen die organisierte Kriminalität, ­plädoyer 1/1996, 32, M. Kunz, Die strafrechtliche Garantenstellung von Bankorganen bei der Geldwäscherei, jusletter 14.2.2011, M. Kuster, Wer ist Finanzinterme­ diär nach dem Geldwäschereigesetz?, SZW 5 (1999) 233, derselbe, Das Verhalten bei Geldwäsche­ reiverdacht gemäss Geldwäschereigesetz (GwG), AJP 9 (2000) 794, derselbe, Wie kann Geld­ wäscherei frühzeitig erkannt werden?, ST 4 (2002) 337, M. Lauber, Geldwäscherei als internationale Herausforderung, ST 5 (2001) 467, J.-H. Lee, Die Beteiligung des Strafverteidigers an der Geldwä­ scherei, Diss. Basel 2005, P. Lehmann, Ist Geldwäscherei nach Art. 305bis StGB eine haftpflicht­ rechtliche Schutznorm?, in: B. Isenring/M. Kessler (Hrsg.), Schutz & Verantwortung, Liber ami­ corum für Heinrich Honsell, Zürich 2007, 1, S.  Lembo/A. Berthod, Blanchiment et fausse constatation du prix de vente dans un acte authentique: examen critique de jurisprudence et res­ ponsabilité du banquier, AJP 2010, 54, M. Livschitz, Neue Geldwäschereivortaten – Untaten des Gesetzgebers, in: J.-B. Ackermann/M. Hilf (Hrsg.), Geldwäscherei – Asset Recovery, Zürich 2012, 65, C. Lombardini, Banques et blanchiment d’argent, 3. Aufl., Genf 2016, P. Lutz, Pflichten des Finanzintermediärs bei Aufnahme der Vertragsbeziehung, Anwaltsrevue 8/2002, 16, P. Lutz/M. Kern, Geldwäscherei und das qualifizierte Steuervergehen von Art. 305bis Ziff. 1bis StGB, SJZ 113 (2017), 97, P. Lutz/A. Reber, Das Geldwäschereigesetz: Einführung und praktische Konsequenzen für die Anwaltschaft, Zürich 1998, R. Matteotti/S. Many, Erhöhung der Strafrisiken für Banken und ihre Mitarbeiter infolge Einführung der Steuergeldwäscherei, jusletter vom 23. Februar 2015, S. Matthey, Blanchiment de fraude fiscale: les conséquences des nouveaux articles 305bis CH 1bis CPS et 14 al. 4 DPA, SJ 2016 II, 285, B. Messerli, Die Geldwäscherei de lege lata et ferenda, ZStrR 105 (1988) 418, G. Molo, Zusammenhang zwischen Steuerstraftaten und Geldwäscherei, AJP 2009, 191, G. Molo/D. Galliano, L’introduction du blanchiment fiscal dans la domaine de la fiscalité directe, jusletter vom 23. Februar 2015, D. de Montmollin, Prévention du blanchiment: quelles perspectives pour l’avocat dans le contexte suisse et international, Anwaltsrevue 8/2002, 21,

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§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis) C. Müller, Geldwäscherei, Motive – Formen – Abwehr, Schriftenreihe der Schweizerischen Treu­ handkammer, Bd. 109, Zürich 1992, P. Müller, Organisiertes Verbrechen – Gegenstrategien des Gesetzgebers, AJP 2 (1993) 1180, derselbe, Überforderung von Strafrecht und Strafverfolgung im Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität, ST 5 (2001) 425, S. Nadelhofer, Geldwäscherei und Ein­ ziehung – Risiken für Anwälte, SJZ 102 (2006) 345, F. Naef/M. Clerici, Steuerstraftaten als Vorta­ ten der Geldwäscherei: Der Weg in la Terreur, jusletter vom 7.4.2014, N. Oberholzer, Neue gesell­ schaftliche Herausforderungen und neue Strafbestimmungen, AJP 9 (2000) 651, derselbe, Acht Thesen zur Organisierten Kriminalität, plädoyer 1/2001, 32, S. Oesch, Die organisierte Krimina­ lität  – eine Bedrohung für den Finanzplatz Schweiz?, Zürich 2010, M. Pfeifer/P. Spitz, Geld­ wäschereigesetz: Bin ich Finanzintermediär? – Voraussetzungen und Pflichten des Finanzinter­ mediärs, BJM 2000, 57, M. Pieth (Hrsg.), Bekämpfung der Geldwäscherei, Basel 1992 (zit. Pieth, Bekämpfung der Geldwäscherei), derselbe, Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens in der Schweiz, ZStrR 109 (1992) 257, derselbe, Die Aufspürung illegaler Gewinne, Krim 48 (1994) 442, derselbe, «Das zweite Paket gegen das organisierte Verbrechen», die Überlegungen des Gesetzge­ bers, ZStrR 113 (1995) 225, derselbe, «Korruptionsgeldwäsche», in: Wirtschaft und Strafrecht, Festschrift für N. Schmid, hrsg. von J.-B. Ackermann/A. Donatsch/J. Rehberg, Zürich 2001, 437, derselbe, Die internationale Entwicklung der Geldwäschebekämpfung, in: Geldwäschebekämp­ fung und Gewinnabschöpfung, Handbuch der straf- und wirtschaftsrechtlichen Regelungen, hrsg. von F. Herzog/D. Mühlhausen, München 2006, M. Pieth/D. Freiburghaus, Die Bedeutung des organisierten Verbrechens in der Schweiz, Bern 1993, M. Pieth/G. Aiolfi (Hrsg.), A Compara­ tive Guide to Anti-Money Laundering, A Critical Analysis of Systems in Singapore, Switzerland, the UK and the USA, Cheltenham 2004, M. Pini, Risk Based Approach – ein neues Paradigma in der Geld­wäschereibekämpfung, Unter spezieller Berücksichtigung der Geldwäschereiverord­ nung der EBK, Zürich 2007, C. Del Ponte, L’organisation criminelle, ZStrR 113 (1995) 240, A. Rappo, Infractions fiscales, blanchiment d’argent et obligations de diligence, in: Isabelle Augs­ burger-Bucheli (Hrsg.), Blanchiment d’argent: actualité et perspectives suisses et internationales, Genf 2014, 81 (zitiert: Infractions fiscales), dieselbe, Le blanchiment d’infractions fiscales, Expert Focus 2015, 1003, R. Sansonetti, La lutte contre le blanchiment de capitaux en droit suisse, AJP 3 (1994) 1273, G. Schild Trappe, Die Evolution der Geldwäschereinorm in der Schweiz, recht 17 (1999) 211, N. Schmid, Insiderdelikte und Geldwäscherei, Bern 1994, N. Schmid/R. Baur, Erläute­ rungen zu Art. 305bis, in: Kommentar zum Schweizerischen Kapitalmarktrecht, hrsg. von N. P. Vogt/R. Watter, Basel 1999, M. Scholl, Einzelfragen der Vermögenseinziehung und Restitution, in: J.-B. Ackermann/M. Hilf (Hrsg.), Geldwäscherei – Asset Recovery, Zürich 2012, 197, M. Schubarth, Geldwäscherei  – Neuland für das traditionelle kontinentale Strafrechtsdenken, in: Fest­ schrift für G. Bemmann, hrsg. von J. Schulz/T. Vormbaum, Baden-Baden 1997, 430, K. Schwander-Auckenthaler, Missbrauch von Bankgeschäften zu Zwecken der Geldwäscherei, Diss. Bern 1995, Schweiz. Anwaltsverband (Hrsg.), Geldwäscherei und Sorgfaltspflicht, Zürich 1991, R. Schwob, Erläuterungen zu den Massnahmen gegen die Geldwäscherei, in: Anhang zu D. Bodmer/​ B. Kleiner/B. Lutz, Kommentar zum schweizerischen Bankengesetz, Zürich 1996 (Stand: 2003), dieselbe, «Tax Crimes» als Vortaten zu Geldwäscherei?, ST 2011, 281, O. Strasser, Mangelhafte Geldwäschereidispositive in der Vermögensverwaltung, in: P. Isler/R. Cerutti (Hrsg.), Vermö­ gensverwaltung VI, Zürich 2013, 41, G. Stratenwerth, Die Entwicklung der strafrechtlichen Nor­ men zur Bekämpfung der Geldwäscherei, in: Die Banken im Spannungsfeld zwischen öffentli­ chem Recht und Privatrecht, hrsg. von W. Wiegand, Bern 1999, 17, C. Suter/C. Remund, Neue Vortaten zur Geldwäscherei im Steuerstrafrecht: welche Konsequenzen für Finanzintermediäre?, ASA 82 (2014), 589 (zitiert: Vortaten), dieselben, Infractions fiscales, blanchiment et intermédi­ aires finciers, GesKR 2015, 54 (zitiert: Infractions), T. Taube, Entstehung, Bedeutung und Umfang

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§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis) der Sorgfaltspflichten bei der Geldwäschereiprävention im Bankenalltag, Zürich 2013, F. Teichmann, Umgehungsmöglichkeiten der Geldwäschereipräventionsmassnahmen, Diss. Zürich 2016, D. Thelesklaf, Pflichten bei Geldwäschereiverdacht und Aufgaben der Meldestelle für Geldwäsche­ rei, AJP 7 (1998) 588, derselbe, Meldepflicht bei Geldwäschereiverdacht, Anwaltsrevue 1/1999, 9, S. Trechsel/H. Affolter-Eijsten (Hrsg.), Geldwäscherei, Prävention und Massnahmen zur Bekämp­ fung, Zürich 1997, E. Tsagkaraki, Geldwäscherei durch Strafverteidiger, Bern 2012 (Diss. Zürich 2010), H. Vest, «Organisierte Kriminalität» – Überlegungen zur kriminalpolitischen Instrumen­ talisierung eines Begriffes, ZStrR 112 (1994) 121, derselbe, Probleme des Herkunftsprinzips bei der Geldwäscherei, in: Wirtschaft und Strafrecht, Festschrift für N.  Schmid, hrsg. von J.-B. Ackermann/A. Donatsch/J. Rehberg, Zürich 2001, 417 (zit. Vest, FS Schmid), derselbe, Anwen­ dungsprobleme im Bereich der Geldwäscherei, SJZ 100 (2004) 53, H. Vontobel, Insiderdelikte aus der Sicht des Bankpraktikers, ZStrR 106 (1989) 30, R. Waldburger/S. Fuchs, Steuerdelikte als Vor­ taten zur Geldwäscherei, IFF Forum für Steuerrecht 2014, 111, U. Weder, Organisierte Krimina­ lität, unter besonderer Berücksichtigung der Geldwäscherei, in: Organisierte Kriminalität, hrsg. von C.  Mayerhofer/J.-M. Jehle, Heidelberg 1996, 109, W. Wohlers, Geldwäscherei durch die Annahme von Verteidigerhonoraren – Art. 305bis StGB als Gefahr für das Institut der Wahlvertei­ digung, ZStrR 120 (2002) 197, W. Wohlers/M. Giannini, Vorschüsse: Ein Minenfeld nicht nur für Strafverteidiger, plädoyer 6/2005, 34 (zit. Wohlers/Giannini, Vorschüsse), D. Zuberbühler, Die Geld­wäschereibekämpfung, in: Aktuelle Rechtsprobleme des Finanz- und Börsenplatzes Schweiz, hrsg. von P. Nobel, Bern 1993, 126, U. Zulauf, Die Eidgenössische Bankenkommission und Geld­ wäscherei, recht 7 (1989) 79, A. Zünd, Geldwäscherei: Motive – Formen – Abwehr, ST 9 (1990) 403.

1.

Wesen und strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäscherei

Geldwäscherei (Blanchiment d’argent/Riciclaggio di denaro/Money laundering) bezeichnet als Sammelbegriff Verhaltensweisen, mit denen die Existenz, die rechtswidrige Herkunft oder die rechtswidrige Verwendung von Vermö­ genswerten verschleiert werden soll, um diese nach aussen hin als rechtmässig erlangte Vermögenswerte erscheinen zu lassen2671. Beim Phänomen der Geld­ wäscherei, das in einem engen Zusammenhang mit der organisierten Krimina­ lität2672 steht, geht es mithin um die systematische Tarnung in strafbarer Weise erlangter Vermögenswerte unter Verwendung legaler oder illegaler Mittel des Finanzmarktes, die darauf abzielt, das Deliktsgut dem Zugriff der Strafverfol­ gungsbehörden zu entziehen und – gegebenenfalls zugunsten verbrecherischer 2671  So  – unter Bezugnahme auf die richtungweisende Definition der President’s Com­

mission on Organized Crime – Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 189 ff., ders., BSK StGB II, N 5 ff. vor Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 2 zu Art. 305bis, vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 21, sowie ausführlich Ackermann, Kommentar Einzie­ hung I, N 4 ff. zu Art. 305bis. 2672  Vgl. die Ausführungen zu Art. 260ter.

491

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

Organisationen – zu erhalten und zu mehren. Der Vorgang der Geldwäscherei lässt sich anschaulich in einem Modell zusammenfassen, bei dem im Wesent­ lichen drei Phasen unterschieden werden2673: In einer ersten Phase werden illegale Vermögenswerte unter Umgehung von Deklarations- und Identifika­ tionspflichten in das legale Finanzsystem eingeschleust (placement), in einer zweiten Phase wird durch weitere Finanztransaktionen die illegale Herkunft der Vermögenswerte verschleiert (layering), bevor dann in der dritten Phase (integration) die «gewaschenen» Vermögenswerte als scheinbar legale Vermö­ genswerte an die Täter zurückfliessen und diesen zu wirtschaftlichen Zwecken zur Verfügung stehen. Die Schweiz, die als wichtiger und starker Finanzplatz gilt und deren Banken namentlich zur Umwandlung und (Re-)Investition deliktisch erlangter Mittel missbraucht werden können (im obigen Modell die Phasen 2 und 3), hat – unter dem Druck bekannt gewordener konkreter Fälle von Geldwäscherei gemäss ausländischem Recht sowie einer nicht unwesentlichen Einflussnahme vonsei­ ten der USA2674 – im Rahmen des sog. ersten Massnahmenpaketes gegen die organisierte Kriminalität2675 mit den Strafbestimmungen der Art. 305bis und 305ter Abs. 1 Straftatbestände geschaffen, mit denen der Geldwäscherei begeg­ net werden soll2676. Während Art. 305bis Verhaltensweisen erfasst, die geeignet sind, «die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln», stellt Art. 305ter Abs. 1 keine Geldwäscherei­ handlung im eigentlichen Sinne unter Strafe, sondern dient der Durchsetzung einer für die Bekämpfung der Geldwäscherei besonders wichtigen präventiven Massnahme: der Identifikation des wirtschaftlich Berechtigten im Rahmen der Abwicklung von Finanzgeschäften2677. Für die Ausgestaltung der Normen zur Bekämpfung der Geldwäscherei ste­ hen grundsätzlich zwei Modelle zur Verfügung: Die Straftatbestände können entweder an die mit der Geldwäscherei verbundene Unterstützung der verbre­ 2673  Vgl. Giannini, 21 ff., Pieth, BSK StGB II, N 8 vor Art. 305bis, ders., BT, 297, Trechsel/

Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 305bis.

2674  Pieth, BSK StGB II, N 10 ff. vor Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 5 zu Art. 305bis. 2675  BG über die Änderung des StGB vom 23. März 1990 (Gesetzgebung über die Geld­

wäscherei und mangelnde Sorgfalt bei Geldgeschäften), das auf den 1. August 1990 in Kraft gesetzt wurde. 2676  Zur Vorgeschichte des Gesetzgebungsverfahrens vgl. Ackermann, Kommentar Einzie­ hung I, N 16 ff. zu Art. 305bis, Pieth, BT, 299, ders., Wirtschaftsstrafrecht, 193 f., Schild Trappe, 221 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 21 f. 2677  Vgl. hinten § 113.

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§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

cherischen Tätigkeit anknüpfen oder aber an die Verhinderung des Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden auf die durch diese Tätigkeit deliktisch erlang­ ten Mittel. Die Schweiz hat die zweite Möglichkeit gewählt und Geldwäscherei zu einem Delikt gegen die Rechtspflege ausgestaltet2678, was in der Doktrin auf lebhafte Kritik gestossen ist2679. Die grundlegende Problematik des Art. 305bis besteht darin, dass dessen Anwendungsbereich dann, wenn die Norm so ver­ standen wird, dass diese «nicht einzig die Bekämpfung des organisierten Verbrechens»2680 bezweckt, praktisch jede Kontur verliert2681.

2.

Grundtatbestand (Ziff. 1)

Der Tatbestand der Geldwäscherei setzt die Vornahme einer Handlung vor­ aus, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie der Täter weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen herrühren. De lege lata werden die so umschriebenen Verhaltensweisen auch dann als Geldwäscherei erfasst, wenn sie an Delikte anknüpfen, die nicht im Rahmen einer kriminellen Organisa­ tion begangen wurden2682. Der Geldwäschereitatbestand ist ein Rechtspflege­ delikt2683. Geschützt wird der staatliche Einziehungsanspruch2684, wobei die­ 2678  Vgl. BGE 129 IV 325  ff.: Der Straftatbestand schütze in erster Linie die Strafrechts­

pflege in der Durchsetzung des staatlichen Einziehungsanspruchs. Darüber hinaus würden in den Fällen, in denen die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte aus Straftaten gegen Individualinteressen herrühren, mittelbar auch die Vermögens­ interessen des durch die Vortat Geschädigten geschützt. 2679  Vgl. namentlich Stratenwerth, in: Pieth, Bekämpfung der Geldwäscherei, 101  f., zur Kritik vgl. auch zusammenfassend Pieth, BSK StGB II, N 1 ff. vor Art. 305bis StGB. 2680  BGE 119 IV 62. 2681  So auch BGE 120 IV 327 = Pr 84 (1995) Nr. 212, zur diesbezüglichen Kritik vgl. Stratenwerth: in Pieth, Bekämpfung der Geldwäscherei, 104 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 22, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 6 zu Art. 305bis. 2682  Vgl. BGE 119 IV 61, kritisch hierzu Trechsel/Affolter-Eijsten, N 6 zu Art. 305bis: Ziel­ richtung der Norm sei «die wirksame Verfolgung des organisierten Verbrechens». 2683  BGE 119 IV 61, 120 IV 327 = Pr 84 (1995) Nr. 212, BGE 122 IV 222, 127 IV 85, 129 IV 325 f., 136 IV 180 = Pr 100 (2011) Nr. 68, Cassani, N 3 zu Art. 305bis, Trechsel/AffolterEijsten, N 6 zu Art. 305bis, kritisch zur Aussagekraft der systematischen Einordnung: Pieth, BSK StGB II, N 47 vor Art. 305bis sowie N 3 zu Art. 305bis. 2684  BGE 127 IV 85, 129 IV 326, Griesser, 136 und 142, Jositsch/von Rotz, 597; Vest, FS Schmid, 419 f.; nach Auffassung des BGer sollen allerdings bei den Vortaten, bei denen es individuelle Geschädigte gibt, mittelbar auch deren Individualinteressen geschützt sein, vgl. BGE 129 IV 326 ff., 133 III 330, 134 III 533, zustimmend Cassani, L’argent, 411 f., kritisch dagegen Ackermann, Wiedererlangung, 35, 38 f., Lehmann, 17 ff., vgl.

493

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

ser Schutz über Art. 305bis Ziff. 3 auch auf ausländische Einziehungsansprüche ausgedehnt wird2685.

2.1

Objektiver Tatbestand

2.11 Täterkreis Der Täterkreis ist nach h.M. nicht beschränkt, sondern soll insbesondere auch den Vortäter selbst erfassen2686. Die Vertreter einer Gegenauffassung befürwor­ ten eine Analogie zur Straflosigkeit der Selbstbegünstigung nach Art. 3052687. Zu berücksichtigen ist aber, dass durch die Vereitelung der Einziehung – anders als bei der Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs – zusätzlich auch Inter­ essen privater Dritter beeinträchtigt werden. Da mithin das Interesse des Vor­ täters, die Einziehung deliktisch erlangter Vermögenswerte abzuwenden, wer­ tungsmässig nicht auf eine Stufe mit dem als reine Selbstschutzmassnahme eher nachvollziehbaren Bemühen gestellt werden kann, die eigene Verurtei­ lung und/oder die Vollstreckung einer Strafe zu vereiteln, wird man die Ana­ logie zur Straflosigkeit der Selbstbegünstigung mangels vergleichbarer Inter­ essenlagen abzulehnen haben. Die Konzeption des Gesetzes, nach welcher der Vortäter nicht nur dafür bestraft wird, dass er sich Vermögenswerte durch ein Verbrechen verschafft hat, sondern zusätzlich auch noch dafür, dass er sie behalten will, kann man mit guten Gründen als kriminalpolitisch verfehlt ansehen2688; dies ändert aber nichts daran, dass dem geltenden Recht genau diese Konzeption zugrunde liegt: Ziel der Norm ist es, deliktisch erlangte Ver­ mögenswerte verkehrsunfähig zu machen2689. hierzu auch Taube, 82  ff., nochmals a.A. Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 203, ders., BT, 303, ders., BSK StGB II, N 47 vor Art. 305bis sowie N 3 zu Art. 305bis: Der Geldwäsche­ reistrafnorm liege ein Blankettrechtsgut zugrunde, es gehe um eine Verstärkung des Schutzes der Rechtsgüter, die den jeweiligen Vortaten zugrunde liegen. 2685  BGE 126 IV 262, 136 IV 186 = Pr 100 (2011) Nr. 68, Ackermann, Kommentar Einzie­ hung I, N 54 f., 181, 479 und 484 zu Art. 305bis, Cassani, N 4, 15 zu Art. 305bis, Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 216. 2686  BGE 120 IV 324 ff. = Pr 84 (1995) Nr. 212, 122 IV 217 f., 124 IV 276 ff., 126 IV 261, SJZ 102 (2006) 261 f., BstGer JdT 2015, 336 f., Corboz, Vol. II, N 19 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 42, ablehnend Taube, 85 f. 2687  Vgl. fp 2009, 159  ff. mit Anm.  Ackermann, Ackermann, Kommentar Einziehung I, N 117 ff. zu Art. 305bis, Arzt, Bemerkungen, 131, Cassani, N 47 ff. zu Art. 305bis, Graber, Vortäter, 517, Pieth, BSK StGB II, N 2 zu Art. 305bis, ders., Wirtschaftsstrafrecht, 203 f. 2688  Vgl. insbesondere Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 42. 2689  Vgl. BGE 124 IV 277, kritisch zu dieser Konzeption Wohlers, 209 f.

494

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

2.12

Tatobjekte: Vermögenswerte, die aus einem Verbrechen herrühren

Taugliche Tatobjekte sind Vermögenswerte, die aus einem Verbrechen her­ rühren. Vermögenswerte sind sämtliche Aktiven, d.h. ausser Bar- und Buch­ geld auch Edelmetalle und andere Fahrnisgegenstände sowie Grundstücke und Rechte an diesen2690. Auf die Grösse des Vermögenswertes kommt es de lege lata nicht an. Der Vorschlag, Vermögenswerte erst ab einem Wert von min­ destens CHF 25 000 als Vermögenswerte i.S. des Art. 305bis zu qualifizieren2691, würde praktisch gesehen nur zu Umgehungshandlungen führen2692. Der Begriff des Verbrechens ist im technischen Sinne zu verstehen. Erfasst sind alle Taten, die i.S. von Art. 10 als Verbrechen zu qualifizieren sind2693. Ange­ sichts des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät muss die Vortat tatbe­ standsmässig und rechtswidrig, nicht aber notwendigerweise auch schuldhaft verwirklicht werden2694. Die Vollendung der Vortat ist nicht erforderlich2695. Vielmehr genügt es, wenn die Vortat ins strafbare Versuchsstadium getreten oder bereits die Vornahme entsprechender Vorbereitungshandlungen gemäss Art. 260bis strafbar ist2696. Sind die Vorbereitungshandlungen zur Vortat dage­ gen nicht strafbar, so kann auch noch kein strafbarer Versuch der Geldwäsche­ rei vorliegen, da ansonsten die Grenze der Strafbarkeit bei Delikten, die einen Erlös abwerfen, in unzulässiger Weise vorverlegt würde2697. In der neueren Lehre unbestritten ist ferner auch, dass das Fehlen eines für die Verfolgung der

2690  Botschaft 1989, 1082, Cassani, N 7 zu Art. 305bis, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 305bis, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 26.

2691  So Trechsel/Affolter-Eijsten, N 9 zu Art. 305bis. 2692  Vgl. Pieth, BSK StGB II, N 10 zu Art. 305bis, der die Lösung über ein materiellrechtli­

ches Opportunitätsprinzip i.S. von Art. 52 befürwortet.

2693  Botschaft 1989, 1082, Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 305bis, Griesser, 138, Pieth, BT, 304,

ders., BSK StGB II, N 13 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 27, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 305bis. 2694  Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 23 zu Art. 305bis, Trechsel/ Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 305bis. 2695  BGE 120 IV 323 = Pr 84 (1995) Nr. 212, Ackermann, Kommentar Einziehung I, N 154 zu Art. 305bis, a.M. Pieth, BSK StGB II, N 17, 53 zu Art. 305bis. 2696  Ackermann, Kommentar Einziehung I, N 154 zu Art. 305bis. 2697  Graber, Vortäter, 516, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 29 zu Art. 305bis, anders wohl BGE 120 IV 323 = Pr 84 (1995) Nr. 212.

495

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

Vortat notwendigen Strafantrags2698 oder der Eintritt der Verjährung für die Vortat2699 der Verfolgung etwaiger Geldwäschereihandlungen entgegensteht. Steuerdelikte waren nach altem Recht mit Ausnahme des Abgabetrugs (VStrR Art. 14 Abs. 4) keine tauglichen Vortaten, weil diese im schweizerischen Recht nur als Übertretungen oder als Vergehen ausgestaltet sind2700. Mit Wirkung zum 1.1.20162701 sind nun aber zur Umsetzung einer entsprechenden Empfeh­ lung der Groupe d’action financière (GAFI) bestimmte qualifizierte Steuerver­ gehen explizit als taugliche Vortaten eingestuft worden2702. Bei den indirekten Steuern ist den Forderungen der GAFI dadurch Rechnung getragen worden, dass der als Verbrechen ausgestaltete VStrR Art.  14 Abs.  4 nun alle indirek­ ten Steuern im Anwendungsbereich des VStrR erfasst2703. Eine taugliche Vor­ tat liegt hier dann vor, wenn der Täter sich arglistiger Täuschung bedient, was dann der Fall ist, wenn er ein Lügengebäude errichtet, sich auf betrüge­ rische Machenschaften stützt oder er Angaben macht, die von der Steuerbe­ hörde nicht oder nicht mit zumutbaren Aufwand überprüft werden können2704. Bezogen auf die nach altem Recht gar nicht erfassten direkten Steuern legt Abs. 1bis nun fest, dass der Steuerbetrug i.S. von DBG Art. 186 und StHG Art. 59 Abs. 1 erstes Lemma als taugliche Vortaten einer Geldwäscherei gelten. DBG Art. 186 und auch StHG Art. 59 setzen voraus, dass der Täter zur Täuschung 2698  Ackermann, Kommentar Einziehung I, N  188 zur Art.  305bis, Cassani, N  12 zu

Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 305bis. 2699  Gemäss Art.  70 Abs.  3 ist mit Eintritt der Verjährung der Vortat keine Einziehung mehr möglich, weshalb der staatliche Einziehungsanspruch nicht mehr vereitelt wer­ den kann. Vgl. BGE 126 IV 255, Ackermann, Kommentar Einziehung I, N  190 zu Art. 305bis, Cassani, N 13 zu Art. 305bis, Egger Tanner, 44, Pieth, BSK StGB II, N 25 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 305bis. 2700  Vgl. Cassani, L’infraction, 12 f., Griesser, 140 f., Pieth, BSK StGB II, N 17 zu Art. 305bis, Schwob, 283, Suter/Remund, Vortaten, 597 f., Waldburger/Fuchs, 116 f. 2701  Vgl. Rappo, Infractions fiscales, 84  ff.; zur Übergangsbestimmung und zur damit zusammenhängenden Problematik der sog. Altlasten vgl. Cassani, L’extension, 89 f., Ferrara/Salmina, N 121 ff., Hess/Abo Youssef, Rz. 3 ff., Lutz/Kern, 103, Matteotti/Many, Rz. 18 ff., Matthey, 297 ff., Molo/Galliano, Rz. 25, Suter/Remund, Infractions, 67. 2702  Kritisch hierzu Baumann, 109 ff., Livschitz, 70 ff., 92 ff.; zur Entstehungsgeschichte vgl. Cassani, L’extension, 78 ff., Ferrara/Salmina, N 20 ff., Jositsch/von Rotz, 598, Matteotti/ Many, Rz.  1  ff., Matthey, 286  f., Molo/Galliano, Rz.  9  ff., Suter/Remund, Infractions, 54 ff., dieselben, Vortaten, 598 ff. 2703  Vgl. Fischer et al., 431, Lombardini, N 316, Matthey, 314 f., Naef/Clerici, Rz. 2, Suter/ Remund, Infractions, 70; dieselben, Vortaten, 612. 2704  Vgl. Cassani, L’extension, 83  f., Matthey, 294  ff., 315  f., Rappo, Infractions fiscales, 102 ff., dies., Expert Focus 2015, 1005, Suter/Remund, Infractions, 70 f.

496

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

der Steuerbehörde «gefälschte, verfälschte oder inhaltlich unwahre Urkunden» gebraucht2705. Voraussetzung ist allerdings, dass der bei direkten Steuern hin­ terzogene Betrag 300 000 Franken pro Steuerperiode übersteigt, was auch für Finanzintermediäre nicht immer einfach zu bestimmen ist, insbesondere aber nicht nur bei Steuerdelikten, die im Ausland begangen werden2706. Die Proble­ matik des Schwellenwerts stellt sich dann nicht, wenn der Täter mit dem Steu­ erdelikt gleichzeitig auch eine Urkundenfälschung (Art. 251) begeht2707, wobei allerdings die Anwendung der Urkundendelikte im Rahmen der Steuerhinter­ ziehung auch im schweizerischen Recht umstritten ist2708 und die Anwendung bei Auslandstaten nur dann in Betracht kommt, wenn die Tat hypothetisch bezogen auf eine Tatbegehung in der Schweiz unter DBG Art. 186 oder aber StHG Art. 59 subsumiert werden könnte2709. Erfasst sind über DBG Art. 186 die Einkommens- und Vermögenssteuer bei natürlichen Personen und die Gewinn- und Kapitalsteuer bei juristischen Personen sowie die Grundstücks­ gewinnsteuer (vgl. DBG Art. 1). Über StHG Art. 59 sind die direkten Steuern der Kantone und Gemeinden erfasst, wie z.B. die kommunale Gewerbesteuer, nicht aber die Schenkung- und Erbschaftssteuern2710. Soweit es sich bei der Steuervortat um eine Auslandstat handelt, kommt es darauf an, ob die im Aus­ land hinterzogene Steuer den erfassten Schweizer Steuern entspricht; ist dies nicht der Fall, kann Art. 305bis keine Anwendung finden2711. Die in der Schweiz begangene Geldwäscherei wird auch dann erfasst, wenn die Tat, aus der die Vermögenswerte stammen, im Ausland verübt worden ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die Vortat am Begehungsort unter Strafan­ drohung steht (Art. 305bis Ziff. 3)2712, wobei sich die Einordnung als Verbre­ 2705  Vgl. hierzu Cassani, L’extension, 81 f., Fischer et al., 429 f., Matthey, 310 ff., Molo/Galli-

ano, Rz. 21, Rappo, Infractions fiscales, 106 ff., dies., Expert Focus 2015, 1004 f., Suter/ Remund, 68 f. 2706  Vgl. Cassani, L’extension, 83, Ferrara/Salmina, N 77 ff., Fischer et al., 430 f., Lutz/Kern, 102, Matthey, 312 ff., Naef/Clerici, Rz. 26 ff., Suter/Remund, Infractions, 69 ff., dieselben, Vortaten, 609 ff. 2707  Matteotti/Many, Rz. 16, Suter/Remund, Vortaten, 604 ff. 2708  Vgl. Suter/Remund, Infractions, 62 m.w.H. zum Streitstand, vgl. auch § 37 Ziff. 5. 2709  Ferrara/Salmina, N 54 ff. 2710  Béguin, 260, Lutz/Kern, 99, Matthey, 308, Suter/Remund, Infractions, 68. 2711  Cassani, L’extension, 89, Fischer et al., 429, Lombardini, N 334, a.A. Rappo, 1007, Suter/ Remund, Infractions, 66, dieselben, Vortaten, 603 f., vgl. auch Matthey, 308 ff., offenge­ lassen bei Lutz/Kern, 102. 2712  Vgl. BGE 136 IV 180 = Pr 100 (2011) Nr. 68, Cassani, N 15 ff. zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 39, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 27 zu Art. 305bis.

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chen auch in diesen Fällen an den Massstäben des schweizerischen Rechts zu orientieren hat2713. Insoweit gilt allerdings das Prinzip der abstrakten beid­ seitigen Strafbarkeit: Das Waschen von Vermögenswerten ist auch dann nach Art. 305bis strafbar, wenn die Vortat zu einem Zeitpunkt begangen wurde, zu dem die Tat in der Schweiz noch nicht unter Strafe stand2714. Die geringe prak­ tische Bedeutung der Einbeziehung ausländischer Vortaten resultiert aus den besonderen Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn es darum geht, nicht nur die Begehung der ausländischen Vortat nachzuweisen, sondern darüber hinaus auch die aus dem Ausland in die Schweiz verschobenen Vermögenswerte aus einem Verbrechen herrühren, wobei es allerdings nach Auffassung des Bun­ desgerichts nicht erforderlich ist, dass die Vermögenswerte einer konkreten ausländischen Vortat zugeordnet werden können2715. Grosse praktische Pro­ bleme wird in diesem Zusammenhang auch die Ausweitung des Kreises taug­ licher Vortaten auf qualifizierte Steuerdelikte aufwerfen: Das infrage stehende Verhalten muss nach dem Recht des Tatortstaates strafbar sein und die Tatbege­ hung muss sich hypothetisch übertragen auf eine Tatbegehung in der Schweiz als ein qualifiziertes Steuerdelikt darstellen. Dies setzt voraus, dass das Verhal­ ten unter schweizerischem Recht als strafbar einzustufen ist und die Steuerer­ sparnis umgerechnet 300 000 Franken betragen muss, was, wie bereits oben erwähnt, nur schwer einzuschätzen ist2716. Vermögenswerte, die aus einem Verbrechen «herrühren», sind unstreitig alle Vermögenswerte, die der Vortäter durch die Begehung der Vortat direkt erlangt hat, wobei neben der deliktischen Beute im eigentlichen Sinne (producta scele­ ris) auch der geleistete Verbrecherlohn (pretium sceleris) erfasst wird2717. Das

2713  BGer vom 30.3.2007, 6S.56/2007, Erw. 2.1, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 305bis, Trech-

sel/Affolter-Eijsten, N 10, 27 zu Art. 305bis.

2714  Vgl. BGE 136 IV 179 ff. = Pr 100 (2011) Nr. 68, betreffend das Waschen von Vermö­

genswerten aus einer von einem fremden Amtsträger im Ausland begangenen passiven Bestechung; vgl. auch Kantonsgericht Freiburg vom 15.12.2014, 501 2014 51, Erw. 2.a. 2715  Vgl. BGE 120 IV 328 = Pr 84 (1995) Nr. 212, BGE 138 IV 5 ff. = Pr 101 (2012) Nr. 81; zu den Möglichkeiten des Nachweise vgl. TPF 2011, 9  f.; für eine andere Sicht auf die Anforderungen an den Nachweis der Vortat und des Herrührens der Vermögens­ werte aus der Vortat vgl. Cassani, N 9, 15 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 36 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 27, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 11 zu Art. 305bis. 2716  Vgl. die Nachweise oben FN 1953. 2717  TPF 2011, 56, Pieth, BSK StGB II, N 27 zu Art. 305bis Trechsel/Affolter-Eijsten, N 13 zu Art. 305bis.

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Bundesgericht hat z.B. auch die Vermögenswerte als taugliches Tatobjekt aner­ kannt, die aus einem Rechtsgeschäft stammen, welches mittels Korruption abgeschlossen wurde, wenn und soweit die infrage stehenden Vermögenswerte in einem natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang mit der Straftat stehen2718. Umstritten ist, ob die Beteiligung oder Unterstützung einer krimi­ nellen Organisation eine taugliche Vortat zur Geldwäscherei darstellt2719. Die Ausweitung des Kreises tauglicher Vortaten auf qualifizierte Steuerdelikte wirft die Frage auf, inwieweit Vermögenswerte, über die der Täter definitionsgemäss bereits vor der Steuerhinterziehung verfügen muss, aus eben dieser Steuerstraf­ tat herrühren können2720. Das dies möglich sein soll, entspricht dem gesetzge­ berischen Willen und hat auch in der Sache selbst in der Rechtsprechung des BGer zur Einziehbarkeit von Steuervorteilen sachliche Vorläufer2721. Es dürfte deshalb damit zu rechnen sein, dass das BGer in Fortführung seiner Rechtspre­ chung zur Anwendung der Geldwäschereistrafnorm auf Vermögenswerte, die im Anschluss an Verträge erlangt werden, deren Abschluss durch Korruption begünstigt wurde2722, alle Steuervorteile als aus dem Steuerdelikt herrührend einstufen wird, die in einem natürlichen und adäquaten Kausalzusammen­ hang mit dem Steuerdelikt stehen2723. Wenn man dies so sieht, stellt sich dafür die weitere Frage, welche Teile des Vermögens des Täters der Steuervortat als kontaminiert zu gelten haben2724. Vor dem Hintergrund, dass sich der Steuer­ anspruch des Staates nicht auf bestimmte Vermögenswerte bezieht, sondern

2718  BGE 137 IV 80 ff. = Pr 100 (2011) Nr. 120, BGE 138 IV 5 ff., Trechsel/Affolter-Eijsten,

N 11 zu Art. 305bis.

2719  Verneinend BGE 138 IV 9, Ackermann/D’Addario Di Paolo, 177 ff., vgl. auch Trechsel/

Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 305bis, a.A. Frank, Rz. 7 ff., vgl. auch Pieth, Wirtschafts­ strafrecht, 207. 2720  Vgl. Cassani, L’infraction, 21 f., dies., L’extension, 87 f., Naef/Clerici, Rz. 9 ff., Schwob, 283, Waldburger/Fuchs, 124 f., vgl. auch Lombardini, N 311. 2721  Ackermann/D’Addario Di Paolo, 178, Ferrara/Salmina, N 116, Matteotti/Many, Rz. 6, Molo/Galliano, Rz. 18, Suter/Remund, Vortaten, 594, dieselben, Infractions, 63 ff., vgl. aber auch die kritischen Stellungnahmen von Baumann, 111 f., 116 ff., Schwob, 283 und Waldburger/Fuchs, 124 f. 2722  Vgl. BGE 137 IV 80 ff. = Pr 100 (2011) Nr. 120, BGE 138 IV 5 ff., vgl. auch BstGer vom 22.12.2008, BB.2008.81 mit kritischer Besprechung Lembo/Berthold, AJP 2010, 54 ff., zur Schwarzgeldzahlung als Vermögenswert, der aus einer vorhergehenden Erschle­ chung einer Falschbeurkundung herrühren soll. 2723  So auch Matteotti/Many, Rz. 16, vgl. auch Ferrara/Salmina, N 116 f., Livschitz, 88 f.; Molo, 193 f., Waldburger/Fuchs, 117, 119 f. 2724  Livschitz, 88, vgl. auch Ferrara/Salmina, N 117, Lombardini, N 312.

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auf das Vermögen des Steuerpflichtigen als Ganzes, wäre es eigentlich konse­ quent, im Anschluss an eine qualifizierte Steuerstraftat das gesamte Vermögen des Steuerpflichtigen als (teil-)kontaminiert anzusehen2725. Der Gesetzgeber wollte eine solche Totalkontamination zwar explizit nicht2726, er hat aber ande­ rerseits keine Regeln oder auch nur Hinweise dazu gegeben, wie man bema­ kelte von unbemakelten Vermögensbestandteilen abgrenzen soll oder kann2727. Vermeiden lässt sich die vom Gesetzgeber nicht gewollte Totalkontamination wohl nur dadurch, dass man der sog. «Bodensatzlösung» folgt, nach der auf einzelne Bestandteile des Vermögens bezogene Handlungen geldwäscherei­ rechtlich gesehen irrelevant sind, solange genügend Vermögenswerte unange­ tastet bleiben, um mit diesen den infrage stehenden Steueranspruch abdecken zu können2728. Auch diese Lösung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für Dritte nur schwer abzuschätzen ist, ob und wann der bemakelte Bodensatz angetastet wird und wann nicht. Zu konstatieren ist, dass die Einbe­ ziehung von Steuerdelikten in den Kreis der Geldwäschereivortaten mit dem tradierten Verständnis des Merkmals des «Herrührens» von Vermögenswerten aus einer Vortat nicht zu vereinbaren ist2729. Es bleibt abzuwarten, ob die die Praxis die Fälle der Steuerdelikte als Vortaten als eine anderen Regeln unter­ worfene Sonderfallgruppe behandeln wird oder sich Rückwirkungen auf das gesamte Geldwäscherei(straf)recht ergeben. Grosse praktische Bedeutung für die Geldwäschereistrafnrom hat schliesslich auch noch die Frage, unter welchen Voraussetzungen Surrogate unter die Straf­ bestimmung fallen, d.h. Werte, die durch bereits vorausgegangene Akte von Geldwäscherei an die Stelle der unmittelbar durch die Begehung der Vortat erlangten Werte getreten sind2730. Dass die Norm ihrem Sinn und Zweck nach 2725  Cassani, L’infraction, 22, Livschitz, 89, Naef/Clerici, Rz. 17 ff., Waldburger/Fuchs, 121 f. 2726  Vgl. Matteotti/Many, Rz. 7 unter Verweis auf die Botschaft zur Umsetzung der 2012

erfolgten Empfehlungen der GAFI vom 13. Dezember 2013, BBl. 2014, 626.

2727  Cassani, L’extension, 87; für einen Überblick über die möglichen Lösungsansätze vgl.

Lutz/Kern, 100 f., Waldburger/Fuchs, 139 ff.

2728  So auch Lutz/Kern, 101 f., Suter/Remund, 65, vgl. aber auch Suter/Remund, Vortaten,

608: Erfasst seien die Vermögenswerte, die den Steuerbehörden nicht angegeben wor­ den seien. 2729  So auch Baumann, 109 ff., 120 ff., Cassani, L’infraction, 19, 22, Matthey, 290, Molo/Galliano, Rz. 18, vgl. aber auch Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 205 f.: der Systembruch sei unglücklich, aber nicht fatal. 2730  Vgl. Cassani, N  22 zu Art.  305bis, Giannini, 64  ff., Pieth, BSK StGB II, N  28  ff. zu Art. 305bis, ders., BT, 305 f., ders., Wirtschaftsstrafrecht, 208 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 28.

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grundsätzlich auch Surrogate erfassen muss, wird allgemein anerkannt2731. Andererseits würde eine unbeschränkte Einbeziehung von Surrogaten dazu führen, dass nach und nach die gesamte Wirtschaft als kontaminiert zu gel­ ten hätte und letztlich dann jede wirtschaftliche Transaktion in den Bereich des strafrechtlich Relevanten fallen würde2732. Vermeiden lassen sich derartige absurde Ergebnisse nur dadurch, dass man anerkennt, dass unter bestimmten Voraussetzungen die strafrechtliche Verstrickung der Vermögenswerte enden muss. Abgesehen vom Umstand, dass die Vermögenswerte der Einziehung unterliegen müssen, fehlen allerdings konsensfähige Kriterien, anhand deren entschieden werden kann, welche Surrogate noch und welche schon nicht mehr als kontaminiert anzusehen sind. Neben dem Vorschlag, die Beschrän­ kung des Anwendungsbereichs des Art.  305bis über den subjektiven Tatbe­ stand zu erreichen2733, stehen Modelle, eine Differenzierung nach der Art des Wertträgers2734 oder nach der Person2735, die als potenzieller Täter in Betracht kommt, vorzunehmen. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich in den Fällen, in denen «saubere» mit kontaminierten («dreckigen») Vermögenswerten ver­ mischt werden, z.B. indem Gelder, die aus einem Verbrechen herrühren, auf ein Konto fliessen, auf dem sich andere, legale Vermögenswerte befinden2736.

2.13 Tathandlung Die tatbestandsmässige Handlung besteht darin, dass der Täter eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln. Die Bedeutung des Umstands, dass im Gesetz nicht allein auf die Eignung zur Vereitelung der Einziehung abgestellt, sondern zusätzlich auch die Vereite­ lung der Ermittlung der Herkunft und der Auffindung von Vermögenswerten

2731  Cassani, N 25 zu Art. 305bis, Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II,

N 29 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 14 zu Art. 305bis.

2732  Vgl. Botschaft 1989, 1083, Giannini, 65. 2733  Egger Tanner, 98, vgl. auch die Verweise bei Ackermann, Kommentar Einziehung I,

N 215 zu Art. 305bis, dazu kritisch Vest, FS Schmid, 423.

2734  Vgl. Cassani, N 23 zu Art. 305bis und hierzu ablehnend Trechsel/Affolter-Eijsten, N 14

zu Art. 305bis.

2735  Vgl. Ackermann, Kommentar Einziehung I, N  209 u. 217 zu Art.  305bis, Pieth, BSK

StGB II, N 34 zu Art. 305bis, Vest, FS Schmid, 428 f.

2736  Vgl. Delnon/Hubacher, 331 ff., Giannini, 68 ff., Pieth, BT, 306, ders., Wirtschaftsstraf­

recht, 209 f., derselbe BSK StGB II, N 28 zu Art. 305bis.

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benannt wird, ist umstritten. In zwei älteren Entscheiden des Bundesgerichts wird davon ausgegangen, dass über diese Alternativen auch die Fälle in den Anwendungsbereich der Norm einbezogen werden, in denen es um Vermö­ genswerte geht, die überhaupt nicht der Einziehung unterliegen2737. Geht man davon aus, dass es sich bei Art. 305bis um ein Delikt zum Schutz der Rechts­ pflege handelt, erscheint es grundsätzlich nicht unangemessen, den Anwen­ dungsbereich der Norm auf Vermögenswerte zu erstrecken, die zwar nicht eingezogen werden können, hinsichtlich deren aber ein Interesse der Rechts­ pflegeorgane besteht, die Herkunft zu ermitteln oder diese aufzufinden, etwa um sie dann als Beweismittel verwenden zu können2738. In seiner neueren Rechtsprechung geht das Bundesgericht nun aber in Übereinstimmung mit der auch in der Lehre ganz vorherrschend vertretenen Auffassung davon aus, dass der Gesetzgeber mit dem Einbezug der beiden letztgenannten Alternati­ ven lediglich klarstellen wollte, dass bereits abstrakte Gefährdungen im Vorfeld der eigentlichen Einziehung ausreichen können. Der Ermittlungs- und Auffin­ dungsvereitelung kommt nach dieser Auffassung keine eigenständige Geltung zu, weshalb nicht (mehr) einziehbare Vermögenswerte keine tauglichen Tatob­ jekte i.S. von Art. 305bis darstellen2739. Konsequenterweise müssen dann aber auch Vermögenswerte aus dem Kreis tauglicher Tatobjekte ausscheiden, die nicht der Einziehung unterliegen, weil diese nach Art. 70 Abs. 2 ausgeschlos­ sen2740 oder weil der Einziehungsanspruch nach Art. 70 Abs. 3 verjährt ist2741. Die infrage stehende Verhaltensweise muss geeignet sein, die von der Norm geschützten Interessen zu vereiteln. Auf den Eintritt eines Vereitelungserfolges kommt es nicht an; den entsprechenden Bemühungen des Täters braucht also kein Erfolg beschieden zu sein2742. Erfasst werden Verhaltensweisen, die typi2737  BGE 119 IV 61, 124 IV 275 f. 2738  Vgl. hierzu Botschaft 1989, 1084. 2739  Vgl. BGE 119 IV 242, 122 IV 211, 126 IV 255, 129 IV 244, vgl. auch Ackermann, Diss.,

237  f., ders., Kommentar, N  242 zu Art.  305bis, Cassani, N  28  ff. zu Art.  305bis, Corboz, Vol. II, N 31 f. zu Art. 305bis, Jositsch/von Rotz, 598, Pieth, BSK StGB II, N 37 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 30, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 16 zu Art. 305bis. 2740  Vgl. Nadelhofer, 349 ff., Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 37 f., Cassani, N 13 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 9 zu Art. 305bis. 2741  BGE 126 IV 262, Cassani, N 4 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 25 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 30, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 9 zu Art. 305bis. 2742  BGE 136 IV 191, BGer vom 24.9.2007, 6B_141/2007, Erw. 3.3.2, BGer vom 25.8.2010, 6B_321/2010, Erw. 3.1, BGer vom 4.5.2016, 6B_649/2015, Erw. 1.1, BstGer JdT 2015, 336, Corboz, Vol. II, N 22 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 17 zu Art. 305bis.

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scherweise zur Vereitelung der Einziehung geeignet erscheinen2743. Umstrit­ ten und derzeit noch nicht abschliessend geklärt ist die Frage, wann bzw. unter welchen Voraussetzungen man von einer Eignung in diesem Sinne auszuge­ hen hat2744. Zu bejahen ist die Eignung namentlich bei der Umwandlung des Wertträgers, z.B. durch Umwechseln von Geld in grössere Noten der gleichen Währung oder in andere Währungen, aber auch durch Ankauf von Wertpa­ pieren oder Edelmetallen usw.2745. Taugliche Tathandlungen sind des Weite­ ren die Anlage von Werten2746, der Transfer deliktisch erlangter Gelder ins Ausland2747 sowie vom Ausland in die Schweiz2748 und die Verschleierung der illegalen Herkunft der Wertträger durch Übertragung auf Strohmänner, auf zu gründende Gesellschaften usw.2749 Gegenbeispiele und somit keine taug­ lichen Tathandlungen sind dagegen etwa das Einzahlen von Bargeld auf ein eigenes Konto2750, die Überweisung auf andere inländische Konten des glei­ chen Berechtigten2751 sowie das Ablehnen der Aufnahme einer Geschäftsbe­ 2743  BGer vom 25.8.2010, 6B_321/2010, Erw. 3.1, Ackermann, Diss., 257, vgl. auch Cassani,

N 31 f. zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 31, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 17 zu Art. 305bis. 2744  Kritisch hinsichtlich der Vereinbarkeit der Norm mit dem Bestimmtheitsgebot: Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 31, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 17 zu Art. 305bis, vgl. aber auch Pieth, BT, 306: das entstandene Richterrecht lasse sich durchaus nach ratio­ nalen Kriterien ordnen. 2745  BGE 122 IV 214 f., 136 IV 191 = Pr 100 (2011) Nr. 79, BGer fp 2014, 66, Geiger, 134, Pieth, BSK StGB II, N 47 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 31, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18 zu Art. 305bis. 2746  BGE 119 IV 244 ff., Cassani, N 42 zu Art. 305bis, Geiger, 134 f., Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18 zu Art. 305bis, einschränkend Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 35. 2747  BGE 127 IV 26, 128 IV 132 = Pr 91 (2002) Nr. 220, BGE 136 IV 191 = Pr 100 (2011) Nr. 79, Kantonsgericht Freiburg vom 15.12.2014, 501 2014 51, Erw. 2.a, Cassani, N 41 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 41 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18 zu Art. 305bis, Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 35, eingehend Ackermann, Kommentar Ein­ ziehung I, N 315 zu Art. 305bis. 2748  BGE 127 IV 26, BstGer vom 15.6.2010, SK.2009.5, Erw. 3.1.1. 2749  BGE 127 IV 26, Cassani, N 36 f. zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 48 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18 zu Art. 305bis. 2750  BGE 124 IV 278  f., BGer vom 4.5.2016, 6B_649/2015, Erw.  1.1, Cassani, N  38 zu Art. 305bis, Corboz, Vol. II, N 26 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 31, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18 zu Art. 305bis, offengelassen in BGE 119 IV 246. Eine taugliche Tathandlung liegt allerdings dann vor, wenn Dritte Zugriff auf das Konto haben, vgl. Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 35. 2751  Cassani, N 41 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 50 zu Art. 305bis, Trechsel/AffolterEijsten, N 18 zu Art. 305bis.

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ziehung2752. Beim Abbruch einer Geschäftsbeziehung kommt es darauf an, ob der «paper trail» gewahrt bleibt, was z.B. im Falle einer Barauszahlung nicht der Fall ist2753. Das blosse Annehmen und Aufbewahren deliktisch erlangter Vermögenswerte fällt nicht in den Anwendungsbereich der Norm2754, wäh­ rend das Verstecken von Drogengeld als Vereitelungshandlung anzusehen ist2755. Verhaltensweisen, die zwar geeignet sind, den Vereitelungserfolg her­ beizuführen, die aber, wie z.B. das Vernichten des Deliktsgutes, der Verbrauch von Betäubungsmitteln oder der Verzehr gestohlener Lebensmittel, nicht dazu führen, dass der Wert dem Vortäter erhalten bleibt, sind nach der ratio der Norm nicht erfasst2756. Art. 305bis könnte zumindest theoretisch auch die Annahme deliktischer Ver­ mögenswerte im Rahmen normaler, alltäglicher Berufstätigkeit erfassen, z.B. beim Verkauf von Nahrungsmitteln2757. Praktisch gesehen dürfte die Proble­ matik teilweise dadurch entschärft werden, dass die blosse Annahme von Geld­ werten nach h.L. für sich gesehen noch keine Geldwäscherei darstellt2758 und es in solchen Fällen wohl überdies meist auch am erforderlichen Vorsatz feh­ len dürfte2759. Besondere Probleme ergeben sich hier für die Tätigkeit des Straf­ verteidigers, bei dem – anders als z.B. bei einem Bäcker oder einem Autohänd­ ler – jedenfalls in den Fällen, in denen dem Mandanten geldwäschereirelevante Vortaten zur Last gelegt werden, bei lebensnaher Betrachtung davon auszuge­ hen ist, dass der Verteidiger jedenfalls die Möglichkeit in Betracht ziehen muss, 2752  Cassani, N 43 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 52 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-

Eijsten, N 18 zu Art. 305bis.

2753  Cassani, N 39 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 51 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-

Eijsten, N 18 zu Art. 305bis, Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 36, vgl. aber auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 31: die Bewertung dieser Fallgestaltung sei unklar. 2754  BGer vom 24.1.2000, 6S.595/1999, Pieth, BSK StGB II, N 43 zu Art. 305bis. 2755  BGE 119 IV 63 f., 122 IV 215, 127 IV 26, Pieth, BSK StGB II, N 46 zu Art. 305bis. 2756  Vgl. Ackermann, Kommentar Einziehung I, N  279 zu Art.  305bis, Cassani, N  34 zu Art. 305bis, Corboz, Vol. II, N 27 zu Art. 305bis, Pieth, BT, 307, ders., Wirtschaftsstraf­ recht, 211, ders., BSK StGB II, N 45 zu Art. 305bis, vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 31, a.A. BstGer JdT 2015, 336. 2757  Graber, Diss., 131 ff. 2758  BGE 124 IV 278 f., 127 IV 26, BstGer JdT 2015, 336, vgl. auch Ackermann, Kommen­ tar Einziehung I, N 261 ff. zu Art. 305bis, Cassani, N 32 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 43 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 17 zu Art. 305bis, Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 34 f. 2759  Ackermann, Kommentar Einziehung I, N 258 f. zu Art. 305bis, zur speziellen Problema­ tik bei Strafverteidigern vgl. Wohlers, 197 ff., zu den in der Schweiz in diesem Zusam­ menhang ergangenen Entscheiden vgl. Nadelhofer, 345 f.

504

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

dass seine Honorarforderung mit kontaminierten Vermögenswerten beglichen wird2760. Geht man davon aus, dass der Funktionsfähigkeit der Institution der Wahlverteidigung auch unter diesen Umständen aus übergeordneten Gesichts­ punkten der Vorrang gebührt2761, kann eine Lösung nur durch eine entspre­ chende Beschränkung des Anwendungsbereich des Art.  305bis erreicht wer­ den2762.

2.2

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss vorsätzlich handeln, wobei Eventualvorsatz reicht2763. Mit der aus dem Tatbestand der Hehlerei übernommenen Wendung, wonach es genügt, wenn der Täter «annehmen musste», es handle sich um Vermögens­ werte, die aus einem Verbrechen herrühren, wird der Tatbestand nicht auf die fahrlässige Tatbegehung ausgedehnt. Es wird damit lediglich in besonde­ rer Weise hervorgehoben, dass es schon ausreicht, wenn der Täter mindes­ tens mit der Möglichkeit gerechnet hat, dass die Vermögenswerte aus einem Verbrechen herrühren2764. Das Wissen um die Qualifikation der Haupttat als Verbrechen i.S. von Art. 10 Abs. 2 kann sich aus einer «Parallelwertung in der Laiensphäre»2765 ergeben: Es reicht aus, wenn der Täter – gegebenenfalls auch

2760  Giannini, 117 ff., Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 36, Nadelhofer, 348. 2761  A.M. Trechsel/Affolter-Eijsten, N  19 zu Art.  305bis: Der Beschuldigte, der nur über

bemakelte Vermögenswerte verfüge, sei wie eine mittellose Person zu behandeln und müsse sich mit einem amtlichen Verteidiger begnügen. 2762  Vgl. Wohlers, 204 ff., vgl. auch Tsagkaraki, 305 ff. sowie Pieth, BSK StGB II, N 54 f.: Beschränkung auf die Fälle, in denen der Verteidiger mit direktem Vorsatz handle, Giannini, 213 ff.: Honorarzahlungen bis CHF 10 000 seien aus dem Anwendungsbe­ reich der Strafnorm auszunehmen, Lee, 166 ff.: Es sei das im Rahmen der Gehilfen­ schaft durch neutrales Verhalten entwickelte Kriterium des deliktischen Sinnbezugs heranzuziehen. 2763  BGer vom 25.8.2010, 6B_321/2010, Erw.  3.2, BGer vom 18.11.2013, 6B_879/2013, Erw.  2.1, BGer vom 4.5.2016, 6B_649/2015, Erw.  2.1, BGer JdT 2015, 337, Bundes­ strafgericht vom 23.6.2010, SK.2010.10, Erw.  2.1, BstGer vom 15.6.2010, SK.2009.5, Erw. 3.1., Kantonsgericht Freiburg vom 15.12.2014, 501 2014 51, Erw. 2.a. 2764  Vgl. BGE 119 IV 247, 122 IV 217, fp 2009, 158, Jositsch/von Rotz, 598, Pieth, BSK StGB II, N 59 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 21 zu Art. 305bis, Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 36, vgl. auch BGer vom 24.9.2007, 6B_141/2007, Erw.  5.3: Beweisregel, die den Rückschluss von der Kenntnis der Verdachtsgründe auf den Willen des Täters, sich über diese hinwegzusetzen, erleichtern soll. 2765  Vgl. dazu Strafrecht I, § 9 Ziff. 2.311, sowie BGE 129 IV 243, Pieth, BT, 308.

505

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

ohne nähere Kenntnis von der Art der Vortat zu haben  – mit einem Delikt rechnet, welches mit erheblicher Strafe bedroht ist2766. Ein Sachverhaltsirrtum und nicht nur ein blosser Rechtsirrtum (in der Form des Subsumtionsirrtums) liegt dann vor, wenn der Täter davon ausgeht, die infrage stehenden Vermögenswerte würden aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr der Einziehung unterliegen und seien deswegen kein taugliches Tatobjekt einer Geldwäscherei2767. Geht man davon aus, dass Vermögenswerte, bezüg­ lich deren der Einziehungsanspruch verjährt ist, keine tauglichen Tatobjekte (mehr) sind, hat der Täter nicht nur eine falsche rechtliche Wertung vorgenom­ men, sondern ihn hat aufgrund der Falschbewertung der Verhaltensappell der Norm nicht erreicht: Er ist von einem Sachverhalt ausgegangen, der – wenn er wirklich gegeben wäre – strafrechtlich irrelevant wäre.

3.

Qualifizierter Tatbestand (Ziff. 2)

Das Gesetz sieht für «schwere Fälle» von Geldwäscherei generell erhöhte Strafe vor, wobei die Aufzählung der drei im Gesetz ausdrücklich genannten Fälle nicht abschliessend ist («insbesondere»)2768. Ein unbenannter schwerer Fall kann aber nur dann angenommen werden, wenn dieser in objektiver und in subjektiver Hinsicht gleich schwer wiegt wie die im Gesetz genannten Beispiele2769:

2766  BGE 119 IV 247, 122 IV 217, BGer fp 2014, 67 f. mit krit. Anmerkung Luginbühl, BGer

vom 25.8.2010, 6B_321/2010, Erw.  3.2 und 4  ff., Bundesstrafgericht vom 23.6.2010, SK.2010.10, Erw. 2.1, Ackermann, Kommentar Einziehung I, N 407 f. zu Art. 305bis, Cassani, N 51 zu Art. 305bis, Corboz, Vol. II, N 42 zu Art. 305bis, Pieth, Wirtschafts­ strafrecht, 213 ff., ders., BSK StGB II, N 59 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 32, Taube, 93 f., Trechsel/Affolter-Eijsten, N 21 zu Art. 305bis; zu den Problemen, die diesbezüglich im Zusammenhang mit Steuerdelikten als Vortaten auftreten kön­ nen, vgl. Ferrara/Salmina, N 90 ff. 2767  BGE 129 IV 245 mit abl. Besprechung Vest/Zastrow, AJP 14 (2005) 500, insb. 503 f., a.M. auch Pieth, BSK StGB II, N 61 zu Art. 305bis, wie hier dagegen Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 32. 2768  BGer vom 5.1.2016, 6B_535/2014, Erw.  3.2.1, BstGer JdT 2015, 289, BstGer vom 28.10.2016, SK.2015.55, Erw. 3.1.1. 2769  BGer vom 5.1.2016, 6B_535/2014, Erw.  3.2.1; BGer vom 28.7.2014, 6B_217/2013, Erw.  4.1, BGer vom 17.5.2011, 6B_1013/2010, Erw.  6.2, BstGer JdT 2015, 289  ff., ­BstGer vom 28.10.2016, SK.2015.55, Erw. 3.1.1; zu den nicht benannten schweren Fäl­ len vgl. Trechsel/Affolter-Eijsten, N 27 zu Art. 305bis.

506

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

a) Der Täter handelt als Mitglied einer Verbrechensorganisation, wobei der Begriff der Verbrechensorganisation dem Begriff der kriminellen Organisa­ tion i.S. des Art. 260ter entspricht2770. Mitglied ist, wer in die Organisation – auch in untergeordneter Funktion – eingegliedert ist und an den Aktivitä­ ten der Organisation zur Verfolgung krimineller Ziele mitwirkt2771. b) Der Täter handelt als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Aus­ übung der Geldwäscherei zusammengefunden hat. Für die Auslegung die­ ser Qualifikation kann auf die entsprechende Qualifikation bei den Tatbe­ ständen des Diebstahls (Art. 139 Ziff. 3) und des Raubes (Art. 140 Ziff. 3) verwiesen werden2772. Dass das Gesetz die Begehung als Mitglied einer Bande der Tatbegehung als Mitglied einer  – regelmässig mit einem sehr viel höheren Grad an Organisation und Zusammenhalt einhergehenden – kriminellen Organisation gleichstellt, erscheint fragwürdig. c) Der Täter handelt gewerbsmässig und erzielt dabei einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn. Dieser Qualifikationsgrund wurde aus BetmG Art. 19 Ziff. 2 lit. c übernommen. Für das Element der Gewerbsmässigkeit gelten die auch im Zusammen­ hang mit anderen Delikten2773 entwickelten Kriterien: Gewerbsmässig han­ delt der Täter, wenn er berufsmässig handelt, d.h. «(…) wenn sich aus der Zeit und den Mitteln, die er für die deliktische Tätigkeit aufwendet, aus der Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten Zeitraums sowie aus den angestrebten und erzielten Einkünften ergibt, dass er die delikti­ sche Tätigkeit nach der Art eines Berufes ausübt. Wesentlich ist ausserdem, dass der Täter sich darauf einrichtet, durch sein deliktisches Handeln rela­ tiv regelmässige Einnahmen zu erzielen, die einen namhaften Beitrag an die Kosten seiner Lebensgestaltung darstellen, und dass er die Tat bereits mehr­ fach begangen hat».2774

2770  Vgl. BGE 129 IV 273 f. = Pr 93 (2004) Nr. 89, Corboz, Vol. II, N 47 zu Art. 305bis, Pieth,

BSK StGB II, N 64 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 36, vgl. hierzu auch vorn § 48. 2771  Vgl. BGE 129 IV 275 = Pr 93 (2004) Nr. 89. 2772  Vgl. Strafrecht III, § 8 Ziff. 4.2. 2773  Vgl. dazu Strafrecht III, § 8 Ziff. 4.1. 2774  Vgl. BGE 116 IV 319, 129 IV 191, BGer vom 23.1.2006, 6S.399/2005, Erw. 12.2, BGer vom 17.5.2011, 6B_1013/2010, Erw. 6.2.

507

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

Zudem muss entweder ein grosser Umsatz oder ein erheblicher Gewinn erzielt worden sein. Ein Gewinn ist bei einem Nettoerlös ab CHF 10 000 als erheblich, ein Umsatz ab CHF 100 000 als gross zu qualifizieren, wobei es nicht darauf ankommt, dass dieser innert einer bestimmten Zeit erzielt wird2775.

4.

Weitere Fragen

4.1 Versuch Ein untauglicher Versuch ist dann gegeben, wenn sich die Tat auf Vermögens­ werte bezieht, bei denen der Täter irrig von einer deliktischen Herkunft aus­ geht2776. Ob das Gleiche auch für die Fälle gilt, in denen die Haupttat noch gar nicht begangen wurde, erscheint fraglich2777. Von einem unvollendeten Versuch der Geldwäscherei ist z.B. dann auszugehen, wenn sich der Täter bereits bei einer Bank um die Anlage der fraglichen Ver­ mögenswerte bemüht hat, die jedoch nicht oder noch nicht zustande gekom­ men ist. Da es sich bei der Geldwäscherei um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt handelt, ist ein vollendeter tauglicher Versuch nicht möglich2778. Zu weit geht das Bundesgericht2779, wenn es strafbaren Versuch sogar in einem Zeitpunkt für möglich hält, zu dem die zur Erlangung der Vermögenswerte dienende Haupttat noch gar nicht begangen worden ist2780.

4.2 Teilnahme Anstiftung und Gehilfenschaft zur Geldwäscherei sind strafbar. Der Anwen­ dungsbereich der Gehilfenschaft wird allerdings dadurch beschränkt, dass die 2775  Vgl. BGE 129 IV 192 ff., 253 f., BGer vom 23.1.2006, 6S.399/2005, Erw. 12.1, BGer

vom 10.12.2013, 6B_95/2013, Erw. 3, a.M. Trechsel/Affolter-Eijsten, N 26 zu Art. 305bis: Umsatz innerhalb eines Jahres, vgl. auch Pieth, BSK StGB II, N 66 zu Art. 305bis: die Schwellenwerte seien zu tief angesetzt. 2776  Graber, Diss., 170, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 30 zu Art. 305bis, a.M. Ackermann, Kom­ mentar Einziehung I, N 449 zu Art. 305bis. 2777  Ablehnend Ackermann, Kommentar Einziehung I, N 449 ff. zu Art. 305bis, a.M. Graber, Diss., 170. 2778  Trechsel/Affolter-Eijsten, N 30 zu Art. 305bis. 2779  BGE 120 IV 329, BGer vom 29.9.2016, 6B_1120/2015, Erw. 1.3.2. 2780  So auch Ackermann, Kommentar Einziehung I, N 151 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 24 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 30 zu Art. 305bis.

508

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

Unterstützung der Geldwäscherei eines anderen ebenfalls eine täterschaftliche Verwirklichung des Art. 305bis darstellen kann2781.

4.3 Unterlassen Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass Geldwäscherei auch durch Unterlassen begangen werden kann. Wem aber die erforderliche Garantenstel­ lung2782 zukommt, ist umstritten. Zumindest Polizei- und Justizbeamte dürf­ ten aber eine erforderliche Garantenstellung innehaben und erfüllen somit den Tatbestand der Geldwäscherei, wenn sie gegen ihnen bekannt gewordene Geld­ wäschereihandlungen Dritter nicht einschreiten bzw. diese nicht anzeigen2783. Dass Gleiches auch für Finanzintermediäre2784 sowie für diejenigen Personen gelten soll, die als Geldwäschereibeauftragte oder sonstige Compliance-Beauf­ tragte innerbetrieblich dafür verantwortlich sind, dass Geldwäscherei verhin­ dert wird2785, wird man bezweifeln müssen: Weder das Vertragsverhältnis des Finanzintermediäres mit seinem Kunden noch das Vertragsverhältnis des Compliance-Beauftragten mit seinem Geschäftsherrn begründen eine Pflicht, zum Schutz der Rechtspflege bzw. des staatlichen Einziehungsanspruchs tätig zu werden. Auch bei Finanzintermediären kann nicht auf die Meldepflicht aus GwG Art. 9 abgestellt werden2786. Auch diese Rechtspflicht trifft aber allein den Finanzintermediär bzw. – wenn es sich bei diesem um eine juristische Person handelt – die für diese handelnden Personen i.S. von Art. 29. Dass Finanzin­ termediäre mehr und mehr zu Hilfspersonen der Strafverfolgungsbehörden werden, ändert nichts daran, dass es an einer hinreichend spezifischen Rechts­ pflicht zum Aufspüren und Sicherstellen von Einziehungsobjekten fehlt.

2781  Vgl. vorn Ziff. 2.13. 2782  Vgl. dazu Strafrecht I, § 30 Ziff. 2.11. 2783  Ackermann, Kommentar Einziehung I, N 375 zu Art. 305bis, Cassani, N 43 zu Art. 305bis,

Corboz, Vol. II, N 23 zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 20 zu Art. 305bis, offen­ gelassen bei Pieth, BSK StGB II, N 57 zu Art. 305bis. 2784  Vgl. BGE 136 IV 192 ff. = Pr 100 (2011) Nr. 79 mit kritischer Besprechung Conrad Hari, 365 ff., vgl. auch Kunz, Rz. 21 ff., BstGer vom 23.6.2010, SK.2010.10, Erw. 2.3, für eine restriktive Haltung: Taube, 79 ff., vgl. auch Ackermann, Unterlassungsrisiken, 145 ff., Pieth, BT, 307 f. 2785  Ackermann, Kommentar Einziehung I, N 385 zu Art. 305bis, ders., Unterlassungsrisi­ ken, 152 ff., Geiger, 136 f., Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 212 f., Strasser, 57 ff., 68 f. 2786  Vgl. Pieth, BSK StGB II, N 57 f. zu Art. 305bis.

509

§ 113  Geldwäscherei (Art. 305bis)

4.4 Irrtum Ein Sachverhaltsirrtum und nicht etwa ein blosser Rechtsirrtum liegt vor, wenn der Betreffende von einem rechtlich geprägten strafrechtlichen Tatbestands­ merkmal eine unzutreffende Vorstellung hat, weil er beispielsweise aufgrund ungenügender juristischer Kenntnisse2787 der Meinung ist, die betreffenden Vermögenswerte stellten kein taugliches Tatobjekt mehr dar, da eine Einzie­ hung infolge Eintritts der Verjährung nicht mehr möglich sei. Dadurch ent­ fällt sein Vorsatz2788.

4.5 Bundesgerichtsbarkeit Straftaten nach Art. 305bis unterstehen der Bundesgerichtsbarkeit, wenn die Tat zu einem wesentlichen Teil im Ausland begangen wurde (StPO Art. 24 Abs. 1 lit. a)2789 oder in mehreren Kantonen und dabei kein eindeutiger Schwerpunkt in einem Kanton besteht (StPO Art. 24 Abs. 1 lit. b).

4.6

Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen

Soweit es sich beim Vermögenswert um eine körperliche Sache handelt, wird der Täter neben Art. 305bis regelmässig auch den Tatbestand der Hehlerei nach Art. 160 erfüllen. Die Verschiedenheit der von diesen Bestimmungen geschütz­ ten Rechtsgüter legt es nahe, in diesen Fällen echte Konkurrenz anzuneh­ men2790. Gleiches gilt für die Fälle, in denen der Vortäter selbst den Geldwä­ schereitatbestand verwirklicht: es liegt echte Konkurrenz vor2791. Trifft Geldwäscherei mit Begünstigung nach Art. 305 zusammen, so etwa wenn jemand sowohl die vom Haupttäter erlangten Vermögenswerte als auch diesen selber ausser Landes bringt, ist angesichts der doppelten Zielrichtung solchen Verhaltens echte Konkurrenz anzunehmen, obschon beide Tatbestände dem

2787  Von juristischen Laien können nur Tatbestandskenntnisse im Rahmen einer Paral­

lelwertung in der Laiensphäre (vgl. dazu Strafrecht I, § 9 Ziff. 2.311) verlangt werden.

2788  BGE 129 IV 240 ff. 2789  Vgl. BGE 130 IV 70 f. = Pr 93 (2004) Nr. 179. 2790  BGE 127 IV 85 = Pr 90 (2001) Nr. 168, Cassani, N 63 zu Art. 305bis, Corboz, Vol. II,

N 60 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 41, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 33 zu Art. 305bis, a.M. Graber, Diss., 177, Pieth, BSK StGB II, N 56 zu Art. 305bis: Vorrang der Hehlerei. 2791  A.A. Pieth, BT, 309, ders., Wirtschaftsstrafrecht, 216 f.: Vorrang der Vortat.

510

§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

Schutz der Rechtspflege dienen2792. Auch zum Tatbestand des Menschenhan­ dels (Art. 182) besteht echte Konkurrenz2793.

§ 114 Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 113, G. Arzt, Zur Rechtsnatur des Art. 305ter StGB, SJZ 86 (1990) 189, D. Balleyguier, Stand der Umsetzung des Geldwäschereigesetzes im Nichtbankensek­ tor, in: Aktuelle Rechtsprobleme des Finanz- und Börsenplatzes Schweiz, hrsg. von P. Nobel, Bern 2004, 105, M. Basse-Simonsohn, Effizientere Geldwäschereibekämpfung der Schweizer Banken und Effektenhändler mit der neuen Sorgfaltspflichtvereinbarung (VSB 08)?, recht 3/2008, 75, W. de Capitani, Zum Identifikationsverfahren bei Kontoeröffnungen aus dem Ausland, SJZ 89 (1993) 21, derselbe, Bundesgesetz zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor (Geldwäscherei­ gesetz, GwG) vom 10.  Oktober 1997, in: Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, hrsg. von N. Schmid, Band II, Zürich 2002, § 8 (zit. de Capitani, Kommentar), J.-P. Chapuis, Sorgfaltspflichten der Banken, ZBJV 128 (1992) 148, derselbe, Le droit de communica­ tion du financier, ZStrR 113 (1995) 256, C. Carrupt, La lutte contre le blanchiment d’argent dans le négoce des matières premières: la Suisse dispose-t-elle d’un arsenal juridique suffisant?, juslet­ ter vom 20. Oktober 2014, G. Friedli, Die gebotene Sorgfalt nach Art. 305ter Strafgesetzbuch für Banken, Anwälte und Notare, in: Bekämpfung der Geldwäscherei, hrsg. von M. Pieth, Basel 1992, derselbe, Tätigkeitsbericht der Aufsichtskommission zur Sorgfaltspflicht der Banken, SZW 65 (1993) 90, derselbe, Die Standesregeln der Banken – Wechselwirkungen zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, in: Die Banken im Spannungsfeld zwischen öffentlichem Recht und Privat­ recht, hrsg. von W. Wiegand, Bern 1999, 31, J. Galliker, «Moral Banking in Switzerland», Diss. Basel 1994, C. Graber, Zum Verhältnis der Sorgfaltspflichtvereinbarung der Banken zu Art. 305ter Abs. 1 StGB, SZW 67 (1995) 161, C. Graber/D. Oberholzer, Das neue GwG, Gesetzesausgabe mit englischer Übersetzung, Ausführungserlassen und Anmerkungen, 3. Aufl., Zürich 2009 (zit. Gra­ ber/Oberholzer), P. Grüninger, Die Strafbarkeit der Verletzung von Sorgfaltspflichten bei Finanz­ geschäften, Diss. Zürich 2005, C. Heierli, Zivilrechtliche Haftung für Geldwäscherei, Diss. Zürich 2012, M. Hess, Zur Stellung des externen Vermögensverwalters im Schweizer Finanzmarktrecht, AJP 8 (1999) 1426, D. Jositsch/M. von Rotz, Das Finanzmarktstrafrecht der Schweiz – Status quo unter Einbezug der neusten Gesetzesänderungen, des internationalen Einflusses sowie der anste­ henden Neuerungen, SZW 2016, 592, M. Kistler, La vigilance requise en matière d’opération financières, Diss. Lausanne 1994, P. Klauser, Das schweizerische Bankgeheimnis und die Bekämp­ fung der Geldwäscherei, Quartalsheft SNB 4, Zürich 1995, C. Lombardini, Banques et blanchi­ ment d’argent, 3. Aufl., Genf 2016, J.-H. Lee, Die Beteiligung des Strafverteidigers an der Geldwä­ scherei, Basel 2006, P. Nobel, Bankgeschäft und Ethik – Freiheit und Strafrecht, SZW 68 (1996) 97, M. Pieth/​G. Aiolfi (Hrsg.), A Comparative Guide to Anti-Money Laundering, A Critical Analysis of Systems in Singapore, Switzerland, the UK and the USA, Cheltenham 2004, M. Pini, Risk Based

2792  Cassani, N 64 zu Art. 305bis, Corboz, Vol. II, N 61 zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer,

BT II, § 57 N 43, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 33 zu Art. 305bis.

2793  BGE 128 IV 132 f. = Pr 91 (2002) Nr. 220.

511

§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter) Approach – ein neues Paradigma in der Geldwäschereibekämpfung, Unter spezieller Berücksich­ tigung der Geldwäschereiverordnung der EBK, Zürich 2007, M. Reinle, Terrorismusfinanzie­ rung – Einige Gedanken aus Sicht des Bankkunden, in: Auswirkungen des Terrorismus auf Recht, Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von P. Juchli/M. Würmli, Bern 2006, 113, derselbe, Die Melde­ pflicht im Geldwäschereigesetz, Zürich 2007 (zit. Reinle, Meldepflicht), M. Roth, Money Launde­ ring and the Market, jusletter vom 11.  Januar 2016, R. Ryser, Kunst und Geldwäscherei, in: A. Cavallo et al. (Hrsg.), Liber amicorum für Andreas Donatsch, Zürich 2012, 583, N. Schmid, Zu den neuen Bestimmungen des Strafgesetzbuches in Art. 58 f., 260ter und Art. 305ter Abs. 2, ZGRG 14 (1995) 2, derselbe, Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (StGB Art. 305ter), in: Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, hrsg. von N.  Schmid, Band II, Zürich 2002, §  6 (zit. Schmid, Kommentar), N.  Schmid/R. Baur, Erläuterungen zu Art. 305ter, in: Kommentar zum Schweizerischen Kapitalmarktrecht, hrsg. von N. P. Vogt/R. Wat­ ter, Basel 1999, R. Schwob, Anzeigerecht oder Anzeigepflicht der Banken bei Verdacht auf Strafta­ ten, in: Banken und Bankrecht im Wandel, Festschrift für B. Kleiner, hrsg. von B. Gehrig/​ I.  Schwander, Zürich 1993, 441, T. Taube, Entstehung, Bedeutung und Umfang der Sorgfalts­ pflichten der Schweizer Banken bei der Geldwäschereiprävention im Bankenalltag, Zürich 2013, D. Thelesklaf, Pflichten bei Geldwäschereiverdacht und Aufgaben der Meldestelle für Geldwäsche­ rei, AJP 7 (1998) 588, D.  Thelesklaf/R. Wyss/D. Zollinger, Geldwäschereigesetz, Kommentar zu GwG, GwV-EBK, StGB (Auszug), sowie die einschlägigen Verordnungen und Texte von UNO, FATF, Basler Ausschuss und Wolfsberg-Gruppe, 2. Aufl., Zürich 2009, W. Wohlers, Selbstregulie­ rung – Aufsichtsrecht – Strafrecht: (Ziel-)Konflikte und Interdependenzen, in: Finanzmarkt aus­ ser Kontrolle?, hrsg. von J.-B. Ackermann/W. Wohlers, Zürich 2009, 267 (zit. Wohlers, Selbstre­ gulierung), W. Wohlers​M. Giannini, Geldwäschereiverdachtsmeldung (Art. 305ter Abs. 2 StGB; Art. 9 GwG) und Vermögenssperre (Art. 10 GwG) – Mindestanforderungen an die haftungsbe­ freienden Verdachtsschwellen, in: Aktuelle Fragen des Bank- und Finanzmarktrechts, Festschrift für D. Zobl zum 60. Geburtstag, hrsg. von H.-C. von der Crone/P. Forstmoser/R. Weber/R. Zäch, Zürich 2004, 621 (zit. Wohlers/Giannini, Geldwäschereiverdachtsmeldung), W. Wohlers/M. Giannini, Vorschüsse: Ein Minenfeld nicht nur für Strafverteidiger, plädoyer 6/2005, 38 ff. (zit. Wohlers/Giannini, Vorschüsse), D. Zollinger, in: Geldwäschereigesetz, Kommentar zu GwG, GwV-EBK, StGB (Auszug), sowie die einschlägigen Verordnungen und Texte von UNO, FATF, Basler Aus­ schuss und Wolfsberg-Gruppe, hrsg. von D. Thelesklaf/R. Wyss/D. Zollinger, Zürich 2003 (zit. Zollinger, Kommentar), D. Zuberbühler, Pflichten der Banken und Finanzinstitute zur Bekämp­ fung der Geldwäscherei  – Konsequenzen aus den Empfehlungen der FATF, in: Geldwäscherei und Sorgfaltspflicht, hrsg. vom Schweiz. Anwaltsverband, Zürich 1991, 65, derselbe, Banken als Hilfspolizisten zur Verhinderung der Geldwäscherei? – Sicht eines Bankaufsehers, in: Bekämp­ fung der Geldwäscherei, hrsg. von M. Pieth, Basel 1992, 29, derselbe, Bankenaufsicht und Geld­ wäschereigesetz, in: Geldwäscherei, Prävention und Massnahmen zur Bekämpfung, hrsg. von S.  Trechsel/H. Affolter-Eijsten, Zürich 1997, 91, U. Zulauf, Gläubigerschutz und Vertrauens­ schutz – zur Sorgfaltspflicht der Banken im öffentlichen Recht der Schweiz, ZSR 128 (1994) 359, T. Zwiefelhofer, Die Sorgfaltspflichten des liechtensteinischen Geldwäschereirechts verglichen mit den entsprechenden Bestimmungen des schweizerischen Rechts, Zürich 2007.

Nach dem zusammen mit Art. 305bis im Zuge des sog. ersten Massnahmenpa­ ketes gegen die organisierte Kriminalität in das Gesetz eingefügten Art. 305ter (Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht/Défaut de vigilance en matière d’opérations financières et droit de communication/Carente diligenza 512

§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

in operazioni finanziarie e diritto di comunicazione/Insufficient diligence in relation to financial transactions and right to report) Abs.  1 macht sich straf­ bar, wer berufsmässig fremde Vermögenswerte annimmt, aufbewahrt, anlegen oder übertragen hilft, es dabei aber unterlässt, mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt die Identität des wirtschaftlich Berechtigten festzustel­ len. Die Norm ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass eine Bekämpfung der Geldwäscherei von vornherein weitgehend wirkungslos bleiben muss, wenn nicht gleichzeitig für die berufsmässig Finanzgeschäfte tätigenden Personen bestimmte Identifizierungs-, Dokumentations- und Aufbewahrungspflich­ ten begründet werden und deren Befolgung durchgesetzt wird. Mit der Ver­ pflichtung zur Identifikation des wirtschaftlich Berechtigten soll eine für die Bekämpfung der Geldwäscherei ganz zentrale Pflicht strafrechtlich geschützt werden. Die Strafbewehrung weiterer Pflichten ist durch das am 1. April 1998 in Kraft getretene Geldwäschereigesetz (GwG) realisiert worden. Vom Deliktstypus her handelt es sich bei Art.  305ter Abs.  1 um ein abstrak­ tes Gefährdungsdelikt2794, das überhaupt kein Geldwäschereidelikt im engeren Sinne darstellt, sondern eine Norm, die von der Sache her zum Finanzaufsichts­ recht gehört2795. Strafbar ist, wer unter Verletzung der Pflicht zur Identifizie­ rung des wirtschaftlich Berechtigten eine der in der Norm umschriebenen Tat­ handlungen vornimmt. An der Strafbarkeit ändert sich auch dann nichts, wenn es sich bei den Vermögenswerten, um die es geht, um legale Vermögenswerte handelt. Andererseits macht sich derjenige, der seiner Pflicht zur Identifizie­ rung des wirtschaftlich Berechtigten nachgekommen ist, auch dann nicht nach Art. 305ter – wohl aber nach Art. 305bis – strafbar, wenn er illegale Vermögens­ werte annimmt, aufbewahrt, anlegt oder übertragen hilft2796. Mit der Revision vom 18. März 1994 («zweites Massnahmenpaket») wurde die Bestimmung durch einen Abs.  2 ergänzt, der ein Melderecht für berufsmäs­ sig Finanzgeschäfte tätigende Personen hinsichtlich verdächtiger Feststellun­ gen vorsieht.

2794  BGE 125 IV 142, 136 IV 128 = Pr 100 (2011) Nr. 57, BGer vom 8.12.2011, 6B_729/2010,

Erw. 3.1, Cassani, N 2 zu Art. 305ter, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 305ter, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 57 N 46, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 1 zu Art. 305ter. 2795  Vgl. Pieth, BSK StGB II, N 4 ff. zu Art. 305ter. 2796  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 45, 52, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 7 zu Art. 305ter.

513

§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

1.

Strafbarkeit nach Abs. 1

Vorab ist festzuhalten, dass Art. 305ter Abs. 1 kein echtes Unterlassungsdelikt statuiert, sondern vielmehr ein aktives Tun unter Strafandrohung stellt2797: das Annehmen, Aufbewahren oder Anlegen von Vermögenswerten sowie die Hilfe bei der Übertragung von Vermögenswerten. Strafbar ist dieses Verhalten aller­ dings nur dann, wenn der Täter gleichzeitig auch die Pflicht verletzt, die Iden­ tität des wirtschaftlich Berechtigten festzustellen. Bestraft wird also ein aktives Tun unter Verletzung bestimmter Pflichten2798.

1.1

Objektiver Tatbestand

a) Es handelt sich um ein echtes Sonderdelikt: Taugliche Täter sind allein berufsmässig mit der Durchführung von Finanzgeschäften befasste Perso­ nen (sog. Finanzintermediäre)2799. Welche Tätigkeiten als Finanzinterme­ diation gelten, wird in GwG Art. 2 Abs. 3 festgelegt und in der Verordnung über die berufsmässige Ausübung der Finanzintermediation (VBF)2800 näher konkretisiert. Erfasst sind das Kreditgeschäft (GwG Art.  2 Abs.  3 lit. a, VBF Art. 3), Dienstleistungen für den Zahlungsverkehr (GwG Art. 2 Abs. 3 lit. b, VBF Art. 4) sowie der Handel mit Banknoten, Münzen, Devi­ sen und Bankedelmetallen (GwG Art. 2 Abs. 3 lit. c, VBF Art. 5) sowie die in VBF Art. 6 aufgeführten weiteren Tätigkeiten, d.h. die Verwaltung und Aufbewahrung von Effekten sowie die Ausführung von Anlageaufträgen für fremde Rechnung. Nicht erfasst sind die Bereiche der Warenproduk­ tion und – vorbehaltlich der über VBF Art. 5 und 6 erfassten Tätigkeiten – des Handels sowie der Dienstleistungssektor2801. Zur näheren Konkretisie­ rung der erfassten Berufsgruppen vgl. GwG Art. 2. Die Botschaft2802 nennt 2797  BGE 124 IV 142 f., 134 IV 310 = Pr 98 (2009) Nr. 48, Cassani, N 11 zu Art. 305ter, Cor-

boz, N 7 zu Art. 305ter, Grüninger, 56 f., Jositsch/von Rotz, 599, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 52, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 7 zu Art. 305ter, a.M. Kistler, 169 f. 2798  BGE 129 IV 344, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 52. 2799  BGE 129 IV 329 Erw. 2.2 = Pr 93 (2004) Nr. 90, BGE 129 IV 340 ff., Cassani, N 4 zu Art. 305ter, Grüninger, 47 ff., Jositsch/von Rotz, 599, Pieth, BT, 310, ders., Wirtschafts­ strafrecht, 195 f., 217 f., ders., BSK StGB II, N 8 zu Art. 305ter, Schmid, Kommentar, Art. 305ter N 41, 69 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 48, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 2 zu Art. 305ter. 2800  SR 955.071. 2801  Cassani, N 6, 8 zu Art. 305ter, Pieth, BSK StGB II, N 8 zu Art. 305ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 49. 2802  Botschaft 1989, 1088.

514

§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

neben Banken und Finanzinstituten auch «etwa» Treuhänder, Anlagebe­ rater, Finanzverwalter, Geldwechsler, Edelmetallhändler und Geschäftsan­ wälte2803, wobei rechtsstaatlich problematische Ungewissheiten in Bezug auf weitere Tätigkeiten wie etwa im Liegenschaften- sowie im Kunst- und Rohstoffhandel oder als Juwelier verbleiben2804. Das Bundesgericht hat einen Geldtransporteur, der in London britische Pfund in bar entgegen­ genommen, diese in die Schweiz transportiert, hier gewechselt und dann über ein von ihm kontrolliertes Bankkonto gemäss Anweisungen weiter­ verschoben hat, als tauglichen Täter bezeichnet2805. Bei Personen, deren Tätigkeit nicht im Finanzsektor liegt, die in diesem Bereich aber auch tätig sind, kommt es auf den Einzelfall an. Auf Rechtsanwälte ist Art. 305ter dann nicht anwendbar, wenn diese Gelder im Rahmen ihrer berufsspezifischen Tätigkeit annehmen2806. Das Kriterium der «Berufsmässigkeit» wird in den VBF Art. 7 ff. konkreti­ siert. Danach gelten Finanzgeschäfte als berufsmässig, wenn: –– mit unterstellungspflichtigen Tätigkeiten ein Erlös von mehr als CHF 20 000 erzielt wird (VBF Art. 7 Abs. 1 lit. a); bei Kreditgeschäften muss ein Erlös von CHF 250 000 erzielt werden (VBF Art. 8 Abs. 1 lit. a); –– in einem Kalenderjahr dauernde Geschäftsbeziehungen mit mehr als 20 Vertragsparteien aufgenommen oder unterhalten werden (VBF Art.  7 Abs. 1 lit. b); –– zu einem beliebigen Zeitpunkt Verfügungsmacht über fremde Vermö­ genswerte in der Höhe von mehr als fünf Millionen Franken ausgeübt wird (VBF Art. 7 Abs. 1 lit. c, VBF Art. 8 Abs. 1 lit. b);

2803  Zum Sonderfall der Anwälte vgl. Giannini, 113, 240  ff., Nadelhofer, 346  f., Schmid,

Kommentar, N 133 ff. zu Art. 305ter.

2804  Vgl. Cassani, N 8 zu Art. 305ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 49 sowie – spe­ziell

zum Rohstoffhandel – Carrupt, Rz. 12 ff. sowie – zum Kunsthandel – Roth, Rz. 24 ff., Ryser, 598  ff.; vgl. auch das FINMA-Rundschreiben 2011/1 vom 20.  Oktober 2010, N 71 ff., wonach der Handel mit physischen Rohwaren und Rohwarenderivaten auf eigene Rechnung entgegen früherer Praxis nicht erfasst ist und wonach beim Handel mit Banknoten und Münzen sowie mit Edelmetallen sowohl der Eigen- als auch der Kundenhandel dem GwG unterstellt sind. 2805  BGE 129 IV 342, zustimmend Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 305ter. 2806  Trechsel/Affolter-Eijsten, N 2 zu Art. 305ter, vgl. auch de Capitani, Kommentar, N 138 ff. zu GwG Art. 2.

515

§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

–– im Rahmen von unterstellungspflichtigen Tätigkeiten Transaktionen durchgeführt werden, deren Gesamtvolumen zwei Millionen Franken im Kalenderjahr überschreitet (VBF Art. 7 Abs. 1 lit. d); –– Geld- oder Wertübertragungsgeschäfte getätigt werden (VBF Art. 9). b) Die Tathandlung2807 besteht darin, dass der Täter Vermögenswerte annimmt (z.B. zur Einzahlung auf ein Bankkonto oder zum Einwechseln), aufbe­ wahrt (z.B. in einem Depot oder Safe), anlegen oder übertragen hilft (also ein Geschäft vermittelt). Die Aufzählung in Art. 305ter ist nicht abschlies­ send2808. c) Weiter muss der Täter die Pflicht verletzen, mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt die Identität der Person festzustellen, die hinsichtlich der infrage stehenden Vermögenswerte als wirtschaftlich Berechtigte anzu­ sehen ist. Die Pflicht zur Identifizierung beinhaltet die Notwendigkeit, die Identität der als wirtschaftlich berechtigt identifzierten Person nachvoll­ ziehbar festzuhalten (Dokumentationspflicht, vgl. GwV-FINMA Art.  22 i.V.m. Art.  39, GwV ESBK Art.  15)2809. Während einige Autoren es in Anknüpfung an den Wortlaut der Norm hierbei belassen wollen2810, wol­ len andere Autoren, über den Wortlaut der Norm hinausgehend, auch die Pflicht zur Identifizierung des Vertragspartners in den Anwendungsbereich der Norm einbeziehen2811. Die vage Formel der «nach den Umständen gebotenen Sorgfalt»2812 hat in der Praxis mangels gesetzlicher Konkretisierungen zunächst durch die Vereinbarung über die Standespflicht der Banken vom 1.  Juli 1992 (VSB 92) festere Konturen erhalten. Seit dem 1.  April 1998 erfolgt diese Kon­ kretisierung primär durch das Geldwäschereigesetz, welches auch für den Strafrichter bindend ist2813. Die Vorgaben des GwG werden durch die 2807  Zur Möglichkeit der Verwirklichung des Tatbestands durch Unterlassen vgl. Trechsel/

Affolter-Eijsten, N 8 zu Art. 305ter.

2808  Trechsel/Affolter-Eijsten, N 3 zu Art. 305ter. 2809  BGE 136 IV 129 f. = Pr 100 (2011) Nr. 57. 2810  BGE 134 IV 311 = Pr 98 (2009) Nr. 48. 2811  Pieth, BSK StGB II, N 16 zu Art. 305ter, Schmid, Kommentar, N 171 ff. zu Art. 305ter,

Zollinger, Kommentar, N 9 zu Art. 305ter, Kistler, 195, vgl. auch Grüninger, 61 f.

2812  Kritisch zur Vereinbarkeit des Art. 305ter mit den Anforderungen des Bestimmtheits­

gebotes: Grüninger, 166 ff.

2813  Vgl. Pieth, BSK StGB II, N 21 zu Art. 305ter, Schmid, Kommentar, N 56 f. zu Art. 305ter,

Wohlers, Selbstregulierung, 305 ff.

516

§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

neue Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Ban­ ken vom 1. Juni 2015 (VSB 16)2814, durch die Verordnung der Eidgenössi­ schen Finanzmarktaufsicht über die Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung (GwV-FINMA)2815 sowie die Verordnung der Eidgenössischen Spielbankenkommission über die Sorgfaltspflichten der Spielbanken zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfi­ nanzierung (GwV ESBK)2816 konkretisiert. Bei Finanzintermediären, die sich einer Selbstregulierungsorganisation (SRO) angeschlossen haben, ist das Reglement der jeweiligen SRO zu beachten. Einer solchen SRO muss sich gemäss GwG Art.  14 jede berufsmässig mit der Durchführung von Finanzgeschäften befasste Person anschliessen, sofern sie nicht der FINMA direkt unterstellt ist2817. Nach diesen Regelungen stehen zunächst einmal Identifikationspflichten im Vordergrund2818. So muss bei der Aufnahme bestimmter Arten von Geschäftsbeziehungen, nämlich in Form der Eröffnung von Konten oder Heften sowie Depots, der Vornahme von Treuhandgeschäften, der Vermie­ tung von Schrankfächern und der Ausführung von Handelsgeschäften über Effekten, Devisen, Edelmetalle sowie Kassageschäften2819 über Beträge von mehr als CHF 25 000 oder Geldwechselgeschäfte von mehr als CHF 5000 der Vertragspartner  – d.h. die als solcher auftretende Person  – identifi­ ziert werden (GwG Art. 3; GwV-FINMA Art. 35 i.V.m. VSB 16 Art. 4 sowie GwV-FINMA Art. 51, vgl. auch GwV ESBK 2, VSB 16 Art. 28). Gleiches gilt auch für Kassageschäfte in geringerem Betrag, wenn die Identifika­ tion offensichtlich durch Aufspaltung auf mehrere Transaktionen umgan­

2814  Vgl. (besucht am 4.5.2017).

2815  SR 955.033.0. 2816  SR 955.021. 2817  Anwälten und Notaren, welche auch als Finanzintermediäre tätig sind, steht die Mög­

lichkeit der Direktunterstellung unter die Aufsicht der Kontrollstelle aufgrund ihres Berufsgeheimnisses nicht offen. Sie müssen sich nach GwG Art. 14 Abs. 3 zwingend einer Selbstregulierungsorganisation anschliessen, welche ihrem Berufsgeheimnis Rechnung trägt, z.B. der Selbstregulierungsorganisation des schweizerischen Anwaltsund Notarenverbandes (vgl. Botschaft 1996 III, 1141 ff.). 2818  Vgl. auch Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 198 f. 2819  Geldwechsel, Kauf und Verkauf von Edelmetallen, Barzeichnung von Obligationen usw., vgl. GwV-FINMA Art. 2 lit. b.

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§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

gen werden soll oder anderweitige Verdachtsgründe für Geldwäscherei vor­ handen sind2820. Bestehen im Zeitpunkt der Aufnahme der Geschäftsbeziehungen Zwei­ fel, ob der Vertragspartner mit dem wirtschaftlich Berechtigten iden­ tisch ist, oder handelt es sich um Kassageschäfte von über CHF  25 000 bzw. Geldwechselgeschäfte von über CHF  5000, muss vom Vertragspart­ ner eine schriftliche Erklärung darüber eingeholt werden, wer der wirt­ schaftlich Berechtigte ist (GwG Art.  4, GwV-FINMA Art.  56  ff., VSB 16 Art. 27, vgl. auch GwV ESBK Art. 6 f.2821). Bleiben ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit dieser Erklärung bestehen, die nicht durch weitere Abklä­ rungen ausgeräumt werden können, sind die vom Kunden beabsichtigten Geschäfte abzulehnen (GwV-FINMA Art. 68 Abs. 2, Art. 70, GwV ESBK Art. 23, vgl. auch VSB 16 Art. 45). Das Identifikationsverfahren ist zu wie­ derholen, wenn während der Geschäftsbeziehung Zweifel über die Identi­ tät des wirtschaftlich Berechtigten aufkommen oder wenn Anzeichen für nachträgliche Änderungen bestehen (GwG Art.  5, GwV-FINMA Art.  69, GwV ESBK Art. 8)2822. Erscheint eine Geschäftsbeziehung oder eine Trans­ aktion ungewöhnlich oder liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Ver­ mögenswerte aus einem Verbrechen2823 herrühren oder der Verfügungs­ macht einer kriminellen Organisation unterliegen oder handelt es sich um eine Geschäftsbeziehung oder Transaktion, die aus anderen Gründen als eine solche mit einem erhöhten Risiko einzustufen ist, z.B. weil es sich bei dem Kunden und/oder wirtschaftlich Berechtigten um eine politisch expo­ nierte Person handelt (vgl. GwG Art.  2a i.V.m. GwV-FINMA Art.  13  ff.) oder weil bei einer Transaktion Anhaltspunkte für Geldwäscherei gege­ ben sind (vgl. GwV-FINMA Art.  38 i.V.m. Anhang 1), muss der Finan­ zintermediär stets die wirtschaftlichen Hintergründe und den Zweck einer Transaktion bzw. Geschäftsbeziehung abklären (GwG Art. 6, GwV-FINMA Art. 15 ff., GwV ESBK Art. 9 ff.). Diese Pflicht ist Ausdruck des sogenannten Risk-Based Approach: Der Finanzintermediär darf die skizzierten Pflichten nicht nur rein formal umsetzen (sogenannter Rule-Based Approach), son­ dern ist gehalten, jede Kundenbeziehung und jede Transaktion aufgrund 2820  Vgl. de Capitani, Kommentar, N 81 zu GwG Art. 3, Graber/Oberholzer, N 18 zu GwG

Art. 3.

2821   Bei Geldwechselgeschäften ist die Erklärung schon bei Beträgen einzuholen, die

CHF 5000 erreichen oder übersteigen, vgl. GwV-FINMA 3 Art. 18 Abs. 1 lit. a.

2822  Vgl. BGE 136 IV 128 = Pr 100 (2011) Nr. 57. 2823  Vgl. Anhang zur GwV-FINMA 1.

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§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

ihres individuellen Risikopotenzials einzustufen und entsprechend diesem Risikopotenzial zu behandeln2824. Wichtig ist weiterhin, dass die Verletzung der Sorgfaltsnormen allein die Strafbarkeit nicht begründet: Hat der Finan­ zintermediär trotz Missachtung der Sorgfalt den wirtschaftlich Berechtig­ ten zutreffend identifiziert, scheidet eine Strafbarkeit nach Art. 305ter Abs. 1 aus2825. Bei Auftreten eines Geldwäschereiverdachts ist der Finanzintermediär ver­ pflichtet, dies der Meldestelle für Geldwäscherei unverzüglich mitzutei­ len und die betroffenen Vermögenswerte zu sperren (GwG Art. 9 f., GwVFINMA Art. 30 ff., GwV ESBK Art. 21 ff.). Eine Missachtung dieser Pflicht kann indessen nach Art.  305ter nur dann zur strafrechtlichen Verantwor­ tung führen, wenn nach Eintritt der genannten Umstände noch neue Geschäfte getätigt werden. Die Strafgerichte sind bei der Überprüfung der Sorgfalt gemäss Art. 305ter Abs.  1 an die obigen Regelungen gebunden2826. Wenn der Gesetzgeber bestimmt, welchen Sorgfaltsanforderungen ein Finanzintermediär zu genügen hat, können und dürfen die Strafgerichte ein Verhalten, das diesen Massstäben genügt, nicht als sorgfaltspflichtwidrig einstufen2827.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz2828, der nicht nur die Vornahme der eben genannten Handlungen umfassen, sondern sich auch auf die Miss­ achtung der Sorgfaltspflichten zur Feststellung des an den Vermögenswerten wirtschaftlich Berechtigten erstrecken muss. Dies führt zu der im Hinblick auf Art. 13 unausweichlichen Konsequenz, dass nach Art. 305ter straflos bleibt, wer  – wenn auch leichtfertig  – fälschlicherweise glaubt, keinen Anlass zur 2824  Vgl. Wohlers, Selbstregulierung, 307 ff. sowie umfassend Pini, 106 ff., Reinle, Melde­

pflicht, 264 ff., vgl. auch Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, 199 f.

2825  BGE 129 IV 329 Erw. 2.5 ff. = Pr 93 (2004) Nr. 90, BGE 136 IV 128 = Pr 100 (2011)

Nr. 57, BGer vom 8.12.2011, 6B_729/2010, Erw. 3.1, Bundesstrafgericht vom 23.6.2010, SK.2010.10, Erw. 3.1. 2826  Vgl. Schmid, Kommentar, N 57 u. 62 zu Art. 305ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 54, anders noch BGE 125 IV 143 ff. 2827  So auch Pieth, BSK StGB II, N 21 zu Art. 305ter, Wohlers, Selbstregulierung, 305 ff. 2828  Bundesstrafgericht vom 23.6.2010, SK.2010.10, Erw. 3.1, Cassani, N 24 zu Art. 305ter, Pieth, BSK StGB II, N 29 zu Art. 305ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 55, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 15 zu Art. 305ter.

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Überprüfung der Identität des Berechtigten gehabt oder im gegenteiligen Fall das Notwendige zu ihrer Feststellung getan zu haben und sie deshalb zu ken­ nen2829. Verbleiben trotz Vornahme aller möglichen Abklärungen noch Zwei­ fel an der Person des Berechtigten, wird dies in Ermangelung einer Pflichtver­ letzung nicht zum Anlass genommen werden können, in Bezug auf die dann vom Financier getätigten oder vermittelten Geschäfte dessen Eventualvorsatz auf Geldwäscherei anzunehmen2830. Zu beachten ist aber, dass auch in einem solchen Fall oder bei richtiger Ermittlung des wirtschaftlich Berechtigten aus anderen Gründen, wie namentlich bei offensichtlich dubioser Herkunft der Vermögenswerte, die Möglichkeit, dass diese aus Verbrechen herrühren, sich in einem Masse aufdrängt, welches Grundlage der Annahme eines Eventual­ vorsatzes in Bezug auf Geldwäscherei nach Art. 305bis bzw. Beihilfe dazu bil­ den kann.

1.3

Weitere Fragen

1.31

Versuch und Vollendung

Im blossen Unterlassen von Massnahmen zur Feststellung des Berechtigten im Hinblick auf ein in Aussicht genommenes Geschäft wird noch kein strafbarer Versuch erblickt werden können; dazu bedarf es mindestens bereits ganz kon­ kreter Vorschläge vonseiten des Financiers. Mit der Vornahme einer Handlung gemäss Ziff. 1.1 lit. b ist das Delikt vollendet. Dies gilt auch für die Hilfeleistung bei der Anlage und Übertragung von Vermögenswerten, die zu einer Form der Täterschaft verselbständigt worden ist2831.

1.32

Täterschaft und Teilnahme

Aussenstehende kommen in Anbetracht der Sonderdeliktsnatur von Art. 305ter nur als Teilnehmer in Betracht. Strafbare Anstiftung liegt vor, wenn ein Kunde den Financier nicht nur zum Abschluss des in der Folge getätigten Geschäf­ tes bestimmt hat, sondern auch zur Unterlassung von Abklärungen über die Identität des wirtschaftlich Berechtigten. Wird der Financier vom Kunden über diese getäuscht, bleibt Letzterer straflos, weil er als Aussenstehender den Tat­ 2829  Vgl. auch Cassani, N 24 zu Art. 305ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 55. 2830  Arzt, 192, Schmid, Kommentar, N 199 zu Art. 305ter. 2831  Arzt, 192, betrachtet hingegen in solchen Fällen den Abschluss des Geschäftes mit dem

vermittelten Dritten als tatbestandsmässigen Erfolg, sodass die Hilfestellung sogar als vollendeter Versuch erschiene.

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§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

bestand nicht als mittelbarer Täter erfüllen kann2832. Beihilfe wird nur bei der tatbestandsmässigen Handlung, nicht aber in Bezug auf die Missachtung der Sorgfaltspflichten in Betracht kommen.

1.33

Mehrheit strafbarer Handlungen

Falls der Täter für ein und denselben Kunden in engem zeitlichem Zusammen­ hang mehrere Handlungen i.S. von Art. 305ter vornimmt (z.B. indem er einen Teil der Vermögenswerte auf Konten entgegennimmt, mit dem anderen ver­ schiedene Anlagen tätigt), wird eine Einheitstat anzunehmen sein2833. Im Verhältnis zu den Art. 160 und 305 ist echte Konkurrenz gegeben2834; hat der Täter auch Art. 305bis verwirklicht, tritt das Vorfelddelikt des Art. 305ter hinter diese Norm zurück2835.

1.34 Bundesgerichtsbarkeit Straftaten nach Art. 305ter unterstehen der Bundesgerichtsbarkeit, wenn die Tat zu einem wesentlichen Teil im Ausland begangen wurde (Art. 24 Abs. 1 lit. a) oder in mehreren Kantonen und dabei kein eindeutiger Schwerpunkt in einem Kanton besteht (Art. 24 Abs. 1 lit. b).

2.

Melderecht des Financiers (Abs. 2)

Art. 305ter Abs. 2 begründet einen Rechtfertigungsgrund i.S. von Art. 14 für die Durchbrechung des Bank-, Post-, Berufs- oder Geschäftsgeheimnisses2836. Er soll den im Finanzbereich tätigen Personen die bedenkenlose Erstattung einer Anzeige ermöglichen, wenn sie im Zusammenhang mit den an sie her­ angetragenen Wünschen in Bezug auf die Annahme, Anlage oder Übertragung von Geldwerten oder mit den Ergebnissen von Abklärungen nach Abs. 1 der Bestimmung, aber auch aufgrund der späteren Abwicklung von Geschäften Verdachtsmomente dafür feststellen, dass Vermögenswerte aus einem Verbre­ chen herrühren. 2832  Arzt, 189. 2833  Vgl. Strafrecht I, § 38 Ziff. 2.2. 2834  Cassani, N 26 zu Art. 305ter, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 26 zu Art. 305ter. 2835  Cassani, N 65 zu Art. 305bis, Pieth, BSK StGB II, N 36 zu Art. 305ter, Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 57 N 57, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 26 zu Art. 305ter, a.A. BstGer vom 23.6.2010, SK.2010.10, Erw. 3.4. 2836  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 59, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 16 zu Art. 305ter.

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§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

Die Frage, ob das Melderecht in der Rechtswirklichkeit zu einer Meldepflicht erstarkt, weil der Financier praktisch zur Anzeige gezwungen sei, um dem all­ fälligen Vorwurf zu entgehen, durch die eventualvorsätzliche Entgegennahme verbrecherisch erlangter Mittel eine Geldwäscherei i.S. von Art. 305bis begangen zu haben2837, hat nach Einführung der Meldepflicht in GwG Art. 9 an Bedeu­ tung verloren2838. Die Meldepflicht gilt gemäss GwG Art. 9 Abs. 1 lit. b nun­ mehr auch für die Fälle, in denen der Finanzintermediär die Verhandlungen zur Aufnahme einer Geschäftsbeziehung wegen eines begründeten Verdachts im Hinblick darauf abbricht, dass die infrage stehenden Vermögenswerte in einem deliktischen Zusammenhang nach GwG Art. 9 Abs. 1 lit. a stehen. Fälle, in denen dem Melderecht aus Art. 305ter Abs. 2 eine eigenständige Bedeutung zukommt, weil den Finanzintermediär noch keine Meldepflicht trifft, ihm aber ein Melderecht zustehen soll, sind damit – anders als nach altem Recht2839 – nur noch dann denkbar, wenn man die Schwelle des begründeten Verdachts i.S. von GwG Art. 9 deutlich über der für das Melderecht nach Art. 305ter Abs. 2 relevanten Verdachtsschwelle ansiedelt. Nach Abs. 2 sind die von Art. 305ter Abs. 1 erfassten Personen berechtigt, «den inländischen Strafverfolgungsbehörden und den vom Gesetz bezeichneten Bundesbehörden Wahrnehmungen zu melden, die darauf schliessen lassen, dass Vermögenswerte aus einem Verbrechen herrühren». Die entscheidende Frage ist, wann ein die Meldung rechtfertigender Verdacht gegeben ist. In der Botschaft2840 wird einerseits ausgeführt, «Unterstellungen oder vage Eindrü­ cke» seien nicht ausreichend, andererseits sollen aber auch «Beweismittel im engeren Sinne» nicht erforderlich sein. Ausreichend seien «Indizien, die in Richtung eines Verdachts weisen und die geeignet sind, von den Strafverfol­ gungsbehörden erhärtet zu werden». In der Botschaft zum Geldwäschereige­ setz heisst es in Bezug auf die gleich gelagerte Problematik bei GwG Art.  9: «Der Verdacht muss nicht ein an Sicherheit grenzendes Ausmass annehmen (…). Ein Verdacht ist dann begründet, wenn er auf einem konkreten Hinweis oder mehreren Anhaltspunkten beruht, die einen verbrecherischen Ursprung 2837  Vgl. hierzu Trechsel/Affolter-Eijsten, N 15 zu Art. 305ter m.w.N. 2838  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 59: Die Meldepflicht aus GwG Art. 9 überla­

gere das Melderecht aus Art. 305ter, Graber, GwG, N 18 zu Art. 9, Schmid, Kommen­ tar, N 304 zu Art. 305ter. 2839  Angenommen wurde dies insbesondere für Konstellationen, in denen nach ersten unverbindlichen Kontakten keine Geschäftsverbindung zustande gekommen war, vgl. Botschaft 1993 II, 323, Botschaft 1996 III, 1130. 2840  Botschaft 1993 II, 326.

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§ 114  Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter)

der Vermögenswerte befürchten lassen.»2841 Gemessen an strafprozessualen Massstäben bedeutet dies: Es soll ein einfacher Verdacht (Anfangsverdacht) ausreichen, wie er z.B. auch die Aufnahme von Ermittlungen rechtfertigt2842. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, zumal die Verdachtsmeldung nach GwG Art. 9 stets mit einer Vermögenssperre einhergeht. Entsprechend genügt ein hinreichender Tatverdacht, wie er für die Anordnung der entsprechenden Zwangsmassnahme vorausgesetzt wird2843. Diese weitgehend vage bleibenden Hinweise2844 helfen dem Finanzinterme­ diär im konkreten Einzelfall kaum weiter, was insbesondere dann zu erhebli­ chen Problemen führt, wenn die Meldung mit einer Offenbarung strafrechtlich geschützter Geheimnisse verbunden ist2845: Erstattet der Finanzintermediär eine Meldung, die sich wegen aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden feh­ lender ausreichender Verdachtsmomente als unberechtigt erweist, ist der durch die Meldung begangene Geheimnisverrat nicht gerechtfertigt, es sei denn, die unzulässige Meldung erfolge aufgrund irrtümlich als gegeben betrachteter sachlicher Umstände, welche, wenn sie tatsächlich gegeben wären, zur Mel­ dung berechtigen würden (Sachverhaltsirrtum, Art. 132846)2847. Unterlässt der Finanzintermediär aber andererseits eine Meldung, obwohl eine solche nach Aufnahme der Geschäftsbeziehung zufolge Einschätzung der Strafverfolgungs­ behörden angezeigt gewesen wäre, läuft er Gefahr, nach GwG Art.  9 i.V.m. GwG Art. 37 bestraft zu werden. Anwälte, auch unter anderem als Finanzintermediär tätige, unterstehen weder der Pflicht (GwG Art. 9 Abs. 2), noch haben sie das Recht (Art. 305ter Abs. 2), einen Geldwäschereiverdacht zu melden, sofern sich der Verdacht aufgrund von berufsspezifischer und somit durch das Berufsgeheimnis (Art.  321) geschützter anwaltlicher Tätigkeit ergibt2848. Hat ein Anwalt Vermögenswerte 2841  Botschaft 1996 III, 1130. 2842  Schmid, Kommentar, N 295 zu Art. 305ter, weitergehend noch Zollinger, Kommentar,

N 25 zu Art. 305ter: irgendein Hinweis genüge, vgl. auch de Capitani, Kommentar, N 18 zu GwG Art. 9: sämtliche Wahrnehmungen, welche auf eine verbrecherische Herkunft der Vermögenswerte schliessen lassen. 2843  StPO Art. 197 Abs. 1 lit. b und Art. 263, vgl. auch Wohlers/Giannini, Geldwäscherei­ verdachtsmeldung, 629, 632 f. 2844  Kritisch auch schon Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18 zu Art. 305ter. 2845  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 60. 2846  Vgl. Strafrecht I, § 10 Ziff. 2. 2847  Vgl. auch Cassani, N 35 f. zu Art. 305ter, Schmid, Kommentar, N 331 ff. zu Art. 305bis, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 57 N 60. 2848  Vgl. Trechsel/Affolter-Eijsten, N 16 zu Art. 305ter, Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 38 ff.

523

§ 115  Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306)

angenommen, steckt er in einer «Strafbarkeitsfalle», aus der er sich nur dann durch eine Meldung befreien kann, wenn er bezüglich der Tätigkeit, in deren Rahmen die Annahme der Vermögenswerte erfolgt ist, dem Berufsgeheimnis nicht untersteht2849. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichts zählt zu den nicht berufsspezifischen Tätigkeiten namentlich auch die Vermögensverwal­ tung oder die Anlage von Geldern, sofern diese nicht im Rahmen eines zur normalen Anwaltstätigkeit zählenden Mandats (z.B. Güterausscheidung im Rahmen einer Erbteilung) erfolgt2850. Adressat einer Verdachtsmeldung gemäss Art. 305ter ist nach geltendem Recht nunmehr allein die Meldestelle für Geldwäscherei2851. Nicht zuständig für die Entgegennahme von Verdachtsmeldungen ist die Kontrollstelle für die Bekämpfung der Geldwäscherei oder die jeweilige Selbstregulierungsorga­ nisation (SRO)2852. Grundsätzlich nicht als Empfänger in Betracht kommen ausländische Behörden oder deren Vertreter in der Schweiz2853. Die Form der Meldung ist nicht vorgeschrieben, aus Beweisgründen empfiehlt sich aber die Schriftform2854. Gemeldet werden dürfen nur der Tatverdacht und die diesen begründenden Wahrnehmungen2855.

§ 115 Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306) Literaturauswahl: S.  Ebneter, Der Prozessbetrug im Zivilprozess, Zürich 2016, R. Hauser, Zur Beweisaussage im Zivilprozess, in: Festgabe für M. Kummer, hrsg. von H. Merz/W. R. Schluep, Bern 1980, 617, W. Perrig, Die Ermahnung zur Wahrheit und der Hinweis auf die Straffolgen der falschen Beweisaussage der Partei in Art. 306 StGB und das kantonale Zivilprozessrecht, SJZ 52 (1956) 341, H. Winter, Die falsche Beweisaussage der Partei nach Art. 306 StGB, Diss. Zürich 1974.

2849  Cassani, N 31 zu Art. 305ter, vgl. Wohlers/Giannini, Vorschüsse, 40, Schmid, Kommen­

tar, N 208 f. zu Art. 305bis, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18 zu Art. 305ter, Pieth, BSK StGB II, N 41 f. zu Art. 305ter: Anwälte sind nur meldeberechtigt, wenn sie als Geschäftsan­ wälte tätig sind und in dieser Position Verdacht schöpfen. 2850  BGE 112 Ib 606, 114 III 105, 115 Ia 197, 120 Ib 119, vgl. auch de Capitani, Kommentar, N 78 zu GwG Art. 9, Schmid, Kommentar, N 134 zu Art. 305ter. 2851  Die nach altem Recht gegebene Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden ist durch die Neufassung der Norm entfallen. 2852  Schmid, Kommentar, N 317 zu Art. 305ter, Zollinger, Kommentar, N 30 zu Art. 305ter. 2853  Botschaft 1993 II, 327, Pieth, BSK StGB II, N 48 zu Art. 305ter, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 22 zu Art. 305ter. 2854  Cassani, N 38 zu Art. 305ter, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 20 zu Art. 305ter. 2855  Schmid, Kommentar, N 318 zu Art. 305ter, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 21 zu Art. 305ter.

524

§ 115  Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306)

Geschütztes Rechtsgut ist bei Art. 306 (Falsche Beweisaussage der Partei/Fausse déclaration d’une partie en justice/Dichiarazione falsa di una parte in giudizio/False statement by a party) nach h.M. das Interesse des Staates, anlässlich der Beweisführung im Zivilprozess die materielle Wahrheit zu erfahren; indi­ rekt geschützt seien damit auch die Interessen der anderen Prozesspartei2856. Der Tatbestand begründet allerdings kein umfassendes Delikt zum Schutz der Wahrheitsfindung, sondern erfasst allein die spezielle Gefährdung der Wahr­ heitsfindung durch falsche Angaben einer als Beweismittel vernommenen Pro­ zesspartei.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Erforderliches Verfahren

Ausser auf den Zivilprozess findet Art. 306 gemäss Art. 309 (Verwaltungssachen und Verfahren vor internationalen Gerichten/Affaires administratives et procédure devant les tribunaux internationaux/Cause amministrative e procedura davanti a tribunali internazionali/Administrative cases and proceedings before international courts) auch Anwendung auf das Schiedsgerichtsverfahren und das Verwaltungsverfahren, sofern – was praktisch eher selten ist – die entspre­ chende Prozessgesetzgebung die Aussage einer Partei als förmliches Beweis­ mittel kennt2857. Gleiches gilt, wenn im Strafverfahren über zivilrechtliche Ansprüche mitentschieden wird und insoweit – nach Massgabe des einschlägi­ gen Prozessrechts – die zivilprozessualen Beweismittel verwendet werden und in diesem Rahmen eine Beweisaussage einer Prozesspartei möglich ist2858.

1.2

Beweisaussage der Partei

Die Ausführungen der Parteien im Rahmen von Eingaben, Plädoyers, informa­ tiver Befragung und des sog. einfachen Parteiverhörs2859 sind zumeist blosse Behauptungen, die der Verdeutlichung, Vervollständigung der Parteivorträge

2856  Cassani, N 1 f. zu Art. 306, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II,

N 5 zu Art. 306, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 1 zu Art. 306.

2857  Cassani, N 8, 16 zu Art. 309, Corboz, Vol. II, N 7 f. zu Art. 305, Delnon/Rüdy, BSK StGB

II, N 13 zu Art. 306, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 6.

2858  Cassani, N 3 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 12 zu Art. 306, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 56 N 5.

2859  Vgl. z.B. die Parteibefragung nach ZPO Art. 191 Abs. 1.

525

§ 115  Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306)

oder der Erzielung von Zugeständnissen dienen. Sind solche Darlegungen unwahr, so kann die Partei höchstens mit Ordnungsbusse bestraft werden2860. Anwendbar ist Art. 306 dann, wenn eine Prozessordnung die Befragungen von Parteien als ein förmliches Beweismittel im Sinne eines «Zeugnisses in eige­ ner Sache»2861 vorsieht2862, wie dies bei der Beweisaussage nach ZPO Art. 192 der Fall ist2863. In der Praxis ist von der Möglichkeit der Beweisaussage einer Prozesspartei bisher nur zurückhaltend Gebrauch gemacht worden. Bedeu­ tung hat sie dann, wenn mit ihrer Hilfe einer Partei über einen unverdien­ ten Beweisnotstand hinweggeholfen werden kann2864 oder wenn die bereits erfolgte Abnahme von Beweisen noch keine volle Klarheit über die Sachlage gebracht hat, sich dies aber möglicherweise durch Parteibefragung erreichen lässt. Die Frage, wer unter welchen Voraussetzungen als Partei anzusehen ist, bestimmt das jeweils einschlägige Prozessrecht2865. Gleiches gilt für die Frage, welche Formvorschriften bei der Abhörung zu beachten sind, damit eine gül­ tige und somit strafrechtlich erfassbare Beweisaussage vorliegt2866. Die Partei darf nicht im Ungewissen darüber gelassen werden, ob es sich bei der Befragung um die Abklärung des Parteistandpunktes oder um eine förm­ liche Beweisabnahme handelt. Deshalb kann der Täter nur strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn er nach richterlicher Ermahnung zur Wahrheit und Hinweis auf die Straffolgen aussagt2867.

2860  Vgl. z.B. ZPO Art. 191 Abs. 2: Ordnungsbusse für mutwilliges Leugnen. 2861  BGE 72 IV 36. 2862  BGE 76 IV 280, 95 IV 77, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 22 zu Art. 306, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 56 N 9, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 3 zu Art. 306.

2863  Vgl. Pieth, BT, 292, vgl. aber auch Ebneter, N 412 ff., der auch die Parteibefragung nach

ZPO Art. 191 einbezieht.

2864  BGE 112 Ia 370. 2865  Vgl. z.B. ZPO Art 66. Zu den Schwierigkeiten bei der Zulassung juristischer Personen

als Partei vgl. Cassani, N 7 zu Art. 306, Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 306, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 56 N 7, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 8 zu Art. 306: Anwendung auf die natürliche Person mit Organfunktion, die für die juristische Person zur Parteiaus­ sage zugelassen wird. 2866  BGE 72 IV 37, Cassani, N 12 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 29 ff. zu Art. 306, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 10, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 306. 2867  Vgl. z.B. ZPO Art. 192 Abs. 2, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 8, 10, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 306.

526

§ 115  Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306)

1.3 Tathandlung Das Delikt wird dadurch begangen, dass die Partei zur Sache falsch aussagt, wobei es nicht erforderlich ist, dass die Aussage zur Täuschung des Richters oder gar zu einem falschen Urteil führt. «Falsch» ist eine Aussage dann, wenn sie mit dem Sachverhalt, auf den sie sich bezieht, nicht übereinstimmt2868. Unvollständige Angaben sind dann falsch, wenn sie einen verzerrten Gesamteindruck hervorrufen2869. Entscheidend ist der Inhalt der Beweisaussage bei Abschluss der Einvernahme. Bis zu diesem Zeitpunkt, der sich nach Massgabe des jeweils einschlägigen Prozessrechts bestimmt, kann die Partei unrichtige Angaben korrigieren, mit der Folge, dass es an einer falschen Aussage fehlt2870. Die Partei muss «zur Sache» falsch aussagen2871. Nicht strafbar sind falsche Behauptungen, die nicht im Rahmen des Beweisgegenstands liegen und des­ halb prozessual nicht verwertbar sind2872. Nicht erfasst sind z.B. Aussagen zu den Personalien2873, wohl aber solche, die zwar nicht das Beweisthema betref­ fen, die aber für die Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Bedeutung sind2874.

2.

Subjektiver Tatbestand

Gefordert ist Vorsatz, wobei Eventualvorsatz reicht2875. Der Täter muss um seine Stellung als Partei wissen2876; weiterhin muss ihm die Unwahrheit seiner 2868  Cassani, N 15 zu Art. 306, Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB

II, N 27 zu Art. 306, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 13, vgl. auch Ziff. 4 hiernach und hinten § 115 Ziff. 2.43. 2869  Vgl. Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 28 zu Art. 306. 2870  BGE 95 IV 79, Cassani, N 13 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 40 zu Art. 306, Ebneter, N 427 ff. 2871  Vgl. Ebneter, N 416 ff. 2872  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N  24 zu Art.  306, vgl. aber auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 12, der auf den Verfahrensgegenstand abstellt, sowie Cassani, N 17 zu Art. 306, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 3 zu Art. 306, die nur erhebliche (= entscheidungs­ relevante) Angaben genügen lassen wollen. 2873  BGE 70 IV 83, Cassani, N 16 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 25 zu Art. 306. 2874  BGE 75 IV 69 f., vgl. aber auch – einschränkend – Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 26 zu Art. 306. 2875  Cassani, N 19 zu Art. 306, Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 32 zu Art. 306, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 14. 2876  Cassani, N 19 zu Art. 306, Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 306, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 5 zu Art. 306.

527

§ 115  Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306)

Aussage bewusst sein und er muss in diesem Sinne aussagen wollen. Die Einhal­ tung der für eine gültige Aussage notwendigen Formalien ist nach h.M. ebenso eine objektive Bedingung der Strafbarkeit2877 wie die richterliche Ermahnung zur Wahrheit und der Hinweis auf die Straffolgen2878. Bezüglich der Ermah­ nung und des Hinweises ergeben sich aus dieser Einordnung keine praktischen Konsequenzen, weil von einer Ermahnung und von einem Hinweis nur dann die Rede sein kann, wenn der Betroffene sie zur Kenntnis genommen und ver­ standen hat2879. Bezüglich der Formalitäten der Vernehmung ist zu differenzie­ ren: Die Nichtbeachtung blosser Ordnungsvorschriften hat strafrechtlich keine Bedeutung; die Nichtbeachtung der für eine gültige Aussage notwendigen For­ malien führt zur prozessualen Unverwertbarkeit und damit dazu, dass eine strafrechtlich relevante Parteiaussage nicht vorhanden ist. Denkbar ist in die­ sen Fällen allerdings das Vorliegen eines strafbaren Versuchs2880.

3.

Qualifizierter Tatbestand (Abs. 2)

Mit qualifizierter Strafe wird die Partei bedroht, die ihre falsche Aussage mit einem Eid oder einem Handgelübde2881 bekräftigt2882. Voraussetzung hier­ für ist, dass das anwendbare Prozessgesetz diese qualifizierte Art der Aussage überhaupt kennt – was die Ausnahme ist – und im konkreten Fall von ihr unter Beachtung der Formvorschriften Gebrauch gemacht wird.

4.

Weitere Fragen

Art. 308 Abs. 1 ermöglicht es, den Täter straflos zu lassen bzw. ihn milder zu bestrafen, wenn er seine Falschaussage zwar nach Abschluss der Einvernahme, aber aus eigenem Willen berichtigt, bevor sich ein Rechtsnachteil für einen 2877  Trechsel/Affolter-Eijsten, N 5 zu Art. 306, Ebneter, N 423 f., vgl. aber auch Cassani, N 13

zu Art.  306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N  41 zu Art.  306: Versuch möglich, wenn Formalität vom Willen des Aussagenden unabhängig ist (was mit der Einordnung als objektive Bedingung der Strafbarkeit nicht zu vereinbaren wäre). 2878  BGE 133 III 333 = Pr 97 (2008) Nr. 7, Cassani, N 18 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 14 zu Art. 306, Ebneter, N 425 f., a.M. Trechsel/Affolter-Eijsten, N 5 zu Art. 306. 2879  So zutreffend Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 15. 2880  Winter, 87 ff. mit Hinweisen, vgl. auch Cassani, N 13 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 41 zu Art. 306. 2881  Vgl. zu diesem Begriff BGE 82 IV 12. 2882  Für eine Abschaffung de lege ferenda: Cassani, N 23 f. zu Art. 306, Trechsel/AffolterEijsten, N 7 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 34 zu Art. 306: Relikte aus ver­ gangenen Zeiten.

528

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

anderen ergeben hat. Der Richter kann die Strafe auch mildern bei Beweisaus­ sagen, die im sog. Ehrennotstand erfolgen (Art. 308 Abs. 2)2883. Mit Rücksicht auf Art. 335 Abs. 2 sind die Kantone befugt, eine Befragung von Zivilparteien, die nicht von Art.  306 erfasst wird, als Übertretungsstraftatbe­ stand des Prozessrechtes zu ahnden2884. Zu einem etwaigen versuchten oder vollendeten Prozessbetrug2885 (Art. 146) steht Art. 306 in echter Konkurrenz2886.

§ 116 Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307) Literaturauswahl: K. Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, Diss. Zürich 1975, O. Cornaz, Falsches Zeugnis, SJK Nr. 1012, S. Ebneter, Der Prozessbetrug im Zivil­ prozess, Zürich 2016, A. Haefliger, Versuch und Vollendung beim Tatbestand des falschen Zeug­ nisses, ZStrR 71 (1956) 307, R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozess mit Berücksichtigung des Zivilprozesses, Zürich 1974, derselbe, Zum Tatbestand des falschen Zeugnisses, ZStrR 91 (1975) 337, derselbe, Zeuge und Beschuldigter im Strafprozess, Krim 32 (1978) 369, N. Landshut, Zeugnispflichten und Zeugniszwang im Zürcher Strafprozess, Diss. Zürich 1998, C. Leuenberger/B. Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Bern 2010, P. Pfäffli, Das falsche Zeugnis, Diss. Bern 1962, H. Schultz, Über das falsche Zeugnis, ZStrR 76 (1960) 348, derselbe, Der Beamte als Zeuge im Strafverfahren, ZBl 86 (1985) 185, derselbe, Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1968, ZBJV 105 (1969) 381 (zit. Schultz, Rechtsprechung 1968), K. Spühler/A. Dolge/​M. Gehri, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Bern 2010.

1. Allgemeines Art. 307 (Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung/Faux témoignage. Faux rapport. Fausse traduction en justice/Falsa testimonianza. Falsa perizia. Falsa traduzione od interpretazione/False witness statement. False expert statement. False translation) soll die Sachverhaltsermittlung in allen Arten von Prozessen vor der Beeinflussung durch falsche Personalbeweise schützen2887. 2883  Cassani, N 21 zu Art. 306, Corboz, Vol. II, N 18 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II,

N 37 zu Art. 306, vgl. hinten § 115 Ziff. 6.3.

2884  BGE 76 IV 279, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 306. 2885  Vgl. BGE 122 IV 197. 2886  Cassani, N 25 zu Art. 306, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 42 zu Art. 306, Trechsel/Affol-

ter-Eijsten, N 10 zu Art. 306.

2887  Vgl. BGE 141 IV 450 = Pr 105 (2016) Nr. 75.

529

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

Die betreffenden Taten richten sich gegen die Rechtspflege als Institution, mit­ telbar aber auch gegen die Interessen der Prozessparteien.2888. Es wird indes­ sen nicht vorausgesetzt, dass das Verhalten des Täters den richterlichen Ent­ scheid tatsächlich beeinflusst hat oder gar ein Fehlurteil ergangen ist. Erfasst wird bereits die abstrakte Gefährdung der richtigen Rechtsfindung durch eine falsche Zeugenaussage, durch falsche Übersetzung oder Erstattung eines fal­ schen Gutachtens in einem Prozess. Die beiden letztgenannten Fälle werden am Schluss dieses Paragrafen behandelt, im Vordergrund steht zunächst die auch praktisch bedeutsamere Variante des falschen Zeugnisses.

2.

Objektiver Tatbestand des falschen Zeugnisses

Das StGB legt die Rechtsfolgen fest für den Fall, dass jemand in einem bestimm­ ten Verfahren als Zeuge zur Sache falsch aussagt. Wann überhaupt eine (gül­ tige) Zeugenaussage vorliegt, ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundes­ gerichts indessen aus dem betreffenden Verfahrensrecht2889.

2.1

Aussage in einem gerichtlichen Verfahren

Art. 307 erfasst die Zeugenaussage «in einem gerichtlichen Verfahren». Es kann sich um Prozesse vor eidgenössischen und kantonalen Gerichten der Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechtspflege sowie vor den Untersuchungsbehörden im Strafprozess handeln. Erfasst werden Aussagen in Vernehmungen durch die – nach dem jeweils einschlägigen Verfahrensrecht bestimmten – zur Durchfüh­ rung von Zeugeneinvernahmen befugten Untersuchungsbehörden2890. Einzu­ beziehen sind nach Auffassung des Bundesgerichts weiterhin Verfahren vor ausländischen Gerichten, soweit bei diesen Zeugen rechtshilfeweise auf ein schweizerisches Rechtshilfebegehren hin einvernommen werden2891. Den gerichtlichen Verfahren gleichgestellt werden durch Art. 309 lit. a Verfah­ ren vor anderen Behörden, soweit ihnen gesetzlich das Recht zur Zeugenabhö­ rung eingeräumt wurde, und die in den Zivilprozessordnungen vorgesehenen 2888  Vgl. BGE 141 IV 447 = Pr 105 (2016) Nr. 75, BGer SJ 2016, 125 ff., Cassani, N 1 zu

Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 5 zu Art. 307, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 1 zu Art. 307. 2889  Vgl. BGE 98 IV 214 f. 2890  BGE 69 IV 214 f., Cassani, N 2 zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 24, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 18 zu Art. 307. 2891  BGE 133 IV 326, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 6 zu Art. 307, a.M. Cassani, N 4 zu Art. 307.

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§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

Schiedsgerichtsverfahren2892, nicht aber parlamentarische Untersuchungs­ kommissionen2893.

2.2 Zeugeneigenschaft Täter dieses echten Sonderdeliktes kann nur der Zeuge sein2894. Zeuge ist, wer in prozessual zulässiger Weise zur Wiedergabe eigener Wahrnehmungen über den aufzuklärenden Sachverhalt vor einer Behörde aufgerufen und zugelassen ist2895. Wer als Zeuge in Betracht kommt, entscheidet sich nach dem jeweils massgebenden Verfahrensrecht (vgl. z.B. ZPO Art.  169, StPO Art.  162)2896. Aussagen von Personen, die nach dem zugrunde liegenden Prozessrecht nicht als Zeugen vernommen werden dürfen, sind strafrechtlich gesehen unbeacht­ lich.

2.21

Fehlende Zeugnisfähigkeit

Die Prozessgesetze sehen mitunter vor, dass bestimmte Personen überhaupt nicht als Zeugen angehört werden dürfen, wie z.B. Kinder bis zu einem bestimmten Alter2897 oder Personen mit eingeschränkter Urteilsfähigkeit2898. Die zuvor in einigen früheren kantonalen Prozessgesetzen vorgesehene Mög­ lichkeit, dass Personen in Zivilverfahren nicht als Zeugen auftreten durften, wenn sie als nahe Angehörige einer Prozesspartei von der Gegenpartei abge­ lehnt wurden2899, ist in der Schweizerischen Zivilprozessordnung nicht mehr vorgesehen2900. Die mögliche Befangenheit eines Zeugen schliesst deshalb des­ 2892  OGer Zürich ZR 110 (2011) Nr. 27, Erw. 7.3, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 2 ff. zu

Art. 309.

2893  BGE 141 IV 448 ff. = Pr 105 (2016) Nr. 75. 2894  Cassani, N 7 zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II,

N 7 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 25, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 3 zu Art. 307. 2895  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 9 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 25, vgl. auch Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 307. 2896  BGE 92 IV 207, 98 IV 214, Cassani, N 8 zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 12 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 10 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 25. 2897  Vgl. z.B. StPO Art. 178 lit. b: Einvernahme nur als Auskunftspersonen. 2898  Vgl. z.B. StPO Art. 178 lit. c: Personen, die aufgrund eingeschränkter Urteilsfähigkeit nicht in der Lage sind, den Gegenstand der Einvernahme zu erfassen, sind als Aus­ kunftspersonen einzuvernehmen. 2899  S. zum Ganzen Hauser, Zeugenbeweis, 56 ff. 2900  Vgl. Botschaft ZPO, BBl 2006, 7314.

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§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

sen Zeugnisfähigkeit im Zivilverfahren nicht mehr aus, sondern ist allein im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen2901. Der Zeuge kann gemäss ZPO Art. 165 f. unter Umständen jedoch die Mitwirkung verweigern. Sodann darf nach ZPO Art. 169 nicht als Zeuge befragt werden, wer Partei ist. Als Par­ teien gelten der Kläger und der Beklagte, der Hauptintervenient, der Streitver­ kündungs-Beklagte und – als Nebenpartei – der Nebenintervenient. Kein Par­ teistatus kommt dem Streitberufenen zu, sofern dieser dem Prozess nicht als Nebenintervenient beigetreten ist. Für das Strafverfahren gilt, dass Personen, die in einem in StPO Art. 168 defi­ nierten Näheverhältnis zur beschuldigten Person stehen, ein Zeugnisverweige­ rungsrecht besitzen. Auch dieses Zeugnisverweigerungsrecht stellt die Zeug­ nisfähigkeit indes nicht infrage. Anders verhält es sich nur dann, wenn die infrage stehende Person die Voraussetzungen erfüllt, nach denen sie als Aus­ sageperson einzuvernehmen ist, z.B. weil sie sich als Privatklägerschaft konsti­ tuiert (StPO Art. 178 lit. a) oder weil sie das 15. Altersjahr noch nicht zurück­ gelegt hat (StPO Art. 172 lit. b) oder weil nicht auszuschliessen ist, dass sie als tatbeteiligte Person infrage kommt (StPO Art. 178 lit. d).

2.22

Stellung als Prozesspartei

Die Verfahrensgesetze setzen ausdrücklich oder stillschweigend voraus, dass die Parteien im Zivil- und Verwaltungsprozess sowie der Beschuldigte im Strafverfahren gegen ihn selber nicht als Zeugen einvernommen werden dür­ fen (vgl. z.B. ZPO Art.  169). Letzteres wird selbst ohne ausdrückliche Vor­ schrift auch dann gelten, wenn der Beschuldigte im Strafverfahren gegen einen anderen Beschuldigten einvernommen werden soll und ihre Taten entweder den gleichen Sachverhalt betreffen oder in einem sachlichen Zusammenhang stehen2902.

2.23

Stellung als «materiell Beschuldigter»

Problematisch sind die Fälle, in denen eine Person als Zeuge einvernommen wird und dieser sich später als Tatbeteiligter erweist. Wenn der Einverneh­ mende selbst einen entsprechenden Verdacht hegt, der sich dann später bestä­ tigt, ist die Vernehmung des Verdächtigen als Zeuge zweifellos als ungültig zu 2901  K. Spühler/A. Dolge/M. Gehri, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Bern 2010,

10. Kapitel N  166, C. Leuenberger/B. Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Bern 2016, N 9.83. 2902  Im Grundsatz gleich SJZ 64 (1968) 151, ZR 57 (1958) Nr. 132, 66 (1967) Nr. 156.

532

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

betrachten. Für die Fälle, in denen ein solcher Verdacht nicht bestand, stehen sich in der Doktrin zwei Auffassungen gegenüber: a) Formaltheorie: Wurde der materiell Beschuldigte als Zeuge einvernommen, so hat er auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 307 als solcher zu gelten; auf seine besondere Situation kann durch den Strafmilderungsgrund von Art. 308 Abs. 2 Rücksicht genommen werden. b) Materialtheorie: Erweist sich der als Zeuge Einvernommene später in Bezug auf das dadurch abzuklärende Delikt als Täter, Teilnehmer, Hehler oder Begünstiger, so ist er nicht Zeuge i.S. von Art. 307 und kann deshalb für seine falschen Aussagen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Welche Lösung zum Zuge kommt, bestimmt sich nach Auffassung des Bundes­ gerichts nach den anwendbaren Prozessgesetzen2903. Nach der hier vertretenen Auffassung ist der Materialtheorie zu folgen.

2.3

Einhaltung der Zuständigkeits- und Formvorschriften für die Zeugenanhörung

Die jeweils einschlägigen Verfahrensgesetze bezeichnen die für die Zeugen­ anhörung zuständigen Personen und schreiben ausserdem die Einhaltung bestimmter Formen vor, so z.B.: –– Ermahnung des Zeugen zur Wahrheit und Hinweis auf die Straffolgen für falsches Zeugnis2904; –– Hinweis auf ein allfällig bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht2905; –– einen bestimmten Abschluss des Protokolls: Vorlesen, mündliche oder unterschriftliche Bestätigung der Richtigkeit durch den Einvernomme­ nen, Unterzeichnung oder Mitunterzeichnung durch den Einvernehmen­ den oder den Gerichtsschreiber bzw. Protokollführer2906. Werden solche Bestimmungen missachtet, so kommt es darauf an, ob es sich dabei um eine Gültigkeitsvoraussetzung oder eine blosse Ordnungsvorschrift 2903  BGE 92 IV 206, 98 IV 214, zum Meinungsstand in der Doktrin vgl. Cassani, N 13 f.

zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 25, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 6 zu Art. 307. 2904  Vgl. z.B. ZPO Art. 171 Abs. 1, StPO Art. 177. 2905  Vgl. z.B. ZPO Art. 161 i.V.m. Art. 165 f., StPO Art. 177 Abs. 3 i.V.m. Art. 168 ff. 2906  Vgl. z.B. StPO Art. 78 Abs. 5.

533

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

handelt, was wiederum nach dem betreffenden Verfahrensgesetz zu entschei­ den ist2907. Werden blosse Ordnungsvorschriften missachtet, hat dies für die strafrechtliche Beurteilung des Sachverhalts keine Bedeutung. Wird eine Gül­ tigkeitsvoraussetzung missachtet, ist die Vernehmung prozessual nicht ver­ wertbar und als Konsequenz strafrechtlich gesehen unbeachtlich, d.h., es liegt überhaupt kein strafrechtlich relevantes Zeugnis vor2908. Hat sich der Täter einen Sachverhalt vorgestellt, nach dem eine gültige Aussage gegeben wäre, ist umstritten, ob in diesen Fällen wegen Versuchs bestraft werden kann2909 oder aber der Vernommene zu einem untauglichen Subjekt und seine Tat damit zum Putativdelikt wird2910. Gültigkeitsvoraussetzungen in diesem Sinne sind: die Belehrung über die Wahrheitspflicht und die Straffolgen des Art. 3072911. Auch der unterlassene Hinweis auf das Recht zur Zeugnisverweigerung macht nach richtiger Auffas­ sung das Zeugnis ungültig, sofern für den Zeugen ein solches Recht besteht2912. Der Zeuge darf demzufolge nicht für Aussagen bestraft werden, zu deren Ver­ weigerung er berechtigt gewesen wäre. Schliesslich wird auch das Vorlesen des Protokolls sowie dessen Unterzeichnung bzw. Bestätigung seiner Richtigkeit durch den Zeugen als Gültigkeitsvorschrift anzusehen sein2913.

2.4

Inhalt der Aussage

2.41

Aussage «zur Sache»

Strafbar macht sich nur, wer «zur Sache» falsch aussagt2914. Eine Zeugenaus­ sage gehört zur Sache, wenn sie mit der Abklärung oder Feststellung des Sach­

2907  Zum schweizerischen Zivilprozessrecht vgl. Ebneter, N 440 ff. 2908  BGE 69 IV 223, 71 IV 45, 86 I 91, 94 IV 2, Cassani, N 17 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK

StGB II, N 27 zu Art. 307.

2909  BGE 94 IV 2. 2910  Vgl. Schultz, Rechtsprechung 1968, 382, Corboz, Vol. II, N 77 zu Art. 307, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 56 N 25, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 16 zu Art. 307.

2911  H.L., vgl. Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 21, 25 zu Art. 307, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 9

zu Art. 307, a.M. Cassani, N 22 und 23 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 28: nur dann, wenn vom jeweils einschlägigen Prozessrecht so vorgesehen. 2912  Vgl. StPO Art. 177, so auch Cassani, N 11 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 28 zu Art. 307, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 307. 2913  Vgl. StPO Art. 141 Abs. 2, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 11 zu Art. 307 mit Nachweisen, vgl. auch RS 1961 Nr. 214, ZBJV 111 (1975) 418. 2914  SJZ 51 (1955) 209.

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§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

verhaltes zusammenhängt, der Gegenstand des Verfahrens ist2915. Hierzu zäh­ len auch Antworten auf Fragen, welche darauf abzielen, die Glaubwürdigkeit oder Zuverlässigkeit der Aussagen des Zeugen über den Sachverhalt zu prü­ fen2916. Nicht zur Sache gehören vor allem die Antworten auf sogenannte Per­ sonalfragen2917, sowie «Rahmenerzählungen» des Zeugen, welche mit dem abzuklärenden Lebensverhältnis nichts zu tun haben. Die Aussage eines Zeugen beschränkt sich nicht nur auf sinnlich wahrnehm­ bare äussere Vorgänge. Auch unrichtige Angaben über innere Tatsachen kön­ nen Gegenstand des falschen Zeugnisses sein, so wenn der Aussagende sich selbst oder einem anderen einen bestimmten Willen andichtet. Hinsichtlich der eigenen inneren Befindlichkeit kann der Zeuge aus eigenem Erleben berichten, hinsichtlich der inneren Befindlichkeit anderer Personen kann er zumindest Indiztatsachen wahrgenommen haben, wie z.B. dass der andere geweint oder gelacht habe; ausserdem kann der Zeuge mitteilen, was der andere ihm über seine innere Befindlichkeit mitgeteilt hat2918. Irrelevant – weil mit der prozessualen Rolle des Zeugen als Person, die über wahrgenommene Tatsachen berichten soll, nicht zu vereinbaren und deshalb nicht verwertbar – sind Meinungsäusserungen oder Wertungen des Zeugen2919.

2.42

Erhebliche und unerhebliche Aussagen zur Sache

Bezieht sich eine falsche Äusserung auf «Tatsachen, die für die richterliche Ent­ scheidung unerheblich sind», führt dies gemäss Art. 307 Abs. 3 zu einer gerin­ geren Strafe. Nach Auffassung des Bundesgerichts liegt eine unerhebliche Tat­ sache nur dann vor, wenn diese ihrem Gegenstand nach nicht geeignet ist, den Ausgang des Prozesses irgendwie zu beeinflussen, also weder für eine rechtliche Schlussfolgerung noch für eine sich auf rechtlich erhebliche Tatsachen bezie­

2915  BGE 93 IV 26, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 31 f. 2916  Vgl. z.B. BGE 70 IV 84, 75 IV 68, 93 IV 26, Cassani, N 28 zu Art. 307, Corboz, Vol. II,

N 42 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 32, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 13 zu Art. 307. 2917  Anders nur, wenn das Alter rechtserheblich ist, wie z.B. bei Art. 187, 188. 2918  Vgl. BGE 93 IV 59, Corboz, Vol. II, N 41 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 31, kritisch dazu Cassani, N 28 zu Art. 307, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 13 zu Art. 307. 2919  Cassani, N 28 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 20 zu Art. 307, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 56 N 31.

535

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

hende, tatsächliche Schlussfolgerung in Betracht kommt2920. Die Gegenauffas­ sung, nach der erheblich nur jene Tatsachen sind, die für das konkrete End­ urteil wirklich von Bedeutung waren2921, würde dem Strafmilderungsgrund einen realen Anwendungsbereich verschaffen und erscheint sinnvoll, dürfte aber wegen der sehr weit gehenden Herabsetzung des Strafrahmens keine Aus­ sicht haben, sich auch in der Praxis durchzusetzen2922.

2.43

Falschheit der Aussage

Die Aussage muss «falsch» sein. Falsch ist eine Aussage, wenn sie dem tatsäch­ lichen objektiven Geschehen widerspricht2923. Der Paradefall ist insoweit die Darstellung eines frei erfundenen Sachverhalts. Eine Aussage kann aber auch dann falsch sein, wenn einzelne oder auch alle Angaben des Zeugen für sich gesehen richtig sind. Eine falsche Aussage liegt z.B. bei folgenden Fallgestal­ tungen vor: –– Der Zeuge schildert einen Vorgang, den er nicht aus eigener Anschauung miterlebt hat, als eigene Beobachtung2924. –– Der Zeuge sagt wahrheitswidrig aus, er habe über den abzuklärenden Sach­ verhalt keine Wahrnehmungen gemacht oder vermöge sich an ihn nicht mit Sicherheit zu erinnern; anders liegt es bei der Aussageverweigerung2925. –– Der Zeuge schildert nur einen Teil des Sachverhaltes, sodass ein falsches Bild entsteht.

2920  BGE 93 IV 26, 106 IV 198, a.M. Trechsel/Affolter-Eijsten, N 20 zu Art. 307: Wenn die

Aussage aus der Sicht eines einsichtigen Zeugen in der Lage des Betroffenen nicht geeignet war, den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen. 2921  Cassani, N 53 zu Art. 307. 2922  So auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 42. 2923  Cassani, N 25 zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 32 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 22 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 33, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 14 zu Art. 307, zweifelnd Kantonsgericht Schwyz, EGV-SZ 2014, A 5.4, Erw. 4.b. 2924  Cassani, N 25 zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 33 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 22 zu Art. 307. 2925  Vgl. Trechsel/Affolter-Eijsten, N 14 zu Art. 307, der allerdings auch den Fall der Behaup­ tung einbezieht, sich nicht erinnern zu können.

536

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

Nicht erforderlich ist, dass sich der Einvernehmende oder andere Organe der Justiz durch die unrichtige Darstellung irreführen lassen2926. Selbst offensicht­ lich als unrichtig zu erkennende Aussagen erfüllen den Tatbestand2927. Inhaltlich festgeschrieben ist das Zeugnis erst mit dem Abschluss der Einver­ nahme2928. Welcher Zeitpunkt dies ist, bestimmt sich wiederum nach dem betreffenden Prozessrecht2929. In der Regel ist die Zeugenbefragung mit der Unterzeichnung des Protokolls durch den Zeugen abgeschlossen, auch wenn die Einvernahme in der Folge fortgesetzt wird2930. Hat der Zeuge eine ursprünglich falsche Angabe vor dem Abschluss der Ein­ vernahme korrigiert, liegt überhaupt keine falsche Aussage vor.

3.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur die vorsätzlich (auch bloss eventualvorsätzlich) falsche Zeugen­ aussage2931. Der Täter muss sich bewusst sein, in einem gerichtlichen Verfah­ ren als Zeuge und zur Sache auszusagen, nicht aber darüber, dass seine Aus­ sage eine für die richterliche Entscheidung erhebliche Tatsache betrifft2932. Im Übrigen muss sich der Täter der Unwahrheit seiner Aussage bewusst sein oder mindestens in Kauf nehmen, dass sie möglicherweise falsch ist.

4.

Versuch des falschen Zeugnisses

Das falsche Zeugnis ist erst mit dem Abschluss der Einvernahme vollen­ det2933, welcher Zeitpunkt sich wiederum nach dem betreffenden Prozessrecht bestimmt2934. Macht der Täter falsche Angaben, die er noch vor Abschluss der Einvernahme wieder berichtigt, könnte ein versuchtes Delikt vorliegen (Art. 22). Nach Auffassung des Bundesgerichtes ist allerdings nicht einmal eine

2926  Vgl. BGE 106 IV 200. 2927  BGE 106 IV 200, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 32. 2928  BGE 85 IV 32, 107 IV 132, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 16 zu Art. 307. 2929  BGE 98 IV 214, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 16 zu Art. 307. 2930  BGE 95 IV 79, ZR 56 (1957) Nr. 70. 2931  Cassani, N 41 zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 46 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II,

N 31 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 36.

2932  BGE 93 IV 27. 2933  BGE 85 IV 32. 2934  BGE 98 IV 214.

537

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

strafbare versuchte Falschaussage gegeben2935, was zwar auch mit einem Ver­ weis auf Art. 308 Abs. 1 dogmatisch nicht zu begründen, aus praktischen Erwä­ gungen heraus – dem Zeugen soll eine goldene Brücke gebaut werden – aber zu billigen ist2936. Strafbar wegen versuchter Falschaussage ist auch derjenige Zeuge, der irri­ gerweise meint, die Unwahrheit zu bekunden. Entgegen der Auffassung des Bundesgerichts2937 gilt dies allerdings dann nicht, wenn bei der Einvernahme strafrechtlich relevante Zuständigkeits- oder Gültigkeitsvorschriften missach­ tet worden sind. Unter solchen Umständen wird der Befragte von vornherein nicht zum Zeugen i.S. des Gesetzes, ist also ein sog. untaugliches Subjekt2938. Der Befragte begeht alsdann durch seine falsche Aussage ein strafloses Puta­ tivdelikt2939.

5.

Qualifizierter Tatbestand

Nach Abs. 2 wird das falsche Zeugnis mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bestraft, wenn die Aussage mit einem Eid oder mit einem Handgelübde bekräftigt wird2940.

6.

Weitere Fragen

6.1 Teilnahme Praktisch denkbar und auch strafbar sind Anstiftung zu falschem Zeugnis2941 sowie Gehilfenschaft, etwa durch Bestärken im Vorsatz2942. Im Hinblick auf den Sonderdeliktscharakter von Art. 307 kann dagegen nicht als mittelbarer

2935  BGE 80 IV 124, 85 IV 33, 95 IV 79, vgl. auch BGE 107 IV 132. 2936  Vgl. Cassani, N 30 ff. zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 75 zu Art. 307, Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 56 N 34, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 16 zu Art. 307.

2937  BGE 94 IV 2. 2938  Schultz, Rechtsprechung 1968, 382 sowie vorn Ziff. 2.3. 2939  Vgl. hierzu Strafrecht I, § 12 Ziff. 2.3. 2940  Dazu vorn § 112 Ziff. 3. 2941  Vgl. zum erforderlichen Vorsatz BGE 98 IV 216 sowie Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18

zu Art. 307.

2942  BGE 72 IV 100 f., Corboz, Vol. II, N 78 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 37 zu

Art. 307, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18 zu Art. 307.

538

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

Täter bestraft werden, wer dem Zeugen eine falsche Darstellung als wahr sug­ geriert2943.

6.2 Konkurrenzfragen Eine allfällige mit dem falschen Zeugnis verbundene Irreführung der Rechts­ pflege (Art.  304) oder falsche Anschuldigung (Art.  303) wird nach überein­ stimmender Doktrin durch eine Bestrafung nach Art. 307 nicht abgegolten2944. Auch im Verhältnis von Art. 307 und Art. 305 ist echte Konkurrenz anzuneh­ men2945. Gleiches gilt für Art. 146, 160 und 173 ff.2946.

6.3

Strafmilderungs- und Ausschlussgründe (Art. 308)

Korrigiert der Täter eine falsche Aussage vor Abschluss der Einvernahme, bleibt er straflos2947. Nach Art. 308 (Strafmilderungen/Atténuations de peines/ Attenuazione di pene/Mitigation of the sentence) Abs. 1 kann er milder bestraft oder straflos gelassen werden, wenn er seine falschen Aussagen nach Abschluss der Einvernahme aus eigenem Antrieb berichtigt, bevor ein Rechtsnachteil für einen anderen entstanden ist. Ein solcher Nachteil wird in Zivil- und Verwal­ tungssachen darin zu erblicken sein, dass eine Partei infolge der Falschaussage den Gegenbeweis führen muss oder gar ein für sie nachteiliges Urteil ergeht. Für den Strafprozess kann auf die Ausführungen zur falschen Anschuldigung (Art. 303) verwiesen werden2948. Ausserdem besteht nach Art.  308 Abs.  2 die Möglichkeit einer Strafmilde­ rung, wenn der Täter falsch ausgesagt hat, weil er durch die wahre Aussage sich oder seine Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde (sog. Aussage- oder Ehrennotstand). Nach dem Sinn und Zweck der Norm reicht es aus, wenn die Gefahr der Fortsetzung eines gegen die angehö­ 2943  BGE 71 IV 136, 115 IV 233, vgl. auch Corboz, Vol. II, N 78 zu Art. 307, Delnon/Rüdy,

BSK StGB II, N 36 zu Art. 307, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 18 zu Art. 307.

2944  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 41 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 44,

Trechsel/Affolter-Eijsten, N 22 zu Art. 307.

2945  Vgl. Cassani, N 54 zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 80 zu Art. 307, Stratenwerth/Bom-

mer, BT II, § 56 N 44, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 22 zu Art. 307, SJZ 86 (1990) 47 mit eingehender Begründung. 2946  BGE 80 IV 59, Cassani, N 54 zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 79 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 43 f. zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 45. 2947  Siehe vorn Ziff. 4. 2948  Vgl. vorn § 109 Ziff. 3.2.

539

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

rige Person bereits angehobenen Verfahrens besteht2949. Dass der falsch aussa­ gende Zeuge auf das ihm zustehende Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen worden war und davon keinen Gebrauch gemacht hatte, steht der Anwendbar­ keit der Norm nicht entgegen2950. Entscheidend sei, dass der Zeuge subjektiv glaube, sein Schweigen in Ausübung jenes Rechtes könne sich zum Nachteil des Angehörigen auswirken2951. Dass die Bestimmung nach der Praxis nur auf den Zeugen selber Anwendung finden soll, nicht aber auf den in Strafuntersuchung stehenden Beschuldigten, der einen anderen zum falschen Zeugnis zu seinen Gunsten bestimmt2952, und auch nicht auf eine nicht selber beschuldigte Person, welche einen Dritten zu falschem Zeugnis zugunsten eines mit ihr verwandten Beschuldigten anstif­ tet2953, lässt sich mit der Anerkennung der mittelbaren Selbstbegünstigung bei Art. 305 kaum vereinbaren2954.

7.

Abgabe eines falschen Gutachtens; falsche Übersetzung

Auch solche Verhaltensweisen sind nur strafbar, wenn sie in einem gericht­ lichen Verfahren und «zur Sache» erfolgen2955. Welche Formvorschriften zu beachten sind, damit die entsprechende Äusserung als gültiges Gutachten oder gültige Übersetzung betrachtet werden kann, wird wiederum durch das massgebende Verfahrensrecht bestimmt. Die einschlägigen Gesetze schreiben regelmässig vor, dass die betreffenden Personen auf Art. 307 aufmerksam zu machen seien. Art. 307 Abs. 2 und 3 sowie Art. 308 Abs. 1 sind auch im Falle des falschen Gutachtens und im Falle der falschen Übersetzung anwendbar.

2949  BGE 118 IV 178 ff., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 52, Trechsel/Affolter-Eijsten,

N 6a zu Art. 308.

2950  BGE 118 IV 180 f., Cassani, N 19 zu Art. 308, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 53,

Trechsel/Affolter-Eijsten, N 7 zu Art. 308.

2951  BGE 75 IV 70 f., Cassani, N 23 zu Art. 308, Corboz, Vol. II, N 70 zu Art. 307, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 56 N 52, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 7 zu Art. 308.

2952  BGE 81 IV 39, 115 IV 233, 118 IV 181. 2953  BGE 118 IV 182. 2954  Cassani, N 25 f. zu Art. 308, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 56 N 54, Trechsel/Affolter-

Eijsten, N 8 zu Art. 308.

2955  Vgl. Ziff. 2.42.

540

§ 116  Falsches Zeugnis, falsches Gutachten, falsche Übersetzung (Art. 307)

7.1

Abgabe eines falschen Befundes oder Gutachtens

Der Sachverständige wird vom Richter insbesondere beigezogen, um dem Gericht Erkenntnisse über bestehende Erfahrungssätze zu vermitteln, auf­ grund seiner besonderen Fachkenntnisse Schlussfolgerungen aus Tatsachen zu ziehen und/oder aufgrund seiner besonderen Fachkenntnisse Erkenntnisse zu gewinnen, die ein Gericht selbst nicht gewinnen kann2956. Von den Parteien beigezogene Privatgutachter unterstehen der Strafdrohung nicht2957. Die entsprechenden Ausführungen des Experten sind falsch, wenn entweder die darin wiedergegebenen nicht den tatsächlichen Feststellungen des Gutach­ ters entsprechen oder er aus den festgestellten Tatsachen falsche, d.h. gemes­ sen am anerkannten Erfahrungswissen seiner Forschungsdisziplin nicht ver­ tretbare Schlussfolgerungen gezogen hat2958. Basiert das Gutachten nicht auf den Standardansätzen, ist das Gutachten unvollständig – und deshalb falsch –, wenn der Gutachter seinen «Aussenseiteransatz» nicht offengelegt hat2959. Subjektiv ist mindestens Eventualvorsatz erforderlich, d.h., der Täter muss wenigstens mit der Möglichkeit rechnen und in Kauf nehmen, dass eine oder mehrere Äusserungen falsch sind.

7.2

Falsche Übersetzung

Mit der Formulierung «Übersetzer oder Dolmetscher» werden alle gerichtlich bestellten Personen erfasst, die prozessual relevante mündliche oder schrift­ liche Äusserungen von einer Fremdsprache in die Gerichtssprache übertra­ gen oder dem Gericht den Sinn spezieller Zeichen (z.B. Taubstummenspra­ che) vermitteln2960. Falsch ist die Übersetzung, wenn der Täter dem Richter

2956  Zu den Aufgaben des Sachverständigen vgl. Donatsch, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber,

Kommentar zur Schweizerischen –Strafprozessordnung, 2.  Aufl., Zürich 2014, N  2, 6 zu Art.  182, Donatsch/Schwarzenegger/Wohlers, Strafprozessrecht, 2.  Aufl., Zürich 2014, § 6 Ziff. 4.51. 2957  ZR 61 (1962) Nr. 87, Cassani, N 34 zu Art. 307 m.w.H., Corboz, Vol. II, N 23 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 13 zu Art. 307, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 54 N 25. 2958  Vgl. aber Cassani, N  35 zu Art.  307 m.w.H., Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N  23 zu Art. 307, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 14 zu Art. 307. 2959  Zur Unvollständigkeit als Mangel des Gutachtens vgl. Donatsch, in: Donatsch/Hansja­ kob/Lieber, N 6 zu Art. 189. 2960  Cassani, N 39 zu Art. 307, Corboz, Vol. II, N 24 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 15 f. zu Art. 307.

541

§ 117  Befreiung von Gefangenen (Art. 310)

den Sinn der Äusserung unrichtig wiedergibt2961. Selbstverständlich ist auch hier nur vorsätzliches Verhalten strafbar.

§ 117 Befreiung von Gefangenen (Art. 310) Literaturauswahl: F. Clerc, De la répression de l’évasion simple, ZStrR 81 (1965) 76, F. Vasalli, L’evasione nel diritto penale svizzero, Diss. Bern 1967.

1. Allgemeines Art. 310 (Befreiung von Gefangenen/Faire évader des détenus/Liberazione di detenuti/Assisting prisoners to escape) erfasst die Befreiung von Gefangenen durch einzelne aussenstehende2962 Drittpersonen (Ziff. 1) sowie durch einen zusam­ mengerotteten Haufen (Ziff. 2). Es handelt sich hierbei um einen speziellen Fall des gewaltsamen Widerstands gegen Behörden und Beamte (Art. 285) und der Vollzugsbegünstigung (Art.  305)2963. Dementsprechend bleibt der Gefangene straflos, der sich selber – gegebenenfalls auch im kollektiven Zusammenwirken mit anderen Gefangenen – befreit oder befreien lässt (vgl. aber Art. 311)2964. Das Gesetz stellt dem Gefangenen einen «Verhafteten» sowie einen «andern auf amtliche Anordnung in eine Anstalt Eingewiesenen» gleich. Mit Strafe bedroht wird demnach zunächst die Befreiung aller Personen, denen aufgrund strafprozessualer oder materiellstrafrechtlicher Bestimmungen die Freiheit ent­ zogen wurde, so von polizeilich festgenommenen Personen, Untersuchungs­ häftlingen, Personen, die sich in Sicherheits- oder Beugehaft, sowie von Ver­ urteilten, die sich im Straf- oder Massnahmenvollzug befinden2965. Anders als bei der Vollzugsbegünstigung besteht dabei keine Ausnahme für jugendstraf­

2961  Cassani, N 40 zu Art. 307, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 24 zu Art. 307, vgl. dazu auch

Corboz, Vol. II, N 38 zu Art. 307.

2962  Zur Strafbarkeit des Anstaltspersonals vgl. Art. 319 und hierzu hinten § 124. 2963  Cassani, N 1 zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 1, Trechsel/Affolter-Eijs-

ten, N 1 zu Art. 310.

2964  BGE 96 IV 76, Cassani, N 6 zu Art. 311, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 310, Delnon/Rüdy,

BSK StGB II, N 8, 28 zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 10, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 4 zu Art. 310, vgl. ergänzend vorn § 111 Ziff. 3. 2965  Cassani, N 10 f. zu Art. 310, Corboz, Vol. II, N 2, 4 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 13 zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 4.

542

§ 117  Befreiung von Gefangenen (Art. 310)

rechtliche Sanktionen2966. Erfasst werden des Weiteren auch Formen amtlich angeordneter Anstaltseinweisungen, wie z.B. der fürsorgerische Freiheitsent­ zug nach ZGB Art. 397a2967, aber auch die Ausschaffungs- und Auslieferungs­ haft2968. Nicht erfasst sind dagegen Personen, die sich auf Veranlassung des Inhabers der elterlichen Gewalt oder anderer Privater in der Anstalt befinden. Gleiches gilt für Personen, die von Privatpersonen vorläufig festgenommen worden sind, solange sie sich in deren Gewalt befinden2969. Die Erwähnung des «Verhafteten» verdeutlicht, dass sich der Gefangene zur Zeit der Tat nicht unbedingt in einer Anstalt befinden muss2970. Von einer Befreiung wird indessen nur dann gesprochen werden können, wenn seine Freiheit im Zeitpunkt der Fluchthilfe tatsächlich aufgehoben oder mindes­ tens beschränkt ist. Der Tatbestand von Art.  310 lässt sich demzufolge auch an einem Gefangenen erfüllen, der sich vorübergehend unter Bewachung bei einem auswärtigen Arzt oder in einem Spital aufhält2971, nicht aber an einem Gefangenen, der sich auf Urlaub befindet oder im Regime der Halbgefangen­ schaft2972 einer auswärtigen Arbeit nachgeht2973. Für die Rechtmässigkeit der Haft gelten die gleichen Grundsätze wie bei den Art. 285 f.2974.

2966  Cassani, N 14 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 14 zu Art. 310, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 58 N 5.

2967  Cassani, N 14 f. zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 14 zu Art. 310, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 58 N 5.

2968  Cassani, N 15 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 14 zu Art. 310. 2969  Cassani, N 13 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 12 zu Art. 310, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 58 N 4.

2970  Cassani, N 12 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 12 zu Art. 310. 2971  Vgl. hierzu BGE 86 IV 217, Cassani, N 11 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 15

zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 4.

2972  Vgl. Strafrecht II, § 13 Ziff. 4. 2973  Cassani, N 11 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 15 zu Art. 310, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 58 N 6.

2974  Vgl. Cassani, N 16 f. zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 7, Trechsel/Affol-

ter-Eijsten, N 3 zu Art. 310, sowie vorne §§ 93 f., verfehlt Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 16 f. zu Art. 310, die eine straflose Befreiung dann annehmen, wenn die Täter gute Gründe dafür hatten, von der Unschuld des Inhaftierten überzeugt zu sein.

543

§ 117  Befreiung von Gefangenen (Art. 310)

2.

Gefangenenbefreiung durch Einzelpersonen (Ziff. 1)

2.1 Tatbestand Der objektive Tatbestand besteht darin, dass der Täter mit Gewalt, Drohung oder List einen Gefangenen im vorne umschriebenen Sinn befreit oder ihm zur Flucht behilflich ist. Auch in diesem letzten Fall muss eines der erwähnten Tat­ mittel verwendet werden2975. Die «Befreiung» eines Gefangenen erfordert, sofern sie nicht gegen seinen Wil­ len erfolgt, eine gewisse Aktivität von seiner Seite. Mit der alternativen For­ mulierung der Tathandlung wird daher nur klargestellt, dass es nicht auf das Gewicht des Beitrags des Täters zur Flucht des Inhaftierten ankommt. Der Tat­ bestand lässt sich demnach als verselbständigte Beihilfe zur Flucht auffassen. Die infrage kommenden Handlungsweisen werden vom Gesetz lediglich durch die von ihm vorausgesetzten Tatmittel eingeschränkt. Die in Art. 310 erwähnte Befreiung von Gefangenen durch Gewalt oder Drohung stellt einen Spezial­ fall der Nötigung nach Art. 181 dar2976. Das Tatbestandsmerkmal «List» erfasst neben der eigentlichen Irreführung des mit der Bewachung eines Gefangenen betrauten Personals auch das Ausnützen eines bei diesem bereits bestehenden Irrtums2977. Den Tatbestand erfüllt z.B., wer Ausbruchswerkzeug versteckt in das Gefängnis einführt2978, als Besucher des ihm ähnlichen Gefangenen mit diesem die Kleider tauscht oder Manöver zur Ablenkung der Begleiter eines Verhafteten in Szene setzt. Der tatbestandsmässige Erfolg besteht darin, dass der Gefangene die Freiheit erlangt, d.h. «alle zur Sicherung des Gewahrsams aufgerichteten Hindernisse

2975  BGE 96 IV 74, Cassani, N 20 zu Art. 310, Corboz, Vol. II, N 12, 14 ff., Delnon/Rüdy,

BSK StGB II, N 22 zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 14, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 7 zu Art. 310. 2976  Vgl. auch Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 18 f. zu Art. 310. 2977  Cassani, N 24 zu Art. 310, Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 11, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 7 zu Art. 310, a.M. Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 20 zu Art. 310: Der den Irrtum Ausnützende muss an der Verursachung des Irr­ tums beteiligt gewesen sein. 2978  ZBJV 123 (1987) 446, a.M. offenbar Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 14.

544

§ 117  Befreiung von Gefangenen (Art. 310)

überwunden hat»2979. Damit ist das Vergehen vollendet, auch dann, wenn die Befreiung nur kurze Zeit andauert2980. Subjektiv wird selbstverständlich Vorsatz gefordert, während der Beweggrund des Täters belanglos bleibt.

2.2

Weitere Fragen

2.21 Versuch Versuch liegt vor, wenn der Täter bereits mit der Anwendung von Gewalt, Drohung oder List begonnen hat, es aber nicht zur Befreiung des Gefangenen kommt. Das Bundesgericht liess indessen faktisch schon umfangreiche Vor­ bereitungshandlungen als Versuch gelten2981 und erachtet auch die Fälle als erfasst, in denen der Täter nur versucht hat, bei der Flucht behilflich zu sein2982.

2.22

Abgrenzungen und Konkurrenzen

Art.  310 geht als Spezialtatbestand der Begünstigung nach Art.  305 vor2983. Die Fluchthilfe an eine im Straf- oder Massnahmenvollzug befindliche, aber zur Tatzeit nicht tatsächlich in ihrer Freiheit beschränkte Person fällt indes­ sen nicht unter Art. 310, sondern ist als Begünstigung nach Art. 305 strafbar. Das Gleiche gilt für die Unterstützung von Gefangenen, die bereits entwichen oder befreit worden sind, auf ihrer weiteren Flucht2984. Dies gilt auch für den Abtransport des Gefangenen auf einem jenseits der von ihm zu überklettern­ den Mauer bereitgestellten Fahrzeug2985, sofern die Flüchtenden nicht bereits unmittelbar verfolgt werden.

2979  BGE 96 IV 76, vgl. auch Cassani, N 26 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 21

zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 10, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 5 zu Art. 310. 2980  Cassani, N 26 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 21 zu Art. 310. Zu weit gehend liess das OGer Bern, ZBJV 123 (1987) 446, schon die Übergabe des Ausbruchswerk­ zeuges an den Gefangenen genügen. 2981  Rep. 115 (1982) 63. 2982  BGE 117 IV 396, vgl. auch Cassani, N 28 zu Art. 310, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 13. 2983  Trechsel/Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 310: Konsumtion. 2984  BGE 96 IV 75, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 22 zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 13, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 6 zu Art. 310. 2985  Cassani, N 27 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 31 zu Art. 310.

545

§ 117  Befreiung von Gefangenen (Art. 310)

Eine allfällige Nötigung nach Art.  181 bzw. Gewaltanwendung oder Dro­ hung gegen Beamte nach Art.  285 Ziff.  1 wird durch Art.  310 als dem spe­ zielleren Tatbestand verdrängt (unechte Konkurrenz)2986. Wird dagegen die Befreiung des Gefangenen bzw. die Hilfeleistung zu seiner Flucht mit weite­ ren Delikten, z.B. solchen gegen Leib und Leben oder Sachbeschädigung verbunden, sind die betreffenden Tatbestände zusätzlich anwendbar (echte Konkurrenz)2987. Wer bei einer Meuterei von Gefangenen zu deren Selbstbefreiung Hilfe leistet, ist nicht nach Art. 310, sondern wegen Gehilfenschaft zur Meuterei von Gefan­ genen gemäss Art. 311 zu bestrafen.

3.

Tatbegehung durch einen zusammengerotteten Haufen (Ziff. 2)

Nach dieser Bestimmung ist im Falle der Verübung einer Tat nach Art.  310 Ziff.  1 durch einen zusammengerotteten Haufen jeder strafbar, der an der Zusammenrottung teilnimmt. Hinsichtlich der Auslegung dieser Umschrei­ bung, die auch den Landfriedensbruch (Art.  260) kennzeichnet und ferner einen qualifizierten Tatbestand der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte nach Art. 285 bildet, kann auf die entsprechenden Ausführungen ver­ wiesen werden2988. Strengerer Strafe unterliegt nach Ziff. 2 Abs. 2, wer nicht nur an der Zusam­ menrottung teilnimmt, sondern selber Gewalt an Personen oder Sachen ver­ übt2989.

2986  Cassani, N 39 zu Art. 310, Corboz, Vol. II, N 26 zu Art. 310, Delnon/Rüdy, BSK StGB

II, N 30 zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 18, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 310. 2987  Cassani, N 40 zu Art. 310, Corboz, Vol. II, N 28 zu Art. 310, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 18, Trechsel/Affolter-Eijsten, N 10 zu Art. 310, vgl. aber auch Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 30 zu Art. 310: Konsumtion einfacher Körperverletzungen. 2988  Vgl. § 44 Ziff. 1.1 und § 93 Ziff. 3. 2989  Vgl. dazu auch die Ausführungen zu Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2, vorn § 93 Ziff. 3.2.

546

§ 118  Meuterei von Gefangenen (Art. 311)

§ 118 Meuterei von Gefangenen (Art. 311) Literaturauswahl: F. Clerc, De la répression de l’évasion simple (Selbstbefreiung), ZStrR 81 (1965) 76.

1.

Grundtatbestand und Qualifikation

Täter dieses echten Sonderdelikts (Meuterei von Gefangenen/Mutinerie de détenus/Ammutinamento di detenuti/Prison mutiny) kann nur ein Gefangener oder ein anderer auf amtliche Anordnung hin in eine Anstalt Eingewiesener sein, nicht aber der sich ausserhalb einer solchen befindliche Verhaftete2990. An der Meuterei nicht selbst beteiligte Gefangene und Aussenstehende können sich der strafbaren Anstiftung und Beihilfe zur Meuterei schuldig machen. Objektiv muss der Täter an einer Zusammenrottung2991 von Gefangenen teil­ nehmen, die in einer besonderen Absicht erfolgt. Als entsprechende Vorhaben kommen alternativ in Betracht: a) der vereinte Angriff auf Anstaltsbeamte oder andere mit der Beaufsichti­ gung beauftragte Personen2992, der stets tätlicher, nicht bloss verbaler Natur sein muss2993, aber seinerseits  – abgesehen von den weiteren im Gesetz genannten Fällen von Meuterei – beliebigen Zwecken dienen kann; b) die Nötigung derartigen Personals zu einer Handlung oder Unterlassung mittels Gewalt oder Drohung mit Gewalt; anderweitige Androhungen fallen unter Art. 285 Ziff. 22994. Die übrigen Formen der Nötigung, wie z.B. durch einen gemeinsamen Sitzstreik der zusammengerotteten Gefangenen, las­ sen sich nur im Rahmen von Art. 286 und subsidiär nach Art. 181 ahnden;

2990  Cassani, N 3 zu Art. 311, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 6 f. zu Art. 311, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 58 N 31.

2991  Vgl. vorn § 46 Ziff. 1.1 sowie Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 11 zu Art. 311. 2992  Vgl. Cassani, N 10 zu Art. 311, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 10 zu Art. 311: nicht der

Gefängnisgeistliche, das Küchenpersonal oder Sozialarbeiter.

2993  Cassani, N 9 zu Art. 311, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 311, Delnon/Rüdy, BSK StGB II,

N 12 zu Art. 311, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 35.

2994  Cassani, N 11 zu Art. 311, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 13 zu Art. 311, Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 58 N 36.

547

§ 118  Meuterei von Gefangenen (Art. 311)

c) ein gewaltsamer, d.h. mit physischer Einwirkung auf Personen und nicht nur auf Sachen verbundener Ausbruch2995. Dass die zusammengerotteten Gefangenen bereits Handlungen der genann­ ten Art verübt haben, ist nicht erforderlich. Das tatbestandsmässige Verhalten wird bereits durch die blosse Teilnahme an der Zusammenrottung vollendet. Keine Zusammenrottung im Sinne von Art. 311 liegt vor, wenn Gefangene, die unfrei­ willig die gleiche Zelle teilen, gemeinsam ausbrechen2996.

Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muss sich an der Meuterei im Bewusstsein beteiligen, dass die zusammengerotteten Gefangenen einen der unter lit. a–c hievor genannten Zwecke verfolgen. Nicht gefordert wird, dass er ausserdem willens ist, selber Bewacher anzugreifen bzw. zu nötigen oder gewaltsam auszubrechen2997. Wer selber Gewalt an Personen oder Sachen verübt, wird mit strengerer Strafe bedroht2998.

2.

Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen

Obwohl die Verurteilung wegen Meuterei nach Art. 311 Ziff. 1 allein die Betei­ ligung an einer Zusammenrottung mit einem der genannten Vorhaben vor­ aussetzt, kann daneben weder Art. 285 noch Art. 181 zur Anwendung kom­ men, da Art.  311 einen Spezialfall von Gewalt und Drohung gegen Beamte abschliessend regelt2999. Ausschliesslich wegen Meuterei ist daher z.B. auch der Teilnehmer zu verurteilen, der selber das Anstaltspersonal durch Gewalt oder Drohung nötigt, Türen zu öffnen oder einen Ausbruch zu dulden. Verübt ein gewalttätiger Meuterer Tätlichkeiten im Sinne von Art. 126 oder einfache Kör­ perverletzungen im Rahmen von Art. 123, treten diese in unechte Konkurrenz zu Art. 311 Ziff. 2, während er im Falle der Begehung schwerer Delikte gegen Leib und Leben zusätzlich deretwegen zu bestrafen ist3000. 2995  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 37, a.M. Cassani, N 12 zu Art. 311, Corboz, Vol. II,

N 11 zu Art. 311, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 16 zu Art. 311.

2996  BJM 1980, 91. 2997  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 17 zu Art. 311, a.M. Cassani, N 8 zu Art. 311. 2998  Vgl. dazu auch die Ausführungen zu Art. 285 Ziff. 2, vorn § 93 Ziff. 3.2. 2999  Cassani, N 14 zu Art. 311, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 311, Stratenwerth/Bommer, BT

II, § 58 N 39.

3000  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 21 zu Art. 311, a.M. – bezogen auf Art. 123 – Cassani,

N 14 zu Art. 311, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 311.

548

§ 119 Einleitung

18. Titel

Strafbare Handlungen gegen die Amts- und Berufspflicht (Art. 312–322bis)

§ 119 Einleitung Unter dem 18. Titel des StGB finden sich v.a. Normen, welche die in einem eminenten öffentlichen Interesse liegende rechtsgetreue Ausübung öffentlichrechtlicher Befugnisse durch deren Träger gewährleisten wollen. Mit Strafe bedroht werden verschiedene Arten von ungetreuer und missbräuchlicher Führung öffentlicher Ämter. Handelt es sich beim Täter um einen eidgenössi­ schen Beamten, so untersteht dieser gemäss StPO Art. 23 Abs. 1 lit. j der Bun­ desgerichtsbarkeit. Die Regelung der Amtsdelikte im StGB ist nicht abschliessend, sodass ergän­ zende kantonale Übertretungstatbestände geschaffen werden können3001. Andererseits dürfen Art. 312 ff. selbstverständlich auch dann angewendet wer­ den, wenn das darunter fallende Verhalten disziplinarisch geahndet werden könnte3002. Disziplinarstrafen erfüllen andere Funktionen. Art. 318, 321 und 322 auferlegen den Angehörigen einzelner privater Berufe, an deren einwandfreier Ausübung die Öffentlichkeit besonders interessiert ist, bestimmte Pflichten und bedrohen die Verletzung derselben mit Strafe.

§ 120 Amtsmissbrauch (Art. 312) Literaturauswahl: G. Frey/E. Omlin, Amtsmissbrauch – die Ohnmacht der Mächtigen, Eine Ana­ lyse der Amtsmissbrauchsnorm mit Blick auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden, AJP 14 (2005) 82, J. Maye, Les infractions commises par les fonctionnaires en droit suisse, RICPT 19 (1965) 259, U. Pajarola, Gewalt im Verhör zur Rettung von Menschen, Diss. Zürich 2007, W. Riesen, Amtsmissbrauch durch Staatsanwalt, ZStrR 87 (1971) 292, S. Trechsel, La torture en droit pénal suisse, in: Strafjustiz und Rechtsstaat, Symposium zum 60. Geburtstag von F. Riklin und J. Hurtado Pozo, hrsg. von M. A. Niggli/N. Queloz, Zürich 2003, 101.

3001  BGE 81 IV 330, 88 IV 71. 3002  BGE 99 IV 14 = Pr 62 (1973) Nr. 108 Erw. 2.

549

§ 120  Amtsmissbrauch (Art. 312)

Nach Art.  312 (Amtsmissbrauch/Abus d’autorité/Abuso di autorità/Abuse of office) werden Mitglieder einer Behörde oder Beamte bestraft, die ihre Amts­ gewalt missbrauchen, um sich oder einem anderen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem anderen einen Nachteil zuzufügen. Amts­ missbrauch ist mithin der zweckentfremdete Einsatz staatlicher Macht. Schutz­ objekt ist zum einen das Interesse des Staates an zuverlässigen Beamten, wel­ che die ihnen zukommenden hoheitlichen Befugnisse pflichtgemäss einsetzen. Zum andern soll das Interesse des Bürgers vor Missbrauch der Staatsmacht, mithin das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität der Beamten, geschützt werden3003.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Art. 312 ist als echtes Sonderdelikt3004 ausgestaltet: Täter können nur Mitglie­ der einer Behörde oder Beamte i.S. von Art. 110 Abs. 3 sein3005.

1.2 Tathandlung Nach der bundesgerichtlichen Umschreibung besteht die Tathandlung darin, dass der Täter Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig anwendet, d.h. kraft seines Amtes verfügt oder Zwang ausübt, wo dies nicht geschehen dürfte. Verletzt der Täter zwar seine Amtspflichten, liegt darin aber nicht ein Missbrauch von Amtsgewalt, so ist der Tatbestand nicht erfüllt3006. Art.  312 erfasst also nicht sämtliche Pflichtverletzungen von Beamten und Behördenmitgliedern3007.

3003  BGE 127 IV 212, BGer vom 6.10.2015, 6B_1169/2014, Erw.  2.1, Dupuis u.a., Code

pénal, N 3 zu Art. 312, Heimgartner, BSK StGB II, N 4 zu Art. 312 m.w.H., Trechsel/ Vest, in: Trechsel/Pieth, N 1 zu Art. 312. 3004  Vgl. Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.12. 3005  Diese Begriffe sind bereits in § 92 Ziff. 2 hiervor erläutert worden. 3006   BGer vom 6.10.2015, 6B_1169/2014, Erw.  2.1, BGer vom 5.4.2016, 6B_934/2015, Erw. 4.4. 3007  BGE 108 IV 49 f., 113 IV 30, 114 IV 42, 127 IV 211, BGer vom 6.10.2015, 6B_1169/2014, Erw. 2.1, BGer vom 5.4.2016, 6B_934/2015, Erw. 4.3 f., Corboz, Vol. II, N 6 f. zu Art. 312, Dupuis u.a., Code pénal, N 8 zu Art. 312, Heimgartner, BSK StGB II, N 6 zu Art. 312, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 9.

550

§ 120  Amtsmissbrauch (Art. 312)

Eine fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung, Rechts- oder Zwangsanwendung kann nur dann als Amtsmissbrauch erachtet werden, wenn diese zumindest nicht vertretbar erscheint. Die Tatbestandsmässigkeit erfordert, dass das Mit­ glied der Behörde oder der Beamte die einschlägigen Gesetzesbestimmun­ gen in schwerwiegender Weise verletzt und sich an Massstäben orientiert, die der fraglichen Regelung fremd sind. Wäre man diesbezüglich anderer Ansicht, müsste in allen Fällen, in welchen eine Verfügung durch die Rechtsmittelin­ stanz wegen fehlerhafter Rechtsanwendung aufgehoben oder eine unverhält­ nismässige Zwangsanwendung festgestellt wird, ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch eingeleitet werden. a) Verfügungen, d.h. rechtsgestaltende Akte, vermögen demnach nur dann Amtsmissbrauch darzustellen, wenn sie in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt getroffen werden. Den objektiven Tatbestand erfüllt somit etwa der Beamte, welcher eine Bewilligung erteilt oder die Verhaftung einer Per­ son anordnet, ohne dass die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Handeln in mittelbarer Täterschaft liegt vor, wenn ein Vorge­ setzter den ihm unterstellten Einschätzungsbeamten anweist, nicht dekla­ rierte Einkünfte eines Steuerpflichtigen im ordentlichen Veranlagungsver­ fahren zu erfassen, ohne ein Nach- und Steuerstrafverfahren einzuleiten, sofern der Unterstellte nicht vorsätzlich handelt3008. Dagegen verübt keinen Amtsmissbrauch, wer z.B. in der Funktion einer früher als «Armeninspektor» bezeichneten Person zu Unrecht Gutscheine zum Bezug verbilligter Fahrkarten abgibt3009, als Mitglied einer städtischen Exekutive in Missachtung seiner Ausstandspflichten beim Abschluss pri­ vatrechtlicher Verträge bzw. der Ablehnung entsprechender Offerten mit­ wirkt3010 oder sich als Gemeindekassier bei der Auszahlung von Löhnen nicht an die vom Gemeinderat festgelegten Ansätze hält3011. Ferner erfüllt die blosse Überschreitung der behördeninternen Kompetenzen durch einen Beamten den Tatbestand dann nicht, wenn durch dessen Anordnun­ gen nicht gleichzeitig staatlich verliehene Machtbefugnisse missbraucht werden3012. 3008  Der Vorgesetzte ist aufgrund seiner hierarchischen Stellung und seinem damit ver­

bundenen Weisungsrecht als Intraneus zu behandeln, RS 1996 Nr. 79, vgl. Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.12. 3009  BGE 88 IV 71 f. 3010  BGE 101 IV 410 f. 3011  BGE 114 IV 42 f. 3012  BGE 114 IV 43, Logoz, N 4 zu Art. 312.

551

§ 120  Amtsmissbrauch (Art. 312)

b) Zwang, d.h. ein Eingriff in persönliche Freiheitsrechte, wird auch dann unrechtmässig angewendet, wenn ein Beamter zwar legitime Zwecke ver­ folgt, aber dafür unzulässige oder klar3013 unverhältnismässige Mittel benützt3014. Das Bundesgericht hat Amtsmissbrauch in einem Fall bejaht, in welchem ein Polizeibeamter und Gefangenenwärter den Gefangenenbesuch kraft der ihm als Überwacher zustehenden Hoheitsgewalt beendete, indem er die Besucherin aus unsachlichen Gründen gewaltsam aus der Zelle beförderte3015. Ebenso liegt Amts­ missbrauch vor, wenn der Polizeibeamte in der Zelle auf einen Festgenomme­ nen einschlägt, dessen Identität er abzuklären3016 oder den er zu befragen sowie erkennungsdienstlich zu behandeln hat3017. Gleiches gilt, wenn ein Polizeibeamter mit dem Polizeistock auf eine ihren Ehemann beruhigende, sich gleichzeitig aber beschwerende, mit den Händen gestikulierende Ehefrau einschlägt, obwohl diese weder den Beamten beschimpft oder bedroht noch die Kontrolle behindert3018. Amtsmissbrauch liegt auch vor, wenn ein Polizist einem in flagranti erwischten Ein­ brecher nach dessen Fesselung mit Handschellen eine Ohrfeige sowie einen Faust­ schlag verpasst3019. Verneint hat das Bundesgericht Amtsmissbrauch indes bei zwei Polizeibeamten, welche im Rahmen einer Verkehrskontrolle den sie beschimpfen­ den Beifahrer mit einem «Armstreckhebel-Griff» überwältigten, um ihn am Ver­ lassen der Kontrollstelle zu hindern, nachdem sie zuvor alle zumutbaren Möglich­ keiten zur Identitätsprüfung vor Ort ausgeschöpft hatten3020.

Zu beachten ist, dass nicht nur Zwang mit amtlicher Zielsetzung, sondern jeglicher Zwang Amtsmissbrauch zu begründen vermag, sofern er als Miss­ brauch amtlicher Machtstellung zu erachten ist3021. In der Tat lässt sich z.B. von einem Amtsmissbrauch nicht sprechen, wenn ein Betreibungsbeam­ ter bei der Durchführung einer Pfändung die Schuldnerin vergewaltigen sollte. Anders wäre jedoch offensichtlich zu entscheiden, wenn der Ver­ 3013  Dupuis u.a., Code pénal, N 19 zu Art. 312. 3014  Nach der Praxis des BGer genügt die Unverhältnismässigkeit: BGE 99 IV 13 f. = Pr

62 (1973) Nr. 108 Erw. 1, 104 IV 23, 113 IV 29 f., 127 IV 211, BGer vom 16.10.2009, 6B_649/2009, Erw. 2.3 f., BGer vom 24.5.2016, 6B_923/2015, Erw. 2.2, vgl. auch Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 6 zu Art. 312. 3015  BGE 113 IV 30 f. 3016  BGE 127 IV 213 f. 3017  BGE 104 IV 22. 3018  BGer vom 26.2.2002, 6S.885/2000. 3019  RS 1998 Nr. 397. 3020  BGer vom 13.12.2010, 6B_560/2010. 3021  BGE 127 IV 213, ebenso Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 10. Anders noch BGE 108 IV 50, kritisch dazu Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 9.

552

§ 120  Amtsmissbrauch (Art. 312)

walter eines Gefängnisses sich in gleicher Weise an einer dort inhaftierten Frau vergeht. In dem BGE 108 IV 48 ff. zugrunde liegenden Fall ging es um einen Polizeibeamten, der eine Frau angehalten hatte und deshalb von dieser beschimpft wurde, worauf er sie ins Gesicht schlug. Der Kassationshof erblickte darin keinen Amtsmissbrauch (wohl aber eine Tätlichkeit), weil der Schlag eine Reaktion auf die Beschimpfungen gewesen sei und nicht etwa dazu gedient habe, die Frau an der Flucht zu hindern oder zu irgendwelchen Aussagen zu veranlassen. Nach hier vertretener Auffassung wie nunmehr auch der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung3022 gelangt man zum gleichen Resultat, aber mit der Begründung, dass der Polizeibeamte kei­ neswegs seine Machtstellung ausnützte, um tätlich zu werden. Denn die Frau wurde in diesem Moment offenbar nicht von ihm festgehalten und hätte den Schlag auch von jedem beliebigen Passanten hinnehmen müssen.

In der Regel liegt Amtsmissbrauch nur vor, wenn sich die Amtsgewalt gegen hoheitlicher Gewalt unterworfene Personen ausserhalb der Verwaltung rich­ tet. Handlungen gegenüber untergebenen Personen innerhalb der Verwaltung können nur dann einen Amtsmissbrauch darstellen, wenn die Anweisung selbst sich auf einen hoheitlichen Akt bezieht3023. Kein Amtsmissbrauch liegt sodann vor, wenn die Kompetenz missbraucht wird, Verfügungen zu erlassen, welche sich zulasten des Gemeinwesens auswirken3024. Durch Unterlassung kann der Tatbestand des Amtsmissbrauchs verwirklicht werden, wenn der Beamte oder das Behördenmitglied es als Garant trotz einer entsprechenden Pflicht unterlässt, den hoheitlich wirkenden Zwang zu been­ den3025.

1.3

Vollendung der Tat

Sie tritt bereits mit der unrechtmässigen Verfügung oder Ausübung von Gewalt ein, ohne dass dadurch ein bestimmter Erfolg bewirkt worden sein müsste.

3022  BGE 127 IV 213. 3023  Dupuis u.a., Code pénal, N 10 zu Art. 312, Heimgartner, BSK StGB II, N 16 zu Art. 312

m.w.H., Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 3 zu Art. 312.

3024  Heimgartner, BSK StGB II, N 13 zu Art. 312. 3025  Ebenso Dupuis u.a., Code pénal, N 20 zu Art. 312, Heimgartner, BSK StGB II, N 18

zu Art. 312.

553

§ 120  Amtsmissbrauch (Art. 312)

2.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur, wer den objektiven Tatbestand zumindest eventualvorsätz­ lich erfüllt, und zwar in der Absicht, sich oder einem anderen einen unrecht­ mässigen Vorteil zu verschaffen oder einem anderen einen Nachteil zuzufü­ gen, wobei es sich nicht um vermögensrechtliche Interessen handeln muss3026. Darin braucht auch nicht das Ziel des Täters zu liegen; «Absicht» ist im techni­ schen Sinne des Begriffes3027 zu verstehen. Eventualabsicht genügt3028. Auffallenderweise braucht der dem Betroffenen zuzufügende Nachteil im Gegensatz zum Vorteil gemäss dem Wortlaut der Bestimmung nicht unrecht­ mässig zu sein3029. Auch die mit einer unrechtmässigen Zwangshandlung als solcher notwendigerweise verbundenen Umstände können Nachteile i.S. des Gesetzes sein3030, obschon damit der geforderten Absicht an sich keine selb­ ständige Bedeutung mehr zukommt.

3.

Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen

Im Verhältnis zu Gebührenüberforderung (Art. 313) wird mehrheitlich rich­ tigerweise von echter Konkurrenz ausgegangen3031. Ebenso besteht zwischen Art. 312 sowie passiver Bestechung (Art. 322quater) echte Konkurrenz. Führt der Amtsmissbrauch zu Eingriffen in individuelle Rechtsgüter, so treten die hier­ durch erfüllten Tatbestände zu Art. 312 in echte Konkurrenz3032.

3026  Vgl. BGE 99 IV 14 = Pr 62 (1973) Nr. 108 Erw. 1, 104 IV 23, RS 1993 Nr. 386. 3027  Vgl. Strafrecht I, § 9 Ziff. 3. 3028  BGer vom 26.2.2002, 6S.885/2000, Erw. 4a, Dupuis u.a., Code pénal, N 26 zu Art. 312,

Heimgartner, BSK StGB II, N 22 zu Art. 312, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 7 zu Art. 312. 3029  Für Heimgartner, BSK StGB II, N 22 zu Art. 312, und Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 7 zu Art. 312, ist klar, dass auch die Nachteile unrechtmässig sein müssten. 3030  Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 312, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 12. 3031  Stratenwerth/Bommer, BT II, §  59 N  15, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N  10 zu Art. 312, für Subsidiarität von Art. 313 spricht sich Heimgartner, BSK StGB II, N 12 zu Art. 313, aus. 3032  Zur Abgrenzung zwischen Art. 312 und 287 (Amtsanmassung) vgl. vorn § 95 Ziff. 1.12.

554

§ 121  Gebührenüberforderung (Art. 313)

§ 121 Gebührenüberforderung (Art. 313) Nach dieser Bestimmung (Gebührenüberforderung/Concussion/Concussione/ Overcharging of fees) macht sich ein Beamter strafbar, der in gewinnsüchtiger Absicht Taxen, Gebühren oder Vergütungen erhebt, die nicht geschuldet wer­ den oder die gesetzlichen Ansätze überschreiten.

1.

Objektiver Tatbestand

Täter kann nur ein Beamter i.S. von Art. 110 Abs. 3 sein3033. Das tatbestandsmässige Verhalten besteht im Erheben, d.h. Fordern und Ent­ gegennehmen von finanziellen Leistungen für eine Amtshandlung, die entwe­ der überhaupt unentgeltlich oder aber zu geringeren Ansätzen vorgenommen werden müsste. Nicht einfach zu beantworten ist die Frage, ob die Erfüllung des Tatbestandes erfordert, dass der Betroffene über den Bestand oder die Höhe der Gebühren – wenn auch nicht arglistig – irregeführt wird. Teilweise wird dies bejaht3034 mit der Überlegung, wenn der Täter um den wahren Sachverhalt wisse, könne Bestechlichkeit gemäss Art. 322quater oder Vorteilsannahme gemäss Art. 322sexies gegeben sein3035. Da Art. 313 zufolge des Merkmals der Gewinnsucht ausschei­ det, wenn der Täter ausschliesslich zugunsten der Kasse des Gemeinwesens handelt3036, ist dieser Auffassung zuzustimmen. Bei der erforderlichen Täu­ schung handelt es sich mithin um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Die Tat wird damit vollendet, dass der Beamte die von ihm zu Unrecht ver­ langte Taxe, Gebühr oder Vergütung erhält. Wird diese nur gefordert, aber nicht entrichtet, liegt strafbarer Versuch vor, wenn der subjektive Tatbestand gegeben ist.

3033  Vgl. dazu vorn § 92 Ziff. 2. Genauer: § 92 Ziff. 2.1. 3034  So Dupuis u.a., Code pénal, N  10 zu Art.  313, Heimgartner, BSK StGB II, N  5 zu

Art. 313, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 19, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 2 zu Art. 313. 3035  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 19. 3036  Vgl. hinten Ziff. 2.

555

§ 121  Gebührenüberforderung (Art. 313)

2.

Subjektiver Tatbestand

Für die Strafbarkeit wird Vorsatz gefordert, der namentlich im Falle eines Irr­ tums des Beamten über die von ihm zu erhebenden Taxen, Gebühren oder Ver­ gütungen entfallen kann. Sodann setzt Art. 313 voraus, dass der Täter in gewinnsüchtiger Absicht han­ delt. Im Sinne von Art. 313 und von anderen Bestimmungen des BT handelt in gewinnsüchtiger Absicht, wer eine in moralischer Hinsicht verwerfliche Berei­ cherung anstrebt3037. Damit wird dieses Tatbestandsmerkmal praktisch dem subjektiven Unrechtselement der Absicht unrechtmässiger Bereicherung3038 gleichgesetzt. Entsprechend kann es genügen, wenn der Beamte Gebühren­ überforderung betreibt, um ein von ihm zu verantwortendes Manko in der Kasse des Gemeinwesens zu decken. Wenn aber ausschliesslich dem Gemein­ wesen ein ungerechtfertigter Vermögensvorteil verschafft werden soll, fehlt es jedenfalls am erforderlichen subjektiven Tatbestand3039.

3.

Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen

3.1

Verhältnis zu Art. 322quater (Sich-bestechen-Lassen) und Art. 322sexies (Vorteilsannahme)

Was das Verhältnis zu den Bestechungstatbeständen gemäss Art. 322quater oder Art. 322sexies betrifft, so ist zu beachten, dass diese nur erfüllt sein können, wenn der gewährte bzw. erlangte Betrag zugunsten des Beamten bzw. eines Dritten geleistet bzw. erhoben wird, während die Anwendung von Art. 313 voraussetzt, dass vorgespiegelt wird, der betreffende Betrag gehe an das Gemeinwesen. Ent­ sprechend ist die Auffassung, die unberechtigte Gebührenerhebung falle nicht unter Art.  313, sondern unter die erwähnten Bestechungstatbestände, wenn der Betroffene wisse, dass er den vom Beamten für die Amtshandlung verlang­ ten Betrag nicht oder nicht in der geforderten Höhe schulde3040, nicht in jedem Fall zutreffend, und zwar dann nicht, wenn der Beamte überhöhte Gebühren einzieht, wobei er den geschuldeten Betrag dem Gemeinwesen überlässt und den zu viel verlangten Betrag für sich behält.

3037  BGE 107 IV 121 ff., 109 IV 119 f., 115 Ia 411 f. 3038  Vgl. hierzu Strafrecht III, § 5 Ziff. 3.6. 3039  Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 313, Heimgartner, BSK, StGB II, N 11 zu Art. 313, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 59 N 22.

3040  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 19 und dort zit. weitere Autoren.

556

§ 122  Ungetreue Amtsführung (Art. 314)

3.2

Verhältnis zu Art. 146 (Betrug) und Art. 312 (Amtsmissbrauch)

Führt der Beamte in der Absicht unrechtmässiger Bereicherung den Betroffe­ nen über die von diesem zu entrichtende Taxe, Gebühr oder Vergütung arglis­ tig irre, so erfüllt er mit der Gebührenüberforderung auch den Tatbestand von Art. 1463041. Alsdann besteht zwischen dieser Bestimmung und Art. 313 echte Konkurrenz3042, da die letztere Norm ausser dem Vermögen einzelner Bürger auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Beamten schützt. Im Verhältnis zum Amtsmissbrauch ist zu beachten, dass die Gebührenüber­ forderung nicht notwendigerweise in einem Missbrauch der Amtsgewalt beste­ hen muss. Folglich muss Amtsmissbrauch vorgehen, wenn im Zusammenhang mit dem Verlangen und Einziehen der Gebühren Amtsbefugnisse unrechtmäs­ sig angewendet worden sind. Ist dies nicht der Fall, stellt sich die Frage der Konkurrenz nicht. Entsprechend ist ausschliesslich Gebührenüberforderung anwendbar3043.

§ 122 Ungetreue Amtsführung (Art. 314) Literaturauswahl: J. Maye, Les infractions commises par les fonctionnaires en droit suisse, RICPT 19 (1965) 259, S. Jomini, La responsabilité pénale des collectivités publiques et des fonctionnaires, ZStrR 120 (2002) 26.

Mit Strafe bedroht werden durch Art.  314 (Ungetreue Amtsführung/Gestion déloyale des intérêts publics/Infedeltà nella gestione pubblica/Misconduct in office) Mitglieder einer Behörde sowie Beamte, die bei einem Rechtsgeschäft die von ihnen zu wahrenden öffentlichen Interessen schädigen, um sich oder einem anderen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Dieser Tat­ bestand weist viele Parallelen zur ungetreuen Geschäftsbesorgung gemäss

3041  Vgl. dazu Strafrecht III, § 18, insbes. Ziff. 1.1. 3042  Ebenso Heimgartner, BSK, StGB II, N 12 zu Art. 313, Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 313,

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 24 und weitere dort zit. Autoren, RS 1989 Nr. 597.

3043  Ähnlich Heimgartner, BSK, StGB II, N 12 zu Art. 313. Von echter Konkurrenz gehen

hingegen Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 14, und Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 10 zu Art. 312, aus.

557

§ 122  Ungetreue Amtsführung (Art. 314)

Art.  158 auf3044. Geschützt werden das öffentliche Vermögen sowie das Ver­ trauen des Bürgers in die Rechtsstaatlichkeit des Gemeinwesens3045.

1.

Objektiver Tatbestand

Der Tatbestand kann nur von schweizerischen3046 Behördenmitgliedern und Beamten3047 i.S.  von Art.  110 Abs.  3 erfüllt werden, die einzeln oder kollek­ tiv3048 dazu befugt sind, für das Gemeinwesen Rechtsgeschäfte abzuschliessen. Ob dabei Zuständigkeiten überschritten werden, spielt für die Anwendbarkeit von Art.  314 keine Rolle. Insoweit genügt die faktische Entscheidungskom­ petenz3049. Gemäss einem fragwürdigen Entscheid des Bundesgerichts3050 soll eine solche auch bei einem Beamten vorhanden sein, der Anträge an die für den Abschluss formell zuständige Behörde stellt3051. Der dem Obligationenrecht entnommene Begriff des Rechtsgeschäftes legt es nahe, die Bestimmung nur anzuwenden, wenn das Gemeinwesen rechts­ geschäftlich3052 handelt, so insbesondere beim Abschluss von privaten oder öffentlich-rechtlichen3053 Verträgen3054, wie z.B. der Vergebung von Aufträgen für öffentliche Bauten3055. Nicht anwendbar ist die Bestimmung demnach z.B. auf die Erteilung einer Baubewilli­ gung3056 oder auf den Abschluss einer illegalen Steuervereinbarung3057. In Fällen dieser 3044  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 314, Niggli, BSK StGB II, N 6 zu Art. 314, Trechsel/Vest, in:

Trechsel/Pieth, N 1 zu Art. 314, vgl. dazu auch hinten Ziff. 3.1.

3045  Dupuis u.a., Code pénal, N 3 zu Art. 314, Niggli, BSK StGB II, N 7 zu Art. 314. 3046  BGE 132 II 81 Erw. 2.5.1. 3047  Vgl. dazu vorn § 92 Ziff. 2 und ferner Pr 76 (1987) Nr. 243 Erw. 7b. 3048  BGE 101 IV 412, 109 IV 170 f., Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 314. 3049  BGer vom 3.8.2015, 6B_885/2014, Erw. 8.2, Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 314,

Stratenwerth/Bommer, BT II, §  59 N  27, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N  10 zu Art. 314, a.M. Niggli, BSK StGB II, N 11 zu Art. 314. 3050  BGE 114 IV 133 ff. 3051  Ablehnend auch Niggli, BSK StGB II, N 11 zu Art. 314 m.w.H., befürwortend Corboz, Vol. II, N 19 zu Art. 314. 3052  BGer vom 19.8.2015, 6B_1110/2014, Erw. 2.3. 3053  Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 314. 3054  BGer vom 6.8.2014, 6B_213/2014, Erw. 2.4, Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 314, Dupuis u.a., Code pénal, N 18 zu Art. 314, Niggli, BSK StGB II, N 17 f. zu Art. 314, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 28, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 2 zu Art. 314. 3055  BGE 101 IV 412 f., 109 IV 170 ff. 3056  Anders das Obergericht des Kantons Aargau in BGE 111 IV 83 ff. 3057  RS 1993 Nr. 386.

558

§ 122  Ungetreue Amtsführung (Art. 314) Art kommt aber Amtsmissbrauch nach Art. 312 infrage3058. Demgegenüber stellt etwa die Tätigkeit des Verwalters einer Beamtenversicherungskasse eine öffentliche Aufgabe dar, und zwar unabhängig davon, ob das betreffende Vermögen Teil des Finanz- oder Verwaltungsvermögens ist oder nicht3059. Gleiches gilt für die Tätigkeit eines Immobi­ lien-Portfoliomanagers bei der SUVA3060.

Das tatbestandsmässige Verhalten wird vom Gesetz nicht näher umschrieben. Es kann in einem Tun wie auch in einem Unterlassen bestehen3061 und gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts in irgendein Stadium der Entstehung des betreffenden Rechtsgeschäftes fallen3062. Vorausgesetzt wird teilweise, dass der Täter bei der Ausübung seiner rechtsgeschäftlichen Tätigkeit sein Ermes­ sen offensichtlich überschreitet3063, weil z.B. bei der Vergebung öffentlicher Arbeiten gute Gründe dafür bestehen können, nicht die preisgünstigste Offerte zu berücksichtigen. Richtigerweise ist wohl nicht auf die Offensichtlichkeit der Ermessensüberschreitung abzustellen, sondern dem Beamten bzw. Behörden­ mitglied ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen. Eine Firma, an welcher Gemeinderat M zu 50% beteiligt war, hatte im Submissions­ verfahren eine Offerte für sanitäre Installationen im Gemeindehaus eingereicht, wel­ che jedoch den für das zu verwendende Material gestellten Bedingungen nicht ent­ sprach3064. Die ungetreue Amtsführung wurde darin erblickt, dass M hierüber die anderen Mitglieder des Gemeinderates nicht aufklärte, als dieser die Offerte besprach. Als unerheblich betrachtete das Bundesgericht, dass M an der Abstimmung über die Vergabe des Auftrages an seine Firma nicht teilnahm und der von dieser verlangte Preis ihren Leistungen entsprach.

Nicht jede Verletzung von Rechtsnormen, welche im Umfeld rechtsgeschäft­ licher Tätigkeit begangen wird, führt dazu, dass von einem die öffentlichen Interessen schädigenden Handeln auszugehen wäre. So genügt nach bundesge­ richtlicher Rechtsprechung nicht, wenn sich «das Behördenmitglied oder der Beamte ungebührlich verhält und so das Ansehen des Gemeinwesens schädigt, indem beispielsweise Ausstandsvorschriften nicht eingehalten werden»3065. 3058  Dazu vorn § 119. 3059  BGer vom 19.8.2015, 6B_1110/2014, Erw. 2.4. 3060  BGE 141 IV 334. 3061  BGE 109 IV 172 = Pr 73 (1984) Nr. 46 Erw. 2, BGer vom 1.6.2010, 6B_164/2010, Nig-

gli, BSK StGB II, N 14 zu Art. 314.

3062  BGE 109 IV 172 = Pr 73 (1984) Nr. 46 Erw. 4, Corboz, Vol. II, N 20 zu Art. 314. 3063  BGE 101 IV 412, BGE 141 IV 334 mit nicht publizierter Erw. 2.3, vgl. dazu BGer vom

19.8.2015, 6B_1110/2014, Niggli, BSK StGB II, N 24 zu Art. 314.

3064  BGE 109 IV 168 ff. 3065  BGE 101 IV 411.

559

§ 122  Ungetreue Amtsführung (Art. 314)

Diese Einschränkung ist als solche zu begrüssen, lässt sich jedoch nur schwer umsetzen, weil Kriterien fehlen, welche es erlauben, zwischen den öffentliche Interessen ideell schädigenden und anderen Verhaltensweisen bei rechtsge­ schäftlichem Handeln zu unterscheiden3066. Man wird davon ausgehen müs­ sen, dass nur solche Normverletzungen zur ideellen Schädigung öffentlicher Interessen i.S. von Art. 314 führen können, welche in unmittelbarem Zusam­ menhang mit der rechtsgeschäftlichen Tätigkeit begangen werden. Als Erfolg ist die Schädigung öffentlicher Interessen zu betrachten. Werden nur private Interessen tangiert, wie dies bei den Interessen von Mitbewerbern in einem Submissionsverfahren der Fall ist3067, so scheidet Art. 314 aus. Die zu wahrenden öffentlichen Interessen können nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sowohl finanzieller wie auch ideeller Natur sein3068. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein materieller Schaden herbeigeführt worden sei, ist wie beim Betrug nach Art. 146 vom objektiv-individuellen Vermögensbe­ griff auszugehen3069, sodass ein Rechtsgeschäft selbst bei objektiver Gleichwer­ tigkeit von Leistung und Gegenleistung unter Art.  314  fallen kann3070. Eine vorübergehende Schädigung oder eine erhebliche Gefährdung, welche zur Abschreibung von Vermögenspositionen führt, genügt3071. Eine Beeinträchti­ gung öffentlicher Interessen ideeller Art ist etwa in einer Erschütterung des Vertrauens der Bürger in die rechtsgleiche Behandlung der Steuerpflichtigen und die Objektivität der Steuerbehörden erblickt worden3072. Die Unbestimmt­ heit des Begriffs der öffentlichen Interessen ideeller Art erscheint mit Blick auf Art. 1 problematisch. Die Schädigung der öffentlichen Interessen muss «gerade durch das Rechtsge­ schäft und dessen rechtliche Wirkungen» eintreten3073.

3066  Vgl. auch die Ausführungen bei Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 28, und Niggli,

BSK StGB II, N 21 ff. zu Art. 314.

3067  BGE 101 IV 412. 3068  BGE 101 IV 412, 109 IV 170 = Pr 73 (1984) Nr. 46 Erw. 1, 114 IV 136, 117 IV 288 f. 3069  Vgl. hierzu Strafrecht III, § 18 Ziff. 1.42. 3070  BGE 109 IV 170 = Pr 73 (1984) Nr. 46 Erw. 2. 3071  BGer vom 3.8.2015, 6B_885/2014, Erw. 5.2. 3072  BGE 114 IV 135 f., vgl. ferner BGE 111 IV 84. 3073  BGE 101 IV 411.

560

§ 122  Ungetreue Amtsführung (Art. 314)

2.

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der Täter die öffentlichen Interes­ sen mit Wissen und Willen schädigt, und zwar in der Absicht, sich oder einem anderen einen Vorteil zu verschaffen, der unrechtmässig sein muss. Letzteres trifft in Bezug auf den Täter zu, wenn kein Anspruch des Beamten bzw. Behör­ denmitglieds auf einen solchen Vorteil besteht, was wiederum nach den ein­ schlägigen Vorschriften des Gemeinwesens und allfälligen Regelungen durch vorgesetzte Behörden zu beurteilen ist. Der Vorteil braucht weder direkt aus dem Abschluss des Vertrages hervorzugehen3074 noch finanzieller Natur zu sein. Die Absicht, sich einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, verfolgt z.B. ein Behör­ denmitglied, das seiner eigenen Firma einen Auftrag des Gemeinwesens zuhalten will3075 oder das sich von dessen Kontrahenten für den Abschluss eines Vertrages Pro­ visionen oder Unterstützung in einem Wahlkampf zusichern lässt. Als unrechtmässi­ gen ideellen Vorteil zugunsten eines anderen hat das Bundesgericht die Erteilung der Bewilligung eines nicht zonenkonformen Gebäudes ausserhalb der Bauzone gewer­ tet3076. Dazu ist zu sagen, dass die Erteilung einer Baubewilligung nicht als Rechtsge­ schäft i.S. von Art. 314 zu qualifizieren ist.

3. Konkurrenzen 3.1

Verhältnis zur ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158)

Schädigt der Beamte bzw. das Behördenmitglied durch den Abschluss des Rechtsgeschäftes das Gemeinwesen am Vermögen und verfolgt der Täter dabei die Absicht, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern, so wird mit seinem Verhalten auch der mit gleicher Strafdrohung versehene Tatbestand von Art. 158 erfüllt. In dieser Fallkonstellation geht Art. 314 vor3077. Art. 158 bleibt subsidiär anwendbar, falls die Voraussetzungen von Art. 314 nicht gege­ ben sind3078.

3074  A.M. Niggli, BSK StGB II, N 28 zu Art. 314. 3075  Vgl. dazu den bereits erwähnten BGE 109 IV 168 ff. = Pr 73 (1984) Nr. 46. 3076  BGE 111 IV 83 ff. 3077  BGE 118 IV 246 m.w.H., Corboz, Vol. II, N 43 zu Art. 314, Dupuis u.a., Code pénal,

N 42 zu Art. 314, Niggli, BSK StGB II, N 31 zu Art. 314, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 31, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 6 zu Art. 314. 3078  Corboz, Vol. II, N 43 zu Art. 314, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 31.

561

§ 123  Urkundenfälschung im Amt (Art. 317 und 317bis)

3.2

Verhältnis zum Tatbestand des Sich-bestechen-Lassens (Art. 322quater)

Art. 322quater geht Art. 314 grundsätzlich vor, allerdings muss bei Anwendung des ersten Tatbestandes die in Art. 314 zwingend vorgesehene Geldstrafe aus­ gefällt werden3079.

§ 123 Urkundenfälschung im Amt (Art. 317)/ Nicht strafbare Handlungen (Art. 317bis) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 36, T. Hansjakob, Das neue Bundesgesetz über die ver­ deckte Ermittlung, ZStrR 122 (2004) 97, W. Meier, Wahrheitssuche und Wahrheitstreue bei der Beurkundung von Willenserklärungen, ZBGR 65 (1984) 1, H. Schultz, Die stafrechtliche Recht­ sprechung des Bundesgerichts im Jahre 1987, ZBJV 125 (1989) 34 (zit. Schultz, Rechtsprechung 1987), G. Stratenwerth, Zur Urkundenfälschung im Amt (Art. 317 StGB), ZStrR 84 (1968) 198, H. Walder, Strafrecht und Notariatswesen, ZBGR 43 (1962) 129, W. Wohlers, Das Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung (BVE), taugliches Instrument zur effizienten und effektiven Bekämpfung der Organisierten Kriminalität?, ZSR 124 (2005) 219.

Art. 317 (Urkundenfälschung im Amt/Faux dans les titres commis dans l’exercice de fonctions publiques/Falsità in atti formati da pubblici ufficiali o funzionari/ Forgery of a document while in office) wurde dem Tatbestand der Urkunden­ fälschung nach Art. 2513080 nachgebildet, dehnt aber das strafbare Verhalten für den Fall der Täterschaft eines Beamten aus und kennt keine Privilegierung besonders leichter Fälle.

1.

Vorsätzliche Urkundenfälschung (Ziff. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Der Täterkreis beschränkt sich auf Beamte3081 gemäss Art. 110 Abs. 3 und Per­ sonen öffentlichen Glaubens. Bei den Personen öffentlichen Glaubens handelt es sich um zur Ausstellung öffentlicher Urkunden ermächtigte Privatperso­ nen3082, wobei die Urkunden nicht notwendigerweise öffentlich sein müssen; 3079  Niggli, BSK StGB II, N 34 zu Art. 314, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 32 m.w.H.,

a.M. Corboz, Vol. II, N 44 zu Art. 314, der sich für echte Konkurrenz ausspricht.

3080  Vgl. vorn § 37. 3081  Vgl. zu diesem Begriff vorn § 92 Ziff. 2.1. 3082  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 35 N 47.

562

§ 123  Urkundenfälschung im Amt (Art. 317und 317bis)

im Vordergrund steht der Notar3083. Beamte brauchen ihrerseits keine sol­ che besondere Befugnis zu haben, um Täter zu sein. Nicht als solche kommen jedoch Behördenmitglieder in Betracht. Die Umschreibung des tatbestandsmässigen Verhaltens stimmt weitgehend mit jener in Art.  251 Ziff.  1 überein. Die in Abs.  1 dieser Bestimmung genann­ ten Fälle der Urkundenfälschung i.e.S. und der Falschbeurkundung werden in Art. 317 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 lediglich aufgegliedert3084. Für die letzteren Taten nennt das Gesetz hier ausserdem wichtige Beispiele, nämlich die Beglaubi­ gung einer falschen Unterschrift bzw. eines falschen Handzeichens sowie einer unrichtigen Abschrift. Ein Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 (Gebrauch einer unechten oder unwahren Urkunde) entsprechender Tatbestand findet sich in Art.  317 nicht. Die Urkunde, auf welche sich das täterschaftliche Verhalten bezieht, braucht keine öffentliche zu sein3085. Der Begriff der Urkunde entspricht im Übrigen jenem von Art. 110 Abs. 43086. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss es sich bei diesem Schriftstück auch nicht um eine Urkunde handeln, deren Herstellung oder Abänderung normalerweise zum Aufgabenbereich des Täters gehört. Entscheidend ist vielmehr, dass der Beamte zur Begehung der Tat seine Amtspflicht missbraucht und dass zwischen der von ihm begangenen Fälschung und seinem Amt ein enger Zusammenhang besteht3087. Der Missbrauch einer Amtspflicht sowie der enge Zusammenhang mit seinem Amt ist bei einem mit anderen Aufgaben betrauten Beamten bejaht worden, der einen Verlän­ gerungsvermerk in einem Pass angebracht hat, wobei ihm der erforderliche Stempel kraft seiner Stellung zugänglich war3088. Offengelassen wurden die betreffenden Fra­ gen im Fall eines unwahren Kündigungsschreibens, aufgrund dessen dem Beamten der Lohn während drei Monaten weiter ausbezahlt wurde, obwohl dieser bereits seit die­ sem Zeitpunkt einen Beratervertrag mit einer anderen Firma hatte und aus diesem Ent­ schädigungen bezog3089.

3083  BGE 102 IV 57, 113 IV 81. 3084  Zur Abgrenzung und Reihenfolge der Prüfung von Urkundenfälschung i.e.S.  und

Falschbeurkundung im Amt vgl. BGE 131 IV 125.

3085  BGE 93 IV 55, Boog, BSK StGB II, N 3 zu Art. 317, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60

N 6.

3086  Vgl. BGer vom 16.2.2005, 6S.276/2004, Erw. 3.1. 3087  BGE 81 IV 288, BGer vom 18.1.2002, 6S. 618/2001, Erw. 4, Corboz, Vol. II, N 6 zu

Art. 317.

3088  BGE 81 IV 288. 3089  BGer vom 18.1.2002, 6S.618/2001.

563

§ 123  Urkundenfälschung im Amt (Art. 317 und 317bis)

Hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Urkunden und gewöhnlichen Schrif­ ten, insbesondere zwischen der Falschbeurkundung und der einfachen schrift­ lichen Lüge, bestehen gleichartige Probleme wie bei Art. 251 Ziff. 13090. Auch im vorliegenden Zusammenhang muss der Urkunde erhöhte Glaubwürdigkeit zukommen, und es muss ihr im Rechtsverkehr besonderes Vertrauen entge­ gengebracht werden3091. Was Art. 317 anbelangt, ist der Urkundencharakter z.B. bejaht worden für den nicht bloss zum internen Gebrauch bestimmten Dienstrapport3092, für den Ordnungsbussenzettel3093 und für das Beistandsinventar3094, verneint dagegen für eine unrichtige Abrechnung des Beamten über seine Geschäftsführung3095, für den von einem Postgehilfen auf einem frankierten Brief angebrachten rück­ datierten Stempel3096 und für das von einem Angestellten der Telecom PTT eingereichte unwahre Kündigungsschreiben3097. In Bezug auf die Falschbeurkundung im Besonderen hat das Bundesgericht in einem älteren Entscheid festgehalten, dass eine solche auch durch Anbringen eines amtlichen Zeichens an einem Gegenstand verübt werden kann3098. Mit dem Anbringen des Kontierungsstempels bzw. dem Anheften eines Kontie­ rungszettels auf Rechnungen durch einen Beamten wird deren materielle Kon­ trolle, mithin deren rechnerische und inhaltliche Richtigkeit, bestätigt3099. Die Beweisfunktion einer notariellen Urkunde erstreckt sich nach der Rechtspre­ chung etwa auf die Wiedergabe des Unterzeichnungs- und Beurkundungs­ vorgangs3100, die Anerkennung einer Unterschrift3101 und die Gleichzeitigkeit zweier Willenserklärungen3102. Gleiches gilt für die Tatsache, dass die Vertrags­ parteien durch andere Personen vertreten gewesen sind3103. Der Tatbestand von Art. 317 Ziff. 1 Abs. 2 ist andererseits nicht erfüllt, wenn ein Staatsbuch­ 3090  Vgl. dazu vorn § 37 Ziff. 2.21. 3091  Boog, BSK StGB II, N 5 zu Art. 317, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 9. 3092  BGE 93 IV 55 f., kritisch hierzu Stratenwerth, ZStrR 84 (1968) 198. 3093  SJZ 77 (1981) 128. 3094  BGE 121 IV 223 f. 3095  BGE 73 IV 109 f. 3096  BGE 77 IV 174 f. 3097  BGer vom 18.1.2002, 6S.618/2001, Erw. 6b und 6c. 3098  BGE 76 IV 32 f. 3099  BGE 131 IV 131 f. 3100  BGE 95 IV 114 f., 113 IV 79 ff. 3101  BGE 99 IV 199. 3102  BGE 102 IV 57. 3103  ZBGR 74 (1993) 44.

564

§ 123  Urkundenfälschung im Amt (Art. 317und 317bis)

halter in eine Zahlungsanweisung vom Kanton nicht geschuldete Beträge auf­ nimmt; dafür wäre eine ausdrückliche Bestätigung erforderlich, dass der Staat sie schulde3104.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Während die gemeine Urkundenfälschung nach Art.  251 Ziff.  1 nur strafbar ist, wenn der Täter die unechte oder unwahre Urkunde in einer bestimmten Absicht (Schädigung an Rechten, Verschaffung eines unrechtmässigen Vorteils) herstellt, genügt bei Art. 317 Ziff. 1 der Vorsatz hinsichtlich des tatbestands­ mässigen Verhaltens. Dazu gehört insbesondere, dass sich der Täter bewusst ist, in seiner Eigenschaft als Beamter zu handeln. Wie bei Art. 251 Ziff. 1 wird gefordert, dass er die unechte oder unwahre Urkunde mit dem Willen ihrer Verwendung – regelmässig durch jemand anderen – zur Täuschung im Rechts­ verkehr herstellt oder hierbei eine solche Folge zumindest in Kauf nimmt3105. Zur Täuschung im Rechtsverkehr wird eine Urkunde hergestellt, wenn in Kauf genommen wird, dass sie in die Hände von Dritten gelangen kann3106, nicht aber wenn sie beispielsweise zu Experimentierzwecken oder als kalligrafisches Dokument hergestellt werden soll3107. Nicht erforderlich ist jedoch, dass der Umstand der Täuschung einer Person vom Vorsatz erfasst wird3108.

1.3

Teilnahme aussenstehender Personen

Aufgrund der identischen Strafandrohung von Art.  251 Ziff.  1 und Art.  317 Ziff. 1 ist die nach altem Recht noch erhebliche Frage, nach welcher Bestim­ mung ein aussenstehender Teilnehmer – v.a. ein Anstifter – zu bestrafen ist, nur mehr von theoretischer Bedeutung. Nach ständiger Praxis des Bundesge­ richts sind Anstifter und Gehilfen ohne die geforderte Sondereigenschaft nach Art. 317 zu bestrafen3109. Diese Auffassung lässt sich auch unter dem Aspekt von Art. 26 rechtfertigen3110. 3104  BGE 117 IV 291. 3105  BGE 100 IV 182, 121 IV 223. 3106  In der Sache ebenso Boog, BSK StGB II, N 11 zu Art. 317. 3107  BGE 113 IV 82 (kritisch Schultz, Rechtsprechung 1987, 43). 3108  BGE 121 IV 223. 3109  BGer vom 16.2.2005, 6S.276/2004, Erw. 3.2 m.w.H. 3110  In diesem Sinne Boog, BSK StGB II, N 12 zu Art. 317, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth,

N 8 zu Art. 317, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 317, a.M. Stratenwerth/Bommer, § 60 N 12 und Vorauflage.

565

§ 123  Urkundenfälschung im Amt (Art. 317 und 317bis)

2.

Fahrlässige Urkundenfälschung (Ziff. 2)

Das objektiv vorausgesetzte Verhalten entspricht demjenigen von Art. 317 Ziff. 1. Weiter ist erforderlich, dass der Täter nicht willentlich, wohl aber wegen Miss­ achtung von Sorgfaltspflichten nach Art. 12 Abs. 3 eine unechte oder unwahre Urkunde erstellt. Praktisch wird nur der Fall der Falschbeurkundung bedeut­ sam werden können, und zwar wenn der Beamte die inhaltliche Unrichtigkeit seiner Erklärung aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht erkennt. Dies wäre v.a. denkbar, wenn er i.S. des Art. 253 Abs. 1 von einem anderen getäuscht und so zu einer Falschbeurkundung veranlasst wird. Dass der Beamte alsdann als Tatmittler erscheint, schliesst seine Bestrafung wegen fahrlässiger Urkunden­ fälschung nach Art. 317 Ziff. 2 nicht aus3111.

3.

Nicht strafbare Handlungen gemäss Art. 317bis

Gemäss Art. 317bis Abs. 1 StGB macht sich nicht nach Art. 317 strafbar, «wer mit richterlicher Genehmigung im Rahmen einer verdeckten Ermittlung zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung seiner Legende oder mit Ermächtigung der Vorsteherin oder des Vorstehers des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) nach Artikel 14c des Bun­ desgesetzes vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) zur Schaffung oder Aufrechterhaltung seiner Tarnidenti­ tät Urkunden herstellt, verändert oder gebraucht, ist nicht nach den Artikeln 251, 252, 255 und 317 strafbar»3112. Dasselbe gilt nach Abs. 2 für denjenigen, der «mit Bewilligung für eine verdeckte Ermittlung oder mit Zustimmung der Vorsteherin oder des Vorstehers des VBS nach Artikel 14c BWIS Urkunden für Tarnidentitäten herstellt oder verändert» und nach Abs. 3 für denjenigen, der «im Rahmen des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 2011 über den aus­ serprozessualen Zeugenschutz Urkunden herstellt, verändert oder gebraucht». Art. 317bis (Nicht strafbare Handlungen/Actes non punissables/Atti non punibili/ Non-criminal acts) schafft in diesen Fällen einen besonderen Rechtfertigungs­ grund.

3111  Vgl. dazu Strafrecht I, § 15 Ziff. 3.1. 3112  Vgl. zu Legende und Zusicherung der Anonymität StPO Art. 288.

566

§ 124  Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318)

4. Konkurrenzen Als lex specialis geht Art. 317 sowohl der Urkundenfälschung gemäss Art. 251 als auch der Fälschung von Ausweisen gemäss Art. 252 vor3113. Sofern der Aus­ steller eines falschen ärztlichen Zeugnisses Beamter ist und die übrigen Voraus­ setzungen gegeben sind, geht Art. 317 der Bestimmung nach Art. 318 vor3114. Zwischen Art. 305 und Art. 317 besteht echte Konkurrenz3115. Wahlfälschung gemäss Art. 282 Ziff. 1 Abs. 2 geht der Urkundenfälschung im Amt vor3116.

§ 124 Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318) Literaturauswahl: P. Dietsche, Das unwahre ärztliche Zeugnis nach Art. 318 StGB, Diss. Bern 1983, C. Dürr Brunner, Strafrechtliche Relevanz von medizinischen Berichten, Schweizerische Ärzte­ zeitung 90 (2009) 920, W. H. Heim, Secret médical et faux certificat, JdT IV 1986, 130, P. Noll, Zur Frage der sogenannten Deckrezepte, Bemerkungen zum Verhältnis zwischen Betrug, Urkunden­ fälschung und falschem ärztlichem Zeugnis, ZStrR 72 (1957) 66, J. Perrenoud, Le certificat médi­ cal au regard de l’art. 318 CP, Commentaire de l’arrêt du Tribunal fédéral 6B_152/2007 du 13 mai 2008, jusletter vom 10.11.2008, C.-N. Robert, Das falsche ärztliche Zeugnis (Art. 318 StGB), SJK 1995, Nr. 141.

Dieser Artikel (Falsches ärztliches Zeugnis/Faux certificat médical/Falso certificato medico/Issuing a false medical certificate) enthält im Wesentlichen einen Spezialtatbestand der Falschbeurkundung nach Art. 251 Ziff. 1 Abs. 13117, der im Gegensatz dazu allerdings auch fahrlässiges Verhalten erfasst. Bedingt durch die Entstehungsgeschichte wird das vorsätzliche Ausstellen eines fal­ schen (unwahren) ärztlichen Zeugnisses de lege lata in ungerechtfertigter Weise mit geringerer Strafe bedroht als Falschbeurkundung nach der erwähn­ ten Bestimmung. Praktisch betrachtet bleibt dies jedoch belanglos, da Art. 318 ohnehin kaum je zur Anwendung gelangt, obwohl erfahrungsgemäss durchaus «Gefälligkeitszeugnisse» ausgestellt werden.

3113  Boog, BSK StGB II, N 15 zu Art. 317 m.w.H., Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 317, Dupuis

u.a., Code pénal, N 18 zu Art. 317, bezüglich Art. 252 a.M. Trechsel/Erni, in: Trechsel/ Pieth, N 12 zu Art. 317 (anders aber N 9 zu Art. 252). 3114  Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 318, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 25, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 9 zu Art. 318. 3115  Boog, BSK StGB II, N 15 zu Art. 317, Trechsel/Erni, in: Trechsel/Pieth, N 12 zu Art. 317. 3116  Boog, BSK StGB II, N 15 zu Art. 317. 3117  Vgl. vorn § 37 Ziff. 2.2.

567

§ 124  Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318)

1.

Vorsatzdelikt (Ziff. 1)

1.1

Objektiver Tatbestand

Täter des echten Sonderdeliktes von Art.  318 können nur Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Hebammen sein. Zudem ist vorauszusetzen, dass es sich bei den genannten Personen um Inhaber einer staatlichen Bewilligung zur Ausübung des betreffenden Berufes handelt, da vor allem den Zeugnissen solcher Per­ sonen in der Öffentlichkeit ein erhöhtes Vertrauen entgegengebracht wird3118. Unterschiedliche Auffassungen bestehen bezüglich Naturärzten. Zumindest wenn diesen aufgrund eines staatlichen Diploms eine kantonale Bewilligung erteilt worden ist, sind sie den übrigen Medizinalpersonen gleichzustellen3119. Als ärztliche Zeugnisse gelten etwa medizinische Atteste zur Vorlage gegenüber Versicherungen, Justiz-, Schul- und Militärbehörden, sachkundige Feststellun­ gen betreffend Arbeitsfähigkeit sowie Geburts- oder Todesscheine. Nicht dazu gehört die Anamnese3120. Das Zeugnis muss vom Täter in seiner beruflichen Eigenschaft ausgestellt worden sein3121. Unwahr ist das Zeugnis, «wenn es ein unzutreffendes Bild vom Gesundheits­ zustand des Menschen oder Tieres»3122 oder von den Massnahmen (z.B. Not­ wendigkeit einer bestimmten Therapie) und Schlussfolgerungen (z.B. Arbeits­ unfähigkeit) vermittelt, welche gestützt darauf anzuordnen bzw. zu ziehen sind. Das Tatbestandsmerkmal kann auch durch das Verschweigen wesentlicher Umstände erfüllt werden3123. Die im ärztlichen Zeugnis beurkundeten Tatsa­ chen bzw. Schlussfolgerungen müssen sich nach dem Sinn des Gesetzes auf Feststellungen beziehen, für welche der Täter sachkundig ist. Im Gegensatz zu Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 brauchen jene Tatsachen jedoch nicht unbedingt recht­ lich erheblich zu sein3124. Die Strafbarkeit wird beschränkt auf Zeugnisse, wel­ che durch mindestens eines der drei folgenden Merkmale gekennzeichnet sind: a) Das Zeugnis ist zum Gebrauch bei einer (in- oder ausländischen) Behörde bestimmt, was z.B. auf Atteste zutrifft, die jemandem Unfähigkeit zur Leis­ 3118  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 16. 3119  Boog, BSK StGB II, N 2 zu Art. 318 m.w.H., a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60

N 16.

3120  Vgl. dazu Boog, BSK StGB II, N 4 zu Art. 318, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 19. 3121  BGer vom 9.4.2008, 6B_991/2008, Erw. 4.3. 3122  BGer vom 5.11.2013, 6B_416/2013, Erw. 4.3, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 17. 3123  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 17. 3124  Boog, BSK StGB II, N 11 zu Art. 318, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 20.

568

§ 124  Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318)

tung von Zivilschutzdienst oder die Durchführung der für die Einreise in einen Staat vorgeschriebenen Impfungen bescheinigen. b) Das Zeugnis ist zur Erlangung eines unrechtmässigen Vorteils bestimmt. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen zum gleichlautenden Tatbe­ standsmerkmal von Art. 251 Ziff. 1 verwiesen3125. Bei ärztlichen Zeugnis­ sen kann es beispielsweise darum gehen, grundlos von der Arbeit freige­ stellt zu werden oder Versicherungsleistungen zu erhalten. c) Das Zeugnis eignet sich dazu, wichtige und berechtigte Interessen Dritter zu verletzen. Damit werden Bagatellfälle ausgeschlossen. Ein krasses Beispiel hierfür wäre etwa die falsche Bestätigung, ein beim betreffenden Patien­ ten durchgeführter HIV-Test sei negativ verlaufen. Eine solche Bestätigung könnte sich zur Erlangung «ungeschützten» Geschlechtsverkehrs einsetzen lassen. Die Tathandlung besteht im Ausstellen eines unwahren Zeugnisses. Unter «Ausstellen» ist das schriftliche Festhalten der Feststellung des Arztes zu ver­ stehen. Die Tat ist schon mit dem Ausstellen des Zeugnisses vollendet. Hierzu wird immerhin nicht nur gehören, dass der Täter das Attest unterzeichnet. Er muss dieses vielmehr auch dem Patienten oder einem Dritten zugänglich machen, aushändigen bzw. zusenden; vorher kann von einer Gefährdung des Vertrauens der Öffentlichkeit in ärztliche Zeugnisse nicht die Rede sein. Dass das Zeugnis auch tatsächlich eine entsprechende Verwendung findet, wird nicht vorausgesetzt.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Der erforderliche Vorsatz setzt insbesondere das Wissen des Täters um die Unwahrheit der von ihm beurkundeten Tatsachen voraus. Ferner muss er sich bewusst sein, dass das Zeugnis zum Gebrauch bei einer Behörde oder zur Erlangung eines unrechtmässigen Vorteils bestimmt ist bzw. sich zur Verlet­ zung wichtiger und berechtigter Interessen Dritter eignet. Es reicht aus, wenn der Täter nur mit einer entsprechenden Möglichkeit rechnet und das Zeugnis dennoch ausstellt (Eventualvorsatz).

3125  Vorn § 37 Ziff. 3.22.

569

§ 124  Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318)

1.3

Qualifizierter Tatbestand

Hat der Täter für das falsche Zeugnis eine besondere (d.h. die regulären Ansätze für das Ausstellen eines Attestes übersteigende) Belohnung gefor­ dert, angenommen oder sich versprechen lassen, untersteht er der Qualifika­ tion nach Art. 318 Ziff. 1 Abs. 2. Diese Verhaltensweisen entsprechen jenen bei Art. 322quater 3126, sind aber nur für den Fall strafbar, dass das falsche Zeug­ nis tatsächlich ausgestellt wird. Zur Erfüllung von Art. 318 Ziff. 1 Abs. 2 reicht es aus, wenn der Täter die Belohnung erst nachträglich fordert oder annimmt. Da der Täter nach Ziff. 1 Abs. 2 aber der gleichen Strafdrohung unterliegt wie derjenige nach Ziff. 1 Abs. 1, ist der qualifizierte Tatbestand ohne praktische Bedeutung.

2.

Fahrlässigkeitstatbestand (Ziff. 2)

Der fahrlässigen Verwirklichung des Tatbestandes macht sich schuldig, wer aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit die Unrichtigkeit seiner Feststellung über­ sieht. Nach herrschender Auffassung soll der alleinige Irrtum des Arztes über die Zweckbestimmung des von ihm ausgestellten Zeugnisses den Fahrlässig­ keitstatbestand nicht erfüllen3127. Fahrlässig kann etwa ein Arzt handeln, wel­ cher gestützt auf die pflichtwidrig nicht erkannte Täuschung durch die um Sozialhilfe ersuchende Person ein objektiv unwahres Zeugnis ausstellt, gestützt auf welche diese Leistungen der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe erlangt bzw. zu erlangen sucht, welche ihr nicht zustehen3128.

3.

Abgrenzung und Konkurrenzen

Medizinalpersonen, welche in amtlicher Eigenschaft Atteste zu verfassen haben, fallen bei Ausstellung eines falschen Zeugnisses nicht unter Art. 318, sondern unter Art. 317 Ziff. 1 Abs. 23129.

3126  Vgl. hinten § 133. 3127  Boog, BSK StGB II, N 12 zu Art. 318, Dupuis u.a., Code pénal, N 13 zu Art. 318, vgl.

auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 23.

3128  Vgl. StGB Art. 148a. 3129  Boog, BSK StGB II, N 16 zu Art. 318, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 318, Dupuis u.a.,

Code pénal, N 14 zu Art. 318, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 25, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 9 zu Art. 318.

570

§ 125  Entweichenlassen von Gefangenen (Art. 319)

Nach herrschender Lehre geht Art. 318 als lex specialis der Urkundenfälschung gemäss Art. 251 vor3130. Umstritten ist allerdings, ob letzterer Tatbestand sub­ sidiär anwendbar ist, wenn die Voraussetzungen für Art.  318 nicht erfüllt sind3131, beispielsweise weil die tangierten Interessen Dritter nicht als wichtig erachtet werden können.

§ 125 Entweichenlassen von Gefangenen (Art. 319) Literaturauswahl: G. Frey/E. Omlin, Amtsmissbrauch – die Ohnmacht der Mächtigen, Eine Ana­ lyse der Amtsmissbrauchsnorm mit Blick auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden, AJP 14 (2005) 82, H. Giger, Kriminologie der Entweichung, Diss. Zürich 1959, F. Vassalli, L’evasione nel diritto penale svizzero, Diss. Bern 1967.

Strafbar ist der Beamte, der einem Verhafteten, einem Gefangenen oder einem andern auf amtliche Anordnung in eine Anstalt Eingewiesenen zur Flucht behilflich ist oder ihn entweichen lässt (Entweichenlassen von Gefangenen/ Assistance à l’évasion/Aiuto alla evasione di detenuti/Assistance by a public official in the escape of prisoners). Diese Bestimmung macht die schon nach Art. 310 Ziff. 1 pönalisierte Befrei­ ung von Gefangenen3132 zu einem mit derselben Strafe bedrohten Delikt gegen die Amtspflicht, wenn sie von einem Beamten begangen wird. Das durch diese Bestimmung geschützte Rechtsgut ist das Interesse der Allgemeinheit am kor­ rekten Funktionieren des Justizwesens3133.

1.

Objektiver Tatbestand

Täter können nur Beamte i.S. von Art. 110 Abs. 3 sein. Es handelt sich somit um ein (echtes) Sonderdelikt3134. Nach h.L. kann jeder Beamte Täter sein, der auf irgendeine Art  – auch nur vorübergehend oder in beschränkter Weise  – 3130  Boog, BSK StGB II, N 16 zu Art. 318, Dupuis u.a., Code pénal, N 15 zu Art. 318, Stra-

tenwerth/Bommer, BT II, § 60 N 24, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 9 zu Art. 318, a.M. Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 318, der Art. 318 nur dann anstelle der Urkunden­ fälschung anwenden will, wenn der Arzt mit der Ausstellung des Zeugnisses in ers­ ter Linie seinem Patienten helfen will, auch wenn er selbst davon ebenfalls profitiert. 3131  Vgl. dazu die Ausführungen von Boog, BSK StGB II, N 16 zu Art. 318 m.w.H. 3132  Vgl. vorn § 116. 3133  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 5 zu Art. 319. 3134  Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.12.

571

§ 125  Entweichenlassen von Gefangenen (Art. 319)

dafür zu sorgen hat, dass Gefangene nicht entfliehen können3135. Das gilt nicht nur für Aufseher und Werkmeister von Strafanstalten, sondern z.B. auch für dort tätige haupt- und nebenamtliche Beamte, soweit sie über Schlüssel für Zugänge zur Anstalt oder für gesicherte Räumlichkeiten in den Gebäuden ver­ fügen und damit als Garanten für die sichere Verwahrung der Gefangenen erscheinen3136. Hingegen werden aussenstehende Funktionäre, die Gefangene für einzelne Amtshandlungen aufsuchen, mangels einer entsprechenden Ver­ antwortung ebenso wenig wie private Besucher mit Beamtenstatus als Täter infrage kommen3137. In Bezug auf das strafbare Verhalten stimmt die Vorschrift teilweise mit Art. 310 Ziff. 1 überein. So wird der Kreis von Personen, deren Befreiung strafbar ist, in gleicher Weise umschrieben3138. Statt «Befreiung» verwendet indessen Art. 319 den Ausdruck «Entweichenlas­ sen», womit neben aktivem Handeln (wie z.B. versteckter Abtransport) auch passives Verhalten (Unterlassen des Abschliessens von Türen, Nichteinschrei­ ten gegen Fluchtversuche auf Transporten usw.) erfasst wird. Als Tathandlung genügt auch ein Teil-Beitrag zur Flucht – z.B. der Verzicht auf das Abschlies­ sen einer einzelnen inneren Tür – selbst wenn der Entweichende noch weitere Schranken überwinden muss, bis er frei ist3139. Den Tatbestand erfüllt selbstverständlich nicht, wer dem Gefangenen die legale Möglichkeit gibt, sich vorübergehend unbeaufsichtigt ausserhalb der Anstalt aufzuhalten, wie namentlich im Rahmen der Halbgefangenschaft oder eines bewilligten Urlaubs.

2.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar macht sich der Beamte nur bei vorsätzlicher Tatbegehung, d.h. wenn er dem Gefangenen mit Wissen und Willen die Freiheit verschafft oder ihm 3135  In diesem Sinne auch Dupuis u.a., Code pénal, N 6 zu Art. 319, Stratenwerth/Bommer,

BT II, § 58 N 25.

3136  Dupuis u.a., Code pénal, N  6 zu Art.  319, teilweise abweichend Delnon/Rüdy, BSK

StGB II, N 6 zu Art. 319.

3137  Vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 58 N 25, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 2

zu Art. 319, a.M. Corboz, Vol. II, N 3 zu Art. 319.

3138  In dieser Hinsicht sei deshalb auf die Ausführungen zum genannten Tatbestand in

§ 116 Ziff. 1 hiervor verwiesen, ebenso bezüglich der übereinstimmenden Tatvariante des Behilflichseins zur Flucht. 3139  Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 10 zu Art. 319.

572

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

dazu verhilft. Es genügt also nicht, wenn er z.B. versehentlich eine Tür nicht abschliesst oder auf Täuschung hin eine solche öffnet, selbst wenn er dadurch Sorgfaltspflichten verletzen sollte.

3.

Versuch und Teilnahme

Strafbarer Versuch kommt in Betracht, wenn der Täter bereits Vorkehren getroffen hat, um das Entweichen des Gefangenen zu ermöglichen oder zu erleichtern, diesem aber die Flucht nicht gelingt. Beteiligen sich Aussenstehende an der Tat des Beamten, können sie als Anstifter oder Gehilfen zu dessen Sonderdelikt ins Recht gefasst werden, selbst wenn sie Mitinhaber der Tatherrschaft gewesen sein sollten. Beamte, die nicht mit der Aufsicht der Gefangenen betraut sind, gelten als Dritte.

4. Konkurrenzen Art.  319 geht als Spezialtatbestand der Befreiung von Gefangenen gemäss Art.  310 vor. Begünstigung gemäss Art.  305 wird konsumiert. In echte Kon­ kurrenz können bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Amts­ missbrauch gemäss Art. 312 und Sich-bestechen-Lassen gemäss Art. 322quater treten3140. Liegt keine Zwangsausübung vor, kommt nur Art. 319 – nicht auch noch Art. 312 – zur Anwendung3141.

§ 126 Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320) Literaturauswahl: U. Broder, Besonderheiten im Strafverfahren gegen Magistratspersonen, Parla­ mentarier und Beamte nach zürcherischem Recht, in: Strafrecht und Öffentlichkeit, Festschrift für J. Rehberg zum 65. Geburtstag, hrsg. von A. Donatsch/N. Schmid, Zürich 1996, 71, S. Burgat, Le secret médical: interférences et interdépendances entre droit privé et droit public, in: «Le droit décloisonné», interférences et interdépendances entre droit privé et droit public, Genève 2009, 225, W. Buser, Der Schutz der Privatsphäre durch das Amtsgeheimnis, in: Festgabe zum Schwei­ zerischen Juristentag, hrsg. von der Juristischen Fakultät der Universität Basel, Basel 1985, 51, A. Cereghetti/M. Novier/O. Pelet, Nul n’est cense ignorer … que le secret médical doit être manié avec précaution, Revue médicale Suisse 2 (2006) 682, F. Clerc, Un membre d’une commission fédéral d’experts peut-il commettre le délit de «violation du secret de fonction» (art. 320 CP)?, SJZ 60 (1964) 295, F. H. Comtesse, Begriff und Schutz des Geheimnisses im schweizerischen Strafge­ setzbuch, ZStrR 56 (1942) 257, M. Cottier/R. Schlauri, Übersicht über die Melderechte und Mel­ 3140  Dupuis u.a., Code pénal, N 16 zu Art. 319, Delnon/Rüdy, BSK StGB II, N 17 zu Art. 319. 3141  Frey/Omlin, Amtsmissbrauch, 85.

573

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320) depflichten bei Genitalverstümmelungen an Unmündigen im Licht von Amts- und Berufsge­ heimnis, FamPra 6 (2005) 759, C. Dürr Brunner, Strafrechtliche Relevanz von medizinischen Berichten, Schweizerische Ärztezeitung 90 (2009) 920, A. Elsener, Das Vormundschaftsgeheimnis, Die Schweigepflicht der vormundschaftlichen Organe und Hilfsorgane, Diss. Zürich 1993, G. Frey/​E. Omlin, Amtsmissbrauch – die Ohnmacht der Mächtigen, Eine Analyse der Amtsmiss­ brauchsnorm mit Blick auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden, AJP 14 (2005) 82, T. Gächter/Ph. Egli, Informationsaustausch im Umfeld der Sozialhilfe, jusletter vom 6.9.2010, T. Geiser, Amtsgeheimnis und Verantwortlichkeit, ZSR 2003 I 385, M. Gilbert, L’interprète et le secret médi­ cal: cas clinique, plädoyer 24/2006, 56, H. I. Glaser, Amtshilfe und Bankgeheimnis, insbesondere im Bereich der Banken-, Anlagefonds- und Börsenaufsicht, Diss. Basel 1996, A. M. Grossmann, Die Verletzung des Amtsgeheimnisses auf Grund des Art. 320 des Schweizerischen Strafgesetz­ buches, Diss. Bern 1946, O. Guillod/G. Winkler, Un professionnel de la santé peut-il être tenu de signaler les cas de mise en danger de mineurs? Portée de la primauté du droit fédéral, à l’exemple de l’article 364 du Code pénal, jusletter vom 13.8.2007, R. Hauenstein, Die Ermächtigung in Beamtenstrafsachen des Bundes, Diss. Bern 1994, J. Hurtado Pozo, Das Amtsgeheimnis und das Strafvollzugspersonal, Der Strafvollzug in der Schweiz 1983, 42, M. Jendly, La coexistence des sec­ rets en exécution de peine privative de liberté, Diss. Neuchâtel 2005, derselbe, Le secret de fonc­ tion et le secret médical incarcérés: proposition d’un modèle de partage des informations confi­ dentielles en exécution de peine privative de liberté, ZStrR 124 (2006) 245, J. Mausbach, Die ärztliche Schweigepflicht des Vollzugsmediziners im schweizerischen Strafvollzug aus strafrecht­ licher Sicht: Bedarf es für die im Strafvollzug tätigen Mediziner und Medizinerinnen einer spezi­ ellen Regelung zum Offenbaren von Tatsachen, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen? Diss. Zürich 2009, J. Meyer, Le secret de fonction et les fonctionnaires vaudois, JdT 1992 IV 2, O. Pelet​R. Schlosser, TARMED et le secret médical, in: L’avocat et le juge face au droit pénal: mélan­ ges offerts à Eric Stoudmann, Genf/Zürich/Basel, 2005, 199, R. Perrin, Le secret de fonction en droit fédéral suisse, Diss. Neuchâtel 1947, P. Reichlin, Die Schweigepflicht des Verwaltungsbeam­ ten, ZBl 53 (1952) 473, 505, F. Riklin, EMRK-Widrigkeit der Bestrafung eines Journalisten wegen Anstiftung zu einer Amtsgeheimnisverletzung als Folge eines Auskunftsbegehrens, sic! 2006, 794, derselbe, in: Basler Kommentar, Datenschutzgesetz, hrsg. von U. Maurer-Lambrou/N.  P. Vogt, 2. Aufl., Basel 2006, Art. 35 (zit. Riklin, BSK DSG), U. Saxer, Behördliche Informationen im Span­ nungsfeld von Informationsbedürfnis und (strafrechtlichem) Vertraulichkeitsschutz, ZSR NF 123 (2004) Halbbd. 1, 233, M. Schubarth, Arztgeheimnis: Kann sich der Arzt, der sich an einen Anwalt wendet, auf Notstand berufen?, Anwaltsrevue 8/2008, 346 sowie Schweizerische Ärztezeitung 89 (2008) 1250, H. Schultz, Die Verletzung des Amtsgeheimnisses gemäss StGB Art. 320, Krim 33 (1979) 369 (zit. Schultz, Verletzung des Amtsgeheimnisses), derselbe, Der Beamte als Zeuge im Strafverfahren, ZBl 86 (1985) 185 (zit. Schultz, Beamte), M. Schwaibold, Journalistische Recher­ chiermethoden und Strafrecht, Medialex 2009, 77, F. M. Spillmann, Begriff und Unrechtstatbe­ stand der Verletzung der Amtsgeheimnisse nach Artikel 320 des Strafgesetzbuches, Diss. Zürich 1984, H. Stadler, Indiskretionen im Bund, ZBJV 136 (2000) 112, J. Studer, Amtsgeheimnis und Betreibungsauskunft, in: Strafrecht als Herausforderung, hrsg. von J.-B. Ackermann, Zürich 1999, 345, P. Studer, Recherchierjournalismus und Berufsethik, Medialex 2002, 74, B. Tag, Die Ver­ schwiegenheit des Arztes im Spiegel des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung des Kan­ tons Zürich, ZStrR 122 (2004) 1, dieselbe, Strafrecht im Arztalltag, in: Arztrecht in der Praxis, Zürich 2007, 669.

574

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

Das strafrechtlich geschützte Amtsgeheimnis dient primär der ungehinderten Erfüllung der Aufgaben des Gemeinwesens3142. Zwar haben auch die Behör­ den das in BV Art. 16 Abs. 3 verankerte Grundrecht auf Informationsfreiheit zu beachten. Die Tätigkeit seiner Organe, namentlich auch die Vorbereitung, Beratung und Abwicklung entsprechender Geschäfte würde nach bisheriger Auffassung beeinträchtigt, wenn Beamte und Behördenmitglieder Aussen­ stehende darüber uneingeschränkt orientieren dürften. Dadurch würde das Kollegialitätsprinzip tangiert, welches vielerorts von Behördenmitgliedern zu beachten ist. Weiter könnten sich die so Informierten alsdann z.B. direkt oder via Medien in hängige Geschäfte einmischen, die Meinungsbildung in Behörden beeinträchtigen, von vorzeitig erlangten Kenntnissen über bevorste­ hende Entscheidungen persönlich profitieren oder sich dem Zugriff von Straf­ verfolgungsbehörden entziehen. Sekundär werden auch die Interessen der in Amtstätigkeiten des Gemeinwesens involvierten Privatpersonen geschützt3143; diese Aufgabe obliegt in bestimmten Bereichen auch der eidgenössischen und kantonalen Datenschutzgesetzgebung. Auf Bundesebene wird der Geheimnisgrundsatz durch das Öffentlichkeitsge­ setz3144 gelockert3145. Dieses Gesetz, welches für die Bundesverwaltung sowie für Organisationen gilt, welche öffentliche Aufgaben erfüllen (z.B. SBB, Post, Suva, Pro Helvetia, Schweizerischer Nationalfonds), soweit sie Verfügungs­ kompetenzen besitzen, soll gemäss BGÖ Art.  1 die Transparenz über die Tätigkeit der Verwaltung fördern und den Zugang zu amtlichen Dokumenten gewährleisten (Wechsel vom Grundsatz der Geheimhaltung zum Öffentlich­ keitsprinzip). Das Öffentlichkeitsprinzip kann jedoch zum Schutz überwiegen­ der öffentlicher oder privater Interessen eingeschränkt werden. Art. 320 StGB wird durch das Öffentlichkeitsgesetz nicht tangiert, weil den Tat­ bestand von Art. 320 erfüllt, wer Geheimnisse offenbart, die i.S. des Öffentlich­ keitsgesetzes geheim bleiben sollen3146.

3142  BGE 142 IV 68, BGer vom 9.2.2017, 1C_523/2016, Erw. 1.2. 3143  BGE 137 II 437, BGE 141 I 206 f., 142 IV 68. 3144  Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung

(Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ), SR 152.3.

3145  Vgl. Botschaft 2003, 1963 ff. 3146  Botschaft 2003, 1978.

575

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Art. 320 (Verletzung des Amtsgeheimnisses/Violation du secret de fonction/Violazione del segreto d’ufficio/Breach of official secrecy) stellt ein echtes Sonderde­ likt dar; der Tatbestand lässt sich nur von Beamten i.S. von Art. 110 Abs. 3 und Behördenmitgliedern3147 erfüllen3148.

1.2 Schutzobjekt Auszugehen ist vom materiellen Begriff des Geheimnisses3149. Als geheim gel­ ten in diesem Zusammenhang Tatsachen3150, welche nur einem beschränk­ ten Kreis von Personen bekannt sind (die sog. Geheimnisträger), sowie an deren Geheimhaltung derjenige, den die Tatsachen betreffen (sog. Geheimnis­ herr) ein schutzwürdiges Interesse hat und dieses auch ausdrücklich oder still­ schweigend bekundet (sog. Geheimhaltungswille)3151. Nicht massgebend für den Geheimnisbegriff erscheint hingegen das Interesse Dritter bzw. der Öffent­ lichkeit an einer allfälligen Offenlegung3152. Als Tatsachen haben in diesem Zusammenhang nicht nur objektiv feststehende Umstände zu gelten, sondern auch blosse Vermutungen und Informationen, die sich als unrichtig erwei­ sen3153. Gleichgültig bleibt ferner, ob sie sich auf legales oder illegales Verhal­ ten beziehen3154. Was das Amtsgeheimnis im Besonderen anbelangt, stellt sich die Frage, wonach das Vorliegen von Geheimhaltungsinteresse und -willen zu beurteilen ist. Dabei muss beachtet werden, dass es  – unter Beachtung der Vorgaben des BGÖ  – grundsätzlich dem Gemeinwesen zusteht, für seine Behördenmitglieder und 3147  Vgl. dazu vorn § 92 Ziff. 2. 3148  BGE 142 IV 68, vgl. zum Täterkreis auch Bundesgesetz vom 9. Oktober 1981 über die

Schwangerschaftsberatungsstellen (SR 857.5), Art. 2.

3149  BGer vom 24.4.2015, 6B_1192/2014, Erw.  4.3, BGer vom 25.2.2016, 6B_599/2015,

Erw. 2.2.1, Dupuis u.a., Code pénal, N 14 zu Art. 320, Oberholzer, BSK StGB II, N 8 zu Art. 320, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 5. 3150  Vgl. BGE 114 IV 46, Corboz, Vol. II, N 11 zu Art. 320, Dupuis u.a., Code pénal, N 16 zu Art. 320, Oberholzer, BSK StGB II, N 7 zu Art. 320, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 5 m.w.H., Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 3 zu Art. 320. 3151  BGE 127 IV 125. 3152  BGE 127 IV 130. 3153  Vgl. BGE 116 IV 65. 3154  Vgl. ZR 87 (1988) Nr. 2.

576

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

Beamten festzulegen, ob und in welchem Umfang sie zur Verschwiegenheit über amtliche Angelegenheiten verpflichtet sind; Art.  320 stellt lediglich die Strafbestimmung für die Verletzung des Geheimnisses auf 3155. Voraussetzung für deren Anwendbarkeit ist indessen, dass die offenbarten Tatsachen die ein­ gangs umschriebenen Merkmale des Geheimnisses aufweisen. Deshalb genügt es nicht, wenn das Recht eines Gemeinwesens seine Behördenmitglieder und Beamten ausdrücklich oder stillschweigend einer allgemeinen Schweigepflicht unterstellt (sog. formeller Geheimnisbegriff). Damit deren Missachtung straf­ bar wird, müssen die offenbarten Tatsachen vielmehr auch dem «materiellen Geheimnisbegriff» von Art. 320 entsprechen3156. Ein schützenswertes Interesse an der Geheimhaltung kann v.a. das betrof­ fene Gemeinwesen (Bund, Kanton, Gemeinde) als solches haben. Schutz ver­ dient ausserdem die Privatperson, welche verpflichtet oder auch nur faktisch darauf angewiesen ist, eine Amtsstelle über persönliche Angelegenheiten zu informieren3157, z.B. bei Auskünften über finanzielle Verhältnisse gegenüber Steuer- oder Fürsorgebehörden und der Schilderung persönlicher und fami­ liärer Probleme, um Rat einzuholen. In solchen Fällen wird die betreffende Privatperson neben dem Gemeinwesen oder gar ausschliesslich zum Geheim­ nisherrn, was sich auf die Voraussetzungen für die Rechtfertigung einer Offen­ barung von Geheimnissen auswirken kann3158. Die Frage, ob ein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung einer bestimmten Tatsache besteht, kann im Verlaufe der Zeit je nach den beteilig­ ten Interessen unterschiedlich beantwortet werden. So sind gemäss BV Art. 30 Abs. 3 sowie EMRK Art. 6 Ziff. 1 und IPBPR Art. 14 Ziff. 1 die Verhandlungen in zivilrechtlichen Angelegenheiten und strafrechtlichen Anklagen vor Gericht sowie die Verkündung des Urteils öffentlich, wobei neben dem Namen auch persönliche Umstände des Angeklagten bekannt werden (Justizöffentlichkeit). Damit werden die individuelle Einblicknahme in die Tätigkeit der Gerichte und die  – insbesondere mediale  – Weiterverbreitung der erlangten Informa­ tionen gewährleistet3159. Nach der Verkündung des Urteils kann dieses in Ver­ gessenheit geraten und zu einem Amtsgeheimnis werden3160. 3155  Vgl. Schultz, Beamte, 185. 3156  Vgl. dazu Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 320, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 5, ZBJV

114 (1978) 455, ZR 90 (1991) Nr. 94.

3157  ZR 90 (1991) Nr. 94, BGE 141 I 206. 3158  Vgl. hinten Ziff. 4.4. 3159  BGer vom 15.10.2015, 1C_290/2015, Erw. 3. 3160  BGE 127 IV 129.

577

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

Eine Reihe von Bundes- und kantonalen Gesetzen statuieren für die von bestimmten Behörden oder Beamten zu behandelnden Geschäfte ausdrück­ lich eine Schweigepflicht3161. Diese wird regelmässig indizieren, dass die von ihr umfassten Angelegenheiten als Amtsgeheimnisse i.S. von Art. 320 Ziff. 1 zu gelten haben. Doch kann sich diese Bestimmung nach dem vorher Ausgeführ­ ten als unanwendbar erweisen, wenn es am schützenswerten Interesse oder am Willen zur Geheimhaltung fehlt. Vielfach enthalten jene Erlasse aber für die Verletzung der Schweigepflicht besondere Strafbestimmungen; alsdann stellt sich die Konkurrenzfrage3162.

1.3

Kenntnis des Täters vom Geheimnis infolge seiner Stellung

Art.  320 setzt ausdrücklich voraus, dass das Geheimnis dem Täter in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut oder von ihm in seiner amtlichen bzw. dienstlichen Stellung wahrgenommen worden ist. Erforderlich ist also ein Kausalzusammenhang in dem Sinne, dass der Täter gerade wegen seiner entsprechenden Funktion von der betreffenden Tatsache erfahren hat. Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach den gesamten Umständen3163. Folgerichtig dürfen Behördenmitglieder und Beamte Drittpersonen insbeson­ dere dann über anhängige dienstliche Angelegenheiten informieren, wenn sie davon bereits zuvor oder nachträglich auch als Privatperson Kunde erhalten haben, ebenso wenn sie die betroffene Tatsache ohne Weiteres auch ausser­ halb des Dienstes in Erfahrung bringen könnten oder sogar einen privaten Anspruch auf Information hätten3164. Demgegenüber stellt beispielsweise der Umstand, ob gegen eine bestimmte Person ein Strafverfahren eingeleitet wor­ den ist oder nicht, für die Strafbehörden ein Amtsgeheimnis dar. Dasselbe gilt für die Adresse des möglichen Tatverdächtigen, wenn diese weder offenkundig noch allgemein zugänglich ist3165.

3161  Z.B. Kartellgesetz vom 6. Oktober 1995 (SR 251), Art. 25 (für die Wettbewerbsbehör­

den), StPO Art. 73 Abs. 1 (für die in der Justiz tätigen Personen).

3162  Dazu hinten Ziff. 3.3. 3163  BGE 115 IV 236 f., Corboz, Vol. II, N 18 zu Art. 320, Dupuis u.a., Code pénal, N 23

zu Art. 320.

3164  BGE 115 IV 236 f. 3165  BGer vom 24.4.2015, 6B_1192/2014, Erw. 4.3.3.

578

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

1.4 Schweigepflicht Liegt ein Amtsgeheimnis vor, ist das Behördenmitglied bzw. der Beamte – Aus­ nahmen vorbehalten3166 – zur Geheimhaltung verpflichtet3167. Dies gilt sogar dann, wenn die Geheimhaltungspflicht nicht ausdrücklich verankert sein sollte3168. Art. 320 Ziff. 1 Abs. 2 stellt klar, dass die Schweigepflicht das Bestehen des Man­ dates als Behördenmitglied bzw. Beamter überdauert. Solche Personen kön­ nen also auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt bis zu ihrem Tod3169 das Amtsgeheimnis in strafbarer Weise verletzen.

1.5

Tatbestandsmässiges Verhalten

Der Täter «offenbart» das Geheimnis, indem er es einer oder mehreren aus­ senstehenden Personen mitteilt oder bloss schon zugänglich macht3170. Dies kann auf beliebige Weise geschehen, etwa indem der Täter einen Dritten im Gespräch über die Angelegenheit orientiert, ihm irgendwelche einschlägigen Akten oder Aufzeichnungen übergibt oder ihn in entsprechende Unterlagen Einsicht nehmen lässt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Adressat der Offen­ barung, der sich nicht mit dieser Angelegenheit zu befassen hat, seinerseits dem Amtsgeheimnis untersteht3171 oder ob die fragliche Tatsache nach ihrer Mitteilung noch als Geheimnis erachtet werden kann3172; vorbehalten bleiben besondere Auskunftspflichten als Rechtfertigungsgründe3173. Auch die Bestäti­ gung einer von einem Dritten bisher erst vermuteten Tatsache erfüllt den Tat­ bestand3174. Nicht erforderlich ist, dass die Offenbarung zu einer Schädigung oder Gefährdung öffentlicher oder privater Interessen führt. 3166  Vgl. dazu nachstehend Ziff. 4. 3167  Corboz, Vol. II, N 21 ff. zu Art. 320, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 6. 3168  BGE 142 IV 68 f., Corboz, Vol. II, N 23 zu Art. 320, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61

N 6.

3169  BGE 123 IV 76 f. m.w.H. 3170  BGE 114 IV 48. 3171  BGE 114 IV 48, Corboz, Vol. II, N 34 zu Art. 320, Dupuis u.a., Code pénal, N 27 zu

Art. 320, Oberholzer, BSK StGB II, N 9 zu Art. 320, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 8 zu Art. 320. 3172  BGE 114 IV 48. 3173  Dazu hinten Ziff. 4.1. 3174  BGE 75 IV 74, Corboz, Vol. II, N 33 zu Art. 320, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 8 zu Art. 320, Stadler, 114.

579

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

Nicht als tatbestandsmässig kann die Orientierung von Personen gelten, die sich kraft ihrer Stellung als Behördenmitglied oder Beamter auf dem Dienst-, Rechtsmittel- oder Rechtshilfeweg ebenfalls mit der Angelegenheit befassen müssen, sowie wenn sie die Erfüllung der Aufgaben des Geheimnisträgers zu beaufsichtigen haben3175. Die Unterrichtung einer vorgesetzten Instanz erfüllt den Tatbestand selbst dann nicht, wenn sie unter Umgehung des Dienstweges erfolgt, sofern sie im Interesse der Amtsführung liegt3176. Schliesslich besteht im Rahmen der Parteiöffentlichkeit auch keine Schweigepflicht gegenüber Ver­ fahrensbeteiligten3177. Nicht tatbestandsmässig verhält sich der Richter, der den Prozessbeteiligten ein Urteil bekannt gibt, dessen Herausgabe oder Vorlage als Beweismittel recht­ mässig angeordnet worden ist3178.

2.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur die vorsätzliche Verletzung des Amtsgeheimnisses. Der Täter muss also die betreffende Tatsache im Bewusstsein ihres geheimen Charakters und ihrer Kenntnis aufgrund seiner amtlichen Stellung willentlich einem Aus­ senstehenden zugänglich machen. Blosse Fahrlässigkeit ist hingegen straflos und kann höchstens disziplinarisch geahndet werden. Sie wäre etwa anzuneh­ men, wenn ein Beamter versehentlich Akten offen im Büro liegen lässt, worauf diese vom Reinigungspersonal gelesen werden. Selbstverständlich kann aber eine solche Unterlassung bewusst erfolgen und als vorsätzliche Verletzung des Amtsgeheimnisses zu qualifizieren sein, wenn der Täter mindestens in Kauf nimmt, damit jemandem die Kenntnisnahme des Geheimnisses zu ermögli­ chen3179.

3.

Weitere Fragen

3.1

Vollendung und Versuch

Die Tat ist vollendet, sobald ein Aussenstehender dank dem Verhalten des Täters Kenntnis vom betreffenden Geheimnis erhält. Strafbarer Versuch wäre anzunehmen, wenn der Geheimnisträger bereits Mitteilungen über solche Tat­ 3175  BGE 114 IV 48. 3176  BGE 116 IV 65 f. 3177  BGE 141 IV 38. 3178  RS 1999 Nr. 533. 3179  BGE 142 IV 68.

580

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

sachen verfasst oder sie für einen Dritten zugänglich gemacht hat, der aber vom Geheimnis noch keine Kenntnis genommen hat.

3.2

Strafbare Teilnahme

Im Hinblick auf die Sonderdeliktsnatur von Art. 320 kommt Mittäterschaft nur für Personen in Betracht, die ebenfalls in ihrer Eigenschaft als Behördenmit­ glied bzw. Beamter vom betroffenen Geheimnis Kenntnis haben, nicht aber für andere Personen. Solche können sich immerhin als Anstifter3180 oder Gehil­ fen verantwortlich machen und unterstehen dann gemäss Art. 26 ebenfalls der Strafdrohung von Art. 320 Ziff. 13181.

3.3

Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen

Der Arzt in dem von einem Gemeinwesen betriebenen Krankenhaus untersteht je nach dem Bereich seiner Tätigkeit dem Amtsgeheimnis oder dem Berufsge­ heimnis nach Art. 3213182. Art. 320 gilt für seine betrieblichen Wahrnehmun­ gen, Art. 321 für die Behandlung seiner Patienten3183. Neben dem – etwa an einem Rechtsmedizinischen Institut tätigen – Amtsarzt kann Art. 320 auch bei einem Privatarzt Anwendung finden, wenn er gestützt auf StPO Art. 182 ff. in einem Einzelfall amtlich zum Sachverständigen bestellt wird. Besteht für bestimmte Behördenmitglieder bzw. Beamte oder für bestimmte Angelegenheiten, mit denen sie sich zu befassen haben, im Hinblick auf die Verletzung der Schweigepflicht eine besondere Strafnorm, findet diese allein Anwendung3184. Art.  320 Ziff.  1 bleibt dagegen anwendbar, wenn die betref­ fende Norm nur subsidiär Geltung beansprucht3185. Eine Verurteilung nach 3180  Vgl. dazu BGE 127 IV 122 ff. betr. Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung einer Ver­

waltungsassistentin der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich durch einen Reporter und die Kritik zu diesem Urteil bei Studer, 76. Vgl. ferner die Fallschilderungen betr. Teilnahme von Journalisten an Amtsgeheimnisverletzungen bei Stadler, 116 ff. 3181  Vgl. BGE 81 IV 288 ff., Strafrecht I, § 16 Ziff. 1.2. 3182  Dazu hinten § 126. 3183  SJZ 81 (1985) 146, ZBJV 115 (1979) 426, ZR 76 (1977) Nr. 45, Trechsel/Vest, in: Trech­ sel/Pieth, N 15 zu Art. 320, a.M. Corboz, Vol. II, N 48 zu Art. 320, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 14. 3184  So etwa Fernmeldegesetz vom 30. April 1997 (SR 784.10) Art. 43, 50 und 52. 3185  So sieht das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlasse­ nenversicherung (AHVG, SR 831.10) Art. 87 in Abs. 4 und 8 eine Bestrafung wegen Verletzung der Schweigepflicht im Zusammenhang mit der Durchführung und der

581

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

Art.  320, welche die Offenbarung geschützter Personendaten betrifft, konsu­ miert die von der Täterschaft erfüllten Übertretungstatbestände der Daten­ schutzgesetzgebung3186. Verhaltensweisen gemäss Art. 293 (Veröffentlichung amtlicher geheimer Ver­ handlungen) fallen ausschliesslich unter Art. 320 Ziff. 1, wenn der Täter Behör­ denmitglied oder Beamter ist und dank dieser Stellung von den geheimen Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen einer Behörde Kenntnis hat3187. Verletzt ein Beamter aufgrund einer Bestechung das Amtsgeheimnis, liegt echte Idealkonkurrenz mit Art. 322quater vor. Analog verhält es sich mit der Veran­ lassung eines solchen Verhaltens, welche als aktive Bestechung nach Art. 322ter und Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses zu ahnden ist3188.

4. Rechtfertigungsgründe Als Rechtfertigungsgrund erwähnt Art. 320 in Ziff. 2 die Einwilligung der dem Beamten oder Behördenmitglied vorgesetzten Behörde3189; doch kommt vorab auch die Anwendung von Art. 14 oder 17 und subsidiär von aussergesetzlichen Rechtfertigungsgründen in Betracht.

4.1

Gesetzliche Informationsrechte und -pflichten nach Art. 14

Solche Befugnisse bzw. Obliegenheiten sehen eine Reihe eidgenössischer und kantonaler Gesetze vor. Obschon rechtlich geregelte Amts- und Berufspflich­ ten von Art. 14 nicht mehr ausdrücklich genannt werden (vgl. alt Art. 32), bil­ den sie auch weiterhin Grundlage für eine Rechtfertigung3190. Aus der Bun­ desgesetzgebung sind etwa StPO Art. 75 Abs. 3 betreffend Mitteilung an die «Vormundschaftsbehörden» (recte: «Kindes- oder Erwachsenenschutzbehör­ den») sowie SVG Art. 104 Abs. 1 betreffend Meldungen an Verkehrsämter über Beaufsichtigung der Versicherungstätigkeit nur für den Fall vor, dass kein mit einer höheren Strafe bedrohtes Verbrechen oder Vergehen des StGB – wie gerade die Verlet­ zung des Amtsgeheimnisses nach Art. 320 Ziff. 1 – vorliegt. 3186  Vgl. Riklin, BSK DSG, N 55 zu Art. 35. 3187  Vgl. bereits vorn § 100 Ziff. 4.3. Im Ergebnis ebenso Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 14, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 15 zu Art. 320. 3188  BGE 93 IV 52 ff. 3189  Vgl. StPO Art. 170 Abs. 2 und 3. 3190  Seelmann, BSK StGB I, N 3 zu Art. 14.

582

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

verkehrsgefährdende Personen bzw. Widerhandlungen im Strassenverkehr zu erwähnen. Im Strafprozessrecht sowie in kantonalen Gesetzen finden sich etwa Bestimmungen, welche Behördenmitglieder und Beamte dazu verpflichten, bei Ausübung ihrer Amtstätigkeit festgestellte Straftaten anzuzeigen3191 oder Steu­ erbehörden auf Verlangen Auskünfte aus ihren Akten zu erteilen3192.

4.2

Notstand (Art. 17)

In Ausnahmefällen kann der Rechtfertigungsgrund des Notstands bedeutsam werden, so z.B. wenn die Polizei Informationen über bevorstehende Delikte erhält und die davon Betroffenen warnt3193.

4.3

Einwilligung der vorgesetzten Behörde (Art. 320 Ziff. 2)

Sofern das Geheimnis nicht ausschliesslich eine oder mehrere Privatperso­ nen betrifft, können nach dieser Bestimmung nur die zuständigen Organe des Gemeinwesens, für welches das Behördenmitglied bzw. der Beamte tätig ist, über dessen Entbindung von der Schweigepflicht befinden3194. Wer darüber zu entscheiden hat und nach welchen Kriterien dies geschehen soll, bestimmt sich nach dem Recht des betroffenen Gemeinwesens. Als zustän­ dige Instanzen werden z.B. Direktionen bzw. Departemente des Regierungsra­ tes, Amtsvorsteher, der Kommandant eines Polizeikorps oder die Verwaltungs­ kommission des Obergerichts eingesetzt. Anders als beim Berufsgeheimnis3195 können sie unter dem Gesichtspunkt von Art. 320 Ziff. 1 das Behördenmitglied bzw. den Beamten nicht nur auf dessen Gesuch hin, sondern auch auf Verlan­ gen der um Information nachsuchenden Stelle oder sogar von sich aus von der Schweigepflicht entbinden3196. Dies muss stets schriftlich geschehen. Für den 3191  Z.B. StPO Art. 302 Abs. 1. 3192  Z.B. ZH Steuergesetz vom 8. Juni 1997 (LS 631.1) § 121. 3193  Vgl. Corboz, Vol. II, N 45 zu Art. 320, Schultz, Verletzung des Amtsgeheimnisses, 375. 3194  Oberholzer, BSK StGB II, N 12 zu Art. 320, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 10,

Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 5 zu Art. 320.

3195  Art. 321 Ziff. 2, dazu hinten § 127 Ziff. 5.4. 3196  Vgl. aber BGE 123 IV 77 m.w.H. betr. das Gesuch einer Historikerin um Entbindung

eines eidgenössischen Untersuchungsrichters vom Amtsgeheimnis, damit dieser ihr in einem Fall Auskunft erteilen könne, indem er die Untersuchung geführt hatte. Das BGer führte dazu aus, es sei grundsätzlich Sache des Geheimnisträgers, bei der vorge­ setzten Behörde um die Einwilligung zur Offenbarung des Amtsgeheimnisses nach­ zusuchen.

583

§ 126  Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320)

Entscheid ist in jedem Fall eine Abwägung der verschiedenen Interessen an der Orientierung einerseits sowie des Interesses des Gemeinwesens und der allen­ falls mitbetroffenen Privatperson an der Geheimhaltung andererseits massge­ bend3197. Mindestens wenn Persönlichkeitsrechte auf dem Spiel stehen, sollte die betroffene Person zur Frage der Offenbarung des Geheimnisses angehört werden3198. Soll ein Behördenmitglied bzw. ein Beamter in einem gerichtlichen Verfah­ ren als Zeuge zu dienstlichen Feststellungen verhört werden3199, so muss die vorgesetzte Behörde die Ermächtigung zur Aussage schriftlich ertei­ len, «wenn das Interesse an der Wahrheitsfindung das Geheimhaltungsinter­ esse überwiegt»3200. Grundsätzlich liegt in der Vorladung des Behördenmit­ glieds bzw. Beamten, als Zeuge auszusagen, das Gesuch um Ermächtigung zur Aussage; es ist dann Sache des Vorgeladenen, den Entscheid der vorgesetzten Behörde einzuholen3201. Im Rahmen ihrer Anzeigepflichten sind die Strafbe­ hörden ohne Entbindung durch die vorgesetzte Behörde zur Aussage berech­ tigt bzw. verpflichtet3202.

4.4

Einwilligung des Verletzten

Dieser Rechtfertigungsgrund3203 wird dem Amtsträger die Preisgabe des Geheimnisses stets erlauben, wenn das Geheimnis ausschliesslich die Pri­ vatsphäre eines Bürgers beschlägt, sodass dieser als alleiniger Geheimnisherr erscheint (so z.B. wenn er mit einem Fürsorgebeamten persönliche Probleme bespricht). In den Fällen, in denen neben dem privaten auch ein selbständiges öffentliches Geheimhaltungsinteresse besteht, ist die rechtfertigende Einwilli­ gung des betroffenen Privaten nicht möglich3204.

3197  In diesem Sinne auch StPO Art. 170 Abs. 3. 3198  Vgl. BGE 91 I 203 ff., ZPO Art. 163 Abs. 2 und Art. 166 Abs. 2, ZR 76 (1977) Nr. 45. 3199  Vgl. dazu Donatsch, StPO Kommentar, N 3 ff. zu Art. 170. 3200  StPO Art. 170 Abs. 2 und Art. 173 Abs. 1 und 2, vgl. dazu auch BGE 140 IV 179. 3201  BGE 123 IV 77, Donatsch, StPO Kommentar, N 10 zu Art. 170; Stratenwerth/Bommer,

BT II, § 61 N 11; a.M. Schmid, Strafprozessrecht, N 891.

3202  BGE 140 IV 179 ff., Donatsch, StPO Kommentar, N 12 zu Art. 170. 3203  Vgl. Strafrecht I, § 22 Ziff. 2. 3204  Vgl. Dupuis u.a., Code pénal, N 41 zu Art. 320, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 10

m.w.H.

584

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

4.5

Wahrung berechtigter Interessen

Dieser weitere Rechtfertigungsgrund3205 ist im Zusammenhang mit der Bekanntgabe behaupteter Missstände innerhalb einer Amtsstelle an Aussenste­ hende bzw. Medien («Whistleblowing»3206) aktuell geworden. Das Bundesge­ richt schliesst in solchen Fällen die Berufung auf Wahrung berechtigter Interes­ sen nicht aus, setzt aber dafür voraus, dass der Geheimnisträger zuvor erfolglos alle legalen, namentlich dienstlichen Mittel ausgeschöpft hat, um Abhilfe zu schaffen3207. Zurzeit ist das Verfahren zweier Angestellter des Sozialamtes der Stadt Zürich beim Bundesgericht hängig. Diese beiden Angestellten hatten sich mit Informationen über behauptete Missstände an die Öffentlichkeit gewandt, ohne vorher den Dienstweg ausgeschöpft zu haben. Ihr Vorgehen wurde vom Bezirksgericht Zürich mit der Begründung geschützt, dass «sie unter den gege­ benen Umständen das von ihnen gewählte Vorgehen als den einzig möglichen Weg ansehen durften»3208. Das Obergericht des Kantons Zürich entschied jedoch gegenteilig und verlangte im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtspre­ chung, dass die Beschuldigten ihre legalen Möglichkeiten hätten ausschöpfen müssen3209. Da staatliche Institutionen zur Aufklärung von Missständen einer Aufsicht unterstellt sind, erscheint es vertretbar, von Staatsangestellten zu ver­ langen, diesen Weg einzuhalten.

§ 127 Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321) Literaturauswahl: H. Affolter-Eijsten, Die Stellung des Arztes im Strafverfahren unter Berücksich­ tigung des Opferhilfegesetzes und der Bindung an das ärztliche Berufsgeheimnis, AJP 6 (1997) 565, P. Albrecht, Rechtsgutachten zur Strafbarkeit der Verletzung des ärztlichen Berufsgeheimnis­ ses gemäss Art.  321 StGB, HAVE 1/2004, 60, M. Aubert/R. Schwob, Das Berufsgeheimnis des ­Bankiers, SJK 1996, Nr. 69B, B. Bertossa, Le secret professionnel de l’avocat, Sem 103 (1981) 321, H. W. Blass, Ältere und neuere Probleme der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses, SJZ 62 (1966) 337, P. Böckli, Anwaltsgeheimnis und Fiskus im Rechtsstaat, SJZ 76 (1980) 105, 125, J. Boll, Die Entbindung vom Arzt- und Anwaltsgeheimnis, Diss. Zürich 1983, F. Bommer/P. Goldschmid, Die Auswirkungen von Aussagefreiheit und Zeugnisverweigerungsrechten auf Beschlagnahme und Herausgabe, ZBJV 133 (1997) 345, B. Brechbühl/E. Hauser/U. Hofer, Der Anwalt als Zeuge, 3205  Vgl. Strafrecht I, § 22 Ziff. 5. 3206  Vgl. zum Begriff A. von Kaenel, Whistleblowing, SJZ 103 (2007) 309. 3207  BGE 94 IV 70 f., 114 IV 48 f., vgl. auch ZR 78 (1979) Nr. 81 und SJZ 83 (1987) 343,

Dupuis u.a., Code pénal, N 42 zu Art. 320, Oberholzer, BSK StGB II, N 15 zu Art. 320, Flachsmann, StGB-Kommentar, N 21 zu Art. 320. 3208  Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 17.9.2009, fp 2010, 134 ff. 3209  Urteil des Obergerichts Zürich vom 11.1.2011, SB090757/U/kw/ls.

585

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321) Zürich 1997, G. Bridel, Das Arztgeheimnis und der Anstaltsarzt, Der Strafvollzug in der Schweiz 1983, 60, R. G. Briner, Anwaltliche Sorgfaltspflichten und E-Mail, SJZ 101 (2005) 437, B. Corboz, Le secret professionnel de l’avocat selon l’art. 321 cp., Sem 115 (1993) 77, W. de Capitani, Anwalts­ geheimnis und Unternehmensjurist, Zürich 1999, J.-F. Dumoulin, Le secret professionnel des soignants et leur obligation de témoigner selon les nouveaux codes de procédure fédéraux, juslet­ ter vom 18.1.2010, L. Erni, Anwaltsgeheimnis und Strafverfahren, Zürich 1997, J.-M. Grossen, L’autorité parentale, le secret medical et la contraception, in: Festschrift für C. Hegnauer, hrsg. von H. M. Riemer/H. U. Walder/P. Weimar, Bern 1986, 79, R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafpro­ zess mit Berücksichtigung des Zivilprozesses, Zürich 1974 (zit. Hauser, Zeugenbeweis), M. Henrich, Ein Berufsgeheimnis für Unternehmensanwältinnen und Unternehmensanwälte, Anwalts­ revue 2/2008, 55, Ch. Huber, Ausgewählte Fragen rund um die ärztliche Tätigkeit bei HIV und Aids, Schweizerische Ärztezeitung 72 (1991) 2162, M. Jendly, La coexistence des secrets en exécu­ tion de peine privative de liberté, Diss. Neuchâtel 2005, dieselbe, Le secret de fonction et le secret médical incarcérés: proposition d’un modèle de partage des informations confidentielles en exé­ cution de peine privative de liberté, ZStrR 124 (2006) 245, K. Keller, Das ärztliche Berufsgeheim­ nis gemäss Art. 321 StGB unter besonderer Berücksichtigung der Regelung im Kanton Zürich, Diss. Zürich 1992, K.-L. Kunz, Gutachten über rechtliche Fragen im Zusammenhang mit AIDS, Strafrechtlicher Teil, in: Drei Gutachten über rechtliche Fragen im Zusammenhang mit AIDS, hrsg. von O. Guillod/K.-L. Kunz/Ch. A. Zenger, Bern 1991, 317, H. Langmack, Die strafrechtliche Schweigepflicht des Arztes, ZStrR 88 (1972) 67, C. Markees, Der Geheimnisschutz im Rechtshil­ feverfahren in Strafsachen, ZStrR 92 (1976) 179, J. Mausbach, Die ärztliche Schweigepflicht des Vollzugsmediziners im schweizerischen Strafvollzug aus strafrechtlicher Sicht, bedarf es für die im Strafvollzug tätigen Mediziner und Medizinerinnen einer speziellen Regelung zum Offenba­ ren von Tatsachen, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen?, Diss. Zürich 2009, J.-T. Michel, Le secret professionnel de l’avocat et ses limites, Anwaltsrevue 10/2009, 498 und 11/2009, 546, T. Müller, Das Geheimnis um das Bankkundengeheimnis, jusletter vom 3.5.2010, W. Müllhaupt, Berufsgeheimnis und Zeugnisverweigerungsrecht der aktienrechtlichen Revisoren, Diss. St. Gal­ len 1974, M. A. Niggli, Unterstehen dem Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB auch Unterneh­ mensjuristen? Eine Verteidigung des materiellen Strafrechts gegen die Freunde des Verfassungs­ rechts, zugleich eine Antwort auf Pfeifer, Anwaltsrevue 8/2006, 276, P. Noll, Geheimnisschutz und Zeugnispflicht, Festgabe für M. Gerwig, hrsg. von der Juristischen Fakultät der Universität Basel, Basel 1960, 135, Ch. Peter, Die Zulässigkeit der Auslagerung der Bearbeitung der Patientendaten von Spitälern an externe Informatikdienstleister, jusletter vom 22.6.2009, M. Pfeifer, Gilt das Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB auch für Unternehmensjuristen? Der Wunsch als Vater des Gedankens oder Realistik der Auslegung?, Anwaltsrevue 4/2006, 166, derselbe, Art.  321 als Grundlage eines uneingeschränkten Anwaltsgeheimnisses – mit Ausführungen zu einem Berufs­ geheimnis von Unternehmensjuristen, Anwaltsrevue 9/2006, 331, J. Rehberg, Ärztliches Berufs­ geheimnis und gesetzlicher Vertreter des Patienten, in: Gerichtsmedizin, Bindeglied zwischen Medizin und Recht, Festgabe für F. Schwarz, Bern 1968, 23, derselbe, Arzt und Strafrecht, in: Handbuch des Arztrechts, hrsg. von H. Honsell et al., Zürich 1994, 303, 339, P. Schäfer, Ärztliche Schweigepflicht und Elektronische Datenverarbeitung, Diss. Zürich 1978, W. Schluep, Über Sinn und Funktionen des Anwaltsgeheimnisses im Rechtsstaat, Zürich 1994, M. Schubarth, Arztge­ heimnis: Kann sich der Arzt, der sich an einen Anwalt wendet, auf Notstand berufen?, Anwalts­ revue 8/2008, 346, N. Schmid, Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Revisors, Regeln des Zivilrechts als Leit­linien, ST 70 (1996) 193 (zit. Schmid, Verantwortlichkeit des Revisors), derselbe, Der Revisor als Zeuge, ST (1987) 1, 68 (zit. Schmid, Revisor als Zeuge), J. Schwarz, Das Anwalts­ geheimnis  – Einige Gedanken zur heutigen Rechtslage in der Schweiz, in: Schweizerisches

586

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321) Anwaltsrecht, hrsg. von W. Fellmann et al., Bern 1998, 107, derselbe, Anwendung von Art. 321 StGB auf Unternehmensjuristen – Einige Gedanken zu einer laufenden Diskussion, Anwaltsre­ vue 9/2006, 338, L. Staub/Ch. Beutter, Die ISO-9000-Zertifizierung von Anwaltskanzleien und das Anwaltsgeheimnis, AJP 7 (1998) 1403, 1, P. Stoudmann, Le secret professionnel de l’avocat, jurisprudence récente et perspectives, ZStrR 126 (2008) 144, S. Suter, Das Berufs- und Beichtge­ heimnis kirchlicher Seelsorger: Art. 321 StGB und CIC, Zürich 2009, B. Tag, Die Verschwiegen­ heit des Arztes im Spiegel des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung des Kantons Zürich, ZStrR 122 (2004) 1, M.  Weber, Berufsgeheimnis im Steuerrecht und Steuergeheimnis, Diss. Zürich 1982, R. Wenninger, Die aktienrechtliche Schweigepflicht, Diss. Zürich 1983.

Art.  321 (Verletzung des Berufsgeheimnisses/Violation du secret professionnel/ Violazione del segreto professionale/Breach of professional confidentiality) will es jedem Menschen ermöglichen, Angehörige bestimmter Berufe als Vertrau­ enspersonen zu Rate zu ziehen und sie zu diesem Zweck vorbehaltlos über ihre Probleme zu orientieren, ohne die Weitergabe solcher Informationen an andere Personen befürchten zu müssen. Neben diesem Interesse des Privaten dient die Norm auch den Interessen der Angehörigen der erwähnten Berufe sowie dem Interesse an einer fachgerechten Ausübung der betreffenden Berufe, an welcher wiederum ein erhebliches öffentliches Interesse besteht3210. Anzumerken ist, dass die Strafbarkeit der Offenbarung bestimmter Arten von Privatgeheimnissen durch andere Bestimmungen auf Angehörige weite­ rer Berufe ausgedehnt wird, so etwa für medizinische Forschungstätigkeiten in Art. 321bis3211, für das Personal privater Krankenkassen in KVG Art. 92 lit. c und für Bankbeamte in BankG Art. 47; entsprechende Regelungen in der eid­ genössischen3212 und in der kantonalen3213 Datenschutzgesetzgebung wenden sich an alle Personen, die beruflich mit persönlichen Daten zu tun haben3214.

3210  Corboz, Vol. II, N 2 ff. zu Art. 321, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 15, Trechsel/Vest,

in: Trechsel/Pieth, N 1 zu Art. 321, gemäss Oberholzer, BSK StGB II, N 1 zu Art. 321, schützt das Berufsgeheimnis hingegen in erster Linie die Interessen des Staates und nur indirekt diejenigen des betroffenen Privaten. 3211  Dazu nachstehend § 127. 3212  DSG Art. 35. 3213  Vgl. z.B. das Zürcher Gesetz über den Schutz von Personendaten (Datenschutzgesetz) vom 6. Juni 1993 (LS 236.1) § 26. 3214  Weitere Geheimhaltungspflichten werden etwa begründet durch BEHG Art. 43, durch UWG Art. 15 (jedenfalls mit Bezug auf Lockvogelprozesse gemäss UWG Art. 3 lit. f), durch OHG Art. 11 sowie durch Art. 2 des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1981 über die Schwangerschaftsberatungsstellen (SR 857.5).

587

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Art. 321 Ziff. 1 umschreibt den Kreis der Adressaten einer strafrechtlich sank­ tionierten Schweigepflicht abschliessend3215, lässt sich also als echtes Sonder­ delikt qualifizieren. Verbände von Angehörigen anderer Berufe wie etwa Psy­ chologen und Sozialarbeiter können ihren Mitgliedern zwar ebenfalls eine Pflicht zur Wahrung von Geheimnissen auferlegen, die sie bei ihrer Tätig­ keit erfahren. Eine allfällige Missachtung derartiger Geheimhaltungspflich­ ten führt jedoch nicht zu strafrechtlichen Sanktionen (sofern der Täter nicht Beamtenstatus hat und daher Art. 320 untersteht); auch können sich die Ange­ hörigen solcher Berufe nur dann auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, wenn das anwendbare Prozessgesetz ein solches ausdrücklich vorsieht. Zu den einzelnen in Art. 321 Ziff. 1 aufgezählten Berufen sind folgende Bemer­ kungen anzubringen: a) Als Geistliche haben zweifellos die Pfarrer der Landeskirchen und der evan­ gelischen Freikirchen sowie – entsprechend deren Gesetzen, Satzungen oder Statuten – Prediger anderer Weltreligionen zu gelten3216, nicht aber Laien­ seelsorger und Angehörige der Heilsarmee. Die entsprechenden Funktio­ näre einer Sekte lassen sich den Geistlichen nur unter der Voraussetzung gleichstellen, dass sie über eine besondere Ausbildung verfügen und seel­ sorgerische – nicht ausschliesslich soziale – Aufgaben zu erfüllen haben3217. b) Rechtsanwälte, für welche das Berufsgeheimnis bundesrechtlich statuiert wird3218, sind Personen, die über einen entsprechenden kantonalen oder ausländischen Fähigkeitsausweis verfügen. Sie fallen auch in Bezug auf Tätigkeiten, die nicht vom Anwaltsmonopol erfasst werden (z.B. Rechtsbe­ ratung), unter Art. 321. Die Anwaltstätigkeit muss in unabhängiger Weise bzw. in einer Anwaltssozietät ausgeübt werden. Anwälte, welche nicht anwaltsspezifische wirtschaftliche Tätigkeiten (z.B. als Treuhänder) aus­ 3215  BGE 83 IV 197, 95 I 448, Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 321, Dupuis u.a., Code pénal,

N 6, 11 zu Art. 321, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 17, Trechsel/Vest, in: Trech­ sel/Pieth, N 3 zu Art. 321. 3216  Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 4 zu Art. 321. 3217  Vgl. Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 321, Dupuis u.a., Code pénal, N 12 zu Art. 321, Hauser, Zeugenbeweis, 208  f., Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N  4 zu Art.  321, SJZ 68 (1972) 60. 3218  Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA) vom 23. Juni 2000, Art. 13.

588

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

üben sowie Unternehmensjuristen mit Anwaltspatent unterstehen jeden­ falls mit Blick auf ihre diesbezüglichen Aktivitäten nicht dem Anwaltsge­ heimnis3219. c) Neben den Rechtsanwälten werden die Verteidiger besonders aufgeführt. Die spezielle Erwähnung von Verteidigern kann höchstens im Übertre­ tungsverfahren von Bedeutung sein, weil die Verteidigung der beschul­ digten Person in Verfahren wegen Verbrechen und Vergehen gemäss StPO Art. 127 Abs. 5 Anwälten vorbehalten ist. d) Notare, d.h. mit Beurkundungsfunktionen betraute Personen öffentlichen Glaubens, kommen nur insoweit in Betracht, als sie nicht  – wie in einer Reihe von Kantonen  – staatliche Beamte sind und deshalb dem Amtsge­ heimnis nach Art. 320 unterstehen. e) Patentanwälte sind Personen, die in der Schweiz unter Verwendung dieser Berufsbezeichnung die Beratung oder Vertretung in Patentsachen wahr­ nehmen3220. f) Zur Verschwiegenheit verpflichtet sind Revisoren von Aktien- und Kom­ manditaktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften3221, nicht aber solche von Personengesellschaften und Einzelfirmen3222, ebenso wenig wie andere bloss vertraglich zur Geheim­ haltung verpflichtete Personen3223. g) Als Ärzte gelten aufgrund eines Hochschulstudiums staatlich zur Ausübung des Heilberufs approbierte oder als Assistenten in entsprechender prakti­ scher Ausbildung befindliche Personen, die sich mit Patienten befassen (dazu gehören auch bloss konsularisch oder diagnostisch, nicht aber aus­ schliesslich in der Forschung tätige Ärzte, für die immerhin Art. 321bis gilt). Nach Art. 321 nicht schweigepflichtig ist also, wer ohne akademische Aus­ bildung irgendwelche Formen sog. Alternativmedizin betreibt3224.

3219  Vgl. dazu nachstehend Ziff. 1.3. 3220  Bundesgesetz über die Patentanwältinnen und Patentanwälte vom 20.  März 2009

(Patentanwaltsgesetz, PAG, SR 935.62) Art. 10.

3221  Vgl. OR Art. 730b Abs. 2, 764 Abs. 2, 818 Abs. 1, 906 Abs. 1. 3222  Dazu Schmid, Revisor als Zeuge, 2. 3223  BGE 83 IV 197. 3224  Oberholzer, BSK StGB II, N 5a zu Art. 321, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 9 zu

Art. 321 m.w.H.

589

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

h) Den Ärzten gleichgestellt werden dagegen Zahnärzte, Apotheker, Hebam­ men und Psychologen3225, nicht aber Tierärzte. Sind die betreffenden Perso­ nen an einem öffentlichen Spital angestellt, so unterstehen sie dem Amts­ geheimnis3226. Das Gesetz bezieht auch die sog. Hilfspersonen der in Art.  321 genannten Berufsangehörigen in den Kreis der Schweigepflichtigen ein. Damit sind Leute gemeint, welche die Schweigepflichtigen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in einer Funktion unterstützen, die die Kenntnisnahme von Geheimnissen der betreuten Personen in sich schliesst3227. Ohne Bedeutung bleibt dabei, ob sie ihre Dienste aufgrund eines Arbeitsvertrags oder Auftrags, als selbständige Angehörige eines Hilfsberufs oder freiwillig erbringen. Dazu gehören beim Geistlichen etwa Katecheten, Diakone, Gemeindehelferinnen von Landeskir­ chen, allenfalls gar seine Gattin, bei den übrigen Berufsangehörigen für einen Schweigepflichtigen tätige Sekretärinnen, Buchhalter und beigezogene Exper­ ten, auf dem Gebiet der medizinischen Berufe auch Assistierende, das Pflegeund Laborpersonal sowie Therapeuten3228. Sind sie selbständig oder für einen auswärtigen Betrieb tätig, unterstehen sie aber nur insoweit Art. 321, als sie im Einzelfall ihre Aufgabe im Auftrag oder unter Aufsicht des Arztes erfüllen. Ausserdem erklärt Art.  321 Ziff.  1 Abs.  2 Studierende für strafbar, die ein Geheimnis offenbaren, das sie bei ihrem Studium wahrnehmen, und zwar auch dann, wenn dies nach dessen Beendigung geschieht (Abs. 3). Sinngemäss kann es sich dabei nur um Studien handeln, die unmittelbar oder als Grundausbil­ dung (z.B. in der Jurisprudenz) auf einen der vorher erwähnten Berufe vorbe­ reiten.

3225  Vgl. PsyG Art. 27 lit. e. 3226  BGE 118 II 257, vgl. auch vorn § 125 Ziff. 3.3. 3227  Ähnliche Abgrenzungen bei Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 321, Dupuis u.a., Code pénal,

N  19  f. zu Art.  321, Stratenwerth/Bommer, BT II, §  61 N  17, und Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 13 zu Art. 321. 3228  Zur Problematik eines Beizuges von EDV-Fachleuten oder ISO-Zertifizierungs-Audi­ toren durch einen Anwalt vgl. Staub/Beutter, 1408 f.

590

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

1.2 Geheimnis Zum Begriff des Geheimnisses kann auf die entsprechenden Ausführungen zu Art. 3203229 verwiesen werden. Die Praxis geht von einem weiten Geheimnis­ begriff aus. Das Geheimnis muss sich auf Tatsachen beziehen3230. Mit Bezug auf das Arztgeheimnis gehört alles dazu, «was der Patient dem Arzt zwecks Ausführung des Auftrags anvertraut und was der Arzt in Ausübung sei­ nes Berufes wahrnimmt»3231. Daraus folgt, dass es sich bei den dem Berufsge­ heimnis unterstehenden Tatsachen nicht um solche zu handeln braucht, die für die Erfüllung der beruflichen Aufgaben des Schweigepflichtigen von Bedeu­ tung sind. So muss er z.B. auch Verschwiegenheit hinsichtlich der Angaben sei­ nes Patienten oder Klienten über dessen familiäre oder psychische Probleme bewahren, wenn dieser den Arzt zur Behandlung von Unfallfolgen oder den Anwalt wegen einer rein geschäftlichen Angelegenheit aufsucht. Beim Rechtsanwalt fällt schon der Umstand, dass zwischen diesem und dem Klienten ein Mandatsverhältnis besteht zu den Tatsachen, welche unter den Schutz des Anwaltsgeheimnisses fallen. Aus diesem Grund setzt die klageweise Einforderung einer Honorarforderung die vorgängige Befreiung des Anwalts von seiner Schweigepflicht voraus3232.

1.3

Kenntnisnahme vom Geheimnis bei der Berufsausübung

Zum Berufsgeheimnis i.S. von Art. 321 Ziff. 1 wird eine Tatsache erst dadurch, dass sie einer der genannten Personen infolge ihres Berufs anvertraut oder bei dessen Ausübung von ihr wahrgenommen worden ist. Von der ersten Vari­ ante werden alle Informationen mit Geheimnischarakter erfasst, welche der Berufsangehörige bei seiner Beratungs- oder Behandlungstätigkeit über sei­ nen Klienten bzw. Patienten erhalten hat, sei es von diesem selber oder durch Drittpersonen (z.B. Familienangehörige oder Mitarbeiter). Ausserdem sind auch entsprechende Tatsachenangaben geheim zu halten, die gegenüber dem

3229  Vorn § 126 Ziff. 1.2, vgl. auch Keller, 43. 3230  Corboz, Vol. II, N 20 zu Art. 321, Dupuis u.a., Code pénal, N 24 zu Art. 321, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 61 N 18, und Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 20 zu Art. 321.

3231  BGE 101 Ia 11. 3232  BGer vom 17.3.2012, 2C_661/2011, Erw.  3.1., BGer vom 7.4.2014, 2C_1127/2013,

Erw. 3.1, BGer vom 6.2.2017, 6B_545/2016, Erw. 2.3, Dupuis u.a., Code pénal, N 25 zu Art. 321.

591

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

Schweigepflichtigen über Dritte gemacht werden3233. Die zweite Variante dehnt die Anwendung der Bestimmung auf die Kenntnis von Tatsachen mit Geheim­ nischarakter aus, die anderen Quellen entstammen. Zu denken ist etwa an die diagnostischen Feststellungen des Arztes oder an Umstände, die der Anwalt den ihm zugänglichen Akten entnimmt, aber auch an die von ihm an Hilfsper­ sonen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben (z.B. Pflege oder Schreibarbeiten) ver­ mittelten Informationen. Dagegen fehlt es am berufsspezifischen Charakter eines Geheimnisses nament­ lich dann, wenn dieses einem Angehörigen des von der Strafbestimmung erfass­ ten Personenkreises in seinem Privatleben bekannt wird3234, etwa bei Gesprä­ chen mit Freunden oder Bekannten oder durch zufällige Beobachtungen, auch wenn diese nur durch seine Fachkenntnisse ermöglicht werden. Ebenso fehlt es am Berufsgeheimnis, wenn der Angehörige des von der Strafbestimmung erfassten Personenkreises nicht bzw. nicht überwiegend in berufsspezifischer Weise tätig wird3235. Das ist etwa für den Anwalt bei der Ausübung von Verwal­ tungsratsmandaten3236, im Zusammenhang mit einem Inkassomandat3237, der Anlage und Verwaltung von Vermögenswerten3238 sowie bei reinen Depotge­ schäften3239 der Fall3240. Das Geheimnis besteht nicht nur während der Dauer der Ausübung der berufs­ spezifischen Tätigkeit, sondern auch nach der Erfüllung oder Auflösung des Vertrags sowie nach dem Tod des Geheimnisherrn3241. In Anwendung von Art. 321 Ziff. 1 Abs. 3 ist der Angehörige des von der Strafbestimmung erfass­ ten Personenkreises auch nach Beendigung der Berufsausübung an das Berufs­ geheimnis gebunden. Dies gilt jedoch im Falle des Todes nicht für seine Erben, es sei denn, diese könnten als Hilfspersonen erachtet werden3242.

3233  Vgl. hierzu Keller, 73. 3234  BGE 112 Ib 607. 3235  BGE 120 Ib 118 f., 132 II 105, 135 III 601, BGer vom 25.4.2016, 1B_447/2015, Erw. 2.1.3. 3236  Pr 85 (1996) Nr. 198 Erw. 3a, BGE 115 Ia 199 f. 3237  BGE 120 Ib 119. 3238  Pr 85 (1996) Nr. 198 Erw. 3a, BGE 112 Ib 606 ff., Schluep, 47 f. 3239  Pr 85 (1996) Nr. 198 Erw. 3a. 3240  Vgl. auch BGE 117 Ia 249, 132 II 103 = Pr 96 (2007) Nr. 4, Corboz, Vol. II, N 31 zu

Art. 321, Oberholzer, BSK StGB II, N 13 zu Art. 321, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 18. 3241  BGE 114 III 107, 117 Ia 349. 3242  ZR 86 (1987) Nr. 22, Corboz, Vol. II, N 41 zu Art. 321.

592

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

1.4

Tatbestandsmässiges Verhalten

Ein Berufsgeheimnis «offenbart», wer es auf beliebige Weise jemandem – auch dem Ehepartner, welcher nicht Hilfsperson ist – zugänglich macht, der davon noch keine bzw. keine sichere3243 Kenntnis hat; schon die Bestätigung einer Vermutung dieses Dritten genügt. Neben mündlichen und schriftlichen Mit­ teilungen kommt auch der Fall in Betracht, dass der Geheimnisträger einem Aussenstehenden irgendwelche Aufzeichnungen zur Einsichtnahme überlässt. Als Adressat einer solchen Offenbarung kommt jedermann infrage. Insbeson­ dere fällt auch die Information von Behörden und Gerichten unter Art. 321 Ziff. 13244. Nicht tatbestandsmässig ist dagegen selbstverständlich die Orientierung des Geheimnisherrn über ihn selber betreffende Tatsachen (z.B. die Befunde des Arztes). Gleiches muss – wie sich aus dem Einbezug der Hilfspersonen durch das Gesetz ergibt – für den Informationsaustausch innerhalb eines ihn behan­ delnden oder beratenden Arbeitsteams gelten, jedenfalls soweit der Austausch von Informationen für die Behandlung oder Beratung erforderlich erscheint. Dagegen ist die Orientierung von Berufskollegen ausserhalb eines solchen Kreises nach dem Sinn des Gesetzes unzulässig, und zwar ungeachtet des­ sen, dass auch sie Art.  321 Ziff.  1 unterstehen3245. Der Umstand, dass auch der Adressat einem Berufsgeheimnis untersteht, kann schon deshalb nicht von Bedeutung sein, weil dieser vom Geheimnis nicht bei Ausübung seiner eigenen Berufstätigkeit erfährt3246. Dem Bedürfnis nach einem Erfahrungsaustausch lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass man unter Fachkollegen den interes­ sierenden Fall in einer Weise schildert, welche eine Identifikation des betroffe­ nen Geheimnisherrn verunmöglicht. Erfasst wird ferner auch der von einem unmündigen oder entmündigten, aber urteilsfähigen Menschen konsultierte Berufsangehörige, welcher dessen gesetzlichen Vertreter eigenmächtig über ihm vom Ratsuchenden anvertraute oder bei diesem festgestellte Tatsachen mit Geheimnischarakter informiert. 3243  BGE 106 IV 133, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 24 zu Art. 321. 3244  Vgl. hinten Ziff. 4.3. 3245  Vgl. dazu RS 1999 Nr. 653: Ein Spitalarzt, der ohne Einwilligung des Patienten dessen

Krankengeschichte an einen anderen – nicht einweisenden oder nachbehandelnden – Arzt weitergibt, verletzt das Berufsgeheimnis, vgl. auch RS 2000 Nr. 803, Dupuis u.a., Code pénal, N 31 zu Art. 321, Oberholzer, BSK StGB II, N 16 zu Art. 321, Stratenwerth/ Bommer, BT II, § 61 N 19. 3246  Kritisch hierzu Keller, 115.

593

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

Andernfalls könnten sich solche Menschen in einer der ratio legis widerspre­ chenden Weise daran gehindert fühlen, den Rat eines Geistlichen, Arztes oder Anwalts in Anspruch zu nehmen. Sind sie dagegen urteilsunfähig, so dürfen ihre gesetzlichen Vertreter im Rahmen des Notwendigen informiert werden, und diese sind alsdann sogar als Geheimnisherren zu betrachten.

2.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist ausschliesslich die vorsätzliche Verletzung des Berufsgeheimnisses. Dabei wird es den von Art. 321 Ziff. 1 erfassten Personen schon im Hinblick auf ihre Ausbildung in aller Regel bewusst sein, dass es sich bei bestimmten Tatsachen um Geheimnisse handelt und sie von diesen bei Ausübung ihres Berufs Kenntnis erhalten haben. Eher kann es vorkommen, dass die Offenbarung eines Geheimnisses unwillentlich geschieht, z.B. wenn Akten in Gegen­ wart eines Dritten vorübergehend unbeaufsichtigt liegen bleiben oder die­ ser aus einem in seiner Gegenwart geführten Telefongespräch auf einen ihm bekannten Anrufer und dessen Probleme schliessen kann. Bei solchen Kon­ stellationen ist allerdings auch Eventualvorsatz denkbar.

3. Antragserfordernis Die Verletzung des Berufsgeheimnisses wird nur auf Antrag bestraft. Die ent­ sprechende Befugnis kommt in der Regel nur dem betroffenen Geheimnis­ herrn zu, sofern er urteilsfähig ist. Unerheblich bleibt, ob er selber oder eine Drittperson den Täter über die entsprechenden Tatsachen orientiert hat. Han­ delt der Täter zum Nachteil einer unmündigen oder entmündigten Person, kann ausserdem, im Falle ihrer Urteilsunfähigkeit ausschliesslich, ihr gesetz­ licher Vertreter und allenfalls die Vormundschaftsbehörde seine Bestrafung beantragen3247. Nach einhelliger Lehrmeinung lässt der Tod des Geheimnisherren die Pflicht der in Art.  321 Ziff.  1 genannten Berufsangehörigen zur Verschwiegen­ heit nicht untergehen3248. Offenbart ein entsprechender Berufsangehöriger nach dem Hinschied seines Klienten oder Patienten ein geschütztes Geheim­ nis, fehlt es allerdings an jemandem, der zur Stellung eines Strafantrags legi­

3247  Vgl. Art. 30 Abs. 2. 3248  Keller, 79 m.w.H.

594

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

timiert wäre3249. Art. 30 Abs. 4 regelt nämlich nur das Antragsrecht der Ange­ hörigen für Delikte, die vor dem Tod des Betroffenen begangen wurden. Diese Lücke will das Bundesgericht in Bezug auf Art. 179quater und Art. 186 durch die Annahme füllen, die höchstpersönlichen Rechte des Betroffenen bestün­ den nach seinem Tode während einer gewissen Zeit weiter, sodass seine Ange­ hörigen nach Art.  30 Abs.  4 befugt wären, Strafantrag wegen innerhalb die­ ses Zeitraums begangenen Delikten zu stellen3250. Diese allerdings fragwürdige Betrachtungsweise liesse sich auch auf die Verletzung des Berufsgeheimnisses nach Art. 321 Ziff. 1 übertragen.

4.

Weitere Fragen

4.1

Versuch und Teilnahme

Hierzu kann auf die entsprechenden Ausführungen zur Verletzung des Amts­ geheimnisses verwiesen werden3251, die sich sinngemäss auf Art.  321 Ziff.  1 übertragen lassen. Hervorgehoben sei immerhin, dass Beteiligte ausserhalb des Kreises der in der Bestimmung angesprochenen Berufsangehörigen nicht als Mittäter oder mittelbare Täter, sondern nur als Anstifter und Gehilfen zur Rechenschaft gezogen werden können.

4.2

Abgrenzungen und Konkurrenzen

Von Konstellationen, bei denen von Art. 321 Ziff. 1 erfasste Berufsangehörige nicht dieser Bestimmung, sondern dem Amtsgeheimnis nach Art. 320 unter­ stehen, war bereits die Rede3252. Macht sich ein Berufsangehöriger zugleich der Verletzung des Fabrikationsund Geschäftsgeheimnisses gemäss Art. 162 schuldig, geht Art. 321 vor3253.

3249  Vgl. Keller, 82, ausgenommen ist der Fall, dass der Verstorbene nicht mündig sowie

nicht urteilsfähig war und deshalb der gesetzliche Vertreter als Geheimnisherr zu erachten ist, vgl. BGE 87 IV 109 f. = Pr 51 (1962) Nr. 11 Erw. b. 3250  BGE 118 IV 322 f. = Pr 84 (1995) Nr. 210 Erw. 2. 3251  Vorn § 126 Ziff. 3.1. 3252  Vorn § 126 Ziff. 3.3. 3253  Corboz, Vol. II, N 96 zu Art. 321, Dupuis u.a., Code pénal, N 62 zu Art. 321, Schmid, Verantwortlichkeit des Revisors, 197, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 30, Trechsel/ Vest, in: Trechsel/Pieth, N 46 zu Art. 321.

595

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

DSG Art. 35 wird von Art. 321 Ziff. 1 konsumiert3254. Da Bankangestellten kein Berufsgeheimnis i.S. von Art. 321 Ziff. 1 zukommt, kann es keine Konkurrenz zwischen dieser Bestimmung und BankG Art. 47 geben.

4.3

Das Berufsgeheimnis im Prozess

Art. 321 Ziff. 3 behält die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Zeugnispflicht und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde vor, was selbstverständlich auch für blosse Befugnisse gelten muss. Demnach muss die auf eine solche spezielle Bestimmung abgestützte Offenbarung eines Berufsgeheimnisses straflos bleiben. Im Strafprozess sind Berufsangehörige als Zeugen gemäss StPO Art. 171 Abs. 2 grundsätzlich zur Aussage verpflichtet, falls sie einer Anzeigepflicht unterlie­ gen oder falls sie vom Geheimnisherrn oder von der zuständigen Stelle schrift­ lich von der Geheimhaltungspflicht entbunden worden sind. Allerdings kön­ nen sie trotz Entbindung von der Geheimnispflicht nach StPO Art. 171 Abs. 3 die Aussage verweigern, wenn sie glaubhaft machen, «dass das Geheimhal­ tungsinteresse der Geheimnisherrin oder des Geheimnisherrn das Interesse an der Wahrheitsfindung überwiegt». Nach StPO Art. 171 Abs. 4 gilt für Anwälte eine Sonderregelung. Aufgrund des Vorbehalts des Anwaltsgesetzes ist der Anwalt gestützt auf BGFA3255 Art. 13 Abs. 1 selbst im Falle der Einwilligung des Geheimnisherrn sowie der Entbindung durch die zuständige Behörde berech­ tigt, die Aussage zu verweigern3256. Die Regelung in der ZPO ist sehr ähnlich (ZPO Art. 163 Abs. 1 lit. b sowie Art. 166 Abs. 1 lit. b); neben den Anwälten können gemäss ZPO Art. 166 Abs. 1 lit. b allerdings auch Geistliche die Aus­ sage selbst dann verweigern, wenn sie von der Geheimhaltungspflicht entbun­ den worden sind. Parallel zum Zeugnisverweigerungsrecht gilt im Strafprozess zugunsten der dazu berechtigten Personen ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmever­ bot3257, das freilich entfällt, wenn der Geheimnisträger selber Beschuldig­ 3254  Corboz, Vol. II, N 98 zu Art. 321, Dupuis u.a., Code pénal, N 64 zu Art. 321, Trechsel/

Vest, in: Trechsel/Pieth, N 46 zu Art. 321.

3255  Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz,

BGFA) vom 23. Juni 2000, SR 935.61.

3256  Vgl. dazu Donatsch, StPO Kommentar, N 45 ff. zu Art. 171. 3257  Vgl. StPO Art. 248 Abs. 1 und 264 Abs. 1 lit. c.

596

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

ter ist3258. Schliesslich sind solche Personen grundsätzlich auch von Überwa­ chungsmassnahmen gemäss Art. 179octies ausgenommen3259. In einem Strafverfahren gegen einen Geheimnisträger kommt diesem selbst­ verständlich kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Zudem sind die Durchsu­ chung von Aufzeichnungen und die Beschlagnahme von Akten unter gehöri­ ger Beachtung des Schutzes des Geheimnisherrn zulässig3260.

5. Rechtfertigungsgründe Die Verletzung des Berufsgeheimnisses kann durch eine Reihe von Recht­ fertigungsgründen rechtmässig werden. Dazu ist im Einzelnen Folgendes zu bemerken:

5.1

Gesetzliche Anzeigepflichten und Melderechte (Art. 321 Ziff. 3)

Im öffentlichen Interesse gebieten eine Reihe weiterer Gesetzesbestimmungen den Geheimnisträgern, namentlich Medizinalpersonen, bestimmte Behör­ den in besonderen Fällen über beruflich erlangte Kenntnisse zu informieren (Anzeigepflicht) oder ermächtigen die Geheimnisträger, Amtsstellen von ent­ sprechenden Wahrnehmungen zu unterrichten. Gesetzliche Anzeigepflichten und Melderechte stellen Rechtfertigungsgründe gemäss Art. 14 dar3261. Anzeigepflichten statuieren beispielsweise Art. 119 Abs. 5, Epidemiengesetz3262 Art. 27, Meldeverordnung3263 Art. 3, Zürcher Gesundheitsgesetz3264 § 15 Abs. 3. Zur Meldung nach Ermessen des Arztes an die Strassenverkehrsämter über verkehrsgefährdende Patienten ermächtigen BetmG Art.  15 Abs.  1, SVG Art.  14 Abs.  4, Zürcher Gesund­ heitsgesetz §  15 Abs.  4. Gemäss Zürcher Patientinnen- und Patientengesetz3265 §  16 werden vor- und nachbehandelnde Ärzte oder andere weiterbehandelnde Personen 3258  Vgl. Corboz, Vol. II, N 65 f. zu Art. 321, Schmid, Strafprozessrecht, N 1122 m.w.H. 3259  Vgl. StPO Art. 271. 3260  RS 1996 Nr. 81, vgl. auch StPO Art. 248 und 264. 3261  Oberholzer, BSK StGB II, N 24 zu Art. 321, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 24, vgl.

auch BGer vom 25.4.2016, 1B_447/2015, Erw. 2.1.4.

3262  Bundesgesetz vom 18. Dezember 1970 über die Bekämpfung übertragbarer Krankhei­

ten des Menschen vom 18. Dezember 1970, SR 818.101.

3263   Verordnung über die Meldung übertragbarer Krankheiten des Menschen vom

13. Januar 1999, SR 818.141.1.

3264  Gesundheitsgesetz (GesG) vom 2. April 2007, LS 810.1. 3265  Patientinnen und Patientengesetz vom 5. April 2004, LS 813.13.

597

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321) über den Gesundheitszustand des Patienten orientiert3266. Zu beachten sind weiter die Melderechte nach Art. 364 und gemäss Art. 305ter Abs. 2 sowie das Melderecht nach BetmG Art. 15 Abs. 1. Eine entsprechende Meldepflicht sehen GwG Art. 9 Abs. 1 und 2 vor, wobei Anwälte und Notare, deren Tätigkeit dem Berufsgeheimnis nach Art. 321 untersteht, ausdrücklich keine Meldepflicht trifft.

5.2

Notstand, rechtfertigende Pflichtenkollision und Wahrung berechtigter Interessen

Eine Berufung auf diese Rechtfertigungsgründe ist möglich. Der Täter muss allerdings zunächst prüfen, ob nicht ein Gesuch um eine Bewilligung der Behörde gemäss Art. 321 Ziff. 2 rechtzeitig zu dem von ihm angestrebten Ziel führt3267. Hat die Behörde die Bewilligung zur Offenbarung des Geheimnis­ ses verweigert, handelt der Geheimnisträger auf eigene Gefahr, wenn er das Geheimnis gleichwohl preisgibt3268. Kommt dem Geheimnisträger ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, muss er bei fehlender Einwilligung zwar grundsätzlich davon Gebrauch machen. Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen höherwertige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen und daher z.B. der Rechtfertigungsgrund der Notstandshilfe oder derjenige der rechtfertigenden Pflichtenkollision angerufen werden kann3269. Wenn der Bedrohung nicht anders entgegengetreten werden kann, ist der Arzt ermächtigt, das Berufsgeheimnis über gefährliche ansteckende Krankheiten (z.B. AIDS) gegenüber Personen zu lüften, die sich durch den Kontakt mit dem Kranken anstecken könnten3270.

5.3

Einwilligung des Geheimnisherrn (Art. 321 Ziff. 2)

Nach dieser Bestimmung ist der Geheimnisträger gegenüber Dritten (Behör­ den, Arbeitgeber, Versicherungen usw.) zur Auskunft berechtigt, wenn ihn der Geheimnisherr hierzu ermächtigt. Das ist in der Regel der Betreute, der Patient 3266  Nachbehandelnder Arzt ist nur derjenige Arzt, der die Behandlung des Erstarztes tat­

sächlich fortführt.

3267  Vgl. ZR 71 (1972) Nr. 67 S. 204 f., 207 f. 3268  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 26. 3269  Dupuis u.a., Code pénal, N 61 zu Art. 321, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 26. Zur

Problematik der Einschränkung der Verteidigungsrechte eines Arztes durch die Bin­ dung an das ärztliche Berufsgeheimnis vgl. Affolter-Eijsten, 572 ff. 3270  Art. 17 f., evtl. auch Art. 15 f., vgl. auch Keller, 227.

598

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

bzw. der Klient. Bezieht sich das Geheimnis aber auf einen Dritten, muss die­ ser den Berufsangehörigen von der Wahrung des Geheimnisses entbinden3271. Aus dieser sog. Entbindung vom Berufsgeheimnis muss klar hervorgehen, wel­ che Feststellungen des Geheimnisträgers er wem gegenüber offenbaren darf (z.B. die Feststellungen über die Folgen eines Unfalls an eine Untersuchungs­ behörde oder an eine Versicherungsgesellschaft). Die Einwilligung in die Preisgabe des Geheimnisses ist ein höchstpersönliches Recht. Die Erben des Geheimnisherrn sind nicht berechtigt, in die Mitteilung des Geheimnisses an Dritte einzuwilligen3272. Dasselbe gilt für die Offenlegung, sofern sie nicht Interessen geltend machen, welche diejenigen des Erblassers an der Wahrung des Geheimnisses übersteigen3273. Handlungsunfähige Klien­ ten bzw. Patienten können über die Einwilligung als höchstpersönliches Recht selbständig entscheiden, sofern sie urteilsfähig sind; andernfalls obliegt dies ihren gesetzlichen Vertretern. Die einseitige Willenserklärung kann ausdrücklich oder konkludent ausge­ sprochen werden3274. Bei der Prüfung, ob eine konkludente Zustimmung vor­ liegt, ist eine strenger Massstab anzulegen. Der Wille des Patienten oder Klien­ ten, auf die Wahrung des Geheimnisses verzichten zu wollen, muss klar zum Ausdruck kommen. Die Tatsache allein, dass eine Weitergabe der Informatio­ nen im Interesse des Geheimnisherrn liegen kann, rechtfertigt die Annahme einer konkludenten Einwilligung nicht3275. Bei vorbehaltloser Einwilligung des Geheimnisherrn in die Offenbarung verhält sich der Geheimnisträger nicht tatbestandsmässig, da diesfalls kein Geheim­ nis vorliegt, weil der Geheimhaltungswille fehlt. Bei einer partiellen Einwilli­ gung, das Geheimnis an bestimmte Personen oder Amtsstellen zu offenbaren, entfällt die Rechtswidrigkeit, sofern alle Anforderungen an die Einwilligung erfüllt sind3276.

3271  BGE 97 II 370, RS 1963 Nr. 178. 3272  Corboz, Vol. II, N 45 zu Art. 321, Dupuis u.a., Code pénal, N 41 zu Art. 321, Trechsel/

Vest, in: Trechsel/Pieth, N 28 zu Art. 321.

3273  Corboz, Vol. II, N 45 zu Art. 321, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 28 zu Art. 321, vgl.

BGE 135 III 597 (Anwaltsgeheimnis), 132 II 103 (Bankgeheimnis).

3274  BGE 97 II 370, 98 IV 218. 3275  RS 2000 Nr. 803. 3276  Oberholzer, BSK StGB II, N 18 zu Art. 321, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 22.

599

§ 127  Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321)

5.4

Bewilligung durch die vorgesetzte Behörde oder die Aufsichtsinstanz (Art. 321 Ziff. 2)

Nach Ziff. 2 ist der Geistliche, Anwalt, Arzt usw. auch dann befugt, Auskunft zu erteilen, wenn ihn die vorgesetzte Behörde (z.B. der Kirchenrat für den Pfar­ rer der zürcherischen evangelischen Landeskirche, nach Kirchenordnung3277 Art.  122 Abs.  4) oder die Aufsichtsbehörde (z.B. beim Anwalt die Aufsichts­ kommission über die Rechtsanwälte, beim Arzt die kantonale Gesundheits­ direktion) auf sein Gesuch hin schriftlich von der Schweigepflicht entbindet. Andere Personen können keinen entsprechenden Antrag stellen, auch nicht die Untersuchungsbehörden oder Gerichte3278. Die Entbindung durch die vor­ gesetzte Behörde setzt voraus, dass eine solche existiert, was z.B. beim Revisor nicht der Fall ist3279. Art.  321 Ziff.  2 lässt sich nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen die Bewilligung zur Offenbarung eines Berufsgeheimnisses erteilt werden darf. Die Entscheidung darüber steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Nach der Praxis kann die Entbindung aber nur zulässig sein, wenn an der Preis­ gabe des Geheimnisses ein höheres Interesse besteht als am entgegenstehen­ den Interesse an der Geheimhaltung3280. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es, dem Geheimnisherrn nach Möglichkeit vor der Entscheidung Gelegenheit zu bieten, sich zur Frage der Bewilligung zu äussern3281. Die in Ziff.  2 vorgesehenen Möglichkeiten schliessen es weitgehend aus, die Wahrung berechtigter Interessen anzurufen, weil diese übergesetzliche Recht­ fertigung nur erwogen werden darf, wenn statt dem eigenmächtigen Geheim­ nisverrat kein anderer Rechtsbehelf zur Verfügung steht3282. Dies kann immerhin dann der Fall sein, wenn eine Aufsichtsbehörde über den Berufsan­ gehörigen nicht existiert. 3277  Kirchenordnung der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich vom

2. Juli 1967, LS 181.12.

3278  BGE 142 II 258. 3279  Corboz, Vol. II, N 53 zu Art. 321, Dupuis u.a., Code pénal, N 46 zu Art. 321, Straten-

werth/Bommer, BT II, § 61 N 23, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 30 zu Art. 321.

3280  ZR 80 (1981) Nr. 9, vgl. auch BGE 91 I 205 ff., 102 I a 520 ff. = Pr 66 (1977) Nr. 200

Erw. 3, RS 1984 Nr. 724, Dupuis u.a., Code pénal, N 48 zu Art. 321, kritisch dazu Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 23. 3281  ZR 78 (1979) Nr. 112. 3282  Vgl. Strafrecht I, § 22 Ziff. 5, ZR 71 (1972) Nr. 67 S. 204 f.

600

§ 128  Berufsgeheimnis in der Forschung am Menschen (Art. 321bis)

§ 128 Berufsgeheimnis in der Forschung am Menschen (Art. 321bis) Literaturauswahl: L. S.  Brühwiler-Frésey, Medizinischer Behandlungsvertrag und Datenrecht, Zürich 1996, K. Keller, Das ärztliche Berufsgeheimnis gemäss Art. 321 StGB unter besonderer Berücksichtigung der Regelung im Kanton Zürich, Diss. Zürich 1992, N. Ruckstuhl, Art. 321bis StGB – Das Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung, Basel/Genf/München 1999.

Mit dieser durch das BG über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG) in das StGB eingefügten und mit der Einführung des Humanforschungsgeset­ zes3283 revidierten (in Kraft seit dem 1.  Januar 20143284) Bestimmung wird der durch Art. 321 gewährte Geheimnisschutz in den Bereichen der Medizin und des Gesundheitsschutzes im Zusammenhang mit der Forschung ausge­ dehnt. Art. 321bis (Berufsgeheimnis in der Forschung am Menschen / Secret professionnel en matière de recherche sur l’être humain / Segreto professionale nella ricerca sull’essere umano / Breach of professional confidentiality in research involving human rights) bezieht sich allein auf den Geltungsbereich des Humanfor­ schungsgesetzes3285. Mit der Revision des Humanforschungsgesetzes sind die früheren Regelungen sowohl betreffend die Voraussetzungen sowie das Verfahren zur Offenbarung des Berufsgeheimnisses in der medizinischen Forschung wie auch zur Organi­ sation der Expertenkommissionen (alt Art. 321bis Abs. 2 bis Abs. 7) aufgehoben worden. Dieser Themenbereich wird gemäss geltender Rechtslage im Human­ forschungsgesetz Art.  34 geregelt. Die Aufgaben der früheren Expertenkom­ missionen sind den Ethikkommissionen für die Forschung zugewiesen wor­ den. Diese sind als kantonale Milizgremien ausgestaltet. Im Vergleich zu alt Art.  321bis kommt dem Einwilligungssubstitut nicht nur Wirkung bezüglich der Offenbarung des Berufsgeheimnisses zu, sondern auch mit Bezug auf die Weiterverwendung für Forschungsvorhaben. Sodann bezie­ hen sich die Einwilligung und das Einwilligungssubstitut zwar auch auf Daten, darüber hinaus aber zudem auf biologisches Material, an welchem geforscht werden soll3286.

3283  Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz, HFG) vom

30. September 2011, SR 810.30.

3284  AS 2013 3236. 3285  Botschaft 2009, 8148. 3286  Botschaft 2009, 8124 f.

601

§ 128  Berufsgeheimnis in der Forschung am Menschen (Art. 321bis)

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Als Täter kommen nach Abs. 1 der Bestimmung nur Personen in Betracht, die in der Forschung im Bereich des Humanforschungsgesetzes tätig sind, die sich mithin also mit der Forschung zu Krankheiten des Menschen sowie zum Auf­ bau und zur Funktion des menschlichen Körpers befassen3287. Da bei der For­ schung andere Personen als Ärzte und deren Hilfspersonen – beispielsweise Biochemiker oder Soziologen etc.  – mitwirken können, gehören auch diese zum Kreis der potenziellen Täter. Damit wird durch Art.  321bis der Anwen­ dungsbereich von Art. 321 für den Bereich der medizinischen Forschung auf alle Personen ausgedehnt, die in ihrer diesbezüglichen Tätigkeit von einer geheimhaltungspflichtigen Tatsache Kenntnis nehmen3288. Art.  321bis stellt ein echtes Sonderdelikt dar, zu welchem Aussenstehende immerhin in strafbarer Weise anstiften oder Beihilfe leisten können.

1.2

Schutzobjekt und tatbestandsmässiges Verhalten

Geschützt werden Geheimnisse i.S. des bereits bei Art. 3203289 und Art. 3213290 erläuterten Begriffes, soweit sie der Täter nur dank seiner Forschungstätig­ keit im Bereich der Forschung zu Krankheiten des Menschen sowie zu Auf­ bau und Funktion des menschlichen Körpers erfahren hat. Der Schutzzweck von Art.  321bis betrifft primär das informationelle Selbstbestimmungsrecht des an den fraglichen Daten bzw. am biologischen Material Berechtigten im Bereich der Forschung. Im Zusammenhang mit der Aus- und Weiterbildung sowie mit Bestrebungen zur Qualitätssicherung ist diese Bestimmung nicht anwendbar3291. Die tatbestandsmässige Handlung des Offenbarens entspricht jener bei Art. 320 Ziff. 13292 und Art. 321 Ziff. 13293.

3287  Dazu eingehend Ruckstuhl, 137 ff. 3288  Oberholzer, BSK StGB II, N 3 zu Art. 321bis, Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth, N 3 zu

Art. 321bis .

3289  Vorn § 126 Ziff. 1.2. 3290  Vorn § 127 Ziff. 1.2. 3291  Botschaft 2009, 8148. 3292  Dazu vorn § 125 Ziff. 1.5. 3293  Dazu vorn § 126 Ziff. 1.4.

602

§ 128  Berufsgeheimnis in der Forschung am Menschen (Art. 321bis)

Anders als nach Art. 320 und Art. 321 muss die Offenbarung des Geheimnis­ ses gemäss Art. 321bis «unbefugterweise» erfolgen. Die Bedeutung dieser Ein­ schränkung besteht darin, dass Art. 321bis von vornherein nicht zur Anwen­ dung gelangt, wenn die betroffene Person bzw. die gesetzliche Vertretung oder ihre nächsten Angehörigen nach ausführlicher Aufklärung (vgl. dazu Human­ forschungsgesetz Art.  16  ff., 24  ff.) eingewilligt haben (Humanforschungsge­ setz Art. 31 ff.) («Einwilligungsforschung»).

2.

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist stets Vorsatz. Der Täter muss sich bewusst sein, dass er von einer Tatsache mit Geheimnischarakter nur dank seiner Forschungstätigkeit Kennt­ nis erlangt hat, und er muss diese Tatsache willentlich jemandem offenbaren, wobei Eventualvorsatz genügt. Da das Merkmal «unbefugt» ein Tatbestands­ merkmal darstellt, muss sich das Wissen des Täters auch darauf beziehen3294. Nicht notwendig ist das Bewusstsein des Täters, einer Geheimhaltungspflicht zu unterstehen3295.

3.

Rechtfertigungsgrund nach Humanforschungsgesetz gemäss Art. 34 Abs. 2

Damit biologisches Material und gesundheitsbezogene Personendaten weiter­ verwendet werden dürfen, selbst wenn keine Einwilligung vorliegt bzw. keine Information über das Widerspruchsrecht erfolgt ist, müssen drei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss es für die Forschenden unmöglich bzw. unverhältnismässig schwierig sein, die Einwilligung bzw. die Zustimmung ihrer gesetzlichen Ver­ tretung oder ihrer nächsten Angehörigen einzuholen oder diese Personen über das Widerspruchsrecht zu informieren. Ebenso verhält es sich, wenn es der betreffenden Person nicht zugemutet werden kann, mit dem Entscheid über die Einwilligung konfrontiert oder über ihr Widerspruchsrecht orientiert zu werden (Humanforschungsgesetz Art.  34 lit.  a). Von Unmöglichkeit ist bei­ spielsweise auszugehen, wenn die betreffende Person verstorben ist, von unver­ hältnismässigen Schwierigkeiten, falls der infrage kommende Personenkreis sehr gross oder wenn seit der Erhebung der medizinischen Daten und dem Forschungsgesuch sehr viel Zeit verstrichen ist. Unzumutbar dürfte das Ein­ 3294  Vgl. mutatis mutandis BGer vom 17.6.2016, 6B_187/2016, Erw. 3.2. 3295  Ruckstuhl, 146.

603

§ 129  Verletzung des Post- und Fernmelde­geheimnisses (Art. 321ter)

holen der Einwilligung bzw. die Information über das Widerspruchsrecht etwa sein, wenn die betroffene Person dadurch emotional erheblich belastet würde. Zum zweiten darf keine dokumentierte Ablehnung der betroffenen Person vor­ liegen (Humanforschungsgesetz Art. 34 lit. b), beispielsweise in einer Patien­ tenverfügung. Schliesslich muss die Abwägung der beteiligten Interessen ergeben, dass das Interesse an der Forschung gegenüber dem Interesse der betroffenen Person überwiegt, nach vorgängiger Aufklärung bzw. Information über eine Weiter­ verwendung ihres biologischen Materials bzw. ihrer Daten bestimmen zu kön­ nen (Humanforschungsgesetz Art. 34 lit. c). Die Abwägung dieser Interessen muss unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles erfolgen3296. Der Entscheid darüber, ob die Voraussetzungen gemäss Humanforschungs­ gesetz Art.  34 gegeben sind, wird von der zuständigen Ethikkommission (Humanforschungsgesetz Art 47) gefällt, welche in Anwendung von Human­ forschungsgesetz Art. 45 gegebenenfalls das Einwilligungssubstitut erteilt3297.

4. Konkurrenzen Art. 321bis geht Humanforschungsgesetz Art. 62 vor.

§ 129 Verletzung des Post- und Fernmelde­ geheimnisses (Art. 321ter) Literaturauswahl: T. Hansjakob, Kommentar zum Bundesgesetz und zur Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, 2. Aufl., St. Gallen 2006, J. Rehberg, Änderun­ gen im Strafgesetzbuch durch das neue Fernmeldegesetz, AJP 7 (1998) 562.

Der Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses, welches in strafrechtlicher Hinsicht früher durch entsprechende Bestimmungen im Fernmeldegesetz und im Postverkehrsgesetz gewährleistet worden ist, erfolgt nunmehr durch Art. 321ter (Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses/Violation du secret des postes et des télécommunications/Violazione del segreto postale e del segreto delle telecomunicazioni/Breach of postal or telecommunications secrecy), der seit

3296  Botschaft 2009, 8123 f. 3297  Botschaft 2009, 8124.

604

§ 129  Verletzung des Post- und Fernmelde­geheimnisses (Art. 321ter)

dem 1. Januar 1998 in Kraft steht3298. Mit Art. 321ter soll das von BV Art. 13 Abs. 1 garantierte Post- und Fernmeldegeheimnis3299 strafrechtlich geschützt werden. Durch das Post- und Fernmeldegeheimnis soll im Interesse der Respektierung der Geheimsphäre gewährleistet werden, dass die Kommunikation mit frem­ den Mitteln wie Post, Telefon etc. im Verhältnis zu Dritten in geheimer Weise erfolgen kann. Dieser Schutz wird nicht nur dann gewährt, wenn die Kommu­ nikation durch eine staatliche Organisation ermöglicht, sondern auch dann, wenn sie durch private Anbieter von Fernmeldediensten vermittelt wird. Vom Schutzbereich erfasst werden neben dem Post- und Telefon- auch der E-MailVerkehr über das Internet3300. Art. 321ter ergänzt und erweitert den Geltungsbereich des Berufsgeheimnisses i.S. von Art. 3213301.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Art. 321ter stellt ein echtes Sonderdelikt dar. Täter kann nur sein, wer Beamter, Angestellter oder Hilfsperson einer Organisation ist, die Post- und Fernmel­ dedienste erbringt. Der Wortlaut von Art. 321ter unterscheidet nicht zwischen konzessionierten oder zumindest meldepflichtigen Anbietern und rein priva­ ten Leistungserbringern. Er ist deshalb auf alle Mitarbeitenden eines Unter­ nehmens im Bereich der Post- und Fernmeldedienste anwendbar3302. Auch nach Beendigung des amtlichen oder dienstlichen Verhältnisses unterlie­ gen die betreffenden Personen dem Post- und Fernmeldegeheimnis. Täter kann gemäss Abs.  2 auch sein, wer eine der in Abs.  1 erwähnten Per­ sonen «durch Täuschung veranlasst, die Geheimhaltungspflicht zu verletzen» und so als mittelbarer Täter handelt. Die Klausel ist daher nur strafrechtsre­ 3298  Botschaft 1996, 1445, 1453. 3299  BGE 126 I 65. 3300  Vgl. BGE 126 I 54 ff., Dupuis u.a., Code pénal, N 7 zu Art. 321 3301  Oberholzer, BSK StGB II, N 2 zu Art. 321ter. 3302  Corboz, Vol. II, N 2 f. zu Art. 321ter, Dupuis u.a., Code pénal, N 7 zu Art. 321ter, Ober-

holzer, BSK StGB II, N 3 zu Art. 321ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 33, Rehberg, 563  f., fordert bezüglich der postdienstlichen Aufgaben die Beschränkung auf Organisationen, die reservierte Dienste anbieten oder einer Konzessions- oder Mel­ depflicht unterstellt sind.

605

§ 129  Verletzung des Post- und Fernmelde­geheimnisses (Art. 321ter)

levant, wenn die Täuschung den Vorsatz des Intraneus ausschliesst3303. Bei einer Täuschung über andere, den Vorsatz des Intraneus nicht ausschliessende Umstände ist Anstiftung zu einer Handlung nach Abs. 1, mithin eine Bestra­ fung nach Art. 26, zu prüfen3304.

1.2 Tathandlung Die Tathandlung besteht darin, dass der Täter einem Dritten Angaben über den Post-, Zahlungs- oder den Fernmeldeverkehr der Kundschaft macht, eine verschlossene Sendung öffnet oder ihrem Inhalt nachforscht. Angaben über den Post-, Zahlungs- oder den Fernverkehr der Kundschaft sind alle Angaben, die sich auf das Kommunikationsverhalten oder den Zahlungs­ verkehr einer Person beziehen3305. Dazu zählen Informationen über die Kom­ munikationsteilnehmer, den Inhalt der Kommunikation oder Transaktion sowie Angaben über das Kommunikations- und Zahlungsverhalten, wie Art, Dauer und Häufigkeit von Kontakten und Zahlungen, also auch sog. Randda­ ten3306. Das Öffnen einer verschlossenen Sendung oder das Nachforschen über deren Inhalt wird bereits durch Art. 179 unter Strafe gestellt. Art. 321ter enthält hierzu den qualifizierten Tatbestand der Verletzung des Briefgeheimnisses, der Mitar­ beitende einer Post- oder Fernmeldeorganisation einer höheren Strafdrohung unterwirft3307. Im Gegensatz zu Art.  179 ist nicht erforderlich, dass die ver­ schlossene Sendung in der Absicht geöffnet wird, von deren Inhalt Kenntnis zu nehmen. Durch den Einbezug des postalischen Zahlungsverkehrs wird eine Annähe­ rung an das Bankgeheimnis gemäss BankG3308 Art. 47 erzielt3309. Wer einem Dritten Gelegenheit gibt, eine solche Handlung zu begehen, macht sich ebenfalls strafbar. Da ein Extraneus den Tatbestand nicht erfüllen kann, ist es zweckmässig, in derartigen Konstellationen den Intraneus zu bestra­ 3303  Vgl. Oberholzer, BSK StGB II, N 5 zu Art. 321ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 34. 3304  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 34. 3305  Oberholzer, BSK StGB II, N 6 zu Art. 321ter. 3306  Corboz, Vol. II, N 9, 15 zu Art. 321ter, Oberholzer, BSK StGB II, N 6 zu Art. 321ter. 3307  Oberholzer, BSK StGB II, N 8 zu Art. 321ter. 3308  Bundesgesetz vom 8.  November 1934 über die Banken und Sparkassen (Bankenge­

setz), SR 952.0.

3309  Oberholzer, BSK StGB II, N 6 zu Art. 321ter.

606

§ 129  Verletzung des Post- und Fernmelde­geheimnisses (Art. 321ter)

fen, allerdings nur bei Handlungen, die kraft seiner Stellung nur der Intraneus begehen könnte3310. Unerheblich ist, auf welche Weise die Angaben gemacht werden oder mit wel­ chen Mitteln einem Dritten die Gelegenheit zur Erlangung der Informationen verschafft wird3311.

2.

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist lediglich die vorsätzliche Tatbegehung, wobei Eventualvorsatz genügt. Das Handeln in einer bestimmten Absicht wird im Gegensatz zu Art. 179 nicht vorausgesetzt.

3. Rechtswidrigkeit Nach dem Rechtfertigungsgrund gemäss Art. 321ter Abs. 4 bleibt straflos, wer die oben erwähnten Handlungen begeht, um den an der Sendung Berechtig­ ten zu ermitteln oder Schäden zu verhindern. Letzteres erscheint aufgrund der sehr weiten Formulierung problematisch. In Art. 321ter Abs. 5 wird auf Art. 179octies verwiesen. Diese Bestimmung erklärt das Verhalten derjenigen Personen für nicht strafbar, welche gestützt auf StPO Art. 269 ff. die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs anordnen oder durchführen.

4. Konkurrenzen Im Verhältnis zwischen Art. 321ter und Art. 283 (Verletzung des Abstimmungsund Wahlgeheimnisses) ist von echter Konkurrenz auszugehen3312. Als quali­ fizierter Tatbestand geht Art. 321ter einer Verletzung des Schriftgeheimnisses nach Art. 179 vor.

3310  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 61 N 33. 3311  Oberholzer, BSK StGB II, N 7 zu Art. 321ter. 3312  So auch Wehrle, BSK StGB II, N 10 zu Art. 283.

607

§ 130  Verletzung der Auskunftspflicht der Medien (Art. 322)

5. Prozessuales In Abs. 5 wird Art. 179octies vorbehalten sowie – in analoger Weise wie durch Art. 321 Ziff. 3 – ein Vorbehalt zugunsten der eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Zeugnis- und Auskunftspflicht3313 statuiert.

§ 130 Verletzung der Auskunftspflicht der Medien (Art. 322) Literaturauswahl: O. Abo Youssef, Blog-Kommentare als quellengeschützte Informationen?  – Zugleich Besprechung von BGE 136 IV 145, fp 2011, 251, J. Aeschlimann, Zum Auskunftsverwei­ gerungsrecht der Medienschaffenden: die bernische Lösung, in: Strafrecht und Öffentlichkeit, Festschrift für J. Rehberg zum 65. Geburtstag, hrsg. von A. Donatsch/N. Schmid, Zürich 1996, 1, D. Barrelet, Le journalisme d’investigation devant la loi pénale, ZStrR 107 (1990) 329, derselbe, Droit de la communication, Bern 1998, Ch. Born, Wann haften Medienschaffende für die Wieder­ gabe widerrechtlicher Äusserungen Dritter?, Medialex 2001, 13, C. Buess, Strafrechtliche Verant­ wortlichkeit und Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden, Bern 1991, H. Fehr, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden, Diss. Zürich 1982, A. Haas, L’obligation pour les journaux d’indiquer leurs participations, Medialex 1998, 3, F. Hänni, Die schweizerische Anti-Rassismus-Strafnorm und die Massenmedien, Diss. Bern 1997, P. Hänni, Medien, Medien­ freiheit und Strafrecht: Kritische Betrachtung der Grenzziehung durch das Bundesgericht, Fest­ schrift für F. Riklin, hrsg. von M. A. Niggli et al., Zürich 2007, 623, P. Heinzmann/A. Ochsenbein, Strafrechtliche Aspekte des Internet, Krim 52 (1998) 513, 599, C. Ludwig, Schweizerisches Pres­ serecht, Basel/Stuttgart 1964, J. P. Müller, Zur Bedeutung der Pressefreiheit beim privat- und strafrecht­lichen Ehrenschutz, ZSR 86 (1967) I 115, M. A. Niggli/F. Riklin/G. Stratenwerth, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Internet-Providern, Medialex, Sonderausgabe 2000, M. Rehbinder, Schweizerisches Presserecht, Bern 1975, derselbe, Der Quellenschutz im Schweizeri­ schen Medienrecht, SJZ 79 (1983) 221, F. Riklin, Pressedelikte im Vergleich zu den Rundfunkde­ likten, ZStrR 98 (1981) 189, derselbe, Schweizerisches Presserecht, Bern 1996 (zit. Riklin Presse­ recht), derselbe, Information Highway und Strafrecht, in: Information Highway, hrsg. von R. M. Hilty, Bern/München 1996, 559, derselbe, Kaskadenhaftung – quo vadis?, Medialex 2000, 199 (zit. Riklin, Kaskadenhaftung), D. Rosenthal, Ein Medienstrafrecht mit ungeplanten Konsequenzen, Medialex 1999, 3, B. Rostan, La protection des sources, pierre angulaire de l’information, Media­ lex 1996, 83, M. Schubarth, Grundfragen des Medienstrafrechtes im Lichte der neueren bundes­ gerichtlichen Rechtsprechung, ZStrR 113 (1995) 141, H. Schultz, Die unerlaubte Veröffentli­ chung  – ein Pressedelikt?, ZStrR 108 (1991) 273, M. Schwaibold, Journalistische Recherchiermethoden und Strafrecht, Medialex 2009, 77, E. Weilenmann, Die Stellung der Presse­ agentur im schweizerischen Pressestrafrecht, Diss. Zürich 1972.

3313  Vgl. dazu vorn § 126 Ziff. 4.3.

608

§ 130  Verletzung der Auskunftspflicht der Medien (Art. 322)

Nach Art.  28 haben für sog. Pressedelikte (Mediendelikte oder Gedanken­ äusserungsdelikte3314) unter bestimmten Voraussetzungen statt der Verfasser inkriminierter Artikel und Inserate Redaktoren, Verleger oder Drucker straf­ rechtlich einzustehen3315. Das System der medienrechtlichen Verantwortlich­ keit nach Art. 28 setzt voraus, dass die für eine Veröffentlichung verantwort­ lichen Personen bekannt sind. Art.  322 (Verletzung der Auskunftspflicht der Medien/Violation de l’obligation des médias de renseigner/Violazione dell’obbligo d’informare dei mass media/Breach by the media of the duty to provide information) dient dazu, die Sondervorschriften, die Art. 28 und Art. 322bis für den Bereich des Medienstrafrechts aufstellen, durchzusetzen3316. Art. 322 statuiert in diesem Sinne eine für alle Medienunternehmen geltende Auskunftspflicht auf Anfrage (Abs.  1) und eine nur für Zeitungen und Zeitschriften geltende Impressumspflicht (Abs. 2).

1.

Auskunftspflicht der Medienunternehmen (Abs. 1)

Nach dieser Bestimmung sind Medienunternehmen verpflichtet, ihren Sitz und die Identität des Verantwortlichen auf Anfrage unverzüglich schriftlich bekannt zu geben. Medienunternehmen sind insbesondere Zeitungs- und Zeitschriftenverlage sowie Radio- und Fernsehveranstalter3317, aber auch alle anderen Unterneh­ men, die in irgendeinem Bereich der Kommunikationsmittel3318 tätig sind. Als Medienunternehmen gilt nicht nur ein Betrieb mit einer Vielzahl von Ange­ stellten und einer Vielzahl von gewichtigen Veröffentlichungen3319, sondern auch der Autor und Verbreiter eines Flugblattes oder der Betreiber einer allge­ mein zugänglichen Internet-Webseite3320. Entscheidend ist, dass es sich um ein Unternehmen handelt, «das an der Entste­ hung eines Medienerzeugnisses (medienspezifisch) mitwirkt»3321. Nicht erfasst 3314  Vgl. Born, 13 f., Niggli/Riklin/Stratenwerth, 11, Riklin, Kaskadenhaftung, 199. 3315  Dazu Strafrecht I, § 17. 3316  Dupuis u.a., Code pénal, N 2 zu Art. 322, Zeller, BSK StGB II, N 1 zu Art. 322, vgl. auch

Haas, 4, Riklin, Presserecht, § 5 N 100.

3317  Botschaft 1996 II, 565. 3318  Vgl. zum Begriff der Medien Strafrecht I, § 17 Ziff. 2. 3319  Hänni, 43. 3320  Dupuis u.a., Code pénal, N 10 zu Art. 322, Trechsel/Jean-Richard, in: Trechsel/Pieth,

N 2 zu Art. 322, Zeller, BSK StGB II, N 5 f. zu Art. 322.

3321  Niggli/Riklin/Stratenwerth, 18.

609

§ 130  Verletzung der Auskunftspflicht der Medien (Art. 322)

werden daher Unternehmen, die mit der inhaltlichen Gestaltung des Mediums nichts zu tun haben, sondern sich ausschliesslich um den Transport und Ver­ trieb desselben kümmern3322, wie dies etwa bei demjenigen der Fall ist, der den Provider oder das Kabelnetz zur Verfügung stellt3323. Bekannt gegeben werden muss gemäss Art. 322 Abs. 1 i.V.m. Art. 28 Abs. 2 und 3 die Identität des verantwortlichen Redaktors oder der für die Veröffent­ lichung verantwortlichen Person3324, mithin also derjenigen Person, welche die Veröffentlichung verhindern könnte. Die vom Gesetz geforderten Angaben über die Zuordnung der Verantwortlich­ keiten innerhalb des Medienunternehmens müssen zutreffend sein. Über die Person des Autors oder seiner Informationspersonen müssen keine Angaben gemacht werden3325. Mit unverzüglicher Bekanntgabe meint das Gesetz, dass die Angaben ohne Ver­ zögerungsmanöver zu machen sind. Bei der Beurteilung, ob eine Bekanntgabe rechtzeitig erfolgt, ist auf die jeweiligen Umstände wie Art und Organisations­ grad des betreffenden Mediums Rücksicht zu nehmen3326. Auskunft verlangen kann jede Person ohne Nachweis eines besonderen Inter­ esses3327. Die Auskunft ist schriftlich zu erteilen.

2.

Impressumspflicht für Zeitungen und Zeitschriften (Abs. 2)

Eine Impressumspflicht besteht für Zeitungen und Zeitschriften, nicht aber für Druck-Erzeugnisse wie Bücher, Plakate oder Flugblätter, selbst wenn letz­ tere periodisch erscheinen3328. Fraglich ist, ob unter den Begriff auch nicht in

3322  Vgl. Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 322, Riklin, Kaskadenhaftung, 207 f., Zeller,

BSK StGB II, N 7 zu Art. 322.

3323  Strafrecht I, § 17 Ziff. 3.224. 3324  Vgl. Strafrecht I, § 17 Ziff. 3.22. 3325  Zeller, BSK StGB II, N 8 zu Art. 322. 3326  Zeller, BSK StGB II, N 9 zu Art. 322. 3327  Zeller, BSK StGB II, N 9 zu Art. 322. 3328  Ebenso Dupuis u.a., Code pénal, N 14 zu Art. 322, Zeller, BSK StGB II, N 10 zu Art. 322;

a.M. Trechsel/Jean-Richard, in: Trechsel/Pieth, N 4 zu Art. 322.

610

§ 130  Verletzung der Auskunftspflicht der Medien (Art. 322)

gedruckter Form an das Publikum gelangende Publikationen – wie beispiels­ weise Bildschirm- oder Telefonzeitungen – subsumiert werden können3329. Im Impressum ist neben dem Sitz des Unternehmens und namhaften Betei­ ligungen an anderen Unternehmen auch der verantwortliche Redaktor anzu­ geben. Betreut ein Redaktor nur einen Teil der Zeitung oder Zeitschrift, so ist er als verantwortlicher Redaktor für diesen zu bezeichnen. Für jeden Teil einer Zeitung oder Zeitschrift mit entsprechender Arbeitsteilung muss ein ver­ antwortlicher Redaktor angegeben werden. Als solcher gilt diejenige Person, welche auf den Inhalt Einfluss nehmen und die Publikation verhindern kann. Unzulässig ist es, eine vorgeschobene Person als verantwortlichen Redaktor zu bezeichnen.

3.

Angaben namhafter Beteiligungen

Nach Art. 322 Abs. 2 sind namhafte Beteiligungen im Impressum anzugeben. Diese Bestimmung steht in keinem Zusammenhang zu Art.  28. Sie ist über­ dies sehr unbestimmt3330. So ist unklar, ob der Begriff «andere Unternehmen» die Offenlegung einer Beteiligung an jeglichen Unternehmen verlangt oder lediglich solche an anderen Medienunternehmen. Weiter ist offen, ab wel­ chem Beteiligungsgrund von einer namhaften Beteiligung gesprochen wer­ den soll3331. Sodann wird zu Recht geltend gemacht, im Hinblick auf Transpa­ renz wäre der Hinweis darauf, wer an dem betreffenden Medienunternehmen beteiligt ist (passive Beteiligung), nützlicher als die Angabe der Beteiligung des Unternehmens an einem anderen (aktive Beteiligung), weil der zuerst erwähnte Gesichtspunkt für die Unabhängigkeit des Mediums regelmässig von grösserem Gewicht sein dürfte3332. Schliesslich wird die Ungleichbehandlung von Zeitungs- und Zeitschriftenunternehmen und anderen Medienunterneh­ men kritisiert3333.

3329  Dupuis u.a., Code pénal, N 15 zu Art. 322, gegen eine ausdehnende Interpretation Zel-

ler, BSK StGB II, N 11 zu Art. 322.

3330  Zeller, BSK StGB II, N 14 zu Art. 322. 3331  Vgl. zu diesen Fragen eingehender Haas, 3 f. 3332  Haas, 4. 3333  Zeller, BSK StGB II, N 15 zu Art. 322.

611

§ 130  Verletzung der Auskunftspflicht der Medien (Art. 322)

4.

Strafbares Verhalten

4.1

Objektiver Tatbestand

4.11 Täterkreis Art. 322 stellt ein Sonderdelikt dar. Als Täter kommt nur der Leiter des Medienunternehmens infrage. Bei diesem kann es sich im Bereich der Presse um den Verleger handeln. Es ist jedoch aufgrund der Organisation und der konkre­ ten Verhältnisse im Einzelfall zu bestimmen, wer als Leiter zu erachten ist3334. Massgebend ist, ob die betreffende Person «von ihrer Stellung und Funktion her tatsächlich in der Lage ist, die fraglichen Entscheide zu beeinflussen»3335. Die Funktion des Leiters eines Medienunternehmens setzt nicht voraus, dass sich die betreffende Person mit dem Inhalt des betreffenden Mediums befasst bzw. zu befassen hat3336.

4.12

Strafbares Verhalten

Das strafbare Verhalten kann in der Missachtung der Auskunftspflicht gemäss Art. 322 Abs. 1 bestehen oder darin, dass die Angaben gemäss Art. 322 Abs. 2 nicht gemacht werden. Eine strafbare Verletzung der Auskunftspflicht gemäss Art.  322 Abs.  2 liegt auch vor, wenn eine vorgeschobene Person, ein Strohmann, als verantwortli­ che Person bezeichnet wird3337.

4.2

Subjektiver Tatbestand

Strafbar ist nur die vorsätzliche Nichterfüllung der in Art. 322 Abs. 1 und 2 sta­ tuierten Pflichten. Fahrlässigkeit genügt nicht.

3334  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 322. 3335  Botschaft 1996 II, 565, Dupuis u.a., Code pénal, N 7 zu Art. 322. 3336  Zeller, BSK StGB II, N 17 zu Art. 322. 3337  Botschaft 1996 II, 565, Riklin, Presserecht, § 5 N 102.

612

§ 131  Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung (Art. 322bis)

§ 131 Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung (Art. 322bis) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 129, S. Canonica, Tücken der neuen Kaskadenhaftung, Medialex 2000, 63, Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 24. Dezember 1999, VPB 64 (2000) Nr. 75, P. Gilliéron, La diffusion de propos attentatoires à l’honneur sur internet, Sem 123 (2001) Vol. II 181, F. Riklin, Der Journalist als Zeuge und Beschuldigter im Strafverfahren, Medialex 1999, 156 (zit. Riklin, Journalist), derselbe, Entertainment Law aus der Sicht des Medienrechts, in: Enter­ tainment Law, hrsg. von O. Arter/F. S. Jörg, Bern 2006, 242 f., E. Salmina, «Risk-management» pubblicistico, controllo della qualità e organizzazione nei mass media, l’art. 322bis Codice penale e la decisione 130 IV 121 del Tribunale federale, in: Diritto senza devianza, studi in onore di M. Borghi, Basel/Frankfurt a.M. 2006, 729 ff., derselbe, Publizistisches Riskmanagement heute: Sorgfaltspflichten und Organisation des «verantwortlichen Redaktors», Medialex 2007, 112, Ch. Schwarzenegger/M. A. Niggli, Über die Strafbarkeit des Hyperlink-Setzers, Medialex 2003, 27.

Art.  322bis (Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung/Défaut d’opposition à une publication constituant une infraction/Mancata opposizione a una pubblicazione punibile/Failure to prevent an illegal publication) stellt die Strafbestimmung zu Art.  28 Abs.  2 dar, wonach sich der für die Veröffentli­ chung in einem Presseerzeugnis verantwortliche Redaktor bzw. subsidiär eine andere dafür verantwortliche Person unabhängig vom Verschulden des Verfas­ sers strafbar machen kann. Nach der geltenden Regelung wird der Unrechts­ gehalt des Verhaltens eines bloss subsidiär Verantwortlichen im Vergleich zu demjenigen des eigentlichen Autors als geringer eingestuft3338. Andererseits ist die Haftung der subsidiär Verantwortlichen erweitert worden, indem von der Norm auch die fahrlässige Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffent­ lichung erfasst wird3339. Weshalb Art. 322bis auch auf Art. 28 Abs. 3 verweist, ist unklar, zumal der Verantwortliche in diesem Fall als Täter des eigentlichen Mediendelikts bestraft wird.

1.

Objektiver Tatbestand

Art. 322bis stellt aufgrund der Gesetzessystematik ein Delikt gegen die Amtsund Berufspflichten dar und ist als echtes Unterlassungsdelikt ausgestaltet3340.

3338  Botschaft 1996 II, 566. 3339  Niggli/Riklin/Stratenwerth, 11. 3340  Vgl. Dupuis u.a., Code pénal, N 2 zu Art. 322bis, Rosenthal, 3.

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§ 131  Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung (Art. 322bis)

1.1 Täterkreis Potenzieller Täter ist derjenige, der als Verantwortlicher nach Art. 28 Abs. 2 und 33341 gegen eine Veröffentlichung, mit welcher eine strafbare Handlung begangen wird, nicht rechtzeitig einschreitet und diese verhindert. Die ver­ antwortliche Person muss somit eine medienspezifische3342 Überwachungs­ funktion für den Inhalt des Mediums innehaben und es muss ihr die Befugnis zukommen, nötigenfalls einzuschreiten3343. Diese Aufgaben und Kompeten­ zen hat der verantwortliche Redaktor. Ist ein solcher nicht bezeichnet oder ist er zwar formell bezeichnet, fehlen ihm aber die notwendigen Kompeten­ zen, so ist aufgrund der gesamten Umstände im Betrieb abzuklären, wer als medienspezifischer Verantwortlicher für die fragliche Veröffentlichung zu gel­ ten hat3344. Daraus ergibt sich, dass es sich bei dieser Person zwar in der Regel um diejenige handeln wird, welche gemäss Art. 322 Abs. 1 und 2 angegeben wird, dass dies aber nicht notwendigerweise der Fall sein muss. Nicht als Täter kommen der Kabelnetzbetreiber und der Access-Provider infrage, weil und soweit sie keine medienspezifische Funktion wahrnehmen, sondern lediglich den Zugang zum Internet und den darin bereits veröffent­ lichten Beiträgen vermitteln, ohne auf den Inhalt derselben redaktionellen Ein­ fluss nehmen zu können3345.

1.2

Verhindern der strafbaren Veröffentlichung

Durch die Bezugnahme auf Art. 28 Abs. 2 und 3 wird implizit vorausgesetzt, dass sich die unterbliebene Verhinderung auf Medienprodukte bezieht. Bei die­ sen handelt es sich um Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsendun­ gen, aber auch alle anderen Kommunikationsmittel wie Bücher und Flugblätter sowie Inhalte im Internet, beispielsweise eine allgemein zugängliche InternetWebseite3346 oder Blog-Kommentare3347.

3341  Vgl. dazu die Ausführungen in Strafrecht I, § 17 Ziff. 3.2. 3342  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 322bis, Niggli/Riklin/Stratenwerth, 17 f. 3343  Botschaft 1996 II, 551. 3344  Strafrecht I, § 17 Ziff. 3.222. 3345  Strafrecht I, § 17 Ziff. 3.224, Niggli/Riklin/Stratenwerth, 21. 3346  Strafrecht I, § 17 Ziff. 3.224, Zeller, BSK StGB I, N 41 ff. zu Art. 28, ders., BSK StGB II,

N 4 zu Art. 322.

3347  Vgl. BGE 136 IV 145 sowie Abo Youssef, 251 ff.

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§ 131  Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung (Art. 322bis)

Strafbare Veröffentlichungen, d.h. strafbare Handlungen, die durch Veröffentli­ chung in einem Medium begangen werden und sich in dieser Veröffentlichung erschöpfen, sind insbesondere Ehrverletzungen (Art. 173 ff.), die Verletzung von Amts- und Berufsgeheimnissen (Art. 320 f.), die öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit (Art. 259), die Veröffentlichung amt­ lich geheimer Verhandlungen (Art. 293) sowie unlauterer Wettbewerb (UWG Art. 23 i.V.m. Art. 3). Umstritten ist die Qualifikation als Mediendelikt bei der harten Pornografie (Art. 197), bei Gewaltdarstellungen (Art. 135) und bei der Rassendiskriminierung (Art. 261bis)3348. Ein Medienprodukt gilt als veröffentlicht, wenn es in Verkehr gebracht ist und sich damit nicht mehr unter Kontrolle des Herstellers bzw. Medienunterneh­ mens befindet3349. Bei einem Presseerzeugnis ist dies der Zeitpunkt, in dem die Zustellung beginnt, z.B. durch die Übergabe an die Post oder durch das Aus­ tragen3350. Der Verantwortliche, welcher das Setzen eines Hyperlink nicht ver­ hindert, kann sich nach Art. 322bis nur strafbar machen, wenn dadurch nicht lediglich auf einen schon früher von einem Dritten publizierten Beitrag ver­ wiesen, sondern unmittelbar eine Veröffentlichung bewirkt wird3351. Das strafbare Tatverhalten besteht darin, dass die Veröffentlichung nicht verhindert wird. Davon ist auszugehen, wenn die Veröffentlichung erfolgt, obwohl der Verantwortliche Tatmacht gehabt hätte, sie zu verhindern. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass die Pflicht zum Verhindern nicht nur zum Inhalt hat, eine noch nicht erfolgte Veröffentlichung zu verhindern, sondern auch gebietet, gegen eine bereits erfolgte Veröffentlichung einzuschreiten3352.

1.3 Subsidiarität Gemäss Art. 28 Abs. 2 setzt die Bestrafung des Verantwortlichen wegen Nicht­ hinderung einer strafbaren Veröffentlichung in negativer Hinsicht voraus, dass

3348  Vgl. Strafrecht I, § 17 Ziff. 2, sowie die Diskussion bei Niggli/Riklin/Stratenwerth, 12 ff.

m.w.H., Riklin, Kaskadenhaftung, 199 ff. m.w.H.

3349  Riklin, Kaskadenhaftung, 208, a.M. Zeller, BSK StGB II, N 6 zu Art. 322bis, für welchen

die Veröffentlichung erst in dem Zeitpunkt erfolgt ist, in welchem die Äusserung von einem Dritten zur Kenntnis genommen wird. 3350  Niggli/Riklin/Stratenwerth, 17. 3351  Dazu und zur Anwendbarkeit weiterer Strafnormen vgl. Schwarzenegger/Niggli, 31. 3352  VPB 64 (2000) 844 ff., Dupuis u.a., Code pénal, N 13 zu Art. 322bis, Niggli/Riklin/Stratenwerth, 30 ff., Zeller, BSK StGB II, N 9 zu Art. 322bis.

615

§ 131  Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung (Art. 322bis)

der Autor nicht ermittelt oder in der Schweiz nicht vor Gericht gestellt wer­ den kann3353.

2.

Subjektiver Tatbestand

Die verantwortliche Person muss die Veröffentlichung vorsätzlich nicht verhin­ dern. Sie muss sich daher bewusst sein, dass die Veröffentlichung strafbar ist und dass sie als verantwortliche Person dagegen einschreiten müsste. Überdies muss sie die Veröffentlichung wollen. Eventualvorsatz genügt3354.

3.

Fahrlässige Nichtverhinderung der strafbaren Veröffentlichung

Gemäss Art. 322bis Satz 2 ist die fahrlässige Nichtverhinderung einer strafba­ ren Veröffentlichung strafbar, wenn der Verantwortliche pflichtwidrig unsorg­ fältig i.S. von Art. 12 Abs. 3 handelt. So ist beispielsweise denkbar, dass ein Redaktor die ehrverletzenden Äusse­ rungen in einem Leserbrief nicht als solche erkennt3355 oder es versäumt, bei ferienbedingter Abwesenheit einen geeigneten Stellvertreter zu bezeichnen3356. Bei der Bemessung des Sorgfaltsinhalts sind neben den persönlichen Verhält­ nissen namentlich die Art des betreffenden Mediums, die Wahrscheinlichkeit von Mediendelikten und die Frage von Bedeutung, inwieweit der Verantwort­ liche zufolge des Vertrauensprinzips auf die Rechtmässigkeit des Verhaltens von Mitarbeitern vertrauen darf. Letzteres dürfte insbesondere dann von Rele­ vanz sein, wenn der Verantwortliche bereits Anweisungen zur Verhinderung der strafbaren Veröffentlichung erteilt hat, diese jedoch gleichwohl erfolgt. Zu berücksichtigen ist sodann der Grundsatz «ultra posse nemo tenetur». Bei Livesendungen in Radio und Fernsehen ist die präventive Überprüfung und damit die generelle Verhinderung einzelner Stellungnahmen eines Gastes nicht möglich. Hingegen kann dem Verantwortlichen allenfalls mangelnde Sorgfalt 3353  BGE 130 IV 125, 128 f., Dupuis u.a., Code pénal, N 10 zu Art. 322bis. 3354  Dupuis u.a., Code pénal, N 14 zu Art. 322bis, Zeller, BSK StGB II, N 12 zu Art. 322bis. 3355  Zeller, BSK StGB II, N  13 zu Art.  322bis, mit Hinweis auf Amtl.Bull NR 1997, 402

(Votum Straumann). Kann dem verantwortlichen Redaktor die Nichterkennung des ehrrührigen Charakters einer in seinem Verantwortungsbereich gemachten Äusse­ rung jedoch subjektiv nicht vorgeworfen werden, ist auch eine fahrlässige Tatbege­ hung ausgeschlossen, vgl. hierzu Abo Youssef, 255. 3356  Zeller, BSK StGB II, N 13 zu Art. 322bis m.w.H.

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§ 131  Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung (Art. 322bis)

bei der Auswahl und Instruktion seiner Gäste sowie in der Gesprächsleitung vorgeworfen werden3357.

4.

Weitere Fragen

Die kurze Verjährungsfrist von drei Jahren (Art. 109) bei fahrlässiger Tatbege­ hung als Übertretungstatbestand soll der raschen Behandlung eines Deliktes in einer schnelllebigen Medienwelt dienen3358. Art.  322bis stellt ein Offizialdelikt dar. Stellt die strafbare Handlung, welche durch die Nichtverhinderung der Veröffentlichung begangen wird, jedoch ein Antragsdelikt dar, ist für die Bestrafung gemäss Art. 322bis ein Strafantrag betreffend das Antragsdelikt vorausgesetzt3359. Andernfalls könnte ein verant­ wortlicher Redaktor für ein Delikt belangt werden, für das der Autor schon mangels eines Strafantrags nicht verfolgt worden wäre3360. Ebenso muss der verantwortliche Redaktor im Rahmen eines Ehrverletzungsdelikts zum Wahr­ heitsbeweis zugelassen werden, ansonsten er auch für eine nicht strafbare Ver­ öffentlichung belangt werden könnte3361.

3357  Dupuis u.a., Code pénal, N 17 zu Art. 322bis, Zeller, BSK StGB II, N 16 zu Art. 322bis. 3358  Vgl. Botschaft 1996 II, 566. 3359  BGE 130 IV 121 = Pr 94 (2005) Nr. 43. 3360  Canonica, 64. 3361  BGE 130 IV 121 = Pr 94 (2005) Nr. 43, BGer vom 9.11.2007, 6B_635/2007.

617

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

19. Titel

Bestechung (Art. 322ter–322decies)

§ 132 Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale Literaturauswahl: E.-H. Ahlf, Ethische Aspekte zur Korruptionsbekämpfung, Krim 50 (1996) 91, derselbe, Zum Korruptionsbegriff, Krim 50 (1996) 154, R. Amgwerd, Verschärftes Bestechungs­ strafrecht: Erhöhte Risiken für Unternehmen, TREX 14 (2007) 162, G. Arzt, Urteilsanmerkung zu BGE 6S.669/1996 vom 20.5.2000, Bestechung, Anfüttern von Haien, jusletter vom 21.8.2000, derselbe, Über Korruption, Moral und den kleinen Unterschied, recht 19 (2001) 41, M. Arzethauser, Die Vorteilsgewährung bzw. die Vorteilsannahme nach dem revidierten Schweizerischen Korrup­ tionsstrafrecht unter besonderer Berücksichtigung der unteren Begrenzung der Strafbarkeit im Rahmen der Sozialadäquanz und der freiwilligen Mitfinanzierung öffentlicher Aufgaben, Diss. Basel 2001, M. Balmelli, Die Bestechungstatbestände des schweizerischen Strafgesetzbuches, Diss. Basel 1996 (zit. Balmelli, Diss.), T. Balmelli, Le financement des partis politiques et des campag­ nes électorales, Diss. Freiburg 2001, T. Bauer/A. Kaiser, Übersicht über die neuen Strafbestim­ mungen zur Korruption, Neue Straftatbestände, ST 75 (2001) 419, P. Bernasconi, Internationale Anti-Korruptionskonvention – Entwurf und Kommentar, in: Aspekte des Wirtschaftsrechts, Fest­ gabe zum Schweizerischen Juristentag 1994, hrsg. im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, von H. U. Walder/T. Jaag/D. Zobl, Zürich 1994, 423, derselbe, Korruption, Neue Normen, neue Verantwortlichkeiten im schweizerischen Industrie-, Handels-, Banken- und Revisionsbereich, ZSR N.F. 118 (1999) I 155, derselbe, Die Bestechung von auslän­ dischen Beamten nach schweizerischem Straf- und Rechtshilferecht zwischen EG-Recht und neuen Antikorruptions-Staatsverträgen, ZStrR 110 (1992) 383 (zit. Bernasconi, Bestechung), M. Berni/​A. Kellerhals (Hrsg.), Internationales Handelsrecht II, Neue Risiken für Unternehmen und Management wegen Bestechung und Korruption, Zürich 2008, B. Bertossa, Confiscation et cor­ ruption, Quelques réflexions sur la confiscation des avantages obtenus par le corrupteur actif, Sem 2009 II, 371 ff., Y. Boggio/M. L. Cesoni/M. Sardi, Les processus de corruption en Suisse: ana­ lyse des données empiriques récoltées à la lumière de recherches nationales et internationales en sociologie et en science politique, in: Processus de corruption en Suisse, hrsg. von N. Queloz/​ M.  Borghi/M. L. Cesoni, Collection Latine Bd. I, Basel/Genf/München 2000, 389, M. Borghi/N. Queloz, Lücken und beschränkte Wirksamkeit des schweizerischen Rechts gegen­ über Korruption: die Voraussetzungen für eine interdisziplinäre Untersuchung, recht 15 (1997) 16, S. Borner/C. Schwyzer, Die Bekämpfung der Bestechung im Lichte der Neuen Politischen Öko­ nomie, in: Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, Bestandesaufnahme, Bekämpfung, Prävention, hrsg. von M. Pieth/P. Eigen, Basel/Neuwied 1999, 17, U. Cassani, Le droit pénal suisse face à la corruption des fonctionnaires, plädoyer 3/1997, 44 (zit. Cassani, corruption), dieselbe, La corruption de fonc­tionnaire, répression pénale d’un pacte, in: Pacte, convention, contrat, Mélan­ ges en l’honneur du Professeur B. Schmidlin, hrsg. von A. Dufour/I. Rens/R. Meyer-Pritzl/B. Winiger, Basel/Frankfurt a.M. 1998, 207 (zit. Cassani, FS Schmidlin), dieselbe, Grenzüberschrei­ tende Korruption – Internationale Zuständigkeit der schweizerischen Strafjustiz, in: Korruption in Staat und Wirtschaft, 4. Zürcher Tagung zum Wirtschaftsstrafrecht, hrsg. von J.-B. Ackermann/​ W. Wohlers, Europa Institut Zürich, Zürich 2010, 17, dieselbe, La lutte contre la corruption, vou­ loir, c’est pouvoir?, in: Lutte contre la corruption internationale, The never ending story, hrsg. von

618

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale U. Cassani/​A. Héritier Lachat, Zürich 2011, 33 (zit. Cassani, La lutte), M. L. Cesoni, Corruption et traffic d’influence en Suisse: Une Italie en puissance?, in: Wirtschaftskriminalität, hrsg. von S. Bauhofer/N. Queloz/E. Wyss, Schweizerische Arbeitsgruppe für Kriminologie, Reihe Krimino­ logie, Bd. 17, Chur/Zürich 1999, 169, dieselbe, Faut-il crier à la corruption?, plädoyer 4/2000, 44, C. Del Ponte, Die Korruption aus der Sicht der Praxis, in: Die Schweiz im Umbruch, hrsg. von P.  Gauch/T. Fleiner/P. Volken, Freiburg 1997, 155, A. Donatsch, Strafrechtliche Fallgruben für Treuhänder, in: Vermögensverwaltung II, hrsg. von P. R. Isler und R. Cerutti, Europa Institut Zürich, Zürich 2009, 89, D. R. Gfeller, Die Privatbestechung – Art. 4a UWG, Konzeption und Kon­ text, Diss. Freiburg 2010, E. Gnägi, Neue Konvention gegen Bestechung, plädoyer 2/1998, 34, derselbe, Das neue schweizerische Korruptionsstrafrecht, ZGRG 20 II (2001) 48, M. Harari, Quelle coopération internationale dans la lutte contre la corruption?, in: Lutte contre la corruption inter­ nationale, The never ending story, hrsg. von U. Cassani/A. Héritier Lachat, Zürich 2011, 107, G.  Heine, Korruptionsbekämpfung im Geschäftsverkehr durch Strafrecht?, Internationale Ent­ wicklungen und rechtsvergleichende Befunde, ZBJV 138 (2002) 533, A. Héritier Lachat, Intermé­ diaires financiers et corruption, in: Lutte contre la corruption internationale, The never ending story, hrsg. von U. Cassani/A. Héritier Lachat, Zürich 2011, 63, A. Imhof, Korruption, Diss. Zürich, Bern 1999, D. Jositsch, Das revidierte Korruptionsstrafrecht, AJP 9 (2000) 1243, derselbe, Der Tat­ bestand des Anfütterns im Korruptionsstrafrecht, ZStrR 118 (2000) 53 (zit. Jositsch, Anfüttern), derselbe, Der Tatbestand Bestechung fremder Amtsträger (Art.  322septies StGB), zweckmässige Erweiterung des schweizerischen Korruptionsstrafrechts?, in: Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für S. Trechsel, hrsg. von A. Donatsch/M. Forster/Ch. Schwarzeneg­ ger, Zürich 2002, 599, derselbe, Das Schweizerische Korruptionsstrafrecht, Art.  322ter bis Art. 322octies StGB, Habil. Zürich 2003 (zit. Jositsch, Habil.), derselbe, Möglichkeiten und Grenzen der strafrechtlichen Korruptionsbekämpfung in der Schweiz, ZStrR 123 (2005) 241, derselbe, Der Straftatbestand der Privatbestechung (Art. 4a i.V.m. Art. 23 UWG), sic! 2006/12, 829 (zit. Jositsch, Privatbestechung), derselbe, «Whistleblowing» und Korruptionsbekämpfung, in: Neuere Ent­ wicklungen im schweizerischen und internationalen Wirtschaftsstrafrecht, hrsg. von W. Wohlers, Zürich/Basel/Genf 2007, 97, D. Jositsch/C. V. Brunner, Das Korruptionsstrafrecht, ein zahnloser Tiger?, ST 83 (2009) 141, D. Jositsch/J. Drzalic, Die Revision des Korruptionsstrafrechts, AJP 25 (2016) 349, R. Kaiser, Die Bestechung von Beamten, unter Berücksichtigung des Vorentwurfs zur Revision des schweizerischen Korruptionsstrafrechts, Diss. Zürich 1999, B. Kistler, La corruption des agents publics – un phénomène en progression?, Les nouvelles dispositions pénales (art. 322ter ss CP), ST 74 (2000) 767, A. Koller, Die Bekämpfung der Korruption in der Schweiz, ZStrR 116 (1998) 125, Z. Ledergerber, Whistleblowing unter dem Aspekt der Korruptionsbekämpfung, Diss. Zürich 2005, J.-P. Méan, La certification anti-corruption, Un outil efficace dans la lutte contre la corruption, ST 83 (2009) 146, R. Mingard, L’avantage indu dans les infractions relatives à la cor­ ruption, ZStrR 128 (2010) 197, B. Perrin, La répression de la corruption d’agents publics étran­ gers en droit pénal suisse, Étude de l’article 322septies du Code pénal et de ses enjeux procéduraux, Diss. Freiburg 2008, derselbe, Corruption active d’agents publics étrangers, Quels risques pour les entreprises et leurs collaborateurs?, ST 83 (2009) 264, M. Pieth, Die verjährungsrechtliche Einheit gemäss Art.  71 Abs.  2 StGB bei Bestechungsdelikten, BJM 1996, 57, derselbe, Die Bestechung schweizerischer und ausländischer Beamter, in: Strafrecht und Öffentlichkeit, Festschrift für J. Rehberg, hrsg. von A. Donatsch/N. Schmid, Zürich 1996, 233 (zit. Pieth, FS Rehberg), derselbe, Internationale Bestechungsfälle und ihre strafrechtliche Verarbeitung, ZStrR 114 (1996) 313, derselbe, Korruption, in: Die Schweiz im Umbruch, hrsg. von P. Gauch/T. Fleiner/P. Volken, Freiburg 1997, 170, derselbe, Neue Vorstösse gegen die Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, Anwaltsrevue 2 (1999), derselbe, Korruptionsgeldwäsche, in: Wirtschaft und Strafrecht, Fest­

619

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale schrift für N. Schmid, hrsg. von J.-B. Ackermann/A. Donatsch/J. Rehberg, Zürich 2001, 437, derselbe, Der Beitrag der UN-Konvention zur Bekämpfung der transnationalen Korruption, in: Les traités internationaux contre la corruption, hrsg. von T. Balmelli/B. Jaggy, Lausanne/Bern/Lugano 2004, 7, derselbe, Strafrecht sinnvoll im Kampf gegen Korruption, plädoyer 2/2004, 28, derselbe, Korruptionsprävention, eine Fallstudie zur Verschränkung von staatlicher Regulierung und Selbstregulierung der Wirtschaft, in: Öffentlich – Privat, neue Aufgabenteilung der Kriminalitäts­ kontrolle?, hrsg. von N. Capus/U. Cassani/​B. Bertossa, Chur 2006, 283, derselbe, Die Strafbarkeit der Privatbestechung als neue Herausforderung an die Anwaltschaft, Anwaltsrevue 10 (2007) 195, derselbe, Das OECD-Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, in: Handbuch der Korruptionsprävention, für Wirtschaftsunternehmen und öffentliche Verwaltung, hrsg. von D. Dölling, München 2007, 56, derselbe, «Oil for Food», enjeux et difficultés d’une enquête internationale en matière de paie­ ments illicites, in: Lutte contre la corruption internationale, The never ending story, hrsg. von U. Cassani/A. Héritier Lachat, Zürich 2011, 127, derselbe, Anti-Korruptions-Compliance, Praxisleit­ faden für Unternehmen, Zürich/St. Gallen 2011 (zit. Pieth, Anti-Korruptions-Compliance), M. Pieth/L. A. Low/N. Bonucci (Hrsg.), The OECD convention on bribery, a commentary on the Convention on Combating Bribery of Foreign Public Officials in International Business Trans­ actions of 21 November 1997, 2. Aufl., Cambridge 2014, N. Queloz, Le problème de la corruption en droit pénal suisse, en particulier dans le domaine de la construction, ZStrR 115 (1997) 409, derselbe, La médiatisation croissante de la corruption, in: Processus de corruption en Suisse, hrsg. von N. Queloz/M. Borghi/M. L. Cesoni, Collection Latine Bd. I, Basel/Genf/München 2000, 59, derselbe, Prävention und Sanktion der Korruption als Beitrag zum Schutz der Menschenrechte, in: Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für S.  Trechsel, hrsg. von A. Donatsch/M. Forster/Ch. Schwarzenegger, Zürich 2002, 431, derselbe, Le droit suisse disposet-il de normes pénales efficaces pour lutter contre la corruption dans le secteur privé?, in: Mélan­ ges en l’honneur de Pierre Tercier, hrsg. von P. Gauch et al., Genf 2008, 639, derselbe, Relations entre juges et parties politiques, s’agit-t-il de corruption?, in: Justiz ins Blickfeld, ausgewählte Bei­ träge aus der Schweizer Richterzeitung 2005–2008, hrsg. von S. Gass et al., Bern 2009, 41, H. Risch, Wirtschaftskriminalität und Korruption, Ein Bericht über die BKA-Herbsttagung 2002, Krim 57 (2003) 2  ff., H. Schlumpf/S.  Pfister, Das neue Korruptionsstrafrecht, in: Chancen und Risiken rechtlicher Neuerungen, hrsg. von D. Lengauer/S. Zwicker/G. Rezzonico, Zürich 2006/2007, 186, N. Schmid, Straf- und einziehungsrechtliche Fragen bei «schwarzen Kassen» zur Begehung von Bestechungen, AJP 17 (2008) 797, Ch. Weber, Wirtschaftskriminalität, Eine Übersicht, Krim 52 (1998) 63.

1.

Entwicklung der Gesetzgebung

Bis zur Revision im Jahre 2000 stellte die aktive Bestechung in alt Art.  288 ein Delikt gegen die öffentliche Gewalt dar. Die passive Korruption war in alt Art.  315 (Sich-bestechen-Lassen) und alt Art.  316 (Annahme von Geschen­ ken) geregelt. Diese beiden Tatbestände gehörten zu den strafbaren Handlun­ gen gegen die Amts- und Berufspflicht.

620

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

Seit Inkrafttreten des revidierten Korruptionsstrafrechts am 1.  Mai 20003362 sind die betreffenden Tatbestände im 19. Titel unter der Überschrift «Beste­ chung» zusammengefasst. Die Titelüberschrift ist nicht ganz passend, werden in diesem Titel doch nicht nur die Tatbestände des Bestechens (Art.  322ter) und des Sich-bestechen-Lassens (Art.  322quater) sowie der aktiven und passi­ ven Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies) aufgeführt, sondern auch diejenigen der Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies) und der Vorteilsannahme (Art. 322sexies). Die Revision zur Jahrtausendwende erlaubte es der Schweiz, die entsprechen­ den Konventionen der OECD, des Europarats und der UNO gegen Korrup­ tion zu ratifizieren3363. Zur Auslegung der Korruptionstatbestände müssen entsprechend auch die Mindestanforderungen und Begriffsbestimmungen der UNO-3364 und der OECD-Konvention sowie des Strafrechtsübereinkom­ mens3365 samt Zusatzprotokoll3366 beigezogen werden. Eine weitere Revision des Korruptionsstrafrechts trat am 1. Juli 2016 in Kraft3367. Danach wird die Privatbestechung nicht nur − wie zuvor − auf Antrag hin, son­ dern von Amtes wegen verfolgt. Sodann wurde in der Folge der Vergabe der Fussballweltmeisterschaften 2018 und 2022 durch die FIFA die Privatbeste­ chung aus der Gesetzgebung zum unlauteren Wettbewerb herausgelöst und ins Kernstrafrecht (Art. 322octies und Art. 322novies) integriert. Schliesslich wur­ den die Tatbestände der Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies) und der Vorteils­ annahme (Art. 322sexies) ergänzt, indem auch Konstellationen erfasst werden, in welchen der nicht gebührende Vorteil einem Dritten Nutzen bringt (nicht nur − wie zuvor − ausschliesslich dem betreffenden Amtsträger). Insbesondere im Bereich der Unternehmensverantwortlichkeit sind wei­ tere Verschärfungen des schweizerischen Korruptionsstrafrechts denkbar3368. Zudem sollen Personen, welche Korruptionsfälle oder andere Missstände an ihrem Arbeitsplatz aufdecken und an die Öffentlichkeit tragen (sog. «Whist­ 3362  AS 2000, 1121 ff. 3363  OECD-, UNO-Konvention und Strafrechtsübereinkommen, vgl. dazu auch Botschaft

2007, 7349 ff., Botschaft 1999, 5497, Jositsch, Anfüttern, 58.

3364  Insbesondere UNO-Konvention Art. 2 und 15 ff., vgl. dazu auch Botschaft 2007, 7349 ff. 3365   Insbesondere Strafrechtsübereinkommen Art.  1–13. Vgl. aber auch die von der

Schweiz gemachten Vorbehalte (AS 2006, 2375).

3366  Zusatzprotokoll vom 15. Mai 2003 zum Strafrechtsübereinkommen, in Kraft getreten

für die Schweiz am 1. Juli 2006 (SR 0.311.551).

3367  AS 2016, 1287 ff. 3368  Vgl. dazu hinten Ziff. 3.4.

621

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

leblower»), künftig besser vor missbräuchlicher Kündigung geschützt wer­ den3369.

2.

Geschützte Rechtsgüter

Das Korruptionsstrafrecht soll dem «Schutz der Objektivität und Sachlich­ keit amtlicher Tätigkeit»3370 dienen. Im Bereich der Privatbestechung werden neben öffentlichen auch private (finanzielle) Interessen geschützt3371. Teilweise wird weiter gehend argumentiert, dass das Vertrauen der Bürger und des Staates in die Pflichttreue der Amtsträger geschützt werde3372. Ähnlich kann im Bereich der Privatbestechung mit Bezug auf das Vertrauen in den Beauf­ tragten bzw. den Arbeitnehmer etc. argumentiert werden. Dass Vertrauen ent­ steht, wenn die jeweilige Tätigkeit nach objektiven und sachlichen Kriterien ausgeübt wird, ist zu erwarten, jedoch bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass dieses Vertrauen deshalb strafrechtlich geschützt werden müsste. Einig­ keit dürfte jedenfalls darin zu erzielen sein, dass die durch die Korruptions­ delikte geschützten Rechtsgüter auch dann verletzt werden, wenn zu Unrecht auf die Pflichttreue der Amtsträger bzw. der Privaten vertraut wird, weil deren Korruptionsanfälligkeit nicht bekannt ist. Das Korruptionsstrafrecht dient nicht unmittelbar dem Schutz von Vermö­ gensinteressen (obschon Vermögensinteressen vor allem bei der Privatkorrup­ tion tangiert sind), weshalb insbesondere nicht nachgewiesen werden muss, dass der Fiskus oder Dritte durch die korrumpierende Handlung tatsächlich geschädigt wurden3373. Verschiedentlich wird  – vor allem im Zusammenhang mit der Vergabe von öffentlichen Aufträgen  – postuliert, im Schutz des Wettbewerbs einen Teil­ aspekt der durch die Korruptionstatbestände geschützten Rechtsgüter zu 3369  Vgl. die vorgesehenen Änderungen im Entwurf des Bundesrates vom 20. November

2013 zur Teilrevision des Obligationenrechts (Schutz bei Meldung von Unregelmässig­ keiten am Arbeitsplatz), BBl 2013, 9589 ff.; vgl. auch die entsprechende Verpflichtung zum Schutz von Informanten und Zeugen gemäss Strafrechtsübereinkommen Art. 22 und UNO-Konvention Art. 32 f. 3370  Botschaft 1999, 5505, 5525, Pieth, BSK StGB II, N 13 Vor Art. 322ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 2. Vgl. auch BGE 129 II 466. 3371  Botschaft 2014, 3598. 3372  Botschaft 1999, 5523, Balmelli, Diss., 78, Kaiser, 53 f., Pieth, FS Rehberg, 234, vgl. auch Auffassung der Vorinstanz gemäss BGE 117 IV 288. 3373  BGE 129 II 466.

622

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

sehen3374. Die Wahrung der Wettbewerbsneutralität wie übrigens auch die rechtsgleiche, nicht diskriminierende Behandlung der Bürger gehören sicher­ lich zur sachlichen und objektiven Ausübung amtlicher Tätigkeit. Ob diese Gesichtspunkte allein deshalb als Teilaspekte der durch die Korruptionsde­ likte geschützten Rechtsgüter erachtet werden müssen, steht damit jedoch nicht zwingend fest3375. Der Schutz des internationalen Wettbewerbs dürfte jedoch zumindest bei der passiven Bestechung fremder Amtsträger i.S.  von Art. 322septies Abs. 2 Bedeutung erlangen3376. Das Ergebnis, dass das geschützte Rechtsgut bei der Amtsbestechung im Schutz der Objektivität und Sachlichkeit amtlicher Tätigkeit liegt, könnte mit Blick auf den Tatbestand der Bestechung ausländischer Beamter mit dem Argument infrage gestellt werden, es könne grundsätzlich nicht Aufgabe des schweize­ rischen Strafrechts sein, ausländische amtliche Verhaltensweisen zu schützen. Wer so argumentiert, übersieht jedoch, dass die Schweiz genau diese Aufgabe in Abstimmung mit der Staatengemeinschaft3377 übernommen hat. Neben den Korruptionsdelikten gemäss Art.  322ter–322decies richten sich die Bestechung bei der Zwangsvollstreckung (Art. 168) und die Wahlbestechung (Art. 281) gegen entsprechende Praktiken.

3.

Gemeinsame Merkmale der Amts- und der Privatbestechung

3.1

Aufbau der Tatbestände

Die Korruptionstatbestände sind dadurch charakterisiert, dass eine Person einem Amtsträger bzw. Privaten im Zusammenhang mit dessen amtlicher bzw. privater Tätigkeit eine diesem nicht gebührende Zuwendung zukommen lässt. Macht sich der Amtsträger bzw. der Private (als «Intraneus»3378) strafbar, spricht man von passiver, im Falle des Dritten («Extraneus») von aktiver Kor­ ruption.

3374  Cassani, corruption, 44, Pieth, FS Rehberg, 235  f., ders., BSK StGB II, N  14 Vor

Art. 322ter, vgl. auch Bernasconi, Bestechung, 415.

3375  Im Ergebnis ebenso Balmelli, Diss., 84 ff., Kaiser, 54. 3376  Vgl. hinten § 136 Ziff. 2.1. 3377  Vgl. dazu insbesondere Strafrechtsübereinkommen Art. 5, UNO-Konvention Art. 16

und die OECD-Konvention.

3378  Vgl. Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.12 FN 1.

623

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

Der Tatbestand, welcher die aktive Korruption erfasst, ist unabhängig von demjenigen, welcher die passive Korruption regelt. Entsprechend ist denkbar, dass ein Verhalten sowohl den Tatbestand der aktiven wie auch denjenigen der passiven Korruption erfüllt, möglich ist aber auch, dass nur einer von beiden Tatbeständen erfüllt ist3379. Die Taten des Intraneus und des Extraneus stellen je ein selbständiges Delikt dar. Sie werden nicht als Teilnahme am jeweils ande­ ren Delikt erfasst, weshalb nicht von Belang ist, von wem die Initiative ausgeht. Bei den Korruptionstatbeständen handelt es sich um Tätigkeitsdelikte, d.h. um abstrakte Gefährdungsdelikte3380. Die Erfüllung der betreffenden Tatbestände setzt somit nicht voraus, dass das geschützte Rechtsgut verletzt oder konkret gefährdet wird3381.

3.2 Tathandlungen 3.21

Tathandlungen des Extraneus

Anbieten bedeutet, dass der Täter dem Amtsträger bzw. dem Privaten das Ange­ bot einer Zuwendung unterbreitet. Es genügt, wenn das Angebot beim Emp­ fänger eintrifft3382. Es ist weder die Kenntnisnahme3383 durch den Adressaten noch eine Reaktion3384 darauf erforderlich. Als Versprechen eines Vorteils gilt das In-Aussicht-Stellen eines solchen. Anders als beim Anbieten wird der Vorteil nicht für den gegenwärtigen, sondern für einen zukünftigen Zeitpunkt – allenfalls auch unter einer Bedingung3385 – ver­ sprochen. Wie beim Anbieten genügt es, wenn das Versprechen beim Empfän­ ger eintrifft. Dieser muss davon weder Kenntnis nehmen noch darauf reagie­ ren. Das Gewähren eines Vorteils besteht darin, dass der Täter diesen dem Adres­ saten direkt oder über Mittelsmänner zukommen lässt. Soll dieser Tatvariante

3379  Vgl. dazu BGer vom 28.9.2000, 6S.108/1999. 3380  Vgl. Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.21 und Ziff. 2.33. 3381  Botschaft 1999, 5523, Balmelli, Diss., 54 f., Bauer/Kaiser, 57, Jositsch, Anfüttern, 54. 3382  Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 322ter, Pieth, BSK StGB II, N 35 zu Art. 322ter, vgl.

auch BGE 77 IV 48 f., 93 IV 53, BGer vom 28.9.2000, 6S.108/1999.

3383  Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 322ter, a.M. Kaiser, 165. 3384  BGE 100 IV 58, vgl. auch BGer vom 19.12.2000, 6S.413/1999. 3385  Kaiser, 165.

624

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

eine eigenständige Bedeutung zukommen, so muss der Adressat auf das Ange­ bot eingehen und die Zuwendung akzeptieren3386.

3.22

Tathandlungen des Intraneus

Der Amtsträger bzw. Private, der einen nicht gebührenden Vorteil – ausdrück­ lich oder konkludent – fordert, erklärt damit, er erwarte die Zuwendung eines solchen Vorteils. Analog zum Anbieten und Versprechen muss es reichen, wenn das Angebot beim Empfänger eintrifft. Dass der Adressat von der Forde­ rung Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich3387. Unter «sich versprechen lassen» versteht man das ausdrückliche oder konklu­ dente Akzept des Angebots eines zu einem späteren Zeitpunkt zu leistenden Vorteils. Schliesslich stellt das Annehmen des Vorteils das Pendant zum Gewähren eines solchen dar. Es liegt darin, dass der Amtsträger den Vorteil in eigener Verfü­ gungsgewalt3388 entgegennimmt bzw. daraus einen Nutzen zieht. Auf die Art und die Intensität, mit welcher der Täter den Amtsträger oder Pri­ vaten bzw. der Amtsträger oder Private den Extraneus umwirbt, kommt es nicht an. Ob sich der versprochene Vorteil auch verwirklichen lässt oder ob der Intraneus bzw. der Extraneus das Versprechen für realistisch hält, kann deshalb nicht entscheidend sein3389.

3.3

Einziehung der Zuwendungen

Der dem Empfänger nicht gebührende Vorteil ist vom Gericht gestützt auf StGB Art. 70 und 71 einzuziehen3390. Eine Einziehung ist bereits vor der Über­ gabe an den Amtsträger möglich3391.

3.4

Verantwortlichkeit im Unternehmen

Gemäss Art. 102 Abs. 2 ist eine originäre respektive kumulative Strafbarkeit des Unternehmens für aufgrund mangelhafter Organisation ermöglichte Straftaten 3386  Dupuis u.a., Code pénal, N 12 zu Art. 322ter, Pieth, BSK StGB II, N 3 zu Art. 322ter. 3387  Vgl. dazu BGer vom 28.9.2000, 6S.108/1999. 3388  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 6 N 22. 3389  BGE 100 IV 58, MKGE 4 Nr. 95, Kaiser, 164. 3390  Vgl. auch Strafrechtsübereinkommen Art. 23 und UNO-Konvention Art. 31. 3391  Vgl. Art. 70 Abs. 1 und Jositsch, Habil., 424, 566.

625

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

nach Art. 322ter, 322quinquies, 322septies Abs. 1 oder 322octies vorgesehen. Für die Auslegung von Art. 102 Abs. 2 und als völkerrechtliche Minimalvorgabe sind Strafrechtsübereinkommen Art.  18, UNO-Konvention Art.  26 und OECDKonvention Art.  2 zu beachten. Bezüglich des Umfanges der vom Unter­ nehmen zur Korruptionsbekämpfung zu ergreifenden Massnahmen können Rundschreiben der FINMA3392 sowie Empfehlungen des OECD-Rats3393 und anderer internationaler Organisationen3394 beigezogen werden, welche u.a. Leitlinien zur Ausgestaltung des internen Kontrollsystems, zur Unternehmens­ ethik, zur Compliance und zur Dokumentation enthalten3395. Auch Empfeh­ lungen von Wirtschaftsdachverbänden, Industrieorganisationen oder NGOs mögen bei der Konkretisierung der zu ergreifenden Massnahmen behilflich sein3396. Der Bundesrat hat geprüft, ob in Art. 102 Abs. 2 eine kumulative Verantwort­ lichkeit bei der passiven Korruption vorzusehen sei, dies aber abgelehnt3397.

3392   Rundschreiben der Eidgenössischen Bankenkommission betreffend Überwachung

und interne Kontrolle vom 27. September 2006, Rundschreiben der FINMA 2009/1 betreffend Eckwerte zur Vermögensverwaltung vom 18. Dezember 2008, Rundschrei­ ben der FINMA 2008/24 vom 20. November 2008. 3393  Good Practice Guidance on Internal Controls, Ethics, and Compliance des OECD-Rats vom 18.  Februar 2010, Annex II, , besucht am 27.7.2016. 3394  Z.B. Enhancing corporate governance for banking organisations, Bank for Internati­ onal Settlements, Februar 2006, , besucht am 27.7.2016. 3395  Vgl. auch Pieth, Anti-Korruptions-Compliance, 75. 3396  Z.B. «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance» des Wirtschaftsdach­ verbandes der Schweiz, Economiesuisse, 2016, Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB) zwischen der Schweizerischen Bankiervereini­ gung einerseits und den unterzeichneten Banken andrerseits vom 7. April 2008, Pub­ likationen der International Chamber of Commerce (ICC) wie bspw. die ICC Rules on Combating Corruption von 2011 oder die ICC Guidelines on Gifts and Hospita­ lity von 2014, , besucht am 27.7.2016, F. Vincke/F. Heimann (Hrsg.), Fighting Corruption, International Corporate Integrity Handbook, ICC Publikation Nr. 678, 3. Aufl., Paris 2008. 3397  Korruptionsbekämpfung und Wettkampfmanipulation im Sport, Bericht in Erfüllung des Postulats 11.3754 der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Stän­ derates vom 28. Juni 2011, genehmigt vom Bundesrat am 7. November 2012, vgl. auch Botschaft 2014, 3604, 3607 f.

626

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

In Nachachtung entsprechender GRECO-Empfehlungen sind überdies die Schaffung eines speziellen Strafregisters und der Ausschluss vom Submissions­ verfahren3398 für wegen Korruption verurteilte juristische Personen geplant3399.

4.

Der Bestechung von Amtsträgern (Art. 322ter–322sexies) gemeinsame Merkmale

4.1 Amtsträger Wenn in der Folge von einer der nachstehenden Personen die Rede ist, wird stellvertretend für sie der Ausdruck Amtsträger verwendet, dies im Wissen darum, dass nicht alle tatsächlich die Eigenschaft eines Amtsträgers aufweisen.

4.11

Mitglieder einer richterlichen oder anderen Behörde, Beamte

Die Auslegung der Begriffe der richterlichen und der anderen Behörde über­ lässt das Gesetz Rechtsprechung und Wissenschaft. Es gelten dieselben Kri­ terien, wie sie im Zusammenhang mit den strafbaren Handlungen gegen die öffentliche Gewalt geschildert worden sind3400. Erfasst sind insbesondere auch Angehörige der Staatsanwaltschaft3401 sowie Schöffen und Geschworene3402, wobei die beiden zuletzt genannten Personen­ gruppen seit der Abschaffung der kantonalen Geschworenengerichte im Zuge der Inkraftsetzung der eidgenössischen StPO in der Praxis nicht mehr von Relevanz sind. Auch für das Tatbestandsmerkmal des Beamten kann auf die Ausführungen im Zusammenhang mit den strafbaren Handlungen gegen die öffentliche Gewalt 3398  Vgl. auch Art. 46 lit. h des Vorentwurfs sowie der erläuternde Bericht des EFD zur

Revision des BG über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) vom 1.  April 2015, , besucht am 27.7.2016. 3399  Vgl. Medienmitteilung «Zusätzliche Sanktion und Strafregister für verurteilte juris­ tische Personen» des EJPD und den Bericht des Bundesrates zu den Empfehlungen 4, 6 und 12 der Staatengruppe des Europarates gegen die Korruption (GRECO) vom 17. Juni 2009. 3400  Vgl. vorn § 92 Ziff. 2.2. 3401  Vgl. auch Strafrechtsübereinkommen Art. 1 lit. b. 3402  Vgl. dazu auch die entsprechende Verpflichtung der Schweiz im Rahmen des Zusatz­ protokolls vom 15.  Mai 2003 Strafrechtsübereinkommen, in Kraft getreten für die Schweiz am 1. Juli 2006 (SR 0.311.551).

627

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

verwiesen werden3403, wobei gemäss Art. 322decies Abs. 2 speziell festgehalten wird, was ohnehin aufgrund des Beamtenbegriffs nach Art. 110 Abs. 3 gilt3404, nämlich dass auch Private als Beamte zu gelten haben, soweit sie öffentliche Aufgaben erfüllen3405. Mit Ausnahme eines wieder kandidierenden Amtsträgers nicht erfasst sind designierte Amtsträger und Amtsträgerkandidaten3406.

4.12

Amtlich bestellte Sachverständige

Amtlich bestellte Sachverständige (Gutachter, Experten) sind Fachleute, die unter der Wahrheitspflicht von Art. 307 den Justizbehörden oder der Verwal­ tung die zur Feststellung und rechtlichen Beurteilung von Sachverhalten not­ wendigen Aufschlüsse erteilen3407. Als solche sind sie keine Beamten3408. Pri­ vatgutachter werden nicht erfasst.

4.13

Übersetzer oder Dolmetscher

Sowohl Übersetzer wie auch Dolmetscher übersetzen von einer Sprache in eine andere. Teilweise wird davon ausgegangen, ein Übersetzer besorge die mündli­ che Translation, teilweise, dies sei die Aufgabe des Dolmetschers3409. Letztlich ist die Unterscheidung im vorliegenden Zusammenhang nicht von Bedeutung, weil die Person gemeint ist, welche von einer Sprache in eine andere übersetzt. Auch die Übersetzer oder Dolmetscher müssen amtlich bestellt sein3410.

4.14 Schiedsrichter Schiedsrichter sind nicht staatliche, von den Prozessparteien bestimmte pri­ vate Richter zur Entscheidung von Zivilstreitigkeiten3411. Schiedsrichter 3403  Vgl. vorn § 92 Ziff. 2.1, vgl. auch BGE 135 IV 201 und 141 IV 329. 3404  Bauer/Kaiser, 423, Corboz, Vol. II, N  5 zu Art.  322ter, Pieth, BSK StGB II, N  5  f. zu

Art. 322ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 5.

3405  § 92 Ziff. 2.1. 3406  So Jositsch, Habil., 309 f., 560. 3407  Vgl. StPO Art. 182, vgl. auch Donatsch, StPO Kommentar, N 1 und 19 ff. zu Art. 182. 3408  Pieth, BSK StGB II, N 18 zu Art. 322ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 4. 3409  Vgl. z.B. StPO Art. 68 und Art. 158 Abs. 1 lit. d und dazu Brüschweiler, StPO Kommen­

tar, N 1 ff. zu Art. 68, Donatsch, StPO Kommentar, N 32 zu Art. 158.

3410  Pieth, BSK StGB II, N 19 zu Art. 322ter, Trechsel/Jean-Richard, in: Trechsel/Pieth, N 3

zu Vor Art. 322ter .

3411  Vgl. dazu z.B. ZPO Art. 353–399.

628

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

i.S.  der Korruptionstatbestände von Art.  322ter ff. sind u.E.  auch Schiedsgut­ achter (Schiedsmänner), die kraft ihrer Fachkenntnisse in für die Betroffe­ nen verbindlicher Weise Sachumstände feststellen, z.B. die Schadenshöhe für Versicherungsleistungen im Falle der Invalidität. Weder Schiedsrichter noch Schiedsgutachter sind amtlich tätig. Als Schiedsrichter gelten zumindest jene Personen, welche im Zusatzprotokoll zum Strafrechtsübereinkommen3412 als solche definiert sind.

4.15

Angehörige der Armee

Angehörige der Armee sind die Offiziere, Unteroffiziere, Gefreiten und Solda­ ten der Armee3413. Die militärischen Korruptionstatbestände gemäss MStG Art. 141 ff. gelangen ausschliesslich zur Anwendung, wenn der Täter nach MStG Art. 3 ff. in den Geltungsbereich des MStG fällt. Bei Zivilpersonen ist dies in Friedenszeiten nur im Rahmen von MStG Art. 3 der Fall, im Aktivdienst gestützt auf MStG Art. 4 Ziff. 1 bis 3 dagegen generell.

4.16

Private, welche öffentliche Aufgaben erfüllen

Gemäss Art. 322decies Abs. 2 sind Private, welche öffentliche Aufgaben erfüllen, den Amtsträgern gleichgestellt. Dies ergibt sich bereits aufgrund der Interpre­ tation des strafrechtlichen Beamtenbegriffs nach Art. 110 Abs. 33414.

4.17 Lobbyisten? Unklar ist, inwieweit als Täter oder Bestechungsadressaten auch Personen erfasst sind, welche lediglich behaupten oder bestätigen, Einfluss auf die Ent­ scheidungsfindung eines Amtsträgers zu haben (sog. «Intermediäre»)3415. Strafrechtsübereinkommen Art. 12 und UNO-Konvention Art. 18 verpflichten die Unterzeichnerstaaten, entsprechende Strafnormen gegen «missbräuchliche

3412  Zusatzprotokoll vom 15. Mai 2003 zum Strafrechtsübereinkommen, in Kraft getreten

für die Schweiz am 1. Juli 2006 (SR 0.311.551).

3413  Hauri, N 1 zu MStG Art. 141, vgl. Botschaft 1999, 5552 FN 198. 3414  Vgl. vorne Ziff. 4.11. 3415  Ablehnend zur Ausweitung der Strafbarkeit auf diesen Personenkreis Jositsch, Habil.,

391.

629

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

Einflussnahme» zu schaffen, die Schweiz hat jedoch zumindest in Bezug auf die OECD-Konvention einen entsprechenden Vorbehalt angebracht3416. Von üblichen Formen des Lobbying unterscheiden sich derartige Einflussnah­ men durch die Korruptionsabsicht des Intermediärs3417. Die praktische Bedeutung dürfte gering sein, da zumindest schwere Fälle bereits durch die bestehenden Strafbestimmungen abgedeckt sind: Soweit es sich beim Intermediär selbst um einen Amtsträger handelt und der nicht gebührende Vorteil im Zusammenhang mit dessen Amtstätigkeit und nicht als Privatzu­ wendung gewährt wird, finden auf den Intermediär und die vorteilsgewäh­ rende Person die Bestechungstatbestände von Art. 322ter ff. Anwendung3418. In teilweisem Widerspruch zu Strafrechtsübereinkommen Art. 12 und UNOKonvention Art. 18 straflos bleiben hingegen Konstellationen, bei welchen der zu beeinflussende Amtsträger selbst keinen nicht gebührenden Vorteil erhal­ ten soll bzw. entsprechende Abreden zwischen Intermediär und Vorteilsver­ sprecher nicht kennt3419.

4.2

Der «nicht gebührende Vorteil»

4.21 Allgemeines Der Vorteil, welcher dem Amtsträger nicht gebührt3420, kann gemäss herr­ schender Lehre in jeder Leistung materieller oder immaterieller Natur beste­ hen3421, die den Adressaten besser stellt. In diesem Sinne muss der Vorteil geeignet sein, die Lage des Amtsträgers zu verbessern.

3416  AS 2006, 2371. Als Gründe für den Vorbehalt nennt die Botschaft 2004, 7015 f., u.a.

die schwierige Abgrenzung zu erlaubten Formen des Lobbyismus und die fehlende Notwendigkeit eines entsprechenden Schutzes aufgrund des durch das Kollegialitäts­ prinzip, das Mehrparteiensystem, die direkte Demokratie und Transparenz der Ver­ waltung bereits vor einem generellen Klientelismus geschützten politischen Systems der Schweiz. 3417  Vgl. Botschaft 2004, 7013. 3418  Botschaft 2004, 7014. 3419  Botschaft 2004, 7015. 3420  Dieses Tatbestandselement entspricht demjenigen von alt Art. 288 sowie 315 f. (dem Tatbestandsmerkmal Geschenk kam keine eigenständige Bedeutung zu). 3421  BGE 135 IV 204, Dupuis u.a., Code pénal, N 26 zu Art. 322ter, Pieth, BSK StGB II, N 24 zu Art. 322ter, a.M. Balmelli, Diss., 138 ff.

630

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

a) Materiell ist der Vorteil, wenn er beim Amtsträger eine objektiv messbare wirtschaftliche oder rechtliche Besserstellung bewirkt, und zwar unter Ein­ schluss von Scheingeschäften3422. Als wirtschaftliche Besserstellung kommen etwa Sach- und Geldleistun­ gen, Nutzungszuwendungen sowie Dienstleistungen mit einem Markt­ wert infrage. Sie können beispielsweise in einem Preisnachlass, der Gewäh­ rung eines sehr zinsgünstigen Darlehens, der verdeckt eigenfinanzierten «Darlehensrückzahlung»3423 und einer unentgeltlichen oder nur teilweise in Rechnung gestellten Beratung bestehen, welche ansonsten im erbrach­ ten Umfang honoriert werden muss. Ob eine wirtschaftliche Besserstellung gegeben ist, ist gestützt auf eine Gegenüberstellung von Leistung sowie Gegenleistung aufgrund der gesamten Umstände abzuklären, wobei von marktüblichen Konditionen auszugehen ist3424. Je schwieriger die Bestim­ mung des Wertes von Leistung und Gegenleistung im konkreten Fall erscheint, desto grösser muss die Bandbreite sein, bei welcher noch nicht von einer Besserstellung ausgegangen werden darf. Rechtliche Besserstellungen können in der Erstreckung oder Wiederherstel­ lung von Fristen gesehen werden. Sie können auch im Verzicht auf eine Strafanzeige bestehen3425. b) Von immateriellen Vorteilen kann gesprochen werden, wenn gesellschaft­ liche oder berufliche Vorteile erbracht werden, beispielsweise in der Form einer Beförderung3426, einer Ehrung oder einer sexuellen Zuwendung3427. Der Vorteil darf dem Adressaten nicht «gebühren», d.h. diesem für die betref­ fende Amtshandlung nicht zustehen und ihm auch nicht aus einem andern Rechtsgrund geschuldet sein. Gemäss Botschaft gebührt dem potenziellen Täter der Korruptionsdelikte ein Vorteil dann nicht, wenn dieser zu dessen Annahme nicht berechtigt ist3428.

3422  Z.B. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 7. 3423  BGer vom 7.4.2000, 6S.723/1996. 3424  Pieth, BSK StGB II, N 25 zu Art. 322ter. 3425  Pieth, BSK StGB II, N 25 zu Art. 322ter. 3426  BGE 100 IV 58. 3427  Trechsel/Jean-Richard, in: Trechsel/Pieth, N 6 zu Vor Art. 322ter. 3428  Botschaft 1999, 5528.

631

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

Nicht erforderlich ist, dass der unrechtmässige Vorteil zum Zeitpunkt des Leis­ tungsversprechens bereits durch Nennung einer festen Geldsumme oder einer bestimmten Sachleistung konkretisiert wird3429. Der nachträglich geleistete Ersatz für Auslagen, die dem Bestochenen durch die pflichtwidrige Vornahme der Amtshandlung erwachsen, bildet keinen Vor­ teil i.S. von Art. 322ter ff.3430

4.22

Dienstrechtlich erlaubte, geringfügige und sozial übliche Vorteile

Nach Art.  322decies Abs.  1  fehlt es an der Tatbestandsmässigkeit3431 im Falle dienstrechtlich erlaubter Zuwendungen (Zuwendungen, welche unter Einhal­ tung allfälliger dafür geltender Vorschriften3432 betreffend Meldung, Bewilli­ gung und Ablieferung entgegengenommen werden) sowie allgemein tolerierter Zuwendungen von geringem Wert3433. Im Zusammenhang mit Art. 322septies sind diesbezüglich die Verhältnisse im betroffenen Auslandsstaat massgebend. Ist der Vorteil nicht erlaubt, so ist das betreffende Verhalten nur dann nicht tatbestandsmässig, wenn die Vorteilszuwendung allgemein toleriert wird und überdies von geringem Wert ist. Die Auffassung, für die Auslegung des Merkmals der Geringfügigkeit sei das Verhältnis zwischen dem Wert des zu vergebenden Auftrags und der Zuwen­ dung massgebend3434, vermag nicht zu überzeugen, da nicht einzusehen ist, weshalb es beispielsweise Amtsträgern, welche im Tiefbauamt tätig sind, erlaubt sein soll, deutlich höhere Zuwendungen als Gelegenheitsgeschenke entgegen­ nehmen zu können, als solchen, welche Pässe ausstellen3435. Wenn ein derarti­ ger Konnex überhaupt befürwortet werden soll, was fraglich ist, so wäre doch eher auf den Aufwand des Amtsträgers abzustellen, der bei der Bearbeitung des betreffenden Geschäfts entsteht. Nach hier vertretener Auffassung muss für die Beantwortung der Frage, ob der Vorteil von geringem Wert und sozialüb­ lich ist, auf die Gesamtheit der Umstände abgestellt werden. 3429  BstGer vom 3.11.2009, SK.2009.18, Erw. 2.4.1. 3430  ZR 54 (1955) Nr. 142 (bezüglich alt Art. 288). 3431  Pieth, BSK StGB II, N 5 zu Art. 322octies, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 8. 3432  Z.B. Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 (SR 172.220.111.3), Art. 93, Art. 21

Abs. 3.

3433  Botschaft 1999, 5528, Botschaft 2014, 3611. 3434  Kaiser, 131 f. 3435  Ebenso OGer Bern vom 14.8.2008, abgedruckt in fp 2009, 95 ff.

632

§ 132  Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

Zur Konkretisierung des noch erlaubten Vorteils können beispielsweise die Leitlinien zur Korruptionsbekämpfung des Eidgenössischen Personalamts3436 beigezogen werden, welche grundsätzlich die Annahme von Geschenken von mehreren hundert Franken untersagen.

4.3

Der Bezug zur amtlichen Tätigkeit, Amtsführung

4.31

Amtliche Tätigkeit

Die amtliche Tätigkeit ist auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gerichtet. Nicht zur amtlichen Tätigkeit gehört damit jedenfalls das Verhalten, welches dem privaten Bereich eines Amtsträgers zuzurechnen ist3437. Daran ändert nichts, wenn ein Amtsträger als Privater auf Kenntnisse zurückgreift, welche er im Rahmen seiner Amtstätigkeit erworben bzw. vertieft hat3438. Da es nun aber genügt, wenn das fragliche Tun oder Unterlassen mit einer amtlichen Tätigkeit «im Zusammenhang steht», muss es sich beim betreffen­ den Verhalten nicht um eine Amtshandlung handeln, sondern es genügt, wenn durch das Verhalten gegen Amtspflichten verstossen wird3439. Dies ist nament­ lich auch dann der Fall, wenn der Amtsträger bei seiner Tätigkeit Gelegenhei­ ten ausnützt, die ihm aufgrund seiner Amtsstellung offenstehen3440. Daraus folgt, dass jedenfalls ein funktionaler Zusammenhang zwischen der amtli­ chen Tätigkeit und dem vom Amtsträger verwirklichten Verhalten bestehen muss3441.

3436  Korruptionsprävention, Leitlinien zu Personalfragen des Eidgenössischen Personal­

amts, Bern Juni 2009, online verfügbar auf , besucht am 28.7.2016, vgl. dazu auch Konfor­ mitätsbericht GRECO, N 56 f. und die in diesem genannten Kodexe eidgenössischer Departemente. 3437  Botschaft 1999, 5530, Corboz, Vol. II, N 16 zu Art. 322ter, vgl. auch BGE 72 IV 183 f. 3438  Vgl. auch BGer vom 28.9.2000, 6S.108/1999. 3439   BGE 72 IV 183, 77 IV 49, 124 IV 145, SJZ 92 (1996) 14, BGer vom 28.9.2000, 6S.108/1999, ZR 98 (1999) Nr. 42 S. 189, Botschaft 1999, 5530 f., Balmelli, Diss., 160 ff., Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 322ter, Kaiser, 173 ff., Pieth, BSK StGB II, N 39 zu Art. 322ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 12. 3440  Mit Blick auf die Zielsetzung des Korruptionsstrafrechts kritisch hierzu Jositsch, Habil., 349 ff., 562. 3441  Balmelli, Diss., 165, Dupuis u.a., Code pénal, N 15 zu Art. 322ter, Pieth, BSK StGB II, N 35 zu Art. 322ter, vgl. auch Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 12.

633

§ 133  Bestechen (Art. 322ter)

Gestützt auf dieses Kriterium lässt sich für Schiedsrichter bzw. Schiedsgutach­ ter, welche – wie erwähnt – keine amtliche Tätigkeit ausüben, festhalten, dass die fragliche Handlung in funktionalem Zusammenhang mit ihrer Schiedstä­ tigkeit stehen muss.

4.32 Amtsführung Mit diesem Tatbestandsmerkmal soll sichergestellt werden, dass das Verhalten nur dann als tatbestandsmässig erachtet wird, wenn der Vorteil mit Blick auf das Verhalten als Amtsträger schlechthin gewährt wird3442. Analoges muss für die Tätigkeit des Schiedsrichters gelten.

4.4

Kantonale Gerichtsbarkeit/Bundesgerichtsbarkeit

Zuständig zur Verfolgung der Korruptionsdelikte sind grundsätzlich die kan­ tonalen Strafverfolgungsbehörden. Gemäss StPO Art.  24 Abs.  1 unterstehen diese Delikte jedoch der Bundesgerichtsbarkeit, wenn sie «zu einem wesentli­ chen Teil im Ausland begangen worden sind» oder «in mehreren Kantonen», ohne dass dabei ein «eindeutiger Schwerpunkt in einem Kanton besteht».

§ 133 Bestechen (Art. 322ter) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 131, O. Feldmann, Die Bestechungsdelikte, Diss. Freiburg, 1967, A. Héritier Lachat, La corruption, le droit civil, le droit de la concurrence et le droit fiscal, plädoyer 3/1997, 49, C. Müller, Bestechung aus theoretisch-ökonomischer Sicht, ST 72 (1998) 815, W. Peter, Die Bestechung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1946.

Der Tatbestand von Art. 322ter (Bestechen/Corruption active/Corruzione attiva/ Bribery) betrifft die von einem Privaten gegenüber einer Person mit den umschriebenen Sondereigenschaften vorgenommene Bestechung.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Täter des Tatbestandes der aktiven Bestechung kann jedermann sein.

3442  Botschaft 1999, 5509, vgl. auch BGE 135 IV 204.

634

§ 133  Bestechen (Art. 322ter)

1.2

Der nicht gebührende Vorteil

Der nicht gebührende Vorteil kann materieller oder immaterieller Art sein3443.

1.3 Tathandlungen Die Tathandlungen werden umschrieben mit «anbieten», «versprechen» oder «gewähren» eines nicht gebührenden Vorteils3444.

1.4

Adressat des Vorteils

Bei der Person, welcher der Vorteil angeboten, versprochen oder gewährt wird, handelt es sich um den Adressaten mit den gesetzlich umschriebenen Sonder­ eigenschaften3445. Der Tatbestand kann jedoch auch erfüllt sein, wenn der Vorteil einem Dritten zukommt. Nicht erforderlich ist, dass der Amtsträger von dieser Vorteilszu­ wendung direkt profitiert oder dass eine besondere Beziehung zwischen ihm und diesem Dritten besteht, sondern lediglich, dass ein Zusammenhang zwi­ schen der Zuwendung und der Amtspflichtverletzung vorliegt3446.

1.5

Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit

Zwischen dem vom Amtsträger verwirklichten Verhalten und dessen amtli­ cher Tätigkeit muss jedenfalls ein funktionaler Zusammenhang bestehen3447.

1.6

Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten

Bei der Handlung, welche mit der amtlichen Tätigkeit im Zusammenhang ste­ hen muss, kann es sich um pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Tun oder Unterlassen handeln. a) Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit ist unverändert aus dem früheren Recht übernommen worden3448. Pflichtwidrig ist ein Verhalten, 3443  Vgl. ergänzend § 131 Ziff. 4.2. 3444  Vorn § 131 Ziff. 3.21. 3445  Vorn § 131 Ziff. 4.1. 3446  Botschaft 1999, 5528 f. Vgl. dazu auch Jositsch, Habil., 346 ff. 3447  Vgl. vorne § 131 Ziff. 4.31. 3448  Botschaft 1999, 5531.

635

§ 133  Bestechen (Art. 322ter)

welches gegen Amts-, Dienst- und/oder Disziplinarpflichten verstösst3449. Diese finden sich in Gesetzen, Verordnungen, Dienstanordnungen und Pflichtenheften. Stets pflichtwidrig sind Verhaltensweisen, welche sich unter Normen des Strafrechts subsumieren lassen. Verstösst das Verhal­ ten des Amtsträgers gegen die Bestimmungen betreffend die Annahme von Geschenken, so liegt darin nicht ohne Weiteres ein pflichtwidriges Verhal­ ten i.S. der Bestechungstatbestände3450, da diese Frage durch Auslegung der Strafnorm zu entscheiden ist. Auch eine im Ermessen des Amtsträgers liegende Handlung kann pflicht­ widrig sein3451. Dies ist dann der Fall, wenn der Amtsträger sein Ermessen überschreitet, unterschreitet oder missbraucht3452. Von einem Ermessens­ missbrauch ist u.a. dann auszugehen, wenn der Entscheid auf sachfremden oder sachwidrigen Erwägungen beruht3453. Was den Schiedsrichter betrifft, so wird neben der Missachtung rechtlicher auch die Verletzung der entsprechenden vertraglichen Pflichten genügen. b) Die betreffende Handlung kann nach dem geltenden Korruptionsstrafrecht nicht nur tatbestandsmässig sein, wenn sie pflichtwidrig ist, sondern auch im Falle pflichtgemässer Ermessensausübung. Begründet wird diese Rege­ lung damit, dass der Amtsträger zufolge des Vorteils befangen sei3454. Entsprechend kann eine Bestechung vorliegen, obwohl die Handlung des Amtsträgers als pflichtgemäss zu erachten ist. Das wiederum hat zur Folge, dass bei einer Vorteilszuwendung im Falle pflichtgemässen Ermessens die Tatbestände der Vorteilsgewährung nach Art. 322quinquies und der Vorteils­ annahme nach Art.  322sexies nicht anwendbar sind3455, sondern nur bei gebundenem Verwaltungshandeln3456.

3449  Balmelli, Diss., 177, Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 322ter, Kaiser, 209, Pieth, BSK StGB

II, N 42 zu Art. 322ter. 3450  Balmelli, Diss., 195, Kaiser, 214. 3451  BGE 129 II 466. 3452  Balmelli, Diss., 189 f., Kaiser, 223 ff., Pieth, BSK StGB II, N 44 zu Art. 322ter. 3453  ZR 98 (1999) Nr. 42 S. 189 f. 3454  Botschaft 1999, 5531, Pieth, BSK StGB II, N 45 zu Art. 322ter. 3455  Botschaft 1999, 5532. 3456  Kritisch zu dieser Regelung Kaiser, 241.

636

§ 133  Bestechen (Art. 322ter)

1.7

Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des Amtsträgers

Das erforderliche Äquivalenzverhältnis kann dann bejaht werden, wenn der Vorteil gerade für das betreffende Verhalten des Amtsträgers angeboten, ver­ sprochen oder gewährt wird. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Unrechts- oder Korruptionsvereinbarung, obschon eine solche ja gerade nicht zustande kommen muss3457 (es genügt, dass das Angebot dem Amtsträger zugeht). a) Um die Frage nach dem Äquivalenzzusammenhang beantworten zu kön­ nen, muss das anvisierte Verhalten des Amtsträgers erkennbar3458 bestimmt oder zumindest seiner Art nach bzw. seinem sachlichen Gehalt nach in gro­ ben Zügen bestimmbar sein3459. Als Indizien, welche auf das Bestehen des Äquivalenzzusammenhangs hin­ weisen, werden die Höhe der Zahlungen, der kurze zeitliche Abstand zwi­ schen der Leistung und dem Erbringen der Gegenleistung oder die Häufig­ keit der Kontakte zwischen Extraneus und Amtsträger genannt3460. Besondere Schwierigkeiten bietet die Prüfung des Äquivalenzzusammen­ hangs im Falle von Leistungen an einen Dritten. b) Nach der geltenden Regelung wird  – anders als nach derjenigen vor der Revision – nicht verlangt, dass es sich beim Verhalten des Amtsträgers um ein künftiges handeln muss3461. Die Strafbarkeit einer Leistung für bereits verwirklichte Verhaltensweisen von Amtsträgern im Falle der Pflichtwid­ rigkeit derselben erscheint gerechtfertigt. Stossend ist es jedoch, die nach­ trägliche Leistung für pflichtgemässes Verhalten des Amtsträgers als Beste­ chung zu sanktionieren3462.

3457  BGer vom 28.9.2000, 6S.108/1999. 3458  Kaiser, 251. 3459  BGE 118 IV 315 f., 126 IV 145, BGer vom 28.9.2000, 6S.108/1999, BGer vom 19.12.2000,

6S.413/1999, ZR 98 (1999) Nr. 42 S. 191, Balmelli, Diss., 215 ff., Corboz, Vol. II, N 17 zu Art. 322ter, Jositsch, Anfüttern, 55, Kaiser, 253, Pieth, BSK StGB II, N 47 zu Art. 322ter. 3460  Balmelli, Diss., 216 f., Pieth, BSK StGB II, N 47 zu Art. 322ter. 3461  Botschaft 1999, 5532, Dupuis u.a., Code pénal, N 23 zu Art. 322ter, Pieth, BSK StGB II, N 46 zu Art. 322ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 13. 3462  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 13.

637

§ 133  Bestechen (Art. 322ter)

Lässt sich der Äquivalenzzusammenhang nicht nachweisen, liegt kein Beste­ chungsdelikt vor, sondern gegebenenfalls eine Vorteilsgewährung (Art. 322quin­ quies) oder eine Vorteilsannahme (Art. 322sexies).

2.

Subjektiver Tatbestand

Art.  322ter

setzt Vorsatz voraus. Eventualvorsatz genügt3463. Das Wissen und Wollen muss sich auf die erwähnten objektiven Tatbestandsmerkmale, insbe­ sondere auch auf die Eigenschaft der zu bestechenden Person sowie auf das Bestehen des Äquivalenzverhältnisses, beziehen. Da es sich beim Merkmal des «nicht gebührenden Vorteils» um ein objektives Tatbestandsmerkmal handelt, muss der Vorsatz auch dieses mitumfassen3464.

3.

Weitere Fragen

3.1 Teilnahme Geht der Adressat auf das Anerbieten des Täters ein, so macht er sich gegebe­ nenfalls nach Art. 322quater strafbar. Eine zusätzliche Verurteilung wegen Teil­ nahme an aktiver Bestechung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn der Empfänger den Täter angestiftet hat3465.

3.2 Konkurrenzfragen Erfüllt die durch die Bestechung erwirkte Handlung des Bestochenen einen Straftatbestand – z.B. Art. 293 (Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhand­ lungen), Art. 305 (Begünstigung), Art. 307 (falsches Gutachten, falsche Über­ setzung), Art. 312 (Amtsmissbrauch), Art. 314 (Ungetreue Amtsführung)3466, Art. 317 (Urkundenfälschung im Amt), Art. 319 (Entweichenlassen von Gefan­ 3463  BGer vom 7.4.2000, 6S.723/1996, Dupuis u.a., Code pénal, N 24 zu Art. 322ter. 3464  Vgl. mutatis mutandis bezüglich der Rechtswidrigkeit als Merkmal des objektiven Tat­

bestands z.B. BGE 140 IV 12 ff., 20 (bezüglich der Unrechtmässigkeit einer Entführung nach StGB Art. 183 Ziff. 2), BGer vom 17.6.2016, 6B_187/2016, Erw. 3.2. (bezüglich der Unrechtmässigkeit der Verwendung von Vermögenswerten nach StGB Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2), a.M. wohl Balmelli, Diss., 220, Pieth, BSK StGB II, N 50 zu Art. 322ter. 3465  Pieth, BSK StGB II, N 56 zu Art. 322ter, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 17. 3466  Da der qualifizierte Tatbestand gemäss alt Art. 315 Abs. 2 weggefallen ist, auf welchen sich die bisherigen Überlegungen (BGE 117 IV 288, ZR 98 [1999] Nr. 42 S. 191 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 26) bezogen haben, erscheint die Annahme echter Konkurrenz angemessen.

638

§ 134  Sich bestechen lassen (Art. 322quater)

genen), Art. 320 (Verletzung des Amtsgeheimnisses) – so steht Art. 322ter in echter Idealkonkurrenz mit Anstiftung zum betreffenden Delikt3467.

3.3 Abgrenzungen Die Zusicherung und Zuwendung von Vorteilen an Gläubiger bzw. ihre Ver­ treter und an Organe in einem Konkursverfahren zu bestimmten Zwecken fällt unter den Tatbestand der Bestechung bei Zwangsvollstreckung nach Art. 1683468. Im Verhältnis zu Art. 168 geht Art. 322ter vor. Die Bestechung von Stimmberechtigten wird in Art. 281 geregelt. Eine Über­ schneidung mit der Bestechung gemäss Art. 322ter ist wegen des unterschied­ lichen Kreises der Personen, welche bestochen werden können, nicht denkbar.

§ 134 Sich-bestechen-Lassen (Art. 322quater) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter §§ 131 und 132.

Bei diesem Tatbestand (Sich-bestechen-Lassen/Corruption passive/Corruzione passiva/Accepting bribes) handelt es sich um das Gegenstück zum «Bestechen» nach Art. 322ter, d.h. zur sogenannten aktiven Bestechung3469.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Anders als bei der aktiven Bestechung (Art. 322ter), welche als gemeines Delikt ausgestaltet ist, kommen bei der passiven Bestechung nach Art. 322quater aus­ schliesslich Personen mit den im Tatbestand umschriebenen Sondereigen­ schaften als Täter infrage3470. Nicht zum Täterkreis gehört – anders als bei der Bestechung nach Art. 322ter – der Angehörige der Armee, weil dieser durch MStG Art. 142 erfasst wird.

3467  Vgl. dazu auch BGE 93 IV 53 f. 3468  Dazu Strafrecht III, § 42. 3469  Vgl. § 132. 3470  Vgl. ergänzend vorn § 131 Ziff. 4.1.

639

§ 134  Sich bestechen lassen (Art. 322quater)

1.2

Der nicht gebührende Vorteil

Der nicht gebührende Vorteil kann materieller oder immaterieller Art sein3471.

1.3 Tathandlungen Die Tathandlungen werden umschrieben mit «fordern», «sich versprechen las­ sen» und «annehmen»3472.

1.4

Adressat des Vorteils

Bei der Person, welche den Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, handelt es sich um den Amtsträger. Während die zum Täterkreis gehörenden Personen im Falle des Dritten den Vorteil zu dessen Gunsten fordern oder sich versprechen lassen können, stellt sich die Frage, ob sie diesen selbst auch annehmen und anschliessend an den Dritten weiterleiten müssen3473. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass es genügt, wenn der Amtsträger den Vorteil zuhanden des Dritten ausdrücklich oder konkludent akzeptiert3474.

1.5

Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit

Zwischen dem vom Amtsträger verwirklichten Verhalten und dessen amtli­ cher Tätigkeit muss zumindest ein funktionaler Zusammenhang bestehen3475.

1.6

Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten

Bei der Handlung, welche mit der amtlichen Tätigkeit im Zusammenhang ste­ hen muss, kann es sich um pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Tun oder Unterlassen handeln3476.

3471  Vgl. ergänzend vorn § 131 Ziff. 4.2. 3472  Vgl. dazu die Ausführungen vorn § 131 Ziff. 3.22. 3473  Auf diese Problematik weisen Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 22, hin. 3474  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 22. 3475  Vgl. ergänzend vorne § 131 Ziff. 4.31. 3476  Vgl. ergänzend vorne § 132 Ziff. 1.6.

640

§ 134  Sich bestechen lassen (Art. 322quater)

1.7

Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des Amtsträgers

Wie bei der aktiven Bestechung wird vorausgesetzt, dass der Amtsträger den Vorteil gerade für das betreffende Verhalten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt3477.

2.

Subjektiver Tatbestand

Wie bei der aktiven Bestechung ist bei Art. 322quater Vorsatz bezüglich des tat­ bestandsmässigen Verhaltens erforderlich. Am subjektiven Tatbestand fehlt es u.a., wenn der Amtsträger nicht erkennt, dass der Vorteil als Gegenleistung für ein Tun oder Unterlassen steht, welches den erforderlichen Bezug zur amt­ lichen Tätigkeit aufweist. Das Tatbestandsmerkmal des «nicht gebührenden Vorteils» muss vom Vorsatz mitumfasst sein3478.

3.

Weitere Fragen

3.1 Teilnahme Der aktiv Bestechende macht sich nur nach Art. 322ter strafbar. Eine zusätzli­ che Bestrafung wegen Anstiftung oder Gehilfenschaft zu Art. 322quater fällt aus­ ser Betracht. Dritte können an der passiven Bestechung teilnehmen, Mittäter kann nur sein, wer über die fragliche Sondereigenschaft verfügt.

3.2 Konkurrenzfragen Erfüllt die durch die Bestechung erwirkte Handlung des Bestochenen einen Straftatbestand – z.B. Art. 293 (Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhand­ lungen), Art. 305 (Begünstigung), Art. 307 (falsches Gutachten, falsche Über­ setzung), Art. 312 (Amtsmissbrauch), Art. 317 (Urkundenfälschung im Amt), Art. 319 (Entweichenlassen von Gefangenen), Art. 320 (Verletzung des Amts­ geheimnisses) – so ist von echter Konkurrenz mit Art. 322quater auszugehen3479. 3477  Vgl. ergänzend vorne § 132 Ziff. 1.7. 3478  Vgl. vorne § 132 Ziff. 2. 3479  Vgl. zu den Konkurrenzen Corboz, Vol. II, N 14 f. zu Art. 322quater, Dupuis u.a., Code

pénal, N 16 ff. zu Art. 322quater, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 26, Jositsch, Habil., 432 ff.

641

§ 135  Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies)

Im Verhältnis zu Art. 168 Abs. 3 und Art. 3143480 geht Art. 322quater vor.

§ 135 Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 131.

Nach diesem Tatbestand (Vorteilsgewährung/Octroi d’un avantage/Concessione di vantaggi/Granting an advantage) wird bestraft, wer einem Amtsträger im Hinblick auf die Amtsführung einen nicht gebührenden Vorteil anbietet, ver­ spricht oder gewährt. Anders als bei der aktiven Bestechung nach Art. 322ter steht die Vorteilsgewährung nicht im Zusammenhang mit einer Gegenleistung des Amtsträgers. Überdies ist bei Art. 322quinquies der Kreis der Empfänger des Vorteils enger gefasst als bei der aktiven Bestechung.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Wie bei der aktiven Bestechung (Art. 322ter) handelt es sich bei der Vorteilsge­ währung um ein gemeines Delikt. Entsprechend kommt jedermann als Täter infrage.

1.2

Der nicht gebührende Vorteil

Der nicht gebührende Vorteil kann materieller oder immaterieller Art sein3481.

1.3 Tathandlungen Die Tathandlungen werden umschrieben mit «anbieten», «versprechen» und «gewähren»3482.

3480  Stratenwerth/Bommer, BT II, § 59 N 32 und § 62 N 26. 3481  Vgl. ergänzend vorn § 131 Ziff. 4.2. 3482  Vgl. dazu die Ausführungen vorn § 131 Ziff. 3.21.

642

§ 135  Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies)

1.4

Adressat des Vorteils

Die Person, welcher der Vorteil zukommt bzw. zukommen soll, muss über die im Tatbestand umschriebenen Eigenschaften verfügen3483. Das Anbieten, Ver­ sprechen oder Gewähren des Vorteils muss direkt oder auf dem Weg über wei­ tere Personen zu einer Besserstellung des Vorteilsadressaten führen3484. Ent­ sprechend reicht es, wenn durch die Zuwendungen an Dritte zumindest auch eine mittelbare materielle oder immaterielle Besserstellung des Amtsträgers selbst erfolgt. Wie bei den Bestechungstatbeständen gemäss Art. 322ter und Art. 322quater wird bei Art.  322quinquies und Art.  322sexies auch die Vorteilszuwendung an einen Dritten erfasst3485. Es ist somit nicht erforderlich, dass der Amtsträger selbst einen Nutzen aus dem nicht gebührenden Vorteil zieht.

1.5

Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit

Der Vorteil muss im Hinblick auf die Führung der Amtstätigkeit angeboten, versprochen oder gewährt werden. Es muss sich also um eine «Goodwill»Leistung ohne entsprechende Gegenleistung handeln (sog. «Anfüttern» oder «Klimapflege»)3486. Die Vorteilsgewährung darf somit nicht in einer Beziehung zu einer konkreten oder mindestens bestimmbaren Handlung des Amtsträ­ gers stehen3487. Anders als bei den Bestechungstatbeständen bezieht sich die Vorteilsgewäh­ rung aber nicht auf vergangenes und künftiges Verhalten. Der Täter wird bei der Vorteilsgewährung bestraft, weil der Amtsträger mit Blick auf dessen künftiges3488 Verhalten in seinem Amt generell günstig gestimmt werden soll. Dass nur die Vorteilsgewährung im Hinblick auf die künftige Amtsführung erfasst 3483  Vgl. dazu die Ausführungen vorn § 131 Ziff. 4.1. 3484  Botschaft 1999, 5528. 3485  Botschaft 2014, 3610. 3486  Jositsch, Habil., 564 f., 569 verlangt bei blosser Klimapflege zumindest de lege ferenda

ein systematisches und planmässiges Vorgehen, welches nach Art und Umfang eine ent­ sprechende Korruptionsabsicht objektiv erkennbar macht. 3487  Botschaft 1999, 5533, Jositsch, Habil., 555, 564 f. will hingegen zur Vermeidung uferlo­ ser Strafbarkeit durch Klimapflege zumindest einen minimalen Grad der Konkretisie­ rung und einen Bezug zur anvisierten Korruptionstat voraussetzen. 3488  BGE 135 IV 204 f., Bauer/Kaiser, 422, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 322quinquies, Dupuis u.a., Code pénal, N 13 zu Art. 322quinquies, Pieth, BSK StGB II, N 9 zu Art. 322quinquies, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 30, Jositsch, Habil., 564.

643

§ 135  Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies)

wird, ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes, wohl aber aus der Entstehungsgeschichte3489. Da ein Äquivalenzverhältnis zwischen der Vorteils­ gewährung und einer bestimmbaren Handlung jedoch nicht erforderlich ist, vermag das Merkmal der Künftigkeit allerdings den Tatbestand nur in denje­ nigen Fällen einzuschränken, in denen der Amtsträger im Moment der Vor­ teilszuwendung nicht mehr in der Lage ist bzw. sein wird, Amtshandlungen der fraglichen Art auszuführen, beispielsweise weil er aus dem Amt ausgeschieden oder versetzt worden ist. Analoges muss für den Schiedsrichter gelten.

2.

Subjektiver Tatbestand

Wie bei der Bestechung ist Vorsatz bezüglich des tatbestandsmässigen Verhal­ tens erforderlich, wobei Eventualvorsatz genügt.

3.

Weitere Fragen

3.1 Teilnahme Der Täter der Vorteilsgewährung macht sich nur nach Art.  322quinquies straf­ bar. Eine zusätzliche Bestrafung wegen Anstiftung oder Gehilfenschaft zu Art. 322sexies fällt ausser Betracht.

3.2

Konkurrenzfragen und Abgrenzungen

Art.  322quinquies dar.

stellt einen Auffangtatbestand im Verhältnis zur Bestechung

Begeht der Amtsträger, dem ein Vorteil angeboten, versprochen oder gewährt worden ist, ein Amtsdelikt, so liegt eine Bestechung nach Art. 322ter vor, sofern der Äquivalenzzusammenhang gegeben ist. Daraus kann geschlossen werden, dass Art. 322quinquies kaum in Konkurrenz zu Amtsdelikten stehen wird.

3489  Botschaft 1999, 5509, 5535.

644

§ 136  Vorteilsannahme (Art. 322sexies)

§ 136 Vorteilsannahme (Art. 322sexies) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter §§ 131 und 132, R. Gerber, Zur Annahme von Geschenken durch Beamte des Bundes, ZStrR 96 (1979) 243.

Bei diesem Tatbestand (Vorteilsannahme/Acceptation d’un avantage/Accetta­ zione di vantaggi/Acceptance of an advantage) handelt es sich um das Gegen­ stück zur «Vorteilsgewährung» nach Art.  322quinquies, die in §  134 hiervor behandelt wird.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Anders als bei der Vorteilsgewährung (Art. 322quinquies), welche als gemeines Delikt ausgestaltet ist, kommen bei der Vorteilsannahme nach Art.  322sexies ausschliesslich Personen mit den im Tatbestand umschriebenen Sondereigen­ schaften als Täter infrage3490.

1.2

Der nicht gebührende Vorteil

Der nicht gebührende Vorteil kann materieller oder immaterieller Art sein3491.

1.3 Tathandlungen Die Tathandlungen werden umschrieben als «fordern», «sich versprechen las­ sen» und «annehmen»3492.

1.4

Adressat des Vorteils

Bei der Person, welche den Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, handelt es sich um den Amtsträger. Der Vorteil, welchen der Amtsträger fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, muss bei diesem direkt oder auf dem Weg über weitere Personen zu einer Besserstellung führen3493. 3490  Vgl. ergänzend vorn § 131 Ziff. 4.1. 3491  Vgl. ergänzend vorn § 131 Ziff. 4.2. 3492  Vgl. dazu die Ausführungen vorn § 131 Ziff. 3.22. 3493  Botschaft 1999, 5528.

645

§ 137  Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies)

Wie bei den Bestechungstatbeständen wird auch bei der Vorteilsgewährung die Vorteilszuwendung an einen Dritten erfasst3494.

1.5

Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit

Der Vorteil muss im Hinblick auf die Führung der Amtstätigkeit angeboten, versprochen oder gewährt werden. Wie bei der Vorteilsgewährung bezieht sich die Vorteilsannahme nicht auf ver­ gangenes, sondern auf künftiges3495 Verhalten des Amtsträgers in seinem Amt, indem dieser generell günstig gestimmt werden soll3496.

2.

Subjektiver Tatbestand

Wie bei der Vorteilsgewährung ist Vorsatz bezüglich des tatbestandsmässigen Verhaltens erforderlich, wobei Eventualvorsatz genügt.

3.

Verhältnis zu Art. 322quinquies

Der Täter der Vorteilsannahme macht sich nur nach Art.  322sexies straf­ bar. Eine  zusätzliche Bestrafung wegen Anstiftung oder Gehilfenschaft zu Art. 322quinquies fällt ausser Betracht.

§ 137 Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 131, T. Balmelli/B. Jaggy (Hrsg.), Les traités internationaux contre la corruption, Lausanne/Bern/Lugano 2004, P. Bernasconi, Die Bestechung von ausländi­ schen Beamten nach schweizerischem Straf- und Rechtshilferecht zwischen EG-Recht und neuen Antikorruptions-Staatsverträgen, ZStrR 110 (1992) 383, N.  Capus, Fighting International and National Corruption by Means of Criminal Law, Rapports suisses présentés au XVIème Congrès international de droit comparé, Zürich 2002, 633, M. Harari, Corruption à l’étranger: quel sort réserver auf fonds saisis en Suisse?, ZStrR 116 (1998) 1, D. Jositsch, Der Tatbestand Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies StGB), zweckmässige Erweiterung des schweizerischen Kor­ ruptionsstrafrechts?, in: Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für 3494  Botschaft 2014, 3603. 3495  BGE 135 IV 204, Bauer/Kaiser, 422, Corboz, Vol. II, N 9 zu Art. 322quinquies, Pieth, BSK

StGB II, N 9 zu Art. 322quinquies, a.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 30.

3496  Vgl. dazu die ergänzenden Ausführungen in § 134 Ziff. 1.5.

646

§ 137  Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies) S. Trechsel, hrsg. von A. Donatsch/M. Forster/C. Schwarzenegger, Zürich 2002, 599, F. R. Micheli, Prévention de la corruption dans les transactions internationales: voies praticables pour les ent­ reprises suisses, SZW 74 (2002) 213, B. Perrin, La répression de la corruption d’agents publics étrangers en droit pénal suisse: étude de l’article 322septies du Code pénal et de ses enjeux procé­ duraux, Diss. Freiburg 2008, M. Pieth, Internationale Bestechungsfälle und ihre strafrechtliche Verarbeitung, ZStrR 114 (1996) 313, derselbe, Die Strafbarkeit der aktiven Bestechung ausländi­ scher Beamter, in: Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, hrsg. von M. Pieth/P. Eigen, Basel/Frankfurt a.M. 1999, 341, S.  Widmer/F. Poltera, Schmiergelder, Provisionen und Beste­ chung von fremden Amtsträgern, ST 75 (2001) 63.

Nach diesem Tatbestand (Bestechung fremder Amtsträger/Corruption d’agents publics étrangers/Corruzione di pubblici ufficiali stranieri/Bribery of foreign officials) wird derjenige bestraft, welcher einen Amtsträger besticht, der für einen fremden Staat oder eine internationale Organisation tätig ist. Zu beach­ ten ist, dass in diesem Zusammenhang die Vorteilsgewährung nicht erfasst wird3497. Massgebend für Abs. 1 dieser Bestimmung war die Ratifizierung der OECD-Konvention. Seit dem Beitritt der Schweiz zum Strafrechtsübereinkommen vom 1. Juli 2006 ist gemäss Art. 322septies Abs. 2 auch die passive Bestechung von ausländischen oder internationalen Amtsträgern strafbar3498.

1.

Aktive Bestechung fremder Amtsträger nach Art. 322septies Abs. 1

1.1

Objektiver Tatbestand

1.11 Täterkreis Täter kann jedermann sein.

1.12

Der nicht gebührende Vorteil

Der nicht gebührende Vorteil kann materieller oder immaterieller Art sein3499. Anders als bei den innerstaatlichen Korruptionsdelikten wird im Zusammen­ hang mit Art. 322septies in der Botschaft speziell darauf hingewiesen, dass nur 3497  Botschaft 1999,5514. 3498  Vgl. BBl über die Genehmigung und die Umsetzung des Strafrechtsübereinkommens

und des Zusatzprotokolls des Europarates über Korruption vom 7. Oktober 2005, AS 2006, 2373, insofern veraltet BGE 132 II 89. 3499  Vgl. vorn § 131 Ziff. 4.2.

647

§ 137  Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies)

gesetzlich geschuldete oder gesetzlich ausdrücklich als zulässig bezeichnete Leistungen ausscheiden, nicht aber solche gemäss lokalem Gebrauch3500.

1.13 Tathandlungen Die Tathandlungen werden umschrieben mit «anbieten», «versprechen» und «gewähren»3501.

1.14

Der fremde Amtsträger als Adressat des Vorteils

Für die Merkmale «richterliche oder andere Behörde», «Beamter», «amtlich bestellter Sachverständiger», «Übersetzer oder Dolmetscher», «Schiedsrichter» oder «Angehöriger der Armee» kann auf die vorstehenden Ausführungen ver­ wiesen werden3502. «Fremd» im Sinne der Marginalie ist ein Amtsträger, welcher als solcher für einen fremden Staat oder eine internationale Organisation tätig ist. Was die Auslegung des Tatbestandsmerkmals «fremder Amtsträger» betrifft, so ist dieses gemäss Botschaft gestützt auf OECD-Konvention Art. 1 Ziff. 4 lit. a und b autonom auszulegen3503. Entsprechend ist nicht auf das Recht des Staates des fremden Amtsträgers abzustellen, sondern auf allgemeine Prinzipien, wel­ che für die Eigenschaft Amtsträger massgebend sind. Dabei ist man sich in der Lehre einig, dass sich dieser autonom zu bestimmende Begriff des Amtsträgers nicht vom innerschweizerischen unterscheidet3504. Art. 322septies erfasst nicht nur die Amtsträger fremder Staaten, sondern auch die Vertreter internationaler Organisationen. Darunter sind ausschliesslich intergouvernementale sowie solche Organisationen zu verstehen, welche von anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften gebildet worden sind3505. Als Vertreter solcher internationaler Organisationen kommen daher Funktionäre der Europäischen Union infrage, nicht aber solche des Internationalen Olym­ pischen Komitees. Gemäss Strafrechtsübereinkommen Art.  10 sind Mitglie­ 3500  Botschaft 1999, 5539 f. und Botschaft 2004, 7001, vgl. dazu auch Art. 322decies Abs. 1

und Trechsel/Jean-Richard, in: Trechsel/Pieth, N 4a zu Art. 322septies.

3501  Vgl. dazu die Ausführungen vorn § 131 Ziff. 3.21. 3502  Vorn § 131 Ziff. 4.1. 3503  Botschaft 1999, 5538. 3504  Botschaft 1999, 5538 f., Dupuis u.a., Code pénal, N 7 zu Art. 322septies, Pieth, BSK StGB

II, N 11 und 13 zu Art. 322septies, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 37.

3505  Botschaft 1999, 5539, Botschaft 2004, 7003, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 322septies.

648

§ 137  Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies)

der parlamentarischer Versammlungen inter- oder supranationaler Organisationen (z.B. diejenigen des Europarats)3506, nach Strafrechtsübereinkommen Art. 11 Richter und weitere Amtsträger internationaler Gerichte (z.B. diejenigen des Internationalen Strafgerichtshofs oder des EGMR)3507 erfasst. Unbeachtlich ist, ob die Schweiz selbst Mitglied der betroffenen internationa­ len Organisation ist oder nicht3508.

1.15

Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit

Zwischen dem vom Amtsträger verwirklichten Verhalten und dessen amtli­ cher Tätigkeit muss jedenfalls ein funktionaler Zusammenhang bestehen3509. Der Vorteil muss im Hinblick auf die Führung der Amtstätigkeit angeboten, versprochen oder gewährt werden.

1.16

Pflichtwidrige oder im Ermessen stehende Handlung

Bei der Handlung, welche mit der amtlichen Tätigkeit im Zusammenhang stehen muss, kann es sich um pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Tun oder Unterlassen handeln3510. Nicht im Ermessen stehende Handlungen (gebundene Amtsakte) des fremden Amtsträgers sind nicht erfasst3511.

1.17

Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des fremden Amtsträgers

Das erforderliche Äquivalenzverhältnis kann bejaht werden, wenn der Vorteil gerade für das betreffende Verhalten des fremden Amtsträgers angeboten, ver­ sprochen oder gewährt wird3512.

3506  Botschaft 2004, 7003. 3507  Botschaft 2004, 7003. 3508  Botschaft 2004, 7003. 3509  Vgl. vorne § 131 Ziff. 4.31. 3510  Vgl. vorne § 132 Ziff. 1.6. 3511  Botschaft 2014, 3605. 3512  Vgl. vorne § 132 Ziff. 1.7.

649

§ 137  Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies)

1.2

Subjektiver Tatbestand

Art. 322septies setzt wie die aktive Bestechung nach Art. 322ter Vorsatz voraus3513. Eventualvorsatz genügt. Das Wissen und Wollen muss sich auf die erwähnten objektiven Tatbestandsmerkmale, insbesondere auch auf die Eigenschaft der zu bestechenden Person sowie auf das Bestehen des Äquivalenzverhältnisses, beziehen.

2.

Passive Bestechung fremder Amtsträger nach Art. 322septies Abs. 2

2.1 Schutzobjekt Die Bestrafung ausländischer Amtsträger mag als Akt internationaler Solida­ rität in der Form stellvertretender Strafrechtspflege aufgefasst werden3514. Da Art.  322septies Abs.  2 jedoch aufgrund autonomer Auslegung auch dann eine Bestrafung vorsieht, wenn der Fremdstaat selbst eine Ahndung oder Strafbar­ keit ablehnt3515, dürfte der Schutz des internationalen Wettbewerbs und der Schutz von nicht über eigene Strafkompetenz verfügenden internationalen Organisationen im Vordergrund stehen3516.

2.2

Objektiver Tatbestand

2.21

Täterkreis und Vorteilsadressat

Täter und Vorteilsadressat ist ein Amtsträger, welcher für einen fremden Staat oder eine internationale Organisation3517 tätig ist3518. Die Begriffe sind entspre­ chend dem Schutzobjekt des internationalen Wettbewerbs3519 autonom und analog zu Abs. 1 (nicht nach allenfalls abweichenden Definitionen des Fremd­

3513  Vgl. ergänzend vorn § 132 Ziff. 2. 3514  Stratenwerth/Bommer, BT II, §  62 N  40, kritisch dazu Pieth, BSK StGB II, N  35 zu

Art. 322septies.

3515  Vgl. Botschaft 2004, 7004. 3516  Vgl. Pieth, BSK StGB II, N 32 und 36 zu Art. 322septies, Botschaft 2004, 7004. 3517  Zur Definition vgl. vorne Ziff. 1.14. 3518  Vgl. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 39 f. 3519  Vgl. vorne Ziff. 2.1.

650

§ 137  Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies)

staates) zu bestimmen3520, selbst wenn durch die autonome Begriffsbestim­ mung u.U. in fremde Souveränitätsrechte eingegriffen werden sollte3521.

2.22

Der nicht gebührende Vorteil

Wie bei der Inlandbestechung kann der nicht gebührende Vorteil materieller oder immaterieller Art sein3522.

2.23 Tathandlungen Die Tathandlungen werden analog zu Art. 322quater als «fordern», «sich verspre­ chen lassen» und «annehmen» umschrieben3523.

2.24

Zusammenhang mit amtlicher Tätigkeit

Zwischen dem vom Amtsträger verwirklichten Verhalten und dessen amtli­ cher Tätigkeit muss zumindest ein funktionaler Zusammenhang bestehen3524.

2.25

Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten

Bei der Handlung, welche mit der amtlichen Tätigkeit im Zusammenhang ste­ hen muss, kann es sich um pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Tun oder Unterlassen handeln3525.

2.26

Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des fremden Amtsträgers

Wie bei der aktiven Bestechung wird vorausgesetzt, dass der fremde Amtsträ­ ger den Vorteil gerade für das betreffende Verhalten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt3526.

3520  Pieth, BSK StGB II, N 36 zu Art. 322septies. 3521  Pieth, BSK StGB II, N 33 ff. zu Art. 322septies, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 62 N 40. 3522  Vgl. vorn § 131 Ziff. 4.2. 3523  Vgl. dazu die Ausführungen vorn § 131 Ziff. 3.22. 3524  Vgl. ergänzend vorne § 131 Ziff. 4.31. 3525  Vgl. ergänzend vorne § 132 Ziff. 1.6. 3526  Vgl. ergänzend vorne § 132 Ziff. 1.7.

651

§ 137  Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies)

2.3

Subjektiver Tatbestand

Auf der subjektiven Seite erfordert die passive Auslandbestechung nach Art. 322septies Abs. 2 Vorsatz bezüglich des tatbestandsmässigen Verhaltens. Am subjektiven Tatbestand fehlt es u.a., wenn der fremde Amtsträger nicht erkennt, dass der Vorteil als Gegenleistung für ein Tun oder Unterlassen steht, welches den erforderlichen Bezug zur amtlichen Tätigkeit aufweist.

3.

Weitere Fragen

3.1 Geltungsbereich Bei Art. 322septies handelt es sich um eine Norm des schweizerischen Strafrechts, weshalb die Bestimmungen von Art.  3  ff. massgebend sind. Zwar verlangt OECD-Konvention Art.  1 generell, dass die Bestechung eines ausländischen Amtsträgers verfolgt und bestraft wird. Entsprechend wäre Art. 6 anwendbar, jedoch verlangt OECD-Konvention Art. 4 einzig die Strafbarkeit gestützt auf das Territorialitäts- und auf das aktive Personalitätsprinzip. Die Gerichtsbarkeit gemäss Strafrechtsübereinkommen Art. 17 Ziff. 1 lit. b und c geht zwar etwas über den in Art. 3 ff. vorgesehenen Geltungsbereich des StGB hinaus, ist jedoch aufgrund eines entsprechenden Vorbehalts der Schweiz «nur insoweit anzuwenden, als die Tat auch am Begehungsort strafbar ist und der Täter oder die Täterin sich in der Schweiz befindet und nicht an das Ausland ausgeliefert wird»3527.

3.2 Teilnahme Der einen fremden Amtsträger gemäss Art. 322septies Abs. 1 bestechende Täter kommt ebenso wenig als Teilnehmer an einer passiven Bestechung i.S.  von Art. 322septies Abs. 2 infrage wie der sich bestechen lassende fremde Amtsträ­ ger sich wegen Teilnahme an einer aktiven Bestechung i.S. von Art. 322septies Abs.  1 verantworten muss3528. Schweizerische oder fremde Amtsträger, wel­ che einen nicht gebührenden Vorteil fordern, sind ausschliesslich wegen passi­ ver Bestechung (Art. 322quater bzw. Art. 322septies Abs. 2) und nicht noch zusätz­ lich wegen Teilnahmehandlungen an einer aktiven Bestechung zu bestrafen3529.

3527  AS 2006, 2371, vgl. dazu auch Botschaft 2004, 7020 ff., Botschaft 2014, 3606. 3528  Corboz, Vol. II, N 20 zu Art. 322septies. 3529  BGer vom 6.11.2008, 6B_402/2008, Erw. 2.2.2.

652

§ 138  Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

§ 138 Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale Literaturauswahl zur Bestechung; Literatur zur Privatbestechung nach aArt.  4a UWG und zu Art. 322octies und 322novies: S. Abegglen, Der Verzicht auf Ablieferung von Retrozessionen – Einord­ nung und Anforderungen, Eine dogmatische Nachlese zu BGE 132 III 460, recht 2007, 190, (zit: Abegglen, Verzicht) derselbe, «Retrozession» ist nicht gleich «Retrozession»: Zur Anwendbarkeit von Art. 400 Abs. 1 OR auf Entschädigungen, die an Banken geleistet werden, insbesondere im Fondsvertrieb, SZW 2007, 122 (zit. Abegglen, «Retrozession»), R. Amgwerd, Verschärftes Beste­ chungsstrafrecht: Erhöhte Risiken für Unternehmen, TREX 2007, 162, M. A. Bassi, Der bank­ unabhängige Vermögensverwalter, Diss. Zürich 1996, C. Baudenbacher/J. Göckner, Lauterkeits­ recht, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), hrsg. von C. Baudenbacher, Basel/Genf/München 2001, B. Bertossa, La Convention pénale du Conseil de l’Europe sur la corruption: quelle mise en œuvre en Suisse, in: Les Traités internationaux contre la corruption, L’ONU, l’OCDE, le Conseil de l’Europe et de la Suisse, hrsg. von T. Balmelli/B. Jaggy, Lausanne/Bern/Lugano 2004, 35, L. R. Blattner, Die Privatbestechung – eine Herausforderung für fast jede Unternehmung, fp 2015, 94, C. Bretton-Chevalier, Le gérant de fortune indépendant, Zürich 2002, B.  Burg, Kundenschutz bei externer Vermögensverwaltung: Geltendes Recht, Schwachstellen und Handlungsbedarf, Diss. Zürich 2013, U. Cassani, La lutte contre la corrup­ tion: vouloir, c’est pouvoir?, in: Lutte contre la corruption, The never ending story, hrsg. von U. Cassani/A. Héritier Lachat, Zürich 2011, 33 (zit. Cassani, La lutte), dieselbe, Droit pénal écono­ mique 2003–2005: actualité législative (responsabilité pénale de l’entreprise, financement du ter­ rorisme, corruption), in: Aktuelle Anwaltspraxis 2005, hrsg. von W. Fellmann/T. Poledna, Bern 2005, 671 (zit. Cassani, corruption), R. Cerutti, Rechtliche Aspekte der Vermögensverwaltung im Schweizer Universalbankensystem, ZSR 127 (2008) 69, W. de Capitani, Retrozessionen an externe Vermögensverwalter, in: Freiheit und Ordnung im Kapitalmarktrecht, Festgabe für J.-P. Chappuis, hrsg. von C.-A. Margelisch/C. Winzeler, Zürich 1998, 25, P. De Preux, Entreprise et corruption: risques et responsabilité pénale, AJP 19 (2010) 1092, A. Donatsch, Die Gewährung geldwerter Leistungen an die Hilfsperson des Vertragspartners aus strafrechtlicher Sicht, in: Neuere Tenden­ zen im Gesellschaftsrecht, FS für Peter Forstmoser, hrsg. von H. C. von der Crone et al., Zürich 2003, 783, A. Donatsch/S. Zuberbühler, Strafrechtliche Fallgruben für Treuhänder, in: Vermögens­ verwaltung II, hrsg. von P. R. Isler/R. Cerutti, Zürich 2009, 89, H. Dubs, Strafbarkeit der Privatbe­ stechung, in: Wirtschaft und Strafrecht, Festschrift für N. Schmid, hrsg. von J.-B. Ackermann/​ A.  Donatsch/​J.  Rehberg, Zürich 2001, 383, S.  Emmenegger, Anlagekosten: Retrozessionen im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: Anlagerecht, hrsg. von S. Emmenegger, Basel 2007, 59, M. Engler, Retrozessionen aus strafrechtlicher Perspektive – Ungetreue Geschäftsbesor­ gung, Privatbestechung, Veruntreuung, Betrug, ST 2010, 137, D. Galliano/G. Molo, Les rétroces­ sions dans le domaine de la gestion patrimoniale, AJP 21 (2012) 1766, D. R. Gfeller, Die Privatbe­ stechung – Art. 4a UWG: Konzeption und Kontext, Diss. Freiburg 2010, E. Gnägi, Korruption in der Privatwirtschaft, in: Neuere Entwicklungen im schweizerischen und internationalen Wirt­ schaftsstrafrecht, hrsg. von W. Wohlers, Zürich 2007, 83, C. Gutzwiller, Rechtsfragen der Vermö­ gensverwaltung, Zürich 2008, G. Heine, Korruptionsbekämpfung im Geschäftsverkehr durch Strafrecht?, ZBJV 138 (2002) 533, E. Hiestand, Strafrechtliche Risiken von Vergütungszahlungen (Retrozessionen etc.) im Vermögensverwaltungsgeschäft, insbesondere mit Blick auf die Privat­ bestechung nach Art. 4a UWG, Diss. Zürich 2014, R. Hoffmann/J. Wyser, Going East – Korrupti­

653

§ 138  Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale onsbedingte Risiken für Unternehmen und Mitarbeiter, GesKR 2010, 24, P. Hsu, Retrozessionen, Provisionen und Finder’s Fees, Basel 2006, R. Jaeger/T. Hautle, Retrozessionen versus Bestandes­ pflegekommissionen im Vermögensverwaltungsgeschäft, Anwaltsrevue 2008, 438, D. Jositsch, Der Straftatbestand der Privatbestechung (Art. 4a i.V.m. Art. 23 UWG), sic! 2006, 829 (zit. Jositsch, Privatbestechung), T. Jutzi, Der öffentliche Vertrieb von kollektiven Kapitalanlagen, recht 2001, 60, L. Koechlin/​Z.  Ledergerber, Neue Tendenzen internationaler Anti-Korruptionsinitiativen: Korruption unter Privaten und Whistleblowing, in: Les Traités internationaux contre la corrup­ tion, L’ONU, l’OCDE, le Conseil de l’Europe et de la Suisse, hrsg. von T. Balmelli/B. Jaggy, Lau­ sanne/Bern/Lugano 2004, 111, R. Kuhn, Retrozessionen an externe Vermögensverwalter – eine Standortbestimmung, AJP 15 (2006) 1051, R. Kuhn/D. Schlumpf, Der Vorausverzicht auf Abliefe­ rung von Retrozessionen bei der externen Vermögensverwaltung, ZBJV 148 (2012) 339, C. Lombardini/A. Macaluso, Rétrocessions et rétributions dans la domaine bancaire: une néces­ saire mise en perspective, AJP 17 (2008) 180, S. Mazumder, Die Sorgfalt der Schweizer Banken im Lichte der Korruptionsprävention und -bekämpfung, Diss. Zürich 2001, P. Meyer, Retrozessionen, Finder’s Fees und Vertriebsentschädigungen im Schweizerischen Bankgeschäft  – Status aus zivilrecht­licher und aufsichtsrechtlicher Optik 5 Jahre nach BGE 132 III 460, SZW 2011, 184, Ch. Müller, Die Bestechung gemäss Art. 4 lit. b UWG, Diss. St. Gallen 1996, P. Nobel/I. Stirnimann, Zur Behandlung von Entschädigungen im Vertrieb von Anlagefonds- und strukturierten Produk­ ten durch Banken. Eine Untersuchung im Lichte des Bundesgerichtsentscheids BGE 132 III 460, SZW 2007, 343, R. Preisig, Der Vertrieb von Anlagefonds durch Banken. Eine Untersuchung von Vertriebsentschädigungen unter besonderer Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Recht­ sprechung zu Retrozessionen, Diss. Zürich 2011, N. Queloz, Le droit suisse dispose-t-il de normes pénales efficaces pour lutter contre la corruption dans le secteur privé?, in: Mélanges en l’honneur de Pierre Tercier, hrsg. von P. Gauch/​F. Werro/P. Pichonnaz, Zürich 2008, 639, V. Roberto, Die auf­ tragsrechtliche Herausgabepflicht des «Erlangten», ZSR 128 (2009) 15 (zit.: Roberto, Herausgabe­ pflicht), M. Roth, Das Dreiecksverhältnis Kunde – Bank – Vermögensverwalter, Treue- und Sorg­ faltspflichten in Anlageberatung und Vermögensverwaltung unter besonderer Berücksichtigung von Retrozessionen, Finder’s Fees und anderen Vorteilen, auch im Verhältnis Kunde  – Bank, 2.  Aufl., Zürich/St. Gallen 2013 (zit.: Roth, Dreiecksverhältnis), dieselbe, Retrozessionen und Inter­essenkonflikte – wenn der Berater in Tat und Wahrheit ein Verkäufer ist – Ein Beitrag zur Diskussion um die Retrozessionen mit speziellem Blick auf die Reputationsrisiken und Vertrauen, ZBJV 146 (2010) 521 (zit. Roth, Retrozessionen), H. Schlumpf/S. Pfister, Das neue Korruptions­ strafrecht, in: Chancen und Risiken recht­ licher Neuerungen 2006/2007, hrsg. von D. Lengauer/S. Zwicker/G. Rezzonico, Zürich 2007, 186, F. Schmid, Retrozessionen an externe Vermögensverwalter: Privatrechtliche Fragen, Diss. Bern 2009, M. Schubarth, Retrozession und Ungetreue Geschäftsbesorgung, in: Anlagerecht, hrsg. von S.  Emmenegger, Basel 2007, 169, R. Schwob, Retrozessionen: Betrachtungen zur strafrechtlichen Relevanz für eine Bank, ZStrR 130 (2012) 121, C. Walser Kessel/T. Stähli, Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft – rechtliche und wirtschaftliche Aspekte der Privatkorruption in der Schweiz, in: Korruption, Reziprozität und Recht, Grundlagenwissenschaftliche und rechtsdogmatische Forschungsbeiträge, hrsg. von R. Jakob/W. Fikentscher, Bern 2000, 273, S. Winter, If it ain’t broke, don’t fix it – Kritische Gedan­ ken zur «Lex Fifa», sui generis 2016, 55.

654

§ 138  Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

1. Allgemeines Die Bestechung Privater (Bestechen und Sich-bestechen-Lassen/Corruption active et passive/Corruzione attiva e passiva/Bribery of a private person and acceptance of a bribe) i.V.m. Art. 23 (Unlauterer Wettbewerb/Concurrence déloyale/Concorrenza sleale/Unfair competition) ist strukturell in vergleichbarer Weise normiert wie die Bestechung von Amtsträgern nach Art. 322ter f. Diese Feststellung gilt jedenfalls für die Umschreibung der Tathandlung, für die Umschreibung des Vorteils sowie für die Umschreibung des subjektiven Tatbe­ stands. Demgegenüber unterscheidet sich die Privatbestechung von der Amts­ trägerbestechung insbesondere bezüglich des Anwendungsbereichs (geschäft­ licher Bereich), bezüglich der Täterschaft (bestochene Person) sowie bezüglich der anvisierten Gegenleistung (Verletzung einer privatrechtlichen Pflicht). Darüber hinaus ist zu beachten, dass  – anders als bei der Amtsträgerbeste­ chung – auf den Erlass der Auffangtatbestände der Vorteilsgewährung und der Vorteilsannahme (Art. 322quinquies und Art. 322sexies) verzichtet worden ist3530. Mit der Aufnahme der Privatbestechung ins StGB ist der Bezug zum unlaute­ ren Wettbewerb aufgelöst worden3531. Die Erfüllung der Tatbestände der Pri­ vatbestechung setzt nunmehr weder eine Marktverzerrung noch eine unzuläs­ sige Wettbewerbsverzerrung voraus3532. Nach der vor dem 1.7.2016 geltenden Rechtslage wurde davon ausgegangen, die Gewährung von Vorteilen im Zusammenhang mit der Vergabe von gros­ sen Sportanlässen lasse sich deshalb nicht unter die Privatbestechung gemäss UWG Art. 4a subsumieren, weil die Kandidaturstädte untereinander nicht in einem Wettbewerbsverhältnis i.S. des UWG stünden. Ebenso wurde bezüglich des Wahlverfahrens bei der Besetzung leitender Funktionen in grossen Sport­ organisationen argumentiert3533.

2.

Treueverhältnis (Dreiecksverhältnis)

Die Anwendung der Tatbestände der Privatbestechung setzt zunächst ein Treueverhältnis zwischen der Person, welche Ziel der passiven Bestechung sein kann (Arbeitnehmer, Gesellschafter, Beauftragter oder eine andere Hilfs­ 3530  Botschaft 2014, 3609. 3531  Botschaft 2014, 3602, Winter, 60. 3532  Zitate aus Rechtsprechung und Lehre, welche in der Folge angeführt werden, beziehen

sich beinahe ausschliesslich auf UWG Art. 4a i.V.m. UWG alt Art. 23.

3533  Botschaft 2014, 3600.

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§ 138  Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

person [nachstehend: Intraneus]) und dem Dritten (Arbeitgeber, Gesellschaf­ ter, Auftraggeber oder Hilfsperson eines Dritten [nachstehend: Dritter]) vor­ aus. Mit dem Bestechenden (Extraneus) sind drei Personen involviert, weshalb von einem Dreiparteienverhältnis gesprochen wird3534. Das zentrale Merkmal dieser Rechtsbeziehung zwischen dem Intraneus und dem Dritten besteht darin, dass der erstgenannte die Interessen des Dritten zu wahren hat. Dieses Rechtsverhältnis wird als Grundverhältnis bezeichnet. A (Dritter) beauftragt B (Intraneus) mit der Verwaltung seines Vermögens. B schliesst in Erfüllung dieses Auftrages Dienstleistungsverträge ausschliesslich mit dem X (Ext­ raneus) ab. X überweist dem B auf jedes Jahresende Fr. 5000 auf dessen Privatkonto. B setzt A darüber nicht in Kenntnis, weshalb dieser nicht entscheiden kann, ob er die Vorteilszuwendungen genehmigen will oder nicht. An sich wäre B gestützt auf OR Art. 400 Abs. 1 verpflichtet, die jährlichen Zuwendungen von Fr. 5000 dem A heraus­ zugeben. Weil A von X Zuwendungen erhält, prüft er entweder nicht, ob andere Dienst­ leister bessere oder gleichwertige Angebote offerieren würden, oder aber er berücksich­ tigt möglicherweise bewusst weitere Dienstleister nicht, obwohl er weiss, dass diese bessere oder gleichwertige Leistungen erbringen würden. Es besteht somit die Gefahr, dass B mit dem X weiterhin deshalb Dienstleistungsverträge abschliesst, weil er von X die erwähnten Zuwendungen erhält (man spricht in diesem Zusammenhang von «Ret­ rozessionen» oder «Kickbacks» etc.).

Liegt kein Dreiecksverhältnis vor, fällt die Gewährung von Vorteilen nicht unter die Tatbestände der Privatkorruption. Wenn A dem B ein Geschenk überreicht, damit dieser die geheime Beziehung des B mit X nicht verrät, so liegt in diesem Verhalten keine Privatbestechung nach Art. 322octies bzw. 322novies3535.

3.

Der nicht gebührende Vorteil

Der Vorteil, welcher dem Empfänger (Intraneus) im Falle einer Privatbeste­ chung nicht gebührt, kann – wie bei der Amtsträgerbestechung – in jeder Leis­ tung materieller oder immaterieller Natur bestehen, die den Adressaten bes­ ser stellt3536. Der Vorteil kann insbesondere darin bestehen, dass der Intraneus einen geld­ werten Vorteil entgegennimmt oder einen solchen behält. Bei der Vermö­ 3534  Botschaft 2014, 3609. 3535  Botschaft 2014, 3600. 3536  Botschaft 2004, 7011, Hiestand, 86 (m.w.H.), vgl. dazu weiter vorn, § 131 Ziff. 4.2.

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§ 138  Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

gensverwaltung kann die Höhe der Vergütungen von der Höhe des angeleg­ ten Vermögens abhängen oder von der Art der Dienstleistung (Verkauf von Finanzprodukten3537) oder der Anzahl der Transaktionen (bei häufigem und grundlosem Umschichten des Depots spricht man von «Churning»). Zu den materiellen Vorteilen gehören auch solche, welche aus Scheingeschäften resul­ tieren3538. Ob eine wirtschaftliche Besserstellung gegeben ist, ist gestützt auf eine Gegenüberstellung von Leistung und Gegenleistung und unter Berück­ sichtigung der gesamten Umstände abzuklären; dabei ist von marktüblichen Konditionen auszugehen. Investieren Vertriebsträger Geld von Kunden in Vertriebsprodukte, so erhalten sie oftmals sog. «Bestandespflegekommissionen». Ein Teil dieser Kommissio­ nen kann als Entgelt für das Assetmanagement erachtet werden, ein anderer als Entgelt für die Leistungen der Depot- oder der Vermögensverwaltungsbank. Diese Aufwendungen können und dürfen dem Anleger belastet werden3539. Da der Vertriebsträger sich aber in einem Interessenkonflikt befindet3540, ist häu­ fig davon auszugehen, dass ein weiterer Teil dieser Kommissionen als Entgelt dafür geleistet wird, dass er die betreffenden Finanzprodukte der Fondsleitung etc. für den Kunden erwirbt. Wie hoch das Entgelt für die Vertriebsaufwen­ dungen und wie hoch die Kommission3541 im Einzelfall sind, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des erfolgten Auf­ wands, inklusive Gewinnmarge des Vertriebsträgers, bestimmt werden. Als immaterielle Leistungen (sog. «Soft-Commissions») kommen etwa infrage die unentgeltliche Gewährung von Börseninformationen3542 oder der Zugang zu Computerprogrammen3543, sexuelle Zuwendungen etc. Der Umstand, dass ein nicht gebührender Vorteil geleistet worden ist, ist dem Extraneus (z.B. dem Arbeit- oder Auftraggeber) aufgrund der dem Vertrags­ 3537  Vgl. Eidgenössische Bankenkommission (EBK), Anreizsysteme und Interessenkon­

flikte beim Vertrieb von Finanzprodukten (EBK-Bericht «Vertriebsvergütungen»), Aufsichtsrechtliche Sicht, Diskussionspapier der Eidgenössischen Bankenkommission, August 2008, 2, BGE 138 III 755. 3538  Hiestand, 86. 3539  Vgl. BGer vom 14.10.2010, 6B_446/2010, Erw. 4.3.2; BGE 138 III 767. 3540  Vgl. BGE 138 III 762 f., 765. 3541  Bei dieser Kommission handelt es sich genau genommen nicht um eine Retrozes­ sion. Trotzdem wird in der Folge auch in diesem Zusammenhang von Retrozessionen gesprochen. 3542  Vgl. Hsu, 14 f. 3543  BGer vom 31.3.2005, 4C.447/2004, Erw. 4.1.

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verhältnis innewohnenden Informations-, Rechenschafts- und Herausgabe­ pflichten zu melden. Inhaltlich bezieht sich diese Pflicht auf alle Informatio­ nen, welche für die Wahrnehmung der diesbezüglichen Rechte des Extraneus von Relevanz sind bzw. sein können. Die Orientierung muss wahr, vollständig und verständlich sein3544. Der Vorteil gebührt dem Intraneus nicht, wenn er diesem nicht zusteht, mithin wenn er weder vertraglich noch gesetzlich geschuldet ist3545.

4.

Adressat des Vorteils

Bei der Person, welcher der Vorteil angeboten, versprochen oder gewährt wird, bzw. welche den Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, handelt es sich um den treuepflichtigen3546 Arbeitnehmer, Gesellschafter, einen Beauf­ tragten oder eine andere Hilfsperson (Intraneus). Es handelt sich dabei stets um eine natürliche Person3547.

5. Tathandlungen Die Tathandlungen entsprechen dem tatbestandsmässigen Verhalten gemäss Art. 322ter sowie Art. 322quater3548.

6.

Zusammenhang mit der dienstlichen oder geschäftlichen Tätigkeit

Der nicht gebührende Vorteil muss im Zusammenhang mit der dienstlichen oder geschäftlichen Tätigkeit des Intraneus im Rahmen des Treueverhältnisses zum Dritten angeboten, versprochen oder gewährt werden. Der Bestochene muss den Vorteil im erwähnten Zusammenhang fordern, sich versprechen las­ sen oder annehmen. Für die Annahme einer geschäftlichen oder dienstlichen Tätigkeit sind nicht nur Tätigkeiten im Haupt-, sondern auch solche im Sinne eines Nebener­ werbs zu verstehen. Entsprechend gehört das Ausüben einer Funktion im Exe­ kutivkomittee von grossen Sportorganisationen zu den dienstlichen Tätigkei­ 3544  Vgl. dazu nachstehend Ziff. 7. 3545  Vgl. Donatsch/Zuberbühler, 99, Hiestand, 87, Jositsch, Korruptionsstrafrecht, 333. 3546  Müller, 108 (zu UWG alt Art. 4 b). 3547  Müller, 107 (zu UWG alt Art. 4 b). 3548  Botschaft 2004, 7011, dazu weiter vorn § 131 Ziff. 3.2, vgl. auch Gnägi, 90.

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ten, nicht aber die ehrenamtliche Tätigkeit in einem lokalen Fussballverein. Im Zweifelsfall ist darauf abzustellen, ob für die fragliche Tätigkeit eine Entloh­ nung geleistet wird oder nicht3549. Ausserberufliche oder ehrenamtliche Tätigkeiten sind somit regelmässig nicht betroffen3550. Die Tatbestandsmässigkeit des Verhaltens setzt ein korruptionstechnisches Austauschverhältnis voraus («do ut des»)3551. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Vorteil für ein bestimmtes künftiges Verhalten angeboten, versprochen oder ausgerichtet wird bzw. dass der potenzielle Täter den Vorteil für ein bestimm­ tes künftiges Verhalten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt3552.

7.

Das Merkmal der «pflichtwidrigen oder im Ermessen stehenden Handlung oder Unterlassung»

Als pflichtwidrige Handlung ist die Verletzung der vertraglichen Pflichten zu erachten. Solche Pflichten müssen nicht ausdrücklich im jeweiligen Vertrag festgehalten sein. Es genügt, wenn eine Sorgfalts- oder Treuepflicht missachtet wird. Bei Ersterer kann es sich beispielsweise um die Sorgfaltspflicht des Beauf­ tragten3553 oder die Sorgfaltspflicht des Gesellschafters3554 handeln. Die betreffende Handlung kann nicht nur dann tatbestandsmässig sein, wenn sie pflichtwidrig ist, sondern auch im Falle pflichtgemässer Ermessensaus­ übung. Gemeint sind damit die Konstellationen, in welchen der zu Beste­ chende seinen Ermessensspielraum zufolge der Vorteilszuwendung zuguns­ ten des Bestechenden ausübt. Das ist insbesondere der Fall, wenn er von zwei gleichwertigen Offerten die eine deshalb bevorzugt, weil ihm der betreffende Offerent einen Vorteil zukommen lässt. In derartigen Konstellationen stützt sich die Wahl nicht auf objektive Marktkriterien, sondern auf den Umstand der Vorteilszuwendung3555. 3549  Botschaft 2014, 3601. 3550  Botschaft 2014, 3599. 3551  Hiestand, 94 f., a.A. bezüglich der Künftigkeit des Verhaltens Frick, BSK UWG, N 60

zu Art. 4a, Gfeller, 197; Queloz, FS Tercier, 642.

3552  Hiestand, 94 f., a.A. bezüglich der Künftigkeit des Verhaltens Frick, BSK UWG, N 61 zu

Art. 4a, Gfeller, 197, Queloz, FS Tercier, 642.

3553  Vgl. OR Art. 397. 3554  Vgl. OR Art. 538. 3555  Botschaft 2004, 7012.

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§ 138  Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

8.

Das Äquivalenzverhältnis

Die Privatbestechung setzt voraus, dass der Täter den Vorteil für eine bestimmte geschäftliche Tätigkeit anbietet, verspricht oder gewährt bzw. dass der Treue­ pflichtige den Vorteil für eine bestimmte geschäftliche Tätigkeit fordert, sich versprechen lässt oder annimmt3556. Ist ein Vorteil gewährt worden, fehlt aber das Äquivalenzverhältnis, so handelt es sich in der Regel um einen Anwendungsfall der blossen Klimapflege, wel­ cher nur bei Amtsträgern, nicht aber als Privatkorruption strafbar ist.

9.

Genehmigung und Geringfügigkeit

In Art. 322decies Abs. 1 wird festgehalten, dass zwei Arten von Vorteilen nicht zu den «nicht gebührenden» Vorteilen zu zählen sind, nämlich einerseits dieje­ nigen, welche vom Dritten vertraglich genehmigt sind, und andrerseits solche Vorteile, welche als geringfügig und/oder sozial üblich erachtet werden können. a) Fraglich ist, wann davon gesprochen werden kann, der Vorteil sei im Sinne von Art.  322decies Abs.  1 lit.  a genehmigt. Kann von einer solchen Geneh­ migung nur ausgegangen werden, wenn der Dritte (Auftraggeber, Vermö­ gensinhaber etc.) vom betreffenden Vorteil3557 Kenntnis erhält und danach zustimmt, oder kann unter den Begriff der Genehmigung auch der Sach­ verhalt subsumiert werden, bei welchem der Kunde im Nachhinein auf die – beispielsweise in OR Art. 400 vorgeschriebene – Ablieferung des Vorteils verzichtet? Grundsätzlich kann auf den erwähnten Ablieferungsanspruch im Vornherein für künftig anfallende Werte verzichtet werden3558. Darüber hinaus ist nach hier vertretener Auffassung auch eine Genehmigung mit Bezug auf bereits geleistete Vorteile möglich3559. Entsprechend ist davon auszugehen, eine Genehmigung könne nicht nur im Zeitpunkt ex ante, son­ dern auch im Nachhinein erteilt werden. In gesetzessystematischer Hin­ sicht bezieht sich Art. 322decies Abs. 1 lit. a sowohl auf die aktive wie auch auf die passive Privatbestechung. Daraus folgt, dass sich die tatbestands­ ausschliessende Wirkung der Genehmigung nicht nur auf den Treuepflich­ tigen, sondern auch auf den aktiv Bestechenden bezieht. 3556  Jositsch, Privatbestechung, 835, vgl. ergänzend § 133 Ziff. 1.7. 3557  Vgl. dazu vorne Ziff. 3. 3558  So wohl BGE 132 III 465, Emmenegger, 116, Jositsch, Privatbestechung, 835. 3559  Ebenso Donatsch/Zuberbühler, 90, Frick, BSK UWG, N 49 zu Art. 4a, Gfeller, 156; Hie-

stand, 88 f., a.M. Müller, 111 (zu UWG alt Art. 4 b).

660

§ 138  Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

Sodann kann die Genehmigung ausdrücklich wie auch konkludent3560 erfolgen. Für die Rechtswirksamkeit ist erforderlich, dass die Genehmigung auf einer für den Genehmigenden verständlichen Grundlage basiert und ein­ deutig kundgetan wird3561. Der Dritte muss den Sachverhalt kennen, wel­ chen er genehmigt3562. Das bedeutet, dass er wahrheitsgetreu und vollstän­ dig orientiert werden muss. Insbesondere muss er die Art und die Höhe des betreffenden Vorteils kennen oder gestützt auf klare Kriterien errech­ nen können3563. Verzichtet der Dritte nicht auf die ihm zustehende Vergütung, so muss ihm diese herausgegeben werden. Das gilt u.a. für Vertriebsentschädigungen für Anlageprodukte3564. b) Was die Geringfügigkeit bzw. Sozialüblichkeit anbelangt, so ist das betref­ fende Verhalten nicht tatbestandsmässig, wenn die Vorteilszuwendung all­ gemein toleriert wird und überdies von geringem Wert ist3565. Nach der Botschaft zur Bestechung im Amt «wird das Kriterium der Sozialüblichkeit allerdings bloss in seltenen Ausnahmefällen erfüllt sein»3566. Der Grund für diese Aussage liegt wohl darin, dass dieses Merkmal zum Ausschluss von Bagatellfällen bei der Amtsträgerbestechung vor allem im Zusammen­ hang mit der Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme ins Gesetz aufge­ nommen worden ist. Da entsprechende Tatbestände bei der Privatbeste­ chung fehlen, besteht nach Auffassung des Gesetzgebers in diesem Bereich 3560  Donatsch/Zuberbühler, 94, Hiestand, 89, Lombardini/Macaluso, 195. 3561  BGE 132 III 466, Donatsch/Zuberbühler, 94  f., Emmenegger, 81, 83  f., Lombardini/

Macaluso, 183  ff. Vgl. auch Rundschreiben 2009/1, Eckwerte zur Vermögensverwal­ tung, Eckwerte für die Anerkennung von Selbstregulierungen zur Vermögensverwal­ tung als Mindeststandard vom 18. Dezember 2008, Ziff. 22 ff. 3562  Beim Auftrag sind mit Blick auf die Informations-, Rechenschafts- und Herausgabe­ pflicht OR Art. 398 Abs. 2 und 400 Abs. 1 massgebend, vgl. auch BGE 110 II 182 f., 115 II 67, 137 III 400, BGer vom 19.11.2012, 4A_13/2012, Erw. 4.1.3. 3563  Vgl. BGE 132 III 468, 137 III 398  ff., ebenso Donatsch/Zuberbühler, 94, Emmenegger, 70 ff., Roth, Dreiecksverhältnis, N 154 ff., a.M. Abegglen, Verzicht, 203, Hsu, 35 f., wonach es genüge, wenn der Dritte auf Anfrage weitere Informationen erhält. 3564  BGE 138 III 760 ff., Erw. 5.1–5.8; ebenso Emmenegger, 70 ff., Roth, Dreiecksverhält­ nis, N 154 ff.; dies., Retrozessionen, 536 f.; a.M. BGer vom 13.1.2011, 6B_223/2010, Erw.  3.4.5; Abegglen, «Retrozessionen», 128  ff., Cerutti, 89  ff., Lombardini/Macaluso, 182 ff., Nobel/Stirnimann, 348, Roberto, Herausgabepflicht, 41 ff. 3565  Jositsch, Privatbestechung, 835 f., Müller, 109 (zu UWG alt Art. 4 b). 3566  Botschaft 2004, 7011.

661

§ 138  Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale

kaum ein Bedürfnis nach einer Abgrenzung zwischen strafbarer Privatbe­ stechung und Bagatellfällen, welche straffrei bleiben sollen3567. Tatsäch­ lich dürfte diese Abgrenzung aber in der Praxis von erheblicher Bedeutung sein. Dabei müssen die konkreten Umstände, insbesondere die Höhe des Deliktsbetrags, die Häufigkeit der entsprechenden Verstösse und die Frage massgebend sein, ob zufolge der Bestechung indirekt weitere Rechtsgüter gefährdet worden sind (z.B. Leib und Leben Dritter etc.). c) Schliesslich ist nach Art.  52 von der Strafverfolgung abzusehen, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind3568.

10.

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss mit Vorsatz handeln. Dieser muss sich u.a. auch auf das Äqui­ valenzverhältnis beziehen. Ein Sachverhaltsirrtum könne somit etwa vorliegen, wenn der Täter davon ausgeht, die Vergütung sei insgesamt als Entschädigung für die von ihm geleistete Arbeit zu verstehen. Demgegenüber wäre ein Sach­ verhaltsirrtum mit Bezug auf das Äquivalenzverhältnis dann ausgeschlossen, wenn dem Täter bekannt ist, dass beispielsweise nur ein Teil der Vergütung als Honorar infrage kommt. Weiss der Täter, dass die Geldleistung im Zusammenhang mit dem fraglichen Geschäft erfolgt, geht er aber davon aus, diese gebühre ihm, so muss eben­ falls von einem Sachverhaltsirrtum ausgegangen werden3569, weil es sich beim Merkmal «nicht gebührend» um ein objektives Tatbestandsmerkmal han­ delt3570. Nach hier vertretener Auffassung muss jedenfalls seit den Bundesgerichtsentscheiden im Jahre 20063571 in den Sachverhaltskonstellationen «Bank/externer Vermögensver­ walter» bei Finanzdienstleistern davon ausgegangen werden, diese hätten in der Form von entsprechenden Retrozessionen zumindest eventualvorsätzlich ihnen nicht gebüh­ rende Leistungen erhalten. Demgegenüber war bei Vergütungen von Vertriebsträgern an eine Bank lange Zeit umstritten, ob der Tatbestand der Privatbestechung gemäss Art. 4a i.V.m. Art. 23 UWG zur Anwendung gelange oder nicht. Trotzdem dürfte es – unter Berücksichtigung der konkreten Umstände − zumindest vertretbar sein, für die

3567  Hiestand, 89 f., Jositsch, Privatbestechung, 835. 3568  Botschaft 2014, 3599. 3569  So Burg, 225. 3570  Vgl. vorne § 132 Ziff. 2. 3571  BGer vom 3.2.2006, 6S.316/2005; BGE 132 III 460.

662

§ 138  Bestechung Privater, Einleitung und gemeinsame Tatbestandsmerkmale gesamte Zeit bis zum Urteil des Bundesgerichts im Jahr 20123572 von einem Sachver­ haltsirrtum betreffend die Frage auszugehen, ob die gesamten oder Teile der Vergü­ tungen der Bank zustehen. Einerseits vertrat wohl die Mehrheit in der Doktrin die Auffassung, von den Banken entgegengenommene Vertriebsentschädigungen seien nicht nach Art.  400 Abs.  1 OR herausgabepflichtig3573. Allerdings ging ein beachtli­ cher Teil der Lehre aber  – ca. ab dem Jahr 2007/2008  – vom Gegenteil aus, mithin also davon, dass es sich bei diesen Vertriebsentschädigungen jedenfalls teilweise um herausgabepflichtige Zuwendungen handle3574. Von gewichtiger Bedeutung ist jedoch ein Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahr 2011, in welchem explizit festgehal­ ten wird, «Bestandespflegekommissionen würden der Depotbank nicht aufgrund des Auftragsverhältnisses zwischen Kunde und Depotbank bezahlt, sondern für Dienst­ leistungen (vorliegend für strukturierte Produkte), die gegenüber dem Produktanbie­ ter (…) erbracht werden». Daraus gehe klar hervor, dass die Kommissionszahlungen (sog. Bestandespflegekommissionen) dem Produktanbieter (Vermögensverwaltungs­ bank) zustünden3575. Da das Bundesgericht Anfang 2011 festhielt, diese Vergütungen stünden der Vermögensverwaltungsbank zu, darf nach hier vertretener Auffassung erst ab dem Zeitpunkt der Korrektur dieser bundesgerichtlichen Einschätzung in BGE 138 III 755 ff. (30.10.2012) generell von der Vermeidbarkeit des Sachverhaltsirrtums betref­ fend die Ablieferung derartiger Vergütungen an die Anleger ausgegangen werden.

11.

Kantonale Gerichtsbarkeit/Bundesgerichtsbarkeit

In StPO Art.  24 Abs.  1 werden zwar die Bestechungen gemäss Art.  322ter– 322septies, nicht aber die Privatbestechungen nach Art. 322octies und Art. 322novies erwähnt. Daraus folgt, dass die Privatbestechungen ausschliesslich der kanto­ nalen Gerichtsbarkeit unterstehen.

3572  BGE 138 III 755 ff. 3573  Z.B. Abegglen, Verzicht, 128 ff.; Cerutti, 89 ff.; Jaeger/Hautle, 439 ff.; Jutzi, 75; Lombar-

dini/Macaluso, 182 ff.; Meyer, 188; Preisig, 159 ff.; Nobel/Stirnimann, 348; Roberto, Her­ ausgabepflicht, 41 ff. 3574  Z.B. Emmenegger, 70 ff., Gutzwiller, 204 ff.; Roth, Dreiecksverhältnis, Rz. 154 ff., dies., Retrozessionen, 536 f. 3575  BGer vom 13.1.2011, 6B_223/2010, Erw. 3.4.5.

663

§ 139  Bestechen (Art. 322octies)

§ 139 Bestechen (Art. 322octies) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 131.

Nach diesem Tatbestand (Bestechung Privater/Octroi d’un avantage/Conces­ sione di vantaggi/Granting an advantage) wird bestraft, wer einem Arbeitneh­ mer, einem Gesellschafter, einem Beauftragten oder einer anderen Hilfsper­ son im Hinblick auf dessen dienstliche oder geschäftliche Tätigkeit einen nicht gebührenden Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1

Treueverhältnis (Dreiecksverhältnis)

Es muss ein Treueverhältnis zwischen den involvierten Personen bestehen3576.

1.2 Täterkreis Wie bei der aktiven Bestechung (Art. 322ter) handelt es sich bei der Bestechung Privater nach Art.  322octies um ein gemeines Delikt. Entsprechend kommt jedermann als Täter infrage.

1.3

Der nicht gebührende Vorteil

Der nicht gebührende Vorteil kann materieller oder immaterieller Art sein3577.

1.4 Tathandlungen Die Tathandlungen werden umschrieben mit «anbieten», «versprechen» und «gewähren»3578. Die Annahme durch den Intraneus ist nicht erforderlich. Es genügt, wenn das Angebot beim Adressaten eintrifft.

3576  Vgl. vorn § 137 Ziff. 2. 3577  Vgl. vorn § 137 Ziff. 3. 3578  Vgl. dazu die Ausführungen vorn § 132 Ziff. 3.21.

664

§ 139  Bestechen (Art. 322octies)

1.5

Adressat des Vorteils

Die Person, welcher der Vorteil zukommt bzw. zukommen soll, muss über die im Tatbestand umschriebenen Eigenschaften verfügen3579. Es muss sich also um einen Arbeitnehmer, Gesellschafter, Beauftragten oder eine andere Hilfs­ person handeln. Das Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils muss direkt oder auf dem Weg über weitere Personen zu einer Besserstellung des Vorteilsadressaten führen. Wie bei den Bestechungstatbeständen gemäss Art. 322ter und Art. 322quater wird auch die Vorteilszuwendung an einen Dritten erfasst3580, wobei es ausreicht, wenn durch die Zuwendung an einen Dritten zumindest auch eine mittelbare materielle oder immaterielle Besserstellung des Bestochenen selbst erfolgt3581.

1.6

Zusammenhang mit dienstlicher oder geschäftlicher Tätigkeit

Zwischen dem vom Bestochenen verwirklichten Verhalten und dessen dienst­ licher oder geschäftlicher Tätigkeit muss ein funktionaler Zusammenhang bestehen.

1.7

Das Merkmal der «pflichtwidrigen oder im Ermessen stehenden Handlung oder Unterlassung»

Das pflichtwidrige Verhalten i.S.v. Art. 322octies Abs. 1 besteht in der Verletzung vertraglicher Pflichten. Solche Pflichten müssen nicht ausdrücklich im Vertrag festgehalten sein. Es genügt, wenn eine Sorgfalts- oder Treuepflicht missach­ tet wird3582 .

1.8

Das Äquivalenzverhältnis

Die Privatbestechung setzt voraus, dass der Täter den Vorteil für eine bestimmte bzw. bestimmbare Handlung oder Unterlassung anbietet, verspricht oder gewährt3583. 3579  Vgl. dazu die Ausführungen vorn § 138 Ziff. 4. 3580  Botschaft 1999, 552 f. Vgl. ergänzend vorn § 132 Ziff. 1.4. 3581  Jositsch, Habil., 372. 3582  Vgl. dazu vorn § 138 Ziff. 7. 3583  Vgl. vorn § 138 Ziff. 8.

665

§ 140  Sich-bestechen-Lassen (Art. 322novies)

2.

Subjektiver Tatbestand

Wie bei der Amtsbestechung (Art. 322ter) ist Vorsatz bezüglich des tatbestands­ mässigen Verhaltens erforderlich, wobei Eventualvorsatz genügt.

3.

Weitere Fragen

3.1 Teilnahme Sofern der Adressat auf das Anerbieten des Täters eingeht, so macht er sich gegebenenfalls nach Art. 322novies strafbar. Eine zusätzliche Verurteilung wegen Teilnahme an aktiver Privatbestechung kommt nicht in Betracht.

3.2 Konkurrenzen Der Bestechende kann sich – Vorsatz vorausgesetzt – wegen Teilnahme an Ver­ untreuung (Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2), ungetreuer Geschäftsbesorgung (Art. 158 Ziff. 1) oder Betrug (Art. 146 Abs. 1) strafbar machen3584.

3.3

Bestechung ausländischer Privatpersonen

Die Bestechung ausländischer Privatpersonen kann nach schweizerischem Recht strafbar sein, wenn die Voraussetzungen nach Art. 3 ff. erfüllt sind.

§ 140 Sich-bestechen-Lassen (Art. 322novies) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter §§ 131 und 132, R. Gerber, Zur Annahme von Geschenken durch Beamte des Bundes, ZStrR 96 (1979) 243.

Bei diesem Tatbestand (Sich-bestechen-Lassen/Acceptation d’un avantage/ Accettazione di vantaggi/Acceptance of a bribe) handelt es sich um das Gegen­ stück zur «Bestechung Privater» nach Art. 322octies, die in § 138 hiervor behan­ delt wird.

3584  Vgl. dazu hinten, § 139 Ziff. 3.2.

666

§ 140  Sich-bestechen-Lassen (Art. 322novies)

1.

Objektiver Tatbestand

1.1.

Treueverhältnis (Dreiecksverhältnis)

Zwischen den involvierten Personen muss ein Treueverhältnis bestehen3585.

1.2 Täterkreis Anders als bei der aktiven Privatbestechung (Art. 322octies), welche als gemeines Delikt ausgestaltet ist, kommen bei Art. 322novies ausschliesslich Personen mit den im Tatbestand umschriebenen Sondereigenschaften als Täter infrage3586.

1.3

Der nicht gebührende Vorteil

Der nicht gebührende Vorteil kann materieller oder immaterieller Art sein3587.

1.4 Tathandlungen Die Tathandlungen werden umschrieben als «fordern», «sich versprechen las­ sen» und «annehmen»3588.

1.5

Adressat des Vorteils

Bei der Person, welche den Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, handelt es sich um den Arbeitnehmer, Gesellschafter, Beauftragten oder die Hilfsperson. Der Vorteil, welchen diese Personen fordern, sich versprechen lassen oder annehmen, muss bei diesen direkt oder auf dem Weg über weitere Personen zu einer Besserstellung führen3589.

3585  Vgl. vorn § 137 Ziff. 2. 3586  Vgl. ergänzend vorn § 132 Ziff. 4.1. 3587  Vgl. ergänzend vorn § 132 Ziff. 4.2. 3588  Vgl. dazu die Ausführungen vorn § 132 Ziff. 3.22. 3589  Botschaft 1999, 5528.

667

§ 140  Sich-bestechen-Lassen (Art. 322novies)

1.6

Zusammenhang mit dienstlicher oder geschäftlicher Tätigkeit

Der Intraneus muss den Vorteil im Hinblick auf die Führung der dienstlichen oder geschäftlichen Tätigkeit fordern, sich versprechen lassen oder annehmen.

1.7

Pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Verhalten

Bei der Handlung, welche mit der dienstlichen oder geschäftlichen Tätigkeit im Zusammenhang steht, kann es sich um ein pflichtwidriges oder im Ermessen stehendes Tun oder Unterlassen handeln. Steht dem Intraneus kein Ermessen zu, so kann er sich der Privatkorruption nicht strafbar machen.

1.8

Äquivalenzverhältnis zwischen Vorteil und Verhalten des Bestochenen

Die Erfüllung des Tatbestands setzt ein Äquivalenzverhältnis voraus, welches dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer, Gesellschafter, Beauftragte oder Dritte den ihm nicht gebührenden Vorteil gerade für das fragliche Verhalten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt.

2.

Subjektiver Tatbestand

Das Sich-bestechen-Lassen setzt Vorsatz bezüglich des tatbestandsmässigen Verhaltens voraus, wobei Eventualvorsatz genügt.

3.

Weitere Fragen

3.1 Teilnahme Der Private, welcher sich bestechen lässt, macht sich ausschliesslich nach Art.  322novies strafbar. Eine zusätzliche Bestrafung wegen Anstiftung oder Gehilfenschaft zu Art. 322octies ist ausgeschlossen. Dritte können an Art.  322novies teilnehmen. Mittäter können sie nicht sein, sofern sie nicht über die tatbestandsmässig umschriebenen Sondereigenschaf­ ten verfügen.

668

§ 140  Sich-bestechen-Lassen (Art. 322novies)

3.2 Konkurrenzen Liefert der Bestochene den Vorteil nicht ab, obwohl dieser ihm nicht gebührt und obwohl keine entsprechende Genehmigung vorliegt, kann er sich der Ver­ untreuung gemäss Art. 138 oder der ungetreuen Geschäftsbesorgung gemäss Art. 158 strafbar machen3590. Ein Betrug nach Art. 146 dürfte regelmässig dann vorliegen, wenn der Bestochene (z.B. als Treuhänder) die Geschäftsbücher des Dritten führt und aus diesem Grunde eine Falschbeurkundung nach Art. 251 begeht, weil er den Zufluss des Vorteils in Missachtung entsprechender Buch­ führungsvorschriften (OR Art. 957 ff.) nicht als Zufluss eines Vermögenswertes zugunsten des Dritten (Arbeitgeber, Auftraggeber etc.) erfasst3591. Im Verhält­ nis zwischen Privatbestechung und Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsbe­ sorgung, Betrug oder Urkundenfälschung ist wegen der unterschiedlichen geschützten Rechtsgüter von echter Konkurrenz auszugehen.

3590  BGE 129 IV 128, Donatsch, Strafrecht III, 149 f., Donatsch/Zuberbühler, 91 ff., 96 ff.,

Hiestand, 162 ff., 173 ff.

3591  BGE 129 IV 128, Donatsch/Zuberbühler, 98, Hiestand, 187 ff.

669

§ 141  Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren

20. Titel

Übertretungen bundes­ rechtlicher Bestimmungen (Art. 323–332)

§ 141 Ungehorsam des Schuldners im Betreibungsund Konkursverfahren (Art. 323) Literaturauswahl: P.-R. Gilliéron, Faut-il réviser les dispositions du code pénal relatives aux infrac­ tions dans la faillite et la poursuite pour les dettes?, ZStrR 88 (1972) 303, R. Hauser, Der Schutz von Schuldbetreibung und Konkurs durch das Strafrecht, in: Festschrift 100 Jahre SchKG, hrsg. von L. Dallèves et al., Zürich 1989, 31, M. C. Jeker, Die Konkurs- und strafrechtliche Aufarbeitung der Kriminalinsolvenz, Diss. St. Gallen 2009, V. Schwander, Betreibungsrechtlicher Ungehorsam, SJK Nr. 1133, K. Spühler, Das revidierte SchKG und seine Auswirkungen auf die Strafverfolgung, ZStrR 116 (1998) 237.

Art. 323 (Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren/ Inobservation par le débiteur des règles de la procédure de poursuite pour dettes ou de faillite/Inosservanza da parte del debitore di norme della procedura di esecuzione e fallimento/Failure of a debtor to comply with the regulations governing debt collection and bankruptcy proceedings) schützt die Rechtspflege auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung3592. Indirekt werden dadurch auch die Inter­ essen der Gläubiger gewahrt3593. Die Bestimmung bedroht fünf verschiedene Formen des Ungehorsams mit Übertretungsstrafe. Bei den Tatbestandsvarianten handelt es sich um Unge­ horsamsdelikte. Eines Erfolgs bedarf es zu deren Erfüllung nicht3594.

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterschaft Täter kann ausschliesslich der Schuldner sein. Bei diesem kann es sich um den Konkursschuldner oder den Pfändungsschuldner handeln3595. Aus Art.  323 3592  BGE 102 IV 174. 3593  Dupuis u.a., Code pénal, N 2 zu Art. 323, vgl. auch Hagenstein, BSK StGB II, N 1 zu

Art. 323.

3594  BGE 82 IV 16. 3595  Hagenstein, BSK StGB II, N 2 zu Art. 323.

670

§ 141  Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren

Ziff. 1 und 3 ergibt sich, dass der Schuldner schon vor der Konkurseröffnung Täter dieser Tatbestandsvarianten sein kann3596.

1.2

Die einzelnen Tatbestände

Strafbar macht sich: a) Nach Ziff. 1 der Schuldner, der einer Pfändung oder der Aufnahme eines Güterverzeichnisses entgegen den entsprechenden Pflichten von SchKG Art. 91 Abs. 1 Ziff. 1, 163 Abs. 2 oder 341 Abs. 13597 weder selbst beiwohnt noch sich dabei vertreten lässt. Vorausgesetzt wird, dass ihm die entspre­ chende Amtshandlung gemäss Gesetz angekündigt worden ist3598. Hiezu gehört v.a. die Angabe des Zeitpunktes3599. Erfasst wird auch das Fernbleiben von einer ausserhalb der Wohnung des Schuld­ ners durchgeführten Pfändung3600. Vorauszusetzen ist stets die Gültigkeit des Betreibungsverfahrens3601.

b) Nach Ziff. 2 der Schuldner, der seine Vermögensgegenstände sowie seine Forderungen und Rechte gegenüber Dritten nicht so weit angibt, als dies zu einer genügenden Pfändung oder zum Vollzug eines Arrestes i.S. von SchKG Art.  91 Abs.  1 Ziff.  2 und 275 nötig ist. So ist der Schuldner ins­ besondere gehalten, über die Höhe seiner Einkünfte3602 im In- und Aus­ land3603, namentlich über seine Lohnforderungen gegenüber Arbeitge­ bern, Auskunft zu geben. Ausdrücklich wird im Gesetz festgehalten, dass sich die Regelung nicht nur auf Vermögensgegenstände bezieht, die sich im Gewahrsam des Schuldners, sondern auch auf solche, welche sich im Gewahrsam Dritter befinden. Nicht erfasst werden hingegen im Gewahrsam des Schuldners befindliche Vermö­ gensgegenstände, die einem Dritten gehören3604. Die Missachtung der Auskunfts­

3596  Hagenstein, BSK StGB II, N 7, 47 zu Art. 323. 3597  Die genannte Gesetzesbestimmung verweist fälschlicherweise auf SchKG Art.  345

Abs. 1.

3598  Vgl. dazu BGE 82 IV 17 ff., BGer vom 13.10.2004, 6P.113/2004, Erw. 3. 3599  SJZ 67 (1971) 212. 3600  BGE 106 IV 281. 3601  RS 1989 Nr. 618, Corboz,Vol. II, N 4 zu Art. 323. 3602  Vgl. dazu auch BGE 105 IV 320 f. 3603  BGE 114 IV 13. 3604  BGE 70 IV 179.

671

§ 141  Ungehorsam des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren pflicht ist nur dann nicht strafbar, wenn die konkrete Amtshandlung zufolge offen­ sichtlicher Rechtswidrigkeit nichtig ist3605.

c) Nach Ziff. 3 der Schuldner, welcher die unter lit. b genannten Vermögensge­ genstände, Forderungen und Rechte bei Aufnahme eines Güterverzeichnis­ ses nach SchKG Art. 163 Abs. 2 und 341 Abs. 13606 nicht vollständig angibt. d) Nach Ziff. 4 der Schuldner, der dem Konkursamt nicht alle seine Vermö­ gensstücke angibt und zur Verfügung stellt. Unter diese Bestimmung fällt z.B. der Schuldner, der Auskunft über seinen Vermögensstand verwei­ gert3607. Das Konkursamt muss ihn in Anwendung von SchKG Art.  222 Abs. 6 auf die ihn gemäss SchKG Art. 222 Abs. 1 treffende Pflicht aufmerk­ sam machen. e) Nach Ziff.  5 der Gemeinschuldner, der während des Konkursverfahrens entgegen SchKG Art. 229 Abs. 1 nicht zur Verfügung der Konkursverwal­ tung steht. Ausgenommen wird der Fall, dass der Schuldner dieser Pflicht durch besondere Erlaubnis enthoben worden ist. Gemäss Art. 229 Abs. 1 Satz 3 macht die Konkursverwaltung den Schuldner auf diese Pflicht sowie die Straffolge aufmerksam.

2.

Subjektiver Tatbestand

In allen genannten Fällen erfordert der subjektive Tatbestand Vorsatz des Täters in Bezug auf die jeweiligen objektiven Merkmale.

3. Abgrenzungsfragen 3.1

Verhältnis zu betrügerischem Konkurs und zum Pfändungsbetrug (Art. 163 Ziff. 1)

Das Verheimlichen von Vermögensstücken gemäss Ziff. 1.2 lit. b und d hiervor erfüllt den Tatbestand des betrügerischen Konkurses bzw. des Pfändungsbetru­ ges, wenn es dazu dient, einen geringeren als den wirklichen Vermögensstand vorzutäuschen, und vom Vorsatz getragen wird, die Gläubiger zu benachtei­ ligen3608. Art. 323 Ziff. 2 und 4 finden alsdann keine Anwendung. Kann das 3605  BGE 103 IV 75 f., Corboz,Vol. II, N 4 zu Art. 323. 3606  Die genannte Gesetzesbestimmung verweist fälschlicherweise auf SchKG Art.  345

Abs. 1.

3607  BGE 102 IV 174. 3608  BGE 88 IV 26, 93 IV 92, 102 IV 175 f., Strafrecht III, § 36 Ziff. 2 f.

672

§ 142  Ungehorsam Dritter im SchKG- und Nachlassverfahren (Art. 324)

Schweigen hingegen nicht als betrügerisches «Verheimlichen» i.S. von Art. 163 Ziff. 1 qualifiziert werden, sondern stellt es eine blosse Auskunftsverweigerung dar, liegt Ungehorsam gemäss Art. 323 vor3609.

3.2

Verhältnis zum Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

Art. 323 geht als die speziellere Bestimmung Art. 292 vor3610. Dieser zweite Tat­ bestand ist jedoch auf Fälle von Ungehorsam im Betreibungsverfahren anwend­ bar, welche von Art. 323 nicht erfasst werden, wie z.B. die unter Ziff. 1 lit. b hievor erwähnte Weigerung des Schuldners, einem Dritten gehörende Vermö­ gensgegenstände anzugeben, die sich in seinem Gewahrsam befinden3611.

§ 142 Ungehorsam dritter Personen im Betreibungs-, Konkurs- und Nachlassverfahren (Art. 324) Literaturauswahl: Vgl. Angaben unter § 138, D. Frenkel, Informationsbeschaffung zur Glaubhaft­ machung der Arrestvoraussetzungen sowie Auskunftspflichten im Arrestvollzug: unter besonde­ rer Berücksichtigung der Arrestrevision 2011, Zürcher Studien zum Verfahrensrecht, Diss. Zürich 2012, 226 ff., D. Schwander, Die Auskunftspflicht Dritter – namentlich der Banken – im Arrestverfahren, Ihr Entstehungszeitpunkt sowie der zu ihrer Durchsetzung anzudrohende Straftatbestand, in: Schweizerisches und Internationales Zwangsvollstreckungsrecht, Festschrift für K. Spühler, hrsg. von H. M. Riemer et al., Zürich 2005, 317.

1.

Die einzelnen Tatbestände

a) Ziff. 1 beschränkt sich auf erwachsene Personen, die mit einem inzwischen gestorbenen oder flüchtigen Gemeinschuldner in gemeinsamem Haushalt gelebt haben. Sie sind gemäss SchKG Art. 222 Abs. 2 verpflichtet, dem Kon­ kursamt alle Vermögensstücke des Schuldners anzugeben und zur Verfü­ 3609  BGE 102 IV 174. 3610  BGE 106 IV 280 f., Corboz, Vol. II, N 6 zu Art. 323, Dupuis u.a., Code pénal, N 18 zu

Art. 323, Stratenwerth/Jenny/Bommer, BT I, § 24 N 65, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 4 zu Art. 323, differenzierend Brunner, BSK StGB II, 2. Aufl., N 6 zu Art. 323; aus­ führlich Hagenstein, BSK StGB II, N 71 ff. zu Art. 323. 3611  BGE 70 IV 179, siehe im Übrigen § 99 Ziff. 1.2 lit. c.

673

§ 142  Ungehorsam Dritter im SchKG- und Nachlassverfahren (Art. 324)

gung zu stellen. Strafbar macht sich, wer diese Pflicht nicht erfüllt, obwohl er vom Konkursamt darauf aufmerksam gemacht worden ist. b) Nach Ziff. 2 ist strafbar, wer sich binnen der Eingabefrist (im Zusammen­ hang mit der Bekanntmachung der Eröffnung des Konkurses) nicht als Schuldner des Konkursiten meldet, obwohl das Konkursamt in der Kon­ kurspublikation gemäss SchKG Art. 232 Abs. 2 Ziff. 3 dazu aufgefordert hat. c) Ziff.  3 bedroht denjenigen mit Strafe, welcher im Eigentum des Gemein­ schuldners stehende Sachen als Pfandgläubiger oder aus anderen Grün­ den besitzt und sie dem Konkursamt binnen der Eingabefrist (im Zusam­ menhang mit der Bekanntmachung der Eröffnung des Konkurses) nicht zur Verfügung stellt, obwohl das Konkursamt in der Konkurspublikation gemäss SchKG Art. 232 Abs. 2 Ziff. 4 dazu aufgefordert hat. d) Nach Ziff.  4 wird bestraft, wer im Eigentum des Schuldners stehende Sachen als Pfandgläubiger besitzt und sie im Nachlassverfahren entgegen SchKG Art. 324 Abs. 2 den Liquidatoren nach Ablauf der Verwertungsfrist nicht abliefert. e) Gleiches gilt nach Ziff. 5 für den Dritten, der seine Auskunfts- und Heraus­ gabepflichten nach SchKG Art. 57a Abs. 1, 91 Abs. 4, 163 Abs. 2, 222 Abs. 4 und 341 Abs. 13612 verletzt3613. Obschon nicht ausdrücklich erwähnt, gilt die Auskunftspflicht Dritter aufgrund von SchKG Art. 275 nach bundesge­ richtlicher Rechtsprechung ebenfalls für das Arrestverfahren3614. Die Vermögensstücke des Schuldners sind unabhängig davon anzugeben bzw. zur Verfügung zu stellen, ob das Eigentum daran streitig ist oder nicht3615. Alle Tatbestände erfordern in subjektiver Hinsicht Vorsatz. Dazu gehören ins­ besondere im Falle von Art. 324 Ziff. 1 das Wissen um die nicht angegebenen Vermögensstücke, bei Ziff. 2 und 3 die Kenntnis der Urteilspublikation. In der Praxis führt das zu erheblichen Beweisschwierigkeiten.

3612  Die genannte Gesetzesbestimmung verweist fälschlicherweise auf SchKG Art.  345

Abs. 1.

3613  Behörden, welche gemäss SchKG Art. 91 Abs. 5 ebenfalls eine Auskunftspflicht inne­

haben, unterstehen der Strafandrohung nicht. Vgl. BGE 124 III 174 f.

3614  BGE 125 III 393 = Pr 89 (2000) Nr. 87, Dupuis u.a., Code pénal, N 14 zu Art. 324,

Hagenstein, BSK StGB II, N 26 zu Art. 324, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 2 zu Art. 324, differenzierend Schwander, 328 ff. 3615  Brunner, BSK StGB II, 2. Aufl., N 3 zu Art. 324.

674

§ 143  Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher (Art. 325)

2. Abgrenzungsfragen 2.1

Verhältnis zum betrügerischen Konkurs und Pfändungsbetrug (Art. 163 Ziff. 2)

Ausschliesslich diese Bestimmung wird anzuwenden sein, wenn die in Art. 324 genannten Personen beim Verheimlichen von Vermögensstücken des Schuld­ ners vorsätzlich dessen Gläubiger benachteiligen.

2.2

Verhältnis zum Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292)

Art. 324 geht als speziellere Norm Art. 292 vor3616.

§ 143 Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher (Art. 325) Literaturauswahl: M. Boog, Buchführungs- und Urkundendelikte in der wirtschaftlichen Krise, in: Konkurs und Strafrecht: Strafrechtliche Risiken vor, in und nach der Generalexekution, hrsg. von J-.B. Ackermann/W. Wohlers, Zürich 2011, 19 (zit.: Boog, Buchführungsdelikte), N. Schmid, Fra­ gen der Falschbeurkundung bei Wirtschaftsdelikten, insbesondere im Zusammenhang mit der kaufmännischen Buchführung, ZStrR 95 (1978) 274, derselbe, Buchführungsdelikte im Zeitalter der Datenverarbeitung, in: Festschrift für C. Helbling, hrsg. von A. Zünd/G. Schultz/B. U. Glaus, Zürich 1992, 333, E. Stieger, Buchführungsdelikte, Diss. Zürich 1975.

Der Tatbestand (Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher/Inobservation des prescriptions légales sur la comptabilité/Inosservanza delle norme legali sulla contabilità/Failure to comply with accounting regulations) stellt ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar3617. Der Eintritt einer Vermögensgefährdung zufolge der Vernachlässigung der Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten ist somit nicht erforderlich. Anders als bei Art. 166 ist zum einen eine objektive Strafbarkeitsbedingung nicht vorgesehen und zum andern fahrlässige Tatbe­ gehung möglich.

3616  BGE 125 III 397 ff., Corboz, Vol. II, N 8 zu Art. 324, Dupuis u.a., Code pénal, N 17 zu

Art. 324, Stratenwerth/Jenny/Bommer, BT I, § 24 N 65 vgl. zudem vorn § 131 Ziff. 3.2.

3617  BGer vom 24.8.2000, 6S.132/2000.

675

§ 143  Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher (Art. 325)

1.

Objektiver Tatbestand

1.1 Täterkreis Der Täterkreis dieses echten Sonderdeliktes beschränkt sich auf Personen, die gestützt auf OR Art. 934 Abs. 1 i.V.m. HRegV3618 Art. 17 und 36−45 verpflich­ tet sind, ihre Firma in das Handelsregister eintragen zu lassen, und die daher gemäss OR Art. 957 Abs. 1 auch eine Pflicht zur Buchführung trifft3619. Die Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung gilt nach OR Art. 957 Abs. 1 und 2 grundsätzlich für alle Einzelunternehmen, Personengesellschaften und juristischen Personen, die verpflichtet sind, sich in das Handelsregister eintragen zu lassen. Als juristische Personen gelten auch Vereine und Stiftungen (ZGB Art. 69a und 83a)3620. Sofern sich die Letzteren von Gesetzes wegen nicht in das Handelsregister eintragen lassen müssen, genügt eine einfache Buchhaltung, aus welcher die Einnahmen und Ausgaben sowie die Vermögenslage ersichtlich sind. Nach OR Art. 957a Abs. 4 und 5 besteht die Möglichkeit, die für die Geschäftstätig­ keit wesentliche Währung sowie die englische Sprache zu verwenden. Allerdings wird für die Jahresrechnung eine zusätzliche Angabe in der Landeswährung verlangt OR Art. 958d Abs. 3). Die Vorschriften zur Mindestgliederung finden sich in OR Art. 959a ff. Auf eine detail­ lierte Gliederung (OR Art. 959a und 959b) in Anlehnung an die EG-Richtlinien wird verzichtet. Die Mindestgliederung orientiert sich vielmehr an der knappen Regelung der anerkannten Standards zur Rechnungslegung wie den IFRS oder den US-GAAP. Grössere Unternehmen sind verpflichtet, zusätzliche Angaben im Anhang der Jahres­ rechnung zu machen (OR Art. 961a), in der Jahresrechnung eine Geldflussrechnung zu erstellen (OR Art. 961b) und einen Lagebericht zu verfassen (OR Art. 961c). Schliesslich bestehen besondere Bestimmungen für die Konzernrechnung (OR Art. 963 ff.).

1.2

Tatbestandsmässige Handlungen

Nach Art.  325 Abs.  1 ist zunächst strafbar, wer der gesetzlichen Pflicht, Geschäftsbücher ordnungsgemäss zu führen, nicht nachkommt. Bestand und Umfang der Buchführungspflicht bestimmen sich nach privatrechtlichen (OR 3618  Handelsregisterverordnung vom 17. Oktober 2007, SR 221.411. 3619  Vgl. Dupuis u.a., Code pénal, N 4 zu Art. 325, Niggli/Hagenstein, BSK StGB II, N 2 zu

Art. 325.

3620  Vgl. dazu die Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts vom 21. Dezember 2007,

18, BBl 2008, 1696.

676

§ 143  Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher (Art. 325)

Art. 957 ff. i.V.m. GebüV3621 Art. 1 ff.) und öffentlich-rechtlichen Rechnungs­ legungsvorschriften3622. Die Buchführung muss zufolge OR Art. 957a Abs. 2 «ordnungsgemäss» sein3623. Dazu gehört u.a. die Einhaltung der Vorschriften von OR Art. 958c ff.3624. Das tatbestandsmässige Verhalten besteht darin, dass der Pflichtige3625 entweder überhaupt nicht Buch führt oder dies formell und/oder materiell in nicht ord­ nungsgemässer Weise tut. Nach Art.  325 Abs.  2 machen sich die zum umschriebenen Täterkreis gehö­ renden Personen sodann auch strafbar, wenn sie der gesetzlichen Pflicht, Geschäftsbücher, Geschäftsbriefe und Geschäftstelegramme während zehn Jahren (OR Art. 958f Abs. 1) aufzubewahren, nicht nachkommen. Diese Pflicht wird in OR Art. 958f i.V.m. GebüV Art. 5 ff. aufgestellt. Sie umfasst auch die Aufbewahrung der Buchungsbelege. Bücher, Buchungsbelege und Geschäftskorrespondenz dürfen nicht nur in Papierform, sondern gemäss OR Art. 958f Abs. 3 i.V.m. GebüV Art. 9 f. auch «elektronisch oder in vergleichbarer Weise» aufbewahrt werden. Entsprechend müssen auch E-Mails etc., welche zu den Dokumenten gemäss Art. 325 Abs. 2 zu zählen sind, aufbewahrt werden.

2.

Subjektiver Tatbestand

Das Vorsatzdelikt setzt voraus, dass der Täter bezüglich aller objektiven Tatbe­ standsmerkmale mit Wissen und Willen handelt.

3.

Fahrlässige ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher

Strafbar ist nicht nur die vorsätzliche, sondern auch die fahrlässige Nichterfül­ lung der erwähnten Pflichten. Hierbei ist etwa an denjenigen zu denken, wel­ 3621  Verordnung über die Führung und Aufbewahrung der Geschäftsbücher vom 24. April

2002, SR 221.431.

3622  Vgl. Niggli/Hagenstein, BSK StGB II, N 1 zu Art. 325. 3623  Vgl. zu diesem gesetzlich nicht näher bestimmten Begriff Niggli/Hagenstein, BSK StGB

II, N 32 ff. zu Art. 325, Stieger, 87 i.V.m. 17 ff.

3624  Weitere spezialgesetzliche Regelungen finden sich z.B. in BankG Art. 6 i.V.m. Art. 46

Abs. 1 lit. b und c sowie Abs. 2.

3625  Vgl. BGer vom 15.8.2007, 6B_188/2007, Erw. 8.3 (Fortbestand der Verantwortlichkeit

bei mangelhafter Delegation an Dritte).

677

§ 143  Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher (Art. 325)

cher sich nicht ausreichend über die Erfordernisse einer ordnungsgemässen Buchhaltung informiert, den Überblick über die zu verbuchenden Vorfälle ver­ liert, Unterlagen verlegt usw.

4. Verfolgungsverjährung Das Bundesgericht geht davon aus, dass die Verfolgungsverjährung erst in dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in welchem die Handlung nachgeholt wird, wel­ che die Führung der Geschäftsbücher zu einer ordnungsgemässen macht, oder aber in welchem der zur Führung der Bücher Verpflichtete aus seiner Pflich­ tenstellung ausscheidet3626.

5.

Abgrenzung zur Unterlassung der Buchführung (Art. 166)

Den Vergehenstatbestand von Art. 1663627 erfüllt der Schuldner, der vorsätz­ lich die ihm gesetzlich obliegende Pflicht zur ordnungsgemässen Führung und Aufbewahrung von Geschäftsbüchern oder zur Aufstellung einer Bilanz ver­ letzt, sodass sein Vermögensstand nicht oder nicht vollständig ersichtlich ist. Die Strafbarkeit wird an die objektive Bedingung geknüpft, dass über den Täter der Konkurs eröffnet wurde3628. Ausschliesslich unter diese Bestimmung fällt demnach die Verletzung der Buchführungspflicht, wenn sie von einem konkursfähigen Schuldner began­ gen worden ist, und zwar in der Weise, dass sein Vermögensstand nicht oder nicht vollständig ersichtlich ist. Das erfordert auch einen entsprechenden «Ver­ schleierungsvorsatz», wobei dolus eventualis genügt und die Verschleierung demnach nicht das eigentliche Handlungsziel sein muss3629. Selbst in derar­ tigen Fällen ist jedoch der Täter wiederum nur nach Art. 325 zu verurteilen, wenn die von Art. 166 geforderte objektive Strafbarkeitsbedingung nicht vor­ liegt. Das Gleiche gilt für den Fall, dass der Konkursit die Buchführungspflich­

3626  BGer vom 24.8.2000, 6S.132/2000, BGE 131 IV 63 f., BGer vom 3.9.2007, 6B_51/2007,

vgl. fp 2008, 95 ff., kritisch Niggli/Hagenstein, BSK StGB II, N 83 ff. zu Art. 325.

3627  Vgl. dazu Strafrecht III, § 38. 3628  Vgl. BGE 131 IV 56 Erw. 1.3 (keine Anwendbarkeit von Art. 166 nach Abschluss bzw.

Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven).

3629  BGE 117 IV 164 f.

678

§ 144  Widerhandlungen gegen die Mieterschutzbestimmungen (Art. 325bis u. 326bis)

ten nur fahrlässig verletzt. Art. 325 ist somit im Verhältnis zu Art. 166 subsi­ diär3630.

§ 144 Widerhandlungen gegen die Bestimmungen zum Schutz der Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen (Art. 325bis und 326bis) Literaturauswahl: D. Lachat et al., Mietrecht für die Praxis, 9. Aufl., Zürich 2016, M. Montini, Der strafrechtliche Schutz des Mieters (Art.  325bis und 326bis StGB), Mietrechtspraxis 21 (2007) 1, R. Püntener, Strafrechtlicher Schutz der Mieterschaft, in: Das Mietrecht für die Praxis, hrsg. vom Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverband/Deutschschweiz, 9. Aufl., Zürich 2016, Kapi­ tel 33, P. Zihlmann, Mietrecht, 6. Aufl., Zürich 2007.

Der Übertretungstatbestand von Art.  325bis (Widerhandlungen gegen die Bestimmungen zum Schutz der Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen/Inobservation des prescriptions légales sur la protection des locataires d’habitations et de locaux commerciaux/Infrazioni alle disposizioni sulla protezione dei conduttori di locali d’abitazione e commerciali/Failure to comply with the regula­ tions governing the protection of tenants of domestic and commercial properties) bezweckt im Wesentlichen, den Schutz der Mieter vor missbräuchlichen Miet­ zinsen und anderen missbräuchlichen Forderungen des Vermieters gemäss OR Art.  269  ff. strafrechtlich in der Weise abzusichern, dass dieser Schutz nicht durch nötigendes Verhalten oder Kündigung seitens des Letzteren illusorisch gemacht werden kann3631. Art. 326bis als ergänzende Bestimmung regelt in Abs. 1 den Fall, dass die Ver­ mieterin nicht eine natürliche Person ist; in Abs. 2 und 3 wird ausserdem der Kreis der strafrechtlich Verantwortlichen über die aktiv in Erscheinung treten­ den Täter hinaus erweitert.

3630  Corboz, Vol. II, N  7 zu Art.  325, Niggli/Hagenstein, BSK StGB II, N  78 zu Art.  325,

Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 5 zu Art. 325.

3631  Vgl. Wanner, BSK StGB II, N 1 zu Art. 325bis.

679

§ 144  Widerhandlungen gegen die Mieterschutzbestimmungen (Art. 325bis u. 326bis)

1.

Das strafbare Verhalten von Vermietern

1.1

Objektiver Tatbestand

1.11

Kreis der Täter

Art. 325bis stellt ein Sonderdelikt dar3632; dies lässt sich aus der Regelung von Art. 326bis ableiten. Täter von Art. 325bis können zunächst Personen sein, die als Eigentümer Wohn- oder Geschäftsräume3633 vermieten bzw. als Mieter sol­ cher Lokalitäten diese untervermieten. Über Art. 326bis Abs. 2 kann Art. 325bis auch von den allfälligen Geschäftsführern, Beauftragten und Angestellten der Vermieter erfüllt werden. Gleichgestellt werden sämtliche Personen, welche einschlägige Angelegenheiten für eine juristische Person, Kollektiv- oder Kom­ manditgesellschaft, ein Einzelunternehmen oder sonst in Ausübung geschäftli­ cher oder dienstlicher Verrichtungen besorgen (Art. 326bis Abs. 1).

1.12

Mietverhältnis betreffend Wohn- und Geschäftsräume

Art. 325bis gelangt bei Mietverhältnissen zur Anwendung, welche Wohn- und Geschäftsräume betreffen, nicht aber etwa bei solchen betreffend Garagen oder Lagerräume.

1.13

Tatbestandsmässige Verhaltensweisen

a) Strafbar macht sich, wer den Mieter unter Androhung von Nachteilen davon abhält oder abzuhalten versucht, Mietzinse oder sonstige Forde­ rungen des Vermieters anzufechten, wie es OR Art. 2703634, 270a3635 und Art. 270b3636 vorsehen. Neben der im Gesetz als Hauptbeispiel genannten Kündigung werden als angedrohte Nachteile auch etwa das Unterlassen des Unterhalts des Mietobjekts (OR Art. 256 Abs. 1) oder der Behebung daran bestehender Mängel (OR Art. 259a), der Widerruf eingeräumter Konditio­ nen für die Benützung der Räume usw. in Betracht fallen.

3632  Corboz, Vol. II, N 2 zu Art. 325bis, Dupuis u.a., Code pénal, N 4 zu Art. 325bis, Wanner,

BSK StGB II, N 4 zu Art. 325bis, a.M. Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 2 zu Art. 326bis.

3633  Andere unbewegliche Sachen unterliegen nicht dieser Strafnorm. 3634  Anfechtung des Anfangsmietzinses. 3635  Anfechtung des Mietzinses während der Mietdauer aufgrund veränderter Berech­

nungsgrundlagen.

3636  Anfechtung von Mietzinserhöhungen und anderen einseitigen Vertragsänderungen.

680

§ 144  Widerhandlungen gegen die Mieterschutzbestimmungen (Art. 325bis u. 326bis)

Das Gesetz lässt im Sinne einer Ausnahme gegenüber der allgemeinen Regel für Übertretungen (Art. 105 Abs. 2) bereits das versuchte Abhalten von einer Anfechtung mit den genannten Mitteln genügen; weder deren Vornahme noch deren Erfolgsaussichten sind von Bedeutung3637. Dem­ nach darf auch nicht vorausgesetzt werden, dass der Mieter überhaupt eine Anfechtung in Betracht zieht, und die Drohung kann auch «vorsorglich» anlässlich der Anzeige einer Mietzinserhöhung oder sogar vorher ange­ bracht werden. b) Sodann wird bestraft, wer dem Mieter kündigt, weil dieser im Zusammen­ hang mit dem Mietverhältnis die ihm nach Obligationenrecht zustehenden Rechte wahrnimmt oder wahrnehmen will. Erfasst werden damit nicht nur die vorher erwähnten Anfechtungsbefugnisse, sondern alle Rechte, die dem Mieter aufgrund von Normen des OR zustehen3638. c) Schliesslich macht sich strafbar, wer Mietzinse oder sonstige Forderungen nach einem gescheiterten Einigungsversuch3639 oder nach einem richterli­ chen Entscheid in unzulässiger Weise durchsetzt oder durchzusetzen ver­ sucht. Der Vermieter entlässt den vorzeitig ausziehenden Mieter nur aus den vertragli­ chen Verpflichtungen, wenn dieser neben dem Mietzins bis zum Kündigungster­ min eine vorgängig vom Gericht für missbräuchlich erklärte Mietzinserhöhung bezahlt3640.

1.2

Subjektiver Tatbestand

Für die Strafbarkeit ist Vorsatz erforderlich, im in lit. a erwähnten Fall insbe­ sondere der Wille des Täters, den Mieter von einer Anfechtung von Forderun­ gen des Vermieters abzuhalten.

3637  Dupuis u.a., Code pénal, N 9 zu Art. 325bis, a.M. wohl Wanner, BSK StGB II, N 8 f. zu

Art. 325bis.

3638  Vgl. dazu Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu Art. 325bis, Püntener, N 33/2.5, Wanner,

BSK StGB II, N 13 zu Art. 325bis.

3639  Vgl. OR Art. 259i i.V.m. ZPO Art. 202 ff. bei Mängeln am Mietobjekt, OR Art. 270a

Abs.  2 und 270b bei Streitigkeiten um Mietzinse, OR Art.  273 Abs.  4 i.V.m. ZPO Art. 202 ff. bei Kündigung. 3640  Vgl. Püntener, N 33/2.6, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 6 zu Art. 325bis.

681

§ 144  Widerhandlungen gegen die Mieterschutzbestimmungen (Art. 325bis u. 326bis)

2.

Strafbares Verhalten von Mitverantwortlichen (Art. 326bis Abs. 2 und 3)

2.1

Objektiver Tatbestand

2.11

Kreis der Mitverantwortlichen

Neben Tätern, die als direkte oder indirekte Vertreter des Vermieters handeln, können auch deren Arbeitgeber, Auftraggeber, die im Einzelfall von ihnen Ver­ tretenen sowie deren Geschäftsführer als Mitverantwortliche infrage kommen. Treten als solche juristische Personen, Kollektiv- oder Kommanditgesellschaf­ ten, Einzelfirmen oder Personengesamtheiten ohne Rechtspersönlichkeit auf, so findet diese Regelung auf die verantwortlichen Organe, Organmitglieder, geschäftsführende Gesellschafter, tatsächlich leitende Personen oder Liquida­ toren Anwendung. Alle erwähnten Personen werden damit vom Gesetzgeber als Garanten für legales Verhalten der für den Vermieter gegenüber dem Mie­ ter unmittelbar auftretenden Personen eingesetzt.

2.12

Tatbestandsmässiges Verhalten

Gestützt auf Art. 326bis Abs. 1 werden die dort aufgeführten Personen bestraft, wenn sie die unter Art. 325bis subsumierbaren Handlungen bei der Geschäfts­ besorgung für einen Dritten begangen haben. Das tatbestandsmässige Verhalten nach Art. 326bis Abs. 2 besteht darin, dass der Mitverantwortliche es unterlässt, eine bevorstehende Widerhandlung des Täters gemäss Ziff.  1.13 hievor abzuwenden oder die Wirkung einer bereits erfolgten Widerhandlung aufzuheben, d.h. die Androhung bzw. Kündigung zu widerrufen3641 oder Durchsetzungsmassnahmen zurückzunehmen3642. Es handelt sich dabei um ein echtes Unterlassungsdelikt3643. Entsprechend der all­ gemeinen Voraussetzung bestehender Tatmacht bei echten Unterlassungsde­ likten muss es dem Mitverantwortlichen sodann auch möglich gewesen sein, in der genannten Weise gegen das Verhalten des Täters einzuschreiten. Dafür ist namentlich erforderlich, dass er gegenüber diesem tatsächlich weisungsbe­ fugt gewesen ist.

3641  Fallkonstellationen gemäss Ziff. 1.13 lit. a und lit. b hiervor. 3642  Fallkonstellation gemäss Ziff. 1.13 lit. c hiervor. 3643  Strafrecht I, § 29.

682

§ 145  Übertretung firmenrechtlicher Bestimmungen (Art. 326ter)

2.2

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist Vorsatz. In dieser Hinsicht verlangt das Gesetz ausdrücklich, dass der Mitverantwortliche bei der ersten Variante im Voraus, bei der zweiten nachträglich von der Widerhandlung Kenntnis erlangt.

3. Konkurrenzen Ist neben Art. 325bis gleichzeitig der Straftatbestand der Drohung (Art. 180) und/oder der Nötigung (Art. 181) erfüllt, so wird Art. 325bis konsumiert3644.

§ 145 Übertretung firmenrechtlicher Bestimmungen (Art. 326ter) Literaturauswahl: R. Bühler, Grundlagen des materiellen Firmenrechts, Diss. Zürich 1991, C. Champeaux, Kleine Revision des Firmenrechts – Neuerungen mit Unvollkommenheiten und Tücken, REPRAX 2-3/2008, 18, Ph. Schneider, Firmenrecht und Firmengebrauchspflicht, Gedan­ ken zur Revision der firmenrechtlichen Bestimmungen in der Handelsregisterverordnung, AJP 7 (1998) 1451.

Art. 326ter (Übertretung firmen- und namensrechtlicher Bestimmungen/Contravention aux dispositions concernant les raisons de commerce et les noms/Con­ travvenzioni alle disposizioni su ditte e nomi commerciali/Contravention of the law on business and other names) ergänzt die Strafnorm für unwahre Anga­ ben gegenüber Handelsregisterbehörden von Art.  1533645 in der Weise, dass die Verwendung mindestens möglicherweise irreführender Bezeichnungen für Unternehmen auch im Verkehr mit Dritten als Übertretung für strafbar erklärt wird. Die Bestimmung, ein abstraktes Gefährdungsdelikt, dient damit ganz all­ gemein der Verhütung von Wirtschaftskriminalität und unlauteren Machen­ schaften.

3644  Dupuis u.a., Code pénal, N 19 zu Art. 325bis, Stratenwerth/Jenny/Bommer, BT I, § 5

N 20, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 11 zu Art. 325bis, Wanner, BSK StGB II, N 29 zu Art. 325bis, a.M. Corboz, Vol. II, N 14 zu Art. 325bis, der davon ausgeht, Art. 325bis gehe Art. 181 als lex specialis vor. 3645  Dazu Strafrecht III, § 26.

683

§ 145  Übertretung firmenrechtlicher Bestimmungen (Art. 326ter)

1.

Objektiver Tatbestand

Der Begriff des Rechtsträgers wird im gleichen umfassenden Sinn wie bei Art.  1523646 zu verstehen sein. Demnach kann es sich neben Handelsgesell­ schaften und Genossenschaften auch um Einzelunternehmen Vereine, Stif­ tungen, Kommanditgesellschaften für kollektive Kapitalanlagen gemäss KAG Art. 98 ff.3647, Investmentgesellschaften mit festem Kapital gemäss KAG Art. 110 ff. sowie Investmentgesellschaften mit variablem Kapital nach Art. 36 ff. KAG handeln, welche ein kaufmännisches Gewerbe ausüben. Neben den Rechtsträgern haben Zweigniederlassungen gemäss OR Art.  935 Anspruch auf firmenrechtlichen Schutz. Unter Bezeichnung ist die Firma und das firmenmässig gebrauchte Zeichen zu verstehen3648. Was den potenziellen Täterkreis angelangt, so ist Art. 326ter als gemeines Delikt ausgestaltet. Als Täter kommt jede zum Rechtsträger bzw. zur Zweigniederlas­ sung zugehörige Person infrage, welche die verpönte Bezeichnung selber zur Anwendung bringt oder dies anordnet. Das Gesetz erfasst drei verschiedene Verhaltensweisen, von denen die erste nur tatsächlich im Handelsregister eingetragene Unternehmen betrifft, wäh­ rend bei der zweiten und dritten diese Voraussetzung fehlt: a) Abs. 1 erfasst die Verwendung einer mit dem Eintrag im Handelsregister nicht übereinstimmenden Bezeichnung, sofern sie irreführen kann3649. b) Gemäss Abs.  2 wird die Verwendung einer irreführenden Bezeichnung für einen nicht eingetragenen Rechtsträger oder eine nicht eingetragene Zweigniederlassung unter Strafe gestellt. c) Nach Abs. 3 wird bestraft, wer für einen nicht eingetragenen ausländischen Rechtsträger den Eindruck erweckt, der Sitz des Rechtsträgers oder eine Geschäftsniederlassung befinde sich in der Schweiz3650. Damit soll vermie­

3646  Unwahre Angaben über kaufmännische Gewerbe, dazu Strafrecht III, § 25. 3647  Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die kollektiven Kapitalanlagen, SR 951.31. 3648  Wanner, BSK StGB II, N 7 zu Art. 326ter. 3649  Vgl. dazu BGE 103 IV 203 ff. 3650  Gemäss Wanner, BSK StGB II, N 16 zu Art. 326ter ist Abs. 3 dieser Bestimmung über­

flüssig, da diese Tatvariante stets von Abs. 1 konsumiert werde; a.M. Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 4 zu Art. 326ter.

684

§ 146  Unwahre Auskunft durch eine Personalvorsorgeeinrichtung (Art. 326quater)

den werden, dass deren guter Ruf im Wirtschaftsleben in Misskredit gezo­ gen wird. Die Tat dürfte bereits mit einer einzigen Publikation oder Zustellung eines Schreibens mit der falschen Bezeichnung vollendet sein.

2.

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist stets Vorsatz. In dieser Hinsicht werden sich Probleme höchs­ tens in Bezug auf das Bewusstsein um die Eignung der Bezeichnung zur Irre­ führung ergeben können, sofern sie vom Gesetz gefordert wird.

§ 146 Unwahre Auskunft durch eine Personal­ vorsorgeeinrichtung (Art. 326quater) Nach ZGB Art. 89a Abs. 6 Ziff. 20 gelten die Strafbestimmungen des BVG3651 (BVG Art.  75–79) für alle Personalfürsorgestiftungen. Sie sind überdies auf die Gesamtheit der nach BVG Art.  48 registrierten Vorsorgeeinrichtungen (neben Stiftungen sind dies Genossenschaften und Einrichtungen des öffentli­ chen Rechts) anwendbar. Entsprechend ist der denkbare Anwendungsbereich von Art. 326quater (Unwahre Auskunft durch eine Personalvorsorgeeinrichtung/ Faux renseignements émanant d’une institution de prévoyance en faveur du personnel/False informazioni da parte di istituzioni di previdenza a favore del personale/Provision of false information by an employee benefits institution) sehr beschränkt, und zwar auf die nicht registrierten Vorsorgeeinrichtungen in der Form von Genossenschaften und Einrichtungen des öffentlichen Rechts3652. Art. 326quater sichert die Auskunftspflichten der Organe der erwähnten nicht registrierten Personalvorsorgeeinrichtungen gegenüber Begünstigten durch eine Strafdrohung ab. Gleiches gilt für die Erfüllung der Auskunftspflichten gegenüber einer Aufsichtsbehörde.

3651  Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge vom

25. Juni 1982 (BVG), SR 831.40.

3652  Dupuis u.a., Code pénal, N 1 zu Art. 326quater, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 1 zu

Art. 326quater N 1, Weissenberger, BSK StGB II, N 2 zu Art. 326quater.

685

§ 147  Nachmachen von Postwertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 328)

1.

Objektiver Tatbestand

Täter kann nur das Organ einer Personalvorsorgeeinrichtung sein. Sinngemäss muss es nach deren Statut für die Erfüllung der gesetzlichen Auskunftspflicht zuständig sein. Ebenso ist vorauszusetzen, dass eine berechtigte Person Infor­ mationen verlangt oder eine regelmässige Berichterstattung vorgeschrieben ist. Das tatbestandsmässige Verhalten besteht darin, dass der Täter entweder pflichtwidrig innert Frist bzw. trotz mehrfacher Mahnung gar keine3653 oder aber eine unwahre Auskunft von einer gewissen Bedeutung3654 erteilt.

2.

Subjektiver Tatbestand

Erforderlich ist Vorsatz, sodass die bloss irrtümlich erfolgte falsche Auskunft straflos bleibt.

3. Abgrenzungen Eine analoge Strafbestimmung findet sich in BVG Art.  75 Ziff.  1 Abs.  1. Art. 326quater kommt nur in Betracht, wenn BVG Art. 75 nicht zur Anwendung gelangt3655.

§ 147 Nachmachen von Postwertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 328) 1.

Tatbestandsmässiges Verhalten (Ziff. 1)

Das tatbestandsmässige Verhalten besteht nach Abs.  1 zunächst darin, dass jemand Postwertzeichen des In- oder Auslandes  – ohne Fälschungsabsicht  – nachmacht, um sie als nachgemacht – d.h. ohne Täuschungsabsicht – in Ver­ kehr zu bringen, ohne die einzelnen Stücke als Nachmachungen kenntlich zu machen. Andererseits macht sich strafbar, wer solche Objekte einführt, feilhält oder in Verkehr bringt (Abs. 2). Der Umstand, dass das Nachmachen gültiger Postwertzeichen mit Täuschungs­ absicht durch Art. 245 und das Nachmachen ohne Täuschungsabsicht durch 3653  BGE 124 IV 218. 3654  Weissenberger, BSK StGB II, N 9 zu Art. 326quater. 3655  Weissenberger, BSK StGB II, N 14 zu Art. 326quater.

686

§ 147  Nachmachen von Postwertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 328)

Art. 243 geschützt sind, spricht für die Annahme, dass der Tatbestand sich nur auf ungültige Briefmarken bezieht, welche ausschliesslich als Sammlerobjekte Wert haben3656, nicht auch auf gültige Postwertzeichen3657. Art. 328 (Nachmachen von Postwertzeichen ohne Fälschungsabsicht/Contrefaçon de valeurs postales sans dessein de faux/Contraffazione di segni di valore postali senza fine di falsificazione/Reproduction of postage stamps without intent to commit forgery) geht davon aus, dass für den Verkehr bestimmte Reproduktionen von ungültigen Briefmarken auf jedem Einzelstück als solche gekennzeichnet wer­ den müssen. Schon die Verletzung dieser Pflicht zieht Strafe nach sich. Mit der Regelung soll offenbar dem Umstand Rechnung getragen werden, dass solche Briefmarken originalgetreu abgebildet werden und Reproduktionen eine aus­ gedehnte Verwechslungsgefahr schaffen. In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich.

2.

Einziehung (Ziff. 2)

Nach dieser Bestimmung unterliegen die Nachmachungen ohne weitere Vor­ aussetzung der Einziehung. Wie bei Art. 249 – anders jedoch als nach Art. 69 – bildet eine strafbare Handlung nicht Voraussetzung der Einziehung, die betreffenden Postwertzeichen sind also auch einzuziehen, wenn ein delikti­ scher Vorsatz nicht vorhanden ist. Überdies besteht aufgrund von Art.  328 Ziff. 2 die unwiderlegbare Vermutung, dass durch die Nachahmungen schutz­ würdige gesetzliche Interessen gefährdet werden3658. Anders als bei Art. 249 ist in Art.  328 nicht vorgeschrieben, die einzuziehenden Gegenstände seien unbrauchbar zu machen oder zu vernichten.

3. Abgrenzungen Ein Dritter, welcher das ohne Täuschungsabsicht imitierte Postwertzeichen seinerseits mit Täuschungsabsicht in den Verkehr bringt, kann sich der Waren­

3656  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 2 f. zu Art. 328, Niggli, N 13 zu Art. 328 sowie Trech-

sel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 1 zu Art. 328, nach Corboz, Vol. II, N 3 ff. zu Art. 328, sind ausschliesslich gültige Postwertzeichen geschützt. 3657  A.M. Stratenwerth/Bommer, BT II, § 34 N 17. 3658  Vgl. dazu BGE 123 IV 56 f. (betreffend Art. 249).

687

§ 148  Verletzung militärischer Geheimnisse (Art. 329)

fälschung gemäss Art. 155 oder allenfalls eines Betrugs nach Art. 146 strafbar machen3659.

§ 148 Verletzung militärischer Geheimnisse (Art. 329) Diese Bestimmung (Verletzung militärischer Geheimnisse/Violation de secrets militaires/Violazione di segreti militari/Breach of military secrecy) stellt Verhal­ tensweisen unter Strafe, die zum Bekanntwerden militärischer Geheimnisse führen können. Der Tatbestand stellt somit  – trotz der Marginalie «Verlet­ zung militärischer Geheimnisse»  – ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar3660. Art. 329 schützt die Landesverteidigung. Als einzige Übertretungstatbestände unterstehen die Art. 329–331 der Bundesgerichtsbarkeit (StPO Art. 23 Abs. 1 lit. k).

1.

Objektiver Tatbestand

Der Übertretungstatbestand bezieht sich auf Taten im Vorfeld der militäri­ schen Spionage. Die Bestimmung macht es möglich, schon gegen Vorberei­ tungshandlungen des militärischen Nachrichtendienstes gemäss Art. 274 und der Verletzung militärischer Geheimnisse nach MStG3661 Art. 86 und 106 ein­ zuschreiten. Deshalb ist der Tatbestand auch erfüllt, wenn keine eigentlichen (materiellen) Geheimnisse beeinträchtigt werden3662. Es genügt bereits die Missachtung eines von den Behörden i.S. von Ziff. 1 Abs. 1 oder vom Gesetz i.S. von Ziff. 1 Abs. 2 geschützten (formellen) Geheimnisses3663. Der Tatbestand wird gemäss Art.  329 Ziff.  1 einerseits dadurch erfüllt, dass jemand in Anstalten oder andere Örtlichkeiten eindringt, zu denen der Zutritt von der Militärbehörde verboten ist (wie z.B. Festungen, Magazine, Flugplätze). Andererseits macht sich auch strafbar, wer militärische Anstalten oder Gegen­ 3659  Lentjes Meili/Keller, BSK StGB II, N 8 zu Art. 328, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 1

zu Art. 328.

3660  BGE 112 IV 86 f., Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 44, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/

Pieth, N 1 zu Art. 329, Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 329, a.M. Omlin, BSK StGB II, N 3 zu Art. 329. 3661  Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927, SR 321.0. 3662  BGE 112 IV 86 f. 3663  Dazu vorn § 100 Ziff. 2.1.

688

§ 148  Verletzung militärischer Geheimnisse (Art. 329)

stände abbildet oder solche Abbildungen vervielfältigt oder veröffentlicht. Wie das Gesetz ausdrücklich ausführt, müssen alle diese Handlungen unrechtmäs­ sig vorgenommen werden. Den Tatbestand erfüllt also z.B. nicht, wer ein mit Zutrittsverbot belegtes Areal aufsucht, um dort im Auftrag der Militärbehörde Arbeiten auszuführen, oder wer von ihr freigegebene Aufnahmen von Waffen in der Presse veröffentlicht.

2.

Subjektiver Tatbestand

Die Strafbarkeit setzt Vorsatz voraus, wozu in diesem Fall auch das Wissen oder mindestens das Inkaufnehmen der Möglichkeit gehört, zum Betreten der geschützten Areale bzw. zum Abbilden des militärischen Objektes etc. nicht berechtigt zu sein.

3.

Weitere Fragen

3.1

Strafbarkeit von Versuch und Gehilfenschaft

Art. 329 Ziff. 2 stellt in Abweichung von der Regel des Art. 105 Abs. 2 auch Ver­ such und Gehilfenschaft unter Strafe.

3.2 Konkurrenzen Erfüllt der Täter den Tatbestand des diplomatischen Landesverrats nach Art. 267, des militärischen Nachrichtendienstes nach Art. 274, denjenigen des Verrates militärischer Geheimnisse gemäss MStG Art. 86 bzw. 106 oder den Tatbestand gemäss dem Bundesgesetz über den Schutz militärischer Anlagen vom 23.  Juni 19503664, Art.  7, so findet Art.  329 als subsidiäre Bestimmung keine Anwendung3665.

3664  SR 510.518. 3665  BGE 112 IV 86, Corboz, Vol. II, N 7 zu Art. 329, Dupuis u.a., Code pénal, N 11 zu

Art. 329, Omlin, BSK StGB II, N 2 zu Art. 329, Stratenwerth/Bommer, BT II, § 45 N 45, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 1 zu Art. 329.

689

§ 149  Handel mit militärisch beschlagnahmtem Material (Art. 330)

§ 149 Handel mit militärisch beschlagnahmtem Material (Art. 330) Auch dieser Übertretungstatbestand (Handel mit militärisch beschlagnahmtem Material/Trafic de matériel séquestré ou réquisitionné par l’armée/Commercio di materiali sequestrati o requisiti dall’esercito/Trading in material requisitioned by the armed forces) schützt die Landesverteidigung. Er weist Ähnlichkeiten mit Art. 289 (Bruch amtlicher Beschlagnahme) auf.

1.

Objektiver Tatbestand

Angriffsobjekte sind Gegenstände, d.h. körperliche Sachen, die von der Heeres­ verwaltung zum Zwecke der Landesverteidigung beschlagnahmt oder requi­ riert worden sind. Eine betreffende Anordnung kann durch Gesetz, Verord­ nung oder Befehl3666 sowohl generell als auch für einzelne konkrete Objekte getroffen worden sein. Zu denken ist etwa an Waffen, Munition, Fahrzeuge, Kommunikations- oder Nahrungsmittel. Das strafbare Verhalten geht über den Randtitel der Bestimmung hinaus und kann ausser im Verkauf und im Erwerben auch im Verpfänden bzw. Pfand­ nehmen, Verbrauch, Beiseiteschaffen, Zerstören und Unbrauchbarmachen sol­ chen Materials bestehen. In allen Fällen muss der Täter unrechtmässig han­ deln, woran es z.B. fehlt, wenn er sich gegenüber einer allgemein angeordneten Requisition auf eine Ausnahmebewilligung stützen kann.

2.

Subjektiver Tatbestand

Die Strafbarkeit setzt Vorsatz voraus, der sich auch auf die Unrechtmässigkeit des Vorgehens erstrecken muss.

3666  Corboz, Vol. II, N 1 zu Art. 330, Omlin, BSK StGB II, N 6 zu Art. 330, a.M. Stratenwerth/

Bommer, BT II, § 53 N 34, wonach nur durch allgemeine Anordnungen und Bekannt­ machungen mit Beschlag belegte Sachen erfasst sind.

690

§ 150  Unbefugtes Tragen der militärischen Uniform (Art. 331)

3. Konkurrenzen Stehen die vom tatbestandsmässigen Handeln betroffenen Gegenstände in fremdem Eigentum, so kann Art. 330 in echte Konkurrenz mit einem Vermö­ gensdelikt treten3667. MStG Art. 107 geht Art. 330 vor3668.

§ 150 Unbefugtes Tragen der militärischen Uniform (Art. 331) Die Bestimmung (Unbefugtes Tragen der militärischen Uniform/Port indu de l’uniforme militaire/Uso indebito della uniforme militare/Unauthorised wearing of the military uniform) liegt im Interesse der Landesverteidigung. Sie sanktio­ niert den Missbrauch der militärischen Uniform und will verhindern, dass sich Zivilisten den Anschein von Militärpersonen geben.

1.

Objektiver Tatbestand

Er besteht darin, dass Zivilisten, die nicht i.S. von MStG Art. 3 unter den erwei­ terten Geltungsbereich des MStG fallen, unbefugt die Uniform der schweize­ rischen Armee tragen. Es kann sich um echte oder nachgemachte Uniformen handeln. Wer als Militärangehöriger eine Uniform höheren oder tieferen Gra­ des trägt, als sie ihm zusteht (z.B. Soldat trägt Offiziersuniform), fällt nicht unter Art.  3313669. Trägt eine Person bloss Teile von Militäruniformen und bleibt sie dabei als Zivilperson erkenntlich, erfüllt sie den Tatbestand nicht (wie z.B. der Landwirt, welcher sich mit einem alten Militärmantel ohne Abzeichen gegen die Kälte schützt)3670. Erforderlich ist ferner, dass der Täter mit der Uni­ form in der Öffentlichkeit auftritt3671.

3667  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 330, Dupuis u.a., Code pénal, N 10 zu Art. 330. 3668  Omlin, BSK StGB II, N 4 zu Art. 330. 3669  Dupuis u.a., Code pénal, N 2 zu Art. 331, Omlin, BSK StGB II, N 4 zu Art. 331, a.M.

Stratenwerth/Bommer, BT II, § 54 N 9.

3670  Corboz, Vol. II, N 4 zu Art. 331, Dupuis u.a., Code pénal, N 7 zu Art. 331, a.M. Omlin,

BSK StGB II, N 5 zu Art. 331, wonach das Tragen von Uniformteilen dann strafbar sein soll, wenn dadurch «die Armeeuniform als Symbol der schweizerischen Armee der Lächerlichkeit preisgegeben wird». 3671  Corboz, Vol. II, N 5 zu Art. 331, Omlin, BSK StGB II, N 6 zu Art. 331.

691

§ 151  Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332)

2.

Subjektiver Tatbestand

Art. 331 erfordert Vorsatz.

3. Abgrenzungen Wer als Militärangehöriger unter den Geltungsbereich von MStG Art. 3 fällt und die Uniform trägt, ist nach den einschlägigen militärstrafrechtlichen Bestimmungen zu bestrafen3672. Infrage kommen v.a. MStG Art. 73 und 180.

§ 151 Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332) Nach ZGB Art. 720 hat derjenige, welcher einen verlorenen Gegenstand fin­ det, den Fund der Polizei mindestens dann anzuzeigen, wenn er den Eigentü­ mer der Sache nicht kennt und deren Wert offenbar zehn Franken übersteigt. Mit Einführung des ZGB Art. 720a3673 werden die Pflichten beim Fund eines verloren gegangenen Tieres nun in einer gesonderten Bestimmung beschrie­ ben. Wird die Sache in einem bewohnten Haus oder in einer dem öffentli­ chen Gebrauch oder Verkehr dienenden Anstalt gefunden, so ist sie nach ZGB Art. 720 Abs. 3 dem Hausherrn, Mieter oder den mit der Aufsicht betrauten Personen abzuliefern. Schliesslich ist auf ZGB Art. 725 Abs. 1 hinzuweisen, in dem auf ZGB Art. 720 und 720a verwiesen wird. Die Obliegenheiten des Finders nach ZGB Art.  720 Abs.  2, 720a und 725 Abs. 1 – nicht aber diejenigen nach Art. 720 Abs. 33674 – werden in Art. 332 strafrechtlich gesichert.

1.

Objektiver Tatbestand

Der Tatbestand dieses echten Unterlassungsdeliktes (Nichtanzeigen eines Fundes/Défaut d’avis en cas de trouvaille/Omessa notificazione del rinvenimento di cose smarrite/Failure to report a find) besteht darin, dass man beim Fund oder bei der Zuführung einer Sache bzw. eines Tieres die in ZGB Art. 720 Abs. 2, 720a Abs. 1 und 725 Abs. 1 vorgeschriebene Anzeige nicht erstattet. 3672  Sem 66 (1944) 97, Dupuis u.a., Code pénal, N 2 zu Art. 331. 3673  Änderung des ZGB, OR, StGB, SchKG vom 4. Oktober 2002 (Grundsatzartikel Tiere),

AS 2003, 463 ff.

3674  Dupuis u.a., Code pénal, N 6 zu Art. 332, Niggli, BSK StGB II, N 14 zu Art. 332, Trech-

sel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 1 zu Art. 332.

692

§ 151  Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332)

Da als Täter nur der Finder in Betracht kommt, stellt Art. 332 ein echtes Son­ derdelikt3675 dar. Andere Personen kommen daher nur als Anstifter infrage3676. Als «verloren» haben Sachen und Tiere stets dann zu gelten, wenn sie dem bishe­ rigen rechtmässigen Inhaber des Gewahrsams unwillentlich abhanden gekom­ men sind und der Gewahrsam nun von niemandem mehr ausgeübt wird. Es kann sich also auch um Sachen oder Tiere handeln, welche jemand wider­ rechtlich weggenommen und später stehen bzw. frei gelassen hat3677. Sodann bestimmt ZGB Art. 725, dass derjenige, dem durch Naturgewalt oder zufällige Ereignisse bewegliche Sachen zugeführt werden oder in dessen Gewahrsam fremde Tiere geraten, die Rechte und Pflichten eines Finders hat. Als dazu verpflichteter Finder kann nur gelten, wer an der verlorenen Sache oder am Tier Gewahrsam begründet bzw. erlangt hat3678. Es genügt also nicht, wenn jemand irgendwo eine verlorene Sache liegen sieht, ohne sie aufzuneh­ men. Das tatbestandsmässige Verhalten besteht in der Unterlassung der Meldung betreffend den Fund gegenüber der Polizei, sofern dessen Wert offenbar zehn Franken übersteigt (ZGB Art.  725 Abs.  2). Das ZGB bestimmt keine Frist, innerhalb welcher der Finder die Anzeige zu erstatten hat. Sinngemäss wird dies jedoch zu geschehen haben, sobald es möglich und zumutbar ist. Keine Meldepflicht besteht bei Funden in einem bewohnten Hause oder in einer dem öffentlichen Gebrauch oder Verkehr dienenden Anstalt i.S. von ZGB Art. 720 Abs. 33679, da in Art. 332 – wie vorstehend ausgeführt – ausdrücklich nur ZGB Art. 720 Abs. 2 erwähnt wird.

2.

Subjektiver Tatbestand

Die Nichtanzeige eines Fundes ist nur strafbar, wenn sie mit Vorsatz erfolgt. Dies erfordert u.a., dass der Täter den Gegenstand bzw. das Tier für fremd und verloren gegangen und nicht etwa für von ihrem Eigentümer derelinquiert hält3680. Macht er geltend, die Regelungen von ZGB Art. 720 Abs. 2, 720a bzw. 3675  Vgl. Strafrecht I, § 8 Ziff. 2.12 und § 29. 3676  Gehilfenschaft ist gemäss Art. 105 Abs. 2 nicht strafbar. 3677  Vgl. die Ausführungen zur Fundunterschlagung in Strafrecht III, § 6 Ziff. 2.212. 3678  Dupuis u.a., Code pénal, N 8 zu Art. 332, Corboz, Vol. II, N 10 zu Art. 332. 3679  Corboz, Vol. II, N 4 f. zu Art. 332, Dupuis u.a., Code pénal, N 6 zu Art. 332, Niggli, BSK

StGB II, N 14 zu Art. 332, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 1 zu Art. 332.

3680  Vgl. BGE 85 IV 192.

693

§ 151  Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332)

725 Abs. 1 – zumindest nach der «Parallelwertung in der Laiensphäre» – nicht gekannt zu haben, so lässt dies nicht den Vorsatz entfallen; ein entsprechender Irrtum ist nach Art. 21 zu behandeln.

3. Konkurrenzfragen Unterlässt ein Finder nicht bloss die geforderte Anzeige, sondern eignet er sich darüber hinaus die verlorene oder ihm zugeführte Sache an, so ist er allein wegen unrechtmässiger Aneignung nach Art. 137 Ziff. 2 Abs. 1 zu bestrafen3681. Entsprechendes gilt gemäss Art. 110 Abs. 3bis für Tiere. Art. 332 gilt als mitbe­ strafte Vor- oder Nachtat. Art. 332 findet alsdann nur Anwendung, wenn es an dem nach Art. 137 Ziff. 2 Abs. 1 erforderlichen Strafantrag fehlt3682.

3681  Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 332, Dupuis u.a., Code pénal, N 14 zu Art. 332, Niggli, BSK

StGB II, N 19 zu Art. 332, Stratenwerth/Jenny/Bommer, BT I, § 13 N 41, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 5 zu Art. 332. 3682  Vgl. zu alt Art. 141: BGE 71 IV 93, 85 IV 191, weiter Corboz, Vol. II, N 15 zu Art. 332, Niggli, BSK StGB II, N 19 zu Art. 332, Stratenwerth/Jenny/Bommer, BT I, § 13 N 41, Trechsel/Ogg, in: Trechsel/Pieth, N 5 zu Art. 332.

694

Anhang

Vernachlässigung von Unterhaltspflichten Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht Entziehen von Unmündigen Brandstiftung Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst Verursachung einer Explosion Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht Gefährdung ohne verbrecherische Absicht. Fahrlässige Gefährdung Herstellen, Verbergen, Weiterschaffen von Sprengstoffen und giftigen Gasen Gefährdung durch Kernenergie, Radioaktivität und ionisierende Strahlen Strafbare Vorbereitungshandlungen

217

226ter

226bis

226

225

223 224

220 221 222

219

Deutsch Inzest Mehrfache Ehe oder eingetragene Partnerschaft

Art. 213 215

Esplosione Uso delittuoso di materie esplosive o gas velenosi

Italienisch Incesto Bigamia nel matrimonio o nell’unione domestica regis­ trata Trascuranza degli obblighi di mantenimento Violazione del dovere d’assistenza o educazione Sottrazione di minorenne Incendio intenzionale Incendio colposo Neglect of duty to support the family Neglect of duty of care or education Abduction of minors Arson Arson by negligence

Englisch Incest Bigamy

Causing an explosion Causing danger by means of explosives and toxic gases with criminal intent Uso colposo di materie esplo- Causing danger without crisive o gas velenosi minal intent or through negligence Fabriquer, dissimuler et trans- Fabbricazione, occultamento e Manufacturing, concealing, porter des explosifs ou des gaz trasporto di materie esplosive transporting explosives and toxiques o gas velenosi toxic gases Danger imputable à l’énergie Pericolo dovuto all’energia Causing danger by means of nucléaire, à la radioactivité et nucleare, alla radioattività e a nuclear energy, radioactivity aux rayonnements ionisants raggi ionizzanti or ionising radiation Actes préparatoires punissab- Atti preparatori punibili Criminal preparatory activiles ties

Explosion Emploi, avec dessein délictueux, d’explosifs ou de gaz toxiques Emploi sans dessein délictueux ou par négligence

Violation d’une obligation d’entretien Violation du devoir d’assistance ou d’éducation Enlèvement de mineur Incendie intentionnel Incendie par négligence

Französisch Inceste Pluralité de mariages ou de partenariats enregistrés

Anhang 

Terminologie des schweizerischen Strafrechts (Strafrecht IV)

697

698

Verunreinigung von Trink­ wasser Herstellen von gesundheitsschädlichem Futter Inverkehrbringen von gesundheitsschädlichem Futter Störung des öffentlichen ­Verkehrs

234

237

236

235

Verbreiten von Schädlingen

Deutsch Verursachen einer Überschwemmung oder eines Einsturzes Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutzvorrichtungen Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde Beseitigung oder Nicht­ anbringung von Sicherheits­ vorrichtungen Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen Verbreiten menschlicher Krankheiten Verbreiten von Tierseuchen

233

232

231

230bis

230

229

228

Art. 227

Mise en circulation de ­fourrages altérés Entraver la circulation publique

Altération de fourrages

Propagation d’un parasite ­dangereux Contamination d’eau potable

Dommages aux installations électriques, travaux hydrauliques et ouvrages de protection Violation des règles de l’art de construire Supprimer ou omettre d’installer des appareils ­protecteurs Mise en danger par des organismes génétiquement modifiés ou pathogènes Propagation d’une maladie de l’homme Propagation d’une épizootie

Französisch Inondation. Ecroulement Damaging electrical installa­ tions, hydraulic structures and safety measures Causing danger by violating construction regulations Removal or non-installation of safety measures

Englisch Causing a flood, collapse or landslide

Commercio di foraggi adulterati Perturbamento della circola­ zione pubblica

Distributing harmful animal feed Disruption of public transport

Causing danger by means of genetically modified or pathogenic organisms Transmission of human ­diseases Transmission of epizootic diseases Propagazione di parassiti Transmission of harmful ­pericolosi ­parasites Inquinamento di acque potabili Contamination of drinking water Fabbricazione di foraggi nocivi Producing harmful animal feed

Pericoli causati da organismi geneticamente modificati o patogeni Propagazione di malattie dell’uomo Propagazione di epizoozie

Danneggiamento d’impianti elettrici, di opere idrauliche e di opere di premunizione Violazione delle regole dell’arte edilizia Rimozione od omissione di apparecchi protettivi

Italienisch Inondazione. Franamento

Anhang 

251

249 250

248

247

246

245

244

243

240 241 242

239

Art. 238

Deutsch Französisch Störung des Eisenbahnverkehrs Entrave au service des chemins de fer Störung von Betrieben, die der Entrave aux services d’intérêt Allgemeinheit dienen général Geldfälschung Fabrication de fausse monnaie Geldverfälschung Falsification de la monnaie In Umlaufsetzen falschen Mise en circulation de fausse ­Geldes monnaie Nachmachen von Banknoten, Imitation de billets de banque, Münzen oder amtlichen Wert- de pièces de monnaies ou de zeichen ohne Fälschungsabsicht timbres officiels de valeur sans dessein de faux Einführen, Erwerben, Lagern Importation, acquisition et falschen Geldes prise en dépôt de fausse monnaie Fälschung amtlicher Wertzei- Falsification des timbres chen officiels de valeur Fälschung amtlicher Zeichen Falsification des marques officielles Fälschungsgeräte; unrechtmäs- Appareils de falsification et siger Gebrauch von Geräten emploi illicite d’appareils Fälschung von Mass und Falsification des poids et Gewicht ­mesures Einziehung Confiscation Geld und Wertzeichen des Aus- Monnaies et timbres de valeur landes étrangers Urkundenfälschung Faux dans les titres Falsità in documenti

Falsificazione di valori di bollo ufficiali Falsificazione di marche ufficiali Strumenti per la falsificazione e uso illegittimo di strumenti Falsificazione dei pesi e delle misure Confisca Monete e bolli di valore esteri

Italienisch Perturbamento del servizio f­erroviario Perturbamento di pubblici ­servizi Contraffazione di monete Alterazione di monete Messa in circolazione di monete false Imitazione di biglietti di banca, monete o valori di bollo ufficiali senza fine di falsificazione Importazione, acquisto e deposito di monete false

Forgery of a document

Counterfeiting equipment and unlawful use of equipment Forgery of weights and measures Confiscation Foreign currency and stamps

Forgery of official symbols

Forgery of official stamps

Importing, acquiring and storing counterfeit money

Reproducing bank notes, coins or official stamps without intent to commit forgery

Counterfeiting money Falsification of money Distributing counterfeit money

Disruption of public services

Englisch Disruption of rail transport

Anhang 

699

700

261bis 262

261

quies

260quin-

260ter 260quater

260 260bis

Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit Rassendiskriminierung Störung des Totenfriedens

Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalt­ tätigkeit Landfriedensbruch Strafbare Vorbereitungshandlungen Kriminelle Organisation Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen Finanzierung des Terrorismus

259

258

254 255 256 257

Deutsch Fälschung von Ausweisen Erschleichung einer falschen Beurkundung Unterdrückung von Urkunden Urkunden des Auslandes Grenzverrückung Beseitigung von Vermessungsund Wasserstandszeichen Schreckung der Bevölkerung

Art. 252 253

Atteinte à la liberté de croyance et des cultes Discrimination raciale Atteinte à la paix des morts

Organisation criminelle Mise en danger de la sécurité publique au moyen d’armes Financement du terrorisme

Emeute Actes préparatoires délictueux

Französisch Faux dans les certificats Obtention frauduleuse d’une constatation fausse Suppression de titres Titres étrangers Déplacement de bornes Déplacement de signaux trigonométriques ou limnimétriques Menaces alarmant la population Provocation publique au crime ou à la violence

Perturbamento della libertà di credenza e di culto Discriminazione razziale Turbamento della pace dei defunti

Organizzazione criminale Messa in pericolo della sicurezza pubblica con armi Finanziamento del terrorismo

Sommossa Atti preparatori punibili

Pubblica istigazione a un crimine o alla violenza

Italienisch Falsità in certificati Conseguimento fraudolento di una falsa attestazione Soppressioni di documento Documenti esteri Rimozione di termini Soppressione di segnali trigonometrici e limnimetrici Pubblica intimidazione

Disruption of freedom of religion and worship Racial discrimination Disturbing the peace of the dead

Criminal organisation Endangering public safety with weapons Financing terrorism

Rioting Criminal preparatory activities

Englisch Forgery of credentials Fraudulently obtaining a false certification Suppression of documents Foreign documents Moving of boundary markers Removal of survey points and water level indicators Causing fear and alarm among the general public Public instigation to commit a crime or an act of violence

Anhang 

264d

264b 264c

– lit. i – lit. j

– lit. h

– lit. f – lit. g

Vertreibung oder zwangsweise Überführung Verfolgung und Apartheid Andere unmenschliche ­Handlungen Anwendungsbereich Schwere Verletzungen der ­Genfer Konventionen Angriffe gegen zivile Personen und Objekte

Völkermord Verbrechen gegen die Menschlichkeit Vorsätzliche Tötung Ausrottung Versklavung Freiheitsberaubung Verschwindenlassen von ­Personen Folter Verletzung der sexuellen ­Selbstbestimmung

264 264a

– lit. a – lit. b – lit. c – lit. d – lit. e

Deutsch Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit

Art. 263

Champ d’application Infractions graves aux conventions de Genève Attaque contre des civils ou des biens de caractère civil

Déportation ou transfert forcé de population Persécution et apartheid Autres actes inhumains

Torture Atteinte au droit à l’autodétermination sexuelle

Meurtre Extermination Éduction en esclavage Séquestration Disparitions forcées

Génocide Crimes contre l’humanité

Französisch Actes commis en état d’irresponsabilité fautive

Campo d’applicazione Gravi violazioni delle Convenzioni di Ginevra Attacchi contro persone e beni di carattere civile

Deportazione o trasferimento forzato Persecuzione e apartheid Altri atti inumani

Tortura Lesione dell’autodetermi­ nazione sessuale

Omicidio intenzionale Sterminio Riduzione in schiavitù Sequestro di persona Sparizione forzata di persone

Scope of application Serious violations of the Geneva Conventions Attacks against civilians and civil objects

Deportation or forcible transfer of population Persecution and apartheid Other inhumane acts

Intentional killing Extermination Enslavement Deprivation of liberty Enforced disappearance of ­persons Torture Violation of sexual autonomy

Italienisch Englisch Atti commessi in istato di irres- Commission of a criminal ponsabilità colposa offence while in a state of voluntarily induced mental incapacity Genocidio Genocide Crimini contro l’umanità Crimes against humanity

Anhang 

701

702

265 266

264n

264m

264k 264l

264j

264h 264i

264g

264f

Art. 264e

Ausschluss der relativen ­Immunität Hochverrat Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft

Deutsch Ungerechtfertigte medizinische Behandlung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der Menschenwürde Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten Verbotene Methoden der Kriegführung Einsatz verbotener Waffen Bruch eines Waffenstillstandes oder des Friedens. Vergehen gegen einen Parlamentär. Verzögerte Heimschaffung von Kriegsgefangenen Andere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht Strafbarkeit des Vorgesetzten Handeln auf Befehl oder Anordnung Auslandtaten Exclusion de l’immunité ­relative Haute trahison Atteinte a l’indépendance de la Confédération

Autres infractions au droit international humanitaire Punissabilité du supérieur Actes commis sur ordre d’autrui Actes commis à l’étranger

Utilisation d’armes prohibées Rupture d’un armistice ou de la paix. Délit contre un parlementaire. Retardement du rapatriement de prisonniers de guerre

Französisch Traitement médical immotivé, atteinte au droit à l’autodétermination sexuelle ou à la dignité de la personne Recrutement ou utilisation d’enfants soldats Méthodes de guerre prohibées

Criminal offences carried out abroad Exclusion of relative immunity

Use of prohibited weapons Violation of a ceasefire or peace agreement. Offences against a peace nego­ tiator. Delayed repatriation of prisoners of war Other violations of international humanitarian law Criminal liability of superiors Acting on orders

Recruitment and use of child soldiers Prohibited methods of warfare

Englisch Unjustified medical treatment, violation of sexual rights and human dignity

Esclusione dell’immunità ­relativa Alto tradimento Treason Attentati contro l’indipendenza Attacks on the independence of della Confederazione the Confederation

Altre violazioni del diritto internazionale umanitario Punibilità dei superiori Commissione di un reato in esecuzione di un ordine Reati commessi all’estero

Impiego di armi vietate Rottura di un armistizio o della pace. Reati contro un parlamentario. Ritardo nel rimpatrio di prigionieri di guerra

Italienisch Trattamento medico ingiustificato, lesione dell’autodeterminazione sessuale e della dignità umana Reclutamento e impiego di bambini-soldato Metodi di guerra vietati

Anhang 

Verrückung staatlicher ­Grenzzeichen Verletzung schweizerischer Gebietshoheit Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen Verbotene Handlungen für einen fremden Staat

268

Wirtschaftlicher Nachrichtendienst Militärischer Nachrichtendienst Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung Staatsgefährliche Propaganda

Rechtswidrige Vereinigung

273

275bis

275ter

275

274

Politischer Nachrichtendienst

272

271

270

269

267

Deutsch Gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete ausländische Unternehmungen und Bestrebungen Diplomatischer Landesverrat

Art. 266bis

Groupements illicites

Service de renseignements ­politiques Service de renseignements ­économiques Service de renseignements ­militaires Atteintes à l’ordre constitu­ tionnel Propagande subversive

Actes exécutés sans droit pour un Etat étranger

Déplacement de bornes ­officielles Violation de la souveraineté territoriale de la Suisse Atteinte aux emblèmes suisses

Trahison diplomatique

Französisch Entreprises et menées de l’étranger contre la sécurité de la Suisse Diplomatic treason

Associazioni illecite

Attentati contro l’ordine ­costituzionale Propaganda sovversiva

Spionaggio militare

Spionaggio economico

Attacks on the constitutional order Propaganda endangering the state Unlawful association

Military espionage

Industrial espionage

Moving of state boundary markers Violation of Swiss territorial sovereignty Physical attacks on Swiss ­national emblems Atti compiuti senza autorizza- Unlawful activities on behalf of zione per conto di uno Stato a foreign state estero Spionaggio politico Political espionage

Tradimento nelle relazioni ­diplomatiche Rimozione di termini di ­confine pubblici Violazione della sovranità ­territoriale svizzera Offese agli emblemi svizzeri

Italienisch Englisch Imprese e mene dell’estero con- Foreign activities and endeatro la sicurezza della Svizzera vours directed against the security of Switzerland

Anhang 

703

704

Störung und Hinderung von Wahlen und Abstimmungen Eingriffe in das Stimm- und Wahlrecht Wahlbestechung Wahlfälschung Stimmenfang Verletzung des Abstimmungsund Wahlgeheimnisses Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte Hinderung einer Amtshandlung Amtsanmassung Bruch amtlicher Beschlagnahme Siegelbruch Verweisungsbruch Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen

279

290 291 292

287 289

286

285

281 282 282bis 283

280

278

277

Deutsch Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten Fälschung von Aufgeboten oder Weisungen Störung des Militärdienstes

Art. 276

Violence ou menace contre les autorités et les fonctionnaires Empêchement d’accomplir un acte officiel Usurpation de fonctions Soustraction d’objets mis sous main de l’autorité Bris de scellés Rupture de ban Insoumission à une décision de l’autorité

Corruption électorale Fraude électorale Captation de suffrages Violation du secret du vote

Atteinte au droit de vote

Violences

Falsification d’ordre de mise sur pied ou d’instructions Entraver le service militaire

Französisch Provocation et incitation à la violation des devoirs militaires

Violenza o minaccia contro le autorità e i funzionari Impedimento di atti dell’autorità Usurpazione di funzioni Sottrazione di cose requisite o sequestrate Rottura di sigilli Violazione del bando Disobbedienza a decisioni dell’autorità

Italienisch Provocazione ed incitamento alla violazione degli obblighi militari Falsificazione d’ordini o di istruzioni Turbamento del servizio ­militare Perturbamento ed impedimento di elezioni e votazioni Attentati contro il diritto di voto Corruzione elettorale Frode elettorale Incetta di voti Violazione del segreto del voto Violence and threats against authorities and officials Interference with the activities of officials Usurpation of office Removal of property subject to seizure Breaking a seal Breach of an expulsion order Disobeying official orders

Disruption and obstruction of elections Infringement of the right to vote Electoral corruption Electoral fraud Irregular gathering of votes Violation of electoral secrecy

Forgery of military orders or instructions Disruption of military service

Englisch Instigation and inducement of the violation of military duties

Anhang 

Begünstigung Geldwäscherei Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht

305 305bis 305ter

302 303 304

301

300

299

298

297

296

294

Deutsch Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen Übertretung eines Berufs­ verbotes Beleidigung eines fremden Staates Beleidigung zwischenstaatlicher Organisationen Tätliche Angriffe auf fremde Hoheitszeichen Verletzung fremder Gebiets­ hoheit Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen Nachrichtendienst gegen fremde Staaten Strafverfolgung Falsche Anschuldigung Irreführung der Rechtspflege

Art. 293

Oltraggi a istituzioni inter­ nazionali Offese agli emblemi di uno Stato estero Violazione della sovranità territoriale di uno Stato estero Atti di ostilità contro un belligerante o contro truppe straniere Spionaggio in danno di Stati esteri Procedimento Denuncia mendace Sviamento della giustizia

Italienisch Pubblicazione di deliberazioni ufficiali segrete Violazione della interdizione di esercitare una professione Oltraggio ad uno Stato estero Insulting an international organisation Physical attacks on the national emblems of a foreign state Violation of foreign territorial sovereignty Hostility towards a belligerent country or foreign troops

Englisch Publication of secret official hearings Breach of a prohibition on practising a profession Insulting a foreign state

Military espionage against a foreign state Prosecution False accusation Misleading the judicial authorities Entrave à l’action pénale Favoreggia mento Assisting offenders Blanchiment d’argent Riciclaggio di denaro Money laundering Défaut de vigilance en matière Carente diligenza in operazioni Insufficient diligence in relation d’opérations financières et droit finanziarie e diritto di comuni- to financial transactions and cazione de communication right to report

Outrages à des institutions interétatiques Atteinte aux emblèmes nationaux étrangers Violation de la souveraineté territoriale étrangère Actes d’hostilité contre un belligérant ou des troupes étrangères Espionnage militaire au préjudice d’un Etat étranger Poursuite Dénonciation calomnieuse Induire la justice en erreur

Französisch Publication de débats officiels secrets Infraction à l’interdiction d’exercer une profession Outrages aux Etats étrangers

Anhang 

705

706

Strafmilderungen Verwaltungssachen und Verfahren vor internationalen Gerichten Befreiung von Gefangenen Meuterei von Gefangenen Amtsmissbrauch Gebührenüberforderung Ungetreue Amtsführung

Urkundenfälschung im Amt

Nicht strafbare Handlungen Falsches ärztliches Zeugnis

Entweichenlassen von ­Gefangenen Verletzung des Amtsgeheim­ nisses

308 309

310 311 312 313 314

317

317bis 318

319

320

307

Deutsch Falsche Beweisaussage der ­Partei Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung

Art. 306

Violation du secret de fonction

Assistance à l’évasion

Forgery of a document while in office

Mitigation of the sentence Administrative cases and proceedings before international courts Assisting prisoners to escape Prison mutiny Abuse of office Overcharging of fees Misconduct in office

False witness statement. False expert statement. False translation

Englisch False statement by a party

Non-criminal acts Issuing a false medical ­certificate Aiuto alla evasione di detenuti Assistance by a public official in the escape of prisoners Violazione del segreto d’ufficio Breach of official secrecy

Italienisch Dichiarazione falsa di una parte in giudizio Falsa testimonianza. Falsa perizia. Falsa traduzione od interpretazione Atténuations de peines Attenuazione di pene Affaires administratives et pro- Cause amministrative e procecédure devant les tribunaux dura davanti a tribunali internazionali internationaux Faire évader des détenus Liberazione di detenuti Mutinerie de détenus Ammutinamento di detenuti Abus d’autorité Abuso di autorità Concussion Concussione Gestion déloyale des intérêts Infedeltà nella gestione pubblica publics Faux dans les titres commis Falsità in atti formati da pubblici ufficiali o funzionari dans l’exercice de fonctions publiques Actes non punissables Atti non punibili Faux certificat médical Falso certificato medico

Französisch Fausse déclaration d’une partie en justice Faux témoignage. Faux rapport. Fausse traduction en justice

Anhang 

Französisch Violation du secret professionnel Secret professionnel en matière de recherche médicale Violation du secret des postes et des télécommunications

Accettazione di vantaggi Corruzione di pubblici ufficiali stranieri Disposizioni comuni Inosservanza da parte del debitore di norme della procedura di esecuzione e fallimento

Italienisch Violazione del segreto professionale Segreto professionale in materia di ricerca medica Violazione del segreto postale e del segreto delle telecomunicazioni Verletzung der Auskunftspflicht Violation de l’obligation des Violazione dell’obbligo der Medien médias de renseigner d’informare dei mass media Nichtverhinderung einer straf- Défaut d’opposition à une pub- Mancata opposizione a una baren Veröffentlichung lication constituant une infrac- pubblicazione punibile tion Bestechen Corruption active Corruzione attiva Sich-bestechen-Lassen Corruption passive Corruzione passiva Vorteilsgewährung Octroi d’un avantage Concessione di vantaggi

Deutsch Verletzung des Berufsgeheimnisses Berufsgeheimnis in der ­medizinischen Forschung Verletzung des Post- und ­Fernmeldegeheimnisses

Acceptation d’un avantage 322sexies Vorteilsannahme 322septies Bestechung fremder Amtsträger Corruption d’agents publics étrangers Dispositions communes 322octies Gemeinsame Bestimmungen 323 Ungehorsam des Schuldners im Inobservation par le débiteur Betreibungs- und Konkursver- des règles de la procédure de fahren poursuite pour dettes ou de faillite

quies

322ter 322quater 322quin-

322bis

322

321ter

321bis

Art. 321

General provisions Failure of a debtor to comply with the regulations governing debt collection and bankruptcy proceedings

Acceptance of an advantage Bribery of foreign officials

Bribery Accepting bribes Granting an advantage

Breach by the media of the duty to provide information Failure to prevent an illegal publication

Englisch Breach of professional confidentiality Professional confidentiality in medical research Breach of postal or telecommunications secrecy

Anhang 

707

708

329

328

326quater

326ter

326bis

325bis

325

Art. 324

Verletzung militärischer Geheimnisse

Violation de secrets militaires

Französisch Inobservation par un tiers des règles de la procédure de poursuite pour dettes ou de faillite ou de la procédure concordataire Ordnungswidrige Führung der Inobservation des prescriptions Geschäftsbücher légales sur la comptabilité Widerhandlungen gegen die Inobservation des prescriptions Bestimmungen zum Schutz der légales sur la protection des Mieter von Wohn- und locataires d’habitations et de Geschäftsräumen locaux commerciaux Anwendung auf juristische Personnes morales, sociétés ­Personen, Handelsgesellschaf- commerciales et entreprises ten und Einzelfirmen/2. im individuelles/2. En cas de Falle von Artikel 325bis l’article 325bis Übertretung firmen- und Contravention aux dispositions namensrechtlicher Bestimmun- concernant les raisons de comgen. merce et les noms Unwahre Auskunft durch eine Faux renseignements émanant Personalvorsorgeeinrichtung d’une institution de prévoyance en faveur du personnel Nachmachen von Postwertzei- Contrefaçon de valeurs postales chen ohne Fälschungsabsicht sans dessein de faux

Deutsch Ungehorsam dritter Personen im Betreibungs-, Konkurs- und Nachlassverfahren

False informazioni da parte di istituzioni di previdenza a favore del personale Contraffazione di segni di valore postali senza fine di falsificazione Violazione di segreti militari

Contravvenzioni alle disposizioni su ditte e nomi commerciali

Inosservanza delle norme legali sulla contabilità Infrazioni alle disposizioni sulla protezione dei conduttori di locali d’abitazione e commerciali Persone giuridiche, società commerciali e ditte individuali/​ 2. Nel caso dell’articolo 325bis

Italienisch Inosservanza da parte di terzi di norme della procedura di esecuzione e fallimento e della procedura concordataria

Provision of false information by an employee benefits ­institution Reproduction of postage stamps without intent to commit ­forgery Breach of military secrecy

Englisch Failure of third parties to comply with the regulations governing debt collection, bankruptcy and composition proceedings Failure to comply with account­ing regulations Failure to comply with the regulations governing the protection of tenants of domestic and commercial properties Application to legal entities, trading companies and sole proprietorships/2. In cases ­falling under Article 325bis Contravention of the law on business and other names

Anhang 

Unbefugtes Tragen der militärischen Uniform Nichtanzeigen eines Fundes

Bestechen und Sich-bestechenLassen Unlauterer Wettbewerb

331

UWG Art. 4a UWG Art. 23

332

Deutsch Handel mit militärisch beschlagnahmtem Material

Art. 330

Concorrenza sleale

Concurrence déloyale

Port indu de l’uniforme militaire Défaut d’avis en cas de trouvaille Corruption active et passive

Italienisch Commercio di materiali sequestrati o requisiti dall’esercito Uso indebito della uniforme militare Omessa notificazione del rinvenimento di cose smarrite Corruzione attiva e passiva

Französisch Trafic de matériel séquestré ou réquisitionné par l’armée

Unfair competition

Bribery and accepting bribes

Unauthorised wearing of the military uniform Failure to report a find

Englisch Trading in material requisi­ tioned by the armed forces

Anhang 

709

Sachregister A Abbruch § 14 Absichtsurkunde § 36/2.22, § 36/2.23 Abstimmung, Störung und Hinderung § 86 Abstimmungsgeheimnis § 91 Actio libera in causa § 54/1, § 54/5.2

Amtshandlung –– Begriff § 92/3.1 –– Hinderung § 92/3.2, § 93/1.21, § 94 Amtsmissbrauch –– allgemein § 120 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 120/3 Amtspflicht –– Verletzung § 133/1.6

Allgemeinbetriebe, Störung § 25

Amtsträger § 132/4, § 133/1.4, § 134/1.4, § 135/1.4 –– fremder § 137 –– Pflichttreue § 131/2

Amtsgeheimnis § 126, § 126/1.1

Anfüttern § 135/1.5

amtliche Beschlagnahme s. Beschlag­ nahme, amtliche

Angehöriger der Armee § 132/4.15, § 134/1.1

amtliche Tätigkeit s. Tätigkeit, amtliche

Angestellter § 92/2.1

amtliche Verfügung s. Verfügung, amt­ liche

Angriff –– auf die Unabhängigkeit der Eidgenos­ senschaft § 69 –– auf die verfassungsmässige Ordnung § 79 –– auf fremde Hoheitszeichen § 106 –– auf schweizerische Hoheitszeichen § 74 –– gegen die Zivilbevölkerung § 55, § 57, § 60, § 63/1.1 –– gegen Objekte § 60, § 63/1.1

AIDS § 17 Alkoholintoleranz § 54/3

amtliche Verhandlung s. Verhandlung, amtliche Amtsanmassung –– allgemein § 95 –– durch den Beamten § 95/1.12 Amtsführung –– Bezug zur A. bei den Korruptions­ delikten § 132/4.3 –– ungetreue § 122 Amtsgeheimnis –– Begriff § 126/1.2 –– Ermächtigung zur Aussage § 126/4.2 –– Verletzung § 126 Amtsgeheimnisverletzung –– allgemein § 126 –– Rechtfertigungsgründe § 126/4 –– Teilnahme § 126/3.2 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 126/3.3

Anlagen, elektrische –– Beschädigung § 13 Annahme –– deliktischer Vermögenswerte § 113/2.13, § 114/2 –– von Geschenken § 132/1, § 132/4.22, § 133/1.6 –– s. auch Vorteilsannahme Anrechnungsprinzip § 56/2.3, § 58/3 Anschuldigung, falsche § 110

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Sachregister Anstaltsinsasse –– Befreiung § 117 –– Entweichenlassen § 125 –– Meuterei § 118 Antisemitismus § 52 Anzeige, falsche § 111/1 Äquivalenzverhältnis –– bei Korruptionsdelikten § 133/1.7, § 134/1.7, § 136/1.5, § 137/1.17, § 137/2.26 –– bei Privatbestechung § 138/8 Arbeitssicherheit § 15/1.1 Armee, Angehöriger § 132/4.15, § 134/1.1 Ärzte § 124/1.1, § 126/3.3, § 127/1, § 128/1.1 ärztliches Zeugnis s. Zeugnis, ärztliches Aufbewahrung, deliktischer Vermögens­ werte § 113/2.13 Aufforderung, öffentliche –– zur Gewalttätigkeit § 45/2 –– zu Verbrechen § 45/1 –– zur Dienstpflichtverletzung § 82/1.1 –– strafbare Nichtverhinderung einer Veröffentlichung § 131/1.2 Aufgebote § 83 Aufruhr –– Demonstrationsfreiheit § 93/3.3 –– und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte § 93/3 –– und Hochverrat § 68/1.2 –– und Schreckung der Bevölkerung § 44/1.1 Aufzeichnungen § 36.1 Auschwitzlüge § 52/3.5 Auskunftsperson § 116/2.2 Auskunftspflicht der Medien § 130/1 Ausland, Störung der Beziehung § 103

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Ausländer, Verweisungsbruch § 98 Aussage –– erhebliche § 116/2.42 –– Falschheit § 116/2.43 –– unerhebliche § 116/2.42 –– zur Sache § 116/2.41 Aussteller, Erkennbarkeit § 36/2.1 Ausweis, Fälschung § 38 –– Falschbeurkundung § 38/2.12 –– Fälschung i.e.S. § 38/2.12 Ausweisung § 98

B Bankgeheimnis § 75/1.2, § 129/1.2 Banknote § 26/2 –– Fälschung § 27 –– In Umlaufsetzen falscher B. § 29 –– Nachmachen § 30 –– Verfälschung § 28 Baukunde, Verletzung der Regeln § 14 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 14/3.2 –– Verjährung § 14/3.3 Bauwerk § 14/1.2 Beamter –– Amtsanmassung § 95 –– Begriff § 39/1.1, § 92/2.1 –– eidgenössischer § 119 –– Gewalt und Drohung gegen diesen § 93 Befehlsanmassung § 95/1.2 Befehlshaber, militärische § 56/1.11 Befreiung von Gefangenen § 117 Befund, falscher § 116/7.1 Begünstigung § 112 –– Mitbegünstigung § 112/3.1 –– Selbstbegünstigung § 112/3 –– Strafausschlussgrund § 112/4.3

Sachregister –– Teilnahme an Selbstbegünstigung § 112/3.2 –– Verfolgungsbegünstigung § 112/1 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 112/4.2 –– Versuch § 112/4.1 –– Vollzugsbegünstigung § 112/2 Behörde –– Begriff § 92/2.2, § 132/4.1 –– Gewalt und Drohung gegen diese § 93 –– richterliche oder andere § 132/4.11, § 137/1.14 Beleidigung –– eines fremden Staates § 104 –– zwischenstaatlicher Organisationen § 105 Berechtigter, wirtschaftlich § 114/1.1 berufliche Vorsorge s. Vorsorge, beruf­ liche Berufsgeheimnis –– im Prozess § 127/4.3 –– in der medizinischen Forschung § 128 –– Rechtfertigung einer Berufsgeheimnis­ verletzung § 114/2 –– Verletzung § 127 s. auch Berufsge­ heimnisverletzung –– Zeugnisverweigerungsrecht § 127/1.1, § 127/4.3, § 127/5.2 Berufsgeheimnisträger –– Ärzte § 127/1.1 –– Geistliche § 127/1.1 –– Hilfspersonen § 127/1.1 –– Notare § 127/1.1 –– Patentanwälte § 127/1.1 –– Psychologen § 127/1.1 –– Rechtsanwälte § 127/1.1 –– Revisoren § 127/1.1 –– Studierende § 127/1.1 –– Verteidiger § 127/1.1 Berufsgeheimnisverletzung –– Rechtfertigungsgründe § 127/5

–– Verhältnis zu anderen Delikten § 127/4.2 –– Verhältnis zu Datenschutzgesetzge­ bung § 127/4.2 Berufsverbot, Übertretung § 101 Besatzungsmacht § 63/1.1 Beschädigung –– von elektrischen Anlagen § 13 –– von Schutzvorrichtungen § 13 –– von Wasserbauten § 13 Bescheinigung, Fälschung § 38/2.11 Beschlagnahme, amtliche –– Begriff § 96/1.12 –– Bruch § 96 –– Verbot § 127/4.3 Beseitigung –– von Vermessungszeichen § 42 –– von Wasserstandszeichen § 42 Besserstellung –– Begriff § 37/3.22, § 38/2.2 –– rechtliche § 131/5.1 –– wirtschaftliche § 132/4.21 –– s. auch Vorteil Bestechen § 132 Bestechung § 132 –– aktive § 132/3, § 132 –– bei Wahlen § 88 –– fremder Amtsträger § 132/3, § 137 –– passive § 132/3, § 134, § 137/3.2 –– Unterschiede zur Privatbestechung § 138/1 –– s. auch Privatbestechung Bestimmungen, firmenrechtliche § 145 Besuchsrecht § 5/1.1, § 5/1.3, § 5/4.1 Beteiligung –– Angabe namhafter B. § 130/3 –– an krimineller Organisation § 48/1.21 –– an Inzest § 1/3 –– an Verweisungsbruch § 98/4.3 –– an Zusammenrottung § 93/3

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Sachregister betreibungsrechtlicher Ungehorsam s. Ungehorsam, betreibungsrechtlicher Betriebe, Störung § 25 Bevölkerung, Schreckung § 44 Beweisaussage, falsche § 115 Beweisbestimmung § 36/2.22, § 37/2.21 Beweiseignung § 36/2.23, § 37/2.21 Bewilligungsforschung § 128/3 Bigamie s. Ehe, mehrfache Blankettmissbrauch § 37/2.1, § 38/2.12 Bombenalarm, falscher § 44/1 Brandstiftung § 7 –– fahrlässige Verursachung § 8 –– Feuersbrunst § 7/2.11 –– Gefahr für Leib und Leben § 7/3.1, § 8/2 –– geringer Schaden § 7/4 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 7/5.2 –– Versicherungsleistung § 7/2.121 Bruch –– amtlicher Beschlagnahme § 96 –– einer Verweisung § 98 –– eines Siegels § 97 Buchführung –– ordnungswidrige § 143 –– Unterlassung der § 143/5 Buchhaltung, elektronische § 36/2.23, § 140/1.2 –– s. auch Falschbeurkundung, Buchhal­ tung Bundesgerichtsbarkeit –– bei Bestechung § 132/4.4 –– bei Delikten mit Sprengstoffen und Gasen § 10/1 –– bei Fälschungsdelikten gemäss StGB Art. 240–250 § 26/5 –– bei Finanzierung des Terrorismus § 50/4 –– bei Geldwäscherei § 113/4.5

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–– bei Kernenergiedelikten § 11/1 –– bei Kriegsverbrechen § 58/2 –– bei kriminellen Organisationen § 48/5.2 –– bei mangelnder Sorgfalt bei Finanzge­ schäften und Melderecht § 114/1.34 –– bei Störung der Beziehungen zum Ausland § 103/3 –– bei strafbaren Handlungen gegen die Amts- und Berufspflicht § 119 –– bei strafbaren Handlungen gegen die öffentliche Gewalt § 92/4 –– bei Urkundenfälschung § 36/3 –– bei Vergehen gegen den Volkswillen § 85 –– bei Verletzung militärischer Geheim­ nisse § 148 –– bei Völkermord § 56/2.5 BVG § 146

C Computerurkunde § 36/1.3, § 40/1 –– Beweiseignung § 36/2.23

D Datenschutzgesetzgebung s. Berufs­ geheimnisverletzung Demonstrationsfreiheit –– im Zusammenhang mit Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte § 93/3.3 –– im Zusammenhang mit Landfriedens­ bruch § 44 –– s. auch Zusammenrottung, öffentliche Dienstpflichten, militärische –– Aufforderung zu deren Verletzung § 82 –– Verleitung zu deren Verletzung § 82 diplomatischer Landesverrat s. Landes­ verrat, diplomatischer

Sachregister Diskriminierung –– Begriff § 52/2.2 –– von Bevölkerungsgruppen § 52 Dispositivurkunde § 36/2.22, § 36/2.23 Dolmetscher –– Begriff § 116/7.2, § 132/4.13 –– fehlende Beamteneigenschaft § 92/2.1 –– und Korruptionsdelikte § 132/4.13 Drohung, gegen Behörden und Beamte § 93 Durchsuchungsverbot § 127/4.3 Dynamit, s. Sprengstoffe

E EDV s. Computerurkunde Ehe, mehrfache § 2 Ehrennotstand § 115/4, § 116/6.3 Eid –– bei einer Beweisaussage § 115/3 –– bei Zeugenaussage § 116/5 eingetragene Partnerschaft s. Partnerschaft, eingetragene Einsturz, Verursachung § 12 Einvernahme von Zeugen s. Zeugeneigenschaft Einwilligungsforschung § 128/1.2 Einziehung –– bei Bestechung § 132/3.3 –– bei Postwertzeichen § 147/2 –– von Falsifikaten § 26/3 –– von gesundheitsschädlichem Futter § 21/3, § 22/3 –– bei militärischem Nachrichtendienst § 78/4.1 –– bei Nachrichtendienst gegen fremde Staaten § 109/2 –– Vereitelung der Einziehung bei Geld­ wäscherei § 113

–– von Zuwendungen § 132/3.3 Eisenbahnerprivileg § 24/4.1 Eisenbahnverkehr, Störung § 24 elektrische Anlagen, s. Anlagen, elek­ trische E-Mail-Verkehr –– und Verletzung des Post- und ­Fernmeldegeheimnisses § 129 Entweichenlassen von Gefangenen § 125 Entziehen von Unmündigen § 5 –– Antrag § 5/3 –– Begriff der unmündigen Person § 5/1.2 –– Verhältnis zu Freiheitsberaubung § 5/4.2 –– Verhältnis zu Geiselnahme § 5/4.2 Erdrutsch § 12 Erledigungsprinzip § 56/2.3, § 58/3 Ermessen –– bei amtlicher Tätigkeit § 133/1.6, § 134/1.6, § 137/1.16, § 137/2.25 –– bei Privatbestechung § 138/7 –– Missbrauch § 133/1.6a Ermittlung, verdeckte § 36/5, § 123/3 Erschleichen einer Falschbeurkundung § 39 Erziehungspflicht –– Begriff § 4/1 –– Verletzung § 4 Ethnie –– Begriff § 52/2.1a –– als geschützte Gruppe bei Völkermord § 56/1.12 ethnische Säuberung s. Säuberungen, ethnische Exhumierung § 53/1.1 Explosion –– Begriff § 9/1

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Sachregister –– durch Kernenergie § 11 –– durch Sprengstoff § 10 –– geringer Schaden § 9/3, § 10/2.3 –– Verhältnis zu Brandstiftung § 9/4 –– Verhältnis zu Körperverletzungs­ delikten § 9/4, § 10/2.4 –– Verhältnis zu Tötungsdelikten § 9/4, § 10/2.4 –– Verursachung § 9 Experte § 116/7.1

F Fabrikationsgeheimnis § 77/1.12 Falschbeurkundung § 34/4, § 36/2.21, § 37/2.2, § 38/2.12, § 39/1, § 123/1.1, § 123/2 –– Abgrenzung zur einfachen schrift­ lichen Lüge § 37/2.21 –– Beweisbestimmung § 37/2.21 –– Beweiseignung § 37/2.21 –– Buchhaltung § 37/2.21 –– Erschleichung § 39/1 –– in Stimmregister § 89/1a, § 89/4 –– mittelbare § 37/2.22, § 39 –– unmittelbare § 37/2.22 Falsche Anschuldigung § 110, § 112/3.1, § 116/6.2 –– Berichtigung § 110/3.2 –– direkte § 110/1 –– indirekte § 110/2 falsche Anzeige s. Anzeige, falsche falsche Beweisaussage s. Beweisaussage, falsche falsche Selbstbezichtigung s. Selbst­ bezichtigung, falsche falsche Übersetzung s. Übersetzung, ­falsche falscher Befund s. Befund, falscher

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falsches ärztliches Zeugnis s. Zeugnis, ärztliches falsches Geständnis s. Geständnis, ­falsches § 111/2.1 falsches Gutachten s. Gutachten, ­falsches § 116/7.1 falsches Zeugnis s. Zeugnis, falsches § 116/2 –– Versuch § 116/4 Falschgeld § 29, § 30/4, § 31 –– Einführen § 31 –– Erwerben § 31 –– in Umlaufsetzen § 29 –– Lagern § 31 Falschmünzerei § 27/1 Fälschung –– amtlicher Wertzeichen § 32 –– amtlicher Zeichen § 33, § 34/1, § 36/4 –– intellektuelle § 37/2.2, § 38/2.12 –– materielle § 37/2.1 –– von Aufgeboten § 83 –– von Ausweisen § 38, § 123/4 –– von Bescheinigungen § 33/1, § 38/2.11c –– von Geld § 26, § 27 –– von Mass und Gewicht § 34 –– von Stimmregistern § 89/1a –– von Urkunden § 36, § 37 –– von Wahlen § 89 –– von Weisungen § 83 –– von Zeugnissen § 38/2.11b, § 123 Fälschungsgerät § 26/3, § 35 Familiendelikte –– Entziehen von Unmündigen § 5 –– Inzest § 1 –– mehrfache Ehe § 2 –– Verletzung der Fürsorge- oder ­Erziehungspflicht § 4 –– Vernachlässigung von Unterhalts­ pflichten § 3

Sachregister Fantasiegeld § 27/1 Feindseligkeiten –– gegenüber einem Kriegführenden § 108/2.1 –– gegenüber fremden Truppen § 108/2.2 Felsabsturz § 12/1.1 Feuersbrunst § 7, § 8 –– Begriff § 7/2.11 –– fahrlässige Verursachung § 8 Financier, Finanzintermediär § 114/1.1 –– Abklärungspflichten § 114/1.1c –– Melderecht § 114/2 Finanzgeschäfte, mangelnde Sorgfalt § 114/1.1 Finanzierung, Terrorismus § 50 firmenrechtliche Bestimmungen s. Bestimmungen, firmenrechtliche Fluchthilfe § 112/1.1b, § 117/2.22 Folterungen § 56/1.13a Formaltheorie § 116/2.23a Formvorschriften –– bei falschem Zeugnis § 116/2.3 –– bei falscher Beweisaussage § 115/1.2 Forschung, medizinische § 127 Friede, öffentlicher § 51 Fund, Nichtanzeigen § 151 funktionaler Zusammenhang –– mit amtlicher Tätigkeit § 131/7.1, § 132/1.5, § 133/1.5, § 134/1.5, § 135/1.5, § 136/1.5 Fürsorgepflicht –– Begriff § 4/1 –– Verletzung § 4 Futter, gesundheitsschädliches § 21 –– Herstellen § 21 –– Inverkehrbringen § 22

G Gebietshochverrat § 68/1.5 Gebietshoheit –– Begriff § 73 –– fremde § 107/1 –– Verletzung § 73 –– Verletzung durch verbotene Handlun­ gen § 75 Gebührenüberforderung § 121 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 121/3 Geburtenverhinderung § 56/1.13c Gedankenäusserungsdelikte § 130 Gefangener –– Befreiung § 117 –– Entweichenlassen § 125 –– Meuterei § 118 Gefährdung –– der öffentlichen Sicherheit, mit Waf­ fen § 49 –– durch Kernenergie, Radioaktivität und ionisierende Strahlen § 11 Geheimnisbegriff § 77/1.11, § 126/1.2, § 127/1.2 –– formeller § 126/1.2 –– materieller § 126/1.2 Geheimnisse, militärische § 78/4.2 –– Verletzung § 148 Geiselnahme § 47/1, § 48/1.1, § 59/1.2b Geistliche § 127/1.1a, § 127/5.4 Geld –– Begriff § 26/2 –– Nachmachen § 30 Geldfälschung § 27 Geldverfälschung § 28 Geldwäscherei –– Abgrenzung zu Hehlerei und ­Begünstigung § 113/4.6

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Sachregister –– alltägliche bzw. berufsadäquate Hand­ lungen § 113/2.13 –– Auslandstaten als Vortat § 113/2.12 –– Bundesgerichtsbarkeit § 113/4.5 –– durch den Vortäter § 113/2.11 –– durch Unterlassen § 113/4.3 –– Drei-Phasen-Modell § 113/1 –– Eignung zur Vereitelung der ­Einziehung § 113/2.13 –– Rechtspflegedelikt § 113/1 –– schwere Fälle § 113/3 –– Surrogate § 113/2.12 –– taugliche Vortaten § 113/2.12 –– Teilnahme § 113/4.2 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 113/4.6 –– Vermögenswerte § 113/2.12 –– Versuch § 113/4.1 Geldwäschereigesetz § 114 Gemeingefahr § 6 Genfer Abkommen § 58, § 59, § 60/1.1d, § 65/1.1c Genfer Konventionen, schwere Verlet­ zungen, s. Kriegsverbrechen, schwere Verletzungen der Genfer Konventio­ nen Genozidkonvention § 55, § 56/1.2 Gentechnikgesetz § 16 Geräte, unrechtmässiger Gebrauch § 35/2 Geschäftsbücher, ordnungswidrige ­Führung § 140 Geschäftsgeheimnis § 77/1.13 Geschenke, Annahme § 131/1 Geständnis, falsches § 111/2.1 Gewalt gegen Behörden und Beam­ ten § 93 Gewalt, öffentliche § 92

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–– strafbare Handlungen gegen die öffentliche G. § 47/5, §§ 92–101 –– und Korruption § 131/1, § 131/4.1 Gewalttätigkeit, öffentliche Aufforde­ rung § 45/2 Gewicht, Fälschung § 34 Gewinnsüchtige Absicht § 120/2 Giftgas § 10 Glaubensfreiheit, Störung § 51 Gläubiger, Schutz der Interessen § 138 Grabschändung § 53/1.1 Grenzverrückung § 41, § 72 Gutachten, falsches § 116/7.1 Gutachter –– amtlich bestellter § 132/4.12 –– privater § 132/4.12 Güterverzeichnis, Aufnahme § 141/1.2a, § 141/1.2a

H Handel mit militärischem Material § 149 Handeln auf Befehl/Anordnung § 56/2.1 Hass bei Rassendiskriminierung § 52/3.1 Herstellen von gesundheitsschädli­ chem Futter § 21 Hilfsperson § 127/1.1, § 128/1.1, § 129/1.1, § 138/2 Hinderung –– einer Amtshandlung § 92/3.2, § 94 –– von Wahlen und Abstimmungen § 86/1 HI-Virus, Verbreitung § 17 Hochverrat § 68

Sachregister Hoheitsgewalt, staatliche § 120/1.2a Hoheitszeichen § 74 –– fremde § 106 Honorarforderung § 113/2.13 Hyperlink § 131/1.2

I/J Identifikationsverfahren § 114/1.1c Identifizierung § 114/1.1 Immunität § 55, § 56/2.4, § 57/2.3, § 58/4, § 67/5 Impressumspflicht § 130/2 Individualgefahr § 6 Initiative –– Eingriff in das Recht dazu § 87 –– Hinderung und Störung § 86/2 Internationaler Strafgerichtshof § 55 Internet § 129/1, § 130/1.1, § 130/1.2 Inverkehrbringen von gesundheits­ schädlichem Futter § 22 Inzest –– Begriff § 1 –– Verhältnis zu den Sexualdelikten § 1/4

Kombattant –– heimtückische Tötung und Verwun­ dung von K. § 63/1.1d –– Zivilisten als K. § 60/1.1a –– s. auch Verstümmelungen, Feindselig­ keiten Konfession § 52/2.1, § 44/1 Konflikt, bewaffneter § 58/1, § 59 Konkurs, betrügerischer § 141/3.1, § 142/2.1 Konkursverfahren, strafrechtlicher Schutz § 141 Kontrollstelle für die Bekämpfung der Geldwäscherei § 113/2 Korruption –– aktive § 132/1, § 132/3, § 132, § 135 –– passive § 132/1, § 132/3, § 134, § 136 Korruptionsdelikte §§ 132–140 Korruptionsvereinbarung § 133/1.7 Krankheiten –– gefährliche ansteckende § 17/1.1 –– Verbreitung § 17 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 17/3

Irreführung der Rechtspflege § 111 –– Berichtigung § 110/3.2

Krieg –– Feindseligkeiten gegenüber Krieg­ führenden § 108/2.1 –– Kriegsgefangene § 59/1.1, § 59/1.2f

K

Kriegführung, verbotene Methoden § 63

Kernenergie § 9/1, § 11 Kernenergiedelikte § 11 –– Gefährdungsdelikt § 11/2 –– Vorbereitungshandlungen § 11/3 Kindersoldaten, Rekrutierung und ­erwendung § 62 Klimapflege § 135/1.5 Kolonisierung, besetzter Gebiete § 63/1.1h

Kriegsverbrechen §§ 58–66 –– Gerichtsbarkeit § 56/2.5, § 58/2 –– internationaler/innerstaatlicher bewaffneter Konflikt § 58/1 –– Kriegsverbrecherprozesse § 55 –– schwere Verletzungen der Genfer Konventionen § 59 kriminelle Organisation s. Organisa­ tion, kriminelle

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Sachregister Kriminalität, organisierte s. Organisa­ tion, kriminelle Kultusfreiheit, Störung s. Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit

L Landesverrat –– diplomatischer § 71 –– politischer § 69 landesverräterische Untreue s. Untreue, landesverräterische § 71/1.3 Landesverweisung § 98 Landfriedensbruch § 46 Legalitätsprinzip, strafprozessuales § 110/1.1a

–– M. und öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit § 45/1.1 –– M. und Quellenschutz bei Verbrechen­ und Vergehen gegen Staat und ­Landesverteidigung § 67/3 –– Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung § 131 –– Verletzung der Auskunftspflicht der M. § 130 –– Veröffentlichung amtlich geheimer Verhandlungen und M. § 100/2.3, § 100/4.4 –– Wahrung berechtigter Interessen bei Amtsgeheimnisverletzungen in M. § 126 Mediendelikte § 131/3

Leichenschändung § 53

Medienprodukte § 131/1.2

Leiter des Medienunternehmens § 130/4.11

Medienunternehmen § 130/1

Lobbying § 132/4.17 Lüge, schriftliche § 36/2.21, § 37/2.21

M male captus § 75/4.3 Mass, Fälschung § 34 Material, militärisches –– Handel mit militärisch beschlag­ nahmtem M. § 149 Materialtheorie § 116/2.23b Massenmedien s. Medien Medien –– Aufruf zu Völkermord über M. § 56/1.11 –– bei Rassendiskriminierung § 52/4.2 –– Gerichtsstand bei Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen § 100/4.4

720

medizinische Behandlung, ungerecht­ fertigte § 61/1.1a medizinische Forschung s. Forschung, medizinische mehrfache Ehe s. Ehe, mehrfache Meinungsäusserungsfreiheit –– Grenze § 52/2.2, § 52/3.5, § 85/4 Meldepflicht –– des Financiers § 113/4.3, § 114/2 –– des Schuldners eines Konkursiten § 141 –– von Geheimnisträgern § 127/5.1 Melderecht –– als Rechtfertigungsgrund bei Berufs­ geheimnisverletzungen § 127/5.1 –– des Financiers § 114/2 Menschenwürde –– als Rechtsgut bei Rassendiskrimi­ nierung § 52/1, § 52/2.2, § 52/3.2, § 52/3.4

Sachregister –– Verletzung der M. als Kriegsver­ brechen § 61 Methode –– direkte § 3/1.1 –– indirekte § 3/1.1 Methoden, verbotene, s. Kriegführung, verbotene Methoden Meuterei von Gefangenen –– allgemein § 118 –– Konkurrenz- und Abgrenzungsfragen § 117/2.22, 118/2 Mikrofilme § 36/1.3 Militärdienst, Störung § 84 Militärgerichtsbarkeit –– bei Kriegsverbrechen § 58/2 –– bei militärischem Nachrichtendienst § 78/4.2 –– bei Völkermord § 56/2.5 militärische Befehlshaber s. Befehls­ haber, militärische militärische Dienstpflichten s. Dienst­ pflichten, militärische militärische Geheimnisse s. Geheim­ nisse, militärische militärische Nachrichten s. Nachrich­ tendienst, militärischer militärische Sicherheit s. Sicherheit, militärische militärische Uniform s. Uniform, ­militärische militärischer Nachrichtendienst s. Nachrichtendienst, militärischer

Misshandlungen s. Völkermord, Men­ schenwürde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen Mitbegünstigung § 112/3.1 s. auch Begünstigung Molotow-Cocktail, s. Sprengstoffe Munition § 49 –– verbotene M. § 64/1.1 –– verbotener Handel bei militärischer Beschlagnahme § 149/1 –– verbotener Transport durch neutrale Gebiete § 108/2.1

N Nachmachen –– von amtlichen Wertzeichen § 32 –– Bundesgerichtsbarkeit § 26/5, vor § 32 –– des Auslandes § 26/4, § 32/2.3, § 36/4 –– ohne Fälschungsabsicht § 30 –– von Banknoten § 30 –– von Münzen § 30 –– von Postwertzeichen § 32/2.4, § 144 –– s. auch Fälschungsgerät Nachrichtendienst –– gegen fremde Staaten § 109 –– militärischer § 78 –– politischer § 76 –– und diplomatische Immunität § 67/5 –– und rechtswidrige Vereinigungen § 81/1 –– und Verletzung militärischer Geheim­ nisse § 148/1, § 148/3.2 –– wirtschaftlicher § 77

militärisches Material s. Material, ­militärisches

Neutralitätsstrafrecht § 108

Missbrauch der Schutzzeichen, s. ­Völkerrecht, humanitäres

nicht gebührender Vorteil s. Vorteil, nicht gebührender

Missbrauch echter Schriften § 38/3

Nichtanzeigen eines Fundes § 151

Nichtverhinderung einer strafbaren Veröffentlichung § 131

721

Sachregister Notare –– Beamteneigenschaft von N. § 92/2.1 –– bei Erschleichung einer Falsch­ beurkundung § 39/1.1 –– und Sorgfaltspflichten bei Finanz­ geschäften § 114/1.1c –– und Urkundenfälschung im Amt § 123/1.1 –– und Verletzung des Berufsgeheimnis­ ses § 127/1.1d, § 127/5.1 Nötigung zu einer Amtshandlung § 93/1.22

O Obdachgewährung § 112/1.1b Obduktion § 53/1.1, § 53/2.1 OECD-Konvention § 132/1, § 132/11, § 137 öffentliche Aufforderung s. Aufforde­ rung, öffentliche

Organisation –– ausländische, fremde § 70/1, § 75, § 76/1.3, § 77/1.3, § 137 –– internationale, supranationale § 50/2.2, § 92/2.3, § 102/3, § 136 –– kriminelle, verbrecherische § 48, § 113 –– Auslandstat § 48/5.2 –– Begriff § 48/1.1 –– Beteiligung § 48/1.21 –– Geldwäscherei § 113, § 114 –– Kronzeuge § 48/4 –– Strafmilderung § 48/4 –– Teilnahme § 48/3 –– Unterstützung § 48/1.22 –– mangelhafte O. im Unternehmen § 132/3.4 –– rassistische § 52 –– terroristische § 50 –– zur Terrorismusfinanzierung § 50 –– zwischenstaatliche § 59/1.2b, § 105, § 106/1, § 109/1

öffentliche Gewalt s. Gewalt, öffentliche

organisierte Kriminalität s. Organisa­ tion, kriminelle

öffentliche Zusammenrottung s. Zusammenrottung

Organismen, gentechnisch veränderte § 16

öffentlicher Friede s. Friede, öffentlicher öffentlicher Verkehr s. Verkehr, öffent­ licher

P paper trail § 113/2.13

Öffentlichkeitsprinzip § 100/2.12, § 100/2.13

Pardon s. Verweigerung des P.

Opportunitätsprinzip –– bei Begünstigung § 112/1.1b –– beim politischen Nachrichtendienst § 76/1.5 –– bei Störungen der Beziehungen zum Ausland § 103/3

Partnerschaft, eingetragene –– mehrfache eingetragene P. § 2 –– und Vernachlässigung von Unterhalts­ pflichten § 3/1.1

ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher s. Geschäftsbücher, ordnungswidrige Führung Organent­ nahme § 53/2.1

722

Parteibefragung § 115/1.2

Patentanwälte § 127/1.1e Personalvorsorgeeinrichtung, unwahre Auskunft § 143 Pfandgläubiger –– als Geschädigte bei Brandstiftung § 7/2.121

Sachregister –– Schutz des P. im Betreibungs- und Konkursverfahren § 141 –– Strafbarkeit bei Handel mit militärisch beschlagnahmtem Material § 149/1 –– Ungehorsam des P. im Betreibungs-, Konkurs- und Nachlassverfahren § 141/1 –– s. auch Pfändungsbetrug

Propaganda –– für kriminelle Organisationen § 48/1.22 –– rassistische § 52/3.3 –– staatsgefährliche § 80

Pfändung s. Pfändungsbetrug, Pfand­ gläubiger

Psychologen –– Geheimnispflicht § 127/4.3

Pfändungsbetrug § 39/3, § 141/3.1, § 143/2.1 Pflichttreue der Amtsträger –– als Rechtsgut der Korruptionstatbe­ stände § 132/2 Pflichtwidrigkeit –– bei amtlicher Tätigkeit § 133/1.6, § 134/1.6, § 137/1.16, § 137/2.25 –– bei Privatbestechung § 138/7 Plünderungen § 63/1.1c politischer Landesverrat s. Landes­ verrat, politischer Landesverrat –– diplomatischer § 71 –– politischer § 69/1 politischer Nachrichtendienst s. Nachrichtendienst, politischer Polygamie § 2/3 Post- und Fernmeldegeheimnis § 129 Postwertzeichen, Nachmachen s. Nachmachen von Postwertzeichen Post-, Zahlungs- und Fernmelde­ verkehr § 129/1.2 Privatbestechung § 138 Privatgutachter –– und Strafbarkeit wegen falschen Gut­ achtens § 116/7.1 –– und Korruptionsdelikte § 132/4.12

Protokoll –– als Urkunde § 37/2.21 –– bei Zeugeneinvernahme § 116/2.43

R Radioaktivität § 11 Rasse § 52/2.1b, § 56/1.12 Rassendiskriminierung § 52 –– Abgrenzung zu anderen Delikten § 52/4.4 –– Auschwitzlüge § 52/3.5 –– Begriff der Ethnie § 52/2.1a –– Begriff der Herabsetzung § 52/2.2 –– Begriff der Rasse § 52/2.1b –– Begriff der Religion § 52/2.1c –– Begriff der Verleumdung § 52/3.2 –– Begriff des Diskriminierens § 52/2.2 –– geschütztes Rechtsgut § 52/1 –– im Gastgewerbe § 52/3.6 –– Öffentlichkeit § 52/2.3 –– Teilnahme § 52/3.3, § 52/4.1 –– über die Medien § 52/4.2 –– Verletzung der Menschenwürde § 52/1, § 52/3.4 –– Versuch § 52/4.1 –– Vorbereitung § 52/3.3 Rauschtat § 54 Realprinzip § 67/2 Rechtsanwälte –– als Finanzintermediäre § 114/1.1 –– als Träger von Berufsgeheimnissen § 127/1.1b

723

Sachregister rechtserhebliche Tatsache s. Tatsache, rechtserhebliche

Schiedsgutachter § 132/4.14

Rechtspflege, Irreführung § 111

Schreckung der Bevölkerung § 44

Rechtspflegedelikte §§ 110–112 rechtswidrige Vereinigung s. Vereini­ gung, rechtswidrige Redaktor § 130, § 131 Referendum –– Eingriff in das Recht dazu § 87 –– Hinderung und Störung § 86/2 Regeln der Baukunde s. Baukunde, ­Verletzung der Regeln Religion –– Glaubens- und Kultusfreiheit § 51 –– Begriff § 52/2.1c, § 56/1.12 Repräsentant der Allgemeinheit § 6, § 17/1.1 Revisoren –– als Träger von Berufsgeheimnissen § 127/1.1f. –– und Entbindung vom Berufsgeheim­ nis § 127/5.4 Römer Statut § 55, § 58

S Sachverständiger –– als Amtsträger bei den Korruptions­ delikten § 132/4.12 –– fehlende Beamteneigenschaft § 92/2.1 –– und Abgabe eines falschen Gutachtens § 116/7.1 Säuberungen, ethnische § 56/1.13b, § 57/1.12h Schädlinge, Verbreitung § 19 Schiedsrichter –– als Täter bei den Korruptionsdelikten § 132/4.14 –– fehlende Beamteneigenschaft § 92/2.1

724

Schmiergeld s. Bestechung Schriften § 36/1.2 schriftliche Lüge s. Lüge, schriftliche Schuldner § 141, § 142 Schutzschilde, menschliche § 59/1.2c, § 63/1.1b Schutzvorrichtung, Beschädigung § 13/1.1 Schweigepflicht –– Abgrenzungen und Konkurrenzen § 126/3.3 –– Entbindung § 126/4.3, § 127/5.3, § 127/5.4 –– formeller und materieller Geheimnis­ begriff § 126/1.2 –– von Behörden und Beamten § 126 –– von Berufsgeheimnisträgern § 127 schwere Verletzung der Genfer ­Konventionen § 59 –– Aneignung § 59/1.2d –– Gefangenhaltung § 59/1.2f –– Geiselnahme § 59/1.2b –– Gerichtsverfahren, faires § 59/1.2g –– geschützte Personen und Güter § 59/1.1 –– Gesundheit § 59/1.2c –– Leiden § 59/1.2c –– Nötigung § 59/1.2e –– Schädigung § 59/1.2c –– Überführung § 59/1.2f –– Vertreibung § 59/1.2f –– vorsätzliche Tötung § 59/1.2a –– Zerstörung § 59/1.2d –– Zwangsrekrutierung § 59/1.2e Sekte § 52/2.1c, § 127/1.1a Selbstbefreiung –– Hilfeleistung zur S. § 117/2.22 –– Straflosigkeit § 117/2.22

Sachregister Selbstbegünstigung § 112/3 –– und Anstiftung zu falschem Zeugnis § 116/6.3 –– und Fälschung von Ausweisen § 38/2.2 –– und Geldwäscherei § 113/2.11 –– und Hinderung einer Amtshandlung § 92/3.3 Selbstbezichtigung, falsche § 111/2 Selbstregulierungsorganisation (SRO) § 114/1.1c

Staatsangehörigkeit –– und Genfer Abkommen § 59/1.1 –– und Verfolgung bei Völkermord § 56/1.12 staatsgefährliche Propaganda s. Propa­ ganda, staatsgefährliche Staatsgeheimnis –– Begriff § 71/1.1 –– illegales § 71/1.1 –– Verletzung § 71/1.1

Selbstverschulden s. Rauschtat, Unzu­ rechnungsfähigkeit, selbstverschuldete

Staatsschutzprinzip s. Realprinzip

selbstverschuldete Unzurechnungs­ fähigkeit s. Unzurechnungsfähigkeit, selbstverschuldete

Stimmenfang § 90

sich bestechen lassen s. Bestechung, passive Sicherheit, militärische §§ 82–84 Sicherheitsvorrichtung § 15 –– Beseitigung § 15/1.2 –– Gefährdung § 15/1.3 –– Nichtanbringen § 15/1.2 Siegelbruch § 97 Sitzstreik von Gefangenen § 118/1b Sorgfalt bei Finanzgeschäften § 114 Sorgfaltsvereinbarung (der Bank) § 114/1.1c Spionage s. Nachrichtendienst Spitzelgesetz § 67/1, § 77 Sprengstoffdelikte § 10 –– geringer Schaden § 10/2.3 –– Sprengstoffe § 10/2.11 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 10/2.4 –– Vorbereitungshandlungen § 10/3 Staat, fremder –– Beleidigung § 104 –– Nachrichtendienst gegen einen frem­ den S. § 109

Staatsstreich § 68/1.2 Stimmrecht, Eingriffe § 87 Stimmregister, Fälschung § 89/1a Störung –– der Beziehungen zum Ausland §§ 103–109 –– der Glaubens- und Kultusfreiheit § 51 –– der militärischen Sicherheit §§ 82–84 –– des Eisenbahnverkehrs § 24 –– des Militärdienstes § 84 –– des öffentlichen Verkehrs s. Verkehr, öffentlicher –– des Totenfriedens § 53 –– von Allgemeinbetrieben § 25 –– von Wahlen und Abstimmungen § 86 Störung des öffentlichen Verkehrs s. Verkehr, öffentlicher strafbare Vorbereitungshandlung s. Vorbereitungshandlungen, strafbare Strahlen, ionisierende § 11/2.11 Streik § 25/1.12, § 68/1.2, § 79/1.2, s. auch Sitzstreik von Gefangenen Strohmann § 113/2.13, § 130/4.12 Studierende § 127/1.1h Surrogatgeldwäscherei § 113/2.12 systematische Vertreibungen s. Säuberungen, ethnische

725

Sachregister

T Tätigkeit, amtliche § 132/2 –– funktionaler Zusammenhang § 132/4.31, § 133/1.5, § 134/1.5, § 137/1.15 –– pflichtwidrige oder im Ermes­ sen stehende Handlungen § 133/1.6, § 134/1.6, § 137/1.16, § 137/2.25, § 138/7 Tätlichkeit bei einer Amtshandlung § 93/1.23 Tatsache, rechtserhebliche § 36/2.23 Terroranschlag § 50 Terrorismus, Finanzierung § 50 Tierschutz § 43 Tierseuchen, Verbreitung § 18 Totenfriede, Störung § 53 Transplantation § 53/2.1 Trinkwasser, Verunreinigung § 20 Truppen, fremde § 108

U Überschwemmung, Verursachung § 12 Übersetzer § 116/7.2, § 137/1.14 Übersetzung, falsche § 116/7.2 Übertragung von Krankheiten § 17, § 18 Übertretung –– bundesrechtlicher Bestimmungen §§ 141–151 –– des Berufsverbotes § 101 –– durch die Presse § 130, § 131 –– firmenrechtlicher Bestimmungen § 145 ultra posse nemo tenetur § 131/3

726

unbefugtes Tragen der militärischen Uniform § 150 Ungehorsam –– betreibungsrechtlicher § 141, § 142 –– des Schuldners § 141 –– gegen amtliche Verfügungen § 94/1.1, § 99 –– von Drittpersonen § 142 ungetreue Amtsführung § 71/1.3, § 122 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 133/3.2 Uniform, militärische –– Missbrauch durch Kombattanten § 63/1.1g –– unbefugtes Tragen § 150 –– und Amtsanmassung § 95/1.2 –– Zivilistenstatus trotz Tragens militäri­ scher U. § 108/2.2 Unrechtsvereinbarung § 133 Unterdrückung von Urkunden § 40 Unterhaltspflicht –– Antrag § 3/3 –– gegenüber Angehörigen § 3/1.14 –– gegenüber Kindern § 3/1.13 –– geschützte Ansprüche § 3/1.1 –– Grenze § 3/1.2 –– Strafantrag § 3/3 –– Tatmacht § 3/1.2 –– Umfang § 3/1.1 –– unter Ehegatten § 3/1.11 –– unter eingetragenen Partnern § 3/1.1 –– unter Geschiedenen § 3/1.12 –– Vernachlässigung § 3 Unternehmen, Begriff § 143 Untreue, landesverräterische § 71/1.3 Unzurechnungsfähigkeit, selbstver­ schuldete § 54 Urkunde –– Begriff § 36 –– notarielle § 123/1.1

Sachregister –– öffentliche § 36/3, § 39/1.1 –– unechte § 37/2.1 –– Unterdrückung § 40 –– unwahre § 37/2.2 –– s. auch Computerurkunde Urkundenfälschung § 36, § 37 –– geschütztes Rechtsgut § 36 –– intellektuelle Fälschung § 37/2.2 –– materielle Fälschung i.e.S. § 37/2.1 –– subjektiver Tatbestand § 37/3 –– unrechtmässiger Vorteil § 37/3.22 –– verdeckte Ermittlung § 36/5 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 37/5 –– Vermögensschädigung § 37/3.21 Urkundenfälschung im Amt § 123 –– nicht strafbare Handlungen § 123/3 –– Teilnahme aussenstehender Personen § 123/1.3 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 123/4 Urkundenqualität § 36/2

V verantwortlicher Redaktor § 130/1, § 131/1.1 Verantwortlichkeit –– von Vorgesetzten § 56/1.11 verbotene Handlungen für einen frem­ den Staat § 75 Verbrechen gegen die Menschlichkeit §§ 55–66 –– Apartheid § 52/3.6, § 57/1.12 –– Ausrottung § 57/1.12 –– Folter § 56/1.13, § 57/1.12, § 59/1.2 –– Freiheitsberaubung § 57/1.12d, § 59/1.2b –– und Rassendiskriminierung § 52/3.5 –– unmenschliche Handlungen § 57/1.12 –– Verfolgung § 57/1.12 –– Verletzung der sexuellen Selbstbestim­ mung § 57/1.12, § 61/1.1

–– Verschwindenlassen von Personen § 57/1.12 –– Versklavung § 57/1.12 –– Vertreibung § 56/1.13, § 57/1.12, § 59/1.2 –– vorsätzliche Tötung § 57/1.12, § 59/1.2 –– zwangsweise Überführung § 57/1.12 Verbrechen, organisiertes s. Organisa­ tion, kriminelle Verbreiten menschlicher Krankheiten –– Allgemein § 17 –– Verhältnis zu anderen Delikten § 17/3 Verbreitung von Schädlingen § 19 Verbreitung von Tierseuchen § 18 verdeckte Ermittlung § 36/5, § 123/3 Vereinigung, rechtswidrige § 81 Verfassungshochverrat § 68/1.3 verfassungsmässige Ordnung –– Angriffe § 79 –– Begriff § 79/1.1 –– gewaltsamer Umsturz § 79/1.2 Verfolgungsbegünstigung § 112 Verfügung, amtliche § 99/2.1, § 120/1.2 –– Ungehorsam § 99, § 141/3.2, § 142/3.2 Verhandlung, amtliche –– Veröffentlichung § 86 Verkehr, öffentlicher –– Begriff vor § 23, § 23/1, § 23/2.11 –– Gefährdung § 23/2.13 –– Störung § 23 –– fahrlässige Störung § 23/3 –– s. auch Eisenbahnverkehr, Strassen­ verkehr Verletzung –– der Auskunftspflicht der Medien § 130 –– der Buchführungs- und Aufbewah­ rungspflicht § 143 –– der Fürsorge- oder Erziehungspflicht § 4

727

Sachregister –– der Regeln der Baukunde § 14 –– der Menschenwürde § 52/1, § 52/2.2, § 61 –– der sexuellen Selbstbestimmung s. auch Verbrechen gegen die Mensch­ lichkeit –– des Abstimmungsgeheimnisses § 91 –– des Amtsgeheimnisses § 126 –– des Berufsgeheimnisses § 127 –– des Berufsgeheimnisses in der medizi­ nischen Forschung § 128 –– des Briefgeheimnisses § 129/1.2 –– des Post- und Fernmeldegeheimnisses § 129 –– des Wahlgeheimnisses § 91 –– fremder Gebietshoheit § 107 –– militärischer Geheimnisse § 148 –– schweizerischer Gebietshoheit § 73 Verleumdung bei der Rassendiskrimi­ nierung § 52/3.2 Vermessungszeichen, Beseitigung § 42 Vermieter, Strafbarkeit § 144 Vermögensschädigung § 37/3.21 Vermögensverwaltung, Sorgfalt § 114 Vernachlässigung von Unterhalts­ pflichten –– Begriff § 3/1 –– Gerichtsstand § 3/4.3 Veröffentlichung –– amtlicher geheimer Verhandlungen § 100 –– Begriff § 131/1.2 –– strafbare § 131/1.2 Versammlung –– Störung und Hinderung § 86/1 verschlossene Sendung § 129/1.2 Verstrickungsbruch § 96/1.11 Verstümmelungen § 63/1.1 Verteidiger § 112/1.1, § 113/2.13, § 127/1.1c

728

Vertrauensprinzip § 131/3 Vertreibung, systematische s. Säuberun­ gen, ethnische Verunreinigung von Trinkwasser § 20 Verursachung –– eines Einsturzes § 12 –– einer Explosion § 9 –– einer Feuersbrunst § 6, § 8 –– einer Überschwemmung § 12 Verweigerung des Pardons § 63/1.1 Verweisungsbruch § 98 Völkermord § 56 –– Ahndung durch internationale Straf­ gerichtshöfe § 55, § 56/1.11 –– Bundesgerichtsbarkeit § 56/2.5 –– geschützte Gruppen § 56/1.12 –– Tathandlungen § 56/1.13 Völkerrecht, humanitäres § 55, § 56/1.11, § 56/2.1, § 57/1.11, § 58 –– Missbrauch der Schutzzeichen § 63/1.1 –– Verstösse § 66 Volksgruppe, Diskriminierung § 52/2, § 52/3.6 Volkswille § 85, § 87/3.2 Vollzugsbegünstigung § 112/2.1, § 117/1 Vorbereitungshandlungen –– Begehung im Ausland § 47/5 –– Begriff § 47/2 –– des militärischen Nachrichtendiens­ tes § 148/1 –– Strafausschlussgrund § 47/4 –– strafbare § 47, § 56/1.14, § 57/1.13 –– Teilnahme § 47/6.3 Vorsorge, berufliche § 146 Vorteil –– dienstrechtlich erlaubter § 132/4.22 –– geringfügiger § 132/4.22 –– immaterieller § 132/4.12, § 133/1.2, § 134/1.2, § 135/1.4, § 136/1.2, § 138/3

Sachregister –– materieller § 132/4.12, § 133/1.2, § 134/1.2, § 135/1.4, § 136/1.2, § 138/3 –– bei den Bestechungsdelikten § 132/1, § 132/3.22, § 133/1.2, § 134/1.2, § 135/1.2, § 136/1.12, § 136/2.22 –– Einziehung § 132/3.3 –– Privatbestechung § 138/3 –– unrechtmässiger § 37/3.22, § 40/2, § 41/2, § 95/1.12, § 120, § 122/3.2, § 123/1.2, § 132/4.2 –– sozial üblicher § 131/5.2, § 137/3.19

–– Fälschung § 32 –– Nachmachen § 30 –– Verfälschung § 32/2 –– Verwendung § 32/3 Wettbewerbsneutralität § 132/2 Whistleblowing § 127/4.5 Widerstand –– aktiver § 93/1.21, § 94/1.1 –– passiver § 46/3, § 94/1.1

Vorteilsannahme § 121/1, § 132/1, § 136

wirtschaftlich Berechtigter s. Berechtig­ ter, wirtschaftlich

Vorteilsgewährung § 132/1, § 135, § 135/1.5, § 136/1.4, § 136/3.1, § 137/1.5

Wirtschaftsspionage vor § 77/1

W

Z

Waffen, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit § 49

Zahlungsverkehr § 114/1.1a, § 129/1.2

Wahl –– Eingriffe in das Wahlrecht § 87 –– Störung und Hinderung § 86 Wahlbestechung § 88 –– aktive § 88/1 –– passive § 88/2 Wahlbetrug § 89/1 Wahlfälschung § 89 Wahlgeheimnis § 91 Wahrheitspflicht –– bei falschem Zeugnis § 116/2.3 –– bei Parteibefragung § 115/1.2 Wasserbaute, Beschädigung § 13 Wasserstandszeichen, Beseitigung § 42 Wegweisung § 98/1 Weisungen, Fälschung von § 83 Weltrechtsprinzip § 27/3.3, § 32/2.3, § 56/2.3, § 57/2.3, § 58/3 Wertzeichen, amtliche §§ 26–35

wirtschaftlicher Nachrichtendienst s. Nachrichtendienst, wirtschaftlicher

Zeichen –– Fälschung amtlicher Z. § 33, § 123/1.1 –– Siegelbruch § 97/1.1 –– Urkundenqualität § 36/1.4 Zeichen, amtliche s. Zeichen Zeitungen, Impressumspflicht § 130/2 Zeugeneigenschaft § 116/2.2 Zeugnis –– Begriff bei Ausweisfälschung § 38/2.11 –– ärztliches § 124 –– falsches § 116/2 Zeugnisfähigkeit s. Zeugeneigenschaft Zeugnisurkunde § 36/2.22 Zeugnisverweigerungsrecht –– des Amtsgeheimnisträgers § 126 –– des Berufsgeheimnisträgers § 127/1.1, § 127/4.3, § 127/5.2 –– und Begünstigung § 112/1.1b –– und Falschaussage § 116/4, § 115/4 –– und Ungehorsam gegen amtliche ­Verfügungen § 99/1.2bb, § 99/4.3

729

Sachregister Zivilbevölkerung –– Angriff gegen die Z. § 55, § 57/1.11, § 58, § 63/1.1a –– s. auch Kriegsverbrechen, schwere Verletzungen der Genfer Konventio­ nen Zivilprozess –– falsche Beweisaussage § 115 Zufallsurkunde § 36/2.22 Zurechnungsunfähigkeit, selbst­ verschuldete § 54 Zusammenrottung –– beim Aufruhr § 93/3 –– öffentliche Z. bei Landfriedensbruch § 46/1.1

730

Zwang § 120/1.2 Zwangsvollstreckung –– Gewalt und Drohungen bei Z. § 94/3 –– Ungehorsam des Schuldners im Ver­ fahren der Z. § 141 –– Ungehorsam Dritter im Verfahren der Z. § 142 zwischenstaatliche Organisationen s. Organisation, zwischenstaatliche

PUBLIKATIONSLISTE

Alle Titel der Lehrbuchreihe «­Zürcher Grundrisse des Strafrechts» Stand: Sommer 2017

9. Auflage

Die Zürcher Grundrisse des Strafrechts sind als Standardlehrbücher für das Studium an der Universität Zürich entwickelt worden. Sie decken den gesamten Stoff des ­Bachelor- und Masterstudiums im Straf- und Strafprozessrecht ab. Mittlerweile gehen die Grundrisse inhaltlich über eine Studienliteratur hinaus und sind fester Bestandteil der strafrechtlichen Doktrin. Als ergänzende Lernunterstützung dienen die Tafeln, in denen der im Grundriss vermittelte Stoff visuell eingängig aufbereitet ist.

Zürcher Grundrisse des Strafrechts, herausgegeben von Andreas Donatsch

Andreas Donatsch Brigitte Tag

Donatsch / Tag

Strafrecht I

Verbrechenslehre

Zürcher Grundrisse des Strafrechts Unter diesem Sammeltitel erscheinen die Grundrisse Strafrecht I – IV. Damit soll deren Charakter als ein Lehrmittel betont werden, welches die Dozierenden dieses Faches an der Universität Zürich verwenden. Er erlaubt es, bei Bedarf weitere Autoren aus diesem Kreis einzubeziehen.

Strafrecht I

Strafrecht I. Verbrechenslehre 9. Auflage

Verbrechenslehre

2013 | 477 Seiten | broschiert | CHF 92.00 | 978-3-7255-6782-9

Neunte Auflage

29.04.13 11:08

Zürcher Grundrisse des Strafrechts

Schwarzenegger/Hug/Jositsch

Strafrecht II

Unter diesem Sammeltitel erscheinen die Grundrisse Strafrecht I – IV. Damit soll deren Charakter als ein Lehrmittel betont werden, welches die Dozierenden dieses Faches an der Universität Zürich verwenden. Er erlaubt es, bei Bedarf weitere Autoren aus diesem Kreis einzubeziehen.

Strafen und Massnahmen

8. Auflage

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Andreas Donatsch / Brigitte Tag

Zürcher Grundrisse des Strafrechts, herausgegeben von Andreas Donatsch

Christian Schwarzenegger Markus Hug Daniel Jositsch

Strafrecht II Strafen und Massnahmen

Christian Schwarzenegger / Markus Hug / Daniel Jositsch Strafrecht II. Strafen und Massnahmen 8. Auflage 2007 | 344 Seiten | broschiert | CHF 88.00 | 978-3-7255-5280-1

Achte, aktualisierte und teilweise vollständig überarbeitete Auflage

9.2.2007 11:21:41 Uhr

Stefan Flachsmann / Andreas Eckert / Bernhard Isenring Tafeln zum Strafrecht I & II. Allgemeiner Teil 5. Auflage 2008 | 190 Seiten | broschiert | CHF 69.00 | 978-3-7255-5597-0

Andreas Donatsch Strafrecht III. Delikte gegen den Einzelnen 10. Auflage 2013 | 598 Seiten | broschiert | CHF 92.00 | 978-3-7255-6864-2

PUBLIKATIONSLISTE

Andreas Eckert / Stefan Flachsmann / Bernhard Isenring / Hans Maurer Tafeln zum Strafrecht III. Besonderer Teil I 5. Auflage 2012 | 201 Seiten | broschiert | CHF 84.00 | 978-3-7255-6161-2

Andreas Donatsch / Marc Thommen / Wolfgang Wohlers Strafrecht IV. Delikte gegen die Allgemeinheit 5. Auflage 2017 | 797 Seiten | broschiert | CHF 119.00 | 978-3-7255-7441-4

Andreas Eckert / Stefan Flachsmann / Bernhard Isenring / Nathan Landshut / Hans Maurer / Stefan Wehrenberg Tafeln zum Strafrecht IV. Besonderer Teil II zusammen mit aus­ gewählten Strafbestimmungen aus SVG und BetmG 4. Auflage 2017 | ca. 200 Seiten | broschiert | CHF 69.00 | 978-3-7255-7732-3

Andreas Donatsch / Christian Schwarzenegger / Wolfgang Wohlers Strafprozessrecht 2. Auflage 2014 | 393 Seiten | broschiert | CHF 88.00 | 978-3-7255-7021-8

Andreas Donatsch / Stefan Heimgartner / Frank Meyer / Madeleine Simonek Internationale Rechtshilfe. Unter Einbezug der Amtshilfe im Steuerrecht 2. Auflage 2015 | 296 Seiten | broschiert | CHF 89.00 | 978-3-7255-7185-7 Detaillierte Informationen finden Sie unter www.schulthess.com.