Grundkurs Strafrecht: Band 2 Die einzelnen Delikte [2., neubearb. Aufl. Reprint 2019] 9783111682396, 9783110099874


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German Pages 538 [544] Year 1984

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Table of contents :
Vorbemerkung
Inhaltsverzeichnis
Schrifttum zum Studium des Strafrechts, Besonderer Teil
ERSTER TEIL. Einführung
ZWEITER TEIL. Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
DRITTER TEIL. Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Paragraphenregister
Sachregister
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Grundkurs Strafrecht: Band 2 Die einzelnen Delikte [2., neubearb. Aufl. Reprint 2019]
 9783111682396, 9783110099874

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de Gruyter Lehrbuch

Grundkurs Strafrecht Die einzelnen Delikte

von

Harro Otto 2., neubearbeitete Auflage

W G DE

1984 Walter de Gruyter • Berlin • New York

Dr. jur.

HARRO OTTO,

Zitiervorschlag:

O. Professor an der Universität Bayreuth

Otto, Grundkurs Strafrecht, BT, 2. Aufl. 1984, S. 100

ClP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Otto, Harro: Grundkurs Strafrecht/von Harro Otto. - Berlin; New York: de Gruyter (De-Gruyter-Lehrbuch) Die einzelnen Delikte. - 2., neubearb. Aufl. - 1984. ISBN 3-11-009987-X

© Copyright 1984 by Walter de Gruyter & Co., 1000 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz und Druck: Ludwig Vogt, 1000 Berlin 61. Buchbindearbeiten: Lüderitz & Bauer GmbH, 1000 Berlin 61.

Vorbemerkung Lerntheoretisches Ziel, Anlage und Methode dieses Teils des Grundkurses Strafrecht entsprechen denen der Allgemeinen Strafrechtskhre. Allerdings ließen diese sich nicht ohne weiteres auf die Beschreibung der einzelnen Delikte übertragen. Die Eigenart des Stoffes verlangte gewisse Modifizierungen und die Verlagerung einzelner Akzente: Der Allgemeinen Strafrechtslehre geben nämlich die Prinzipien der Zurechnungslehre ihren durchgehenden systematischen Zusammenhang. Ihre Wirksamkeit gilt es in den verschiedenen Problemkreisen des Allgemeinen Teils zu erkennen und in ihrer Bedeutung im sozialen Raum abschätzen zu lernen. Der Verschiedenheit des jeweiligen Aspekts der Zurechnung entsprechen die verschiedenen Lernziele. Die einzelnen Problemstellungen bezeichnen den jeweils zu erschließenden Raum. Eine vergleichbare Problementfaltung ist bei der Beschreibung der einzelnen Delikte nur dort von Nutzen, wo ein übergreifender Zusammenhang die einzelnen Delikte einer Gruppe in ihrem Wesen entscheidend prägt, ohne daß dies dem Wortlaut der einzelnen Gesetzestatbestände ausdrücklich zu entnehmen ist. In diesem Bereich muß das Lernziel der Einblick in die Art und Weise der Wirksamkeit dieses Zusammenhangs sein. Im übrigen kann aber das Lernziel der einzelnen Abschnitte vorweg definiert werden: Kenntnis der Art und des Umfangs des Schutzes der Rechtsgüter der einzelnen Deliktstatbestände. Innerhalb des so gewonnenen, jeweils überschaubaren Rahmens ist die Beschäftigung mit den einzelnen Delikten sodann die Fortsetzung der in der Allgemeinen Strafrechtskhre begonnenen Einübung in das strafrechtliche Denken, dessen normativ-begrifflicher Aspekt stets der Ergänzung durch eine faktische Abschätzung der Probleme und ihrer Bedeutung im sozialen Bereich bedarf. Beide Betrachtungsweisen sind jedoch schon in der begrifflichen Begrenzung des Schutzumfangs der einzelnen Delikte weit enger miteinander verbunden, als es vielleicht den Anschein hat. Die Bestimmung des Schutzumfangs der Tatbestände und des Inhalts der einzelnen Begriffe ist heute bereits das Ergebnis harter, langer Arbeit am Begriff durch Lehre und Rechtsprechung in steter Auseinandersetzung mit einer Vielzahl verschiedener Problemstellungen. Vor allem in den gerichdichen Entscheidungen werden die einzelnen Begriffe einer steten Bewährungsprobe unterzogen. In die Bestimmung, Modifizierung oder völlige Neuschöpfung einzelner Begriffsinhalte gehen umfangreiche kriminologische Überlegungen, kriminalpolitische Zwecksetzungen und sozialpolitische Stellungnahmen ein, auch wenn darüber nicht jeweils Rechenschaft abgelegt wird. - Der Rechtsprechung kommt daher in die-

VI

Vorbemerkung

sem Bereich besondere Bedeutung zu, die auch in der konkreten Zielsetzung des Grundkurses Ausdruck finden mußte: nicht nur der „fertige Jurist", auch schon der Anfänger muß die Entscheidungen, die die Praxis als besonders bedeutsam ansieht, kennenlernen. Er m u ß sie nicht auswendig lernen, sich aber mit ihnen auseinandersetzen, um die eigene Meinung zu begründen. In dieser Verflechtung von Theorie und Praxis ist die Eigenart dieses Bandes des Grundkurses begründet. Im übrigen ist der Umfang der Darstellung der einzelnen Deliktsgruppen nach der Bedeutung der Delikte in Ausbildung und Praxis differenziert. Wesentlich erweitert wurden - im Verhältnis zur 1. Auflage - die Rechtsprechungsund Literaturnachweise, um dem Leser von vornherein einen Überblick über den Streitstand in einzelnen Problemstellungen zu geben. Trotz dieser Informationserweiterung liegt der Schwerpunkt des Grundkurses aber weiterhin in dem Bemühen, den Leser auf wesentliche Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen, in die selbständige Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Problemen einzuüben und Wege zur weiteren Vertiefung zu zeigen. Der Leser soll am Prozeß der Meinungsbildung beteiligt werden, sich aber nicht zur freundlichen Bedienung mit fremden Meinungen eingeladen fühlen. Meinen Assistenten, Frau Dr. Birgit Born, Herrn Martin W Huff, Herrn Bernhardt Kirchner und Herrn Dr. Karl Heinz Labsch, danke ich sehr herzlich für ihre Mitarbeit. Bayreuth, Mai 1984

Harro Otto

Inhaltsverzeichnis

Schrifttum

XVII

1.Teil: Einführung § 1: Die einzelnen Tatbestände und das „System des Besonderen Teils" I. Unrecht und strafbares Unrecht II. Die Rechtsgutsverletzung als Kern des Straftatbestandes III. Die Legalordnung

1 1 3 4

2. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen 1. Kapitel: Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter

7 7

1. Abschnitt: Delikte gegen das Leben § 2: Die Systematik der Tötungsdelikte § 3: Totschlag § 4: Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen . . . . II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale III. Vorsatzprobleme § 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 II. Das Verhältnis des § 213 zu § 211 § 6: Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 II. Die Problematik der Euthanasie III. Tötung auf Verlangen und Selbstmord IV. Zur Teilnahmeproblematik § 7: Kindestötung § 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte I. Prämissen der Stellungnahme II. Zur Einübung § 9: Fahrlässige Tötung § 10: Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes II. Besondere Probleme des Tatbestandes §11: Völkermord I. Das geschützte Rechtsgut II. Die Bedeutung des Tatbestandes §12: Zur Wiederholung

1

7 7 13 14 14 14 24 25 25 27 28 28 31 34 38 39 40 40 42 43 46 46 48 49 49 50 50

VIII

Inhaltsverzeichnis

2. Abschnitt: Delikte gegen das Leben des werdenden Menschen . . . § 1 3 : Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung II. Abbruch der Schwangerschaft, § 218 III. Der legale Schwangerschaftsabbruch, § 218 a IV. Das Beratungs- und Feststellungssystem des Gesetzes, §§ 218 b, 219, 219 a V. Strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten

52 52 52 54 55

3. Abschnitt: Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit § 14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte . . . . I. Das geschützte Rechtsgut II. Die Systematik des Gesetzes § 15: Die Körperverletzung I. Der Tatbestand der einfachen Körperverletzung, § 223 Abs. 1 II. Zur Rechtswidrigkeit III. Aszendentenverletzung, § 223 Abs. 2 IV. Zur Bestrafung § 16: Die gefährliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 223 a II. Die einzelnen Tatmittel III. Vorsatz § 17: Schwere und beabsichtigte schwere Körperverletzung I. Der Aufbau der §§ 224, 225 . II. Die einzelnen Merkmale III. Versuch und Täterschaft § 18: Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 226 II. Der Strafrahmen des § 226 Abs. 2 § 19: Körperverletzung im Amt § 2 0 : Mißhandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 223 b II. Einzelheiten zur Interpretation III. Zur sozialen Relevanz des § 223 b § 2 1 : Fahrlässige Körperverletzung § 2 2 : Vergiftung I. Das Wesen des § 229 II. Einzelheiten der Regelung III. Besonderheiten des Versuchs § 2 3 : Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat II. Einzelheiten der Regelung III. Zur Einübung

62 62 62 62 62 62 65 66 66 67 67 68 69 70 70 70 71 72 72 73 73 75 75 76 76 77 77 77 77 78 78 78 78 79

58 59 60

Inhaltsverzeichnis § 24:

§25:

Zur Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten Zur Wiederholung

4. Abschnitt: Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26:

Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte II. Die Systematik der Freiheitsdelikte § 27: Nötigung I. Der objektive Tatbestand II. Der subjektive Tatbestand III. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung § 28: Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 II. Rechtswidrigkeit III. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung . . . V Menschenraub, § 234 § 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut und Verhältnis der §§ 239 a, 239 b zueinander . II. Tatbestandsvoraussetzungen III. Erfolgsqualifizierungen nach §§ 239 a Abs. 2, 239 b Abs. 2 . IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 3, 239 b Abs. 3 V. Konkurrenzen § 3 0 : Zur Wiederholung

IX

80 80 81 82 83 83 83 83 84 84 89 90 94 94 96 96 97 98 98 98 99 100 100 101 101

5. Abschnitt: Delikte gegen die Ehre

102

§31:

Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte . . . I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte II. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre § 32: Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 II. Üble Nachrede, § 186 III. Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände IV. Rechtfertigung V. Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände . . . . § 33: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener

102 102 103 106 106 109 110 112 115 115

6. Abschnitt: Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich § 34: Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 II. Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202

117 117 117 119

X

§35:

§ 36:

§ 37:

Inhaltsverzeichnis III. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 V. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 354 . . VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut II. Die Tathandlung Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a II. Anwerben fiir fremden Wehrdienst, § 109 h, und Auswanderungsbetrug, § 144

2. Kapitel: Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen) 1. Abschnitt: Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte § 38:

Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut II. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte III. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte

. . . . . . .

. . .

2. Abschnitt: Die Vermögensentziehungsdelikte § 39:

§ 40:

§41:

§ 42:

§ 43: §44: §45:

Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut II. Das Verhältnis der Unterschlagung zum Diebstahl . . . . III. Systematischer Überblick Diebstahl I. Der objektive Tatbestand II. Der subjektive Tatbestand III. Rechtswidrigkeit Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwere Fälle des Diebstahls, § 243 Abs. 1 . . . II. § 243 Abs. 2: Ausschluß des § 243 Abs. 1, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht III. Diebstahl mit Waffen und Bandendiebstahl, § 244 . . . . Unterschlagung I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1, 1. Alt II. Veruntreuung, § 246 Abs. 1, 2. Alt Haus- und Familiendiebstahl Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen Entziehung elektrischer Energie

121 123 123 125 126 126 129 130 130 130 131 131 132 133 133 133 133 135 136 138 138 138 139 139 139 140 148 158 159 159 165 167 170 170 179 180 181 183

Inhaltsverzeichnis § 46:

§ 47:

§ 48:

§49: § 50:

§ 51:

§ 52:

§53:

§ 54:

§55:

Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes II. Raub, § 249 III. Schwerer Raub, § 250 IV. Raub mit Todesfolge, § 251 V. Räuberischer Diebstahl, § 252 VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a Sachbeschädigung I. Sachbeschädigung, § 303 II. Qualifizierte Fälle der Sachbeschädigung Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 Zur Wiederholung Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 II. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 III. Wilderei, §§ 292 ff Betrug I. Rechtsgut und Gesetzessystematik II. Der gesetzliche Tatbestand III. Der objektive Tatbestand IV. Der subjektive Tatbestand V. Versuch, Vollendung und Besonderheiten der Strafverfolgung VI. Besonders bezeichnete Betrugsfälle Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352, 353 II. Erschleichen von Leistungen, § 265 a Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 II. Räuberische Erpressung, § 255 Untreue I. Das geschützte Rechtsgut, die besondere Pflichtenposition des Täters und die Gesetzessystematik II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes . . . . Strafbare Vermögensgefährdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 . . . . II. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 284 a III. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder einer Ausspielung, § 286 IV. Schiffsgefährdung durch Bannware, § 297

3. Abschnitt: Die Perpetuierungsdelikte § 56: Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte

XI

184 184 185 188 189 191 195 197 197 200 201 201 204 204 205 205 207 209 212 212 212 213 231 233 234 241 241 243 245 245 249 250 250 252 256 256 258 258 258 259 259

XII

§ 57:

§ 58:

§ 59:

Inhaltsverzeichnis I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut II. Einzelheiten des Tatbestandes III. Die Regelung des § 257 Abs. 4 Hehlerei I. Hehlerei, § 259 II. Gewerbsmäßige Hehlerei, § 260 III. Fahrlässige Hehlerei, § 5 EMG, § 18 UMG Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte . . . .

259 262 262 262 263 265 266 266 273 273 273

3. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit 1. Kapitel: Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter .

277 277

1. Abschnitt: Delikte gegen die Wirtschaftsordnung § 60: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht § 61: Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsbetrug, § 265 II. Subventionsbetrug, § 264 III. Kreditbetrug, § 265 b IV. Konkursdelikte V. Wucher, § 302 a

277 277 279 280 281 284 286 292

2. Abschnitt: Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens

296

§ 62: § 63:

Delikte gegen den äußeren Frieden Delikte gegen den inneren Frieden I. Landfriedensbruch, §§ 125, 125 a II. Störung des öffendichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 126 III. Volksverhetzung, § 130 IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 V. Verherrlichung von Gewalt; Aufstachelung zum Rassenhaß, § 131

3. Abschnitt: Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens § 64: § 65:

Delikte gegen das Pietätsempfinden Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfälschung, § 169 II. Doppelehe, § 171 III. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 b V Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 170 d VI. Kindesentziehung, § 235

296 297 297 299 300 301 301 304 304 308 308 309 310 311 313 313

Inhaltsverzeichnis VII. Entführung mit Willen der Entführten, § 236 § 66: Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung . . . II. Die sexuelle Handlung, § 184 c III. Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne . . . IV. Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit . . . . V Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person . . . . VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution VIII.Verbreitung pornographischer Schriften, § 184 § 67: Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c II. Mißbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln, § 145 III. Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138, 139 §68: Zur Wiederholung 4. Abschnitt: Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs §69: Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte § 70: Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 II. Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, § 275 III. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 § 71: Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 II. Mittelbare Falschbeurkundung, §§ 271, 272 III. Gebrauch falscher Beurkundungen, § 273 IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278 . . . . § 72: Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels . . I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. . . . II. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 2 § 73: Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels § 74: Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 III. Die Tathandlung IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt § 75: Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146, 147, 149, 152 . .

XIII 314 316 316 317 318 322 323 327 329 332 333 334 336 337 339

341 341 341 341 351 351 352 352 354 356 356 357 357 357 358 359 359 361 361 361 364 364 364

XIV

§ 76:

§ 77:

Inhaltsverzeichnis II. Geldfälschung, § 146 III. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1, 1. Alt. . IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 V Wertpapierfälschung, § 151 VI. Einziehung Wertzeichenfälschung I. Wertzeichenfälschung, § 148 II. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1, 2. Alt Zur Wiederholung

365 367 367 368 369 369 369 370 370

5. Abschnitt: Gemeingefährliche Delikte

373

§ 78:

373 373 374 378 379 379 379 380 381 381 381 382 383

§ 79:

§ 80:

§81:

Systematischer Überblick I. Der Begriff des gemeingefährlichen Delikts" II. Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick) III. Nicht gemeingefährliche Delikte im 27. Abschnitt des S t G B Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen II. Brandstiftung, § 308 III. Schwere Brandstiftung, § 306 IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 307 V. Fahrlässige Brandstiftung, § 309 VI. Herbeiführen einer Brandgefahr, § 310 a VII. Tätige Reue, § 310 Gefährdungen des Verkehrswesens I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§ 315, 315 a II. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316 III. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 IV. Angriff auf den Luftverkehr, § 316 c Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a II. Die Voraussetzungen des Tatbestandes

6. Abschnitt: Straftaten gegen die Umwelt § 82:

Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnormen II. Das geschützte Rechtsgut III. Die einzelnen Schutzbereiche

383 385 389 393 394 394 395 400

. .

400 400 402 403

2. Kapitel: Delikte gegen staatliche Rechtsgüter

413

1. Abschnitt: Delikte gegen den Bestand des Staates

413

§ 83:

413 413

Hochverrat I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes

Inhaltsverzeichnis

XV

II. Die einzelnen Tatbestände Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats I. Gesetzessystematik der §§ 84-91 II. Die einzelnen Tatbestände § 8 5 : Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik II. Das Staatsgeheimnis III. Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen IV. Die landesverräterische Konspiration § 86: Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut II. Die einzelnen Tatbestände III. Voraussetzungen der Strafverfolgung, § 104 a § 87: Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d . . . II. Die einzelnen Tatbestände § 88: Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich II. Die einzelnen Tatbestände

413 414 414 415 419 419 419

2. Abschnitt: Delikte gegen die Staatsgewalt § 89: Gefährdungen der staatlichen Autorität I. Verletzung amdicher Bekanntmachungen, § 134 II. Mißbrauch von Ausweispapieren, § 281 III. Amtsanmaßung, § 132 IV. Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a § 90: Gefährdung der Staatsgewalt I. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 II. Die Verbindungstatbestände § 91: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113, 114 II. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 III. Der Irrtum des Widerstandleistenden IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 V. Das Verhältnis des § 113 zu § 240 § 92: Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 II. Gefangenenmeuterei, § 121 § 93: Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 II. Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 III. Zur Einübung

432 432 432 432 432

§84:

420 423 424 424 424 425 425 425 426 428 428 428

434 435 435 436 439 439 440 443 444 444 445 445 447 448 448 449 451

XVI

Inhaltsverzeichnis

3. Abschnitt: Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen § 94: Gefährdung öffentlicher Interessen

453 453

4. Abschnitt: Delikte gegen die Rechtspflege

455

§ 95:

455 455 457 459 459 459 462 463 464 464 464 472

Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 II. Vortäuschen einer Straftat, § 145 d § 96: Strafvereitelung I. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt II. Der Grundtatbestand, § 258 III. Strafvereitelung im Amt, § 258 a IV. Sabotage gerichtlicher Entscheidungen § 97: Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick . . II. Das relevante Angriffsverhalten III. Die einzelnen Aussagedelikte IV. Teilnahme und mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten V. Strafmilderung und Absehen von Strafe § 98: Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 336 II. Aussageerpressung, § 343 III. Verfolgung Unschuldiger, § 344 IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345 V. Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d VI. Parteiverrat, § 356

480 485 488 488 489 490 491 492 493

5. Abschnitt: Delikte gegen den öffentlichen Dienst § 99: Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte II. Vorteilsannahme, § 331 III. Bestechlichkeit, § 332 IV. Vorteilsgewährung, § 333 V. Bestechung, § 334 § 100: Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357

495 495 495 497 499 500 501 501

. . . .

Paragraphenregister

505

Sachregister

509

Schrifttum zum Studium des Strafrechts, Besonderer Teil

Der Bezug auf den GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., betrifft den RECHT, Allgemeine Strafrechtslehre, 2. Aufl. 1982.

GRUNDKURS STRAF-

I. Älteres Schrifttum 1. Lehrbücher Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2 Bde., 1./2. Aufl. 1902-1905 Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927 Lehrbuch des Strafrechts, 1932 System des Strafrechts, Besonderer Teil, 1954

BINDING v . LISZT/SCHMIDT v . HIPPEL SAUER

2. Kommentare Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931 mit Nachtrag 1936 (Schäfer/v. Dohnanyi) Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1927,12. Aufl. (nur bis § 246) 1942/43

FRANK v . OLSHAUSEN

II. Neueres Schrifttum 1. Lehrbücher ARZT ARZT/WEBER

BLEI BOCKELMANN

ESER

Strafrecht, Besonderer Teil, LH 3: Vermögensdelikte (Kernbereich), 1978 Strafrecht, Besonderer Teil, LH 1: Delikte gegen die Person, 2. Aufl. 1981 LH 2: Delikte gegen die Person (Randbereich), Schwerpunkt: Gefährdungsdelikte, 1983 LH 4: Wirtschaftsstraftaten, Vermögensdelikte (Randbereich), Fälschungsdelikte, 1980 LH 5: Delikte gegen den Staat, gegen Amtsträger und durch Amtsträger, 1982 Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. 1982 Bd. 2: Delikte gegen die Person, 1977 Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit, 1980 Strafrecht, Bd. 3: Delikte gegen die Person und Gemeinschaftswerte, 2. Aufl. 1980 Bd. 4: Vermögensdelikte, 4. Aufl. 1983

XVIII HAFT KJREY

MAURACH/SCHROEDER

Schrifttum Strafrecht, Besonderer Teil, 1982 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 5. Aufl. 1983 Bd. 2: Vermögensdelikte, 5. Aufl. 1982 Strafrecht, Besonderer Teil, Tbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 6. Aufl. 1977 Tbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 6. Aufl. 1981

SCHMIDHAUSER WELZEL WESSELS

Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Aufl. 1983 Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 7. Aufl. 1983 Bd. 2: Straftaten gegen Vermögenswerte, 6. Aufl. 1983

2. Kommentare DREHER/TRÖNDLE KOHLRAUSCH/LANGE LACKNER LEIPZIGER KOMMENTAR

PFEIFFER/MAUL/SCHULTE PREISENDANZ SCHÖNKE/SCHRÖDER

Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 41. Aufl. 1983 Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl. 1961 StGB, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 15. Aufl. 1983 Großkommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Jescheck, Ruß und Willms, 10. Aufl. 1978 ff (9. Aufl. 1974 im Text besonders gekennzeichnet) Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1969 Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. 1978 Strafgesetzbuch, bearb. von Cramer, Eser, Lenckner und Stree, 21. Aufl. 1982

SYSTEMATISCHER KOMMENTAR ZUM STRAFGESETZBUCH

bearb. von Rudolphi, Horn und Samson, Besonderer Teil, Stand: Oktober 1983.

III. Verzeichnis der im Text angeführten Festschriften/Gedächtnisschriften BOCKELMANN, PAUL B O S C H , FRIEDRICH

Festschrift zum 70. Geburtstag, 1979 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1976

WILHELM BRUNS, HANS-JÜRGEN BRUNS, RUDOLF BUNDESGERICHTSHOF DREHER, EDUARD DÜNNEBIER, HANNS ENGISCH, K A R L

Festschrift zum 70. Geburtstag, 1978 Gedächtnisschrift, 1980 Festschrift zum 25jährigen Bestehen, „25 Jahre Bundesgerichtshof", 1975 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1977 Festschrift zum 75. Geburtstag, 1982 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1969

Schrifttum

X I X

GALLAS, W I L H E L M HEINITZ,

ERNST

HENKEL, HEINRICH

VON H E N T I G ,

HANS

K L U G , ULRICH LANGE, RICHARD LEFERENZ, H E I N Z

MAURACH,

REINHART

MAYER, HELLMUTH

MEZGER,

EDMUND

OBERLANDESGERICHT

Festschrift zum 70. Geburtstag, 1973 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 70. Geburtstag, „Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft", 1974 Festschrift zum 80. Geburtstag, „Kriminologische Wegzeichen", 1967 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1983 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1976 Festschrift zum 70. Geburtstag, „Kriminologie-Psychiatrie-Strafrecht", 1983 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 70. Geburtstag, „Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft" 1966 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1954 Göttinger Festschrift zum 250jährigen Bestehen, 1961

CELLE PETERS, K A R L

REIMERS, WALTER

SARSTEDT, W E R N E R SCHAFFSTEIN, FRIEDRICH SCHMIDT, EBERHARD SCHRÖDER, H O R S T SCHULTZ, H A N S

SCHWINGE, ERICH

WELZEL, H A N S WÜRTENBERGER, T H O M A S

Festschrift zum 70. Geburtstag, „Einheit und Vielfalt des Strafrechts", 1974 Festschrift zum 65. Geburtstag, „Aus dem Hamburger Rechtsleben", 1979 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1981 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1975 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1961 Gedächtnisschrift, 1978 Festgabe zum 65. Geburtstag, „Lebendiges Strafrecht", 1977 Festschrift zum 70. Geburtstag, „Persönlichkeit in der Demokratie", 1973 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974 Festschrift zum 70. Geburtstag, „Kultur - Kriminalität Strafrecht", 1977

ERSTER TEIL Einführung

§ 1: Die einzelnen Tatbestände und das „System des Besonderen Teils" Lernziel: Verständnis für die begrifflichen Anforderungen an den Inhalt der einzelnen Tatbestände sowie für ihr Verhältnis zueinander innerhalb des Besonderen Teils des Strafrechts.

Probkmentfaltung: I. Unrecht und strafbares Unrecht 1. Die fragmentarische Natur des Strafrechts Bereits in der Einführung in die Allgemeine Strafrechtslehre wurde klargestellt, daß Strafrechtsnormen als Mittel der Verhaltenssteuerung und Erwartungssicherung, die auf eine gerechte Ordnung abzielen, bestimmten Grundsätzen genügen müssen, sollen sie den zur Entwicklung nötigen Handlungsspielraum des Einzelnen und der Gesamtheit garantieren, Rechtssicherheit gewähren und Willkür vorbeugen: fl} Sie müssen hinreichend bestimmt gefaßt sein, Art. 103 Abs. 2 GG. (2) Sie müssen gleiche Sachverhalte in gleicher Weise regeln, Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 GG. (3) Nur soweit Strafe als ultima ratio zur Sicherung des sozialen Miteinander unerläßlich erscheint, sind Strafrechtsnormen legitim (fragmentarische Natur des Strafrechts). a) Die angemessene Berücksichtigung dieser drei Grundsätze führt nun nicht zur gleichen Bestrafung aller Rechtsgutsbeeinträchtigungen gleicher Intensität, sondern im Gegenteil, sie macht eine Differenzierung nach der über die Rechtsgutsverletzung hinausgehenden Sozialschädlichkeit der verschiedenen Verhaltensweisen nötig. Das Unrecht, die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens, erschöpft sich nicht in der Rechtsgutsverletzung, sondern manifestiert sich lediglich in dieser! - Doch auch das gleiche Maß der Sozialgefährlichkeit oder -Schädlichkeit und damit der Strafwürdigkeit begründet dort noch keine Strafbarkeit, wo es an der Strafbedürftigkeit fehlt, weil andere, wirksamere oder gleich wirksame Mittel zur Verfügung stehen, dem strafwürdigen Verhalten zu begegnen.

2

Einführung

b) Straßares Unrecht ist demnach durch seine besondere Beschreibung in den Gesetzestatbeständen des Besonderen Teils jeweils als besonders vertyptes Unrecht gekennzeichnet und damit aus der Masse des allgemeinen Unrechts herausgehoben, weil der Gesetzgeber dieses Unrecht als strafwürdig und straßedürftig ansieht. Zur Wiederholung: GrundkursStrafrecht, A. X, § 1 II 5.

c) Ein Tatbestand: „Wer das Vermögen eines anderen schädigt, wird... bestraft", würde durchaus dem Bestimmtheits- und auch dem Gleichheitsgrundsatz genügen. Er würde jedoch zahllose Verhaltensweisen umfassen, die keineswegs mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden müssen, z. B. jede vermögensschädigende Vertragsverletzung usw., usf. Die Einzeltatbestände, z. B. im Bereich des Vermögensstrafrechts, haben gegenüber einem einzigen umfassenden Tatbestand den kriminalpolitischen Vorzug eines gezielteren und damit sachgerechteren Vorgehens. Die damit verbundene Abgrenzungsproblematik ist nicht zu umgehen, soll der strafbare Raum möglichst scharf von dem nicht strafbaren Bereich abgegrenzt werden. 2. Die strafrechtlichen Deliktstypen Die Vertypung der einzelnen Straftaten geht auf das Erlebnis der Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen zurück. Diese werden als derart sozialschädlich empfunden, daß versucht wird, ihnen mit dem stärksten zur Verfügung stehenden Abwehrmittel, der Strafe, zu begegnen. Und zwar wird die Sozialschädlichkeit, das Unrecht, nicht nur quantitativ, sondern mehr noch qualitativ erlebt. Gerade das unterschiedliche qualitative Erlebnis führt zur Unrechtsvertypung, in der sich allerdings im sozialen Erlebnis zunächst ein persönlicher Typ durchsetzt: der des Mörders, Diebes, Räubers usw. Von diesem Kern anschaulicher kriminologischer Typen geht das Strafrecht in seinen Anfängen aus. Sie werden in ihrer Eigenart, aber auch in ihrer betonten Verschiedenheit als bekannt vorausgesetzt. - Im Zuge der Rechtsentwicklung ist eine derartige Gesetzestechnik aus Rechtssicherheitsgründen nicht mehr tragbar. Die Maxime „nullum crimen sine lege" fordert die abstrakte, kriminologieferne Tatbestandsfassung, d. h. den Ubergang von der bloßen Kennzeichnung des Täters zur auflösenden (analysierenden) und zugleich abstrahierenden Beschreibung von Taten. Der Prozeß dieser legislatorischen Wandlung wird im geltenden StGB noch deutlich in der Verwendung normativer, d. h. wertausfüllungsbedürftiger Begriffe neben den deskriptiven Merkmalen; vgl. z. B. „niedrige Beweggründe" in § 211. In Einzelfällen hat der Gesetzgeber sogar noch gänzlich von einer Tatbeschreibung abgesehen, wie z. B. in § 185: „Die Beleidigung wird . . . bestraft."

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§ 1 Die einzelnen Tatbestände

Die im Erlebnis der Strafwürdigkeit eines Sachverhalts begründete Vertypung von Straftatbeständen folgt allerdings nicht - vergleichbar dem Zurechnungsprinzip, das den Aufbau der Allgemeinen Strafrechtslehre strukturiert - einer einheitlichen Idee. Dennoch stehen die einzelnen Tatbestände der verschiedenen Deliktsgruppen nicht isoliert, unsystematisch nebeneinander. Als Ausdruck des gleichen Erlebnisses der Strafwürdigkeit eines umfassenderen Sachverhaltes sind sie aufeinander bezogen und damit systematisch miteinander verbunden. 3. Gesetzestatbestand und Unrechtstypus Die einzelnen im Gesetzestatbestand erfaßten Merkmale des „Unrechtstypus" beschreiben die jeweilige Rechtsgutsverletzung und ihre Modalitäten, d. h. spezifisches Unrecht unter der Voraussetzung, daß das Verhalten überhaupt Unrecht ist. So beschreiben z. B. die Tatbestände der Tötungsdelikte, §§ 211 ff, spezifisches Tötungsunrecht unter der Voraussetzung, daß die konkret zu bewertende Tötung Unrecht ist. Die einzelnen Gesetzestatbestände der Vermögensdelikte kennzeichnen spezifische Angriffe gegen das Vermögen als bestimmtes strafwürdiges Unrecht, vorausgesetzt, der Eingriff in das Vermögen ist rechtswidrig. Der Gesetzestatbestand selbst ist insoweit wertfrei, als er keine Auskunft darüber gibt, ob das von ihm beschriebene Verhalten rechtswidrig ist. Er „indiziert" auch nicht die Rechtswidrigkeit. - Er ist wertbezogen, insofern er ein Verhalten beschreibt, das auf die Prüfung der Rechtswidrigkeit bezogen ist. Ob ein rechtswidriger Eingriff einer Person in strafrechtlich geschützte Rechtsgüter einer anderen vorliegt, ergibt die Prüfung des Unrechtstatbestandes, dessen Bestandteil der Gesetzestatbestand ist. Zur Wiederholung:

GRUNDKURSSTRAFRECHT,

A. T, § 5 I, II.

II. Die Rechtsgutsverletzung als Kern des Straftatbestandes Aus der Natur des Strafrechts als Schutzrecht folgt, daß bestimmte Rechtsgüter gegen bestimmte Angriffe geschützt werden, weil der Schutz dieser Rechtsgüter Voraussetzung für die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft innerhalb des staatlichen Gefüges ist. Diese Güter (Werte) werden demnach nicht geschützt, weil sie als absolute Werte anerkannt werden, wobei ihre Werthaftigkeit gerade außerhalb jeder Kritik stände, sondern weil sich im steten Vollzug des Soziallebens gezeigt hat, daß bestimmte soziale Funktionseinheiten (Werte) Voraussetzung eines sozialen Zusammenlebens sind. Mit dem Wandel der Stellung zu diesen sozialen Werten ist auch eine Wandlung der strafrechtlichen Auffassung von der Schutzwürdigkeit dieser Werte verbunden (vgl. z. B. das

4

Einführung

Schicksal der Vorschriften über Ehebruch, Homosexualität). Sie rechtzeitig zu erfassen, gelingt dem Strafgesetzgeber nicht immer. Oft vollzieht sich eine Rechtsänderung auch ohne Gesetzesänderung, da eine Verschiebung des individuellen oder kollektiven Aspekts eines Rechtsguts zu einer anderen Auslegung der Vorschrift führt. So hat z. B. die Wandlung in der Auffassung über das geschützte Rechtsgut des § 265 (ursprünglich: Vermögen; heute h. M.: soziale Leistungsfähigkeit der Versicherer) eine grundsätzliche Änderung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift zur Folge gehabt. - Derartige Zusammenhänge sind besonders bei der Verwendung älterer Literatur oder Rechtsprechung zu beachten. Zur Wiederholung:

GRUNDKURSSTRAFRECHT,

A. T., § 1 II 2 ff.

Das geschützte Rechtsgut ist dem Wortlaut der einzelnen Tatbestände in der Regel nicht unmittelbar zu entnehmen, es ist durch Auslegung des einzelnen Tatbestandes oder der gesamten Deliktsgruppe zu ermitteln: Die Auslegung der einzelnen Merkmale eines Tatbestandes wiederum erfolgt im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, denn seinen Schutz gegen bestimmte Angriffe sollen diese Merkmale gerade sicherstellen. III. Die Legalordnung Innerhalb einer stark differenzierten Rechtsordnung, die zahlreiche Straftatbestände enthält, müssen diese in einer gewissen Ordnung stehen. Möglich wäre durchaus eine Einteilung nach der Schwere der angedrohten Strafe oder nach dem bei der Tat eingesetzten Angriffsmittel (z. B. Gewalt, Täuschung, List usw.). Gegen eine derartige Einteilung spricht jedoch, daß Praktikabilität und Übersichtlichkeit, aber auch der für die Auslegung der einzelnen Tatbestände höchst relevante Sachzusammenhang zwischen den einzelnen Delikten in höherem Maße Berücksichtigung finden können, wenn eine Ordnung nach der materiellen Angriffsrichtung der Delikte, d. h. nach dem geschützten Rechtsgut der einzelnen Tatbestände, angestrebt wird. Abweichungen innerhalb dieser Ordnung, die z. B. durch die Art des Angriffs (gemeingefährliche und gemeinlästige Straftaten) bedingt sind, können dabei durchaus als Ausnahme von der Regel erfaßt werden. MAURACH Die Systematik des Besonderen Teils eines neuen Strafgesetzbuchs, in: Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 1, 1954, S. 233: „Es wäre indessen verfehlt, der Stoffeinteilung des besonderen Teils nach dem Grundsatz einer Rechtsgüterordnung nur deshalb Wert beizumessen, weil eine solche Einteilung nach übereinstimmender Erfahrung mit anderen Systemen den Vorzug größter Praktikabilität, Einfachheit und Übersichtlichkeit hat und die beste Grundlage teleologischer Auslegungsarbeit abgibt. Ebenso wichtig, wenn nicht wertvoller ist die Tatsache, daß sich in der Rangfolge einer jeden Legalordnung, der Aneinanderreihung der einzelnen größeren Sachgebiete, eine Wertauffassung des Gesetzgebers

§ 1 Die einzelnen Tatbestände

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zeigt, nicht nur eine systematische, zeitliche Rangfolge der Güter, .sondern auch ihre Klassifizierung nach Ranggruppen'. Gewiß läßt sich eine solche Wertabschichtung nicht alkin aus der systematischen Zusammenfassung von Straftaten mit gleicher Angriffsrichtung entnehmen. Es ist zwangsläufig, daß Delikte mit der gleichen Angriffsrichtung einen sehr verschiedenen Unrechtsgehalt aufweisen können. Im gleichen Abschnitt wie der Menschenraub ist z. B. die harmlose Bedrohung, im gleichen Abschnitt wie der Verfassungsverrat ist die relativ harmlose Verbreitung staatsgefährdender Schriften geregelt. Innerhalb der einzelnen Tatbestände des gleichen Abschnitts können die Strafdrohungen untereinander ein starkes Gefälle aufweisen. Dennoch wird durch diese Tatsache der Charakter der Rechtsgüterordnung als einer Rangtabelle von Gütern mit abgestaffeltem Wert nicht beeinträchtigt. Aus der Reihenfolge der einzelnen Sachgebiete läßt sich vielmehr die Wertschätzung, die der Gesetzgeber den einzelnen geschützten Materien zuerkennen will, herauslesen. Wie wichtig eine derartige,wertende' Einteilung des Stoffes für praktische richterliche Arbeit ist, wird z. B. eindeutig auf solchen Gebieten ersichtlich, bei denen ein Wertvergleich erforderlich wird, wie etwa beim übergesetzlichen Notstand, der Pflichtenkollision usw." Unmittelbar in das Strafgesetzbuch sind Deliktsgruppen aufgenommen worden, deren Bedeutung im Laufe der historischen Entwicklung besonders in das allgemeine Bewußtsein gedrungen ist. Es sind im wesentlichen Tatbestände, die die Grundlagen jeglichen sozialen Mite i n a n d e r sichern. Sie können weitgehend auf die Richtlinien des Dekalogs zurückgeführt werden. D i e Tatsache des größeren Bekanntheitsgrades darf aber nicht von der Relevanz des Nebenstrafrechts ablenken. Nebenstrafrecht ist nicht nebensächliches Strafrecht!

ZWEITER TEIL Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Erstes Kapitel Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen das Leben § 2: Die Systematik der Tötungsdelikte Zur Einführung: BGHSt 23 S. 119: A erschlug die schlafende M, mit der er bis dahin zusammengelebt hatte, mit einem Beil. BGH: Mord, § 211. - Strafe: Lebenslange Freiheitsstrafe. BGHSt 19 S. 321: A fiel über Frau W her, um sie zu verprügeln. Sie wehrte sich. Daraufhin faßte A den Entschluß, Frau W umzubringen. Er stürzte sie in einen Kellerschacht. Frau W kam zu Tode. BGH: Totschlag, § 212. - Strafrahmen: 5-15 Jahre Freiheitsstrafe. BGHSt 25 S. 223: A geriet bei einer Unterredung mit der B in heftige Erregung, als diese abfällige Bemerkungen über die Söhne des A machte. Hierdurch zum Zorne gereizt, erwürgte A die B. BGH: Minder schwerer Fall des Totschlags, § 213. - Strafrahmen: 6 Monate 5 Jahre Freiheitsstrafe.

Frage: Ist es sachgerecht, im Falle der vorsätzlichen Verletzung desselben Rechtsguts - Leben - besonders schwere und - unabhängig von der Schuld des Täters - minder schwere Delikte neben dem Grunddelikt zu unterscheiden? 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Tötungstatbestände ist das menschliche Leben. - Angriffsobjekt ist der geborene Mensch. a) Das Leben als Mensch fängt mit dem Beginn der Geburt an, wie sich aus § 217 („Kind in oder gleich nach der Geburt tötet") ergibt. Als Beginn der Geburt ist das Einsetzen der sog. Eröffnungswehen anzusehen; BGHSt 31 S. 348. - Bei operativer Entbindung ist der die Eröffnungsperiode ersetzende Eingriff entscheidend. - Das Kind muß im Zeitpunkt

8

Delikte gegen das Leben

der Geburt gelebt haben, nicht erforderlich ist dagegen seine weitere Lebensfähigkeit. Eingehend dazu: BGHSt 31S. 348; L Ü T T G E R J R 1971S. 133 ff; DERS. Heinitz-Festschrift, S. 359 ff; DERS. NStZ 1982 S. 481 ff. Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 10 S. 5: Die Einwirkung der A auf ihre Leibesfrucht führte zu einer nicht lebensfähigen Frühgeburt. BGH: Strafbarkeit der A nur wegen einer Abtreibung, nicht aber wegen eines Tötungsdelikts. bb) BGHSt 13 S. 21: Infolge der Einwirkung der B auf die Leibesfrucht kommt es zu einer Frühgeburt. Das Kind wird sogleich nach der Geburt getötet. BGH: B hat eine versuchte Abtreibung und einen vollendeten Totschlag in Realkonkurrenz begangen. Noch BGHSt 10 S. 291 hatte Idealkonkurrenz zwischen Tötung und Abtreibung angenommen in dem Fall, daß ein nicht lebensfähiges Kind geboren und sodann durch eine weitere Handlung getötet wurde. - Diese Entscheidung überzeugte nicht, denn entweder ist der Tod durch die Abtreibungshandlung oder durch einen späteren selbständigen Angriffgegen das geborene Kind bewirkt worden. Dazu auch: KREY B . T . I , S . 3 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 5 V I 4 ; SCHÖNKE/ SCHRÖDER/ESER § 2 1 8 R d n . 9 .

cc) BGH N J W 1984 S. 674: A warf die schwangere S, bei der die Eröffnungswehen schon eingesetzt hatten, einen Hang hinunter. S starb, die Geburt wurde nicht mehr vollendet. BGH: Zwei vollendete Tötungsdelikte, nämlich Tötung der S und des Kindes. Nach bürgerlichem Recht beginnt die Rechtsfähigkeit als Mensch erst mit der Vollendung der Geburt, vgl. § 1 BGB. b) Als Ende des Lebens wurde früher der endgültige Stillstand von Kreislauf und A t m u n g angesehen. Nach heute h. M. gilt als Todeszeitpunkt das irreversible Erlöschen der Gehirntätigkeit. Dazu: BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, 1 9 6 8 , S . 1 0 9 ff; GEILEN Heinitz-Festschrift, S . 3 7 3 FFJÄHNKE L K , Vor § 2 1 1 Rdn. 7 ff; MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 1 III 2 ; STRATENWERTH Engisch-Festschrift, S . 5 2 8 ff; WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT DER BUNDESÄRZTEKAMMER J Z 1 9 8 3 S . 5 9 4 ff mit Erläuterungen von SCHREIBER J Z 1 9 8 3 S. 5 9 3 f. Allgemein zur rechdichen Problematik des Todeszeitpunktes: FRITSCHE Grenzbereich zwischen Leben und Tod, 1 9 7 9 ; KRÖSL/SCHERZER Die Bestimmung des Todeszeitpunktes, 1 9 7 3 ; SAERBECK Beginn und Ende des Lebens als Rechtsbegriffe, 1974.

Auch die Sterbehilfe ist Tötung, w e n n sie zu einer Lebensverkürzung führt, dazu eingehender unten § 6 II 3. 2. Die Systematik der vorsätzlichen

Tötungsdelikte

a) N a c h h. L. ist der Totschlag, § 212, als Grundtatbestand derTötungs-

§ 2 Die Systematik der Tötungsdelikte

9

delikte anzusehen. Der Mord, § 211, ist demgegenüber eine Qualifizierung, die Tötung auf Verlangen, §216, und die Kindestötung, § 217, sind Privilegierungen. D a z u : A R Z T J Z 1 9 7 3 S. 6 8 1 f f ; DREHER/TRÖNDLE § 2 1 1 R d n . 14; ESER N S t Z 1 9 8 1 S. 3 8 3 f f ; GOSSEL D R I Z 1 9 8 0 S. 2 2 8 ; HARDWIG G A 1 9 5 4 S. 2 5 8 ; HORN S K , § 211 R d n . 2;JAHNKE L K , V o r § 211 R d n . 3 9 ; LACKNER S t G B , V o r § 2 1 1 A n m . 5 ; MAURACH/ SCHROEDER B . T . I, § 2 II A ; SCHRÖDER N J W 1 9 5 2 S. 6 4 9 ; WELZELJZ 1 9 5 2 S. 7 3 ; WES-

SELS B.T.-l, § 2 I.

Der minder schwere Fall des Totschlags, § 213, enthält in seinem ersten Teil (Reizung zum Zorne) eine Privilegierung, in seinem zweiten Teil (sonst ein minder schwerer Fall) eine bloße Strafzumessungsregel. Str., so auch : BOCKELMANN B.T. 2, § 41. - Die h. M. sieht den § 213 einheitlich als bloße Strafzumessungsregel an, vgl.: DREHER/TRÖNDLE § 213 Rdn. 1; HORN SK, § 2 1 3 R d n . 2 ; JAHNKE L K , § 2 1 3 R d n . 2 ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 2 1 3 R d n . 2 .

Die Interpretation auch der 1. Alt. des § 213 als bloße Strafzumessungsregel und damit als unbenannter Strafänderungsgrund ist unzutreffend. Innerhalb der Systematik der Strafänderungsgründe unterscheidet das Gesetz benannte und unbenannte Strafänderungsgründe. Da der strafmildernde Sachverhalt in § 213,1. Alt. zwingend festgelegt wird, handelt es sich insoweit um einen benannten Strafmilderungsgrund, d. h. um eine Privilegierung. Zwingende Beispiele unbenannter Strafänderungsgründe gibt es innerhalb dieser Systematik nicht, denn dieses wären benannte Fälle unbenannter Strafänderungsgründe! - Auch der BGH hat die 1. Alt. des § 213 zunächst zutreffend als Privilegierung eingeordnet; vgl. BGHSt 1 S. 203.

b) Nach Auffassung der Rechtsprechung sind § 211 und § 212 als selbständige Tatbestände anzusehen. § 213 enthält lediglich eine Strafzumessungsregel allein gegenüber § 212. - §§ 216, 217 sind wiederum selbständige Sondertatbestände. Dazu: BGHSt 1 S. 236 f; 1 S. 370; 2 S. 258; 13 S. 165; 22 S. 377; 30 S. 105; OLG Hamm N J W 1982 S. 2786.

c) Zu den Konsequenzen der verschiedenen Auffassungen in der Teilnahmelehre, vgl. unten § 8. 3. Die sachliche Berechtigung der Differenzierung Die Sachgerechtigkeit der im deutschen Strafrecht schon in der Carolina und in vielen ausländischen Rechtsordnungen ausgeprägten Differenzierung zwischen einem Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte und einem qualifizierten Tatbestand sowie privilegierten Tötungsdelikten wird bestritten. Unabhängig von der Frage nach der Richtigkeit einzelner Entscheidungen wird die Berechtigung der Dreiteilung als solche in Zweifel gezogen. Vorgeschlagen wird eine Differenzierung lediglich zwischen nicht privilegierter Tötung und privilegierten Tötungsfällen.

10

Delikte gegen das Leben Vgl.:

ESER 5 3 .

DJT-Gutachten, 1980, D 106 ff;

BECKMANN G A

1981

S. 3 3 7

ff.

Der Dreiteilung ist gleichwohl der Vorzug zu geben, denn in ihr findet ein Differenzierungsbedürfnis Ausdruck, das in der unterschiedlichen sozialethischen Beurteilung der Tötungstaten begründet ist. Diese sozialethische Betrachtung, die jedem rechtserheblichen Ereignis zuteil wird, weil es sich zugleich um eine sozial erhebliche Tatsache handelt, begründet die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte: J e bedeutsamer, verständlicher oder zwingender z. B. der Anlaß zur Tat erscheint, um so geringer wird ihr Unwert als Störung der sozialen Beziehungen der Rechtsgenossen untereinander empfunden. Innerhalb dieser Wertung wird die vorsätzliche Tötung ganz nüchtern als ein Mittel zur Lösung bestimmter sozialer Konflikte bewertet. Motive, Zweck, Art und Weise der Anwendung des Mittels, Aufkommen der Konfliktsituation und Stellung des Täters in ihr werden zum gewählten Mittel der Problemlösung ins Verhältnis gesetzt. Egoistische und altruistische Strebungen innerhalb der Konfliktsituation werden gegenübergestellt. Der Grundtatbestand der Tötungsdelikte, Totschlag, ist erfüllt, wenn diese Beurteilung zu dem Ergebnis führt, daß die Tat Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters ist, weil die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorgezogen werden. - Ein qualifizierter Fall des Totschlags, ein Mord, liegt hingegen vor, wenn die Tat ein derartiges Maß an Sozialgefährlichkeit des Täters erweist, daß sie nur noch als Ausdruck des krassesten und primitivsten Egoismus des Täters und einer über die Tötung selbst hinausweisenden sozialen Gefährlichkeit des Täters angesehen werden kann. - Ein privilegierter Tötungsfall ist hingegen anzunehmen, wenn die Tat als ausnahmsweise Entgleisung eines Menschen erscheint, „die Gesinnung neben dem natürlichen Egoismus jedes Individuums auch hinreichend entwickelte soziale Tendenzen enthält, so daß man von einer ethisch guten, anständigen und deshalb auch rechtlichen Gesinnung dieses Menschen reden kann" ( B I N D E R ) . Eingehender dazu: S. 43 f.

BINDER

SchwZStr 67 (1952) S. 312 ff; O T T O ZStW 83 (l97l)

Diese sozialethische Differenzierung basiert auf der Würdigung der verwerflichen Motive und Zwecksetzung des Täters - Verwerflichkeitsprinzip - sowie seiner in der Tat zum Ausdruck gekommenen Gefährlichkeit Gefährlichkeitsprinzip Im Gegensatz zu dieser Auffassung wird vielfach in der Lehre versucht, die qualifizierten Totschlagsfälle nur als besonders verwerfliche Tötungen zu erfassen (Verwerflichkeitsprinzip). Die Verwerflichkeit wird zum einen in der Niedrigkeit der Motivation des Täters (Mordlust, Befriedigung des

§ 2 Die Systematik der Tötungsdelikte

11

Geschlechtstriebs, Habgier, sonstige niedrige Beweggründe), zum anderen im Tatzweck (Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat) und in der Art der Tatausführung (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) gesehen. - Eine neuere Lehre erkennt demgegenüber das maßgebende Kriterium allein in der besonders gefährlichen Einstellung des Täters gegenüber Leib und Leben anderer (Gefährlichkeitsprinzip). Weder die Verwerflichkeit der Gesinnung des Täters noch seine Gefährlichkeit allein sind geeignet, Tötungsfälle im Bereich der vorsätzlichen Tötung als besonders qualifiziertes Unrecht zu charakterisieren. Schon der Totschlag ist durch eine verwerfliche Gesinnung des Täters gekennzeichnet und die Tat kann auf eine besondere Gefährlichkeit des Täters hindeuten, sie muß es aber nicht, wie gerade die in der Literatur genannten Fälle besonderer Gefährlichkeit, z. B. die „Mehrfachtötung", die „Tötung mit unerlaubt mitgefuhrter Schußwaffe" oder die „Tötung bei bandenmäßiger Begehung", zeigen. - Die einzelnen Fallgestaltungen könnten als Regelfallbeispiele brauchbar sein, als tatbestandliche Qualifikationsmerkmale müssen sie zu unbefriedigenden Zufallsergebnissen führen. Die Tatsache, daß z. B. jemand einen anderen mit einer unerlaubt in seinem Besitz befindlichen Waffe tötet, der ihn zuvor schwer gekränkt hat, macht die Tötung noch nicht zu einem schlechthin sozial unerträglichen Tötungsfall, gibt ihr vor allem kein anderes Gepräge als einer Tat mit erlaubt mitgeführter Waffe. Gleiches gilt für eine Tötung durch eine Bande oder für eine Mehrfachtötung als solche.

Der BUNDESGERICHTSHOF geht davon aus, daß der Mordtatbestand in

§ 211 Abs. 2 abschließend die Tatumstände jener Tötungen beschreibt, die nach dem Willen des Gesetzgebers zwingend als besonders verwerflich anzusehen sind. Eine zusätzliche Verwerflichkeitsprüfung bzgl. der einzelnen Tat komme daher nicht in Betracht und deshalb sei eine „Typen-" oder „Tatbestandskorrektur" ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen eines Mordmerkmals erfüllt sind, auch wenn die Tötungshandlung aufgrund umfassender Gesamtwürdigung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit als nicht besonders verwerflich erscheint. Ausnahmsweise eröffnet der BGH jedoch ein Abweichen von der lebenslangen Strafe: Wenn in Tötungsfällen, in denen das Merkmal „Heimtücke" erfüllt ist, „außergewöhnliche Umstände vorliegen, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitstrafe als unverhältnismäßig erscheint, ist wegen Mordes zu verurteilen. Es ist jedoch der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuwenden". BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; dazu ablehnend: ALBRECHTJZ1982 S. 697 ff; ARZT in: A r z t / W e b e r , L H 1, R d n . 112; BRUNSJR 1 9 8 1 S . 3 5 8 ff; DREHER/TRONDLE § 211 R d n . 17; ESERJR 1 9 8 1 S . 181 ff; DERS. N S t Z 1 9 8 1 S . 3 8 3 ff; GÜNTHER N J W 1 9 8 2 S. 3 5 3 ff; KREY B.T. I, S. 2 4 ff; LACKNER N S t Z 1 9 8 1 S . 3 4 8 ff; PAEFFGEN G A 1 9 8 2 S. 2 5 5 ff; SONNEN J A 1981 S. 6 3 8 ff; SPENDELJR 1983 S. 271. Z u s t i m m e n d : KJUTZSCHJA 1982 S. 4 0 1 ff; RENGIER N S t Z 1982 S. 2 2 5 ff; m i t E i n -

schränkung FROMMEL Strafverteidiger 1982 S. 533 ff.

Delikte gegen das Leben

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Diese Flucht in eine Generalklausel anstelle des Versuchs, die Mordmerkmale unter einer gemeinsamen leitenden Hinsicht zu interpretieren, vermag weder dogmatisch noch kriminalpolitisch zu überzeugen. Zum einen sind die Kriterien zu unbestimmt, um Rechtssicherheit zu gewährleisten, zum anderen ist auf diesem Weg nicht sicherzustellen, daß Fälle, die nach ihrem Sinngehalt unter § 213 fallen, aus dem Anwendungsbereich des Mordtatbestandes herausgehalten werden, wie gerade die Praxis zeigt; dazu weiter unten § 5 II. Die hier vorgeschlagene Lösung bietet bei der Anwendung des Mordtatbestandes ein höheres Maß an Sachgerechtigkeit und Rechtssicherheit und prägt zugleich die Auslegung des § 212 Abs. 2, da die Mordqualifikationen Beispielcharakter für die Anwendung des § 212 Abs. 2 haben. Damit wird gewährleistet, daß innerhalb des Mordtatbestandes Fälle gleicher Schwere in gleicher Weise erfaßt werden. Soweit ein Fall nicht die Merkmale des § 211 Abs. 2 erfüllt, bleibt es möglich, ihn als qualifizierten Fall des Totschlags gemäß § 212 Abs. 2 einzuordnen. - Die Situation privilegierter Tötungen heben sich demgegenüber deutlich ab: in ihnen kann niemals ein unerträglicher Egoismus des Täters und eine über die Tötung selbst hinausgehende Gefahr des Täters für die Sozietät ihren Ausdruck finden. Mord und privilegierte Tötungsfälle schließen sich demgemäß sachlich aus, weil die Tatbestände unterschiedliche, nicht vergleichbare Fallsituationen beschreiben. 4. Zur Reform der Tötungsdelikte ALBRECHT JZ1982 S. 697 ff; ARZT Z S t W 83 (1971) S. 1 ff; ESER 53. DJT-Gutachten, D 34 ff; FUHRMANN 53. DJT-Sitzungsbericht, M 7 ff; GEILENJR 1980 S. 309 ff; GOSSEL DRiZ 1980 S. 281 ff; GRIBBOHM ZRP 1980 S. 222 ff; JAHNKE M D R 1980 S. 705 ff; LACKNER J Z 1977 S. 502; DERS.53. DJT-Sitzungsbericht, M 25 ff; OTTO ZStW 83

(1971) S. 39 ff; RÜPINGJZ 1979 S. 617; SESSAR Rechtliche und soziale Prozesse einer Definition der Tötungskriminalität, 1981, S. 21 ff; WEHLING J Z 1981 S. 109 ff; WOESNER N J W 1 9 7 8 S. 1025 ff; DERS. NJW1980 S. 1136 ff; ZIPF Würtenberger-Fest-

schrift, S. 151 ff. Rechtsvergleichend: ESER/KOCH ZStW 92 (1980) S. 491 ff; Moos ZStW 89 (1977) S. 796 ff; RENGIER ZStW 92 (1980) S. 459 ff; SIMSON/GEERDS Straftaten gegen

die Person und Sitdichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, 1969, S. 1 ff. 5. Zur Kriminologie der Tötungsdelikte DOTZAUER/JAROSCH Tötungsdelikte, 1971; GÖPPINGER/BRESSER Tötungsdelikte, 1980; KREUZER Kriminalistik 1982 S. 428 ff; MIDDENDORF Kriminologie der Tötungsdelikte, 1984; RASCH/HINZ Kriminalistik 1980 S. 377 ff; STEIGLEDER Mörder und Totschläger, 1968; SIGG Begriff, Wesen und Genese des Beziehungsdelikts, 1969; SioLMordmerkmaleinkriminologischerund kriminalpolitischer Sicht, 1973.

§ 3 Totschlag

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6. Zur Kriminalistik im Bereich der Tötungsdelikte GROSS/GEERDS Handbuch der Kriminalistik, 1978, Bd. 1, S. 163 ff, Bd. 2, S. 259 ff. 7. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der lebenslangen Freiheitsstrafe B V e r f G E 45 S. 187 ff m i t A n m . BECKMANN G A 1981 S. 337 ff, SCHMIDHAUSERJR 1978 S. 2 6 5 ff; ERICHSEN N J W 1976 S. 1726; MüLLER-DiETzJura 1983 S. 5 7 3 ff.

§ 3: Totschlag 1. Der objektive Tatbestand Der objektive Tatbestand des Totschlags, § 212, erfordert die Tötung eines Menschen. Der Täter ist in eigener Sicht „er selbst", nicht aber „ein Mensch". Aus der Gesetzesformulierung in Ubereinstimmung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers, den Selbstmordversuch nicht unter Strafe zu stellen, ist demgemäß davon auszugehen, daß das Opfer des Totschlags ein anderer Mensch als der Täter sein müsse. Der Selbstmord erfüllt nicht den Tatbestand des § 212. Da die „rechtswidrige Tat" (Haupttat) i. S. der §§ 26,27 fehlt, entfällt die Möglichkeit, Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord als Tötungsdelikt zu bestrafen; dazu weiter unten § 6 III. H. M. vgl. SCHONKI/SCHRÖDER/ESER Vorbem. §§ 211 Rdn. 33 m. w. A. A . A . : BRINGEWAT Z S t W 8 7 ( 1 9 7 5 ) S. 621 ff; KLINKENBERG J R 1978 S. 441 ff;

SCHMIDHÄUSER Welzel-Festschrift, S. 801 ff.

Zur Auseinandersetzung: ROXIN Dreher-Festschrift, S. 331 ff; BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 34 ff. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz in bezug auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes; bedingter Vorsatz genügt. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unten § 2 4 II.

3. Hinweis zur Subsumtion Mit den Worten: „ohne Mörder zu sein" in § 212 wollte der Gesetzgeber allein darauf hinweisen, daß die Prüfung des § 211 nicht übersehen werden darf. Dieser Hinweis ist bei der Subsumtion des § 212 selbst ohne jede Bedeutung und daher keinesfalls als Tatbestandsmerkmal anzusehen mit der Konsequenz, daß in der Prüfung des § 212 der ganze § 211 zu erörtern wäre.

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Delikte gegen das Leben

4. Besonders schwere Fälle des Totschlags

Nach § 212 Abs. 2 kann in besonders schweren Fällen eines Totschlags lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Zu beachten ist aber, daß § 211 als spezielle Regelung vorgeht und diese Regelung sich auf die Auslegung des § 212 Abs. 2 dahingehend auswirkt, daß als besonders schwerer Fall nur eine Tat aufgefaßt werden kann, die im Unrechts- und Schuldgehalt den in § 211 erfaßten Sachverhalten gleichkommt. Dazu: BVerfGJR 1979 S. 28 mit Anm. B G H JR

1983 S. 2 8 m i t A n m .

BRUNS

S. 28 ff; BGH NStZ 1981 S. 258;

BRUNS S. 2 8 ff.

§ 4: Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen Den Tatbestand des Mordes, § 211, erfüllt, wer einen Totschlag unter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgezählten qualifizierenden Umständen begeht. Gemeinsam ist den Merkmalen, die diese Tatumstände beschreiben, daß es Unrechtsmerkmale und nicht bloße Schuld-

merkmaU sind, da in ihnen eine erhöhte, über den einzelnen Totschlag hinausgehende Gefährlichkeit des Täters ihren Ausdruck findet. Zur Interpretation der Mordqualifikationen als Unrechtsmerkmale: BGHSt 6 S . 3 3 0 ; DREHER/TRONDLE § 2 1 1 R d n . 2 ; H O R N S K , § 2 1 1 R d n . 3 ; MAURACH/SCHROEDER

B.T. I, § 2 III A. Als Schuldmerkmale interpretieren die Mordqualifikationen: E N G I S C H DStR 1 9 3 5 S. 1 6 6 ; J A H N K E LK, Vor § 2 1 1 Rdn. 4 6 ff; OEHLER Das objektive Zweckmoment der Handlung, 1 9 5 9 , S . 1 4 8 ; SCHMIDHAUSER Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, 1 9 5 8 , S. 138 ff, 217 ff. - Als komplexe Unrecht und Schuld betreffende Merkmale werden die Mordqualifikationen interpretiert von: S C H O N K E / S C H R Ö D E R / E S E R § 2 1 1 Rdn. 6 ; differenzierend: WESSELS B . T.-l, § 2 IV 2.

II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale Der Gesetzgeber hat die Mordmerkmale in drei Gruppen unterteilt: 1. Niedrige Motive des Täters a)

Mordlust

Nach Auffassung des BGH - NJW1953 S. 1440 - ist Mordlust die unnatürliche Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens. - Die Betonung der „unnatürlichen" Freude verweist dabei auf eine krankhafte psychische Belastung des Täters. Diese Akzentuierung ist jedoch sachwidrig. Angemessen erscheint es hingegen, hier die Fälle einzuordnen, in denen es dem Täter allein darauf ankommt, einen Menschen sterben zu

§ 4 Mord

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sehen, sei es, daß er die Tötung aus Mutwillen oder Angeberei begeht oder sie als Stimulans für seine abgestumpften Nerven bzw. als „sportliches Vergnügen" betrachtet: kurz: aus Mordlust tötet, wer einen anderen zum Zeitvertreib tötet. V g l . : HORN S K , § 211 R d n . 9 ; JAHNKE L K , § 211 R d n . 6 ; OTTO Z S t W 8 3 ( l 9 7 l ) S . 5 9 ; R Ü P I N G J Z 1 9 7 9 S . 6 2 0 ; F.-CHR. S C H R O E D E R J U S 1 9 8 4 S . 2 7 7 f .

Zur

Verdeutlichung:

aa) Aus der Presse: FAZ vom 20.8.1975, S. 5 jugendliche Rowdys proben auf französischen Landstraßen eine neue Form der Gewalt: In Abwandlung des in den Vereinigten Staaten üblichen „Auto-Rodeos" schieben und stoßen sie bei hoher Geschwindigkeit mit einem zumeist gestohlenen schweren Wagen ein Kleinauto vor sich her und bedrängen es so lange, bis der geschockte Fahrer die Herrschaft über sein Fahrzeug verliert und im Graben oder am Baum landet. Eine 28 Jahre alte Mutter zweier Kinder ist inzwischen auf diese Weise auf einer Landstraße im Departement Val d'Oise ums Leben gekommen. FAZ vom 3.6.1983, S. 7: Drei junge Männer im Alter von 17,19 und 22 Jahren, die im November vergangenen Jahres einen 23jahre alten Stadtstreicher auf dem Bonner Venusberg zu Tode gequält hatten, sind in Bonn wegen gemeinschaftlichen Mordes zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das Opfer war, so stellte es das Gericht fest, getreten, mit Knüppeln geschlagen und stranguliert worden. Die Täter hatten den Stadtstreicher gezwungen, brennende Zigarettenkippen zu schlucken und ihm mit einer abgebrochenen Bierflasche in den Kehlkopf gestochen. FAZ vom 12.9.1983, S. 7: Ein belgischer Reisebus und ein nachfolgender Personenwagen sind am Samstagmorgen auf dem Autobahnring München-Ost beschossen worden. Die Polizei teilte mit, ein Geschoß sei in die Windschutzscheibe des Omnibusses eingeschlagen und durch ein Seitenfenster wieder ausgetreten. Die Windschutzscheibe sei zertrümmert worden. Sowohl der Fahrer als auch der Beifahrer des Busses seien durch Splitter verletzt worden. Bei dem Personenwagen wurde die Motorhaube getroffen. Die Fahndung nach dem Täter, der von einem Feld aus auf die Autobahn geschossen hatte, blieb ohne Erfolg. bb) BGH VRS 63 S. 119: Der A warf von einer Brücke Steine hinunter, wenn sich Fahrzeuge näherten. Errechnete damit, daß die Steine die Windschutzscheibe des Fahrzeugs durchschlagen und den Fahrer treffen würden. Er hoffte, daß in einem solchen Fall der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren und ein Massenunfall mit unübersehbarem Sach- und Personenschaden entstehen würde, b) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebes Zur Befriedigung des Geschlechtstriebes tötet der Täter, der das T ö t e n als ein Mittel zur geschlechtlichen Befriedigung einsetzt. Drei Fallgruppen sind zu unterscheiden: aa) Der Täter befriedigt seinen Geschlechtstrieb durch Töten, bb) D e r Täter tötet, um sich an der Toten zu vergehen.

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Delikte gegen das Leben

BGHSt 7 S. 353: Der A faßte in anhaltender geschlechtlicher Erregung den Plan, ein Mädchen durch betäubende Schläge „still" zu machen, um mit der Bewußtlosen den ununterbrochenen Beischlaf ausüben zu können. Dieses Vorhaben führte er aus; er steckte ein Beil zu sich, schlug im Dunkeln eine radfahrende Frau von seinem Rade aus nieder, schleppte die Bewußtlose beiseite, tötete sie, weil sie sich noch bewegte, und er es deshalb für notwendig hielt, mit weiteren kräftigen Beilschlägen und befriedigte sich sodann an der Leiche.

cc) Der Täter nimmt eine Tötung infolge von Gewaltanwendung beim Geschlechtsverkehr in Kauf. BGHSt 19 S. 101: A überfiel die Oberschülerin E, um sie geschlechtlich zu mißbrauchen, und würgte sie, bis sie das Bewußtsein verlor. Um sie wehrlos zu halten und ungestört mit ihr geschlechtlich verkehren zu können, schnürte er ein Taschentuch um ihren Hals, zog zu, so fest er konnte, und verknotete es zweimal. A erkannte, daß das Mädchen dadurch ersticken konnte, wollte aber auf jeden Fall - auch um den Preis des Lebens seines Opfers - zum ungestörten Geschlechtsverkehr kommen. Er führte an der mit offenen Augen krampfhaft atmenden Bewußtlosen den Geschlechtsverkehr aus. Nach dem Verkehr bemerkte er, daß die E nicht mehr atmete. Er erschrak und löste das Taschentuch. Das Mädchen war an der Drosselung erstickt. Vgl. weiter: BGH bei Holtz, M D R 1982 S. 102; BGH N J W 1982 S. 2565.

c) Habgier Habgier, d. h. Streben nach Gewinn um jeden Preis, bedeutet ein Handeln um eines materiellen Vorteils willen in einer Handlungssituation, in der der erstrebte Vorteil in keinem irgendwie vernünftigen Verhältnis zum gewählten Mittel steht. - Das Streben nach dem Vorteil muß die Tat wesentlich prägen. aa) BGHSt 29 S. 317: A tötete den Z, weil er in den Besitz von 1 Gramm Heroin im Wert von DM 200,- gelangen wollte, das Z besaß. BGH: A erstrebte den Vorteil auch um den Preis eines Menschenlebens, daher handelte er habgierig. Dem ist zuzustimmen. Insoweit liegt ein typischer Fall des Raubmordes vor: Der Täter tötet das Opfer, um sich einen Vermögenswert zu verschaffen. - Im konkreten Fall (Täter rauschgiftsüchtig) wäre allerdings zu erwägen, ob krankhafte Suchtabhängigkeit das Ergebnis ändern könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn die Sucht so stark gewesen wäre, daß der Täter nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich der Diskrepanz zwischen dem erstrebten Vermögensvorteil und dem Wert eines Menschenlebens bewußt zu werden. D a z u a u c h : ALWARTJR 1981 S. 2 9 3 ; FRANKEJZ 1981 S. 525 ff; PAEFFGEN G A 1982 S. 2 6 9 .

bb) OLG Hamburg N J W 1947/48 S. 350: A hatte einen Anspruch gegen die S. Da sie nicht zahlte, suchte er sie auf, um sein Geld zu erhalten. Eine Pistole nahm er vorsichtshalber mit. Als S auch bei dem Besuch die Zahlung verweigerte, erschoß A sie.

§ 4 Mord

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OLG Hamburg: Keine Habgier, denn die beabsichtigte Gewinnerzielung müsse rechtswidrig sein. Kritik: Im Ergebnis ist dem zuzustimmen, nicht aber in der Begründung. Der Anspruch allein schließt ein habgieriges Verhalten nichtperse aus. Wohl aber wird das Vorliegen eines bestehenden oder vermeintlich bestehenden Anspruchs die Wertung der Situation zugunsten des Täters beeinflussen, wenn es etwa zur Tötung kommt, nachdem der Schuldner die Erfüllung des Anspruchs verweigert hat, obwohl ihm die Zahlung möglich ist, oder wenn er den Gläubiger fortweist mit dem Bemerken, dieser werde seine Forderung in einem Prozeß nicht beweisen können. Diese Sachverhalte unterscheiden sich grundlegend von jenen Situationen, in denen ein Mensch getötet wird, weil der Täter Geld oder andere Werte bei ihm weiß oder vermutet, um die sich der Täter bereichern will. Vgl. auch: A R Z T in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 1 3 0 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R B.T. I, § 2 III B 1 d; SCHMIDHAUSER Reimers-Festschrift, S . 4 4 6 ; S C H Ö N K E / S C H R Ö D E R / E S E R § 2 1 1 R d n . 1 7 ; W E I Z E L L b . , § 3 8 I I 1.

cc) BGHSt 10 S. 399: A tötete die B, um von der Unterhaltslast für das von B erwartete Kind freizukommen. BGH: A handelte habgierig. So auch: E S E R NStZ 1981 S. 384; LACKNER StGB, § 211 Anm. 3 a, aa; M A U R A C H / SCHROEDER B . T . I, § 2 III B 1 d. - Bei bloßer Absicht der Besitzerhaltung lehnen Habgier ab: A L W A R T J R 1981S. 293 f; D R E H E R / T R Ö N D I E § 211 Rdn. 5; H O R N SK, § 211 R d n . 1 4 ; PAEFFGEN G A

1982 S. 255.

dd) BGH J Z 1981 S. 283: M suchte jemand, der ihr beim Selbstmord helfen sollte, dafür wollte sie ihn bezahlen. Sie flehte und bettelte den A an, siegegen Zahlung von DM 500,- umzubringen. A führte die Tat aus. BGH: Keine Habgier, wenn nicht die Absicht, einen Vorteil zu erlangen, die Tat wesentlich prägte, sondern andere Motive.

d) Niedrige Beweggründe Hinter der seit B G H S t 3 S. 132 weitgehend anerkannten, jedoch pathetisch überladen formulierten Definition der niedrigen Beweggründe als „Beweggründe, die nach allgemeiner sitdicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich sind", verbirgt sich nichts anderes als die nüchterne Feststellung, daß Beweggründe niedrig sind, „wenn

zwischen dem Anlaß der Tat und ihren folgen ein unerträgliches Mißverhältnis besteht" ( B G H bei Dallinger, M D R 1975 S. 725). Der Täter muß sich der Umstände, die sein Verhalten als besonders verwerflich erscheinen lassen, bewußt sein; daß er sie selbst als verwerflich bewertet, ist nicht nötig. aa) BGHSt 3 S. 180: Der 39jährige verheiratete A verspürte Lust zum Geschlechtsverkehr mit der 19jährigen B. Diese wies ihn entrüstet ab. Er erstach sie daraufhin, weil auch kein anderer die B haben sollte. BGH: Beweggrund niedrig.

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Delikte gegen das Leben

bb) BGH bei Daliinger, MDR1975 S. 542: A, der als unbesiegbarer Schläger galt, provozierte den B durch Belästigungen, um „in eine tätliche Auseinandersetzung zu kommen". Als diese begann, mußte A erkennen, daß B stärker war. Dies „konnte A nicht verwinden" und stieß den B deshalb wütend, schnell und mit aller Kraft die Klinge seines Taschenmessers in die Brust. Der tödliche Ausgang dieses Angriffs war ihm recht. BGH: Wut und Enttäuschung darüber, daß er in der Auseinandersetzung mit dem sich vollkommen rechtmäßig verhaltenden B nicht als Sieger hervorging, sind als niedrige Beweggründe anzusehen. cc) BGH NJW1980 S. 537: A und B, zwei Türken, versuchten den St zu töten, der die Tochter bzw. Schwester geschwängert hatte, aber nicht bereit war, sie zu heiraten. Nach den Sitten ihres Heimatlandes empfanden sie dies als verbindliche Familienpflicht. BGH: Keine niedrigen Beweggründe, denn bei ausländischen Tätern sind die Anschauungen ihrer Heimat bei der Wertung ihrer Motive zu berücksichtigen. Dazu auch: K Ö H L E R J Z 1 9 8 0 S . 2 3 8 ; S O N N E N JA 1 9 8 0 S . 7 4 7 . 2. Art der

Tatausführung

a) Heimtücke Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet Heimtücke die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Arglos ist, wer - zumindest in diesem M o m e n t - von dem Täter keinen Angriff auf Leib oder Leben befürchtet. Wehrlos ist, wer in seiner Abwehrbereitschaft oder -fähigkeit im M o m e n t stark eingeschränkt ist. - D i e Rechtsprechung verneint das Vorliegen der Heimtücke allerdings, wenn der Täter glaubt, „zum Besten des Opfers zu handeln". Darüber hinaus mildert der BGH die lebenslange Strafe über § 49 Abs. 1 in Fällen, in denen außergewöhnliche Umstände die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen; BGHSt (GrSSt) 30 S. 105. Bei diesen außergewöhnlichen Umständen muß es sich um Sachverhalte handeln, „die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen (z. B. bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit oder bei entschuldigendem Notstand i. S. von § 351S. 2 StGB) vergleichbar" (BGH MDR 1982 S. 1033) oder so außergewöhnlich sind, daß von einem Grenzfall gesprochen werden kann. Dazu auch: BGH JR 1983 S. 301; BGH NStZ 1983 S. 553. Die Literatur bietet kein einheidiches Bild. Die einen folgen in der Definition der Heimtücke dem BGH (vgl. z. B. D R E H E R / T R Ö N D L E § 211 Rdn. 6), andere erkennen nur die Ausnutzung eines bestehenden Vertrauensverhältnisses oder den Mißbrauch entgegengebrachten Vertrauens als Heimtücke an (vgl. z. B. SCHMIDHÄUSER B.T., 2/20). Wieder andere wollen Heimtücke nur annehmen, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnützt und dessen Vertrauen mißbraucht hat (vgl. z. B. H O R N SK, § 211 Rdn. 32). Schließlich wird auf das Fehlen eines „achtenswerten Grundes" (vgl. z. B. SCHWALM MDR 1957 S . 260), auf die Ausnutzung „kreatürlicher Arglosigkeit" (vgl. z. B. A R Z T in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 114) oder den

§ 4 Mord

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Mißbrauch „sozial-positiver Verhaltensmuster" (vgl. z. B. H A S S E M E R J U S 1971S. 626 ff; M . - K . M E Y E R J R 1979 S. 485 f) abgestellt.

Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder der Mißbrauch begründeten Vertrauens des Opfers zur Ausführung der Tat erscheinen hier als die wesentlichen Qualifikationskriterien. Denn die bloße Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers begründet noch keine über die Einzeltat hinausgehende Gefahr des Täters. Im Gegenteil, tötet der Täter überraschend, um dem Opfer die Todesangst zu ersparen, so erscheint dies nicht als ein sozialethisch in höherem Maße unerträgliches Verhalten, als wenn er das Opfer zuvor mit seinem Plan vertraut macht und sodann tötet (a. A. BGH bei Pfeiffer/Maul/Schulte, StGB, § 211 Rdn. 7). Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses (Freundschaft, Liebe, Ehe o. ä.) zur Durchführung der Tat oder der Mißbrauch begründeten Vertrauens des Opfers, das der Täter arglos gemacht hat, stellt hingegen einen über die konkrete Tötung hinausgehenden Angriff auf die Vertrauensgrundlage der Rechtsgesellschaft dar. Der bloße Mißbrauch sozial-positiver Verhaltensmuster (Hilflosigkeit und freundliches Entgegenkommen) erscheint demgegenüber als noch nicht so gravierende Verletzung dieser Vertrauensgrundlagen. Die hier vorgeschlagene Definition der Heimtücke führt zu einer Begrenzung des Anwendungsbereiches dieses Merkmals, keineswegs aber zu einer unerträglichen Einengung des Anwendungsbereiches des Mordtatbestandes, denn aufgrund ihrer Motivation können Tötungen, bei denen der Täter die Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, durchaus Fälle der Tötung aus niedrigen Beweggründen oder Mordlust sein. Die Tatsache, daß der sog. Meuchelmord nicht als heimtückische Tötung erfaßbar ist, schließt nicht aus, solche Taten überhaupt als Mord zu bewerten!

Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 3 S. 183: Der A hat seinen Stiefvater, den Landwirt Z, mit einem Prügel erschlagen. Er hatte, in einem Kornfeld versteckt, ihm aufgelauert. Als Z, wie erwartet, ahnungslos und wehrlos auf seiner Mähmaschine an ihm vorbeigefahren war, war er herausgesprungen und hatte ihn hinterrücks überfallen. BGH: A handelte heimtückisch. Kritik: Von einer Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder dem Mißbrauch entgegengebrachten Vertrauens zur Durchführung der Tat kann hier keine Rede sein. bb) BGHSt 9 S. 385: A, dem ein Verfahren wegen Unterschlagung drohte, beschloß Selbstmord zu begehen und Frau und Tochter, die er sehr liebte, mit in den Tod zu nehmen. Er glaubte, daß seine Familie die Entehrung und die Not, die er über sie gebracht hatte, nicht ertragen könnte. Deshalb meinte er, seiner Familie eine Wohltat zu erweisen, wenn er sie auslösche. Nach Tötung der Tochter und dem Versuch, die Ehefrau zu töten, brach er sein Vorhaben ab. BGH: Zwar Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer, dennoch keine Heimtücke, weil A glaubte, zum Besten seiner Opfer zu handeln.

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Delikte gegen das Leben

Kritik: Die Formulierung, eine Tötung könne nicht Mord sein, wenn der Täter meint, „zum Besten des Opfers zu handeln", ist einfach schief. In der Sache geht es darum, ob der Täter sich bewußt war, das ihm entgegengebrachte Vertrauen auszunutzen bzw. zu mißbrauchen, weil er davon ausging, das „die Schande" die Familie härter treffen würde als der Tod. - Diese Problematik ist für beide Definitionen der „Heimtücke" identisch. cc) BGHSt 27 S. 322: Die Ehe des A war zerrüttet. Seine Frau wollte sich scheiden lassen, sie sperrte ihn aus der Wohnung aus und beschimpfte ihn wiederholt. Eines Nachts drang A in die Wohnung ein. Es kam zu Beschimpfungen zwischen der Ehefrau und ihm. In deren Verlauf entschloß sich A, die Ehefrau zu töten. Dies geschah. BGH: Heimtücke setzt voraus, daß das Opfer arglos in dem Sinn der allgemeinen Erwartung ist, es werde ihm von Seiten des Täters nichts Arges zustoßen. Das ist nicht der Fall, wenn die offene Begegnung zwischen Täterund Opfer von vornherein deutlich im Zeichen feindseligen Verhaltens steht. Ob sich das Opfer dabei gerade eines tätlichen Angriffs versieht, ist unerheblich. Kritik: Die Entscheidung des BGH ist als Endpunkt einer Entwicklung zu sehen, an deren Anfang die Feststellung des BGH stand, daß derjenige arglos ist, der sich „keines Angriffs des Täters auf sein Leben versieht" (BGHSt 7 S. 221). Später sollte bereits die Erwartung eines tätlichen Angriffs der Arglosigkeit entgegenstehen (BGHSt 20 S. 30l). Nunmehr soll sogar schon ein allgemein feindseliges Verhalten die Arglosigkeit beseitigen (BGH NStZ 1983 S. 35). - In letzter Konsequenz muß das dazu führen, „daß ein tötungswilliger Täter sein Opfer nur mit einem verbalen Streit zu überziehen braucht, um vor dem Vorwurf der Heimtücke sicher zu sein" ( D R E H E R / T R O N D L E § 211 Rdn. 6 b). - Ist der Mißbrauch des Vertrauensverhältnisses maßgeblich, so entfällt Heimtücke hier, da der Täter zur Durchführung seiner Tat ein intaktes Vertrauensverhältnis nicht mißbraucht hat. Zur Kritik auch: M Ü L L E R - D I E T Z Jura 1983 S. 572. dd) BGHSt 8 S. 216: Die A tötete ihr drei Wochen altes Kind, indem sie Schlaftabletten unter die Babynahrung mischte. Den E, der dem Kind geholfen hätte, täuschte sie über dessen Zustand. BGH: Einem ganz kleinen Kind gegenüber kann der Täter in der Regel nicht heimtückisch handeln, weil es nicht fähig ist, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Wer ein Schlafmittel in die Nahrung eines solchen Kindes mischt, handelt aber heimtückisch, wenn er es tut, weil das Kind anderenfalls das Mittel seines Geschmacks wegen nicht zu sich nehmen würde. Möglich ist in derartigen Fällen auch ein heimtückisches Verhalten gegenüber einem schutzbereiten Dritten. Dieses setzt nicht voraus, daß der Täter dessen Arglosigkeit herbeiführt; es genügt, daß er sie ausnutzt. Die Arglosigkeit schutzbereiter Dritter tritt jedoch nur an die Stelle der Arglosigkeit des Opfers bei Personen, die unfähig sind, Arg zu empfinden und Abwehr zu leisten, z. B. bei Kleinkindern; dazu auch BGHSt 18 S. 37. Kritik: Im Ergebnis ist dem BGH hier zuzustimmen. Auffällig ist allerdings, daß er in seiner Begründung gleichfalls auf den Vertrauensbruch abstellt, auch wenn er die Heimtücke nicht ausdrücklich mit dem Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses begründet.

§ 4 Mord

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ee) BGHSt 23 S. 119: Der A hat Frau M und den gemeinsamen Sohn, mit denen er bis dahin zusammengelebt hatte, während beide schliefen, mit einem Beil erschlagen. BGH: Heimtückisch handelt in der Regel, wer einen Schlafenden tötet: „Der Schlafende ist in aller Regel arglos, wenn er einschläft. Wer sich zum Schlafen niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den Schlaf." Anders soll es beim Eintritt von Bewußtlosigkeit sein; Str., vgl. D R E H E R / T R Ö N D L E § 211 Rdn. 6 b. Kritik: Die Entscheidung nach dem Kriterium des Vertrauensmißbrauchs ist hier eindeutig: Da sowohl Frau M als auch S darauf vertrauten, daß ihnen von A keine Gefahr drohe, als sie sich in der Wohnung, in der sich auch A befand, zum Schlafen niederlegten, mißbrauchte A ihm entgegengebrachtes Vertrauen. Dringt hingegen ein Dritter von außen ein, so läge kein Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses vor. Eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers müßte hingegen bejaht werden. ff) BGHSt (GrSSt) 30 S. 105: Der S, ein Onkel des A, hatte die Ehefrau des A vergewaltigt. Diese wollte sich daraufhin scheiden lassen. Sie unternahm mehrere Selbstmordversuche. Der S brüstete sich sogar noch mit der Tat dem A gegenüber. - Eines Abends, als S in einer Gaststätte mit anderen Karten spielte und nichts Böses ahnte, erschoß A ihn. BGH: Es liegt ein Fall heimtückischer Tötung vor, doch gebieten hier die außergewöhnlichen Tatumstände eine Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe; § 49 Abs. 1 Nr. 1 analog. Kritik: Gerade diese Entscheidung zeigt die Schwächen der Konstruktion. Obwohl der Täter der Situation des § 213 weit näher steht als der des Mordes, bleibt eine Anwendung des § 213 versagt. Die nach § 49 Abs. 1 mögliche Milderung des Strafrahmens bietet jedoch keinen Ersatz. Im konkreten Fall wurde A nach erneuter Hauptverhandlung zu 12jähriger Haft verurteilt; LG Münster 8 Ks 30js 37/79 - 2/81. - Das Ergebnis spricht für sich. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensmißbrauchs ist dies ein unproblematischer Fall: Heimtücke ist abzulehnen. Zur Auseinandersetzung mit BGHSt (GrSSt) 30 S. 105 vgl. oben § 4 II 2 a. Übersicht über die Rechtsprechung des BGH zu den Tötungsdelikten seit BGHSt (GrSSt) 3 0 S. 1 0 5 : ESER NStZ 1 9 8 3 S. 4 3 3 ff, NStZ 1 9 8 4 S. 4 9 ff.

b) Grausam Grausam

handelt, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger

Gesinnung besondere Schmerzen oder Qualen zufügt.

H. M.: BGHSt 3 S. 180; BGH NStZ 1982 S. 379 f; D R E H E R / T R Ö N D L E § 211 Rdn. 7; SK, § 211 Rdn. 43;JÄHNKE LK, § 211 Rdn. 57; LACKNER StGB, § 211 Anm. 3 c;

HORN

WELZEL L b . , § 3 8 I I 1 b .

Der Definition ist zuzustimmen. - Die h. M. gerät allerdings in Widerspruch, soweit sie das Merkmal als objektives (tatbezogenes) Tatbestandsmerkmal interpretiert. Einer solchen Eingruppierung entspricht die Annahme einer grausamen Tötung schon dann, wenn der Täter dem Opfer die Schmerzen bewußt zufügt (konsequent: MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 2 III 3 B 2 b; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER

Delikte gegen das Leben

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§211 Rdn. 27). Durch den Verzicht auf die „gefühllose und unbarmherzige" Gesinnung würde jedoch das über die Einzeltat hinausgehende Unrechtselement aus dem Begriff eliminiert. Zur

Verdeutlichung:

LG Hamburg DRiZ 1967 S. 19 ff: Der W hatte befohlen, daß der Straftäter P, der im Oktober 1943 mit einem Schiff von Japan nach Deutschland gebracht werden sollte, nicht in Feindeshand fallen dürfte, sondern bei Selbstversenkung des Schiffes mit diesem untergehen sollte. Als das Schiff aufgebracht wurde, blieb P in seiner Zelle eingeschlossen. Er ging mit dem Schiff unter. Der ^ in seemännischer Tradition erzogen, sah es als normalen Tod an, mit dem Schiff unterzugehen, wenn keine Rettung möglich ist. LG Hamburg: W war sich zwar der Qualen des P bewußt, die dieser beim Tod des Ertrinkens leiden würde, er handelte aber nicht aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung. c) Gemeingefährliche

Mittel

Gemeingefährliche Mittel sind Mittel, deren Wirkungen auf Leib und Leben anderer Menschen der Täter nicht in der H a n d hat (z. B. Feuer, Sprengstoff, Gift). Es k o m m t dabei auf die konkrete Verwendung dieser Mittel an. Zur

Verdeutlichung:

aa) BGH VRS 63 S. 119: A warf von einer Brücke Steine auf Kraftfahrzeuge und war sich der Tatsache bewußt, daß es nach einem Treffer zu einem Massenunfall kommen könnte. B G H : A handelte mit gemeingefährlichen Mitteln. Hingegen: Wirft A mit einem Stein auf den einsamen Spaziergänger X , so liegt keine Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels vor. bb) A wirft ein starkes Gift in einen Brunnen, aus dem auch B, den A töten will, sein Trinkwasser holt. Ergebnis: A tötet mit gemeingefährlichem Mittel. Hingegen: A mischt das Gift in die Suppe des B, kurz bevor B die Suppe ißt. - A tötet nicht mit gemeingefährlichem Mittel. 3- Verfolgte Zwecke: U m eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken. a) Die andere Straftat m u ß Straftat im engeren Sinne des Wortes sein. Ordnungswidrigkeit, Disziplinarvergehen o. ä. genügt nicht. Es reicht aber aus, daß der Täter sich vorstellt, er ermögliche oder verdecke eine Straftat (subjektives Merkmal!). b ) Die andere Straftat braucht keine eigene Tat des Täters zu sein. c ) Zur

Verdeutlichung

aa) BGH GA 1963 S. 84: A wollte ein Mädchen vergewaltigen. Er legte sich in

§ 4 Mord

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einsamer Gegend auf die Lauer. Als sich ein Paar, die B und der C, näherte, schoß A auf den C, um ihn zu töten, weil er fürchtete, dieser werde der B zur Hilfe kommen. - Beabsichtigte Straftat: Vergewaltigung. bb) Typischer Fallfür die Absiebt, eine andere Straftat zu verdecken: A tötet nach einer Straftat den Zeugen Z, weil dieser ihn vor Gericht belasten könnte. Problem: Kann die „Selbstbegünstigungsabsicht" wirklich als qualifizierendes Merkmal bewertet werden? Einerseits besteht eine Neigung, den Versuch des Täters, sich selbst einer - wenn auch verdienten - Strafe zu entziehen, strafmildernd zu bewerten. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß ein Staat, der durch seine Organe (Polizeibeamte) Verbrechen verfolgt, diese geradezu unerträglichen Risiken aussetzt, wenn er bereit ist, sich die zunächst verständliche Wertung der Selbstbegünstigungsabsicht als schuldmilderndes Motiv zu eigen zu machen. Die Wertung dieser Motivation als sozialethisch besonders unerträglich muß daher verteidigt werden. cc) BGHSt 11S. 226 mit Anm. STRATENWERTHJZ 1958 S. 545: Der C schlug dem Geschäftsführer G im Laufe einer Auseinandersetzung, als dieser ihn an den Haaren packte und niederhielt, mit einer Wasserflasche auf den Kopf, so daß G für kurze Zeit bewußtlos zu Boden fiel. Als G wieder zu sich kam und dem C Vorwürfe machte, tötete ihn dieser, um zu verhindern, daß er wegen des vorher geführten Schlages mit der Flasche angezeigt und bestraft werde. BGH: Daß die „Vortat" des C u. U. durch Notwehr gerechtfertigt ist, ist unbeachdich. Es genügt, daß sich der Täter eine kriminelle, strafbare Tat vorstellt, die er verdecken will (Konsequenz aus der rein subjektiven Gestaltung dieses Merkmals). dd) Sachverhalt: A sticht auf B in Körperverletzungsabsicht ein. Als ihm einfällt, B könne ihn später als Täter identifizieren, tötet er ihn. Die Rechtsprechung des BGH ist hier uneinheitlich und widersprüchlich. Zunächst hatte der BGH in derartigen Fällen die Verdeckungsabsicht bejaht; vgl. z. B. BGHSt 7 S. 325. Später lehnte der BGH die Verdeckungsabsicht ab, wenn Vortat und Tötung in einem so engen Zusammenhang standen, daß sie als einheitliche Tat erschienen; vgl. z. B. BGHSt 27 S. 346. Mit der Entscheidung BGH J Z 1981S. 547 distanziert sich der 5. Senat des BGH von dieser Argumentation; dazu auch KÖHLERJ Z 1981S. 548. - Die Forderung nach einer Zäsur zwischen Vortat und Tötung überzeugt in der Tat nicht. D a z u : GRIBBOHM Z R P 1980 S. 225;JÄHNKE L K , § 211 Rdn. 18; M . - K . MEYERJR 1979 S. 488 ff; WILLMS L M Nr. 2 zu § 211 Abs. 2 S t G B 1975.

ee) BGHSt 15 S. 291: A fuhr unbefugt mit einem fremden Personenwagen ohne Fahrerlaubnis, unter Alkoholeinfluß und zu schnell. Als ein Polizeibeamter ihn stoppen wollte, faßte A den Entschluß, sich der Feststellung seiner Personalien zu entziehen. Er fuhr auf den Beamten los, wobei er in Kauf nahm, daß dieser getötet werden könnte. BGH: A handelte zur Verdeckung einer anderen Straftat. Daß die Tötung selbst nur mit bedingtem Vorsatz gewollt war, ändert daran nichts, da die Absicht (dolus directus 1. Grades) sich nur auf die Verdeckung zu beziehen braucht. - In derartigen Fällen ist das Bewußtsein des Täters, daß er das Leben des Polizeibeamten

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Delikte gegen das Leben

konkret gefährdet, genau zu prüfen, da der Täter oftmals davon ausgehen wird, daß der Polizeibeamte rechtzeitig beiseite springt; dazu BGH Strafverteidiger 1982 S. 5 0 9 ; JÄHNKE L K , § 212 R d n . 2 2 .

ff) BGHSt 7 S. 287: A überfuhr nach Alkoholgenuß mit seinem Personenkraftwagen versehendich den X. A, der sein Fahrzeug etwa 80 m hinter der Unfallstelle zum Stehen gebracht hatte, kehrte zur Unfallstelle um und betrachtete mit seinen Begleitern den Verunglückten, der noch Lebenszeichen von sich gab. Nachdem das Herbeiholen von Hilfe erörtert worden war, beschloß A, wegzufahren, weil er Alkohol getrunken hatte, veranlaßte seine Begleiter zum Einsteigen, verpflichtete sie zum Schweigen über den Vorfall und fuhr nach Hause, ohne sich weiter um den Verunglückten zu kümmern. BGH: Keine Tötung durch Unterlassen seitens des A zur Verdeckung einer Straftat. A hat den Tod des X nicht als Mittel zur Verdeckung eingesetzt, sondern nur davon abgesehen, seine eigene Tat aufzudecken. Kritik: Unterließ A Rettungsmaßnahmen, weil diese zur Entdeckung seiner Straftat geführt hätten, so verletzte er seine Handlungspflicht, um die Straftat zu verdecken. Daß er den tödlichen Kausalverlauf nicht mit Tötungsvorsatz einleitete, steht dem nicht entgegen, denn dies setzt das Unterlassen nach gefährlichem vorangegangenem Tun gerade voraus. III. V o r s a t z p r o b l e m e 1. In der 1. Gruppe der Mordqualifikationen (niedrige Motive) muß der Täter die Umstände kennen, die seine Tat als sozialethisch unerträglich erscheinen lassen. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen ist daher grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz möglich. Folgt man der Definition der Mordlust durch den BGH, so kann dieses Merkmal mit bloß bedingtem Tötungsvorsatz nicht erfüllt werden; vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1974 S. 546 f. 2. In der 2. Gruppe der Mordqualifikationen m u ß der Täter die objektiven Merkmale (Vertrauensverhältnis, Wirkung des eingesetzten Mittels) kennen; bei der Verwirklichung des Merkmals „grausam" m u ß es ihm aufgrund seiner Gesinnung auf die Schmerzzufügung ankommen (dolus directus 1. Grades). 3. Bei den verfolgten Zwecken, }. Gruppe, muß sich die Absicht im engeren Sinne auf den Zweck beziehen. Allerdings muß die Tötung bei der Ermöglichung einer anderen Straftat immer Mittel zur Verwirklichung dieser Straftat sein, nicht nur lediglich deren Begleiterscheinung. Die Tötung selbst hingegen braucht nur bedingt gewollt zu sein. Zur Verdeutlichung: a) BGH MDR 1980 S. 629: Um bei einem Banküberfall in den Kassenraum zu gelangen, schoß A gegen die Glasfüllung der Tür. Er nahm dabei billigend in Kauf, daß er einen hinter der Tür stehenden Bankangestellten tödlich verletzen könnte.

§ 5 Der minder schwere Fall des Totschlags

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B G H : A handelte nicht zur Ermöglichung einer Straftat, denn die Tötung war nur Begleiterscheinung, nicht aber Mittel zur Ermöglichung der Straftat. Abwandlung: W i e oben, aber der Bankangestellte stand vor dem Tresor. U m in diesen hineinzukommen, schoß A auf den Bankangestellten, wobei er erkannte, daß sein Schuß tödlich sein könnte. Ergebnis: Ermöglichungsabsicht liegt vor. Dazu auch: BGHSt 23 S. 176,194; B G H G A 1 9 6 3 S.84;JÄHNKE LK, §211 Rdn. 11. b) Fall: Nach einem Einbruch wird A v o m Wächter W überrascht. U m nicht erkannt zu werden, schießt A auf den W, wobei er sich im klaren ist, daß der Schuß tödlich sein kann. Ergebnis: Verdeckungsabsicht liegt vor. Dazu auch: BGHSt 11S. 269; 15 S. 291 mit A n m .JESCHECKJZ 1961S. 752; B G H VRS 2 4 S. 1 8 4 ; JÄHNKE L K , § 211 R d n . 2 4 .

c) B G H G A 1983 S. 565: A wurde bei einem Einbruch von S überrascht. U m nicht von ihr später wiedererkannt zu werden, schoß er auf sie. B G H : Kann der Täter die erstrebte Verdeckung der Straftat nur durch den Tod des Opfers erreichen, so ist die Verwirklichung der Verdeckungsabsicht nur mit direktem Tötungsvorsatz möglich.

4. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unten § 24 II.

§ 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 1. § 213, 1. Alt.: ein privilegiertes Tötungsdelikt

In seiner 1. Alt.: „War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden", enthält der Tatbestand einen benannten Strafmilderungsgrund, d. h. eine Privilegierung gegenüber § 212 mit der2 Konsequenz, daß der Versuch nicht strafbar ist; vgl. dazu auch oben § - 2 a" Das Unrecht der Tat wird in dieser Alternative durch drei Faktoren geprägt: (1) das spätere Opfer fügt dem späteren Täter oder einem seiner Angehörigen ein erhebliches Unrecht zu, (2) der Täter gerät dadurch in einen - seine Entscheidungsfreiheit wesentlich einengenden - Erregungszustand und (3) den Täter trifft keine Schuld daran, daß ihm ein Unrecht zugefügt worden ist. a) Nicht nur der schuldmindernd zu berücksichtigende Erregungszustand und ein begrenzter Bereich auslösender Faktoren kennzeichnen die

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Delikte gegen das Leben

Situation, sondern diese wird zugleich bestimmt durch „die Schuld des Opfers an der Tat". Die Tat erscheint daher gegenüber einer „typischen" Tötung als geringere Störung der sozialen Beziehungen. Insoweit beruht die Regelung des § 213 darauf, daß er zwar Tötungsunrecht unter Strafe stellt, jedoch im Verhältnis zu § 212 minder schweres Tötungsunrecht. b) Die einzelnen Tatbestandsmerkmale Die Schwere der Provokation ist unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu ermitteln. Auch aus der Wiederholung von Beschimpfungen kann sich die Schwere der Beleidigung ergeben; dazu BGH NStZ 1983 S. 365. Eigene Schuld trifft den Täter, wenn er selbst den Beleidiger provoziert hat. Doch ist nur ein solches Verhalten relevant, das „zu dem Verhalten des Getöteten in dem entscheidenden Augenblick genügende Veranlassung gegeben hatte" (BGH NStZ 1981 S. 300; BGH NStZ 1983 S. 459), und zwar derart, daß „das Verhalten des Opfers eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes schuldhaftes Tun des Täters darstellt" (BGH NStZ 1981 S. 479; BGH NJW 1983 S. 293). - Auf der Stelle reagiert der Täter, der noch voll unter dem Einfluß des erlittenen Unrechts steht. Zwischen Beleidigung und Reaktion kann daher durchaus ein gewisser Zeitraum liegen. Auch kann sich das beleidigende Verhalten über längere Zeit erstrecken. Es genügt, daß das Verhalten unmittelbar vor der Tat „der Tropfen war, der das Faß zum Überlaufen brachte" (BGH NStZ 1982 S. 27). - Beleidigung ist nicht als terminus technicus i. S. einer Ehrverletzung gemäß §§ 185 ff zu verstehen, sondern als schwere Kränkung, z. B. ein Vertrauensbruch, etwa ein Ehebruch (BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 110). Maßgebend ist der objektive Erklärungswert des Verhaltens, nicht allein die Vorstellung des Täters, gekränkt worden zu sein, da es hier um die Feststellung des Unrechts des späteren Opfers geht (BGH NStZ 1982 S. 27). Zu berücksichtigen aber ist der Lebenskreis der Beteiligten. - Durch die Provokation ist der Täter auch dann zur Tat hingerissen worden, wenn neben der Reizung zum Zorn noch andere Motive zur Tatauslösung beigetragen haben, sofern sie den Zorn nicht in eine unerhebliche Rolle verdrängt haben (BGH Strafverteidiger 1983 S. 60,198; dazu auch G E I L E N J R 1978 S. 341 ff; DERS. Dreher-Festschrift, S. 357 ff). Die Rechtsprechung hält daran fest, daß Verhältnismäßigkeit zwischen Schwere der Kränkung und der im Zorn verübten Tat nicht gegeben zu sein braucht. Hier ist jedoch zu beachten, daß in Fällen, in denen die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist, die Reaktion des Täters auf das Verhalten des Opfers kaum als verständlich beurteilt werden kann; vgl. dazu einerseits: BGH NStZ 1982 S. 27; andererseits: GEILEN Dreher-Festschrift, S. 374 ff.

§ 5 Der minder schwere Fall des Totschlags

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2. § 213, 2. Ali.: ein unbenannter Strafmilderungsgrund Hat ein Dritter den Täter beleidigt, so ist § 213 in der 1. Alt. nicht anwendbar (str.). Als wesentliches, die Situation prägendes Element fehlt die Zufügung von Unrecht durch das Opfer. - Wohl aber kann in derartigen Fällen ein minder schwerer Fall eines Totschlags vorliegen und daher eine Strafmilderung gemäß § 213,2. Alt. in Betracht kommen. - Ein sonstiger minder schwerer Fall i. S. des § 213 braucht sozialethisch nicht auf der Ebene der Umstände des § 213, 1. Alt. zu liegen. Entscheidend ist allein, ob „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlicheit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist" (BGH bei Holtz, M D R 1976 S. 633). 3. Irrtum des Täters über die Beleidigung durch das Opfer a) Wird - wie es hier geschehen ist - § 213,1. Alt. als privilegierender Tatbestand gegenüber § 212 anerkannt, so liegt ein Fall des § 16 Abs. 2 vor. So auch: Dreher/Tröndi.f. § 213 Rdn. 7.

Sachgerecht ist diese Lösung nicht. Sie würde zwar überzeugen, wenn die Privilegierung allein in schuldmindernden Erwägungen läge, denn in diesem Fall ist die psychische Situation des Täters identisch, gleichgültig, ob die objektiven Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Ist der Grund der Privilegierung aber zumindest auch in einem das Unrecht der Tat mindernden Verhalten des Opfers zu sehen, so wird dieses Verhalten über die Anwendung des § 16 Abs. 2 in bestimmten Fällen für irrelevant erklärt. O b der Gesetzgeber sich dieser Konsequenz in vollem Umfang bewußt war, erscheint zweifelhaft. - Sachgerechter wäre die Anwendung des § 213, 2. Alt. b) Soweit § 213 insgesamt als Strafzumessungsregel interpretiert wird, kann in einem Irrtumsfall „ein anderer mildernder Umstand" i. S. des § 213, 2. Alt gesehen werden. Dazu: BGHSt 1 S. 203; Horn SK, § 213 Rdn. 4; Jahnke LK, § 213 Rdn. 9.

II. D a s Verhältnis des § 213 zu § 211 1. Werden die Mordqualifikationen - wie es hier geschehen ist - als Ausdruck einer sozialethisch besonders unerträglichen, weil gefährlichen Gesinnung interpretiert, so schließen die §§ 211,213 einander aus. Die Tat kann nicht zugleich Ausdruck einer schlechthin unerträglichen und einer doch menschlich verständlichen Einstellung zu dem Geschehen sein. Wer z. B. aus unbarmherziger Gesinnung einem anderen besondere

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Delikte gegen das Leben

Schmerzen zufügt bei der Tötung, wer das Vertrauen eines anderen mißbraucht oder wer eine andere Straftat verdecken will, tötet das Opfer genausowenig aufgrund der Erregung über ein ihm selbst zugefügtes Unrecht, wie derjenige, der mit gemeingefährlichen Mitteln Dritte in Gefahr oder zu Tode bringt, die ihm nichts Böses getan haben. Im Ergebnis übereinstimmend: § 2 1 3 R d n . 1; RIESS N J W

BERNSMANNJZ 1983 S. 50

ff;

DREHER/TRÖNDLE

1968 S. 630.

2. Werden die Qualifikationen - in Betracht kommt hier praktisch nur die Gruppe 2 - als „objektive Tatbestandsmerkmale" interpretiert, in denen keine über das Wissen der objektiven Voraussetzungen hinausgehende besondere Einstellung gefordert ist, so können in diesem Bereich sowohl die Voraussetzungen des § 211 als auch die des § 213 vorliegen. a) Nach Auffassung des BGH, der § 213 nur auf § 212 bezieht, weil er § 211 als Sondertatbestand auffaßt, schließt § 211 den § 213 aus. Dazu: BGHSt 2 S. 258 ff; ebenso: A R Z T in : Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 158; StGB, Vor § 211 Anm. 5 b.

LACKNER

b) Nach Auffassung eines Teiles der Lehre, der § 211 als Qualifizierung und § 213 als Privilegierung (allerdings als unselbständige, soweit § 213 nur als Strafzumessungsregel interpretiert wird) des § 212 ansieht, erfolgt eine Bestrafung nur aus § 213. Grundsatz: Privilegierung geht der Qualifizierung vor. Dazu: BOCKELMANN B.T. 2, § 5 I 2; MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 2 III A 1, 3 („Sperrwirkung des milderen Tatbestandes").

C

Andere wollen beim Vorliegen der Umstände des § 213 jedenfalls die Anwendung des § 211 ausschließen, so daß die Strafe aus § 213 folgt. V g l . : G E I L E N J R 1 9 8 0 S . 3 1 4 ; H O R N S K , § 2 1 1 R d n . 6 ; RENGIER M D R

1980 S. 2 f;

SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 1 1 R d n . 10, § 2 1 3 R d n . 3 .

§ 6: Tötung auf Verlangen I. D i e Auslegung des § 216 1. Grundlagen der Auslegung Der Tatbestand stellt eine Form der Mitwirkung an einer Selbsttötung eines anderen unter Strafe. - Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. - Das Unrecht der Tötung ist zwar durch diese „Einwilligung" nicht ausgeschlossen, wohl aber gemindert. Es bleibt jedoch Tötungsunrecht, deshalb ist der Tatbestand als privilegiertes Tötungsdelikt anzusehen. So auch: J Ä H N K E L K , Vor § 2 1 1 Rdn. 4 5 ; LACKNER StGB, § 2 1 6 Anm. 1 ; MAURACH/ B.T. I, § 2 IV B; WELZEL Lb., § 3 8 III. - Als eigenständiges Sonderdelikt

SCHROEDER

§ 6 Tötung auf Verlangen

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i n t e r p r e t i e r e n d e n § 216: B G H S t 2 S . 2 5 8 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 1 6 R d n . 1; SCHONKE/ SCHRODER/ESER § 216 R d n . 2.

2. Folgerungen a) Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Mit ihm bringt der Betroffene nicht nur zum Ausdruck, daß er den Tod will, sondern auch, daß er die maßgebliche Entscheidung über das „Ob" der Tat trifft. Das spätere Tatopfer fügt sich nicht den Plänen eines anderen, sondern bestimmt die Situation, indem es den anderen zur Tötung bestimmt. Die Initiative kann aber durchaus von dem Täter ausgehen, wenn deutlich bleibt, daß erst die Entscheidung des „Opfers" die Tatsituation grundsätzlich gestaltet und diese Entscheidung in den eigenen Überlegungen des „Opfers" ihren Grund hat: Das ernstliche Verlangen ist das wohlüberlegte, eigene Verlangen, das ausdrücklich, d. h. nicht notwendig mit Worten, aber unmißverständlich erklärt sein muß. aa) RGSt 68 S. 306: Der A rief in der S Selbstmordgedanken hervor. Um S seinen Wünschen gefügig zu machen, redete er vier Stunden auf sie ein. Auf seine Aufforderung hielt schließlich die S ihren Arm hin, und nun brachte A ihr die Schnitte bei, die ihren Tod herbeiführen sollten. RG: Bloßes Einverstandensein ist kein ausdrückliches und ernsdiches Verlangen i. S. des § 216: „Einverstandensein bedeutet die Billigung des bekannten Vorhabens des anderen, also zwar mehr als ein bloßes Hinnehmen und ein bloßes Geschehenlassen, aber doch nur den Ausdruck der Übereinstimmung der eigenen inneren Stellungnahme mit der des anderen. Verlangen i. S. des § 216 StGB schließt demgegenüber begrifflich eine Betätigung mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen ein". bb) Der schwerkranke T leidet fürchterliche Schmerzen. Seine Ehefrau E erfüllt dies gleichfalls mit Schmerz und auch Mitleid. Sie deutet dem Tgegenüber an, daß sie bereit sei, ihm eine erlösende Spritze zu geben, falls er es wünsche. T bittet sogleich darum. Er hatte es nicht gewagt, der E gegenüber ein derartiges Verlangen zu äußern. Ergebnis: § 216 anwendbar. cc) Wie unter bb), doch E ist bereits fest entschlossen, den T zu töten, als T sie plötzlich um diese Gefälligkeit bittet. H. M.: § 216 nicht anwendbar, da E bereits zuvor zur Tat entschlossen. - Sachgerechtigkeit des Ergebnisses zweifelhaft, denn an dem durch das Verlangen des T geminderten Unrecht der Tat ändert der vorgefaßte Plan nichts. - Anwendbarkeit des § 213, 2. Alt. daher geboten.

b) Aus dem Wesen des „Verlangens" als qualifizierter Einwilligung folgt, daß - abgesehen von der Fähigkeit des Verlangenden, über das betroffene Rechtsgut verfügen zu können - die Voraussetzungen der Einwilligung in vollem Umfang vorliegen müssen. Das Verlangen muß daher insbeson-

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dere frei von Willensmängeln (Irrtum, Nötigung) und der Verlangende muß sich der Tragweite seiner Entscheidung bewußt sein (wesentlich insbes. bei Geisteskranken und Jugendlichen, da nicht Geschäftsfähigkeit, wohl aber Einsichtsfähigkeit zu fordern ist). Ist das Verlangen nicht wirksam, weil es durch Täuschung erschlichen wurde oder der Verlangende gar nicht in der Lage war, die Tragweite seiner Entscheidung abzuschätzen, so ist der Tatbestand des § 216 nicht gegeben. J e nach den tatsächlichen Gegebenheiten liegen §§ 212, 211 vor. Fall: A leidet an einem harmlosen Magenleiden. Er selbst meint aber, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein. Die Beteuerungen des Arztes und seiner Ehefrau hält er für schonungsvolle Lügen. Inständig bittet er daher die E, ihn zu erlösen. Als er sein Verlangen immer eindringlicher geltend macht und von nichts anderem mehr redet, gibt E seinem Verlangen nach. - § 216 nicht anwendbar, denn A warsich deshalb der Tragweite seiner Entscheidung nicht bewußt, weil er seine Entscheidung von falschen Voraussetzungen her traf. E wußte dies.

3. Die Motivierung durch das Verlangen a) Das „Verlangen" ist ein unrechtsmindernder Sachverhalt. Die Motivierung durch dieses Verlangen ist ein persönliches Merkmal, jedoch ein Sachverhalts-, d. h. tatbezogenes, und daher kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28. V g l . a u c h : HORN S K , § 2 1 6 R d n . 13. - A . A.:JAHNKE L K , § 2 1 6 R d n . 1 0 ; SCHÖNKE/ SCHRÖDER/ESER

§

216

Rdn.

18; d i f f e r e n z i e r e n d :

ROXIN L K ,

§

28

Rdn.

54;

ScHüNEMANNjura 1 9 8 0 S . 5 7 9 f.

b) Geht der Täter von einem ausdrücklichen Verlangen aus, obwohl es nicht vorliegt, so kommt gem. § 16 Abs. 2 gleichfalls nur eine Bestrafung aus § 216 als Vorsatztat in Betracht. Uber die Sachgerechtigkeit dieser Lösung läßt sich streiten, denn das unrechtsmindernde Element der Einwilligung des Betroffenen wird damit für die Anwendung des Tatbestandes auf diesen Fall für irrelevant erklärt. Systemgerechter wäre eine Lösung über § 213, 2. Alt.; vgl. JÄHNKE LK, § 216 Rdn. 2.

c) Handelt der Täter in Unkenntnis des Verlangens, so haftet er gemäß §§ 212, 211.

4. Die kriminalpolitische Berechtigung des Tatbestandes Die vereinzelt geforderte Beseitigung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen ist weder dogmatisch noch kriminalpolitisch geboten. - Da auch die privaten Rechtsgüter dem Einzelnen zugeordnet werden, weil diese Zuordnung seiner Entwicklung und der der Rechtsgesellschaft am angemessensten entspricht, kann aus der Zuordnung kein Argument für eine unbeschränkte Verfügungsmacht über das Rechtsgut hergeleitet

§ 6 Tötung auf Verlangen

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werden. Eine Beschränkung der Verfügungsmacht trotz Zuordnung des Rechtsguts zur Person des Einzelnen ist daher dogmatisch durchaus vertretbar, und auch kriminalpolitisch erscheint die Aufrechterhaltung des Tötungstabus im weitestmöglichen Umfang angemessen. Vgl. auch: ENGISCH H. Mayer-Festschrift, S. 412; DERS. Schaffstein-Festschrift, S. 1 ff; DERS. Dreher-Festschrift, S. 318; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 775 ffjÄHNKE L K , § 216 Rdn. 1; MÖLLERING Der Schutz des Lebens und Recht auf Sterben, 1977, S. 93. A. A.: MARX Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut", 1972, S. 64,82; R. SCHMITT Maurach-Festschrift, S. 118; DERS. J Z 1979 S. 462 ff.

II. D i e Problematik der Euthanasie 1. Begriff und rechtliche Problematik a) Euthanasie hat ENGISCH definiert als die durch Mideid bestimmte, direkt gewollte und aktiv ins Werk gesetzte Lebensverkürzung bei einem unheilbaren Leiden und mehr oder minder großer Todesnähe. Vgl. ENGISCH Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens in strafrechtlicher Beleuchtung, 1948. - Dazu: GEILEN Bosch-Festschrift, S. 277 ff; JÄHNKE L K , Vor § 211 Rdn. 9; R. SCHMITT J Z 1979 S. 462 ff.

Diese Definition ermöglicht zwar die Abgrenzung zur Tötung Geisteskranker und schwerstbeschädigter, aber lebensfähiger Neugeborener (sog. Früheuthanasie) hinreichend sicher. Sie begründet jedoch zugleich Differenzierungen, die der Lösung der rechtlichen Probleme nicht hilfreich sind. Diese sind nämlich weder mit dem Hinweis auf eine erlaubte „passive Euthanasie" (Behandlungsabbruch) im Gegensatz zur strafbaren „aktiven Euthanasie" (gezielte Lebensverkürzung durch positives Tun), noch mit der Unterscheidung zwischen beabsichtigter und unbeabsichtigter Lebensverkürzung (indirekte Euthanasie) zu erfassen. Maßgeblich ist vielmehr stets die zentrale Frage nach den rechtlichen Grenzen der Pflicht des Arztes und anderer in Betracht kommender Personen, menschliches Leben zu erhalten. Diese Pflicht ist inhaltlich nicht identisch mit einer Pflicht, das Sterben einer Person um jeden Preis zu verhindern, denn eine rechtliche Pflicht, „den Schmerz und die Agonie uferlos und ohne Sinn zu verlängern" (JÄHNKI), gibt es nicht. In Grenzsituationen kann die Achtung menschlicher Würde die Entscheidung für ein humanes Sterben fordern. Dazu BURKART, Das Recht in Würde zu sterben - ein Menschenrecht, 1983, S. 41 ff; DETERINGJUS 1983 S. 418 ff; ESER in: Auer/Menzel/Eser, Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 1977, S. 131; HIRSCH Z S t W 81 (1969) S. 924;JAHNKE L K , Vor § 211 Rdn. 17; ARTHUR KAUFMANN J Z 1982 S. 481 ff; DERS. M e d R 1983 S. 121; LACKNER StGB, Vor § 211 Anm. 2 d; LAUFS Arztrecht, 2. Aufl. 1978, S. 155 f; SAMSON WelzelFestschrift, S. 601.

32

Delikte gegen das Leben

D i e hieraus zu ziehenden Folgerungen sind nach der Unterschiedlichkeit der Situation zu differenzieren. 2. Abbruch einer Behandlung auf Wunsch des Vatienten Verlangt ein schwerkranker Patient, der über den Sachverhalt unterrichtet und noch in der Lage ist, einen eigenverantwortlichen Willen im Rechtssinne zu bilden, den Abbruch einer Behandlung, so bindet sein Wille auch den Arzt. Dieser ist nicht Vormund des Patienten, daher hat er auch keine Handlungspflicht als Garant gegen den Willen des Patienten. Dazu: E N G I S C H Dreher-Festschrift, S. 309; ESER in: Auer/Menzel/Eser, S. 104; Euthanasie und Selbstbestimmung, 1975, S. 1 1 ff; J Ä H N K E L K , Vor § 211 Rdn. 13; S T R A T E N W E R T H SchwZStr 94 (1978) S . 60, 68. GEILEN

D i e für den Arzt verbindlichen Grundsätze gelten auch für andere Garanten. Auch sie haben nicht die Pflicht, eine lebensverlängernde Behandlung gegen den Willen des Betroffenen einzuleiten. BGH NStZ 1983 S. 117: Aus einer Wohn- und Lebensgemeinschaft ergibt sich für den daran Beteiligten keine Rechtspflicht, den anderen am selbstgewollten Ableben zu hindern, sofern sich dieser in freier Willensbestimmung dazu entschlossen hat, dem für ihn erkennbar herannahenden Tod keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen, sondern dem dazu führenden Geschehen seinen Lauf zu lassen. 3. Die schmerzlindernde Lebensverkürzung (indirekte Euthanasie) Auch die Sterbehilfe ist Tötung, wenn sie das Leben verkürzt und nicht nur das Sterben erleichtert. Das gilt auch dann, wenn die Sterbehilfe das Sterben nur erleichtern soll und dabei eine Lebensverkürzung bewußt in Kauf genommen wird. Der Eingriff in das Leben ist in diesen Fällen nicht wegen fehlenden Vorsatzes abzulehnen. In Betracht kommt allerdings eine Rechtfertigung über § 34 in den Ausnahmesituationen, in denen die Achtung menschlicher Würde die lebensverkürzende Schmerzlinderung legitimiert. Fall: A und B sind mit einem Lastzug unterwegs. Es kommt zu einem Unfall. Der Wagen gerät in Brand. A ist hinter dem Steuerrad eingeklemmt. Es besteht keine Chance, ihn zu retten. B ist nur leicht verletzt. A beginnt bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Auf die inständigen Bitten des A hin erschlägt B den vor Qualen kreischenden A. Ebenfalls für eine Lösung über den rechtfertigenden Notstand: B U S C H E N D O R F in: Die Euthanasie - ihre theologischen, medizinischen und juristischen Aspekte, herausgeg. von Valentin, 1 9 6 9 , S. 5 5 ff; G E I L E N Euthanasie, S. 2 2 ff; H A N A C K in: Euthanasie, Probleme der Sterbehilfe, herausgeg. von Hiersche, 1975, S. 132 f; M Ö L L E R I N G Schutz des Lebens, S. 1 5 ff; R O X I N in: Schutz des Lebens - Recht auf Tod, herausgeg. von Blaha, 1978, S. 85 f. Uber „erlaubtes Risiko" argumentieren:

§ 6 T ö t u n g auf Verlangen

33

VON DELLINGSHAUSEN Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des A r z t e s , 1981, S . 111 f f ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER V o r b e m . §§ 211 f f R d n . 2 6 ; ESER i n :

Euthanasie oder soll man auf Verlangen töten? herausgeg. von Eid, 1975, S. 45 ff, 62. Eine Begrenzung des Tötungsverbots v o m Schutzbereich der N o r m her vertret e n j A H N K E L K , V o r § 211 R d n . 1 5 , 1 7 ; K R E Y B . T . I, S. 5 f ; ä h n l i c h WESSELS B.T.-l, § 1

III 2 : keine „Tötungshandlung". Tötungsvorsatz wird verneint von : BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 25,70 f; GÖLL A r z t r e c h t 1980 S . 321. S.

Für entschuldigende Pflichtenkollision: SCHWALM Bayerisches Ärzteblatt 1975 566. 4. Der

Behandlungsabbrucb

D i e T a t s a c h e allein, d a ß d a s L e b e n „ u n a u f h a l t s a m v e r l i s c h t " e n t b i n d e t d e n b e h a n d e l n d e n Arzt nicht v o n der Pflicht, M a ß n a h m e n (Reanimation, a n r e g e n d e M i t t e l o. ä . ) zu e r g r e i f e n , d i e d a s L e b e n k ü n s t l i c h v e r l ä n g e r n . S t e h t j e d o c h fest, daß das L e b e n u n a u f h a l t s a m verlischt, o h n e daß eine M ö g l i c h k e i t b e s t e h t , d e n S t e r b e n d e n n o c h e i n m a l zu B e w u ß t s e i n zu bring e n , s o e r s c h e i n t es a n g e m e s s e n , e i n e P f l i c h t d e s A r z t e s zur W e i t e r b e h a n d l u n g a b z u l e h n e n . G l e i c h g ü l t i g ist e s d a b e i , o b d e r B e h a n d l u n g s a b b r u c h d u r c h ein T u n o d e r U n t e r l a s s e n e r f o l g t . D a in d i e s e r S i t u a t i o n k e i n e P f l i c h t d e s A r z t e s b e s t e h t , d i e B e h a n d l u n g f o r t z u s e t z e n , v e r h ä l t er sich n i c h t p f l i c h t w i d r i g , u n a b h ä n g i g d a v o n , o b s e i n V e r h a l t e n ein T u n o d e r ein U n t e r l a s s e n darstellt. Der Versuch der h. M . - unter d e m Eindruck des Schlagworts von der verbotenen aktiven Euthanasie - den tätigen Behandlungsabbruch (Abstellen des Reanimators) als Unterlassen zu interpretieren, ist verfehlt. Hier wird das Verhalten vom Verhaltensziel her interpretiert, was zu unabsehbaren Folgen f ü h r t - wiejAHNKE L K , Vor § 211 Rdn. 16, zutreffend hervorhebt - , denn verallgemeinert müßte diese M e t h o d e die gesamte bisher akzeptierte Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen sprengen. D i e Interpretation ist auch rechtsdogmatisch nicht notwendig. D e n n der Unterscheidung zwischen erlaubter passiver Euthanasie und verbotener aktiver Euthanasie liegt letztlich die in ihren K o n s e q u e n z e n unerwünschte Prämisse zugrunde, daß ein aktives tatbestandsmäßiges Tun rechtswidrig ist, wenn kein Rechtfertigungsgrund eingreift, während die Rechtswidrigkeit beim Unterlassen selbständig zu prüfen ist. D i e s e Prämisse jedoch ist bereits selbst unzutreffend. Wird nämlich erkannt, daß die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens d e m Täter positiv nachzuweisen ist - dazu GRUNDKURS STRAERECHT, A.T., § 5 II - , so erübrigt sich der Aufwand, das einwandfreie Tun: ^Abschalten des Geräts", in ein Unterlassen umzudeuten. Der Arzt handelt nicht pflichtwidrig, gleichgültig ob er „tut" oder „unterläßt". Dazu auch: WESSELS B.T. - 1, § 1 III 3. Z u r U n t e r l a s s u n g s k o n s t r u k t i o n v g l . : ENGISCH G a l l a s - F e s t s c h r i f t , S. 177 f ; GEILEN

F a m R Z 1968 S. 12 5 ; DERS. Heinitz-Festschrift, S. 383, insbes. Fn. 22 ; HANACK Deut-

34

Delikte gegen das Leben

s c h e s Ä r z t e b l a t t 1969 S. 1324;JÄHNKE L K , Vor § 211 R d n . 16; K Ü P E R J u S 1 9 7 1 S . 4 7 6 ; LACKNER S t G B , § 211 A n m . 2 d , b b ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER V o r b e m . §§ 211 f f

Rdn. 27. - Ablehnend: BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 112,125; DERS. Wiener

M e d . W o c h e n s c h r i f t 1976 S . 149; SAMSON W e l z e l - F e s t s c h r i f t , S . 5 7 9 f f ; S A X J Z 1975

S.

137

ff.

III. T ö t u n g a u f Verlangen u n d S e l b s t m o r d 1. Selbstmord und Mitwirkung

Dritter

a) Die Situation der Tötung auf Verlangen wird zum einen wesentlich durch den Willen des Opfers geprägt, zum anderen ist das Opfer in bezug auf die Ausführungshandlung gerade abhängig von dem Verhalten des Täters. Täter und Opfer können daher gleichsam als gemeinsame Träger der Tatherrschaft angesehen werden. Dies begründet die Schwierigkeit, die - abgesehen von § 323 c - straflose Beihilfe zum Selbstmord eines anderen von der Tötung auf Verlangen abzugrenzen. Der maßgebliche Unterschied scheint jedoch darin faßbar, daß der Selbstmörder den Entschluß zu sterben in alleiniger Tatherrschaft realisiert, während der die Tötung Verlangende gerade in der Realisierung des Tötungsplanes, d. h. in der Vornahme der Tötungshandlung, abhängig von dem Verhalten eines anderen ist, auch wenn er dessen Verhalten mitbestimmt. Der Selbstmörder ist auch nach dem Tatbeitrag des Dritten noch Herr der Lage, er entscheidet weiterhin über das „ O b " der Tat. In Grenzfällen scheint diese Abgrenzung allerdings nicht frei von einem sachlich dubiosen Formalismus zu sein: Fall 1 : A injiziert dem todkranken B auf dessen ausdrücklichen und ernstlichen Wunsch hin die tödliche Spritze. E r g e b n i s : A: § 216. Fall 2 : A legt die tödliche Spritze auf den Nachtschrank des B, der sie sich selbst injiziert. E r g e b n i s : A: straflose Beihilfe zum Selbstmord. Dennoch spricht dieser Formalismus nur auf den ersten Blick gegen die Abgrenzung. Es ist eben doch etwas ganz anderes, die T ö t u n g geschehen zu lassen als sie eigenhändig durchzuführen, wie gerade die Praxis zeigt. Zahlreiche Patienten, die eindringlich um die Erlösung bitten, achten bei entsprechenden Gelegenheiten peinlich darauf, daß sie selbst diese Gelegenheiten nicht realisieren. Z u r A b g r e n z u n g : HELGERTHJR 1976 S . 46;JÄHNKE L K , Vor § 211 R d n . 22 ; ROXIN

Täterschaft und Tatherrschaft, 4. Aufl. 1984, S. 568 ff; SCHILLINGJZ 1979 S. 163 ff; SIMSON S c h w i n g e - F e s t s c h r i f t , S. 106 ff.

b ) Die Idee der Tatherrschaft des Selbstmörders setzt einen eigenverantwortlichen Willen des sich selbst Tötenden voraus. Er muß sich der Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses bewußt sein. Maßgeblich

§ 6 Tötung auf Verlangen

35

hierfür ist - wie bei der Einwilligung; dazu G R U N D K U R S STRAFRECHT, A. T., § 8 III 1 - seine Einsichtsfähigkeit. - Wer im Rechtssinne frei verantwortlich einen Selbstmord ins Werk setzt, begründet eigenständig die Gefahr, die sich in seinem Tode realisiert. Sein bewußtes Vorgehen schließt abgesehen von § 323 c - die strafrechdiche Verantwortung anderer, die Voraussetzungen für die Tat geschaffen haben, aus. 2. Konsequenzen a) Hat der Selbstmörder allein die Tatherrschaft über das Geschehen, so bleibt eine Teilnahme Dritter am Selbstmord straflos. Es fehlt an der Haupttat. E i n g e h e n d dazu: BOTTKE G A 1983 S. 22 ff. - A . A . : SCHILLINGJZ 1979 S. 159 ff. -

Im übrigen vgl. zur Literatur oben § 3, 1.

b) Auch eine Haftung wegen fahrlässiger Tötung entfällt, wenn der Dritte durch fahrlässiges Verhalten den Selbstmord ermöglicht oder unterstützt hat. So auch: BGHSt 24 S. 342; zustimmend: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 6 0 ; DOLLING G A 1984 S. 71 ff; VAN ELS N J W 1 9 7 2 S. 1476 f; HERZBERG Täterschaft u n d T e i l n a h m e , 1977, S. 102; HORN S K , § 212 R d n . 21 ;JAHNKE L K , Vor § 211 R d n . 2 3 ; ROXIN Gallas-Festschrift, S. 2 4 5 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER V o r b e m . §§ 211 f f Rdn. 35. Kritisch: GEILEN J Z 1974 S. 145; KOHLHAAS J R 1973 S. 53; DERS. N J W 1973 S. 548 u n d WELPJR 1972 S. 427.

c) Beherrscht ein Dritter das Geschehen, weil er den Selbstmörder über die Situation täuscht, ihn durch Nötigung in eine Notstandssituation versetzt oder seine fehlende Einsichtsfähigkeit ausnutzt, so liegt eine Tötung (§§ 211,212) in mittelbarer Täterschaft durch das Opfer als Werkzeug vor, nur scheinbar handelt es sich um eine Selbstmordsituation. Dazu: BGHSt 32 S. 38 mit Anm. ROXIN NStZ 1984 S. 71 und SCHMIDHÄUSERJZ 1984 S. 195 f; BOTTKE G A 1983 S. 31 ff.

d) Eine Garantenpflicht zur Hinderung des Selbstmordes eines anderen besteht, wenn der Täter der Selbsttötung nicht verantwortlich ist und der unterlassende Garant dem Betroffenen gegenüber gerade aus diesem Grunde eine Fürsorgepflicht innehat oder wenn - in einer engen Lebensgemeinschaft - der Selbstmord einer der an der Gemeinschaft beteiligten Personen auf einem Irrtum beruht und der andere Partner der Gemeinschaft dieses weiß; dazu BGH NStZ 1984 S. 73. aa) Die Voraussetzungen einer auf Fürsorge gerichteten Garantenpflicht sind hier nicht niedriger anzusetzen als sonst, insbesondere ist es nicht sachgerecht, die in § 20 aufgerichteten Schranken für einen auf Krankheit beruhenden Verantwortungsausschluß hier nicht zu beachten

36

Delikte gegen das Leben

und den Selbstmörder aufgrund seines Entschlusses zum Selbstmord als nicht frei verantwortlich Handelnden anzusehen. Im Ergebnis ebenso: BOTTKE Suizid und Strafrecht, S. 97 ff; ENGISCH DreherFestschrift, S. 310, 318;JÄHNKE L K , V o r § 211 R d n . 2 4 ; KKEY B . T . I , S. 2 8 ff; LACKNER S t G B , V o r § 211 A n m . 3 c; ROXIN D r e h e r - F e s t s c h r i f t , S. 347 f f ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/

ESER Vorbem. §§ 211 ff Rdn. 41. Zur Gegenansicht: GEILEN J Z 1974 S. 145 ff; HERZBERG Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 265 ff: Täterschaft des Beschützergdiznten. bb) Eine Garantenpflicht zur Verhinderung des Selbstmordes aus natürlicher Verbundenheit mit dem Opfer (Ehe, Verlobung, Freundschaft) entsteht auch dann nicht, wenn der Selbstmörder die Situation nicht mehr beherrscht, weil er bereits ein Opfer seiner selbst geworden ist. Ursprünglich hatte der BGH eine umfassende Garantenpflicht zur Abwendung des Selbstmordes bejaht (BGHSt 2 S. 150). Später tendierte die Rechtsprechung dahin, eine Garantenpflicht nur noch dann anzunehmen, wenn der Selbstmörder bereits ein Opfer seiner selbst geworden war, z. B. hilflos in der Schlinge hing (BGH J R 1961 S. 28 f mit Anm. HEINITZ S. 29 0 °der nach Gifteinnahme das Bewußtsein verloren hatte. Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Konstruktion finden sich jedoch schon in BGHSt 13 S. 162: Die Schwiegermutter des A mochte nicht mehr im Altersheim leben. A wollte sie nicht bei sich aufnehmen. Darauf erklärte die S, sie wolle aus dem Leben scheiden und in die Kerspe-Sperre gehen. A nahm dieses nicht ernst. Als sie aber an einem Teich vorbeikamen und S sagte, sie wolle hier ihr Leben beenden, erbot sich A, ihr einen besser geeigneten Teich zu zeigen. Dann führte A die S zum Kronenberger Hammerteich, und sie setzten sich in der Nähe nieder. Später ging S auf den Staudamm zu, setzte sich dort hin und ließ die Beine ins Wasser hängen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte A zum ersten Mal ernsdich, daß die S vorhatte, sich das Leben zu nehmen. Er ging hinter ihr her auf den Damm. Die S forderte ihn auf, sie hineinzustoßen. Ob sie das wirklich wollte, oder ob sie es nur sagte, um den A zum Widerspruch zu veranlassen und ihn zu bewegen, sie wieder zu Hause aufzunehmen, konnte nicht festgestellt werden. Der A kam dieser Aufforderung nicht nach, fühlte sich jedoch dadurch aufgefordert, ihren Selbstmord mindestens nicht zu verhindern. Die S wiederholte die Aufforderung, sie hineinzustoßen, noch zweimal. Siegerietdann ins Wasser. Wie das geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden. Sie starb durch Ertrinken. Außer dem A war niemand sonst zugegen. BGH: § 216 liegt nicht vor, weil A die Situation nicht beherrschen wollte. In Betracht kommt allein eine Haftung gemäß § 323 c; dazu weiter unter 3. cc) Hat ein Dritter sich entschlossen, den Selbstmörder zu retten und leitet einen rettenden Kausalverlauf ein, so haftet er für Schäden, die sich aus seinem Verhalten ergeben. Er kann sich nicht nachträglich auf den Selbstmordwillen des Betroffenen berufen.

§ 6 Tötung auf Verlangen

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Auch ein Arzt, der die rettende Behandlung eines Selbstmörders übernommen hat, ist nach Aufnahme der Behandlung in einer Garantenposition. Dazu: BayObLG N J W 1973 S. 565; BRINGEWAT N J W 1973 S. 540 ff; GEILENJZ 1973 S. 320 ff.

dd) Gibt der Selbstmörder zu erkennen, daß er an seinem Selbstmordplan nicht mehr festhält, vermag er selbst aber den eingeleiteten Kausalverlauf nicht mehr zu unterbrechen, so befindet er sich in einer lebensgefährlichen Situation. - Hier gelten für die Haftung von Garanten die allgemeinen Grundsätze. Der Fall unterscheidet sich nicht von dem Fall, daß der Garant es nicht verhindert, daß sein Schützling Opfer eines Unfalles wird. - Stellt der Garant sich irrig eine derartige Situation vor, liegt ein Tötungsversuch vor. ee) Auch im Falle des Hungerstreiks gelten diese Grundsätze uneingeschränkt. Wer den Hungerstreik bewußt und im Rechtssinne verantwortlich als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele einsetzt, ist sich der eigenen Lebensgefährdung bewußt. Insoweit unterscheidet sich seine Situation nicht von der des Selbstmörders. Problematisch ist allein, ob dann, wenn der Streikende aufgrund seines körperlichen Zustandes nicht mehr in der Lage ist, einen rechtserheblichen Willen zu bilden, die Situation eines Unglücksfalles im Sinne des § 323 c gegeben ist. Zum Hungerstreik Inhaftierter vgl. §§ 101,178 StVollzG sowie OLG Stuttgart NJW 1977 S. 1461; OLG Koblenz JR 1977 S. 471 mit Anm. WAGNER S. 473; BAUMANN ZRP1978 S. 35 f. Umfassend zum Gefangenensuizid: HERZBERG ZStW91

(1979) S. 557 ff; MICHALE Recht und Pflicht zur Zwangsernährung bei Nahrungsverweigerung in Justizvollzugsanstalten, 1983; OSTENDORF Das Recht zum Hungerstreik, 1983.

e) Im Falle des sog. einseitigfehlgeschlagenen Doppelselbstmordes - zwei Menschen wollen gemeinsam aus dem Leben gehen, einer von beiden stirbt bei dem Unternehmen, der andere wird gerettet - liegt gleichsam ein Selbstmord in Mittäterschaft vor. Überlebt einer der beiden Selbstmordkandidaten, so haftet er nicht wegen einer Tötung des anderen. Die Rechtsprechung ist bisher nicht bereit, von der gemeinsamen Tatherrschaft der zum Selbstmord Entschlossenen auszugehen, sondern spaltet die gemeinsame Tatherrschaft auf. BGHSt 19 S. 135 ff: A und B wollen gemeinsam aus dem Leben gehen. Sie wollen sich vergiften, indem sie die Auspuffgase des Kraftfahrzeugs, in dem sie sitzen, in das Wageninnere leiten. A betätigt das Gaspedal. B wird zuerst ohnmächtig, dann A. Als A und B gefunden werden, gelingt es: 1. Alternative: das Leben von B noch zu retten. - BGH: keine Bestrafung der B, da B nicht die Tatherrschaft über das Geschehen im entscheidenden letzten Augenblick innehatte.

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Delikte gegen das Leben

2. Alternative: das Leben von A noch zu retten. - BGH: Da A im entscheidenden letzten Augenblick Tatherrschaft innehatte, haftet er nach § 216. Zum Überblick über den Streitstand vgl.: BOTTKE Suizid und Strafrecht, S. 57 ff; JÄHNKE L K , § 216 R d n . 12 ff.

3. Die Selbstmordsituation als Unglücksfall i. S. des § 323 c Unabhängig von der Problematik des § 216 ist die Frage, ob der Selbstmord als „Unglücksfall" i. S. des § 323 c anzusehen ist. a) Wer den Unglücksfall als plötzliches, äußeres Ereignis, das erheblichen Schaden an Leib und Leben eines anderen zu bringen droht, interpretiert, kommt zu dem Ergebnis, daß der Selbstmord keinen Unglücksfall darstellt. Er ist kein plötzlich eintretendes äußeres Ereignis. So im Ergebnis: BOTTKE Suizid und Strafrecht, S. 313 ff; DERS. GA 1983 S. 34 ff; HEINITZ J R 1954 S. 4 0 5 ; KOHLRAUSCH/LANGE § 3 3 0 c A n m . 2 ; KREY B . T . I , S. 3 9 ; RUDOLPHI S K , § 3 2 3 c R d n . 8 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 323 c R d n . 7 ; WELZEL

Lb., § 68 I 1 aa).

b) Wird hingegen der Unglücksfall als eine Notsituation definiert, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, wenn er nicht schweren Schaden an Leib oder Leben nehmen will, so ist auch der Selbstmord Unglücksfall. Für die Sachgerechtigkeit dieser Definition spricht, daß die Beschränkung auf ein plötzliches, äußeres Ereignis willkürlich erscheint, da ein Verschulden des Täters am Eintritt dieses Ereignisses nach einhelliger Ansicht irrelevant ist. So im Ergebnis: BGHSt 6 S. 149; 13 S. 169; GaLENjura 1979 S. 208 F;JÄHNKF. LK, V o r § 211 R d n . 2 4 ; SCHMIDHAUSER B.T., 16/5.

IV Zur Teilnahmeproblematik 1. Beihilfe und Anstiftung durch Dritte Strafbare Anstiftung durch einen Dritten ist durch die Tatsituation des § 216 ausgeschlossen. S o auch: HORN S K , § 216 R d n . 13. - A . A.:JÄHNKE L K , § 216 R d n . 10; SCHONKE/ SCHRODER/ESER § 216 R d n . 18.

Beihilfe zur Tat ist möglich. Die Strafe des Gehilfen richtet sich gleichfalls nach § 216, sofern dieser die Voraussetzungen dieses Tatbestandes beim Haupttäter kennt oder irrig annimmt. Bei fehlender Kenntnis haftet er aus § 212. 2. Teilnahme des Opfers Eine Teilnahme - Anstiftung oder Beihilfe - desjenigen, der die Tötung verlangt, an der Tötung ist konstruktiv durchaus möglich, wenn

39

§ 7 Kindestötung

auch nur in der Versuchssituation relevant. Sie bleibt aber straflos. Die Schuldsituation, die eine Strafbarkeit des versuchten Selbstmordes als sinnwidrig erscheinen läßt, ist dieselbe, gleichgültig, ob der Täter den Selbstmord als Täter begeht oder an der eigenen Tötung teilnimmt. Diese Erwägung verbirgt sich hinter dem üblichen Hinweis, die Teilnahme bleibe als notwendige Teilnahme straflos. Dazu:

DREHER

MDR

1964

S.

V o r § 2 6 R d n . 3 3 ; WOLTER J u S

337; OTTO

Lange-Festschrift, S. 2 1 2 f;

ROXIN

LK,

1982 S. 3 4 3 ff.

§ 7: Kindestötung Die Vorschrift trägt der außergewöhnlichen psychischen Situation bei der Geburt Rechnung und privilegiert die nichteheliche Mutter daher aus Schuldgesichtspunkten. 1. Tatbestandsvoraussetzungen a) Nichtehelich ist ein Kind, dessen Eltern weder zur Zeit des Beischlafs noch zur Zeit der Geburt in formell gültiger Ehe miteinander verheiratet waren. - Wird eine Ehe später für nichtig erklärt, erstreckt sich die Wirkung der Nichtigerklärung nicht auf den Status des Kindes, § 1591 Abs. 1 S. 1 BGB. b) Die Tötungshandlung muß in oder gleich nach der Geburt erfolgen. Dieser Zeitraum endet mit dem Abklingen der durch den Geburtsvorgang hervorgerufenen Erregungsphase, die durchaus eine erhebliche Zeit dauern kann. H. M.

v g l . : D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 1 7 R d n . 5 ; H O R N S K , § 2 1 7 R d n . 8 ; LACKNER

StGB, § 2 1 7 Anm. 3; M A U R A C H / S C H R O E D E R B.T. I, § 2 IV C 3 b; ESER § 2 1 7 R d n .

SCHÖNKE/SCHRÖDER/

5.

Auf den üblicherweise mit dem Geburtsvorgang verbundenen Zeitraum der Erregungsphase stellt ab: J Ä H N K E LK, § 217 Rdn. 6

2. Irrtum über die Nichtehelichkeit a) Die irrige Annahme der privilegierenden Umstände eröffnet gemäß § 16 Abs. 2 die Anwendung des § 217. Dabei ist es unbeachtlich, ob die Täterin einem Tatsachenirrtum unterliegt oder einem Rechtsirrtum, weil sie z. B. nicht weiß, daß die Nichtigerklärung der Ehe den Status des Kindes nicht berührt. Den Rechtsirrtum bewerten hier nur als Verbotsirrtum D R E H E R / T R Ö N D L E § Rdn. 2 . - Als unbeachtlichen Subsumtionsirrtum stufen ihn ein: H O R N SK, § R d n . 6 ; JAHNKE L K , § 2 1 7 R d n .

12.

217 217

40

Delikte gegen das Leben

b) Kennt die Täterin die privilegierenden Umstände nicht (Täterin glaubt, Kind sei ehelich), so sind die §§ 212, 211 anzuwenden. Kritik: Nicht die Nichtehelichkeit des Kindes ist für die Privilegierung maßgeblich, sondern allein der außergewöhnliche, durch den Geburtsvorgang ausgelöste psychische Erregungszustand. Daher ist die - historisch zu erklärende - Differenzierung zwischen der Tötung des nichtehelichen Kindes und der des ehelichen Kindes sachwidrig.

§ 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte Problemstellung: Wird die Akzessorietät der Teilnahme gemäß § 28 im Bereich der Tötungsdelikte durchbrochen ? Fall 1: A leistet Beihilfe zu einem Mord, den B aus Habgier begeht. Das weiß A, er selbst handelt aber nicht aus Habgier. - Ist A gemäß §§ 211,27 oder §§ 212,27 zu bestrafen ? Fall 2: A leistet aus Habgier Beihilfe bei der Tötung des X durch B. B handelt nicht habgierig. - Ist A gemäß §§ 211, 27 oder §§ 212, 27 zu bestrafen?

Problementfaltung:

I. Prämissen der Stellungnahme l. Weichenstellung Die jeweilige Stellungnahme wird durch zahlreiche Prämissen innerhalb der Interpretation des § 28 und der §§ 211 ff bedingt. Diese müssen klar erkannt werden, soll die Ubersicht nicht verloren gehen. - Im wesentlichen läßt sich differenzieren: a) Werden - dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 2 2 1 3 - als besondere persönliche Merkmale nur Sonderpflichtmerkmale anerkannt und § 211 als Qualifizierung des § 212 begriffen, so kann § 28 im Rahmen der Tötungsdelikte keine Bedeutung erlangen. Möglich ist es allerdings, eine Ausnahme bei der Heimtücke zu machen. Das besondere Vertrauensverhältnis kann als besonderes Pflichtverhältnis und damit als ein besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2 interpretiert werden. So: LANGER Lange-Festschrift, S. 262 Fn. 135.

b) Soweit eine Privilegierung innerhalb der Tötungsdelikte allein auf Schuldgesichtspunkten beruht, greift § 29 ein. Beispiel: A leistet der M Beihilfe bei der Tötung ihres nichtehelichen Kindes. M: § 217. A: Haupttat: § 217. Zu dieser Haupttat hat A Hilfe geleistet. Grundsätzlich wäre A daher zu bestrafen gemäß §§ 217, 27. Da die schuldmindernde Situation aber in

§ 8 Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte

41

der Person des A nicht vorlag, versagt § 29 die Anwendung des § 217, und A haftet gemäß der eigenen Schuld aus §§ 212, 27. Ergebnis: §§ 217, 27, 29 - 212, 27.

2. Mordqualifikationen als Schuldelemente Werden die Mordqualifikationen als Schuldelemente und§211als Qualifizierung des § 212 angesehen, so braucht man sich mit § 28 überhaupt nicht zu befassen, sondern läßt jeden Beteiligten „ohne Rücksicht auf die Schuld der anderen nach seiner Schuld" haften gemäß § 29. Diese Konstruktion entspricht der hier im Verhältnis von §217 zu § 212 aufgezeigten Lösung. Hintergrund dieser Ansicht ist die Auffassung, daß alle Schuldmerkmale nur von § 29, nicht aber zugleich von § 28 Abs. 1, 2 erfaßt werden. Dazu :JESCHECK Lehrbuch des Strafrechts, A.T., 3. Aufl. 1978, § 61VII 4 c; LANGER Das Sonderverbrechen, 1972, S. 472 f; SCHMIDHÄUSER A. T., 14/89, 96. Die h. M. erfaßt die im Besonderen Teil vertatbestandlichten Schuldmerkmale unter § 28 Abs. 2, nicht aber die im Allgemeinen Teil erfaßten Schuldsituationen. D a z u i m e i n z e l n e n : HERZBERG Z S t W 8 8 ( 1 9 7 6 ) S. 7 2 F n . 12; ROXIN L K , § 2 8

Rdn. 7 ff.

3. Tat- und täterbezogene Merkmale Die h. M. identifiziert die besonderen persönlichen Merkmale i. S. des § 28 mit sog. täterbezogenen Merkmalen. Die Mordqualifikationen der 1. und 3. Gruppe sind in diesem Denkschema subjektive, täterbezogene Merkmale, so daß auf sie § 28 Anwendung findet, während die Merkmale der 2. Gruppe (heimtückisch, grausam, gemeingefährliche Mittel) als sog. tatbezogene Merkmale nicht unter § 28 fallen sollen. So im Grundsatz: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 108 ff; HERZBERG ZStW 88 ( 1 9 7 6 ) S. 105 ff;JAKOBS N J W 1 9 6 9 S. 4 8 9 ; LACKNER S t G B , § 211 A n m . 5; MAURACH/ GÖSSEI/ZIPF A . T. II, 5. A u f l . 1978, § 53 III B 2 c aa; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 47.

Für eine Interpretation auch der 3. Gruppe als tatbezogene Merkmale: DREHER S. 146 ff.

J R 1970

4. Die Ansicht des BGH Die Rechtsprechung folgt grundsätzlich der Interpretation der Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe als täterbezogene und damit als besondere persönliche Merkmale i. S. des § 28. Da sie jedoch §211 alseinen Sondertatbestand innerhalb der Tötungsdelikte ansieht, der die Anwendung der §§ 212,213 ausschließt, kann sie gegebenenfalls nur § 28 Abs. 1 anwenden. Dazu: BGHSt 22 S. 375; 24 S. 106; BGH Strafverteidiger 1984 S. 69.

42

Delikte gegen das Leben

II. Zur Einübung Fall 1: A erschießt den B, um ihm sein Bargeld abzunehmen und sich damit nette Stunden mit der Gunstgewerblerin G zu machen. Die Pistole hat er von C, der weiß, was A vorhat, selbst aber keine materiellen Vorteile aus der Tat zieht. 1. Straßarkeit des A: § 211 (Habgier). 2. Straßarkeit des C: a) 1. Meinung: (§ 28 nur Sonderpflichtmerkmale): §§ 211, 27 (Anwendung der §§ 28, 29 kommt nicht in Betracht). b) 2. Meinung: (Mordqualifikationen: Schuldelemente): Haupttat: § 211, zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet, § 27. Da aber Schuldelement der Habgier bei C fehlt, kann gemäß § 29 seine Strafe nur aus dem Grundtatbestand in Verbindung mit § 27 entnommen worden. Ergebnis: §§ 211, 27, 29 - 212, 27. c) 3. Meinung: (h. L.): Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende täterbezogene persönliche Merkmal der Habgier fehlt, kommt § 28 Abs. 2 zur Anwendung, so daß C gemäß §§ 212, 27 bestraft wird. Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 2 - 212, 27. d) 4• Meinung: (BGH): Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in seiner Person das strafbegründende täterbezogene persönliche Merkmal der Habgier fehlt, findet § 28 Abs. 1 Anwendung (Strafmilderung). Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1. Fall 2: A erschlägt den B im Zorn, nachdem dieser ihn schwer beleidigt hat. Als A schon „vor Wut kochte" und nach einem Messer schrie, um den B „kaltzumachen", hat C, der den B beerben will, dem A ein Messer gereicht. 1. Straßarkeit des A: § 213, 1. Alt. 2. Straßarkeit des C: a) 1. Meinung: (Sonderpflicht): §§ 213, 27. b) 2. Meinung: (Schuldelement): §§ 213, 27, 29 - 211, 27. c) 3. Meinung: (h. L.): §§ 213, 27, 28 Abs. 2 - 212, 27, 28 Abs. 2 - 211, 27. d) 4. Meinung: (BGH): §§ 213, 27, 28 Abs. 2 - 212, 27. Fall 3: Der A wollte mit der B ein Liebesverhältnis beginnen. Als diese ihn abwies, wollte er sie auch keinem anderen gönnen und erschoß sie. Die Pistole hatte er von C, der sich von B DM 100,- geliehen hatte und hier eine Möglichkeit sah, die Gläubigerin loszuwerden. 1. Straßarkeit des A: § 211 (niedriger Beweggrund). 2. Straßarkeit des C: a) 1. Meinung: (Sonderpflicht): §§ 211, 27. b) 2. Meinung: (Schuldelement): §§ 211 (niedriger Beweggrund), 27,29 212,27, da Habgier gegeben, wiederum § 29 211, 27. c) 3. Meinung: (h. L.): § 211 (niedriger Beweggrund), 27,28 Abs. 2 - 212,27, 28 Abs. 2 (Habgier) 211, 27. d) 4. Meinung: (BGH): Bei strengem Durchhalten der Prämissen müßte der BGH zum Ergebnis kommen : §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1, da bei C nicht derselbe niedrige Beweggrund

§ 9 Fahrlässige Tötung

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wie bei A vorliegt, ein Austausch verschiedener niedriger Beweggründe aber jeweils zu einem anderen Tatbild führt. Der BGH - vgl. BGHSt 23 S. 39 f - läßt jedoch innerhalb der Gruppe der niedrigen Beweggründe einen Austausch der einzelnen Merkmale zu, obwohl jedes Merkmal der Tat ihren persönlichen, eigenständigen, täterbezogenen Charakter geben soll, und kommt somit zur Ablehnung des § 28 Abs. 1, weil zwar nicht dasselbe, wohl aber ein besonderes persönliches Merkmal auch bei C vorliegt. Ergebnis: §§ 211, 27. - Dazu: ARZTJZ 1973 S. 681 ff. Fall 4: Als die 62jährige Witwe A eine Wiederverheiratung mit dem 29jährigen Spanier S ins Auge faßte, widersprach ihre 40jährige Tochter T heftig. A lud die Tochter daher zu einer Aussprache zu sich ein. Während des Gesprächs reichte A der T einen Schnaps, der mit Arsen vermischt war. T starb. - Das Gift hatte A von C, die genau wußte, was A mit dem Gift vorhatte. 1. Strafbarkeit der A: § 211 (Heimtücke). 2. Straßarkeit der C: a) 1. Meinung: (Sonderpflicht): §§ 211, 27. Hinweis: Folgt man der oben I 1 genannten Ansicht LANGERS, SO ergibt sich: Haupttat § 211, zu dieser hat C gemäß § 27 Beihilfe geleistet. Da C aber zu T in keinem Vertrauensverhältnis stand, hatte sie auch keine besondere Pflicht der T gegenüber wahrzunehmen. Daher Anwendung des § 28 Abs. 2. Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 2 - 212, 27. b) 2. Meinung: (Schuldelement): §§ 211, 27, 29 - 212, 27. - Wenn Heimtücke objektiv definiert wird: §§ 211, 27. c) 3. Meinung: (h. L.): Da Heimtücke ein tatbezogenes Merkmal ist, kommt § 28 nicht zur Anwendung. Ergebnis: §§ 211, 27. d) 4. Meinung: (BGH): §§ 211, 27.

§ 9: Fahrlässige Tötung 1. Der Auflau des Delikts Die fahrlässige Tötung unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung nicht in der objektiven Zurechnung des Erfolges zur Person des Täters, sondern allein im subjektiven Bereich. Der sorgfältige Aufbau des Delikts führt auch hier an die relevanten Probleme heran. OLG Hamm NJ W1973 S. 1422: Kraftfahrer A verursachte im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit mit seinem Kfz einen Verkehrsunfall, bei dem B schwere Bruchverletzungen davontrug. In der Klinik, in die B gebracht wurde, erhielt er im Zuge der Behandlung mehrfach gruppengleiches Blut zugeführt. Nach einigen Tagen starb B an einer sog. Serumhepatitis, die auf unreines Blut zurückzuführen war, das von hepatitiskranken Spendern stammte. Zum Zeitpunkt der Behandlung war es unmöglich, die Unreinheit der Blutkonserven zu

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Delikte gegen das Leben

erkennen, da ein exakter Nachweis des verantwortlichen Erregers noch nicht durchführbar war. a) Deliktsprüfung: Strafbarkeit des A aa) Die in § 222 beschriebene Rechtsgutsverletzung ist eingetreten: B ist tot. bb) A hatte (durch regelgerechtes Verhalten) die tatsächliche Möglicheit, den eingetretenen Erfolg zu vermeiden. cc) Durch sein Fahren in fahruntüchtigem Zustand hat A eine Gefahr auch für das Leben des B begründet. dd) Die von A begründete Gefahr realisierte sich im Tode des B, denn die behandelnden Ärzte erhöhten oder veränderten diese Gefahr nicht pflichtwidrig, sondern bemühten sich situationsbedingt um die Verminderung der von A begründeten Gefahr. Der gefährliche Einsatz des Blutes war dafür nötig und unter Abwägung des Risikos auch sachgemäß. ee) A hatte bei seinen Fähigkeiten die Möglichkeit, den Sachverhalt zu erkennen. Er war in der Lage vorauszusehen, daß es aufgrund seiner Fahruntüchtigkeit auch zu einem tödlichen Unfall kommen könnte. Voraussehbar war auch, daß entstehende Unfallverletzungen nur noch mit selbst lebensgefährdenden Behandlungsmethoden behandelt werden können und dabei der Tod des Opfers eintritt. ff) Feststellungen zur Pflichtbegrenzung: A hat die ihm obliegende Sorgfaltspflicht gerade im Hinblick auf den eingetretenen Todes-Erfolg verletzt, denn er war verpflichtet, die typischerweise mit der verbotenen Fahrt verbundenen Rechtsgutsgefährdungen und -Verletzungen zu vermeiden. gg) A hatte die Möglichkeit, sich der Sozialschädlichkeit seines Verhaltens bewußt zu werden. hh) Schuld: Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die an der Schuld des A zweifeln ließen. b) Zum Aufbau des fahrlässigen Erfolgsdelikts durch Unterlassen sowie zu anderen Aufbauweisen des fahrlässigen Erfolgsdelikts, vgl. G R U N D K U R S STRAPRECHT, A . T . , § 1 0 .

2. Der Zusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtverktzung und Erfolg D i e B e g r ü n d u n g oder Erhöhung einer Gefahr u n d ihre Realisierung im Todeserfolg ist unter drei A s p e k t e n genauer Prüfung bedürftig, w e n n das Ergebnis nicht d e n A n s c h e i n der Zufälligkeit erhalten soll: a) Es ist besondere Sorgfalt auf d e n N a c h w e i s zu legen, daß der Täter durch sein pflichtwidriges Verhalten eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus begründet oder erhöht hat. D i e schlichte Pflichtwidrigkeit des Verhaltens allein ist nämlich dann irrelevant, w e n n nachgew i e s e n werden kann, daß das pflichtwidrige Verhalten deshalb k e i n e relevante Gefahr begründet oder erhöht hat, weil die Rechtsgutsverletzung bereits derart in d e m G e s c h e h e n angelegt war, daß sie auch bei rechtmäßig e m Verhalten des Täters eingetreten wäre.

§ 9 Fahrlässige Tötung

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b) Es ist - und insoweit entspricht die Problemstellung der der vorsätzlichen Erfolgsdelikte - genau zu prüfen, ob die Rechtsgutsverletzung ihren Grund in einem Verhalten des Täters oder dem einer anderen Person hat (Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs). c) Schließlich ist zu beachten, ob der Schutzzweck der durch den Täter verletzten Norm gerade auch auf die Vermeidung des vom Täter bewirkten Erfolges zielte. Die Rechtsprechung versucht die hier relevante Problematik im Zweifel über die Vorhersehbarkeit zu lösen. Da aber auch untypische Geschehnisse durchaus noch vorhersehbar sein können, führt diese Methodik zu Zufallsergebnissen.

3. Zur Einübung a) OLG Karlsruhe GA 1970 S. 313: A fuhr innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h. Er überfuhr dabei ein 4Jahre altes Kind. Der tödliche Unfall hätte sich in gleicher Weise zugetragen, wenn A die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hätte. Ergebnis: Keine Haftung des A wegen fahrlässiger Tötung. Die Gefahr für das geschützte Rechtsgut wurde durch das pflichtwidrige Verhalten des A nicht über das erlaubte Maß hinaus gesteigert. b) BGHSt 7 S. 112: Der A machte mit K eine Motorradwettfahrt, obwohl beide stark angetrunken waren. Bei der Wettfahrt kam K aus eigenem Verschulden zu Tode. BGH: A ist der fahrlässigen Tötung des K schuldig. Dem ist entgegenzuhalten: Die Gefahr, die sich im Tode des K realisierte, ist von ihm selbst bewußt gesetzt worden. Es besteht kein Grund, den Erfolg auch dem A zuzurechnen. Dazu: O t t o J u S 1974 S. 710. c) BGH MDR1981S. 684: A verkaufte in seiner Wohnung an P Heroin, das sich P injizierte. P starb an den Folgen des Rauschgiftes. BGH: A haftet wegen fahrlässiger Tötung. - Dem wäre nur zuzustimmen, wenn P nicht frei verantwortlich das Risiko auf sich genommen hätte oder über die Gefahr im konkreten Fall getäuscht worden wäre. Kannte er die Zusammensetzung des Stoffes und befand er sich nicht in einem die Verantwortung bereits ausschließenden Zustande, so begründete er und nicht A durch die Injektion die Gefahr, die sich in seinem Tode realisierte. Dazu auch: Dölling GA 1984 S. 71 ff; LoosJR 1982 S. 342 f; Schünemann NStZ 1982 S. 60 ff. - Ansätze zur Differenzierung auch in BGH NStZ 1983 S. 72. d) BayObLGJZ 1982 S. 731: X verlieh an Y, der die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß, ein Kraftfahrzeug, das nicht verkehrssicher war. Aufgrund der Mängel des Fahrzeuges und der fehlenden Fahrtüchtigkeit des Y kam es zu einem Unfall. Trotz auffälliger Warnzeichen und eindeutig unübersichdicher Verkehrssituation fuhr A mit weit überhöhter Geschwindigkeit an die Unfallstelle heran und erfaßte den Z mit dem Kraftfahrzeug. Z hatte nach dem ersten Unfall helfen wollen. Er wurde getötet.

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Delikte gegen das Leben

BayObLG: Der zweite Unfall war für X und Y nicht vorhersehbar. Daß es an Unfallstellen im Straßenverkehr durch grob verkehrswidriges Verhalten Dritter zu weiteren Unfällen kommt, ist leider eine bekannte Tatsache und daher auch objektiv voraussehbar. Gleichwohl ist das Urteil des BayObLG im Ergebnis zutreffend. Die Gefahr, die sich im Tode des Z realisierte, wurde nicht von X und Y begründet, sondern von A, als dieser trotz Kenntnis der unübersichtlichen Verkehrslage seine Geschwindigkeit nicht auf das erforderliche Maß herabminderte. - Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn A aufgrund der Sachverhaltsgegebenheiten die Gefahrenstelle nicht rechtzeitig hätte wahrnehmen können. e) In Anlehnung an BGHSt 30 S. 228: A fuhr mit seinem Kraftfahrzeug auf den Pkw des X auf. X kam zu Tode. - A berief sich darauf, daß der Unfall in gleicher Weise geschehen wäre, wenn er nicht aufgefahren wäre, da dann B, der unmittelbar hinter ihm mit gleichfalls überhöhter Geschwindigkeit fuhr, auf das Fahrzeug des X in derselben Weise aufgefahren wäre. Ergebnis: A haftet wegen fahrlässiger Tötung. Daß die Rechtsgutsverletzung auch aufgrund des pflichtwidrigen Verhaltens eines Dritten eingetreten wäre, entlastet den A nicht. Die mögliche Pflichtverletzung eines Dritten erweitert nicht den Handlungsspielraum des Täters. Dazu auch: KÜHLJR 1983 S. 32 ff; OTTO Maurach-Festschrift, S. 103; PUPPEJUS 1982 S. 6 6 0 .

f) OLG Hamm MDR 1980 S. 1036: An einem mit eingeschaltetem Warnblinklicht haltenden Schulbus fuhr A mit 50 km/h vorbei. Er verletzte den erwachsenen B, der in Höhe des Schulbusses trotz des herannahenden Fahrzeuges des A noch versuchte, die Fahrbahn zu überqueren. OLG: § 20 Abs. 1 a StVO, der eine vorsichtige Fahrweise beim Vorbeifahren an Schulbussen vorschreibt, dient ausschließlich der Sicherheit von Schulkindern im Straßenverkehr. Der von A bewirkte Erfolg - Verletzung des B - liegt daher außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm. Auf die Verletzung des § 20 Abs. la StVO kann eine Verurteilung des A in diesem Falle daher nicht gegründet werden. g) Zur Vertiefung und zur weiteren Einübung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., §10.

§ 10: Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes 1. Das geschützte Rechtsgut Einigkeit besteht darin, daß der Tatbestand in beiden Tatmodalitäten ein konkretes Gefährdungsdelikt beschreibt. Streitig ist, ob eine konkrete Lebensgefahr vorliegen muß oder eine Leibesgefahr ausreicht. Unter Hinweis auf § 221 Abs. 3 und darauf, daß Lebens- und Leibesgefahr nicht immer trennbar sind, wird von der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre die Begründung einer Leibesgefahr für ausreichend gehalten. D e m gegenüber spricht die systematische Stellung des § 221 für eine restriktive

§ 10 Aussetzung

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Auslegung dahin, daß nur die konkrete Gefährdung des Lebens von ihm erfaßt werden soll. Daß bei entsprechenden Leibes- oder Gesundheitsgefahren im Regelfall bereits eine konkrete Lebensgefahr vorliegt, spricht nicht dafür, den Schutzbereich auf die Leibesgefahr zu erweitern. In diesen Fällen ist vielmehr die Anwendung des § 221 unproblematisch. Ergibt sich jedoch, daß eine konkrete Lebensgefahr nicht nachweisbar ist, so ist für § 221 kein Raum. § 221 Abs. 3,1. Alt. betrifft lediglich eine Erfolgsqualifikation, die für eine Interpretation des Tatbestandes, eine Leibesgefahr genüge bereits, nichts hergibt, insbesondere konkretisiert Abs. 3 nicht die hier gemeinte Gefahr. Vgl. a u c h : KREY B.T. I, S . 4 6 F ; MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 4 1 1 A;SCHMIDHAUSER

B.T., 2/41; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 221 Rdn. 1,8. - A . A . : BGHSt 4 S. 113; 21S. 44; 25 S. 218; 2 6 S. 35; BOCKILMANN B.T. 2, § 1 3 I ; DREHER/TRONDLE § 221 R d n . IJÄHNKE L K , § 221 R d n . 3; HORN S K , § 221 R d n . 3.

2. Einzelheiten des Tatbestandes Der Tatbestand enthält zwei Alternativen:

a) Das Aussetzen einer wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflosen Person. Hilflos ist eine Person, die außerstande ist, sich aus eigener Kraft vor einer drohenden Lebensgefahr zu schützen. - In jugendlichem Alter sind Neugeborene und Kleinkinder, darüber hinaus kommt es auf den Entwicklungsstand und die Anforderungen der Tatsituation an; dazu BGHSt 21S. 44 ff. - Gebrechlichkeit ist die durch Alter, körperliche Leiden oder Beschwerden begründete stark herabgesetzte körperliche Betätigungsmöglichkeit. - Krankheit ist ein pathologischer Zustand, der z. B. auch starke Trunkenheit umfaßt. - Aussetzen ist das Verbringen des Hilflosen in eine konkrete Lebensgefahr begründende oder steigernde Lage.

b) Das Verlassen einer solchen Person in hilfloser Lage, wenn sie in der Obhut des Täters steht oder er für ihre Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme zu sorgen hat. In hilfloser Lage ist das Opfer, wenn es schutzlos der Lebensgefahr preisgegeben ist. Zur Begründung der Obhuts- und Beistandspflichten sind die Grundsätze heranzuziehen, die für die Entstehung einer Garantenpflicht gelten; BGHSt 26 S. 37.

Str. ist, ob das Verlassen eine räumliche Trennung voraussetzt oder nicht. Beispiel: Die Krankenschwester K verweilt untätig am Bett des Kranken, als dessen Lage sich verschlechtert und zu seiner Rettung ein kreislaufbelebendes Mittel gegeben werden müßte. Soll hier wirklich die Haftung gemäß § 221 davon abhängen, ob K aus dem Zimmer geht oder nicht?

Die Strafwürdigkeit des Verhaltens ist nicht davon abhängig, ob der zur Hilfe Verpflichtete sich räumlich von dem Schutzbedürftigen trennt oder

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Delikte gegen das Leben

nicht. Maßgeblich ist, daß der Verpflichtete den Schutzbedürftigen im Stich läßt. So auch: H A L L SchwZStr 46 (1932) S. 353; MAURACH/SCHROEDER

B.T. I,

§ 411B 2;

SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 2 2 1 R d n . 7 . A . A . : D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 2 1 R d n . 6 ; GEILEN J Z

1973 S. 3 2 4 ; HORN S K , § 2 2 1 R d n . 7;JAHNKE L K , § 2 2 1 R d n .

13.

II. Besondere Probleme des Tatbestandes 1. Die „an sich rechtmäßige" Aussetzungshandlung Verbringt jemand einen anderen in Ausübung eines Rechtes, z. B. des Hausrechts, in eine lebensgefährliche Lage, so liegt zwar eine Aussetzungshandlung i. S. des § 221 Abs. 1,1. Alt. vor, jedoch ist das Verhalten nicht rechtswidrig und begründet auch keine Garantenposition dem Betroffenen gegenüber, denn der Handelnde erweitert seinen Rechtsbereich nicht auf Kosten des anderen. Darüber hinaus ist zu beachten, daß niemand gegen seinen Willen mit einer Obhutspflicht i. S. des § 221 belastet werden kann. - Das Verhalten begründet allerdings eine Haftung nach § 323 c, denn die allgemeine Solidaritätspflicht entsteht unabhängig davon, ob die Unglückssituation rechtmäßig oder rechtswidrig herbeigeführt wurde. K G J R 1 9 7 3 S . 7 2 mit Anm. SCHRÖDER S . 7 3 f: Der Gastwirt G setzte den volltrunkenen Gast K , dem er wegen Zechprellerei einen Denkzettel geben wollte, in teilweise entkleidetem Zustand auf die Straße und überließ ihn dort seinem Schicksal. K G : K war infolge einer durch Alkoholgenuß bedingten hochgradigen Bewußtseinsstörung krank i. S. des § 221. Wegen dieses Zustandes war er hilflos. In dem Verbringen des hilflosen K aus seiner bisherigen verhältnismäßig gesicherten Lage in dem Lokal in eine ihn gefährdende Lage auf der Straße liegt ein Aussetzen des K durch G. SCHRÖDER erkennt durchaus die Problematik, die darin liegt, daß G nicht verpflichtet war, den K in seinen Räumen zu dulden, er ihn „an sich" in Ausübung seines Hausrechts vor die Tür setzen durfte. Er stellt die Frage, „ob man mit der Konsequenz des § 221 StGB eine illegale Situation beseitigen darf, kommt dann aber zu dem Ergebnis, daß die Rechtsausübung durch G angesichts der möglichen Folgen einen Rechtsmißbrauch darstellt. Diese Konstruktion wird der Problematik nicht gerecht. - Als G den K hinaussetzte, verletzte er keine Obhutspflicht dem K gegenüber, sondern übte sein Hausrecht aus. Die Tatsache, daß K dadurch in eine hilflose Lage geriet, ändert die rechtliche Bewertung nicht. Auch ein Verlassen i. S. des § 221 Abs. 1,2. Alt. kommt nicht in Betracht, weil G mit dem Hinausbefördern des K nicht den ihm rechdich gewährten Handlungsspielraum auf Kosten des K ausdehnte. Da K jedoch in eine Unglückssituation i. S. des § 323 c geriet, war G, wollte er eine Haftung aus § 323 c vermeiden, wie jeder Dritte verpflichtet, dem K aus dieser

§ 11 Völkermord

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Situation zu helfen. Indem er dieser Pflicht nicht sogleich nachkam und für die Sicherheit des K sorgte, machte er sich strafbar gemäß § 323 c.

2. Die Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen Beide Alternativen des Tatbestandes können durch positives Tun und Unterlassen begangen werden. Problematisch ist allerdings eine Begründung der Obhutspflicht aus vorangegangenem Tun. Nach einhelliger Meinung ist der Tatbestand des Aussetzens nicht erfüllt, wenn das Opfer erst durch die Aussetzungshandlung zur hilflosen Person wird. So, wenn der Kapitän den gesunden blinden Passagier auf einer einsamen Insel aussetzt. Dazu: OLG Hamm VRS 19 S. 431; BOCKBLMANN B.T. 2, § 13 IIJAHNKE LK, § 221 Rdn. 8.

Diese einhellig anerkannte Absicht des Gesetzgebers wird unterlaufen, wenn die erste nicht tatbestandsmäßige Gefährdungshandlung als vorangegangenes gefährliches Tun bewertet wird, mit der Konsequenz, daß nach Eintritt der Hilflosigkeit eine Garantenstellung entsteht. Konsequenz im Beispielsfall: Nach zwei Tagen, als der ehemals gesunde Passagier durch Sonneneinwirkung und Hunger krank ist, muß der Kapitän zurückkehren, will er sich nicht nach der 2. Alt. des § 221 strafbar machen.

Will man diese Konsequenz vermeiden und ernst machen mit dem Satz, daß § 221 ausscheidet, wenn die Hilflosigkeit allein durch das Verhalten des Täters herbeigeführt wird, so muß man eine Begründung einer Obhutspflicht durch vorangegangenes Tun ablehnen; einschränkend auch BGH NStZ 1983 S. 454. 3. Aussetzung in der Situation des § 217 Hat eine Mutter ihr nichteheliches Kind gleich nach der Geburt ausgesetzt und damit fahrlässig den Tod des Kindes herbeigeführt, so sperrt der mildere Strafrahmen des § 217 die Anwendung des Strafrahmens nach § 221 Abs. 3- Dieser Strafrahmen ist bis zum Mindestmaß des § 217 Abs. 2 zu unterschreiten. S o a u c h : KREY B . T . I, S. 4 7 ; LACKNER S t G B , § 2 2 1 A n m . 7; H O R N S K , § 2 2 1 R d n . 19. - A . A . : DREHER/TRÖNDLE § 2 2 1 R d n . 11.

§ 11: Völkermord I. Das geschützte Rechtsgut § 220 a schützt nicht in erster Linie das Leben, sondern den humanitären Gedanken. Systematisch gehört er daher nicht zu den Tötungsdelikten.

Delikte gegen das Leben

50

II. Die Bedeutung des Tatbestandes 1. Praktisch ist der Tatbestand als Vorschrift des nationalen Strafrechts nutzlos, denn die Tathandlung kann bereits nach anderen Vorschriften bestraft werden. Geschieht dies jedoch nicht, so deshalb, weil der Täter mit Hilfe oder mit Billigung des Staates, auf dessen Gebiet er handelt, tätig wird. Dann aber erfolgt mit Sicherheit auch keine Bestrafung g e m ä ß § 220 a. 2. Bedeutung kann die Vorschrift, die entsprechend Art. II der Internationalen Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes v o m 9.12.1948 in das Gesetz eingeführt wurde, aber als Ansatzpunkt zu einem Völkerstrafrecht erlangen. Dazu: TRIFFTERER Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg, 1966, S. 192 ff; J E S C H E C K A. X, § 14.

§ 12: Zur Wiederholung 1. Welches ist das geschützte Rechtsgut der Tötungstatbestände? - Dazu §2,1. 2. Wie bestimmt die h.L. das Verhältnis der §§211,212,213 zueinander und wie der BGH? - Dazu § 2, 2. 3. Was spricht gegen die Interpretation auch der 1. Alternative des § 213 als bloße Strafzumessungsregel? - Dazu § 2, 2 a. 4. Worin besteht die sachliche Berechtigung für die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte in einen Grundtatbestand, eine Qualifizierung sowie Privilegierungen? Dazu § 2, 3. 5. Auf welche Weise ermöglicht der BGH ein Absehen von lebenslanger Freiheitsstrafe, obwohl er das Vorliegen einer heimtückischen Tötung bejaht? - Dazu 6. Kann Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord als Teilnahme an einem Tötungsdelikt bestraft werden? - Dazu § 3, 1. 7. Sind die Mordqualifikationen als Schuld- oder als Unrechtsmerkmale anzusehen? - Dazu § 4 I. 8. Welche drei Gruppen von Mordmerkmalen unterscheidet das Gesetz? Dazu § 4 II. 9. Was ist unter „Mordlust" zu verstehen? Dazu auch § 4 II 1 a. 10. Welche Fälle werden unter dem Merkmal „zur Befriedigung des Geschlechtstriebes" erfaßt? - Dazu § 4 II 1 b. 11. Was ist das wesentliche Kennzeichen der niedrigen Beweggründe? - Dazu § 4 II 1 d. 12. Wie definiert die Rechtsprechung das Merkmal „Heimtücke"? Welche Ansichten werden im Schrifttum vertreten? - Dazu § 4 II 2 a. 13. Was ist ein „gemeingefährliches Mittel"? - Dazu § 4 II 2 c. 14. Worin besteht das grundsätzliche Problem des Merkmals „um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken"? - Dazu § 4 II 3 c, bb.

§ 12 Zur Wiederholung

51

15. Welcher Straftatbestand kommt in Betracht, wenn der Täter zur Tötung bereits fest entschlossen ist, bevor das Opfer sie ernstlich und ausdrücklich verlangt? - Dazu § 6 I 2 a, cc. 16. Welche dogmatischen Konstruktionen werden zur Lösung des Problems der schmerzlindernden Lebensverkürzung (indirekte Euthanasie) vertreten? Dazu § 6 II 3. 17. Kann nach § 222 bestraft werden, wer durch fahrlässiges Verhalten den Selbstmord eines anderen ermöglicht oder unterstützt? - Dazu § 6 III 2 b. 18. Ist die Selbstmordsituation als Unglücksfall i. S. d. § 323 c anzusehen ? - Dazu § 6 III 3. 19. In welchen Fällen begründet pflichtwidriges Verhalten keine dem Täter zurechenbare Gefahr für den Eintritt einer Rechtsgutsverletzung? Dazu § 9, 2. 20. Welche Problematik verbirgt sich hinter dem Stichwort der „an sich rechtmäßigen" Aussetzungshandlung? - Dazu § 10 II 1.

Zweiter Abschnitt Delikte gegen das Leben des werdenden Menschen § 13: Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung 1. Die Entscheidung des Gesetzgebers Mit dem 5. Strafrechtsreformgesetz vom 18 J u n i 1974 hatte der Gesetzgeber den Versuch unternommen, auch in der Bundesrepublik Deutschland die sog. Fristenlösung (Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft) durchzusetzen. Dieses Gesetz ist jedoch nie in Kraft getreten, denn mit dem Urteil vom 25.2. 1975, BVerfGE 39 S. 1 ff, hat das BUNDESVERFASSUNGSGERICHT das Gesetz für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt. Der Gesetzgeber hat daraufhin durch Gesetz vom 18. 5.1976 (15. Strafrechtsänderungsgesetz) die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vorgenommen. Diese Regelung ist keineswegs eine reine Indikationslösung, sondern enthält Elemente einer Indikations- und einer Fristenlösung. Im einzelnen dazu: BEULKE FamRZ 1976 S. 596 ff; G Ö S S E L J R 1976 S. 1 ff; LACKNER NJW 1976 S. 1233 ff; LENCKNER in: Eser/Hirsch, Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch, 1980, S. 173 ff; R O X I N J A 1981 S . 226 ff; S A X J Z 1977 S. 326 ff; R . SCHMITT FamRZ 1976 S. 595 f. Weitere Angaben zu den einzelnen Phasen des Gesetzgebungsverfahrens bei DREHER/TRÖNDLE V o r § 2 1 8 R d n .

1-4.

2. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Geschütztes Rechtsgut des § 218 a. F. war allein das werdende Leben. Das kam unmißverständlich in der Kennzeichnung der Tathandlung als „Abtöten der Leibesfrucht" zum Ausdruck. Dieses klare Bekenntnis zum Schutz des werdenden Lebens hat der Gesetzgeber bewußt nicht wiederholt. Wie die zeidiche Differenzierung des straffreien Abbruchs der Schwangerschaft in § 218 a zeigt, sind nunmehr auch Gesundheitsinteressen und Entscheidungsfreiheit der Schwangeren mitberücksichtigt, ohne daß sich jedoch im einzelnen der Regelung entnehmen ließe, worin der Schutz dieses Gesundheitsinteresses, z. B. gegen den Willen der Schwangeren, seine Berechtigung findet, denn vergleichbare Schädigungen der Gesundheit der Schwangeren auf andere Weise sind im Regelfall durch ihre Einwilligung gerechtfertigt. Man kann daher feststellen, daß die Berücksichtigung der gesundheidichen Interessen und der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren die Formulierung der Gesetzestat-

§ 13 Abbruch der Schwangerschaft

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bestände beeinflußt hat. Den Rang eines in den §§ 218 ff eigenständig geschützten Rechtsguts haben diese Interessen damit jedoch nicht erlangt. Geschütztes Rechtsgut der §§ 218 ff ist das ungeborene Leben. V g l . : B G H S t 28 S. 15;JAHNKE L K , V o r § 218 R d n . 16; RUDOLPHI S K , V o r § 218 R d n . 2 5 ; SCHMIDHAUSER B. T., 3 / 1 - 3 ; WESSELS B . T.-L, § 4 II. A . A . : DREHER/TRONDLE V o r § 218 R d n . 6; MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 5 I V ;

SCHONKE/SCHRÖDER/ESBR Vorbem. §§ 218 ff R d n . 7; WEBER in: Arzt/Weber, L H 1,

Rdn. 360.

b) Taugliches Angriffsobjekt ist die Leibesfrucht erst nach der Nidation. Gemäß § 219 d gelten Handlungen, die sich gegen die Einnistung des Eies in der Gebärmutter richten, noch nicht als Schwangerschaftsabbruch i. S. des Gesetzes. - Damit ist klargestellt, daß nidationshindernde Maßnahmen der Empfängnisverhütung nicht von § 218 erfaßt werden. 3. Die Systematik des Gesetzes a) Der Grundtatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ist in § 218 Abs. 1 beschrieben. aa) Eine Strafschärfung ist in den Regelbeispielen gemäß § 218 Abs. 2 (Handeln gegen den Willen der Schwangeren, leichtfertige Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren) vorgesehen. bb) Die Tat der Schwangeren ist als privilegierter Tatbestand in § 218 Abs. 3 S. 1 erfaßt. b) Ein speziell auf den Schwangerschaftsabbruch bezogener Rechtfertigungsgrund ist der medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a Abs. 1. c) Strafausschließungsgründe aa) Objektive Strafausschließungsgründe stellen der eugenisch, ethisch und sozial indizierte Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a Abs. 2 dar; Str., vgl. sogleich unten III 2 b. bb) Einen persönlichen Strafausschließungsgrund räumt der Schwangeren darüber hinaus § 218 Abs. 3 S. 2 ein. d) Möglichkeit des Absehens von Strafe Unabhängig von den bisher genannten Fällen der Rechtfertigung oder des Strafausschlusses ermöglicht § 218 Abs. 3 S. 3 in Fällen „besonderer Bedrängnis" ein Absehen von Strafe. e) Der Versuch der Abtreibung ist strafbar, § 218 Abs. 4 S. 1. - In der Person der Schwangeren bleibt der Versuch straffrei. Es handelt sich hier um einen persönlichen Strafausschließungsgrund, so daß Teilnehmer am Versuch der Schwangeren strafbar bleiben.

54

Delikte gegen das Leben des werdenden Menschen

f) Die subsidiären §§ 218 b, 219 sollen die Beratungs- und die Indikationsfeststellung gewährleisten. g) § 219 a soll die Indikationsfeststellung gegen unrichtige ärztliche Feststellungen absichern. h) §§ 219 b, 219 c stellen bestimmte Teilnahmehandlungen im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs als abstrakte Gefährdungsdelikte unter Strafe. II. Abbruch der Schwangerschaft, § 218 1. Die Tathandlung a) § 218 Abs. 1 beschreibt die tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl des Abbruchs der Schwangerschaft durch einen Dritten (Fremdabtreibung) als auch den in der Rechtsfolge gemäß Abs. 3 S. 1 privilegierten Abbruch der Schwangerschaft durch die Schwangere selbst. b) Die Kennzeichnung der Tathandlung als „Abbruch der Schwangerschaft" ist zwar konsequent, wenn vorausgesetzt wird, daß es hier nicht mehr allein um den Schutz des werdenden Lebens geht. Sachlich ist die Bezeichnung gleichwohl nur angetan, Mißverständnisse herbeizuführen, denn nach wie vor ist die relevante Tathandlung das Abtöten der Leibesfrucht. An dieser Zielsetzung fehlt es, wenn die Schwangerschaft unterbrochen wird, indem der Eintritt der Geburt durch wehenfördernde Mittel beschleunigt oder durch ärztlichen Eingriff die Geburt eines lebensfähigen Kindes angestrebt wird, auch wenn der Eingriff mißlingt und das Kind tot zur Welt kommt. D a z u : LACKNER N J W 1 9 7 6 S. 1 2 3 5 ; LÜTTGERJR 1 9 7 1 S . 133; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ ESER § 2 1 8 R d n . 5.

c) Das Zulassen des Abbruchs durch die Schwangere ist - aufgrund des Ermöglichens der Tat - im Regelfall arbeitsteiliges Anstreben des Erfolges und daher als mittäterschaftlicher Abbruch der Schwangerschaft erfaßbar. V g l . : DREHER/TRONDLE § 2 1 8 R d n . 8;JÄHNKE L K , § 2 1 8 R d n . 16; MAURACH/ SCHROEDER B . T . I, § 6 II 1; R O X I N J A 1 9 8 1 S. 5 4 2 ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 2 1 8

Rdn.

16.

2. Die Rechtfertigung Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe werden durch § 218 a Abs. 1 dazu sogleich unter III - nicht ausgeschlossen. - Die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch der Schwangerschaft hat allerdings keine rechtfertigende Wirkung, unabhängig davon, ob man das werdende Leben als isoliertes Rechtsgut oder werdendes Leben und Körper der Schwangeren als Einheit begreift, folgt dies aus der Tatsache, daß die Tat der Schwangeren grundsätzlich unter Strafe gestellt ist. - § 34 ist auch in

55

§ 13 Abbruch der Schwangerschaft

Fällen des Abbruchs der Schwangerschaft anwendbar. Der Regelung des § 218 Abs. 1 ist jedoch zu entnehmen, daß der Gesetzgeber dem Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt Vorrang einräumt, so daß die Fälle „einer nicht anders abwendbaren Gefahr" selten sein dürften. V g l . : MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 6 I 2 .

3• Die Privilegierung der Schwangeren Gemäß Abs. 3 Satz 1 ist die Strafe in der Person der Schwangeren gemildert. Der Gesetzgeber trägt damit ihrer persönlichen Konfliktsituation Rechnung. - Volle Straffreiheit erlangt die Schwangere gemäß Abs. 3 Satz 2, wenn sie den Abbruch nach vorheriger Beratung innerhalb 22 Wochen seit Empfängnis von einem Arzt durchführen läßt. Mit Recht ist diese Regelung als „verkappte Fristenlösung" bezeichnet worden, denn entgegen den Forderungen des BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS (BVerfGE 39 S. 1, 48) ist innerhalb der ersten 22 Wochen nach Empfängnis dem Selbstbestimmungsrecht der Frau der Vorrang vor dem Lebensschutz der Leibesfrucht eingeräumt worden. A . A . : LAUFHÜTTE/WILKJTZKJ J Z 1 9 7 6 S . 3 3 0 . N J W

1 9 7 6 S. 1 2 4 2 ;

im übrigen vgl.:

- Dagegen überzeugend: LACKNER DRiZ 1 9 7 5 S . 3 9 8 ;

DEUTSCHER RICHTERBUND

DREHER/TRÖNDLE § 2 1 8 R d n . 8 c ; R O X I N J A 1 9 8 1 S . 2 2 9 , 5 4 2 ; RUDOLPHI S K , V o r § 2 1 8

Rdn.

19

f.

III. Der legale Schwangerschaftsabbruch, § 218 a 1. Die rechtstatsächliche Situation Die Tatsache, daß 1982:77 % (1981:75 % und 1978:67 %) der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche auf die soziale Indikation entfielen, zeigt, daß diese Indikation in zunehmendem Maße großzügig gehandhabt wird. Auf die medizinische Indikation kamen 1982: 17 % (1981: 21 % und 1978: 27,9 %), auf die eugenische 1981: 3 % (1978: 3,7 %) und auf die ethische 1981 nur 0,1 % (1978: 0,1 °/o) der abgebrochenen Schwangerschaften. Insgesamt ist die Zahl der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche seit der weitreichenden Legalisierung im Jahre 1976 fast ständig erheblich gestiegen. Die Zahl der registrierten Abbruche betrug 1977: 54 309,1978: 73548, 1979: 82788, 1980: 87700, 1981: 87535 und 1982: etwa 91100. Unter Berücksichtigung der nicht gemeldeten sowie der im Ausland vorgenommenen Eingriffe ergibt sich eine geschätzte Zahl von 150000 Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr. Vgl.: GRCJNWALD Auswirkungen der Neufassung des § 218 StGB, 1982; R O X I N J A 1981S. 231; W E S S E L S B. T.-l, § 4 I V und FAZ v. 7.4.1983, Nr. 80, S. 3 unter Berufung auf amtliches statistisches Material.

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Delikte gegen das Leben des werdenden Menschen

2. Die Voraussetzungen des § 218 a Der legale Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a setzt in jedem Fall die Vornahme des Eingriffs durch einen Arzt sowie die Einwilligung der Schwangeren voraus. - Im übrigen ist zu unterscheiden: a) Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs, § 218 a Abs. 1 Gerechtfertigt ist der Abbruch der Schwangerschaft gemäß § 218 a im Falle der medizinisch-sozialen Indikation gemäß § 218 a Abs. 1. Der Interessenvorrang des Lebens und der Gesundheit der Schwangeren vor dem Leben des Embryos rechtfertigt den Abbruch der Schwangerschaft. Der Schwangerschaftsabbruch muß nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den Erfahrungen der ärztlichen Praxis das geeignete und angemessene Mittel sein, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden. Als Lebensgefahr kommt auch die Selbstmordgefahr in Betracht; vgl. BGHSt 3 S. 7. - Die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes liegt vor bei der Verursachung oder Steigerung einer Krankheit sowie bei einer erst aufgrund einer Gesamtwürdigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse zu prognostizierenden signifikanten Verschlechterung der körperlichen oder seelischen Verfassung der Schwangeren. Aber auch dann ist der Schwangerschaftsabbruch nur gerechtfertigt, wenn die Gefahr nicht auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. b) Der objektive Strafausschließungsgrund des § 218 a Abs. 2 Der in § 218 a Abs. 2 beschriebene eugenisch, ethisch und sozial indizierte Schwangerschaftsabbruch rechtfertigt die Tat entgegen der h. A. nicht, sondern stellt lediglich einen objektiven Strafausschließungsgrund dar. Nicht der eindeutige Interessenvorrang steht hinter der Regelung, sondern die Erkenntnis; daß in diesen Fällen der Schutz des Lebens nicht ohne schweren, aber dubiosen Eingriff in die schutzwürdigen Interessen anderer strafrech dich garantiert werden kann. Die Strafrechtsordnung nimmt daher Abstand, die Pflicht zum Schutz des werdenden Lebens in diesen Fällen mit dem Mittel der Strafe durchzusetzen. - Der Strafausschließungsgrund ist ein sachlicher, nicht nur ein persönlicher, damit sichergestellt ist, daß der Schwangerschaftsabbruch sachgerecht durchgeführt wird. Das Erfordernis der Kenntnis der Indikationslage schließt lediglich die Möglichkeit der Versuchsbestrafung bei den Tatbeteiligten aus, hat aber nicht den Charakter eines subjektiven Rechtfertigungselements.

§ 13 Abbruch der Schwangerschaft

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Vgl. auch: GÜNTHER Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 314 ff (Strafunrechtsausschluß als Ausdruck des Verzichts auf strafrechtliche Mißbilligung der Tat); ARTHUR KAUFMANNJUS 1978 S. 366 ff (alle Indikationen stellen „unverbotenes" Verhalten dar); ihm folgend: SCHILDJA 1978 S. 635; SAXJZ 1977 S. 333 (sämtliche Indikationen sind negative Strafwürdigkeitsvoraussetzungen); R. SCHMITTJZ1975 S. 357 (es sei unmöglich, alle Indikationen als Rechtfertigungsgründe einzuordnen). Zur h. A.: BT-Drucks. 7/4696, S. 7; GROPP Der straflose Schwangerschaftsabbruch, 1981;JÄHNKE L K , Vor § 218 R d n . 22 ff; KREY B . T. I, S. 53; LACKNBR S t G B , § 218 a A n m . 1; LAUFHÜTTE/WILKITZKIJZ 1976 S. 331; MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 6 I I I 2 b; ROXINJA 1 9 8 1 S . 2 2 9 ; RUDOLPHI S K , § 218 a R d n . 1; SCHMIDHAUSER B . T., 2 / 3 ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 218 a R d n . 5; WESSELS B . T . - l , § 4 I V

Die Anerkennung aller Indikationen als Rechtfertigungsgründe bedeutet eine erhebliche Belastung der Krankenkassen, die gem. §§ 200 f RVO zur Leistung „bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt" verpflichtet sind. Dieses Ergebnis stößt insbesondere im Bereich der sozial indizierten Schwangerschaftsabbrüche auf erhebliche Kritik. Vgl. z. B.: PHILIPP Abtreibung kostet die Krankenkassen Millionen, in: FAZ v. 25. 1. 1983, Nr. 20, S. 10 sowie Vorlagebeschluß des SG Dortmund NJW 1983 S. 360. aa) Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund eugenischer (embryopathischer oder kindlicher) Indikation ist bis zum Ende der 22. Woche nach der Empfängnis zulässig, § 218 a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3. Dringende Gründe sprechen für die Annahme einer Schädigung, wenn die festgestellten Symptome die konkrete Gefahr der Schädigung befürchten lassen. Maßgeblich ist die Situation der jeweiligen Schwangeren. Läßt sich die Gefahr der Schädigung bei bestimmten Krankheiten nur prozentual nach ärztlichen Erfahrungswerten abschätzen, so muß ein Prozentsatz von 25 % genügen. So auch: BT-PROTOKOLL Sonderausschuß 7/2395; LACKNER StGB, § 218 a Anm. 4 a; MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 6 III 2 d, b b ; RUDOLPHI S K , § 218 a R d n . 3 2 ; a. A . :

BEULKE FamRZ 1976 S. 599 (lehnt jede prozentuale Festlegung ab); DREHER/ TRÖNDLE § 218 a Rdn. 16 (Wahrscheinlichkeitsgrad von etwa 50 %).

Die zu erwartende Schädigung muß so schwer wiegen, daß Pflege und Erziehung des kranken Kindes die Mutter zeitlich, kräftemäßig und wirtschaftlich überfordern würden. bb) Der Schwangerschaßsabbruch aufgrund ethischer (kriminologischer oder humanitärer) Indikation ist bis zum Ende der 12. Woche nach der Empfängnis zulässig, § 218 a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3. Vorausgesetzt wird eine rechtswidrige - nicht notwendig schuldhafte - Tat gemäß §§ 176-179Dringende Gründe, d. h. Annahmen, die auf konkreten Indizien beruhen, müssen dafür sprechen, daß die Schwangerschaft ihren Grund in der Tat hat.

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Delikte gegen das Leben des werdenden Menschen

cc) Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund sozialer Indikation (Notlagenindikation) ist bis zum Ende der 12. Woche nach der Empfängnis zulässig, § 218 a Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3. Nach dem Gesetzeswortlaut muß die Gefahr einer Notlage drohen, die so schwerwiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, und die darüber hinaus für die Schwangere nicht auf andere zumutbare Weise abwendbar ist. Rechtsprechung und Literatur betonen daher auch, daß wirtschaftliche oder familiäre Schwierigkeiten, soweit sie nicht extrem sind, insbesondere z. B. der Wunsch, die berufliche Karriere nicht zu beeinträchtigen oder den bisherigen Lebensstandard nicht zu gefährden, keine soziale Indikation begründen können. Vgl.: BVerfGE 39 S. 50; BayObLG MDR 1978 S. 951; DREHER/TRÖNDLE § 218 a R d n . 2 6 ; MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 6 III 2 d, dd; ROXINJA 1981S. 2 3 0 ; RUDOLPHI

SK, § 218 a Rdn. 43; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 218 a Rdn. 47. Im einzelnen vgl. Überblick bei JÄHNKE LK, § 218 a Rdn. 65 ff.

In der Praxis ist die Notlagenvoraussetzung vielfach zur Farce geworden. Jede Beeinträchtigung der „Persönlichkeitsentfaltung" wird letztlich als hinreichende Notlage akzeptiert. Geradezu mit Empörung werden in der sog. emanzipatorischen Literatur Fälle geschildert, in denen Ärzte oder Beratungsstellen eine dem Gesetzeswortlaut entsprechende Notlage fordern. Vgl. z. B.: FRAUENAKTION DORTMUND ( F A D ) Schwangerschaft und der neue

§ 218,1976, S. 126 ff; KONIG Gewalt über Frauen, 1980, S. 172 f, 185 f, 259 ff; PRO FAMILIA BREMEN Wir wollen nicht mehr nach Holland fahren, 1980. Kritisch zur Interpretation der sozialen Indikation durch „Pro Familia" auch: TALLEN § 218, Zwischenbilanz einer Reform, 1980, S. 38 ff.

3. Mitwirkungspflicht Dritter Nach Art. 2 des 5. StrRG ist niemand verpflichtet, an einem legalen Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, es sei denn, es gilt von der Schwangeren eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden. In allen anderen Fällen ist auch ein Arzt nicht zur Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch verpflichtet. IV. Das Beratungs- und Feststellungssystem des Gesetzes, §§ 218 b, 219, 219 a 1. Verstöße gegen das für die Zulassung des Eingriffs vorgeschriebene Verfahren erfassen die §§ 218 b (Verstoß gegen die Beratungspflicht), 219, 219 a (Verstoß gegen die Feststellungspflicht).

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a) § 218 b Abs. 1 umschreibt den Inhalt der erforderlichen sozialen (Nr. l) und ärzdichen (Nr. 2) Beratung. - Abs. 2 zählt die Beratungsstellen auf und nennt die - allerdings im Falle 2 c recht dürftigen - Qualifikationsmerkmale des Beraters. - Abs. 3 erklärt die soziale Beratung für überflüssig, wenn die Indikation medizinisch bedingt ist. Die Strafvorschrift wendet sich im Regelfall an den Arzt, da Laien bereits grundsätzlich nach § 218 Abs. 1 haften, § 218 b Abs. 1. - § 34 ist durch diese Regelung aber nicht ausgeschlossen.

b) § 219 stellt klar, daß der den Eingriff vornehmende Arzt einerseits eigenverantwortlich über das Vorliegen der im Gesetz vorgesehenen Indikation entscheidet, andererseits aber auf die Feststellungen durch einen „neutralen Fachmann" nicht verzichtet wird. Wie die Erfahrungen im Ausland jedoch gezeigt haben, handelt es sich hier nur um einen scheinbar erhöhten Schutz durch einen „neutralen Fachmann", da § 218 b Abs. 2 Nr. 2 c die wechselseitige Arbeitsteilung (Beratung - Vollzug des Eingriffs) zwischen zwei Ärzten durchaus ermöglicht. c) Die unrichtige Feststellung einer Indikation durch den Arzt „wider besseres Wissen" ist nach § 219 a Abs. 1 strafbar. D a z u i m einzelnen: LACKNER N J W 1 9 7 6 S. 1233 ff; LAUFHÜTTE/WILKITZKIJZ 1976 S. 329 ff.

2. Die Schwangere selbst ist in keinem der hier genannten Fälle strafbar, §§ 218 b Abs. 1 S. 2, 219 Abs. 1 S. 2, 219 a Abs. 2. 3. Angesichts der Tatsache, daß in der Situation der §§ 218 b, 219, 219 a der Schwangerschaftsabbruch selbst straflos ist - da nach ihrer Subsidiaritätsklausel die §§ 218 b, 219,219 a nur auf Fälle beschränkt sind, die nicht bereits unter §218 fallen -, kann die Kriminalstrafe kaum als angemessene Reaktion auf diese Pflichtverletzung angesehen werden. Sie hat vielmehr nur noch Alibifunktion gegenüber dem Vorwurf, dem werdenden Leben Strafrechtsschutz zu versagen. Dies zeigt die Kriminalstatistik hinreichend deutlich. Gemäß §§ 219, 219 a ist seit Inkrafttreten des Gesetzes eine einzige Person verurteilt worden, nach § 218 b erfolgten: 1977: 3,1978:1,1979:1,1980:0,1981:0,1982:1, d. h. insgesamt 6 Verurteilungen.

V. Strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs Als abstrakte Gefährdungsdelikte stellen § 219 b die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft und § 219 c das In-Verkehr-Bringen von Mitteln zum illegalen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe.

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Delikte gegen das Leben des werdenden Menschen

VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 1. Grundlagen der Argumentation Aufgrund der Trennung zwischen den Rechtsgütern der Schwangeren und denen des Embryos kommt die h. M. zu dem Ergebnis, daß die Rechtsgüterverletzungen auch dann strafrechtlich nebeneinander zu erfassen sind, wenn der Angriff sich nicht nur gegen den Embryo richtet, sondern zugleich gegen die Schwangere selbst. Ubersehen wird dabei, daß Schwangere und Embryo bis zur Geburt eine natürliche Einheit bilden, die allerdings aus Gründen des Rechtsschutzes gedanklich getrennt werden kann und in den Fällen auch getrennt werden muß, in denen sich der Angriff gegen den Embryo richtet und der Körper der Schwangeren über das zur Tötung des Embryos notwendige Maß hinaus nicht verletzt werden soll. Wird dagegen die Trennung grundsätzlich akzeptiert, so wird einerseits der Strafrechtsschutz überhöht, indem Angriffe gegen das Leben einer Schwangeren auch als Abtreibung des Embryos erfaßt werden, zum anderen jedoch nivelliert, weil fahrlässige Verletzungen des Embryos strafrechtlich nicht erfaßbar sind: Der Schutz der §§ 218 ff setzt einen vorsätzlichen Angriff voraus, der Schutz der §§ 223 ff, 211 ff beginnt erst mit der Geburt. 2. Zur Verdeutlichung a) BGHSt 11S. 15: Der A fuhr mit seinem Kraftwagen von rückwärts seine auf dem Rad fahrende, nichts ahnende schwangere Ehefrau mit voller Wucht an, so daß sie durch die Luft geschleudert wurde und 12 m vom Ort des Anpralls entfernt liegenblieb. Sie erlitt schwere Verletzungen. Ihre Leibesfrucht wurde nicht abgetötet. BGH: A ist wegen versuchten Mordes in Idealkonkurrenz mit versuchter Abtreibung zu bestrafen. Nach der hier vertretenen Auffassung käme nur eine Bestrafung wegen versuchten Mordes in Betracht.

Zur Problematik vgl. auchjAHNKE LK, § 218 Rdn. 8. b) Die im 7. Monat schwangere S begeht einen Selbstmordversuch mit Gift. Als sie besinnungslos ist, wird sie entdeckt. Sofort eingeleitete ärzdiche Maßnahmen führen zur Rettung ihres Lebens, der Embryo ist jedoch nicht mehr zu retten. Ergebnis: Nach der hier vertretenen Konzeption bleibt die S straffrei. - Die h. M. muß die S wegen Abtreibung bestrafen, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 218 Abs. 3 S. 3D a z u e i n e r s e i t s : DREHER/TRÖNDLE § 218 R d n . 5;JAHNKE L K , § 218 R d n . 9 ; ROXIN J A 1 9 8 1 S . 5 4 3 ; RUDOLPHI S K , § 218 R d n . 7; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 218 R d n . 11. A n d e r e r s e i t s : BOCKELMANN B . T. 2, § 2 I 2 b;JESCHECKJZ 1958 S. 7 4 9 ; SCHMIDHÄUSER B . T., 3/15.

§ 13 Abbruch der Schwangerschaft

61

c) BGHSt 28 S. 11 mit Anm. WAGNERJR 1979 S. 295 f: A führte Abtreibungshandlungen durch, indem er Seifenlösungen in die Gebärmutter Schwangerer spritzte. (1) Die U erlitt daraufhin erhebliche Schmerzen und eine Fehlgeburt. (2) Die S erlitt erhebliche Schmerzen, die Abtreibung jedoch führte nicht zu dem gewünschten Erfolg. (3) Die Z stieß aufgrund der Tätigkeit des A einen toten Fetus ab und verstarb selbst. BGH: Fall U: § 218 Abs. 1, verdrängt §§ 223, 223 a. Fall S: §§ 218 Abs. 1, 23, 223 a, 52. Fall Z: §§ 218 Abs. 1, 226, 52. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dem BGH in vollem Umfang zuzustimmen. Die mit der Abtreibung im Regelfall verbundene Körperverletzung gegenüber der Schwangeren wird durch § 218 Abs. 1 konsumiert (Fall U). Kommt es bei der Abtreibung jedoch zu Verletzungen im Sinne der §§ 224, 225, 226, so behalten diese ihre Selbständigkeit (Fall Z). Gelangt die Abtreibung jedoch nur bis zu dem Versuchsstadium, so erhält auch die vollendete Körperverletzung im Sinne des § 223 a ihre eigenständige Bedeutung bei (Fall S), denn sie wird nicht schon bei einer versuchten Abtreibung im Regelfall als vollendete Körperverletzung verwirklicht. d) LG Aachen J Z 1971S. 507 (Contergan-Fall): Während der Schwangerschaft gibt A der S fahrlässig ein Medikament. Dieses bewirkt, daß das Kind lebensfähig, aber verkrüppelt zur Welt kommt. LG Aachen: Die Leibesfrucht als solche ist nicht durch §§ 222, 230 geschützt, sonst wäre § 218 überflüssig. - Ein fahrlässiger Angriff auf die Leibesfrucht kann nicht als fahrlässige Körperverletzung der Mutter erfaßt werden. Es handelt sich um zwei selbständige Rechtssubjekte, die selbständig geschützt sind, wie sich daraus ergibt, daß bei der Tötung einer Schwangeren Abtreibung und Tötung in Idealkonkurrenz stehen. - Aber Mißbildungen, die in der Leibesfrucht angelegt sind, treffen endgültig erst das Angriffsobjekt „Mensch". Nach der hier vertretenen Auffassung wäre der Sachverhalt als fahrlässige Körperverletzung der Schwangeren strafrechtlich zu erfassen gewesen. Im übrigen vgl. die Stellungnahmen von BLEI JA 1971 S. 652; BRUNS HeinitzFestschrift, S. 317 ff; ARMIN KAUFMANN J Z 1971S. 569 ff; LÜTTGERJR 1971S. 136 ff;

TEPPERWIEN Praenatale Einwirkungen als Tötung oder Körperverletzung?, Diss. Tübingen 1973, die alle zu dem Ergebnis kommen, daß fahrlässig zugefügte Schäden nach geltendem Recht straflos sind. Zur Körperverletzung gegenüber der Schwangeren bei Tötung der Leibesfrucht auch: ARZT FamRZ 1983 S. 1020. e) Im übrigen vgl. oben § 2, la.

Dritter Abschnitt Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

§ 14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Die Tat richtet sich gegen einen anderen lebenden Menschen; dazu oben § 2, 1. Zur körperlichen Verletzung des Embryo vgl. oben § 13 I 2.

II. Die Systematik des Gesetzes 1. Der Grundtatbestand der Körperverletzungsdelikte: § 22 3 Abs. 1. Qualifikationen: §§ 223 Abs. 2,223 a, 223 b (soweit er Körperverletzungen betrifft), 225, 229 Abs. 1, 340 Abs. 1. - Erfolgsqualifizierte Körperverktzungsdelikte sind beschrieben in den §§ 224, 226, 229 Abs. 2, 340 Abs. 2. 2. Fahrlässige Körperverletzung: § 230. 3. Die Beteiligung an einer Schlägerei, § 227, ist weniger Körperverletzungsdelikt als ein „Massendelikt" das dem Schutz der Allgemeinheit vor Körperverletzungen dient. 4. § 223 b ist gegenüber den Körperverletzungsdelikten als Sonderdelikt anzusehen, soweit er seelische Qualen betrifft; dazu unten § 20 I.

§ 15: Die Körperverletzung I. Der Tatbestand der einfachen Körperverletzung, § 223 Abs. 1 1. Körperliche Mißhandlung und Gesundheitsbeschädigung Der Tatbestand des § 223 Abs. 1 enthält zwei Alternativen: Die körperliche Mißhandlung und die Gesundheitsbeschädigung. a) Körperliche Mißhandlung ist die „üble unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt wird". BGHSt 1 4 S . 269; D R E H E R / T R Ö N D L H § 223 Rdn. 3; HIRSCH L K , § 223 Rdn. 6; K R E Y B. T . I , S . 62; LACKNER StGB, § 223 Anm. 3 a; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 223 Rdn. 3. H O R N - S K , § 2 2 3 Rdn. 8 - will auch unerhebliche Einwirkungen auf den Körper, sofern sie von einer üblen unangemessenen Gesinnung charakterisiert sind, hierher zählen. Damit wird jedoch die Grenze zur Beleidigung verwischt; dazu auch MAURACH/SCHROEDER B. T . I , § 9 I A 1 b.

63

§ 15 Die Körperverletzung

Die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit braucht nicht notwendig - z. B. bei schmerzunempfindlichen oder vermindert schmerzempfindlichen Personen - mit beträchtlichen Schmerzen verbunden zu sein. Beispiele: das Abscheren des Bartes (a. A. RGSt 29 S. 58), Abschneiden der Haare (BGH N J W 1953 S. 1440), Schläge gegen den Kopf einer Person, die aufgrund einer Geisteskrankheit kein Schmerzempfinden zeigt (RGSt 19 S. 136), Ohrfeige (BGH bei Dallinger, MDR 1973 S. 90l), schweren Ekel erregendes Anspeien (RG GA 58 S . 184; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 223 Rdn. 4. - A. A.: MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 9 I A 1 b ) .

aa) Eine übermäßige Schmerzempfindung (Hyperästhesie) ist bei der Beurteilung der Erheblichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen. - Damit wird der Strafrechtsschutz nicht zu Lasten des Täters ausgedehnt: Kennt der Täter die Hyperästhesie des Opfers nicht, so fehlt es ihm am Vorsatz. Ist sie ihm jedoch bekannt und baut er gerade auf ihr seinen verbrecherischen Plan auf, so trifft die Strafe ihn mit Recht. Wie hier: Rdn. 7.

SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER

§ 223 Rdn. 4 a. -

A . A . : HIRSCH L K ,

§ 223

bb) Seelische Beeinträchtigungen sind nur dann als körperliche Mißhandlung anzusehen, wenn sie sich körperlich auswirken. b) Gesundheitsbeschädigung ist das Herbeiführen oder die Steigerung eines nicht unerheblichen anomalen körperlichen Zustandes, unabhängig von dessen Dauer. - Bloße Störungen des seelischen Wohlbefindens, die keine Verschlechterung des körperlichen Zustandes zur Folge haben, reichen nicht aus. Vgl. z. B.: OLG Hamm MDR 1 9 5 8 S . 9 3 9 ; D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 2 3 Rdn. 6 ; H O R N SK, § 2 2 3 Rdn. 2 3 ; LACKNER StGB, § 2 2 3 Anm. 3 b; MAURACH/SCHROEDER B. T. I , § 9 1 A 1 c . - A . A . : K R E Y B . T . I , S . 6 3 ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 2 2 3 R d n . 6 ; W E L Z E L L b . , § 39

I

1

b.

Beispiele: Erregung von Trunkenheit (BGH N J W 1983 S. 462) oder sonstigen Rauschzuständen (BGH N J W 1970 S. 519), nervliche Zerrüttung durch lautstarkes Anfahren von Lastwagen zur Nachtzeit in Wohngegend (LG Kreuznach BB 1957 S. 93), wiederholte nächtliche Störanrufe (LG Hamburg MDR 1954 S. 630), schwerer Schock (OLG Stuttgart N J W 1959 S. 83l).

2. Der ärztliche Heileingriff BGHSt 11 S. 111: A, der Chefarzt eines Krankenhauses, nahm bei der N eine Operation vor, mit der eine Gebärmuttergeschwulst entfernt werden sollte. Während der Operation ergab sich, daß die Geschwulst nicht auf der Gebärmutter saß, sondern mit ihr fest verwachsen war. Weil sie nicht anders als durch gleichzeitige Ausräumung der Gebärmutter beseitigt werden konnte, entfernte A den ganzen Gebärmutterkörper.

64

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Die Frage, ob der ärztliche Heileingriff eine körperliche Mißhandlung darstellt, ist streitig. a) Die Rechtsprechung geht davon aus, daß der ärztliche Heileingriff stets eine körperliche Mißhandlung darstellt. - Allerdings kann die Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsverletzung durch Einwilligung ausgeschlossen sein. BGHSt 11S. 111; 16 S. 309; OLG Hamm MDR1963 S. 520; OLG Hamburg N J W 1975 S. 603; zustimmend: ARZT in: Arzt/Weber, LH 2, Rdn. 320; BAUMANN N J W 1 9 5 8 S. 2 0 9 3 ; KREY B . T. I, S. 6 7 ff; SCHWALM B o c k e l m a n n - F e s t s c h r i f t , S. 5 4 0 .

b) In der Lehre wird z. T. die Ansicht vertreten, ein lege artis durchgeführter Heileingriff sei niemals eine Körperverletzung: der zu Heilzwecken vorgenommene Eingriff in die körperliche Integrität sei keine „üble unangemessene Behandlung des Körpers", sondern ein sinnvoller, angemessener Eingriff. Dazu: ENGISCH ZStW 58 (1939) S. 5; EB. SCHMIDT 44. DJT-Gutachten, 1962, 4. Teil, S. 188 ff; WELZEL Lb., § 39 I 3 a.

c) Die heute wohl h. L. will hingegen nur in dem gelungenen, zur Heilung führenden, lege artis durchgeführten Heileingriff keine Körperverletzung sehen. D a z u : BOCKELMANN B . T. 2 , § 9 III 2 c, bb; HIRSCH L K , Vor § 2 2 3 R d n . 2 ; MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 8 II 2.

d) Wieder andere verneinen nur dann eine Körperverletzung, wenn der Eingriff nicht zu einem Substanzverlust oder zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation des Patienten geführt hat. D a z u : HARDWIG G A 1 9 6 5 S. 161 ff; SCHRÖDER N J W 1961 S. 9 5 2 ff; SCHONKE/

SCHRÖDER/ESER § 223 Rdn. 32 ff. - Weiter differenzierend: RRAUSS BockelmannFestschrift, S. 574 ff.

e) Stellungnahme: Der lege artis vorgenommene, erfolgreiche Heileingriff führt zu einer Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. Er ist daher keine negative Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und damit auch keine Körperverletzung, selbst wenn es zu einem Substanzverlust kommt. - Der erfolglos gebliebene oder zu einer Verschlechterung führende Eingriff hat hingegen objektiv eine negative Beeinträchtigung der Körperintegrität zur Folge. - Wird „üble unangemessene Behandlung" als körperlich negative unangemessene Behandlung interpretiert und nicht als ein besonderer über die objektive Körperverletzung hinausweisender Handlungsunwert, so muß ein solcher Eingriff als Körperverletzung angesehen werden. Zuzustimmen ist daher der Lehre, die den gelungenen, lege artis durchgeführten Heileingriff nicht als Körperverletzung ansieht; vgl. oben c). f) Der nicht medizinisch indizierte Heileingriff, z. B. eine kosmetische Operation, die nur aus ästhetischen, nicht aber medizinischen Gründen

65

§ 15 Die Körperverletzung

erfolgt, und der nicht lege artis durchgeführte Eingriff sind tatbestandsmäßige Körperverletzungen. D a z u : MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 8 II 5.

g) Die Tatsache schließlich, daß der Täter die Seele des Opfers über den Eingriff in die körperliche Integrität bessern will - A prügelt den boshaften B durch, um seine Seele zu bessern -, ändert nichts daran, daß es sich hier um eine Körperverletzung handelt. H . M . - A . A . : WÜRTENBERGER D R Z

1 9 4 8 S. 2 9 1 ff.

II. Zur Rechtswidrigkeit Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen kommen bei den Körperverletzungsdelikten der Einwilligung und dem Züchtigungsrecht besondere Bedeutung zu. 1. Die Einwilligung a) Voraussetzungen aa) Der Einwilligende muß über das betroffene Rechtsgut verfügen können. bb) Die Einwilligung muß sich auf künftiges Verhalten beziehen. cc) Die Einwilligung muß frei, d. h. ohne Willensmangel, und ernstlich erklärt sein. dd) Der Einwilligende muß sich der Tragweite seiner Entscheidung bewußt sein und den Sachverhalt - Art des Eingriffs, Risiko, Folgen, eingreifende Person - in groben Zügen kennen. ee) Subjektives Merkmal: Kenntnis der Einwilligung durch den Täter. ff) Die Tat - Körperverletzung - darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen, § 226 a. - Die Sittenwidrigkeit der Tat will die h. M. nach dem Zweck der Beeinträchtigung bestimmen. Richtiger ist es jedoch, die Sittenwidrigkeit der Tat nach der Schwere der tatbestandlichen Verletzung zu bestimmen. Eingehender dazu: GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 8 III 1. - Zur Stellung der E i n w i l l i g u n g i m V e r b r e c h e n s a u f b a u : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T., § 8 III 2 .

b) Zur Einübung aa) BayObLG N J W 1961 S. 2072: Bei einem Fußballverbandsligaspiel stießen der Stürmer A und der Torwart M so stark zusammen, daß d e r M einen Bruch des linken Schien- und Wadenbeins erlitt. BayObLG: Erfolgt eine Körperverletzung bei einem gegeneinander ausgetragenen Wettkampf, so ist diese durch Einwilligunggerechtfertigt, soweit sie nicht auf grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verstoß gegen die Regeln beruht. bb) O L G Stuttgart M D R 1972 S. 623: A und N begannen einverständlich eine Prügelei, wobei A dem N mit der Faust eine Platzwunde beibrachte. O L G Stuttgart: Durch Einwilligung sind nicht nur typische Verletzungen bei sportlichen Veranstaltungen gerechtfertigt, sondern auch Körperverletzungen bei

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

normalen körperlichen Auseinandersetzungen, wie sie sich z. B. im Anschluß an einen Bierzeltbesuch ergeben. Auch hier gelten gewisse Kampfregeln, und die Auseinandersetzung ist nicht mit ernster Gefahr für Leib und Leben verbunden. Dazu: ESERJZ 1978 S. 373; SCHILD J u r a 1982 S. 464 ff, 520 ff.

cc) OLG Zweibrücken Blutalkohol 1965/66 S. 388: A und S hatten an einer Betriebsfeier teilgenommen und Alkohol in erheblichen Mengen getrunken. Anschließend fuhr A (l,37 %o Blutalkohol) mit dem Kfz nach Hause. S fuhr mit, obwohl er wußte, daß A getrunken hatte. Es kam zu einem Unfall. S wurde leicht verletzt. OLG Zweibrücken: Ist sich der Mitfahrer der Gefährdung durch die Fahruntüchtigkeit des Fahrers bewußt, so kann im bloßen Mitfahren bereits eine rechtfertigende Einwilligung in die Körperverletzung liegen. Sachgerechter erscheint es hier, eine Unterbrechung des von A begründeten Zurechnungszusammenhangs anzunehmen, da S bewußt das Risiko, das sich in seiner Verletzung realisierte, auf sich nahm. Eingehender dazu: OTTOJUS 1974 S. 710, sowie unten § 80 II 2 c.

2. Das Züchtigungsrecht Voraussetzungen: a) Hinreichender Anlaß zum erzieherischen Eingriff. b) Angemessenheit zur Erreichung des erzieherischen Zwecks, wobei insbesondere Alter, körperliche Konstitution, Geschlecht u. a. zu beachten sind. c) Nur maßvolle Züchtigung kann überhaupt gerechtfertigt werden. d) Subjektiv: Handeln mit Erziehungswillen. Eingehender dazu: GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 8 V 4.

III. Aszendentenverletzung, § 223 Abs. 2 Gemäß § 223 Abs. 2 ist die Körperverletzung qualifiziert, wenn sie sich gegen Aszendenten (Eltern, Großeltern) richtet. IV Zur Bestrafung 1. Der Versuch der einfachen Körperverletzung ist straflos. 2. Antrags- und Privatklagedelikt Die einfache Körperverletzung ist durch das Fehlen besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bedingtes Antragsdelikt, § 232. a) Grundsätzlich setzt die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens einen Strafantrag des Verletzten voraus, §§ 77 ff. Sodann Möglichkeit der Privatklage, § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO, oder, bei „öffentlichem Interesse", das öffendiche Verfahren, § 376 StPO.

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§ 16 Die gefährliche Körperverletzung

b) Ist aber ein „besonderes öffentliches Interesse" zu bejahen, so kann die Staatsanwaltschaft auch ohne Strafantrag die öffendiche Klage erheben, § 232. 3. Kompensation, § 233

Gemäß § 233 besteht die Möglichkeit der Kompensation von leichten Körperverletzungen mit leichten oder fahrlässigen Körperverletzungen oder Beleidigungen, soweit diese auf der Stelle erwidert werden. - Das ist der Fall, solange der durch die Ersttat ausgelöste Erregungszustand anhält. Der Gesetzgeber berücksichtigt damit die Gemütserregung des zuerst Angegriffenen sowie die Tatsache, daß der zuerst Angreifende mit der Reaktion des Angegriffenen bereits „seine Strafe" erhalten hat. a) Kompensationsfähig sind nur Körperverletzungen, die den Unrechtstatbestand der §§ 223, 230 erfüllen und rechtswidrige Beleidigungen gemäß §§ 185 ff. b) Erfolgt die Ersttat durch einen Schuldunfähigen, so ergibt sie keine Kompensationsgrundlage. Die Körperverletzung durch einen Schuldunfähigen zur Vergeltung der Ersttat ist hingegen wirksame Kompensationsgrundlage. Str., vgl. einerseits B.T. I, § 27 III 1.

HORN

SK, § 233 Rdn. 4; andererseits

MAURACH/SCHROEDER

c) Bei irriger Annahme einer Ersttat wird z. T. eine Anwendung des § 233 bejaht, § 16 Abs. 2 analog. Die Gegenmeinung verlangt das tatsächliche Vorliegen einer tatbestandsmäßigen rechtswidrigen Ersttat. Der erstgenannten Meinung ist zu folgen, denn auch wenn § 233 keine Notwehrlage betrifft, handelt es sich doch um Verhaltensweisen im Grenzbereich zur Notwehr, die § 233 unter privilegierende Strafzumessungsgrundsätze stellt. Str., vgl. einerseits MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 27 III 1; andererseits 1968 S. 660 (Zur entsprechenden Problematik bei § 199).

KÜPERJZ

d) § 233 findet auch Anwendung, wenn der behauptete erste Angriff nicht erwiesen ist. Als privilegierende Strafzumessungsregel betrifft § 233 materielles Strafrecht, auf das der Grundsatz in dubio pro reo Anwendung findet. Dazu: BGHSt 10 S. 373 (Zur entsprechenden Problematik bei § 199).

§ 16: Die gefahrliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 223 a Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, § 223 a, qualifiziert den § 223 Abs. 1 wegen der gefährlichen Begehungsweise der Körperverletzung.

68

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Bei der Körperverletzung mittels einer Waffe, eines Messers oder anderen gefährlichen Werkzeugs handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die Ausführungsweise der Körperverletzung muß die Gefahr einer erheblichen Körperverletzung begründen. - Bei den drei anderen Ausführungsweisen (hinterlistiger Überfall, von mehreren gemeinschaftlich, das Leben gefährdende Behandlung) genügt die Begründung der abstrakten Gefahr einer erheblichen Körperverletzung. Einheitlich als konkretes Gefährdungsdelikt wird § 223 a interpretiert von § 223 a Rdn. 3; LAMPE ZStW 83 (l97l) S. 177 ff.

HIRSCH L K ,

II. Die einzelnen Tatmittel 1, Gefährliches Werkzeug Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ist das gefährliche Werkzeug der Oberbegriff der 1. Ausführungsart, während die Waffe und das Messer nur Beispiele für besonders gefährliche Werkzeuge sind. Das Werkzeug muß nach der konkreten Art seiner Anwendung geeignet sein, erhebliche Verletzungen zuzufügen. - Gefährliche Werkzeuge im Sinne der Vorschrift sind nicht nur mechanisch wirksame Objekte, sondern alle Gegenstände, deren Verwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Aus dem Wortsinn Werkzeug" wird z. T. geschlossen, daß das Werkzeug ein beweglicher Gegenstand sein müsse. Vom Zweck der Vorschrift, konkret gefährliche Körperverletzungen zu vermeiden, ist diese Differenzierung nicht überzeugend. Körperteile sind keine Werkzeuge i. S. des § 223 a; BGH GA1984 S. 124 f. Als Unterfall des gefährlichen Werkzeugs ist die Waffe hier als Waffe im technischen Sinne zu verstehen. Beispiele: Schuh, bei Tritt in das Gesicht oder in den Unterleib (BGH bei Dallinger, MDR 1971 S. 16); Kleiderbügel, bei Schlägen ins Gesicht, nicht hingegen bei Schlägen aufs Gesäß (BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 367); Zange oder Schere, bei Stößen gegen den Körper, nicht hingegen, wenn eine ärztliche Zange bei einer Operation verwendet wird, da durch die sachgerechte Verwendung eines Werkzeugs bei einer Operation gerade erhebliche, über den Eingriff hinausgehende Verletzungen vermieden werden sollen (vgl. auch BGH NJW 1978 S. 1206); Salzsäure, beim Spritzen ins Gesicht einer Person (BGHSt 1 S. l); Brennspiritus, wenn er als Trinkalkohol ausgeschenkt wird (BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 526); erhitzter Kochherd, auf den jemand mit bloßem Hintern gesetzt wird (a. A. RGSt 24 S. 372); Wand, gegen die der Kopf einer Person geschlagen wird (a. A. BGHSt 22 S. 235; - dazu auch R. SCHMITTJZ 1969 S. 304; STREEJura 1980 S. 284 ff); Zeltstange eines Festzeltes (a. A. BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 987).

2. Hinterlistiger Überfall Hinterlistig ist ein Überfall, d. h. ein unvorhergesehener Angriff, bei dem

§ 16 Die gefährliche Körperverletzung

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der Täter seine Angriffsabsicht planmäßig verdeckt, z. B. durch Vortäuschen von Friedfertigkeit. Bloßes Ausnutzen der Überraschung genügt nicht; BGH bei Holtz, MDR1981S. 267. - Darüberhinaus ist zu fordern, daß der Angriff die abstrakte Gefahr einer erheblichen Körperverletzung enthält (Deliktsnatur des § 223 a!). Beispiele: Faustschläge gegen das nichtsahnende Opfer von hinten: kein hinterlistiger Überfall (OLG Schleswig SchlHA 1953 S. 245); desgleichen: plötzlicher Angriff auf eine gegenüberstehende Person (BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267). Dagegen: plötzlicher Überfall nach vorherigem freundschaftlichem Gruß (BGH bei Daliinger, MDR 1956 S. 526). 3. Die von mehreren gemeinschaftlich begangene Körperverletzung

Nach h. M. müssen mindestens 2 Personen als Mittäter mitwirken. Vgl. z. B.: BGH LM Nr. 2 zu § 223 a (zweifelnd allerdings BGHSt 23 S. 122); § 223 a Rdn. 4 ; LACKNER StGB, § 223 a Anm. 4 ; M A U R A C H /

DREHER/TRÖNDLE

SCHROEDER B . T . I , § 9 I I A

3.

Richtig erscheint es demgegenüber, das Zusammenwirken eines Täters und eines Gehilfen genügen zu lassen, die gemeinschaftlich am Tatort tätig sind, da auch in dieser Situation die Abwehrbereitschaft des Opfers durch die Verteidigung gegen mehrere Angreifer geschwächt ist. S o z . B . B A U M A N N J U S 1 9 6 3 S . 5 1 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE § 2 2 3 a R d n . 1 1 ; STREE

Jura 1980 S. 290. 4. Lebensgefährdende

Behandlung

Eine lebensgefährdende Behandlung liegt vor, wenn die konkrete Handlungsweise eine abstrakte Lebensgefahr begründet. Beispiele: Würgegriff am Hals (BGH GA1961S. 24l); Anfahren mit Kfz (BGH VRS 14 S. 286); Abschütteln vom Moped (BGH bei Daliinger, MDR 1957 S. 652); schwere Schläge mit der Faust an den Kopf einer Frau (OLG Köln NJW 1983 S. 2274).

III. Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Umstände erfassen, aus denen sich die Gefahr ergibt. - Bei der ersten Begehungsweise muß der Täter daher wissen, daß das Werkzeug nach seiner konkreten Anwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Bei den anderen Begehungsweisen muß der Täter sich der jeweils abstrakten Gefahr bewußt sein. Str. - Wie hier: B A C K M A N N MDR 1976 S. 976; HERDEGEN BGH-Festschrift, S. 203; StGB, § 223 a Anm. 6.

LACKNER

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Kenntnis der Umstände, aus denen die Gefährlichkeit sich objektiv ergibt, lassen genügen: für die erste Begehungsweise: BGHSt 19 S. 352; DRIHER/TRÖNDLE § 223 a Rdn. 6; HORN SK, § 223 a Rdn. 15; für die vierte Begehungsweise: BGHSt 19 S. 3 5 2 ; 2 8 S. 17; DREHER/TRÖNDLE § 2 2 3 a R d n . 6 ; HORN S K , § 2 2 3 a R d n . 2 7 ; MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 9 II A 3.

§ 17: Schwere und beabsichtigte schwere Körperverletzung I. D e r Aufbau der §§ 224, 225

1. Schwere Körperverletzung, § 224 § 224 qualifiziert den Grundtatbestand des § 223 aufgrund der Schwere des Erfolges. Er ist erfolgsqualifiziertes Delikt. a) In der schweren Folge muß sich eine in der Körperverletzungshandlung typischerweise angelegte Gefahr realisiert haben. Die Problematik der Zurechnung der schweren Folge entspricht hier der des § 226; vgl. zur Auseinandersetzung daher unten § 18 I 1.

b) Hinsichdich der schweren Tatfolge muß dem Täter mindestens Fahrlässigkeit zur Last fallen, § 18.

2. Beabsichtigte schwere Körperverletzung, § 225 § 225 qualifiziert den § 224 wegen des erhöhten subjektiven Unrechts. Der Täter muß die schwere Folge absichtlich (dolus directus) herbeigeführt haben. II. D i e einzelnen Merkmale

1. Verlust eines wichtigen Gliedes, des Sehvermögens, des Gehörs, der Sprache oder der Zeugungsfähigkeit a) Wichtiges Glied ist ein Körperteil mit herausgehobener Funktion im Gesamtorganismus. Das sind nicht nur die durch Gelenke verbundenen äußeren Körperteile (z. B. Daumen oder Zeigefinger), sondern auch innere Organe, z. B. die Niere. Denn entscheidend für die Qualifizierung ist die Schwere der körperlichen Schädigung, nicht aber eine formale Unterscheidung nach äußeren und inneren Organen. So auch: OLG Neustadt NJW 1961 S. 2076; DREHER/TRÖNDLE § 224 Rdn. 4; EBERTJA 1 9 7 9 S. 2 7 8 ; WESSELS B . T . - L , § 5 I V 1 . - A . A . : B G H S t 2 8 S. 1 0 0 ; HIRSCH J Z 1 9 7 9 S. 1 0 9 ; HORN S K , § 2 2 4 R d n . 5.

Wichtig bestimmt die h. M. aus der Sicht des individuell Betroffenen (wichtig z. B. der kleine Finger des Pianisten), während die Gegenmeinung die Wichtigkeit aus der Funktion für den Gesamtorganismus

§ 17 Schwere und beabsichtigte schwere Körperverletzung

71

bestimmt. - Der h. M. ist zuzustimmen, denn sie eröffnet den sachgerechteren Schutz des individuellen Opfers, ohne dem Täter ein unangemessenes Risiko anzulasten, da sich seine Fahrlässigkeit, bzw. im Rahmen des § 225 seine Absicht, auf die Voraussetzungen, die das Glied zu einem wichtigen machen, beziehen muß. Zur Auseinandersetzung: HIRSCH LK, § 224 Rdn. 9.

Verloren ist das Glied bei dauernder Unbrauchbarkeit, unabhängig davon, ob es vom Körper völlig abgetrennt ist oder nicht. S o u. a. a u c h : MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 9 II B 2. - A . A . : DREHER/TRONDLE

§ 224 Rdn. 3.

b) Ein Verlust des Seh- oder Hörvermögens liegt vor, wenn dies auf einen im täglichen Leben nicht mehr wesentlichen Rest reduziert ist (Verminderung des Sehvermögens um 20 % noch nicht relevant; AG Köln MDR 1981 S. 780). - Zeugungsfähigkeit ist im Sinne der Fortpflanzungsfähigkeit zu verstehen. - Bei der Prognose, ob ein Verlust als dauernd angesehen werden kann, ist die Möglichkeit einer zumutbaren operativen Beseitigung zu berücksichtigen. 2. Die dauernde Entstellung Eine erhebliche dauernde Entstellung liegt vor, wenn die Verunstaltung nicht in absehbarer Zeit zu beheben ist. Kann die Entstellung durch künstliche Hilfsmittel beseitigt werden, so ist dies zu berücksichtigen. BGHSt 24 S. 315 (Zahnprothese) mit Anm. HANACKJR 1972 S. 472 ff und ULSENHEIMERJZ 1973 S. 6 4 ff.

3. Der Verfall in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit Verfall ist ein in absehbarer Zeit nicht behebbarer chronischer Krankheitszustand. - Siechtum bedeutet ein Schwinden geistiger und körperlicher Kräfte, das zur allgemeinen Hilflosigkeit führt. - Lähmung ist die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit eines Körperteils, die den ganzen Körper in Mideidenschaft zieht.

III. Versuch und Täterschaft 1. Der Versuch Der Versuch des §225 ist stets strafbar. - Die Möglichkeit des Versuchs des § 224 ist streitig: Strebt der Täter die schwere Folge mit dolus eventualis an, so ist auch nach h. M. ein strafbarer Versuch möglich, da die Situation der eines vorsätzlichen Erfolgsdelikts entspricht.

72

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Aber auch dann, wenn der Täter bereits beim Versuch des Grundtatbestandes die schwere Folge fahrlässig verwirklicht, liegt ein strafbarer Versuch vor. Str.; vgl. im einzelnen

G R U N D K U R S STRAFRECHT,

A. T., § 18 IV 6.

2. Täterschaft Ob Täterschaft oder Teilnahme vorliegt, ist nach den Beteiligungsformen am Grunddelikt zu bestimmen. - Eine Bestrafung aus § 224 setzt aber Fahrlässigkeit des jeweiligen Beteiligten bezüglich der schweren Folge voraus.

§ 18: Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 226 1. Das Verhältnis zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge a) § 226 beschreibt ein erfolgsqualifiziertes Delikt; beachte § 18. b) Einigkeit besteht heute darüber, daß zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der Herbeiführung der schweren Folge eine engere Beziehung bestehen muß als die der bloßen Kausalität im Sinne der Äquivalenzformel. - Der Erfolg muß sich als Realisierung der typischen (spezifischen) Gefahr des Grundtatbestandes erweisen. Da das erfolgsqualifizierte Delikt besonders gefährlichen Handlungen entgegenwirken will, ist dieser Zusammenhang dann gegeben, wenn der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausganges anhaftet und sich eben dieses dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko im Eintritt des Erfolges verwirklicht. - Das ist nicht der Fall, wenn der Tod des Verletzten nicht unmittelbar durch die Körperverletzung selbst, sondern durch das Eingreifen eines Dritten oder das eigene Verhalten des Opfers herbeigeführt wird. Vgl. BGHSt

3 2 S . 2 5 ; D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 2 6 Rdn. 1; SCHÖNKE/ Rdn. 5 ; S T R E E J Z 1 9 8 3 S. 7 5 ; PUPPE NStZ 1 9 8 3 S. 2 2 ff. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Grundtatbestandes und dem Todeserfolg fordern demgegenüber: DEUBNER NJW I960 S. 1068; GEILEN Welzel-Festschrift, S . 681; H I R S C H J R 1983 S . 78 ff; DERS. L K , § 226 Rdn. 3; KOPPER Der „unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 85 ff; LACKNER StGB, § 226 Anm. 2; SCHLAPP Strafverteidiger 1983 S . 62 ff; ULSENHEIMER GA 1966 S . 272. 31 S. 9 9 ;

SCHRODER/STREE § 2 2 6

c) Ein strafbarer Versuch des § 226 liegt bereits vor, wenn der für den Täter vorhersehbare Todeserfolg beim Versuch des Grunddelikts eintritt; vgl. dazu oben § 17 III 1. - Strebt der Täter den Todeserfolg vorsätzlich an, so greifen die §§ 211 ff ein.

§ 19 Körperverletzung im Amt

73

2. Zur Einübung a) BGH bei Daliinger, MDR1975 S. 196: A benutzt eine Pistole als Schlagwerkzeug gegen B. Ungewollt löst sich ein Schuß, durch den B getötet wird. BGH: § 226 liegt vor. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Tod durch Erschießen ist nicht mehr typische Folge eines Schlages mit gefährlichem Werkzeug. Die Schlaggefahr ist nämlich qualifizierend zu berücksichtigen, nicht irgend eine andere Verletzungsgefahr. Dazu auch SCHMIDHAUSER B. T., 2/50. b) BGH NJW1971S. 152: A schlägt auf die B ein und verletzt sie erheblich. Um weiteren Schlägen zu entgehen, springt B aus dem Fenster. Sie stürzt tödlich. BGH: § 226 liegt nicht vor, nur §§ 223,222, 52. - Dem wäre im Ergebnis zuzustimmen, wenn B mit im Rechtssinn freiem Willen gehandelt hätte. Da sich B jedoch in einem Nötigungsnotstand befand, war ihr Wille nicht frei und insofern ist der Erfolg dem A als unmittelbares Werk zuzurechnen, nicht aber auf die freie den Zurechnungszusammenhang unterbrechende - Entscheidung der B zurückzuführen. c) BGHSt 31S. 96: A warf den Hochsitz um, auf dem der D in 3,5 m Höhe saß. D fiel herunter und brach sich den Knöchel. Der Bruch wurde operativ behandelt. Nach der Entlassung aus der Klinik blieb D fast ausschließlich im Bett. Ihm war nicht gesagt worden, daß er der Gefahr einer Lungenembolie durch Bewegung vorbeugen müßte. D starb an einer Lungenembolie. BGH: § 226 ist gegeben. - Dem ist zuzustimmen, denn im Tode des D realisierte sich eine in einer Körperverletzung typischerweise angelegte Gefahr. Die Tatsache, daß D sachwidrig nicht auf die Emboliegefahr hingewiesen worden war, unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, da hier kein Handeln eines Dritten im vollen Bewußtsein der Gefahrensituation vorliegt.

II. Der Strafrahmen des § 226 Abs. 2 Als minder schwerer Fall i. S. des § 226 ist das Vorliegen einer Provokationssituation i. S. des § 213, 1. Alt. zwingend anzunehmen. BGHSt 25 S. 222; BGH NStZ 1983 S. 555.

§ 19: Körperverletzung im Amt 1. Rechtsnatur des § 340 § 340 ist als qualifizierte Körperverletzung ein unechtes Amtsdelikt, und zwar § 340 Abs. 1 gegenüber § 223 Abs. 1, § 340 Abs. 2 gegenüber § 224 Weil der Täter bei der Verletzung eines individuellen Rechtsguts zugleich das Ansehen des Staates als Rechtsstaat gefährdet, ist die Amtseigenschaft ein straferhöhendes Merkmal, und zwar ein besonderes persönliches pflichterhöhendes Merkmal i. S. des § 28.

74

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

H. M. - A. A.: W A G N E R Amtsverbrechen, 1975, S. 85 ff; DERS. ZRP 1975 S. 273 f: eigenständiges Amtsdelikt, dessen Unrechtsgehalt in der Begehung von Staatsunrecht liegt.

2. Die Tathandlung a) Der Täter muß die Körperverletzung während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begehen oder begehen lassen. Diese Alternative scheint darauf hinzudeuten, daß bei einer Köiperverletzungshandlung, die zeitlich in die Ausübung des Dienstes fällt, in jedem Fall der Tatbestand erfüllt ist. Diese Interpretation des Tatbestandes wird seinem Wesen - vgl. oben unter 1 - jedoch nicht gerecht. N u r dann, wenn die Handlung in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zur Ausübung des Dienstes steht, ist das qualifizierende Element - Beeinträchtigung des Ansehens des Staates als Rechtsstaat erfüllt. Eine bei Gelegenheit der Amtsausübung begangene Körperverletzung erfüllt den Tatbestand nicht. vgl. z. B. H O R N SK, § 340 Rdn. 4; LACKNER StGB, § 340 Anm. 2; M A U R A C H / B. T. I I , § 7912; SCHMIDHAUSER B. X, 1/20. - A. A.: zeitlicher Zusammenhang genügt: D R E H E R / T R Ö N D L E § 340 Rdn. 2; W A G N E R ZRP 1975 S. 273. H. M.,

SCHROEDER

b) Begehen liegt vor, wenn der Amtsträger die Körperverletzung als Täter oder Mittäter verwirklicht. - Begehenlassen bedeutet Tatausführung in mittelbarer Täterschaft. Str. - Die h. M. läßt auch Anstiftung und Beihilfe für das Begehenlassen genügen; vgl. z. B. RGSt 59 S . 68; 66 S . 59; D R E H E R / T R O N D L E § 340 Rdn. 2; M A U R A C H / SCHROEDER B . T . I I , § 7 9 I 2 ; SCHÖNKE/SCHRODER/CRAMER § 3 4 0 R d n .

4.

Damit wird im Rahmen des § 340 letztlich vom Einheitstäterbegriff ausgegangen, dem die §§ 25 ff gerade nicht entsprechen; so auch HIRSCH LK, § 340 Rdn. 9.

c) Nach h. M. fällt das garantiepflichtwidrige Unterlassen eines Amtsträgers unter die Alternative „Begehenlassen". - Dem ist nicht zu folgen, denn auch die Nichtabwendung der Körperverletzung durch einen anderen ist ein pflichtwidriges Geschehenlassen und entspricht damit gemäß § 13 dem „Begehen". So auch:

MAURACH/SCHROEDER

SCHRODER/CRAMER § 3 4 0 R d n .

B. T.

II,

§ 79

I

2; a. A. h.

M.

vgl. z. B.:

SCHONKE/

4.

3. Rechtfertigung a) Das Delikt ist Körperverletzungsdelikt. Hoheitliche Eingriffsrechte in die körperliche Integrität des Betroffenen rechtfertigen daher das Verhalten. b) Auch die Einwilligung des Verletzten in die Körperverletzung beseitigt den Tatbestand des § 340.

§ 20 Mißhandlung von Schutzbefohlenen

75

Wie ausgeführt beruht das besondere Unrecht dieses Tatbestands darin, daß das Ansehen des Staates als Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn der Täter in Ausübung der Amtsgewalt eine Körperverletzung begeht. Körperverletzung in diesem Sinne kann aber nur der Unrechtstatbestand einer Körperverletzung sein. Liegt dieser Unrechtstatbestand wegen der Einwilligung des Verletzten nicht vor, so leidet auch das Ansehen des Staates nicht. So im Ergebnis auch: HORN SK, § 340 R d n . 7. - A. A. h. M . vgl. z. B.: DREHER/ TRONDLE § 3 4 0 R d n . 1; HIRSCH L K , § 340 R d n . 14; MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 7 9 I 2 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 3 4 0 R d n . 5.

4. Zar Verdeutlichung a) Der Polizeibeamte P verprügelt bei einer Vernehmung den X, weil er sich über dessen freche Antworten ärgert. Ergebnis: § 340 Abs. 1. b) Der Gerichtsvollzieher G, der eine Pfändung vornimmt, sieht plötzlich seinen Nebenbuhler N, der mit der Pfändung nichts zu tun hat. Diesen verprügelt er. Ergebnis: § 223; str., vgl. oben 2 a. c) OLG Karlsruhe MDR 1983 S. 250: Der als Chefarzt eines Kreiskrankenhauses tätige A nimmt eine Operation ohne rechtswirksame Einwilligung vor. OLG Karlsruhe: Der Chefarzt ist zwar Amtsträger i. S. des § 340, er hat die Körperverletzung jedoch nicht „während der Ausführung seines Dienstes" oder „in Beziehung auf seinen Dienst begangen", denn die konkrete Heilbehandlung des einzelnen Patienten ist keine diensdiche Tätigkeit i. S. des § 340. Kritik: Da auch die Heilbehandlung im Rahmen der Daseinsvorsorge, die das Kreiskrankenhaus wahrnimmt, erfolgt, überzeugt diese Begründung nicht. Hier zeigen sich die mißlichen Konsequenzen der Prämisse, den Heileingriff schlechthin als Körperverletzung zu interpretieren.

§ 20: Mißhandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 223 b In der Alternative der rohen Mißhandlung und der Gesundheitsschädigung erfaßt § 223 b Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit. Insoweit ist er als ein durch das Schutzverhältnis zwischen Täter und Opfer qualifiziertes Körperverletzungsdelikt anzusehen. In der Alternative des Quälens hingegen richtet sich die Tathandlung auch gegen die Psyche des Opfers. Das Delikt ist insoweit als Straftat gegen das „Seelenleben des Menschen" zu begreifen. Die Schutzposition ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28. In der Körperverletzungsalternative ist § 223 b demnach als unechtes Sonderdelikt zu sehen, in der Alternative des seelischen Quälens als echtes Sonderdelikt.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

In der Literatur wird demgegenüber eine einheitliche Interpretation des § 223 b versucht, die jedoch den Nachteil hat, daß eine der beiden Möglichkeiten, das Delikt zu verwirklichen, jeweils vernachlässigt werden muß. Für qualifiziertes Körperverletzungsdelikt: BGHSt 3 S. 20; D R E H E R / T R Ö N D L E § 223 b Rdn. 1; H O R N SK, § 223 b Rdn. 2; LACKNER StGB, § 223 b Anm. 1. Für ein gegenüber den Körperverletzungsdelikten selbständiges Delikt: HIRSCH L K , § 2 2 3 b R d n .

1; MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 1 0 I .

II. Einzelheiten zur Interpretation 1. Die Tatsituation Die Tatsituation ist durch die Wehrlosigkeit des Opfers sowie ein Abhängigkeitsverhältnis dem Täter gegenüber gekennzeichnet. Der Grund für die Regelung des § 223 b besteht darin, daß das in einem Autoritäts- und Abhängigkeitsverhältnis stehende Opfer es aus Furcht oder Respekt vor dem Täter nicht wagt, ihm Widerstand entgegenzusetzen. Dem Schutzverhältnis muß eine rechtliche Verpflichtung zugrunde liegen. Bloße Gefälligkeitsverhältnisse begründen kein Fürsorgeverhältnis im Sinne des § 223 b. Vgl.: BGH NJ W1982 S . 2 390 und h. M . - A. A.: M A U R A C H / S C H R O E D E R B. T. I, § 10 II A 2 .

2. Die Tathandlung Quälen ist das Zufügen dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art, z. B. Versetzen eines Kindes in Todesangst; BGH LM Nr. 3 zu § 223 b. Eine rohe Mißhandlung ist eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung, die sich in erheblichen Folgen äußert, sei es in erheblichen Schmerzen oder in einer erheblichen Verletzung der Körperintegrität; BGHSt 25 S. 277. Böswillig handelt, wer aus sozialethisch besonders verwerflichem Motiv heraus (Haß, Sadismus, nicht aber Gleichgültigkeit) tätig wird; dazu BGHSt 3 S. 20. III. Zur sozialen Relevanz des § 223 b Die Zahl der Verurteilungen hält sich relativ konstant: i960:235,1975: 297, 1981: 228. Die Zahl der polizeilich erfaßten Fälle ist jedoch höher: 1975:1644,1981:1999 Fälle, darunter 1423 Mißhandlungen von Kindern. - Die Dunkelziffer ist erheblich: Schätzungen gehen dahin, daß 95 % der Fälle den Behörden nicht bekannt werden.

§ 22 Vergiftung

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Zur Vertiefung: BAUER Die Kindesmißhandlung, 1969; HONIG Kindesmißhandlung, 1982; TRUBE-BECKER Gewalt gegen das Kind, 1982.

§ 21: Fahrlässige Körperverletzung 1. Deliktsspezifische Probleme der fahrlässigen Körperverletzung, § 230, sind nicht gegeben. Es gilt das zum Aufbau und zur Problematik der fahrlässigen Tötung Ausgeführte mit dem einzigen Unterschied, daß der Erfolg dieses Delikts nicht im Tode eines anderen Menschen besteht, sondern nur in einer Körperverletzung; vgl. oben § 9. 2. Zur Körperverletzung vgl. die Ausführungen zu § 223 oben § 15 I. 3. Zum Strafantrag und zur Kompensation vgl. oben § 15 IV 2, 3.

§ 22: Vergiftung I. Das Wesen des § 229 1. § 229 Abs. 1 enthält einen wegen seiner besonderen Gefährlichkeit (gefährliches Werkzeug, u. U. lebensgefährdende Behandlung) zur selbständigen Tat erhobenen Versuch einer gefährlichen Körperverletzung. Es handelt sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die beigebrachten Stoffe müssen im konkreten Fall geeignet sein, die Gesundheit zu zerstören. 2. § 229 Abs. 2 enthält erfolgsqualifizierte Delikte, beachte § 18.

II. Einzelheiten der Regelung 1. Der objektive Tatbestand Tatmittel sind Gift und andere - d. h. chemisch oder mechanisch wirkende - Stoffe. - Beibringen setzt die Herstellung einer Körper-StoffBeziehung voraus, gleichgültig ob intern, z. B. durch Schlucken, oder extern, z. B. durch Begießen mit Salzsäure. Der Eintritt einer Wirkung im Inneren des Körpers ist nicht erforderlich. So auch: BGH MDR 1976 S. 768 mit Anm. D. MEYERJUS 1977 S. 517 ff; BGHSt 32 S. 130 m i t A n m . BOTTKE N S t Z 1984 S. 166 f, SCHALLJZ 1984 S. 338 f ; MAURACH/ SCHROEDER B. T. I, § 11 II 2. - A . A . u . a.: SCHRÖDERJR I960 S. 466; STRIEJR 1977 S. 342 f.

Geeignet zur Gesundheitszerstörung sind Stoffe, wenn sie wesentliche körperliche Funktionen nicht nur für unerhebliche Dauer gravierend zu beeinträchtigen vermögen; BGHSt 4 S. 278.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

2. Der subjektive Tatbestand Der Täter muß mit der Absicht der Gesundheitsbeschädigung gehandelt haben (dolus directus 1. Grades); im übrigen genügt Vorsatz, auch bedingter. - Aus der Sicht des Täters muß aber eine erhebliche Gesundheitsbeschädigung angestrebt sein. Das hohe Strafmaß erfordert diese restriktive Auslegung des Tatbestandes. Doch bedeutet das nicht, daß nur schwerwiegende Dauerschäden, wie z. B. Blindheit oder Entstellung in Betracht kommen; dazu BGHSt 32 S. 131 f. Die Gesundheitsbeschädigung muß nicht Endziel des Täters sein, daher ist § 229 auch anwendbar, wenn der Täter mit Tötungsvorsatz handelt. Es gelten bei der Konkurrenz zwischen Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz für § 229 keine Besonderheiten; vgl. im übrigen § 24. III. Besonderheiten des Versuchs Mit dem Beibringen des Giftes ist das Delikt vollendet. Ein Rücktritt vom Versuch i. S. des § 24 ist daher nur vor diesem Zeitpunkt oder beim Versuch mit untauglichem Mittel möglich. - Übt der Täter tätige Reue, bevor die Gefahr der Gesundheitszerstörung sich realisiert, so erscheint aber eine analoge Anwendung der §§ 83 a, 311 c Abs. 2, 316 a Abs. 2 sachgerecht. So auch: H I R S C H LK, § 229 Rdn. 22; H O R N SK, § 229 Rdn. 9; S C H Ö N K E / S C H R Ö D E R / § 229 Rdn. 11. - Gegen eine strafbefreiende oder strafmildernde Analogie: D R E H E R / T R Ö N D L E § 229 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 229 Anm. 1. STREE

§ 23: Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat § 227 erfaßt ein sog. Massendelikt. Strafgrund ist nicht eine Körperverletzung, sondern die schuldhafte Beteiligung an einer Rauferei, aus der sich verschiedene Gefahren für die Allgemeinheit ergeben können. Es handelt sich demnach um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. II. Einzelheiten der Regelung 1. Der Tatbestand a) Schlägern ist eine mitgegenseitigen Körperverletzungen verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als 2 Personen mitwirken; BGHSt 15 S. 370. - Übt einer von drei Betroffenen lediglich Schutzwehr, indem er z. B. den eigenen Kopf mit seinen Armen schützend umfaßt, so liegt noch keine Schlägerei vor. - Es ist aber nicht erforderlich, daß alle Beteiligten rechtswidrig handeln.

79

§ 2 3 Beteiligung an einer Schlägerei

Ein von mehreren gemachter Angriff ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung von mindestens zwei Personen; BGH MDR1983 S. 144. - Beteiligt ist jeder, der an der Auseinandersetzung im Zusammenwirken mit anderen teilnimmt, d. h. physisch oder psychisch mitwirkt. - Mittäterschaft im technischen Sinn ist nicht erforderlich, wohl aber bei den Angreifenden Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstandes und des Angriffswillens; BGHSt 2 S. 163. b) Mit der Klarstellung, daß nicht nach § 227 bestraft wird, wer ohne sein Verschulden in die Schlägerei hineingezogen wurde, weist der Gesetzgeber lediglich darauf hin, daß ein Beteiligter gerechtfertigt oder entschuldigt sein kann. 2. Die schwere Folge Die Schlägerei oder der Angriff mehrerer muß den Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht haben. Es handelt sich hier um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, die immer dann gegeben ist, wenn die schwere Folge durch die Schlägerei oder den Angriff bewirkt wurde. a) Auf den Zeitpunkt der Beteiligung: vor, bei oder nach Eintritt der schweren Folge, kommt es nach h. M. nicht an. Vgl.: B G H S t 14 S. 1 3 2 ; 16 S. 1 3 0 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 2 7 R d n . 9 ; LACKNER S t G B , § 227 Anm.

3 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 1 1 1

3.

b) Die Gegenmeinung beschränkt die Haftung auf diejenigen Personen, die sich zum Zeitpunkt des Eintritts der schweren Folge noch oder bereits an dem Raufhandel beteiligen. V g l . : BINDING B . T. I, S. 7 8 ; WELZEL L b . , § 4 0 II 2 .

c) Die h. M. zieht den Kreis der Verantwortlichen zu weit, soweit sie auch Mitwirkende als Beteiligte erfaßt, die nach Eintritt der schweren Folge an der Rauferei teilgenommen haben. Die Gegenmeinung erweist sich als zu eng, da die Auswirkungen einer Beteiligung nicht mit dem Ausscheiden der tätigen Person abbrechen. - Sachgerecht ist es daher, den als Beteiligten anzusehen, der vor oder bei Eintritt der schweren Folge an der Rauferei mitwirkte. Erst nachträglich Mitwirkende haften nicht für die schwere Folge. S o a u c h : BIRKHAHN M D R

1 9 6 2 S. 6 2 5 f; HIRSCH L K , § 2 2 7 R d n . 8 ; H O R N

SK,

§ 227 Rdn. 8.

III. Zur Einübung 1. BGHSt 14 S. 132: Zwischenjugendlichen aus I und Sch kam es zu einer Schlägerei. G und K beteiligten sich, mußten aber aufgrund der eigenen Einbußen bald

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

80

aufgeben. Sie entfernten sich. Im weiteren Verlauf der Schlägerei wurde T erstochen. BGH: Auch G und K sind strafbar nach § 227. 2. BGHSt 16 S. 130: Bei einer Schlägerei zwischen mehreren Personen brachte H dem W mehrere tödliche Stiche bei. Die Schlägerei ging aber weiter. Nunmehr beteiligte sich auchj daran. BGH: Auchj ist strafbar nach § 227. - Nach der hier vertretenen Ansicht scheidet eine Strafbarkeit des J nach § 227 aus. 3. Bei einer Schlägerei in einer Gaststätte, an der sich unter anderem X, Y und Z beteiligten, wollte der Gast G schlichten. Er begab sich unter die Raufenden und forderte diese laut zu friedlichem Verhalten auf. Im Gewühl wurde er jedoch erschlagen. Ergebnis: § 227 liegt vor. Der Getötete braucht nicht selbst an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sein, es genügt, daß sein Tod durch die Schlägerei bewirkt wurde. 4. RGSt 32 S. 33: Bei einer Schlägerei zwischen A, B, C, D, E und F wurde allein der F schwer am Körper verletzt i. S. des § 224. RG: Auch F ist strafbar nach § 227. - Dem ist entgegenzuhalten, daß der Beitrag des F an der Schlägerei nicht zu einer in seiner Person strafbaren Körperverletzung geführt hat, daher ist es vertretbar, ihn nicht nach § 227 zu bestrafen. 5. BGHSt 15 S. 369: C verprügelte S ohne Grund. S wehrte sich. V, der Vater des S, wollte seinem Sohn zu Hilfe kommen. A verhinderte dies, indem er den V festhielt. S kam bei der Prügelei zu Tode. BGH: A ist auch nach § 227 strafbar.

§ 24: Zur Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte 1. Grundsatz Die jeweils schwerere Körperverletzung konsumiert die jeweils leichtere. - K o m m t es jedoch nur zum Versuch der schwereren Körperverletzung, so konkurrieren diese und die vollendete geringere idealiter, damit im Urteilstenor zum Ausdruck kommen kann, daß eine Körperverletzung bereits vollendet wurde. Infolge des von den Körperverletzungsdelikten abweichenden Strafgrundes des § 227 konkurriert § 227 idealiter mit den bei dem Raufhandel verwirklichten Körperverletzungsdelikten. - Zwischen § 340 Abs. 1 und § 223 Abs. 1 sowie § 340 Abs. 2 und § 224 besteht Gesetzeskonkurrenz (Qualifikation). Im übrigen steht § 340 zu den Körperverletzungsdelikten in Idealkonkurrenz. Im Falle der Idealkonkurrenz von §§ 340, 225 weist § 340 Abs. 2 den Mindeststrafrahmen, da nach der Entscheidung des Gesetzgebers dieser Strafrahmen bereits bei der Verwirklichung des minder schweren § 224 verbindlich ist.

§ 24 Konkurrenz von Körperverletzungs- und Tötungsdelikten

81

2. Zur Einübung a) A schießt auf B und ist sich dabei der Gefahr bewußt, dem B das Auge auszuschießen. Er trifft den B am Kopf, doch bleibt dem B die Sehkraft erhalten. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 223a, 224, 23, 52. b) Wie unter a), doch will A dem B absichtlich ins Auge schießen. Er trifft, doch kommt B wider Erwarten zu Tode. Ergebnis: A strafbar gemäß § 226. - A. A.: vgl. z. B. MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 9 II C 2: Idealkonkurrenz. Auch hier ist Konsumtion des § 225 durch § 226 jedoch angemessener, da der Unrechtsgehalt des beabsichtigten Delikts voll im Strafmaß des § 226 berücksichtigt werden kann. c) Bei einer Schlägerei i. S. des § 227 schlägt A dem B das Auge absichtlich aus. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 227, 225, 52.

II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten 1. Das Verhältnis des Tötungs- zum Körperverletzungsvorsatz Ausgangsfall: BGHSt 22 S. 248: A schießt mit Tötungsvorsatz aus einer Entfernung von 3-4 m auf seinen Vater. Der Schuß geht durch die Schläfe auf den Augapfel bis zur Nasenwurzel. Der Vater bleibt am Leben, verliert aber das linke Auge. a) D a jede Tötung notwendigerweise über das Stadium einer Körperverletzung verwirklicht wird, ist der Körperverletzungsvorsatz im Tötungsvorsatz als notwendiger Bestandteil enthalten; sog. Einheitstheorie. b j Diesen notwendigen Bezug zwischen Körperverletzung und Tötung verkennt die sog. Gegensatztheorie, die von einem gegenseitigen Ausschluß von Körperverletzungs- und Tötungsvorsatz ausgeht. Zur Einheitstheorie vgl.: BGHSt 16 S. 122; 21S. 265; HIRSCH LK, Vor§ 223 Rdn. 14 ff; JAKOBS Die Konkurrenz von Tötungsdelikten mit Körperverletzungsdelikten, 1967, S. 119 ff; KREYJUS 1971 S. 143.

Zur Gegensatztheorie: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 230. 2. Konsequenzen

a) Das vollendete Tötungsdelikt konsumiert das jeweils verwirklichte Körperverletzungsdelikt als notwendigen Bestandteil. Gleichfalls für Gesetzeskonkurrenz, wenn auch zum Teil Subsidiarität: BGHSt 16 S. 122; 22 S. 248; KREYJUS 1971 S. 143; MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 8 IV.

Daneben wird die Ansicht vertreten, die qualifizierten Körperverletzungsdelikte gemäß §§ 224, 225, 229 Abs. 2 konkurrierten idealiter jeweils mit den Tötungsdelikten. Vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESBR § 212 Rdn. 23; WELZEL Lb., § 38 I 6.

Auch die privilegierten Tötungsdelikte konsumieren die qualifizierten Körperverletzungsdelikte, da sonst die Absicht des Gesetzgebers, das Verhalten zu privilegieren, umgangen würde.

82

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

b) Ist das Tötungsdelikt nur bis in das Versuchsstadium gelangt, eine qualifizierte Körperverletzung gemäß §§224,225,229 Abs. 2 j edoch bereits vollendet worden, so besteht zwischen versuchtem Tötungsdelikt und Körperverletzungsdelikt Idealkonkurrenz. Der Tötungsversuch konsumiert das Unrecht der vollendeten qualifizierten Körperverletzung nicht. Vgl. auch :JAKOBS N J W 1 9 6 9 S. 4 3 8 ; KREY B . T. I, S. 7 5 ; R . SCHMITTJZ 1962 S. 392.

- A. A.in bezug auf § 224: BGHSt 22 S. 248. 3. Konsequenzen für den Ausgangsfall a) BGH: A ist wegen versuchten Totschlags zu bestrafen. Die schwere Körperverletzung wird konsumiert. b) Nach der hier vertretenen Ansicht wäre A gemäß §§ 224, 212, 23, 52 zu bestrafen.

§ 25: Zur Wiederholung 1. Wie ist die „körperliche Mißhandlung" zu definieren? - Dazu § 15 I 1 a. 2. Wie ist die „Gesundheitsbeschädigung" zu definieren? - Dazu § 15 I 1 b. 3. Was bedeutet die Möglichkeit der Kompensation bei der Körperverletzung? - Dazu § 15 IV 3. 4. Ist § 223 a ein abstraktes oder ein konkretes Gefährdungsdelikt? - Dazu § 161. 5. Wie ist ein gefährliches Werkzeug" zu definieren und was ist eine „lebensgefährdende" Behandlung? - Dazu § 16 II 1, 4. 6. A verspricht dem B 10,- DM, wenn er den anwesenden C verprügelt. B tut dies. Haben mehrere gemeinschaftlich i. S. des § 223 a die Körperverletzung an C begangen? - Dazu § 16 II 3. 7. Ist ein Versuch der schweren Körperverletzung gemäß §§ 224, 23 möglich? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? - Dazu § 17 III 1. 8. Welcher Zusammenhang muß zwischen Todeserfolg und Körperverletzung in § 226 bestehen? - Dazu § 18 I. 9. Ist § 223 b ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt? - Dazu § 20 I. 10. Wann ist der Stoff „beigebracht" i. S. des § 229? - Dazu § 22 II 1. 11. Kann derjenige nach § 227 bestraft werden, der an der Schlägerei erst teilnimmt, nachdem es zu einer tödlichen Verletzung eines anderen gekommen ist ? Dazu § 23 II 3. 12. Der Beamte A verletzt den X bei Ausübung seines Amtes mit einem Stock schwer. - Wie konkurrieren §§ 223 a, 340 Abs. 1 hier? - Dazu § 24 I. 13. A würgt die B, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. B erleidet eine Kehlkopfverletzung. - Kann A wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft werden? - Dazu § 24 II 2 b. 14. A gibt der B ein Gift, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. Durch das Gift fällt die B jedoch in Siechtum. Kann A gemäß § 229 bestraft werden? - Dazu § 24 II 2 b. 15. A versucht die B mit einem Messer zu töten. Der Versuch mißlingt. Kann A gemäß §§ 212, 23, 223 a, 52 bestraft werden? - Dazu § 24 II 3.

Vierter Abschnitt Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26: Rechtsgut u n d Systematik der Freiheitsdelikte I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte Geschütztes Rechtsgut der Freiheitsdelikte ist nicht die Freiheit schlechthin, sondern die Freiheit der Wilknsentschließungund der Willensbetätigung. II. Die Systematik der Freiheitsdelikte 1. Die Gesetzessystematik a) Innerhalb der im 18. Abschnitt des StGB enthaltenen Delikte sind nur der Menschenraub, § 234, die Freiheitsberaubung, § 2 39, der erpresserische Menschenraub, § 239 a, die Geiselnahme, § 239 b, und die Nötigung, § 240, Freiheitsdelikte. b) Die Bedrohung, § 241, ist kein Freiheitsdelikt, sondern ein Delikt gegen den persönlichen Rechtsfrieden (str.; eingehender dazu unten § 36), Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a, sollen die Person gegen die Beraubung der Gemeinschaft, des rechtsstaadichen Schutzes und der Hilfe der Gemeinschaft schützen (dazu unten § 37 II). Die Kindesentziehung, § 235, und die Entführung mit Willen der Entführten, § 236, sind Delikte gegen die familiäre Ordnung (dazu unten § 65 VI, VII), die Entführung gegen den Willen der Entführten, § 237, ist ein Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung (dazu unten § 66 III 5). c) Außerhalb des 18. Abschnitts des StGB wird in zahlreichen Tatbeständen neben anderen Rechtsgütern auch die Freiheit der Willensbetätigung geschützt, so z. B. in § 249 (Raub), § 253 (Erpressung), § 177 (Vergewaltigung) u. a. 2. Das Verhältnis der Freiheitsdelikte zueinander a) Umfassend werden Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung in § 240 unter Strafe gestellt. b) Einen Teilbereich dieses Rechtsguts, nämlich die Freiheit, den derzeitigen Aufenthaltsort zu verlassen (potentielle persönliche Bewegungsfreiheit), schützt § 239- - § 239 ist gegenüber § 240 insoweit eine lex specialis. aa) §§ 239 Abs. 2 und Abs. 3 enthalten erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung; beachte § 18.

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Delikte gegen die persönliche Freiheit

bb) §§ 239 a, 239 b beschreiben qualifizierte Delikte gegen die persönliche Freiheit. cc) In § 234 ist ein spezieller Fall der Freiheitsberaubung geregelt.

§ 27: Nötigung I. Der objektive Tatbestand 1. Nötigen Nötigen ist die Veranlassung eines anderen zu einem von diesem nicht gewollten Verhalten (Handeln, Dulden oder Unterlassen) durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel. - Führt das Opfer das vom Täter erstrebte Verhalten ganz oder teilweise nicht aus, so liegt nur ein Versuch vor. 2. Der Begriff der Gewalt a) Reichsgericht und herrschende Lehre gingen ursprünglich von einem Gewaltbegriff aus, der durch das Merkmal der Kraftentfaltung auf Seiten des Täters und durch das Erfordernis der Einwirkung auf den Körper des Opfers bestimmt war: Unter Gewalt ist die unter Anwendung physischer (körperlicher) Kraft erfolgende Einwirkung auf einen anderen zur Beseitigung eines tatsächlich geleisteten oder bestimmt erwarteten Widerstands zu verstehen; RGSt 64 S. 115. b) Dieser Gewaltbegriff wurde keineswegs ausdrücklich von der Rechtsprechung aufgegeben. Auch in jüngsten Entscheidungen wird noch ausdrücklich auf ihn Bezug genommen. Nach wie vor hält der BUNDESGERICHTSHOF am Merkmal der physischen Kraftentfaltung durch den Täter fest. Der Gewaltbegriff hat jedoch in der strafrech dichen Rechtsprechung unter zwei Aspekten wesentliche Änderungen erfahren. aa) Zum einen wird auf das Erfordernis der erheblichen körperlichen Kraftentfaltung durch den Täter verzichtet: „Gewalt kann auch ohne eigene erhebliche Körperkraft ausgübt werden." Das bedeutet aber nicht, „daß der Begriff der Gewalt von dem Erfordernis körperlicher Kraftentfaltung völlig gelöst werden könne". Es genügt aber „eine gewisse - nicht notwendig erhebliche - Kraftentfaltung" des Täters. bb) Zum anderen wird das Erfordernis der Einwirkung unmittelbar auf den Körper des Opfers aufgegeben. Gewalt ist nunmehr nicht nur der körperlich wirkende Zwang, sondern jede Einwirkung auf das Opfer, die von diesem „als ein nicht nur seelischer, sondern auch körperlicher Zwang empfunden wird". Das aber ist schon dann der Fall, wenn das Opfer der Einwirkung auf seine Willensbildung oder -Verwirklichung „überhaupt nicht oder nur mit erheblicher Kraftentfaltung begegnen kann".

§ 27 Nötigung

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cc) Nach der Rechtsprechung ist Gewalt demnach „der - nicht notwendig erhebliche - Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der von der Person, gegen die sie sichrichtet,als ein nicht nur seelischer, sondern auch körperlicher Zwang empfunden wird". - Körperlich wird ein psychischer Zwang empfunden, wenn das Opfer ihm nicht oder nur mit erheblicher Kraftentfaltung begegnen kann. D a z u : B G H S t 23 S. 46 f m i t A n m . EILSBERGERJUS 1970 S. 164 ff, MARTIN B G H -

Festschrift, S. 211 ff und OTT NJW 1969 S. 2023 f; BGHSt 23 S. 127; BGH NStZ 1981 S. 218; B G H N J W 1982 S. 189 f dazu BRENDLE N J W 1983 S. 727 ff, DINGELDEY N S t Z 1982 S. 161, KELLERJuS 1984 S. 112 f u n d KÖHLER N J W 1983 S. 10; F.-CHR. SCHROEDERJUS 1982 S. 491 ff; SONNEN J A 1982 S. 217 f.

Beispiele aus der Rechtsprechung: Aussperren des Mieters durch den Vermieter (RGSt 20 S. 354: keine Gewaltanwendung, da keine gewaltsame Einwirkung auf den Körper des M. - RG GA1939 S. 216: Gewaltanwendung bejaht, da Mieter den Witterungseinflüssen ausgesetzt war und darin eine körperliche Beeinträchtigung gesehen wurde. - RGSt 69 S. 330: Gewaltanwendung bejaht, denn es reicht „eine nur mittelbar gegen die Person gerichtete Einwirkung aus, die von dem zu Überwältigenden körperlich empfunden wird"). - Einschließen einer Person (RGSt 73 S. 345). - Überraschendes Beibringen eines Betäubungsmittels (BGHSt 1S. 145). - Absperren der Heizung in einer Frostperiode um eine Zahlung des Mieters zu erzwingen. Nicht aber bloße Unterbindung der Heizöllieferung durch entsprechende Anweisung an den Heizöllieferanten (OLG Hamm NJW 1983 S. 505). - Einflößen von Alkohol gegen den Willen des Betroffenen (BGHSt 14 S. 82). Verhindern des Überholens durch Linksfahren (BGHSt 18 S. 389). - Dichtes Auffahren zur Erzwingung eines Überholvorgangs (BGHSt 19 S. 263). - Abgabe von Schreckschüssen (BGH GA 1962 S. 145). - Richten einer entsicherten Pistole auf einen anderen (BGHSt 23 S. 126). - Blockieren von Straßenbahnschienen durch Sitzstreik (BGHSt 23 S. 46). Hingegen bloßer Versuch, wenn der Verkehr vor Beginn des Sitzstreiks bereits umgeleitet wurde (OLG Köln NJW 1973 S. 2206). Beharrliches Blockieren der Ausfahrt durch abgestelltes Kfz (OLG Koblenz MDR 1975 S. 243). - Verteidigung eines Parkplatzes durch einen Fußgänger gegenüber Autofahrer (OLG Köln NJW 1979 S. 2056). - Wegschieben eines Fußgängers aus einer Parklücke (OLG Hamburg NJW 1968 S. 662). - Erzwingen des Abbruchs einer Lehrveranstaltung durch Lärm (BGH NJW 1982 S. 189). c) Die Entwicklung der Rechtsprechung ist in der Lehre weitgehend auf Kritik gestoßen. Es wird insbesondere geltend gemacht, daß der Gewaltbegriff jegliche Konturen verloren hat, nachdem die bloße Zwangswirkung für das Opfer an die Stelle der unmittelbaren Einwirkung auf den Körper des Opfers getreten ist, daß Sachbeschädigungen im Rahmen eines so verstandenen Gewaltbegriffs in Nötigungen umgedeutet werden können und daß die Grenze zwischen Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt vollkommen aufgehoben worden ist. Im einzelnen zur Kritik: BERGMANN Das Unrecht der Nötigung, 1983, S. 75 ff, 87 ff; CALLIESS Der Begriff der Gewalt im Systemzusammenhang der Straftatbe-

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Delikte gegen die persönliche Freiheit

stände, 1974; GEILEN H . Mayer-Festschrift, S. 445 ff; HAFFKE ZStW 84 (1972) S. 37 ff; KELLER Strafrechdicher Gewaltbegriff und Staatsgewalt, 1982, S. 115 ff; D E R S . J U S 1984 S . 115 f; K O H L E R Leferenz-Festschrift, S. 511 ff; DERS. N J W 1 9 8 3 S. 595; K . KRAUSS N J W

1 9 8 4 S . 9 0 5 f ; K R E Y J U S 1 9 7 4 S . 4 1 8 f f ; MÜLLER-DIETZ G A

1974

S. 44 ff. d) D i e s e Kritik an der Rechtsprechung ist nur insoweit berechtigt, als in der Rechtsprechung die Grenze zwischen der Gewaltanwendung und der D r o h u n g mit einem empfindlichen Übel in der Tat verwischt wird. Im übrigen aber sind alle Versuche, die Gewaltanwendung auf einen körperlichen Eingriff zu beschränken von vornherein dogmatischen Zweifeln ausgesetzt, denn sie identifizieren Gewalt schlicht mit der Gewalt gegen den Körper einer Person, während die Gewalt gegen Sachen gar nicht erst als Gewalt i. S. des § 240 anerkannt wird. Das aber ist v o m Wortlaut des § 240 keineswegs gedeckt und kriminalpolitisch auch nicht zu begrüßen, denn diese Differenzierung begünstigt Zufallsergebnisse, so daß der Gewinn an Gesetzesbestimmtheit mit der Zufälligkeit der Gesetzesanwendung bezahlt wird. Beispiel: Durch Zuschlagen der Tür wird der Mieter aus der Türöffnung gedrängt und am Betreten seiner Wohnung gehindert. Ergebnis: Eindeutig Anwendung von Gewalt, denn durch Kraftentfaltung des Täters wird hier auf das Opfer eingewirkt, um den Widerstand des Opfers zu beseitigen. Frage: Soll wirklich keine Nötigung vorliegen, da es an einer Gewaltanwendung fehlt, wenn der Täter während der Abwesenheit des Mieters das Schloß ausgetauscht hat, so daß dieser nun nicht in die Wohnung kommt. - An einer Kraftentfaltung des Täters, die auf das Opfer eine Zwangswirkung auslöst, die ihrerseits nur mit erheblichem Kraftaufwand beseitigt werden könnte, kann kein Zweifel sein! - Eine derartige Differenzierung überzeugt nicht, da auf den Willen einer Person genauso wirksam mit Gewalt gegen ihren Körper wie auch gegen Sachen eingewirkt werden kann und der Gesetzgeber in § 240 die Gewalt nicht auf Gewalt unmittelbar gegen die Person beschränkt hat. Diese unterschiedlichen Möglichkeiten, auf die Freiheit der Person einzuwirken, werden nicht sachgerecht erfaßt, wenn der Begriff der Gewalt auf körperliche Einwirkungen und auf die Fortbewegungsfreiheit - vgl. dazu KELLER Strafrechtlicher Gewaltbegriff, S. 214 ff, insbes. S. 261 -, bzw. auf Körper und Sachen derart, daß deren Substanz oder Funktion oder das körperliche Wohlbefinden beeinträchtigt wird - vgl. BERGMANN Nötigung, S. 123 f f - , beschränkt wird. Die Eigenständigkeit des Freiheitsdelikts geht verloren, weil dessen Unrecht vom Unrecht anderer Delikte her erfaßt wird. D i e Verlagerung des Akzents v o m Eingriff auf den Körper des Opfers zur Zwangswirkung auf Seiten des Opfers macht allerdings die Abgrenzung der Gewalt von der Drohung mit einem empfindlichen Übel problematisch, denn gerade bei einer konkludenten Drohung, die mit Kraftentfaltung des Täters verbunden ist - z. B. Drohung mit vorgehaltener Pistole - , kann sowohl Gewalt als auch D r o h u n g mit einem empfindli-

§ 2 7 Nötigung

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chen Übel bejaht werden. Hier ist jedoch die Entscheidung des Gesetzgebers, zwischen beiden Zwangsmitteln zu differenzieren, zu beachten. Erfolgt die Zwangswirkung aufgrund der in Aussichtstellung eines zukünftigen Übels, so liegt eine Drohung mit einem empfindlichen Übel vor, auch wenn die in Aussichtstellung selbst schon Zwangswirkungen beim Opfer auslöst. Insoweit ist die Drohung mit einem empfindlichen Übel ein Spezialfall der Gewaltanwendung. e) Definition: Gewalt ist der über eine Drohung mit einem empfindlichen Übel hinausgehende - nicht notwendig erhebliche - Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der von der Person, gegen die sie sich richtet, als nicht nur seelischer, sondern körperlicher Zwang empfunden wird. - Körperlich wird ein psychischer Zwang empfunden, wenn das Opfer ihm gar nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in unzumutbarer Weise begegnen kann. f) Konsequenzen: Die nötigende Gewalt kann sich demnach gegen die Person, die zu einem bestimmten Verhalten gezwungen werden soll, unmittelbar körperlich richten, sie kann ihre Zwangswirkung aber auch durch Einwirkung auf Sachen entfalten. Auch Gewalt gegen einen Dritten ist Gewalt gegen den zu Nötigenden, soweit diese die Willensbildung oder Willensbetätigung des zu Nötigenden unmittelbar betrifft. Beispiel: A, der selbst keinen Führerschein hat, wird gezwungen, eine Reise abzubrechen, indem sein Chauffeur niedergeschlagen wird. Vgl. im übrigen: RGSt 17 S. 8 2 ; SCHÄFER L K , 9. Aufl., § 2 4 0 Rdn. 33.

Wird jedoch die Gewaltanwendung gegen Dritte als psychischer Zwang gegen den zu Nötigenden eingesetzt, indem dieser damit bedroht wird, daß gegen den Dritten Gewalt geübt oder fortgesetzt wird, so liegt gegenüber dem zu Nötigenden nicht der Einsatz von Gewalt vor, sondern je nach den Umständen eine Drohung mit einem empfindlichen Übel. Beispiele: Nötigen der Mutter durch Einsperren ihres Kleinstkindes (BayObLGJZ 1952 S. 237); Nötigung der Tante durch Gewalt gegen die Nichte (BGH GA 1961 S. 8 2 ) . Dazu auch: BOHNERT J R 1982 S. 397 ff; SCHMIDHÄUSER B . T., 4/15. Der Hinweis, Gewalt gegen „nahestehende Personen", Sympathiepersonen o.ä. genüge - vgl. LACKNER StGB, § 2 4 0 Anm. 3 b; SCHAFER L K , 9. Aufl., § 2 4 0 Rdn 3 3 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 0 Rdn. 6 -, trifft die Sache nicht, wenn diese Gewalt als Gewalt gegen den zu Nötigenden angesehen wird, vielmehr liegt hier der klassische Fall einer psychischen Zwangswirkung durch Androhung einer als empfindliches Übel empfundenen Verhaltensweise vor.

3. Die Drohung mit einem empfindlichen Übel a) Drohung ist die Ankündigung eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende - zumindest vorgeblich - Einfluß hat. - Ob der Täter die Drohung realisieren will oder sich insgeheim vorbehält, dieses nicht zu tun, ist unwesentlich.

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Delikte gegen die persönliche Freiheit

b ) Empfindlich ist das Übel, wenn es einen Nachteil von solcher Erheblichkeit bedeutet, daß seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn von dem konkret Bedrohten in seiner individuellen Lage nicht erwartet werden kann, daß er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. Vgl.: BGH NJW 1983 S. 767; BGH wistra 1984 S. 23. - Dazu auch: MAURACH/ SCHROEDER B. T. I, § 14 II A 1 b; WELZEL Lb., § 4311 a. Einen objektiven Maßstab Eignung der Drohung „einen besonnenen Durchschnittsmenschen" zu bestimmen - fordern: BayObLGSt 1955 S. 12; DREHER/TRONDLE § 240 Rdn. 6; KREY B. T. I, S. 96; LACKNER S t G B , § 240 A n m . 4; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 240 R d n . 9.

Zur Verdeutlichung: Fall 1: A, der sonst durchaus vernünftig ist, leidet hin und wieder an der Vorstellung, er sei eine Maus. Dies nutzt B aus. Als A wiederum in seinen Vorstellungen lebt, erscheint B mit einem Sack, in dem er ein Meerschweinchen gefangen hält. Er gibt vor, er habe eine Katze, die er loslassen werde, wenn A ihm nicht Einsicht in seine Geschäftsbücher gewähre. - A gibt die Bücher her. E r g e b n i s : Einen „besonnenen Durchschnittsmenschen" würde die Drohung des B sicher nicht ängstigen. Warum der A aber deshalb gegen Nötigung nicht geschützt sein soll, nur weil seine emotionale Verfassung der des Durchschnittsmenschen nicht entspricht, ist einfach nicht einzusehen. Fall 2: A, der etwas nervös ist, pflegt hin und wieder übersteigert zu reagieren. Als B ihn auffordert, ihn in seine Geschäftsgeheimnisse einzuweihen, sonst werde er ein Volkslied heruntergröhlen, gibt A nach. E r g e b n i s : Auch unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten des A liegt keine Androhung eines empfindlichen Übels vor. A reagiert nicht auf einen erheblichen Zwang, sondern auf eine bloße Störung seiner Ruhe. Auch in seiner individuellen Lage kann erwartet werden, daß er der Drohung standhält. c) D i e Androhung eines Unterlassens Fall: Abwandlung BGHSt 31S. 195: Die Ladendiebin B ist gefaßt worden. Der Hausdetektiv H hat eine Anzeige geschrieben und in die Post gegeben. A, ein Kollege des H, bietet der B an, diese Anzeige aus der Post zu entfernen, wenn sie mit ihm schlafe. Z. T. wird die Ankündigung eines Unterlassens in Lehre und Rechtsprechung nur dann als Drohung mit einem Übel verstanden, wenn eine Rechtspflicht des Drohenden zum Handeln besteht: Wer nur in Aussicht stellt, ein dem Opfer drohendes Übel durch Dritte oder einen schon in G a n g befindlichen Kausalverlauf nicht abzuwenden, kündigt selbst kein Übel an, im Gegenteil, er stellt lediglich einen Vorteil in Aussicht, den er allerdings vergütet haben möchte. Vgl.: B G H G A I960 S. 278; O L G H a m b u r g N J W 1980 S. 2592; BAUERJZ 1953 S. 652 f; FROHN Strafverteidiger 1983 S. 365 f; HAFFKE Z S t W 8 4 (1972) S. 71 A n m . 135;

§ 27 Nötigung

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Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1 9 7 2 , S. 1 5 0 ; NStZ 1 9 8 3 S . 4 9 7 ff; OSTENDORF N J W 1 9 8 0 S. 2 5 9 3 f; R O X I N J U S 1 9 6 4 S. 3 7 7 ; DERS. modifizierendJR 1 9 8 3 S. 3 3 5 f; SCHUBARTHJUS 1 9 8 1 S . 7 2 6 ff; DERS. NStZ 1 9 8 3 S. 3 1 2 f. HERZBERG

HORN

Die Gegenmeinung sieht in dieser Argumentation eine unzulässige Übertragung der Grundsätze der Haftung aus einem unechten Unterlassungsdelikt auf ein Begehungsdelikt durch Ankündigung einer Unterlassung, die kriminalpolitisch keineswegs erwünscht ist. Die generelle Ausklammerung der Ankündigung rechtmäßigen Unterlassens aus §§ 240, 253 eröffnet nämlich die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung in Fällen, in denen die Koppelung von Mittel und Zweck sozial unerträglich ist. Vgl.: BGHSt 31S. 195; A R Z T Welzel-Festschrift, S. 836 Fn. 42;

DREHER/TRÖNDLE

§ 2 4 0 R d n . 6 a ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 1 4 I I A ; SCHÖNKE/SCHRODER/ESER § 2 4 0

Rdn. 20; V O L K J R 1981S. 274. - Modifizierend:

F.-CHR. SCHROEDERJZ

1983 S . 288.

Zwar erscheint die Androhung, die Abwendung eines bereits drohenden Übels zu unterlassen, objektiv als Vorteil für den Betroffenen. Subjektiv ist jedoch maßgeblich, daß ihm ein Übel droht, auf das der Täter Einfluß zu haben vorgibt. Würde man diese Fälle bereits aus dem Tatbestand der Nötigung ausscheiden, so wäre hier die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung eröffnet. Die Problematik ist daher nicht auf der Ebene des Tatbestandes, sondern innerhalb der Rechtswidrigkeitsprüfung zu lösen. II. D e r subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 verlangt Vorsatz, bedingter genügt. Demgegenüber wird in der Lehre z. T. ein zielgerichtetes Handeln zu Nötigungszwecken gefordert. - In der Tat erscheint es kurios, denjenigen, der ein fremdes Kraftfahrzeug zerstört hat, auch wegen Nötigung zu bestrafen, wenn er weiß, daß der Eigentümer des Fahrzeugs durch sein Verhalten gezwungen wird, nunmehr zu Fuß nach Hause zu gehen. Zwar ist auch die Gewalt gegen Sachen Gewalt i. S. des § 240, wie oben dargelegt wurde. Gleichwohl ist damit das Absichtserfordernis bei der Nötigung nicht zu begründen. Die Vermögensdelikte richten sich gegen die gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung der Person. Soweit diese Entfaltung durch das Vermögensdelikt beeinträchtigt wird, ist der Unrechtsgehalt voll durch das Vermögensdelikt erfaßt. Erst einer darüber hinausgehenden Absicht käme im Rahmen der Nötigung Eigenständigkeit zu. Daß in derartigen Fällen daher nur die beabsichtigte Nötigung eigenständig zu erfassen ist, ändert nichts daran, daß die Nötigung selbst grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz verwirklicht werden kann.

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Delikte gegen die persönliche Freiheit Wie hier: BGHSt 5 S. 246; DREHER/TRÖNDLE § 240 Rdn. 13; GEILEN H. Mayer-

Festschrift, S. 4 6 1 ; HAFFKE Z S t W 8 4 ( 1 9 7 2 ) S. 51 FFJAKOBSJR 1982 S. 2 0 6 f; WEBER

in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 598. Zielgerichtetes Handeln zu Nötigungszwecken fordern: HORN SK, § 240 Rdn.

7 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , §

14 II B ;

SCHMIDHAUSER B .

T., 4 / 1 4 ,

17;

SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 0 R d n . 2 7 . - D i f f e r e n z i e r e n d : WESSELS B . T.-L, § 8 I I I 5 .

III. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung

1. Rechtfertigungsgründe und Verwerflichkeitsprüfung a) Schon bei der Verletzung scharf umrissener Rechtsgüter wie Leben, Körper, Eigentum o. ä. ist der Satz: „der Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund vorliegt", unrichtig, weil er von der Fiktion eines geschlossenen und bekannten Kreises von Rechtfertigungsgründen ausgeht und den dem Täter gegenüber zu erbringenden positiven Nachweis der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu Lasten dieses Täters durch die bloße Aufzählung nicht vorliegender Rechtfertigungsgründe ersetzt. Zur Wiederholung:

G R U N D K U R S STRAFRECHT,

A. T., § 8 I.

Bei einem Rechtsgut, das allein schon durch seine Weite unzähligen verschiedenen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, wäre die schlichte Erwägung, ob im Falle einer solchen Beeinträchtigung ein herkömmlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt oder nicht, geradezu verhängnisvoll. - Bereits die Tatsache, daß die rechtfertigenden Situationen zunächst bei den Verletzungen von Leib und Leben ins Auge fielen und im Verständnishorizont dieser Eingriffe ausformuliert wurden, macht deudich, daß sie gar nicht geeignet sind, die Vielfalt der hier möglichen Situationen sachgerecht zu erfassen. Eine haidose Vielstraferei wäre die Folge, wollte man die Rechtfertigung derart begrenzen. b) Mit dem Verweis auf die Verwerflichkeit in § 240 Abs. 2 anstatt auf die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens soll daher nicht etwa die Strafbarkeit erweitert werden, so daß auch nicht rechtswidriges, aber sittlich anstößiges Verhalten strafbar wäre, sondern Zwang ausgeübt werden, genau zu prüfen, ob ein Verhalten bereits einen solchen Grad der Strafwürdigkeit aufweist, daß es mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden muß. Daraus folgt: Ein gerechtfertigtes Verhalten ist in diesem Sinne niemals verwerflich. Die herkömmlichen Rechtfertigungsgründe sind daher vor der Verwerflichkeit zu prüfen. Mit der Ablehnung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes ist jedoch noch nicht die Strafwürdigkeit des Verhaltens dargetan. Diese ist in der Verwerflichkeitsprüfung nachzuweisen.

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§ 27 Nötigung

Der Ausschluß der Verwerflichkeit beseitigt die Strafwürdigkeit des Verhaltens, d. h. die Rechtswidrigkeit i. S. des § 240 Abs. 2. G Ü N T H E R - Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 322 f spricht hier zutreffend von einem Strafunrechtsausschluß im Gegensatz zum allgemeinen Ausschluß der Rechtswidrigkeit, da das Strafunrecht stets in besonderer Weise strafwürdiges Unrecht sein muß.

2. Der Inhalt der Verwerflichkeitsklausel a) Ob ein Verhalten verwerflich ist, darf nicht isoliert nach dem eingesetzten Mittel oder dem erstrebten Zweck beurteilt werden, sondern ist aus der sog. Mittel-Zweck-Relation, d. h. aus der Verknüpfung von Nötigungsmittel und -zweck, herzuleiten. Dabei ist der relevante Zweck nicht ausschließlich auf den Erfolg der Nötigung, d. h. auf das abgenötigte Verhalten zu begrenzen, sondern das darüber hinausgehende Ziel des Täters ist mitzuberücksichtigen. So auch: BGHSt

17

S.

3 3 2 ; 18

SCHRODER/ESER § 2 4 0 R d n .

Enger: BGHSt

5

S.

S.

3 9 2 ; LACKNER

StGB, § 2 4 0 Anm.

6

a;

SCHÖNKE/

21.

2 4 6 ; ARZT

Welzel-Festschrift, S.

828

ff.

Sachlich kommt es darauf an, ob die Nötigung aufgrund dieser Relation nach allgemeinem Urteil so sozialethisch zu mißbilligen ist, „daß sie ein als Yergehen strafwürdiges Unrecht, eine über die Erfüllung eines bloßen Übertretungstatbestandes hinausgehendes Unrecht" (BGHSt 18 S. 39l), ein „sozial unerträgliches" (WELZEL Lb., § 43 I 3 b) Verhalten darstellt. b) Unter Berücksichtigung der Funktion der Verwerflichkeitsklausel bedeutet das: In einem Verfahren sozialethischer Wertung, wie es aus der Arbeit mit dem rechtfertigenden Notstand bekannt ist, gilt es zu prüfen, ob ein bestimmtes Verhalten bereits als sozialschädliche, sozialgefährliche und damit strafwürdige Verhaltensweise erscheint oder ob es noch als sozialstörendes, unerwünschtes Verhalten unterhalb der Strafwürdigkeitsgrenze angesehen werden kann. - Im Grundsatz wird die Nötigung dann als strafwürdig anzusehen sein, wenn ein gravierender Eingriff in die Rechtsgüter eines anderen zur Durchsetzung eigener Zwecke erfolgt oder wenn zwei nicht zusammenhängende Lebensvorgänge willkürlich durch den Täter verknüpft werden und ein Standhalten des Opfers mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen für das Opfer verbunden ist. In die gleiche Richtung argumentieren: MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 14 II A 2 ; 1981S. 274; im übrigen vgl. A R Z T Welzel-Festschrift, S . 823 ff; H A N S E N Die tatbestandliche Erfassung von Nötigungsunrecht, 1972, S . 154 ff; SCHMIDHÄUSER

VOLKJR

B . T., 4 / 1 8 ; R O X I N J U S 1964 S. 3 7 3 ff.

3. Zur Konkretisierung der Verwerflichkeitsklausel a) BGHSt 5 S. 254: Der Vermieter V erhält davon Kenntnis, daß sein Mieter M,

Delikte gegen die persönliche Freiheit

92

mit dem er seit langem in Streit lebt, versucht hat, seine Scheune anzuzünden. V schreibt ihm, er werde ihn wegen versuchter Brandstiftung anzeigen, falls er nicht auf der Stelle ausziehe. BGH: Nötigung des M durch V nicht verwerflich, da der Sachverhalt, der das Recht zur Strafanzeige gibt, zugleich den Anspruch begründet, den V geltend macht. Das bedeutet: Die Tatsache der unerlaubten Selbsthilfe als solche ist noch nicht strafwürdig, wenn der Täter dem Betroffenen die rechtlichen Maßnahmen androht, zu denen er aufgrund des in Rede stehenden Sachverhalts berechtigt wäre oder die ihm auch im Rechtswege gewährt würden. - Anders hingegen, wenn Maßnahmen aufgrund eines anderen Sachverhalts angedroht werden. b) OLG Hamburg HESt 2 S. 293: A droht seinem säumigen Schuldner S, ihn wegen einer von ihm begangenen Straftat anzuzeigen, wenn er das fällige Darlehen nicht zurückzahlt. Ergebnis: Nötigung verwerflich. - Zwar war A sowohl berechtigt zu der Anzeige als auch zur Rückforderung des Darlehens. Indem er aber die Anzeige mit der RückZahlungsforderung verknüpfte, brachte er willkürlich zwei heterogene Lebensvorgänge in einen nötigenden Zusammenhang. Ein Standhalten wäre bei S mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden gewesen. Ob auf diese Beeinträchtigungen ein Anspruch des A bestand oder nicht, ist in diesem Zusammenhang belanglos. c) BGHSt 31 S. 195 - zum Sachverhalt vgl. oben I 3 c - : Die Verknüpfung der Beseitigung der Anzeige mit der Aufforderung zum Geschlechtsverkehr ist wiederum verwerflich. Auch hier werden heterogene Lebensvorgänge in einen nötigenden Zusammenhang gebracht und ein Standhalten des Opfers ist für dieses mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden. Daher kommt es auch hier nicht darauf an, ob das Opfer einen Rechtsanspruch auf das Verhalten des Täters hat oder nicht. d) OLG KoblenzJR 1976 S. 69 mit Anm. R O X I N S. 71 ff: Die A, eine Filialleiterin, forderte von einer ertappten Ladendiebin DM 50,- als Bearbeitungsgebühr (Fangprämie), sonst werde sie Anzeige erstatten. Sie ging davon aus, daß aufgrund der Aufwendungen für Beobachtungen und des Arbeitsausfalles ein derartiger Anspruch gegen die Ladendiebin bestehe. OLG Koblenz: Nötigung. - Dagegen mit Recht R O X I N : Bestand der Anspruch, so diente die Drohung mit der Anzeige wegen Diebstahls allein der Durchsetzung und Klärung des Anspruchs aus dem Diebstahl. Die A nahm dann durch Drohung mit der Anzeige ihre Rechte wahr, machte sich aber keiner verwerflichen Nötigung schuldig. - Falls A den Bestand des Anspruchs irrig annahm: vgl. Fall k). Zum

Streitstand:

BLEI J A

1976 S.

3 7 0 ; MERTINS G A

1 9 8 0 S . 4 7 ; MEURER

Die

Bekämpfung des Ladendiebstahls, 1976, S . 24 ff; D E R S . J U S 1976 S . 300 ff; SCHULTZ MDR 1981 S . 373. e) OLG Hamburg NJW1968 S. 662 und OLG Köln NJW1979 S. 2056: Der Fußgänger A hält eine Parklücke für den X besetzt, der mit seinem Kfz von der Parklücke noch ein gutes Stück entfernt ist. B schiebt den A mit seinem Kraftfahrzeug aus der Parklücke. Dagegen setzt sich A zur Wehr, indem er kräftig gegen die Stoßstange und Motorhaube drückt.

§ 27 Nötigung

93

O L G : Zwar nötigen A und B einander rechtswidrig mit Gewalt. Beide handeln jedoch nicht verwerflich, da der Eingriff in die Rechtsgüter des jeweils anderen unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nicht als verwerflich erscheint. Str. - eingehender zur Nötigung im Straßenverkehr: B E R Z J u S 1969 S. 367; BOCKELMANN N J W 1 9 6 6 S. 745 f; B R O T Z A T D A R 1980 S. 335 ff; BUSSE Nötigung im Straßenverkehr, 1968; GEILEN H. Mayer-Festschrift, S. 448 ff; M. SCHMID D A R 1980 S. 8 1 f; H . W

SCHMIDT D A R

1 9 6 2 S. 3 5 1 f f .

f) B G H S t 17 S. 329: A hatte mit der D auf der Straße einen Geschlechtsverkehr zu D M 10,- vereinbart. Im Zimmer der D angekommen - und von dieser durch vorbereitende Handlungen in Erregung versetzt - forderte D eine weitere Zahlung von D M 10,-. A war darob arg empört, forderte die schon gezahlten D M 10,zurück und zog die D an den Haaren, um sie zur Hergabe des Geldes zu bewegen. D zahlte zurück. B G H : Nötigung der D durch A nicht verwerflich, da A nur einen vorausgegangenen Druck auf der Stelle mit einem Zwang erwiderte. - Die Sachgerechtigkeit dieser Entscheidung ist jedoch erheblichen Zweifeln ausgesetzt angesichts des von A ausgeübten Druckes. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang insbesondere, daß der B G H an anderem Orte ( B G H G A 1968 S. 338) die Wegnahme des Dirnenlohnes nach der Zahlung immerhin als Raub ( ! ) beurteilt hat. g) B G H S t 23 S. 47: Nach einer Preiserhöhung der Straßenbahntarife in K demonstrierte L gegen die Fahrpreiserhöhung. Er setzte sich auf den Gleiskörper der Straßenbahn, um damit den Straßenbahnverkehr zu blockieren. Die Fahrer der Straßenbahnen konnten nicht weiterfahren. B G H S t 23 S. 55 ff: Nötigung mit Gewalt. Diese Nötigung ist auch verwerflich, denn weder das Demonstrationsrecht noch das Recht der freien Meinungsäußerunggestatten vorsätzliche Eingriffe in Rechte Dritter. - Die Annahme eines Verbotsirrtums liegt hier fern. Hinweis: Das aus Art. 5 und 8 G G abgeleitete Recht auf Demonstrationsfreiheit ist heute anerkannt. Aus dem Wesen dieser Grundrechte, Freiheit zu Meinungsäußerung und Einwirkung auf die öffentliche Meinung zu gewähren, kann jedoch kein Eingriffsrecht in die Rechte Dritter hergeleitet werden. Aufgrund der stets zulässigen Güter-und Pflichtenabwägung sind zwar „Behinderungen" Dritter gerechtfertigt, soweit sie sich als Nebenwirkung der Grundrechtsausübung ergeben, wie z. B. Verkehrsbehinderungen. Dies folgt aus der Tatsache, daß Demonstrationen auf freiem Felde wirkungslos sind und das Grundrecht ausgehöhlt würde, wenn es nicht dort wahrgenommen werden könnte, wo andere die Meinung zur Kenntnis nehmen können. Insofern hat die Demonstrationsfreiheit Vorrang z. B. vor der „Flüssigkeit des Verkehrs" o. ä. Das Grundrecht, das die geistige Auseinandersetzung sichern will, eröffnet jedoch keine darüber hinausgehenden Eingriffe in Rechte Dritter. Eingehender Überblick über den Diskussionsstand: SCHÖNKE/ SCHRÖDER/ESER § 2 4 0 R d n . 2 4 a f f .

h ) B G H N J W 1982 S. 189: Die Angeklagten störten Vorlesungen durch Geschrei, Gebrüll, Pfeifen, Absingen von Liedern und Gebrauch von Lärminstrumenten, um einen Abbruch der Vorlesungen zu erzwingen. B G H : Die Angeklagten nötigten mit Gewalt. Der gravierende Eingriff in die Lehrfreiheit war verwerflich, insbesondere nicht durch einen Streik gerechtfertigt,

94

Delikte gegen die persönliche Freiheit

da zwischen Universität und Studenten kein Arbeitsverhältnis besteht, das einen Streik rechtfertigen könnte.

Dazu auch: K G J R 1979 S. 162; DINGELDEY N S t Z 1982 S. 161; KÖHLERNJW1983

S. 10 u n d dazu BRENDLE N J W 1983 S. 7 2 7 f; F.-CHR. SCHROEDERJUS 1982 S. 4 9 1 f.

i) BGH NStZ 1982 S. 287: H wollte mit der Freundin F des A geschlechtlich verkehren. Als F sich weigerte, äußerte A, daß es zwischen ihnen aus sei, wenn F nicht mache, was der H wolle. Daraufhin willigte F in den Geschlechtsverkehr ein. BGH: § 240 Abs. 1 entfällt bereits, weil das angedrohte Übel (Abbruch der Freundschaft) unter diesen Umständen nicht als empfindliches anzusehen war. Darüber läßt sich streiten, denn die Entscheidung hängt davon ab, wie weit man die Bindung der F an A zu ihren Gunsten berücksichtigt. Vertretbar daher auch die Androhung eines empfindlichen Übels. Dann war die Nötigung jedoch nicht verwerflich, da ein Standhalten der F nicht mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden war. Dazu auch: F.-CHR. SCHROEDERJZ 1983 S. 287.

j) BGH NStZ 1982 S. 286: A forderte die E zum Geschlechtsverkehr auf. Für den Fall ihrer Verweigerung drohte er, sich selbst umzubringen. E gab nach. Ergebnis: Auch hier kann schon die Frage, ob A mit einem empfindlichen Übel drohte, unterschiedlich beantwortet werden. In keinem Fall war die Nötigung jedoch verwerflich; vgl. Fall i). k) Der Gastwirt A verwechselte den Gast G mit dem Gast Y, dem er Lokalverbot erteilt hat. Als er den G in seiner Gaststätte sieht, weist er ihn hinaus und als G nicht freiwillig geht, drängt er ihn gewaltsam auf die Straße. In der Konsequenz seiner Rechtsprechung müßte der BGH diesen Fall nicht nach den Prinzipien seiner Irrtumslehre lösen, sondern - jeder Zweck enthält schließlich ein subjektives Element - die Verwerflichkeit verneinen: A macht ein Zwangsmittel geltend, das seinen Ursprung in demselben Grund hat, aus dem nach seiner Überzeugung auch der Anspruch herrührt, den er durchsetzt; dazu - sowie zu den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten der Problematik über die Irrtumslehren R O X I N J R 1976 S. 71 f.

§ 28: Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 2 3 9 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Freiheit der Person, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen; sog. potentielle persönliche Bewegungsfreiheit. - Da die potentielle, nicht aber die reale persönliche Bewegungsfreiheit maßgeblich sein soll, kommt die h. M. zu dem Ergebnis, es sei bedeutungslos, ob der Betroffene die Beeinträchtigung seiner Bewegungsfreiheit wahrgenommen habe oder nicht. Sodann jedoch wird differenziert. Während einige den Grundsatz uneingeschränkt anwenden, kommen andere zu dem Ergebnis, eine Freiheitsberaubung sei nicht möglich, wenn der Betroffene

95

§ 28 Freiheitsberaubung

zur Tatzeit einen natürlichen Fortbewegungswillen gar nicht haben kann, weil die Möglichkeit der Willensbildung und -betätigung ausgeschaltet ist. Daher sei keine Freiheitsberaubung möglich beim sinnlos Betrunkenen, beim Ohnmächtigen, beim Tiefschlafenden oder beim Kleinstkind, hingegen könne das Opfer, das lediglich nicht merke, daß es eingesperrt sei, durchaus der Freiheit beraubt werden. Diese Differenzierung bleibt willkürlich, denn schon die Annahme einer Freiheitsberaubung einer Person, die überhaupt nicht bemerkt hat, daß sie ihrer Freiheit beraubt war, ist mit dem Schutz der persönlichen Bewegungsfreiheit nicht in Einklang zu bringen. Zutreffender erscheint es daher, eine Freiheitsberaubung dort abzulehnen, wo der Wille des Betroffenen nicht tangiert wurde, weil sein Wille weder durch irgendwelche Einwirkungen (Hypnose, Schlafmittel) ausgeschaltet noch er selbst sich der Beraubung seiner Bewegungsfreiheit bewußt wurde (Ohnmacht, Schlaf, Beschäftigung mit anderen Dingen). Ist er sich hingegen der Tatsache bewußt geworden, daß er seinen Aufenthaltsort nicht verlassen kann, so ist es gleichgültig, ob er ihn verlassen will, unabhängig davon, ob der Betroffene zur Fortbewegung fähig ist, wie z. B. ein Gelähmter. Insofern ist es richtig, auf die potentielle persönliche Bewegungsfreiheit abzustellen, denn schon das Bewußtsein, seinen Aufenthaltsort nicht verändern zu können, beeinflußt die Willensbildung. - Unstreitig ist auch der Besinnungslose usw. seiner Freiheit beraubt, wenn die Einsperrung auch noch bei seinem Aufwachen fortdauert. Wie hier: B I N D I N G B . T. I, S. 98; H O R N SK, § 239 Rdn. 3; W E B E R in: Arzt/Weber, 1, Rdn. 535. Differenzierend: D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 3 9 Rdn. 1; LACKNER StGB, § 2 3 9 Anm. 1; S C H Ö N K E / S C H R O D E R / E S E R § 2 3 9 Rdn. 4 . - Grundsätzlich für den Schutz potentieller Bewegungsfreiheit: BOCKELMANN B.T. 2 , § 1 8 A 1 1 C; SCHAFER LK, 9 . Aufl., § 2 3 9

LH

Rdn.

1 2 ; SCHMIDHÄUSER B . T . ,

4/26.

2. Die Tathandlung

Tathandlung ist der Eingriff in die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen. Diesem wird die Möglichkeit genommen, sich nach seinem Willen fortzubewegen. Einsperren - Verhinderung am Verlassen eines Raumes durch äußere Vorrichtungen - ist nur ein Beispielsfall einer Freiheitsberaubung, die z. B. auch durch Drohung, Gewalt oder Wegnahme der Kleider erfolgen kann. Maßgeblich ist allein, daß dem Opfer die Willensbetätigung zur Ortsveränderung nach allen Seiten unmöglich gemacht ist; BGHSt 32 S. 187 ff. - Wird dem Opfer lediglich die Bewegung in eine Richtung unmöglich gemacht oder das Opfer in eine andere Richtung gezwungen, so liegt nur Nötigung vor. - Das Delikt ist ein Dauerdelikt, doch erfordert der Tatbestand keine lange Dauer („ein Vaterunserlang" genügt).

96

Delikte gegen die persönliche Freiheit

Ob ein u. U. verbleibender Ausweg ungewöhnlich ist oder nicht, spielt keine Rolle. Die Grenze beginnt dort, wo dem Opfer der Ausweg nicht mehr zumutbar ist, z. B. beim lebensgefährlichen Sprung aus dem Fenster eines Hochhauses oder beim Herunterklettern über eine Feuerleiter oberhalb einer belebten Straße ohne Bekleidung. Grundsätzlich ohne besondere Probleme ist auch die Verwirklichung einer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft, wenn der Hintermann die Tatherrschaft innehat, weil das Werkzeug irrt oder im Nötigungsnotstand handelt. Daher wird von der h. M. auch eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft angenommen, wenn der Täter durch eine falsche Anzeige dafür ursächlich wird, daß der Angezeigte in Haft kommt. Dies mag für eine falsche Anzeige vor der Polizei, die dazu führt, daß das Opfer in U-Haft genommen wird, zutreffen; dazu BGHSt 3 S. 4. Soweit die Haft auf einem Urteil beruht, ist der Anzeigende nicht mehr für dieses Ergebnis als mittelbarer Täter verantwortlich. Das Gericht ist nicht Werkzeug des Anzeigenden! Es ist verpflichtet, belastende und entlastende Momente zu überprüfen und eigenverantwortlich zu wägen. Das widerspricht seiner Werkzeugeigenschaft dort, wo ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist, evident.

II. Rechtswidrigkeit Die Widerrechdichkeit ist nicht Tatbestandsmerkmal i. S. eines Merkmals des Gesetzestatbestandes, sondern allgemeines Verbrechensmerk mal. - Als Rechtfertigungsgründe kommen alle rechtfertigenden Situationen in Betracht, insbesondere die Ausübung des Sorgerechts im Rahmen der Familienpflege - dazu BGHSt 13 S. 197 - sowie das Festnahmerecht gemäß § 127 StPO. - Die Einwilligung des Verletzten schließt den Tatbestand aus.

III. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung In § 2 39 Abs. 2 und Abs. 3 sind erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung geregelt. 1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen Die über eine Woche hinausgehende Freiheitsberaubung, wie auch der Tod oder die schwere Körperverletzung i. S. des § 224, müssen für den Täter vorhersehbar gewesen sein, § 18. - Daß das Opfer den Tod selbst

§ 28 Freiheitsberaubung

97

herbeigeführt hat, sei es durch Selbstmord oder einen gefährlichen Fluchtversuch, ist irrelevant, da der Wille des seiner Freiheit beraubten Opfers im Rechtssinne nicht frei ist. Dazu: B G H LM Nr. 4 zu § 239; BGHSt 19 S. 382 mit abl. Anm. WIDMANNMDR S. 9 7 2 f.

1967

Führt der Täter die schwere Folge vorsätzlich herbei, so ist Tateinheit mit §§ 211, 212, 225 möglich. 2. Der Versuch Der Versuch der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 ist nicht strafbar, wohl aber der Versuch der erfolgsqualifizierten Fälle, da es sich hier um Verbrechen handelt. Zur Problematik der verschiedenen beim erfolgsqualifizierten Delikt möglic h e n V e r s u c h s k o n s t e l l a t i o n e n vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T., § 18 I V 6 .

IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung Die Freiheitsberaubung ist ein Spezialfall der Nötigung. Daraus folgt für die Fälle der gewaltsamen Veränderung des Aufenthaltsortes einer Person: 1. Wird die Person gewaltsam an einen anderen Ort gebracht: Freiheitsberaubung. Beispiel: A und B greifen den C und schleppen ihn fort, um ihn an einem anderen Ort zu verprügeln. Ergebnis: Freiheitsberaubung mit Ergreifen des C. Die Nötigung des C, seinen Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen zu können, wird mit von dem spezielleren § 239 erfaßt.

2. Wird die Person gezwungen, zu einem bestimmten Ort zu gehen: Freiheitsberaubung und Nötigung in Idealkonkurrenz. Beispiel: Durch Schläge zwingen A und B den C mit ihnen an einen stillen Ort zu gehen, wo sie ihn verprügeln wollen. Ergebnis: Freiheitsberaubung, vgl. 1.; dazu kommt aber die Nötigung des C, sich an den von A und B gewählten Ort zu begeben, sowie eine Körperverletzung.

3. Wird einer Person hingegen nur eine Möglichkeit belassen, einen bestimmten Ort zu verlassen: Nötigung. Beispiel: A und B lauern dem C auf und schneiden ihm die zwei der drei möglichen Wege, nach Hause zu kommen, ab. C muß einen gewaltigen Umweg machen, um nach Hause zu kommen. Ergebnis: Nötigung. - Keine Freiheitsberaubung, da C nicht die Möglichkeit genommen, seinen Aufenthaltsort zu bestimmen und zu verlassen, sondern lediglich Zwang ausgeübt wurde, einen bestimmten Weg zu nehmen, um zu dem von ihm selbst bestimmten Ziel (darin Unterschied zu 2.) zu gelangen.

98

Delikte gegen die persönliche Freiheit

4. Mißlingt der Versuch des Täters, eine Person an einem bestimmten Ort festzuhalten, so liegt eine versuchte Nötigung vor. Die versuchte Freiheitsberaubung selbst ist nicht strafbar, sie schließt jedoch die Bestrafung wegen Nötigung, die bei vollendeter Freiheitsberaubung in der Freiheitsberaubung aufgeht, nicht aus; dazu BGHSt 30 S. 2 3 5 f m i t a b l . A n m . JAKOBS J R 1 9 8 2 S. 2 0 6 f .

V. Menschenraub, § 234 In § 234 ist ein Spezialfall der Freiheitsberaubung geregelt. Das Delikt währt so lange, wie die Bemächtigung anhält (Dauerdelikt). Einzelheiten des Tatbestandes: List ist ein geflissentliches Verbergen der verfolgten Absicht, z. B. durch Täuschung oder Ausnutzung eines Irrtums. - Bemächtigen heißt Begründen der physischen Herrschaft über eine Person. - Zur hilflosen Lage vgl. oben § 10 I 2 b.

§ 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut u n d Verhältnis der §§ 239 a, 239 b zueinander 1. Das geschützte Rechtsgut Beide Vorschriften schützen zunächst die persönliche Freiheit und Unversehrtheit des Opfers, sodann aber die persönliche Freiheit des Dritten, dessen Sorge ausgenutzt werden soll. - Dahinter tritt der in § 239 a auch erfaßte Schutz des Vermögens zurück, so daß es sachgerecht ist, beide Delikte, § 239 a und § 239 b, als Freiheitsdelikte einzuordnen. Die Nähe des §

239

a zur Erpressung betonen demgegenüber

SCHROEDER B . T . I , § 4 5 I V 2 ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 2 3 9 a R d n .

MAURACH/ 3.

2. Das Verhältnis der §§ 239 a, 239 b zueinander Beide Vorschriften können nicht als überzeugende Regelung der Materie angesehen werden. Ihr Verhältnis zueinander ist systematisch unnötig kompliziert, die verwandten Begriffe erfassen nur mühsam das Wesentliche. a) In einem Teilbereich - der Täter will durch Drohung mit dem Tode oder einer schweren Körperverletzung (§ 224) der Geisel zur Zahlung einer Geldsumme nötigen, um sich rechtswidrig zu bereichern - kann das Verhältnis des § 239 b zu § 239 a als das des Grundtatbestandes zu seinem durch die Bereicherungsabsicht qualifizierten Tatbestand gesehen werden.

§ 29 Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme

99

b) Außerhalb dieser Fallkonstellation erfaßt § 239 a jedoch einen erheblich weiteren Bereich als § 239 b, da das Tatmittel in § 239 a (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel) weit über das in § 239 b vorausgesetzte (Nötigung durch Drohung mit dem Tode des Opfers oder einer schweren Körperverletzung) hinausgeht. Insoweit handelt es sich bei § 239 a um ein selbständiges Delikt. II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Erpresserischer Menschenraub, § 239 a a) Tatopferkznn jeder Mensch sein, insbesondere auch das eigene Kind. Dazu: BGHSt 26 S. 70.

b) Der Tatbestand unterscheidet zwei Alternativen: in der ersten Alternative erfolgt die „Entführung" oder das „Sich-Bemächtigen eines Dritten" bereits in der Absicht der Erpressung; in der zweiten Alternative wird ein ursprünglich aus anderen Gründen (Scherz, Rache o. ä.) hergestelltes Gewaltverhältnis später zur Erpressung ausgenutzt. Entführen setzt ein Verbringen an einen anderen Ort voraus, wo das Opfer dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist. - Sich bemächtigen bedeutet die Begründung physischer Herrschaft des Täters über das Opfer. Ein Verbringen an einen anderen Ort ist nicht begriffsnotwendig. - Stellt sich jemand freiwillig als Geisel (nicht nur als Ersatzgeisel) für die Zwecke des Täters zur Verfügung, so entfällt der Tatbestand, da weder eine Entführung noch ein Sich-Bemächtigen vorliegt. Vgl.: L G München 31js 81385/75; BACKMANNJuS 1977 S. 449. - A. A.: LAMPEJR 1975 S. 425.

c) In der 1. Alternative muß mit dem Vorsatz die Absicht des Täters verbunden sein, „die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung auszunutzen". Sorge um das Wohl des Opfers ist bereits die Befürchtung, das Opfer könne beim Fortbestehen der vom Täter geschaffenen Lage körperlichen oder seelischen Schaden erleiden. Damit handelt aus Sorge in diesem Sinne auch der Staat, der nicht unmittelbar aus Sorge um das Wohl der Geisel zahlt, sondern aus Gründen der Staatsräson dokumentiert, daß er das Leben der Geisel mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln schützt, wie auch der Bankkassierer, der vielleicht sogar den bedrohten Kunden haßt, der aber weiß, daß er selbst erhebliche Nachteile haben wird, wenn er nicht für das Wohl des Opfers sorgt und zahlt. Um eine Sorge um einen anderen im herkömmlichen Sinne des Wortes handelt es sich hier nicht mehr, sondern nur noch um die Befürchtung, ein anderer werde Schaden nehmen. Eingehender dazu: HANSEN GA 1974 S. 353 ff.

100

Delikte gegen die persönliche Freiheit

Ob der Täter wirklich die Absicht hat, dem Opfer einen Schaden zuzufügen oder nicht, ist irrelevant. Maßgeblich ist allein die Ausnutzung der Sorge Dritter. - Zu den Erfordernissen der Erpressung vgl. unten § 53 L d) Vollendet ist die Tat in der 1. Alternative, wenn der Täter einen anderen entführt oder sich eines anderen bemächtigt hat in der Absicht, die Sorge eines Dritten zu einer Erpressung auszunutzen. Es braucht nicht einmal bis zu einem Versuch einer Erpressung zu kommen. - In der 2. Alternative ist der Tatbestand vollendet, wenn der Täter die von ihm geschaffene Lage zu einer Erpressung ausnutzt, d. h. die Erpressung zumindest versucht. Vgl.: BGHSt 26 S. 310 (zu § 239 b). - A. A.: einerseits MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 45IV 3 in Verb, mit § 16 II B 4: vollendete Erpressung erforderlich; andererseits MAURACH Heinitz-Festschrift, S. 408: Aufrechterhaltung der Lage in Erwartung eines Lösegeldangebotes genügt.

2. Geiselnahme, § 239 b a) Tatopfer und Tathandlung entsprechen § 239 a. - Im Gegensatz zu § 239 a tritt an die Stelle der Ausnutzung der Sorge eines Dritten in erpresserischer Absicht in § 239 b die Absicht einer Nötigung mit qualifiziertem Mittel (Drohung mit dem Tode oder einer schweren Körperverletzung § 224 - des Opfers). - Der Vorbehalt des Täters, die Drohung nicht zu realisieren, ist irrelevant. Eine derartige Einschränkung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. A . A . : B A C K M A N N J u S 1 9 7 7 S . 4 4 9 ; BOHLINGERJZ 1 9 7 2 S . 2 3 1 f; HANSEN G A

1974

S. 368.

b) Der Aufbau des Tatbestandes und seine Vollendung entsprechen § 239 a; vgl. oben 1. III. Erfolgsqualifizierungen nach §§ 239 a Abs. 2, 239 b Abs. 2 Die Erfolgsqualifizierungen gemäß § 239 a Abs. 2 und § 239 b Abs. 2 entsprechen in ihrer Struktur dem Raub mit Todesfolge; vgl. dazu unten § 46 IV. Nur leichtfertiges Verursachen des Todes ist hier relevant. - Zur Diskrepanz der Strafdrohungen gegenüber § 212 vgl. unten § 46 IV 3 b.

IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 3, 239 b Abs. 3 Abweichend von anderen Fällen der sog. Tätigen Reue nach vollendeter Tat erfordert Abs. 3 keine Freiwilligkeit, unterwirft aber die Strafmilderung nicht § 49 Abs. 2, sondern dem strengeren § 49 Abs. 1.

§ 30 Zur Wiederholung

101

Erstrebte Leistung ist in § 239 a die Beute, in § 239 b der Nötigungserfolg. - Ein Verzicht liegt vor, wenn der Täter seinen Erpressungs- oder N ö t i gungsplan vor Eintritt des Erfolges aufgibt, bzw. die Beute wieder herausgibt oder auf die Ausnutzung der Nötigungssituation verzichtet. - In seinen Lebenskreis zurückgelangt ist das Opfer, wenn es, aus der Gewalt des Täters entlassen, die Möglichkeit hat, seinen Aufenthaltsort frei zu bestimmen und zu erreichen.

V. K o n k u r r e n z e n §§ 2 3 9 , 2 4 0 werden konsumiert von §§ 239 a, 239 b. - Mit §§ 235-237, 253, 255 ist Idealkonkurrenz möglich. - Verfolgt der Täter mit derselben Tathandlung zugleich eine Bereicherung und andere Zwecke, so stehen §§ 239 a, 239 b in Idealkonkurrenz.

§ 30: Zur Wederholung 1. Wie wurde „Gewalt" i. S. des § 240 ursprünglich definiert und worin unterschied sich diese Definition von der, die der BGH seinen Entscheidungen in der Regel zugrunde legt? - Dazu § 27 I 2. 2. Kommt es bei einer Drohung mit einem empfindlichen Übel darauf an, ob der Drohende die Drohung wirklich realisieren kann? - Dazu § 27 I 3 a. 3. Ist die Verwerflichkeit eines nötigenden Verhaltens vor den Rechtfertigungsgründen zu prüfen? - Dazu § 27 III 1. 4. Genügt es, daß eine Nötigung sittlich anstößig ist, oder fordert die Strafbarkeit auch hier ein rechtswidriges Verhalten? - Dazu § 27 III 1 b. 5. Wann ist ein Verhalten „verwerflich" i. S. des § 240 Abs. 2? - Dazu § 27 III 2. 6. Kann auch ein „Bewußtloser" seiner Freiheit beraubt werden ? - Dazu § 2811. 7. Liegt auch eine Freiheitsberaubung vor, wenn der Betroffene seinen Aufenthaltsort nur auf „ungewöhnlichem" Wege verlassen kann? - Dazu § 28 I 2. 8. Welche Bedenken sind gegen eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch eine Behörde oder ein Gericht aufgrund einer Täuschung (unwahre Aussage) geltend zu machen? - Dazu § 28 I 2. 9. Was heißt „sich eines Menschen bemächtigen" in § 234? - Dazu § 28 V 10. Wie ist das Verhältnis des § 239 b zu § 239 a zu bestimmen ? - Dazu § 2912.

Fünfter Abschnitt Delikte gegen die Ehre § 31: Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte Einigkeit besteht darüber, daß das geschützte Rechtsgut der §§ 185 ff die Ehre ist. - Inhalt und Grenzen dieses Begriffs sind jedoch streitig, obwohl nicht zu verkennen ist, daß die verschiedenen Auffassungen über die inhaltliche Bestimmung des Ehrbegriffs sich in einem Kernbereich weitgehend angenähert haben, nachdem insbesondere ENGISCH - LangeFestschrift, S. 412 ff - nachgewiesen hat, daß jeder Ehrbegriff normative und faktische Elemente enthält und enthalten muß. Es bleiben jedoch Divergenzen, die über bloß unterschiedliche Akzentuierungen hinausgehen, soweit nämlich eine betont normative oder eine mehr normativfaktische inhaltliche Ausfüllung des Ehrbegriffs vorgenommen wird. 1. Der Streitstand a) Auf der Grundlage des normativen Ehrbegriffs ist Ehre als der auf die Personenwürde gegründete innere Wert des Menschen anzusehen. Sie geht unmittelbar aus seiner sittlichen Existenz hervor und ist in ihrem Bestand allein abhängig von seinem sittlichen Habitus und seinem sittlichen Verhalten, wobei das sitdiche Element z. T. auf den Gesamtbereich der Sozialethik bezogen wird. Vgl.: HERDEGEN L K , 9 . Aufl., Vor § 185 R d n . 4 ff; HIRSCH Ehre u n d Beleidigung, 1967, S. 2 9 ff, 45 ff, 72 ff; ARTHUR KAUFMANN Z S t W 72 ( I 9 6 0 ) S. 4 3 0 f; SCHMIDHÄUSER

B. T., 5/1; TENCKHOFF Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände, 1974, S. 181 f; WELZEL Lb., § 42 I 1.

b) In der normativ-faktischen Betrachtungsweise wird der soziale Wert- und Achtungsanspruch wesentlich neben den aus der Personenwürde fließenden sitdichen Wertstand gestellt. Maßgeblich ist zunächst der auf der Würde der Person beruhende sittliche Geltungswert, sodann aber der soziale Achtungsanspruch, der der Person aufgrund ihres Verhaltens in der Sozietät zuwächst, das nach sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird. Vgl.: B V e r f G E 30 S. 195; B G H S t 1S. 2 8 9 ; 11S. 7 0 ; ARZTJUS 1982 S. 718; DREHER/ TRÖNDLE § 185 R d n . 2 ; ENGISCH Lange-Festschrift, S. 412 ff; GEPPERrJura 1983 S. 532; LACKNER S t G B , Vor § 185 A n m . 1; MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 2 4 1 ; OTTO S c h w i n ge-Festschrift, S. 71 ff; RUDOLPHI S K , Vor § 185 R d n . 5; SCHÖNKE/SCHRODER/ LENCKNER Vorbem. §§ 185 f f R d n . 1; WESSELS B . T.-L, § 101; WOLFF Z S t W 81 ( 1 9 6 9 )

S. 886 f.

§ 3 1 Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte

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c) Erschwert wird die Diskussion dadurch, daß die Bezeichnungen der einzelnen Ehrbegriffe erheblich voneinander abweichen. 2. Stellungnahme Im Denkschema des sog. normativen Ehrbegriffs ist die Ehrminderung in der schuldhaften Verletzung sittlicher i. S. sozialethischer Pflichten zu sehen. Doch gerade diese Fixierung des Maßstabes gibt zu Bedenken Anlaß, denn unabhängig von der Vielschichtigkeit und Fragwürdigkeit sozialethischer Pflichten in einer pluralistischen Gesellschaft, führt die Begrenzung der Person und ihrer personalen Entfaltung auf das Bezugssystem von Rechten und Pflichten in diesem Bereich zu einer Beschränkung der personalen Möglichkeiten. Nur ein geringer - wenn auch bedeutender - Teil der hier relevanten Verhaltensweisen läßt sich im Gefüge von Rechtsausübung und Pflichterfüllung unterbringen. Der weitaus größere Teil ist in diesem Schema nicht zu erfassen, obwohl auch diese Verhaltensweisen durchaus sozialethischer Bewertung zugänglich sind. - An diesen Befund knüpft der normativ-faktische Ehrbegriff an. Er erfaßt die Ehre als ein zugleich faktisch und normativ zu verstehendes Beziehungsverhältnis, mit dessen Schutz die Rechtsgesellschaft unmittelbar die Fundamente menschlichen Zusammenlebens sichert. Geschützt wird die Möglichkeit der Person, mit anderen Personen Gemeinschaft zu haben, und zwar zum einen, indem jeder Person die Würde als Person zugestanden wird, zum anderen, indem der Person in bestimmtem Rahmen Möglichkeiten gesichert werden, sich in der Gesellschaft personal zu entfalten. Dieser Schutz wird dadurch erreicht, daß der Anspruch der Person, als Person geachtet und nach ihren auf Gemeinschaft bezogenen Werken eingeschätzt zu werden (sozialer Geltungsanspruch), gewährleistet wird. Das bedeutet: Maßgeblich für die Beurteilung der Person ist zunächst ihr auf der Würde der Person beruhender Wertstand, sodann aber ihr individuelles Verhalten, das unter sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird. Insoweit sind Normativität und Faktizität im Ehrbegriff miteinander verbunden. D a z u : ENGISCH Lange-Festschrift, S. 412 f f ; OTTO Schwinge-Festschrift, S. 71 ff;

WOLFB Z S t W 81 (1969) S. 886 ff.

II. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre 1. Die Beleidigungsfähigkeit Da der soziale Geltungsanspruch auf der Menschenwürde aufbaut, ist jeder Mensch beleidigungsfähig, auch Kinder, Geisteskranke usw.

104

Delikte gegen die Ehre

2. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung Selbstverständlich ist, daß mehrere Personen gemeinsam mit einem Ausspruch beleidigt werden können, z. B. „Ihr drei seid doof!" - Aber auch wenn die Betroffenen nicht genau individualisiert sind, sondern nur als Angehörige einer Personenmehrheit konkretisiert werden, ist eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung möglich derart, daß jeder Angehörige der Personenmehrheit verletzt ist. Das gilt aber nur dann, wenn die Kollektivbezeichnung den Kreis der Betroffenen so scharf umgrenzt, daß er deudich aus der Allgemeinheit heraustritt und die Zuordnung des Einzelnen als möglicher Betroffener nicht zweifelhaft ist. Vgl.: B G H S t 11 S. 208; K G J R 1978 S. 423; HERDEGEN LK, 9. Aufl., Vor § 185 R d n . 16 f f ; W A G N E R J u S 1 9 7 8 S . 6 7 7 .

Sodann unterscheidet die h. M.: Verletzt die Äußerung den Ehranspruch aller Mitglieder der Personenmehrheit, so ist jedes Mitglied der Mehrheit persönlich betroffen. Zielt die Ehrverletzung nur auf einen oder eine Gruppe von Angehörigen aus der Personenmehrheit, bleibt aber offen, wer gemeint ist, so soll eine Beleidigung einzelner Mitglieder der Personenmehrheit nur in Betracht kommen, wenn die in Frage kommende Gruppe selbst wieder einen verhältnismäßig kleinen überschaubaren Personenkreis darstellt. Andernfalls „verliere" sich die Beleidigung in der großen Zahl der in Betracht kommenden Personen. Vgl.: B G H S t 19 S. 238; K G J R 1978 S. 423; O L G Düsseldorf M D R 1981S. 868; HERDEGEN L K , 9. A u f l . , § 185 R d n . 17; KREY B . T. I , S . 115; LACKNER S t G B , V o r § 185 A n m . 2 a ; LAMPRECHT Z R P 1 9 7 3 S . 2 1 5 f f ; S C H Ö N K E / S C H R Ö D E R / L E N C K N E R

Vorbem.

§§ 185 ff Rdn. 5 ff.

In dieser Unterscheidung kommt lediglich der Versuch einer Korrektur zu weit gefaßter Kollektivbezeichnungen zum Ausdruck. Entweder ist durch die Gesamtbezeichnung der betroffene Kreis so scharf umgrenzt, daß die Zuordnung des Einzelnen nicht zweifelhaft und seine Betroffenheit dadurch eindeutig ist. Oder aber der Kreis ist so groß, daß für jeden verständigen Beobachter eindeutig ist, daß sich eine Beleidigung in der unbestimmten Vielzahl der Betroffenen verliert. - Maßgeblich kann allein sein, ob die Gruppe so scharf umrissen ist, daß jeder Einzelne als Betroffener erscheinen kann, gleichgültig, ob alle oder einzelne angesprochen werden oder nur ein einziger gemeint ist. Die Grenzen sind in der Rechtsprechung fließend. Eine Beleidigung aller betroffenen Einzelnen unter einer Kollektivbezeichnung wurde z. B. bejaht für: Die Juden, die jetzt in Deutschland leben und Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen waren ( B G H S t 11S. 208; Str.); die an einem bestimmten Einsatz beteiligten Kriminalbeamten (RGSt 45 S. 138); alle deutschen Patentanwälte (BayObLG N J W 1953 S. 554 f mit zustimmender Anm. BOCKELMANN S. 555); die in Schutz- und Kriminalpolizei tätigen Beamten ( O L G Düsseldorf M D R 1981 S. 868).

§31 Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte

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Als zu unbestimmt wurde der Personenkreis hingegen angesehen bei Bezeichnungen wie: die Akademiker (BGHSt 11 S. 209); die Katholiken (BGHSt 11 S. 209); die an der Entnazifizierung Beteiligten (BGHSt 2 S. 38); die Frauen (LG Hamburg NJW 1980 S. 56); die Polizei (OLG Düsseldorf MDR 1981 S. 337). Als hinreichend bestimmt bei der Beleidigung einzelner aus einer Mehrheit hat die Rechtsprechung angesehen: ein bayerischer Staatsminister sei Kunde eines Callgirl-Rings (BGHSt 19 S. 235); 2 Mitglieder derX-Fraktion in M seien Verfassungsfeinde (BGHSt 14 S. 48). Als zu unbestimmt wurde beurteilt: eine nicht genannte Zahl von Richtern eines mit mehr als 200 Richtern besetzten Gerichts (KGJR 1978 S. 422). I m einzelnen dazu: GEPPERrJura 1983 S. 538 f.

3. Die Beleidigung eines Kollektivs a) In § 194 Abs. 3, 4 geht das Gesetz selbst davon aus, daß Behörden, Gesetzgebungsorgane und politische Körperschaften beleidigungsfähig sind. Die Rechtsprechung hat daraus den allgemeinen Schluß gezogen, daß Kollektive schlechthin beleidigungsfähig sind, wenn sie a) eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und b) einen einheitlichen Willen zu bilden vermögen. Beispiele: Kapitalgesellschaft als Inhaberin einer Bank (OLG Köln NJW 1979 S. 1723); Bundeswehr (OLG Hamm NZWehrr 1977 S. 70); politische Parteien und ihre Untergliederungen (OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 692); die Mannheimer Polizei (OLG Frankfurt NJW 1977 S. 1353). Ob diese Gleichstellung des Ehrenschutzes eines Kollektivs mit dem eines Individuums nötig ist, erscheint allerdings zweifelhaft. Das Kollektiv ist nicht auf die gleichen Möglichkeiten der personellen Entwicklung existentiell angewiesen wie die natürliche Person, ihm selbst kommt keine Personenwürde zu, so daß beim Ehrenschutz eines Kollektivs allein ein sozialer Achtungsanspruch geschützt wird. Darüber hinaus werden durch die Tat in der Regel die für die Willensbildung oder Tätigkeit des Kollektivs Verantwortlichen betroffen sein, so daß ein über diesen Schutz natürlicher Personen hinausgehender Schutz nicht unbedingt erforderlich ist, auch wenn im Rahmen der Kreditgefährdung - dazu sogleich unten § 32 III 3 - dem Schutz des sozialen Status eines Kollektivs Bedeutung zukommen kann. Die Vertreter des normativen Ehrbegriffs müssen hier folgerichtig den Ehrenschutz ablehnen, denn Personenwürde kommt diesen Kollektiven unmittelbar nicht zu.

i

Vgl.: HIRSCH Ehre, S. 113; ARTHUR KAUFMANN Z S t W 72 ( I 9 6 0 ) S. 423; KRUG E h r e

und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden, 1965, S. 203 ff; WELZEL Lb., § 4211 b. Kritisch aber auch: DREHER/TRÖNDLE § 185 Rdn. 21; WAGNERJuS 1978 S. 676. - Für die Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung: BRUNS NJW 1955 S. 689 ff; KREY B.T. I, S. 118; MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 24 II B.

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Delikte gegen die Ehre

b) Inkonsequent argumentiert allerdings die Rechtsprechung, wenn sie eine Familienehre nicht anerkennt. Zum einen erfüllt die Familie die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein Kollektiv bezüglich der gesellschafdichen Funktion (vgl. Art. 6 GG), zum anderen aber steht dieses Kollektiv der Person selbst am nächsten. S o a u c h : ARTHUR KAUFMANN Z S t W 7 2 ( I 9 6 0 ) S. 4 4 1 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 2 4 II B 2 . ; W E L Z E L M D R 1 9 5 1 S . 5 0 1 ff. - A . A . : B G H S t 6 S. 1 9 2 ; B G H M D R 1 9 5 1

S. 500; BayObLGSt 1958 S. 246; HERDEGEN LK, 9. Aufl., Vor § 185 Rdn. 20; RUDOLPHI S K , V o r § 1 8 5 R d n . 1 0 .

Strafbarkeitslücken begründet allerdings die Ablehnung einer Familienehre nicht, da die Interpretation derartiger Beleidigungen als Beleidigung der Familienmitglieder unter einer Kollektivbezeichnung mühelos gelingt. § 32: Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 1. Der objektive Tatbestand a) Beleidigung bedeutet Kundgabe der Mißachtung oder Nichtachtung der Ehre, d. h. des sittlichen und sozialen Achtungsanspruchs eines anderen. - Kundgabe ist Äußerung der Miß- oder Nichtachtung gegenüber einem anderen. Tagebuchaufzeichnungen, Monologe oder Briefe, die der Schreiber noch nicht aus der Hand gegeben hat, sind nicht als Kundgabe anzusehen. Anders hingegen, wenn das Tagebuch oder der Brief einem Dritten diktiert wird oder der Monolog für Dritte hörbar ist. Zur Äußerung im engsten „Familienkreis" vgl. unten IV 3 a.

Die Äußerung kann durch Worte, Bilder, Gesten (§ 185,1. Alt.) oder auch durch Tätlichkeiten (§ 185,2. Alt.) erfolgen. Ob die Äußerung einen beleidigenden Inhalt hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist der objektive Sinngehalt unter Berücksichtigung des Empfängerverständnisses. b) Die Beleidigung kann auf dreierlei Weise erfolgen: aa) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber dem Betroffenen („Du Lümmel"). bb) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber einem Dritten („A ist ein Lümmel"). cc) Ehrverletzende Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen („Du hast mir meine Uhr gestohlen"). c) Die Abgrenzung der Tatsachenbehauptung vom Werturteil ist nicht immer unproblematisch, obwohl über die relevanten Kriterien Einigkeit besteht:

§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

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Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn der Gehalt der Äußerung einer objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes dem Beweis offensteht. Ein Werturteil ist hingegen dann anzunehmen, wenn die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptung Sache persönlicher Überzeugung bleibt. Bei der Beantwortung der Frage, ob es sich bei einer Äußerung um ein Tatsachenurteil oder um ein Werturteil handelt, ist der Sinn entscheidend, der sich nach dem Gesamtinhalt der Äußerung dem unbefangenen Hörer bzw. Leser aufdrängt. Da diese Beurteilung allerdings schon bei geringfügig unterschiedlicher Akzentuierung zu verschiedenen Ergebnissen führen kann, ist die Beurteilung einzelner Äußerungen oft streitig. Besonders kompliziert wird die Abgrenzung jedoch dann, wenn Tatsachenbehauptung und Werturteil in einer einheidichen Äußerung miteinander verbunden werden oder ein Werturteil erkennbar Bezug nimmt auf ein tatsächliches Geschehen. Hier ist nach dem jeweiligen Schwergewicht abzugrenzen: aa) Ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, daß er gegenüber der subjektiven Wertung völlig in den Hintergrund tritt, so liegt nur ein Werturteil vor. Gleiches gilt, wenn die Tatsachenbehauptung für jeden offensichdich falsch ist. Auch hier dient die Tatsachenbehauptung nur der Kaschierung eines Werturteils. Dazu: BayObLG NStZ 1983 S. 126.

bb) Beschreibt die Äußerung das tatsächliche Geschehen hingegen so deudich, daß auch ein nicht unterrichteter Dritter, d. h. der unbefangene Hörer, die Schlußfolgerung mitvollziehen kann und die der Wertung zugrunde liegende Tatsache erkennen kann, oder ist das Werturteil erkennbar auf ein tatsächliches Geschehen bezogen, das gleichsam nur verkürzt in dem Werturteil zusammengefaßt wird, so bleibt die Äußerung Tatsachenbehauptung. - In diesen Fällen erstreckt sich ein eventueller Wahrheitsbeweis auch auf das in der Äußerung mitliegende Werturteil. cc) Stehen ehrverletzende Tatsachenbehauptungen und Werturteil isoliert nebeneinander oder geht das Werturteil weit über eine allgemein akzeptable Wertung des mitgeteilten Tatsachenkerns hinaus, so kommen der Tatsachenbehauptung und dem Werturteil bei der Beurteilung der Ehrverletzung jeweils selbständige Bedeutung zu. d) Zur Verdeudichung aa) Ehrverletzende Werturteile: Jungfaschist ( O L G Karlsruhe M D R 1978 S. 421); Bezeichnung eines Polizeibeamten als Bulle (LG Essen N J W 1980 S. 1639; a. A. K G J R 1 9 8 4 S. 165 mit abl. Anm. OTTO S. 166 f). - Bezeichnung als Jude, wenn mit diesem Ausdruck der im Nationalsozialismus übliche herabsetzende Sinngehalt verbunden wird (BGHSt 8 S. 325).

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Delikte gegen die Ehre

bb) Eine Mißachtung eines sozialen Geltungsanspruchs kann auch in andauernden und hartnäckigen Verletzungen der Intimsphäre eines anderen liegen, soweit der Täter sich der Tatsache bewußt ist, daß sein Verhalten bemerkt wird. Dazu: BayObLGJZ 1980 S. 580. cc) Ehrverletzungen durch Gesten: z. B. „einen Vogel zeigen", Zurückweisung eines Gastes beim Gaststättenbesuch (BayObLG N J W 1983 S. 2040). dd) Äußerungen durch Bilder, insbes. Karikaturen oder satirische Darstellungen sind auf den tatsächlich gemeinten Inhalt, ihren gedanklichen Kern zurückzuführen. Dieser gedankliche Kern kann dann aber eine Beleidigung darstellen, z. B. die Behauptung, ein demokratischer Politiker sei ein Faschist und/oder Kriegstreiber (OLG Hamm N J W 1982 S. 659 f; BayObLG NStZ 1983 S. 265 0 oder könne nur noch als Objekt in einer Peep-Show dienen (OLG Hamm 6 Ss 286/82). Eingehend dazu: O T T O J R 1983 S. 1 ff; WORTENBERGER N J W 1982 S. 610 ff; DERS. N J W 1983 S. 1144 ff. Zur Rechtfertigung, insbes. durch Währung der Grundrechte der Meinungsund Kunstfreiheit, vgl. unter IV

2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muß sich bewußt sein, daß er einem anderen gegenüber eine Äußerung tut, die geeignet ist, ehrverletzend zu wirken. Eine Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. - Zur Bedeutung der Überzeugung des Täters, seine Behauptung sei wahr, vgl. unter 3. 3. Der Wahrheitsbeweis Gegenstand eines Ehrenschutzes, der auf der Personenwürde und auf der Wertung der auf „die anderen" bezogenen Handlungen einer Person fundiert ist, kann nur der begründete soziale Geltungsanspruch, nicht aber ein unbegründeter, in der Sozietät - irrtümlich - tatsächlich anerkannter Geltungsanspruch sein. Der gelungene Wahrheitsbeweis schließt daher eine Ehrverletzung aus, soweit diese sich nicht unabhängig vom Inhalt der Äußerung aus der Form oder aus den besonderer Umständen ergibt, § 192. Der tatsächlich anerkannte Geltungsanspruch ist jedoch nicht bedeutungslos: Seine Begründetheit wird zugunsten des Anspruchsberechtigten bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. Nur auf der Basis dieser Vermutung kann der strafrechtliche Ehrenschutz die Entfaltung der Person im sozialen Raum gewährleisten. Das bedeutet: Nicht nur im Bereich des § 186, sondern auch in dem des § 185 ist es irrelevant, ob der Täter seine ehrverletzende Behauptung für wahr gehalten hat, maßgeblich ist vielmehr, ob sie erweislich wahr ist. Eingehend dazu: O T T O Schwinge-Festschrift, S. 82 f. - Im übrigen vgl.:RGSt64 S. 11; OLG Frankfurt M D R 1980 S. 495; H Ä R T U N G N J W 1965 S. 1743 ff; H E R D E G E N

§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

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LK, 9. Aufl., § 185 Rdn. 22; LACKNER StGB, § 185 A n m . 6; MAURACH/SCHROEDER

B.T. I, § 26 II 1. Unter Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber nur in § 186 eine Regelunggetroffen hat, nach der Zweifel bezüglich der Wahrheit der bekundeten Tatsache zu Lasten des Täters gehen, wollen bei § 185 diese Zweifel zu Gunsten des Täters berücksichtigen: BayObLG NJW 1959 S. 57; OLG Köln NJW 1964 S. 2121; OLG Koblenz M D R 1 9 7 7 S. 8 6 4 ; DREHER/TRÖNDLE § 186 R d n . 12; ESERIII, Nr. 15 A 68; KREYB.T. I, S. 113; RUDOLPHI S K , § 185 R d n . 4; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 185 R d n . 6.

II. Üble Nachrede, § 186 1. Der objektive Tatbestand a) § 186 erfaßt ehrverletzende Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten, nicht gegenüber dem Verletzten selbst (A äußert gegenüber B, C habe ihm seine goldene Uhr gestohlen); zur Tatsachenbehauptung vgl. oben 11 c. b) Behaupten heißt, eine Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr hinstellen. Verbreiten ist die Weitergabe einer fremden Äußerung. - Der Täter braucht sich die Äußerung nicht zu eigen zu machen. In Beziehung auf einen anderen heißt einem Dritten - nicht nur dem Verletzten selbst gegenüber. Auch die Weitergabe von Gerüchten mit beleidigendem Inhalt oder von beleidigenden Äußerungen Dritter ist Kundgabe der Miß- bzw. Nichtachtung. Eine Identifizierung des Äußernden mit dem Inhalt seiner Äußerung ist nicht erforderlich; vgl. aber unter IV 3 c. - Daß die Tatsache geeignet ist, einen anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, bedeutet nichts anderes, als daß die Tatsachenbehauptung ehrverletzenden Inhalt hat. 2. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Ehrenrührigkeit der Tatsache bzw. des Werturteils und die Kundgabe an einen anderen erfassen. Eine darüber hinausgehende Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. 3. Der Wahrheitsbeweis Die Nichterweislichkeit der Tatsache ist objektive Bedingung der Strafbarkeit. Der mißlungene Wahrheitsbeweis geht hier nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers zu Lasten des Täters. - Der Wahrheitsbeweis ist geführt, wenn die Behauptung in ihrem Kern zutrifft; vgl. BGHSt 18 S. 182. E i n g e h e n d dazu: BINDING B. T. I, S. 146; HÄRTUNG N J W 1959 S. 6 4 0 ff; DERS.

N J W 1965 S. 1743 ff; HERDEGEN LK, 9. Aufl., § 185 Rdn. 22; LACKNER StGB, § 185 A n m . 6; MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 2 6 II 2; OTTO S c h w i n g e - F e s t s c h r i f t , S. 82 ff.

HO

Delikte gegen die Ehre

III. Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände 1. Beleidigung mittels Tätlichkeit, § 185, 2. Alt. Nicht jede Körperverletzung oder unsittliche Berührung ist eine Beleidigung. Es kann jedoch im Einzelfall in einer Körperverletzung - Ohrfeige mit dem Handrücken o. ä. - eine Mißachtung des sozialen Geltungsanspruchs Ausdruck finden. Gleiches gilt von unsittlichen Berührungen. Auch in einem geschlechtsbezogenen Angriff kann eine Mißachtung des personalen Geltungsanspruchs Ausdruck finden. Dies ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Keineswegs aber kann § 185 eine Lückenbüßerfunktion gegenüber den Sexualdelikten erfüllen. Freiheitsberaubungen, Vergewaltigungen und Nötigungen verletzen durchaus die Personenwürde. Die Verletzung durch diese Delikte und die damit verbundene Beeinträchtigung der Personenwürde fällt aber aus dem Bereich der Beleidigung heraus. Das gilt auch, wenn diese Verhaltensweisen im Einzelfall als Sexual-, Freiheitsdelikt o. ä. nicht strafbar sind. Eine eigenständige Bedeutung kommt der Beleidigung in diesem Zusammenhang nur zu, wenn der Täter durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dem Opfer komme nur ein geminderter Achtungsanspruch zu. Aus diesem Grund ist entgegen der Rechtsprechung ein Ehebruch, der Geschlechtsverkehr mit einem oder einer Minderjährigen oder die Zusendung von Prospekten mit sog. Aufklärungsinhalt noch keine Beleidigung. Hingegen ist der Tatbestand erfüllt, wenn der soziale Achtungsanspruch eines anderen auf geschlechtsbezogenem Gebiet verletzt wird dadurch, daß er nicht gemäß des ihm eigenen Verhaltens behandelt und geachtet wird, so z. B. wenn jemand unberechtigt als Prostituierte behandelt wird. 2. Die „öffentliche" üble Nachrede, § 186, 2. Alt. Öffentlich ist die üble Nachrede, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis wahrnehmbar ist. - Zum Verbreiten durch Schriften vgl. § 11 Abs. 3. 3. Verleumdung, § 187 a) Die Verleumdung innerhalb der ehrverletzenden Delikte In den beiden ersten Alternativen („verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen") stellt das Delikt nach allgemeiner Auffassung eine durch die Behauptung unwahrer Tatsachen qualifizierte üble Nachrede dar. Aber für die 3. Alternative („Kredit zu gefährden") gilt nichts anderes, denn die kreditgefährdende Verleumdung ist

§ 32 D i e einzelnen ehrverletzenden Delikte

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eine besonders gefährliche Art der Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, der auch durch die Kreditwürdigkeit einer Person oder eines Kollektivs wesendich geprägt wird. So auch: M A U R A C H / S C H R O E D E R B . T. I, § 2 5 I V 2 . - A. A. h . M . vgl.: § 187 Rdn. 9 m. w. N .

RUDOLPHISK,

b) Einzelheiten des Tatbestandes Wider besseres Wissen ist sichere Kenntnis der Unwahrheit; Bewußtsein der Gefahr, daß die Tatsache unwahr ist, genügt nicht. - Kreditgefährdung ist Verletzung des Vertrauens, das jemand bezüglich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten genießt. 4. Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens, § 187 a a) Der gegenüber §§ 186, 187 qualifizierte Tatbestand soll der Vergiftung des politischen Lebens entgegenwirken. b) Im politischen Leben des Volkes stehen Personen, die sich für eine gewisse Dauer mit den grundsätzlichen, den Staat, seine Verfassung, Gesetzgebung oder Verwaltung unmittelbar berührenden Angelegenheiten befassen und aufgrund der ausgeübten Funktionen das politische Leben maßgeblich beeinflussen; BayObLGJZ 1982 S. 516. Wesentliches Abgrenzungskriterium ist die Maßgeblichkeit des politischen Einflusses auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland („des Volkes"). Unter den Schutz des § 187 a fallen daher der Bundespräsident, die Mitglieder der Bundesregierung, die Bundesverfassungsrichter, Gewerkschaftsführer und die Führer der Arbeitgeberverbände sowie anderer bedeutender Verbände. Nicht unter den Schutz des § 187 a fallen demgemäß Kommunalpolitiker (Landrat: OLG Frankfurt N J W 1981 S. 1569, Gemeinderatsmitglied: BayObLG J Z 1982 S. 516) und einzelne Verwaltungsbeamte.

c) Zum Merkmal öffentlich vgl. oben 2., zum Merkmal Versammlung vgl. unten § 62, 2. d) Die üble Nachrede muß aus Beweggründen begangen worden sein, die mit der Stellung des Beleidigten im öffendichen Leben zusammenhängen. Nicht die Tatsache der öffentlichen Position allein wirkt straferschwerend, sondern der Zusammenhang zwischen dem Beweggrund der Tat und der öffendichen Position.

§ 187 a findet daher keine Anwendung, wenn ein Kandidat für ein bestimmtes Amt in seiner Eigenschaft als Kandidat diffamiert wird, auch wenn dieser Kandidat unabhängig von seiner Kandidatur öffendiche Positionen im Sinne der Vorschrift inne hat; a. A. OLG Düsseldorf N J W 1983 S. 1211 f.

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Delikte gegen die Ehre

e) Die Tat muß geeignet sein, das öffentliche Wirken des Betroffenen erheblich zu erschweren. Maßgeblich ist hier nur der Inhalt der Behauptung und deren abstrakte Eignung zu negativen Auswirkungen. - Auf die Glaubwürdigkeit, Art und Weise der Verbreitung o. ä. kommt es nicht an. IV. Rechtfertigung Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen, insbes. Notwehr und Einwilligung, können ehrverletzende Äußerungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit, konkretisiert in der Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193, und durch das Grundrecht der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, gerechtfertigt sein. 1. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 Nach den Prinzipien der Interessenabwägung gewährt der Gesetzgeber in § 193 die Befugnis zur Verletzung der Ehre eines anderen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen. § 193 ist als Konkretisierung des Art. 5 GG im Bereich der freien Meinungsäußerung anzusehen. Als Entschuldigungsgrund interpretieren § 193: ERDSIEKJZ 1969 S. 311; ROEDER Heinitz-Festschrift, S. 240; EB. SCHMIDT J Z 1970 S. 8.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen a) Der Ehrverletzung muß die Wahrnehmung eines rechtlich schutzwürdigen, sozialethisch billigenswertenInteresses gegenüberstehen. b) Das Interesse muß den Äußernden nahe angehen. Interessen der Allgemeinheit berühren jeden Bürger nahe. Die Beteiligung an einer öffentlichen politischen Auseinandersetzung oder die Diskussion sonstiger öffentlicher Belange ist daher stets Wahrnehmung eines eigenen Interesses, denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Es ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der das Lebenselement dieser Staatsordnung ist, weil er sie vor Erstarrung bewahrt. Dazu: BVerfGE 5 S. 205; 7 S. 207 ff; 12 S. 125; 24 S. 278; BVerfG NJW 1976 S. 1677; 1980 S. 2069; 1983 S. 1415 m i t A n m . SCHMITT GLAESERJZ 1983 S. 95 u n d VON

DER DECKEN NJW 1983 S. 1400 ff; BGHSt 12 S. 287; BGHZ 45 S. 296; OLG Koblenz N J W 1978 S. 1816; SCHWINGE M D R 1973 S. 808; TETTINGER J Z 1983 S. 323 f.

Auch die Presse hat die Aufgabe, an der öffendichen Meinungsbildung mitzuwirken. Ihre Beschäftigung mit allgemein interessierenden Themen ist demgemäß gleichfalls Wahrnehmung eines eigenen Interesses. Dazu: BVerfGE 12 S. 126; BGHZ 31S. 308; BGH NJW 1977 S. 1289; NJW 1979 S. 267; BayObLG StrafVerteidiger 1983 S. 576 ff.

§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

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c) Die Äußerung muß zur Wahrnehmung des Interesses erforderlich sein. Erforderlich können auch scharfe, drastische, takdose und überspitzte Formulierungen sein. - In der öffentlichen Auseinandersetzung können auch herabsetzende Äußerungen, insbesondere unter dem Aspekt des „Rechts zum Gegenschlag", in Betracht kommen, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite geäußerten Auffassungen nicht unverhältnismäßig sind und noch als adäquate Reaktion auf den vorausgegangenen Vorgang verstanden werden können, insbesondere aber einen gemeinsamen Bezug zu den konkreten erörterten öffendichen Interessen aufweisen. Ein Recht, Beleidigungen mit Beleidigungen heimzuzahlen, d. h. „mit gleicher Münze zurückzuzahlen", gibt es genausowenig, wie es das Recht auf Meinungsfreiheit rechtfertigen kann, Informationen mit rechtswidrigen oder sogar kriminellen Mitteln zu beschaffen. - Polemische Ausfälle, die jede Sachlichkeit vermissen lassen, gehässige und böswillige Schmähkritik und sog. Wertungsexzesse, die bewußt das Bild einer Person und ihrer Motive verzerren, sind in keinem Fall zur Interessenwahrnehmung erforderlich. Dazu: BVerfGE 12 S. 129; BGHSt 12 S. 293 f; BayObLGSt 1963 S. 178; OLG StuttgartJZ 1969 S. 78. - Eingehender dazu: OTTOJR 1983 S. 6 f.

d) Der Äußernde unterliegt einer in ihrem Ausmaß von den Umständen des Einzelfalles abhängigen Informationspflicht. Die Äußerung bewußt unwahrer Tatsachenbehauptungen ist daher in keinem Fall zu rechtfertigen. Auch leichtfertig aufgestellte Behauptungen können nicht gerechtfertigt werden. Dazu: BGHSt 14 S. 51; OLG Hamburg MDR 1980 S. 953; FUHRMANNJuS 1970 S. 75.

e) Die Äußerung muß subjektiv zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses geschehen. Dazu: BGHSt 18 S. 186; OLG Düsseldorf VRS 60 S. 115; OLG Hamburg NJW 1952 S. 903.

2. Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist die Freiheit der Kunst vorbehaltlos gewährleistet. Anerkannt ist jedoch heute, daß die Freiheit der Kunst vorbehaldos, nicht aber schrankenlos gewährleistet ist. Tangieren künstlerische Werke die Ehre eines anderen, so ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen ebensowenig der Kunstfreiheit übergeordnet, wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf. Maßgeblich im Einzelfall ist vielmehr eine Interessenabwägung, in der das Interesse an

114

Delikte gegen die Ehre

der künstlerischen Gestaltung gegen das Interesse des Schutzes des Achtungsanspruchs abzuwägen ist. Methodisch verläuft die Abwägung genau wie im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen. Gleichwohl sind die Abwägungen nicht identisch, denn das Maß der künsderischen Gestaltung, die Verfremdung eines bestimmten Sachverhalts und seine Verallgemeinerung können durchaus im Einzelfall das Ergebnis rechtfertigen, daß eine Aussage nicht mehr unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit zulässig erscheint, wohl aber - aufgrund des Grades der Verfremdung - als „Nebenwirkung" eines Kunstwerkes hingenommen werden muß. Das Interesse der Kunstfreiheit wird in jedem Fall dort seine Grenzen finden, wo es um die Verletzung der Menschenwürde anderer geht. Dazu: BVerfGE 30 S. 193; OLG Hamm NJW 1982 S. 660; OLG HamburgJR 1983 S. 5 0 8 mit abl. A n m . OTTO S. 511 ff; DERS.JR 1983 S. 8 ; WÜKTENBERGER N J W

1983 S. 1144 ff.

3. Einzelne Probleme der Rechtfertigung a) Vertrauliche Äußerungen Bei „Äußerungen im engen Familienkreis" wird von einigen die „Kundgabe" bestritten. Dem ist nicht zu folgen, denn auch der Täter, der im engsten Familienkreis ehrverletzende Tatsachen in bezug auf Dritte behauptet, gibt Mißachtung des sozialen Geltungsanspruchs des Betroffenen kund. Weil aber das Familienverhältnis als enges Gemeinschaftsverhältnis gerade die vorbehaltlose Erörterung aller Probleme fordert, Vorbehalte irgendwelcher Art hingegen dieses Verhältnis zerstören müßten, bleibt die Äußerung in einem solchen Kreis straflos. Das Ausspracheinteresse des Äußernden im Intimkreis ist höher zu bewerten als das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten. - Ein derart hoch zu bewertendes Ausspracheinteresse ist jedoch nicht ausschließlich auf den engsten Familienkreis beschränkt. Auch im Verhältnis Anwalt-Klient sind durchaus Situationen denkbar, in denen das Ausspracheinteresse des Klienten überwiegt, ohne daß damit das Bestehen einer Intimsphäre zwischen ihnen angenommen werden müßte. Grundsätzlich ist daher bei „vertraulichen" Äußerungen das Ausspracheinteresse des Äußernden und das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten im Rahmen des § 193 abzuwägen. Vgl. dazu: MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 24 III D; OTTO Schwinge-Festschrift,

S. 87 f. - Das Vorliegen einer Kundgabe verneinen: OLG Oldenburg GA 1954 S. 2 8 4 ; HANSENJUS 1974 S. 106; KREY B . T. I, S. 120 f; LACKNER S t G B , § 185 A n m . 3 b.

b) Die Erstattung von Anzeigen Auch dann, wenn ein beleidigender Sachverhalt einer Behörde zur Kenntnis gebracht wird, deren Aufgabe in der Prüfung solcher Sachver-

§ 33 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener

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halte besteht - z. B. Mitteilung eines Diebstahlsverdachts gegenüber der Polizei -, k o m m t eine Rechtfertigung gemäß § 193 in Betracht. Hier kann im Einzelfall auch eine leichtfertige Anzeige gerechtfertigt sein, wenn der Anzeigende die Tatsachen, die seine Leichtfertigkeit begründen, mitteilt und erkennbar macht, daß er davon ausgeht, die Behörde werde den Sachverhalt prüfen. Dazu: O L G H a m m N J W 1961 S. 520 f; RANFT M D R 1966 S. 107 f.

c) Weitergabe von Gerüchten Die Weitergabe von Gerüchten ist - wie oben dargelegt - auch dann Äußerung einer Ehrverletzung, wenn der Äußernde sich nicht mit dem Inhalt des Gerüchtes identifiziert. Gibt er das Gerücht jedoch ausschließlich weiter, um dem Betroffenen eine Stellungnahme oder Gegenwehr zu ermöglichen, so ist er durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt.

V Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände Wird den ehrverletzenden Tatbeständen ein einheidiches Rechtsgut zuerkannt, so ist § 185 als Grundtatbestand der ehrverletzenden Delikte anzusehen. § 186 ist ein durch den größeren Schaden qualifizierter und § 187 ein darüber hinausgehend qualifizierter Tatbestand. Erfolgt eine Beleidigung durch eine Tatsachenbehauptung gegenüber Dritten in Anwesenheit des Verletzten oder durch eine Tatsachenbehauptung und ein ehrenrühriges Werturteil in Anwesenheit Dritter, so konsumiert § 186 den zugleich verwirklichten § 185. So auch: HERDEGEN LK, 9. Aufl., Vor § 185 Rdn. 29; RUDOLPHI S K , Vor § 185 R d n . 21. - Für Idealkonkurrenz: B G H S t 6S. 161; 12 S. 292;SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 186

Rdn.

21.

§ 33: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 1. Das geschützte Rechtsgut des § 189 Als geschütztes Rechtsgut wird die Ehre des Toten oder aber das Pietätsgefühl der Angehörigen und der Allgemeinheit angesehen. Für die erstgenannte Ansicht spricht, daß die Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, selbst wenn es sich um eine schwere Verletzung dieses Anspruchs handelt, das Pietätsgefühl einer Person nur dann stärker berühren wird, wenn ihr der Verstorbene bekannt gewesen ist. Gerade dieser Sachverhalt deutet darauf hin, daß es sich im Grunde doch um einen Angriff gegen die immer noch bestehende soziale Anerkennung des Verstorbenen handelt und nicht nur um die Verletzung eines letztlich sehr abstrakten Pietätsgefühls der Allgemeinheit.

116

Delikte gegen die Ehre

Wie hier: HERDEGEN LK, 9. Aufl., § 189 Rdn. 2-4; HIRSCH Ehre, S. 125; WELZEL Lb., § 42 II 4. - A. A. z. B.: O L G Düsseldorf NJW1967 S. 1142; LACKNER StGB, § 189 A n m . 1; RÜPING G A

1977 S. 304.

2. Einzelheiten des Tatbestandes Verunglimpfen ist eine grobe Form der Ehrverletzung. - Als Verstorbene sind auch für tot Erklärte anzusehen. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Irrtum des Täters über den Tod des Betroffenen Wird die Ehre des Verstorbenen als Rechtsgut des § 189 begriffen, so ist der Irrtum des Täters darüber, ob der Betroffene tot ist oder nicht, irrelevant, denn die Ehre des lebenden Betroffenen ist kein aliud gegenüber der Ehre des Verstorbenen. Die Verletzung wird lediglich in zwei verschiedenen Tatbeständen erfaßt. Fall: A, der meint, der Kirchenvorsteher K sei verstorben, erzählt wider besseres Wissen, der Verstorbene habe Kirchengelder im Freudenhaus verjubelt. K lebt und stellt Strafantrag. Ergebnis: A haftet nach § 187. - Wird hingegen das Pietätsgefiihl der Angehörigen oder das der Angehörigen und der Allgemeinheit in § 189 als geschützt angesehen, so bleibt der Täter straffrei. § 187 liegt nicht vor, da A nicht die Ehre eines lebenden Menschen verletzen will. § 189 findet keine Anwendung, weil sein objektiver Tatbestand nicht gegeben ist.

Sechster Abschnitt Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich

§ 34: Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Die Vorschrift schützt die Intimsphäre des Menschen, in der die Unbefangenheit des Wortes gesichert werden soll. b) Angriffsobjekt ist das nicht öffendich gesprochene Wort eines anderen. aa) Nicht öffentlich ist das Wort, wenn es objektiv und nach dem Willen des Sprechers nicht über einen überschaubaren, durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis hinaus wahrnehmbar ist. - Auch vom Sprechenden unbemerkte Zuhörer schließen die Nichtöffentlichkeit aus, nicht aber illegale Lauscher. Vgl. O L G C e l l e J R

1977 S. 3 8 8 m i t abl. A n m . ARZT S. 3 3 9 ff; MAURACH/

ScHROEDER B . T . I , § 2 9 V 1.

Amtliche Unterredungen, Telefongespräche usw. sind nicht öffendich, wenn sie nicht mit Wissen der Beteiligten vor einem öffentlichen Zuhörerkreis stattfinden. Dazu: OLG Karlsruhe NJW1979 S. 1513 mit zust. Anm. ALBERJR 1981S. 495 ff und abl. Anm. OSTENDORF J R 1979 S. 468 ff; OLG Frankfurt J R 1978 S. 168 mit A n m . ARZT S. 170 f.

bb) Auch wenn die Gedankenäußerung in Form eines Gedichtes oder Liedes gekleidet wird, bleibt der Schutz erhalten. - Steht jedoch die künstlerische Gestaltung der Aussage im Vordergrund - Gesang, Deklamation -, so greift der Schutz des § 201 nicht durch. Dazu auch: MAIWALD ZStW 91 (1979) S. 951. Enger: BLEI Henkel-Festschrift, S. 118; DREHER/TRONDLE § 2 0 1 R d n . 2 ; LACKNER S t G B , § 2 0 1 A n m . 2 . - W e i t e r : ARZT

Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970, S. 243; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ LENCKNER § 2 0 1 R d n . 5 ; WESSELS B . T . - l , § 12 II 1.

2. Die einzelnen Tathandlungen a) § 201 Abs. 1 unterscheidet zwei Tathandlungen aa) Nr. 1: Aufnehmen, ist das mechanische Fixieren des Wortes auf einen Tonträger, d. h. eine Vorrichtung zur wiederholten Wiedergabe von Tonfolgen (Tonband, Schallplatte o. ä.). - Das Überspielen einer Aufnahme

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Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

auf einen anderen Tonträger ist nur im Rahmen der Nr. 2 erfaßt. - Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter 4. bb) Nr. 2: Gebrauchen heißt Abspielen, Zugänglichmachen ist die Ermöglichung des Abspielens durch Dritte. - Eineso hergestellte Aufnahme ist eine unbefugt hergestellte („so hergestellte") Aufnahme. Gegenüber dem Abspielen einer befugt aufgenommenen Aufnahme ist das Abspielen einer unbefugt hergestellten Aufnahme ein schwerer Eingriff in die Eigensphäre des Berechtigten. - Das unbefugte Abspielen einer befugt hergestellten Aufnahme mag ein Vertrauensbruch sein, einen einer heimlichen Aufnahme vergleichbaren Einbruch in die Eigensphäre stellt das Verhalten im Regelfall aber nicht dar. Daher wandelt sich das in Nr. 1 als allgemeines Verbrechensmerkmal anzusehende Erfordernis der „unbefugten" Aufnahme hier in ein echtes Tatbestandsmerkmal. - Die Befugnis zum Gebrauchmachen hingegen ist wiederum allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter 4. W i e hier: ARZT Intimsphäre, S. 2 6 4 ; BLEI Henkel-Festschrift, S. 112 f; KREY Z S t W 90 ( 1 9 7 8 ) S. 180 f; MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 2 9 V 2; SCHONKI/SCHRÖDER/ LENCKNER § 201 Rdn. 16. - A . A . : SUPPERT Studien zur N o t w e h r und „notwehrähnlichen Lage", 1973, S. 2 0 9 ff; WELZEL Lb., § 45 III.

b) § 201 Abs. 2 Abhörgerät ist hier als technische Einrichtung zu verstehen, mit der das Wort über seinen normalen Klangbereich hinaus wahrnehmbar gemacht wird. 3. Qualifikation, § 201 Abs. 3 a) § 201 Abs. 3 ist ein Qualifikationstatbestand für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete; dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2,4. b) Das Delikt ist ein sog. unechtes Amtsdelikt. - Die öffentlich-rechtliche Position ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2. Der Täter muß in seiner hoheidichen Position, d. h. im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit, gehandelt haben. 4. Rechtswidrigkeit Die Tatbestände der §§ 201 ff setzen voraus, daß der Täter unbefugt handelt. Unbefugt ist jede Tathandlung für die ein Rechtfertigungsgrund nicht besteht. a) Die rechtswirksam erteilte Befugnis zur Herstellung der Aufnahme oder zu ihrem Abspielen (Einwilligung) rechtfertigt das Verhalten. Der Vertrauensbruch, der darin liegt, daß eine Aufnahme, in die der Berechtigte eingewilligt hatte, gegen seinen Willen einem größeren Kreis

119

§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

bekanntgemacht wird, wird von § 201 nicht erfaßt. Hier liegt kein Eingriff von außen in die Eigensphäre vor. Wie hier: OLG Karlsruhe NJW1979 S. 1514; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 2 9 V

LACKNER

StGB, Vor § 201 Anm. 2;

1.; ROGAIL N S T Z 1 9 8 3 S. 6 ; W A R D A J U K

1979

S. 296. - A. A.: Tatbestandsausschluß OLG Köln NJW 1962 S. 686 mit zust. Anm. BINDOKAT N J W

1962 S. 6 8 6 f u n d abl. A n m .

DREHER M D R

1 9 6 2 S.

592.

b) Erfolgt die Aufnahme zur Abwehr gegenwärtiger Gefahren, so kommt eine Rechtfertigung gemäß § 34 in Betracht. Dazu: OLG Frankfurt NJW 1979 S. 1172.

c) Heimliche Aufnahmen zur Abwehr eines angekündigten, späteren rechtswidrigen Prozeßverhaltens oder zum Beweis angekündigter Straftaten (z. B. Erpressungen) können gemäß § 34 unmittelbar nicht gerechtfertigt werden, da sie im Regelfall nicht zur Abwehr „einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr" für ein Rechtsgut erfolgen. Eine Rechtfertigung kommt aber nach den allgemeinen Grundsätzen der Interessenabwägung in Betracht, die in § 34 StGB, §§ 228,904 BGB gesetzlichen Ausdruck gefunden haben. Der Konstruktion einer „notwehrähnlichen Lage" bedarf es daher nicht. A.

A.: B G H Z

27

S. 2 8 4 .

- Dazu eingehend:

§ 8 V I I I 2 ; TENCKHOFFJR 1981 S.

G R U N D K U R S STRATRECHT, A .

T.,

257.

5. Konkurrenzen Die Begehungshandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 stellen eine einheitliche Tat dar, auch wenn der Täter die unbefugte Aufnahme gebraucht oder Dritten zugänglich macht. - Die Begehungsformen der Absätze 1 und 2 können zueinander in Tateinheit stehen. Dazu eingehend:

SCHONKE/SCHRÖDER/LENCKNER

§ 201 Rdn. 39.

6. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist derjenige, der das geschützte Wort gesprochen hat. II. Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Die Vorschrift schützt die private Geheimsphäre gegen Indiskretion. b) Geschützt ist nicht nur das Briefgeheimnis (Art. 10 GG), sondern jeder abgeschlossene Gegenstand mit gedanklichem Inhalt sowie Abbildungen, es sei denn, der Verschluß dient nicht dazu, die inhaltliche Kenntnisnahme zu verhindern, so z. B. der Paketverschluß bei der Versendung von Romanen, allgemein zugänglichen Kochrezepten usw.

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

120

c) Der Brief ist nur ein Unterfall des Schriftstücks (geschrieben, gedruckt, gleichgültig in welcher Sprache). - Andere zur Gedankenübermittlung bestimmte Träger (z. B. Tonbänder, Schallplatten, Mikrofilme) sind den Schriftstücken gleichgestellt, § 202 Abs. 3. 2. Die einzelnen Tathandlungen a)§202 Abs. 1 Nr. 1: Öffnen ist das Beseitigen oder Unwirksammachen des Verschlusses. - Anwendung von Gewalt oder eine Beschädigung des Verschlusses ist nicht erforderlich. b) § 202 Abs. 1 Nr. 2: Anwendung technischer Mittel bedeutet den Einsatz spezifischer technischer Hilfsmittel. - Bloßes Abtasten oder „GegenLicht-halten" des Schriftstückes genügt nicht (BT-Drucks. 7/550 S. 237). Vom Inhalt des Schriftstückes hat sich der Täter „Kenntnis verschafft", wenn er den sachlichen Inhalt visuell oder optisch zur Kenntnis genommen hat. Verständnis des Inhalts ist nicht erforderlich. Vgl. dazu einerseits LACKNER StGB, § 202 Anm. 3 b; andererseits SCHÖNKE/ SCHRÖDER/LENCKNER § 2 0 2 R d n . 9

c) § 202 Abs. 2 erfordert ein Öffnen zum Zwecke der Kenntnisnahme. - Verschlossenes Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen - und nicht zum Betreten von Menschen - bestimmtes Raumgebilde, dessen Verschluß fremde Kenntnisnahme des Behältnisinhaltes verhindern soll. Es genügt nicht, daß der Täter aus anderen Gründen das Behältnis öffnet (z. B. um Geld daraus zu stehlen) und Kenntnis von dem Inhalt des Schriftstückes nimmt.

3. Rechtswidrigkeit a) Zur Befugnis vgl. oben I 4 a. b) Die rechtfertigende Befugnis kann hier insbes. aus §§ 99,100 StPO, § 121KO, § 2 Überwachungsgesetz und Art. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG v. 13. 8.1968 folgen. 4. Konkurrenzen Die durch die Öffnung bewirkte Sachbeschädigung, § 303, wird von 5 202 konsumiert. - Gegenüber § 354 ist § 202 subsidiär, § 202 Abs. 1 a. E. Offnet der Täter ein durch Diebstahl oder Unterschlagung entwendetes Schriftstück unbefugt, so ist je nach den zeitlichen Tatmodalitäten Realoder Idealkonkurrenz zwischen §§ 242, 246 und § 202 gegeben. D a z u a u c h : B G H J Z 1 9 7 7 S. 2 3 7 m i t A n m . K Ü P E R J Z 1 9 7 7 S . 4 6 4 u n d LENCKNER

JR

1 9 7 8 S. 4 2 4

f.

5. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist derjenige, der zur Tatzeit das Bestimmungsrecht über die Sache hat, d. h. bei Sendungen der Absen-

§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

121

der bis zum Empfang durch den Adressaten. A . A . : SAMSON S K , § 2 0 5 R d n . 4 .

III. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 1. Rechtsgut, Tatobjekt und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die Geheimsphäre des Einzelnen. - Der Schutz dieses Gutes erfolgt nicht nur im Interesse des konkret Betroffenen, sondern auch weil ein allgemeines Interesse daran besteht, daß die hier genannten Berufsträger ihnen in ihrer beruflichen Tätigkeit bekannt gewordene Geheimnisse wahren. W i e h i e r : MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 2 9 I 2 ; OSTENDORFJR 1981 S. 4 4 5 ff; ROGALL N S t Z 1 9 8 3 S. 5; SCHMIDHAUSER B . T , 6 / 2 7 ; SCHÜNEMANN Z S t W 9 0 ( 1 9 7 8 )

S. 51 ff. - Für einen Vorrang des Allgemeininteresses: MÜLLER-DIETZ SAB 1980 S. 3 5 7 ; SCHLUND J R 1 9 7 7 S. 2 6 9 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LBNCKNER § 2 0 3 R d n . 3.

Der Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 steht - wenn auch nicht in vollem Umfang entsprechend - das Schweigerecht nach §§ 53, 53 a StPO, § 383 ZPO gegenüber.

b) Tatobjekt des Abs. 1 ist ein „fremdes Geheimnis", d. h. ein Privatgeheimnis, das einen anderen Menschen als den Täter betrifft. - Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse hat. - Das Geheimnis kann sich auf den persönlichen, beruflichen oder wirtschaftlichen Lebensbereich des Betroffenen beziehen. Das zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnis sowie das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis sind nur Beispiele für die hier relevanten Geheimnisse. Geheimnisse des Staates sind in den §§ 93 ff, 353 b, geschützt, doch sind Überschneidungen mit § 353 b möglich.

In Abs. 2 S. 2 wird der strafrechdiche Geheimnisschutz auf solche Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen erweitert, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden sind, soweit solche Einzelangaben nicht anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffendichen Verwaltung bekanntgegeben worden sind und das Gesetz dies nicht untersagt. c) Der Täterkreis aa) Zu den einzelnen Tätergruppen vgl. Gesetzesworflaut. bb) Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 1. cc) Das Geheimnis muß dem Täter in seiner Eigenschaft als Arzt, Wirt-

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Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

schaftsberater, Amtsträger usw. anvertraut oder bekanntgeworden sein, d. h. die Kenntnisnahme muß in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Berufs- oder Amtstätigkeit stehen. dd) Die berufsmäßig tätigen Gehilfen, der nach Abs. 1 Verpflichteten, und die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf Tätigen stehen den besonders Verpflichteten gleich, § 203 Abs. 3. - Bei den Gehilfen muß es sich aber um Gehilfen in der Berufsausübung handeln, nicht etwa um sonstige Gehilfen, wie z. B. den Chauffeur oder die Putzfrau. Dazu: KOHLHAAS N J W 1972 S. 1502.

ee) Nach dem Tode einer verpflichteten Person (Berufsausübender oder Gehilfe) ist in gleicher Weise verpflichtet, wer das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlaß erlangt hat, § 203 Abs. 3 S. 2. 2. Die Tathandlung a) Tathandlung ist das Offenbaren eines anvertrauten oder sonst bekannt gewordenen Geheimnisses. - Offenbaren ist Mitteilung an einen Dritten. - Anvertraut ist das Geheimnis, wenn der Betroffene unter ausdrücklicher Auflage der Geheimhaltung in das Geheimnis eingeweiht worden ist oder es unter Umständen erfahren hat, aus denen sich seine Pflicht zur Verschwiegenheit ergibt. Die bloße Tatsache, daß der Betroffene das Geheimnis gewahrt wissen will, begründet keinen Geheimnisbruch i. S. des § 203, wenn ein Dritter dem Offenbarenden das Geheimnis mitgeteilt hat und der Informant mit der Offenbarung einverstanden ist; OLG Köln NJW 1983 S. 1008 mit Anm. ROGALL NStZ 1983 S. 413 f. b) Qualifiziert ist die Tat gemäß § 203 Abs. 5 aa) Bereicherungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen. bb) Schädigungsabsicht setzt den auf Schädigung gerichteten dolus directus 1. Grades voraus. 3. Rechtswidrigkeit a) Zur Befugnis vgl. oben I 4 a. b) Als Befugnis kommen insbesondere in Betracht: aa) Die Einwilligung, die u. U. stillschweigend - z. B. Mitteilung des Arztes an seinen Vertreter oder Nachfolger - konkludent - Einwilligung zur sog. Anstellungsuntersuchung umfaßt Befugnis zur Mitteilung des Ergebnisses an anstellende Behörde bzw. Firma - erteilt werden kann. bb) Gesetzliche Anzeigepflichten, z. B. § 138 i. V. m. § 139 Abs. 2, Abs. 3 StGB, Geschlechtskrankheitengesetz, Bundesseuchengesetz usw.

§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

123

cc) Zeugnispflicht, wenn der Verpflichtete von der Schweigepflicht entbunden ist, § 53 Abs. 2 StPO. dd) Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB. Im einzelnen dazu: BGHSt 1S. 368; BGH MDR1956 S. 625; NJW1968 S. 2288 m i t A n m . HANDEL N J W 1 9 6 9 S . 5 5 5 f; O L G MÜNCHEN M D R 1 9 5 6 S . 5 6 5 m i t A n m . MITTEIBACH M D R 1 9 5 6 S . 5 6 5 f; HANDEL D A R 1 9 7 7 S . 3 6 ; MARTIN D A R 1 9 7 0 S. 3 0 2 ; MIDDENDORF J Z 1 9 7 6 S . 2 5 2 ; S C H L U N D J R 1 9 7 7 S. 2 6 8 .

4. Zum Strafantrag: § 205; Verletzter und damit Antragsberechtigter ist der Geheimnisberechtigte. IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 1. Rechtsgut und Täterkreis entsprechen dem § 203. 2. Die Tathandlung ist das Verwerten eines fremden Geheimnisses, d. h. die wirtschaftliche Nutzung des Geheimnisses, unter Verletzung von Interessen des Berechtigten, um Gewinn zu erzielen; dazu weiter unter VI 2. 3. §§ 204 und 203 schließen einander aus. Erfolgt nämlich die Gewinnerzielung durch Offenbarung des Geheimnisses an einen Dritten, z. B. Verkauf des Geheimnisses, so liegt § 203 vor. 4. Zum Strafantrag: § 205, vgl. III 4. V. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 354 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt in Abs. 1,2 Nr. 1,3, Abs. 4 das Post-und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), in Abs. 2 Nr. 2,3 das öffentliche Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Postverkehrs. 2. Der Täterkreis der Abs. 1 bis 3 a) Bedienstete der Post, Abs. 1,2 - in den Fällen des Abs. 1 auch ausgeschiedene Bedienstete -, das sind die bei der Post beschäftigten Beamten, Angestellten und Arbeiter. b) Mit postdienstlichen Verrichtungen betraut, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, sind Personen, die nicht zu dem unter a) genannten Kreis gehören, aber in die Abwicklung des Post- und Fernmeldeverkehrs eingeschaltet sind. Beispiel: Bahnbedienstete, die Postsäcke befördern (BT-Drucks. 7/550, S. 285).

c) Personen, die eine nicht posteigene aber dem öffentlichen Verkehr dienende Fernmeldeanlage beaufsichtigen, bedienen oder bei ihrem Betrieb tätig sind, Abs. 3 S. 1 Nr. 2. - Bei den genannten Anlagen handelt es sich um Telegrafen-, Funk- und Fernschreibanlagen, die einem allgemeinen Benutzerkreis (nicht nur behördeninterner Nutzung) zugänglich sind.

124

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

d) Mit der Herstellung von Posteinrichtungen usw. oder mit Arbeiten daran betraute Personen, Abs. 3 S. 2, sind Inhaber, Angestellte und Arbeiter von Privatunternehmen, die Post- und Fernmeldeanlagen errichten und ausbessern. e) Die Täterqualität ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28, denn den Täterkreis kennzeichnet eine erhöhte Pflichtenstellung in bezug auf das geschützte Rechtsgut. V g l . a u c h : MAIWALDJUS 1 9 7 7 S . 3 6 1 ; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 7 8 1 4 . - A . A . : SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 3 5 4 R d n . 41.

3. Die einzelnen Tatbestände der Abs. 1 bis 3 a) Abs. 1 stellt die Mitteilung von Tatsachen, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, an andere unter Strafe. - Dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegt nicht nur der Inhalt von Sendungen, Telefongesprächen, Telegrammen und Fernschreiben, sondern auch die Tatsache, daß ein Post- oder Fernmeldeverkehr zwischen bestimmten Personen stattgefunden hat, Abs. 5. b) Abs. 2 Nr. 1, 2 schützt die der Post anvertrauten Sendungen gegen Ausforschung (Nr. l) und Unterdrückung (Nr. 2). Sendung ist jeder körperliche Gegenstand, der auf dem Post- oder Fernmeldeweg übermittelt werden soll. Die Sendung muß verschlossen sein. Die Sicherung eines Musterbeutels allein mit einer Warenbeutelklammer genügt diesem Erfordernis nicht; OLG Stuttgart NStZ 1984 S. 25. - Der Post anvertraut sind alle Sendungen, die ordnungsgemäß in den Post- oder Fernmeldeverkehr gelangt sind und sich noch dort befinden. - Zu den Begriffen Öffnen und unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschaffe n, vgl. oben II 2 b . - Unterdrücken heißt dem ordnungsgemäßen Postverkehr entziehen, sei es auch nur zeitweise. OLG Hamm NJW 1980 S. 2320: Der im Paketzustelldienst tätige Beamte A behielt die an den Absender zurückzusendenden Zahlkartenabschnitte bei Nachnahmepaketen und die kassierten Nachnahmesummen zeitweilig zurück und lieferte sie nicht unverzüglich bei seiner Dienststelle ab. OLG: § 354 Abs. 2 Nr. 2 bezüglich der Zahlkartenabschnitte, nicht aber bezüglich des Geldes, denn das Geld stellt keine Sendung i. S. dieser Vorschrift dar, weil es nicht körperlich dem Absender des Paketes zugeführt werden sollte.

Der Täter muß als Bediensteter, d. h. im inneren Zusammenhang mit seinem Dienst tätig geworden sein. Die Tatsache allein, daß er zur Tatzeit Postbediensteter war, genügt nicht. c) Abs. 2 Nr. 3 erfaßt das Gestatten und Fördern des Ausforschens oder Unterdriickens. - Ein Gestatten in diesem Sinne liegt nicht nur beim pflichtwidrigen Unterlassen des Einschreitens, bei Einwilligung in die Tat oder bei Genehmigung der Tat vor, sondern auch beim Anstiften zur Tat.

§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

125

Fördern ist Hilfeleistung durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen. - Die Bedeutung von Abs. 2 Nr. 3 liegt darin, daß sachliche Teilnahmehandlungen formell zum Täterverhalten erklärt werden. 4. Erweiterung des Schutzgutes gemäß Abs. 4 Abs. 4 erweitert den Strafschutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses über den postalischen Bereich hinaus. - Täter können nur Amtsträger anderer Dienstbereiche sein. Der befugte Eingriffsetzt eine Rechtfertigung des Eingriffs voraus, z. B. durch §§ 99 - 100 b StPO. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 5. Rechtswidrigkeit Unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i. S. von rechtswidrig. Die Befugnis kann hier insbes. auf §§ 99-100 b StPO, Art. 1 Abs. 1 des Ges. zu Art. 10 GG, § 12 FAG oder § 5 PostG beruhen. Auch § 138 StGB kann rechtfertigend eingreifen. § 34 kommt u. U. in Betracht, soweit nicht ein in Spezialgesetzen geregelter Sachverhalt vorliegt. Im einzelnen da2u: SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 354 Rdn. 14; WEIP Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, 1974, S. 163 ff; DERS. ArchPF 1976 S. 783 ff.

6. Besondere Täterqualifikation Im Verhältnis zu §§ 133,202,274 Abs. 1 Nr. 1 beschreibt Abs. 2 Nr. 1 und 2 ein unechtes Sonderdelikt, beachte § 28 Abs. 2. Im übrigen sind die in § 354 erfaßten Taten echte Sonderdelikte, beachte § 28 Abs. 1. VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 1. Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist das Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Steuergeheimnisses, die Voraussetzung eines wirksamen Besteuerungsverfahrens ist. Dazu: OLG Hamm NJW 1981 S. 357.

b) Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 2 Nr. 2 - und bestimmte, in Abs. 2 abschließend aufgezählte Personen sein. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 2. Die Tathandlungen Die Verhältnisse, die dem Täter im Rahmen bestimmter Verfahren (vgl. Abs. 1 Nr. l) bekanntgeworden sein müssen und deren Offenbarung, d. h.

126

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

Mitteilung an andere, unter Strafe gestellt ist, sind alle für die steuerliche, finanzielle, wirtschaftliche und persönliche Lage einer Person relevanten Umstände, ohne Rücksicht auf einen etwaigen Geheimnischarakter, soweit sie nicht offenkundig sind oder an ihrer Geheimhaltung keinerlei Interesse erkennbar ist. - Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind nur Sonderfälle dieser Verhältnisse, so daß Abs. 1 Nr. 2 nur die Tathandlungen in einem Teilbereich nach Abs. 1 Nr. 1 konkretisiert. Verwerten wird von derh.M. - dazu BayObLGNStZ 1984S. I69f- als wirtschaftliche Nutzung zum Zwecke der Gewinnerzielung verstanden. Die Gegenansicht dazu M A I W A L D JuS 1977 S. 362; DERS. NStZ 1984 S. 170 - fordert darüber hinaus zutreffend die Verletzung der Interessen des Berechtigten als Strafwürdigkeitselement.

3. Rechtfertigung §§ 30 Abs. 4 und 5,31 AO enthalten die Gründe, die eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses gestatten und die Offenbarung zu einer befugten machen. - Der Katalog ist nicht abschließend. Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, inbes. § 34, sind daher nicht ausgeschlossen. Dazu:

MAIWALD

JuS 1977 S. 362 f.

§ 35: Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 1. Rechtsgut und Tatobjekt a) Geschützt ist das Hausrecht, d. h. die Freiheit der Entscheidung darüber, wer sich in den gesetzlich geschützten Bereichen aufhalten darf und wer nicht. Differenzierend nach der Art der Schutzsphären: SCHALL Die Schutzfunktionen der Strafbestimmung gegen den Hausfriedensbruch, 1974, S. 134 f, 145 ff, 159 ff, 169.

Der Berechtigte braucht nicht zivilrechtlicher Eigentümer der geschützten Sphäre zu sein, es genügt, daß er ein stärkeres Recht als der Störer hat. Bei vermieteten Räumen steht das Hausrecht in der Regel dem Mieter zu, soweit sich Ausnahmen nicht ausdrücklich aus dem Mietvertrag oder den besonderen Umständen des Falles ergeben; dazu OLG Hamm GA 1961 S. 181; OLG Braunschweig NJW 1966 S. 263; B E R N S M A N N Jura 1981 S. 342 f.

Steht das Hausrecht mehreren gemeinsam zu (z. B. Ehegatten), so muß die von dem anderen gestattete Anwesenheit Dritter im Rahmen der Zumutbarkeit geduldet werden.

§ 35 Hausfriedensbruch

127

b) Die einzelnen geschützten Sphären aa) Wohnung ist der Raum oder die zusammenliegende Mehrheit von Räumen, die einer Person oder mehreren Personen zur Unterkunft dient oder zur Benutzung freisteht. Dazu: RGSt 12 S. 132 f. Die Wohnung braucht nicht Teil eines Hauses zu sein, daher kann z. B. auch der Wohnwagen o. ä. „Wohnung" sein.

bb) Geschäftsräume sind die - hauptsächlich - zum Betrieb von Geschäften bestimmten, abgegrenzten Räume. - Raum ist auch hier nicht nur als Gebäudeteil zu verstehen, sondern als räumlicher Bezirk. Geschäftsräume daher auch: Lagerhallen, Fabrikhöfe, Zirkuszelte, Biergärten u. ä.

cc) Das befriedete Besitztum ist eine unbewegliche Sache, die in äußerlich erkennbarer Weise mittels Schutzwehren gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert ist. - Die Wehr muß aber gegen das Betreten von außen gerichtet, nicht nur dazu bestimmt sein, ein Ausbrechen nach außen zu verhindern, wie im Falle einer eingezäunten Kuhweide. Dazu: BayObLGJR 1969

S.

466 mit Anm.

SCHRÖDER S .

467 f.

Die Schutzwehr braucht nicht lückenlos zu sein, doch muß sie so weit gehen, daß der Sicherungscharakter klar wird. Ein bloßes Verbotsschild genügt dafür nicht. Beispiele: Durch Zäune, Mauern und Hecken eingefriedetes Grundstück, auch wenn die Einfahrt nicht durch ein Tor verschließbar ist, die Zufahrt vielmehr von der Straßenseite her offengelassen ist. Auch sog. Abbruchhäuser sind befriedete Besitztümer, solange die vorhandenen Vorrichtungen erkennen lassen, daß der Berechtigte das Betreten durch Dritte verhindern will. - Ist das Haus hingegen derart verwahrlost, daß Türen und Fenster weitgehend fehlen und eine einheitliche Sperrvorrichtung nicht mehr erkennbar ist, so ist das Haus kein befriedetes Besitztum i. S. dieser Vorschrift. Vgl.: OLG Hamm NJW1982 S. 1824 u. 2676; OLG Köln NJW1982 S. 2674 mit Anm. D E G E N H A R T J R 1984 S. 30; OLG Düsseldorf NJW 1982 S. 2680. - Eingehend zu der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur: SCHALL NStZ 1983 S. 241 ff.

dd) Abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, sind gleichfalls nicht nur Geschäftsräume und Gebäudeteile, sondern auch dem öffendichen Verkehr dienende Räume, wie z. B. Bahnhofshallen, Eisenbahnwagen, Straßenbahnwagen, Autobusse. - Daß das dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen auch von einer Privatperson betrieben werden kann, ist bedeutungslos. 2. Widerrechtliches Eindringen a) Eindringen setzt voraus, daß der Täter - zumindest mit einem Teil des Körpers - gegen den Willen des Berechtigten in die geschützte Sphäre gelangt ist. - Der Wille des Berechtigten kann ausdrücklich oder konklu-

128

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

dent erklärt sein, er kann auch aufgrund einer Wertung der Gesamtumstände vermutet werden. Stets geht es aber um eine Verletzung des realen Willens des Berechtigten, auch dann, wenn dieser - mangels positiver Kenntnis - nur vermutet wird. - Hat der Berechtigte seinen Willen erklärt, so kommt es nicht auf den sog. wahren, nämlich einen hypothetischen Willen des Berechtigten an, es sei denn, seiner Erklärung kommt deshalb nicht der Sinngehalt einer Verfügung zu, weil er sich nur der Gewalt beugt und eine Verteidigung seines Hausrechts als sinnlos empfindet, da der Täter unabhängig von seiner „Zustimmung" eindringen würde. Im übrigen gilt: Genausowenig wie eine irrtumsbedingte Verfügung über eine Sache eine Gewahrsamsübertragung zu einem Gewahrsamsbruch macht, macht ein Irrtum bei der Erklärung des Einverständnisses zum Betreten der häuslichen Sphäre dieses zum widerrechdichen Eindringen. Vgl.: BERNSMANN Jura 1981 S. 4 0 3 f; BOHNERT G A 1983 S. 14; DREHER/TRONDLE § 123 R d n . 10; OSTENDORF JUS 1980 S. 6 6 4 ; OTTO N J W 1 9 7 3 S. 6 6 8 ; STÜCKEMANNJR 1973 S. 414; WESSELS B. T.-L, § 13 I 3. - A . A . O L G M ü n c h e n N J W 1972 S. 2 2 7 5 ; AMELUNG/SCHALLJUS 1975 S. 567.

b) Widerrechtliches Eindringen ist ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten. Die Einwilligung des Berechtigten (Einverständnis) steht daher bereits der Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals entgegen. Die Widerrechtlichkeit des Eindringens bzw. die fehlende Befugnis zum Verweilen sind allgemeine Verbrechensmerkmale. Sie werden durch das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeschlossen. Ein Recht zum Betreten öffentlicher Dienst- und Verkehrsräume kann sich aus der öffendichen Zweckbestimmung dieser Räume ergeben. Diese Zweckbestimmung kann der Ausschließung Einzelner entgegenstehen, soweit sie sich im Rahmen der Zweckbestimmung halten. Die heimliche Verfolgung rechtswidriger Zwecke durch das Betreten macht dieses noch nicht zum rechtswidrigen Eindringen; vgl. oben § 34 14. - Wohl aber liegt ein rechtswidriges Eindringen vor, wenn sich das Überschreiten der Zutrittserlaubnis bereits aus den äußeren Umständen ergibt, z. B. beim nächtlichen Einsteigen in die Schule oder Universität durch Schüler bzw. Studenten. Ist einem Anstaltsnutzer oder einem Anstaltsangehörigen gegenüber ein Hausverbot durch Verwaltungsakt erlassen worden, so ist ein Verstoß hiergegen ein widerrechtliches Eindringen, wenn der Betroffene keinen Widerspruch mit aufschiebender Wirkung eingelegt hat oder der Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt worden ist. - Ob der Verwaltungsakt sich in einem späteren Prozeß als rechtswirksam erweist, ist demgegenüber unbeachdich. Dazu im einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1776; OVG Lüneburg NJW 1975 S. 136; OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 116; OLG Hamburg NJW 1978 S. 2520; OLG Hamburg NJW 1980 S. 1007 mit Anm. OEHLERJR 1981 S. 33 f; OLG Karls-

§ 35 Hausfriedensbruch

129

ruheJR 1 9 8 0 S. 3 4 2 mit Anm. SCHWABE S. 3 4 4 f; BERNSMANN Jura 1 9 8 1 S. 4 6 6 ff; SCHALL Schutzfunktion, S. 2 6 ff; TIEDEMANNJZ 1 9 6 9 S. 7 1 7 ff. Die bloße Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung des Hausverbots herbeizuführen, berechtigt als solche nicht zum weiteren Betreten. A. A.: OLG Hamm NJW 1979 S. 728.

Für das Recht zum Betreten privater Räume können z. B. §§ 102,103 StPO Bedeutung haben. Auch der rechtfertigende Notstand kann eingreifen, doch können mit seiner Hilfe nicht die Voraussetzungen der speziellen Durchsuchungsrechte nach der StPO umgangen werden. 3• Verweilen ohne Befugnis Verweilen ohne Befugnis ist Aufenthalt ohne Berechtigung hierzu. - Die Aufforderung zum Verlassen der geschützten Räume kann auch konkludent erfolgen. 4. Konkurrenzen a) Die 2. Alternative des Tatbestandes ist gegenüber der 1. Alternative subsidiär. b) Straftaten, die während des Hausfriedensbruchs begangen werden, stehen mit diesem in Idealkonkurrenz, wenn ihr Unrechtsgehalt dem des Hausfriedensbruches gleichkommt. Klammerwirkung des Dauerdelikts; vgl. dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T, § 23 II 4. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH - dazu BGHSt 31S. 29 - soll die Klammerwirkung nicht ausgeschlossen sein, wenn eine der verklammerten Taten im Unrechtsgehalt höher liegt als die verklammernde Tat.

Zum Strafantrag, § 123 Abs. 2. II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 1. Geschütztes Rechtsgut Die Vorschrift schützt neben dem Hausrecht auch den öffentlichen Frieden. 2. Einzelheiten des Tatbestandes a) Menschenmenge ist eine Personenmehrheit, deren Zahl nicht mehr sofort überschaubar ist. - Eine Menschenmenge rottet sich zusammen, wenn sie zu einem gewaltsamen oder bedrohlichen Zweck zusammentritt, wobei der friedensstörende Wille äußerlich erkennbar in Erscheinung treten muß. - Öffentlich ist das Zusammenrotten, wenn für eine unbestimmte Zahl von Personen die Möglichkeit der Beteiligung besteht.

130

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

b) Täter ist jeder, der an der Zusammenrottung und dem widerrechtlichen Eindringen teilnimmt. Das bedeutet: aa) Der Täter muß sich in Kenntnis des Zwecks der Rotte anschließen oder in ihr verbleiben und dadurch die Gefahr der Zusammenrottung steigern. Dazu: BGH NJW 1954 S. 1694. bb) Er muß sich beim Eindringen der Menge anschließen. Mit „eigenem Fuß" braucht er die geschützten Räume aber nicht betreten zu haben. Es genügt, daß ihm das Eindringen anderer nach den Regeln der Mittäterschaft zugerechnet wird. Dazu: RGSt 55 S. 35.

c) Der Vorsatz erfordert das zumindest bedingte Wissen um das Zusammenrotten und das Eindringen. - Die Absicht zur Begehung von Gewalttaten braucht der Täter nicht selbst zu haben, es genügt, daß er weiß, daß andere Teilnehmer diese Absicht haben. Die Gewalttätigkeiten brauchen nur beabsichtigt zu sein, sie müssen noch nicht realisiert sein. d) Konkurrenzen: Idealkonkurrenz mit § 125 ist möglich.

§ 36: Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des § 241 ist der persönliche (subjektive) den des Einzelnen. A . A . : MAURACH/SCHROEDER B . T. I , § 13, 2 :

Rechtsfrie-

Willensentschließungs- und -betäti-

gungsfreiheit.

II. Die Tathandlung 1. Drohung mit einem Verbrechen, § 241 Abs. 1 Bestraft wird die Drohung mit der Begehung eines Verbrechens, d. h. die Ankündigung der Begehung eines - allerdings nicht unbedingt schuldhaft verwirklichten - Verbrechens (§ 12 Abs. l), auf dessen Begehung der Drohende Einfluß zu haben vorgibt. - Das Verbrechen muß sich angeblich gegen den Bedrohten oder eine dem Bedrohten nahestehende Person richten. a) Der Vorbehalt des Drohenden, die Drohung nicht zu realisieren, ist unbeachtlich. b) Nimmt der Bedrohte die Drohung allerdings nicht ernst, so liegt nur ein Versuch vor, weil der Rechtsfrieden des Bedrohten nicht gestört ist. A. A.: BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 22.

2. Vortäuschen eines Verbrechens, § 241 Abs. 2 Da der Rechtsfriede des Betroffenen in gleicher Weise bedroht ist, wenn der Täter das Verbrechen nicht androht, sondern vortäuscht, es

§ 37 Delikte gegen den Schutz der Person

131

stehe unmittelbar oder in nächster Zeit ein Verbrechen gegen den Betroffenen oder eine ihm nahestehende Person durch einen Dritten, auf den der Täter keinen Einfluß hat, bevor, stellt Abs. 2 die Vortäuschung eines Verbrechens wider besseres Wissen der Androhung eines Verbrechens i. S. des Abs. 1 gleich. - Auch hier ist nicht erforderlich, daß die schuldhafte Begehung eines Verbrechens angekündigt wird. 3. Der subjektive Tatbestand Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muß das angedrohte Verbrechen nicht selbst als Verbrechen i. S. des StGB bewerten, es genügt, wenn er sich der Umstände bewußt ist, die diese Tat zum Verbrechen machen. Dazu: BGHSt 17 S. 307.

4. Konkurrenzen Idealkonkurrenz möglich mit § 126. - § 241 Abs. 1 wird von §§ 113,177, 240, 253 konsumiert.

§ 37: Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a 1. Geschütztes Rechtsgut ist die Schutzmöglichkeit der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat. Dazu: HARDWIG G A 1955 S. 1 4 0 ff. - A . A . : Freiheitsdelikt (WELZEL Lb., § 4 3 III 2, 3). - Verbrechen gegen die Menschlichkeit (MAURACH/SCHROEDER B. T. II, § 86, 4).

2. Ob politische Gründe vorliegen, ist materiell zu bestimmen. Die Kaschierung einer politischen Verfolgung als Verfolgung einer unpolitischen Straftat ist daher unbeachdich. - Eine Verfolgung auspolitischen Gründen liegt demgemäß vor, wenn die Verfolgung durch kein Gesetz erlaubt ist, ihre Rechtsgrundlage mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Widerspruch steht oder wenn unter dem Deckmantel der Sühne kriminellen Unrechts politische Zwecke bzw. die Sicherung und weitere Entwicklung eines totalitären Regimes durch Zwangsmaßnahmen verfolgt werden; LG Koblenz NStZ 1983 S. 508.

132

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

II. Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h, und Auswanderungsbetrug, § 144 Zum geschützten Rechtsgut vgl. oben I i . - Zum Teil wird das geschützte Rechtsgut des § 109 h in der Erhaltung der Wehrkraft, z. T. in der Erhaltung der Neutralität der Bundesrepublik Deutschland gesehen. Wie hier: H A R D W I G GA 1955 S. 140 ff zu §§ 141,144 a. F. - Im übrigen vgl. einerseits: LACKNER StGB, § 109 h Anm. 1; andererseits: M A U R A C H / S C H R O E D E R B . T . I I , § 85 II C 1.

Im Lande Berlin gilt § 109 h als § 141 fort (vgl. Art. 324 Abs. 3 Nr. 6 EGStGB).

Zweites Kapitel Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen) Erster Abschnitt Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte

§ 38: Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut 1. Geld- oder Gebrauchswert als Grundlage des Vermögensbegriffs Unter der Bezeichnung „Vermögensdelikte" wird allgemein die Gruppe jener Delikte zusammengefaßt, die sich gegen das „Vermögen" eines Rechtssubjekts richten. J e nachdem, ob ein Tatbestand das Vermögen umfassend oder nur in begrenztem Umfang - z. B. Eigentum, Besitz, Aneignungsrechte o. ä. - schützt, wird herkömmlich zwischen den Delikten gegen das gesamte Vermögen und den Delikten gegen einzelne Vermögensobjekte unterschieden. Voraussetzung dieser Differenzierung scheint ein einziger, einheitlicher Vermögensbegriff zu sein. In Wirklichkeit gehen h. L. und Rechtsprechung jedoch von zwei verschiedenen Vermögensbegriffen aus: Durch die Delikte gegen das gesamte Vermögen, z. B. durch Betrug oder Erpressung, sollen nur geldwerte Objekte geschützt sein, während sich z. B. Diebstahl und Raub auch gegen Sachen ohne Geldwert, sog. Sachen mit bloßem Affektionswert, richten können. Das bedeutet: Bei den Delikten gegen das gesamte Vermögen wird der Vermögensbegriff vom Geldwert, von der Umsatzmöglichkeit her bestimmt, bei anderen Delikten vom Gebrauchswert her. Die Sachgerechtigkeit dieser Differenzierung erscheint jedoch zweifelhaft. Denn unabhängig von der Ausgestaltung des strafrechtlichen Schutzes im einzelnen ist zunächst die grundsätzliche Frage zu stellen, ob durch den Schutz des Vermögens als einer einheitlichen Wertsumme oder einer personal strukturierten sachlichen Einheit die Aufgaben der Strafrechtsordnung am angemessensten realisiert werden können. Sodann erst ist zu überlegen, ob im Einzelfall - aus besonderen Gründen - die grundsätzlich angemessene Regelung zurücktreten muß. Die Aufgabe des Strafrechts wurde in seiner Schutzfunktion gesehen, die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen in der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Entfaltung der Persönlichkeit setzt auch die Möglichkeit des Umgangs mit Sachen voraus, denn in diesem Umgang wird sich die Person ihrer Fähigkeit zur Gestaltung ihrer Umwelt bewußt.

134

Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte

Insoweit wird durch das Wort Vermögen „unmittelbar das Wesen der Sache selbst ausgedrückt, die durch das Daseyn jener Rechte uns zuwachsende Macht, das was wir durch sie auszurichten imstand sind oder vermögen" (SAVIGNY). Vermögen in diesem Sinne ist „gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung", die auf den wirtschaftlichen Bereich bezogen ist, sofern die Objekte, auf die die Entfaltungsmöglichkeit gerichtet ist, Güter des wirtschaftlichen Bereiches sind. Geldwerte Güter sind nur eine Untergruppe dieser Güter, da der Geldwert nur das Ergebnis einer einzigen wirtschaftlichen Funktion ist, nämlich der, mit dem Gut am Handelsverkehr teilzunehmen. Daß es sich bei dem Geldwert einer Sache nur um eine Teilfunktion handelt, wird z. B. darin sichtbar, daß eine auf den Geldwert einer Sache bezogene Sozialbindung - wie sie Art. 14 G G vorsieht - eine geradezu unsinnige Vorstellung ist, während eine Sozialbindung bestimmter Gebrauchsmöglichkeiten eines Vermögensobjekts zu den selbstverständlichen Bestandteilen einer Rechtsordnung gehört, wie z. B. Wettbewerbs- und Kartellrecht zeigen.

Ein Strafrecht, das den Schutz der Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums innerhalb eines gesellschaftlichen Bezuges gewährleisten will, würde eine weite Sphäre des wirtschaftlichen Bereiches schutzlos preisgeben, wenn es seinen Schutz allein auf den Geldwert beziehen würde. Den umfassenderen Schutz der Persönlichkeit bietet die Anknüpfung des Schutzes am Gebrauchswert. Vermögen in diesem Sinne ist demnach eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Sie konstituiert sich in von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden. - M. a. W Vermögen ist wirtschaftliche Potenz des Rechtssubjekts, die auf der Herrschaftsgewalt über Objekte beruht, die die Rechtsgesellschaft als selbständige Objekte des Wirtschaftsverkehrs ansieht. Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich (sog. personaler Vermögensbegriff). Zur Entwicklung des personalen Vermögensbegriffs im einzelnen: OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 26-84.

2. Die Verletzung des Rechtsguts yermögen" Ein Vermögensschaden setzt stets eine Verringerung der wirtschafdichen Potenz des Vermögensträgers voraus . - Diese Verringerung wirtschaftlicher Potenz braucht sich nicht in einer Geldsumme auszudrücken. Es genügt, daß eine wirtschafdiche Disposition zur Verfügung über wirtschaftliche Mittel führt, ohne daß der vom Berechtigten gewollte wirt-

§ 38 Rechtsgut und systematische Gliederung

135

schaftliche Zwecke erreicht wird. Die wirtschaftliche Zweckverfehlung ist das Kriterium des Schadens, nicht ein irgendwie gearteter geldlicher Minderwert, obwohl - das darf nicht übersehen werden - oftmals beide identisch sein werden. Die Zweckverfehlung selbst ist insoweit subjektiv zu bestimmen, als die maßgebliche Zwecksetzung die des Berechtigten ist. Sie ist zugleich objektiv zu begründen, da die Feststellung, welcher wirtschaftliche Erfolg eingetreten und wie weit wirtschaftliche Zwecke des Berechtigten realisiert worden sind, aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters erfolgt. Die bloß fehlgeschlagene Disposition als solche ist noch kein Schaden.

II. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte 1. Die Struktur der Vermögensdelikte Wird von einem einheitlichen Vermögensbegriff als Rechtsgut der Vermögensdelikte ausgegangen, so läßt sich zwar zwischen Delikten gegen spezielle Vermögenswerte und gegen das Vermögen insgesamt unterscheiden. Mehr als eine Aufzählung ist durch diese Differenzierung aber nicht zu gewinnen. - Ein anderes Bild ergibt sich, wenn nach der unterschiedlichen Weise des Angriffs auf das geschützte Rechtsgut unterteilt wird. Unabhängig von der Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände zeigen sich zwei in der Struktur verschiedene Weisen des Angriffs auf Vermögen: Die Entziehung von Vermögen und die Perpetuierung einer rechtswidrigen Vermögenslage. Diesen Angriffsweisen entsprechen die Vermögensentziehungs- und die Perpetuierungsdelikte. 2. Die beiden Gruppen der Vermögensdelikte a) Die Vermögensentziehungsdelikte sind ausnahmslos gekennzeichnet durch den realen, nachweisbaren Entzug eines Vermögensobjekts, sei es, daß das Objekt vom Berechtigten auf eine andere Person übergeht fVermögensverschiebung) oder lediglich zerstört oder beschädigt wird (bloße Vermögensentziehung). Der reale Vermögensschaden auf der Seite des Opfers des Delikts kennzeichnet diese Delikte, zu denen z. B. §§ 242, 253, 263, 303 gehören. b) Keinerlei realer, über die schon erfolgte Vermögensentziehung hinausgehender Vermögensschaden tritt hingegen durch ein sog. Perpetuierungsdelikt ein. Die Beeinträchtigung fremden Vermögens geschieht gerade nicht durch Entziehung einer Vermögensposition. Hier geht es dem Gesetzgeber vielmehr darum, Verhaltensweisen zu verpönen, die das Vermögen des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer tatbestandsmäßig und rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage beeinträchtigen. Die bewußte Verhinderung der Wiederherstellung der rechtmäßigen Ver-

136

Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte

mögenslage oder die Weiterverschiebung deliktisch erlangter Vermögensobjekte kennzeichnet das hier strafwürdige Verhalten, das der Gesetzgeber z. B. in §§ 257, 259 erfaßt hat. III. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte Etwa 30% der jährlichen Verurteilungen - ohne Berücksichtigung der Verkehrsdelikte sogar fast 60% - erfolgen wegen eines Vermögensdelikts. - Die Verurteiltenstatistik gibt jedoch nur einen unvollständigen Einblick in die Verbrechenswirklichkeit. Unabhängig von der Tatsache, daß eine Dunkelziffer von 1:5 im Bereich des Vermögensstrafrechts sicher nicht zu hoch angesetzt ist, führt auch nur ein geringer Teil der als Straftaten erkannten Taten zu einer Verurteilung des Täters wegen dieser Tat. Die Zahl der bekanntgewordenen Straftaten (T) ist der jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegebenen „Polizeilichen Kriminalstatistik'' zu entnehmen, die Zahl der Verurteilten (V) ergibt sich aus der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Übersicht: Fachserie 10: Rechtspflege, Reihe 3: Strafverfolgung. 1974 1978 1982 1. Verbrechen und Vergehen insgesamt

T.: V.:

2 741728 699198

2. Verbrechen und Vergehen ohne Verkehrs- T.: V.: delikte

381797

407010

459689

3. Diebstahl ohne erschwerende Umstände, §§ 242, 247, 248 a und T.: § 248 b V:

817761 101548

1067423 122 209

1227027 139186

4. Diebstahl und unbefugte Ingebrauchnahme von Kfz unter erschwerenden Umständen, T.: V.: §§ 243, 244

980896 37 327

1147992 39415

1548750 43432

T.: V:

32226 6852

33474 6235

42 365 6569

6. Raub, räuberischer Diebstahl, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff T.: V: auf Kraftfahrer

18965 3 520

21648 5113

30465 6522

5. Unterschlagung

-

3380516 739044 -

4291975 772194 -

§ 38 Rechtsgut und systematische Gliederung

1974

137

1978

1982

7. Betrug

T.: V.:

195644 23506

228989 28321

323675 34720

8. Erpressung

T.: V.:

3254 388

3220 422

3650 461

9. Untreue

T.: V.:

4185 1904

3239 1461

5052 1604

T.: V:

186343 8425

280954 8068

343601 9112

T.: V.:

20372 6735

20775 6084

28237 6901

10. Sachbeschädigung 11. Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei

Vergegenwärtigt man sich, daß der einfache Diebstahl und der schwere Diebstahl zusammen 2/3 der bekanntgewordenen Verbrechen und Vergehen ausmachen, so dürfte bewußt werden, wie sehr diese Verhaltensweisen die soziale Realität tangieren.

Zweiter Abschnitt Die Vermögensentziehungsdelikte § 39: Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Diebstahlstatbestände und der Unterschlagung ist die umfassende Sachherrschaß einer Person über eine Sache. - Diese Position hat inne, wer seine Sachherrschaftsposition nicht aus dem Rechte eines anderen herleitet, sondern selbständige, umfassende Herrschaft ausübt. Das Sachherrschaftsverhältnis kennzeichnet damit jenen Sachverhalt, der zivilrechtlich positiviert in § 903 BGB als Eigentumsrecht erfaßt wird. Die tatsächlichen Herrschaftsmöglichkeiten, die das Eigentumsrecht gewährleistet, sind aber nicht identisch mit dem Eigentumsrecht. Rechtsgut ist daher nicht das Eigentum i. S. des Eigentumsrechts, denn das EigentumswA/ selbst wird z. B. durch einen Diebstahl nicht verletzt. Es bleibt auch nach dem Diebstahl bestehen, §§ 985,935 BGB. Die Ausübung der Sachherrschaft ist jedoch nach dem Diebstahl dem Eigentümer unmöglich geworden. Insoweit ist an seine Stelle der Dieb getreten. Auch der Gewahrsam ist mit der tatsächlichen, umfassenden Sachherrschaft nicht identisch. Gewahrsam hat auch, wer sein Besitzrecht vom Eigentümer ableitet. Diesen Gewahrsam kann der Eigentümer rechtswidrig brechen, ohne damit zum Dieb zu werden, denn Gegenstand des Diebstahls sind nur fremde Sachen. - Der Gewahrsam ist kein selbständiges Schutzobjekt des Diebstahls. Die h. M. bezeichnet Eigentum und Gewahrsam als Rechtsgüter des Diebstahls; dazu vgl. BGHSt 10 S. 401; LACKNER StGB, § 242 Anm. 1; LAMPE GA 1966 S. 2 2 8 ; MAURACH/SCHROEDER B . T. I , § 32 I 3.

Allein auf das Eigentum als Schutzobjekt stellen ab: BINDING B. T. I, S. 294; CRAMER Vermögensbegriff und Vermögensschaden, 1968, S. 94; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 2 R d n . 1; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 2 R d n . 1.

Konsequenzen: Fall: B hat gutgläubig eine dem X vor langer Zeit gestohlene Uhr erworben. A stiehlt dem B die Uhr. Nach h. M.: Geschädigt durch die Tat: B und X. Nach der in der Lehre vertretenen Mindermeinung: Geschädigt allein der Eigentümer X. Nach der hier entwickelten Auffassung: Geschädigt allein der B, da die Sachherrschaftsposition des X durch die Tat des A nicht verschlechtert wurde. Weitere Konsequenzen: unten § 43, 3.

139

§ 40 Diebstahl

II. Das Verhältnis der Unterschlagung zum Diebstahl Unter Hinweis auf sonst zwischen Diebstahl und Unterschlagung eröffnete Strafbarkeitslücken wird in der Lehre die Unterschlagung als der umfassende, das Eigentum schützende Tatbestand angesehen. Im Gegensatz zum Diebstahl, der die Zueignung fremder Sachen durch Gewahrsamsbruch erfaßt, soll die Unterschlagung als Zueignung fremder Sachen ohne Gewahrsamsbruch zu interpretieren sein (sog. große berichtigende Auslegung des § 246). Danach wäre die Unterschlagung gleichsam als Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte anzusehen. Dazu:

BINDING B .

T. I,

S.

275;

DREHER/TRONDLE § 2 4 6

Rdn.

10;

MAURACH/

SCHROEDER B . T . I , § 3 5 I A 2 ; SCHMIDHÄUSER B . T , 8 / 4 0 ; W E L Z E L L b . , § 4 7 , 1 b .

Mit dem Wortlaut des Gesetzes: „.. .fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet...", und damit mit Art. 103 Abs. 2 G G ist diese Auslegung nicht in Einklang zu bringen. Nicht die Zueignung als solche, sondern der Mißbrauch eines bestimmten Näheverhältnisses zu einer Sache durch Zueignung der Sache kennzeichnet die Unterschlagung; dazu weiter unten § 4213 a. - Diebstahl und Unterschlagung sind danach zwei voneinander verschiedene strafrechtlich relevante Angriffsweisen auf dasselbe Rechtsgut. III. Systematischer Überblick 1. Diebstahl und Unterschlagung sind jeweils selbständige Delikte; vgl. oben II. 2. Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte ist § 242. - Einen qualifizierten Tatbestand enthält § 244. - Einen unbenannten Straferhöhungsgrund mit Regelbeispielen beschreibt § 243 Abs. 1 (Einschränkung § 243 Abs. 2). - Für den Haus- und Familiendiebstahl stellt § 247 das Antragserfordernis auf, das gleichfalls für § 248 a, den Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen gilt, soweit kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung begründet ist. 3. Um ein dem Diebstahl ähnliches Zueignungsdelikt handelt es sich bei der Entziehung elektrischer Energie, § 248 c Abs. 1. Geht man davon aus, daß auch Strom eine Sache i. S. des § 242 ist (h. M.), so ist § 248 c Abs. 1 als lex specialis gegenüber § 242 anzusehen.

4. Fälle straßarer Gebrauchsanmaßung, und deshalb keine Fälle eines Diebstahls, sind der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, und der unbefugte Gebrauch von Pfandsachen, § 290. § 40: Diebstahl Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen durch Wegnahme und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensdelikt.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

I. Der objektive Tatbestand Der objektive Tatbestand setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache voraus. 1. Sache Sachen i. S. des Strafrechts sind nur körperliche Gegenstände. - Der Aggregatzustand (z. B. flüssig, gasförmig) ist gleichgültig. Forderungen sind keine Sachen. Wohl aber sind Papiere, die Forderungen oder Rechte verbriefen (z. B. Wechsel, Sparbuch u. ä.), Sachen. Der Mensch als Person ist keine Sache. Auch organische Teile des Menschen - anders hingegen Fremdbestandteile, z. B. Zahnprothese - sind damit keine Sachen, solange sie mit dem lebenden Körper verbunden sind. Mit dem Tod endet jedoch die Personenqualität des Menschen. Die Leiche und ihre Bestandteile - wie auch vom lebenden Körper abgetrennte Bestandteile - sind Sachen. D a z u : VON BUBNOFF G A 1 9 6 8 S. 7 5 ; EICHHOLZ N J W 1 9 6 8 S. 2 2 7 2 ff; GÖRGENSJR 1980 S. 140 f; KOHLHAAS N J W 1967 S. 1491.

Die Gegenansicht - MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 34 II A b - will die Leiche als „Persönlichkeitsrückstand" betrachten, solange noch Pietätsbindungen bestehen. - Unabhängig von der Frage, ob hier real existierende Bindungen maßgeblich sein sollen oder das allgemeine Pietätsempfinden einem Verstorbenen gegenüber, gerät diese Auffassung in Schwierigkeiten, wenn einerseits abgetrennte Organe des lebenden Körpers als Sache bezeichnet werden, die Leiche selbst hingegen nicht. Auch ist der Entzug des zivilrechdichen Schutzes, den Sachen genießen, nicht angemessen, wenn die Leiche sich z. B. im Besitz eines anatomischen Instituts befindet. Hier aber zwischen den einzelnen Fällen zu differenzieren, erscheint nicht notwendig.

2. Beweglich Beweglich sind alle Sachen, die tatsächlich fortgeschafft werden können, daher auch Grundstückszubehör und Teile unbeweglicher Sachen, soweit sie bewegbar sind oder beweglich gemacht werden. Beweglich: Steine, Türen, Fenster eines Gebäudes, Bäume usw. Unbeweglich: Grundstücke, Wohnungen in einem Gebäude u. ä.

3. Fremd Nach fast einhelliger Ansicht ist eine Sache fremd, wenn sie im zivilrechtlichen Eigentum - Miteigentum genügt - eines anderen steht. Zwar gesteht die h. M. zu, daß diese Bindung des Begriffs „fremd" an den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff hin und wieder der angemessenen Lösung

§ 40 Diebstahl

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problematischer Fälle entgegensteht. Der Klarheit der Begriffsbestimmung wird jedoch der Vorrang vor der sachlichen Angemessenheit einzelner Fallösungen eingeräumt. Möglich und sachlich überzeugender ist es jedoch, den Begriff „fremd" von seiner wirtschaftlichen Funktion her zu bestimmen. Dies ist keineswegs mit den Schwierigkeiten verbunden, die die h. M. offenbar argwöhnt, sondern erfordert allein eine genauere Analyse der rechtlichen Verhältnisse in bezug auf das Objekt des Diebstahls vom Täter her gesehen: Wirtschaftlich betrachtet ist eine Sache für den Täter fremd, wenn sie einer anderen Person gehört. Dies ist immer dann der Fall, wenn jemand anderes ein stärkeres Vermögensrecht, eine umfassendere Vermögensposition an der Sache hat als der Täter. - Gemeinhin wird diese stärkere Vermögensposition natürlich durch das Eigentumsrecht gewährt. Gleichwohl eröffnet die grundsätzliche Lösung vom zivilrechtlichen Eigentumsbegriff eine flexiblere Argumentation. Z u r h . M . vgl.: SAMSON SK, § 2 4 2 Rdn. 10. - Kritisch gegenüber der h.M.: LAMPE in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Knminalpolitik, 1971, S. 63; LIVBR Schultz-Festgabe, S. 121; O T T O Struktur, S. 1 4 3 ff; RANFT J A 1 9 8 4 S. 4 f. - Z. T . auch: SCHÖNKE/SCHRODER/ESER § 2 4 2 Rdn. 7 . In der Konsequenz dieses Grundsatzes sind als fremde Sachen anzusehen: Sachen, die im Miteigentum des Täters und eines anderen stehen; der vorausgezahlte Dirnenlohn für den Freier (BGHSt 6 S. 377; BGH GA 1968 S. 338); nicht vom Telefonierenden verbrauchte Geldmünzen im öffentlichen Telefonautomaten für Dritte (OLG Düsseldorf N J W 1983 S. 2153 mit Anm. B O T T K I J R 1984 S. 35); derelinquierte Sachen im Besitz des Finders gegenüber Dritten; gewilderte Tiere im Besitz des Wilderers gegenüber Dritten; das vom Kunden einer Selbstbedienungstankstelle in den Tank gefüllte Benzin vor dem Bezahlen (so auch BORCHERT/HELLMANN N J W 1983 S. 2799; RANFT JA 1984 S. 4; im Ergebnis gleich: OLG Hamm NStZ 1983 S. 266; DEUTSCHERJ A 1983 S. 125 ff. - A. A.: OLG Düsseld o r f N S t Z 1982 S. 249; HERZBERG J A 1980 S. 385 ff; DBRS. NStZ 1983 S. 251 f; DERS. N J W

1 9 8 4 S . 8 9 6 f f ; SEIER J A 1 9 8 2 S . 5 1 8 ) .

Nicht fremd sind unter Eigentumsvorbehalt verkaufte Sachen für den Verkäufer, die einer Einmann-GmbH gehörenden Sachen für den Alleingesellschafter (a. A. RGSt 71 S. 355) sowie herrenlose Sachen. Str. ist, ob eine Leiche eine fremde Sache sein kann. - Da an einer Leiche weder derivativ noch originär Eigentum erworben werden kann - vgl. dazu DILCHER in: Staudinger, BGB, Bd. 2,12. Aufl. 1980, § 90Rdn. 19ff - müßte die h.M. zum Ergebnis kommen, daß die Leiche keine fremde Sache sein kann, da an ihr kein zivilrechtliches Eigentum besteht, vgl. z. B. LACKNER StGB, § 242 Anm. 2 c . - Der strafrechtliche Schutz des Leichnams wird damit auf § 168 beschränkt. Dazu: RANFT J A 1 9 8 4 S . 3 .

Von dem hier vertretenen Standpunkt aus bereitet der Schutz des Leichnams in Anatomien u. ä. keine Schwierigkeiten. Anerkannt ist nämlich, daß die Angehörigen das Recht haben, unberechtigte Eingriffe Drit-

142

Die Vermögensentziehungsdelikte

ter in die Leiche abzuwehren und bestimmte Verfügungen (Bestattung usw.) vorzunehmen. Auch wenn diese Rechte kein Aneignungsrecht im vermögensrechdichen Sinne gewähren, wird man den Erben doch das Recht einräumen müssen, über die Leiche oder einzelne Organe zu Gunsten Dritter verfügen zu können. Dieses vorrangige Verfügungsrecht macht den Leichnam Dritten gegenüber zu einer fremden Sache. Für ein beschränktes Aneignungsrecht, das aber zivilrechtlich nicht überzeug e n d begründet wird: EICHHOLZ N J W 1 9 6 8 S. 2274; PEUSTER Eigentumsverhältnisse

an Leichen und ihre transplantationsrechtliche Relevanz, 1971.

4. Wegnahme Wegnahme ist Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams. - Gewahrsam ist das von einem Herrschaftswillen getragene, tatsächliche Herrschaftsverhältnis unter Berücksichtigung der sozialen Zuordnung. Gewahrsam als tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis beruht grundsätzlich auf der Möglichkeit der tatsächlichen Einwirkung auf die Sache ohne Uberwindung nennenswerten Widerstandes (physisch-reales Element). Dieses „faktische" Haben wird jedoch modifiziert durch die soziale Zuordnung (normativ-soziales Element). Zum Teil wird in der Lehre stärker das tatsächliche Herrschaftselement (Herrschaftswille) betont. Vgl. z. B . : DREHER/TRÖNDLE § 242 R d n . 9 ; MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 34 II C 3;

SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 242 Rdn. 16. - Zum Teil wird der Gesichtspunkt der sozialen Zuordnung in den Vordergrund gestellt, vgl. z. B.: BITTNERJUS 1974 S. 156 ff; GEILENJR1963 S. 4 4 6 ff; GOSSEL Z S t W 85 ( 1 9 7 3 ) S. 619; SAMSON S K , § 242 R d n . 2 0 ff; WELZEL G A I 9 6 0 S. 2 5 7 ff.

In Wirklichkeit beschränken und ergänzen die beiden Elemente einander. a) Dadurch wird das Sachherrschaftsverhältnis zum einen über das bloße „In-den-Händen-Haben" ausgedehnt. BGHSt 16 S. 273 f: „Gewahrsam ist zwar tatsächliche Sachherrschaft. Ob sie vorliegt, hängt aber nicht in erster Linie, jedenfalls nicht allein von der körperlichen Nähe zur Sache und nicht von der physischen Kraft ab, mit der die Beziehung zur Sache aufrechterhalten wird oder aufrechterhalten werden kann. Vielmehr kommt es für die Frage der Sachherrschaft entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an. Der Gewahrsamsbegriff ist wesentlich durch die Verkehrsauffassung bestimmt,... Sie allein rechtfertigt die Annahme, daß ein Bauer Gewahrsam an seinem auf dem Feld zurückgelassenen Pflug behält, mag auch sein Hof weit entfernt liegen und der Pflug dem Zugriff eines körperlich kräftigeren und näher wohnenden Nachbarn unmittelbar offen stehen. Das gleiche gilt für Haustiere, die sich vorübergehend von dem Anwesen ihres Herren entfernt haben. Der Wohnungsinhaber auf Reisen bleibt Gewahrsamsinhaber nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch im Verhältnis zu der die Wohnung bewachenden Hausangestellten.

§ 40 Diebstahl

143

Zweifellos weist die Verkehrsauffassung auch dem, der einen Gegenstand in der Tasche seiner Kleidung mit sich trägt, regelmäßig Gewahrsam zu, weil eine intensivere Herrschaftsbeziehung zur Sache kaum denkbar ist, vor allem der Ausschluß anderer besonders deutlich zum Ausdruck kommt." b) Zum anderen bedeutet die normativ-soziale Modifizierung des tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses eine Begrenzung des Sachherrschaftsverhältnisses. Trotz unmittelbarer Zugriffsmöglichkeit haben danach keinen Gewahrsam: der diebische Nachbar am Obst im Garten seines verreisten Nachbarn; die Hausangestellte an den Einrichtungsgegenständen im Haus; der Kunde, der einen Anzug im Ladengeschäft anprobiert, an diesem Anzug (BGH LM Nr. 11 zu § 242); der Gast an dem in der Gaststätte benutzten Geschirr (BayObLGSt 9 S. 376). Gewahrsam daher an Briefen im Briefkasten, auch wenn der Gewahrsamsinhaber gar nicht bemerkt hat, daß der Briefträger schon da war. - Gewahrsam an den in der Wohnung verlegten Sachen. - Gewahrsam auch an den Sachen, die ein Dritter in der Gewahrsamssphäre versteckt hat, die aber bei gründlicher Durchsuchung gefunden würden. - Kein Gewahrsam, wenn nach allgemeiner Voraussicht das Versteck (z. B. Hausangestellte versteckt den Ring ihrer Arbeitgeberin unter losem Dielenbrett und befestigt dieses danach) auch bei gründlichem Suchen nicht gefunden würde (str.). - Außerhalb der eigenen Gewahrsamssphäre verlorene oder vergessene Sachen sind gewahrsamslos, soweit nicht der Inhaber der Gewahrsamssphäre, in der die Sache ist, Gewahrsam erlangt hat aufgrund seines generellen Herrschaftswillens. Einen derartigen subsidiären Gewahrsam wird man in öffentlich zugänglichen Gebäuden oder Räumen - Bahnhof, Post, Kino, Gaststätte usw. - annehmen müssen. - Der Gewahrsamswille muß nicht jederzeit realisierbar sein. Schlafende und Bewußtlose behalten aufgrund der sozialen Zuordnung Gewahrsam an ihren Sachen (BGHSt 4 S. 21l), auch wenn der Bewußtlose stirbt, ohne das Bewußtsein wiederzuerlangen (a. A. BayObLGJR 1961 S. 188). c) Da nur natürliche Personen einen tatsächlichen Willen bilden können, können nur natürliche Personen Gewahrsam aktuell innehaben. Yür juristische Personen können aber natürliche Personen den Gewahrsam ausüben. d) Gewahrsam können mehrere Personen gemeinsam haben. - Unproblematisch ist in diesem Zusammenhang der Mitgewahrsam von Personen, die eine gleiche Herrschaftsbeziehung zu der Sache haben. Daneben erkennt die h. M. einen über- und untergeordneten Gewahrsam an, mit der Konsequenz, daß der Träger des übergeordneten Gewahrsams beim Ansichnehmen der betroffenen Sache keinen Gewahrsamsbruch begeht, während der Träger des untergeordneten Gewahrsams einen Gewahrsamsbruch begehen kann. Diese Konstruktion ist unnötig umständlich, denn wie die Beispiele der h. M. zeigen, haben die Träger des untergeordneten Gewahrsams überhaupt keine eigene selbständige Herrschaftsposition, wohl aber Schutz- und Abwehrfunktionen in bezug auf die Sache.

Die Vermögensentziehungsdelikte

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Diese Personen unterstützen den Vermögensinhaber bei der Ausübung seiner Herrschaftsmacht. Sie sind zu Verfügungen nur im R a h m e n der unterstützenden Tätigkeit befugt. Ihre Hauptaufgabe ist der Schutz des Gewahrsams. Sie k ö n n e n daher am sinnvollsten als Gewahrsamshüter bezeichnet werden. Ihre Überwindung ist Bruch des Gewahrsams des Gewahrsamsherren; eingehender dazu OTTO Z S t W 79 (1967) S. 8 0 ff. Beispiele: Angestellte und Verkäufer in einem Ladengeschäft, je nach Organisation : Träger von Mitgewahrsam oder Gewahrsamshüter bezüglich der Waren. Hausangestellte bezüglich der Gegenstände des Arbeitgebers: Gewahrsamshüter. - Ladenangestellter, der mit Geld zum Wechseln geschickt wird: Gewahrsamshüter; anders jedoch, wenn er das Geld abends mitbekommt, um es am nächsten Tag umzuwechseln. - Fernfahrer bezüglich der Ladung des L K W : Inhaber des Alleingewahrsams (vgl. B G H GA 1979 S. 390 f). - Bei der Verwahrung von Gegenständen, an die der Gewahrsamsgeber allein nicht ohne weiteres herankommt: Alleingewahrsam des Verwahrers (str.). - Ist ein Behältnis verwahrt, an das der Verwahrungsgeber nur mit Hilfe des Verwahrers herankommt, weil z. B. zwei Schlüssel notwendig sind: Mitgewahrsam (str.). - Ist das Behältnis dem Verwahrungsgeber ohne weiteres zugänglich - sei es auch nur innerhalb bestimmter Öffnungszeiten - : Alleingewahrsam des Verwahrungsgebers. Zu weiteren Fallgestaltungen: H E I M A N N - T R O S I E N L K , 9 - Aufl., § 2 4 2 Rdn. 11 ff; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 2 R d n . 2 5

f.

e ) Gebrochen ist der Gewahrsam, wenn der Berechtigte die tatsächliche Herrschaft gegen seinen Willen verloren hat. - Eine bewußte und gewollte Übertragung des Gewahrsams schließt den B r u c h aus, selbst wenn sie irrtümlich - Problematik der Abgrenzung zum B e t r u g - erfolgt oder auf einer N ö t i g u n g beruht, die d e m Berechtigten aber n o c h eine echte Wahlmöglichkeit offenläßt - Problematik der Abgrenzung zur Erpressung. f) Vollendet ist die W e g n a h m e und damit der Diebstahl m i t der Begründung des neuen Gewahrsams durch den T ä t e r oder einen Dritten. Auch hier kommt der sozialen Zuordnung besondere Bedeutung zu: Gewahrsamsbruch liegt vor, wenn jemand in einem Selbstbedienungsladen oder einer sonstigen Gewahrsamssphäre eines anderen handliche Gegenstände in der Kleidung versteckt oder in eine Tasche steckt, die er bei sich trägt (vgl. BGHSt 16 S. 271; 17 S. 208 f; 23 S. 254; BayObLG N J W 1 9 8 3 S. 406. - Anders aber, wenn die Sachen im Einkaufskorb verborgen werden; O L G Köln N J W 1984 S. 810). - Kein Gewahrsamsbruch bei Abtransport eines sperrigen und schweren Gegenstandes, z. B. eines 300 kg schweren Tresors, solange das Objekt sich noch in der Herrschaftssphäre (Grundstück, Geschäft) des Berechtigten befindet ( B G H NStZ 1981 S. 435 f)g) Hinweis: Gewahrsam und unmittelbarer Besitz sind weitgehend identisch, jedoch sind die Fiktionen der §§ 855,857 B G B nicht auf den Gewahrsam übertragbar.

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h ) Zur Einübung aa) BGHSt 4 S. 199: Auf einem Wochenmarkt baute die Polizei eine Diebesfalle auf: Eine Kriminalbeamtin legte eine Geldbörse auf ihren Einkaufskorb. Zwei Kriminalbeamte bewachten die Börse. Beim Zugreifen sollten sie den Dieb fassen. 1. Alternative: A ergreift die Geldbörse und im nächsten Augenblick greifen die Beamten zu und nehmen ihm die Börse aus der Hand. BGH: Nur versuchte Wegnahme: A hat noch keinen eigenen Gewahrsam begründet. - Dem ist zuzustimmen, denn mit dem bloßen Ergreifen der Geldbörse begründet A unter den gegebenen Umständen noch keine umfassende Sachherrschaft über die Börse. 2. Alternative: A ergreift die Börse, steckt sie ein und entwischt im Gewühl. BGH: Keine vollendete Wegnahme, weil die Berechtigten in die Wegnahme eingewilligt haben und damit ein Gewahrsamsbruch unmöglich geworden war. Da A aber von der Einwilligung keine Kenntnis hatte, liegt ein versuchter Diebstahl vor. Diese Überlegungen treffen im vorliegenden Fall nicht zu: Wie der BGH in der 1. Alternative ausführt, sollte nach dem Plan der Berechtigten der Täter bereits bei der Gewahrsamslockerung, d. h. beim Versuch des Gewahrsamsbruchs, gefaßt und damit der Gewahrsamsbruch verhindert werden. Von einer Einwilligung in den Gewahrsamsbruch kann daher im vorliegenden Fall keine Rede sein. - Anders wäre die Sachlage gewesen, wenn die Diebesfalle so angelegt gewesen wäre, daß der Täter die Sache in seinen Gewahrsam bringen sollte, damit diese später bei ihm gefunden würde und er überfuhrt werden könnte. In diesem Falle hätte der Täter die Sachherrschaft mit Wissen und Wollen des Berechtigten erlangt, ein Gewahrsamsbruch entfiele; dazu auch BayObLGJR 1979 S. 296 f mit Anm. PAEFFGEN S . 2 9 7

ff.

bb) OLG Hamburg MDR 1970 S. 1027 einerseits - BGH bei Daliinger, MDR 1972 S. 925 andererseits: A öffnet gewaltsam ein fremdes Kfz, schließt die Zündung kurz, fährt los, rammt aber nach 10 m wegen schlechter Sicht ein parkendes Fahrzeug. Er flieht nun zu Fuß. Das OLG hat hier eine vollendete Wegnahme bejaht, der BGH verneint, weil A noch keinen Gewahrsam begründet habe. Bei der Wegnahme sperriger Gegenstände wird man in der Tat einen Gewahrsam des Täters verneinen müssen, solange es dem Berechtigten nach den gegebenen Umständen ohne Mühe möglich ist, dem Täter die Sache wieder wegzunehmen. - Anders verhält es sich jedoch mit einem Kfz. Ist dies erst einmal in Gang gesetzt, so sind die Möglichkeiten des Eigentümers, seine Herrschaft noch auszuüben, im Regelfall vernichtet. Daß er durch Zufall seine Herrschaftsmöglichkeit wiedererlangen kann, ändert daran nichts. Nur wenn von vornherein feststeht, daß das Fahrzeug nur wenige Meter fortbewegt werden kann, weil z. B. dann eine Diebstahlssicherung die Räder blockiert oder weil noch ein Hindernis (Hoftor) überwunden werden muß, kann man einen Gewahrsam des Täters mit dem Losfahren ablehnen.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

cc) A erscheint bei X , gibt sich als Kriminalbeamter aus und beschlagnahmt die Schreibmaschine. Er nimmt sie mit, weil auf der Maschine angeblich ein Typenvergleich durchgeführt werden soll. X duldet dies, denn erhofft, der Irrtum werde sich bald aufklären. Ergebnis: Gewahrsamsbruch des A. Eine Gewahrsamsübertragung durch X lag nicht vor, er duldete lediglich die Mitnahme, da er eine Weigerung für sinnlos hielt. Eingehend dazu: M A U R A C H / S C H R O E D E R B . T . I , § 34 I I I B 2.; O T T O Z S t W 79 (1967) S . 7 4 f ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 2 6 3 R d n .

43.

dd) OLG Köln M D R 1973 S. 866: B wollte sich im Foyer eines Gebäudes eine Zigarette anzünden. Da er in der einen Hand einen Gegenstand hielt, gab er die Brieftasche, die er in der anderen Hand hatte, dem A zum Halten. A entfernte sich mit der Brieftasche um „eben mal" zu telefonieren. In Wirklichkeit verließ er das Gebäude und flog nach Italien. OLG: Diebstahl. - A hat Gewahrsam des B gebrochen. Eindeutig liegt in dem Zum-halten-Geben der Brieftasche keine Gewahrsamsübertragung. Insoweit könnte ein Gewahrsamsbruch vorliegen, als A sich entfernte. Dies geschah jedoch im Einverständnis mit B. Maßgeblich daher die genauen Örtlichkeiten. Sollte das Telefongespräch noch in kurzer Entfernung von B stattfinden, so Gewahrsamsbruch und Begründung neuen Gewahrsams erst, als A sich aus dem Bereich des B entfernte. Sollte das Gespräch hingegen in einem anderen Gebäudeteil o. ä. stattfinden, so wäre eine Gewahrsamsübertragung anzunehmen, und damit ein Diebstahl mangels Gewahrsamsbruch ausgeschlossen, als A sich im Einverständnis mit B mit dessen Brieftasche entfernte. ee) OLG Hamm N J W 1969 S. 620: Frau B ließ beim Bezahlen im Selbstbedienungsladen ihr Portemonnaie an der Kasse liegen. Frau A trat nach ihr an die Kasse, zahlte und packte die gekauften Sachen ein, als die Kassiererin ihr zurief: „Vergessen Sie nicht ihr Portemonnaie!" Frau A, die genau wußte, daß ihr das Portemonnaie nicht gehörte, bedankte sich und steckte das Portemonnaie ein. OLG: Ursprünglich hatte Frau B Gewahrsam an dem Portemonnaie. Dieser ging verloren, als sie den Laden verließ und sich entfernte. Das Portemonnaie wurde damit nicht gewahrsamslos, sondern ging in den Gewahrsam des Ladeninhabers über. Für diesen übte K Gewahrsam aus. K übertrug den Gewahrsam jedoch nicht auf A. Ihr fehlte das Bewußtsein, Gewahrsam zu übertragen, denn sie ging davon aus, daß das Portemonnaie sich im Gewahrsam der A befand. Als diese das Portemonnaie einsteckte, brach sie daher den Gewahrsam des Ladeninhabers. ff) BGHSt 18 S. 221: A unterhielt Beziehungen zu Frau W die einen Pkw besaß. Diesen Wagen hatte Frau W in einer parkhausähnlichen Garage untergestellt. Die Garage war Tag und Nacht geöffnet und wurde von einem Pförtner beaufsichtigt. Dieser hatte einen zweiten Zündschlüssel, den er auf Anforderung dem Berechtigten gab, falls dieser seinen eigenen Schlüssel vergessen hatte o. ä. Im Einverständnis mit Frau W holte A den Wagen einmal aus der Garage ab. In weiteren 6 - 8 Fällen setzte A aufgrund seiner Beziehungen zu Frau W deren Einverständnis voraus. Am 20. 5.61 schließlich holte A ohne Wissen und Willen von Frau W den Wagen ab, um ihn sich anzueignen. BGH: Kein Diebstahl, sondern Betrug.

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Dem ist zuzustimmen: Hätte Frau W dem A aufgrund eines Irrtums den Wagen überlassen, so hätte eine Gewahrsamsverfügung vorgelegen. Gleiches würde gelten, wenn Frau W den Wagen einer Person zu bestimmten Verfügungen überlassen hätte, z. B. zum Verkauf, und dieser Person wäre durch Täuschung über das Vorliegen des relevanten Sachverhalts der Wagen abgeschwindelt worden, z. B. Kauf mit Falschgeld. Nun hatte P sicher keinen Gewahrsam an dem Wägen derart, daß er zu selbständigen Verfügungen berechtigt war. Er war Gewahrsamshüter, denn er sollte den Gewahrsam der Frau W schützen und ihr u. U. bei der Ausübung der Sachherrschaft behilflich sein. Wenn P sich aber - sei es auch aufgrund eines Irrtums - subjektiv in dem Rahmen hält, der ihm objektiv eingeräumt worden ist, dann muß sich der Gewahrsamsinhaber die Verfügungen seines Gewahrsamshüters als eigene zurechnen lassen. Ein Gewahrsamsbruch durch den Gewahrsamshüter scheidet demnach aus, wenn dieser sich im Rahmen seiner rechtlichen Befugnisse zu halten glaubt. Eingehend dazu: HERZBERG Z S t W 89 (1977) S. 367 ff; OTTO Z S t W 79 (1967)

S. 76 ff. Die Gegenmeinungen stellen einerseits streng auf die rechdiche Befugnis zur Übertragung des Gewahrsams ab (Befugnis- oder Ermächtigungstheorie), andererseits darauf, ob der Verfügende „im Lager des Geschädigten steht" (Lagertheorie); dazu unten § 51 III 3 b. g g ) BayObLGJR 1982 S. 291: A entwendete aus einem Glücksspielautomaten Geld dadurch, daß er einen Draht durch ein am Boden des Automaten befindliches Loch führte und damit die im Inneren des Spielautomaten befindlichen Walzen beeinflußte. BayObLG: Gewahrsamsbruch. - Dem ist zuzustimmen: Wird ein Automat ordnungsgemäß betätigt, so liegt in der Herausgabe der Waren bzw. des Geldes eine Gewahrsamsübertragung: Für den Fall ordnungsgemäßer Betätigung wird der Gewahrsam übertragen. Wird ordnungswidrig auf den Automaten eingewirkt - Einwurf von Falschgeld, präparierten Geldstücken o. ä. - so werden die dem Automaten entnommenen Gegenstände gegen den Willen des Berechtigten entnommen, sein Gewahrsam wird gebrochen. Dazu vgl. auch: MEURERJR 1982 S. 292 ff; OLG Stuttgart NJW1982 S. 1659 mit A n m . SEIER J R 1982 S. 509 ff u n d ALBRECHT J u S 1983 S. 101 ff.

Der Versuch, die Erlangung von Gegenständen aus Automaten durch Manipulation des Herausgabevorganges allgemein unter § 265 a zu erfassen - dazu AG Lichtenfels N J W 1980 S. 2206 mit Anm. SCHULZ N J W 1981S. 1351 f in Anlehnung an DREHER MDR 1952 S. 563 - überzeugt nicht. § 265 a sollte eine Gesetzeslücke beim Mißbrauch sog. Leistungsautomaten schließen; dazu weiter unten § 52 II. Keineswegs aber sollte der „Automatendiebstahl'' privilegiert werden; dazu MEURERJR 1982 S. 294.

Entsprechend der Manipulation von Glücksspielautomaten liegt ein Gewahrsamsbruch vor, wenn mit einer gefälschten oder sonst manipulierten Code-Carte Geld aus einem Geldauszahlungsautomaten erlangt wird. - Überschreitet der rechtmäßige Besitzer der Code-Carte hingegen seine Befugnisse, indem er Geld abfordert, obwohl sein Konto nicht gedeckt ist, so liegt kein Gewahrsamsbruch

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Die Vermögensentziehungsdelikte

vor. Der ordnungswidrige Gebrauch des Automaten setzt eine Manipulation seiner Technik voraus, die ordnungsgemäße, aber unbefugte Nutzung ist dem nicht gleichzusetzen. So auch: DENCKER NStZ 1982 S. 156; STEINHILPERJUK 1983 S. 409; WISCHERSJuS 1979 S. 847 ff. - A. A . : GROPPJZ 1983 S. 490 f; SCHROTH N J W 1 9 8 1 S . 731. - Einge-

hend zur Darstellung und Auseinandersetzung: OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 145. Das Mitnehmen des Geldes ist auch nicht als Unterschlagung faßbar, wie RANFT - J A 1984 S. 8 - meint. Insoweit entspricht die Rechtslage der Annahme irrtümlich gezahlten Geldes; dazu vgl. unten § 42 I 3 c, ff.

II. D e r s u b j e k t i v e T a t b e s t a n d

1. V o r s a t z Der Vorsatz erfordert das Bewußtsein des Täters, daß es sich bei dem Tatobjekt um eine ihm fremde, bewegliche Sache im Gewahrsam eines anderen handelt, den der Täter bricht. a) Eine Konkretisierung des Vorsatzes auf bestimmte einzelne Sachen ist nicht erforderlich. Die Tat bleibt ein einheitlicher Diebstahl, gleichgültig, ob der Täter seinen Vorsatz später erweitert oder auf ein anderes Tatobjekt bezieht.

Zur Verdeutlichung: Fall 1: A will die Brieftasche des B aus dessen Schreibtischschublade stehlen. Als er sieht, daß in der Schublade Schmuck liegt, nimmt er diesen auch an sich. E r g e b n i s : Ein einziger Diebstahl, denn es liegt ein einheitlicher Angriff auf die umfassende Sachherrschaftsmacht des B vor: A wollte die umfassende Sachherrschaftsmacht des B brechen, das hat er getan. Daß er den Umfang seines Angriffs erweitert hat, ist irrelevant. Fall 2: Wie Fall 1, doch ist die Brieftasche gar nicht in der Schublade. A nimmt nun den Schmuck weg. E r g e b n i s : Ein einheitlicher Diebstahl, nicht etwa ein versuchter Diebstahl in bezug auf die Brieftasche und ein vollendeter Diebstahl bezüglich des Schmuckes; vgl. Begründung zu Fall 1. b) Zur Vorsatzänderung auf geringwertige Objekte vgl. unten § 41 II 1 b. 2. Absicht, sich d i e S a c h e rechtswidrig z u z u e i g n e n a) Mit der Zueignung der Sache bringt der Täter zum Ausdruck, daß er sich selbst die Position anmaßt, die dem Eigentümer rechtlich zukommt. Er verschafft sich mehr als nur die Möglichkeit des rechtswidrigen Gebrauchs der Sache (Abgrenzung zur Gebrauchsanmaßung), und es geht ihm nicht nur darum, den Berechtigten durch Entzug der Sache zu schädigen (Abgrenzung zur Sachbeschädigung und zur straflosen Sachentziehung).

§ 40 Diebstahl

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Einigkeit besteht darüber, daß dem Berechtigten die „Eigentümerposition" entzogen wird, indem der Täter sich diese selbst anmaßt. Einigkeit besteht weiter darüber, daß es dem Täter darum geht, die Sache nicht nur zu vernichten. - Streit herrscht jedoch darüber, ob das O b j e k t d e r Z u e i g n u n g die S a c h e selbst oder der S a c h w e r t ist. aa) D i e Anhänger der sog. S a c h s u b s t a n z t h e o r i e (Substanztheorie) sehen dem Wortlaut des Gesetzes folgend - die weggenommene Sache als den Gegenstand der Zueignung an. D a z u : BINDING B.T. I, S. 267 ff; MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 34 III C 1; OTTO

Struktur, S. 167 ff mit eingehender Literaturübersicht; ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 4. Aufl. 1984, S. 341 ff; RUDOLPHI GA1965 S. 38; WELZEL Lb., § 46,1. Auch MAIWALD Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970, ist hier einzuordnen. In seinen Prämissen - Eigentumsverletzung, vgl. S. 80 f f - unterscheidet er sich zwar wesentlich von den hier Genannten. Sein Ausgangspunkt gewährleistet andererseits aber die Identität zwischen dem Objekt der Wegnahme und dem der Zueignung. bb) Die Vertreter der sog. S a c h w e r t t h e o r i e sehen den S a c h w e r t als Objekt der Zueignung an. Dazu: RGSt 57 S. 168; FRANK StGB, § 242 Anm. VII 2 a; LAMPE GA 1966 S. 241; SAUER G A 63 S. 284.

Zur Verdeutlichung der Konsequenzen (im Anschluß an LAMPE GA 1966 S. 230): A wirft die Sachen des E an einer bestimmten Stelle aus dem Zug auf den Bahndamm. Später veräußert er diese an D, der Zahlung gegen Mitteilung des Fundortes leistet. Sachsubstanztheorie: A hatte im Zeitpunkt der Veräußerung noch keinen Gewahrsam an den Sachen selbst begründet. War dem Berechtigten daher auch die Sachherrschaftsposition entzogen, so fehlte es doch an der Neubegründung einer umfassenden Sachherrschaftsposition durch A. Deshalb keine Zueignung der Sachen, daran ändert der „Verkauf" nichts. Sachwerttheorie: Zueignung vollendet, indem A den Kaufpreis erhält. In diesem Augenblick überfuhrt er den Sachwert in sein Vermögen. cc) Die heute h. M. ist die sog. V e r e i n i g u n g s t h e o r i e : Danach soll eine Zueignung dann gegeben sein, wenn der Täter die S a c h e selbst oder d e n i n i h r v e r k ö r p e r t e n Wert in sein Vermögen überführt. Allerdings wird dieser Wert im Anschluß an BOCKELMANN - Z S t W 65 (1953) S. 575 ff - enger interpretiert als von den Vertretern der Sachwerttheorie. Maßgeblich soll für die Zueignung nur der in der Sache selbst steckende Wert Q u e r u m ex re") sein, nicht aber die Möglichkeit, die Sache zur Erlangung anderer Werte einzusetzen („lucrum ex negotio cum re"). Dazu: BGHSt 4 S. 238; 19 S. 388; DREHER/TRÖNDLE § 242 Rdn. 18; ESERJUS 1964 S. 481; GRIBBOHM N J W 1 9 6 8 S. 1270; KREYB.T. II, S. 19; LACKNER S t G B , § 242 A n m .

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5 a, aa; PAULUS Der strafrechtliche Begriff der Sachzueignung, 1968, S. 220; SCHONKE/SCHRODER/ESER § 242 Rdn. 47; TENCKHOFFJUS 1980 S. 725; ULSENHEIMER J u r a 1979 S. 178; WESSELS N J W 1965 S. 1153.

Es gäbe allerdings keinen Unterschied zwischen Sachsubstanz- und Sachwerttheorie, wenn als relevanter Sachwert allein der in der Sache verkörperte, von ihr vermittelte und von ihr nicht trennbare Wert angesehen würde, denn damit wäre die Einheit von Sache und Sachwert erhalten geblieben.Jede Ausdehnung des Wertgesichtspunktes über diese Grenze hinaus führt hingegen dazu, die Grenzen zwischen den Eigentumsdelikten, den Sachzueignungsdelikten und den allgemeinen Bereicherungsdelikten zu verwischen. Die Verschaffung irgendwelcher Teilwerte der Sache wird zwangsläufig zur Zueignung der Sache. Auch Beschränkungen auf den „Zwecknutzen" (PAULUS) U. ä. helfen über diese mißliche Konsequenz nicht hinweg. - Es eröffnet sich die in keinem Fall mehr kriminalpolitisch erstrebenswerte Möglichkeit, bei der Kenntnisnahme vom Inhalt geheimer Papiere (neue Modelle, Rezepte, Konstruktionspläne) einen Diebstahl zu bejahen, wenn das Papier selbst seinem Eigentümer nur kurzfristig entzogen wird.

Der Diebstahl als ein klar konturiertes Delikt gegen fremde Sachherrschaft ist dann zu einem farblosen und in seinen Grenzen dubiosen Bereicherungsdelikt geworden. Diese Mängel der Sachwerttheorie übernimmt die Vereinigungstheorie um den Preis einer rechtsstaatlich geradezu anrüchig austauschbaren Argumentation, denn sie bedient sich willkürlich der Sachsubstanz- und der Sachwerttheorie, ohne einen Oberbegriff der Sachsubstanz- und Sachwertzueignung zu bilden. Zwar mag es richtig sein, daß Sachwert- und Substanzzueignung die verschiedenen möglichen Eigentumsverletzungen erfassen. Im dogmatischen Ausgangspunkt schließen sie einander jedoch aus. Auch die Betonung, daß der Sachwerttheorie innerhalb der Vereinigungstheorie nur subsidiäre Bedeutung zukommt (vgl. z. B. TENCKHOFFJUS 1980 S. 725; ULSENHEIMER Jura 1979 S. 175), ändert daran nichts. MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 79: „Als Ergebnis der Betrachtung der Vereinigungslehren bleibt demgemäß der Befund, daß sie auch in ihrer heutigen Form Sachwert- und Sachsubstanztheorie jeweils nur zur kriminalpolitisch erwünschten Lückenschließung benutzen, daß sie aber beide Theorien nicht als Ausprägung eines Prinzips rechtfertigen, mit dem das Wesen der Zueignung gekennzeichnet werden könnte. Sachwert- und Sachsubstanztheorie kommen in Einzelfällen aufgrund ihrer methodisch verschiedenen Ausgangspunkte zu verschiedenen Ergebnissen. Wird behauptet, Zueignung sei Zuführung des wirtschaftlichen Wertes einer Sache oder Anmaßung des Eigentums an der Substanz, so befindet man sich in der Situation des Schuljungen, der Äpfel und Birnen addiert: Der Zueignungsbegriff, der damit zustande kommt, ist ein unverbundenes Nebeneinander zweier nicht vergleichbarer Größen."

§ 40 Diebstahl

Da2u auch:

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1980 S. 491;

DERS.

Struktur, S. 169 ff; RUDOLPHI GA 1965

S. 33.

b) Soll der erklärte Wille des Gesetzgebers: „eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich... zuzueignen" nicht umgangen werden, indem Wegnahme- und Zueignungsobjekt in verschiedenen Objekten gesehen werden, so ist an der Sachsubstanztheorie nicht vorbeizukommen. Zueignung ist danach ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, daß er den Berechtigen von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtiggebrauchen, d. h. wirtschaftlich nutzen will. c) Die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffes Gemeinhin werden „Enteignung" und „Aneignung" als die konstituierenden Elemente des Zueignungsbegriffes bezeichnet. Innerhalb der „Aneignung" wird sodann mehr oder minder deutlich darauf hingewiesen, daß es dem Täter auch darum gehen muß, „Vorteile" aus der Tat zu ziehen. Diese Verquickung verschiedener Probleme begünstigt Mißverständnisse. Als Elemente des Zueignungsbegriffes sind daher zu unterscheiden: aa) Die Enteignung des Berechtigten, das ist Entziehung der umfassenden Sachherrschaft des Berechtigten. - Dieser entspricht gleichsam spiegelbildlich: bb) Die Aneignung durch den Täter, d. h. die Begründung eigener umfassender Sachherrschaft durch den Täter. cc) Darüber hinaus ist erforderlich die Absicht des Täters, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftliche Nutzung heißt allerdings nicht nur Nutzung im Wirtschaftsverkehr, sondern Gebrauchen, Verbrauchen, in Besitz haben u. ä. Hingegen ist die bloße Absicht, einem anderen die Sache zu entziehen, sei es um ihn zu schädigen oder um ihn zu ärgern, nicht wirtschaftliche Nutzung der Sache.

Ein zeitliches Element - Entziehung der Sachherrschaft auf Dauer o. ä. - ist dem Zueignungsbegriff hingegen nicht wesendich. Nicht die Dauer des Gebrauchs ist ein brauchbares Abgrenzungskriterium zur straflosen Gebrauchsanmaßung, sondern allein die Art und Weise des Gebrauchs: Solange sich der Täter in der Rolle eines Fremdbesitzers sieht und hält, fehlt es an einer Zueignung. Der Täter maßt sich rechtswidrig den Gebrauch einer fremden Sache an. Hat der Täter jedoch gezeigt, daß er sich selbst in der Position des umfassend bestimmenden Sachherrn sieht, so hat er sich die Sache zugeeignet. Demgegenüber fordert die h. M., daß die Enteignung „auf Dauer angelegt werd e n m u ß " ; v g l . : B G H S t 2 2 S. 4 6 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 2 R d n . 19; HEIMANN-TROSIEN

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9. Aufl., § 242 Rdn. 43; LACKNER StGB, § 242 Anm. 5 b; SCHMIDHÄUSER BrunsFestschrift, S . 350 f; S C H Ö N K E / S C H R Ö D E R / E S E R § 242 Rdn. 51. Nicht nur im Fall der Wegnahme von Sachen, die sodann an den Eigentümer verkauft werden sollen - dazu unten d, ee - sondern auch in anderen Fallkonstellationen muß die h. M. dann aber die Entziehung auf Dauer dahin interpretieren, daß auf „Dauer angelegt" nicht unbedingt endgültig heißen muß; vgl. TENCKHOFF J u S 1980 S. 724. Dieser begrifflichen Notlösungen bedarf es jedoch nicht, wenn auf Entzug und Anmaßung umfassender Herrschaftsgewalt abgestellt wird, nicht aber auf das mißverständliche Dauerelement. LK,

d) Zur Einübung: Enteignung des Berechtigten - Aneignung durch den Täter aa) A entwendet dem B eine elektrische Glühbirne. Nachdem diese ausgebrannt ist, gibt er sie dem B - wie geplant - zurück. Ergebnis: A hat sich die Glühbirne zugeeignet. Die zurückgegebene Sache ist mit der weggenommenen nicht mehr identisch. Bei der Entscheidung der Frage, ob eine Sache noch mit sich identisch ist, kommt es auf die Verkehrsanschauung an. Danach liegt aber ein Verbrauch der Sache nicht nur vor, wenn von der Sache selbst nichts mehr übrig ist, das auch nur in etwa auf die Sache hindeutet - der Täter verspeist die weggenommenen Nahrungsmittel - , sondern auch dann, wenn das Überbleibsel zwar noch auf die ehemalige Sache hinweist, aber wegen Funktionsverlustes als eine qualitativ andere Sache erscheint. Dazu: M A I W A L D Zueignungsbegriff, S. 1 4 2 ff; O T T O Struktur. S. 1 7 8 ff. bb) OLG Celle J R 1967 S . 389 mit Anm. D E U B N E R N J W 1967 S . 1921 und 1968 S . 409: A nimmt im Warenhaus des B ein Taschenbuch mit, liest es durch und bringt es am nächsten Tag zurück. ANDROULAKISJUS

OLG: A hat sich das Buch zugeeignet. - Die Entscheidung erscheint bei einem Taschenbuch vertretbar, weil dieses in der Regel beim Durchlesen so viel Schaden nimmt, daß es nicht mehr als neues Verkaufsobjekt angesehen werden kann. - Im Falle eines gebundenen Buches, das vorsichtig behandelt wird, wäre der Entscheidung hingegen kaum zu folgen, denn auch durch das Blättern und Anlesen einzelner Teile verliert dieses Buch noch nicht seine Eigenschaft als Verkaufsobjekt. Dazu auch: E S E R I V , Nr. 3 A 3 1 ff; G R I B B O H M N J W 1 9 6 8 S. 1 2 7 0 ; LACKNER StGB, § 2 4 2 Anm. 5 a, aa; O T T O Struktur, S. 1 8 1 f; S C H Ö N K E / S C H R Ö D E R / E S E R § 2 4 2 Rdn. 5 1 ; SCHRÖDER J R

1967 S. 390

ff.

cc) A entwendet dem B das Sparbuch, das ein Guthaben von DM 3000,- ausweist. A hebt DM 1000,- ab und verbraucht das Geld. Das Buch schickt er sodann - wie geplant - an B zurück. Ergebnis: Die Anhänger der Sachwert- und der Vereinigungstheorie bejahen hier eine Zueignung des Buches. Dazu: F R A N K StGB, § 242 Anm. VII 2 a; HEIMANN-TROSIEN LK, 9. Aufl., § 242 Rdn. 58 f. - Vom Standpunkt der Sachsubstanztheorie bejahen die Zueignung gleichfalls: M A U R A C H / S C H R O E D E R B.T. I, § 34 III C 1 c, cc; R U D O L P H I GA 1965 S . 53 f; WELZEL L b . , § 4 6 , 2 a.

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Dem kann nicht gefolgt werden: Mit der Wegnahme eines Legitimationspapieres verschafft sich der Täter zwar einen Vermögenswert. Dieser beruht auf der Möglichkeit, sich als Inhaber bestimmter Rechte zu legitimieren. Inhaber des Rechts oder eines Wertes, der dem des Rechts entspricht, wird der Täter mit der Wegnahme nicht. Mit der Einziehung des Rechts realisiert der Täter nicht den in dem Papier verkörperten Wert, vielmehr verschafft er sich dabei mit Hilfe des Papiers einen anderen Wert, der auf dem Legitimationswert beruht, mit diesem jedoch nicht identisch ist. - Genausowenig wie in der Wegnahme eines Ausweises, mit dem sich der Täter als Berechtigter zur Abholung einer Sache ausweist (vgl. OLG HammJMBl NRW 1953 S. 153: Zechenausweis), eine Zueignung dieser Sache oder in der Wegnahme von Euroscheckkarte und Blanko-Euroschecks, mit deren Hilfe nach gefälschter Unterschrift Geld erlangt wird, eine Zueignung des Geldes zu sehen ist (dazu BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 280), liegt in der Zueignung eines Legitimationspapieres eine Zueignung des in dem Papier ausgewiesenen Geldbetrages. dd) BGHSt 19 S. 387: Der wehrpflichtige A merkt eines Tages, daß sein Uniformkoppel weg ist. Nachts erbricht er den Schrank des B und nimmt dessen Koppel an sich, um dieses 3 Monate später bei der Entlassung als das ihm übergebene zurückzugeben. BGH: Keine Zueignung des Koppels, denn die Sachherrschaftsstellung des Eigentümers (Militärfiskus) wollte A sich nicht anmaßen. Diesem gegenüber wollte er stets Fremdbesitzer sein. Dazu auch: OLG Frankfurt NJW1962 S. 1879; OLG Celle NdsRpfl 1964 S. 230; OLG Hamm NJW 1964 S. 1427; OLG Stuttgart NJW 1979 S. 277; ESERJUS 1964 S. 4 7 7 ; OTTO S t r u k t u r , S. 195; TENCKHOFFJUS 1980 S. 7 2 3 ; WESSELS J Z 1965 S. 631.

ee) RGSt 57 S. 199: Der A ist Lagerarbeiter auf dem Getreidespeicher des G. Dort entwendet er Getreide, füllt es in Säcke und bringt es zu B. B veräußert, wie verabredet, das Getreide wiederum an G. Den Erlös teilen A und B. RG (unter Anwendung der Sachwerttheorie): Zueignung des Getreides durch A liegt vor. - Auch vom Boden der Sachsubstanztheorie ist dem zuzustimmen, wenn A die Veräußerung an den Eigentümer als eine von mehreren relevanten Nutzungsmöglichkeiten des Getreides sah, selbst wenn der Verkauf an den Eigentümer in erster Linie ins Auge gefaßt war. - Anders hingegen, wenn ausschließlich der Verkauf an den Eigentümer geplant war und etwa bei Verhinderung dieses Verkaufs die Sache dem Eigentümer auch ohne Entgelt wieder zur Verfügung gestellt werden sollte. Dann käme nur ein Betrug in Betracht. Zum Streitstand einerseits: BGHSt 24 S. 119; DREHER/TRÖNDLE § 242 Rdn. 19; KREY B.T. II, S. 2 5 ; RUDOLPHI G A 1 9 6 5 S. 4 3 ; WESSELS N J W 1965 S. 1156. - A n d e r e r -

seits : BOCKELMANN B.T. 1, § 3 II 2 b; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 111 ff; SCHRÖDER

S. 2 7 . ff) BGH NJW 1982 S. 2265 mit Anm. BERNSMANN S. 2214 ff: A nahm den Fernseher des H, der ihm DM 900,- schuldete, eigenmächtig an sich und ließ den H wissen, daß er diesen verkaufen werde, wenn H nicht bis zu einem bestimmten Termin seine Schulden zahlen würde. BGH: Keine Zueignung des Fernsehers durch A. - Darüber hinaus vgl. auch: BGH Strafverteidiger 1983 S. 329.

J R 1965

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gg) BayObLGJR 1965 S. 26: A entwendete aus der Versandabteilung eines Warenhauses ein Paket mit quittierter Rechnung. Er überbrachte das Paket dem auf der Rechnung angegebenen Käufer, kassierte das Geld und verbrauchte es für sich. Das BayObLG hat unter Verwendung der Sachwerttheorie die Zueignung des Paketes durch A bejaht. - Vom Standpunkt der Sachsubstanztheorie ist dem Ergebnis zuzustimmen. Vor der Ubereignung an den Käufer hat der Täter dem Berechtigten die umfassende Sachherrschaft entzogen und sich angemaßt. Daß er das Paket an die gleiche Person übergeben hat, der auch der Eigentümer das Paket übergeben hätte, ändert daran nichts, da diese Ubergabe nicht in Anerkennung der Eigentümerstellung des Berechtigten erfolgte; a. A. SCHRÖDER J R 1965 S. 27 f. e) Zur Einübung: Wirtschaftliche Nutzung aa) BGH GA 1971 S. 114: A kaufte ein Kfz unter Eigentumsvorbehalt. Dies wurde bald reparaturbedürftig. A wollte sich des Kfz's entledigen. Er stellte es ohne Kennzeichen in einer Straße ab und erklärte einem ihn beobachtenden Anwohner, dieser könne das Fahrzeug verschrotten, wenn er wolle. BGH: Keine Zueignung des Fahrzeugs durch A. Dieser wollte sich nur des Fahrzeugs entledigen. Auch die Erklärung, der Anwohner könne das Fahrzeug verschrotten, bringt nicht eine Schenkung zum Ausdruck, sondern die völlige Interessenlosigkeit des A an dem Kfz. A fehlte demnach im maßgeblichen Zeitpunkt - Abstellen des Kfz - die Nutzungsabsicht. Zur Abgrenzung der wirtschaftlichen Nutzung von der Zerstörungsabsicht: B G H J R 1 9 7 8 S . 171 f m i t A n m . GEERDS S . 172 f f u n d LIEDER N J W 1 9 7 7 S . 2 2 7 2 . -

Darüber hinaus: BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810. bb) BGH 1 StR 249/82: A wollte den B um Geld bestehlen, das er im Jackett des B vermutete. Er nahm das Jackett an sich und lief fort. An sicherem Ort durchsuchte er das Jackett. Da kein Geld darin enthalten war, warf er das Jackett fort. BGH: Keine Zueignung des Jacketts, denn wenn es dem Täter allein auf den Inhalt eines Behältnisses ankommt, so will er sich das Behältnis nicht zueignen. Dazu auch: BGH bei Dallinger, MDR 1968 S. 372 und MDR 1975 S. 583. 3. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen Der Täter eignet die Sache sich nicht nur zu, wenn er sie selbst benutzen oder verbrauchen will, sondern auch dann, wenn er über die Sache zu Gunsten eines Dritten verfügen will. - Auch die Verfügung zu Gunsten Dritter („Vermögensumverteilung") ist wirtschaftliche Nutzung einer Sache. - Allerdings setzt diese Verfügung des Täters voraus, daß er selbst zunächst - sei es auch nur kurzfristig - umfassende Sachherrschaft an der Sache erlangt hat. Die Rechtsprechung kommt bei der Zueignung an Dritte unter allerdings - wie oben dargestellt - verfehlter Anwendung der Sachwerttheorie in Grenzfällen zu einer Zueignung durch den Täter, wenn dieser irgendeinen, wenn auch nur mittelbaren Vorteil durch die Tat erstrebt.

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aa) BGH 1 StR 73/78: K wollte sich in das Ausland absetzen. Ihm fehlten allerdings die Mittel dazu. Diese sollten durch einen Raub beschafft werden, an dem A mitwirkte, weil sie dem K zu der Reise verhelfen wollte. Das erbeutete Geld nahm K sofort an sich. B G H : Der Nutzen der A bestand darin, daß sie selbst wirtschaftlich nichts zu opfern brauchte, um das Ziel - Flucht des K - , an dem ihr viel gelegen war, zu erreichen. Das genügt zur Bejahung der Zueignungsabsicht. D e m ist jedenfalls dann nicht zuzustimmen, wenn A selbst zu keinem Zeitpunkt Mitherrschaft über die Beute erlangt hat oder erlangen sollte, bzw. ihr die Herrschaft der anderen nicht als Mittäterin zurechenbar wäre. Im übrigen steht diese Entscheidung nicht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des B G H zum sog. absichtslos dolosen Werkzeug; vgl. sogleich Fall bb). bb) B G H bei Daliinger, MDR1974 S. 724 f (vereinfacht): A wußte, daß H wertvolle Schmucksachen bei sich hatte. Er überredete den B, diese der H wegzunehmen und ihm gegen Zahlung von D M 500,- auszuhändigen. B lauerte der H auf, nahm ihr den Schmuck weg und überbrachte den Schmuck bald darauf dem A gegen die versprochene Summe. B G H : B hat sich den Schmuck nicht zugeeignet. Er war lediglich Gehilfe beim Diebstahl des A, der sich den Schmuck zueignete, als B ihn an sich nahm. Dieser Konstruktion stimmen zu: ESER IV, Nr. 4 A 1 4 ; HEIMANN-TROSIEN LK, 9 . Aufl., § 2 4 2 Rdn. 6 3 ; K M Y B . T. I I , S . 3 8 ff; LAMPE GA 1 9 6 6 S . 2 4 0 . Dem ist nach den hier vertretenen Prämissen jedoch nicht zu folgen. B entzog der H die Sachherrschaftsposition. Er selbst wurde damit umfassender Sachherr. Daß er die Sache weitergeben wollte, ist gleichgültig, denn auch verschenken, verkaufen oder gegen Belohnung weitergeben ist bereits Ausübung umfassender Sachherrschaft und eigenmächtiger Gebrauch, d. h. wirtschaftliche N u t z u n g der Sache. - A erhält die Sache aus der Sachherrschaft des B, er war daher Anstifter zur Tat des B und Hehler. Dazu auch: O T T O Struktur, S. 269 ff; ROXIN Tatherrschaft, S. 339 ff; RUDOLPHI GA 1965 S. 41, 51. Die Begründung der Zueignung des A versucht die h. M. mit Hilfe der mittelbaren Täterschaft. Da aber unter keinem irgendwie anerkannten Gesichtspunkt eine Herrschaftsposition des A über den B begründbar ist, wurde für diese Fälle ein besonderes Schlagwort geprägt, das die Werkzeugeigenschaft des B kennzeichnen soll: dieser ist angeblich das „absichtslos dolose Werkzeug" des A. Dazu: GRUNDKURS STRATRECHT, A. T., § 21 III 4 f. cc) Im Auslieferungslager der Firma X lädt der Lagerarbeiter A ohne Wissen des Kunden K zehn Zentner Kohlen auf den Wagen des K, statt der auf dem Lagerschein stehenden acht Zentner. Ergebnis: Da A niemals selbst umfassende Sachherrschaft über die Kohlen erlangt hat, hat er sie sich nicht zugeeignet. Hier liegt eine - straflose - Drittzueignung vor. dd) RGSt 21S. 110 einerseits, RGSt 47 S. 147 andererseits: A hatte dem K Bretter als eigene verkauft, die in Wirklichkeit dem X gehörten und in dessen Gewahrsam lagen. Er zeigte dem K die Bretter, und K holte die Bretter an einem der nächsten Tage ab.

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RGSt 21 S. 110: Keine Zueignung der Bretter durch A. Anders hingegen - unter Verwendung der Sachwerttheorie - RGSt 47 S. 147. Auch nach der Sachsubstanztheorie hat A sich die Bretter zugeeignet, und zwar als mittelbarer Täter mit Hilfe des gutgläubigen Werkzeugs K; eingehender dazu OTTO Struktur, S. 268 f.

4. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen Die Absicht des Täters muß darauf gerichtet sein, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen, d. h. unter Umständen, die die Zueignung zu einer rechtswidrigen machen. Nun ist in Fällen, in denen der Täter einen Anspruch auf die weggenommene Sache hat - z. B. A hat von B ein Schmuckstück gekauft^ B übereignet dieses aber nicht -, die eigenmächtige Wegnahme der Sache sicher rechtswidrig, soweit nicht das Selbsthilferecht nach § 229 BGB eingreift. Fraglich ist dennoch, ob diese „unerlaubte Selbsthilfe" den Täter bereits zum Täter eines Vermögensdelikts macht. Denn ausschließlich vermögensrechdich, d. h. hier wirtschaftlich betrachtet, hat der Täter genau die Vermögenslage hergestellt, auf die er nach der Rechtslage einen Anspruch hatte, auch wenn der Weg rechtswidrig war. Vorzuwerfen ist diesem Täter daher die Art seines Vorgehens, die eingetretene Vermögenslage kann hingegen nicht als rechtswidriger Zustand angesehen werden. Damit aber liegt der Vorwurf gegen den Täter nicht darin, durch Entziehung von Vermögen eine rechtswidrige Vermögenslage geschaffen, sondern darin, einen auch von der Rechtsordnung erwünschten Zustand auf einem von der Rechtsordnung nicht gebilligten Weg herbeigeführt zu haben. Derartige Verhaltensweisen waren im gemeinen Recht als „unerlaubte Selbsthilfe" unter Strafe gestellt. Der Gesetzgeber des Reichsstrafgesetzbuches hielt einen eigenen Tatbestand nicht mehr für sinnvoll, da im Falle gravierender Rechtsverletzungen die §§ 123,240,223 hinreichenden Rechtsschutz gewährten. - An dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers ist auch heute noch festzuhalten: die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist streng von der angestrebten Vermögenslage her zu bestimmen, die Art und Weise des Vorgehens selbst bleibt bei diesem Wertungsvorgang unbeachtet. Die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung ist damit ein unmittelbar auf die Zueignung und damit ausschließlich auf die erstrebte Vermögenslage bezogenes Tatbestandsmerkmal. S o auch: B G H G A 1 9 6 2 S. 144 f; 1968 S. 121; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 2 R d n . 21; ESER IV, Nr. 4 A 17 ff; HEIMANN-TROSIEN L K , 9. A u f l . , § 242 R d n . 69 ff, 78; KREY B.T. II, S. 31; LACKNER S t G B , § 242 A n m . 5 d; MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 34 III E; MOHRBOTTER G A 1967 S. 212 f; OTTO Struktur, S. 212 f; SCHMIDHAUSER Bruns-Festschrift, S. 359; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 242 R d n . 57; WARDAJUW 1979 S. 77. A . A . : HIRSCH J Z 1963 S. 149; WELZEL Lb., § 47, 3.

a) Die Rechtswidrigkeit der Zueignung entfällt demgemäß nach h. M., wenn der Täter einen fälligen Anspruch auf Übereignung der weggenom-

§ 40 Diebstahl

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menen Sache hat (Speziesschuld). Bei Sachen, die der Gattung nach geschuldet werden, und sogar bei Geldschulden, soll hingegen nach h. M. die Zueignung der geschuldeten Menge rechtswidrig sein, da der Anspruch des Täters nicht auf die konkret weggenommene Gattungssache bzw. die konkret weggenommenen Geldscheine geht. - Diese Unterscheidung ist jedoch dann, wenn der Sachverhalt von seiner vermögensrechtlichen, wirtschaftlichen Seite her gesehen wird, sachwidrig, denn ein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache wird auch hier nicht verletzt: Bei einer als Währungseinheit geschuldeten Geldsumme ist allein ausschlaggebend die Summe, nicht aber ihre Zusammensetzung aus den jeweils verschiedenen möglichen einzelnen Scheinen. Bei der Gattungsschuld kann das Wahlrecht nur deshalb vom Gesetzgeber dem Schuldner überlassen bleiben, weil der Gesetzgeber nicht bereit ist, einen relevanten wirtschaftlichen Unterschied zwischen den einzelnen Stücken anzuerkennen. Im übrigen aber spielt diese Schuld heute im Wirtschaftsleben eine Rolle bei industriellen Serienprodukten und beschränkten Vorratsschulden. Hier ist es offensichtlich, daß das Wahlrecht dem Schuldner keine wirtschaftlichen Vorteile zu bringen vermag. - Dann aber ist es nur konsequent und sachgerecht, die Rechtswidrigkeit der Zueignung immer dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig, ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld. In dieser Situation wird kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache verletzt. Die Absicht rechtswidriger Zueignung entfällt schon dann, wenn der Täter von der Existenz eines solchen Anspruchs ausgeht, da die Absicht rechtswidriger Zueignung ein subjektives Tatbestandsmerkmal ist. Eingehender dazu: GRIBBOHM N J W 1 9 6 8 S. 240 f; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 159 ff; DERS. Z S t W 91 (1979) S. 955; OTTO Struktur, S. 212.

Einen Ausschluß der Rechtswidrigkeit über die Wegnahme einer speziell geschuldeten Sache hinaus bejahen bei Geldschulden: K R E Y B . T . I I , S. 3 1 ; ROXIN H . M a y e r - F e s t s c h r i f t , S. 4 6 7 ff; SAMSON S K , § 2 4 2

Rdn. S. 86; dazu vgl. aber unten § 5 8 1 2 d, aa. Differenzierend bei Gattungsschulden: B. RHEINECK Zueignungsdelikte und Eigentümerinteresse, 1979, S. 156 ff.

b) Zur Einübung aa) RGSt 64 S. 210: A hatte vom Forstamt bestimmte Eichenstämme gekauft. Zwei Raten hatte er bezahlt, mit dem Restkaufpreis aufgerechnet, als er die Stämme abfahren ließ, ohne daß diese ihm zuvor vom Forstamt übereignet worden waren. RGSt 64 S. 213: A eignet sich die Stämme nicht rechtswidrig zu. „Die Rechtswidrigkeit in diesem Sinne muß in einem vom Recht mißbilligten Widerspruch gerade zu dem Eigentumsrechte des Verletzten (mit der rechtlichen Eigentums-

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Ordnung) stehen. Hat der Wegnehmende aber einen fälligen und unbeschränkten Anspruch auf Übereignung einer bestimmten Sache, so schafft die Verwirklichung dieses Anspruchs durch Wegnahme und Aneignung der Sache - anders als wenn die Wegnahme einer Sache zu dem Zwecke erfolgt, sich damit wegen einer Geldforderung bezahlt zu machen - nur den vom Rechte gewollten Zustand. Darauf, ob der Täter dabei in berechtigter Selbsthilfe handelt, kommt es nicht an, da der Mangel des Rechts zur Selbsthilfe nur die Besitzentziehung, nicht aber die dem Recht gerade entsprechende Zueignung rechtswidrig machen kann." bb) BGHSt 17 S. 88: Der G schuldete dem A noch mindestens DM 20,-. Eines Tages traf A den G auf der Straße. Er forderte ihn mit den Worten: „Moos raus", zur Bezahlung seiner Zechschulden auf. G wandte sich jedoch zum Weitergehen. A hielt den G fest, durchsuchte die Taschen G's und fand darin einen Zehnmarkschein und einen Fünfmarkschein. Beide nahm er ihm weg. BGH: Zueignung rechtswidrig, da A keinen Anspruch auf die konkret weggenommenen Geldscheine hatte. Wenn A sein Verhalten für erlaubt hielt, so kann dies ein Tatbestandsirrtum gewesen sein, wenn A davon ausging, er hätte einen Anspruch auf die konkret vorgefundenen Geldscheine. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Beschaffenheit der einzelnen Scheine wirtschaftlich ohne jeden Belang ist. Damit hat A aber ohne Verletzung vermögensrechdich schutzwürdiger Interessen des G den Zustand hergestellt, den die Rechtsordnung auch gewollt hat, wenn auch auf anderem Wege. Die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist daher abzulehnen. Zum gleichen Ergebnis kommen diejenigen, die im Anschluß an R O X I N - H. Mayer-Festschrift, S. 467 ff - die Geldschuld als Wertsummenschuld interpretieren; dazu oben a). cc) A hat von B ein Kfz der Marke X gekauft und Lieferung am 1.4. ausgemacht. Da B aber immer Kunden findet, denen die Umgehung der Lieferfrist ein Aufgeld wert ist, liefert B nicht an A. Dem A werden seine Mahnungen allmählich selbst lästig. Eines Nachts holt er vom Hof des B ein Kfz der Marke X, das die Ausstattung hat, die auch A bestellt hatte. Den Kaufpreis hatte er am Vortag an B überwiesen. H. M.: Rechtswidrige Zueignung, da A keinen Anspruch auf das konkret weggenommene Kfz hatte. Nach den hier entwickelten Prämissen liegt keine rechtswidrige Zueignung vor, da schutzwürdige wirtschaftliche Interessen des B nicht verletzt wurden. dd) B schuldet dem A DM 1000,-. Da B nicht zahlt, entwendet A dem B dessen Kfz und erklärt, „nun sei die Sache für ihn erledigt". Ergebnis: Rechtswidrige Zueignung, denn auf das Kfz hatte A keinen Anspruch. - Hingegen würde es bereits an der Zueignungsabsicht fehlen, wenn A das Kfz nur eigenmächtig als Pfand genommen hätte, um Druck auf B auszuüben; vgl. dazu oben 2 d, ff.

III. Rechtswidrigkeit Als Rechtfertigungsgründe sind besonders zu beachten: §§ 229, 904 BGB, § 34 StGB.

§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls

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§ 41: Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 1. Die Rechtsnatur des § 243 Abs. 1 § 243 Abs. 1 eröffnet für bestimmte Diebstahlsfälle die Möglichkeit der Anwendung eines höheren Strafrahmens. Es handelt sich um Strafzumessungsgründe, und 2war um Erschwerungsgründe in Form von Regelfallbeispielen und nicht um Qualifikationsmerkmale. H. M. - A. A.: qualifizierte Tatbestandsmerkmale: CALLIESSJZ 1975 S. 112 ff.

Das bedeutet: Trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ist der Richter nicht gezwungen, den Strafrahmen des § 243 anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Tat erhebliche, für den Täter günstige Gesichtspunkte in den Vordergrund treten läßt. Wird jedoch bei Vorliegen eines Regelbeispiels der Strafrahmen des § 243 herangezogen, so bedarf dies keiner besonderen Begründung. Darüber hinaus kann der Richter auf den Strafrahmen des § 243 zurückgreifen, wenn zwar kein Regelbeispiel gegeben ist, „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist"; BGHSt 29 S. 322. Als Beispiele hierfür werden die Anwendung von List, die Anrichtung eines besonders großen Schadens und auch die Beamteneigenschaft des Täters genannt; vgl. dazu BGHSt 29 S. 322 mit Anm. BRUNSJR 1981S. 335; DREHER/TRONDLE § 243 Rdn. 37 ff. Ob damit aber wirklich noch der in § 243 Abs. 1 beschriebene Unrechtstypus getroffen wird, ist zweifelhaft. Die Beispiele sind sehr speziell gefaßt, da der Gesetzgeber jeweils verschiedene Strafwürdigkeitselemente in den einzelnen Alternativen der Vorschrift hervorgehoben hat, z. B. den Einbruch in eine Gewahrsamssphäre durch Uberwindung formeller Gewahrsamsschutzvorrichtungen in Abs. 1 Nr. 1, 2. Wird nunmehr für die Anwendung des § 243 allein auf das Gesamtbild der Tat abgestellt, so wird damit der bei der Neufassung des Gesetzes erhoffte Gewinn an Rechtssicherheit preisgegeben. Z u d e n R e g e l b e i s p i e l e n : ARZTJUS 1972 S. 3 8 5 ff, 515 ff, 5 7 6 ff; BLEI H e i n i t z - F e s t schrift, S. 4 1 9 ff; CALLIESSJZ 1 9 7 5 S. 112 ff; CORVESJZ 1 9 7 0 S. 1 5 6 ff; HIRSCH Z S t W 8 4

(1972) S. 385 ff; MAIWALD Gallas-Festschrift, S. 137 ff; WESSELS Maurach-Festschrift, S. 295 ff.

2. § 243 Abs. 1: Die einzelnen Regelbeispiele: a) § 243 Abs. 1 Nr. 1: Einbruchs- und Nachschlüsseldiebstahl aa) Die einzelnen Merkmale des Beispiels:

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Oberbegriff der geschützten Räumlichkeiten ist der umschlossene Raum. das ist ein Raumgebilde, das - mindestens auch - dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden und das mit - mindestens teilweise künstlichen - Vorrichtungen umgeben ist, die das Eindringen von Unbefugten abwehren sollen; BGHSt 1 S. 164. Beispiele: Wohnwagen, Wohnschiffe, abgetrennte Abteilungen innerhalb eines Gebäudes (BGHSt 1 S. 158 ff); umzäunte Friedhöfe bei Nacht (BGH N J W 1954 S. 1897); von Gartenhecke, die Unbefugte fernhalten soll, umgebenes Grundstück (BGH NStZ 1983 S. 168); Untergrundbahnhöfe (OGHSt 3 S. 113 f); Bahnhofshallen mit durchgehenden Gleisen (RGSt 55 S. 154). Nicht hingegen: Öffentliche Fernsprechzellen (OLG Hamburg N J W 1962 S. 1453), umzäunte Viehweide, da Zaun in erster Linie ein Ausbrechen des Viehs verhindern soll (OLG Bremen JR 1951 S. 88).

Das Gebäude ist ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest - wenn auch nur durch die eigene Schwere - verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet und das Unbefugte abhalten soll; BGHSt 1 S. 163. Beispiele: Häuser, Baracken, Baubuden.

Wohnungen sind die der Unterkunft von Menschen dienenden Räume. - Dienst- oder Geschäftsräume sind die den Dienst- oder Geschäftszwecken dienenden Räume. Einbrechen ist jedes gewaltsame Offnen der Umschließung eines umschlossenen Raumes von außen. - Nicht erforderlich ist, daß der Täter in den Raum eintritt, um dann zu stehlen. Es genügt, daß der Täter in den Raum hineinlangt, um zu stehlen, oder einen umschlossenen Raum (z. B. Pkw) aufbricht, um ihn wegzunehmen. Einsteigen ist das Betreten eines Raumes auf nicht ordnungsgemäßem Wege. Beispiele: Durchzwängen durch Lüftungsschacht, Übersteigen einer Umfriedung, Einsteigen durch ein Fenster, selbst wenn dies auch vom Berechtigten als Zugang benutzt wird, weil die Tür kaputt ist (RGSt 59 S. 171). - Durchzwängen oder Durchkriechen durch eine Hecke (BGH bei Holtz, MDR1982 S. 810). - Der Täter muß nicht mit dem ganzen Körper eingedrungen sein, es genügt, daß er sich innerhalb des geschützten Raumes einen festen Stützpunkt verschafft hat (OLG Hamm N J W i960 S. 1359).

Falscher Schlüssel ist jeder Schlüssel, der vom Berechtigten nicht oder nicht mehr zur Öffnung des Verschlusses bestimmt ist. Das bedeutet: Bloßer Verlust macht den richtigen Schlüssel noch nicht zum „falschen". Er wird es erst dadurch, daß ihm der Berechtigte die Bestimmung zur ordnungsgemäßen Öffnung entzieht. - Dies kann konkludentgeschehen, z. B. durch Beschaffung eines neuen Schlüssels, kann aber auch bei Kenntnis des Diebstahls als Regelfall unterstellt werden; BGHSt 21 S. 190.

161

§41 Schwere Fälle des Diebstahls

Andere zur ordnungsgemäßen Öffnung nicht bestimmte Werkzeuge sind Geräte, die ordnungswidrig auf den Mechanismus des Schlosses wirken. Beispiele: Dietrich, Haken u. ä. - nicht hingegen: Brechstange, da sie gewaltsam das Schloß sprengt.

Sich verborgen halten ist ein Aufhalten unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen gegen Entdeckung zum Zwecke der Tatausführung. Gleichgültig, ob der Täter legal oder illegal in die Räume gelangt ist; maßgeblich ist allein, daß sein Aufenthalt zur Tatzeit rechtswidrig ist. Beispiel: Der Kunde K versteckt sich unter einem Tisch im Warenhaus und läßt sich nach Geschäftsschluß einschließen, um nachts in aller Ruhe zu stehlen.

bb) Der Täter muß bei der Überwindung der Gewahrsamssicherung zur Ausführung der Tat gehandelt haben. - Ein nachträglicher Entschluß, einen Diebstahl zu begehen, genügt nicht. Fall: A steigt in das Haus des B ein, um diesen zu verprügeln. Als er sieht, daß B abwesend ist, entwendet er ein Gemälde. Ergebnis: § 243 Abs. 1 Nr. 1 findet keine Anwendung.

cc) Nicht erforderlich ist es, daß aus dem Raum, in den der Täter eingedrungen ist, gestohlen wird. Es genügt, daß er mit seiner Tathandlung eine Gewahrsamssicherung in bezug auf das Tatobjekt überwunden hat. Beispiele: Aufbrechen eines Pkw, um diesen zu stehlen; Einbruch in einen Raum, um aus diesem den Schlüssel für den Raum, aus dem gestohlen werden soll, zu holen.

dd) Nach h. M. soll auch derjenige, der an sich zum Aufenthalt in dem umschlossenen Raum oder Gebäude berechtigt ist, die Begehungsform der Nr. 1 verwirklichen können. - Dem ist nicht zuzustimmen, wenn der Täter sich auch ohne weiteres den Zugang auf ordnungsgemäße Weise hätte verschaffen können. Denn dann dient „sein Einbruch" nicht der Überwindung einer Gewahrsamsschranke, sondern allein zur Ablenkung des Verdachts. Anders: BGHSt 22

S.

127 mit abl. Anm.

SACKER

NJW 1968

S.

2116.

b) § 243 Abs. 1 Nr. 2: Diebstahl besonders gesicherter Sachen aa) Schutzvorrichtungen sind technisch geschaffene Einrichtungen, die dazu geeignet und bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Beispiele: Schlösser, insbes. Lenkrad- und Fahrradschlösser. - Geldherausgabevorrichtung eines Geldspielautomaten (str., vgl. BayObLG JR 1982 S. 292 mit A n m . MEURER S. 2 9 2 f f ) .

Die in Nr. 1 genannten Gewahrsamsvorrichtungen kommen als Schutzvorrichtungen der Nr. 2 nicht in Betracht. Insoweit ist Nr. 1 als Spezialfall der Nr. 2 anzusehen; vgl. BayObLG JR 1973 S. 507 mit Anm. SCHRÖDER S. 507 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

bb) Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen dienendes und sie umschließendes Raumgebilde, das nicht dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden; BGHSt 1 S. 163. Beispiele: Schränke, Kassetten, Kofferraum eines Pkw. - Maßgeblich: die erhöhte Gewahrsamssicherung. - Kein Behältnis in diesem Sinne daher: Briefumschlag, Hosentasche, o. ä. BGH NJW 1972 S. 167: A nahm einen Automaten („Nußglocke") aus einer Gaststätte mit, um sich zu Hause in aller Ruhe das Geld aus diesem herauszuholen. Dies gelang auch. BGH: § 243 Abs. 1 Nr. 2 findet Anwendung. - Dagegen SCHRÖDER NJW 1972 S. 778: Die den Gewahrsam des Berechtigten in erhöhtem Maße schützende Funktion ist inzwischen verlorengegangen. - Dem ist zuzustimmen: Im Machtbereich des Berechtigten war die Sicherung des Geldes durch die Umhüllung des Automaten eine besondere Gewahrsamssicherung, nicht aber außerhalb dieses Bereiches. cc) Verschlossen ist das Behältnis, wenn sein Inhalt mittels einer technischen Schließvorrichtung oder auf andere Weise, z. B. durch Verschnüren, gegen den ordnungswidrigen Zugriff von außen gesichert ist. Nach dem Sinn der Vorschrift scheidet ein ordnungsgemäßes Offnen als Straferhöhungsgrund aus. Das Regelbeispiel ist daher nicht erfüllt, wenn der im Behältnis steckende Schlüssel verwendet wird oder derjenige das Behältnis öffnet, der den Schlüssel befugterweise in Besitz hat. Dazu: OLG HammJR 1982 S . 119 mit Anm. M. J. SCHMID S . 119 f. dd) Gegen Wegnahme besonders gesichert erfordert einen spezifischen Schutzzweck der Vorrichtung gegen Wegnahme der gesicherten Sache. OLG Hamm NJW 1978 S. 769: mit Klebestreifen verschlossene Kartons in mit Schnur verschlossenem Postsack. c) § 243 Abs. 1 Nr. 3: Gewerbsmäßiger Diebstahl Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle verschaffen will; BGHSt 1 S. 383. Diese Einstellung kann schon bei der 1. Tat vorliegen! d) § 243 Abs. 1 Nr. 4: Kirchendiebstahl Das Tatobjekt muß dem Gottesdienst gewidmet sein, wie z. B. der Altar, Kelche o. ä., oder der religiösen Verehrung dienen, wie z. B. Heiligenbilder, Votivtafeln o. ä. Nicht erfaßt sind Einrichtungsgegenstände, Gesangbücher usw. e) § 243 Abs. 1 Nr. 5: Diebstahl von Sachen mit kultureller Bedeutung Geschützt sind nur Gegenstände von Bedeutungfür Wissenschaß, Kunst usw., d. h. Objekte, deren Verlust für die betroffenen Bereiche eine erhebliche Einbuße bedeuten. - Allgemein zugänglich ist eine - öffentliche oder pri-

§ 4 1 Schwere Fälle des Diebstahls

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vate - Sammlung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich ist. Die Erhebung eines Eintrittsgeldes steht der Öffentlichkeit nicht entgegen. - Öffentlich ausgestellt sind Sachen an allgemein zugänglichen Orten. f) § 243 Abs. 1 Nr. 6: Diebstahl unter Ausnutzung der Notlage anderer aa) Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer der Tat aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, sich gegen die seiner Sachherrschaft drohende Gefahr zu schützen. BayObLGJR 1973 S. 427 mit Anm. SCHRÖDER S. 427: A besuchte seinen blinden Arbeitskollegen B. Bei diesem Besuch entwendete er Geld, das auf einem Tischchen in der Wohnung des B lag. BayObLG: § 243 Abs. 1 Nr. 6 findet Anwendung.

bb) Unglücksfall: Eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, da ihm sonst erhebliche Gefahr an Leib und Leben droht. Beispiele: Unfall im Betrieb, Haushalt oder Verkehr (BGHSt 11 S. 135).

cc) Ob das Opfer der Tat die Notlage verschuldet hat, ist gleichgültig. H . M . - A . A . : MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 3 4 I V B .

dd) Ausnutzen liegt vor, wenn der Täter die durch die Notlage geschaffene Gelegenheit zum Diebstahl nutzt. - Die Tat braucht sich dabei nicht gegen den in Not Geratenen zu richten, Tatopfer kann z. B. auch eine Person sein, die mit Hilfsmaßnahmen beschäftigt ist.

3. Versuch und Irrtum im Rahmen des § 243 Abs. 1 a) Die in § 243 Abs. 1 beschriebenen straferhöhenden Umstände müssen vom Täter vorsätzlich bewirkt werden, d. h. er muß sich der objektiven Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts bewußt sein. b) Daraus folgt: aa) Der Irrtum des Täters, ein Regelbeispiel zu verwirklichen, ersetzt dessen Vorliegen nicht. Der Handlungsunwert allein eröffnet nicht den erweiterten Strafrahmen des § 243 Abs. 1. Beispiel: A findet vor der Haustür des B einen Dietrich. Er kommt auf die Idee, damit in das Haus des B einzudringen und zu stehlen. - So geschieht es auch. Den Dietrich hatte jedoch B verloren. Er diente ihm seit langem zur Öffnung der Tür, da das Schloß kaputt war und mit einem Schlüssel nicht geöffnet werden konnte. Demnach war der Dietrich das zur ordnungsgemäßen Öffnung der Tür bestimmte Werkzeug. Dies allerdings wußte A nicht.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Ergebnis: Keine Anwendung des § 243 Abs. 1 Nr. 1. Die bloße Vorstellung, das Regelbeispiel zu verwirklichen, ersetzt die Verwirklichung nicht. cc) Auch ein „Versuch des besonders schweren Falles eines Diebstahls" kommt nicht in Betracht, wenn der Täter beim Versuch des Diebstahls unmittelbar da2u ansetzt, ein Regelbeispiel zu verwirklichen. Es gibt keinen „Versuch eines Straferschwerungsgrundes"! Liegt hingegen ein Diebstahlsversuch vor, in dessen Ausführung der Täter bereits ein Regelbeispiel verwirklicht hat, so ist für die Bestrafung dieses Diebstahlsversuches der Strafrahmen des § 243 Abs. 1 eröffnet. Beispiel 1: A wird bei einem Diebstahlsversuch überrascht, als sie einen Dietrich in das Schloß der Wohnungstür des B steckt. Ergebnis: § 243 Abs 1 Nr. 1 ist nicht anwendbar, da das Regelbeispiel noch nicht verwirklicht wurde. Beispiel 2: A ist in ein Gebäude eingestiegen, um zu stehlen. Bevor es zur Wegnahme einer fremden Sache kommt, wird A überrascht. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 auch für den versuchten Diebstahl eröffnet. Dazu auch: BayObLG NJW 1980 S. 2207; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 222 f; O L G D ü s s e l d o r f N J W 1983 S. 2712; ARZTJUS 1972 S. 517; KREY B.T. II, S. 35 f; LACKNER S t G B , § 46 A n m . 2 b, d d ; WESSELS Maurach-Festschrift, S. 306. - A. A . : O L G K ö l n M D R 1 9 7 3 S. 779; DREHER/TRÖNDLE § 243 R d n . 43; VON LÖBBECKE M D R 1973 S. 3 7 4 ; SAMSON S K , § 2 4 3 R d n . 39; Z I P F J R 1981 S. 121.

cc) Der Strafrahmen des § 243 Abs. 1 ist auch nicht eröffnet, wenn der Täter das Regelbeispiel objektiv verwirklicht, dieses aber nicht erkennt. Beispiel: A öffnet die Wohnung des B, um dort zu stehlen, mit einem Schlüssel, von dem er meint, er gehöre dem B. In Wirklichkeit ist es nicht der Schlüssel des B, doch ist das Schloß derart ausgeleiert, daß es sich mühelos mit dem von A verwendeten Schlüssel öffnen läßt. 4. Problematik des Versuchsbeginns In der Regel wird eine unmittelbare Gefährdung des Gewahrsams an der für den Diebstahl in Aussicht g e n o m m e n e n Sache schon mit der Erfüllung eines Regelbeispiels vorliegen. Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn der Täter die Gewahrsamsschranke nur beseitigen und in einem späteren Zeitpunkt die Wegnahme verwirklichen will. Beispiel: A lockert mit einem Brecheisen das Schloß zur Garage des B. In der nächsten Woche, wenn B einen neuen Wagen geliefert erhalten hat, will er diesen wegnehmen. Ergebnis: Sachbeschädigung vollendet, Diebstahl erst vorbereitet. OLG Hamm NJW 1976 S. 119: Eindringen des Täters in ein Gebäude, um nach Stehlenswertem zu suchen, bereits Diebstahlsversuch. Vgl im einzelnen dazu: ARZTJUS 1972 S. 517; MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 3 4 I V

B 2; STREE Peters-Festschrift, S. 181; WESSELS Maurach-Festschrift, S. 305 f. Anset-

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§ 4 1 Schwere Fälle des Diebstahls

zen zur Regelbeispielsverwirklichung unabhängig vom Ansetzen zur Wegnahme lassen für den Versuchsbeginn bei § 2 4 3 genügen: D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 4 3 Rdn. 4 3 ; PREISENDANZ § 2 4 3 A n m .

V.

5. Konkurrenzen

a) Hat der Täter mehrere Regelbeispiele des § 243 erfüllt, so liegt dennoch nur ein Diebstahl unter besonders schweren Umständen vor. b) Bei den Regelbeispielen „Einbrechen" und „Einsteigen" wird ein evtl. verübter Hausfriedensbruch oder eine Sachbeschädigung konsumiert, und zwar selbst dann, wenn der Diebstahl nur bis zum Versuch gediehen ist, aber das Regelbeispiel schon erfüllt war. Einer Verurteilung nach §§ 123, 303 bedarf es nicht, da der Unrechtsgehalt des Hausfriedensbruchs oder der Sachbeschädigung bereits in der Strafe gemäß § 243 berücksichtigt wird. Dazu: KGJR 1979 S. 249 mit Anm.

GEERDS

S. 250 ff.

6. Urteilstenor

Ein besonders schwerer Fall des Diebstahls nach § 243 darf im Urteilstenor als solcher gekennzeichnet werden. Dazu: BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 543. - Anders noch: BGHSt 23 S. 257 und für das Jugendstrafverfahren BGH NJW1976 S. 1415. - Damit setzt der BGH letztlich voraus, daß die Regelbeispiele einen bestimmten Unrechtstypus beschreiben!

II. § 243 Abs. 2: Ausschluß des § 243 Abs. 1, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht 1. Geringwertig

a) 243 Abs. 2 stellt eine unwiderlegbare Vermutung dafür auf, daß ein besonders schwerer Fall nicht vorliegt, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht. Der Begriff scheint auf den Verkehrswert zu verweisen und wäre, so interpretiert, durchaus abgrenzbar. Allein diese Interpretation kann im Rahmen eines Delikts, das sogar Sachen ohne Handelswert schützt, nicht richtig sein, zumal wenn man der Ansicht folgt, daß das Unrecht der Wegnahme einer Sache ohne Verkehrswert durchaus größer sein kann als das der Wegnahme einer Sache von hohem Geldwert. Überdies kann z. B. in den Fällen des Abs. 1 Nr. 4 und 5 der Verkehrswert keine Rolle spielen, denn gerade die dort genannten Gegenstände können einen minimalen Verkehrs-, wohl aber einen hohen Gebrauchs- oder Affektionswert haben.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Die Einwände gegen den Verkehrswert richten sich in gleicher Weise gegen den Herstellungswert, auf den J U N G W I R T H - NJW 1984 S. 954 ff - abstellen will.

Um aber überhaupt einmal einen Ausgangspunkt für die Argumentation zu gewinnen, ist vom Verkehrswert der Sache auszugehen. Erst wenn feststeht, daß die Sache nur einen geringen Verkehrswert hat, ist zu fragen, ob sie unter sonstigen schutzwürdigen Aspekten als wertvoll angesehen werden kann. - Wann der Verkehrswert noch als geringwertig anzusehen ist, kann nicht ein für alle Mal bestimmt werden. Änderungen des Preisgefüges sind zu berücksichtigen. Geringwertig derzeit: Verkehrswert unter DM 50,- (vgl. LG Kempten NJW 1981 S. 933; AG Köln MDR 1981 S. 780). Trotz fehlenden Verkehrswertes nicht geringwertig: Führerschein und Personalausweis (BayObLG N J W 1979 S. 2218 mit Anm. P A E F F G E N J R 1980 S. 300 ff); Strafakte (BGH NJW 1977 S. 1461).

b) Entscheidend dafür, ob sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht, ist nicht nur der objektive Wert der weggenommenen Sache sonst wäre § 243 Abs. 1 z. B. stets ausgeschlossen, wenn der Täter nichts wegnimmt, weil er entgegen seiner Vorstellung nichts findet -, sondern auch die Vorstellung des Täters. Nur wenn die als Gegenstand des Diebstahls ins Auge gefaßte Sache objektiv geringwertig ist und der Täter auch von dem geringen Wert ausgeht, findet § 243 Abs. 2 Anwendung. Auf diese Weise kommt es zu einem vertretbaren Ausgleich zwischen den Interessen des Täters und denen des Geschädigten. Beispiel 1: A entwendet eine Vase, die er für geringwertig hält, die aber DM 1000,- wert ist. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein, denn objektiv war die Vase nicht geringwertig. Beispiel 2: A entwendet eine Vase, die er für hochwertig hält, die aber nur DM 2,- wert ist. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein. Beachte: § 16 Abs. 2 kann keine Anwendung finden, da es sich bei § 243 Abs. 2 nicht um einen privilegierenden Tatbestand handelt. A . A . : MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 3 4 I V B 4 .

Beispiel 3: A ist in ein Haus eingebrochen, um zu stehlen. Weil er sonst nichts Mitnehmenswertes fand, nahm er nur eine geringwertige Sache mit. Ergebnis: Die Tat bezog sich nicht auf eine geringwertige Sache. Dazu auch: B G H NJW 1975 S. 1286 mit abl. Anm. BRAUNSTEFFER S. 1570 f und mit zust. Anm. GRIBBOHM S. 2213.

c) Eine analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 auf §§ 244, 249, 250, 252 kommt wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht in Betracht. So auch: B G H bei Dallinger, MDR R d n . 5 7 . - A.A.:

BURKHARDT N J W

1975

S.

5 4 3 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 3

1975 S. 1 6 8 7 f.

§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls

167

2. Fortgesetzte Handlung Bei einer fortgesetzten Handlung macht die h. M. die Anwendung des § 243 Abs. 2 vom Gesamtwert des tatsächlich Erlangten abhängig, nicht vom Wert der darüber hinaus erstrebten Beute. Vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 3 R d n . 56.

Das ist inkonsequent: Wird die fortgesetzte Tat als einheitliche Tat begriffen, dann bezieht sich die Tat nicht nur auf den schon verwirklichten Teil der Tat. Geringwertig kann das Tatobjekt daher nur sein, wenn das Objekt der gesamten ins Auge gefaßten fortgesetzten Tat noch geringwertig ist. Beispiel: A hat erkannt, daß er mit einem Dietrich einen Zigarettenautomaten öffnen kann. Er beschließt, seinen täglichen Zigaretten bedarf - 2 Packungen jeweils morgens mit Hilfe des Dietrichs dem Automaten zu entnehmen. Am 3. Tag wird A gefaßt. Nach h. M. ist § 243 Abs. 2 anwendbar, weil die erlangte Menge noch als geringwertig anzusehen ist. - Nach der hier vertretenen Ansicht entfällt § 243 Abs. 2, da sich die Tat nicht auf eine geringwertige (Gesamt-)menge bezog.

3. Mittäterschaft Bei Mittäterschaft kommt es auf den Wert der gesamten vom Diebstahl erfaßten Menge an, nicht auf den Anteil des einzelnen Täters. - Liegt der Schaden der mittäterschaftlich begangenen Tat nämlich über der Wertgrenze, so ist dies für das Opfer keine Bagatelle mehr.

III. Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl, § 244 § 244 ist ein gegenüber § 242 qualifizierter Tatbestand: die qualifizierenden Merkmale sind abschließend aufgezählt. 1. § 244 Abs. 1 Nr. 1: Diebstahl mit Schußwaffen a) Schußwaffe ist eine Waffe, bei der ein Geschoß durch einen Lauf mit Bewegungsrichtung nach vorn getrieben wird. b) Ein am Tatort anwesender Tatbeteiligter muß die Schußwaffe bei sich geführt haben, d. h. er braucht die Waffe nicht in der Hand gehalten zu haben, sie muß ihm jedoch derart zur Verfügung gestanden haben, daß er sich ihrer jederzeit und ohne Schwierigkeiten bedienen konnte. Auch wenn es nicht notwendig ist, daß der Täter die Waffe während des gesamten tatbestandsmäßigen Geschehens bei sich führt, so muß sie ihm doch zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tatgeschehens - Versuch bis Vollendung - zur Verfügung stehen.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Nach Ansicht der Rechtsprechung - vgl. BGHSt 20 S. 194 mit Anm. WEBERJZ 1965 S. 418 f - soll es sogar genügen, wenn dem Täter die Waffe bis zum Zeitpunkt der materiellen Beendigung der Tat zur Verfügung stand. - Einschränkend aber BGHSt 31S. 1 0 5 mit Anm. H R U S C H K A J Z 1 9 8 3 S . 2 1 7 f und K Ü H L J R 1 9 8 3 S . 4 2 5 f, für den Fall eines mißglückten (Raub)versuchs. Im übrigen vgl. GEILEN Jura 1 9 7 9 S . 2 2 2 ; K Ü H L J U S 1 9 8 2 S . 1 9 1 ; SCHONEMANN JA 1980 S. 394.

Es genügt, daß der Täter die Schußwaffe bei sich hat und dieses weiß. Die Absicht, die Waffe evtl. beim Diebstahl zu benutzen, ist nicht erforderlich. Der Gesetzgeber hat damit die Konsequenz aus der Erkenntnis gezogen, daß auch der feste Entschluß, eine Schußwaffe nicht zu benutzen, keine sichere Hemmung bedeutet, wenn der Täter in einer für ihn überraschenden Situation keinen anderen Ausweg sieht als die Anwendung von Gewalt. Die Tatsache, daß der Täter die Waffe aus beruflichen Gründen (stets) bei sich fährt, schließt die Anwendung des § 244 Abs. 1 Nr. 1 nicht aus. So auch: BGHSt 30 S. 44 (Polizeibeamter im Dienst); OLG Köln NJW 1978 S. 652 f (bewaffneter Wachsoldat); HETTINGER GA1982 S. 525 ff; KATZER NStZ 1982 S. 236ff; LACKNER StGB, § 244 Anm. 2 b; S O N N E N J A 1981S. 59; WESSELS B.T.-2, § 411. - A. A.: GREBiNcJura 1980 S . 93; HRUSCHKA NJW 1978 S . 1338; K O T Z J U S 1982 S. 97 ff; L E N C K N E R J R 1982 S. 424 ff; SCHÜNEMANNJA 1980 S . 355; SOLBACH NZWehrr 1977 S. 161 ff.

Da das qualifizierende Element des Diebstahls in der Gefährlichkeit der Waffe liegt, muß diese als Schußwaffe einsatzfähig sein. Als Schußwaffen können auch Luftgewehre und Luftpistolen in Betracht kommen, nicht aber eine Gaspistole (str., vgl. BGHSt 24 S. 136 mit abl. Anm. SCHRÖDER JR 1971 S. 382 ff; BGH bei Holtz, MDR 1976 S. 813).

2. § 244 Abs. 1 Nr. 2: Diebstahl mit sonstigen Waffen Waffe (im technischen Sinne) oder sonst ein Werkzeug oder Mittel ist ein Gegenstand, der seiner Art nach geeignet ist, Widerstand durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Dies kann im Einzelfall ein Kfz (BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 987) oder ein Schuh am Fuß des Täters (BGHSt 30 S. 375 mit abl. Besprechung HETTINGERJuS 1982 S. 895 ff) sein.

Problematisch ist, ob die sog. Scheinwaffe, z. B. Attrappe einer Pistole oder ungeladene Pistole, ein „Mittel" i. S. des § 244 Abs. 1 Nr. 2 ist, wenn der Täter sie bei dem Diebstahl bei sich führt und nur zur Drohung, nicht aber z. B. als Schlagwerkzeug einsetzen will. Die Auslegung des § 244 Abs. 1 Nr. 2 im engen Zusammenhang mit Nr. 1, wo eindeutig die Gefährlichkeit der Waffe das qualifizierende Ele-

§41 Schwere Fälle des Diebstahls

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ment ist, spricht gegen die Anwendung der Nr. 2 bei bloßer Verwendung von Scheinwaffen zur Drohung. - Andererseits kann jedoch nicht verkannt werden, daß in einer Zeit erheblich zunehmender Gewaltdelikte die besondere Ahndung jeglicher Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen ist. Aus der Sicht des Opfers ist nun einmal die Drohung mit der Pistole in gleicher Weise furchterregend, gleichgültig, ob die Pistole verwendungsfähig ist oder nicht, wenn das Opfer davon ausgehen muß, daß die Pistole verwendet werden kann. Dann liegt aber bereits im Mitführen auch einer Scheinwaffe ein qualifizierendes Element des Diebstahls. Zum Streitstand im einzelnen vgl. bei der entsprechenden Problematik des § 250 Abs. 1 Nr. 2 unten § 46 III 1 b. Subjektiv erfordert Nr. 2, daß der Täter die Absicht hat, die Waffe, das Werkzeug oder das Mittel zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand einzusetzen, bzw. daß er die Absicht eines anderen Tatbeteiligten, in dieser Weise vorzugehen, kennt. 3. § 244 Abs. 1 Nr. 3: Bandendiebstahl a) Bande ist eine auf ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung beruhende Verbindung mehrerer Personen zur Begehung mehrerer selbständiger Taten nach §§ 242, 249. aa) Die Täter müssen auf geraume Zeit zusammenwirken wollen. Dazu: OLG Hamm NJW 1981 S. 2207 mit Anm. TENCKHOFFJR 1982 S. 208 f; SCHILD G A 1982 S. 80 ff.

bb) Ein Zusammenschluß zu einem Diebstahl oder Raub in Fortsetzungszusammenhang genügt nicht. Dazu: BGH bei Dallinger, MDR 1972 S. 752.

cc) Str. ist, ob schon zwei Mitglieder eine Bande i. S. des Gesetzes bilden können. - Dafür spricht, daß § 244 Abs. 1 Nr. 3 Anwendung findet, wenn zwei Mitglieder einer größeren Bande die Tat ausführen. Von daher scheint es nur konsequent, bereits von einer Bande zu sprechen, wenn sich nur zwei Personen zusammengetan haben. Wesendiches Element der Gefährlichkeit der Bande ist jedoch die Tatsache, daß deren Aktivität unabhängig vom Hinzukommen und Austreten einzelner Mitglieder besteht. Diese Situation ist beim Zusammenschluß von zwei Personen nicht gegeben. W i e h i e r : DRBHER N J W 1970 S. 1802 f f ; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/37; SCHONEMANNJA

1980 S. 395; VOLKJR 1979 S. 426 ff. -A.A.:

BGHSt 23 S. 239; LACKNER StGB, § 244

A n m . 3 a; MAURACH/SCHROEDER B.T. 1, § 34 I V C 4; SCHRÖDER J R 1970 S. 388 f.

b) Da das qualifizierende Element der gleichsam geteilten Abwehrkraft des Opfers nur von den örtlich und zeitlich am Tatort mitwirkenden Tatbeteilig-

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ten realisiert wird, ist es angemessen, § 244 Abs. 1 Nr. 3 nur auf diesen Personenkreis anzuwenden. So auch: BGHSt 8 S. 205. - A. A.: ARZTJUS 1972 S. 579; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER

§ 244 Rdn. 27 mit eingehenden Nachweisen. c) Die Bandenmitgliedschaft ist kein besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28, denn sie ist kein besonderes pflichtbegründendes Merkmal. W i e hier: KKEY B.T. I I , S. 4 5 ; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 4 5 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER

§ 244 Rdn. 28; VOGLER Lange-Festschrift, S. 278. A. A.: BGHSt 4 S. 30; 12 S. 220; A R Z T J U S 1972 S. 5 7 9 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 4 R d n . 13; HERZBERG Z S t W 8 8 ( 1 9 7 6 ) S. 102; MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 3 4 I V C 4 ; SCHILD G A 1982 S . 8 3 ; SCHONEMANN J A 1980 S. 395

f.

4. Konkurrenzen a) Zwischen einem vollendeten einfachen Diebstahl und einem versuchten Diebstahl nach § 244 ist Idealkonkurrenz möglich. Beispiel: A und B wollen im Hause des X stehlen. A geht dabei davon aus, daß B eine Pistole bei sich hat, von der er notfalls auch Gebrauch machen wird. - Nach dem Diebstahl stellt sich heraus, daß B keine Pistole mitgenommen hatte. Ergebnis: A: §§ 242; 244, 23; 52. - B: § 242. b) Die einzelnen Tatbestände des § 244 stellen lediglich verschiedene Begehungsformen desselben Delikts dar und begründen daher keine Idealkonkurrenz. So auch: HEIMANN-TROSIEN LK, 9. Aufl., § 244 Rdn. 20; LACKNER StGB, § 244 Anm. 4 a. - A. A.: BGHSt 26 S. 174; BGH bei Dallinger, MDR1971S. 363; DREHER/ TRÖNDLE § 2 4 4 R d n . 16.

§ 42: Unterschlagung Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt. I. E i n f a c h e U n t e r s c h l a g u n g , § 246 Abs. 1, 1. Alt. 1. Das geschützte Rechtsgut Das geschützte Rechtsgut ist identisch mit dem des § 242: Die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmak a) Zu den Begriffen fremd, bewegliche Sachen vgl. oben § 40 I 1 - 3.

§ 42 Unterschlagung Zur

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Ergänzung:

aa) OLG Saarbrücken NJW1976 S. 65 ff: Die Prostituierte A vereinbarte mit G ein Entgelt von DM 30,-. Ggab der A einen Hundertmarkschein, nachdem sie die Rückzahlung von DM 70,- nach dem Verkehr zugesagt hatte. Später faßte sie jedoch den Plan, das ganze Geld zu behalten und verweigerte die Rückzahlung. OLG: A eignete sich eine fremde Sache zu: „Der Eigentumsübergang war von der Bedingung der Rückübereignung von Geldscheinen im Werte von DM 7 0 abhängig. Da A den Differenzbetrag von DM 70,- nicht zurückgezahlt hat, ist die Bedingung für ihren Eigentumserwerb an dem Hundertmarkschein nicht eingetreten. . . . Der Geldschein war als fremde Sache daher taugliches Objekt einer Unterschlagung." bb) Zu den Eigentums- bzw. Übereignungsverhältnissen beim Tanken an Selbstbedienungstankstellen vgl. oben § 40 I 3. b) Zueignung ist ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, daß er den Berechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d. h. wirtschaftlich nutzen will; vgl. im einzelnen dazu oben § 40 II 2. D a die Zueigung demnach durch drei Elemente - Enteignung des Berechtigten, Aneignung durch den Täter, Absicht wirtschaftlicher Nutzung - gekennzeichnet ist, kann sie sich weder in einem rein subjektiven noch in einem rein objektiven Geschehen erschöpfen. Es geht vielmehr darum, daß die Absicht der Zueignung nach außen erkennbar, d. h. manifest wird. Maßgeblich ist danach, ob ein bestimmtes nach außen erkennbares Verhalten des Täters - bei Berücksichtigung des Täterplanes - zum Ausdruck bringt, daß der Täter sich die Eigenbesitzerstellung über eine fremde Sache anmaßt. Die Zueignungsabsicht kann sich z. B. manifestieren im Verbrauch, in der Veräußerung, im Verschenken, in der Verarbeitung, in der Vermischung einer Sache oder im Ableugnen des Besitzes. c) Zur Einübung A hat von B ein Gemälde geliehen. aa) Am 1.4. beschließt er, es zu behalten, und es dem B nicht zurückzugeben. Am 3.4. überlegt eres sich jedoch anders und ist entschlossen, sich als ordendicher Entleiher zu gerieren. Ergebnis: Keine Zueignung: Die Absicht des A, sich selbst die umfassende Sachherrschaft anzumaßen, ist noch nicht äußerlich manifest geworden. bb) Am 5.4. bietet er das Gemälde zum Kauf dem C an. - In Wirklichkeit will er jedoch nur vor C angeben. Er ist entschlossen, den Kauf scheitern zu lassen, falls C Interesse zeigt. Ergebnis: Keine Zueignung, zwar könnte das Verhalten des A rein objektiv gesehen als Zueignung gewertet werden, da A in Wirklichkeit den B aber gar nicht

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Die Vermögensentziehungsdelikte

aus seiner Sachherrschaftsposition entsetzen will, fehlt es bei A an der Zueignungsabsicht. Dazu auch: O L G Schleswig SchlHA 1970 S. 195. cc) Am 8.4. bringt A das Gemälde dem Pfandleiher P. - Er will es vor dem Verfalldatum am 20. 4., nach Erhalt seines Gehaltes am 15. 4., wieder zurückholen. Ergebnis: Keine Zueignung. Zwar ist die Verpfändung ein rechtswidriges Verhalten gegenüber B, doch verliert B durch dieses Verhalten noch nicht seine umfassende Sachherrschaftsposition. Noch will A dem B gegenüber nur eine Besitzerposition innehaben. Dazu: BGHSt 12 S. 299. Anm.: Hätte A das Gemälde sicherungshalber übereignet, so hätte er es sich zugeeignet. Sicherungseigentum ist vollgültiges Eigentum. Die umfassende Sachherrschaft übt der Sicherungseigentümer aus, auch wenn ihm schuldrechtlich gewisse Schranken auferlegt sind. dd) Am 18.4. überlegt A es sich jedoch anders. Er will das Pfand nunmehr verfallen lassen und unternimmt nichts, um das Pfand einzulösen. Ergebnis: Zueignung: indem A die letzte Möglichkeit zur Einlösung des Pfandes verstreichen ließ, verfügte er eigenmächtig über das Pfand. Der Eigentümer verlor seine Sachherrschaftsposition, da A sich diese anmaßte, als er den Besitz verlorengehen ließ. Die Manifestation der Zueignung kann - wie im vorliegenden Fall auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen liegen, wenn der Täter pflichtwidrig nichts unternimmt, um dem Berechtigten seine Sachherrschaftsstellung zu erhalten und damit über das Pfand zu eigenen Gunsten (A spart den Einlösungsbetrag) verfügt. D a z u a u c h : O L G O l d e n b u r g N J W 1 9 5 2 S. 1267; M . J . SCHMID M D R 1 9 8 1 S . 8 0 6 f f ; SCHÜRMANN M D R 1982 S. 374.

ee) BGHSt 24 S. 115: Der Postbeamte A hatte einen Fehlbetrag in der Kasse. D a er fürchtete, dieser könnte entdeckt werden, legte er Geldbeträge, die mittels Zahlkarte eingezahlt wurden, zwar in die Kasse, vermerkte sie jedoch nicht in der von ihm zu führenden Einzahlungsliste, um sich so die Möglichkeit zu verschaffen, aus eigenen Mitteln den Fehlbetrag nach und nach zu erstatten. Ergebnis: Mit dem Hinweis, der Täter habe sich die Rechtsstellung des Eigentümers angemaßt, bejaht der B G H die Zueignung. - D e m kann nicht gefolgt werden : Die Entscheidung zeigt lediglich, wie letztlich jedes Verhalten als Zueignung interpretiert werden kann, wenn davon abgesehen wird, die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffs sorgfältig zu prüfen, und statt dessen mit Leerformeln wie z. B. der „Benutzung der Sache wie ein Eigentümer" die Problematik verdeckt wird. - Selbst hatte A nämlich in keinem M o m e n t umfassende Sachherrschaft über das Geld begründet. Er hatte stets nur die Stellung eines Fremdbesitzers. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß er nicht ordnungsgemäß mit dem Gelde umging. - Der Fall ist insofern den Fällen der Wegnahme von Dienstgegenständen ähnlich; dazu oben § 40 II 2 d, dd. D a z u a u c h : DEUBNER N J W 1971 S. 1469; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S. 115 f; SCHÖNEBORN M D R 1971 S. 811.

Für eine idealiter mit einer Untreue konkurrierende Unterschlagung: WESSELS B.T.-2, § 5 III 3. - N u r Untreue will KREY B.T. II, S. 58 annehmen.

§ 42 Unterschlagung

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3. Der maßgebliche Zeitpunkt der Zueignung Der Tatbestand des § 246 bezeichnet denjenigen als Täter, der sich eine fremde bewegliche Sache rechtswidrig zueignet, die er in Besitz oder Gewahrsam hat. a) Str. ist allerdings, ob es sich hier um eine positive Festlegung des Zeitpunktes der Zueignung durch den Gesetzgeber handelt (Tatbestandsmerkmal) oder um einen gesetzestechnisch mißglückten Hinweis zur Abgrenzung der Unterschlagung vom Diebstahl. - Die Gesetzesmaterialien geben zur Entscheidung dieses Streits nichts her, da sie arg widersprüchlich sind. aa) Die streng am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung fordert, daß Gewahrsam oder Besitz bereits vor der Zueignung begründet waren. S o z. B . : ARZT L H 3, G II 1 b; BOCKELMANN M D R 1953 S. 3 ff; OTTO Struktur, S. 2 5 4 ff; SAMSON S K , § 2 4 6 R d n . 2 3 ; SCHÜNEMANN J u S 1968 S. 115 f.

bb) Nach der sog. „kleinen berichtigenden Auslegung" des Tatbestandes können Gewahrsamserlangung und Zueignung zusammenfallen. Vgl.: B G H LM Nr. 3 zu § 2 4 6 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 6 R d n . 10; KREYB.T. II, S. 52; LACKNER S t G B , § 2 4 6 A n m . 3; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 6 R d n . 1.

cc) Die sog. „große berichtigende Auslegung" sieht vom Erfordernis des Gewahrsams ganz ab. Danach soll die Erwähnung des Gewahrsams im Gesetzeswortlaut nur klarstellen, daß die Zueignung einer fremden Sache ohne Gewahrsamsbruch Unterschlagung ist. Dazu: HEIMANN-TROSIEN LK, 9. Aufl., §246Rdn. 15;MAURACH/SCHROEDERB.T. I, § 35 I A 2; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/40, 42; WELZEL Lb., § 4 7 I b.

b) Die berichtigenden Auslegungen des Tatbestandes stehen nur schwerlich mit Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang. Sie scheinen aber gegenüber der strengen Auslegung den Vorteil zu haben, Strafbarkeitslücken, die kaum gerechtfertigt sind - z. B. bei der sog. Fundunterschlagung und der Leichenfledderei -, zu vermeiden. Eine sachgerechte Anwendung der strengen Auslegung bietet jedoch die gleichen Vorteile, so daß kriminalpolitische Erwägungen keineswegs die berichtigenden Auslegungen dringend erforderlich machen. Zu beachten ist allerdings: aa) Besitz und Gewahrsam sind nicht identisch. Besitz umfaßt vielmehr den unmittelbaren und den mittelbaren Besitz. - Der Hinweis, der Gesetzgeber habe Besitz und Gewahrsam als Synonyme verwendet, beruht auf Mutmaßungen über den historischen Stand der Besitzlehre zur Zeit der Vorarbeiten zum StGB. Selbst wenn diese zuträfen, wäre diese enge Bindung an den Willen des historischen Gesetzgebers angesichts des entgegenstehenden Wortlauts des Gesetzes nicht gerechtfertigt. S o auch: LOUVEN M D R I960 S. 2 6 8 f; OTTO Struktur, S. 2 5 6 ; RUTKOWSKY N J W 1954 S. 180; SEIER J A 1979 S. 488 f; TIMMERMANN M D R 1977 S. 534. - B e s i t z u n d

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Gewahrsam identifizieren: OLG Schleswig NJW 1979 S. 882; HEIMANN-TROSIEN L K , 9. A u f l . , § 246 R d n . 13; KREY B.T. II, S. 50; OSTENDORF N J W 1979 S. 883 f; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 246 R d n . 8.

bb) Der relevante Zeitpunkt der Zueignung wird auch bei der sog. Fundunterschlagung in der Regel nicht mit der Gewahrsamsbegründung zusammenfallen. Der Täter wird die gefundene Sache zunächst in Augenschein nehmen. Selbst wenn er schon jetzt beschließt, sie selbst zu behalten, erscheint es nicht unangemessen, ihm einen gewissen Überlegungsspielraum zu gewähren, so daß die relevante Zueignung erst in solchen Handlungen zu sehen wäre, mit denen der Täter - nach Gewahrsamsbegründung - zum Ausdruck bringt, daß er sich die Position des umfassenden Sachherren anmaßen will. - Wird dies beachtet, so dürfte auch die strenge Auslegung des Unterschlagungstatbestandes kaum zu gravierenden Strafbarkeitslücken führen. Der Theorienstreit wird damit auf sein relevantes, recht dürftiges Maß zurückgeführt. Eingehend dazu: OTTO Struktur, S. 254 ff. c) Zur Einübung aa) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch verkaufen wolle. A erklärt sich einverstanden; er verkauft und übereignet das Buch an C. Ergebnis: Mit der Einverständniserklärung, in der A umfassende Verfügungsmacht bekundete und auch bekunden wollte, hat A sich das Buch - nach allen Theorien - zugeeignet. bb) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch nicht leihen könnte. A tut dieses. Nach 8 Tagen kommt C zu A und bittet A, ihm das herrliche Buch zu verkaufen. A tut dieses. Ergebnis: Wird Besitz als Synonym für Gewahrsam verstanden, dann könnte allein mit der großen berichtigenden Auslegung eine Zueignung des Buches durch A begründet werden. - Wird hingegen - wie es hier geschehen ist - Besitz i. S. des §246 auch als mittelbarer Besitz interpretiert, so liegt in der Annahme des Kaufangebots durch A schon nach der strengen Auslegung des § 246 eine Zueignung. cc) BGH LM Nr. 3 zu § 246: Der Dieb D hatte Drahtrollen gestohlen und später auf einem öffentlich zugänglichen Gelände liegengelassen. A sah diese Rollen, durchschaute das Geschehen und nahm die Drahtrollen in Besitz, um sie zu eigenen Zwecken zu verwenden. BGH: A eignete sich die Drahtrollen zu, als er sie in Besitz nahm, um sie eigennützig zu verwenden. - Damit bekannte sich der BGH zur „kleinen berichtigenden Auslegung". Nach den hier gesetzten Prämissen läge die Zueignung in dem der Gewahrsamsbegründung folgenden ersten Akt, in dem die Absicht des A, die Drahtrollen eigennützig zu verwenden, Ausdruck gefunden hätte.

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dd) A trifft den B. Dieser entschuldigt sich bei ihm, weil er ein - wie er genau wüßte - dem A gehörendes Buch an C veräußert habe. Er bietet dem A die Bezahlung des Buches an. A nimmt großzügig dieses Angebot und das Geld an, schon deshalb, weil er dem B niemals ein Buch geliehen hatte. Ergebnis: Da A zu keinem Zeitpunkt reale Sachherrschaft über das Buch ausübte, läßt sich in diesem Falle - unabhängig von den verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten des § 246 - nach der Sachsubstanztheorie keine Zueignung begründen. - Die Anhänger der Sachwerttheorie könnten zwar mit Hilfe der großen berichtigenden Auslegung eine Zueignung des Buches durch A konstruieren, doch erscheint es fraglich, ob sie dieses grob unangemessene Ergebnis überhaupt wollen. ee) RGSt 73 S. 253: A war Verwalter eines Zemendagers einer Behörde. Eines Tages bot A dem H 100 Sack Zement zum Kauf an. Zu einem derartigen Verkauf war A nicht berechtigt. RGSt 73 S. 254: „Die Unterschlagung kann sogar schon damit vollendet sein, daß der Täter die Sache einem anderen ernstlich zum Kauf anbietet. Das muß gelten, ob es sich um eine bestimmte einzelne Sache handelt oder um einen Teil einer aus vertretbaren Sachen bestehenden Sachgesamtheit, die der Menge nach bestimmt, aber von dem Reste noch nicht abgesondert ist. Denn auch in dem Angebot eines solchen Teiles einer Sachgesamtheit kommt der Wille des Anbietenden zum Ausdruck, über die Sache - und zwar über die Sachgesamtheit - wie ein Eigentümer zu verfügen." Dem kann nicht gefolgt werden: In bezug auf die Sachgesamtheit des gesamten Zementvorrats hat A niemals umfassende Sachherrschaft ausgeübt, die 100 Sack, über die er eine derartige Herrschaft anstrebte, waren jedoch noch nicht konkretisiert. - Zueignung daher erst mit dem Aussondern der Säcke. ff) BGH bei Dallinger, MDR1975 S. 22: Dem A waren versehentlich auf seinem Girokonto DM 900,- gutgeschrieben worden. A hob den Betrag ab und verbrauchte ihn für sich. BGH: Da das Geld mit der Auszahlung in das Eigentum des A überging, eignete sich A keine fremde Sache zu. Diese Begründung ist mit der sog. kleinen berichtigenden Auslegung des § 246 nicht in Einklang zu bringen, denn danach genügt es, daß Gewahrsamserlangung und Zueignung zusammenfallen. Wenn das Ergebnis dennoch allgemein Anerkennunggefunden hat, so zeigt dies, wie wenig sich die berichtigende Auslegung im konkreten Fall durchzusetzen vermag. - Nach der strengen Auslegung des § 246 ist das Ergebnis selbstverständlich. Vgl. auch: OLG Düsseldorf NJW1969 S. 623 f. - Im einzelnen dazu: OTTO Bankentätigkeit, S. 147 f.

4. Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft bei der Unterschlagung a) Für die Bestimmung der Mittäterschaft bei der Unterschlagung gelten die allgemeinen Regeln. BGHSt 2 S. 317: A hatte als Lastkraftwagenfahrer der Fa. X Papierrollen an die Fa. Y auszuliefern. Er gab jedoch nicht alle Rollen ab, sondern behielt zwei zurück,

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Die Vermögensentziehungsdelikte

die er auf eigene Rechnung verkaufte. B und C, Angestellte bei Y, ermöglichten dieses, indem sie fälschlich für ihre Fa. den Empfang sämtlicher Rollen quittierten. BGH: B und C können nicht Mittäter der Unterschlagung des A sein, da sie im Tatzeitpunkt die Papierrollen nicht im Besitz oder Gewahrsam hatten. Mit der Forderung, alle Mittäter einer Unterschlagung müßten Besitz oder Gewahrsam am Tatobjekt im Tatzeitpunkt haben, wird keineswegs die Konsequenz aus der kleinen berichtigenden Auslegung des Gesetzestatbestandes gezogen, denn unstreitig müssen bei einem Erfolgsdelikt nicht alle Mittäter die Tathandlung oder Tathandlungen eigenhändig begehen. Das Wesen der Mittäterschaft, eine Personenmehrheit als Einheit zu erfassen, macht es möglich, einzelnen Mittätern die Handlungen anderer Mittäter als eigene zuzurechnen. Das gilt auch für die Unterschlagung. Diese ist kein eigenhändiges Delikt, vielmehr entscheiden sich Taterschafts- und Teilnehmerfragen nach den allgemeinen Regeln. In der Regel wird allerdings dem Zueignungsakt als solchem die zentrale Bedeutung innerhalb der Deliktsverwirklichung zukommen, so daß erst die unmittelbare Mitwirkung an diesem Akt eine Täterposition begründet. Das folgt dann aber gerade aus den Prämissen der Täterlehre, nicht aber aus besonderen „Tätererfordernissen" der Unterschlagung. Dazu auch: ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 4. Aufl. 1984, S. 387; OTTO Struktur, S. 261 ff. b) Auch bei der mittelbaren Täterschaft ergeben sich keine besonderen Problemstellungen: Die Täterschaft ist nach den Grundsätzen der Täterlehre zu bestimmen. Fall: Der Bauer A sieht auf der Heimfahrt von der Kartoffelernte neben der Straße zwei Säcke mit Kartoffeln liegen, die Bauer X verloren hat. Zu Hause angekommen, schickt A seinen Knecht los, die beiden Säcke zu holen, „die ihm vom Wagen gefallen sind". K holt gutgläubig die Kartoffeln und stellt sie zu den übrigen Kartoffeln in die Scheune des A. Ergebnis: Täter der Unterschlagung: A. Tatherrschaft des A gründet sich auf Irrtum des K.

5. Unterschlagung bei Ersatzleistung oder bei Bereitschaft zum Ersatz a) Eignet sich der Täter eine fremde Sache zu, ersetzt diese jedoch derart, daß ein anerkennenswertes wirtschaftliches Interesse des Berechtigten nicht verletzt ist, so fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung der fremden Sache, da der Täter den Vermögensstand des Berechtigten nicht zu dessen Nachteil vermindert, vgl. dazu oben § 40 II 4 a. Zwar nennen die Zueignungsdelikte einen Vermögensschaden als Tatbestandsvoraussetzung nicht. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, daß auf einen derartigen Schaden verzichtet werden kann. Auch die sog. Eigentumsdelikte sind Vermögensdelikte! Der Gesetzgeber ging jedoch davon aus, daß der Vermögensschaden selbstverständlich sei, weil er in der Entziehung der umfassenden Sachherrschaft über die Sache liege. - Gemeinhin trifft dies auch zu, nicht aber ausnahmslos.

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b) Zur Einübung aa) Der Polizeibeamte A, dem durch Dienstanweisung jede eigennützige Verwendung von Geldern aus gebührenpflichtigen Verwarnungen untersagt, sogar das bloße Wechseln von Geld verboten ist, wechselt einen eigenen Fünfzigmarkschein gegen 10 Fünfmarkstücke, die aus gebührenpflichtigen Verwarnungen herrühren, weil er sich eine Erfrischung kaufen will, der Verkäufer aber einen Fünfzigmarkschein nicht wechseln kann. Ergebnis: Eine Einwilligung des Berechtigten und auch eine mutmaßliche Einwilligung scheiden hier aus; dazu RGSt 5 S. 305 f. - Dennoch liegt eine Unterschlagung nicht vor, da A die Vermögenslage des Berechtigten nicht rechtswidrig verschlechtert hat. Es fehlt die rechtswidrige Vermögensschädigung: das Geld fungiert hier nur als Wertmesser, ein wirtschaftliches Interesse an individuellen Geldsummen besteht nicht. bb) OLG Köln NJW1968 S. 2348: Wie unter aa), aber A entnahm den Verwarnungsgeldern DM 5,-, weil er kein Geld bei sich hatte. Das Geld wollte er am nächsten Morgen bei Dienstantritt aus eigenem Geld ersetzen, obwohl er verpflichtet war, die täglichen Einnahmen bei Dienstschluß auf der Dienststelle abzugeben. Das OLG hat in diesem Falle eine Untreue bejaht. Das mag hier dahinstehen. Jedenfalls liegt in diesem Falle eine rechtswidrige Zueignungvca Verbrauchen des Geldes. A benutzt die Verwarnungsgelder unerlaubt für einen Kredit. - Mag der Zeitraum auch überschaubar sein, so ist es doch nicht zu übersehen, daß hier auch vermögensrechtliche Interessen des Berechtigten verletzt sind. Die äußerste Grenze wäre hier der Ersatz innerhalb der vom Berechtigten gesetzten Frist bis zur Abgabe der Gelder, wenn die Ersatzbereitschaft außer Frage stand; z. B. wenn A den fehlenden Betrag in der Dienststelle hätte ersetzen können, weil er in seiner Kleidung noch Geld gehabt hätte. cc) Wie aa), doch A entnimmt die DM 5,-, um schnell aus einem Automaten Verbandszeug zu beschaffen, das dringend zur Rettung eines Unfallverletzten benötigt wird. Ergebnis: Rechtfertigung gemäß § 34. c) Eingehender dazu: EBEL J Z 1983 S. 175 ff; OTTO Struktur, S. 263 ff; ROXIN H. Mayer-Festschrift, S. 469 ff; TIEDEMANN JUS 1970 S. 108 ff. 6. Zueignung nach einer Zueignung Hat der Täter durch ein Vermögensdelikt umfassende Sachherrschaft an einer fremden Sache erlangt, so ist eine weitere Zueignung derselben Sache ausgeschlossen. Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluß des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat. Fall: A hat von B ein Buch entliehen. Als er glaubt, daß B dieses vergessen hat, radiert er den Namen des B aus dem Buch aus und schreibt seinen eigenen Namen hinein. Einige Tage später begehrt B sein Buch zurück. A bestreitet, das Buch

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Die Vermögensentziehungsdelikte

jemals erhalten zu haben. Vorsichtshalber veräußert er das Buch jedoch am nächsten Tag an den gutgläubigen X. Wird die Zueignung des Buches durch A im Ausradieren des Namens des B und Einschreiben des eigenen Namens gesehen, so liegt in diesem Verhalten eine Unterschlagung des Buches. Problem: Sind auch das Ableugnen des Besitzes und die Veräußerung des Buches Zueignungshandlungen im Rahmen einer Unterschlagung, wenn auch vielleicht als straflose Nachtaten? Das ist abzulehnen: Erkennt man, daß das Wesen der Zueignung in der Entziehung der dem Eigentümer zustehenden Herrschaftsbefugnisse durch Anmaßung einer dem Eigentum entsprechenden tatsächlichen Herrschaft zu sehen ist, so sollte die Entscheidung selbstverständlich sein: Entzogen wird dem Eigentümer die Herrschaftsstellung durch den ersten Zueignungsakt, durch den der Täter zum Ausdruck bringt, daß er den Eigentümer ausschließt, um selbst Eigenbesitz über die Sache auszuüben. Ist dieser Akt erfolgt, d. h. hat der Täter die auf dem Eigentum beruhende rechtliche Macht des Eigentümers durch seine eigentümer-ähnliche Macht ersetzt, so hat er sich die Sache zugeeignet und eigene selbständige umfassende Herrschaftsmacht über die Sache begründet. Solange er aus dieser Herrschaftsstellung nicht verdrängt worden ist, kann er nunmehr noch dokumentieren, daß er nicht gewillt sei, seine Herrschaftsmacht wieder abzugeben, indem er sie weiterhin umfassend ausübt. Diese Bekundung objektiviert aber nur, daß der durch die Zueignung begründete Zustand weiter aufrechterhalten wird. Eine Entsetzung des Eigentümers und die Überführung der Eigentümerherrschaft auf den Täter können derartige Handlungen begriffsnotwendig jedoch nicht mehr darstellen. So auch: BGHSt 14 S. 38 ff mit zust. Anm. SCHÜNEMANN JuS 1968 S. 114 ff; HASS S c h l H A 1972 S. 176; KREY B.T. II, S. 55; LACKNER S t G B , § 246 A n m . 4 a, b b ; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S. 261 f f ; OTTO Struktur, S. 112. A . A . : BAUMANN N J W 1961 S. 1141; BOCKELMANN J Z I960 S. 624; MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 35 II 2 c; SCHMIDHÄUSER B.T., 8 / 4 4 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 246 R d n . 10; SCHRODERJR I960 S. 308; DERS. N J W 1963 S. I960.

Zur Einübung: a) A hat dem B eine Uhr gestohlen. 3 Tage später veräußert A die Uhr an den gutgläubigen C. E r g e b n i s : Zueignung der Uhr erfolgte durch den Diebstahl. Die spätere Veräußerung der Uhr an C ist Betätigung der erlangten Sachherrschaft, nicht aber erneute tatbestandsmäßige Zueignung. b) A hat gutgläubig eine gestohlene Sache gekauft. Jetzt erfährt er, daß die Sache gestohlen war. Dennoch gibt er sie nicht heraus, sondern veräußert sie schnell weiter. E r g e b n i s : Unterschlagung durch Weiterveräußerung: Mit Erwerb der Sache meinte A zwar umfassende Sachherrschaft übertragen zu erhalten, seine Annahme der Sache manifestierte jedoch keinen Ausschluß des wirklichen Eigentümers. Erst die Veräußerung des A enthielt eine Stellungnahme zur Position des Eigentümers.

§ 42 Unterschlagung

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c) A hat von B eine Sache auf Abzahlung unter Eigentumsvorbehalt gekauft. Er wußte, daß er weitere Raten nicht zahlen konnte, wollte die Sache aber benutzen, bis B sie wieder abholen ließ. - Nun verkauft A die Sache. Ergebnis: Erlangung der Sache: Betrug; Objekt: Besitz. - Umfassende Sachherrschaft maßt A sich erst durch den Verkauf an, daher liegt im Verkauf eine Unterschlagung, die zu dem Betrug in Realkonkurrenz steht.

II. Veruntreuung, § 2 4 6 Abs. 1, 2. Alt. Die Unterschlagung einer anvertrauten Sache stellt einen qualifizierten Fall der Unterschlagung dar, § 246 Abs. 1, 2. Alt. 1. Die anvertraute Sache Anvertraut ist die Sache, wenn dem Täter der Gewahrsam mit der Maßgabe übertragen wurde, daß er mit der Sache in bestimmter Weise zugunsten des Berechtigten verfahre (z. B. Leihe, Miete, Verwahrung, Kauf unter Eigentumsvorbehalt). a) Das Vertrauensverhältnis selbst braucht rechdich nicht besonders schutzwürdig zu sein, doch wird ein Vertrauensverhältnis zum Teil abgelehnt, wenn das Vertrauensverhältnis auf sittenwidriger Grundlage beruht. - Dem ist nicht zu folgen, denn das Vertrauensverhältnis muß nicht auf rechtlichen Normen beruhen. Vertrauen ist ein sozialer Tatbestand. Die Sittenwidrigkeit des Verhältnisses läßt daher den Vertrauensbruch nicht ohne weiteres entfallen. So auch: BGH NJW 1954 S. 889; BRUNS Mezger-Festschrift, S. 348; HEIMANNTROSIEN L K , 9 . A u f l . , § 2 4 6 R d n . 3 8 ; MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 3 5 I I I A . - A . A . : SAMSON S K , § 2 4 6 R d n . 4 9 ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 6 R d n . 2 5 .

b) Ein Anvertrauen wird darüber hinaus verneint, wenn das Verwahrungsverhältnis dem „wahren Interesse" des Eigentümers widerspricht. RGSt 40 S. 222: A hatte Stoff gestohlen. Diesen gab er dem B in Verwahrung. B benutzte den Stoff zu eigenen Zwecken. Ergebnis: Keine Veruntreuung.

Dies ist, soweit keine besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauensverhältnisses gefordert wird, inkonsequent, denn die Interessen des Eigentümers berühren das persönliche Verhältnis innerhalb des Vertrauensverhältnisses nicht, es sei denn, der Verwahrer gibt die Sache an den Eigentümer zurück. Darin läge aber schon keine rechtswidrige Zueignung. 2. Anvertrautsein „Anvertrautsein" ist ein besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2, da durch das Vertrauensverhältnis eine besondere Pflichtenposition begründet wird.

180

Die Vermögensentziehungsdelikte

§ 43: Haus- und Familiendiebstahl 1. Rechtsnatur des § 247 Indem der Gesetzgeber die Verfolgbarkeit des Haus- und Familiendiebstahls sowie der unter den gleichen Umständen begangenen Unterschlagung von einem Strafantrag abhängig gemacht hat, brachte er zum Ausdruck, daß er in einem derartigen Diebstahls- oder Unterschlagungsfall nicht geringeres Unrecht oder geringere Schuld verwirklicht sieht, sondern den Erhalt der Familie und der häuslichen Gemeinschaft höher bewertet als das Interesse an der Strafverfolgung, wenn der Verletzte selbst kein Interesse an der Strafverfolgung zeigt. Das Antragserfordernis des § 247 dient daher allein der Erhaltung des Familien- bzw. Hausfriedens. Es gilt in den Fällen der §§ 242,243,244,246, nicht aber in bezug auf §§ 249 ff; zu § 248 c vgl. unten § 45, 3. - Der Strafantrag ist Prozeßvoraussetzung. 2. Der Haus- bzw. Familiendiebstahl a) Für den AngebörigenbegriffgAt die Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 1. b) Zum Vormund vgl. §§ 1773 ff BGB. Der Gegenvormund ist nicht Vormund i. S. des § 247, denn er steht im Gegensatz zum Vormund nicht in einem engen persönlichen Verhältnis zum Mündel, sondern überwacht den Vormund nach § 1799 BGB. A . A . : D R E H E R / T R O N D L E § 2 4 7 R d n . 3 ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 7 R d n .

5.

c) Eine häusliche Gemeinschaft setzt den freien und ernstlichen Willen der Mitglieder zum Zusammenleben auf eine gewisse Dauer voraus; BGHSt 29 S. 54. Am freien Willen fehlt es z. B. bei Soldaten in der Kaserne oder bei Inhaftierten in einerjustizvollzugsanstalt. - Der ernstliche Wille fehlt, wenn es dem Täter nur darauf ankommt, das Zusammenleben zu Straftaten gegen die anderen Beteiligten auszunutzen; BGHSt 29 S. 54.

3. Der Verletzte i. S. des §247 Nach h. M. kann § 247 nur eingreifen, wenn im Falle einer Unterschlagung der Eigentümer, im Falle eines Diebstahls Eigentümer und Gewahrsamsträger zum Täter im Angehörigenverhältnis stehen, weil die h. M. Eigentum als Rechtsgut der Unterschlagung und Eigentum und Gewahrsam als Rechtsgut des Diebstahls ansieht. - Nach den hier gesetzten Prämissen ist Verletzter nur der umfassende Sachherr. Seine Beziehung zum Täter ist allein maßgeblich; vgl. dazu oben § 40 I 2 c. Beispiel 1: X hat dem Y eine Sache geliehen. Dort stiehlt sie A, der Sohn des X . Verletzte nach h. M.: X und Y. § 247 findet keine Anwendung. - Verletzter nach der hier entwickelten Ansicht: Nur X , § 247 findet Anwendung.

§ 44 Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen

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Beispiel 2: Wie im Beispiel 1, doch ist A der Sohn des Y Verletzte nach h. M.: X und Y, s. o. - Nach der hier entwickelten Ansicht: Verletzter X, daher kommt § 247 nicht in Betracht. Hinweis: Eine Ausnahme macht die h. M. nur, wenn der unmittelbare Besitzer im Zeitpunkt der Tat lediglich untergeordneten Gewahrsam hat. Dazu: BGHSt 10 S. 400 f.

Diejenigen, die nur das Eigentum als das geschützte Rechtsgut der Zueignungsdelikte ansehen, kommen konsequenterweise zu dem Ergebnis, daß allein der Eigentümer Verletzter sein kann. Beispiel 3: Der Dieb D hat von E Vorjahr und Tag eine Uhr gestohlen. Eines Tages stiehlt A, der Sohn des D, diesem die Uhr. Verletzter nach der hier vertretenen Ansicht: der D; nach Ansicht derer, die das zivilrechtliche Eigentum als Rechtsgut der Zueignungsdelikte betrachten: der E.

4. Der Irrtum des Täters über die Vermögenslage Da das Antragserfordernis nicht Ausfluß eines minder schweren Unrechts des Diebstahls oder einer minderen Schuld des Täters, sondern allein dem Erhalt des Haus- und Familienfriedens zu dienen bestimmt ist, kommt es nur zum Zuge, wenn die Tat nicht über die geschützte Sphäre hinausgeht. - Maßgeblich daher allein die objektive Lage. a) BGHSt 23 S. 281: A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre seiner Ehefrau. Es gehörte jedoch X. BGH: Kein Strafantrag erforderlich, da Verletzter außerhalb des „abgeschirmten Bereichs". b) A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre einer Bekannten seiner Ehefrau. In Wirklichkeit gehörte es der Ehefrau selbst. Ergebnis: § 247 findet Anwendung.

§ 16 Abs. 2 kann bei einem Irrtum des Täters darüber, daß das Opfer in den Haus- oder Familienbereich gehört, keine Anwendung finden, da der Täter über eine Prozeßvoraussetzung irrt, nicht aber einen Umstand annimmt, der den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würde.

§ 44: Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen 1. Kriminalpolitische Zielsetzung des § 248 a Mit § 248 a, der ergänzt wird durch §S 153 Abs. 1,153 a StPO, will der Gesetzgeber das Problem der Bagatellkriminalität im Bereich der Vermögensdelikte prozessual lösen: Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein, soweit nicht ein besonderes öffendiches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt. Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 248 a nur auf §§ 242,

182

Die Vermögensentziehungsdelikte

246. Sachlich ist - aufgrund der Regelung des § 243 Abs. 2 - auch § 243 eingeschlossen, soweit sich „die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht"; vgl. dazu oben § 41 II. - Zu § 248 c vgl. unten § 45, 3. Dieser Versuch des Gesetzgebers, die Problematik der vermögensstrafrechtlichen Bagatellkriminalität prozessual zu lösen, ist mit Recht in der Lehre kritisch aufgenommen worden; vgl. die eingehenden Angaben bei LACKNER StGB, § 2 4 8 a Anm. 1 a, b.

2. Geringwertige Sachen Geringwertige Sachen sind Sachen von unbedeutendem wirtschaftlichem Wert; dazu oben § 41 II 1. 3. Besondere Probleme des § 248 a a) Handeln in Mittäterschaft Da das Antragserfordernis die Strafverfolgung ausschließlich von der Interessenlage des Verletzten abhängig macht, dem im Falle eines geringen Schadens die Entscheidung über die Strafverfolgung anheim gegeben ist, kommt die Anwendung des § 248 a nicht in Betracht, wenn die Gesamtbeute nicht mehr geringwertig ist. Durch den - wenn auch in Mittäterschaft begangenen - Diebstahl hat der Verletzte keinen geringen, sondern einen erheblichen Schaden erlitten. Beispiel: 4 Mann stehlen in Mittäterschaft in einem Zigarettenladen Zigaretten im Werte von DM 100,-. Ergebnis: § 248 a findet keine Anwendung.

b) Fortgesetzte Tat Zum Problem der Zusammenrechnung bei der fortgesetzten Tat vgl. oben § 41 II 1 d. Die Ausführungen gelten hier entsprechend. c) Irrtum des Täters über den Wert Das Antragserfordernis berücksichtigt allein Interessen des Verletzten, ist aber nicht Ausdruck geringeren Unrechts oder geringerer Schuld des Täters. Daher ist der Irrtum des Täters über den Gegenstandswert bedeutungslos; § 16 Abs. 2 findet keine Anwendung. aa) A nimmt wertvolle Sachen weg, die er für geringwertig hält: § 242. bb) A nimmt geringwertige Sachen weg, die er für wertvoll hält: § 248 a.

d) Versuchsproblematik Da für die Anwendung des § 248 a nur die objektive Geringwertigkeit entscheidend ist, kommt es beim Versuch darauf an, ob der Täter zur Wegnahme bzw. Zueignung einer geringwertigen Sache entschlossen war.

§ 45 Entziehung elektrischer Energie

183

Beispiel: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber überhaupt nichts vor. Ergebnis: § 248 a findet auf den Versuch Anwendung. Auch bei einem Vorsatzwechsel in bezug auf das Objekt des Zueignungsdelikts entscheidet die objektive Wertlage über die A n w e n d u n g des § 248 a. Beispiel 1: A will eine wertvolle Sache stehlen, findet aber nur eine geringwertige. Diese nimmt er mit. Ergebnis: Diebstahl vollendet, doch findet § 248 a Anwendung. Beispiel 2: Wie Beispiel 1, doch da A an geringwertigen Sachen kein Interesse hat, nimmt er gar nichts mit. Ergebnis: Versuch eines Diebstahls, auf den § 248 a aber keine Anwendung findet. Hier zeigen sich eindeutige Mängel der gesetzlichen Regelung, die aber nur durch den Gesetzgeber beseitigt werden könnten. Dazu auch:

SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER

§ 248 a Rdn. 17.

§ 45: Entziehung elektrischer Energie 1, Entziehung elektrischer Energie in Zueignungsabsicht, § 248 c Abs. 1 a) Tatobjekt: fremde elektrische Energie. - Fremd ist die Energie für jeden, der kein Recht zur Entnahme der Energie hat. - Entzogen ist die Energie, w e n n sie unbefugt e n t n o m m e n wird. - D i e Entziehung m u ß mittels eines Leiters erfolgen, d. h. mit Hilfe einer Einrichtung, die vermöge ihrer physikalischen Eigenschaften den Strom weiterleitet, sei es auch nur im Wege der Induktion. So Z. B. auch RGSt 39 S. 436. - A. A.: Als Leiter kommen nur elektrisch leitfähige Gegenstände in Betracht; vgl. z. B. Ranft J A 1984 S. 3. b) D e r Leiter m u ß ordnungswidrig sein, nicht nur die Entnahme der Energie. - D i e rechtswidrige, weil z. B. vertragswidrige Entnahme von Strom auf ordnungsgemäßem W e g macht den Leiter noch nicht zu einem ordnungswidrigen. Ordnungswidrig daher: Überbrückung eines Zählers (OLG Celle MDR 1969 S. 597); Anbringen eines nicht zur Anlage gehörenden Kabels (BGH GA 1958 S. 369); Anzapfen einer Hochspannungsleitung u. ä. Nicht ordnungswidrig hingegen: Untermieter hat vertragswidrig nach 10 Uhr abends noch Licht an. - Benutzung eines elektrischen Heizofens, eines Bügeleisens, einer Kochplatte usw. gegen den Willen des Berechtigten. - Z. T. wird in der Lehre bei unbefugter Benutzung bestimmter Geräte danach unterschieden, ob der Berechtigte diese Geräte aufgestellt hat oder ein Nichtberechtigter. Diese Differenzierung führt zu zufälligen Unterscheidungen in der Strafbarkeit.

184 So auch:

Die Vermögensentziehungsdelikte DREHER/TRÖNDLE § 2 4 8

c Rdn.

4 ; SAMSON S K , § 2 4 8

c Rdn.

8. - A .

A.:

MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 3 4 V I 2 ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 2 4 8 c R d n . 1 0 f.

c) Zueignungsabsicht ist hier die Absicht, über die Energie selbständig zum eigenen Nutzen zu verfügen. 2. Entziehung elektrischer Energie in bloßer Schädigungsabsicht, § 248 c Abs, 3 a) Das Delikt entspricht der Sachbeschädigung. Dem Täter geht es nicht darum, sich einen Vorteil zu verschaffen, sondern den Berechtigten zu schädigen. - Absicht bedeutet zielgerichtetes Wollen. b) Auch hier ist allein strafbar die entsprechende Schädigung mit Hilfe eines ordnungswidrigen Leiters. 3. Analoge Anwendung der §§ 247, 248 a Da § 248 c lediglich eine Lücke innerhalb der durch §§ 242, 246 geschützten Objekte schließen soll, ist eine analoge Anwendung der §§ 247, 248 a in den entsprechenden Fällen angezeigt.

§ 46: Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Raubdelikte ist primär das Vermögen, und zwar die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. Daneben wird die Freiheit der Wilknsbetätigung und Willensbildung geschützt. 2. Die Systematik des Gesetzes a) Grundtatbestand der Raubdelikte ist § 249. Zur Interpretation des §255 als Grundtatbestand der Raubdelikte durch den BGH vgl. unten § 53 I b.

b) Qualifizierungen: §§ 250, 251. c) Raubähnliches Sonderdelikt: § 252. d) Ein zum eigenständigen Sonderdelikt ausgestalteter qualifizierter Fall des Raubes und der räuberischen Erpressung: § 316 a, dazu unter VI. e) Der Raub ist als eigenständiges Sonderdelikt (lex specialis) gegenüber den in ihm enthaltenen Tatbeständen der Nötigung und des Dieb-

185

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

stahls anzusehen. §§ 247, 248 a finden daher im Bereich der Raubtatbestände keine Anwendung.

II. Raub, § 249 1. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Die Gewalt gegen eine Person oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben müssen zur Begehung eines Diebstahls eingesetzt sein, d. h. sie müssen Mittel der Wegnahme sein. aa) Der Gewaltbegriff entspricht dem der Nötigung; dazu eingehend oben § 2 7 1 2 . - Zur Drohung mit gegenwärtiger Gefahrfür Leib oderLeben vgl. oben § 27 I 3. bb) Da die Gewalt hier aber Mittel des Gewahrsamsbruchs ist, muß sie als körperlicher Zwang bei der Überwindung der Sachherrschaft des Opfers empfunden werden. List und Geschicklichkeit, mit denen der Täter die Sachherrschaft des Opfers bricht, bevor das Opfer einen körperlichen Zwang empfindet, sind nicht Gewalt i. S. des Raubes. Zur Verdeutlichung: BGHSt 18 S. 329: A schlug der B, die eine Tasche in der Hand trug, auf die Hand. B ließ daraufhin die Tasche fallen und A nahm die Tasche an sich. BGH: Raub, denn die Gewaltanwendung diente der Wegnahme. BGH bei Dallinger, MDR1975 S. 22: A nahm der B durch blitzschnelles Zugreifen eine Umhängetasche von der Schulter, um sie sich zuzueignen. BGH: Zwar wandte A Kraft auf, als er der B die Tasche fortriß, die Wegnahme gelang ihm jedoch durch Schnelligkeit und Geschicklichkeit, d. h. durch ein Verhalten, mit dem et dem Widerstand der B zuvorkommen wollte, nicht durch Kraftentfaltung, um einen Widerstand zu überwinden. Daher liegt kein Raub vor. Dazu auch: BGH bei Dallinger, M D R 1975 S. 543.

cc) Das Nötigungsmittel muß der Täter final zur Ermöglichung der Wegnahme einsetzen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme ist hingegen nicht erforderlich. Ob das Opfer die Wegnahme auch ohne Widerstand geduldet hätte, d. h. ob die Gewaltanwendung überhaupt nötig war, um die Wegnahme zu ermöglichen, ist unwesentlich. Maßgebend ist allein, daß die Nötigung zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes gegen die Wegnahme vom Täter für erforderlich gehalten wurde. Auch wenn sich die Nötigung gegen eine Person richtet, die nicht zum Widerstand gegen die Wegnahme bereit ist, so ist dies irrelevant, wenn der Täter Widerstand erwartet. Dazu auch: BGHSt 4 S. 211; 18 S. 331; D R E H E R / T R Ö N D L E § 249 Rdn. 3; ESER N J W 1965 S. 378; GEILEN Jura 1979 S. 166; H E R D E G E N L K , § 249 Rdn. 3; LACKNER StGB, § 249 A n m .

2 a ; SCHONEMANN J A

1 9 8 0 S.

352.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Gewalt und Drohung können bis zur Vollendungder Wegnahme eingesetzt werden. - Werden diese Mittel hingegen erst nach Vollendung der Wegnahme zur Sicherung der Beute eingesetzt, so kann § 252 vorliegen; dazu unter V 1 b. c) Problematisch ist die Frage der finalen Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme bei einem Motivwechsel des Täters. Eine saubere Trennung der verschiedenen Fallgruppen gelingt hier nur, wenn streng zwischen der Fortwirkung der Nötigung und der Fortdauer des Einsatzes des Nötigungsmittels unterschieden wird: aa) Entschließt sich der Täter während des Einsatzes des Nötigungsmittels zur Wegnahme, so liegt eindeutig ein Raub vor. BGHSt 20 S. 32: A wandte gegen M Gewalt an, um sie an sich zu ziehen und zu küssen. M wehrte sich. Als A merkte, daß M eine Armbanduhr trug, streifte er die Uhr während des Handgemenges vom Arm und steckte sie ein. BGH: Raub.

bb) In gleicher Weise ist zu entscheiden, wenn das Opfer nach der Gewaltanwendung Widerstand für sinnlos hält, weil es sich dem Täter ausgeliefert sieht und der Täter diese Lage ausnutzt, denn dann wirkt die Gewaltanwendung als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung fort. Aus der Sicht des Opfers, der sich auch der Täter bewußt ist, liegt lediglich eine Pause in der Gewaltanwendung vor, doch ist diese noch nicht beendet, falls das Opfer Widerstand leistet. Fall: A hat den B zusammengeschlagen, weil er in ihm einen Nebenbuhler sah. Als B blutend am Boden liegt, kommt A auf die Idee, dem B die Brieftasche wegzunehmen. B wehrt sich nicht, weil er fürchtet, A werde ihn erneut schlagen. Dem A ist dies bewußt. Ergebnis: Raub. Dazu auch: BGH NStZ 1981 S. 344; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH Strafverteidiger 1983 S. 460. - Anders noch BGH bei Dallinger, M D R 1968 S. 17.

cc) Der Wortlaut des Gesetzes verbietet hingegen die Annahme eines Raubes, wenn der Täter die Wirkungen einer zuvor aus anderem Grunde geübten Gewalt nur ausnutzt. BGHSt 32 S. 88 mit Anm. O t t o J Z 1984 S. 143 ff: A hatte den Hotelportier P gefesselt und geknebelt, damit dieser ihn nicht hindern konnte, ohne Bezahlung der Rechnung aus dem Hotel zu verschwinden. Als der A das Hotel verließ, kam er auf die Idee, den Inhalt der Hotelkasse mitzunehmen. BGH: Nur Diebstahl, kein Raub.

Über die Sachgerechtigkeit des Ergebnisses läßt sich streiten, denn daß derjenige, der eine - wenn auch aus anderem Grunde - zuvor selbst geschaffene Nötigungssituation bewußt zur Wegnahme ausnutzt, nicht genauso bestraft wird, wie derjenige, der die Nötigung zur Wegnahme einsetzt, bleibt sachlich unbefriedigend.

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

187

Dies erklärt, warum die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes keineswegs einheitlich ist, sondern in einzelnen Entscheidungen die fortdauernde Gewaltwirkung der fortdauernden Gewaltanwendung gleichgestellt wird. Vgl. einerseits: B G H 1 StR 172/76; B G H J Z 1 9 8 1 S . 596; andererseits: BGHSt 32 S. 88; BGH DRiZ 1972 S. 30. - Dazu auch HERDEGEN LK, § 249 Rdn. 16.

Auch die Konstruktion einer Unterlassung nach vorangegangenem gefährlichem Tun vermag kein anderes Ergebnis zu begründen. Denn selbst wenn der Täter aufgrund der ursprünglichen Gewaltanwendung als Garant verpflichtet ist, von dem Opfer Schäden abzuwehren, denen es infolge seiner durch die Gewaltanwendung begründeten Hilflosigkeit ausgesetzt ist, kann die Ausnutzung der Zwangslage nicht als Gewaltanwendung durch den Unterlassungstäter interpretiert werden. Sein Unterlassen hat nicht den sozialen Sinngehalt einer Gewaltanwendung, sondern nur den eines Fortdauernlassens der Wirkungen der Gewaltanwendung. So auch: HERDEGEN LK, § 249 Rdn. 16; K Ü P E R J Z 1981S. 571; SAMSON SK, § 249 Rdn. 26. - A. A.: ESER N J W 1 9 6 5 S . 379 f; LACKNER StGB, § 249 Anm. 2 c; SCHÜNEM A N N J A 1 9 8 0 S . 3 5 2 f.

Erwägenswert ist allerdings, ob in Anwendung allgemeiner Prinzipien strafrechtlicher Zurechnung, etwa entsprechend dem Grundsatz der actio libera in causa - dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 13 II 4 eine Gleichstellung des Täters, der Gewalt zur Wegnahme anwendet, mit dem, der das Opfer durch Gewaltanwendung in eine wehrlose Lage gebracht hat und diese nun zur Wegnahme ausnutzt, in Betracht kommt.

2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Dieser muß dem des Diebstahls entsprechen und außerdem auf Wegnahme mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gerichtet sein. - Zur Absicht rechtswidriger Zueignung vgl. oben § 40 II 2, 3. Die Erweiterung der Zueignungsabsicht oder der Wechsel des Zueignungsobjekts nach finalem Einsatz des Nötigungsmittels berührt den Raubvorsatz nicht. a) BGHSt 22 S. 350: A schlug den B nieder, um ihm DM 5,- wegzunehmen. Als er die Geldbörse des B geöffnet hatte und sah, daß sie erheblich viel mehr Geld enthielt, nahm er das ganze Geld an sich. B G H : Ein einheitlicher Raub in bezug auf die Gesamtmenge. Dem ist zu folgen: die Erweiterung des Vorsatzes begründet keine neue Tat. Gleiches würde für einen Wechsel des Zueignungsobjekts - A schlägt den B nieder, um Geld zu entwenden, entwendet dann aber die Uhr des B - gelten; vgl. zur entsprechenden Problematik beim Diebstahl oben § 41 II 1 b. b) B schuldet dem A DM 30,-. Da er seine Schuld nicht zahlen wollte, schlug A ihn nieder, um ihm die geschuldete Summe wegzunehmen. Als A sah, daß B erheblich mehr Geld in der Brieftasche hatte, nahm er die ganze Summe an sich.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Ergebnis: Kein Raub, denn als A Gewalt einsetzte, fehlt ihm die Absicht rechtswidriger Zueignung; dazu oben § 40 II 2, 3. Später aber nutzte er nur noch die Wirkungen der Gewaltanwendung zum Diebstahl aus. Dazu auch: B G H bei Holtz, M D R 1982 S. 810.

3. Vollendung und Versuch Der Raub ist mit der Begründung neuen Gewahrsams an der Sache, auf deren Zueignung der Täter es abgesehen hat, vollendet. - Versucht ist der Raub, wenn der Täter zum Zwecke der Wegnahme zur Gewaltanwendung oder Drohung unmittelbar ansetzt, d. h. wenn das angegriffene Rechtsgut aus der Sicht des Sachverhalts durch den Täter unmittelbar gefährdet ist. BGHSt 26 S. 201 ff: Die Täter klingelten an einer Haustür mit dem Plan, die öffnende Person zu berauben. - Es näherte sich aber niemand der Tür. B G H : Raubversuch bereits begonnen. - Dagegen ist einzuwenden, daß eine unmittelbare Gefährdung der angegriffenen Rechtsgüter (Willensfreiheit, Vermögen) erst dann vorgelegen hätte, wenn sich jemand - nach der Vorstellung der Täter - der Tür genähert hätte. Eingehender dazu: einerseits: G O S S E L J R 1 9 7 6 S . 2 4 9 ; O T T O N J W 1 9 7 6 S . 5 7 8 ; andererseits: BLEI J A 1 9 7 6 S . 1 0 1 ff, 3 0 3 ff.

Kommt es dem Täter auf den Inhalt eines Behältnisses an, so liegt nur versuchter Raub vor, wenn das weggenommene Behältnis das Gewünschte nicht enthält. BGH Strafverteidiger 1983 S. 460: A wollte der B Bargeld wegnehmen, das er in ihrer Handtasche vermutete. Mit Gewalt entriß er ihr die Handtasche. - Als A feststellte, daß kein Geld in der Tasche war, warf er diese fort. B G H : N u r versuchter Raub. - Dazu bereits: B G H bei Daliinger, M D R 1976 S. 16.

III. Schwerer Raub, § 250 1. Die Raubqualifikationen gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 a) Die Fassung des § 250 Abs. 1 Nr. 1,2 und 4 entspricht der des § 244 Abs. 1 Nr. 1-3; zur Problematik dieser Qualifikationsmerkmale vgl. oben § 41 III 1-3. b) Entsprechend der Interpretation des § 244 Abs. 1 Nr. 2 - dazu oben § 41 III 2 - sieht die Rechtsprechung die sog. Scheinwaffe als Waffe i. S. des § 250 Abs. 1 Nr. 2 an. Dazu: BGH N J W 1976 S. 248 mit abl. Anm. KÜPERJuS 1976 S. 645; B G H N S t Z 1981 S. 436 mit abl. Anm. K Ü P E R N S t Z 1982 S. 28 f. D e m B G H folgend: D R E H E R / T R O N D L E § 2 5 0 R d n . 5 ; PREISENDANZ § 2 5 0 A n m . 2 . - A . A . : E S E R J Z 1 9 8 1 S . 7 6 1 f f , 8 2 1

ff;

HERDEGEN L K ,

§ 250 Rdn. 18 ff;

SCHROEDER B . T . I , § 3 6 I I B 1.

LACKNER

StGB, § 244 Anm. 2 c;

MAURACH/

189

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

Wegen Fehlens der objektiven Gefahr wäre es allerdings angezeigt, im Fall der Verwendung einer Scheinwaffe einen minder schweren Fall gemäß § 250 Abs. 2 anzunehmen. Der BGH berücksichtigt die geringere Gefährdung in der Regel jedoch nur als einen Umstand neben anderen in der Gesamtwertung. Dazu: BGH NStZ 1981S. 436; BGHJZ1982 S. 868; BGH bei Holtz, MDR1983 S. 91; ESERJZ 1981 S. 821; HETTINGERJZ 1982 S. 8 4 9

ff.

c) Rücktritt vom Versuch Will der Täter vom Versuch des schweren Raubes zurücktreten, so muß er die Wegnahmeabsicht aufgeben. - Allein die Aufgabe des Planes, eine Waffe beim Raub zu benutzen, und das Fortwerfen der Waffe genügen den Rücktrittserfordernissen nicht. Dazu: BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 985.

2. § 250 Abs. 1 Nr. 3: Gefährlicher Raub a) Bei den hier relevanten Gefahren muß es sich um konkrete, naheliegende Gefahren handeln, wie die an den im Wortlaut gleichen §§ 113 Abs. 2 Nr. 2, 125 a Nr. 3 orientierte Auslegung ergibt. b) Der besonderen Gefährdung muß sich der Täter bewußt sein, d. h. sie muß von seinem Vorsatz umfaßt sein. § 250 Abs. 1 Nr. 3 ist kein erfolgsqualifiziertes Delikt i. S. des § 18. Dazu: BGHSt 26 S. 176 ff mit Anm. K Ü P E R NJW 1976 S. 543 ff und M E Y E R JuS 1976 S. 228 ff; B A C K M A N N MDR 1976 S. 969 ff; G E I L E N Jura 1979

GERHARDS

S . 4 4 5 ; SCHONEMANN J A

1980 S.

393.

Tatbeteiligte sind durch § 250 Abs. 1 Nr. 3 nicht geschützt, vgl. dazu unter IV 1 c. IV. Raub m i t Todesfolge, § 251 1. Die Erfolgsqualifizierung § 251 enthält gegenüber §§ 249, 250 eine Erfolgsqualifizierung. Der besondere Erfolg, der Tod eines anderen, muß auf die - zwischen Versuchsbeginn und Vollendung vorgenommene - Tathandlung des Raubes zurückzuführen sein. - Abweichend von § 18 genügt aber in bezug auf den Erfolg nicht mindestens Fahrlässigkeit, vielmehr muß der Täter den Erfolg leichtfertig verursacht haben. a) Leichtfertig ist als grob fahrlässig zu interpretieren; dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T., § 10 I 2 b .

b) Entgegen dem zu weit geratenen Wortlaut des Gesetzes, aber im Einklang mit dem Wesen des Strafgrundes der „Erfolgsqualifikation"

190

Die Vermögensentziehungsdelikte

genügt es nicht, daß der Raub conditio-sine-qua-non für den Erfolg geworden ist, vielmehr muß sich der Todeserfolg aus der Raubhandlung und ihrer spezifischen Gefährlichkeit entwickelt haben. Beispiel 1: A schlägt den B, den er ausrauben will, mit einem Knüppel nieder. Er will den B zwar nicht töten, schlägt aber mit solcher Wucht zu, daß die Schädeldecke des B zertrümmert wird. B stirbt. Ergebnis: § 251. Beispiel 2 : A schlägt im 2. Stock eines Hauses auf den B ein, um ihn niederzuschlagen und auszurauben. In seiner Not springt B aus dem Fenster. Ergebnis: § 251. - Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch B, da der Wille des B nicht frei war; dazu G R U N D K U R S STRAFRECHT, A. T., § 111 2. Beispiel 3: Bei einem Raubüberfall kommt es zu einer Schießerei mit dem Überfallenen. Durch einen Schuß wird einer der zahlreichen Passanten getroffen. Ergebnis: § 2 5 1 . - Str., vgl. einerseits: LACKNER StGB, § 2 5 1 Anm. 1 ; andererseits: SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 5 1 R d n .

5.

Beispiel 4: Als die Täter nach einem Raubüberfall mit dem Auto davonrasen, überfahren sie den X. Ergebnis: §§ 249, 222, 53.

c) § 251 findet keine Anwendung, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt, denn § 251 greift nicht zugunsten dessen ein, vor dessen Tun er gerade erhöhten Schutz bieten soll. So auch :

LACKNER

StGB, § 2 5 1 Anm.

1 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 5 1

Rdn.

3. -

A . A . : K U N A T H J Z 1 9 7 2 S. 2 0 1 .

2. Der Versuch

Tritt der schwere Erfolg bereits beim Versuch des Raubes ein, so ist anwendbar; str., dazu: G R U N D K U R S S T R A F R E C H T , A . T., § 1 8 IV 6 .

§ 251

3. Konkurrenzen

a) §§ 222, 226, 250 werden von § 251 konsumiert. b) Tateinheit zwischen einem vorsätzlichen Tötungsdelikt und § 251 ist nach der jetzigen Fassung des Gesetzes ausgeschlossen : Nach dem Wortlaut des Gesetzes erfaßt der Tatbestand nicht ein mindestens leichtfertiges,

sondern nur ein leichtfertiges Verhalten. Dazu: BGHSt 26 S. 175 mit zust. Anm. R U D O L P H I J R 1976 S. 74; TENCKHOFF ZStW88 (1976) S . 912. -A.A.: GtiLENjura 1979 S . 613 ; H E R D E G E N L K , § 251 Rdn. 11 f f ; H E R Z B E R G J U S 1 9 7 6 S . 4 3 ; SCHMIDHAUSER B . X , 8 / 5 6 ; S C H O N E M A N N J A 1 9 8 0 S . 3 9 6 .

Damit ergibt sich der Widerspruch, daß in den Fällen des § 212 die Strafdrohung unter der des § 251 liegt, d. h. leichtfertiges Verhalten schwerer bestraft wird als vorsätzliches. - Auch wenn in den meisten Fällen, in denen der Täter tötet, um sich eine fremde Sache rechtswidrig zuzueignen, Habgier vorliegt und damit § 211 durchgreift, bleibt der

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

191

Widerspruch unerträglich, denn nicht in allen Fällen der Tötung, um einen Vermögensvorteil zu erlangen, ist Habgier gegeben; dazu oben § 4 II l c . Die Beseitigung des Widerspruchs durch Interpretation der Strafdrohung des § 251 als Mindeststrafdrohung des § 212 bei Raub mit Tötungsvorsatz ist jedoch als Analogie zuungunsten des Täters ausgeschlossen. So auch: R U D O L P H I J R 1976 S. 74 f. - A. A.: LACKNER StGB, § 251 Anm. 4; TENCKZStW 88 (1976) S. 914. - Im übrigen vgl. MAIWALD GA 1974 S. 270 f.

HOFE

c) Zur Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung vgl. unten § 53 II 1 b.

V Räuberischer Diebstahl, § 252 § 252 enthält ein raubähnliches Sonderdelikt. Derjenige, der die Beute mit den Mitteln des Raubes sichert, wird dem Räuber gleichgestellt, und zwar sind je nach den Sachverhaltsgegebenheiten §§ 2 4 9 , 2 5 0 , 2 5 1 anwendbar. 1. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Vortat: Diebstahl Als Vortat kommen alle privilegierten und qualifizierten Fälle des Diebstahls in Betracht und auch der Raub. Auch wenn der Gesetzestatbestand nur den Diebstahl nennt, erfolgt die Erstreckung seines Anwendungsbereichs auf den Raub noch im Einklang mit dem Gesetzestext: Auch im Raub ist ein Diebstahl enthalten. Der Konkurrenzregelung, daß der Raub dem Diebstahl als lex specialis vorgeht, kommt im Rahmen des §252 keine Bedeutung zu. - Vom Sinn und Zweck des Gesetzes her wäre es unverständlich, daß derjenige, der nach einem Diebstahl bei der Sicherung der Beute einen anderen leichtfertig tötet, nach § 251 bestraft werden kann, nicht aber derjenige, der zuvor einen Raub, § 249, begangen hat. b) Die Vortat muß vollendet sein Der Einsatz des Raubmittels nach Vollendung der Vortat aber vor ihrer Beendigung begründet die Annahme des § 252 anstelle des § 249. H. M. M D R

vgl.: BGHSt 28 S. 224;

HERDEGEN

1 9 7 9 S . 5 2 9 ; SCHMIDHAUSER B . T . ,

LK, § 252 Rdn. 7 ff. -A.A.:

DREHER

8/59.

BGHSt 20 S. 194: A täuschte den Bauersleuten B vor, er wolle bei ihnen Kartoffeln kaufen. Als sie ihm ihre Vorräte zeigen wollten, schloß er sie im Keller ein, er durchsuchte die Wohnung und steckte einen größeren Barbetrag ein. Als er verschwinden wollte, traf er die Eheleute auf dem Flur, denn sie hatten sich inzwischen befreit. Er übte nunmehr Gewalt mit einer Waffe gegen sie, um aus dem Haus zu kommen.

192

Die Vermögensentziehungsdelikte

BGH: Gewaltanwendung mit Waffe war noch eingesetzt zur Wegnahme, daher lag ein schwerer Raub, § 250, vor. Dem kann nicht gefolgt werden: Im Zeitpunkt der Gewaltanwendung mit der Waffe war die Wegnahme vollendet, dazu oben § 40 I 4 f. Die Anwendung der Gewalt in diesem Moment begründet aber die Anwendung des § 252.

c) Auf frischer Tat Frisch ist die Tat, die vollendet, aber noch nicht beendet ist. Nach der Sicherung des Gewahrsams durch den Täter ist kein Raum mehr für die Anwendung des § 252. Demgegenüber verlangt die Rechtsprechung einen zeitlich räumlichen Zusammenhang zwischen Vortat und Einsatz des Nötigungsmittels, so daß auch eine noch nicht beendete Tat nicht notwendig frisch zu sein braucht. V g l . : B G H S t 2 8 S. 2 2 8 ; KÜHL J A 1979 S. 491; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 5 2 R d n . 4; SEIERJUS 1979 S. 338. - D a g e g e n : D R E H E R M D R 1 9 7 9 S. 532; HERDEGENLK, § 2 5 2 R d n . 14; SCHNARRJR 1979 S. 316 f.

Umgekehrt soll die Beendigung der Vortat die Frische der Tat nicht notwendig ausschließen. Vgl.: DREHER M D R

1979 S. 531; LACKNER S t G B , § 2 5 2 A n m . 4 ; SCHÖNKE/

SCHRODER/ESER § 2 5 2 R d n . 4.

Dem kann nicht gefolgt werden. Der Zeitpunkt der Sicherung der Beute beendet nicht nur die Notwehrsituation des Opfers, sondern bedeutet allgemein eine Zäsur in dem Geschehen. Das Verhalten kann nun nicht mehr als eine einheitliche Raubhandlung bewertet werden. Die Einheit des Geschehens ist aber die Rechtfertigung für die Gleichstellung der nach der Wegnahme geübten Gewaltanwendung mit der zur Wegnahme verwirklichten Gewaltanwendung durch § 252. Vgl. auch: BGHSt 28 S. 229; GsiLENjura 1979 S. 670; HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 6; SCHÜNEMANNJA 1980 S. 398.

d) Das Betreffen Der Täter ist auf frischer Tat betroffen, wenn er bei der Tat mit einem anderen zusammentrifft, der ihn als Tatverdächtigen erkannt hat oder unmittelbar zu erkennen droht. BGHSt 26 S. 95: A war in die Wohnung der C in diebischer Absicht eingedrungen und hatte Schmuck u. a. in einer Aktentasche verstaut. In der Tasche hatte er außerdem noch einen Holzknüppel. Als er die Wohnung gerade verlassen wollte, hörte er, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Er versteckte sich hinter der Zimmertür und nahm den Knüppel in die Hand. Als Frau C das Zimmer betrat, schlug er sie nieder. Dann verließ er fluchtartig die Wohnung. BGH: A ist auf frischer Tat betroffen worden.

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

193

Z u s t i m m e n d : HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 12. - A . A . : D R I H E R M D R 1979 S. 5 2 9 f f ; FEZERJZ 1975 S. 6 0 9 f f ; SCHNARRJR 1979 S. 314.

Der bloße Glaube des Täters, erkannt zu sein, ersetzt das Betroffensein nicht. So a u c h : LACKNER StGB, § 252 A n m . 4; a. A.: HERDEGEN LK, § 252 R d n . 12.

e) Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben aa) Zum Begriff der Gewalt un d zu dem der Drohung vgl. oben § 2 712,3. bb) Das Opfer braucht nicht der Gewahrsamsinhaber zu sein oder jemand, der den Diebstahl verhindern will. Da nur erforderlich ist, daß der Täter handelt, um sich im Besitz der Beute zu halten, genügt es, daß der Täter meint, die Person, gegen die er nun Gewalt oder Drohung anwendet, werde die Beendigung des Diebstahls verhindern. cc) Da die Anwendung von Gewalt oder Drohung jener gleichkommen muß, mit der beim Raube die Wegnahme ermöglicht wird, ist genau zu beachten, ob sich die Gewalt auch gegen eine Person richtet. Beispiel 1: Der Eigentümer E hält den auf frischer Tat betroffenen Dieb A fest. A reißt sich los. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E. Beispiel 2: Als der E den verfolgten Dieb A einholt, wirft dieser die Beute auf den Fußboden und sich darauf. A muß von E mühsam beiseitegeschoben werden. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E.

2. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz muß sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes erstrecken. Hinzu kommt die Absicht, sich im Besitz der Beute zu erhalten. b) Die Absicht, den Besitz des gestohlenen Gutes zu behalten, muß Beweggrund des Täters sein, nicht aber einziger Beweggrund. - Die Dauer des Behaltens ist unwesendich. aa) BGHSt 9 S. 162: A lud Bohlen des C auf seinen Lieferwagen, als H, ein Angestellter des C, ihn überraschte. H wollte sich das Kennzeichen des Kfz notieren, als A ihn niederschlug, um die Feststellung seiner Person und einen späteren Verlust des Diebesgutes zu verhindern. BGH: § 252 nicht anwendbar, da H Beendigung des Diebstahls nicht verhindern wollte. Die Sicherung der Beute gegen einen späteren Entzug wird von § 2 52 nicht erfaßt. bb) OLG Köln NJW1967 S. 739: A wurde nach Entwendung einer Sache, die er in seiner Kleidung trug, gestellt. Er widersetzte sich einer Durchsuchung, gab aber den Personalausweis zur Feststellung seiner Personalien ab. - Sodann machte er sich gewaltsam den Weg frei, um seine Beute fortzubringen, damit diese nicht bei ihm gefunden und er als Dieb überführt werden könne.

194

Die Vermögensentziehungsdelikte

OLG: § 252. - A wandte, auf frischer Tat betroffen, Gewalt an, um sich im Besitz der Beute zu halten.

c) Irrtum des Täters bei der Vortat Handelt der Täter bei der Vortat in einem Tatbestandsirrtum, so fehlt ihm das Bewußtsein, bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen zu sein, und damit der Vorsatz. - Doch auch ein Verbotsirrtum bei der Vortat führt zum gleichen Ergebnis, denn dieser verhindert, daß sich der Täter des sozialen Sinngehalts des Geschehens bewußt wird. Er erkennt sein Verhalten nicht als Diebstahl. Damit fehlt auch hier das Bewußtsein, bei einem Diebstahl betroffen zu sein. Fall: G schuldet dem A DM 20,-, weigert sich aber zu bezahlen. A nimmt dem G DM 20,- weg, weil er meint, dies sei rechtens, und sucht das Weite. Als G den A verfolgt, schlägt dieser ihn mit einem Aschenbecher nieder. Ergebnis: Lehnt man nicht, wie es oben - vgl. § 40 II 4 - geschehen ist, eine rechtswidrige Zueignung ab, so ist der Irrtum des A nach h. M. ein Verbotsirrtum; dazu BGHSt 17 S. 88. Doch dieser Irrtum bewirkt, daß A sich nicht der Tatsache bewußt wird, einen Diebstahl begangen zu haben. Die Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale ersetzt aber nicht die Kenntnis des sozialen Sinngehaltes des Geschehens.

3. Täterschaft und Teilnahme a) Mittäter der Vortat können auch Täter des § 252 sein, wenn sie selbst nicht im Besitz der Beute sind. Sie handeln, um sich im Besitz der Beute zu halten, wenn der mittäterschaftlich vermittelte Besitz an der Beute erhalten bleiben soll. Beispiel: A und B haben bei C eingebrochen und ein Gemälde gestohlen. Als C ihnen nachsetzt, läuft B mit dem Gemälde weiter, während A den C niederschlägt. Ergebnis: A: § 252. - Handelte A im Einvernehmen mit B, so ist § 252 auch auf B anwendbar. So auch: O L G Stuttgart N J W 1 9 6 6 S. 1931; GSAENJURA 1980 S. 45; HERDEGEN L K ,

§ 252 Rdn. 18.

Nach der Beuteteilung kann jeder Mittäter nur noch eigene Sachherrschaft verteidigen. b) Str. ist, ob Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein können. Fall: B ist bei C eingebrochen und hat ein Gemälde entwendet. A stand Schmiere. Als B von C verfolgt wird, schlägt A den C nieder.

Da „ W e r . . i . S. des § 2 52 nicht der Täter der Vortat sein muß, entscheidet sich die Frage danach, ob der Teilnehmer handelt, „um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten". Das setzt voraus, daß er zumindest Mitbesitzer der Beute ist. Ist er Mitbesitzer oder Besitzer der Beute, so kann er auch Täter des § 252 sein.

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

195

So auch: BGHSt 6 S. 248; DREHER/TRÖNDLE§ 252 Rdn. 9; MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 3 6 III B 1. - A . A . : GEILEN Jura 1980 S. 46; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 252 R d n . 11; SCHÜNEMANNJA 1980 S. 399.

4. Konkurrenzen a) § 252 konsumiert den zuvor begangenen Diebstahl. - Wurde die Anwendung des Raubmittels jedoch nur versucht, so stehen Diebstahl und versuchter räuberischer Diebstahl in Tateinheit. So auch: HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 21; LACKNER StGB, § 252 A n m . 8. - A. A.: O L G Karlsruhe M D R 1978 S. 244; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 252 Rdn. 14.

b) War die Vortat ein Raub gemäß §§ 249,250,251, so konsumiert dieser den § 2 52 als straflose Nachtat, soweit bei der Verwirklichung des § 2 52 keine schwereren qualifizierenden Merkmale als bei der Vortat verwirklicht wurden. c) Erfolgte die Verwirklichung des § 252 unter schwereren Qualifikationsumständen als die Vortat - z. B. Vortat: § 249, um sich im Besitz der Beute zu halten, übt der Täter Gewalt mit einer Waffe -, so konsumiert § 252 die Vortat. VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a 1. Das Wesen der Tat Sachlich stellt § 316 a eine durch die besondere Begehungsweise qualifizierte Form des Raubes und der räuberischen Erpressung dar, „tatbestandskonstruktiv ist § 316 a ein die Elemente von Raub und räuberischer Erpressung in sich aufnehmendes, durch die Gleichstellung von Versuch und Vollendung im .Unternehmen' der Tat eigenständig gewordenes Delikt" (MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 36 IV A). Die Rechtsprechung interpretiert § 316 a hingegen als eigenständiges, gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs gerichtetes Delikt.

a) Zu den Konsequenzen der verschiedenen Auffassungen vgl. unter 3. und 4. b) Zu den Einzelheiten der räuberischen Erpressung vgl. unten § 53 II. 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Angriff ist jede Bedrohung von Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Fahrers oder Mitfahrers eines Kraftfahrzeuges. - Angreifer können Dritte, Mitfahrer oder der Fahrer selbst sein. Gleichgültig ist, ob der Angriff sich von außen nach innen richtet, innerhalb oder außerhalb des Kraftfahrzeuges unternommen wird.

196

Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs werden ausgenutzt, wenn die Tat in naher Beziehung zur Benutzung des Kraftfahrzeuges als Verkehrsmittel steht, indem die durch die Fortbewegung des Kraftfahrzeuges geschaffenen und ihm eigentümlichen Gefahren ausgenutzt werden. Das Kraftfahrzeug muß im Tatplan als Transportfahrzeug eine Rolle spielen. Beispiele: Verbringen des Opfers mit Kfz an eine einsame Stelle, um es dort auszurauben (BGHSt 18 S. 173), nicht aber, wenn der Überfall erst nach längerem Fußmarsch, entfernt vom Parkplatz des Kfz, erfolgen soll (BGHSt 22 S. 114). Raub eines Kfz, nachdem dessen Fahrer durch List oder Gewalt angehalten wurde (BGHSt 24 S. 32l), nicht aber gewaltsame Wegnahme eines ohne Zutun des Täters auf der Straße haltenden oder parkenden Kfz (BGHSt 24 S. 321; BGH GA 1979 S. 466). - Zusammenschlagen des Opfes in dem engen Fahrzeug, so daß dessen Gegenwehr erschwert ist (BGHSt 25 S. 316), nicht aber Erpressung eines Opfers in einem haltenden Wagen (BGH 5 StR 54/72).

c) Unternehmen heißt, einen Angriff versuchen oder vollenden, § 11 Abs. 1 Nr. 6. aa) Die Tat ist mit dem Versuch des Angriffs vollendet. - Ein Versuch des § 316 a ist als Versuch begrifflich ausgeschlossen, weil die Vollendung des Delikts bereits mit der unmittelbaren Gefährdung des geschützten Rechtsguts auf der Grundlage des Täterplans eintritt. Den Zeitpunkt des Ansetzens zur unmittelbaren Verwirklichung des Tatbestandes sieht die Rechtsprechung sehr früh, da sie das geschützte Rechtsgut in der Sicherheit des Verkehrs erkennt: Einsteigen des Täters (BGHSt 6 S. 84); Einsteigenlassen des Opfers (BGHSt 18 S. 173).

bb) Auch der Täter, der zunächst aus anderen Gründen angegriffen hat und während dieses Angriffs erst den Raubplan faßt, unternimmt einen Angriff i. S. des § 316 a. BGHSt 25 S. 316 mit Anm. H Ü B N E R J R 1975 S. 201: A verfolgte mit dem Kfz den R. Als R vor einer Ampel halten mußte, riß A die Tür des Fahrzeugs des R auf und schlug - aus nichtigem Anlaß - auf R ein. Als A sodann eine Armbanduhr bei R entdeckte, riß er sie dem R ab, um sie zu behalten. Dabei schlug er weiter auf Rein. BGHSt 25 S. 317: „Trifft die Raubabsicht - wie hier - mit einem Angriff zusammen, der von Anfang bis Ende unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs verübt wird, so wird die Anwendbarkeit des § 316 a nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Täter zu Beginn des Angriffs lediglich darauf aus war, das Opfer zu mißhandeln."

d) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht, einen Raub, eine räuberische Erpressung oder einen räuberischen Diebstahl als Täter zu begehen. 3. Tätige Reue, § 316 a Abs. 2 Die Sicht des in § 316 a geschützten Rechtsgutes bestimmt den für einen Rücktritt möglichen Zeitpunkt.

197

§ 47 Sachbeschädigung

Wird § 316 a nämlich als Raubdelikt interpretiert, so ist Erfolg i. S. des § 316 a Abs. 2 die Vollendung des Raubes oder des raubähnlichen Delikts. Vgl.: BOTTKE Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979, S. 646 f; H O R N S K , § 3 1 6 a R d n . 1 2 ; K R E Y B . T . I I , S . 7 6 ; SCHONKE/SCHRODER/CRAMER§ 3 1 6 a

Rdn. 11.

Für diejenigen, die in § 316 a ein Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs sehen, ist Erfolg i. S. des § 316 a Abs. 2 der Angriff auf Leib, Leben oder Entscheidungsfreiheit des Opfers. D a z u : B G H S t 10 S. 3 2 0 ff; DREHER/TRÖNDLE § 3 1 6 a R d n . 6 ; GEPPEKTJUS 1 9 7 5 S . 3 8 6 ; LACKNER S t G B , § 3 1 6 a A n m . SCHÄFER L K , § 3 1 6 a R d n .

5 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 3 6 I V

D;

31.

4. Konkurrenzen a) Wird § 316 a als Raubdelikt interpretiert, so konsumiert er als schwerstes Delikt die anderen Raubtatbestände mit Ausnahme des § 251, gleichgültig, ob diese vollendet oder versucht sind. b) Wird § 316 a als Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs interpretiert, so besteht Idealkonkurrenz mit den Raubdelikten, deren Versuch jedoch konsumiert wird, wenn er nicht nach den §§ 250,251 qualifiziert ist. Vgl.: BGHSt 25 S. 373; B G H bei Holtz, M D R 1977 S. 808.

§ 47: Sachbeschädigung Bloßes Vermögensentziehungsdelikt, im Objekt beschränkt auf Sachen, die einem anderen gehören als dem Täter. - Der Gedanke, die rechtswidrige Vermögensbeschädigung allgemein unter Strafe zu stellen, hat sich nicht durchsetzen können, und auch zur Zeit steht die Schaffung eines - subsidiären - Auffangtatbestandes, der jede nicht durch einen anderen Tatbestand erfaßte Vermögensentziehung unter Strafe stellt, nicht zur Debatte.

I. Sachbeschädigung, § 303 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt ist das Eigentum; subsidiär, soweit die Sache im Vermögen einer Person steht, ohne daß ein Eigentumsrecht daran besteht, die umfassende Sachherrschaft der Person über bewegliche und unbewegliche Sachen. - Bei der Beschädigung von Sachen, die auch aus der Sicht des Berechtigten völlig wertlos sind, entfällt der Tatbestand, weil ein Vermögensschaden nicht vorliegt.

198

Die Vermögensentziehungsdelikte

2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Sache ist - wie bei den Aneignungsdelikten - als körperlicher Gegenstand zu verstehen, d. h. als konkret wahrnehmbares, gegen andere Gegebenheiten abgegrenztes Objekt. - Geschützt sind auch unbewegliche Sachen, z. B. Hausruinen, Brunnenanlagen, Gärten oder Felder. Bei einer Langlaufloipe entscheidet sich die Frage, ob eine Sache i. S. des § 303 vorliegt, danach, ob diese als hinreichend abgegrenzt gegenüber ihrer Umgebung angesehen werden kann. Dazu: BayObLGJR 1980 S. 429 f. mit Anm. M . J . SCHMIDS. 430 f.

b) Zum Begriff fremd vgl. oben § 40 I 3. c) Beschädigen ist nach der Rechtsprechung jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert oder ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, daß die Brauchbarkeit für ihre Zwecke gemindert ist; vgl. BGHSt 13 S. 208. Der BUNDESGERICHTSHOF interpretiert diese Formel dahin, „daß eine dem Gestaltungswillen des Eigentümers zuwiderlaufende Veränderung der äußeren Erscheinung und Form einer Sache für sich allein grundsätzlich nicht ausreicht, um den Tatbestand der Sachbeschädigung zu begründen" (BGHSt 29 S. 133). Diese Begrenzung des durch § 303 gewährten Schutzes wird seiner Zwecksetzung - dazu GEERDS Sachbeschädigung, 1983, S. 14 f - , dem Eigentümer den Gebrauchsnutzen einer Sache zu erhalten, nicht gerecht. - Zutreffender wird der Schutzzweck des § 303 verwirklicht, indem Beschädigen als jede nicht ganz unerhebliche Zustandsveränderung einer Sache angesehen wird, soweit der Sachherr ein vernünftiges Interesse an der Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes hat. Vgl.: F.-CHR. SCHROEDERJR 1976 S. 338 ff; DERS.JZ 1978 S. 72 f; MAURACH/ SCHROEDER B. T. I, § 33 III. - So auch: OLG Oldenburg MDR 1977 S. 1037; OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 7 4 ; DÖLLING N J W 1981 S. 2 0 7 ; DREHER/TRÖNDLE § 303 Rdn. 6; GÖSSELJR 1980 S. 184; HAASJUS 1978 S. 14 ff; KREYB. T. II, S. 77 ff; MAIWALD J Z 1980 S. 2 5 6 ff.

Dem B G H folgen: O L G Celle NStZ 1981S. 223 f; BOTTKEJA 1980 S. 541; BEHM Strafverteidiger 1982 S. 596; KATZER N J W 1981S. 2036 ff; M . J . SCHMID N J W 1979

S. 1582; THOSS N J W 1978 S. 1612.

Zur Problematik ferner: OLG OldenburgJR 1984 S. 35 mit Anm. DÖLLINGS. 37.

d) Zerstören ist eine so erhebliche Beschädigung, daß die Sache für ihre Zwecke völlig unbrauchbar ist. e) Die bloße dauernde Sachentziehung ist weder Sachbeschädigung noch Sachzerstörung, obwohl ihr Unrechtsgehalt oft an die Sachzerstörung herankommt. f) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt.

§ 47 Sachbeschädigung

199

3. Beispiele a) Beschmieren einer Marmorbüste mit Farbe. - RGSt 43 S. 204: Sachbeschädigung. b) Die Seiten eines Buches werden mit Tinte bespritzt. - Sachbeschädigung, auch wenn man den Text noch lesen kann. Das Buch hat auch Wert als ästhetischer Gegenstand. c) Einfügen eines Teiles in eine Maschine, so daß diese nicht mehr ordnungsgemäß arbeiten kann. - RGSt 20 S. 183: Sachbeschädigung. d) Herauslassen der Luft aus dem Reifen eines Kfz. - BGHSt 13 S. 207: Sachbeschädigung, es sei denn, es ist eine Tankstelle in der Nähe. - Diese Einschränkung überzeugt nicht. Auch in der Nähe einer Tankstelle kann dieser Eingriff in die Brauchbarkeit des Kfz nicht mehr als unerheblich angesehen werden. e) Anbringen von Plakaten an fremden Sachen oder Beschmieren von Wänden u. ä. mit Parolen. - Sachbeschädigung, wenn die spurlose Entfernung nicht ohne größeren Aufwand möglich ist; dazu vgl. oben 2 c. f) Löschen eines Tonbandes, Video-Bandes oder eines Datenträgers. - Sachbeschädigung. D a z u : MERKEL N J W 1 9 5 6 S. 778; WOLFF L K , § 303 R d n . 6. - A . A . : GERSTENBERG N J W 1956 S. 540; LAMPE G A 1975 S. 16.

g) Einem fremden Kanarienvogel wird die Käfigtür geöffnet. Er fliegt davon. Bloße Sachentziehung. Ist der Vogel in Freiheit aber nicht lebensfähig, so liegt Sachzerstörung im Moment des Todes des Vogels vor. h) Ein goldener Becher wird ins Meer geworfen. - Bloße - straflose - Sachentziehung. 4. Die Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit der Sachbeschädigung ist allgemeines Verbrechensmerkmal. - Ihr kommt keine eigenständige Bedeutung zu. - Die Rechtswidrigkeit kann insbesondere durch die Einwilligung des Berechtigten ausgeschlossen sein. 5. Der Strafantrag Nach h. M. ist Verletzter und damit Antragsberechtigter nicht nur der Eigentümer, sondern jeder, der sonst ein dingliches oder persönliches Recht an der beschädigten Sache hat und in diesem Recht durch die Tat verletzt worden ist. Vgl.: BayObLG J R 1982 S. 25; O L G Karlsruhe N J W 1979 S. 2056; DREHER/ TRÖNDLE § 303 R d n . 13; LACKNER S t G B , § 303 A n m . 7; WOLFF L K , § 303 R d n . 14.

Für eine derartige Ausweitung des Antragsrechts besteht im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut dieser Vorschrift keinerlei Grund. Antragsberechtigt ist allein der Träger des geschützten Rechtsguts, d. h. im Regelfall der Eigentümer, ausnahmsweise der Inhaber des stärksten Vermögensrechts an der Sache, dazu oben unter 1.

200 Vgl.

Die Vermögensentziehungsdelikte auch:

RUDOLPH! J R

SCHRÖDER/STREE § 3 0 3 R d n .

1982

S. 2 8 ;

SAMSON S K ,

§

303

Rdn.

12;

SCHONKB/

15.

6. Zur Konkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung a) Bekundet der Täter, der sich eine fremde Sache rechtswidrig zugeeignet hat, daß er diese Sache weiter behalten will, so erwächst dem Eigentümer aus diesem Verhalten kein weiterer Schaden durch Entziehung eines Vermögensobjekts oder Minderung seiner Herrschaftsposition; gleiches gilt, wenn der Dieb wiederum bestohlen wird. b) Zerstört hingegen der Täter, der sich die Sache rechtswidrig zugeeignet hat, die Sache, so geht der Gegenstand des Eigentumsrechts unter und damit das Recht selbst. Insofern erleidet der Eigentümer durch diese Tat einen weiteren Schaden. Damit ist Raum für eine tatbestandsmäßige Sachbeschädigung gegeben. Dennoch wird man in diesen Fällen die Sachbeschädigung als straflose Nachtat ansehen können: Mit dem Zueignungsdelikt wird die Anmaßung der umfassenden Sachherrschaft durch den Täter bestraft. Zwar kann er - wenn die Sache dem Berechtigten abhanden gekommen ist - durch die Zueignungshandlung selbst das Eigentum des Berechtigten nicht vernichten. Er erlangt aber bereits mit der Zueignungshandlung jene Position, die ihm auch dies ermöglicht. Diese Tatsache wird bereits in der Strafe des Zueignungsdelikts erfaßt. c) Idealkonkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung liegt vor, wenn die Zueignung einer Sache zugleich die Beschädigung einer anderen Sache darstellt, z. B. wenn jemand aus einem fremden Fernseher einen Transistor herausbricht. II. Qualifizierte Fälle der Sachbeschädigung 1. Zerstörung von Bauwerken, §305 Die im Gesetz genannten Objekte müssen von einer gewissen Bedeutung sein: Schiffe i. S. des Gesetzes sind daher nur größere Wasserfahrzeuge. Als Brücke kann ein bloßer Fußgängersteg nicht angesehen werden. Das Gebäude braucht noch nicht fertig zu sein (Rohbau); str., dazu BGHSt 6 S. 107. - Zerstört ist das Bauwerk, wenn es nicht nur unerhebliche Zeit für seinen Zweck unbrauchbar ist. Eine teilweise Zerstörung liegt vor, wenn ein Teil des Bauwerks, z. B. eine Treppe, für seinen Zweck unbrauchbar gemacht worden ist. 2. Brandstiftung, §308 Abs. 1, 1. Alt. Eine durch die Tathandlung qualifizierte Sachbeschädigung enthält die 1. Alt. des § 308 Abs. 1, soweit die dort genannten Objekte in fremdem Eigentum stehen.

§ 48 Strafbare Gebrauchsanmaßungen

201

In Brand gesetzt ist das Gebäude usw., wenn es vom Feuer in einer Weise erfaßt ist, die ein Fortbrennen aus eigener Kraft ermöglicht; BGHSt 18 S. 364. - Das bloße Brennen von Inventar ist noch kein Brand des Gebäudes, wohl aber das Brennen von wesentlichen Bestandteilen des Gebäudes, wenn das Feuer auf das übrige Gebäude ohne weiteres übergreifen kann. - Dazu weiter unten § 79 I 2 b. 3• Fahrlässige Brandstiftung, §309 In Verbindung mit § 308 Abs. 1,1. Alt. stellt § 309 einen Fall fahrlässiger Sachbeschädigung unter Strafe. 4. Gemeinschädliche Sachbeschädigung, § 304 a) Systematisch gehört die Vorschrift nicht in den Bereich der Sachbeschädigungsdelikte. Es handelt sich vielmehr um ein gemeinschädliches Delikt, das unabhängig von der Eigentumslage das allgemeine Interesse am Erhalt bestimmter zweckgebundener, insbesondere kultureller oder gemeinnütziger Objekte schützt. b) Schutzgegenstände: religiöse Objekte, dazu oben § 4112 d, Gegenstände der Kunst und der Wissenschaft, dazu oben § 4112 e. Der öffentliche Nutzungszweck muß sich bei den Gegenständen zum. öffentlichen Nutzen unmittelbar aus den Objekten ergeben. Er muß auf einer ausdrücklichen oder aus allgemeiner Übung erwachsenen Widmung beruhen. Beispiele: Parkuhr, Verkehrszeichen, öffentliche Telefonzelle, Feuermelder, Ruhebänke im öffentlichen Park u. ä. - Nicht hingegen: Wahlplakate einer Partei (LG Wiesbaden NJW 1978 S. 2107; dazu LoosJuS 1979 S. 699 ff), der einzelne Funkstreifenwagen der Polizei (BGHSt 31 S. 185; dazu STREEJUS 1983 S. 837 ff, LoosJR 1984 S. 169).

§ 48: Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b 1. Das geschützte Rechtsgut Seiner systematischen Stellung nach gehört § 248 b in den Bereich der Delikte gegen die umfassende Sachherrschaftsposition einer Person. Diese Position wird durch die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung verletzt. Sachlich übereinstimmend, wenn auch auf die Verletzung des Eigentums abstell e n d : MAURACH/SCHROEDERB. T. I, § 3 8 1 1 ; SAMSON S K , § 2 4 8 b R d n . 1; SCHMIDHAUSER

B. T., 8/67. - A. A.: Schutz des Eigentums und jeglicher Gebrauchsrechte: BGHSt 11 S. 51; DREHER/TRONDLE § 248 b Rdn. 4; HEIMANN-TROSIEN LK, 9. Aufl., § 248 b Rdn. 10; LACKNER StGB, § 248 b Anm. 1.

202

Die Vermögensentziehungsdelikte

2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Tatobjekte können Krafifahrzeuge - dazu § 248 b Abs. 4 - und Fahrräder sein. b) Ingebrauchnahme ist eine Benutzung des Fahrzeugs, „bei der der Täter sich des Fahrzeugs unter Einwirkenlassen der zur Ingangsetzung und Inganghaltung geeigneten Kräfte als Fortbewegungsmittel bedient und dabei eine (ihm nicht zustehende) Herrschaftsgewalt über das ganze Fahrzeug ausübt" (BGHSt 11 S. 50). In Gang gesetzt sein muß das Fahrzeug, nicht bloß der Motor. Daher erfüllt Anlassen des Motors noch nicht den Tatbestand, wohl aber Fahren im Leerlauf. Nicht unter §248 b fallen: Übernachten im fremden Kfz, Mitfahren im Autobus als blinder Passagier, Anhängen des eigenen Fahrrades an ein fremdes Fahrzeug (BGHSt 11 S. 49 0-

aa) Nimmt der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch, nutzt es aber dann in einer dem Willen des Berechtigten nicht mehr entsprechenden Weise, so soll nach h. M. § 248 b erfüllt sein, weil das „unbefugte Inganghalten" dem „unbefugten Ingebrauchnehmen" gleichstehe. Beispiele: Der Angestellte macht auf einer Dienstfahrt einen Umweg, um eine Freundin zu besuchen. - Der Mieter benutzt das gemietete Fahrzeug über den Ablauf der Mietzeit hinaus.

Das überzeugt nicht. Der kriminalpolitische Zweck des § 248 b liegt darin, den Entwendungen von Kraftfahrzeugen zum vorübergehenden Gebrauch gegen den Willen des Berechtigten zu begegnen, nicht aber rechtswidriges, insbes. vertragswidriges Verhalten bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen schlechthin zu pönalisieren. Für einen derart weiten Strafrechtsschutz von Vertragsverletzungen u. ä. besteht kein Bedürfnis. Dazu auch: FRANKE N J W 1 9 7 4 S . 1 8 0 3 ff; SCHÖNKE/SCHRODER/ESER § 2 4 8 b Rdn. 4 a. Zur h. M . : BGHSt 11S. 5 0 ; BGH GA1963 S. 344; H E I M A N N - T R O S I E N L K , 9. Aufl., § 248 b Rdn. 7; LACKNER StGB, § 248 b Anm. 3.

bb) Entsprechend der Möglichkeit einer rechtswidrigen Zueignung einer Sache, über die der Täter zunächst gutgläubig Sachherrschaft erlangte, besteht die Möglichkeit der Verwirklichung des § 248 b allerdings, wenn der Täter bei der Ingebrauchnahme meint, befugt zu sein, später aber merkt, daß dies nicht der Fall ist, er aber gleichwohl das Fahrzeug weiter benutzt. BGHSt 11S. 47: A lieh sich von P einen P K W Er meinte, P sei der Eigentümer. Während der Fahrt erkannte A, daß P nicht der rechtmäßige Besitzer des Wagens sein konnte. Er fuhr dennoch weiter. BGH: § 248 b.

§ 48 Strafbare Gebrauchsanmaßungen

203

Auch sonst ist es nicht erforderlich, daß der Täter den Gewahrsam des Berechtigten bei Fahrtbeginn bricht. Beispiel: X hat dem E dessen Kraftfahrzeug weggenommen. Später läßt er es auf einem Parkplatz einfach stehen. A erkennt die Sachlage und nimmt nun das Fahrzeug - ohne Zueignungsabsicht - in Gebrauch. Ergebnis:

§ 2 4 8 b. - A . A . : FRANKE N J W 1974 S. 1805.

cc) Nicht Gebrauchsanmaßung, sondern Diebstahl liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Täter ein Kfz für eine Fahrt wegnimmt, es dann aber an irgendeiner Stelle stehen läßt und es dem Zufall überläßt, ob und wann der rechtmäßige Eigentümer es wiedererlangt. Dem ist zuzustimmen : Zueignung, wenn der Täter ein Kraftfahrzeug wegnimmt, um es nach einer Vergnügungsfahrt zu vernichten oder dem willkürlichen Zugriff Dritter auszusetzen. Gebrauchsdiebstahl, wenn der Täter davon ausgeht, daß der Berechtigte das Kraftfahrzeug aufgrund der Art des Abstellens zurückerhält. Der Rückstellungswille darf jedoch nicht mit dem bloßen - rechtlich irrelevanten - Wünschen verwechselt werden. Der Täter muß daher von seiner Fähigkeit zur Rückstellung überzeugt sein, d. h. das Bewußtsein haben, die Rückstellung mit Sicherheit durchfuhren zu können. Daß er sich dabei u. U. der Hilfe anderer Personen bedient, ist gleichgültig, wenn diese Hilfe mit Sicherheit einplanbar ist. Eingehender dazu: OTTO Struktur, S. 200 ff.

dd) Hat der Berechtigte den Gebrauch des Fahrzeugs anderen Personen überlassen, so sind diese Berechtigte in bezug auf die Erteilung weiterer Gebrauchsbefugnisse. 3. Strafantrag Antragsberechtigt ist der Inhaber der umfassenden Sachherrschaft. Dies wird bei Kraftfahrzeugen in der Regel der Halter, bei Fahrrädern der Eigentümer sein. Gegen seine Dispositions- und Gebrauchsbefugnis richtet sich das Delikt, und zwar auch dann, wenn unmittelbar ein Dritter durch die Tat betroffen wurde, weil er das Fahrzeug z. B. geliehen oder gemietet hatte. So im Ergebnis auch diejenigen, die das geschützte Rechtsgut im Eigentum sehen. - Das Antragsrecht wollen jedem durch die Tat berührten Nutzungsberechtigten diejenigen zugestehen, die das geschützte Rechtsgut weiter fassen; dazu oben unter 1.

4. Sonderproblem: Der Verbrauch des fremden Kraftstoffs Der Verbrauch des Benzins im Tank begründet nicht die Anwendung des § 242. Insoweit ist § 248 b lex specialis gegenüber § 242. a) § 248 b wäre sonst überflüssig.

204

Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Das Antragsprivileg käme nicht zum Zuge. c) Zwischen Treibstoffverbrauch und Ingebrauchnahme des Fahrzeugs besteht eine notwendige Verbundenheit. Dazu: BGHSt 14 S. 388;

VOGLER

Bockelmann-Festschrift, S. 731.

5. Konkurrenzen G e m ä ß § 248 b Abs. 1 ist die Vorschrift subsidiär gegenüber Tatbeständen gleicher oder ähnlicher Schutzrichtung. Dies gilt insbesondere gegenüber den Zueignungsdelikten.

II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 1. Ähnlich d e m § 248 b schützt § 290 die umfassende Sachherrschaftsposition des Berechtigten gegen die rechtswidrige A n m a ß u n g der N u t zung der Sache. 2. N a c h § 290 werden öffentliche Pfandkiher, d. h. Pfandleiher, deren Geschäft allgemein zugänglich ist (Konzession nicht entscheidend!), bestraft, w e n n sie eine Pfandsache eigenmächtig nutzen. 3. Im Falle einer Zueignung des Pfandes ist § 290 subsidiär gegenüber § 246.

§ 49: Zur Wiederholung 1. Welche Ansichten werden über das geschützte Rechtsgut des Diebstahlstatbestandes vertreten und wo werden die verschiedenen Auffassungen praktisch bedeutsam? - Dazu: § 39 I, § 43, 3. 2. Welche verschiedenen Definitionen des Begriffs „fremd" in §§ 242,246 werden vertreten. - Führen die Unterschiede auch zu praktischen Konsequenzen? Dazu: § 40 I 3. 3. Wie ist der Begriff „Wegnahme" zu definieren ? - Dazu: § 40 I 4. 4. Welche Elemente bestimmen den Gewahrsamsbegriff? - Dazu: § 40 I 4. 5. Haben Bewußtlose noch Gewahrsam? - Dazu: § 40 I 4 b. 6. Geht der Gewahrsam des Erblassers mit dem Tode auf die Erben über? Dazu: § 40 I 4 g. 7. Welche Elemente enthält der Begriff der „Zueignung"? - Dazu: § 40 II 2 c. 8. Was kennzeichnen die Begriffe: Sachsubstanztheorie, Sachwerttheorie, Vereinigungstheorie? - Dazu: § 40 II 2 a. 9. Wann ist eine Zueignung rechtswidrig? - Dazu: § 40 II 4. 10. Ist es sachgerecht, beim Ausschluß der Rechtswidrigkeit der Zueignung zwischen Gattungs- und Speziesansprüchen zu differenzieren ? - Dazu: § 40 II 4 a. 11. Welche Möglichkeiten enthält die Gesetzestechnik der „Regelbeispiele" ? Dazu: § 41 I 1.

§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

205

12. Welche Bedeutung hat der Irrtum über das Vorliegen eines Regelbeispiels ? Dazu: § 411 3 a. 13. Kann der Strafrahmen des § 243 auch auf einen versuchten Diebstahl Anwendung finden? - Dazu: § 411 3 b. 14. Kann § 244 Abs. 1 Nr. 2 Anwendung finden, wenn der Täter eine sog. Scheinwaffe bei der Tat benutzt? - Dazu: § 41 III 2. 15. Was versteht man unter der „berichtigenden Auslegung des § 246"? - Dazu: § 42 I 3 b. 16. Erfordert die Mittäterschaft im Rahmen des § 246 Besonderheiten ? - Dazu: § 42 I 4 a. 17. Ist die Ersatzbereitschaft und -fähigkeit im Rahmen der Zueignungsdelikte irrelevant? - Dazu: § 42 I 5. 18. Warum ist ein Irrtum darüber, daß die weggenommene Sache einem Familienmitglied gehört, im Rahmen des § 247 irrelevant? - Dazu: § 43, 4. 19. Wann ist eine Sache „geringwertig"? - Dazu: § 44, 2. 20. Wie müssen sich Gewaltanwendung bzw. Drohung und Wegnahme im Rahmen des Raubes zueinander verhalten? - Dazu: § 46 II 1. 21. In welchem Verhältnis steht § 252 zur „Vortat"? - Dazu: § 46 V 1 b. 22. Kann ein Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein? - Dazu: § 46 V 3. 23. Welche Auffassungen werden über das Rechtsgut des § 316 a vertreten? Wo wird die Verschiedenheit der Auffassungen relevant? - Dazu: § 46 VI 1, 3, 4. 24. Wie ist das „Beschädigen" einer Sache zu definieren? - Dazu: § 47 I 2 c. 25. Erfaßt § 248 b auch eine vertragswidrige Benutzung eines Fahrzeuges, wenn der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch genommen hat? - Dazu: § 48 I 2 b, aa.

§ 50: Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt wird in § 289 die Möglichkeit der Ausübung bestimmter Pfandund Besitzrechte. Derartige Rechte sind u. a. Nutznießungsrechte (§§ 1030 ff, 1649 B G B ) , Pfandrechte (§§ 559 ff, 581,585,590,647,704,1204 ff BGB, §§ 397,410,421 H G B ) , Gebrauchsrechte (§§535 ff, 581 ff, 598 ff, 743 B G B ) , Zurückbehaltüngsrechte (z. B. §§ 273,772 ff, 972,1000 BGB, § 369 H G B , vertragliche Zurückbehaltüngsrechte), das Anwartschaftsrecht beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt, das Gebrauchsrecht des Sicherungsgebers bei der Sicherungsübereignung. Str. ist, ob auch das Pfändungspfandrecht zu den geschützten Rechten gehört. Dies ist zu bejahen, denn der Schutz des § 136 betrifft ein anderes Rechtsgut als das hier geschützte. Solange der Schuldner j edoch im Besitz der gepfändeten Sache ist, dürfte eine Wegnahme kaum begründbar sein; dazu weiter unter 2 c.

206

Die Vermögensentziehungsdelikte

Wie hier:

BAUMANN

NJW

1 9 5 6 S . 1 8 6 6 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 8 9

A. A.: S.

BERGHAUS

9 6 ; HIRSCH

ZStW

Rdn.

2;

KREY

Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 8 2 ( 1 9 7 0 ) S. 4 2 6 ; LACKNER StGB, § 2 8 9 Anm. 1.

1967,

B . T . I I , S . 8 9 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 4 0 I I

1.

2. Täter und Tathandlung a) Täter kann nur der Eigentümer (auch Miteigentümer) oder ein Dritter sein, der zugunsten des Eigentümers handelt. - Dadurch entsteht eine Strafbarkeitslücke dann, wenn ein Dritter zu eigenen Gunsten aber ohne Zueignungsabsicht die Tat begeht. Beispiel: C hat dem B sein Kanu bis zum 1.6. vermietet. Als A dem C erklärt, er möchte das Kanu gern geliehen haben, weist ihn C auf die Miete des B hin, erklärt aber, er habe nichts dagegen, wenn B seines Besitzes verlustig gehe, ihm komme es nur darauf an, daß er das Kanu am 1. 6. zur Verfügung habe. A nimmt dem B heimlich das Kanu fort und benutzt dies bis zum 1. 6. Ergebnis: A und C bleiben straflos.

b) Zum Begriff der - eigenen oder fremden - beweglichen Sache vgl. oben § 40 I 2. c) Wegnehmen ist, wie in § 242, als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams zu verstehen. Nicht die Rechtsvereitelung schlechthin, sondern das auf die Rechtsvereitelung und den Einbruch in die tatsächliche Herrschaftsphäre des Berechtigten abzielende Verhalten des Täters begründet die Strafwürdigkeit. Eingehend dazu: O T T O JR1982 S. 32 F; im übrigen vgl.: A R Z T

LH

3, J I ;

BOHNERT

J u S 1 9 8 2 S . 2 5 6 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 0 / 8 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 8 9 R d n .

8.

Die Rechtsprechung lehnt zwar das Erfordernis eines Gewahrsamsbruchs ab, setzt jedoch den Bruch „eines dem Besitz ähnlichen tatsächlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisses des Berechtigten" voraus; dazu RGSt 25 S. 117; BayObLGJR 1982 S. 31 f. Mit dieser verschwommenen Konstruktion eines in rechtlichen Kategorien nicht mehr faßbaren besitzähnlichen Verhältnisses wird jedoch lediglich kaschiert, daß die bloße Rechtsvereitelung als das tatbestandsmäßige Verhalten angesehen wird. Konsequent ist es daher, wenn ein Teil der Lehre ausdrücklich die bloße Rechtsvereitelung genügen läßt. Dazu:

BINDING B .

§ 289 A n m .

T., I, S.

318

f;

DREHER/TRÖNDLE § 2 8 9

Rdn.

2 ; LACKNER

StGB,

3 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 4 0 I I 1 ; SCHÄFER L K , § 2 8 9 R d n .

12.

Der Unterschied wird insbesondere beim Vermieterpfandrecht bedeutsam. Doch gerade hier kann § 288 den hinreichenden Schutz gewähren; dazu BayObLG J R

1 9 8 2 S. 3 1 m i t abl. A n m .

BOHNERT J u S

1 9 8 2 S. 2 5 6 , O T T O J R

1 9 8 2 S. 32

f.

d) Da die Tat zugunsten des Eigentümers erfolgen muß, kann ein Zerstören oder Beschädigen der Sache nicht als Wegnahme angesehen werden.

§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

207

Auch eine Wegnahme, um die Sache zu zerstören oder zu beschädigen, ist nicht tatbestandsmäßig, da dieses Verhalten nicht zugunsten des Eigentümers erfolgt. 3. Die Absicht rechtswidriger Wegnahme Die Absicht rechtswidriger Wegnahme erfordert den unbedingten Vorsatz des Täters, das an der weggenommenen Sache bestehende Recht, zumindest zeitweilig, zu vereiteln. - Die Rechtswidrigkeit der Wegnahme ist auch hier streng vermögensrechdich zu bestimmen. „Rechtswidrig" ist die Absicht des Täters daher nicht, wenn er einen fälligen Besitzanspruch gegen den Besitzer hat, z. B. der Eigentümer einen fälligen Rückgabeanspruch gegen den Mieter, oder dem Pfändungspfandrecht kein materiell wirksames Forderungsrecht zugrunde liegt oder eine unpfändbare Sache gepfändet wurde. 4. Strafantrag Antragsberechtigt ist derjenige, dessen Recht durch die Tat vereitelt wurde oder vereitelt werden sollte. II. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 1. Das geschützte Rechtsgut § 288 schützt die Möglichkeit des Gläubigers, aus dem Schuldnervermögen Befriedigung für einen materiellrechtlichen Anspruch zu erlangen, und zwar im Wege der Einzelzwangsvollstreckung. 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Die Zwangsvollstreckung droht, wenn aus dem Verhalten des Gläubigers ersichtlich ist, daß er die Zwangsvollstreckung ernsthaft betreiben oder durchsetzen will. Beispiele: Dringende Mahnung, Klageerhebung, Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids; dazu auch: BGH bei Holtz, M D R 1977 S. 638.

Da § 288 dem Vermögensschutz des Gläubigers dient, liegt eine Zwangsvollstreckung i. S. des § 288 nur dann vor, wenn aus einem materiellrechtlich bestehenden Anspruch des Gläubigers vollstreckt werden soll. b) Bestandteile des Vermögens sind nur solche Gegenstände, in die eine wirksame Einzelzwangsvollstreckung betrieben werden kann. Fall: X hat gegen den Rechtsstudenten A einen Titel erwirkt und will wegen DM 100,- die Zwangsvollstreckung betreiben. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt A seine juristische Bibliothek, die er für das Studium braucht.

208

Die Vermögensentziehungsdelikte

Ergebnis: § 288 findet keine Anwendung, da Bibliothek des A unpfändbar, § 811 Nr. 10 ZPO. - Anders, wenn X einen Titel auf die Herausgabe der Bibliothek erwirkt hätte, weil er einen Anspruch auf die Bibliothek hat.

c) Veräußern ist jede rechtsgeschäftliche Verfügung, durch die der Zwangsvollstreckungszugriff des Gläubigers verschlechtert wird. aa) Keine Veräußerung i. S. des § 288, wenn durch das Veräußerungsgeschäft das dem Zugriff unterliegende Vermögen des Schuldners gleich bleibt oder größer wird. Fall: S, gegen den J die Zwangsvollstreckung betreibt, tauscht sein lahmes Rennpferd (Wert DM 300,-) gegen ein Kfz (Wert DM 500,-) ein. Ergebnis: Kein Veräußern i. S. des § 288.

bb) Gleichfalls liegt kein Veräußern i. S. d. § 288 vor, wenn der Schuldner mit dem Veräußerungsgeschäft nur eine vor der drohenden Zwangsvollstreckung schon bestehende rechtliche Verpflichtung erfüllt. Beispiel: A, der dem X vor Wochen sein Kfz verkauft hat, übereignet es an X, als er hört, G wolle gegen ihn die Zwangsvollstreckung betreiben.

d) Beiseiteschaffen ist das tatsächliche Entziehen der Sache vor dem Gläubigerzugriff. Beispiele: Wegschaffen, Verstecken, Zerstören o. ä. - Nicht hingegen: bloßes Ableugnen des Besitzes, Behauptung gegenüber dem Gerichtsvollzieher, die Sache stehe im Eigentum eines anderen.

e) Der subjektive Tatbestand erfordert die Absicht (direkter Vorsatz) des Täters, die Befriedigung des Gläubigers - und sei es auch nur zeitweise zu vereiteln. Im übrigen genügt zumindest bedingter Vorsatz, der die drohende Zwangsvollstreckung und die Verringerung der Befriedigungsmöglichkeiten für den Gläubiger umfassen muß. - Die Absicht fehlt bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen, wenn genügend andere Vermögenswerte vorhanden sind, die zur Befriedigung des Gläubigers ausreichen. Bei Individualansprüchen genügt es hingegen nicht, daß evtl. Schadensersatzansprüche wegen Verweigerung der Herausgabe befriedigt werden können, denn der Schuldner hat kein Recht, den Gläubiger auf einen anderen Anspruch zu verweisen. So auch: RGSt 75 S. 19; SCHAFER LK, § 288 Rdn. 37; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 288 Rdn. 22. - A. A.: BERGHAUS S. 101; LACKNER StGB, § 288 Anm. 6.

3. Täterschaft und Teilnahme Die Vollstreckung muß dem Täter selbst drohen. Etwaige Vertreter des Täters können gemäß § 14 haften. - Die Schuldnereigenschaft kennzeichnet die Tatsituation, nicht aber eine besondere Pflichtenstellung des Täters. Sie ist daher nicht persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 1. So auch: LACKNER StGB, § 288 Anm. 2; MAURACH/SCHROEDER B.T. I , § 42 I I 1 ; in: Arzt/Weber, L H 4, Rdn. 206. - A. A.: D R E H E R / T R Ö N D L E § 288 Rdn. 14;

WEBER

ROXIN L K , § 2 8 R d n .

39.

§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

209

III. Wilderei, §§ 292 ff 1. Jagdwilderei,

§ 292 Abs. 1

a) Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt in erster Linie das Aneignungsrecht des Berechtigten, daneben aber auch die Hege eines gesunden Wildbestandes. S o a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 2 9 2 R d n . 1; LACKNER S t G B , § 2 9 2 A n m . 1 ; SCHÄFER

LK, § 292 Rdn. 2 ; WESSELS J A 1984 S. 221. - A. A . : N u r Aneignungsrecht: MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 3 9 1 1 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER§292 R d n . 1; WELZEL

Lb., § 52 I.

b) Die einzelnen Tatbestandsmerkmale aa) Tatobjekt der 1. Alternative ist das frei lebende jagdbare Wild, § 2 BJagdG. Nicht herrenloses Wild (z. B. Wild im Tiergarten) ist nicht Gegenstand des Jagd- sondern des Eigentumsrechts. - Tatobjekt der 2. Alternative sind die herrenlosen, dem Aneignungsrecht desjagdberechtigten unterliegenden Sachen, wie verendetes Wild, Fallwild, Abwurfstangen u. ä., vgl. § 1 Abs. 5 BJagdG. bb) In der 1. Alternative wird das Nachstellen, Fangen, Erlegen und Zueignen unter Strafe gestellt. Nachstellen ist Vorbereitung der anderen Handlungen, z. B. Durchstreifen des fremden Jagdreviers mit schußbereiter Flinte o. ä. Fangen heißt, sich des lebenden Tieres bemächtigen; Erlegen, es auf irgendeine Weise töten. Sich zueignen ist die Gewahrsamsbegründung mit Zueignungswillen (str., Zueignung an Dritte soll nach OLG Hamm NJW 1956 S. 881 genügen).

Unter die 2. Alternative fallt Zueignen, Beschädigen oder Zerstören des entsprechenden Tatobjektes. cc) Der Jagdausübungsberechtigte erwirbt an den Objekten desjagdrechts Eigentum mit Besitzergreifung. Die Besitzergreifung durch irgendeinen Dritten, der nicht für den Berechtigten handelt, genügt nicht. Vgl. dazu: PALANDT/BASSENGE BGB, 43. A u f l . 1984, § 958 A n m . 3 b; WOLFF/

RAISER Sachenrecht, 10. Bearb. 1957, § 78 III 2. - Eigentumserwerb des Berechtigten bei Besitzergreifung irgendeiner Person bejahen BAUR Lehrbuch des Sachenrechts, 12. Aufl. 1983, § 53 f III 2; HECK Grundriß des Sachenrechts, 1930, § 64 Ziff. 6.

Dennoch ist Jagdwilderei durch einen Dritten, der dem Wilderer das Wild entwendet oder abkauft, ausgeschlossen: Das Objekt ist nicht mehr herrenlos, sondern Besitzobjekt und damit Vermögensobjekt des Wilderers, der die umfassende Sachherrschaft darüber ausübt. Es kann daher Gegenstand eines Vermögensdelikts, insbes. der Hehlerei, § 259, sein, nicht aber der Wilderei. Dazu vgl. auch oben § 40 I 3; sowie eingehend: OTTO Struktur, S. 153 ff.

dd) Zum Recht auf Ausübung der Jagd vgl. §§ 3 ff BJagdG.

Die Vermögensentziehungsdelikte

210

ee) Der Vorsatz muß sich darauf beziehen, daß es sich um jagdbares Wild oder um Gegenstände handelt, die dem Jagdrecht unterliegen, und daß der Täter das Jagdrecht eines anderen verletzt. c) Irrtum des Täters über das Tatobjekt aa) Hält der Täter eine fremde Sache irrig für ein taugliches Objekt der Jagdwilderei und eignet sich diese Sache zu, so ist - soweit nicht das Tatbestandsmerkmal des Nachstellens aufgrund des Vorgehens des Täters vorliegt - der objektive Tatbestand des § 2 9 2 nicht erfüllt. - Eine Bestrafung wegen Diebstahls oder Unterschlagung scheitert hingegen, weil dem Täter der Vorsatz fehlt, sich eine „fremde" Sache zuzueignen. auch: RGSt 6 3 S. 3 7 ; D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 9 2 Rdn. 2 0 ; K R E Y B . T. I I , S. 8 5 ; Anm. 7 ; W E S S E L S J A 1 9 8 4 S. 2 2 4 f. -A.A.: W E L Z E L Lb., § 5 2 I 3 : Der Täter weiß, daß er sich eine Sache zueignet, die ihm „nicht gehört". Dieses Bewußtsein genügt für den Vorsatz der §§ 2 4 2 , 2 4 6 , 2 9 2 . Entscheidend für die Strafbarkeit sei daher der jeweils erfüllte objektive Tatbestand. - Wieder andere kommen zur Annahme der vollendeten Wilderei, weil die Verletzung des Aneignungsrechts als Minus in der Verletzung des Eigentumsrechts enthalten ist; vgl. VON So z.

B.

PREISENDANZ § 2 9 2

LOBBECKE M D R

1 9 7 4 S . 1 2 1 ; M A U R A C H / SCHROEDER B . T . I , § 3 9 I I 1 D ; SCHÄFER L K ,

§ 2 9 2 R d n . 8 0 ; WAIDER G A

1962 S.

183.

Beispiel: Derjagdberechtigte hat einen geschossenen Hasen im Unterholz versteckt, weil er ihn erst auf dem Heimweg mitnehmen will. A entdeckt den Hasen bei einem Spaziergang und meint, dieser sei - vor kurzem geschossen - verendet. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: D a J den Hasen bereits in Besitz genommen hatte, war der Hase für A eine fremde, nicht aber eine herrenlose Sache, daher entfällt § 292. bb) Hält der Täter hingegen ein Objekt des Jagdrechts für eine fremde Sache, so kann versuchter Diebstahl bzw. versuchte Unterschlagung vorliegen. So auch: K R E Y B. T. I I , S . 86; SCHAFER L K , § 292 Rdn. 80; W E S S E L S J A 1984 S . 225. - A. A.: Vollendetes Diebstahls- oder Unterschlagungsdelikt: LACKNER StGB, § 292 Anm. 4; M A U R A C H / S C H R O E D E R B. T. I , § 39 I I 1 d; W E L Z E L Lb., § 52 I . - Diese Meinung ist nur haltbar, wenn das Rechtsgut des § 292 ausschließlich im Aneignungsrecht gesehen wird. Beispiel: Nach einer Treibjagd ist ein angeschossener Hase unter einer Bank im Wald verendet. Dort entdeckt A ihn. A meint, derjagdberechtigte habe den Hasengeschossen und dort versteckt, um ihn auf dem Rückweg mitzunehmen. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Versuchter Diebstahl des A. d ) Konkurrenzen Vermögensdelikte und Jagdwilderei schließen einander nach der hier entwickelten Ansicht aus, da sie an jeweils verschiedenen Objekten begangen werden. - Nach h. M. soll § 259 dem § 292 lediglich als lex spe-

§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

211

cialis vorgehen, wenn jemand von einem Wilderer ein Objekt des Jagdrechts erwirbt; vgl. SCHÄFER LK, § 292 Rdn. 36 m. w. N. 2. Qualifizierte Fälle der Wilderei a) Für besonders schwere Fälle droht § 292 Abs. 2 eine erhöhte Strafe an. Die fünf in § 292 Abs. 2 aufgezählten Beispiele sind zwar nicht abschließend, aber verbindlich. Daher handelt es sich insoweit um Qualifikationsmerkmale. So z. B . : B G H S t 5 S. 211; SCHÄFER L K , § 292 R d n . 86. - A . A . : MAURACH/ SCHROEDER B. T. I, § 39 II 2 ; SCHÖNKE/SCHRODER/ESER § 292 R d n . 22 ; WESSELSJA 1984

S. 226.

Nachtzeit ist die Zeit der Dunkelheit, d. h. die Zeit zwischen dem Ende der Abenddämmerung und dem Beginn der Morgendämmerung; K G J W 1937 S. 763. Der Täter muß unter Ausnutzung der Dunkelheit handeln. - Zur Schonzeit vgl. § 22 BJagdG in Verb, mit der Verordnung über die Schonzeit vom 2.4.1977. - Unter Anwendung von Schlingen vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 8 BJagdG. - Zur nicht waidmännischen Begehungvgl. §19 Abs. 1 BJagdG. - Die Tat wird von mehreren mit Schußwaffen ausgerüsteten Tätern gemeinsam begangen, wenn mindestens zwei mit Schußwaffen ausgerüstete Mittäter am Tatort anwesend sind. b) Die gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Wilderei, § 292 Abs. 3, ist unstreitig ein qualifizierter Tatbestand. - Zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 II 2 c. Gewohnheitsmäßig handelt der Täter, der aus einem durch Übung ausgebildeten, selbständig fortwirkenden Hang tätig wird, so daß dessen Befriedigung ihm bewußt oder unbewußt ohne innere Auseinandersetzung gleichsam von der Hand geht; BGHSt 15 S. 377. 3. Fischwilderei, § 293 Der Tatbestand entspricht im Aufbau derjagdwilderei. - Fischen ist jede auf Fang oder Erlegen frei lebender Wassertiere (auch Krebse, Schildkröten, bestimmte Muscheln) gerichtete Tätigkeit. - Fische in geschlossenen Privatgewässern sind nicht herrenlos. - Das Fischereirecht ist landesrechtlich geregelt. 4. Antragsprivileg, § 294 Gemäß § 294 wird die einfache Jagd- und Fischwilderei nur auf Antrag des Verletzten verfolgt, wenn sie von einem Angehörigen oder einem Täter, der die Jagd in beschränktem Umfang ausüben durfte (z. B. Jagdgast), begangen wurde.

212

Die Vermögensentziehungsdelikte

5. Analogie des § 248 a Eine analoge Anwendung des § 248 a zu Gunsten des Wilderers kommt nicht in Betracht, da sich die Wilderei nicht ausschließlich gegen Vermögen richtet. Vgl. dazu: WESSELS J A 1984 S. 226.

§ 51: Betrug Bereicherungsdelikt. - Dem Täter geht es darum, die dem Berechtigten entzogene Vermögensposition sich oder einem anderen rechtswidrig zu verschaffen. Ein Vermögensgut wird aus einem Vermögen in das andere übertragen; der angestrebte Vorteil ist die Kehrseite des Nachteils, die Bereicherung ist identisch mit dem Schaden.

I. Rechtsgut und Gesetzessystematik 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des Betrugstatbestandes ist nach heute allgemein anerkannter Ansicht allein das Vermögen. - Streitig ist jedoch die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs; dazu eingehend unter III 4 a. 2. Der Aufbau des Gesetzes a) Den Tatbestand des Betruges beschreibt § 263 Abs. 1. b) § 263 Abs. 3 enthält einen unbenannten, die Deliktsnatur nicht verändernden Strafschärfungsgrund. Die Verweisung auf § 243 Abs. 2 in § 263 Abs. 4 stellt klar, daß ein besonders schwerer Fall nicht angenommen werden darf, wenn sich die Tat auf einen geringen Wert bezieht, dies allerdings - entgegen dem Wortlaut des § 243 Abs. 2 - auch dann, wenn Gegenstand des Betruges keine Sache, sondern ein anderes Vermögensobjekt, z. B. eine Forderung, ist (systematische Auslegung!). Gemäß § 263 Abs. 4 finden ferner die §§ 247,248 a auf entsprechende Betrugsfälle Anwendung. c) Speziell geregelte Fälle des Betruges enthalten die §§ 352, 353. d) Betrugsähnliche Delikte beschreiben die §§ 265, 265 a.

II. Der gesetzliche Tatbestand Die gesetzliche Formulierung des Gemeinten ist dem Gesetzgeber arg mißglückt. Zum Ausdruck kommen sollte, daß derjenige wegen Betrugs

§ 51 Betrug

213

bestraft werden soll, der in der Absicht, sich oder einen anderen rechtswidrig zu bereichern, durch Täuschung einen Irrtum bei einer Person erweckt, aufgrund dessen diese Person eine vermögensschädigende Verfügung zugunsten des Täuschenden oder des von diesem Begünstigten vornimmt. Die Merkmak des Tatbestands sind danach: 1. Eine Täuschung durch den Täter. 2. Ein Irrtum des Getäuschten. 3. Eine Vermögensverfügung des Getäuschten. 4. Ein Vermögensschaden des Getäuschten oder bestimmter dritter Personen. Zwischen den unter 1. bis 4. genannten Merkmalen muß ein funktionaler Zusammenhang bestehen derart, daß das jeweils folgende Merkmal seinen Grund in dem vorangegangenen hat. - Getäuschte und verfügende Person müssen identisch sein, nicht aber verfügende und geschädigte Person.

5. Subjektiv ist neben dem Vorsatz die Absicht des Täters erforderlich, sich oder einen Dritten um einen Vermögensvorteil rechtswidrig zu bereichern. - Der erstrebte Vorteil muß dem Schaden entsprechen. III. Der objektive Tatbestand 1. Die Täuschung Die umständlichen Formulierungen des Gesetzgebers sollen zum Ausdruck bringen, daß der Täter über Tatsachen getäuscht haben muß, d. h. über konkrete äußere oder innere Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart. Der Gegensatz zur Täuschung über Tatsachen ist die Abgabe unrichtiger Meinungsäußerungen oder Werturteile, die jeglichen Tatsachenkerns entbehren oder nach allgemeiner Auffassung des Verkehrs nicht als Tatsachenbehauptung angesehen werden. Soweit diese Äußerungen allerdings auf einer Tatsachengrundlage beruhen, kann über diese Grundlage wiederum getäuscht werden. Beispiel 1: Aufforderung, die Aktien der X-AG zu kaufen, denn diese würden der „Renner" der nächsten Zeit: Zukunftsprognose. Beispiel 2: Aufforderung, die Aktie X zu kaufen, denn diese werde im Kurs steigen, weil der Großaktionär G Order erteilt habe, alle habhaften Aktien der XAG bis zum Doppelten des derzeitigen Preises zu kaufen: Tatsachenbehauptung. Beispiel 3: Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, dieses sei der Traumwagen jedes fortschrittlich denkenden Menschen: Werturteil.

214

Die Vermögensentziehungsdelikte

Beispiel 4: Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, im Preis des Grundmodells seien bereits die Extras A - D enthalten: Tatsachenbehauptung, da Behauptung über wertbildende Faktoren. Täuschung ist ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten. Es kann durch ausdrückliches Vorspiegeln, durch schlüssiges (konkludentes) Verhalten oder durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen. a) Die ausdrückliche Täuschung kann durch wörtliche Erklärungen oder täuschende Manipulationen an bzw. mit Gegenständen verwirklicht werden. Maßgeblich ist allein, daß auf die Vorstellung eines anderen eingewirkt wird oder die Veränderung der Vorstellung eines anderen verhindert wird. Die bloße Veränderung von Tatsachen genügt nicht, auch wenn durch diese Änderung die richtige Vorstellung eines anderen unrichtig wird. Täuschung: Vorlage gefälschter Urkunden, Manipulationen an Strom-, Gasoder Kilometerzählern (LG Marburg MDR 1973 S. 65), Auswechseln von Preisschildern in einem Laden (OLG Hamm N J W 1968 S. 1894). Keine Täuschung: Wer Beförderungsleistungen in Anspruch nimmt oder sich in eine Veranstaltung einschleicht, selbst wenn die Vorstellung der Aufsichtsperson, „alles sei in Ordnung", durch dieses Verhalten unzutreffend wird. Im Hineinsetzen allein liegt noch keine Täuschung. Zur späteren Aufklärung hingegen ist der Täter nicht als Garant verpflichtet. D a z u : BOCKELMANN Eb. Schmidt-Festschrift, S. 4 3 9 ; HERZBERG G A 1977 S. 2 8 9 ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 1 8 , 9 1 ; S A M S O N J A 1 9 7 8 S . 4 7 2 ; SIEBER C o m p u t e r k r i m i n a l i -

tät und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 204. - A. A.: ARZT LH 3, M III 1 a. Stets ist das Bewußtsein des Täters erforderlich, daß zwischen dem vorgegebenen Sachverhalt und der Wirklichkeit eine Diskrepanz besteht. Insoweit hat das Merkmal Täuschung einen subjektiven Einschlag; vgl. dazu auch BGHSt 18 S. 237. b) Eine konkludente Täuschung liegt vor, wenn jemand, der weiß, daß sein Verhalten nach der Verkehrssitte, Ubereinkunft der Beteiligten o. ä. einen ganz bestimmten Aussagegehalt hat, dieses Verhalten verwirklicht, obwohl er sich nicht dem Aussagegehalt gemäß verhalten will. Konkludente Erklärungen: Wer einen Vertrag schließt, erklärt, daß er zur Erfüllung fähig und willig ist (BGHSt 15 S. 24); wer einen Scheck begibt, erklärt, daß dieser bei Vorlage gedeckt ist (BGH N J W 1983 S. 461, eingehend dazu OTTO Bankentätigkeit, S. 113); wer einer Bank einen Scheck einreicht, erklärt, daß dieser nach seiner Überzeugung gedeckt ist (OLG Köln NJW 1981S. 1851; VOLKJUS 1981 S. 880); wer ein Sparbuch zum Abheben vorlegt, erklärt, daß er dazu berechtigt ist (dazu OTTO Bankentätigkeit, S. 99); wer einen Betrag von seinem Konto abheben will, erklärt, daß Deckung insoweit vorhanden ist (OLG Stuttgart N J W 1979 S . 2 3 2 1 m i t A n m . J O E C K S J A 1 9 7 9 S . 3 9 0 f , B . MÜLLER J R 1 9 7 9 S . 4 7 2 f ) ; w e r s e i n e r

Bank eine Lastschrift einreicht, erklärt, daß die Forderung besteht und er zum Einzug ermächtigt ist (OLG Hamm N J W 1977 S. 1836); wer eine Wette eingeht,

§ 51 Betrug

215

erklärt, daß er das typische Wettrisiko eingehen will (so BGHSt 29 S. 167 mit abl. Anm. KLIMKEJZ 1980 S. 581. - A. A. noch BGHSt 16 S. 120); der Gastwirt, der Bier serviert, erklärt, daß es sich um frisch gezapftes Bier handelt (a. A. RGSt 29 S. 35); der Gebrauchtwagenhändler, der ein Kraftfahrzeug ohne besonderen Hinweis anbietet, erklärt, daß es sich um ein unfallfreies Fahrzeug handelt (OLG Nürnberg MDR 1964 S, 693); wer einen Wechsel zum Diskont anbietet, erklärt, daß es sich um einen Warenwechsel handelt (BGH NJW 1976 S. 2028); wer bei einer Selbstbedienungstankstelle tankt, erklärt die Absicht der Zahlung (BGH NStZ 1983 S. 505 m i t A n m . GAUF S. 505 ff u n d DEUTSCHER S. 507 f ) . - Z u r P r o b l e m a t i k des Tan-

kens an Selbstbedienungstankstellen vgl. auch oben § 40 I 3. Keine konkludenten Erklärungen: Der Mieter eines Zimmers, der nach Vertragsabschluß zahlungsunfähig wird, erklärt durch bloßes Wohnenbleiben nicht seine Zahlungsfähigkeit (OLG Hamburg NJW 1969 S. 335 mit Anm. G. E. HIRSCH NJW 1969 S. 853 f und SCHRÖDERJR 1969 S. 110). Er ist auch nicht zu einer Offenbarung rechtlich verpflichtet (BGH GA 1974 S. 284; TRIFFTERERJUS 1971S. 181 ff). Wer eine Forderung aus einer Naturalobligation geltend macht, behauptet nicht, eine gerichdich durchsetzbare Forderung zu haben (OLG StuttgartJZ 1979 S. 575 m i t A n m . FRANK N J W 1980 S. 8 4 8 ; HEIDJUS 1982 S. 22 ff;JoECKsJA 1980 S. 128;

Loos N J W 1980 S. 847 f; B. MÜLLER JuS 1981 S. 255 ff).

c) Eine Täuschung durch Unterlassen ist nach den Grundsätzen des garantiepflichtwidrigen Unterlassens möglich, hat jedoch Ausnahmecharakter. - Grundsätzlich kann die unterlassene Beseitigung einer Fehlvorstellung durch einen Garanten nämlich nur einer Irrtumserregung durch positives Tun gleichgestellt werden (§ 13), nicht aber einer Irrtumserregung durch Täuschung, d. h. einem qualifizierten positiven Tun. - Durch die weite Interpretation der Täuschung als ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten sind die bestehenden Schranken zwischen der bloßen Herbeiführung eines Irrtums und der Herbeiführung eines Irrtums durch Täuschung im Laufe der Zeit jedoch weitgehend eingeebnet worden. Auch heute wird man aber nur dort eine Täuschung durch Unterlassen annehmen können, wo der Garant besondere Aufklärungspflichten hat. Bloße vertragliche Nebenpflichten genügen den Anforderungen nicht. Aufklärungspflichten können sich ergeben: aus offen tlich-rechdichen Mitteilungs- und Meldepflichten (z. B. §§ 16 W G , 116 BSHG); aus besonderem Vertrauensverhältnis aufgrund lange bestehender vertraglicher Beziehungen (BGH GA 1965 S. 208); aus Ingerenz, wenn das vorangegangene Tun einen Irrtum begründet hat (OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1975). Keine Aufklärungspflicht i. S. des § 263 begründen: Treu und Glauben, z. B. Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach Vertragsschluß bei Vorleistung des Vertragspartners (a. A. z. B. BGHSt 6 S. 198; MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 46 II A dagegen ALBRECHT JuS 1979 S. 52); finanzielle Schwierigkeiten eines Kaufmanns, die dieser aber zu überwinden hofft (BGH bei Dallinger, MDR 1968 S. 202; OLG StuttgartJR1978 S. 388 mit Anm. BEULKE S. 390); Inempfangnahme eines höheren Geldbetrages als des geschuldeten (OLG Düsseldorf NJW 1969 S. 629); Abheben

216

Die Vermögensentziehungsdelikte

der Rente nach Tod des Berechtigten (OLG Köln MDR 1979 S. 250 mit Anm. KÜHL J A

1979 S. 681).

Im einzelnen dazu: MAASS Betrug verübt durch Schweigen, 1982, S. 46 ff (Ingerenz), S. 61 ff (Solidaritätsbeziehung), S. 99 ff (Übernahmegarantie). - Zur grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Täuschung durch Unterlassen: LACKNER LK, § 263 Rdn. 57 ff. 2. Der Irrtum Der Täter muß durch Täuschung einen Irrtum, d. h. eine unrichtige Vorstellung über Tatsachen, erregt oder weiter unterhalten haben. - D i e bloße Ausnutzung eines vorhandenen Irrtums genügt nicht. a) Etwaige verbleibende Zweifel desjenigen, auf den durch eine Täuschung eingewirkt wird, hindern den Irrtum nicht, wenn der Getäuschte letztlich diese Zweifel überwindet und die Fehlvorstellung für die richtige hält, denn der Zweifelnde, aber schließlich doch Überzeugte ist nicht weniger schutzwürdig als der Leichtgläubige. Erst wenn dem Getäuschten die Wahrheit der Erklärung gleichgültig ist, fehlt es an einem Irrtum. S.

So auch: DREHER/TRÖNDLE § 2 6 3 Rdn. 1 8 a; FRISCH Bockelmann-Festschrift, 6 4 7 ff; GÜNTHER Strafrechtswidrigkeit, S. 1 9 3 f; HERZBERG G A 1 9 7 7 S. 2 8 9 ff;

LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 8 0 ; SAMSON S K , § 2 6 3 R d n . 5 3 f f ; SCHÖNKE/SCHRODER/ CRAMER § 2 6 3 R d n . 4 0 ; SEELMANNJUS 1 9 8 2 S . 2 7 0 . - A . A . : AMELUNG G A 1 9 7 7 S . 1 f f ;

S. 1 0 7 3 ; GIEHRING G A 1 9 7 3 S. 1 ff; R. HASSEMER Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1 9 8 1 , S. 113 ff; SCHCJNEMANN Bockelmann-Festschrift, S. 130 f. Zur Auseinandersetzung im einzelnen: HILLENKAMP Vorsatztat und Opferverhalten, 1981, S. 18 ff. Allein bei der Strafzumessung im Rahmen der Würdigung der kriminellen Energie des Täters kann ein u. U. leichtfertiges Verhalten des Opfers Berücksichtigung finden; dazu: HILLENKAMP Vorsatztat, S. 18 ff; BGH Strafverteidiger 1983 S. 326. BEULKE N J W 1 9 7 7

b) Einflußnahmen auf die automatischen Operationen eines Computers sind der Beeinflussung des Willens eines Menschen nicht gleichzusetzen. Sie begründen daher keinen i. S. des § 263 relevanten Irrtum. Zu beachten ist aber, daß der relevante Irrtum schon durch Täuschung von Kontrollpersonen hervorgerufen werden kann und daß durch die Ergebnisse des beeinflußten Computers ein Irrtum bei Personen entstehen kann. So auch mit eingehender Begründung SIEBER Computerkriminalität, S. 203 ff, 215; DERS. Computerkriminalität, Nachtrag, S. 2/2 ff; LACKNER L K , § 263 Rdn. 86; N. SCHMID Missbräuche im modernen Zahlungs- und Kreditverkehr, 1982, S. 29 f. c) Kontrollpersonen, die die Richtigkeit eines Sachverhalts überprüfen sollen, sind auch dann getäuscht, wenn sie aufgrund des ihnen vorgelegten Materials davon ausgehen, daß der vorgetragene Sachverhalt zutrifft.

§ 51 Betrug

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Beispiele: Irrtum des Sparkassenangestellten, dem ein Sparbuch von einem Dritten zur Auszahlung vorgelegt wird, über die Berechtigung des Vorlegenden (dazu: MAIWALD J A 1 9 7 1 S. 6 4 3 ; OTTO Bankentätigkeit, S. 9 9 ) . - Irrtum des Richters oder Rechtspflegers, dem ein unwahrer Sachverhalt im Prozeß oder im Antrag auf einen Mahnbescheid vorgetragen wird (str., wie hier: BGHSt 24 S. 257; a. A. z. B. GIEHRING G A 1 9 7 3 S. 1 ff). - Irrtum des Schecknehmers über die Berechtigung des Scheckbegebenden, wenn dieser einen gestohlenen oder gefälschten Scheck vorlegt, auch dann, wenn der Scheck durch Scheckkarte garantiert ist. Positives Wissen und grob fahrlässige Unkenntnis der Nichtberechtigung verhindern nämlich auch hier die Entstehung des Anspruchs. Damit ist davon auszugehen, daß der Schecknehmer selbst nur vom Berechtigten einen Scheck erhalten will und getäuscht ist, wenn er nach den Umständen davon ausgeht, daß der Berechtigte sein Partner ist (a. A. STEiNHiLPERjura 1 9 8 3 S. 4 1 3 f). - Anders hingegen, wenn der berechtigte Inhaber eines Scheckkartenschecks einen ungedeckten Scheck begibt; im einzelnen dazu unter VI 5. 3. Die

Vermögensverfügung

a) Verfügung und Verfügungsbewußtsein Nach h. M. wird die Vermögensverfügung definiert als ein Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. - Danach kommt es auf ein „Verfügungsbewußtsein" des Opfers nicht an. Gleichgültig soll es sein, ob der Getäuschte weiß, daß er eine Vermögensverschiebung veranlaßt, die Verfügung also bewußt oder unbewußt erfolgt. - Geradezu kurios mutet es allerdings an, wenn die Vertreter dieser Ansicht in gleicher Geschlossenheit daraufhinweisen, daß es für die Abgrenzung des Betruges vom Diebstahl entscheidend auf die Willensrichtung des Verfügenden ankomme. Diese Behauptung steht im krassen Gegensatz zu den in die Definition der Vermögensverfügung eingegangenen Prämissen und macht deutlich, daß die h. M. von zwei inhaltlich verschiedenen Verfügungsbegriffen ausgeht, was in der Rechtsprechung sogar ausdrücklich hervorgehoben wird. Einerseits BGHSt 14 S. 172: „Derjenige, der die Vermögensverfügung vornimmt, braucht sich dabei nicht bewußt zu sein, daß er auf sein Vermögen oder dasjenige eines Dritten einwirkt." Andererseits: BGH bei Dallinger, MDR 1974 S. 15: „Der Tatbestand des Betruges setzt u. a. voraus, daß der vom Täter Getäuschte aus freiem, nur durch Irrtum beeinflußten Willen über sein Vermögen oder das ihm faktisch anvertraute Vermögen eines anderen verfügt und dieses dadurch unmittelbar schädigt,... Für die Abgrenzung der beiden Tatbestände (gemeint sind Diebstahl und Betrug) kommt es somit in den Fällen, in denen sich der Täter durch Täuschung eine Sache verschaffen will, wesentlich auf die Willensrichtung des Getäuschten und auf sein Verhältnis zu der Sache an. Hiernach liegt mangels eines Verfügungswillens kein Betrug, sondern Diebstahl vor, wenn die Täuschung dem Täter nur die Herbeifüh-

218

Die Vermögensentziehungsdelikte

rung des Schadens durch eine eigene Handlung ermöglichen soll, die den Gewahrsam des bisherigen Inhabers ohne dessen Willen eigenmächtig aufhebt."

Die Aufspaltung des Verfügungsbegriffs läßt sich auch nicht dadurch leugnen, daß dem Verfügungsbewußtsein jegliche Bedeutung abgesprochen und darauf abgestellt wird, ob das Verhalten bei einer Gesamtwürdigung als Selbstschädigung des Getäuschten erscheint oder nicht. Denn das entscheidende Kriterium in dieser Gesamtwertung ist zumindest beim Sachbetrug wiederum das Verfügungsbewußtsein, was auch von denen zugestanden wird, die dem Verfügungsbewußtsein zunächst jegliche Bedeutung absprechen. V g l . : HANSEN M D R 1 9 7 5 S . 5 3 4 ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 9 8 ; w i e h i e r : HERZBERG

Z S t W 89 (1977) S. 369 Fn. 10;JOECKS Zur Vermögensverfügung beim Betrug, 1982, S . 1 0 8 f ; SAMSON J A

1 9 7 8 S.

566.

Entgegen der von der h. M. verteidigten Definition der Vermögensverfügung ist daher davon auszugehen, daß zumindest beim Sachbetrug allgemein anerkannt ist, daß das Verfügungsbewußtsein i. S. des Bewußtseins einer Gewahrsamsübertragung Voraussetzung der Vermögensverfügung ist. Dieses Erfordernis ist sachgerecht, denn wenn die allgemeine Typisierung des Betruges als eines Selbstschädigungsdelikts überhaupt einen Sinn haben soll, so muß das Verfügungsbewußtsein als Element der Vermögensverfügung anerkannt werden: Von einer Selbstschädigung des Opfers kann nämlich keine Rede sein, wenn sich der Getäuschte, dessen Verfügung sich das Opfer als eigene zurechnen lassen muß, nicht einmal der Tatsache seiner Verfügung bewußt ist. Ohne dieses Bewußtsein kann der Getäuschte nämlich durchaus Werkzeug in der Hand eines Diebes sein. Das bedeutet: Der Getäuschte muß den Verfügungscharakter seines Verhaltens kennen, nicht aber wissen, daß er eine Vermögensschädigung vornimmt. - Vermögensverfügung ist danach jedes Tun und Unterlassen des Getäuschten, das unmittelbar vermögensmindernd wirkt und dessen vermögensrekvanten Charakter der Getäuschte kennt. Die von der h. M. befürchteten Straßarkeitslücken, die das Erfordernis des Verfügungsbewußtseins zur Folge haben soll, sind keineswegs so gravierend, wie die h. M. befürchtet, im Gegenteil, die Grenzfälle sind entweder als Betrug erfaßbar, auch wenn am Erfordernis des Verfügungsbewußtseins festgehalten wird, oder schon aus anderen Gründen nicht unter den Betrugstatbestand zu subsumieren. - Zwei Fallgruppen fallen hier ins Auge. aa) Die Unterlassung der Geltendmachung eines Anspruchs Fall 1: In Anlehnung an RGSt 65 S. 99: A veräußert für B eine Sache. Es ist vereinbart, daß A dem B den Kaufpreis aushändigen soll. A erlöst D M 200,-, an B führt er als Erlös nur D M 100,- ab.

§ 51 Betrug

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Fall 2: R G HRR1939 Nr. 1383: A pachtete von B eine Kiesgrube. Der Pacht2ins sollte nach der monatlich entnommenen Kiesmenge berechnet werden. A gab diese Menge jeweils zu gering an, daher forderte B jeweils einen geringeren Pachtzins als denjenigen, der ihm nach dem Vertrag zustand. Fall 3: RGSt 76 S. 170: Der mit dem Verkauf von Fahrtausweisen betraute A erklärte bei der Abrechnung wahrheitswidrig, die Kasse stimme. Fall 4: RGSt 70 S. 225: A hatte einen Brandschaden erlitten und von seiner Versicherung Ersatz für den Verlust verschiedener, in einer Liste aufgeführter Gegenstände erhalten. Zwei dieser Gegenstände fand A später unversehrt wieder. Die Versicherung benachrichtigte er davon nicht.

Wird in der Abrechnungssituation, d. h. in der bewußten Entscheidung, eine bestimmte Abrechnung zu akzeptieren, die Verfügung über die abgerechnete Summe erkannt, so werden in den Fällen der Unterlassung der Geltendmachung von Forderungen kaum unerträgliche Strafbarkeitslücken eröffnet, wenn das Verfügungsbewußtsein als Bestandteil der Vermögensverfügung gefordert wird. Zutreffend hat HANSEN - M D R 1975 S. 533 ff - dargelegt, daß in den Fällen 1 - 3 von einer unbewußten Unterlassung keine Rede sein könne. In diesen Fällen liege in der konkreten Abrechnungssituation ein täuschungs- und irrtumsbedingtes Verhalten vor. Die Abrechnung selbst sei nämlich gerade die Verfügung, die stets eine konkrete Entscheidung zum Inhalt habe und die bewußt vorgenommen werde. Unbewußt bleibe nur die Tatsache der Selbstschädigung. Im Fall 4 fehlt es hingegen an einer bewußten Entscheidung der Versicherung. Hier ist ein Betrug ausgeschlossen, wenn man ein Verfügungsbewußtsein als Bestandteil der Verfügung fordert. Daß damit aber keine Strafbarkeitslücken auftreten, ist daran zu erkennen, daß in diesem Falle schon die Garantenpflicht zweifelhaft ist und auch die Begründung der Täuschung und des Irrtums auf Schwierigkeiten stoßen, weil hier weniger ein Irrtum erregt oder unterhalten, als vielmehr ein vorhandener Irrtum ausgenutzt wird. Insofern ist es durchaus vertretbar, auch die Verfügung abzulehnen. Im übrigen zur Diskussion: einerseits GALLAS Eb. Schmidt-Festschrift, S. 4 2 1 ; LACKNER LK, § 2 6 3 Rdn. 98. - Andererseits BOCKELMANN Eb. Schmidt-Festschrift, S . 4 5 7 A n m . 4 5 ; WELZEL L b . , § 5 4 I 3.

JOECKS, Vermögensverfügung, S. 193, kommt zu dem Ergebnis, daß die Unterlassung der Geltendmachung einer Forderung stets als Vermögensverfügung erscheint, da sie immer einen „Umgang mit Vermögen" darstelle. Diese Argumentation gerät jedoch in Gefahr, die Möglichkeit des Umganges mit dem Vermögen dem realen Umgang mit dem Vermögen gleichzusetzen.

bb) Die Unterschriftsleistung als Vermögensverfügung Fall: A war als Provisionsvertreter von Waschmaschinen für X tätig. Er bat den B, der den Kauf einer Waschmaschine abgelehnt hatte, ihm zu bestätigen, daß er, A, ihn, den B, aufgesucht habe. Bei der Unterschriftsleistung hielt A den Bogen so, daß die Unterschrift des B auf ein Formular für den Kaufvertrag einer Waschmaschine kam. Den Vertrag reichte A bei X ein, der den B auf Abnahme einer Waschmaschine in Anspruch nahm.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Rechtsprechung und h. L. haben die Problematik der Fälle erschlichener Vertragsunterschriften allein in der Schadensfeststellung gesehen und die Unterschriftsleistung unter das Vertragsangebot unproblematisch als Vermögensverfügung interpretiert, weil der Getäuschte damit eine Situation geschaffen habe, die tatsächlich - insbesondere unter Berücksichtigung der Beweissituation - der Eingehung einer Verpflichtung gleichkomme. Dazu: BGHSt 22 S. 88; KGJR1972 S. 28; OLG Köln MDR1974 S. 157; LACKNER LK, § 263 Rdn. 98; MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 46 II A 3.

Zuzugestehen ist in diesen Fällen, daß der Getäuschte sich bewußt seiner Unterschrift entäußert hat. Verborgen geblieben ist ihm jedoch der vermögensbezogene Charakter seines Verhaltens. Dieser Vermögensbezug wird allein durch die - dem Getäuschten nicht bewußte - Erklärung hergestellt, unter die die Unterschrift gesetzt wurde. Dadurch entsteht der Schein eines Vertragsschlusses, denn in derartigen Fällen kommt es zu keinem wirksamen - nicht nur anfechtbaren - Vertragsschluß, sondern der Vertrag selbst kommt mangels Erklärungsbewußtseins nicht zustande. Die Situation unterscheidet sich rechtlich daher nicht von jenen Fällen, in denen der Täter später über eine zuvor erschlichene Unterschrift einen Vertragstext setzt oder einen ursprünglich rechtswirksamen Vertrag inhaltlich fälscht. - In diesen zuletzt genannten Fällen stimmen jedoch Rechtsprechung und h. M. darin überein, daß der ursprünglichen Unterschrift kein Verfügungscharakter bezüglich der nun aus dem Vertragstext ersichtlichen Vermögensverfügung zukommt. Es fehlt das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen Vermögensverfügung und Vermögensschaden. Dazu: OLG DüsseldorfNJW1974 S. 1834; OLG Celle MDR 1976 S. 66; OLG Hamm wistra 1982 S. 153.

Doch auch in den Fällen, in denen der Getäuschte seine Unterschrift unter einen Vertragstext setzt, ohne sich dessen bewußt zu sein, fehlt es an der Unmittelbarkeit zwischen Unterschriftsleistung und Vermögensschaden. Der Getäuschte hat nur die Möglichkeit zu einer Vermögensschädigung durch eine weitere deliktische Handlung des Täters, nämlich die Vortäuschung eines rechtswirksamen Vertragsschlusses, geschaffen. Erst in diesem - weiteren - deliktischen Verhalten gegenüber dem Getäuschten, nämlich der Inanspruchnahme aus dem angeblichen Vertrag, liegt die deliktische Vermögensschädigung. Diese kann sich als Erpressung darstellen, wenn der Getäuschte für den Fall, daß er nicht leistet, damit bedroht wird, er werde mit einem Prozeß überzogen, in dem die falsche Urkunde als Beweismittel verwendet wird. Erfolgt solche Androhung nicht, so liegt in der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung ein Betrug.

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Das bedeutet für den Ausgangsfall: 1. Möglichkeit: Aufgrund des eingereichten unterschriebenen Vertrages geht X davon aus, daß A einen Vertragsschluß vermittelt hat, er zahlt A eine Provision. Ergebnis: Betrug des A gegenüber X zu eigenen Gunsten (Provision). 2. Möglichkeit: Da B sich weigert, die Waschmaschine abzunehmen, verklagt X den B. Im Termin wird der Vertrag vorgelegt. B wird zur Abnahme und Zahlung verurteilt, da er die Täuschung nicht beweisen kann. Das Urteil wird rechtskräftig. Ergebnis: Betrug des A gegenüber B zu Gunsten des X. - Eingehender zum sog. Prozeßbetrug unter III 4. 3. Möglichkeit: Nimmt B die Maschine ab und zahlt, weil A ihm droht, er werde im Prozeß den Vertrag vorlegen und als Zeuge aussagen, der Vertrag sei gültig zustande gekommen, so kann auch eine Erpressung, § 253, zu Gunsten des X vorliegen. - Die Verschlechterung der Beweissituation ist ein empfindliches Übel für B, mit dem A droht, um den B zu einer Verfügung - Abnahme der Maschine und Zahlung - zu veranlassen.

b) Verfügender und Geschädigter Die Verfügung des Getäuschten kann sein eigenes Vermögen oder das eines anderen betreffen. Daher ist Identität zwischen Getäuschtem und Verfügendem nötig, nicht aber zwischen Verfügendem und Geschädigtem. Jedoch ist nicht jeder Zugriff auf das Vermögen eines Dritten als Vermögensschädigung durch Vermögensverfügung zu interpretieren. Die Möglichkeit des Gewahrsamsbruches des Täters durch Einsatz eines gutgläubigen Werkzeugs ist nicht ausgeschlossen. Allerdings muß der Geschädigte sich bestimmte Verfügungen Dritter als eigene zurechnen lassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Verfügende selbst der Vermögenssphäre des Geschädigten zuzurechnen ist, d. h. wenn er durch den Geschädigten oder durch die Rechtsordnung in eine Position eingesetzt worden ist, aufgrund derer er die Möglichkeit hat, über Vermögen des Geschädigten zu verfügen. Wird er in dieser Situation das Opfer einer Täuschung und trifft eine Verfügung, zu der er sich aufgrund der Täuschung berechtigt hält, so muß sich der Vermögensträger diese Verfügung als eigene zurechnen lassen. Der Gewahrsamshüter (Mitgewahrsamsträger oder Gewahrsamsdiener), dessen Aufgabe es ist, den Gewahrsam für den Eigentümer zu bewahren, verfügt daher zu Lasten des Eigentümers, wenn ihm eine Situation vorgespiegelt wird, die - läge sie vor - ihn zu der Verfügung berechtigen würde. - Ist der Getäuschte hingegen in die Sphäre des Täuschenden und nicht in die des Vermögensträgers zu rechnen, so liegt ein Diebstahl in mittelbarer Täterschaft vor. Eingehender dazu: OTTO ZStW 79 (1967) S. 76 ff; vgl. auch: BGHSt 18 S. 221 (Herausgabe eines Kfz durch einen Garagen Wächter); OLG Köln MDR 1966 S. 253 (Herausgabe eines Kfz durch Parkplatzwächter); OLG Stuttgart NJW1965 S. 1930 (Herausgabe des Kfz-Schlüssels durch Zimmervermieter).

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Die Vermögensentziehungsdelikte

In der Lehre steht eine ausschließlich normative Abgrenzung im Vordergrund (sog. Befugnis- oder Ermächtigungstheorie). Danach braucht der Geschädigte sich nur solche Handlungen des Verfügenden zurechnen zu lassen, zu denen dieser - ausdrücklich oder stillschweigend - rechtlich wirksam ermächtigt war. Dazu: AMELUNG GA 1977 S. 14; BACKMANN Die Abgrenzung des Betrugs von D i e b s t a h l u n d U n t e r s c h l a g u n g , 1974, S. 127 f f ; K R I Y B . T. II, S. 131; SAMSONJA 1978 S. 5 6 6 ; SCHONEMANN G A 1969 S. 4 6 ff.

Die Gegenmeinung (sog. Lagertheorie) stellt hingegen den tatsächlichen Aspekt in den Vordergrund ihrer Überlegungen. Danach soll es wesentlich darauf ankommen, ob der Getäuschte „innerhalb der Machtsphäre des Berechtigten als dessen Gehilfe und Schützer steht" (SCHRÖDER), ob er „bildlich gesprochen im Lager des Geschädigten steht" (LENCKNER), ob er für den Geschädigten „und an dessen Stelle von einer schon bestehenden Einwirkungsmöglichkeit auf die ihm nahestehende Sache als Folge der Täuschung zum Nachteil des Geschädigten Gebrauch macht" ( D R E H E R ) . D a z u : DREHER J R 1966 S. 2 9 f ; DERS. G A 1969 S. 56 f f ; GEPPERTJUS 1977 S. 7 2 ; GRIBBOHM N J W 1 9 6 7 S. 1897; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 114; LENCKNERJZ 1966 S. 321; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 2 6 3 R d n . 6 6 ; SCHRÖDER Z S t W 60 (1941) S. 70.

Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 18 S. 221: A, der ehemalige Freund der B, der den Wagen der B wiederholt mit deren Einverständnis aus einer Sammelgarage geholt hat, erscheint nach Auflösung der Freundschaft in der Garage, tut so, als sei alles wie sonst, und fährt mit dem Wagen der B fort. Der Garagenwärter C duldet dies, da er meint, A handele nach wie vor im Einverständnis mit der B. BGH: Vermögensverfügung des C, die B sich als eigene zurechnen lassen muß. bb) Bei der Haushälterin H des Direktors D erscheint A, gibt sich als Bürobote aus und bittet die H, ihm den wertvollen Gehpelz des B auszuhändigen, da D am Abend von der Firma aus ins Theater will und mit der starken Kälte an diesem Tage nicht gerechnet habe. Die arglose H gibt den Pelz heraus, den A schleunigst ins Pfandhaus trägt. Ergebnis: Verfügung der H, die D sich als eigene zurechnen lassen muß. cc) A verkauft dem B ein an einem Haus stehendes Leitergerüst. Dieses gehört in Wirklichkeit C, während B den A für den Eigentümer hält. B fährt das Gerüst gutgläubig ab. Ergebnis: Diebstahl des A in mittelbarer Täterschaft. Kein Betrug, da A nicht Verfügungsbefugter i. S. des § 263.

c) Zusammenhang zwischen Täuschung und Verfügung Die Vermögensverfügung muß ihren Grund in dem Irrtum des Getäuschten haben, d. h. sie muß durch den Irrtum veranlaßt worden sein. Ob der Irrende auch ohne Täuschung verfügt hätte, ist irrelevant, wenn er infolge der Täuschung verfügt hat.

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B G H S t 13 S. 13: Der Referendar A nahm im Gerichtszimmer auf dem Richterstuhl sitzend bei B ein Darlehen auf, indem er B vorspiegelte, er könne es aufgrund des Eingangs einer größeren S u m m e demnächst zurückzahlen. - Dies war unwahr. B erklärte aber später, auch ohne diese Erklärung hätte er einer Amtsperson ein Darlehen gegeben. B G H : Verfügung des B beruhte auf Täuschung, nur das ist relevant. Hypothetische Überlegungen haben daneben keinen Raum.

4. Der Vermögensschaden a) Vermögen und Vermögensschaden Die Vermögensverfügung muß zur Minderung des Vermögens geführt, d. h. einen Vermögensschaden begründet haben. Die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs und damit auch die des Begriffs des Vermögensschadens sind jedoch streitig. aa) Der oben - § 38 I - entwickelte personale Vermögensbegriff sieht Vermögen als eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Diese konstituiert sich in den von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden. - Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich. Ein Vermögensschaden liegt nicht schon im Verlust eines Vermögenswertes, sondern die Vermögensminderung ist nur - und immer dann - Vermögensschaden, wenn der mit der Vermögensminderung erstrebte wirtschafdiche Erfolg nicht erreicht wird. E i n g e h e n d d a z u : BOCKELMANNB. T. 1, § 11 ALL 3 e, cc; HARDWIGGA 1 9 5 6 S . 17; HEINITZ J R 1968 S. 3 8 7 ; MAIWALD N J W 1981 S. 2 7 8 0 f ; OTTO Struktur, S. 34 u n d

dazu MAIWALD MschrKrim 1972 S. 192 f ; OTTO Bargeldloser Zahlungsverkehr und Strafrecht, 1978, S. 18, 26; SCHMIDHÄUSER B. T., 11/1 - 4. Auch der funktionale Vermögensbegriff von WEIDEMANN - Das Kompensationsproblem beim Betrug, Diss. Bonn 1972 - steht der personalen Vermögenslehre, wie sie hier entwickelt wurde, sehr nahe, vgl. dazu WEIDEMANN, S. 199 ff; desgleichen die Konzeption von JAKOBS J u S 1977 S. 228 ff.

bb) Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre vertreten den sog. wirtschaftlichen Vermögensbegriff: Vermögen ist die Summe aller wirtschaftlichen (geldwerten) Güter einer Person nach Abzug der Verbindlichkeiten. - Ein Vermögensschaden liegt in der Minderung der Wertsumme, doch wird diese Minderung nicht - dem objektiven Ausgangspunkt dieser Vermögenslehre entsprechend - objektiv bestimmt, sondern objektiv-individuell, d. h. aus der Sicht des Betroffenen, doch unter Berücksichtigung „objektiver Maßstäbe wirtschaftlicher Vernunft".

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Die Vermögensentziehungsdelikte

D a z u : R G S t 16 S. 1; 4 4 S. 2 3 3 ; B G H S t 1 S . 2 6 4 ; 16 S. 2 2 0 ; ARZT L H 3, M II 1; BLEI B . T., § 6 1 V ; DREHER/TRÖNDLE § 2 6 3 R d n . 2 7 ; KREY B . T. II, S. 1 3 5 ; MAURACH/ SCHROEDER B . T. I, § 4 6 II A 4 d ; WESSELS B . T. - 2, § 13 II 4 a.

Eine Variante des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs ist der sog. dynamische V e r m ö g e n s b e g r i f f ; d a z u : ESER G A 1962 S. 2 8 9 ff; MOHRBOTTER G A 1 9 6 9 S. 2 2 7 ff.

Seinen Vertretern geht es darum, die Vereitelung eines Vermögenszuwachses in größerem Maße als es der Rechtsprechung möglich ist, der Vermögensschädigung gleichzusetzen; dazu: LACKNER LK, § 263 Rdn. 124 a. E.

cc) Den Gegensatz zum wirtschaftlichen Vermögensbegriff bildete der sog. juristische Vermögensbegriff, der das Vermögen als Summe der Vermögensrechte und -pflichten einer Person erfaßte und den Schaden allein im Rechtsverlust sah. D a z u : BINDING B . T. I, S. 2 3 8 , 3 4 1 ; MERKEL K r i m i n a l i s t i s c h e A b h a n d l u n g e n II,

1867, S. 101, 199; NAUCKE Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 215.

dd) Der heute h. L. entspricht der juristisch-wirtschaßliche Vermögensbegriff: Er stimmt im Ausgangspunkt mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff überein, begrenzt aber den Bereich des geschützten Vermögens. Vermögen ist danach die Summe der wirtschafdichen Güter einer Person, über die diese „rechtliche Verfügungsmacht" hat (NAGLER), oder die ihr „unter dem Schutz der Rechtsordnung" (WELZEL) oder wenigstens „ohne

deren Mißbilligung" ( G A L L A S ) ZU Gebote stehen bzw. die sie „unter Billigung der rechtlichen Güterordnung innehat" ( C R A M E R ) . Dazu: CRAMER Vermögensbegriff und Vermögensschaden im Strafrecht, 1968, S. 100 ff; FOTH G A 1 9 6 6 S. 4 2 ; FRANZHEIM G A I 9 6 0 S. 2 7 7 ; GALLAS E b . S c h m i d t - F e s t schrift, S. 4 0 9 ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 1 2 3 ; LENCKNERJZ 1967 S. 1 0 7 ; NAGLER Z A k D R 1941 S. 2 9 4 ; SCHONKE/SCHRÖDER/CRAMER § 2 6 3 R d n . 8 4 ; WELZEL Lb., § 5 4 I 4.

In einzelnen Entscheidungen - vgl. z. B. BGHSt 20 S. 13; BGH N J W 1976 S. 1414 - hat auch die Rechtsprechung die Prämissen des juristischwirtschaftlichen Vermögensbegriffs anerkannt, wenn sie den Anspruch auf eine Sache mit dem Innehaben einer Sache identifiziert. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Spielarten dieser Vermögenslehre werden relevant beim Betrug um Besitz, den das Opfer der Tat selbst rechtswidrig erlangt hat, bei der Verfolgung rechtswidriger Zwecke mit Hingabe des Vermögensobjekts und beim Betrug um sog. nichtige Forderungen. Dazu weiter unter e, ee-gg, sowie OTTO Struktur, S. 292 ff.

b) Zur Auseinandersetzung aa) Personaler und wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der personale Vermögensbegriff gewährleistet - wie oben § 38 I gezeigt den umfassendsten Schutz der Entfaltung des Rechtssubjekts im wirtschaftlichen Bereich. Da er das Vermögenssubjekt nicht aus der Defini-

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tion des Vermögensbegriffs ausspart, bietet er ein in sich geschlossenes theoretisches Gefüge. Der wirtschaftliche Vermögensbegriff hingegen, der keineswegs für sich in Anspruch nehmen kann, ein wirtschaftswissenschaftlich gebildeter Begriff zu sein, sondern vielmehr seinen Ursprung in laienhaften Vorstellungen vom „Wirtschaften" hat, kann die behauptete objektive Bestimmung des Vermögens und des Vermögensschadens nicht durchhalten. Auch der wirtschaftswissenschaftliche Wertbegriff wurde ursprünglich vom objektiven Tauschwert her bestimmt. Heute hat sich hier weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, daß der Wert einer Sache aus der Beziehung des Subjekts zu einem Objekt herrührt. „Der Wert einer Sache ist keine dieser Sache anhaftende Eigenschaft . . . , sondern die Auffassung eines Subjekts über die Nützlichkeit eines Objekts" (JACOB Das Wirtschaftsstudium 1972 S. 3).

Es ist schlicht unmöglich, den Vermögensschaden bei Verlust eines Vermögensgutes objektiv zu bestimmen. Das gleiche Vermögensgut hat in der Hand verschiedener Vermögenspersonen einen unterschiedlichen Wert, so z. B. in der Hand des Herstellers, des Großhändlers, des Kleinhändlers und des Endverbrauchers. Wollen die Anhänger des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs daher nicht zu unsinnigen Ergebnissen gelangen, so müssen sie in Grenzfällen einen „individuellen Schadenseinschlag" konzedieren. Wann aber das Zugeständnis gemacht wird, bleibt letztlich dem Gutdünken des Rechtsanwendenden überlassen. Eine erhebliche Rechtsunsicherheit ist die Folge, auch wenn durchaus nicht übersehen werden kann, daß die Zufälligkeit, die durch die weitgehend ins Ermessen des Richters gestellte Berücksichtigung individueller Interessen gegeben ist, durch die Rechtsprechung in jahrzehntelangen Bemühungen erheblich begrenzt wurde. So ist es auch verständlich, daß gerade in Extremfällen Übereinstimmung besteht. Darüber hinaus versagt der wirtschaftliche Vermögensbegriff vollkommen bei der Bestimmung des Vermögensschadens dann, wenn ein bestimmtes Vermögensobjekt keinen anerkannten Marktpreis hat, sondern der Preis des Objekts gerade durch Angebot und Nachfrage gebildet werden soll (Zuschlagspreis bei Auktionen) oder wenn eine Vermögensschädigung nicht im Rahmen eines Austauschgeschäftes, sondern bei einseitigen Leistungen in Betracht kommt. Anerkannt ist daher durchaus, daß allein der personale Vermögensbegriff in den Fällen einseitiger Leistungsverhältnisse, z. B. bei der Zahlung von Subventionen usw., den Vermögensschaden ohne Hilfe dubioser Konstruktionen erklären kann. Auch die Rechtsprechung und die h. L. bedienen sich in diesen Fällen schlicht des personalen Vermögensbegriffs, ohne dies aber ausdrücklich zuzugestehen. Dazu: BGHSt 19 S. 45: Schaden liegt in der zweck- und sinnlosen Fehlleitung der verfügbaren Mittel; BGHSt 19 S. 206 ff (214 f) mit Anm. SCHRÖDERJZ 1964

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S. 4 6 7 ; B G H N J W 1982 S. 2453 mit A n m . SONNEN J A 1982 S. 593 f f ; CRAMER Verm ö g e n s b e g r i f f , S. 202 ff, 210; DREHER/TRÖNDLE§ 263 R d n . 35; GALLAS E b . S c h m i d t -

Festschrift, S. 435.

Dennoch wird gegen die allgemeine Anerkennung der personalen Vermögenslehre vorgebracht: „diese auf den ersten Blick bestechende, geradezu anthropologische Vermögensauffassung übersieht, daß der private Wirtschaftler keineswegs auf die Erreichung bestimmter Zwecke, ja nicht einmal auf rationales Wirtschaftsverhalten festgelegt ist. Ein der Leistung vom privaten Leistenden beigelegter Zweck ist willkürlich, austauschbar und rücknehmbar. Er ist überdies als bloße Motivation des Leistenden für den Leistungsempfänger nicht immer einzusehen und stellt daher den Nachweis von Vorsatz und Bereicherungsabsicht vor grundsätzliche Schwierigkeiten". Daher eigne sich der personale Vermögensbegriff für die Schadensbestimmung beim Subventionsbetrug, bei dem es um öffentliche Mittel gehe, nicht aber dann, wenn die Bewertung privater Ausgaben in Rede stehe. Vgl. TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Bd. 2,1976, S. 99.

Hier wird übersehen, daß auch im privaten Handeln der Zweck der Vermögensverfügung festgelegt ist, denn nur deshalb kommt die Verfügung zustande. Dieser Zweck ist aber der allein maßgebliche und nicht ein irgendwie - je nach den Umständen - austauschbarer Zweck. Er wird durch Täuschung und Irrtum nicht nur konkretisiert, sondern ausdrücklich vom Täter des Betrugs zum Gegenstand seines Tatverhaltens gemacht. Das Opfer der Täuschung macht ihn sich in seiner Verfügung zu eigen. Der subjektive Ausgangspunkt der personalen Vermögenslehre bedeutet auch keine Gefahr für die Ausdehnung des Schutzobjekts über den Vermögensschutz hinaus. Durch den Bezug auf das wirtschaftliche Gut im Vermögensbegriff und die wirtschaftliche Zweckverfehlung bei der Schadensberechnung ist gewährleistet, daß der subjektive Einschlag nicht über den Vermögensschutz hinaus zum Schutz bloßer Dispositionsfreiheit führt. Dazu: WEIDEMANN Kompensationsproblem, S. 118.

Nicht ohne weiteres abzutun ist hingegen die Überlegung, daß der personale Vermögensbegriff heute noch nicht so durchgearbeitet ist, daß alle Probleme, die mit der Personalisierung des Vermögensbegriffs verbunden sind, in ihrer Bedeutung schon voll abgeschätzt werden können; so LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 111.

Gleichwohl sollte die Erörterung der bisher bekannten problematischen Fälle gezeigt haben, daß dieser Begriff aufgrund seines theoretischen Fundaments ein weit höheres Maß an Rechtssicherheit gewährlei-

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stet als es h. M. und Rechtsprechung in immer neuen Einzelfallentscheidungen bisher erreichen konnten. Eingehend zur Entwicklung und Auseinandersetzung: OTTO Struktur, S. 26 84. - Zu Einzelfällen der Untauglichkeit des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs zur Bestimmung eines rechtlich relevanten Vermögensschadens vgl. darüber hinaus: OTTO Zahlungsverkehr, S. 17 ff (Hingabe eines Finanzwechsels als Warenwechsel); DERS. N J W 1979 S. 684 f (durch Täuschung beeinflußter Zuschlag bei Auktionen); DERS. G R U R 1979 S. 100 f (sog. Adreßbuchschwindel).

bb) Personaler und juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff muß - soweit er auf dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff aufbaut - dessen Mängel übernehmen. Seine Bedeutung liegt daher auch nicht in der Präzisierung des Vermögensbegriffs, ihm geht es vielmehr darum, bestimmte rechtlich dubiose, wirtschaftlich aber relevante Positionen (rechtswidriger Besitz, sog. nichtige Forderungen), aus dem Schutzbereich der Vermögensdelikte zu entfernen. Damit aber setzt er sich in Gegensatz zu seinen wirtschaftlichen Prämissen, so daß die entscheidende Grenzziehung vage bleibt. In Einzelfällen (z. B. Anerkennung des rechtswidrig erlangten Besitzes als Vermögensgut) entscheiden seine Vertreter daher durchaus abweichend voneinander. c) Vermögensschaden und Schadensersatzanspruch aus dem Delikt Der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch, den das Opfer aufgrund des deliktischen Verhaltens des Täters erlangt, kann niemals den Eintritt des Vermögensschadens verhindern. Er ist Folge des Schadens, verhindert aber nicht den Eintritt des Schadens! d) Vermögensgefährdung und Vermögensschaden Auch eine „konkrete" Vermögensgefährdung kann begriffsnotwendig - entgegen der h. M. - als solche niemals ein Vermögensschaden sein, denn die Gefahr eines Schadens ist nicht identisch mit dem eingetretenen Schaden. Es widerspricht daher eklatant dem Grundsatz der Gesetzesbestimmtheit, Art. 103 Abs. 2 GG, wenn die h. M. eine konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensschaden i. S. des § 263 interpretiert. Hingegen kann die Gefährdung eines bestimmten Vermögensgutes dann schon echte Vermögensschädigung sein, wenn sie nach kaufmännischen Bewertungsgrundsätzen mit einer realen Wertminderung des Gutes verbunden ist. Beispiel: A hat eine Forderung gegen B in Höhe von D M 100000,-. Bei Fälligkeit der Forderung kann B nicht zahlen, da seine wirtschaftlichen Verhältnisse schlecht sind. Es besteht aber Hoffnung, daß diese Verhältnisse sich in absehbarer Zeit bessern. Nach kaufmännischen Grundsätzen schreibt A die Forderung zur Hälfte ab.

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Gefährdet ist die Rückzahlung der Forderung. Da diese Gefahr aber - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - zu einem Wertverlust der Forderung geführt hat, ist das Vermögen des A in Höhe des Wertverlustes geschädigt. Eingehend dazu: LACKNER LK, § 263 Rdn. 153 ff; OTTO Struktur, S. 275 ff. e) Zur Verdeutlichung aa) BGHSt 16 S. 321: A verkauft dem Bauern B eine Melkmaschine, an die drei Kühe angeschlossen werden können. Die Maschine kostet den üblichen Preis. 1. Alternative: B hat 10 Kühe und A hatte dem B versichert, an die Maschine könnten alle 10 Kühe zugleich angeschlossen werden. Eine Maschine für nur drei Kühe erleichtert die Arbeit des B nicht wesentlich. 2. Alternative: B hat nur 3 Kühe. Da A dem B aber vorgeschwindelt hatte, die Maschine sei aufgrund einer Einfuhrungsaktion einmalig günstig im Preis, nahm B, um die Maschine erwerben zu können, ein Darlehen zu hohen Zinsen auf. 3. Alternative: Wie in der 2. Alternative, doch mußte B seine Lebensführung erheblich einschränken, um seinen Verpflichtungen aus dem Kauf der Maschine nachkommen zu können. BGHSt 16 S. 321: „Wer sich aufgrund einer Täuschung zu einer Leistung verpflichtet und dafür eine gleichwertige Gegenleistung erhalten soll, ist allein durch die Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht ohne weiteres im Sinne des Betrugstatbestandes an seinem Vermögen geschädigt. Ein Vermögensschaden ist in diesem Fall nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten. Diese können insbesondere dann vorliegen, wenn der Erwerber (a) die angebotene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann oder (b) durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder (c) infolge der Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfugen kann, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschafts- oder Lebensführung unerläßlich sind." Diese Begründung des Schadens in der 2. und 3. Alternative ist im Rahmen des Betrugstatbestandes dubios. Schaden und erstrebte Bereicherung müssen nämlich stoffgleich sein. Dies sind sie aber - entgegen der Ansicht des BGH - in der 2. und 3. Alternative keineswegs. A ist weder um die Darlehenszinsen noch um den Differenzaufwand zur Bestreitung angemessener Lebenshaltungskosten bereichert, sondern um die erlangte Geldsumme aus dem Verkauf der Maschine. - Zum Problem der Stoffgleichheit vgl. weiter unter 6. Im Denkschema der personalen Vermögenslehre ist die Begründung des Schadens in allen drei Alternativen unproblematisch: 1. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil der übereinstimmend zugrunde gelegte wirtschaftliche Zweck: Möglichkeit, 10 Kühe zugleich zu melken, nicht erreicht werden kann.

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2. und 3. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil übereinstimmend zugrunde gelegter wirtschaftlicher Zweck: Möglichkeit ein Wirtschaftsgut zu besonders günstigem Preis zu erwerben, nicht erreicht wurde. Der Kaufpreis entsprach der üblichen Kalkulation. Die Bereicherung ist demnach in allen drei Alternativen mit dem Schaden stoffgleich: Der Täter ist um den Kaufpreis bereichert, das Opfer ist des Kaufpreises verlustig gegangen. bb) OLG Köln N J W 1979 S. 1419: A arbeitete als Zeitschriftenwerber. Der B erklärte er, der Nettogewinn eines Zeitschriftenabonnements für ein Jahr komme endassenen Strafgefangenen, die mit Rauschgift zu tun gehabt hätten, zugute. Daraufhin abonnierte B die Zeitschrift, weil sie diese Verwendung unterstützen wollte. OLG Köln: Daß in Wirklichkeit ein vorgetäuschter sozialer Zweck verfehlt wird, reicht für den Betrugstatbestand noch nicht aus, wenn die Zeitschrift nicht mehr kostet als sonst und wenn der Getäuschte genügend Geld dafür hat und sie brauchen kann. Nach dem personalen Vermögensbegriff ist hier zumindest ein Teil des von der B auch erstrebten sozialen und damit wirtschafdichen Zweckes nicht realisiert worden. Daher lag ein Vermögensschaden vor. Zur Erlangung eines Abonnements einer für den Abonnenten völlig unbrauchbaren Zeitschrift durch Täuschung vgl. BGHSt 23 S. 300 mit Anm. G R A B A N J W 1970 S. 2221; LENCKNER J Z 1971 S. 320; S C H R Ö D E R J R 1971 S . 74. - Zur durch Täuschung erreichten Buchbestellung vgl. OLG Stuttgart N J W 1980 S. 1177. cc) BayObLGJR 1974 S. 336 mit Anm. LENCKNER S. 337 ff: A gab unter Vorspiegelung seiner Zahlungsfähigkeit sein Kraftfahrzeug zur Reparatur. Er war nicht zahlungsfähig. BayObLG: Das Unternehmerpfandrecht hindert den Eintritt des Vermögensschadens nicht. Dem ist nicht zu folgen, wenn das Unternehmerpfandrecht die Forderung deckt und mühelos verwertet werden kann. Vgl. auch LENCKNER a. a. O., und die in der Problemlage ähnliche Entscheidung BGH GA 1972 S. 209. dd) LG Mannheim NJW 1977 S. 160 mit Anm. BEULKE N J W 1977 S. 1073: Die A mietete ein Appartement von B, wobei sie ihm verschwieg, daß sie dieses Appartement als Callgirl nutzen wollte. LG Mannheim: Vermögensschaden liegt in der Gefahr künftiger Entwertung der Wohnungen im Hause. - Dem ist mit BEULKE zutreffend entgegenzuhalten, daß diese Gefahr als realer Vermögensschaden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht faßbar war. ee) BGHSt 15 S. 83: A verkauft eine Sache, die dem B gehört und die A unterschlagen hat, an den gutgläubigen C. BGH: C hat einen Schaden, da er eine mit dem Makel der Unterschlagung behaftete Sache erworben hat und der Gefahr eines Prozesses auf Herausgabe der Sache ausgesetzt ist. So auch: PREISENDANZ StGB, § 2 6 3 Anm. V 3 e; T R Ö N D L E GA 1962 S. 243. - Die h. M. lehnt diese Identifizierung einer vagen Gefährdung mit einem realen Vermögensschaden zutreffend ab; vgl. z. B.: CRAMER Vermögensbe-

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g r i f f , S. 127; GUTMANN M D R 1 9 6 3 S. 9 4 ; MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 4 6 II A 4 d , d d ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 2 6 3 R d n . 111. - D i f f e r e n z i e r e n d : DREHER/ TRÖNDLE § 2 6 3 R d n . 2 7 f f ; KREY B . T. II, S. 148 f ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 2 0 1 ; SAMSON S K , § 2 6 3 R d n . 180.

ff) OLG Köln MDR 1972 S. 884: A versprach dem B, ihm gegen Zahlung von DM 20,- eine Prostituierte zum Geschlechtsverkehr zu verschaffen. B zahlte, A war aber von vornherein nicht leistungswillig. OLG: Schaden und damit Betrug gegeben, da es kein rechdich gegen Betrug ungeschütztes Vermögen gibt. Vom personalen Vermögensbegriff her ist dem zuzustimmen, vgl. OTTO Struktur, S. 292 ff. - A. A. z. T. die Anhänger des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs - vgl. CRAMER Vermögensbegriff, S. 94 ff; DERS.JUS 1966 S. 472 ff - m i t d e m

Hinweis, der Getäuschte kenne die Unverbindlichkeit und schädige sich daher bewußt selbst. gg) BGHSt 2 S. 364: C hatte eine Drehbank gestohlen. Er bat den A, diese zu verkaufen. Den Erlös wollten sie teilen. A erzielte beim Verkauf DM 3800,-. Dem C gegenüber gab er jedoch nur einen Verkaufserlös von DM 3000,- an, so daß dieser sich mit einem Betrag von DM 1500,- als seinem Anteil zufriedengab. BGH: Auch ein nichtiger Anspruch ist ein Vermögensbestandteil. Dem kann nicht gefolgt werden: Eine Forderung im Rechtssinne ist hier nicht entstanden. Es bestand allein die Möglichkeit, durch Einsatz rechtswidriger Mittel (z. B. Gewalt) wirtschafdiche Güter zu erlangen. Der Ausschluß sog. nichtiger Forderungen aus dem Kreis der Vermögensobjekte hat auch nicht zur Folge, daß wertvollen Wirtschaftsgütern der Schutz versagt wird, vielmehr wird nur verhindert, daß die Möglichkeit, sich durch strafbares Verhalten Vermögensgüter zu verschaffen, in den Rang eines Wirtschaftsgutes erhoben wird. Eingehend dazu: OTTO Struktur, S. 51 ff. hh) BGH GA 1978 S. 332: A verkaufte dem B die Teilnahme an einem Kursus, indem er ihm vortäuschte, daß die in dem Kurs erlangten Kenntnisse dem B besonders günstige Verdienstmöglichkeiten eröffnen würden. In Wirklichkeit konnte von derartigen Verdienstmöglichkeiten keine Rede sein. BGH: Es liegt keine betrügerische Vermögensbeschädigung vor, wenn sich nur eine wirtschaftlich nicht faßbare Hoffnung auf Vermögenszuwachs zerschlägt. Nach den Prämissen des personalen Vermögensbegriffs kan n dem nicht gefolgt werden, denn Vertragsgegenstand waren zwei Leistungen: die Abhaltung des Kurses und die Vermittlung von Kenntnissen, die sich wirtschafdich verwerten ließen. Da die zweite Leistung nicht erbracht wurde, liegt ein Vermögensschaden vor. ii) BGH bei Dallinger, MDR 1972 S. 17: A schwindelt dem B dessen Reisepaß ab, um damit betrügerische Abzahlungsgeschäfte einzugehen. BGH: B hat keinen Vermögensschaden erlitten, denn ein fremder Reisepaß hat keinen meßbaren Geldwert. - A. A. die personale Vermögenslehre, denn ein Ausweis kann Gegenstand wirtschaftlichen Verkehrs sein, auch wenn dies im Regelfall kein rechdich gebilligter Verkehr ist. Als Sache ist aber ein Ausweis ein wirtschaftliches Gut.

§ 5 1 Betrug

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IV. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz Der Vorsatz - bedingter Vorsatz genügt - muß alle Merkmale des objektiven Tatbestands und den zwischen ihnen bestehenden funktionalen Zusammenhang umfassen. 2. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögenvorteil zu verschaffen (Bereicherungsabsicht) a) Absicht bedeutet hier - dolus directus 1. Grades - zielgerichtetes Wollen. Es genügt aber, daß es dem Täter auf den rechtswidrigen Vermögensvorteil als sichere und erwünschte Folge seines Handelns ankommt, mag der Vorteil von ihm auch nur als Mittel zu einem anderweitigen Zweck erstrebt werden. Nicht erforderlich ist, daß der Vermögensvorteil die eigendiche Triebfeder oder das in erster Linie erstrebte Ziel seines Handels ist; BGHSt 16 S. 1. b) Vermögensvorteil ist jede günstigere Gestaltung der Vermögenslage. Der erstrebte Vorteil muß dem zugefügten Schaden entsprechen, gleichsam als Kehrseite des Schadens erscheinen. Dieser Zusammenhang zwischen erstrebter Bereicherung und Schaden wird gemeinhin mit dem Stichwort der Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung charakterisiert. Stoffgleichheit darf hier aber nicht als Identität verstanden werden. Es genügt, daß Schaden und Vorteil ihren Grund in derselben Vermögensverfügung haben und daß der Vorteil zu Lasten des geschädigten Vermögens geht. Dazu eingehend: LACKNER LK, § 263 Rdn. 274.

c) Zur Verdeutlichung aa) BGHSt 21 S. 384: A verkaufte als Provisionsvertreter der Firma X Zigarettenautomaten. Durch Täuschung überredete er den B zum Vertragsabschluß. Den Vertrag reichte A bei X ein. Er erhielt eine Provision. B G H : Gegenüber B liegt ein Betrug des A zu Gunsten der Firma X vor. Der Gewinn aus dem Automatenverkauf floß nicht A, sondern X zu. - Gegenüber X ist jedoch ein eigennütziger Betrug des A gegeben. Er hatte keinen Rechtsanspruch auf die Provision, da der Vertrag zwar gültig aber anfechtbar zustande gekommen war und daher nicht den Wert eines ordnungsgemäßen Vertrags hatte. bb) B verspricht dem A eine Belohnung von DM 200,-, wenn der Hund des Nachbarn C, der den Schlaf des B stört, zur Ruhe gebracht werde. A geht zu C und redet ihm ein, der Hund sei tollwütig. Entsetzt erschießt C den Hund, der einen Wert von DM 200,- hatte. Ergebnis: Kein Betrug des A: Schaden des C nicht stoffgleich mit Bereicherung des A ! - A hat eine Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft begangen. cc) A, der zu einer Verkaufsmesse fährt, täuscht seinen Konkurrenten B über das Datum der Messe. B erscheint nicht, A hat den doppelten Umsatz.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Ergebnis: Kein Betrug des A. Die Aussicht, daß bestimmte Kunden bei B kaufen, ist nicht Vermögensbestandteil des B. Ihm gehören die Kunden nicht. Zur Anerkennung von Anwartschaften, Exspektanzen und Gewinnaussichten als Vermögensbestandteile im einzelnen vgl. LACKNER LK, § 263 Rdn. 134 ff. 3. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen a) Im Rahmen der Delikte gegen das gesamte Vermögen - Betrug, Erpressung - ist weitgehend anerkannt, daß rechtswidrig nur ein Vermögensvorteil ist, auf den der Täter nach materiellem Recht keinen Anspruch hat. Ein Vermögensvorteil ist dann nicht rechtswidrig, wenn die der Bereicherung zugrunde liegende Vermögensentziehung auf die Herbeiführung eines vor der Vermögensordnung rechtsbeständigen Zustandes gerichtet ist. Die Verfolgung und Abwehr von Ansprüchen mit rechtswidrigen Mitteln macht den Vermögensvorteil als solchen nicht zu einem rechtswidrigen. Dazu: BGH wistra 1982 S. 68; vgl. im übrigen zur entsprechenden Problematik des § 253 unten § 53 I 3. Das gleiche Ergebnis, wenn auch auf anderem konstruktivem Weg, wird erreicht, wenn der Eintritt eines Vermögensschadens abgelehnt wird, falls der Täter ein Vermögensgut an sich bringt, auf das er einen Anspruch hat; vgl. z. B. BOCKELMANN Mezger-Festschrift, S. 367 ff; CRAMER Vermögensbegriff, S. 160; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 2 7 6 ; WELZEL N J W 1 9 5 3 S . 6 5 2 ; B G H S t 2 0 S . 1 3 7 f ; B G H

N J W 1983 S. 2646. Die Konstruktion ist vom juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriff her konsequent, nicht jedoch mit den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs in Einklang zu bringen. Das Haben eines Objekts ist - wirtschaftlich gesehen - vorteilhafter als der bloße Anspruch auf das Haben. Eingehend dazu: OTTO Struktur, S. 215 ff. D a die h. M. beim Vermögensschaden und bei der Bereicherung auf den Geldwert abstellt, k o m m t sie hier nicht zu der - wie oben § 40 II 4 a gezeigt - kaum sachgemäßen Differenzierung zwischen Spezies- und Gattungsschulden, die die Argumentation bei den Zueignungsdelikten bestimmt. Ist der Anspruch hingegen nicht fällig, bedingt oder besteht er nur zum Teil, so ist der erstrebte Vorteil rechtswidrig; beim teilweise begründeten Anspruch soweit der Anspruch unbegründet ist. b) Irrt der Täter über das Vorliegen eines Anspruchs, so entfällt gleichfalls die Absicht rechtswidriger Bereicherung, da es sich bei der Absicht um ein subjektives Merkmal des Tatbestandes handelt. Dazu: BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 99; OLG Bamberg N J W 1982 S. 778. Im einzelnen dazu: LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 2 8 7 f; a. A . ARZT L H 3, M II 7 b.

c ) Zur Einübung aa) BGHSt 3 S. 160: Im Prozeß ihres Kindes K auf Unterhalt gegen H sagte A als

§ 51 Betrug

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Zeugin falsch aus. Dadurch gewann K den Prozeß. A war jedoch fest davon überzeugt, daß der Anspruch des K gegen H begründet war. BGH: A wollte dem K keinen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen, da sie davon ausging, daß der Anspruch des K nach materiellem Recht begründet war. bb) BGH N J W 1953 S. 1479: A hatte eine Forderung gegen B aus einem Geschäft mit diesem. B zeigte sich nicht zahlungswillig. A nahm nun bei B ein Darlehen auf. Bei Fälligkeit des Darlehens rechnete er auf, was er von vornherein vorgehabt hatte. BGH: Da A auf die Leistung einen fälligen Anspruch hatte, war sein Vermögensvorteil nicht rechtswidrig. Die Aufrechnung ist eine von der Rechtsordnung anerkannte Form der Erfüllung! Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn die Forderung des A noch nicht fällig oder bedingt gewesen wäre, bzw. die Aufrechnung vertraglich ausgeschlossen gewesen wäre. cc) BGH bei Daliinger, MDR1956 S. 10: A machte Rentenansprüche als Kriegsversehrter wegen einer Beinverletzunggeltend, die er angeblich durch Granatsplitter erlitten hatte. Diese Behauptung war unwahr, doch war A lungenkrank, und es war nicht auszuschließen, daß die Lungenkrankheit auf Kriegseinwirkungen zurückzuführen war. BGH: Kein Betrug des A, wenn A nur die Rente hätte haben wollen, die ihm aufgrund der Lungenkrankheit zukam oder von der A geglaubt hätte, daß sie ihm zustände, was für ihn aber schwer beweisbar gewesen wäre. - Hatte A aufgrund der Lungenerkrankung keinen Anspruch und wußte das, so lag ein vollendeter Betrug vor. - Hatte A hingegen keine Ahnung von einem solchen Anspruch, lag dieser aber vor, so ist ein versuchter Betrug gegeben.

V. Versuch, Vollendung und Besonderheiten der Strafverfolgung 1. D e r Versuch des Betruges beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen des Täters zur Täuschung, die zur Vermögensverfügung führen soll. Eine Täuschung, die nur dazu dient, das Vertrauen des Opfers zu erlangen, um später um so wirksamer eine aufVermögensverfügunggerichtete Täuschung durchzuführen, ist lediglich eine Vorbereitungshandlung. Dazu: OLG Karlsruhe NJW 1982 S. 59 mit Anm. BURKHARDTJUS 1983 S. 426 ff. 2. Vollendet ist das Delikt mit Eintritt des Vermögensschadens. - Materiell beendet ist der Betrug mit Erlangung des erstrebten Vermögensvorteils durch den Täter. 3. Gemäß § 263 Abs. 4 ist in Bagatellfällen des Betruges § 248 a anzuwenden sowie die Strafschärfung eines besonders schweren Falles gemäß § 243 Abs. 2 ausgeschlossen; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen oben § 44, § 41 II. - Bei einem Haus- und Familienbetrug findet gemäß § 263 Abs. 4 der § 247 Anwendung; dazu oben § 43.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

VI. Besonders bezeichnete Betrugsfälle Wenn aus einer Art eine Untergruppe eine besondere Bezeichnung erhält, in der die Bezeichnung der Art wieder aufgenommen wird, so kann man gemeinhin davon ausgehen, daß es sich hier um einen besonders typischen Fall der Art handelt. Im Bereich des Betruges ist das jedoch ein Irrtum. Bei den besonders bezeichneten Betrugsfällen handelt es sich keineswegs um besonders typische Betrugsfälle, sondern um Fälle, in denen das Vorliegen des Betruges gerade besonders problematisch ist. Dies wird jedoch durch die besondere Bezeichnung kaschiert, denn der Rechtsanwendende begnügt sich in der Regel mit dem Nachweis, daß die Besonderheit vorliegt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob überhaupt ein Betrugsfall gegeben ist. 1.

Eingehungsbetrug

Problembereich: den.

Konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensscha-

a) Vertragsabschluß und Schadensbegründung Schon beim Vertragsabschluß, nicht erst bei einer eventuellen Vorleistung, soll der Vertragsschließende einen Vermögensschaden erleiden, wenn sein Vertragspartner in diesem Zeitpunkt die Absicht hat, nicht vertragsgemäß zu erfüllen. - D e m kann nicht gefolgt werden, denn in diesem Zeitpunkt ist noch kein Schaden des Vertragsschließenden eingetreten. Zur

Verdeutlichung:

aa) B G H NJW1953 S. 836: A verkaufte an B Kohle einer bestimmten Sorte. Er hatte vor, schlechtere Kohle zu liefern. BGH: Betrug schon bei Vertragsabschluß. Dem ist nicht zu folgen: Da B durch den Vertragsabschluß einen vollgültigen, seinen Verpflichtungen gleichwertigen Anspruch erwarb, ist hier ein Vermögensschaden noch nicht gegeben. Schadenseintritt erst mit Leistung des B, wenn von A nicht ohne Aufwendungen die geschuldete Leistung zu erhalten ist. bb) BGHSt 23 S. 300: A verpflichtete den B unter Täuschung zur Abnahme einer für B völlig wertlosen Zeitschrift. BGH: Schaden bei Vertragsabschluß. - Dem ist zuzustimmen, denn der Verpflichtung des B, das Abonnement zu bezahlen, stand ein Anspruch gegenüber, der für B wertlos war. cc) B G H NStZ 1983 S . 408 mit Anm. LENCKNER S . 409 ff, M A A S S J U S 1984 S . 25 ff und B L O Y J R 1984 S. 123 ff: A, der wußte, daß er zahlungsunfähig war, beauftragte den Makler M mit der Vermittlung einer Wohnung. B G H : Betrug liegt erst dann vor, wenn M aufgrund des Abschlusses des vermittelten Geschäftes einen rechtswirksamen Vergütungsanspruch gegen A erworben hat. Dem ist mit LENCKNER entgegenzuhalten, daß der Betrug bereits vollendet ist, wenn M seine Leistung erbracht hat, obwohl A zahlungsunwillig und -unfähig ist.

§ 51 Betrug

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Der Makler, der seine Leistung erbringt, leistet im Vertrauen darauf, daß damit eine Grundlage für den Zahlungsanspruch geschaffen wird. Will der Kunde von vornherein einen solchen Anspruch nicht entstehen lassen oder ist dieser Anspruch wertlos, so schädigt sich der Makler durch seine Leistung, die er dem Kunden erbringt. Darin liegt der Vorteil des Kunden. b) Das Verhältnis von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug aa) Führt bereits der Vertragsabschluß zu einem Schaden - vgl. Fall a, bb) - so ist die Realisierung der mit Vertragsabschluß begründeten Schädigung durch Erfüllung nur noch die materielle Beendigung des Betrugsdelikts. bb) Entsprechen sich die mit dem Vertragsabschluß begründeten Forderungen wertmäßig, so liegt der Betrug in der Leistung eines minderwertigen Objekts an Stelle des geschuldeten Objekts. Dazu: OLG Stuttgart J R 1982 S. 470 mit krit. Anm. BLOY S. 471 ff. 2. Leistung ohne Gegenleistung: Bettel-, Spenden- und

Subventionsbetrug

Probkmbereich: Vermögensschaden i. S. des § 263, w e n n feststeht, daß eine Leistung ohne eine Gegenleistung erbracht werden soll, so daß das Vermögen bewußt vermindert wird. D a in diesen Fällen von vornherein nicht beabsichtigt ist, die Vermögensminderung durch ein Äquivalent auszugleichen, stellt sich das Problem, ob hier stets ein Vermögensschaden anzunehmen ist, wenn die Vermögensverfügung durch Täuschung herbeigeführt wurde, oder niemals, bzw. ob zu differenzieren ist; dazu R U D O L P H I Klug-Festschrift, Bd. 2, S. 315 ff. Zur

Verdeutlichung:

a) BayObLG N J W 1952 S. 798: Der Spender S wird von dem Sammler A zu einer hohen Spende für einen mildtätigen Zweck veranlaßt, indem ihm vorgespiegelt wird, seine Nachbarn hätten sehr hohe Beträge gespendet. BayObLG: Vermögensschaden des S und damit Betrug; dazu auch CRAMER Vermögensbegriff, S. 121 ff. - Aufgrund des Vorliegens einer bewußten Selbstschädigung wird der Betrug z. T. abgelehnt; dazu GUTMANN MDR 1963 S. 3. Nach der personalen Vermögenslehre ist ein Betrugsschaden hier abzulehnen, weil der erklärte wirtschaftliche Zweck: Unterstützung einer wohltätigen Organisation, von S erreicht wurde. Daß S darüber hinaus protzen wollte, er könne mehr leisten als seine Nachbarn, ist irrelevant; dazu O T T O Struktur, S. 59 f. b) BGH N J W 1982 S. 2453: Vor Inkrafttreten des § 264 erlangte A durch Täuschung über Einhaltung einer gesetzlich vorgesehenen Frist eine Investitionszulage. BGH: Wer Beträge aus haushaltsrechtlich gebundenen Mitteln erschleicht, ohne zu der im Gesetz begünstigten Bevölkerungsgruppe zu gehören, fügt dem Staat einen Vermögensschaden zu, weil dadurch die zweckgebundenen Mittel ver-

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Die Vermögensentziehungsdelikte

ringert werden, ohne daß der erstrebte sozialpolitische Zweck erreicht wird. Dem ist nach den Prämissen des personalen Vermögensbegriffs zuzustimmen, denn mit diesem begründet hier der BGH den Vermögensschaden, ohne auf den wirtschafdichen Vermögensbegriff, der hier nicht paßt, überhaupt einzugehen.

3. Der Anstellungsbetrug

Problembereich: Vermögensschaden. - Anstellungsbetrug ist eine Unterart des Eingehungsbetrugs. Seine Problematik löst sich nach denselben Grundsätzen. a) Fall: A läßt sich bei F als Buchhalter einstellen und bezahlen, obwohl er von Buchhaltung keine Ahnung hat. Ergebnis: Betrug mit Vertragsabschluß. Der Anspruch des F auf Dienstleistung durch A ist dem Gehaltsanspruch des A nicht äquivalent. b) Fall: A täuscht bei seiner Einstellung als Buchhalter vor, er habe 6 Semester Betriebswirtschaft studiert. Daraufhin wird er eingestellt. A ist ein vorzüglicher Buchhalter, studiert hat er jedoch niemals. BGHSt 17 S. 254: Kein Schaden des Dienstberechtigten, wenn der Dienstverpflichtete die Leistungen erbringen kann, die aufgrund seiner gehaltlichen Eingruppierung allgemein von ihm erwartet werden dürfen. c) BGH NJW1978 S. 2042: A, der eine Vertrauensposition bei der Firma X inne hat, die es ihm ermöglicht, selbständige Dispositionen über das Vermögen der X zu treffen, hat bei seiner Einstellung darüber getäuscht, daß er wegen verschiedener Vermögensdelikte vorbestraft ist. BGH: Schon mit der Anstellung des für Vermögensstraftaten anfälligen A erleidet X einen Vermögensschaden, da das Vermögen der X der konkreten und ständigen Gefahr ausgesetzt war, daß A zum Nachteil der X über dieses Vermögen verfügte; dazu auch BGHSt 17 S. 259. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Vermögensgefährdung ist mit einem Vermögensschaden nicht identisch. Diskutabel ist hier allein eine Begründung des Vermögensschadens mit der Erwägung, daß eine Vertrauensstellung höher bezahlt wird, als eine Stellung, in der der Angestellte erst seine Vertrauenswürdigkeit beweisen muß. D a z u : MIEHEJUS 1980 S. 261 ff.

d) BGHSt 5 S. 358: Ein Beamter täuscht über eine Einstellungsvoraussetzung (z. B. Abitur). Den übertragenen Dienst versieht er vorzüglich. BGH: Betrug. - Unabhängig von den erbrachten Leistungen hat die Anstellungskörperschaft einen Schaden, weil der Beamte nach bestimmten Laufbahnvorschriften bezahlt wird, nicht aber ein von seiner Leistung unmittelbar abhängiges Entgelt erhält. I m Ergebnis z u s t i m m e n d : GUTMANN M D R 1963 S. 9 6 ; LACKNER L K , § 263 R d n . 2 3 9 ; PREISENDANZ § 2 6 3 A n m . V 3 h , aa; SARSTEDT J R 1952 S. 3 0 8 ; SCHÖNKE/ SCHRÖDER/CRAMER § 263 R d n . 156.

Mit dieser Argumentation wird der Betrug von einem Vermögensdelikt in ein Delikt der Amtserschleichung uminterpretiert. Das ist nicht sachgemäß; vgl. a u c h : DIEKHOFF D B 1961S. 1487; HARDWIG G A 1 9 5 6 S. 18; KOHLRAUSCH/LANGE § 2 6 3 A n m . V 2 d; OTTO Struktur, S. 284 ff; WELZEL Lb., § 54 I 4 b.

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4. Der Prozeßbetrug Probkmbereich: Irrtum, Verfügender in der Vermögenssphäre des Geschädigten? Fall: A verklagt den B auf Zahlung von DM 1000,-, obwohl er genau weiß, daß B die Schuld längst bezahlt hat. Da B im Prozeß keine Quittung beibringen kann, A aber den Schuldschein vorlegt, erläßt der Richter ein Urteil gegen B. Dies wird rechtskräftig, A vollstreckt daraus.

a) Die Möglichkeit eines sog. Prozeßbetrugs hängt zunächst davon ab, ob der Richter, demgegenüber ein Prozeßpartner unwahre Angaben macht, überhaupt getäuscht wird und einem Irrtum unterliegt. Dieses Problem stellt sich in noch schärferer Form beim Erlaß eines Mahnbescheids, den der Rechtspfleger aufgrund schlüssiger Behauptungen des Antragstellers erläßt, weil zweifelhaft ist, ob es überhaupt auf Seiten des Rechtspflegers zu einer Überzeugungsbildung über die Wahrheit des Parteivortrags kommt. Nun trifft es zwar zu, daß Richter und Rechtspfleger bei Erlaß des Urteils bzw. Mahnbescheids in der Tat aufgrund der Beweislastregeln ihre Entscheidung treffen, nicht aber aufgrund ihrer inneren Überzeugung von der Wahrheit des Parteivorbringens. Zu beachten ist aber, daß die Beweislastregelungen nicht geeignet sind, Richter und Rechtspfleger zu Handlangern von Deliktstätern zu degradieren. Wissen sie positiv, daß ihre Entscheidung auf falschen Angaben beruht, so dürfen sie nicht entscheiden. Damit aber ist der Raum für einen Irrtum eröffnet : Sie werden über die Tatsache, daß die Angaben wahr sind, getäuscht. Das bloß abstrakte Wissen, daß Prozeßparteien u. U. die Unwahrheit vortragen, schließt Täuschung und Irrtum im konkreten Fall nicht aus, solange das Rechtspflegeorgan nicht positiv weiß, daß die Angaben im konkreten Fall unwahr sind; dazu BGHSt 24 S. 260 f. Die Möglichkeit eines Prozeßbetrugs im Mahnverfahren lehnen ab: AMELUNG G A 1977 S. 16; DREHER/TRÖNDLE § 2 6 3 R d n . 2 2 ; GIEHRING G A 1973 S. 1 ff; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 314; SCHONKE/SCHRÖDER/CRAMER § 2 6 3 R d n . 74.

Mit Einführung des automatisierten Mahnverfahrens - dazu D Ä S T N E R ZRP 1976 S. 36 - entfällt die Täuschung des Rechtspflegeorgans und damit die Möglichkeit eines Prozeßbetrugs im Mahnverfahren. b) Weiterhin erscheint es problematisch, ob der Richter oder Rechtspfleger als Person in der Vermögenssphäre dessen, der im Prozeß unterliegt, anzusehen ist. Dies ist schon deshalb zweifelhaft, weil der Richter, je nachdem, ob der Kläger oder der Beklagte den Prozeß verliert, jeweils dem Unterliegenden zugerechnet werden müßte. Ein positiver Akt des Betroffenen, der dem Richter diese Vermögensposition einräumt, liegt nicht vor. Hier muß der Richter gleichsam als Person angesehen werden, die kraft Gesetzes bestimmten Vermögenssphären zugerechnet wird. Die Unterwerfung unter das Gerichtsverfahren hat gleichsam die Einsetzung

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Die Vermögensentziehungsdelikte

des Richters in bestimmte Vermögenspositionen zur Folge. c) Der Schaden liegt im Falle des Prozeßbetruges noch nicht im Erlaß des Urteils, sondern erst in der Ausfertigung der Vollstreckungsklausel des Urteils oder im Erlaß des Vollstreckungsbescheids. Erst dann ist eine Situation eingetreten, die der Belastung eines Vermögens mit einer Forderung vergleichbar ist. d) Zum Prozeßbetrug durch Verschweigen von Tatsachen: OLG Zweibrücken N J W 1983 S. 694.

5. Scheckkartenbetrug Problembereich: Täuschung und Irrtum BGHSt 24 S. 386: A, der wußte, daß auf seinem Bankkonto bei der B-Bank keine Deckung vorhanden war und ihm auch Kredit nicht gewährt würde, löste mehrere Euroschecks unter Vorlage der Scheckkarte bei verschiedenen Banken ein. Die B-Bank mußte Zahlung leisten. Mit ihren Forderungen gegen A fiel sie aus. BGH: A beging einen Betrug, da er über die Deckung seines Kontos täuschte.

Die Konzeption dieses Schecks als ein dem Bargeld nahezu gleichwertiges Zahlungsmittel beruht auf der Garantie des bezogenen Kreditinstituts, den Scheck auf alle Fälle, und völlig unabhängig vom Kontostand des Ausstellers, einzulösen. Mit dem ausdrücklichen Hinweis, der Schecknehmer brauche sich keine Sorgen über die Deckung des Schecks zu machen, ist der Scheck populär gemacht worden. Gerade wenn der Schecknehmer sich an diese ausdrückliche Zusicherung hält, kann der Begebungeines derartigen Schecks nicht die konkludente Erklärung über die Deckung des Schecks entnommen werden. Daher liegt keine Täuschung vor. So auch: DUNKEL Erfordernis und Ausgestaltung des Merkmals „Vermögensbetreuungspflicht" im Rahmen des Mißbrauchs des Tatbestandes der Untreue (§ 266 1 1. Alternative StGB), 1976, S. 10 f; LABSCH Untreue (§ 266 StGB), 1983, S. 119; LACKNER LK, § 2 6 3 R d n . 320; SCHROTH N J W 1983 S. 718 f; VORMBAUMJuS

1981S. 23; zumindest aber fehlt es an einem Irrtum: GROSS NJW 1973 S. 601; OTTO Zahlungsverkehr, S. 99 f; DERS. Bankentätigkeit, S. 132; SCHROTH NJW 1983 S. 719 f; STEINHILPER Jura 1983 S. 404.

Hingegen scheitert der Betrug nicht daran, daß die für die Vermögensverfügung im Rahmen des Betruges erforderliche rechtliche oder tatsächliche Nähe des Verfügenden zum geschädigten Vermögen fehlt, denn durch ihre Garantie hat die Bank dem Verfügenden die Position, über ihr Vermögen verfügen zu können, eingeräumt. A. A . : DREHER/TRÖNDLE § 263 R d n . 20; DUNKEL Erfordernis, S. 12 ff; SAMSON S K , § 2 6 3 R d n . 9 8 ; SCHRÖDER J Z 1972 S. 709; SENNEKAMP M D R 1971 S. 638.

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Auch die Stoffgleichheit zwischen Schaden und Bereicherung ist gegeben, denn Schaden und Vorteil beruhen auf derselben Vermögensverfügung und der Vorteil geht zu Lasten des geschädigten Vermögens. So auch: OLG Köln N J W 1 9 7 8 S. 713; HEIMANN-TROSIENJZ 1976 S. 551; LACKNER S t G B , § 2 6 3 A n m . 9 a; MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 4 6 II B 1. - A . A . : DREHER/ TRÖNDLE § 2 6 3 R d n . 39; GÖSSEL J R 1978 S. 471; SAMSON J A 1978 S. 6 3 0 ; VORMBAUM

JuS 1981 S. 24.

Sachgerechter wäre die Lösung des Falles als Untreue gemäß § 266 Abs. 1, I. Alt.; dazu weiter unten § 54 II 1. 6. Kreditkartenbetrug

Problembereich: Täuschung und Irrtum Beim Kreditkartenbetrug darf der Karteninhaber Verpflichtungen des Kartenunternehmens nur in der Höhe begründen, in der er zum vertragsgemäßen Ausgleich fähig und willig ist. Zweifelhaft ist aber auch hier, ob der Täter das Opfer der Täuschung überhaupt über seine Leistungswilligkeit und -fähigkeit täuscht. Insofern entspricht die Problematik der des Scheckkartenbetruges. So auch: LG Bielefeld NJW 1983 S. 1335; BRINGEWAT NStZ 1983 S. 457 ff; a. A. KNAUTH NJW 1983 S. 1287 ff; eingehender dazu: OTTO Bankentätigkeit, S. 132. 7. Lastschriflenbetrug

Problembereich: Täuschung und Irrtum Mit Einreichen einer Lastschrift erklärt der Einreichende konkludent, daß seine Forderung begründet und er zur Lastschrift berechtigt ist. Da allerdings der Sachbearbeiter in der Bank eine sachliche Prüfung des Anspruches nicht durchführt, entspricht die Problematik der des Prozeßbetruges. Dazu: OLG Hamm NJW 1977 S. 1834 sowie eingehend: OTTO Bankentätigkeit, ff.

S. 138

8. Betrug beim Verkauf von Warenterminoptionen

Problembereich: Täuschung und Vermögensschaden Fall: A verkaufte dem B eine Warenterminoption. Im Kaufpreis war eine Provision für A in Höhe von 50% des Kaufpreises enthalten. A versprach außer der Vermittlung der Option, Überwachung des Kurses und bestmöglichste Verwertung der Option.

Beim Verkauf einer Warenterminoption ohne Ausweis der Provision kann eine Täuschung dann vorliegen, wenn die geforderte Provision völlig vom verkehrsüblichen oder angemessenen Preis abweicht. Bei der Bestimmung des Preises ist aber nicht nur die Vermittlungsprovision in

240

Die Vermögensentziehungsdelikte

Ansatz zu bringen, sondern auch der Preis für u. U. versprochene Vermögensfürsorge durch Überwachung und Ausübung der Option. Für eine derartige Leistung kann im Einzelfall, wenn der Vertragspartner sachverständig und leistungsbereit ist, ein Aufschlag bis zu 100 % auf den Optionspreis vertretbar sein. Dann fehlt es auch an einem Vermögensschaden, da der Käufer für sein Geld ein entsprechendes Leistungsäquivalent (Option und Vermögensfürsorgeleistung) erhält. - Ist der Verkäufer hingegen überhaupt nicht sachverständig und/oder willig, die Option zu überwachen und die nötige Vorsorge zu treffen, so täuscht er bereits über seine Leistung. Der Schaden des Käufers liegt darin, daß er eine Leistung erhält, die gerade nicht ihren Preis wert ist. Im einzelnen zu den verschiedenen Fallkonstellationen und ihren rechtlichen Würdigungen: BGHSt 30 S. 177 mit Anm. SEELMANN NJW 1981 S . 2132 ff und SCHEU JR 1982 S . 121 f; BGHSt 31 S. 115 mit Anm. ROCHUS JR 1983 S . 338 f; BGHSt 30 S. 388; BGH NJW 1983 S. 292; BGH MDR1983 S. 591; BGHSt 32 S. 22; OLG Hamburg NJW 1980 S. 2593 mit Anm. SEELMANN NJW 1980 S . 2545 ff, SONNEN NStZ 1981 S . 24 und SCHEU MDR 1981 S . 467 f; OLG München JZ 1980 S . 7 3 4 ; K G N J W 1 9 8 0 S. 1 4 7 1 ; KOCH J Z 1 9 8 0 S . 7 0 4 f ; LACKNER/IMO M D R

1983

969 ff; ROCHUS NJW 1981S. 736 ff; SONNEN wistra 1982 S . 123 ff; DERS. Strafverteidiger 1984 S. 175 ff.

S.

9. Der Sicherungsbetrug Problembereich: Vermögensschaden Fall: A hat eine Sache des B unterschlagen. Als B Herausgabe verlangt, leugnet A, die Sache je gesehen zu haben.

a) Sicherungsbetrug wird der hier - angeblich - vorliegende Betrug genannt, weil er der Sicherung einer durch ein vorangegangenes Vermögensentziehungsdelikt erlangten Beute dient. Wird dies klar ausgesprochen, so ist die Problematik der Konstruktion offensichtlich: Hat der Täter sich die Beute, z. B. eine Sache, durch einen vorangegangenen Diebstahl, eine Unterschlagung, einen Betrug, eine Erpressung o. ä., verschafft, so ist der Schaden des Vermögensträgers durch dieses Delikt eingetreten. Für einen weiteren Betrugsschaden durch Kaschieren des vorangegangenen Delikts ist kein Raum und damit auch nicht für den Betrug „als straflose Nachtat", denn auch die straflose Nachtat ist tatbestandsmäßige Tat! Die Unterscheidung zwischen nicht tatbestandsmäßiger Tat und tatbestandsmäßiger, aber strafloser Nachtat wird von der Rechtsprechung oft nicht hinreichend deutlich gemacht; z. B. BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 23: „straflose Nachtat, weil kein weiterer Schaden eintritt."

b) Läßt das vorangegangene Vermögensdelikt hingegen noch Raum für einen neuen Schaden, so ist die Sachlage unproblematisch. Beide Delikte stehen in Realkonkurrenz.

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

241

Fall: A hat das Kfz des B unbefugt in Besitz genommen. Er wollte es dem B am nächsten Tag zurückgeben. Als B ihn aber am nächsten Tag nach dem Kfz fragt, leugnet A ab, dieses überhaupt gesehen zu haben, denn nun will er das Kfz auf Dauer behalten. B glaubt dem A. Ergebnis: §§ 248 b, 263, 53. - Erst durch den Betrug erlangte A umfassende Sachherrschaft über das Kfz.

c) Problematisch ist die Beurteilung, wenn der Täter durch seine Täuschung die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches des Geschädigten aus der ersten Straftat, dessen sich der Geschädigte bewußt ist, zu verhindern sucht. BGHJZ 1979 S. 764: Nach einem Versicherungsbetrug fordert die geschädigte Versicherung von A den an ihn gezahlten Betrag zurück. A täuscht über eine Gegenforderung, um die Realisierung der Forderung zu verhindern.

Konstruktiv sind hier zwei Schädigungen zu unterscheiden: Schaden durch den Versicherungsbetrug und Schaden durch Verhinderung der Realisierung der Forderung, die allerdings aus dem ersten schädigenden Ereignis erwachsen ist. Da es wirtschaftlich jedoch um die Sicherung der Beute aus der 1. Straftat geht, ist es vertretbar, den 2. Betrug als straflose Nachtat zu werten; vgl. auch B G H J Z 1979 S. 765. d) Vgl. zur entsprechenden Problematik der Zueignung nach einer Zueignung oben § 42 I 6. - Zur Sicherungserpressung vgl. unten § 53 I 2 c.

§ 52: Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352, 353 1. Gebührenüberhebung, § 352 a) § 352 enthält einen privilegierenden Spezialfall des Betruges. Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen des Opfers. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. b) Täter können nur Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), Anwälte oder sonstige Rechtsbeistände sein, die zum eigenen Vorteil Gebühren oder Vergütungen erheben dürfen. c) Die Tathandlung besteht im Erheben von Gebühren oder Vergütungen, die entweder überhaupt nicht vereinbart werden dürfen oder die unter Überschreitung der festen Sätze oder der Rahmensätze gefordert werden. Erheben ist die Entgegennahme der Leistung. - Vergütung ist jedes Entgelt für eine amdiche Tätigkeit. - Gebühr ist ein Unterfall der Vergütung.

242

Die Vermögensentziehungsdelikte

d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, Bereicherungsabsicht i. S. des § 263 ist nicht erforderlich. So auch: D R E H E R / T R Ö N D L E § 3 5 2 Rdn. 8 ; LACKNER StGB, § 3 5 2 Anm. 5 ; TRÄGER LK, § 3 5 2 Rdn. 2 1 . - Für Ausschluß des bedingten Vorsatzes: M A U R A C H / S C H R O E D E R B . T . I I , § 7 9 II 2 ; SAMSON S K , § 3 5 2 R d n .

12; SCH0NKE/SCHR0DER/CRAMER §

352

Rdn. 10.

e) Begeht der Täter über die in § 352 genannte Täuschung hinaus eine zusätzliche Täuschung, so liegt Idealkonkurrenz mit § 263 vor. Dazu: BGHSt 2 S. 35.

2. Abgabenüberhebung, § 353 Abs. 1 a) Auch § 353 Abs. 1 enthält einen privilegierenden Sonderfall des Betruges. Geschütztes Rechtsgut ist auch hier das Vermögen. Nach h. M. richtet sich die Tat darüber hinaus gegen den Staat, dem die erhobenen Beträge vorenthalten werden. - Damit aber wird das Delikt noch nicht zum Delikt gegen das Ansehen des Staates; a. A.: W A G N E R Amtsverbrechen, 1 9 7 5 , S. 2 1 4 .

b) Täter kann nur ein Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) sein, der öffendichrechtliche Abgaben für eine Kasse des Bundes, des Landes, einer öffendichen Körperschaft oder Anstalt zu erheben hat. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. c) Die Tat setzt voraus, daß der Täter Steuern, Gebühren oder andere Abgaben, die nicht oder nicht in dieser Höhe geschuldet werden, erhebt und ganz oder zum Teil nicht an die öffentliche Kasse abliefert. - Eine rechtswidrige Zueignung des Erlangten ist nicht erforderlich. Daher liefert auch der Täter, der die Abgaben nicht als solche abliefert, sondern sie zur Deckung von Fehlbeträgen der Kasse zuführt, die Abgabe i. S. der Vorschrift nicht ab. Dazu: OLG Köln NJW 1966 S. 1373.

d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Str. entsprechend der Auseinandersetzung bei § 352. e) Zur Konkurrenz mit § 263 vgl. oben 1 e. 3. Leistungskürzung, § 353 Abs. 2 a) Zur Deliktsnatur und zum geschützten Rechtsgut vgl. oben 2 a. b) Täter kann nur ein Amtsträger sein (§11 Abs. 1 Nr. 2), der Sachwerte oder Geld amtlich ausgibt. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. c) Die Tathandlung setzt voraus, daß der Täter bei amtlich zu erbringenden Leistungen Abzüge macht, die Leistung aber als vollständig erbracht in Rechnung stellt. d) Zum Vorsatz und zu den Konkurrenzen mit § 263 vgl. oben 2 d, e.

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

243

II. Erschleichen von Leistungen, § 265 a § 265 a ergänzt den § 263 in vier Fällen. Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen. Dazu: FALKENBACH Die Leistungserschieichung (§ 265 a StGB), 1983, S. 78 f.

1. Automatenmißbrauch, § 265 a, 1. Alt. a) Relevant für die Verwirklichung der 1. Alternative sind nur sog. Leistungsautomaten, z. B. Fernsprech-, Spiel- und Musikautomaten sowie Münzkassiergeräte an Fernsehern u. ä. - Zwar fällt auch der sog. Warenautomat bei wörtlicher Auslegung unter den Begriff des Automaten. Da die Ausleerung derartiger Automaten, wenn sie durch Falschgeld oder sonstige Tricks bewirkt wird, aber als Diebstahl zu erfassen ist, demgegenüber § 265 a subsidiär ist, erscheint es bereits angemessen, durch restriktive Auslegung des Begriffs „Automaten" den Schutzbereich der Vorschrift von vornherein zu begrenzen. Im einzelnen: FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 81 ff.

b) Als Tatobjekt kommen nur entgeltliche Leistungen in Betracht (Rechtsgut: Vermögen!). - Erschleichen setzt keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen voraus, jede „unbefugte Inanspruchnahme" genügt. Wird der Berechtigte allerdings getäuscht, so kommt § 263 in Betracht. c) Der Versuch, bei Entwendung von Waren aus einem Automaten unter Anwendung von Tricks § 265 a anzuwenden statt § 242, weil die Tat ihrer Struktur nach mehr dem Betrug zuzuordnen ist, überzeugt nicht, da das wesendiche Element des Betruges, die Täuschung eines Menschen, gerade fehlt. A. A . : A G L i c h t e n f e l s N J W 1 9 8 0 S. 2 2 0 6 f m i t abl. A n m . SEIER J A 1980 S. 681 f u n d SCHULZ N J W 1981 S. 1351 f; DREHER M D R 1952 S. 563 f. - I m übrigen v g l . :

BayObLG N J W 1981 S. 2826 mit A n m . MEURERJR 1982 S. 292 ff; OLG Stuttgart N J W 1982 S. 1659 m i t A n m . SEIERJR 1982 S. 509 ff u n d ALBRECHTJUS 1983 S. 101 ff.

2. Erschleichen der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldenetzes, § 265 a, 2. Alt. Als Fernmeldenetz sind z. B. Telefonnetze, Rundfunk und Fernsehen anzusehen. - Öffentlichen Zwecken dient das Netz, wenn es ganz oder teilweise im Interesse der Öffendichkeit betrieben wird. - Zum Erschleichen vgl. oben 1 b. Da entgeltliche Leistung im Fernsprechverkehr nur die Herstellung und Aufrechterhaltung der Verbindung ist, wird die bloße Auslösung des Klingelzeichens nicht als Tathandlung erfaßt. So auch FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 85 f; LACKNER LK, § 265 a R d n . 3;SCHONKE/SCHRÖDER/LENCKNER§265 a R d n . 10,13. - A. A.:BRAUNER/GÖHNER N J W 1978 S. 1469; HERZOG G A 1975 S. 261.

244

Die Vermögensentziehungsdelikte

3. Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel, § 265 a, 3• Alt. Beförderung durch ein Verkehrsmittel ist jede entgeltliche Transportleistung. - Erschleichen ist auch in diesem Zusammenhang jedes ordnungswidrige Verhalten, mit dem sich der Täter in den Genuß einer Leistung setzt. - Bringt der Täter jedoch ausdrücklich dem Berechtigten gegenüber zum Ausdruck, daß er die Leistung ohne Zahlung von Entgelt in Anspruch nimmt, so soll ein „Erschleichen" nicht vorliegen. BayObLG NJW1969 S. 1042: Der Demonstrant A, der gegen die Erhöhung von Fahrgeld in der Straßenbahn demonstrierte, stieg in die Straßenbahn, fuhr mit und verkündete offen, er werde den Fahrpreis nicht zahlen. BayObLG: Kein „Erschleichen" der Beförderung, wohl aber § 123.

Diese Interpretation des Merkmals Erschleichen wird dem allgemeinen Wortsinn sicher gerecht. Mißlich ist jedoch, daß in der 1. Alternative des § 265 aauch die offen angekündigte Inanspruchnahme des Leistungsautomaten, die der Berechtigte nicht verhindern kann, als „Erschleichen" angesehen werden muß. - Damit erhält der gleiche Begriff je nach Zusammenhang einen unterschiedlichen Inhalt. 4. Erschleichen freien Eintritts, § 265 a, 4- Alt. Als Veranstaltung kommen Theater, Konzert oder Sportwettkämpfe, als Einrichtungen Museen, Schwimmbäder u. ä. in Betracht. - Das Entgelt muß aus wirtschafdichen Gründen erhoben werden, nicht nur zur Begrenzung des Zutritts. Doch dürften die Fälle, in denen das Entgelt ausschließlich zur Begrenzung des Zutritts erhoben wird, Ausnahmecharakter haben. Dazu: OLG Hamburg NJW 1981 S. 1281 mit Anm. M.J. SCHMIDJR 1981 S. 391 (Bahnsteig).

Strafbar ist die Erschleichung des Zutritts, nicht aber die Inanspruchnahme eines teureren Platzes. - Wird der zur Einlaßgewährung Berechtigte getäuscht, so kommt § 263 in Betracht. 5. Antragsprivileg Nach § 265 a Abs. 3 gelten §§ 247, 248 a entsprechend. 6. Subsidiaritätsklausel Die Subsidiaritätsklausel des § 265 agilt nur gegenüber Vermögensdelikten. Beim Angriff gegen das Vermögen mit zugleich stärkeren Mitteln erscheint es angemessen, § 265 a Subsidiarität zuzuerkennen, nicht aber beim Angriff gegen ganz andere Rechtsgüter; im letzteren Fall: Idealkonkurrenz.

§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung

245

So auch: M A U R A C H / S C H R O E D E R B . T . I , § 3 8 I V C 4; im übrigen zu den möglichen Konkurrenzen: FALKENBACH Leistungserschieichung, S . 104 ff.

§ 53: Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 Das Delikt, ein Bereicherungsdelikt wie der Betrug, ist diesem entsprechend aufgebaut. Dies kommt im Gesetzeswortlaut allerdings nicht zum Ausdruck, und auch der E 1962, der im Erpressungstatbestand, § 259, die Notwendigkeit einer Vermögensverfügung des Opfers hervorhob, formulierte in § 252 die Voraussetzungen des Betruges nicht so, daß der enge Zusammenhang zwischen diesen Delikten schon im Wortlaut des Gesetzes klargestellt wurde. Die enge Verwandtschaft dieser Delikte ist aber heute weitgehend anerkannt: Betrug ist die Selbstschädigung des Opfers infolge einer Täuschung über'den schädigenden Charakter der Vermögensverfügung; Erpressung ist die Selbstschädigung des Opfers aufgrund einer Nötigung, wobei sich der Geschädigte über den Schaden durch die Vermögensverfügung im klaren ist.

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütze Rechtsgüter des Eipressungstatbestandes sind das Vermögen und die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung, doch liegt der Schwerpunkt, der den Charakter des Delikts prägt, auf dem Vermögensschutz. 2. Der objektive Tatbestand a) Die Tathandlung, Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, entspricht der des § 240; im einzelnen dazu oben § 27 I. b) Durch die Gewalt oder die Drohung muß das Tatopfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt werden. Str. ist, ob das abgenötigte Verhalten eine Vermögensverfügung i. S. eines Dispositionsfreiheit voraussetzenden Opferverhaltens sein muß oder ob es bereits genügt, daß das Opfer den Eingriff in sein Vermögen nur passiv duldet. - Der erstgenannten Ansicht ist der Vorrang zu geben, denn die durch die Vermögensverfügung begründete Unmittelbarkeit der Vermögensschädigung durch das Opferverhalten gibt der Erpressung ihren eigenständigen Bereich innerhalb der Vermögensdelikte. Wird von dem Erfordernis der Verfügung abgesehen, so wird die Erpressung gegenüber anderen Vermögensdelikten zum umfassenden qualifizierten Vermögensentziehungsdelikt. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, Wilderei, § 292, Pfandkehr, § 289, u. a. werden beim Einsatz von Gewalt und Dro-

246

Die Vermögensentziehungsdelikte

hung zur Erpressung und beim Einsatz qualifizierter Raubmittel zur räuberischen Erpressung, § 255. - Diese Interpretation des Tatbestandes ist aber weder historisch begriindbar noch kriminalpolitisch notwendig. Dazu auch: ESER I V , Nr. 16 A 13 ff; K M Y B.T. I I , S. 97; K Ü P E R NJW1978 S. 956; § 253 Rdn. 5 ff mit eingehendem Überblick über den Streitstand in Fn. 6 ff; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 45 I I 1 d; O T T O ZStW 79 (1967) S . 85; DERS. Struktur, S . 304; D E R S . J Z 1984 S . 144; RENGIER J U S 1981 S . 654; S A M S O N J A 1980 S. 285; SCHMIDHAUSER B. T . , 11/49, 55 f; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 253 Rdn. 8; SCHRÖDER ZStW 60 (1941) S . 83; T E N C K H O F F J R 1974 S . 489; W S R L E J U R A 1979 S . 489. A . A . : BGHSt 7 S . 2 5 2 ; 2 5 S . 2 2 8 ; 3 2 S . 8 8 ; OLG Hamm M D R 1 9 7 2 S . 7 0 6 ; A R Z T LH 3 , L I I 4 ; GEILEN Jura 1 9 8 0 S. 5 0 ; LÜDERSSEN G A 1 9 6 8 S. 2 5 7 ; MOHRBOTTER LACKNER L K ,

G A

1 9 6 8 S . 1 1 7 ; O H R J U S 1 9 6 2 S . 3 1 8 ; S C H Ü N E M A N N J A 1 9 8 0 S . 4 8 6 ; SEELMANN J u S

1982 S.

914.

Das Verfügungsbewußtsein umfaßt hier die Kenntnis des Opfers von der schädigenden Natur der Verfügung. c) Nachteil für das Vermögen ist identisch mit Vermögensschaden i. S. des Betruges, daher treten bei der sog. Sicherungserpressung dieselben Schadensprobleme auf - dazu BGH JZ1984 S. 146; SEIER NJW 1981S. 2155 ff wie beim Sicherungsbetrug; dazu oben § 51 VI 9d) Genötigter und Verfügender müssen identisch sein, nicht hingegen Verfügender und Geschädigter, soweit die Verfügung dem Geschädigten als eigene zuzurechnen ist; dazu oben § 51 III 3. 3. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich darauf erstrecken, daß der Genötigte infolge der Nötigung eine vermögensschädigende Verfügung vornimmt. b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichem, entspricht der Bereicherungsabsicht beim Betrug; dazu oben § 51IV 2, 3. Daraus folgt: aa) Absicht ist auch hier auf Bereicherung gerichtetes zielgerichtetes Handeln. Geht es dem Täter nur darum, einen anderen zu schädigen, so liegt nur eine Nötigung vor, selbst wenn ein Dritter mit Wissen des Täters in den Besitz eines Vermögensvorteils gelangt. Beispielsfall: Der Mercedesfahrer M hindert den BMW-Fahrer A am Überholen, obwohl die Straßenlage das Überholen zuläßt. A verschafft sich den Namen desM und läßt ihn wissen, er werde ihn anzeigen, falls M ihm nicht innerhalb von 8 Tagen eine Quittung über eine Zahlung an das Rote Kreuz in Höhe von DM 100,- zukommen lasse. - M zahlt. Ergebnis: Nur Nötigung des M durch A. - Dem A kam es nicht auf eine Bereicherung des Roten Kreuzes an, sondern allein auf eine Schädigung des M.

bb) Auch bei § 253 entfällt die Absicht des Täters, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wenn der Täter nach materiellem Recht einen Anspruch auf die Bereicherung hat oder zu haben glaubt.

§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung

247

Dazu: BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 107; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 811; BGH wistra 1983 S. 29.

cc) Erforderlich ist auch hier der unmittelbare Zusammenhang zwischen Bereicherung und Vermögensschaden derart, daß die Bereicherung sich als Kehrseite des Vermögensschadens darstellt („Stoffgleichheit"). Dazu: BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 106, im übrigen vgl. oben § 51IV 2 b.

dd) Darüber hinaus haben h. L. und Rechtsprechung die Anwendung des § 253 auch abgelehnt, wenn der Täter sich durch Nötigung Beweismittel über die „Tilgung" nicht bestehender Forderungen verschafft hat. Forderung und Beweismittel werden in diesem Fall als Einheit angesehen, auch wenn der Täter auf das Beweismittel keinen Anspruch hat. BGHSt 20 S. 136: A rechnete damit, daß seine von ihm getrennt lebende Ehefrau für die Vergangenheit Unterhaltsansprüche geltend machen werde. Um diesen materiell nicht bestehenden Ansprüchen entgegenzutreten, veranlaßte er sie unter Androhung von Schlägen, Quittungsformulare zu unterschreiben, die er selbst entsprechend den verlangten Beträgen ausfüllen und dann zum Nachweis der Zahlung benutzen wollte. BGH: Es kommt nicht darauf an, ob ein Anspruch auf das Beweismittel besteht oder nicht. Maßgeblich allein das Endziel. Entspricht das Endziel der Rechtsordnung, so wird es nicht dadurch rechtswidrig, daß zu seiner Verwirklichung rechtswidrige Mittel eingesetzt werden.

4. Die Rechtswidrigkeit Rechtswidrig ist die Tat, auch wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, nur dann, wenn Tat und mit der Tat verfolgter Zweck verwerflich, d. h. als sozialgefährlich, sozialschädlich zu beurteilen sind; im einzelnen dazu oben § 27 III. 5. Versuch und Vollendung Der Versuch beginnt, wenn der Täter zur Nötigungshandlung unmittelbar ansetzt. - Vollendet ist die Tat mit Eintritt des Vermögensschadens. Zur Bereicherung braucht es noch nicht gekommen zu sein; dazu BGHSt 19 S. 342. - Bringt der Täter durch die Nötigung ein Behältnis - Tasche o. ä. - an sich, in dem aber nicht die erwartete Beute ist, auf die es dem Täter ankommt, so liegt nur ein Versuch vor; dazu BGH GA 1983 S. 411. 6. Abgrenzung von Betrug und Erpressung Da es bei der Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht darauf ankommt, daß der Drohende dieses Übel wirklich realisieren kann, sondern nur darauf, daß der Drohende vorgibt, das Übel realisieren zu können, umfaßt bereits die Definition der Drohung bestimmte Täuschungshand-

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Die Vermögensentziehungsdelikte

lungen. Die Abgrenzung von Betrug und Erpressung in derartigen Fällen wird damit zu einem Problem. Fall: A fordert den B zur Zahlung von DM 1000,- auf, sonst werde er den B „wegen des Geschehens am 1.12. anzeigen". B zahlt. In Wirklichkeit weiß A nur, daß B am 1. 12. in irgendetwas Unangenehmes verwickelt war, eine Anzeige zu erstatten hatte A nicht vor. Hätte B dies gewußt, so hätte er nicht gezahlt.

Erfordert der Betrug, „daß das Opfer aus freiem, nur durch Irrtum beeinflußten Willen über sein Vermögen verfügt" ( O L G Köln M D R 1 9 7 3 S. 866), so liegt eine Verfügung im Rahmen des Betruges niemals vor, wenn das Opfer auch genötigt wird, denn dann ist seine Willensfreiheit nicht nur durch den Irrtum, sondern auch durch eine Nötigung beeinträchtigt. Genausowenig, wie die Drohung mit einer ungeladenen Pistole aus dem Gewahrsamsbruch beim Raub eine Vermögensverfügung macht, genausowenig wird eine durch Nötigung erzwungene Handlung zu einer freien, nur durch einen Irrtum beeinträchtigten Verfügung, weil die Nötigung nur vorgeblich realisierbar ist. - Darüber hinaus verfügt das Opfer hier aber bewußt, sein Vermögen schädigend, während der Betrug gerade durch die bewußte Verfügung gekennzeichnet ist, über deren vermögensschädigenden Charakter der Täter irrt. Auch wenn daher in der Nötigung eine Täuschung enthalten ist, so kommt ihr keinerlei Eigenständigkeit zu. Erpressung und Betrug bezüglich des gleichen Objekts schließen einander aus, wenn die Verfügung des Opfers auf einer Nötigung beruht. Ob diese Nötigung wiederum auf einer Täuschung basiert, ist irrelevant. S o a u c h : B G H S t 2 3 S. 2 9 4 m i t A n m . KÜPER N J W 1 9 7 0 S. 2 2 5 3 f; OTTO Z S t W 7 9 ( 1 9 6 7 ) S. 9 4 ff. - A . A . : HERZBERGJuS 1972 S. 571; KREY B . T . II, S. 9 7 ; SAMSON S K , § 2 5 3 R d n . 21; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 5 3 R d n . 37. - D i f f e r e n z i e r e n d : GÜNTHER Z S t W 8 8 ( 1 9 7 6 ) S. 9 6 0 ff.

7. Verkauf der Deliktsbeute an das Deliktsopfer Bietet der Täter eines Vermögensdelikts die Herausgabe der z. B. gestohlenen Sache oder die Wiedergutmachung des Schadens gegen Zahlung einer bestimmten Summe an, so sieht die h. M hierin eine Erpressung, obwohl - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - der Vermögensbestand durch diese Tat nicht verschlechtert, sondern verbessert wird. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise wird mit zivilrechtlichen Konstruktionen überspielt und die eigenen Prämissen werden außer Kraft gesetzt. BGH 1 StR 221/82: Dem X waren Ikonen gestohlen worden. Er ließ verbreiten, daß er bereit sei, sie zu einem angemessenen Preise wiederzuerwerben. A, der davon gehört hatte und die Diebe kannte, bot diesen seine Vermittlung an. Die Diebe gingen darauf ein, und beauftragten den A zur Übergabe der Ikonen gegen ein bestimmtes Lösegeld. Bei der Übergabe des Geldes wurde A gefaßt.

§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung

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BGH: Wäre es zur Zahlung gekommen, so hätte eine vollendete Erpressung vorgelegen. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Schaden des X, der Verlust der Ikonen, war mit dem Diebstahl eingetreten. Zwar hatte X gegen den A Ansprüche auf Herausgabe, §§ 861,985 BGB. Um diese Ansprüche brachte A den X aber nicht dadurch, daß er sie nicht realisierte. Sie waren wertlos, solange X die Täter nicht kannte. - Als A dem X den Besitz gegen eine bestimmte Summe zum Kauf anbot, eröffnete er ihm die vorher tatsächlich nicht vorhandene Möglichkeit, den Besitz zurückzuerlangen. Dies ließ er sich bezahlen. Unabhängig davon, ob A hier überhaupt als Täter der Erpressung angesehen werden kann, weil er lediglich den Auftrag der Hinterleute ausführte, die vom Geschädigten ausdrücklich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert waren, ist sowohl nach den Prämissen des wirtschaftlichen als auch nach denen des personalen Vermögensbegriffs die Folgerung zwingend, den Schaden abzulehnen. - Wenn der BGH den Schaden bejaht, weil das Opfer der Tat zahlen sollte, ohne einen wirtschafdichen Vorteil zu erlangen, so beruht dieses Ergebnis darin, daß das Haben der Sache und der Anspruch auf die Sache identifiziert werden. Das ist vom Standpunkt des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs her konsequent, nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs hingegen falsch. Dazu: O L G Hamburg MDR 1974 S. 330 und LACKNER L K , § 263 Rdn. 122. Zur Gegenansicht: BGHSt 26 S. 346 mit Anm. GÖSSEL J R 1977 S. 32 ff; BLEI JA 1 9 7 4 S . 3 8 6 , JAKOBS J R

1974 S. 4 7 4 u n d MOHRBOTTERJZ 1975 S.

102.

II. Räuberische Erpressung, § 255

1. Die Systematik des Gesetzes a) Die räuberische Erpressung ist ein qualifizierter Fall der Erpressung. Die Nötigungsmittel entsprechen denen des Raubes. - Nur die Drohung muß mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erfolgen, nicht aber die Gewaltanwendung. Zur Gegenwärtigkeit der Gefahr: BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 447. b) Als qualifizierter Fall der Erpressung setzt der Tatbestand, wie der Grundtatbestand, eine Vermögensverfügung voraus; im einzelnen zur Auseinandersetzung vgl. oben I 2 b. Als umfassenden Grundtatbestand der Raubdelikte interpretieren diejenigen den § 255, die das Erfordernis einer Vermögensverfügung ablehnen. Danach ist § 249 ein durch die Zueignungsabsicht und die Wegnahmehandlung, die rein äußerlich als „Wegnehmen" zu bestimmen ist und im Gegensatz zu dem „Weggeben" steht, spezialisierter Sonderfall des § 255. BGHSt 14 S. 386: A stieg in die Taxe des T. Durch Schüsse aus der Gaspistole zwang er den T zum Verlassen des Fahrzeuges. Dann fuhr er mit der Taxe in der Gegend herum. Nach der Fahrt wollte A die Taxe so abstellen, daß T sie in Kürze zurückerhalten hätte.

250

Die Vermögensentziehungsdelikte

BGH: § 255. - Wird § 255 als qualifizierter Fall der Erpressung interpretiert, so fehlt es hier an einer Vermögensverfügung des T, daher: §§ 223 a, 240, 248 b, 52. 2. Vorsatzwechsel zwischen räuberischer Erpressung und

Raub

Versucht der Täter mit Mitteln der räuberischen Erpressung ein Vermögensobjekt zu erlangen und geht er sodann bezüglich desselben Objekts zum Raube über oder umgekehrt, so liegt nur ein vollendetes Delikt vor. D e m Versuch mit den jeweiligen anderen Mitteln k o m m t keine Eigenständigkeit zu, da ein selbständiger Unrechtsgehalt des Versuchs gegenüber dem des vollendeten Delikts nicht auszumachen ist. BGH Strafverteidiger 1982 S. 114: A versuchte unter Androhung von Gewalt den X zur Herausgabe einer Geldbombe zu bringen. Dies mißlang. Nunmehr nahm A dem X die Geldbombe unter Anwendung von Gewalt ab. BGH: Die versuchte räuberische Erpressung ist durch die Verurteilung wegen vollendeten Raubes abgegolten. Der Versuch, die Geldbombe zu erlangen, ist, wenn auch mit anderen Mitteln, durch den Raub lediglich fortgesetzt und zum Erfolg geführt worden.

§ 54: Untreue Vermögensschädigungsdelikt. - Eine Bereicherung des Täters braucht nicht eingetreten oder beabsichtigt zu sein. Jedoch ändert sich die Deliktsnatur nicht dadurch, daß es dem Täter bei seiner Tat um die Bereicherung durch das dem fremden Vermögen entzogene Vermögensgut oder um einen anderen wirtschaftlichen Vorteil geht.

I. Das geschütze Rechtsgut, die besondere Pflichtenposition des Täters und die Gesetzessystematik 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist allein das Vermögen. H. M., vgl.: HÜBNER LK, § 266 Rdn. 19 m.w.N. - Dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer oder der Redlichkeit des Rechtsverkehrs kommt keine eigenständige Bedeutung zu; a. A.: DUNKEL GA 1977 S. 334 f; ESER IV, Nr. 17 A 6,11; WENTZEL Das Scheckkartenverfahren der deutschen Kreditinstitute, 1974, S. 245. 2. Die besondere Pflichtenposition des Täters Das Vermögen kann i. S. des § 266 nicht von jedermann verletzt werden. Der Tatbestand setzt vielmehr als Täter eine Person voraus, die dem Vermögensträger in bezug auf sein Vermögen in besonderer Weise ver-

§ 54 Untreue

251

pflichtet ist. Nur diese Person oder ihr Vertreter i. S. des § 14 kommen als Täterin Betracht. - Die Pflichtenposition ist strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 Abs. 1. So auch: BGHSt 26 S. 54; DREHER/TRONDLE § 266 Rdn. 15; HÜBNER L K , § 266 Rdn. 105; LACKNER StGB, § 28 Anm. 2 b; R O X I N L K , § 28 Rdn. 37, 40. - A. A.: SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 2 6 6 R d n .

52.

3. Die Gesetzessystematik § 266 Abs. 1 enthält zwei Tatbestände: den Mißbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1,1. Alt., und den Treubruchstatbestand § 266 Abs. 1,2. Alt. In beiden Alternativen wird die Pflicht des Täters, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, vorausgesetzt. - Streitig ist jedoch der Inhalt dieser Pflicht. a) Der überkommenen Interpretation des Mißbrauchstatbestandes entspricht die Auffassung, daß der Rahmen der Pflicht zur Vermögensfürsorge in der 1. Alternative des § 266 durch die rechtswirksame Einräumung einer Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis gekennzeichnet ist. Dazu:

BOCKELMANN B . T .

1, §

§ 2 6 6 R d n . 13; S A X J Z 1 9 7 7 S.

18

II; DREHER/TRÖNDLE

§ 266

Rdn. 5;

SAMSON S K ,

702.

Die 2. Alternative des § 266 setzt hingegen die Pflicht des Täters, „fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen" voraus; dazu eingehender unter II 2. b) Mit BGHSt 24 S. 386 forderte der B U N D E S G E R I C H T S H O F für den Täter des Mißbrauchstatbestandes dieselbe Vermögensfürsorgepflicht wie für den Täter des Treubruchstatbestandes. Danach soll Täter in beiden Alternativen nur derjenige sein können, dem als Hauptpflicht die Betreuung fremder Vermögensinteressen obliegt. So: BGHSt 24 S. 386 mit Anm. S E E B O D E J R 1973 S. 117 ff, insbes. S . 119; OLG Hamm N J W 1 9 7 7 S. 1835; OLG Köln N J W 1 9 7 8 S. 714 mit zust. Anm. G O S S E L J R 1978 S. 469 ff, insbes. S. 473; OLG Hamburg NJW 1983 S. 768. Die Literatur folgte dem weitgehend unter Hinweis darauf, daß der Tatbestand durch das Erfordernis der Vermögensfürsorgepflicht restriktiv begrenzt werde und an Bestimmtheit gewinne. - Vgl.: DUNKEL Erfordernis, S. 236; DERS. GA 1977 S . 3 3 8 f ; H Ü B N E R J Z 1 9 7 3 S . 4 0 7 ; DERS. L K , § 2 6 6 R d n . 5 f f ; K R E Y B . T . I I , S . LACKNER

StGB, § 266 Anm. 2 b; MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 47 II A 1; D .

170;

MEYER

J u S 1 9 7 3 S . 2 1 4 f ; SCHREIBER/BEULKE J u S 1 9 7 7 S . 6 5 6 f f ; V O R M B A U M J u S 1 9 8 1 S . 2 0 ; WESSELS B . T . - 2 , § 1 8 I 2 .

c) Die angeblich restriktive Interpretation des Mißbrauchstatbestandes ist jedoch weder notwendig noch sachgerecht. Durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs des Tatbestandes auf den Mißbrauch der rechtlichen Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen oder andere zu verpflichten, war der Tatbestand hinreichend bestimmt. Das rechtliche Können

252

Die Vermögensentziehungsdelikte

konturierte die Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, eindeutig. Durch die identische Interpretation der Pflicht, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, in beiden Alternativen des § 266 werden hingegen die in der Unbestimmtheit der Vermögensfürsorgepflicht des Treubruchstatbestandes angelegten Unsicherheiten auf den Mißbrauchstatbestand übertragen und kaum akzeptable Strafbarkeitslücken eröffnet. Dies hat bereits die wenig überzeugende Konstruktion des sog. Scheckkartenbetrugs - dazu oben § 51 VI 5 - deutlich gemacht. Der Widerstand gegen die Übertragung dieser Konstruktion auf andere Fälle ist erheblich (zum Kreditkartenmißbrauch LG Bielefeld NJW1983 S. 1335 mit Anm. BRINGEWAT NStZ 1983 S. 457 ff), z. T. versagt sie völlig (zum Geldausgabeautomatenmißbrauch: OTTO Bankentätigkeit, S. 142).

Darüber hinaus ist die 1. Alternative ein letztlich überflüssiger Unterfall der 2. Alternative geworden und die vom Gesetz vorgegebene Aufgliederung in zwei sich ergänzende Tatbestände aufgehoben worden. D a z u i m e i n z e l n e n : BRINGEWAT G A 1 9 7 3 S. 360 ff; DERS. N S t Z 1983 S. 4 5 7 ff; ESER

IV, Nr. 17 A 10 ff; HEIMANN-TROSIENJZ 1976 S. 551; LABSCH Untreue, S. 83 ff, insbes. S. 91 ff; OTTO Z a h l u n g s v e r k e h r , S. 100 f; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ LENCKNER § 2 6 6 R d n .

2, 11; SIEBER Computerkriminalität, S. 244.

II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes 1. Der Mißbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1, 1. Alt. a) Der Mißbrauchstatbestand setzt als Tathandlung den Mißbrauch einer Vertretungsmacht (Verpflichtungs- oder Verfügungsmacht) in bezug auf fremdes - verstanden im bürgerlich-rechtlichen Sinn - Vermögen voraus. Der Täter überschreitet mißbräuchlich das rechtliche Dürfen im Rahmen des rechtlichen Könnens. Der Täter hat kraft Gesetzes - z. B. als Elternteil, Vormund, Testamentsvollstrecker, Pfleger, Gerichtsvollzieher, Konkursverwalter - oder kraft behördlichen Auftrags - z. B. staatlich bestellter Treuhänder, mit dem Kassieren von Verwarnungsgeldern beauftragter Polizeibeamter - oder kraft Rechtsgeschäfts - z. B. Prokurist - Verfügungs- oder Verpflichtungsmacht übertragen erhalten, aufgrund derer er nach außen wirksame Geschäfte abschließen kann. Im Innenverhältnis ist er aber verpflichtet, von dieser Vertretungsmacht nur in bestimmter Weise Gebrauch zu machen. Hierüber setzt er sich hinweg und schließt pflichtwidrig den Vermögensträger schädigende Geschäfte ab. Trotz Anerkennung des Merkmals der „rechtlichen Befugnis" durch die Rechtsprechung, vernachlässigte diese das Merkmal in der praktischen Rechtsanwendung in zunehmendem Maße.

§ 54 Untreue

253

Ein Mißbrauch der rechtlichen Befugnis, über fremdes Vermögen verfügen zu können, sollte z. B. vorliegen, wenn eine Verkäuferin heimlich Waren mit nach Hause nahm, um sie zu verbrauchen (BGH LM Nr. 4 zu § 266), wenn der zum Verkauf einer Ware für DM 300,- Bevollmächtigte diese Ware für DM 160,- verkaufte (OLG Köln JMB1NRW 1959 S. 138) oder wenn der Gerichtsvollzieher den Erlös der Zwangsvollstreckung eigenmächtig nutzte (BGHSt 13 S. 276). - In allen diesen Fällen kann von einer Überschreitung des rechtlichen Könnens keine Rede sein, denn rechdiches Können und Dürfen gehen überhaupt nicht auseinander. Unabhängig von der Frage, ob im Einzelfall überhaupt rechtsgeschäftliche Verfügungen vorlagen, fehlte es bereits an der rechtlichen Befugnis zur Verfügung. Dazu auch: H Ü B N E R L K , § 266 Rdn. 70; LABSCH Untreue, S. 99 ff. Beim sog. Risikogeschäft liegt die Pflichtverletzung dann vor, wenn der Täter den Bereich des ihm erlaubten Risikos überschreitet. D i e s ist im Einzelfall aufgrund einer wirtschaftlich vernünftigen, die einzelnen Risiken abwägenden Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Dazu: B G H bei Holtz, MDR1982 S. 624; B R I N G E W A T J Z 1977 S. 668; HILLENKAMP NStZ 1981S. 161 ff; H Ü B N E R L K , § 266 Rdn. 84 f; K O H L M A N N J A 1980 S. 231; N A C K N J W 1980 S. 1599 ff; O T T O Bankentätigkeit, S. 68 ff. b) D e r Vorsatz - bedingter genügt - m u ß das Bewußtsein des Mißbrauchs einer rechdichen Befugnis und die Schädigung des Vermögens umfassen. c) Zur Einübung aa) BGH LM Nr. 4 zu § 266: Die Verkäuferin A verkauft an Kunden Waren unter dem vom Geschäftsherrn festgesetzten Ladenpreis, um diesen zu schädigen. BGH: Untreue. - Gemäß § 56 HGB konnte A rechtlich wirksam Geschäfte zu den vereinbarten Preisen abschließen. Sie durfte es aber nicht. bb) BGHSt 5 S. 61: A verkauft eine von B geliehene Sache an den gutgläubigen C. BGH: A hat eine Unterschlagung begangen, aber keine Untreue, denn C wurde nicht Eigentümer aufgrund der Verfügungsbefugnis des A. §§ 932 ff BGB gewähren dem Täter keine Verfügungsbefugnis, sondern schützen allein den guten Glauben des Erwerbers. cc) BGHSt 5 S. 61: A hat eine Forderung gegen C sicherungshalber an B abgetreten. Sie haben vereinbart, daß die Abtretung dem C nicht angezeigt werden und A zur Einziehung des Betrages berechtigt bleiben, das Geld aber an B weiterleiten soll. A zieht die Forderung ein und verbraucht das Geld. BGH: Mißbrauchstatbestand entfällt, denn A konnte und durfte die Forderung einziehen. - Mit Verbrauch des Geldes aber Treubruchstatbestand erfüllt. 2. Der Treubruchstatbestand, § 266 Abs. 1, 2. Alt. a) Der Treubruchstatbestand setzt die Verletzung einer Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, voraus, die zu einem Vermögensnachteil für den Berechtigten führen muß.

254

Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Angesichts der „uferlosen Weite" der Gesetzesformulierung ist der Treubruchstatbestand seit jeher als rechtsstaatlich höchst problematisch eingestuft und als kaum vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 G G angesehen worden. G O S S R A U in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 8, Besonderer Teil, 79. Sitzung, S. 135;JAKOBS Strafrecht, A. T., 1983, 4/30; LABSCH Untreue, S. 189 ff; O T T O Struktur, S. 311; WELZEL Lb., § 5 6 B. c) Rechtsprechung und Lehre haben indes versucht, dem Tatbestand durch eine restriktive Deutung der Vermögensfürsorgepflicht schärfere Konturen zu geben. Gefordert wird, daß die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen der typische und wesentliche Inhalt des Vertragsverhältnisses - „Hauptpflicht" - sein müsse. Vgl.: BGHSt 1 S. 1 8 8 f; 6 S. 3 1 7 f; 2 2 S. 1 9 1 ; BGH NStZ 1 9 8 3 S. 4 5 5 ; DREHER/ TRONDLE § 2 6 6 Rdn. 8 ; LACKNER StGB, § 2 6 6 Anm. 4 b; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 4 7 I I A 2 b. Dem Pflichtigen muß eine gewisse Selbständigkeit bei der Erfüllung seiner Pflichten eingeräumt sein. Dazu: BGHSt 3 S. 294; 4 S. 172; BGH NStZ 1982 S. 201; BGH NJW1983 S. 1807. Andere interpretieren die Vermögensfürsorgepflicht als Geschäftsbesorgungsverhältnis i. S. des § 675 BGB und fordern dafür eine fremdnützige Tätigkeit, die dem Verpflichteten Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen lassen müsse. Dazu: H C B N E R L K , § 266 Rdn. 32; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 266 Rdn. 23; W E B E R in: Arzt/Weber, L H 4, Rdn. 97 f; ferner B G H N J W 1983 S . 461 f. d) Gleichwohl sind die Bemühungen um eine Konkretisierung der Vermögensfursorgepflicht letzdich unbefriedigend geblieben und über die Bildung von Fallgruppen nicht hinausgekommen. In dieser Kasuistik lassen sich etwa unterscheiden: Taugliche Täter: Vormund, Nachlaßverwalter, Pfleger oder sonstige Vermögensverwalter, Prokuristen, Vorstandsmitglied und Geschäftsführer von Handelsgesellschaften und juristischen Personen (dazu: BGH bei Holtz, MDR1979 S. 456; BGH NJW 1981S. 469; OLG Stuttgart MDR 1978 S. 593); Hauptbuchhalter (BGH GA 1979 S. 144); Notar (BGH MDR 1982 S. 625); Rechtsanwalt (BGHJR 1983 S. 505 mit Anm. K E I L E R S. 517 f); Handelsvertreter, der zugleich Lagerverwalter ist (BGH NStZ 1983 S. 74). Untaugliche Täter: Arbeiter, der mit Vermögen des Arbeitgebers umgeht (BGHSt 4 S. 170); Bankkunden gegenüber der Bank (BGHSt 24 S. 387); Boten (OLG Hamm NJW 1977 S. 1834); Büroangestellte, die Schreibarbeiten zu erledigen haben (BGHSt 3 S. 294); Handelsvertreter, die nur mit der Vermitdung von Geschäften beauftragt sind (BGH bei Herlan, GA 1971S. 37; str.); Kellner (RGSt 69 S. 58); Reiseveranstalter gegenüber den Leistungsträgern (BGHSt 28 S. 20); Sicherungsnehmer gegenüber Sicherungsgebern (BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 625).

255

§ 54 Untreue Im einzelnen vgl. die Übersicht bei HÜBNER LK, § 266 Rdn. 35 ff.

e) Nach h. M. braucht es sich bei dem Treueverhältnis um kein besonders schutzwürdiges Vermögensfürsorgeverhältnis zu handeln. Auch gesetz- und sittenwidrige Verhältnisse können Vermögensfürsorgeverhältnisse i. S. des § 266 begründen, doch dürften die Voraussetzungen der Vermögensfürsorgepflicht bei gesetz- oder sittenwidrigen Verhältnissen selten vorliegen. In Betracht kommt aber ein zivilrechtlich nichtiges Treueverhältnis. Gerade in diesem Fall aber ist eine Einschränkung des Tatbestandes vom Vermögensschutz her nicht zu rechtfertigen, soweit die Treuepflicht nicht grundsätzlich begrenzt wird; dazu sogleich unter 4. Wie hier: BGHSt 8 S. 254 mit Anm. BRUNS NJW 1956 S. 151 und HÄRTUNGJZ 1 9 5 6 S. 5 7 2 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 6 6 R d n . 9 ; HÜBNER L K , § 2 6 6 R d n . 7 9 ; KREYB.T. II, S. 173; MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 4 7 I I A 2 a. - A . A . : SCHMIDHÄUSER B . T., 1 1 / 6 6 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 2 6 6 R d n . 3 2 .

f) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich beim Treubruchstatbestand auch auf die Umstände erstrecken, die die Vermögensfürsorgepflicht begründen und den Vermögensnachteil umfassen. 3. Der Vermögensschaden Beide Untreuetatbestände setzen als Taterfolg einen „Nachteil" voraus, der in der Sache mit dem Vermögensschaden i. S. des § 263 identisch ist. So HÜBNER L K , § 2 6 6 R d n . 9 0 ; LACKNER S t G B , § 2 6 6 A n m . 5 ; SAMSON S K , § 2 6 6

Rdn. 37; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 266 Rdn. 39 („weitgehend gleichbedeutend").

Aus den Besonderheiten der Stellung des Täters zum geschützten Vermögen ergeben sich jedoch Problemstellungen, die in dieser Weise beim Betrug nicht auftreten können. a) Als Nachteil ist auch die pflichtwidrig unterlassene Vermögensvermehrung anzusehen; dazu BGH N J W 1983 S. 461 f; BGHSt 31 S. 232. b) An einem Nachteil fehlt es hingegen, wenn der verfügungsberechtigte Täter den Vermögensstand des Berechtigten pflichtwidrig mindert, aber jederzeit fähig und willig ist, aus eigenen flüssigen Mitteln die Vermögensminderung auszugleichen. Dazu: BGH NStZ 1982 S. 331 f; BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 281; vgl. ferner: DREHER/TRÖNDLE § 2 6 6 R d n . 2 4 ; HÜBNER L K ,

§ 2 6 6 Rdn. 100;

abweichend:

SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 2 6 6 R d n . 4 2 .

4. Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 266 Angesichts der mit der Bestimmung der Vermögensfürsorgepflicht grundsätzlich verbundenen Schwierigkeiten erscheint es nach wie vor sinnvoll, zu erwägen, ob über die in Lehre und Rechtsprechung erörterten

256

Die Vermögensentziehungsdelikte

einschränkenden Kriterien hinaus der gesamte Untreuetatbestand nicht erheblich zu begrenzen wäre auf die Fälle, in denen der Täter die ihm rechtswirksam eingeräumte Befugnis fremdes Vermögen zu verwalten oder über fremdes Vermögen rechtswirksam zu verfügen, mißbraucht. Hier besteht, insbes. im Verhältnis zu den Zueignungsdelikten, eine Strafbarkeitslücke, nicht aber dort, wo schon diese Delikte eingreifen. S.

Dazu: f.

HÜBNER L K , § 2 6 6

Rdn.

3 2 ; LABSCH

Untreue, S.

302

ff;

OTTO

Struktur,

312

§ 55: Strafbare Vermögensgefahrdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen. Dieses wird durch das Glücksspiel gefährdet. Dieser strafrechtliche Schutz vor der Gefährdung des eigenen Vermögens ist unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit schwersten Zweifeln ausgesetzt. Diese Zweifel gelten in gleicher Weise für sonst genannte Schutzgüter, nämlich die „wirtschafdiche Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft"; dazu BGHSt 11 S. 209, und die Sicherung eines ordnungsgemäßen Spielablaufs, dazu M Ä U R A C H / S C H R O E D E R B.T. I, § 49 I 2, da der Tatbestand nicht das Falschspiel erfaßt und als Schutzvorschrift im Vorfeld des Falschspieles keineswegs ein Straftatbestand nötig wäre. Ein Ordnungswidrigkeitentatbestand entspräche der Verhältnismäßigkeit. Die Streichung des Tatbestandes insgesamt wäre daher zu begrüßen. So begründet die Vorschrift lediglich den Verdacht, daß hier staatliche Einnahmequellen strafrechtlich garantiert werden. Dazu auch: GÖHLER NJW 1974 S. 833, Fn. 127; LAMPE GA 1977 S. 55; LANGE Dreher-Festschrift, S. 573 ff; DERS. GA 1953 S. 8 ff; PETERS ZStW 77 (1965) S. 482 f.

2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Als Glücksspiel ist ein Spiel anzusehen, bei dem die Entscheidung über Gewinn und Verlust nicht wesentlich von den Fähigkeiten und Kenntnissen und vom Grade der Aufmerksamkeit der Spieler bestimmt wird, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall. - Der vereinbarte Gewinn muß einen Vermögenswert haben, und zwar einen - nach den Verhältnissen der Durchschnittsspieler - nicht ganz unbedeutenden. Beispiele: Roulette, Bakkarat, Würfeln um Geld, Spiel am Geldspielautomaten, Poker u. ä.

§ 55 Strafbare Vermögensgefährdung

257

Keine Glücksspiele sind: Geschicklichkeitsspiele, bei denen Aufmerksamkeit und Fähigkeiten eines Durchschnittsspielers wesentlich über Gewinn und Verlust entscheiden. - Wetten, soweit sie der Austragung ernster Meinungsverschiedenheiten dienen und nicht Spielcharakter haben, wie z. B. die Rennwette. - Unterhaltungsspiele, bei denen der Gewinn nach der Verkehrsanschauung und den Verhältnissen der Spieler unbeträchtlich ist, z. B. Kettenpostkartenaktionen u. ä. Lotterie und Ausspielung sind Glücksspiele, jedoch in § 286 speziell geregelt.

b) Öffentlich ist das Glücksspiel, wenn beliebigen Personen in erkennbarer Weise die Beteiligung ermöglicht wird. - Gemäß § 284 Abs. 2 gelten Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden, als öffentlich. Gewohnheitsmäßig braucht nicht das Verhalten jedes einzelnen Spielers zu sein, es genügt, daß der Personenkreis aufgrund eines durch Übung ausgebildeten Hanges zum Glücksspiel zusammenkommt. c) Tatbandlung ist nicht das Spielen selbst, sondern das Ermöglichen des Spieles als Veranstalter, Halter und Bereitsteller von Spieleinrichtungen. Nach h. M. ist Veranstalter derjenige, der dem Publikum die Spielgelegenheit verschafft. Diese Definition bleibt jedoch zu ungenau, da es bei dem Veranstalter darauf ankommt, daß dieser nicht nur den Spielbetrieb ermöglicht, sondern auch regelt. Treffender ist es daher, als Veranstalter denjenigen anzusehen, „der die Herrschaftsgewalt über den Spielbetrieb ausübt" (MEURER/BERGMANNJUS 1983 S. 672). Als Halter wird gemeinhin derjenige angesehen, der „als Unternehmer die Einrichtungen zum Spiel zur Verfügung stellt oder in die Rolle des Unternehmers eintretend, das Spiel in der Weise fortsetzt, daß die Beteiligung daran einer unbestimmten Zahl von Personen ermöglicht wird" (BayObLG N J W 1979 S. 2258). Damit überschneiden sich Halter- und Veranstalterbegriff. Auch hier ist es daher angemessener, den Halterbegriff in Abgrenzung zum Veranstalterbegriff zu definieren und als Halter denjenigen anzusehen, der beim Glücksspiel Gläubiger oder Schuldner der Spielenden wird. Im einzelnen dazu: MEURER/BERGMANNJUS 1983 S. 672.

Bereitstellen ist ein Zur-Verfügung-Stellen von Spieleinrichtungen (Würfel, Karten, Spieltisch). d) Die behördliche Erlaubnis schließt den Tatbestand aus. Die Erlaubnis braucht nicht materiell fehlerfrei zu sein, wohl aber verwaltungsrechtlich bestandskräftig. Hat der Täter die Erlaubnis allerdings bewußt rechtswidrig erlangt durch Täuschung, Bestechung o. ä., so rechtfertigt sie sein Tun nicht, er kann sich nicht auf den formellen Rechtsschein berufen, da er selbst diesen arglistig herbeigeführt hat. e) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich auf die Öffentlichkeit und die das Glücksspiel charakterisierenden Merkmale beziehen.

258

Die Vermögensentziehungsdelikte

II. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 284 a Beteiligung heißt Teilnahme als Spieler, d. h. Teilnahme an der Möglichkeit von Gewinn und Verlust. III. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung,

§286 1. § 286 erfaßt - aus historischen Gründen - Lotterie und Ausspielung als spezielle Glücksspiele. 2. Lotterie und Ausspielung sind Glücksspiele, die nach einem vom Unternehmer einseitig festgelegten Spielplan, der den Spielbetrieb (Beteiligungsmöglichkeit, Durchführung des Spieles), einen festen Einsatz und die ausgesetzten Gewinne nach Höhe, Art und Reihenfolge der Gewinnermitdung festlegt, gespielt werden. - Lotterie und Ausspielung unterscheiden sich darin, daß der Gewinn bei der Lotterie stets in Geld, bei der Ausspielung in geldwerten Sachen oder Leistungen besteht. 3. Veranstalten ist die Eröffnung der Möglichkeit zur Beteiligung am Spiel nach festgelegtem Spielplan. - Zur Öffentlichkeit der Veranstaltung vgl. oben 12 b. Das Spiel im privaten Kreis ist selbst dann nicht öffendich, wenn gelegendich ein Gast in den Kreis aufgenommen wird. Dazu im einzelnen: SCHILD NStZ 1982 S. 446 ff.

IV. Schiffsgefährdung durch Bannware, § 297 Die Vorschrift schützt Eigentum und Vermögen des Reeders, der nicht selber Täter sein kann. D a z u : F.-CHR. SCHROEDER Z R P 1978 S. 12.

Schiffer ist der Kapitän, Schiffsmann ein Angehöriger der Besatzung.

Dritter Abschnitt Die Perpetuierungsdelikte § 56: Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte Im Gegensatz zu den Vermögensentziehungsdelikten, die eine reale Minderung des Vermögens eines anderen voraussetzen, liegt der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte in der Beeinträchtigung des Vermögens dadurch, daß eine tatbestandsmäßig, rechtswidrig geschaffene Vermögenslage aufrechterhalten wird.

1. Die verschiedenen Tathandlungen Drei Arten der Schädigung des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage erscheinen dem Gesetzgeber strafwürdig: a) Die Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage durch Verschaffung der Position des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung. b) Die Perpetuierung einer rechtswidrig geschaffenen Besitzlage durch Unterstützung des Vortäters in seinem Bestreben, aus der durch die Vortat erlangten Vermögensposition den materiellen Vorteil zu ziehen, der ihm am genehmsten ist. c) Die Sicherung der Stellung des Täters eines Vermögensentziehungsdelikts gegen Entziehung der Beute zugunsten des Berechtigten. 2. Die gesetzliche Regelung Im Gesetz selbst hat die Dreiteilung nur mittelbar Ausdruck gefunden. Der Gesetzgeber hat die beiden ersten Fallgruppen im Hehlereitatbestand zusammengefaßt und die dritte Gruppe als Begünstigung selbständig pönalisiert. Darüber hinaus hat er in beiden Tatbeständen eine weitere Strafbarkeitsbegrenzung durch das Erfordernis bestimmter Einstellungen des Täters zu seinem Verhalten vorgenommen: Nur dann, wenn der Täter sich oder einen Dritten bereichern will, macht er sich einer Hehlerei schuldig. Die Begünstigung hingegen erfordert ein Handeln im Interesse des Vortäters. 3. Perpetuierungsdelikt und Vortat Da das Perpetuierungsdelikt notwendig ein Vermögensentziehungsdelikt voraussetzt, bedeutet das:

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Die Perpetuierungsdelikte

a) Vortat eines Perpetuierungsdelikts kann nur ein Delikt sein, das fremde Vermögensinteressen verletzt hat, und zwar durch Entziehung jener Vermögensgüter, auf die sich das Perpetuierungsverhalten des Täters bezieht. In diesen Kreis gehören daher zunächst die Delikte gegen Vermögensinteressen im engeren Sinne, wie z. B. Betrug, Erpressung, Untreue, Unterschlagung, Diebstahl, Raub und Wilderei, sodann aber auch jene Delikte, die neben einem vorrangig geschützten anderen Rechtsgut auch dem Schutz von Vermögensinteressen dienen, wie z. B. die Wirtschaftsdelikte. - Der Versuch eines einschlägigen Delikts genügt, soweit er bereits zu der rechtswidrigen Besitzlage geführt hat. Nach allgemeiner Ansicht - dazu BGHSt 15 S. 57 - soll auch Hehlerei als Vortat genügen. Das ist im Ergebnis richtig, dennoch aber schief gesehen. Die Hehlerei als Vortat genügt nämlich nur, weil bereits diese Hehlerei die vor der ersten Hehlerei durch ein Vermögensentziehungsdelikt geschaffene rechtswidrige Vermögenslage aufrechterhält. Keine geeigneten Vortaten der Perpetuierungsdelikte sind hingegen: Meineid, Urkundenfälschung, Landfriedensbruch, Gewahrsams- oder Arrestbruch, Bestechung usw. In diesen Fällen ist die Vermögensentziehung nicht durch ein Vermngensentziehungsdelikt eingetreten, sondern durch ein Verhalten, das - je nach den Umständen mehr oder minder zufällig - mit der strafbaren Verletzung eines ganz anderen Rechtsguts zusammenfiel. - Steht dieses Delikt in Idealkonkurrenz mit einem Vermögensentziehungsdelikt, oder konsumiert es dieses, so ändert das an dem Vorliegen des Vermögensentziehungsdelikts nichts. Ein nicht gegen das Vermögen gerichtetes Delikt kann jedoch nicht Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein, auch wenn es im Einzelfall einmal zu einer - als Vermögensentziehungsdelikt nicht strafbaren - Vermögensentziehung führt. Die h. M. begnügt sich hier mit der rechtswidrigen Besitzentziehung. BGH bei Daliinger, MDR 1972 S. 571: A meinte, gegen B einen Anspruch auf Herausgabe einer Sache zu haben. Als B den Anspruch nicht erfüllte, drohte ihm A mit einer Anzeige wegen eines vor etlicher Zeit von B begangenen Delikts. Daraufhin gab B die Sache heraus und A schenkte sie C, der den Sachverhalt kannte. - In Wirklichkeit hatte A den Anspruch gegen B nicht. BGH: Vortat der Hehlerei kann auch eine Nötigung sein, wenn durch die Nötigung Vermögen des Geschädigten betroffen und ein unrechtmäßiger Besitzstand geschaffen wurde. Als Vortaten einer Hehlerei kommen alle Straftaten in Betracht, die fremdes Vermögen verletzen und den Vermögensstand verändern, nicht nur Vermögens- und Eigentumsdelikte im engeren Sinne. S o u. a. a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 2 5 9 R d n . 5 ; RUDOLPHIJA 1 9 8 1 S . 1 f ; R u s s L K , § 2 5 9 R d n . 5 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE § 2 5 9 R d n . 7.

b) Durch die Neufassung des Gesetzes ( E G S t G B 1975) wurde die Absicht des Gesetzgebers deutlich, die Begünstigung - im Gegensatz zur Hehlerei - nicht als Vermögensdelikt zu interpretieren. Es wird nämlich im Tatbestand der Begünstigung im Gegensatz zu dem der Hehlerei keine Verletzung fremden Vermögens durch die Vortat vorausgesetzt, und die

§ 56 Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte

261

zu sichernden Vorteile brauchen keine Vermögensvorteile zu sein; gleichwohl verdient auch hier eine restriktive Interpretation des Gesetzes mit der Konsequenz, § 257 als Vermögensdelikt aufzufassen, den Vorzug; dazu unten § 57 I. c) Der Eigentumserwerb des Vortäters steht grundsätzlich weder einer Hehlerei noch einer Begünstigung entgegen. Auch der Betrug, durch den der Vortäter vollwirksam Eigentum an der erschlichenen Sache erlangt, kann daher Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein. Wo das Gesetz hingegen den Eigentumserwerb derart billigt, daß es dem z. B. durch eine Unterschlagung Verletzten keine Möglichkeit gibt, im Rechtswege die betroffenen Sachen herauszuverlangen - Eigentumserwerb nach § 950 BGB -, sondern ihn auf Geldersatz verweist, fehlt es an der für Hehlerei und Begünstigung nötigen rechtswidrigen Besitzlage. Die Verarbeitung hat nach verständiger Wertung eine neue Sache entstehen lassen, die nicht mit dem „Makel einer rechtswidrigen Tat" belastet ist. d ) D a s Perpetuierungsdelikt knüpft seinem Wesen nach an das Vermögensentzie-

hungsdelikt an. - Daraus zieht die h. M. die Folgerung, die Vortat müsse rechdich abgeschlossen sein, bevor das Perpetuierungsdelikt begangen werden kann. Das ist grundsätzlich richtig, doch bedarf die Art der Aufeinanderfolge je nach der Art der Anschlußtat der Präzisierung; dazu zur Begünstigung unten § 57 II 1 a; zur Hehlerei unten § 58 I 2 c. 4. Unrechtsbewußtsein des Täters der Vortat

Nach dem Gesetzeswortlaut muß die Vortat eine rechtswidrige, daher eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, nicht notwendig schuldhafte Straftat sein. Problematisch ist die Frage, ob Unrechtsbewußtsein bei der Vortat vorauszusetzen ist. Wird nämlich das Unrechtsbewußtsein mit dem Bewußtsein rechtswidrigen Verhaltens identifiziert und gemäß § 17 als Schuldelement angesehen, so ist dieses Unrechtsbewußtsein nicht Voraussetzung der Vortat. - Sieht man hingegen in § 17 nur das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im engeren Sinne des Bewußtseins formeller Rechtswidrigkeit gerade im Gegensatz zum Bewußtsein der materiellen Rechtswidrigkeit (Sozialschädlichkeit) erfaßt und interpretiert das materielle Unrechtsbewußtsein als Element des Unrechtstatbestandes - dazu G R U N D K U R S STRAFRECHT, A. T., § 7 V -, so erfordert die Hehlerei eine Vortat, die der Täter mit diesem Bewußtsein begangen hat, bzw. soweit eine fahrlässige Vermögensentziehung als Vortat in Betracht kommt, z. B. § 264 Abs. 3 (Leichtfertigkeit), die Möglichkeit des Täters, sich des materiellen Unrechtsbewußtseins seiner Tat bewußt zu werden. I m E r g e b n i s ü b e r e i n s t i m m e n d : O L G H a m b u r g N J W 1966 S. 2 2 2 8 ; BOCKELMANN B . T. 1, § 22 II 2 b, b b ; MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 50 II 1 b.

262

D i e Perpetuierungsdelikte

Das erscheint sachlich angemessen, denn die Hehlerei knüpft an die deliktische Vermögensentziehung an und perpetuiert damit nicht nur die schlicht rechtswidrige Vermögensentziehung. Die deliktische Vermögensentziehung erhält ihren vollen Sinngehalt aber durch das Unrechtsbewußtsein des Täters des Vermögensentziehungsdelikts. Dazu im einzelnen: O T T O Struktur, S. 322. - Zur Gegenansicht vgl.: BGHSt 4 S. 78; BERzJura 1980 S. 58; D R E H E R / T R Ö N D L E § 259 Rdn. 4 JESCHECK GA1955 S. 104; STREEJUS 1 9 6 3 S. 4 2 9 .

II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte 1. Der Täter sichert die Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes im Interesse des Vortäters: Begünstigung, § 257. 2. Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Stellung eines Vermögensentziehungstäters oder hilft dem Vortäter beim Beuteabsatz, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen: a) Der Täter weiß, daß die Sachen durch eine strafbare Handlung erlangt sind: Hehlerei, § 259 - Qualifizierung: § 260. b) Der Täter - Täterkreis begrenzt - verkennt fahrlässig, daß die Sachen - besonders gekennzeichnet - durch strafbare Handlung erlangt sind: fahrlässige Hehlerei, §§ 5/18 der Gesetze über den Verkehr mit edlen bzw. unedlen Metallen vom 29- 6. bzw. 23. 7. 1926.

§ 57: Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen. Nach h. M. schützt § 257 nicht das Vermögen, sondern „das durch die Vortat verletzte einzelne Individual- oder Gemeinschaftsgut und die Geltung der durch die Vortat verletzten Strafnorm einschließlich aller dadurch gesicherten Rechtsgüter" (AMELUNG). Dazu im einzelnen: A M E L U N G J R 1 9 7 8 S. 2 2 7 ff, insbes. S. 2 3 1 ; D R E H E R / T R Ö N D L E Vor § 2 5 7 Rdn. 2 ; G E P P E R T J U W 1 9 8 0 S. 2 7 0 ; K R E Y B . T . I , S. 1 8 2 ; LACKNER StGB, § 2 5 7 Anm. 1 ; S C H Ö N K E / S C H R Ö D E R / S T R E E § 2 5 7 Rdn. 1 ; V O G L E R Dreher-Festschrift, S . 4 1 4 ; ZIPFJUS 1 9 8 0 S.

25.

Zum Teil wird der Schutz auf Individualinteressen beschränkt, vgl. S A M S O N SK, § 257 Rdn. 5; zum Teil wird das Strafrecht selbst als geschützt angesehen; vgl. MAURACH/SCHROEDER B . T. I I , § 9 9

I.

Diese Interpretation macht aus der Begünstigung ein in Angriffs- und Schutzrichtung farbloses, weitgehend unbestimmtes und kriminalpoli-

§ 57 Begünstigung

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tisch in Teilbereichen überflüssiges Delikt. - Der Gewinn hingegen ist gering, denn in der Regel der Fälle ist die Vortat in der Praxis ein Vermögensdelikt; vgl. E 1962, Begründung, S. 455. Darüber hinaus bereitet die Anwendung des § 257 Abs. 4 dogmatische Schwierigkeiten; vgl. unter III. II. Einzelheiten des Tatbestandes 1. Der objektive Tatbestand a) Die Tathandlung knüpft an die rechtswidrige Tat eines anderen (Vortäter) an, die diesem - nach der hier vertretenen Ansicht - einen Vermögensvorteil gebracht hat. Das bedeutet: Der Begünstigungserfolg, die Verbesserung der Täterposition gegen Entziehung des Vorteils zu Gunsten des Berechtigten, darf frühestens nach Vollendung der Vortat eintreten, auch wenn die Handlung schon vorher vorgenommen wurde. Doch ist darüber hinaus zu fordern, daß die Tat auch beendet war, denn eine Unterstützung des Vortäters vor Beendigung der Vortat stellt sich als Beihilfe zu dieser Vortat dar, nicht aber als Begünstigung. - Ist es nur zum Versuch der Vortat gekommen, durch den der Vortäter einen Vermögensvorteil erlangt hat, so genügt der Versuch als Vortat, soweit er abgeschlossen ist. Zur Verdeutlichung: Fall 1: Der Hundezüchter A leiht dem Einbrecher E seine läufige Dackelhündin, damit diese ihre männlichen Artgenossen in den Villen, in die E einbricht, ablenkt. Ergebnis: Beihilfe des A zum Diebstahl des E, §§ 27, 242, 243 Abs. 1 Nr. 1. Fall 2: Als E aus einer Villa hinaus will, in der er eine goldene Taschenuhr gestohlen hat, lenkt A den Wachhund des Villenbesitzers mit seiner Dackelhündin ab, so daß E gefahrlos entwischen kann. Ergebnis: Wie Fall 1: Diebstahl zwar formell vollendet, aber noch nicht materiell beendet. S o a u c h : GEERDS v . - H e n t i g - F e s t s c h r i f t , S. 155 f ; SCHONKE/SCHRÖDER/STREE § 2 5 7

Rdn. 8. - Hingegen wollen im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung der Tat den Willen des Helfenden darüber entscheiden lassen, ob sein Verhalten als Beihilfe oder Begünstigung zu beurteilen ist: BGHSt 4 S. 133; BAUMANNJuS 1963 S. 54; MAURACH/SCHROEDER B. T. II, § 99 II 2. - Die Möglichkeit der Hilfe begrenzt auf den Zeitpunkt der Tatvollendung: Russ LK, § 257 Rdn. 5. Fall 3: Als A sieht, daß drei Stunden nach der Tat mit einem Polizeihund versucht wird, die Spur des Einbrechers E aufzunehmen, lenkt er den Hund mit seiner Dackelhündin ab, um E den Besitz der Beute zu erhalten. Ergebnis: Begünstigung des E, § 257.

b) Hilfeleisten ist ein Verhalten, durch das die Chancen des Vortäters in bezug auf die Vorteilssicherung objektiv verbessert werden und das sub-

264

Die Perpetuierungsdelikte

jektiv darauf abzielt, die durch das Vermögensentziehungsdelikt begründete Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu sichern. - Das Verhalten braucht nicht endgültig zum Erfolg zu fuhren, denn Hilfeleistung liegt bereits in jeder Förderung der Chancen des Täters, die Beute zu behalten. So auch: BGHSt 4 S . 224; O L G Düsseldorf NJW 1979 S . 2320; GEERDS vonHentig-Festschrift, S . 137; G E P P E R T J U M 1980 S . 275 f; LACKNER StGB, § 257 Anm. 3; LENCKNER NStZ 1982 S. 403; VOGLER Dreher-Festschrift, S . 421; Z I P F J U S 1980 S . 26 f. - A. A: S E E L M A N N J u S 1983 S. 34 (subjektive Hilfeleistungstendenz genügt).

2. Der subjektive Tatbestand a) Der zumindest bedingte Vorsatz muß die Vortat in ihren groben Zügen umfassen. Der Täter muß wenigstens eine allgemeine Vorstellung von der Art des Delikts haben. Dazu: OLG Hamburg NJW 1953 S. 1155; OLG Düsseldorf NJW 1964 S. 2123.

b) Die Absicht, dem Vortäter die Vorteile der Tat zu sichern, soll nach h. M. zielgerichtetes Wollen sein. Dem Täter muß es auf den Erfolg ankommen, auch wenn er noch weitere Zwecke neben der Vorteilssicherung verfolgt. Vgl. z. B.: BGHSt 4 S. 108 ff; OLG Düsseldorf NJW 1979 S. 2320; D R E H E R / § 257 Rdn. 9; H R U S C H K A J R 1980 S. 222; LACKNER StGB, § 257 Anm. 5 a; Russ L K , § 257 Rdn. 28; Z I P F J U S 1980 S . 26 f.

TRÖNDLE

Diese Differenzierung zwischen dem Täter, dem es darauf ankommt, dem Vortäter die Vorteile zu sichern, und jenem, der genau weiß, daß er dem Vortäter diese Vorteile sichert, überzeugt nicht. Absicht i. S. des § 257 liegt daher vor, wenn der Täter die Vorstellung hat, die Vorteilssicherung werde die sichere Folge seines Verhaltens sein. Dazu:

OEHLER N J W

1 9 6 6 S . 1 6 3 7 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE § 2 5 7

Rdn.

22.

Die Absicht in diesem Sinne muß darauf gerichtet sein, dem Vortäter die Vorteile der Vortat, d. h. die unmittelbar durch die Vortat erlangen Vorteile gegen ein Entziehen zu Gunsten des Verletzten zu sichern. Bloßes Erhalten der Sache - der Täter verhindert die Vernichtung der Sache durch Dritte oder durch Naturgewalt -, Ermöglichung der Ziehung von Gebrauchsvorteilen - Reparatur der gestohlenen Uhr -, Verkauf oder Verzehr, sind nur dann Begünstigungshandlungen, wenn damit der drohende Zugriff durch den Berechtigten vereitelt werden soll. BGH MDR1971S. 856 mit Anm. MAURACHJR1972 S. 70: A hatte DM 450000,unterschlagen. Von diesem Geld schenkte er der E DM 29000,-. Er erzählte ihr, das Geld habe er im Spielkasino gewonnen. Als die Unterschlagung aufgedeckt wurde, versprach E dem Geschädigten die Rückgabe des Geldes, das sie auf ein Sparkonto eingezahlt hatte. Sie hob den Betrag ab, schenkte das Geld aber dem A, der es verspielte.

§ 57 Begünstigung

265

BGH: Keine Begünstigung. Die Vorteilssicherung setzt voraus, daß die Vorteile noch im Besitz des Vortäters sind. Hat dieser sich des Vorteils gänzlich entäußert, indem er - wie im vorliegenden Fall - die durch seine Straftat erlangten Geldbeträge verschenkte, so ist für eine Begünstigung im Hinblick auf seine Tat kein Raum mehr.

3. Die Selbstbegünstigung, §25 7 Abs. 3 Die Selbstbegünstigung fällt nicht unter § 257 Abs. 1: „...einem anderen...". - Klargestellt ist in Abs. 3, daß auch Mittäter und Teilnehmer an der Vortat nicht wegen Begünstigung strafbar sind, soweit sie nicht einen Tatunbeteiligten zur Begünstigung anstiften, § 257 Abs. 3 S. 2. a) Die Straffreiheit der Selbstbegünstigung beruht auf der Einsicht, daß die Motivationskraft einer Strafnorm in der Situation der genannten Personen gering ist, und die Gesamtsituation der der Vortat und einer mitbestraften Nachtat entspricht. - Daß der Bestrafung aus der Vortat prozessuale Hindernisse entgegenstehen, ändert die Sachlage nicht. b) Die Strafbarkeit wegen Anstiftung eines Tatunbeteiligten zur eigenen Begünstigung ist mit dem Strafgrund der Teilnahme - mittelbare Rechtsgutsgerahrdung; dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 221 c, bb nicht in Einklang zu bringen. Zwar ist die Regelung kein Verstoß gegen die Logik des Gesetzes oder den Schuldgrundsatz, wohl aber, gemessen an den Gründen, die zur Straflosigkeit der anderen Tatbeteiligten führen, eine grob sachwidrige Regelung. D a z u : OTTO Lange-Festschrift, S. 214; STRIEJUS 1976 S. 138; WOLTERJuS 1983 S. 367.

III. Die Regelung des § 257 Abs. 4 1. Das Antragserfordernis Das Antragserfordernis gemäß § 257 Abs. 4 S. 1 ist logische Folge des Bezugs der Begünstigung zur Vortat. 2. Die Anwendung des § 248 a a) Die sinngemäße Anwendung des § 248 a gemäß § 257 Abs. 4 S. 2 ist nach den hier gesetzten Prämissen unproblematisch. Es kommt nicht darauf an, daß die Vortat selbst unter § 248 a fällt, denn der Bezug zur Strafe der Vortat wird bereits durch § 257 Abs. 2 hergestellt. § 248 a findet vielmehr Anwendung, wenn der Vorteil aus dem Vermögensentziehungsdelikt geringwertig i. S. des § 248 a war, d. h. letztlich, wenn sich die Vorteilssicherung auf einen geringwertigen Vermögensvorteil bezieht.

266

Die Perpetuierungsdelikte

So auch: LACKNER StGB, § 257 Anm. 9; MAURACH/SCHROEDER B. T. II, § 99 II 7; VOGLER D r e h e r - F e s t s c h r i f t , S. 4 2 0 . - A . A . : DRIHER/TRÖNDLE § 2 5 7 R d n . 1 4 ; STREE J U S 1 9 7 6 S. 1 3 9 .

b) Nach den Prämissen der h. M., die § 257 nicht als Vermögensdelikt interpretiert, muß § 248 a sinngemäß auf alle Vorteile, d. h. auch auf unbedeutende Vorteile nichtvermögensrechtlicher Art, angewendet werden. Damit steht der Begünstigende bei Nicht-Vermögensdelikten als Vortat erheblich günstiger als der Teilnehmer der Vortat, ohne daß für diese Differenzierung ein überzeugender Grund vorhanden wäre. Soweit versucht wird, dieser Konsequenz - entgegen den Prämissen in der Rechtsgutsbestimmung - auszuweichen und §257 Abs. 4 S. 2 nur auf geringfügige Vermögensdelikte anzuwenden, wird letztlich § 257 Abs. 4 S. 2 für überflüssig erklärt, denn durch den Bezug zur Strafe der Vortat gemäß Abs. 2 ist ein weiterer Bezug auf bestimmte Vortaten nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht angebracht. Anders aber: DREHER/TRÖNDLE § 257 Rdn. 14; STRIEJUS 1976 S. 139.

§ 58: Hehlerei I. Hehlerei, § 259 1. Das geschützte Rechtsgut und der Strafgrund Geschütztes Rechtsgut der Hehlerei ist das Vermögen. - Strafgrund ist die Aufrechterhaltung einer durch ein tatbestandsmäßig rechtswidriges Vermögensentziehungsdelikt geschaffenen rechtswidrigen Besitzlage im Einverständnis mit dem Vortäter. 2. Täter und Tatsituation a) Der Täter der Hehlerei Der Vortäter ist als Hehler nach dem Wortlaut des Gesetzes: „Wer eine Sache, die ein anderer ..." ausgeschlossen. Eindeutig ist damit auch, daß ein Mittäter der Vortat nicht durch die Erlangung seines Beuteanteils Hehlerei begeht, denn die Konstruktion der Mittäterschaft beruht auf der Vorstellung, daß in einem bestimmten Bereich mehrere Personen als eine einzige angesehen werden, so daß hier davon ausgegangen wird, alle Mittäter hätten durch die Tat Verfügungsmacht über die Beute erlangt, unabhängig davon, ob einer oder alle Mittäter die Beute oder Teile davon bei der Tat unmittelbar in Besitz genommen haben. Da nach der jetzigen Gesetzesfassung der Täter der Vortat schlechthin als Täter der Hehlerei ausgeschlossen ist, muß dies auch für den Fall gelten, daß der Mittäter der Vortat nach der Beuteteilung den Beuteanteil eines anderen Mittäters erwirbt oder nach Veräußerung der eigenen

§ 58 Hehlerei

267

Beute diese vom Käufer zurückerwirbt. Auch in diesen Fällen handelt es sich um einen Erwerb des Täters der Vortat, d. h. jener Person, die für die Vermögensentziehung und damit auch für den rechtswidrigen Besitzzustand bereits wegen des Vermögensentziehungsdelikts haftet. Offen läßt die Neufassung des Gesetzes jedoch die Streitfrage, ob Anstifter und Gehilfen der Vortat, die im Anschluß an die Vortat Hehlereihandlungen begehen, nicht nur der Teilnahme an der Vortat, sondern auch der Hehlerei schuldig sind. Auch die Teilnehmer der Vortat haften wegen der Vermögensentziehung, für die sie mittelbar mitverantwortlich sind. Gerade dann, wenn es ihnen bereits bei der Teilnahme an der Vortat um den Besitz der Beute ging, ist ihre Verantwortung für die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes offensichtlich. Andererseits haben sie die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes nur gefördert, nicht selbst durchgeführt. Insofern bleibt ein gewisser Freiraum, der es konstruktiv ermöglicht, sie selbständig wegen der Perpetuierung der rechtswidrigen Besitzlage neben der Verantwortung für die Vermögensentziehung haften zu lassen. So auch: B G H S t 7 S. 134; 22 S. 207; DREHER/TRÖNDLE § 259 R d n . 26; LACKNER

StGB, § 259 Anm. 7; MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 50 II 4 c; Russ LK, § 259 R d n . 4 2 ; WESSELS B . T. - 2, § 20 V I 2. - A . A . : OELLERS G A 1 9 6 7 S. 15. - D i f f e r e n z i e -

r e n d : SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE § 259 R d n . 56 f.

b) Die Vortat Die Vortat muß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, auf Vermögensentziehung gerichtete, nicht notwendig schuldhafte Tat sein; dazu im einzelnen oben § 56 I 4. c) Das Verhältnis der Vortat zur Hehlerei Das Gesetz fordert als Hehlereiobjekt eine Sache, die der Vortäter durch seine Vortat erlangt hat. Durch die Vortat erlangt ist die Sache, wenn der Täter, sei es auch nur als Mitgewahrsamsinhaber, sie in seine tatsächliche Sachherrschaft gebracht hat und zwar vor Beginn der Hehlerei. Grundsätzlich besteht daher Übereinstimmung, daß die Vortat abgeschlossen sein muß, bevor die Hehlerei begangen werden kann. Dieser Grundatz führt aber nicht zwingend zu der Konsequenz, daß zeitlich ein Zwischenraum zwischen Vortat und Hehlerei liegen muß, auch wenn dies der Regelfall sein wird. Es genügt vielmehr, daß sich die Hehlerei bei wertender Betrachtungsweise deshalb als Anschlußtat an die Tat des Vortäters darstellt, weil sie gleichsam die Kehrseite dieser Tat ist, an deren Existenz angeknüpft wird. Genauso wie z. B. Ubergabe und Annahme bei der Übereignung einen einheitlichen Vorgang bilden können, obwohl sie

268

Die Perpetuierungsdelikte

rechtlich gesehen aneinander anschließen, können auch Vortat und Hehlerei einen zugleich einheitlichen und dennoch aneinander anschließenden Akt bilden. Sie schließen nur unmittelbar aneinander an, es fehlt die dazwischenliegende zeitliche Zäsur. Gerade diese ist aber keineswegs erforderlich dafür, daß von einem Anschluß des einen an das andere gesprochen werden kann. - Ob die bei dem deliktischen Geschehen zusammenwirkenden Personen allerdings gemeinsam eine Vermögensentziehung durchführen oder der eine die Beute des anderen in Empfang nimmt, ist wertend zu ermitteln. OLG StuttgartJZ i960 S. 289 mit Anm. MAURACH S. 290 f: A hat eine Sache des X in Besitz. B erkundigt sich, ob A ihm diese veräußere. A sagt zu und übergibt dem B im selben Moment die Sache. OLG: A: Unterschlagung; B : Hehlerei. In der Übergabe der Sache liegt hier zugleich die Manifestation der Unterschlagung und, indem B die Sache annimmt, der Beginn der Hehlerei. Wie bei der Übergabe und Annahme im Rahmen einer Übereignung fallen beide Rechtsakte zusammen. Das ändert jedoch nichts daran, daß der eine Akt Schlußakt einer bestimmten Rechtshandlung ist, an deren Ende der andere anknüpft. Genauso ist es in den Fällen, in denen der Vortäter mit der Hingabe der Sache seine Zueignungsabsicht manifestiert und damit das Vermögensentziehungsdelikt, hier die Unterschlagung, abschließt. Hingabe und Annahme fallen ohne zeitliche Zäsur zusammen. Das ändert aber nichts daran, daß sie aneinander anschließen. Es fehlt lediglich eine Zäsur! S o a u c h : ESER IV, N r . 18 A 2 5 f f ; OTTO S t r u k t u r , S. 3 2 7 f f ; RUDOLPHIJA 1 9 8 1 S . 6 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE § 2 5 9 R d n . 15.

A. A.: BiRzJura 1980 S. 59; DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 10; LACKNER StGB, § 259 A n m . 3 c ; MAURACH/SCHROEDER B . T. I , § 5 0 I I 1 d.

d) Die durch die Vortat erlangte Sache aa) Das Problem der Ersatzhehlerei Gegenstand der Hehlerei kann nur die unmittelbar aus der Vortat stammende Sache sein. Nur an dieser kann der rechtswidrige Besitzstand perpetuiert werden. - Der Ersatz für die durch die Vortat erlangte Sache, den der Täter im Austausch mit der Sache aus der Vortat erlangt hat, ist selbst nicht unmittelbar durch die Vortat erlangt. An diesem Objekt besteht keine rechtswidrige Besitzlage, die perpetuiert werden könnte. Eine Ausnahme gilt auch nicht für vertretbare Sachen (so aber GRIBBOHM N J W 1968 S. 240) oder für gewechseltes Geld. - A. A.: D. MEYER MDR 1970 S. 377 ff; ROXIN H. Mayer-Festschrift, S. 472 ff; RUDOLPHIJA 1981 S. 4 mit dem Argument, Geld sei als Wertsumme anzusehen, nicht aber als Sache. Doch gerade wenn Geld keine Sache ist, so kann nach dem Wortlaut des Gesetzes § 259 auf Geld überhaupt nicht angewendet werden.

269

§ 58 Hehlerei

bb) Die Verarbeitung der erlangten Sache Hat der Vortäter Formulare, z. B. Euroscheck-Formulare oder ReisepaßFormulare, erlangt und diese Formulare ausgefüllt, so sind nunmehr andere Sachen, nämlich Wertpapiere bzw. gefälschte Reisepässe entstanden. Damit sind die Objekte andere als die durch die Vortat erlangten Sachen geworden und können bei der Weitergabe nicht Gegenstand der Hehlerei sein. Dazu: B G H N J W

1 9 7 6 S. 1 9 5 0 m i t A n m . D . MEYER M D R

1 9 7 7 S. 3 7 2 ff;

B a y O b L G J R 1 9 8 0 S. 2 9 9 m i t A n m . PAEFFGEN S. 3 0 0 ff.

3. Die einzelnen Tathandlungen a) Verschaffen und Ankaufen Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Sache, indem er sich oder einem Dritten tatsächliche, selbständige Verfiiigungsmacht über die durch ein Vermögensentziehungsdelikt erlangte Sache im Einvernehmen mit dem jetzigen Sachherrn, im Regelfall dem Vortäter, einräumen läßt (derivativer Erwerb). - Ankaufen - ein gesetzliches Beispiel für ein Verschaffen - ist die Erlangung der tatsächlichen, selbständigen Verfügungsmacht durch Kauf. An der selbständigen Verfügungsmacht des Täters fehlt es, wenn er vom Vortäter nur Mitverfügungsmacht mit diesem zusammen eingeräumt erhält oder der Vortäter ihm das Objekt zu einer einzigen ganz bestimmten Verfügung überläßt. Zur Verdeutlichung: aa) O L G Stuttgart J Z 1973 S. 739 ff mit Anm. LENCKNER S. 794 ff: A war Gesellschafter einer GmbH. In diese Gesellschaft wurden von anderen Gesellschaftern durch strafbare Handlungen erlangte Sachen eingebracht. Verfügungsmacht innerhalb der Gesellschaft hatten die Gesellschafter nur gemeinsam. O L G : A haftet nicht wegen Hehlerei, denn er hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht an den Sachen erlangt. Mitverfügungsmacht mit dem Vortäter ist keine eigene, selbständige Verfügungsmacht i. S. des § 259. bb) B G H N J W 1952 S. 754: B hat bei X Schnaps gestohlen. Er lädt den A, der von dem Diebstahl weiß, ein, mitzutrinken. A tut dies. B G H : Keine Hehlerei des A, denn A hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht erlangt. S o a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 2 5 9 R d n . 1 5 ; LACKNER S t G B , § 2 5 9 A n m . 4 a, b b ; O T T O S t r u k t u r , S . 3 2 9 ff. -

A . A . : MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 5 0 I I 1 e ,

aa;

SCHÖNKE/SCHRODER/STREE § 259 Rdn. 24: Insichbringen ist die stärkste Form des Ansichbringens. cc) BGHSt 27 S. 160 mit zust. Anm. D. MEYERJR 1978 S. 253 ff und krit. Anm. SCHALL N J W 1977 S. 2221 f: K versetzte durch Betrug erlangte Haushaltsgeräte im städtischen Leihamt. Die Pfandscheine veräußerte er gegen Bezahlung an den A, der in Kenntnis des Sachverhalts über die Geräte zu eigenem Nutzen verfügen sollte.

Die Perpetuierungsdelikte

270

BGH: Der Erwerb des Pfandscheins stellt ein Sichverschaffen der durch Betrug erlangten Sachen dar. S o a u c h : B E R z J u r a 1 9 8 0 S . 6 2 ; RUDOLPHIJA 1 9 8 1 S . 91. - A . A . : MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 5 0 I I 1 e , a a ; SAMSON S K , § 2 5 9 R d n .

20.

Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn der Pfandschein durch strafbare Handlung, z. B. Diebstahl, erlangt worden wäre. Dann hätte der Pfandschein Gegenstand einer Hehlerei sein können. Die versetzten Objekte hingegen wären durch Betrug beim Einlösen des Scheines erlangt worden. Ein einverständlicher Erwerb der Verfügungsmacht liegt auch vor, wenn der Täter die Sache in Kenntnis des Sachverhalts von einem gutgläubigen Zwischenbesitzer erlangt, nicht aber, wenn er sie sich durch ein Vermögensentziehungsdelikt vom Vortäter oder ohne Kenntnis von der Vortat verschafft. dd) OLG DüsseldorfJR 1978 S. 465 mit abl. Anm. PAEFFGEN S. 466 f: Der Dieb C schenkt der B, die nichts von dem Diebstahl weiß, einen Ring. Diese schenkt den Ring der A, die den Sachverhalt kennt. OLG Düsseldorf: Hehlerei der A. A verschafft sich die Stellung des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung durch derivativen Erwerb. Anmerkung: Im konkreten, vom OLG entschiedenen Fall, ist das Ergebnis gleichwohl zweifelhaft, da der Sachverhalt dem sogleich folgenden Fall ee) näher lag. ee) BGH GA 1967 S. 315: A erwarb von B ein Autoradio, ohne zu wissen, daß dieses gestohlen war. Später erhielt er von dem Diebstahl Kenntnis. BGH: Als A die Verfügungsmacht über die Sache erhielt, fehlte ihm der Vorsatz, sich eine durch strafbare Handlung erlangte Sache zu verschaffen. Nach Kenntnis verschaffte er sich jedoch nicht mehr die Verfügungsmacht, sondern hatte diese bereits. Zur Möglichkeit der Unterschlagung in derartigen Fällen vgl. oben § 42 I 6 b. ff) RGSt 35 S. 278: A nötigt den Angestellten B zur Unterschlagung von Geld und zur Aushändigung dieses Geldes an A. RG: A: §§ 253, 259, 52. - Dem ist nicht zuzustimmen. Entweder erlangt der Täter die Sache durch Vermögensentziehung, dann liegt eine Erpressung gegenüber dem Vorbesitzer B vor, oder er erlangt sie im einverständlichen Zusammenwirken mit B, dann ist kein Platz für ein Vermögensentziehungsdelikt. So auch: B G H wistra 1984 S. 23; O T T O ZStW 79 (1967) S. 87 ff; R U D O L P H I J A 1981 S. 6. A . A . : D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 5 9 R d n . 1 6 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 5 0 I I 1 e ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE § 2 5 9 R d n .

42.

b) Absetzen oder Absetzen helfen Absetzen ist die entgeltliche Übertragung der Verfügungsmacht im Einverständnis und im Interesse des Vortäters auf einen Dritten durch den selbständig handelnden Täter. - Eine Rückübertragung auf den Eigentü-

271

§ 58 Hehlerei

mer genügt diesen Erfordernissen nicht, da durch dieses Verhalten nicht die rechtswidrige Besitzlage perpetuiert wird. Absatzhilfe ist jede Unterstützung des Vortäters beim Absatz, den der Vortäter oder ein anderer im Interesse des Vortäters vornimmt, z. B. Suchen eines Käufers, Aushandeln des Kaufpreises, Transport der Beute zum Käufer. - Selbständige Verfügungsmacht erfordert die Absatzhilfe jedoch nicht. Strittig ist, ob Absetzen und Absatzhilfe schon mit den auf Absatz gerichteten Handlungen vollendet sind oder die Vollendung den Eintritt des Absatzerfolges voraussetzt. Dieser Streit ist mit einer Wandlung in der Interpretation des § 259 zu erklären. Das ursprünglich in § 259 enthaltene Verbot des „Mitwirkens zum Absatz" ging auf das Verbot des Beutehandels zurück. In dieser Alternative wurde nicht primär die Hilfe zur Verschaffung der Position des Diebes durch einen Dritten bestraft, sondern schon die Beteiligung an der auf diesen Erfolg gerichteten Handlung. Wird nun - in Abkehr von dem historischen Ausgangspunkt - der einheitliche Strafgrund des § 259 in der Herstellung der dem Täter des Vordelikts entsprechenden Stellung ohne Vermögensentziehung gesehen, bzw. in der Hilfeleistung bei einem derartigen Verhalten, so ist es konsequent, eine vollendete Tat erst mit Eintritt des Absatzerfolges zu bejahen. So auch: O L G Köln NJW1975 S. 987 mit zust. Anm. K Ü P E R J U S 1975 S. 633 und krit. Anm. FEZER NJW 1975 S. 1982; B E R Z Jura 1980 S. 65; FRANKE N J W 1977 S. 857 f; K R E Y B . T . I I , S. 183 ff; K Ü P E R NJW 1977 S. 58; LACKNER StGB, § 259 Anm. 4 b ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 5 0 I I 1 e , b b ; R U D O L P H I J A 1 9 8 1 S .

93.

A. A.: BGHSt 27 S. 45; BGH NJW 1978 S. 2042; BGH NJW 1979 S. 2621; DREHER/TRÖNDLE § 2 5 9 R D N . 1 8 ; D . M E Y E R M D R

1 9 7 5 S. 7 2 1 ; DERS.JR 1 9 7 7 S. 8 0 f ;

WESSELS B . T. - 2 , § 2 0 I I I 3 b .

4. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - setzt die Kenntnis der Vortat in ihren groben Zügen voraus und das Bewußtsein, die Verfügungsmacht in einverständlichem Zusammenwirken zu erlangen, d. h. das Wissen, daß die Tat keine Vermögensentziehung gegenüber dem Vortäter darstellt. Bei Absatz und der Absatzhilfe ist außerdem das Wissen des Täters, die Interessen des Vortäters zu fördern, erforderlich. b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, entspricht der Bereicherungsabsicht beim Betrug. Gegenstand der Bereicherung kann nur ein Vermögensvorteil sein. An diesem fehlt es beim Austausch gleichwertiger Leistungen, bzw. bei einem Kaufpreis, zu dem die gleiche Sache auch im Handelsverkehr erworben werden könnte. - Jedoch genügt es, wenn der Täter den üblichen Geschäftsgewinn anstrebt; BGH GA 1978 S. 372; BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267.

272

Die Perpetuierungsdelikte

aa) Nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs muß die Absicht des Täters dahin gehen, den Geldwert seines Vermögens zu erhöhen. Das bloße Haben von Sachen, die keinen Handelswert haben, stellt danach keinen Vermögensvorteil dar. - Nach den Grundsätzen des personalen Vermögensbegriffs stellt das Haben einer Sache, auch wenn diese keinen offiziellen Handelswert hat, aber auf einem „Schwarzen Markt" veräußert werden kann, einen Vermögenswert dar. Dazu: BayObLGJR 1980 S. 299 mit Anm.

PAEFFGEN

S. 300 ff (Reisepaß).

bb) Der Vortäter kann nicht Dritter i. S. des § 259 sein. Das ergibt sich zwingend aus dem Wortlaut des Abs. 1, denn der dort als „anderer" bezeichnete Vortäter kann nicht zugleich Dritter sein. So auch:

DREHER/TRÖNDLE

LACKNER/WERLEJR

§ 259 Rdn. 22;

LACKNER

1 9 8 0 S . 2 1 4 ff. - A . A . : B G H

SCHRÖDER/STREE § 2 5 9 R d n .

N J W

StGB, § 259 Anm. 6; 1 9 7 9 S. 2 6 2 1 ;

SCHONKE/

50.

Die Bereicherung, d. h. der erstrebte Vorteil, braucht sich nicht unmittelbar aus der gehehlten Sache zu ergeben. Eine Belohnung für die Absatzhilfe durch den Vortäter genügt. I,

So auch: BGH wistra 1983 S. 29; B E R z J u r a 1980 S. 6 7 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R B. T. § 50 I I 2 b; R U D O L P H I J A 1981S. 94; S T R E E J U S 1976S. 144. - A . A . : A R Z T NStZ 1981

S . 13 f ; DREHER/TRÖNDLE § 2 5 9 R d n .

23.

5. Konkurrenzen und Strafe a) Die Anstiftung des Vortäters zur Hehlerei ist mitbestrafte Nachtat der Vortat. b) Nach h. M. liegt neben der Hehlerei auch eine tatbestandsmäßige allerdings von der Hehlerei konsumierte - Unterschlagung vor, wenn der Täter sich durch die Hehlerei die umfassende Sachherrschaftsposition verschafft. Nach den hier entwickelten Prämissen ist das nicht haltbar. Die Unterschlagung als Vermögensentziehungsdelikt setzt eine reale Vermögensentziehung voraus. An dieser fehlt es jedoch. Die Redeweise von der angeblichen Vertiefung des Schadens des Vermögensentziehungsdelikts durch die Hehlerei verdeckt das nur: Die Sache ist dem Berechtigten durch das Entziehungsdelikt entzogen worden. Dieses „Loch in seinem Vermögen" wird durch anschließende Hehlereihandlungen keineswegs vergrößert! Hehlerei und Vermögensentziehungsdelikt in bezug auf dieselbe Sache durch dieselbe Person schließen einander aus. c) Gemäß § 259 Abs. 2 sind §§ 247, 248 a entsprechend anwendbar. Maßgeblich für die Anwendung des § 248 a ist der Wert der gestohlenen Sache, nicht aber der Vermögensvorteil des Hehlers, denn welchen Vorteil der Hehler hat, ist für die Situation des durch das Vermögensdelikt Betroffenen gleichgültig. Gegenstand der Perpetuierung, die den Straf-

§ 59 Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte

273

grund des Delikts bildet, ist die gehehlte Sache. Der Vorteilsabsicht kommt allein strafbegrenzende Funktion zu, die Rechtsgutsverletzung selbst betrifft sie unmittelbar nicht. So auch: Russ LK, § 259 Rdn. 45; SAMSON SK, § 259 Rdn. 46; S T R E B J u S 1976 S. 144 f. - A. A.: DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 25; LACKNER StGB, § 259 Anm. 10.

II. Gewerbsmäßige Hehlerei, § 260 Ein qualifizierter Fall der Hehlerei liegt vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt, § 260. Zum Begriff der Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 II 2 c.

III. Fahrlässige Hehlerei, § 5 EMG, § 18 UMG In § 5 EMG und § 18 UMG sind Fälle einer fahrlässigen Hehlerei unter Strafe gestellt. Wird das Wesen der Hehlerei in der Kollusion zwischen Hehler und Vortäter gesehen, wobei die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Besitzlage nur als Konsequenz dieser Kollusion erscheint, so ist der Schluß zwingend, diese Delikte als besondere Wirtschaftsdelikte zu interpretieren, die mit der Hehlerei nichts mehr zu tun haben. Es handelt sich dann um Vergehen, die die Vernachlässigung der Pflichten bestimmter Gewerbetreibender erfassen. - Wird hingegen als das wesentliche Moment des Hehlereidelikts die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Besitzstandes in scharfem Gegensatz zur Vermögensentziehung erkannt, so stellt sich die Kollusion zwischen Vortäter und Hehler lediglich als Folge der Tatsache dar, daß Fälle der Vermögensentziehung nicht von dem Tatbestand der Hehlerei erfaßt werden. Dann aber fällt die Verwandtschaft der Hehlerei mit der sogenannten fahrlässigen Hehlerei sofort auf. Es handelt sich sachlich um einen Fall der Hehlerei, gekennzeichnet durch das Fehlen einer Vermögensentziehung, d. h. wiederum um den Fall einer Vermögensverschiebung, deren Strafgrund darin zu sehen ist, daß die durch strafbare Vermögensentziehung bewirkte Schädigung des Berechtigten weiter aufrechterhalten bleibt, wenn auch dem Täter hinsichtlich dieser Aufrechterhaltung nur Fahrlässigkeit zur Last fällt. Eingehender dazu:

OTTO

Struktur, S. 244 f.

§ 59: Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 1. Die Zulässigkeit der Wahlfeststellung

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH, von der sich allerdings in letzter Zeit nicht nur die Lehre, sondern auch die Rechtsprechung der

274

Die Perpetuierungsdelikte

Oberlandesgerichte zunehmend distanzieren, ist eine Wahlfeststellung dann zulässig, wenn die zur Wahl stehenden Verhaltensweisen rechtsethisch und rechtspsychologisch gleichwertig erscheinen. Im einzelnen zur Situation und den Voraussetzungen der Wahlfeststellung vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T., § 2 4 II.

Da im Bereich der Vermögensdelikte jedoch gerade die psychologische Verschiedenheit der einzelnen Angriffe gegen Vermögensobjekte zur Differenzierung der verschiedenen Tatbestände geführt hat, dürfte - die Prämisse ernst genommen - im Bereich der Vermögensdelikte überhaupt keine Wahlfeststellung zugelassen werden, oder man gibt die rechtsethische und rechtspsychologische Gleichwertigkeit als Kriterium für die Zulässigkeit einer solchen Verurteilung auf. Die Rechtsprechung hat dies de facto seit langem getan; auch wenn sie an der Formel selbst festhält; dazu HRUSCHKA N J W 1973 S. 1805.

Wird jedoch das Erfordernis der rechtspsychologischen Vergleichbarkeit aufgegeben, so bestimmt sich die Zulässigkeit der Wahlfeststellung letztlich nach der Identität des Unrechtskerns. Diese Identität liegt vor, wenn sich ein deliktischer Angriff gegen dasselbe Rechtsgut oder ein Rechtsgut derselben Art, derselben Gattung richtet. Dazu: OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 67 f; BayObLG M D R 1977 S. 860 mit A n m . HRUSCHKAJR 1 9 7 8 S. 2 6 ; i m ü b r i g e n v g l . DEUBNERJUS 1 9 6 2 S. 2 3 ; DERS. N J W 1 9 6 7 S. 7 3 8 ; DREHER M D R 1 9 7 0 S. 3 7 1 ; DREHER/TRONDLE V o r § 1 R d n . 4 2 ; FLECK G A 1 9 6 6 S. 3 3 6 ; HARDWIG E b . S c h m i d t - F e s t s c h r i f t , S . 4 8 4 A n m . 2 8 ; HRUSCHKA N J W 1 9 7 3 S . 1804 f ; JAKOBS G A 1971 S. 2 7 0 ; LÖHRJUS 1 9 7 6 S. 7 2 0 ; OTTO P e t e r s - F e s t s c h r i f t , S. 3 9 0 f ; S A X J Z 1 9 6 5 S. 748;TRÖNDLEJR 1 9 7 4 S. 135; DERS.LK, § 1 R d n . 104. -

Differenzierend: GÜNTHER Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, 1976, S. 218 ff, der nach dem graduellen Unwert unterscheiden will, und MONTENBRUCK Wahlfeststellung und Werttypus im Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1976, S. 384, der aus den zur Wahl stehenden Tatbeständen einen gemeinsamen weiteren Tatbestand bilden und sodann anwenden will.

Der Unrechtskern ist bei allen Vermögensdelikten identisch, denn diese Identität des Unrechtskerns ermöglicht die Zusammenfassung dieser Delikte in der Gruppe der „Vermögensdelikte". Damit ist grundsätzlich eine Wahlfeststellung zwischen den verschiedenen Vermögensdelikten zulässig. Dies gilt auch für die Vermögensdelikte, die neben dem Vermögen noch andere Rechtsgüter schützen, z. B. die Willensfreiheit, denn dieser Schutz steht nicht im gleichen Rang mit dem Vermögensschutz, wie die Einordnung dieser Delikte als Vermögensdelikte zeigt. Bei den Delikten, bei denen dem Schutz eines weiteren Rechtsguts erhebliche Bedeutung zukommt, wie z. B. dem Schutz der Willensfreiheit in den §§ 249 ff, 255, ist die Deliktsnatur zunächst auf das Vermögensdelikt zu reduzieren, wenn die Verletzung der anderen Rechtsgüter in der möglichen Alternative entfällt.

§ 59 Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte

275

a) BGHSt 25 S . 182 mit Anm. H R U S C H K A N J W 1 9 7 3 S . 1804 und T R Ö N D L E J R 1974 S. 133: Alternative Raub-Unterschlagung. BGH: Zu verurteilen ist auf der wahldeutigen Grundlage „Diebstahl oder Unterschlagung". b) BGH NJW 1974 S. 804: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Hehlerei zulässig. Dazu: O L G Saarbrücken N J W 1976 S. 65 und G Ü N T H E R J Z 1976 S. 665 ff. c) OLG Köln GA 1974 S. 121 f: Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Unterschlagung zulässig. d) OLG Hamm NJW 1974 S. 1957: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Unterschlagung zulässig. e) BGHSt 23 S . 360 mit Anm. S C H R O D E R J Z 1971S. 141 und H R U S C H K A N J W 1971 S. 1392: Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Begünstigung zulässig. 2. §246

als Grundtatbestand der Vermögensdelikte

D i e Problematik der Wahlfeststellung bei der deliktischen Verschaffung von Sachen wird allerdings erheblich eingeschränkt, wenn § 246 als Grundtatbestand aller Sachzueignungsdelikte interpretiert wird; dazu oben § 39 II. Dann besteht zwischen der Unterschlagung und den anderen Vermögensentziehungsdelikten bei der Sachzueignung ein Stufenverhältnis, so daß gemäß dem Grundsatz „in dubio pro reo" stets nur wegen Unterschlagung zu bestrafen ist. Vgl. dazu: W E L Z E L Lb., § 46; W O L T E R Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht, 1976, S. 61 ff; DERS. GA 1974 S. 161 ff.

DRITTER TEIL Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit Erstes Kapitel Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen die Wirtschaftsordnung § 60: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht 1. Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsdelikte In der Auseinandersetzung um den Begriff der Wirtschaftskriminalität wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland dem täterbezogenen Aspekt zunächst größere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Ergänzung und Ersetzung dieses Gesichtspunkts in den verschiedenen Definitionsvorschlägen deckte jedoch bald die Grenzen dieser Betrachtungsweise, aber auch die Vielschichtigkeit der hinter dem Begriff verborgenen Problematik, auf. Es zeigte sich, daß ein einziger Begriff der Wirtschaftskriminalität den unterschiedlichen Erkenntniszielen überhaupt nicht gerecht werden konnte, daß es zumindest - bedingt durch die Verschiedenheit der Ziele und Betrachtungsweisen des Erkenntnisgegenstandes - drei verschiedene Begriffe der Wirtschaftskriminalität geben muß. Einer kriminologischen und kriminalsoziologischen Betrachtungsweise ist ein mehr täterorientierter Begriff der Wirtschaftskriminalität angemessen. - Im Vordergrund kriminaltaktischer und strafprozessualer Überlegungen steht hingegen die schwierige und umfangreiche Aufklärung und Aburteilung des strafbaren Verhaltens. Die Tatsache, daß dabei wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse notwendig sind, erhält damit in einer kriminaltaktisch relevanten Definition der Wirtschaftskriminalität besondere Bedeutung. - Rechtsdogmatisch hingegen führen die kriminologischen, kriminalsoziologischen und kriminal- sowie verfahrenstaktischen Ansätze nicht weiter. Für ein Strafrecht, das auf Erhalt des Rechtsfriedens durch den Schutz bestimmter Rechtsgüter gegen bestimmte Angriffe abzielt, ist sowohl eine täterorientierte wie auch eine primär auf Schadenshöhe und Aufklärungserfordernisse bezogene Betrachtungsweise nicht von Gewinn, da von hierher keine systematisch erfaßbaren Einsichten in das Wesen der Wirtschaftskriminalität zu erlangen sind. Sie eröffnen sich erst, wenn es gelingt, als Wirtschaftskriminalität einen von

278

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

anderen strafwürdigen Rechtsgutsbeeinträchtigungen abgehobenen Rechtsgüterangriff und seine Modalitäten zu erfassen und damit einen eigenständigen Unrechtsgehalt zu beschreiben und strafrechtlich sachgerecht zu würdigen. Diesem Erfordernis können allerdings Definitionen des Begriffs, die wesendich auf die wirtschaftlich schädliche oder die schlicht wirtschaftsbezogene Verhaltensweise der Wirtschaftskriminalität abstellen, nicht genügen. Der wirtschaftliche Bezug des sozialschädlichen Verhaltens kennzeichnet kein spezifisches Unrecht, das sich von anderen rechtswidrigen strafwürdigen Verhaltensweisen abhebt. Erst der Bezug des Verhaltens auf die Verletzung von überindividuellen (sozialen) Rechtsgütern des Wirtschaftslebens ermöglicht die Erfassung eines spezifischen Unrechts, das sich deutlich vom Unrecht einer beliebigen Vermögensschädigung unterscheidet. Von diesem Ausgangspunkt her las.sen sich als Wirtschaftsdelikte jene Verhaltensweisen bestimmen, die das Vertrauen in die geltende Wirtschaftsordnung insgesamt oder in einzelne ihrer Institute verletzen und damit den Bestand und die Arbeitsweise dieser Wirtschaftsordnunggefährden. - Die Verwirklichung dieser Delikte macht die Wirtschaftskriminalität aus. Im einzelnen dazu und zur Auseinandersetzung: OTTO ZStW96 (1984) Heft 2.

2. Das Wirtschaftsstrafrecht Da der Begriff der Wirtschaftskriminalität nicht nur durch die wirtschaftlich schädliche Verhaltensweise dieser Kriminalität konkretisiert wird, kann auch das Wirtschaftsstrafrecht nicht schlicht als das Strafrecht erfaßt werden, das in bezug zu wirtschaftlichen Vorgängen steht oder sich gegen wirtschaftlich schädliches Verhalten richtet. Ein derartiger Begriff könnte wiederum kriminologische oder kriminaltaktische Bedeutung haben, rechtsdogmatisch aber wäre er unbrauchbar. Als Wirtschaftsstrafrecht im eigendichen Sinne sind nur die Tatbestände anzusehen, die in erster Linie die Wirtschaftsordnung und ihr Funktionieren schützen sollen. Das sind zunächst einmal Normen staatlicher Wirtschaftslenkung und -Ordnung, wie z. B. das Wirtschaftsstrafgesetz oder das Außenwirtschaftsgesetz, dann aber jene Normen, die die wirtschaftliche Betätigung sowie die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Wirtschaftsgütern regeln. Da jedoch auch bei Angriffen gegen individuelle Rechtsgüter, insbesondere bei Angriffen gegen das Vermögen, Teilbereiche der Wirtschaftsordnung betroffen werden können, wird deutlich, daß auch Normen, die in erster Linie dem Schutz individueller Rechtsgüter dienen sollen, wie z. B. dem Betrugs- und dem Untreuetatbestand, gleichfalls Bedeutung bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zukommt. Dies gilt besonders für die Fälle quantitativ massierter Deliktsbegehung und bei schweren Vermögensschädigungen

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

279

gegenüber wirtschaftlichen Unternehmen. Insofern sind wirtschaftsstrafrechtliche Normen zwar Tatbestände, die auf Abwehr von Wirtschaftskriminalität gerichtet sind, doch darüber hinaus realisieren auch weitere Tatbestände diesen Zweck in erheblichem Umfang. Dazu im einzelnen: GEERDS Kriminalistik 1968 S. 2 3 4 ; OTTO Z S t W 9 6 (1984) Heft 2 ; TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1,1976, S. 54 f; WEBER in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 6 ff.

3. Die Gestaltung der Wirtschaftsstraftatbestände Da die einzelnen Angriffe auf die Wirtschaftsordnung und ihre Institute durch Verletzungjener Normen, die sie konstituieren, nicht zu naturwissenschaftlich meßbaren Schäden führen, bieten weder Verletzungsdelikt noch konkretes Gefährdungsdelikt die angemessene Deliktsform, um den angestrebten Schutz der Rechtsgüter zu realisieren. Das dem überindividuellen Rechtsgut und dem Angriffsobjekt als geistigen Gebilden entsprechende Mittel des strafrechtlichen Schutzes ist das abstrakte Gefährdungsdelikt. Dazu eingehend: BRAUNECK Allgemeine Kriminologie, 1974, S. 34 f; OTTO Z S t W 96 ( 1 9 8 4 ) Heft 2; TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 41 f.

Der mit der Schaffung abstrakter Gefährdungsdelikte stets verbundenen Gefahr einer Ausdehnung des Strafrechts in den nicht mehr strafwürdigen und strafbedürftigen Bereich hinein, kann der Gesetzgeber in verschiedener Weise begegnen: a) Die Strafbarkeit des abstrakt gefährlichen Verhaltens kann an bestimmte konkret gefährliche Situationen geknüpft werden, sog. Krisensituationen, wie sie der Gesetzgeber z. B. in den Konkursdelikten (Uberschuldung, eingetretene oder drohende Zahlungsunfähigkeit) ausgebildet hat. b) Eine weitere Möglichkeit der Strafbarkeitsbegrenzung ist das zusätzliche Erfordernis eines besonderen Erfolgsunwertes, z. B. in der Art einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit. c) Schließlich kann das Tatverhalten in die Nähe einer Vermögensverletzung oder konkreten Vermögensgefährdung gebracht oder auf solche Verhaltensweisen beschränkt werden, die regelmäßig auch zum Eintritt eines Vermögensschadens führen, um den Bereich der Strafbarkeit zu begrenzen. Eingehender dazu: OTTO Z S t W 96 (1984) Heft 2.

§ 61: Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch Im Strafgesetzbuch sind fünf Deliktskomplexe enthalten, in denen der Schutz der Wirtschaftsordnung neben individuellen, auch mitgeschütz-

280

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

ten Vermögensinteressen Vorrang genießt: Versicherungsbetrug, Subventionssowie Krediterschleichung, Konkursdelikte und Wucher.

I. Versicherungsbetrug, § 265 1. Das geschätzte Rechtsgut G e s c h ü t z t e s R e c h t s g u t ist die soziale Leistungsfähigkeit der Versicherer. N u r

der Schutz dieses Rechtsgutes erklärt die hohe Strafe und die Vorverlegung der Strafbarkeit überzeugend. Als Element der sozialen Leistungsfähigkeit mitgeschützt ist das Vermögen der Versicherer, doch kommt diesem Gesichtspunkt im Rahmen des Rechtsgutes keine eigenständige Bedeutung zu. Dazu: BGHSt 25 S. 262; G E E R D S Welzel-Festschrift, S. 853. - Nur das Vermögen wollen als geschütztes Rechtsgut ansehen: B O C K E L M A N N B. T. 1, § 121; S A M S O N SK, § 265 Rdn. 1; SCHMIDHAUSER B . T., 11/41. - Für den Schutz von Vermögen und sozialer Leistungsfähigkeit der Versicherer: K R E Y B . T. II, S . 158; LACKNER LK, § 265 R d n . 1 ; S C H Ö N K E / S C H R Ö D E R / L E N C K N E R § 2 6 5 R d n . 1 f ; WESSELS B . T . - 2 , § 1 5 1 1 . -

Aspekt der Gemeingefährlichkeit der Deliktshandlung betonen: TRÖNDLE § 2 6 5 R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER B . T . I, § 4 6 I V

D e n

DREHER/

A.

Der Schutzbereich der Vorschrift ist - historisch bedingt - auf die Feuer- und Seeversicherung begrenzt. Diese Einschränkung ist heute nicht mehr sachgerecht; dazu G E E R D S Welzel-Festschrift, S. 8 4 1 ff. 2. Tatobjekt und

Tathandlung

Versichert ist eine Sache, wenn sie Gegenstand eines formgültig zustande gekommenen Versicherungsvertrages geworden ist, unabhängig davon, ob der Vertrag anfechtbar oder z. B. wegen absichtlicher Überversicherung nichtig ist. - In Brand gesetzt ist die versicherte Sache dann, wenn sie selbständig weiterbrennen kann. Dazu: BGHSt 8 S. 345. 3. Die betrügerische Absicht

Betrügerische Absicht ist die Absicht des Täters, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil, nämlich die Versicherungssumme aus der Feuer- oder Seeversicherung zu verschaffen. Die Absicht, eine andere Versicherungssumme betrügerisch zu erlangen, genügt nicht; BGHSt 32 S. 137. - Rechtswidrig ist der Vermögensvorteil, wenn der Versicherte keinen Anspruch auf die Leistung hat. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Versicherte selbst Täter oder Teilnehmer der Tat ist; § 6 1 W G . Dasselbe gilt, wenn der Versicherte sich das Verhalten des Täters als eigenes zurechnen lassen muß, weil der Täter als Repräsentant

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

281

des Versicherten anzusehen ist. Repräsentant ist derjenige, der befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang, für den Versicherten zu handeln und dabei auch dessen Rechte und Pflichten als Versicherungsnehmer wahrzunehmen. D a z u : B G H N J W 1 9 7 6 S. 2 2 7 1 m i t A n m . GÖSSELJR 1 9 7 7 S. 3 9 1 u n d WAGNERJUS 1 9 7 8 S. 161

ff.

Ein effektiver Schutz des Rechtsguts müßte die Strafbarkeit bereits an die Absicht knüpfen, einen Schaden zu begründen, um den Versicherungsfall herbeizuführen. Damit würde jedoch dem betrügerischen Element jegliche Bedeutung genommen. - Nicht erforderlich ist hingegen eine Täuschung des Täters oder des Versicherten. § 265 ist auch erfüllt, wenn der Täter davon ausgeht, daß der Versicherte gutgläubig den nicht bestehenden Anspruch gegenüber der Versicherung geltend macht.

4. Konkurrenz zu § 26} Der Versicherungsbetrug steht mit dem u. U. später begangenen Betrug, mit dem die Versicherungssumme kassiert wird, in Realkonkurrenz, da beide Delikte verschiedene Rechtsgüter schützen. Wird als Rechtsgut des § 265 das Vermögen angesehen, so konsumiert § 265 den § 263 als straflose Nachtat.

II. Subventionsbetrug, § 264 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse an einer sachgerechten staatlichen Wirtschaftsförderung. V g l . : B T - D r u c k s . 7 / 5 2 9 1 , S. 3 ; GÖHLER/WUTS D B 1 9 7 6 S. 1 6 0 9 ; LACKNER S t G B ,

§ 264 A n m . 1; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 Rdn. 8. - A. A . : Staatliches Vermögen: HACK

Probleme des Tatbestands Subventionsbetrug, § 264 StGB, 1982, S. 19; MAURACH/ SCHROEDER B . T. I, § 4 6 1 C 2 ; SANNWALD R e c h t s g u t u n d S u b v e n t i o n s b e g r i f f , § 2 6 4

StGB, 1982, S. 89; SCHMIDHÄUSER B. T, 11/96 f.

Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Str., w i e h i e r : BERZ B B 1 9 7 6 S. 1 4 3 6 ; DREHER/TRONDLE § 2 6 4 R d n . 4 ; HEINZ G A 1 9 7 7 S. 2 1 0 ; SCHÖNKE/SCHRODER/LENCKNER § 2 6 4 R d n . 5. - A . A . : B T - D r u c k s . 7 / 5 2 9 1 ,

S. 5: Konkretes Gefährdungsdelikt; GOHLER/WILTS DB 1976 S. 1613: Abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt.

2. Subvention und subventionserhebliche Tatsachen a) Den Begriff der Subvention umschreibt Abs. 6. - Folgende Erfordernisse müssen erfüllt sein:

282

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

aa) Leistungen aus öffentlichen Mitteln, d. h. Leistungen, die dem Staat, einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Institution oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung zur Verfügung stehen. bb) Grundlagen der Leistungen müssen Vergabevorschriften aus dem Recht des Bundes, der Länder - einschließlich dem Recht der Gemeinden oder der Europäischen Gemeinschaften sein. Es genügt der globale Ansatz in einem Haushaltsgesetz. Nach dem Willen des Gesetzgebers - BT-Drucks. 7/5291, S. 11 - fallen allerdings Leistungen aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften nicht unter Abs. 6. - In diesem Bereich haben die Regelungen des Steuerrechts ausschließlich Bedeutung. D a z u : F U H R H O P N J W 1 9 8 0 S . 1 2 6 1 f f ; MÜLLER-EMMERT/MAIER N J W 1 9 7 6 S . 1 6 5 7 f f ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 R d n .

132.

cc) Die Leistungen müssen wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt werden. - Das ist dann der Fall, wenn die Leistung nach ihrem objektiven Wert nicht dem entspricht, was nach den konkreten Verhältnissen des betreffenden Marktes üblicherweise für die Leistung aufgewendet werden muß. dd) Die Leistung muß wenigstens zum Teil zur Förderung der Wirtschaft dienen. Es genügt jedoch, daß die Wirtschaftsförderung einer neben anderen Zwecken ist. Leistungen zur Förderung der Forschung, Bildung oder kultureller Einrichtungen fallen daher genausowenig unter den Begriff wie die sog. Sozialsubventionen (z. B. Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld).

ee) Die Leistung muß einem Betrieb oder Unternehmen gewährt werden. Betrieb ist eine auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenfassung von persönlichen und sächlichen Mitteln zur Erreichung eines - nicht unbedingt wirtschaftlichen - Zwecks o h n e Rücksicht auf die Rechtsform. - D e m Unternehmen k o m m t gegenüber dem Betrieb nur insoweit Eigenständigkeit zu, als es ein K o m plex von mehreren Betrieben sein kann. D a z u a u c h : DREHER/TRONDLE § 14 R d n . 8 ; GÖHLER/WILTS D B 1976 S. 1611; LACKNER S t G B , § 11 A n m . 5 b ; MOLLER-EMMERT/MAIER N J W 1 9 7 6 S . 1 6 5 8 ; SCHÖNKE/ SCHRÖDER/LENCKNER § 14 R d n . 2 8 f f .

ff) Im einzelnen zum Begriff der Subvention: EBERLE D e r Subventionsbetrug nach Paragraph 264 StGB - Ausgewählte Probleme einer verfehlten Reform, 1983, S . 2 2 f f ; J A R A S S J U S 1 9 8 0 S . 115 f f ; SANNWALD R e c h t s g u t , S . 7 6 ; G . SCHMIDT G A

1979

S. 122 ff; VOLK in: Wirtschaftskriminalität, herausgeg. von Belke u. O e h m i c h e n , 1983, S. 82 ff.

b) Die in Abs. 1 genannten Tathandlungen (Täuschung, Unterlassung vorgeschriebener Angaben usw.) sind nur relevant, soweit sie sich misubventionserhebliche Tatsachen gemäß Abs. 7 beziehen. Gemäß Abs. 7 Nr. 1 sind dies zunächst die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes vom Subventionsgeber ausdrücklich als subventionserheblich bezeichneten Tatsachen; dazu auch § 2 SubvG. - Es muß sich

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

283

um klar und unmißverständlich auf den konkreten Fall bezogene Angaben handeln; LG Düsseldorf NStZ 1981 S. 223. Gemäß Abs. 7 Nr. 2 werden sodann ergänzend die materiellen Voraussetzungen der Vergabe oder Rückforderung einer Subvention als „subventionserheblich" erklärt, soweit ein Gesetz im materiellen Sinne diese Voraussetzungen regelt, auch wenn sie nicht als subventionserheblich bezeichnet worden sind. Dazu: OLG Köln NJW 1982 S. 457.

3. Die Tathandlung a) Der äußere Tatbestand fordert falsche oder unvollständige Angaben gegenüber dem Subventionsgeber in bezug auf subventionserhebliche Tatsachen, die für den Erklärenden oder einen anderen vorteilhaft sind (Abs. 1 Nr. l), die Unterlassung subventionserheblicher Angaben entgegen den Rechtsvorschriften - dazu §§ 3, 4 SubvG - über die Subventionsvergabe (Abs. 1 Nr. 2) oder den Gebrauch einer durch unrichtige oder unvollständige Angaben in einem Subventionsverfahren erlangten Bescheinigung über eine Subventionsberechtigung oder über subventionserhebliche Tatsachen (Abs. 1 Nr. 3). Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie die Aussichten des Subventionsempfängers für die Gewährung oder Belassung einer Subvention oder eines Subventionsvorteils gegenüber der wirklichen Lage objektiv verbessern. Falsche Angaben werden dann nicht erfaßt, wenn die Subventionsvoraussetzungen unabhängig davon vorliegen; OLG Karlsruhe NJW 1981 S. 1383.

Da es darauf ankommt, daß die Angaben für den Täter oder einen anderen vorteilhaft sind, kann nicht nur der Begünstigte selbst Täter sein. - Macht jedoch ein Amtsträger, der auf der Seite des Subventionsgebers den Antrag zu prüfen hat, falsche Angaben, so kommt nur Teilnahme in Betracht, denn Abs. 1 Nr. 1 erfaßt ein Tatverhalten, das sich von außen gegen den Subventionsgeber richtet. Handlungen die intern dieses Verfahren fördern, z. B. unrichtige Priifungsvermerke, sind nicht selbst „falsche Angaben" sondern unterstützen diese nur. Vgl.: DREHER/TRÖNDLE § 264 Rdn. 32; grundsätzlich auch LACKNER StGB, § 264 A n m . 5 a. - A. A . : BT-Drucks. 7/5291, S. 7; B G H M D R 1 9 8 4 S. 333 f; TIEDEMANN LK, § 264

Rdn. 18, 70, 124.

b) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das vorsätzliche, sowie in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 das leichtfertige Verhalten, Abs. 3. 4. Besonders schwere Fälle Abs. 2 sieht eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung gemäß Abs. 1 vor.

284

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

Als Regelbeispiele sind genannt: Die Erlangung einer Subvention großen Ausmaßes, Handeln aus grobem Eigennutz oder unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege (Nr. l), Mißbrauch der Stellung als Amtsträger (Nr. 2), Mithilfe eines Amtsträgers, der seine Befugnisse oder Stellung mißbraucht (Nr. 3). 5. Tätige Reue und Nebenstrafen Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 4, zu den Nebenstrafen Abs. 5. 6. Konkurrenzen a) Werden in einem auf rechtswidrige Erlangung einer Subvention gerichteten Verfahren zunächst Bescheinigungen i. S. des Abs. 1 Nr. 3 ausgestellt und später aufgrund ihrer Vorlage die Subvention geleistet, so liegt nur eine Tat nach Abs. l'Nr. 1 vor. Hier erhält das in Abs. 1 Nr. 3 erfaßte Verhalten keine Eigenständigkeit. Anders hingegen, wenn der Täter bei Erlangung der Bescheinigung gutgläubig war oder ein Dritter die Bescheinigung erlangt hat. - Handelte der Täter bei der Erlangung der Bescheinigung leichtfertig, Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in Verb, mit Abs. 3, bei der Vorlage der Bescheinigung aber vorsätzlich, so erscheint eine Konsumtion des leichtfertigen Verhaltens durch die vorsätzliche Tat angemessen. b) Sind mehrere Alternativen des Tatbestandes erfüllt, so liegt dennoch nur ein Delikt gemäß § 264 vor. c) Nach dem in der Höhe des Strafmaßes zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers geht § 264 dem § 263 als Sonderregelung stets dann vor, wenn das Tatverhalten als vollendeter Subventionsbetrug zu bewerten ist. - Betrifft die Tathandlung eine Subvention, ohne daß § 264 vollendet wird, so wird die Strafbarkeit gemäß §§ 263; 264, 23; 52 nicht ausgeschlossen.

III. Kreditbetrug, § 265 b 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Funktionieren des Kreditwesens; daneben wird mittelbar auch das Vermögen geschützt. Vgl.:

LAMPE

Der Kreditbetrug (§§

263, 265

b StGB),

1980,

S.

SCHROEDER B . T . I , § 4 6 I C 2 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER TIEDEMANN

LK, § 2 6 5 b Rdn. 9- - Vorrangig für Vermögensschutz:

37

ff;

MAURACH/

§ 265 b Rdn.

3;

DREHER/TRÖNDLE

§ 2 6 5 b R d n . 6 ; SAMSON S K , § 2 6 5 b R d n . 2 .

Die Tat ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betruges.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

285

2. Der relevante Kredit a) Relevant sind nur Kredite, die von einem Betrieb oder Unternehmen als Kreditgeber gewährt werden. Als Kreditnehmer muß gleichfalls ein Betrieb oder ein Unternehmen auftreten, sei es auch nur, daß der Betrieb, das Unternehmen oder der Umfang eines kaufmännischen Geschäftsbetriebes vorgetäuscht wird. b) Zum Begriff des Betriebs und Unternehmens sowie zum notwendigen Geschäftsumfang vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 1 i. V m. § 2 HGB. - Zum Begriff des Kredits vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 2. Nicht erfaßt werden demnach von der Vorschrift Kredite an Privatpersonen und Kredite von Privatpersonen. Hier sind lediglich §§ 263, 266 einschlägig.

3. Die Tatbestandsvoraussetzungen a) Die maßgebliche Tatsituation Erforderlich ist, daß die einzelnen im Gesetz, Abs. 1 Nr. 1,2, umschriebenen Täuschungshandlungen im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung eines Kredits vorgenommen werden. - Täuschungshandlungen im Vorfeld der Antragsstellung bleiben irrelevant, wenn es nicht zur Stellung eines Kreditantrages kommt. b) Tathandlungen sind: aa) Nach Abs. 1 Nr. 1: die Vorlage unrichtiger oder unvollständiger Unterlagen über die wirtschaftlichen Verhältnisse (Nr. 1 a) und die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger schriftlicher Angaben über wirtschaftliche Verhältnisse (Nr. 1 b), soweit diese für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Entscheidung über den Kreditantrag relevant sind, d. h. die Kreditgrundlage für den Kreditnehmer positiver erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit ist. - Wirtschaftliche Verhältnisse sind Umstände, die für die Sicherheit des Kredits von Belang sein können. - Vorgelegt sind die Unterlagen, wenn sie im Machtbereich des Kreditgebers eingegangen sind. bb) Nach Abs. 1 Nr. 2: die Verletzung der Offenbarungspflicht über Verschlechterungen der in den Unterlagen oder Angaben dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse. - Der Gesetzgeber berücksichtigt hier, daß bei der Gewährung von Krediten oftmals Unterlagen, z. B.Jahresabschlußbilanzen o. ä. vorgelegt werden, die für einen zurückliegenden Zeitpunkt erstellt wurden, so daß sie eine inzwischen eingetretene Verschlechterung der wirtschafdichen Lage noch nicht erfassen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Vorlage des Antrages. Das Verschweigen späterer Verschlechterungen, z. B. in der Zeit zwischen der Entscheidung über den Antrag und der Kreditgewährung, ist nicht tatbestandsmäßig, auch wenn damit eine kaum begründete Strafbarkeitslücke vorliegt. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit aber eindeutig.

286

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

So auch: LACKNER StGB, § 265 b A n m . 3 b; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 265 b R d n . 47. - A . A . : TIEDEMANN L K , § 2 6 5 b R d n . 74.

Täter des Unterlassungsdelikts nach Abs. 1 Nr. 2 ist, wer die Unterlagen vorlegt oder die Angaben macht. Es handelt sich um ein Sonderdelikt, dessen Begehung durch andere Personen nur gemäß § 14 möglich ist; dazu TIEDEMANN L K , § 265 b R d n . 75.

c) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz, einschließlich des bedingten Vorsatzes. 4. Zur Tätigen Reue vgl. § 265 b Abs. 2. 5. Konkurrenzen Mit Betrug ist aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz möglich. Eingehend dazu: OTTO Jura 1983 S. 23; sowie BERZ BB1976 S. 1435 ff; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 b R d n . 8 9 . - A . A . : HEINZ G A 1977 S. 2 2 6 ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 331:

Subsidiarität des § 265 b gegenüber § 263.

IV. Konkursdelikte Geschütztes Rechtsgut der Konkursdelikte sind die Vermögensinteressen der Gläubiger und die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft. - Die Taten sind abstrakte Gefährdungsdelikte. Wird hingegen nicht die Tathandlung, sondern die Tatsituation zum Ausgangspunkt der Bestimmung des Delikts genommen, so ist die Kennzeichnung der Delikte als abstrakt konkrete Gefährdungsdelikte durchaus konsequent; dazu TIEDEMANN N J W 1977 S. 7 8 0 f.

1. Bankrott, § 283 a) Angriffsobjekt und Tatzeit Angriffsobjekt ist der Anspruch des Gläubigers auf adäquate, d. h. der Rangordnung und Mehrheit der Gläubiger entsprechende Befriedigung. - Strafbar sind einzelne Bankrotthandlungen, wenn sie im Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Krise vorgenommen werden und - objektive Bedingung der Strafbarkeit - der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist. Krisensituationen sind die Überschuldung, die drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

287

aa) Nach bisher allgemein akzeptierter Ansicht wurde Überschuldung dann angenommen, wenn das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeit nicht mehr deckt, d. h. bei einem Unternehmen, wenn die Verbindlichkeiten (Passiva) gegenüber den Vermögenswerten (Aktiva) überwiegen. Streitig war jedoch, ob die Bewertung nach Zerschlagungswerten, nach dem Fortführungswert oder im Einzelfall abhängig davon, ob das Unternehmen liquidiert werden muß oder nicht, zu erfolgen hat. Dazu im einzelnen: OTTO Bruns-Gedächtnisschrift, S. 269 ff; SCHLÜCHTER Der Grenzbereich zwischen Bankrottdelikten und unternehmerischen Fehlentscheid u n g e n , 1977, S. 6 5 ff; DIES. M D R 1 9 7 8 S. 2 6 5 ; DIES. W i s t r a 1 9 8 4 S. 41 ff; TIEDEMANN

Schröder-Gedächtnisschrift, S. 289.

In Anlehnung an zivilrechtliche Überlegungen im Zusammenhang mit der Reform des Insolvenzrechts wäre dem strafrechtlichen Schutzbedürfnis hinreichend Genüge getan, wenn die Überschuldung von ihrem Schutzzweck her, die berechtigten Interessen der Gläubiger und der Kreditwirtschaft in der Konkurssituation zu wahren, neu bestimmt würde dahin, daß Überschuldung i. S. der Konkursdelikte eine rechnerische Überschuldung sowie eine ungünstige Zukunftsprognose voraussetzt: Überschuldet ist ein Unternehmen, wenn das Vermögen im Liquidationsfall die Schulden nicht decken würde und eine mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erstellte Finanz- und Erfolgsplanung die Ertragsfähigkeit nicht gewährleistet erscheinen läßt. - Umgekehrt liegt keine Überschuldung i. S. der Konkursdelikte vor, wenn zwar das Vermögen im Liquidationsfalle die Schulden nicht decken würde, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erstellte Finanz- und Erfolgsplanung jedoch die Liquidation des Unternehmens oder auch nur den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in absehbarer Zeit als ausgeschlossen erscheinen läßt. Dazu eingehend: K. SCHMIDT J Z 1982 S. 165 ff.

Auf diesem Wege läßt sich allerdings nur die Überschuldung eines Unternehmens im weitesten Sinne feststellen. Das ist auch sachgerecht, denn bei natürlichen Personen bedeutet die rechnerisch feststellbare Überschuldung im Regelfall keineswegs eine Gefährdung der Gläubigerinteressen. Die verfassungskonforme Auslegung gebietet daher, Überschuldung nur in den Fällen als Krisensituation anzuerkennen, in denen sie auch Konkursgrund nach dem Konkursrecht ist. Eingehend dazu: OTTO Bruns-Gedächtnisschrift, S. 273 ff.

bb) Zahlungsunfähigkeit wird definiert als das nach außen in Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des Täters, seine fälligen Geldschulden im wesentlichen zu erfüllen. Vgl. d a z u : DREHER/TRÖNDLE V o r § 2 8 3 R d n . 10; LACKNER S t G B , § 2 8 3 A n m . 3 b ; M E N T Z E L / K U H N / U H L E N B R U C K K O , § 1 0 2 R d n . 2 ; SCHLÜCHTER M D R 1 9 7 8 S . 2 6 7 . - I m

288

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

einzelnen zum dauernden Unvermögen des Schuldners und zur wesentlichen Unterdeckung: O T T O Bruns-Gedächtnisschrift, S. 2 7 7 f. cc) Zahlungsunfähigkeit droht, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Wahrscheinlichkeit ihres nahen Eintritts besteht. Dazu: DREHER/TRÖNDLE Vor § 283 Rdn. 11; LACKNER StGB, § 283 Anm. 3 c; Bruns-Gedächtnisschrift, S. 278 ff; WESSELS B. T.-2, § 12 III 3.

OTTO

b) Täter Täter des Bankrotts können nur Schuldner sein. Die Schuldnereigenschaft ist besonderes pflichtbegründendes Merkmal i. S. des § 28 Abs. 1. Str., wie hier: DREHER/TRÖNDLE § 2 8 3 Rdn. 3 8 ; R E N K L J U S 1 9 7 3 S. 6 1 4 ; Rdn. 2 8 . - A. A.: LACKNER StGB, § 2 8 3 Anm. 7 ; VORMBAUM GA W E B E R in: Arzt/Weber, L H 4 , Rdn. 2 3 0 . § 283

SAMSON

SK,

1981 S. 133;

Die Schuldnereigenschaft ist zugleich besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 14, mit der Konsequenz, daß auch die dort genannten Organe und Vertreter Täter werden können. Bei den vertretungsberechtigten Organen der GmbH, d. h. bei ihren Geschäftsführern, schränkt der BGH den Täterkreis jedoch wesentlich ein. Er vertritt die Auffassung, daß als Täter gemäß § 283 nur bestraft werden kann, wer die Tathandlung für die GmbH und wenigstens auch in ihrem Interesse vorgenommen hat. Bei einem ausschließlich eigennützigen Verhalten des Täters ist dies nicht der Fall; BGHSt 28 S. 371 ff; 30 S. 127 ff; BGH NStZ 1984 S. 119. Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Geschäftsführer der GmbH, der über Vermögen der GmbH z. B. rechtsgeschäftlich verfügt, kann dies allein rechtswirksam in seiner Eigenschaft als Organ der GmbH. Mehr Voraussetzungen hat die Haftung nach § 14 aber nicht. c) Die einzelnen Tathandlungen aa) Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1: Verringerung der Konkursmasse durch Beiseiteschaffen, Verheimlichen oder entgegen ordnungsgemäßer Wirtschaft Zerstören, Beschädigen oder Unbrauchbarmachen von Vermögensbestandteilen, die im Falle der Konkurseröffnung zur Konkursmasse gehören würden. Beiseiteschaffen ist das Verbringen von Vermögensbestandteilen in eine tatsächliche oder rechtliche Lage, in der den Gläubigern der Zugriff unmöglich gemacht oder wesendich erschwert wird, ohne daß dies im Rahmen der ordnungsgemäßen Wirtschaft liegt. Beispiele: Veräußerung, ohne daß der Masse Gegenwerte zufließen; Scheinveräußerung oder -belastung; Verbrauch von Summen, die über den angemessenen Lebensunterhalt hinausgehen (BGH J R 1982 S . 29 mit Anm. SCHLÜCHTER S. 29).

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

289

Verheimlichen ist das Verschleiern der Massezugehörigkeit. - Zum Zerstören und Beschädigen vgl. oben § 4712. Unbrauchbarmachen ist Funktionsstörung oder Vernichtung ohne Substanzänderung. Abs. 1 Nr. 2: Das Eingehen bestimmter Risikogeschäfte. Verlustgeschäfte sind Geschäfte, die von vornherein auf einen Vermögensverlust angelegt sind. - Spekulationsgeschäfte beziehen sich auf besonders hohe Risikochancen. - Differenzgeschäfte sind Geschäfte, bei denen es dem Täter um die Differenz zwischen dem An- und Verkaufspreis geht, nicht aber um den Erwerb der Ware (Warenterminoptionsgeschäfte). - Unwirtschaftliche Ausgaben sind Ausgaben des Schuldners, die zu seinem Gesamtvermögen in keinem angemessenen Verhältnis stehen; dazu BT-Drucks. 7/3441, S. 34. Abs. 1 Nr. 3: Veräußerung und sonstiges Abgeben von Wertpapieren oder Waren sowie den aus diesen Waren hergestellten Sachen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Kredits erlangt wurden, erheblich unter ihrem Wert in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise. Abs. 1 Nr. 4: Vortäuschung oder Anerkennung erdichteter Rechte anderer. Abs. 1 Nr. 5: Verletzung der Pflicht, Handelsbücher in bestimmter Weise zu führen. Abs. 1 Nr. 6: Beiseiteschaffen, Verheimlichen, Zerstören und Beschädigen von Handelsbüchern und sonstigen Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann nach Handelsrecht verpflichtet ist. Abs. 1 Nr. 1: Erstellen falscher Bilanzen. Abs. 1 Nr. 8: In einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen Vermögensstand verringern oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlichen oder verschleiern. bb) Abs. 2 Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit über die in der Krise begangenen Handlungen auf jene Bankrotthandlungen aus, die erst die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, d. h. die Krise, herbeiführen. d) Subjektive Voraussetzungen aa) Strafbar gemäß Abs. 1 und Abs. 2 ist zunächst die vorsätzliche Verwirklichung des Tatbestandes. Der Vorsatz muß sich auch auf die Krisensituation beziehen. bb) Gemäß Abs. 4 ist strafbar, wer die Bankrotthandlung vorsätzlich begeht, das Vorhandensein der Krise jedoch fahrlässig nicht kennt oder die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit kichtfertig herbeiführt. cc) Gemäß Abs. 5 ist strafbar, wer bestimmte Bankrotthandlungen (Abs. 1 Nr. 2, 5,7, Abs. 2 i. V. m. Nr. 2, 5,7) fahrlässig begeht und das Vor-

290

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handensein der Krise wenigstens fahrlässig nicht kennt bzw. die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit wenigstens leichtfertig herbeiführt. e) Die objektiven, d. h. vom subjektiven Tatbestand nicht umfaßten Bedingungen der Strafbarkeit. Objektive Bedingung der Straßarkeit ist in allen Fällen der Eintritt der Zahlungseinstellung, die Konkurseröffnung oder die Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse beim Schuldner. Die systematische Auslegung des § 283 Abs. 6 ergibt, daß mit dem dort genannten Begriff „Täter" der „Schuldner" gemeint ist. Dazu auch TIEDEMANN Kommentar zum GmbH-Strafrecht, 1981, Vor § 82 Rdn. 19.

Zahlungseinstellung liegt vor, wenn ein Schuldner wegen eines wirklichen oder angeblichen nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nach außen nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Geldzahlungen zu erfüllen. Die Konkurseröffnung bzw. die Ablehnung der Eröffnung (§§ 105,107 KO) erfolgt durch Beschluß des Amtsgerichts. Maßgebender Zeitpunkt ist der der Rechtskraft des Beschlusses. f) Der Zusammenhang zwischen Krisensituation und objektiver Bedingung der Strafbarkeit Auch wenn die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit nicht vom Vorsatz und von der Fahrlässigkeit umfaßt sein müssen, so stehen sie doch nicht ohne inneren Zusammenhang zu den anderen Tatbestandsmerkmalen. - Die h. M. fordert eine „tatsächliche Beziehung" zwischen der Bankrotthandlung und dem Bankrott. Dieser Zusammenhang ist jedoch zu ungenau. Es kommt vielmehr darauf an, daß sich im Eintritt der Strafbarkeitsbedingung jene Gefahr realisiert hat, die in der Krisensituation ihren Ausdruck fand. Dazu eingehend: OTTO Bruns-Gedächtnisschrift, S. 281 ff.

g) Versuch und Konkurrenzen Der Versuch ist nur in den Fällen der Verwirklichung der Absätze 1,2 strafbar; Abs. 3. Mehrere Bankrotthandlungen innerhalb einer Krise, die zum Bankrott geführt haben, sind als eine Handlungseinheit aufzufassen. Str., die Rechtsprechung neigt zur Tatmehrheit, soweit nicht die einzelnen Bankrotthandlungen selbst durch eine einheitliche Handlung begangen wurden; BGH GA 1 9 7 8 S. 1 8 5 ; BGH N J W 1 9 5 5 S. 3 9 4 .

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2. Besonders schwere Fälle des Bankrotts, § 283 a § 283 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit zwei Regelbeispielen (Gewinnsucht und wirtschaftliche Gefährdung einer größeren Zahl von Personen). - Zur Gewinnsucht vgl. unten § 65 VI 4. 3. Verletzung der Buchführungspflicht, § 283 b a) § 283 b Abs. 1 Nr. 1-3 stellt die vorsätzliche, außerhalb der Krisenzeit (sonst greift § 283 Abs. 1 Nr. 5, 6, 7 ein) begangene Verletzung bestimmter handelsrechtlicher Buchführungspflichten unter Strafe. b) Gemäß § 283 b Abs. 2 ist in den Fällen des § 283 b Abs. 1 Nr. 1 und 3 auch die fahrlässige Tatbegehung strafbar. c) Auch hier ist Zahlungseinstellung, Konkurseröffnung oder Ablehnung des Antrags auf Konkurseröffnung objektive Bedingung der Strafbarkeit, vgl. Abs. 3 i. V m. § 283 Abs. 6. d) Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. oben 1 b. 4. Die Gläubigerbegünstigung, § 283 c a) Die Gläubigerbegünstigung ist ein privilegierter Fall des Bankrotts. Bestraft wird der Schuldner, der in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit absichdich oder wissendich einen Gläubiger vor den übrigen Gläubigern begünstigt, indem er diesem aus seinem dem Konkurs unterliegenden Vermögen eine inkongruente Sicherung oder Befriedigung gewährt. b) Subjektiv erfordert der Tatbestand neben der sicheren Kenntnis der Zahlungseinstellung direkten Vorsatz in bezug auf den Begünstigungserfolg, während für die Tathandlung bereits bedingter Vorsatz genügt. D i f f e r e n z i e r e n d : DREHER/TRONDLE § 2 8 3 c R d n . 10; VORMBAUM G A 1981 S. 121.

Handelt der Täter nur mit bedingtem Vorsatz bezüglich des Begünstigungserfolges, so bleibt er straffrei. Keineswegs ist in dieser Situation wiederum die Strafbarkeit aus dem Grundtatbestand des § 283 eröffnet, denn das verwirklichte Unrecht liegt im Schweregrad unter dem im privilegierten § 283 c erfaßten Unrecht.

c) Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. d) Objektive Bedingung der Straflarkeit ist auch hier: Zahlungseinstellung, Konkurseröffnung oder Ablehnung des Antrags auf Konkurseröffnung, Abs. 3 i.V. m. § 283 Abs. 6. e) Durch bloße Annahme der Begünstigung macht sich der begünstigte Gläubiger nicht wegen Beihilfe strafbar (notwendige Teilnahme). Strafbar ist jedoch die Anstiftung des Schuldners und die „rollenüberschreitende Beihilfe" zur Gläubigerbegünstigung. Dazu: OTTO Lange-Festschrift, S. 214.

292

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

5. Schuldnerbegünstigung, § 283 d a) Nach § 283 d Abs. 1 wird bestraft, wer Vermögensbestandteile eines anderen, die zur Masse gehören würden, mit dessen Einwilligung oder zu dessen Gunsten in einer bestimmten Krisenzeit beiseite schafft, verheimlicht oder in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht. Krisenzeiten sind hier die dem anderen drohende Zahlungsunfähigkeit, die Zeit nach Zahlungseinstellung, das Konkursverfahren, das gerichtliche Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses oder das Verfahren zur Herbeiführung der Entscheidung über die Eröffnung des Konkurs- oder gerichtlichen Vergleichsverfahrens eines anderen. b) Subjektiv erfordert die Tathandlung Kenntnis der einem anderen drohenden Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Nr. l), d. h. direkten Vorsatz, im übrigen genügt bedingter Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. c) Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen (Gewinnsucht, wirtschaftliche Gefährdung einer größeren Anzahl von Personen). d) Objektive Bedingung der Straßarkeit ist auch hier, daß der andere seine Zahlungen eingestellt hat, über sein Vermögen der Konkurs eröffnet oder der Antrag auf Eröffnung mangels Masse abgewiesen worden ist, Abs. 4. e) Täter kann jeder außer dem Gemeinschuldner sein. - Die Schuldnerbegünstigung ist nicht etwa eine nur verselbständigte Teilnahme am Bankrott des Schuldners, sondern ein Sonderdelikt. Daraus folgt, daß Täterschaft gemäß § 283 d und Teilnahme an § 283 idealiter konkurrieren können und daß der begünstigte Schuldner Teilnehmer der Tat sein kann. V. Wucher, § 302 a 1. Der Schutzbereich und das geschützte Rechtsgut § 302 a erfaßt die verschiedenen Formen des Individualwuchers. Sozialwucher i. S. der Ausnutzung der Notlage der Allgemeinheit wird gemäß §§ 3-6 WiStG erfaßt. - Geschütztes Rechtsgut ist das Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschaft, daneben wird auch das Vermögen geschützt. Die h . M . sieht nur das Vermögen als das geschützte Rechtsgut an; vgl. StGB, § 3 0 2 a Anm. 1; M A U R A C H / S C H R O E D E R B. T . I , § 4 8 I B.

LACKNER

2. Die Tathandlung Strafbar ist die Ausbeutung der Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche)

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

293

eines anderen dadurch, daß der Täter sich oder einem Dritten für die Gewährung oder Vermittlung einer Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung stehen. a) Vorausgesetzt wird ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, in dem einer Leistung gleich welcher Art eine Gegenleistung gegenübersteht. Mietwucher (Abs. 1 Nr. l), Kreditwucher (Abs. 1 Nr. 2) und Vermittlungswucher (Abs. 1 Nr. 4) sind nur Beispielsfälle und nennen die kriminalpolitisch bedeutsamsten Fälle des Wuchers. b) Zwischen der angebotenen und der erbrachten Leistung und dem dem Täter oder einem Dritten versprochenen Vermögensvorteil besteht dann ein auffälliges Mißverhältnis, wenn dem Kundigen - sei es auch erst nach genauer Prüfung des Sachverhalts - ein unverhältnismäßiger Wertunterschied zwischen Leistung und Vorteil ins Auge springt. aa) Beim Mietwucher ist der Beurteilung in Anlehnung an §5 WiStG die ortsübliche Miete zugrunde zu legen. Waren jedoch Gestehungskosten und Aufwendungen des Vermieters so hoch und bei ordnungsgemäßer Wirtschaft nicht zu vermeiden, daß die ortsübliche Miete nicht mehr kostendeckend ist, so ist dies zu berücksichtigen. So auch: LACKNER StGB, § 302 a Anm. 3 a; a. A.: BGHSt 30 S. 280 mit abl. Anm. SCHEU J R 1982 S. 474.

bb) Beim Kreditwucher sind die verkehrsüblichen, bei vergleichbarem Risiko geforderten Zinsen zum Vergleichsmaßstab zu wählen. Beim Ratenkredit ist der sog. Schwerpunktzins aus den Monatsberichten der DEUTSCHEN BUNDESBANK als Grundlage des Vergleichs geeignet, doch ist der Vergleichsmaßstab zu modifizieren soweit im konkreten Fall Risikomaßstäbe oder Laufzeit abweichen oder der Verdacht begründet ist, daß der Schwerpunktzins durch nicht kostendeckende Zinsen manipuliert ist. Im einzelnen dazu: BGHZ 80 S. 153; BGH NJW 1983 S. 2780; OLG Stuttgart (Z) NJW 1979 S. 2409; OLG Stuttgart wistra 1982 S. 36; HABERSTROH NStZ 1982 S. 2 6 5 ; NACK M D R 1981 S. 621; OTTO N J W 1982 S. 2 7 4 5 .

Die Leistungen des Kreditnehmers werden im sog. effektiven Jahreszins ausgedrückt, der nicht nur Zinsen des Kredits im technischen Sinne, sondern die Gesamtkosten des Kredits erfaßt, d. h. Bearbeitungsgebühren, evd. Auskunftsgebühren, Vermittlungskosten und in angemessener Weise die Kosten der Restschuldversicherung. Dazu im einzelnen: BGHZ 80 S. 166 ff; OLG Stuttgart (Z) NJW 1979 S. 2411; O L G H a m b u r g N J W 1982 S. 9 4 3 ; NACK M D R 1981 S. 623; OTTO N J W 1982 S. 2 7 4 7 f.

Einen festen Richtwert für die Überschreitung der Strafbarkeitsschwelle akzeptiert der BUNDESGERICHTSHOF nicht. Immerhin dürfte aber ein gegenüber dem Schwerpunktzins 100% höherer effektiverJahreszins ein ausreichendes Indiz für einen wucherischen Zinssatz sein.

294

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

Dazu: O L G Stuttgart (Z) N J W 1982 S. 2748 f.

1979 S. 2410;

N J W

NACK

MDR 1981 S. 624;

OTTO

c) Wirken bei einem wirtschaftlich einheitlichen Geschäftsvorgang mehrere Personen in verschiedenen Rollen mit, die dafür jeweils selbständig Vermögensvorteile beanspruchen, und entsteht dadurch ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Summe der Vermögensvorteile und der Summe der Gegenleistungen, so ist gemäß Abs. 1S. 2 bereits der Mitwirkende strafbar, der die Schwächesituation des anderen für sich oder einen Dritten zur Erzielung eines übermäßigen Vermögensvorteils ausnutzt. Abs. 1 S. 2 findet jedoch keine Anwendung, wenn die Mitwirkenden ihre Tatbeiträge nicht selbständig erbringen, sondern als Mittäter oder als Täter und Teilnehmer. Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn Kreditvermitder und Kreditgeber bei der Vergabe eines wucherischen Kredits zusammenwirken.

d) Das Ausbeuten Ein Ausbeuten liegt vor, wenn der Täter bewußt die bedrängte Lage des Opfers zur Erlangung übermäßiger Vermögensvorteile ausnutzt und damit mißbraucht. Eine besonders anstößige Ausnutzung der Lage ist hingegen nicht erforderlich. I, §

So auch: BGHSt 11S. 1 8 7 ; BERNSMANN G A 1 9 8 1 S . 1 6 5 ; MAURACH/SCHROEDER B. T . 4 8 II C . - A. A.: D R E H E R / T R Ö N D L E § 3 0 2 a Rdn. 1 5 ; LACKNER StGB, § 3 0 2 a Anm. 4 ;

SCHONKE/SCHRODER/STREE § 3 0 2 a R d n . 2 9 .

3. Die einzelnen Schwächesituationen a) Zwangslage ist eine Situation schwerwiegender, nicht notwendig existenzbedrohender wirtschaftlicher Bedrängnis, die schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt oder befürchten läßt. b) Unerfahrenheit ist nach h. M. die auf Mangel an Geschäftskenntnis und Lebenserfahrung beruhende Eigenschaft des Ausgebeuteten, durch die er gegenüber dem Durchschnittsmenschen benachteiligt ist. Die bloße Unkenntnis der Bedeutung eines Geschäfts genügt diesen Erfordernissen nicht. Vgl.: BGHSt 13 S. 233; BGH

N J W

1983 S.2780 mit Anm.

NACK

NStZ 1984 S.23;

D R E H E R / T R Ö N D L E § 3 0 2 a R d n . 1 1 ; SCHONKE/SCHRÖDER/STREE § 3 0 2 a R d n .

25.

Schon vom Wortsinn her ist es schief, die Unerfahrenheit als Eigenschaft einer Person anzusehen. Diese kann höchstens auf bestimmten Eigenschaften einer Person beruhen, doch eine derart biologische Begrenzung dieses Tatbestandsmerkmales ist nicht notwendig. Von Unerfahrenheit kann vielmehr schon dann gesprochen werden, wenn es einer Person nicht möglich ist, trotz Nutzung der ihr gegebenen Fähigkeiten, sich einen Überblick über den Marktpreis zu verschaffen. Dazu:

NACK

MDR 1981 S. 624;

OTTO N J W

1982 S. 2749 f.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

295

c) Mangel an Urteilsvermögen ist ein individueller, nicht durch bloße Erfahrung ausgleichbarer Leistungsmangel, der es dem Betroffenen unmöglich macht oder erheblich erschwert, bei einem Rechtsgeschäft Leistung und Gegenleistung richtig gegeneinander abzuwägen und die wirtschaftlichen Folgen des Geschäftsabschlusses vernünftig zu bewerten. d) Willensschwäche ist jeder Mangel an Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischen Reizen. Sie ist erheblich, wenn sie im Wirkungsgrad den anderen Schwächesituationen vergleichbar ist. 4. Der subjektive Tatbestand

Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der die besondere Situation und das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung umfassen muß. 5. Besonders schwere Fälle

Abs. 2 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen. a) Das Opfer gerät durch die Tat in wirtschaftliche Not (Nr. l), d. h. es ist in seiner Lebensführung so beeinträchtigt, daß es lebenswichtige Aufwendungen nicht mehr bestreiten kann. b) Die Tat wird gewerbsmäßig begangen (Nr. 2); zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 II 2 c. c) Die wucherischen Vermögensvorteile werden durch Wechsel versprochen (Nr. 3).

Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens § 62: Delikte gegen den äußeren Frieden Die Delikte gegen den äußeren Frieden, d. h. gegen den Frieden zwischen den Völkern, sind selbständige, vom Staatsschutz getrennte Straftaten.

Geschütztes Rechtsgut ist der zwischenstaatlichen Frieden als überstaatliches Rechtsgut. Dieser Frieden ist gegen zwei Gefährdungen geschützt: 1. Gegen die Vorbereitung eines Angriffskrieges, § 80 Angriffskrieg ist die völkerrechtswidrige, bewaffnete Aggression; LG Köln NStZ 1981 S. 291. - Der Begriff ist jedoch völkerrechdich umstritten, daher in seiner praktischen Brauchbarkeit dubios und im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG problematisch. Dazu: F.-CHR. SCHROEDERJZ 1969 S. 41; a. A . : KLUG in: Baumann (Hrsg.) Miß-

lingt die Strafrechtsreform?, 1969, S. 164.

Streitig ist, ob die Beteiligung der BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND nur den Fall erfaßt, daß die Bundesrepublik angreift, oder auch jenen, daß die Bundesrepublik angegriffen werden soll. Da jedoch das geschützte Rechtsgut in beiden Fällen in gleicher Weise bedroht ist, erscheint die Gleichbehandlung beider Fälle angemessen. So auch: BT-Drucks. V/2860, S. 2 ; a. A . : MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 88 II 1.

Vorbereitung sind alle Maßnahmen, die geeignet sind, einen kriegerischen Konflikt herbeizuführen. - Die Gefahr des Krieges muß konkret gegeben sein. 2. Gegen das Aufstacheln zum Angriffskrieg, § 80 a Öffentlich ist die Tat, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis von Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind, wahrnehmbar ist. - Versammlung ist das Beisammensein einer größeren Zahl von Personen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks, RGSt 21S. 71. Dieser Zweck braucht nicht auf politische Meinungsbildung gerichtet zu sein. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 80 a Rdn. 2; WILLMS LK, § 90 Rdn. 8. - A. A.: O L G

Koblenz MDR 1981 S. 600; differenzierend: LACKNER StGB, § 80 a Anm. 2.

Aufstacheln ist eine emotionell gesteigerte Form des Anreizens; LG Köln NStZ 1981 S. 261. - Eine konkrete Kriegsgefahr braucht nicht begründet zu sein.

§ 63 Delikte gegen den inneren Frieden

297

§ 63: Delikte gegen den inneren Frieden Die Delikte gegen den inneren Frieden richten sich gegen die soziale Friedensordnung, die ihrerseits erst die Grundlage für den Staat und andere soziale Verbände abgibt. So auch: MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 60 I 1. - Z. T. werden die Individualrechtsgüter, die von den Tathandlungen betroffen werden, mit in den Schutzbereich einbezogen; vgl. z. B. LACKNER StGB, § 1 2 5 Anm. 1; RUDOLPHI SK, § 1 2 5 Rdn. 2.

I. Landfriedensbruch, §§ 125, 125 a Der Landfriedensbruch setzt voraus, daß aus einer Menschenmenge heraus bestimmte Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen erfolgen. 1. Der objektive Tatbestand a) Menschenmenge ist eine räumlich vereinigte, nicht sofort übersehbare Anzahl von Personen. Eine Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein, doch dürften gut 20 Personen im Regelfall schon eine Menge abgeben; dazu LG Frankfurt Strafverteidiger 1983 S. 463.

Die Menge braucht nicht im ganzen unfriedlich zu sein. Es genügt, daß innerhalb einer größeren Menge eine kleinere Gruppe, die isoliert dem Mengenbegriff genügen würde, die aggressiven Absichten des oder der Täter mitträgt. b) Gewalttätigkeit ist der Einsatz physischer Kraft, die sich aggressiv gegen Menschen oder Sachen richtet. Ein bloß passives Verhalten ist keine Gewalttätigkeit in diesem Sinne. Beispiele: Errichten von Barrikaden aus Parkbänken und Geräteteilen von einem Kinderspielplatz (OLG Köln NJW 1970 S. 260); Vorrücken der Menge gegen Polizei (RGSt 54 S. 90); Wegdrängen von Polizeibeamten, Umwerfen von Kraftfahrzeugen (BGHSt 23 S. 53); Werfen mit Blutbeuteln auf Kraftfahrzeug des Bundesverteidigungsministers (OLG Hamburg JR 1983 S. 250 mit abl. Anm. RUDOLPHI S. 252 f)- - Nicht hingegen: der „Sitzstreik" (BGHSt 23 S. 51 f)-

c) Bedrohung ist das Inaussichtstellen einer Gewalttätigkeit. - Es genügt hier keineswegs nur die Gewalt gegen Menschen, denn „Bedrohungen von Menschen" ist nicht als Gegensatz zur „Bedrohung von Sachen" zu verstehen, sondern nur Ausdruck der Selbstverständlichkeit, daß durch die Bedrohung auf den Willen eines Menschen eingewirkt werden soll. d) Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn die Allgemeinheit in ihrem Gefühl, gegen Rechtsgüterverletzungen geschützt zu sein, beeinträchtigt

298

Delikte gg. die Grundlagen des friedl. Zusammenlebens

ist. Richten sich die Gewalttätigkeiten gegen eine einzelne Person, so ist die öffentliche Sicherheit nicht nur gefährdet, wenn sie das zufällige Opfer aus einer bestimmten Vielzahl ist, es also auch jede andere Person hätte sein können, sondern auch, wenn sie als Opfer nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe ausgewählt wurde, mit ihr also die von ihr repräsentierte Personengruppe getroffen werden sollte; OLG Karlsruhe N J W 1979 S. 2416. S o a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 125 R d n . 3 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 125 R d n . 15. - A . A . : BRAUSE N J W 1983 S . 1641.

e) Mit vereinten Kräßen bedeutet eine Tätigkeit mehrerer aus der Menge. aa) Täter des Landfriedensbruchs ist: Zum einen jeder, der aus einer Menschenmenge heraus als Täter oder Teilnehmer an der Gewalttätigkeit oder Bedrohung mitwirkt. Täter daher: Wer aus der Menge heraus Steine wirft, auch wenn diese nicht treffen; wer die gewalttätige Gruppe aufreizt oder gegen die Polizei „abschirmt".

Zum anderen jeder, der auf die Menschenmenge einwirkt, d. h. sie psychisch beeinflußt, um ihre Bereitschaft zur Gewalttätigkeit oder Bedrohung mit Gewalttätigkeiten (zielgerichtetes Wollen!) zu fördern, sei es durch Erwecken oder Bestärken des Tatentschlusses. Dies kann auch durch Personen geschehen, die nicht am Tatort anwesend sind, z. B. geistige Anführer, Organisatoren; BGHSt 32 S. 165 mit Anm. W I L L M S J R 1984 S. 120 f. bb) Das Erfordernis des Nachweises der eigenen Beteiligung an den Gewaltmaßnahmen begründet die Kritik an dem Tatbestand. Seine derzeitige Fassung führt dazu, daß sich einzelne Personen unter dem Schutz der Menschenmenge an den Ausschreitungen beteiligen, weil sie sich sicher fühlen, daß die mit der Gefahrenabwehr beschäftigte Polizei den Täternachweis später nicht führen können wird. Damit aber sind Chancen gewaltorientierter Demonstrationsstrategien eröffnet, die dem Wesen des Demonstrationsrechts als einem Mittel geistiger Auseinandersetzung eklatant widersprechen. Wenn derartige Möglichkeiten geradezu als Besitzstand verteidigt werden, ist dies ein hinreichender Beweis dafür, daß der geschützte Sachverhalt mit der grundgesetzlich gesicherten Demonstrationsfreiheit nur noch Ähnlichkeiten aufweist. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Anstiftung und Beihilfe Anstiftung und Beihilfe zum Landfriedensbruch kann nur begehen, wer sich nicht selbst in der Menschenmenge befindet.

§ 63 Delikte gegen den inneren Frieden

299

4. Rechtfertigung

Eine Rechtfertigung der Tat aufgrund der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Art. 5, 8 GG, kommt nicht in Betracht, da diese Grundrechte der geistigen Auseinandersetzung Raum geben sollen, nicht aber Gewalttätigkeiten; dazu auch oben § 27 III 3 g5. § 125 Abs. 2

Soweit die relevanten Handlungen den Tatbestand des § 113 erfüllen, gelten auch hier § 113 Abs. 3 und 4 entsprechend, dazu unten § 91 III 1,2. 6. Konkurrenzen

§ 12 5 ist subsidiär, wenn die Tat nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist, z. B. nach §§ 211, 212, 223 a ff. 7. Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, § 125 a

§ 125 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit vier Regelbeispielen. a) Nr. 1: Mitführen einer Schußwaffe; dazu oben § 41 III 1 a. b) Nr. 2: Mitführen einer anderen Waffe, um diese bei der Tat zu verwenden. - Es genügt, daß einer der am Tatort anwesenden Tatbeteiligten (Täter oder Gehilfe) die Waffe bei sich hat. - Waffe ist im untechnischen Sinne als gefährliches Werkzeug zu verstehen. - Der Täter muß die Waffe selbst verwenden wollen oder wissen, daß ein anderer sie verwenden will. c) Nr. 3: Mit Gefahr des Todes oder schwerer Körperverletzung verbundene Gewalttätigkeiten; dazu oben § 46 III 2. d) Nr. 4: Plünderung oder Anrichten eines bedeutenden Schadens. Plündern ist Wegnahme oder Abnötigen von Sachen in der Absicht rechtswidriger Zueignung unter Ausnutzung der Situation.

II. Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 126 1. Androhen von Straftaten, Abs. 1

Abs. 1 soll den öffentlichen Frieden gegen die Androhung bestimmter, im einzelnen aufgezählter Straftaten schützen. - Androhungist die Ankündigung, daß ein im Katalog genanntes Delikt durch den Drohenden oder kraft seines Einflusses tatsächlich oder vorgeblich verwirklicht werden kann. Das Delikt - und zwar genügt eine rechtswidrige, nicht unbedingt schuldhafte Tat - muß in seinen wesentlichen Zügen konkretisiert sein.

300

Delikte gg. die Grundlagen des friedl. Zusammenlebens

Die Tathandlungen müssen nur nach den Umständen geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. - Eine Friedensstörung braucht daher nicht eingetreten zu sein, es genügt, daß die Tathandlung die Besorgnis rechtfertigt, der Angriff werde den Friedenszustand oder das Vertrauen in seine Fortdauer erschüttern; BGH NJW 1978 S. 59. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tat braucht nicht öffentlich begangen zu werden, es genügt, wenn nach den Umständen mit dem Bekanntwerden in der Bevölkerung zu rechnen ist; BGHSt 29 S. 27. 2. Vortäuschen von Straftaten, Abs. 2 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf die Fälle, in denen der Täter vortäuscht, andere Personen, auf die er keinen Einfluß hat, planten die genannten Straftaten. Der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn der Täter vorgibt, die Tat stehe unmittelbar oder in nächster Zukunft bevor. Auch hier genügt die Vortäuschung einer rechtswidrigen, nicht unbedingt schuldhaften Tat. 3• Der subjektive Tatbestand Im Falle der Androhung, Abs. 1, erfordert der Tatbestand Vorsatz, bedingter genügt, insbesondere muß der Täter erkennen, daß seine Androhung ernst genommen wird. - Die Tat gemäß Abs. 2 erfordert direkten Vorsatz. III. Volksverhetzung, § 130 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Neben dem öffentlichen Frieden schützt die Vorschrift auch die Würde des Einzelnen. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören, genügt, der Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein.

2. Einzelheiten der Regelung a) Zur Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, vgl. oben II 1. b) Die Menschenwürde ist angegriffen, wenn die Äußerung den Kernbereich der Persönlichkeit der Betroffenen berührt, d. h. ihnen der jeder Person zukommende Personenwert abgesprochen - Untermensch! - oder ihnen die Möglichkeit, Gemeinschaft mit anderen zu haben, bestritten wird. Dazu: BGH NStZ 1981 S. 258; OLG Köln MDR 1981 S. 601.

§ 63 Delikte gegen den inneren Frieden

301

c) Teile der Bevölkerung sind von der Gesamtbevölkerung durch ein gemeinsames soziologisches Merkmal abgrenzbare Gruppen, seien diese nun nationale, rassische, religiöse oder politische, wirtschaftliche oder berufliche Gruppierungen. Beispiele: DieJuden, Katholiken, Gastarbeiter (OLG Celle NJW1970 S.2257); in Deutschland lebende Neger (OLG Hamburg N J W 1975 S. 1088 mit Anm. GEILEN N J W 1976 S. 279). - Nicht hingegen: die Grenzschutztruppen (OLG Hamm N J W 1981 S. 59L).

IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur § 140 will den öffentlichen Frieden durch Verhinderung eines psychischen Klimas schützen, in dem Delikte der in § 138 Abs. 1 Nr. 1-5 und § 126 Abs. 1 Nr. 1-6 genannten Art gedeihen können. Es geht um den Schutz des Gefühls der Rechtssicherheit der Bevölkerung. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 2. Einzelheiten der Regelung a) Belohnung ist die nachträgliche Gewährung irgendwelcher Vorteile, Billigung das Gutheißen der Straftaten durch eine aus sich heraus verständliche, anderen wahrnehmbare Zustimmung. - Die Billigung muß geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören; da2u oben II 1. I m e i n z e l n e n d a z u : B G H S t 21 S. 1 8 2 ; HANACK L K , § 140 R d n . 14 ff; RUDOLPHI ZRP

1979 S. 219.

b) Öffentlich ist die Billigung, wenn der Zuhörerkreis nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden oder so groß ist, daß er nach Zahl und Individualität unbestimmbar ist; dazu OLG Hamm MDR 1980 S. 159. c) Die nachträgliche Belohnung oder Billigung des Versuchs einer der genannten Taten genügt, soweit der Versuch dieser Tat strafbar ist. Daß der konkrete Täter wegen des Versuchs bestraft werden kann, ist jedoch nicht erforderlich. Insoweit ist der Gesetzeswortlaut: „in strafbarer Weise versucht worden ist", mißverständlich. V. Verherrlichung von Gewalt; Aufstachelung zum Rassenhaß, §131 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechtsgut Die kriminalpolitisch sehr problematische Vorschrift beruht auf wenig gesicherten Grundlagen, ihre Grenzen sind aufgrund der Verwendung zu

302

Delikte gg. die Grundlagen des friedl. Zusammenlebens

vieler normativer Begriffe vage. - Ein Schaden braucht nicht einzutreten; das Delikt ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Es soll den inneren Frieden vor sozialschädlicher Aggression und Hetze schützen, daneben aber auch dem Jugendschutz dienlich sein. Dazu:

GERHARDT

N J W

1975

S.

375;

LANGE

Heinitz-Festschrift,

S.

593

ff;

RUDOLPHIJA 1 9 7 9 S. 2.

2. Einzelheiten der Regelung a) Tatgegenstand sind Schriften und andere Darstellungen; dazu § 11 Abs. 3. Nach Abs. 2 ist die Verbreitung durch den Rundfunk der Verbreitung von Schriften gleichgestellt. b) Gewalttätigkeiten gegen Menschen setzen den Einsatz physischer Gewalt durch positives Tun unmittelbar gegen einen Menschen voraus, um seine körperliche Integrität zu verletzen. Gerade im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift, sozialschädliche Aggressionen zu verhindern, ist die Beschränkung auf positives Tun, die aber im Wortlaut „Gewalttätigkeit" angelegt ist, sachwidrig. Auch die Schilderung, wie jemand z. B. verbrennt oder von Ameisen gefressen wird, ohne daß ihm geholfen wird, obwohl dies möglich wäre, dürfte gleiches Gewicht haben wie die Schilderung einer Gewalttätigkeit durch positives Tun.

Die Schilderung muß in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise erfolgen. Nach h. M. soll es nicht auf die Art und Weise der Schilderung ankommen, sondern darauf, ob grausame oder unmenschliche Gewalttätigkeiten geschildert werden. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn zum einen spricht der Wortlaut des Gesetzes dafür, daß die Art der Schilderung grausam oder unmenschlich ist, zum anderen ist diese Interpretation sachlich angemessen, denn nicht die Schilderung eines bestimmten historischen Vorganges ist bereits strafwürdig, sondern die Strafwürdigkeit kann nur in der Art und Weise der Schilderung begründet liegen. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 1 3 1 Rdn. 4 ; A. A.: LACKNER StGB, § 1 3 1 Anm. 3 b; SCHRÖDER/LENCKNER § 1 3 1 R d n .

MAURACH/SCHROEDER B . T . I I , § 9 2 I I 3 . RUDOLPHI

SK, §

131

Rdn.

7;

SCHÖNKE/

8.

Zum Merkmal grausam vgl. oben § 4 II 2 b; unmenschlich ist die menschenverachtende Einstellung des Täters. - Verherrlichend ist eine positiv wertende Darstellung, verharmlost wird das Geschehen durch bewußte Bagatellisierung. - Zum Rassenhaß stachelt die Schilderung auf, wenn sie nachhaltig auf die Gefühle anderer einwirkt, um Haßgefühle gegen bestimmte Menschengruppen zu erzeugen. Die Gruppe braucht nicht biologisch, sie kann auch ideologisch bestimmt sein; BGH NStZ 1981 S. 262. c) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich darauf erstrecken, daß in der Schrift Gewalt verherrlicht usw. oder zum Rassenhaß aufgestachelt

§ 63 Delikte gegen den inneren Frieden

303

wird. - Eine Absicht des Täters, dieses Ziel zu erreichen, ist nicht erforderlich. Der Täter braucht diese Tendenzen seiner Handlung nicht einmal zu billigen. d) Ausschluß des Tatbestandes aa) Das Berichterstatterprivikg nach § 131 Abs. 3 schließt den Tatbestand aus. - Berichterstattung ist jede auf Reproduktion der tatsächlichen Ereignisse gerichtete Überlieferung, auch die Dokumentation, die in fiktiver Nachgestaltung wirkliche Vorgänge vor Augen führen will. - Übertreibungen, pädagogisch motivierte Schilderungen erdichteter Vorgänge und Verfälschungen der tatsächlichen Ereignisse fallen hingegen nicht unter das Privileg. Sachlich kommt dem Berichterstatterprivileg des § 131 Abs. 3 im wesentlichen nur klarstellende Funktion zu, denn die historisch getreue Berichterstattung erfüllt nicht die im Tatbestand geforderte Art der Schilderung. Werden hingegen historische Ereignisse verzerrt in der beschriebenen Weise geschildert, so greift Abs. 3 nicht ein. bb) Über § 131 Abs. 3 hinaus erscheint eine analoge Anwendung des § 86 Abs. 3 angemessen, da die Problemlage hier der in den Situationen der §§ 86, 86 a vergleichbar ist. Dazu auch: STREE NJW 1976 S. 1178.

cc) Zum Erzieherprivileg des § 131 Abs. 4 vgl. auch § 66 V 4 b, bb. 3. Zur Rechtfertigung

Nur in Ausnahmefällen wird eine der in § 131 erfaßten Gewaltschilderungen und Äußerungen des Rassenhasses als Kunstwerk anerkannt werden können, da die künstlerische Verarbeitung, selbst wenn die Schilderung grausam oder unmenschlich ist, kaum eine Verherrlichung oder Verharmlosung der Gewalttaten ausdrücken oder zum Rassenhaß aufstacheln wird. Sollte im Einzelfall allerdings ein Werk, das den Anforderungen des § 131 entspricht, als Kunstwerk anerkannt werden, so wird eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 G G regelmäßig in Betracht kommen. Im einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. oben § 32IV 2.

Dritter Abschnitt Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens

§ 64: Delikte gegen das Pietätsempfinden 1. Das geschützte Rechtsgut der §§ 166-168 Die Bezeichnung der hier relevanten Straftaten als Delikt gegen das Pietätsempfinden ist ungenau. Geschützt wird - genausowenig wie bei der Beleidigung das subjektive Ehrempfinden - keineswegs das subjektive Pietätsempfinden des Einzelnen, sondern der öffentliche Friede durch das Gebot, das Pietätsempfmden anderer zu achten. Es geht um die Wahrung von Anstand und Würde bei religiösen und weltanschaulichen Äußerungen. Dazu im einzelnen: HARDWIG GA 1962 S. 257 ff; WORMS Die Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB und die Lehre vom Rechtsgut, 1984, S. 88 ff, 133 ff. - Für eine differenzierende Betrachtungsweise bei den einzelnen Tatbeständen, wobei im wesentlichen auf den Schutz des öffentlichen Friedens abgestellt wird: LACKNER StGB, § 166 Anm. 1, § 167 Anm. 1, § 168 Anm. 1; MAURACH/ SCHROEDER B . T. II, § 6 1 1 2 ; RUDOLPHI S K , V o r § 1 6 6 R d n . 1, 3 ; SCHÖNKE/

SCHRÖDER/LENCKNER Vorbem. §§ 166 ff Rdn. 2.

2. Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen, §166 Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt, maßgeblich ist die Eignung der Tathandlung, den öffendichen Frieden zu stören. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 166 Rdn. 3. - A. A.: GALLAS Heinitz-Festschrift, S. 1 8 2 ; RUDOLPHI S K , § 1 6 6 R d n . 1 4 ; SCHONKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 1 6 6 R d n . 12.

a) Schutz religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse, Abs. 1 Die öffentlich - vgl. dazu oben § 62,2 - oder durch Verbreiten von Schriften - zur Gleichstellung mit Schriften vgl. § 11 Abs. 3 - erfolgende Beschimpfung, d. h. nach Form und Inhalt besonders verletzende Mißachtensäußerung, muß geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören - dazu oben § 63 II 1 - . Die Friedensstörung kann auch bei der Beschimpfung eines individuellen Bekenntnisses gegeben sein, denn es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen sich getroffen fühlen, sondern ob Art und Weise der Äußerung den nach den Grundsätzen friedlichen Zusammenlebens gebotenen Anstand und die erforderliche Würde im religiösen oder weltanschaulichen Bereich verletzen.

§ 64 Delikte gegen das Pietätsempfinden

305

Als religiöses Bekenntnis ist ein Bekenntnis anzusehen, das inhaltlich wesentlich durch den Glauben an Gott als den letzten Weltgrund bestimmt wird. Dem weltanschaulichen Bekenntnis ist dieser metaphysische Bezug nicht wesentlich, denn der Weltanschauung geht es um eine Deutung der Welt und der Stellung des Einzelnen in ihr ohne diesen Bezug. Daher ist die nach h. M. durch Art. 4 Abs. 1,140 G G in Verb, mit Art. 137 Abs. 7 WRV gebotene Gleichstellung des religiösen mit dem weltanschaulichen Bekenntnis recht dubios. Das religiöse Bekenntnis ist nämlich andersartigen und auch in andere Dimensionen weisenden Angriffen ausgesetzt als ein weltanschauliches Bekenntnis, und zwar aufgrund seines metaphysischen Bezugs sowie der anderen als den Gläubigen nicht nachvollziehbaren Verbindung des Einzelnen mit Gott im Glaubensakt.

h) Schutz bestimmter Institutionen, Abs. 2 Weltanschauungsvereinigungen sind Personenvereinigungen, die sich zu einer bestimmten Weltanschauung bekennen. - O b die Religionsgesellschaft als Körperschaft des öffendichen Rechts anerkannt ist, spielt keine Rolle. - Einrichtungen sind die für die innere und äußere Verfassung oder die Ausübung der Religion bzw. Weltanschauung verbindlichen Ordnungen der Gruppe. Beispiele: Konfirmation; Singen von Kirchenliedern; Messe; Priestertum; Predigt u. ä.

Gebräuche sind allgemeine, tatsächliche Übungen der Gruppe, z. B. Kollektenwesen, Bekreuzigung, Reliquienverehrung. c) Zur Rechtfertigung Die Rechtfertigung einer Beschimpfung aufgrund der Wahrnehmung der Freiheit der Kunst, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, wird nur in Grenzfällen in Betracht kommen. Die Beachtung des grundgesetzlichen Wertsystems und der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Wertordnung wird hier nur selten zu einem Vorrang der Kunstausübung führen. Die religiöse Beschimpfung z. B. tangiert aufgrund ihrer Eignung, den existentiellen Persönlichkeitsbereich in seinem Glaubensbezug zu verletzen, die Freiheit der Religionsausübung, die grundsätzlich der Kunstfreiheit gleichwertig ist. Im einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 G G vgl. oben § 32IV 2. - Speziell zur Beschimpfung durch Karikaturen und Satiren: OLG Köln N J W 1982 S. 657; OLG Düsseldorf N J W 1983 S. 1211; WÜRTENBERGER N J W 1982 S. 610 ff.

3. Störung der Religionsausübung, § 167 a) Störung des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung, Abs. 1 Nr. 1.

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

Gottesdienst ist die Vereinigung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft zur religiösen Verehrung oder Anbetung Gottes. - Gottesdienstliche Handlung ist eine auf dem religiösen K u l t beruhende Handlung, die außerhalb des Gottesdienstes der Gottesverehrung dient oder die Verbundenheit mit G o t t zeigen soll, z. B. Taufe, Trauung, Prozession. Die Störung, d. h. Behinderung oder Erschwerung, muß absichtlich, also zielgerichtet, unternommen sein; im übrigen genügt Vorsatz, auch bedingter Vorsatz. b) Beschimpfender U n f u g an geweihtem Ort, Abs. 1 Nr. 2 Beschimpfender Unfug ist eine grob ungehörige Verletzung der Achtung des religiösen oder weltanschaulichen Empfindens anderer. - Ein bestimmter Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein, die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. c) D e m Gottesdienst gleichgestellt sind entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden weltanschaulichen Vereinigung, Abs. 3. 4. Störung einer Bestattungsfeier, § 167 a Bestattungsfeier sind nicht nur Beerdigung und Einäscherung, sondern auch die dazu gehörenden Feierlichkeiten, wie z. B. der Leichenzug und die Trauerfeier. 5. Störung der Totenruhe, § 168 a) Die unbefugte Wegnahme einer Leiche, von Leichenteilen oder der Asche eines Verstorbenen, § 168 Abs. 1, 1. Alt. aa) Leiche ist der Körper eines verstorbenen Menschen, auch der eines totgeborenen Kindes, solange er noch nicht zerfallen oder Gegenstand des Rechtsverkehrs, z. B. Anatomieleiche, geworden ist. - Leichenteile sind die natürlichen Bestandteile des Körpers. Künstlich dem Körper eingefügte fremde Bestandteile sind durch die Eigentumsdelikte hinreichend geschützt und daher nicht als Leichenteile i. S. des § 168 anzusehen. Vgl. a u c h : BRINGEWATJUS 1 9 8 1 S . 213; DERS.JA 1984 S. 61 f f ; LACKNER S t G B , § 168

Anm. 2; RuDOLPHiJura 1979 S. 46. - Differenzierend nach der Beeinträchtigung der Verletzung der körperlichen Integrität durch die Entfernung: DREHER/TRONDLE § 168 R d n . 2 ; MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 62 III 1 b.

bb) Wegnahme ist hier nicht als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams i. S. der Eigentumsdelikte zu verstehen, sondern als Entfernung aus der tatsächlichen Obhut jener Personen, denen die Bestattung obliegt oder in deren Obhut sich die Leiche sonst befindet, z. B. Krankenhaus ( O L G München N J W 1976 S. 1805 mit krit. A n m . LINCK S. 2310),

307

§ 64 Delikte gegen das Pietätsempfinden

Altersheim, Polizei, Bestattungsunternehmen. - Ein Vorrang unter den verschiedenen Obhutsverhältnissen ist nicht anzuerkennen. So auch: OLG München N J W 1 9 7 6 S. 1805; B O C K E L M A N N Strafrecht des Arztes, 1968, S. 105; GEILEN J Z 1971 S. 43; H H M A N N - T R O S I E N L K , 9. Aufl., § 168 Rdn. 9; R O X I N J U S 1976 S . 507; R U D O L P H I SK, § 168 Rdn. 3; R O P I N G GA1977 S . 302; S A M S O N N J W

1 9 7 4 S . 2 0 3 1 ; SCHÖNKE/SCHRODER/LENCKNER § 1 6 8 R d n .

BUBNOFF G A

A. A.:

VON

1 9 6 8 S. 7 1 ; DREHER/TRÖNDLE § 1 6 8 R d n . 3 ; F O R K E L J Z 1 9 7 4 S.

596;

GRIBBOHMJUS

1971S. 201;

LACKNER

StGB, § 168 Anm. 2 b, aa;

5 f. -

MAURACH/SCHROEDER

B. T. II, § 62 III 1 c.

Das hat zur Konsequenz, daß im Regelfall die eigenmächtige Sektion oder Entnahme von Organen zur Transplantation nicht unter den Tatbestand des § 168 fällt. cc) Erfolgt im Ausnahmefall eine Wegnahme zur Durchführung einer Sektion oder zur Entnahme von Organen zur Transplantation, so rechtfertigt die vor dem Tode erteilte Einwilligung des Verstorbenen oder die Einwilligung seiner nächsten Angehörigen. - Liegen Einwilligungserklärungen nicht oder mit gegensätzlichem Inhalt vor, so kann eine Rechtfertigung durch rechtfertigenden Notstand, § 34, in Betracht kommen. Die Abwägung der Interessen selbst ist problematisch, weil ein eindeutiger Vorrang der Interessen des zu rettenden Menschen vor denen der Achtung des Pietätsempfindens nicht rational und allgemeingültig zu begründen ist. Maßgeblich ist hier z. B. auch die Stellung der verschiedenen Religionen zum Wert des menschlichen Lebens. Dazu einerseits: OLG Frankfurt N J W 1 9 7 5 S. 2 7 1 mit Anm. GEILEN J Z 1 9 7 5 sowie R O X I N J U S 1 9 7 6 S . 5 0 5 und G R I B B O H M GA 1 9 7 9 S . 9 5 ; H E I N I T Z Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 1 9 7 0 , S. 2 5 ; K O H L H A A S Sarstedt-Festschrift, S . 1 3 6 ; LACKNER StGB, § 1 6 8 Anm. 2 b, bb; S A M S O N N J W 1 9 7 4 S . 2 0 3 0 ; SEELMANN Das Verhältnis von § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgriinden, 1978, S. 69. Andererseits: KAISER in: Arzt und Recht, herausgeg. von Göppinger, 1 9 6 6 , S. 8 0 ; S. 3 8 0

TROCKEL M D R

1969 S. 811 ff;

Zu Einzelheiten, insbesondere bei differierenden Äußerungen der Berechtigten, vgl. die Angaben bei LACKNER StGB, § 168 Anm. 2 b, bb.

b) Verübung beschimpfenden Unfugs an einer Leiche oder an einer Beisetzungsstätte, § 168 Abs. 1, 2. Alt. Der Begriff der Beisetzungsstätte kann dem Schutz des Rechtsgutes gemäß nicht nur unmittelbar auf das Grab beschränkt, sondern muß auf die unmittelbar zum Grab gehörenden Gegebenheiten - Grabdenkmäler, Umfriedung - erstreckt werden. - Zum beschimpfenden Unfug vgl. oben 3 b. c) Zerstörung oder Beschädigung einer Beisetzungsstätte, § 168 Abs. 1, 3. Alt. Zum Begriff Zerstören und Beschädigen vgl. oben § 47 I 2 c, d.

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

§ 65: Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfälschung, § 169 1. Das geschützte Rechtsgut und das Angriffsobjekt a) § 169 schützt die Allgemeinheit und damit mittelbar auch die jeweils Betroffenen vor den Gefahren falscher behördlicher Personenstandsfeststellungen. Personenstand ist der Familienstand, d. h. das familienrechtliche, auf Abstammung oder Rechtsakt beruhende Verhältnis einer Person zu einer anderen Person. b) Angriffsobjekt ist allein der Personenstand eines anderen, d. h. nicht der eigene oder der Personenstand einer nicht existierenden Person. 2. Die Regelung im einzelnen a) Unterschieben eines Kindes ist die Gefährdung des Personenstandes dadurch, daß ein Kind aufgrund einer Täuschung in eine so enge tatsächliche Beziehung zu einer bestimmten Frau gebracht wird, daß es nach der äußeren Sachlage als deren leibliches Kind erscheint. Die Gefahr einer unrichtigen behördlichen Feststellung des Personenstandes, z. B. durch unrichtige Eintragung im Geburtenbuch, braucht nicht konkret gegeben zu sein, es genügt vielmehr, daß das Verhalten geeignet ist, unrichtige behördliche Feststellungen zu begründen. Eine derartige Gefahr ist über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu fordern, denn ist diese Gefahr ausgeschlossen, so daß nur andere Personen aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten getäuscht werden, liegt jedenfalls eine Personenstandsfälschung nicht vor.

Dazu:

BOHNERTJuS

1977 S. 747 f;

STURMJZ

1974 S. 2.

Falsche Angaben sind unwahre Erklärungen gegenüber der zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde. - Unterdrücken ist die Herbeiführung eines Zustandes, der die behördlichen Feststellungen verhindert oder erschwert. Bloßes Unterlassen ist nur in einer Garantenposition strafbar. Die Zuständigkeit zur Führung von Personenstandsbüchern ist im PStG geregelt. - Zuständig zur Feststellung des Personenstandes sind die Behörden, die durch Entscheidung für und gegen jedermann dazu berufen sind, den Personenstand eines Menschen amtlich festzustellen oder zu verändern oder bei einer Veränderung mitzuwirken. Beispiele: Standesbeamter, Vormundschaftsgericht o. ä. b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muß wissen, daß er den Personenstand eines anderen falsch angibt oder unterdrückt und daß die zuständige Behörde von dem unrichtigen Personenstand Kenntnis erlangt.

§ 65 Delikte gegen die familiäre O r d n u n g

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c) Die Tat ist Zustandsdelikt, d. h. sie ist mit der Herbeiführung des unrichtigen Zustandes beendet. - Vollendet ist das Delikt, wenn die falsche Angabe usw. derart in den Wahrnehmungsbereich der entsprechenden Behörde gelangt ist, daß der zuständige Beamte sie zur Kenntnis nehmen kann. 3• Zur Einübung a) Die Ehefrau A hat nach einem Ehebruch mit X ein Kind b e k o m m e n . Sie meldet dies als eheliches K i n d zur Eintragung beim Standesamt an. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor. Bis zur Anfechtung der Ehelichkeit gilt das K i n d als ehelich, § 1591 BGB. - Gleiches gilt bei der Anerkennung eines Kindes als ehelich nach §§ 1600 ä f f BGB. S o a u c h : LACKNER S t G B , § 169 A n m . 2 b , a a ; MAURACH/SCHROEDER B . T. I I , § 6 3 I I 2 . - A . A . : DREHER/TRÖNDLE § 1 6 9 R d n . 6 .

b) Die A weigert sich, den Erzeuger ihres nichtehelichen Kindes anzugeben. Dadurch kann das J u g e n d a m t die nötigen gerichtlichen Personenstandsfeststellungen nicht in die Wege leiten. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor, da die A nicht Garantin gegenüber der Behörde ist. S o a u c h : B . MAIER M D R 1 9 7 1 S . 8 8 3 . - A . A . : HEIMANN-TROSIEN L K , 9. A u f l . , § 169

Rdn. 16. In gleicher Weise fehlt die Garantenstellung beim Arzt, der über die H e r k u n f t des Samens bei heterologer Insemination schweigt; BT-Drucks. VI/3521, S. 11. c) Die A, die eine Fehlgeburt erlitten hat, gibt ihrem Ehemann gegenüber das Kind ihrer Freundin F als ihr eigenes aus. Die F ist einverstanden. Sie wollte das K i n d zur Adoption freigeben. E meldet das K i n d beim Standesamt als eigenes an. Ergebnis: A unterschiebt ein K i n d ; dazu RGSt 36 S. 137. d) A gibt dem Finanzamt gegenüber fälschlicherweise den X als Vater ihres nichtehelichen Kindes an. Sie meint, das Finanzamt sei auch eine zur Feststellung des Personenstandes zuständige Behörde. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor; A begeht ein Wahndelikt. Ihr Irrglaube erweitert die behördliche Zuständigkeit nicht. e) A meldet seine Freundin F beim Einwohnermeldeamt als seine Ehefrau an. Ergebnis: § 169 nicht gegeben, das Einwohnermeldeamt ist nicht zuständige Behörde i. S. des § 169.

II. D o p p e l e h e , § 171 1. Das geschützte Rechtsgut § 171 schützt die staatliche Eheordnung als Teil der Familienordnung. Verheiratet ist, wer in formell gültiger Ehe lebt, § 11 EheG. 2. Die Tathandlung Tathandlung ist das Schließen einer formell gültigen Ehe in einem Zeitpunkt, in dem der Täter oder der Partner noch formell gültig verheiratet ist.

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

BGHSt 4 S. 6: A, der damit rechnete, daß seine Ehefrau noch lebte, ließ diese für tot erklären und heiratete nach Rechtskraft der Todeserklärung die B. BGH: Da die erste Ehe erst durch die neue Eheschließung aufgelöst wird, § 38 EheG, ging A eine Doppelehe ein. - Nicht notwendig ist es, daß nach der Tat zwei Ehen bestehen. D e m ist m i t SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 171 R d n . 4 e n t g e g e n z u h a l t e n , d a ß

in diesen Fällen ein Strafbedürfnis nach § 171 nicht besteht, da die staatliche Eheordnung durch die Tat nicht betroffen wird, weil nach der Tat nur eine formell gültige Ehe besteht.

3. Die Deliktsnatur a) Die Tat ist Zustands-, nicht Dauerdelikt. Sie ist daher mit Abgabe der Erklärungen gemäß § 13 EheG vollendet und beendet. b) Auf Teilnehmer findet § 28 Abs. 1 keine Anwendung, denn der Zustand des „Verheiratetseins" ist keine pflichtbegründende Gegebenheit, sondern allein Voraussetzung für einen wirksamen Angriff auf das geschützte Rechtsgut. S o a u c h : HORN S K , § 171 R d n . 7; LACKNER S t G B , § 171 A n m . 6 ; SCHÖNKE/ SCHRÖDER/LENCKNER § 171 R d n . 8. - A . A . : DREHER/TRÖNDLE § 171 R d n . 5; HEIMANNTROSIFNLK, 9. A u f l . , § 171 R d n . 8 ; R O X I N L K , § 2 8 R d n . 39.

III. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die innere Familienordnung. Die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verwandten ist lange Zeit unter Hinweis auf die Möglichkeit psychischer, eugenischer und genetischer Schäden begründet worden. Diese Voraussetzungen der Strafwürdigkeit sind vielfachen Zweifeln ausgesetzt. Gleichwohl erscheint das Verhalten im Hinblick auf mögliche psychische Schäden durchaus strafwürdig. Die Familie gibt den einzelnen Mitgliedern nur dann Möglichkeiten zu einer ausgeglichenen personalen Entwicklung im emotionalen Bereich, wenn sie die Überlastung oder einseitige Belastung der Psyche des Einzelnen verhindert. - Die nicht intakte, d. h. tatsächlich unvollständige oder aufgrund der Verkennung der jeweiligen Rollenstellung unausgeglichene Familie ist ein kriminogener Faktor ersten Ranges. - Sexuelle Beziehungen zwischen den engsten Familienmitgliedern neben den Ehepartnern stellen jedoch eine emotionelle Belastung der unmittelbar Betroffenen wie auch der anderen Familienmitglieder dar, die die Gefahr gestörter Persönlichkeitsentwicklungen begründet. Im einzelnen dazu: BT-Drucks. VI/1552, S. 14; VI/3521, S. 17; HORNSK, § 173 R d n . 2 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . II, § 6 3 V I I 1.

§ 65 Delikte gegen die familiäre Ordnung

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Da das Gesetz nach wie vor auf die leibliche Verwandtschaft, d. h. die Blutsverwandtschaft abstellt, kommt dieser Schutzgedanke nur unvollständig in der Vorschrift selbst zum Tragen. 2. Die Tathandlung a) Tathandlung ist der Beischlaf, das ist jede Vereinigung der Geschlechtsteile, gleichviel wie weit das männliche Glied in die Scheide eingeführt wird; BGHSt 16 S. 177. Differenzierungen danach, ob das männliche Glied nur in den Scheidenhof oder in die Scheide selbst gelangt, erscheinen hier wegen der Schwierigkeiten der Feststellungen nicht sinnvoll. Dazu: BGHSt 16 S. 177; BGH bei Dallinger, MDR 1973 S. 17.

b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, der sich auf die wirklichen blutsmäßigen Verhältnisse beziehen muß. 3. Die Deliktsnatur Die Tat ist eigenhändiges Delikt, so daß mittelbare Täterschaft ausscheidet. - Die Beteiligung des Deszendenten (Abs. l ) oder Aszendenten (Abs. 2 S. l ) ist als Teilnahmehandlung nicht eigenständig strafbar, so daß jeder nur aus dem für ihn geltenden Tatbestand bestraft werden kann. Die Teilnahme Dritter richtet sich nach Abs. 1. Da die Verwandtschaft hier die erhöhte sozialethische Pflicht begründet, für eine angemessene psychische Entwicklung der anderen Familienmitglieder Sorge zu tragen, ist die Verwandtschaft besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 1. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 28 Rdn. 7; LACKNER StGB, § 173 A n m . 6. - A . A . : HORN S K , § 1 7 3 R d n . 8 ; SCHMIDHÄUSER B. T., 13/11; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 173

Rdn. 8.

4. Strafausschluß § 173 Abs. 3 enthält einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Deszendenten und Geschwister unter 18 Jahren. IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 b 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die materielle Sicherstellung des Berechtigten, daneben die Schonung der öffentlichen Finanzen. Dazu: BVerfGE 50 S. 142 f.

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

2. Einzelheiten der Regelung a) Das Bestehen einer Unterhaltspflicht richtet sich nach bürgerlichem Recht. Wenn und solange ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch besteht, ist auch eine gesetzliche Unterhaltspflicht i. S. des § 1670 BGB gegeben. Die Voraussetzungen des Anspruchs hat der Strafrichter selbständig zu prüfen; dabei ist er an die Beweisvermutung der §§ 1591 ff, 1600 m, 1600 o BGB gebunden. Ein eventuell vorliegendes Unterhaltsurteil bindet den Strafrichter nicht, wohl aber ist der Strafrichter an die im Statusverfahren rechtskräftig festgestellten Fakten (z. B. Vaterschaft) gebunden. Str., wie hier: BGHSt 5 S. 106; BayObLG NJW 1967 S. 1287. - Für eine Bindungswirkung des klageabweisenden Urteils: SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 170 b Rdn. 13; SCHWAB NJW I960 S. 2169. - Allgemein für eine Bindungswirkung des Unterhaltsurteils : KAISER NJW 1972 S. 1847. - Ablehnend auch gegenüber Statusurteilen: EGGERT M D R 1974 S. 445.

Mangels Verletzung inländischer Interessen liegt eine Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht i. S. des § 170 b nicht vor, wenn ein im Inland lebender Ausländer (dazu BGHSt 29 S. 85 mit Anm. KUNZ NJW 1980 S. 1201 und OEHLERJR 1980 S. 381) oder Deutscher (BayObLG NJW 1982 S. 1243) sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht.

b) Als Unterhaltsleistung kommen in erster Linie Ansprüche auf Geldleistungen in Betracht. Soweit die Verpflichtung eines Unterhaltsverpflichteten auf Pflege und Erziehung gerichtet ist, vgl. § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB, gehört zum Unterhalt die Vornahme aller der Handlungen, die normalerweise im Haushalt zu erbringen sind. Dazu: BVerfGE 50 S. 153 f.

Voraussetzung der Unterhaltspflicht ist, daß der Verpflichtete überhaupt imstande ist zu leisten, und zwar muß es ihm möglich sein, den Anspruch zu erfüllen, ohne seinen eigenen notwendigen Lebensbedarf oder den vorrangig Berechtigter zu gefährden. Einschränkungen seines Lebensstandards muß er in diesem Rahmen hinnehmen. Er ist zur Ausschöpfung von Verdienstmöglichkeiten zur Realisierung seiner Leistungsmöglichkeit verpflichtet. Dazu: BayObLG Strafverteidiger 1983 S. 418; OLG Köln Strafverteidiger 1983 S. 419. - Zur Anforderung und Weiterleitung von Kindergeld: OLG Celle NJW 1984 S. 317.

c) Entziehen ist vorrangig ein echtes Unterlassen. Es kann aber auch durch positives Tun - Vereitelung des Anspruchs durch Herbeiführung der Leistungsunfähigkeit - begangen werden. So auch: BGHSt 14 S. 165; 18 S. 379; SAMSON SK, § 170 b Rdn. 9. - A. A.: HEIMANN-TROSIEN LK, 9. Aufl., § 170 b Rdn. 28; LACKNER StGB, § 170 b A n m . 4.

d) Der angemessene Lebensbedarf, nicht der notwendige, muß gefähr-

§ 65 Delikte gegen die familiäre Ordnung

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det sein. - Die Abwendung der Gefährdung durch Dritte ist dem Täter dann nicht zuzurechnen, wenn diese nur handeln, weil der Unterhaltsverpflichtete seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt, d. h. wenn eine Unterhaltssicherung erforderlich ist und mit der Hilfeleistung bezweckt wird; BVerfGE 50 S. 154. e) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, der zumindest die Möglichkeit der Gefährdung bei Ausbleiben der Hilfe anderer umschließt. f) Die Tat ist Dauerdelikt. V Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 170 d 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist die ungestörte Entwicklung eigener oder fremder Kinder. - Das Delikt ist konkretes Gefährdungsdelikt. 2. Die Tathandlung a) Die Fürsorge- oder Erziehungspflicht kann auf Gesetz, Vertrag, öffentlich-rechtlichem Aufgabenbereich oder tatsächlicher Übernahme beruhen. Die Gefahr, in der körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich gestört zu werden, bedeutet nicht jede Möglichkeit, daß das Kind Schaden erleiden kann. Es muß vielmehr zu befürchten sein, daß der normale Ablauf des körperlichen oder geistig-seelischen Reifeprozesses dauernd oder nachhaltig gestört wird; dazu BGH NStZ 1982 S. 328. - Ein krimineller Lebenswandel liegt vor, wenn der Betroffene nicht unerhebliche, vorsätzliche Straftaten wiederholt begeht. - Der Prostitution nachgehen ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung der Prostitution, nicht erst die Vornahme und das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen. - Zum Begriff der Prostitution vgl. unten § 66 V 6. b) Der Vorsatz, bedingter genügt, muß sich auf die Gefährdung des Schutzbefohlenen beziehen. VI. Kindesentziehung, § 235 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das elterliche oder sonstige familienrechtliche Sorgerecht. - Daneben dient die Vorschrift aber auch dem Schutz des Minderjährigen. 2. Die Tathandlung Eine Entziehung ist dann gegeben, wenn das aus dem Sorgerecht sich ergebende Recht des Sorgeberechtigten, das Kind zu erziehen, es zu

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beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen, auf eine gewisse Zeit tatsächlich unwirksam gemacht oder doch so wesentlich beeinträchtigt wird, daß es nicht ausgeübt werden kann; dazu BGHSt 1S. 200; OLG Düsseldorf J R 1981 S. 386 mit Anm. BOTTKES. 387 ff. Täter kann auch der nicht sorgeberechtigte Eltern teil gegenüber dem anderen sein; O L G Hamm M D R 1982 S. 1040. - Wird nicht nur die Ausübung des Sorgerechts beeinträchtigt, sondern - z. B. durch falsche Angaben vor dem Vormundschaftsgericht - das Sorgerecht selbst dem Berechtigten entzogen, so soll nach h. M. § 235 keine Anwendung finden; vgl. V O G L E R LK, § 235 Rdn. 9. Dem ist vom Gesetzeszweck her nicht zuzustimmen, vielmehr ist die Entziehung des Sorgebefohlenen durch Beseitigung des Sorgerechts ein besonders gravierender Fall der Tatbestandsverletzung; dazu auch HORNSK, § 235 Rdn. 2.

Zu den Tatmitteln: List vgl. oben § 28 V; Drohung vgl. oben § 271 3 a; Gewalt vgl. oben § 27 I 2 e. 3. Die Tatbeteiligung des Sorgebefohlenen Die Einwilligung des Minderjährigen ist unerheblich. Seine Mitwirkung an der Tat, selbst wenn sie sich als Anstiftung oder Beihilfe darstellt, bleibt straffrei, da die Norm auch seinem Schutze dient und sein Wille nicht als entscheidend angesehen wird. Im einzelnen dazu: OTTOLange-Festschrift, S. 210 ff.

4. Besonders schwerer Fall § 235 Abs. 2 enthält einen unbestimmten Strafschärfungsgrund mit einem Regelbeispiel: Handeln aus Gewinnsucht, d. h. aus einem auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß gesteigerten Erwerbssinn heraus; BGHSt 1 S. 388. 5. Strafantrag Zum Strafantrag vgl. § 238. VII. Entführung mit Willen der Entführten, § 236 1. Das geschätzte Rechtsgut Auch § 236 schützt das elterliche oder sonstige familienrechtliche

Sorgerecht.

2. Die Tathandlung Entführen ist das Verbringen der Minderjährigen von ihrem bisherigen an einen anderen Aufenthaltsort durch den Täter, an dem sie seinem Einfluß ausgesetzt ist und an dem es gerade für die Eltern (oder den gesetzli-

§ 65 Delikte gegen die familiäre Ordnung

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chen Vertreter) unmöglich oder wesentlich erschwert ist, durch Ausübung ihres Schutz- und Aufsichtsrechts die Absicht des Täters zu vereiteln; BGH NJW1966 S. 1523. Die Einwilligung der Entführten ist Tatbestandsmerkmal. Die Minderjährige muß daher in die Entführung rechtswirksam eingewilligt haben, d. h. insbesondere, sie muß die Absicht des Täters, sie zu außerehelichen sexuellen Handlungen zu bringen, gekannt haben, als sie einwilligte. 3. Der Irrtum des Täters über die Einwilligung der Minderjährigen Nimmt der Täter irrig das Vorliegen der Einwilligung der Minderjährigen an, und hat er gegen den Sorgeberechtigten die in § 235 genannten Tatmittel angewandt, so läge ein besonders schwerer Fall i. S. des § 235 Abs. 2 vor. In dieser Konstellation wäre § 236 gegenüber § 235 Abs. 2 das mildere Gesetz. Unter entsprechender Anwendung des dem § 16 Abs. 2 zugrunde liegenden Gedankens kann hier eine Bestrafung des Täters gemäß § 236 erfolgen. D a z u : B G H S t 2 4 S. 168 m i t A n m . SCHRÖDERJR 1 9 7 1 S . 511 u n d KÜPER N J W 1 9 7 2 S. 6 4 6 .

Liegt der Tatbestand des § 235 - sei es im objektiven, sei es im subjektiven Bereich - nicht vor und irrt der Täter über die Einwilligung der Minderjährigen, so bleibt er straffrei. Der Versuch von BGHSt 24 S. 169, im Falle des fehlenden Vorsatzes i. S. des § 235 Abs. 2, beim Irrtum über die Einwilligung der Minderjährigen nach § 236 zu bestrafen, verletzt eklatant Art. 103 Abs. 2 GG. Aus dem objektiven Tatbestand des § 235 und dem subjektiven Tatbestand des § 236 wird hier nämlich ein neuer Tatbestand geschaffen, den das Gesetz nicht kennt.

4. Die Absicht, die Minderjährige zu außerehelichen sexuellen Handlungen zu bringen Die neben dem Vorsatz geforderte Absicht, die Minderjährige zu außerehelichen sexuellen Handlungen i. S. des § 184 c - dazu unten § 66 II - zu bringen, ist zielgerichtetes Wollen, d. h. dolus directus 1. Grades. 5. Das Verhältnis von § 235 zu § 236 Nach h. M. stehen § 235 und § 236 in Idealkonkurrenz. Dabei beruft sich die h. M. auf RGSt 18 S. 283 ff und BGHSt 1S. 203, übersieht dabei aber, daß damals die Entführung mit Willen auch an Volljährigen begangen werden konnte. - Aufgrund desselben geschützten Rechtsguts und der besonderen im § 235 geforderten Tatmittel ist zwischen den beiden Tatbeständen Gesetzeskonkurrenz unter Vorrang des § 235 anzunehmen. Mit der Verwirklichung des Tatbestandes des § 235 wird das Unrecht des § 236 - trotz gleicher Strafdrohung in Abs. 1 - konsumiert.

316

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

6. Strafantrag Zum Strafantrag vgl. § 238.

§ 66: Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung 1. Das geschützte Rechtsgut Mit der Entscheidung des Gesetzgebers im 4. StrRG, das am 28. 11. 1973 in Kraft trat, die früheren sogenannten Sittlichkeitsdelikte unter der Bezeichnung Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zusammenzufassen, sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß diese Tatbestände nicht mehr eine bestimmte sexuelle Ordnung schützen, sondern ein individuelles Rechtsgut. - Gleichwohl ist die überkommene Einordnung dieser Delikte als Straftaten gegen überindividuelle Rechtsgüter nach wie vor sachgerecht. Geschützt werden soll nämlich die sexuelle Selbstbestimmungnur im Rahmen einer bestimmten Sexualordnung, die - wie Art. 6 GG zeigt - auf Ehe und Familie und damit auf Integrität, Achtung der Menschenwürde des anderen auch im Sexualbereich und schließlich auf dem Schutz des Sexuallebens vor seiner völligen Vermarktung beruht. Erst vor diesem Hintergrund erhalten die §§ 175,176,180 a, 181 a, 183, 184, 184 a und 184 b eine befriedigende Erklärung. 2. Die systematische Gliederung des Gesetzes Nach der unterschiedlichen Akzentuierung im Schutzumfang des Rechtsguts erscheint es angemessen, die Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung - weitgehend F.-CHR. SCHROEDER Das neue Sexualstrafrecht, 1975, S. 16 f, folgend - in sechs Gruppen zu untergliedern. a) Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne aa) bb) cc) dd) ee)

Sexuelle Nötigung, § 178 Vergewaltigung, § 177 Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger, § 179 Sexueller Mißbrauch von Kranken in Anstalten, § 174 a Abs. 2 Entführung gegen den Willen der Entführten, § 237.

b) Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit aa) Sexueller Mißbrauch von Gefangenen und Verwahrten, § 174 a Abs. 1 bb) Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174 b.

c) Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person (Jugendschutz) aa) Sexueller Mißbrauch von Kindern, § 176 bb) Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen, § 174 cc) Homosexuelle Handlungen, § 175

317

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung dd) Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, § 180 ee) Verführung, § 182 ff) Jugendgefährdende Prostitution, § 184 b.

d) Sexuelle Belästigung Unbeteiligter aa) Exhibitionistische Handlungen, § 183 bb) Öffentliche Ärgerniserregung, § 183 a cc) Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 a.

e) Förderung und Ausnutzung der Prostitution aa) Förderung der Prostitution, § 180 a bb) Menschenhandel, § 181 cc) Zuhälterei, § 181 a.

f ) Verbreitung pornographischer Schriften, § 184 II. Die sexuelle Handlung, § 184 c 1. Die Definition des Begriffs Der Gesetzgeber hat die im früheren Recht zentralen Begriffe der „unzüchtigen Handlung" und der „Unzucht" durch den der sexuellen Handlung ersetzt, ohne ihn jedoch zu definieren. Damit wurde die Chance vertan, den Anwendungsbereich der Tatbestände gesetzlich zu präzisieren.

a) Sexuelle Handlungen sind zunächst alle Handlungen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Subjektiv muß der Täter sich dieses Bezugs bewußt sein. Ein Handeln aus wollüstiger Absicht ist nicht erforderlich. Dazu: BGHSt 29 S. 336 mit Anm.

HORNJR

1981 S. 251 ff; BGH NStZ 1983

S . 1 6 7 ; B A U M A N N J R 1 9 7 4 S . 3 7 1 ; BOCKELMANN B . T. 2 , § 2 7 I I I 2 a ; D R E H E R J R

S. 47; DREHER/TRÖNDLE Vor § 174 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 184 c Anm. 1 a; G A

1974

MAIWALD

1 9 7 9 S . 1 5 4 ; SCHONKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 1 8 4 c R d n . 6 f f .

Handlungen, die in ihrem objektiv zu ermittelnden Handlungssinn mehrdeutig sind, z. B. Faustschläge gegen die Brust einer Frau, Schläge auf das Gesäß eines Kindes oder gynäkologische Untersuchungen, sind dann als sexuelle Handlungen anzusehen, wenn sie nicht durch einen sachbezogenen Zweck, z. B. Untersuchungs- oder Erziehungszweck in der durchgeführten Art und Weise gerechtfertigt und durch die Absicht der Erregung oder Befriedigung von Geschlechtslust motiviert sind. Dazu: BGHJR 1 9 8 3 S . 1 5 8 mit Anm. L E N C K N E R S . 1 5 9 ff; LACKNER StGB, § 1 8 4 c Anm. 1 a. - Auf das Erkennen der Sexualbezogenheit durch das Opfer kommt es hingegen nicht an; a. A.: MAURACH/SCHROEDER B. T . I , § 1 7 V I 2 c.

b) Relevant sind nur Handlungen von einiger Erheblichkeit, d. h. Handlungen, die für das in den einzelnen Tatbeständen jeweils geschützte Rechtsgut nach Art und Intensität des Angriffs gefährlich erscheinen und nicht als bloße Belanglosigkeit abzutun sind.

318

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

2. Sexuelle Handlung „an" und „vor" einer Person Das Gesetz unterscheidet zwischen sexuellen Handlungen an und vor einer Person. a) Die sexuelle Handlung vor einem anderen muß von diesem anderen wahrgenommen werden, § 184 c Nr. 2. Daß der andere die sexuelle Bedeutung der Handlung begreift, ist nicht erforderlich. b) Die sexuelle Handlung an einer Person setzt eine körperliche Berührung dieser Person voraus, braucht aber von dieser weder bewußt wahrgenommen noch als sexuelle Handlung verstanden zu werden. III. Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne 1. Sexuelle Nötigung, §178 a) Tathandlung ist die Nötigung durch Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung außerehelicher sexueller Handlungen des Täters oder eines Dritten (l. Alt.) oder zur Vornahme an dem Täter oder einem Dritten (2. Alt.). Die Nötigung des Opfers zu sexuellen Handlungen an sich selbst oder zu Handlungen ohne körperliche Berührung - Nacktausziehen, Einnahme sexuell aufreizender Positionen o. ä. - fällt nur unter § 240. - Zum Begriff der Gewalt wgl. oben § 27 I 2 e, zum Begriff der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben vgl. oben § 27 I 3 a. Zur Drohung gegenüber Dritten vgl. oben § 27 I 2 f.

b) Die Nötigung muß mit der sexuellen Handlung final verknüpft sein, d. h. der Täter muß die Nötigung einsetzen, um die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung zu erzwingen. Bei Vorsatzwechsel nach zunächst aus anderem Grund erfolgter Nötigung genügt es, wenn der Täter beim Vorsatzwechsel das Nötigungsmittel weiter einsetzt oder die vorherige Gewaltanwendung als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung fortwirkt, nicht hingegen, wenn der Täter lediglich den zuvor aus anderem Grund geschaffenen Nötigungserfolg ausnutzt; vgl. zur entsprechenden Problematik beim Raub oben § 46 II 1 a, cc sowie BGH NStZ 1981S. 344. Stellt die Gewaltanwendung selbst die sexuelle Handlung dar, z. B. beim Faustschlag auf die Brust einer Frau, so fehlt die finale Verknüpfung; BGH JR 1983 S. 158 mit Anm. LENCKNER S .

159

ff.

c) Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die finale Verknüpfung von Nötigung und sexueller Handlung umfassen. d) Die rechtswirksame Einwilligung des Opfers in die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung läßt die Nötigung entfallen. - In Betracht kommt u. U. ein Versuch. e) § 178 Abs. 3 enthält einen erfolgsqualifizierten Fall der sexuellen Nötigung. Aufgrund des Erfordernisses der „Leichtfertigkeit" ist die Möglichkeit einer Idealkonkurrenz mit einem vorsätzlichen Tötungsdelikt nicht mehr gegeben.

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

319

Im übrigen vgl. zur entsprechenden Problematik bei § 251 oben § 46 IV 1.

2. Vergewaltigung, §177 a) § 177 Abs. 1 beschreibt einen durch das Merkmal des Beischlafs qualifizierten Fall der sexuellen Nötigung. - Da der Beischlaf- zum Begriff oben § 65 III 2 a - mit einem Dritten genügt, kann Täter des Delikts auch eine Frau sein. - Sind mehrere an dem Tatgeschehen beteiligt, so entscheiden über die Zurechnung des Geschehens als Täterschaft oder Teilnahme die allgemeinen Regeln. b) Gewalt bedeutet auch hier - vgl. im einzelnen dazu oben § 271 2 den Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der von der Person, gegen die er sich richtet, als ein nicht nur seelischer sondern körperlicher Zwang empfunden wird. Dazu genügt ein Einsperren des Opfers oder das Verbringen des Opfers an einen abgelegenen Ort derart, daß dieses dem Täter ausgeliefert ist und Widerstand sinnlos erscheint. - Erzwingt der Täter in dieser Situation den Beischlaf, indem er die Lage des Opfers ausnutzt, so erzwingt er ihn mit Gewalt. Dazu eingehender: LG Saarbrücken NStZ 1981 S. 222; LACKNER StGB, § 177 Anm. 4 a; OTTOJR 1982 S. 116 ff. - Enger: BGH NJW1981S. 2204 mit abl. Anm. GOY/LOHSTÖTER Strafverteidiger 1982 S. 20.

c) Zur Einwilligung vgl. oben 1 d. d) Der erzwungene eheliche Beischlaf fällt nicht unter § 177, sondern nur unter § 240. Da der Nachweis der finalen Verknüpfung von Nötigung und Beischlaf im ehelichen Bereich erhebliche Schwierigkeiten bereitet und damit die Gefahr von Fehlurteilen begründet, hat der Gesetzgeber hier mit Recht Zurückhaltung gewahrt. - Selbst in Situationen, in denen durch Wertung des Verhältnisses der Beteiligten zueinander Indizien für das wirkliche Geschehen gefunden werden können, hat sich gezeigt, daß eine geschickte Ausnutzung der Beweissituation zur „Entblößung" des Opfers, aber auch zur Belastung eines angeblichen Täters im Prozeß führen können. Diese Gefahren wären bei Taten im ehelichen Bereich erheblich gesteigert. Die Vorstellung des Gesetzgebers, daß hier zunächst die familienrechtlichen Konsequenzen zu ziehen sind, ist kriminalpolitisch daher durchaus sachgerecht. e) § 177 Abs. 3 enthält einen erfolgsqualifizierten Fall der Vergewaltigung; dazu vgl. oben die entsprechenden Ausführungen unter 1 e. 3. Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger, § 179 Im Gegensatz zu den §§ 178,177 bricht der Täter nicht den Widerstand eines anderen, sondern nutzt eine vorhandene Widerstandsunfähigkeit des Opfers zu sexuellen Handlungen aus. Hat der Täter die Widerstandsunfähigkeit selbst herbeigeführt, um die sexuellen Handlungen zu ermöglichen, so konsumiert § 178 den § 179 Abs. 1, § 177 den § 179 Abs. 2.

320

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

a) Widerstandsunfähig ist, wer gegenüber dem sexuellen Ansinnen des Täters nicht imstande ist, den zur Abwehr nötigen Widerstandswillen zu bilden, zu äußern oder zu betätigen. Die hier gemeinte Unfähigkeit bezieht sich nicht auf den Widerstand gegen etwaige Gewaltakte, sondern schlechthin auf den Widerstand gegen das sexuelle Ansinnen. Dazu: BGH NStZ 1981S. 139; BGH NJW1981S. 1850; BGHJR1983 S. 254 mit A n m . GEERDS S . 2 5 4 ff.

Die psychische Widerstandsunfähigkeit, Abs. 1 Nr. 1, muß auf einem der biologischen Gründe beruhen, die nach § 20 die Schuldfähigkeit ausschließen können. Die körperliche Widerstandsunfähigkeit, Abs. 1 Nr. 2, kann auf äußeren Einwirkungen - z. B. Fesselung - oder auf körperlichem Defekt - z. B. Lähmung - beruhen.

Der Täter nutzt den Zustand aus, wenn die Widerstandsunfähigkeit den sexuellen Zugriff ermöglicht oder erleichtert und der Täter sich dessen bewußt ist. So auch: BGHSt 3 2 S . 1 8 6 ; DREHER/TRÖNDLE § 1 7 9 Rdn. 8 ; S C H A L L J u S 1 9 7 9 S. 1 0 5 ; F.-CHR. SCHROEDER Sexualstrafrecht, S. 3 2 . - Zu eng: LACKNER StGB, § 1 7 9 Anm. 4, der eine Motivation des Täters durch die Widerstandsunfähigkeit fordert. - Zu weit: SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 1 7 9 Rdn. 9 : bloße Kenntnis der Widerstandsunfähigkeit genügt.

In der bewußten Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit liegt der vom Gesetz geforderte Mißbrauch des anderen. b) § 179 will den Schutz der sexuellen Freiheit (geschlechtliche Selbstbestimmung) des widerstandsunfähigen Opfers gewährleisten. Die Tat ist daher nicht eigenhändiges Delikt. Täterschafts- und Teilnahmeprobkme sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu lösen. 4.

Wie hier: Aufl. 1 9 8 4 ,

HERZBERG S. 4 1 7

f;

JuS

1975

S.

1 7 2 ; ROXIN

SCHALL JuS 1 9 7 9

S.

Täterschaft und Tatherrschaft, Sexualstrafrecht,

1 0 9 ; F.-CHR. SCHROEDER

5 . 3 3 . - A . A . : K G N J W 1 9 7 7 S . 8 1 7 ; D R E H E R J R 1 9 7 4 S . 4 8 ; DREHER/TRÖNDLE § 1 7 9

Rdn.

2 ; HORN

SK, § 179 Rdn. 15;

LENCKNER § 1 7 9 R d n .

LACKNER

StGB, § 179 Anm. 2

;SCHÖNKE/SCHRÖDER/

15.

4- Sexuelkr Mißbrauch von Kranken in Anstalten, § 174 a Abs. 2 a) Zur Tathandlung vgl. oben II 1. - Insassen sind nur die in den angeführten Anstalten zur Behandlung oder Pflege untergebrachten Patienten. - Zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut sind die Insassen jenen Personen, denen Betreuungsaufgaben übertragen sind, z. B. Ärzte, Pfleger, Wärter, u. U. aber auch Angehörige des Verwaltungsdienstes. - Der Mißbrauch setzt zunächst objektiv voraus, daß das Opfer selbst krank oder hilfsbedürftig ist. Dieses nutzt der Täter aus, wenn der Zustand die Tathandlung ermöglicht oder erleichtert. - Subjektiv ist erforderlich, daß der Täter sich dieser Umstände bewußt ist. - Eine Motivation zur Tat durch die Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit ist hingegen nicht erforderlich.

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

321

Str., vgl. zur entsprechenden Auseinandersetzung oben 3 a.

b) Die Tat ist eigenhändiges Delikt. - Als Täter kommen nur die für die Beaufsichtigung oder Betreuung verantwortlichen Personen in Betracht. Die Beschreibung des Täterkreises erfaßt jedoch nicht besonders verpflichtete Personen, sondern dient der Kennzeichnung des Abhängigkeitsverhältnisses. § 28 Abs. 1 findet daher keine Anwendung. W i e h i e r z. B . : MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 18 I V E; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ LENCKNER § 1 7 4 a R d n . 13. - A . A . : z. B. DREHER/TRÖNDLE § 1 7 4 a R d n . 1; HORN S K , § 1 7 4 a Rdn. 21.

Der Schutzbefohlene bleibt auch als Teilnehmer straffrei, da die Vorschrift seinem Schutze dient und sein eigener Wille rechtlich nicht als voll wirksam angesehen wird. Dazu: OTTO Lange-Festschrift, S. 210 ff.

5. Entführung gegen den Willen der Entführten, §23 7 a) Entführen setzt voraus, daß der Täter die Frau durch Verbringen an einen anderen Ort für eine gewisse Dauer so in seine Gewalt bringt, daß sie seinem ungehemmten Einfluß preisgegeben ist. - Als Beispielsfall ausdrücklich im Gesetz genannt ist die Entführung mit einem Fahrzeug. - Hilflos ist die Lage der Frau, wenn sie nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten in der konkreten Situation nicht imstande ist, sich dem Einfluß des Täters mit eigener Kraft zu entziehen. - Wider den Willen des Opfers handelt der Täter, der ohne rechtswirksame Einwilligung des Opfers tätig wird. Zum bewußtlosen Opfer vgl. BGHSt 25 S. 237 mit Anm. GEILENJZ 1974 S. 540 und MEYER-GERHARDS JUS 1974 S. 566. - Daß das Opfer (Prostituierte) unter bestimmten Bedingungen mit der sexuellen Handlung einverstanden wäre, ersetzt die Einwilligung nicht, wenn diese Bedingung nicht erfüllt wird; a. A. B G H S t 2 1 S . 188 m i t abl. A n m . HRUSCHKAJZ 1 9 6 7 S. 5 9 4 ; R O X I N N J W 1 9 6 7 S . 1 2 8 6 ; SCHRÖDER J R 1 9 6 7 S. 2 2 6 .

Zu den Entführungsmitteln: List vgl. oben § 28 V, Drohungvg1. oben § 271 3 a, Gewalt vgl. oben § 2712 e, zum Ausnutzen der Lage vgl. oben 3 b . - Zur sexuellen Handlung vgl. oben II 1. b) Die Tat ist zweiaktiges Delikt. Entführung und Ausnutzung der Lage müssen verwirklicht sein, damit das Delikt vollendet ist. Der Vorsatz muß sich auf beide Teilakte beziehen, doch braucht der Täter bei der Entführung noch nicht den Plan gefaßt zu haben, die durch die Ortsveränderung entstandene hilflose Lage zu sexuellen Handlungen auszunutzen. Jedoch muß bereits bei der Entführung der Täter mit der Ortsveränderung den Zweck verfolgen, das Opfer in eine hilflose Lage zu bringen. Vgl.: B G H S t 2 9 S. 2 3 3 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 3 7 R d n . 7 ; HORN S K , § 2 3 7 R d n . 1 0 ; MAURACH/SCHROEDER B. T. I, § 18 V D ; TRÖNDLE G A 1 9 7 3 S. 3 2 4 ; VOGLERLK, § 2 3 7

322

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

R d n . 18; WESSELS B . T.-L, § 9 1 2. - A . A . : HRUSCHKAJZ 1973 S. 2 7 6 ; KREY B . T. I, S. 9 2 ; SCHMIDHÄUSER B . T., 4 / 4 5 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 2 3 7 R d n . 6.

c) Täter kann auch eine Frau sein, wenn gleichgeschlechtliche Handlungen bezweckt sind, denn sexuelle Handlungen mit Dritten genügen hier nicht, wie ein Vergleich des Gesetzeswortlautes mit dem der §§ 177, 178 („Dritten") zeigt. d) Die Tat ist Antragsdelikt, § 238 Abs. 1. - Zum Prozeßbindernis der Eheschließung vgl. § 238 Abs. 2. IV. Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit 1. Sexueller Mißbrauch von Gefangenen und Verwahrten, § 174 a Abs, 1 a) Geschützt wird die geschlechtliche Selbstbestimmung Gefangener und behördlich Verwahrter, da deren Entscheidungsfreiheit einerseites in diesem Bereich wesentlich durch das Abhängigkeitsverhältnis eingeschränkt ist, andererseits die Versuchung erheblich ist, durch Duldung der Tathandlung die eigene Lage zu bessern. - Daneben kommt aber auch dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität der Behandlung der genannten Personen eine gewisse Bedeutung zu. Das wird deutlich in der Ablehnung der Anwendung des Tatbestandes auf Fälle der Ausnutzung eines nur vorgespiegelten Abhängigkeitsverhältnisses. Allein für die geschlechtliche Selbstbestimmung als geschütztes Rechtsgut: MAURACH/SCHROEDER B . T. I, § 19 I 3.

b) Gefangener ist, wem in Ausübung von Polizei- oder Staatsgewalt die Freiheit entzogen ist, so daß er sich in der Gewalt einer zuständigen Behörde befindet; RGSt 73 S. 347. Beispiele: Strafgefangener; Untersuchungsgefangener; von einem Polizeibeamten nach § 127 StPO vorläufig Festgenommener.

Auf behördliche Anordnung Verwahrte sind Personen, die - außer den Gefangenen - aufgrund hoheitlicher Gewalt eingeschlossen sind. Beispiele: Personen, die nach §§ 61 ff in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt, einer sozialtherapeutischen Anstalt oder in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind. - Personen in Auslieferungs- oder Abschiebehaft. - Personen in Fürsorgeerziehung.

c) Erziehung ist die Leitung und Überwachung der Lebensführung zur Förderung der körperlichen und seelischen Entwicklung. Ausbildung ist die Vermittlung größeren Wissens oder besseren Könnens zu einem bestimmten Ausbildungsziel, insbes. zum Erwerb von Berufserfahrung. Beaufsichtigung üben Personen aus, die dem Schutzbefohlenen gegenüber die Funktion von Wachpersonal haben - Ein Betreuungsverhältnis liegt vor, wenn der Täter den Schutzbefohlenen in seiner Lebensführung - und sei

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

323

es auch nur in einem Teilbereich - unterstützen soll. - Anvertraut ist der Schutzbefohlene dem Täter nur zu diesen Zwecken, wenn der Täter zum Opfer in einem tatsächlichen Überordnungsverhältnis steht, aufgrund dessen er Mitverantwortung auch für die Persönlichkeitsausbildung des Schutzbefohlenen im ganzen trägt. Beispiele: Lehrer; Werkmeister; Geistlicher; Sporttrainer u. a.

Ein Mißbrauch der Stellung des Täters liegt bereits vor, wenn der Täter eine durch die Stellung gebotene Gelegenheit zur Tathandlung wahrnimmt. Dies ist der Fall, wenn der Täter seinen Machtbereich gegenüber dem Schutzbefohlenen erkennt und die auf ihr beruhende Abhängigkeit zur sexuellen Handlung ausnutzt. Beiden Teilen muß dabei der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewußt sein; BGHSt 28 S. 367; BGH NStZ 1982 S. 329. d) Zum Mißbrauch vgl. oben III 4 a; Zu Täterschaft und Teilnahme vgl. oben III 4 b. 2. Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174 b a) Zum geschützten Rechtsgut vgl. oben 1 a. - Zum Begriff des Amtsträgers: § 11 Abs. 1 Nr. 2. - Das Strafverfahren beginnt, indem Ermittlungen gegen einen bestimmten Täter angestellt werden. b) Zum Mißbrauch der Abhängigkeit vgl. die entsprechenden Ausführungen oben 1 c. c)Konkurrenzen: §§ 174 aund 174 büberschneiden sich z. B. beim Untersuchungsgefangenen, der dem Richter bei der Vernehmung im Gericht zur Beaufsichtigung anvertraut ist und der zugleich im Strafverfahren von ihm abhängig ist. Die h. M. nimmt in diesen Fällen Idealkonkurrenz zwischen §§ 174 a, 174 b an. V. Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person Geschützt wird die ungestörte sexuelle Entwicklung Jugendlicher. Die Einwilligung des Jugendlichen in die Tathandlung ist in der Regel irrelevant, da der Gesetzgeber davon ausgeht, daß er die Reife noch nicht hat, die Tragweite derartiger Entscheidungen abzuschätzen.- Ausnahmsweise, z. B. in Fällen echter Liebesbeziehungen, kann die Einwilligung jedoch einen Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses o. ä. ausschließen.

1. Sexueller Mißbrauch von Kindern, § 176 a) Tathandlung gemäß Abs. 1 ist die Vornahme sexueller Handlungen an einem Kind oder durch das Kind an dem Täter. Gemäß Abs. 2 ist dem gleichgestellt die Bestimmung des Kindes zur Vornahme sexueller Handlungen an einem Dritten oder von einem Dritten oder durch einen Dritten an dem Kind.

324

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

Zur sexuellen Handlungwgl. oben II 1. - Bestimmen ist eine beeinflussende Einwirkung auf den Willen des Kindes; vgl. zur entsprechenden Problematik bei der Anstiftung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 22 II 2. b) § 176 Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen. - Die Erfolgsqualiftkation gemäß § 176 Abs. 4 entspricht weitgehend der nach § 251 beim Raube; vgl. dazu oben § 46 IV. c) Gemäß § 176 Abs. 5 wird die - gemilderte - Strafandrohung auf sexuelle Handlungen ohne unmittelbaren Körperkontakt (Nr. 1 und Nr. 2) und auf pornographisches Verhalten (Nr. 3) erstreckt, das nicht in § 184 c erfaßt ist. - In diesem Bereich kommt der Erheblichkeit des Verhaltens besondere Bedeutung zu. - Neben dem zumindest bedingten Vorsatz im übrigen ist hier die Absicht erforderlich, sich, das Kind oder einen anderen durch das Verhalten sexuell zu erregen. Eingewirkt werden i. S. der Nr. 3 kann auch von einem Täter, der ortsabwesend ist, z. B. durch telefonische Reden; BGHSt 29 S. 31.

2. Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen, §174 a) Der Tatbestand unterscheidet drei Gruppen von Schutzbefohlenen: aa) Abs. 1 Nr. 1: Personen unter 16 Jahren, die dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind. Zum Inhalt der Begriffe Erziehung, Ausbildung, vgl. oben IV 1 c.

Betreuung in der Lebensführung

bb) Abs. 1 Nr. 2: Personen unter 18Jahren, die dem Täter entweder i. S. der Nr. 1 anvertraut oder ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind, soweit der Täter das Abhängigkeitsverhältnis mißbraucht; dazu oben III 4 a. cc) Abs. 1 Nr. 3: Das noch nicht 18Jahre alte leibliche, d. h. blutmäßig vom Täter abstammende Kind - dazu BGHSt 29 S. 387 - oder Adoptivkind des Täters. b) Tathandlungen sind: aa) Nach Abs. 1: Sexuelle Handlungen des Täters an dem Schutzbefohlenen oder von diesem am Täter vorgenommene sexuelle Handlungen; vgl. dazu oben II. - Subjektiv ist Vorsatz, bedingter genügt, erforderlich, der sich auf die Tatumstände und auf das Alter erstrecken muß. bb) Nach Abs. 2: Vornahme sexueller Handlungen vordem Schutzbefohlenen (Abs. 2 Nr. l) oder Bestimmen des Schutzbefohlenen dazu, sexuelle Handlungen vor dem Täter vorzunehmen (Abs. 2 Nr. 2). Zur sexuellen Handlung

vgl. oben II 1; zum Bestimmen vgl. oben V i a .

In dieser Tatalternative erfordert der Tatbestand neben dem Vorsatz die Absicht des Täters (dolus directus 1. Grades), sich oder den Schutzbefohlenen durch die Tathandlung sexuell zu erregen.

325

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

c) Gemäß Abs. 4 kann bei Taten gegen die in Abs. 1 Nr. 1 genannten Schutzbefohlenen in besonderen Konfliktsfällen - echte Liebesbeziehung, Verführung durch sexuell erfahrenen Schutzbefohlenen - von Strafe abgesehen werden. d) Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. oben III 4 b. e) Konkurrenzen Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 wird von Nr. 3 und die nach Abs. 1 Nr. 2 von Nr. 1 und Nr. 3 konsumiert (gestufte Verschärfung der Voraussetzungen für den Schutz desselben Rechtsguts). Dazu eingehend: LACKNER StGB, § 174 A n m . 10. - A. A.: Abs. 1 Nr. 2 lex specialis gegenüber Abs. 1 Nr. 1: B G H S t 30 S. 358 f; DREHER/TRÖNDLE § 174 Rdn. 18.

Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 173,174 a, 174 b, 175,176,177 und 240. 3. Homosexuelle Handlungen, §175 a) Geschützt ist derjunge Mann in seiner heterogenen sexuellen Entwicklung. Dieses Rechtsgut wird durch die Tathandlung dann nicht tangiert, wenn der Täter (z. B. als Dirne verkleideter Mann) von dem Opfer der Tat nicht als Mann erkannt wird. S o a u c h : MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 2 0 I V A 3 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER

§ 175 R d n . 4. - A . A . : h . M . , vgl. B G H S t 2 1 S. 2 1 9 m i t A n m . LENCKNERJR 1 9 6 8 S. 1 9 2 ; DREHER/TRÖNDLE § 1 7 5 R d n . 5 ; H O R N S K , § 1 7 5 R d n .

1.

b) Täter des Delikts kann nur ein Mann über 18 Jahren sein, der sexuelle Handlungen an einem Mann unter 18 Jahren vornimmt oder von einem Mann unter 18 Jahren an sich vornehmen läßt; dazu oben II. - Die geschützte Person ist als notwendiger Teilnehmer straffrei; dazu oben III 4 b . - Darüber hinaus ist Teilnahme nach den allgemeinen Regeln möglich, d. h. auch Teilnahme durch einen noch nicht 18jährigen. Das Argument, dieser Teilnehmer wäre als Täter straflos, trägt hier nicht, denn wenn der Täter selbst noch nicht 18Jahre alt ist, ist das Unrecht der Tat ein anderes, als wenn der Täter über 18 Jahre alt ist. Vgl. a u c h : DRBHER/TRÖNDLE § 175 R d n . 3 ; LACKNER S t G B , § 175 A n m .

5;

SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 1 7 5 R d n . 7 . - A . A . : MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 20

IV A

3.

c) Abs. 2 ermöglicht ein Absehen von Strafe in zwei Fällen: Nr. 1: Der Täter war zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt. - Dieser Tatbestand kommt insbesondere in Betracht, wenn die Tat auf Entwicklungsstörungen des Täters beruht oder es sich um eine Tat zwischen annähernd gleichaltrigen Personen handelt. Nr. 2: Geringes Unrecht der Tat unter Berücksichtigung des Verhaltens desjenigen, gegen den sich die Tat richtet.

326

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

4. Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger,

§ 180

a) Die verpönten Handlungen nach Abs. 1-3 beziehen sich auf sexuelle Handlungen der geschützten Personen an oder vor einem Dritten oder eines Dritten an der geschützten Person; dazu oben II. b) Drei verschiedene Förderungshandlungen unterscheidet das Gesetz, je nach der verschiedenen Schutzaltersgrenze des Opfers. aa) Abs. 1: Schutzaltersgrenze 16 Jahre; Vorschubleisten, das ist das Fördern der sexuellen Handlung, ohne daß es zu dieser kommen muß; d. h. erfolgreiche oder erfolglose Beihilfe zu der sexuellen Handlung. - Das Vorschubleisten muß entweder durch Vermittlung (Nr. l ) oder Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit geschehen (Nr. 2). Vermittlung ist die Herstellung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Dritten und der geschützten Person, welche die sexuellen Handlungen zum Inhalt hat. - Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit liegt z. B. im Bereitstellen von Räumlichkeiten, in der Organisation von Zusammenkünften und sexueller Kontakte. Nach Abs. 1S. 2 schließt das Erzieherprivileg die Anwendung des Abs. 1 Nr. 2 aus, wenn der Personensorgeberechtigte die Tat begeht und dadurch nicht seine Erziehungspflicht gröblich vernachlässigt. - Das Erzieherprivileg begründet für den Personensorgeberechtigten einen Tatbestandsausschluß, und zwar auch dann, wenn er lediglich als Teilnehmer tätig wird („handelt"). Dritten kommt das Privileg auch dann nicht zugute, wenn sie mit Einwilligung des Sorgeberechtigten tätig werden. Teilnahme an der Tat des Sorgeberechtigten ist mangels einer Haupttat nicht möglich. Im einzelnen zu dem auch vom Bestimmtheitsgrundsatz her umstrittenen Erzieherprivileg: BECKER/RUTHE FamRZ 1974 S. 508; LACKNER StGB, § 180 A n m . 5 b ; F.-CHR. SCHROEDER Lange-Festschrift, S. 3 9 1 f f .

bb) Abs. 2: Schutzaltersgrenze 18Jahre; Bestimmen ist hier im Sinne von Anstiftung zu verstehen; vgl. oben 1 a) - Das Entgelt braucht nicht in Geld zu bestehen, es genügen auch Sachwerte. - Vorschubleisten genügt hier nur in der Form der Vermittlung. cc) Abs. 3: Schutzaltersgrenze 18jahre; Mißbrauch bestimmter Abhängigkeitsverhältnisse; dazu im einzelnen oben III 4 a. c) Eine Teilnahme der geschützten Person bleibt als notwendige Teilnahme straflos. Aber auch der an der Tat beteiligte Dritte bleibt nach § 180 straflos, denn die Tat ist sachlich als tatbestandlich verselbständigte Teilnahme an den nicht oder nur nach anderen Tatbeständen strafbaren sexuellen Handlungen des Schutzbefohlenen und des Dritten anzusehen. S o a u c h : BINDOKAT N J W 1 9 6 1 S . 1 7 3 1 ; HERZBERG G A 1 9 7 1 S . 10; HORN S K , § 1 8 0 R d n . 2 4 ; ARMIN KAUFMANN M D R 1 9 5 8 S. 177; LACKNER S t G B , § 1 8 0 A n m . 6 ; MAURACH/SCHROEDER B.T. I, § 2 0 III C 6. - A . A . : B G H S t 15 S. 3 7 7 ; DREHER/TRÖNDLE § 1 8 0 R d n . 2 5 ; HORSTKOTTEJZ 1 9 7 4 S. 87.

327

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

5. Verführung, §182 a) Verführen ist ein Einwirken auf den Willen eines Mädchens unter 16 Jahren, um es unter Ausnutzung seiner geschlechtlichen Unerfahrenheit oder geringeren Widerstandsfähigkeit zum Beischlaf zu bewegen, den es an sich nicht will. - Zum Beischlaf vgl. oben § 65 III 2 a. b) Die Tat ist eigenhändiges Delikt, denn Täter kann nur der Mann sein, der mit der Verführten den Beischlaf ausführt. c) Zum Strafantrag und Eheschließungsprivileg, § 182 Abs. 2. d) Die Möglichkeit des Gerichts, von Strafe abzusehen, eröffnet Abs. 3. 6. Jugendgefährdende Prostitution, § 184 b § 184 b stellt die Prostitution unter Strafe, wenn diese in der Nähe einer Schule oder anderen Ortlichkeit, die zum Besuch von Personen unter 18 Jahren bestimmt ist (Nr. l) oder in einem Haus, in dem Personen unter 18 Jahren wohnen, ausgeübt wird (Nr. 2). - Dem Merkmal ACT sittlichen Gefährdung kommt nur insoweit Bedeutung zu, als es klarstellt, daß die geschützten Personen die Ausübung der Prostitution konkret wahrgenommen haben müssen. Prostitution ist die auf gewisse Dauer angelegte Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt an oder vor wechselnden Partnern oder Zuschauern oder die Duldung derartiger Handlungen an sich durch Dritte. So auch: D R E H E R / T R Ö N D L E § 180 a Rdn. 3 ; LACKNER StGB, § 180 a Anm. 2. Enger: Auf partnerschafdiche Sexualhandlungen beschränkt: H O R N SK, § 180 a R d n . 4 ; SCHÖNKE/SCHRODER/LENCKNER § 1 8 0 a R d n .

5.

VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter Geschützt wird die Person vor Konfrontationen mit sexuellen Handlungen gegen ihren Willen. Damit wird hier der Schutz bestimmter sozialethischer Grundordnungen besonders deutlich. 1. Exhibitionistische Handlungen, § 183 a) Eine exhibitionistische Handlungist das Entblößen des Geschlechtsteils vor einem anderen ohne dessen Einverständnis, um sich durch die Wahrnehmung durch den anderen oder durch dessen Reaktion geschlechtlich zu befriedigen, zu erregen oder eine geschlechtliche Erregung zu steigern. Dazu:

F . - C H R . SCHROEDER

Sexualstrafrecht, S. 61.

Täter kann nur ein Mann sein. - Durch die exhibitionistische Handlung muß der andere belästigt werden, d. h. er muß schockiert, erschreckt oder mit Abscheu erfüllt werden. Bloßer Unmut genügt nicht.

328

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

Die exhibitionistische Handlung muß wegen ihrer sexuellen Tendenz absichtlich begangen werden. Bezüglich des Belästigungserfolges genügt hingegen bedingter Vorsatz. Dazu: OLG Düsseldorf NJW 1977 S. 262.

b) § 183 Abs. 2 enthält in bezug auf den Strafantrag eine dem § 232 Abs. 1 S. 1 entsprechende Regelung; dazu oben § 15 IV 2. c) § 183 Abs. 3 bietet die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung, auch wenn erst durch eine längere Heilbehandlung eine günstige Prognose ermöglicht wird. Gemäß Abs. 4 ist Abs. 3 anwendbar, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder nach § 174 Abs. 2 Nr. 1 oder § 176 Abs. 5 Nr. 1 bestraft wird. - In diesem Rahmen werden auch exhibitionistische Handlungen von Frauen relevant. d) Konkurrenzen: Tateinheit ist möglich mit §§ 174 Abs. 2 Nr. 1, 176 Abs. 5 Nr. 1, da das jeweils geschützte Rechtsgut verschieden akzentuiert ist. So auch:

LACKNER

StGB, § 183 Anm. 7;

SCHONKE/SCHRODER/LENCKNER

§ 183

R d n . 1 5 . - A . A . : DREHER/TRÖNDLE § 1 8 3 R d n . 1 3 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I , § 2 2

II 3: Spezialität.

2. Öffentliche Ärgerniserregung, § 183 a Öffentlich vorgenommen ist eine sexuelle Handlung, wenn eine unbestimmte Vielzahl oder eine bestimmte, nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundene Mehrzahl von Personen sie wahrgenommen hat oder hätte wahrnehmen können; BGHSt 11 S. 282. Im Falle einer durch persönliche Beziehungen verbundenen Gruppe muß auch der Täter in die persönlichen Beziehungen eingeschlossen sein. So auch: LACKNER StGB, § 1 8 3 a Anm. 2 ; S C H R O D E R J R 1 9 7 0 S. 4 2 9 . - A. A.: O L G Köln N J W 1 9 7 0 S . 6 7 0 ; MAURACH/SCHROEDER B. T . I , § 2 2 I I I 2 .

Ein Ärgernis ist erregt, wenn eine Person erheblich in ihrem Empfinden, nicht mit sexuellen Handlungen gegen ihren Willen konfrontiert zu werden, verletzt ist (Erfolgsdelikt!). Zum subjektiven

Tatbestand

vgl. oben 1 a.

3. Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 a a) § 184 a enthält einen gegenüber § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG qualifizierten Tatbestand. - Zur Ausfüllung des Blanketts bedarf es einer Rechtsverordnung, zu deren Erlaß Art. 297 EGStGB ermächtigt. - Ein beharrliches Zuwiderhandeln setzt eine wiederholte Tatbegehung voraus, mit der der

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

329

Täter erkennen läßt, daß er nicht bereit ist, sich an das Verbot zu halten. Der Prostitution Nachgehen ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung der Prostitution, nicht erst die Vornahme oder das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen. - Zum Begriff der Prostitution vgl. oben V 6. b) Teilnahme ist nach allgemeinen Regeln möglich. Die Beharrlichkeit ist kein Sonderpflichtmerkmal und damit nicht besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28. A . A . : DREHER/TRÖNDLE § 184 a R d n . 6 ; H O R N S K , § 184 a R d n . 5 ; MAURACH/ SCHROEDER B . T. I, § 2 2 I V 3.

Der Partner des oder der Prostituierten, dessen Rolle sich auf die des zahlenden Freiers beschränkt, ist als notwendiger Teilnehmer straflos. Die Überlassung von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt zur Förderung der Prostitution ist in § 180 a abschließend geregelt, so daß sie nicht auf dem Umweg über die Teilnahme an Taten nach § 184 a kriminalisiert werden darf. S o a u c h : H O R N S K , § 184 a R d n . 5 ; LACKNER S t G B , § 1 8 4 a A n m . 6 .

-A.A.:

B a y O b L G N J W 1981 S. 2766.

VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution Geschützt wird die Unabhängigkeit von Menschen im Prostitutionsmilieu. 1. Förderung der Prostitution, § 180 a Geschützt wird die Person davor, zur Prostitution gebracht, darin festgehalten und ausgebeutet zu werden. - Zum Begriff der Prostitution vgl. oben V 6 ; zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 4112 c. Der Prostitution Nachgehen erfaßt nicht nur die Ausübung der Prostitution, sondern schon das unmittelbare Aufsuchen von Gelegenheiten dazu. a) Abs. 1 enthält das Verbot von Bordellen oder bordellartigen Betrieben (z. B. sog. Massagesalons), und zwar unter bestimmten Voraussetzungen: aa) Nr. 1 erfordert, daß Prostituierte in dem Betrieb in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden. Persönliche Abhängigkeit liegt vor, wenn der Betroffene in seiner Lebensführung, einschließlich der Ausübung seines Gewerbes weitgehend der Disposition durch andere unterworfen ist, d. h. wenn das Ob, Wo und Wie der Prostitution durch andere bestimmt wird. Wirtschaftlich abhängig ist, wer hinsichtlich seiner Einkünfte und der Sicherung seines Lebensunterhalts im wesentlichen einer Fremdbestimmung unterliegt. - Halten setzt eine gezielte Einwirkung auf die persönliche oder wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus. - Es ist nicht erforderlich, daß der Täter die Abhängigkeit selbst begründet hat.

330

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

bb) Nach Nr. 2 genügt auch ein Betrieb, in dem die Prostitutionsausübung durch Maßnahmen gefördert wird, die über die Wohnungs-, Unterkunfts- oder Aufenthaltsgewährung und die dabei üblichen Nebenleistungen hinausgehen. Sie brauchen keine Knebelung der Prostituierten zu bezwecken, sondern es genügt, daß sie günstige Bedingungen für die Ausübung der Prostitution schaffen. Beispiele: Veranstaltung von Nackttänzen und Vorführung pornographischer Filme zur Anregung der Gäste ( K G J R 1 9 7 8 S. 2 9 6 ; K G J R 1 9 8 0 S. 12l); Unterhalt einer Sauna zur Förderung der Kontakte ( O L G Köln N J W 1979 S. 728 mit Anm. G E E R D S J R 1979 S. 343 ff); Festsetzung von Gästequoten ( K G N J W 1976 S. 813); Zentrales Kassieren und anteiliges Verteilen des Dirnenlohnes (BT-Drucks. 7/514, S.9).

b) Abs. 2 erfaßt die Wohnungs- und gewerbsmäßige Unterkunfts- und Aufenthaltsgewährung an noch nicht 18jährige zur Prostitution, Nr. 1, und das Gewähren von Wohnung zur Prostitution, wenn damit ein Ausbeuten, d. h. ein gewinnsüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle verbunden ist, Nr. 2. c) Nach Abs. 3 wird das gewerbsmäßige Anwerben zur Prostitution bestraft. - Anwerben setzt Einverständnis des Täters mit dem Angeworbenen über die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit voraus. - Es muß dem Täter darauf ankommen (zielgerichtetes Wollen), den Angeworbenen entweder dazu zu bringen, der Prostitution nachzugehen, oder ihn zu veranlassen, die Prostitution in einem fremden Land auszuüben. d) Abs. 4 soll verhindern, daß noch nicht 21jährige zur Prostitution gebracht oder dort festgehalten werden. Zuführen ist ein Verbringen des Opfers in den Einwirkungsbereich des Prostituiertenmilieus, so daß es sich der Prostitutionsausübung zuwendet, z. B. durch Vermitdung an einen Zuhälter, Mitnahme in einen Call-Girl-Betrieb o. ä. Die Initiative kann auch vom Opfer ausgehen. Die bloße Zustimmung zur Tätigkeit ist aber noch kein Zuführen. - Einwirken ist eine Einflußnahme auf den Willen des Opfers. e) Konkurrenzen § 180 a Abs. 1 Nr. 2 wird von Nr. 1 konsumiert. Zwischen Abs. 2 Nr. 1 und 2, zwischen den beiden Alternativen des Abs. 3 und zwischen Abs. 3 und Abs. 4 ist Idealkonkurrenz möglich. - Desgleichen zwischen Abs. 4 und § 181 a Abs. 1 Nr. 2; OLG Köln MDR 1979 S. 73. 2. Menschenhandel, §181 § 181 schützt gegen die „Rekrutierung von Menschen beiderlei Geschlechts für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse Dritter" (LACKNER StGB, § 181 Anm. l). a) Nr. 1 erfaßt die Veranlassung zur Prostitution durch Nötigung oder List.

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

331

Zum Begriff der Gewalt vgl. oben § 27 I 2 e; zur Drohung mit einem empfindlichen Übel vgl. oben § 27 I 3; zum Begriff der List vgl. oben § 28 V; die List muß zur Täuschung darüber angewendet werden, daß das Opfer zur Prostitution gebracht werden soll; BGHSt 27 S. 27 mit Anm. F.-CHR. SCHROEDERJR 1977 S. 3 5 7 ff. Zum Begriff ¿et Prostitution vgl. oben V 6. b) Nr. 2 erfaßt Anwerben und Entführung durch List, Drohung oder Gewalt. Zum Anwerben vgl. oben VII 1 c; zum Entführen vgl. oben § 65 VII 2.

Der Täter muß in der Absicht handeln, das Opfer unter Ausnutzung seiner Hilflosigkeit in einem fremden Land zu bestimmten sexuellen Handlungen zu bringen. Hilflosigkeit liegt vor, wenn der Betroffene aufgrund seiner besonderen persönlichen Situation in dem für ihn fremden Land nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht imstande ist, sich dem Ansinnen der ihm unerwünschten sexuellen Betätigung aus eigener Kraft zu entziehen. - Ausnutzen ist bereits die Wahrnehmung der Situation zur erleichterten Herstellung sexueller Beziehungen. Beim Anwerben ist der Tatbestand nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Opfer weiß, es solle der Prostitution nachgehen. Weiß es hingegen auch, daß es in eine hilflose Lage versetzt werden soll, so liegt kein Ausnutzen dieser Lage vor. 3. Zuhälterei, § 181 a Alle Formen der Zuhälterei setzen voraus, daß der Täter zu der oder dem Prostituierten im Hinblick auf die Tathandlung Beziehungen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. a) Abs. 1 Nr. 1 erfaßt das Ausbeuten einer der Prostitution nachgehenden Person. Ausbeuten erfordert, daß der Täter auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses durch planmäßiges und eigennütziges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle eine spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten herbeiführt. Das bloße Ausgehaltenwerden reicht selbst bei erheblichen Leistungen dazu nicht aus. Dazu: BGH bei Holtz, M D R 1977 S. 282; BGH NStZ 1982 S. 507; BGH NStZ 1983 S. 220; BayObLG N J W 1977 S. 1209 mit Anm. GEERDSJR 1978 S. 81 ff; K G MDR 1977 S. 862.

b) Abs. 1 Nr. 2 beschreibt die sog. „dirigierende Zuhälterei". Der Täter muß den Einsatz der Prostituierten durch besondere Organisationsmaßnahmen regeln und durchsetzen und damit Herrschaft ausüben. Bloßes Beschützen der Dirne, Vertreiben der Konkurrenten, Vermittlung von Partnern u. ä. genügt nicht. - Maßnahmen gegen das Aufgeben der Prosti-

332

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

tution sind Vorkehrungen, die das Lösen aus dem Prostitutionsmilieu erschweren oder unmöglich machen, z. B. Entzug von Geldmitteln, Drohungen, Täuschungen u. ä. - Der Täter muß seines Vermögensvorteils wegen handeln, d. h. dieser Vorteil muß sein Motiv sein. c) § 181 a Abs. 2 stellt die gewerbsmäßige Förderung der Prostitution durch Vermittlung sexuellen Verkehrs - Unterhalt eines Call-Girl-Ringes, Schleppertätigkeit - unter Strafe. d) Abs. 3 bedroht zuhälterische Handlungen in bezug auf den Ehegatten ohne Rücksicht darauf mit Strafe, ob hier Beziehungen im Hinblick gerade auf die zuhälterische Handlung unterhalten werden. e) Konkurrenzen Die verschiedenen Begehungsformen können in bezug auf dasselbe Opfer in Fortsetzungszusammenhang stehen. Sind mehrere Prostituierte betroffen, so scheidet Fortsetzungszusammenhang wegen des höchstpersönlichen Rechtsguts (sexuelle Selbstbestimmung) aus. Str., doch bezieht sich die Gegenmeinung auf RGSt 70 S. 150, eine Entscheidung, in der der Tatbestand noch nicht als gegen ein persönliches Rechtsgut gerichtet interpretiert wurde.

VIII. Verbreitung pornographischer Schriften, § 184 Der Schutzzweck der Norm ist uneinheitlich; vgl. dazu unter 2.

1. Pornographische Schriften Pornographisch sind Schriften (auch Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen, § 11 Abs. 3), wenn sie nach ihrem objektiven Gehalt zum Ausdruck bringen, daß sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei den Betrachtern abzielen und eindeutig die Grenzen allgemein anerkannten sexuellen Anstandes überschreiten. Vgl. dazu: BT-Drucks. VI/3521, S. 60; LACKNER StGB, § 184 Anm. 2 a; LAUFHÜTTE J Z 1974 S. 47. - Zu abweichenden Konzeptionen vgl.: MAURACH/SCHROEDER B.T. I, §23

13.

2. Die einzelnen Tathandlungen a) Die Tatbestände der Nr. 1-5, 7, 8 dienen vorwiegend dem Jugendschutz, doch ist in ihnen auch das Interesse, nicht gegen den eigenen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden, geschützt. Anbieten ist die Erklärung der Bereitschaft zur Überlassung von Pornographie. Uberlassen ist die Übertragung des Gewahrsams. - Zugänglichmachen heißt Eröffnung von Wahrnehmungsmöglichkeiten. Ausstellen, Anschlagen und Vorführen

§ 67 Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

333

sind Beispiele dafür. - Der Versandhandel braucht nicht auf Verkauf angelegt zu sein, es genügt Vermietung; BVerfG NJW 1982 S. 1512. - Ein gewerblicher Filmverleih ist nach der Intention des Gesetzes, das gemäß § 11 Abs. 3 Schriften und Filme gleichstellt, als Leihbücherei i. S. des § 184 Abs. 1 Nr. 3 anzusehen; a. A. BGHSt 29 S. 72. - Ankündigen und Anpreisen müssen den pornographischen Charakter der Objekte erkennen lassen; BGH N J W 1977 S. 1695; OLG Stuttgart MDR 1977 S. 246. - Das Entgelt wird überwiegend für die Vorführung verlangt, wenn deren wirtschaftlicher Wert den der anderen Leistungen, z. B. Getränke, Rauchwaren u.a., übersteigt; dazu im einzelnen: BVerfGE 47 S. 109; BGHSt 29 S. 68; K G J R 1978 S. 167; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 262; R O G A L L J Z 1979 S. 715 ff.

b) Abs. 1 Nr. 6 sowie Abs. 2 schützen ausschließlich das Interesse, nicht gegen den eigenen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden. Dem Abs. 2 kommt nur für Live-Sendungen des für die Allgemeinheit bestimmten Bild- und Hörfunks Bedeutung zu, da die Ausstrahlung von Bild- und Tonaufzeichnungen bereits unter die verschiedenen Alternativen des Abs. 1 fallen. - Täter sind die für die Sendung verantwortlichen Personen.

c) Abs. 1 Nr. 9 gehört überhaupt nicht in den in § 184 geregelten Zusammenhang, denn hier wird die sexuelle Selbstbestimmung in keiner Weise tangiert, vielmehr geht es um staatliche Interessen, die bei einer Ausfuhr von

Pornographie verletzt werden können. d) Abs. 3 richtet sich gegen die sog. harte Pornographie. Er soll der krimino-

genen und sozial desintegrierenden Wirkung sadistischer, pädophiler und sodomistischer Pornographie durch ein Herstellungs- und Verbreitungsverbot begegnen. Zum Begriff der Gewalttätigkeiten vgl. oben § 63 V 2 b. - Sexuellen Mißbrauch von Kindern haben Darstellungen von Handlungen i. S. des § 176 zum Gegenstand. - Sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren erfordern körperlichen Kontakt. 3. Das Erzieherprivileg

Das Erziehelprivileg gemäß § 184 Abs. 4 schließt die Anwendung des § 184 Abs. 1 Nr. 1 aus, selbst wenn das Verhalten des Erziehungsberechtigten eine grobe Verletzung der Erziehungspflicht darstellt.

§ 67: Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität Eine allgemeine Pflicht, anderen zu helfen, kann wegen ihrer Weite nicht Gegenstand einer Rechtsordnung sein. Wohl aber kann eine Rechtsordnung eine Pflicht zur Hilfeleistung in Situationen, in denen die Allgemeinheit oder der Einzelne besonderen, existenzbedrohenden Gefahren ausgesetzt ist, statuieren. Sie greift damit auf jene Grundlagen der Gesellschaft zurück, die ein soziales Miteinander erst ermöglichen, nämlich auf das Minimum der Solidarität zwischen den Mitgliedern der

334

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

Gesellschaft. Geschütztes Rechtsgut ist in diesem Bereich daher die mitmenschliche Solidarität, auf die der Einzelne oder die Allgemeinheit in bestimmten Situationen vertraut.

I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c

1, Die Tatsituation Voraussetzung der Hilfspflicht i. S. des § 323 c ist ein Unglücksfall, gemeine Gefahr oder gemeine Not. a) Ursprünglich ging die Rechtsprechung davon aus, daß Unglücksfall ein plötzliches äußeres Ereignis sei, das erhebliche Schäden an Personen oder Sachen verursacht und weiteren Schaden zu verursachen droht. Der BGH hat diese Definition dahin konkretisiert, daß eine Situation, in der Schaden erst drohe, genüge und daß es gleichgültig sei, ob die Gefährdung dem Betroffenen von außen zustößt oder von ihm selbst herbeigeführt ist. aa) Mit der Anerkennung der bloßen Sachgefahr gerät die Definition jedoch zu weit. Das Vorliegen einer bloßen Sachgefahr begründet selbst dann keinen Unglücksfall, wenn bedeutende Sachwerte gefährdet sind. Dies folgt aus der Gleichstellung des Unglücksfalles mit der gemeinen Gefahr und gemeinen Not, die dann überflüssig wäre, wenn schon eine Sachgefahr als Unglücksfall anzusehen wäre. So auch: ARZTIN: Arzt/Weber, LH 2, Rdn. 376; FRELLESENDIC Zumutbarkeit der Hilfeleistung, 1 9 8 0 , S. 150 ff; SCHMIDHAUSERB. T., 1 6 / 5 ; SCHÖNKE/SCHRODER/CRAMER

§ 323 c Rdn. 5; VERMANDER Unfallsituation und Hilfspflicht im Rahmen des § 330 c StGB, 1969, S. 24 ff, 50. - A. A.: DREHER/TRÖNDLE § 323 c Rdn. 3; GsiLENjura 1983 S. 8 6 ff; LACKNER S t G B , § 3 2 3 c A n m . 2 ; RUDOLPHISK, § 3 2 3 c R d n . 5.

bb) Zu folgen ist dem BGH hingegen in der Erstreckung des Unglücksfalles auf Notsituationen, die der Betroffene selbst herbeigeführt hat. Ein Unglücksfall liegt danach auch in der Selbstmordsituation, und zwar bereits dann, wenn der Täter den Selbstmordplan ernsthaft ins Werk setzt, nicht erst dann, wenn der Täter das Opfer seiner selbst geworden ist oder sich von seinem Plan distanziert hat. So auch: BGHSt 6 S. 147; 13 S. 162; SCHMIDHAUSER Welzel-Festschrift, S. 821. Einen Unglücksfall bei beendetem Selbstmordversuch bejahen: GEILEN Jura 1979 S. 208; LACKNER StGB, § 3 2 3 c A n m . 2 . - D i e h . L . differenziert dahingehend, ob der Selbstmord auf dem freien Willen des Täters beruht oder nicht; vgl.: BOTTKEGA 1 9 8 3 S. 3 3 ; DREHER/TRÖNDLE § 3 2 3 C R d n . 3; MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 5 6 II 1; RUDOLPHISK, § 3 2 3 c R d n . 8 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER§ 3 2 3 c R d n . 7.

cc) Im Gegensatz zur Selbstmordsituation liegt kein Unglücksfall vor, wenn ein lebensgefährlich Erkrankter in voller Kenntnis der Situation aufgrund freier Entscheidung eine Behandlung ablehnt; vgl. oben § 6 II 2,

§ 67 Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

335

einschränkend aber B G H N J W 1983 S. 300 mit Anm.

LILIE

NStZ 1983

S. 314.

Daraus folgt für die Definition des Unglückfalls: Unglücksfall ist eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, soller nicht erheblichen Schaden an Leib, Leben, Freiheit oder einem anderen höchstpersönlichen Rechtsgut nehmen. b) Gemeine Gefahr ist eine Situation, in der die Möglichkeit des Schadens an Leib oder Leben oder an bedeutenden Sachwerten für unbestimmt viele Personen begründet ist; z. B. Überschwemmung, Brand. c) Gemeine Not ist eine Notlage der Allgemeinheit. 2. Das Tatverhalten Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt, mit dem das Unterlassen der erforderlichen und zumutbaren Hilfeleistung unter Strafe gestellt wird. a) Erforderlich ist die Hilfe, wenn aus der Sicht eines Beobachters der Situation - ex-ante-Beurteilung - die Chance besteht, den drohenden Schaden abzuwenden. Ob dies wirklich gelingt, ist hingegen irrelevant. Dazu: BGHSt

17

S.

170

f;

GEILEN Jura 1 9 8 3

S.

142

ff.

b) Die Hilfeleistung muß dem Täter zumutbar sein. Die Zumutbarkeit der Hilfe ist Tatbestandsmerkmal. Vgl.: H R U S C H K A J U S 1979 S . 391; LACKNER StGB, § 323 c Anm. 4; N A U C K E WelzelFestschrift, S . 767. - A. A.: MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 56 II 4.

Die Zumutbarkeit ist nach dem Grad der eigenen Gefährdung, der Beziehung des Hilfsfähigen zum Geschehen, insbesondere auch nach seinen persönlichen Fähigkeiten, Hilfsmitteln, Erfahrungen und der Möglichkeit, z. B. am schnellsten Hilfe leisten zu können, zu bestimmen. Die erhebliche Gefährdung eigener Rechtsgüter und die Pflichtenkollision sind Beispiele für den Ausschluß der Zumutbarkeit. Dies gilt auch dann, wenn die Pflichtenkollision nicht rechtfertigt, sondern nur entschuldigt oder eine Kollision rechtlicher und religiöser Pflichten vorliegt; dazu BVerfGE 32 S. 98. - D i e Gefahr einer Strafverfolgung schließt die Zumutbarkeit hingegen grundsätzlich nicht aus; vgl. BGHSt 11 S. 3 5 3 ; ULSENHEIMER GA 1 9 7 2 S. 1 6 .

c) Der zumindest bedingte Vorsatz muß die Notsituation, die Möglichkeit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Hilfe umfassen. d) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter die Hilfspflicht erkannt hat und keine Hilfeleistung erbringt. Ein Rücktritt vom vollendeten Delikt ist in analoger Anwendung der §§ 158, 310 möglich, so lange keine Verschlechterung der Situation eingetreten ist. So auch: SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 3 2 3 c Rdn. 3 0 . - A . A . : BGHSt 1 4 S. 2 1 7 ; RUDOLPHI SK, § 3 2 3 c Rdn. 2 9 ; SCHAFFSTEIN Dreher-Festschrift, S . 1 5 4 .

336

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

3. Konkurrenzen § 323 c begründet keine Garantenstellung zur Abwendung von Gefahren, die dem Hilfsbedürftigen drohen. Der aus anderem Grunde verpflichtete Garant, der die Hilfe, zu der er verpflichtet ist, unterläßt, haftet aus dem entsprechenden Erfolgsdelikt. Das unechte Unterlassungsdelikt, auch der Versuch, konsumieren die unterlassene Hilfeleistung. - Idealkonkurrenz zwischen einem fahrlässigen Unterlassungsdelikt, z. B. § 222, und unterlassener Hilfeleistung ist möglich.

II. Mißbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln, § 145 1. Das Wesen des § 145 Das in § 145 umschriebene abstrakte Gefährdungsdelikt soll gleichsam im Vorfeld des § 323 c die Voraussetzungen einer wirksamen Hilfeleistung erhalten helfen, und zwar dadurch, daß verhindert wird, daß nicht erforderliche Hilfe zur Gefahrenabwehr angefordert wird (Abs. l) oder Präventivmaßnahmen, die zur Verhütung oder Bewältigung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr getroffen wurden, beeinträchtigt werden (Abs. 2). 2. Die Regelung im einzelnen a) § 145 Abs. 1 Nr. 1: Notrufe oder Notzeichen sind akustisch oder optisch wahrnehmbare Kurzäußerungen, die auf das Vorhandensein einer Notoder Gefahrenlage und die Notwendigkeit fremder Hilfe aufmerksam machen. Beispiele: Betätigung des Notrufmelders einer mit münzfreier Notrufeinrichtung versehenen öffentlichen Fernsprechzelle (OLG Oldenburg NJW 1983 S. 1573); Betätigung von Polizeinotrufanlagen, Feuermeldern; das Abgeben von SOS-Funk-, Blink- und Winksignalen auf Gewässern und im Gebirge; das Abschießen notanzeigender Leuchtkugeln u. ä. - Nicht hingegen der bloße Anruf bei dem Fernsprechanschluß einer Polizeidienststelle (OLG Braunschweig NJW 1977 S. 209).

Mißbrauch ist jeder Gebrauch des Zeichens, obwohl keine N o t oder Gefahr besteht. b) § 145 Abs. 1 Nr. 2 erfaßt den Fall, daß anders als durch Notruf oder Notzeichen eine Notlage vorgetäuscht wird. Zum Unglücksfall, zu gemeiner Gefahr oder Not vgl. oben I 1 a-c.

c) § 145 Abs. 2 schützt Einrichtungen, deren konkrete Zweckbestimmung in der genannten Schutzfunktion liegt. Beseitigen erfordert räumliche Entfernung. - In seinem Sinn entstellt oder unbrauchbar ist der Gegenstand, wenn er den konkreten Schutzzweck nicht mehr erfüllt.

337

§ 67 Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

Beispiele für Nr. 1: Verkehrszeichen, die Warn- und Verbotsfunktionen haben (dazu H Ä N D E L DAR 1975 S. 59); Warntafeln an Berghängen, Gewässern, Hochspannungsleitungen o. ä. Beispiele für Nr. 2: Brückengeländer; Schwimmwesten; Rettungsringe.

d) Der Tatbestand erfordert absichtliches oder wissentliches Handeln, bedingter Vorsatz genügt nicht. 3. Konkurrenzen a) Fallen Tathandlungen nach Nr. 1 und 2 zusammen, so liegt die Verwirklichung mehrerer Alternativen desselben Delikts vor. b) Abs. 2 ist subsidiär gegenüber §§303,304, auch wenn der Strafantrag nach § 303 Abs. 3 nicht gestellt wird: „mit Strafe bedroht ist", § 145 Abs. 2. So auch:

HERDEGENLK,

§ 145 Rdn. 13. - A. A.:

STREEJR

1979 S. 253.

III. Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138, 139 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur a) Abweichend von der hier vertretenen Auffassung - mitmenschliche Solidarität - werden zum einen die durch die anzeigepflichtigen Straftaten bedrohten Rechtsgüter als geschützt angesehen, zum anderen diese Güter und die Rechtspflege. Vgl. einerseits: LACKNER StGB, § 1 3 8 Anm. 1; RUDOLPHI SK, § 1 3 8 Rdn. 2 ; Bockelmann-Festschrift, S. 6 8 8 . - Andererseits: D R E H E R / T R Ö N D L E

SCHMIDHAUSER

§ 1 3 8 R d n . 1; K J R E Y B . T . I , S .

185.

b) Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt. 2. Die Regelung des §138 im einzelnen a) Abs. 1: Nur die hier genannten Straftaten - mit Ausnahme des § 311 b Verbrechen - sind anzeigepflichtig. - Glaubhaft erfahren hat der Täter von der Tat, wenn diese ernsdich geplant oder schon ausgeführt wird und er selbst mit ihrer Verübung rechnet. - Rechtzeitig ist die Anzeige an die Behörde oder den Bedrohten, wenn der Erfolg der Tat bzw. die Ausführung der Tat noch abgewendet werden kann. - Abs. 1 setzt für das Unterlassen der Anzeige Vorsatz voraus. b) Gemäß Abs. 2 wird die Strafbarkeit auf „das Vorhaben oder die Ausführung einer Straftat nach § 129 a" ausgedehnt. - Hier ist die Benachrichtigung der Behörde erforderlich. - Die Tat erfordert Vorsatz. c) Gemäß § 138 Abs. 3 wird auch das leichtfertige Unterlassen der Anzeige bestraft.

338

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

3. Entfallen der Anzeigepflicht a) Nicht anzeigepflichtig ist der untaugliche Versuch einer der genannten Straftaten, da dieser keine Notsituation begründen kann. b) Der von der Tat Bedrohte ist nur anzeigepflichtig, wenn sich die Tat auch noch gegen andere Personen richtet. Ist er allein Tatopfer, so verletzt er nicht das Vertrauen in die mitmenschliche Solidarität, wenn er keine Hilfe in Anspruch nimmt. c) Nicht anzeigepflichtig sind die an der geplanten Tat als Täter oder Teilnehmer Beteiligten. Der Tat verdächtige Personen können nicht bestraft werden, da der Grundsatz in dubio pro reo sowohl einer Bestrafung aus der anzeigepflichtigen Tat als auch der Annahme der Anzeigepflicht entgegensteht. - Eine Wahlfeststellung ist ausgeschlossen, da die Taten wegen der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter im Unrechtskern nicht vergleichbar sind. So im Ergebnis auch: BGH bei Holtz, M D R 1979 S. 635 f. - Soweit das geschützte Rechtsgut des § 138 in den durch die anzeigepflichtigen Taten bedrohten Rechtsgütern gesehen wird, steht einer Anwendung des § 138 in diesen Fällen kein Hindernis entgegen (normatives Stufenverhältnis); dazu im einzelnen: ScHMiDHÄusERBockelmann-Festschrift, S. 694 ff. Steht fest, daß jemand an einer straflosen Vorbereitungshandlung einer anzeigepflichtigen Tat beteiligt und eine weitere strafbare Beteiligung nicht geplant war, so hindert das seine Anzeigepflicht nicht. Vgl. auch: SCHMIDHAUSER Bockelmann-Festschrift, S . 6 8 3 ff. - A. A.: BGH N S t Z 1982 S . 2 4 4 ; DREHER/TRONDLE § 1 3 8 R d n .

Rdn.

1 2 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER §

138

20.

4. Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten, § 139 a) Ist die anzeigepflichtige Tat weder begangen noch versucht worden, so hat das Gericht die Möglichkeit, von Strafe bei dem Anzeigepflichtigen abzusehen, § 139 Abs. 1. Ist die Tat versucht worden, aber wegen Rücktritts des Täters für diesen straffrei, so findet § 139 Abs. 1 auf den Anzeigepflichtigen keine Anwendung.

b) Die Pflicht zur Anzeige entfällt nach § 139 Abs. 2 für Geistliche in bezug auf Mitteilungen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden sind. § 139 Abs. 2 enthält den vom Gesetzgeber geregelten Fall einer rechtfertigenden Pflichtenkollision und ist daher als Rechtfertigungsgrund anzusehen. So auch: D R E H E R / T R Ö N D L E § 139 Rdn. 4; H A N A C K L K , § 139 Rdn. 13; LACKNER StGB, § 139 Anm. 2; MAURACH/SCHROEDER B . T . I I , § 96 I I I b; R U D O L P H I SK, § 139 Rdn. 3. Für Tatbestandsausschluß: B L O Y Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1 9 7 6 , S. 1 3 5 Fn. 1 ; KJELWEIN GA 1 9 5 5 S . 2 3 1 ; K R E Y B . T . I , S . 1 8 7 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 1 3 9 R d n .

2.

339

§ 68 Zur Wiederholung

c) Straffrei bleiben nach § 139 Abs. 3 S. 1 Angehörige des oder der Täter, wenn sie sich ernsthaft bemüht haben, den oder die Täter von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn, die geplante Tat ist: 1. ein Mord oder Totschlag, 2. ein Völkermord in den Fällen des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 oder 3. ein erpresserischer Menschenraub, § 239 a Abs. 1, eine Geiselnahme, § 239 b Abs. 1, oder ein Angriff auf den Luftverkehr, § 316 c Abs. 1, durch eine terroristische Vereinigung, § 129 a. § 139 Abs. 3 S. 1 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. S o a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 1 3 9 R d n . 6 ; LACKNER S t G B , § 1 3 9 A n m . 3 ; MAURACH/ SCHROEDER B . T . I I , § 9 6 I I I C.

F ü r E n t s c h u l d i g u n g s g r u n d z. B . : GEILEN J u S 1 9 6 5 S. 4 3 1 f ; KREY B . T . I, S. 1 8 7 ; RUDOLPHI S K , § 1 3 9 R d n . 6 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 1 3 9 R d n .

4.

d) Unter den gleichen Voraussetzungen entfällt nach § 139 Abs. 3 S. 2 die Anzeigepflicht für Rechtsanwälte, Verteidiger und Ärzte, soweit ihnen die Kenntnis von dem Verbrechen in ihrer Berufseigenschaft anvertraut worden ist. § 139 Abs. 3 S. 2 enthält einen Rechtfertigungsgrund; vgl. die entsprechende Problematik oben b).

e) Pflichtwidrig handelt gemäß § 139 Abs. 4 S. 1 derjenige nicht, der die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet. Auch wenn das Gesetz nur die Straffreiheit des Täters feststellt, liegt hier ein Ausschluß des Tatbestandes vor, da der Täter seiner mitmenschlichen Pflicht nachgekommen ist. So auch im Ergebnis :BLOY Die dogmatische Bedeutung, S. 135 ff; RUDOLPHI SK, § 139 Rdn. 16; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 139 Rdn. 6. - A . A . : Persönlicher Strafa u f h e b u n g s g r u n d : HANACK L K , § 1 3 9 R d n . 3 7 ; LACKNER S t G B , § 139 A n m . 3.

f) Straffrei bleibt schließlich gemäß § 139 Abs, 4 S. 2 der Anzeigepflichtige, der sich ernsthaft bemüht hat, den Erfolg abzuwenden, wenn die Ausführung der Tat oder der Erfolg ohne sein Zutun unterbleiben. § 139 Abs. 4 S. 2 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.

§ 68: Zur Wiederholung 1. Durch welche Delikte wird der äußere Frieden als überstaatliches Rechtsgut geschützt? - Dazu § 62. 2. Kann sog. passive Gewalt, z. B. ein Sitzstreik, eine „Gewalttätigkeit" i. S. des § 125 sein? - Dazu § 63 I 1 b. 3. Wann ist die öffentliche Sicherheit i. S. des § 125 gefährdet? - Dazu § 6 3 1 1 d. 4. Setzt § 140 voraus, daß der Täter der belohnten oder gebilligten Tat schuldhaft gehandelt hat? - Dazu § 63 IV 1, 2 c. 5. Was ist das „Berichterstatterprivileg" ? - Dazu § 63 V 2 d, aa.

340

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

6. Wie sind die sog. Delikte gegen das Pietätsempfinden genauer zu bezeichnen ? - Dazu § 64, 1. 7. Wie wird Wegnahme i. S. des § 168 definiert? - Dazu § 64, 5 a, bb. 8. Welches Rechtsgut schützt § 173? - Dazu § 65 III 1. 9. In welchen Fällen ist § 173 anwendbar? a) A verkehrt mit der nichtehelichen Tochter seiner Frau geschlechtlich. b) A verkehrt mit seiner Stiefschwester geschlechtlich. c) A verkehrt mit der in der Ehe geborenen Tochter seiner Ehefrau, deren Ehelichkeit er nicht angefochten hat, geschlechtlich. - Dazu § 65 III 1. 10. Macht sich ein im Inland lebender Ausländer oder Deutscher, der sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht, nach § 170 b strafbar? - Nenne den entscheidenden Gesichtspunkt. - Dazu § 65 IV 2 a. 11. Welche Angriffsrichtungen sind innerhalb der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu unterscheiden? - Dazu § 66 I 2. 12. Was ist eine „sexuelle Handlung"? - Dazu § 66 II 1. 13. Kann der Schutzbefohlene i. S. des § 174 strafbar zum sexuellen Mißbrauch anstiften? - Dazu § 66 V 2 d, III 4 b. 14. Ist die mittelbare Täterschaft durch eine Frau bei homosexuellen Handlungen, § 175, möglich ? - Dazu § 66 V 3 b. 15. Wann ist ein öffendiches Ärgernis i. S. des § 183 erregt? - Dazu § 66 VI 2. 16. Was sind Delikte gegen die „mitmenschliche Solidarität"? - Dazu §67 vorl. 17. Ist die Selbstmordsituation ein Unglücksfall i. S. des § 323 c? - Dazu § 671 1 a, bb. 18. Begründet § 323 c eine Garantenstellung? - Dazu § 67 I 3. 19. Begründet § 138 auch eine Anzeigepflicht in bezug auf einen untauglichen Versuch des Mordes ? - Dazu § 67 III 3 a. 20. Ist ein Verteidiger, der von einem Mandanten erfahren hat, dieser werde a) einen Raub, b) einen Totschlag begehen, verpflichtet, Anzeige zu erstatten ? - Dazu § 67 III 4 d.

Vierter A b s c h n i t t Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- u n d Geldverkehrs

§ 69: R e c h t s g u t u n d S c h u t z r i c h t u n g d e r U r k u n d e n d e l i k t e 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Urkundendelikte ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Beweis Verkehrs mit Urkunden. 2. Die Schutzrichtung Der Gesetzgeber hat vier verschiedene Arten des Angriffs auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs in den Urkundendelikten verpönt: a) Den Angriff auf die Echtheit der Urkunde: §§ 267, 275, 277, 2. und 3. Alternative, 279 in Verbindung mit § 277. Relevant ist hier, ob der angegebene Aussteller auch der wirkliche ist. b) Den Angriff gegen die inhaltliche Wahrheit der Urkunde: §§ 271,272, 273,277,1. Alternative, 279 in Verbindung mit §§ 277, 278, 348 Abs. 1. Relevant ist hier, ob der Inhalt der Urkunde sachlich richtig ist. c) Den Angriff gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels: § 274 Abs. 1 Nr. 1. - Relevant ist hier der körperliche Fortbestand der Urkunde als Beweismittel. d) Den Angriff gegen die bestimmungsgemäße Verwendung des Beweismittels: § 281. Diese starke Differenzierung der strafbaren Angriffsweisen, die zugleich eine scharfe Begrenzung der jeweiligen Schutzbereiche zur Folge hat, begründet die grundsätzliche Problematik der Urkundendelikte, die letzdich auch im Streit um den „richtigen" Urkundenbegriff zum Vorschein k o m m t : Überall dort, wo der gewährte Schutz als unzureichend empfunden wird, liegt der Versuch nahe, durch Umdeutung der Schutzrichtung den Schutzbereich auszudehnen.

§ 70: A n g r i f f e g e g e n die E c h t h e i t d e r U r k u n d e I. U r k u n d e n f ä l s c h u n g , § 267 1. Der Begriff der Urkunde a) Strukturelemente des Urkundenbegriffs

342

Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

Der Urkundenbegriff muß drei Funktionen gerecht werden: aa) In der Urkunde ist eine menschliche Gedankenerklärung verkörpert (Perpetuierungsfunktion). bb) Der Gedankenerklärung kommt Rechtserheblichkeit zu (Beweisfunktion). cc) Die Urkunde muß erkennen lassen, wer für die Erklärung einzustehen hat (Garantiefunktion). b) Die verschiedenen Urkundenbegriffe Trotz einheitlicher Anerkennung der drei Funktionen werden für den Urkundenbegriff unterschiedliche Konsequenzen gezogen. aa) Die h. M. vertritt den weitesten Urkundenbegriff: Danach sind Urkunden verkörperte Gedankenerklärungen, die allgemein oder für Eingeweihte verständlich sind, die den Aussteller erkennen lassen und die zum Beweis einer rechtlich erheblichen Tatsache geeignet und bestimmt sind, gleichgültig, ob ihnen die Bestimmung bei der Ausstellung oder erst später gegeben worden ist. Dazu: RGSt 6 S. 290; 64 S. 249; BGH St 3 S. 84; 18 S. 70; ARZT in: Arzt/Weber, L H 4 , R d n . 3 4 5 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 6 7 R d n . 2 , 4 ; ESER IV, N r . 19 A 9 ; LACKNER

StGB, § 267 Anm. 2; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 267 Rdn. 2; WESSELS B.T.-l, § 18 I 2.

bb) Die Mindermeinung in der Lehre beschränkt den Urkundenbegriff auf Schriftstücke: Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche und zum Beweis geeignete und bestimmte Erklärung eines bestimmten Ausstellers verkörpert. D a z u : BINDING B . T . II 1, S. 170; MAURACH/SCHROEDER B . T . II, § 6 5 I I ; SAMSON

Urkunden und Beweiszeichen, 1968, S. 94 ff; DERS.JUS 1970 S. 372; SCHILLING Der strafrechtliche Schutz des Augenscheinsbeweises, 1965, S. 86; DERS. Reform der Urkundenverbrechen, 1971, S. 70ff; SCHMIDHAUSER B.T., 14/10; WELZEL Lb., § 59 II 1.

cc) Stärker noch begrenzt KIENAPFEL den Urkundenbegriff: Urkunden sind schriftlich verkörperte Erklärungen, die ihren Aussteller erkennbar machen. Dazu: KIENAPFEL Z S t W 82 ( 1 9 7 0 ) S. 367 ff; DERS. G A 1 9 7 0 S. 193; DERS. Maurach-

Festschrift, S. 431; DERS. J Z 1972 S. 396 f.

c) Stellungnahme aa) Die verkörperte Gedankenerklärung In der Urkunde muß die Kundgabe eines Gedankeninhalts mit einer körperlichen Sache fest verbunden sein. Die Beweiskraft der Urkunde beruht nämlich auf ihrem Inhalt, nicht auf einem bestimmten So-Sein des Objektes im Gegensatz zum So-Sein anderer Objekte. Die Urkunde ist selbst nur Mittel zu einer Beweisführung durch eine verkörperte Gedankenerklärung.

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

343

Ein rechtsverbindlicher Erklärungswille ist nicht erforderlich, es genügt, daß sich der Erklärende bewußt ist, daß er einen Gedanken entäußert und ihn körperlich fixiert. Dazu: PuppEjura 1979 S . 636; S A M S O N J A 1979 S. 529; T R Ö N D L E LK, § 267 Rdn. 14.

(1) Die Erklärung selbst muß optisch-visuell erkennbar sein. Aufzeichnungen auf Tonträgern sind daher keine Urkunden. So auch: GERSTENBERG N J W 1 9 5 6 S. 5 4 0 ; S C H Ö N K E / S C H R O D E R / C R A M E R § 2 6 7 Rdn. 6 ; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2 . Aufl. 1 9 8 0 , S. 2 8 4 und Nachtrag, 2 / 2 2 ; WESSELS B.T.-l, § 1 8 1 2 a. - A . A . z. B . : A R M I N K A U F M A N N Z S t W 7 1 ( 1 9 5 9 ) S. 4 1 6 .

(2) Bloße Augenscheinsobjekte - Blutflecke, Einschüsse, Fingerabdrücke - und technische Aufzeichnungen - Fahrtschreiberdiagramme die durch ihr So-Sein Beweis erbringen, sind keine Urkunden, da sie keine Gedankenerklärung verkörpern. Das gleiche gilt von Blanketten oder Formularen, die erst durch Ausfüllen eine bestimmte Gedankenerklärung erhalten. (3) Keine Urkunden sind sog. Kennzeichen, d. h. Zeichen, die lediglich der Unterscheidbarkeit, der Kennzeichnung, der Herkunfts- oder Eigentumsbezeichnung dienen. - Hingegen sollen sog. Beweiszeichen nach h.M. Urkundenqualität haben. Als b l o ß e K e n n z e i c h e n sollen anzusehen sein: Spielchips in einem Spielcasino (RGSt 55 S. 98); der Dienststempel in der D i e n s t h o s e als Eigentümerzeichen ( R G G A 77 S. 202); der Waldhammerschlag als Eigentumszeichen (RGSt 25 S. 244); Fabriknummer auf Industrieerzeugnissen ( R G G A 59 S. 352); Autogramm (RGSt 23 S. 214). Hingegen hat die Rechtsprechung als B e w e i s z e i c h e n angesehen: Färb-, Grenz-, Kerb-, Pfahl-, Pfand-, Präge- und Sperrzeichen, z. B. Merkzeichen auf Bierfilzen ( R G DStR 1919 S. 77); Eichstempel an der Waage (RGSt 56 S. 355); Waldhammerschlag, der Eigentumsübergang kennzeichnen sollte (RGSt 14 S. 180); Korkbrand (BGHSt 9 S. 238); Fahrgestell- und Motornummer und amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen (BGHSt 16 S. 94); Künstlerzeichen auf einem Bild (OLG Frankfurt N J W 1970 S. 673); Preisetiketten an einer Ware ( O L G Köln N J W 1979 S. 729 mit A n m . KIENAPFEL S. 730 f und L A M P E J R 1979 S. 214 f; OLG Düsseldorf N J W 1982 S. 2268).

Trotz jahrelanger Bemühungen ist der Rechtsprechung eine überzeugende Abgrenzung zwischen Kennzeichen und Beweiszeichen nicht gelungen: „für das Pygmäenvolk der Beweiszeichen, der Kennzeichen, der Identitäts- und Unterscheidungszeichen wurden Abscheidungskriterien, die im einzelnen Fall überzeugende Ergebnisse liefern, nicht gefunden . . T R Ö N D L E LK, § 267 Rdn. 69. Diese Abgrenzung kann auch nicht gelingen, denn in Wirklichkeit fehlt es den Beweiszeichen genau wie den Kennzeichen an einer in dem Zeichen selbst verkörperten Gedankenerklärung, durch die die Beweisführung ermöglicht wird. Die Beweisfüh-

344

Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

rung erfolgt vielmehr aufgrund der Tatsache, daß das Zeichen einem bestimmten Gegenstand eine andere Beschaffenheit verleiht, als einem Gegenstand mit einem anderen Zeichen. Damit wird aber offensichtlich, daß die h. M. sich mit der Anerkennung der Beweiszeichen als Urkunde zu ihren eigenen Prämissen in Widerspruch setzt. Prägnant und zutreffend hat das Reichsgericht dies zum Ausdruck gebracht:... „immer aber muß ein Gegenstand, wenn er als Urkunde angesehen werden soll, durch seinen gedanklichen Inhalt als Erklärung einer Person zum Beweis für rechtserhebliche Tatsachen in Betracht kommen. Sachen, die lediglich ihr Dasein und ihre sichtbaren Eigenschaften beweisen, sind keine Urkunden, sondern lediglich Augenscheinsgegenstände" (RGSt 55 S. 98). (4) Für das Erfordernis der verkörperten Gedankenerklärung folgt daraus: Der Erklärende kann sich einer Fremdsprache bedienen, Stenographie oder eine „Geheimschrift" benutzen, wenn und solange der Inhalt der Erklärung noch aus sich heraus oder mit den üblichen Mitteln der Aus-

legung einer Erklärung verständlich ist: Stets aber muß es sich um eine schrift-

liche Gedankenerklärung handeln. Bloße, in ihrer Bedeutung willkürlich, ohne jede Änderung ihrer Gestalt austauschbare Zeichen enthalten keine zum Urkundenbeweis fähige Gedankenerklärung. Es sind Zeichen, denen unter Eingeweihten eine bestimmte Bedeutung zukommt, die jederzeit ausgetauscht werden kann, ohne daß das Zeichen verändert wird. Das aber ist mit dem Erfordernis einer im Gegenstand verkörperten Gedankenerklärung nicht vereinbar. bb) Der Aussteller der Urkunde Die Urkunde muß von einem bestimmten Aussteller, ihrem „Urheber", herrühren. Die h. M. bringt dies in der Formulierung zum Ausdruck: „Aussteller ist der, von dem die Erklärung geistig herrührt, nicht, wer die Urkunde körperlich hergestellt hat" (sog. Geistigkeitstheorie). Diese Formel ist wegen ihrer Weite falsch, denn nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft wäre Aussteller einer unter Täuschung erschlichenen unterschriebenen Erklärung dann der Hintermann. Diese Konsequenz wäre jedoch falsch und kriminalpolitisch geradezu verwirrend: Auch wer unter Täuschung oder Drohung eine rechtserhebliche Erklärung unterschreibt, ist Aussteller der Urkunde, nicht aber der Hintermann, der das Geschehen als Tatherr beherrscht und von dem die Erklärung „geistig herrührt". D a z u i m e i n z e l n e n : F W f c J u r a 1979 S. 6 3 9 ; DIES . J R 1 9 8 1 S . 441; SAMSON J A 1979 S. 6 6 0 ; F.-CHR. SCHROEDER G A 1974 S. 2 3 0 ; DERS. J u S 1981 S. 417 ff.

Die anerkannte Bedeutung der sog. Geistigkeitstheorie liegt - entgegen ihrem scheinbar weiten Anspruch - ausschließlich darin, das Pro-

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

345

blem der Vertretung bei der Unterzeichnung einer Urkunde befriedigend zu lösen. Aussteller einer Urkunde ist nämlich nicht nur derjenige, der sie eigenhändig unterzeichnet hat, sondern auch derjenige, der sich bei der Unterzeichnung rechtswirksam vertreten ließ. Eine Vertretung bei der Unterzeichnung ist zulässig, wenn: (1) Der Vertreter (Unterschreibende) eine andere Person (Namensträger) vertreten will. (2) Der Namensträger vertreten werden will. (3) Die Vertretung rechtlich zulässig ist. Eingehend dazu: R. RHEINECK Fälschungsbegriff und Geistigkeitstheorie, 1979, S. 23 ff, 29, 60.

cc) Die Erkennbarkeit des Ausstellers Der Urkunde muß - sei es auch wiederum im Wege der Auslegung ihres Textes - der Aussteller entnehmbar sein als eine konkrete, zumindest aber konkretisierbare Person, von der die Erklärung herrührt. Aus der Urkunde erkennbar ist der Aussteller stets dann, wenn sie vom Aussteller unterzeichnet oder der Aussteller im Text der Urkunde benannt ist. Anonyme Gedankenerklärungen sind keine Urkunden. Das ist offensichtlich im Fall der offenen Anonymität. Hier will der Erklärende gerade den Zusammenhang mit seiner Person verbergen. Er will verheimlichen, daß er hinter der Erklärung steht, gleichgültig ob die Erklärung überhaupt nicht unterschrieben ist, einen Phantasienamen oder ähnliches enthält, z. B. Christoph Kolumbus. - Gleiches gilt für die versteckte Anonymität, d. h. wenn der Urheber trotz namentlicher Unterzeichnung nicht auf eine bestimmte Person als den Erklärenden hinweisen will, z. B. bei der Unterzeichnung mit einem Allerweltsnamen ohne jeden Zusatz. - Will der Urheber sich hingegen hinter dem Allerweltsnamen verbergen, dem Erklärungsadressaten gegenüber aber vortäuschen, daß eine ganz bestimmte Person diese Erklärung abgegeben habe, so liegt kein Fall einer Anonymität vor. Dazu: BGHSt 5 S. 151; SEIER J A 1979 S. 135; TRÖNDLE LK, § 267 Rdn. 42.

dd) Die Beweiseignung Das von der h. M. geforderte Merkmal der Beweiseignung der Urkunde ist für die Rechtspraxis bedeutungslos. Das Merkmal selbst ist letztlich konturen- und inhaltslos geblieben. Es ist überflüssig. Zutreffend hat bereits das Reichsgericht dargelegt, daß „unter den leblosen Gegenständen auf der Erde kein einziger existiert, der nicht u. U. beweisfähig (beweisgeeignet) für irgendeine Tatsache sein könnte" (RGSt 17 S. 105). Dazu: KIENAPFEL Urkunden im Strafrecht, 1967, S. 215 f, 311; TRÖNDLE LK, § 267 Rdn. 66.

346

Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

ee) Die Beweisbestimmung Überflüssig ist auch das Merkmal der Beweisbestimmung als selbständiges Element des Urkundenbegriffes. Da es nicht darauf ankommen soll, ob der Aussteller der Gedankenerklärung die Beweisbestimmung gibt oder ein Dritter, ist es zur Differenzierung zwischen Urkunden und bloßen Urkundenentwürfen o. ä. untauglich. Der Entwurf kann von einem Dritten durchaus zum Beweis bestimmt werden. In gleicher Weise untauglich ist dieses Merkmal zur Begründung der Gleichstellung von Absichtsurkunden (Urkunde erhält die Beweisbestimmung bei der Anfertigung durch den Aussteller) und Zufallsurkunden (Beweisbestimmung erfolgt erst später, sei es durch den Aussteller oder Dritte). Warum die Beweisbestimmung durch den Aussteller der durch einen Dritten gleichgestellt wird, ist dem Merkmal gerade nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, das Merkmal verdeckt, daß aufgrund der Beweisbestimmung ganz verschiedener Personen unterschiedliche Sachverhalte bedenkenlos gleich behandelt werden. Dazu:

PUPPE

Die Fälschung technischer Aufzeichnungen,

1972,

S.

125

f.

Relevanz kommt der Beweisbestimmung nur in einer Beziehung zu, nämlich insoweit, als das Merkmal daraufhinweist, daß die Urkunde für den Rechtsverkehr bestimmt ist. Dieses Element ist jedoch mit dem Erfordernis der Rechtserheblichkeit des Urkundeninhalts hinreichend erfaßt. ff) Die Rechtserheblichkeit der Erklärung Neben der Beweisbestimmung hat das Merkmal der Rechtserheblichkeit der Erklärung in der Praxis selten eigenständige Bedeutung erlangt. Überflüssig ist es dennoch nicht. Zum einen weist es auf die Einheitlichkeit des Urkundenbegriffs in § 267 und in § 271 hin, zum anderen ist es geeignet, jene Erklärungen aus dem Urkundenschutz herauszunehmen, denen zumindest jetzt keinerlei Rechtserheblichkeit mehr zukommt. d) Konsequenzen für den Urkundenbegriff Eine Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche Gedankenerklärung eines bestimmten Ausstellte verkörpert. 2. Besondere Formen strafrechtlich geschützter Urkunden a) Die Gesamturkunde Eine Gesamturkunde liegt vor, wenn mehrere einzelne Urkunden oder Schriftstücke zu einem einheitlichen Ganzen (Bogen, Buch, Akteneinheit) vereinigt werden derart, daß eine neue rechtserhebliche Erklärung entsteht, deren Inhalt (Aussage) über den der Einzelteile hinausgeht. - In

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

347

der Regel wird es der Inhalt der Gesamterklärung sein, daß die Einzelerklärungen erschöpfend über bestimmte Rechtsverhältnisse Auskunft geben. Beispiele: Handelsbücher (RGSt 69 S. 398); Posteinlieferungsbuch (RG LZ 1931 Sp. 259); Bierlieferungsbuch (RGSt 51S. 38); Melderegister bei Meldebehörden (BGH LM Nr. 19 zu § 267); Personalakte (NStZ 1981 S. 25 f)-

b) Die zusammengesetzte Urkunde Eine zusammengesetzte Urkunde liegt vor, wenn eine Urkunde mit einem Augenscheinsobjekt, auf das sich ihre Erklärung inhaldich bezieht, räumlich fest zu einer „Beweiseinheit" verbunden ist. Beispiele: Lichtbildausweis (BGHSt 17 S. 97); beglaubigte Abschriften und beglaubigte Fotokopien.

c) Durchschriften Mehrere Ausfertigungen derselben Urkunde, Durchschriften und Hektographien sind selbständige Urkunden. d) Abschriften und Fotokopien Abschriften und Fotokopien sind in der Regel keine Urkunden, weil der Aussteller der Urschrift für die Richtigkeit der Wiedergabe nicht einzustehen hat und auch keine andere Person als Aussteller erscheint. Allerdings soll nach der Rechtsprechung - vgl. BGHSt 5 S. 291, einschränkend BGHSt 20 S. 17 - die Vorlage der Kopie ein Gebrauchmachen von derfalschen Urkunde sein, von der die Kopie gefertigt wurde. Das soll selbst dann gelten, wenn die Vorlage der Kopie durch Aufeinanderkleben von Unterschrift und Text selbst niemals zur Täuschung geeignet wäre, weil jedermann sofort erkennen könnte, daß hier keine einheitliche Urkunde vorliegt, sondern eine Unterschrift auf einen bestimmten Text geklebt worden ist. Dazu: BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 197. Dagegen mit Recht :JESCHECK GA 1955 S. 105; D . MEYER M D R 1973 S. 9; PUPPE Jura 1979 S. 640.

Beim bloßen Aufeinanderlegen von Text und Unterschrift fehlt es allerdings an «'»ir verkörperten Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen läßt. Es fehlt daher an einem Original der Urkunde, von dem durch Benutzung der Fotokopie Gebrauch gemacht sein könnte. Hier lehnt auch die Rechtsprechung ein Gebrauchmachen beim Benutzen der Kopie ab; BGH bei Holtz, MDR 1976 S. 813.

3. Die unechte Urkunde Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von dem herrührt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht. Auf die inhaldiche Wahrheit oder Unwahrheit der Erklärung kommt es hingegen nicht an. Wer „schriftlich lügt", stellt keine unechte, sondern eine echte, aber unwahre Urkunde her.

348

Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

4. Die einzelnen Tathandlungen Der Tatbestand unterscheidet drei Alternativen: Das Herstellen einer unechten Urkunde (l. Alternative), das Verfälschen einer echten Urkunde (2. Alternative) und das Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde (3. Alternative). Diese Tathandlungen setzen jeweils voraus, daß der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt. a) Eine unechte Urkunde stellt her, wer den Anschein erweckt, daß sie von einer anderen Person als dem wirklichen Aussteller herrührt. aa) Nicht jeder Gebrauch eines fremden Namens macht eine Urkunde zu einer unechten. Nicht nur im Falle der erlaubten Stellvertretung, sondern auch bei der Verwendung eines Pseudonyms oder eines Falschnamens wird eine echte Urkunde hergestellt, wenn die Person des Ausstellers unzweifelhaft ist. Vgl.: RGSt 48 S. 238;

ESBR

IV, Nr. 19 A 36;

KMY

B.T.

I,

S. 208;

MAURACH/

SCHROEDER B . T . I I , § 6 5 I V 1. - A . A . : S A M S O N J u S 1 9 7 0 S . 3 7 4 ; D E R S . J A 1 9 7 9 S . 6 5 9 ; SEIER J A

1 9 7 9 S. 137.

bb) Hingegen kann die mit eigenem Namen unterschriebene Urkunde unecht sein, wenn jemand für eine Behörde, juristische Person oder Firma eine Erklärung abgibt, die den unzutreffenden Eindruck erwecken soll, es handle sich um eine Erklärung der Stelle selbst. Beispiele: Beifügen eines Behördenstempels (BGHSt 7 S. 149); Zeichnung für eine bestimmte Firma (BGHSt 17 S. Ii).

Keine unechte Urkunde wird hingegen bei der Unterzeichnung im eigenen Namen hergestellt, wenn eine andere Person gleichen Namens für den Aussteller gehalten werden soll. Hier liegt u. U. ein Betrug, nicht aber eine Urkundenfälschung vor. Beispiel: Der vermögenslose X unterzeichnet einen Wechsel in der Hoffnung, dieser Wechsel werde als Wechsel seines vermögenden Namensvetters angesehen. - Niemand käme auch nur auf die Idee, die Herstellung einer unechten Urkunde läge vor, wenn der im Beispielsfall genannte X nicht vermögenslos wäre, sondern genauso wohlhabend wie sein Namensvetter. A. A.: OLG Schleswig SchlHA 1973 S. 184; K R E Y B . T . I , S. 208; LACKNER StGB, § 267 Anm. 3 b; MAURACH/SCHROEDER B . T . II, § 65 IV 1 a. - Anders natürlich, wenn der Namenszug des Namensvetters nachgeahmt wird, denn hier kommt in der Urkunde die Identitätstäuschung zum Ausdruck.

cc) Eine unechte Urkunde stellt auch her, wer unzulässigerweise mit fremdem Namen unterzeichnet. So z. B., wenn ein Testament mit dem Namen des Erblassers von einem Dritten unterzeichnet wird oder jemand unter dem Namen eines anderen eine höchstpersönliche Prüfungsleistung erbringt.

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

349

Wer hingegen eine schriftliche Gedankenerklärung zu seiner eigenen macht und damit zum Ausdruck bringt, daß er sich zu ihr bekennt und sich an sie gebunden fühlt, stellt keine unechte Urkunde her, selbst wenn die Verwendung der fremden Gedankenerklärung verboten ist. So z.B., wenn jemand eine fremde Prüfungsleistung als eigene ausgibt (BayObLG NJW 1981 S. 773 mit Anm. F.-CHR. SCHROEDER JuS 1981 S. 418) oder ein von einem anderen geschriebenes Testament als eigenes unterschreibt (a. A.: OLG Düsseldorf N J W 1966 S. 749 mit A n m . MOHRBOTTER S. 1 4 2 1 u n d OHR J u S 1 9 6 7 S . 2 5 5 ) .

b) Verfälscht ist eine Urkunde, wenn sie durch eine unbefugte, nachträgliche Änderung etwas anderes aussagt, als der Aussteller erklärt hat. BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 23: Sachlich handelt es sich hier um die Vernichtung einer echten Urkunde und um das Herstellen einer neuen, unechten Urkunde, so daß Verfälschen statt Vernichtung und Herstellung dann vorliegt, wenn nach der Tat eine Urkunde desselben Ausstellers wie zuvor, jedoch mit anderem Inhalt, gegeben ist. Eine selbständige Bedeutung soll das Verfälschen hingegen haben, wenn der Aussteller selbst handelt. Durch Änderung des Urkundeninhalts soll nämlich der Aussteller seine Urkunde verfälschen, wenn er keine alleinige Verfügungsgewalt über die Urkunde mehr hat. Beispiel: In einem Strafverfahren wegen Betruges gegen X ist ein Brief des X an Y Beweismittel. Da X in diesem Brief von Y DM 10000,- fordert, obwohl er in Wirklichkeit nur eine Forderung von DM 1000,- hat, streicht X eine Null weg, als er Einsicht in die Strafverfahrensakte erlangt. Ergebnis nach h. M.: Urkundenfälschung des X. - In Wirklichkeit wird hier die Angriffsweise im Rahmen des § 267 verändert. Aus dem Delikt gegen die Echtheit der Urkunde wird ein Delikt gegen die ursprüngliche Wahrheit der Urkunde. S o a u c h : ARMIN KAUFMANN Z S t W 7 1 ( 1 9 5 9 ) S . 4 1 1 ; LAMPE G A 1 9 6 4 S. 3 2 7 f f ; MAIWALD Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S. 9 5 8 ; PUPPE J R 1 9 7 8 S. 2 0 6 f f ; DIES. J u r a 1 9 7 9 S . 6 3 9 ; SAMSON J A 1979 S. 6 6 1 ; SCHILLING R e f o r m , S. 16 f f ; SCHONKE/SCHRÖDER/CRAMER § 2 6 7

Rdn. 68. -A.A.:

BGHSt 13 S. 382 f; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 715; LACKNER

S t G B , § 2 6 7 A n m . 4 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I I , § 6 5 I V 2 ; PAEFFGENJURA 1 9 8 0 S. 7 8 4 ; TRÖNDLE L K , § 2 6 7 R d n . 120, 153 ff.

Die Überlegung von SAX Peters-Festschrift, S. 148 ff, hier müsse die Person des Ausstellers unterschieden werden in den Aussteller im Zeitpunkt X und den Aussteller im Zeitpunkt Y, die zwar dieselbe Person, aber aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr miteinanderidentisch seien, überbrückt die konstruktiven Mängel nur mühsam. Maßgeblich könnte dann nur der Zeitablauf sein, nicht aber die Frage, ob ein Dritter schon ein Interesse daran hat, daß die Urkunde unversehrt bleibt. Dann wäre aber jede spätere Änderung einer einmal hergestellten Urkunde bereits eine Urkundenfälschung. - Ein wenig überzeugendes Ergebnis. c ) Gebraucht ist die unechte oder verfälschte Urkunde, wenn sie der Wahrnehmung des zu Täuschenden so zugänglich gemacht ist, daß die Möglichkeit der Kenntnisnahme ohne weiteres besteht.

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Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

Zum Gebrauchmachen von der Urkunde durch Vorlage einer Fotokopie vgl. oben 2 d.

5. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß neben der Tathandlung (Herstellen, Verfälschen, Gebrauchmachen) die Merkmale umfassen, die die Urkundeneigenschaft begründen. b) Zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt, wer einen anderen über die Echtheit der Urkunde täuschen und dadurch zu einem rechtlich erheblichen Verhalten veranlassen will. Beispiele: Absicht der Täuschung im Rechtsverkehr ist gegeben, wenn die Urkunde im Prozeß als Beweismittel dienen soll, wenn die Polizei irregeführt oder aufgrund der Urkunde ein Kredit erschlichen werden soll. - Auch wenn der Beweis über ein wirklich bestehendes Rechtsverhältnis mit einer verfälschten Urkunde erbracht wird, so ändert dies nichts daran, daß von einer verfälschten Urkunde Gebrauch gemacht wird (dazu: OLG Köln MDR 1981 S. 71; D. MEYER MDR 1977 S. 444 ff; WEBERJura 1982 S. 66 ff). - Nicht hingegen, wenn jemand nur vor anderen angeben oder aus Eitelkeit über sein Alter täuschen will.

Des rechtserheblichen Verhaltens des anderen muß sich der Täter bewußt sein (direkter Vorsatz), es braucht ihm nicht darauf anzukommen. S o a u c h : CRAMERJZ 1968 S. 30; LACKNER S t G B , § 2 6 7 A n m . 7; LENCKNER N J W

1967 S. 1890; TRÖNDLE LK, § 267 Rdn. 198 ff. - A. A.: BayObLG N J W 1967 S. 1476.

6. Das Verhältnis der einzelnen Alternativen zueinander a) Hat der Täter von Anfang an die Absicht, die gefälschte oder verfälschte Urkunde in bestimmter Weise zu gebrauchen, so bilden Fälschung oder Verfälschung und Gebrauch eine natürliche Handlungseinheit. Mit dem Gebrauchmachen wird das Delikt materiell beendet. Es liegt nur eine Tat vor. Das gilt auch, wenn der Täter von Anfang an die Urkunde mehrfach gebrauchen will. - Entspricht der spätere Gebrauch hingegen nicht dem früheren Plan oder faßt der Täter nach einem Gebrauch einen erneuten Entschluß, weiter von der Urkunde Gebrauch zu machen, so liegen zwei selbständige Handlungen vor. Vgl.: B G H S t 5 S. 2 9 3 ; MIEHE G A 1967 S. 2 7 5 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 2 6 7 R d n . 7 9 ; TRÖNDLE L K , § 2 6 7 R d n . 211.

b) Im Gegensatz zu dieser Auffassung will der BGH bei der Verwirklichung der verschiedenen Formen des §267 eine fortgesetzte Tat annehmen, soweit der Täter mit Gesamtvorsatz handelt. - Dem kann nicht gefolgt werden, da die verschiedenen Tathandlungen des § 267 nicht als gleichartige Deliktsbegehungsweisen i. S. einer fortgesetzten Tat angesehen werden können.

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

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Im einzelnen dazu: HÄUSSLINGJZ 1963 S . 6 9 f ; M I E H E G A 1967 S.270ff;TRONDLE LK, § 267 Rdn. 212.

II. Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, § 275 1. Als strafbare Vorbereitungshandlungen zur Urkundenfälschung nach § 267 stellt § 275 bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Fälschung amtlicher Ausweise selbständig unter Strafe. Als amtliche Ausweise kommen Pässe, Personal-, Dienst- und Studentenausweise, Führerscheine o. ä. in Betracht. - Diese Ausweise schützt § 275 gegen die Vorbereitung ihrer Fälschung, während die Fälschung selbst unter § 267 fällt.

2. Tätige Reue führt zur Straffreiheit gemäß § 275 Abs. 2 in Verb, mit § 149 Abs. 2, 3. 3. Das vollendete Urkundendelikt gemäß § 261 konsumiert die Vorbereitungshandlung nach § 275.

III. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 1. Die Verfäbchung von Gesundheitszeugnissen § 277 unterscheidet drei Alternativen: Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus, wobei er sich unbefugt als Medizinalperson ausgibt (l. Alternative; dazu unten § 71IV). - Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus und handelt hierbei unter fremdem Namen als Medizinalperson (2. Alternative). - Der Täter verfälscht das echte Gesundheitszeugnis einer Medizinalperson (3. Alternative). Die 2. und 3. Alternative des § 277 sind Spezialfälle der 1. und 2. Alternative des § 267. Sie gehen diesen jeweils als lex speciales vor. - Da es sich um Fälle des Angriffs gegen die Echtheit, nicht die Wahrheit der Urkunde handelt, kommt es nicht darauf an, ob das Zeugnis inhaltlich wahr ist oder nicht. a) Gesundheitszeugnisse sind Erklärungen über den (jetzigen, früheren oder künftigen) Gesundheitszustand einer Person. b) Die approbierten Medizinalpersonen entsprechen dem von § 203 Abs. 1 Nr. 1 erfaßten Kreis der Heilpersonen. Beispiele: Hebammen; Krankenschwestern; Krankenpfleger; medizinischtechnische Assistenten; Krankengymnasten u. ä.

c) Die Tat ist zweiaktiges Delikt. Sie ist erst mit dem Gebrauch der Urkunde vollendet.

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Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

2. Der Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 219 in Verb, mit § 211 Die Tat setzt ein im Sinne des § 277 objektiv falsches Gesundheitszeugnis voraus, bei dem überdies die Diagnose falsch sein muß, denn nur dann kann über den Gesundheitszustand getäuscht werden. a) Es ist nicht vorausgesetzt, daß der Täter, der das Zeugnis ausgestellt hat, zur Täuschung i. S. des § 277 gehandelt hat. b) § 277 konsumiert § 279-

§ 71: Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 1. Schutzbereich und Täterkreis a) Die Vorschrift stellt die Herstellung bestimmter echter, aber inhaltlich unrichtiger Urkunden unter Strafe. b) Die Tat ist echtes Amtsdelikt. - Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2 - sein, die nach Bundes- und Landesrecht zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt sind. Maßgeblich ist hier die sachliche, nicht auch die örtliche Zuständigkeit, da der öffentliche Glaube an die sachliche Zuständigkeit anknüpft, während die örtliche Zuständigkeit für denjenigen, der die Urkunde zur Kenntnis nimmt, kaum durchschaubar ist. S o a u c h : ARZT i n : A r z t / W e b e r , L H 4, Rdn.454;MAURACH/ScHROEDERB.T. II, § 6 6 I 2 a. - A . A . : B G H S t 12 S. 8 6 ; DRBHER/TRONDLE § 348 R d n . 2; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ CRAMER § 3 4 8 R d n . 5.

Soweit zuständige Amtsträger bei der Erstellung der Urkunde zusammenwirken, können sie Mittäter sein, während eine Haftung Außenstehender nur als Anstifter oder Gehilfe in Betracht kommt; zu beachten § 28 Abs. 1. Mittelbare Täterschaft bei § 348 ist möglich, wenn der beurkundende Amtsträger gutgläubig und der Täter selbst Amtsträger ist, der die Beurkundung selbst vornehmen könnte. S o a u c h : LACKNER S t G B , § 271 A n m . 2; TRÖNDLE L K , § 3 4 8 R d n . 3.

2. Der Begriff der öffentlichen Urkunde Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen (§ 415 Abs. 1 ZPO) und die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen. - Öffentliche Bücher oder Register sind dementsprechend Bücher oder Register, die öffentlichen Glauben haben, d. h. Beweis für und gegen jedermann begründen.

§ 71 Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde

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Der Beweis für und gegen jedermann beruht auf der Tatsache, daß die zuständige Behörde oder die mit öffentlichem Glauben versehene Person zur Prüfung und beweiskräftigen Beurkundung bestimmter Tatsachen berufen ist. Die Beweiskraft erstreckt sich allein auf die beurkundete Tatsache. Die Reichweite der Beweiskraft ist durch Auslegung zu ermitteln, die beurkundete Tatsache muß sich jedoch aus der Urkunde ergeben und nicht erst aus gedanklichen Schlußfolgerungen. - Bei öffentlichen Urkunden, die eine Verfügung, Anordnung oder Entscheidung enthalten, ist besonders darauf zu achten, ob die Voraussetzungen des Verwaltungsaktes beurkundet sind, oder nur der Akt selbst. So soll der Tauglichkeitsstempel des Fleischbeschauers Beweis für die Untersuchung des Viehs und ihr Ergebnis, die Aufenthaltserlaubnis eines Ausländers nur Beweis über die Erteilung der Erlaubnis, nicht aber für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen erbringen. Dazu: OLG Karlsruhe Die Justiz 1967 S. 152; OLG Köln J R 1979 S. 255 mit A n m . PUPPE S . 2 5 6 f f .

Weitere Beispiele für öffentliche Urkunden und ihre Beweiskraft: Eintragung der nächsten Hauptuntersuchung eines Kraftfahrzeugs im Kraftfahrzeugschein: Beweis für Zeitpunkt dieser Untersuchung (BGHSt 26 S. Ii). - Kraftfahrzeugschein: Beweis für die Zulassung eines bestimmten Kraftfahrzeugs mit dem entsprechenden Kennzeichen (OLG Hamburg NJW1966 S. 1827). - Eintragungen im Sparbuch einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse: Beweis für Ein- und Auszahlungen (BGHSt 19 S. 19). - Erbschein: Beweis der Erbfolge (BGHSt 19 S. 87). - Gefangenenbuch: Beweis der Identität (BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 283). Beispiele für öffentliche Bücher oder Register: Annahmebücher der Post über Wertsendungen (RGSt 67 S. 27l). - Grundbuch. - Amtliche Wiegebücher (BGH bei Daliinger, MDR 1958 S. 140). - Tagebuch des amtlich bestellten Fleischbeschauers (RGSt 40 S. 341). Für den inneren dienstlichen Verkehr angefertigte Vermerke werden von einer derartigen Beweiskraft nicht erfaßt, BGHSt 7 S. 94.

3. Die Tathandlung Falsch beurkundet ist eine Tatsache, wenn das Beurkundete mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. 4. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz - bedingter genügt - muß die Unrichtigkeit der Erklärung und die Merkmale umfassen, die die Eigenschaft der öffentlichen Urkunde begründen. 5. Die Vollendung des Delikts Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das Delikt vollendet, wenn der Amtsträger die Beurkundung oder Eintragung bewirkt hat. Da aber nicht

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Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

der Urkundenbestand als solcher geschützt ist, sondern der Beweisverkehr mit öffentlichen Urkunden, muß der Tatbestand restriktiv dahin interpretiert werden, daß die Vollendung des Delikts nur dann eintritt, wenn der Täter im Bewußtsein handelt, daß die Urkunde in den Beweisverkehr gelangt oder gelangen soll. Dieses „Entäußerungselement" kommt in § 267 im Merkmal „zur Täuschung" und in § 278 im Merkmal „zum Gebrauch bei einer B e h ö r d e . . z u m Ausdruck. Auch wenn § 348 eine derartige Einschränkung im objektiven bzw. subjektiven Tatbestand nicht enthält, so erscheint es aufgrund der Gleichartigkeit der Problemlage sachgerecht, auch hier den Tatbestand noch nicht als erfüllt anzusehen, wenn der Täter ein Werk anfertigt, das nach seiner Vorstellung den Beweisverkehr niemals gefährden soll. So auch: Eser IV, Nr. 20 A 52. - Noch weiter: BGH NJW1952 S. 1064; Lackner StGB, § 348 Anm. 3 d; RohmelJA 1978 S. 199; Tröndle LK, § 348 Rdn. 20.

II. Mittelbare Falschbeurkundung, §§ 271, 272

1. Die Bedeutung des § 271 § 271 ist als Ergänzung des § 348 zu verstehen. Da der Täter des § 348 ein Amtsträger sein muß, ist eine mittelbare Täterschaft durch einen NichtAmtsträger bei der Verwirklichung des § 348 nicht möglich. Diese Lücke schließt der § 271.

2. Der Schutzbereich des §271 Bewirken i. S. des § 271 ist jedes Verursachen einer unwahren Beurkundung, das nicht als Anstiftung oder mittelbare Täterschaft zur Falschbeurkundung im Amt, § 348, erfaßbar ist. Damit werden folgende Fälle von § 271 erfaßt: a) Der Täter bewirkt, daß ein zuständiger gutgläubiger Amtsträger etwas Unwahres zu öffentlichem Glauben beurkundet. BGHSt 8 S. 293: A erreicht durch Täuschung, daß der Notar N eine inhaltlich unrichtige Beurkundung vornimmt. Ergebnis: A: § 271.

b) Der Täter hält den Amtsträger irrigfür gutgläubig. - Eine Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt, §§ 348, 26, entfällt hier, weil der Täter den Amtsträger nicht zu einer vorsätzlichen Tat bestimmen will. Beispiel: A will durch Täuschung erreichen, daß der Notar N gutgläubig etwas Unrichtiges beurkundet. N durchschaut den A jedoch. Gleichwohl fertigt er die Urkunde, weil er dadurch dem X schaden will. Ergebnis: N : § 348; A: § 271.

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§ 71 Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde

A hat den in § 271 pönalisierten Erfolg erreicht. Daß er über die Art des Bewirkens irrte, ist eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs, da der Gesetzgeber die verschiedenen Weisen des Bewirkens gleich bewertet. S o a u c h ESER IV, N r . 2 0 A 4 0 ; K S I Y B . T . I, S. 2 1 9 ; SCHONKE/SCHRÖDER/CRAMER § 2 7 1 R d n . 3 0 ; TRONDLE L K , § 2 7 1 R d n . 61. - A . A . : BOCKELMANN B . T . 3, § 14 I I 4 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . II, § 6 6 I 4 c ; SAMSON S K , § 2 7 1 R d n . 2 1 : n u r V e r s u c h .

c) Der Täter hält den Amtsträger irrig für bösgläubig. - Hier läge ohne die Regelung des § 271 nur eine straflose erfolglose Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt vor, weil es entgegen der Vorstellung des Täters nicht zur Haupttat kommt. Beispiel: A bittet den Notar N , eine inhaltlich unrichtige Urkunde herzustellen. Er geht jedoch davon aus, daß N gemerkt hat, daß die Urkunde inhaltlich unwahr sein wird. - N hat dies jedoch nicht erfaßt. Er geht davon aus, daß die Urkunde inhaltlich wahr ist. Ergebnis: A: § 271. D a z u : ESER IV, N r . 2 0 A 4 1 ; HRUSCHKA J Z 1 9 6 7 S. 2 1 2 ; KREY B . T . I, S. 2 1 9 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . II, § 6 6 1 4 c ; TRÖNDLE L K , § 2 7 1 R d n . 61. - A.A.:

SAMSON

SK, § 271 Rdn. 21; SCHÖNKE/SCHRODER/CRAMER § 271 Rdn. 30: Straflosigkeit.

3. Der Bezug der Beweiskraft Es genügt nicht, daß irgendwelche Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen unrichtig beurkundet werden, es muß sich vielmehr um Angaben handeln, auf die sich die erhöhte Beweiskraft erstreckt. Beispiele: Vgl. oben I 2.

4. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz - bedingter genügt - m u ß insbesondere die inhaltliche Unrichtigkeit und die Rechtserheblichkeit der Erklärung umfassen. 5. Schwere mittelbare Falschbeurkundung, § 212 § 272 ist ein Qualifikationstatbestand gegenüber § 271, und zwar tritt eine Strafschärfung ein, wenn der Täter die Tat des § 271 in der Absicht begeht, sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem anderen Schaden zuzufügen. a) Absicht ist hier der auf den Erfolg zielgerichtete Wille. Es genügt aber, daß es dem Täter auf den Erfolg ankommt, weil dieser ein Mittel zur Erzielung eines weiteren Erfolges ist. b) Der Vermögensvorteil m u ß - entgegen dem Gesetzeswortlaut - ein rechtswidriger i. S. der Vermögensdelikte - dazu oben § 40 II 4 - sein, denn nur die auf eine weitere rechtswidrige Tat gerichtete Absicht erklärt die schärfere Strafe sinnvoll.

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Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

S o a u c h : BINDING B . T . II 1, S. 2 6 4 ; FRANK S t G B , § 2 7 2 A n m . I 1; SCHÖNKE/

SCHRÖDER/CRAMIR § 272 Rdn. 3. - A. A. h. M. vgl. z. B.: RGSt 52 S. 93; OLG Hamm N J W 1956 S. 6 0 2 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 7 2 R d n . 3; LACKNER S t G B , § 2 7 2 A n m . 1; MAURACH/SCHROEDER B . T . II, § 6 6 I 4 d ; TRÖNDLE L K , § 2 7 2 R d n . 9.

c) Schaden ist nach h. M. jeder Nachteil, nicht nur ein Vermögensnachteil. Es soll genügen, daß jemand Spott, eine Ehrkränkung oder Nachteile durch die Einleitung eines Strafverfahrens erfährt. - Diese weite Ausdehnung des Tatbestandes erscheint kriminalpolitisch keineswegs angebracht. Es muß sich zumindest um einen erheblichen Nachteil i. S. einer bedeutsamen Rechtsgutsverletzung handeln, so daß bloßer Spott nicht genügt. Dazu auch: BINDING B.T. II 1, S. 267 Fn. 1.

Auch hier soll es auf die Rechtswidrigkeit des Schadens nach h. M. nicht ankommen; dazu vgl. die entsprechenden Ausfuhrungen unter b). III. Gebrauch falscher Beurkundungen, § 273 1. Gemäß § 273 wird der Gebrauch einer unwahren öffentlichen Urkunde in Täuschungsabsicht unter Strafe gestellt, und zwar entsprechend § 271 und § 272. a) Der Gesetzeswortlaut - „Beurkundung der in § 271 bezeichneten Art" - ist zu eng geraten. Der Gesetzgeber meinte nicht den Entstehungsakt, sondern das Ergebnis. Ob der Herstellungsakt nach § 271 bestraft worden ist oder werden kann, ist demgegenüber irrelevant. Die Beurkundung kann daher schuldlos durch den Gebrauchenden bewirkt worden, aber auch ohne Zutun eines anderen durch Irrtum des Amtsträgers entstanden sein. Schließlich genügt es, daß die Urkunde durch den Amtsträger unter Verletzung des § 348 hergestellt worden ist. Dazu m. w. N . : TRONDLE LK, § 273 Rdn. 2.

b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 2. Der Gebrauch der Urkunde durch den nach §§ 271, 272 oder § 348 strafbaren Täter steht zu der vorangegangenen Falschbeurkundung im selben Konkurrenzverhältnis wie das Fälschen und Gebrauchmachen bei der Urkundenfälschung; dazu vgl. oben § 70 I 4. IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 1. Die 1. Alternative des § 277: unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand ausstellt

§ 72 Angriffe gegen Beweismittel

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und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht", enthält einen Fall der schriftlichen Lüge über den Beruf des Täters. - Zu den Einzelheiten des Tatbestandes vgl. oben § 70 III 1. 2. Zum Gebrauch des unrichtigen Gesundheitszeugnisses vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 70 III 2.

V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278 1. Einzelheiten des Tatbestandes a) § 278 erfaßt die schriftliche Lüge eines Arztes oder einer anderen approbierten Medizinalperson - dazu oben § 70 III 1 b - über den Gesundheitszustand eines anderen. Einem Gesundheitszeugnis kommt besonderer Beweiswert zu, weil die angegebene Diagnose in einer pflichtgemäßen sachverständigen Unterrichtung, im Zweifel einer dem Fall angemessenen Untersuchung, begründet ist. - Ein unrichtiges Zeugnis ist demgemäß ein Zeugnis, das einen unrichtigen Befund enthält. Unrichtig ist der Befund, der nicht das zutreffende Ergebnis einer pflichtgemäßen Untersuchung (Unterrichtung) wiedergibt. Dazu: RGSt 74 S. 231; BGHSt 6 S. 90; OLG Düsseldorf MDR1957 S. 372. - Einschränkend: OLG Zweibrücken JR 1982 S. 294 mit abl. Anm. O t t o S. 296 f.

b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der bezüglich der inhaltlichen Unrichtigkeit des Zeugnisses direkter Vorsatz sein muß, im übrigen genügt dolus eventualis. c) Vollendet ist das Delikt mit dem Ausstellen des Zeugnisses. So auch: Tröndle LK, § 278 Rdn. 3. - A. A.: Samson SK, § 278 Rdn. 4.

2. Verhältnis des § 278 zu § 348 Stellt ein beamteter Arzt in seinem Amtsbezirk in einer öffendichen Urkunde ein unrichtiges Gesundheitszeugnis aus, so verdrängt § 348 den § 278 als lex specialis.

§ 72: Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. 1. Der objektive Tatbestand § 274 Abs. 1 Nr. 1,1. Alt. sichert die Brauchbarkeit von Urkunden und technischen Aufzeichnungen als Beweismittel.

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Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

a) Zum Begriff der Urkunde vgl. oben § 70 I 1. b) Zum Begriff der technischen Aufzeichnungen vgl. unten § 74 II. Die Urkunde bzw. technische Aufzeichnung gehört dem Täter dann nicht, wenn ein anderer berechtigt ist, die Urkunde als Beweismittel zu gebrauchen. Dies ist dann der Fall, wenn der andere bereits Verfügungsbefugnis erlangt, ein Recht auf Herausgabe der oder auf Einsichtnahme in die Urkunde hat. c) Zum Vernichten und Beschädigen vgl. oben § 47 I 1 c, d. d) Unterdrücken ist jede Verhinderung der Benutzung der Urkunde als Beweismittel durch den Berechtigten, und sei sie auch nur vorübergehend. O L G Celle N J W 1966 S. 557; BayObLG N J W 1968 S. 1896: A hat den Wagen des B angefahren und an dem Wagen des B eine Visitenkarte mit dem Hinweis darauf, daß er den Schaden verursacht hat, angebracht. Später entfernt er die Karte wieder. O L G : Die Karte „gehörte" nicht mehr dem A, da sie bereits in den Macht- und damit Verfügungsbereich des B gelangt war.

2. Der subjektive Tatbestand Der Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht des Täters, einem anderen Nachteile zuzufügen. Für die Absicht, einem anderen Nachteile zuzufügen, soll nach h. M. direkter Vorsatz genügen. Dazu: B G H bei Dallinger, M D R 1958 S. 140; BAUMANN N J W 1964 S. 705; LACKNER S t G B , § 2 7 4 A n m . 3 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I I , § 6 5 V I 4 ; SIEBER C o m -

p u t e r k r i m i n a l i t ä t , S. 3 2 7 ; TRÖNDLE L K , § 2 7 4 R d n . 21.

Dem kann nicht gefolgt werden. § 274 Abs. 1 Nr. 1 stellt nicht die Entziehung oder Vernichtung von Beweismitteln schlechterdings unter Strafe, sondern die Entziehung einer Urkundenbeweisposition. Daraus folgt: Es muß dem Täter darum gehen, dem Opfer einen Nachteil durch Entzug der Urkundenbeweisposition zuzufügen. - Absicht ist daher als zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades) zu verstehen, auch wenn der Erfolg Mittel zu einem anderen Zweck sein kann. Nachteil i. S. des § 274 ist die Beeinträchtigung der Urkundenbeweisposition. - Für Fälle, in denen die Absicht in dieser Weise nicht vorliegt, bietet § 303 hinreichenden Schutz. Dazu auch: FRANK StGB, § 274 Anm. I 3; KOHLRAUSCH/LANGE § 274 Anm. III.

Zur Verdeutlichung: Beispiel 1: A, der gesetzliche Erbe des X , vernichtet ein Testament, in dem B von X als Erbe eingesetzt war, um in den Besitz der Erbschaft zu gelangen.

§ 73 Angriffe gg. bestimmungsgem. Verwendung eines Beweismittels

359

Ergebnis: § 274 Abs. 1 Nr. 1 Beispiel 2: A hat die Brieftasche des B gestohlen, in der sich auch ein notarieller Kaufvertrag befand. - Da A mit dem Kaufvertrag nichts anfangen kann, vernichtet er ihn. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung; a. A.: h. M. Beispiel 3: Der Pyromane A steckt das Gerichtsgebäude in Brand. Er weiß, daß in dem Gebäude viele Urkunden liegen. Dies ist ihm egal, denn ihm geht es nur darum, das Feuer zu sehen. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung. Die h. M. müßte auch hier § 274 anwenden.

3. Recbtswidrigkeit Die Einwilligung des Berechtigten schließt die Rechtswidrigkeit aus, denn die Einwilligung hebt die Beweisführungsbefugnis nicht auf, sondern stellt eine Ausübung dieser Befugnis dar. Vgl. dazu: LACKNER StGB, § 274 A n m . 1 c; SCHÖNKE/SCHRODER/CRAMER § 274 R d n . 11. - A . A . : KIENAPFEL J u r a 1983 S. 188 f; TRONDLE L K , § 2 7 4 R d n . 19.

Die Einwilligung muß den auch sonst nötigen Erfordernissen genügen, vgl. dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 8 III 1. - D e r f ü r die Körperverletzung gel-

tende Ausschluß der Rechtfertigung, wenn die Tat trotz der Einwilligung sittenwidrig ist, beruht auf der besonderen Bedeutung des Rechtsguts der Körperintegrität und kann auf andere Anwendungsbereiche nicht ausgedehnt werden. D a z u : BERZ G A 1969 S. 145; JESCHECK A . T., 3. A u f l . 1978, § 34 I I I 2 ; LACKNER

StGB, Vor § 32 Anm. II 5 c, bb; N o i x Z S t W 77 (1965) S. 21. - A. A.: BGHSt 6 S. 251; BAUMANN A. T., 8. Aufl. 1977, § 21 II 4 c.

II. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 2 § 274 Abs. 1 Nr. 2 schützt keinen Urkunden-, sondern einen bestimmten Augenscheinsbeweis. Die Veränderung von Grenzmerkmalen wird ohne Rücksicht auf das Eigentum oder ein sonstiges Recht an dem Merkmal unter Strafe gestellt, selbst wenn diese Merkmale tatsächlich an falscher Stelle stehen. - Auch hier muß es dem Täter darum gehen, dem Berechtigten einen Nachteil durch Änderung des Augenscheinsbeweises zuzufügen; dazu vgl. oben I 2.

§ 73: Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels 1. Das Wesen des § 281 § 281 enthält weniger ein Urkundendelikt, als vielmehr ein Delikt gegen die Autorität der Staatsverwaltung; dazu unten § 89. - Dieses Delikt steht

360

Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

den Urkundendelikten aber insoweit nahe, als es den Beweiswert einer echten Urkunde für die Persönlichkeitsfeststellung schützt. 2. Einzelheiten der Regelung a) Ausweispapiere, § 281 Abs. 1, sind die von einer hoheitlichen Stelle ausgestellten Papiere, die dem Nachweis der Identität oder der persönlichen Verhältnisse einer Person dienen. Beispiele: Reisepaß; Personalausweis; Führerschein; Schülerausweis.

b) Den Ausweispapieren stehen Zeugnisse und Urkunden gleich, die im Verkehr als Ausweis verwendet werden, § 281 Abs. 2. - Nach der Schutzfunktion des Tatbestandes und aufgrund der Gleichwertigkeit mit den Ausweispapieren ist auch hier zu fordern, daß die Papiere von einer hoheidichen Stelle ausgestellt sind und ihnen Ausweisfunktion zukommt. Beispiele: Geburtsurkunde (RGSt 12 S. 385); Taufschein; Zeugnis über Staatsprüfungen. Nicht hingegen: Scheckkarten; private Werksausweise.

Die h. M. erstreckt demgegenüber den Schutz des § 281 Abs. 2 auf jede Bescheinigung, der im Rechtsverkehr eine Ausweisfunktion zukommt. Vgl.: SCHÖNKJE/SCHRÖDER/CRAMER § 281 R d n . 4; TRÖNDLE L K , § 281 R d n . 2 . - Ein-

schränkend auf Identitätsnachweis: SAMSON SK, § 281 Rdn. 3.

c) Bestraft wird der Gebrauch oder das Überlassen der Urkunde an einen anderen zur Täuschung im Rechtsverkehr. aa) Gebraucht ist das Papier, wenn es der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist. Vorlage einer Fotokopie wird hier vom BGH nicht als Gebrauch des Ausweises interpretiert; vgl. BGHSt 20 S. 17.

bb) Bei der Täuschung im Rechtsverkehr muß es sich um eine Identitätstäuschung handeln. Die bloße Täuschung über die Berechtigung zur Verwendung des Ausweispapieres genügt nicht; BGH bei Holtz, M D R 1982 S. 280. 3. Das Verhältnis der beiden Alternativen des § 281 zueinander Wer ein Ausweispapier i. S. des § 281 gebraucht ist Täter der 1. Alternative. Eine eventuelle Teilnahme am Überlassen des Ausweispapieres wird durch die Täterschaft konsumiert. Umgekehrt zehrt die Verwirklichung des Tatbestandes in der Form des Uberlassens des Ausweispapieres alle Möglichkeiten der Teilnahme am Gebrauchmachen auf. Im einzelnen dazu: R. SCHMITT NJW 1977 S. 1811.

§ 74 Fälschung technischer Aufzeichnungen

361

§ 74: Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich 1. Das geschützte Rechtsgut § 268 schützt die Sicherheit der Informationsgewinnung durch technische Geräte. Dazu im einzelnen: KUNZJUS 1977 S. 604; SIEBER Computerkriminalität, S. 303; TRONDLE L K , § 268 Rdn. 6 f.

2. Die unechte Aufzeichnung Dem geschützten Rechtsgut entsprechend ist die Echtheit der Aufzeichnung nicht auf den Aussteller zu beziehen, sondern auf die Herkunft aus einem unbeeinflußten Herstellungsvorgang eines ordnungsgemäß arbeitenden technischen Geräts. - Unecht ist die Aufzeichnung, wenn sie überhaupt nicht oder nicht in ihrer konkreten Gestalt aus einem in seinem automatischen Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt, obwohl sie diesen Eindruck macht. 3. Die Bedeutung der Vorschrift Die gesetzgeberisch wenig geglückte Vorschrift hat in der Praxis bisher überhaupt nur bei Manipulationen am Fahrtschreiber, § 57 a StVZO, Bedeutung erlangt. Dazu im einzelnen: TRÖNDLE LK, § 268 Rdn. 7, 33 b, 33 d, 36.

II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 Den Begriff der technischen Aufzeichnung hat der Geset2geber in § 268 Abs. 2 definiert, doch ist ihm hier keine überzeugende Leistung gelungen, wie die bisherigen Kontroversen zeigen. - Treffender kommt das Gemeinte in der Definition von PUPPE - Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972, S. 144 - zum Ausdruck: technische Aufzeichnung ist die dauerhafte automatische Registrierung eines Zustandes oder Geschehensablaufs. 1. Die technische Aufzeichnung als Darstellung Als Darstellung ist dementsprechend eine Aufzeichnung anzusehen, bei der die Information in einem selbständig verkörperten, vom Gerät abtrennbaren Stück enthalten ist; BGHSt 29 S. 205. Dazu auch: KIENAPFELJR 1980 S. 429; LACKNER StGB, § 268 Anm. 3 a; PUPPE Fälschung, S. 7 9 , 2 3 2 ; DIES.JR 1978 S. 125; TRÖNDLE L K , § 268 Rdn. 11; WESSELS B.T.-l,

§ 18 VI 2 a.

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Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

Die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Meß- oder Zählgerät -z.B. Gas-, Strom-, Kilometerzähler - ist nicht Darstellung in diesem Sinne, weil ihr die Dauerhaftigkeit der Aufzeichnung fehlt. So auch: BGHSt 29 S. 205 mit Anm. KIENAPFELJR 1980 S. 429; ESER IV, Nr. 19 A 7 8 ; HIRSCH Z S t W 8 5 ( 1 9 7 3 ) S. 716; KREY B.T. I, S. 215; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 65 V 2 b; TRÖNDLE L K , § 2 6 8 R d n . 11. - A . A . : SAMSON S K , § 2 6 8 R d n . 12; SCHILLING

Fälschung technischer Aufzeichnungen (§ 268 StGB), 1970, S. 10 f; SCHONKE/ SCHRÖDER/CRAMER § 2 6 8 R d n . 9.

2. Die ganz oder teilweise selbständige Wirkungsweise des Geräts a) Selbständig bewirkt das Gerät die Aufzeichnung, wenn seine Leistung darin besteht, durch einen in Konstruktion oder Programmierung festgelegten automatischen Vorgang einen Aufzeichnungsinhalt mit neuem Informationsgehalt hervorzubringen. Dazu im einzelnen: SIEBER Computerkriminalität, S. 310 ff.

Fotokopien, Fotografien, Film- und Fernsehaufnahmen sind keine technischen Aufzeichnungen in diesem Sinne, soweit sie lediglich einen von einem Menschen unmittelbar erfaßten Vorgang festhalten. S o a u c h : B G H S t 2 4 S. 142; ESER I V N r . 19 A 7 9 ; KIENAPFELJZ1971S. 165 f; DERS. N J W 1 9 7 1 S . 1783 f; KKEYB.T. I, S. 213 f; PUPPE F ä l s c h u n g , S. 76; SCHMIDHÄUSER B . T . , 14/29; SIEBER C o m p u t e r k r i m i n a l i t ä t , S. 304, 311; TRÖNDLE L K , § 2 6 8 R d n . 23. A . A . : SAMSON S K , § 2 6 8 R d n . 9; SCHILLING F ä l s c h u n g , S. 1 7 , 7 6 ; SCHONKE/SCHRODER/ CRAMER § 2 6 8 R d n . 17.

b) Da auch die teilweise selbständige Herstellung genügt, ist menschliche Mitwirkung z. B. durch ständiges Auslösen des Aufzeichnungsvorganges nicht ausgeschlossen, soweit das Gerät einen Aufzeichnungsinhalt mit neuem Informationsgehalt hervorbringt und nicht nur menschliche Eingaben reproduziert. 3. Der Gegenstand der Aufzeichnung Die technische Aufzeichnung muß den Gegenstand der Aufzeichnung allgemein oder für Eingeweihte erkennen lassen. Das bedeutet, daß der konkrete Sachverhalt, welcher der Aufzeichnung zugrunde gelegen hat und auf den sich die aufgezeichneten Informationen beziehen, erkennbar sein muß. D a z u : LACKNER S t G B , § 2 6 8 A n m . 3 c; PUPPEJR 1978 S. 123; TRÖNDLE L K , § 2 6 8

Rdn. 25 a.

4. Die Beweisbestimmung Die Aufzeichnung muß zum Beweis einer rechtlich erheblichen Tatsache bestimmt sein. - Da es hier nicht darauf ankommen soll, ob ihr die

§ 74 Fälschung technischer Aufzeichnungen

363

Bestimmung schon bei der Herstellung oder später vom Halter des technischen Gerätes oder Dritten gegeben wird, verbirgt sich hinter der Beweisbestimmung auch hier nichts anderes als die Feststellung, daß der Aufzeichnung Rechtserheblichkeit zukommen muß; vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 70 I 1 c, ff.

III. Die Tathandlung 1. Herstellen, Verfälschen, Gebrauchen, Abs. 1 Gemäß § 268 Abs. 1 wird das Herstellen einer unechten technischen Aufzeichnung, das Verfälschen einer technischen Aufzeichnung und der Gebrauch einer unechten oder verfälschten technischen Aufzeichnung bestraft. Herstellen ist das Anfertigen der unechten - dazu oben 12 - technischen Aufzeichnung. - Verfälschen ist die inhaltliche Veränderung einer bisher echten technischen Aufzeichnung. - Gebraucht ist die Aufzeichnung, wenn sie dem zu Täuschenden zugänglich gemacht worden ist. 2. Die störende Einwirkung, Abs. 3 Wird eine Aufzeichnung dann als unecht angesehen, wenn sie nicht aus einem in seinem Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt - vgl. oben I 2 so enthält § 268 Abs. 3 einen Unterfall der Herstellung einer unechten Aufzeichnung. - Störend in diesem Sinne ist aber nur ein Eingriff, der auf ein unrichtiges Ergebnis abzielt. S o a u c h : HIRSCH Z S t W 8 5 ( 1 9 7 3 ) S. 7 1 9 ; KREY B . T . I, S. 2 1 7 f; LACKNER S t G B , § 2 6 8 A n m . 4 b ; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 6 5 V 2 d ; SIEBER C o m p u t e r k r i m i n a l i t ä t , S. 3 2 4 ; TRÖNDLE L K , § 2 6 8 R d n . 3 2 .

3• Die Ausnutzung eines defekten Gerätes Wird für die Definition der echten Aufzeichnung allein auf den ungestörten automatischen Herstellungsvorgang abgestellt, so dürfte es für die Frage, ob eine Aufzeichnung echt ist, unwesentlich sein, ob der Herstellungsvorgang vorsätzlich, versehentlich oder zufällig beeinflußt worden ist. Gleichwohl ist zu differenzieren: a) Die bloße Ausnutzung eines Defekts ist nicht tatbestandsmäßig i. S. des Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3, wenn der Defekt nicht auf einem störenden menschlichen Eingriff beruht. Der menschliche Eingriff in den programmierten funktionalen Ablauf des Geräts ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Tatgeschehens.

364

Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

Dazu: BGHSt 28 S. 307 mit Anm. KIENAPFEL JR 1980 S. 347; M A U R A C H / B.T. I I , § 65 V 2 f; P U P P E Fälschung, S . 262; T R Ö N D L E I X , § 268 Rdn. 36 a.

SCHROEDER

b) Beruht der Defekt hingegen auf einem menschlichen Eingriff - sei es des Täters oder eines Dritten - und weiß der Täter dieses, so ist das bewußte Ausnutzen des Defekts zur Herstellung eines unrichtigen Aufzeichnungsergebnisses als Unterlassen tatbestandsmäßig i. S. des Abs. 1 Nr. 1 i. V m. Abs. 3, soweit der Täter Garant ist. Zur Garantenstellung des Täters für das ordnungsgemäße Funktionieren des Fahrtschreibers vgl. T R Ö N D L E L K , § 268 Rdn. 36 b.

4. Subjektiver Tatbestand und Konkurrenzen Zum Vorsatz, zur Täuschung im Rechtsverkehr und zur Konkurrenz von Fälschen und Gebrauchmachen der technischen Aufzeichnung vgl. die entspechenden Ausführungen oben § 70 I 5, 6.

IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. Zum Begriff der technischen Aufzeichnung vgl. oben § 74 II, im übrigen vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 72 II.

§ 75: Geldfalschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146, 147, 149, 152 1. Das geschützte Rechtsgut Die Geldfälschungstatbestände sind Spezialfälle der Urkundenfälschung. Sie schützen das allgemeine Interesse an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs. Da das Bargeld volkswirtschaftlich gesehen als Zahlungsmittel jedoch keineswegs die bedeutendste Rolle spielt, wird gelegendich geltend gemacht, Umfang und Beginn des Strafrechtsschutzes seien in diesem Bereich zu weit ausgedehnt. Diese Betrachtungsweise stellt die Vermögensschädigung des einzelnen Opfers, die im übrigen von § 263 erfaßt wird, zu stark in den Vordergrund. Der durch die §§ 146 ff gewährte Schutz des Funktionierens des Geldverkehrs geht nämlich in eine andere Richtung: Der Verlust des Vertrauens, die dem Wert des Geldes entsprechenden Leistungen für das staatliche Geld zu erhalten, begründet ein tiefes und allgemeines Mißtrauen in die Fähigkeit des Staates, seine Garantien erfüllen zu können. Der Betroffene sieht sich hier nicht nur - wie

§ 75 Geldfälschung

365

sonst beim Betrüge - als Opfer der List eines Dritten, sondern zugleich als Opfer der Unfähigkeit des Staates, seinen Verpflichtungen nachzukommen. 2. Geschützt sind Papier- und Metallgeld Geld ist jedes vom Staat - zu ausländischen Staaten vgl. § 152 - oder von einer durch ihn ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigtes, zum Umlauf im öffendichen Verkehr bestimmtes Zahlungsmittel ohne Rücksicht auf einen allgemeinen Annahmezwang; BGHSt 12 S. 345. Diese Objekte behalten ihre Geldeigenschaft bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie durch staatlichen Willensakt außer Kurs gesetzt werden, d. h. aus dem Zahlungsmittelumlauf herausgenommen werden. - Falsch ist Geld, wenn es unecht ist, d. h. nicht oder nicht in der vorliegenden Form von demjenigen stammt, der aus ihm als Aussteller hervorgeht. II. Geldfälschung, § 146 1. Nachmachen und Verfälschen von Geld, Abs. 1 Nr. 1 a) Nachmachen, Abs. 1 Nr. 1,1. Alt., ist das Herstellen unechten Geldes, das geeignet ist, einen Arglosen im gewöhnlichen Zahlungsverkehr zu täuschen. aa) Daß die Fälschung ein echtes Vorbild hat, ist nicht erforderlich, BGHSt 30 S. 71. - Auch der 30-DM-Schein ist daher unechtes Geld i. S. der §§ 146 ff, denn er ist geeignet, das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs sowie die Autorität des Staates, der als Garant hinter dem Geld steht, zu verletzen. - Dieses Rechtsgut ist aber nicht beeinträchtigt, wenn ein Phantasieprodukt eines nicht existierenden Staates (500-Krachmen-Schein der Inselrepublik Krota) in den Verkehr gebracht wird. Die Verletzung des Vertrauens in eine real nicht existierende Staatsautorität ist nicht geeignet, realer Staatsautorität zu schaden. A. A.: h. M. vgl.: BGHSt 30 S. 71 mit zust. Anm. STREEJR 1981S. 427 und abl. Anm. OTTO NStZ 1981 S. 478.

bb) Auch die von einer staatlichen Münzanstalt ohne staatlichen Auftrag hergestellten Münzen sind unecht. V g l . : B G H S t 2 7 S. 2 5 5 m i t A n m . DREHER J R 1 9 7 8 S. 4 5 ; GEISLER N J W 1 9 7 8 S. 7 0 8 f; STREEJUS 1 9 7 8 S. 2 3 6 f f . - A . A . : L G K a r l s r u h e N J W 1 9 7 7 S. 1 3 0 1 ; SONNEN J A 1977

S. 4 8 1 .

cc) Manipulationen echten Geldes (Änderungen der Jahreszahl, Serie o. ä.), die dieses Geld nicht ungültig machen, berühren die Echtheit nicht, auch wenn dadurch Sammler getäuscht werden können.

366

Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

Vgl.: LG Karlsruhe N J W 1977 S. 1301; DREHER/TRÖNDLE § 146 Rdn. 3. - A. A.: HAFKE MDR 1976 S. 278.

b) Verfälschen, Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt., ist ein Verändern echten Geldes in einer Weise, daß für einen Arglosen der Anschein eines höheren Nominalwertes hervorgerufen wird. 2. Sich Verschaffen von Falschgeld, § 146 Abs. 1 Nr. 2 Falschgeld verschafft sich, wer es in seinen Besitz oder sonstwie in seine Verfügungsgewalt bringt. Wer nicht eigene selbständige Verfügungsmacht über das Geld erlangt, sondern es nur auf Weisung eines Dritten bei bestimmten Personen in Verkehr bringt, verschafft sich das Geld nicht. Er ist nur sog. Verteilungsgehilfe; BGHSt 3 S. 154. - Das bloße Handeln im Interesse eines anderen begründet die Eigenschaft als Verteilungsgehilfe aber nicht, wenn der Verteiler selbständig bestimmt, bei wem er das Geld absetzt.

3. Das Inverkehrbringen, Abs. 1 Nr. 3 a) In den Verkehr gebracht ist das Falschgeld, wenn ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich seiner zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen. - Als Inverkehrbringen als echt interpretiert die h. M. nicht nur die Weitergabe an einen gutgläubigen, sondern auch an den eingeweihten Abnehmer, sofern sie den ersten Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel bedeutet. Diese Interpretation des Inverkehrbringens ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht in Einklang zu bringen, denn in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 unterscheidet der Gesetzgeber ausdrücklich zwischen der Absicht des Inverkehrbringens als echt und der Absicht des Ermöglichens solchen Inverkehrbringens. Diese Differenzierung ist allein sinnvoll, wenn als Inverkehrbringen als echt die Weitergabe an einen Gutgläubigen angesehen wird, denn dann ist das Ermöglichen des Inverkehrbringens das Weitergeben an einen Bösgläubigen, der es seinerseits wiederum an einen Gutgläubigen weitergeben will. Wird hingegen die Weitergabe an einen Gutgläubigen und an einen Bösgläubigen als Inverkehrbringen als echt interpretiert, so bleibt der Begriff Ermöglichen solchen Inverkehrbringens inhaltsleer. So auch: OLG Stuttgart N J W 1980 S. 2089 mit zust. Anm. ORROJR 1981 S. 83; LG Kempten N J W 1979 S. 225 mit Anm. OTTO N J W 1979 S. 226; BOCKELMANN B.T. 3, § 16 II 2 d; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 67 II 6; RUDOLPHI SK, § 146 Rdn. 12 f, § 147 Rdn. 6; SCHMIDHAUSERB.T., 14/50; STEIN/ONUSSEITJUS 1980 S. 104. - A. A.: BGHSt 29 S. 311 mit abl. Anm. OTTOJR 1981S. 82 f; DREHER/TRÖNDLE § 147 Rdn. 2; HERDEGEN LK, § 146 Rdn. 23, § 147 Rdn. 4 f; LACKNER StGB, § 147 Anm. 3; STREEJUS 1978 S. 239 f; WESSELS Bockelmann-Festschrift, S. 677 f; DERS. B.T.-l, § 20 II 2 c.

§ 75 Geldfälschung

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b) N u r derjenige kann Täter des Abs. 1 Nr. 3 sein, der das Falschgeld durch eine Tat nach Abs. 1 Nr. 1 oder 2 erlangt hat. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Bedingter Vorsatz genügt. Die in Abs. 1 Nr. 1, 2 vorausgesetzte Absicht ist zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades). 5. Konkurrenzen a) Zur Konkurrenz des Nachmachens, Verfälschens und Verschaffens mit dem Inverkehrbringen gemäß § 146 Abs. 1 Nr. 3 vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 7016. - Das Inverkehrbringen ist auch hier die materielle Beendigung der zuvor vollendeten Tat. Eigenständige Bedeutung kommt dem § 146 Abs. 1 Nr. 3 nur zu, wenn der einheitliche Vorgang des Nachmachens, Verfälschens oder Verschaffens des Geldes und des Inverkehrbringens dieses Geldes unterbrochen wird. Beispiel 1: Nach rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 bringt der Täter erneut Falschgeld aus der alten Quelle in Verkehr. Beispiel 2: Nach endgültiger Aufgabe des Planes, das Geld in den Verkehr zu bringen, faßt der Täter eines Tages einen neuen Entschluß und bringt nun das Geld in den Verkehr. b) Mit § 263 besteht Idealkonkurrenz, denn die Tat richtet sich gegen unterschiedliche Rechtsgüter. So auch: h. M., vgl. BGHSt 3 S. 156; BGHJZ 1952 S. 46. - A. A.: KREY B.T. I, S. 221; RUDOLPHI SK, § 146 Rdn. 19: Konsumtion des § 263.

III. Vorbereitung der Fälschung v o n Geld, § 149 Abs. 1, 1. Alt. Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Geldfälschung stellt § 149 Abs. 1, 1. Alt. als selbständiges Delikt unter Strafe. 1. § 149 ist subsidiär gegenüber § 146. Er tritt zurück, sobald der Versuch der Fälschungstat begonnen hat. 2. Zur Möglichkeit Tätiger Reue vgl. § 149 Abs. 2, 3.

IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 Nach § 147 werden die Fälle des Inverkehrbringens von Falschgeld als echt erfaßt, die nicht unter § 146 Abs. 1 Nr. 3 fallen. - Das ist etwa dann der Fall, wenn Falschgeld in Verkehr gebracht wird, das zunächst ohne Ver-

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Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

breitungsabsicht nachgemacht worden ist, oder wenn als echt empfangenes Falschgeld an Gutgläubige abgegeben wird. Durch die Interpretation des Inverkehrbringens des Falschgeldes als echt auch bei Weitergabe an einen eingeweihten Dritten, sofern dies der erste Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel ist, wird z. T. versucht, das Ermöglichen des Inverkehrbringens als echt als Inverkehrbringen als echt zu erfassen. Damit fällt auch die Weitergabe als echt empfangenen Falschgeldes an einen Eingeweihten unter § 147. Dem kann nicht gefolgt werden, vgl. oben II 3 a. Aber auch die Gegenmeinung, die in diesem Falle eine Beihilfe an der Tat des eingeweihten Dritten annimmt, wenn dieser sich das Geld geben läßt, um es als echt in den Verkehr zu bringen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27, wird dem Sachproblem nicht gerecht: Der gutgläubige Empfänger von Falschgeld, der dieses selbst an einen Gutgläubigen weitergibt, macht sich lediglich eines Vergehens nach § 147 Abs. 1 schuldig. Schaltet er hingegen einen Dritten ein, so soll er wegen Beihilfe zu einem Verbrechen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3,27, d. h. wegen eines Verbrechens strafbar sein. So: OLG Stuttgart NJW 1980 S. 2089; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 67 II 6; RUDOLPHI S K , § 146 Rdn. 12 f.

Dieser Widerspruch ist nicht akzeptabel. - Sachlich angemessen wäre eine Privilegierung desjenigen, der gutgläubig Falschgeld erhalten hat und dieses jetzt weitergibt, sowie jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen. Diese Personen sollten gemäß § 147 bestraft werden, der Erstempfänger sodann gemäß §§ 147, 27. Dazu auch: STEIN/ONUSSEITJUS 1980 S. 107 f.

Diese Differenzierung ist jedoch mit dem Gesetzeswortlaut der §§ 146 Abs. 1 Nr. 2,147 nicht in Einklang zu bringen. Möglich aber ist es schon jetzt, aufgrund der Gleichheit im Unrechtsgehalt auf das Verhalten des gutgläubigen Empfängers von Falschgeld, der dieses weitergibt, und jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen, das Strafmaß des § 147 analog anzuwenden, unabhängig von der dogmatischen Erfassung des strafbaren Verhaltens. V. Wertpapierfälschung Gemäß § 151 werden bestimmte Wertpapiere - Aufzählung erschöpfend - dem Gelde gleichgestellt. Auswahlkriterien für den Gesetzgeber waren das massenhafte Vorkommen dieser Papiere im Wirtschaftsverkehr und die dem Papiergeld ähnliche tatsächliche Ausstattung. Die Papiere müssen gegen Nachahmung besonders gesichert sein, und zwar durch Gestaltung des Druckes und durch die Auswahl der Papierart. - Die an den Börsen der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Papiere genügen diesen Anforderungen ausnahmslos.

§ 76 Wertzeichenfälschung

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Die Fälschung braucht - ebensowenig wie das Geld - kein echtes Vorbild zu haben, doch ist auch hier zu fordern, daß als Aussteller eine wirklich existierende Person angegeben wird, denn nur die Verletzung des Vertrauens in das konkrete Unternehmen des Ausstellers des relevanten Papieres rechtfertigt den erhöhten Strafrechtsschutz; vgl. zum Streitstand oben II 1. VI. Einziehung Die Objekte einer Straftat nach §§ 146 ff werden eingezogen, § 150.

§ 76: Wertzeichenfälschung I. Wertzeichenfälschung, § 148 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt Rechtsgut des § 148 ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs mit Wertzeichen. - Die Objekte selbst sind nicht Urkunden, sondern Augenscheinsobjekte, denn sie verkörpern keine Gedankenerklärung. 2. Das amtliche Wertzeichen Amtliche Wertzeichen sind vom Staat, einer Gebietskörperschaft oder einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts befugtermaßen ausgestellte Zeichen, die als Quittung für die Entrichtung von Gebühren, Steuern oder Abgaben dienen oder deren Leistung erleichtern oder überwachen. Beispiele: Postwertzeichen; Stempelpapiere; Stempelmarken; Beitragsmarken zur Sozialversicherung; Gerichtskostenmarken o. ä.

3. Die Tathandlungen a) Die Tathandlungen gemäß Abs. 1 entsprechen denen der Geldfälschung, vgl. dazu oben § 75 II. b) Gemäß Abs. 2 wird die Wiederverwendung und das in den Verkehrbringen bereits entwerteter amtlicher Wertzeichen bestraft, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist. Der Versuch der Tat beginnt, wenn der Täter sich - nach seinem Vorstellungsbild vom Sachverhalt - anschickt, von den Wertzeichen erneut Gebrauch zu machen. Das ist z. B. bei der Wiederverwendung entwerteter Briefmarken der Fall, wenn der Täter sich anschickt, den mit entwerteten Zeichen versehenen Brief in den

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Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

Machtbereich der Post gelangen zu lassen; a. A. OLG Koblenz N J W 1983 S. 1625 mit abl. Anm. KÜPER N J W 1984 S. 777 und LAMPEJR 1984 S. 164, wo letztlich bereits die erste Verwendung der Briefmarke als Versuch der Wiederverwendung interpretiert wird. 4. Konkurrenzen a) Mit § 263 kann § 148 Abs. 1 Nr. 3 in Tateinheit stehen; B G H S t 31 S. 380 mit Anm. KIENAPFELJR1984 S. 162 f. - Z u m entsprechenden Streitstand vgl. im übrigen oben § 75 II 5. b) Abs. 2 ist gegenüber § 263 lex specialis, da sonst der mildere Strafrahmen nicht zum Zuge käme.

II. Vorbereitung der F ä l s c h u n g v o n W e r t z e i c h e n , § 149 A b s . 1, 2 . Alt. Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wertzeichenfälschung stellt 149 Abs. 1,2. Alt. als selbständiges Delikt unter Strafe; dazu auch oben 75 III.

§ 77: Zur Wiederholung 1. Welches Rechtsgut schützen die Urkundendelikte? - Dazu § 69, 1. 2. Welche vier verschiedenen Arten des Angriffs auf dieses Rechtsgut sind im StGB unter Strafe gestellt? - Dazu § 69, 2. 3. Wie wird der Begriff „Urkunde" nach den verschiedenen Meinungen jeweils definiert? - Zeige den entscheidenden Unterschied auf! - Dazu § 70 I 1 b, c. 4. Welche der folgenden Gegenstände lassen sich nach dem engeren, welche nach dem weiten Urkundenbegriff der h. M. als Urkunde einordnen: Fahrgestellund Motornummer sowie amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen, Autogramm, Merkstrich auf Bierfilzen, Fahrtschreiberdiagramm, Tonbandaufzeichnung, Fabriknummer auf einem Industrieerzeugnis, unausgefüllter Scheckvordruck, stenographisches Schuldanerkenntnis, Quittung, Dienststempel in einer Diensthose zur Eigentümerkennzeichnung? - Dazu § 70 I 1 c, aa. 5. Welche Bedeutung hat die sog. Geistigkeitstheorie für die Ermittlung des Ausstellers einer Urkunde? - Dazu § 70 I 1 c, bb. 6. In welchem der folgenden Fälle ist der Aussteller erkennbar, so daß von einer Urkunde gesprochen werden kann: a) Der A unterschreibt einen Erpresserbrief mit „King Kong"? b) Die B zeichnet ein dem unbekannten Unfallgegner C übergebenes Schuldanerkenntnis fälschlich mit „Müller"? c) Udo Jürgens bestellt schriftlich unter diesem Künstlernamen ein neues Klavier?

§ 77 Zur Wiederholung

371

d) Der C trägt sich im Anmeldeformular eines Hotels unzutreffend mit „Klaus Schultz" ein, um anonym zu bleiben? Dazu § 70 I 1 c, cc, 4 a, aa. 7. Was ist eine „Gesamturkunde"? Wann liegt eine „zusammengesetzte Urkunde" vor? - Dazu § 70 I 2 a, b. 8. Was versteht man unter dem Herstellen einer unechten, was unter dem Verfälschen einer echten Urkunde? - Dazu § 70 I 4 a, b. 9. Macht derjenige von einer „unechten oder verfälschten Urkunde" Gebrauch, der eine Fotokopie vorlegt, die er geschickt durch bloßes Aufeinanderlegen von Einzelbestandteilen erstellt hat? - Dazu § 70 I 2 d. 10. Der A fügt dem zu seinen Gunsten von B ausgestellten Scheck über DM 100,- gekonnt eine weitere Null hinzu und legt diesen 1000,—DM-Scheck - seinem Plan gemäß - seiner Bank zur Gutschrift vor. Welche Urkundenfälschungen hat A begangen und wie verhalten sich die Taten zueinander? - Dazu § 70 I 6. 11. Was versteht man unter einer „öffentlichen Urkunde"? - Dazu § 711 2. 12. Ist das Delikt der Falschbeurkundung im Amt, § 348, schon mit der bloßen Beurkundung oder Eintragung durch den Amtsträger vollendet? - Dazu § 711 5. 13. Wie ist die Strafbarkeit der Personen in folgenden Fällen zu beurteilen, wenn man davon ausgeht, daß § 271 als lückenschließende Ergänzung zu § 348 zu verstehen ist: a) A will den vermeindich gutgläubigen Amtsträger N durch Täuschung zu einer unrichtigen Beurkundung bewegen. N fertigt diese Urkunde an, obwohl er A durchschaut hat? b) A gibt dem Amtsträger N Falsches zur Beurkundung, wobei er annimmt, dem N werde dies bei der Urkundenerstellung bewußt sein. N bemerkt hiervon jedoch nichts? - Dazu § 71 II 2 b, c. 14. Welche unterschiedlichen Auffassungen werden zur Benachteiligungsabsicht in § 274 Abs. 1 Nr. 1 vertreten? - Dazu § 72 I 2. 15. Ist die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Meß- oder Zählgerät, z. B. einem Kfz-Kilometerzähler, eine „technische Aufzeichnung" i. S. des § 268? Begründe die Antwort aus der Begriffsdefinition! - Dazu § 74 II 1. 16. Fällt das Ergebnis eines bloß reproduzierenden Vorgangs, z. B. Fotografien, Film- und Fernsehaufnahmen, unter den Begriff der „technischen Aufzeichnung" ? Zeige den entscheidenden Gesichtspunkt auf! - Dazu § 74 II 2 a. 17. In welchen der folgenden Fälle ist § 268 verwirklicht: a) A bewirkt, daß sein Fahrtschreiber bei hoher Geschwindigkeit aussetzt. Die fehlenden Diagrammteile zeichnet er später mit der Hand ein? b) Der Kraftfahrer A gibt seinem Chef ein altes Diagramm anstelle des am selben Tage angefertigten ab? c) B heftet in seine Krankenakte ein Elektrokardiogramm, das in Wirklichkeit für X angefertigt wurde? Dazu § 74 I 2, II, III. 18. Ist § 146 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt, wenn der Täter erfundene Geldscheine eines nicht existierenden Staates herstellt? - Dazu § 75 II 1 a, aa.

372

Delikte gg. die Sicherheit des Rechts- u. Geldverkehrs

19. Kann die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten als ein Inverkehrbringen „als echt" i. S. der §§ 146, 147 interpretiert werden? - Skizziere die hierzu vertretenen Meinungen und ihre jeweilige Begründung! - Dazu § 75 II 3 a, IV 20. Worin liegt der in der geltenden Gesetzesfassung begründete Wertungswiderspruch, wenn man die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten, das dieser an Gutgläubige weitergibt, als Beihilfe zur Tat des Eingeweihten gem. §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27 einstuft? - Dazu § 75 IV.

Fünfter Abschnitt Gemeingefährliche Delikte

§ 78: Systematischer Überblick I. Der Begriff des „gemeingefährlichen Delikts" 1. Vom gemeingefährlichen Delikt zum Gefährdungsdelikt Die im 27. Abschnitt des StGB zusammengefaßten Delikte sind nicht durch den Angriff auf ein gemeinsames Rechtsgut gekennzeichnet, sondern durch die Begehungsweise. Eine Gemeingefahr, d. h. die Gefährdung individuell nicht bestimmter Personen oder Sachwerte, setzen in der jetzigen Fassung des Gesetzes nur noch wenige Delikte (§§ 312-314) voraus. Sachlich handelt es sich daher bei den meisten der hier erfaßten Delikte um konkrete oder abstrakte Gefährdungsdelikte. Die konkreten Gefährdungsdelikte setzen den Nachweis einer tatsächlich eingetretenen Gefährdung voraus. Abstrakte Gefährdungsdelikte sind Delikte, die gefährliche Verhaltensweisen verpönen, ohne daß im Einzelfall eine konkrete Gefährdung eingetreten sein muß. Dazu: GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 4 IV 2.

Als gemeingefährlich können die hier relevanten Delikte daher nicht wegen eines bestimmten Gefährdungsir/o/^fi, sondern allein wegen ihrer Handlungstendenz angesehen werden. 2. Der Ausschluß der Realisierung der Gefahr Eine grundsätzliche Frage stellt sich bei allen abstrakten Gefährdungsdelikten: Wird der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn sichergestellt ist, daß die abstrakte Gefahr sich nicht realisieren kann ? a) Folgende Vorschläge zur Lösung der Problematik werden erörtert: aa) Es soll der Gegenbeweis der Ungefährlichkeit des Verhaltens im Einzelfall zugelassen werden. Vgl.: RABL Der Gefährdungsvorsatz, 1 9 8 3 , S . 2 1 ; SCHRÖDER ZStW 8 1 ( 1 9 6 9 ) S. 1 5 f; TIEDEMANN in: Wirtschaftskriminalität, herausgeg. von Belke u. Oehmichen, 1983, S. 28.

bb) Die Tatbestände sind durch das - ungeschriebene - Merkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsverletzung zu ergänzen. Vgl.: S. 67 f.

CRAMER

Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962,

cc) Die Tathandlung soll nur dann tatbestandsmäßig sein, wenn sie in bezug auf das geschützte Rechtsgut sorgfaltspflichtwidrig war.

374

Gemeingefährliche Delikte

Vgl.: BREHM Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdeliktes, 1973, S. 126 f; Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 11, 28, 94; RUDOLPHI Maurach-Festschrift, S. 56 f. HORN

dd) Die abstrakten Gefährdungsdelikte sind in verschiedene Kategorien einzuteilen, mit der Konsequenz entsprechend differenzierter Lösungen der Problematik. Vgl.: SCHÜNEMANNJA 1975 S.

798.

ee) Ein „Ausschluß der Strafbarkeit" ist gegeben bei absoluter Unmöglichkeit des Schadenseintritts im Einzelfall. V g l . : MAURACH/SCHROEDER B . T . I I , § 5 1 I V

3.

b) Stellungnahme: Die Zulassung des Gegenbeweises der Ungefährlichkeit ist mit dem Schuldgrundsatz nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen. Darüber hinaus erscheint diese Lösung, wie auch die Forderung nach einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsverletzung oder nach einer Sorgfaltspflichtverletzung in bezug auf das geschützte Rechtsgut, zu weitgehend. Durch die Eröffnung tatbestandsausschließender Irrtümer wird der vom Gesetzgeber gewollte Schutzbereich über Gebühr eingeengt. Eine Differenzierung zwischen den abstrakten Gefährdungsdelikten kann die Problematik sicher weiter erhellen, erscheint aber nicht unabweisbar notwendig. - Ist die Realisierung der abstrakten Gefahr im Einzelfall absolut ausgeschlossen und hat der Täter dies durch geeignete Maßnahmen sichergestellt oder sich vom Gefahrenausschluß zumindest überzeugt, so kann dieser Sachverhalt als persönlicher Strafausschließungsgrund akzeptiert werden. - Diese Konstruktion ermöglicht auch problemlos eine Strafmilderung, wenn zwar die Realisierung der Gefahr nicht sicher ausgeschlossen war, der Täter sich dieses jedoch vorstellte. In gleicher Richtung der Argumentation: BGHSt 26 S . 121 mit Anm. B R E H M J U S 1976 S. 22; BGH NJW 1982 S. 2329 mit Anm. B O H N B R T J U S 1984 S. 182 ff; H U G E R NStZ 1982 S. 421 f; SEIER JA 1983 S . 45 f; MAURACH/SCHROEDER B. T. II, § 51IV 3; WESSELS B . T . - l , § 2 1 I I 1.

II. Die gemeingefährlichen Delikte (Uberblick) 1. Die Brandstiftungsdelikte, §§ 306-310 a: dazu unten § 792. Die Explosionsdelikte, §§ 310 b~311 c a) Das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion erfaßt § 311. Die Tat ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Tathandlung ist das Herbeiführen einer Explosion, d. h. eines chemischen oder physikalischen Vorgangs, bei dem durch eine plötzliche Volumenvergrößerung Kräfte frei werden, die eine zerstörende Wirkung ausüben können.

§ 78 Systematischer Überblick

375

Eine Gefährdung durch Implosion oder Schallwellen fällt nicht unter den Begriff der Explosion. S o a u c h : HORN S K , § 311 R d n . 4; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 311 R d n . 3. A . A . : DREHER/TRONDLE § 311 R d n . 3; LACKNER S t G B , § 311 A n m . 2; WOLFF L K , § 311

Rdn. 4.

Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Das vorsätzliche Herbeiführen einer Explosion mit vorsätzlicher Gefährdung, § 311 Abs. 1. Abs. 3 nennt als besonders schweren Fall der vorsätzlichen Herbeiführung einer Explosion das Regelbeispiel der leichtfertigen Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat.

bb) Das vorsätzliche Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, § 311 Abs. 4. cc) Das fahrlässige Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, § 311 Abs. 5. b) Eine Sonderregelung gegenüber § 311 (lex specialis) stellt § 310 b, Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie, dar. aa) Die Tat ist konkretes Gefährdungsdelikt und im Falle des Abs. 1 (vorsätzliche Gefährdung durch vorsätzliche Tathandlung) Unternehmensdelikt. bb) Abs. 2 erfaßt die vorsätzliche Herbeiführung einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung. cc) Abs. 3 sieht eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen der Abs. 1, 2 vor, für die ein Regelbeispiel genannt wird: leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat.

dd) Abs. 4 erfaßt die fahrlässige Herbeiführung der Explosion mitfahrlässiger Gefährdung. c) Mißbrauch ionisierender Strahlen, § 311 a Gemäß § 311 a wird die konkrete Gefährdung von Menschen (Abs. l) und bestimmten Sachen (Abs. 4) durch ionisierende Strahlen bestraft, d. h. durch Strahlung, die von natürlichen oder künstlichen radioaktiven Stoffen ausgeht, durch Neutronenstrahlung, die bei der Kernspaltung entsteht, und durch künstlich erzeugte ionisierende Strahlung. aa) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht (dolus directus 1. Grades), die Gesundheit zu schädigen (Abs. l) oder die Brauchbarkeit der Sache zu beeinträchtigen (Abs. 4). bb) Abs. 2 enthält einen Qualifikationstatbestand zu Abs. 1. Unübersehbar ist eine Zahl, wenn so viele Menschen betroffen sind, daß ein objektiver Beobachter sie nicht ohne nähere Prüfung bestimmen kann.

376

Gemeingefährliche Delikte

cc) Abs. 3 sieht eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen vor, für die ein Regelbeispiel genannt wird: leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat. d) Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens, § 311 b Die Vorschrift schützt über § 30 hinaus gegen Handlungen, die zur Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens nach §§ 310 b Abs. 1, 311 a Abs. 2 oder 311 Abs. 1 begangen werden. Die Tat muß in der Vorstellung des Täters bereits in den Grundzügen bestimmt sein. Das ist der Fall auch dann, wenn der konkrete Tatort noch nicht feststeht; BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 805. e) Tätige Reue, § 311 c Die tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 1,2) oder zum Strafausschluß (Abs. 3, 4) führen kann, ist für die Explosionsdelikte in § 311 c besonders geregelt. 3. Freisetzen ionisierender Strahlen § 311 d; dazu vgl. unten § 82 III 4 a. 4. Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage, § 311 e; dazu vgl. unten § 82 III 4 b. 5. Die Überschwemmungsdelikte, §§ 312-314 a) Herbeiführen einer lebensgefährdenden Überschwemmung, § 312 aa) Die 1. Alternative erfaßt die Herbeiführung einer Überschwemmung mit gemeiner Gefahr für Menschenleben. Gemeine Gefahr bedeutet hier eine konkrete Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen. A. A.: H O R N SK, § 312 Rdn. 4, der die Gefahr für ein Menschenleben genügen läßt.

bb) Die 2. Alternative enthält einen erfolgsqualifizierten Fall (Tod eines Menschen); beachte § 18. b) Herbeiführen einer sachgefährdenden Überschwemmung, § 313 aa) § 313 Abs. 1 bestraft die Herbeiführung einer Überschwemmung mit gemeiner Gefahr für erhebliche - fremde - Sachwerte. Die Sachen müssen verschiedenen Eigentümern gehören, da sonst von einer gemeinen Gefahr keine Rede sein kann. So auch: D R E H E R / T R Ö N D L E § 3 1 3 Rdn. 1 ; W O L F F LK, § 3 1 3 Rdn. 2 . SK, § 3 1 3 Rdn. 3 ; LACKNER StGB, § 3 1 3 Anm. 1.

- A . A . :

HORN

§ 78 Systematischer Überblick

377

bb) Abs. 2 berücksichtigt das Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation, in der der Täter sich befindet oder zu befinden meint. c) Fahrlässiges Herbeiführen einer Überschwemmung, § 314 Gemäß § 314 wird das fahrlässige Herbeiführen einer Überschwemmung i. S. der §§ 312, 313 unter Strafe gestellt. 6. Die Gefährdung des Verkehrswesens, §§ 315-316, 316 c; dazu unten § 80. 7. Die Beschädigung wichtiger Anlagen, §§ 318, 320 a) Beschädigung wichtiger Anlagen, § 318 aa) Das konkrete Gefährdungsdelikt des Abs. 1 stellt die vorsätzliche Beschädigung oder Zerstörung bestimmter wichtiger Bauten (Wasserleitungen, Schleusen, Wehre, Deiche usw.) unabhängig vom Eigentum an diesen Objekten unter Strafe, wenn durch die Tat eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit anderer herbeigeführt wird. bb) Abs. 2 enthält zwei erfolgsqualifizierte Fälle (schwere Körperverletzung, § 224, und Tod eines Menschen); beachte § 18. b) Fahrlässige Beschädigung wichtiger Anlagen, § 320 in Verb, mit Die fahrlässige Verwirklichung des § 318 ist gemäß § 320 strafbar, wenn außer dem durch die Handlung entstandenen unmittelbaren Schaden ein weiterer Schaden - gleich welcher Art - verursacht worden ist. Der weitere Schaden ist objektive Bedingung der Strafbarkeit; dazu auch unten § 82 III 7 b. 8. Die gemeingefährliche Vergiftung, §§ 319, 320; dazu unten § 82 III 7. 9. Die Baugefährdung, § 323 Erfaßt wird die konkrete Gefährdung von Leib und Leben anderer durch die Verletzung der in der Praxis allgemein anerkannten Regeln der Baukunst bei Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder Einbaues oder bei Änderung technischer Einrichtungen in einem Bauwerk, und zwar: aa) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und vorsätzliche Gefährdung, § 323 Abs. 1, 2. bb) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, § 323 Abs. 3. cc) Fahrlässige Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, § 323 Abs. 4.

378

Gemeingefährliche Delikte

dd) Tätige Reue ist gemäß § 323 Abs. 5 möglich. 10. Vollrausch, § 323 a § 323 a kann formell in die Gruppe der gemeingefährlichen Delikte eingefügt werden, wenn man die Unbeherrschbarkeit der ausgelösten Kräfte stärker betont und weniger ihre Art (Naturgewalt, technische Kraft); dazu unten § 81. 11. Zur Möglichkeit der Führungsaufsicht und Einziehung bei bestimmten gemeingefährlichen Delikten vgl. §§ 321, 322.

III. Nicht gemeingefährliche Delikte im 27. Abschnitt des StGB 1. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a; dazu oben § 46 VI. 2. Störung öffentlicher Betriebe, § 316 b Die Vorschrift schützt lebenswichtige Betriebe gegen gewaltsame Eingriffe. - Zum Begriff der der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienenden Einrichtung Vgl. BGHSt 31S. 1; 31S. 185 mit Anm. STREEJUS 1983 S. 839 f. 3. Störung von Fernmeldeanlagen, §317 § 317 dient dem Schutz einer besonders wichtigen öffentlichen Einrichtung. Auch der einzelne private Fernsprechanschluß ist Teil einer öffentlichen Zwecken dienenden Fernsprechanlage; BGHSt 25 S. 370 mit Anm. KRAUSE JR 1975 S. 380; MAHNKOPFJUS 1982 S. 886. - A. A.: B a y O b L G N J W l 9 7 1 S. 528; HORN SK, § 317 Rdn. 5; MOMBERGJZ 1982 S. 574.

4. Gefährdung einer Entziehungskur, § 323 b Die Vorschrift schützt behördlich angeordnete oder sonst ohne Einwilligung des Betroffenen veranlaßte Entziehungskuren gegen Störung durch Dritte. Es handelt sich daher um ein den Rechtspflegedelikten verwandtes Delikt.

5. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c; dazu oben § 67 I

§ 79 Brandstiftungsdelikte

379

§ 79: Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen Die Brandstiftung wird vom Gesetzgeber in den Brandstiftungsdelikten als „Inbrandsetzen des geschützten Objekts" erfaßt. 1. Inbrandgesetzt ist ein Objekt, wenn es vom Feuer in einer Weise erfaßt ist, die ein Fortbrennen aus eigener Kraft ermöglicht; BGHSt 18 S. 364. Das bloße Brennen des Zündstoffes oder z. B. von Inventar eines Gebäudes reicht nicht aus, wohl aber der Brand von Teilen des Gebäudes, die für dessen bestimmungsmäßigen Gebrauch wesentlich sind (z. B. Tür, Fußboden, Treppe), wenn die Möglichkeit besteht, daß das Feuer auf das übrige Objekt übergreift; BGH NStZ 1982 S. 201.

2. Das Inbrandsetzen eines schon brennenden Objekts an anderer Stelle genügt. - Streitig ist, ob das bloße Verstärken des Brandes noch als Inbrandsetzen zu erfassen ist. Das ist zu bejahen. Die Brandstiftungsdelikte sind abstrakte Gefährdungsdelikte. In der gefährlichen Verhaltensweise hat der Gesetzgeber das strafwürdige Verhalten erblickt. Unter dem Aspekt dieser Gefährdung ist es aber bedeutungslos, ob eine Gefahr begründet oder eine vorhandene Gefahr intensiviert wird. Die besondere Gefährdung ist auch zu besorgen, wenn ein schon bestehender Brandherd durch Intensivieren vergrößert wird, gleichgültig ob durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen der Erfolgsabwendung. So auch: R G J W 1928 S. 2464; OGHSt 1 S. 319; BRUNS DR 1943 S. 903; KLUSSMANN M D R

1 9 7 4 S. 1 8 9 ; SCHMIDHÄUSER B . T., 15/7; SCIIÖNKI/SCHRÖDER/

CRAMER § 3 0 6 R d n . 13; WOLFF L K , § 3 0 6 R d n . 2. - A . A . : O L G H a m m N J W I 9 6 0 S. 1 8 7 4 ; MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 52 I 4.

3. Versucht ist die Brandstiftung in der Regel, wenn der Täter sich anschickt, den Zündstoff in Brand zu setzen. Sollen Ausschütten (Benzin) oder Anbringen eines Zündstoffs und Entzünden nach dem Tatbild des Täters eine Einheit bilden, so beginnt der Versuch bereits mit dem Ausschütten bzw. Anbringen des Zündstoffs. Dazu auch: MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 52 I 4.

II. Brandstiftung, § 308 1. § 308 Abs. 1, 1. Alt. a) Geschützt gegen Brandstiftung sind gemäß § 308 Abs. 1, 1. Alt. Gebäude - auch Rohbauten (BGHSt 6 S. 107) und instandsetzungsfähige Ruinen (BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 810) -, Schiffe, Hütten (OLG Karlsruhe MDR 1983 S. 1036; OLG Karlsruhe NStZ 1981 S. 482), Bergwerke, Magazine, bestimmte Warenvorräte, Waldungen (BGH NJW 1982 S. 2266) und Torfmoore, wenn diese Objekte in fremdem Eigentum stehen.

380

Gemeingefährliche Delikte

b) Da der Schutz fremden Eigentums im Vordergrund steht, nicht aber die Abwehr einer Gemeingefahr, handelt es sich hier um ein qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt; vgl. auch oben § 47 II 2. 2. § 308 Abs. 1, 2. Alt. a) § 308 Abs. 1,2. Alt. enthält ein abstraktes Gefährdungsdelikt, wobei sich die Gefahr allein aus der Beschaffenheit und Lage des geschützten Objektes ergeben muß, nicht aber aus anderen Umständen, z. B. Wind und Wetter. b) Der Vorsatz, bedingter genügt, erfordert das Bewußtsein des Inbrandsetzens des geschützten Gegenstandes und die Kenntnis der abstrakten Gefährlichkeit des Verhaltens. 3. Zum Ausschluß der Realisierung der abstrakten Gefahr, vgl. oben §7812. 4- Konkurrenzen § 308 verdrängt § 305 bei der Zerstörung eines Gebäudes durch Brandstiftung. - §§ 306, 307 gehen dem § 308 Abs. 1, 2. Alt. vor. III. Schwere Brandstiftung, § 306 § 306 schützt bestimmte menschliche Wohn- und Aufenthaltsstätten ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall eine konkrete Gefahr für Menschen entstanden ist. - Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 1. Umfassend geschützt sind Gebäude, die zu gottesdienstlichen Versammlungen dienen, Nr. 1. 2. Gebäude, Schiffe und Hütten sind geschützt, soweit sie tatsächlich Menschen zum Wohnen dienen. Ob die Gebäude usw. zum Wohnen bestimmt oder geeignet sind, ist genauso unerheblich wie eine vorübergehende Abwesenheit der Bewohner. Dient das Gebäude tatsächlich noch nicht zum Wohnen (Neubau) oder aber hat der Berechtigte die Wohnungseigenschaft aufgegeben, so greift Nr. 2 nicht ein. - Die Aufgabe der Wohnungseigenschaft kann auch konkludent durch Inbrandsetzen des Gebäudes durch den berechtigten Bewohner erfolgen; dazu BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 981; LG Düsseldorf NStZ 1981 S. 224.

3. Andere Räumlichkeiten (z. B. Büro, Wohnwagen, Scheunen, Stallungen) sind geschützt, wenn sie - sei es auch nur zeitweise - dem Aufenthalt von Menschen dienen. Eine Begrenzung des Anwendungsbereiches versucht der BGH durch das Erfordernis einer gewissen Bewegungsfreiheit in der Räumlichkeit zu erreichen, die z. B. bei Telefonzellen und einem Pkw nicht gegeben sein soll; BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638; a. A.: OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 1042.

§ 79 Brandstiftungsdelikte

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Diese Begrenzung ist nicht nötig, wenn der Ausschluß der Gefahr als persönlicher Strafausschließungsgrund - wie oben § 78 I 2 darlegt - anerkannt wird, da dann in den nicht strafwürdigen Fällen die Strafbarkeit entfällt.

IV Besonders schwere Brandstiftung, § 307 1. § 307 Nr. 1 enthält einen erfolgsqualifizierten Fall des § 306; beachte § 18! - Da das Opfer sich zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten befunden haben muß, genügt der Tod eines Helfers beim Löschen nicht. Tritt der besondere Erfolg beim Versuch der Brandstiftung ein, so ist § 307 a n w e n d b a r ; v g l . GRUNDKURS STRAIRECHT, A . T., § 18 I V 6 b.

2. § 307 Nr. 2 ist ein Qualifikationstatbestand gegenüber § 306.-Absiebt ist hier zielgerichtetes Wollen. Ausnutzen setzt voraus, daß der Täter die durch den Brand geschaffene Lage zur Verwirklichung einer der genannten Straftaten nutzt. Der Brand selbst kann Tathandlung oder Teil der Tathandlung sein, z. B. wenn die Brandstiftung zur Tötung eines anderen erfolgt. S o a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 3 0 7 R d n . 4; MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 52 II 5 b; WOLFF L K , § 3 0 7 R d n . 5. - A . A . : HORN S K , § 3 0 7 R d n . 10; LACKNER S t G B , § 307

Anm. 2 b.

3. § 307 Nr. 3 ist ein durch das Entfernen oder Unbrauchbarmachen von Löschgeräten qualifizierter Fall des § 306. Das Abstellen der Wasserleitung verhindert zwar das Löschen, macht die Löschgeräte als solche aber nicht unbrauchbar, daher ist der Tatbestand auf diesen Fall nicht anzuwenden. So auch: HORN SK, § 307 Rdn. 15. - A. A.: LACKNER StGB, § 307 A n m . 2 c; MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 52 II 5 c.

V. Fahrlässige Brandstiftung, § 309 1. § 309,1. Alt. knüpft an die Tatbestände der §§ 306 und 308 an. Gegenstand der Handlung können daher nur die in diesen Tatbeständen genannten Objekte sein. 2. § 309,2. Alt. enthält einen Strafschärfungsgrund für den erfolgsqualifizierten Fall, daß durch den Brand der Tod eines Menschen verursacht wird; beachte § 18. VI. Herbeiführen einer Brandgefahr, § 310 a 1. § 310 a erfaßt die vorsätzliche (Abs. l) und fahrlässige (Abs. 2) Herbeiführung einer konkreten Brandgefahr für bestimmte Objekte. Auf das Eigentum an diesen Objekten kommt es nicht an.

382

Gemeingefährliche Delikte

2. §§ 306-309 konsumieren § 310 a.

VII. Tätige Reue, § 310 1. Der Täter erlangt wegen der Brandstiftung Straffreiheit, wenn der Brand noch nicht entdeckt, ein weiterer als der durch die Inbrandsetzung eingetretene Schaden nicht herbeigeführt ist und der Täter den Brand gelöscht hat. a) Entdeckt ist der Brand nach h. M., wenn ein Unbeteiligter ihn wahrgenommen hat. - Diese objektive Interpretation des Merkmals wird jedoch der in der neueren Gesetzgebung zum Ausdruck kommenden Privilegierung des freiwilligen Rücktritts nicht gerecht. - Sachgerechter erscheint es, das Merkmal „Entdeckung" als Indiz für die Unfreiwilligkeit des Täters zu interpretieren. - Entdeckt ist der Brand danach, wenn ein Unbeteiligter ihn wahrgenommen und der Täter dies erkannt hat. Dem heimlich beobachteten Täter, der von der Beobachtung nichts weiß, kommt damit das Privileg noch zugute, wenn die anderen Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu auch : BOTTKE Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979, S. 623; MALJRACH/SCHROEDER B . T. II, § 52 V 2 .

b) Ein weiterer Schaden ist eingetreten, wenn das Feuer einen erheblich größeren Umfang erreicht hat, als zum selbständigen Weiterbrennen erforderlich ist. Ist das geschützte Objekt noch nicht in Brand gesetzt, weil z. B. erst der Zündstoff oder Inventarteile des Gebäudes brennen, so richtet sich der Rücktritt nach § 24, denn es liegt erst eine versuchte Brandstiftung vor.

2. Erlischt der Brand ohne Zutun des Täters, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, den Brand zu löschen, §§ 311 c Abs. 4, 315 Abs. 6 S. 3 analog. Dazu: BOTTKE Methodik, S. 624.

3. Kann eine Brandstiftung aufgrund des § 310 nicht bestraft werden, so soll dennoch eine Bestrafung gemäß § 310 a möglich sein. - Dem ist nicht zu folgen, § 310 a erfaßt die Gefährdung der gleichen Rechtsgüter, die durch die Brandstiftungsdelikte geschützt werden. Der Rücktritt von der Brandstiftung erfaßt dann aber - wie sonst auch - die Gefährdung mit. So auch: BOTTKE Methodik, S. 625; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 310 a Rdn. 4; VOGLER B o c k e l m a n n - F e s t s c h r i f t , S. 7 2 8 . - A . A . : B G H N J W 1 9 5 1 S . 7 2 6 ; DREHER/ TRÖNDLE § 3 1 0 R d n . 5; LACKNER S t G B , § 3 1 0 A n m . 1.

§ 80 Gefährdungen des Verkehrswesens

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§ 80: Gefährdungen des Verkehrswesens I. D e l i k t e gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§ 315, 315 a

1. Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Uißverkehr, §315 a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur § 315 erfaßt die Transportgefährdung als konkretes Gefährdungsdelikt. Angriffsobiekte sind Schienenbahnen auf besonderen Gleiskörpern beachte § 315 d Seilbahnen sowie Einrichtungen der Schiff- und Luftfahrt. Geschützt ist die Sicherheit dieser Verkehrsarten. - Der konkreten Gefährdung von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Einzelnen sowie fremden Eigentums von bedeutendem Wert kommt nur Bedeutung für das Maß der Gefahr zu. Die Gefährdung ist nur unwiderlegbarer Maßstab für die Höhe der Gefahr, nicht aber Beeinträchtigung eines eigenständig geschützten Rechtsguts; dazu auch unter II 2 d. Keine fremde Sache i. S. des § 315 Abs. 1 ist das dem Täter nicht gehörende Tatfahrzeug; BGH NJW 1983 S. 2827.

b) Einzelheiten zu den Tathandlungen aa) Die Sicherheit des Verkehrs ist beeinträchtigt, wenn durch den Eingriff gegenüber Menschen oder Einrichtungen, die in Beziehung zu einem bestimmten Verkehrsvorgang stehen, eine Steigerung der normalen Betriebsgefahr eingetreten ist. Für die Beeinträchtigung genügt allerdings nicht jedes Mittel, sondern nur ein Eingriff der in Abs. 1 Nr. 1-3 beispielhaft aufgeführten Art oder ein ähnlicher und ebenso gefährlicher Eingriff. Ähnlich und ebenso gefährlich ist ein Eingriff, der unmittelbar auf einen Verkehrsvorgang einwirkt und nach Art und Gefahr den beispielhaft genannten Eingriffen gleichwertig ist. Beispiele: Steinwurf auf den Zugführer; Verdecken von Signalen; Stören des die Flug- und Wasserwege sichernden Funk- und Signalverkehrs.

bb) Ein Hindernis bereitet, wer körperliche Gegenstände, die ihrer Beschaffenheit nach zur Hemmung oder Verzögerung des ordnungsgemäßen Betriebs geeignet sind, in den Fahrbereich der Bahn bringt oder als Garant dort beläßt. c) Die subjektiven Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) § 315 Abs. 1 erfaßt die vorsätzliche Begehung, bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muß das Bewußtsein der Beeinträchtigung der Betriebssicherheit und das der Herbeiführung der konkreten Gefahr haben.

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Gemeingefährliche Delikte

bb) Handelt der Täter in der Absicht - zielgerichtetes Wollen - , einen Unglücksfall - dazu oben § 67 I 1 a - herbeizuführen oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3. Eine Ordnungswidrigkeit ist keine Straftat i. S. des § 315 Abs. 3 Nr. 2; BGHSt 28 S. 9 3 m i t A n m . R O T H J R 1 9 7 9 S. 5 1 6 f.

cc) Bei vorsätzlichem Eingriff, aber nurfahrlässiger Gefährdung greift Abs. 4 ein, bei fahrlässigem Eingriff und fahrlässiger Gefährdung Abs. 5. d) Tätige Reue § 315 Abs. 6 enthält einen Fall Tätiger Reue. Der Täter kann von dem vollendeten Delikt zurücktreten, wenn er die geschaffene Gefahr freiwillig abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist. 2. Gefährdung des Bahn-, Schiffs- oder Lufiverkehrs, § 315 a a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur § 315 a ergänzt den § 315 dadurch, daß er auch bestimmte betriebsinterne Gefährdungen unter Strafe stellt. Auch hier müssen Leib oder Leben eines anderen oder bedeutende fremde Sachwerte konkret gefährdet worden sein. b) Einzelheiten zu den Tathandlungen aa) Abs. 1 Nr. 1 erfaßt das Fahren in einem fahruntüchtigen, rauschbedingten Zustand; dazu vgl. auch unter II 2 c. bb) Abs. 1 Nr. 2 enthält ein Sonderdelikt. - Fahrzeugfiihrer und sonst für die Sicherheit des Verkehrs verantwortliche Personen werden für grob pflichtwidrige Verletzungen von Sicherheitsvorschriften bestraft. Die das Blankett ausfüllenden Vorschriften müssen förmliche Gesetze oder Rechtsverordnungen sein. c) Subjektive Voraussetzungen Die Strafdrohung des § 315 a ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Abs. 1 setzt die vorsätzliche Tathandlung und eine vorsätzliche konkrete Gefährdung voraus. bb) Gemäß Abs. 3 Nr. 1 wird bestraft, wer die Tathandlung vorsätzlich vornimmt, jedoch nur fahrlässig gefährdet, nach Abs. 3 Nr. 2, wer die Tathandlung fahrlässig begeht und die Gefahr fahrlässig verursacht. d) Rücktritt vom vollendeten Delikt Eine Rücktrittsregelung sieht § 315 a nicht vor, doch ist § 315 Abs. 6 auf § 315 a Abs. 1 Nr. 2 analog anwendbar.

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II. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316 1. Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 515 b a) Der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 In Aufbau und Schutzrichtung entspricht § 315 b dem § 315 - vgl. oben 11 - mit der Maßgabe, daß es hier um den Schutz des Straßenverkehrs geht, d. h. um die Sicherheit des Verkehrs auf Wegen, Plätzen usw., die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen. - Im Gegensatz zu § 315 Abs. 1 Nr. 2 fehlt bei der Aufzählung der Tathandlungen das Geben falscher Signale und Zeichen, doch kann in einem derartigen Verhalten ein „ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff" liegen. Das Merkmal des Hindernisbereitens und das des ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriffs sind hier jedoch enger zu fassen: § 315 b erfaßt zunächst verkehrsfremde, von außen kommende Eingriffe in die Sicherheit des Straßenverkehrs. Vorgänge des fließenden oder ruhenden Verkehrs werden von § 315 b nur dann erfaßt, wenn sie bewußt zweckentfremdet werden, d. h. wenn der Verkehrsvorgang in erster Linie dem Zweck eines gefährlichen Eingriffs dienen soll. Dies ergibt sich aus dem Verhältnis des § 315 b zu § 315 c; OLG Hamm NJW 1969 S. 1976. Bloße Fehlleistungen des Fahrzeugführers in der Bewältigung von Vorgängen des fließenden und ruhenden Verkehrs werden von § 315 c erfaßt, nicht aber von § 315 b. - Ob dies auch für Mitfahrer gilt, ist Str., doch erscheint es angemessen, Eingriffe des Mitfahrers, die der Bewältigung der Verkehrssituation dienen oder dienen sollen, gleich zu behandeln; vgl. OLG Hamm NJW 1969 S. 1975; a. A.: OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 1391. Verkehrsfremder Eingriff: Spannen eines Drahtes über die Fahrbahn; Hinterlassen einer Ölspur (OLG Stuttgart N J W 1959 S. 254). - Liegenlassen eines Balkens auf der Fahrbahn. - Absichtliches Abschneiden des Weges eines anderen Verkehrsteilnehmers mit einem Fahrzeug (BGH 21 S. 301). - Zufahren auf einen anderen mit Tötungs- (BGHSt 26 S. 176) oder Körperverletzungsvorsatz, wenn das Opfer nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahr ausweichen kann (BGH NJW 1983 S. 1624 mit Anm. CRAMERJZ 1983 S. 812 ff). - Abgabe eines Schusses auf einen Fahrzeugführer (BGHSt 2 5 S. 306). - Bewußtes Befahren der Autobahn in falscher Richtung - Geisterfahrer - (OLG Stuttgart N J W 1976 S. 2223 mit Anm. RÜTHJR 1977 S. 255; a. A . : O L G Stuttgart J R 1980 S. 470 mit A n m . KÜRSCHNER S. 47L).

Kein verkehrsfremder Eingriff: Unvorsichtiges Überholen. - Überholen über mehrere Kilometer. - Trunkenheitsbedingter Griff des Beifahrers in das Steuer (OLG Köln NJW 1971S. 670). - Flucht vor einer Polizeikontrolle (BGHSt 28 S.87 m i t A n m . RÜTHJR 1 9 7 9 S. 5 1 9 ; O L G D ü s s e l d o r f N J W 1 9 8 2 S. 1 1 1 1 ; SCHWAB N J W

1983 S. 1100).

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Gemeingefährliche Delikte

b) Subjektive Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Gemäß § 315 b Abs. 1 wird bestraft, wer die Tathandlung vorsätzlich begeht und die bestimmte konkrete Gefahr vorsätzlich verwirklicht. bb) Handelt der Täter in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3. ccj Bei vorsätzlicher Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung greift Abs. 4, bei fahrlässiger Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung Abs. 5 ein. c) Gemäß § 315 b Abs. 6 i. V. m. § 315 Abs. 6 ist Tätige Reue möglich. 2. Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315 c a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur Das konkrete Gefährdungsdelikt schützt die Sicherheit des Straßenverkehrs; dazu oben II 1 a. b) Führen eines Fahrzeugs Das Gesetz setzt in Nr. 1 ausdrücklich, in den meisten Tatbeständen der Nr. 2 stillschweigend voraus, daß der Täter ein Fahrzeug führt. - Ein Fahrzeug führt bereits, wer es in Betrieb nimmt, auch wenn es noch nicht zu einem Bewegungsvorgang gekommen ist. Beispiele: Lösen der Handbremse; Einführen des Zündschlüssels, um das Fahrzeug in Gang zu setzen (BGHSt 7 S. 315; a. A.: OLG Hamm NJW 1984 S. 137); Abrollenlassen des Fahrzeugs auf Gefällstrecke (BGHSt 14 S. 185). Nicht hingegen: Bloßes Platznehmen auf dem Fahrersitz (OLG Köln NJW 1964 S. 2026); Anlassen des Motors, um Wärme in das Kfz-Innere zu bringen (a. A.: BayObLG VRS 27 S. 220).

c) Tathandlungen aa) Gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a wird bestraft, wer ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel (z. B. Opium, Heroin, Kokain usw.) nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. - Die Tat ist eigenhändiges Delikt. Ab 1,3 Promille Blutalkohol hält die Rechtsprechung alle Kraftfahrer (Kfz, Motorrad, Mofa) für fahruntüchtig: absolute Fahruntüchtigkeit. - Gleiches gilt für denjenigen, der in der Anflutungsphase nach einem Sturztrunk zwar noch weniger als 1,3 Promille hat, diese Grenze jedoch später erreicht. - Unterhalb der 1,3-Promillegrenze - relative Fahruntüchtigkeit bedarf die Feststellung der Fahruntüchtigkeit besonderer Beweisanzeichen.

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Als solche Beweisanzeichen werden z. B. angesehen: Fahren in Schlangenlinien (OLG Hamm VRS 49 S. 270); mit überhöhter Geschwindigkeit (OLG Köln VRS 37 S. 200); Geradeausfahren in Kurven oder grundloses Abkommen von der Fahrbahn (BGH VRS 47 S. 19).

Bei Radfahrern hat die Rechtsprechung bisher keine absolute Grenze der Fahruntüchtigkeit festgelegt; vgl. BGHSt 19 S. 82. bb) Abs. 1 Nr. 1 b erfaßt den Täter, der im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. cc) Abs. 1 Nr. 2 erfaßt grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verstöße gegen bestimmte näher aufgeführte Verkehrsregeln, d) Gefährdung durch die Tathandlung Durch die Tathandlung muß eine konkrete - nicht bloß abstrakt mögliche - Gefahr für Leib und Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert begründet werden. - Das Gefahrenurteil wird aufgrund einer objektiven nachträglichen Prognose gefällt. Dazu: LACKNER Das konkrete Gefährdungsdelikt im Straßenverkehr, 1967, S. 15; MEYER-GERHARDS J u S 1 9 7 6 S. 2 2 8 .

aa) Die Gefährdung muß durch die Tathandlung erfolgen. - Die Beachtung des engen Zusammenhanges zwischen Tathandlung und Gefahr löst die viel diskutierte Frage, ob der Einwilligungim Rahmen des § 315 c rechtfertigende Wirkung zukommt. Dies ist kaum begründbar, wenn § 315 c als Delikt gegen die Sicherheit des Verkehrs interpretiert wird. Jedoch kommt es darauf nicht an: Wer in voller Kenntnis des fahruntüchtigen Zustandes des Kraftfahrzeugführers an einer Fahrt teilnimmt, begründet selbst die Gefahr für seine Rechtsgüter, da er die Gefahr bewußt auf sich nimmt. § 315 c erfaßt hingegen Fälle der Gefährdung durch einen anderen. In der Sache liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zwischen gefährlichem Zustand des Kraftfahrzeugführers und der Gefährdung eines Dritten vor, so daß das Unrecht des § 315 c durch dieses Verhalten nicht verwirklicht wird. So im Ergebnis auch: OLG Hamburg NJW1969 S. 336; BREHM Dogmatik, S. 34 f f ; DREHER/TRONDLE § 3 1 5 c R d n . 17; HILLENKAMPJUS 1 9 7 7 S. 1 7 0 f ; HORN S K , § 3 1 5 c R d n . 2 2 ; LANGROCK M D R 1 9 7 0 S. 9 8 2 ; MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 51 I 2 ; SCHONKE/SCHRÖDER/CRAMER § 3 1 5 c R d n . 3 3 .

A. A.: BGHSt 23 S. 261 mit abl. Anm. OELLERS NJW 1970 S. 2121; OLG Stuttgart N J W 1 9 7 6 S. 1 9 0 4 ; LACKNER G e f ä h r d u n g s d e l i k t e , S. 12; ROTH L K , § 3 1 5 c R d n . 6 1 ; SCHAFFSTEIN W e l z e l - F e s t s c h r i f t , S. 5 7 4 ; SCHMIDHÄUSF.R B . T., 15/81; WESSELS B . T.-L, § 2 2 II 3. D i f f e r e n z i e r e n d : BICKELHAUPT N J W 1 9 6 7 S. 7 1 3 ; GEPPERT Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 ) S. 9 8 4 ;

ROXIN Gallas-Festschrift, S. 283.

bb) Für die Frage, ob die bedrohte Sache einen bedeutenden Wert hat, kommt es auf den Verkehrswert an, nicht auf den Wert der Sache für den

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Berechtigten. Nicht nur der Wert der Sache als solcher ist entscheidend, sondern auch der ihr drohende Schaden muß bedeutend sein. Ein bedeutender Wert ist gefährdet bei einer zu befürchtenden Schadenssumme von derzeit etwa D M 1000,-. cc) Das vom Täter geführte Fahrzeug ist Mittel, nicht aber Objekt der Gefährdung, auch wenn es nicht Eigentum des Täters ist. Dazu: BGHSt 27 S. 40 mit abl. Anm.

ROTHJR

1977 S. 431.

e) Die subjektiven Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Abs. 1 erfordert in bezug auf die Tathandlung und die Gefährdung Vorsatz - bedingter genügt - des Täters. bb) Wird die Tathandlung vorsätzlich begangen, die Gefahr hingegen fahrlässig verursacht, so greift Abs. 3 Nr. 1 ein. Teilnahme ist nach den Regeln der Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt möglich; dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 V

cc) Abs. 3 Nr. 2 findet Anwendung, wenn Tathandlung und Gefährdung fahrlässig erfolgt sind. f) Der Versuch, § 315 c Abs. 2 Der Versuch erfordert Vorsatz auch in bezug auf die Gefährdung, denn der Versuch ist nur in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1, nicht aber in denen des Abs. 3, mit Strafe bedroht. g) Gefährdung mehrerer Personen Werden durch eine Handlung i. S. des § 315 c Abs. 1 mehrere Personen gefährdet, so ist der Tatbestand der Gefährdung im Straßenverkehr dennoch nur einmal verwirklicht; vgl. BayObLG N J W 1984 S. 68.

3. Trunkenheit im Verkehr, § 316 a) Das Führen eines Fahrzeuges im Verkehr in rauschbedingtem fahruntüchtigem Zustand, ohne daß es zur Gefährdung anderer kommt, stellt § 316 als abstraktes Gefährdungsdelikt unter Strafe. b) Täter kann nur der Führer der genannten Fahrzeuge sein. c) Das Delikt ist vorsätzlich (§ 316 Abs. l ) und fahrlässig (§ 316 Abs. 2) begehbar. - Der Vorsatz erfordert zumindest das Bewußtsein des Täters von der konkreten Gefahr, fahruntüchtig zu sein. Der schlichte Schluß von der genossenen Alkoholmenge auf den Vorsatz ist unzulässig.

4. Schienenbahnen im Straßenverkehr, § 315 d Soweit Schienenbahnen am Straßenverkehr teilnehmen, d. h. wenn ihr Verkehrsraum zugleich dem Straßenverkehr dient oder die Trennung von

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der Straße nicht scharf durchgeführt ist, so daß der Fahrzeugführer sein Verhalten nach dem allgemeinen Straßenverkehr zu richten hat, gelten für den Betrieb dieser Bahnen nur §§315 b, 315 c- - §§ 315, 315 a finden keine Anwendung.

III. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 1. Das geschützte Rechtsgut § 142 erfaßt kein gemeingefährliches oder auch nur gemeinschädliches Delikt, sondern eine gegen Vermögensinteressen des Einzelnen gerichtete Straftat. Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse Unfallbeteiligter oder Geschädigter an möglichst umfassender Aufklärung des Unfallhergangs zu dem Zwecke, Schadensersatzansprüche zu sichern oder abzuwehren. Die Darstellung an dieser Stelle erfolgt aus Gründen des Sachzusammenhanges. 2. Der Täter des Delikts a) Täter kann nur ein Unfallbeteiligter sein, d. h. jemand, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann, Abs. 4. - Als Unfallbeteiligter kommt daher nicht nur der Fahrer eines Kfz in Betracht, sondern alle Personen, die beim aktuellen Unfallgeschehen zugegen waren und deren Verhalten den Unfall nach dem äußeren Schein zumindest mitverursacht haben kann. Dies kann z. B. der Beifahrer sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß er den Fahrer behindert oder in seinem verkehrswidrigen Verhalten bestärkt hat, der Fahrzeughalter, der das Fahrzeug einem fahruntüchtigen oder ungeeigneten Fahrer überlassen hat oder einer Garantenpflicht zuwider die Weiterfahrt nicht verhindert hat. So auch: BGH VRS 24 S. 34; BGHSt 30 S. 160; BayObLG VRS 57 S. 31; LACKNER S t G B , § 1 4 2 A n m . 2 a; RÜTH L K , § 1 4 2 R d n . 2 2 . - A . A . : RUDOLPHI S K , § 142 R d n . 16; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 142 R d n . 61.

Der nicht mitfahrende oder erst später am Unfallort erscheinende Fahrzeughalter ist hingegen nicht wartepflichtig, da sein Verhalten nicht zu den Verhaltensweisen gehört, die unmittelbar am Unfallort feststellbar sind.

b) Da Täter nur ein Unfallbeteiligter sein kann, handelt es sich beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort um ein Sonderdelikt. Die Unfallbeteiligung begründet jedoch keine Sonderpflichtenposition i. S. des § 28, sondern charakterisiert nur die Positionsnähe zum Rechtsgut. So auch: HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 83; LACKNER StGB, § 142 Anm. 2 b. - A. A.: DREHER/TRÖNDLE § 142 R d n . 14; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 3 9 .

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3. Der Unfall im Straßenverkehr Unfall im Straßenverkehr ist ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr auf Wegen und Plätzen, das mit dessen Gefahren im ursächlichen Zusammenhang steht und zu einem Personen- oder Sachschaden eines anderen geführt hat. a) Zum Begriff des Straßenverkehrs vgl. oben § 80 II 1 a. Es genügen Vorkommnisse im ruhenden Verkehr und mit ausschließlicher Beteiligung von Fußgängern. So auch: OLG Stuttgart VRS 18 S. 117; LACKNER StGB, § 142 Anm. 3 a. - A. A. u. a.: BERZJUS 1973 S. 5 5 8 .

b) Ein Personenschaden bedeutet Tötung oder nicht ganz unerhebliche Körperverletzung eines anderen. c) Ein Sachschaden ist völlig belanglos i. S. des § 142, wenn der Schadensersatz nicht über D M 50,- hinausgeht. d) Str. ist, ob auch eine vorsätzliche Schädigung eines anderen mit dem Kfz - A überfährt B in Tötungsabsicht - als Verkehrsunfall anzusehen ist. Dies ist zu bejahen, wenn die Schädigung - etwa bedingt vorsätzlich - bei der Teilnahme am Straßenverkehr erfolgt. Wird das Kfz hingegen ausschließlich als Tatmittel bei der Verwirklichung eines Delikts - Körperverletzung, Sachbeschädigung, Tötung - eingesetzt, so liegt kein Unfall vor, das Verhalten wird von den die betroffenen Rechtsgüter unmittelbar schützenden Vorschriften hinreichend erfaßt. Dazu auch: OLG Hamm N J W 1982 S. 2456; DREHER/TRÖNDLE § 142 Rdn. 12; LACKNER StGB, § 142 Anm. 3 a; MAGDOWSKI Die Verkehrsunfallflucht in der Strafrechtsreform, 1980, S. 89. - Offengelassen in: BGHSt 24 S. 382 mit Anm. BERZJUS 1973 S. 5 5 8 , EICH M D R 1973 S. 814 u n d FORSTER N J W 1972 S. 2319; BRZNGEWAT J A 1977 S. 2 3 2 .

4. Die Systematik des § 142 a) Abs. 1 regelt die Pflichten des Täters am Unfallort. Das Gesetz unterscheidet zwei Alternativen: sind feststellungsbereite Personen anwesend, so muß der Unfallbeteiligte gemäß Abs. 1 Nr. 1 warten und darüber hinaus die Angabe machen, daß er am Unfall beteiligt ist (Warte- und Vorstellungspflicht). - Sind feststellungsbereite Personen nicht anwesend, so muß er nur eine angemessene Zeit warten (Wartepflicht), Abs. 1 Nr. 2. b) Abs. 2 regelt den Fall, daß der Unfallbeteiligte sich durch Verlassen des Unfallortes nicht strafbar gemacht hat, sei es, daß er nach angemessener Wartefrist den Unfallort verlassen durfte, Abs. 2 Nr. 1, oder aber daß er sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat, Abs. 2 Nr. 2. In diesen Fällen muß er die Feststellungen unverzüglich nachträglich ermöglichen.

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5. Die einzelnen Tathandlungen a) § 142 Abs. 1 Tathandlung des § 142 Abs. 1 ist das Sich-Entfernen vom Unfallort. Es setzt voraus, daß der Verpflichtete deshalb nicht mehr zu den erforderlichen Feststellungen an Ort und Stelle zur Verfügung steht, weil er den Bereich verlassen hat, in dem der Zusammenhang mit dem Unfall ohne weiteres erkennbar ist. Dazu: OLG Stuttgart NJW 1981 S. 878 mit Anm. HINTSCHELJR 1981 S. 211. In Betracht kommt nur ein willentliches Verlassen des Unfallortes, u. U. auch als garantiepflichtiger Unterlassender, der die Weiterfahrt nicht verhindert, obwohl er dazu in der Lage wäre. Zu unterscheiden ist sodann: aa) Sind Personen, die bereit sind, Feststellungen zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten zu treffen, anwesend oder erscheinen solche während der Anwesenheit des Unfallbeteiligten, so trifft diesen eine Warte- und Vorstellungspflicht, Abs. 1 Nr. 1. Die Wartepflicht dauert solange, bis die nötigen Feststellungen getroffen sind. Sind keine Feststellungen nötig, weil allein der Täter unfallbeteiligt und geschädigt ist, alle Beteiligten auf weitere Feststellungen verzichten oder die erforderlichen Feststellungen bereits getroffen sind, so entfällt die Wartepflicht. Die Vorstellungspflicht enthält die Pflicht zu Angabe, daß sich ein Unfall ereignet hat und eigene (Mit-) Verursachung in Betracht kommt. Vertuscht der Unfallbeteiligte seine Beteiligung, so macht ihn dies allein nicht strafbar, solange er sich nicht vom Unfallort entfernt. Gleiches gilt, wenn er seiner Vorstellungspflicht nicht nachkommt. Kommt er jedoch seiner Vorstellungspflicht nicht nach und entfernt sich später vom Unfaliort, so macht er sich strafbar, gleichgültig, ob im Zeitpunkt der Entfernung noch feststellungsbereite Personen anwesend sind oder nicht; a. A.: BayObLG J R 1983 S. 505 mit abl. Anm. JANISZEWSKI S. 506 ff; BayObLG N J W 1984 S. 66; BayObLG VRS 66 S. 277: Anwendung des § 142 Abs. 2 Nr. 2. bb) Sind keine feststellungsbereiten Personen am Unfallort erschienen, so trifft den Unfallbeteiligten eine Wartepflicht, Abs. 1 Nr. 2. - Die Länge der Wartepflicht bestimmt sich nach dem Grad des Feststellungsinteresses und der Zumutbarkeit. Maßgeblich sind dafür Ort und Schwere des Unfalls, Verkehrsdichte, Witterung und Tageszeit. Positive Maßnahmen zur Aufklärung verkürzen die Wartezeit. - Die Pflicht entfällt, wenn in absehbarer Zeit überhaupt nicht mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen ist. Im einzelnen: OLG Stuttgart N J W 1981 S. 1107 (10 Minuten genügen ausnahmsweise bei einem geschätzten Schaden von DM 400,-, wenn kein Anhaltspunkt für baldiges Eintreffen feststellungsbereiter Personen). - OLG Hamm VRS 59 S. 258 (30 Minuten genügen bei Schaden bis DM 600,-). - OLG Koblenz

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Gemeingefährliche Delikte

VRS 49 S. 180 (15 Minuten in der Nacht genügen nicht bei Schaden in Höhe von DM 1500,-). - OLG Stuttgart DAR 1977 S. 22 (20 Minuten bei Schaden von DM 600,- gegen Abend genügen nicht). - Bei Tötung und schwerer Verletzung von Personen ist mindestens 1 Stunde Wartezeit erforderlich. cc) Der Vorsatz, bedingter genügt, muß das Bewußtsein umfassen, möglicherweise einen Unfall verursacht und nach den Umständen erforderliche Feststellungen nicht ermöglicht zu haben. b) § 142 Abs. 2 Abs. 2 begründet die Pflicht zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung der Feststellungen i. S. des Abs. 1, wenn: aa) der Unfallbeteiligte sich nach Ablauf der Wartefrist, Abs. 1 Nr. 1, oder bb) berechtigt oder entschuldigt, Abs. 2 Nr. 2, vom Unfallort entfernt hat. Nicht tatbestandsmäßig i. S. des § 142 Abs. 2 handelt der Täter, der sich unvorsätzlich vom Unfallort entfernt, weil er keine Kenntnis vom Unfall hat. Die Interpretation des BGH - BGHSt 28 S. 129 -, es genüge, daß der Täter im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall von diesem Kenntnis erlangt habe, geht über die durch den Wortlaut gesetzten Grenzen des § 142 hinaus. Gleiches gilt für die Annahme, die unvorsätzliche, von Dritten veranlaßte oder erzwungene Entfernung des Täters vom Unfallort stehe einer berechtigten oder entschuldigten Entfernung gleich. Dies mag vom Gesetzessinn her zutreffen, ist jedoch angesichts des engen Wortlauts des Abs. 2 eine Analogie zu Ungunsten des Täters. So auch: OLG Hamm NJW1979 S. 438; BERzJura 1979 S. 128; BEULKE NJW1979 S. 400; BOTTKEJA 1980 S. 516; DORNSEIFERJZ 1980 S. 301 f; KLINKINBERG M D R 1 9 8 3 S. 808 ff; KREY B. T. II, S. 195; LACKNER S t G B , § 142 A n m . 5 b , cc; MAGDOWSKI Verk e h r s u n f a l l f l u c h t , S. 160; RUDOLPHI J R 1979 S. 218; SCHWAB M D R 1983 S. 454 f.

A. A.: BGHSt 30 S. 160 mit Anm. BÄRJR 1982 S. 379; BayObLG NJW 1982 S. 1059; DREHER/TRÖNDLE § 142 R d n . 43; JAKOB M D R 1983 S. 461 f; MAURACH/ SCHROEDER B. T. I, § 41 III C 1 ; RÜTH L K , § 142 R d n . 75; SCHMIDHAUSER B. T., 11/87.

cc) Die Mindestvoraussetzungen der nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen, die der Unfallbeteiligte erfüllen muß, um straffrei zu bleiben, beschreibt Abs. 3. Da der Verpflichtete gemäß Abs. 2 unverzüglich handeln muß, hat er die Wahl der Benachrichtigung soweit das Unverzüglichkeitsgebot nicht verletzt wird. - Unverzüglich erfordert Handeln ohne vorwerfbares Zögern. dd) Der Vorsatz, bedingter genügt, umfaßt Kenntnis des Verkehrsunfalls und der möglichen Beteiligung sowie das Bewußtsein, daß nachträgliche Feststellungen erschwert oder vereitelt werden.

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c) Tätige Reue Ermöglicht der Täter nachträglich Feststellungen nach Vollendung des Delikts, aber bevor ein Feststellungsverlust eingetreten ist, so besteht kein Strafbedürfnis. Analog §§ 310, 311 c Abs. 3 ist ihm Straffreiheit zuzubilligen. S o a u c h : SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 142 R d n . 7 4 . - A . A . : DREHER/TRÖNDLE

§ 142 Rdn. 53; LACKNER StGB, § 142 Anm. 8; SCHAFFSTEIN Dreher-Festschrift, S. 154.

d) Konkurrenzen In der Regel besteht zwischen § 142 und der durch den Unfall verursachten Tat, z. B. §§ 222, 230, 315 c, Realkonkurrenz. Das gilt auch, wenn der Täter vor und nach dem Unfall eine Dauerstraftat, § 316, begeht. Mit dem Entschluß, sich vom Unfallort zu entfernen, beginnt eine neue Tat. Dazu: BayObLGJR 1982 S. 249 mit Anm. HENTSCHEL S. 250; OLG Celle GA 1982 S. 41.

IV. Angriff a u f den Luftverkehr, § 316 c

1. Die Vorschrift schützt die Sicherheit des zivilen Flugverkehrs. - Die Tat ist

abstraktes Gefährdungsdelikt. 2. § 316 c Abs. 1 Nr. 1 erfaßt die eigentliche Luftpiraterie. Ziel des Täters muß die Herrschaft über das Luftfahrzeug oder die Einwirkung auf dessen Führung sein, und zwar durch Gewaltanwendung, durch Angriff auf die Entschlußfähigkeit einer Person oder durch Vornahme sonstiger Machenschaften, die in der Wirkung einem Ausschluß der Entschlußfreiheit des Flugzeugführers gleichkommen. Vgl. einerseits: SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 316 c Rdn. 16; andererseits: KUNATHJZ 1972 S. 201.

3. § 316 c Abs. 1 Nr. 2 erfaßt Handlungen, die in der Absicht der Zerstörung oder Beschädigung des Luftfahrzeugs oder seiner Ladung unternommen werden. 4. § 316 c Abs. 2 enthält eine Erfolgsqualifikation (leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen). - § 316 c Abs. 3 dehnt die Strafbarkeit bereits auf bestimmte Vorbereitungshandlungen aus. 5. Tätige Reue ist gemäß § 316 c Abs. 4 möglich.

6. Konkurrenzen Da sich das Delikt gegen die Sicherheit des zivilen Flugverkehrs richtet, ist Idealkonkurrenz mit den durch die u. U. erfolgte Verletzung per-

394

Gemeingefährliche Delikte

sönlicher Rechtsgüter begangenen Delikten (z. B. §§ 240,223,212,239 b) möglich. - Zur Diskrepanz der Strafdrohung des § 316 c Abs. 2 gegenüber § 212 vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 46 IV 3 b.

§ 81: Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a § 323 a stellt die Herbeiführung eines gemeingefährlichen Zustandes i. S. eines unberechenbaren, unbeherrschbaren und damit für die Rechtsgüter anderer gefährlichen Zustandes unter Strafe. Geschützte Rechtsgüter sind die in den übrigen Delikten strafrechtlich geschützten Rechtsgüter anderer. Diese Weite des Rechtsgutsschutzes macht deutlich, daß es sich sachlich um eine Ausdehnung der strafrechtlichen Haftung über den Vorsatzund Fahrlässigkeitsbereich hinaus in einen subjektiven Verantwortungsbereich hinein handelt, der nicht mehr die Vorhersehbarkeit der konkreten Rechtsgutsverletzung zur Voraussetzung hat, sondern das allgemeine Wissen von der Gefährlichkeit und Nichtsteuerbarkeit einer bestimmten Situation. In der Sache ist § 323 a daher als Ergänzung der §§ 20, 21 und Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen über die Fahrlässigkeit hinaus anzusehen. Dazu auch: H A R D W I G Eb. Schmidt-Festschrift, S. 473 ff; DERS. GA 1964 S. 144 f; Strafrecht, A.T., 1983, S. 292; M A U R A C H / Z I P F Strafrecht, A.T. I , 6. Aufl.

HRUSCHKA

1 9 8 3 , § 3 6 I I E 2 a ; STRENG J Z 1 9 8 4 S . 1 1 8 f f .

Formell handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da der Gesetzgeber davon abgesehen hat, diese allgemeine Haftungsausdehnung im Allgemeinen Teil zu regeln, wo sie sachlich hingehört hätte. Diese Interpretation des § 323 a bedeutet keinen Bruch mit dem Schuldprinzip, da der Gesetzgeber durch das Schuldprinzip nicht gehalten ist, die strafrechtliche Haftung im subjektiven Bereich mit der Fahrlässigkeit beginnen zu lassen, sondern in der hier erfaßten Situation das allgemeine Wissen von der Gefährlichkeit einer Verhaltensweise als subjektive Voraussetzung der strafrechtlichen Haftung genügen lassen kann. Dazu auch: H A R D W I G Eb. Schmidt-Festschrift, S. 4 5 9 ff- - Einen Verstoß gegen das Schuldprinzip aufgrund der Ausweitung der Haftung verneinen darüber hinaus: BGHSt 1 6 S. 1 2 4 ; L A C K N E R J u S 1 9 6 8 S. 2 1 5 ; M O N T E N B R U C K GA 1 9 7 8 S. 2 2 5 . A. A . : A R T H U R K A U F M A N N J Z 1 9 6 3 S . 4 2 5 ; differenzierend: W O L T E R N S I Z 1 9 8 2 S . 5 4 , der den Tatbestand aufspaltet und beim Fehlen einer Schuldbeziehung zwischen Rausch und Rauschtat einen Minimalstrafrahmen fordert. Als konkretes Gefährdungsdelikt interpretieren den Tatbestand: H E I N I T Z J R 1957 S . 3 4 7 ; L A N G E J R 1 9 5 7 S . 2 4 2 ; R A N F T M D R 1 9 7 2 S . 7 4 1 ; D E R S . J A 1 9 8 3 S . 1 9 4 ; WELZEL

Lb., § 68 II.

395

§ 81 Vollrausch

Die h. M. ordnet den § 32 3 a als abstraktes Gefährdungsdelikt ein, vgl.: CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 17 ff m. w. N.; DREHER/TRONDLE § 323 a Rdn. 1; K R E Y B. T. I , S. 238; LACKNER StGB, § 323 a Anm. 1; PUPPE GA 1974 S. 115; DIES. Jura 1982 S. 281; SCHMIDHAUSEN. B . T , 15/19; WESSELS B.T.-l, § 2311. - Dem entspricht auch die grundsätzliche Haltung der Rechtsprechung, vgl. BGHSt 16 S. 124; 20 S. 284.

II. Die Voraussetzungen des Tatbestandes

1. Die Tathandlung Tathandlung ist das Sichversetzen in einen Rausch durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel, z. B. Rauschgift. - Rausch ist das für das jeweilige Rauschmittel typische, die psychischen Fähigkeiten durch Intoxikation beeinträchtigende Zustandsbild. Einen bestimmten Schweregrad setzt das Gesetz nicht voraus, insbesondere läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen, daß der Berauschte mindestens erheblich vermindert schuldfähig sein müsse. So auch: BGHSt

32

S.

5 3 ; DREHER/TRONDLE§ 3 2 3

aRdn.

5 ; MAURACH/SCHROEDER

B . T . I I , § 9 4 2 ; SCHMIDHAUSER B . T . , § 1 5 / 3 1 ; TRÖNDLE L K , § 1 R d n .

99.

Eine solche Forderung würde überdies den Anwendungsbereich; „ . . . schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist", gegen den Wortlaut des Gesetzes und die kriminalpolitische Intention des Gesetzgebers einengen. Kriminalpolitisch sinnvoll ist § 323 a nämlich nur dann zu interpretieren, wenn er es ermöglicht, eine Bestrafung zu gewährleisten in den Fällen, in denen der berauschte Täter unzurechnungsfähig war oder in denen dies nicht nachweisbar ist, so daß Zweifel bestehen, ob der Täter unzurechnungsfähig, vermindert zurechnungsfähig oder voll zurechnungsfähig war. Die h. L. verbindet die Definition mit dem Schweregrad des Rausches und sieht als Rausch i. S. des § 323 a nur einen Rausch an, infolge dessen der Täter unzurechnungsfähig ist oder den sicheren Bereich der verminderten Schuldfähigkeit überschritten hat; vgl. z. B. LACKNER StGB, § 3 2 3 a Anm. 2 b; RANFT JA 1 9 8 3 S. 1 9 7 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 3 2 3 a Rdn. 8 . - Als „Zustand, in dem der Täter infolge Rauschmittelkonsums hinsichtlich irgendeines (Straf-) Normverstoßes in irgendeiner Situation bereits nur noch vermindert schuldfähig wäre", interpretiert DENCKER - NJW 1 9 8 0 S . 2 1 6 2 - den Rausch. - PUPPE -Jura 1 9 8 2 S. 2 8 5 - will den Rausch als Zustand der Sozialunfähigkeit definieren, während MONTENBRUCK GA 1 9 7 8 S. 2 2 5 ff - auf die absolute Fahruntüchtigkeit und H O R N - J R 1 9 8 0 S. 7 auf die biologische Komponente der §§ 20, 21 abstellen will.

2. Die Rauschtat Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist die Rauschtat, d. h. eine rechts-

widrige Tat i. S. des § 11 Abs. 1 Nr. 5, für die der Täter nicht bestraft werden

396

Gemeingefährliche Delikte

kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies zumindest nicht auszuschließen ist. Die Rauschtat m u ß den vollen objektiven und subjektiven Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. a) Die Rauschtat kann ein Begehungs- oder Unterlassungsdelikt sein. Ist der Täter infolge seines Rausches jedoch nicht mehr handlungsfähig, so kommt eine Haftung nicht in Betracht. § 323 a soll der Gefahr begegnen, die ein handlungsfähiger aber berauschter und daher in seiner Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit beeinträchtigter Täter verwirklicht, nicht aber den Haftungsrahmen über die Handlungsmöglichkeiten im konkreten Fall hinaus ausdehnen. Auch unterlassene Hilfeleistung, § 323 c, kann Rauschtat sein, wenn der Täter in der Lage ist zu erkennen, daß der in Not Geratene auf seine Hilfe angewiesen und ihm die Hilfeleistung möglich ist. So auch: BayObLG N J W 1974 S. 1520; DENCKER N J W 1980 S . 2165; D E R S . J U S 1 9 8 0 S . 2 1 4 ; S T R E N G J Z 1 9 8 4 S . 1 1 4 f f . - A . A . : B A C K M A N N J u S 1 9 7 5 S . 7 0 2 ; LACKNER

StGB, § 323 a Anm. 3 b; § 94 I I 1 e.

LENCKNERJR

1975

S.

31;

MAURACH/SCHROEDER B . T .

II,

b) Ist die Rauschtat nur als vorsätzliche Tat mit Strafe bedroht, so m u ß der Täter die Kenntnis der Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes sowie den Verwirklichungswillen (finales Element des Vorsatzes = natürlicher Vorsatz) gehabt haben. c) Soweit die Rauschtat eine besondere Absiebt voraussetzt, m u ß der zielgerichtete Wille des Täters vorhanden gewesen sein. - Ist diese Absicht im Gesetz als spezifisch rechtswidrige Absicht gekennzeichnet, wie z. B. die Absicht rechtswidriger Zueignung in § 242 oder die Absicht rechtswidriger Bereicherung in §§ 253, 263, so läßt die h. M. dieses Erfordernis in Wirklichkeit entfallen, indem sie lediglich die „natürliche, zielgerichtete Absicht" voraussetzt. - Dies ist nicht sachgerecht, denn gerade die Absicht rechtswidriger Zueignung bzw. Bereicherung gibt diesen Delikten ihre spezifische Angriffsrichtung, vgl. dazu oben § 38 II 2 a. Da der Täter jedoch im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit nicht mehr fähig ist, das Unerlaubte seines Verhaltens einzusehen oder sich danach zu richten, kann er die geforderte rechtsfeindliche Einstellung seiner Zueignungs- bzw. Bereicherungsabsicht gerade nicht erkennen, bzw. sich danach richten. Damit aber kann er das geforderte Spezifikum der Absicht nicht verwirklichen. Im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit kann daher eine Rauschtat, die die Realisierung einer rechtswidrigen Absicht fordert, nicht verwirklicht werden. Dies ist jedoch kein Mangel, denn da bei den entsprechenden Delikten eine unabänderbare Sachlage durch die Tat im Rausch nicht eintritt, ist das Verhalten des Täters im zurechnungsfähigen Zustand für

§ 81 Vollrausch

397

die strafrechtliche Beurteilung relevant. Eignet er sich in diesem Zustand z. B. eine fremde Sache rechtswidrig zu, so haftet er nach § 246. Für Erfassung des Unrechts des Gesamtverhaltens durch das Eigentumsdelikt im nüchternen Zustand: LAYLK, 9. Aufl., § 330 a Rdn. 11; WESSELS B. T.-L, § 2 3 1 4 :

mitbestrafte Vortat. - Das Eigentumsdelikt sieht als mitbestrafte Nachtat an: OLG Celle NJW 1962 S. 1833. d) Ein Irrtum des Täters, der nicht auf seinem Rausch beruht, ist nach allgemeiner Ansicht genauso zu behandeln, wie ein Irrtum eines nüchternen Täters. Beim rausch bedingten Irrtum will die Rechtsprechung den Täter hingegen nicht endasten. Dem ist nicht zu folgen. Das Erfordernis der Rauschtat hat eine strafbarkeitsbegrenzende Funktion. Pflichtwidrig handelt der Täter, weil er sich vorsätzlich oder fahrlässig in den gemeingefährlichen Rauschzustand versetzt hat. Bestraft wird er jedoch nur, wenn er in diesem Zustand eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat begeht. - Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Unrechtstatbestandes dieser Tat müssen gegeben sein. Da der Täter die Tat aber in einem Zustand begangen hat, in dem zumindest nicht auszuschließen ist, daß er unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ist das Unrechtsbewußtsein, und zwar im umfassenden Sinne - materielles und formelles Unrechtsbewußtsein: dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., §§ 7 V, 14 IV - nicht Voraussetzung der Rauschtat. Das hat die Konsequenz, daß ein sog. Tatbestandsirrtum, der auf den Rausch zurückzuführen ist, nicht anders zu behandeln ist als ein nicht rauschbedingter Irrtum. Hingegen kann ein sog. Verbotsirrtum, der darauf beruht, daß der Täter aufgrund seines Rauschzustandes nicht mehr in der Lage ist einzusehen, was erlaubt ist, ihn nicht entlasten. S o auch: DENCKER N J W 1980 S. 2165; KREY B. T. I, S. 239; MAURACH/SCHROEDER

B. T. II, § 94 II 1 c, bb; SCHÜLER-SPRINGORUM MschrKrim 1973 S. 363. - A. A.: BGH

NJW 1953 S. 1442; OLG Celle NJW 1969 S. 1775. e) Der Rücktritt vom Versuch der Rauschtat entlastet den Täter, gleichgültig, ob der Rücktritt im berauschten oder nüchternen Zustand erfolgt. A. A.: RANFT M D R 1972 S. 742; DERS. J A 1983 S. 243.

Die Problematik wird in der Praxis nur bei Vermögensdelikten aktuell werden; vgl. auch B G H bei Daliinger, M D R 1971 S. 362. Nach der hier vertretenen Konzeption entfällt in diesen Fällen aber schon aus anderen Gründen - vgl. oben c) - der Tatbestand der Rauschtat. Sollte in einem anderen Fall der Versuch der Rauschtat bei Eintritt der Nüchternheit des Täters noch andauern - der zur Körperverletzung entschlossene Täter verfolgt sein Opfer bis zum Eintritt der Nüchternheit so ist nicht einzusehen, warum der Rücktritt nicht zugunsten des Täters

398

Gemeingefährliche Delikte

zu berücksichtigen ist, da auch sonst das schon verwirklichte Unrecht aufgrund der Freiwilligkeit des Rücktritts als nicht strafbedürftig angesehen wird. 3. Die subjektiven Voraussetzungen des Vollrausches Der Täter muß sich vorsätzlich oder fahrlässig in den Rauschzustand versetzt haben. Beruht der Rauschzustand auf dem Zusammenwirken von Rauschmitteln und anderen Gründen - Erregung, Medikamenten - , so muß die Vorhersehbarkeit des Täters sich darauf erstrecken, daß im Zusammenwirken dieser Gegebenheiten ein Rauschzustand entsteht. Dazu: BGH N J W 1979 S. 1370; BGH NStZ 1983 S. 116.

Weiter muß der Täter die allgemeine Kenntnis haben, daß ein Rauschzustand gefährlich ist, weil es in einem derartigen Zustand zu Rechtsgutsverletzungen Dritter kommen kann, und zwar unabhängig, ob das Delikt als abstraktes Gefährdungsdelikt oder als Erweiterung des Haftungsrahmens über §§ 20, 21 hinaus interpretiert wird. Die allgemeine Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustandes ist Mindesterfordernis des Schuldgrundsatzes; dazu auch BGHSt 10 S. 251. a) Hat der Täter sich vorsätzlich in einen Rausch versetzt, um eine Straftat im Rauschzustand zu begehen, so haftet er nicht aus § 323 a, sondern aus dem Tatbestand der verwirklichten Tat wegen einer actio libera in causa; dazu eingehend sowie zur fahrlässigen Haftung trotz Rausches G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 1 3 I I 4 .

b) Hat der Täter Vorkehrungen gegen die Realisierung von Gefahren im Rausch getroffen, die mit Sicherheit eine Realisierung der Gefahren ausgeschlossen hätten, so haftet er nicht, wenn durch bewußtes Eingreifen Dritter diese Vorkehrungen beseitigt werden. Ihm fehlt in dieser Situation die allgemeine Kenntnis von der Gefährlichkeit seines konkreten Zustandes. Anders: OLG HamburgJR 1982 S. 345 mit Anm. HORN S. 347 ff.

4. Teilnahme am Vollrausch Teilnahme am Vollrausch, § 323 a, ist ausgeschlossen. Dies folgt daraus, daß es sich hier sachlich um kein eigenständiges Delikt handelt, sondern um eine Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen in einer bestimmten Situation für bestimmte Personen. Str., die Stellungnahmen sind wesentlich durch die jeweilige Auffassung über die Rechtsnatur des § 323 ageprägt, doch überwiegt die Auffassung, daß eine Teilnahme am Vollrausch nicht möglich ist. Im einzelnen dazu: LAY LK, 9. Aufl., § 3 3 0 a R d n . 7 3 ; RANFTJA 1 9 8 3 S. 2 4 4 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 3 2 3 a R d n . 2 5 ;

§ 81 Vollrausch

399

WELZEL Lb., § 68 II 4 a. - A. A . : BRUNSJZ 1958 S. 105; LANGEJZ 1953 S. 4 0 8 ff; MAURACH/SCHROEDER B. T. II, § 9 4 II 5; ROXIN Täterschaft u n d Tatherrschaft,

4. Aufl. 1984, S. 431 f. Die Beteiligung an der Rauschtat richtet sich nach den allgemeinen Regeln. 5. Wahlfeststellung Eine Wahlfeststellung zwischen der Rauschtat und dem Vollrausch kommt nicht in Betracht, da zwischen der im Rausch begangenen Rechtsgutsverletzung und der voll verantwortlich verwirkten Rechtsgutsverletzung ein normatives Stufenverhältnis besteht. Ist nicht nachweisbar, ob der Täter die Rauschtat im Zustand der Schuldunfähigkeit, der verminderten Schuldfähigkeit oder - trotz Rausches - in einem Zustand voller Zurechnungsfähigkeit begangen hat, so ist er, wenn der Rausch erwiesen ist, aus § 323 a zu bestrafen. Der Rauschtäter, der - wenn er schuldfähig gewesen wäre - aus der für die im Rausch begangene Tat geltenden N o r m verurteilt werden müßte, ist durch die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo" nicht schlechtergestellt, wenn gegen ihn wegen nicht ausgeschlossener Schuldunfähigkeit die weniger gravierende N o r m des § 323 a zur Anwendung kommt. Vgl.: B G H S t 32 S. 55f; DREHERMDR1970 S. 3 7 0 f ; HEISSNStZ 1983 S. 69; OTTO

Peters-Festschrift, S. 382 f; WOLTER Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht, 1972, S. 265 ff. Eine Strafbarkeitslücke ist allerdings auch innerhalb dieser Konzeption begründet: Ist nicht nachweisbar, ob der Täter einen Rausch hatte oder nicht, so kann er weder aus dem Vollrausch noch aus der Rauschtat bestraft werden. Dazu: SCHUPPNER/SIPPEL NStZ 1984 S. 67 ff.

6. Die Strafe Die Strafe ist begrenzt durch den Strafrahmen der Rauschtat, § 323 a Abs. 2; zum Strafantrag vgl. Abs. 3.

Sechster Abschnitt Straftaten gegen die Umwelt § 82: Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnormen 1. Die Intention des Gesetzgebers Mit dem am 1. 7. 1980 in Kraft getretenen 18. Strafrechtsänderungsgesetz - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - hat der Gesetzgeber die wichtigsten Tatbestände zum Schutz der Umwelt, die früher im Nebenstrafrecht - z. B. im W H G , BImSchG, AbfG, AtomG - enthalten waren, modifiziert und im Strafgesetzbuch zusammengefaßt. - Weniger bedeutsame Vorschriften - z. B. § 148 GewO, §§ 51,52 LMBG, §§ 63 ff BSeuchG, § 74 TierschutzG, § 24 PflanzenSchG - blieben in den Spezialgesetzen. Mit der Regelung des Umweltstrafrechts im Strafgesetzbuch wollte der Gesetzgeber das Bewußtsein der Öffendichkeit für die Sozialschädlichkeit von Umwelteingriffen schärfen, die Anerkennung selbständiger Umweltschutzgüter fördern, die Vereinheitlichung der Materie erleichtern und eine Erhöhung der generalpräventiven Wirkung dieser Normen erzielen; BT-Drucks. 8/2382, S. 9 und 8/3633, S. 19. Diese Zielsetzung des Gesetzgebers hat in der Literatur weitgehend Zustimmung gefunden. Dazu: LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER ZStW 92 (1980) S. 912 ff; TIEDEMANN Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, 1980, S. 13; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, 1980, S. 30, mit jeweils eingehenden Nachweisen.

2. Die Verwirklichung der gesetzten Ziele Gegen die Art und Weise der Verwirklichung der Ziele des Gesetzgebers sind jedoch erhebliche Bedenken geltend zu machen: Die Regelungen lassen die rechtsstaatlich gebotene Rücksichtnahme auf den Sachzusammenhang vermissen, die gefundenen Lösungen sind verfassungsrechtlich problematisch und die einzelnen Tatbestände lassen sich systematisch kaum erfassen. a) Das Umweltstrafrecht ist wesentlich geprägt durch eine enge Verflechtung präventiv-verwaltungsrechtlicher und sanktionsrechdicher Regelungen, die jeweils aufeinander bezogen sind. Dieses hohe Maß verwaltungsrechtlicher Akzessorietät der Regelungen blieb auch nach der Herauslösung der Strafnormen aus den Spezialgesetzen bestehen. Die Lösung aus dem Kontext zerstörte jedoch den Sachzusammenhang mit

§ 82 Kriminalpolitische Ziele der Umweltstrafnormen

401

den verwaltungsrechtüchen Vorschriften, der in den Spezialgesetzen, insbesondere bei Blankettvorschriften, leichter zu wahren und zu durchschauen ist. Dazu: DREHER/TRÖNDLE Vor § 324 Rdn. 4 ; LACKNER S t G B , Vor § 324 A n m . 1 b; SACK N J W 1 9 8 0 S. 1 4 2 7 ; SANDER D B 1 9 8 0 S. 1 2 4 9 .

b) Mit der Verselbständigung der Normen ist die inhaltliche Übereinstimmung der zahlreich verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe mit entsprechenden verwaltungsrechtlichen Begriffen nicht mehr gewährleistet, z. T. nicht einmal beabsichtigt. Dazu: LACKNER StGB, Vor § 324 Anm. 1 b, aa.

c) Darüber hinaus aber hat sich der Gesetzgeber durch die Anhäufung von Blankettatbeständen, die außerstrafrechtliche Fachkompetenz auszufüllen hat, weitgehend der Verfügung über den Geltungsbereich der Strafnormen begeben. Da die Blankettatbestände nämlich die außerstrafrechtlichen Normen und sogar die darauf beruhenden Verwaltungsakte, auf die sie verweisen, voraussetzen und als verbindlich anerkennen, ist ihr Inhalt einem steten Wandel durch außerstrafrechtliche Normsetzungs- und Verwaltungsakte ausgesetzt, die der Bundesgesetzgeber nur im Rahmen seiner - das Landesrecht wesentlich nicht betreffenden - Kompetenz steuern kann. - Ein verfassungsrechtlich nicht akzeptierbarer Zustand. Dazu: DREHER/TRÖNDLE Vor § 324 Rdn. 4 ; LACKNER S t G B , Vor § 324 A n m . 1 b, b b ; LENZEN J R 1 9 8 0 S. 1 3 6 ; LÖWER J Z 1 9 7 9 S. 6 2 9 .

d) Auf der anderen Seite enthalten die Vorschriften bedenkliche Lücken im Strafrechtsschutz. aa) Umweltbelastungen, die durch Summations- oder Kumulationseffekte erfolgen, im einzelnen jedoch auf legalen, durch Genehmigungen abgesicherten Handlungen beruhen, können nicht erfaßt werden, und zwar selbst dann nicht, wenn die Erlaubnis zur Umweltbelastung auf ein Fehlverhalten der Behörden zurückzuführen ist. bb) Besondere Vorschriften über die strafrechdiche Verantwortung von Amtsträgem für Umweltschädigungen Dritter, behördliche Planungsfehler, fehlerhafte Genehmigungen oder Amtspflichtverletzungen, die Umweltschädigungen ermöglichen, hat der Gesetzgeber nicht in das Gesetz aufgenommen, da dem deutschen Strafrecht auch sonst die strafrechtliche Haftung für fehlerhaftes Verwaltungshandeln unbekannt ist. Eine Strafbarkeit von Amtsträgern kann deshalb hier nur nach den allgemeinen Regeln begründet werden, d. h. zum einen gemäß § 14 Abs. 2 S. 3, soweit die Umweltschädigung durch ein öffentliches Unternehmen, für dessen Führung Amtsträger verantwortlich sind, begangen wird, oder gemäß § 13, soweit die entsprechenden Amtsträger präventiv-polizeiliche Funktionen innehaben und daher in bezug auf die ihnen zum Schutz anvertrauten Umweltgüter als Beschützergaranten anzusehen sind.

402

Straftaten gegen die Umwelt

Im einzelnen dazu: StA Mannheim NJW 1976 S. 585 ff; AG Hechingen NJW 1976 S. 1222; BICKEL Z f W 1979 S. 149; HORN N J W 1981 S. 1 ff, insbes. S . 5 f f ; MÖHRENSCHLAGER Z f W 1980 S. 216; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER V o r b e m . §§ 324 f f R d n . 30, 38; WERNICKE Z f W 1980 S. 261.

Kritisch: TIEDEMANN Neuordnung, S. 43 ff; DERS.Jura 1982 S. 379 f; TRIFFTF.RER Umweltstrafrecht, S. 133 ff. - A. A.: GEISLER N J W 1982 S. 11 ff; RUDOLPHI Dünne-

bier-Festschrift, S. 571, der eine Garantenstellung nur dann annimmt, wenn die Schutzbehörde eine nichtige oder rechtswidrige Erlaubnis erteilt hat oder eine zunächst rechtmäßige Erlaubnis später rechtswidrig geworden ist.

Erörtert wird weiterhin eine Haftung des Amtsträgers als mittelbarer Täter oder Täter des einschlägigen Fahrlässigkeitsdelikts bei rechtswidriger Erteilung einer Erlaubnis zur Umweltschädigung. D a z u : HORN N J W 1981S. 4 f; LACKNER S t G B , Vor §§ 324 A n m . 4 a, aa; RUDOLPHI Dünnebier-Festschrift, S. 564, 567. - A . A . : GEISLER N J W 1982 S. 12 f; SCHÖNKE/

SCHRODER/CRAMER Vorbem. §§ 324 ff Rdn. 35.

Diese Konstruktion dürfte jedoch auf irreguläre Einzelfälle beschränkt sein, denn eine mittelbare Täterschaft des Amtsträgers kommt nur in Betracht, wenn der unmittelbar Handelnde gutgläubig tätig wird. Nur dann hat der Amtsträger die Tatherrschaft inne. - Eine fahrlässige Täterschaft wird hingegen selbst in diesen Fällen abzulehnen sein, da sonst entgegen der Intention des Gesetzgebers - die verwaltungsrechtliche Sorgfaltspflichtverletzung wiederum strafrechdich bewehrt würde. Möglich ist allerdings eine Mittäterschaft, wenn Amtsträger und Dritter bewußt rechtswidrig zusammenwirken.

II. D a s geschützte Rechtsgut 1. Die Definition des Rechtsguts Geschütztes Rechtsgut der Umweltschutztatbestände ist die Umwelt in ihren verschiedenen Medien (Boden, Luft, Wasser) und Erscheinungsformen (Tier- und Pflanzenwelt). Doch dürfen diese nicht isoliert gesehen werden. Schutzwürdig ist die Umwelt in ihrer Funktion, den Menschen der Gegenwart humane, d. h. menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewähren und auch künftigen Generationen zu erhalten. Umwelt ist nicht nur wirtschafdicher Reichtum, sondern vor allem Raum zur menschlichen Entfaltung, die immer mehr als bloß wirtschaftliche Entfaltung ist. Im einzelnen dazu: BT-Drucks. 8/2382, S. 10; 8/3633, S. 19; BOTTKEJUS 1980 S. 539; DREHER/TRÖNDLF. Vor § 324 R d n . 3; HORN S K , Vor 324 R d n . 2; LACKNER

StGB, Vor § 324 Anm. 3; LEIBINGER Beiheft zur Z S t W 90 (1978) S. 83; MAURACH/ SCHROEDER B.T. II, § 5 8 1 5; MOHRENSCHLAGER Z R P 1979 S. 98; ROGALLJZ-GD 1980

S. 104; SCHILD Jura 1979 S. 423; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, S. 33 ff.

§ 82 Kriminalpolitische Ziele der Umweltstrafnormen

403

2. Die systematische Einordnung des geschützten Rechtsguts Die Umweltschutzgüter sind selbständige Rechtsgüter, auch wenn sie als den existentiellen Rechtsgütern des Menschen (Leben, Gesundheit) nur vorgelagert erscheinen. Ihr Schutzbereich ist nämlich keineswegs auf diese Rechtsgüter beschränkt, sondern beansprucht einen eigenständigen Raum. Aus diesem Grunde ist es auch nicht zutreffend, die Umweltkriminalität als Unterfälle der Wirtschaftskriminalität zu erfassen. Der Lebensraum des Menschen ist zweifellos besonders durch Emissionen aus Wirtschaftsbetrieben (Luft-, Gewässer-, Bodenverunreinigung und Verursachung von Lärm) bedroht. Auch hier geht es um den Schutz eines überindividuellen Rechtsguts, das sachgerecht durch abstrakte Gefährdungsdelikte geschützt werden kann. Gleichwohl darf „die Parallelität in der Rechtsgutsbestimmung, der Tatbestandskonstruktion und der Betroffenheit der Wirtschaft" (TIEDEMANN Neuordnung, S. 11 f) nicht dazu führen, diese Delikte der Wirtschaftskriminalität zuzurechnen. Andernfalls würden die Grenzen des rechtsdogmatisch brauchbaren Begriffs der Wirtschaftskriminalität gesprengt und der Verlust der Eigenständigkeit des durch die Umweltschutztatbestände geschützten Rechtsguts müßte zwangsläufig zu einer Nivellierung des Schutzes dieses bedeutenden Rechtsguts führen, soweit dieses nicht durch Wirtschaftsbetriebe sondern durch Privatpersonen verletzt wird. A. A.: KAISER Kriminologie, 1980, S. 485; WEBER Z S t W 96 (1984) Heft 2.

III. Die einzelnen Schutzbereiche Eine systematische Gliederung der §§ 324-330 d ist kaum möglich, denn den Regelungen liegt kein einheitliches Gliederungsprinzip zugrunde. Der Gesetzgeber hat einmal bestimmte Schutzobjekte (§ 324: Gewässer; § 325 Abs. 1 Nr. 1: Luft), ein anderes Mal den Umgang mit gefährlichen Stoffen (§ 328: Kernbrennstoffe; § 330 a: Gifte) und schließlich bestimmte Tätigkeiten (§ 326: Abfallbeseitigung; § 327: Betreiben von Anlagen) zum Anknüpfungspunkt seiner Regelungen gemacht. Immerhin ermöglichen diese Anknüpfungspunkte die Beschreibung bestimmter Schutzbereiche. 1. Der Schutz von Gewässern, §§324, 326 Abs. 1 Nr. 3,329 Abs. 2,330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2. a) Verunreinigung eines Gewässers, § 324 § 324 schützt Gewässer vor unbefugter (äußerlich sichtbarer) Verunreinigung oder sonstiger nachteiliger Veränderung ihrer Eigenschaften.

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Straftaten gegen die Umwelt

aa) Gewässer i. S. des Gesetzes ist ein oberirdisches Gewässer, d. h. ständig oder zeitweilig in Betten fließendes oder stehendes oder aus Quellen wild abfließendes Wasser - dazu § 1 Abs. 1 Nr. 1WHG -, das Grundwasser im räumlichen Geltungsbereich des StGB und das Meer, § 330 d Nr. 1. - Verunreinigung ist die nachteilige Veränderung der Wassereigenschaft durch Einbringung von Stoffen. Eine sonstige nachteilige Veränderung der Eigenschaften des Gewässers liegt vor, wenn die physikalische, chemische, biologische oder thermische Beschaffenheit des Wassers anders als durch Verunreinigung negativ beeinträchtigt wird; dazu OLG KarlsruheJR 1983 S. 340 mit Anm. TRIFFTERER/SCHMOLLER S. 341 ff. - In beiden Alternativen sind allerdings nur erhebliche - sozialinadäquate - Beeinträchtigungen tatbestandsmäßig. Verunreinigungen z. B.: Uberlaufenlassen eines Öltanks (BT-Drucks. 8/2382, S. 13); Einleiten von Schadstoffen in Kanalisation (OLG Hamm NJW1975 S. 747); weitere Verunreinigung schon verschmutzter Gewässer (LG Kleve Z f W 1972 S. 151). Sonstige nachteilige Veränderungen z. B.: Einleitung von Kühlwasser aus einem Kraftwerk; Verringerung der Fließgeschwindigkeit durch Stauung, so daß die Selbstreinigungskraft des Flusses beeinträchtigt wird (BT-Drucks. 8/2382, S. 14).

bb) Strafbar sind die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, und die fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 3. cc) Unbefugt bedeutet rechtswidrig i. S. des allgemeinen Verbrechensmerkmals der Rechtswidrigkeit. Verwaltungsrechtlich wirksame Genehmigungen, Bewilligungen und Erlaubnisse schließen die Rechtswidrigkeit aus, es sei denn, diese sind bewußt mit rechtswidrigen Mitteln (Täuschung, Drohung, Bestechung) herbeigeführt worden. In diesen Fällen weiß der Täter, daß die formelle Rechtslage nicht der materiellen entspricht, und kann sich nicht auf die formelle Rechtslage berufen, weil er deren „Rechtsschein" dolos herbeigeführt hat. D a z u : HORN N J W 1 9 8 1 S . 2 f; RUDOLPHI Z f W 1982 S. 2 0 1 f f ; TIEDEMANN N e u o r d -

nung, S. 27.

Darüber hinaus haben hier Bedeutung für den Ausschluß der Rechtswidrigkeit: Gewohnheitsrechdich anerkannte Befugnisse (dazu BayObLGJR 1983 S. 120 mit krit. Anm. SACK S. 123 f), die rechtfertigende Pflichtenkollision und der rechtfertigende Notstand, § 34. Die Erhaltung von Arbeitsplätzen rechtfertigt allerdings keineswegs eine ständige Gewässerverunreinigung. Eine Rechtfertigung kommt aber z. B. in Betracht, wenn einer einmaligen Verunreinigung der dauernde Verlust von Arbeitsplätzen o. ä. gegenübersteht. Dazu auch: BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 723; OLG Stuttgart Z f W 1977 S. 118, 124; LG Bremen NStZ 1982 S. 164 mit Anm. MOHRENSCHLAGER S. 165 f.

§ 82 Kriminalpolitische Ziele der Umweltstrafnormen Gegen eine Anwendung des § 34 in derartigen Fällen: ZStW 92 (1980) S. 932.

405 LAUFHÜTTE/MÖHREN-

SCHLAGER

dd) Vollendet ist die Tat mit der Verunreinigung des Gewässers. - Der Versuch ist strafbar, § 324 Abs. 2. b) Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen: § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. c) Gefährdungshandlungen erfassen § 326 Abs. 1 Nr. 3 (Lagerung und Beseitigung gewässerverunreinigungsgeeigneter Abfälle) und § 329 Abs. 2 (Eingriff in Wasser- und Heilquellenschutzgebiete). 2. Der Schutz von Luft und Ruhe, §§ 325, 326 Abs. 1 Nr. 3,327 Abs. 2 Nr. 1, 329 Abs. 1, 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 a) Luftverunreinigung und Lärm, § 325 § 325 dient der Reinheit der Luft und dem Schutz gegen Lärm. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. aa) Die Tathandlung braucht nur die generelle Eignung zur Schädigung der Gesundheit eines anderen und/oder bei der Luftverschmutzung auch von Tieren, Pflanzen oder anderen Sachen von bedeutendem Wert zu haben. - Als Sachen von bedeutendem Wert kommen Objekte von wirtschaftlichem, ökologischem oder historischem Wert in Betracht, auch wenn dieser Wert nicht in einer Geldsumme erfaßbar ist. - Tathandlungen sind die Verursachung der Veränderung der natürlichen Zusammensetzung der Luft, Abs. 1 Nr. 1, sowie die Verursachung von Lärm, Abs. 1 Nr. 2, doch sind die Tathandlungen unter drei Aspekten begrenzt: Zum einen ist die Tathandlung auf den Betrieb einer Anlage beschränkt. Anlage ist eine auf gewisse Dauer vorgesehene, als Funktionseinheit organisierte Einrichtung von nicht ganz unerheblichen Ausmaßen, die der Verwirklichung bestimmter Zwecke dient. Zum anderen ist erforderlich, daß der Betrieb der Anlage unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten erfolgt, d. h. ohne die zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderliche Genehmigung, bzw. entgegen einer zu diesem Zweck erlassenen vollziehbaren Untersagung, oder grob pflichtwidrig entgegen einer vollziehbaren Anordnung oder Auflage, die dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dient, Abs. 4. Zur Genehmigungspflicht: § 4 Abs. 1 BImSchG. - Die schädlichen Umwelteinwirkungen sind in § 3 BImSchG generalklauselmäßig aufgeführt; dazu F.-CHR. SCHROEDER J Z 1 9 6 9 S. 7 7 5 .

Schließlich ist nur die Eignung zur Schädigung außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereiches, d. h. der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit, relevant. - Für Schädigungen innerhalb der Anlage kommen allein die Körperverletzungs- und Tötungsdelikte in Betracht sowie das Arbeitsschutzrecht.

406

Straftaten gegen die Umwelt

bb) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich auf die Eignung zur Schädigung und den Widerspruch des Verhaltens mit dem Verwaltungsrecht erstrecken. cc) Die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten ist bereits Voraussetzung der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens; zur Rechtfertigung im übrigen vgl. oben 1 a, cc. b) Unerlaubtes Betreiben von Anlagen, § 327 Abs. 2 Nr. 1 Im Vorfeld des Schutzes von Luft und Ruhe, aber über den Schutz dieser beiden Bereiche hinausgehend, ist in § 327 Abs. 2 Nr. 1 der bloß unbefugte Betrieb einer nach dem BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen: § 330 Abs. l N r . 2, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. c) Zum Schutz luft- und lärmschutzbedürftiger Gebiete vgl. § 329 Abs. 1; zur Beseitigung luftverunreinigungsgeeigneter Abfälle vgl. § 326 Abs. 1 Nr. 3. 3. Umweltgefährdende Abfallbeseitigung, §§ 326,321 Abs. 2 Nr. 2, 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 a) Umweltgefährdende Abfallbeseitigung, § 326 Abs. 1 § 326 schützt neben allen Umweltmedien auch die Tierwelt gegen unzulässige Abfallbeseitigung. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Dazu:

SCHITTENHELM

GA 1983 S. 310 ff.

aa) Abfälle sind gemäß § 1 AbfG bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer endedigen will oder deren geordnete Beseitigung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit geboten ist. Es kann sich um feste, flüssige oder in festen Behältern erfaßte gasförmige Stoffe handeln. - Diese Definition bedarf bei ihrer Anwendung auf § 326 jedoch der Einschränkung, da nicht alle Sachen, derer sich jemand endedigen will - z. B. auch zum Verkauf stehende Objekte -, oder Sachen, die von einem bestimmten Ort beseitigt werden müssen - verkehrsgefährlich geparktes Kfz -, Abfall sind. Im einzelnen dazu: BayObLG NJW 1974 S. 157; NJW 1975 S. 396; OLG Koblenz GA 1976 S. 83; OLG Hamm Z f W 1977 S. 60; OLG Köln MDR 1981 S. 518; LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER ZStW 92 (1980) S. 955; MÖHRENSCHLAGER ZRP 1 9 7 9 S . 1 0 0 ; S A C K J Z 1 9 7 8 S . 1 7 ; WEINHEIMIR Z f W

1977 S. 7.

Tatobjekte sind nur gefährliche Abfälle, die Gifte - da2u oben § 22 II 1 und Seuchenerreger enthalten oder hervorbringen können, Abs. 1 Nr. 1, die explosionsgefährlich - dazu §§ 1 ff SprengstoffG - selbstentzündlich - da-

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zu § 1 Abs. 1 Nr. 3 a ArbeitsstoffVO - oder nicht nur geringfügig radioaktiv sind, Abs. 1 Nr. 2, und sog. Sonderabfälle, Abs. 1 Nr. 3. Letztere müssen die Eigenschaft haben, nachhaltig, d. h. in erheblichem Umfang und für längere Dauer, eines der genannten Medien zu verunreinigen oder nachhaltig zu verseuchen. bb) Tathandlung ist das Beseitigen, d. h. jedes Verhalten, das dazu dient, sich des gefährlichen Abfalls zu entledigen. Nur besonders genannte Beispielsfälle des Beseitigens sind das Behandeln, d. h. hier die Aufbereitung, Zerkleinerung, Verbrennung usw., die der Beseitigung und nicht der wirtschaftlichen Nutzung dienen, das Lagern, d. h. die vorübergehende Zwischenlagerung, die - endgültige Ablagerung und das Ablassen, d. h. Abfließenlassen. cc) Der Tatbestand entfällt bei Beseitigung im Rahmen dafür zugelassener Anlagen und außerhalb solcher Anlagen, aber im Rahmen zulässiger Verfahren, Abs. 1. dd) Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 1, 4. ee) Unbefugt ist auch hier rechtswidrig i. S. der Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal. Ein ordnungsgemäßes Verhalten (zugelassene Anlagen; zulässiges Verfahren) schließt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens aus; im übrigen vgl. zur Rechtfertigung oben 1 a, cc. b) Verletzung der Pflicht zur Ablieferung radioaktiver Stoffe, § 26 Abs. 2 aa) Wegen der besonderen Gefährlichkeit radioaktiver Abfälle ist die Verletzung der Ablieferungspflicht nach §§ 5 Abs. 3, 9a Abs. 2 AtomG unter Strafe gestellt. bb) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter über die Stoffe Besitz erlangt hat und ihm die Ablieferung möglich und zumutbar ist. So auch: LACKNER StGB, § 326 Anm. 4; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, S. 213. A. A.: BT-Drucks. 8/2382, S. 19 (rechtzeitig, wenn Eintritt von Gefahren vermieden wird).

cc) Der Tatbestand kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 2, 4. c) Minima-Klausel, § 326 Abs. 5 § 326 Abs. 5 enthält einen objektiven Strafausschließungsgrund, dem allerdings durch seinen gegenüber § 326 Abs. 1,2 wesentlich eingeschränkten Anwendungsbereich kaum größere Bedeutung zukommt. Sachwidrig ist zudem sein Bezug auf die Abfallmenge anstatt auf die Gefahrenlage. D a z u : R O G A L L J Z - G D 1 9 8 0 S. 115; SCHITTENHF.LM G A 1 9 8 3 S. 318 ff; TIEDEMANN

Neuordnung, S. 37; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, S. 214.

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Straftaten gegen die Umwelt

Schädliche Einflüsse sind offensichtlich ausgeschlossen, wenn keine vernünftigen Zweifel an der Unschädlichkeit aufkommen können. d) Ungenehmigter Betrieb einer Abfallbeseitigungsanlage, § 327 Abs. 2 Nr. 2 § 327 Abs. 2 Nr. 2 stellt bereits den vorsätzlichen oder fahrlässigen Betrieb einer Abfallbeseitigungsanlage i. S. des AbfG ohne Planfeststellung oder Genehmigung unter Strafe. Dazu: MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 58 IV 5.

e) Strafschärfung gegenüber §§ 326, 327 Eine Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen begründet § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6.

4. Strahlenschutz, §§ 311 d, 311 e, 326 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 327 Abs. 1, 328, 330 Abs. 1 Nr. 1, 4, Abs. 2 a) Freisetzen ionisierender Strahlen, § 311 d § 311 d stellt zum Schutz von Leib, Leben und Eigentum das verbotene Freisetzen von ionisierenden Strahlen und das Bewirken von Kernspaltungsvorgängen unter Strafe. - Da eine konkrete Schädigung oder Gefährdung nicht vorausgesetzt wird, handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Tatbetand setzt die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten voraus, Abs. 4. - Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, und fahrlässig, Abs. 3, verwirklicht werden. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. b) Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage, § 311 e § 311 e stellt die fehlerhafte Herstellung und Lieferung von kerntechnischen Anlagen - dazu § 330 d Nr. 2 - oder zu ihrem Betrieb bestimmter Gegenstände unter Strafe, wenn durch Kernspaltungsvorgänge oder Strahlung eine Gefahr für Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert entstanden ist. - Die Tat ist konkretes Gefährdungsdelikt. aa) Herstellen bedeutet Bearbeiten oder Verarbeiten von Werkstoffen zur Gestaltung eines Gegenstandes. Liefern bedeutet Überlassen zum bestimmungsgemäßen Gebrauch. Fehlerhaft ist die Leistung, wenn die Tauglichkeit des Objekts zum bestimmungsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder wesentlich gemindert ist. bb) Gemäß Abs. 1 ist für die Tathandlung und für die Gefährdung Wissentlichkeit Voraussetzung. - Gemäß Abs. 4 genügen für die Gefährdung die anderen Vorsatzformen und Fahrlässigkeit. Die Tathandlung erfordert aber auch hier Wissentlichkeit.

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cc) Besonders schwere Fälle erfaßt Abs. 3. c) Unerlaubtes Betreiben kerntechnischer Anlagen, § 327 Abs. 1 § 327 Abs. 1 stellt den ungenehmigten Betrieb, die Innehabung, die wesentliche Änderung und den Abbau kerntechnischer Anlagen - dazu § 330 d Nr. 2 - unter Strafe. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tathandlung setzt ein verwaltungsrechtüch unzulässiges Verhalten voraus. - Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1. - Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen, § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. d) Unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen, § 328 § 328 erfaßt die ungenehmigte Verwendung von Kernbrennstoffen - dazu § 2 Abs. 1 AtomG - außerhalb kerntechnischer Anlagen sowie die Beförderung, Aufbewahrung und Nichtablieferung von Kernbrennstoffen. Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Zu den Verpflichtungen beim Umgang mit Kernbrennstoffen im einzelnen vgl. §§ 3-6,9 AtomG. - Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 1, 3. - Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen: § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. e) Beseitigung radioaktiver Abfälle, § 326 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 § 326 Abs. 1 Nr. 2 erfaßt die unbefugte Beseitigung radioaktiver Abfälle dazu Anlage 1 zur StrahlenschutzVO -, § 326 Abs. 2 die Verletzung der Ablieferungspflicht - dazu § 9 a AtomG - in bezug auf derartige Abfälle. Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - oderfahrlässig verwirklicht werden, Abs. 1, 4. - Der Versuch der unbefugten Abfallbeseitiing ist strafbar, Abs. 1, 3. - Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen:

r

330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. f) Die Beförderung sonstiger radioaktiver Stoffe, § 330 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Die Beförderung sonstiger radioaktiver Stoffe - dazu § 2 Abs. 1 Nr. 2 AtomG - ist bei Gefährdung von Menschen, wertvollen Sachen, der Wasserversorgung und von Heilquellen nach § 330 Abs. 1 Nr. 4 sowie bei nachhaltiger Beeinträchtigung von Gewässern, Boden oder Bestandteilen des Naturhaushalts von erheblicher ökologischer Bedeutung nach § 330 Abs. 2 strafbar. - Die Tat gemäß Abs. 1 Nr. 4 ist konkretes Gefährdungsdelikt, gemäß Abs. 2 Verletzungsdelikt.

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Straftaten gegen die Umwelt

Zur Abstufung der Strafdrohungen nach Vorsatz und Fahrlässigkeit vgl. Abs. 1,2, 5, 6. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 3. - Besonders schwere Fälle in Regelfallbeispielen nennt Abs. 4. 5. Schutz wertvoller Bestandteile der Natur, §§329 Abs. 3,4,330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 Schwerwiegende Beeinträchtigungen von Naturschutzgebieten - dazu § 13 BNatSchG -, einstweilig dafür sichergestellten Flächen - dazu § 12 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG - sowie Nationalparks - dazu § 14 BNatSchG werden in § 329 Abs. 3,4 strafrechtlich erfaßt. - Da die Tathandlungen vgl. Abs. 3 Nr. 1-5 - zwar eine wesendiche Beeinträchtigung der genannten Gebiete voraussetzen, nicht aber eine Umweltgefährdung oder -Schädigung, handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Eine Beeinträchtigung wesentlicher Bestandteile der geschützten Gebiete soll eine Störung von solcher Intensität sein, daß der Eintritt konkreter Gefahren wahrscheinlich erscheint. Dazu einerseits: BT-Drucks. 8/2382, S. 22; andererseits: F.-CHR. SCHROEDER J Z 1967 S. 681.

Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 3, und fahrlässig, Abs. 4, verwirklicht werden. - Zur Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen: § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2; dazu im einzelnen unter 6. 6. Schwere Umweltgefährdung, §330 Der unübersichdiche und in seiner Konzeption mißlungene Tatbestand enthält in Abs. 1 Nr. 1 für die Vorsatztatbestände der §§ 324,326-329 Erfolgsqualifikationen, deren schwere Folge im Eintritt einer konkreten Gefahr (Abs. l) oder in einem Verletzungserfolg (Beeinträchtigung eines Umweltschutzobjekts) bestehen muß. Darüber hinaus erfaßt § 330 in Abs. 1 Nr. 2-4 selbständige Tatbestände, die als konkrete Gefährdungsdelikte (Abs. l) sowie als Verletzungsdelikte (Abs. 2) ausgestaltet sind. a) Erforderlich ist, daß die Tathandlung Leib und Leben eines anderen, fremde Sachen von bedeutendem Wert, die öffentliche Wasserversorgung oder eine staadich anerkannte Heilquelle gefährdet, Abs. 1, die Eigenschaften eines Gewässers - dazu § 330 d Nr. 1 - oder eines in bestimmter Weise genutzten Bodens derart beeinträchtigt, daß die bisherige Nutzung auf längere Zeit unmöglich wird, Abs. 2 Nr. 1, oder Bestandteile des Naturhaushalts von erheblicher ökologischer Bedeutung nachteilig beeinträchtigt. - Derartige Bestandteile des Naturhaushalts sollen Naturgüter sein, „deren Vorhandensein für ein funktionsfähiges Wirkungsgefüge im Naturhaushalt notwendig ist"; BT-Drucks. 8/2382, S. 25.

§ 82 Kriminalpolitische Ziele der Umweltstrafnormen

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Im einzelnen zu dieser begrifflich nicht mehr faßlichen Klausel: MAURACH/ SCHROEDER B . T . I I , § 5 8 V I I 2 ; SACK N J W 1 9 8 0 S . 1 4 2 9 ; TIEDEMANN N e u o r d n u n g , S. 3 9 .

b) Als Tathandlungen erfaßt Nr. 2 über § 325 hinaus den Verstoß gegen alle Rechtsvorschriften usw., die dem Schutz vor schädlichen Immissionen - dazu § 3 Abs. 1, 2 BImSchG - oder andere Gefahren für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft dienen - dazu §§ 1,45 BImSchG-;Nr.3 betrifft den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen - dazu §§ 19 a, 9 W H G - ; Nr. 4 beschreibt die unerlaubte Beförderung gefährlicher Güter - dazu § 330 d Nr. 4. c) Zur Verknüpfung der Gefährdung (Abs. l) oder der Beeinträchtigung (Abs. 2) mit den Tathandlungen im subjektiven Bereich sowie zur Abstufung der Strafdrohungen nach Vorsatz und Fahrlässigkeit, vgl. Abs. 1, 5 , 6 . - Die Straßarkeit des Versuchs, Abs. 3, gilt für die erfolgsqualifizierten Delikte nach Abs. 1 Nr. 1 auch dann, wenn der Versuch des entsprechenden Grundtatbestandes nicht strafbar ist. Der Versuchsbeginn entscheidet sich hier mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Erfolgsqualifizierung. D a z u : DREHER/TRONDLE § 3 3 0 R d n . 10; HORN S K , § 3 3 0 R d n . 3; LACKNER S t G B , § 3 3 0 A n m . 5 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 3 3 0 R d n . 4 0 .

Besonders schwere Fälle mit Regelfallbeispielen nennt Abs. 4. - Tätige Reue ermöglicht in den Fällen der Abs. 1, 5: § 330 b. 1. Schutz vor der Verbreitung von Giften, §§ 319, 320, 330 a a) Gemeingefährliche Vergiftung, §§ 319, 320 aa) Bestraft wird gemäß § 319 die vorsätzliche Vergiftung von Brunnen oder Wasserbehältern, die dem Gebrauch von Menschen dienen, § 319, 1. Alt., sowie von Gegenständen, die zum öffendichen Verkauf oder Verbrauch bestimmt sind, § 319,2. Alt. - Dem Vergiften steht das Beimischen von Stoffen, die geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu zerstören, gleich. - Strafbar ist ferner das Inverkehrbringen (z. B. Verkaufen, Feilhalten) derart vergifteter Stoffe unter Verschweigen dieser Eigenschaft, §319, 3. Alt. bb) Einen erfolgsqualifizierten Tatbestand - Tod eines Menschen enthält § 319 a. E.; beachte § 18. b) Die fahrlässige gemeingefährliche Vergiftung, § 320 aa) Die fahrlässige gemeingefährliche Vergiftung ist nur strafbar, wenn außer dem durch die Handlung unmittelbar eingetretenen Schaden (Vergiftung des Objekts) ein weiterer Schaden entstanden ist. Da an den Eintritt des weiteren Schadens keine höhere Strafe geknüpft ist, handelt es sich hier um keine Erfolgsqualifizierung i. S. des § 18. Das Erfordernis des weiteren Schadens ist vielmehr eine strafbarkeitseinschrän-

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Straftaten gegen die Umwelt

kende objektive Bedingung der Strafbarkeit: Im Falle des Fehlens des Vorsatzunrechts sieht der Gesetzgeber die Strafwürdigkeit des Verhaltens erst beim Eintritt eines weiteren Erfolgsunwertes als begründet an. Dazu:

DREHER/TRÖNDLE § 3 2 0

Rdn.

2; HORN

SK, §

320

Rdn.

6 ; LACKNER

StGB,

§ 3 2 0 A n m . 1; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 8 4 ; W O L F F L K , § 3 2 0 R d n . 6 . - A . A . : S C H Ö N K E / SCHRÖDER/CRAMER § 3 2 0 R d n .

3.

bb) Ein erfolgsqualißzierter Tatbestand - Tod eines Menschen - auf der Grundlage eines fahrlässigen Grundtatbestandes beschreibt § 320 a. E.; beachte § 18. Auch hier für objektive Bedingung der Strafbarkeit:

HORN

SK, §

320

Rdn.

10.

c) Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften, § 330 a § 330 a erfaßt die Verbreitung oder Freisetzung, d. h. die Ermöglichung unkontrollierter Ausbreitung von Giften, erfordert jedoch die Verbringung eines anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung i. S. des § 224. - Die Tat ist damit konkretes Gefährdungsdelikt. Gemäß Abs. 1 ist Vorsatz - bedingter genügt - für Tathandlung und Gefährdung erforderlich, gemäß Abs. 2 genügt Fahrlässigkeit für die Gefährdung, doch ist auch hier Vorsatz in bezug auf die Tathandlung nötig. - Zur Tätigen Reue: § 330 b.

Zweites Kapitel Delikte gegen staatliche Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen den Bestand des Staates § 83: H o c h v e r r a t I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der §§ 81-83 a ist die territoriale und verfassungsmäßige Integrität des Bundes und der Bundesländer. 2. Aufbau des Gesetzes a) Nach § 81 wird der Hochverrat gegen die Bundesrepublik, nach § 82 der gegen ein Bundesland bestraft. b) § 83 erfaßt die Vorbereitung des Hochverrats als selbständiges Delikt. c) § 83 a enthält Vorschriften über Rücktritt und Tätige Reue in den Fällen der §§ 81-83. - Nebenfolgen und Einziehung: §§92 a, b. II. Die einzelnen Tatbestände 1. Hochverrat gegen den Bund, § 81 Zu unterscheiden sind der Bestandshochverrat und der Verfassungshochverrat. a) Abs. 1 Nr. 1: Angriffsobjekt des Bestandshochverrats ist der Bestand der Bundesrepublik Deutschland; dazu § 92 Abs. 1. - Tathandlung ist das Unternehmen, diesen Bestand mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu beeinträchtigen. - Der Gewaltbegriff entspricht grundsätzlich dem der Nötigung, doch ist hier eine gewisse Erheblichkeit in Anbetracht des betroffenen Rechtsguts zu fordern. b) Abs. 1 Nr. 2: Angriffsobjekt des Verfassungshochverrats ist die verfassungsmäßige Ordnung in der konkreten Ausgestaltung, die die Grundsätze einer freiheitlichen Demokratie auf dem Boden des Grundgesetzes gefunden haben. - Tathandlung ist das Unternehmen, die verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, d. h. ein Verfassungsorgan zu beseitigen o. ä. Die bloße Störung der Tätigkeit eines Verfassungsorgans genügt nicht. Dazu: BGHSt 6 S . 352; F . - C H R . im Strafrecht, 1970, S. 417 ff.

SCHROEDER

Der Schutz von Staat und Verfassung

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Delikte gegen den Bestand des Staates

2. Hochverrat gegen ein Land, § 82 § 82 ist dem § 81 nachgebildet, erfaßt jedoch im Rahmen des Bestandshochverrats nur den Gebietsverrat. - In der Regel wird zwischen §§ 81,82 Idealkonkurrenz bestehen. 3- Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, § 83 § 83 erhebt die Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens nach §§ 81,82 zum selbständigen Delikt. Es muß sich um ein Unternehmen handeln, d. h. eine Tat nach §§ 81,82, deren Angriffsgegenstand und -ziel feststeht und die nach Ort, Zeit und Art der Durchführung bereits in ihren Grundzügen konkretisiert ist. Die Realisierung des Unternehmens muß aus der Sicht der Täter zwar nicht unmittelbar, doch in absehbarer Zeit bevorstehen. Dazu auch: BGHSt 7 S. 11; WILLMS LK, § 83 Rdn. 2 F; kritisch: F.-CHR. SCHROEDER N J W 1 9 8 0 S. 9 2 0 ; WAGNER N J W 1 9 8 0 S. 9 1 3 .

Vorbereitung ist jede ihrer Art nach gefährliche Handlung, die das geplante Unternehmen fördern soll, ohne selbst bereits Teil des Unternehmens zu sein. Dazu: BGHSt 6 S. 336.

4. Rücktritt und Tätige Reue, § 83 a Die Voraussetzungen der Tätigen Reue, § 83 a, sind von der vorgesehenen Tat her differenziert: § 83 a Abs. 1 enthält die Voraussetzungen in bezug auf §§ 81, 82; § 83 a Abs. 2 die in bezug auf § 83. § 84: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats Da die verfassungsmäßige Ordnung nicht nur mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt gefährdet und beeinträchtigt werden kann, erfassen §§ 84 bis 90 b andere gefährliche Angriffe auf die verfassungsmäßige Ordnung.

I. Gesetzessystematik der §§ 84-91 1. Die einzelnen Tatbestände lassen sich in 3 Gruppen aufgliedern a) Die eigentlichen Organisationsdelikte, §§ 84-86 a, erfassen die Unterstützung verbotener Vereinigungen. b) Staatsgefährdende Eingriffe (Sabotage, Zersetzung) in das Funktionieren des staatlichen Lebens werden gemäß §§ 87-89 bestraft. c) Die §§ 90-90 b schützen den Staat, seine höchsten Repräsentanten und Organe vor verfassungsverräterischer Beschimpfung. - Die hier

§ 84 Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats

415

erfaßten Verunglimpfungen stellen einen Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat dar, da sie geeignet sind, sein Ansehen zu untergraben. 2. Geltungsbereich a) In § 91 ist der Geltungsbereich der §§ 84,85 und 87 abweichend von § 9 besonders geregelt. - Nebenfolgen und Einziehung: §§ 92 a, b. b) § 84 gilt im Lande Berlin nicht, die §§ 85-87, 89, 91 gelten in veränderter Fassung, Art. 324 EGStGB. II. Die einzelnen Tatbestände 1. Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei, § 84 § 84 stellt Tätigkeiten unter Strafe, die dazu bestimmt sind, den Organisationszusammenhalt verbotener Parteien aufrechtzuerhalten. a) Abs. 1 und 2 setzen voraus, daß das BUNDESVERFASSUNGSGERICHT die Partei nach Art. 21 Abs. 2 G G in V m. § 46 BVerfGG für verfassungswidrig erklärt oder gemäß § 33 Abs. 1 ParteienG festgestellt hat, daß es sich bei der Partei um eine Ersatzorganisation einer verbotenen Partei handelt. Zum Begriff der Partei vgl. §2 ParteienG. Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist eine Partei, wenn sie die verfassungswidrigen Bestrebungen der verbotenen Partei weiterverfolgt, § 33 Abs. 1 ParteienG. aa) Tathandlung nach Abs. 1 ist jede aktive auf das Aufrechterhalten des organisierten Zusammenhaltes der Partei gerichtete Tätigkeit. - Rädelsführer ist, wer in der Organisation eine führende Rolle spielt, Hintermann, wer als Außenstehender geistig oder wirtschaftlich maßgeblichen Einfluß auf die Führung der Organisation hat. bb) Nach Abs. 2 wird die fördernde Tätigkeit als Mitglied und die Unterstützung der Organisation durch Nichtmitglieder bestraft. b) Abs. 3 ergänzt Abs. 1 und 2 und erfaßt das Zuwiderhandeln gegen bestimmte Sachentscheidungen, die das BUNDESVERFASSUNGSGERICHT in den in Abs. 3 genannten Verfahren getroffen hat. c) Tätige Reue eröffnet Abs. 5, die Möglichkeiten der Strafmilderung Abs. 4, 5. 2. Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot, § 85 Nach § 85 wird bestraft, wer als Rädelsführer oder Hintermann den organisatorischen Zusammenhalt einer Vereinigung aufrechterhält, die sich gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung. Art. 9 Abs. 2 GG, richtet. a) Abs. 1 setzt voraus, daß im Verfahren nach § 33 Abs. 3 ParteienG unanfechtbar durch die Verwaltungsbehörden festgestellt ist, daß die Partei oder Vereinigung Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist.

416

Delikte gegen den Bestand des Staates

b) Abs. 2 setzt voraus, daß die Vereinigung im Verfahren nach §§ 3 ff VereinsG unanfechtbar verboten oder daß im Verfahren nach § 8 Abs. 2 VereinsG unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen Vereinigung ist. c) Zum Begriff des Hintermannes und Rädelsführers vgl. oben 1 a, aa. - Vereinigung in diesem Sinne ist der in § 2 Abs. 1 VereinsG definierte Verein. Dazu: BGHSt 16 S. 298.

d) Zur Tätigen Reue und zur Strafmilderung vgl. § 84 Abs. 4,5, die gemäß § 85 Abs. 3 entsprechend gelten. 3. Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, § 86 § 86 richtet sich gegen das Verbreiten staatsfeindlicher Propagandamittel bestimmter verbotener Parteien oder Vereinigungen als mittelbares Organisations- und abstraktes Gefährdungsdelikt. a) Bestraft wird das Verbreiten, Herstellen, Vorrätighalten oder Einführen von Schriften (§ 11 Abs. 3), deren Inhalt gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist (Propagandamittel, § 86 Abs. 2). Verbreiten bedeutet, die Schrift einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich machen, und zwar der Substanz nach. - Herstellen, Vorrätighalten und Einführen sind Vorbereitungshandlungen zum Verbreiten. Hergestellt ist ein Werk, wenn der Inhalt endgültig feststeht; dazu BGHSt 32 S. 1. b) Es muß sich um Propagandamittel einer für verfassungswidrig erklärten Partei oder verbotenen Vereinigung (Abs. 1 Nr. 1,2) oder bestimmter ausländischer Stellen handeln (Abs. 1 Nr. 3) bzw. um nationalsozialistische Propagandamittel (Abs. 1 Nr. 4). Ob auch vorkonstitutionelle Schriften (z. B. Hiders „Mein Kampf") oder nur neonazistisches Propagandamaterial, das sich ausdrücklich gegen die Bundesrepublik Deutschland als demokratischen Rechtsstaat richtet, unter Abs. 1 Nr. 4 fällt, ist str. - Angemessen ist es, hier nicht zu unterscheiden, wenn der Inhalt der Schrift sich grundsätzlich gegen die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats wendet. So auch:

DREHER/TRÖNDLE

§ 86 Rdn.

5.

- A.

A.:

BGHSt 29 S.

73

mit Anm.

BOTTKEJA 1 9 8 0 S. 125 f.

c) Gemäß Abs. 3 entfällt der Tatbestand des Abs. 1, wenn das Propagandamittel oder die Tathandlung der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient (Gedanke der Sozialadäquanz).

§ 84 Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats

417

d) Gleichfalls ist Abs. 1 nicht anwendbar auf Zeitungen oder Zeitschriften, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB in ständiger, regelmäßiger Folge erscheinen und dort allgemein und öffentlich vertrieben werden, Art. 296 EGStGB. e) Konkurrenz: Dient die Verbreitung der Propagandamittel zugleich dem Zweck, die verbotene Vereinigung zusammenzuhalten, so können §§ 84, 85 und § 86 idealiter konkurrieren. Da2u: BGHSt 26 S. 261. 4. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, § 86 a § 86 a bezweckt als abstraktes Gefährdungsdelikt den Schutz des demokra tischen Rechtsstaats und des öffentlichen Friedens. Er stellt das Verwenden oder Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Parteien und verbotener Vereinigungen unter Strafe. a) Das Kennzeichen wird durch seinen Symbolgehalt geprägt. Außer den in Abs. 2 genannten Kennzeichen kommen in Betracht: der „Deutsche Gruß", das Horst-Wessel-Lied, akustische oder optische Erkennungszeichen, wie z. B. das Hakenkreuz oder ihm ähnliche Abbildungen, die aber beim unbefangenen Beobachter den Eindruck eines Hakenkreuzes vermitteln, SSRunen u. ä. Verwenden ist jeder Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht; B G H S t 23 S. 267. - Verbreiten bedeutet, die Kennzeichen einem größeren Personenkreis zugänglich machen. b) Gemäß § 86 a Abs. 3 gilt die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 entsprechend. - Danach erfaßt der Tatbestand Handlungen, die ihn formell erfüllen, dann nicht, wenn sie sachlich seinem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen. Als Schutzzweck in diesem Sinne - vgl. oben - ist nicht nur die Abwehr der Wiederbelebung der verbotenen Organisation und der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verstehen, sondern auch die Wahrung des politischen Friedens dadurch, daß jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, daß verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet werden; B G H S t 25 S. 33; 31 S. 387. Tatbestandsmäßig daher die Verbreitung von Hakenkreuzen auf originalgetreuen Flugzeugnachbildungen (BGHSt 28 S. 394); Darstellung des Buchstaben „ß" durch SS-Runen (OLG Frankfurt NStZ 1982 S. 333; BGH NStZ 1983 S. 26l); nicht tatbestandsmäßig hingegen antiquarischer Handel mit Kennzeichen, wenn sich das Angebot im wesentlichen an Museen und wissenschafdich Interessierte wendet (BGHSt 31 S. 383).

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Delikte gegen den Bestand des Staates

5. Agententätigkeit zu Sabotagezwecken, § 87 a) § 87 stellt die Vorbereitung rechtsstaatsgefährdender Sabotagehandlungen unter Strafe. b) Der Begriff der Sabotagehandlungist in Abs. 2 abschließend umschrieben. - Voraussetzungen aller Tathandlungen ist die Steuerung des Sabotageagenten von außen, d. h. das Vorliegen eines dem Täter erteilten Auftrags einer in Abs. 1 genannten, außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB befindlichen Stelle. - Der Auftrag muß auf die Vorbereitung von Sabotageakten, die im Geltungsbereich des StGB begangen werden sollen, gerichtet sein, doch brauchen die Akte selbst noch nicht konkret bestimmt zu sein. c) Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 3. 6. Verfassungsfeindliche Sabotage, § 88 Gemäß § 88 wird bestraft, wer als Rädelsführer oder Hintermann - dazu oben 1 a - einer Gruppe oder als Einzelner ohne Rücksicht auf eine Gruppe rechtsstaatsgefährdende Sabotage betreibt. - Angriffsgegenstand sind bestimmte Verkehrs- oder Fernmelde- sowie bestimmte Versorgungseinrichtungen. a) Absichtlich handelt der Täter, wenn es ihm auf die Stillegung oder Zweckentfremdung ankommt. b) Gerechtfertigt sind die Störungen dann, wenn sie im Rahmen eines arbeitsrechtlich zulässigen Streiks erfolgen. 7. Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane, § 89 Bestraft wird die planmäßige, gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete, auf Zersetzung der pflichtgemäßen Einsatzbereitschaft abzielende Einwirkung auf Bundeswehrangehörige oder Angehörige eines öffentlichen Sicherheitsorgans. a) Öffentliche Sicherheitsorgane sind z. B. die kasernierte Bereitschaftspolizei, der Bundesgrenzschutz, die Verfassungsschutzämter und die Nachrichtendienste. - Einwirken ist jede Tätigkeit zur Beeinflussung auch nur eines Angehörigen des betroffenen Personenkreises. b) Auf das Ziel der Zersetzung muß es dem Täter ankommen (Absicht). c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht der Bestrafung nicht entgegen; BVerfGE 47 S. 130; BGHSt 27 S. 59. d) Erfolgt die Tat durch Verbreitung einer Druckschrift, so greifen nicht die kurzen Verjährungsfristen nach den Pressegesetzen ein, weil nicht der Inhalt der Druckschrift als solcher strafbar ist, sondern nur

§ 85 Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit

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das Verbreiten der Druckschrift in einem bestimmten Personenkreis; BGHSt 27 S. 353. 8. Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staates und seiner Symbole sowie verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, §§ 90, 90 a, 90 b Die Vorschriften schützen Amt und Person des Bundespräsidenten, die Bundesrepublik Deutschland, ihre Länder und Symbole sowie bestimmte Verfassungsorgane gegen öffentliche Herabsetzung. a) Verunglimpfen ist eine nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder den Beweggründen erheblichere Ehrenkränkung i. S. der §§ 185-187; BGHSt 12 S. 364. - Böswillig Verächtlichmachen bedeutet, trotz Kenntnis des Unrechts, den Angriffsgegenstand als der Achtung der Bürger unwert und unwürdig hinzustellen. b) Im Konflikt mit der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, sind die betroffenen Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen; dazu vgl. OLG Frankfurt MDR1984 S. 248,422,423; WÜRTENBERGERJR 1979 S. 309 ff; DERS. N J W 1982 S. 615; DERS. N J W 1983 S. 1147.

c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht einer Bestrafung nicht entgegen. Dazu: BVerfGE 47 S. 231 (zu § 90 a); BGHSt 29 S. 50 (zu § 90 b).

§ 85: Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik 1. Im Gegensatz zu den in den §§ 83,84 des GRUNDKURSES behandelten Straftaten richtet sich der Landesverrat gegen die äußere Sicherheit, d. h. die Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu fremden Staaten. 2. Die Tatbestände lassen sich unterteilen in die Gruppe der landesverräterischen Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen und ähnlich geschützter Sachverhalte: §§ 94-97 b, 100 a, und in die Gruppe der im Vorfeld des Verrats liegenden landesverräterischen Konspiration: §§ 98-100.

II. Das Staatsgeheimnis 1. § 93 Abs. 1 Gemäß § 93 Abs. 1, der den sog. materiellen Geheimnisbegriff positiviert, sind Staatsgeheimnisse Sachverhalte, die als Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen, d. h. ihrem Schutzbereich zuzurechnen sind, die

420

Delikte gegen den Bestand des Staates

nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. 2. § 93 Abs. 2 a) Kein Staatsgeheimnis i. S. des Gesetzes ist das sog. illegale Staatsgeheimnis i. S. des § 93 Abs. 2. Da der Verrat derartiger Geheimnisse daher keinen Verrat von Staatsgeheimnissen darstellt, ist Abs. 2 als Tatbestandseinschränkung jener Tatbestände zu verstehen, die den Verrat von Staatsgeheimnissen unter Strafe stellen. So auch: BT-Drucks. V/2860, S. 16; RUDOLPHI SK, § 93 Rdn. 35. - A. A. (Rechtfertigungsgrund):jEscHECKEngisch-Festschrift, S. 592; PAEFFGEN Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97 b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, 1979, S. 190.

Die Offenbarung derartiger Geheimnisse ist jedoch nicht ohne Ausnahme straflos; dazu weiter unter III 4. b) Abs. 2 erfaßt nicht alle geheimhaltungsbedürftigen rechtswidrigen Sachverhalte. Eine Offenbarung dieser Sachverhalte kann jedoch gemäß § 34 im Einzelfall gerechtfertigt sein. 3. Mosaiktheorie Da als Staatsgeheimnis allein Sachverhalte in Betracht kommen, die nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich sind, werden Erkenntnisse, die durch systematische Auswertung allgemein zugänglicher Tatsachen erarbeitet werden, nicht mehr geschützt, auch wenn das Ergebnis der Auswertung selbst ein Staatsgeheimnis ist. III. Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen 1. Landesverrat, § 94 § 94 schützt die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gegen den Verrat von Staatsgeheimnissen. a) Strafbar ist, wer ein Staatsgeheimnis einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt (Abs. 1 Nr. l) oder sonst an einen Unbefugten gelangen läßt bzw. öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen (Abs. 1 Nr. 2), und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.

§ 85 Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit

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Unbefugter ist jeder, der nicht rechtmäßig zur Kenntnisnahme befugt ist. Gelangen lassen bedeutet bei körperlichen Gegenständen Überführung in den Gewahrsam des Empfängers, sonst Kenntnisnahme durch den Empfänger. - Die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland muß konkret nachweisbar sein.

b) Abs. 2 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen für besonders schwere Fälle (Mißbrauch einer verantwortlichen Stellung, Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland). c) Eine zum selbständigen Delikt erhobene Vorbereitungshandlung zur Tat nach § 94 stellt § 96 Abs. 1 unter Strafe. 2. Offenbaren von Staatsgeheimnissen, § 95 § 95 konkretisiert die Grenzen der Pressefreiheit, indem er die Preisgabe von Staatsgeheimnissen in Publikationsorganen unter Berücksichtigung des Widerstreits zwischen Pressefreiheit und Geheimnisschutz regelt. a) Der Tatbestand unterscheidet sich von dem des Landesverrats dadurch, daß aa) das Staatsgeheimnis zur Zeit der Tat von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird und bb) die Offenbarung nicht in Schädigungs- oder Begünstigungsabsicht begangen sein darf. b) Eine Vorbereitungshandlung zur Begehung des § 95 stellt § 96 Abs. 2 als selbständiges Delikt unter Strafe. 3. Preisgabe von Staatsgeheimnissen, § 97 a) Gemäß § 97 Abs. 1, dessen objektiver Tatbestand dem des § 95 entspricht, wird bestraft, wer die Tathandlung vorsätzlich begeht, bzgl. des Gefährdungserfolgs jedoch nur fahrlässig handelt. b) Personen, denen ein Staatsgeheimnis kraft Amtes, Dienststellung oder eines von amtlicher Stelle erteilten Auftrags zugänglich ist, werden gemäß § 97 Abs. 2 bestraft, wenn sie das Staatsgeheimnis leichtfertig an einen Unbefugten gelangen lassen und damit fahrlässig eine Staatsgefährdung begründen. 4. Verrat illegaler Geheimnisse, § 97 a a) Die Vorschrift löst in Verbindung mit § 93 Abs. 2 die Kollision zwischen dem Recht zur Rüge von Mißständen im öffentlichen Leben und der Pflicht, Staatsgeheimnisse zu wahren. Gemäß § 93 Abs. 2 geht das Interesse an der Mitteilung und Entdeckung rechtswidriger Geheimnisse der Wahrung äußerer Sicherheit vor. Ausgenommen sind nur solche Ver-

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Delikte gegen den Bestand des Staates

ratshandlungen, die trotz des Rechtsverstoßes im Hinblick auf einen effektiven Staatsschutz nicht mehr erträglich erscheinen, weil sie nicht auf öffentliche Diskussion des Mißstandes zielen, sondern zumindest objektiv eine andere Macht begünstigen: die Mitteilung des Geheimnisses unmittelbar an eine fremde Macht oder ihre Mittelsmänner, bzw. die Ausspähung des Geheimnisses, § 96 Abs. 1, in dieser Mitteilungsabsicht. b) Praktisch erfolgt die Anwendung des § 97 a dadurch, daß in § 94 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 sowie in § 96 Abs. 1 in Verb, mit § 94 Abs. 1 Nr. 1 an die Stelle des Staatsgeheimnisses das Geheimnis i. S. d. § 93 Abs. 2 tritt. 5. Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses, § 97 b § 97 b enthält keinen selbständigen Tatbestand, sondern eine besondere Irrtumsvorschrift (Rechtsfolgenverweisung) für den Fall des Verrats eines Staatsgeheimnisses, das der Täter irrig für ein Geheimnis i. S. des § 93 Abs. 2 hält. - Nötig wurde diese Vorschrift, weil der Gesetzgeber unter der Prämisse, § 93 Abs. 2 enthält einen Tatbestandsausschluß - das bei der Anwendung der allgemeinen Irrtumsregeln zwingende Ergebnis: Straffreiheit des Irrenden, ausschließen wollte. So im Ergebnis auch:

Verrat, S. 229. - Für selbständigen Tatbestand: § 97 b Rdn. 1; für negativ formulierten RechtfertigungsEngisch-Festschrift, S. 596. PAEFFGEN

SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE

grund: JESCHECK

Mit dem Schuldgrundsatz ist die Gleichstellung des irrenden Täters mit dem Täter, der bewußt ein Staatsgeheimnis verrät, nicht in Einklang zu bringen. Die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift erfordert daher eine Milderung des Strafrahmens. Dazu auch:

PAEFFGEN

Verrat, S.

170.

6. Landesverräterische Fälschung, § 100 a § 100 a schützt nicht nur die äußere Sicherheit, sondern die äußere Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im ganzen gegen landesverräterische Fälschung. a) Gemäß § 100 a Abs. 1 wird bestraft, wer bestimmte gefälschte oder unwahre Sachverhalte an einen anderen gelangen läßt und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere staatliche Sicherheit oder die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeiführt. - Gefälscht oder verfälscht ist ein Sachverhalt, wenn er zum Zwecke der Täuschung derart angefertigt oder verändert wurde, daß er den Anschein eines wahren Sachverhalts erweckt. - Der Sachverhalt braucht kein Staatsgeheimnis zu sein. b) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz in bezug auf die Tathandlung und die Gefährdung sowie die Absicht des Täters, einer fremden

§ 85 Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit

423

Macht die Echtheit oder Wahrheit der verratenen Sachverhalte vorzutäuschen. Der Täter muß die Unechtheit oder Unwahrheit der verratenen Sachverhalte positiv kennen („wider besseres Wissen"). c) Nach § 100 a Abs. 2 sind Vorbereitungshandlungen zu Abs. 1 als selbständiges Delikt strafbar. IV. Die landesverräterische Konspiration

1. Geheimdienstliche Agententätigkeit, § 99 § 99 schützt als umfassender Spionagetatbestand gegen geheimdienstliche

Tätigkeit.

a) Gemäß Abs. 1 Nr. 1 wird die Ausübung einer geheimdiensdichen Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland, die auf Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, bestraft. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Nr. 4 des 4. StrÄG ist der Schutz auf diejenigen Nato-Vertragsstaaten, die Truppen im Bundesgebiet haben, ausgedehnt; BGHSt 32 S. 104. Geheimdienst ist in der Regel eine im staatlichen Bereich organisierte Einrichtung, die der Beschaffung und Auswertung von Nachrichten aus fremden Machtbereichen dient, ihre Tätigkeit in diesen Bereichen vor den fremden Behörden geheimhält und daher konspirative Methoden anwendet. - Ausüben wird vom BUNDESGERICHTSHOF als tätig sein interpretiert (BGH NStZ 1983 S. 550 mit Anm. STREE S. 551 ff), während in der Literatur z. T. eine auf gewisse Dauer angelegte Tätigkeit gefordert wird (vgl. F.-CHR. SCHROEDERJZ 1983 S. 671 ff). Die Begrenzung des Tatbestandes auf länger angelegte Tätigkeit führt zu nicht berechtigten Strafbarkeitslücken. - Bloßes Ausgeforschtwerden oder Sich-ausfragen-Lassen ist allerdings noch keine Ausübung der Tätigkeit i. S. des Gesetzes; BVerfGE 57 S. 265; BGHSt 30 S. 294. - Gegen die Bundesrepublik Deutschland heißt gegen deren Interessen, nicht nur gegen die einzelner Personen oder Gruppen, doch werden nicht nur staatliche Interessen, sondern auch wirtschaftliche, wissenschaftliche und andere Interessen erfaßt. b) Nach Abs. 1 Nr. 2 ist der Tätigkeit das ernstliche Bereiterklären zu dieser Tätigkeit gegenüber einer fremden Macht oder ihren Mittelsmännern gleichgestellt. c) Besonders schwere Fälle sind als Regelfälle in Abs. 2 genannt; die Möglichkeit Tätiger Reue eröffnet Abs. 3 in Verb, mit § 98 Abs. 2.

2. Landesverräterische Agententätigkeiten, § 98 § 98 erfaßt als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht nur Vorbereitungshandlungen zum Landesverrat (§ 94) oder zur Ausspähung (§ 96 Abs. l),

424

Delikte gegen den Bestand des Staates

sondern deckt deren Vorfeld ab, auch wenn noch gar kein konkreter Tatplan i. S. dieser Vorschrift besteht. Im Gegensatz zu § 99 ist eine geheimdienstliche Tätigkeit aber nicht erforderlich, jedoch muß die Agententätigkeit auf ein Staatsgeheimnis gerichtet sein. Zur Strafbarkeit des Bereiterklärens vgl. Abs. 1 Nr. 2, zur Strafbarkeit besonders schwerer Fälle: Abs. 1 S. 2. - Tätige Reue ist unter den Voraussetzungen des Abs. 2 möglich.

3. Friedensgefährdende Beziehungen, § 100 § 100 schützt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gegen friedensgefährdende Agententätigkeit. a) Die Vorschrift erfaßt nicht eine bestimmte Tätigkeit wie §§ 98, 99, sondern die staatsgefährdende Aufnahme und Unterhaltungvon Beziehungen zu einer bestimmten Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB oder zu einem ihrer Mittelsmänner in staatsgefährdender Absicht. - Die Tat muß in der Absicht erfolgen, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen, z. B. „Einmarsch zwecks friedlicher Besetzung" (MAURACH/SCHROEDER B. T. II, § 83IV A 3) gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. b) Täter kann nur ein Deutscher sein, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat. 4. Nebenfolgen und Einziehung Zu den Nebenfolgen und zur Einziehung bei Verurteilung wegen einer Straftat nach dem 2. Abschnitt des StGB vgl. §§ 101, 101 a.

§ 86: Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut Die Überschrift des 3. Abschnitts des StGB: „Straftaten gegen ausländische Staaten", bringt die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, mit diesen Vorschriften nicht nur die guten Beziehungen zu den ausländischen Staaten, sondern diese selbst und ihre Organe sowie Organträger zu schützen. Gleichwohl steht im Vordergrund der Regelung der Schutz normaler Auslandsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland und damit der Schutz des eigenen Staates, wie insbes. die Regelung des § 104 a zeigt. II. Die einzelnen Tatbestände 1. Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, §102 Bestraft wird der Angriff auf Leib oder Leben ausländischer Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder oder beglaubigter Leiter einer ausländi-

§ 87 Delikte gegen Verfassungsorgane

425

sehen diplomatischen Vertretung, während sich der Angegriffene in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält. 2. Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, § 103 Die Vorschrift enthält einen gegenüber den §§ 185 ff speziellen Beleidigungstatbestand zum Schutz bestimmter ausländischer Staatsmänner. a) Die §§ 190,192,193 finden auf § 103 Anwendung, da sie allgemeine Grundsätze des Beleidigungsrechts enthalten; BVerwG NJW 1982 S. 1008. b) Kann aus § 103 aus einem Grunde nicht bestraft werden, so greifen die allgemeinen Vorschriften, §§ 185 ff, durch. 3. Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten, § 104 Geschützt sind alle ausländischen Flaggen und Hoheitszeichen in Anlehnung an § 90 a Abs. 2. III. Voraussetzung der Strafverfolgung, § 104 a 1. Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen unter II dargestellten Tatbeständen: a) das Bestehen normaler diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu dem betreffenden Staat, b) die tatsächliche Verbürgung der Gegenseitigkeit. 2. Prozeßvoraussetzung ist: a) das Vorliegen eines Strafverlangens durch die ausländische Regierung und b) die Ermächtigung der Bundesregierung zur Verfolgung der Täter. § 87: Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d 1. Geschütztes Rechtsgut der Tatbestände dieses Abschnittes ist die in staatlichen Angelegenheiten gewährleistete Willensbildung und die verfassungsrechtlich gesicherte Willensbetätigung der Verfassungsorgane. Diese sollen vor Terror und Verfälschung bewahrt werden. - Der nötigende Druck muß so erheblich sein, daß er geeignet erscheint, den Willen des Verfassungsorgans zu beugen; BGHSt 32 S. 165 mit Anm. W I L L M S J R 1984 S. 120 f.

426

Delikte gegen den Bestand des Staates

2. Angriffe gegen die Verfassungsorgane und deren Mitglieder sind in §§ 105-106 b erfaßt, die §§ 107-108 d schützen die Wahlen.

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Nötigung von Verfassungsorganen, § 105 Die Vorschrift schützt bestimmte Verfassungsorgane (Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder, Bundesversammlung, Bundesregierung und Länderregierungen sowie das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder) und ihre Untergliederungen (Ausschüsse) als Ganzes gegen Nötigung. Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 entsprechend anzuwenden; dazu oben § 27 III. 2. Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans, § 106 Während § 105 das Verfassungsorgan als Ganzes schützt, ist § 106 auf den Schutz des Bundespräsidenten und einzelner Mitglieder der in § 105 genannten Verfassungsorgane gegen Nötigung in ihrem Aufgabenbereich gerichtet. Soweit zu diesem Aufgabenbereich auch bloßes Verwaltungshandeln gehört, z. B. beim Minister als Leiter oberster Bundes- oder Landesbehörden, werden auch derartige Tätigkeiten erfaßt. S.

A. A.: OLG Düsseldorf NJW 1978 S. 2562 mit abl. Anm. SCHOREITMDR 1979 633 f.

3. Bannkreisverletzung, § 106 a § 106 a schützt die Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder sowie das Bundesverfassungsgericht gegen den Druck der Straße. a) Abs. 1 bestraft die Teilnahme an Aufzügen oder öffentlich unter freiem Himmel veranstalteten Versammlungen innerhalb des „Bannkreises". Dazu § 16 VersG sowie die Bannmeilengesetze des Bundes und der Länder. Der Begriff der Versammlung ist im selben Sinn zu verstehen wie im Versammlungsgesetz; dazu OLG Köln MDR1980 S. 1040. - Aufzug ist eine zu einem bestimmten Zweck vereinigte Menschenmenge, die sich in der Öffentlichkeit als zusammengehöriges Ganzes so bewegt, daß sie Aufmerksamkeit auf sich lenkt.

b) Abs. 2 erfaßt bereits die Aufforderung zu der in Abs. 1 beschriebenen Bannkreisverletzung als eigenständiges Delikt.

§ 87 Delikte gegen Verfassungsorgane

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4. Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans, § 106 b § 106 b schützt die Polizeigewalt in Gebäuden und den dazu gehörenden Grandstücken der Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder. a) Abs. 1 erfaßt den Verstoß gegen Hausordnungsvorschriften, durch den die Tätigkeit des Organs gestört oder gehindert wird. Gebäude meint das jeweilige Gebäude, in dem das Gesetzgebungsorgan gerade tagt und für das die Anordnung erlassen ist. - Hindern heißt die Tätigkeit - sei es auch nur für kurze Zeit - unmöglich machen. Stören bedeutet erschweren der Tätigkeit.

b) Gemäß Abs. 2 können Parlaments- oder Regierungsmitglieder nicht Täter sein. 5. Als Delikte gegen Wahlen - Legaldefinition in § 108 d - sind erfaßt: a) Wahlbehinderung, § 107: Geschützt ist der Wahlvorgang in seinem Gesamtablauf. b) Wahlfälschung, § 107 a aa) Abs. 1 erfaßt die Herbeiführung eines falschen Ergebnisses vor Beendigung der Wahl und die Verfälschung des Ergebnisses nach diesem Zeitpunkt. Es genügt jede Handlung, die ein unrichtiges Ergebnis bewirkt. Unbefugt wählt auch, wer unter anderem Namen den Kandidaten wählt, den auch der Vertretene gewählt hätte; BGHSt 29 S. 380 mit Anm. OEHLERJR 1981 S. 519.

bb) Abs. 2 betrifft die falsche Verkündung eines Wahlergebnisses. - Täter kann nur sein, wer die amtliche Aufgabe hat, das Ergebnis öffentlich zu verkünden oder verkünden zu lassen oder wer sich diese Befugnis anmaßt. c) Fälschung von Wahlunterlagen, § 107 b Die Vorschrift stellt bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wahlfälschung selbständig unter Strafe. d) Verletzung des Wahlgeheimnisses, § 107 c Bestraft wird die Verletzung von Vorschriften, die dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienen, in der Absicht, sich oder einem anderen Kenntnis darüber zu verschaffen, wie jemand gewählt hat. Als das Blankett ausfüllende Normen kommen z. B. § 34 BWahlG, §§ 50, 51 BWahlO in Betracht.

e) Wählernötigung, § 108 aa) Geschützt ist der einzelne Bürger gegen Nötigung bei der Ausübung seines Wahlrechts.

428

Delikte gegen den Bestand des Staates

bb) Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 anwendbar. f) Wählertäuschung, § 108 a Geschützt ist der Wählergegen Täuschung beim Wahlakt, nicht gegen Täuschung bei der Willensbildung in bezug auf die Entscheidung für eine bestimmte Partei, z. B. durch falsche Wahlversprechen o. ä. g) Wählerbestechung, § 108 b Die Vorschrift stellt Bestechung und Bestechlichkeit des Wählers unter Strafe. - Ob und wie der Wähler wählt, ist unerheblich, sein geheimer Vorbehalt, sich durch die Bestechung nicht beeinflussen zu lassen, ist irrelevant. h) Zu den Nebenfolgen vgl. § 108 c.

§ 88: Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich 1. Die Delikte des 5. Abschnitts des StGB dienen dem Schutz der Landesverteidigung, und zwar ihrem Wortlaut nach gegenüber Angriffen auf das Kräftepotential der Streitkräfte der Bundesrepublik. Gemäß Art. 7 des 4. StÄG ist der Schutz der §§ 109 d-109 g, 109 i aber auf die militärische Sicherheit der Vertragsstaaten der NATO und ihrer in Deutschland stationierten Truppen ausgedehnt worden. 2. Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten nicht im Lande Berlin; zu § 109 h vgl. oben § 37 II. II. Die einzelnen Tatbestände 1. Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung, § 109 Die Vorschrift will die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht und damit das Wehrpotential der Bundesrepublik Deutschland sichern. a) Nach Abs. 1 wird der Täter bestraft, der sich oder einen anderen mit dessen Einwilligung in bestimmter Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder machen läßt. - Führt allerdings ein Soldat die Untauglichkeit an sich oder einem anderen Soldaten herbei, so greift § 17 WStG als Spezialvorschrift ein. Zur Wehrpflicht vgl. §§ 1-3 WehrpflG. - Untauglich, der Wehrpflicht zu genügen, ist der Wehrpflichtige, wenn er wegen körperlicher oder geistiger Mängel nicht mehr in der Art oder dem Umfang wehrtauglich ist wie vorher. - Verstümmelung ist unmittelbare mechanische Einwirkung auf den Körper, Untauglichmachen in anderer Weise kann z. B. durch Einnahme gesundheitsschädlicher Medikamente o. ä. erfolgen.

§ 88 Delikte gegen die Landesverteidigung

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b) Milder bestraft wird das Delikt gemäß Abs. 2, wenn die Untauglichkeit nur für eine gewisse Zeit oder eine einzelne Art der Verwendung herbeigeführt wird. c) Fehlt die Einwilligung, so greifen nur §§ 223 ff ein. d) Konkurrenzen: Zwischen Versuch nach Abs. 1 und Vollendung nach Abs. 2 ist Idealkonkurrenz möglich (str.). - Die Einwilligung rechtfertigt nach h. M. die Körperverletzung nicht, § 226 a. Mit den §§ 223,223 a wird danach entweder Tateinheit oder Konsumtion angenommen; vgl. LACKNER StGB, § 109 Anm. 7. Wird die Sittenwidrigkeit hingegen von der Schwere der Verletzung abhängig gemacht - dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 8 III 1 - , so greift in den Fällen der §§ 223,223 a die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund durch. Mit §§ 224 bis 226 ist hingegen Idealkonkurrenz möglich.

2. Wehrpflichtentziehung durch Täuschung, § 109 a Die Vorschrift will die Erfüllung der Wehrpflicht sichern. a) Bestraft wird, wer sich oder einen anderen durch arglistige, auf Täuschung berechnete Machenschaften der Erfüllung der Wehrpflicht in bestimmter Weise entzieht. Machenschaften bezeichnen ein methodisches, über die bloße Lüge hinausgehendes, berechnendes Vorgehen, das auf Täuschung gerichtet sein muß. Die Kennzeichnung der Machenschaft als arglistig ist tautologisch, da die Machenschaft bereits ein gewisses Raffinement voraussetzt. Beispiele: Scheinverlegung des Wohnsitzes in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes (OLG Celle NJW1965 S. 1675); systematisches Vortäuschen körperlicher Mängel (RGSt 29 S. 218). b) Für Soldaten ist die Wehrpflichtentziehung durch Täuschung in § 18 W S t G speziell geregelt.

3. Störpropaganda gegen die Bundeswehr, § 109 d Die Vorschrift soll der geistigen Sabotage gegen die Bundeswehr entgegenwirken. Bestraft wird das Aufstellen und Verbreiten verleumderischer Tatsachenbehauptungen gegen die Bundeswehr in der Absicht der Wehrkraftzerstörung. - Aufgrund der in der Regel kaum nachweisbaren subjektiven Voraussetzungen hat der Tatbestand nur geringe Bedeutung. Dazu: GREISER N J W 1973 S. 231; JESCHECK N Z W e h r r 1969 S. 128; SCHWENK

NZWehrr 1969 S. 136.

4. Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln, § 109 e § 109 e bezweckt den Schutz der Funktionstüchtigkeit von Wehrmitteln sowie bestimmter Einrichtungen und Anlagen.

430

Delikte gegen den Bestand des Staates

a) Bestraft wird nach Abs. 1 die Sabotage an Gegenständen der Landesverteidigung. Wehrmittel sind Gegenstände, die für den bewaffneten Einsatz der Truppe geeignet und bestimmt sind. - Einrichtungen und Anlagen dienen der Landesverteidigung oder dem Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren, wenn ihr Zweck, sei es auch nur mittelbar, auf die Landesverteidigung oder den Schutz der Zivilbevölkerung abzielt. Beispiele: Munitionslager; Flugsicherungsanlagen; Rüstungsbetriebe.

Die Tathandlung muß eine konkrete Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Truppe oder ein bzw. mehrere Menschenleben begründet haben. b) Unbefugt handelt, wer zu seinem Verhalten nicht zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich befugt ist. - Die geschützten Güter (Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Schlagkraft der Truppe, ein oder mehrere Menschenleben) müssen konkret gefährdet sein. c) Der aktiven Sabotage (Abs. l ) wird gemäß Abs. 2 die fehlerhafte Herstellung oder Lieferung eines Gegenstandes der Landesverteidigung oder des dafür bestimmten Werkstoffs gleichgesetzt, wenn der Täter dadurch die in Abs. 1 genannten Gefahren herbeiführt. d) Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Die Tat nach Abs. 1 erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auch auf die Gefährdung beziehen muß. - Abs. 2 setzt für die Tathandlung und Gefährdung Wissentlichkeit voraus. bb) Erfolgt die Tathandlung i. S. des Abs. 1 vorsätzlich, doch trifft den Täter Fahrlässigkeit bezüglich der Herbeiführung der Gefahr, so haftet er gemäß Abs. 5. - Gleiches gilt für den Täter, der die Tathandlung i. S. des Abs. 2 wissentlich begeht, die Gefährdung jedoch zumindest bedingt vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt. e) § 109 e ist lex specialis gegenüber §§ 303-305. A . A . : I d e a l k o n k u r r e n z z. B . : F.-CHR. SCHROEDER L K , § 1 0 9 e R d n . 17.

5. Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst, § 109 f Bestraft wird der militärische Nachrichtendienst für eine Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland oder für eine verbotene Vereinigung i. S. der §§ 84,85- - Das Delikt erfaßt Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit. Liegt daher bereits eine geheimdienstliche Tätigkeit i. S. der §§ 93 ff, insbes. des § 99 vor, so wird § 109 f konsumiert. 6. Sicherheitsgefährdendes Abbilden, § 109 g Die Vorschrift erfaßt Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats.

§ 88 Delikte gegen die Landesverteidigung

431

a) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das Abbilden oder Beschreiben militärischer Objekte sowie des Gelangenlassens solcher Abbildungen und Beschreibungen an andere, wenn dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet wird. b) Nach Abs. 2 wird bestraft, wer vorsätzlich von einem Luftfahrzeug aus eine Lichtbildaufnahme eines Gebiets oder Gegenstandes im räumlichen Geltungsbereich des § 109 g (Bundesrepublik Deutschland ohne West-Berlin) anfertigt oder eine solche Aufnahme an einen anderen gelangen läßt und dadurch wissentlich den Gefährdungserfolg herbeiführt. 7. Nebenfolgen und Einziehung Zu den möglichen Nebenfolgen bei einer Verurteilung nach den § 109 e und 109 f sowie zur Einziehung bei einer Straftat nach den § 109 d-109 g vgl. §§ 109 i, 109 k.

Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Staatsgewalt

§ 89: Gefahrdung der staatlichen Autorität I. Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134 1. Das geschätzte Rechtsgut § 134 soll der Diskreditierung der Staatsgewalt wehren. Geschützt ist die Autorität der Staatsgewalt. Bekanntmachungen öffentlicher Dienststellen sollen so, wie sie bekanntgemacht worden sind, der Bevölkerung zur Kenntnis kommen. 2. Die Tathandlung a) Bestraft wird das Zerstören, Beseitigen, Verunstalten, Unkenntlichmachen und die Entstellung des Sinnes von öffentlich angeschlagenen oder ausgelegten dienstlichen Schriftstücken, auch wenn deren Inhalt nur eine bestimmte Person betrifft, wie z. B. im Falle der öffentlichen Zustellung. Dienstlich ist jedes von Behörden oder anderen Dienststellen öffentlich-rechtlicher Körperschaften gefertigte Schriftstück, das amtlichen Inhalt hat. - Zur Bekanntmachung öffentlich angeschlagen oder ausgelegt ist das Schriftstück, wenn die Allgemeinheit Kenntnis nehmen kann und soll. - Zum Zerstören vgl. oben § 4 7 1 2 d. - Beseitigen bedeutet Entziehung durch Ortsveränderung gegen den Willen des Berechtigten. - Verunstalten, Unkenntlichmachen und Entstellen des Sinnes sind Einwirkungen auf die inhaltliche Aussage.

b) Aus dem Schutz herausnehmen will die h. M. Schriftstücke offensichtlich verfassungs- oder gesetzwidrigen Inhalts. - Dies ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen, vielmehr handelt es sich hier um eine Frage der Rechtfertigung im Einzelfall. So auch: M A U R A C H / S C H R O E D E R B.T. I I , § 72 V 2; SCHMIDHAUSER B.T., 22/3. - Zur h. M. vgl.: OLG Hamburg MDR 1953 S. 247; LACKNER StGB, § 134 Anm. 2 b.

II. Mißbrauch von Ausweispapieren, § 281 Dazu vgl. oben § 73. III. Amtsanmaßung, § 132 1. Das geschätzte Rechtsgut Geschützt wird die Autorität des Staates und seiner Organe, und zwar dadurch, daß das allgemeine Vertrauen in die Echtheit und Zuverlässigkeit von Hoheitsakten geschützt wird.

§ 89 Gefährdung der staatlichen Autorität

433

V g l . : RUDOLPHI S K , § 132 R d n . 1 m . w . N . - A . A . : MAURACH/SCHROEDER B.T. I I ,

§ 77 I 1: staatliche Organisationsgewalt. 2. Der Tatbestand Der Tatbestand enthält zwei Alternativen: a) D i e 1. Alternative erfaßt die Fälle, in denen sich der Täter als Inhaber eines inländischen öffentlichen Amtes, d. h. als Organ der Staatsgewalt, ausgibt und eine diesem A m t zurechenbare Tätigkeit ausübt. Beispiele: Täter gibt sich als Kriminalbeamter aus und nimmt eine Verhaftung oder eine Durchsuchung vor; Täter führt als Polizeibeamter verkleidet Verkehrskontrollen durch; Täter pfändet eine Sache als angeblicher Gerichtsvollzieher. Keine Amtsanmaßung: Täter bezeichnet sich einem privaten Bekannten gegenüber als Polizeidirektor; Täter fordert in der Bahn einen Sitzplatz mit dem Hinweis, er sei der Bundesbahnpräsident; Täter gibt sich beim fiskalischen Einkauf als Behördenchef aus. b) D i e 2. Alternative erfaßt j ene Fälle, in denen der Täter zwar nicht vortäuscht, Inhaber eines Amtes zu sein, jedoch den Eindruck hoheitlichen Handelns hervorruft. Beispiele: Privatperson stellt am öffentlichen Weg ein amtliches Verkehrszeichen auf, durch das der Verkehr beeinflußt wird; Täter klebt eine Pfandmarke auf einen bestimmten Gegenstand, der dadurch als der gepfändete erscheint; Anbringen eines vom eigenen Kfz entfernten Verwarnungszettels an fremdem Kfz. Wird hingegen ein Verwarnungszettel am eigenen Kraftfahrzeug angebracht, um die Polizei zu täuschen, so ist der Tatbestand nicht erfüllt, da hier nicht dem Bürger ein hoheidiches Handeln vorgetäuscht wird. D a z u a u c h : B A U M A N N N J W 1964 S. 7 0 8 ; SCHRÖDERJR 1964 S. 2 3 0 ; SCHÜNEMANN J A 1974 S. 107.

Bei Durchsuchungen, Verhaftungen usw. k o m m t es darauf an, ob der Täter - o h n e ein bestimmtes A m t vorzugeben - anderen gegenüber, sei es ausdrücklich, sei es konkludent, den Eindruck hoheitlichen Handelns hervorruft. Beispiel 1: A erscheint bei B, erklärt, er vermute in der Wohnung des B ein ihm gestohlenes Bild und besteht auf einer Durchsuchung. Ergebnis: § 132 nicht erfüllt. Beispiel 2: A erscheint bei B und erklärt, die letzte Verhaftung in der Diebstahlssache X habe hinreichenden Verdacht begründet, daß das gestohlene Gut in der Wohnung des B sei. A müsse die Wohnung durchsuchen und B verhaften, falls dieser sich widersetzt. Ergebnis: § 132, 2. Alt. ist gegeben, obwohl A nicht vorgespiegelt hat, ein bestimmter Amtsträger zu sein. Dazu: RGSt 59 S. 295. c) Unbefugt handelt, wer nicht durch seine Amtsstellung oder besonderen öffentlich-rechtlichen Ermächtigungsakt zur Vornahme der Handlung berechtigt ist. Unbefugt ist Tatbestandsmerkmal.

434

Delikte gegen die Staatsgewalt

3. Täter a) Täter der Amtsanmaßung kann jeder sein, auch ein Amtsträger, soweit er sich Befugnisse anmaßt, die mit seinem Amte nicht verbunden sind. Ist die Amtshandlung jedoch nach außen voll wirksam, verstößt sie aber gegen Weisungen oder Zuständigkeitsverteilungen innerhalb der Behörde oder ist von jemandem erlassen worden, der die Amtsstellung erschlichen hat, so liegt eine Amtsanmaßung nicht vor. Dieses Verhalten tangiert das geschützte Rechtsgut nicht. b) Die Tat kann auch in mittelbarer Täterschaft begangen werden. Jedoch fällt die Veranlassung einer Amtshandlung durch einen getäuschten Amtsträger nicht unter § 132, da der Tatbestand nur die Durchbrechung der Amtsgewalt, nicht aber ihre Überlistung erfaßt. 4. Das Verhältnis der beiden Alternativen des Tatbestandes zueinander Da die 1. Alternative im Gegensatz zur 2. Alternative das Vortäuschen einer Amtseigenschaft voraussetzt, besteht zwischen beiden Alternativen Exklusivität. So auch: H E R D E G E N L K , § 132 Rdn. 10; K Ü P E R J R 1967 S . 451. - A . A . : M A U R A C H / B. T. II, § 77 II 4: Spezialität. - H E R Z B E R G J U S 1973 S . 236; LACKNER StGB, § 132 Anm. 5: Konsumtion. - RGSt 59 S. 295: Idealkonkurrenz. SCHROEDER

IV. Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift dient weniger dem Schutz staatlicher Autorität oder der Autorität einzelner Titel usw., als vielmehr dem Schutz der Allgemeinheit vor Hochstaplern, die sich durch falsche Titel und Bezeichnungen den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit geben. Dazu: BGH GA 1966 S. 279; BayObLG NJW 1979 S. 2359.

2. Die Tathandlung a) Das Fähren eines Titels usw. (Abs. 1 Nr. 1-3) setzt eine aktive Tätigkeit des Täters voraus, mit der er Dritten gegenüber in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise und Intensität den Titel usw. in Anspruch nimmt. - Bloßes Dulden der Anrede genügt nicht, desgleichen ist ein einmaliger Gebrauch des Titels, insbes. im privaten Verkehr, noch nicht tatbestandsmäßig; BGHSt 31S. 61. - Der Täter muß die förmliche Dienst-, Amts- oder Berufsbezeichnung führen. - Wer sich z. B. schlechthin als „Polizeibeamter" ausgibt, führt damit noch keine Amtsbezeichnung. Dazu: BGHSt 26 S. 267.

§ 90 Gefährdung der Staatsgewalt

435

b) Das Tragen einer Uniform usw. (Abs. 1 Nr. 4) setzt voraus, daß der Täter den Eindruck erweckt, er sei hierzu öffentlich-rechtlich befugt. Nicht tatbestandsmäßig daher der Besuch eines Maskenballs in einer Uniform.

c) Unbefugt - dazu oben III 2 c - ist Tatbestandsmerkmal. d) Die Führung von Bezeichnungen usw., die denen in Abs. 1 genannten zum Verwechseln ähnlich sind, ist gemäß Abs. 2 entsprechend Abs. 1 zu bestrafen. Zum Verwechseln ähnlich ist die Bezeichnung usw., wenn nach dem Gesamteindruck eines durchschnitdichen Beobachters eine Verwechslung möglich ist. e) Zum Schutz der Amtsbezeichnungen usw. der Kirchen und anderer Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts vgl. Abs. 3. 3. Die Tat ist eigenhändiges Delikt.

§ 90: Gefährdung der Staatsgewalt I. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 1. Das Wesen des Tatbestandes und das geschützte Rechtsgut a) § 111 Abs. 1 ist ein gegenüber der Anstiftung, § 26, und der versuchten Anstiftung, § 30 Abs. 1, erweiterter Auffangtatbestand. Die rechtswidrige Tat, zu der der Täter auffordert, muß ihrer Art und ihrem rechdichen Wesen nach bestimmt sein. Im Gegensatz zu §§ 26, 30 ist jedoch nicht erforderlich, daß der Aufgeforderte als ganz bestimmte Person schon feststeht und Zeit, Ort sowie Objekt der Tat bereits in den wesentlichen Zügen konkretisiert sind. b) Geschützt ist die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden, die gefährdet ist, wenn unbestimmt viele oder doch größere Zahlen von Menschen zu Straftaten aufgefordert werden. 2. Die Aufforderung gemäß Abs. 1 a) Aufforderung ist eine Äußerung, mit der erkennbar von einem anderen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangt wird. Ein bloßes „Anreizen" zur Tat genügt nicht; OLG Köln MDR 1983 S. 338. Insoweit sind Aufforderung und Bestimmen i. S. des § 26 identisch, wenn auch für das Bestimmen mehr verlangt wird als die bloße Verursachung des Tatentschlusses; dazu vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 2 2 II 2 .

Zum Begriff öffentlich vgl. oben § 62,2; in einer Versammlung: vgl. oben § 62, 2; Verbreiten heißt die Schriften (§ 11 Abs. 3) einem größeren, nicht

436

Delikte gegen die Staatsgewalt

notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich machen, den der Täter nicht mehr kontrollieren kann. Das bloße Anbieten zum Kauf ist noch kein Verbreiten; K G Strafverteidiger 1983 S. 461. b) Der Vorsatz ist gegenüber dem Anstiftungsvorsatz weiter, da keine konkrete Person zur Tat bestimmt werden muß. Er erfordert das Bewußtsein, daß die Aufgeforderten eine rechtswidrige Tat begehen, wozu auch die Teilnahme zählt, nicht aber Ordnungswidrigkeiten. Der Vorsatz, daß die Aufgeforderten die Tat vollenden, ist im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut nicht erforderlich, so daß auch ein agent provocateur unter § 111 fällt. So auch: Rdn. 17.

LACKNER

StGB, §

111

Anm. 1. - A. A.:

SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER § 111

c) Die Bestrafung nach Abs. 1 setzt voraus, daß die Aufforderung Erfolg gehabt hat, d. h. daß es zu der rechtswidrigen vollendeten Tat oder zu einem mit Strafe bedrohten Versuch gekommen ist. 3. Die erfolglose Aufforderung gemäß Abs. 2 Im Hinblick auf den Erfolg der Tat hat Abs. 2 die Funktion des § 30 Abs. 1 gegenüber § 26. Entgegen § 30 Abs. 1 sieht § 111 Abs. 2 jedoch nicht eine Strafmilderung vor, sondern bietet einen selbständigen Strafrahmen. Diese in die Gesetzessystematik nur schwer einzupassende Regelung führt zu der Konsequenz, daß Beihilfehandlungen zur Tat nach Abs. 2 im Gegensatz zur Beihilfe bei der erfolglosen Anstiftung gemäß § 30 Abs. 1 - strafbar sind; dazu BGHSt 29 S. 266. 4. Konkurrenzen Wird der Täter wegen der Tat, zu der er aufgefordert hat, als Täter, Anstifter oder erfolgloser Anstifter, §§ 25, 26, 30, bestraft, so wird § 111 konsumiert. Für Tateinheit: Rdn. 23.

DREHER/TRÖNDLE § 111

Rdn.

9 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER §

111

II. Die Verbindungstatbestände 1. Bildung bewaffneter Haufen, § 12 7 In erster Linie dient die Vorschrift der Sicherung der internen Staatsgewalt, daneben wird auch die Sicherung der Neutralität nach außen miterfaßt. A. A.:

§ 127 Rdn. 2; LACKNER StGB, § 127 Anm. 1; § 127 Rdn. 1: Schutz des öffentlichen Friedens.

VON BUBNOFF L K ,

SCHRÖDER/LENCKNER

Drei Tatbestände sind zu unterscheiden:

SCHÖNKE/

§ 90 Gefährdung der Staatsgewalt

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a) Unbefugtes Bilden oder Befehligen eines bewaffneten Haufens, d. h. einer größeren Zahl räumlich vereinigter Menschen, Abs. 1, 1. Alt. b) Versorgung einer ohne staatliche Befugnis gesammelten Mannschaft, d. h. einer organisierten und disziplinierten Gruppe mit Waffen und Kriegsbedarf, Abs. 1, 2. Alt. c) Der Anschluß an eine derartige Gruppe, Abs. 2. 2. Bildung krimineller Vereinigungen, § 129 Geschützt ist die staatliche Zwangsgewalt, die durch einen auf strafbare Handlungen gerichteten Zusammenschluß mehrerer Personen gefährdet ist. A. A.: BGH NJW1975 S. 985; LACKNER StGB, § 129 Anm. 1: Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. - RUDOLPHI Bruns-Festschrift, S. 317; OSTENDORF JuS 1981 S. 642: Vorverlegung des Strafrechtsschutzes in das Vorbereitungsstadium.

a) Bestraft wird gemäß Abs. 1 die Gründung oder die Beteiligung als Mitglied an einer auf strafbare Handlungen gerichteten Vereinigung sowie die Werbung für derartige Vereinigungen und ihre Unterstützung. Vereinigung ist der auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenschluß von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen; BGHSt 28 S. 147 mit Anm. VOLKJR 1979 S. 426 ff. Erforderlich ist mindestens eine Teilorganisation im Bundesgebiet; BGHSt 30 S. 328 mit Anm. RUDOLPHI NStZ 1982 S. 198 f; BGHSt 31 S. 239 mit Anm. RUDOLPHIJR 1984 S. 32. Kriminell ist die Vereinigung, wenn sie nach dem Willen der führenden Funktionäre die Begehung einer Mehrheit von Straftaten anstrebt oder verwirklicht. Damit unterscheidet sich die kriminelle Vereinigung von der bloßen Mittäterschaft i. S. des §25 Abs. 2 darin, daß diese nur die gemeinschaftliche Tatbegehung, d. h. ein bewußtes undgewolltes Zusammenwirken der Tatgenossen mitTäterwillen voraussetzt; BGH NJW 1983 S. 1334. Der Unterschied zur Bande liegt darin, daß bei dieser eine lose Zusammenfügung ohne besondere Organisationsform ausreicht; dazu BGH NStZ 1982 S. 68. Darüber hinaus läßt die Rechtsprechung für die Bande schon zwei Mitglieder genügen; dazu vgl. oben § 411 3 a.

Gründen erfordert führende Mitwirkung bei der Schaffung des Zusammenschlusses oder der Umwandlung einer legalen Vereinigung in eine kriminelle. - Beteiligung als Mitglied setzt nicht formelle Mitgliedschaft, wohl aber Teilnahme am Verbandsleben voraus; dazu BGHSt 29 S. 114. Unterstützen ist die zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe eines Nichtmitglieds; dazu BGHSt 29 S. 99 mit Anm. KUCKUK N J W 1980 S. 298 und

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Delikte gegen die Staatsgewalt

1981S. 76. - Werben ist die mit Mitteln der Propaganda betriebene Tätigkeit, die auf Weckung oder Stärkung der Bereitschaft Dritter zur Förderung einer bestimmten Vereinigung gerichtet ist; dazu BGHSt 28 S. 26 mit abl. Anm. R U D O L P H I J R 1979 S. 33; R E B M A N N NStZ 1981 S. 457 ff.

MÜLLER-DIETZJR

b) Der Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Strafbarkeit der Zwecke bzw. der Tätigkeit der Vereinigung umfassen. c) Tatbestandsausschluß gemäß Abs. 2 Gemäß Abs. 2 ist Abs. 1 nicht anwendbar auf politische Parteien, die nicht vom BUNDESVERFASSUNGSGERICHT für verfassungwidrig erklärt sind und andere bestimmte, im Regelfall politische Vereinigungen, bei denen strafbare Handlungen, z. B. Abreißen von Plakaten, Beschmieren von Wänden u. ä., nur Nebenzweck der im übrigen verfolgten Tätigkeit sind. d) Die Rechtfertigung Handlungen von Beschuldigten und Verteidigern, die sachlich die Voraussetzungen der Tathandlungen erfüllen, sind dann gerechtfertigt, wenn sie sich in den Grenzen prozessual zulässiger Verteidigung halten. Dazu: BGHSt 29 S. 99; BGHJR 1983 S. 116 mit Anm. G Ö S S E L S . 118 ff; O L G HamburgJZ 1979 S. 275 mit Anm. OSTENDORF S. 252 ff. - k. Ar. B O T T K E J A 1980 S. 448; GIEMULLAJA 1980 S. 253; I . MOLLER Strafverteidiger 1981S. 9 7 ; M O L L E R - D I E T Z JR1981S. 76: Tatbestandsausschluß. - Diese Ansicht ist mit dem Wortlaut des Tatbestandes nicht in Einklang zu bringen.

e) Besonders schwere Fälle, Abs. 4 Abs. 4 nennt besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen: Rädelsführer

und Hintermann; dazu § 84 II 1 a, aa. f ) Z u m Absehen von Strafe u n d z u r Tätigen Reue vgl. A b s . 5, 6.

g) Konkurrenzen Mehrere tatbestandsmäßige Handlungen als Mitglied einer Vereinigung bilden eine natürliche Handlungseinheit. Mehrere Unterstützungsoder Werbehandlungen in bezug auf eine Vereinigung können in Fortsetzungszusammenhang stehen. Die einzelnen von der Vereinigung begangenen Taten und die Mitgliedschaft in der Vereinigung werden nach der Rechtsprechung durch § 129 zu einer Handlungseinheit verklammert, soweit nicht wegen des größeren Unwerts eines Aktes die Klammerwirkung entfällt; dazu BGHSt 29 S. 288 mit Anm. R I E S S NStZ 1981S. 74.

439

§ 91 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Diese Konstruktion ist den allgemeinen Einwendungen gegen die Klammerwirkung ausgesetzt. Dazu:

GRUNDKURSSTRAFRECHT,

A.T., § 23 II 4.

3. Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129 a a) Abs. 1 enthält einen Qualifikationstatbestand gegenüber § 129 Abs. 1, soweit die Vereinigung auf die Begehung der in § 129 a Abs. 1 Nr. 1-3 genannten Straftaten gerichtet ist. b) Abs. 2 qualifiziert den Tatbestand des Abs. 1 für Rädelsführer und Hintermänner - dazu § 84 II 1 a, aa - zu einem Verbrechen. c) Zum Absehen von Strafe und zur Tätigen Reue vgl. Abs. 4, 5. - Zur Nebenstrafe Abs. 6.

§ 91: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut u n d geschützter Personenkreis der §§ 113, 114 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die rechtmäßig betätigte Vollstreckungsgewalt des Staates durch den Schutz der zu ihrer Ausführung berufenen Organe. Enger: D R E H E R / T R Ö N D L E B.T.,

§ 113

Rdn.

1; M . J . S C H M I D J Z 1 9 8 0 S . 5 7

f;

SCHMIDHÄUSER

22/23.

2. Der geschützte Personenkreis a) Geschützt sind gemäß § 113 Abs. 1 inländische Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) sowie Soldaten der Bundeswehr, denen die Verwirklichung des auf den Einzelfall konkretisierten Staatswillens, notfalls durch unmittelbaren Zwang, übertragen ist. Das sind z. B. Polizeibeamte (RGSt 54 S. 323); Gerichtsvollzieher (RGSt 41 S. 85); Vollstreckungsbeamte der Finanzämter (OLG Frankfurt NJW1972 S. 268); Bahnpolizeibeamte (BGHSt 21 S. 334); Richter in Ausübung der Sitzungspolizei (RGSt 15 S. 227).

b) Gemäß § 114 Abs. 1 ist der geschützte Personenkreis darüber hinaus erweitert auf Personen, die - ohne Amtsträger zu sein - die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind. D a s sind z. B. die bestätigten Jagdaufseher nach § 25 Abs. 2 BJagdG und können nach § 152 Abs. 2 GVG ernannte Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sein. Wird der Gedanke der Privilegierung des Widerstandes gegen hoheitliche Vollstreckungshandlungen konsequent realisiert, dann ist es angemessen, §§ 1 1 3 , 1 1 4 auf Jagd- und Fischereiausübungsberechtigte nach Landesrecht, die das Recht zu

440

Delikte gegen die Staatsgewalt

hoheitlichen Vollstreckungshandlungen (z. B. Wegnahme von Wildereigerät) haben, ohne in der bezeichneten Pflichtenposition zu stehen, analog anzuwenden. Dazu: Schönke/Schröder/Eser§ 114 Rdn. 3.

c) Erfaßt sind schließlich die von den Vollstreckungsbeamten zur Unterstützung bei der Amts- oder Diensthandlung zugezogenen Hilfskräfte, § 114 Abs. 2. Beispiel: Schlosser, der für den Gerichtsvollzieher eine Tür öffnet, damit die Vollstreckung durchgeführt werden kann. - Zeugen bei einer Hausdurchsuchung gemäß § 105 Abs. 2 StPO.

II. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 1. Die Diensthandlung Diensthandlungi. S. des § 113 ist eine Vollstreckungshandlung, d. h. jede Handlung einer dazu berufenen Person, welche die Verwirklichung des (die Regelung eines bestimmten Falles anstrebenden) nach Umfang und Inhalt durch das Gesetz oder die in § 113 bezeichneten Staatsorgane bestimmten und begrenzten, notfalls zwangsweise durchsetzbaren Staatswillens bezweckt; BGHSt 25 S. 314. 2. Die Tathandlung Tathandlung ist die gegen die Vollstreckungshandlung gerichtete Widerstandsleistung des Täters mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt sowie durch einen tätlichen Angriff. a) Die Vollstreckungshandlung muß bereits begonnen haben oder unmittelbar bevorstehen. Sie darf noch nicht beendet sein. Die Vollstreckungshandlung beginnt mit der Vornahme der gegen die Person oder Sache gerichteten Handlung. - Unmittelbar bevorsteht die Vollstreckungshandlung, wenn der Vollstreckungsbeamte in den „Kontaktbereich" des Betroffenen kommt. - Beendet ist die Vollstreckungshandlung, wenn zwischen dem Vollstreckungsbeamten und der Person oder Sache, gegen die sich die Vollstreckung richtet, eine räumliche Trennung eingetreten ist derart, daß auch für einen objektiven Beobachter erkennbar ist, daß der unmittelbare Kontakt zu der Person oder Sache nicht mehr besteht, weil der durch die Vollstreckungshandlung begründete Interaktionsprozeß zum Abschluß gekommen ist. Dazu eingehender: O i t o J R 1983 S. 73 f.

b) Widerstand ist nur das aktiv gegen das Vollstreckungsorgan gerichtete Vorgehen, nicht bloße Verweigerung der Mitwirkung an einer gegen die eigene Person gerichteten Vollstreckungshandlung. Diese Tendenz ist bei der Definition des Begriffs der Gewalt i. S. des§ 113 zu berücksichtigen: Es

§ 9 1 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

441

ist die unmittelbar oder mittelbar gegen den Beamten gerichtete Kraftentfaltung, die sich derart auswirkt, daß dieser seine Amtshandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen; BGHSt 18 S. 135. - Die Widerstandsleistung muß sich im Zeitpunkt der Amtshandlung auswirken, sie kann schon vorher ins Werk gesetzt worden sein, wie z. B. beim Versperren des Zugangs durch Hindernisse o. ä. - Tätlicher Angriff Ist jede in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf den Erfolg; RGSt 59 S. 265. Widerstandsleistung durch Gewalt, z. B.: Zufahren auf einen Beamten mit Kfz; Losfahren mit Kfz, auf dessen Trittbrett der Beamte steht, damit dieser herunterfällt; Strampeln und Festhalten, um Abtransport zu verhindern; Hinlegen vor Polizeifahrzeug, damit dieses nicht weiterfahren kann; Einschließen des Gerichtsvollziehers; Aussperren des Gerichtsvollziehers durch Verrammeln der Tür. Keine Widerstandsleistung i. d. S.: Der im Bett Festgenommene bleibt liegen und muß weggetragen werden; Kfz-Fahrer beachtet das Haltezeichen eines Polizeibeamten nicht und fährt weiter, ohne den Beamten zu gefährden.

3. Die Vollstreckungshandlung, gegen die sich der Widerstand richtet, muß rechtmäßig sein. a) Dogmatische Einordnung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung Innerhalb des Verbrechensaufbaus ist die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung ein pflichtbegrenzendes Merkmal. Die Pflicht, die Vollstreckungshandlung hinzunehmen, besteht nur gegenüber rechtmäßigen Vollstreckungshandlungen. Formell handelt es sich also um ein objektives pflichtbegrenzendes Merkmal außerhalb des Gesetzestatbestandes, das sachlich gleiche Funktionen hat wie ein Rechtfertigungsgrund, nämlich die Grenzen einer Rechtspflicht anzugeben. Insoweit ist es Merkmal des Unrechts-, nicht aber des Gesetzestatbestandes im engeren Sinne. Sachlich wie hier: VON BUBNOFF LK, § 113 Rdn. 23; DREHER Heinitz-Festschrift, S. 221; DREHER/TRÖNDLE § 113 R d n . 10; HERDEGEN B G H - F e s t s c h r i f t , S. 2 0 2 ; HIRSCH

Klug-Festschrift, Bd. 2, S. 246 ff; PAEFFGENJZ 1979 S. 521; SCHOLZ Dreher-Fest-

schrift, S. 482. Als „modifizierte objektive Bedingung der Strafbarkeit" interpretieren die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung: KG NJW 1972 S. 781; BOCKELMANN B. T. 3, § 18 VI 2; HAFTB. T., S. 4; WESSELSB. T.-l, § 14 III 5. Diese Interpretation ist mit Abs. 4 nicht in Einklang zu bringen. - Als Tatbestandsmerkmal sehen die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung an: NAUCKE Dreher-Festschrift, S. 472; SAXJZ 1976 S. 15 f, 4 3 0 ; SCHONKE/SCHRÖDER/ESER § 113 R d n . 20. Für S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d : BOTTKE J A

1980 S. 98; SCHMIDHAUSER B. T.,

2 2 / 2 4 , 31.

b) Die inhaltliche Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung aa) Die h. M. vertritt den sog. strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff. -

442

Delikte gegen die Staatsgewalt

Danach ist zu differenzieren: (l.) Vollzieht der Vollstreckungsbeamte unmittelbar ein materielles Gesetz, so ist allein entscheidend, ob er im Rahmen seiner örtlichen und sachlichen Zuständigkeit gehandelt, die wesentlichen Förmlichkeiten für den betreffenden Vollstreckungsakt beachtet und bei Ermessenshandlungen sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. - Vollzieht der Vollstreckungsbeamte einen Staatsakt (Urteil, Beschluß oder Verfügung) eines Gerichts oder den Verwaltungsakt einer Verwaltungsbehörde, so ist nur dessen rechtliche Wirksamkeit, nicht dessen materielle Rechtmäßigkeit zu fordern. Die Diensthandlung ist daher in der Regel nur dann rechtswidrig, wenn der Staatsakt nichtig oder nicht vollstreckbar ist. Ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der Diensthandlung, der nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht, schließt die Rechtmäßigkeit nicht aus, wohl aber ein Irrtum über die Grenzen der Amtsbefugnis. (2.) Handelt der Vollstreckungsbeamte auf Anordnung, so handelt er rechtmäßig, wenn er einen von einem örtlich oder sachlich zuständigen Vorgesetzten erteilten dienstlichen, nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehl im Vertrauen auf seine Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht. Zur Prüfung der Rechtmäßigkeit des Befehls ist der Ausführende in der Regel weder berechtigt noch verpflichtet. (3.) Zur h. M. vgl.: BGHSt 21 S. 334; BayObLGJR 1981 S. 28 mit abl. Anm. S. 30 f; OLG Köln NJW 1975 S. 889; VON BUBNOFF LK, § 113 Rdn. 25 ff;

THIELE

DREHER/TRÖNDLE § 113 R d n . 11 f f ; GÜNTHER N J W 1 9 7 3 S . 3 0 9 ; H A F T B . T . , S . 4 f ; LACKNER

StGB, § 113 Anm. 5 f;

WESSELS

B.T.-l, § 14

III

5.

bb) Die Gegenansicht argumentiert vom öffentlichen Recht her. - Dieses unterscheidet drei Kategorien von Vollstreckungsakten: Den rechtmäßigen, den rechtswidrigen aber bis zu seiner Anfechtung wirksamen und den rechtswidrigen i. S. eines nichtigen Vollstreckungsaktes. Wie der rechtmäßige ist auch der nur anfechtbare, zunächst rechtlich wirksame und daher von jedermann als wirksam zu behandelnde Vollstreckungsakt eine rechtswirksame Eingriffsgrundlage bis zur Anfechtung. Allein der nichtige Vollstreckungsakt begründet einen rechtswidrigen Eingriff in die Rechtsgüter des Betroffenen. So trotz einzelner unterschiedlicher Akzentuierungen im wesentlichen:

KREY

B . T . I , S . 1 4 5 ; W MEYER N J W 1 9 7 2 S . 1 8 4 5 ; DERS. N J W 1 9 7 3 S . 1 0 7 4 ; W A G N E R J U S

1975 S. 224. Weiter differenzierend:

OSTENDORF J Z

1981 S. 168

ff;

SCHÜNEMANN J A

1972

S. 703 ff, 7 7 5 ; THIELEJR 1975 S. 353 ff.

cc) Stellungnahme Die am Verwaltungsrecht orientierte Lehre verdient Zustimmung. Für Urteile ist es unstreitig, daß das auch nur vorläufig vollstreckbare Urteil Grundlage einer rechtmäßigen Vollstreckung ist, wenn aus ihm voll-

§ 9 1 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

443

streckt wird. Gleiches hat auch für den anfechtbaren, weil rechtswidrigen, aber vollstreckbaren Verwaltungsakt zu gelten. Die auf ihn gegründeten Vollstreckungshandlungen sind grundsätzlich rechtmäßig. Gegen solche Vollstreckungshandlungen stehen den Betroffenen Rechtsmittel zur Verfügung, nicht aber ein „Notwehrrecht". Darüber hinaus weisen die Konsequenzen in Fällen, in denen strafrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Rechtswidrigkeitsbegriff zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, eindeutig auf die Unhaltbarkeit des strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriffs hin: Gefangener i. S. des § 120 ist nach allgemeiner Ansicht derjenige, an dem rechtswirksam staatlicher Gewahrsam begründet ist. Die Anfechtbarkeit des Aktes berührt die Gefangeneneigenschaft nicht, auch wenn der Akt nach dem strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff des § 113 rechtswidrig ist; dazu KG J R 1980 S. 513. In diesem Fall führt das zu der Konsequenz, daß der Vollstreckungsbeamte einerseits verpflichtet ist, den Freiheitsentzug aufrechtzuerhalten, da die Gefangennahme rechtswirksam ist, andererseits darf der Gefangene Widerstand leisten, da die Vollstreckungshandlung i. S. des § 113 rechtswidrig ist. - Das Ergebnis spricht - eklatant - für sich selbst. III. Der Irrtum des Widerstandleistenden 1. Irrtum, bei rechtswidriger Vollstreckungshandlung Ist die Vollstreckungshandlung nicht rechtmäßig, der Täter hält sie aber für rechtmäßig, so läge nach allgemeinen Grundsätzen - je nach Art des Irrtums - ein Wahndelikt oder ein Versuch vor. Dieser Versuch ist jedoch nicht strafbar, weil der Versuch der Widerstandsleistung gemäß § 113 nicht strafbar ist. Dies stellt Abs. 3 S. 2 noch einmal klar. K G G A 1975 S. 213: A schlug den rechtswidrig handelnden Gerichtsvollzieher nieder, ohne die Rechtswidrigkeit der gegen ihn gerichteten Handlung zu erkennen. K G : § 113 entfällt, § 113 Abs. 3 S. 2.

2. Irrtum bei rechtmäßiger Vollstreckungshandlung Ist die Diensthandlung rechtmäßig, doch hält der Täter sie für rechtswidrig, so gilt abweichend von den allgemeinen Irrtumsgrundsätzen: a) War der Irrtum vermeidbar, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder bei geringer Schuld von Strafe absehen, Abs. 4 S. 1. b) War der Irrtum nicht vermeidbar und war es dem Täter nach den ihm bekannten Umständen nicht zumutbar, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nach § 113 nicht strafbar, Abs. 4 S. 2, 1. Teil.

444

Delikte gegen die Staatsgewalt

c) War der Irrtum nicht vermeidbar, dem Täter aber zuzumuten, Rechtsbehelfe statt des Widerstandes zu ergreifen, so ist die Strafe nur zu mildern, Abs. 4 S. 2, 2. Teil. Zumutbar ist der Rechtsweg in der Regel dann, wenn die Diensthandlung nicht zu einem später nicht wiedergutzumachenden Schaden führt. IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 Abs. 2 enthält eine Strafschärfungsvorschrift mit zwei Regelbeispielen: 1. Mitführen einer Waffe, die bei der Tat Verwendung finden soll: dazu oben § 63 I 7 b. 2. Mit Gefahr des Todes oder schwerer Körperverletzung verbundene Gewalttätigkeit: dazu oben § 46 III 2. V Das Verhältnis des § 113 zu § 240 Gegenüber § 240 ist § 113 ein privilegierter Tatbestand. Dies begründet eigenartige Konsequenzen: 1. Der Schutz des Vollstreckungsbeamten ist geringer als der, den der Bürger allgemein gegen Nötigung genießt. Der Hinweis auf den „affektähnlichen Zustand" des Betroffenen in der Vollstreckungssituation kann zwar als nachträgliche Rationalisierung einer im Ergebnis weitgehend als sachgerecht empfundenen Lösung akzeptiert werden, trifft den Grund der Regelung jedoch nicht, denn diese Regelung geht auf ein Versehen des Gesetzgebers des Jahres 1943 zurück. Dazu: HIRSCHKlug-Festschrift, Bd. 2, S. 236 ff.

2. Wird der Vollstreckungsbeamte nicht durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt genötigt, sondern durch Drohung mit einem anderen empfindlichen Übel, z. B. der Androhung einer Anzeige wegen einer dem Täter aus anderem Zusammenhang bekannten Straftat, so findet § 113 jedenfalls keine Anwendung. Geht man nun davon aus, § 113 sei eine abschließende Regelung des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, so wäre dieses Verhalten straffrei. S o in d e r T a t : HORN S K , § 113 R d n . 2 3 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER§ 113 R d n . 3 , 4 3 ,

45, 68; WEBER in: Arzt/Weber, LH 5, Rdn. 121.

Ein derart weitgehender Ausschluß der Strafbarkeit von Nötigungen ist aber weder den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, noch als vernünftige Lösung der Nötigungsproblematik in diesem Bereich anzuerkennen. Da der in § 113 geregelte Fall nicht vorliegt, greift § 240 durch, doch gebietet es die Sachlage, § 113 Abs. 3,4 und den Strafrahmen des § 113 analog anzuwenden.

§ 92 Gefangenenbefreiung und Gefangenmeuterei

445

S o a u c h : BOCKELMANN B . T . 3, § 18 V I I I ; DREHER/TRÖNDLE § 113 R d n . 1; EHLEN/ MEURER N J W 1974 S. 1777; HIRSCH K l u g - F e s t s c h r i f t , B d . 2, S. 2 4 2 f ; MAURACH/ SCHROEDER B . T . II, § 70 I 3.

§ 92: Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 1. Geschätztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die amtliche Verwahrungsgewalt des Staates. b) Täter kann jeder sein mit Ausnahme des Gefangenen selbst. Der Gesetzgeber hat aus kriminalpolitischen Gründen - Wirkungslosigkeit der Norm in der psychischen Situation des Gefangenen - von einer Strafbarkeit des Gefangenen als Täter des Delikts abgesehen.

2. Gefangene und gleichgestellte Personen Gefangener ist, wem in Ausübung von Polizei- oder Strafgewalt die Freiheit rechtswirksam entzogen worden ist, so daß er sich in der Gewalt der zuständigen Behörden befindet. - Die Gefangenschaft beginnt mit der Begründung des Gewahrsams und endet mit dessen faktischer Aufhebung. Maßgeblich ist die formell ordnungsgemäße Ingewahrsamsnahme. Ob diese sich später als sachlich nicht gerechtfertigt erweist, ist unbeachdich; KGJR 1980 S. 513. Beispiele: Straf- und Untersuchungsgefangene; der von einem Strafverfolgungsorgan gemäß § 127 StPO Festgenommene (nicht der gemäß § 127 Abs. 1 StPO von einer Privatperson Festgenommene); der in Zwangs- oder Ordnungshaft Befindliche; der Jugendarrestant.

Gemäß § 120 Abs. 4 steht dem Gefangenen gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird. Beispiele: Sicherungsverwahrte; nach §§ 63, 64 Untergebrachte; nach § 126 a StPO einstweilig Untergebrachte; Fürsorgezöglinge.

3. Die Tathandlung Der Tatbestand enthält drei Begehungsweisen: a) Die Befreiung eines Gefangenen. - Befreiung bedeutet Aufhebung der amtlichen Gewalt über den Gefangenen trotz bestehenden Haftrechts. Besteht die amtliche Gewalt nicht - z. B. während des Urlaubs eines Gefangenen - oder wird der Haftbefehl durch Täuschung beseitigt, so liegt keine Befreiung i. S. des Gesetzes vor; dazu auch KREY Jura 1979 S. 322.

446

Delikte gegen die Staatsgewalt

b) Das Verleiten zum Entweichen und das Fördern des Entweichens. Hier hat der Gesetzgeber zwei Begehungsformen zu einem selbständigen Delikt erhoben, die - gäbe es einen Tatbestand der strafbaren Selbstbefreiung - als Anstiftung und Beihilfe zu diesem Tatbestand strafbar wären. c) Vollendet ist die Tat in allen drei Alternativen erst, wenn der Verwahrungsgewahrsam über den Gefangenen gebrochen ist.

4. Teilnahme a) Teilnahme Dritter Teilnahme an den verschiedenen Begehungsformen des Delikts ist nach den allgemeinen Regeln möglich, doch stellt sich hier ein Abgrenzungsproblem: Da die Anstiftung eines Dritten zur Befreiung eines Gefangenen zugleich ein Fördern des Entweichens darstellt und z. B. auch die Hilfe eines Dritten beim Fördern der Gefangenenbefreiung durch einen anderen selbst wiederum Förderung dieser Gefangenenbefreiung ist, scheint hier die Anstiftung zur 1. Alternative (Befreiung) und auch die Hilfe oder Anstiftung zur 3- Alternative (Fördern) zugleich Täterschaft i. S. der 3- Alternative zu sein. - Diesen Effekt wollte der Gesetzgeber jedoch nicht erzielen. Leider ist aber eine inhaltliche Differenzierung der verschiedenen „Förderungshan dlungen" kaum möglich. Es bleibt nur die formelle Abgrenzungsmöglichkeit: Die unmittelbaren Teilnahmehandlungen an

der Befreiung des Gefangenen sind Täterhandlungen i. S. des § 120, nur mittelbare Teilnahmehandlungen gelten auch hier bloß als Teilnahme.

Zur Verdeutlichung: A gibt dem Gefangenen G während der Sprechstunde einen Nachschlüssel, mit dem dieser aus dem Gefängnis entweicht. Den Schlüssel hat B nachgemacht, der wußte, wozu A ihn verwenden wollte. A war zur Tat durch C angestiftet worden. Ergebnis: G: straffrei. A : § 120,3. Alternative; A hat das Entweichen des Ggefördert. B : §§ 120, 3. Alternative, 27. C: §§ 120, 3. Alternative, 26.

b) Teilnahme durch den Gefangenen selbst aa) Nach der Rechtsprechung ist eine strafbare Teilnahme des Gefangenen (Beihilfe oder Anstiftungjan seiner eigenen Befreiung möglich, es sei denn, die Teilnahme dient der gegenseitigen Selbstbefreiung. Dazu: BGHSt 4 S. 400; 17 S. 369, 373.

bb) Konstruktiv ist gegen dieses Ergebnis nichts einzuwenden. - Sachlich befriedigt es jedoch nicht, da die täterschaftliche Selbstbefreiung mit Rücksicht auf die psychische Situation des Gefangenen straflos gelassen worden ist. Die psychische Situation des Gefangenen ist jedoch insoweit

§ 92 Gefangenenbefreiung und Gefangenmeuterei

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bei der Teilnahme identisch mit der bei der Täterschaft. Daher ist es angemessen, die Teilnahme auch hier straffrei zu lassen. So auch: DEUBNER N J W 1962 S. 2260; HERZBERG Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 136; KREY B . T . I, S. 151; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 71 II 3; WESSELS

B.T.-l, § 14 IV 2.

5. Strafschärfung nach Abs. 2 Abs. 2 sieht eine Strafschärfung für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete vor, die gehalten sind, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern (unechtes Amtsdelikt). II. Gefangenenmeuterei, § 121 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Vorschrift ist die amtliche Gewalt. Diese wird gegen den Bruch eines Verwahrungsgewahrsams (Rechtsgut des § 120) und gegen die Beeinträchtigung ihrer rechtmäßigen Betätigung (Rechtsgut des § 113) geschützt. 2. Täter und Tathandlung a) Täter können nur Gefangene - dazu oben I 2 - und Sicherungsverwahrte sein (Abs. 4). Da die Eigenschaft als Gefangener oder Sicherungsverwahrter aber keine besondere Pflichtenposition kennzeichnet, sondern nur die besondere Nähe und damit Gefährlichkeit der Betroffenen für das geschützte Rechtsgut erfaßt, ist § 28 nicht anwendbar. So auch: BLAUTH „Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommend e m Strafrecht, 1968, S. 7 7 , 1 0 7 ; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 41. - A . A . : DREHER/TRÖNDLE

§ 121 Rdn. 18.

b) Tathandlung ist das Zusammenrotten, d. h. die räumliche Vereinigung von mindestens zwei Gefangenen (BGHSt 20 S. 307), um mit vereinten Kräften, d. h. mit gegenseitiger - sei es auch nur psychischer - Unterstützung, die in Abs. 1 Nr. 1-3 beschriebenen Handlungen zu verwirklichen: Nr. 1: Nötigung oder tätlicher Angriff gegen bestimmte Personen. Nr. 2: Gewaltsamer Ausbruch, wobei Gewalt gegen Sachen (Aufbrechen von Zellentüren; Aufbrechen von Schränken, um Werkzeuge zum Ausbruch oder Zivilkleidung zu erlangen) genügt. Nr. 3: Gewaltsames Verhelfen zum Ausbruch. Hierbei handelt es sich um einen qualifizierten Fall des § 120 (Fördern des Entweichens). c) Vollendet ist das Delikt im Falle der Nr. 1 mit Eintritt des Nötigungserfolgs, in den Fällen der Nr. 2 und Nr. 3, wenn der Ausbruch gelungen ist; BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 542.

448

Delikte gegen die Staatsgewalt

3. Das Verhältnis der verschiedenen Begehungsweisen zueinander Die drei Alternativen sind verschiedene Tatmodalitäten eines Delikts. So auch: LACKNER StGB, § 1 2 1 Anm. 8 ; S C H O N K E / S C H R Ö D E R / E S E R A. A.: D R E H E R / T R Ö N D L E § 1 2 1 Rdn. 2 0 : Tateinheit.

§ 121

Rdn. 2 3 .

-

4. Strafschärfung, Abs. 3 Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen für besonders schwere Fälle: a) Nr. 1: Mitführen einer Schußwaffe; dazu oben § 411 1. b) Nr. 2: Mitführen einer Waffe, die bei der Tat verwendet werden soll; dazu oben § 63 I 7 b. c) Nr. 3: Mit Gefahr des Todes oder schwerer Körperverletzung verbundene Gewalttätigkeit; dazu oben § 46 III 2.

§ 93: Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Geschützt wird die staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen in dienstlichem (Abs. l) oder kirchenamdichem (Abs. 2) Verwahrungsbesitz in ihrem tatsächlichen Bestand und das Vertrauen in die staatliche Herrschaftsgewalt, nämlich das Vertrauen, daß Gegenstände, die sich kraft staatlicher Hoheitsrechte im Besitz des Staates befinden und denen der Staat seine Fürsorge in erkennbarer Weise zugewendet hat, auch ordnungsgemäß aufbewahrt werden; BGHSt 5 S. 159 f. b) Angriffsobjekt kann jede bewegliche Sache sein, insbes. neben den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Schriftstücken auch vertretbare und verbrauchbare Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind. Dienstlicher Verwahrungsbesitz ist gegeben, wenn der Zweck der dienstlichen Verwahrung darin liegt, die Sache vor unbefugtem Zugriff zu bewahren und in ihrem Bestand in der Verfügungsgewalt des Hoheitsträgers zu erhalten, um einen über das bloße Funktionsinteresse der Behörde hinausgehenden Zweck sicherzustellen. Beispiele: Laufende oder in Staatsarchiven untergebrachte Behördenakten (BGHSt 3 S. 291); behördlich geführte Register (RGSt 67 S. 229); beschlagnahmte Gegenstände (BGHSt 18 S. 313); Waren, Geldscheine u. a., die z. B. der Bahn oder Post zur Beförderung übergeben worden sind und deren Rückgabe nicht nur der Gattung nach geschuldet wird.

§ 93 Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch

449

Nicht geschützt sind hingegen Sachen im Amtsbesitz der Behörde, d. h. Sachen, die zum Ge- oder Verbrauch durch den Hoheitsträger bestimmt sind, deren Rückgabe nur gattungsmäßig geschuldet wird, sowie Sachen, deren Aufbewahrung unmittelbar Interessen der Öffentlichkeit dient, wie z. B. Gemälde und Bücher in Museen und Bibliotheken. Dazu: OLG Köln NJW 1980 S. 898 mit Anm. OTTOJUS 1980 S. 490 f und RUDOLPHI J R 1980 S. 383 f.

c) Dienstlich, d. h. aufgrund diensdicher Anordnung und zu dienstlichen Zwecken ist ein Gegenstand dann in Verwahrung genommen, wenn dem Empfänger diensdiche Herrschaftsgewalt übertragen wurde. 2. Die Tathandlung a) Abs. 1 Zum Zerstören und Beschädigen vgl. oben § 47 I 1 c, d. - Unbrauchbarmachen meint eine Beeinträchtigung der Sache für ihre Funktion ohne Substanzverletzung. - Der dienstlichen Verfügung entzogen ist die Sache, wenn dem dienstlich Berechtigten der Zugriff auf die Sache unmöglich ist. Eine Ortsveränderung ist dazu nicht unbedingt erforderlich. b) Abs. 2 Abs. 2 stellt klar, daß auch die kirchenamtliche Verwahrung vom Tatbestand erfaßt wird. 3. Qualifizierung, Abs. 3 Qualifiziert ist die Tat nach Abs. 3 für Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) und Personen i. S. des § 11 Abs. 1 Nr. 4, sofern ihnen die Sache aufgrund dieser besonderen Eigenschaft anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist (unechtes Amtsdelikt). - Anvertraut ab Amtsträger usw. ist dem Täter die Sache, wenn er aufgrund diensdicher Anordnung Verfügungsmacht über sie hat und kraft seines Amtsverhältnisses verpflichtet ist, für ihre Erhaltung und Gebrauchsfähigkeit zu sorgen.

II. Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschützt ist die durch formell wirksame Beschlagnahme oder Siegelung begründete staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen (bewegliche und unbewegliche). Forderungen fallen nicht unter den Schutz der Vorschrift.

450

Delikte gegen die Staatsgewalt

Ob eine wirksame Verstrickung vorliegt, d. h. eine wirksame Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelung, richtet sich nach den Vorschriften, aufgrund derer der Akt erfolgt. - Beschlagnahme ist die zwangsweise Sicherstellung einer Sache zu behördlicher Verfügung. b) Täter kann jeder sein, auch der Amtsträger, der die staatliche Herrschaftsgewalt begründet hat, es sei denn, er kann noch über die Freigabe rechtswirksam entscheiden; BGHSt 5 S. 161. 2. Die Tathandlung nach Abs. 1 (Verstrickungsbruch) Zerstören und Beschädigen: vgl. oben § 4711 c, d. - Unbrauchbarmachen: vgl. oben I 2. - Der Verstrickung entziehen heißt die Verfügungsgewalt der Behörde dauernd oder vorübergehend beseitigen. Ein obligatorischer Vertrag über die Sache entzieht die Sache selbst der Verstrikkung noch nicht. - Eine nur unerhebliche Erschwerung der Pfändung ist nicht als tatbestandsmäßiger Verstrickungsbruch anzusehen; dazu OLG Hamm NJW1980 S. 2 5 3 7 ; OSTENDORF G A 1982 S. 333 ff.

3- Die Tathandlung nach Abs. 2 (Siegelbruch) a) Angekgt ist das Siegtl, wenn es mit einer Sache verbunden ist, sei es auch nur mit einer Stecknadel; BGH bei Daliinger, MDR 1952 S. 658. Siegel ist eine von einer Behörde oder einem Amtsträger herrührende Kennzeichnung mit Beglaubigungscharakter. b) Beschädigen: vgl. oben § 4711 c; Ablösen bedeutet Beseitigung des Siegels. - Ein Unwirksammachen des Verschlusses liegt in der Mißachtung der mit der Siegelung gebildeten diensdichen Sperrung, z. B. im Betreten eines Raumes, dessen Tür versiegelt ist, nach Ausheben des Fensters. 4. Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, Abs. 3 Gemäß Abs. 3 ist die Tat nicht strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig war. a) Zur dogmatischen Einordnung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung vgl. oben § 91 II 3 a. b) Bei der inhaltlichen Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung stellt die h. M. entsprechend den Überlegungen zu § 113 Abs. 3 auf den „strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff ab; dazu oben § 91 II 3 b, aa. 5. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Tatumstände nach Abs. 1 bzw. Abs. 2 umfassen.

§ 93 Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch

451

6. Der Irrtum des Täters a) Geht der Täter davon aus, daß die Verstrickung überhaupt nicht erfolgt oder erloschen ist, so irrt er über das Vorliegen der staatlichen Herrschaftsgewalt und handelt in einem Tatbestandsirrtum i. S. des § 16. So auch: LACKNER StGB, § 136 ANM. 6; NIEMEYER J Z 1976 S. 316. - A. A.: D . MEYER J u S 1971 S. 643: Verbotsirrtum.

b) Der Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ist gemäß § 136 Abs. 4 i. V. m. § 113 Abs. 4 zu bewerten; vgl. dazu oben § 91IV. 7. Konkurrenzen Zwischen § 136 Abs. 1 und Abs. 2 ist Idealkonkurrenz möglich. D a z u : DREHER/TRÖNDLE § 136 R d n . 12; K R E Y B . T. I , S. 156; LACKNER S t G B , § 136

Anm. 7. - A. A.: BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 129; RUDOLPHI S K , § 136 R d n . 31; SCHMIDHÄUSER B.T., 2 2 / 1 6 : Subsidiarität.

Dient die Entfernung des Siegels aber nur der Verdeckung eines Verstrickungsbruchs, so konsumiert Abs. 1 den Abs. 2. Dazu: D. MEYERJuS 1971 S. 643.

III. Zur Einübung Fall: Durch Vorlage eines gefälschten Schuldscheins über eine Schuld von DM 1000,- hat B ein vollstreckbares Urteil gegen den Rechtsreferendar A erwirkt. B betreibt die Vollstreckung aus diesem Urteil. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt A seine Schmucksachen im Keller. Als der Gerichtsvollzieher nunmehr weiter nichts findet, pfändet er die juristische Bibliothek des A. Sobald der Gerichtsvollzieher gegangen ist, entfernt A die Pfandmarken und verkauft die Bücher, damit B sie nicht versteigern lassen kann. Hat A sich strafbar gemacht? Lösungsskizze 1. Vergraben des Schmuckes: a) Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288: liegt nicht vor. - Dem A droht die Zwangsvollstreckung, doch B ist nicht Gläubiger i. S. des § 288, da er keinen materiell-rechtlich wirksamen Anspruch gegen A hat. b) Betrug, § 263: entfällt, da es auf jeden Fall an einem Schaden des B fehlt. 2. Entfernen der Marken: a) § 136 Abs. 2: liegt vor. Pfändungsmarke war dienstliches Siegel, das angelegt war, um die Bücher in Beschlag zu nehmen (Pfändung). Das Siegel hat A abgelöst. Er handelte bewußt und gewollt. § 136 Abs. 3 schließt die Rechtswidrigkeit nicht aus: Zwar waren die Bücher unpfändbar (§ 811 Nr. 10 ZPO), damit war die Pfändung anfechtbar, aber nicht nichtig.

452

Delikte gegen die Staatsgewalt

b) Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1: entfällt, da dem A die Absicht fehlt, den B zu schädigen. c) Sachbeschädigung, § 303: Tatbestand liegt vor, doch § 136 lex specialis. d) Verwahrungsbruch, § 133: entfällt, da Gerichtsvollzieher die Bücher nicht in Besitz genommen hat. e) Pfandkehr, § 289: entfällt; nach h. M. fällt das Pfändungspfandrecht nicht unter § 289, doch kann dies dahinstehen, da § 289 das Bestehen eines wirksamen materiellen Anspruchs, auf dem das Pfandrecht beruht, voraussetzt. 3. Verkauf der Bücher: a) Betrug, § 263: entfällt. Durch Vertragsschluß noch kein Schaden, im übrigen würde der gutgläubige Käufer lastenfrei erwerben. b) § 136 Abs. 1 entfällt, da der Verkauf allein die Sache der Verstrickung noch nicht entzieht. 4. Ergebnis: A ist strafbar gemäß § 136 Abs. 2.

Dritter Abschnitt Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen § 94: Gefahrdung öffentlicher Interessen 1. Verletzung des Dienstgeheimnisses, § 353 b Geschützt werden wichtige öffentliche Interessen vor Gefährdungen durch Verletzung der Amtsverschwiegenheit oder besonders auferlegter Geheimhaltungspflichten . Zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift: BVerfGE 28 S. 191 mit krit. Anm. R . S C H M I D J Z 1 9 7 0 S. 6 8 6 .

a) Abs. 1 aa) Täter können nur Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§ 11 Abs. 1 Nr. 4), Personen mit Aufgaben im Personalvertretungsrecht und gemäß § 48 Abs. 1, 2 WStG Soldaten sein. - Die Tat ist ein echtes Amtsdelikt. bb) Dienstgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zugänglich sind und ihrer Natur nach oder aufgrund einer Rechtsvorschrift oder besonderen Anordnung der Geheimhaltung bedürfen. B e i s p i e l e : Prüfungsaufgaben (RGSt 74 S. 110; BGHSt 11 S. 40l); dienstliche Beurteilungen (BGHSt 10 S. 108); Ermittlungsverfahren (BGHSt 10 S. 276).

cc) Tathandlung ist das Offenbaren eines Geheimnisses, das dem Täter im inneren Zusammenhang mit der Ausübung seines Dienstes bekannt geworden ist. - Zum Offenbaren vgl. oben § 34 III 2 a. Die Offenbarung muß eine konkrete Gefahr für öffendiche Interessen begründet haben; dazu: OLG Düsseldorf NJW 1982 S. 2883. dd) Subjektive Voraussetzungen Bestraft wird die vorsätzliche Offenbarung und vorsätzliche Gefährdung gemäß Abs. 1S. 1 und die vorsätzliche Offenbarung, die mit einer fahrlässigen Gefährdung verbunden ist, gemäß Abs. 1 S. 2. ee) Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i. S. von rechtswidrig. Unbefugt ist die Offenbarung, die nicht gerechtfertigt ist. Eine Rechtfertigung kann sich z. B. aus § 61BBG, § 54 StPO, § 376 StPO, § 28 Abs. 2 BVerfGG ergeben. Die Einwilligung des Betroffenen in die Offenbarung eines Privatgeheimnisses rechtfertigt die Tat, selbst wenn öffentliche Interessen verletzt werden, da der Tatbestand nur die öffentlichen Interessen gegen Verletzung durch unbefugte Offenbarung eines Geheimnisses schützt, jedoch die Verfügung über das Geheimnis nicht beschränkt.

454

Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen

A. A. h. M. vgl. z. B.: LENCKNER § 3 5 3 b R d n .

LACKNER

StGB, § 353 b Anm. 7;

SCHÖNKJE/SCHRÖDER/

21.

ff) Strafverfolgungsvoraussetzung ist die Ermächtigung der zuständigen Behörde, Abs. 4. b) Abs. 2 aa) Täter können nur besonders verpflichtete Personen nach Nr. 1 und 2 sein. Die Verpflichtung bedarf einer außerstrafrechtlichen Rechtsgrundlage oder der Vereinbarung zwischen den Beteiligten. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt. Die Tathandlung nach Abs. 2 setzt Gegenstände und Nachrichten voraus, das sind alle tatsächlichen Vorgänge und Zustände, alle körperlichen Gegenstände und alle gedanklichen Sachverhalte sowie Nachrichten darüber, zu deren Geheimhaltung der Täter verpflichtet ist bb) Zum Begriff: an einen anderen gelangen lassen vgl. oben § 85 III 1 a. Zur öffentlichen Bekanntmachung vgl. oben § 89 I 2 a. Auch hier muß die Tathandlung zu einer konkreten Gefahr für wichtige öffentliche Interessen geführt haben. cc) Strafbar ist nur die vorsätzliche Tatbegehung. dd) Zum Merkmal unbefugt vgl. oben a, ee. ee) Strafverfolgungsvoraussetzung ist die Ermächtigung der zuständigen Behörde, Abs. 4. 2. Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst, § 353 a Die Vorschrift, die diplomatischen Ungehorsam und diplomatische Falschberichte strafrechdich erfaßt, ist systematisch nur schwer anderen Bestimmungen zuzuordnen. Die Weite des Begriffs „wichtige öffendiche Interessen" ermöglicht ihre Einordnung an dieser Stelle, denn durch die Tathandlung können durchaus wichtige öffentliche Interessen der Bundesrepublik im diplomatischen Verkehr gefährdet werden. a) Täter kann nur ein diplomatischer Vertreter der Bundesrepublik Deutschland sein. b) Der Falschbericht muß Tatsachen betreffen. c) Die Tat erfordert Vorsatz. Dieser muß beim Falschbericht mit der Absicht (zielgerichtetes Wollen) der Irreleitung verbunden sein. 3. Unbefugte Küstenfischerei durch Ausländer, § 2% a Geschützt werden die deutschen Hoheitsrechte, die die Küstenfischerei den einheimischen Fischern vorbehalten.

Vierter Abschnitt Delikte gegen die Rechtspflege

§ 95: Falsche V e r d ä c h t i g u n g u n d V o r t ä u s c h e n e i n e r Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Funktionsfähigkeit der inländischen staatlichen Rechtspflege; daß daneben auch Interessen des unmittelbar Betroffenen geschützt werden, ändert die Schutzrichtung des Delikts nicht. So auch: G E E R D S J R 1981 S. 36 Fn. 11; LANGER Die falsche Verdächtigung, 1973, S. 64 f; RUDOLPHI SK, § 164 Rdn. 1. - Für den Schutz der staatlichen Rechtspflege sowie des Einzelnen gegen unbegründete Zwangsmaßnahmen: BGHSt 9 S. 240; GsiLENjura 1984 S. 251; HERDEGEN I X , § 164 Rdn. 1 f; LACKNER StGB, § 164 Anm. 1. - Allein für den Schutz des individuellen Interesses: H I R S C H Schröder-Gedächtnisschrift, S. 307; SCHMIDHAUSER B. T., 6/6.

2. Einzelheiten des Tatbestandes a) Abs. I Der Tatbestand des Abs. 1 setzt voraus, daß jemand einen bestimmten anderen bei einer Behörde (dazu § 11 Abs. 1 Nr. 7), einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger (Polizeibeamter, Staatsanwalt), einem militärischen Vorgesetzten oder öffentlich (dazu oben § 62, 2) einer rechtswidrigen Tat oder einer Dienstpflichtverletzung verdächtigt. Die Person, die verdächtigt wird, muß so weit bestimmt sein, daß ihre Identifizierung möglich ist. Anzeige gegen Unbekannt, Hinweis auf den g r o ß e n Unbekannten" usw. genügen nicht. Verdächtigen heißt, einen Verdacht gegen eine bestimmte Person begründen, auf diese umlenken oder einen bestehenden Verdacht verstärken, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffung bestimmter Indizien. Weiß der z. B. leugnende Täter, daß durch sein Leugnen automatisch Verdacht auf einen anderen fällt - nach einem Unfall mit einem Kfz werden A und B angetrunken am Tatort gestellt, A leugnet, das Fahrzeug gefahren zu haben -, so liegt noch keine Verdächtigung vor. Daß aufgrund seines Leugnens auf die Täterschaft eines anderen geschlossen wird, verpflichtet den Leugnenden nicht, die Wahrheit zu gestehen.

456

Delikte gegen die Rechtspflege

Rechtswidrige Tat in diesem Sinne ist nur eine strafbare, verfolgbare Tat. Dies folgt aus dem Sinn des Tatbestandes, die Rechtspflege vor unnützer Inanspruchnahme zu schützen. Die Schilderung eines Sachverhalts, der nicht zur Einleitung eines behördlichen Verfahrens geeignet ist - mit der Straftat wird z. B. zugleich ein entschuldigender Sachverhalt geschildert -, wird vom Tatbestand nicht erfaßt. Dazu:

GEILEN Jura 1 9 8 4 S . 2 5 7 ; LANGER

Die falsche Verdächtigung,

S. 16.

Aus dem gleichen Grunde muß die Verletzung der Dienstpflicht disziplinarisch ahndbar sein. Die Verdächtigung muß unwahr sein. Entscheidend ist, ob die vom Täter behaupteten Tatsachen oder Verdachtsgründe der Realität entsprechen. Dabei kommt es auf den Kern der Verdächtigung an. Bloßes Ausschmücken des wahren Kerns ist noch nicht tatbestandsmäßig, wohl aber das unwahre Vorbringen qualifizierter Merkmale o. ä. Ob sich der Verdacht später als richtig erweist, ist irrelevant, wenn der Täter falsche Behauptungen aufgestellt oder falsche Indizien begründet hat. Subjektiv ist erforderlich, daß der Täter die Unwahrheit der Verdächtigung positiv kennt (wider besseres Wissen) und die Absicht (direkter Vorsatz genügt) hat, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Verdächtigten herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. b) Abs. 2 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf das Aufstellen von Behauptungen tatsächlicher Art, die geeignet sind, ein behördliches Verfahren oder eine andere behördliche Maßnahme gegen den Verdächtigten herbeizuführen. Beispiele: Sicherungsverfahren; Bußgeldverfahren; Verfahren zur Entziehung der Fahr- oder Gewerbeerlaubnis oder des Sorgerechts.

c) Tatvollendung und Rücktritt Vollendet ist die Tat, wenn die Verdächtigung der Behörde oder Stelle zugegangen oder wenn die Vernehmung, in der die Verdächtigung geäußert wurde, abgeschlossen ist. Eine spätere Berichtigung ist kein Rücktritt i. S. des § 24, da das Delikt vollendet ist. Ist aber die behördliche Maßnahme noch nicht eingeleitet worden, so kommt eine analoge Anwendung des § 158 in Betracht. So auch:

LACKNER

StGB, §

164

Anm.

6 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER §

R d n . 3 5 . - A . A . : RUDOLPHI S K , § 1 6 4 R d n .

36.

d) Abs. 1 ist gegenüber Abs. 2 lex specialis.

164

§ 95 Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat

457

II. Vortäuschen einer Straftat, § 145 d 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt die Rechtspflege (Abs. 1,2 Nr. l) und die präventiv polizeilich tätigen Organe des Staates (Abs. 1, 2 Nr. 2) gegen unberechtigte Inanspruchnahme des inländischen staatlichen Verfolgungsapparates. Dazu: OLG Düsseldorf JR 1983 S. 75 mit Anm. BOTTKE S. 76.

2. Die Tathandlung a) Gemäß Abs. 1 wird bestraft, wer einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht, daß eine rechtswidrige Tat begangen worden ist (Nr. l) oder die Verwirklichung einer der in § 126 Abs. 1 genannten Taten bevorstehe (Nr. 2). Als zuständige Stellen ohne Behördencharakter sind - soweit man hier nicht schon eine Behörde annimmt - die einzelnen nach § 158 StPO zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten anzusehen, im übrigen kommen parlamentarische Untersuchungsausschüsse als derartige Stellen in Betracht. Die rechtswidrige Tat - auch Versuch und Teilnahme - wird in der Regel eine tatbestandsmäßig rechtswidrige Tat sein. Doch entfällt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens, wenn der Täter einen Sachverhalt vortäuscht, der keine Tätigkeit des Rechtspflegeorgans auslöst, z. B. Vortäuschung einer Tat im entschuldigenden Notstand.

aa) Vortäuschen ist das Erregen oder Verstärken eines Verdachts, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffen einer verdachtserregenden Beweislage. Der Verdacht mußfalsch sein. Erweist er sich hinterher als richtig, so ist - im Gegensatz zu § 164 - der Tatbestand auch dann nicht erfüllt, wenn der Täter zum Beweis der Tat unrichtige Behauptungen aufgestellt hat, weil die Inanspruchnahme der Behörde nicht überflüssig war. - Maßgeblich ist, daß eine rechtswidrige Tat begangen worden ist. Täuschungen des Täters über die Art der Tat - z. B. Raub statt Körperverletzung - oder den Umfang des Schadens der Tat sind irrelevant; OLG Hamm NJW 1982 S. 60. Daß der Täter sich selbst als Täter der rechtswidrigen Tat bezichtigt, steht seiner Strafbarkeit nicht entgegen. Geht die Täuschung des Täters aber dahin, eine wirklich begangene Tat zu vertuschen, d. h. darüber zu täuschen, daß gar keine Tat begangen worden ist, so liegt nach Sinn und Zweck des § 145 d der Tatbestand nicht vor. Dieser Täter will der Rechtspflege Arbeit ersparen, sie aber nicht unnötig belasten! Daher handelt nicht tatbestandsmäßig, wer über den Täter täuscht, wenn die Tat in der Person des angeblichen Täters keine Straftat wäre; BGHSt 19 S. 305; OLG Celle JR 1981 S. 34 mit Anm. G E E R D S S. 35 ff. bb) Der subjektive Tatbestand verlangt ein Handeln wider besseres Wissen, d. h. mit dolus directus bzgl. des täuschenden Verhaltens.

458

Delikte gegen die Rechtspflege

b) Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit aus auf Täter, die die in Abs. 1 bezeichneten Stellen über die Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat oder an einer bevorstehenden Tat gemäß § 126 Abs. 1 zu täuschen suchen. Eine Täuschung liegt vor, wenn der Tatverdacht auf Unbeteiligte gelenkt werden soll. Eine Strafanzeige gegen Unbekannt genügt daher; BGHSt 6 S. 255. - Bloßes Leugnen, die Tat selbst nicht begangen zu haben, genügt aber nicht, selbst dann nicht, wenn dadurch der Verdacht auf einen anderen fällt, der aber nicht vom Täter benannt worden ist, sonst würde der Täter mit einer dem deutschen Strafprozeß fremden Wahrheitspflicht belastet werden. aa) Auch die bloße Endastung des wirklichen Täters oder die Ablenkung des Tatverdachts von einem Tatbeteiligten, z. B. durch ein falsches Alibi, erfüllt den Tatbestand, denn im Gegensatz zu Abs. 1, wo beim Fehlen einer rechtswidrigen Tat keine weiteren Ermittlungen nötig werden, macht ein derartiges Verhalten dann, wenn feststeht, daß die Tat begangen worden ist, den Strafverfolgungsbehörden erhebliche, unnütze Arbeit. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 145 d Rdn. 7; LACKNER StGB, § 145 d Anm. 3 c . A . A.: ESER III, N r . 16 A 17 f; KREY B.T. I, S. 174; RUDOLPHI S K , § 145 d R d n . 14;

WESSELS B.T.-l, § 16 II 2.

bb) Streitig ist, ob in Fällen der Nr. 2 die Tat wirklich begangen worden sein muß oder ob es genügt, daß der Täter aufgrund eines Irrtums davon ausgeht, daß eine Tat begangen worden ist. Die h. M. läßt es unter Berufung auf den Zweck der Vorschrift - Ersparnis unnützer Aufklärungsarbeit - genügen, daß der Täter beim Vorliegen konkreter Verdachtsgründe die Tatbegehung irrig annimmt. - Das erscheint nicht überzeugend, denn solange noch zu klären ist, ob überhaupt eine Tat vorliegt, erscheint dieses Verhalten nur strafwürdig, soweit Abs. 1 erfüllt ist. Weiß die Behörde überdies im Gegensatz zum Täter, daß keine rechtswidrige Tat begangen worden ist oder eine Tat i. S. des § 126 Abs. 1 nicht geplant ist, so bewirkt die Anzeige keine Mehrarbeit. So auch: OLG HamburgMDR1949 S. 309 mit Anm. HÜNEMORDERS. 309 f; OLG F r a n k f u r t N J W 1975 S. 1896; DREHER/TRÖNDLE § 145 d R d n . 7; KREY B.T. I, S. 175;

SCHMIDHAUSER B.T., 23/5. - A. A.: O L G H a m m NJW 1963 S. 2138 mit Anm. MORNER N J W 1964 S. 310; LACKNER S t G B , § 145 d A n m . 3 c; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 97 I 6; SCHONKE/SCHRÖDER/STREE § 145 d R d n . 13.

cc) Der subjektive Tatbestand verlangt ein Handeln wider besseres Wissen, d. h. mit dolus directus bzgl. des vortäuschenden Verhaltens; im übrigen genügt dolus eventualis. 3. Strafausschluß durch Selbst- oder Angehörigenbegünstigungsabsicht Im Rahmen des § 258, der im Regelfall durch unwahre Angaben gegenüber der Polizei begangen wird, hat der Gesetzgeber der persönlichen

§ 96 Strafvereitelung

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Situation des Täters durch die Strafausschließungsgründe der Selbst- und Angehörigenbegünstigung, § 258 Abs. 5, 6, Rechnung getragen. Eine vergleichbare Situation ist bei der Vortäuschung einer Straftat nicht gegeben. Die Absicht, sich oder einen Angehörigen der Strafe zu entziehen, steht einer Bestrafung nach § 145 d nicht entgegen. Vgl. dazu: BayObLG N J W 1978 S. 2563 mit zust. Anm. STREEJR 1979 S. 253 ff, RUDOLPHIJUS 1979 S. 8 5 9 , 8 6 2 ; O L G C e l l e J R 1 9 8 1 S . 34 m i t A n m . GEERDS S. 35 ff.

4. Tatvollendung Vollendet ist die Tat, wenn die Behörde oder zuständige Stelle von der Tat Kenntnis erlangt hat. 5. Konkurrenzen § 145 d ist subsidiär gegenüber §§ 164, 258, 258 a.

§ 96: Strafvereitelung I. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt Geschützt ist die staatliche Rechtspflege, und zwar in ihrem Anspruch auf Durchsetzung der gesetzmäßigen Strafen und Maßregeln. Vgl. LENCKNER Schröder-Gedächtnisschrift, S. 344. - A . A . : AMELUNGJR 1978

S. 231: Geschütztes Rechtsgut, die durch die Vortat verletzten Rechtsgüter.

II. Der Grundtatbestand, § 258 Das Gesetz unterscheidet zwischen der Verfolgungsvereitelung (Abs. l) und der Vollstreckungsvereitelung (Abs. 2). 1. Die Verfolgungsvereitelung, §238

Abs. 1

Den objektiven Tatbestand erfüllt, wer ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5) bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird. a) Voraussetzung der Tat ist demnach eine Vortat, aus der ein staatlicher Straf- oder Maßnahmeanspruch erwachsen ist. Das bedeutet: Bei der Vereitelung einer Bestrafung ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte Tat Voraussetzung, deren Verfolgung kein persönlicher Strafaufhebungs-, Strafausschließungsgrund oder ein Verfolgungshindernis entgegenstehen darf.

460

Delikte gegen die Rechtspflege

Das Vorliegen der Vortat ist von dem erkennenden Gericht in eigener Verantwortung zu prüfen. b) Vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der staadiche Zugriff rechtswidrig infolge der Handlung für geraume Zeit nicht verwirklicht worden ist. Beispiele: Verstecken des Täters; Vernichten von Beweismitteln; Beiseiteschaffen von Ermittlungsakten; Fluchthilfe; falsche Aussagen, die das Verfahren beeinflussen.

aa) Das erfordert den Nachweis, daß der Strafanspruch ohne das Täterverhalten zumindest früher verwirklicht worden wäre. - Die Zeitspanne selbst ist streitig, doch geht es zu weit, jede zeitliche Verzögerung schon als kriminelle Deliktsvollendung einzuordnen. Als Richtwert erscheint eine Frist von einer Woche angemessen. Dazu einerseits: B G H NJ W1959 S. 495 (sechs Tage genügen nicht); O L G Stuttgart NJW1976 S. 2084 (zehn Tage sind ausreichend). - Enger: LENCKNER SchröderGedächtnisschrift, S. 342 ff; RUDOLPHI J u S 1979 S. 860 ff (jede zeidiche Verzögerung). - Weiter: SAMSONJA 1982 S. 181 ff (bei zeidicher Verzögerung nur Versuch).

bb) Durch die Tathandlung selbst muß die Möglichkeit der Verwirklichung des Strafanspruchs verschlechtert worden sein. Bloße Ratschläge u. ä., wie der Täter sich dem Strafanspruch entziehen soll, sind lediglich straflose Teilnahmehandlungen an einer Selbstbegünstigung des Vortäters. Dazu: LENCKNER Schröder-Gedächtnisschrift, S. 352 ff; DERS.JR 1977 S. 75.

cc) Sozialadäquate Verhaltensweisen sind nicht tatbestandsmäßig, da sie nicht auf rechtswidrige Beeinträchtigung des staatlichen Strafanspruchs abzielen. Zusammenwohnen mit einem flüchtigen Straftäter (BGH N J W 1984 S. 135), Gewährung von Arbeit und Wohnung sind daher nur dann Vereitelungshandlungen, wenn ihnen durch die Ausgestaltung im einzelnen der Charakter der Versteckgewährung zukommt; dazu O L G Stuttgart N J W 1981 S. 1569 mit Anm. FRISCH J u S 1983 S. 915 ff; O L G Koblenz N J W 1982 S. 2785 mit Anm. FRISCH N J W 1983 S. 2471.

dd) Macht der Täter von einem eigenen Recht Gebrauch oder wendet sein Verteidiger prozeßrechtlich zulässige Mittel an, um den Täter der Strafe zu entziehen, so liegt gleichfalls keine Vereitelungshandlung i. S. des Tatbestandes vor. Nicht prozeßrechtsgemäßes Verteidigerhandeln, insbes. täuschende Maßnahmen, können hingegen den Tatbestand erfüllen. Tatbestandsmäßig z. B.: Erwirken falscher Zeugenaussage (dazu B G H N J W 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE N S t Z 1983 S. 504 ff); Erschleichung von Informationen durch Täuschen ( B G H N S t Z 1983 S. 556 mit Anm. MEHLE S. 557 ff).

§ 96 Strafvereitelung

461

Nicht tatbestandsmäßig: Rat des Verteidigers, vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen (BGHSt 10 S. 393 mit Anm. ACKERMANN MDR 1958 S. 49) oder keine Angaben zu machen (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 970); prozessual zulässige Informationen des Mandanten aus den Akten (BGH NJW1980 S. 64 mit Anm. GIEMULLAJ A1980 S. 253 f)i Information anderer Verteidiger (OLG Frankfurt NStZ 1981 S. 144 mit Anm. SEIER JuS 1981 S. 806 ff). Im einzelnen: MüLLER-DiErzJura 1979 S. 242 ff; OSTENDORF NJW 1978 S. 1345 ff. Vereiteln kann auch durch Unterlassen erfolgen, soweit der Unterlassende der Rechtspflege gegenüber eine Garantenpflicht zum Handeln hat. c) Teilweise vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der Täter besser gestellt wird, als es der materiellen Rechtslage entspricht, z. B. wenn die Strafschärfung aus einem Erschwerungsgrund verhindert wird, wenn nur wegen Beihilfe statt Täterschaft bestraft oder wenn der erlangte Gewinn nur teilweise eingezogen werden kann. d) Subjektiv muß der Täter die Besserstellung erstrebt oder doch als sichere Folge seines Verhaltens erkannt haben. Hinsichtlich der Vortat genügt bedingter Vorsatz. e) Versuch und Vollendung aa) Versucht ist die Straftat, wenn der Täter nach seinem Vorstellungsbild vom Sachverhalt unmittelbar zur Vereitelung, z. B. zur Täuschung des Rechtspflegeorgans ansetzt. Dies ist noch nicht der Fall, wenn eine falsche Aussage versprochen (OLG Hamburg NJW 1981 S. 771 mit Anm. RUDOLPHIJR 1981 S. 160 ff) oder verabredet wird (BGHSt 31 S. 10 mit Anm. BEULKE NStZ 1982 S. 330; OLG Bremen JR 1981 S. 474 mit A n m . MÜLLER-DIETZ S. 475 ff; LENCKNER N S t Z 1982 S. 401 ff).

Leider hält der BGH diese Abgrenzung nicht durch, wenn es nicht um eine Bestrafung wegen Strafvereitelung geht, sondern um prozessuale Konsequenzen aus rechtswidrigem Verteidigerhandeln. In diesem Zusammenhang wird bereits der Versuch der Strafvereitelung im Einwirken auf den Zeugen gesehen; BGH NJW 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE NStZ 1983 S. 504 ff. Auffallend ist, daß der BGH in dieser Entscheidung nicht von der konkreten Gefährdung des Rechtsguts vom Vorstellungsbild des Täters her argumentiert, sondern sich mit dem Hinweis begnügt, der Täter habe seinerseits alles Erforderliche getan, um den Erfolg herbeizuführen. bb) Hält der Täter ein nicht strafbares Verhalten für eine rechtswidrige Vortat, so liegt nur ein Wahnverbrechen vor; BayObLG NJW 1981S. 772 m i t A n m . S T R E E J R 1 9 8 1 S. 2 9 7 .

cc) Vollendet ist die Tat mit Eintritt des Vereitelungserfolges. 2. Vollstreckungsvereitelung, § 258 Abs. 2 a) Bestraft wird das Vereiteln der Vollstreckung einer rechtskräftig gegen einen anderen verhängten und mindestens zum Teil noch nicht

462

Delikte gegen die Rechtspflege

vollstreckten Strafe oder Maßnahme. - Ob die rechtskräftige Verurteilung materiell zu Recht erfolgt ist, hat das Gericht nicht zu prüfen. Beispiele: Gefangenenbefreiung; Beiseiteschaffen von Vollstreckungsakten; Verbüßung der Freiheitsstrafe für einen anderen. Bei der Zahlung einer Geldstrafe durch einen anderen soll nach h. M. eine Vereitelung vorliegen, wenn der Täter selbst zahlt oder dem Vortäter das Geld schenkt, nicht hingegen, wenn er die Geldstrafe nachträglich erstattet. Diese Differenzierungen überzeugen nicht. Zwar wird der spezialpräventive Zweck der Strafe vereitelt, wenn ein anderer als der Straftäter die Strafe zahlt. Es geht aber nicht an, zulässige Schenkungen zu pönalisieren, nur weil sie in bestimmten Situationen und zu bestimmten Zwecken erfolgen. Ein Verbot solcher Schenkungen existiert nicht. So auch: ENGELsJura 1981S. 581; PREISENDANZ§258 Anm.III 3; SAMSON S K , §258 R d n . 35; SCHMIDHÄUSER B.T., 2 3 / 3 6 . - A . A . : DREHER/TRÖNDLE § 2 5 8 R d n . 9; KREY B.T. I, S. 179; LACKNER S t G B , § 2 5 8 A n m . 2 b; STREEJZ 1964 S. 590.

b) Zum subjektiven Tatbestand vgl. oben 1 d. 3. Strafvereitelung zu eigenen Gunsten, Abs. 5 a) Wer als Täter einen gegen ihn selbst gerichteten Strafanspruch vereitelt, erfüllt nicht den Tatbestand der Abs. 1, 2: „ . . . daß ein anderer...". b) Daß aber auch derjenige, der Dritte zur Vereitelung eines gegen ihn gerichteten Strafanspruchs anstiftet oder ihnen bei der Tat Beihilfe leistet, straffrei bleibt, stellt Abs. 5 klar. c) Straffrei bleibt nur die Strafvereitelung als solche, nicht aber eine damit zusammenfallende Straftat, wie z. B. ein Betrug, eine Anstiftung zum Meineid o. ä. 4. Strafvereitelung zugunsten eines Angehörigen, Abs. 6 Straffrei bleibt auch die StrafVereitelung, die der Täter ausschließlich oder doch zugleich zugunsten eines Angehörigen begeht, Abs. 6. Kenntnis der Angehörigeneigenschaft ist nicht erforderlich, es kommt allein auf die objektive Lage an. So auch: LACKNER StGB, § 258 Anm. 8; Russ LK, § 258 Rdn. 37. - A. A.: MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 9 8 II 6 ; STREEJUS 1976 S. 141; W A R D A j u r a 1979 S. 2 9 2 .

III. StrafVereitelung im Amt, § 258 a 1. Die Vorschrift ist gegenüber § 258 ein durch die besondere Tätereigenschaft qualifizierter Tatbestand. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die besondere Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2.

463

§ 96 Strafvereitelung

2. Täter kann nur ein Amtsträger sein, der zur Mitwirkung bei dem Straf- oder Anordnungsverfahren oder zur Mitwirkung bei der Vollstrekkung der Strafe oder Maßnahme berufen ist. Täter können z. B. sein: Richter; Staatsanwälte; Polizeibeamte; Geschäftsstellenbeamte der Gerichte; Bahnpolizeibeamte usw. Die Tathandlung wird oft in einem Unterlassen, z. B. Nichtweiterleiten einer Anzeige, Nichtbearbeitung einer Akte o. ä. liegen. Bei privaten Kenntnissen des Amtsträgers von der Vortat besteht nur bei schweren, die Öffentlichkeit besonders berührenden Straftaten eine Pflicht zur weiteren Verfolgung der Angelegenheit. So z. B.: BGHSt 5 S. 225; 12 S. 277; OLG Köln N J W 1981 S. 1794. - A. A.: GA1964 S. 110; W A G N E R Amtsverbrechen, 1975, S. 294: Keine Verfolgungspflicht. KRAUSE

3. Das Angehörigenprivileg, § 258 Abs. 6, gilt im Rahmen des § 258 a nicht, wohl aber das Selbstbegünstigungsprivileg des § 258 Abs. 5.

IV. Sabotage gerichtlicher Entscheidungen Sachlich in die Nähe der Strafvereitelung gehören die Fälle der Sabotage gerichtlicher Entscheidungen, die die Wirksamkeit gerichdich angeordneter Maßnahmen gefährden. 1. Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht, § 145 a

Bestraft wird als echtes Amtsdelikt der Verstoß gegen Weisungen gemäß § 68 b Abs. 1, wenn sich aus dem Verstoß gegen die Weisung in Verbindung mit dem Gesamtverhalten des Verurteilten die Wahrscheinlichkeit ergibt, daß er sich nicht mehr zu einer die Strafgesetze respektierenden Lebensführung motivieren läßt. - Die Tätereigenschaft kennzeichnet die Rechtsgutsbezogenheit des Täters, nicht jedoch eine besondere Pflichtenposition, daher ist sie kein persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 1. Im einzelnen zum Tatbestand:

GROTH

N J W 1979 S. 743 ff.

2. Verstoß gegen das Berufsverbot, § 145 c

Bestraft wird jede Handlung, die sich als die untersagte Berufs- oder Gewerbeausübung darstellt. - § 145 c betrifft nur die Berufsverbote nach § 70 StGB und § 132 aStPO. - Für Verbote der Verwaltungsbehörden greifen die Vorschriften der GewO (§ 146 Abs. 1 Nr. 6 i. V m. § 35 Abs. l) ein.

464

Delikte gegen die Rechtspflege

§ 97: Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick 1. Das geschätzte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Aussagedelikte ist die staatliche Rechtspflege, und zwar im Sinne des Schutzes des Vertrauens in die Funktion der Rechtspflegeorgane, Tatsachen zu ermitteln. Ein wenig geht der Schutz durch die Aussagedelikte über diesen Rahmen hinaus, da §§ 153, 154, insbes. aber § 156, auch falsche uneidliche und eidliche Aussagen bzw. falsche eidesstattliche Versicherungen vor bestimmten Verwaltungsbehörden und anderen staatlichen Stellen, z. B. parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, erfassen. Die staatliche Rechtspflege ist jedoch der wesentliche Anwendungsbereich der §§ 153 ff, und die darüber hinaus geschützte staatliche Tätigkeit steht der Rechtspflege sachlich nahe. Das rechtfertigt es, das geschützte Rechtsgut kurz als die staatliche Rechtspflege zu kennzeichnen.

2. Die Deliktsnatur Die Rechtspflege als Institution und das Vertrauen in die Funktionsweise der Rechtspflege werden nicht erst dann beeinträchtigt, wenn aufgrund falscher Aussagen oder eidesstattlicher Versicherungen gegen einen Verfahrensbeteiligten eine sachlich unrichtige Entscheidung ergangen oder die konkrete Gefahr einer derartigen Entscheidung begründet worden ist. Schon die Tatsache, daß falsche Aussagen Grundlagen des gerichtlichen Entscheidungsprozesses werden können, untergräbt das Vertrauen in die sachgemäße richterliche Tatsachenfeststellung. Die Aussagedelikte sind demgemäß abstrakte Gefährdungsdelikte. 3. Die Gesetzessystematik a) Aussagedelikte sind die falsche uneidliche Aussage, § 15 3, der Meineid und der fahrlässige Falscheid, §§ 154,155,163, sowie die vorsätzliche und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt, §§ 156, 163. b) Die Teilnahme- und Täterschaftsrenlungen des Allgemeinen Teils ergänzende Bestimmungen enthalten §§ 159, 160. c) Möglichkeiten der Strafmilderung und des Absehens von Strafe bieten §§ 157, 158.

II. Das relevante Angriffsverhalten 1. Die falsche Aussage oder Versicherung an Eides Statt Geschützt wird die staatliche Rechtspflege in ihrer Funktionsweise durch die §§ 153 ff nicht schlechthin, sondern nur gegen falsche Aussagen oder falsche eidesstattliche Versicherungen.

§ 97 Aussagedelikte

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a) D i e inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch aa) Nach der herrschenden objektiven Theorie ist eine Aussage falsch, w e n n sie inhaltlich nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Gegenstand der Aussage k ö n n e n äußere und innere Tatsachen sein. Vgl.: B G H S t 7 S. 148; BADURA G A 1957 S. 4 0 4 ; BOCKELMANN B . T . 3, § 1 I V 2 ; DREHBR/TRÖNDLE V o r § 153 R d n . 5; HRUSCHKA/KÄSSERJUS 1972 S. 710; KREYB.T. I, S. 157; LACKNER S t G B , V o r § 153 A n m . 2 a ; MAURACH/SCHROEDER B.T. I I , § 73 I 4; PREISENDANZ V o r § 153 A n m . 2 ; SCHÖNKE/SCHRODER/LENCKNER V o r b e m . § § 153 f f R d n . 6; WEBER i n : A r z t / W e b e r , L H 5, R d n . 2 6 9 f f ; WELZEL L b . , § 77 1 1 a ; WESSELS

B.T.-l, § 17 I 2 a. Fall 1: A sagt als Zeuge vor Gericht aus, B sei am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft des G gewesen. A hat eine Aussage über eine äußere Tatsache, d. h. über einen außerhalb seiner selbst liegenden Sachverhalt gemacht. Diese Aussage ist richtig, wenn B in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst dann, wenn A glaubt, B sei in Wirklichkeit nicht dort anwesend gewesen. Die Aussage ist falsch, wenn B am Abend des 1. 3. nicht in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst dann, wenn A glaubt, B sei dort anwesend gewesen. Fall 2: A sagt als Zeuge vor Gericht aus, er erinnere sich, den B am Abend des 1. 3. in der Gastwirtschaft des G gesehen zu haben. In diesem Fall hat A eine Aussage über eine innere Tatsache (das sind Wahrnehmungen, Empfindungen, Wissen, Überzeugungen o. ä.) gemacht. Diese Aussage ist richtig, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat, gleichgültig, ob B am 1. 3. wirklich in der Gastwirtschaft war. Die Aussage ist falsch, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild nicht zutreffend wiedergegeben hat, und zwar unabhängig davon, ob B am 1. 3. wirklich in der Gaststätte war. bb) Nach der subjektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie inhaltlich nicht dem aktuellen Vorstellungsbild und Wissen des Aussagenden entspricht. Vgl.: BINDING B.T. II 1, S. 134; GALLAS G A 1957 S. 315; NIETHAMMER D S t r R 1940 S. 161; SCHAFFSTEIN J W 1938 S. 145.

Konsequenzen im Fall 1: Die Aussage des A ist richtig, wenn A der Überzeugung ist, B sei am Abend des 1. 3. in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob B wirklich anwesend war. Die Aussage istfalsch, wenn A in Wirklichkeit der Überzeugung ist, B sei nicht in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob B anwesend war oder nicht. Bei der Bekundung äußerer Tatsachen kommen objektive und subjektive Theorie im Falle der Diskrepanz zwischen wirklichem Geschehen und der Vorstellung des Aussagenden von diesem Geschehen genau zu entgegengesetzten Ergebnissen. - Bei der Bekundung innerer Tatsachen hingegen entsteht dieser Gegensatz nicht. Werden Wahrnehmungen, Empfindung o. ä. unrichtig wiedergegeben, d.h. entgegen der wirklichen Wahrnehmung, Empfindung usw., so ist die Aussage

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Delikte gegen die Rechtspflege

nach beiden Theorien falsch, denn die Aussage bezieht sich nicht auf das Objekt der Wahrnehmung, Empfindungen o. ä., sondern auf diese selbst. Konsequenzen im Fall 2: Genau wie nach der Beurteilung durch die objektive Theorie ist die Aussage richtig, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat; die Aussage ist falsch, wenn dies nicht der Fall ist. - Unerheblich ist es, ob B am 1. 3. wirklich in der Gaststätte war oder nicht.

cc) Nach der Pflichttheorie ist die Aussage falsch, mit der der Aussagende seine prozeßrechtliche Wahrheitspflicht verletzt. Dann und nur dann sagt der Aussagende falsch aus, wenn seine Aussage nicht das Wissen wiedergibt, das der Aussagende bei prozeßordnungsgemäßem Verhalten, d. h. bei kritischer Prüfung seines Erinnerungs- bzw. Wahrnehmungsvermögens, reproduzieren könnte. Eingehender entwickelt wurde die Theorie von SCHMIDHAUSER OLG Celle Festschrift, S. 207 ff; im übrigen vgl.: O r r o J u S 1984 S. 162; SCHMIDHAUSER B.T., 23/10. - In der Sache weitgehend übereinstimmend: die modifizierte objektive Theorie von BLEI B.T., § 107 IV; RUDOLPHI SK, Vor § 153 Rdn. 40 ff; sowie die modifizierte subjektive Theorie von W I L L M S LK, Vor § 153 Rdn. 9 ff. Konsequenzen für Fall 1 und Fall 2: Falsch ist die Aussage, wenn A bei situationsangemessenem Einsatz seiner Verstandeskräfte eine inhaltlich andere Aussage gemacht hätte, weil sein reproduzierbares Erinnerungsbild nicht seiner Aussage entsprach. Richtig ist die Aussage, wenn die Aussage des A nach kritischer Überprüfung und Wahrnehmung der ihm eigenen Verstandeskräfte das ihm erreichbare Wissen, d. h. das Erinnerungsbild wiedergegeben hat, dessen Wiedergabe ihm möglich war. - Ob B am Abend des 1. 3. wirklich in der Gastwirtschaft war, ist für die Beurteilung der Aussage nur mittelbar von Bedeutung.

b) Stellungnahme Auf den ersten Blick erscheint die Richtigkeit der objektiven Theorie evident: eine die Wirklichkeit zutreffend wiedergebende Aussage ist offenbar ungeeignet, die Rechtspflege zu gefährden. Der wirksame Schutz des Rechtsguts scheint daher für die objektive Theorie zu sprechen und dieser kriminalpolitischen Vorrang zu gewähren. Darüber hinaus wird als systematisches Argument geltend gemacht, allein die objektive Theorie ermögliche eine sachgerechte Anwendung der §§ 160, 163. Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten zeigt jedoch, daß die objektive Theorie sowohl von ihren logischen Voraussetzungen als auch unter rechtsdogmatischen, kriminalpolitischen und gesetzessystematischen Aspekten durchgreifenden Einwänden ausgesetzt ist: aa) Jede Aussage - dieses Argument hat bereits B I N D I N G geltend gemacht - kann stets nur eine „Tatsache des Innenlebens", ein von menschlicher Unvollkommenheit im räumlichen Erfassen und Bewahren beeinflußtes Vorstellungsbild wiedergeben, weil derjenige, der aussagt

§ 97 Aussagedelikte

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und schwört, immer nur das Bild des äußeren Vorgangs offenbaren kann, das er in seinem Inneren vorfindet.

Dazu vgl.: B I N D I N G B.T. II 1, S. 134; NIETHAMMER DStrR 1940 S. 171; W I L L M S LK, Vor § 153 Rdn. 9.

Die Differenzierung zwischen Aussagen über äußere und über innere Tatsachen beruht demnach auf einer sachwidrigen Fiktion. Die Vorstellung, daß eine Aussage über eine äußere Tatsache zur Aussage über eine innere Tatsache wird, nur weil der Aussagende erklärt, wie er zu der konkreten Aussage kommt, ist offensichtlich falsch, denn die Aussage selbst kann durch eine derartige Erklärung in ihrem Wesen nicht verändert werden. Gleichgültig, ob eine entsprechende Erklärung abgegeben wird oder nicht: der Aussagende kann ausnahmslos nur wiedergeben, was zu leisten ihm seine Sinnes- und Geisteskräfte gestatten. Dies aber kann stets nur die Wiedergabe dessen sein, was er wahrgenommen hat, für richtig hält, zu wissen glaubt usw., d. h. eine innere Tatsache, mag diese selbst wiederum auf eine äußere oder innere Tatsache bezogen sein. Stets gibt der Zeuge ein subjektives Bild wieder, er kann gar keine objektiv gültigen, von ihm als Subjekt unabhängigen Feststellungen treffen, mag er dies nun ausdrücklich erwähnen oder nicht. bb) Nun ließe sich die tatsächliche Unmöglichkeit einer über die menschliche Leistungsfähigkeit hinausgehenden Bekundung im rechtlichen Bereich mit einer Fiktion überbrücken, wenn dadurch der angestrebte Rechtsgüterschutz besser realisiert werden könnte. Die insoweit mögliche Fiktion erweist sich jedoch rechtsdogmatisch als sachwidrig, denn sie mißachtet die prozessuale Rollenverteilung in den hier relevanten Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverfahren: Der Richter (oder die sonstigen Vernehmungspersonen), nicht aber der Zeuge hat die Aufgabe, den wirklich geschehenen Sachverhalt aufzudecken und darzulegen. Der Zeuge ist insofern nur ein Mittel der Aufklärung unter anderen, denn der Richter bildet seine Überzeugung aufgrund einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Beweise. Die Grundlage dieser Wertung wird aber verfälscht, wenn der Aussagende sich gar nicht nach Kräften bemüht, sein eigenes Vorstellungsbild wiederzugeben oder sogar bewußt einen Sachverhalt schildert, von dem er zwar meint, daß er dem wirklichen Geschehen entspreche, der aber seine eigenen Wahrnehmungen nicht enthält. Der richterlichen Überzeugungsbildung, auf der die Funktionsweise der Rechtspflege wesentlich beruht, ist daher nur dann wirklich gedient, wenn der Aussagende nach kritischer Prüfung seines Erinnerungsvermögens sein Vörstellungsbild oder Wissen zu dem Beweisthema mit allen Zweifeln und ihm ernst erscheinenden Vorbehalten wiedergibt. Unwesentlich ist es demgegenüber, ob die Aussage damit dem wirklichen Geschehen entspricht (obj. Theorie) oder ob der Aussagende der Mei-

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Delikte gegen die Rechtspflege

nung ist, so wie er den Sachverhalt schildere, habe sich dieser wirklich zugetragen (subj. Theorie). Er genügt seiner prozessualen Wahrheitspflicht allein, wenn er das beste ihm erreichbare Erinnerungs- oder Wissensbild wiedergibt. Die Würdigung dieser Aussage ist dann nicht mehr seine Aufgabe, sondern die des Gerichts. Dazu vgl.: OrroJuS 1984 S. 162 f; SCHMIDHAUSER OLG Celle-Festschrift, S. 207 ff; WILLMS L K , Vor § 153 R d n . 9 ff.

cc) Auch kriminalpolitisch führen objektive und subjektive Theorie zu nicht akzeptablen Konsequenzen, denn nach diesen Theorien ist es durchaus straflos möglich, beliebige Aussagen über angebliche äußere Tatsachen zu machen sowie andere zu solchen Aussagen aufzufordern und anzuwerben, soweit man nur von der inhaltlichen Richtigkeit der Aussage überzeugt ist. Eine sich in der Bekundung einer äußeren Tatsache erschöpfende Aussage ist aber wertlos. Daher wird ein Richter, der seine Aufgabe ernst nimmt, stets aufklären, wie der Aussagende zu seinem Wissen gelangt ist. Nimmt der Richter seine Funktion in der Rechtspflege ordnungsgemäß wahr, so darf er sich niemals mit einer schlicht eine äußere Tatsache bekundenden Aussage abfinden. Daher ist der Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Theorie nur solange relevant, als sich Lehre und Rechtsprechung mit sachwidrig herbeigeführten Prozeßergebnissen begnügen. Aber auch allein die subjektive Uberzeugung von der Richtigkeit eines Sachverhalts rechtfertigt nicht eine entsprechende Aussage. Die Feststellung, wie das Geschehen sich wirklich ereignete, ist Aufgabe richterlicher Würdigung der Beweise. Der Aussagende hingegen soll nicht mitteilen, was er fürrichtighält, sondern das ihm mögliche beste subjektive Erinnerungs- bzw. Wissensbild wiedergeben.

dd) Systematisch schließlich ist - unabhängig von Einzelheiten zu den §§ 163,160; dazu unter III 5 und IV 3 - anzumerken, daß überhaupt nur die subjektive Theorie, wenn auch in sehr eng gestecktem Rahmen, und die Pflichttheorie die fahrlässige Falschaussage begründen können. Die Frage nach der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens kann nämlich stets nur dahin gehen, ob es dem Täter bei entsprechender Anstrengung seiner Geistesgaben möglich gewesen wäre, eine inhaltlich andere Aussage als die abgegebene zu machen. Der mögliche Bezugspunkt kann daher stets nur die erreichbare Aussage sein, nicht aber unmittelbar das wirkliche Geschehen. 2. Die Wahrheitspflicht des Aussagenden a) Der Vernehmungsgegenstand Der strafrechtlich relevante Inhalt einer Aussage wird stets durch die prozessuale Wahrheitspflicht des Aussagenden begrenzt. Dieser Wahrheitspflicht unterliegen alle Angaben, die Gegenstand der Vernehmung sind:

§ 97 Aussagedelikte

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aa) Im Zivilprozeß wird der Aussagegegenstand zunächst durch den Beweisbeschluß förmlich bezeichnet ( § § 3 5 8 , 3 5 9 ZPO). Die dort gestellten Beweisfragen bestimmen den Umfang der Zeugnispflicht. bb) Im Strafprozeß ist Gegenstand der Vernehmung allgemein der „Gegenstand der Untersuchung", der dem Zeugen vor seiner Vernehmung mitzuteilen ist, § 69 Abs. 1 StPO. Die Aussage - und damit die Wahrheitspflicht - umfaßt hier alle Tatsachen, die mit der Tat i. S. des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können. cc) In beiden Verfahrensarten kann der Vernehmungsgegenstand und damit die Aussage- und Wahrheitspflicht durch Fragen des Gerichts und anderer Verfahrensbeteiligter erweitert werden; BGH NStZ 1982 S. 464. Auf die Erheblichkeit der Aussage für das betreffende Verfahren kommt es nicht an, doch gehören völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die mit dem Verfahren offensichtlich nichts zu tun haben - Antwort auf die Frage des Vorsitzenden an den Zeugen, ob ihm die Wartezeit lang geworden sei - nicht zum Gegenstand der Vernehmung. Spontane Äußerungen des Aussagenden, die den Rahmen des Vernehmungsgegenstandes überschreiten, fallen nach h. M. nur dann unter die Wahrheitspflicht, wenn sie auf nachträgliche Erweiterung des Beweisthemas durch den vernehmenden Richter hin bestätigt werden. Vgl.: BGHSt 25 S. 244; BGH NStZ 1982 S. 464; K G J R 1978 S. 78 mit Anm. WULMS S. 78 ff; DEMUTH N J W 1 9 7 4 S. 7 5 8 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER V o r b e m .

§§ 153 ff Rdn. 15; WULMS LK, Vor § 153 Rdn. 24. - A. A. wenn entscheidungserhebliche Tatsachen betroffen sind: LACKNER StGB, § 154 Anm. 4 a; MAURACH/ SCHROEDER B . T . II, § 73 I 5; RUDOLPHIJR 1974 S. 293.

dd) Die oben unter aa) und cc) beschriebene Begrenzung des Vernehmungsgegenstandes im Zivilprozeß erscheint jedoch nicht sachgerecht. Es ist nicht einzusehen, warum im Zivilprozeß neben den Aussagen zu dem durch den Beweisbeschluß und etwaige Fragen der Verfahrensbeteiligten bezeichneten Beweisthema nicht auch jene Äußerungen den Gegenstand der Aussage bilden sollten, die mit dem Beweisthema in so engem Zusammenbang stehen, daß sie für das Verfahren erheblich sein könnten. Damit wird nicht an versteckter Stelle der überwundene Gegensatz zwischen erheblichen und unerheblichen Aussagen wieder für die Aussagedelikte aktualisiert. Da es nämlich auf die bloße Möglichkeit der Erheblichkeit für das Verfahren ankommt, wird lediglich eine schon oben getroffene Feststellung bestätigt: Völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die offensichtlich mit der Sache, um die es geht, mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen o. ä. nichts zu tun haben, die gleichsam nur Äußerungen bei Gelegenheit der Vernehmung sind, gehören nicht zum Gegenstand der Vernehmung. Sie begründen keine Falschaussage i. S. der Aussagedelikte. Der Glaube des Täters, sich durch derartige Äußerungen strafbar zu machen, ersetzt die Strafbarkeit des Verhaltens nicht, sondern stellt lediglich ein strafloses Wahndelikt dar. - In diesem Rahmen ist die Straflosigkeit sachlich auch angemessen, da eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeschlossen ist.

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Delikte gegen die Rechtspflege

BGH N S t Z 1982 S. 464: A wurde in einem Zivilprozeß über den Verlauf von Verhandlungen vernommen, die sein Arbeitgeber mit dem Beklagten geführt hatte. Um die Glaubwürdigkeit des A zu überprüfen, fragte der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten den A, ob er schon in anderen Zivilprozessen seines Arbeitgebers aufgetreten sei. A bestätigte dies und versicherte, auch in diesen Fällen wahrheitsgemäß ausgesagt zu haben. Sodann fügte er wahrheitswidrig hinzu: „Sechs oder sieben andere Zeugen haben in ihrer Vernehmung das gleiche bekundet, wie ich auch". Der B G H hat den A freigesprochen. - Nach der hier vertretenen Auffassung läge eine vollendete falsche Aussage vor. - Straflos wäre A nur geblieben, wenn er z. B. seine Aussage mit dem wahrheitswidrigen Zusatz ausgeschmückt hätte, auch in Prozessen anderer Personen sei er schon als Zeuge aufgetreten und habe die Wahrheit gesagt.

b) Das Verschweigen prozeßerheblichen Wissens Unbefragt muß der Aussagende bei der Mitteilung seines Wissens alle Tatsachen angeben, die unmittelbar das Beweisthema betreffen oder in so engem Zusammenhang mit ihm stehen, daß sie für das Verfahren erheblich sein könnten. Schweigt der Aussagende insoweit pflichtwidrig, so wird seine Aussage falsch. - Nicht erfaßt wird jedoch das Schweigen zu nichtgenannten, wenn auch prozeßerheblichen Themen. Der Zeuge, der die Beweisfrage wörtlich und auch dem Sinne nach wahrheitsgemäß beantwortet, jedoch verfahrenserhebliches Wissen zu einem nicht gefragten Thema verschweigt, macht keine falsche Aussage. BGHSt 3 S . 2 2 1 : D i e A wurde im Unterhaltsprozeß ihres nichtehelichen Kindes darüber vernommen, ob sie in der gesetzlichen Empfängniszeit mit B und/oder C geschlechtlich verkehrt habe. Dies verneinte sie, verschwieg aber, daß sie in dieser Zeit mit D verkehrt hatte. Ergebnis: Keine falsche Aussage. - Zwar war die Tatsache des Geschlechtsverkehrs mit D auch für den Prozeß erheblich, die Beweisfrage betraf aber nur den Verkehr mit B und C. Diese Frage hatte A jedoch zutreffend beantwortet.

3. Die prozeßrechtswidrige falsche Aussage a) Der anerkannte Bereich Einhellig anerkannt und nach dem Gesetz zwingend ist, daß eine falsche Aussage oder eine falsche Versicherung an Eides Statt nur vor einer zur eidlichen Vernehmung bzw. zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zuständigen Stelle erfolgen kann und daß ein Meineid die Beachtung der wesentlichen Formerfordernisse der Eidesleistung voraussetzt. Verfahrensmängel in diesem Bereich schließen ein vollendetes Aussagedelikt aus. b) Die in ihren Auswirkungen umstrittenen Verfahrensfehler aa) Andere Verfahrensmängel sollen hingegen nach h. M. auf die Tatbestandsmäßigkeit falscher Aussagen keinen Einfluß haben. Gleichgültig

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soll es demgemäß sein, ob die Aussage unter Verletzung der Belehrungspflicht über ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht oder unter Verletzung der §§ 69,241 Abs. 2 StPO, 396 ZPO (keine Bezugnahme auf frühere Aussagen, Erforderlichkeit der Belehrung über den Gegenstand des Verfahrens, Zurückweisung sachfremder Fragen) zustande gekommen ist. Auch die Verletzung von Vereidigungsverboten soll unbeachtlich sein, obwohl auch § 157 Abs. 2 offensichdich davon ausgeht, daß der Meineid eines Eidesunmündigen nicht tatbestandsmäßig ist. Verfahrensfehler sollen lediglich strafmildernd Berücksichtigung finden können. Vgl.: BGHSt 8 S. 187 ff; 17 S. 136; 23 S. 31 f; 27 S. 75; OLG Hamm MDR 1977 S. 1034; O L G Stuttgart N J W 1 9 7 8 S. 712; K G J R 1 9 7 8 S. 77 f; DREHER/TRONDLE Vor § 153 Rdn. 11; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 73 I 5; WEBER in: Arzt/Weber, L H 5,

Rdn. 336 ff. - Einschränkend: SCHONKE/SCHRÖDER/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 23, 2 4 ; WILLMS L K , Vor § 153 Rdn. 31; DERS. J R 1978 S. 79.

bb) Die insbesondere von RUDOLPHI begründete Gegenmeinung hingegen sieht eine falsche Aussage oder falsche eidesstattliche Versicherung nur dann als tatbestandsmäßig i. S. der §§ 153 ff an, wenn sie prozessual verwertbar ist. Dazu: RUDOLPHI G A 1 9 6 9 S. 140 ff; DERS. SK, Vor § 153 Rdn. 34 f; im übrigen vgl.: DEDES Schröder-Gedächtnisschrift, S. 335; HRUSCHKA/KÄSSER JUS 1972 S. 711; SCHNEIDER G A 1956 S. 341.

cc) Stellungnahme Zuzugeben ist der h. M., daß auch eine prozessual unverwertbare Aussage tatsächlich das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigen kann, wenn sie nämlich trotz des Verwertungsverbots verwertet wird. Jedoch liegt die hier relevante Problematik nicht in der Beeinträchtigung der Rechtspflege als solcher, sondern in der Zuweisung der Verantwortung für diese Beeinträchtigung: Wenn durch die Verwertung einer unverwertbaren Aussage im Prozeß das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigt wird, so ist dafür nicht der Aussagende verantwortlich, sondern derjenige, der der Garant des prozeßordnungsmäßigen Verfahrens ist, nämlich der Richter, der solche Aussagen gegen das Gesetz Eingang in das Verfahren finden läßt. Daraus folgt: Eine prozessual unverwertbare Aussage ist grundsätzlich nicht tatbestandsmäßig i. S. der §§ 153 ff. Allerdings - und hier läßt der Gedanke der Verantwortungszuweisung eine Einschränkung zu - muß das Gericht die Möglichkeit gehabt haben, die Unverwertbarkeit der Aussage zu erkennen. Diese Modifizierung der Mindermeinung beseitigt zwei grundlegende Einwände dieser Ansicht gegenüber: Zum einen - daxaufhaben die Vertreter dieser Meinung stets hingewiesen - ist nicht jeder Verstoß gegen die Verfahrensregeln schon geeignet, die unter Verletzung dieser Regeln zustande gekommene Aussage aus dem Bereich der Wahrheitspflicht aus-

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Delikte gegen die Rechtspflege

zugrenzen. Zum anderen aber ist sichergestellt, daß dem Gericht nicht erkennbare oder sogar durch Täuschung aufgedrängte Mängel keine materiellrechtliche Wirksamkeit erlangen derart, daß sie die Grenzen der Wahrheitspflicht bestimmen. In diese Richtung geht auch die Argumentation von WILLMS L K , Vor § 153 Rdn. 29 f. - Für eine grundsätzliche Differenzierung auch BRUNS GA I960 S. 178 u n d SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER V o r b e m . § § 153 f f R d n . 2 3 .

Beispiel: V, die Verlobte des Angeklagten A, wird im Prozeß gegen A als Zeugin vernommen. Sie verschweigt, daß sie mit A verlobt ist. - Auch den Akten ist kein Hinweis auf die Verlobung zu entnehmen, weil A und V übereingekommen sind, erst einmal abzuwarten, welche Konsequenzen die falsche Aussage der V für den weiteren Prozeßverlauf hat. Hier fällt die Tatsache, daß die V nicht über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist, nicht in den Verantwortungsbereich des Gerichts, denn das Gericht hat keinen Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht schuldhaft übergangen. Mag die Aussage daher prozessual auch unverwertbar sein. In diesem Fall ist es vertretbar, sie nicht von vornherein aus dem tatbestandsmäßigen Bereich der §§ 153 ff auszuklammern.

4. Konsequenzen aus der Wahrheitspflicht Den Aussagenden trifft, wie dargelegt, eine persönlich zu erfüllende prozessuale Wahrheitspflicht, die er durch seine falsche Aussage oder eidesstattliche Versicherung verletzt. Die Aussagedelikte sind daher eigenhändige Delikte. Ihre Begehung im Wege der mittelbaren Täterschaft ist ausgeschlossen. Die Wahrheitspflicht ist kein besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 1, da sie nur die Grenzen der Angriffsmöglichkeiten auf die Rechtspflege umschreibt, nicht aber eine pflichtbegründende Sonderposition des Aussagenden gegenüber Dritten. So auch: SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 42. - A. A.: H E R Z B E R G Z S t W 8 8 ( 1 9 7 6 ) S . 1 0 3 f ; R O X I N L K , § 2 8 R d n . 3 2 ; RUDOLPHI S K , V o r § 1 5 3

Rdn.

9.

III. Die einzelnen Aussagedelikte 1. Falsche uneidliche Aussage, § 153 a) Der objektive Tatbestand setzt voraus, daß der Täter vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger falsch aussagt. aa) Gerichte sind die inländischen staatlichen Gerichte in allen ihren Funktionen, z. B. der Rechtspfleger im Verfahren nach § 75 K O (OLG Hamburg NJW 1984 S. 935), nicht dagegen die privaten Schiedsgerichte

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§ 97 Aussagedelikte

nach §§ 1025 ff ZPO. Andere zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständige Stellen sind Behörden, denen der Gesetzgeber das Recht der eidlichen Vernehmung gegeben hat, z. B. das Bundespatentamt (§ 46 PatG) und parlamentarische Untersuchungsausschüsse (Art. 44 G G und entsprechende Vorschriften der Landesverfassungen), nicht hingegen Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzämter und andere Verwaltungsbehörden. - Die den Eid abnehmende Amtsperson muß staats- und gerichtsverfassungsgemäß in ihr Amt berufen worden sein. bb) Die Aussage - die auch die Angaben zur Person und zum Beruf umfaßt - muß unmittelbar vor dem Vernehmenden erfolgen. Das bedeutet, daß Aussage hier als mündliche Erklärung zu verstehen ist. Eine Ausnahme macht nur § 186 GVG, der eine schrifdiche Verständigung zwischen dem Vernehmenden und einer tauben oder stummen Person zuläßt. So auch:

München MDR 1968 S. 939; D R E H E R / T R Ö N D L E § 153 Rdn. 2; § 153 Rdn. 2; W I L L M S L K , § 153 Rdn. 4 . - Eine schriftliche „Beweisaussage" lassen dort, wo die Prozeßgesetze diese gestatten, genügen: M A U R A C H / SCHROEDER B. T. II, § 73 II 4; S C H Ö N K E / S C H R Ö D E R / L E N C K N E R Vorbem. §§ 153 ff O L G

RUDOLPHI S K ,

R d n . 2 2 ; WAGNER G A

1 9 7 6 S.

272.

cc) Der Täter muß ab Zeuge oder Sachverständiger ausgesagt haben. - Die Angeklagten im Strafprozeß, die Parteien im Zivilprozeß oder die Beteiligten im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind nicht taugliche Täter. Gleiches gilt für den Betroffenen im Verfahren vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Die Tatbeteiligung selbst schließt hingegen die Zeugenrolle nicht aus, vgl. §§ 55, 60 Nr. 2 StPO. Wird jedoch ein Tatbeteiligter willkürlich in die Zeugenrolle gedrängt, um ihn u. U. sogar dem Eideszwang auszusetzen, ist er nicht Zeuge und § 153 bleibt unanwendbar. Dazu: BGHSt 10 S. 10; W I L L M S LK, § 153 Rdn. 10.

b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muß sich darauf erstrecken, daß die Aussage falsch ist, d. h. mit dem wirklichen oder erreichbaren Erinnerungsbild nicht übereinstimmt, daß die Aussage unter die Wahrheitspflicht fällt und vor einer zuständigen Stelle stattfindet. - Ist sich der Täter dieser Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes bewußt, so handelt er vorsätzlich. c) Vollendet ist die falsche Aussage mit dem Abschluß der Vernehmung. Dies ist der Fall, wenn der Vernehmende zu erkennen gibt, daß er von dem Zeugen oder Sachverständigen keine weitere Auskunft über den Vernehmungsgegenstand erwartet, und der Aussagende, daß er seinerseits nichts mehr zu bekunden und das bisher Bekundete als seine verantwortliche Aussage gelten lassen will. - Berichtigt der Aussagende bis zu diesem Zeitpunkt eine falsche Aussage, so bleibt er straffrei, da der Versuch der uneidlichen Aussage straflos ist. Wird der Aussagende in

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Delikte gegen die Rechtspflege

mehreren Terminen desselben Rechtszuges zu demselben Beweisthema gehört und sagt falsch aus, so liegt nur eine einheitliche falsche Aussage vor. Vgl.: RUDOLPHI S K , § 153 R d n . 11; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER§ 153 R d n . 14. -

A. A.: BGHSt 8 S. 302; DREHER/TRÖNDLE § 153 Rdn. 8.

2. Meineid, § 154 a) § 154 stellt - soweit es um den Meineid eines Zeugen oder Sachverständigen geht - einen gegenüber § 153 qualifizierten Tatbestand dar, im übrigen - Parteieid - ein selbständiges Delikt. b) Die Tathandlung besteht in falschem Schwören, d. h. in der Bekräftigung einer falschen Aussage mit dem Eide vor Gericht oder einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle. Der Eid kann als „Voreid" vor der Vernehmung oder als „Nacheid" nach der Vernehmung abgenommen werden. Er ist nur tatbestandsmäßig, wenn die wesentlichsten Formerfordernisse gewahrt wurden. Unerläßlich ist die vom Schwörenden zu sprechende Formel: „Ich schwöre". aa) Täter können alle Personen sein, die nach dem Verfahrensrecht eidespflichtig gemacht werden können. Das sind nicht nur Zeugen oder Sachverständige, sondern z. B. auch die Parteien im Zivilprozeß. Wird ein Eidesunmündiger, d. h. eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, vereidigt, so liegt kein tatbestandsmäßiger Eid vor, da eine solche Person das Wesen des Eids nach der unwiderlegbaren Vermutung des Gesetzes nicht versteht, davon geht offenbar auch § 157 Abs. 2 aus. Vgl.: KREY B.T. I, S. 160; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 7 3 I 5; QUEDENFELDJZ

1973 S. 238; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 25. - Für tatbestandlichen Ausschluß bereits aus grundsätzlichen Erwägungen (prozessuale U n v e r w e r t b a r k e i t ) : HRUSCHKA/KÄSSERJUS 1972 S. 711; RUDOLPHI G A 1969 S. 140 ff;

DERS. SK, § 154 Rdn. 8. - A. A. (Tatbestand erfüllt): BGHSt 10 S. 144; DREHER/ TRÖNDLE Vor § 153 R d n . 11; LACKNER S t G B , § 154 A n m . 1; WILLMS L K , § 154 Rdn. 10.

bb) Das Gericht oder die zuständige Stelle muß zur Abnahme von Eiden gesetzlich ermächtigt sein. Darüber hinaus muß in dem konkreten Verfahren ein Eid der geleisteten Art gesetzlich zugelassen sein. Daran fehlt es nach h. M. beim Parteieid im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; dazu BGHSt 10 S. 272; WILLMS LK, § 154 Rdn. 7, 9 m. w. N. - A. A.: DREHER/TRÖNDLE § 154 R d n . 3.

Ferner muß die den Eid abnehmende Person nach den verbindlichen Gesetzen zu diesem Akt berechtigt sein, was z. B. bei einem Referendar gemäß § 10 S. 2 GVG nicht der Fall ist. c) Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz, bedingter genügt.

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aa) Der Vorsatz muß sich darauf erstrecken, daß die Aussage falsch ist, daß sie unter den Eid fällt und daß der Eid vor einer zuständigen Stelle erfolgt. bb) Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum liegt daher vor, wenn der Täter sich nicht der Tatsache bewußt ist, daß seine Aussage nicht seinem wirklichen oder erreichbaren Erinnerungsbild entspricht, wenn er nicht weiß, daß seine Aussage noch Gegenstand der Vernehmung ist und damit der Wahrheitspflicht unterfällt oder daß seine Aussage vor Gericht oder einer entsprechenden Behörde erfolgt. Es genügt jedoch, daß der Täter sich der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehaltes bewußt ist. Hat er dieses Bewußtsein, glaubt sich aber dennoch zu einer Falschaussage berechtigt, so kann dieser Irrtum nur im Rahmen des § 17 berücksichtigt werden; vgl. dazu BGHSt 5 S. 118; 10 S. 15.

d) Vollendet ist der Meineid beim Voreid mit Abschluß der Aussage, beim Nacheid mit der Beendigung des Schwurs. aa) Ein straßarer Versuch des Meineids liegt demgemäß beim Voreid vor, wenn der Täter zu der falschen Aussage, und beim Nacheid, wenn er zur Leistung des Eides unmittelbar ansetzt, d. h. mit dem Sprechen der Eidesworte. - Ein straßarer untauglicher Versuch ist nach allgemeinen Grundsätzen anzunehmen, wenn der Täter irrig einen Sachverhalt annimmt, der, läge er vor, die Voraussetzungen des Meineids vor einer zuständigen Behörde erfüllen würde. - Ein Wahndelikt hingegen ist gegeben, wenn der Täter den Sachverhalt kennt, die den Eid abnehmende Stelle aber aufgrund falscher rechtlicher Erwägungen für zuständig hält, obwohl diese es nicht ist. Beispiel: A wird in einer Verkehrssache als Zeuge von der Polizei gehört. Der Polizist vereidigt den A, der der Ansicht ist, auch die Polizei dürfe Zeugen vereidigen. Ergebnis: Wahndelikt des A. Wie hier: OLG Bamberg NJW 1949 S. 876; KREY B.T. I, S. 159; SCHÖNKE/ SCHRÖDER/LENCKNER § 154 R d n . 15; WILLMS L K , § 154 R d n . 2 1 . - A . A . : R G S t 7 2

S. 80; BGHSt 3 S. 253 f. Im konkreten Fall gleicher Ansicht, im übrigen aber differenzierend nach der rechtsgutsbezogenen Relevanz des Verhaltens: SCHLÜCHTER Irrtum übernormative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, 1983, S. 155 ff.

bb) Nach dem Gesetzesaufbau zwingend ist der Nacheid selbst nicht mehr Teil der falschen Aussage, sondern schließt an diese an. Das hat die Konsequenz, daß der Täter, der vom Versuch des Meineids straffrei gemäß § 24 Abs. 1,1. Alt. zurücktritt, wegen der bereits vollendeten falschen Aussage strafbar bleibt, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe gemäß § 158. Kriminalpolitisch sinnvoll ist diese Konstruktion nicht, denn damit wird dem Eid die Fähigkeit als gesteigertes Druckmittel zur Bewirkung wahrer Aussagen

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weitgehend genommen: Der Täter steht nicht vor der Entscheidung, durch den Rücktritt insgesamt Straffreiheit zu erlangen, denn ihm ist jetzt bereits die Bestrafung nach § 153 sicher. Dieser Gewißheit steht dann lediglich noch das Risiko einer geringfügig höheren Strafe nach § 154 gegenüber, wenn er seine falsche Aussage zusätzlich beschwört.

3. Eidesgleiche Bekräftigung, § 155 § 155 stellt dem Eid als Tatbestandsmerkmal des § 154 gleich: a) Gemäß § 155 Nr. 1: die den Eid ersetzende Bekräftigung der Wahrheit, die vorgesehen ist für Personen, die sich aus Glaubens- oder Gewissensgründen weigern, einen Eid zu leisten; vgl. §§ 66 d StPO, 484 ZPO. b) Gemäß § 155 Nr. 2: die Berufung des Aussagenden - bloßer Hinweis des Richters genügt nicht - auf einen früheren Eid oder eine frühere Bekräftigung. Diese kommt in Betracht: 1. Alt.: Bei der Berufung auf einen in derselben Sache früher geleisteten Partei-, Zeugen- oder Sachverständigeneid, bzw. die entsprechende Bekräftigung; vgl. §§ 67, 72 StPO, 398 Abs. 3, 402, 451 ZPO. 2. Alt.: Bei der Berufung eines allgemein vereidigten Sachverständigen auf den von ihm früher geleisteten Eid oder eine entsprechende Bekräftigung; vgl. §§ 79 Abs. 3 StPO, 410 Abs. 2 ZPO. Zu beachten ist hier, daß ein früher geleisteter Sachverständigeneid bei Berufung auf ihn nicht eine spätere Zeugenaussage erfaßt; dazu OLG Köln MDR 1955 S. 183.

c) Bei der Berufung eines Beamten auf den von ihm geleisteten Diensteid; vgl. § 386 Abs. 2 ZPO. 4. Falsche Versicherung an Eides Statt, § 156 Eidesstattliche Versicherungen sind ein wichtiges Mittel zur Glaubhaftmachung tatsächlicher Behauptungen, vgl. §§ 294 Abs. 1,807,920 Abs. 2, 936 ZPO; 56, 74 Abs. 3 StPO. a) Der objektive Tatbestand verlangt die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung vor einer zuständigen Behörde oder eine falsche Aussage vor einer solchen Behörde unter Berufung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung. aa) Falsch ist die Versicherung entsprechend der falschen Aussage, wenn sie nicht das wirkliche oder erreichbare Wissens- oder Erinnerungsbild des Versichernden wiedergibt. bb) Zuständig ist die Behörde nicht schon dann, wenn sie allgemein zuständig zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen ist. Entscheidend ist vielmehr, daß die Behörde die konkrete Versicherung über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, und zu dem Verfahren, in dem sie eingereicht wird, abnehmen darf und daß die Versicherung selbst nicht rechtlich

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völlig bedeutungslos ist. Das bedeutet auch, daß der Versichernde in seiner verfahrensrechtlichen Stellung eine derartige Versicherung zu dem angestrebten Zweck überhaupt abgeben darf. BGHSt 17 S. 303: Agibt in einem Wiederaufnahmeverfahren desM eine falsche eidesstattliche Versicherung als Zeuge ab. BGH: Keine vollendete falsche eidesstattliche Versicherung des A. - Versuch nicht strafbar; in der Person des A kommt nur eine versuchte Strafvereitelung in Betracht, §§ 258, 23. Vgl. auch: BGHSt 25 S. 92; W SCHMID SchlHA 1981 S. 75 f.

cc) Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung und die Aussage unter Berufung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung können sowohl mündlich als auch schrifdich erfolgen. Mündlich erfolgt die Erklärung durch die Äußerung unmittelbar vor der Behörde in deren Einverständnis. Eine schriftliche Erklärung ist abgegeben, wenn die Erklärung in den Machtbereich der Behörde gelangt, bei der sie zu Beweiszwecken dienen soll. Kenntnisnahme durch den zuständigen Sachbearbeiter ist nicht erforderlich.

dd) Bezüglich der Wahrheitspflicht ergeben sich bei der eidesstatdichen Versicherung insofern Besonderheiten, als es bei spontanen Versicherungen an einer Festlegung des Beweisthemas durch eine Behörde fehlt. In diesen Fällen ist zur Bestimmung des „Versicherungsgegenstandes'' die Versicherung selbst auszulegen. Das Beweisthema, wie es nach dem Gegenstand und Stand des Verfahrens zu formulieren gewesen wäre, kann nicht maßgeblich sein, da dieses dem Erklärenden oftmals überhaupt nicht bekannt ist oder auch nur bekannt sein kann. S o a u c h : RUDOLPHI S K , § 1 5 6 R d n . 10; WILLMS L K , § 156 R d n . 17. - A . A . : SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 156 R d n . 5.

Gegenstand der falschen Versicherung ist aber nicht jede in der Versicherung enthaltene unrichtige Bekundung, sondern auch hier erfaßt die Wahrheitspflicht nur die Äußerungen, die für das konkrete Verfahren möglicherweise von Bedeutung sein können. Vgl. d a z u : BLOMEYERJR 1 9 7 6 S. 4 4 1 ff; WULMS L K , § 156 R d n . 17 m . w. N .

Danach entscheidet sich auch die Frage, wieweit ein Verschweigen die Versicherung zu einer falschen macht: Verschweigen von Tatsachen macht eine Versicherung zu einer falschen, wenn Tatsachen verschwiegen werden, die mit dem gewählten Beweisthema so eng zusammenhängen, daß ihre Offenbarung die Erklärung inhaltlich ändern würde, weil ihr Sinngehalt ein anderer würde. Beispiel: (nach BGH NJW 1959 S. 1235): Der Großhändler A versichert in einem Arrestverfahren an Eides Statt, daß ihm die Namen und Orte der Gastwirtschaften, in denen bestimmte Münzautomaten aufgestellt worden waren, unbe-

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Delikte gegen die Rechtspflege

kannt seien. - Er verschwieg, daß er jederzeit durch Rückfrage bei einem engen Mitarbeiter und Provisionsvertreter die Standorte der Geräte hätte erfahren können. B G H : Trotz wörtlicher Richtigkeit der Erklärung gab A eine falsche Versicherung an Eides Statt ab.

b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muß wissen, daß seine Versicherung falsch ist und vor einer zuständigen Behörde erfolgt. Auch hier genügt aber die Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts. Eine gleichwohl bestehende Vorstellung des Täters, zur falschen Versicherung berechtigt zu sein, kann im Rahmen des § 17 Berücksichtigung finden.

c) Von besonderer Bedeutung in der Praxis ist die Versicherung des Schuldners nach § 807 ZPO. Hat eine Pfändung des Gläubigers nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt oder macht der Gläubiger glaubhaft, daß er durch Pfändung seine Befriedigung nicht vollständig erlangen könne, so ist der Schuldner auf Antrag verpflichtet, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und an Eides Statt zu versichern, „daß er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe". - Die Offenbarungs- und damit Wahrheitspflicht wird durch den Zweck der Norm, dem Gläubiger eine Vollstreckung in das vorhandene Schuldnervermögen zu ermöglichen, konkretisiert: Nur solche wahrheitswidrigen Angaben machen die Versicherung zu einer falschen, die unter die Offenbarungspflicht fallen und geeignet sind, den Gläubigerzugriff zu vereiteln oder zu erschweren. Dazu: BGHSt 8 S. 400; 19 S. 126 ff; B G H bei Holtz, M D R 1980 S. 813.

Die Entscheidung, ob im Zweifel ein Objekt unter die Offenbarungspflicht fällt, ist nicht dem Schuldner überlassen. Daraus folgt: aa) Offenbarungspflichtig ist das gesamte gegenwärtige Vermögen sowie früheres Vermögen, soweit ein Rückübertragungsanspruch besteht oder nach dem AnfechtungsG - vgl. § 807 Abs. 1 Nr. 1-3 ZPO, § 3 AnfechtungsG - zur Entstehung gebracht werden kann, auch wenn eine eventuelle Gegenforderung der Forderung wertgleich ist. Streitige und unpfändbare Forderungen gehören hierher, denn über den Erfolg einer Zwangsvollstreckung entscheidet nicht das Ermessen des Schuldners, sondern das Urteil der entsprechenden Gerichtsorgane, wenn der Gläubiger deren Entscheidung herbeigeführt haben will (BGH NJW1953 S. 390 mit Anm. SCHMIDT-LEICHNER; BGH N J W 1956 S. 756). Künftige Forderungen, die bereits jetzt Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein können, und Anwartschaftsrechte mit Vermögenswert sind anzugeben (BGHSt 15 S. 130; BGH GA 1966 S. 243; OLG Hamm GA1975 S. 180), nicht aber ist ein umfassender Überblick über die Tätigkeit zu gewähren, wenn aus die-

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ser Tätigkeit erst später Vermögenserwerbsmöglichkeiten erwachsen (BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 813). bb) Anzugeben sind neben den Vermögensobjekten auch die Umstände, die für die Zugriffsmöglichkeit des Gläubigers von Bedeutung sind, z. B. der Name eines Drittschuldners, der Stand einer Erbauseinandersetzung u. ä. cc) Offensichtlich völlig wertlose Gegenstände oder eindeutig im Wege der Zwangsvollstreckung nicht verwertbare Objekte (z. B. die Firma, Firmenmantel des Kaufmanns) brauchen nicht angegeben zu werden; BGHSt 13 S. 348 f; 14 S. 349. dd) Die Angabe fingierter Vermögensstücke macht die Versicherung hingegen falsch, denn dadurch kann der Gläubiger zu zwecklosen Vollstreckungshandlungen veranlaßt werden; BGHSt 7 S. 375. ee) Daß der Versichernde sich durch eine wahrheitsgemäße Angabe einer Straftat bezichtigen würde, berührt die Offenbarungspflicht nicht, doch unterliegen diese Angaben in bezug auf ein Strafverfahren einem Verwertungsverbot; dazu BVerfG NJW 1981 S. 1431 ff. 5. Fahrlässiger Falscheid und fahrlässige falsche Versicherung an Fides Statt, §163 a) Die objektiven Voraussetzungen des § 163 entsprechen denen der §§ 154, 155,156. - Falsch ist auch hier eine Aussage oder Versicherung, die nicht das wirkliche oder reproduzierbare Erinnerungs- bzw. Wissensbild des Äußernden wiedergibt. b) Die Fahrlässigkeit des Täters kann im wesentlichen auf drei verschiedenen Gründen beruhen: aa) Der Täter erkennt nicht, daß seine Angaben falsch sind, obwohl er bei entsprechender Anspannung seiner Geistesgaben die Diskrepanz zwischen den Angaben und seinem Erinnerungsbild hätte erkennen können. Bei einem Zeugen ist dies der Fall, wenn er aus Nachlässigkeit sein noch im Gedächtnis bestehendes Erinnerungsbild nicht dementsprechend wiedergibt, wenn er etwas Unzutreffendes als sicheres Erinnerungsbild hinstellt, obwohl er es wegen fehlender Überlegung nicht als sicheres Wissen ausgeben darf, oder wenn er es vorwerfbar unterläßt, tatsächliche Anhaltspunkte oder äußere Hilfsmittel zu benutzen, die sich ihm während der Vernehmung darbieten und die geeignet sind, mindestens Zweifel an der Richtigkeit seines Erinnerungsbildes zu wecken. Dazu: OLG Köln M D R 1980 S. 421. Beispiel: Der Vertreter A sagt vor Gericht als Zeuge aus, er sei am 1. 3. bei G in dessen Gastwirtschaft gewesen. In Wirklichkeit war er erst am 2. 3. bei G. Dem A ist bekannt, daß andere Zeugen ihn dort nur am 2. 3. gesehen haben wollen. Da A jedoch sicher glaubt, am 1. 3. in der Gaststätte gewesen zu sein, ist er über die Aussagen der anderen Zeugen sehr verblüfft. Er hält es gleichwohl nicht für nötig, in seinem Auftragsbuch, in dem der Besuch bei G verzeichnet ist, noch einmal nachzuschauen.

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Ergebnis: Nach den ihm gegebenen Möglichkeiten hätte er erkennen können, daß sein Erinnerungsbild falsch war. Wenn er es dennoch wiedergab, ohne von den ihm zur Verfügung stehenden Prüfungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, handelte er sorgfaltspflichtwidrig und damit fahrlässig. Im Gegensatz zum Zeugen, der keine Vorbereitungspflicht, sondern nur eine Konzentrations- und Prüfungspflicht hat, haben der Sachverständige, die Prozeßpartei und der zur Offenbarung seines Vermögens verpflichtete Schuldner aufgrund ihrer Verfahrensstellung eine Informationspflicht vorder Aussage, d. h. eine Vorbereitungspflicht. Dazu: WILLMS LK, § 163 Rdn. 6 ff m. w. N.

bb) Der Täter ist sich bewußt, daß er falsche Angaben macht, erkennt aber nicht, daß diese Angaben noch zum wahrheitspflichtigen Inhalt seiner Aussage gehören, d. h. unter die Wahrheitspflicht fallen. cc) Der Täter hält die den Eid bzw. die die Versicherung abnehmende Behörde irrig für unzuständig. IV. Teilnahme und unmittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten 1. Teilnahme Die Interpretation der Aussagedelikte als eigenhändige Straftaten schließt zwar die Täterschaft von Außenstehenden, nicht aber deren Teilnahme aus. Anstiftung und Beihilfe bestimmen sich nach den allgemeinen Regeln. - Als Teilnehmer haftet jedoch nicht, wer durch sein Prozeßverhalten ausschließlich die Möglichkeit eröffnet, daß ein anderer - ohne vorheriges Einvernehmen - ein Aussagedelikt begeht. a) Teilnahme durch positives Tun aa) Eine Teilnahme durch positives Tun aufgrund prozeßordnungsgemäßer Äußerungen und Prozeßhandlungen eines Prozeßbeteiligten scheidet von vornherein aus, denn nach materiellem Recht können nicht Verhaltensweisen mit Strafe bedroht werden, die die entsprechende Prozeßordnung ausdrücklich erlaubt. Schweigen oder Leugnen des Angeklagten, das eine falsche Aussage verursacht, kann als solches keine Strafbarkeit des Angeklagten begründen.

bb) Aber auch für ein prozeßordnungswidriges Verhalten gilt gleiches: Wer wider besseres Wissen einen Anspruch bestreitet oder behauptet und dadurch die Benennung eines Zeugen veranlaßt oder sogar selbst den Zeugen benennt, haftet für dieses Verhalten alkin noch nicht als Teilnehmer. Die zivilprozessuale Wahrheitspflicht, § 138 ZPO, ändert daran nichts, denn sie bürdet demjenigen, der sich prozeßordnungswidrig verhält, noch nicht die Verantwortung für das strafbare Verhalten eines

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anderen auf, der eine falsche Aussage macht, ohne hierbei im Einverständnis mit dem Benennenden tätig zu werden. Die bloße Eröffnung der Möglichkeit, ein Delikt zu begehen, zu dem sich ein anderer sodann im Rechtssinne frei verantwortlich entschließt, begründet noch keine strafrechtliche Haftung als Teilnehmer. S o a u c h : B G H 1 S t R 3 7 9 / 5 1 S . 13 f; B G H 4 S t R 3 0 6 / 5 5 S. 2 ; K R E Y B . T . I, S. 165 f; RUDOLPHI S K , V o r § 1 5 3 R d n . 51. - A . A . : MAURACH/SCHROEDER B . T . II, § 7 3 V I A ;

SCHONKE/SCHRODER/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ffRdn. 37; WILLMSLK, § 154 Rdn. 15.

b) Teilnahme durch Unterlassen Auch eine Haßung als Teilnehmer durch Unterlassen kann ein prozeßordnungswidriges Verhalten als solches nicht begründen, soll nicht letztlich aus § 138 ZPO wiederum eine Verantwortung für fremdes deliktisches Verhalten hergeleitet werden. aa) Unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung stellte der BGH in BGHSt 17 S. 321 fest, daß das wahrheitswidrige Bestreiten allein noch keine Garantenpflicht zur Verhinderung des Meineids eines Zeugen auslöse, das Vorverhalten müsse vielmehr eine prozeßinadäquate, besondere Gefahr einer Falschaussage begründen. Als solche Gefahren sollen die Beschränkung der Entschlußfreiheit des Zeugen, z. B. durch die Fortsetzung des ehewidrigen Verhaltens während des Scheidungsprozesses, und die Ausnutzung der Tatsache, daß der Zeuge unterwürfig ist und sich bereits durch Lügen im Vorfeld des Prozesses „festgefahren hat", angesehen werden. Es sollen verwandtschaftliche oder eheliche Bindungen eine Rolle spielen. Dazu: BGH 4 StR 306/55 S. 4; BGHSt 6 S. 322; BGHSt 17 S. 321; BGH 1 S t R 5 0 4 / 6 0 S. 5 ; K G J R 1 9 6 9 S. 2 7 m i t abl. A n m . LACKNER.

bb) Doch auch diese Begrenzung der Garantenpflicht ist noch zu weit. Eheliche oder verwandtschaftliche Bindungen begründen keine Garantenpflicht gegenüber der Rechtspflege. Das Vorverhalten muß vielmehr als

solches bereits eine inadäquate Gefährdung der Rechtspflege darstellen derart, daß die Möglichkeiten sachgemäßer Tatsachenermittlung bereits durch dieses Verhalten beeinträchtigt werden. Dies ist erörterungswürdig in dem Fall, daß z. B. jemand einen anderen zu einer uneidlichen falschen Aussage vor Gericht angestiftet hat und es nun zu einer Vereidigung kommen läßt, ohne aufklärend einzugreifen. Vgl. d a z u : RUDOLPHI S K , V o r § 153 R d n . 52 f; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER Vor-

bem. §§ 153 ff Rdn. 40; zu den allgemeinen Voraussetzungen der Ingerenz: GRUNDKURSSTRAFRECHT, A . T . , § 9 III 1.

2. Versuch der Anstiftung zur Falschaussage, § 159 Eine Bestrafung wegen versuchter Anstiftung zu einem Aussagedelikt

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Delikte gegen die Rechtspflege

unter Anwendung des § 30 ist allein beim Meineid, §§ 154, 155, möglich, da nur dieser ein Verbrechen i. S. des § 12 darstellt. In § 159 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 (Versuch der Anstiftung zu einem Verbrechen) auf die Taten nach §§ 153, 156 erweitert, weil er die versuchte Anstiftung auch hier als besonders gefährlich einstufte. Diese Regelung ist kriminalpolitisch gleichwohl wenig überzeugend, denn da der Versuch der Falschaussage bzw. der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung nicht unter Strafe gestellt ist, ergeben sich eigenartige Konsequenzen für den Fall, daß die Tat des Haupttäters nur zum Versuch gediehen ist: Der Haupttäter bleibt straflos, obwohl seine kriminelle Energie im Regelfall größer ist als die des erfolglos anstiftenden Hintermannes. - Die hier begründeten Diskrepanzen will der BGH dadurch mildern, daß er § 159 dann nicht anwenden will, wenn die Tätigkeit des Angestifteten aufgrund des Tatplans nur zu einem untauglichen Versuch führen kann. BGHSt 24 S. 38: A fordert die V auf, eine falsche eidesstattliche Versicherung zur Vorlage beim Strafrichter abzugeben, in der sie versichert, sie wisse, A sei unschuldig. BGH: A ist nicht strafbar, da die Tat der V nur zu einem untauglichen Versuch geführt hätte.

Unabhängig von der Frage, ob im konkreten Fall nicht in der Person der V ein Wahnverbrechen vorgelegen hätte - dazu R R E Y B.T. I, S. 168 -, so daß A aus diesem Grund straffrei bleiben mußte, läßt sich eine Differenzierung zwischen tauglichem und untauglichem Versuch sowie völligem Fehlschlag der Anstiftung aus § 159 nicht entnehmen. Es kommt allein auf die Vorstellung des Anstiftenden an, daß der Angestiftete das entsprechende Delikt begehen wird. So kriminalpolitisch begrüßenswert die Einschränkung des § 159 hier auch sein mag, mit dem Gesetz ist sie nicht in Einklang zu bringen. S o a u c h : DREHER M D R 1 9 7 1 S . 410 f; LACKNER S t G B , § 159 A n m . 3; RUDOLPHI S K , § 159 R d n . 3; SCHRÖDERJZ 1971 S. 5 6 3 ; TRÖNDLE G A 1973 S. 3 3 7 ; WEBER i n : A r z t / W e b e r , L H 5, R d n . 3 6 6 . - A . A . : KREY B.T. I, S. 168 f; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 7 3 V I B 1; WILLMS L K , § 159 R d n . 1.

a) Objektiv setzt § 159 einen Versuch des Bestimmens voraus, d. h. Handlungen, mit denen der Täter unmittelbar zur Willensbeeinflussung des Anzustiftenden ansetzt. Verabredungen zu einem Gespräch, Erkundigungen über das Wissen eines anderen oder über seine Stellung zu anderen Verfahrensbeteiligten genügen dazu noch nicht.

b) Die Anstiftung darf nicht zum Erfolg (falsche uneidliche Aussage, falsche Versicherung an Eides Statt) geführt haben.

§ 97 Aussagedelikte

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Der Grund des Mißlingens - Anstiftungsbrief erreicht den Adressaten nicht, es kommt nicht zur Vernehmung, der Anzustiftende ist schon zuvor zur falschen Aussage entschlossen, der Zeuge erkennt den Anstiftungsversuch nicht und sagt gutgläubig falsch aus - ist gleichgültig.

c) Der Vorsatz des Anstifters muß sich darauf beziehen, einen anderen zu einer falschen uneidlichen Aussage oder Versicherung an Eides Statt zu bestimmen; bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz braucht sich nicht auf alle Einzelheiten der Tat zu erstrecken, muß sie aber in ihren groben Umrissen erfassen.

d) § 159 verweist uneingeschränkt auf § 30 Abs. 1. Strafbar gemäß §§ 159, 30 Abs. 1 ist daher auch die versuchte Anstiftung zur Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage und Versicherung an Eides Statt (Kettenanstiftung). S o a u c h : MAURACH/SCHROEDER B . T . I I , § 7 3 V I B 5; RUDOLPHI S K , § 1 5 9 R d n . 8 . A . A . : SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 159 R d n . 7.

Straflos ist hingegen die versuchte Anstiftung zur Beihilfe und die Beihilfe zum Anstiftungsversuch. e) Die Rücktrittsvorschriften des § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 gelten gemäß § 159 a. E. entsprechend. 3. Verleitung zur Falschaussage, §160 Da die Aussagedelikte eigenhändige Delikte sind, kommt bei ihnen nach den allgemeinen Regeln eine mittelbare Täterschaft nicht in Betracht. Die hier befürchtete Strafbarkeitslücke soll § 160 schließen: Bestraft wird, wer bewirkt, daß ein anderer unvorsätzlich gutgläubig einen falschen Eid leistet, eine falsche Versicherung an Eides Statt abgibt oder eine falsche uneidliche Aussage macht. Während § 159 voraussetzt, daß der Aussagende bösgläubig handelt, verlangt das Verleiten in § 160 Gutgläubigkeit des Aussagenden. Er ist Werkzeug in der Hand des Hintermannes. a) Nach der Pflichttheorie ist die Aussage auch hier falsch, wenn der Erklärende aufgrund der Einflußnahme des Hintermannes eine Aussage macht oder Erklärung abgibt, die nicht seinem möglichen Erinnerungsbzw. Wissensbild entspricht, was ihm selbst allerdings nicht bewußt ist. Ist es dem Verleiteten aufgrund des Einflusses jedoch nicht mehr möglich, zu erkennen, daß seine Aussage von seinem ursprünglichen Erinnerungs- oder Wissensbild abweicht, so daß er nicht einmal fahrlässig bei der Abgabe der Aussage bzw. Erklärung handelt, kann von einer pflichtwidrigen Aussage in seiner Person keine Rede sein. Konsequent muß die Pflichttheorie hier eine falsche Aussage verneinen, will sie nicht im Rahmen des § 160 zur objektiven Theorie Zuflucht nehmen oder als falsch bereits die Aussage ansehen, die nicht mit dem Wissensoder Erinnerungsbild des Verleiteten vor der Einflußnahme durch den Hinter-

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Delikte gegen die Rechtspflege

mann übereinstimmt. - Nennenswerte Strafbarkeitslücken dürften allerdings durch die konsequente Anwendung der Pflichttheorie auch im Rahmen des § 160 nicht aufgerissen werden, denn der Fall, daß der Hintermann so sorgfältig und erfolgreich arbeitet, daß der Verleitete überhaupt nicht mehr erkennen kann, daß sein Wissens- oder Erinnerungsbild verfälscht wurde, dürfte äußerst selten sein. Dazu vgl. auch: SCHMIDHÄUSER O L G Celle-Festschrift, S. 227.

b) Das Verleiten kann durch beliebige Mittel erfolgen, nicht genügt aber auch hier die bloße Eröffnung der Möglichkeit zur Aussage durch Benennung als Zeuge o. ä., da das Verleiten - wie die mittelbare Täterschaft eine über die bloße Eröffnung der Möglichkeit, eine Aussage zu machen oder eine Erklärung abzugeben, hinausgehende Einwirkung auf das „Werkzeug" voraussetzt. c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muß sich insbesondere darauf erstrecken, daß die Aussageperson gutgläubig eine falsche Aussage macht. d) Der Irrtum des Hintermanns über die Gutgläubigkeit der Aussageperson. aa) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig für gutgläubig, so ist er objektiv Anstifter, hält sich aber für einen Verleitenden i. S. des § 160. Beispiel: A versucht dem B, der als Zeuge vor Gericht über die Anwesenheit des A an einem bestimmten Ort am 20.10. aussagen soll, einzureden, daß sie sich dort getroffen haben. In Wirklichkeit fand das Treffen am 19.10. statt. - B merkt, daß A ihm etwas Falsches einreden will, läßt sich aber nichts anmerken und sagt im Sinne des A aus. Der BUNDESGERICHTSHOF und ein Teil der Lehre wollen hier Vollendung des § 160 bejahen und geben diesem damit die Funktion eines Auffangtatbestandes für alle Fälle, in denen keine Bestrafung wegen Anstiftung möglich ist. V g l . : B G H S t 2 1 S. 116; H R U S C H K A J Z 1 9 6 7 S. 2 1 0 ; HRUSCHKA/KÄSSERJUS

1972

S . 7 1 3 ; LACKNER S t G B , § 1 6 0 A n m . 3 a ; PREISENDANZ § 1 6 0 A n m . 4 ; R U D O L P H I S K , § 1 6 0 R d n . 4 ; SCHONKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 1 6 0 R d n . 9 ; W E B E R i n :

Arzt/Weber,

L H 5, R d n . 3 6 1 ; WESSELS B . T . - l , § 17 V 3.

Für die Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 160 besteht jedoch kein Anlaß, da der Versuch der Verleitung zur Falschaussage strafbar ist, § 160 Abs. 2, und in der hier relevanten Fallkonstellation ein Versuch vorliegt. Die vom Hintermann beabsichtigte Gefährdung der Rechtspflege durch ein gutgläubiges Werkzeug, zu der der Hintermann durch Einflußnahme auf den Aussagenden unmittelbar ansetzte, ist nicht gelungen. Der Hintermann ist wegen eines Versuchs der Verleitung zur Falschaussage strafbar. S o a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 160 R d n . 3 ; GALLAS E n g i s c h - F e s t s c h r i f t , S. 6 0 0 ; K R E Y B . T . I , S . 1 6 3 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I I , § 7 3 V I D ; W E L Z E L L b . , § 7 7 V 2 e .

bb) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig für bösgläubig, so will er selbst Anstifter sein, während er objektiv den Aussagenden verleitet.

485

§ 97 Aussagedelikte

OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 S. 141: A will B da2u bestimmen, eine falsche eidesstattliche Versicherung abzugeben. B merkt dies nicht und glaubt sich an das Geschehen so zu erinnern, wie A es ihr darstellt. Sie gibt die falsche Versicherung an Eides Statt gutgläubig ab. OLG: Wenn die Beweisperson entgegen der Vorstellung des Hintermanns allenfalls fahrlässig die falsche Versicherung an Eides Statt abgibt, liegt ein Versuch der Anstiftung zur falschen Versicherung an Eides Statt nach §§ 159, 30 Abs. 1 vor. So auch: G A L L A S Engisch-Festschrift, S. 619 f; MAURACH/SCHROEDER B . T . I I , § 73 VI D.

- F ü r § § 2 6 , 1 5 4 b z w . § § 2 6 , 1 5 3 , 1 5 6 : DREHER/TRÖNDLE § 1 6 0 R d n .

3.

e) Da der Versuch des § 160 strafbar ist, reicht die Strafbarkeit des Verleitenden hier weiter als die des Täters der §§153,156, weil dort der Versuch nicht strafbar ist. - Über die kriminalpolitische Angemessenheit dieses Ergebnisses läßt sich streiten, nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es jedoch zwingend. Vgl. auch:

LACKNER

StGB, §

R d n . 1 0 . - A . A . : HIRSCH J Z

160

Anm.

3

b;

SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER §

1 9 5 5 S . 2 3 4 ; WILLMS L K , § 1 6 0 R d n .

160

7.

V. Strafmilderung und Absehen von Strafe 1. Aussagenotstand, § 15 7 Abs. 1 a) Über die allgemeinen Notstandsvorschriften, §§ 34, 35, hinausgehend eröffnet § 157 Abs. 1 die Möglichkeit einer Strafmilderung für jene Zwangslage, die dadurch entstehen kann, daß die Beweisperson einerseits durch wahre Angaben sich selbst oder einen Angehörigen - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 1 - der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt, andererseits jedoch einer zwangsweise durchsetzbaren prozessualen Aussagepflicht unterworfen ist. Daraus folgt: aa) Nur Zeugen und Sachverständigen ist die Berufung auf die Zwangslage eröffnet, nicht dagegen Parteien, da diese nicht unter Aussage- und Eideszwang stehen. Auch eine analoge Anwendung des § 157 kommt hier nicht in Betracht. bb) Die Anwendung des § 157 Abs. 1 wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Zeuge die Aussage verweigern könnte, denn die Angabe der Gründe der Auskunftsverweigerung kann ihn in die gleiche Zwangslage bringen; dazu BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 460; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 711. - Unschädlich ist es auch, daß der Zeuge sich selbst zur Aussage anbot, denn es ist ohne Belang, ob der Täter die Konfliktslage verschuldet hat oder nicht. Vgl.:

WILLMS L K , § 1 5 7

RUDOLPHI S K ,

Rdn.

5.

- Einschränkend bei verschuldeter Zwangslage:

§ 1 5 7 R d n . 1 4 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER § 1 5 7 R d n .

11.

486

Delikte gegen die Rechtspflege

cc) Anstifter und Gehilfen sowie dem Verleitenden nach § 160 kommt § 157 Abs. 1 nicht zugute, da sie nicht unmittelbar in der Zwangssituation stehen. Vgl.: B G H S t 1 S. 2 8 ; 2 S. 3 7 9 ; 7 S. 5 ; DREHER/TRÖNDLE § 157 R d n . 1. - A . A . : BEMMANN H . M a y e r - F e s t s c h r i f t , S. 4 9 1 .

b) Der Täter muß die Unwahrheit gesagt haben, um die Gefahr abzuwenden, bestraft oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung unterworfen zu werden. Maßgeblich ist die Absicht des Täters. Ob eine solche Gefahr bestand, ist daher nach den Vorstellungen des Täters festzustellen; dazu BGHSt 8 S. 317. aa) Strafe ist Bestrafung durch die ordentlichen Strafgerichte. Die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit genügt nicht. - Die freiheitsentziehenden Maßregeln ergeben sich aus §§ 63-66. bb) Auch dann, wenn der Täter die Strafe nicht abwenden, sondern nur mildern will, ist § 157 Abs. 1 anwendbar. B G H N J W 1980 S. 2264: Die A sagte im Strafverfahren gegen ihren Ehemann wegen Totschlags, §212, falsch aus, um eine Anwendung des §213 zu ermöglichen. B G H : § 157 Abs. 1 ist anwendbar.

cc) Wer unbewußt von der Wahrheit abweicht, kann damit nicht die geforderte Absicht verbinden. Beim fahrlässigen Aussagedelikt, § 163, kommt § 157 Abs. 1 daher nicht zur Anwendung. c) Die Bestrafung muß wegen einer Straftat drohen, die zeitlich vorder falschen uneidlichen Aussage oder dem. Meineid liegt. - In Betracht kommt jedes Delikt. aa) Unanwendbar ist § 157 Abs. 1 danach aber, wenn der Zeuge in gleicher Instanz eine oder mehrere falsche Aussagen in einem späteren Termin beschwört. Aussage und Meineid bilden eine Tateinheit, es fehlt an der Vortat, auch wenn andere Delikte mit den falschen Aussagen in Idealkonkurrenz begangen wurden. Es liegt nur eine Tat vor. Vgl. d a z u : B G H S t 8 S. 3 1 9 ; 9 S. 121 m i t A n m . ARMIN KAUFMANN J Z

S.

1956

605.

bb) Wird der zur Deckung einer Falschaussage geleistete Meineid erst in einer späteren Instanz geleistet, so bleibt § 157 Abs. 1 anwendbar, es sei denn, die beiden Aussagedelikte bilden eine fortgesetzte Handlung. Vgl.: BGHSt 8 S. 320 f; O L G Stuttgart N J W 1978 S. 711. - Einen grundsätzlichen Ausschluß des § 157 Abs. 1 befürworten hier: SCHÖNKE/SCHRODER/LENCKNER § 157 Rdn. 8,11. Stets anwenden will BUSCH - GA 1955 S. 264 - § 157 in diesen Fällen.

cc) § 157 bleibt anwendbar, wenn der Eid im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt, um falsche Aussagen im ersten Verfahren zu decken, auch wenn wegen dieser Aussagen schon ein rechtskräftiger Freispruch erfolgte, da die Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht kommen könnte, § 362 Nr. 4 StPO; dazu BGH bei Holtz, M D R 1983 S. 280.

§ 97 Aussagedelikte

487

2. Aussagen Eidesunmündiger, §15 7 Abs. 2 § 157 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit der Milderung oder des Absehens von Strafe für uneidliche Aussagen eines Eidesunmündigen, auch wenn keine Zwangslage i. S. des § 157 Abs. 1 bestand. 3. Berichtigung einer falschen Angabe, §§ 158, 163 Abs. 2 a) Der Anwendungsbereich des § 158 aa) Personell ist § 158 nicht nur aufZeugen und Sachverständige anwendbar, sondern auch auf Parteien und Teilnehmer. Eine analoge Anwendung kommt für den Verleitenden i. S. des § 160 in Betracht, denn maßgeblich ist die Zielsetzung des § 158, möglichst umfassend eine Abwendung der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu ermöglichen. bb) Sachlich setzt § 158 eine vollendete falsche Aussage voraus. Daran kann es z. B. bei konkludentem Widerruf vorheriger falscher Angaben und anschließender berechtigter Aussageverweigerung fehlen; BGH Strafverteidiger 1982 S. 420. Im Falle des versuchten Meineids ist § 158 neben § 24 anwendbar. Das ist bedeutsam, da § 158 keine freiwillige, sondern nur eine rechtzeitige Berichtigung verlangt. Beispiel: (nach BGHSt 4 S. 175): Beim Aussprechen der Eidesformel besinnt sich A, der eine falsche Aussage beschwören wollte, eines Besseren. Er bricht die Eidesleistung ab, gesteht, daß seine Aussage falsch war, und bekundet nunmehr die Wahrheit. 1. Alternative: Dies geschah, weil A sich nicht eines Meineids schuldig machen wollte. 2. Alternative: Dies geschah, weil A bewußt wurde, daß seine Aussage bereits als falsch erkannt worden war, so daß er den gewünschten Einfluß auf den Prozeß nicht mehr nehmen konnte. Ergebnis in der 1. Alternative: Straffreiheit bzgl. des versuchten Meineids, § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt.; Anwendung des § 158 bzgl. der falschen Aussage. Ergebnis in der 2. Alternative: § 24 Abs. 1S. 1,1. Alt. nicht anwendbar, da A nicht freiwillig handelte, Anwendung des § 158 aber auf falsche Aussage und versuchten Meineid.

b) Berichtigung ist die Ersetzung der falschen Angabe in allen wesentlichen Punkten durch Mitteilung der Wahrheit. - Jedoch ist zu beachten : aa) Für die Berichtigung genügt es, daß der Aussagende mit der Erklärung, so etwas nie gesagt zu haben oder es nicht so gesagt zu haben, von seiner früheren falschen Darstellung eindeutig abweicht und sie durch eine wahrheitsgemäße Aussage ersetzt; OLGHamburgJR 1981S. 383 mit A n m . RUDOLPHI S . 3 8 4 f f .

488

Delikte gegen die Rechtspflege

bb) Ist nicht aufklärbar, ob die zweite oder die erste Aussage richtig war, so soll § 158 nach h. M. in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo" Anwendung finden. Vgl.: BayObLG N J W 1 9 7 6 S. 8 6 0 mit Anm. KÜPER N J W 1 9 7 6 S. 1828 und STREE ff; DERS. In dubio pro reo, 1962, S. 29 ff. - A. A.: UIBEL N J W I 9 6 0

J R 1976 S.470 S. 1893.

c) Gemäß §158 Abs. 3 kann die Berichtigung bei der Behörde erfolgen, bei der die Falschaussage erstattet wurde oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem beliebigen Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde. d) Die Berichtigung muß rechtzeitig erfolgen. - Verspätet ist die Berichtigung gemäß § 158 Abs. 2: aa) Wenn sie bei der Entscheidung - das sind nur Sachentscheidungen, die den Fall ganz oder teilweise erledigen - nicht mehr berücksichtigt werden kann; bb) wenn aus der Tat schon ein - über die bloße Verschlechterung der Prozeßlage hinausgehender - Nachteil für einen anderen entstanden ist; cc) wenn bereits gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist. Maßgeblich für den Zeitpunkt ist der Eingang der Berichtigung bei einer der zuständigen Behörden, nicht der der Kenntnisnahme durch den zuständigen Beamten. e) Die Rechtsfolgen gemäß § 158 Abs. 1 und § 163 Abs. 2 sind unterschiedlich: Bei den Falschaussagen i. S. der §§ 153,154,156 kann der Richter die Strafe gemäß § 49 Abs. 2 mildern oder ganz von Strafe absehen. Bei den fahrlässigen Falschaussagen ist die Straflosigkeit obligatorisch.

§ 98: Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 336 1. Das geschützte Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege in ihrer speziellen Aufgabe, richtiges Recht zu sprechen. Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 2. Rechtssache und Partei

Rechtssache ist eine Rechtsangelegenheit, bei der mehrere Beteiligte mit widerstreitenden rechtlichen Belangen einander gegenüberstehen können, wenn über sie nicht durch Verwaltungsmaßnahmen zu befinden ist, sondern in einem rechtlich geregelten Verfahren eine richterliche oder

§ 98 Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren

489

eine dieser gleichkommende Entscheidung zu treffen ist; BGHSt 24 S. 327. - Partei ist jeder Beteiligte an der Rechtssache. 3. Die Tathandlung Das Recht beugt, wer Gesetz und Recht dadurch verletzt, daß er die ihn treffenden Pflichten als Richter (nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 auch Schöffen!), Amtsträger oder Schiedsrichter bei der Ermittlung des Sachverhalts oder der Anwendung des Rechts verletzt. So auch: GEPPERT Jura 1981 S. 80; RUDOLPHI ZStW 82 (1970) S. 628 ff; SCHMIDHÄUSER B. T., 23/44; WAGNER Am tsverbrechen, S. 199 ff (Pflichttheorie). Auf die objektive Rechtsverletzung stellen ab: BEMMANN GA 1969 S. 65 ff; MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 7 4 II 3 ; SEEBODEJUS 1 9 6 9 S. 2 0 4 ; SPENDEL L K , § 3 3 6

Rdn. 41 (objektive Theorie). Das Handeln des Täters gegen seine Rechtsüberzeugung halten für maßgeblich: SARSTEDT Heinitz-Festschrift, S. 427 ff; VON WEBER N J W 1950 S. 272 (subjektive Theorie).

Die Tathandlung muß zu einem schädlichen Erfolg, der Verbesserung oder der Verschlechterung der Lage einer Partei geführt haben. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auf die Verletzung der Rechtspflichten und deren begünstigende oder benachteiligende Wirkung für eine Partei beziehen muß. A . A . : H . G . KRAUSE N J W 1 9 7 7 S. 2 8 5 f ; I. MÜLLER N J W 1 9 8 0 S. 2 3 9 0 ff.

5. Schutzfunktion zugunsten des Entscheidenden § 336 hat für den Entscheidenden in einer Rechtssache eine nicht unerhebliche Schutzfunktion: Wer wegen seiner Tätigkeit bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zur Verantwortung gezogen wird, kann auch nach anderen Vorschriften als § 336 (insbes. nach §§ 211, 212,239) nur dann verurteilt werden, wenn ihm eine Rechtsbeugung i. S. des § 336 nachgewiesen wird; BGHSt 10 S. 294. Kritisch dazu: BEGEMANN NJW 1968 S. 1361 ff. - A. A.: SCHÖNKE/SCHRÖDER/ CRAMER § 3 3 6 R d n . 7.

II. Aussageerpressung, § 343 Geschützt ist die Rechtspflege. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs.2.

490

Delikte gegen die Rechtspflege

D a z u : MAIWALD J U S 1 9 7 7 S . 3 5 8 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 3 4 3 R d n . 1.

A. A.: D R E H E R / T R Ö N D L E § 3 4 3 Rdn. Anm. 1: echtes Amtsdelikt.

1;

GEPPERrJura

1 9 8 1 S . 8 1 ; LACKNER

StGB, §

-

343

1. Der objektive Tatbestand Vorausgesetzt wird, daß ein Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), der zur Mitwirkung an bestimmten Verfahren berufen ist, einen anderen körperlich mißhandelt - dazu oben § 15 11 a -, gegen ihn sonst Gewalt - dazu oben § 2712 e - anwendet, ihm Gewalt androht - dazu oben § 2 7 1 3 a - o d e r ihn seelisch quält - dazu oben § 20 II 2. Die Verfahren - Strafverfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung (Abs. 1 Nr. l), Bußgeldverfahren (Abs. 1 Nr. 2), Disziplinarverfahren, ehrengerichdiches oder berufsgerichtliche Verfahren (Abs. 1 Nr. 3) - sind abschließend aufgezählt. Z u m Strafverfahren gehören auch dasjugendgerich tsverfahren, das polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermitdungsverfahren sowie das Verfahren zur Anordnung einer Maßnahme gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 8. Der Anordnung einer behördlichen Verwahrung dienen z. B. die Verfahren zur Anordnung der Fürsorgeerziehung und zur Unterbringung Geistes- und Suchtkranker. Z u m Bußgeldverfahren vgl. §§ 35 ff O W i G , zu den Disziplinarverfahren z. B. die B D O ; zu den ehren- und berufsgerichtlichen Verfahren z. B. §§ 116 f BRAO, §§ 46 ff SteuerberatG.

2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands und die Absicht (zielgerichtetes Wollen), das Opfer zu einer verfahrensrelevanten Aussage oder Erklärung oder zu deren Unterlassung zu nötigen. III. Verfolgung Unschuldiger, § 344 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. Bestraft wird die Verfolgung Unschuldiger in bestimmten Verfahren. 1. Der objektive Tatbestand a) § 344 Abs. 1S. 1 setzt voraus, daß ein Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren - abgesehen von dem Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßregel (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) - berufen ist, einen Unschuldigen, d. h. jemanden, der wegen der dem Verfahren

§ 98 Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren

491

zugrunde liegenden Tat nicht strafbar ist, oder jemanden, der nach dem Gesetz nicht verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt. - Straßare Verfolgung ist jedes dienstliche Tätigwerden im Rahmen eines Strafverfahrens. Das Hinwirken auf eine solche Verfolgung erfaßt die Tätigkeit von Hilfsorganen, die nicht selbst die Verantwortung für die Verfolgung tragen. Da es darauf ankommt, daß der Betroffene nicht verfolgt werden darf, entfällt der Tatbestand, wenn nach den einschlägigen Prozeßgesetzen eine Untersuchung trotz Kenntnis der Unschuld einer Person zu führen oder weiterzuführen ist, z. B. nach Eröffnung des Hauptverfahrens. So a u c h : MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 7 4 I V 3.

b) In Abs. 1 S. 2 wird die entsprechende Tätigkeit eines Amtsträgers, der zur Mitwirkung an einem Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung berufen ist, erfaßt. c) Abs. 2 S. 1 erfaßt die entsprechende Tätigkeit des Amtsträgers im Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßnahme, § 11 Abs. 1 Nr. 8. d) Gemäß Abs. 2 S. 2 tritt an die Stelle der Verfolgung wegen einer Straftat oder rechtswidrigen Tat die wegen einer Ordnungswidrigkeit, eines disziplinarischen Vergehens oder solcher Vergehen, die im ehrengerichtlichen oder berufsgerichtlichen Verfahren geahndet werden. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Absicht oder Wissentlichkeit; bedingter Vorsatz genügt nicht. 3. Konkurrenzen Gegenüber § 336 ist § 344 lex specialis. Im militärischen Disziplinarverfahren geht § 39 WStG als Spezialvorschrift vor. S o a u c h : H O R N S K , § 3 4 4 R d n . 15. - A . A . : DREHER/TRÖNDLE § 3 4 4 R d n . 7 ;

GEPPERTjura 1981 S. 83: Tateinheit.

IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. Bestraft wird die Vollstreckung von Strafen oder Maßregeln, die nach dem Gesetz nicht oder nicht so vollstreckt werden dürfen. 1. § 345 Abs. I, 2 a) Abs. 1, 2 erfassen die mit Freiheitsentzug verbundene rechtswidrige Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Maßregel

492

Delikte gegen die Rechtspflege

der Besserung und Sicherung (§ 61 Nr. 1-4) oder einer freiheitsentziehenden behördlichen Verwahrung. - Vollstreckung ist jede dienstliche Tätigkeit und jedes pflichtwidrige Unterlassen, das den Erfolg der vollständigen oder teilweisen Vollziehung einer Rechtsfolge herbeiführt. b) Die Tat muß zumindest bedingt vorsätzlich (Abs. l) oder leichtfertig (Abs. 2) begangen werden. - Leichtfertig bedeutet grob fahrlässig; OLG Hamm NStZ 1983 S. 459 mit Anm. Müller-Dietz S. 460. 345 Abs. 3 a) Abs. 3 erfaßt in Satz 1 die rechtswidrige Vollstreckung von nicht freiheitsentziehenden Strafen (z. B. Geldstrafe) und Maßnahmen (§ 61 Nr. 5-7) sowie in Satz 2 die Vollstreckung weiterer, erschöpfend aufgezählter Maßregeln 0ugendarrest, Geldbuße oder Nebenfolge nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht, Ordnungsgeld, Ordnungshaft, disziplinarische, ehrengerichdiche und berufsgerichtliche Maßnahmen). b) Die Tat gemäß Abs. 3 erfordert zumindest bedingten Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar. 2. §

3. Konkurrenzen Tateinheit ist möglich mit § 336. - Gegenüber § 239 ist § 345 lex specialis.

V Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d Die Vorschrift schränkt das Recht, aus Gerichtsverhandlungen oder Gerichtsakten Mitteilungen zu machen, für bestimmte Fälle ein, in denen dies zum Schutz der Rechtspflege nötig erscheint. 1. Der objektive Tatbestand der einzelnen Alternativen a) Nr. 1: Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot der öffentlichen Mitteilung über den sachlichen Inhalt einer Gerichtsverhandlung, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder über den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Schriftstücks. Ein gesetzliches Verbot der Mitteilung findet sich z. B. in § 174 Abs. 2 GVG. - Die Öffendichkeit muß durch gerichtliche Anordnung ausgeschlossen worden sein, vgl. z. B. § 172 GVG. b) Nr. 2: Verstoß gegen die Schweigepflicht; dazu § 174 Abs. 3 GVG. Unbefugt heißt hier rechtswidrig und ist allgemeines Verbrechensmerk mal. Als Befugnis, d. h. Rechtfertigungsgrund, kommt insbes. eine gesetzliche Aussagepflicht in Betracht.

§ 98 Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren

493

c) Nr. 3: Verstoß gegen das Verbot, Anklageschrift und bestimmte andere amtliche Schriftstücke im Wortlaut öffentlich mitzuteilen, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. Im Wortlaut öffentlich mitteilen setzt wortgetreue öffentliche Wiedergabe voraus, und zwar wesentlicher Teile des Schriftstücks. Im einzelnen dazu: OLG Köln J R 1980 S. 473 mit Anm. BOTTKE S. 474 ff; SCHOMBURG Z R P 1 9 8 2 S. 142 ff; TÖBBENS G A 1 9 8 3 S. 9 7 ff.

2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz. VI. Parteiverrat, § 356 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Die Vorschrift schützt die Rechtspflege, d. h. das Vertrauen in die Integrität der Rechtspflege. Der Schutz der persönlichen Treueverpflichtung gegenüber dem Auftraggeber ist nur Reflex dieses Schutzes. b) Täter kann jeder Rechtsbeistand im weiteren Sinne sein, der zur geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten amtlich zugelassen ist. - Es ist nicht erforderlich, daß der Täter den Beruf eines Rechtsbeistandes auf Dauer ausübt. Beispiele: Rechtsanwälte, jedoch nicht als Konkursverwalter (BGHSt 13 S. 23l), Vormund (BGHSt24 S. 191) oder Syndikus, wenn dieser weisungspflichtig tätig wird (dazu § 46 BRAO). - Patentanwälte; Hochschullehrer nach § 138 StPO; Referendare nach §§ 138 Abs. 2 und 142 Abs. 2 StPO; Prozeßagenten nach § 157 ZPO. - Letztere werden als täteruntauglich von denjenigen angesehen, die eine berufsmäßige Ausübung der Tätigkeit fordern; im einzelnen dazu: HÜBNER LK, § 356 Rdn. 28 ff.

Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 1. 2. Der Grundtatbestand, Abs. 1 a) Abs. 1 erfaßt das Verhalten des Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes, der bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien dient. Anvertrauen ist bereits die Übertragung der Interessenwahrnehmung. Parteien sind die an einer Rechtssache rechtlich beteiligten Personen. Dienen ist jede berufliche Tätigkeit in der Eigenschaft als Anwalt oder Rechtsbeistand, rechtlicher oder tatsächlicher Art, durch die das Interesse einer Partei gefördert werden soll; BGHSt 20 S. 41. - Der Täter muß beiden

494

Delikte gegen die Rechtspflege

Parteien dienen; die Verfolgung eigener Interessen gegen den früheren Auftraggeber ist daher nicht tatbestandsmäßig. - Ob dieselbe Rechtssache vorliegt, ist nach dem Interessenkreis zu beurteilen, den der Auftraggeber dem Täter anvertraut hat. Dabei kommt es nicht auf die Identität der einzelnen Ansprüche oder des Verfahrens an, sondern darauf, ob die sich aus dem Gesamtsachverhalt ergebenden Interessen möglicherweise identisch sind. Beispiele: Zwei aufeinanderfolgende Scheidungsprozesse, bei denen jeweils die andere Partei vertreten wird (BGHSt 17 S. 305; 18 S. 192); Strafverfahren und damit zusammenhängende Schadensersatzklage (BGH GA 1961S. 203); Verteidigung des Ehemannes im Verfahren wegen eines Sexualdelikts und Vertretung der Ehefrau im Scheidungsverfahren (OLG Düsseldorf N J W 1959 S. 1050). - Nicht hingegen: Strafverfahren in bezug auf die Mitangeklagten (so auch: BGH NStZ 1 9 8 2 S. 4 6 5 f. - A . A . z. B . : HÜBNER L K , § 3 5 6 R d n . 5 8 f f ) .

Pflichtwidrig dient der Anwalt, wenn er der anwaltlichen Berufspflicht (§ 45 Nr. 2 BRAO) zuwiderhandelt, d. h. wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache bereits in entgegengesetztem Interesse beraten oder vertreten hat. - Eine Einwilligung des Auftraggebers ist irrelevant, da nicht seine Interessen, sondern die der Rechtspflege geschützt werden. b) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz. Der Täter muß sich inbes. „der Identität des materiellen Rechtsverhältnisses" (BGHSt 15 S. 338) und des Interessengegensatzes bewußt sein. 3. Die Qualifikation, Abs. 2 Abs. 2 qualifiziert den Abs. 1, wenn der Täter im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei handelt. Der Nachteil (Schaden) aufgrund der Tätigkeit des Täters braucht nicht eingetreten zu sein. Es genügt, daß der Täter die Verschlechterung der Rechtslage der anderen Partei in Kauf nimmt.

Fünfter Abschnitt Delikte gegen den öffentlichen Dienst § 99: Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die öffentliche Verwaltung, und zwar das Vertrauen in die Unkäuflichkeit von Trägern staatlicher Funktionen und in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen als Voraussetzung für ein sachgerechtes Funktionieren der Verwaltung. Im einzelnen dazu: GEERDS Uber den Unrechtsgehalt der Bestechungsdelikte und seine Konsequenzen für die Rechtsprechung und Gesetzgebung, 1961, S. 44 ff; JESCHECK LK, Vor § 331 Rdn. 17; Loos Welzel-Festschrift, S. 879 ff.

2. Die Systematik des Gesetzes Das Gesetz unterscheidet zwischen passiver und aktiver Bestechung. a) Grundtatbestand der passiven Bestechung ist § 331 Abs. 1 (Vorteilsannahme). Qualifiziert ist der Tatbestand in § 331 Abs. 2 für Richter und Schiedsrichter hinsichdich ihrer richterlichen Tätigkeit. Eine weitere Qualifizierung des § 331 Abs. 1, 2 findet sich sodann in § 332 Abs. 1, 2 (Bestechlichkeit). Das qualifizierende Element besteht in der pflichtwidrigen Diensthandlung. Der Zusammenhang zwischen pflichtwidriger Diensthandlung und Käuflichkeit begründet eine stärkere Erschütterung des Vertrauens in die Sachlichkeit der Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern als der Zusammenhang zwischen pflichtgemäßer Handlung und Käuflichkeit. b) Grunddelikt der aktiven Bestechung ist § 333 (Vorteilsgewährung). Einen qualifizierten Tatbestand enthält § 334 (Bestechung). c) § 335: Unterlassen der Diensthandlung, stellt klar, daß der Vornahme einer Diensthandlung oder einer richterlichen Handlung i. S. der §§331334 auch das (vergangene oder künftige) Unterlassen der Handlung gleichsteht. d) § 335 a: Schiedsrichtervergütung, stellt klar, daß der sich gegen beide Parteien richtende Vergütungsanspruch des Schiedsrichters nicht als Vorteil i. S. der §§ 331-334 anzusehen ist. 3. Tatbeteiligte a) Täter des Delikts nach 8 331 Abs. 1 und § 332 Abs. 1 können nur Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) sowie Offiziere und Unteroffiziere (§ 48

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Delikte gegen den öffentlichen Dienst

Abs. 1 W S t G ) oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§ 11 Abs. 1 Nr. 4) sein. Täter des Delikts nach § 331 Abs. 2 und 332 Abs. 2 kann nur ein Richter (§ 11 Abs. 1 Nr. 3) oder ein Schiedsrichter (dazu z. B. §§ 1025, 1048 Z P O ) sein. Diese Personen haften wegen ihrer Tatbeteiligung allein gemäß §§ 331332 und nicht als Teilnehmer an der Tat des Vorteilsgebers (§§ 333, 334), auch wenn sie diesen zur Tat angestiftet oder über das notwendige Maß hinaus Beihilfe geleistet haben. Die §§ 331, 332 enthalten für den dort genannten Täterkreis eine Exklusivregelung. b) Umgekehrt ist das Verhalten des Vorteilsgebers abschließend in §§ 333, 334 erfaßt. Er kann wegen seines Verhaltens nicht als Teilnehmer einer Tat nach §§ 331,332 bestraft werden, selbst dann nicht, wenn er nach §§ 333, 334 straflos bleibt, weil sich §§ 331,332 einerseits und §§ 333,334 andererseits nicht in vollem Umfang entsprechen: Die nachträgliche Belohnung einer an sich nicht pflichtwidrigen Diensthandlung oder richterlichen Handlung ist nämlich nicht in §§ 333, 334 erfaßt, wohl aber ist die Annahme der Belohnung gemäß § 331 strafbar. c) Die Teilnahme Dritter ist in den §§ 331 ff nicht ausdrücklich geregelt. Damit erscheinen die allgemeinen Regeln anwendbar mit der Konsequenz, daß der Teilnehmer auf Seiten des Vorteilsnehmers nach §§ 2 6 , 2 7 i. V. m. §§ 331, 332 haftet, der Teilnehmer auf Seiten des Vorteilsgebers nach §§ 26, 27 i. V. m. §§ 333, 334. Diese Differenzierung geht jedoch an der Tatsache vorbei, daß die Tat des Vorteilsgebers im Regelfall einen schwereren Unrechtsgehalt verwirklicht als die eines Außenstehenden, gleichgültig, ob er auf den Vorteilsnehmer oder -gebet einwirkt, bzw. einen oder beide unterstützt. Daher erscheint es angemessen, allein den Vorteilsnehmer gemäß §§ 331,332 zu erfassen, das Verhalten des Vorteilsgebers und an der Tat teilnehmender Dritter allein nach §§ 333, 334, bzw. unter Anwendung des Strafrahmens der §§ 333, 334 zu bestrafen. - Findet jedoch ein in § 331 erfaßtes Verhalten keine Entsprechung in § 333, so sind derartige Verhaltensweisen nicht nur für den Vorteilsgeber - dazu oben unter b) - , sondern auch für Dritte straffrei. Wer daher als Außenstehender den Amtsträger oder Richter veranlaßt, einen Vorteil nachträglich für eine schon vorgenommene pflichtgemäße Diensthandlung oder richterliche Handlung anzunehmen, haftet nicht als Teilnehmer zu § 331, sondern bleibt straffrei, weil § 333 insoweit nicht eingreift. So a u c h : BELL M D R 1 9 7 9 S. 719; KREYB. T. I, S. 197; MAURACH/SCHROEDER B . T. II, § 7 6 II 9 ; SCHMIDHÄUSER B . T., 2 4 / 1 0 ; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 3 3 4 R d n . 12 f;

WAGNER Amtsverbrechen, S. 339 f. - A. A.: RGSt 42 S. 383; DREHER/TRÖNDLE § 331 Rdn. 24; LACKNER StGB, § 331 Anm. 7.

§ 99 Bestechungsdelikte

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II. Vorteilsannahme, § 331 1. Der Tatbestand des Abs. 1 Tathandlungen nach Abs. 1 sind Fordern, Sichversprechenlassen oder Annehmen eines Vorteils als Gegenleistung für eine geschehene oder künftige Diensthandlung, die als solche nicht nachweisbar dienstpflichtwidrig ist. Das Verhalten muß daher auf eine „Unrechtsvereinbarung" d. h. eine Vereinbarung über die Käuflichkeit der Diensthandlung gerichtet sein. Diese braucht in der Alternative des Forderns, nicht zum Abschluß gekommen zu sein, während in den Alternativen des Sichversprechenlassens oder des Annehmens die Unrechtsvereinbarung zustande gekommen sein muß. Keine Annahme daher, wenn der Vorteil ordnungsgemäß weitergeleitet oder nur zu Beweiszwecken genommen wird, da es dann an der übereinstimmenden Unrechtsvereinbarung fehlt.

a) Vorteilet, eine Zuwendung, die - von der Diensthandlung abgesehen - unentgeltlich erfolgt und die wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage des Empfängers objektiv verbessert. Vorteile sind daher nicht nur Vermögensvorteile, sondern auch Zuwendungen immaterieller Art. Bei immateriellen Vorteilen wird man jedoch eine Erheblichkeit derart fordern müssen, daß es sich um eine persönliche Besserstellung handelt, die der Besserstellung durch einen erheblichen materiellen Vorteil vergleichbar ist. Daher ist die Gewährung des Geschlechtsverkehrs (RGSt 64 S. 29l) als Vorteil anzuerkennen, nicht aber flüchtige Zärtlichkeiten (BGH MDR i960 S. 63), die Befriedigung von Ehrgeiz, Eitelkeit oder Geltungsbedürfnis (a. A.: BGHSt 14 S. 128). - Prinzipiell gegen die Anerkennung immaterieller Vorteile GEERDSJR 1982 S. 385.

Sozialadäquate Zuwendungen, d. h. kleine Aufmerksamkeiten, deren Angebot den Regeln der Höflichkeit oder der Verkehrssitte entspricht Angebote einer Zigarette, einer Tasse Kaffee, eines Kalenders oder ähnlichen Werbegeschenkes, Neujahrsgeschenke an Briefträger, die Angestellten der Müllabfuhr u. ä. - sind keine Vorteile i. S. des Gesetzes. Dazu auch: GEERDS Bestechungsdelikte, S. 76 ff; CREIFELDS GA 1962 S. 33; FUHRMANN G A 1 9 5 9 S. 97.

Der Vorteil muß die Amtsperson selbst besser stellen. Zuwendungen an Dritte fallen nur unter den Tatbestand, wenn sie die Amtsperson mittelbar besser stellen. Das ist bei Angehörigen der Fall, wenn aus der Sicht des Empfängers die Zuwendung als Besserstellung des Amtsträgers angesehen wird und bei Zuwendungen an Dritte, insbes. an Organisationen, wenn die Position des Amtsträgers in der Organisation verbessert wird. b) Fordern ist das einseitige Verlangen des Vorteils. Sichversprechenlassen ist die Annahme eines auch nur bedingten Angebotes der späteren Zuwendung. - Annehmen ist das tatsächliche Empfangen des angebotenen Vorteils.

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Delikte gegen den öffentlichen D i e n s t

c) Diensthandlungen - als Gegensatz zu bloß privaten Handlungen - sind die Handlungen (Unterlassungen gemäß § 335), durch die der Amtsträger die ihm übertragenen Aufgaben wahrnimmt. Keine Diensthandlungen sind erkennbare Privathandlungen, auch wenn diese bei Gelegenheit des Dienstes oder mit Kenntnissen aus dem Dienst wahrgenommen werden, wie z. B. Privat-Unterricht eines Lehrers ( B G H G A 1 9 6 6 S. 377), Detektivtätigkeit eines Polizeibeamten in seiner Freizeit (OLG ZweibrückenJR 1982 S. 381 m i t A n m . GEERDS S . 3 8 4 f f ) .

Zwischen der Diensthandlung und dem Vorteil muß eine Beziehung bestehen. Der Vorteil muß als Gegenleistung gedacht sein. Dieser muß daher für die bestimmte geschehene oder künftige Dienstleistung gefordert werden oder der Gegenstand der Unrechtsvereinbarung (Sichversprechenlassen, Annehmen) sein; dazu BGH NStZ 1984 S. 24. Ob die Diensthandlung wirklich vorgenommen worden ist oder vorgenommen wird, ist unbeachdich. - Auch wenn der Täter nur vortäuscht, daß er die Diensthandlung vorgenommen habe oder vornehmen werde, hat er eine Unrechtsvereinbarung erstrebt und damit das Vertrauen in seine Amtsführung erschüttert. Dies ist unstreitig für künftige Diensthandlungen, gilt aber auch für in der Vergangenheit liegende Diensthandlungen, da die Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts insoweit identisch ist. So auch : G E E R D S J R 1981S. 301;JESCHECK L K , § 331 Rdn. 14; LACKNER StGB, § 331 A n m . 3 e. - A. A. : BGHSt 29 S. 300; D Ö L L I N G J U S 1981S. 572 ff; G Ü L Z O W M D R 1 9 8 2 S. 8 0 2 ; MAIWALD N J W 1981 S. 2 7 7 7 .

d) Der Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz. 2. Der Tatbestand des Abs. 2 Die Tathandlungen gemäß Abs. 2 unterscheiden sich von denen des Abs. 1 nur dadurch, daß sie sich auf eine richterliche Handlung beziehen, d. h. auf Handlungen, die nach den geltenden Rechtsvorschriften in den Zuständigkeitsbereich eines Richters oder Schiedsrichters fallen. 3. Die behördliche Genehmigung, Abs. 3 a) Nach Abs. 3 ist ein „Sichversprechenlassen" und „Annehmen" i. S. des Abs. 1 nicht strafbar, wenn die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse die Annahme des Vorteils entweder vorher oder nach unverzüglicher Anzeige durch den Amtsträger genehmigt hat. - Eine Genehmigung der Annahme vom Täter geforderter Vorteile kommt nicht in Betracht. Maßgeblich ist nicht die formelle Genehmigung, sondern die tatsächliche Genehmigungsfähigkeit der Vorteilsannahme. Dann aber ist es angemessen, die Genehmigung als Rechtfertigungsgrund zu interpretie-

§ 99 Bestechungsdelikte

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ren und die Rechtfertigung auch dann durchgreifen zu lassen, wenn die Genehmigung pflichtwidrig verweigert wird. So im Ergebnis auch: MAIWALDJuS 1977 S. 357. - Die h. M. fordert demgegenüber die Genehmigungsfähigkeit und die Absicht des Täters, unverzüglich A n z e i g e zu e r s t a t t e n ; v g l . : ESER III, N r . 18 A 50; GEPPERTJURA 1981 S. 50;JESCHECK L K , § 331 R d n . 16; K R E Y B . T . I , S. 196; LACKNER S t G B , § 331 A n m . 6 c . - L e d i g l i c h a u f

einen Verbotsirrtum stellen ab: DREHER/TRÖNDLE § 331 Rdn. 22.

b) Wird die Genehmigung erteilt, obwohl die Vorteilsannahme nicht genehmigungsfähig war, so wird man einen Strafausschließungsgrund annehmen müssen, da das Gesetz auf die Genehmigung und nicht auf die Genehmigungsfähigkeit abstellt. S o a u c h : LACKNER S t G B , § 331 A n m . 6 c; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER § 331

Rdn. 52.

III. Bestechlichkeit, § 332 1. Der Tatbestand a) § 332 qualifiziert § 331 für den Fall, daß die Unrechtsvereinbarung auf eine pflichtwidrige Dienst- oder richterliche Handlung abzielt. b) Eine Verletzung der Dienstpflicht liegt vor, wenn die Diensthandlung selbst - nicht nur die Vorteilsnahme - gegen ein auf Gesetz, Dienstvorschrift oder Einzelanordnung beruhendes Verbot oder Gebot verstößt. Sie ist auch dann gegeben, wenn der Täter eine dienstlich verbotene Handlung vornimmt, die ihm gerade durch seine Dienststellung ermöglicht wird. D a z u : B G H N J W 1983 S. 4 6 2 ; a. A . : EBERT G A 1979 S. 361.

c) Eine Klarstellung über den Umfang des Tatbestandes enthält Abs. 3. Danach finden Abs. 1,2 auch Anwendung, wenn der Vorteilsnehmer sich in bezug auf eine künftige Diensthandlung dem Vorteilsgeber gegenüber bereit zeigt, seine Pflichten zu verletzen oder, im Falle von Ermessenshandlungen, dem Vorteil Einfluß auf die Entscheidungen einzuräumen. - Der geheime Vorbehalt des Täters, den Vorteil nicht zu beachten oder die pflichtwidrige Handlung nicht zu begehen, entlastet ihn nicht. Diese Entscheidung des Gesetzgebers, mit der eine langjährige Rechtsprechung positiviert wurde, ist konsequent: Auch in den unmittelbar in Abs. 1 und 2 genannten Fällen kommt es auf die Unrechtsvereinbarung an, nicht darauf, ob die Handlung dann später in der vorgesehenen Weise vorgenommen wird. In den Fällen des Abs. 3 ist der Gehalt der Unrechtsvereinbarung, selbst wenn diese erst bis zur Bereiterklärung gediehen ist, von gleich negativer Wirkung für das geschützte Rechtsgut. - Die Vereinbarung m u ß aber objektiv auf ein pflichtwidriges Verhalten oder die Berücksichtigung des Vorteils bei einer Ermessensentscheidung gerichtet

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Delikte gegen den öffentlichen Dienst

sein. Gibt der Vorteilsnehmer eine rechtmäßige Entscheidung lediglich als pflichtwidrig aus, oder täuscht er die Ermessenshandlung nur vor, so liegt nur § 331 (u. U. in Idealkonkurrenz mit § 263) vor, weil die Unrechtsvereinbarung objektiv nicht über pflichtwidriges Verhalten, sondern nur über ein scheinbar pflichtwidriges Verhalten zustande gekommen ist.

Zur Verdeutlichung: B G H N S t Z 1984 S. 24: A, dem die Überprüfung oblag, ob ausreisende Lkw-Fahrer einer Verkehrsgenehmigung bedurften, erweckte bei den Fahrern den Eindruck, er erteile die Verkehrsgenehmigung, obwohl die Voraussetzungen nicht vorlägen, wenn er ein Entgelt erhalte. In Wirklichkeit lagen die Voraussetzungen vor. B G H : Dem A kann der Anschein der Käuflichkeit für pflichtwidriges Handeln nur dann strafrechtlich zugerechnet werden, wenn die Diensthandlung objektiv pflichtwidrig und ihm die Pflichtwidrigkeit bewußt ist. Dies ist hier nicht der Fall.

d) Subjektiv erfordert der Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz.

2. Die Tatvollendung Die Tat ist mit dem Zustandekommen der Unrechtsvereinbarung in den Alternativen des Sichversprechenlassens und Annehmens vollendet, beim Fordern mit Geltendmachung der Forderung;.

3. Behördliche Genehmigung Eine Rechtfertigung durch behördliche Genehmigung kommt nicht in Betracht, weil die Tat auf eine Pflichtverletzung gerichtet ist. IV. Vorteilsgewährung, § 333

1. Der Tatbestand des § 333 Abs. 1 § 333 bildet auf seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu § 331, jedoch mit zwei Modifizierungen: a) Die Tat kann nicht nur gegenüber den in § 331 genannten Amtspersonen, sondern auch gegenüber Soldaten (§ 1 Abs. 1 SoldatenG) begangen werden. - Da der einfache Soldat in § 331 nicht mit Strafe bedroht ist, vgl. § 48 Abs. 1 WStG, bleibt dieser als Nehmer des Vorteils straflos, während der Geber nach § 333 bestraft wird. - Eine wenig überzeugende Regelung. b) Im Gegensatz zu § 331 Abs. 1 bezieht § 333 Abs. 1 sich nur auf eine künftige Ermessenshandlung des Amtsträgers usw. Versucht jedoch der Vorteilsgeber, den Amtsträger usw. durch die Vorteilsgewährung zu bestimmen, sich bei Ausübung des Ermessens durch den Vorteil beeinflussen zu lassen, oder rechnet er mit der Möglichkeit, daß der Vorteilsnehmer sich beeinflussen lassen wird, so liegt bereits ein

§ 100 Verleitung eines Untergebenen zu einer Strafttat, § 357

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qualifizierter Fall des § 333 nach § 334 vor. - Da dies regelmäßig der Fall sein wird, ist für § 333 Abs. 1,2 kaum ein eigenständiger Anwendungsbereich vorhanden. Seine Funktion ist daher die eines Auffangtatbestandes für die Fälle, in denen die Anwendung des § 334 auf Beweisschwierigkeiten stößt. Dazu: BT-Drucks. 7/1261, S. 21; DORNSEIFERJZ 1973 S. 269.

c) Als Tathandlung entspricht dem Fordern das Anbieten, dem Versprechenlassen das Versprechen und dem Annehmen das Gewähren. d) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auch darauf erstrecken muß, daß der Gegenstand der Unrechtsvereinbarung eine Ermessenshandlung ist. 2. Der Tatbestand des Abs. 2 a) Gegenstand der Tathandlung nach Abs. 2 kann nur eine künftige richterliche oder schiedsrichdiche Handlung sein, jedoch ist es gleichgültig, ob diese eine gebundene Handlung oder eine Ermessenshandlung ist. b) Subjektiv ist auch hier zumindest bedingter Vorsatz erforderlich. 3. Die behördliche Genehmigung nach Abs. 3 ist das Gegenstück zu § 331 Abs. 3; vgl. oben unter II 4.

V. Bestechung, § 334 1. Der Tatbestand der Abs. 1, 2 § 334 Abs. 1,2 bilden auf seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu § 332 Abs. 1, 2 2. Die Regelung des Abs. 3 Abs. 3 stellt klar, daß mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils als Gegenleistung für eine künftige Diensthandlung oder richterliche Handlung nur der Versuch verbunden sein muß, den anderen zu bestimmen, bei einer gebundenen Diensthandlung seine Pflichten zu verletzen (Nr. l) oder bei einer Ermessenshandlung dem Vorteil Einfluß auf die Entscheidung einzuräumen (Nr. 2). Ob der Versuch erfolgreich ist oder erfolglos bleibt, ist irrelevant. Auch im Falle des Abs. 3 Nr. 2 genügt bedingter Vorsatz, einer besonderen Beeinflussungsabsicht bedarf es nicht

§ 100: Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357 1. Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift Unstreitig liegt die rechtliche Bedeutung der Vorschrift zunächst einmal darin, daß der Täter, der nicht schon nach den allgemeinen Regeln

Delikte gegen den öffentlichen Dienst

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Mittäter oder mittelbarer Täter der vom Untergebenen begangenen Tat ist, nicht nur als Anstifter, Gehilfe oder erfolgloser Anstifter, sondern wie ein Täter bestraft wird. Für ihn sind die Strafmilderungsmöglichkeiten der §§ 27, 30 ausgeschlossen. 2. Geschütztes Rechtsgut und Täter a) Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, daß der vorgesetzte oder beaufsichtigende Amtsträger die Verantwortung dafür trägt, daß in seinem Dienstbereich mit seinem Wissen keine rechtswidrigen Taten durch nachgeordnete Amtsträger begangen werden. b) Das geschützte Rechtsgut ist das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und in die ordnungsgemäße Kontrolle von Untergebenen durch Vorgesetzte und Aufsichtspflichtige. Dazu: JESCHECK

LK,

§ 357 Rdn.

1; LACKNER

StGB, § 357 Anm. 1.

c) Täter und Untergebener (Abs. l) oder Beaufsichtigender (Abs. 2) müssen Amtsträger sein, da nur dann das nötige Maß der Gefährdung des Rechtsguts erreicht ist; J E S C H E C K L K , § 3 5 7 Rdn. 5 . Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. Dazu: JESCHECK

LK,

§ 357 Rdn.

1; LACKNER

StGB, § 357 Anm. 1.

3. Einzelheiten des Tatbestandes a) Rechtswidrige Tat im Amte muß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, vorsätzliche Tat sein. Demgegenüber wird zum Teil gefordert, unter § 357 auch solche Handlungen der Amtsvorgesetzten zu erfassen, in denen der Untergebene gutgläubig tätig wird oder nur fahrlässig handelt, wenn der Vorgesetzte wegen Fehlens der erforderlichen Täterqualität nicht selbst mittelbarer Täter sein kann. - Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die weite Auslegung möglich. Dennoch erscheint die Erweiterung der Täterstrafe auf Fälle der Urheberschaft, die nicht bereits nach allgemeinen Regeln als Fälle unmittelbarer Täterschaft faßbar sind, kriminalpolitisch nicht notwendig. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 357 Rdn. 1 i. V m. § 11 Rdn. 33. - A . A . :JESCHECK LK, § 3 5 7 R d n . 5 ; MAURACH/SCHROEDER B . T . I I , § 9 5 , 3 ; ROGALL G A

1979 S.

24.

b) Die Tat braucht kein Amtsdelikt im engeren Sinne zu sein, d. h. eine Tat i. S. des 28. Abschnitts des StGB, sondern eine Tat, die der Untergebene usw. in Ausübung seines Dienstes begangen hat oder begehen sollte. - In Abs. 2 muß „begangene Tat" auch als „zu begehende Tat" interpretiert werden, da die erfolglose Anstiftung hier keineswegs ausgeschlossen, sondern die Parallele des Tatbestands mit Abs. 1 voll durchgeführt werden sollte.

§ 100 Verleitung eines Untergebenen zu einer Strafttat, § 357

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c) Verleiten ist erfolgreiches Bestimmen, doch bezieht das Unternehmen den Versuch des Verleitens ein. Geschehenlassen setzt die tatsächliche Möglichkeit der Verhinderung der Tat voraus. Erfaßt wird aber nicht nur die Beihilfe durch Unterlassen, sondern auch die Beihilfe durch positives Tun. 4. Zur Verdeutlichung BGHSt 3 S. 349: Der Kriminalsekretär O führte die Untersuchungsgefangene S angeblich zu einer Gegenüberstellung mit dem Hehler. Auf dem Wege dorthin erschoß er sie. Sein Dienstvorgesetzter G hatte ihm Ratschläge für die Durchführung dieser Tat gegeben. BGH: O: § 211. - G: sachlich §§ 211,27, jedoch Bestrafung als Täter gemäß § 357 i. V. m. § 211.

Paragraphenregister Die Zahlen beziehen sich auf die Seiten § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § §

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296 296 413 414 414 414 415 415 f 4l6f 417 418 418 418 f 419 419 419 415 413 415 415 419 f 420 f 421 421 421 421 f 422 423 f 423 424 422 424 424 424 f 425 425 425 425 f 426 426 427

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107 107 a 107 b 107 c 108 108 a 108 b 108 c 108 d 109 109 a 109 d 109 e 109f 109g 109 h 109 i 109 k 111 113 114 120 121 123 124 125 125a 126 127 129 129 a 130 131 132 132 a 133 134 136 138 139 140

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Paragraph en register 389 ff 132 336 463 463 457 ff 365 ff 367 f 369 f 367, 370 369 368 f 365 464 ff, 472 ff 474 ff 476 476 ff 485 f, 487 487 481 ff 466, 483 ff 466, 479 f, 487 455 f 304 f 305 f 306 306 f 308 f 311 ff 313 309 f 310f 324 f 320 f, 322 f 323 325 323 f 319 318f 319 f 326 329 f 330 f 331 f 327 327 f

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328 332 f 328 f 327 317 f 106 ff 109 f llOf Ulf 115 f 108 112 f 105 67 117 ff 119 f 12 I f f 123 120 f, 123 9, 14 ff, 27 f, 40 ff, 60f, 80 ff 8, 13 f, 40 ff, 60 f, 80 ff 9, 25ff 9, 28 ff 9, 39 f 52 ff 55 ff 58 f 58 f 58 f 54, 59 54, 59 53 49 f 46 ff 43 ff 62 ff, 80 ff 67 ff 75 ff 70 70 f 72 f 65 78 ff 77 f 77

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232 233 234 234 a 235 236 237 238 239 239a 239b 240 241 241a 242 243 244 246 247 248 a 248 b 248 c 249 250 251 252 253 255 257 258 258 a 259 260 263 264 265 265 a 265 b 266 267 268 271 272 273 274 275

66 67 98 131 313 f 314 32 l f 314 94 ff 98 ff 98 ff 84 ff, 97 f, 319, 444 f 130f 131 135, 139ff, 203 159 ff 167 ff 170 ff, 275 180f 181 ff 201 ff 183 f 185 ff 188 f 189 ff 191 ff 245 ff 249 f 262 ff 459 ff 462 f 266 ff 273 135, 212 ff, 281 28 Iff 280f 243 ff 284 f 250ff 34 Iff 361 ff 354f 355 f 356 357 ff, 364 351

§ § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § §

277 278 279 281 283 283 a 283 b 283 c 283 d 284 284 a 286 288 289 290 292 293 294 296 a 297 302 a 303 304 305 306 307 308 309 310 310a 310b 311 311a 311a 311c 311 d 311 e 312 313 314 315 315a 315b 315c 315 d 316

35lf, 356f 357 35lf, 356f 359f 286 ff 291 291 291 292 256f 258 258 207 f 205 ff 204 209 ff 211 211 454 258 292 ff 135, 197 ff 201 200 380 f 381 200f, 379f 201, 381 382 381 f 374 f 374 f 375 f 376 376 408 408 f 376 376f 377 383 f 384 385 f 386ff 388 f 388

508 § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § §

316a 316b 316c 317 318 319 320 320 a 321 322 323 323 a 323b 323 c 324 325 326 327 328 329 330 330 a 330b

Paragraphenregister 195 ff 378 393 f 378 377 411 377, 411 412 378 378 377 f 378, 394ff 378 334 f 403 ff 405 f 406 f, 409 406, 408, 409 409 410 409 ff 412 412

§ § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § §

330 d 331 332 333 334 335 335 a 336 340 343 344 345 348 352 353 353a 353b 353 d 354 355 356 357

404 497 ff 499 f 500 f 501 495 495 488 f 73 ff 489 f 490 f 491 f 352 ff 241 ff 242 454 453 f 492 f 123 ff 12 5 ff 493 f 501 ff

Sachregister

Abbilden, sicherheitsgefährdendes 430f Abbruch der Schwangerschaft 52 ff — Beratungs- und Feststellungssystem 58 f — Konkurrenz zu Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 60 f — strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium 59 Abgabenüberhebung 242 Absatzhilfe 270f Absetzen 270 f Absichtsurkunde 346 Abtreibung 52 ff Ärgerniserregung, öffentliche 328 Affektionswert 133 Agententätigkeit 418 — geheimdienstliche 423 — landesverräterische 423 f Amtsanmaßung 432 ff Androhung — eines Unterlassens 88 f — von Straftaten 299 f Aneignung 151 Angaben, falsche 308 Angehörigenprivileg 463 Angriff, tätlicher 441 Angriffskrieg 296 Ankaufen 269 Anlage, Begriff 405 Annehmen 497 Anstellungsbetrug 236 Anvertraut 122, 124, 179 Anwerben für fremden Wehrdienst 132 Aufnehmen 117 Aszendentenverletzung 66 Aufstacheln zum Angriffskrieg 296 Aufstachelung zum Rassenhaß 301 ff Aufzug 426

Augenscheinsobjekte 343 Ausbeuten 294, 330, 331 Ausnutzen 163 Aussage, falsche 472 ff — inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch 465 f — objektive Theorie 465 — subjektive Theorie 465 — Pflichttheorie 466 Aussagedelikte 464 ff Aussageerpressung 489f Aussagenotstand 485 f Aussetzung 46 ff — durch Unterlassen 49 Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse 357 Aussteller 344 f Auswanderungsbetrug 132 Ausweispapiere 360 Automatenmißbrauch 243 Bande 169 Bandendiebstahl 169 f Bankrott 286 ff — besonders schwere Fälle 291 — einzelne Tathandlungen 288 f — Täter 288 Bannkreisverletzung 426 Baugefährdung 377 f Bedrohung 130f, 297 Befriedigung des Geschlechtstriebes, zur 15f Besitztum, befriedetes 127 Begünstigung 262 ff Behältnis 120, 162 Behandlungsabbruch 33 f Beibringen 77 Beischlaf 311 — zwischen Verwandten 310f Beiseiteschaffen 208 Beleidigung 106 ff

510 — eines Kollektivs 105 f — mittels Tätlichkeit 110 — unter einer Kollektivbezeichnung 104 f Belohnung und Billigung von Straftaten 301 Bemächtigen 98 Berichterstatterprivileg 303 Berichtigung falscher Angaben 487 f Beschädigen 207 Beschädigung wichtiger Anlagen 377 Beschimpfung von Bekenntnissen 304 f Besitz 144, 173 Bestechlichkeit 499 f Bestechung 501 Bestechungsdelikte 495 ff — Systematik 495 Beteiligung an einer Schlägerei 78 ff Betreuungsverhältnis 322 f Betrieb 282 Betrug 221 ff — Anstellungsbetrug 236 — beim Verkauf von Warenterminoptionen 239f — Bereicherungsabsicht 2 31 f — Bettelbetrug 235 f — Eingehungsbetrug 234f — Irrtum 2l6f — Kreditkartenbetrug 239 — Lastschriftenbetrug 239 — Prozeßbetrug 237f - R e c h t s g u t 212 f — Scheckkartenbetrug 238 f — Sicherungsbetrug 240 f — Spendenbetrug 235 f — Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung 231 — subjektiver Tatbestand 231 ff -Subventionsbetrug 235f, 281 ff — Täuschung (ausdrückliche, konkludente, durch Unterlassen) 213ff — Verfügender und Geschädigter

Sachregister 22 l f — Vermögensgefährdung 227f — Vermögensschaden 22 3 f — Vermögensverfügung 217ff Bewegungsfreiheit, reale und potentielle 94 f Beweisbestimmung 346 Beweisfunktion 342 Beweiskraft, erhöhte 355 Beweismittel, Angriff gegen dessen Unversehrtheit 357 ff — gegen bestimmungsgemäße Verwendung 359f Beweiszeichen 343 Bildung — bewaffneter Haufen 436f — krimineller Vereinigungen 437 ff — terroristischer Vereinigungen 439 Brandstiftung 200f, 379f — besonders schwere 381 — fahrlässige 201, 381 — schwere 380 f — Tätige Reue 382 — vorsätzliche 379 f Brandstiftungsdelikte 379 ff Dauerdelikt 95, 313 Diebstahl, einfacher 139 ff — Abgrenzung zum Betrug 144 zur Erpressung 144 zur Gebrauchsanmaßung 148 zur Sachbeschädigung 148 ff zur straflosen Sachentziehung 148 ff zur Unterschlagung 139 — bewegliche Sache 140 — fremd l40f — Rechtsgut 138 — subjektiver Tatbestand l48ff -Wegnahme 142 ff Diebstahl, schwerer 159 ff — Geringwertigkeit des Tatobjekts 165 f

Sachregister — Irrtum über Vorliegen eines Regelbeispiels 163 f — Versuch 163 f Diebstahl geringwertiger Sachen 165 f, 181 ff Diebstahl mit Waffen 167 ff Diensthandlung 440, 498 — Unterlassen der 495 Doppelehe 309 f Doppelselbstmord, fehlgeschlagener 37 f Drittzueignung 155 Drohung 87 ff, 185, 193 Ehre (Begriff) — normativer 102 — normativ-faktischer 102 — personaler 103 Ehrverletzungsdelikte 102 ff — Einzelheiten der Tatbestände 106 ff — Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände 115 -Rechtfertigung 112 ff Eidesgleiche Bekräftigung 476 Eidesunmündiger, Aussagen 487 Einbrechen 160 Eindringen 127 f Eingehungsbetrug 234f Eingriff, gefährlicher — in den Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehr 383 f — in den Straßenverkehr 385 f Einsperren 95 f Einsteigen 160 Einwilligung — Ausschluß der 65, 359 — Körperverletzung 65 f Entdeckung 382 Enteignung 151 Entführen 99, 314, 321 Entführung — gegen den Willen der Entführten 32 l f — mit Willen der Entführten 314 ff

511 Entziehung — elektrischer Energie 183 f — eines Kindes 313f Erfüllungsbetrug 2 3 5 f Ermäch tigungs-(Befugnis-)theorie 147 Erpresserischer Menschenraub 98 ff Erpressung 245 ff — Abgrenzung vom Betrug 247 f Ersatzhehlerei 268 f Erschleichen — der Beförderung durch ein Verkehrsmittel 244 — der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldenetzes 243 f — freien Eintritts 244 — von Leistungen 243 ff Erstattung von Anzeigen 114 f Erzieherprivileg 303, 326 Euthanasie 31 ff — aktive 31 — Früh- 31 — indirekte 32 f — passive 31 Exhibitionistische Handlungen 327 f Explosionsdelikte 374 f — durch Kernenergie 375 — durch Sprengstoff 374 f — Vorbereitung 376 Fälschung technischer Aufzeichnungen 361 ff Fälschung von Wahlunterlagen 427 Fahrlässiger Falscheid und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt 479 f Fahruntüchigkeit — absolute 386 — relative 386 Falschaussage, versuchte Anstiftung zur 481 ff — Verleitung zur 483 ff Falschbeurkundung im Amt 352 ff — mittelbare 354 f

512

Sachregister

— schwere mittelbare 355 f Falscher Schlüssel 160 Falsche Verdächtigung 455f Falsche Versicherung an Eides Statt 476 ff Falscheid, fahrlässiger 479 f Familiendiebstahl 180 f — Irrtum über die Vermögenslage 181

— Verletzter 180 f Fischwilderei 211 Föderung sexueller Handlungen Minderjähriger 326 Formalbeleidigung 108 Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei 415 Fotokopie 347 Freiheitsberaubung 94 ff — in mittelbarer Täterschaft 96 — Verhältnis zur Nötigung 97 f Freiheitsdelikte 83 ff — Systematik 83 Friedensgefährdende Beziehungen 424 Fristenlösung, verkappte 55 Führen eines Fahrzeugs 386 Fundunterschlagung 174 Garantiefunktion 342 Gattungsschuld 157 Gebäude 160,200 Gebrauch falscher Beurkundungen 356 — einer Urkunde 349 Gebrauchen, Begriff 349 Gebrauchsanmaßung — Abgrenzung zum Diebstahl 148 ff — strafbare 139, 20lff Gebührenüberhebung 241 f Geburt 7f, 39 Gefährdung — der äußeren Sicherheit 414 ff — des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs 384 — des demokratischen Rechts-

staats 414 ff — des Straßenverkehrs 386 — des Verkehrswesens 383 ff — einer Entziehungskur 378 Gefährdungsdelikte — abstrakte 373 — konkrete 373 Gefangenenbefreiung 445 f — Teilnahme Dritter 446 — Teilnahme durch den Gefangenen selbst 446 f Gefangenenmeuterei 447 Gefangener 445 Gegensatztheorie 81 Geheimdienstliche Agententätigkeit 423 Geheimnissphäre 121 Geiselnahme 98 ff Geistigkeitstheorie 344 f Geld 365 Geldfälschung 364 ff — Inverkehrbringen 366 — Nachmachen 365 — Sichverschaffen 366 — Verfälschen 366 Geldschuld 157 f Geldwerte Objekte 133 Geltungsanspruch, sozialer 103 Gemeine Gefahr 335 Gemeine Not 335 Gemeingefährliche Delikte 373 ff — Begriff 373 — Überblick 374 ff Gemeingefährliche Mittel 22 Gemeinschädliche Sachbeschädigung 201 Geringwertig 165ff, 182, 212, 265a, 272 f Gesundheitsbeschädigung 63 Gesundheitszeugnisse, Fälschung und Gebrauch 35lf, 356f — Ausstellung 357 Geschäftsräume 127 Gewässer 404 Gewahrsam 142 ff, 173 ff Gewahrsamsbruch 144 ff

Sachregister

513

Gewahrsamshüter 144,221 Gewalt 84ff, 185 ff, 193, 302 — Begriff 87 Gewerbsmäßig 162, 211, 273 Gewohnheitsmäßig 211, 257 Gläubigerbegünstigung 291 Glücksspiel — Begriff 256 — Beteiligung am unerlaubten 258 Grausam

21 f

Habgier l6f Häusliche Gemeinschaft 180 Haus- und Familiendiebstahl 180 f Hausfriedensbruch 126 ff — Abbruchhäuser 127 — befriedetes Besitztum 127 — Eindringen 127f — schwerer 129 f — Verweilen ohne Befugnis 128 Hehlerei 262,266ff — Ersatzhehlerei 268 f — fahrlässige 273 — gewerbsmäßige 273 — Konkurrenzen und Strafe 272 f — subjektiver Tatbestand 271 f — Verhältnis der Vortat zur Hehlerei 267 f Heileingriff, ärztlicher 63 ff Heimtücke 18 ff Herbeiführen einer Brandgefahr 381 Herrschaftswille 142 f Herstellen einer unechten Urkunde 348 f Hilfeleistung 263 f Hilfeleistung, unterlassene 334ff Hilflosigkeit 163 Hindernisbereiten 383 Hinterlistiger Überfall 68 f Hintermann 415 Hochverrat 413 ff — gegen den Bund 413 — gegen ein Land 414

Homosexuelle Handlungen Hungerstreik 37

325

Inbrandsetzen 379 Indikation — ethische (kriminologische oder humanitäre) 57 — eugenische (embryopathische oder kindliche) 57 — soziale 57 Ingebrauchnahme 202 Intimsphäre 117 Inverkehrbringen von Falschgeld 366 Jagdwilderei

209ff

Kennzeichen 343 Kettenanstiftung 483 Kindesentziehung 313 f Kindestötung 39 f Körperverletzung, einfache 62 ff Körperverletzung, fahrlässige 77 Körperverletzung, gefährliche 67 ff — gefährliches Werkzeug 68 — gemeinschaftlich begangene 69 — hinterlistiger Überfall 68 f — lebensgefährdende Behandlung 69 Körperverletzung im Amt 73 ff Körperverletzung mit Todesfolge 72 f Körperverletzung, schwere und beabsichtigte schwere 70 ff — dauernde Entstellung 71 — Lähmung 71 — Siechtum 71 — Verfall 71 — wichtiges Glied 70 f Körperverletzungsdelikte 62 ff — Einwilligung 65 f — Konkurrenz zu Tötungsdelikten 80 ff — Systematik 62 — Züchtigungsrecht 66

514 Kollektiv, Begriff 105 Kollektivbezeichnung 104 f Kompensation 66,77 Konkursdelikte 286ff Kreditbetrug 284 ff Kreditgefährdung 111 Kreditkartenbetrug 239 Kriminelle Vereinigung 437 Krisensituation 286 ff — drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit 287 f — Überschuldung 287 Kunstfreiheit 113f Lagertheorie 147,222 Ladendiebstahl 88 Landesverrat 419 ff Landesverräterische — Agententätigkeit 423 f — Fälschung 422 f Landfriedensbruch 297 ff Lastschriftenbetrug 239 Lebensgefährdende Behandlung 69 Lebenslange Freiheitsstrafe 11 Lebensverkürzung — schmerzlindernde (indirekte Euthanasie) 32 f Leibesfrucht 8, 52ff, 60f Leiche 140, 306 — Wegnahme 306f Leichtfertigkeit, Begriff 189 Leistungskürzung 242 List 98 lucrum — ex re 149 — ex negotio cum re 149 Luftverkehr, Angriff auf 393 f Meineid 474 ff Menschenhandel 330 f Menschenmenge 129, 297 Menschenraub 98 Menschenwürde 300 Menschliches Leben 7 ff — Beginn 7f — Ende 8

Sachregister Minima-Klausel 407 f Mißbrauch — ionisierender Strahlen 375 f — von Ausweispapieren 359 f — von Notrufen 336f — von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 434f Mißbrauchstatbestand 2 52 f Mißhandlung 75 ff — körperliche 62 f — rohe 76 — seelische 63 — von Schutzbefohlenen 75 ff Mittelbare Falschbeurkundung 354 f — schwere 355 f Mord 14 ff — gemeingefährliche Mittel 22 — grausam 21 f — Habgier I6f — Heimtücke 18 ff — Mordlust 14 f — niedrige Beweggründe 17 f — Teilnahmeprobleme 40 ff — Verdeckungsabsicht 22 ff — Verhältnis zu § 213 27f — Vorsatzprobleme 24 ff — Zur Befriedigung des Geschlechtstriebes 15 f Mordlust 14 f Mosaiktheorie 420 Nachmachen 365 Nachrede, üble 109 Nichtöffendich 117 Nichtanzeige geplanter Straftaten 337 ff Nichtehelich(keit) 39 — Irrtum über 39 f Nichterweislichkeit 109 Niedrige Beweggründe 17f Nötigung 84 ff — Androhung eines Unterlassens 88 f — des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 426

Sachregister — Drohung mit einem empfindlichen Übel 87 f — Gewalt 84 ff — Verwerflichkeitsklausel 90 ff — von Verfassungsorganen 426 Obhutsverhältnis 307 Öffentlich 110, 129, 204, 243, 296, 301, 328 — ausgestellt 163 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 435 f Öffentliche Urkunden 352f Offenbarung 125 f — von Staatsgeheimnissen 421 Offenbarungspflicht 285 Parteiverrat 493 Perpetuierung 135 Perpetuierungsdelikte 135, 259ff — Strafgrund 259 — Systematik 262 Personaler Vermögenbegriff 134 Personenstandsfälschung 308 f — falsche Angaben 308 — Unterdrücken 308 — Unterschieben eines Kindes 308 Pfändungspfandrecht 205 Pfandkehr 205 ff Pflichttheorie 466 Plündern 299 Politische Verdächtigung 131 Preisgabe von Staatsgeheimnissen 421 Privatgeheimnis 121 Prostitution — Ausbeuten 330, 331 — Ausübung der verbotenen 328 f — Förderung 329f —Jugendgefährdende 327 — Nachgehen 329 Provokation 26 — Schwere der 26 Prozeßbetrug 237f

515 Quälen

76

Rädelsführer 415 Räuberische Erpressung 249 f — Gesetzessystematik 249 f Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 195 ff Räuberischer Diebstahl 191 ff — auf frischer Tat 192 - B e t r e f f e n 192 f — Gewalt und Drohung 193 — Irrtum bei Vortat 194 — Konkurrenzen 195 — Täterschaft und Teilnahme 194 Raub 185 ff — Abgrenzung zum räuberischen Diebstahl 186, 191 — finale Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme 186f — Gewalt und Drohung 185 — Systematik 184 f — Versuch 188 — Vollendung 188 Raub mit Todesfolge 189 ff Raub, schwerer 188 f Raum, umschlossener 160 Rausch, Begriff 395 Rauschtat 395 ff Rechtsbeugung 488 f Rechtserheblichkeit der Gedankenerklärung 342 Regelfallbeispiele (Regelbeispiel) 159ff Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 429f Sachbeschädigung 197 ff — Konkurrenz zu Zueignungsdelikten 200 — qualifizierte Fälle 200 f Sache 140 Sachentziehung — straflose 148 ff Sachherrschaftsverhältnis 138, 201 f Sachgefahr 334

516 Sachsubstanztheorie (Substanztheorie) 149 Sachwerttheorie 149 Scheckkartenbetrug 238 f Scheinwaffe 168 f, 188 Schiedsrichtervergütung 495 Schienenbahnen im Straßenverkehr 388 f Schiffsgefährdung durch Bannware 258 Schlägerei 78 Schuldnerbegünstigung 292 Schußwaffe 167 Schutzvorrichtungen 161 Schwächesituationen 294 f — Mangel an Urteilsvermögen 295 — Unerfahrenheit 294 — Willensschwäche 295 — Zwangslage 294 Selbstbegünstigung 265 Selbstmord 13 — als Unglücksfall 38 — einseitig fehlgeschlagener Doppelselbstmord 37 f — Garantenpflicht zur Hinderung des Selbstmordes 35 ff — Tötung auf Verlangen und Selbstmord 34 ff — und Mitwirkung Dritter 34 f Sexuelle Handlung 317f Sexuelle Nötigung 318f Sexueller Mißbrauch — gegen den Willen der Entführten 32 l f — unter Mißbrauch einer Amtsstellung 323 — von Gefangenen und Verwahrten 322 f — von Kindern 323f — von Kranken in Anstalten 320f — von Schutzbefohlenen 324f — Widerstandsunfähiger 319f Sichbemächtigen 99 Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 430

Sachregister Sicherungsbetrug 240 f Sichversprechenlassen 497 Spendenbetrug 235 f Speziesschuld 157 Staatsgeheimnis 4l9f Sterbehilfe s. a. Euthanasie 3iff Störpropaganda gegen die Bundeswehr 429 Störung — der Religionsausübung 305 f — der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans 427 — der Totenruhe 306f — des öffentlichen Friedens 299 f — einer Bestattungsfeier 306 — öffentlicher Betriebe 378 — von Fernmeldeanlagen 378 Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung 231, 247 Strafvereitelung 459 ff — Angehörigenprivileg 463 — im Amt 462 f — zu eigenen Gunsten 462 Straßenverkehr 385 Subvention, Begriff 28lf Subventionsbetrug 235f, 28lff Tätige Reue 100, 196f, 351, 376, 382, 393, 414 Tatsachenbehauptung 106f Tötung — auf Verlangen 28 ff — auf Verlangen und Selbstmord 34 ff — fahrlässige 4 3 ff Tötungsdelikte — Konkurrenz zu Körperverletzungsdelikten 80 ff, 190 — Systematik 7 ff — Teilnahmeprobleme 40 ff Totschlag 13 f — besonders schwere Fälle 14 — minder schwere Fälle 25 ff Transportgefährdung 383 Treubruchstatbestand 253ff Trunkenheit im Verkehr 386, 388

Sachregister Überlassen 332 Überschuldung 287 Überschwemmungsdelikte 376f Üble Nachrede 109 — öffentliche 110 — und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens lllf Umweltstrafnormen 400ff — einzelne Schutzbereiche 403 — geschütztes Rechtsgut 402 f — Minima-Klausel 407 f — Schutz von Gewässern 403 ff — Schutz von Luft und Ruhe 405 f — Schutz vor der Verbreitung von Giften 41 l f — Schutz wertvoller Bestandteile der Natur 416 — schwere Umweltgefährdung 4l0f -Strahlenschutz 408 f — umweltgefährdende Abfallbeseitigung 406 f Unbefugte Küstenfischerei durch Ausländer 454 Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs 201 ff Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen 204 Unbrauchbarmachen 449 Unerlaubte Veranstaltung — einer Lotterie oder Ausspielung 258 — eines Glücksspiels 256f Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 389 Unfall im Straßenverkehr 390 Unfallbeteiligter 380 Unglücksfall 38, 163, 334 f Unterdrücken 124, 358 Unternehmen einer Straftat 196 Unternehmen 282 Unterschlagung 170ff — als Grundtatbestand der Vermögensdelikte 273

517 — bei Ersatzleistung oder Bereitschaft zum Ersatz 176f — Fund 174 — geringwertiger Sachen 173 — große berichtigende Auslegung 173 — kleine berichtigende Auslegung 173 — Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft 175 f — Verhältnis zum Diebstahl 139 Untreue 250ff — Begrenzung des Anwendungsbereichs 255 f — Gesetzessystematik 25 l f — Mißbrauchstatbestand 252 f — Treubruchstatbestand 2 53 ff — Vermögensschaden 255 Urkunde — Absichtsurkunde 346 — Abschriften und Fotokopien 347 — Augenscheinsobjekte 343 — Aussteller 344 f — Begriff 342, 346 — Beweisbestimmung 346 — Beweiseignung 345 — Durchschriften 347 — Gebrauchen 349 f — Geistigkeitstheorie 344 f — Gesamturkunde 346 f -Herstellen 348 f — Kennzeichen 343 — Strukturelemente 341 ff — unechte 347 — Verfälschen 349 — verkörperte Gedankenerklärung 342 f — Zufallsurkunden 346 — zusammengesetzte Urkunde 347 Urkundenbeweisposition 358 Urkundendelikte 341 ff Urkundenfälschung 341 ff Urkundenunterdrückung 357 ff

518 Veränderung einer Grenzbezeichnung 359 Veräußern 208 Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen 492 f Verbreiten — Begriff 435 f — von Propagandamitteln 4l6f Verbreitung pornographischer Schriften 332 f Verdächtigen, Begriff 455 Verdeckungsabsicht 22 ff Vereinigung, kriminelle 437 Vereinigungstheorie 149 Vereinigungsverbot 415 Vereiteln der Zwangsvollstreckung 207 f Verfälschen, Begriff 349 Verfassungsfeindliche — Einwirkung 418 — Sabotage 418 Verfolgung aus politischen Gründen 131 — Unschuldiger 490 f Verfolgungsvereitelung 459ff Verführung 327 Vergewal tigu ng 319 Vergiftung 77 — gemeingefährliche 411 f Verherrlichung von Gewalt 301 ff Verlassen, Begriff 47 Verleiten — eines Untergebenen 501 ff — zur Falschaussage 483 ff Verletzung — amtlicher Bekanntmachungen 432 — der Buchführungspflicht 291 — der Fürsorge- und Erziehungspflicht 313 — der Unterhaltspflicht 311 ff — der Vertraulichkeit des Wortes 117 ff — des Briefgeheimnisses 119f — des Dienstgeheimnisses 453f — des Post- und Fernmeldege-

Sachregister heimnisses 123 ff — des Steuergeheimnisses 12 5 f — des Wahlgeheimnisses 427 — von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten 425 Verleumdung llOf Vermögensbegriff 13 3 ff — dynamischer 224 — funktionaler 223 — juristischer 224 — juristisch-wirtschaftlicher 224 — personaler 134, 223 — wirtschaftlicher 223 f Vermögensdelikte 133 ff — praktische Bedeutung 136f — Struktur 135 Vermögensentziehungsdelikte 135, 138 ff Vermögensgefährdung 227 ff — strafbare 256ff Vermögensschaden 134f, 223 ff Verrat — illegaler Geheimnisse 42 l f — in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses 422 Verschleppung 131 Versicherungsbetrug 280 f Verstoß — gegen das Berufsverbot 463 — gegen ein Vereinigungsverbot 415 f — gegen Weisungen 463 Verstrickungs- und Siegelbruch 449 f Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst 454 Vertrauliche Äußerungen 114 Verunglimpfung — des Andenkens Verstorbener 115 — des Bundespräsidenten usw. 419 Verunreinigung 404 Veruntreuung 179 f Verwahrungsbruch 448 f

Sachregister Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 417 Verwerflichkeitsklausel — Nötigung 90 ff Verwerflichkeitsprinzip 10 f Verwertung fremder Geheimnisse 123 Völkermord 49 f Volksverhetzung 300 f Vollrausch 394 ff — actio libera in causa 398 — rauschbedingter Irrtum 397 f - R a u s c h t a t 395 ff — Teilnahme am 398 f — Wahlfeststellung zwischen Rauschtat und 399 Vollstreckung gegen Unschuldige 491 f Vollstreckungshandlung, Begriff 440 Vollstreckungsvereitelung 461 f Vorbereitung — der Fälschung von amtlichen Ausweisen 351 — der Fälschung von Geld 367 — eines Angriffskrieges 296 — eines hochverräterischen Unternehmens 414 Vorstellungspflicht 391 Vortäuschen einer Straftat 457 ff Vorteil, Begriff 497 Vorteilsannahme 497 ff Vorteilsgewährung 500 f Wählerbestechung 428 Wählernötigung 427 Wählertäuschung 428 Waffe 68, 168 Wahlbehinderung 427 Wahlfälschung 427 Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 273 ff Wahrheitsbeweis 108 f Wahrheitspflicht des Aussagenden 468 ff Wahrnehmung berechtiger Interessen 113 f

519 Wartepflicht 390 Wegnahme 142 ff, 206, 249 f, 306 Wehrpflichtentziehung — durch Täuschung 429 — durch Verstümmelung 428 f Weitergabe von Gerüchten 115 Werben 438 Wertpapierfälschung 368 f Werturteil 106f Wertzeichenfälschung 369 f — Vorbereitung 370 Werkzeug, gefährliches 68 Wichtiges Glied 70 f Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 439ff — Irrtum des Widerstandleistenden 443 f — besonders schwere Fälle 444 — Verhältnis zu § 240 444 f Wilderei 209ff Wirtschaftliche Nutzung 151,154 Wirtschaftsdelikte 2 79 ff Wirtschaftskriminalität 277 ff Wohnung 127, 160, 380 Wucher 292 ff — Ausbeuten 294 — Ausbeutung der Schwächesituation 292 ff Zahlungseinstellung 290 Zahlungsunfähigkeit 287 Zerstören, Begriff 198 Zerstörung von Bauwerken 200 Züchtigungsrecht — Körperverletzung 66 Zueignung 151 — Drittzueignung 155 — Elemente 151 — nach einer Zueignung 177 f — rechtswidrige 156 ff — „sich" zueignen 154ff Zugänglichmachen 332 Zuhälterei 331 f Zusammenrotten 129f, 447 Zweckverfehlung, wirtschaftliche 135

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Harro Otto

Übungen im Strafrecht 2., neubearbeitete Auflage (Jura Übungen) Oktav. X, 212 Seiten. 1984. Plastik flexibel. DM 2 6 Dieses Übungsbuch soll den Studenten von der Übung im Strafrecht für Anfänger bis zur Klausur und Hausarbeit im Referendarexamen begleiten. Es bietet in drei Teilen Hinweise und Anleitungen für die Fallbearbeitung im Strafrecht. Im ersten Teil werden die Strafrechtsübungen in den Rahmen der juristischen Ausbildung eingepaßt und allgemeine Grundsätze der Methodik der Fallbearbeitung sowie der in Klausuren und Hausarbeiten zu beachtenden Besonderheiten dargestellt. Im zweiten Teil wird das „Wie" der Fallösung durch Aufbauschemata der verschiedenen Deliktsarten durchschaubar gemacht. Im dritten Teil erfolgt dann die Einübung anhand von neun Klausuren und zwei Hausarbeiten, die den jeweiligen Ausbildungsabschnitten: Anfängerübung, Vorgerücktenübung, Referendarexamen, entnommen sind. Sie werden durch Hinweise zum Aufbau und Lösungsskizzen vorbereitet und anschließend vollständig und ausführlich gelöst. Z u m Nachbereiten und zur Vertiefung der jeweiligen Schwerpunkte sind am Schluß weiterführende Hinweise gegeben.

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Grundkurs Strafrecht Allgemeine Straf rechtslehre (de Gruyter Lehrbuch) 2., neubearbeitete Auflage Oktav. XX, 268 Seiten. 1982. Plastik flexibel. DM 3 0 Dieses Lernbuch will die Grundlagen des Allgemeinen Teils vermitteln und in die strafrechtliche Denkweise und Argumentation einüben. Die Neuauflage ist nicht nur aktualisiert, sondern auch auf der Grundlage der mit der ersten Auflage gesammelten Erfahrungen überarbeitet worden. Aus einer Besprechung: Das handliche und äußerlich sehr ansprechende Werk, das sich in erster Linie an Studierende wendet, besticht in seinem Inhalt durch die Synthese von Theorie und Praxis. Dem Verfasser ist es gelungen, dem Leser selbst schwierige Rechtsfragen durch die Wiedergabe von Fällen, die der Rechtsprechung entnommen sind, anschaulich nahe zu bringen. Die. Abwandlung der Fälle, Wiederholungsfragen und Übungsklausuren regen zum Nachdenken an und führen ohne Zwang zu der vom Verfasser gewünschten selbständigen Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Problemen . . . " Wolfgang Kneip in: Der Vollzugsdienst Preisänderung vorbehalten