Grundkurs Strafrecht - Die einzelnen Delikte [5. neubearb. Aufl. Reprint 2020] 9783110871357, 9783110161205


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German Pages 558 [625] Year 1998

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Grundkurs Strafrecht - Die einzelnen Delikte [5. neubearb. Aufl. Reprint 2020]
 9783110871357, 9783110161205

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de Gruyter Lehrbuch

Grundkurs Strafrecht Die einzelnen Delikte

von

Harro Otto 5., neubearbeitete Auflage

W DE G 1998 Walter de Gruyter • Berlin • New York

Dr. jur. Dr. h. c.

Zitiervorschlag.

H A R R O OTTO. O.

Professor an der Universität Bayreuth

Otto, Grundkurs Strafrecht, BT, 5. Aufl. 1998, § 31 Rdn. 10

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Otto, Harro: Grundkurs Strafrecht / von Harro Otto. — Berlin ; New York : de Gruyter. (De Gruyter Lehrbuch) Die einzelnen Delikte. — 5., neubearb. Aufl. - 1998 ISBN 3-11-016120-6

© Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck und Bindearbeiten: H. Stürtz AG, 97080 Würzburg Einbandgestaltung: Hansbernd Lindemann, 10785 Berlin

Vorbemerkung Lerntheoretisches Ziel, Anlage und Methode dieses Teils des Grundkurses Strafrecht entsprechen denen der Allgemeinen Strafrechtslehre. Allerdings ließen diese sich nicht ohne weiteres auf die Beschreibung der einzelnen Delikte übertragen. Die Eigenart des Stoffes verlangte gewisse Modifizierungen und die Verlagerung einzelner Akzente: Der Allgemeinen Strafrechtslehre geben nämlich die Prinzipien der Zurechnungslehre ihren durchgehenden systematischen Zusammenhang. Ihre Wirksamkeit gilt es in den verschiedenen Problemkreisen des Allgemeinen Teils zu erkennen und in ihrer Bedeutung im sozialen Raum abschätzen zu lernen. Der Verschiedenheit des jeweiligen Aspekts der Zurechnung entsprechen die verschiedenen Lernziele. Die einzelnen Problemstellungen bezeichnen den jeweils zu erschließenden Raum. Eine vergleichbare Problementfaltung ist bei der Beschreibung der einzelnen Delikte nur dort von Nutzen, wo ein übergreifender Zusammenhang die einzelnen Delikte einer Gruppe in ihrem Wesen entscheidend prägt, ohne daß dies dem Wortlaut der einzelnen Gesetzestatbestände ausdrücklich zu entnehmen ist. In diesem Bereich muß das Lernziel der Einblick in die Art und Weise der Wirksamkeit dieses Zusammenhangs sein. Im übrigen kann aber das Lernziel der einzelnen Abschnitte vorweg definiert werden: Kenntnis der Art und des Umfangs des Schutzes der Rechtsgüter der einzelnen Deliktstatbestände. Innerhalb des so gewonnenen, jeweils überschaubaren Rahmens ist die Beschäftigung mit den einzelnen Delikten sodann die Fortsetzung der in der Allgemeinen Strafrechtslehre begonnenen Einübung in das strafrechtliche Denken, dessen normativ-begrifflicher Aspekt stets der Ergänzung durch eine faktische Abschätzung der Probleme und ihrer Bedeutung im sozialen Bereich bedarf. Beide Betrachtungsweisen sind jedoch schon in der begrifflichen Begrenzung des Schutzumfangs der einzelnen Delikte weit enger miteinander verbunden, als es vielleicht den Anschein hat. Die Bestimmung des Schutzumfangs der Tatbestände und des Inhalts der einzelnen Begriffe ist heute bereits das Ergebnis harter, langer Arbeit am Begriff durch Lehre und Rechtsprechung in steter Auseinandersetzung mit einer Vielzahl verschiedener Problemstellungen. Vor allem in den gerichtlichen Entscheidungen werden die einzelnen Begriffe einer steten Bewährungsprobe unterzogen. In die Bestimmung, Modifizierung oder völlige Neuschöpfung einzelner Begriffsinhalte gehen umfangreiche kriminologische Überlegungen, kriminalpolitische Zwecksetzungen und sozialpolitische Stellungnahmen ein, auch wenn darüber nicht jeweils Rechenschaft abgelegt wird. - Der Rechtsprechung kommt daher in diesem Bereich besondere Bedeutung zu, die auch in der konkreten Zielsetzung des Grundkurses Ausdruck finden mußte: nicht nur der "fertige Jurist", auch schon der Anfänger muß die Entscheidungen, die die Praxis als besonders bedeutsam ansieht, kennenlernen. Er muß sie nicht auswendig lernen, sich aber mit ihnen auseinandersetzen, um die eigene Meinung zu begründen. In dieser Verflechtung von Theorie und Praxis ist die Eigenart dieses Bandes des Grundkurses begründet. Im übrigen ist der Umfang der Darstellung der einzelnen Deliktsgruppen nach der Bedeutung der Delikte in Ausbildung und Praxis differenziert. Der Schwerpunkt des Grundkurses aber liegt in dem Bemühen, den Leser auf wesentliche Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen, in die selbständige Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Problemen einzuüben und Wege zur weiteren Vertiefung zu zeigen. Der Leser

V

Vorbemerkung soll am Prozeß der Meinungsbildung beteiligt werden, sich aber nicht zur freundlichen Bedienung mit fremden Meinungen eingeladen fühlen. In die Neuauflage wurden die durch das 6. Strafrechtsreformgesetz, das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption, das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und das Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz bedingten Änderungen des StGB aufgenommen. Für ihre Mitarbeit danke ich sehr herzlich meinen Assistenten, den Herren Volker Beermann und Harald Petersen Bayreuth, Mai 1998

VI

Harro Otto

Inhaltsverzeichnis Schrifttum

XXI

1. Teil: Einführung

1

§ 1: Die einzelnen Tatbestände und das "System des Besonderen Teils" I. Unrecht und strafbares Unrecht II. Die Rechtsgutsbeeinträchtigung als Kern des Straftatbestandes III. Die Legalordnung

1 1 3 3

2. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

5

1. Kapitel: Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter

5

1. Abschnitt: Delikte gegen das Leben

5

§ 2: Die Systematik der Tötungsdelikte

5

§ 3: Totschlag § 4 : Mord I. II. III.

11 ..

Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen Die einzelnen Qualifikationsmerkmale Vorsatzprobleme

§ 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 II. Das Verhältnis des § 213 zu § 211 § 6: Tötung auf Verlangen I.

Die Auslegung des § 216

12 12 12 26 27 27 29 30 30

II.

Die Problematik der Sterbehilfe

33

III.

Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung

39

IV. Zur Teilnahmeproblematik

43

§ 7: Kindestötung

43

§ 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte I. Prämissen der Entscheidung II. Zur Einübung

43 44 45

§ 9: Fahrlässige Tötung

46

§ 10: Aussetzung

49

VII

Inhaltsverzeichnis I. II.

Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes Besondere Probleme des Tatbestandes

§ 11: Völkermord I. II.

Das geschützte Rechtsgut Die Bedeutung des Tatbestandes

49 50 51 51 51

§ 12: Zur Wiederholung

52

2. Abschnitt: Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben

53

§ 13: Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung

53 53

II.

Abbruch der Schwangerschaft

57

III. Der gerechtfertigte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 2, 3 IV. Strafausschluß und Absehen von Strafe, § 218 a Abs. 4

60 62

V. Flankierende Maßnahmen zum Schutz ungeborener Kinder VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch,

62

Tötungs- und Körperverletzungsdelikten

64

3. Abschnitt: Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

66

§ 14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut

66 66

II.

Die Systematik des Gesetzes

§ 15: Die Körperverletzung I.

Einfache Körperverletzung, § 223

II. Zur Rechtswidrigkeit III. Zur Bestrafung

66 66 66 68 71

§ 16: Die gefährliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 224

71 71

II. Die einzelnen Tatmittel III. Vorsatz IV. Sonderproblem Aids

72 73 74

§ 17: Schwere Körperverletzung

VIII

76

I.

Der Aufbau des § 226

76

II.

Die einzelnen Merkmale

76

III.

Versuch und Täterschaft

77

Inhaltsverzeichnis § 18: Körperverletzung mit Todesfolge

78

I.

Der Aufbau des § 227

78

II.

Der Strafrahmen des § 227 Abs. 2

80

§ 1 9 : Körperverletzung im Amt § 20: Mißhandlung von Schutzbefohlenen I.

Das geschützte Rechtsgut des § 225

80 82 82

II.

Einzelheiten zur Interpretation

82

III.

Zur sozialen Relevanz des § 225

83

§ 2 1 : Fahrlässige Körperverletzung

83

§ 22: Vergiftung

84

§ 23: Beteiligung an einer Schlägerei

84

I.

Das Wesen der Tat

II.

Einzelheiten der Regelung

84

III.

Zur Einübung

85

§ 24: Konkurrenzprobleme I.

86

Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte

II.

84

86

Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten

86

§ 25: Zur Wiederholung

87

4. Abschnitt: Delikte gegen die persönliche Freiheit

89

§ 26: Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte

89

I.

Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte

89

II.

Die Systematik der Freiheitsdelikte

89

§ 27: Nötigung I.

89

Der objektive Tatbestand

89

II.

Der subjektive Tatbestand

96

III.

Die Rechtswidrigkeit der Nötigung

96

IV.

Versuch und Vollendung

100

V.

Besonders schwere Fälle der Nötigung

101

§ 28: Freiheitsberaubung I.

101

Rechtsgut und Tathandlung des § 239

101

II.

Rechtswidrigkeit

103

III.

Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung

104

IV.

Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung

104

V.

Menschenraub, § 234

105

IX

Inhaltsverzeichnis

§ 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme

105

I.

Rechtsgut der § § 239 a, 239 b

105

II.

Tatbestandsvoraussetzungen

105

III.

Erfolgsqualifizierung nach §§ 239 a Abs. 3, 239 b Abs. 2

107

IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4, 239 b Abs. 2 i.V.m. § 239 a Abs. 4 ....

108

V.

108

Konkurrenzen

§ 30: Zur Wiederholung

108

5. Abschnitt: Delikte gegen die Ehre

109

§ 3 1 : Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte

109

I.

Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte

109

II.

Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre

110

§ 32: Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I.

Beleidigung, § 185

113 113

II.

Üble Nachrede, § 186

115

III.

Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände

116

IV. Rechtfertigung V.

Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände

VI. Erfordernis des Strafantrags

118 123 123

§ 33: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener

124

6. Abschnitt: Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich

125

§ 34: Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

125

I.

Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201

125

II.

Verletzung des Briefgeheimnisses § 202

128

III.

Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203

129

IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204

131

V.

131

Verletzung des Post-und Fernmeldegeheimnisses, § 206

VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355

133

VII. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204, 202 a

134

§ 35: Hausfriedensbruch I.

Der Grundtatbestand, § 123

135

II.

Schwerer Hausfriedensbruch, § 124

138

§ 36: Bedrohung

X

135

139

I.

Das geschützte Rechtsgut

139

II.

Die Tathandlung

139

Inhaltsverzeichnis § 37: Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I.

Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a

II.

Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h

140 140 140

2. Kapitel: Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen)

141

1. Abschnitt: Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte

141

§ 38: Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte

141

I.

Das geschützte Rechtsgut

141

II.

Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte

142

III.

Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte

143

2. Abschnitt: Die Vermögensentziehungsdelikte

145

§ 39: Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte

145

I.

Das geschützte Rechtsgut

145

II.

Systematischer Überblick

145

§ 40: Diebstahl

146

I.

Der objektive Tatbestand

146

II.

Der subjektive Tatbestand

154

§ 41: Schwere Fälle des Diebstahls

162

I.

Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1

162

II.

§ 243 Abs. 2: Ausschluß der Strafschärfung

169

III.

Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl, §244

170

IV.

Schwerer Bandendiebstahl, § 244 a

174

§ 42: Unterschlagung

175

I.

Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1

175

II.

Veruntreuung, § 246 Abs. 2

180

§ 43: Haus- und Familiendiebstahl

180

§ 44: Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen

182

§ 45: Entziehung elektrischer Energie

183

§ 46: Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

184

I.

Rechtsgut und Systematik des Gesetzes

184

II.

Raub, § 2 4 9

185

III.

Schwerer Raub, § 250

189 XI

Inhaltsverzeichnis IV. Raub mit Todesfolge, § 251 V.

Räuberischer Diebstahl, § 252

VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a § 47: Sachbeschädigung I.

Sachbeschädigung, § 303

192 195 196 196

II.

Besondere Fälle der Sachbeschädigung

199

III.

Schutz von Daten und Datenverarbeitung

201

IV. Strafantrag § 48: Strafbare Gebrauchsanmaßungen

203 203

I.

Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b

203

II.

Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290

206

§ 49: Zur Wiederholung § 50: Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

206 207

I.

Pfandkehr, § 289

207

II.

Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288

208

III.

Wilderei, §§ 292 ff

210

§51: Betrug

212

I.

Rechtsgut und Gesetzessystematik

212

II.

Der gesetzliche Tatbestand

213

III.

Der objektive Tatbestand

213

IV. Der subjektive Tatbestand

231

V.

233

Versuch, Vollendung und Besonderheiten der Strafverfolgung

VI. Besonders bezeichnete Betrugsfälle § 52: Betrugsähnliche Tatbestände

234 242

I.

Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352,353

242

II.

Erschleichen von Leistungen, § 265 a

243

III.

Computerbetrug, § 263 a

245

§ 53: Erpressung und räuberische Erpressung

250

I.

Erpressung, § 253

250

II.

Räuberische Erpressung, § 255

254

§ 54: Untreue und untreueähnliche Delikte

256

I.

Rechtsgut und Aufbau des Untreuetatbestandes

256

II.

Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes

257

III.

Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266 b

IV. Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 2 XII

190

262 265

Inhaltsverzeichnis

§ 55: Strafbare Vermögensgefährdung

266

I.

Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284

266

II.

Qualifikationstatbestand, § 284 Abs. 3

268

III.

Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 285

268

IV.

Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, § 287

268

Gefährdung von Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen

268

V.

3. Abschnitt: Die Perpetuierungsdelikte

269

§ 56: Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte

269

I.

Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte

269

II.

Die Systematik der Perpetuierungsdelikte

271

§ 57: Begünstigung

271

I.

Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur

271

II.

Einzelheiten des Tatbestandes

272

III.

Die Regelung des § 257 Abs. 4

274

§ 58: Hehlerei

275

I.

Hehlerei, § 259

275

II.

Qualifikationstatbestände, §§ 260, 260 a

281

III.

Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO

282

§ 59: Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte

282

3. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

285

1. Kapitel: Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter

285

1. Abschnitt: Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

285

§ 60: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht

285

§ 6 1 : Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

287

I.

Versicherungsmißbrauch, § 265

287

II.

Subventionsbetrug, § 264

288

III.

Kreditbetrug, § 265 b

291

IV.

Kapitalanlagebetrug, § 264 a

292

V.

Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 1 , 3

297

VI.

Insolvenzdelikte, §§ 283-283 d

299

VII. Wucher, § 291

306

VIII. Straftaten gegen den Wettbewerb

308

2. Abschnitt: Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens

316 XIII

Inhaltsverzeichnis § 62: Delikte gegen den äußeren Frieden

316

§ 63: Delikte gegen den inneren Frieden

316

I.

Landfriedensbruch, §§ 125, 125 a

II.

Störung öffentlichen Friedens durch Androhung von

317

Straftaten, § 126

319

III.

Volksverhetzung, § 130

320

IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140

321

V.

322

Anleitung zu Straftaten, § 130 a

VI. Gewaltdarstellung, § 131

323

VII. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111

324

3. Abschnitt: Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens § 64: Delikte gegen das Pietätsempfinden § 65: Delikte gegen die familiäre Ordnung

327 327 330

I.

Personenstandsfälschung, § 169

330

II.

Doppelehe, § 172

331

III.

Beischlaf zwischen Verwandten, § 173

332

IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170

333

V.

Verletzung der Fürsorge-oder Erziehungspflicht, § 171

335

VI. Entziehung Minderjähriger, § 235

335

VII. Kinderhandel, § 236

336

§ 66: Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

337

I.

Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung

337

II.

Die sexuelle Handlung, § 184 c

338

III.

Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne

339

IV. Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit

343

V.

Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person

345

VI.

Sexuelle Belästigung Unbeteiligter

349

VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution

350

VIII. Verbreitung pornographischer Schriften, § 184

354

§ 67: Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

355

I.

Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c

355

II.

Mißbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln, § 145

357

III.

Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138, 139

358

§ 68: Zur Wiederholung

361

4. Abschnitt: Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs

362

XIV

Inhaltsverzeichnis § 69: Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte

362

§ 70: Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 II. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 III. Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 275, 276 a IV. Vorbereitung des Gebrauchs von falschen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 276, 276 a V. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277

362 362 374 375 376 376

§ 71: Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 II. Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 III. Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen, §§ 276, 276 a IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278

381 381

§ 72: Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt II. Unterdrückung beweiserheblicher Daten, § 274 Abs. 1 Nr. 2 III. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 3

382 382 383 384

§ 73: Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels

384

377 377 379 381

§ 74: Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 III. Die Tathandlung IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1,2. Alt

385 385 386 387

§ 75: Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146, 147, 149, 152 II. Geldfälschung, § 146 III. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1,1. Alt IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 V. Wertpapierfälschung, § 151 VI. Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks, § 152 a

388 388 389 391 391 392

388

392 XV

Inhaltsverzeichnis

§ 76: Wertzeichenfälschung

393

I.

Wertzeichenfälschung, § 148

393

II.

Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1,2. Alt

394

§ 77: Zur Wiederholung

394

5. Abschnitt: Gemeingefährliche Delikte

397

§ 78: Systematischer Überblick I.

Der Begriff des gemeingefährlichen Delikts

397 397

II.

Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick)

398

III.

Nicht gemeingefährliche Delikte im 27. Abschnitt des StGB

401

§ 79: Brandstiftungsdelikte

401

I.

Inbrandsetzen und Zerstören durch Brandlegung

401

II.

Brandstiftung, § 306

402

III.

Schwere Brandstiftung, § 306 a

403

IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 306 b

404

V.

404

Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c

VI. Fahrlässige Brandstiftung, § 306 d

404

VII. Herbeiführen einer Brandgefahr, § 306 f

404

VIII. Tätige Reue, § 306 e

405

§ 80: Gefährdungen des Verkehrswesens

405

I.

Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§ 315, 315 a

405

II.

Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316

407

III.

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142

412

IV. Angriff auf den Luft-und Seeverkehr, § 316 c § 81: Vollrausch

416 417

I.

Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a

417

II.

Die Voraussetzungen des Tatbestandes

418

6. Abschnitt. Straftaten gegen die Umwelt

423

§ 82: Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen

423

I.

Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnormen

II.

Die grundsätzlichen Problemstellungen des Umweltstrafrechts

424

III.

Das geschützte Rechtsgut

428

IV. Die einzelnen Schutzbereiche

XVI

423

429

Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel: Delikte gegen staatliche Rechtsgüter

439

1. Abschnitt: Delikte gegen den Bestand des Staates

439

§ 83: Hochverrat

439

I.

Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes

439

II.

Die einzelnen Tatbestände

439

§ 84: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats

440

I.

Gesetzessystematik der §§ 84-91

440

II.

Die einzelnen Tatbestände

440

§ 85: Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit

444

I.

Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik

444

II.

Das Staatsgeheimnis

444

III.

Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen

445

IV.

Die landesverräterische Konspiration

447

§ 86: Delikte gegen ausländische Staaten

448

I.

Rechtsgut

448

II.

Die einzelnen Tatbestände

449

III.

Voraussetzungen der Strafverfolgung, § 104 a

449

§ 87: Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane

449

I.

Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d

449

II.

Die einzelnen Tatbestände

450

§ 88: Delikte gegen die Landesverteidigung

452

I.

Der Schutzbereich

452

II.

Die einzelnen Tatbestände

452

2. Abschnitt: Delikte gegen die Staatsgewalt § 89: Gefährdungen der staatlichen Autorität I.

Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134

455 455 455

II.

Mißbrauch von Ausweispapieren, § 281

455

III.

Amtsanmaßung, § 132

455

IV. Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a

457

§ 90: Gefährdung der Staatsgewalt

458

§ 91: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113, 114

460 460

II.

Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1

461 XVII

Inhaltsverzeichnis

III.

Der Irrtum des Widerstandleistenden

463

IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2

464

V.

464

Das Verhältnis des § 113 zu § 240

§ 92: Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei

465

I.

Gefangenenbefreiung, § 120

465

II.

Gefangenenmeuterei, § 1 2 1

467

§ 93: Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch

468

I.

Verwahrungsbruch, § 133

468

II.

Verstrickungs-und Siegelbruch, § 136

469

III.

Zur Einübung

470

3. Abschnitt: Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen

472

§ 94: Gefährdung öffentlicher Interessen

472

4. Abschnitt: Delikte gegen die Rechtspflege

474

§ 95: Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat

474

I.

Falsche Verdächtigung, § 164

474

II.

Vortäuschen einer Straftat, § 145 d

475

§ 96: Strafvereitelung und Geldwäsche I.

478

Strafvereitelung, § 258

478

II.

Strafvereitelung im Amt, § 258 a

481

III.

Sabotage gerichtlicher Entscheidungen

482

IV. Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte, § 261 § 97: Aussagedelikte I.

482 486

Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick

486

II.

Das relevante Angriffsverhalten

487

III.

Die einzelnen Aussagedelikte

493

IV. Teilnahme und mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten

499

V.

503

Strafmilderung und Absehen von Strafe

§ 98: Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I.

Rechtsbeugung, § 339

506 506

II.

Aussageerpressung, § 343

508

III.

Verfolgung Unschuldiger, § 344

508

IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345

509

V.

510

Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d

VI. Parteiverrat, § 356

XVIII

511

Inhaltsverzeichnis 5. Abschnitt: Delikte gegen den öffentlichen Dienst

513

§ 99: Bestechungsdelikte

513

I.

Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte

513

II.

Vorteilsannahme, § 3 3 1

514

III.

Bestechlichkeit, § 332

516

IV. Vorteilsgewährung, § 333

517

V.

518

Bestechung, § 334

§ 100: Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357

518

Paragraphenregister

520

Sachregister

523

XIX

Schrifttum zum Studium des Strafrechts, Besonderer Teil D e r B e z u g a u f d e n GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , b e t r i f f t d e n GRUNDKURS STRAF-

RECHT, Allgemeine Strafrechtslehre, 5. Aufl. 1996. I. Älteres Schrifttum 1. Lehrbücher BINDING v . LISZT/SCHMIDT

Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2 Bde., 1./2. Aufl. 1902-1905 Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927

2. Kommentare FRANK v . OLSHAUSEN

Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931 Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1927, 12. Aufl. (nur bis § 246) 1942/43

II. Neueres Schrifttum 1. Lehrbücher und Grundrisse ARZT/WEBER

BLEI BOCKELMANN

ESER

GÖSSEL HAFT HÄUF

Strafrecht, Besonderer Teil, LH 1: Delikte gegen die Person, 3. Aufl. 1988 LH 2: Delikte gegen die Person (Randbereich), Schwerpunkt: Gefährdungsdelikte, 1983 LH 3: Vermögensdelikte (Kernbereich), 2. Aufl. 1986 LH 4: Wirtschaftsstraftaten, Vermögensdelikte (Randbereich), Fälschungsdelikte, 2. Aufl. 1989 LH 5: Delikte gegen den Staat, gegen Amtsträger und durch Amtsträger, 1982 Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. 1982 Bd. 2: Delikte gegen die Person, 1977 Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit, 1980 Strafrecht, Bd. 3: Delikte gegen die Person und Gemeinschaftswerte, 2. Aufl. 1981 Bd. 4: Vermögensdelikte, 4. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1, 1987 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 2, 1996 Strafrecht, Besonderer Teil, 6. Aufl. 1997 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 1996 Bd. 2: Straftaten gegen Persönlichkeitswerte, 1997

XXI

Schrifttum HOHMANN/SANDER KINDHÄUSER KREY

KÜPER KÜPPER MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD

RENGIER

SCHMIDHÄUSER SCHROTH WELZEL WESSELS

Strafrecht, B.T. I, Vermögensdelikte, 1998 Strafrecht, Besonderer Teil II/l, Eigentumsdelikte, 1998 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 10. Aufl. 1996 Bd. 2: Vermögensdelikte, 11. Aufl. 1997 Strafrecht, B.T., Definitionen mit Erläuterungen, 2. Aufl. 1998 Strafrecht, B.T. 1, Delikte gegen Rechtsgüter der Person und Gemeinschaft, 1996 Strafrecht, Besonderer Teil, Tbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 8. Aufl. 1995 Tbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 7. Aufl. 1991 Strafrecht, B.T., Bd. 1: Vermögensdelikte, 1997 Bd. 2: Delikte gegen die Person und gegen die Allgemeinheit, 1998 Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Aufl. 1983 Strafrecht, B.T., Examensrelevantes Wissen, 2. Aufl. 1998 Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 21. Aufl. 1997 Bd. 2: Straftaten gegen Vermögenswerte, 20. Aufl. 1997

2. Kommentare ALTERNATIVKOMMENTAR

(AK) KOHLRAUSCH/LANGE LACKNER/KÜHL LEIPZIGER KOMMENTAR (LK)

N O M O S KOMMENTAR ( N K ) PFEIFFER/MAUL/ SCHULTE PREISENDANZ SCHÖNKE/SCHRÖDER SYSTEMAT. KOMMENTAR ZUM STRAFGESETZBUCH ( S K ) TRÖNDLE

XXII

Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Wassermann, 3. Bd (§§ 80 - 145 d), 1986 Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl.1961 StGB, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 22. Aufl. 1997 Großkommentar zum Strafgesetzbuch, 10. Aufl. 1978 ff, hrsg. von Jescheck, Ruß und Willms. Im Text als 10. Aufl. gekennzeichnet. 11. Aufl. 1992 ff, hrsg. von Jähnke, Laufhütte und Odersky. Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1995 ff Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1969 Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. 1978 Strafgesetzbuch, bearb. von Cramer, Eser, Lenckner und Stree, 25. Aufl. 1997 bearb. von Rudolphi, Horn, Samson, Günther und Hoyer, Besonderer Teil, 6. Aufl. 1996, Stand: März 1998 Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 48. Aufl. 1997

Schrifttum III. Verzeichnis der im Text angeführten Festschriften/Gedächtnisschriften BAUMANN, JÜRGEN BEMMANN, GÜNTER BOCKELMANN, P A U L BOSCH, F R . W . BRUNS, HANS-JÜRGEN BRUNS, R U D O L F BUNDESGERICHTSHOF BRANDNER, ERICH DREHER, EDUARD DÜNNEBIER, H A N N S DÜRIG, GÜNTER ENGISCH, K A R L GALLAS, WILHELM GEERDS, FRIEDRICH 1 4 0 JAHRE GOLTDAMMER'S ARCHIV FÜR STRAFRECHT GÖPPINGER, H A N S HEIDELBERG HEINITZ, E R N S T HELMRICH, HERBERT HENKEL, HEINRICH VON HENTIG, H A N S HÜBNER, HEINZ JAUCH, G E R D JESCHECK, HEINRICH KAUFMANN, ARMIN KAUFMANN, HILDE KLEINKNECHT, THEODOR K L U G , ULRICH KÜCHENHOFF, GUNTHER KRIELE, M A R T I N LACKNER, K A R L LANGE, RICHARD LEFERENZ, HEINZ LOBKOWICZ, NICOLAUS MAHRENHOLZ, E R N S T GOTTFRIED M A U R A C H , REINHART M A Y E R , HELLMUTH M E Y E R , KARLHEINZ METZGER, E D M U N D MIDDENDORF, W O L F N O L L , PETER O L G CELLE OEHLER, DIETRICH PALLIN, FRANZ

Festschrift zum 70. Geburtstag, 1992 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1997 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1979 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1976 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1978 Gedächtnisschrift, 1980 Festschrift zum 25jährigen Bestehen, 1975 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1996 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1977 Festschrift zum 75. Geburtstag, 1982 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1969 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1973 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1995 Eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Paul-Günter Pötz, 1993 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1990 Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprechts-Karl-Universität Heidelberg, 1986 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 60. Geburtstag, 1994 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974 Festschrift zum 80. Geburtstag, 1967 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1984 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1985 Gedächtnisschrift, 1989 Gedächtnisschrift, 1986 Festschrift zum 75. Geburtstag, 1985 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1983 Gedächtnisschrift, 1987 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1997 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1987 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1976 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1983 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1996 Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, 1994 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1966 Gedächtnisschrift, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1954 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1986 Gedächtnisschrift, 1984 Göttinger Festschrift zum 250jährigen Bestehen, 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1985 Festschrift zum 80. Geburtstag, 1989 XXIII

Schrifttum PETERS, K A R L PFEIFFER, G E R D REBMANN, K U R T REIMERS, W A L T E R REMMERS, W A L T E R SARSTEDT, W E R N E R SCHAFFSTEIN, FRIEDRICH SCHMIDT, EBERHARD SCHNEIDER, PETER SCHRÖDER, H O R S T SCHÜLER-SPRINGORUM .

Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974 Festschrift zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes, 1988 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1989 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1979 Festschrift für Walter Remmers, 1995 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1981 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1975 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1990 Gedächtnisschrift, 1978 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1993

HORST SCHULTZ, H A N S SCHWINGE, ERICH SPENDEL, GÜNTER STREE, W A L T E R / W E S S E L S , JOHANNES TRÖNDLE, HERBERT WELZEL, HANS W O L F , ERNST WÜRTENBERGER, THOMAS

XXIV

Festgabe zum 65. Geburtstag, 1977 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1973 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1992 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1993 Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

zum zum zum zum

70. 70. 70. 70.

Geburtstag, Geburtstag, Geburtstag, Geburtstag,

1989 1974 1985 1977

Erster Teil Einführung § 1: Die einzelnen Tatbestände und das System des Besonderen Teils I. Unrecht und strafbares Unrecht 1. Die fragmentarische Natur des Strafrechts In der Einführung in die Allgemeine Strafrechtslehre wurde klargestellt, daß Strafrechtsnormen als Mittel der Verhaltenssteuerung und Erwartungssicherung, die auf eine gerechte Ordnung abzielen, bestimmten Grundsätzen genügen müssen, sollen sie den zur Entwicklung nötigen Handlungsspielraum des Einzelnen und der Gesamtheit garantieren, Rechtssicherheit gewähren und Willkür vorbeugen: (1) Sie müssen hinreichend bestimmt gefaßt sein, Art. 103 Abs. 2 GG. (2) Sie müssen gleiche Sachverhalte in gleicher Weise regeln, Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 GG. (3) Nur soweit Strafe als ultima ratio zur Sicherung des sozialen Miteinanders unerläßlich erscheint, sind Strafrechtsnormen legitim. a) Die angemessene Berücksichtigung dieser drei Grundsätze führt nun nicht zur gleichen Bestrafung aller Rechtsgutsbeeinträchtigungen gleicher Intensität, sondern im Gegenteil, sie macht eine Differenzierung nach der über die Rechtsgutsbeeinträchtigung hinausgehenden Sozialschädlichkeit der verschiedenen Verhaltensweisen nötig. Das Unrecht, die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens, erschöpft sich nicht in der Rechtsgutsbeeinträchtigung, sondern manifestiert sich lediglich in dieser! - Doch auch das gleiche Maß der Sozialgefährlichkeit oder -Schädlichkeit und damit der Strafwürdigkeit begründet dort noch keine Strafbarkeit, wo es an der Strafbedürftigkeit fehlt, weil andere, wirksamere oder gleich wirksame Mittel zur Verfügung stehen, dem strafwürdigen Verhalten zu begegnen (fragmentarische Natur des Strafrechts). b) Strafbares Unrecht ist demnach durch seine besondere Beschreibung in den Gesetzestatbeständen des Besonderen Teils jeweils als besonders vertyptes Unrecht gekennzeichnet und damit aus der Masse des allgemeinen Unrechts herausgehoben, weil der Gesetzgeber dieses Unrecht als strafwürdig und strafbedürftig ansieht.

1

2

3

4

Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 R d n . 4 8 - 5 0 .

c) Ein Tatbestand: "Wer das Vermögen eines anderen schädigt, wird ... bestraft", würde durchaus dem Bestimmtheits- und auch dem Gleichheitsgrundsatz genügen. Er würde aber zahllose Verhaltensweisen umfassen, die keineswegs mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden müssen, z.B. jede vermögensschädigende Vertragsverletzung. Die Einzeltatbestände, z.B. im Bereich des Vermögensstrafrechts, haben gegenüber einem einzigen umfassenden Tatbestand den kriminalpolitischen Vorzug eines gezielteren und damit sachgerechteren Vorgehens. Die damit verbundene Abgrenzungsproblematik ist nicht zu umgehen, soll der strafbare Raum möglichst scharf von dem nicht strafbaren Bereich abgegrenzt werden.

1

5

6

Erster Teil: Einführung 2. Die strafrechtlichen

Deliktstypen

7

Die Vertypung der einzelnen Straftaten geht auf das Erlebnis der Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen zurück. Diese werden als derart sozialschädlich empfunden, daß versucht wird, ihnen mit dem stärksten zur Verfügung stehenden Abwehrmittel, der Strafe, zu begegnen. Und zwar wird die Sozialschädlichkeit, das Unrecht, nicht nur quantitativ, sondern mehr noch qualitativ erlebt. Gerade das unterschiedliche qualitative Erlebnis führt zur Unrechtsvertypung, in der sich allerdings im sozialen Erlebnis zunächst ein persönlicher Typ durchsetzt: der des Mörders, Diebes, Räubers usw. Von diesem Kern anschaulicher kriminologischer Typen geht das Strafrecht in seinen 8 Anfängen aus. Sie werden in ihrer Eigenart, aber auch in ihrer betonten Verschiedenheit als bekannt vorausgesetzt. - Im Zuge der Rechtsentwicklung ist eine derartige Gesetzestechnik aus Rechtssicherheitsgründen nicht mehr tragbar. Die Maxime "nullum crimen sine lege" fordert die abstrakte, kriminologieferne Tatbestandsfassung, d.h. den Übergang von der bloßen Kennzeichnung des Täters zur auflösenden (analysierenden) und zugleich abstrahierenden Beschreibung von Taten. 9 Der Prozeß dieser legislatorischen Wandlung wird im geltenden StGB noch deutlich in der Verwendung normativer, d.h. wertausfüllungsbedürftiger Begriffe neben den deskriptiven Merkmalen; vgl. z.B. "niedrige Beweggründe" in § 211. In Einzelfällen hat der Gesetzgeber sogar noch gänzlich von einer Tatbeschreibung abgesehen, wie z.B. in § 185: "Die Beleidigung wird ... bestraft." 10 Die im Erlebnis der Strafwürdigkeit eines Sachverhalts begründete Vertypung von Straftatbeständen folgt allerdings nicht - vergleichbar dem Zurechnungsprinzip, das den Aufbau der Allgemeinen Strafrechtslehre strukturiert - einer einheitlichen Idee. Dennoch stehen die einzelnen Tatbestände der verschiedenen Deliktsgruppen nicht isoliert, unsystematisch nebeneinander. Als Ausdruck des gleichen Erlebnisses der Strafwürdigkeit eines umfassenderen Sachverhaltes sind sie aufeinander bezogen und damit systematisch miteinander verbunden. 3. Gesetzestatbestand

und

Unrechtstypus

11 Die einzelnen im Gesetzestatbestand erfaßten Merkmale des "Unrechtstypus" beschreiben die jeweilige Rechtsgutsbeeinträchtigung und ihre Modalitäten, d.h. spezifisches, strafwürdiges Unrecht unter der Voraussetzung, daß das Verhalten überhaupt Unrecht ist. So beschreiben z.B. die Tatbestände der Tötungsdelikte in den §§ 211 ff spezifisches Tötungsunrecht unter der Voraussetzung, daß die konkret zu bewertende Tötung Unrecht ist. Die einzelnen Gesetzestatbestände der Vermögensdelikte kennzeichnen spezifische Angriffe gegen das Vermögen als bestimmtes strafwürdiges Unrecht, vorausgesetzt, der Eingriff in das Vermögen ist rechtswidrig. 12 Der Gesetzestatbestand selbst ist insoweit wertfrei, als er keine Auskunft darüber gibt, ob das von ihm beschriebene Verhalten rechtswidrig ist. Er "indiziert" auch nicht die Rechtswidrigkeit. - Er ist wertbezogen, insofern er ein Verhalten beschreibt, das auf die Prüfung der Rechtswidrigkeit bezogen ist. Ob ein rechtswidriger Eingriff einer Person in strafrechtlich geschützte Rechtsgüter einer anderen vorliegt, ergibt die Prüfung des Unrechtstatbestandes, dessen Bestandteil der Gesetzestatbestand ist. Zur Wiederholung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 5 Rdn. 1 - 2 1 .

2

Die einzelnen Tatbestände und das System des Besonderen Teils

§1

II. Die Rechtsgutsbeeinträchtigung als Kern des Straftatbestandes Aus der Natur des Strafrechts als Schutzrecht folgt, daß bestimmte Rechtsgüter gegen be- 13 stimmte Angriffe geschützt werden, weil der Schutz dieser Rechtsgüter Voraussetzung für die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft innerhalb des staatlichen Gefüges ist. Diese Güter (Werte) werden demnach nicht geschützt, weil sie als absolute Werte anerkannt werden, wobei ihre Werthaftigkeit gerade außerhalb jeder Kritik stände, sondern weil sich im steten Vollzug des Soziallebens gezeigt hat, daß bestimmte soziale Funktionseinheiten (Werte) Voraussetzung eines sozialen Zusammenlebens sind. Mit dem Wandel der Stellung zu diesen sozialen Werten ist auch eine Wandlung der strafrechtlichen Auffassung von der Schutzwürdigkeit dieser Werte verbunden. So wurde im Jahre 1969 der Straftatbestand des Ehebruchs, § 172, aus dem StGB entfernt, und die Tatbestände der Unzucht zwischen Männern, §§ 175, 175 a StGB a.F., wurden wesentlich geändert, später wurden diese Tatbestände aufgehoben. Derartige Wandlungen rechtzeitig zu erfassen, gelingt dem Strafgesetzgeber nicht immer. Oft vollzieht sich eine Rechtsänderung auch ohne Gesetzesänderung, da eine Verschiebung des individuellen oder kollektiven Aspekts eines Rechtsguts zu einer anderen Auslegung der Vorschrift führt. Das geschützte Rechtsgut ist dem Wortlaut der einzelnen Tatbestände in der Regel 14 nicht unmittelbar zu entnehmen, es ist durch Auslegung des einzelnen Tatbestandes oder der gesamten Deliktsgruppe zu ermitteln. Die Auslegung der einzelnen Merkmale eines Tatbestandes wiederum erfolgt im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, denn seinen Schutz gegen bestimmte Angriffe sollen diese Merkmale gerade sicherstellen. Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 R d n . 2 6 - 4 7 .

III. Die Legalordnung Innerhalb einer stark differenzierten Rechtsordnung, die zahlreiche Straftatbestände ent- 15 hält, müssen diese in einer gewissen Ordnung stehen. Möglich wäre durchaus eine Einteilung nach der Schwere der angedrohten Strafe oder nach dem bei der Tat eingesetzten Angriffsmittel (z.B. Gewalt, Täuschung, List usw.). Gegen eine derartige Einteilung spricht jedoch, daß Praktikabilität und Übersichtlichkeit, aber auch der für die Auslegung der einzelnen Tatbestände höchst relevante Sachzusammenhang zwischen den einzelnen Delikten in höherem Maße Berücksichtigung finden können, wenn eine Ordnung nach der materiellen Angriffsrichtung der Delikte, d.h. nach dem geschützten Rechtsgut der einzelnen Tatbestände, angestrebt wird. Abweichungen innerhalb dieser Ordnung, die z.B. durch die Art des Angriffs (gemeingefährliche und gemeinlästige Straftaten) bedingt sind, können dabei durchaus als Ausnahme von der Regel erfaßt werden. Unmittelbar in das Strafgesetzbuch sind Deliktsgruppen aufgenommen worden, deren 16 Bedeutung im Laufe der historischen Entwicklung besonders in das allgemeine Bewußtsein gedrungen ist. Es sind im wesentlichen Tatbestände, die die Grundlagen jeglichen

3

Erster Teil: Einführung sozialen Miteinander sichern. Sie können weitgehend auf die Richtlinien des Dekalogs zurückgeführt werden. Die Tatsache des größeren Bekanntheitsgrades dieser Tatbestände darf aber nicht von der Relevanz des Strafrechts ablenken, das in anderen Gesetzen normiert ist, auch wenn diese Strafgesetze vielfach im Gegensatz zu den Vorschriften des StGB als Nebenstrafrecht bezeichnet werden. Nebenstrafrecht ist nicht nebensächliches Strafrecht! Es handelt sich vielmehr um Strafrecht, das oftmals nur von bestimmten Tätern verwirklicht werden kann. Schon das zeigt, daß es hier nicht um Bagatellstrafrecht geht.

4

Zweiter Teil Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen Erstes Kapitel Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter Erster Abschnitt

Delikte gegen das Leben § 2: Die Systematik der Tötungsdelikte Zur Einführung: BGHSt 23 S. 119: A erschlug die schlafende M, mit der er bis dahin zusammengelebt hatte, mit einem Beil.

1

BGH: Mord, § 211. - Strafe: Lebenslange Freiheitsstrafe. BGHSt 19 S. 321: A fiel über Frau W her, um sie zu verprügeln. Sie wehrte sich. Daraufhin faßte A den Entschluß, Frau W umzubringen. Er stürzte sie in einen Kellerschacht. Frau W kam zu Tode. BGH: Totschlag, § 212. - Strafrahmen: 5-15 Jahre Freiheitsstrafe. BGHSt 25 S. 223: A geriet bei einer Unterredung mit der B in heftige Erregung, als diese abfällige Bemerkungen über die Söhne des A machte. Hierdurch zum Zorne gereizt, erwürgte A die B. BGH: Minder schwerer Fall des Totschlags, § 213. - Strafrahmen: 1 Jahr - 10 Jahre Freiheitsstrafe.

Frage: Ist es sachgerecht, im Falle der vorsätzlichen Verletzung desselben Rechtsguts - 2 Leben - besonders schwere und - unabhängig von der Schuld des Täters - minder schwere Delikte neben dem Grunddelikt zu unterscheiden? 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Tötungstatbestände ist das menschliche Leben. - Angriffsobjekt 3 ist der geborene Mensch. a) Das Leben als Mensch fängt mit dem Beginn der Geburt an. Dieses ergab sich früher 4 aus dem Wortlaut des § 217 a. F. ("Kind in oder gleich nach der Geburt tötet"), sollte aber durch die Aufhebung des § 217 a. F. nicht geändert werden. Als Beginn der Geburt ist das Einsetzen der sog. Eröffnungswehen anzusehen.1 Bei einer operativen Entbindung ist der die Eröffnungsperiode ersetzende Eingriff entscheidend, d.h. bei einer Schnittentbindung die Öffnung des Uterus.2 Das Kind muß im Zeitpunkt der Geburt gelebt haben, nicht erforderlich ist dagegen 5 seine weitere Lebensfähigkeit. Geschützt wird daher auch die unreife und die mißgestaltete Leibesfrucht, nicht aber das krankhaft entartete Ei, die sogenannte Mole.

Vgl. BGHSt 31 S. 348; 32 S. 194; dazu ARZT FamRZ 1983 S. 1019 f; HIRSCH JR 1985 S. 336 ff; LÜTTGER NStZ 1983 S. 481 ff. V g l . JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 3 ; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 A n m . 2 a ; MAURACH/ SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 1 R d n . 8; w e i t e r g e h e n d LÜTTGER H e i n i t z - F S , S. 3 6 6 .

5

§2

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Zur Verdeutlichung: 6

aa) B G H S t 10 S. 5: D i e Einwirkung der A auf ihre Leibesfrucht führte zu einer nicht lebensfähigen Frühgeburt. BGH: Strafbarkeit der A nur w e g e n einer Abtreibung, nicht aber w e g e n eines Tötungsdelikts. bb) B G H S t 13 S. 21: Infolge der Einwirkung der B auf die Leibesfrucht k o m m t es zu einer Frühgeburt. D a s Kind wird sogleich nach der Geburt getötet. B G H : B hat eine versuchte Abtreibung und einen vollendeten Totschlag in Realkonkurrenz begangen.^ cc) B G H S t 3 2 S. 194: A warf die schwangere S, bei der die Eröffnungswehen schon eingesetzt hatten, einen Hang hinunter. S starb, die Geburt wurde nicht mehr vollendet. BGH: Z w e i vollendete Tötungsdelikte, nämlich Tötung der S und des Kindes.

7

8

9

Außerhalb des Schutzbereichs der Tötungsdelikte liegen Eingriffe in exkorporal befruchtete Eier sowie erzeugte Embryonen vor einem eventuellen Embryonentransfer. Strafrechtlichen Schutz gegen einzelne Eingriffe bietet hier das EmbryonenschutzG vom 13.12.1990. 4 Problematisch ist die Erfassung von schädigenden Handlungen, die vor der Geburt eines Kindes vorgenommen werden, aber erst nach der Geburt zum Tode des Kindes führen. - Entscheidend ist hier hinsichtlich der Schädigung des Kindes nicht der Zeitpunkt der Handlung, sondern der, in dem sich die Handlung bei dem Kind auswirkt, d.h. in dem die schädigende Einwirkung stattfindet. Handlungen, die dazu führen, daß ein lebendes, aber nicht überlebensfähiges Kind geboren wird, sind daher nicht als Tötung, sondern nur als Abtreibung zu erfassen.5 Bei der Infizierung eines ungeborenen Kindes mit AIDS, die zum späteren Tod des geborenen Kindes führt, kommt es danach darauf an, ob die relevante Einwirkung bereits in der Infizierung oder erst im Ausbruch der Krankheit gesehen wird. - Da das Ereignis, aus dem sich die weiteren Folgen zwingend und ohne Möglichkeit ihrer Abwendung entwikkeln, die Infizierung ist, liegt in dieser die relevante Schädigung, nicht erst im Ausbruch der Krankheit. Das Kind wird bereits mit dem Schaden geboren. 6 Darin liegt der Unterschied zu dem Fall einer vor Geburt bereits in Gang gesetzten Gefährdung von außen, die sich erst nach der Geburt realisiert, z.B. beim Versehen des Kinderzimmers mit einem giftigen Anstrich.

10 b) Als Ende des Lebens wurde früher der endgültige Stillstand von Kreislauf und Atmung angesehen. Nach heute h.M. gilt als Todeszeitpunkt der vollständige und irreversible Zusammenbruch der Gesamtfunktion des Gehirns bei noch aufrechterhaltener Kreislauffunktion im übrigen Körper.7 J

D a z u auch KREY B.T. 1, Rdn. 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 6 Rdn. 28; SCH/SCH/ ESER § 2 1 8 R d n . 24.

4

B G B l . I S. 2 7 4 6 ; dazu DEUTSCH N J W 1991 S. 721 ff; JUNG JUS 1991 S. 431 ff; KELLER/GÜNTHER/ KAISER EmbryonenschutzG, 1992.

5

V g l . dazu B G H S t 31 S. 352; JÄHNKE L K , 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 4; LÜTTGER N S t Z 1983 S. 4 8 3 ; SCH/SCH/ESER Vor § 211 Rdn. 15, Vor § 2 1 8 Rdn. 40.

6

N a c h geltendem Recht bleibt daher die Schädigung des Kindes straflos, da nach h.M. die Trennung z w i s c h e n den Rechtsgütern der Mutter und des Kindes auch in derartigen Fällen streng durchzuhalten ist; vgl. dazu eingehender § 13 Rdn. 65 ff.

7

D a z u Wiss. Beirat der B Ä K , Dt.ÄrzteBl 1982 S. 45; 1986 S. 2 9 4 0 ; 1993 S. 1975; 1997 S. B 1032; vgl. auch BOTTKE in: Bottke/Fritsche/Huber/Schreiber (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht, 1996, S. 5 6 f; GEILEN Heinitz-FS, S. 3 7 3 ff; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 7 ff; KLUTH Z f L 1996 S. 8; LANG Z R P 1995 S. 4 5 7 ff; SCH/SCH/ESER V o r §§ 211 ff Rdn.

6

Die Systematik der Tötungsdelikte

§2

Taugliches Tötungsobjekt können demnach auch der Todgeweihte und der Sterbende 11 sein. Es gibt kein lebensunwertes oder minder schutzwürdiges Menschenleben. Auch "unaufhaltsam verlöschendes", "infolge irreversiblen Bewußtseinsverlustes geschädigtes Leben" ist geschützt.8 Geschützt ist auch der Anencephalus. Ihm fehlen zwar Groß-, Zwischen- und Mittel- 12 hirn, doch wegen der Funktion des Stammhirns ist der Anencephalus nicht einem Hirntoten gleichzustellen. Auch er ist, als zur Gattung Mensch zugehörig, als Mensch strafrechtlich geschützt. 9 In der Auseinandersetzung über die Regelungen der nötigen Einwilligung zu einer Transplantation (Einwilligung allein des Betroffenen: enge Zustimmungslösung; auch Einwilligung von Angehörigen und Vertretern relevant: weite Zustimmungslösung) wurde die h.M. zum Todeszeitpunkt zunehmend in Frage gestellt. Argumentiert wurde und wird, daß der Tod ein oft langsam voranschreitender Prozeß ist, in dessen Verlauf der Ausfall einzelner Organe jeweils ein Stadium dieses schrittweise verlaufenden Prozesses darstelle. Erst mit dem unwiderruflichen Ausfall aller Organe, die an der Konstituierung des menschlichen Organismus als Einheit wesentlich beteiligt sind - Herz, Lunge, Hirn - trete daher der Tod ein.'® - Konsequent durchdacht führt diese Ansicht aber entgegen der Auffassung ihrer Vertreter nicht zwingend zur engen Zustimmungslösung, sondern zu einem Schutz gegen todbringende Organentnahmen auch nach dem Hirntod, d.h. letztlich zum Verbot jeglicher Transplantationen. Das bloße Sterbenlassen durch Abbruch einer Intensivbehandlung und die „Abkürzung" des Sterbeprozesses durch Organentnahme sind nämlich nicht identisch, denn die todbringende Organentnahme ist ein zielgerichteter lebensverkürzender Eingriff. ' ' Wird die Transplantation dennoch zugelassen, so findet in ihr ein - nach dem Himtod - verminderter Schutz des Lebens seinen Ausdruck. Insofern ist es in der Tat fraglich, ob das Hinausschieben des Todeszeitpunktes über den Hirntod hinaus dem Menschen wirklich d i e n t . D a s Transplantationsgesetz vom 5.11.1997 (BGBl. I, S. 2631) trifft keine gesetzliche Regelung zum Todeszeitpunkt, verbietet aber eine Organentnahme vor dem Himtod, § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG.

13

2. Die Systematik der vorsätzlichen Tötungsdelikte a) Nach h.L. ist der Totschlag, § 212, als Grundtatbestand der Tötungsdelikte anzusehen. 14 Der Mord, § 211, ist demgegenüber eine Qualifizierung; dazu weiter § 4 Rdn. 1 ff. - Die Tötung auf Verlangen, § 216, stellt eine Privilegierung dar. 13 18; SCHREIBER R e m m e r s - F S , S. 5 9 5 ; SPITTLER J Z 1997 S. 7 4 7 f f ; STERNBERG-LIEBEN J A 1997 S. 8 0 f f ; TAUPITZ JUS 1997 S. 2 0 6 f; WAGNER/BROCKF.R Z R P 1997 S. 2 2 6 ff. 8

Der Entscheidung B G H NStZ 1992 S. 333 ist keine entgegengesetzte Auffassung zu entnehmen; vgl. JOERDEN N S t Z 1993 S. 2 6 8 ; MITSCH J u S 1995 S. 7 8 9 f; OTTO J K 9 3 S t G B § 2 2 6 / 4 ; PUPPE J R 1992 S.

513; a. A. DENCKER NStZ 1992 S. 311 ff. - Allerdings geht B G H NStZ-RR 1996 S. 356 davon aus, daß es strafmildernd zu berücksichtigen sei, wenn der Täter dem Tod des Opfers lediglich „vorgegriffen" hat; dagegen aber SPENDEL J Z 1997 S. 1186 ff. 9

Dazu auch BOTTKE in: Lebensverlängerung, S. 60 ff; ISEMER/LILIE MedR

1988 S. 67; MAU-

RACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 1 R d n . 10. - A . A . HIERSCHE M e d R 1984 S. 2 1 5 ; JÄHNKE L K ,

10. Aufl., § 218 Rdn. 4. 10

V g l . BECKMANN Z R P 1996 S. 2 2 5 ; GREWEL Z R P 1995 S. 2 1 7 f; HÖFLING J Z 1995 S. 2 8 f f ; DERS. J Z

1996 S. 617 ff; HOF/IN DER SCHMITTEN in: Hof/in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, 1995, S. 153 ff; JÖRRIS in: Hof/in der Schmitten, Mensch, S. 362 ff; RIXEN Z R P 1995 S. 462 ff; TRÖNDLE S t G B , V o r § 2 1 1 R d n . 13; DERS. Z f L 1 9 9 7 S. 3 ff. 11

D a z u vgl. BOTTKE in: L e b e n s v e r l ä n g e r u n g , S. 7 9 ff; STEFFEN N J W 1997 S. 1619; WAGNER/BROCKER

Z R P 1996 S. 229 f; WOLFSLAST MedR 1989 S. 163 f. 12

D a z u OTTO Z f L 1997 S. 7 f; STEFFEN N J W 1997 S. 1620.

13

V g l . BOCKELMANN B.T./2, § 4 ; GÖSSEL B . T . l , § 1 R d n . 6; LACKNER/KÜHL V o r § 211 R d n . 2 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 6 0 f, 65 f; WELZEL L b , § 38; WESSELS B . T . / l , R d n . 6 1 . -

Für Sonderdelikt: SCH/SCH/ESER Vor § 211 Rdn. 7; TRÖNDLE StGB, § 216 Rdn. 1.

7

§2

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

15

Der minder schwere Fall des Totschlags, § 213, enthält in seinem ersten Teil (Reizung zum Zorne) eine Privilegierung, in seinem zweiten Teil (sonst ein minder schwerer Fall) eine bloße Strafzumessungsregel. 14

16

Die h.M. interpretiert auch die 1. Alt. des § 213 als bloße Strafzumessungsregel und damit als unbenannten Strafänderungsgrund. Das überzeugt nicht. - Innerhalb der Systematik der Strafänderungsgründe unterscheidet das Gesetz benannte und unbenannte Strafänderungsgründe. Da der strafmildernde Sachverhalt in § 213, 1. Alt. zwingend festgelegt wird, handelt es sich insoweit um einen benannten Strafmilderungsgrund, d. h. um eine Privilegierung. Zwingende Beispiele unbenannter Strafänderungsgründe gibt es innerhalb dieser Systematik nicht, denn dieses wären benannte Fälle unbenannter Strafänderungsgründe! Nach der Änderung des Strafmaßes des § 213 durch das 6. StrRG hat die Unterscheidung ihre praktische Bedeutung verloren, da nunmehr auch der Versuch des § 213, 1. Alt. StGB strafbar ist.

17 b) Der BGH hat zunächst in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß § 211 und § 212 als selbständige Tatbestände anzusehen sind, die isoliert nebeneinander stehen. 15 Das hat den 1. Strafsenat des BGH jedoch nicht daran gehindert, die Möglichkeit von Mord und Totschlag durch Mittäter, die jeweils nur das eine der beiden Delikte verwirklicht haben, anzuerkennen. Damit ist die These, daß beide Tatbestände selbständige, von einander unabhängige Delikte beschreiben, in der Sache aufgegeben. 16 Sie wurde jedoch bereits zuvor vom BGH nicht durchgehalten, da er davon ausging, daß der Teilnehmer an einer Mordtat aus niedrigen Beweggründen wegen Teilnahme am Mord bestraft werden kann, wenn er in Kenntnis der niedrigen Beweggründe des Haupttäters oder selbst aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat; 17 dazu weiter unter § 8 Rdn. 1 ff. 18 c) § 213 enthält nach Auffassung der Rechtsprechung lediglich eine Strafzumessungsregel gegenüber §212. - §216 wird als Sondertatbestand bezeichnet, doch meint die Rechtsprechung damit wegen des beschränkten Täterkreises ein unechtes Sonderdelikt, d.h. in den praktischen Auswirkungen einen privilegierten Tatbestand. 18 19 d) Zu den Konsequenzen der einzelnen Auffassungen in der Teilnahmelehre vgl. § 8. 3. Die sachliche Berechtigung der Differenzierung und ihre Konsequenzen 20 Die Sachgerechtigkeit der im deutschen Strafrecht schon in der Carolina und in vielen ausländischen Rechtsordnungen ausgeprägten Differenzierung zwischen einem Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte und einem qualifizierten Tatbestand sowie privilegierten Tötungsdelikten wird bestritten. Unabhängig von der Frage nach der Richtigkeit einzelner Entscheidungen wird die Berechtigung der Dreiteilung als solche in Zweifel gezogen. Vorgeschlagen wird eine Differenzierung lediglich zwischen nicht privilegierter Tötung und privilegierten Tötungsfällen. 19 Der Dreiteilung ist gleichwohl der Vorzug zu 14

Str., so auch BOCKELMANN B.T./2, § 4 I, § 2 III. - Die h.M. sieht den § 213 einheitlich als bloße Strafzumessungsregel an, vgl. GEILEN Dreher-FS, S. 358; GÖSSEL B . T . l , § 1 Rdn. 9; JÄHNKE LK, 10. Aufl., V o r § 211 R d n . 39; KREY B . T . l , R d n . 50; LACKNER/KÜHL § 2 1 3 R d n . 1; MITSCH JUS 1996 S. 2 8 ;

TRÖNDLE StGB, § 213 Rdn. 1. 15

Vgl. dazu BGHSt 1 S. 370, 372; 2 S. 255; 6 S. 329; 22 S. 377; 24 S. 108; sowie zu den Konsequenzen BGHSt (GrSSt) 30 S. 105.

16

Vgl. BGHSt 36 S. 231 mit Anm. BEULKE NStZ 1990 S. 278 f, GEPPERT JK 90, StGB § 211/18, KÜPPER JuS 1991 S. 639 ff, TIMPE JZ 1990 S. 97 f. - Krit. Analyse der Rechtsprechung durch KÜPER JZ 1991, S. 761 ff, 862 ff, 910 ff.

17

Vgl. B G H N S t Z 1996 S. 384 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 211/30.

18

Vgl. dazu B G H N J W 1953 S. 1440; GÖSSEL B . T . l , § 1 Rdn. 14; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 42.

19

V g l . ESER 5 3 . D J T - G u t a c h t e n , 1980, D 106 f f ; BECKMANN G A 1981 S. 3 3 7 ff.

8

Die Systematik der Tötungsdelikte

§2

geben, denn in ihr findet ein Differenzierungsbedürfnis Ausdruck, das in der unterschiedlichen sozialethischen Beurteilung der Tötungstaten begründet ist. Diese sozialethische Betrachtung, die jedem rechtserheblichen Ereignis zuteil wird, weil es sich zugleich um eine sozial erhebliche Tatsache handelt, begründet die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte: Je bedeutsamer, verständlicher oder zwingender z.B. der Anlaß zur Tat erscheint, um so geringer wird ihr Unwert als Störung der sozialen Beziehungen der Rechtsgenossen untereinander empfunden. Innerhalb dieser Wertung wird die vorsätzliche Tötung ganz nüchtern als ein Mittel zur Lösung bestimmter sozialer Konflikte bewertet. Motive, Zweck, Art und Weise der Anwendung des Mittels, Aufkommen der Konfliktsituation und Stellung des Täters in ihr werden zum gewählten Mittel der Problemlösung ins Verhältnis gesetzt. Egoistische und altruistische Strebungen innerhalb der Konfliktsituation werden gegenübergestellt.

21

Der Grundtatbestand der Tötungsdelikte, Totschlag, ist erfüllt, wenn diese Beurteilung zu dem Ergebnis führt, daß die Tat Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters ist, weil die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorgezogen werden. - Ein qualifizierter Fall des Totschlags, ein Mord, liegt hingegen vor, wenn die Tat ein derartiges Maß an Sozialgefährlichkeit des Täters erweist, daß sie nur noch als Ausdruck des krassesten und primitivsten Egoismus des Täters und einer über die Tötung selbst hinausweisenden sozialen Gefährlichkeit des Täters angesehen werden kann. - Ein privilegierter Tötungsfall ist hingegen anzunehmen, wenn die Tat als ausnahmsweise Entgleisung eines Menschen erscheint, "die Gesinnung neben dem natürlichen Egoismus jedes Individuums auch hinreichend entwickelte soziale Tendenzen enthält, so daß man von einer ethisch guten, anständigen und deshalb auch rechtlichen Gesinnung dieses Menschen reden kann" (BINDER).2^

22

Diese sozialethische Differenzierung basiert auf der Würdigung der verwerflichen Motive 23 und Zwecksetzung des Täters - Verwerflichkeitsprinzip - sowie seiner in der Tat zum Ausdruck gekommenen Gefährlichkeit - Gefährlichkeitsprinzip -. Im Gegensatz zu dieser Auffassung wird vielfach in der Lehre versucht, die quali- 24 fizierten Totschlagsfälle nur als besonders verwerfliche Tötungen zu erfassen (Verwerflichkeitsprinzip). Die Verwerflichkeit wird zum einen in der Niedrigkeit der Motivation des Täters (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, sonstige niedrige Beweggründe), zum anderen im Tatzweck (Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat) und in der Art der Tatausführung (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) gesehen. - Eine neuere Lehre erkennt demgegenüber das maßgebende Kriterium allein in der besonders gefährlichen Einstellung des Täters gegenüber Leib und Leben anderer (Gefährlichkeitsprinzip).21 Weder die Verwerflichkeit der Gesinnung des Täters noch seine Gefährlichkeit allein sind geeignet, Tötungsfälle im Bereich der vorsätzlichen Tötung als besonders qualifiziertes Unrecht zu charakterisieren. Schon der Totschlag ist durch eine verwerfliche Gesinnung des Täters gekennzeichnet, und die Tat kann auf eine besondere Gefährlichkeit des Täters hindeuten, sie muß es aber nicht, wie gerade die in der Literatur genannten Fälle besonderer Gefährlichkeit, z.B. die "Mehrfachtötung", die "Tötung mit unerlaubt mitgeführter Schußwaffe" oder die "Tötung bei bandenmäßiger Begehung", zeigen. - Die einzelnen Fallgestaltungen könnten als Regelfallbeispiele brauchbar sein, als tatbestandliche Qualifikationsmerkmale müssen sie zu unbefriedigenden Zufallsergebnissen führen. Die Tatsache, daß z.B. jemand einen anderen mit einer unerlaubt in seinem Besitz befindlichen Waffe tötet, der ihn zuvor schwer gekränkt hat, macht die Tötung noch nicht zu einem schlechthin sozial unerträglichen Tötungsfall, gibt ihr vor allem kein anderes Gepräge als einer Tat mit erlaubt mitgeführter Waffe. Gleiches gilt für eine Tötung durch eine Bande oder für eine Mehrfachtötung als solche.

25

Der BGH geht davon aus, daß der Mordtatbestand in § 211 Abs. 2 abschließend die Tat- 26 umstände jener Tötungen beschreibt, die nach dem Willen des Gesetzgebers zwingend als besonders verwerflich anzusehen sind. Eine zusätzliche Verwerflichkeitsprüfung bzgl. der einzelnen Tat komme daher nicht in Betracht, und deshalb sei eine "Typen-" oder "Tatbestandskorrektur" ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen eines Mordmerkmals 2 0

E i n g e h e n d e r d a z u BINDER S c h w Z S t r 6 7 ( 1 9 5 2 ) S . 3 1 2 f f ; OTTO Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 ) S . 4 3 f f .

2

Zur Auseinandersetzung: HEINE Tötung aus "niedrigen Beweggründen", 1988, S. 183 ff, 195 ff.

'

9

§2

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

erfüllt sind, auch wenn die Tötungshandlung aufgrund umfassender Gesamtwürdigung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit als nicht besonders verwerflich erscheint. Ausnahmsweise eröffnet der BGH jedoch ein Abweichen von der lebenslangen Strafe in Tötungsfällen, in denen das Merkmal "Heimtücke" erfüllt ist, aber "außergewöhnliche Umstände vorliegen, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint. In diesen Fällen ist wegen Mordes zu verurteilen, jedoch ist der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuwenden". 2 2 27 Diese Flucht in eine Generalklausel anstelle des Versuchs, die Mordmerkmale unter einer gemeinsamen leitenden Hinsicht zu interpretieren, vermag weder dogmatisch noch kriminalpolitisch zu überzeugen. Zum einen müßte die "Verhältnismäßigkeitskorrektur" für alle Mordmerkmale gelten, 2 3 so daß hier die abgelehnte Typenkorrektur unter anderen Aspekten neu belebt würde, zum anderen ist auf diesem Weg nicht sicherzustellen, daß Fälle, die nach ihrem Sinngehalt unter § 213 fallen, aus dem Anwendungsbereich des Mordtatbestandes herausgehalten werden, wie gerade die Praxis zeigt; dazu weiter unter § 5 Rdn. 15 ff. 28 Die hier vertretene Lösung bietet bei der Anwendung des Mordtatbestandes ein höheres Maß an Sachgerechtigkeit und Rechtssicherheit und prägt zugleich die Auslegung des § 212 Abs. 2, da die Mordqualifikationen Beispielcharakter für die Anwendung des § 212 Abs. 2 haben. Damit wird gewährleistet, daß im Mordtatbestand Fälle gleicher Schwere in gleicher Weise erfaßt werden. Soweit ein Fall nicht die Merkmale des § 211 Abs. 2 erfüllt, bleibt es möglich, ihn als besonders schweren Fall des Totschlags gemäß 212 Abs. 2 einzuordnen. - Die Situationen privilegierter Tötungen heben sich demgegenüber deutlich ab: in ihnen kann niemals ein unerträglicher Egoismus des Täters und eine über die Tötung selbst hinausgehende Gefahr des Täters für die Sozietät ihren Ausdruck finden. Mord und privilegierte Tötungsfälle schließen sich demgemäß sachlich aus, weil die Tatbestände unterschiedliche, nicht vergleichbare Fallsituationen beschreiben. 2 4 4. Zur Reform der 29

Tötungsdelikte

A R Z T Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 ) S . 1 f f ; ESER 5 3 . D J T - G u t a c h t e n , D 3 4 f f ; FUHRMANN 5 3 . D J T - S i t z u n g s b e r i c h t , M 7 f f ; GEILEN J R 1 9 8 0 S . 3 0 9 f f ; GÖSSEL D R i Z 1 9 8 0 S . 2 8 1 f f ; GRIBBOHM Z R P 1 9 8 0 S . 2 2 2 f f ; JÄHNKE M D R 1 9 8 0 S . 7 0 5 f f ; LACKNER J Z 1 9 7 7 S . 5 0 2 f f ; DERS. 5 3 . D J T - S i t z u n g s b e r i c h t , M 2 5 f f ; O T T O Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 )

5. 39 ff; RÜPING JZ 1979 S. 621; SESSAR Rechtliche und soziale Prozesse einer Definition der Tötungskrim i n a l i t ä t , 1 9 8 1 , S . 2 1 f f ; WEHLING J Z 1 9 8 1 S . 1 0 9 f ; WOESNER N J W

1 9 7 8 S . 1 0 2 5 f f ; DERS. N J W

1980

S. 1136 ff; ZlPF Würtenberger-Festschrift, S. 151 f.

22

BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; dazu kritisch ALBRECHT JZ 1982 S. 697 ff; ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, R d n . 1 1 2 a ; BRUNS J R 1 9 8 1 S . 3 5 8 f f ; DERS. K l e i n k n e c h t - F S , S . 4 9 f f ; ESER J R 1 9 8 1 S . 1 7 7 f f ; DERS. N S t Z 1 9 8 1 S . 3 8 3 f f ; FÜNFSINN J u r a 1 9 8 6 S . 1 3 6 f f ; GÜNTHER N J W

1 9 8 2 S . 3 5 3 f f ; DERS. J R

1985

S . 2 6 8 f f ; HASSEMER J Z 1 9 8 3 S . 9 6 7 f f ; KÖHLER JUS 1 9 8 4 S . 7 6 2 f f ; K R E Y B . T . l , R d n . 6 7 f f ; LACKNER

NStZ 1981 S. 348 ff; LANGER Ernst Wolf-FS, S. 335 ff; MITSCH JUS 1996 S. 122; OTTO Jura 1994 S . 1 4 3 f ; PAEFFGEN G A

1 9 8 2 S . 2 5 5 f f ; SONNEN J A

1 9 8 1 S . 6 3 8 f f ; SPENDEL J R

1983 S. 271 ff;

TRÖNDLE StGB, § 2 1 1 Rdn. 17; VEH Mordtatbestand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1 9 8 6 , S . 1 2 3 f f . - Z u s t i m m e n d : FROMMEL S t V 1 9 8 2 S . 5 3 3 f f ; GÖSSEL B . T . l , § 4 R d n . 13 f f ; JÄHNKE

Spendel-FS, S. 539 ff; KRATZSCH JA 1982 S. 401 ff; RENGIER NStZ 1982 S. 225 ff; DERS. NStZ 1984 S. 2 1 ff. 23

2 4

Gerade das aber lehnt der BGH ausdrücklich ab, vgl. BGHSt 42 S. 304; zust. DÖLLING JR 1998 S. 160 f. V g l . a u c h BERNSMANN J Z 1 9 8 3 S . 4 5 f f ; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 3 7 ; RIEB N J W

S. 630.

10

1968

§3

Totschlag R e c h t s v e r g l e i c h e n d : ESER/KOCH Z S t W 9 2 ( 1 9 8 0 ) S. 4 9 1

ff; MOOS Z S t W

8 9 ( 1 9 7 7 ) S . 7 9 6 f f ; RENGIER

Z S t W 9 2 ( 1 9 8 0 ) S. 4 5 9 ff; SIMSON/GEERDS Straftaten g e g e n die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, 1969.

5. Zur Kriminologie

der

Tötungsdelikte

DOTZAUER/JAROSCH T ö t u n g s d e l i k t e ,

1 9 7 1 ; GLATZEL M o r d u n d T o t s c h l a g

1 9 8 7 ; GOPPINGER/BRESSER T ö -

tungsdelikte, 1980; KREUZER Kriminalistik 1982, S. 491 ff; MIDDENDORF Kriminologie der Tötungsdelikte, 1 9 8 4 ; R A S C H / H I N Z K r i m i n a l i s t i k 1 9 8 0 S . 3 7 7 f f ; STEIGLEDER M ö r d e r u n d T o t s c h l ä g e r , 1 9 6 8 ; SIGG B e g r i f f ,

W e s e n und G e n e s e des Beziehungsdelikts, 1969; SIOL Mordmerkmale in kriminologischer und kriminalpolitischer Sicht, 1973.

6. Zur Kriminalistik

im Bereich der

Tötungsdelikte

GROSS/GEERDS Handbuch der Kriminalistik, 1978, Bd. 1, S. 163 ff, Bd. 2, S. 2 5 8 ff.

7. Zur verfassungsrechtlichen

Problematik

B V e r f G E 4 5 S. 1 8 7 f f m i t A n m . BECKMANN G A

der lebenslangen

Freiheitsstrafe

1 9 8 1 S . 3 3 7 f f , u n d SCHM1DHÄUSER J R 1 9 7 8 S . 2 6 5 f f ;

ERICHSEN N J W 1 9 7 6 S . 1 7 2 1 f f ; G R Ü N W A L D B e m m a n n - F S , S . 1 6 1 f f ; M Ü L L E R - D I E T Z J u r a 1 9 8 3 S . 5 7 3 f f .

§ 3: Totschlag 1. Der objektive

Tatbestand

a) Tötung eines Menschen Der objektive Tatbestand des Totschlags, § 212, erfordert die Tötung eines Menschen. Der Täter ist in eigener Sicht "er selbst", nicht aber "ein Mensch". Aus der Gesetzesformulierung in Übereinstimmung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers, den Selbstmordversuch nicht unter Strafe zu stellen, ist demgemäß davon auszugehen, daß das Opfer des Totschlags ein anderer Mensch als der Täter sein muß. Der Selbstmord erfüllt nicht den Tatbestand des § 212. Da die "rechtswidrige Tat" (Haupttat) i.S. der §§ 26, 27 fehlt, entfällt die Möglichkeit, Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord als Tötungsdelikt zu bestrafen 25 ; dazu weiter unter § 6 Rdn. 41 ff. b) Die Tathandlung Tathandlung ist jede Herbeiführung des Todes, d.h. jede Verkürzung des Lebens und damit auch die Verkürzung schon todgeweihten Lebens. 2 6 2. Der subjektive

Tatbestand

Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz in bezug auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes; bedingter Vorsatz genügt. 27

2 5

H.M., vgl. dazu OTTO 56. DJT-Gutachten, 1986, D 18 ff m . e . N . - A . A . BRINGEWAT Z S t W 87 ( 1 9 7 5 )

2 6

V g l . dazu o b e n § 2 Rdn. 5 ff.

2 7

In Fällen hochgradiger Erregung, Wut oder Alkoholisierung fordert der B G H allerdings "bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen" als zusätzliches subjektives Erfordernis des bedingten Vorsatzes die Überschreitung der "gegenüber einer Tötung bestehenden hohen H e m m s c h w e l l e " ; dazu im einzelnen Grundkurs Strafrecht, A.T., § 7 Rdn. 41, Fn. 34.

S . 6 2 3 f f ; KLINKENBERG J R 1 9 7 9 S . 1 8 3 f ; SCHMIDHÄUSER W e l z e l - F S , S . 8 0 1 f f .

11

§3

Totschlag R e c h t s v e r g l e i c h e n d : ESER/KOCH Z S t W 9 2 ( 1 9 8 0 ) S. 4 9 1

ff; MOOS Z S t W

8 9 ( 1 9 7 7 ) S . 7 9 6 f f ; RENGIER

Z S t W 9 2 ( 1 9 8 0 ) S. 4 5 9 ff; SIMSON/GEERDS Straftaten g e g e n die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, 1969.

5. Zur Kriminologie

der

Tötungsdelikte

DOTZAUER/JAROSCH T ö t u n g s d e l i k t e ,

1 9 7 1 ; GLATZEL M o r d u n d T o t s c h l a g

1 9 8 7 ; GOPPINGER/BRESSER T ö -

tungsdelikte, 1980; KREUZER Kriminalistik 1982, S. 491 ff; MIDDENDORF Kriminologie der Tötungsdelikte, 1 9 8 4 ; R A S C H / H I N Z K r i m i n a l i s t i k 1 9 8 0 S . 3 7 7 f f ; STEIGLEDER M ö r d e r u n d T o t s c h l ä g e r , 1 9 6 8 ; SIGG B e g r i f f ,

W e s e n und G e n e s e des Beziehungsdelikts, 1969; SIOL Mordmerkmale in kriminologischer und kriminalpolitischer Sicht, 1973.

6. Zur Kriminalistik

im Bereich der

Tötungsdelikte

GROSS/GEERDS Handbuch der Kriminalistik, 1978, Bd. 1, S. 163 ff, Bd. 2, S. 2 5 8 ff.

7. Zur verfassungsrechtlichen

Problematik

B V e r f G E 4 5 S. 1 8 7 f f m i t A n m . BECKMANN G A

der lebenslangen

Freiheitsstrafe

1 9 8 1 S . 3 3 7 f f , u n d SCHM1DHÄUSER J R 1 9 7 8 S . 2 6 5 f f ;

ERICHSEN N J W 1 9 7 6 S . 1 7 2 1 f f ; G R Ü N W A L D B e m m a n n - F S , S . 1 6 1 f f ; M Ü L L E R - D I E T Z J u r a 1 9 8 3 S . 5 7 3 f f .

§ 3: Totschlag 1. Der objektive

Tatbestand

a) Tötung eines Menschen Der objektive Tatbestand des Totschlags, § 212, erfordert die Tötung eines Menschen. Der Täter ist in eigener Sicht "er selbst", nicht aber "ein Mensch". Aus der Gesetzesformulierung in Übereinstimmung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers, den Selbstmordversuch nicht unter Strafe zu stellen, ist demgemäß davon auszugehen, daß das Opfer des Totschlags ein anderer Mensch als der Täter sein muß. Der Selbstmord erfüllt nicht den Tatbestand des § 212. Da die "rechtswidrige Tat" (Haupttat) i.S. der §§ 26, 27 fehlt, entfällt die Möglichkeit, Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord als Tötungsdelikt zu bestrafen 25 ; dazu weiter unter § 6 Rdn. 41 ff. b) Die Tathandlung Tathandlung ist jede Herbeiführung des Todes, d.h. jede Verkürzung des Lebens und damit auch die Verkürzung schon todgeweihten Lebens. 2 6 2. Der subjektive

Tatbestand

Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz in bezug auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes; bedingter Vorsatz genügt. 27

2 5

H.M., vgl. dazu OTTO 56. DJT-Gutachten, 1986, D 18 ff m . e . N . - A . A . BRINGEWAT Z S t W 87 ( 1 9 7 5 )

2 6

V g l . dazu o b e n § 2 Rdn. 5 ff.

2 7

In Fällen hochgradiger Erregung, Wut oder Alkoholisierung fordert der B G H allerdings "bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen" als zusätzliches subjektives Erfordernis des bedingten Vorsatzes die Überschreitung der "gegenüber einer Tötung bestehenden hohen H e m m s c h w e l l e " ; dazu im einzelnen Grundkurs Strafrecht, A.T., § 7 Rdn. 41, Fn. 34.

S . 6 2 3 f f ; KLINKENBERG J R 1 9 7 9 S . 1 8 3 f ; SCHMIDHÄUSER W e l z e l - F S , S . 8 0 1 f f .

11

§4

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

3. Hinweis zur Subsumtion 4

Mit den Worten: "ohne Mörder zu sein" in § 212 wollte der Gesetzgeber allein darauf hinweisen, daß die Prüfung des § 211 nicht übersehen werden darf. Dieser Hinweis ist bei der Subsumtion des § 212 selbst ohne jede Bedeutung und daher keinesfalls als Tatbestandsmerkmal anzusehen mit der Konsequenz, daß in der Prüfung des § 212 der ganze § 211 zu erörtern wäre.

4. Besonders schwere Fälle des Totschlags 5

Nach § 212 Abs. 2 kann in besonders schweren Fällen eines Totschlags lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Zu beachten ist aber, daß § 211 als spezielle Regelung vorgeht und diese Regelung sich auf die Auslegung des § 212 Abs. 2 dahingehend auswirkt, daß als besonders schwerer Fall nur eine Tat aufgefaßt werden kann, die im Unrechts- und Schuldgehalt den in § 211 erfaßten Sachverhalten gleichkommt. Es genügt daher nicht, daß die Tatumstände den Mordmerkmalen nur nahekommen. 28

§ 4: Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen 1

Den Tatbestand des Mordes, § 211, erfüllt, wer einen Totschlag unter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgezählten qualifizierenden Umständen begeht. Gemeinsam ist den Merkmalen, die diese Tatumstände beschreiben, daß es Unrechtsmerkmale und nicht bloße Schuldmerkmale sind, da in ihnen neben der besonderen Verwerflichkeit der Tat eine erhöhte, über den einzelnen Totschlag hinausgehende Gefährlichkeit des Täters ihren Ausdruck findet.29

2

Zum Teil werden die Mordqualifikationen dagegen insgesamt als Schuldmerkmale interpretiert. 3 " Von anderen werden die subjektiv geprägten Mordmerkmale dem Schuldtatbestand, die objektiv ausformulierten dem Unrechtstatbestand zugeordnet. 3 ' Wieder andere interpretieren einzelne Mordmerkmale als komplexe, Unrecht und Schuld betreffende Merkmale.-' 2

II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale 3

Der Gesetzgeber hat die Mordmerkmale in drei Gruppen unterteilt:

4

Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier sind im Gesetz ausdrücklich als Beispiele sonstiger niedriger Beweggründe genannt.

1. Niedrige Motive des Täters

28

2 9

Dazu BVerfG JR 1979 S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH NStZ 1981 S. 258 f; BGH JR 1983 S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH StV 1987 S. 296 f; BGH NStZ 1991 S. 431; BGH StV 1993 S. 354. V g l . FUHRMANN J u S 1 9 6 3 S. 19 f f ; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 4 6 f f ; MAURACH/SCHROE-

DER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 22 ff; OTTO Jura 1994 S. 143; RÜPING JZ 1979 S. 619 f. 3 0

ENGISCH G A 1 9 5 5 S. 161 f f ; LANGE S c h r ö d e r - G e d S , S. 2 2 1 .

31

V g l . Z.B. GALLAS Z S t W 6 7 ( 1 9 5 5 ) S. 4 6 ; JESCHECK L K , V o r § 13 R d n . 7 4 ; LANGER D a s S o n d e r -

32

Vgl. LAMPE Das personale Unrecht, 1967, S. 242; SCHMIDHÄUSER Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1975, 8/93.

verbrechen, 1972, S. 359; SCH/SCH/LENCKNER Vor § 13 Rdn. 122.

12

§4

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

3. Hinweis zur Subsumtion 4

Mit den Worten: "ohne Mörder zu sein" in § 212 wollte der Gesetzgeber allein darauf hinweisen, daß die Prüfung des § 211 nicht übersehen werden darf. Dieser Hinweis ist bei der Subsumtion des § 212 selbst ohne jede Bedeutung und daher keinesfalls als Tatbestandsmerkmal anzusehen mit der Konsequenz, daß in der Prüfung des § 212 der ganze § 211 zu erörtern wäre.

4. Besonders schwere Fälle des Totschlags 5

Nach § 212 Abs. 2 kann in besonders schweren Fällen eines Totschlags lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Zu beachten ist aber, daß § 211 als spezielle Regelung vorgeht und diese Regelung sich auf die Auslegung des § 212 Abs. 2 dahingehend auswirkt, daß als besonders schwerer Fall nur eine Tat aufgefaßt werden kann, die im Unrechts- und Schuldgehalt den in § 211 erfaßten Sachverhalten gleichkommt. Es genügt daher nicht, daß die Tatumstände den Mordmerkmalen nur nahekommen. 28

§ 4: Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen 1

Den Tatbestand des Mordes, § 211, erfüllt, wer einen Totschlag unter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgezählten qualifizierenden Umständen begeht. Gemeinsam ist den Merkmalen, die diese Tatumstände beschreiben, daß es Unrechtsmerkmale und nicht bloße Schuldmerkmale sind, da in ihnen neben der besonderen Verwerflichkeit der Tat eine erhöhte, über den einzelnen Totschlag hinausgehende Gefährlichkeit des Täters ihren Ausdruck findet.29

2

Zum Teil werden die Mordqualifikationen dagegen insgesamt als Schuldmerkmale interpretiert. 3 " Von anderen werden die subjektiv geprägten Mordmerkmale dem Schuldtatbestand, die objektiv ausformulierten dem Unrechtstatbestand zugeordnet. 3 ' Wieder andere interpretieren einzelne Mordmerkmale als komplexe, Unrecht und Schuld betreffende Merkmale.-' 2

II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale 3

Der Gesetzgeber hat die Mordmerkmale in drei Gruppen unterteilt:

4

Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier sind im Gesetz ausdrücklich als Beispiele sonstiger niedriger Beweggründe genannt.

1. Niedrige Motive des Täters

28

2 9

Dazu BVerfG JR 1979 S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH NStZ 1981 S. 258 f; BGH JR 1983 S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH StV 1987 S. 296 f; BGH NStZ 1991 S. 431; BGH StV 1993 S. 354. V g l . FUHRMANN J u S 1 9 6 3 S. 19 f f ; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 4 6 f f ; MAURACH/SCHROE-

DER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 22 ff; OTTO Jura 1994 S. 143; RÜPING JZ 1979 S. 619 f. 3 0

ENGISCH G A 1 9 5 5 S. 161 f f ; LANGE S c h r ö d e r - G e d S , S. 2 2 1 .

31

V g l . Z.B. GALLAS Z S t W 6 7 ( 1 9 5 5 ) S. 4 6 ; JESCHECK L K , V o r § 13 R d n . 7 4 ; LANGER D a s S o n d e r -

32

Vgl. LAMPE Das personale Unrecht, 1967, S. 242; SCHMIDHÄUSER Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1975, 8/93.

verbrechen, 1972, S. 359; SCH/SCH/LENCKNER Vor § 13 Rdn. 122.

12

Mord

§4

a) Mordlust Nach neuerer Auffassung - auch der Rechtsprechung - liegt Mordlust vor, wenn die Tötung als solche Zweck der Tat ist. - Hier sind daher die Fälle einzuordnen, in denen es dem Täter allein darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen, sei es, daß er die Tötung aus Mutwillen, Langeweile oder Angeberei begeht oder sie als Stimulans für seine abgestumpften Nerven bzw. als "sportliches Vergnügen" betrachtet. 3 3 Über die konkrete Tat hinaus ist der aus dieser Motivation handelnde Täter für die Sozietät gefährlich, da einem Menschenleben aus seiner Sicht nur noch Wert als Unterhaltungs- oder Zeitvertreibsobjekt zukommt. Zur

5

Verdeutlichung:

aa) BGHSt 34 S. 59: Der A hielt sich angetrunken in einer Bahnhofsgaststätte auf. Als er dort die Toilette aufsuchte, kam er auf den Gedanken, daß es niemand hören und bemerken würde, wenn an diesem abgelegenen Ort ein Mensch umgebracht würde. In diesem Moment ging die W an ihm vorbei zur Toilette. A dachte bei sich: "jetzt oder nie, und meinte dabei bei sich selbst, entweder er bringe diese Frau jetzt um oder er lasse es überhaupt bleiben." Er folgte der W und versuchte, sie zu erwürgen.

6

bb) BGH VRS 63 S. 119: Der A warf von einer Brücke Steine hinunter, wenn sich Fahrzeuge näherten. Er rechnete damit, daß die Steine die Windschutzscheibe des Fahrzeugs durchschlagen und den Fahrer treffen würden. Er hoffte, daß in einem solchen Fall der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren und ein Massenunfall mit unübersehbarem Sach- und Personenschaden entstehen w ü r d e . cc) FAZ vom 3.6.1983, S. 7: Drei junge Männer im Alter von 17, 19 und 22 Jahren, die im November vergangenen Jahres einen 23 Jahre alten Stadtstreicher auf dem Bonner Venusberg zu Tode gequält hatten, sind in Bonn wegen gemeinschaftlichen Mordes zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das Opfer war, so stellte es das Gericht fest, getreten, mit Knüppeln geschlagen und stranguliert worden. Die Täter hatten den Stadtstreicher gezwungen, brennende Zigarettenkippen zu schlucken und ihm mit einer abgebrochenen Bierflasche in den Kehlkopf gestochen.3^ dd) FAZ vom 12.9.1983, S. 7: Ein belgischer Reisebus und ein nachfolgender Personenwagen sind am Samstagmorgen auf dem Autobahnring München-Ost beschossen worden. Die Polizei teilte mit, ein Geschoß sei in die Windschutzscheibe des Omnibusses eingeschlagen und durch ein Seitenfenster wieder ausgetreten. Die Windschutzscheibe sei zertrümmert worden. Sowohl der Fahrer als auch der Beifahrer des Busses seien durch Splitter verletzt worden. Bei dem Personenwagen wurde die Motorhaube getroffen. Die Fahndung nach dem Täter, der von einem Feld aus auf die Autobahn geschossen hatte, blieb ohne Erfolg. ee) FAZ vom 23.5.1990, S. 9: Die Polizei nahm drei junge Männer fest, die am Ostersonntag einen 30 kg schweren Gullydeckel auf die Autobahn geworfen hatten. Nach der Verhaftung gaben die drei lakonisch an: "Wir wollten nur mal sehen, wie einer so ein Ding richtig vor die Bime kriegt". ff) BGH NStZ 1994 S. 239: Nachdem K, D, Frau W und andere gemeinsam Alkohol genossen hatten, entschloß sich K, Frau W zu töten, weil es ihm Spaß machte, andere zu schlagen und seiner Gewalttätigkeit ausgeliefert zu sehen. Es schlug auf sie ein, trat sie mit Füßen und versuchte, ihr den Bauch mit einer Gartenschere aufzuschneiden. Schließlich wurde Frau W stranguliert. b) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs tötet der Täter, der das Töten als ein Mittel zur geschlechtlichen Befriedigung einsetzt.

3 3

V g l . HORN S K , § 2 1 1 R d n . 9 ; KÜPER B . T . , S. 2 0 1 ; MITSCH JUS 1 9 9 6 S. 123; OTTO Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 ) S. 5 8 f f ; RÜPING J Z 1 9 7 9 S. 6 2 0 ; F.-CHR. SCHROEDER J u S 1 9 8 4 S. 2 7 7 f.

3 4

V e r g l e i c h b a r e S a c h v e r h a l t e : F A Z v o m 2 . 1 . 1 9 9 2 , S. 7 ; F A Z v. 2 2 . 6 . 1 9 9 3 , S . 9 ; F A Z v. 2 6 . 1 . 1 9 9 5 , N r .

22, S. 1; F A Z v. 21.2.1995, Nr. 44, S. 9; F A Z v. 8.3.1997, Nr. 57, S. 9. - Zur Annahme der Heimtücke

in derartigen Fällen vgl. BGH NStZ-RR 1997 S. 294. 35

Vergleichbarer Sachverhalt (Steinigung): FAZ v. 9.5.1996, Nr. 108, S. 13.

13

7

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§4

Drei Fallgruppen sind zu unterscheiden: aa) Der Täter befriedigt seinen Geschlechtstrieb durch Töten. bb) Der Täter tötet, um sich an der Toten zu vergehen. BGHSt 7 S. 353: Der A faßte in anhaltender geschlechtlicher Erregung den Plan, ein Mädchen durch betäubende Schläge "still" zu machen, um mit der Bewußtlosen den ununterbrochenen Beischlaf ausüben zu können. Dieses Vorhaben führte er aus; er steckte ein Beil zu sich, schlug im Dunkeln eine radfahrende Frau von seinem Rade aus nieder, schleppte die Bewußtlose beiseite, tötete sie, weil sie sich noch bewegte, und er es deshalb für notwendig hielt, mit weiteren kräftigen Beilschlägen und befriedigte sich sodann an der Leiche.

cc) Der Täter nimmt den Tod als Folge der Gewaltanwendung beim Geschlechtsverkehr in Kauf. BGHSt 19 S. 101: A überfiel die Oberschülerin E, um sie geschlechtlich zu mißbrauchen, und würgte sie, bis sie das Bewußtsein verlor. Um sie wehrlos zu halten und ungestört mit ihr geschlechtlich verkehren zu können, schnürte er ein Taschentuch um ihren Hals, zog zu, so fest er konnte, und verknotete es zweimal. A erkannte, daß das Mädchen dadurch ersticken konnte, wollte aber auf jeden Fall - auch um den Preis des Lebens seines Opfers - zum ungestörten Geschlechtsverkehr kommen. Er führte an der mit offenen Augen krampfhaft atmenden Bewußtlosen den Geschlechtsverkehr aus. Nach dem Verkehr bemerkte er, daß die E nicht mehr atmete. Er erschrak und löste das Taschentuch. Das Mädchen war an der Drosselung erstickt. 3 ^

Geht es dem Täter nicht um sexuelle Befriedigung, sondern nur um sexuelle Erregung, so wird - je nach den Tatumständen - Mordlust oder Tötung aus niedrigen Beweggründen vorliegen. 3 7 Das Tatopfer muß die Person sein, auf die das sexuelle Begehren des Täters gerichtet ist. Die Tötung von Personen, die aus der Sicht des Täters dem von ihm gewünschten Geschlechtsverkehr mit einer dritten Person entgegenstehen, erfüllt das Merkmal zur Befriedigung des Geschlechtstriebs nicht. 38 c) Habgier Habgier als besonderes rücksichtsloses und sozialethisch anstößiges Streben nach Gewinn bedeutet ein Handeln um eines materiellen Vorteils willen in einer Handlungssituation, in der der erstrebte Vorteil in einem unerträglichen Mißverhältnis zum angerichteten Schaden steht. Das ist der Fall, wenn der Täter allein um eines Vermögensvorteils willen ein Menschenleben vernichtet. 39 Er zeigt damit "ein Gewinnstreben, das in seiner Rücksichtslosigkeit des gewöhnliche Maß weit überschreitet." 40 Das Streben nach dem Vorteil muß die Tat wesentlich prägen. 41

36

37

Weitere Beispielsfälle: BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 102; BGH NJW 1982 S. 2565; BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 229. Vgl. JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 2 1 1 Rdn. 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 32; SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 16.

38

Vgl. dazu BGH GA 1963 S. 84.

39

Vgl. auch ARZT/WEBER LH 1, Rdn. 125; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 8; OTTO Jura 1994 S. 145. - Einschränkend SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 17, der "auf das von Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit getriebene und nicht auf bloße Behebung einer singulären Konfliktlage gerichtete Streben nach Vermögensmehrung" abstellt.

40

BGHSt 10 S. 399.

41

BGH StV

14

1986

S.

47;

BGH StV

1989

S.

150.

§4

Mord

Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 29 S. 317: A tötete den Z, weil er in den Besitz von 1 Gramm Heroin im Wert von D M 200.gelangen wollte, das Z besaß.

12

BGH: A erstrebte den Vorteil auch um den Preis eines Menschenlebens, daher handelte er habgierig. Dem ist zuzustimmen. Insoweit liegt ein typischer Fall des Raubmordes vor: Der Täter tötet das Opfer, um sich einen Vermögenswert zu verschaffen. - Im konkreten Fall (Täter rauschgiftsüchtig) wäre allerdings zu erwägen, ob krankhafte Suchtabhängigkeit das Ergebnis ändern könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn die Sucht so stark gewesen wäre, daß der Täter nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich der Diskrepanz zwischen dem erstrebten Vermögensvorteil und dem Wert eines Menschenlebens bewußt zu w e r d e n bb) OLG Hamburg N J W 1947/48 S. 350: A hatte einen Anspruch gegen die S. Da sie nicht zahlte, suchte er sie auf, um sein Geld zu erhalten. Eine Pistole nahm er vorsichtshalber mit. Als S auch bei dem Besuch die Zahlung verweigerte, erschoß A sie. O L G Hamburg: Keine Habgier, denn die beabsichtigte Gewinnerzielung müsse rechtswidrig sein. Kritik: Im Ergebnis ist dem zuzustimmen, nicht aber in der Begründung. Der Anspruch allein schließt ein habgieriges Verhalten nicht per se aus. Wohl aber wird das Vorliegen eines bestehenden oder vermeintlich bestehenden Anspruchs die Wertung der Situation zugunsten des Täters beeinflussen, wenn es etwa zur Tötung kommt, nachdem der Schuldner die Erfüllung des Anspruchs verweigert hat, obwohl ihm die Zahlung möglich ist, oder wenn er den Gläubiger fortweist mit dem Bemerken, dieser werde seine Forderung in einem Prozeß nicht beweisen können. Hier prägt nicht allein das Streben nach dem Vorteil die Tat, sondern auch das Bewußtsein der Hilflosigkeit angesichts eines nicht aussichtsreichen Rechtsweges u . ä . 4 3 cc) BGHSt 10 S. 399: A tötete die B, um von der Unterhaltslast für das von B erwartete Kind freizukommen. BGH: A handelte h a b g i e r i g . ^ dd) BGH J Z 1981 S. 283: M suchte jemand, der ihr beim Selbstmord helfen sollte, dafür wollte sie ihn bezahlen. Sie flehte und bettelte den A an, sie gegen Zahlung von D M 500.- umzubringen. A führte die Tat aus. BGH: Keine Habgier, da nicht die Absicht, einen Vorteil zu erlangen, die Tat wesentlich prägte, sondern andere Motive. ee) BGH N J W 1993 S. 1664: X hatte zwei Ausländerinnen kennengelernt und sie dazu gebracht, in der Bar des A der Prostitution nachzugehen. Mit A hatte X vereinbart, daß dieser ihm j e ein Viertel des Verdienstes der Frauen überlassen werde. Später wandten sich die Frauen von X ab und dem A zu. A stellte die Zahlungen an X ein und wies entsprechende Forderungen des X ab. Daraufhin erschoß X den A. BGH: X handelte nicht aus Habgier, denn das setzt voraus, daß sich das Vermögen des Täters - objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung - durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder daß durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine unmittelbare Vermögensvermehrung entsteht.

d) Niedrige Beweggründe Hinter der seit BGHSt 3 S. 132 weitgehend anerkannten, jedoch pathetisch überladen for- 13 mulierten Definition der niedrigen Beweggründe als "Beweggründe, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich sind", verbirgt sich nichts anderes als die nüchterne Feststellung, daß Beweggründe niedrig sind, "wenn zwischen dem

4 2

43

D a z u a u c h A L W A R T J R 1 9 8 1 S . 2 9 3 f f ; F R A N K E J Z 1 9 8 1 S . 5 2 5 f f ; PAEFFGEN G A 1 9 8 2 S . 2 6 9 .

Vgl. dazu einerseits: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 130; SCHMIDHÄUSER Reimers-FS, S. 446 ff; W E L Z E L L b . , § 3 8 II 1. - A n d e r e r s e i t s : JÄHNKE L K ,

10. A u f l . , §

2 1 1 R d n . 8 ; M A U R A C H / SCHRO-

E D E R / M A I W A L D B . T . l , § 2 R d n . 3 3 ; S C H / S C H / E S E R § 2 1 1 R d n . 17. 4 4

So auch ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 130; GÖSSEL B . T . l , § 4 Rdn. 39; LACKNER/KÜHL § 211 Rdn. 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 Rdn. 33. - Bei bloßer Absicht, den Besitzstand zu wahren, lehnen Habgier ab: ALWART JR 1981 S. 293 f; PAEFFGEN GA 1982 S. 255; TRÖNDLE StGB, § 2 1 1 Rdn. 5.

15

§4

Zweiter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter des Einzelnen

Anlaß

der

Tat

und

ihren

Folgen

ein

unerträgliches

Mißverhältnis

besteht"Entspre-

c h e n d e M o t i v e k ö n n e n Rachsucht, Neid, Haß, Wut, Eifersucht und Selbstsucht sein, sie m ü s s e n e s a b e r n i c h t . S t e t s ist z u p r ü f e n , o b d i e s e B e w e g g r ü n d e i h r e r s e i t s a u f e i n e r n i e d r i g e n G e s i n n u n g beruhen oder o b sie in der konkreten Situation m e n s c h l i c h

verständlich

erscheinen, w e i l sie A u s d r u c k v o n V e r z w e i f l u n g , innerer A u s w e g l o s i g k e i t oder berecht i g t e m Ä r g e r s i n d . 4 6 D i e B e w e r t u n g der B e w e g g r ü n d e h a t in e i n e r G e s a m t w ü r d i g u n g z u e r f o l g e n , in d e r d a s M i ß v e r h ä l t n i s z w i s c h e n A n l a ß u n d E r f o l g d e r Tat, b e s o n d e r e e m o t i o n e l l e E r r e g u n g e n u n d ihr A n l a ß , s o w i e P e r s ö n l i c h k e i t s g e g e b e n h e i t e n z u b e r ü c k s i c h t i g e n sind. 14

D e r T ä t e r m u ß s i c h d e r U m s t ä n d e , d i e s e i n V e r h a l t e n a l s b e s o n d e r s v e r w e r f l i c h erscheinen lassen, b e w u ß t sein und die B e d e u t u n g seiner B e w e g g r ü n d e und Ziele für die B e w e r t u n g d e r T a t e r f a s s e n ; d a ß e r s i e s e l b s t a l s v e r w e r f l i c h b e w e r t e t , ist n i c h t n ö t i g .

15

Spielen bei der Tat gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen eine Rolle, so muß der Täter in der Lage sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern, damit dem Täter die Niedrigkeit seiner Handlung vorgeworfen werden kann. 4 ? Waren mehrere Motive für die Tat maßgeblich (Motivbündel), so ist die Tat nur dann auf niedrige Motive zurückzuführen, wenn diese das Hauptmotiv waren oder der Tat ihr Gepräge g a b e n . 4 8 Zur

16

Verdeutlichung:

aa) BGHSt 3 S. 180: Der 39jährige verheiratete A verspürte Lust zum Geschlechtsverkehr mit der 19jährigen B. Diese wies ihn entrüstet ab. Er erstach sie daraufhin, weil auch kein anderer die B haben sollte. BGH: Beweggrund niedrig. 4 9 bb) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 542: A, der als unbesiegbarer Schläger galt, provozierte den B durch Belästigungen, um "in eine tätliche Auseinandersetzung zu kommen." Als diese begann, mußte A erkennen, daß B stärker war. Dies "konnte A nicht verwinden" und stieß dem B deshalb wütend, schnell und mit aller Kraft die Klinge seines Taschenmessers in die Brust. Der tödliche Ausgang dieses Angriffs war ihm recht. BGH: Wut und Enttäuschung darüber, daß er in der Auseinandersetzung mit dem sich vollkommen rechtmäßig verhaltenden B nicht als Sieger hervorging, sind als niedrige Beweggründe a n z u s e h e n . ^ cc) BGH NJW 1980 S. 537: A und B, zwei Türken, versuchten den St zu töten, der die Tochter bzw. Schwester geschwängert hatte, aber nicht bereit war, sie zu heiraten. Nach den Sitten ihres Heimatlandes empfanden sie dies als verbindliche Familienpflicht. BGH: Keine niedrigen Beweggründe, denn bei ausländischen Tätern sind die Anschauungen ihrer Heimat bei der Wertung ihrer Motive zu berücksichtigen.^' dd) B G H NStZ 1985 S. 454: A, der Schwierigkeiten in Ehe und Beruf hatte, beschloß "auszusteigen und unterzutauchen". Um einen Unfall vorzutäuschen, tötete er den X, setzte die Leiche in seinen Wagen und zündete diesen an.

45

BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 725; vgl. auch BGH MDR 1993 S. 1102 f; dazu auch MITSCH JUS 1996 S . 125.

46

Vgl. dazu B G H StV 1997 S. 291; BGH StV 1998 S. 25; BGH StV 1998 S. 130.

47

BGH StV 1 9 8 7 S. 1 5 0 ; B G H StV 1 9 8 7 S. 2 9 6 ; BGH MDR 1 9 8 9 S. 6 5 4 ; BGH MDR 1 9 9 4 S. 1 1 0 2 ; BGH NStZ 1996 S. 384.

4 8

V g l . B G H b e i H o l t z , M D R 1 9 8 4 S . 4 4 1 f; LACKNER/KUHL § 2 1 1 R d n . 5 c. - A . A . ALWART G A 1 9 8 3

49

Vgl. auch BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 229.

50

Vgl. auch BGH NStZ 1995 S. 181 einerseits, BGH StV 1995 S. 301 andererseits.

51

D a z u auch GEILEN J K , S t G B § 2 1 1 / 5 ; KÖHLER J Z 1980 S. 2 3 8 ; SONNEN J A 1980 S. 7 4 7 ; B G H S t V

S. 433 ff; SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 18; BGH NStZ-RR 1998 S. 67.

1997 S. 566. - Einschränkend aber B G H NJW 1995 S. 602 mit Anm. FABRICIUS StV 1996 S. 209 ff.

16

Mord

§4

B G H : W e r e i n e n i h m u n b e k a n n t e n M e n s c h e n tötet, u m statt seiner als tot zu gelten, sich d a m i t a u s s e i n e n f a m i l i ä r e n u n d b e r u f l i c h e n B i n d u n g e n zu lösen u n d - frei v o n d e r d a m i t e i n h e r g e h e n d e n V e r a n t w o r t u n g - ein " n e u e s L e b e n " b e g i n n e n zu k ö n n e n , o f f e n b a r t d a m i t v i e l f a c h ein d e r a r t e r h e b l i c h e s M a ß an M e n s c h e n v e r a c h t u n g , d a ß sein B e w e g g r u n d f ü r d i e T ö t u n g sittlich auf tiefster S t u f e steht u n d d a m i t n i e d r i g im S i n n e d e s M o r d t a t b e s t a n d e s ist. e e ) B G H N S t Z 1993 S. 182: A h a t t e A n s t o ß g e n o m m e n daran, d a ß d e r O b d a c h l o s e S sich u n t e r e i n e r B r ü c k e e i n g e r i c h t e t h a t t e u n d dort d i e U m g e b u n g v e r u n r e i n i g t e . E r hatte ihn bereits e i n m a l mit G e w a l t v e r t r i e b e n . A l s er ihn dort w i e d e r antraf, e r s c h o ß er ihn aus W u t , Z o r n u n d V e r ä r g e r u n g . B G H : N a c h d e n F e s t s t e l l u n g e n d e s S a c h v e r s t ä n d i g e n h a n d e l t es sich bei A u m e i n e n M e n s c h e n , d e r seine A n s i c h t e n u n d Ü b e r z e u g u n g e n z u m alleinigen M a ß s t a b f ü r R e c h t u n d O r d n u n g m a c h t u n d sich d e s h a l b z u m H e r r n ü b e r L e b e n u n d T o d e i n e s a u f g r u n d seiner L e b e n s w e i s e i h m m i ß l i e b i g e n M i t m e n s c h e n a u f s c h w i n g t . E i n e d e r a r t i g e P e r s ö n l i c h k e i t s s t r u k t u r ist - f ü r sich g e n o m m e n - n i c h t geeignet, d i e T ö t u n g eines M e n s c h e n in d e r b e s c h r i e b e n e n Situation m e n s c h l i c h v e r s t ä n d l i c h e r s c h e i n e n zu lassen und bietet k e i n e n b e a c h t l i c h e n G r u n d , d e r d e r W e r t u n g d e r H a n d l u n g s a n t r i e b e d e s A als auf sittlich tiefster S t u f e s t e h e n d , e n t g e g e n w i r k e n könnte. f f ) B G H N S t Z 1 9 9 3 S. 341: A u s " P r o t e s t h a l t u n g " g e g e n B a u u n d B e t r i e b d e r S t a r t b a h n 1 8 - W e s t d e s F r a n k f u r t e r F l u g h a f e n s e r s c h o ß d e r A z w e i P o l i z e i b e a m t e , d i e die S t a r t b a h n g e g e n D e m o n s t r a n t e n sicherten. B G H : N i e d r i g e B e w e g g r ü n d e sind nicht ersichtlich: D a s O L G hat d i e F r a g e , o b d e r A d i e S c h ü s s e a u s e i n e r G e s i n n u n g h e r a u s a b g e g e b e n hat, d i e "ein w i l l k ü r l i c h e s A u f w e r f e n z u m H e r r n ü b e r d i e k ö r p e r l i c h e U n v e r sehrtheit d e r P o l i z e i b e a m t e n b e d e u t e t hätte u n d d e s h a l b als sittlich auf tiefster S t u f e s t e h e n d zu w e r t e n g e w e sen w ä r e " , g e p r ü f t u n d a u s d r ü c k l i c h v e r n e i n t . A n g e s i c h t s d e s H i n t e r g r u n d e s d e r i m Z u s a m m e n h a n g mit e i n e r K o n f r o n t a t i o n b e g a n g e n e n T a t ist d a s i m E r g e b n i s nicht zu b e a n s t a n d e n . Kritik-, D i e E n t s c h e i d u n g liegt d u r c h a u s auf d e r L i n i e d e r h . M . D i e s e beurteilt die T ö t u n g eines p o l i t i s c h e n G e g n e r s w e g e n s e i n e r Ü b e r z e u g u n g o d e r B e t ä t i g u n g o d e r weil er d e r D u r c h s e t z u n g d e r e i g e n e n Ü b e r z e u g u n g e n t g e g e n s t e h t , b z w . d i e j e n i g e n repräsentiert, d i e d i e e n t g e g e n g e s e t z t e A u f f a s s u n g vertreten, nicht g r u n d s ä t z l i c h als n i e d r i g e s M o t i v . Sie stellt im k o n k r e t e n Fall v i e l m e h r d a r a u f ab, w e l c h e n Z w e c k d e r T ä t e r m i t d e r T a t f ü r sich p e r s ö n l i c h erstrebt u n d w i e sich d i e s e r Z w e c k zu d e r T ö t u n g als d e m h i e r f ü r e i n g e s e t z t e n Mittel v e r h ä l t . _ D i e s e D i f f e r e n z i e r u n g w i r d d e r T ö t u n g aus p o l i t i s c h e n M o t i v e n j e d o c h k a u m g e r e c h t . Egoistische Ziele im Sinne einer persönlichen Bereicherung, der Erlangung einer persönlichen Machtstellung o.a. sind k e i n e K e n n z e i c h e n d e r p o l i t i s c h e n M o t i v a t i o n . R e l e v a n t sind hier d i e Fälle, in d e n e n d e r T ä t e r z u m Mittel d e r T ö t u n g greift, u m politisch A n d e r s d e n k e n d e zu v e r n i c h t e n o d e r zu z e i g e n , d a ß er s e i n e p o l i t i s c h e n Z i e l e k o n s e q u e n t w e i t e r v e r f o l g t u n d d u r c h s e t z t , auch w e n n d i e Mittel d e s d e m o k r a t i s c h e n R e c h t s s t a a t e s i h m d i e s e s nicht e r m ö g l i c h e n , so d a ß er d e m R e c h t s s t a a t G e w a l t u n d d i e T ö t u n g j e n e r P e r s o n e n e n t g e g e n s e t z t , d i e d i e s e n Staat u n d s e i n e I d e e n r e p r ä s e n t i e r e n . D e r p o l i t i s c h e G e g n e r o d e r die R e p r ä s e n t a n t e n eines a b g e lehnten p o l i t i s c h e n S y s t e m s w e r d e n ihrer Ü b e r z e u g u n g w e g e n vernichtet, u m die D u r c h s e t z u n g d e r e i g e n e n P o s i t i o n zu f ö r d e r n o d e r k e n n t l i c h zu m a c h e n , d a ß d i e e i g e n e n Ideen w e i t e r v e r f o l g t w e r d e n . D i e s e H a l t u n g j e d o c h v e r w e i s t auf e i n e ü b e r d i e E i n z e l t a t h i n a u s g e h e n d e G e f a h r f ü r d i e a n d e r e n M i t g l i e d e r d e r G e s e l l s c h a f t u n d ist d a h e r als n i e d r i g zu beurteilen, s o w e i t n i c h t d i e V o r a u s s e t z u n g e n d e s W i d e r s t a n d s r e c h t s , Art. 2 0 A b s . 4 G G , o d e r G e g e b e n h e i t e n , d i e d i e s e m sachlich n a h e k o m m e n , v o r l i e g e n . ^ g g ) B G H N S t Z 1997 S. 81: A , d e r mit d e r X ein i n t i m e s V e r h ä l t n i s hatte, w o l l t e d i e B e z i e h u n g b e e n d e n . D a r a u f h i n d r o h t e X, d i e s a d o - m a s o c h i s t i s c h e n N e i g u n g e n d e s A zu o f f e n b a r e n u n d v o n i h m dabei g e f e r t i g t e V i d e o a u f n a h m e n h e r u m z u z e i g e n . A , d e r f ü r c h t e t e , d a ß d i e s e O f f e n b a r u n g z u m S c h e i t e r n seiner E h e u n d z u m V e r l u s t seines sozialen A n s e h e n s f ü h r e n w ü r d e , tötete d i e X . B G H : D i e T ö t u n g e i n e s M e n s c h e n z u r W a h r u n g d e s e i g e n e n s o z i a l e n A n s e h e n s ist ein n i e d r i g e r B e w e g g r u n d . G l e i c h e s gilt, w e n n sich d e r T ä t e r d u r c h d i e T ö t u n g d e r V e r a n t w o r t u n g f ü r v o r a n g e g a n g e n e s T u n entziehen will.^4

5 2

Vgl. z u s a m m e n f a s s e n d Z I E L K E JR 1991 S. 137;DERSJR 1 9 9 2 S . 2 3 0 f .

5 3

V g l . a u c h BROCKER J R 1992 S. 13 f; DERS. N S t Z 1994 S. 3 3 f; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , § 211 R d n . 29. Z u r T ö t u n g a u s r a s s i s t i s c h e n M o t i v e n : B G H N J W 1994 S. 3 9 5 .

5 4

Krit. d a z u WALTER N S t Z 1997 S. 3 6 ff.

17

§4

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

2. Art der Tatausführung a) Heimtücke 17 Heimtückisch tötet nach ständiger Rechtsprechung, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tötung ausnutzt. 55 18 Arglos ist, wer beim Eintritt der Tat in das Versuchsstadium von dem Täter keinen Angriff auf Leib oder Leben befürchtet. Wehrlos ist, wer in seiner Abwehrbereitschaft oder fähigkeit im Augenblick der Tat stark eingeschränkt ist; wobei die Wehrlosigkeit auf der Arglosigkeit beruhen muß. - Das Merkmal der feindlichen Willensrichtung blieb in der Rechtsprechung des BGH unscharf, denn es diente über Jahre hinaus nur dazu, Fälle des sog. Mitnahmesuizids aus dem Mordtatbestand herauszuhalten: Der lebensmüde, verzweifelte Täter glaubt, "in krankhafter Verblendung", "zum Besten" seines Opfers zu handeln, wenn er ihm, statt es allein zurückzulassen dasselbe Schicksal bereitet, das er sich selbst zugedacht hat. 56 Schon in diesen Fällen fragte es sich, ob hier nicht allein eine Strafmilderung nach § 21 sachgerecht ist. Darüber hinaus aber erscheint die gesamte Situationsbegrenzung schief und wenig sachgerecht, wie sich nunmehr in den Fällen sog. Mitleidstötungen durch Klinikpersonal zeigt, denn hier begnügt sich der BGH keineswegs mit dem Fehlen einer „feindlichen Willensrichtung", sondern fordert eine objektiv nachvollziehbare Wertung, die der Beendigung schwerster Leiden Vorrang gibt. - Ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der Täter sich der tatsächlichen Umstände, die die Tötung zu einer heimtückischen machen, bewußt ist in dem Sinne, daß er gedanklich erfaßt, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. 57 19

Die Begriffsbestimmung der Heimtücke ist wegen ihrer Weite, aber auch wegen der in ihr angelegten wenig überzeugenden Differenzierung verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die der BGH durch verschiedentliche Randkorrekturen auszugleichen versuchte.

20

So hat der B G H zunächst angenommen, daß Arglosigkeit schon entfalle, wenn der Täter dem Opfer bei einer nur verbalen Auseinandersetzung in offener Feindschaft g e g e n ü b e r t r i t t . I n z w i s c h e n hat der B G H diese Aussage allerdings eingeschränkt und läßt einen verbalen Angriff nicht genügen, wenn das Opfer bezüglich eines Angriffs auf Leib und Leben arglos b l e i b t . 5 9

21

Eine Ausnahme von der Voraussetzung, daß das Opfer bei Beginn des Versuchs arglos sein muß, machte der B G H für den Fall daß der Täter das Opfer "nach einem wohl überlegten Plan mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt".™ Das soll allerdings nur dann gelten, wenn der Täter das Opfer "unentrinnbar" durch die von langer Hand geplante Tat in seine Gewalt gebracht h a t . 6 '

22

Schließlich mildert der B G H die lebenslange Strafe über § 49 Abs. 1 in Fällen, in denen außergewöhnliche Umstände die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen l a s s e n . 6 2 Bei diesen außergewöhnlichen Umständen muß es sich um Sachverhalte handeln, "die in ihrer Gewichtung ge55

BGHSt 32 S. 383 f m. w. N.; BGHSt 41 S. 78 f. - Dazu auch KÜPER B.T., S. 168 ff.

56

Eingehend dazu GEILEN Spendel-FS, S. 524.

57

Dazu BGHSt 6 S. 121; 11 S. 144; 22 S. 80; B G H bei Holtz, M D R 1990 S. 487; B G H StV 1984 S. 511; B G H G A 1987 S. 129; BGH NStZ 1987 S. 554; B G H NStZ 1997 S. 491.

58

Vgl. BGHSt 27 S. 324; B G H NStZ 1983 S. 35.

59

Vgl. BGHSt 30 S. 113 f; 33 S. 363; BGH N J W 1991 S. 1963 mit Anm. OTTO JR 1991 S. 382 f; B G H NStZ-RR 1996 S. 322; B G H NStZ-RR 1997 S. 168.

60

BGHSt 22 S. 77; B G H NStZ 1984 S. 261.

61

B G H NStZ 1989 S. 354 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 211/19.

62

BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; eingehend dazu oben § 2 Rdn. 26 f.

18

Mord

§4

setzlichen Milderungsgründen (z.B. bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit oder bei entschuldigendem Notstand i.S. von § 35 I S. 2 StGB) vergleichbar" 6 3 0 d e r so außergewöhnlich sind, daß von einem Grenzfall gesprochen werden k a n n . 6 4

An Überzeugungskraft hat die Argumentation durch diese Modifizierungen nicht ge- 23 wonnen. Die vom BGH erkannte besondere Gefährlichkeit des Täters, der die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, vermag nämlich den Vorwurf eines über das Unrecht einer vorsätzlichen Tötung hinausweisenden Unrechts nicht einmal im Ansatz zu begründen. Die besondere Gefährlichkeit soll im Vorgehen des Täters liegen: "Er überrascht das Opfer in einer hilflosen Lage und hindert es dadurch, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen, den Angreifer umzustimmen, in sonstiger Weise dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder die Durchführung wenigstens durch solche Bemühungen zu erschweren." 65 Diese Erwägungen bringen jedoch keine über die der vorsätzlichen Tötung typischen Gefahrenmomente zum Ausdruck. JESCHECK hat durchaus zu Recht darauf hingewiesen, daß ein bewußtes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit nicht zwangsläufig auf Verschlagenheit, List und Tücke schließen lasse; ein solches Verhalten könne auch die Waffe des Schwachen und Unterlegenen gegen Übermacht, Gewalt und Brutalität sein. 66 Und schon der grundsätzliche Ansatz geht fehl. Das typische Unrecht des Totschlags wird nicht durch den edlen Ritter realisiert, der nach Ansage der Fehde dem Gegner Zeit gewährt, sich entsprechend zu rüsten. Schon der Totschlag ist Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters, weil dieser die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorzieht. Damit ist es aber noch die typische, dem Totschläger eigene Gefahr, daß er eine Handlungssituation sucht, die ihm die größten Erfolgschancen bietet. Diese Einstellung vermag das Unrecht seiner Tat nicht über das Unrecht der vorsätzlichen Tötung hinaus zu steigern. Die Literatur bietet kein einheitliches Bild. - Zum einen wird nur die Ausnutzung eines 24 bestehenden Vertrauensverhältnisses oder der Mißbrauch entgegengebrachten Vertrauens als Heimtücke anerkannt. 67 Zum anderen wird ein heimliches und tückisches Verhalten gefordert. 68 Schließlich wird auf das Fehlen eines "achtenswerten Grundes" 69 , auf eine "besonders weitgehende, dem Opfer nicht erkennbare Tätervorbereitung" 70 , auf die Ausnutzung "kreatürlicher Arglosigkeit" 71 oder auf den Mißbrauch "sozial-positiver Verhaltensmuster" 72 abgestellt. Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder der Mißbrauch begründeten Ver- 25 trauens des Opfers zur Ausführung der Tat erscheint hier als das wesentliche Qualifikationskriterium. Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses (Freundschaft, Liebe, Ehe o.ä.) zur Durchführung der Tat oder der Mißbrauch begründeten Vertrauens des Opfers, das der Täter arglos gemacht hat, stellt einen über die konkrete Tötung hinaus63

BGH MDR 1982 S. 1033.

64

Dazu auch B G H JR 1983 S. 301; BGH NStZ 1983 S. 553; BGH NStZ 1995 S . 2 3 1 .

65

BGHSt 11 S. 143.

6 6

JESCHECK J Z 1 9 5 7 S . 3 8 7 .

6 7

V g l . SCHMIDHÄUSER B . T . , 2 / 2 0 .

68

Vgl. VEH Mordtatbestand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1986, S. 161 ff, 177.

6 9

SCHWALM M D R 1 9 5 7 S . 2 6 0 .

7 0

SCHMOLLER Z S t W 9 9 ( 1 9 8 7 ) S . 3 8 9 f f , 4 1 4 f f .

71

Vgl. ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 114.

7 2

V g l . z . B . M . - K . MEYER JR

1 9 7 9 S . 4 8 5 f f ; DIES. J R 1 9 8 6 S . 1 3 5 f f .

19

§4

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

gehenden Angriff auf die Vertrauensgrundlage der Rechtsgesellschaft dar. Der bloße Mißbrauch sozial-positiver Verhaltensmuster (Hilfsbereitschaft und freundliches Entgegenkommen) erscheint demgegenüber als noch nicht so gravierende Verletzung dieser Vertrauensgrundlagen. 26 Die hier vorgeschlagene Definition der Heimtücke führt zu einer Begrenzung des Anwendungsbereiches dieses Merkmals, keineswegs aber zu einer unerträglichen Einengung des Anwendungsbereiches des Mordtatbestandes, denn aufgrund ihrer Motivation können Tötungen, bei denen der Täter die Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, durchaus Fälle der Tötung aus niedrigen Beweggründen oder Mordlust sein. Die Tatsache, daß der sog. Meuchelmord nicht als heimtückische Tötung erfaßbar ist, schließt nicht aus, solche Taten überhaupt als Mord zu bewerten! Zur 27

Verdeutlichung:

aa) BGHSt 3 S. 183: Der A hat seinen Stiefvater, den Landwirt Z, mit einem Prügel erschlagen. Er hatte, in einem Kornfeld versteckt, ihm aufgelauert. Als Z, wie erwartet, ahnungslos und wehrlos auf seiner Mähmaschine an ihm vorbeigefahren war, war er herausgesprungen und hatte ihn hinterrücks überfallen. BGH: A handelte heimtückisch. Kritik: Von einer Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder dem Mißbrauch entgegengebrachten Vertrauens zur Durchführung der Tat kann hier keine Rede sein.

28

bb) BGHSt 9 S. 385: A, dem ein Verfahren wegen Unterschlagung drohte, beschloß Selbstmord zu begehen und Frau und Tochter, die er sehr liebte, mit in den Tod zu nehmen. Er glaubte, daß seine Familie die Entehrung und die Not, die er über sie gebracht hatte, nicht ertragen könnte. Deshalb meinte er, seiner Familie eine Wohltat zu erweisen, wenn er sie auslösche. Nach Tötung der Tochter und dem Versuch, die Ehefrau zu töten, brach er sein Vorhaben ab. BGH: Zwar Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer, dennoch keine Heimtücke, weil A glaubte, zum Besten seiner Opfer zu handeln. 7 3 Kritik: Die Formulierung, eine Tötung könne nicht Mord sein, wenn der Täter meint, "zum Besten des Opfers zu handeln", ist einfach schief. In der Sache geht es darum, ob der Täter sich bewußt war, das ihm entgegengebrachte Vertrauen auszunutzen bzw. zu mißbrauchen, weil er davon ausging, daß "die Schande" die Familie härter treffen würde als der Tod.

29

cc) BGHSt. 37 S. 376: Die A war Fachschwester für Anästhesie und Intensivpflege in der Intensivstation eines Krankenhauses. Während ihres Dienstes hat sie fünf schwerstkranken Patienten dieses Krankenhauses heimlich tödliche Injektionen verabreicht, um ihnen aus Mitleid weiteres, von ihr als sinnlos angesehenes Leiden und einen Todeskampf zu ersparen, obwohl weder die Patienten noch deren Angehörige darum gebeten hatten. BGH: "Allerdings reicht nicht bei jeder Krankenhaustötung Schwerstkranker eine Mitleidsmotivation aus, um eine die Heimtücke prägende feindselige Haltung des Täters aus Rechtsgründen auszuschließen. Bei der Prüfung, ob das Tatmotiv als feindselig zu werten ist, können normative Gesichtspunkte nicht außer Betracht bleiben. In oberflächlich vorhandener Mitleidsmotivation kann sich Feindseligkeit gegenüber dem Lebenswert Schwerstkranker offenbaren. Daher kann Mitleid in Fällen dieser Art die Annahme des Heimtückemerkmals nur dann ausschließen, wenn es sich aus einer objektiv nachvollziehbaren Wertung des Täters ableitet, die der Vermeidung schwersten Leidens den Vorrang gibt." 7 4 Kritik: Sachlich ist der normativen Interpretation der feindlichen Willensrichtung voll zuzustimmen. Ob damit im konkreten Fall ein sachgerechtes Ergebnis, nämlich die Ablehnung des Mordtatbestandes überzeugend begründet werden konnte, bleibt offen. Die Analyse der einzelnen, in dem angefochtenen Urteil geschilderten Fälle weist keineswegs auf ein Handeln aus objektiv nachvollziehbarem Mitleid hin. Im Gegen-

73

Vgl. auch BGH StV 1989 S. 390.

74

Vgl. auch BGH NStZ-RR 1997 S. 42.

20

Mord

§4

teil, Mitleid scheint hier sehr fern gelegen zu haben. - Das materielle Unrechtskorrektiv der feindlichen Willensrichtung scheint sachgerechte Fallösungen daher kaum zu fördern. 7 ^ dd) BGHSt 8 S. 216: Die A tötete ihr drei Wochen altes Kind, indem sie Schlaftabletten unter die Babynahrung mischte. Den E, der dem Kind geholfen hätte, täuschte sie über dessen Zustand.

30

BGH: Einem ganz kleinen Kind gegenüber kann der Täter in der Regel nicht heimtückisch handeln, weil es nicht fähig ist, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Wer ein Schlafmittel in die Nahrung eines solchen Kindes mischt, handelt aber heimtückisch, wenn er es tut, weil das Kind anderenfalls das Mittel seines Geschmacks wegen nicht zu sich nehmen würde. Möglich ist in derartigen Fällen auch ein heimtückisches Verhalten gegenüber einem schutzbereiten Dritten. Dieses setzt nicht voraus, daß der Täter dessen Arglosigkeit herbeiführt; es genügt, daß er sie ausnutzt. Die Arglosigkeit schutzbereiter Dritter tritt jedoch nur an die Stelle der Arglosigkeit des Opfers bei Personen, die unfähig sind, Arg zu empfinden und Abwehr zu leisten, z.B. bei Kleinkindern. 7 ^ Kritik: Im Ergebnis ist dem BGH hier zuzustimmen. Auffällig ist allerdings, daß er in seiner Begründung gleichfalls auf den Vertrauensbruch abstellt, auch wenn er die Heimtücke nicht ausdrücklich mit dem Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses begründet. ee) BGHSt 23 S. 119: Der A hat Frau M und den gemeinsamen Sohn, mit denen er bis dahin zusammengelebt hat, während beide schliefen, mit einem Beil erschlagen.

31

BGH: Heimtückisch handelt in der Regel, wer einen Schlafenden tötet: "Der Schlafende ist in aller Regel arglos, wenn er einschläft. Wer sich zum Schlafen niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den Schlaf'. Anders soll es beim Eintritt von Bewußtlosigkeit sein, da in diesem Falle die Wehrlosigkeit nicht auf der Arglosigkeit beruht. Kritik: Die Entscheidung nach dem Kriterium des Vertrauensmißbrauchs ist hier eindeutig: Da sowohl Frau M als auch S darauf vertrauten, daß ihnen von A keine Gefahr drohe, als sie sich in der Wohnung, in der sich auch A befand, zum Schlafen niederlegten, mißbrauchte A ihm entgegengebrachtes Vertrauen. - Dringt hingegen ein Dritter von außen ein, so läge kein Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses vor. Eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers müßte hingegen bejaht werden. - Unabhängig davon überzeugt die Differenzierung zwischen Schlafendem und Bewußtlosem nicht, die schon dann nicht mehr durchgehalten werden kann, wenn jemand gegen seinen Willen vom Schlaf übermannt wird. Entweder man verlangt für die Arglosigkeit das positive Bewußtsein der Sicherheit, das fehlt dem Schlafenden und Bewußtlosen, aber auch Kleinkindern, oder man läßt das Fehlen von aktuellem Argwohn genügen. 7 7 ff) BGHSt (GrSSt) 30 S. 105: Der S, ein Onkel des A, hatte die Ehefrau des A vergewaltigt. Diese wollte sich daraufhin scheiden lassen. Sie unternahm mehrere Selbstmordversuche. Der S brüstete sich sogar noch mit der Tat dem A gegenüber. - Eines Abends, als S in einer Gaststätte mit anderen Karten spielte und nichts Böses ahnte, erschoß A ihn. BGH: Es liegt ein Fall heimtückischer Tötung vor, doch gebieten hier die außergewöhnlichen Tatumstände eine Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe; § 49 Abs. 1 Nr. 1 analog. Kritik: Gerade diese Entscheidung zeigt die Schwächen der Konstruktion. Obwohl der Täter der Situation des § 213 weit näher steht als der des Mordes, bleibt eine Anwendung des § 213 versagt. Die nach § 49 Abs. 1 mögliche Milderung des Strafrahmens bietet jedoch keinen Ersatz. Im konkreten Fall wurde A nach erneuter Hauptverhandlung zu 12jähriger Haft verurteilt. 7 8 Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensmißbrauchs ist dies ein unproblematischer Fall: Heimtücke ist abzulehnen. 7 9

75

Vgl. auch GEILEN Spendel-FS, S. 527 ff; LANGER JR 1993 S. 133 ff, 136 f; OTTO JK 92, StGB

76

Dazu auch BGHSt 18 S. 37; BGH NStZ 1995 S. 230 mit Anm. FOERSTER NStZ 1996 S. 32 f, GEPPERT JK 96, StGB §211/27.

77

Vgl. zum Streitstand: OTTO Jura 1994 S. 149 m.w.N. - Zum Schwerkranken, dessen Bewußtsein getrübt ist: BGH NStZ 1997 S. 490 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 211/31.

78

LG Münster 8 Ks 30 Js 37/79 - 2/81.

79

Zur Auseinandersetzung mit BGHSt 30 S. 105, vgl. auch unter § 4 Rdn. 23 ff.

§ 2 1 1 / 2 1 ; ROXIN N S t Z 1 9 9 2 S . 3 5 f.

21

32

§4 33

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

gg) LG Dortmund Ks 9 Js 51/92, 14 (Sch) R 1/93: Der in Scheidung befindliche A lernte die Z kennen, die gleichfalls vor der Scheidung stand. Z war von ihrem Ehemann M, der im Zuhältermilieu verkehrte, bedroht und wiederholt so geschlagen worden, daß sie erheblich verletzt wurde. M verbot ihr, trotz der Erheblichkeit der Verletzungen einen Arzt aufzusuchen. Wenn M die Z zusammengeschlagen hatte, verkehrte er gelegentlich gegen ihren Willen geschlechtlich mit ihr. Die Gewalttaten und Brutalitäten erfolgten regelmäßig. Z.T. wurde Z morgens mit Schlägen, mitunter mit einer Reitpeitsche, geweckt. Die Brutalitäten steigerten sich. Im Jahre 1991 reichte Z die Scheidung ein. M wollte zu dieser Zeit auswandern und begab sich in die USA. In dieser Zeit lernte A die Z kennen und erfuhr von ihrem Schicksal. Z wurde am 4.11.91 geschieden. Am 6.11.91 kam M zurück. Die Brutalitäten, Quälereien und Vergewaltigungen der Z setzte er sogleich fort. Ihre Situation war schlimmer denn je. Sie mußte jetzt ernsthaft um ihr Leben fürchten. Den Kontakt mit A verbot der M der Z. Nach einer Reihe von weiteren Quälereien, die mit Todesangst der Z verbunden waren, lauerte A dem M auf, als dieser nachts nach Hause kam, und erschlug den M, der sich der Gefahrensituation nicht bewußt war, von hinten. LG Dortmund: A wird zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. - "Der A hat sich gemäß § 211 StGB wegen Mordes strafbar gemacht, denn die Tat erfolgte heimtückisch"... "Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, daß es sich um eine allein altruistisch motivierte Tat handelt. Mit der unwiderlegbaren Einlassung des A muß davon ausgegangen werden, daß es ihm allein darum ging, die Z aus dem Martyrium ihres Mannes zu befreien. - Die Motivation ist zu billigen. Mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, daß der Getötete die Z Uber Jahre hinweg in schwerer Weise mißbraucht, vergewaltigt und so terrorisiert hatte, daß sie sich nicht mehr zu wehren wagte...". Hinweis-, Der Sachverhalt und das Strafmaß sprechen für sich. Daß aber eine in der Tat menschlich verständliche, vom Schwurgericht sogar als billigenswert bezeichnete Motivation das schwerste Tötungsunrecht kennzeichnen soll, das das Gesetz kennt, charakterisiert die Sachgerechtigkeit der Definition der Heimtücke hinreichend.

34

hh) BGHSt 32 S. 382: Die H hatte sich von der A im Laufe einer harmlosen Auseinandersetzung fesseln lassen. Später kam es zu einem ernsten Streit zwischen H und A. Dabei entschloß A sich spontan, die H, die sich nicht wehren konnte, zu töten. Sie nahm vor den Augen der H ein großes Kopftuch aus dem Schrank, faltete es durch mehrfaches Umschlagen auf 7 cm Breite zusammen und schritt, das Tuch an den Enden in den Händen haltend, von vorn auf die auf einer Matraze hockende H zu. Dieser war bereits beim Falten des Tuches klar geworden, was die A vorhatte. Sie rief in Todesangst um Hilfe, jedoch ohne Erfolg. Die A kniete hinter H nieder, legte ihr das gefaltete Tuch um den Hals und erdrosselte sie. BGH: Keine heimtückische Tötung, da H bei Versuchsbeginn nicht mehr arglos war. Kritik: Die Auffassung des BGH, daß in der Tötung der H kein erhöhter Unrechtsgehalt lag, weil A die Tötung ohne jegliche Heimlichkeit oder List vor den Augen des Opfers vorbereitete und ausführte, kann nicht gefolgt werden. Hier wurde - nach dem bisherigen Verhältnis der Beteiligten - begründetes Vertrauen in sozial unerträglicher Weise mißbraucht. 8 ^

35

ii) BGH NStZ 1989, 364: A hatte seine geschiedene Ehefrau G unter einem Vorwand in sein Auto gelockt. Er fuhr mit ihr in einen Wald, wo er sie tötete. Während der Fahrt hatte A die G ständig mit dem in der rechten Hand gehaltenen Messer bedroht und damit daran gehindert, aus dem fahrenden Wagen zu springen. BGH: Ob Heimtücke vorlag bedarf erneuter Prüfung, denn G wäre nicht wehrlos gewesen, "wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, auf den A selbst einzuwirken, um ihn - nicht von vornherein ohne jede Erfolgsaussicht - von der Tötungshandlung abzubringen". Kritik: Hier kommt es offenbar für die Beurteilung der Tat als Mord darauf an, ob G in ihrer Todesangst die "richtigen Worte" gefunden hätte oder nicht. Das hat mit dem Unrecht der Tat nichts mehr zu tun. 8 '

36

b) Grausam Nach herrschender Meinung handelt der Täter grausam, der dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zu-

80

Vgl. zur Kritik auch JAKOBS JZ 1984 S. 996 ff; M.-K. MEYER JR 1986 S. 133 ff; OTTO JK, StGB §211/11.

81

Vgl. auch OTTO JK 90, StGB §211/19.

22

Mord

§4

fügt, die über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen. 82 Dieser Definition ist zuzustimmen, denn im Erfordernis der gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung kommt das über den Unrechtsgehalt einer Tötung hinausweisende Unrechtselement zum Ausdruck. Die bloße Zufügung von Schmerzen oder Qualen, die über das zur Tötung erforderliche Maß hinausgehen, genügt diesen Anforderungen nicht. 83 Die Grausamkeit muß nicht notwendig in der eigentlichen Ausführungshandlung des 37 Täters liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird. Lediglich grausame Verletzungen, die mit Körperverletzungsvorsatz zugefügt werden und an die sich eine Tötung anschließt, genügen allerdings nicht. Notwendig ist ein vom Tötungsvorsatz getragenes Verhalten, in dem die Herbeiführung des Todes den Schlußpunkt einer Entwicklung darstellt.84 Zur Verdeutlichung: aa) LG Hamburg DRiZ 1967 S. 19 ff: Der W hatte befohlen, daß der Straftäter P, der im Oktober 1943 mit einem Schiff von Japan nach Deutschland gebracht werden sollte, nicht in Feindeshand fallen dürfte, sondern bei Selbstversenkung des Schiffes mit diesem untergehen sollte. Als das Schiff aufgebracht wurde, blieb P in seiner Zelle eingeschlossen. Er ging mit dem Schiff unter. Der W, in seemännischer Tradition erzogen, sah es als normalen Tod an, mit dem Schiff unterzugehen, wenn keine Rettung möglich ist.

38

LG Hamburg: W war sich zwar der Qualen des P bewußt, die dieser beim Tod des Ertrinkens leiden würde, er handelte aber nicht aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung. bb) BGH NJW 1971 S. 1189 (1190): Auf Anordnung der Haupttäter wurden Personen, denen bekannt war, daß sie in ein Vernichtungslager verbracht werden sollten, auf engem Raum zusammengetrieben, wo sie bei großer Hitze auf den Transport warten und ansehen mußten, wie alte und kranke Menschen erschossen wurden und wo sie selbst erbarmungslosen Schlägen mit Ochsenziemern und Reitpeitschen ausgesetzt waren. Sodann wurden sie abtransportiert und getötet.

39

BGH: Tötung erfolgte grausam, denn "die Grausamkeit muß nicht notwendig in der eigentlichen Ausführungshandlung der Tötung liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird". cc) BGHSt 37 S. 40: A schoß dem K mit Tötungsvorsatz in den Hals. Anschließend fügte er ihm "zusätzlich zu der durch den Schuß hervorgerufenen schweren, möglicherweise tödlichen Verletzung Qualen körperlicher und seelischer Art zu".

40

BGH: Grausames Verhalten hätte nur vorgelegen, wenn das der Tötungshandlung (Schuß) nachfolgende Verhalten geeignet war, den Tod herbeizuführen oder zu beschleunigen oder wenn A davon ausgegangen war, durch dieses Verhalten könne der Tod eintreten, gefördert oder mitverursacht werden.

c) Gemeingefährliche Mittel Gemeingefährliche Mittel sind Mittel, deren Wirkungen auf Leib und Leben anderer Men- 41 sehen der Täter nach den konkreten Umständen ihres Einsatzes nicht in der Hand hat. Der Täter muß die gemeingefährliche Situation selbst schaffen, ihre bloße Ausnutzung genügt nicht. 85 Die bloß abstrakte Gefährlichkeit des Mittels - z.B. Feuer, Sprengstoff, Gift - genügt nicht. Andererseits braucht auch noch keine konkrete Gefahr für weitere Personen real eingetreten zu sein. Es ist vielmehr erforderlich, daß in der konkreten Tatsitua82

H.M. BGHSt 3 S. 180; BGH NStZ 1982 S. 379 f; B G H StV 1997 S. 566; HORN SK II, § 211 Rdn. 40 ff; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 55 ff; Küper B.T., S. 164 f; LACKNER/KÜHL § 211 Rdn. 10;

8 3

A . A . RÜPING J Z 1 9 7 9 S . 6 2 0 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 2 7 .

84

So auch BGH NJW 1971 S. 1190; BGH NJW 1990 S. 2632; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 56; LACKNER/KÜHL § 211 Rdn. 10. - A.A. Grausame Gesinnung muß bei Beginn der Tatausführung, d.h. bei Beginn des Versuchs vorliegen: BGH NJW 1986 S. 265 mit abl. Anm. OTTO JK, StGB § 211/14.

85

BGHSt 34 S. 13.

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 4 7 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 1 1 R d n . 7 ;

23

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

§4

t i o n der Täter d a s abstrakt g e f ä h r l i c h e T a t i n s t r u m e n t nicht s o beherrscht, d a ß e i n e G e f ä h r d u n g weiterer M e n s c h e n a u s g e s c h l o s s e n i s t . 8 6 D a s ist nicht der Fall, w e n n z w a r m e h r e r e P e r s o n e n in d e n G e f a h r e n b e r e i c h geraten, d i e G e f ä h r d u n g s i c h aber nur in der P e r s o n e i n e s der B e t r o f f e n e n realisieren kann. Zur 42

Verdeutlichung:

aa) BGH VRS 63 S. 119: A warf von einer Brücke Steine auf Kraftfahrzeuge und war sich der Tatsache bewußt, daß es nach einem Treffer zu einem Massenunfall kommen könnte. BGH: A handelte mit gemeingefährlichen Mitteln. Hingegen: Wirft A mit einem Stein auf den einsamen Spaziergänger X, so liegt keine Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels vor.

43

bb) BGH NJW 1985 S. 1477: A warf 3 Brandflaschen in ein von zwei Personen bewohntes Zimmer eines Wohnheimes. Die beiden Bewohner kamen zu Tode. Weitere Personen wurden dank der feuersicheren Bauweise des Gebäudes nicht gefährdet. A hatte sich aber nicht vorher überzeugt, wie viele Personen überhaupt im Zimmer waren. BGH: "A setzte eine Gefahr für eine unbestimmte Zahl von Personen, die dort hätten sein können. Jedenfalls dann, wenn der Täter, der ein seiner Natur nach gemeingefährliches Mittel einsetzt, nicht dessen gewiß ist, die Wirkung der von ihm entfalteten Kräfte so beschränken zu können, daß der Eintritt der Gemeingefahr ausgeschlossen ist, begeht er einen Mord".

44

cc) BGHSt 38 S. 353: A schoß mit einer Pistole in Tötungsabsicht auf B, der sich in einem mit ca. 70 Personen besetzten Lokal befand. Der Schuß ging fehl und traf den X. BGH: A setzte kein gemeingefährliches Mittel zur Tötung ein: "Die auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Schußwaffe, mit der nur ein Schuß abgegeben werden soll, bedeutet ihrer Natur nach keine unberechenbare Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen." 8 7 3. Verfolgte

Zwecke:

U m e i n e a n d e r e Straftat z u e r m ö g l i c h e n o d e r zu v e r d e c k e n

a) T ö t u n g zur E r m ö g l i c h u n g e i n e r Straftat 45

D i e andere Straftat m u ß Straftat i m e n g e r e n S i n n e d e s W o r t e s sein. O r d n u n g s w i d r i g k e i t , D i s z i p l i n a r v e r g e h e n o.ä. g e n ü g e n d e m nicht, d o c h k o m m e n d a n n n i e d r i g e B e w e g g r ü n d e in Betracht. - E s reicht aus, d a ß der Täter s i c h vorstellt, er e r m ö g l i c h e o d e r v e r d e c k e e i n e Straftat ( s u b j e k t i v e s M e r k m a l ! ) . - D i e a n d e r e Straftat braucht k e i n e e i g e n e Tat d e s Täters zu sein. - D i e b e z w e c k t e Tat k a n n m i t der T ö t u n g t a t e i n h e i t l i c h z u s a m m e n f a l l e n , s o z . B . t y p i s c h e r w e i s e der R a u b m i t der T ö t u n g b e i m s o g . R a u b m o r d . Zur

Verdeutlichung:

46

aa) BGH GA 1963 S. 84: A wollte ein Mädchen vergewaltigen. Er legte sich in einsamer Gegend auf die Lauer. Als sich ein Paar, die B und der C, näherte, schoß A auf den C, um ihn zu töten, weil er fürchtete, dieser werde der B zur Hilfe kommen.

47

bb) BGHSt 39 S. 159: A und M hatten den Z in dessen Wohnung überfallen und mit Chloroform betäubt, um ihn ausrauben zu können. Nach ca. 30 Minuten erholte sich das Opfer. A entschloß sich nunmehr, "auf andere Weise als durch Beibringung von Chloroform endgültig dafür zu sorgen, daß sie die weitere Suche nach Geld und Wertgegenständen ... ungestört fortsetzen konnten". Er würgte sein Opfer massiv am Hals und erkannte dabei und billigte auch, daß sein Handeln zum Tode führen könnte. Der Tod trat dann auch "im Minutenbereich" ein. Frühestens 15 Minuten später verließen die Täter die Wohnung.

BGH: Tötung zur Ermöglichung einer Straftat (Vergewaltigung).

8 6

V g l . a u c h v . D A N N W I T Z J u r a 1 9 9 7 S . 5 7 5 ; K Ü P E R B . T . , S . 2 0 0 . - A . A . RENGIER S t V 1 9 8 6 S . 4 0 6 f

(konkrete Gefährdung Dritter erforderlich). 87

24

Vgl. auch GEPPERT JK 93, StGB § 211/23; RENGIER JZ 1993 S. 364 f.

Mord

§4

BGH: Die Angekl. handelten, um eine andere Straftat zu ermöglichen: "Bedingter Tötungsvorsatz steht der Annahme des Mordmerkmals 'Töten zur Ermöglichung einer anderen Straftat' nicht entgegen. Die 'Tötung' muß nicht 'notwendiges' Mittel zur Begehung der anderen Straftat sein (Aufgabe der Senatsentscheidung vom 26. Februar 1980, mitgeteilt bei Holtz MDR 1980, 629); vielmehr genügt es, daß sich der Täter deshalb für die zum Tode führende Handlung entscheidet, weil er glaubt, auf diese Weise die andere Straftat schneller oder leichter begehen zu können. Es genügt, daß nicht der Tod des Opfers, sondern die zur Tötung geeignete Handlung vom Täter als Mittel zur Begehung der weiteren Straftat angesehen wird." 8 8

b) Tötung zur Verdeckung einer Straftat Die Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, ist deshalb als qualifizierendes Merkmal 48 problematisch, weil die "Selbstbegünstigungsabsicht" in anderen Tatbeständen des Gesetzes - vgl. z.B. §§ 257 Abs. 3 S. 1, 258 Abs. 5 - durchaus privilegierend berücksichtigt wird. Verallgemeinern oder auch nur auf die Tötungsdelikte übertragen läßt sich jedoch die Wertung, der "Selbstbegünstigungsabsicht" entlastende Bedeutung zuzumessen, nicht. Gerade die §§ 257, 258 zeigen, daß dort die Tatsituation eine ganz andere ist. Dort versucht der Täter die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu verhindern bzw. sich der Strafverfolgung zu entziehen, ohne den zuvor begründeten Schaden zu vergrößern. Hier aber kommt es zu einer weiteren schweren Rechtsgutsverletzung. Aber nicht allein in der Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht durch den Täter ist der Qualifikationsgrund der Verdeckungsabsicht zu erkennen. Hier geht es auch um eine Schutzfunktion des Staates bestimmten Personen gegenüber und um die Klarstellung, daß der Staat den Täter, der zur Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs „über Leichen geht" mit der schwersten verfügbaren Strafe belegt. - Die Schutzfunktion, die gegenüber den Strafverfolgungsorganen offensmchtlich ist, berührt einen jeden Bürger als Zeugen einer Straftat. Diese Personen, aber auch jeder Bürger, der aus der Sicht des Täters der Vereitelung des Strafanspruchs im Wege steht, wären unerträglichen Risiken ausgesetzt, wenn die Selbstbegünstigungsabsicht privilegierend berücksichtigt würde. Die Wertung der Verdeckungsabsicht als sozial besonders unerträglich und unakzeptabel ist daher unter Rechtsschutzgesichtspunkten zu verteidigen. Wie bei der Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen, muß es sich bei der zu ver- 49 deckenden Straftat um eine Straftat im Sinne des § 12 StGB handeln. 8 9 Es genügt aber auch hier die Vorstellung des Täters, eine andere Straftat zu verdecken (subjektives Merkmal). Die andere Tat kann eine eigene Straftat oder die eines Dritten sein. Die Vortat kann mit der Tötung tateinheitlich zusammenfallen. Es muß sich aber um eine andere Tat handeln. Das ist nicht der Fall, wenn Vorgeschehen und Tötung eine einheitliche Tötung bilden. Zur

Verdeutlichung:

aa) BGH JR 1991 S. 212: A hatte die B mit bedingtem Tötungsvorsatz gewürgt und getreten. Danach war ihm bewußt geworden, daß B anderen von der Tat erzählen könnte, wenn sie überlebte. Deshalb tötete A die B nunmehr mit direktem Vorsatz. BGH: Der Übergang vom bedingten zum unbedingtem Vorsatz macht die vor dem unbedingten Vorsatz liegenden Tatteile nicht zu einer anderen Tat. Die begonnene Tötung wurde nur vollendet. Allerdings ist ein Motivwechsel im Rahmen einer einheitlichen Tötung nicht irrelevant, denn auch wenn der Täter in dieser

88

Vgl. dazu auch GEPPERT JK 94, StGB § 211/25; GRAUL JR 1993 S. 5 1 0 ff; SCHROEDER JuS 1994 S . 294 ff.

89

Bei der Verdeckung anderer, z.B. ehrenrühriger Sachverhalte, können jedoch niedrige Beweggründe in Betracht kommen, vgl. dazu § 4 Rdn. 13 ff.

25

50

§4

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Situation keine andere Straftat verdecken kann, so kann der erneute Beweggrund doch als niedriger Beweggrund bedeutungsvoll sein. 51

bb) BGH NJW 1992 S. 583: A ließ die schwerverletzte M, die er aus Unachtsamkeit angefahren hatte, am Unfallort ohne Hilfe liegen, obwohl ihm bewußt war, daß M lebensgefährlich verletzt war. Er wollte nicht wegen des Unfalls zur Rechenschaft gezogen werden. BGH: Wenn A die Rettungsmaßnahmen unterließ, weil er die Aufdeckung der Vortat verhindern wollte, so liegt Verdeckungsabsicht vor. - Die frühere Auffassung, der Tod müsse als Mittel zur Verdeckung eingesetzt werden,^' hat der BGH inzwischen ausdrücklich aufgegeben.

52

cc) BGHSt 41 S. 8: A hatte dem M die Lieferung von 5 kg Haschisch versprochen und bereits eine Vorauszahlung von 10.000.- DM erhalten, obwohl er wußte, daß er nicht liefern konnte. Als M auf Lieferung drängte, befürchtete A, der davon ausging, daß M ihn nicht anzeigen würde, Repressalien durch M. Um die Aufdeckung des Betrugs zu verhindern, tötete A daher den M. BGH: A handelte in Verdeckungsabsicht, denn diese erfordert nicht, daß der Täter für den Fall des Bekanntwerdens seiner vorangegangenen Straftat mit Strafverfolgung rechnet. Es genügt, daß es ihm um die Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen geht. Kritik: Der BGH läßt es hier für die Verdeckungsabsicht genügen, daß der Täter Unrecht mit weiterem Unrecht verknüpft.^^ Damit wird der bisher anerkannte Schutzbereich verlassen und willkürlich ausgedehnt, denn offen bleibt, warum die Verknüpfung von Tötungsunrecht allein mit „Verdeckungsunrecht" hier qualifizierend wirken soll und anderes Unrecht nicht zu dieser Konsequenz führt.

53

dd) BGHSt 41 S. 358: A hatte den W erstochen. Um die Tatspuren zu beseitigen, beschloß er, das Haus, in dem die Tat geschehen war, in Brand zu setzen, obwohl er wußte, daß dabei zwei in dem Hause schlafende Frauen zu Tode kommen würden. BGH: Auch beim Verdeckungsmord kommt es auf die zum Tode eines Menschen führende Verdeckungshandlung an. Der Tatbestand kann daher auch erfüllt sein, wenn von dem Getöteten selbst Entdeckung nicht zu befürchten i s t . 9 4

III. Vorsatzprobleme 54

1. In der 1. Gruppe der Mordqualifikationen (niedrige Motive) muß der Täter sich der Umstände bewußt sein, die seine Tat als sozialethisch unerträglich erscheinen lassen. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen ist daher grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz möglich.

55

Das gilt auch für das Merkmal der Mordlust. Auch derjenige handelt aus Mordlust, der Pflastersteine von einer Brücke auf die Autobahn wirft, um es "einmal so richtig krachen zu hören", auch wenn er sich nur der tödlichen Gefahr für die Autofahrer bewußt ist, nicht aber davon ausgeht, daß der Tod mit Sicherheit eintritt. 9 5

56 2. In der 2. Gruppe der Mordqualifikation muß der Täter die objektiven Merkmale (Ver90

Zur Entwicklung der Rechtsprechung - Überblick: BGHSt 35 S. 118 ff - vgl. zunächst: BGHSt 7 S. 325, sodann: BGHSt 27 S. 346, und schließlich: BGHSt 28 S. 77, 80, 82; BGH NJW 1992 S. 919. D a z u a u c h HOHMANN/MATT J A

1 9 8 9 S . 1 3 4 f f ; KÜPPER B . T . 1, I § 1 R d n . 5 7 ; L A B E R M D R

1989

S. 861 ff; OTTO Jura 1994 S. 151 f; SCHMIDHÄUSER NStZ 1989 S. 55 ff; TIMPE NStZ 1989 S. 70 ff; WEIß Die Problematik der Verdeckungsabsicht im Mordtatbestand, 1997, S. 270 ff. 91

Vgl. BGHSt 7 S. 287.

92

So auch FUHRMANN JuS 1963 S. 19; JÄHNKELK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 15.

9 3

E i n g e h e n d e r z u r K r i t i k v g l . BROCKER M D R

1 9 9 6 S. 2 2 8 f; KÜPER J Z 1 9 9 5 S. 1 1 5 8 f f ; OTTO J K 9 5 ,

S t G B § 2 1 1 / 2 6 . - Z u s t i m m e n d : S A U G E R Z S t W 1 0 9 ( 1 9 9 7 ) S . 3 0 5 f f ; DERS. S t V 1 9 9 8 S . 19 f . 94

Dazu auch FISCHER NStZ 1996 S. 416 ff; MITSCH JUS 1997 S. 788 ff; OTTO JK 96, StGB § 211/28; S A U G E R Z S t W 1 0 9 ( 1 9 9 7 ) S . 3 1 7 f f ; DERS. S t V 1 9 9 8 S . 2 2 f f ; SCHROEDER J Z 1 9 9 6 S . 6 8 8 .

9 5

26

V g l . O T T O J K , S t G B § 2 1 1 / 1 5 . - A . A . L A C K N E R / K Ü H L § 2 1 1 R d n . 1 5 ; T R Ö N D L E S t G B § 2 1 1 R d n . 11.

Der minder schwere Fall des Totschlags

§5

trauensverhältnis, Wirkung des eingesetzten Mittels) kennen; bei der Verwirklichung des Merkmals "grausam" muß es ihm aufgrund seiner Gesinnung auf die Schmerzzufügung ankommen (dolus directus 1. Grades). 3. Bei den verfolgten Zwecken, 3. Gruppe, muß sich die Absicht im engeren Sinne auf den 57 Zweck beziehen. Die Tötung selbst hingegen braucht nur bedingt gewollt zu sein. - Zu beachten ist aber, daß nach den Gegebenheiten des Sachverhalts bedingter Vorsatz dann logisch ausgeschlossen ist, wenn der Täter seinen Zweck nur mit dem Tode des Opfers erreichen kann und den Zweck in jedem Fall erreichen will. a) BGH NStZ 1996 S. 81: Nach einem Streit mit seinem Bruder B beschloß A, der keinen Führerschein besaß, mit dem Pkw seiner Lebensgefährtin herumzufahren, um sich abzureagieren. Als er sich in den Wagen setzte, legte sich B quer vor dem Pkw auf den Boden, um ihn daran zu hindern, loszufahren. A bemerkte das und überrollte den B, sodann legte er den Rückwärtsgang ein und überfuhr den B ein zweites Mal, wobei es ihm gleichgültig war, was dem B passierte. - Der schon verletzte B starb.

58

BGH: Die Tötung braucht nur bedingt gewollt zu sein, doch ist hinsichtlich der Straftat, die durch die Tötung ermöglicht werden soll, Absicht im Sinne eines zielgerichteten Wollens erforderlich. Daran fehlte es dem A, denn sein Wollen war zielgerichtet auf Herumfahren gerichtet. Daß er dieses Ziel nur durch strafbares Handeln erreichen konnte, macht die strafbare Handlung nicht zum Handlungsziel des A. Zu prüfen war vielmehr, ob A die Verkehrsstraftat nicht lediglich als notwendige Begleiterscheinung der durch die Tötung erstrebten Handlung in Kauf nahm. b) BGH StV 1988 S. 486: Der A hatte die N schwer mißhandelt und verletzt, nachdem er sie der Freiheit beraubt hatte. Obwohl er sich des lebensgefährlichen Zustandes der N bewußt war, hielt er sie weiter gefangen, weil er verhindern wollte, daß er als Täter entdeckt würde, wenn der Zustand der N bekannt würde.

59

Ergebnis: Verdeckungsabsicht liegt v o r . 9 7 c) BGH GA 1983 S. 565: A wurde bei einem Einbruch von S überrascht. Um nicht von ihr später wiedererkannt zu werden, schoß er auf sie.

60

BGH: Kann der Täter die erstrebte Verdeckung der Straftat nur durch den Tod des Opfers erreichen, so ist die Verwirklichung der Verdeckungsabsicht nur mit direktem Tötungsvorsatz möglich."®

4. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unter § 24 Rdn. 4 ff.

61

§ 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 1. § 213, 1. Alt.: ein privilegiertes

Tötungsdelikt

In seiner 1. Alt.: "War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden", enthält der Tatbestand einen benannten Strafmilderungsgrund, d.h. eine Privilegierung gegenüber § 212; vgl. dazu auch § 2 Rdn. 15 ff.

1

Das Unrecht der Tat wird in dieser Alternative durch drei Faktoren geprägt: (1.) Das spätere Opfer fügt dem späteren Täter oder einem seiner Angehörigen bewußt ein erhebliches Unrecht zu,

2

96

Dazu auch FISCHER NStZ 1996 S. 416 ff; OTTO JK 96, StGB 211/29.

97

Dazu auch BGHSt 11 S. 269; 15 S. 291 mit Anm. JESCHECK JZ 1961 S. 752; BGH VRS 24 S. 184; BGH StV 1998 S. 24; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 24.

98

Vgl. auch BGHSt 21 S. 284 f; BGH NStZ 1985 S. 166; BGH NJW 1992 S. 583.

27

Der minder schwere Fall des Totschlags

§5

trauensverhältnis, Wirkung des eingesetzten Mittels) kennen; bei der Verwirklichung des Merkmals "grausam" muß es ihm aufgrund seiner Gesinnung auf die Schmerzzufügung ankommen (dolus directus 1. Grades). 3. Bei den verfolgten Zwecken, 3. Gruppe, muß sich die Absicht im engeren Sinne auf den 57 Zweck beziehen. Die Tötung selbst hingegen braucht nur bedingt gewollt zu sein. - Zu beachten ist aber, daß nach den Gegebenheiten des Sachverhalts bedingter Vorsatz dann logisch ausgeschlossen ist, wenn der Täter seinen Zweck nur mit dem Tode des Opfers erreichen kann und den Zweck in jedem Fall erreichen will. a) BGH NStZ 1996 S. 81: Nach einem Streit mit seinem Bruder B beschloß A, der keinen Führerschein besaß, mit dem Pkw seiner Lebensgefährtin herumzufahren, um sich abzureagieren. Als er sich in den Wagen setzte, legte sich B quer vor dem Pkw auf den Boden, um ihn daran zu hindern, loszufahren. A bemerkte das und überrollte den B, sodann legte er den Rückwärtsgang ein und überfuhr den B ein zweites Mal, wobei es ihm gleichgültig war, was dem B passierte. - Der schon verletzte B starb.

58

BGH: Die Tötung braucht nur bedingt gewollt zu sein, doch ist hinsichtlich der Straftat, die durch die Tötung ermöglicht werden soll, Absicht im Sinne eines zielgerichteten Wollens erforderlich. Daran fehlte es dem A, denn sein Wollen war zielgerichtet auf Herumfahren gerichtet. Daß er dieses Ziel nur durch strafbares Handeln erreichen konnte, macht die strafbare Handlung nicht zum Handlungsziel des A. Zu prüfen war vielmehr, ob A die Verkehrsstraftat nicht lediglich als notwendige Begleiterscheinung der durch die Tötung erstrebten Handlung in Kauf nahm. b) BGH StV 1988 S. 486: Der A hatte die N schwer mißhandelt und verletzt, nachdem er sie der Freiheit beraubt hatte. Obwohl er sich des lebensgefährlichen Zustandes der N bewußt war, hielt er sie weiter gefangen, weil er verhindern wollte, daß er als Täter entdeckt würde, wenn der Zustand der N bekannt würde.

59

Ergebnis: Verdeckungsabsicht liegt v o r . 9 7 c) BGH GA 1983 S. 565: A wurde bei einem Einbruch von S überrascht. Um nicht von ihr später wiedererkannt zu werden, schoß er auf sie.

60

BGH: Kann der Täter die erstrebte Verdeckung der Straftat nur durch den Tod des Opfers erreichen, so ist die Verwirklichung der Verdeckungsabsicht nur mit direktem Tötungsvorsatz möglich."®

4. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unter § 24 Rdn. 4 ff.

61

§ 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 1. § 213, 1. Alt.: ein privilegiertes

Tötungsdelikt

In seiner 1. Alt.: "War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden", enthält der Tatbestand einen benannten Strafmilderungsgrund, d.h. eine Privilegierung gegenüber § 212; vgl. dazu auch § 2 Rdn. 15 ff.

1

Das Unrecht der Tat wird in dieser Alternative durch drei Faktoren geprägt: (1.) Das spätere Opfer fügt dem späteren Täter oder einem seiner Angehörigen bewußt ein erhebliches Unrecht zu,

2

96

Dazu auch FISCHER NStZ 1996 S. 416 ff; OTTO JK 96, StGB 211/29.

97

Dazu auch BGHSt 11 S. 269; 15 S. 291 mit Anm. JESCHECK JZ 1961 S. 752; BGH VRS 24 S. 184; BGH StV 1998 S. 24; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 24.

98

Vgl. auch BGHSt 21 S. 284 f; BGH NStZ 1985 S. 166; BGH NJW 1992 S. 583.

27

§5

3

4

5

6

7

8

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

(2.) der Täter gerät dadurch in einen - seine Entscheidungsfreiheit wesentlich einengenden - Erregungszustand und (3.) den Täter trifft keine Schuld daran, daß ihm ein Unrecht zugefügt worden ist. Nicht nur der schuldmindemd zu berücksichtigende Erregungszustand und ein begrenzter Bereich auslösender Faktoren kennzeichnen die Situation, sondern diese wird zugleich bestimmt durch "die Schuld des Opfers an der Tat". Die Tat erscheint daher gegenüber einer "typischen" Tötung als geringere Störung der sozialen Beziehungen. Insoweit beruht die Regelung des § 213 darauf, daß er zwar Tötungsunrecht unter Strafe stellt, jedoch im Verhältnis zu § 212 minder schweres Tötungsunrecht. Die Schwere der Provokation ist unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu ermitteln. Der Tatvorgeschichte kann daher Bedeutung zuk o m m e n . " Auch aus der Wiederholung von Beschimpfungen kann sich die Schwere der Beleidigung ergeben. 1 0 0 Ohne eigene Schuld handelt der Täter, der die beleidigende Äußerung des Opfers im gegebenen Augenblick entweder überhaupt nicht oder aber nicht vorwerfbar veranlaßt hat. 1 0 1 Hierbei ist jedoch hur ein Verhalten relevant, das "zu dem Verhalten des Getöteten in dem entscheidenden Augenblick genügende Veranlassung gegeben hatte" 1 0 2 , und zwar derart, daß "das Verhalten des Opfers eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes schuldhaftes Tun des Täters darstellt" 103 . Eine Mißhandlung kann körperlich oder seelisch erfolgen, denn sie ist nicht als tatbestandsmäßige Körperverletzung zu verstehen. 104 - Beleidigung ist nicht als terminus technicus i.S. einer Ehrverletzung gemäß §§ 185 ff zu verstehen, sondern als schwere Kränkung. In Betracht kommt z.B. ein Vertrauensbruch, etwa ein Ehebruch. 1 0 5 Maßgebend ist der objektive Erklärungswert des Verhaltens, nicht allein die Vorstellung des Täters, gekränkt worden zu sein, da es hier um die Feststellung des vom späteren Opfer verwirklichten Unrechts geht. 1 0 6 Die Beleidigung muß dem Täter oder einem seiner Angehörigen zugefügt worden sein. Eine analoge Anwendung auf nahestehende Personen ist aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Sie ist kriminalpolitisch auch nicht notwendig, da in einschlägigen Fällen die 2. Alternative des § 213 in Betracht kommt. 1 0 7 Auf der Stelle reagiert der Täter, der noch voll unter dem Einfluß des erlittenen Unrechts steht. Zwischen Beleidigung und Reaktion kann daher durchaus ein gewisser Zeitraum liegen. Auch kann sich das beleidigende Verhalten über längere Zeit erstrecken. Es

99

BGH NJW 1987 S. 3143.

100

BGH NStZ 1983 S. 365.

101

BGH StV 1984 S. 283.

102

BGH NStZ 1981 S. 300; BGH NStZ 1983 S. 554.

103

BGH NStZ 1981 S. 479; BGH NJW 1983 S. 293.

104

BGH NJW 1995 S. 1910; BGH bei Holtz, MDR 1997 S. 20.

105

BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 110.

106

BGH NStZ 1982 S. 27; BGH NStZ 1986 S.455; BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 111; BGH NStZ 1996 S. 33.

1 0 7

V g l . LACKNER/KÜHL § 2 1 3 R d n . 4 ; OTTO J K , S t G B § 11/2. - A . A . STRÄTZ F a m R Z 1 9 8 0 S . 3 0 8 . ;

TRÖNDLE StGB, § 11 Rdn. 8 a.

28

D e r m i n d e r s c h w e r e Fall des T o t s c h l a g s

§5

genügt, daß das Verhalten unmittelbar vor der Tat "der Tropfen war, der das Faß zum Überlaufen brachte". 108 Durch die Provokation ist der Täter auch dann zur Tat hingerissen worden, wenn neben 9 der Reizung zum Zorn noch andere Motive zur Tatauslösung beigetragen haben, sofern sie den Zorn nicht in eine unerhebliche Rolle verdrängt haben. 109 Die Rechtsprechung hält daran fest, daß Verhältnismäßigkeit zwischen der Schwere der 10 Kränkung und der im Zorn verübten Tat nicht gegeben zu sein braucht. Hier ist jedoch zu beachten, daß in Fällen, in denen die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist, die Reaktion des Täters auf das Verhalten des Opfers kaum als verständlich beurteilt werden kann. 110 2. § 213, 2. Alt.: ein unbenannter Strafmilderungsgrund Ein sonstiger minder schwerer Fall i.S. des § 213 braucht sozialethisch nicht auf der Ebene 11 der Umstände des § 213, 1. Alt. zu liegen. Entscheidend ist allein, ob "das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist". 111 Beleidigungen durch Dritte sowie Beleidigungen und Mißhandlungen nahestehender Personen können hier als begünstigende Umstände in Betracht kommen, wenn sie das Tatbild wesentlich prägen und damit die Tat vom Durchschnittsfall der Tötung abweicht. 1 1 2

12

3. Irrtum des Täters über die Beleidigung durch das Opfer a) Wird - wie es hier geschehen ist - § 213, 1. Alt. als privilegierender Tatbestand ge- 13 genüber § 212 anerkannt, so liegt ein Fall des § 16 Abs. 2 vor. 113 Sachgerecht ist diese Lösung jedoch nicht. Sie würde zwar überzeugen, wenn die Privilegierung allein in schuldmindernden Erwägungen läge, denn in diesem Fall ist die psychische Situation des Täters identisch, gleichgültig, ob die objektiven Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Ist der Grund der Privilegierung aber zumindest auch in einem das Unrecht der Tat mindernden Verhalten des Opfers zu sehen, so wird dieses Verhalten über die Anwendung des § 16 Abs. 2 in bestimmten Fällen für irrelevant erklärt. b) Soweit § 213 insgesamt als Strafzumessungsregel interpretiert wird, kann in einem Irr- 14 tumsfall "ein anderer mildernder Umstand" i.S. des § 213, 2. Alt. gesehen werden. 114

II. Das Verhältnis des § 213 zu § 211 1. Werden die Mordqualifikationen - wie es hier geschehen ist - als Ausdruck einer so- 15 zialethisch besonders unerträglichen, weil gefährlichen Gesinnung interpretiert, so schlie108

BGH NStZ 1982 S. 27; BGH StV 1991 S. 105; BGH NStZ 1995 S. 83; BGH StV 1998 S. 131.

109

Vgl. BGH StV 1983 S. 60; BGH StV 1983 S. 198; dazu auch GEILEN JR 1978 S. 341 ff; DERS. DreherFS, S. 357 ff.

110

Vgl. dazu einerseits: BGH NStZ 1982 S. 27; BGH NStZ 1985 S. 216; BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 483; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 56; andererseits: GEILEN Dreher-FS, S. 374 ff; NEUMANN Zurechnung und "Vorverschulden", 1985, S. 253.

111

BGH bei Holtz, MDR 1976 S. 633.

112

Übersicht über die Rechtsprechung: ESER NStZ 1984 S. 52 ff; DERS. Middendorff-FS, S. 65 ff.

113

So auch ESER NStZ 1984 S. 53.

114

Dazu BGHSt 1 S. 203; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 213 Rdn. 9;TRÖNDLE StGB, § 213 Rdn. 7.

29

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r d e s E i n z e l n e n

§6

ßen die §§211, 213 einander aus. Die Tat kann nicht zugleich Ausdruck einer schlechthin unerträglichen und einer doch menschlich verständlichen Einstellung zu dem Geschehen sein. Wer z.B. aus unbarmherziger Gesinnung einem anderen besondere Schmerzen bei der Tötung zufügt, wer das Vertrauen eines anderen mißbraucht oder wer eine andere Straftat verdecken will, tötet das Opfer genausowenig aufgrund der Erregung über ein ihm selbst zugefügtes Unrecht, wie derjenige, der mit gemeingefährlichen Mitteln Dritte in Gefahr oder zu Tode bringt, die ihm nichts Böses getan haben. 1 1 5 16 2. Wird die jeweils über den konkreten Fall hinausweisende Gefährlichkeit des Täters nicht bereits in der Definition einzelner Qualifikationen erfaßt, so können in diesem Bereich sowohl die Voraussetzungen des § 211 als auch die des § 213 vorliegen. 17 a) Nach Auffassung des BGH, der § 213 nur auf § 212 bezieht, weil er insoweit § 211 als Sondertatbestand auffaßt, schließt § 211 den § 213 aus. 1 1 6 18 b) Soweit § 211 als Qualifizierung und § 213 als Privilegierung - allerdings nur die erste Alternative - des § 212 angesehen wird, erfolgt eine Bestrafung nur aus § 213. Grundsatz: Die Privilegierung geht der Qualifizierung vor. 1 1 7 19 c) Auch soweit § 213 nur als unbenannter Strafmilderungsgrund interpretiert wird, soll sein Vorliegen die Anwendung des § 211 ausschließen, wenn aufgrund einer negativen Typenkorrektur - Berücksichtigung von Faktoren, die der mordtypischen Verwerflichkeit entgegenstehen - die Tötung insgesamt als nicht besonders verwerflich erscheint. 118

§ 6: Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 1

1. Die Grundlagen der Auslegung Der Tatbestand stellt eine Form der Mitwirkung an einer Selbsttötung eines anderen unter Strafe. - Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Das Unrecht der Tötung ist zwar durch diese "Einwilligung" nicht ausgeschlossen, wohl aber gemindert. Es bleibt jedoch Tötungsunrecht, deshalb ist der Tatbestand als privilegiertes Tötungsdelikt anzusehen. 1 1 9 2. Voraussetzungen

2

des

Tatbestandes

a) Die Tathandlung ist täterschaftliche 1 1 5

Im Ergebnis übereinstimmend:

Tötung eines anderen. Bloße Teilnahme an der

BERNSMANN J Z

1 9 8 3 S . 4 9 f f ; RIESS N J W

1968 S. 6 3 0 ;

TRÖNDLE

StGB, § 2 1 3 Rdn. 1; 116

Dazu BGHSt 2 S. 258 ff; 11 S. 139, 142 f; ebenso: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 158; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 23.

117

1 1 8

Dazu BOCKELMANN B.T./2, § 5 1 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 55 ("Sperrwirkung des milderen Tatbestandes"). V g l . GEILEN D r e h e r - F S ,

S . 3 8 3 f f ; HASSEMER J U S

1971

S. 6 3 0 ; HORN S K

II, § 2 1 1

II R d n .

6;

SCH/SCH/ESER § 2 1 1 Rdn. 10, § 213 Rdn. 3. - A.A. BGHSt 9 S. 385; 30 S. 1 1 4 f ; GÖSSEL B.T.l, § 4 R d n . 12; J Ä H N K E L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 3 8 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 5 4 ; MLTSCH J u S 1 9 9 6 S . 1 2 1 f ;

OTTO Jura 1994 S. 143; TRÖNDLE StGB, § 211 Rdn. 2 b. 1 1 9

S o a u c h JÄHNKE L K ,

10. A u f l . , V o r

§211

R d n . 4 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 6

Rdn.

1;

MAURACH/

SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 61; WELZEL Lb., § 38 III. - Als eigenständiges Sonderdelikt interpretieren den § 216: BGHSt 2 S. 258; SCH/SCH/ESER § 216 Rdn. 2; TRÖNDLE StGB § 216 Rdn. 1.

30

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r d e s E i n z e l n e n

§6

ßen die §§211, 213 einander aus. Die Tat kann nicht zugleich Ausdruck einer schlechthin unerträglichen und einer doch menschlich verständlichen Einstellung zu dem Geschehen sein. Wer z.B. aus unbarmherziger Gesinnung einem anderen besondere Schmerzen bei der Tötung zufügt, wer das Vertrauen eines anderen mißbraucht oder wer eine andere Straftat verdecken will, tötet das Opfer genausowenig aufgrund der Erregung über ein ihm selbst zugefügtes Unrecht, wie derjenige, der mit gemeingefährlichen Mitteln Dritte in Gefahr oder zu Tode bringt, die ihm nichts Böses getan haben. 1 1 5 16 2. Wird die jeweils über den konkreten Fall hinausweisende Gefährlichkeit des Täters nicht bereits in der Definition einzelner Qualifikationen erfaßt, so können in diesem Bereich sowohl die Voraussetzungen des § 211 als auch die des § 213 vorliegen. 17 a) Nach Auffassung des BGH, der § 213 nur auf § 212 bezieht, weil er insoweit § 211 als Sondertatbestand auffaßt, schließt § 211 den § 213 aus. 1 1 6 18 b) Soweit § 211 als Qualifizierung und § 213 als Privilegierung - allerdings nur die erste Alternative - des § 212 angesehen wird, erfolgt eine Bestrafung nur aus § 213. Grundsatz: Die Privilegierung geht der Qualifizierung vor. 1 1 7 19 c) Auch soweit § 213 nur als unbenannter Strafmilderungsgrund interpretiert wird, soll sein Vorliegen die Anwendung des § 211 ausschließen, wenn aufgrund einer negativen Typenkorrektur - Berücksichtigung von Faktoren, die der mordtypischen Verwerflichkeit entgegenstehen - die Tötung insgesamt als nicht besonders verwerflich erscheint. 118

§ 6: Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 1

1. Die Grundlagen der Auslegung Der Tatbestand stellt eine Form der Mitwirkung an einer Selbsttötung eines anderen unter Strafe. - Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Das Unrecht der Tötung ist zwar durch diese "Einwilligung" nicht ausgeschlossen, wohl aber gemindert. Es bleibt jedoch Tötungsunrecht, deshalb ist der Tatbestand als privilegiertes Tötungsdelikt anzusehen. 1 1 9 2. Voraussetzungen

2

des

Tatbestandes

a) Die Tathandlung ist täterschaftliche 1 1 5

Im Ergebnis übereinstimmend:

Tötung eines anderen. Bloße Teilnahme an der

BERNSMANN J Z

1 9 8 3 S . 4 9 f f ; RIESS N J W

1968 S. 6 3 0 ;

TRÖNDLE

StGB, § 2 1 3 Rdn. 1; 116

Dazu BGHSt 2 S. 258 ff; 11 S. 139, 142 f; ebenso: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 158; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 23.

117

1 1 8

Dazu BOCKELMANN B.T./2, § 5 1 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 55 ("Sperrwirkung des milderen Tatbestandes"). V g l . GEILEN D r e h e r - F S ,

S . 3 8 3 f f ; HASSEMER J U S

1971

S. 6 3 0 ; HORN S K

II, § 2 1 1

II R d n .

6;

SCH/SCH/ESER § 2 1 1 Rdn. 10, § 213 Rdn. 3. - A.A. BGHSt 9 S. 385; 30 S. 1 1 4 f ; GÖSSEL B.T.l, § 4 R d n . 12; J Ä H N K E L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 3 8 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 5 4 ; MLTSCH J u S 1 9 9 6 S . 1 2 1 f ;

OTTO Jura 1994 S. 143; TRÖNDLE StGB, § 211 Rdn. 2 b. 1 1 9

S o a u c h JÄHNKE L K ,

10. A u f l . , V o r

§211

R d n . 4 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 6

Rdn.

1;

MAURACH/

SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 61; WELZEL Lb., § 38 III. - Als eigenständiges Sonderdelikt interpretieren den § 216: BGHSt 2 S. 258; SCH/SCH/ESER § 216 Rdn. 2; TRÖNDLE StGB § 216 Rdn. 1.

30

T ö t u n g auf V e r l a n g e n

§6

Selbsttötung eines anderen genügt nicht. - Der Gesetzgeber sieht die Entscheidung über den eigenen Tod als so existenziell an, "daß er die Abschiebung des Vollzugs auf einen anderen nicht zulassen will". 120 Problematisch ist jedoch, welcher konkrete Akt als der hier relevante Vollzugsakt anzusehen ist. Da die Situation der Tötung auf Verlangen zum einen wesentlich durch den Willen des Opfers geprägt wird, zum anderen das Opfer in Bezug auf die Ausführungshandlung gerade abhängig ist vom Willen des Täters, ist die Differenzierung problematisch. Die Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 216 auf die Fälle, in denen der Getötete nur eine Anstiftungshandlung begangen h a t ' 2 ' , führt zu willkürlichen Unterscheidungen, denn ein gewisses Maß an Mitwirkung an der Tötungshandlung ist für die Situation typisch; ihr Fehlen hingegen ändert nicht den gesamten Unrechtsgehalt. - Auch der Versuch, nach Kriterien der Tatherrschaft über das Tötungsgeschehen oder nach dem Täterwillen zu differenzieren' 2 2 , geht fehl, denn in der Situation des § 2 1 6 sind Täter- und Opferwille so miteinander verwoben, daß Täter und Opfer als Mitträger der Tatherrschaft angesehen werden müssen. - Gleichfalls ist die Unterscheidung nach dem "Schwergewicht des Tatbeitrags" abhängig von Zufälligkeiten bei der Tatausführung.

3

Als maßgebliches Kriterium bietet sich die Herrschaft über den Akt an, mit dem über das Leben verfügt wird. Ausgangspunkt der Beurteilung ist daher die letzte Handlung des anderen. Hatte der Getötete nach diesem Tatbeitrag des Partners noch die freie Entscheidung über Leben oder Tod durch eigene Verhaltensmöglichkeiten, z.B. durch das Verlassen des Raumes, das Ausspucken einer Tablette o.a., so hat das Unterlassen dieser Handlungsmöglichkeiten Verfügungscharakter über das Leben. Es liegt ein Suizid vor, an dem sich der andere straflos beteiligt hat. Liegt in der Handlung des Partners selbst hingegen die unmittelbare Verfügung über das Leben, weil nach seinem Tatbeitrag kein Raum mehr ist für eine freie Entscheidung des Getöteten über Leben oder Tod, sondern die Entscheidung durch den Tatbeitrag selbst getroffen wurde - z.B. durch eine tödliche Injektion, einen Schuß mit einer Waffe o.ä. -, so liegt in diesem Tatbeitrag die strafbare täterschaftliche Tötung eines anderen. 123 - Die Möglichkeit einer Tatverwirklichung durch Unterlassen ist hier nicht gegeben. 124

4

b) Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Es ist das wohlüberlegte eigene Verlangen, das ausdrücklich, d.h. nicht notwendig mit Worten, aber unmißverständlich erklärt sein muß.

5

aa) RGSt 68 S. 306: Der A rief in der S Selbstmordgedanken hervor. Um S seinen Wünschen gefügig zu machen, redete er vier Stunden auf sie ein. Auf seine Aufforderung hielt schließlich die S ihren Arm hin, und nun brachte A ihr die Schnitte bei, die ihren Tod herbeiführen sollten.

6

RG: Bloßes Einverstandensein ist kein ausdrückliches und ernstliches Verlangen i.S. des § 216: "Einverstandensein bedeutet die Billigung des bekannten Vorhabens des anderen, also zwar mehr als ein bloßes Hinnehmen und ein bloßes Geschehenlassen, aber doch nur den Ausdruck der Übereinstimmung der eigenen inneren Stellungnahme mit der des anderen. Verlangen i.S. des § 216 StGB schließt demgegenüber begrifflich eine Betätigung mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen ein." bb) BGH NJW 1987 S. 1092: Der 70jährige schwerkranke O war zur Selbsttötung entschlossen, die er mit einem Betäubungsmittel herbeiführen wollte. Dies teilte er seinem Neffen A mit und fragte ihn zugleich, ob er ihm behilflich sein würde, wenn er es nicht mehr schaffen sollte, seinen Plan zu verwirklichen. Als er sah, wie erschrocken A war, lenkte er jedoch sofort ein und versprach, den A aus der Sache herauszuhalten. Eini1 2 0

SCHROEDER Z S t W 1 0 6 ( 1 9 9 4 ) S. 5 7 4 .

121

V g l . DREHER M D R 1 9 6 4 S . 3 3 8 .

122

Vgl. dazu KUTZER NStZ 1994 S. 110 ff.

1 2 3

E i n g e h e n d e r d a z u OTTO T r ö n d l e - F S , S . 1 5 9 f f ; KÜPPER B . T . 1, I § 1 R d n . 6 1 ; RENGIER B . T . II, § 8 R d n . 8; ROXIN 1 4 0 J a h r e G A - F S , S. 1 7 7 f f , 178. - A . A . SCHROEDER Z S t W 1 0 6 ( 1 9 9 4 ) S . 5 7 6 .

1 2 4

V g l . d a z u a u c h H Ä U F B . T . I, S . 3 6 ; KÜPPER B . T . 1 , 1 § 1 R d n . 6 2 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n . 10. - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 2 R d n . 6 1 .

31

7

§6

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

ge Tage später kam A zu O und bemerkte, daß dieser seinen Entschluß in die Tat umgesetzt hatte. Aufgrund der näheren Umstände befürchtete er aber, daß der Selbsttötungsversuch fehlschlagen könnte. Er entschloß sich daher, das Leben des O durch eine weitere Spritze mit Sicherheit zu beenden und führte diesen Plan aus. BGH: A handelte aufgrund eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens. 8

A u s d e m W e s e n d e s "Verlangens" als qualifizierter E i n w i l l i g u n g folgt, daß - a b g e s e h e n v o n der Fähigkeit d e s V e r l a n g e n d e n , über das b e t r o f f e n e R e c h t s g u t v e r f ü g e n zu k ö n n e n die V o r a u s s e t z u n g e n der E i n w i l l i g u n g in v o l l e m U m f a n g v o r l i e g e n m ü s s e n . D a s V e r l a n g e n m u ß daher i n s b e s o n d e r e frei v o n W i l l e n s m ä n g e l n sein und der V e r l a n g e n d e m u ß s i c h der T r a g w e i t e seiner E n t s c h e i d u n g b e w u ß t s e i n . 1 2 5

9

Ist das V e r l a n g e n nicht w i r k s a m , w e i l e s durch T ä u s c h u n g e r s c h l i c h e n w u r d e o d e r der V e r l a n g e n d e gar nicht in der L a g e war, die T r a g w e i t e seiner E n t s c h e i d u n g a b z u s c h ä t z e n , s o ist der Tatbestand d e s § 2 1 6 nicht g e g e b e n . Je nach d e n tatsächlichen G e g e b e n h e i t e n l i e g e n § § 2 1 2 , 2 1 1 vor.

10

Fall: A leidet an einem harmlosen Magenleiden. Er selbst meint aber, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein. Die Beteuerungen des Arztes und seiner Ehefrau hält er für schonungsvolle Lügen. Inständig bittet er daher die E, ihn zu erlösen. Als er sein Verlangen immer eindringlicher geltend macht und von nichts anderem mehr redet, gibt E seinem Verlangen nach. - § 216 ist nicht anwendbar, denn A war sich deshalb der Tragweite seiner Entscheidung nicht bewußt, weil er seine Entscheidung von falschen Voraussetzungen her traf und E dieses wußte.

11

c) D e r Täter m u ß durch das V e r l a n g e n zur Tat bestimmt w o r d e n sein, d.h. das V e r l a n g e n m u ß als e n t s c h e i d e n d e r Tatantrieb gewirkt haben. D i e Initiative kann aber durchaus v o n d e m Täter a u s g e h e n , w e n n deutlich bleibt, daß erst die E n t s c h e i d u n g d e s "Opfers" d i e Tatsituation grundsätzlich gestaltet und d i e s e E n t s c h e i d u n g in d e n e i g e n e n Ü b e r l e g u n g e n d e s "Opfers" ihren Grund hat.

12

aa) Fall: Der schwerkranke T leidet fürchterliche Schmerzen. Seine Ehefrau E erfüllt dies gleichfalls mit Schmerz und auch Mitleid. Sie deutet dem T gegenüber an, daß sie bereit sei, ihm eine erlösende Spritze zu geben, falls er es wünsche. T bittet sogleich darum. Er hatte es nicht gewagt, der E gegenüber ein derartiges Verlangen zu äußern.

13

bb) Wie unter aa), doch E ist bereits fest entschlossen, den T zu töten, als T sie plötzlich um diese Gefälligkeit bittet.

Ergebnis: § 216 anwendbar.

H.M.: § 216 ist nicht anwendbar, da E bereits zuvor zur Tat entschlossen war. - Die Sachgerechtigkeit des Ergebnisses ist zweifelhaft, denn an dem durch das Verlangen des T geminderten Unrecht der Tat ändert der vorgefaßte Plan nichts. - Anwendbarkeit des § 213, 2. Alt. ist daher geboten. 3. Die Motivierung 14

durch das

Verlangen

a) D a s "Verlangen" ist ein unrechtsmindernder Sachverhalt. D i e M o t i v i e r u n g durch d i e s e s V e r l a n g e n ist e i n p e r s ö n l i c h e s M e r k m a l , j e d o c h kein S o n d e r p f l i c h t m e r k m a l , und daher k e i n besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 2 8 . 1 2 6 Fall: A bittet den B um Gift, weil er dem Verlangen des C, ihn zu töten, nachkommen will. B, dem das Schicksal des C egal ist und der dem A einen Gefallen tun will, gibt dem A das Gift. A führt die Tat aus. Ergebnis: A: § 216; B: §§ 216, 27. Nach h.M. wäre B gemäß §§ 216, 27, 28 Abs. 2 aus §§ 212, 27 zu bestrafen.

125

Im einzelnen dazu vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT A.T., § 8 Rdn. 106 ff. 126 vgl. auch HORN SK II, § 216 Rdn. 13. - A.A. die h.M., die § 28 aber über die Sondeipflichtmerkmale hinaus ausdehnt; z.B.: JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 216 Rdn. 10; LACKNER/KÜHL § 216 Rdn. 2; MITSCH JuS

1996 S. 27; SCH/SCH/ESER

NEMANN Jura 1980 S. 579 f. 32

§ 216 Rdn.

18; d i f f e r e n z i e r e n d : ROXIN L K ,

§ 28 Rdn. 54;

SCHÜ-

T ö t u n g auf V e r l a n g e n

§6

b) Geht der Täter von einem ausdrücklichen Verlangen aus, obwohl es nicht vorliegt, so 15 kommt gem. § 16 Abs. 2 gleichfalls nur eine Bestrafung aus § 216 als Vorsatztat in Betracht. Über die Sachgerechtigkeit dieser Lösung läßt sich streiten, denn das unrechtsmindernde Element der Einwilligung des Betroffenen wird damit für die Anwendung des Tatbestandes auf diesen Fall für irrelevant erklärt. Systemgerechter wäre eine Lösung über § 213, 2. A l t . 1 2 7

c) Handelt der Täter in Unkenntnis des Verlangens, so haftet er nach § § 2 1 2 , 2 1 1 . 4. Die kriminalpolitische

Berechtigung des

16

Tatbestandes

a) Beseitigung des § 216 Die vereinzelt geforderte Beseitigung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen ist weder 17 dogmatisch noch kriminalpolitisch geboten. - Da die höchstpersönlichen Rechtsgüter dem Einzelnen zugeordnet werden, weil diese Zuordnung seiner Entwicklung und der der Rechtsgesellschaft am angemessensten entspricht, kann aus der Zuordnung kein Argument für eine unbeschränkte Verfügungsmacht über das Rechtsgut hergeleitet werden. Eine Beschränkung der Verfügungsmacht trotz Zuordnung des Rechtsguts zur Person des Einzelnen ist daher dogmatisch durchaus vertretbar, und auch kriminalpolitisch erscheint die Aufrechterhaltung des Tötungstabus im weitestmöglichen Umfang angemessen. 1 2 8 b) Erweiterung des § 216 Der Alternativentwurf Sterbehilfe hat eine Erweiterung des § 216 dahin vorgeschlagen, 18 daß das Gericht unter den Voraussetzungen des § 216 Abs. 1 von Strafe absehen kann, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann. 1 2 9 Diese Erweiterung des Gesetzes erscheint nicht notwendig, da die Lösung, der hier relevanten Fällen über § 34 StGB zu finden ist; vgl. dazu weiter unter Rdn. 33 f.

II. Die Problematik der Sterbehilfe 1. Sterbehilfe und

Selbstbestimmung

Die Problematik der Sterbehilfe im Sinne der Einflußnahme auf den Sterbeprozeß eines 19 unheilbar Erkrankten ist in ihrer rechtlichen Dimension bereits aufgrund der Unterschiede im tatsächlichen Bereich differenziert zu beurteilen. Darüber hinaus aber wird die Ausgangssituation durch das grundgesetzlich garantierte Recht einer jeden Person, selbst zu bestimmen, ob und wie weit andere Eingriffe an ihrem Körper vornehmen dürfen, rechtlich gestaltet.

127

Vgl. JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 216 Rdn. 2. 128 v g l . auch ENGISCH H. Mayer-FS;, S. 412; DERS. Schaffstein-FS, S. 1 ff; DERS. Dreher-FS, S. 318; HIRSCH Welzel-FS, S. 775 ff; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 216 Rdn. 1; MOLLERING Der Schutz des Lebens und Recht auf Sterben, 1977, S. 93; RIELINGER GA 1997 S. 418; STERNBERG-LLEBEN Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, S. 117 ff; WLLMS/JÄGER ZRP 1988 S. 41 ff. - A.A. MARX Zur Definition des Begriffs "Rechtsgut", 1972, S. 64, 82; R. SCHMITT Maurach-FS, S. 118; DERS. J Z 1 9 7 9 S. 4 6 2 f f . 129

Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe, vorgelegt von BAUMANN u.a., 1986, S. 34 ff. - Krit. dazu LAUTER/MEYER MschKrim 1988 S. 370 ff.

33

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter d e s Einzelnen

§6 2Q

BVerfGE 52 S. 178: "Im Lichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist das Institut der Einwilligung demgegenüber inhaltlich so zu bestimmen, daß das Recht des Patienten gewahrt bleibt, entsprechend seinen ureigensten Maßstäben seine Einwilligung zu erteilen oder zu verweigern; hierüber ist er von Verfassungs wegen allenfalls sich selbst, nicht aber dritten Personen und ihren Maßstäben Rechenschaft schuldig. Dieses Recht verdient von Verfassungs wegen Achtung und Schutz zumal dort, wo es sich - etwa wegen der Schwere seiner Krankheit, der Notwendigkeit des Eingriffs oder auch des Risikos, das mit ihm oder seinem Unterbleiben verbunden ist - um eine existentielle Entscheidung des Patienten über seine eigene Integrität handelt."

2. Sterbehilfe ohne

Lebensverkürzung

21 Die Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung betrifft die Hilfe beim Sterben. Eine derartige Hilfe durch schmerzstillende oder -vermindernde Maßnahmen ist durch die Einwilligung des Betroffenen gerechtfertigt, auch wenn sie zu einer Beeinträchtigung des Bewußtseins des Betroffenen führt. Verweigert der Betroffene hingegen die Einwilligung, so ist die entsprechende Maßnahme rechtswidrig. Ob der Betroffene Schmerz und Pein auf sich nehmen will, weil er auch im Leid Sinn verwirklicht sieht oder nicht, ist allein von seiner Entscheidung abhängig. 3. Passive Sterbehilfe 22 Die passive Sterbehilfe bezeichnet den Verzicht auf lebensverlängernde Therapie oder die Einstellung einer begonnenen lebensverlängernden Therapie. 23 Hat ein Arzt die Behandlung eines Patienten übernommen, so ist er grundsätzlich verpflichtet, das ihm Mögliche zu tun, um das Leben des Patienten zu erhalten, und zwar auch dann, wenn feststeht, daß die lebensverlängernden Maßnahmen das Ende nur um einen absehbaren Zeitraum hinausschieben. Unterläßt der Arzt eigenmächtig diese Lebenserhaltung vorsätzlich oder fahrlässig, so kann er für die dadurch begründete Lebensverkürzung wegen eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Tötungsdelikts durch Unterlassen haftbar sein. 24 Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß die Achtung der Würde der Person in bestimmten Situationen einer Hinauszögerung des Sterbeprozesses bis zum Eintritt des Todes entgegensteht, dann nämlich, wenn das Grundleiden eines Kranken irreversibel ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. In dieser Situation hat der Sterbevorgang bereits eingesetzt. Das legitimiert einen Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen wie Beatmung, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung. 1 3 0 a) Passive Sterbehilfe im Einverständnis mit dem Betroffenen 25 aa) Hat der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt, kennt der Patient jedoch seine lebensgefährliche Situation und bringt er klar zum Ausdruck, daß er weitere lebensverlängernde Maßnahmen oder die Einleitung einer neuen Therapie, die Vornahme einer Operation o.ä., nicht wünscht, so bindet sein Wille auch den behandelnden Arzt. Die mit der Übernahme der Behandlung begründete Garantenposition des Arztes dem Patienten gegenüber ändert die Sach- und Rechtslage nicht. Durch Betrauung des Arztes mit der Behandlung räumt der Patient dem Arzt den zur Durchführung der übernommenen Aufgabe nötigen tatsächlichen Einfluß- und Herrschaftsbereich ein. Mit der Übernahme der Behandlung entsteht eine "Beschützergarantenstellung" des Arztes gegenüber dem Patienten. Die Garantenpflicht ist auf Hilfe gegenüber dem Patienten angelegt und in Umfang und Existenz abhängig vom Willen des Patienten. Sie berechtigt nicht zu einer Bevormundung des Pati130

34

BGHSt 40 S. 257, 260.

Tötung auf Verlangen

§6

enten oder gar zu körperlichen Eingriffen gegen seinen Willen. Der Versuch, den Prozeß des Sterbens gegen den Willen des Betroffenen zu beeinflussen, ist der Versuch, den eigenen Tod des Betroffenen durch einen fremdbestimmten Tod zu ersetzen. Der Arzt, der sich über den Willen des Betroffenen hinwegsetzt, handelt rechtswidrig. 131 bb) Die Entscheidung des Betroffenen bindet auch dann noch, wenn der Betroffene be- 26 wußtlos geworden ist oder einen eigenverantwortlichen Willen nicht mehr bilden kann. Seine Willensentscheidung sollte nämlich gerade auch diese Situation seinem Willen gemäß gestalten. cc) Ob der Behandlungsabbruch durch positives Tun - z B. Abschalten des Reani- 27 mationsgeräts - oder durch Unterlassen - weitere therapeutische Maßnahmen werden nicht ergriffen - erfolgt, ist rechtlich irrelevant. Die Einstellung der Behandlungsmaßnahmen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten ist rechtmäßig, denn dieses Verhalten realisiert das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, sein Grundrecht auf Behandlungsfreiheit als Ausdruck seiner Handlungsfreiheit und seines Rechts auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG. 1 3 2 Das Abschalten eines Geräts, um eine Behandlung abzubrechen oder zu beenden, ist 28 keine Unterlassung, sondern positives Tun. 1 3 3 Wenn in der Lehre gleichwohl versucht wird, dieses Tun in ein Unterlassen umzudeuten, 1 3 4 so ist die Motivation - Begründung eines Unterschieds zur sog. aktiven Sterbehilfe - zwar anerkennenswert, die Umdeutung aber weder dogmatisch notwendig, da es allein auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens ankommt, noch begrifflich haltbar, denn mit der Einführung des "Unterlassens durch Tun" wird der begriffliche Unterschied zwischen Tun und Unterlassen aufgehoben. 1 3 5

131

Vgl. im einzelnen dazu BGHSt 37 S. 376; BADE Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht, 1988, S. 140 ff; BAUMANN J Z 1975 S. 202 f; BUSCHENDORF Die strafrechtliche Problematik der Euthanasie und der Freigabe "lebensunwerten Lebens", in: Valentin (Hrsg.), Die Euthanasie, 1969, S. 59; v. DELLINGSHAUSEN Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes, 1981, S. 360 ff; ENGISCH Dreher-FS, S. 322 ff; DERS. Bockelmann-FS, S. 534; GEILEN Euthanasie und Selbstbestimmung, 1975, S. 12 f; GIESEN JZ 1990 S. 929 ff; HANACK Gynäkologe 1982 S. 109 f; HIRSCH WelzelFS, S. 7 9 6 Fn. 68; JÄHNKE L K , 10. Aufl., V o r § 2 1 1 Rdn. 13; ARTHUR KAUFMANN J Z 1 9 8 2 S. 4 8 5 ;

KREY B.T. 1, Rdn. 9; LACKNER/KÜHL Vor § 211 Rdn. 8; OTTO Recht auf den eigenen Tod?, Gutachten zum 56. Dt. Juristentag, 1986, D 38 Fn. 86 m.w.N. 132

Vgl. BGHSt 4 0 S. 260; LG Ravensburg NStZ 1987 S. 229 mit Anm. HERZBERG JZ 1988 S. 185 ff, OTTO JK 87, StGB § 216/3, ROXIN NStZ 1987 S. 348 ff, STOFFERS MDR 1992 S. 621 ff, 625 ff; TRÖNDLE Göppinger-FS, S. 595 ff.

133

Vgl. BAUMANN/WEBER/MITSCH A.T.,10. Aufl. 1995, § 15 Rdn. 33; BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, 1968, S. 112, 125 Fn. 4 5 ; DERS. W M W 1976 S. 149; MAURACH/GÖSSEIVZIPF A.T. 2, 7. A u f l . 1989,

§ 45 Rdn. 32; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 16; JESCHECKAVEIGEND A.T., 5. Aufl. 1996, § 58 II 2; LANGER Rechtliche Aspekte bei der Sterbehilfe, in: Kruse/Wagner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität, 1986, S. 123 f; RUDOLPHI SK I, Vor § 13 Rdn. 47; SAMSON Welzel-FS, S. 601 f; SAX JZ 1975 S. 137 ff; STRATENWERTH SchwZStR 95 (1978) S. 67; ZIMMERMANN N J W 1977 S. 2104. 134

So BOTTKE ZEE 1981 S. 126; ENGISCH Gallas-FS, S. 177 f; ESER Sterbehilfe und Euthanasie in rechtlicher Sicht, in: Eid (Hrsg.), Euthanasie oder soll man auf Verlangen töten, 1975, S. 60; GEILEN FamRZ 1968 S. 126 Fn. 3 5 ; DERS. JZ 1 9 6 8 S. 151; DERS. Heinitz-FS, S. 3 8 3 Fn. 2 2 ; HANACK G y n ä k o l o g e 1982

S. 112; KREY B.T.l, Rdn. 11; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 41; ROXIN EngischFS, S. 396 ff; SCHMIDHÄUSER A.T., Stub., 2. Aufl. 1984, 12/54; SCHNEIDER Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung, 1997, S. 144 ff, 174 ff; TRÖNDLE StGB, Vor § 2 1 1 Rdn. 17; 135

Dazu eingehend OTTO Gutachten, D 42 ff.

35

§6

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

b) Passive Sterbehilfe durch Behandlungsverzicht oder -abbruch 29 Ist eine Entscheidung des Betroffenen über die Fortführung oder Aufnahme einer Therapie nicht möglich, weil der Betroffene nicht oder nicht mehr in der Lage ist, eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben, so muß der Arzt die Entscheidung selbstverantwortlich treffen. Er hat dabei zu prüfen, ob Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen des Betroffenen auffindbar sind. Sind derartige Anhaltspunkte - z.B. eine frühere schriftliche Erklärung des Betroffenen - vorhanden, so hat er diese Willensäußerung bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Zu beachten ist aber, daß ein - insbesondere älteres - Patiententestament als solches keine bindende Wirkung hat. 1 3 6 Der Arzt ist verpflichtet, zu prüfen, ob Anhaltspunkte gegen den ursprünglich geäußerten Willen sprechen. 1 3 7 30 Fehlen Anhaltspunkte für den Willen des Patienten, so ist grundsätzlich von der Pflicht des Arztes, den Prozeß des Sterbens hinauszuzögern, auszugehen. 1 3 8 Steht jedoch fest, daß die Verlängerung des Sterbeprozesses mit Schmerzen verbunden ist, die ein bewußtes Erfassen der Umwelt, geschweige denn eine Auseinandersetzung mit ihr, unmöglich machen, so endet die Pflicht des Arztes, das Leben zu erhalten. Gleiches gilt, wenn der irreversible Bewußtseinsverlust eingetreten ist oder durch eine mögliche Operation eintreten würde. 1 3 9 - Allein die Auffassung des Arztes, das Leben des Patienten sei sinnlos, lebensunwert oder unnütz, kann hingegen den Behandlungsabbruch nicht legitimieren.' 4 0 c) Passive Sterbehilfe gegen den Willen des Betroffenen 31 Die grundsätzliche Pflicht des Arztes zur Erhaltung und/oder Verlängerung des Lebens endet auch gegen den Willen des Betroffenen, wenn die Todesursache definitiv gesetzt und der Bewußtseinsverlust nachweislich irreversibel ist. Die Erhaltung eines "personal entleerten Gefäßes des Humanuni" (THIELICKE), das selbst nicht mehr Subjekt, sondern nur noch Objekt sein kann, in der Situation definitiv gesetzter Todesursache, bedeutet nicht mehr Achtung der Würde der Person des Betroffenen, sondern Verletzung seiner Personenwürde durch Verweigerung des ihm als Person eigenen Todes. 1 4 1 13

^ Soweit dem Patiententestament Bindungswirkung zuerkannt wird, vgl. STERNBERG-LIEBEN NJW 1985 S. 2735 ff, wird verkannt, daß eine existentielle Entscheidung stets durch die Situation geprägt ist, so daß die Möglichkeit, eine Willensänderung zu berücksichtigen, nicht ausgeschlossen werden darf.

137 vgl. dazu auch Richtlinien der Bundesärztekammer für die Sterbehilfe, MedR 1985 S. 38, aktualisiert Juni 1993, Dt. Ärzteblatt 1993, B 1791 f; Entwurf der Richtlinie der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung und den Grenzen zumutbarer Behandlung, Dt. Ärzteblatt 94 (1957), 1342 f; Resolution zur Behandlung Todkranker und Sterbender der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Der Chirurg 1979 S. 273; ACHENBACH in: Ochsmann (Hrsg.), Lebens-Ende, 1991, S. 151 f; DEUTSCH NJW 1979 S. 1907 ff; GIESEN JZ 1990 S. 938 ff; OTTO Gutachten, D 41 m.w.N. in Fn. 92; ROXIN Welzel-FS, S. 4 6 9 . 138

V g l . B G H S t 4 0 S. 2 5 7 , 2 6 0 f m i t A n m . BERNAT R d M 1995 S. 5 1 f f , BERNSMANN Z R P 1 9 9 6 S. 8 7 f f ,

DÖRNER ZRP 1996 S. 93 ff, HELGERTH JR 1995 S. 338 ff, OTTO JK 95, StGB § 212/2, SCHÖCH NStZ 1 9 9 5 S. 153 f f , VERREL J Z 1 9 9 6 S. 2 2 4 f f , VOGEL M D R 1 9 9 5 S. 3 3 7 f f . 139

140 141

36

Dazu im einzelnen BOTTKE ZEE 1981 S. 126; v. DELLINGSHAUSEN S. 425 f; ESER in: Eid, Euthanasie, S. 59 f; GEILEN Euthanasie S. 20 f; HANACK Gynäkologe 1982 S. 110 f; OTTO Gutachten, D 51 m.w.N. in Fn. 116. Vgl

dazu Fn

138

Vgl. BOTTKE ZEE 1981 S. 123 ff; ESER Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch in rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 1977, S. 130 f; DERS. Grenzen der Behandlungspflicht aus juristischer Sicht, in: Lawin/Huth (Hrsg.), Grenzen ärztlicher Aufklärungs- und Behandlungspflicht, 1982, S. 87 f; HANACK Gynäkologe 1982 S. 109 f; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 20; KREY B.T.l, Rdn. 8 f; OTTO Gutachten, D 37 m.w.N. in Fn. 80.

Tötung auf Verlangen 4. Aktive

§6

Sterbehilfe

a) Begriff der aktiven Sterbehilfe Aktive Sterbehilfe ist die bewußte Verkürzung des verlöschenden Lebens durch aktive - 32 über den Behandlungsabbruch hinausgehende - Einflußnahme auf den Krankheitsprozeß. Als Tathandlung kommt nur aktives Tun in Betracht. Das Selbstbestimmungsrecht des aufgeklärten und im Rechtssinne frei verantwortlichen Betroffenen entbindet Garanten von ihrer Handlungspflicht. - Ist der Wille des Betroffenen hingegen nicht im Rechtssinne frei, so fehlt es an einem rechtlich bedeutsamen "ausdrücklichen und ernstlichen Verlangen" i.S. des § 216 StGB und das Verhalten kann als vorsätzliche Tötung nach §§ 212, 211 relevant werden. 1 4 2 b) Schmerzlindernde, lebensverkürzende Sterbehilfe Auch wenn die Sterbehilfe das Sterben nur erleichtern soll, dabei aber eine Lebens- 33 Verkürzung bewußt in Kauf genommen wird (sogenannte indirekte Sterbehilfe), liegt ein Fall aktiver Sterbehilfe vor. Gleichgültig, ob der Handelnde die lebensverkürzende Wirkung seiner Maßnahmen nur als Nebenwirkung ansieht oder nicht, er handelt vorsätzlich, wenn er das konkrete Risiko der Lebensverkürzung erkannt hat oder die Lebensverkürzung sogar als unvermeidliche Begleiterscheinung seiner für geboten erachteten schmerzlindernden Therapie ansieht. 143 Es ist auch nicht möglich, das Verhalten in diesen Fällen aus dem Schutzbereich der Tötungsdelikte zu eliminieren, denn die Tötungshandlung steht hier außer Frage. 1 4 4 In Betracht kommt in diesen Fällen jedoch eine Rechtfertigung über § 34 StGB, weil 34 die Achtung der menschlichen Würde die lebensverkürzende Schmerzlinderung legitimiert. Bedrohen Schmerz, Pein und Qual den Einzelnen in der Situation definitiv gesetzter Todesursache derart, daß ihm eine geistige Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und/oder sich selbst nicht mehr möglich ist, weil der Schmerz das Bewußtsein überlagert, so kann der Arzt das höhere Interesse wahrnehmen, wenn er die zur Schmerzlinderung erforderlichen Maßnahmen trifft, selbst wenn diese nicht nur mit der abstrakt möglichen, sondern mit der konkreten Gefahr einer sicheren Lebensverkürzung verbunden sind. Die Achtung der menschlichen Würde auch im Sterben kann diese Hilfe legitimieren, deren Maß und Umfang vom Erfordernis der zur Schmerzlinderung unabweisbar nötigen Maßnahmen bestimmt wird. Sie ermöglicht es dem Betroffenen, als Person zu sterben, nicht aber als ein nur noch vom Schmerz beherrschtes Wesen, das sich seiner selbst nicht mehr bewußt werden kann. 145

1 4 2

V g l . a u c h BOCKELMANN S t r a f r e c h t , B . T . / 2 , § 4 II 2 a; DETERING JUS 1 9 8 3 S . 4 1 9 ; SCH/SCH/ESER V o r b e m . § § 2 1 1 R d n . 2 8 ; 2 1 6 R d n . 10; KREY B . T . l , R d n . 12 f; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 15.

143

Vgl. dazu auch ESER in: Auer/Menzel/Eser, S. 88; GEILEN Bosch-FS, S. 283; HANACK in: Hiersche (Hrsg.), Euthanasie, 1975, S. 132, 147; DERS. Gynäkologe 1982 S. 113; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 2 1 1 Rdn. 15 in Verb, mit Rdn. 17; KREY B.T.l, Rdn. 12 ff; OTTO Gutachten, D 54 ff. - A.A. BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 25, 70.

144

Vgl. dazu DÖLLING JR 1998 S. 161; OTTO Gutachten, D 55. - A.A. Herzberg NJW 1996 S. 3049; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 15 in V e r b , m i t R d n . 17; KREY B . T . l , R d n . 14 f f ; TRÖNDLE

StGB, Vor § 211 Rdn. 17; WESSELS B.T./l, Rdn. 26. 1 4 5

D a z u v g l . B G H S t 4 2 S . 3 0 1 , 3 0 5 m i t A n m . DÖLLING J R 1 9 9 8 S . 1 6 0 f f ; OTTO J K 9 7 , S t G B § 2 1 2 / 3 ,

SCHÖCH NStZ 1997 S. 409 ff; BADE Arzt, S. 111 ff; BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 55 ff; v. DELLINGSHAUSEN S. 185 ff; ENGISCH Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens in strafrechtlicher Beleuchtung, 1948, S. 5 f; ESER in: Auer/Menzel/Eser S. 89 f; GEILEN Euthanasie, S. 23, 26; GIESEN J Z 1 9 9 0 S . 9 3 5 f ; HANACK G y n ä k o l o g e 1 9 8 2 S . 1 1 3 ; HIRSCH W e l z e l - F S , S . 7 9 5 ; HORN S K II,

37

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§6

c) Beendigung von Leiden durch Tötung 35 Eine grundsätzliche Rechtfertigung einer Tötung aus Barmherzigkeit - selbst in hoffnungslosen Fällen -, kommt nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers in § 216 nicht in Betracht. Auch wenn einem Arzt eine weitere Schmerzlinderung unmöglich ist, so geht er über den Heilauftrag hinaus, wenn er den Todkranken tötet, um dessen Leiden ein Ende zu bereiten. In dieser Situation wird aber nicht ausnahmslos das Unrecht eines Tötungsdelikts verwirklicht. In seltenen Ausnahmesituationen kann die Achtung menschlicher Würde der Achtung des Lebens vorgehen, weil der Sterbeprozeß in ein Stadium gelangt ist, in dem der Schmerz jeden anderen Bewußtseinsinhalt verdrängt und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der Betroffene der Unerträglichkeit der Schmerzen erliegt. 36

Fall: Ein Lastkraftwagenfahrer und sein Beifahrer waren mit dem Lastkraftwagen unterwegs. Es kam zu einem Unfall, der Wagen geriet in Brand. Der Fahrer, der hinter dem Steuerrad eingeklemmt war, begann am lebendigen Leib zu verbrennen. Der nur leicht verletzte Beifahrer hatte keine Chance, den Fahrer herauszuziehen oder sonst aus seiner Situation zu befreien. Nachdem die Brandverletzungen einen tödlichen Grad erreicht hatten und dem um Erlösung flehenden Fahrer die Stimme bereits versagte, erschlug der Beifahrer den Fahrer.

37 In derart extremen Ausnahmesituationen kommt eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht. 1 4 6 5. Zum Sterbenlassen

Schwerstgeschädigter

Neugeborener

(Früheuthanasie)

38 Auch das schwerstgeschädigte, mißgebildet geborene Kind hat als Träger der Menschenwürde Lebensrecht. In Ausnahmesituationen kann aber auch hier die Pflicht, das Leben des Kindes zu erhalten, unter dem Gesichtspunkt der Achtung menschlicher Würde begrenzt sein. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist hier, ob dem Kind eine Lebensverlängerung zugemutet werden kann, ob sinnvolles Leben überhaupt zu ermöglichen ist. 39 Die "Einbecker Empfehlung" der Akademie für Ethik in der Medizin, Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht stellt hier zutreffend darauf ab, daß die ärztliche Behandlungspflicht nicht allein durch die Möglichkeiten der Medizin bestimmt wird, sondern ebenso an humanethischen Beurteilungskriterien und am Heilauftrag des Arztes auszurichten ist. Eine Ausschöpfung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten wird abgelehnt, "wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erfahrungen und menschlichem Ermessen das Leben des Neugeborenen nicht auf Dauer erhalten werden kann, sondern ein in Kürze zu erwartender Tod nur hinausgezögert wird". - Ein Beurteilungsrahmen für die Indikation von medizinischen Behandlungsmaßnahmen wird dem Arzt eingeräumt, "wenn diese dem Neugeborenen nur ein § 2 1 2 R d n . 2 6 ; KUTZER Z R P 1 9 9 7 S. 119; LANGER A s p e k t e , S. 1 4 5 ; MAURACH/SCHRODER/ MAIWALD

B.T.l, § 1 Rdn. 38; MERKEL JZ 1996 S. 1148 ff; MÖLLERING Schutz des Lebens - Recht auf Sterben, 1977, S. 30 ff; OTTO Gutachten, D 56 ff; ROXIN Der Schutz des Lebens aus der Sicht des Juristen, in: Blaha u.a. (Hrsg.), Schutz des Lebens - Recht auf Tod, S. 87 f; SCHREIBER Beiträge zur gerichtlichen Medizin 33 (1975) S. 40; SLMSON Schwinge-FS, S. 110; WIMMER FamRZ 1975 S. 438 f. 146

38

Vgl. dazu BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 64 f; GEILEN Euthanasie, S. 26 ff; DERS. BoschFS, S. 288; GIESEN JZ 1990 S. 935; HEINITZ Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 1970, S. 17; HIRSCH Welzel-FS, S. 795 f; MERKEL JZ 1996 S. 1151; OTTO Gutachten, D 60 f, m.w.N. in Fn. 144.Gegen eine Rechtfertigung: BADE Arzt, S. 116 ff, 124 f; BAUMANN JZ 1975 S. 202; BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 24; DERS. B.T./2, § 2 II 3; BOTTKE ZEE 1981 S. 121 ff; ESER Suizid, S. 400; DERS. in: Auer/Menzel/Eser, S. 91; GÖSSEL B.T.l, § 2 Rdn. 29; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 14 f; LACKNER/KÜHL Vor § 2 1 1 Rdn. 7; LANGER Aspekte, S. 119 f; ROXIN in: Blaha u.a., Schutz, S. 93; WESSELS B.T./l, Rdn. 27. - Für eine Entschuldigung: v. DELLINGSHAUSEN S. 337 ff, 353; LANGER Aspekte, S. 122 f; RUDOLPHI Welzel-FS, S. 628.

T ö t u n g auf V e r l a n g e n

§6

Leben mit äußerst schweren Schädigungen ermöglichen würden, für die keine Besserungschancen bestehen. Es entspricht dem ethischen Auftrag des Arztes zu prüfen, ob die Belastung durch gegenwärtig zur Verfügung stehende Behandlungsmöglichkeiten die zu erwartende Hilfe übersteigt und dadurch der Behandlungsversuch ins Gegenteil verkehrt wird". 147

III. Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung 1. Suizid und Mitwirkung

Dritter

Wie unter Rdn. 2 ff dargelegt, ist die Tathandlung des § 216 die täterschaftliche Tötung 40 eines anderen. Daraus folgt: a) Hat der die Tötung Verlangende allein die Tatherrschaft über den unmittelbar das Le- 41 ben beendenden Akt inne, so stellt sich die Tat als Suizid dar. Mitwirkende an der Tat sind nicht wegen eines Tötungsdelikts strafbar. Es fehlt an der Haupttat. b) Auch eine Haftung wegen fahrlässiger Tötung entfällt, wenn der Dritte durch fahrläs- 42 siges Verhalten den Selbstmord ermöglicht oder unterstützt hat. 148 c) Ist der Willensentschluß des Suizidenten nicht als freiverantwortlich anzusehen, weil er 43 die Situation in ihrer Bedeutung verkennt, sich in einer Notstandssituation befindet oder es an seiner Einsichtsfähigkeit mangelt, so macht sich ein Dritter, der dies erkennt und dennoch aktiv an der Selbsttötung mitwirkt, sei es, daß er den fehlerhaften Suizidentschluß hervorruft oder daß er dem Suizidenten das Tötungsmittel verschafft, der Tötung des Suizidenten in mittelbarer Täterschaft durch das Opfer selbst schuldig. 149 d) Eine Garantenpflicht zur Hinderung der Selbsttötung eines frei verantwortlich Han- 44 delnden besteht nicht. Auch die Garantenpflichtposition von Lebensschutzgaranten findet ihre Grenze an der frei verantwortlichen Entscheidung des Suizidenten, denn die Garantenposition begründet keine "Vormundschaftsstellung" gegenüber dem zu Schützenden. 147 Yg[ "Einbecker Empfehlung", Perinatal Medizin 1992 S. 126 f. - Zur Diskussion im einzelnen vgl. GIESEN J Z 1 9 9 0 S. 9 4 1 ; HANACK M e d R 1 9 8 5 S . 3 3 f f ; ARTHUR KAUFMANN J Z 1982 S. 4 8 5 ; MERKEL

JZ 1996 S. 1151 f; DERS. Rechtsphilosophische Hefte 8 (1998) S. 103 ff, 154 ff; R. PETERS Der Schutz des neugeborenen insbesondere des mißgebildeten Kindes, 1988, S. 242 ff; R. SCHMITT Klug-FS, Bd. 2, S. 3 3 5 . 148

So auch BGHSt 24 S. 342; zustimmend: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 60; DÖLLING G A 1984 S. 71 ff; VAN ELS NJW 1972 S. 1476 f; HERZBERG Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 102; HORN SK, § 212 Rdn. 21; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 23; ROXIN Gallas-FS, S. 245; SCH/SCH/ESER V o r b e m . § § 2 1 1 ff R d n . 3 5 . - K r i t i s c h : GEILEN J Z 1974 S. 145; KOHLHAAS J R 1 9 7 3 S. 5 3 ; DERS. N J W 1 9 7 3 S. 5 4 8 ; WELP J R 1 9 7 2 S. 4 2 7 .

149

Dazu vgl. BGHSt 32 S. 38 mit Anm. ROXIN NStZ 1984 S. 71 und SCHMIDHÄUSER JZ 1984 S. 195 f; BOCKELMANN B . T . / 2 , § 2 1 2 ; BOTTKE G A 1 9 8 3 S. 31 f f ; ENGISCH E u t h a n a s i e , S. 12; HERZBERG T ä t e r -

schaft, S. 39 ff; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 29; MUNOZCONDE ZStW 106 (1994) S. 562 f; OTTO Gutachten, D 65; SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 211 ff Rdn. 37; TRÖNDLE StGB, Vor § 211 Rdn. 5; WESSELS B.T./1, Rdn. 43. 150

Vgl. auch OLG München NJW 1987 S. 2940; ARZT in: Arzt/Weber LH 1, Rdn. 192 ff; BOCKELMANN B . T . / 2 , § 2 I 2 a; BOTTKE G A 1 9 8 3 S. 3 3 ; BRAMMSEN D i e E n t s t e h u n g s v o r a u s s e t z u n g e n d e r G a r a n t e n p f l i c h t e n , 1986, S . 163 f, 2 1 1 f; ENGISCH D r e h e r - F S , S . 3 0 9 ; HIRSCH W e l z e l - F S , S. 7 9 2 ; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 2 4 ; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 15; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 1 R d n . 2 4 ; ROXIN D r e h e r - F S , S. 3 4 9 ; SCH/SCH/ESER V o r b e m . § § 2 1 1 R d n . 4 1 ;

TRÖNDLE StGB, Vor § 211 Rdn. 6. - A.A. BGHSt 32 S. 378 f (3. Senat) - zurückhaltender aber der 2. S e n a t , N J W 1 9 8 8 S. 1532 -; BRINGEWAT J u S 1975 S. 155 f f ; DERS. Z S t W 87 ( 1 9 7 5 ) S. 6 3 7 ; GEILEN J Z

39

§6

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

45 aa) Die Voraussetzungen einer auf Fürsorge gerichteten Garantenpflicht sind hier nicht niedriger anzusetzen als sonst, insbesondere ist es nicht sachgerecht, die in § 20 StGB aufgerichteten Schranken für einen Verantwortungsausschluß hier nicht zu beachten und den Suizidenten aufgrund seines Entschlusses zum Suizid als nicht frei verantwortlich Handelnden anzusehen. 46 Untersuchungen in den USA haben zwar zu dem Ergebnis geführt, daß - je nach Studie - zwischen 93 und 100 % der Suizidenten unter Depressionen (rund 80 %), Alkoholismus (10 - 20 %) oder Schizophrenie (bis zu 10 %) litten. In diesen Fällen war jedoch nicht zwingend die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen. Wesentlich war vielmehr, daß aufgrund der Depressionen das eigene Leben, die Welt und die Zukunft völlig negativ und hoffnungslos erschienen. 151 Wenn in der Literatur demgegenüber davon ausgegangen wird, daß rund 95 % aller Suizidenten nicht frei verantwortlich handeln 152 , so wird hier die krankhafte, seelische Entwicklung mit dem Verantwortungsausschluß identifiziert. 47 bb) Eine Garantenpflicht zur Verhinderung der Selbsttötung aus natürlicher Verbundenheit mit dem Opfer (Ehe, Verlobung, Freundschaft) entsteht auch dann nicht, wenn der Suizident die Situation nicht mehr beherrscht, weil er bereits ein Opfer seiner selbst geworden ist. 48

Ursprünglich hatte der B G H eine umfassende Garantenpflicht zur Abwendung des Selbstmordes bejaht. 1 -''' Später tendierte die Rechtsprechung dahin, eine Garantenpflicht nur noch anzunehmen, wenn der Suizident bereits ein Opfer seiner selbst geworden war, z.B. hilflos in der Schlinge h i n g 1 5 4 oder nach Gifteinnahme das Bewußtsein verloren hatte.

49

Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Konstruktion finden sich jedoch schon in BGHSt 13 S. 162: Die Schwiegermutter des A mochte nicht mehr im Altersheim leben. A wollte sie nicht bei sich aufnehmen. Darauf erklärte die S, sie wolle aus dem Leben scheiden und in die Kerspe-Sperre gehen. A nahm dieses nicht ernst. Als sie aber an einem Teich vorbeikamen und S sagte, sie wolle hier ihr Leben beenden, erbot sich A, ihr einen besser geeigneten Teich zu zeigen. Dann führte A die S zum Kronenberger Hammerteich, und sie setzten sich in der Nähe nieder. Später ging S auf den Staudamm zu, setzte sich dort hin und ließ die Beine ins Wasser hängen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte A zum ersten Mal emstlich, daß die S vorhatte, sich das Leben zu nehmen. Er ging hinter ihr her auf den Damm. Die S forderte ihn auf, sie hineinzustoßen. O b sie das wirklich wollte, oder ob sie es nur sagte, um den A zum Widerspruch zu veranlassen und ihn zu bewegen, sie wieder zu Hause aufzunehmen, konnte nicht festgestellt werden. Der A kam dieser Aufforderung nicht nach, fühlte sich jedoch dadurch aufgefordert, ihre Selbsttötung mindestens nicht zu verhindern. Die S wiederholte die Aufforderung, sie hineinzustoßen, noch zweimal. Sie geriet dann ins Wasser. Wie das geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden. Sie starb durch Ertrinken. Außer dem A war niemand sonst zugegen. BGH: § 216 liegt nicht vor, weil A die Situation nicht beherrschen wollte. In Betracht kommt allein eine Haftung gemäß § 323 c; dazu weiter unter Rdn. 58 ff.

50 cc) Die Garantenpflicht von Lebensschutzgaranten entfaltet hingegen ihre volle Wirksamkeit, wenn der Suizident nicht frei verantwortlich im Rechtssinne handelt, sei es, daß der Suizident nicht schuldfähig ist oder aber in einem Irrtum über die Situation befangen ist und der Garant dieses weiß. 1 5 5 1 9 7 4 S. 1 5 3 f f ; HERZBERG J A 1 9 8 5 S. 177 f f ; KUTZER M D R

1 9 8 5 S . 7 1 2 f f ; SCHMIDHÄUSER W e l z e l -

F S , S . 8 1 9 ff. 151

Dazu im einzelnen: HÄFNER Psychiatrie, Neurologie und Medizinische Psychologie 1989 S. 449 ff; vgl. a u c h : LUTTEROTTI Z f L 1 9 9 6 S . 2 4 ; J . - E . M E Y E R M e d R 1 9 8 5 S . 2 1 0 f f .

1 5 2

JÄHNKE L K , 1 0 . A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 2 9 ; L A N G E R A s p e k t e , S . 1 1 8 .

153

BGHSt 2 S. 150.

1 5 4

B G H J R 1 9 6 1 S. 2 8 f m i t A n m . HEINITZ S. 2 9 f.

155

Vgl. dazu B G H N S t Z 1984 S. 73; Orro/BRAMMSEN Jura 1985 S. 539 f.

40

T ö t u n g auf V e r l a n g e n

§6

dd) Hat ein Dritter sich entschlossen, den Suizidenten zu retten, und leitet einen rettenden 51 Kausalverlauf ein, so haftet er für Schäden, die sich aus seinem Verhalten ergeben. Er kann sich nicht nachträglich auf den Selbsttötungswillen des Betroffenen berufen. Auch ein Arzt, der die rettende Behandlung eines Suizidenten übernommen hat, ist nach Aufnahme der Behandlung in einer Garantenposition. 15f> ee) Gibt der Suizident zu erkennen, daß er an seinem Selbsttötungsplan nicht mehr fest- 52 hält, vermag er selbst aber den eingeleiteten Kausalverlauf nicht mehr zu unterbrechen, so befindet er sich in einer lebensgefährlichen Situation. - Hier gelten für die Haftung von Garanten die allgemeinen Grundsätze. Der Fall unterscheidet sich nicht von dem Fall, daß der Garant es nicht verhindert, daß sein Schützling Opfer eines Unfalles wird. - Stellt der Garant sich irrig eine derartige Situation vor, liegt ein Tötungsversuch vor. ff) Auch im Falle des Hungerstreiks gelten diese Grundsätze uneingeschränkt. 157 Wer den 53 Hungerstreik bewußt und im Rechtssinne verantwortlich als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele einsetzt, ist sich der eigenen Lebensgefährdung bewußt. Insoweit unterscheidet sich seine Situation nicht von der des Suizidenten. 158 Mit der Begründung einer konkreten Gefahr für das eigene Leben ist auch hier ein Unglücksfall i.S. des § 323 c gegeben. Zumutbare Hilfe in dieser Situation kann aber nur die Aufklärung sein, daß den Forderungen nicht nachgegeben wird. Gerät der Drohende allerdings in Vollzug seines Planes in eine Lage, in der er nicht mehr fähig ist, einen rechtsverbindlichen Willen zu äußern, so wandelt sich - situationsbedingt - die zumutbare Hilfeleistung. Entsprechend der zumutbaren Hilfeleistung bei einem Suizid kann hier auch eine Lebensrettung in Betracht kommen; dazu unter Rdn. 62 ff. e) Im Falle des sog. einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes - zwei Menschen 54 wollen gemeinsam aus dem Leben gehen, einer von beiden stirbt bei dem Unternehmen, der andere wird gerettet - liegt gleichsam eine Selbsttötung in Mittäterschaft vor. Überlebt einer der beiden Selbstmordkandidaten, so haftet er nicht wegen einer Tötung des anderen. Die Rechtsprechung ist bisher nicht bereit, von der gemeinsamen Tatherrschaft der zur 55 Selbsttötung Entschlossenen auszugehen, sondern spaltet die gemeinsame Tatherrschaft auf. BGHSt 19 S. 135 ff: A und B wollten gemeinsam aus dem Leben gehen. Sie wollten sich vergiften, indem sie die Auspuffgase des Kraftfahrzeugs, in dem sie saßen, in das Wageninnere leiteten. A betätigte das Gaspedal. B wurde zuerst ohnmächtig, dann A. Als A und B gefunden wurden, gelang es:

56

1. Alternative: das Leben von B noch zu retten. - BGH: keine Bestrafung der B, da B nicht die Tatherrschaft über das Geschehen im entscheidenden letzten Augenblick innehatte. 2. Alternative: das Leben von A noch zu retten. - BGH: Da A im entscheidenden letzten Augenblick Tatherrschaft innehatte, haftet er nach § 216.

die

Durch die Aufspaltung der gemeinschaftlich verwirklichten Selbsttötung in eine Tötung 57 auf Verlangen und eine anschließende Selbsttötung werden tatsächliche Zufälligkeiten wer betätigt das Gaspedal, wo werden die Auspuffgase in das Fahrzeuginnere geleitet entscheidend für die rechtliche Wertung. Das ist sachwidrig. Hier liegt ein Fall mittäterschaftlicher Verwirklichung des Todes zweier Personen vor. Beide Partner verwirklichen 156

Dazu vgl. BayObLG NJW 1973 S. 565; BRINGEWAT NJW 1973 S. 540 ff; GEILEN JZ 1973 S. 320 ff.

157

Zum Hungerstreik Inhaftierter vgl. §§ 101, 178 StVollzG sowie OLG Stuttgart NJW 1977 S. 1461;

158

Umfassend zum Gefangenensuizid: HERZBERG ZStW 91 (1979) S. 557 ff; MLCHALE Recht und Pflicht zur Zwangsemährung bei Nahrungsverweigerung in Justizvollzugsanstalten, 1983; OSTENDORF Das Recht zum Hungerstreik, 1983; TRÖNDLE Kleinknecht-FS, S. 411 ff.

O L G K o b l e n z J R 1 9 7 7 S. 4 7 1 m i t A n m . WAGNER S. 4 7 3 ; BAUMANN Z R P 1 9 7 8 S. 3 5 f.

41

§6

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

gemeinsam ihre Selbsttötung. Diesen Erfolg streben sie arbeitsteilig an, so daß sie Mitträger der Tatherrschaft über das Geschehen bleiben. 159 2. Der Suizid als Unglücksfall i.S. des § 323 c 58 Unabhängig von der Problematik des § 216 ist die Frage, ob der Suizid als "Unglücksfall" i.S. des § 323 c anzusehen ist. 59 a) Wer den Unglücksfall als plötzliches, äußeres Ereignis, das erheblichen Schaden an Leib und Leben eines anderen zu bringen droht, interpretiert, kommt zu dem Ergebnis, daß der Suizid keinen Unglücksfall darstellt. Er ist kein plötzlich eintretendes äußeres Ereignis. 160 60 b) Wird hingegen der Unglücksfall als eine Notsituation definiert, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, wenn er nicht schweren Schaden an Leib oder Leben nehmen will, so ist auch der Suizid Unglücksfall. 61 Für die Sachgerechtigkeit dieser Definition spricht, daß die Beschränkung auf ein plötzliches, äußeres Ereignis willkürlich erscheint, da ein Verschulden des Täters am Eintritt dieses Ereignisses nach einhelliger Ansicht irrelevant ist. Nicht an Äußerlichkeit oder Innerlichkeit eines Ereignisses kann die Solidaritätspflicht anknüpfen, sondern an die Ausweglosigkeit der Situation für den Betroffenen. Und zwar ist die Unglückssituation in dem Moment gegeben, in dem der Betroffene Handlungen ins Werk setzt, die im ununterbrochenen Fortgang zur Selbsttötung führen sollen. 161 62 c) Problematisch jedoch ist die Zumutbarkeit der Hilfeleistung im Falle des Suizids. Zumutbar ist eine Hilfeleistung nämlich zum einen dann, wenn mit ihr ohne erhebliche Gefährdung eigener Rechtsgüter die Suizidgefahr beseitigt wird. Zum anderen ist aber auch der Suizident als Person zu achten. Unzumutbar sind daher langandauernde Freiheitsentziehung oder eine über längere Zeit sich erstreckende oder mehrmals wiederholte "Zwangsernährung" eines die Nahrungsaufnahme verweigernden Suizidenten. Hier handelt es sich bereits um nicht mehr akzeptable Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts und der körperlichen Integrität des Betroffenen, die daher über der Zumutbarkeitsgrenze liegen. 162 63 d) Befindet sich der Suizident in einer Situation irreparabler schwerer körperlicher Schäden, die die psychische Grundstruktur des Betroffenen so schwer beeinträchtigen, daß seine Personalität auf Dauer in erheblichem Maße reduziert ist, so begrenzt dieses die Hilfspflicht. Hilfe kann nicht die Belastung mit einem Weiterleben sein, das durch schwere körperliche Leiden geprägt oder dem die Möglichkeit personaler Äußerungen genommen ist. In dieser Situation liegt kein Unglücksfall im Sinne des § 323 c vor. 163

1 5 9

V g l . B O C K E L M A N N B . T . / 2 , § 4 I I 3 ; FRIEBE G A

1 9 5 9 S . 1 6 8 f ; O T T O T r ö n d l e - F S , S . 1 6 4 f f ; ROXIN

Täterschaft, S. 570; SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 578 ff. 160

So im Ergebnis: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S . 3 1 3 ff; BRAMMSEN Entstehungsvorauss e t z u n g e n , S . 1 6 4 ; B R Ä N D E L Z R P 1 9 8 5 S . 9 2 ; RUDOLPHI S K II, § 3 2 3 c R d n . 8 ; § 3 2 3 c R d n . 7; TRÖNDLE S t G B , § 3 2 3 c R d n . 3.

161

SCH/SCH/CRAMER

So im Ergebnis: BGHSt 6 S. 149; 13 S. 169; O L G München NJW 1987 S. 2940; DÖLLING N J W 1986 S . 1 0 1 3 ; JÄHNKE L K , 1 0 . A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 2 4 ; O T T O G u t a c h t e n , D 7 6 f f ; SCHMIDHÄUSER B . T . ,

16/5. - Erst bei beendetem Suizidversuch bejahen einen Unglücksfall z.B.: GEILEN Jura 1989 S. 208; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 2. 162

Dazu eingehender OTTO Gutachten, D 80 ff m.w.N.; RENGIER B.T. II, § 8 Rdn. 20.

163

Dazu eingehend OTTO Gutachten, D 82 f.

42

Kindestötung

§7

IV. Zur Teilnahmeproblematik 1. Beihilfe und Anstiftung durch Dritte Strafbare Anstiftung durch einen Dritten ist durch die Tatsituation des § 216 ausge- 64 schlössen, denn auch wenn ein Dritter das Verlangen dem späteren Täter übermittelt, setzt § 2 1 6 voraus, daß der Täter durch das Verlangen, nicht aber die Tätigkeit des Dritten zur Tat bestimmt wird. 1 6 4 Beihilfe zur Tat ist möglich. Die Strafe des Gehilfen richtet sich nach § 216, sofern die- 65 ser die Voraussetzungen dieses Tatbestandes beim Haupttäter kennt oder irrig annimmt. Bei fehlender Kenntnis haftet er aus § 212. § 28 findet keine Anwendung, da das Verlangen das Unrecht der Tat mindert, nicht aber eine Sonderpflichtposition des Täters begründet.^'65 2. Teilnahme des Opfers Eine Teilnahme - Anstiftung oder Beihilfe - desjenigen, der die Tötung verlangt, an der 66 Tötung ist konstruktiv durchaus möglich, wenn auch nur in der Versuchssituation relevant. Sie bleibt aber straflos. Die Schuldsituation, die eine Strafbarkeit des versuchten Selbstmordes als sinnwidrig erscheinen läßt, ist dieselbe, gleichgültig, ob der Täter den Selbstmord als Täter begeht oder an der eigenen Tötung teilnimmt. Diese Erwägung verbirgt sich hinter dem üblichen Hinweis, die Teilnahme bleibe als notwendige Teilnahme straflos. 1 6 6

§ 7: Kindestötung § 2 1 7 a.F. trug der außergewöhnlichen psychischen Situation bei der Geburt Rechnung und privilegierte die nichteheliche Mutter daher aus Schuldgesichtspunkten. Er wurde durch das 6. StrRG aufgehoben, da der Gesetzgeber ihn nicht mehr für zeitgemäß hielt und davon ausging, daß der psychischen Ausnahmesituation der Mutter, die ihr eheliches oder nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, durch Anwendung des § 213 Rechnung getragen werden könne.' 6 7

1

§ 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte Problemstellung: Wird die Akzessorietät der Teilnahme gemäß § 28 im Bereich der Tötungsdelikte durchbrochen? Fall 1: A leistet Beihilfe zu einem Mord, den B aus Habgier begeht. Das weiß A, er selbst handelt aber nicht aus Habgier. - Ist A gemäß §§211, 27 oder §§212, 27 zu bestrafen? Fall 2: A leistet aus Habgier Beihilfe bei der Tötung des X durch B. B handelt nicht habgierig. - Ist A gemäß §§ 211, 27 oder §§ 212, 27 zu bestrafen? 1 6 4

HORN S K II, § 2 1 6 R d n . 13. - A . A . JÄHNKE L K , 10. A u f l . , § 2 1 6 R d n . 10; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n .

165

Vgl. dazu § 6 Rdn. 14.

18. 166

Dazu DREHER MDR 1964 S. 337; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 216 Rdn. 10; OTTO Lange-FS, S. 212 f; ROXIN L K , V o r § 2 6 R d n . 3 3 ; WOLTER J u S 1 9 8 2 S. 3 4 3 f f .

167

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 34.

43

1

Kindestötung

§7

IV. Zur Teilnahmeproblematik 1. Beihilfe und Anstiftung durch Dritte Strafbare Anstiftung durch einen Dritten ist durch die Tatsituation des § 216 ausge- 64 schlössen, denn auch wenn ein Dritter das Verlangen dem späteren Täter übermittelt, setzt § 2 1 6 voraus, daß der Täter durch das Verlangen, nicht aber die Tätigkeit des Dritten zur Tat bestimmt wird. 1 6 4 Beihilfe zur Tat ist möglich. Die Strafe des Gehilfen richtet sich nach § 216, sofern die- 65 ser die Voraussetzungen dieses Tatbestandes beim Haupttäter kennt oder irrig annimmt. Bei fehlender Kenntnis haftet er aus § 212. § 28 findet keine Anwendung, da das Verlangen das Unrecht der Tat mindert, nicht aber eine Sonderpflichtposition des Täters begründet.^'65 2. Teilnahme des Opfers Eine Teilnahme - Anstiftung oder Beihilfe - desjenigen, der die Tötung verlangt, an der 66 Tötung ist konstruktiv durchaus möglich, wenn auch nur in der Versuchssituation relevant. Sie bleibt aber straflos. Die Schuldsituation, die eine Strafbarkeit des versuchten Selbstmordes als sinnwidrig erscheinen läßt, ist dieselbe, gleichgültig, ob der Täter den Selbstmord als Täter begeht oder an der eigenen Tötung teilnimmt. Diese Erwägung verbirgt sich hinter dem üblichen Hinweis, die Teilnahme bleibe als notwendige Teilnahme straflos. 1 6 6

§ 7: Kindestötung § 2 1 7 a.F. trug der außergewöhnlichen psychischen Situation bei der Geburt Rechnung und privilegierte die nichteheliche Mutter daher aus Schuldgesichtspunkten. Er wurde durch das 6. StrRG aufgehoben, da der Gesetzgeber ihn nicht mehr für zeitgemäß hielt und davon ausging, daß der psychischen Ausnahmesituation der Mutter, die ihr eheliches oder nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, durch Anwendung des § 213 Rechnung getragen werden könne.' 6 7

1

§ 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte Problemstellung: Wird die Akzessorietät der Teilnahme gemäß § 28 im Bereich der Tötungsdelikte durchbrochen? Fall 1: A leistet Beihilfe zu einem Mord, den B aus Habgier begeht. Das weiß A, er selbst handelt aber nicht aus Habgier. - Ist A gemäß §§211, 27 oder §§212, 27 zu bestrafen? Fall 2: A leistet aus Habgier Beihilfe bei der Tötung des X durch B. B handelt nicht habgierig. - Ist A gemäß §§ 211, 27 oder §§ 212, 27 zu bestrafen? 1 6 4

HORN S K II, § 2 1 6 R d n . 13. - A . A . JÄHNKE L K , 10. A u f l . , § 2 1 6 R d n . 10; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n .

165

Vgl. dazu § 6 Rdn. 14.

18. 166

Dazu DREHER MDR 1964 S. 337; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 216 Rdn. 10; OTTO Lange-FS, S. 212 f; ROXIN L K , V o r § 2 6 R d n . 3 3 ; WOLTER J u S 1 9 8 2 S. 3 4 3 f f .

167

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 34.

43

1

Kindestötung

§7

IV. Zur Teilnahmeproblematik 1. Beihilfe und Anstiftung durch Dritte Strafbare Anstiftung durch einen Dritten ist durch die Tatsituation des § 216 ausge- 64 schlössen, denn auch wenn ein Dritter das Verlangen dem späteren Täter übermittelt, setzt § 2 1 6 voraus, daß der Täter durch das Verlangen, nicht aber die Tätigkeit des Dritten zur Tat bestimmt wird. 1 6 4 Beihilfe zur Tat ist möglich. Die Strafe des Gehilfen richtet sich nach § 216, sofern die- 65 ser die Voraussetzungen dieses Tatbestandes beim Haupttäter kennt oder irrig annimmt. Bei fehlender Kenntnis haftet er aus § 212. § 28 findet keine Anwendung, da das Verlangen das Unrecht der Tat mindert, nicht aber eine Sonderpflichtposition des Täters begründet.^'65 2. Teilnahme des Opfers Eine Teilnahme - Anstiftung oder Beihilfe - desjenigen, der die Tötung verlangt, an der 66 Tötung ist konstruktiv durchaus möglich, wenn auch nur in der Versuchssituation relevant. Sie bleibt aber straflos. Die Schuldsituation, die eine Strafbarkeit des versuchten Selbstmordes als sinnwidrig erscheinen läßt, ist dieselbe, gleichgültig, ob der Täter den Selbstmord als Täter begeht oder an der eigenen Tötung teilnimmt. Diese Erwägung verbirgt sich hinter dem üblichen Hinweis, die Teilnahme bleibe als notwendige Teilnahme straflos. 1 6 6

§ 7: Kindestötung § 2 1 7 a.F. trug der außergewöhnlichen psychischen Situation bei der Geburt Rechnung und privilegierte die nichteheliche Mutter daher aus Schuldgesichtspunkten. Er wurde durch das 6. StrRG aufgehoben, da der Gesetzgeber ihn nicht mehr für zeitgemäß hielt und davon ausging, daß der psychischen Ausnahmesituation der Mutter, die ihr eheliches oder nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, durch Anwendung des § 213 Rechnung getragen werden könne.' 6 7

1

§ 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte Problemstellung: Wird die Akzessorietät der Teilnahme gemäß § 28 im Bereich der Tötungsdelikte durchbrochen? Fall 1: A leistet Beihilfe zu einem Mord, den B aus Habgier begeht. Das weiß A, er selbst handelt aber nicht aus Habgier. - Ist A gemäß §§211, 27 oder §§212, 27 zu bestrafen? Fall 2: A leistet aus Habgier Beihilfe bei der Tötung des X durch B. B handelt nicht habgierig. - Ist A gemäß §§ 211, 27 oder §§ 212, 27 zu bestrafen? 1 6 4

HORN S K II, § 2 1 6 R d n . 13. - A . A . JÄHNKE L K , 10. A u f l . , § 2 1 6 R d n . 10; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n .

165

Vgl. dazu § 6 Rdn. 14.

18. 166

Dazu DREHER MDR 1964 S. 337; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 216 Rdn. 10; OTTO Lange-FS, S. 212 f; ROXIN L K , V o r § 2 6 R d n . 3 3 ; WOLTER J u S 1 9 8 2 S. 3 4 3 f f .

167

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 34.

43

1

§8

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

I. Prämissen der Entscheidung 2

Die jeweilige Stellungnahme wird durch zahlreiche Prämissen innerhalb der Interpretation des § 28 und der §§211 ff bedingt. Diese müssen klar erkannt werden, soll die Ubersicht nicht verloren gehen. - Im wesentlichen läßt sich differenzieren: 1. Persönliche Merkmale i.S. des § 28 als

3

Werden als besondere persönliche Merkmale nur Sonderpflichtmerkmale anerkannt 1 6 8 und § 211 als Qualifizierung des § 212 begriffen, so kann § 28 im Rahmen der Tötungsdelikte keine Bedeutung erlangen. Möglich ist es allerdings, eine Ausnahme bei der Heimtücke zu machen. Das besondere Vertrauensverhältnis kann als besonderes Pflichtverhältnis und damit als besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2 interpretiert werden. 169 2. Mordqualifikationen

4

5

6

Sonderpflichtmerkmale

als

Schuldelemente

Werden die Mordqualifikationen als Schuldelemente und § 211 als Qualifizierung des § 212 angesehen, so braucht man sich nach einer Auffassung mit § 28 überhaupt nicht zu befassen, sondern läßt jeden Beteiligten "ohne Rücksicht auf die Schuld der anderen nach seiner Schuld" haften gemäß § 29. Hintergrund dieser Ansicht ist die Auffassung, daß alle Schuldmerkmale nur von § 29, nicht aber zugleich von § 28 Abs. 1, 2 erfaßt werden. 1 7 0 Nach Auffassung anderer sind die im Besonderen Teil vertatbestandlichten Schuldmerkmale (sog. spezielle Schuldmerkmale) unter § 28 Abs. 2 zu erfassen, nicht aber die im Allgemeinen Teil erfaßten Schuldsituationen, z.B. §§ 17, 19, 20, 33, 35. 1 7 1 - Soweit nach dieser Auffassung die Mordqualifikationen der 1. und 3. Gruppe als Schuldmerkmale interpretiert werden, stimmen die Ergebnisse mit der unter Rdn. 3 dargelegten Ansicht überein. 3. Tat- und täterbezogene Merkmale Die h.M. identifiziert die besonderen persönlichen Merkmale i.S. des § 28 mit sog. täterbezogenen Merkmalen. Die Mordqualifikationen der 1. und 3. Gruppe sind in diesem Denkschema subjektive, täterbezogene Merkmale, so daß auf sie § 28 Anwendung findet, während die Merkmale der 2. Gruppe (heimtückisch, grausam, gemeingefährliche Mittel) als sog. tatbezogene Merkmale nicht unter § 28 fallen sollen. 1 7 2 4. Die Ansicht des BGH

7

Die Rechtsprechung folgt grundsätzlich der Interpretation der Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe als täterbezogene und damit als besondere persönliche Merkmale i.S. des § 28. 1 6 8

D a z u G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 R d n . 1 8 f .

169

Vgl. LANGER Lange-FS, S. 262 Fn. 135.

170

Dazu JESCHECKAVEIGEND A.T., 5. Aufl. 1996, § 6 1 VII 4 c; LANGER Das Sonderverbrechen, 1972, S. 472 f; SCHMIDHÄUSER A.T., 2. Aufl. 1975, 14/89, 96; WESSELS A.T., 27. Aufl. 1997, Rdn. 422.

171

Dazu im einzelnen: HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 72 Fn. 12; KÜHL A.T., 2. Aufl. 1997, § 20 Rdn. 154;

172

So im Grundsatz: ARZT in: ArztAVeber, LH 1, Rdn. 108 ff; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 64, 67;

KÜPER Z S t W 1 0 4 ( 1 9 9 2 ) S . 5 7 7 f f ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 8 R d n . 1 f f ; R O X I N L K , § 2 8 R d n . 5 2 .

K R E Y B . T . 1, R d n . 2 0 f ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 1 1 R d n . 16; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 2

Rdn. 51; RENGIER B.T. II, § 4 Rdn. 7. - Für eine Interpretation auch der 3. Gruppe als tatbezogene Merkmale: DREHER JR 1970 S. 146 ff.

44

Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte

§8

Solange sie jedoch §211 als einen Sondertatbestand innerhalb der Tötungsdelikte ansah, der die Anwendung der § § 2 1 2 , 2 1 3 ausschließt, konnte sie gegebenenfalls aber nur § 28 Abs. 1 a n w e n d e n 1 7 3 ; zur Brüchigkeit dieser Prämissen vgl. § 2 Rdn. 17.

II. Zur Einübung Fall 1: A erschießt den B, um ihm sein Bargeld abzunehmen und sich damit nette Stunden mit der Gunstgewerblerin G zu machen. Die Pistole hat er von C, der weiß, was A vorhat, selbst aber keine materiellen Vorteile aus der Tat zieht. 1. Straßarkeit

8

des A: § 211 (Habgier).

2. Strafbarkeit des C: a) 1. Meinung (§ 28 nur Sonderpflichtmerkmale): §§211, 27 (Anwendung der §§ 28, 29 kommt nicht in Betracht). b) 2. Meinung (Mordqualifikationen: Schuldelemente, die in § 29 erfaßt sind): Haupttat: § 211, zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet, § 27. Da aber das Schuldelement der Habgier bei C fehlt, kann gemäß § 29 seine Strafe nur aus dem Grundtatbestand in Verbindung mit § 27 entnommen werden. Ergebnis: §§211, 27, 29 -> 212, 27. c) 3. Meinung (h.L. sowie Auffassung, daß spezielle Schuldelemente in § 28 Abs. 2 erfaßt sind) : Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende täterbezogene persönliche Merkmal der Habgier fehlt, kommt § 28 Abs. 2 zur Anwendung, so daß C gemäß §§ 212, 27 bestraft wird. Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 2 -> 212, 27. d) 4. Meinung (§ 211 = Sondertatbestand): Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende, täterbezogene, persönliche Merkmal der Habgier fehlt, findet § 28 Abs. 1 Anwendung (Strafmilderung). Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1. Fall 2: A erschlägt den B im Zorn, nachdem dieser ihn schwer beleidigt hat. Als A schon "vor Wut kochte" und nach einem Messer schrie, um den B "kaltzumachen", hat C, der den B beerben will, dem A ein Messer gereicht. 1. Straßarkeit

des A: § 213, 1. Alt.

2. Straßarkeit

des C:

9

a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 213, 27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 213, 27, 29 ->212, 27, 29 -> 211, 27. c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): §§ 213, 27, 28 Abs. 2 analog -> 212, 27, 28 Abs. 2 analog -> 211, 27. - § 28 wird hier von der h.L. nur analog angewandt, da sie § 213 als Strafzumessungsregel interpretiert. d) 4. Meinung (§ 211 = Sondertatbestand): §§ 213, 27, 28 Abs. 2 analog -> 212, 27. Fall 3: Der A wollte mit der B ein Liebesverhältnis beginnen. Als diese ihn abwies, wollte er sie auch keinem anderen gönnen und erschoß sie. Die Pistole hatte er von C, der sich von B DM 100,- geliehen hatte und hier eine Möglichkeit sah, die Gläubigerin loszuwerden. 1. Straßarkeit

des A: § 211 (niedriger Beweggrund).

2. Straßarkeit

des C:

a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 211, 27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 211 (niedriger Beweggrund), 27, 29 -> 212, 27, da Habgier gegeben, wiederum § 2 9 - > 211, 27.

173

Dazu BGHSt 22 S. 375; 24 S. 106; BGH StV 1984 S. 69.

45

10

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§9

c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): §§ 211 (niedriger Beweggrund), 27, 28 Abs. 2 -> 212, 27, 28 Abs. 2 (Habgier)-> 211, 27. d) 4. Meinung ( § 2 1 1 = Sondertatbestand): Bei strengem Durchhalten der Prämissen müßte der BGH zum Ergebnis kommen: §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1, da bei C nicht derselbe niedrige Beweggrund wie bei A vorliegt, ein Austausch verschiedener niedriger Beweggründe aber jeweils zu einem anderen Tatbild führt. Der BGH läßt jedoch innerhalb der Gruppe der niedrigen Beweggründe einen Austausch der einzelnen Merkmale zu, obwohl jedes Merkmal der Tat ihren persönlichen, eigenständigen, täterbezogenen Charakter geben soll, und kommt somit zur Ablehnung des § 28 Abs. 1, weil zwar nicht dasselbe, wohl aber ein besonderes persönliches Merkmal auch bei C vorliegt.' 7 4 Ergebnis: §§ 211, 27. 11

Fall 4: Als die 62jährige Witwe A eine Wiederverheiratung mit dem 29jährigen Spanier S ins Auge faßte, widersprach ihre 40jährige Tochter T heftig. A lud die Tochter daher zu einer Aussprache zu sich ein. Während des Gesprächs reichte A der T einen Schnaps, der mit Arsen vermischt war. T starb. - Das Gift hatte A von C, die genau wußte, was A mit dem Gift vorhatte. 1. Straßarkeit

der A: § 211 (Heimtücke).

2. Strafbarkeit der C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 211, 27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 211, 27, 29 -> 212, 27. c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): Da Heimtücke ein tatbezogenes Merkmal ist, kommt § 28 nicht zur Anwendung. Ergebnis: §§ 211, 27. d) 4. Meinung (§ 211 = Sondertatbestand): §§ 211, 27.

§ 9: Fahrlässige Tötung 1. Der Aufbau des

Delikts

1

Die fahrlässige Tötung unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung nicht in der objektiven Zurechnung des Erfolges zur Person des Täters, sondern allein im subjektiven Bereich. Der sorgfältige Aufbau des Delikts führt auch hier an die relevanten Probleme heran. 1 7 5

2

OLG Hamm NJW 1973 S. 1422: Kraftfahrer A verursachte im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit mit seinem Kfz einen Verkehrsunfall, bei dem B schwere Bruchverletzungen davontrug. In der Klinik, in die B gebracht wurde, erhielt er im Zuge der Behandlung mehrfach gruppengleiches Blut zugeführt. Nach einigen Tagen starb B an einer sog. Serumhepatitis, die auf unreines Blut zurückzuführen war, das von hepatitiskranken Spendern stammte. Zum Zeitpunkt der Behandlung war es unmöglich, die Unreinheit der Blutkonserven zu erkennen, da ein exakter Nachweis des verantwortlichen Erregers noch nicht durchführbar war. Strafbarkeit des A a) Die in § 222 beschriebene Rechtsgutsbeeinträchtigung

ist eingetreten: B ist tot.

b) Das dem A vorgeworfene Verhalten war seiner Willenssteuerung zugänglich. c) Durch sein Fahren in fahruntüchtigem Zustand hat A eine Gefahr auch/«> das Leben des B begründet.

174

Vgl. BGHSt 23 S. 39 f, sowie ARZT JZ 1973 S. 681 ff. - Nach neuerer Rechtsprechung des BGH genügt es, daß die niedrigen Beweggründe in der Person des Gehilfen vorliegen. Das ist mit der Interpretation des § 211 als Sondertatbestand nicht zu vereinen, vgl. BGH NStZ 1996 S. 384 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 211/30.

'75

Hinweis: Zum Aufbau des fahrlässigen Erfolgsdelikts durch Unterlassen sowie zu anderen Aufbauweisen des fahrlässigen Erfolgsdelikts, vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 10.

46

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§9

c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): §§ 211 (niedriger Beweggrund), 27, 28 Abs. 2 -> 212, 27, 28 Abs. 2 (Habgier)-> 211, 27. d) 4. Meinung ( § 2 1 1 = Sondertatbestand): Bei strengem Durchhalten der Prämissen müßte der BGH zum Ergebnis kommen: §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1, da bei C nicht derselbe niedrige Beweggrund wie bei A vorliegt, ein Austausch verschiedener niedriger Beweggründe aber jeweils zu einem anderen Tatbild führt. Der BGH läßt jedoch innerhalb der Gruppe der niedrigen Beweggründe einen Austausch der einzelnen Merkmale zu, obwohl jedes Merkmal der Tat ihren persönlichen, eigenständigen, täterbezogenen Charakter geben soll, und kommt somit zur Ablehnung des § 28 Abs. 1, weil zwar nicht dasselbe, wohl aber ein besonderes persönliches Merkmal auch bei C vorliegt.' 7 4 Ergebnis: §§ 211, 27. 11

Fall 4: Als die 62jährige Witwe A eine Wiederverheiratung mit dem 29jährigen Spanier S ins Auge faßte, widersprach ihre 40jährige Tochter T heftig. A lud die Tochter daher zu einer Aussprache zu sich ein. Während des Gesprächs reichte A der T einen Schnaps, der mit Arsen vermischt war. T starb. - Das Gift hatte A von C, die genau wußte, was A mit dem Gift vorhatte. 1. Straßarkeit

der A: § 211 (Heimtücke).

2. Strafbarkeit der C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 211, 27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 211, 27, 29 -> 212, 27. c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): Da Heimtücke ein tatbezogenes Merkmal ist, kommt § 28 nicht zur Anwendung. Ergebnis: §§ 211, 27. d) 4. Meinung (§ 211 = Sondertatbestand): §§ 211, 27.

§ 9: Fahrlässige Tötung 1. Der Aufbau des

Delikts

1

Die fahrlässige Tötung unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung nicht in der objektiven Zurechnung des Erfolges zur Person des Täters, sondern allein im subjektiven Bereich. Der sorgfältige Aufbau des Delikts führt auch hier an die relevanten Probleme heran. 1 7 5

2

OLG Hamm NJW 1973 S. 1422: Kraftfahrer A verursachte im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit mit seinem Kfz einen Verkehrsunfall, bei dem B schwere Bruchverletzungen davontrug. In der Klinik, in die B gebracht wurde, erhielt er im Zuge der Behandlung mehrfach gruppengleiches Blut zugeführt. Nach einigen Tagen starb B an einer sog. Serumhepatitis, die auf unreines Blut zurückzuführen war, das von hepatitiskranken Spendern stammte. Zum Zeitpunkt der Behandlung war es unmöglich, die Unreinheit der Blutkonserven zu erkennen, da ein exakter Nachweis des verantwortlichen Erregers noch nicht durchführbar war. Strafbarkeit des A a) Die in § 222 beschriebene Rechtsgutsbeeinträchtigung

ist eingetreten: B ist tot.

b) Das dem A vorgeworfene Verhalten war seiner Willenssteuerung zugänglich. c) Durch sein Fahren in fahruntüchtigem Zustand hat A eine Gefahr auch/«> das Leben des B begründet.

174

Vgl. BGHSt 23 S. 39 f, sowie ARZT JZ 1973 S. 681 ff. - Nach neuerer Rechtsprechung des BGH genügt es, daß die niedrigen Beweggründe in der Person des Gehilfen vorliegen. Das ist mit der Interpretation des § 211 als Sondertatbestand nicht zu vereinen, vgl. BGH NStZ 1996 S. 384 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 211/30.

'75

Hinweis: Zum Aufbau des fahrlässigen Erfolgsdelikts durch Unterlassen sowie zu anderen Aufbauweisen des fahrlässigen Erfolgsdelikts, vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 10.

46

§9

Fahrlässige T ö t u n g

d) Die von A begründete Gefahr realisierte sich im Tode des B, denn die behandelnden Ärzte erhöhten oder veränderten diese Gefahr nicht pflichtwidrig, sondern bemühten sich situationsbedingt um die Verminderung der von A begründeten Gefahr. Der gefährliche Einsatz des Blutes war dafür nötig und unter Abwägung des Risikos auch sachgemäß. e) A hatte bei seinen Fähigkeiten die Möglichkeit, den Sachverhalt zu erkennen. Er war in der Lage vorauszusehen, daß es aufgrund seiner Fahruntüchtigkeit auch zu einem tödlichen Unfall kommen könnte. Voraussehbar war auch, daß entstehende Unfallverletzungen nur noch mit selbst lebensgefährdenden Behandlungsmethoden behandelt werden können und dabei der Tod des Opfers eintritt. f) Feststellungen zur Pflichtbegrenzung: A hat die ihm obliegende Sorgfaltspflicht im Hinblick auf den eingetretenen Todeserfolg verletzt, denn er hat mit der Trunkenheitsfahrt eine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer begründet. g) A hatte die Möglichkeit, sich der Sozialschädlichkeit

seines Verhaltens bewußt zu werden.

h) Schuld: Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die an der Schuld des A zweifeln ließen. Ergebnis: A strafbar gem. § 222.

2. Der Zusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtverletzung

und Erfolg

Auch bei der Zurechnung eines fahrlässig begründeten Erfolges geht es um die zentrale Frage, wann ein bestimmter Erfolg dem Täter als sein Werk zuzurechnen ist. Diese Frage ist nicht durch isolierte Bejahung der Erfolgsverursachung und der Sorgfaltspflichtverletzung zu beantworten, denn Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg stehen auch hier in einem funktionalen Zusammenhang. Dieser ist unter drei Aspekten besonders sorgfältiger Prüfung bedürftig.

3

a) Nicht jedes pflichtwidrige Verhalten ist für die Zurechnung des Erfolges relevant. Maßgeblich ist, ob der Täter durch sein pflichtwidriges Verhalten eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus begründet oder erhöht hat. Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens allein ist nämlich dann unerheblich, wenn nachgewiesen werden kann, daß das pflichtwidrige Verhalten deshalb keine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr begründet oder erhöht hat, weil die Rechtsgutsverletzung bereits derart in dem Geschehen angelegt war, daß sie auch bei rechtmäßigem Verhalten des Täters eingetreten wäre.

4

Zur Einübung und Vertiefung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 10 Rdn. 17 ff. OLG Karlsruhe GA 1970 S. 313: A fuhr innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h. Er überfuhr dabei ein 4 Jahre altes Kind. Der tödliche Unfall hätte sich in gleicher Weise zugetragen, wenn A die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hätte.

5

Ergebnis: A haftet nicht wegen fahrlässiger Tötung, da er durch sein Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit die Gefahr für das Leben des Kindes nicht über das erlaubte Maß erhöht hat. Abwandlung: Ist nicht feststellbar, ob die Gefahr bei ordnungsgemäßem Verhalten des A geringer gewesen wäre, so fehlt es an dem Nachweis, daß A durch pflichtwidriges Verhalten die Gefahr für das Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus erhöht hat. Hingegen: Beruft A sich darauf, daß der mit überhöhter Geschwindigkeit entgegenkommende Kraftfahrer X das Kind erfaßt hätte, wenn er es nicht überfahren hätte, so ist diese Einlassung irrelevant, denn die mögliche rechtswidrige Erfolgsherbeiführung durch Dritte entlastet den Täter nicht.

b) Da es nicht auf bloße Kausalität für den Erfolg ankommt, sondern auf die Zurechnung der Verantwortung für den Erfolg, ist genau zu prüfen, ob die Rechtsgutsverletzung ihren Grund in einem Verhalten des Täters, eines Dritten oder des Opfers hat (Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs).

6

aa) BayObLG JZ 1982 S. 731: X verlieh an Y, der die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß, ein Kraftfahrzeug, das nicht verkehrssicher war. Aufgrund der Mängel des Fahrzeuges und der fehlenden Fahrtüchtigkeit des Y kam es zu einem Unfall. Trotz auffälliger Warnzeichen und eindeutig unübersichtlicher Ver-

7

47

§9

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

kehrssituation fuhr A mit weit überhöhter Geschwindigkeit an die Unfallstelle heran und erfaßte den Z mit dem Kraftfahrzeug. Z hatte nach dem ersten Unfall helfen wollen. Er wurde getötet. BayObLG: Der zweite Unfall war für X und Y nicht vorhersehbar. Kritik: Daß es an Unfallstellen im Straßenverkehr durch grob verkehrswidriges Verhalten Dritter zu weiteren Unfällen kommt, ist leider eine bekannte Tatsache und daher auch objektiv voraussehbar. Gleichwohl ist das Urteil des BayObLG im Ergebnis zutreffend. Die Gefahr, die sich im Tode des Z realisierte, wurde nicht von X und Y begründet, sondern von A, als dieser trotz Kenntnis der unübersichtlichen Verkehrslage seine Geschwindigkeit nicht auf das erforderliche Maß herabminderte. - Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn A aufgrund der Sachverhaltsgegebenheiten die Gefahrenstelle nicht rechtzeitig hätte wahrnehmen können. 8

bb) BGHSt 32 S. 262: A verschaffte dem H die erforderliche Spritze für den Heroinkonsum. H injizierte sich ein Heroingemisch, das er sich zuvor besorgt hatte. Anschließend wurde er bewußtlos und starb. A, der auch Heroin genommen hatte, überlebte. Ergebnis: H hat frei verantwortlich und in voller Kenntnis der Gefahr das Risiko für sein Leben begründet. A schuf lediglich eine Voraussetzung für diese Selbstgefährdung des H. Damit aber realisierte sich im Tode des H die von ihm selbst begründete G e f a h r . '

9

cc) Wie bb), aber als H bewußtlos war, erkannte A die Notsituation, unternahm aber nichts zur Rettung. Ergebnis: A haftet nach § 323 c. - Der B G H kommt in entsprechenden Fällen zur Annahme eines Unterlassens des A nach vorangegangenem gefährlichen T u n . " ' Da das die Todesgefahr begründende Tun aber ein eigenverantwortliches Tun des H war, kann es keine Haftung des A b e g r ü n d e n .

10

dd) BayObLG J Z 1997 S. 521 mit Anm. OTTO S. 522 f. Der Arzt Dr. A stellte dem codeinabhängigen B ein Rezept über 500 ml 2,5%ige DHC-Lösung aus. Er klärte ihn darüber auf, daß er alle 8 Stunden nur 10 ml nehmen und keine anderen Medikamente einnehmen dürfe, weil dieses lebensgefährlich sei. Gleichwohl trank B ein paar Tage später 150 ml. Er starb. BayObLG: Soweit B eigenverantwortlich und in Kenntnis des Risikos handelte, verwirklichte sich in seinem Tode eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung.

11

ee) BGHSt 39 S. 322; A hatte ein Wohnhaus in Brand gesetzt, in dem sich X und Y aufhielten. Um diese zu retten, stürzte sich M in das Haus. Er starb an einer Monoxydvergiftung. BGH: Der Tod des M ist dem A zuzurechnen: "Ebenso wie dem Täter bei Gelingen der Rettungshandlung die Erfolgsabwendung zugute kommt, hat er im Falle des Mißerfolgs dafür einzustehen." Kritik-, Diese Ausführungen werden der Problematik des Falles nicht gerecht. Es geht hier um die Grenzen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung. Sieht man in der Handlungssituation entsprechend dem in § 35 erfaßten Sachverhalt die Schuld des M und damit seine Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung als ausgeschlossen an, so ist auch der Tod des M dem A zuzurechnen, sonst hingegen nicht.

12 c) Schließlich ist zu beachten, ob der Schutzzweck der durch den Täter verletzten Norm gerade auch auf die Vermeidung des vom Täter bewirkten Erfolges zielte. O L G Hamm M D R 1980 S. 1036: An einem mit eingeschaltetem Warnblinklicht haltenden Schulbus fuhr A mit 50 km/h vorbei. Er verletzte den erwachsenen B, der in Höhe des Schulbusses trotz des herannahenden Fahrzeuges des A noch versuchte, die Fahrbahn zu überqueren. OLG: § 20 Abs. 1 a StVO, der eine vorsichtige Fahrweise beim Vorbeifahren an Schulbussen vorschreibt, dient ausschließlich der Sicherheit von Schulkindern im Straßenverkehr. Der von A bewirkte Erfolg - Verletzung des B - liegt daher außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm. Auf die Verletzung des § 20 Abs. 1 a StVO kann eine Verurteilung des A in diesem Falle daher nicht gegründet werden.

¡ m einzelnen zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch das Tatopfer: Grundkurs Strafrecht, A.T., § 6 Rdn. 59 ff. 177

Vgl. B G H N S t Z 1984 S. 452. Zur Auseinandersetzung: BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 306 f; GEPPERT JK, StGB § 222/2; HERZBERG JA 1985 S. 271, Fn. 102; OTTO Grundkurs Strafrecht, A.T., § 9 Rdn. 82, Fall 6.

179

48

Vgl. dazu m.N.: Grundkurs Strafrecht, A.T., § 6 Rdn. 66, Fall 11.

Aussetzung

§ 10: Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes 1. Das geschützte

Rechtsgut

Der durch das 6. StrRG neugefaßte Tatbestand beschreibt in beiden Tatmodalitäten ein konkretes Gefährdungsdelikt, und zwar wird neben der Lebensgefahr auch die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung erfaßt. Geschützte Rechtsgüter sind daher das Leben und die körperliche Unversehrtheit. 2. Einzelheiten des

Tatbestandes

Der Tatbestand enthält zwei Alternativen: a) Das Versetzen eines Menschen in eine hilflose Lage. Versetzen eines anderen in eine hilflose Lage setzt nicht notwendig eine Ortsveränderung voraus. Es genügt vielmehr das Herbeiführen der hilflosen Lage, z.B. durch Verabreichen großer Mengen Alkohol bei kalter Witterung im Freien. 1 8 0 - In hilfloser Lage ist das Opfer, wenn es ihm nicht möglich ist, sich aus eigener Kraft vor Gefahren für Leben oder körperliche Integrität zu schützen. - Der Gefahr ausgesetzt ist das Opfer, wenn durch das Versetzen in die hilflose Lage seine physische Situation verschlechtert wird, d.h. eine Leibes- oder Lebensgefahr entweder herbeigeführt oder intensiviert wird, 1 8 1 wobei es genügt, daß dem Opfer Rettungschancen entzogen werden. 1 8 2 - Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bedeutet die konkrete Gefahr eines langwierigen, qualvollen oder die Leistungsfähigkeit schwer beeinträchtigenden physischen oder psychischen Krankheitszustandes. 1 8 3 b) Das Instichlassen eines Menschen in hilfloser Lage, wenn er in der Obhut des Täters steht oder er ihm sonst beizustehen verpflichtet ist. Instichlassen setzt keine räumliche Trennung voraus, vielmehr genügt es, daß der Beistandspflichtige sich der Beistandsleistung entzieht, obwohl er zum Beistand in der Lage wäre. 1 8 4 Obhuts- und Beistandspflichten werden durch Garantenpositionen begründet. 1 8 5 3. Qualifikationen

1

und Erfolgsqualifikationen,

2

3

Abs. 2, 3

Abs. 2 enthält in Nr. 1 einen Qualifikationstatbestand. Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 erfassen 4 erfolgsqualifizierte Tatbestände. Qualifikationsmerkmale sind: a) Abs. 2 Nr. 1 : Der Täter begeht die Tat gegen sein Kind oder eine Person, die ihm zur 5 Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist. - Zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind dem Täter Personen, zu denen er in einem tatsächlichen Überordnungsverhältnis steht und für deren Persönlichkeitsbildung er 180 vgl. auch HÖRNLE Jura 1998 S. 177, und KÜPER B.T., S. 35, die zutreffend auf die hier begründete Abgrenzungsproblematik zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung hinweisen. 181

Vgl. dazu HALL SchwZStr 46 (1932) S. 330; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 221 Rdn. 7; KÜPER Jura 1994 S. 516. 182 V g l d a z u a u c h BT-Drucks. 13/9064, S. 14; OLG Zweibrücken NStZ 1997 S. 601, 602 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 221/5. 183

Vgl. dazu BT-Drucks. VI/3434, S. 13; BT-Drucks. 13/8587, S. 28; LACKNER/KÜHL § 218 Rdn. 20.

184

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 34; KÜPER B.T., S. 182.

185

Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 14; BGHSt 26 S. 37; BGH NJW 1993 S. 2628.

49

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Mitverantwortung trägt. Erziehung ist die Leitung und Überwachung der Lebensführung zur körperlichen und seelischen Entwicklung. Der Begriff der Betreuung in der Lebensführung geht darüber hinaus. Er kennzeichnet ein Verhältnis, in dessen Rahmen der Täter wenigstens Mitverantwortung für das geistige oder sittliche Wohl des Anvertrauten trägt und eine entsprechende Einwirkungsmöglichkeit hat. - Anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn zwischen beiden besondere Beziehungen bestehen, die zu einer gewissen Abhängigkeit der anvertrauten Person führen. 18 ^ 6

b) Abs. 2 Nr. 2: Der Täter verursacht fahrlässig, § 18, durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung - dazu vgl. Rdn. 2 - des Opfers.

II. Besondere Probleme des Tatbestandes 1. Die "an sich rechtmäßige"

Aussetzungshandlung

7

Versetzt jemand einen anderen aus einer sicheren in eine lebensgefährliche Lage, so wird der Unrechtsgehalt des Verhaltens durch den Eingriff in den geschützten Rechtsbereich des Betroffenen geprägt. Problematisch ist es jedoch, ob der Unrechtsgehalt der gleiche ist, wenn der Täter durch sein Verhalten einem rechtswidrigen Eingriff des nunmehr Betroffenen begegnet, wenn also der Betroffene bei der Abwehr eines rechtswidrig von ihm ausgehenden Rechtsgütereingriffs in die Gefahr gerät. Auch wenn hier §§ 32, 34 nicht eingreifen, weil der Täter über die erforderliche Abwehr hinausgeht, stellt sich die Frage, ob er durch die Abwehr rechtswidrigen Verhaltens in die Schutzposition des § 221 gezwungen werden kann oder ob hier, vergleichbar der Situation, daß jemand durch Notwehr eine lebensgefährliche Lage für den Angreifer schafft 1 8 7 , nur die allgemeine Beistandspflicht gemäß § 323 c ausgelöst wird.

8

KG JR 1973 S. 72 mit Anm. SCHRÖDER S. 73 ff: Der Gastwirt G setzte den volltrunkenen Gast K, dem er wegen Zechprellerei einen Denkzettel geben wollte, in teilweise entkleidetem Zustand auf die Straße und überließ ihn dort seinem Schicksal. KG: K war infolge einer durch Alkoholgenuß bedingten hochgradigen Bewußtseinsstörung hilflos. In dem Verbringen des hilflosen K aus seiner bisherigen verhältnismäßig gesicherten Lage in dem Lokal in eine ihn gefährdende Lage auf der Straße liegt ein Aussetzen des K durch G. SCHRÖDER erkennt durchaus die Problematik, die darin liegt, daß G nicht verpflichtet war, den K in seinen Räumen zu dulden, er ihn "an sich" in Ausübung seines Hausrechts vor die Tür setzen durfte. Er stellt die Frage, "ob man mit der Konsequenz des § 221 StGB eine illegale Situation beseitigen darf", kommt dann aber zu dem Ergebnis, daß die Rechtsausübung durch G angesichts der möglichen Folgen einen Rechtsmißbrauch darstellt. Diese Konstruktion wird der Problematik nicht gerecht. - Als G den K hinaussetzte, verletzte er keine Obhutspflicht dem K gegenüber, sondern übte sein Hausrecht aus. Die Tatsache, daß K dadurch in eine hilflose Lage geriet, ändert die rechtliche Bewertung nicht. Da K jedoch in eine Unglückssituation i.S. des § 323 c geriet, war G, wollte er eine Haftung aus § 323 c vermeiden, wie jeder Dritte verpflichtet, dem K aus dieser Situation zu helfen. Indem er dieser Pflicht nicht sogleich nachkam und für die Sicherheit des K sorgte, machte er sich strafbar gemäß § 323 c . ' 8 8

Zur Auslegung im einzelnen können die zu § 174 Abs. 1 Nr. 1 entwickelten Grundsätze herangezogen werden, BT-Drucks. 13/9064, S. 15; vgl. daher BGHSt 41 S. 139; 33 S. 340, 344 mit Anm. JAKOBS NStZ 1986 S. 216 f, GÖSSEL JR 1986 S. 516 f; BGH NStZ 1989 S. 21. 187

Vgl. dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 9 Rdn. 82, Fall 4.

188

V g l . a u c h MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 R d n . 5 ; SCH/SCH/ESER § 2 2 1 R d n . 6 - A . A . GÖSSEL B . T . 1, § 8 R d n . 11; J A H N K E L K , 10. A u f l . § 2 2 1 R d n . 9.

50

Völkermord

2. Der Versuch der erfolgsqualifizierten

Aussetzung, §§ 221 Abs.2 Nr. 2, Abs. 3, 23

Streitig ist bereits, ob der Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts - abgesehen von Abs. 2 Nr. 1 - überhaupt möglich ist, wenn der Grundtatbestand nicht erfüllt ist. 1 8 9 Wird in dieser Konstellation die Möglichkeit des Versuchs anerkannt, so stellt sich im Rahmen des § 221 die Frage, ob ein Versuch gemäß §§221 Abs. 2 Nr. 2, 3, 23 in Betracht kommt, obwohl der Versuch des Grundtatbestandes, §§ 221, 23, nicht strafbar ist. Dies wird zum Teil abgelehnt mit der Erwägung, daß in dieser Konstellation die besondere Folge strafbegründend, nicht aber straferhöhend wirkt, wovon § 18 ausgeht. Die Gegenmeinung erkennt diese Konsequenz nicht in § 18 angelegt und sieht in der Tatsache, daß der Handlungsunwert des Grundtatbestandes noch nicht als strafwürdig erscheint, kein Argument dagegen, daß der Unrechtsgehalt des versuchten Grundtatbestandes und der verwirklichten (oder angestrebten) besonderen Folge bereits die Grenze der Strafwürdigkeit erreicht.

9

Fall: A will das Kleinkind seiner Freundin B, mit der er zusammenlebt, aus dem Weg schaffen, indem er es an einem kalten Wintertag bei offenem Fenster in eine Wanne mit kaltem Wasser setzt. Beim Hineinsetzen des Kindes reagiert das Kind mit wilden Bewegungen und schlägt mit dem Kopf auf dem Wannenrand auf. K erleidet eine schwere Gesundheitsschädigung durch Verlust des Sehvermögens auf einem Auge. Angesichts der Verletzung des Kindes gibt A seinen weiteren Plan auf. Ergebnis: A hat sich einer versuchten Aussetzung gemäß §§ 221 Abs. 3, 23 schuldig gemacht. 1 9 ^

3. Aussetzung in der Situation des § 217 a.F. Hatte eine Mutter ihr nichteheliches Kind gleich nach der Geburt ausgesetzt und damit 10 fahrlässig den Tod des Kindes herbeigeführt, so sperrte der mildere Strafrahmen des § 217 a.F. die Anwendung des Strafrahmens nach § 221 Abs. 3. - Da der Gesetzgeber nunmehr davon ausgeht, daß die ehemals in § 217 a.F. erfaßten Fälle unter § 213 fallen, ist es konsequent, in diesen Fällen den Strafrahmen des § 221 Abs. 3 bis zum Mindestmaß des § 213 zu unterschreiten. 191 §11: Völkermord

I. Das geschützte Rechtsgut § 220 a schützt nicht in erster Linie das Leben, sondern den humanitären stematisch gehört er daher nicht zu den Tötungsdelikten.

Gedanken. Sy-

1

1. Praktisch ist der Tatbestand als Vorschrift des nationalen Strafrechts nutzlos, denn die Tathandlung kann bereits nach anderen Vorschriften bestraft werden. Geschieht dies jedoch nicht, so deshalb, weil der Täter mit Hilfe oder mit Billigung des Staates, auf dessen Gebiet er handelt, tätig wird. Dann aber erfolgt mit Sicherheit auch keine Bestrafung gemäß § 220 a.

2

II. Die Bedeutung des Tatbestandes

189

Im einzelnen dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18 Rdn. 78 ff.

190

So auch LAUBENTHAL JZ 1987 S. 1067; vgl. im einzelnen zur Auseinandersetzung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18 Rdn. 89 f. - Offengelassen wird die Problematik in BGH StV 1986 S. 201 mit

191

Zur früheren Rechtslage vgl. KREY B.T.l, Rdn. 143; LACKNER/KÜHL § 221 Rdn. 7. - A.A. JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 221 Rdn. 28; TRÖNDLE StGB, § 221 Rdn. 11.

A n m . ULSENHEIMER S t V 1 9 8 6 S . 2 0 1 f f .

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Völkermord

2. Der Versuch der erfolgsqualifizierten

Aussetzung, §§ 221 Abs.2 Nr. 2, Abs. 3, 23

Streitig ist bereits, ob der Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts - abgesehen von Abs. 2 Nr. 1 - überhaupt möglich ist, wenn der Grundtatbestand nicht erfüllt ist. 1 8 9 Wird in dieser Konstellation die Möglichkeit des Versuchs anerkannt, so stellt sich im Rahmen des § 221 die Frage, ob ein Versuch gemäß §§221 Abs. 2 Nr. 2, 3, 23 in Betracht kommt, obwohl der Versuch des Grundtatbestandes, §§ 221, 23, nicht strafbar ist. Dies wird zum Teil abgelehnt mit der Erwägung, daß in dieser Konstellation die besondere Folge strafbegründend, nicht aber straferhöhend wirkt, wovon § 18 ausgeht. Die Gegenmeinung erkennt diese Konsequenz nicht in § 18 angelegt und sieht in der Tatsache, daß der Handlungsunwert des Grundtatbestandes noch nicht als strafwürdig erscheint, kein Argument dagegen, daß der Unrechtsgehalt des versuchten Grundtatbestandes und der verwirklichten (oder angestrebten) besonderen Folge bereits die Grenze der Strafwürdigkeit erreicht.

9

Fall: A will das Kleinkind seiner Freundin B, mit der er zusammenlebt, aus dem Weg schaffen, indem er es an einem kalten Wintertag bei offenem Fenster in eine Wanne mit kaltem Wasser setzt. Beim Hineinsetzen des Kindes reagiert das Kind mit wilden Bewegungen und schlägt mit dem Kopf auf dem Wannenrand auf. K erleidet eine schwere Gesundheitsschädigung durch Verlust des Sehvermögens auf einem Auge. Angesichts der Verletzung des Kindes gibt A seinen weiteren Plan auf. Ergebnis: A hat sich einer versuchten Aussetzung gemäß §§ 221 Abs. 3, 23 schuldig gemacht. 1 9 ^

3. Aussetzung in der Situation des § 217 a.F. Hatte eine Mutter ihr nichteheliches Kind gleich nach der Geburt ausgesetzt und damit 10 fahrlässig den Tod des Kindes herbeigeführt, so sperrte der mildere Strafrahmen des § 217 a.F. die Anwendung des Strafrahmens nach § 221 Abs. 3. - Da der Gesetzgeber nunmehr davon ausgeht, daß die ehemals in § 217 a.F. erfaßten Fälle unter § 213 fallen, ist es konsequent, in diesen Fällen den Strafrahmen des § 221 Abs. 3 bis zum Mindestmaß des § 213 zu unterschreiten. 191 §11: Völkermord

I. Das geschützte Rechtsgut § 220 a schützt nicht in erster Linie das Leben, sondern den humanitären stematisch gehört er daher nicht zu den Tötungsdelikten.

Gedanken. Sy-

1

1. Praktisch ist der Tatbestand als Vorschrift des nationalen Strafrechts nutzlos, denn die Tathandlung kann bereits nach anderen Vorschriften bestraft werden. Geschieht dies jedoch nicht, so deshalb, weil der Täter mit Hilfe oder mit Billigung des Staates, auf dessen Gebiet er handelt, tätig wird. Dann aber erfolgt mit Sicherheit auch keine Bestrafung gemäß § 220 a.

2

II. Die Bedeutung des Tatbestandes

189

Im einzelnen dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18 Rdn. 78 ff.

190

So auch LAUBENTHAL JZ 1987 S. 1067; vgl. im einzelnen zur Auseinandersetzung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18 Rdn. 89 f. - Offengelassen wird die Problematik in BGH StV 1986 S. 201 mit

191

Zur früheren Rechtslage vgl. KREY B.T.l, Rdn. 143; LACKNER/KÜHL § 221 Rdn. 7. - A.A. JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 221 Rdn. 28; TRÖNDLE StGB, § 221 Rdn. 11.

A n m . ULSENHEIMER S t V 1 9 8 6 S . 2 0 1 f f .

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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen 3 4

2. Allerdings eröffnet § 6 Ziff. 1 die Möglichkeit der Verfolgung eines im Ausland von einem Ausländer begangenen Völkermordes. 192 3. Bedeutung kann die Vorschrift, die entsprechend Art. II der Internationalen Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. 12. 1948 in das Gesetz eingeführt wurde, aber auch als Ansatzpunkt zu einem Völkerstrafrecht erlangen. 193

§ 12: Zur Wiederholung 1

1. In welchen Fällen ist der Schutz menschlichen Lebens durch die Tötungstatbestände streitig? - Dazu § 2 Rdn. 5 ff. 2. Wie bestimmt die h. L. das Verhältnis der §§ 211, 212, 213 zueinander und wie der BGH? - Dazu § 2 Rdn. 14 ff. 3. Was spricht gegen die Interpretation auch der 1. Alternative des § 213 als bloße Strafzumessungsregel? Dazu § 2 16. 4. Worin besteht die sachliche Berechtigung für die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte in einen Grundtatbestand, eine Qualifizierung sowie Privilegierungen? - Dazu § 2, Rdn. 21 ff. 5. Auf welche Weise ermöglicht der BGH ein Absehen von lebenslanger Freiheitsstrafe, obwohl er das Vorliegen einer heimtückischen Tötung bejaht? - Dazu § 2 Rdn. 26 ff. 6. Kann Anstiftung oder Beihilfe zur Selbsttötung als Teilnahme an einem Tötungsdelikt bestraft werden? Dazu § 3 Rdn. 1. 7. Sind die Mordqualifikationen als Schuld- oder als Unrechtsmerkmale anzusehen? - Dazu § 4 Rdn. 1 ff. 8. Welche drei Gruppen von Mordmerkmalen unterscheidet das Gesetz? - Dazu § 4 Rdn. 3 ff. 9. Was ist unter "Mordlust" zu verstehen? - Dazu auch § 4 Rdn. 5 f. 10. Welche Fälle werden unter dem Merkmal "zur Befriedigung des Geschlechtstriebes" erfaßt? - Dazu § 4 Rdn. 7 ff. 11. Was ist das wesentliche Kennzeichen der niedrigen Beweggründe? - Dazu § 4 Rdn. 13 ff. 12. Wie definiert die Rechtsprechung das Merkmal "Heimtücke"? Welche Ansichten werden im Schrifttum vertreten? - Dazu § 4 Rdn. 17 ff. 13. Was ist ein "gemeingefährliches Mittel"? - Dazu § 4 Rdn. 41 ff. 14. Worin besteht das grundsätzliche Problem des Merkmals "um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken"? - Dazu § 4 Rdn. 48. 15. Welcher Straftatbestand kommt in Betracht, wenn der Täter zur Tötung bereits fest entschlossen ist, bevor das Opfer sie emstlich und ausdrücklich verlangt? - Dazu § 6 Rdn. 13. 16. Welche Fallgruppen der Sterbehilfe sind zu unterscheiden? - Dazu § 6 Rdn. 22 ff. 17. Ist ein Arzt gegen den Willen des Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen berechtigt oder sogar verpflichtet? - Dazu § 6 Rdn. 22 ff. 18. Ist die Selbsttötungssituation als Unglücksfall i.S. d. § 323 c anzusehen? - Dazu § 6 Rdn. 58 f.

192

Vgl. dazu BGH NStZ 1994 S. 232 mit Anm. OEHLER S. 485.

193

Dazu AMBROS ZRP 1996 S. 263 ff; BECKER Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit - Überlegungen zur Problematik eines völkerrechtlichen Strafrechts, 1996; JÄGER in: Hankel/Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschlichkeitsverbrechen, 1995, S. 325 ff; JESCHECK/WEIGEND A.T., 5. A u f l . 1 9 9 6 , § 14; KINKEL N J W 1 9 9 7 S. 2 8 6 0 f; OSTENDORF Z R P 1 9 9 6 S. 4 6 7 ; REICHART Z R P 1 9 9 6 S.

134 ff; ROGGEMANN ZRP 1996 S. 388 ff; TRIFFTERER Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg, 1966, S. 192 ff; WERLE ZStW 109 (1997) S. 808 ff. Als funktionslos sieht den Tatbestand an: CAMPBELL § 220 a StGB: Der richtige Weg zur Verhütung und Bestrafung von Genozid?, 1986, S. 172 ff.

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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen 3 4

2. Allerdings eröffnet § 6 Ziff. 1 die Möglichkeit der Verfolgung eines im Ausland von einem Ausländer begangenen Völkermordes. 192 3. Bedeutung kann die Vorschrift, die entsprechend Art. II der Internationalen Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. 12. 1948 in das Gesetz eingeführt wurde, aber auch als Ansatzpunkt zu einem Völkerstrafrecht erlangen. 193

§ 12: Zur Wiederholung 1

1. In welchen Fällen ist der Schutz menschlichen Lebens durch die Tötungstatbestände streitig? - Dazu § 2 Rdn. 5 ff. 2. Wie bestimmt die h. L. das Verhältnis der §§ 211, 212, 213 zueinander und wie der BGH? - Dazu § 2 Rdn. 14 ff. 3. Was spricht gegen die Interpretation auch der 1. Alternative des § 213 als bloße Strafzumessungsregel? Dazu § 2 16. 4. Worin besteht die sachliche Berechtigung für die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte in einen Grundtatbestand, eine Qualifizierung sowie Privilegierungen? - Dazu § 2, Rdn. 21 ff. 5. Auf welche Weise ermöglicht der BGH ein Absehen von lebenslanger Freiheitsstrafe, obwohl er das Vorliegen einer heimtückischen Tötung bejaht? - Dazu § 2 Rdn. 26 ff. 6. Kann Anstiftung oder Beihilfe zur Selbsttötung als Teilnahme an einem Tötungsdelikt bestraft werden? Dazu § 3 Rdn. 1. 7. Sind die Mordqualifikationen als Schuld- oder als Unrechtsmerkmale anzusehen? - Dazu § 4 Rdn. 1 ff. 8. Welche drei Gruppen von Mordmerkmalen unterscheidet das Gesetz? - Dazu § 4 Rdn. 3 ff. 9. Was ist unter "Mordlust" zu verstehen? - Dazu auch § 4 Rdn. 5 f. 10. Welche Fälle werden unter dem Merkmal "zur Befriedigung des Geschlechtstriebes" erfaßt? - Dazu § 4 Rdn. 7 ff. 11. Was ist das wesentliche Kennzeichen der niedrigen Beweggründe? - Dazu § 4 Rdn. 13 ff. 12. Wie definiert die Rechtsprechung das Merkmal "Heimtücke"? Welche Ansichten werden im Schrifttum vertreten? - Dazu § 4 Rdn. 17 ff. 13. Was ist ein "gemeingefährliches Mittel"? - Dazu § 4 Rdn. 41 ff. 14. Worin besteht das grundsätzliche Problem des Merkmals "um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken"? - Dazu § 4 Rdn. 48. 15. Welcher Straftatbestand kommt in Betracht, wenn der Täter zur Tötung bereits fest entschlossen ist, bevor das Opfer sie emstlich und ausdrücklich verlangt? - Dazu § 6 Rdn. 13. 16. Welche Fallgruppen der Sterbehilfe sind zu unterscheiden? - Dazu § 6 Rdn. 22 ff. 17. Ist ein Arzt gegen den Willen des Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen berechtigt oder sogar verpflichtet? - Dazu § 6 Rdn. 22 ff. 18. Ist die Selbsttötungssituation als Unglücksfall i.S. d. § 323 c anzusehen? - Dazu § 6 Rdn. 58 f.

192

Vgl. dazu BGH NStZ 1994 S. 232 mit Anm. OEHLER S. 485.

193

Dazu AMBROS ZRP 1996 S. 263 ff; BECKER Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit - Überlegungen zur Problematik eines völkerrechtlichen Strafrechts, 1996; JÄGER in: Hankel/Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschlichkeitsverbrechen, 1995, S. 325 ff; JESCHECK/WEIGEND A.T., 5. A u f l . 1 9 9 6 , § 14; KINKEL N J W 1 9 9 7 S. 2 8 6 0 f; OSTENDORF Z R P 1 9 9 6 S. 4 6 7 ; REICHART Z R P 1 9 9 6 S.

134 ff; ROGGEMANN ZRP 1996 S. 388 ff; TRIFFTERER Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg, 1966, S. 192 ff; WERLE ZStW 109 (1997) S. 808 ff. Als funktionslos sieht den Tatbestand an: CAMPBELL § 220 a StGB: Der richtige Weg zur Verhütung und Bestrafung von Genozid?, 1986, S. 172 ff.

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Abbruch der Schwangerschaft

Zweiter Abschnitt Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben § 13: Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung 1. Die Entscheidung des

Gesetzgebers

Ursprünglich hatte der Gesetzgeber die Abtreibung in § 218 grundsätzlich unter Strafe gestellt. - Mit dem 5. Strafrechtsreformgesetz vom 18. Juni 1974 unternahm der Gesetzgeber allerdings den Versuch, auch in der Bundesrepublik Deutschland die sog. Fristenlösung (Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft) durchzusetzen. Dieses Gesetz ist jedoch nie in Kraft getreten, denn mit Urteil vom 25. 2. 1975 hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt. 1 Der Gesetzgeber hatte daraufhin durch Gesetz vom 18. 5. 1976 (15. StrÄndG) die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vorgenommen. Diese Regelung enthielt Elemente einer Indikations- und - in der Person der Schwangeren - einer Fristenlösung. In der ehemaligen DDR war die Schwangere gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9.3.1972 berechtigt, die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen nach deren Beginn durch einen ärztlichen Eingriff in einer geburtshilflich-gynäkologischen Einrichtung unterbrechen zu lassen. Nicht unter diese Regelung fallende unzulässige Schwangerschaftsunterbrechungen, ihre Veranlassung und Unterstützung wurden nach §§ 153 ff StGB-DDR bestraft. Mit der Wiedervereinigung traten im Beitrittsgebiet nicht die §§ 218 - 219 d in Kraft, sondern die bisherigen Regelungen blieben vorläufig gültig. Zugleich wurde gemäß Art. 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages vom 23.9.1990 2 die Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers darin gesehen, "spätestens bis zum 31.12.1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen ... besser gewährleistet, als dies in den beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist". Nach langwierigen Auseinandersetzungen erfolgte eine Neuregelung des Abbruchs der Schwangerschaft im Schwangeren- und FamilienhilfeG (SFHG) vom 4.8.1992, (BGBl I, S. 1398). Erneut wurde eine Fristenregelung mit Beratungspflicht in Kraft gesetzt und der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft für nicht rechtswidrig erklärt, § 218 a Abs. 1 i.d.F. des SFHG. - Mit Urteil vom 28.5.1993 hat das Bundesverfassungsgericht die §§ 218 a Abs. 1, 219 in d.F. des SFHG für nichtig erklärt und sie für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung durch eine vorläufige Anordung nach § 35 BVerfGG ersetzt. Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, daß die Schutzpflicht des Staates auch gegenüber dem ungeborenen Leben es verbietet, den Schwangerschaftsabbruch - abgesehen von Ausnahmesituationen - für nicht rechtswidrig zu erklären. 3 Darüber hinaus müsse die Beratung der Schwangeren dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen. 1

BVerfGE 39 S. 1.

2

BGBl. II, S. 885.

3

B V e r f G E 8 8 S. 2 0 3 ; h i e r z u ESER J Z 1 9 9 4 S. 5 0 3 f f ; GEIGER/V. LAMPE J u r a 1 9 9 4 S. 2 0 f f ; GROPP G A

53

1

2

3

4

§ 13

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

BVerfGE 88 S. 251: "Das Grandgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene. Auch ihm gebührt der Schutz des Staates. Die Verfassung untersagt nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das ungeborene Leben, sie gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d.h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (vgl. BVerfGE 39, 1, 42). Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet; ihr Gegenstand und - von ihm her - ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Personalität".

5

Nach verschiedenen vergeblichen Versuchen einer gesetzlichen Neuregelung erfolgte diese im Schwangeren-FamilienhilfeänderungsG v. 21.8.1995 (BGBl I, S. 1050), das am 1.10. 1995 in Kraft trat.4 2. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt

6

7

a) Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das ungeborene menschliche Leben. 5 Dieses hat, weil noch ungeboren, keine mindere Wertqualität als das geborene Leben. 6 Die geringere Strafandrohung erklärt sich aus der besonderen Konfliktsituation der Schwangeren.7 Zwar berücksichtigt die gesetzliche Regelung auch in erheblichem Maße Gesundheitsinteressen der Schwangeren, diese erlangen aber nicht den Rang eines gleichfalls geschützten Rechtsguts. 8 Der selbständige Schutz der Gesundheit der Schwangeren vor abstrakten Gesundheitsgefähren in diesem Bereich müßte als systemwidrige Sonderregelung gegenüber den Körperverletzungsdelikten erscheinen. 9 b) Das Angriffsobjekt Taugliches Angriffsobjekt ist die Leibesfrucht, und zwar erst nach der Nidation. Gemäß § 218 Abs. 1 S. 2 gelten Handlungen, die sich gegen die Einnistung des Eies in der Gebärmutter richten, noch nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne des Gesetzes. - Damit ist 1994 S. 147 ff; HARTMANN NStZ 1993 S.483 ff; HASSEMER Mahrenholz-FS, S. 731 ff; HERMESAVALTHER NJW 1993 S. 2337 ff; KLUTH FamRZ 1993 S. 1381 ff; REITER/KELLER (Hrsg.), Paragraph 218, Urteil und Urteilsbildung, 1993; SCHULZ StV 1994 S. 38 ff; STARCK JZ 1993 S. 816 ff; THOMAS/KLUTH (Hrsg.), Das zumutbare Kind, 1993; WEIß JR 1993 S. 449 ff. Zu den einzelnen Phasen des Gesetzgebungsverfahrens: LACKNER/KÜHL Vor § 218 Rdn. 1 ff. - Zum Schrifttum in den einzelnen Regelungsphasen vgl. die umfassenden Nachweise bei TRÖNDLE StGB, Vor § 2 1 8 Rdn. la, 3a, 5a, 7a. BVerfGE 39 S. 36 f; 88 S. 251 f; BGHSt 28 S. 15; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 218 Rdn. 15; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 6 R d n . 8 f ; O T T O J u r a 1 9 9 6 S . 1 4 0 ; RUDOLPHI S K II, V o r §

218 Rdn. 55; WESSELS B.T./l, Rdn. 215. Dem Embryo sprechen ein Lebensrecht ab: HOERSTER Abtreibung im säkularen Staat, 1991; DERS. JuS 1995 S. 192 ff; DERS. JR 1995 S. 51 ff; SINGER Praktische Ethik, 1984, S. 162 f. - Zur Auseinandersetzung zuletzt TRÖNDLE GA 1995 S. 249; im übrigen vgl. die eingehenden Angaben bei TRÖNDLE StGB, Vor §218 Rdn. 18 c. Vgl. BT-Drucks. 7/1981, S. 5; BVerfGE 39 S. 37; BELLING Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a StGB

haltbar?,

1987;

BOCKELMANN

JZ

1959

S.

498;

ARTHUR

KAUFMANN

JZ

1963

S.

142;

S C H / S C H / E S E R V o r § § 2 1 8 f f R d n . 9 ; TRÖNDLE S t G B , V o r § 2 1 8 R d n . 17. - A . A . HILGENDORF N J W

1996 S. 761, mit Replik von HEUERMANN NJW 1996 S. 3063 f, HOERSTER NJW 1997 S. 773 ff, WEIß NJW 1996 S. 3064, und Erwiderung von HILGENDORF NJW 1997 S. 3074 f. A . A . A R Z T / W E B E R L H 1, R d n . 3 6 0 ; S C H / S C H / E S E R V o r § § 2 1 8 f f R d n . 12; TRÖNDLE S t G B , V o r § 2 1 8

Rdn.

17.

Vgl. auch JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 218 Rdn. 16.

54

Abbruch der Schwangerschaft klargestellt, daß nidationshindernde Maßnahmen der Empfängnisverhütung - z.B. durch die morning-after-Pille, intrauterine Pessare, Spiralen o.ä. - nicht von § 218 Abs. 1 S. 1 erfaßt werden, wohl aber die sog. Abtreibungspille RU 486, die regelmäßig erst nach der Einnistung wirkt. Gleichfalls werden vom § 218 Abs. 1 S. 1 nicht Einwirkungen erfaßt, die erst nach Beginn der Geburt das Kind treffen oder die auf Beseitigung einer bereits abgestorbenen Frucht oder eines krankhaft entarteten Eies (Mole) zielen. - Zum Anencephalus vgl. § 2 R d n . 12. Geschützt und damit taugliches Angriffsobjekt ist auch die - noch - lebende Leibesfrucht einer hirntoten Frau. 10

8

3. Die Konzeption des Gesetzes Dem Anschein nach erfaßt § 218 Abs. 1 S. 1 den Grundtatbestand des Schwangerschafts- 9 abbruchs, während § 218 a Abs. 1 den Tatbestandsausschluß für den Fall der Schwangerschaftsunterbrechung nach Beratung durch einen Arzt und innerhalb der Zwölf-WochenFrist regelt. Da der Schwangerschaftsabbruch unter den in § 218 a Abs. 1 genannten Voraussetzun- 10 gen aber der Regelfall sein wird, bedeutet das, daß eine Bestrafung nach § 218 Abs. 1 S. 1 nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen wird. Damit wird die Regel im Gesetz als Ausnahme dargestellt und umgekehrt. Dieses Verhältnis des §218 zu §218 a, das bereits im Verhältnis zu § 218 a a.F. gegeben war, hatte SCHROEDER als Beispiel unaufrichtiger Gesetzgebung gekennzeichnet, weil hier - in Verbindung mit der Regelung der besonders schweren Fälle in § 218 Abs. 2 - ein markiges Verbot des Schwangerschaftsabbruchs vorgetäuscht wird, das in Wirklichkeit nicht existiert.11 Der Vorwurf hat nach wie vor seine Berechtigung, denn dieser Kunstgriff verschleiert 11 das der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Prinzip mit weitreichenden Folgen für die Bestimmung des Unrechtsvorwurfs in den Ausnahmefällen. Das gesetzliche Konzept ist das einer Fristenregelung mit Beratungspflicht. 12 Das be- 12 deutet: Der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis ist grundsätzlich straffrei und nur unter besonderen Ausnahmeumständen strafbar, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, daß ein wirksamer Lebensschutz durch Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis nicht zu erzielen ist, sondern die Beratung bessere Möglichkeiten des Lebensschutzes bietet. 4. Die Systematik des Gesetzes a) Die tatbestandliche Regelung aa) Nicht tatbestandsmäßig ist der Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt auf Verlan- 13 gen der Schwangeren in den ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis, § 218 a Abs. 1. bb) Durch die Ausformulierung des § 218 Abs. 1 S. 1 als scheinbarer Grundtatbestand des 14 Schwangerschaftsabbruchs erfaßt dieser sachwidrig qualitativ nicht miteinander vergleichbares Unrecht: Den Schwangerschaftsabbruch durch einen Nichtarzt oder nach der Zwölf-Wochen-Frist sowie den Schwangerschaftsabbruch unter Mißachtung der Beratungspflicht. - Beide Verhaltensweisen, deren Unrecht qualitativ verschieden ist, hätten 10

Vgl. dazu BECKMANN MedR 1993 S. 123; HILGENDORF JuS 1993 S. 99; TRÖNDLE StGB, § 218 Rdn. 3.

11

SCHROEDER Z R P 1 9 9 2 S . 4 0 9 f .

12

Vgl. auch LAUFS NJW 1995 S. 3042; SATZGER JUS 1997 S. 801 f; SPIEKER Die neue Ordnung 1995 S. 3 3 8 m . N . ; TRÖNDLE N J W 1 9 9 5 S . 3 0 1 4 .

55

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen selbständig vertypt gehört, während die Klarstellung, daß der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis zwar rechtswidrig ist, jedoch straffrei bleibt, an den Beginn der gesetzlichen Regelung gehört hätte. 13 15 cc) Gegenüber der ambivalenten Regelung des § 218 Abs. 1 S. 1 enthält § 218 Abs. 2 gesetzestechnisch eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen mit Regelbeispielen (Handeln gegen den Willen der Schwangeren, leichtfertige Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren). 16 In der Erfassung der besonders schweren Fälle setzen sich die durch die Kaschierung der Fristenlösung in § 218 Abs. 1 S. 1 begründeten sachwidrigen Konsequenzen fort: Der Arzt, der ohne Beratung den Schwangerschaftsabbruch vornimmt und leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu vgl. § 10 Rdn. 2 - der Schwangeren verursacht, haftet nach § 218 Abs. 2 Nr. 2. Strafmaß: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Der Arzt, der nach Beratung den Schwangerschaftsabbruch vornimmt und leichtfertig die entsprechende Gefahr verursacht, bleibt straffrei, soweit nicht - zufällig - auch der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung verwirklicht ist. - Eine sachwidrige Differenzierung. 17 dd) Die Tat der Schwangeren ist in § 218 Abs. 3 privilegiert. § 218 Abs. 3 wird ergänzt durch § 218 a Abs. 4 S. 2. b) Rechtfertigung 18 Speziell auf den Schwangerschaftsabbruch bezogene Rechtfertigungsgründe sind der medizinisch-sozial, § 218 a Abs. 2, und der kriminologisch, § 218 a Abs. 3, indizierte Schwangerschaftsabbruch. c) Persönlicher Strafausschließungsgrund 19 § 218 a Abs. 4 S. 1 räumt der Schwangeren einen persönlichen Strafausschließungsgrund ein. In ihrer Person wird damit die straffreie Fristenregelung auf die ersten 22 Wochen nach der Empfängnis ausgedehnt. d) Möglichkeit des Absehens von Strafe 20 Unabhängig von der Möglichkeit einer Rechtfertigung oder des Strafausschlusses ermöglicht § 218 Abs. 4 S. 2 in Fällen "besonderer Bedrängnis" ein Absehen von Strafe. e) Versuch 21 Der Versuch des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 Abs. 1 S. 1 ist strafbar, § 218 Abs. 4 S. 1. - In der Person der Schwangeren bleibt der Versuch straflos. Es handelt sich hier um einen persönlichen Strafausschließungsgrund, so daß Teilnehmer am Versuch der Schwangeren strafbar bleiben, § 218 Abs. 4 S. 2. f) Flankierende Maßnahmen 22 aa) Der subsidiäre § 218 b - Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Feststellung; unrichtige ärztliche Feststellung - soll die Indikationsfeststellung gewährleisten. 23 bb) § 218 c stellt ärztliche Pflichtverletzungen bei einem Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. - Die Schwangere ist nicht nach § 218 c Abs. 1 strafbar, § 218 c Abs. 2. 24 cc) In § 219 werden die Ziele der Beratung, Abs. 1, und die Pflichten der Beratungsstelle, Abs. 2, umrissen. I3

56

Damit wäre die Vorgabe des BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS, BVerfGE 88 S. 204, Leitsatz 11, unmittelbar umgesetzt worden.

Abbruch der Schwangerschaft dd) §§219 a, 219b stellen bestimmte Teilnahmehandlungen im Vorbereitungsstadium des 25 Schwangerschaftsabbruchs als abstrakte Gefährdungsdelikte unter Strafe, ee) § 170 Abs. 2 stellt die Verursachung des Schwangerschaftsabbruchs durch Vorenthal- 26 ten des Unterhalts in verwerflicher Weise der Schwangeren gegenüber unter Strafe § 240 Abs. 4 Nr. 2 erfaßt die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schweren Fall der Nötigung. II. Abbruch der Schwangerschaft /. Der nicht tatbestandsmäßige Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. I § 218 a Abs. 1 bestimmt, daß der von einer Schwangeren verlangte und von einem Arzt 27 nach Beratung durch eine Beratungsstelle gemäß § 219 Abs. 2 S. 1 in den ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis durchgeführte Schwangerschaftsabbruch nicht tatbestandsmäßig i.S. des § 218 ist. a) Tatbestandsausschluß und Rechtswidrigkeitsurteil Mit dem Ausschluß des Tatbestandes ist grundsätzlich kein Urteil über das Unrecht des 28 Verhaltens gefällt. Der Gesetzgeber hat lediglich zum Ausdruck gebracht, daß er in dem unter den genannten Umständen durchgeführten Schwangerschaftsabbruch kein strafwürdiges und strafbedürftiges Unrecht erkennt. Der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, den Schutz ungeborenen Lebens auch durch die Klarstellung zu gewährleisten, "daß der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäß rechtlich verboten ist" 14 , kommt der Gesetzgeber nur implizite nach. Durch den ausdrücklichen Ausschluß der Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den Fällen des § 218 a Abs. 2, 3 läßt sich argumentieren, daß in den Fällen des § 218 Abs. 1 der Schwangerschaftsabbruch jedenfalls nicht als rechtmäßig angesehen wird, auch wenn er nicht als strafwürdiges Unrecht beurteilt wird. b) Schwangerschaftsabbruch und Nothilfe Der Gesetzgeber selbst scheint allerdings die Bedeutung des Tatbestandsausschlusses 29 nicht zutreffend erkannt zu haben, denn in der Begründung des Gesetzes wird dargetan: "Durch den Tatbestandsausschluß als bewußte Herausnahme aus dem strafrechtlich vertypten Unrecht wird außerdem zum Ausdruck gebracht, daß Schwangerschaftsabbrüche, die unter den angeführten Voraussetzungen vorgenommen werden, im Bereich des Strafrechts nicht als Unrecht zu behandeln sind. Demnach kommt unter den Voraussetzungen der Beratungsregeln auch Nothilfe (§ 32 StGB) zugunsten des Ungeborenen mit dem Ziel einer Verhinderung des Schwangerschaftsabbruchs nicht in Betracht"15. Diese Begründung geht an der Problematik vorbei, denn Notwehr setzt unstrittig einen 30 rechtswidrigen Angriff voraus, nicht aber einen im Sinne des Strafrechts tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen Angriff. 16 - Der Ausschluß der Notwehr im Falle des nicht tatbestandsmäßigen Abbruchs der Schwangerschaft, den das BVerfG ausdrücklich vom Gesetzgeber gefordert hat, 17 läßt sich nunmehr nur mit dem Argument begründen, daß in der Entscheidung des Gesetzgebers zum Lebensschutz unter Verzicht auf Ausübung von Zwang durch strafrechtliche Sanktionen zugleich die Wertentscheidung gegen eine 14

BVerfGE 88 S. 255 unter Bezug auf BVerfGE 39 S. 44.

15

BT-Drucks. 13/1850, S. 25.

16

Dazu LACKNER/KÜHL Vor § 218 Rdn. 25; OTTO Jura 1996 S. 139 f.

17

BVerfGE 88 S. 279. - Eingehend zur Auseinandersetzung: SATZGER JuS 1997 S. 800 ff.

57

§ 13

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

zwangsweise Austragung der Schwangerschaft liegt. Dieser Verzicht eröffne aber nicht den rechtlichen Raum für privaten Zwang. Zwangsmaßnahmen gegen die Schwangere, die darauf abzielen, ihr in der Konfliktsituation den Abbruch der Schwangerschaft unmöglich zu machen, seien daher nicht als erforderliche Nothilfemaßnahmen im Sinne des § 32 anzuerkennen. 2. Der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs,

§ 218

31 § 218 Abs. 1 S. 1 erfaßt drei verschiedene Sachverhalte: Den Schwangerschaftsabbruch durch einen Nichtarzt, den Schwangerschaftsabbruch nach der Zwölf-Wochen-Frist und den Schwangerschaftsabbruch unter Mißachtung der Beratungspflicht, obwohl das Unrecht dieser Sachverhalte keineswegs identisch ist. a) Das Unrecht der Tathandlungen in den verschiedenen Tatsituationen 32 Während beim Abbruch der Schwangerschaft nach der Zwölf-Wochen-Frist Tötungsunrecht erfaßt wird und beim Abbruch der Schwangerschaft durch einen Nichtarzt die Gesundheitsgefährdung der Schwangeren das Unrecht wesentlich prägt, wird bei der Mißachtung der Beratungspflicht die Verletzung bestimmter Verfahrensvorschriften mit Tötungsunrecht identifiziert. Das ist grob sachwidrig und führt zu nicht akzeptablen Konsequenzen: Der nach der gesetzlichen Konzeption nicht strafwürdige und/oder strafbedürftige Schwangerschaftsabbruch wird nicht dadurch zu einem strafwürdigen und strafbedürftigen Verhalten, daß der Nachweis über eine Beratung fehlt, die - wenn es zum Schwangerschaftsabbruch kommt - erwiesener Maßen erfolglos und daher unter Lebensschutzaspekten wirkungslos geblieben ist. Nur weil jemand der Beratungspflicht ausgewichen ist, ändert sich der Bedeutungsgehalt des Verhaltens nicht von einem straffreien zu einem strafbaren Tötungsverhalten. Wäre das der Fall, dann hätte der Beratungsschein in der Tat den Charakter einer Tötungserlaubnis. - Eine im Rechtsstaat nur schwer nachvollziehbare Entscheidung, die dem Sachgehalt des Vorgangs nicht annähernd gerecht würde. 33

Wird das Konzept des Gesetzgebers vorbehaltslos als das genommen, was es ist, nämlich als eine Fristenlösung mit Beratungspflicht, so bringt derjenige, der die Beratungspflicht verletzt, zum Ausdruck, daß er die vom Gesetzgeber in der Beratung erhoffte Chance des Lebensschutzes nicht nutzen will. Das hier verwirklichte Unrecht liegt in der vorsätzlichen Verweigerung, dem Lebensschutz in dieser Situation eine Chance einzuräumen. Das damit verwirklichte Unrecht ist aber mit einem Tötungsunrecht weder identisch noch mit ihm vergleichbar. Das Tötungsunrecht wird vielmehr durch die Beratung sowie durch die weiteren Voraussetzungen des § 218 a Abs. 1 - nicht berührt. Es wird in identischer Weise verwirklicht, unabhängig davon, ob die Beratung stattgefunden hat oder nicht. Dieses Unrecht wird aber in der Konsequenz der Fristenlösung vom Gesetzgeber nicht als strafbar angesehen. Das in der Verweigerung der Beratung liegende Unrecht wird davon nicht berührt. Es ist ein qualitativ anderes. - Daher kann in der Beratung und der Erteilung des Beratungsscheins auch keine Unterstützung von Tötungsunrecht liegen. Sie stellen den Versuch dar, die an Stelle des strafrechtlichen Lebensschutzes gesetzte Chance des Lebensschutzes durch Beratung zu verwirklichen. 18

b) Die Tathandlung 34 § 218 Abs. 1 S. 1 erfaßt sowohl den Abbruch der Schwangerschaft durch einen Dritten (Fremdabtreibung) als auch den gemäß § 218 Abs. 3 und § 218 a Abs. 4 privilegierten Abbruch der Schwangerschaft durch die Schwangere selbst.

Dazu weiter OTTO Jura 1996 S. 138.

58

Abbruch der Schwangerschaft aa) Die Kennzeichnung der Tathandlung als "Abbruch der Schwangerschaft" ist zwar kon- 35 sequent, wenn vorausgesetzt wird, daß es hier nicht mehr allein um den Schutz des ungeborenen Lebens geht. 19 Sachlich ist die Bezeichnung aber dazu angetan, Mißverständnisse zu begünstigen, denn nach wie vor ist die relevante Tathandlung das Abtöten der Leibesfrucht während der Schwangerschaft. 20 Ob der Tod schon im Mutterleib eintritt oder ob die Frucht zunächst lebend abgeht und erst danach - sei es auch schon als lebendes Kind aufgrund des Eingriffs stirbt, ist irrelevant. - Nicht tatbestandsmäßig ist hingegen der Schwangerschaftsabbruch, wenn der Eintritt der Geburt durch wehenfördemde Mittel beschleunigt oder durch ärztlichen Eingriff die Geburt eines lebensfähigen Kindes angestrebt wird, auch wenn der Eingriff mißlingt und das Kind tot zur Welt kommt. 21 In diesen Fällen fehlt es an der Zielsetzung der Abtötung der Leibesfrucht. 22 bb) Das Zulassen des Abbruchs durch die Schwangere ist - aufgrund des Ermöglichens der 36 Tat, das positives Tun voraussetzt - im Regelfall arbeitsteiliges Anstreben des Erfolges und daher als (mit)täterschaftlicher Abbruch der Schwangerschaft erfaßbar. 23 cc) In Ausnahmefällen kann der Schwangerschaftsabbruch auch durch das Unterlassen 37 eines Garanten begangen werden. Als Garant kommt auch der Erzeuger in Betracht. Dabei ist aber wiederum die Wertentscheidung des Gesetzgebers für die Fristenlösung zu beachten. Zu Handlungen gegen den Willen der Schwangeren ist er nicht verpflichtet. Er ist insoweit nicht Vormund der Schwangeren. Ihr hat der Gesetzgeber die maßgebliche Entscheidungs- und Einflußposition eingeräumt. Daher ist eine Verpflichtung des Garanten zu zwangsweisen Maßnahmen gegen die Schwangere, um den Abbruch der Schwangerschaft zu verhindern, abzulehnen. Seine Schutz- und Fürsorgepflicht kommt daher in erster Linie bei der Abwehr Dritter und im Falle einer nicht freiverantwortlichen Entscheidung der Schwangeren zur Entfaltung. c) Vorsatz Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich auf die Tötung einer Leibesfrucht

richten.

38

d) Die Rechtfertigung Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe werden durch § 218 a Abs. 2, 3 - dazu sogleich 39 unter Rdn. 45 ff -nicht ausgeschlossen. - Die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch der Schwangerschaft hat allerdings keine rechtfertigende Wirkung. Dies folgt aus der Tatsache, daß die Tat der Schwangeren selbst, trotz ihrer Einwilligung - soweit nicht weitere Voraussetzungen vorliegen - unter Strafe gestellt ist. - Anwendbar aber ist § 34 auch in Fällen des Abbruchs der Schwangerschaft. Der Regelung des § 218 a Abs. 2 ist jedoch zu entnehmen, daß der Gesetzgeber dem Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt Vorzug einräumt, so daß die Fälle "einer nicht anders abwendbaren Gefahr" selten sein dürften. ly

Kritisch daher zu diesem das geschützte Rechtsgut kaschierenden Begriff LACKNER NJW 1976 S. 1235; SCHROEDER J u S 1 9 9 1 S . 3 6 3 ; T R Ö N D L E S p e n d e l - F S , 1 9 9 2 S . 6 2 4 .

20

Dazu BGHSt 31 S. 348 mit Anm. ARZT FamRZ 1983 S. 1019 f, HIRSCH JR 1985 S. 336 ff, LÜTTGER NStZ 1983 S. 481 ff.

2 1

V g l . L A C K N E R N J W 1 9 7 6 S . 1 2 3 5 ; LÜTTGER J R 1 9 7 1 S . 1 3 3 f f .

22

Vgl. BT-Drucks. VI/3434, S. 13.

23

Vgl. BVerfG 88 S. 256; BÜCHNER ZRP 1991 S. 433; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 218 Rdn. 16; LACKNER/KÜHL § 2 1 8 R d n . 7; LENNARTZ M e d R

1 9 9 3 S . 1 7 9 f f ; DERS. J U S 1 9 9 4 S . 9 0 3 ; O T T O J u r a

1996 S. 140; SCH/SCH/ESER § 218 Rdn. 31; UNBERATH Jb. F. Recht und Ethik 1995 S. 437 ff. - A.A. B E R N S M A N N J U S 1 9 9 4 S . 9 ; v . RENESSE Z R P 1 9 9 1 S . 3 2 2 .

59

§ 13

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

e) Der Versuch 40 Der Versuch ist nur für den Dritten, nicht für die Schwangere strafbar. § 218 Abs. 4 S. 2 gewährt ihr einen persönlichen Strafausschließungsgrund. f) Die Privilegierung der Schwangeren 41 Gemäß § 218 Abs. 3 ist die Strafe in der Person der Schwangeren gemildert. Der Gesetzgeber trägt damit ihrer persönlichen Konfliktsituation Rechnung. - Volle Straffreiheit erlangt die Schwangere gemäß § 218 a Abs. 4 S. 1, wenn sie den Schwangerschaftsabbruch nach vorheriger Beratung innerhalb von 22 Wochen seit der Empfängnis von einem Arzt durchführen läßt. - Auch in weiteren Fällen ermöglicht aber § 218 a Abs. 4 S. 2 dem Gericht ein Absehen von Strafe, "wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat"; dazu weiter unter Rdn. 53 ff. 3. Besonders schwere Fälle des Schwangerschaftsabbruchs, § 218 Abs. 2 42 In besonders schweren Fällen des Schwangerschaftsabbruchs droht § 218 Abs. 2 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren an. Diese Strafdrohung gilt aber nur gegenüber dem Fremdtäter, nicht gegenüber der Schwangeren, wie sich aus § 218 Abs. 3 und seiner Stellung im Gesetz nach Abs. 2 ergibt. a) Handlungen gegen den Willen der Schwangeren 43 Beim Handeln gegen den Willen der Schwangeren, Abs. 2 Nr. 1, wird ein formales Willensbruchsdelikt erfaßt. Es setzt ein Handeln gegen den ausdrücklich oder schlüssig erklärten Willen der Schwangeren voraus. Ein Handeln gegen den mutmaßlichen Willen der Schwangeren genügt, wenn ihr Wille durch Gewalt - Narkose, Drogen - ausgeschaltet wird. 24 - Eine bloße Täuschung, die zur Einwilligung der Schwangeren führt, begründet hingegen kein Handeln gegen den Willen der Schwangeren. 25 b) Gefährdung der Schwangeren 44 Erforderlich ist die zumindest leichtfertige Begründung der konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, d.h. eines langwierigen, qualvollen oder die Leistungsfähigkeit schwer beeinträchtigenden physischen oder psychischen Krankheitszus t a n d e s . - Die Einwilligung der Schwangeren ist irrelevant.27

III. Der gerechtfertigte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 2, 3 1. Die allgemeinen Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2, 3 45 Der nicht rechtswidrige Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a Abs. 2, 3 setzt in jedem Fall die Vornahme des Eingriffs durch einen Arzt sowie die Einwilligung der Schwangeren voraus. - Sodann ist zu unterscheiden: 2. Der medizinisch-sozial indizierte Schwangerschaftsabbruch,

§ 218 a Abs. 2

a) Medizinische und medizinisch-soziale Indikation 46 Entgegen der entsprechenden Regelung des § 218 a Abs. 2 StGB in der Fassung des 2 4

S C H / S C H / E S E R § 2 1 8 R d n . 5 8 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 1 8 R d n . 1 5 .

25

A.A. RUDOLPHI SK II, § 218 Rdn. 30.

2 6

V g l . B T - D r u c k s . V I / 3 4 3 4 S. 13; LACKNER/KÜHL § 2 1 8 R d n . 2 0 .

2 7

V g l . A R Z T / W E B E R L H 1, R d n . 3 7 1 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 1 8 R d n . 2 0 .

60

Abbruch der Schwangerschaft Schwangeren- und FamilienhilfeG v. 27.7.1992 knüpft § 218 a Abs. 2 nicht mehr an eine rein medizinische Indikation, sondern an eine medizinisch-soziale Indikation an, da bei der Feststellung einer Lebens- oder Gesundheitsgefahr die "gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren" zu berücksichtigen sind. 28 Essential der medizinischen Indikation war es, daß die Tötung des Kindes nicht das Ziel der Handlung war. Es ging darum, die durch die Schwangerschaft für das Leben oder die Gesundheit der Mutter begründeten Gefahren durch Abbruch der Schwangerschaft zu beseitigen, was allerdings im Regelfall auch zum Tod des Kindes führte. Bei der embryopathischen, kriminologischen und sozialen Indikation geht es hingegen nicht darum, die Mutter von der Last der Schwangerschaft, sondern von der Last des Kindes zu befreien. Ziel der Handlung ist daher der Tod des ungeborenen Kindes, Mittel der Realisierung dieses Ziels der Schwangerschaftsabbruch. 29 Damit wird auch die sog. embryopathische Indikation: Dringende Gründe sprechen für 47 die Annahme, daß das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwer wiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, von der medizinisch-sozialen Indikation umfaßt. Verzichtet wurde vom Gesetzgeber auf die Ausformulierung dieses „Rechtfertigungsgrundes", nicht aber auf seine Anerkennung. 30 b) Die weiteren Voraussetzungen der medizinisch-sozialen Indikation Angezeigt ist der Schwangerschaftsabbruch, wenn er nach ärztlicher Erkenntnis, d.h. nach 48 den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den Erfahrungen der ärztlichen Praxis das geeignete und angemessene Mittel ist, um eine konkrete Gefahr für das Leben oder die konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden. - Als Lebensgefahr kommt auch die Suizidgefahr in Betracht. Die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes liegt vor bei der Verursachung oder Steigerung einer Krankheit sowie bei einer aufgrund einer Gesamtwürdigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse zu prognostizierenden signifikanten Verschlechterung der körperlichen und seelischen Verfassung der Schwangeren. - Das Erfordernis der schwerwiegenden Beeinträchtigung soll sicherstellen, daß nicht Belastungen als relevant beurteilt werden, die normalerweise mit einer Schwangerschaft verbunden sind oder deren Hinnahme unter Beachtung des Lebensinteresses des Ungeborenen keine Überforderung der Schwangeren bedeutet. - Aber auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist der Schwangerschaftsabbruch nur gerechtfertigt, wenn die Gefahr nicht auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. 3. Der kriminologisch indizierte Schwangerschaftsabbruch, §218 aAbs. 3 Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund kriminologischer Indikation ist bis zum Ende der 49 12. Woche nach der Empfängnis zulässig. Vorausgesetzt wird eine rechtswidrige - nicht notwendig schuldhafte - Tat gemäß §§ 176 - 179, auf der die Schwangerschaft beruht. 2 8

V g l . a u c h B G H S t 3 8 S . 1 5 7 ; B E C K M A N N Z f L 1 9 9 5 S . 2 8 f f ; E S E R J Z 1 9 9 4 S . 5 1 0 ; JÄHNKE L K ,

10.

A u f l . , § 2 1 8 a R d n . 3 5 ; OTTO J u r a 1 9 9 6 S. 141; TRÖNDLE N J W 1 9 9 5 S. 3 0 1 5 . 29

Vgl. dazu auch HEPP Der Gynäkologe 1996 S. 408; TRÖNDLE NJW 1995 S. 3015.

30

Vgl. dazu einerseits BT-Drucks. 13/1850, S. 25 f, andererseits BECKMANN Z f L 1995 S. 27 f; HELMKE Z R P 1995 S. 441 f; LACKNER/KÜHL Vor § 218 Rdn. 22; OTTO Jura 1996 S. 141 f; TRÖNDLE StGB, § 218 a Rdn. 9 a.

61

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Dringende Gründe für die Annahme, daß die Schwangerschaft auf der Tat beruht, liegen vor, wenn konkrete Indizien dafür sprechen, daß die Schwangerschaft aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Grund in der Tat nach §§ 176 - 179 hat.

IV. Strafausschluß und Absehen von Strafe, § 218 a Abs. 4 50 Die Regelung des § 218 a Abs. 4 setzt einen tatbestandsmäßigen rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch voraus. 7. Persönlicher Strafausschluß, § 218 a Abs. 4 S. 1 51 § 218 a Abs. 4 S. 1 gibt der Schwangeren einen persönlichen Strafausschließungsgrund, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach einer Beratung im Sinne des § 219 bis zur zweiundzwanzigsten Woche nach der Empfängnis von einem Arzt vorgenommen wird. - Die Rechtswidrigkeit der Tat und die Strafbarkeit anderer Beteiligter bleiben daher unberührt. 52 Ob der Schwangerschaftsabbruch im Inland oder im Ausland ausgeführt wird, ist gleichgültig. Irrelevant ist auch, ob eine Bescheinigung über die Beratung ausgegeben wurde. 2. Absehen von Strafe, § 218 a Abs. 4 S. 2 53 In der dem § 218 a Abs. 4 S. 2 entsprechenden Regelung des § 218 Abs. 3 S. 3 StGB in der Fassung bis zum Inkrafttreten des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes war klargestellt, daß die Möglichkeit eines Absehens von Strafe nur für die Schwangere selbst begründet war: "Das Gericht kann von einer Bestrafung der Schwangeren ... absehen, wenn ...". - Diese Begrenzung hat der Gesetzgeber nunmehr aufgegeben. Auch wenn es daher zutrifft, daß "die Vergünstigung nach historischer und teleologischer Auslegung offensichtlich nur die Schwangere, nicht die übrigen an der Tat Beteiligten" betrifft, 31 so ist diese Begrenzung mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht mehr in Einklang zu bringen. 54 Da auch § 218 a Abs. 4 S. 2 einen rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch voraussetzt, erfordert er eine Bedrängnis, die einerseits noch keine Rechtfertigung für den Abbruch nach § 218 a Abs. 2 bietet, wohl aber durch deutlich schwerere Belastungen begründet ist, als sie üblicherweise mit einer Schwangerschaft verbunden sind.

V. Flankierende Maßnahmen zum Schutz ungeborener Kinder 1. Gewährleistung der Indikationsfeststellung, § 218 b 55 Abs. 1 S. 1 stellt - subsidiär gegenüber § 218 - den Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2 und 3 unter Strafe, wenn er ohne ordnungsgemäße Feststellung dieser Voraussetzungen vorgenommen wird. - Abs. 1 S. 2 erfaßt die unrichtige ärztliche Feststellung, wenn sie wider besseres Wissen erfolgt. 56 Abs. 2 S. 1 bestimmt, daß ein Arzt nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen bestimmter Delikte von den nach § 218 a Abs. 2 oder 3 nötigen Feststellungen ausgeschlossen ist, wenn ihm die zuständige Stelle dies untersagt hat. - Abs. 2 S. 2 ermöglicht unter den dort genannten Voraussetzungen eine vorläufige Untersagung der Feststellungen. 57 Die Schwangere ist nicht strafbar nach Abs. 1 S. 1 oder 2; vgl. Abs. 1 S. 3.

3 1

V g l . dazu LACKNER/KÜHL § 2 1 8 a Rdn. 2 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 8 a Rdn. 7 7 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 1 8 a Rdn. 77.

62

Abbruch der Schwangerschaft 2. Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch, § 218 c § 218 c Abs. 1 stellt klar, daß der den Eingriff vornehmende Arzt eigenverantwortlich über 58 den Schwangerschaftsabbruch entscheidet und sich daher über das Vorliegen seiner Voraussetzungen vergewissern und seiner ärztlichen Aufklärungspflicht nachkommen muß. 32 Die Schwangere ist nicht strafbar nach § 218 c Abs. 1; vgl. Abs. 2. 59 3. Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage, § 219 §219 gibt die Grundlagen der Beratung der Schwangeren nach den Vorgaben des Bundes- 60 Verfassungsgerichts wieder. Ausdrücklich betont § 219 Abs. 1 S. 1, daß die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dient. - Unproblematisch ist diese Regelung nicht, denn § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, der die Einzelheiten der Beratung regelt, läßt eine entsprechend klare Zielorientierung vermissen, 33 und § 7 Abs. 3 dieses Gesetzes eröffnet entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts34 die Möglichkeit der Erteilung des Beratungsscheins, auch wenn die Schwangere eine Konfliktberatung unmöglich macht, weil sie sich weigert, die Gründe für den Schwangerschaftsabbruch mitzuteilen.^ 4. Strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs, §§ 219 a, 219 b Als abstrakte Gefährdungsdelikte stellen § 219 a die Werbung für den Abbruch der 61 Schwangerschaft und § 219 b das In-Verkehr-Bringen von Mitteln zum illegalen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. 5. Mitverursachung des Schwangerschaftsabbruchs Aus der Erkenntnis heraus, daß das ungeborene Leben auch vor Gefahren zu schützen ist, 62 die von Dritten ausgehen, hatte das Bundesverfassungsgericht für Personen des familiären Umfeldes strafbewehrte Verhaltensgebote und -verböte für unerläßlich erachtet. 36 a) Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 Abs. 2 Gemäß § 170 werden Personen bestraft, die zum einen der Schwangeren gesetzlich zum 63 Unterhalt verpflichtet sind, ihr diesen Unterhalt aber vorenthalten und dadurch den Schwangerschaftsabbruch bewirken. Schon diese Situation dürfte in einem sozialen Rechtsstaat kaum relevant werden, denn Ausgleich für den materiellen Unterhalt in der hier beschriebenen Situation dürfte gewährleistet sein. Zum anderen aber muß über diese Voraussetzung hinaus der Unterhalt "in verwerflicher Weise" vorenthalten werden, so daß die Weigerung, den Unterhalt zu zahlen, allein nicht ausreicht. Das Verhalten muß über die Verweigerung hinaus noch in besonderer Weise sozial-ethisch negativ zu beurteilen sein. - Damit ist dem Tatbestand von vornherein jede Bedeutung als Mittel effektiven Le-

i l

Der Gesetzgeber ist hier den Forderungen des BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS, BVerfGE 88 S. 293, nicht hinreichend nachgekommen; vgl. auch BECKMANN ZfL 1995 S. 25 f; OTTO Jura 1996 S. 143; TRÖNDLE N J W 1 9 9 5 S . 3 0 1 6 .

33

Dazu eingehender OTTO Jura 1996 S. 143.

34

BVerfGE 88 S. 210, 268, 284 f, 307.

35

Vgl. dazu auch LACKNER/KÜHL § 219 Rdn. 4; OTTO Jura 1996 S. 144.

36

BVerfGE 88 S. 298.

63

§ 13

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

bensschutzes genommen. 3 7 b) Der besonders schwere Fall der Nötigung, § 240 Abs. 4 Nr. 2 64 Die Ergänzung des Nötigungstatbestandes kann nur als Klarstellung interpretiert werden, denn auch nach bisher geltendem Recht dürfte die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schwerer Fall beurteilt worden sein. Praktische Bedeutung hat diese Beurteilung jedoch nicht gehabt.

VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 1. Grundlagen der

Argumentation

65 Da das ungeborene Leben unabhängig von Körper und Leben der Schwangeren angegriffen werden kann, ist es rechtlich als selbständiges Rechtsgut anzuerkennen. Sein notwendiger Schutz erfordert diese Anerkennung. Fraglich erscheint aber, ob die Anerkennung als selbständiges Rechtsgut zwingend einen durchgehenden selbständigen Rechtsschutz erfordert, oder ob die mit der Anerkennung als selbständiges Rechtsgut verbundene Trennung von den Rechtsgütern der Schwangeren nicht in Grenzbereichen zu sachwidrigen Entscheidungen führt. Die Betonung der rechtlichen Selbständigkeit kann nämlich nicht darüber hinwegführen, daß Schwangere und ungeborenes Kind bis zur Geburt eine natürliche Einheit bilden. 38 66 Der differenzierte Schutz des Rechtsgutes ist sachgerecht und notwendig in den Fällen, in denen sich der Angriff gegen das ungeborene Kind richtet und der Körper der Schwangeren über das zur Tötung des ungeborenen Kindes notwendige Maß hinaus nicht verletzt werden soll. - Richtet sich der Angriff hingegen gegen die von Mutter und Kind gebildete natürliche Einheit, so ist die auch hier von der h.M. konsequente Differenzierung der Rechtsgüter nicht überzeugend. Sachgerechter erscheint es, durch restriktive Interpretation des Anwendungsbereichs der §§ 218 ff diese auf die Fälle des vorsätzlichen Angriffs auf den Embryo, der die Schwangere gerade nicht über dessen Abtötung hinaus beeinträchtigen soll, zu begrenzen. 67 Wird hingegen die Trennung grundsätzlich akzeptiert, so wird einerseits der Strafrechtsschutz überhöht, indem Angriffe gegen das Leben einer Schwangeren auch als Abtreibung des Embryos erfaßt werden, zum anderen jedoch nivelliert, weil fahrlässige Verletzungen des Embryos strafrechtlich nicht erfaßbar sind: Der Schutz der §§ 218 ff setzt einen vorsätzlichen Angriff voraus, der Schutz der §§ 223 ff, 211 ff beginnt erst mit der Geburt. Damit sind Einwirkungen auf den Embryo vor der Geburt mit Wirkungen nach der Geburt strafrechtlich nicht erfaßt. 3 9 2. Zur 68

Verdeutlichung

a) BGHSt 11 S. 15: Der A fuhr mit seinem Kraftwagen von rückwärts seine auf dem Rad fahrende, nichts ahnende schwangere Ehefrau mit voller Wucht an, so daß sie durch die Luft geschleudert wurde und 12 m vom Ort des Anpralls entfernt liegenblieb. Sie erlitt schwere Verletzungen. Ihre Leibesfrucht wurde nicht abgetötet. BGH: A ist wegen versuchten Mordes in Idealkonkurrenz mit versuchter Abtreibung zu bestrafen.

37

Vgl. auch GÜNTHER SK II, § 170 b Rdn. 10; SCHITTENHELM NStZ 1997 S. 169 ff.

38

BVerfGE 88 S. 253: "Zweiheit in Einheit".

39

Vgl. hierzu oben § 2, Rdn. 8 ff.

64

Abbruch der Schwangerschaft Nach der hier vertretenen Auffassung käme nur eine Bestrafung wegen versuchten Mordes in Betracht. b) Die im 7. Monat schwangere S begeht einen Selbstmordversuch mit Gift. - Als sie besinnungslos ist, wird sie entdeckt. Sofort eingeleitete ärztliche Maßnahmen führen zur Rettung ihres Lebens, der Embryo ist jedoch nicht mehr zu retten. Ergebnis: Nach der hier vertretenen Konzeption bleibt die S straffrei. - Die h.M. muß die S wegen Abtreibung bestrafen, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 218 a Abs. 4 S. 2.40 c) BGHSt 28 S. 11 mit Anm. WAGNER JR 1979 S. 295 f: A führte Abtreibungshandlungen durch, indem er Seifenlösungen in die Gebärmutter Schwangerer spritzte. (1) Die U erlitt daraufhin erhebliche Schmerzen und eine Fehlgeburt. (2) Die S erlitt erhebliche Schmerzen, die Abtreibung jedoch führte nicht zu dem gewünschten Erfolg. (3) Die Z stieß aufgrund der Tätigkeit des A einen toten Fetus ab und verstarb selbst. BGH: Fall U: § 218 Abs. 1 verdrängt §§ 223, 223 a. F. Fall S: §§ 218 Abs. 1, 23, 223 a. F., 52. Fall Z: §§ 218 Abs. 1, 226 a.F., 52. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dem BGH in vollem Umfang zuzustimmen. Die mit der Abtreibung im Regelfall verbundene Körperverletzung gegenüber der Schwangeren wird durch § 218 Abs. 1 konsumiert (Fall U). Kommt es bei der Abtreibung jedoch zu Verletzungen im Sinne der §§ 226, 227 so behalten diese ihre Selbständigkeit (Fall Z). Gelangt die Abtreibung aber nur bis zu dem Versuchsstadium, so erhält auch die vollendete Körperverletzung im Sinne des § 224 ihre eigenständige Bedeutung bei (Fall S), denn sie wird nicht schon bei einer versuchten Abtreibung im Regelfall als vollendete Körperverletzung verwirklicht. d) BVerfG NJW 1988 S. 2945: Durch eine fehlerhafte Diagnose bewirkte der Arzt A, daß das noch ungeborene Kind im Mutterleib verstarb. BVerfG: Fahrlässige pränatale Einwirkungen mit tödlichen Folgen sind strafrechtlich nicht erfaßt. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre der Sachverhalt als fahrlässige Körperverletzung der Schwangeren strafrechtlich zu erfassen gewesen. 4 ^

4 0

Z u r h . M . v g l . JÄHNKE L K , 10. A u f l . , § 2 1 8 R d n . 9 ; ROXIN J A 1 9 8 1 S . 5 4 3 ; RUDOLPHI S K I I , § 2 1 8 R d n . 14; S C H / S C H / E S E R § 2 1 8 R d n . 2 6 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 1 8 R d n . 5 . - D a g e g e n :

BOCKELMANN

B . T . / 2 , § 2 1 2 b ; JESCHECK J Z 1 9 5 8 S. 7 4 9 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 3 / 1 5 . 4 1

Vgl. O L G B a m b e r g N J W

1 9 8 8 S . 2 9 6 3 ; EBERBACH J R 1 9 8 9 S . 2 6 7 ; OSTENDORF J Z 1 9 8 4 S . 5 9 7 f ;

RENGIER B . T . I I , § 3 R d n . 4 f .

Zur Körperverletzung gegenüber der Schwangeren bei Tötung der Leibesfrucht auch: ARZT FamRZ 1 9 8 3 S. 1 0 2 0 .

65

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Dritter Abschnitt Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit § 14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte 1. Das geschützte Rechtsgut 1

Geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Die Tat richtet sich gegen einen anderen lebenden Menschen, dazu oben § 2, Rdn. 1.

2

Da der Körper als funktionale Einheit geschützt ist, fallen vom lebenden Körper abgetrennte natürliche Teile vom Zeitpunkt der Trennung an nicht mehr unter den rechtlichen Schutz des Körpers, auch dann nicht, wenn diese Teile (z.B. zur Befruchtung entnommene Eizelle, Eigenblutspende) wieder in den Körper eingegliedert werden sollen. 1 Jedoch kann die Schädigung solcher Teile dann als Körperverletzung erfaßt werden, wenn der Körper nach ihrer Wiedereingliederung negativ beeinträchtigt ist.^

II. Die Systematik des Gesetzes 3

1. Der Grundtatbestand der Körperverletzungsdelikte ist § 223 Abs. 1. Qualifikationen sind §§ 224, 225 (soweit er Körperverletzungen betrifft), 340 Abs. 1, Abs. 2 in Verb, mit §§ 224, 225. - Erfolgsqualifizierte Körperverletzungsdelikte sind beschrieben in den §§ 226, 227, 340 Abs. 2 in Verb, mit § 226 und § 227. 2. Fahrlässige Körperverletzung: § 229. 3. Die Beteiligung an einer Schlägerei, § 231, ist weniger Körperverletzungsdelikt als ein "Massendelikt", das dem Schutz der Allgemeinheit vor Körperverletzungen dient. 4. § 225 ist gegenüber den Körperverletzungsdelikten als Sonderdelikt anzusehen, soweit er seelische Qualen betrifft; dazu unter § 20 Rdn. 2.

§ 15: Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 1 2

1. Körperliche Mißhandlung und Gesundheitsbeschädigung Der Tatbestand des § 223 enthält zwei Alternativen: Die körperliche Mißhandlung und die Gesundheitsschädigung. a) Körperliche Mißhandlung ist die "üble unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperlichen Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt wird". 3 Die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit braucht nicht not-

A.A. BGHZ 124 S. 52; dazu LAUFS/REILING NJW 1994 S. 775 f; OTTO Jura 1996 S. 219 f; TAUPITZ NJW 1995 S. 746 ff; TRÖNDLE StGB, § 223 Rdn. 1. Vgl. dazu OTTO Jura 1996 S. 220. Dazu BGHSt 14 S. 269; HIRSCH LK, 10. Aufl., § 223 Rdn. 6; KREY B.T.l, Rdn. 189; LACKNER/KÜHL § 2 2 3 R d n . 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 3; TRÖNDLE S t G B , § 2 2 3 R d n . 3. - HORN - S K II, § 2 2 3 R d n . 8

- will auch unerhebliche Einwirkungen auf den Körper, sofern sie von einer üblen unangemessenen Gesinnung charakterisiert sind, hierher zählen. Damit wird jedoch die Grenze zur Beleidigung verwischt; dazu auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 4.

66

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Dritter Abschnitt Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit § 14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte 1. Das geschützte Rechtsgut 1

Geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Die Tat richtet sich gegen einen anderen lebenden Menschen, dazu oben § 2, Rdn. 1.

2

Da der Körper als funktionale Einheit geschützt ist, fallen vom lebenden Körper abgetrennte natürliche Teile vom Zeitpunkt der Trennung an nicht mehr unter den rechtlichen Schutz des Körpers, auch dann nicht, wenn diese Teile (z.B. zur Befruchtung entnommene Eizelle, Eigenblutspende) wieder in den Körper eingegliedert werden sollen. 1 Jedoch kann die Schädigung solcher Teile dann als Körperverletzung erfaßt werden, wenn der Körper nach ihrer Wiedereingliederung negativ beeinträchtigt ist.^

II. Die Systematik des Gesetzes 3

1. Der Grundtatbestand der Körperverletzungsdelikte ist § 223 Abs. 1. Qualifikationen sind §§ 224, 225 (soweit er Körperverletzungen betrifft), 340 Abs. 1, Abs. 2 in Verb, mit §§ 224, 225. - Erfolgsqualifizierte Körperverletzungsdelikte sind beschrieben in den §§ 226, 227, 340 Abs. 2 in Verb, mit § 226 und § 227. 2. Fahrlässige Körperverletzung: § 229. 3. Die Beteiligung an einer Schlägerei, § 231, ist weniger Körperverletzungsdelikt als ein "Massendelikt", das dem Schutz der Allgemeinheit vor Körperverletzungen dient. 4. § 225 ist gegenüber den Körperverletzungsdelikten als Sonderdelikt anzusehen, soweit er seelische Qualen betrifft; dazu unter § 20 Rdn. 2.

§ 15: Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 1 2

1. Körperliche Mißhandlung und Gesundheitsbeschädigung Der Tatbestand des § 223 enthält zwei Alternativen: Die körperliche Mißhandlung und die Gesundheitsschädigung. a) Körperliche Mißhandlung ist die "üble unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperlichen Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt wird". 3 Die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit braucht nicht not-

A.A. BGHZ 124 S. 52; dazu LAUFS/REILING NJW 1994 S. 775 f; OTTO Jura 1996 S. 219 f; TAUPITZ NJW 1995 S. 746 ff; TRÖNDLE StGB, § 223 Rdn. 1. Vgl. dazu OTTO Jura 1996 S. 220. Dazu BGHSt 14 S. 269; HIRSCH LK, 10. Aufl., § 223 Rdn. 6; KREY B.T.l, Rdn. 189; LACKNER/KÜHL § 2 2 3 R d n . 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 3; TRÖNDLE S t G B , § 2 2 3 R d n . 3. - HORN - S K II, § 2 2 3 R d n . 8

- will auch unerhebliche Einwirkungen auf den Körper, sofern sie von einer üblen unangemessenen Gesinnung charakterisiert sind, hierher zählen. Damit wird jedoch die Grenze zur Beleidigung verwischt; dazu auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 4.

66

Die Körperverletzung

wendig - z.B. bei schmerzunempfindlichen oder vermindert schmerzempfindlichen Personen - mit beträchtlichen Schmerzen verbunden zu sein. Beispiele: Abscheren des Bartes (a.A. RGSt 29 S. 58), Abschneiden der Haare (BGH NJW 1953 S. 1440), Schläge gegen den Kopf einer Person, die aufgrund einer Geisteskrankheit kein Schmerzempfinden zeigt (RGSt 19 S. 136), Ohrfeige (BGH bei Dallinger, MDR 1973 S. 901), schweren Ekel erregendes Anspeien', Behandlung mit Röntgen- oder Gammastrahlen (BGH NJW 1998 S. 833; BGH StV 1998 S. 199).

aa) Eine übermäßige Schmerzempfindung (Hyperästhesie) ist bei der Beurteilung der Erheblichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen.5 - Damit wird der Strafrechtsschutz nicht zu Lasten des Täters ausgedehnt: Kennt der Täter die Hyperästhesie des Opfers nicht, so fehlt es ihm am Vorsatz. Ist sie ihm jedoch bekannt und baut er gerade auf ihr seinen verbrecherischen Plan auf, so trifft die Strafe ihn mit Recht. bb) Seelische Beeinträchtigungen sind nur dann als körperliche Mißhandlung anzusehen, wenn sie sich körperlich auswirken. b) Gesundheitsschädigung ist das Herbeiführen oder die Steigerung eines nicht unerheblichen anormalen körperlichen Zustandes, unabhängig von dessen Dauer. Die Anstekkung eines anderen mit einer Krankheit, zum Beispiel die Infizierung mit Aids, ist daher tatbestandsmäßig, weil der körperliche Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändert wird. 6 Bloße Störungen des seelischen Wohlbefindens, die keine Verschlechterung des körperlichen Zustandes zur Folge haben und keinen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand begründen, reichen nicht aus.7

3

4 5

Beispiele: Erregung von Trunkenheit (BGH NJW 1983 S. 462) oder sonstigen Rauschzuständen (BGH NJW 1970 S. 519), nervliche Zerrüttung durch lautstarkes Anfahren von Lastwagen zur Nachtzeit in Wohngegend (LG Kreuznach BB 1957 S. 93), wiederholte nächtliche Störanrufe (LG Hamburg MDR 1954 S. 630), schwerer Schock (OLG Koblenz VRS 42 S. 29), Hervorrufen oder Aufrechterhalten einer Sucht**.

2. Der ärztliche

Heileingriff

BGHSt 11 S. 111: A, der Chefarzt eines Krankenhauses, nahm bei der N eine Operation vor, mit der eine Gebärmuttergeschwulst entfernt werden sollte. Während der Operation ergab sich, daß die Geschwulst nicht auf der Gebärmutter saß, sondern mit ihr fest verwachsen war. Weil sie nicht anders als durch gleichzeitige Ausräumung der Gebärmutter beseitigt werden konnte, entfernte A den ganzen Gebärmutterkörper.

6

Die Frage, ob der ärztliche Heileingriff eine körperliche Mißhandlung darstellt, ist streitig. a) Die Rechtsprechung geht davon aus, daß der ärztliche Heileingriff stets eine körperliche Mißhandlung darstellt. - Allerdings kann die Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Einwilligung ausgeschlossen sein. 9

7

b) In der Lehre wird z.T. die Ansicht vertreten, ein lege artis durchgeführter Heileingriff

8

4

RG GA

5 8 ( 1 9 1 1 ) S. 184; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 4. - A . A .

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.l, § 9 Rdn. 4. 5

Wie hier SCH/SCH/ESER § 223 Rdn. 4 a. - A.A. HIRSCH LK, 10. Aufl., § 223 Rdn. 7.

6

Vgl. dazu BGHSt 36 S. 1, 6 f m.e.N; BGH NJW 1990 S. 129. - A.A. AG Kempten NJW 1988 S. 2313; PRITTWITZ S t V 1 9 8 9 S . 1 2 6 f .

7

Vgl. BGH NStZ 1997 S. 123; BGH StV 1998 S. 76; OLG Hamm MDR 1958 S. 939; HORN SK II, § 2 2 3 R d n . 2 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 2 3 R d n . 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 2 3 R d n . 6; - A . A . KREY B . T . l , R d n . 195; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 6; WELZEL L b . , § 3 9 1 1 b.

8

OLG Frankfurt NStZ 1991 S. 235; BayObLG StV 1993 S. 642; BayObLG StV 1995 S. 589.

9

BGHSt 11 S. 111; 16 S. 309; OLG Hamm MDR 1963 S. 520; OLG Hamburg NJW 1975 S. 603; zustimmend; WEBER in; Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 320; BAUMANN NJW 1958 S. 2093; KREY B.T.l, R d n . 2 1 9 ; RENGIER B . T . I I , § 13 R d n . 1 7 ; S C H W A L M B o c k e l m a n n - F S , S . 5 4 0 .

67

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

sei niemals eine Körperverletzung: der zu Heilzwecken vorgenommene Eingriff in die körperliche Integrität sei keine "üble unangemessene Behandlung des Körpers", sondern ein sinnvoller, angemessener Eingriff. 10 9 c) Die heute wohl h.L. will hingegen nur in dem gelungenen, zur Heilung führenden, lege artis durchgeführten Heileingriff keine Körperverletzung sehen.11 10 d) Wieder andere verneinen nur dann eine Körperverletzung, wenn der Eingriff nicht zu einem Substanzverlust oder zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation des Patienten gefühlt hat. 12 11 e) Stellungnahme: Der lege artis vorgenommene, erforderliche Heileingriff führt zu einer Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. Er ist daher keine negative Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und damit auch keine Körperverletzung, selbst wenn es zu einem Substanzverlust kommt. - Der erfolglos gebliebene oder zu einer Verschlechterung führende Eingriff hat hingegen objektiv eine negative Beeinträchtigung der Körperintegrität zur Folge. - Wird "üble unangemessene Behandlung" als körperlich negative unangemessene Behandlung interpretiert und nicht als ein besonderer über die objektive Körperverletzung hinausweisender Handlungsunwert, so muß ein solcher Eingriff als Körperverletzung angesehen werden. Zuzustimmen ist daher der Lehre, die den gelungenen, lege artis durchgeführten Heileingriff nicht als Körperverletzung ansieht. Keine Körperverletzung ist daher nur der gelungene lege artis durchgeführte Heileingriff. 12 f) Der nicht medizinisch indizierte Heileingriff, z.B. eine kosmetische Operation, die nur aus ästhetischen, nicht aber medizinischen Gründen erfolgt, und der nicht lege artis durchgeführte Eingriff sind tatbestandsmäßige Körperverletzungen.13 13 g) Die Tatsache schließlich, daß der Täter die Seele des Opfers über den Eingriff in die körperliche Integrität bessern will - A prügelt den boshaften B durch, um seine Seele zu bessern -, ändert nichts daran, daß es sich hier um eine Körperverletzung handelt.14 3. Der Versuch der Körperverletzung 14 Der Versuch der Körperverletzung ist strafbar, § 223 Abs. 2. II. Zur Rechtswidrigkeit 15 Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen kommen bei den Körperverletzungsdelikten der Einwilligung sowie nach h.M. der "mutmaßlichen Einwilligung" besondere Bedeutung zu. - Problematisch ist dabei insbesondere der Anwendungsbereich der Einwilligung, denn die Einwilligung in die Körperverletzung durch einen anderen ist streng von der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, die zu einer körperlichen Verletzung führt, zu trennen. 16 Die Einwilligung als Verzicht auf Rechtsschutz gegen eine grundsätzlich strafbare 10

D a z u ENGISCH Z S t W 5 8 ( 1 9 3 9 ) S. 5; EB. SCHMIDT 4 4 . D J T - G u t a c h t e n , 1962, 4 . Teil, S. 188 f f ; WELZEL Lb., § 3 9 I 3 a.

11

D a z u BOCKELMANN B.T./2, § 9 III 2 c, bb; GÖSSEL B . T . 1, § 13 R d n . 68; HIRSCH L K , 10. A u f l . , V o r § 2 2 3 R d n . 3 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 8 R d n . 2 9 ; SCHMIDHÄUSER B . T . 1/5.

12

D a z u HARDWIG G A 1965 S. 161 f f ; SCHRÖDER N J W 1961 S. 9 5 1 f f ; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 3 2 ff. W e i t e r d i f f e r e n z i e r e n d : KRAUß B o c k e l m a n n - F S , S. 5 7 4 ff.

13

D a z u MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 8 R d n . 2 9 f.

14

H . M . - A . A . WÜRTENBERGER D R Z 1948 S. 2 9 1 f f .

68

Die Körperverletzung

Rechtsgutsbeeinträchtigung setzt voraus, daß der Täter nicht nur in eine bestimmte gefährliche Handlung einwilligt, sondern auch in ihren Erfolg. Dieses Erfolgs muß er sich mindestens im Sinne des dolus eventualis bewußt sein, denn nur in diesem Fall kann der Rechtsschutzverzicht als Ausdruck der Autonomie des Einzelnen verstanden werden. Die "Einwilligung in eine Gefährdung" hat diesen Sinngehalt nicht. Das Handeln in 17 Kenntnis einer bestimmten Gefahrensituation kann nicht verallgemeinernd als Rechtsschutzverzicht interpretiert werden. Die "Einwilligung" in die eigene Gefährdung bedeutet nicht automatisch den Verzicht auf Rechtsschutz. Hier geht es vielmehr um allgemeine Zurechnungsprobleme, die sich dann stellen, wenn sich mehrere Personen in Kenntnis einer Gefahrenlage dieser Gefahr aussetzen oder bei ihrer Verwirklichung zusammenwirken. Zu erörtern ist, ob in derartigen Fallkonstellationen die Grundsätze einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung eingreifen können, denn diese liegt nicht nur vor, wenn jemand eine bestimmte Gefahr für die eigenen Rechtsgüter kausal begründet, sondern auch dann, wenn sich jemand freiverantwortlich und in voller Kenntnis des Risikos und der Tragweite seiner Entscheidung in eine Gefahrensituation begibt. Wer in dieser Weise eine Gefahr auf sich nimmt, schließt andere von den strafrechtlichen Folgen für die Realisierung der Gefahr aus. 1 5 1. Die

Einwilligung

a) Voraussetzungen 16 aa) Der Einwilligende muß über den Schutz durch das betroffene Rechtsgut verfügen 18 können. bb) Die Einwilligung muß vor der Tat zum Ausdruck gebracht worden sein, cc) Die Einwilligung muß frei, d.h. unbeeinflußt durch Zwang oder Täuschung, und ernstlich erklärt sein. dd) Der Einwilligende muß sich der Tragweite seiner Entscheidung bewußt sein, d.h. Wesen, Bedeutung und Tragweite der gegen ihn gerichteten Tat erkennen - Irrtümer sind beachtlich, soweit der Täter sie kennt oder soweit er zur Aufklärung verpflichtet ist. ee) Subjektives Merkmal: Kenntnis der Einwilligung durch den Täter, ff) Die Tat - Körperverletzung - darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen, § 228 . - Die Sittenwidrigkeit der Tat will die h.M. nach dem Zweck der Beeinträchtigung bestimmen. Richtiger ist es jedoch, die Sittenwidrigkeit der Tat nach der Schwere der tatbestandlichen Verletzung zu beurteilen, da Verletzungen, deren Folgen weder für den Einzelnen und für die Rechtsgesellschaft abzusehen sind, sozialethisch nicht mehr akzeptabel sind. 17 b) Einwilligung in Sportverletzungen Bei der Verletzung von Teilnehmern sportlicher Wettkämpfe erkennt die Praxis die Mög- 19 lichkeit einer Rechtfertigung durch Einwilligung an. BayObLG NJW 1961 S. 2072: Bei einem Fußballverbandsligaspiel stießen der Stürmer A und der Torwart M so stark zusammen, daß der M einen Bruch des linken Schien- und Wadenbeins erlitt. 15

Vgl. dazu eingehender BayObLG JZ 1997 S. 521 mit Anm. Otto S. 522 ff, sowie OTTO Tröndle-FS, S. 175.

16

Eingehender dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 106 ff. - Zur Stellung der Einwilligung im Verbrechensaufbau: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 123 ff.

17

Eingehender dazu OTTO Geerds-FS, S. 618 ff m.N.

69

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen BayObLG: Erfolgt eine Körperverletzung bei einem gegeneinander ausgetragenen Wettkampf, so ist diese durch Einwilligung gerechtfertigt, soweit sie nicht auf grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verstoß gegen die Regeln beruht.' °

20 Der Gedanke der Einwilligung trägt jedoch in diesen Fällen nicht, denn der Teilnehmer an einem Wettkampf will eigene körperliche Verletzungen vermeiden, er will aber keineswegs durch Einwilligung in die Verletzungen einen Rechtsschutzverzicht zum Ausdruck bringen. 19 Begibt sich der Teilnehmer an einem Wettkampf jedoch frei verantwortlich und in Kenntnis der möglichen Folgen seines Verhaltens in eine Gefahrensituation, so liegt insoweit eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, die einen durch das Handeln anderer Teilnehmer begründeten Zurechnungszusammenhang unterbricht. 20 c) Verantwortung für körperliche Schäden durch Dopingmittel 21 Auch wenn ein Sportler sich Dopingmittel verschreiben läßt, kann in diesem Verhalten keine Einwilligung in etwaige Körperverletzungen gesehen werden. Wohl aber liegt auch hier eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, wenn der Sportler die Risiken kennt und dennoch der Verabreichung freiverantwortlich zustimmt. 21 d) Verantwortung für körperliche Schäden durch Trunkenheitsfahrt. 22 Die bewußte Teilnahme an einer Trunkenheitsfahrt entspricht in ihrer rechtlichen blematik den unter b) und c) genannten Situationen.

Pro-

OLG Zweibrücken Blutalkohol 1965/66 S. 388: A und S hatten an einer Betriebsfeier teilgenommen und Alkohol in erheblichen Mengen getrunken. Anschließend fuhr A (1,37 %c Blutalkohol) mit dem Kfz nach Hause. S fuhr mit, obwohl er wußte, daß A getrunken hatte. Es kam zu einem Unfall. S wurde leicht verletzt. OLG Zweibrücken: Ist sich der Mitfahrer der Gefährdung durch die Fahruntüchtigkeit des Fahrers bewußt, so kann im bloßen Mitfahren bereits eine rechtfertigende Einwilligung in die Körperverletzung liegen. Sachgerechter erscheint es auch hier, eine Unterbrechung des von A begründeten Zurechnungszusammenhangs durch eigenverantwortliche Selbstgefährdung anzunehmen, da S bewußt das Risiko, das sich in seiner Verletzung realisierte, auf sich nahm, nicht aber in eine Körperverletzung einwilligte. 22

2. Die sogenannte mutmaßliche

Einwilligung

23 Nach h.M. kann in Fällen einer rechtlich zulässigen, aber tatsächlich fehlenden Einwilligung ein Verhalten durch eine sogenannte mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn eine Einwilligung des Berechtigten nicht zu erlangen ist, aber gemutmaßt werden kann, weil der Rechtsgütereingriff in seinem Interesse erfolgt. Die mutmaßliche Einwilligung soll einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund bilden. 23 24 Die Problematik der mutmaßlichen Einwilligung liegt in der Festsstellung des Interesses des Betroffenen, wenn keine Anhaltspunkte für eine bestimmte Entscheidung des Betroffenen vorliegen. Die sog. mutmaßliche Einwilligung bietet keine eigenständigen Kriterien dafür, wann die Einwilligung gemutmaßt werden darf. Letztlich ist daher in diesen Fällen eine Prüfung der Rechtfertigung nach den Kriterien des § 34 vorzunehmen, indem nach objektiven Maßstäben unter Berücksichtigung besonderer subjektiver Gegebenhei18

Vgl. auch OLG Stuttgart MDR 1972 S. 623; OLG Stuttgart NJW 1992 S. 850.

19

Dazu bereits ESER JZ 1978 S. 368 ff; SCHILD Jura 1982 S. 520 ff.

20

Dazu eingehend OTTO Tröndle-FS, S. 170 ff, 174.

21

Eingehender dazu OTTO SpuRt 1994 S. 10 ff.

22

Vgl. auch Grundkurs Strafrecht A.T., § 6 Rdn. 60 ff.

23

Vgl. BGHSt 16 S. 312; 35 S. 249; HIRSCH LK, Vor § 32 Rdn. 129; HRUSCHKA Dreher-FS, S. 205; SCH/SCH/LENCKNER V o r § 3 2 R d n . 5 6 ; TRÖNDLE S t G B , V o r § 3 2 R d n . 4.

70

Die g e f ä h r l i c h e Körperverletzung

ten, Einstellungen, Äußerungen u.a. des Betroffenen das höherrangige Interesse ermittelt wird. Wird dieses beachtet, so eröffnet die Redeweise vom selbständigen Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung keine Fehlerquellen. 24 3. Das Züchtigungsrecht Das Züchtigungsrecht beruhte auf dem familienrechtlichen Erziehungsrecht. Mit dem Ge- 25 setz zur Reform des Kindschaftsrechts ist das Züchtigungsrecht, soweit es körperliche Mißhandlungen rechtfertigte, beseitigt worden, § 1631 Abs. 2 BGB. 2 5 . - Auch zuvor waren aber schwere Eingriffe in die körperliche Integrität nicht gerechtfertigt. 26

III. Zur Bestrafung Die einfache Körperverletzung ist ein durch das Fehlen eines besonderen öffentlichen In- 26 teresses an der Strafverfolgung bedingtes Antragsdelikt, § 230. 1. Strafantrag Grundsätzlich setzt die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens einen Strafantrag des 27 Verletzten voraus, §§77 ff. Sodann besteht die Möglichkeit der Privatklage, § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO, oder, bei "öffentlichem Interesse", des öffentlichen Verfahrens, § 376 StPO. 2. Besonderes öffentliches Interesse Ist ein "besonderes öffentliches Interesse" zu bejahen, so kann die Staatsanwaltschaft auch 28 ohne Strafantrag die öffentliche Klage erheben, § 230 Abs. 1. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses unterliegt nicht der richterlichen Prüfung. 27

§ 16: Die gefährliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 224 Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, § 224, qualifiziert § 223 Abs. 1 wegen der gefährlichen Begehungsweise der Körperverletzung.

1

Weitgehend übereinstimmend wird die spezifische Gefahr der in § 224 genannten Tatmittel in der Eignung, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen, gesehen. Diese Interpretation ist insbesondere hinsichtlich des hinterlistigen Überfalls und der gemeinschaftlichen Körperverletzung vom Wortlaut des Gesetzes her angreifbar, entspricht aber dem Bemühen um eine sachgerechte Eingrenzung des Tatbestandes. - Die von HEINRICH hiergegen erhobenen Einwände sind daher durchaus nicht von der Hand zu weisen. 2 8 Seine Auffassung, daß es hier um den Einsatz eines in besonderem Maße die Wirksamkeit des Angriffs erhöhenden Faktors zum Zwecke der Körperverletzung geht 2 ", ist in sich schlüssig, sprengt aber die Grenzen des Gesetzeswortlauts, denn sie erfaßt letztlich jedes Werkzeug als qualifizierend, nicht nur "gefährliche Werkzeuge".

2

24

Dazu eingehender GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 129 ff.

25

Vgl. dazu BT-Drucks. 12/6343, S. 15.

2 6

V g l . HIRSCH L K , 10. A u f l . , § 2 2 3 R d n . 2 2 ; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 2 0 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 2 3 R d n .

27

Vgl. dazu BVerfGE 51 S. 176; BGHSt 16 S. 225; BayObLG NJW 1991 S. 1765; KröPIL NJW 1992 S. 654 ff.

28

HEINRICH Die gefährliche Körperverletzung, 1993, S. 494 ff.; DERS. JA 1995 S. 601 ff.

29

Vgl. Körperverletzung, S. 555 ff.

16. - A.A. U. SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987, S. 210 ff.

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Die g e f ä h r l i c h e Körperverletzung

ten, Einstellungen, Äußerungen u.a. des Betroffenen das höherrangige Interesse ermittelt wird. Wird dieses beachtet, so eröffnet die Redeweise vom selbständigen Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung keine Fehlerquellen. 24 3. Das Züchtigungsrecht Das Züchtigungsrecht beruhte auf dem familienrechtlichen Erziehungsrecht. Mit dem Ge- 25 setz zur Reform des Kindschaftsrechts ist das Züchtigungsrecht, soweit es körperliche Mißhandlungen rechtfertigte, beseitigt worden, § 1631 Abs. 2 BGB. 2 5 . - Auch zuvor waren aber schwere Eingriffe in die körperliche Integrität nicht gerechtfertigt. 26

III. Zur Bestrafung Die einfache Körperverletzung ist ein durch das Fehlen eines besonderen öffentlichen In- 26 teresses an der Strafverfolgung bedingtes Antragsdelikt, § 230. 1. Strafantrag Grundsätzlich setzt die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens einen Strafantrag des 27 Verletzten voraus, §§77 ff. Sodann besteht die Möglichkeit der Privatklage, § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO, oder, bei "öffentlichem Interesse", des öffentlichen Verfahrens, § 376 StPO. 2. Besonderes öffentliches Interesse Ist ein "besonderes öffentliches Interesse" zu bejahen, so kann die Staatsanwaltschaft auch 28 ohne Strafantrag die öffentliche Klage erheben, § 230 Abs. 1. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses unterliegt nicht der richterlichen Prüfung. 27

§ 16: Die gefährliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 224 Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, § 224, qualifiziert § 223 Abs. 1 wegen der gefährlichen Begehungsweise der Körperverletzung.

1

Weitgehend übereinstimmend wird die spezifische Gefahr der in § 224 genannten Tatmittel in der Eignung, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen, gesehen. Diese Interpretation ist insbesondere hinsichtlich des hinterlistigen Überfalls und der gemeinschaftlichen Körperverletzung vom Wortlaut des Gesetzes her angreifbar, entspricht aber dem Bemühen um eine sachgerechte Eingrenzung des Tatbestandes. - Die von HEINRICH hiergegen erhobenen Einwände sind daher durchaus nicht von der Hand zu weisen. 2 8 Seine Auffassung, daß es hier um den Einsatz eines in besonderem Maße die Wirksamkeit des Angriffs erhöhenden Faktors zum Zwecke der Körperverletzung geht 2 ", ist in sich schlüssig, sprengt aber die Grenzen des Gesetzeswortlauts, denn sie erfaßt letztlich jedes Werkzeug als qualifizierend, nicht nur "gefährliche Werkzeuge".

2

24

Dazu eingehender GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 129 ff.

25

Vgl. dazu BT-Drucks. 12/6343, S. 15.

2 6

V g l . HIRSCH L K , 10. A u f l . , § 2 2 3 R d n . 2 2 ; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 2 0 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 2 3 R d n .

27

Vgl. dazu BVerfGE 51 S. 176; BGHSt 16 S. 225; BayObLG NJW 1991 S. 1765; KröPIL NJW 1992 S. 654 ff.

28

HEINRICH Die gefährliche Körperverletzung, 1993, S. 494 ff.; DERS. JA 1995 S. 601 ff.

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Vgl. Körperverletzung, S. 555 ff.

16. - A.A. U. SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987, S. 210 ff.

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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

3

Bei der Körperverletzung mittels der Beimenung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, einer Waffe, oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die Ausführungsweise der Körperverletzung muß die Gefahr einer erheblichen Körperverletzung begründen. - Bei den drei anderen Ausführungsweisen (hinterlistiger Überfall, mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich, das Leben gefährdende Behandlung) handelt es sich um abstrakt gefährliche Verhaltensweisen, weil bewußt Faktoren eingesetzt werden, die die Wirksamkeit des Angriffs in besonderem Maß erhöhen. 30

II. Die einzelnen Tatmittel 4 5

6 7

8

1. Gift oder andere gesundheitsschädliche Stoffe Das Unrecht der ursprünglich selbständig in § 229 a.F. geregelten Vergiftung ist durch das 6. StrRG als Qualifikation in § 224 erfaßt worden, wobei es nunmehr ausreicht, daß die Stoffe zur Schädigung der Gesundheit geeignet sind. Tatmittel sind Gift, d.h. chemische oder chemisch-physikalisch wirkende Substanzen, und andere Stoffe, z.B. Bakterien, Viren oder auch mechanisch wirkende Substanzen, die nach Art der beigebrachten Menge, der Form der Beibringung und der Beschaffenheit des Körpers des Opfers geeignet sind, die Gesundheit zu zerstören. - Beibringen setzt die Herstellung einer Körper-Stoff-Beziehung voraus, gleichgültig ob intern, z.B. durch Schlukken, oder extern, z.B. durch Begießen mit Salzsäure. Der Eintritt einer Wirkung im Inneren des Körpers ist nicht erforderlich. 31 - Geeignet zur Gesundheitsschädigung sind Stoffe, wenn sie wesentliche körperliche Funktionen nicht nur für unerhebliche Dauer in nicht unerheblicher Weise zu beeinträchtigen vermögen. 2. Gefährliches Werkzeug Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ist das gefährliche Werkzeug der Oberbegriff der 2. Ausführungsart, während die Waffe - hier im technischen Sinne zu verstehen - nur ein Beispiel für ein besonders gefährliches Werkzeug ist. Gefährlich ist ein Werkzeug, das als Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach seiner konkreten Anwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. - Gefährliche Werkzeuge im Sinne der Vorschrift sind nicht nur mechanisch wirksame Objekte, sondern alle Gegenstände, deren Verwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Aus dem Wortsinn "Werkzeug" wird z.T. geschlossen, daß das Werkzeug ein beweglicher Gegenstand sein müsse. Vom Zweck der Vorschrift, konkret gefährliche Körperverletzungen zu vermeiden, ist diese Differenzierung nicht überzeugend. - Körperteile sind keine Werkzeuge i.S. des § 224. 32 Beispiele: Schuh, wenn nach Art des Einsatzes oder der Beschaffenheit erhebliche Körperverletzungen zu befürchten sind (vgl. BGH StV 1988 S. 62; OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 920); Kleiderbügel, bei Schlägen ins Gesicht, nicht hingegen bei Schlägen aufs Gesäß (BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 367); Zange oder

Einheitlich als konkretes Gefährdungsdelikt wird § 223 a dagegen interpretiert von HIRSCH LK, 10. Aufl., § 223 a Rdn. 3; LAMPEZStW 83 (1971) S. 177 ff. 31

So auch BGH MDR 1976 S. 768 mit Anm. D. MEYER JuS 1977 S. 517 ff; BGHSt 32 S. 130 mit Anm. BOTTKE N S t Z 1984 S. 166 f, SCHALL J Z 1984 S. 3 3 8 f; KÜPER B.T., S. 5 9 ; MAURACH/SCHROEDER/ M A I W A L D B . T . l , § 11 R d n . 13. - A . A . u.a.: SCHRÖDER J R 1960 S. 4 6 6 ; STREEJR 1984 S. 3 3 5 ff.

32

72

BGH GA 1984 S. 124 f.

Die gefährliche Körperverletzung Schere, bei Stößen gegen den Körper, nicht hingegen, wenn eine ärztliche Zange bei einer Operation verwendet wird, da durch die sachgerechte Verwendung eines Werkzeugs bei einer Operation gerade erhebliche, über den Eingriff hinausgehende Verletzungen vermieden werden sollen (vgl. auch BGH NJW 1978 S. 1206); Spritze in der Hand nicht zugelassenen Heilpersonals-'-'; Salzsäure, beim Spritzen ins Gesicht einer Person (BGHSt 1 S. 1); Brennspiritus, wenn er als Trinkalkohol ausgeschenkt wird (BGH bei Daliinger, MDR 1956 S. 526); erhitzter Kochherd, auf den jemand mit bloßem Hintern gesetzt wird (a.A. RGSt 24, S. 372); Wand, gegen die der Kopf einer Person geschlagen wird 3 4 ; Zeltstange eines Festzeltes (a.A. BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 987).

3. Hinterlistiger

Überfall

Hinterlistig ist ein Überfall, d.h. ein unvorhergesehener Angriff, bei dem der Täter seine Angriffsabsicht planmäßig verdeckt, z.B. durch Vortäuschen von Friedfertigkeit. Bloßes Ausnutzen der Überraschung genügt nicht.

9

Beispiele: Faustschläge gegen das nichtsahnende Opfer von hinten: kein hinterlistiger Überfall (OLG Schleswig SchlHA 1953 S. 245); desgleichen: plötzlicher Angriff auf eine gegenüberstehende Person (BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267); bloße Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers (BGH GA 1989 S. 132). Dagegen: plötzlicher Überfall nach vorherigem freundschaftlichem Gruß (BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 526); Unbemerktes Beibringung eines Schlaf- oder Betäubungsmittels in einem Getränk (BGH NStZ 1992 S. 490; BGH bei Holtz, MDR 1996 S. 551).

4. Die mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangene Körperverletzung Die früher str. Frage, ob die gemeinschaftlich handelnden Personen Mittäter sein müssen, 10 hat das 6. StrRG dahin entschieden, daß ein gemeinschaftliches Zusammenwirken mit einem Gehilfen ausreicht. Erforderlich ist aber weiterhin, daß die Beteiligten gemeinschaftlich am Tatort tätig sind, da nur in dieser Situation die Abwehrbereitschaft des Opfers durch die Verteidigung gegen mehrere Angreifer geschwächt ist. 5. Lebensgefährdende

Behandlung

Eine lebensgefährdende Behandlung liegt vor, wenn die konkrete Handlungsweise eine 11 abstrakte Lebensgefahr begründet. Beispiele: Würgegriff am Hals (BGH StV 1993 S. 26); Anfahren mit Kfz (BGH VRS 14 S. 286); Abschütteln vom Moped (BGH bei Dallinger, MDR 1957 S. 652); schwere Schläge mit der Faust an den Kopf einer Frau (OLG Köln NJW 1983 S. 2274); kräftiges Würgen (BGH NStZ-RR 1997 S. 67). - Nicht hingegen: ein kräftiger Faustschlag auf die Nase (OLG Köln StV 1994 S. 247); Kopfstoß gegen Oberkiefer (OLG Düsseldorf JZ 1995 S. 908). - Zum Infizieren mit Aids, vgl. unter Rdn. 13 ff.

III. Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Umstände erfassen, aus denen sich die Gefahr 12 einer erheblichen Körperverletzung ergibt. - Bei der zweiten Begehungsweise muß der Täter darüber hinaus wissen, daß das Werkzeug nach seiner konkreten Anwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Bei den anderen Begehungsweisen muß der Täter sich der jeweils abstrakten Gefahr bewußt sein. 35 33

BGH NStZ 1987 S. 174; dazu GEPPERT JK 87, StGB § 223 a/2; SOWADA JR 1988 S. 123 ff; WOLSKI G A 1987 S . 527 ff.

34

A.A. BGHSt 22 S. 235; dazu R. SCHMITT JZ 1969 S. 304; STREE Jura 1980 S. 284 ff.

35

Str. - Wie hier: BACKMANN M D R 1976 S. 976; HERDEGEN BGH-FS, S. 203; HIRSCH LK, 10. Aufl.,

§ 223 a Rdn. 23; LACKNER/KÜHL § 223 a Rdn 9. - Kenntnis der Umstände, aus denen die Gefährlichkeit sich objektiv ergibt, lassen genügen: für die erste Begehungsweise: BGHSt 19 S. 352; BGH

73

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

IV. Sonderproblem Aids 1. Infizieren mit Aids 13 Im Infizieren mit Aids hat der BGH zutreffend eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gesehen. Auch den Vorsatz hat der BGH mit dem Hinweis darauf, daß die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns ergibt, genügt, bejaht. Den Tötungsvorsatz hat der BGH im konkreten Fall mit der Erwägung abgelehnt, es sei nicht erwiesen, daß der Täter die Hemmschwelle zur Tötung überschritten habe.3(> 14 a) Die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung bei erfolgter Infizierung beziehungsweise eines Versuchs der gefährlichen Körperverletzung bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr, wenn die Infizierung selbst nicht erfolgt oder nicht nachweisbar ist, erscheint zutreffend. Die Infizierung mit einer Krankheit ist eine Gesundheitsbeschädigung, auch wenn die Krankheit selbst noch nicht zum Ausbruch gekommen ist. 15 Problematischer ist die Bejahung des Vorsatzes. Maßgeblich ist hier, ob nach dem derzeit bekannten Wissensstand der ungeschützte Geschlechtsverkehr bereits die konkrete Gefahr einer Ansteckung begründet oder ob dieses Risiko aufgrund des geringen Wahrscheinlichkeitsgrades einer Ansteckung als bloß abstrakte Gefahr abgetan werden kann. Geht man mit dem BGH davon aus, daß die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung nicht so gering ist, daß ihr bereits Zufallswert zukommt, so ist das Bewußtsein der konkreten Gefährdung zu bejahen, denn jeder Geschlechtsverkehr ist dann geeignet, die Krankheit zu übertragen, und dieses Wissen kann im konkreten Fall nur unter besonderen individuellen Umständen fehlen. Zieht man diese Konsequenz, dann ist sowohl der Vorsatz lebensgefährdender Behandlung als auch der einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 (Siechtum) und letztlich der - auch bedingte - Tötungsvorsatz nicht auszuschließen. 37 16 b) Streitig ist, ob der kondomgeschützte Verkehr des HlV-Infizierten mit einem nicht über die Krankheit informierten Partner noch als sozialadäquates (erlaubtes) Risiko angesehen werden kann. Dagegen spricht, daß der Schutz durch ein Kondom das Risiko einer Ansteckung mindert, nicht aber ausschließt, und auch das Restrisiko noch recht erheblich ist (str.). Dafür spricht, daß öffentliche Kampagnen durch die zuständigen Gesundheitsbehörden, z.B. "Kondome schützen", das Bewußtsein geprägt haben, in diesen Fällen verbleibe nur ein irrelevantes Restrisiko. Das ist im konkreten Fall im subjektiven Tatbestand zu berücksichtigen. 38

NJW 1990 S. 3156; HORN SK II, § 223 a Rdn. 15; TRÖNDLE StGB, § 223 a Rdn. 6; für die vierte Begehungsweise: BGHSt 19 S. 352; 28 S. 17; BGH NJW 1989 S. 785; HORN SK II, § 223 a Rdn. 27; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . L , § 9 R d n . 17; TRÖNDLE S t G B , § 2 2 3 a R d n . 6 . 36

Vgl. BGHSt 36 S. 1, 15 f; mit Anm. BRUNS MDR 1989 S. 199 ff; HELGERTH NStZ 1989 S. 117 f; HERZBERG J Z 1 9 8 9 S . 4 7 0 f f ; PRITTWITZ S t V 1 9 8 9 S . 1 2 3 f f ; SCHÜNEMANN J R 1 9 8 9 S . 8 9 , 9 2 f.

37

Im einzelnen zur Diskussion außer den oben genannten: BOTTKE in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von Aids, 1988, S. 171 ff; GEPPERT Jura 1987 S. 668 ff; Herzberg in: Szwarc (Hrsg), AIDS und Strafrecht, 1996, S. 61 ff; KREUTZER ZStW 100 (1988) S. 786 ff; H. W. MAYER JUS 1990 S. 7 8 4 f f ; B . - D . MEIER G A

1 9 8 9 S . 2 0 7 f f ; RENGIER J u r a

1 9 8 9 S . 2 2 5 f f . ; SCHÜNEMANN i n :

Szwarc

(Hrsg), AIDS und Strafrecht, 1996, S. 9 ff. - Für Anwendung des § 330 a: WLSENSCHIL ZRP 1998 S. 63. 38

Eingehend zum Streitstand KNAUER AIFO 1994 S. 466 ff. - Im übrigen vgl. einerseits FRISCH JUS 1990 S . 3 6 4 ; H . - W . M A Y E R JUS 1 9 9 0 S . 7 8 6 ; RENGIER J u r a 1 9 8 9 S . 2 3 1 ; a n d e r e r s e i t s BRUNS M D R 1 9 8 9 S .

74

Die gefährliche Körperverletzung 2. Einverständlicher

Geschlechtsverkehr

mit

Aidsinfiziertem

Beim Geschlechtsverkehr mit einem mit Aids infizierten Partner könnte es naheliegen, 17 auch dann, wenn der andere Partner die Gefahr kennt und dennoch mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr einverstanden ist, den Akt als Körperverletzung des Kranken an dem bisher gesunden Partner zu interpretieren. Diese Sicht wird dem Sachverhalt des gemeinsam ausgeübten Geschlechtsverkehrs jedoch nicht gerecht. Beide Partner sind im Hinblick auf den gefährlichen Akt Mitträger der Tatherrschaft. Damit aber läßt sich der Sachverhalt nicht als täterschaftliche Verletzung des anderen durch den infizierten Partner erfassen. 39 3. Blutentnahme für verheimlichten

Aids-Test

Aids-Tests, die zur sachgerechten Diagnose oder Therapie bei einer ärztlichen Behandlung 18 erforderlich sind, werden von der Einwilligung in die Untersuchung oder Behandlung erfaßt und sind daher - auch soweit dieser Eingriff als Körperverletzung angesehen wird; dazu § 15 Rdn. 6 ff - nicht als solche aufklärungsbedürftig. 40 Bei einer Blutentnahme und ihrer Untersuchung zum Schutz Dritter (Arzt und Perso- 19 nal) ist die Venenpunktion in jedem Fall ein Eingriff in die körperliche Integrität, der als tatbestandsmäßige Körperverletzung anzusehen ist. Dieser Eingriff ist durch die Einwilligung in die Untersuchung und/oder Behandlung nicht gedeckt. In Betracht kommt aber eine Rechtfertigung nach § 34. Grundsätzlich wird man hier, wenn Schutzmaßnahmen aufgrund der Behandlung oder Untersuchung angezeigt sind, eine Rechtfertigung nach § 34 annehmen müssen. 41 S o w e i t eine Ansteckungsgefahr aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen erscheint, entfällt die Rechtf e r t i g u n g . 4 2 Unter V e r w e i s auf das Erfordernis der Rechtsgutsbezogenheit der W i l l e n s m ä n g e l bei der Einwilligung wird eine Rechtfertigung durch Einwilligung stets dann bejaht, w e n n der Betroffene über den körperlichen Eingriff aufgeklärt worden ist. D i e Täuschung über den Test soll als Motivirrtum irrelevant s e i n . 4 3 Damit wird der Einwilligung letztlich die Bedeutung g e n o m m e n , sicherzustellen, daß Eingriffe in die körperliche Integrität nur insoweit zulässig sind, w i e der Rechtsgutsinhaber in voller Kenntnis der Situation über seine körperliche Integrität verfügt h a t . 4 4

199; HERZBERG JZ 1989 S. 4 7 5 ; DERS. in: Szwarc (Hrsg.), Rechtspropleme, S. 83; B.- D. MEIER G A 1989 S. 2 3 0 ; PRITTWITZ StV 1989 S. 127. 3 9

Vgl. dazu auch B a y O b L G N J W 1990 S. 131 mit Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 223a/4; BOTTKE in: Rechtsprobleme, S. 182 ff, 184; DÖLLING JR 1990 S. 4 7 5 ff; EBERBACH JR 1986 S. 231; HELGERTH N S t Z 1988 S. 261 ff; HERZBERG N J W 1987 S. 1462; HERZOG/NESTLER-TREMEL StV 1987 S. 366; OTTO Tröndle-FS, 1989, S. 166 f; PRITTWITZ JA 1988 S. 4 3 2 ; RENGIER Jura 1989 S. 2 2 5 , 2 3 0 ; SCHLEHOFER N J W 1989 S. 2 0 1 7 ff.

4 0

Vgl. LACKNER/KÜHL, § 2 2 6 a Rdn. 15; LAUFS/LAUFS N J W 1987 S. 2 2 6 3 ; LAUFS/NARR M e d R 1987 S. 2 8 2 ; LESCH N J W 1 9 8 9 S. 2 3 0 9 ff; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 Rdn. 4 1 ; SOLBACH/SOLBACH M e d R 1988 S. 2 4 1 ; TRÖNDLE StGB, § 2 2 3 Rdn. 9 w.

41

Vgl. auch BOTTKE in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), D i e Rechtsprobleme von A I D S , 1988, 2 2 6 ; SCHÜNEMANN in: B u s c h (Hrsg.), H I V / A I D S und Straffälligkeit, 1991, S. 144; SOLBACH/SOLBACH JA 1988 S. 116.

4 2

Dazu BRUNS M D R 1987 S. 3 5 5 ; EBERBACH N J W 1987 S. 1472; JANKER N J W 1987 S. 2 9 0 2 f; DERS. Strafrechtliche Aspekte heimlicher Aids-Tests, 1988, S. 85 ff; MICHEL JuS 1988 S. 10.

4 3

Vgl. SCHLEHOFER Jura 1989 S. 265.

4 4

Eingehender zur Kritik an der Lehre von der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel: OTTO GeerdsFS, S. 6 1 5 ff.

75

20

§ 17

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§ 17: Schwere Körperverletzung I. Der Aufbau des § 226 1

2 3

1. Die fahrlässige und bedingt vorsätzliche Tatbegehung, Abs. 1 § 226 qualifiziert den Grundtatbestand des § 223 aufgrund der Art und Schwere des Erfolges. Er ist erfolgsqualifiziertes Delikt. Die Aufzählung schwerer Folgen ist abschließend. 45 a) In der schweren Folge muß sich eine in der Körperverletzungshandlung typischerweise angelegte Gefahr realisiert haben. 46 b) Die Körperverletzung muß vorsätzlich, die in Abs. 1 beschriebene schwere Folge fahrlässig oder bedingt vorsätzlich verursacht worden sein, § 18, da sonst eine Strafbarkeitslücke zwischen Abs. 1 und Abs. 2 begründet würde. 2. Die absichtliche oder wissentliche Tatbegehung, Abs. 2

4

§ 226 Abs. 2 qualifiziert den § 226 Abs. 1 wegen des erhöhten subjektiven Unrechts. - Hat der Täter eine der in § 226 Abs. 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich verursacht, so greift § 226 Abs. 2 ein.

II. Die einzelnen Merkmale 1. Verlust des Sehvermögens, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit, Abs. 1 Nr. 1 5

Ein Verlust des Sehvermögens, des Gehörs oder des Sprechvermögens liegt vor, wenn dies auf einen im täglichen Leben nicht mehr wesentlichen Rest reduziert ist. 47 - Sprechvermögen ist die Fähigkeit zu artikuliertem Reden. - Fortpflanzungsfähigkeit erfaßt Zeugungs- und Empfängnisfähigkeit. 48 Bei der Prognose, ob ein Verlust als dauernd angesehen werden kann, ist die Möglichkeit einer zumutbaren operativen Wiederherstellung zu berücksichtigen. 2. Verlust oder Unbrauchbarkeit eines wichtigen Glieds, Abs. 1 Nr. 2

5

7

Wichtiges Glied ist ein Körperteil mit herausgehobener Funktion im Gesamtorganismus. Das sind nicht nur die durch Gelenke verbundenen äußeren Körperteile, z.B. Daumen oder Zeigefinger, sondern auch innere Organe, z.B. die Niere. 49 Denn entscheidend für die Qualifizierung ist die Schwere der körperlichen Schädigung, nicht aber eine formale Unterscheidung nach äußeren und inneren Organen. Wichtig bestimmt die h.M. aus der Sicht des individuell Betroffenen (wichtig z.B. der kleine Finger des Pianisten), während die Gegenmeinung die Wichtigkeit aus der Funktion 45

Vgl. auch BGH StV 1992 S. 115.

46

Die Problematik der Zurechnung der schweren Folge entspricht hier der des § 227; vgl. zur Auseinandersetzung daher unter § 18 Rdn. 1 ff.

47

Verminderung des Sehvermögens um 20 % noch nicht relevant; AG Köln MDR 1981 S. 780.

48

Vgl. BT-Drucks. 13/9064 S. 16.

49

So auch OLG Neustadt NJW 1961 S. 2076; EBERT JA 1979 S. 278; WESSELS B.T./l, Rdn. 271. - A.A. B G H S t 2 8 S . 1 0 0 ; HIRSCH J Z 1 9 7 9 S . 1 0 9 ; H O R N S K II, § 2 2 4 R d n . 5 ; PAEFFGEN N K , § 2 2 4 R d n . 15; RENGIER B . T . II, § 1 5 R d n . 7 ; T R Ö N D L E S t G B , § 2 2 4 R d n . 4 .

76

Schwere Körperverletzung für den Gesamtorganismus bestimmt. 5 0 - Der h.M. ist zuzustimmen, denn sie eröffnet den sachgerechteren Schutz des individuellen Opfers, ohne dem Täter ein unangemessenes Risiko anzulasten, da der subjektive Tatbestand sich auf die Voraussetzungen, die das Glied zu einem wichtigen machen, beziehen muß. Dem Verlust des Gliedes, d.h. der Abtrennung des Körperteils, hat der Gesetzgeber die dauernde Unbrauchbarkeit, d.h. die dauernde Funktionsuntüchtigkeit gleichgestellt. 51

8

3. Die dauernde Entstellung, Abs. 1 Nr. 3, 1. Alt. Eine erhebliche dauernde Entstellung liegt vor, wenn die Verunstaltung nicht in absehbarer Zeit zu beheben ist. Kann die Entstellung durch künstliche Hilfsmittel beseitigt werden, so ist dies zu berücksichtigen. 52 4. Der Verfall in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit,

9

Abs. 1 Nr. 3, 2.- 5. Alt.

Verfall ist ein in absehbarer Zeit nicht behebbarer chronischer Krankheitszustand. - 10 Siechtum bedeutet ein Schwinden geistiger und körperlicher Kräfte, das zur allgemeinen Hilflosigkeit führt. - Lähmung ist die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit eines Körperteils, die - wenn auch mittelbar - die Bewegungsfähigkeit des ganzen Körpers in Mitleidenschaft zieht, z.B. die Versteifung des Hüftgelenks, eines Armes oder des Knies. 53 Geisteskrankheiten sind die exogenen und endogenen Psychosen. - Die Behinderung meint gleichfalls geistige Behinderungen, wie der enge Bezug auf die Geisteskrankheit und die Selbständigkeit des Merkmals ergeben, das sonst die Nr. 1 weitgehend enthalten würde. Erfaßt werden als geistige Behinderung die dauerhaften geistigen Beeinträchtigungen, die nicht psychiatrisch behandelbar sind. 5 4

III. Versuch und Täterschaft 1. Der Versuch Soweit der Täter die schwere Folge vorsätzlich anstrebt oder sich ihrer Verwirklichung 11 bewußt ist, § 226 Abs. 2, bzw. die konkrete Gefahr ihrer Verwirklichung erkannt hat und dennoch handelt (bedingter Vorsatz), § 226 Abs. 1, ist nach h.M. ein strafbarer Versuch möglich, da die Situation der eines vorsätzlichen Erfolgsdelikts entspricht. Aber auch dann, wenn der Täter bereits beim Versuch des Grundtatbestandes die schwere Folge fahrlässig verwirklicht, § 226 Abs. 1, liegt ein strafbarer Versuch vor. 5 5 2. Täterschaft Ob Täterschaft oder Teilnahme vorliegt, ist nach den Beteiligungsformen am Grunddelikt 12 zu bestimmen. - Eine Bestrafung aus § 226 setzt aber die im einzelnen geforderten sub-

5 0 51

Zur Auseinandersetzung: HIRSCH LK, 10. Aufl., § 2 2 4 Rdn. 9. Vgl. z u m früheren Recht bereits: HIRSCH LK, 10. Aufl., § 2 2 4 Rdn. 12; LACKNER/KÜHL § 2 2 4 Rdn. 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 9 R d n . 2 2 .

5 2

B G H S t 2 4 S. 3 1 5 m i t A n m . HANACK JR

1 9 7 2 S . 4 7 2 f f , u n d ULSENHEIMER J Z 1 9 7 3 S . 6 4 f f . - Z u r

Schönheitsoperation LG Berlin N S t Z 1993 S. 2 8 6 . 5 3

Vgl. auch B G H NJW 1988 S. 2 6 2 2 .

5 4

V g l . HÖRNLEJURA 1 9 9 8 S. 179.

5 5

Str. v g l . i m e i n z e l n e n G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 1 8 R d n . 7 8 f f .

77

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen jektiven Voraussetzungen bei dem jeweiligen Beteiligten bezüglich der schweren Folge voraus.

§ 18: Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 227 1. Das Verhältnis zwischen Grundtatbestand 1

2

und schwerer

Folge

a) § 227 beschreibt ein erfolgsqualifiziertes Delikt; beachte § 18. b) Einigkeit besteht heute darüber, daß zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der Herbeiführung der schweren Folge eine engere Beziehung bestehen muß als die bloße Kausalität. Der Erfolg muß sich als Realisierung der typischen (spezifischen) Gefahr des Grundtatbestandes erweisen. 56 Da das erfolgsqualifizierte Delikt besonders gefährlichen Handlungen entgegenwirken will, ist dieser Zusammenhang dann gegeben, wenn der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausganges anhaftet und sich eben dieses spezifische, der Tathandlung eigene Risiko im Eintritt des Erfolges verwirklicht. 57 - Maßgeblich ist es daher nicht in erster Linie, ob der Tod nach einer Körperverletzung durch den Täter, das Opfer selbst oder einem Dritten herbeigeführt wurde, 5 8 wohl aber fehlt es an dem nötigem Zusammenhang, wenn der Tod auf dem freiverantwortlichem Verhalten eines Dritten oder des Opfers in voller Kenntnis der Gefahrensituation beruht. 59

3

c) Bei einer mittäterschaftlichen Körperverletzung kann der unmittelbar von einem Mittäter verursachte Todeserfolg den anderen Mittätern zugerechnet werden, wenn die körperverletztende Handlung im Rahmen des gemeinschaftlichen Körperverletzungsvorsatzes lag und auch den anderen Mittätern hinsichtlich des Todeserfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt. 6 0

4

e) Ein strafbarer Versuch des § 227 liegt vor, wenn der für den Täter vorhersehbare Todeserfolg beim Versuch des Grunddelikts eintritt; vgl. dazu oben § 17 Rdn. 11. - Strebt der Täter den Todeserfolg vorsätzlich an, so greifen die §§ 211 ff ein.

- 16

Ursprünglich hatte die Rechtsprechung hier auf das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der besonderen Folge abgestellt - vgl. BGHSt 14 S. 112; 19 S. 387; 24 S. 215 -, später diese zu engen Grenzen jedoch gesprengt - vgl. BGHSt 31 S. 98 f; 32 S. 27 f; BGH NJW 1992 S. 1708 f -, ohne sich jedoch ausdrücklich vom Unmittelbarkeitserfordernis zu distanzieren; vgl. dazu auch Grundkurs Strafrecht, A.T., § 11 Rdn. 4 ff; PAEFFGEN NK, § 226 Rdn. 8 ff.

57

Vgl. BGH StV 1998 S. 203. - Einen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Grundtatbestandes und dem Todeserfolg fordern demgegenüber: GEILEN Welzel-FS, S. 681; HIRSCH J R 1 9 8 3 S . 7 8 f f ; DERS. L K , § 2 2 6 R d n . 3 ; KÜPPER D e r " u n m i t t e l b a r e " Z u s a m m e n h a n g

zwi-

schen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 85 ff; DERS. JuS 1990 S . 1 8 5 f ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 2 6 R d n . 2 ; SCHLAPP S t V 1 9 8 3 S . 6 2 f f ; ULSENHEIMER G A 1 9 6 6 S . 2 7 2 . 58

Vgl. BGH StV 1998 S. 203.

5 9

V g l . B G H S t 3 1 S . 9 9 ; 3 2 S . 2 5 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 2 6 R d n . 2 ; P U P P E N S t Z 1 9 8 3 S . 2 2 f f ; RENGIER J u r a 1 9 8 6 S. 1 4 3 f f ; SCH/SCH/STREE § 2 2 6 R d n . 4 ; STREE J Z 1 9 8 3 S. 7 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 2 6 R d n . 2.

60

78

Vgl. BGH NStZ 1994 S. 339 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 226/5; BGH StV 1997 S. 581 mit Anm. Stein, S. 582 f; LACKNER/KÜHL § 226 Rdn. 3; TRÖNDLE StGB, § 226 Rdn. 8.

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen jektiven Voraussetzungen bei dem jeweiligen Beteiligten bezüglich der schweren Folge voraus.

§ 18: Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 227 1. Das Verhältnis zwischen Grundtatbestand 1

2

und schwerer

Folge

a) § 227 beschreibt ein erfolgsqualifiziertes Delikt; beachte § 18. b) Einigkeit besteht heute darüber, daß zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der Herbeiführung der schweren Folge eine engere Beziehung bestehen muß als die bloße Kausalität. Der Erfolg muß sich als Realisierung der typischen (spezifischen) Gefahr des Grundtatbestandes erweisen. 56 Da das erfolgsqualifizierte Delikt besonders gefährlichen Handlungen entgegenwirken will, ist dieser Zusammenhang dann gegeben, wenn der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausganges anhaftet und sich eben dieses spezifische, der Tathandlung eigene Risiko im Eintritt des Erfolges verwirklicht. 57 - Maßgeblich ist es daher nicht in erster Linie, ob der Tod nach einer Körperverletzung durch den Täter, das Opfer selbst oder einem Dritten herbeigeführt wurde, 5 8 wohl aber fehlt es an dem nötigem Zusammenhang, wenn der Tod auf dem freiverantwortlichem Verhalten eines Dritten oder des Opfers in voller Kenntnis der Gefahrensituation beruht. 59

3

c) Bei einer mittäterschaftlichen Körperverletzung kann der unmittelbar von einem Mittäter verursachte Todeserfolg den anderen Mittätern zugerechnet werden, wenn die körperverletztende Handlung im Rahmen des gemeinschaftlichen Körperverletzungsvorsatzes lag und auch den anderen Mittätern hinsichtlich des Todeserfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt. 6 0

4

e) Ein strafbarer Versuch des § 227 liegt vor, wenn der für den Täter vorhersehbare Todeserfolg beim Versuch des Grunddelikts eintritt; vgl. dazu oben § 17 Rdn. 11. - Strebt der Täter den Todeserfolg vorsätzlich an, so greifen die §§ 211 ff ein.

- 16

Ursprünglich hatte die Rechtsprechung hier auf das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der besonderen Folge abgestellt - vgl. BGHSt 14 S. 112; 19 S. 387; 24 S. 215 -, später diese zu engen Grenzen jedoch gesprengt - vgl. BGHSt 31 S. 98 f; 32 S. 27 f; BGH NJW 1992 S. 1708 f -, ohne sich jedoch ausdrücklich vom Unmittelbarkeitserfordernis zu distanzieren; vgl. dazu auch Grundkurs Strafrecht, A.T., § 11 Rdn. 4 ff; PAEFFGEN NK, § 226 Rdn. 8 ff.

57

Vgl. BGH StV 1998 S. 203. - Einen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Grundtatbestandes und dem Todeserfolg fordern demgegenüber: GEILEN Welzel-FS, S. 681; HIRSCH J R 1 9 8 3 S . 7 8 f f ; DERS. L K , § 2 2 6 R d n . 3 ; KÜPPER D e r " u n m i t t e l b a r e " Z u s a m m e n h a n g

zwi-

schen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 85 ff; DERS. JuS 1990 S . 1 8 5 f ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 2 6 R d n . 2 ; SCHLAPP S t V 1 9 8 3 S . 6 2 f f ; ULSENHEIMER G A 1 9 6 6 S . 2 7 2 . 58

Vgl. BGH StV 1998 S. 203.

5 9

V g l . B G H S t 3 1 S . 9 9 ; 3 2 S . 2 5 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 2 6 R d n . 2 ; P U P P E N S t Z 1 9 8 3 S . 2 2 f f ; RENGIER J u r a 1 9 8 6 S. 1 4 3 f f ; SCH/SCH/STREE § 2 2 6 R d n . 4 ; STREE J Z 1 9 8 3 S. 7 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 2 6 R d n . 2.

60

78

Vgl. BGH NStZ 1994 S. 339 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 226/5; BGH StV 1997 S. 581 mit Anm. Stein, S. 582 f; LACKNER/KÜHL § 226 Rdn. 3; TRÖNDLE StGB, § 226 Rdn. 8.

Körperverletzung mit T o d e s f o l g e

2. Zur Einübung a) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 196: A benutzt eine Pistole als Schlagwerkzeug gegen B. Ungewollt löst sich ein Schuß, durch den B getötet wird.

5

BGH: § 226 a.F. liegt vor. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Tod durch Erschießen ist nicht mehr typische Folge eines Schlages mit gefährlichem Werkzeug. Nicht die Schlaggefahr hat sich realisiert, sondern eine Gefahr, die nicht typisch war für die angestrebte Verletzung.''' b) BGH NJW 1971 S. 152: A schlägt auf die B ein und verletzt sie erheblich. Um weiteren Schlägen zu entgehen, springt B aus dem Fenster. Sie stürzt tödlich.

6

BGH: § 226 a.F. liegt nicht vor, nur §§ 223, 222, 52. - Dem wäre im Ergebnis zuzustimmen, wenn B mit im Rechtssinn freien Willen gehandelt hätte. Da sich B jedoch in einem Nötigungsnotstand befand, war ihr Wille nicht frei, und insofern ist der Erfolg dem A zuzurechnen, nicht aber auf die freie - den Zurechnungszusammenhang unterbrechende - Entscheidung der B zurückzuführen. - Zweifelhaft ist allerdings, ob der BGH noch an dieser Rechtsprechung festhält, denn in einem Falle "selbstschädigenden Panikverhaltens" durch das Opfer hat er den Zurechnungszusammenhang bejaht.^ 2 c) BGHSt 31 S. 96: A warf den Hochsitz um, auf dem der D in 3,5 m Höhe saß. D fiel herunter und brach sich den Knöchel. Der Bruch wurde operativ behandelt. Nach der Entlassung aus der Klinik blieb D fast ausschließlich im Bett. Ihm war nicht gesagt worden, daß er der Gefahr einer Lungenembolie durch Bewegung vorbeugen müßte. D starb an einer Lungenembolie.

7

BGH: § 226 a.F. ist gegeben. - Dem ist zuzustimmen, denn im Tode des D realisierte sich eine in einer Körperverletzung typischerweise angelegte Gefahr. Die Tatsache, daß D sachwidrig nicht auf die Emboliegefahr hingewiesen worden war, unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, da hier kein Handeln eines Dritten im vollen Bewußtsein der Gefahrensituation vorliegt. d) BGH NStZ 1994 S. 394: P und S hatten die H zusammengeschlagen. H, die alkoholkrank war, wurde schwerverletzt in ein Krankenhaus gebracht. Obwohl der H mitgeteilt worden war, daß sie stationär behandelt werden müsse, weil Lebensgefahr bestehe, begab sie sich in ihre Wohnung zurück, um dort weiter zu trinken. - H starb drei Tage später an Verletzungen, die durch die Fausthiebe von P und S ausgelöst worden waren. Im Falle einer Behandlung der H wäre der Tod verhindert worden.

8

BGH: In dem Tod der H hat sich die dem Grundtatbestand des § 223 StGB anhaftende eigentümliche Gefahr niedergeschlagen, da der Eintritt des Todes nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag. - Diese Überlegungen gehen an der Problematik des Falles vorbei, denn bei der Frage, ob jemand aufgrund eigenverantwortlicher Selbstgefährdung für einen Erfolg verantwortlich ist oder nicht, geht es nicht darum, ob dem "Erstgefährdenden die eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers nach aller Lebenserfahrung vorhersehbar war oder nicht." Es geht darum, ob der Ersttäter auch für ein selbstgefahrdendes Verhalten des Opfers verantwortlich ist oder nicht. Das aber ist der Erstgefährdende nicht, wenn das Opfer den durch das für den Erfolg kausale Verhalten des Ersttäters begründeten Zurechnungszusammenhang dadurch unterbricht, daß es diesen von der Einflußnahme auf das Geschehen ausschließt oder sich frei verantwortlich in voller Kenntnis des Risikos diesem aussetzt. e) BGH NStZ 1992 S. 333: A hatte dem M mehrmals mit einem Gummihammer auf den Kopf geschlagen. M stürzte bewußtlos zu Boden. A hielt ihn bereits für tot und entfernte sich. Er traf den B, dem er den Vorfall schilderte. B wollte sich selbst von dem Geschehen überzeugen. Er ging in die Wohnung des M, fand diesen und hielt ihn gleichfalls für tot. Um einen Suizid vorzutäuschen, hängte er den M an der Türklinke auf. - Die Obduktion ergab, daß die Hammerschläge tödlich gewesen wären. Gestorben war M aber an der Strangulation. BGH: A ist strafbar nach § 226 a.F. - Diese Zurechnung des Verhaltens des B als Verhalten des A ist mit den auch von der Rechtsprechung anerkannten Zurechnungskriterien im Rahmen des § 226 a.F. nicht zu ver-

61

Dazu vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 11 Rdn. 12; SCHMIDHÄUSER B.T., 2/50.

62

Vgl. BGH NStZ 1992 S. 335 mit Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 226/3; GRAUL JR 1992 S. 344 ff; MITSCH Jura 1993 S. 18 ff.

63

Vgl. auch OTTO JK 95, StGB § 226/6.

79

9

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen e i n b a r e n . - Auch der B G H betont grundsätzlich, daß der Erfolg im Sinne des § 226 a.F. nicht vorliegt, wenn der Tod erst bei der Verdeckung der Tat e i n t r i t t . ^ f) BGHSt 32 S. 25: A versetzte dem D einen kräftigen Faustschlag gegen den Kopf. Dadurch verlor D das Gleichgewicht, fiel zu Boden und schlug mit dem Schädel auf die Asphaltdecke auf. Anschließend trat N dem D unabhängig von A mit großer Wucht an den Kopf. D erlitt 2 Schädelbrüche und starb. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der durch das Aufschlagen oder durch das Zuschlagen entstandene Schädelbruch zum Tode führte oder beide zusammen. BGH: Eine Bestrafung des A nach § 226 a.F. kommt nicht in Betracht, da nicht festgestellt ist, daß sich im Tode des D die der Körperverletzung des A "anhaftende, ihr eigentümliche Gefahr verwirklicht" hat. - Aus gleichem Grunde entfällt auch die Strafbarkeit nach § 226 a.F. bei N . 6 6 g) B G H N J W 1995 S. 3194: B, der Lebensgefährte der A wirkte auf den fünfjährigen Sohn der A derart gewalttätig ein, daß dieser schwer verletzt wurde. Das Kind schrie, verweigerte jede Nahrung und fiel schließlich in Bewußtlosigkeit. - Zu diesem Zeitpunkt hätte das Kind aber nocht gerettet werden können. Als es später ins Krankenhaus gebracht wurde, war es bereits tot. BGH: A ist nicht der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig, denn unmittelbare Ursache für den Tod des Kindes war nicht der Umstand, daß die A trotz des sich drastisch verschlechternden Umstandes nichts zu dessen Rettung unternahm, sondern die von B verursachten Verletzungen. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn auch im Unterlassen der Verhinderung der weiteren Verschlechterung des Körperzustandes ist eine vorsätzliche Körperverletzung zu sehen, deren spezifische Gefahr darin lag, daß durch diese Unterlassung der Tod des Kindes nicht verhindert w u r d e t

II. Der Strafrahmen des § 227 Abs. 2 Bei Vorliegen einer Provokationssituation i.S. des § 213, 1. Alt. ist zwingend ein minder schwerer Fall i.S. des § 227 Abs. 2 anzunehmen. 68

§ 19: Körperverletzung im Amt 1. Rechtsnatur des § 340 § 340 ist als qualifizierte Körperverletzung ein unechtes Amtsdelikt, und zwar § 340 Abs. 1, 2 gegenüber § 223. - § 340 Abs. 3 erstreckt die Alternative des „Begehenlassens" des § 340 Abs. 1 auf die §§ 224 - 229. Weil der Täter bei der Verletzung eines individuellen Rechtsguts zugleich das Ansehen des Staates als Rechtsstaat gefährdet, ist die Amtseigenschaft ein straferhöhendes Merkmal, und zwar ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 6 9 2. Die Tathandlung a) Der Täter muß die Körperverletzung während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begehen oder begehen lassen. 64

Vgl. auch DENCKER NStZ 1992 S. 311 ff; OTTO JK 93, StGB § 226/4; PUPPE JR 1992 S. 511 ff.

65

Vgl. B G H StV 1993 S. 75.

66

Vgl. auch B G H M D R 1979 S. 279. - A.A. aber: B G H M D R 1977 S. 282; B G H M D R 1984 S. 442.

67

Vgl. auch OTTO JK 96, StGB § 226/7; WOLTERS JR 1996 S. 471 ff. - Anders aber INGELFINGER G A 1 9 9 7 S. 5 7 3 ff, 5 9 0 .

68

BGHSt 25 S. 222; B G H N S t Z 1983 S. 555; B G H StV 1990 S. 546; B G H StV 1992 S. 115; B G H StV 1994 S. 315; B G H NStZ-RR 1997 S. 99.

69

H.M. - A.A. WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 85 ff; DERS. Z R P 1975 S. 273 f: eigenständiges Amtsdelikt, dessen Unrechtsgehalt in der Begehung von Staatsunrecht liegt.

80

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen e i n b a r e n . - Auch der B G H betont grundsätzlich, daß der Erfolg im Sinne des § 226 a.F. nicht vorliegt, wenn der Tod erst bei der Verdeckung der Tat e i n t r i t t . ^ f) BGHSt 32 S. 25: A versetzte dem D einen kräftigen Faustschlag gegen den Kopf. Dadurch verlor D das Gleichgewicht, fiel zu Boden und schlug mit dem Schädel auf die Asphaltdecke auf. Anschließend trat N dem D unabhängig von A mit großer Wucht an den Kopf. D erlitt 2 Schädelbrüche und starb. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der durch das Aufschlagen oder durch das Zuschlagen entstandene Schädelbruch zum Tode führte oder beide zusammen. BGH: Eine Bestrafung des A nach § 226 a.F. kommt nicht in Betracht, da nicht festgestellt ist, daß sich im Tode des D die der Körperverletzung des A "anhaftende, ihr eigentümliche Gefahr verwirklicht" hat. - Aus gleichem Grunde entfällt auch die Strafbarkeit nach § 226 a.F. bei N . 6 6 g) B G H N J W 1995 S. 3194: B, der Lebensgefährte der A wirkte auf den fünfjährigen Sohn der A derart gewalttätig ein, daß dieser schwer verletzt wurde. Das Kind schrie, verweigerte jede Nahrung und fiel schließlich in Bewußtlosigkeit. - Zu diesem Zeitpunkt hätte das Kind aber nocht gerettet werden können. Als es später ins Krankenhaus gebracht wurde, war es bereits tot. BGH: A ist nicht der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig, denn unmittelbare Ursache für den Tod des Kindes war nicht der Umstand, daß die A trotz des sich drastisch verschlechternden Umstandes nichts zu dessen Rettung unternahm, sondern die von B verursachten Verletzungen. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn auch im Unterlassen der Verhinderung der weiteren Verschlechterung des Körperzustandes ist eine vorsätzliche Körperverletzung zu sehen, deren spezifische Gefahr darin lag, daß durch diese Unterlassung der Tod des Kindes nicht verhindert w u r d e t

II. Der Strafrahmen des § 227 Abs. 2 Bei Vorliegen einer Provokationssituation i.S. des § 213, 1. Alt. ist zwingend ein minder schwerer Fall i.S. des § 227 Abs. 2 anzunehmen. 68

§ 19: Körperverletzung im Amt 1. Rechtsnatur des § 340 § 340 ist als qualifizierte Körperverletzung ein unechtes Amtsdelikt, und zwar § 340 Abs. 1, 2 gegenüber § 223. - § 340 Abs. 3 erstreckt die Alternative des „Begehenlassens" des § 340 Abs. 1 auf die §§ 224 - 229. Weil der Täter bei der Verletzung eines individuellen Rechtsguts zugleich das Ansehen des Staates als Rechtsstaat gefährdet, ist die Amtseigenschaft ein straferhöhendes Merkmal, und zwar ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 6 9 2. Die Tathandlung a) Der Täter muß die Körperverletzung während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begehen oder begehen lassen. 64

Vgl. auch DENCKER NStZ 1992 S. 311 ff; OTTO JK 93, StGB § 226/4; PUPPE JR 1992 S. 511 ff.

65

Vgl. B G H StV 1993 S. 75.

66

Vgl. auch B G H M D R 1979 S. 279. - A.A. aber: B G H M D R 1977 S. 282; B G H M D R 1984 S. 442.

67

Vgl. auch OTTO JK 96, StGB § 226/7; WOLTERS JR 1996 S. 471 ff. - Anders aber INGELFINGER G A 1 9 9 7 S. 5 7 3 ff, 5 9 0 .

68

BGHSt 25 S. 222; B G H N S t Z 1983 S. 555; B G H StV 1990 S. 546; B G H StV 1992 S. 115; B G H StV 1994 S. 315; B G H NStZ-RR 1997 S. 99.

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H.M. - A.A. WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 85 ff; DERS. Z R P 1975 S. 273 f: eigenständiges Amtsdelikt, dessen Unrechtsgehalt in der Begehung von Staatsunrecht liegt.

80

K ö r p e r v e r l e t z u n g im A m t

Die Formulierung des Tatbestandes scheint darauf hinzudeuten, daß bei einer Körperverletzungshandlung, die zeitlich in die Ausübung des Dienstes fällt, in jedem Fall der Tatbestand erfüllt ist. 70 Diese Interpretation des Tatbestandes wird seinem Wesen - vgl. oben unter Rdn. 1 f - jedoch nicht gerecht. Nur dann, wenn die Handlung in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Ausübung des Dienstes steht, ist das qualifizierende Element - Beeinträchtigung des Ansehens des Staates als Rechtsstaat - erfüllt. Eine bei Gelegenheit der Amtsausübung begangene Körperverletzung erfüllt den Tatbestand nicht. 71 b) Begehen liegt vor, wenn der Amtsträger die Körperverletzung als Täter oder Mittäter verwirklicht. - Begehenlassen bedeutet Tatausführung in mittelbarer Täterschaft.

4

5

Die h.M. läßt darüberhinaus auch Anstiftung und Beihilfe für das Begehenlassen genügen. 7 2 Damit wird jedoch im Rahmen des § 340 letztlich vom Einheitstäterbegriff ausgegangen, dem die §§ 25 ff gerade nicht entsprechen. 7 -'

c) Nach h.M. fällt auch das garantiepflichtwidrige Unterlassen eines Amtsträgers unter die Alternative "Begehenlassen". 74 - Dem ist nicht zu folgen, denn die Nichtabwendung der Körperverletzung durch einen anderen ist ein pflichtwidriges Geschehenlassen und entspricht damit gemäß § 13 dem "Begehen". 75 3.

Rechtfertigung

a) Das Delikt ist Körperverletzungsdelikt. Hoheitliche Eingriffsrechte in die körperliche Integrität des Betroffenen rechtfertigen daher das Verhalten. b) Auch die Einwilligung des Verletzten in die Körperverletzung hat rechtfertigende Kraft. Wie ausgeführt beruht das besondere Unrecht dieses Tatbestands darauf, daß das Ansehen des Staates als Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn der Täter in Ausübung der Amtsgewalt eine Körperverletzung begeht. Körperverletzung in diesem Sinne kann aber nur der Unrechtstatbestand einer Körperverletzung sein. Liegt dieser Unrechtstatbestand wegen der Einwilligung des Verletzten nicht vor, so leidet auch das Ansehen des Staates nicht. 76 4. Zur

Ergebnis: § 340 Abs. 1. b) Der Gerichtsvollzieher G, der eine Pfändung vornimmt, sieht plötzlich seinen Nebenbuhler N, der mit der Pfändung nichts zu tun hat. Diesen verprügelt er.

7 1

V g l . TRÖNDLE S t G B , § 3 4 0 R d n . 2; WAGNER Z R P 1 9 7 5 S. 2 7 3 . H . M . , vgl. z . B . HORN S K II, § 3 4 0 R d n . 4 ; LACKNER/KÜHL § 3 4 0 R d n . 2;

MAURACH/SCHROEDER/

M A I W A L D B . T . 1, § 9 R d n . 3 7 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 / 2 0 . 7 2

V g l . R G S t 6 6 S . 5 9 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 9 R d n . 3 7 ; S C H / S C H / C R A M E R § 3 4 0

Rdn. 4; TRÖNDLE StGB, § 340 Rdn. 2. 73

7 8

Verdeutlichung

a) Der Polizeibeamte P verprügelt bei einer Vernehmung den X, weil er sich über dessen freche Antworten ärgert.

7 0

6

So auch HIRSCH LK, 10. Aufl., § 340 Rdn. 9.

7 4

V g l . z.B. SCH/SCH/CRAMER § 3 4 0 R d n . 4.

7 5

V g l . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 9 R d n . 37.

76

So im Ergebnis auch: AMELUNG Dünnebier-FS, S. 487 ff; AMELUNG/WEIDEMANN JUS 1984 S. 595 ff; H O R N S K II, § 3 4 0 R d n . 7 . - A . A . h . M . : B G H N I W HIRSCH

LK,

10.

Aufl.,

§340

Rdn.

14;

1 9 8 3 S. 4 6 2 ; HERZBERG J u S

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

1984 S. 9 3 7 ff;

B.T.l,

§ 9 Rdn.

38;

S C H / S C H / C R A M E R § 3 4 0 R d n . 5 ; T R Ö N D L E S t G B , § 3 4 0 R d n . 1; W A G N E R J Z 1 9 8 7 S . 6 6 2 .

81

9

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§20

Ergebnis: § 223; str. vgl. oben Rdn. 4. c) O L G Karlsruhe M D R 1983 S. 250: Der als Chefarzt eines Kreiskrankenhauses tätige A nimmt eine Operation ohne rechtswirksame Einwilligung vor. O L G Karlsruhe: Der Chefarzt ist zwar Amtsträger i.S. des § 340, er hat die Körperverletzung jedoch nicht "während der Ausführung seines Dienstes" oder "in Beziehung auf seinen Dienst begangen", denn die konkrete Heilbehandlung des einzelnen Patienten ist keine dienstliche Tätigkeit i.S. des § 340. Kritik: Da auch die Heilbehandlung im Rahmen der Daseinsvorsorge, die das Kreiskrankenhaus wahrnimmt, erfolgte, überzeugt diese Begründung nicht. Hier zeigen sich die mißlichen Konsequenzen der Prämisse, den Heileingriff schlechthin als Körperverletzung zu interpretieren. d) B G H N J W 1983 S. 462: Der Krankenpfleger K versorgt die in einer Entziehungsanstalt befindlichen Alkoholsüchtigen mit Alkohol. BGH: K ist strafbar nach § 340 Abs. 1, da eine Einwilligung der Abnehmer nicht rechtfertigt. - Dem wäre nur zuzustimmen, wenn die Abnehmer aufgrund ihrer Sucht unzurechnungsfähig waren. Handelten sie im Rechtssinne freiverantwortlich, so entfällt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 340.

§ 20: Mißhandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 225 1

2

3

In der Alternative der rohen Mißhandlung und der Gesundheitsschädigung erfaßt § 225 Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit. Insoweit ist er als ein durch das Schutzverhältnis zwischen Täter und Opfer qualifiziertes Körperverletzungsdelikt anzusehen. In der Alternative des Quälens hingegen richtet sich die Tathandlung auch gegen die Psyche des Opfers. Das Delikt ist insoweit als Straftat gegen das "Seelenleben des Menschen" zu begreifen, das je nach den Tatumständen zu Körperverletzungsdelikten in Idealkonkurrenz stehen kann. Die Schutzposition ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28. In der Körperverletzungsalternative ist § 225 demnach als unechtes Sonderdelikt zu sehen, in der Alternative des seelischen Quälens als echtes Sonderdelikt. In der Literatur wird demgegenüber eine einheitliche Interpretation des § 225 versucht, die jedoch den Nachteil hat, daß eine der beiden Möglichkeiten, das Delikt zu verwirklichen, jeweils vernachlässigt werden muß. 77

II. Einzelheiten zur Interpretation 1. Die Tatsituation 4

Die Tatsituation ist durch die Minderjährigkeit bzw. die Wehrlosigkeit des Opfers sowie ein Abhängigkeitsverhältnis dem Täter gegenüber gekennzeichnet. Dem Schutzverhältnis muß eine rechtliche Verpflichtung zugrunde liegen. Bloße Gefälligkeitsverhältnisse begründen kein Fürsorgeverhältnis im Sinne des § 225. 7 8

77

Für ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt: BGHSt 3 S. 20; LACKNER/KÜHL § 2 2 3 b Rdn. 1; TRÖNDLE StGB, § 223 b Rdn. 1. - Für ein gegenüber den Körperverletzungsdelikten selbständiges Delikt: HIRSCH LK, 10. Aufl., § 223 b Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , .§ 10 Rdn. 2; W. MEURER Probleme des Tatbestandes der Mißhandlung Schutzbefohlener (§ 223 b StGB), Diss. Köln 1997, S. 93 f. - Differenzierend wie hier: HORN SK II, § 223 b Rdn. 2.

78

Vgl. B G H N J W 1982 S. 2390. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 10 Rdn. 6 f.

82

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§20

Ergebnis: § 223; str. vgl. oben Rdn. 4. c) O L G Karlsruhe M D R 1983 S. 250: Der als Chefarzt eines Kreiskrankenhauses tätige A nimmt eine Operation ohne rechtswirksame Einwilligung vor. O L G Karlsruhe: Der Chefarzt ist zwar Amtsträger i.S. des § 340, er hat die Körperverletzung jedoch nicht "während der Ausführung seines Dienstes" oder "in Beziehung auf seinen Dienst begangen", denn die konkrete Heilbehandlung des einzelnen Patienten ist keine dienstliche Tätigkeit i.S. des § 340. Kritik: Da auch die Heilbehandlung im Rahmen der Daseinsvorsorge, die das Kreiskrankenhaus wahrnimmt, erfolgte, überzeugt diese Begründung nicht. Hier zeigen sich die mißlichen Konsequenzen der Prämisse, den Heileingriff schlechthin als Körperverletzung zu interpretieren. d) B G H N J W 1983 S. 462: Der Krankenpfleger K versorgt die in einer Entziehungsanstalt befindlichen Alkoholsüchtigen mit Alkohol. BGH: K ist strafbar nach § 340 Abs. 1, da eine Einwilligung der Abnehmer nicht rechtfertigt. - Dem wäre nur zuzustimmen, wenn die Abnehmer aufgrund ihrer Sucht unzurechnungsfähig waren. Handelten sie im Rechtssinne freiverantwortlich, so entfällt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 340.

§ 20: Mißhandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 225 1

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In der Alternative der rohen Mißhandlung und der Gesundheitsschädigung erfaßt § 225 Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit. Insoweit ist er als ein durch das Schutzverhältnis zwischen Täter und Opfer qualifiziertes Körperverletzungsdelikt anzusehen. In der Alternative des Quälens hingegen richtet sich die Tathandlung auch gegen die Psyche des Opfers. Das Delikt ist insoweit als Straftat gegen das "Seelenleben des Menschen" zu begreifen, das je nach den Tatumständen zu Körperverletzungsdelikten in Idealkonkurrenz stehen kann. Die Schutzposition ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28. In der Körperverletzungsalternative ist § 225 demnach als unechtes Sonderdelikt zu sehen, in der Alternative des seelischen Quälens als echtes Sonderdelikt. In der Literatur wird demgegenüber eine einheitliche Interpretation des § 225 versucht, die jedoch den Nachteil hat, daß eine der beiden Möglichkeiten, das Delikt zu verwirklichen, jeweils vernachlässigt werden muß. 77

II. Einzelheiten zur Interpretation 1. Die Tatsituation 4

Die Tatsituation ist durch die Minderjährigkeit bzw. die Wehrlosigkeit des Opfers sowie ein Abhängigkeitsverhältnis dem Täter gegenüber gekennzeichnet. Dem Schutzverhältnis muß eine rechtliche Verpflichtung zugrunde liegen. Bloße Gefälligkeitsverhältnisse begründen kein Fürsorgeverhältnis im Sinne des § 225. 7 8

77

Für ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt: BGHSt 3 S. 20; LACKNER/KÜHL § 2 2 3 b Rdn. 1; TRÖNDLE StGB, § 223 b Rdn. 1. - Für ein gegenüber den Körperverletzungsdelikten selbständiges Delikt: HIRSCH LK, 10. Aufl., § 223 b Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , .§ 10 Rdn. 2; W. MEURER Probleme des Tatbestandes der Mißhandlung Schutzbefohlener (§ 223 b StGB), Diss. Köln 1997, S. 93 f. - Differenzierend wie hier: HORN SK II, § 223 b Rdn. 2.

78

Vgl. B G H N J W 1982 S. 2390. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 10 Rdn. 6 f.

82

Fahrlässige Körperverletzung 2. Die

§21

Tathandlung

Quälen ist das Zufügen dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. 7 9 Eine rohe Mißhandlung ist eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung, die sich in erheblichen Folgen äußert, sei es in erheblichen Schmerzen oder in einer erheblichen Verletzung der Körperintegrität. 8 0 Auf böswilliger Vernachlässigung der Sorgepflicht beruht die Gesundheitsschädigung, wenn diese aus sozialethisch besonders verwerflichem Motiv heraus (Haß, Sadismus, nicht aber Gleichgültigkeit) erfolgt. 8 1 Alle drei Tatbestandsalternativen können durch Unterlassen verwirklicht werden, denn aus der Begrenzung der 3. Tatalternative, Gesundheitsschädigung, auf die Fälle böswilligen Verhaltens kann nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber als Unterlassen überhaupt nur Fälle böswilligen Verhaltens erfassen wollte. 8 2 3. Qualifizierte

5

6

Tatbestände

Abs. 2 nennt zwei Qualifikationstatbestände: Zum einen, daß die Schutzbefohlene Person in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 gebracht worden ist (Nr. 1), zum anderen in die konkrete Gefahr einer erheblichen Entwicklungsbeschädigung im Sinne von § 171 (Nr. 2).

7

III. Zur sozialen Relevanz des § 225 Die Zahl der Verurteilungen hält sich relativ konstant: 1960: 235, 1975: 297, 1981: 228, 1986: 289, 1991: 254. Die Zahl der polizeilich erfaßten Fälle ist jedoch höher: 1975: 1644, 1981: 1999 Fälle, darunter 1423 Kindesmißhandlungen, 1986: 1643 Fälle, darunter 1205 Kindesmißhandlungen, 1991: 2102 Fälle, darunter 1571 Kindesmißhandlungen. - Die Dunkelziffer ist erheblich: Schätzungen gehen dahin, daß 95 % der Fälle den Behörden nicht bekannt werden. 8 3

8

§ 21: Fahrlässige Körperverletzung 1. Deliktsspezifische Probleme der fahrlässigen Körperverletzung, § 229, sind nicht gegeben. Es gilt das zum Aufbau und zur Problematik der fahrlässigen Tötung Ausgeführte mit dem einzigen Unterschied, daß der Erfolg dieses Delikts nicht im Tode eines anderen Menschen besteht, sondern in einer Körperverletzung; vgl. dazu § 9. 2. Zur Körperverletzung 3. Zum Strafantrag

vgl. die Ausführungen zu § 223 unter § 15 Rdn. 1 ff.

vgl. § 15 Rdn. 27 f.

79

Vgl. dazu BGHSt 41 S. 113 mit Anm. HIRSCH NStZ 1996 S. 37; OTTO JK 96, StGB § 223 b/2; WOLFSLAST/SCHME1SSER JR 1996 S. 338 f; im einzelnen dazu W. MEURER Probleme, S. 42 ff.

80

BGHSt 25 S. 277.

81

Dazu BGHSt 3 S. 20.

82

Vgl. BGH NStZ 1991 S. 234 mit Anm. OTTO JK 91, StGB § 223 h/1; BGH NStZ-RR 1996 S. 197. Zur Gegenansicht: W. MEURER Probleme, S. 76 ff m.N.

83

Zur Vertiefung: ARBEITSGRUPPE KINDERSCHUTZ Gewalt gegen Kinder, 1983; GEERDS MSchr für Kinderheilkunde 1986 S. 327 ff; DERS. ArchKrim 1995 S. 9 ff, 131 ff; HONIG Kindesmißhandlung, 1982; SCHMIDT Krim 1991 S. 315 ff; URSULA SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987, S. 59 ff; TRUBE-BECKER Gewalt gegen das Kind, 2. Aufl., 1987.

83

\

Fahrlässige Körperverletzung 2. Die

§21

Tathandlung

Quälen ist das Zufügen dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. 7 9 Eine rohe Mißhandlung ist eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung, die sich in erheblichen Folgen äußert, sei es in erheblichen Schmerzen oder in einer erheblichen Verletzung der Körperintegrität. 8 0 Auf böswilliger Vernachlässigung der Sorgepflicht beruht die Gesundheitsschädigung, wenn diese aus sozialethisch besonders verwerflichem Motiv heraus (Haß, Sadismus, nicht aber Gleichgültigkeit) erfolgt. 8 1 Alle drei Tatbestandsalternativen können durch Unterlassen verwirklicht werden, denn aus der Begrenzung der 3. Tatalternative, Gesundheitsschädigung, auf die Fälle böswilligen Verhaltens kann nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber als Unterlassen überhaupt nur Fälle böswilligen Verhaltens erfassen wollte. 8 2 3. Qualifizierte

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Tatbestände

Abs. 2 nennt zwei Qualifikationstatbestände: Zum einen, daß die Schutzbefohlene Person in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 gebracht worden ist (Nr. 1), zum anderen in die konkrete Gefahr einer erheblichen Entwicklungsbeschädigung im Sinne von § 171 (Nr. 2).

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III. Zur sozialen Relevanz des § 225 Die Zahl der Verurteilungen hält sich relativ konstant: 1960: 235, 1975: 297, 1981: 228, 1986: 289, 1991: 254. Die Zahl der polizeilich erfaßten Fälle ist jedoch höher: 1975: 1644, 1981: 1999 Fälle, darunter 1423 Kindesmißhandlungen, 1986: 1643 Fälle, darunter 1205 Kindesmißhandlungen, 1991: 2102 Fälle, darunter 1571 Kindesmißhandlungen. - Die Dunkelziffer ist erheblich: Schätzungen gehen dahin, daß 95 % der Fälle den Behörden nicht bekannt werden. 8 3

8

§ 21: Fahrlässige Körperverletzung 1. Deliktsspezifische Probleme der fahrlässigen Körperverletzung, § 229, sind nicht gegeben. Es gilt das zum Aufbau und zur Problematik der fahrlässigen Tötung Ausgeführte mit dem einzigen Unterschied, daß der Erfolg dieses Delikts nicht im Tode eines anderen Menschen besteht, sondern in einer Körperverletzung; vgl. dazu § 9. 2. Zur Körperverletzung 3. Zum Strafantrag

vgl. die Ausführungen zu § 223 unter § 15 Rdn. 1 ff.

vgl. § 15 Rdn. 27 f.

79

Vgl. dazu BGHSt 41 S. 113 mit Anm. HIRSCH NStZ 1996 S. 37; OTTO JK 96, StGB § 223 b/2; WOLFSLAST/SCHME1SSER JR 1996 S. 338 f; im einzelnen dazu W. MEURER Probleme, S. 42 ff.

80

BGHSt 25 S. 277.

81

Dazu BGHSt 3 S. 20.

82

Vgl. BGH NStZ 1991 S. 234 mit Anm. OTTO JK 91, StGB § 223 h/1; BGH NStZ-RR 1996 S. 197. Zur Gegenansicht: W. MEURER Probleme, S. 76 ff m.N.

83

Zur Vertiefung: ARBEITSGRUPPE KINDERSCHUTZ Gewalt gegen Kinder, 1983; GEERDS MSchr für Kinderheilkunde 1986 S. 327 ff; DERS. ArchKrim 1995 S. 9 ff, 131 ff; HONIG Kindesmißhandlung, 1982; SCHMIDT Krim 1991 S. 315 ff; URSULA SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987, S. 59 ff; TRUBE-BECKER Gewalt gegen das Kind, 2. Aufl., 1987.

83

\

§22

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§ 22: Vergiftung 1

Der Tatbestand der Vergiftung wurde durch das 6. StrRG aufgehoben und der Einsatz von Gift und anderen gesundheitsschädlichen Stoffen bei der Körperverletzung als Qualifikation, § 224 Abs. 1 Nr. 1, erfaßt.

§ 23: Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat 1

§ 231 erfaßt ein sog. Massendelikt. Strafgrund ist nicht eine Körperverletzung, sondern die schuldhafte Beteiligung an einer Rauferei, aus der sich Gefahren für die Allgemeinheit ergeben können. Es handelt sich demnach um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.

II. Einzelheiten der Regelung 1. Der Tatbestand 2

a) Schlägerei ist eine mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als 2 Personen mitwirken. 84 - Übt einer von drei Betroffenen lediglich Schutz wehr, indem er z.B. den eigenen Kopf mit seinen Armen schützend umfaßt, so liegt noch keine Schlägerei vor. - Es ist aber nicht erforderlich, daß alle Beteiligten rechtswidrig handeln. 3 Ein von mehreren gemachter Angriff ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung von mindestens zwei Personen. 85 Beteiligt ist jeder, der an der Auseinandersetzung im Zusammenwirken mit anderen teilnimmt, d.h. physisch oder psychisch mitwirkt. - Mittäterschaft im technischen Sinn ist nicht erforderlich, wohl aber bei den Angreifenden Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstandes und des Angriffswillens. 86 4 b) Mit der Klarstellung, daß nicht nach Abs. 1 strafbar ist, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne daß ihm dies vorzuwerfen ist, Abs. 2, wollte der Gesetzgeber sicherstellen, daß nur derjenige Straffreiheit erlangt, der an der Schlägerei oder an dem Angriff zu keinem Zeitpunkt in vorwerfbarer Weise beteiligt war.

5

2. Die schwere Folge Die Schlägerei oder der Angriff mehrerer muß den Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§226) verursacht haben. Maßgeblich ist der Zusammenhang der schweren Folge mit der Schlägerei oder dem Angriff, während es gleichgültig ist, wen die Folge trifft. Der Tatbestand ist auch dann wegen der Beteiligung an einer Schlägerei gegeben, wenn ein Gegner in Notwehr getötet wird. 87 Das stellt der Gesetzeswortlaut nunmehr

84

BGHSt31 S. 124.

85

BGHSt31 S. 124.

86

BGHSt 2 S. 163.

8 7

V g l . B G H S t 3 3 S. 100; 3 9 S . 3 0 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 2 7 R d n . 5; SCH/SCH/STREE § 2 2 7 R d n . 14. A . A . GÜNTHER J Z 1985 S. 5 8 7 ; HENKE J u r a 1985 S. 5 8 9 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 2 9 7 ; MONTENBRUCK J R 1 9 8 6 S. 142; RÖNNAU/BRÖCKERS G A 1995 S . 5 6 3 f f ; SCHULZ S t V 1 9 8 6 S. 2 5 0 f.

84

§22

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§ 22: Vergiftung 1

Der Tatbestand der Vergiftung wurde durch das 6. StrRG aufgehoben und der Einsatz von Gift und anderen gesundheitsschädlichen Stoffen bei der Körperverletzung als Qualifikation, § 224 Abs. 1 Nr. 1, erfaßt.

§ 23: Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat 1

§ 231 erfaßt ein sog. Massendelikt. Strafgrund ist nicht eine Körperverletzung, sondern die schuldhafte Beteiligung an einer Rauferei, aus der sich Gefahren für die Allgemeinheit ergeben können. Es handelt sich demnach um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.

II. Einzelheiten der Regelung 1. Der Tatbestand 2

a) Schlägerei ist eine mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als 2 Personen mitwirken. 84 - Übt einer von drei Betroffenen lediglich Schutz wehr, indem er z.B. den eigenen Kopf mit seinen Armen schützend umfaßt, so liegt noch keine Schlägerei vor. - Es ist aber nicht erforderlich, daß alle Beteiligten rechtswidrig handeln. 3 Ein von mehreren gemachter Angriff ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung von mindestens zwei Personen. 85 Beteiligt ist jeder, der an der Auseinandersetzung im Zusammenwirken mit anderen teilnimmt, d.h. physisch oder psychisch mitwirkt. - Mittäterschaft im technischen Sinn ist nicht erforderlich, wohl aber bei den Angreifenden Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstandes und des Angriffswillens. 86 4 b) Mit der Klarstellung, daß nicht nach Abs. 1 strafbar ist, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne daß ihm dies vorzuwerfen ist, Abs. 2, wollte der Gesetzgeber sicherstellen, daß nur derjenige Straffreiheit erlangt, der an der Schlägerei oder an dem Angriff zu keinem Zeitpunkt in vorwerfbarer Weise beteiligt war.

5

2. Die schwere Folge Die Schlägerei oder der Angriff mehrerer muß den Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§226) verursacht haben. Maßgeblich ist der Zusammenhang der schweren Folge mit der Schlägerei oder dem Angriff, während es gleichgültig ist, wen die Folge trifft. Der Tatbestand ist auch dann wegen der Beteiligung an einer Schlägerei gegeben, wenn ein Gegner in Notwehr getötet wird. 87 Das stellt der Gesetzeswortlaut nunmehr

84

BGHSt31 S. 124.

85

BGHSt31 S. 124.

86

BGHSt 2 S. 163.

8 7

V g l . B G H S t 3 3 S. 100; 3 9 S . 3 0 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 2 7 R d n . 5; SCH/SCH/STREE § 2 2 7 R d n . 14. A . A . GÜNTHER J Z 1985 S. 5 8 7 ; HENKE J u r a 1985 S. 5 8 9 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 2 9 7 ; MONTENBRUCK J R 1 9 8 6 S. 142; RÖNNAU/BRÖCKERS G A 1995 S . 5 6 3 f f ; SCHULZ S t V 1 9 8 6 S. 2 5 0 f.

84

Beteiligung an einer Schlägerei

§23

ausdrücklich klar, indem er betont, daß die Beteiligung an der Schlägerei oder dem Angriff das strafbare Verhalten darstellt. Auf den Zeitpunkt der Beteiligung, vor, bei oder nach Eintritt der schweren Folge, kommt es nach h.M. nicht an. 8 8 D i e Gegenmeinung beschränkt die Haftung auf diejenigen Personen, die sich zum Zeitpunkt des Eintritts der schweren Folge noch oder bereits an dem Raufhandel beteiligen. 8 9 - Die h.M. zieht den Kreis der Verantwortlichen zu weit, soweit sie auch Mitwirkende als Beteiligte erfaßt, die nach Eintritt der schweren Folge an der Rauferei teilgenommen haben. Die Gegenmeinung erweist sich als zu eng, da die Auswirkungen einer Beteiligung nicht mit dem Ausscheiden der tätigen Person abbrechen. Sachgerecht ist es daher, den als Beteiligten anzusehen, der vor oder bei Eintritt der schweren Folge an der Rauferei mitwirkte. Erst nachträglich Mitwirkende haften nicht für die schwere F o l g e . 9 0

6

III. Zur Einübung 1. BGHSt 14 S. 132; Zwischen Jugendlichen aus I und Sch kam es zu einer Schlägerei. G und K beteiligten sich, mußten aber aufgrund der eigenen Einbußen bald aufgeben. Sie entfernten sich. Im weiteren Verlauf der Schlägerei wurde T erstochen. BGH: Auch G und K sind strafbar wegen Beteiligung an einer Schlägerei. 2. BGHSt 16 S. 130: Bei einer Schlägerei zwischen mehreren Personen brachte H dem W mehrere tödliche Stiche bei. Die Schlägerei ging aber weiter. Nunmehr beteiligte sich auch J daran. BGH: Auch J ist strafbar nach § 227 a.F., jetzt § 231. - Nach der hier vertretenen Ansicht scheidet eine Strafbarkeit des J nach § 227 a.F., jetzt § 231 aus. 3. Bei einer Schlägerei in einer Gaststätte, an der sich unter anderem X, Y und Z beteiligten, wollte der Gast G schlichten. Er begab sich unter die Raufenden und forderte diese laut zu friedlichem Verhalten auf. Im Gewühl wurde er jedoch erschlagen. Ergebnis: § 227 a.F., jetzt § 231 liegt vor. Der Getötete braucht nicht selbst an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sein, es genügt, daß sein Tod durch die Schlägerei bewirkt wurde. 4. RGSt 32 S. 33: Bei einer Schlägerei zwischen A, B, C, D, E und F wurde allein der F schwer am Körper verletzt i.S. des § 224 a.F., jetzt § 226. RG: Auch F ist strafbar nach § 227 a.F., jetzt § 231

91

5. BGHSt 15 S. 369: C verprügelte S ohne Grund. S wehrte sich. V, der Vater des S, wollte seinem Sohn zu Hilfe kommen. A verhinderte dies, indem er den V festhielt. S kam bei der Prügelei zu Tode. BGH: Auch A ist nach § 227 a.F., jetzt § 231 strafbar, denn er nahm an einer Schlägerei teil. 6. BGHSt 39 S. 305: A beteiligte sich an einer Schlägerei. Im Laufe der Auseinandersetzung tötete er einen der Gegner in Notwehr. BGH: A ist nach § 227 a.F., jetzt § 231 strafbar. 92

8 8

V g l . B G H S t 14 S . 1 3 2 ; 16 S . 1 3 0 ; GÖSSEL B . T . 1 , § 17 R d n . 11; LACKNER/KÜHL § 2 2 7 R d n . 5.

8 9

V g l . BINDING B . T . I, S . 7 8 ; KREY B . T . 1, R d n . 2 9 7 ; W E L Z E L L b . , § 4 0 II 2 .

9 0

S o a u c h BIRKHAHN M D R 1 9 6 2 S . 6 2 5 f ; HIRSCH L K , 10. A u f l . , § 2 2 7 R d n . 8; HORN S K II, § 2 2 7 R d n .

91

Vgl. auch BGHSt 33 S. 104.

9 2

D a z u G E P P E R T J K 9 4 , S t G B § 227/1; STREE JR 1994 S. 370 f; WAGNER J u S 1995 S. 296 ff.

8; PAEFFGEN N K , § 2 2 7 R d n . 8; RENGIER B . T . II, § 19 RDN. 11; STREE J u S 1 9 6 2 S . 9 4 .

85

7

§24

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§ 24: Konkurrenzprobleme I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte 1. Grundsatz 1

Die jeweils schwerere Körperverletzung konsumiert die jeweils leichtere. - Kommt es jedoch nur zum Versuch der schwereren Körperverletzung, so konkurrieren diese und die vollendete geringere idealiter, damit im Urteilstenor zum Ausdruck kommt, daß eine Körperverletzung bereits vollendet wurde. 2. Besonderheiten

2

Infolge des von den Körperverletzungsdelikten abweichenden Strafgrundes des § 231 konkurriert § 231 idealiter mit den bei dem Raufhandel verwirklichten Körperverletzungsdelikten. - Zwischen § 340 Abs. 1, 2 und § 223 Abs. 1, 2 besteht Gesetzeskonkurrenz (Qualifikation). - Im Verhältnis des § 225 zu §§ 226, 227 besteht Idealkonkurrenz.93 3. Zur Einübung

3

a) A schießt auf B und ist sich dabei der Gefahr bewußt, dem B das Auge auszuschießen. Er trifft den B am Kopf, doch bleibt dem B die Sehkraft erhalten. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 224, 226 Abs. 1, 23, 52. b) Wie unter a), doch will A dem B absichtlich ins Auge schießen. Er trifft, doch stirbt B wider Erwarten. Ergebnis: A strafbar gemäß § 227. §§ 226 Abs. 2, 23 werden von § 227 konsumiert. 94 c) Bei einer Schlägerei i.S. des § 231 schlägt A dem B das Auge absichtlich aus. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 231, 226 Abs. 2, 52.

II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten 1. Das Verhältnis des Tötungs- zum

Körperverletzungsvorsatz

4

Ausgangsfall: BGHSt 22 S. 248: A schießt mit Tötungsvorsatz aus einer Entfernung von 3 bis 4 m auf seinen Vater. Der Schuß geht durch die Schläfe auf den Augapfel bis zur Nasenwurzel. Der Vater bleibt am Leben, verliert aber das linke Auge.

5

a) Da jede Tötung notwendigerweise über das Stadium einer Körperverletzung wirklicht wird, ist der Körperverletzungsvorsatz im Tötungsvorsatz als notwendiger standteil enthalten; sog. Einheitstheorie.95 b) Diesen notwendigen Bezug zwischen Körperverletzung und Tötung verkennt die Gegensatztheorie, die von einem gegenseitigen Ausschluß von KörperverletzungsTötungsvorsatz ausgeht. 96

6

9 3

verBesog. und

V g l . HIRSCH L K , 10. A u f l . , § 2 2 3 b R d n . 23; SCH/SCH/STREE § 2 2 3 b R d n . 17. - A . A . : G e s e t z e s k o n k u r -

renz: LACKNER/KÜHL § 223 b Rdn. 10; TRÖNDLE StGB, § 223 b Rdn. 15. 94

A.A. vgl. z.B.: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 35: Idealkonkurrenz. Auch hier ist Konsumtion der §§ 225, 23 durch § 226 jedoch angemessener, da der Unrechtsgehalt des beabsichtigten Delikts voll im Strafmaß des § 226 berücksichtigt werden kann.

95

Hierzu BGHSt 16 S. 122; 21 S. 265; BGH MDR 1991 S. 70 f; HIRSCH LK, 10. Aufl., Vor § 223 Rdn. 14 ff; JAKOBS Die Konkurrenz von Tötungsdelikten mit Körperverletzungsdelikten, 1967, S. 119 ff; KREYJuS 1971 S. 143.

96

Zur Gegensatztheorie: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 230.

86

Zur Wiederholung

§25

2. Konsequenzen a) Das vollendete Tötungsdelikt konsumiert das jeweils verwirklichte Körperverletzungsdelikt als notwendigen Bestandteil. 97 Auch die privilegierten Tötungsdelikte konsumieren die qualifizierten Körperverletzungsdelikte, da sonst die Absicht des Gesetzgebers, das Verhalten zu privilegieren, umgangen würde. b) Ist das Tötungsdelikt nur bis in das Versuchsstadium gelangt, eine qualifizierte Körperverletzung gemäß § 226 jedoch bereits vollendet worden, so besteht zwischen versuchtem Tötungsdelikt und Körperverletzungsdelikt Idealkonkurrenz. Der Tötungsversuch konsumiert das Unrecht der vollendeten qualifizierten Körperverletzung nicht 98 , wohl aber das einer einfachen oder gefährlichen Körperverletzung.99

7 8

9

3. Konsequenzen für den Ausgangsfall a) BGH: A ist wegen versuchten Totschlags zu bestrafen. Die schwere Körperverletzung wird konsumiert.

10

b) Nach der hier vertretenen Ansicht wäre A gemäß §§ 226 Abs. 1 Nr. 1, 212, 23, 52 zu bestrafen.

§ 25: Zur Wiederholung 1. Wie ist die "körperliche Mißhandlung" zu definieren? - Dazu § 15 Rdn. 2.

1

2. Wie ist die "Gesundheitsschädigung" zu definieren? - Dazu § 15 Rdn. 5. 3. Ist § 224 ein abstraktes oder ein konkretes Gefährdungsdelikt? - Dazu § 16 Rdn. 2 f. 4. Was sind „gesundheitsschädliche Stoffe"? - Dazu § 16 Rdn. 5. 5. A verspricht dem B 10,- DM, wenn er den anwesenden C verprügelt. B tut dies. Haben mehrere gemeinschaftlich i.S. des § 224 die Körperverletzung begangen? - Dazu § 16 Rdn. 10. 6. Wie ist der ungeschützte Geschlechtsverkehr eines Aids-Kranken mit einem unwissendem Partner strafrechtlich zu würdigen? - Dazu § 16 Rdn. 14 f. 7. Ist ein Versuch der schweren Körperverletzung gemäß §§ 226, 23 möglich? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? - Dazu § 17 Rdn. 11 f. 8. Welcher Zusammenhang muß zwischen Todeserfolg und Körperverletzung in § 227 bestehen? - Dazu § 18 Rdn. 2 f. 9. Ist § 225 ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt? - Dazu § 20 Rdn. 1 f. 10. Wann ist der Stoff "beigebracht" i.S. des § 224 Abs. 1 - Dazu § 22 Rdn. 5. 11. Kann derjenige nach § 231 bestraft werden, der an der Schlägerei erst teilnimmt, nachdem es zu einer tödlichen Verletzung eines anderen gekommen ist? - Dazu § 23 Rdn. 3 f. 12. Der Beamte A verletzt den X bei Ausübung seines Amtes mit einem Stock schwer. - Wie konkurrieren §§ 224, 340 Abs. 1 hier? - Dazu § 19 Rdn. 4. 13. A würgt die B, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. B erleidet eine Kehlkopfverletzung. - Kann A wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 9.

97

Gleichfalls für Gesetzeskonkurrenz, wenn auch z. T. für Subsidiarität: BGHSt 16 S. 122; 22 S. 248;

98

Vgl. auch BGHZ NStZ 1995 S. 589; BGH NStZ 1997 S. 387; JAKOBS NJW 1969 S. 438; KREY B.T.l, Rdn. 239; R. SCHMITT JZ 1962 S. 392. - A.A. in Bezug auf § 224: BGHSt 22 S. 248; BGH bei Holtz, MDR 1 9 8 6 S . 6 2 2 .

99

Vgl. auch BGH NStZ 1995 S. 79; BGH NStZ-RR 1998 S. 42.

K R E Y J U S 1 9 7 1 S . 1 4 3 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1 , § 8 R d n . 4 7 f.

87

Zur Wiederholung

§25

2. Konsequenzen a) Das vollendete Tötungsdelikt konsumiert das jeweils verwirklichte Körperverletzungsdelikt als notwendigen Bestandteil. 97 Auch die privilegierten Tötungsdelikte konsumieren die qualifizierten Körperverletzungsdelikte, da sonst die Absicht des Gesetzgebers, das Verhalten zu privilegieren, umgangen würde. b) Ist das Tötungsdelikt nur bis in das Versuchsstadium gelangt, eine qualifizierte Körperverletzung gemäß § 226 jedoch bereits vollendet worden, so besteht zwischen versuchtem Tötungsdelikt und Körperverletzungsdelikt Idealkonkurrenz. Der Tötungsversuch konsumiert das Unrecht der vollendeten qualifizierten Körperverletzung nicht 98 , wohl aber das einer einfachen oder gefährlichen Körperverletzung.99

7 8

9

3. Konsequenzen für den Ausgangsfall a) BGH: A ist wegen versuchten Totschlags zu bestrafen. Die schwere Körperverletzung wird konsumiert.

10

b) Nach der hier vertretenen Ansicht wäre A gemäß §§ 226 Abs. 1 Nr. 1, 212, 23, 52 zu bestrafen.

§ 25: Zur Wiederholung 1. Wie ist die "körperliche Mißhandlung" zu definieren? - Dazu § 15 Rdn. 2.

1

2. Wie ist die "Gesundheitsschädigung" zu definieren? - Dazu § 15 Rdn. 5. 3. Ist § 224 ein abstraktes oder ein konkretes Gefährdungsdelikt? - Dazu § 16 Rdn. 2 f. 4. Was sind „gesundheitsschädliche Stoffe"? - Dazu § 16 Rdn. 5. 5. A verspricht dem B 10,- DM, wenn er den anwesenden C verprügelt. B tut dies. Haben mehrere gemeinschaftlich i.S. des § 224 die Körperverletzung begangen? - Dazu § 16 Rdn. 10. 6. Wie ist der ungeschützte Geschlechtsverkehr eines Aids-Kranken mit einem unwissendem Partner strafrechtlich zu würdigen? - Dazu § 16 Rdn. 14 f. 7. Ist ein Versuch der schweren Körperverletzung gemäß §§ 226, 23 möglich? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? - Dazu § 17 Rdn. 11 f. 8. Welcher Zusammenhang muß zwischen Todeserfolg und Körperverletzung in § 227 bestehen? - Dazu § 18 Rdn. 2 f. 9. Ist § 225 ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt? - Dazu § 20 Rdn. 1 f. 10. Wann ist der Stoff "beigebracht" i.S. des § 224 Abs. 1 - Dazu § 22 Rdn. 5. 11. Kann derjenige nach § 231 bestraft werden, der an der Schlägerei erst teilnimmt, nachdem es zu einer tödlichen Verletzung eines anderen gekommen ist? - Dazu § 23 Rdn. 3 f. 12. Der Beamte A verletzt den X bei Ausübung seines Amtes mit einem Stock schwer. - Wie konkurrieren §§ 224, 340 Abs. 1 hier? - Dazu § 19 Rdn. 4. 13. A würgt die B, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. B erleidet eine Kehlkopfverletzung. - Kann A wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 9.

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Gleichfalls für Gesetzeskonkurrenz, wenn auch z. T. für Subsidiarität: BGHSt 16 S. 122; 22 S. 248;

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Vgl. auch BGHZ NStZ 1995 S. 589; BGH NStZ 1997 S. 387; JAKOBS NJW 1969 S. 438; KREY B.T.l, Rdn. 239; R. SCHMITT JZ 1962 S. 392. - A.A. in Bezug auf § 224: BGHSt 22 S. 248; BGH bei Holtz, MDR 1 9 8 6 S . 6 2 2 .

99

Vgl. auch BGH NStZ 1995 S. 79; BGH NStZ-RR 1998 S. 42.

K R E Y J U S 1 9 7 1 S . 1 4 3 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1 , § 8 R d n . 4 7 f.

87

§ 25

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

14. A gibt der B ein Gift, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. Durch das Gift fällt die B jedoch in Siechtum. Kann A gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 9. 15. A versucht die B mit einem Messer zu töten. B überlebt den Anschlag. Kann A gemäß §§ 212, 23, 224, 52 bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 9.

88

Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte

§26

Vierter Abschnitt Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26: Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte Geschütztes Rechtsgut der Freiheitsdelikte ist nicht die Freiheit schlechthin, sondern die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung.

1

II. Die Systematik der Freiheitsdelikte 1. Die Gesetzessystematik a) Innerhalb der im 18. Abschnitt des StGB enthaltenen Delikte sind der Menschenraub, 2 § 234, die Freiheitsberaubung, § 239, der erpresserische Menschenraub, § 239 a, die Geiselnahme, § 239 b, und die Nötigung, § 240, Freiheitsdelikte. b) Die Bedrohung, §241, ist kein Freiheitsdelikt, sondern ein Delikt gegen den per- 3 sönlichen Rechtsfrieden (str.; eingehender dazu unter § 36), Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a, sollen die Person gegen die Beraubung der Gemeinschaft, des rechtsstaatlichen Schutzes und der Hilfe der Gemeinschaft schützen (dazu unter § 37 Rdn. 1). Die Entziehung Minderjähriger, § 235, ist ein Delikt gegen die familiäre Ordnung (dazu unter § 65 Rdn. 34), während § 236 Abs. 1 die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes schützt und § 236 Abs. 2 die in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVermiG festgelegten Vermittlungsverbote strafrechtlich absichert. c) Außerhalb des 18. Abschnittes des StGB wird in zahlreichen Tatbeständen neben an- 4 deren Rechtsgütern auch die Freiheit der Willensbetätigung geschützt, so z.B. in § 249 (Raub), § 253 (Erpressung), § 177 (Vergewaltigung) u.a. 2. Das Verhältnis der Freiheitsdelikte zueinander a) Umfassend werden Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung in § 240 unter Strafe gestellt. b) Einen Teilbereich dieses Rechtsguts, nämlich die Freiheit, den derzeitigen Aufenthaltsort zu verlassen (potentielle persönliche Bewegungsfreiheit), schützt § 239. - § 239 ist gegenüber § 240 insoweit eine lex specialis. aa) § 239 Abs. 3 und Abs. 4 enthalten erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung; beachte § 18. bb) §§ 239 a, 239 b beschreiben qualifizierte Delikte gegen die persönliche Freiheit, cc) In § 234 ist ein spezieller Fall der Freiheitsberaubung geregelt.

5 6

§ 27: Nötigung I. Der objektive Tatbestand 1. Nötigen Nötigen ist die Veranlassung eines anderen zu einem von diesem nicht gewollten Ver89

1

Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte

§26

Vierter Abschnitt Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26: Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte Geschütztes Rechtsgut der Freiheitsdelikte ist nicht die Freiheit schlechthin, sondern die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung.

1

II. Die Systematik der Freiheitsdelikte 1. Die Gesetzessystematik a) Innerhalb der im 18. Abschnitt des StGB enthaltenen Delikte sind der Menschenraub, 2 § 234, die Freiheitsberaubung, § 239, der erpresserische Menschenraub, § 239 a, die Geiselnahme, § 239 b, und die Nötigung, § 240, Freiheitsdelikte. b) Die Bedrohung, §241, ist kein Freiheitsdelikt, sondern ein Delikt gegen den per- 3 sönlichen Rechtsfrieden (str.; eingehender dazu unter § 36), Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a, sollen die Person gegen die Beraubung der Gemeinschaft, des rechtsstaatlichen Schutzes und der Hilfe der Gemeinschaft schützen (dazu unter § 37 Rdn. 1). Die Entziehung Minderjähriger, § 235, ist ein Delikt gegen die familiäre Ordnung (dazu unter § 65 Rdn. 34), während § 236 Abs. 1 die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes schützt und § 236 Abs. 2 die in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVermiG festgelegten Vermittlungsverbote strafrechtlich absichert. c) Außerhalb des 18. Abschnittes des StGB wird in zahlreichen Tatbeständen neben an- 4 deren Rechtsgütern auch die Freiheit der Willensbetätigung geschützt, so z.B. in § 249 (Raub), § 253 (Erpressung), § 177 (Vergewaltigung) u.a. 2. Das Verhältnis der Freiheitsdelikte zueinander a) Umfassend werden Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung in § 240 unter Strafe gestellt. b) Einen Teilbereich dieses Rechtsguts, nämlich die Freiheit, den derzeitigen Aufenthaltsort zu verlassen (potentielle persönliche Bewegungsfreiheit), schützt § 239. - § 239 ist gegenüber § 240 insoweit eine lex specialis. aa) § 239 Abs. 3 und Abs. 4 enthalten erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung; beachte § 18. bb) §§ 239 a, 239 b beschreiben qualifizierte Delikte gegen die persönliche Freiheit, cc) In § 234 ist ein spezieller Fall der Freiheitsberaubung geregelt.

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§ 27: Nötigung I. Der objektive Tatbestand 1. Nötigen Nötigen ist die Veranlassung eines anderen zu einem von diesem nicht gewollten Ver89

1

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§27

halten (Handeln, Dulden oder Unterlassen) durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel. 2. Der Begriff der Gewalt Die Rechtsprechung des RG war von Anfang an dadurch gekennzeichnet, daß das Gericht Gewalt nicht nur in Gewalttätigkeiten sah. Als konstitutives Merkmal des Gewaltbegriffs wurden zum einen die Kraftentfaltung auf Seiten des Täters und zum anderen die Zwangswirkung dem Opfer gegenüber herausgestellt. Betont wurde, daß Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 nicht nur Gewalt an der Person oder Gewalt gegen die Person sei und daß eine körperliche Berührung des Tatopfers nicht für erforderlich gehalten werde. "Unter den Begriff der Gewalt im Sinne des § 240 fällt daher auch jede unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen, welche geeignet ist und darauf abzielt, die freie Willensentscheidung desselben zu hindern und ihn auf diese Weise zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen."1 Auch Gewalt gegen Sachen hat das RG ohne Vorbehalt dem Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Abs. 1 zugeordnet, "wenn sie auch nur indirekt gegen eine Person gerichtet ist und darauf abzielt, den Widerstand derselben zu brechen oder auszuschließen".2 3 a) In der Praxis hat sich das RG bei der Anwendung des Gesetzes jedoch weniger von den begrifflichen Merkmalen leiten lassen als mehr von einem überkommenen Vorverständnis des Delikts, das auf das crimen vis publica des gemeinen Rechts zurückging. Als crimen vis publica wurde eine die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohende Betätigung von Personen erfaßt. 3

2

4

Bedingt durch dieses Verständnis der Gewalt im Sinne des § 240 sah das RG kein Problem bei der Bejahung der Gewalt im Falle des Einsperrens von Personen, auch wenn das Umdrehen des Schlüssels nur mit einem minimalen Kraftaufwand verbunden war und sogar weitere Möglichkeiten bestanden, den Raum zu verlassen, dem Opfer diese aber verborgen waren. 4 Die Bedrohung durch diese Verhaltensweise war evident, da der Genötigte sich als Gefangener sah.

5

Hingegen fehlte dem Verhalten dieser schon - äußerlich - bedrohende Charakter, wenn jemand einem anderen ein betäubendes Mittel eingab, ohne hierbei wiederum selbst Gewalt anzuwenden, oder wenn das Opfer hypnotisiert wurde. Die Ablehnung der Anwendung von Gewalt durch das RG in diesen Fällen lag daher nahe.^ - Die Beurteilung des Aussperrens von Personen bereitete dem Reichsgericht hingegen erhebliche Schwierigkeiten, da der schon äußerlich bedrohliche Eindruck des Verhaltens hier nicht grundsätzlich auszuschließen war. Zunächst allerdings interpretierte das RG das Aussperren eines Mieters durch Entfernen der Türklinke als Gewaltanwendung, da der Mieter und seine Familie aufgrund dieses Verhaltens den Witterungseinflüssen ausgesetzt waren und dieses eine körperliche Beeinträchtigung darstellte.^ Später lehnte es die Gewaltanwendung durch Verschließen der Eingangstür einer Werkstatt ab, weil keine Einwirkung auf den Körper des Mieters vorgelegen habe. 7 Schließlich wurde die Gewaltanwendung wiederum bejaht, denn es reiche "eine nur mittelbar gegen eine Person gerichtete Einwirkung aus, die von dem zu Überwindenden

1

RGSt 13 S. 50.

2

RGSt 13 S. 51.

3

Vgl. dazu im einzelnen: JAKOBS H. Kaufmann-GedS, S. 791 ff; OTTO/KREY/KÜHL Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt aus der Sicht der Strafrechtswissenschaft, Gutachten der Unterkommission VII, in: Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. II, 1990, Rdn. 51 ff.

4

RGSt 13 S. 49.

5

RGSt 56 S. 87, 88 f; 58 S. 98; 64 S. 113, 115 f.

6

R G G A 3 9 ( 1 8 9 1 ) S . 215, 216.

7

RGSt 20 S. 354, 356.

90

Nötigung

§27

körperlich empfunden wird". 8 - Die begrifflichen Voraussetzungen des Gewaltbegriffs hätten diese Differenzierungen nicht erzwungen. b ) In der R e c h t s p r e c h u n g d e s B G H hat der G e w a l t b e g r i f f k e i n e Ä n d e r u n g erfahren, w o h l aber sind die konstitutiven E l e m e n t e d e s B e g r i f f s unterschiedlich akzentuiert w o r d e n . A m E n d e dieser E n t w i c k l u n g ist deutlich g e w o r d e n , d a ß auf S e i t e n d e s Täters k e i n e e r h e b l i c h e körperliche Kraftentfaltung gefordert und d a ß k e i n e unmittelbare E i n w i r k u n g auf d e n Körper d e s O p f e r s v o r a u s g e s e t z t wird. D a s B V e r f G hatte z u n ä c h s t in d i e s e r Interpretation des Gewaltbegriffs keinen Verstoß gegen die Verfassung gesehen.9

6

Beispiele aus der Rechtsprechung: Überraschendes oder heimliches Beibringen von Betäubungsmitteln, LSD oder Schlafmitteln'0; Absperren der Heizung in einer Frostperiode, um eine Zahlung des Mieters zu erzwingen; nicht aber bloße Unterbindung der Heizöllieferung durch entsprechende Anweisung an den Heizöllieferanten (OLG Hamm NJW 1983 S. 1505); Einflößen von Alkohol gegen den Willen des Betroffenen (BGHSt 14 S. 82); Verhindern des Überholens"; dichtes Auffahren zur Erzwingung eines Überhol" Vorgangs' 2 ; Abgabe von Schreckschüssen (BGH GA 1962 S. 145); Richten einer entsicherten Pistole auf einen anderen (BGHSt 23 S. 126); Blockaden von Straßen, Zufahrten u.a., z.B. Blockieren von Straßenbahnschienen durch Sitzstreik (BGHSt 23 S. 46); Blockieren der Zufahrt zu Munitionslager (BGHSt 35 S. 270); Verteidigung eines Parkplatzes durch einen Fußgänger gegenüber Autofahrer (OLG Köln NJW 1979 S. 2056); Wegschieben eines Fußgängers aus einer Parklücke (OLG Hamburg NJW 1968 S. 662); Erzwingen des Abbruchs einer Lehrveranstaltung durch Lärm (BGH NJW 1982 S. 189); willkürliches Abbremsen eines Kfz'-'.

7

c ) D i e E n t w i c k l u n g der R e c h t s p r e c h u n g ist in der Lehre w e i t g e h e n d auf Kritik g e s t o ß e n . E s w u r d e und wird i n s b e s o n d e r e g e l t e n d g e m a c h t , d a ß der G e w a l t b e g r i f f j e g l i c h e Konturen verloren hat, n a c h d e m die b l o ß e Z w a n g s w i r k u n g für das O p f e r an d i e S t e l l e der unmittelbaren E i n w i r k u n g auf d e n Körper d e s O p f e r s getreten ist, daß S a c h b e s c h ä d i g u n g e n i m R a h m e n e i n e s s o verstandenen G e w a l t b e g r i f f s in N ö t i g u n g e n u m g e d e u t e t w e r d e n k ö n n e n und d a ß d i e G r e n z e z w i s c h e n G e w a l t a n w e n d u n g und D r o h u n g mit G e w a l t v o l l k o m m e n a u f g e h o b e n w o r d e n ist.

8

Gefordert wird zum einen die Begrenzung der Gewalt auf unmittelbar körperliche Eingriffe.' 4 Von anderen wird eine Begrenzung des Gewaltbegriffs auf aggressives oder gewalttätiges Verhalten befürwortet.' ^ Schließlich wird versucht, den Gewaltbegriff normativ zu b e s t i m m e n o d e r als physischen Angriff auf den

9

8

RGSt 69 S. 327, 330.

9

Vgl. BVerfGE 73 S. 242 f; dazu CALLIES NStZ 1987 S. 209 ff; KÜHL StV 1987 S. 122 ff; OTTO NStZ 1987 S. 212 f; SCHMITT GLAESER Dürig-FS, S. 91 ff; DERS. Private Gewalt im politischen Meinungskampf, 2. Aufl. 1992, S. 80 ff; STARCK JZ 1987 S. 145 ff.

10

BGHSt 1 S. 145; BGH StV 1991 S. 149; BGH NStZ 1992 S. 490.

11

BGHSt 18 S. 389; vgl. auch OLG Stuttgart MDR 1991 S. 467; vgl. aber auch OLG Hamm NJW 1991

12

BGHSt 19 S. 263; BayObLG NJW 1993 S. 2882; OLG Hamm NJW 1991 S. 3230; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1998 S. 58.

13

OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 265; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) S. 121.

14

BERGMANN Das Unrecht der Nötigung (§ 240 StGB), 1983; KOSTARAS Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, 1982; SCHMIDHÄUSER B.T., 4/4, 4/15; SEILER Pallin-FS, S. 399; WEBER in: Arzt/Weber, LH1, Rdn. 582; WOLTER NStZ 1985 S. 193 ff, 245 ff.

15

CALLIES Recht und Staat, 1974, S. 33; OTT Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 5. Aufl. 1987, § 15 Rdn. 9.

16

JAKOBS H. Kaufmann-GS, S. 796 ff; v. HEINTSCHEL-HEINEGG Die Gewalt als Nötigungsmittel im Strafrecht, 1975, S. 236; TLMPE Die Nötigung, 1989, S. 70 ff; vgl. auch SCHROEDER NJW 1996 S.

S. 3 2 3 0 ; B a y O b L G N J W 1 9 9 3 S. 2 8 8 2 .

2 6 2 9 . - Z u r A u s e i n a n d e r s e t z u n g HERZBERG G A 1 9 9 7 S. 2 5 4 f f .

91

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§27

Gegenstand eines absoluten Rechts zu interpretieren.' 7 Daneben stehen Versuche, die vis absoluta aus dem Tatbestand der Nötigung herauszunehmen'® oder den Tatbestand auf derartige Fälle zu beschränken'^ bzw. unter Vernachlässigung des Tatmittels auf den Verlust der Willensfreiheit des Opfers und deren Ersetzung durch den Willen des Täters abzustellen 2 ^.

10 d) Im Jahre 1995 entschied das BVerfG, daß die Auslegung des Gewaltbegriffs im Zusammenhang mit Sitzblockaden durch die Strafgerichte insoweit verfassungswidrig sei, als "die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist." 21 11 Die Entscheidung ist in der Literatur überwiegend kritisch aufgenommen worden. 2 2 Der BGH hingegen folgerte aus ihr, daß eine Auslegung des Gewaltbegriffs nur dann verfassungswidrig sei, wenn die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit bestehe und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur sei. 23 Diese Situation sieht er bei dem ersten Kraftfahrer als gegeben an, der vor einem Demonstranten, der die Fahrbahn blockiert, anhält, nicht aber dann, wenn der Demonstrant dieses Kraftfahrzeug bewußt dazu benutzt, andere Fahrzeuge an der Durchfahrt zu hindern, weil das erste Kraftfahrzeug für die weiteren Kraftfahrzeuge nicht ein psychisches, sondern ein physisches Hindernis darstellt. 24 Es ist durchaus möglich, in dieser Argumentation "eine Mißachtung der Gewaltverneinung durch das BVerfG" zu erkennen. 25 Diese erscheint jedoch legitim, denn die Entscheidung des BVerfG ist unter diesem Gesichtswinkel selbst als Mißachtung des in jahrzehntelanger Praxis konkretisierten Gesetzestextes zu beurteilen, da es dem Gericht offenbar darum ging, bestimmte Täter aus dem Nötigungstatbestand herauszudefinieren, und das selbst um den Preis "absurder Ergebnisse". 26 12

Wird nämlich zum einen eine "erhebliche Kraftentfaltung" seitens des Täters gefordert,

1 7

V g l . KINDHÄUSER N K , V o r § 2 4 9 R d n . 13.

1 8

HRUSCHKA J Z 1 9 9 5 S. 7 4 0 ; KÖHLER L e f e r e n z - F S , S. 5 2 4 . - Z u r A u s e i n a n d e r s e t z u n g HERZBERG

GA

1997 S. 257 ff. 19

SOMMER NJW 1 9 8 5 S . 7 6 9 . 7 7 2 . Vgl. GÖSSEL in: Recht in Ost und West, hrsg. v. Institute of Comparative Law Waseda University, 1988, S. 956 ff.

21

B V e r f G E 9 2 S . 1, 18.

2 2

D a z u i m e i n z e l n e n : ALTVATER N S t Z 1 9 9 5 S . 2 7 8 f f ; A M E L U N G N J W 1 9 9 5 S . 2 5 8 4 f f ; H E R Z B E R G G A 1 9 9 6 S . 5 5 7 f f ; ISENSEE J Z 1 9 9 6 S . 1 0 8 9 ; K R E Y J R 1 9 9 5 S . 2 6 5 f f ; LESCH J A 1 9 9 5 S . 8 8 9 f f ; O T T O J K 9 5 , S t G B § 2 4 0 1 / 1 5 ; ROELLECKE N J W

1995 S. 1525 ff;

TRÖNDLE O d e r s k y - F S , S. 2 8 4 f f ; SCHOLZ

NStZ 1995 S. 417 ff; SCHROEDER JuS 1995 S. 875 ff. - Anders jedoch: ARNOLD JuS 1997 S. 289 ff; (gegen ihn Herzberg JuS 1997 S. 1067 ff); Gusy JZ 1995 S. 783 ff; HESELHAUS JA 1995 S. 748 ff; HRUSCHKA N J W 1 9 9 6 S. 1 6 0 f f . 23

BGHSt 41 S. 182. - Ähnlich BayObLG MDR 1996 S. 409: Gewalt, wenn eingehakt sitzende Demonstranten die Fahrbahn blockieren.

24

Vgl. auch BGH NJW 1995 S. 2862; BGH NStZ 1995 S. 592; OLG Hamm VRS 92 (1997) S. 208; OLG Karlsruhe NJW 1996 S. 1551; OLG Zweibrücken NJW 1996 S. 2246. - Zust. KREY/JAEGER NStZ 1995 S. 542 ff; GEPPERT JK 96, StGB § 240/17; RHEINLÄNDER Bemmann-FS, S. 404 ff; Schmidt JuS 1995 S . 1 1 3 5 f f ; S C H / S C H / E S E R V o r § 2 3 4 R d n . 10; T R Ö N D L E S t G B , § 2 4 0 R d n . 2 8 ; W E S S E L S B . T . 1, R d n .

377. - Ablehnend OLG Koblenz NJW 1996 S. 3351 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 240 1/18; OLG Koblenz NStZ-RR 1990 S. 46 ff; AMELUNG NStZ 1996 S. 230 f; HOYER JUS 1996 S. 200 ff; HERZBERG GA

1 9 9 6 S. 5 6 2 ; HRUSCHKA N J W

1 9 9 6 S . 1 6 0 f f ; KNIESEL N J W

152; PRIESTER Bemmann-FS, S. 383 f. 2 5

HERZBERG G A 1 9 9 6 S. 5 6 2 .

26

AMELUNG NStZ 1996 S. 231.

92

1 9 9 6 S. 2 6 1 0 ; LESCH S t V 1 9 9 6 S.

Nötigung

§27

so könnten weder der Schuß mit der Pistole, noch der Einsatz anderer technischer Hilfsmittel, die mit weniger Kraftaufwand eingesetzt werden können, z.B. Preßlufthammer, Dampfwalze, Kraftfahrzeug, technische Hilfsmittel (Reizgas, Betäubungsmittel) als Gewaltanwendung interpretiert werden. 2 7 - Die Hoffnung, daß man nicht annehmen könne, "daß das BVerfG einen solchen Unsinn gewollt haben sollte" 28 , mag tröstlich sein, ändert jedoch nichts an den begrifflichen Vorgaben des Gerichts. Zum anderen wird durch den Ausschluß von "Zwangswirkungen, die nicht auf den Einsatz körperlicher Kraft, sondern auf geistig-seelischem Einfluß beruhen" aus dem Gewaltbegriff dieser - vom Gesetzgeber ausdrücklich gewählte Begriff - auf den der Gewalttätigkeit reduziert. - Schläge, mit denen das Opfer "weichgeklopft" werden soll, z.B. ein Betriebsgeheimnis zu verraten, könnten nicht mehr als Gewalt angesehen werden, weil ihre Wirkung auf "geistig-seelischem Einfluß" beruht, nämlich auf der Angst vor weiteren Schlägen. Immerhin läßt sich hier noch eine Drohung konstruieren. Kurios aber wird es schlicht, wenn das Festhalten einer Person an einem Ort als Gewalt angesehen wird, nicht aber das Blockieren der Räder des Fahrzeugs, mit dem der gleiche Effekt erreicht wird; wenn die Drohung, den Laden eines anderen auszuräumen, um diesen zur Geschäftsaufgabe zu zwingen, als Nötigung erfaßt wird, nicht aber das Ausräumen selbst, mit dem das gewünschte Ziel erreicht wird, 2 9 oder wenn, um auf die Sitzblockaden zurückzukommen - die Drohung, sich vor ein Fahrzeug zu werfen, falls der Fahrer nicht anhalte, als Nötigung bestraft wird, nicht aber die Ausführung des Verhaltens ohne vorherige Ankündigung, mit der das Fahrzeug wirksam blockiert wird! - Die hier begründeten Differenzierungen sind willkürlich und damit rechtsstaatlich nicht mehr erträglich. e) Ausgangspunkt der Abgrenzung der Gewaltanwendung von der Drohung und anderen 13 nicht gewaltsamen Eingriffen kann nur die jeweilig unterschiedliche Zwangswirkung sein, wobei die Gegenwärtigkeit der Zwangswirkung im Gegensatz zum künftig in Aussicht gestellten Übel das wesentliche Abgrenzungskriterium ist, das aber weiterer Eingrenzung bedarf. 3 0 Die Zwangswirkung muß nicht nur gegenwärtig sein, sie muß sich körperlich auswirken, körperlich vermittelt werden. 31 Dieses ist der Fall, wenn der Genötigte ihr entweder überhaupt nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in nicht zumutbarer Weise begegnen kann. - Die Voraussetzung der Körperlichkeit wird damit allerdings normativiert, indem das maßgebliche Kriterium nicht in der körperlichen Empfindung des Zwangs, sondern in seiner körperlichen Auswirkung erkannt wird. 3 2 Diese Normativierung ist aber erforderlich, weil die Beschränkung der Nötigung auf Brachialgewalt dem sozialen Sinngehalt nötigenden Verhaltens im heutigen Sozialleben nicht mehr gerecht werden würde. 3 3 Demgemäß ist Gewalt, der - nicht notwendig erhebliche - Einsatz körperlicher Kraft- 14 entfaltung, der sich auf die Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer (psychischer), sondern als körperlicher (physischer) Zwang auswirkt. Körperlich wirkt sich ein Zwang aus, wenn das Opfer ihm in der konkreten Situation gar nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in unzumutbarer Weise begegnen kann,34 f) Konsequenzen:

Die nötigende Gewalt kann sich unmittelbar gegen die Person, die zu 15

27

Vgl. auch AMELUNG N J W 1995 S. 2590; SCHROEDER JUS 1995 S. 877 f; TRÖNDLE StGB, § 2 4 0 Rdn. 2 h. - A.A. OLG Koblenz NStZ-RR 1998 S. 47 mit dem Argument, Tathandlung sei in diesen Fällen nicht die „Fingerbewegung", sondern das „Auslösen der Explosion" u.a. Warum dafür aber erhebliche Kraft aufgewendet worden sein soll, erklärt das OLG Koblenz nicht.

28

SCHROEDER JUS 1995 S. 878; dazu auch HERZBERG G A 1996 S. 563.

29

Dazu B G H wistra 1987 S. 212; OLG Köln N J W 1996 S. 472; TRÖNDLE StGB, § 2 4 0 Rdn. 2 k.

93

§27

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

e i n e m b e s t i m m t e n Verhalten g e z w u n g e n w e r d e n soll, richten, sie kann ihre Z w a n g s wirkung aber auch durch Einwirkung auf Sachen oder auf dritte Personen entfalten. A u c h Gewalt gegen einen Dritten ist G e w a l t g e g e n d e n zu N ö t i g e n d e n , s o w e i t d i e s e d i e W i l l e n s b i l d u n g o d e r W i l l e n s b e t ä t i g u n g d e s zu N ö t i g e n d e n in der v o r a u s g e s e t z t e n W e i s e beeinträchtigt. D a ß der Dritte d e m zu N ö t i g e n d e n in b e s o n d e r e r W e i s e nahesteht, ist nicht erforderlich, m a ß g e b l i c h ist d i e Z w a n g s w i r k u n g . Zur 16

Verdeutlichung:

Fall 1: A, der selbst nicht Autofahren kann, wird gezwungen eine Fahrt abzubrechen, weil sein Chauffeur niedergeschlagen wird. Ergebnis: Gewalt gegen den Chauffeur zugleich Gewalt gegen A, da dem A die Betätigung seines Willens unmöglich gemacht wird. 3 ^ Fall 2: Wie Fall 1, aber A wird gezwungen seine Reise abzubrechen, weil sein Chauffeur in einen Keller eingesperrt wird, dessen Tür A nur mit großen Mühen aufbrechen könnte. Ergebnis: Wie Fall 1, da A dem Zwang nur mit erheblicher Kraftentfaltung begegnen könnte. Fall 3: Wie Fall 1, allerdings könnte A das Auto fahren, aber er besitzt keinen Führerschein. Ergebnis: Wie Fall 1, denn es ist A unzumutbar, dem Zwang durch Fahren ohne Führerschein zu entgehen. 3. Die Drohung

mit einem

empfindlichen

Übel

17

a) Drohung ist d i e A n k ü n d i g u n g e i n e s Ü b e l s , auf d e s s e n Eintritt der D r o h e n d e - z u m i n d e s t v o r g e b l i c h - E i n f l u ß hat. - O b der Täter d i e D r o h u n g realisieren w i l l o d e r sich i n s g e h e i m vorbehält, d i e s e s nicht zu tun, ist u n w e s e n t l i c h .

18

b) Empfindlich ist das Ü b e l , w e n n e s e i n e n N a c h t e i l v o n s o l c h e r Erheblichkeit bedeutet, daß s e i n e A n k ü n d i g u n g g e e i g n e t erscheint, d e n B e d r o h t e n i m S i n n e d e s Täterverlangens zu motivieren. D i e s e V o r a u s s e t z u n g ist g e g e b e n , w e n n v o n d e m konkret B e d r o h t e n in seiner individuellen L a g e nicht erwartet werden kann, daß er der D r o h u n g in b e s o n n e n e r Selbstbehauptung standhält.36 3 0

Z u r G e g e n w ä r t i g k e i t d e r Z w a n g s Wirkung: HAFT B.T., § 19 II 2 a; HORN S K II, § 2 4 0 R d n . 9 f; KNODEL

Der Begriff der Gewalt im Strafrecht, 1962, S. 52 ff; SCH/SCH/ESER Vor § 234 Rdn. 6, 9, 15 ff. 31

H i e r z u BROHM J Z 1985 S. 5 0 3 f f ; BUSSE N ö t i g u n g im S t r a ß e n v e r k e h r , 1968, S. 9 4 ff; 100 ff; GEERDS

Einzelner und Staatsgewalt im geltenden Strafrecht, 1969, S. 31; KREY Zum Gewaltbegriff im Strafrecht, 1. Teil, in: BKA (Hrsg.), Was ist Gewalt?, 1986, Rdn. 136; WELZELLb., § 43 I 1. Gegen die Gleichsetzung der körperlichen Auswirkung mit der körperlichen Einwirkung HERZBERG GA 1997 S. 268 f. Er selbst zieht die Konsequenz, auf die körperliche Einwirkung zu verzichten und als Nötigende Gewalt das reale Schaffen von Tatsachen zu sehen, die beim Opfer antreibenden oder hemmenden Zwang bewirken; vgl. GA 1997 S. 251 ff, 277 f. - Damit jedoch geht die Differenz zur Drohung in erheblichem Maße verloren, wie HERZBERG durchaus erkennt; vgl. GA 1997 S. 273 ff. HERZBERG erkennt in der Sitzblockade eine Drohung mit empfindlichem Übel, GA 1996 S. 577 ff, dagegen aber HOYER GA 1997 S. 451 ff mit Replik von HERZBERG GA 1998 S. 211 ff. 3 3

KÜPER J u S 1996 S. 7 8 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 10; LESCH J A 1995 S. 8 9 4 ; OTTO N S t Z 1987

S. 212 f; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 5 ff; TRÖNDLE StGB, § 240 Rdn. 2 f; 34

Vgl. dazu BayObLG NJW 1990 S. 59; OLG Köln StV 1990 S. 266; BUCHWALD DRiZ 1997 S. 522; DIERLAMM N S t Z 1992 S. 5 7 5 ; KREY G e w a l t b e g r i f f , R d n . 2 3 6 ; KÜPER B.T., S. 151 ff; LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 10; OTTO N S t Z 1992 S. 5 7 0 ; SCH/SCH/ESER V o r § 2 3 4 R d n . 22; SCHÄFER L K , 10. A u f l . ,

§ 240 Rdn. 5 ff; SCHMITT GLAESER Private Gewalt, S. 23; TRÖNDLE Rebmann-FS, S. 494; DERS. StGB, § 2 4 0 Rdn. 5. 35

Vgl. auch RGSt 17 S. 82; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 39.

36

Vgl. BGH NJW 1983 S. 767; BGH wistra 1984 S. 23. - Dazu auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

94

Nötigung

§27

Zur Verdeutlichung: Fall 1: Dem A, einem ehemaligen Alkoholiker, bei dem schon die kleinste Menge Alkohol zum Rückfall führen kann, wird von B angedroht, er werde demnächst ein Getränk des A mit einer geringen Menge Alkohol versetzen, wenn A nicht einen bestimmten Betrag bezahlt.

19

Ergebnis: Einen "besonnenen Durchschnittsmenschen" würde die Drohung des B sicher nicht ängstigen. Warum der A aber deshalb gegen Nötigung nicht geschützt sein soll, nur weil seine körperliche Verfassung der des Durchschnittsmenschen nicht entspricht, ist nicht einzusehen. Fall 2: A, der etwas nervös ist, pflegt hin und wieder übersteigert zu reagieren. Als B ihn auffordert, ihn in seine Geschäftsgeheimnisse einzuweihen, sonst werde er ein Volkslied heruntergröhlen, gibt A nach.

20

Ergebnis: Auch unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten des A liegt keine Androhung eines empfindlichen Übels vor. A reagiert nicht auf einen erheblichen Zwang, sondern auf eine bloße Störung seiner Ruhe. Auch in seiner individuellen Lage kann erwartet werden, daß er der Drohung standhält.

c) Die Androhung eines Unterlassens Fall: Abwandlung von BGHSt 31 S. 195: Die Ladendiebin B ist gefaßt worden. Der Hausdetektiv H hat eine Anzeige geschrieben und in die Post gegeben. A, ein Kollege des H, bietet der B an, diese Anzeige aus der Post zu entfernen, wenn sie mit ihm schlafe.

21

Z.T. wird die Ankündigung eines Unterlassens in Lehre und Rechtsprechung nur dann als 22 Drohung mit einem Übel verstanden, wenn eine Rechtspflicht des Drohenden zum Handeln besteht: Wer nur in Aussicht stellt, ein dem Opfer drohendes Übel durch Dritte oder einen schon in Gang befindlichen Kausalverlauf nicht abzuwenden, kündigt selbst kein Übel an, im Gegenteil, er stellt lediglich einen Vorteil in Aussicht, den er allerdings vergütet haben möchte. 37 Die Gegenmeinung sieht in dieser Argumentation eine unzulässige Übertragung der 23 Grundsätze der Haftung aus einem unechten Unterlassungsdelikt auf ein Begehungsdelikt durch Ankündigung einer Unterlassung, die kriminalpolitisch keineswegs erwünscht ist. Die generelle Ausklammerung der Ankündigung rechtmäßigen Unterlassens aus §§ 240, 253 eröffnet nämlich die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung in Fällen, in denen die Koppelung von Mittel und Zweck sozial unerträglich ist. 38 Zwar erscheint die Androhung, die Abwendung eines bereits drohenden Übels zu un- 24 terlassen, objektiv als Vorteil für den Betroffenen. Subjektiv ist jedoch maßgeblich, daß dem Betroffenen ein Übel droht, auf das der Täter Einfluß zu haben vorgibt. Würde man diese Fälle bereits aus dem Tatbestand der Nötigung ausscheiden, so wäre hier die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung eröffnet. Die Problematik ist daher nicht auf der Ebene des Tatbestandes, sondern innerhalb der Rechtswidrigkeitsprüfung zu lösen.

B.T.l, § 13 Rdn. 26; WELZEL Lb., § 43 I 1 a. - Einen objektiven Maßstab - Eignung der Drohung, "einen besonnenen Durchschnittsmenschen" zu bestimmen - fordern: BayObLGSt 1955 S. 12; KLEIN Zum Nötigungstatbestand - Strafbarkeit der Drohung mit einem Unterlassen, 1988, S. 136 ff; KREY B.T.l, Rdn. 326; LACKNER/KÜHL § 240 Rdn. 14; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 9. Aus BVerfGE 92, 1 leitet HOYER GA 1997 S. 451 ff, die Forderung einer Einschränkung des Übel-Begriffs ab. 3 7

V g l . B G H G A 1 9 6 0 S. 2 7 8 ; O L G H a m b u r g N J W 1 9 8 0 S . 2 5 9 2 ; BAUER J Z 1 9 5 3 S. 6 5 2 f ; FROHN S t V

1983 S. 365 f; HAFFKE ZStW 84 (1972) S. 71 Anm. 135; HERZBERG Die Unterlassung im Strafrecht u n d d a s G a r a n t e n p r i n z i p , 1972, S. 150; HORN N S t Z 1 9 8 3 S . 4 9 7 f f ; OSTENDORF N J W 1 9 8 0 S. 2 5 9 2 f; R o x i N J u S 1 9 6 4 S. 3 7 7 ; DERS. m o d i f i z i e r e n d J R 1 9 8 3 S. 3 3 5 f; SCHUBARTH J u S 1981 S . 7 2 6 f f ; TIMPE JuS 1 9 9 2 S. 7 5 1 . 3 8

V g l . B G H S t 31 S. 195; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 4 0 R d n . 81 f f ; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 2 0 ; STOFFERS J R 1 9 8 8 S. 4 9 6 f ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 0 R d n . 18; VOLK J R 1981 S. 2 7 4 . - M o d i f i z i e r e n d : ARZT L a c k n e r - F S , S . 6 5 6 f ; SCHROEDER J Z 1 9 8 3 S. 2 8 8 .

95

§27

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

II. Der subjektive Tatbestand 25 Der subjektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 verlangt Vorsatz, bedingter genügt. 26

Demgegenüber wird in der Lehre z.T. ein zielgerichtetes Handeln zu Nötigungszwecken gefordert, denn es erscheint nicht überzeugend, z.B. denjenigen, der ein fremdes Kraftfahrzeug zerstört hat, auch wegen Nötigung zu bestrafen, wenn er weiß, daß der Eigentümer des Fahrzeugs durch sein Verhalten gezwungen wird, nunmehr zu Fuß nach Hause zu gehen. 3 9

27

Derartige Konsequenzen sind aber nicht durch die Beschränkung des Vorsatzes zu korrigieren. Die Vermögensdelikte schützen die gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung der Person. Soweit diese Entfaltung durch eine Sachzerstörung oder -entziehung beeinträchtigt wird, ist der Unrechtsgehalt voll durch das Vermögensdelikt erfaßt oder - falls das Verhalten als Vermögensdelikt nicht strafbar ist - vom Gesetzgeber als nicht strafwürdig beurteilt worden. Erst einer darüber hinausgehenden Absicht käme im Rahmen der Nötigung Eigenständigkeit zu. - Die Problematik liegt hier genauso wie in dem Fall, daß der Straftäter den Polizisten durch Flucht zur Verfolgung "nötigt". Diesem Verhalten kommt keinerlei Eigenständigkeit neben der zuvor erfolgten Deliktsverwirklichung zu. Daß in derartigen Fällen daher nur die beabsichtigte Nötigung eigenständig zu erfassen ist, ändert nichts daran, daß die Nötigung selbst grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz verwirklicht werden kann. 4 ^

,111. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung 1. Rechtfertigungsgrund

und

Verwerflichkeitsprüfung

28 a) Schon bei der Verletzung scharf umrissener Rechtsgüter wie Leben, Körper, Eigentum o.a. ist der Satz: "der Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund vorliegt", unrichtig, weil er von der Fiktion eines geschlossenen und bekannten Kreises von Rechtfertigungsgründen ausgeht und den dem Täter gegenüber zu erbringenden positiven Nachweis der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu dessen Lasten durch die bloße Aufzählung nicht vorliegender Rechtfertigungsgründe ersetzt. Z u r W i e d e r h o l u n g : G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 3 f .

29 Bei einem Rechtsgut, das allein schon durch seine Weite unzähligen verschiedenen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, wäre die schlichte Erwägung, ob im Falle einer solchen Beeinträchtigung ein herkömmlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt oder nicht, geradezu verhängnisvoll. - Bereits die Tatsache, daß die rechtfertigenden Situationen zunächst bei den Verletzungen von Leib und Leben ins Auge fielen und im Verständnishorizont dieser Eingriffe ausformuliert wurden, macht deutlich, daß sie gar nicht geeignet sind, die Vielfalt der hier möglichen Situationen sachgerecht zu erfassen. Eine haltlose Vielstraferei wäre die Folge, wollte man die Rechtfertigung derart begrenzen. 30 b) Mit dem Verweis auf die Verwerflichkeit in § 240 Abs. 2 anstatt auf die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens soll daher nicht etwa die Strafbarkeit erweitert werden, so daß auch nicht rechtswidriges, aber sittlich anstößiges Verhalten strafbar wäre, sondern Zwang ausgeübt werden, genau zu prüfen, ob ein rechtswidriges Verhalten aufgrund seiner Sozialschädlichkeit oder -gefährlichkeit bereits einen solchen Grad der Strafwürdigkeit aufweist, daß es mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden muß. 31 Daraus folgt: Ein gerechtfertigtes Verhalten ist in diesem Sinne niemals verwerflich. Die herkömmlichen Rechtfertigungsgründe sind daher vor der Verwerflichkeit zu prüfen. 3 9

V g l . H O R N S K II, § 2 4 0 R d n . 7 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . l , § 13 R d n . 4 8 ; SCHMID-

40

Wie hier: BGHSt 5 S. 246; GEILEN H. Mayer-FS, S. 461; HAFFKEZStW 84 (1972) S. 51 ff; JAKOBS JR 1982 S. 206 f; TRÖNDLE StGB, § 240 Rdn. 33; WEBER in: ArztAVeber, LH 1, Rdn. 598.

HÄUSER B . T . , 4 / 1 4 , 1 7 ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 0 R d n . 3 4 . - D i f f e r e n z i e r e n d : W E S S E L S B . T . / l , R d n . 4 0 4 .

96

Nötigung

§27

Mit der Ablehnung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes ist jedoch noch nicht die Strafwürdigkeit des Verhaltens dargetan. Diese ist in der Verwerflichkeitsprüfung nachzuweisen. Der Ausschluß der Verwerflichkeit beseitigt die Strafwürdigkeit des Verhaltens, d.h. die Rechtswidrigkeit i.S. des § 240 Abs. 2. 41 GÜNTHER spricht hier zutreffend von einem Strafunrechtsausschluß im Gegensatz zum allgemeinen AusSchluß der Rechtswidrigkeit, da das Strafunrecht stets in besonderer Weise strafwürdiges Unrecht sein muß.42

2. Der Inhalt der

32

Verwerflichkeitsklausel

a) Ob ein Verhalten verwerflich ist, darf nicht isoliert nach dem eingesetzten Mittel oder 33 dem erstrebten Zweck beurteilt werden, sondern ist aus der sog. Mittel-Zweck-Relation, d.h. aus der Verknüpfung von Nötigungsmittel und -zweck, herzuleiten. Sachlich kommt es darauf an, ob die Nötigung aufgrund dieser Relation nach allgemeinem Urteil so sozialethisch zu mißbilligen ist, "daß sie ein als Vergehen strafwürdiges Unrecht, eine über die Erfüllung eines bloßen Übertretungstatbestandes hinausgehendes Unrecht"43, ein "sozial unerträgliches" Verhalten44 darstellt. Unter Berücksichtigung der Funktion der Verwerflichkeitsklausel bedeutet das: In ei- 34 nem Verfahren sozialethischer Wertung, wie es aus der Arbeit mit dem rechtfertigenden Notstand bekannt ist, gilt es zu prüfen, ob ein bestimmtes Verhalten bereits als sozialschädliche, sozialgefährliche und damit strafwürdige Verhaltensweise erscheint oder ob es noch als sozialstörendes, unerwünschtes Verhalten unterhalb der Strafwürdigkeitsgrenze angesehen werden kann. b) Bei der Bestimmung der Mittel-Zweck-Relation sind die subjektiv verfolgten Zwecke 35 des Täters umfassend zu würdigen. Eine Begrenzung auf den unmittelbar angestrebten Zweck - sogenanntes Nahziel - im Gegensatz zu den über das Nahziel hinausgehenden Zwecken - sogenannte Fernziele - ist sachlich unangemessen, denn es handelt sich um eine Rechtswidrigkeitsprüfung im weiteren Sinne, die methodisch auf das Verhaltens des Täters bezogen ist, das als Objektivation subjektiver Zielsetzung umfassend und nicht nur in einem Teilbereich zu würdigen ist.45 Bei allen Rechtfertigungsgründen gibt es nämlich tatbestandsmäßige Nahziele und rechtfertigende Fernziele. Beispiel: Veranlaßt A den Autofahrer B zum Anhalten, weil hinter der nächsten Kurve ein Felsbrocken auf 36 der Straße liegt, der für B eine tödliche Gefahr bedeutet, so wäre die Rechtswidrigkeitsprüfung unter dem

41

Vgl. BGHSt 2 S. 194, 195 f; 35 S. 270; BERGMANN Unrecht, S. 171 ff, 176; OTTO NStZ 1992 S. 571; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 4 0 R d n . 6 6 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 4 / 1 8 . - A . A . T a t b e s t a n d s a u s s c h l u ß : HIRSCH L K , V o r § 3 2 R d n . 19; JAKOBS A . T . , 6 / 6 1 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 13 R d n . 4 3 f f ; R o x i N Z S t W 8 2 ( 1 9 7 0 ) S. 6 8 2 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 16.

4 2

Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 322 f.

43

BGHSt 18 S. 391.

4 4

WELZEL L b . , § 4 3 1 3 b ; vgl. a u c h KÜPER B . T . , S. 2 0 8 .

45

Für eine Begrenzung der Beurteilung auf die sog. Nahziele dagegen; BGHSt 35 S. 270; O L G DÜSSELDORF M D R 1989 S. 8 4 0 ; O L G ZWEIBRÜCKEN S t V 1 9 9 0 S. 2 6 4 ; ARZT W e l z e l - F S , S. 8 2 8 f f ; BAUMANN N J W 1987 S. 3 7 ; DERS. Z R P 1 9 8 7 S. 2 6 5 ; BROHM J Z 1 9 8 5 S . 5 0 1 , 5 1 1 ; JAKOBS J Z 1986 S . 1064; GÖSSEL B . T . 1, § 19 R d n . 2 8 ; KÜHL S t V 1 9 8 7 S . 122 f f ; LACKNER S t G B , § 2 4 0 R d n . 18 a; SCHÄFER L K , § 2 4 0 R d n . 2 7 , 6 1 ; STÄRCK J Z 1987 S. 145, 148; TRÖNDLE L a c k n e r - F S , S. 6 3 4 ; DERS.

Rebmann-FS, S. 481, 499 ff. Nicht durchgehalten wird die Differenzierung in Nah- und Femziele in B G H NStZ 1997 S. 494 mit A n m . OTTO J K 9 8 , S t G B § 2 4 0 / 1 9 .

97

§27

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Aspekt des rechtfertigenden Notstands, § 34, methodisch verfehlt, würde man den Eingriff in die Freiheit des B allein unter d e m Aspekt des Nahziels: "Anhalten" des B beurteilen. Selbstverständlich ist hier zu berücksichtigen, daß das Anhalten erfolgt, um das Fernziel: "Lebensrettung" des B zu ermöglichen.

Da § 240 Abs. 2 eine Korrektur der Rechtswidrigkeitsprüfung darstellt, gelten auch hier die Kriterien, die für die Feststellung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Verhaltens maßgeblich sind. Eine ganz andere Problematik ist es hingegen, daß die Durchsetzung politischer, religiöser, weltanschaulicher und wirtschaftlicher Ziele des Täters nicht Eingriffe in Rechtsgüter Dritter legitimieren kann. Ob ein Eingriff in die Freiheit eines Dritten noch als sozial erträglich unterhalb der Grenze der Strafwürdigkeit anzusehen ist, kann nicht durch eine Differenzierung von Nah- und Fernzielen entschieden werden, sondern ist nach Art, Weise, Umfang und Veranlassung des Eingriffs selbst zu bestimmen. 4 6 38 c) Unter Beachtung dieser Grundsätze wird die Nötigung dann als strafwürdig anzusehen sein, wenn ein gravierender Eingriff in die Rechtsgüter eines anderen zur Durchsetzung eigener - egoistischer oder altruistischer - Zwecke erfolgt oder wenn zwei nicht zusammenhängende Lebensvorgänge willkürlich durch den Täter verknüpft werden und ein Standhalten des Opfers mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen für das Opfer verbunden ist. 3 9 Das bedeutet: Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels nach Zweck, Art und Umfang des Eingriffs in die Willensbildungsoder Willensbetätigungsfreiheit nicht geringfügig und im Hinblick auf ein pflichtwidriges Vorverhalten des Genötigten unangemessen ist,47 40 Der Versuch, von der "Rechtfertigungsnähe" der Tat den Ausschluß der Verwerflichkeit zu begründen 48 , bleibt demgegenüber zu unbestimmt und erfaßt Kriterien, die den "nahen Rechtfertigungsgrund" gar nicht betreffen. 4 9 3. Zur 41

Verdeutlichung

a) B G H S t 5 S. 254: Der Vermieter V erhält davon Kenntnis, daß sein Mieter M, mit d e m er seit langem in Streit lebt, versucht hat, seine S c h e u n e anzuzünden. V schreibt ihm, er werde ihn w e g e n versuchter Brandstiftung anzeigen, falls er nicht auf der Stelle ausziehe. B G H : Nötigung des M durch V nicht verwerflich, da der Sachverhalt, der das Recht zur Strafanzeige gibt, zugleich den Anspruch begründet, den V geltend macht. Das bedeutet: D i e Tatsache der unerlaubten Selbsthilfe als solche ist noch nicht strafwürdig, w e n n der Täter d e m Betroffenen die rechtlichen Maßnahmen androht, zu denen er aufgrund des in R e d e stehenden Sachverhalts berechtigt wäre oder die ihm auch im R e c h t s w e g e gewährt würden, selbst wenn der Erfolg im Rechts4 0

Für eine umfassende Beurteilung der tatrelevanten Umstände, w e n n auch mit zum Teil unterschiedlicher Gewichtung: BERGMANN Unrecht S. 184; ESER Jauch-FS, S. 3 9 ff; ARTHUR KAUFMANN N J W 1 9 8 8 S . 2 5 8 3 ; DERS. P . - S c h n e i d e r - F S , S . 1 6 7 ; KÜPPER B . T . 1, I § 3 R d n . 6 2 ; M E U R E R / B E R G M A N N J R

1988 S. 5 2 f; OTTO N S t Z 1 9 9 2 S. 571 ff; OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, Rdn. 7 0 ff; NEUMANN Z S t W 1 0 9 ( 1 9 9 7 ) S . 13 f f , 15; RENGIER B . T . II, § 2 3 R d n . 6 8 ; REICHERT-HAMMER P o l i t i s c h e F e r n z i e l e u n d

Unrecht, 1991, S. 75 ff; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 Rdn. 29. 4 7

In die g l e i c h e Richtung argumentieren: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l

§ 13 Rdn. 3 4 f;

SCHMITT GLAESER B a y V B l 1 9 8 8 S . 4 5 7 f; DERS. D ü r i g - F S , S . 1 0 6 f f ; VOLK JR 1 9 8 1 S . 2 7 4 ; i m ü b r i g e n

vgl. ARZT W e l z e l - F S , S. 823 ff; HANSEN D i e tatbestandliche Erfassung von Nötigungsunrecht, 1972, S . 1 5 4 f f ; O T T O / K R E Y / K Ü H L G u t a c h t e n , R d n . 9 4 f f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 4 / 1 8 ; ROXIN JUS 1 9 6 4 S . 3 7 3

ff. 4 8

Vgl. O L G Stuttgart N S t Z 1991 S. 333; GÜNTHER Baumann-FS, S. 2 2 0 ; REICHERT-HAMMER Fernziele, S. 2 9 3 ff, 2 9 7 ff.

4 9

Dazu OTTO N S t Z 1991 S. 3 3 4 f; DERS. N S t Z 1 9 9 2 S. 5 7 2 f.

98

Nötigung

§27

wege mit Zeitaufwand verbunden ist.-'" - Anders, wenn einem noch nicht gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff unter bewußter Ausschaltung staatlicher Zwangsmittel mit rechtswidrigen Mitteln begegnet wird.-*' b) BGHSt 31 S. 195 - zum Sachverhalt vgl. oben Rdn. 21: Die Verknüpfung der Beseitigung der Anzeige mit der Aufforderung zum Geschlechtsverkehr ist verwerflich. Hier werden heterogene Lebensvorgänge in einen nötigenden Zusammenhang gebracht, und ein Standhalten des Opfers ist für dieses mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden. Daher kommt es nicht darauf an, daß das Opfer keinen Rechtsanspruch auf die Beseitigung der Anzeige hatte.

42

c) OLG Koblenz JR 1976 S. 69 mit Anm. ROXIN S. 71 ff: Die A, eine Filialleiterin, forderte von einer er- 4 3 tappten Ladendiebin DM 50,- als Bearbeitungsgebühr (Fangprämie), sonst werde sie Anzeige erstatten. Sie ging davon aus, daß aufgrund der Aufwendungen für Beobachtungen und des Arbeitsausfalles ein derartiger Anspruch gegen die Ladendiebin bestehe. OLG Koblenz: Nötigung. - Dagegen mit Recht ROXIN: Bestand der Anspruch, so diente die Drohung mit der Anzeige wegen Diebstahls allein der Durchsetzung und Klärung des Anspruchs aus dem Diebstahl. Die A nahm dann durch Drohung mit der Anzeige ihre Rechte wahr, machte sich aber keiner verwerflichen Nötigung s c h u l d i g . ^ ^ _ p a n s a den Bestand des Anspruchs irrig annahm: vgl. Fall h). d) OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 51: Von einer Autobahnauffahrt fuhr A auf die rechte Fahrbahn der Autobahn, wobei er den notwendigen Sicherheitsabstand zu B erheblich unterschritt. B mußte bremsen.

44

OLG Düsseldorf: Das Verhalten des A rechtfertigt wegen seines Bagatellcharakters nicht das Verwerflichkeitsurteil. Derartige einmalige Vorfahrtsverletzungen oder kurzfristiges, nahes Auffahren erreichen noch nicht die Grenze der Strafwürdigkeit. e) BGHSt 35 S. 270: A und andere beteiligten sich am 9. 5. 1983 an einer ganztägigen Blockadeaktion vor 4 5 dem Sondermunitionslager Großengstingen. Durch Blockade der einzig befahrbaren Zufahrt zu dem Depot wollten sie "ein Zeichen setzen" und damit gegen die in ihren Augen sich ständig steigernde Hochrüstung demonstrieren. Aufforderungen, sich zu entfernen, kamen sie nicht nach. Sie ließen sich jedoch widerstandslos durch Polizeibeamte von der Fahrbahn tragen. BGH: Verhalten des A verwerflich, da die Fernziele von Straßenblockierern nicht bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung, sondern ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen s i n d . " Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Überzeugender in der Begründung ist jedoch BayObLG NJW 1988 S. 719: "Ein solches Verhalten, das Dritte zum Werkzeug, zum Objekt des Handelns Andersdenkender macht, findet seine sittliche Mißbilligung auch in der darin zum Ausdruck kommenden Mißachtung der Menschenwürde (BVerfGE 27, 6; 45, 228; BayObLGSt. 1986, 19, 24) und in dem Negieren der Handlungsund Meinungsfreiheit anderer ... Wenn aber ... die unmittelbar gewollten oder gebilligten Wirkungen - Behinderung anderer zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für eine bestimmte politische Meinung = Nahziel - in ihrem Zusammenhang mit der Gewaltausübung als verwerflich anzusehen sind, vermag das letztlich verfolgte Fernziel - z.B. Eintreten für Frieden und Abrüstung - daran nichts zu ändern. Die Berücksichtigung solcher Femziele im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung würde zu einer unannehmbaren Subjektivierung eines Straftatbestandes führen und den Strafrichter darüber befinden lassen, ob die von den berufenen Staatsorganen ergriffenen oder gebilligten Maßnahmen zur Wahrung des Friedens die richtigen Mittel zum - allseits anerkannten - Ziel sind (Dreher/Tröndle, StGB, 43. Aufl., § 240 Rdn. 10; Schäfer, LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 61 b; OLG Düsseldorf NJW 1986, 942, 945). Die Strafbarkeit eines Demonstrationsverhaltens kann daher nicht vom Wert oder Unwert des Demonstrationszieles abhängig gemacht werden (vgl. Otto, NStZ 1987, 213; Baumann, NJW 1987, 38)." 5 4

50

Vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996 S. 296, 297 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 240 II/4.

51

Vgl. BGHSt 39 S. 133 mit Anm. ROXIN NStZ 1993 S. 335 f.

52

Zum Streitstand: MERTINS GA 1980 S. 47; MEURER Die Bekämpfung des Ladendiebstahls, 1976, S. 24

53

Zur Auseinandersetzung mit BGHSt 35 S. 270: ARZT JZ 1988 S. 775 ff; JAHN JUS 1988 S. 946 ff;

f f ; DERS. J u S 1 9 7 6 S. 3 0 0 f f ; SCHULTZ M D R 1981 S. 3 7 3 . ARTHUR KAUFMANN N J W 1 9 8 8 S. 2 5 8 1 f f ; OSTENDORF S t V 1988 S . 4 8 8 f f ; OTTO J K 88, S t G B § 2 4 0 II/3; ROGGEMANN J Z 1988 S. 1 1 0 8 f f ; ROXIN S c h ü l e r - S p r i n g o r u m - F S , S. 4 5 3 f f , 4 5 6 ; SCHMITT

GLAESER BayVBl. 1988 S. 454 ff. 54

Vgl. auch BayObLG NJW 1993 S. 212 - Eingehende Übersicht über den Streitstand bei der straf-

99

§27 4g

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

f) BGH NStZ 1982 S. 287: H wollte mit der Freundin F des A geschlechtlich verkehren. Als F sich weigerte, äußerte A, daß es zwischen ihnen aus sei, wenn F nicht mache, was der H wolle. Daraufhin willigte F in den Geschlechtsverkehr ein. BGH: § 240 Abs. 1 entfällt bereits, weil das angedrohte Übel (Abbruch der Freundschaft) unter diesen Umständen nicht als empfindliches anzusehen war. - Darüber läßt sich streiten, denn die Entscheidung hängt davon ab, wie weit man die Bindung der F an A zu ihren Gunsten berücksichtigt. Vertretbar daher auch die Androhung eines empfindlichen Übels. Dann war die Nötigung jedoch nicht verwerflich, da ein Standhalten der F nicht mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden w a r . 5 5

47

g) BGH NStZ 1982 S. 286: A forderte die E zum Geschlechtsverkehr auf. Für den Fall ihrer Verweigerung drohte er, sich selbst umzubringen. E gab nach. Ergebnis: Auch hier kann schon die Frage, ob A mit einem empfindlichen Übel drohte, unterschiedlich beantwortet werden. Keinesfalls war die Nötigung aber verwerflich; vgl. Fall f).

48

h) Der Gastwirt A verwechselt den Gast G mit dem Gast Y, dem er Lokalverbot erteilt hat. Als er den G in seiner Gaststätte sieht, weist er ihn hinaus und als G nicht freiwillig geht, drängt er ihn gewaltsam auf die Straße. Ergebnis: Verwerflichkeit ist abzulehnen, denn aus der Sicht des A setzt er lediglich das Verbot mit zulässigen Mitteln durch. Des Rückgriffs auf die Irrtumslehre bedarf es hier nicht, denn wer aufgrund eines Irrtums über Tatsachen der Meinung ist, rechtmäßig zu handeln, setzt aus seiner Sicht ein erlaubtes Mittel zu einem erlaubten Zweck ein.

IV. Versuch und Vollendung 1. Beginn der abgenötigten 49

Handlung und

Tatvollendung

BGH NStZ 1987 S. 70: A, der die H in sein Fahrzeug verbringen wollte, um mit ihr an einen entlegenen Ort zu fahren und dort den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben, versuchte die H in das Fahrzeug zu drücken. Aufgrund der Gegenwehr des Opfers gelang dieses nicht. H konnte nur z.T. in das Fahrzeug gedrängt werden. A nahm von seinem Vorhaben daher Abstand. BGH: Die Nötigung durch A war bereits vollendet.

50 Die h.M. bejaht eine vollendete Nötigung bereits dann, wenn das Opfer unter Einwirkung des Nötigungsmittels mit der verlangten Handlung, Duldung oder Unterlassung begonnen hat. 57 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Nötigung ist ein Erfolgsdelikt. Beginnt das Opfer mit dem geforderten Verhalten, so wird in der Regel der Handlungsunwert durch den Täter verwirklicht sein. Der Erfolgsunwert ist jedoch erst eingetreten, wenn das angestrebte Handlungsziel erreicht ist. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt nur ein Versuch vor. 5 8

rechtlichen Beurteilung der Verwerflichkeit von Sitzblockaden bei OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, Rdn. 64 ff.- Zu den Tendenzen in der Rechtsprechung, durch unverhältnismäßige Anforderungen die Feststellung strafwürdigen Verhaltens unmöglich zu machen vgl. einerseits OLG Stuttgart NJW 1992 S. 2714, 2716; GRAUL JR 1994 S. 51 ff; andererseits LG Ellwangen JR 1993 S. 257 mit Anm. OTTO S. 258 ff; OFFENLOCH JZ 1992 S. 438 ff, 442. - Zum Ausschluß der Verwerflichkeit bei kurzfristigen, symbolischen Blockaden, vgl. einerseits BayObLG NJW 1993 S. 213; BayObLG NJW 1995 S. 269; OLG Koblenz NJW 1985 S. 2434; OLG Köln VRS 83 (1993) S. 420; OLG Köln VRS 87 (1994) S. 426; andererseits OLG Stuttgart NJW 1992 S. 2713 (Grenze im Stundenbereich). 55

Dazu auch SCHROEDER JZ 1983 S. 287. Zu den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten der Problematik über die Irrtumslehren: ROXIN JR 1976 S. 71 f.

5 7

V g l . LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 2 6 ; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 4 0 R d n . 5 8 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 0

58

Dazu auch OTTO JK 87, StGB § 240/10.

Rdn. 32.

100

Freiheitsberaubung

§28

2. Vermittlung des Nötigungserfolges durch Dritte BayObLG JZ 1990 S. 448: Die Angeklagten blockierten die Zufahrt zu einer Baustelle. Um gewaltsame Konfrontationen von Autofahrern und Blockieren! zu verhindern, sperrte die Polizei den Bereich ab und hielt die Kraftfahrzeuge etwa 300 m vor der Blockade an.

51

BayObLG: Nur versuchte, nicht aber vollendete Nötigung durch die Angeklagten. "... Der Tatbestand der Nötigung lautet aber nicht: "Wer rechtswidrig mit Gewalt... die Handlung, Duldung oder Unterlassung eines anderen verursacht, ...", sondern: "wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt... nötigt, ...". Daraus zieht der Senat den Schluß, daß es nicht genügt, wenn die intendierte Handlung in irgendeiner ursächlichen Verknüpfung mit der Gewalt steht, so z.B., daß eine Straßenblockade die Polizei veranlaßt, den Verkehr anzuhalten oder umzuleiten. Vielmehr muß für die Erfüllung des Tatbestands der Nötigung und damit für die Vollendung der Tat verlangt werden, daß die Handlung, Duldung oder Unterlassung die spezifische Folge der Gewalteinwirkung ist. Die Gewalt muß das Nötigungsopfer erreicht haben; dessen Willensentscheidung muß unter direkter Einwirkung dieser Gewalt zustande gekommen sein." Der BGH folgte dem BayObLG insoweit nicht. Er sah im vorliegenden Fall den für eine Nötigung mit Gewalt erforderlichen spezifischen Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg als gewahrt an und rechnete den Blockierern den Nötigungserfolg als vollendete Nötigung zu.-^

Bei der Vermittlung des Nötigungserfolges durch Dritte ist der Erfolg dem Ersttätigen 52 zuzurechnen, falls dieser das Verhalten des Dritten als mittelbarer Täter beherrscht oder weil das Drittverhalten noch so spezifisch mit der Ausgangsgefahr verbunden ist, daß es bereits typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint und dem Täter daher zuzurechnen ist. Ist dieses nicht der Fall, weil der Dritte in Kenntnis der Situation eine eigenverantwortliche Entscheidung trifft, ist diese Entscheidung die Grundlage für den Nötigungserfolg. Es liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs vor. Dem zunächst Tätigen ist das Verhalten nur als Versuch zuzurechnen. Im oben genannten Fall kann das Verhalten der Polizei noch als spezifisch in der Ausgangsgefahr angelegtes Verhalten interpretiert werden.60

53

V. Besonders schwere Fälle der Nötigung Abs. 4 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle, und zwar die Nötigung zu sexu- 54 eilen Handlungen (Nr. 1), die Nötigung einer Schwangeren zum Schwangerschaftsabbruch (Nr. 2) und den Mißbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger (Nr. 3).

§ 28: Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Freiheit der Person, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen; sog. potentielle persönliche Bewegungsfreiheit. Da die potentielle, nicht aber die reale persönliche Bewegungsfreiheit maßgeblich sein soll, kommt die h.M. zu dem Ergebnis, es sei bedeutungslos, ob der Betroffene die Beeinträchtigung seiner Bewegungsfreiheit wahrgenommen habe oder nicht. Sodann jedoch wird differenziert. Während einige den Grundsatz uneingeschränkt anwenden, 61 kommen 59

BGHSt 37 S. 350 mit Anm. DIERLAMM NStZ 1992 S. 973 ff, ESCHENBACH Jura 1995 S. 14 ff;

60

Vgl. auch OTTO JK 92, StGB § 240/14.

KÜPPER/BODE J u r a 1993 S. 187 ff, WOHLERS N J W 1992 S. 1 4 3 2 f.

Grundsätzlich auf den Schutz der potentiellen Bewegungsfreiheit, unabhängig von der Kenntnis der S i t u a t i o n , s t e l l e n a b : B O C K E L M A N N B . T . / 2 , § 1 8 I 1 c ; G E P P E R T J u S 1 9 7 5 S . 3 8 7 ; KÜPER B . T . , S . 1 2 4

101

1 2

Freiheitsberaubung

§28

2. Vermittlung des Nötigungserfolges durch Dritte BayObLG JZ 1990 S. 448: Die Angeklagten blockierten die Zufahrt zu einer Baustelle. Um gewaltsame Konfrontationen von Autofahrern und Blockieren! zu verhindern, sperrte die Polizei den Bereich ab und hielt die Kraftfahrzeuge etwa 300 m vor der Blockade an.

51

BayObLG: Nur versuchte, nicht aber vollendete Nötigung durch die Angeklagten. "... Der Tatbestand der Nötigung lautet aber nicht: "Wer rechtswidrig mit Gewalt... die Handlung, Duldung oder Unterlassung eines anderen verursacht, ...", sondern: "wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt... nötigt, ...". Daraus zieht der Senat den Schluß, daß es nicht genügt, wenn die intendierte Handlung in irgendeiner ursächlichen Verknüpfung mit der Gewalt steht, so z.B., daß eine Straßenblockade die Polizei veranlaßt, den Verkehr anzuhalten oder umzuleiten. Vielmehr muß für die Erfüllung des Tatbestands der Nötigung und damit für die Vollendung der Tat verlangt werden, daß die Handlung, Duldung oder Unterlassung die spezifische Folge der Gewalteinwirkung ist. Die Gewalt muß das Nötigungsopfer erreicht haben; dessen Willensentscheidung muß unter direkter Einwirkung dieser Gewalt zustande gekommen sein." Der BGH folgte dem BayObLG insoweit nicht. Er sah im vorliegenden Fall den für eine Nötigung mit Gewalt erforderlichen spezifischen Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg als gewahrt an und rechnete den Blockierern den Nötigungserfolg als vollendete Nötigung zu.-^

Bei der Vermittlung des Nötigungserfolges durch Dritte ist der Erfolg dem Ersttätigen 52 zuzurechnen, falls dieser das Verhalten des Dritten als mittelbarer Täter beherrscht oder weil das Drittverhalten noch so spezifisch mit der Ausgangsgefahr verbunden ist, daß es bereits typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint und dem Täter daher zuzurechnen ist. Ist dieses nicht der Fall, weil der Dritte in Kenntnis der Situation eine eigenverantwortliche Entscheidung trifft, ist diese Entscheidung die Grundlage für den Nötigungserfolg. Es liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs vor. Dem zunächst Tätigen ist das Verhalten nur als Versuch zuzurechnen. Im oben genannten Fall kann das Verhalten der Polizei noch als spezifisch in der Ausgangsgefahr angelegtes Verhalten interpretiert werden.60

53

V. Besonders schwere Fälle der Nötigung Abs. 4 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle, und zwar die Nötigung zu sexu- 54 eilen Handlungen (Nr. 1), die Nötigung einer Schwangeren zum Schwangerschaftsabbruch (Nr. 2) und den Mißbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger (Nr. 3).

§ 28: Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Freiheit der Person, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen; sog. potentielle persönliche Bewegungsfreiheit. Da die potentielle, nicht aber die reale persönliche Bewegungsfreiheit maßgeblich sein soll, kommt die h.M. zu dem Ergebnis, es sei bedeutungslos, ob der Betroffene die Beeinträchtigung seiner Bewegungsfreiheit wahrgenommen habe oder nicht. Sodann jedoch wird differenziert. Während einige den Grundsatz uneingeschränkt anwenden, 61 kommen 59

BGHSt 37 S. 350 mit Anm. DIERLAMM NStZ 1992 S. 973 ff, ESCHENBACH Jura 1995 S. 14 ff;

60

Vgl. auch OTTO JK 92, StGB § 240/14.

KÜPPER/BODE J u r a 1993 S. 187 ff, WOHLERS N J W 1992 S. 1 4 3 2 f.

Grundsätzlich auf den Schutz der potentiellen Bewegungsfreiheit, unabhängig von der Kenntnis der S i t u a t i o n , s t e l l e n a b : B O C K E L M A N N B . T . / 2 , § 1 8 I 1 c ; G E P P E R T J u S 1 9 7 5 S . 3 8 7 ; KÜPER B . T . , S . 1 2 4

101

1 2

§28

3

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

andere zu dem Ergebnis, eine Freiheitsberaubung sei nicht möglich, wenn der Betroffene zur Tatzeit einen natürlichen Fortbewegungswillen gar nicht haben kann, weil die Möglichkeit der Willensbildung und -betätigung ausgeschaltet ist. Daher sei keine Freiheitsberaubung möglich beim sinnlos Betrunkenen, beim Ohnmächtigen, beim Tiefschlafenden oder beim Kleinstkind, hingegen könne das Opfer, das lediglich nicht merke, daß es eingesperrt sei, durchaus der Freiheit beraubt werden. 6 2 Diese Differenzierung bleibt willkürlich, denn schon die Annahme der Freiheitsberaubung einer Person, die überhaupt nicht bemerkt, daß sie ihrer Freiheit beraubt ist, ist mit dem Schutz der persönlichen Bewegungsfreiheit nicht in Einklang zu bringen. Zutreffender erscheint es daher, eine Freiheitsberaubung dort abzulehnen, wo der Wille des Betroffenen nicht tangiert wurde, weil sein Wille weder durch irgendwelche Einwirkungen (Hypnose, Schlafmittel) ausgeschaltet noch er selbst sich der Beraubung seiner Bewegungsfreiheit bewußt wurde (Ohnmacht, Schlaf, Beschäftigung mit anderen Dingen). Ist er sich hingegen der Tatsache bewußt geworden, daß er seinen Aufenthaltsort nicht verlassen kann, so ist es gleichgültig, ob er ihn verlassen will, unabhängig davon, ob der Betroffene zur Fortbewegung fähig ist. Insofern ist es richtig, auf die potentielle persönliche Bewegungsfreiheit abzustellen, denn schon das Bewußtsein, seinen Aufenthaltsort nicht verändern zu können, beeinflußt die Willensbildung. 63 2. Die

4

5

Tathandlung

a) Die Freiheitsberaubung Tathandlung ist der Eingriff in die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen. Diesem wird die Möglichkeit genommen, sich nach seinem Willen fortzubewegen. Einsperren - Hinderung am Verlassen eines Raumes durch äußere Vorrichtungen - ist nur ein Beispielsfall einer Freiheitsberaubung, die z.B. auch durch Drohung, Gewalt oder Wegnahme der Kleider erfolgen kann. Maßgeblich ist allein, daß dem Opfer die Willensbetätigung zur Ortsveränderung nach allen Seiten unmöglich gemacht ist 6 4 und zwar ist - auch bei den anderen Weisen der Beraubung der Freiheit - die unmittelbare Zwangswirkung maßgeblich. Die Drohung mit einem empfindlichen Übel genügt daher den Anforderungen an eine Freiheitsberaubung nicht. 65 Wird dem Opfer lediglich die Bewegung in eine Richtung unmöglich gemacht oder das Opfer in eine andere Richtung gezwungen, so liegt nur Nötigung vor. - Das Delikt ist ein Dauerdelikt, doch erfordert der Tatbestand keine lange Dauer ("ein Vaterunser lang" genügt). Ob ein u.U. verbleibender Ausweg ungewöhnlich ist oder nicht, spielt keine Rolle. Die Grenze beginnt dort, wo dem Opfer der Ausweg nicht mehr zumutbar ist, z.B. beim lebensgefährlichen Sprung aus dem Fenster eines Hochhauses oder beim Herunterklettem über eine Feuerleiter oberhalb einer belebten Straße ohne Bekleidung.

f f ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 3 9 R d n . 1; RENGIER B . T . II, § 2 2 R d n . 1; SCHMIDHÄUSER B . T . , 4 / 2 6 . 62

Eine Freiheitsberaubung gegenüber Personen, denen die Freiheit fehlt, sich frei zu bewegen (z.B. sinnlos Betrunkene, Bewußtlose) lehnen ab: KREY B.T. 1, Rdn. 315; KÜPPER B.T. 1, I § 3 Rdn. 2; SCH/SCH/ESER § 239 Rdn. 3; TRÖNDLE StGB, § 239 Rdn. 1; WOLTER NStZ 1985 S. 247. - Differenzierend bei der letztgenannten Personengruppe nach dem hypothetischen Willen: BLOY ZStW 96 (1984) S. 721 ff; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 239 Rdn. 13.

6 3

W i e h i e r : BINDING B . T . I, S . 9 8 ; H O R N S K I I , § 2 3 9 R d n . 3 ; P A R K / S C H W A R Z J u r a 1 9 9 5 S . 2 9 5 f .

64

BGHSt 32 S. 187 ff.

65

Dazu BGH NJW 1993 S. 1807 mit Anm. OTTO JK 94, StGB § 239/2.

102

Freiheitsberaubung

§28

b) Mittelbare Täterschaft Grundsätzlich ohne besondere Probleme ist auch die Verwirklichung einer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft, wenn der Hintermann die Tatherrschaft innehat, weil das Werkzeug irrt oder im Nötigungsnotstand handelt. Daher wird von der h.M. auch eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft angenommen, wenn der Täter durch eine falsche Anzeige dafür ursächlich wird, daß der Angezeigte in Haft kommt. Dies mag für eine falsche Anzeige vor der Polizei, die dazu führt, daß das Opfer in U-Haft genommen wird, zutreffen. 6 6 Soweit die Haft auf einem Urteil beruht, ist der Anzeigende nicht mehr für dieses Ergebnis als mittelbarer Täter verantwortlich. Das Gericht ist nicht Werkzeug des Anzeigenden! Es ist verpflichtet, belastende und entlastende Momente zu überprüfen und eigenverantwortlich zu wägen. Das widerspricht seiner Werkzeugeigenschaft dort, wo ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist, evident. 67

6

7

II. Rechtswidrigkeit Als Rechtfertigungsgründe kommen alle rechtfertigenden Situationen in Betracht, insbe- 8 sondere die Ausübung des Sorgerechts im Rahmen der Familienpflege 6 8 sowie das Festnahmerecht gemäß § 127 StPO. Nach h.M. schließt das Einverständnis des Opfers in die Freiheitsberaubung bereits den 9 Tatbestand aus. 6 9 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, denn die Freiheitsberaubung ist kein Willensbruchsdelikt im engeren Sinne. Sie setzt begrifflich kein Handeln gegen den Willen des Betroffenen voraus. Auch List kommt als Mittel der Freiheitsberaubung in Betracht. Beim Handeln mit Willen des Betroffenen kann jedoch eine rechtfertigende Einwilligung vorliegen. 70 Bei hoheitlichem Freiheitsentzug, z.B. Verbringung zur Blutentnahme, Einweisung in 10 eine psychiatrische Anstalt, stellt die h.M. darauf ab, ob der Freiheitsentzug sachlich begründet war oder nicht, während Mängel des förmlichen Verfahrens irrelevant sein sollen. 71 So verallgemeinert ist diese Aussage angreifbar. Maßgeblich kann allein sein, ob der Eingriffsakt rechtswirksam war oder nicht. Die Anfechtbarkeit begründet nicht die Rechtswidrigkeit der rechtswirksam vollzogenen Maßnahmen. Beruht der Eingriffsakt aber auf einer Täuschung durch einen Dritten - z.B. falsche Anschuldigung, die dazu führt, daß der Betroffene festgenommen wird - so liegt ein Fall der Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch ein rechtmäßig handelndes Werkzeug vor. Keinesfalls ist hier in der Person des Hintermannes nur ein Versuch gegeben 7 2 , denn die Tathandlung bleibt in der Person des Hintermannes objektiv und subjektiv rechtswidrige Freiheitsentziehung, auch wenn das Werkzeug rechtswirksam handelt. 66

Dazu BGHSt 3 S. 4.

6 7

Vgl. auch OTTO NStZ 1985 S. 75 f. - A.A. AMELUNG/BRAUER JR 1985 S. 4 7 6 f; GEPPERT JK, StGB § 239/1 m.w.N.

68

Hierzu BGHSt 13 S. 197.

6 9

Für Ausschluß des Tatbestandes: LACKNER/KÜHL § 2 3 9 Rdn. 5; SCH/SCH/ESER § 2 3 9 Rdn. 8; TRONDLE StGB, § 239 Rdn. 8.

7 0

So auch JESCHECK/WEIGEND A.T., 5. Aufl. 1996, § 34 I 1 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l § 12 Rdn. 16.

71

BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 624; OLG Schleswig NStZ 1985 S. 74; SCH/SCH/ESER § 239 Rdn. 8.

7 2

So aber AMELUNG/BRAUER JR 1985 S. 4 7 6 f; GEPPERT JK, StGB § 239/1.

103

§28

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

III. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung 11 In § 239 Abs. 3 und Abs. 4 sind erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung geregelt. 1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen 12 Die über eine Woche hinausgehende Freiheitsberaubung, wie auch der Tod oder die schwere Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - müssen für den Täter vorhersehbar gewesen sein, § 18. Führt der Täter die schwere Folge vorsätzlich herbei, so ist Tateinheit mit §§ 211, 212, und je nach den Umständen § 226, möglich. - Daß das Opfer den Tod selbst herbeigeführt hat, sei es durch Selbstmord oder einen gefährlichen Fluchtversuch, ist irrelevant, da der Wille des seiner Freiheit beraubten Opfers im Rechtssinne nicht frei ist. Auch in diesen Fällen realisiert sich die der Freiheitsberaubung spezifische Gefahr. 73 2. Täter als Verursacher der besonderen Folge 13 Nach der früheren Fassung des § 239 waren besondere Folgen, die ein Tatteilnehmer verursacht hatte, auch dem Täter zuzurechnen, wenn sie für ihn vorhersehbar gewesen waren. Nach der Neufassung des Gesetzes durch das 6. StrRG muß der Täter (Mittäter) der Verursacher der besonderen Folge sein. 74 3. Der Versuch 14 Der Versuch der Freiheitsberaubung ist strafbar, § 239 Abs. 2.

IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung 15 Die Freiheitsberaubung ist ein Spezialfall der Nötigung, wenn die Nötigung nur darauf gerichtet ist, das Opfer zu hindern nach seinem Belieben seinen Aufenthaltsort zu verändern. Im übrigen ist die Entscheidung nach dem Schwergewicht des Unrechtsvorwurfs zu treffen. Das bedeutet im einzelnen: 16 1. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach eigenem Belieben zu verändern, weil es dem Täter darauf ankommt, das Opfer an seinem Aufenthaltsort festzuhalten: Freiheitsberaubung. Beispiel: A sperrt den B im Keller seines Hauses ein, um ungestört mit Frau B Ehebruch betreiben zu können. Ergebnis: Die Freiheitsberaubung geht als lex specialis der Nötigung vor.

17 2. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach seinem Belieben zu verändern, weil es zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird und andere Verhaltensweisen ihm neben dem erzwungenen Verhalten nicht möglich sind, so liegt nur eine Nötigung vor. \ Beispiel: A zwingt den B mit vorgehaltener Pistole nach X zu fahren. Ergebnis: Nötigung des B, gegen seinen Willen dorthin zu fahren wohin ihn der A dirigiert. Der Tatsache, daß B nicht zugleich an einen anderen Ort fahren kann, kommt hier keine Eigenständigkeit zu. Damit konsumiert die Nötigung die Freiheitsberaubung. 73

Dazu BGH LM Nr. 4 zu § 239; BGHSt 19 S. 382 mit abl. Anm. WIDMANN MDR 1967 S. 972 f; KÜPPER "Der unmittelbare Zusammenhang" zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 104; RENGIER Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungformen, 1986, S. 196.

74

Vgl. dazu auch HÖRNLE Jura 1998 S. 179.

104

Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme

§29

3. Soll das Opfer durch den Freiheitsentzug zu einem bestimmten, über den Frei- jg heitsentzug hinausgehenden Verhalten gezwungen werden: Nötigung und Freiheitsberaubung in Idealkonkurrenz. Beispiel: A sperrt den B ein, um ihn zu zwingen, ihm ein Geschäftsgeheimnis zu verraten. Der Plan gelingt. Ergebnis: Der Unrechtsgehalt der Freiheitsberaubung und der der Nötigung stehen gleichwertig nebeneinander; §§ 240, 239, 52 StGB.

4. Mißlingt der Versuch des Täters, eine Person an einem bestimmten Ort festzuhalten: 19 versuchte Nötigung. Beispiel: A legt der B den Arm um den Hals, um diese am Verlassen der Wohnung zu hindern. B kann sich befreien. Ergebnis: Geht es dem Täter allein um die Freiheitsberaubung, so ist - wenn das Delikt vollendet wird § 239 lex specialis gegenüber § 240. Das gilt auch für die Versuchssituation.

V. Menschenraub, § 234 In § 234 ist ein Spezialfall der Freiheitsberaubung geregelt. Das Delikt währt so lange, wie 20 die Bemächtigung anhält (Dauerdelikt). Einzelheiten des Tatbestandes: List ist ein geflissentliches Verbergen der verfolgten 21 Absicht, z.B. durch Täuschung oder Ausnutzung eines Irrtums. - Bemächtigen heißt Begründen der physischen Herrschaft über eine Person. - Zur hilflosen Lage vgl. oben § 10 Rdn. 2. - Die Absicht, einen anderen in Sklaverei oder Leibeigenschaft zu bringen, setzt voraus, daß der Täter beabsichtigt, das Opfer einer Rechtsordnung zu unterwerfen, die die Rechtstellung eines Sklaven oder Leibeigenen noch kennt. 75

§ 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b Beide Vorschriften schützen zunächst die persönliche Freiheit und Unversehrtheit des Opfers, sodann aber die persönliche Freiheit des Dritten, dessen Sorge ausgenutzt werden soll. - Dahinter tritt der in § 239 a auch erfaßte Schutz des Vermögens zurück, so daß es sachgerecht ist, beide Delikte, § 239 a und § 239 b, als Freiheitsdelikte einzuordnen. 76

1

II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Erpresserischer Menschenraub, § 239 a a) Tatopfer kann jeder Mensch sein, insbesondere auch das eigene Kind. 77 b) Der Tatbestand unterscheidet zwei Alternativen: in der ersten Alternative erfolgt die "Entführung" oder das "Sich-Bemächtigen eines Dritten" bereits in der Absicht der Erpressung; in der zweiten Alternative wird ein ursprünglich aus anderen Gründen (Scherz, Rache o.ä.) hergestelltes Gewaltverhältnis später zur Erpressung ausgenutzt. 75

Vgl. dazu BGHSt 39 S. 212.

76

So auch LACKNER/KÜHL § 239 a Rdn. 1; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 239 a Rdn. 2. - Die Nähe des § 239 a zur Erpressung betonen demgegenüber MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 15 Rdn. 19; SCH/SCH/ESER § 2 3 9 a R d n . 3.

77

Dazu BGHSt 26 S. 70.

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Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme

§29

3. Soll das Opfer durch den Freiheitsentzug zu einem bestimmten, über den Frei- jg heitsentzug hinausgehenden Verhalten gezwungen werden: Nötigung und Freiheitsberaubung in Idealkonkurrenz. Beispiel: A sperrt den B ein, um ihn zu zwingen, ihm ein Geschäftsgeheimnis zu verraten. Der Plan gelingt. Ergebnis: Der Unrechtsgehalt der Freiheitsberaubung und der der Nötigung stehen gleichwertig nebeneinander; §§ 240, 239, 52 StGB.

4. Mißlingt der Versuch des Täters, eine Person an einem bestimmten Ort festzuhalten: 19 versuchte Nötigung. Beispiel: A legt der B den Arm um den Hals, um diese am Verlassen der Wohnung zu hindern. B kann sich befreien. Ergebnis: Geht es dem Täter allein um die Freiheitsberaubung, so ist - wenn das Delikt vollendet wird § 239 lex specialis gegenüber § 240. Das gilt auch für die Versuchssituation.

V. Menschenraub, § 234 In § 234 ist ein Spezialfall der Freiheitsberaubung geregelt. Das Delikt währt so lange, wie 20 die Bemächtigung anhält (Dauerdelikt). Einzelheiten des Tatbestandes: List ist ein geflissentliches Verbergen der verfolgten 21 Absicht, z.B. durch Täuschung oder Ausnutzung eines Irrtums. - Bemächtigen heißt Begründen der physischen Herrschaft über eine Person. - Zur hilflosen Lage vgl. oben § 10 Rdn. 2. - Die Absicht, einen anderen in Sklaverei oder Leibeigenschaft zu bringen, setzt voraus, daß der Täter beabsichtigt, das Opfer einer Rechtsordnung zu unterwerfen, die die Rechtstellung eines Sklaven oder Leibeigenen noch kennt. 75

§ 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b Beide Vorschriften schützen zunächst die persönliche Freiheit und Unversehrtheit des Opfers, sodann aber die persönliche Freiheit des Dritten, dessen Sorge ausgenutzt werden soll. - Dahinter tritt der in § 239 a auch erfaßte Schutz des Vermögens zurück, so daß es sachgerecht ist, beide Delikte, § 239 a und § 239 b, als Freiheitsdelikte einzuordnen. 76

1

II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Erpresserischer Menschenraub, § 239 a a) Tatopfer kann jeder Mensch sein, insbesondere auch das eigene Kind. 77 b) Der Tatbestand unterscheidet zwei Alternativen: in der ersten Alternative erfolgt die "Entführung" oder das "Sich-Bemächtigen eines Dritten" bereits in der Absicht der Erpressung; in der zweiten Alternative wird ein ursprünglich aus anderen Gründen (Scherz, Rache o.ä.) hergestelltes Gewaltverhältnis später zur Erpressung ausgenutzt. 75

Vgl. dazu BGHSt 39 S. 212.

76

So auch LACKNER/KÜHL § 239 a Rdn. 1; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 239 a Rdn. 2. - Die Nähe des § 239 a zur Erpressung betonen demgegenüber MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 15 Rdn. 19; SCH/SCH/ESER § 2 3 9 a R d n . 3.

77

Dazu BGHSt 26 S. 70.

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§29 4

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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Entführen setzt ein Verbringen an einen anderen Ort voraus, wo das Opfer dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist. Die Ortsveränderung muß gegen den Willen des Opfers durch List, Drohung oder Gewalt - dazu § 28 Rdn. 21, 27, § 66 Rdn. 14, 17 geschehen sein. 78 - Sich bemächtigen bedeutet die Begründung physischer Herrschaft des Täters über das Opfer. Ein Verbringen an einen anderen Ort ist nicht begriffsnotwendig; das in Schach halten mit einer Waffe kann genügen. 7 9 Stellt sich jemand einem anderen freiwillig zur Verfügung, damit dieser eine Geiselnahme vortäuschen kann, so entfällt der Tatbestand, da weder eine Entführung noch ein Sich-Bemächtigen vorliegt. 80 c) In der 1. Alternative muß mit dem Vorsatz die Absicht des Täters verbunden sein, "die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung auszunutzen". Sorge um das Wohl des Opfers ist bereits die Befürchtung, das Opfer könne beim Fortbestehen der vom Täter geschaffenen Lage körperlichen oder seelischen Schaden erleiden. Damit handelt aus Sorge in diesem Sinne auch der Staat, der nicht unmittelbar aus Sorge um das Wohl der Geisel zahlt, sondern aus Gründen der Staatsräson dokumentiert, daß er das Leben der Geisel mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln schützt, wie auch der Bankkassierer, der vielleicht sogar den bedrohten Kunden haßt, der aber weiß, daß er selbst erhebliche Nachteile haben wird, wenn er nicht für das Wohl des Opfers sorgt und zahlt. Um eine Sorge um einen anderen im herkömmlichen Sinne des Wortes handelt es sich hier nicht mehr, sondern nur noch um die Befürchtung

oder das Wissen, ein anderer werde Schaden nehmen.81

6

7

Ob der Täter wirklich die Absicht hat, dem Opfer einen Schaden zuzufügen oder nicht, ist irrelevant. Maßgeblich ist allein die Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge Dritter. 82 d) Vollendet ist die Tat in der 1. Alternative, wenn der Täter einen anderen entführt oder sich eines anderen bemächtigt hat in der Absicht, die Sorge des Opfers oder die Sorge eines Dritten zu einer Erpressung auszunutzen. Es braucht nicht einmal bis zu einem Versuch einer Erpressung zu kommen. - In der 2. Alternative ist der Tatbestand vollendet, wenn der Täter die von ihm geschaffene Lage zu einer Erpressung ausnutzt, d.h. die Erpressung zumindest versucht. 83

2. Geiselnahme, § 239 b 8

a) Tatopfer und Tathandlung entsprechen § 239 a. Im Gegensatz zu § 239 a tritt an die Stelle der Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge eines Dritten in erpresserischer Absicht in § 239 b die Absicht einer Nötigung mit qualifiziertem Mittel (Drohung mit dem Tode oder einer schweren Körperverletzung - § 226 - des Opfers oder mit Freiheitsentzug von über einer Woche Dauer). - Der Vorbehalt des Täters, die Drohung nicht zu realisieren, ist irrelevant. Eine derartige Einschränkung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

9

b) Aufbau des Tatbestandes und Vollendung entsprechen § 239 a; vgl. unter Rdn. 4. 78

Vgl. dazu BGH NStZ 1996 S. 276 f.

79

BGH NStZ 1986 S. 166.

80

Vgl. LG München 31 Js 81385/75; BACKMANN JUS 1977 S. 449. - A.A. LAMPEJR 1975 S. 425.

81

Eingehender dazu HANSEN GA 1974 S. 353 ff; im übrigen vgl. BGH NStZ 1987 S. 222 mit Anm. JAKOBS J R 1 9 8 7 S . 3 4 0 f f , u n d O T T O J K 8 7 , S t G B § 2 5 3 / 1 ; B G H b e i H o l t z , M D R 1 9 8 9 S . 3 0 5 ; BOHNERT J R 1 9 8 2 S . 3 9 7 , 3 9 9 ; SEELMANN JUS 1 9 8 6 S. 2 0 3 .

82

Zu den Erfordernissen der Erpressung vgl. unter § 53 Rdn. 3.

83

BGHSt 26 S. 310 (zu § 239 b).

106

§29

Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme 3. Das Verhältnis der §§ 239 a, b zu den in der Gewaltsituation beabsichtigten

Delikten

a) Nachdem das StrÄndG 1989 die §§ 239 a, b, die bis dahin eine Dreiecksstruktur (Täter 10 - Entführter - Genötigter) voraussetzten, auf Zwei-Personen-Verhältnisse (Täter-Entführungsopfer) ausgedehnt hatte, ging die Rechtsprechung davon aus, daß §§ 239 a, b in Tateinheit mit den beabsichtigten Delikten vorlagen, wenn diese verwirklicht wurden. 84 Damit aber wurden typische Fälle der Vergewaltigung und der Erpressung dem hohen Strafrahmen der §§ 239 a, b unterworfen. b) Aus dieser Situation versuchte der 1. Strafsenat einen Ausweg zu finden, indem er bei 11 Zwei-Personen-Verhältnissen eine "Außenwirkung des abgenötigten Verhaltens" außerhalb des unmittelbaren Gewaltverhältnisses voraussetzte, 85 der 5. Senat stellte auf die besondere "Intensität der Zwangslage" ab. 86 Der Große Senat für Strafsachen lehnte diese Tatbestandsreduktionen ab und interpretierte §§ 239 a, b dahin, daß zwischen der Bemächtigungs-/Entführungslage und der vom Täter angestrebten Nötigung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang bestehen müsse, 87 so daß der Tatbestand nicht gegeben sei, wenn die zur Bemächtigung führende Nötigung - z.B. das Vorhalten einer Schußwaffe zugleich dazu dient, das Opfer zu den weiteren Handlungen - z.B. Herausgabe von Bargeld - zu veranlassen 88 oder wenn die Leistung, die der Täter erpressen will, erst nach Beendigung der Bemächtigungslage erbracht werden soll. 89 Jedoch soll es genügen, wenn eine „Teilleistung" schon vor Beendigung der Bemächtigungslage erbracht wird. 90 Überzeugend ist auch diese restriktive Auslegung der §§ 239 a, b nicht, denn sie privi- 12 legiert den besonders brutal vorgehenden Täter, der mit der Bemächtigungshandlung von vornherein zugleich qualifizierte Drohungen einsetzt. 91

III. Erfolgsqualifizierung nach §§ 239 a Abs. 3, 239 b Abs. 2 Die Erfolgsqualifizierungen gemäß § 239 a Abs. 3 und § 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a 13 Abs. 3 entsprechen in ihrer Struktur dem Raub mit Todesfolge; dazu unter § 46 Rdn. 40 ff. Zu beachten ist auch hier, daß sich in der Erfolgsqualifikation die spezifische Gefahr der Verwirklichung des Grundtatbestandes realisiert haben muß. Diese Gefahr kann auch in Befreiungsaktionen zugunsten des Opfers begründet sein. Der notwendige Zusammenhang liegt hingegen nicht vor, wenn es zum Tod der Geisel kommt, weil Polizeibeamte, die von der Geiselnahme keine Kenntnis haben, auf das Fluchtfahrzeug schießen, in dem sich nach ihrer Vorstellung nur Räuber b e f i n d e n . 9 2

84 85

So zuletzt BGH NStZ 1993 S. 3. Vgl. BGHSt 39 S. 36; 39 S. 330; BOHLANDER NStZ 1993 S. 4 3 9 f; GEPPERT JK 94, StGB § 239 a/4; R. KELLER J R

1 9 9 4 S. 4 2 8

f; O T T O J K 9 4 , S t G B

§ 2 3 9 a/5; RENZIKOWSKI J Z

1 9 9 4 S. 4 9 3 ff;

TENCK-

HOFF/BAUMANN JUS 1 9 9 4 S. 8 3 6 ff. 86

BGH NJW 1994 S. 2163.

87

BGHSt 4 0 S. 350; dazu FAHL Jura 1996 S. 4 5 6 ff; GEPPERT JK 95, StGB § 239 a/6 a, b; HÄUF NStZ

88

Vgl. BGH NStZ 1996 S. 277; B G H StV 1996 S. 266; BGH StV 1996 S. 577.

89

Vgl. B G H NStZ 1996 S. 277; B G H StV 1997 S. 302; BGH StV 1997 S. 303. - Eingehend zur Entwicklung der Rechtsprechung: HEINRICH NStZ 1997 S. 365 ff.

1 9 9 5 S . 1 8 4 f; MÜLLER-DLETZ JUS 1 9 9 6 S . 1 1 0 ff; RENZIKOWSKI J R 1 9 9 5 S . 3 4 9 f.

-

9 0

BGH NJW

91

Vgl. dazu RENZIKOWSKI JR 1995 S. 349 f; TRÖNDLE StGB, § 2 3 9 a Rdn. 6.

9 2

Str. - Vgl. BGHSt 33 S. 322 mit Anm. FISCHER NStZ 1986 S. 314, GEPPERT JK, StGB § 239 a/1,

1 9 9 7 S . 1 0 8 2 m i t A n m . GEPPERT J K 9 8 , S t G B § 2 3 9 b / 1 , RENZIKOWSKI J R 1 9 9 8 S . 1 2 6 f.

107

14

§30

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4, 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a Abs. 4 15 Abweichend von anderen Fällen der sog. Tätigen Reue nach vollendeter Tat erfordert § 239 a Abs. 4 keine Freiwilligkeit, unterwirft aber die Strafmilderung nicht § 49 Abs. 2, sondern dem strengeren § 49 Abs. 1. 16 Erstrebte Leistung ist in § 239 a die Beute, in § 239 b der Nötigungserfolg. - Ein Verzicht liegt vor, wenn der Täter seinen Erpressungs- oder Nötigungsplan vor Eintritt des Erfolges aufgibt, bzw. die Beute wieder herausgibt oder auf die Ausnutzung der Nötigungssituation verzichtet. - In seinen Lebenskreis zurückgelangt ist das Opfer, wenn es, aus der Gewalt des Täters entlassen, die Möglichkeit hat, seinen Aufenthaltsort frei zu bestimmen und zu erreichen.

V. Konkurrenzen 17 Zur Konkurrenz der §§ 239 a, b mit den beabsichtigten Delikten vgl. unter Rdn. 10 ff. § 239 b ist gegenüber § 239 a subsidiär, wenn mit der Tathandlung eine Bereicherung erstrebt wird. Soweit neben der Bereicherung noch ein anderer Zweck verfolgt wird, ist Tateinheit möglich. 9 3

§ 30: Zur Wiederholung 1

1. Wie wurde "Gewalt" i.S. des § 240 ursprünglich definiert und worin unterschied sich diese Definition von der, die der BGH seinen Entscheidungen in der Regel zugrunde legt? - Dazu § 27 Rdn. 2 ff. 2. Kommt es bei einer Drohung mit einem empfindlichen Übel darauf an, ob der Drohende die Drohung wirklich realisieren kann? - Dazu § 27 Rdn. 17. 3. Ist die Verwerflichkeit eines nötigenden Verhaltens vor den Rechtfertigungsgründen zu prüfen? - Dazu § 2 7 Rdn. 31. 4. Genügt es, daß eine Nötigung sittlich anstößig ist, oder fordert die Strafbarkeit auch hier ein rechtswidriges Verhalten? - Dazu § 27 Rdn. 33. 5. Wann ist ein Verhalten "verwerflich" i.S. des § 240 Abs. 2? - Dazu § 27 Rdn. 35 ff. 6. Kann ein "Bewußtloser" seiner Freiheit beraubt werden? - Dazu § 28 Rdn. 2. 7. Liegt eine Freiheitsberaubung vor, wenn der Betroffene seinen Aufenthaltsort nur auf "ungewöhnlichem" Wege verlassen kann? - Dazu § 28 Rdn. 5. 8. Welche Bedenken bestehen gegen eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch eine Behörde oder ein Gericht aufgrund einer Täuschung (unwahre Aussage)? - Dazu § 28 Rdn. 6 f. 9. Was heißt "sich eines Menschen bemächtigen" in § 234? - Dazu § 28 Rdn. 21. 10. Wie ist das Ausnutzen der Sorge eines Dritten in §§ 239 a, b zu bestimmen? - Dazu § 29 Rdn. 5.

KREHL S t V 1 9 8 6 S. 4 3 2 , LÖFFELER J A 1 9 8 6 S. 2 8 6 f, WOLTER J R 1 9 8 6 S. 4 6 5 f f . 93

108

BGHSt 25 S. 386; 26 S. 24.

§30

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4, 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a Abs. 4 15 Abweichend von anderen Fällen der sog. Tätigen Reue nach vollendeter Tat erfordert § 239 a Abs. 4 keine Freiwilligkeit, unterwirft aber die Strafmilderung nicht § 49 Abs. 2, sondern dem strengeren § 49 Abs. 1. 16 Erstrebte Leistung ist in § 239 a die Beute, in § 239 b der Nötigungserfolg. - Ein Verzicht liegt vor, wenn der Täter seinen Erpressungs- oder Nötigungsplan vor Eintritt des Erfolges aufgibt, bzw. die Beute wieder herausgibt oder auf die Ausnutzung der Nötigungssituation verzichtet. - In seinen Lebenskreis zurückgelangt ist das Opfer, wenn es, aus der Gewalt des Täters entlassen, die Möglichkeit hat, seinen Aufenthaltsort frei zu bestimmen und zu erreichen.

V. Konkurrenzen 17 Zur Konkurrenz der §§ 239 a, b mit den beabsichtigten Delikten vgl. unter Rdn. 10 ff. § 239 b ist gegenüber § 239 a subsidiär, wenn mit der Tathandlung eine Bereicherung erstrebt wird. Soweit neben der Bereicherung noch ein anderer Zweck verfolgt wird, ist Tateinheit möglich. 9 3

§ 30: Zur Wiederholung 1

1. Wie wurde "Gewalt" i.S. des § 240 ursprünglich definiert und worin unterschied sich diese Definition von der, die der BGH seinen Entscheidungen in der Regel zugrunde legt? - Dazu § 27 Rdn. 2 ff. 2. Kommt es bei einer Drohung mit einem empfindlichen Übel darauf an, ob der Drohende die Drohung wirklich realisieren kann? - Dazu § 27 Rdn. 17. 3. Ist die Verwerflichkeit eines nötigenden Verhaltens vor den Rechtfertigungsgründen zu prüfen? - Dazu § 2 7 Rdn. 31. 4. Genügt es, daß eine Nötigung sittlich anstößig ist, oder fordert die Strafbarkeit auch hier ein rechtswidriges Verhalten? - Dazu § 27 Rdn. 33. 5. Wann ist ein Verhalten "verwerflich" i.S. des § 240 Abs. 2? - Dazu § 27 Rdn. 35 ff. 6. Kann ein "Bewußtloser" seiner Freiheit beraubt werden? - Dazu § 28 Rdn. 2. 7. Liegt eine Freiheitsberaubung vor, wenn der Betroffene seinen Aufenthaltsort nur auf "ungewöhnlichem" Wege verlassen kann? - Dazu § 28 Rdn. 5. 8. Welche Bedenken bestehen gegen eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch eine Behörde oder ein Gericht aufgrund einer Täuschung (unwahre Aussage)? - Dazu § 28 Rdn. 6 f. 9. Was heißt "sich eines Menschen bemächtigen" in § 234? - Dazu § 28 Rdn. 21. 10. Wie ist das Ausnutzen der Sorge eines Dritten in §§ 239 a, b zu bestimmen? - Dazu § 29 Rdn. 5.

KREHL S t V 1 9 8 6 S. 4 3 2 , LÖFFELER J A 1 9 8 6 S. 2 8 6 f, WOLTER J R 1 9 8 6 S. 4 6 5 f f . 93

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BGHSt 25 S. 386; 26 S. 24.

Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte

§31

Fünfter Abschnitt Delikte gegen die Ehre § 31: Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte Einigkeit besteht darüber, daß das geschützte Rechtsgut der §§ 185 ff die Ehre ist. - Inhalt und Grenzen dieses Begriffs sind jedoch streitig, obwohl nicht zu verkennen ist, daß die verschiedenen Auffassungen über die inhaltliche Bestimmung des Ehrbegriffs sich in einem Kernbereich weitgehend angenähert haben, nachdem insbesondere ENGISCH nachgewiesen hat, daß jeder Ehrbegriff normative und faktische Elemente enthält und enthalten muß. 1 Es bleiben jedoch Divergenzen, die über bloß unterschiedliche Akzentuierungen hinausgehen.

1

1. Der Streitstand a) Auf der Grundlage des normativen Ehrbegriffs ist Ehre als der auf die Personenwürde gegründete innere Wert des Menschen anzusehen. Sie geht unmittelbar aus seiner sittlichen Existenz hervor und ist in ihrem Bestand allein abhängig von seinem sittlichen Habitus und seinem sittlichen Verhalten, wobei das sittliche Element z.T. auf den Gesamtbereich der Sozialethik bezogen wird. 2 b) In der normativ-faktischen Betrachtungsweise wird der soziale Wert- und Achtungsanspruch wesentlich neben den aus der Personenwürde fließenden sittlichen Wertstand gestellt. Maßgeblich ist zunächst der auf der Würde der Person beruhende sittliche Geltungswert, der unmittelbar aus der sittlichen Existenz der Person hervorgeht und jedem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommt (innere Ehre). Dieser Bereich ist der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Kernbereich der Ehre, der jedem Menschen die Achtung als Mensch verbürgt. Daneben tritt der soziale Achtungsanspruch, der der Person aufgrund ihres Verhaltens in der Sozietät zuwächst, das nach sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird (äußere Ehre). 3

2

c) Den personalen Charakter des Rechtsguts bestreitet JAKOBS, der die Beleidigung als zugleich öffentliche Interessen verletzende unwahre Zurechnung zu Lasten einer Person definiert. 4 - Einen streng faktischen Ehrbegriff - geschützt durch § 185 ist das Geltungsbewußtsein des Einzelnen, durch §§ 1 8 6 , 1 8 7 der gute Ruf - vertritt KNITTEL 5 .

4

ENGISCH L a n g e - F S , S . 4 1 2 f f .

Vgl. HERDEGEN LK, 10. Aufl., Vor § 185 Rdn. 4 ff; HIRSCH Ehre und Beleidigung, 1967, S. 29 ff, 45 f f , 7 2 f f ; ARTHUR KAUFMANN Z S t W 7 2 ( 1 9 6 0 ) S . 4 3 0 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 5 / 1 ; TENCKHOFF D i e B e -

deutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände, 1974, S. 181 f; WELZEL Lb., § 42 I 1. - Vgl. auch ISENSEE Kriele-FS, S. 8 ff. Vgl. BVerfGE 30 S. 195; BGHSt 1 S. 288; 11 S. 70; ARZT JuS 1982 S. 718; ENGISCH Lange-FS, S. 412 f f ; GEPPERT J u r a 1 9 8 3 S . 5 3 2 ; ISENSEE A f P 1 9 9 3 S . 6 2 6 f ; KÜPER B T . , S. 1 0 3 f f ; LACKNER/KÜHL V o r

§ 185 Rdn. 1; MACKEPRANG Ehrenschutz im Verfassungsstaat, 1990, S. 176 ff; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T.I, § 24 Rdn. 5 ff; OTTO Schwinge-FS, S. 71 ff; RUDOLPHISK II, Vor § 185 Rdn. 5; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 185 ff Rdn. 1; WESSELS B.T./l, Rdn. 455; WOLFF ZStW 81 (1969) S . 8 8 6 f; ZACZYK N K , V o r § 1 8 5 R d n . 1.

JAKOBS Jescheck-FS, S. 637. Ansehen und Geltungsbewußtsein, 1985, S. 34 f.

109

3

§31

5

6

7

8

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

2. Stellungnahme Im Denkschema des sog. normativen Ehrbegriffs ist die Ehrminderung in der schuldhaften Verletzung sittlicher i.S. sozialethischer Pflichten zu sehen. Doch gerade diese Fixierung des Maßstabes gibt zu Bedenken Anlaß, denn unabhängig von der Vielschichtigkeit und Fragwürdigkeit sozialethischer Pflichten in einer pluralistischen Gesellschaft, führt die Begrenzung der Person und ihrer personalen Entfaltung auf das Bezugssystem von Rechten und Pflichten in diesem Bereich zu einer Beschränkung der personalen Möglichkeiten. Nur ein geringer - wenn auch bedeutender - Teil der hier relevanten Verhaltensweisen läßt sich im Gefüge von Rechtsausübung und Pflichterfüllung unterbringen. Der weitaus größere Teil ist in diesem Schema nicht zu erfassen, obwohl auch diese Verhaltensweisen durchaus sozialethischer Bewertung zugänglich sind. - An diesen Befund knüpft der normativ-faktische Ehrbegriff an. Er erfaßt die Ehre als ein zugleich faktisch und normativ zu verstehendes Beziehungsverhältnis, mit dessen Schutz die Rechtsgesellschaft unmittelbar die Fundamente menschlichen Zusammenlebens sichert. Geschützt wird die Möglichkeit der Person, mit anderen Personen Gemeinschaft zu haben, und zwar zum einen, indem jeder Person die Würde als Person zugestanden wird, zum anderen, indem der Person in bestimmtem Rahmen Möglichkeiten gesichert werden, sich in der Gesellschaft personal zu entfalten. Dieser Schutz wird dadurch erreicht, daß der Anspruch der Person geachtet und nach ihren auf Gemeinschaft bezogenen Werken eingeschätzt zu werden, gewährleistet wird. Das bedeutet: Maßgeblich für die Beurteilung der Person ist zunächst ihr auf der Würde der Person beruhender Wertstand, sodann aber ihr individuelles Verhalten, das unter sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird. Insoweit sind Normativität und Faktizität im Ehrbegriff miteinander verbunden. 6 Die Verletzung des begründeten Achtungsanspruchs in diesem Sinne durch abwertende (ehrenrührige) Werturteile oder Tatsachenbehauptungen stellt die in §§ 185 ff erfaßte Ehrverletzung dar. Aus der Verflechtung normativer und faktischer Elemente erklärt sich auch die Möglichkeit, das Verfolgungsschicksal der Juden in der nationalsozialistischen Zeit als konstitutives Element ihres sozialen Status und damit Teil ihrer persönlichen Ehre zu begreifen.^

II. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre 9

1. Die Beleidigungsfähigkeit Da der soziale Geltungsanspruch auf der Menschenwürde aufbaut, ist jeder Mensch beleidigungsfähig, auch Kinder, Geisteskranke usw.

2. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung 10 Selbstverständlich ist, daß mehrere Personen gemeinsam mit einem Ausspruch beleidigt werden können, z.B. "Ihr drei seid doof!" - Aber auch wenn die Betroffenen nicht genau individualisiert sind, sondern nur als Angehörige einer Personenmehrheit konkretisiert

Dazu ENGISCH Lange-FS, S. 412 ff; MACKEPRANG Ehrenschutz, S. 176 ff; OTTO Schwinge-FS, S. 71 ff; STERN Hübner-FS, S. 824 ff; WOLFFZStW 81 (1969) S. 886 ff. Vgl. dazu BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) NJW 1993 S. 917; BGHSt 40 S. 97 mit abl. Anm. JAKOBS StV 1994 S. 540 ff; BayObLG NStZ 1997 S. 283 mit abl. Anm. JAKOBS JR 1997 S. 344 f, und zust. Anm. PEGLAU NStZ 1998 S. 196 f, der den Rechtsgüterschutz der §§ 185 ff aber erweitert; OTTO Jura 1995 S. 279 f.

110

Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte

§31

werden, ist eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung möglich derart, daß jeder Angehörige der Personenmehrheit verletzt ist. Um eine Ausuferung der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung zu vermeiden, 11 ist die Forderung aufgestellt worden, daß sich die bezeichnete Personengruppe aufgrund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit herausheben muß, daß der Kreis der Betroffenen klar abgegrenzt ist. Damit bleibt aber ungeklärt, aus welchem Grunde den Personen der Ehrenschutz versagt wird, die unstreitig zu einer großen Personengruppe gehören. - Die Begrenzung ergibt sich jedoch aus dem Wesen des geschützten Rechtsguts. Ist nämlich aufgrund der Art der Beleidigung und der Unüberschaubarkeit der Personengruppe für jeden, der die beleidigende Äußerung zur Kenntnis nimmt, klar, daß nicht alle genannten Personen gemeint sein können, so bleibt offen, wer überhaupt gemeint ist. Der Beleidigte verliert sich in der unbestimmten Vielzahl der Betroffenen. Die Individualität geht im Kollektiv verloren, 8 es sei denn, die Diffamierung knüpft an ethische, rassische, körperliche, geistige oder durch eine bestimmte Berufsausbildung erworbenen Merkmale an, die jedes Mitglied der Gruppe kennzeichnen. Beispiele: Bejaht wurde eine Beleidigung aller Betroffenen unter einer Kollektivbezeichnung für: die deutsehen Offiziere (RG LZ 1915 S. 60); die deutschen Ärzte (RG JW 1932 S. 3113); die Juden, die in Deutschland leben und Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen waren (BGHSt 11 S. 208); die deutschen Patentanwälte 9 ; die in Schutz- und Kriminalpolizei tätigen Beamten (OLG Düsseldorf MDR 1981 S. 868); die aktiven Soldaten der Bundeswehr'^; die an einer bestimmten Veranstaltung beteiligten Polizisten (BayObLG JZ 1988 S. 726). - Verneint wurde die Beleidigungsfähigkeit für: die an der Entnazifizierung Beteiligten (BGHSt 2 S. 38); die Akademiker (BGHSt 11 S. 209); die Katholiken (BGHSt 11 S. 209); die Frauen (LG Hamburg NJW 1980 S. 56); die Robenknechte von Moabit (KG JR 1978 S. 422); die Polizei 1

12

Zielt die Ehrverletzung nur auf einen oder eine Gruppe von Angehörigen aus der Per- 13 sonenmehrheit, bleibt aber offen, wer gemeint ist, so kommt eine Beleidigung einzelner Mitglieder der Personenmehrheit nur in Betracht, wenn die in Frage kommende Gruppe selbst wieder einen verhältnismäßig kleinen überschaubaren Personenkreis darstellt. Dann aber sind alle Mitglieder dieser Gruppe betroffen. Andernfalls verliert sich auch hier die Beleidigung in der großen Zahl der in Betracht kommenden Personen. 12 Beispiele 1 3 : Als hinreichend bestimmte Gruppe wurden angesehen: Zwei Mitglieder der X-Fraktion in M, die Verfassungsfeinde seien (BGHSt 14 S. 48); ein bayerischer Minister, der Kunde eines Callgirl-Rings sei (BGHSt 19 S. 235). - Als zu unbestimmt wurde beurteilt: eine nicht genannte Zahl von Richtern eines mit mehr als 200 Richtern besetzten Gerichts (KG JR 1978 S. 422).

3. Die Beleidigung eines

14

Kollektivs

a) In § 194 Abs. 3, 4 geht das Gesetz selbst davon aus, daß Behörden, Gesetzge- 15 8

Vgl. dazu BGHSt 11 S. 208; 36 S. 83, 85 f m.e.N.; BayObLG JZ 1988 S. 726; JZ 1990 S. 348; KG JR 1978 S. 423; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367; ANDROULAKIS Die Sammelbeleidigung, 1970, S. 79 ff; ARZT JZ 1989 S. 647 f; DAU NStZ 1989 S. 361 ff; HERDEGEN LK, 10. Aufl., Vor § 185 Rdn. 22 ff; IGNOR D e r S t r a f t a t b e s t a n d d e r B e l e i d i g u n g , 1 9 9 5 , S. 7 6 f f , 191 f; MAIWALD J R 1 9 8 9 S. 4 8 5 f f ; OTTO

JK 89, StGB §§ 185 ff/7; WAGNER JuS 1978 S. 677; WEHINGER Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, 1994, S. 53 ff; ZACZYK NK, Vor § 185 Rdn. 30 ff. 9

BayObLG NJW 1953 S. 554 f mit zust. Anm. BOCKELMANN S. 554 f.

10

BGHSt 36 S. 83; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367. - Dazu auch BVerfGE 93 S. 302 f.

11

OLG Düsseldorf MDR 1981 S. 337; BayObLG JZ 1990 S. 348.

12

V g l . HERDEGEN L K , 10. A u f l . , V o r § 185 R d n . 2 1 ; KREY B . T . 1, R d n . 3 9 5 f f ; LACKNER/KÜHL V o r § 185 R d n . 3; LAMPRECHT Z R P 1 9 7 3 S. 2 1 5 f f ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . §§ 185 ff R d n . 5 f f .

13

Im einzelnen zu den Beispielen GEPPERT Jura 1983 S. 538 f; TENCKHOFF JUS 1988 S. 459 f.

111

§31

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

bungsorgane und politische Körperschaften beleidigungsfähig sind. 1 4 Die Rechtsprechung hat daraus den allgemeinen Schluß gezogen, daß Kollektive schlechthin beleidigungsfähig sind, wenn sie (a) eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und (b) einen einheitlichen Willen zu bilden vermögen. 16

Beispiele: Die Bundeswehr 1 ^; Kapitalgesellschaft als Inhaberin einer Bank (OLG Köln N J W 1979 S. 1723); politische Parteien und ihre Untergliederungen (OLG Düsseldorf M D R 1979 S. 692); die Mannheimer Polizei (OLG Frankfurt NJW 1977 S. 1353).

17 Die Ausdehnung des Ehrenschutzes von Kollektiven über den Rahmen des § 194 Abs. 3, 4 hinaus, ist in ihrer Berechtigung streitig. Das Kollektiv ist nicht auf die gleichen Möglichkeiten der personellen Entwicklung existentiell angewiesen wie die natürliche Person; ihm selbst kommt keine Personenwürde zu, so daß beim Ehrenschutz eines Kollektivs allein ein sozialer Achtungsanspruch geschützt wird. 1 6 Darüber hinaus werden durch die Tat in der Regel die für die Willensbildung oder Tätigkeit des Kollektivs Verantwortlichen betroffen sein, so daß ein über diesen Schutz natürlicher Personen hinausgehender Schutz nicht unbedingt erforderlich ist. 1 7 Andererseits überzeugt eine Begrenzung des Ehrenschutzes auf die in § 194 Abs. 3, 4 angeführten Institutionen nicht, denn § 194 stellt klar, wer zur Stellung eines Strafantrags berechtigt ist, trifft jedoch keine Auswahl zwischen möglicherweise beleidigungsfähigen Kollektiven. 1 8 18 b) Inkonsequent argumentiert allerdings die Rechtsprechung, wenn sie eine Familienehre nicht anerkennt. 1 9 Zum einen erfüllt die Familie die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein Kollektiv bezüglich der gesellschaftlichen Funktion (vgl. Art. 6 GG) und ist als heute gesellschaftstypische Kleinfamilie (Eltern und Kinder) auch in der Lage, einen einheitlichen Willen zu bilden, zum anderen aber steht dieses Kollektiv der Person selbst am nächsten. 2 0 Strafbarkeitslücken begründet die Ablehnung einer Familienehre nicht, da die Interpretation derartiger Beleidigungen als Beleidigung der Familienmitglieder unter einer Kollektivbezeichnung mühelos gelingt.

Ablehnend gegenüber der Beleidigungsfähigkeit von Behörden: FISCHER JZ 1990 S. 73 f. 15

BGHSt 36 S. 83; O L G Frankfurt N J W 1989 S. 1367; O L G H a m m N Z W e h r R 1977 S. 70. Die Vertreter des normativen Ehrbegriffs müssen hier folgerichtig den Ehrenschutz ablehnen, denn Personenwürde kommt diesen Kollektiven unmittelbar nicht zu. - Vgl. HIRSCH Ehre, S. 113; ARTHUR KAUFMANN ZStW 72 (1960) S. 423 ff; KRUG Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden, 1965, S. 2 0 3 ff; WELZELLb., § 4 2 I 1 b. - A . A . TENCKHOFF J u S 1988 S. 4 5 7 f.

17

Kritisch gegenüber der Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung auch: TRÖNDLE StGB, § 185 Rdn. 21; WAGNER J u S 1978 S. 6 7 6 ; ZAZCYK N K , V o r § 185 R d n . 12.

18

Für die Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung: BRUNS N J W 1955 S. 689 ff; KREY B . T . l , Rdn. 412; KÜPER B.T., S. 6 5 , 6 9 f; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 4 R d n . 14 ff.

19

BGHSt 6 S. 192; B G H M D R 1951 S. 500; BayObLGSt 1958 S. 246; vgl. auch HERDEGEN LK, 10. Aufl.,Vor § 185 Rdn. 25; KREY B . T . l , Rdn. 413; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 24 Rdn.

2 0

S o a u c h ARTHUR KAUFMANN Z S t W 7 2 ( 1 9 6 0 ) S. 4 4 1 ; WELZEL M D R 1951 S. 5 0 1 ff.

19; RUDOLPHI S K II, V o r § 185 R d n . 10.

112

Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

§32

§ 32: Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 1. Der objektive

Tatbestand

a) Beleidigung bedeutet Kundgabe der Mißachtung oder Nichtachtung der Ehre, d.h. des sittlichen und sozialen Achtungsanspruchs eines anderen. - Kundgabe ist Äußerung der Miß- oder Nichtachtung gegenüber einem anderen. Tagebuchaufzeichnungen, Monologe oder Briefe, die der Schreiber noch nicht abgesandt hat, sind nicht als Kundgabe anzusehen. Anders, wenn das Tagebuch oder der Brief einem Dritten diktiert wird oder der Monolog für Dritte hörbar ist. - Zur "Äußerung im engsten Familienkreis" vgl. Rdn. 52. Die Äußerung kann durch Worte, Bilder, Gesten (§ 185, 1. Alt.) oder auch durch Tätlichkeiten (§ 185, 2. Alt.) erfolgen; vgl. dazu unter Rdn. 22 ff. Ob die Äußerung einen beleidigenden Inhalt hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist der objektive Sinngehalt unter Berücksichtigung des Empfängerverständnisses. b) Die Beleidigung kann auf dreierlei Weise erfolgen: aa) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber dem Betroffenen ("Du Lümmel"). bb) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber einem Dritten ("A ist ein Lümmel"). cc) Ehrverletzende Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen ("Du hast mir meine Uhr gestohlen"). c) Die Abgrenzung der Tatsachenbehauptung vom Werturteil ist nicht immer unproblematisch, obwohl über die relevanten Kriterien Einigkeit besteht:

1

2

3

4

Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn der Gehalt der Äußerung einer objektiven Klärang zugänglich ist und als etwas Geschehenes dem Beweis offensteht. Ein Werturteil ist hingegen dann anzunehmen, wenn die Äußerung durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist und die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptung Sache persönlicher Überzeugung ist. 21

5

Bei der Beantwortung der Frage, ob es sich bei einer Äußerung um ein Tatsachenurteil oder um ein Werturteil handelt, ist der Sinn entscheidend, der sich nach dem Gesamtinhalt der Äußerung dem unbefangenen Hörer bzw. Leser aufdrängt. Kompliziert wird die Abgrenzung jedoch dann, wenn Tatsachenbehauptung und Werturteil in einer einheitlichen Äußerung miteinander verbunden werden oder ein Werturteil erkennbar Bezug nimmt auf ein tatsächliches Geschehen. Hier ist nach dem jeweiligen Schwergewicht abzugrenzen 22 :

7

6

8

aa) Ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, daß er gegenüber der sub- 9 jektiven Wertung völlig in den Hintergrund tritt, so liegt nur ein Werturteil vor. Gleiches gilt, wenn die Tatsachenbehauptung für jeden offensichtlich falsch ist. Auch hier dient die Tatsachenbehauptung nur der Kaschierung eines Werturteils. 23 bb) Beschreibt die Äußerung das tatsächliche Geschehen hingegen so deutlich, daß auch 10 21

Vgl. BVerfGE 61 S. 1; 85 S. 14 f; BGH NJW 1982 S. 2248; OLG Celle NJW 1988 S. 354.

22

Vgl. dazu BVerfGE 61 S. 9; BGHSt 6 S. 162; OLG Stuttgart JZ 1969 S. 77; LACKNER/KÜHL § 186

23

Dazu BayObLG NStZ 1983 S. 126.

R d n . 3; OTTO J R 1 9 8 3 S. 5; SCH/SCH/LENCKNER § 186 R d n . 4.

113

§32

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r d e s Einzelnen

ein nicht unterrichteter Dritter, d.h. der unbefangene Hörer, die Schlußfolgerung mitvollziehen kann und die der Wertung zugrunde liegende Tatsache erkennen kann, oder ist das Werturteil erkennbar auf ein tatsächliches Geschehen bezogen, das gleichsam nur verkürzt in dem Werturteil zusammengefaßt wird, so bleibt die Äußerung Tatsachenbehauptung. 2 4 - In diesen Fällen erstreckt sich ein eventueller Wahrheitsbeweis auch auf das in der Äußerung mitliegende Werturteil. 11 cc) Stehen ehrverletzende Tatsachenbehauptung und Werturteil isoliert nebeneinander oder geht das Werturteil weit über eine allgemein akzeptable Weitung des mitgeteilten Tatsachenkerns hinaus, so kommt der Tatsachenbehauptung und dem Werturteil bei der Beurteilung der Ehrverletzung jeweils selbständige Bedeutung zu. d) Zur 12

Verdeutlichung:

aa) Ehrverletzende Werturteile: Jungfaschist (OLG Karlsruhe MDR 1978 S. 421); Bezeichnung eines Polizeibeamten als Bulle 2 5 oder als "Scheißbulle" (OLG Oldenburg JR 1990 S. 127 mit Anm. OTTO S. 128 f); Bezeichnung als Jude, wenn mit diesem Ausdruck der im Nationalsozialismus übliche herabsetzende Sinngehalt verbunden wird (BGHSt 8 S. 325); Bezeichnung von Soldaten als vergleichbar mit Folterknechten, KZ-Aufsehern, Henkern (BGH NJW 1989 S. 1365); Bezeichnung von Soldaten als Mörder bzw. potentielle Mörder 2 ^. bb) Ehrverletzungen durch Gesten: z.B. "einen Vogel zeigen", Zurückweisung eines Gastes beim Gaststättenbesuch (BayObLG NJW 1983 S. 2040). cc) Zur Beleidigung durch Satiren und Karikaturen vgl. unter Rdn. 45 ff.

2. Der subjektive

Tatbestand

13 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muß sich bewußt sein, daß er einem anderen gegenüber eine Äußerung tut, die geeignet ist, ehrverletzend zu wirken. Eine Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. - Zur Bedeutung der Überzeugung des Täters, seine Behauptung sei wahr, vgl. unter Rdn. 15. 3. Der

Wahrheitsbeweis

14 Gegenstand eines Ehrenschutzes, der auf der Personenwürde und auf der Wertung der auf "die anderen" bezogenen Handlungen einer Person fundiert ist, kann nur der begründete soziale Geltungsanspruch, nicht aber ein unbegründeter, in der Sozietät - irrtümlich - tatsächlich anerkannter Geltungsanspruch sein. Der gelungene Wahrheitsbeweis schließt daher eine Ehrverletzung aus, soweit diese sich nicht unabhängig vom Inhalt der Äußerung aus der Form oder aus den besonderen Umständen ergibt, § 192. Der tatsächlich anerkannte Geltungsanspruch ist jedoch nicht bedeutungslos: Seine Begründetheit wird zu-

24

A.A. in seiner neueren Rechtsprechung das BVerfG, das eine Äußerung dann bereits als Werturteil beurteilt, wenn sie "durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt" ist und "wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte"; BVerfGE 85 S. 15; dazu vgl. auch HUFEN JuS 1992 S. 963; KREY JR 1995 S. 225.

25

LG Essen NJW 1980 S. 1639; a.A. KG JR 1984 S. 165 mit abl. Anm. OTTO S. 166 f.

26

A.A. BVerfGE 93 S. 266; zust. DENCKER Bemmann-FS, S. 292 ff. - Vgl. aber das abweichende Votum der Richterin HAAS BVerfGE 93 S. 313 ff, sowie zur grundsätzlichen Problematik: BRAMMSEN JR 1 9 9 2 S . 8 2 f f ; GRASNICK J R 1 9 9 5 S . 1 6 2 f f ; H E R D E G E N N J W 1 9 9 4 S . 2 9 3 3 f ; H O F M A N N L o b k o w i t z F S , S . 3 3 3 f f ; O T T O N S t Z 1 9 9 6 S . 1 2 7 f; SCHMITT G L A E S E R N J W

1 9 9 6 S . 8 7 4 ; STARK J u S 1 9 9 5 S .

692; STEINKAMM NZWehrR 1995 S. 48 ff; TETTINGER Die Ehre ein ungeschütztes Verfassungsgut, 1995, S. 4 2 f; TRÖNDLE O d e r s k y - F S , S. 2 7 8 ; ZUCK J Z 1 9 9 6 S. 3 6 4 ff.

114

Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

§32

gunsten des Anspruchsberechtigten bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. 27 Nur auf der Basis dieser Vermutung kann der strafrechtliche Ehrenschutz die Entfaltung der Person im sozialen Raum gewährleisten. Das bedeutet: Nicht nur im Bereich des § 186, sondern auch in dem des § 185 ist es ir- 15 relevant, ob der Täter seine ehrverletzende Behauptung für wahr gehalten hat, maßgeblich ist vielmehr, ob sie erweislich wahr ist.2S

II. Üble Nachrede, § 186 1. Der objektive

Tatbestand

a) § 186 erfaßt ehrverletzende Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten, nicht ge- 16 genüber dem Verletzten selbst (A äußert gegenüber B, C habe ihm seine goldene Uhr gestohlen); zur Tatsachenbehauptung vgl. Rdn. 5. b) Behaupten heißt, eine Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr hinstellen. - Ver- 17 breiten ist die Weitergabe einer fremden Äußerung. Auch die Weitergabe von Gerüchten mit beleidigendem Inhalt oder von beleidigenden Äußerungen Dritter ist Kundgabe der Miß- bzw. Nichtachtung. Eine Identifizierung des Äußernden mit dem Inhalt seiner Äußerung ist nicht erforderlich; vgl. aber unter Rdn. 54. c) In Beziehung auf einen anderen heißt einem Dritten, nicht nur dem Verletzten ge- 18 genüber. - Dieser Bezug ist auch gegeben, wenn der Täter verbirgt, daß er als Urheber hinter der Äußerung steht, indem er eine den Betroffenen kompromittierende Sachlage schafft. Auch hier mindert der Täter die Ehre des Betroffenen Dritten gegenüber. 29 d) Daß die Tatsache geeignet ist, einen anderen verächtlich zu machen oder in der öf- 19 /entliehen Meinung herabzuwürdigen, bedeutet nichts anderes, als daß die Tatsachenbehauptung ehrverletzenden Inhalt hat. 2. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Ehrenrührigkeit der Tatsache bzw. des Werturteils 20 und die Kundgabe an einen anderen erfassen. Eine darüber hinausgehende Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. 3. Der

Wahrheitsbeweis

Daß ein bestehender Achtungsanspruch Geltung bis zum Beweis des Gegenteils be- 21

27

Unter Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber nur in § 186 eine Regelung getroffen hat, nach der Zweifel bezüglich der Wahrheit der bekundeten Tatsache zu Lasten des Täters gehen, wollen bei § 185 diese Zweifel zu Gunsten des Täters berücksichtigen: BayObLG N J W 1959 S. 57; O L G Köln N J W 1964 S. 2 1 2 1 ; O L G K o b l e n z M D R 1977 S. 8 6 4 ; ESER III, N r . 15 A 68; GEPPERT J u r a 1993 S. 5 8 7 ; RENGIER B.T. II, § 2 9 R d n . 31; RUDOLPHI S K II, § 185 R d n . 4 ; SCH/SCH/LENCKNER § 185 R d n . 6; TRÖNDLE

StGB, § 186 Rdn. 12; ZACZYK NK, § 185 Rdn. 11. 28

Eingehend dazu OTTO Schwinge-FS, S. 82 f. - Im übrigen vgl. RGSt 64 S. 11; O L G Frankfurt M D R 1980 S. 4 9 5 ; HÄRTUNG N J W 1965 S. 1743 f f ; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 185 R d n . 3 6 ff; HIRSCH E h e u n d B e l e i d i g u n g , 1967 S. 2 0 4 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 25 R d n . 18; TENCKHOFF JuS 1989 S. 37.

2 9

V g l . GÖSSEL B . T . 1, § 31 R d n . 15; O T T O J K , S t G B §§ 185 f f / 2 ; STRENG G A 1985 S. 2 1 4 . - A . A . B G H N S t Z 1984 S. 2 1 6 ; KÜPER B . T . , S. 253, 2 5 5 ; KÜPPER J A 1985 S. 4 5 9 ; LACKNER/KÜHL § 186 R d n . 6; TENCKHOFF J u S 1988 S. 6 2 1 ; TRÖNDLE S t G B , § 186 R d n . 5; ZACZYK N K , § 186 R d n . 12.

115

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§32

ansprucht, hat der G e s e t z g e b e r in § 186 ausdrücklich klargestellt. D e r m i ß l u n g e n e W a h r heitsbeweis geht hier nach der eindeutigen E n t s c h e i d u n g des G e s e t z g e b e r s zu Lasten des Täters. Der W a h r h e i t s b e w e i s ist geführt, w e n n erwiesen ist, daß die B e h a u p t u n g in ihrem Kern z u t r i f f t . 3 0 - Die h.M. interpretiert die Nichterweislichkeit der Tatsache als objektive B e d i n g u n g der S t r a f b a r k e i t . 3 1

III. Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände 1. Beleidigung

mittels Tätlichkeit,

§ 185, 2. Alt.

2 2 Nicht j e d e Körperverletzung oder unsittliche B e r ü h r u n g ist eine Beleidigung. Es k a n n j e d o c h im Einzelfall in einer Körperverletzung - O h r f e i g e mit d e m H a n d r ü c k e n o.ä. - oder einer anderen Tätlichkeit - A n s p u c k e n 3 2 - eine M i ß a c h t u n g des sozialen Geltungsanspruchs A u s d r u c k finden. Gleiches gilt von unsittlichen B e r ü h r u n g e n . A u c h in e i n e m geschlechtsbezogenen Angriff kann eine M i ß a c h t u n g des personalen G e l t u n g s a n s p r u c h s A u s d r u c k finden. Dies ist im Einzelfall d u r c h A u s l e g u n g zu ermitteln. K e i n e s w e g s aber kann § 185 eine L ü c k e n b ü ß e r f u n k t i o n g e g e n ü b e r den Sexualdelikten erfüllen. 23 Freiheitsberaubungen, V e r g e w a l t i g u n g e n und N ö t i g u n g e n verletzen d u r c h a u s die Pers o n e n w ü r d e , i n d e m sie das S e l b s t b e s t i m m u n g s r e c h t des B e t r o f f e n e n mißachten. Die V e r letzung d u r c h diese Delikte und die damit v e r b u n d e n e Beeinträchtigung der Pers o n e n w ü r d e fällt aber nicht in den Bereich der Beleidigung. D a s gilt auch, w e n n diese Verhaltensweisen im Einzelfall als Sexual-, Freiheitsdelikt o.ä. nicht strafbar sind. E i n e eigenständige B e d e u t u n g k o m m t der Beleidigung in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g n u r zu, w e n n d e r Täter d u r c h sein Verhalten z u m A u s d r u c k bringt, d e m O p f e r k o m m e nur ein g e m i n derter sozialer Achtungsanspruch zu. 24 A u s diesem G r u n d ist ein Ehebruch, der G e s c h l e c h t s v e r k e h r mit e i n e m oder einer M i n derjährigen oder die Z u s e n d u n g von Prospekten mit sog. A u f k l ä r u n g s i n h a l t noch keine Beleidigung. H i n g e g e n ist d e r Tatbestand erfüllt, w e n n der soziale A c h t u n g s a n s p r u c h eines anderen auf g e s c h l e c h t s b e z o g e n e m Gebiet verletzt wird dadurch, d a ß er nicht g e m ä ß des ihm eigenen Verhaltens behandelt u n d geachtet wird, so z.B. wenn j e m a n d unberechtigt als Prostituierte behandelt w i r d . 3 3 2. Die "öffentliche" üble Nachrede, 25

§ 186, 2. Alt.

Öffentlich ist die üble N a c h r e d e , w e n n sie f ü r einen nach Zahl und Individualität unb e s t i m m t e n Kreis w a h r n e h m b a r ist. - Z u m Verbreiten durch Schriften: § 11 Abs. 3.

30 3 1

Vgl. B G H S U 8 S . 182. D a z u B I N D I N G B . T . I, S . 1 4 6 f; H E R D E G E N L K , 1 0 . A u f l . , § 1 8 5 R d n . 3 6 f f ; L A C K N E R / K Ü H L § 1 8 6 R d n . 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 6 R d n . 9 f f ; OTTO S c h w i n g e - F S , S. 8 2 ff; TENCKHOFF

JuS 1 9 8 9 S. 3 5 ff. 32

Dazu OLG Zweibrücken NStZ 1990 S. 541.

33

Vgl. dazu BGH NJW 1986 S. 2 4 4 2 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 185/5, HILLENKAMP JR 1987 S. 126 ff, LAUBENTHAL JuS 1987 S. 7 0 0 ff; BGH NStZ 1987 S. 21; BGH NStZ 1988 S. 69; BGHSt 36 S. 145

mit A n m .

OTTO J Z

1989

S. 803,

und

HILLENKAMP N S t Z

1989

S. 5 2 9

f; B G H

NJW

1989

S. 3029; dazu KIEHL S. 3003 ff; BGH NStZ 1992 S. 33 f; BGH NStZ 1993 S. 182; BGH NStZ 1995 S. 129; OLG Düsseldorf GA 1988 S . 4 7 3 ; OLG Zweibrücken NJW 1986 S. 2960; HERDEGEN LK, 10. A u f l . , § 1 8 5 R d n . 2 8 f f ; HIRSCH E h r e , S . 6 1 f f ; SICK J Z 1 9 9 1 S . 3 3 0 f f ; WELZEL M D R ZACZYK N K , V o r § 1 8 5 R d n . 2 5 .

116

1951 S. 5 0 1 ff;

Die einzelnen ehrverletzenden Delikte 3. Verleumdung,

§32

§187

a) Die Verleumdung im System der ehrverletzenden Delikte 26 In den beiden ersten Alternativen ("verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen") stellt das Delikt nach allgemeiner Auffassung eine durch die Behauptung unwahrer Tatsachen qualifizierte üble Nachrede dar. Auch für die 3. Alternative ("Kredit zu gefährden") gilt nichts anderes, denn die kreditgefährdende Verleumdung ist eine besonders gefährliche Art der Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, der auch durch die Kreditwürdigkeit einer Person oder eines Kollektivs wesentlich geprägt wird. 34 27 b) Einzelheiten des Tatbestandes Wider besseres Wissen ist sichere Kenntnis der Unwahrheit; Bewußtsein der Gefahr, daß die Tatsache unwahr ist, genügt nicht. - Kreditgefährdung ist Verletzung des Vertrauens, das jemand bezüglich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten genießt. 4. Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens, § 188 a) Der gegenüber §§ 186, 187 qualifizierte Tatbestand soll der Vergiftung des politischen 28 Lebens entgegenwirken. b) Im politischen Leben des Volkes stehen Personen, die sich für eine gewisse Dauer mit 29 den grundsätzlichen, den Staat, seine Verfassung, Gesetzgebung oder Verwaltung unmittelbar berührenden Angelegenheiten befassen und aufgrund der ausgeübten Funktionen das politische Leben maßgeblich beeinflussen. 35 Wesentliches Abgrenzungskriterium ist die Maßgeblichkeit des politischen Einflusses 30 auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland ("des Volkes"). Unter den Schutz des § 188 fallen daher der Bundespräsident, die Mitglieder der Bundesregierung, die Bundesverfassungsrichter, Gewerkschaftsführer und die Führer der Arbeitgeberverbände sowie anderer bedeutender Verbände. - Nicht unter den Schutz des § 188 fallen Kommunalpolitiker z.B. Landräte 3 ''; Gemeinderatsmitglieder 3 7 und einzelne Verwaltungsbeamte.

31

c) Zum Merkmal öffentlich vgl. Rdn. 25, zum Merkmal Versammlung vgl. § 62 Rdn. 4. 32 d) Die üble Nachrede muß aus Beweggründen begangen worden sein, die mit der Stellung 33 des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen. Nicht die Tatsache der öffentlichen Position allein wirkt straferschwerend, sondern der Zusammenhang zwischen dem Beweggrund der Tat und der öffentlichen Position. § 188 findet daher keine Anwendung, wenn ein Kanditat für ein bestimmtes Amt in seiner Eigenschaft als Kandidat diffamiert wird, auch wenn dieser Kandidat unabhängig von seiner Kandidatur öffentliche Positionen im Sinne der Vorschrift inne hat. 3 8 e) Die Tat muß geeignet sein, das öffentliche Wirken des Betroffenen erheblich zu er- 34 schweren. Maßgeblich ist hier nur der Inhalt der Behauptung und deren abstrakte Eignung zu negativen Auswirkungen. - Auf die Glaubwürdigkeit, Art und Weise der Verbreitung o.ä. kommt es nicht an. 3 4

A . A . ( V e r m ö g e n s d e l i k t ) h . M . : LAMPE O e h l e r - F S , S. 2 8 3 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 5 R d n . 3 3 f f ; RUDOLPHI S K II, § 187 R d n . 9 m . w . N . ; TENCKHOFF J u S 1988 S. 2 0 0 .

35

B a y O b L G J Z 1982 S. 516.

36

OLG Frankfurt NJW 1981 S. 1569; a.A. BayObLG JZ 1989 S. 699.

37

B a y O b L G J Z 1982 S. 516.

38

Vgl. BRAUEL Ehrverletzung und Ehrenschutz im politischen Leben, 1984, S. 50; - a.A. OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 1211 f.

117

§32

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

IV. Rechtfertigung 35 Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen, z.B. Notwehr und Einwilligung, können ehrverletzende Äußerungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1, 2 GG, konkretisiert in der Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193, und durch das Grundrecht der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, gerechtfertigt sein. 1. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 a) Anwendungsbereich des § 193 36 Nach den Prinzipien der Interessenabwägung gewährt der Gesetzgeber in § 193 die Befugnis zur Verletzung der Ehre eines anderen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen.39 § 193 konkretisiert die Grundsätze des Art. 5 Abs. 1, 2 GG. 40 Eine Ausdehnung des Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen auf Tatbestände, die in besonderer Weise gemeinschaftsbezogen sind und deren Schutz durch die Interessen anderer relativiert ist, zum Beispiel §§ 123, 203, kommt nicht in Betracht. § 193 trifft eine Entscheidung über die Grenzen des Ehrenschutzes gegenüber der Meinungsfreiheit. Eine allgemeine Entscheidung dahin, daß die Wahrnehmung eigener, berechtigter Interessen auch sonst die Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter anderer rechtfertigen könne, ist ihm nicht zu entnehmen.41 b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen 37 aa) Der Ehrverletzung muß die Wahrnehmung eines rechtlich schutzwürdigen, sozialethisch billigenswerten Interesses gegenüberstehen. Hierunter fällt auch die Wahrnehmung von Interessen in Leserbriefen 42 , im Prozeß 43 , auch durch Prozeßvertreter, z.B. das Plädoyer oder die Äußerung des Strafverteidigers im Prozeß 44 . bb) Das Interesse muß den Äußernden nahe angehen. 38 Interessen der Allgemeinheit berühren jeden Bürger nahe. Die Beteiligung an einer öffentlichen politischen Auseinandersetzung oder die Diskussion sonstiger öffentlicher Belange ist daher stets Wahrnehmung eines eigenen Interesses, denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Es ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der das Lebenselement dieser Staatsordnung ist, weil er sie vor Erstarrung bewahrt.45 39

Als Entschuldigungsgrund interpretieren § 193: ERDSIEK JZ 1969 S. 311; ROEDER Heinitz-FS, S. 240; EIKE SCHMIDT J Z 1 9 7 0 S. 8.

Aus Art. 10 Abs. 2 EMRK sind bzgl. des Ehrenschutzes keine eigenständigen Grundsätze herzuleiten. 41

So auch: OLG Stuttgart NStZ 1987 S. 121 mit Anm. OTTO JK 87, StGB § 193/1, und LENCKNER JuS 1988 S. 349 ff, insbes. S. 351 ff; TENCKHOFF JuS 1989 S. 1 9 8 f m . w . N . Fn. 15. - A.A. ESER Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund, 1969, S. 15, 40; NOLL ZStW 77 (1965) S. 31 ff; TIEDEMANN JZ 1969 S. 721.

42

OLG Düsseldorf NJW 1992 S. 1336.

43

BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) StV 1991 S. 458.

44

Dazu BGH NStZ 1987 S. 554; KG JR 1988 S. 52; KG StV 1998 S. 83.

45

Dazu BVerfGE 5 S. 205; 7 S. 207 ff; 12 S. 125; 24 S. 278; BVerfG NJW 1976 S. 1677; BVerfG NJW 1980 S. 2069; BVerfG NJW 1983 S. 1415 mit Anm. SCHMITT GLAESER JZ 1983 S. 95, und VON DER DECKEN NJW 1983 S. 1400 ff; BGHSt 12 S. 287; BGHZ 45 S. 296; OLG Koblenz NJW 1978 S. 1816; SCHWINGE M D R 1 9 7 3 S. 8 0 8 ; TETTINGERJZ 1 9 8 3 S. 3 2 3 f.

118

Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

§32

Auch die Presse hat die Aufgabe, an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. 39 Ihre Beschäftigung mit allgemein interessierenden Themen ist demgemäß gleichfalls Wahrnehmung eines eigenen Interesses. 46 cc) Die Äußerung muß zur Wahrnehmung des Interesses erforderlich sein. Erforderlich können auch scharfe, drastische, taktlose und überspitzte Formulierungen 40 sein. - In der öffentlichen Auseinandersetzung können nämlich herabsetzende Äußerungen, insbesondere unter dem Aspekt des "Rechts zum Gegenschlag", in Betracht kommen, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite geäußerten Auffassungen nicht unverhältnismäßig sind und noch als adäquate Reaktion auf den vorausgegangenen Vorgang verstanden werden können, insbesondere aber einen gemeinsamen Bezug zu den konkreten, erörterten öffentlichen Interessen aufweisen. Ein Recht, Beleidigungen mit Beleidigungen heimzuzahlen, d.h. "mit gleicher Münze zurückzuzahlen", gibt es genausowenig, wie es das Recht auf Meinungsfreiheit rechtfertigen kann, Informationen mit rechtswidrigen oder sogar kriminellen Mitteln zu beschaffen. - Polemische Ausfälle, die jede Sachlichkeit vermissen lassen, gehässige und böswillige Schmähkritik und sog. Wertungsexzesse, die bewußt das Bild einer Person und ihrer Motive verzerren, sind in keinem Fall zur Interessenwahrnehmung erforderlich. 47 Diese Grundsätze erkennt auch das BVerfG im Prinzip an, jedoch hat es ehrverletzen- 41 den Meinungsäußerungen einen darüber hinausgehenden Raum eröffnet, indem es eine "Wechselwirkung" zwischen dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG und den in Art. 5 Abs. 2 genannten Schranken der Meinungsäußerungsfreiheit konstruierte: Weil es der Sinn von Meinungsäußerungen sei, meinungsbildend und überzeugend zu wirken, sind nach seiner Auffassung Werturteile von Art. 5 Abs. 1 GG durchweg geschützt, ohne daß es darauf ankäme, ob die Äußerung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch", "emotional" oder "rational" begründet ist. 48 Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fielen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und es bestehe eine "Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben". 4 9 Diese Vermutung sei in diesem Zusammenhang auch nicht auf spontane, mündliche Äußerungen beschränkt. 50 In späteren Entscheidungen baute das BVerfG die Vermutungsformel zur 42 "Supervermutungsformel" 51 aus, so daß "gegen das Äußern einer Meinung nur in äußersten Fällen eingeschritten werden darf'. 5 2 - Der Schutz gegen ehrenrührige Meinungsäußerungen in der öffentlichen Auseinandersetzung war damit weitgehend beseitigt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit hatte in der Rechtsprechung des BVerfG einen Rang weit über dem des Rechts der Ehre erlangt. 53 Für den Ehrenschutz bedeutet das in der

46

Dazu BVerfGE 12 S. 126; BGHZ 31 S. 308; BGH NJW 1977 S. 1289; BGH NJW 1979 S. 267; BayObLG StV 1982 S. 576 ff.

47

Vgl. dazu OLG Hamburg JR 1997 S. 521 mit Anm. FOTH S. 522 f; OLG Celle NStZ 1998 S. 88.

48

Vgl. BVerfGE 33 S. 14 f; 61 S. 1.

49

Hierzu BVerfGE 7 S. 208; 82 S. 282.

50

Vgl. BVerfGE 60 S. 241; 66 S. 150; 68 S. 232.

51

Dazu KRIELE NJW 1994 S. 1898; OTTO Jura 1997 S. 141; STARCK Ehrenschutz in Deutschland, 1996, S. 113 ff; TRONDLE Odersky-FS, S. 266.

52

BVerfGE 61 S. 12.

53

Kritisch dazu: BUSCHER NVwZ 1997 S. 1060 f; VON DER DECKEN NJW 1983 S. 1400; KIESEL NVwZ 1 9 9 2 S . 1 1 9 2 f f ; KRIELE N J W 1 9 9 4 S . 1 8 9 7 f f ; K R E Y J R 1 9 9 5 S . 2 2 5 ; M A C K E P R A N G E h r e n s c h u t z , S .

119

§32

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Praxis, daß ehrverletzende Meinungsäußerungen im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung grundsätzlich durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sind, es sei denn, sie stellen eine offensichtliche Verletzung des Anspruchs auf Achtung der Personenwürde dar, wie z.B. die Bezeichnung eines Behinderten als Krüppel. 54 Dies gilt selbst dann, wenn die Äußerung in Form der Schmähkritik erfolgt, denn verbal lehnt das BVerfG zwar die Rechtfertigung von Schmähungen ab 5 5 , definiert jedoch den Begriff der Schmähkritik so eng - Äußerung, der jeder Sachbezug fehlt 5 6 -, daß diesem kein relevanter Anwendungsbereich bei Äußerungen in der öffentlichen Auseinandersetzung zukommt. 5 7 § 193 ist damit seiner konstitutiven Bedeutung in diesem Rahmen beraubt. 58 43 dd) Der Äußernde unterliegt einer in ihrem Ausmaß von den Umständen des Einzelfalles abhängigen Informationspflicht. Die Äußerung bewußt unwahrer Tatsachenbehauptungen ist daher in keinem Fall zu rechtfertigen. Auch leichtfertig aufgestellte Behauptungen können nicht gerechtfertigt werden, jedoch ist der Umfang der dem Täter obliegenden Prüfungspflicht situations- und konfliktabhängig. 59 44 ee) Die Äußerung muß subjektiv zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses geschehen. Bloße Kenntnis der objektiven Rechtfertigungslage genügt nicht. Die Annahme einer Interessenverletzung durch Dritte allein rechtfertigt nicht die Ehrverletzung, vielmehr findet diese erst ihren Grund in der Interessenwahrnehmung. 60 2. Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG 45 Gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist die Freiheit der Kunst vorbehaltlos gewährleistet. Anerkannt ist jedoch heute, daß die Freiheit der Kunst zwar schrankenlos, nicht aber grenzenlos gewährleistet ist. Tangieren künstlerische Werke die Ehre eines anderen, so ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des einzelnen ebensowenig der Kunstfreiheit übergeordnet, wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf. Maßgeblich im Einzelfall ist vielmehr eine Interessenabwägung, in der das Interesse an der künstlerischen Gestaltung gegen das Interesse des Schutzes des Achtungsanspruchs abzuwägen ist. - Diese Abwägung ist deshalb problematisch, weil das Bundesverfassungsgericht den Kunstbegriff weitgehend formal bestimmt: "Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künst2 1 0 f f ; O T T O J R 1 9 8 3 S . 6 f f ; DERS. J u r a 1 9 9 7 S . 1 4 0 f ; SCHMITT GLAESER J Z 1 9 8 3 S . 9 5 ; DERS, DÜr i g - F S , S . 1 0 2 f f ; STARCK J Z 1 9 9 6 S . 1 0 3 6 ;

DERS. E h r e n s c h u t z , 1 9 9 6 , S . 1 1 3 f f ; TETTINGER JUS 1 9 9 7

S . 7 7 0 f f ; TRÖNDLE O d e r s k y - F S , S . 2 6 6 f f . 54

BVerfGE 86 S. 13 f.

55

Vgl. dazu BVerfGE 82 S. 283 f.

5 6

V g l . d a z u a u c h KRIELE N J W

1 9 9 4 S . 1 8 9 9 ; SCHMITT GLAESER N J W

1 9 9 6 S . 8 7 7 ; STARCK E h r e n -

schutz, S. 67 ff. 57

Vgl. dazu BVerfGE 93 S. 294; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 S. 165; OLG Frankfurt JR 1996 S. 250, 251 mit abl. Anm. F o r a S. 252 ff.

58

Ergänzend zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG: OTTO Jura 1997 S. 140 ff.

59

Dazu BVerfG NJW 1989 S. 1789; BGHSt 14 S. 51; OLG Hamburg MDR 1980 S. 953; FUHRMANN JuS

60

So auch BGHSt 18 S. 186; OLG Düsseldorf VRS 60 S. 115; OLG Hamburg NJW 1952 S. 903;

1 9 7 0 S . 7 5 ; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 1 9 3 R d n . 2 1 . HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 1 9 3 R d n . 2 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 1 9 3 R d n . 17. - A . A . L A C K N E R / K Ü H L § 1 9 3 R d n . 9 ; SCH/SCH/LENCKNER § 1 9 3 R d n . 2 3 .

120

Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

§32

lerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers." Zwar kann das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung eines Sachverhalts Auskunft 46 über das Gewicht einer eventuellen Ehrverletzung geben. Das im Einzelfall vorrangige Interesse ist damit aber nicht bestimmt, soweit nicht der Betroffene im Kern seiner Persönlichkeit, unmittelbar in seiner Menschenwürde verletzt wird. Darüber hinaus erweist sich die Forderung nach Herstellung eines angemessenen Ausgleichs, der sachgemäßen Konkordanz, als undurchführbar, da es um die Abwägung gleichartiger Güter der Verfassung geht. 61 Um überhaupt eine Grundlage für die Abwägung zu schaffen, ist zu fragen, wie weit 47 ein Kunstwerk auf Aussagen zur Realität angelegt ist und wie weit es auf eine eigene Welt abzielt. Als Richtpunkt der Abwägung kann sodann der Grundsatz gelten, daß derjenige, der eine authentische Schilderung zu geben behauptet, sich auch an diesem Anspruch messen lassen muß, während er dann, wenn er erkennbar ein fiktives Geschehen darstellt, einen breiteren Raum künstlerischer Gestaltung beanspruchen kann, selbst wenn aus dem gestalteten Sachverhalt Ehrverletzungen für konkrete Personen herausgelesen werden können. 6 2 Eine besondere Problematik bieten eventuelle Beleidigungen durch Satiren und Kari- 48 katuren, da diesen die Übertreibung, Verzerrung und Uberzeichnung wesenseigen ist. Nach den bereits vom Reichsgericht entwickelten Grundsätzen sind hier der erkennbare Aussagekern und seine karikativen bzw. satirischen Einkleidungen zu unterscheiden. 63 Beide sind gesondert unter dem Gesichtspunkt einer Ehrverletzung zu würdigen. Als Beleidigungen sind nach dieser Differenzierung eingestuft worden: die Behauptung, ein demokratischer Politiker sei ein Faschist und/oder Kriegstreiber 6 4 oder könne nur noch als Objekt in einer Peep-Show dienen (OLG Hamm 6 St Ss 286/82) sowie die Darstellung eines Politikers als kopulierendes Schwein (BVerfGE 75 S. 369).

49

Methodisch verläuft die Abwägung genau wie im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter 50 Interessen. Gleichwohl sind die Abwägungen nicht identisch, denn das Maß der künstlerischen Gestaltung, die Verfremdung eines bestimmten Sachverhalts und seine Verallgemeinerung können durchaus im Einzelfall das Ergebnis rechtfertigen, daß eine Aussage nicht mehr unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit zulässig erscheint, wohl aber - aufgrund des Grades der Verfremdung - als "Nebenwirkung" eines Kunstwerkes hingenommen werden muß. Das Interesse der Kunstfreiheit wird in jedem Fall dort seine

61

Dazu vgl. B V e r f G E 67 S. 228 mit Anm. OTTO NStZ 1985 S. 213 ff; BVerfGE 75 S. 369, 380 mit Anm. HUFEN JUS 1989 S. 136 f, WÜRKNER NStZ 1988 S. 23 ff; BVerfGE 83 S. 143, 146; O L G Hamburg JZ 1985 S. 3 4 3 m i t A n m . GEPPERT J R 1985 S. 4 3 0 , ISENSEE A f P 1 9 9 3 S. 6 2 5 f f ; KARPEN/HOFER J R 1992 S. 9 5 4 f; WÜRKNER N J W 1988 S . 3 1 7 ff.

62

Vgl. dazu auch BVerfGE 30 S. 193; BGH(Z) N J W 1983 S. 1194; O L G Stuttgart (Z) NJW 1989 S. 396; BayObLG M D R 1994 S. 80. - Im einzelnen dazu GOUNALAKIS N J W 1995 S. 809 ff; HENSCHEL NJW 1 9 9 0 S. 1940 f f ; LACKNER/KÜHL § 193 R d n . 14; OTTO J R 1 9 8 3 S. 10; DERS. N J W 1986 S. 1210; SCH/SCH/LENCKNER § 193 R d n . 19; WÜRTENBERGER N J W 1982 S. 6 1 5 ; DERS. N J W 1 9 8 3 S . 1 1 4 4 f f . -

Wenig überzeugend: B V e r f G E 67 S. 213 mit Anm. OTTO NStZ 1985 S. 213 ff; O L G Hamburg N J W 1 9 8 4 S. 1130 m i t A n m . OTTO J R 1 9 8 3 S. 5 1 1 f f . 63

RGSt 62 S. 183; vgl. auch BVerfGE 7 S. 377 f; BVerfG N J W 1998 S. 1387.

64

O L G Hamm N J W 1982 S. 659 ff; BayObLG NStZ 1983 S. 265 f.

121

§32

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

Grenzen finden, wo es um die Verletzung der Menschenwürde anderer geht. 65 51 Die Würde der Person ist aber nicht erst betroffen, wenn jemand unmittelbar in seinem Menschsein angegriffen wird ("Untermensch"; kopulierendes Schwein), sondern bereits dann, wenn seine Möglichkeiten, mit anderen unvoreingenommene Gemeinschaft zu haben wesentlich beschränkt werden. 66 Nicht mehr akzeptabel als Ausübung der Kunstfreiheit ist daher die Bezeichnung eines anderen als "geb. Mörder" in einer "Satire". 67 3. Einzelne Probleme der Rechtfertigung a) Vertrauliche Äußerungen 52 Bei "Äußerungen im engen Familienkreis" wird von einigen die "Kundgabe" bestritten. 68 Dem ist nicht zu folgen, denn auch der Täter, der im engsten Familienkreis ehrverletzende Tatsachen in bezug auf Dritte behauptet, gibt die Mißachtung des sozialen Geltungsanspruchs des Betroffenen kund. Weil aber das Familienverhältnis als enges Gemeinschaftsverhältnis gerade die vorbehaltlose Erörterung aller Probleme fordert, Vorbehalte irgendwelcher Art hingegen dieses Verhältnis zerstören müßten, bleibt die Äußerung in einem solchen Kreis straflos. Das Ausspracheinteresse des Äußernden im Intimkreis ist höher zu bewerten als das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten. - Ein derart hoch zu bewertendes Ausspracheinteresse ist jedoch nicht ausschließlich auf den engsten Familienkreis beschränkt. Auch im Verhältnis Anwalt und Klient sind durchaus Situationen denkbar, in denen das Ausspracheinteresse des Klienten überwiegt 69 , ohne daß damit das Bestehen einer Intimsphäre zwischen ihnen angenommen werden müßte. Grundsätzlich ist daher bei "vertraulichen" Äußerungen das Ausspracheinteresse des Äußernden und das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten im Rahmen des § 34 abzuwägen. 70 - Das gilt nicht uneingeschränkt, wenn der Äußernde weiß, daß seine Äußerung Dritten zur Kenntnis kommt, z.B. bei der Kontrolle der Post von Strafgefangenen. 71

65

Dazu BVerfGE 30 S. 193; OLG Hamm NJW 1982 S. 660; OLG Hamburg JR 1983 S. 508 mit Anm. OTTO S. 511 ff; BayObLG MDR 1994 S. 80; ERHARD Kunstfreiheit und Strafrecht, 1989, S. 210 ff; HENSCHEL N J W 1 9 9 0 S . 1 9 4 0 f f ; ISENSEE A f P 1 9 9 3 S . 6 2 6 f f ; O T T O J R 1 9 8 3 S . 8; WÜRTENBERGER

NJW 1983 S. 1144 ff. 66

Vgl. dazu BayObLG JR 1994 S. 471 mit Anm. OTTO S. 473 ff; BayOblG NStZ 1994 S. 588; OTTO Jura 1995 S. 278 f.

6 7

V g l . d a z u HILLGRUBER/SCHEMMER J Z 1 9 9 2 S . 9 4 6 f f ; ISENSEE A f P 1 9 9 3 S . 6 2 7 f ; KIESEL N V W Z 1 9 9 2

S. 1135 f . - A . A . BVerfGE 86 S. 1. 6 8

O L G O l d e n b u r g G A 1 9 5 4 S . 2 8 4 ; HANSEN J u S 1 9 7 4 S . 1 0 6 ; KREY B . T . 1, R d n . 4 1 7 f f ; KÜPPER B . T . 1,

I § 4 Rdn. 10; ZAZCYK NK, Vor § 185 Rdn. 38. - Für eine beleidigungsfreie Sphäre: HILLENKAMP JuS 1 9 9 7 S. 8 2 4 ff. 69

7 0

OLG Celle NJW 1991 S. 1189. - A.A. OLG Hamburg NJW 1990 S. 1246 mit Anm. DÄHN JR 1990 S. 516 f; GEPPERT JK 90, StGB § 185/8. V g l . HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 1 8 5 R d n . 14; OTTO S c h w i n g e - F S , S . 8 7 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 5 / 1 0 ;

SCHENDZIELORZ Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, 1993, S. 153 ff, 188 ff, 199 ff. - Zum gleichen Ergebnis gelangen durch eine teleologische Reduktion des Tatbestandes: LACKNER/KÜHL § 1 8 5 R d n . 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 4 R d n . 3 0 f f ; RUDOLPHI S K II,

Vor § 185 Rdn. 19; WESSELS B.T./l, Rdn. 476. - Lediglich einen Strafausschluß will LENCKNER in: Schönke/Schröder Vor § 185 Rdn. 9, akzeptieren. - Zusammenfassender Überblick bei GEPPERT Jura 1 9 8 3 S. 5 3 3 f. 71

122

Vgl. dazu BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) JR 1995 S. 379 mit abl. Anm. KIESEL S. 381 ff; OLG Frankfurt NStZ 1994 S. 404.

Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

§32

b) Die Erstattung von Anzeigen Auch dann, wenn ein beleidigender Sachverhalt einer Behörde zur Kenntnis gebracht 53 wird, deren Aufgabe in der Prüfung solcher Sachverhalte besteht - z.B. Mitteilung eines Diebstahlsverdachts gegenüber der Polizei -, kommt eine Rechtfertigung gemäß § 193 in Betracht. Hier kann im Einzelfall auch eine leichtfertige Anzeige gerechtfertigt sein, wenn der Anzeigende die Tatsachen, die seine Leichtfertigkeit begründen, mitteilt und erkennbar macht, daß er davon ausgeht, die Behörde werde den Sachverhalt prüfen. In dieser Situation reduziert sich die Informationspflicht des Anzeigenden auf die Pflicht, keine unrichtigen Angaben zu machen. Solange der Anzeigende daher den Sachverhalt nicht verfälscht oder mit unrichtigen Beweismitteln untermauert, genügt er seiner Informationspflicht, wenn er den Sachverhalt aus seiner Sicht schildert und darlegt, warum er zu dieser Sicht gelangt ist. 72 c) Weitergabe von Gerüchten Die Weitergabe von Gerüchten ist - wie oben dargelegt - auch dann Äußerung einer Ehr- 54 Verletzung, wenn der Äußernde sich nicht mit dem Inhalt des Gerüchtes identifiziert. Gibt er das Gerücht jedoch ausschließlich weiter, um dem Betroffenen eine Stellungnahme oder Gegenwehr zu ermöglichen, so ist er durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt.

V. Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände Wird den ehrverletzenden Tatbeständen ein einheitliches Rechtsgut zuerkannt, so ist § 185 55 als Grundtatbestand der ehrverletzenden Delikte anzusehen. § 186 ist ein durch den größeren Schaden qualifizierter und § 187 ein darüber hinausgehend qualifizierter Tatbestand. Erfolgt eine Beleidigung durch eine Tatsachenbehauptung gegenüber Dritten in An- 56 Wesenheit des Verletzten oder durch eine Tatsachenbehauptung und ein ehrenrühriges Werturteil in Anwesenheit Dritter, so konsumiert § 186 den zugleich verwirklichten § 185.73

VI. Erfordernis des Strafantrags 1. Grundsatz Die Beleidigungsdelikte nach den §§ 185 - 188 sind Antragsdelikte, § 194.

57

2. Ausnahmen Das Antragserfordernis entfällt bei Beleidigungen unter den Voraussetzungen des § 194 58 Abs. 1 S. 2, 3 (Beleidigung von Personen, die unter dem Nationalsozialismus oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verfolgt wurden). 74 In den Fällen des § 194 Abs. 4 tritt an die Stelle des Strafantrags die Ermächtigung der betroffenen Körperschaft.

7 2

D a z u O L G H a m m N J W 1961 S. 5 2 0 f; OLG Köln N J W 1997 S. 1247 mit Anm. OTTO JK 97, S t G B § 193/4.

7 3

S o auch HERDEGEN L K , 10. Aufl., Vor § 185 Rdn. 30; RUDOLPHI S K II, V o r § 185 Rdn. 21. - Für Idealkonkurrenz: B G H S t 6 S. 161; 12 S. 292. - Für § 186 als lex specialis gegenüber § 185: SCH/SCH/ LENCKNER § 186 Rdn. 21.

7 4

D a z u KÖHLER N J W 1985 S. 2 3 8 9 ff; VOGELGESANG N J W 1985 S. 2 3 8 6 ff.

123

§33

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§ 33: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 1

2

1. Das geschützte Rechtsgut des § 189 Als geschütztes Rechtsgut wird die Ehre des Toten 75 oder aber das Pietätsgefühl der Angehörigen und der Allgemeinheit 76 angesehen. 77 Für die erstgenannte Ansicht spricht, daß die Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, selbst wenn es sich um eine schwere Verletzung dieses Anspruchs handelt, das Pietätsgefühl einer Person nur dann stärker berühren wird, wenn ihr der Verstorbene bekannt gewesen ist. Gerade dieser Sachverhalt deutet darauf hin, daß es sich im Grunde doch um einen Angriff gegen die immer noch bestehende soziale Anerkennung des Verstorbenen handelt und nicht nur um die Verletzung eines letztlich sehr abstrakten Pietätsgefühls der Allgemeinheit. 2. Einzelheiten des Tatbestandes Verunglimpfen ist eine grobe Form der Ehrverletzung. - Als Verstorbene sind auch für tot Erklärte anzusehen. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Irrtum des Täters über den Tod des Betroffenen

3

Wird die Ehre des Verstorbenen als Rechtsgut des § 189 begriffen, so ist der Irrtum des Täters darüber, ob der Betroffene tot ist oder nicht, irrelevant, denn die Ehre des lebenden Betroffenen ist kein aliud gegenüber der Ehre des Verstorbenen. Die Verletzung wird lediglich in zwei verschiedenen Tatbeständen erfaßt. Fall: A, der meint, der Kirchenvorsteher K sei verstorben, erzählt wider besseres Wissen, der Verstorbene habe Kirchengelder im Freudenhaus verjubelt. - K lebt und stellt Strafantrag. Ergebnis: A haftet nach § 187. - Wird hingegen das Pietätsgefühl der Angehörigen oder das der Angehörigen und der Allgemeinheit in § 189 als geschützt angesehen, so bleibt der Täter straffrei. § 187 liegt nicht vor, da A nicht die Ehre eines lebenden Menschen verletzen will. § 189 findet keine Anwendung, weil sein objektiver Tatbestand nicht gegeben ist.

4. Strafantrag 4

Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ist Antragsdelikt, § 194 Abs. 2. - Auch hier entfällt der Antrag bei bestimmten Verunglimpfungen Verstorbener, die ihr Leben als Opfer der Nationalsozialisten oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verloren haben.

75

HERDEGEN LK, 10. Aufl., § 189 Rdn. 2 - 4; HIRSCH Ehre, S. 125; HUNGER Das Rechtsgut des § 189 StGB, 1996, S. 81 ff, 115; WELZELLb., § 42 II 4.

7 6

O L G D ü s s e l d o r f N J W 1 9 6 7 S . 1 1 4 2 ; L A C K N E R / K Ü H L § 1 8 9 R d n 1; R Ü P I N G G A 1 9 7 7 S . 3 0 4 f .

77

Abweichend ZAZCYK NK, § 189 Rdn. 1: Ehre des Adressaten in ihrem besonderen Verhältnis zum Andenken des Verstorbenen.

124

Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

§34

Sechster Abschnitt Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich § 34: Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 1. Rechtsgut und

Angriffsobjekt

a) Die Vorschrift schützt die Eigensphäre der Person durch Sicherung ihres Rechts auf Bestimmung der Reichweite einer Äußerung, und zwar geht es in Abs. 1, 2 Nr. 1 um den Schutz des Rechts am gesprochenen Wort, in Abs. 2 Nr. 2 um den Schutz vor Schädigungen durch Indiskretion

1

b) Angriffsobjekt ist das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen.

2

aa) Nicht öffentlich ist das Wort, wenn es objektiv und nach dem Willen des Sprechers nicht über einen überschaubaren, durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis hinaus wahrnehmbar ist. - Auch vom Sprechenden unbemerkte Zuhörer schließen die NichtÖffentlichkeit aus, nicht aber illegale Lauscher. 2 Amtliche Unterredungen, Telefongespräche usw. sind nicht öffentlich, wenn sie nicht mit Wissen der Beteiligten vor einem öffentlichen Zuhörerkreis stattfinden. 3 bb) Auch wenn die Gedankenäußerung in Form eines Gedichtes oder Liedes gekleidet wird, bleibt der Schutz erhalten. - Steht jedoch die künstlerische Gestaltung der Aussage im Vordergrund - Gesang, Deklamation so greift der Schutz des § 201 nicht durch. 4 2. Die einzelnen

3

Tathandlungen

a) § 201 Abs. 1 unterscheidet zwei Tathandlungen aa) Nr. 1: Aufnehmen ist das mechanische Fixieren des Wortes auf einen Tonträger, d.h. eine Vorrichtung zur wiederholten Wiedergabe von Tonfolgen (Tonband, Schallplatte o.ä.). Die Aufnahme muß nicht notwendig heimlich geschehen, denn die Unbefangenheit desjenigen, der sich äußert, ist bereits dann gravierend tangiert, wenn er weiß, daß gegen seinen Willen das "was als flüchtige Lebensäußerung gemeint war, in eine jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt wird". 5 - Das Überspielen einer Aufnahme auf einen

Vgl. dazu LENCKNER Baumann-FS, S. 141 ff m.e.N. V g l . O L G C e l l e JR 1977 S. 3 3 8 mit abl. A n m . ARZT S. 3 3 9 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.l, § 29 Rdn. 57. Dazu OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1513 mit zust. Anm. ALBER JR 1981 S . 4 9 5 ff, und abl. Anm. OSTENDORF JR 1 9 7 9 S. 4 6 8 ff; O L G Frankfurt JR 1 9 7 8 S. 168 mit A n m . ARZT S. 170 f.

Vgl. MAIWALD ZStW 91 (1979) S. 951; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 29 Rdn. 58. - Das gesungene Wort schließen aus: LACKNER/KÜHL § 201 Rdn. 2; TRÄGER LK, 10. Aufl., § 201 Rdn. 6; TRÖNDLE StGB,§201 Rdn. 2. - Dagegen aber: SCH/SCH/LENCKNER §201 Rdn. 5; WESSELS B.T./l, Rdn. 518. - Jegliche Stimmäußerung bezieht ein: ARZT Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970, S. 243. GALLAS ZStW 75 (1963) S. 19; vgl. auch OLG Jena NStZ 1995 S. 502 mit Anm. JOERDEN JR 1996 S.

125

4

§34

5

6

7

Zweiter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter des Einzelnen

anderen Tonträger ist nur im Rahmen der Nr. 2 erfaßt. - Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter Rdn. 10. bb) Nr. 2: Gebrauchen heißt Nutzen der Aufnahme zum Abspielen, Kopieren oder Überspielen. 6 Zugänglichmachen ist die Ermöglichung des Abspielens durch Dritte. - Eine so hergestellte Aufnahme ist eine nach Nr. 1 unbefugt hergestellte Aufnahme. 7 Gegenüber dem Abspielen einer befugt aufgenommenen Aufnahme ist das Abspielen einer unbefugt hergestellten Aufnahme ein schwerer Eingriff in die Eigensphäre des Berechtigten. - Das unbefugte Abspielen einer befugt hergestellten Aufnahme mag ein Vertrauensbruch sein, einen einer heimlichen Aufnahme vergleichbaren Einbruch in die Eigensphäre stellt das Verhalten im Regelfall aber nicht dar. Daher wandelt sich das in Nr. 1 als allgemeines Verbrechensmerkmal anzusehende Erfordernis der "unbefugten" Aufnahme hier in ein echtes Tatbestandsmerkmal. 8 - Die Befugnis zum Gebrauchmachen hingegen ist wiederum allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter Rdn. 11. b) § 201 Abs. 2 erfaßt zwei unterschiedliche Sachverhalte aa) Nr. 1: Das unbefugte Abhören mittels eines Abhörgerätes. - Abhörgerät ist hier als technische Einrichtung zu verstehen, mit der das Wort über seinen normalen Klangbereich hinaus wahrnehmbar gemacht wird. Fernsprechapparate und bei ihnen übliche Zusatzgeräte, wie z.B. Zweithörer und Lautsprecher sind keine Abhörgeräte in diesem Sinne. Der Gesetzgeber hat nicht das unbefugte Mithören unter Strafe gestellt, sondern den darüber hinausgehenden Eingriff in die Sphäre anderer durch Nutzung besonderer technischer Geräte. 9 bb) Nr. 2: Die Veröffentlichung des illegal aufgenommenen oder abgehörten nichtöffentlich gesprochenen Wortes. - Öffentlich ist die Mitteilung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis wahrnehmbar ist. - Tatbestandsmäßig ist die Mitteilung des geschützten Wortes im Wortlaut oder in seinem wesentlichen Inhalt. - Gerechtfertigt ist die Mitteilung, wenn sie "zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird", Abs. 2 S. 3. Damit wird klargestellt, daß überragende öffentliche Interessen einen Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz genießen. 10 - Straffrei bleibt die Mitteilung, wenn sie nicht geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Hier handelt es sich um einen objektiven Strafausschließungsgrund, nicht etwa um einen Tatbestandsausschluß, denn sonst würde im Falle eines Irrtums des Täters das Risiko, daß die Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen zu verletzen, auf den Geschützten übertragen werden. Das ist sachlich unangemessen.

2 6 5 ff, OTTO J K 9 5 , S t G B § 2 0 1 / 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 0 1 Rdn. 3; TRAEGER L K , 10. A u f l . , § 2 0 1 Rdn. 11; WESSELS B . T . / l , Rdn. 5 2 1 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1 Rdn. 13. 6

So auch LACKNER/KÜHL § 2 0 1 Rdn. 4; TRÄGER LK, 10. Aufl., § 2 0 1 Rdn. 14. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 29 Rdn. 61; TRÖNDLE StGB, § 201 Rdn. 4.

7

Vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 1995 S. 975 mit Anm. SCHMIDT JuS 1995 S. 651 ff.

8

Wie hier ARZT Intimsphäre, S. 264; BLEI Henkel-FS, S. 112 f; KREY ZStW 9 0 (1978) S. 180 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 9 Rdn. 5 9 ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1 Rdn. 16. - A . A . SUPPERT

Studien zur Notwehr und "notwehrähnlichen Lage", 1973, S. 209 ff; WELZELLb., § 45 III. 9

S o auch B G H ( Z ) N J W 1 9 8 2 S. 1397; KÜPER B . T . , S. 3; LACKNER/KÜHL § 201 Rdn. 5; TRÄGER L K , 10. A u f l . , § 2 0 1 Rdn. 2 0 TRÖNDLE S t G B , § 2 0 1 Rdn. 6. - A . A . GÖSSEL B . T . 1, § 3 7 Rdn. 3 9 ; KLUG

Sarstedt-FS, S. 106; SCH/SCH/LENCKNER § 201 Rdn. 18. 10

126

Im einzelnen dazu LENCKNER Baumann-FS, S. 151 ff.

Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

§34

3. Qualifikation, § 201 Abs. 3 a) § 201 Abs. 3 ist ein Qualifikationstatbestand für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete; dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2, 4. b) Das Delikt ist ein sog. unechtes Amtsdelikt. - Die öffentlich-rechtliche Position ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2. - Der Täter muß in seiner hoheitlichen Position, d.h. im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit, gehandelt haben. 4. Rechtswidrigkeit Die Tatbestände der §§ 201 ff setzen voraus, daß der Täter unbefugt handelt. Unbefugt ist jede Tathandlung, für die ein Rechtfertigungsgrund nicht besteht. a) Die rechtswirksam erteilte Befugnis zur Herstellung der Aufnahme oder zu ihrem Abspielen (Einwilligung) rechtfertigt das Verhalten. 11 Der Vertrauensbruch, der darin liegt, daß eine Aufnahme, in die der Berechtigte eingewilligt hat, gegen seinen Willen einem größeren Kreis bekanntgemacht wird, ist von § 201 nicht erfaßt. Hier liegt kein Eingriff von außen in die Eigensphäre vor. b) Bei Aufnahmen, die der Abwehr von Gefahren dienen, die von dem Betroffenen ausgehen, ist zu differenzieren: aa) Dient die Aufnahme der Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs - z.B. Aufnahme eines erpresserischen Anrufs, um den Erpressungsversuch abzuwehren - so kommt eine Rechtfertigung nach § 32 in Betracht. bb) Steht die Rechtsgutsverletzung noch nicht unmittelbar bevor, ist die Gefahr der späteren Rechtsgutsverletzung aber bereits begründet worden - z.B. Ankündigung des Bestrebens der zwar erfolgten, vom Prozeßgegner aber nicht beweisbaren Zahlung in einem künftigen Prozeß - so kann eine eventuelle Aufnahme gemäß § 34 gerechtfertigt sein, denn die gegenwärtige Gefahr geht weiter als der gegenwärtige Angriff. 12 cc) Soll mit der Aufnahme lediglich die spätere Bestrafung einer Person ermöglicht werden - z.B. Überführung nach Beleidigung am Telefon -, so ist weder § 32 noch § 34 unmittelbar anwendbar. Zurückzugreifen ist auf das allgemeine Prinzip des Interessenvorrangs, wie es in §§ 34 StGB, 228, 904 BGB Ausdruck gefunden hat. 13 c) Bei behördlichen Abhörmaßnahmen kommen als gesetzliche Vorschriften, die das Verhalten rechtfertigen, §§ 100 a, b StPO und das Gesetz zu Art. 10 GG (G 10) vom 13.8.1968 in Betracht.

8 9

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5. Konkurrenzen Die Begehungshandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 stellen eine einheitliche Tat dar, auch 14 11

Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1514; LACKNER/KÜHL § 201 Rdn. 9; ROGALL NStZ 1983 S. 6; WARDA Jura 1979 S. 296. - A.A. Tatbestandsausschluß: OLG Köln NJW 1962 S. 686 mit zust. Anm. BINDOKAT N J W

1 9 6 2 S . 6 8 6 f , u n d abl. A n m .

DREHER M D R

1 9 6 2 S . 5 9 2 ; MAURACH/

SCHROE-

DER/MAIWALD B.T.l, § 29 Rdn. 59. Differenzierend FRANK Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tonbandaufnahmen Privater, 1996, S. 50 ff, 63 f. 12

Vgl. dazu BGHZ 27 S. 290; BayObLG StV 1995 S. 65, 66 mit Anm. PREUß S. 66 ff; GROPP StV 1989 S. 216 ff.

13

Dazu OTTO Kleinknecht-FS, S. 334 ff.- Im übrigen vgl. zum Meinungsstand und zur Auseinandersetzung: BayObLG NJW 1994 S. 1671; TRÄGER LK, 10. Aufl., § 201 Rdn. 27 f.

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§34

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

wenn der Täter die unbefugte Aufnahme gebraucht oder Dritten zugänglich macht. - Die Begehungsformen der Absätze 1 und 2 können zueinander in Tateinheit stehen.14 6. Zum Strafantrag: § 205 15 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist derjenige, der das geschützte Wort gesprochen hat. II. Verletzung des Briefgeheimnisses, § 2 0 2 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt 16 a) Die Vorschrift schützt die formal begrenzte Geheimsphäre gegen Indiskretion. 17 b) Geschützt ist nicht nur das Briefgeheimnis (Art. 10 GG), sondern jeder abgeschlossene Gegenstand mit gedanklichem Inhalt sowie Abbildungen, es sei denn, der Verschluß dient nicht dazu, die inhaltliche Kenntnisnahme zu verhindern, so z.B. der Paketverschluß bei der Versendung von Romanen, allgemein zugänglichen Kochrezepten usw. 18 c) Schriftstück ist jeder Träger von Schriftzeichen, die einen gedanklichen Inhalt ergeben. Der Brief ist ein Unterfall des Schriftstückes. 2. Die einzelnen

Tathandlungen

19 a) § 202 Abs. 1 Nr. 1: Öffnen ist das Beseitigen oder Unwirksammachen des Verschlusses. - Anwendung von Gewalt oder eine Beschädigung des Verschlusses ist nicht erforderlich. 20 b) § 202 Abs. 1 Nr. 2: Anwendung technischer Mittel bedeutet den Einsatz spezifischer technischer Hilfsmittel. - Bloßes Abtasten oder "Gegen-Licht-halten" des Schriftstückes genügt nicht.15 - Vom Inhalt des Schriftstückes hat sich der Täter "Kenntnis verschafft", wenn er den Inhalt wahrgenommen hat. Verständnis des Inhalts ist nicht erforderlich.16 21 c) § 202 Abs. 2 erfordert ein Öffnen zum Zwecke der Kenntnisnahme. - Verschlossenes Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen - und nicht zum Betreten von Menschen - bestimmtes Raumgebilde, dessen Verschluß fremde Kenntnisnahme des Behältnisinhaltes verhindern soll. Es genügt nicht, daß der Täter aus anderen Gründen das Behältnis öffnet (z.B. um Geld daraus zu stehlen) und Kenntnis von dem Inhalt des Schriftstückes nimmt. 3. Rechtswidrigkeit 22 a) Zur Befugnis vgl. Rdn. 11. 23 b) Die rechtfertigende Befugnis kann hier insbes. aus §§ 99, 100 StPO, § 121 KO, § 2 Überwachungsgesetz und Art. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG v. 13.8.1968 folgen.17 4. Konkurrenzen 24 Die durch die Öffnung bewirkte Sachbeschädigung, § 303, wird von § 202 konsumiert. Gegenüber § 206 ist § 202 subsidiär, § 202 Abs. 1 a.E. - Öffnet der Täter ein durch Dieb-

14

Dazu eingehend: SCH/SCH/LENCKNER § 201 Rdn. 38.

15

BT-Drucks. 7/550 S. 237.

16

Vgl. einerseits: LACKNER/KÜHL § 202 Rdn. 4; andererseits: SCH/SCH/LENCKNER § 202 Rdn. 9.

17

Im einzelnen dazu TRÄGER LK, 10. Aufl., § 202 Rdn. 30 ff.

128

Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

§34

stahl oder Unterschlagung entwendetes Schriftstück unbefugt, so ist je nach den zeitlichen Tatmodalitäten Real- oder Idealkonkurrenz zwischen §§ 242, 246 und § 202 gegeben. 18 5. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist derjenige, der zur Tatzeit das Bestim- 25 mungsrecht über die Sache hat, d.h. bei Sendungen der Absender bis zum Empfang durch den Adressaten. 19

III. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 1. Rechtsgut, Tatobjekt und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die Geheimsphäre des Einzelnen und daneben das All- 26 gemeininteresse an der Verschwiegenheit der hier genannten Personen, da diese weitgehend Voraussetzung für eine effektive Ausübung der genannten Tätigkeiten ist. 20 Der Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 steht - wenn auch nicht in vollem Umfang entsprechend - das Schweigerecht nach §§ 53,53 a StPO, § 383 ZPO gegenüber.

b) Tatobjekt der Abs. 1 und 2 S. 1 ist ein "fremdes Geheimnis", d.h. ein Privatgeheimnis, 27 das einen anderen Menschen als den Täter betrifft. - Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist, an deren Geheimhaltung der Betroffene ein sachlich begründetes Interesse hat und die er nicht offenbaren will. - Das Geheimnis kann sich auf den persönlichen, beruflichen oder wirtschaftlichen Lebensbereich des Betroffenen beziehen. Das zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnis sowie das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis sind nur Beispiele für die hier relevanten Geheimnisse. Geheimnisse des Staates sind in den §§ 93 ff, 353 b geschützt, doch sind Überschneidungen von § 203 mit § 353 b möglich.

c) Der Täterkreis aa) Zu den einzelnen Tätergruppen vgl. Gesetzeswortlaut, Abs. 1, 2 S. 1. 28 bb) Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. 29 cc) Das Geheimnis muß dem Täter in seiner Eigenschaft als Arzt, Wirtschaftsprüfer, 30 Amtsträger usw. anvertraut oder bekanntgeworden sein, d.h. die Kenntnisnahme muß in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Berufs- oder Amtstätigkeit stehen. - Anvertraut ist das Geheimnis, wenn es dem Betroffenen unter Umständen mitgeteilt worden ist, aus denen sich die Anforderung des Geheimhaltens ergibt. - Sonst bekanntgeworden ist dem Täter das Geheimnis, wenn er es auf andere Weise erfahren hat. 21 18

Dazu auch BGH JZ 1977 S. 237 mit Anm. KÜPER JZ 1977 S. 464, LENCKNER JR 1978 S. 424 f.

19

A . A . SAMSON S K II, § 2 0 5 R d n . 4 .

20

Vgl. auch KREY B.T. 1, Rdn. 457; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 29 Rdn. 4. - Das Allgemeininteresse akzeptieren nur für Abs. 1: LACKNER/KÜHL § 203 Rdn. 1; MICHALOWSKI ZStW 109 (1997) S. 522; TRÖNDLE StGB, § 203 Rdn. 1. - Für einen Vorrang des Allgemeininteresses: OLG Köln NStZ 1983 S. 412; SCHLUND JR 1977 S. 269; SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 3. - Nur das Individualinteresse sehen als geschützt an: JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 203 Rdn. 14 f; ROGALL NStZ 1983

21

Vgl. JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 203 Rdn. 31; ROGALL NStZ 1983 S. 413; TRÖNDLE StGB, § 203 Rdn. 8. - Eine Kenntniserlangung im Rahmen einer typischerweise auf Vertrauen angelegten Sonderbeziehung

S. 5 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 6 / 2 7 ; SCHMITZ J A 1 9 9 6 S. 7 7 2 ; SCHÜNEMANN Z S t W 9 0 ( 1 9 7 8 ) S. 5 1 f f .

fordert: SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 15.

129

§34

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

3 1 dd) Die berufsmäßig tätigen Gehilfen der nach Abs. 1 Verpflichteten und die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf Tätigen stehen den besonders Verpflichteten gleich, § 203 Abs. 3. - Bei den Gehilfen muß es sich aber um Gehilfen in der Berufsausübung handeln, nicht etwa um sonstige Gehilfen, wie z.B. den Chauffeur oder die Putzfrau. 22 32 ee) Nach dem Tode einer verpflichteten Person (Berufsausübender oder Gehilfe) ist in gleicher Weise verpflichtet, wer das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlaß erlangt hat, § 203 Abs. 3 S. 2. 2. Die Tathandlung 33 a) Tathandlung ist das Offenbaren eines anvertrauten oder sonst bekannt gewordenen Geheimnisses. - Offenbaren ist Mitteilung an einen Dritten, daß dieser Dritte selbst schweigepflichtig ist, ändert nichts an der Offenbarung. 23 Hingegen liegt kein Offenbaren in der Weitergabe einer Mitteilung im ordnungsgemäßen Behördengang. 24 34 b) Qualifiziert ist die Tat gemäß § 203 Abs. 5. aa) Bereicherungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, bb) Schädigungsabsicht setzt auf Schädigung gerichteten dolus directus 1. Grades voraus. 3. Rechtswidrigkeit 35 a) Zur Befugnis vgl. oben Rdn. 11. b) Als Befugnis kommen insbesondere in Betracht: 36 aa) Die Einwilligung, die u.U. stillschweigend bei beruflicher Notwendigkeit - z.B. Mitteilung des Arztes an seinen Vertreter oder Nachfolger - oder konkludent - Einwilligung zur sog. Anstellungsuntersuchung umfaßt Befugnis zur Mitteilung des Ergebnisses an anstellende Behörde bzw. Firma - erteilt werden kann. Einwilligungsberechtigter ist grundsätzlich der Träger des Geheimnisses, d.h. der vom Geheimnis Betroffene. Eine Ausnahme ist jedoch dann zu machen, wenn ein Dritter dem Täter das Geheimnis anvertraut hat und mit der Offenbarung einverstanden ist. In diesem Fall ist das Vertrauensverhältnis zwischen Betroffenem und Täter nicht verletzt. 25 37 bb) Gesetzliche Anzeigepflichten, z.B. § 138 i.V.m. § 139 Abs. 2, Abs. 3 StGB, Geschlechtskrankheitengesetz, Bundesseuchengesetz usw. Zum staatsanwaltschaftlichen Auskunfts- und Herausgabeersuchen: §§ 160, 161, 94 I, 95 I StPO. 2 ^

38 cc) Zeugnispflicht nach Entbindung von der Schweigepflicht, § 53 Abs. 2 StPO. dd) Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB. In Fällen, in denen die Offenbarung eines Geheimnisses zur Lebensrettung eines anderen nötig ist, ist die Offenbarung durch § 34 zu rechtfertigen. 27 In gleicher Weise ist gemäß 22

Dazu KOHLHAAS NJW 1972 S. 1502.

23

Vgl. BayObLG NJW 1995 S. 1623 mit Anm. GROPP JR 1996 S. 478 ff.

24

Vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 S. 69.

25

Vgl. auch OLG Köln NStZ 1983 S. 413; SCHMITZ JA 1996 S. 951 f. - Differenzierend SCH/SCH/ LENCKNER § 2 0 3 R d n . 2 3 ; S C H Ü N E M A N N Z S t W 9 0 ( 1 9 7 8 ) S . 5 7 . - A . A . L A C K N E R / K Ü H L § 2 0 3 R d n . 18; ROGALL N S t Z 1 9 8 3 S. 4 1 4 ; WAGNER J Z 1987 S. 7 0 8 .

26

Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1986 S. 145.

2 7

B G H J Z 1 9 8 3 S . 151 m i t A n m . GEIGER S . 1 5 3 f.

130

Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

§ 34

§ 34 der Konflikt zwischen dem Schutz eines Geheimnisses und dem Auskunftsanspruch der Presse zu lösen. 28 - Ein Absehen von den strengen Voraussetzungen des § 34 mit der Konsequenz, die Wahrnehmung berechtigter Interessen hier genügen zu lassen - dazu vgl. § 32 Rdn. 36 ff -, ist nicht geboten, da kein Anlaß besteht, dem hier geschützten Rechtsgut geringeren Schutz zu gewähren als anderen Rechtsgütern. Die Sonderregelung des § 193 ist durch die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit legitimiert, in ihr findet aber nicht der Grundsatz Ausdruck, daß eigene berechtigte Interessen Rechte auf die Verletzung der Rechtsgüter anderer begründen. ee) Die Mutmaßliche Einwilligung kann Bedeutung haben bei der Benachrichtigung von 39 bewußtlosen oder geisteskranken Patienten. Sie kommt jedoch nicht in Betracht, wenn der Betroffene befragt werden kann. Die Weitergabe von Patientendaten an Verrechnungsstellen zur Einziehung von Forderungen und die Abtretung von ärztlichen 29 oder anwaltlichen 30 Honorarforderungen oder der Verkauf einer ärztlichen oder anwaltlichen Praxis mit Überlassung der Akten 31 ist durch mutmaßliche Einwilligung nicht gerechtfertigt. 4. Zum Strafantrag, § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist der Geheimnisberechtigte.

40

IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 1. Rechtsgut und Täterkreis entsprechen dem des § 203. 2. Die Tathandlung ist das Verwerten eines fremden Geheimnisses unter Verletzung von Interessen des Berechtigten, um Gewinn zu erzielen. 32 Die h.M. begnügt sich demgegenüber mit einer wirtschaftlichen Nutzung zum Zwecke der Gewinnerzielung. 33 3. §§ 204 und 203 schließen einander aus. Erfolgt die Gewinnerzielung durch Offenbarung des Geheimnisses an einen Dritten, z.B. Verkauf des Geheimnisses, so geht § 203 Abs. 5 dem § 204 vor. 34 4. Zum Strafantrag: § 205, vgl. Rdn. 40.

41 42

43

44

V. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 206 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), sowie das öffent- 45 liehe Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Post- und Fernmeldeverkehrs. 28

Vgl. OLG Schleswig NJW 1985 S. 1090. - Allgemein hierzu LACKNER/KÜHL §203 Rdn. 25; SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 3 R d n . 30.

29

Dazu BGHZ 115 S. 123 mit Anm. EMMERICH JUS 1992 S. 153 ff; BGH NJW 1992 S. 2348 mit Anm. SCHLUND J R 1 9 9 3 S. 2 5 f f ; B G H N J W 1 9 9 3 S. 2 3 7 1 ; B G H N J W 1996 S. 7 7 5 .

30

Dazu BGHZ 122 S. 115 mit Anm. EMMERICH JUS 1993 S. 866 ff; BGH NJW 1993 S. 1912; BGH NJW

31

Dazu BGH ZIP 1995 S. 1016.

1 9 9 3 S. 2 7 9 5 .

3 2

V g l . MAIWALD J u S 1 9 7 7 S. 3 6 2 ; DERS. N S t Z 1 9 8 4 S. 170.

33

Vgl. z.B.: BayObLG NStZ 1984 S. 169 f.

34

BT-Drucks. 7/550, S. 244.

131

§34

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

2. Der Täterkreis der Abs. 1 bis 3 46 a) Inhaber oder Beschäftigte eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt, Abs. 1, 2 - in den Fällen des Abs. 1 auch ausgeschiedene Beschäftigte oder ehemalige Inhaber. - Telekommunikationsdienste sind Telekommunikationsdienstleistungen i.S. des § 3 Nr. 18 TKG, d.h. das gewerbliche Angebot von Telekommunikation einschließlich des Angebots von Übertragungswegen für Dritte. - Telekommunikation ist gemäß § 3 Nr. 16 TKG der technische Vorgang des Aussendens, Übermitteins und Empfangens von Nachrichten jeglicher Art in der Form von Zeichen, Sprache, Bildern oder Tönen mittels Telekommunikationsanlagen. - Telekommunikationsanlagen, § 3 Nr. 17 TKG, sind technische Einrichtungen oder Systeme, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können. 47 b) Personen, die Aufgaben der Aufsicht über die unter a) genannten Post- und Telekommunikationsunternehmen ausüben, Abs. 3 Nr. 1. Das sind vor allem Beschäftigte innerhalb der verbliebenen Hoheitsverwaltung des Bundes im Post- und Telekommunikationsbereich. 35 48 c) Personen, die mit dem Erbringen von Post- oder Telekommunikationsdiensten betraut sind, Abs. 3 Nr. 2. Das sind Personen, die nicht zu dem unter a) genannten Kreis gehören, aber in die Abwicklung des Post- und Fernmeldeverkehrs eingeschaltet sind. 49 d) Mit der Herstellung einer den Betrieb eines Post- oder Telekommunikationsunternehmens oder mit Arbeiten daran betraute Personen, Abs. 3 Nr. 3. Das sind Inhaber, Angestellte und Arbeiter von Hersteller- und Serviceunternehmen für technische Anlagen. 50 e) Die Täterqualität ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, denn den Täterkreis kennzeichnet eine erhöhte Pflichtenstellung in bezug auf das geschützte Rechtsgut. 36 3. Die einzelnen Tatbestände der Abs. 1 bis 3 51 a) Abs. 1 stellt die Mitteilung von Tatsachen, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, an andere unter Strafe. - Dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegt nicht nur der Inhalt von Postsendungen und der Inhalt der Telekommunikation, sondern auch die Tatsache, daß ein Post- oder Femmeldeverkehr zwischen bestimmten Personen stattgefunden hat und die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche, Abs. 5. 52 b) Abs. 2 Nr. 1, 2 schützt die den Post- und Telekommunikationsunternehmen anvertrauten Sendungen gegen Ausforschung (Nr. 1) und Unterdrückung (Nr. 2). Sendung ist jeder körperliche Gegenstand, der auf dem Post- oder Femmeldeweg übermittelt werden soll. Die Sendung muß verschlossen sein. Sendungen, die zwar nicht offen sind, aber jederzeitiger Öffnung und Kontrolle unterliegen sollen, genügen diesem Erfordernis nicht. 37 53 Den Unternehmen anvertraut sind alle Sendungen, die ordnungsgemäß in den Postoder Femmeldeverkehr gelangt sind und sich noch dort befinden. - Zu den Begriffen Öffnen und unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschaffen, vgl. unter Rdn. 19 ff. -

35

Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8016, S. 29.

3 6

V g l . MAIWALD JUS 1 9 7 7 S. 3 6 1 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 8 0 R d n . 38. - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 3 5 4 R d n . 4 1 .

37

OLG Stuttgart NStZ 1984 S. 25; BVerwG NJW 1984 S. 2111: mit Klammern gesicherte Warenbeutel.

132

Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

§34

Unterdrücken heißt dem ordnungsgemäßen Übermittlungsverkehr entziehen, sei es auch nur zeitweise. 38 Der Täter muß als Inhaber oder Beschäftigter, d.h. im inneren Zusammenhang mit sei- 54 ner Funktion tätig geworden sein. Die Tatsache allein, daß er zur Tatzeit in dem Unternehmen tätig war, genügt nicht. c) Abs. 2 Nr. 3 erfaßt das Gestatten und Fördern des Ausforschens oder Unterdrückens. - 55 Ein Gestatten in diesem Sinne liegt nicht nur beim pflichtwidrigen Unterlassen des Einschreitens, bei Einwilligung in die Tat oder bei Genehmigung der Tat vor, sondern auch beim Anstiften zur Tat. - Fördern ist Hilfeleistung durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen. - Die Bedeutung von Abs. 2 Nr. 3 liegt darin, daß sachliche Teilnahmehandlungen formell zum Täterverhalten erklärt werden. 4. Erweiterung des Schutzgutes gemäß Abs. 4 Abs. 4 erweitert den Strafrechtsschutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses über den 56 Post- und Telekommunikationsbereich hinaus. - Täter können nur Amtsträger anderer Dienstbereiche sein. Der befugte Eingriff setzt eine Rechtfertigung des Eingriffs voraus, z.B. nach §§ 99 - 100 b StPO. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 5. Rechtswidrigkeit Unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i.S. von rechtswidrig. - Die Befugnis kann 57 hier insbes. auf §§ 99 - 100 b StPO oder auf Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG beruhen. Auch § 138 StGB kann rechtfertigend eingreifen. § 34 kommt u.U. in Betracht, soweit nicht ein in Spezialgesetzen geregelter Sachverhalt vorliegt. 39 6. Besondere Täterqualifikation Im Verhältnis zu §§ 133, 202, 274 Abs. 1 Nr. 1 beschreibt Abs. 2 Nr. 1 und 2 ein unechtes 58 Sonderdelikt, beachte § 28 Abs. 2. Im übrigen sind die in § 206 erfaßten Taten echte Sonderdelikte, beachte § 28 Abs. 1.

VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 1. Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist das Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen und das 59 Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Steuergeheimnisses, die Voraussetzung eines wirksamen Besteuerungsverfahrens ist. 4 0 b) Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 2 Nr. 2 - und bestimmte, in Abs. 2 auf- 60 gezählte Personen sein. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1 ist zu beachten. 2. Die Tathandlungen Die Verhältnisse, die dem Täter im Rahmen bestimmter Verfahren (vgl. Abs. 1 Nr. 1) be- 61 38

Vgl. OLG Köln NJW 1987 S. 2596.

39

Im einzelnen dazu SCH/SCH/LENCKNER § 354 Rdn. 14; WELP Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, 1974, S. 163 ff; DERS. ArchPF 1976 S. 783 ff.

40

Dazu OLG Hamm NJW 1981 S. 357.

133

§34

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

kanntgeworden sein müssen und deren Offenbarung, d.h. Mitteilung an andere, unter Strafe gestellt ist, sind alle für die steuerliche, finanzielle, wirtschaftliche und persönliche Lage einer Person relevanten Umstände, ohne Rücksicht auf einen etwaigen Geheimnischarakter, soweit sie nicht offenkundig sind oder an ihrer Geheimhaltung keinerlei Interesse erkennbar ist. - Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind nur Sonderfälle dieser Verhältnisse, so daß Abs. 1 Nr. 2 nur die Tathandlungen in einem Teilbereich nach Abs. 1 Nr. 1 konkretisiert. - Zum Verwerten vgl. Rdn. 42. 3. Rechtfertigung 62 § § 3 0 Abs. 4 und 5, 31, 31 a AO enthalten die Gründe, die eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses gestatten und die Offenbarung zu einer befugten machen. - Der Katalog ist nicht abschließend. Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, insbes. § 34, sind daher nicht ausgeschlossen. 41

VII. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204, 202 a 63 Strafrechtlichen Datenschutz gewährt der Gesetzgeber im StGB erstens durch die Gleichstellung mit dem Geheimnisschutz in §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204 und zweitens durch den Schutz besonders gesicherter Daten, § 202 a. 4 2 1. Der Schutz von Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse eines anderen, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204 64 a) Gemäß § 203 Abs. 2 S. 2 wird der durch § 203 Abs. 2 S. 1 gewährte Geheimnisschutz auf solche Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen erweitert, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden sind, soweit solche Einzelangaben nicht anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt. Zum Täterkreis, zur Tathandlung und zur Befugnis zum Offenbaren vgl. unter Rdn. 28 ff. 65 b) Der Schutz vor einer Verwertung des Geheimnisses, § 204, ist auf die Angaben gemäß § 203 Abs. 2 S. 2 ausgedehnt; vgl. insoweit Rdn. 41 ff. 2. Ausspähen von Daten, § 202 a 66 a) Da es sich bei den geschützten Daten nicht notwendig um Geheimnisse handeln muß, schützt § 202 a das durch das Erfordernis besonderer Sicherung formalisierte Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung bestimmter Daten. 43 67 b) Tatobjekt sind Daten. Daten sind alle codierbaren Informationen. Deren Schutz wird gemäß Abs. 2 auf nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten beschränkt. Nicht unmittelbar wahrnehmbar sind Daten, deren Bedeutungsgehalt erst nach technischer Umformung mit den menschlichen Sinnen erfaßbar wird, z.B. neben den im Gesetz genannten elektronisch oder magnetisch fixierten Daten auch Daten auf Tonbändern, Schallplatten, Mikrofilmen 41

Dazu MAIWALD JUS 1977 S. 362 f.

42

Zum weitergehenden strafrechtlichen Datenschutz vgl. § 43 BDSG.

4 3

V g l . HILGENDORF JUS 1 9 9 6 S . 5 1 1 ; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S . 4 8 5 ; MÖHRENSCHLAGER

wistra 1986 S. 140; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 58 f. - A.A. z.B. HAFT NStZ 1987 S. 9, der das Vermögen als geschützt ansieht.

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Hausfriedensbruch

§35

u.ä. 44 - Gespeichert sind zur Wiederverwendung erfaßte Daten. Geschützt werden diese Daten auch im Übermittlungsstadium (Anzapfen von Datenübertragungsleitungen). c) Nicht fiir den Täter bestimmt sind Daten, die nach dem Willen des Verfügungsberechtigten nicht in den Herrschaftsbereich des Täters gelangen sollen.45 - Gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind Daten, wenn Vorkehrungen speziell zu dem Zweck getroffen sind, den Zugriff Unberechtigter zu verhindern oder zu erschweren, z.B. durch verschlossene Behältnisse oder systemimmanente Vorkehrungen wie Geheimnummern (PIN-Nummer) zu Magnetkarten, Paßwörter u.a. d) Sich oder einem anderen Verschaffen heißt Herstellung der eigenen oder der Herrschaft eines anderen über die Daten. Das bedeutet, daß der Täter entweder die Daten selbst zur Kenntnis nimmt bzw. einem anderen die Kenntnisnahme ermöglicht oder ohne Kenntnisnahme sich oder einem anderen den Besitz an den Datenträgern verschafft. 46 - Bei verschlüsselten Daten setzt das Sichverschaffen die Entschlüsselung oder die ungehinderte Möglichkeit der Entschlüsselung voraus.47 e) Der Tatbestand erfordert Vorsatz; bedingter genügt. f) Unbefugtes Handeln ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Die Tat kann durch Gesetz z.B. § 94 StPO -, durch Einwilligung des Berechtigten, dazu unter Rdn. 36 ff oder durch rechtfertigenden Notstand, § 34, gerechtfertigt sein. g) Die Tat ist Antragsdelikt gemäß § 205. Antragsberechtigt ist der Verletzte, d.h. der Träger des Rechtsguts. Das ist der über die Daten Verfügungsberechtigte. Dem Schutz des vom Dateninhalt Betroffenen kommt keine Eigenständigkeit zu. Sein Schutz ist durch § 43 BDSG gewährleistet.48

68

69

70 71

72

§ 35: Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 1. Rechtsgut und Tatobjekt a) Das Rechtsgut Geschützt ist das Hausrecht, d.h. die Freiheit der Entscheidung darüber, wer sich in den gesetzlich geschützten Bereichen aufhalten darf und wer nicht. 49 Der Berechtigte braucht nicht zivilrechtlicher Eigentümer der geschützten Sphäre zu sein, es genügt, daß er ein stärkeres Recht als der Störer hat. - Bei vermieteten Räumen steht das Hausrecht in der Regel dem Mieter zu, soweit sich Ausnahmen nicht ausdrücklich aus dem Mietvertrag oder den besonderen Umständen des Falles ergeben. 50 Steht das 44

Im einzelnen dazu HILGENDORF JUS 1996 S. 511.

45

Dazu HILGENDORF JuS 1996 S. 512.

46

Enger HILGENDORF JUS 1996 S. 705, der Reproduzierbarkeit der Daten voraussetzt.

4 7

V g l . SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 2 a R d n . 10. - A . A . HILGENDORF JUS 1 9 9 6 S. 7 0 5 ; JÄHNKE L K , 10.

Aufl., § 202 a Rdn. 6. 48

Streitig, vgl. im einzelnen LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 485.

49

Differenzierend nach der Art der Schutzsphären: SCHALL, Die Schutzfunktionen der Strafbestimmung gegen den Hausfriedensbruch, 1974, S. 134 f, 145 ff, 159 ff, 169.

50

Dazu OLG Hamm GA 1961 S. 181; OLG Braunschweig NJW 1966 S. 263; BERNSMANN Jura 1981 S. 342 f.

135

1 2

Hausfriedensbruch

§35

u.ä. 44 - Gespeichert sind zur Wiederverwendung erfaßte Daten. Geschützt werden diese Daten auch im Übermittlungsstadium (Anzapfen von Datenübertragungsleitungen). c) Nicht fiir den Täter bestimmt sind Daten, die nach dem Willen des Verfügungsberechtigten nicht in den Herrschaftsbereich des Täters gelangen sollen.45 - Gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind Daten, wenn Vorkehrungen speziell zu dem Zweck getroffen sind, den Zugriff Unberechtigter zu verhindern oder zu erschweren, z.B. durch verschlossene Behältnisse oder systemimmanente Vorkehrungen wie Geheimnummern (PIN-Nummer) zu Magnetkarten, Paßwörter u.a. d) Sich oder einem anderen Verschaffen heißt Herstellung der eigenen oder der Herrschaft eines anderen über die Daten. Das bedeutet, daß der Täter entweder die Daten selbst zur Kenntnis nimmt bzw. einem anderen die Kenntnisnahme ermöglicht oder ohne Kenntnisnahme sich oder einem anderen den Besitz an den Datenträgern verschafft. 46 - Bei verschlüsselten Daten setzt das Sichverschaffen die Entschlüsselung oder die ungehinderte Möglichkeit der Entschlüsselung voraus.47 e) Der Tatbestand erfordert Vorsatz; bedingter genügt. f) Unbefugtes Handeln ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Die Tat kann durch Gesetz z.B. § 94 StPO -, durch Einwilligung des Berechtigten, dazu unter Rdn. 36 ff oder durch rechtfertigenden Notstand, § 34, gerechtfertigt sein. g) Die Tat ist Antragsdelikt gemäß § 205. Antragsberechtigt ist der Verletzte, d.h. der Träger des Rechtsguts. Das ist der über die Daten Verfügungsberechtigte. Dem Schutz des vom Dateninhalt Betroffenen kommt keine Eigenständigkeit zu. Sein Schutz ist durch § 43 BDSG gewährleistet.48

68

69

70 71

72

§ 35: Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 1. Rechtsgut und Tatobjekt a) Das Rechtsgut Geschützt ist das Hausrecht, d.h. die Freiheit der Entscheidung darüber, wer sich in den gesetzlich geschützten Bereichen aufhalten darf und wer nicht. 49 Der Berechtigte braucht nicht zivilrechtlicher Eigentümer der geschützten Sphäre zu sein, es genügt, daß er ein stärkeres Recht als der Störer hat. - Bei vermieteten Räumen steht das Hausrecht in der Regel dem Mieter zu, soweit sich Ausnahmen nicht ausdrücklich aus dem Mietvertrag oder den besonderen Umständen des Falles ergeben. 50 Steht das 44

Im einzelnen dazu HILGENDORF JUS 1996 S. 511.

45

Dazu HILGENDORF JuS 1996 S. 512.

46

Enger HILGENDORF JUS 1996 S. 705, der Reproduzierbarkeit der Daten voraussetzt.

4 7

V g l . SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 2 a R d n . 10. - A . A . HILGENDORF JUS 1 9 9 6 S. 7 0 5 ; JÄHNKE L K , 10.

Aufl., § 202 a Rdn. 6. 48

Streitig, vgl. im einzelnen LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 485.

49

Differenzierend nach der Art der Schutzsphären: SCHALL, Die Schutzfunktionen der Strafbestimmung gegen den Hausfriedensbruch, 1974, S. 134 f, 145 ff, 159 ff, 169.

50

Dazu OLG Hamm GA 1961 S. 181; OLG Braunschweig NJW 1966 S. 263; BERNSMANN Jura 1981 S. 342 f.

135

1 2

§35

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Hausrecht mehreren gemeinsam zu (z.B. Ehegatten), so muß die von dem anderen gestattete Anwesenheit Dritter im Rahmen der Zumutbarkeit geduldet werden. 51 3

4

5

6

b) Die einzelnen geschützten Sphären aa) Wohnung ist der Raum oder die zusammenliegende Mehrheit von Räumen, die einer Person oder mehreren Personen zur Unterkunft dient oder zur Benutzung freisteht. 52 Die Wohnung braucht nicht Teil eines Hauses zu sein, z.B. beim Wohnwagen bb) Geschäftsräume sind die - hauptsächlich - zum Betrieb von Geschäften bestimmten, abgegrenzten Räume. - Raum ist auch hier nicht nur als Gebäudeteil zu verstehen, sondern als räumlicher Bezirk. Darunter fallen Lagerhallen, Fabrikhöfe, Zirkuszelte, u.ä. cc) Das befriedete Besitztum ist eine unbewegliche Sache, die in äußerlich erkennbarer Weise mittels Schutzwehren gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert ist. Die Wehr muß aber gegen das Betreten von außen gerichtet, nicht nur dazu bestimmt sein, ein Ausbrechen nach außen zu verhindern, wie im Falle einer eingezäunten Kuhweide. 5 3 Die Schutzwehr braucht nicht lückenlos zu sein, doch muß sie so weit gehen, daß der Sicherungscharakter klar wird. Ein bloßes Verbotsschild genügt dafür nicht. Auch sog. Abbruchhäuser sind befriedete Besitztümer, solange die vorhandenen Vorrichtungen erkennen lassen, daß der Berechtigte das Betreten durch Dritte verhindern will. - Ist das Haus hingegen derart verwahrlost, daß Türen und Fenster weitgehend fehlen und eine einheitliche Sperrvorrichtung nicht mehr erkennbar ist, so ist das Haus kein befriedetes Besitztum i.S. dieser V o r s c h r i f t . 5 4

7

dd) Abgeschlossene Räume sind zum öffentlichen Dienst bestimmt, wenn in ihnen Tätigkeiten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften ausgeübt werden, z.B. Schulen, Universitäten, Gerichtsgebäude, nicht aber eine öffentlich-rechtlich betriebene Tiefgarage, da die Tätigkeit des Garagenwächters nicht die Nutzung des Raumes kennzeichnet. 55 Zum öffentlichen Verkehr bestimmte abgeschlossene Räume sind gleichfalls nicht nur Geschäftsräume und Gebäudeteile, sondern auch dem öffentlichen Verkehr dienende Räume, wie z.B. Bahnhofshallen, Eisenbahnwagen, Straßenbahnwagen, Autobusse, Parkhäuser u.ä. - Daß das dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen auch von einer Privatperson betrieben werden kann, ist bedeutungslos.

8

ee) Sog. Zubehörflächen, die selbst nicht abgeschlossen sind (z.B. Höfe, Vorgärten, Kaufhauspassagen), sind dann in den Schutz einbezogen, wenn sie örtlich und funktional so eng mit dem geschützten Objekt verbunden sind, daß sie für jedermann erkennbar mit diesem eine Einheit bilden, auch wenn ihr Betreten nicht durch besondere Schutzwehr erschwert ist. 56 - Bei einer privaten Zufahrtsstraße zu einem Werk ist dieser enge Zusammenhang aber nicht mehr gegeben. 57 51

Dazu HEINRICH JR 1997 S. 92 ff.

52

Dazu RGSt 12 S. 132 f.

53

Dazu BayObLG JR 1969 S. 466 mit Anm. SCHRÖDER S. 467 f.

54

Vgl. OLG H a m m N J W 1982 S. 1824 u. 2676; OLG Köln N J W 1982 S. 2674 mit Anm. DEGENHART JR 1984 S. 30; O L G Düsseldorf N J W 1982 S. 2680; A G Wiesbaden N J W 1991 S. 188. - Eingehend zu der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur: SCHALL N S t Z 1983 S. 241 ff.

55

Vgl. ALLGAIER M D R 1987 S. 723. - A.A. BayObLG N J W 1986 S. 2065.

56

So auch B a y O b L G M D R 1969 S. 778; O L G Oldenburg N J W 1985 S. 1352; BLOY JR 1986 S. 81; KREY B . T . 1, R d n . 4 3 2 a ; LACKNER/KÜHL § 123 R d n . 3; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 1 2 3 R d n . 13. - A . A . AMELUNG J Z 1 9 8 6 S. 2 4 7 f f ; DERS. N J W 1986 S . 2 0 7 9 ; ARZT in: A r z t / W e b e r , L H 1, R d n . 4 7 3 ; BEHM G A 1986 S. 5 4 7 f f ; DERS. JUS 1 9 8 7 S. 9 5 0 f f ; VOLK J R 1981 S. 167 f.

57

136

Vgl. BayObLG N J W 1995 S. 269.

§35

Hausfriedensbruch

2. Widerrechtliches

Eindringen

a) Eindringen setzt voraus, daß der Täter - zumindest mit einem Teil des Körpers - gegen den Willen des Berechtigten in die geschützte Sphäre gelangt ist. - Der Wille des Berechtigten kann ausdrücklich oder konkludent erklärt sein, er kann auch aufgrund einer Wertung der Gesamtumstände vermutet werden. Stets geht es aber um eine Verletzung des realen Willens des Berechtigten, auch dann, wenn dieser - mangels positiver Kenntnis nur vermutet wird. § 123 ist seinem Wesen nach ein formales Willensbruchsdelikt. Das deliktische Verhalten ist gegen den real entgegenstehenden Willen des Berechtigten gerichtet. - Hat der Berechtigte seinen Willen erklärt, so kommt es nicht auf den sog. wahren, nämlich einen hypothetischen Willen des Berechtigten an, es sei denn, seiner Erklärung kommt deshalb nicht der Sinngehalt einer Verfügung zu, weil er sich nur der Gewalt beugt und eine Verteidigung seines Hausrechts als sinnlos empfindet, da der Täter unabhängig von seiner "Zustimmung" eindringen würde. Im übrigen gilt: Genausowenig wie eine irrtumsbedingte Verfügung über eine Sache eine Gewahrsamsübertragung zu einem Gewahrsamsbruch macht, macht ein Irrtum bei der Erklärung des Einverständnisses zum Betreten der häuslichen Sphäre dieses zum widerrechtlichen Eindringen.58

9

Vereitelt jemand durch Täuschung die Durchsetzung eines gegen ihn individuell aus- 10 gesprochenen Hausverbots, so ändert dieses am Eindringen nichts, denn durch sein Verhalten wird das konkrete Verbot nicht beseitigt. 59 Die Begehung der Tat durch unechtes Unterlassen ist möglich für den Fall, daß ein Ga- 11 rant, dem die Beaufsichtigung eines anderen obliegt, das Betreten der geschützten Sphäre durch diesen nicht hindert. Bloßes Verweilen in einem Raum nach Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis ist hingegen nicht als Eindringen tatbestandsmäßig.60 b) Eindringen ist ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten. Die Zustimmung des 12 Berechtigten (Einverständnis) steht daher bereits der Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals entgegen. Die Widerrechtlichkeit des Eindringens bzw. die fehlende Befugnis zum Verweilen sind 13 allgemeine Verbrechensmerkmale. Sie werden durch das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeschlossen. Ein Recht zum Betreten öffentlicher Dienst- und Verkehrsräume kann sich aus der öffentlichen ZweckbeStimmung dieser Räume ergeben. Diese Zweckbestimmung kann der Ausschließung Einzelner entgegenstehen, soweit sie sich im Rahmen der Zweckbestimmung halten. Daher liegt ein rechtswidriges Eindringen vor, wenn sich das Überschreiten der Zutrittserlaubnis bereits aus den äußeren Umständen ergibt, z.B. beim nächtlichen Einsteigen in die Schule oder Universität durch Schüler bzw. Studenten.

14

Ist einem Anstaltsnutzer oder einem Anstaltsangehörigen gegenüber ein Hausverbot durch Verwaltungsakt erlassen worden, so ist ein Verstoß hiergegen ein widerrechtliches Eindringen, wenn der Betroffene keinen Widerspruch mit aufschiebender Wirkung eingelegt hat oder der Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt worden ist. Die bloße Möglichkeit, die Wirksamkeit des Hausverbots aufschiebend zu beseitigen, be-

15

5 8

V g l . AMELUNG N S t Z

1 9 8 5 S . 4 5 7 f; BERNSMANN J u r a

1 9 8 1 S . 4 0 3 f; BOHNERT G A

1983 S.

14;

GEERDS J R 1 9 8 2 S . 1 8 5 ; GEPPERT J u r a 1 9 8 9 S . 3 8 0 f ; H Ä U F B . T . I I , S . 1 4 8 ; K ü p p e r B . T . 1 , 1 § 5 R d n . 11; OSTENDORF J u S 1 9 8 0 S . 6 6 4 ; O T T O N J W 1 9 7 3 S . 6 6 8 ; DERS. J u r a 1 9 8 6 S . 3 3 3 f; STÜCKEMANN J R

1973 S. 414; TRÖNDLE StGB, § 123 Rdn. 10; WESSELS B.T./l, Rdn. 578. - A.A. B G H NStZ-RR 1997 S . 9 7 ; O L G M ü n c h e n N J W 1 9 7 2 S . 2 2 7 5 ; RUDOLPHI S K II, § 1 2 3 R d n . 18; SCHALL S c h u t z f u n k t i o n e n ,

S. 143 f; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 123 Rdn. 27. 59

Vgl. auch SCH/SCH/LENCKNER § 123 Rdn. 24. - A.A. SCHILD N S t Z 1986 S. 346 ff.

60

Vgl. dazu auch BERNSMANN Jura 1981 S. 405; RUDOLPHI SK II, § 123 Rdn. 19; SEIER JA 1978 S. 624. - A . A . B G H S t 2 1 S . 2 2 4 ; JANISZEWSKI J A 1 9 8 5 S . 5 7 0 f ; L A C K N E R / K Ü H L § 1 2 3 R d n . 5 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 1 2 3 R d n . 13.

137

§35

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

rechtigt als solche nicht zum weiteren Betreten. 6 ' - Ob der Verwaltungsakt sich in einem späteren Prozeß als rechtswirksam erweist, ist demgegenüber u n b e a c h t l i c h . 16

Für das Recht zum Betreten privater Räume können z.B. §§ 102, 103 StPO Bedeutung haben. Auch der rechtfertigende Notstand kann eingreifen, doch können mit seiner Hilfe nicht die Voraussetzungen der speziellen Durchsuchungsrechte nach der StPO umgangen werden.

3. Verweilen ohne Befugnis 17 Verweilen ohne Befugnis ist Aufenthalt ohne Berechtigung hierzu. Nach Ablauf eines Miet- oder Nutzungsvertrags verweilt der ehemals Berechtigte so lange nicht ohne Befugnis in den Räumen, wie er nach der Rechtsordnung Räumungsschutz genießt. Maßt er sich nach Ablauf dieser Frist ein selbständiges Recht an, z.B. durch Besetzung der Räume, so verweilt er von diesem Moment an ohne Befugnis

18 Die Aufforderung zum Verlassen der geschützten Räume kann auch konkludent erfolgen. 4. Konkurrenzen 19 a) Die 2. Alternative des Tatbestandes ist gegenüber der 1. Alternative subsidiär. 20 b) Wenn mehrere Straftaten während des Hausfriedensbruchs begangen werden, können diese - je nach ihrem Schweregrad - mit demselben in Real- oder Idealkonkurrenz stehen. 64 5. Zum Strafantrag: § 123 Abs. 2.

II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 1. Geschütztes

Rechtsgut

21 Die Vorschrift schützt neben dem Hausrecht auch den öffentlichen Frieden. 2. Einzelheiten des

Tatbestandes

22 a) Menschenmenge ist eine Personenmehrheit, deren Zahl nicht mehr sofort überschaubar ist. Maßgeblich ist, daß diese Personenmehrheit aufgrund ihres räumlichen Zusammenhangs bei Außenstehenden als räumlich verbundenes Ganzes erscheint. Eine Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein 65 , doch dürften gut 20 Personen im Regelfall schon eine Menge ergeben, unter bes. Umständen auch schon 15 Personen. 66 - Eine Menschenmenge rottet sich zusammen, wenn sie zu einem gewaltsamen oder bedrohlichen Zweck zusam-

61

A.A. OLG Hamm NJW 1979 S. 728.

62

Dazu im einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1776; OVG Lüneburg NJW 1975 S. 136; OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 116; OLG Hamburg NJW 1978 S. 2520; OLG Hamburg NJW 1980 S. 1007 mit A n m . OEHLER J R 1 9 8 1 S . 3 3 f; O L G K a r l s r u h e JR 1 9 8 0 S . 3 4 2 m i t A n m . SCHWABE S . 3 4 4 f; BERNSMANN Jura 1 9 8 1 S . 4 6 6 f f ; SCHALL S c h u t z f u n k t i o n , S . 2 6 f f ; TIEDEMANN J Z 1 9 6 9 S . 7 1 7 f f .

63

Vgl. OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 1088 mit Anm. DÖLLING JR 1992 S. 167 f, OTTO JK 91, StGB

64

Eingehend dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 23 Rdn. 22 ff.

65

Unter besonders unübersichtlichen Umständen können 10 Personen genügen; BGH NStZ 1994 S. 483.

66

Vgl. BGHSt 33 S. 308; LG Frankfurt StV 1983 S. 463.

§ 123/5.

138

Bedrohung

§36

mentritt, wobei der friedensstörende Wille äußerlich erkennbar in Erscheinung treten muß. - Öffentlich ist das Zusammenrotten, wenn für eine unbestimmte Zahl von Personen die Möglichkeit der Beteiligung besteht. b) Täter ist jeder, der an der Zusammenrottung und dem widerrechtlichen Eindringen teil- 23 nimmt. Das bedeutet: aa) Der Täter muß sich in Kenntnis des Zwecks der Rotte anschließen oder in ihr verbleiben und dadurch deren friedensstörende Ziele fördern. 67 bb) Er muß sich beim Eindringen der Menge anschließen. Mit "eigenem Fuß" braucht er die geschützten Räume aber nicht betreten zu haben. Es genügt, daß ihm das Eindringen anderer nach den Regeln der Mittäterschaft zugerechnet wird. 68 c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter Vorsaltz genügt. - Die Absicht 24 zur Begehung von Gewalttaten braucht der Täter nicht selbst zu haben. d) Konkurrenzen: Idealkonkurrenz mit § 125 ist möglich. 25

§ 36: Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des § 241 ist der persönliche Rechtsfrieden des Einzelnen,69

1

II. Die Tathandlung 1. Drohung mit einem Verbrechen, § 241 Abs. 1 Bestraft wird die Ankündigung eines künftigen Verhaltens, das die Merkmale eines Verbrechens, § 12 Abs. 1, aufweist, auf dessen Begehung der Drohende Einfluß zu haben vorgibt. - Das Verbrechen muß sich angeblich gegen den Bedrohten oder eine dem Bedrohten nahestehende Person richten. Die nahestehende Person muß real existieren. 70 a) Der Vorbehalt des Drohenden, die Drohung nicht zu realisieren, ist unbeachtlich. b) Daß der Bedrohte die Drohung ernst nimmt, ist nicht erforderlich, da es sich bei der Tat um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. 71 2. Vortäuschen eines Verbrechens, § 241 Abs. 2 Da der Rechtsfriede des Betroffenen in gleicher Weise bedroht ist, wenn der Täter vortäuscht, es stehe unmittelbar oder in nächster Zeit ein Verbrechen gegen den Betroffenen oder eine ihm nahestehende Person durch einen Dritten, auf den der Täter keinen Einfluß hat, bevor, stellt Abs. 2 die Vortäuschung eines Verbrechens wider besseres Wissen der Androhung eines Verbrechens i.S. des Abs. 1 gleich. - Auch hier ist nicht erforderlich, daß die schuldhafte Begehung eines Verbrechens angekündigt wird. 67

Dazu BGH NJW 1954 S. 1694.

68

Dazu RGSt 55 S. 35.

69

A.A. SCHROEDER Lackner-FS, S. 671: Willensentschließungsfreiheit.

70

Vgl. BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) NJW 1995 S. 2776 mit Anm. KÜPER JUS 1996 S. 783 ff, OTTO JK 96, StGB § 1/14. - Das zutreffende Ergebnis der Entscheidung ändert nichts daran, daß das BVerfG mit der Auslegung einfachen Rechts in den Kompetenzbereich der Fachgerichte eingegriffen hat.

71

Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 22; SCH/SCH/ESER § 241 Rdn. 2, 15.

139

2

3 4

5

Bedrohung

§36

mentritt, wobei der friedensstörende Wille äußerlich erkennbar in Erscheinung treten muß. - Öffentlich ist das Zusammenrotten, wenn für eine unbestimmte Zahl von Personen die Möglichkeit der Beteiligung besteht. b) Täter ist jeder, der an der Zusammenrottung und dem widerrechtlichen Eindringen teil- 23 nimmt. Das bedeutet: aa) Der Täter muß sich in Kenntnis des Zwecks der Rotte anschließen oder in ihr verbleiben und dadurch deren friedensstörende Ziele fördern. 67 bb) Er muß sich beim Eindringen der Menge anschließen. Mit "eigenem Fuß" braucht er die geschützten Räume aber nicht betreten zu haben. Es genügt, daß ihm das Eindringen anderer nach den Regeln der Mittäterschaft zugerechnet wird. 68 c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter Vorsaltz genügt. - Die Absicht 24 zur Begehung von Gewalttaten braucht der Täter nicht selbst zu haben. d) Konkurrenzen: Idealkonkurrenz mit § 125 ist möglich. 25

§ 36: Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des § 241 ist der persönliche Rechtsfrieden des Einzelnen,69

1

II. Die Tathandlung 1. Drohung mit einem Verbrechen, § 241 Abs. 1 Bestraft wird die Ankündigung eines künftigen Verhaltens, das die Merkmale eines Verbrechens, § 12 Abs. 1, aufweist, auf dessen Begehung der Drohende Einfluß zu haben vorgibt. - Das Verbrechen muß sich angeblich gegen den Bedrohten oder eine dem Bedrohten nahestehende Person richten. Die nahestehende Person muß real existieren. 70 a) Der Vorbehalt des Drohenden, die Drohung nicht zu realisieren, ist unbeachtlich. b) Daß der Bedrohte die Drohung ernst nimmt, ist nicht erforderlich, da es sich bei der Tat um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. 71 2. Vortäuschen eines Verbrechens, § 241 Abs. 2 Da der Rechtsfriede des Betroffenen in gleicher Weise bedroht ist, wenn der Täter vortäuscht, es stehe unmittelbar oder in nächster Zeit ein Verbrechen gegen den Betroffenen oder eine ihm nahestehende Person durch einen Dritten, auf den der Täter keinen Einfluß hat, bevor, stellt Abs. 2 die Vortäuschung eines Verbrechens wider besseres Wissen der Androhung eines Verbrechens i.S. des Abs. 1 gleich. - Auch hier ist nicht erforderlich, daß die schuldhafte Begehung eines Verbrechens angekündigt wird. 67

Dazu BGH NJW 1954 S. 1694.

68

Dazu RGSt 55 S. 35.

69

A.A. SCHROEDER Lackner-FS, S. 671: Willensentschließungsfreiheit.

70

Vgl. BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) NJW 1995 S. 2776 mit Anm. KÜPER JUS 1996 S. 783 ff, OTTO JK 96, StGB § 1/14. - Das zutreffende Ergebnis der Entscheidung ändert nichts daran, daß das BVerfG mit der Auslegung einfachen Rechts in den Kompetenzbereich der Fachgerichte eingegriffen hat.

71

Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 22; SCH/SCH/ESER § 241 Rdn. 2, 15.

139

2

3 4

5

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§37

3. Der subjektive 6

Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muß das angedrohte Verbrechen nicht selbst als Verbrechen i.S. des StGB bewerten, es genügt, wenn er sich der Umstände bewußt ist, die diese Tat zum Verbrechen machen. 7 2 4.

7

Tatbestand

Konkurrenzen

Idealkonkurrenz möglich mit § 126. - § 241 Abs. 1 wird von §§ 113, 177, 240, 253 konsumiert, auch wenn nur ein Versuch dieser Taten vorliegt. 73

§ 37: Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a 1 2

3

1. Geschütztes Rechtsgut ist die Schutzmöglichkeit der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat.14 2. Ob politische Gründe vorliegen, ist materiell zu bestimmen. Die Kaschierung einer politischen Verfolgung als Verfolgung einer unpolitischen Straftat ist daher unbeachtlich. Eine Verfolgung aus politischen Gründen liegt vor, wenn die Verfolgung durch kein Gesetz erlaubt ist, ihre Rechtsgrundlage mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Widerspruch steht oder wenn unter dem Deckmantel der Sühne kriminellen Unrechts politische Zwecke bzw. die Sicherung und weitere Entwicklung eines totalitären Regimes durch Zwangsmaßnahmen verfolgt werden. 7 5 In der DDR erstattete Anzeigen wegen Republikflucht erfüllen nach Auffassung des B G H nur in seltenen Ausnahmefällen den Tatbestand. Da der B G H davon ausgeht, daß ein Richter wegen Freiheitsberaubung nur zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn er eine Rechtsbeugung begangen habe, 7 ^ diese aber eine schwere und offensichtliche Menschenrechtsverletzung voraussetze, 7 ' müsse diese Restriktion auch für einen Anzeigenerstatter g e l t e n . 7 8 Soweit der Tatbestand aber erfüllt ist, gilt das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn die Tat in der D D R gegen einen DDR-Bürger begangen wurde.

II. Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h 4

Zum geschützten Rechtsgut vgl. unter Rdn. 1. - Zum Teil wird das geschützte Rechtsgut des § 109 h in der Erhaltung der Wehrkraft, z.T. in der Erhaltung der Neutralität der Bundesrepublik Deutschland gesehen. 8 0 72

Dazu BGHSt 17 S. 307.

73

Vgl. O L G Koblenz M D R 1984 S. 1040; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 16 Rdn. 7.

74

Dazu HARDWIGGA 1955 S. 140 ff.

75

Vgl. LG Koblenz NStZ 1983 S. 508.

76

Vgl. BGHSt 10 S. 298; 32 S. 364; 40 S. 125.

77

Vgl. BGHSt 40 S. 30.

78

Vgl. BGHSt 40 S. 125 mit krit. Anm. REIMER N S t Z 1995 S. 8 4 f , SEEBODE J Z 1 9 9 5 S . 4 1 7 , WASSERMANN N J W 1 9 9 5 S. 9 3 1 f f ; B G H N S t Z 1 9 9 5 S. 2 8 9 .

79

BGHSt 40 S. 125; B G H NStZ 1997 S. 435 mit Anm. SCHROEDER S. 436 f.

80

W i e h i e r HARDWIG G A 1 9 5 5 S. 1 4 0 ff z u § § 141, 144 a . F .

140

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§37

3. Der subjektive 6

Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muß das angedrohte Verbrechen nicht selbst als Verbrechen i.S. des StGB bewerten, es genügt, wenn er sich der Umstände bewußt ist, die diese Tat zum Verbrechen machen. 7 2 4.

7

Tatbestand

Konkurrenzen

Idealkonkurrenz möglich mit § 126. - § 241 Abs. 1 wird von §§ 113, 177, 240, 253 konsumiert, auch wenn nur ein Versuch dieser Taten vorliegt. 73

§ 37: Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a 1 2

3

1. Geschütztes Rechtsgut ist die Schutzmöglichkeit der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat.14 2. Ob politische Gründe vorliegen, ist materiell zu bestimmen. Die Kaschierung einer politischen Verfolgung als Verfolgung einer unpolitischen Straftat ist daher unbeachtlich. Eine Verfolgung aus politischen Gründen liegt vor, wenn die Verfolgung durch kein Gesetz erlaubt ist, ihre Rechtsgrundlage mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Widerspruch steht oder wenn unter dem Deckmantel der Sühne kriminellen Unrechts politische Zwecke bzw. die Sicherung und weitere Entwicklung eines totalitären Regimes durch Zwangsmaßnahmen verfolgt werden. 7 5 In der DDR erstattete Anzeigen wegen Republikflucht erfüllen nach Auffassung des B G H nur in seltenen Ausnahmefällen den Tatbestand. Da der B G H davon ausgeht, daß ein Richter wegen Freiheitsberaubung nur zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn er eine Rechtsbeugung begangen habe, 7 ^ diese aber eine schwere und offensichtliche Menschenrechtsverletzung voraussetze, 7 ' müsse diese Restriktion auch für einen Anzeigenerstatter g e l t e n . 7 8 Soweit der Tatbestand aber erfüllt ist, gilt das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn die Tat in der D D R gegen einen DDR-Bürger begangen wurde.

II. Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h 4

Zum geschützten Rechtsgut vgl. unter Rdn. 1. - Zum Teil wird das geschützte Rechtsgut des § 109 h in der Erhaltung der Wehrkraft, z.T. in der Erhaltung der Neutralität der Bundesrepublik Deutschland gesehen. 8 0 72

Dazu BGHSt 17 S. 307.

73

Vgl. O L G Koblenz M D R 1984 S. 1040; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 16 Rdn. 7.

74

Dazu HARDWIGGA 1955 S. 140 ff.

75

Vgl. LG Koblenz NStZ 1983 S. 508.

76

Vgl. BGHSt 10 S. 298; 32 S. 364; 40 S. 125.

77

Vgl. BGHSt 40 S. 30.

78

Vgl. BGHSt 40 S. 125 mit krit. Anm. REIMER N S t Z 1995 S. 8 4 f , SEEBODE J Z 1 9 9 5 S . 4 1 7 , WASSERMANN N J W 1 9 9 5 S. 9 3 1 f f ; B G H N S t Z 1 9 9 5 S. 2 8 9 .

79

BGHSt 40 S. 125; B G H NStZ 1997 S. 435 mit Anm. SCHROEDER S. 436 f.

80

W i e h i e r HARDWIG G A 1 9 5 5 S. 1 4 0 ff z u § § 141, 144 a . F .

140

Zweites Kapitel

Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen) Erster Abschnitt

Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte § 38: Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut 1. Geld- oder Gebrauchswert als Grundlage des Vermögensbegrijfs Unter der Bezeichnung "Vermögensdelikte" wird allgemein die Gruppe jener Delikte zusammengefaßt, die sich gegen das "Vermögen" eines Rechtssubjekts richten. Je nachdem, ob ein Tatbestand das Vermögen umfassend oder nur in begrenztem Umfang - z.B. Eigentum, Besitz, Aneignungsrechte o.a. - schützt, wird herkömmlich zwischen den Delikten gegen das gesamte Vermögen und den Delikten gegen einzelne Vermögensobjekte unterschieden. Voraussetzung dieser Differenzierung scheint ein einziger, einheitlicher Vermögensbegriff zu sein. In Wirklichkeit gehen h.L. und Rechtsprechung jedoch von zwei verschiedenen Vermögensbegriffen aus: Durch die Delikte gegen das gesamte Vermögen, z.B. durch Betrug oder Erpressung, sollen nur geldwerte Objekte geschützt sein, während sich z.B. Diebstahl und Raub auch gegen Sachen ohne Geldwert, sog. Sachen mit bloßem Affektionswert, richten können. Das bedeutet: Bei den Delikten gegen das gesamte Vermögen wird der Vermögensbegriff vom Geldwert, von der Umsatzmöglichkeit her bestimmt, bei anderen Delikten vom Gebrauchswert her. Die Sachgerechtigkeit dieser Differenzierung erscheint jedoch zweifelhaft. Denn unabhängig von der Ausgestaltung des strafrechtlichen Schutzes im einzelnen ist zunächst die grundsätzliche Frage zu stellen, ob durch den Schutz des Vermögens als einer einheitlichen Wertsumme oder einer personal strukturierten sachlichen Einheit die Aufgaben der Strafrechtsordnung am angemessensten realisiert werden können. Sodann erst ist zu überlegen, ob im Einzelfall - aus besonderen Gründen - die grundsätzlich angemessene Regelung zurücktreten muß. - Ausgangspunkt der Überlegung muß die Besinnung auf die Funktion des Strafrechts sein. Die Aufgabe des Strafrechts wurde in seiner Schutzfunktion gesehen, die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen in der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Entfaltung der Persönlichkeit setzt auch die Möglichkeit des Umgangs mit Sachen voraus, denn in diesem Umgang wird sich die Person ihrer Fähigkeit zur Gestaltung ihrer Umwelt bewußt. Insoweit wird durch das Wort Vermögen "unmittelbar das Wesen der Sache selbst ausgedrückt, die durch das Daseyn jener Rechte uns zuwachsende Macht, das was wir durch sie auszurichten imstand sind oder vermögen" (SAVIGNY). Vermögen in diesem Sinne ist "gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung", die auf den wirtschaftlichen Bereich bezogen ist, sofern die Objekte, auf die die Entfaltungsmöglichkeit gerichtet ist, Güter des wirtschaftlichen Bereiches sind. Geldwerte Güter sind nur eine Untergruppe dieser Güter, da der Geldwert nur das Ergebnis einer einzigen wirtschaftlichen Funktion ist, nämlich der, mit dem Gut am Handelsverkehr teilzunehmen. 141

1

2

3

4

§38

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter des Einzelnen

5

Daß es sich bei dem Geldwert einer Sache nur um eine Teilfunktion handelt, wird z.B. darin sichtbar, daß eine auf den Geldwert einer Sache bezogene Sozialbindung - wie sie Art. 14 GG vorsieht - eine geradezu unsinnige Vorstellung ist, während eine Sozialbindung bestimmter Gebrauchsmöglichkeiten eines Vermögensobjekts zu den selbstverständlichen Bestandteilen einer Rechtsordnung gehört, wie z.B. Wettbewerbsund Kartellrecht zeigen.

6

Ein Strafrecht, das den Schutz der Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums innerhalb eines gesellschaftlichen Bezuges gewährleisten will, würde eine weite Sphäre des wirtschaftlichen Bereiches schutzlos preisgeben, wenn es seinen Schutz allein auf den Geldwert beziehen würde. Den umfassenderen Schutz der Persönlichkeit bietet die Anknüpfung des Schutzes am Gebrauchswert. Vermögen in diesem Sinne ist eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Sie konstituiert sich in von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden, d.h. die Gegenstand eines Rechtsgeschäfts "Tausch gegen Geld" sein können. 1 - Das bedeutet: Vermögen ist wirtschaftliche Potenz des Rechtssubjekts, die auf der Herrschaftsgewalt über Objekte beruht, die die Rechtsgesellschaft als selbständige Objekte des Wirtschaftsverkehrs ansieht. Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich (sog. personaler Vermögensbegriff). 2

7

2. Die Verletzung des Rechtsguts "Vermögen " 8

9

Ein Vermögensschaden setzt stets eine Verringerung der wirtschaftlichen Potenz des Vermögensträgers voraus. - Diese Verringerung wirtschaftlicher Potenz braucht sich nicht in einer Geldsumme auszudrücken. Es genügt, daß eine wirtschaftliche Disposition zur Verfügung über wirtschaftliche Mittel führt, ohne daß der vom Berechtigten gewollte wirtschaftliche Zweck erreicht wird. Die wirtschaftliche Zweckverfehlung ist das Kriterium des Schadens, nicht ein irgendwie gearteter geldlicher Minderwert, obwohl - das darf nicht übersehen werden - oftmals beide identisch sein werden. Die Zweckverfehlung selbst ist insoweit subjektiv zu bestimmen, als die maßgebliche Zwecksetzung die des Berechtigten ist. Sie ist zugleich objektiv zu begründen, da die Feststellung, ob ein wirtschaftlicher Erfolg eingetreten ist und wie weit wirtschaftliche Zwekke des Berechtigten realisiert worden sind, aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters erfolgt. Ist über die Erzielung eines bestimmten wirtschaftlichen Zwecks eine Einigung mehrerer Personen zustandegekommen, so bestimmt sich der relevante Zweck nach dieser Abrede. Die bloß fehlgeschlagene Disposition als solche ist noch kein Schaden.

II. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte 1. Die Struktur der Vermögensdelikte 10 Wird von einem einheitlichen Vermögensbegriff als Rechtsgut der Vermögensdelikte ausgegangen, so läßt sich zwar zwischen Delikten gegen spezielle Vermögenswerte und geHierzu auch NELLES Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 437; NIGGLI Das Verhältnis von Eigentum, Vermögen und Schaden nach schweizerischem Strafgesetz, 1993, S. 59, 120 ff. - Streng auf die Gebrauchsmöglichkeit stellt ab: WINKLER Der Vermögensbegriff beim Betrug und das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, 1995, S. 175 ff, 180. Zur Entwicklung des personalen Vermögensbegriffs im einzelnen: OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 26 - 84.

142

Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte

§38

gen das Vermögen insgesamt unterscheiden. Mehr als eine Aufzählung ist durch diese Differenzierung aber nicht zu gewinnen. Gleiches gilt für den Versuch einer Systematisierung von der Begehungsweise und vom Tatobjekt her 3 , auch wenn hier durchaus ein Gewinn an Übersichtlichkeit erzielt wird. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn nach der unterschiedlichen Weise des Angriffs auf 11 das geschützte Rechtsgut unterteilt wird. Unabhängig von der Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände zeigen sich zwei in der Struktur verschiedene Weisen des Angriffs auf das Vermögen: Die Entziehung von Vermögen und die Perpetuierung einer rechtswidrigen Vermögenslage. Diesen Angriffsweisen entsprechen die Vermögensentziehungsund die Perpetuierungsdelikte. 2. Die beiden Gruppen der

Vermögensdelikte

a) Die Vermögensentziehungsdelikte sind ausnahmslos gekennzeichnet durch den realen, 12 nachweisbaren Entzug eines Vermögensobjekts, sei es, daß das Objekt vom Berechtigten auf eine andere Person übergeht (Vermögensverschiebung) oder lediglich zerstört oder beschädigt wird (bloße Vermögensentziehung). Der reale Vermögensschaden auf der Seite des Opfers des Delikts kennzeichnet diese Delikte, zu denen z.B. §§ 242, 253, 263, 303 gehören. b) Kein realer, über die schon erfolgte Vermögensentziehung hinausgehender Vermö- 13 gensschaden tritt hingegen durch ein sog. Perpetuierungsdelikt ein. Die Beeinträchtigung fremden Vermögens geschieht gerade nicht durch Entziehung einer Vermögensposition. Hier geht es dem Gesetzgeber vielmehr darum, Verhaltensweisen zu verpönen, die das Vermögen des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer tatbestandsmäßig und rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage beeinträchtigen. Die bewußte Verhinderung der Wiederherstellung der rechtmäßigen Vermögenslage oder die Weiterverschiebung deliktisch erlangter Vermögensobjekte kennzeichnet das hier strafwürdige Verhalten, das der Gesetzgeber z.B. in §§ 257, 259 erfaßt hat.

III. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte Etwa 30 % der jährlichen Verurteilungen - ohne Berücksichtigung der Verkehrsdelikte 14 sogar fast 60 % - erfolgen wegen eines Vermögensdelikts. - Die Verurteiltenstatistik gibt jedoch nur einen unvollständigen Einblick in die Verbrechenswirklichkeit. Unabhängig von der Tatsache, daß eine Dunkelziffer von 1 : 5 im Bereich des Vermögensstrafrechts sicher nicht zu hoch angesetzt ist, führt auch nur ein geringer Teil der als Straftaten erkannten Taten zu einer Verurteilung des Täters wegen dieser Tat. Die Zahl der erfaßten Straftaten (E) und der Tatverdächtigen (T) sind der jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegebenen "Polizeilichen Kriminalstatistik" zu entnehmen, die Zahl der Verurteilten (V) ergibt sich aus der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Übersicht. 4 Ab 1992 sind auch die neuen Bundesländer berücksichtigt.

J

Dazu SCHROEDER Jura 1987 S. 113 ff, 116.

4

Fachserie 10: Rechtspflege, Reihe 3: Strafverfolgung.

143

%

§ 38

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

1. Verbrechen u. Vergehen ohne Verkehrsdelikte

E. T. V.

1978 3.380.516 1.271.025 407.000

1987 4.444.108 1.290.441 437.611

1992 6.291.519 1.833.069 451.014

1995 6.668.717 2.118.104 497.935

2. Diebstahl ohne erschw. Umstände, §§ 242, 247,

E. T. V.

1.067.423 392.877 122.768

1.060.957 409.981 123.106

1.557.393 646.745 134.717

1.530.796 664.437 122.967

E.

1.147.992 176.856 39.588

1.729.892

2.381.036 158.557 28.154

2.317.512

118.945 35.527

E. T. V.

33.474 26.237

49.846 36.503

61.525 43.177

67.738 47.557

6.235

6.995

6.683

7.479

5. Raub, räuberische Erpressung u. räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § § 2 4 9 - 252, 255, 316a

E. T. V.

21.648 16.699 5.113

28.122 17.233 5.491

56.515 29.076 6.313

63.470 37.897 7.516

6. Betrug, §§ 263, 263a, 264, 264a, 265, 265a, 265b

E. T. V.

228.989 156.121

451.248 258.234

40.133

358.493 216.770 66.468

623.182 309.311 80.664

E. T. V.

3.220 2.167 422

2545 2.118 401

3.956 3.352 365

6.414

248 a - c 3. Diebstahl u. unbefugte Ingebrauchnahme von Kfz unter erschw. Umständen, §§ 243 - 244a 4.

7.

Unterschlagung

Erpressung

65.176

175.727 31.334

5.469 563

8.

Untreue

E. T. V.

3.239 2.409 1.461

4.311 3.953 1.677

5.066 4.308 1.454

9.972 5.295 1.678

9.

Sachbeschädigung

E. T. V.

280.954 81.947 8.068

386.309 92.403 9.050

585.050 121.128 8.489

607.909 148.389 9.111

E. T. V.

20.775

30.445 27.523 6.729

29.224 26.132 5.487

28.204 27.309 5.657

10. Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei 16

T. V.

19.139 6.084

Vergegenwärtigt man sich, daß der einfache Diebstahl und der schwere Diebstahl zusammen 2/3 der bekanntgewordenen Verbrechen und Vergehen ausmachen, so dürfte bewußt werden, wie sehr diese Verhaltensweisen die soziale Realität tangieren.

144

Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte

§ 39

Zweiter Abschnitt Die Vermögensentziehungsdelikte § 39: Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Diebstahlstatbestände und der Unterschlagung ist die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. - Diese Position hat inne, wer seine Sachherrschaftsposition nicht aus dem Rechte eines anderen herleitet, sondern selbständige, umfassende Herrschaft ausübt. Das Sachherrschaftsverhältnis kennzeichnet damit jenen Sachverhalt, der zivilrechtlich positiviert in § 903 BGB als Eigentumsrecht erfaßt wird. Die tatsächlichen Herrschaftsmöglichkeiten, die das Eigentumsrecht gewährleistet, sind aber nicht identisch mit dem Eigentumsrec/jf. Rechtsgut ist daher nicht das Eigentum i.S. des Eigentumsrechts, denn das Eigentumsrecht selbst wird z.B. durch einen Diebstahl nicht verletzt.1 Es bleibt auch nach dem Diebstahl bestehen, §§ 985, 935 BGB. Die Ausübung der Sachherrschaft ist aber nach dem Diebstahl dem Eigentümer unmöglich geworden. An seine Stelle ist der Dieb getreten. Auch der Gewahrsam ist mit der tatsächlichen, umfassenden Sachherrschaft nicht identisch. Gewahrsam hat auch, wer sein Besitzrecht vom Eigentümer ableitet. Diesen Gewahrsam kann der Eigentümer rechtswidrig brechen, ohne damit zum Dieb zu werden, denn Gegenstand des Diebstahls sind nur fremde Sachen. - Der Gewahrsam ist kein selbständiges Schutzobjekt des Diebstahls.2 Konsequenzen hat die unterschiedliche Bestimmung des geschützten Rechtsguts für die Frage nach dem Verletzten und damit Antragsberechtigten im Rahmen der §§ 247, 248 a. Fall: B hat gutgläubig eine dem X vor langer Zeit gestohlene Uhr erworben. A stiehlt dem B die Uhr.

1

2

3

4

5 6

Nach h.M.: Geschädigt durch die Tat: B und X. Soweit im Eigentumsrecht das geschützte Rechtsgut gesehen wird: Geschädigt allein X. Nach der hier entwickelten Auffassung: Geschädigt allein der B, da die Sachherrschaftsposition des X durch die Tat des A nicht verschlechtert wurde. - Zu weiteren Konsequenzen: unter § 43 Rdn. 7 ff.

II. Systematischer Überblick 1. Unter Hinweis auf sonst zwischen Diebstahl und Unterschlagung eröffnete Strafbarkeitslücken wurde schon zuvor in der Literatur die Unterschlagung z.T. als der umfassende, das Eigentum schützende Tatbestand angesehen.3 A.A. BlNDlNG B.T. I, S. 294; CRAMER Vermögensbegriff und Vermögensschaden,

1968, S. 94;

SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 1 5 ; T R Ö N D L E S t G B , § 2 4 2 R d n . 1. D a z u H E U B E L J U S 1 9 8 4 S . 4 4 5 ; KINDHÄUSER N K , V o r § 2 4 2 R d n . 5 ; O T T O S t r u k t u r , S . 2 7 4 ; S C H / S C H / -

ESER § 242 Rdn. 1 , 2 . - Die h.M. bezeichnet demgegenüber Eigentum und Gewahrsam als Rechtsgüter des Diebstahls; dazu vgl. BGHSt 10 S. 401; 29 S. 323; LACKNER/KÜHL § 242 Rdn. 1; LAMPE GA 1966 S . 2 2 8 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1 , § 3 3 R d n . 1. D a z u BINDING B . T . I, S . 2 7 5 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 4 0 ; W E L Z E L L b . , § 4 7 , 1 b .

145

7

§40 8

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Nachdem das 6. StrRG die in § 246 a.F. enthaltene Begrenzung der Tatsituation „... fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet ..." beseitigt hat, enthält § 246 den Grundtatbestand der Zueignungsdelikte. Der Gesetzgeber hat diese Konsequenz umgehen wollen, indem er durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel § 246 als „Auffangtatbestand behandelt" 4 . Diese Interpretation des § 246 ändert aber nichts daran, daß § 246 sachlich nunmehr der Grundtatbestand der Zueignungsdelikte ist, während Diebstahl und Raub spezielle Zueignungsdelikte erfassen.

9

2. Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte ist § 242. - Qualifizierte Tatbestände enthalten §§ 244, 244 a. - Einen unbenannten Straferhöhungsgrund mit Regelbeispielen beschreibt § 243 Abs. 1 (Einschränkung § 243 Abs. 2). - Für den Haus- und Familiendiebstahl stellt § 247 das Antragserfordernis auf, das gleichfalls für § 248 a, den Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen gilt, soweit kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung begründet ist. 10 3. Um ein dem Diebstahl ähnliches Zueignungsdelikt handelt es sich bei der Entziehung elektrischer Energie, § 248 c Abs. 1. Geht man davon aus, daß auch Strom eine Sache i.S. des § 242 ist (h.M.), so ist § 248 c Abs. 1 als lex specialis gegenüber § 242 anzusehen. 11 4. Fälle strafbarer Gebrauchsanmaßung, und deshalb keine Fälle eines Diebstahls, sind der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, und der unbefugte Gebrauch von Pfandsachen, § 290.

§ 40: Diebstahl 1

Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen durch Wegnahme und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.

I. Der objektive Tatbestand 2

Der objektive Tatbestand setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache voraus.

3

Sachen i.S. des Strafrechts sind nur körperliche Gegenstände. Der Aggregatzustand (z.B. flüssig, gasförmig) ist gleichgültig. Rechte und Computerprogramme sind keine Sachen, wohl aber sind Papiere, die Rechte verbriefen (z.B. Wechsel, Sparbuch u.ä.) und Datenträger, auf denen Programme gespeichert sind, Sachen.

4

Tiere sind als Sachen im Sinne des Strafgesetzbuches anzusehen. - Die Regelung des § 90 a S. 1 BGB gilt ausdrücklich nur für das BGB.->

5

Der Mensch als Person ist keine Sache. Auch organische Teile des Menschen - anders hingegen Fremdbestandteile, z.B. Zahnprothese - sind keine Sachen, solange sie mit dem lebenden Körper verbunden sind. Mit der Trennung - sei diese auch nur vorübergehend geplant - erlangen sie jedoch Sacheigenschaft. 6 - Da mit dem Tod die Personenqualität des Menschen endet, sind die Leiche und ihre Bestandteile Sachen. 7

1. Sache

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 43 f. V g l . a u c h KÜPER J Z 1 9 9 3 S. 4 4 1 ; WOLFF L K , § 3 0 3 R d n . 3.

Str. eingehend dazu OTTO Jura 1996 S. 219 f; SASSE Zivil- und strafrechtliche Aspekte der Veräußerung von Organen Verstorbenerund Lebender 1996, S. 55 ff. V g l . v . BUBNOFF G A

146

1 9 6 8 S . 7 5 ; EICHHOLZ N J W

1 9 6 8 S. 2 2 7 2 f f ; GÖRGENS J R

1 9 8 0 S. 140 f;

§40 8

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Nachdem das 6. StrRG die in § 246 a.F. enthaltene Begrenzung der Tatsituation „... fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet ..." beseitigt hat, enthält § 246 den Grundtatbestand der Zueignungsdelikte. Der Gesetzgeber hat diese Konsequenz umgehen wollen, indem er durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel § 246 als „Auffangtatbestand behandelt" 4 . Diese Interpretation des § 246 ändert aber nichts daran, daß § 246 sachlich nunmehr der Grundtatbestand der Zueignungsdelikte ist, während Diebstahl und Raub spezielle Zueignungsdelikte erfassen.

9

2. Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte ist § 242. - Qualifizierte Tatbestände enthalten §§ 244, 244 a. - Einen unbenannten Straferhöhungsgrund mit Regelbeispielen beschreibt § 243 Abs. 1 (Einschränkung § 243 Abs. 2). - Für den Haus- und Familiendiebstahl stellt § 247 das Antragserfordernis auf, das gleichfalls für § 248 a, den Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen gilt, soweit kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung begründet ist. 10 3. Um ein dem Diebstahl ähnliches Zueignungsdelikt handelt es sich bei der Entziehung elektrischer Energie, § 248 c Abs. 1. Geht man davon aus, daß auch Strom eine Sache i.S. des § 242 ist (h.M.), so ist § 248 c Abs. 1 als lex specialis gegenüber § 242 anzusehen. 11 4. Fälle strafbarer Gebrauchsanmaßung, und deshalb keine Fälle eines Diebstahls, sind der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, und der unbefugte Gebrauch von Pfandsachen, § 290.

§ 40: Diebstahl 1

Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen durch Wegnahme und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.

I. Der objektive Tatbestand 2

Der objektive Tatbestand setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache voraus.

3

Sachen i.S. des Strafrechts sind nur körperliche Gegenstände. Der Aggregatzustand (z.B. flüssig, gasförmig) ist gleichgültig. Rechte und Computerprogramme sind keine Sachen, wohl aber sind Papiere, die Rechte verbriefen (z.B. Wechsel, Sparbuch u.ä.) und Datenträger, auf denen Programme gespeichert sind, Sachen.

4

Tiere sind als Sachen im Sinne des Strafgesetzbuches anzusehen. - Die Regelung des § 90 a S. 1 BGB gilt ausdrücklich nur für das BGB.->

5

Der Mensch als Person ist keine Sache. Auch organische Teile des Menschen - anders hingegen Fremdbestandteile, z.B. Zahnprothese - sind keine Sachen, solange sie mit dem lebenden Körper verbunden sind. Mit der Trennung - sei diese auch nur vorübergehend geplant - erlangen sie jedoch Sacheigenschaft. 6 - Da mit dem Tod die Personenqualität des Menschen endet, sind die Leiche und ihre Bestandteile Sachen. 7

1. Sache

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 43 f. V g l . a u c h KÜPER J Z 1 9 9 3 S. 4 4 1 ; WOLFF L K , § 3 0 3 R d n . 3.

Str. eingehend dazu OTTO Jura 1996 S. 219 f; SASSE Zivil- und strafrechtliche Aspekte der Veräußerung von Organen Verstorbenerund Lebender 1996, S. 55 ff. V g l . v . BUBNOFF G A

146

1 9 6 8 S . 7 5 ; EICHHOLZ N J W

1 9 6 8 S. 2 2 7 2 f f ; GÖRGENS J R

1 9 8 0 S. 140 f;

Diebstahl

§40

Streitig ist die Sachqualität der sog. Implantate. Hier jedoch ist zu differenzieren. Soweit das Implantat - z.B. künstliches Hüftgelenk, Zahnplombe, Herzschrittmacher - mit dem Körper fest verbunden wird, verliert es seine Sacheigenschaft. Es wird Bestandteil des Körpers. Mit einer eventuellen Trennung wird es - wie auch natürliche Körperbestandteile, z.B. durch Unfall oder Organspende - eine Sache und wie diese geschützt. 8

6

Z u m Teil wird die Sachqualität grundsätzlich bejaht. 9 Andere differenzieren nach dem Grad der Verbindung mit dem K ö r p e r ' " oder unterscheiden zwischen Ersatzimplantaten, die in Form und Funktion an die Stelle defekter Körperteile treten, z.B. Zahnplomben, Stiftzähne, und Zusatzimplantaten, die insuffiziente Organe nicht ersetzen, wohl aber unterstützen, z.B. Herzschrittmacher, die ihre Sacheigenschaft behalten sollen. ^

7

2. Beweglich Beweglich sind alle Sachen, die tatsächlich fortgeschafft werden können, daher auch Grundstückszubehör und Teile unbeweglicher Sachen, soweit sie bewegbar sind oder beweglich gemacht werden.

8

3. Fremd Nach fast einhelliger Ansicht ist eine Sache fremd, wenn sie im zivilrechtlichen Eigentum 9 - Miteigentum genügt - eines anderen steht. 12 Zwar gesteht die h.M. zu, daß diese Bindung des Begriffs "fremd" an den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff hin und wieder der angemessenen Lösung problematischer Fälle entgegensteht. Der Klarheit der Begriffsbestimmung wird jedoch der Vorrang vor der sachlichen Angemessenheit einzelner Fallösungen eingeräumt. 13 Möglich und sachlich überzeugender ist es jedoch, den Begriff "fremd" von seiner wirt- 10 schaftlichen Funktion her zu bestimmen. Dies ist keineswegs mit den Schwierigkeiten verbunden, die die h.M. offenbar arg- 11 wöhnt, sondern erfordert allein eine genauere Analyse der rechtlichen Verhältnisse in bezug auf das Objekt des Diebstahls vom Täter her gesehen: Wirtschaftlich betrachtet ist eine Sache für den Täter fremd, wenn sie einer anderen Person gehört, wenn jemand anderes ein stärkeres Vermögensrecht, eine umfassendere Vermögensposition an der Sache hat als der Täter. - Gemeinhin wird diese stärkere Vermögensposition natürlich durch das Eigentumsrecht gewährt. Gleichwohl eröffnet die grundsätzliche Lösung vom zivilrechtlichen Eigentumsbegriff eine flexiblere Argumentation. In der Konsequenz dieses Grundsatzes sind als fremde Sachen anzusehen: die unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Sache für den Vorbehaltskäufer (OLG Düsseldorf N J W 1984 S. 810); die sicherungsübereignete Sache für den Sicherungsgeber'4; die übergebene, aber noch nicht übereignete Sache für den Käufer; das

KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 1 0 . - A . A . P e r s ö n l i c h k e i t s r ü c k s t a n d : R G Z 1 0 0 S . 1 7 1 ; G Ö S S E L B . T . 2 , § 4 R d n . 9 ; M A U R A C H / SCHROEDERTMAIWALD B . T . l , § 3 2 R d n . 1 9 . 8

H.M., vgl. z.B. B G H bei Daliinger M D R 1958 S. 739; LG Mainz MedR 1984 S. 199 f; KINDHÄUSER NK, § 242 Rdn. 11 ff; Ruß LK, § 242 Rdn. 4; TRÖNDLE StGB, § 242 Rdn. 6 a.

9

V g l . z . B . BRINGEWAT J A 1 9 8 4 S . 6 3 ; SAMSON S K , § 2 4 2 R d n . 4 .

1 0

V g l . GÖRGENS J R 1 9 8 0 S . 141.

11

V g l . G R O P P J R 1 9 8 5 S . 1 8 3 f f ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . l , § 3 2 R d n . 18; S C H / S C H / E S E R

1 2

Z u r h . M . v g l . KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 1 4 f f .

13

Kritisch gegenüber der h.M.: LAMPE in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik,

14

RGSt 61 S. 65; B G H N J W 1987 S. 2242 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 246/5.

§ 242 Rdn. 10.

1 9 7 1 , S . 6 3 ; LIVER S c h u l t z - F G , S . 1 2 1 ; O T T O S t r u k t u r , S . 1 4 3 f f ; R A N F T J A 1 9 8 4 S . 4 f .

147

12

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§40

Sammelgut, das anläßlich des Sammelaufrufs einer bestimmten Organisation zum Abholen auf die Straße gestellt wird (BayObLG JZ 1986 S. 967 0; ein staatlicher Grenzstein, selbst wenn er schon vor 200 Jahren eingesetzt worden ist (OLG Frankfurt NJW 1984 S. 2303 f); das nicht beim Telefonieren verbrauchte, im Automaten befindliche Geld in einer Telefonzelle (OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 2153); das vom Kunden einer Selbstbedienungstankstelle gezapfte B e n z i n d i e einer GmbH gehörenden Sachen für den Alleingesellschafter (BGH NJW 1992 S. 250 f; dazu OTTO JZ 1993 S. 560). 13 In diesen Fällen gewährt das Eigentumsrecht die umfassende Sachherrschaftsposition, die Dritte zu achten haben. Dem Eigentümer gehören die Sachen. Dritten gegenüber sind es fremde Sachen. - Darüber hinaus aber sind z.B. auch fremde Sachen derelinquierte Sachen im Besitz des Finders, der sie selbst nicht als derelinquiert erkannt hat, und das gewilderte Tier im Besitz des Wilderers gegenüber Dritten.

14 Str. ist, ob eine Leiche einQ fremde Sache sein kann. - Da an einer Leiche weder derivativ noch originär Eigentum erworben werden kann 16 , müßte die h.M. zum Ergebnis kommen, daß die Leiche keine fremde Sache sein kann, da an ihr kein zivilrechtliches Eigentum besteht. - Der strafrechtliche Schutz des Leichnams würde damit auf § 168 beschränkt. 17 Von dem hier vertretenen Standpunkt aus bereitet der Schutz des Leichnams in Anatomien u.ä. keine Schwierigkeiten. Anerkannt ist nämlich, daß die Angehörigen das Recht haben, unberechtigte Eingriffe Dritter in die Leiche abzuwehren und bestimmte Verfügungen (Bestattung usw.) vorzunehmen. 18 Auch wenn diese Rechte kein Aneignungsrecht im vermögensrechtlichen Sinne gewähren 19 , so berechtigen sie doch zu bestimmten Verfügungen. Dieses vorrangige Verfügungsrecht macht den Leichnam Dritten gegenüber zu einer fremden Sache. - Gleiches gilt für Teile der menschlichen Leiche. 4. Wegnahme 15 Wegnahme ist Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams. - Gewahrsam ist das einer Person von einem Herrschaftswillen getragene, tatsächliche Herrschaftsverhältnis über eine Sache unter Berücksichtigung der sozialen Zuordnung. 16 Gewahrsam als tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis beruht grundsätzlich auf der Möglichkeit der tatsächlichen Einwirkung auf die Sache ohne Überwindung nennenswerten Widerstandes (physisch-reales Element). Dieses "faktische" Haben wird jedoch modifiziert durch die soziale Zuordnung (normativ-soziales Element). 17 Zum Teil wird in der Lehre stärker das tatsächliche Herrschaftselement (Herrschaftswille) betont.2® - Zum Teil wird der Gesichtspunkt der sozialen Zuordnung in den Vordergrund gestellt. 21

18 Die beiden Elemente beschränken und ergänzen einander. 19 a) Dadurch wird das Sachherrschaftsverhältnis zum einen über das bloße "In-den-HändenHaben" ausgedehnt.

15

OLG Hamm NStZ 1983 S. 266. - A.A. OLG Düsseldorf JR 1982 S. 343. Die h.M. erkennt allerdings ein Aneigungsrecht Dritter unter bestimmten Umständen an; vgl. dazu KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 2 9 M . N .

17

D a z u KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 2 8 ; RANFT J A 1 9 8 4 S. 3.

18

Vgl. auch KG NJW 1990 S. 782; zur Organentnahme: § 4 TPG.

19

Für ein beschränktes Aneignungsrecht, das aber zivilrechtlich nicht überzeugend begründet wird: EICHHOLZ N J W 1968 S. 2274; PEUSTER Eigentumsverhältnisse an Leichen und ihre transplantations-

rechtliche Relevanz, 1971. 2 0

Vgl.

KARGL

JuS

1996

S.

971

ff;

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.l,

§33

Rdn.

14

f;

SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 2 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 2 R d n . 9 . 2 1

148

V g l . z . B . : BITTNER J u S 1 9 7 4 S . 1 5 6 f f ; GEILEN J R 1 9 6 3 S . 4 4 6 f f ; GÖSSEL Z S t W 8 5 ( 1 9 7 3 ) S . 6 1 9 ; W E L Z E L G A 1960 S. 2 5 7 ff.

Diebstahl

§40

BGHSt 16 S. 273 f: "Gewahrsam ist zwar tatsächliche Sachherrschaft. Ob sie vorliegt, hängt aber nicht in erster Linie, jedenfalls nicht allein von der körperlichen Nähe zur Sache und nicht von der physischen Kraft ab, mit der die Beziehung zur Sache aufrechterhalten wird oder aufrechterhalten werden kann. Vielmehr kommt es für die Frage der Sachherrschaft entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an. Der Gewahrsamsbegriff ist wesentlich durch die Verkehrsauffassung bestimmt ... Sie allein rechtfertigt die Annahme, daß ein Bauer Gewahrsam an seinem auf dem Feld zurückgelassenen Pflug behält, mag auch sein Hof weit entfernt liegen und der Pflug dem Zugriff eines körperlich kräftigeren und näher wohnenden Nachbarn unmittelbar offen stehen. Das gleiche gilt für Haustiere, die sich vorübergehend von dem Anwesen ihres Herren entfernt haben. Der Wohnungsinhaber auf Reisen bleibt Gewahrsamsinhaber nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch im Verhältnis zu der die Wohnung bewachenden Hausangestellten. Zweifellos weist die Verkehrsauffassung auch dem, der einen Gegenstand in der Tasche seiner Kleidung mit sich trägt, regelmäßig Gewahrsam zu, weil eine intensivere Herrschaftsbeziehung zur Sache kaum denkbar ist, vor allem der Ausschluß anderer besonders deutlich zum Ausdruck kommt."

Außerhalb der eigenen Gewahrsamsphäre verlorene oder vergessene Sachen sind ge- 20 wahrsamslos, soweit nicht der Inhaber der Gewahrsamssphäre, in der die Sache ist, Gewahrsam erlangt hat aufgrund seines generellen Herrschaftswillens. Einen derartigen subsidiären Gewahrsam wird man in öffentlich zugänglichen Gebäuden oder Räumen - Bahnhof, Post, Kino, Gaststätte usw. - annehmen müssen. - Der Gewahrsamswille muß nicht jederzeit realisierbar sein. Schlafende und Bewußlose behalten aufgrund der sozialen Zuordnung Gewahrsam an 21 ihren Sachen, 22 auch wenn der Bewußtlose stirbt, ohne das Bewußtsein wiederzuerlangen. 23 b) Zum anderen bedeutet die normativ-soziale Modifizierung des tatsächlichen Herr- 22 schaftsverhältnisses eine Begrenzung des Sachherrschaftsverhältnisses. Trotz unmittelbarer Zugriffsmöglichkeit haben danach keinen Gewahrsam: der diebische Nachbar am Obst im Garten seines verreisten Nachbarn; die Hausangestellte an den Einrichtungsgegenständen im Haus; der Kunde, der einen Anzug im Ladengeschäft anprobmert, an diesem Anzug (BGH LM Nr. 11 zu § 242); der Gast an dem in der Gaststätte benutzten Geschirr (BayObLGSt Bd. 9 (1910) S. 376).

23

Gewahrsam besteht hingegen an Briefen im Briefkasten, auch wenn der Gewahrsamsinhaber gar nicht bemerkt hat, daß der Briefträger schon da war. - Gewahrsam an den in der Wohnung verlegten Sachen. - Gewahrsam auch an den Sachen, die ein Dritter in der Gewahrsamssphäre versteckt hat, die aber bei gründlicher Durchsuchung gefunden würden. - Kein Gewahrsam, wenn nach allgemeiner Voraussicht das Versteck (z.B. Hausangestellte versteckt den Ring ihrer Arbeitgeberin unter losem Dielenbrett und befestigt dieses danach) auch bei gründlichem Suchen nicht gefunden würde (str.).

24

c) Da nur natürliche Personen einen tatsächlichen Willen bilden können, können nur na- 25 türliche Personen Gewahrsam aktuell innehaben. Für juristische Personen können aber natürliche Personen den Gewahrsam ausüben. d) Gewahrsam können mehrere Personen gemeinsam haben. - Unproblematisch ist in die- 26 sem Zusammenhang der Mitgewahrsam von Personen, die eine gleiche Herrschaftsbeziehung zu der Sache haben. Daneben erkennt die h.M. einen über- und untergeordneten Gewahrsam an, mit der Konsequenz, daß der Träger des übergeordneten Gewahrsams beim Ansichnehmen der betroffenen Sache keinen Gewahrsamsbruch begeht, während der Träger des untergeordneten Gewahrsams einen Gewahrsamsbruch begehen kann. Diese Konstruktion ist unnötig umständlich, denn wie die Beispiele der h.M. zeigen, haben die Träger des untergeordneten Gewahrsams überhaupt keine eigene selbständige Herrschaftsposition, wohl aber Schutz- und Abwehrfunktionen in bezug auf die Sache. Diese Personen unterstützen den Vermögensinhaber bei der Ausübung seiner Herrschaftsmacht. 22

B G H S t 4 S . 211.

23

BGH JR 1986 S. 294. - A.A. BayObLG JR 1961 S. 188.

149

§40

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Sie sind zu Verfügungen nur im Rahmen der unterstützenden Tätigkeit befugt. Ihre Hauptaufgabe ist der Schutz des Gewahrsams. Sie können daher am sinnvollsten als Gewahrsamshüter bezeichnet werden. Der Bruch ihrer Herrschaftsmacht ist Bruch des Gewahrsams des Gewahrsamsherren 2 4 . 27

Beispiele: Angestellte und Verkäufer in einem Ladengeschäft, je nach Organisation: Träger von Mitgewahrsam oder Gewahrsamshüter bezüglich der Waren. - Hausangestellte bezüglich der Gegenstände des Arbeitgebers: Gewahrsamshüter. - Sekretärin, deren Aufgabe es ist, im Falle der Abwesenheit des Geschäftsführers Rechnungen mit den ihr zur Verfügung gestellten Blanko-Schecks zu bezahlen: Gewahrsamshüter (BGH NStZ-RR 1996 S. 131 mit Anm. OTTO JK 96, StGB § 246/10). - Fernfahrer bezüglich der Ladung des LKW: Inhaber des Alleingewahrsams (vgl. BGH GA 1979 S. 390 f). - Bei der Verwahrung von Gegenständen, an die der Gewahrsamsgeber allein nicht ohne weiteres herankommt: Alleingewahrsam des Verwahrers (str.). - Ist ein Behältnis verwahrt, an das der Verwahrungsgeber nur mit Hilfe des Verwahrers herankommt, weil z.B. zwei Schlüssel notwendig sind: Mitgewahrsam (str.). - Ist das Behältnis dem Verwahrungsgeber ohne weiteres zugänglich - sei es auch nur innerhalb bestimmter Öffnungszeiten-: Alleingewahrsam des Verwahrungsgebers.

28

e) Gebrochen ist der Gewahrsam, w e n n der Berechtigte die tatsächliche Herrschaft g e g e n seinen Willen verloren hat. - Eine bewußte und g e w o l l t e Übertragung des Gewahrsams schließt den Bruch aus, selbst w e n n sie irrtümlich - Problematik der Abgrenzung z u m B e trug - erfolgt. Der Diebstahl als formelles Willensbruchsdelikt setzt die Verletzung des realen Willens des Betroffenen voraus, ein Handeln g e g e n einen etwaigen hypothetischen Willen des Betroffenen (wenn dieser den "wahren Sachverhalt gekannt hätte") genügt nicht. Gleiches gilt, w e n n die Übertragung des Gewahrsams auf einer N ö t i g u n g beruht, die d e m Berechtigten aber noch eine echte Wahlmöglichkeit offenläßt - Problematik der Abgrenzung zur Erpressung.

29

f ) Vollendet ist die W e g n a h m e und damit der Diebstahl mit der Begründung des neuen Gewahrsams durch den Täter oder einen Dritten.

30

Auch hier kommt der sozialen Zuordnung besondere Bedeutung zu: Gewahrsamsbruch liegt vor, wenn jemand in einem Selbstbedienungsladen oder einer sonstigen Gewahrsamssphäre eines anderen handliche Gegenstände in der Kleidung versteckt oder in eine Tasche steckt, die er bei sich trägt 2 ^ oder wenn er Objekte unter seiner Kleidung 2 " oder im Einkaufswagen beim Passieren der Kasse verbirgt 27 . - Kein Gewahrsamsbruch, wenn Sachen im Kaufhaus noch vor der Kasse im Einkaufskorb verborgen werden (OLG Köln NJW 1984 S. 810), oder beim Abtransport eines sperrigen und schweren Gegenstandes, z.B. eines 300 kg schweren Tresors, solange das Objekt sich noch in der Herrschaftssphäre (Grundstück, Geschäft) des Berechtigten befindet (BGH NStZ 1981 S. 435 f; BGH StV 1984 S. 376), auch wenn das Objekt z.B. im Selbstbedienungsladen, schon an der Kasse vorbeigeschleust wurde (OLG Düsseldorf StV 1986 S. 20).

31

g) Hinweis: Gewahrsam und unmittelbarer Besitz sind weitgehend identisch, jedoch sind die Fiktionen der §§ 855, 857 BGB nicht auf den Gewahrsam übertragbar.

24

Eingehender dazu OTTO ZStW 79 (1967) S. 80 ff.

25

Vgl. BGHSt 16 S. 271; 17 S. 208 f; 23 S. 254; BayObLG NJW 1983 S. 406; BayObLG NJW 1995 S. 3000. - A.A. (Versuch): KAHLO in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a.M. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrecht, S. 137 f.

26

OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 100. - A.A. LG Köln StV 1997 S. 27 mit Anm. GEPPERT JK 97, StGB § 242/18.

2 7

B G H S t 4 1 S. 198 m i t A n m . HILLENKAMP J u S 1 9 9 7 S. 2 1 7 f f , OTTO J K 9 6 , S t G B § 2 4 2 / 1 7 , SCHEFFLER

JR 1996 S. 342 ff, ZOPFS NStZ 1996 S. 190 f; dazu auch Rdn. 36. - Eingehend zur Problematik der Wegnahme in Selbstbedienungsläden: OTTO Jura 1997 S. 465 ff.

150

Diebstahl

§40

h) Zur Einübung aa) BGHSt 4 S. 199: Auf einem Wochenmarkt baute die Polizei eine Diebesfalle auf: Eine Kriminalbeamtin legte eine Geldbörse auf ihren Einkaufskorb. Zwei Kriminalbeamte bewachten die Börse. Beim Zugreifen sollten sie den Dieb fassen.

32

1. Alternative: A ergreift die Geldbörse und im nächsten Augenblick greifen die Beamten zu und nehmen ihm die Börse aus der Hand. BGH: Nur versuchte Wegnahme: A hat noch keinen eigenen Gewahrsam begründet. - Dem ist zuzustimmen, denn mit dem bloßen Ergreifen der Geldbörse begründet A unter den gegebenen Umständen noch keine umfassende Sachherrschaft über die Börse. 2. Alternative: A ergreift die Börse, steckt sie ein und entwischt im Gewühl. BGH: Keine vollendete Wegnahme, weil die Berechtigten in die Wegnahme eingewilligt haben und damit ein Gewahrsamsbruch unmöglich geworden war. Da A aber von der Einwilligung keine Kenntnis hatte, liegt ein versuchter Diebstahl vor. Diese Überlegungen treffen im vorliegenden Fall nicht zu: Wie der BGH in der 1. Alternative ausführt, sollte nach dem Plan der Berechtigten der Täter bereits bei der Gewahrsamslockerung, d.h. beim Versuch des Gewahrsamsbruchs, gefaßt und damit der Gewahrsamsbruch verhindert werden. Von einer Einwilligung in den Gewahrsamsbruch kann daher im vorliegenden Fall keine Rede sein. - Anders wäre die Sachlage gewesen, wenn die Diebesfalle so angelegt gewesen wäre, daß der Täter die Sache in seinen Gewahrsam bringen sollte, damit diese später bei ihm gefunden würde und er überführt werden könnte. In diesem Fall hätte der Berechtigte dem Gewahrsamsübergang bewußt keinen Widerstand entgegengesetzt. Das bedeutet nicht, daß er mit dem Gewahrsamsübergang einverstanden wäre, denn dann läge zugleich eine Einwilligung in die Zueignung vor, da in der vermeintlichen Wegnahme des Täters zugleich die Manifestation der Zueignung liegt/® Er will lediglich seinen Herrschaftswillen im Zeitpunkt der Wegnahme nicht ausüben. Damit wird sein realer Herrschaftswille durch die Wegnahme nicht gebrochen. Es liegt nur ein versuchter Diebstahl v o r . 2 9 bb) OLG Hamburg MDR 1970 S. 1027 einerseits - BGH bei Daliinger, MDR 1972 S. 925 andererseits: A öffnet gewaltsam ein fremdes Kfz, schließt die Zündung kurz, fährt los, rammt aber nach 10 m wegen schlechter Sicht ein parkendes Fahrzeug. Er flieht nun zu Fuß.

33

Das OLG hat hier eine vollendete Wegnahme bejaht, der BGH verneint, weil A noch keinen Gewahrsam begründet habe. Bei der Wegnahme sperriger Gegenstände wird man in der Tat einen Gewahrsam des Täters verneinen müssen, solange es dem Berechtigten nach den gegebenen Umständen ohne Mühe möglich ist, dem Täter die Sache wieder wegzunehmen. - Anders verhält es sich jedoch mit einem Kfz. Ist dies erst einmal in Gang gesetzt, so sind die Möglichkeiten des Eigentümers, seine Herrschaft noch auszuüben, im Regelfall vernichtet. Daß er durch Zufall seine Herrschaftsmöglichkeit wiedererlangen kann, ändert daran nichts. Nur wenn von vornherein feststeht, daß das Fahrzeug nur wenige Meter fortbewegt werden kann, weil z.B. dann eine Diebstahlssicherung die Räder blockiert oder weil noch ein Hindernis (Hoftor) überwunden werden muß, kann man einen Gewahrsam des Täters mit dem Losfahren ablehnen. cc) A erscheint bei X, gibt sich als Kriminalbeamter aus und beschlagnahmt eine Schreibmaschine. Er nimmt sie mit, weil auf der Maschine angeblich ein Typenvergleich durchgeführt werden soll. X duldet dies, denn er hofft, der Irrtum werde sich bald aufklären. Ergebnis: Gewahrsamsbruch des A. Eine Gewahrsamsübertragung durch X lag nicht vor, er duldete lediglich die Mitnahme, da er eine Weigerung für sinnlos hielt. 3 ®

28

Vgl. dazu auch HILLENKAMP JR 1987 S. 255 ff; KREY B.T. 2, Rdn. 35 in Verb, mit Fn. 76 c; RENGIER B.T. I, § 2 Rdn. 3 3 .

29

Vgl. auch BayObLG JR 1979 S. 296 f mit Anm. PAEFFGEN S. 297 ff; OLG Celle JR 1987 S. 253 f mit A n m . GEPPERT J K 8 7 , S t G B § 2 4 2 / 1 1 , HILLENKAMP J R 1 9 8 7 S . 2 5 4 f f ; O L G D ü s s e l d o r f M D R

1991

S. 7 8 6 m i t A n m . GEPPERT J K 9 2 , S t G B § 2 4 2 / 1 5 ; DUTTGE/FAHRENSCHMIT J u r a 1 9 9 7 S. 2 8 7 ; GÖSSEL B . T . 2, § 7 R d n . 5 1 ; H Ä U F B . T . I, S . 2 0 ; HEFENDEHL N S t Z 1 9 9 2 S . 5 4 4 ; JANSSEN N S t Z 1 9 9 2 S . 2 3 7 f . -

Im einzelnen dazu OTTO Jura 1989 S. 140 f. 30

Eingehend dazu BGHSt 18 S. 223; O r r o Z S t W 79 (1967) S. 74 f; SCH/SCH/CRAMER § 263 Rdn. 64.

151

34

§40

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

3 5 dd) BGH GA 1987 S. 307: A behauptete, daß er Video-Recorder und andere Waren unter Marktpreis beschaffen könne. Interessenten veranlaßte er, den Kaufpreis in einen von ihm mitgebrachten Briefumschlag zu tun, den er dann in seinen Arbeitskittel steckte, angeblich um das Geld vorher dem Lagermeister vorzuzeigen. Die Bezahlung sollte bei Warenübergabe erfolgen. - Indem A die Kaufinteressenten sodann ablenkte, tauschte er den Briefumschlag aus und gab den Interessenten einen mit Papierschnitzeln gefüllten Umschlag zurück, woraufhin er sich unter einem Vorwand mit dem Geld entfernte. BGH: "Im vorliegenden Fall haben die Kaufinteressenten zwar aufgrund freier Willensentscheidung das Geld in den Briefumschlag gesteckt und diesen sodann dem A übergeben. Dadurch verloren sie aber noch nicht den Gewahrsam an dem Geld. Sie hatten es dem A nur für kurze Zeit zum Vorzeigen in ihrer Anwesenheit überlassen. Unter diesen Umständen besaßen sie nach den Anschauungen des täglichen Lebens noch eine von einem entsprechenden Willen getragene Sachherrschaft. Ob auch der A schon durch die Entgegennahme des Briefumschlages ein Gewahrsamsverhältnis begründete, bedarf nicht der Entscheidung". 3 1 36

ee) OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 922 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 263/28: In einem Verkaufsmarkt wollte A einen Winkelschleifer kaufen. Er wählte ein Gerät aus. Nachdem er durch Öffnen der Verpackung festgestellt hatte, daß Trennscheiben in der Packung nicht als Zubehör vorhanden waren, und auch ein Verkäufer bestätigt hatte, daß Trennscheiben nicht im Preise des Winkelschleifers enthalten seien, nahm A vier Trennscheiben, legte sie in den Karton und verschloß diesen wieder. An der Kasse legte A den verschlossenen Karton auf das Kassenband. Die Kassiererin berechnete den Kaufpreis für den Winkelschleifer. A bezahlte und entfernte sich aus dem Kassenbereich. Er wurde sodann durch den Hausdetektiv gestellt, der durch einen Zeugen auf das Verhalten des A aufmerksam gemacht worden war. OLG Düsseldorf: A erlangte die Trennscheiben nicht durch Gewahrsamsbruch. Aus dem festgestellten Sachverhalt folgt vielmehr, daß A "den Gewahrsam an den vier Trennscheiben aufgrund einer durch Irrtum veranlaßten Vermögensverfügung der Kassiererin erlangt hat". Dem ist zuzustimmen, denn hier kann davon ausgegangen werden, daß die Verkäuferin den Gewahrsam an dem Winkelschleifer übertragen wollte, ohne nach einzelnen Zubehörteilen zu differenzieren. - Ein Gewahrsamsbruch liegt hingegen vor, wenn der Täter eine Ware so durch die Kasse schmuggelt, daß dem Kassenpersonal verborgen bleibt, daß ein bestimmtes Objekt seinem Gewahrsam entzogen wird.

37

ff) OLG Hamm NJW 1969 S. 620: Frau B ließ beim Bezahlen im Selbstbedienungsladen ihr Portemonnaie an der Kasse liegen. Frau A trat nach ihr an die Kasse, zahlte und packte die gekauften Sachen ein, als die Kassiererin ihr zurief: "Vergessen Sie nicht ihr Portemonnaie!" Frau A, die genau wußte, daß ihr das Portemonnaie nicht gehörte, bedankte sich und steckte das Portemonnaie ein. OLG: Ursprünglich hatte Frau B Gewahrsam an dem Portemonnaie. Dieser ging verloren, als sie den Laden verließ und sich entfernte. Das Portemonnaie wurde damit nicht gewahrsamslos, sondern ging in den Gewahrsam des Ladeninhabers über. Für diesen übte K Gewahrsam aus. K übertrug den Gewahrsam jedoch nicht auf A. Ihr fehlte das Bewußtsein, Gewahrsam zu übertragen, denn sie ging davon aus, daß das Portemonnaie sich im Gewahrsam der A befand. Als diese das Portemonnaie einsteckte, brach sie daher den Gewahrsam des Ladeninhabers.

38

gg) BGHSt 18 S. 221: A unterhielt Beziehungen zu Frau W, die einen Pkw besaß. Diesen Wagen hatte Frau W in einer parkhausähnlichen Garage untergestellt. Die Garage war Tag und Nacht geöffnet und wurde von einem Pförtner beaufsichtigt. Dieser hatte einen zweiten Zündschlüssel, den er auf Anforderung dem Berechtigten gab, falls dieser seinen eigenen Schlüssel vergessen hatte o.ä. Im Einverständnis mit Frau W holte A den Wagen einmal aus der Garage ab. In weiteren 6-8 Fällen setzte A aufgrund seiner Beziehungen zu Frau W deren Einverständnis voraus. Am 20.5.61 schließlich holte A ohne Wissen und Willen von Frau W den Wagen ab, um ihn sich anzueignen. BGH: Kein Diebstahl, sondern Betrug. Dem ist zuzustimmen: Hätte Frau W dem A aufgrund eines Irrtums den Wagen Uberlassen, so hätte eine Gewahrsamsverfügung vorgelegen. Gleiches würde gelten, wenn Frau W den Wagen einer Person zu bestimmten Verfügungen überlassen hätte, z.B. zum Verkauf, und dieser Person wäre durch Täuschung Uber das Vorliegen des relevanten Sachverhalts der Wagen abgeschwindelt worden, z.B. Kauf mit Falschgeld. Vgl. dazu auch die in der Problematik vergleichbare Entscheidung OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923 m i t A n m . OTTO J K , S t G B § 2 6 3 / 3 1 . 3 2

152

V g l . B G H S t 4 1 S. 198 m i t A n m . HILLENKAMP JUS 1 9 9 7 S. 2 1 7 f f , OTTO J K 9 6 , S t G B § 2 4 2 / 1 7 , SCHEFFLER J R 1 9 9 6 S. 3 4 2 f f , ZOPFS N S t Z 1 9 9 6 S. 190 f.

Diebstahl

§40

Nun hatte P sicher keinen Gewahrsam an dem Wagen derart, daß er zu selbständigen Verfügungen berechtigt war. Er war Gewahrsamshüter, denn er sollte den Gewahrsam der Frau W schützen und ihr u.U. bei der Ausübung der Sachherrschaft behilflich sein. Wenn P sich aber - sei es auch aufgrund eines Irrtums - subjektiv in dem Rahmen hält, der ihm objektiv eingeräumt worden ist, dann muß sich der Gewahrsamsinhaber die Verfügungen seines Gewahrsamshüters als eigene zurechnen lassen. Ein Gewahrsamsbruch durch den Gewahrsamshüter scheidet demnach aus, wenn dieser sich im Rahmen seiner rechtlichen Befugnisse zu halten glaubt. 3 3 Die Gegenmeinungen stellen einerseits streng auf die rechtliche Befugnis zur Übertragung des Gewahrsams ab (Befugnis- oder Ermächtigungstheorie), andererseits darauf, ob der Verfügende "im Lager des Geschädigten steht" (Lagertheorie); dazu unten § 51 Rdn. 44 ff. Zum Teil wird Idealkonkurrenz von Diebstahl und Betrug in diesen Fällen bejaht, obwohl das Objekt nur einmal erlangt wurde. hh) BGHSt 35 S. 152: A entwendete dem B dessen durch einen Magnetstreifen codierte eurocheque-Karte. Mit Hilfe dieser Karte und der ihr bekannten Geheimnummer verschaffte sie sich aus Geldautomaten insgesamt 5100,- DM. Die Sparkasse belastete das Konto des B mit den abgehobenen Beträgen. BGH: Kein Gewahrsamsbruch an dem erlangten Geld. Begründet hat der BGH dieses Ergebnis, indem er Gewahrsamsbruch und Gewahrsamsverfügung nach dem äußeren Erscheinungsbild abgrenzte. Diese Abgrenzung ist allein geeignet, Zufallsergebnisse zu begründen. Dort wo ein Objekt zufällig oder - wie bei der sog. Wechselgeldfalle-" - in böser Absicht "hin- und hergeschoben oder -genommen" wird, würde die Abgrenzung auf Äußerlichkeiten, nicht aber die jeweils genaue Bestimmung der Gewahrsamssituation gegründet. Nicht auf Äußerlichkeiten, sondern auf den Gewahrsamsbruch kommt es hier an. Bei einem mechanisierten Gewahrsamsübergang ist das entscheidende Abgrenzungskriterium des Gewahrsamsbruchs von der Gewahrsamsübertragung die funktionsgerechte bzw. funktionswidrige Nutzung des Mechanismus. Wer durch Automatisierung und Standardisierung der Geldherausgabe die Überprüfung der Berechtigung auf bestimmte Daten (Karte, Geheimnummer) begrenzt hat, kann sich nicht auf die fehlende Berechtigung des Automatenbenutzers zur Nutzung des Automaten berufen. Hier läge ein Rekurs auf einen hypothetischen Willen vor, denn der reale Wille hat in der Mechanisierung entsprechenden Ausdruck gefunden. - Für den Fall funktionsgerechter Betätigung wird Gewahrsam übertragen. Das gilt auch, wenn der Automat, z.B. durch Einführung einer gefälschten Karte, überlistet wird. Auch hier wird auf den funktionsgerechten Ablauf des Auszahlungsvorganges nicht Einfluß g e n o m m e n . W i r d der Automat hingegen funktionswidrig betätigt - gewaltsamer Eingriff in den Ablauf, Zerstörung des Programms - so liegt ein Gewahrsamsbruch vor, denn der Mechanismus wird gerade nicht in der vorgesehenen Weise betätigt.-'' Zur Frage der Unterschlagung des Geldes vgl. unter § 42 Rdn. 16 f; zum Computerbetrug in diesen Fällen vgl. unter § 52 Rdn. 44. Entsprechend diesen Grundsätzen ist die Problematik der Leerung von Geldspielautomaten zu entscheiden. Wird funktionswidrig auf den Automaten eingewirkt - Einführung von Gegenständen in den Mechanismus so liegt ein Gewahrsamsbruch vor, nicht hingegen, wenn der Täter sein Wissen um den Spielablauf ausnutzt 3 ® oder auf den Ablauf mit präparierten Münzen Einfluß n i m m t . Z u den Konsequenzen der Abgren-

33

Eingehend dazu HERZBERG ZStW 89 (1977) S. 367 ff; O r r o Z S t W 79 (1967) S. 76 ff.

3 4

HAAS G A 1 9 9 0 S . 2 0 6 .

35

Dazu BayObLG NJW 1992 S. 2041 mit Anm. GRAUL JR 1992 S. 520 f, OTTO JK 93, StGB § 242/16.

36

Vgl. BGHSt 38 S. 120; a.A. RANFT NJW 1994 S. 2574 ff; RENGIER B.T. I, § 2 Rdn. 35. - Zur Gegenmeinung, der grundsätzlichen Annahme eines Gewahrsamsbruches bei der unbefugten Geldautomatennutzung, vgl. MITSCH JZ 1994 S. 879 m. w.N. in Fn. 42. Vgl. auch EHRLICHER Der Bankautomatenmißbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bek ä m p f u n g , 1989, S. 6 4 ff; HUFF N J W 1988 S. 9 8 1 ; R u ß L K , § 2 4 2 R d n . 3 6 ;

SCHMITT/EHRLICHER J Z

1988 S. 364 f; THAETER JA 1988 S. 547 ff; DERS. wistra 1988 S. 339 f. - Zur Auseinandersetzung um die rechtliche Einordnung des Geldautomatenmißbrauchs vor der BGH-Entscheidung vgl. OTTO JR 1987 S . 221 ff. 38

Vgl. auch BayObLG JR 1982 S. 291 mit Anm. MEURER S. 292 ff; OLG Stuttgart NJW 1982 S. 1659 m i t A n m . ALBRECHT JUS 1 9 8 3 S . 101 f f , GEILEN J K , S t G B § 2 4 2 / 2 , SEIER J R 1 9 8 2 S . 5 0 9 f f ; O L G K o -

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§40

Z w e i t e r Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r d e s E i n z e l n e n

zung des Gewahrsamsbruchs nach den Kriterien der funktionsgemäßen bzw. funktionswidrigen Nutzung des Mechanismusses für den Anwendungsbereich des § 265 a Abs. 1, 1. Alt. vgl. § 52 Rdn. 15 f.

II. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz 40 Der Vorsatz erfordert das Bewußtsein des Täters, daß es sich bei dem Tatobjekt um eine ihm fremde, bewegliche Sache im Gewahrsam eines anderen handelt, den der Täter bricht. 41 a) Eine Konkretisierung des Vorsatzes auf bestimmte einzelne Sachen ist nicht erforderlich. Die Tat bleibt ein einheitlicher Diebstahl, gleichgültig, ob der Täter seinen Vorsatz später erweitert oder auf ein anderes Tatobjekt bezieht. Zur 42

Verdeutlichung:

Fall 1: A will die Brieftasche des B aus dessen Schreibtischschublade stehlen. Als er sieht, daß in der Schublade Schmuck liegt, nimmt er diesen auch an sich. Ergebnis: Ein einziger Diebstahl, denn es liegt ein einheitlicher Angriff auf die umfassende Sachherrschaftsmacht des B vor: A wollte die umfassende Sachherrschaftsmacht des B brechen, das hat er getan. Daß er den Umfang seines Angriffs erweitert hat, ist irrelevant. Fall 2: Wie Fall 1, doch ist die Brieftasche gar nicht in der Schublade. A nimmt nun den Schmuck weg. Ergebnis: Ein einheitlicher Diebstahl, nicht etwa ein versuchter Diebstahl in bezug auf die Brieftasche und ein vollendeter Diebstahl bezüglich des Schmuckes; vgl. Begründung zu Fall 1.

43 b) Zum Diebstahl geringwertiger Objekte vgl. unter § 44. 2. Absicht, sich oder einem Dritten die Sache rechtswidrig

zuzueignen

a) Das Objekt der Zueignung 44 Mit der Zueignung der Sache bringt der Täter zum Ausdruck, daß er sich selbst die Position anmaßt, die dem Eigentümer rechtlich zukommt. Er verschafft sich mehr als nur die Möglichkeit des rechtswidrigen Gebrauchs der Sache (Abgrenzung zur Gebrauchsanmaßung), und es geht ihm nicht nur darum, den Berechtigten durch Entzug der Sache zu schädigen (Abgrenzung zur Sachbeschädigung und zur straflosen Sachentziehung). Streitig ist aber, ob das Objekt der Zueignung die Sache selbst oder der Sachwert ist. 45 aa) Die Anhänger der sog. Sachsubstanztheorie (Substanztheorie) sehen - dem Wortlaut des Gesetzes folgend - die weggenommene Sache als den Gegenstand der Zueignung an. 4 0 46 bb) Die Vertreter der sog. Sachwerttheorie an. 4 1 47

sehen den Sachwert als Objekt der Zueignung

Zur Verdeutlichung der Konsequenzen (im Anschluß an Lampe GA 1966 S. 230): A wirft die Sachen des E an einer bestimmten Stelle aus dem Zug auf den Bahndamm. Später veräußert er diese an D, der Zahlung gegen Mitteilung des Fundortes leistet.

blenz NJW 1984 S. 2424; ACHENBACH Jura 1991 S. 225 f. - A.A. LG Saarbrücken NJW 1989 S. 2272. 3 9

A . A . O L G C e l l e N J W 1997 S. 1518 mit A n m . HILGENDORF J R 1997 S. 347 f f , MITSCH J u S 1998 S.

307 ff; dazu auch OTTO Jura 1997 S. 467 f. 4 0

BINDING B.T. I, S. 267 ff m.e.N.; GÖSSEL 140 Jahre GA-FS, S. 39 ff; KINDHÄUSER NK, § 242 Rdn. 75; DERS. B.T., § 2 R d n . 79; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 4 3 f f ; OTTO Struktur,

S. 167 ff m.e.N.; ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 6. Aufl. 1994, S. 341 ff; RUDOLPHI GA 1965 S. 38; WELZEL L b . , § 4 6 , 1; WOLFSLAST N S t Z 1994 S. 5 4 2 f f , 5 4 4 . 41

Dazu RGSt 57 S. 168; FRANK StGB, § 242 Anm. VII 2 a; LAMPE GA 1966 S. 241; SAUER GA 63 ( 1 9 1 7 ) S. 2 8 4 .

154

Diebstahl

§40

Sachsubstanztheorie: A hatte im Zeitpunkt der Veräußerung noch keinen Gewahrsam an den Sachen selbst begründet. War dem Berechtigten daher auch die Sachherrschaftsposition entzogen, so fehlte es doch an der Neubegründung einer umfassenden Sachherrschaftsposition durch A. Deshalb keine Zueignung der Sachen, daran ändert der "Verkauf' nichts. Sachwerttheorie: Zueignung vollendet, indem A den Kaufpreis erhält. In diesem Augenblick überführte er den Sachwert in sein Vermögen.

cc) Die h.M. ist die sog. Vereinigungstheorie. Danach soll eine Zueignung dann gegeben sein, wenn der Täter die Sache selbst oder den in ihr verkörperten Wert in sein Vermögen überführt. - Allerdings wird dieser Wert im Anschluß an BOCKELMANN42 enger interpretiert als von den Vertretern der Sachwerttheorie. Maßgeblich soll für die Zueignung nur der in der Sache selbst steckende Wert ("lucrum ex re") sein, nicht aber die Möglichkeit, die Sache zur Erlangung anderer Werte einzusetzen ("lucrum ex negotio cum re"). 43 Es gäbe allerdings keinen Unterschied zwischen Sachsubstanz- und Sachwerttheorie, wenn als relevanter Sachwert allein der in der Sache verkörperte, von ihr vermittelte und von ihr nicht trennbare Wert angesehen würde, denn damit wäre die Einheit von Sache und Sachwert erhalten geblieben. Jede Ausdehnung des Wertgesichtspunktes über diese Grenze hinaus führt hingegen dazu, die Grenzen zwischen den Eigentumsdelikten, den Sachzueignungsdelikten und den allgemeinen Bereicherungsdelikten zu verwischen. Die Verschaffung irgendwelcher Teilwerte der Sache wird zwangsläufig zur Zueignung der Sache. Auch Beschränkungen auf den "Zwecknutzen" (PAULUS) u.ä. helfen über diese mißliche Konsequenz nicht hinweg. - Es eröffnet sich die in keinem Fall mehr kriminalpolitisch erstrebenswerte Möglichkeit, bei der Kenntnisnahme vom Inhalt geheimer Papiere (neue Modelle, Rezepte, Konstruktionspläne) einen Diebstahl zu bejahen, wenn das Papier selbst seinem Eigentümer nur kurzfristig entzogen wird. Der Diebstahl als ein klar konturiertes Delikt gegen fremde Sachherrschaft ist dann zu einem farblosen und in seinen Grenzen dubiosen Bereicherungsdelikt geworden. Diese Mängel der S ach Werttheorie übernimmt die Vereinigungstheorie um den Preis einer rechtsstaatlich geradezu anrüchig austauschbaren Argumentation, denn sie bedient sich willkürlich der Sachsubstanz- und der Sachwerttheorie, ohne einen Oberbegriff der Sachsubstanz- und Sachwertzueignung zu bilden. Zwar mag es richtig sein, daß Sachwert- und Substanzzueignung die verschiedenen möglichen Eigentumsverletzungen erfassen. Im dogmatischen Ausgangspunkt schließen sie einander jedoch aus. 44 Auch die Betonung, daß der Sachwerttheorie innerhalb der Vereinigungstheorie nur subsidiäre Bedeutung zukommt 45 , ändert daran nichts. MAIWALD, Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970, S. 79: "Als Ergebnis der Betrachtung der Vereinigungslehren bleibt demgemäß der Befund, daß sie auch in ihrer heutigen Form Sachwert" und Sachsubstanztheorie jeweils nur zur kriminalpolitisch erwünschten Lückenschließung benutzen, daß sie aber beide Theorien nicht als Ausprägung eines Prinzips rechtfertigen, mit dem das Wesen der Zueignung gekennzeichnet werden könnte. Sachwert- und Sachsubstanztheorie kommen in Einzelfällen aufgrund ihrer methodisch verschiedenen Ausgangspunkte zu verschiedenen Ergebnissen. Wird behauptet,

42

ZStW 65 (1953) S. 575 ff.

43

Dazu BGHSt 4 S. 238; 19 S. 388; BGH NJW 1985 S. 812; ESER JuS 1964 S. 481; GRIBBOHM NJW 1 9 6 8 S. 1 2 7 0 ; KREY B . T . 2 , R d n . 5 1 f f ; KÜPER B . T . , S. 4 1 2 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 2 2 ; PAULUS

Der strafrechtliche Begriff der Sachzueignung, 1968, S. 220; RENGIER B.T. I, § 2 Rdn. 41; Ruß LK, § 2 4 2 R d n . 4 9 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 4 7 ; TENCKHOFF J u S 1 9 8 0 S. 7 2 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 2 R d n . 18; ULSENHEIMER J u r a 1 9 7 9 S. 178; WESSELS N J W 1 9 6 5 S. 1 1 5 3 . 44

Dazu auch OTTO JuS 1980 S. 491; DERS. Struktur, S. 169 ff; RUDOLPHIGA 1965 S. 33.

4 5

V g l . z . B . KREY B . T . 2 , R d n . 5 1 ; TENCKHOFF J u S 1 9 8 0 S. 7 2 5 ; ULSENHEIMER J u r a 1 9 7 9 S. 175.

155

48

49

50 51

52

53

§40

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Zueignung sei Zuführung des wirtschaftliches Wertes einer Sache oder Anmaßung des Eigentums an der Substanz, so befindet man sich in der Situation des Schuljungen, der Ä p f e l und B i m e n addiert: Der Zueignungsbegriff, der damit zustande kommt, ist ein unverbundenes Nebeneinander zweier nicht vergleichbarer Größen."

54 Soll der erklärte Wille des Gesetzgebers, "eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten ... zuzueignen", nicht umgangen werden, so ist an der Sachsubstanztheorie nicht vorbeizukommen, denn das Gesetz verlangt eine Zueignung der Sache, begnügt sich aber nicht mit der Verschaffung des Wertes der Sache. b) Die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffes 55 Gemeinhin werden zwei Elemente als konstitutiv für den Zueignungsbegriff angesehen: die auf Dauer angelegte Enteignung des Berechtigten und die zumindest zeitweise Aneignung des Diebstahlsobjekts durch den Täter. Innerhalb der "Aneignung" wird sodann mehr oder minder deutlich darauf hingewiesen, daß es dem Täter auch darum gehen muß, "Vorteile" aus der Tat zu ziehen. Diese Verquickung verschiedener Probleme begünstigt Mißverständnisse. Als Elemente des Zueignungsbegriffes sind vielmehr zu unterscheiden: 56 aa) Die Enteignung des Berechtigten, das ist Entziehung der Sachherrschaft des Berechtigten. - Dieser entspricht gleichsam spiegelbildlich: bb) Die Aneignung durch den Täter, d.h. die Begründung einer Eigenbesitzerposition durch den Täter. cc) Darüber hinaus ist erforderlich die Absicht des Täters, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftliche Nutzung heißt allerdings nicht nur Nutzung im Wirtschaftsverkehr, sondern Gebrauchen, Verbrauchen, in Besitz haben u.a. H i n g e g e n ist die bloße Absicht, einem anderen die Sache zu entziehen, sei es um ihn zu schädigen oder um ihn zu ärgern, nicht wirtschaftliche Nutzung der Sache.

57 Ein zeitliches Element - Entziehung der Sachherrschaft auf Dauer o.ä. - ist dem Zueignungsbegriff hingegen nicht wesentlich. Nicht die Dauer des Gebrauchs ist ein brauchbares Abgrenzungskriterium zur straflosen Gebrauchsanmaßung, sondern allein die Art und Weise des Gebrauchs: 58 Solange sich der Täter in der Rolle eines Fremdbesitzers sieht und hält, fehlt es an einer Zueignung. Der Täter maßt sich rechtswidrig den Gebrauch einer fremden Sache an. Hat der Täter jedoch gezeigt, daß er sich selbst in der Position des umfassend bestimmenden Sachherrn, des Eigenbesitzers sieht, so hat er sich die Sache zugeeignet. 46 59

D e m g e g e n ü b e r fordert die h.M., daß die Enteignung "auf Dauer angelegt sein muß". 4 ? In der Lösung problematischer Fälle mißt jedoch auch die h.M. d e m Dauerelement keine Bedeutung zu. Betont wird dann nämlich, daß auf Dauer nicht unbedingt e n d g ü l t i g 4 8 bzw. für i m m e r 4 9 heißen m ü s s e oder das Dauerelement wird schon dann bejaht, wenn der Berechtigte nicht mehr im eigenen N a m e n über die Sache verfügen kann.

60 Zueignung ist danach ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, daß er den 4 6

Dazu auch KINDHÄUSER Geerds-FS, S. 6 6 1 ; DERS. N K , § 2 4 2 Rdn. 81 ff.

4 7

Vgl. B G H S t 2 2 S. 46;GÖSSEL B.T. 2, § 6 Rdn. 5 7 ; GROPP JR 1985 S. 5 1 9 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 Rdn. 25; RUß L K , § 2 4 2 Rdn. 51; SCHMIDHÄUSER Bruns-FS, S. 3 5 0 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 Rdn. 51; SEELMANN JuS 1985 S. 4 5 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 2 Rdn. 19.

4 8

TENCKHOFF JuS 1980 S. 7 2 4 .

4 9

B G H N J W 1985 S. 812, 8 1 3 mit A n m . GROPP JR 1985 S. 5 1 8 ff, OTTO JK, StGB § 2 4 2 / 4 .

5 0

RANFT JA 1984 S. 2 8 4 .

156

Diebstahl

Berechtigten von der Sachherrschaft über eine fremde Sache begründet, schaftlich nutzen will.

§40

ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirt-

c) Zur Einübung: Enteignung des Berechtigten - Aneignung durch den Täter

^

aa) OLG Celle JR 1967 S. 3 8 9 5 1 : A nimmt im Warenhaus des B ein Taschenbuch mit, liest es durch und bringt es am nächsten Tag zurück.

62

OLG: A hat sich das Buch zugeeignet. - Die Entscheidung erscheint bei einem Taschenbuch vertretbar, weil dieses in der Regel beim Durchlesen so viel Schaden nimmt, daß es nicht mehr als neues Verkaufsobjekt angesehen werden kann und daher wegen Funktionsverlustes bei wertender Betrachtungsweise als eine qualitativ andere Sache erscheint. - Im Falle eines gebundenen Buches, das vorsichtig behandelt wird, wäre der Entscheidung hingegen kaum zu folgen, denn auch durch das Blättern und Anlesen einzelner Teile verliert dieses Buch noch nicht seine Eigenschaft als V e r k a u f s o b j e k t . ^ bb) BGHSt 35 S. 152: A entwendete dem B dessen eurocheque-Karte. Mit Hilfe dieser Karte und der ihr bekannten Geheimnummer will sie sich aus einem Geldautomaten Geld verschaffen.

63

BGH: Die Wegnahme einer codierten eurocheque-Karte in der Absicht, sich unbefugt durch ihre Benutzung und die Eingabe der zugehörigen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten zu verschaffen und sie sodann dem Berechtigten zurückzugeben, ist eine straflose Gebrauchsentwendung (furtum usus). - Dem ist zuzustimmen, denn in der Scheckkarte wird nur der Sachwert der Karte selbst verkörpert, nicht aber die mit Hilfe der Karte und der Geheimnummer zu erlangende Geldsumme.^ 3 cc) A entwendet dem B das Sparbuch, das ein Guthaben von DM 3000,- ausweist. A hebt DM 1000,- ab und verbraucht das Geld. Das Buch schickt er sodann - wie geplant - an B zurück.

64

Ergebnis: Die Anhänger der Sachwert- und der Vereinigungstheorie bejahen hier eine Wegnahme des Buches in der Absicht der Z u e i g n u n g . D e m kann nicht gefolgt werden: Mit der Wegnahme eines Legitimationspapieres verschafft sich der Täter zwar einen Vermögenswert. Dieser beruht auf der Möglichkeit, sich als Inhaber bestimmter Rechte zu legitimieren. Inhaber des Rechts oder eines Wertes, der dem des im Papier ausgewiesenen Rechts entspricht, wird der Täter mit der Wegnahme nicht. Mit der Einziehung des Rechts realisiert der Täter nicht den in dem Papier verkörperten Wert, vielmehr verschafft er sich dabei mit Hilfe des Papiers einen anderen Wert, der auf dem Legitimationswert beruht, mit diesem jedoch nicht identisch ist. Genausowenig wie in der Wegnahme eines Ausweises, mit dem sich der Täter als Berechtigter zur Abholung einer Sache ausweisen wilP^, eine Zueignung dieses Ausweises zu sehen ist, liegt in der Zueignung eines Legitimationspapieres eine Zueignung des in dem Papier ausgewiesenen Geldbetrages. dd) BGHSt 19 S. 387: Der wehrpflichtige A merkt eines Tages, daß sein Uniformkoppel weg ist. Nachts bricht er den Schrank des B auf und nimmt dessen Koppel an sich, um dieses 3 Monate später bei der Entlassung als das ihm übergebene zurückzugeben.

5 1

M i t A n m . D E U B N E R N J W 1 9 6 7 S. 1921 u n d ANDROULAKIS J u S 1 9 6 8 S . 4 0 .

5 2

D a z u ESER I V , N r . 3 A 3 1 ff; GRIBBOHM N J W

1968 S. 1270; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 24;

OTTO

S t r u k t u r , S . 181 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 5 1 ; SCHRÖDER J R 1 9 6 7 S . 3 9 0 ff. 53

So auch BayObLG NJW 1987 S. 663; OLG Hamburg NJW 1987 S. 336; EHRLICHER Bankautomatenmißbrauch, S. 39 f; HUFF NStZ 1985 S. 438 f; KREY B.T.2, Rdn. 513; LACKNER/KÜHL § 242 R d n . 2 3 ; LENCKNER/WINKELBAUER w i s t r a 1 9 8 4 S. 8 5 ; O T T O J R 1 9 8 7 S. 2 2 1 ; SCHMITT/ EHRLICHER J Z

1988 S. 364; STEINHILPER Jura 1983 S. 408 ff. - A.A. OLG Düsseldorf NStE Nr. 14 zu § 242 StGB; ALTENHAIN JZ 1997 S. 752 f (für die zum „electronic-cash-Verfahren" geeigneten Karten); SCHROTH NJW 1981 S. 729; SEELMANN JUS 1985 S. 289. - Zur Wegnahme einer sog. elektronischen Geldbörse: ALTENHAIN J Z 1 9 9 7 S . 7 5 9 f. 54

Dazu BGHSt 35 S. 157; FRANK StGB, § 242 Anm. VII 2 a; Ruß LK, § 242 Rdn. 54. - Vom Standpunkt der Sachsubstanztheorie bejahen die Zueignung gleichfalls: RUDOLPHI GA 1965 S. 53 f; WELZEL Lb., § 46, 2 a.

55

Vgl. OLG Hamm JMB1NRW 1953 S. 153: Zechenausweis.

157

65

§40

Z w e i t e r Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r d e s E i n z e l n e n

BGH: Keine Zueignung des Koppels, denn die Sachherrschaftsstellung des Eigentümers (Militärfiskus) wollte A sich nicht anmaßen. Diesem gegenüber wollte er stets Fremdbesitzer s e i n . " 66

ee) RGSt 57 S. 199: Der A ist Lagerarbeiter auf dem Getreidespeicher des G. Dort entwendet er Getreide, füllt es in Säcke und bringt es zu B. B veräußert, wie verabredet, das Getreide wiederum an G. Den Erlös teilen A und B. R G (unter Anwendung der Sachwerttheorie): Zueignung des Getreides durch A liegt vor. - Auch vom Boden der Sachsubstanztheorie ist dem zuzustimmen, wenn A die Veräußerung an den Eigentümer als eine von mehreren relevanten Nutzungsmöglichkeiten des Getreides sah, selbst wenn der Verkauf an den Eigentümer in erster Linie ins Auge gefaßt war. - Anders hingegen, wenn ausschließlich der Verkauf an den Eigentümer geplant war und etwa bei Verhinderung dieses Verkaufs die Sache dem Eigentümer auch ohne Entgelt wieder zur Verfügung gestellt werden sollte. Dann käme nur ein Betrug in B e t r a c h t . ^

67

ff) BGH NJW 1982 S. 2 2 6 5 5 8 : A nahm den Fernseher des H, der ihm D M 900,- schuldete, eigenmächtig an sich und ließ den H wissen, daß er diesen verkaufen werde, wenn H nicht bis zu einem bestimmten Termin seine Schulden zahlen würde. BGH: Keine Zueignung des Fernsehers durch A.

68

gg) BGH: M D R 1985 S. 155: B, die Geliebte des A, hatte diesen verlassen und befand sich mit L auf Ibiza. Um B und L zu trennen und B zu bestrafen, beschloß A, sich in den Besitz ihrer Habe zu setzen, insbesondere ihrer Kleidung, ihrer Personalpapiere und ihrer finanziellen Mittel. A hatte vor, der B die ihr gehörenden Gegenstände "möglicherweise" zurückzugeben, wenn sie nämlich zu ihm zurückkehren sollte. In Ausführung dieses Plans brach A mit einem Komplizen in das Appartement von B und L ein. Sie räumten dieses aus und brachten die Sachen über Barcelona nach Deutschland. B, die sich alsbald mit A versöhnte, erhielt einen Teil ihrer Sachen später zurück. BGH: A handelte in Zueignungsabsicht bzgl. aller Sachen: "Durch den Abtransport erlangte er, wie von ihm erstrebt, den unmittelbaren, seinem Vermögen zurechenbaren Besitz an den Sachen und dadurch in tatsächlicher Hinsicht zugleich eine dem Eigentum vergleichbare Sachherrschaft. Diese Position entzog er den Geschädigten endgültig, wenn auch hinsichtlich eines Teiles der Beute unter dem Vorbehalt späterer Wiedergutmachung ... Daß es dem Täter in einem solchen Fall nicht gerade darauf ankommt, den Berechtigten die Sache für immer vorzuenthalten, ist unter diesen Umständen nicht entscheidend." Dem ist zuzustimmen, denn in der Tat kommt es nicht darauf an, ob der Täter dem Opfer die Sache "für immer", "auf Dauer" oder sonst eine bestimmte Zeit entziehen will, sondern ob er sich eine Eigenbesitzerstellung über die Sachen verschaffen will. Diese Position wollte A aber erlangen, und er hat sie auch erlangt.

d) Zur Einübung: Wirtschaftliche Nutzung 69

aa) B G H wistra 1988 S. 186: Der A brachte den Hund der P an sich, um ihn ins Tierheim zu bringen, weil er beobachtet hatte, daß P den Hund wiederholt gequält hatte. BGH: Keine Zueignungsabsicht des A, denn er handelte nicht, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen.^

56

Dazu auch OLG Frankfurt NJW 1962 S. 1879; OLG Celle NdsRpfl 1964 S. 230; OLG Hamm NJW 1964 S. 1427; O L G Stuttgart N J W 1979 S. 2 7 7 ; ESER J u S 1964 S. 4 7 7 ; OTTO Struktur, S. 195; TENCKHOFF J u S 1980 S. 7 2 3 ; WESSELS J Z 1965 S. 6 3 1 .

57

Zum Streitstand einerseits: BGHSt 24 S. 119; KREY B.T.2, Rdn. 74; RUDOLPHI GA 1965 S. 43; TRÖNDLE StGB, § 242 Rdn. 19; WESSELS NJW 1965 S. 1156. - Andererseits: BOCKELMANN B.T./l, § 3 II 2 b; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S. 111 f f ; SCHRÖDER J R 1965 S. 27.

58

Mit Anm. BERNSMANN S. 2214 f. - Darüber hinaus vgl. auch B G H StV 1983 S. 329.

59

Vgl. dazu auch OLG Köln NJW 1997 S. 2611. Zur Abgrenzung der wirtschaftlichen Nutzung von der Zerstörungsabsicht: BGH JR 1978 S. 171 f mit Anm. GEERDS S. 172 f, und LIEDER NJW 1977 S. 2272; OLG Düsseldorf NJW 1987 S. 2526 mit Anm. KELLER JR 1987 S. 521. - Darüber hinaus: BGH GA 1971 S. 114; BGH bei Holtz, M D R 1982 S. 810.

158

Diebstahl

§40

bb) BGH StV 1987 S. 245: A wollte den B um Geld bestehlen, das er im Jackett des B vermutete. Er nahm das Jackett an sich und lief fort. An sicherem Ort durchsuchte er das Jackett. Da kein Geld darin enthalten war, warf er das Jackett fort.

7Q

BGH: Keine Zueignung des Jacketts, denn wenn es dem Täter allein auf den Inhalt eines Behältnisses ankommt, so will er sich das Behältnis nicht zueignen. Anders ist zu entscheiden, wenn es dem Täter darum geht, das Behältnis selbst zu nutzen, z.B. wenn er die Beute in einen Koffer des Opfers packt, um sie wegzutransportieren, auch wenn er beabsichtigt, den Koffer nach dem Transport fortzuwerfen."'

3. Absicht, sich oder einem Dritten die Sache rechtswidrig zuzueignen a) Der Zueignungsakt Bis zum Inkrafttreten des 6. StrRG setzte § 242 a.F. voraus, daß der Täter beabsichtigte, 71 sich die Sache zuzueignen. Das 6. StrRG dehnte die Zueignung auf die Drittzueignung aus. Die Problematik der Abgrenzung hat dadurch andere Schwerpunkte erhalten, ist aber keineswegs obsolet geworden, denn nach wie vor wird eine Sachzueignung verlangt, nicht aber eine bloße Wertverschaffung. Von einer Zueignung der weggenommenen Sache, sei es an den Täter oder einen Dritten, kann aber nur die Rede sein, wenn der Täter durch sein Verhalten, zumindest die Besitzposition an der Sache geändert hat. Er muß sich in einer Position befinden, die es ihm ermöglicht, besitzändernde Verfügungen durchzuführen. b) Zur

Verdeutlichung

aa) BGH 1 StR 73/78: K wollte sich in das Ausland absetzen. Ihm fehlten allerdings die Mittel dazu. Diese sollten durch einen Raub beschafft werden, an dem A mitwirkte, weil sie dem K zu der Reise verhelfen wollte. Das erbeutete Geld nahm K sofort an sich.

72

BGH: A hat sich die Beute zugeeignet, denn sie hatte einen Nutzen aus der Tat, weil sie selbst wirtschaftlich nichts zu opfern brauchte, um das von ihr angestrebte Ziel - Unterstützung der Flucht des K - zu erreichen.^ Eine derart extreme Ausdehnung der Sachwerttheorie ist nach der neuen Gesetzeslage überflüssig geworden. Da A an dem Gewahrsamsbruch und der Begründung des Gewahrsams des K mitwirkte, eignete auch sie die Beute dem K zu. bb) BGH bei Daliinger, MDR 1974 S. 724 f (vereinfacht): A wußte, daß H wertvolle Schmucksachen bei sich hatte. Er überredete den B, diese der H wegzunehmen und ihm gegen Zahlung von DM 500,- auszuhändigen. B lauerte der H auf, nahm ihr den Schmuck weg und überbrachte den Schmuck bald darauf dem A gegen die versprochene Summe. BGH: B hat sich den Schmuck nicht zugeeignet. Er war lediglich Werkzeug und Gehilfe beim Diebstahl des A, der sich den Schmuck zueignete, als B ihn an sich nahm. Diese Konstruktion^ beruht auf der Prämisse, daß B Werkzeug des mittelbaren Täters ist. B ist angeblich absichtslos doloses Werkzeug des A. Dem kann nicht gefolgt werden, denn eine Herrschaftsposition des A über B, die die mittelbare Täterschaft voraussetzt^ liegt hier nicht vor. Der BGH erwähnt die Konstruktion in neueren Entscheidungen nicht m e h r . - Um zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen, bedarf es der Konstruktion aber überhaupt nicht. B entzog dem H die umfassende Sachherrschaftsposition und maßte sie sich selbst an. Dies geschah auch in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftlich nutzt der Täter das Tatobjekt nämlich nicht nur, wenn er es selbst benutzen oder verbrauchen will, sondern auch dann,

61

Eingehend OTTO Jura 1989 S. 143; Ruß Pfeiffer-FS, S. 61 ff.

62

Vgl. auch BGHSt 17 S. 93; BGH StV 1986 S. 61; BGHSt 40 S. 20, OLG Düsseldorf NJW 1996 S. 66.

6 3

H i e r z u a u c h ESER I V , N r . 4 A 14; LAMPE G A 1 9 6 6 S. 2 4 0 .

6 4

V g l . G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 2 1 R d n . 9 9 i n V e r b . m . R d n . 9 3 f f .

65

Vgl. BGH wistra 1987 S. 253 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 242/12; BGH NStZ-RR 1997 S. 297 f.

159

73

§40

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

wenn er durch Zueignung des Objekts an einen Dritten eine Vermögensumverteilung - sei es entgeltlich oder unentgeltlich - vornehmen will."® 74

cc) BGHSt (GrS) 41 S. 187 mit Anm. OTTO JZ 1996 S. 582 ff: A war als Leiter der Abteilung M des Ministeriums für Staatssicherheit (MfG) der DDR für die Postkontrolle zuständig. Schwerpunkt der Tätigkeit der Abteilung M war das Einbehalten von Zahlungsmitteln und Wertgegenständen, die bei der Postkontrolle gefunden wurden. Diese wurden nach Anweisung des A der Abteilung Finanzen des MfS zugeführt und anschließend dem Staatshaushalt der DDR zur Verfügung gestellt. BGH: A hat sich die Zahlungsmittel nicht zugeeignet, da er aus der Tat keinen Nutzen wirtschaftlicher Art erlangte - Der Große Senat in Strafsachen wies damit den - sachgerechten - Versuch des 5. Strafsenats des BGH, die Selbstzueignung von der umfassenden Sachherrschaftstellung des Täters der zu bestimmen, zurück.°7 Die Entscheidung des Großen Senats war mit ein Grund für die Gesetzesänderung.^ Unproblematisch kann jetzt - wenn man die Selbstzueignung sachwidrig wegen eines fehlenden eigenen wirtschaftlichen Nutzens ablehnt - eine Drittzueignung bejaht werden.

75

dd) Im Auslieferungslager der Firma X lädt der Lagerarbeiter A ohne Wissen des Kunden K zehn Zentner Kohlen auf den Wagen des K, statt der auf dem Lagerschein stehenden acht Zentner. Ergebnis: Da A niemals selbst umfassende Sachherrschaft über die Kohlen erlangt hat, hat er sie sich nicht zugeeignet. Hier liegt eine Drittzueignung vor.

76

ee) RGSt 21 S. 110 einerseits, RGSt 47 S. 147 andererseits: A hatte dem K Bretter als eigene verkauft, die in Wirklichkeit dem X gehörten und in dessen Gewahrsam lagen. Er zeigte dem K die Bretter, und K holte die Bretter an einem der nächsten Tage ab. RGSt 21 S. 110: Keine Zueignung der Bretter durch A. Anders hingegen - unter Verwendung der Sachwerttheorie - RGSt 47 S. 147. - Diese Entscheidung ist evident unrichtig, denn da der „Verkauf der Bretter die Besitzsituation überhaupt nicht verändert hatte, läge hier eine Zueignung vor der Wegnahme vor. Allein die Sachsubstanztheorie eröffnet hier die Möglichkeit der Annahme einer Zueignung, wenn man das Ansichnehmen der Bretter durch den gutgläubigen K dem A als Zueignung in mittelbarer Täterschaft zurechnet.^ 9

4. Absicht, sich die Sache rechtswidrig

zuzueignen

77 Die Absicht des Täters muß darauf gerichtet sein, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen, d.h. unter Umständen, die die Zueignung zu einer rechtswidrigen machen. 78 Nun ist in Fällen, in denen der Täter einen Anspruch auf die weggenommene Sache hat - z.B. A hat von B ein Schmuckstück gekauft, B übereignet dieses aber nicht -, die eigenmächtige Wegnahme der Sache sicher rechtswidrig, soweit nicht das Selbsthilferecht nach § 229 BGB eingreift. Fraglich ist dennoch, ob diese "unerlaubte Selbsthilfe" den Täter bereits zum Täter eines Vermögensdelikts macht. Denn ausschließlich vermögensrechtlich, d.h. hier wirtschaftlich betrachtet, hat der Täter genau die Vermögenslage hergestellt, auf die er nach der Rechtslage einen Anspruch hatte, auch wenn der Weg rechtswidrig war. Vorzuwerfen ist diesem Täter daher die Art seines Vorgehens, die eingetretene Vermögenslage kann hingegen nicht als rechtswidriger Zustand angesehen werden. Damit aber liegt der Vorwurf gegen den Täter nicht darin, durch Entziehung von Vermögen eine rechtswidrige Vermögenslage geschaffen, sondern darin, einen auch von der Rechtsordnung gewünschten Zustand auf einem von der Rechtsordnung nicht gebilligten Weg herbeigeführt zu haben. Derartige Verhaltensweisen waren im gemeinen Recht

66

Dazu auch KINDHÄUSER Geerds-FS, S. 666; DERS. NK, § 242 Rdn. 94 ff; OTTO Struktur, S. 269 ff; ROXIN T a t h e n - s c h a f t , S. 3 3 9 f f ; RUDOLPHI G A 1 9 6 5 S . 5 1 ; TENCKHOFF J u S 1 9 8 0 S. 7 2 6 ; WOLFSLAST

NStZ 1994 S. 544. 67

Vgl. BGH NStZ 1995 S. 131 mit Anm. BROCKER wistra 1995 S. 292 ff, HÄUF DRiZ 1995 S. 144 ff, SCHROEDER JR 1995 S. 95 ff; BGH NStZ 1995 S. 442.

68

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 43.

69

Eingehender dazu OTTO Struktur, S. 268 f.

160

Diebstahl

§40

als "unerlaubte Selbsthilfe" unter Strafe gestellt. Der Gesetzgeber des Reichsstrafgesetzbuches hielt einen eigenen Tatbestand nicht mehr für sinnvoll, da im Falle gravierender Rechtsverletzungen die §§ 123, 240, 223 hinreichenden Rechtsschutz gewährten. An dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers ist auch heute noch festzuhalten: die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist streng von der angestrebten Vermögenslage her zu bestimmen, die Art und Weise des Vorgehens selbst bleibt bei diesem Wertungsvorgang unbeachtet. Die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung ist damit ein unmittelbar auf die Zueignung und damit ausschließlich auf die erstrebte Vermögenslage bezogenes Tatbestandsmerkmal ,70 a) Die Rechtswidrigkeit der Zueignung entfällt demgemäß nach h.M., wenn der Täter ei- 79 nen fälligen Anspruch auf Übereignung der weggenommenen Sache hat (Speziesschuld). RGSt 64 S. 210: A hatte vom Forstamt bestimmte Eichenstämme gekauft. Zwei Raten hatte er bezahlt, mit dem Restkaufpreis aufgerechnet, als er die Stämme abfahren ließ, ohne daß diese ihm zuvor vom Forstamt übereignet worden waren. RGSt 64 S. 213: A eignet sich die Stämme nicht rechtswidrig zu, sondern verwirklicht lediglich seinen Rechtsanspruch auf Übereignung der Stämme. "Die Rechtswidrigkeit in diesem Sinne muß in einem vom Recht mißbilligten Widerspruch gerade zu dem Eigentumsrechte des Verletzten (mit der rechtlichen Eigentumsordnung) stehen. Hat der Wegnehmende aber einen fälligen und unbeschränkten Anspruch auf Übereignung einer bestimmten Sache, so schafft die Verwirklichung dieses Anspruchs durch Wegnahme und Aneignung der Sache - anders als wenn die Wegnahme einer Sache zu dem Zwecke erfolgt, sich damit wegen einer Geldforderung bezahlt zu machen - nur den vom Rechte gewollten Zustand. Darauf, ob der Täter dabei in berechtigter Selbsthilfe handelt, kommt es nicht an, da der Mangel des Rechts zur Selbsthilfe nur die Besitzentziehung, nicht aber die dem Recht gerade entsprechende Zueignung rechtswidrig machen kann."

b) Gleichfalls fehlt es an der Absicht rechtswidriger Zueignung, wenn der Täter überzeugt go ist, einen Anspruch auf die konkrete Sache zu haben, der in Wirklichkeit nicht besteht. Das folgt daraus, daß es sich bei der Absicht rechtswidriger Zueignung um ein subjektives Tatbestandsmerkmal handelt. 71 c) Bei Sachen, die der Gattung nach geschuldet werden, soll hingegen nach h.M. die Zu- 81 eignung der geschuldeten Menge rechtswidrig sein, da der Anspruch des Täters nicht auf die konkret weggenommene Gattungssache geht. - Diese Unterscheidung ist aber dann, wenn der Sachverhalt von seiner vermögensrechtlichen, wirtschaftlichen Seite her gesehen wird, sachwidrig, denn ein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache wird auch hier nicht verletzt. Bei der Gattungsschuld kann das Wahlrecht nur deshalb vom Gesetzgeber dem Schuldner überlassen bleiben, weil der Gesetzgeber nicht bereit ist, einen relevanten wirtschaftlichen Unterschied zwischen den einzelnen Stücken anzuerkennen. Im übrigen aber spielt diese Schuld heute im Wirtschaftsleben eine Rolle bei industriellen Serienprodukten und beschränkten Vorratsschulden. Hier ist es offensichtlich, daß das Wahlrecht dem Schuldner keine wirtschaftlichen Vorteile zu bringen vermag. - Dann aber ist es nur konsequent und sachgerecht, die Rechtswidrigkeit der Zueignung immer dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig, ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld. In dieser Situation wird kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache verletzt. 70

So auch BGH G A 1962 S. 144 f; BGH GA 1968 S. 121; BGH wistra 1987 S. 136; BGH StV 1988 S . 5 2 9 ; B G H N J W 1 9 9 0 S . 2 8 3 2 ; ESER I V , N r . 4 A 17 f f ; KREY B . T . 2 , R d n . 9 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 2 7 f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 5 6 ; O T T O S t r u k t u r , S . 2 1 2 f ; R U ß L K , § 2 4 2 R d n . 68;SCHMIDHÄUSER B r u n s - F S , S . 3 5 9 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 2 R d n . 2 1 ; W A R D A J u r a 1 9 7 9 S . 7 7 . - A . A . HIRSCH J Z 1 9 6 3 S . 1 4 9 ; WELZEL L b . , § 4 7 , 3.

7 1

V g l . B G H S t V 1 9 8 8 S . 5 2 6 ; B G H S t V 1 9 8 8 S . 5 2 9 ; B G H N J W 1 9 9 0 S . 2 8 3 2 ; GRIBBOHM N J W 1 9 6 8 S . 2 4 0 f; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S. 1 5 9 f f ; DERS. Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S . 9 5 5 ; OTTO S t r u k t u r , S . 2 1 2 .

161

§41

g2

Z w e i t e r Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r d e s E i n z e l n e n

Fall: A hat bei B 10 Zentner Koks einer bestimmten Größenordnung gekauft und bezahlt. Trotz Mahnung liefert B nicht. Eines Nachts erscheint A und entwendet 10 Zentner Koks der vereinbarten Sorte. Dem B teilt er mit, daß die Angelegenheit erledigt sei. Ergebnis: Die h.M. würde hier eine rechtswidrige Zueignung bejahen und allenfalls einen Tatbestandsirrtum zugestehen, falls A der Unterschied zwischen Gattungs- und Speziesschuld unbekannt war. - Nach der hier vertretenen Auffassung fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung.

83 d) Ist eine bestimmte Geldsumme Gegenstand der Schuld, so wird auch von Anhängern der h.M. zum Teil versucht, die mißlichen Konsequenzen der Bejahung der rechtswidrigen Zueignung zu vermeiden, wenn der Gläubiger sich die entsprechende Summe mit rechtswidrigen Mitteln zueignet. Argumentiert wird, der Geldschuldner schulde keine Sache, sondern eine Geldsumme. Werde ihm daher die geschuldete Summe weggenommen, so werde ihm entzogen, was er schulde. 72 84 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, denn wird Geld nicht als Sache, sondern als eine von einer Sache verschiedene Summe geschuldet, so fällt die Wegnahme von Geld nicht unter den Tatbestand des § 242. BGHSt 17 S. 88: Der G schuldete dem A noch mindestens DM 20,-. Eines Tages traf A den G auf der Straße. Er forderte ihn mit den Worten: "Moos raus", zur Bezahlung seiner Zechschulden auf. G wandte sich jedoch zum Weitergehen. A hielt den G fest, durchsuchte die Taschen G's und fand darin einen Zehnmarkschein und einen Fünfmarkschein. Beide nahm er ihm weg. BGH: Zueignung rechtswidrig, da A keinen Anspruch auf die konkret weggenommenen Geldscheine hatte. Wenn A sein Verhalten für erlaubt hielt, so kann dies ein Tatbestandsirrtum gewesen sein, wenn A davon ausging, er hätte einen Anspruch auf die konkret vorgefundenen Geldscheine.

85 Nach der hier vertretenen Ansicht fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung. Diese ist stets dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld, wenn in dieser Situation kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Leistung besteht. 73

§ 41: Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 1

2

3

1. Die Rechtsnatur des § 243 Abs. 1 § 243 Abs. 1 eröffnet für bestimmte Diebstahlsfälle die Möglichkeit der Anwendung eines höheren Strafrahmens. Es handelt sich um Strafzumessungsgründe, und zwar um Erschwerungsgründe in Form von Regelbeispielen und nicht um Qualifikationsmerkmale, denn sie enthalten keine zwingende und abschließende Regelung. 7 4 Das bedeutet: Trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ist der Richter nicht gezwungen, den Strafrahmen des § 243 anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Tat erhebliche, für den Täter günstige Gesichtspunkte in den Vordergrund treten läßt. Wird jedoch bei Vorliegen eines Regelbeispiels der Strafrahmen des § 243 herangezogen, so bedarf dies keiner besonderen Begründung. Darüber hinaus kann der Richter

7 2

V g l . d a z u HEUBEL JUS 1 9 8 4 S . 4 5 0 ; ROXIN H . M a y e r - F S , S . 4 6 7 f f ; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 5 9 .

7 3

V g l . GRIBBOHM N J W 1 9 6 8 S . 2 4 0 f ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 1 1 9 ; KREY B . T . 2 , R d n . M A I W A L D Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S . 9 5 5 ; OTTO J Z 1 9 9 3 S . 5 6 4 ; R u ß L K , § 2 4 2 R d n . 6 9 .

7 4

H . M . - A . A . q u a l i f i z i e r t e T a t b e s t a n d s m e r k m a l e : CALLIES J Z 1 9 7 5 S . 1 1 2 f f ; DERS. N J W 1 9 9 8 S . 9 2 9 f f , 9 3 5 ; JAKOBS A . T . , 2 . A u f l . 1 9 9 1 , 6 / 9 9 .

162

98;

§41

g2

Z w e i t e r Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r d e s E i n z e l n e n

Fall: A hat bei B 10 Zentner Koks einer bestimmten Größenordnung gekauft und bezahlt. Trotz Mahnung liefert B nicht. Eines Nachts erscheint A und entwendet 10 Zentner Koks der vereinbarten Sorte. Dem B teilt er mit, daß die Angelegenheit erledigt sei. Ergebnis: Die h.M. würde hier eine rechtswidrige Zueignung bejahen und allenfalls einen Tatbestandsirrtum zugestehen, falls A der Unterschied zwischen Gattungs- und Speziesschuld unbekannt war. - Nach der hier vertretenen Auffassung fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung.

83 d) Ist eine bestimmte Geldsumme Gegenstand der Schuld, so wird auch von Anhängern der h.M. zum Teil versucht, die mißlichen Konsequenzen der Bejahung der rechtswidrigen Zueignung zu vermeiden, wenn der Gläubiger sich die entsprechende Summe mit rechtswidrigen Mitteln zueignet. Argumentiert wird, der Geldschuldner schulde keine Sache, sondern eine Geldsumme. Werde ihm daher die geschuldete Summe weggenommen, so werde ihm entzogen, was er schulde. 72 84 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, denn wird Geld nicht als Sache, sondern als eine von einer Sache verschiedene Summe geschuldet, so fällt die Wegnahme von Geld nicht unter den Tatbestand des § 242. BGHSt 17 S. 88: Der G schuldete dem A noch mindestens DM 20,-. Eines Tages traf A den G auf der Straße. Er forderte ihn mit den Worten: "Moos raus", zur Bezahlung seiner Zechschulden auf. G wandte sich jedoch zum Weitergehen. A hielt den G fest, durchsuchte die Taschen G's und fand darin einen Zehnmarkschein und einen Fünfmarkschein. Beide nahm er ihm weg. BGH: Zueignung rechtswidrig, da A keinen Anspruch auf die konkret weggenommenen Geldscheine hatte. Wenn A sein Verhalten für erlaubt hielt, so kann dies ein Tatbestandsirrtum gewesen sein, wenn A davon ausging, er hätte einen Anspruch auf die konkret vorgefundenen Geldscheine.

85 Nach der hier vertretenen Ansicht fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung. Diese ist stets dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld, wenn in dieser Situation kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Leistung besteht. 73

§ 41: Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 1

2

3

1. Die Rechtsnatur des § 243 Abs. 1 § 243 Abs. 1 eröffnet für bestimmte Diebstahlsfälle die Möglichkeit der Anwendung eines höheren Strafrahmens. Es handelt sich um Strafzumessungsgründe, und zwar um Erschwerungsgründe in Form von Regelbeispielen und nicht um Qualifikationsmerkmale, denn sie enthalten keine zwingende und abschließende Regelung. 7 4 Das bedeutet: Trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ist der Richter nicht gezwungen, den Strafrahmen des § 243 anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Tat erhebliche, für den Täter günstige Gesichtspunkte in den Vordergrund treten läßt. Wird jedoch bei Vorliegen eines Regelbeispiels der Strafrahmen des § 243 herangezogen, so bedarf dies keiner besonderen Begründung. Darüber hinaus kann der Richter

7 2

V g l . d a z u HEUBEL JUS 1 9 8 4 S . 4 5 0 ; ROXIN H . M a y e r - F S , S . 4 6 7 f f ; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 5 9 .

7 3

V g l . GRIBBOHM N J W 1 9 6 8 S . 2 4 0 f ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 1 1 9 ; KREY B . T . 2 , R d n . M A I W A L D Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S . 9 5 5 ; OTTO J Z 1 9 9 3 S . 5 6 4 ; R u ß L K , § 2 4 2 R d n . 6 9 .

7 4

H . M . - A . A . q u a l i f i z i e r t e T a t b e s t a n d s m e r k m a l e : CALLIES J Z 1 9 7 5 S . 1 1 2 f f ; DERS. N J W 1 9 9 8 S . 9 2 9 f f , 9 3 5 ; JAKOBS A . T . , 2 . A u f l . 1 9 9 1 , 6 / 9 9 .

162

98;

Schwere Fälle des Diebstahls

§41

nach h.M. auf den Strafrahmen des § 243 zurückgreifen, wenn zwar kein Regelbeispiel gegeben ist, aber "das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist". 75 - Mit der Forderung nach dieser Gesamtwertung wird der Versuch des Gesetzgebers, durch Regelbeispiele einen bestimmten Unrechtstypus zu beschreiben, und zwar nicht abschließend, wohl aber typisierend beispielhaft, und dadurch die unbenannten Strafänderungsgründe stärker zu konkretisieren, zunichte gemacht. Aufgrund einer solchen Gesamtbewertung kann der Strafrahmen des § 243 eröffnet sein bei Anwendung von List durch den Täter, bei einem Vertrauensbruch durch den Täter, bei Anrichtung eines besonders großen Schadens und dann, wenn der Täter seine Stellung als Beamter ausnutzt. 7 ^

2. § 243 Abs. 1: Die einzelnen

4

Regelbeispiele

a) § 243 Abs. 1 Nr. 1: Einbruchs- und Nachschlüsseldiebstahl aa) Die einzelnen Merkmale des Beispiels: Oberbegriff der geschützten Räumlichkeiten ist der umschlossene Raum, das ist ein Raumgebilde, das - mindestens auch - dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden und das mit - mindestens teilweise künstlichen - Vorrichtungen umgeben ist, die das Eindringen von Unbefugten abwehren sollen. 77 Beispiele: Bauwagen, Schiffe, abgetrennte Abteilungen eines Gebäudes (BGHSt 1 S. 158 ff); umzäunte Friedhöfe bei Nacht (BGH NJW 1954 S. 1897); von Gartenhecke oder Umzäunung, die Unbefugte fernhalten soll, umgebenes Grundstück (BGH NStZ 1983 S. 168; BGH StV 1984 S. 204); Untergrundbahnhöfe (OGHSt 3 S. 113 f); Bahnhofshallen mit durchgehenden Gleisen (RGSt 55 S. 154).

5

6

Begrifflich sind auch Wohnungen umschlossene Räume. Den „Wohnungseinbruch" hat das 6. StrRG jedoch als qualifizierten Diebstahlsfall in § 244 Abs. 1 Nr. 3 erfaßt. Nicht hingegen: Öffentliche Fernsprechzellen (OLG Hamburg NJW 1962 S. 1453), umzäunte Viehweide, da Zaun in erster Linie ein Ausbrechen des Viehs verhindern soll (OLG Bremen JR 1951 S. 88).

Das Gebäude ist ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest - wenn auch nur durch die eigene Schwere - verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet und das Unbefugte abhalten soll. 78

7

Beispiele: Häuser, Baracken, Baubuden.

Dienst- oder Geschäftsräume sind die den Dienst- oder Geschäftszwecken dienenden 8 Räume. Einbrechen ist jedes gewaltsame Öffnen der Umschließung eines Raumes von außen. - 9 Nicht erforderlich ist, daß der Täter in den Raum eintritt, um dann zu stehlen. Es genügt, daß der Täter in den Raum hineinlangt, um zu stehlen, oder einen umschlossenen Raum (z.B. Pkw) aufbricht, um ihn wegzunehmen. Einsteigen ist das Betreten eines Raumes auf nicht ordnungsgemäßem Wege. Der Täter 10 muß nicht mit dem ganzen Körper eingedrungen sein, es genügt, daß er sich innerhalb des geschützten Raumes einen festen Stützpunkt verschafft hat. 79

75

BGHSt 29 S. 322.

76

Vgl. dazu BGHSt 29 S. 322 mit Anm. BRUNS JR 1981 S. 335 f; TRÖNDLE StGB, § 243 Rdn. 37 ff.

77

BGHSt 1 S. 164.

78

BGHSt 1 S. 163.

79

OLG Hamm NJW 1960 S. 1359.

163

§41

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Beispiele: Durchzwängen durch Lüftungsschacht, Übersteigen einer Umfriedung, Einsteigen durch ein Fenster, selbst wenn dies auch vom Berechtigten als Zugang benutzt wird, weil die Tür kaputt ist (RGSt 59 S. 171). - Durchzwängen oder Durchkriechen durch eine Hecke (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810).

11 Falscher Schlüssel ist jeder Schlüssel, der vom Berechtigten nicht oder nicht mehr zur Öffnung des Verschlusses bestimmt ist. 80 Der Wille, daß andere Personen den Schlüssel nicht benutzen sollen, 81 oder der bloße Verlust macht den richtigen Schlüssel noch nicht zum "falschen". Er wird es erst dadurch, daß ihm der Berechtigte die Bestimmung zur ordnungsgemäßen Öffnung entzieht. - Dies kann konkludent geschehen, z.B. durch Beschaffung eines neuen Schlüssels, kann aber auch bei Kenntnis des Diebstahls als Regelfall unterstellt werden. 82 12 Andere zur ordnungsgemäßen Öffnung nicht bestimmte Werkzeuge sind Geräte, die ordnungswidrig auf den Mechanismus des Schlosses wirken. Beispiele: Dietrich, Haken u.a. - Nicht hingegen: Brechstange, da sie gewaltsam das Schloß sprengt.

13 Sich verborgen halten ist ein Aufhalten unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen gegen Entdeckung zum Zwecke der Tatausführung. Gleichgültig ist, ob der Täter legal oder illegal in die Räume gelangt ist; maßgeblich ist allein, daß sein Aufenthalt zur Tatzeit rechtswidrig ist. Beispiel: Der Kunde K versteckt sich unter einem Tisch im Warenhaus und läßt sich nach Geschäftsschluß einschließen, um nachts in aller Ruhe zu stehlen.

14 bb) Der Täter muß bei der Überwindung der Gewahrsamssicherung zur Ausführung der Tat gehandelt haben. - Ein nachträglicher Entschluß, einen Diebstahl zu begehen, genügt nicht. Fall: A steigt in das Haus des B ein, um diesen zu verprügeln. Als er sieht, daß B abwesend ist, entwendet er ein Gemälde. Ergebnis: § 243 Abs. 1 Nr. 1 findet keine Anwendung.

15 cc) Nicht erforderlich ist es, daß aus dem Raum, in den der Täter eingedrungen ist, gestohlen wird. Es genügt, daß er mit seiner Tathandlung eine Gewahrsamssicherung in Bezug auf das Tatobjekt überwunden hat. Beispiele: Aufbrechen eines Pkw, um diesen zu stehlen; Einbruch in einen Raum, um aus diesem den Schlüssel für den Raum, aus dem gestohlen werden soll, zu holen.

16 dd) Nach h.M. soll auch derjenige, der an sich zum Aufenthalt in dem umschlossenen Raum oder Gebäude berechtigt ist, die Begehungsform der Nr. 1 verwirklichen können. 83 - Dem ist nicht zuzustimmen, wenn der Täter sich auch ohne weiteres den Zugang auf ordnungsgemäße Weise hätte verschaffen können. Denn dann dient "sein Einbruch" nicht der Überwindung einer Gewahrsamsschranke, sondern allein zur Ablenkung des Verdachts. b) § 243 Abs. 1 Nr. 2: Diebstahl besonders gesicherter Sachen 17 aa) Schutzvorrichtungen sind technisch geschaffene Einrichtungen, die dazu geeignet und bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Beispiele: Schlösser, insbes. Lenkrad- und Fahrradschlösser. - Str.: Geldherausgabevorrichtung eines Geldspielautomaten (vgl. BayObLG JR 1982, S. 292 mit Anm. MEURER S. 292 ff). Nicht hingegen: Si-

80

Vgl. BGH StV 1993 S. 422.

81

Vgl. dazu BGH StV 1998 S. 204.

82

BGHSt21 S. 190.

83

Vgl. BGHSt 22 S. 127 mit abl. Anm. SÄCKER NJW 1968 S. 2116 f.

164

Schwere Fälle des Diebstahls

§41

cherungsetikett im Kleidungsstück, da es die Ware nicht gegen den Gewahrsamsbruch, sondern gegen die Entfernung aus dem Laden sichert (OLG Frankfurt MDR 1993 S. 671; OLG Düsseldorf StV 1998 S. 204). Die in Nr. 1 genannten Gewahrsamsvorrichtungen kommen als Schutzvorrichtungen der Nr. 2 nicht in Betracht. Insoweit ist Nr. 1 als Spezialfall der Nr. 2 anzusehen. 8 4

bb) Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen dienendes und sie umschließendes Raum- 18 gebilde, das nicht dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden. 85 Beispiele: Schränke, Kassetten, Registrierkassen, Kofferraum eines Pkw. - Maßgeblich: die erhöhte Gewahrsamssicherung. - Kein Behältnis in diesem Sinne daher: Briefumschlag, Hosentasche, o.a. BGH NJW 1972 S. 167: A nahm einen Automaten ("Nußglocke") aus einer Gaststätte mit, um sich zu Hause in aller Ruhe das Geld aus diesem herauszuholen. Dies gelang auch. BGH: § 243 Abs. 1 Nr. 2 findet Anwendung. - Dagegen SCHRÖDER NJW 1972 S. 778 ff: Die den Gewahrsam des Berechtigten in erhöhtem Maße schützende Funktion ist inzwischen verlorengegangen. - Dem ist zuzustimmen: Im Machtbereich des Berechtigten war die Sicherung des Geldes durch die Umhüllung des Automaten eine besondere Gewahrsamssicherung, nicht aber außerhalb dieses Bereiches.

cc) Verschlossen ist das Behältnis, wenn sein Inhalt durch eine technische Schließ- 19 Vorrichtung oder auf andere Weise, z.B. durch Verschnüren, gegen den ordnungswidrigen Zugriff von außen gesichert ist. Nach dem Sinn der Vorschrift scheidet ein ordnungsgemäßes Öffnen als Straferhöhungsgrund aus. Das Regelbeispiel ist daher nicht erfüllt, wenn der im Behältnis steckende Schlüssel verwendet wird oder derjenige das Behältnis öffnet, der den Schlüssel befugterweise in Besitz hat. - Gleiches gilt beim Öffnen des Behältnisses durch einen Nothebel oder eine "Geheimtaste", die den Täter bekannt ist. 8 6 dd) Gegen Wegnahme besonders gesichert erfordert einen spezifischen Schutzzweck der 20 Vorrichtung gegen Wegnahme der gesicherten Sache. OLG Hamm NJW 1978 S. 769: mit Klebestreifen verschlossene Kartons in mit Schnur verschlossenem Postsack.

c) § 243 Abs. 1 Nr. 3: Gewerbsmäßiger Diebstahl Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Ein- 21 nahmequelle verschaffen will. 87 Diese Einstellung kann schon bei der 1. Tat vorliegen. d) § 243 Abs. 1 Nr. 4: Kirchendiebstahl Das Tatobjekt muß dem Gottesdienst gewidmet sein, wie z.B. der Altar, Kelche o.ä., oder 22 der religiösen Verehrung dienen, wie z.B. Heiligenbilder, Votivtafeln o.ä. Nicht erfaßt sind Einrichtungsgegenstände, Gesangbücher usw. e) § 243 Abs. 1 Nr. 5: Diebstahl von Sachen mit kultureller Bedeutung Geschützt sind nur Gegenstände von Bedeutung ßr Wissenschaft, Kunst usw., d.h. Ob- 23 jekte, deren Verlust für die betroffenen Bereiche eine erhebliche Einbuße bedeutet. - Allgemein zugänglich ist eine - öffentliche oder private - Sammlung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich ist. Die Erhebung eines Eintrittsgeldes steht der Öffentlichkeit nicht entgegen. - Öffentlich ausgestellt sind Sachen an allgemein zugänglichen Orten.

84

Vgl. BayObLG JR 1973 S. 507 mit Anm. SCHRÖDER S. 507 f.

85

Vgl. BGHSt 1 S. 163.

86

Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 243 Rdn. 15. - A.A. OLG Frankfurt NJW 1988 S. 3028; AG Freiburg NJW 1994 S. 400.

87

Dazu BGHSt 1 S. 383. t

165

§41

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

f) § 243 Abs. 1 Nr. 6: Diebstahl unter Ausnutzung der Notlage anderer 24 aa) Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer der Tat aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, sich gegen die seiner Sachherrschaft drohende Gefahr zu schützen. BayObLG JR 1973 S. 427 mit Anm. SCHRÖDER S. 427: A besuchte seinen blinden Arbeitskollegen B. Bei diesem Besuch entwendete er Geld, das auf einem Tischchen in der Wohnung des B lag. BayObLG: § 243 Abs. 1 Nr. 6 findet Anwendung.

25 Maßgeblich ist, ob der Täter eine Situation ausnutzt, in der das Opfer in erhöhtem Maß schutzwürdig ist. Dieses ist z.B. der Fall, wenn der Schlaf eines Kranken, nicht der Schlaf eines Gesunden zur Tat ausgenutzt wird. 8 8

26 bb) Unglücksfall: Eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, da ihm sonst erhebliche Gefahr an Leib und Leben droht. Beispiele: Unfall im Betrieb, Haushalt oder Verkehr (BGHSt 11 S. 135)

27 cc) Ob das Opfer der Tat die Notlage verschuldet hat, ist gleichgültig. 89 28 dd) Ausnutzen liegt vor, wenn der Täter die durch die Notlage geschaffene Gelegenheit zum Diebstahl nutzt. - Die Tat braucht sich dabei nicht gegen den in Not Geratenen zu richten, Tatopfer kann z.B. auch eine Person sein, die mit Hilfsmaßnahmen beschäftigt ist. g) § 243 Abs. 1 Nr. 7: Diebstahl von Feuerwaffen 29 Mit der Kennzeichnung des Diebstahls der hier genannten Feuerwaffen als besonders schwerer Fall wollte der Gesetzgeber den Strafrechtsschutz im Vorfeld schwerer Gewaltdelikte verstärken. - Die Verallgemeinerung einer im Einzelfall durchaus möglichen Gefahr als strafschärfendes Merkmal ist jedoch wenig überzeugend. 3. Vorsatz und Irrtum im Rahmen des § 243 Abs. 1 30 a) Die in § 243 Abs. 1 beschriebenen straferhöhenden Umstände müssen vom Täter vorsätzlich bewirkt werden, d.h. er muß sich der objektiven Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts bewußt sein; § 16 analog. Beispiel: A öffnet die Wohnung des B, um dort zu stehlen, mit einem Schlüssel, von dem er meint, er gehöre dem B. In Wirklichkeit ist es nicht der Schlüssel des B, doch ist das Schloß derart ausgeleiert, daß es sich mühelos mit dem von A verwendeten Schlüssel öffnen läßt. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.

31 b) Der Irrtum des Täters, ein Regelbeispiel zu verwirklichen, ersetzt dessen Vorliegen nicht. Der Handlungsunwert allein eröffnet nicht den erweiterten Strafrahmen des § 243 Abs. 1. Beispiel: A findet vor der Haustür des B einen Dietrich. Er kommt auf die Idee, damit in das Haus des B einzudringen und zu stehlen. - So geschieht es auch. Den Dietrich hatte jedoch B verloren. Er diente ihm seit langem zur Öffnung der Tür. - Demnach war der Dietrich das zur ordnungsgemäßen Öffnung der Tür bestimmte Werkzeug. Dies allerdings wußte A nicht. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.

88

Vgl. BGH NStZ 1990 S. 388; Ruß LK, § 243 Rdn. 32; TRÖNDLE StGB, § 243 Rdn. 34; - A.A. SCH/SCH/ESER § 2 4 3 R d n . 3 9 .

8 9

166

H . M . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 9 9 .

Schwere Fälle des Diebstahls

§41

4. Versuch a) Versuch und Regelbeispiel Streitig ist die Frage, ob der Strafrahmen des § 243 Abs. 1 auch dann eröffnet ist, wenn 32 der Diebstahl selbst im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Dabei ist zunächst danach zu unterscheiden, ob der Täter beim Versuch des Diebstahls das Regelbeispiel bereits verwirklicht hat oder nicht. BGH StV 1985 S. 103: A wollte mit zwei Komplizen aus dem Hause des X stehlen. Mit einem Hebelwerkzeug brachen die Täter das Vorhängeschloß einer Holztür auf und gelangten auf diese Weise in das Gebäude. Zur Wegnahme von Sachen kam es allerdings nicht mehr, weil sie von der Polizei überrascht wurden. BGHSt 33 S. 370: A und B wollten in eine Gaststätte einbrechen. A stand Schmiere, während B versuchte, eines der Butzenfenster der Gaststätte mit Hilfe eines Schraubenziehers aus der Bleifassung zu stemmen. Als B die Bleifassung gerade erst gelockert hatte, erschien die Polizei.

Ist im Falle eines erfolglos gebliebenen Diebstahlsversuchs ein Regelbeispiel objektiv und 33 subjektiv verwirklicht worden 90 , so bestehen keine Bedenken, die Regelwirkung durchgreifen zu lassen, so daß eine Bestrafung wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall, §§ 242, 22 in Verb, mit § 243 I S. 2 Nr. 1 erfolgt. 91 In diesem Falle kann die Strafe analog §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 gemildert werden, denn 34 eine direkte Anwendung des § 23 Abs. 2 kommt nicht in Betracht, da er sich nicht auf Regelfallbeispiele bezieht. 92 Von der Indizwirkung des Regelbeispiels kann hingegen keine Rede sein, wenn das 35 Regelbeispiel im Rahmen eines versuchten 93 oder vollendeten Diebstahls zwar verwirklicht werden sollte, aber nicht verwirklicht worden ist. Da der Gesetzgeber sich nicht damit begnügt hat, die Indizwirkung bereits an die geplante Erfüllung des Regelbeispiels zu knüpfen, sondern diese Wirkung an die Verwirklichung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Regelbeispiels gebunden hat, wäre eine Ausdehnung des gesetzlichen Anwendungsbereichs nur über §§ 22, 23 möglich. Diesem Weg steht jedoch Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. § 23 knüpft unmittelbar an die Regelung des § 22 an, der nur auf gesetzliche Tatbestände bezogen ist, nicht aber auf Strafzumessungsgründe. Aus § 23 Abs. 1 und Abs. 2 ist daher einzig und allein zu entnehmen, daß bei einem Deliktsversuch der Strafrahmen desjenigen Tatbestandes für die Strafzumessung entscheidend ist, zu dessen Verwirklichung der Täter im Sinne des § 22 unmittelbar angesetzt hat. Zur Bedeutung außertatbestandlicher Umstände bei dem Versuch macht § 23 Abs. 1, 2 keine Aussage. Es gibt nach dem klar zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers keinen "Versuch eines Straferschwerungsgrundes". § 243 Abs. 1 wiederum ist deutlich zu entnehmen, welche Voraussetzungen - unabhängig von der Frage, ob ein Straferschwerungsgrund außerhalb der Regelbeispiele aufgrund der Gesamtwürdigung von Tat und

90 9 1

Vgl. dazu BGH StV 1985 S. 103. V g l . z . B . : B G H S t V 1 9 8 5 S . 1 0 3 ; FABRY N J W 1 9 8 6 S . 1 8 ; RENGIER B . T . I, § 3 R d n . 2 9 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 8 R d n . 6 7 ; KREY B . T . 2 , R d n . 1 0 9 ; LACKNER/KÜHL § 4 6 R d n . 1 5 ; LAUBENTHAL J Z 1 9 8 7 S . 1 0 6 8 f f ;

RUß LK, § 2 4 3 Rdn. 36; SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 44; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 184 ff; TRÖNDLE S t G B , § 4 6 R d n . 4 8 ; WESSELS L a c k n e r - F S , S . 4 3 0 . - A . A . ARZT S t V 1 9 8 5 S . 1 0 5 ; CALLIES

JZ 1975 S. 112 ff. 92

Für die direkte Anwendung der §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1: BGH MDR 1986 S. 250; OLG Köln MDR 1973 S. 779; WESSELS Lackner-FS, S. 430. - Gegen die Zulässigkeit der Strafmilderung: TRÖNDLE StGB, § 46 Rdn. 48.

93

Vgl. dazu BGHSt 33 S. 376.

167

§41

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Täter vorliegt - erfüllt sein müssen, damit der Strafrahmen des § 243 eröffnet ist. Hätte der Gesetzgeber sich hier mit einem Handlungsunwert begnügen wollen, so hätte er dieses zum Ausdruck bringen müssen. Aus der früheren Fassung des § 243 ist jedenfalls kein Gegenargument herzuleiten, denn in dieser Fassung enthielt § 243 qualifizierte Diebstahlsfälle, so daß die Versuchsregeln sich selbstverständlich auch auf § 243 erstreckten. Dieser Bezug ist durch die Umwandlung des § 243 in einen bloßen Strafzumessungsgrund aufgehoben worden. Nunmehr setzt die Anwendung des § 243 - soweit ein Regelbeispiel in Betracht kommt - voraus, daß dieses Beispiel subjektiv und objektiv erfüllt ist. 94 36 cc) Ist bei einem zur Vollendung gelangten Diebstahl die beabsichtigte Verwirklichung des Regelbeispiels im Versuchsstadium steckengeblieben, so ist gleichfalls der Strafrahmen des § 243 nicht eröffnet. 9 5 Beispiel: A, der versucht mit einem Brecheisen in das Haus des B zu gelangen, erkennt plötzlich, daß die Tür gar nicht abgeschlossen ist. Er betritt das Haus und entwendet eine Uhr. Ergebnis: Bestrafung nur nach § 242.

b) Problematik des Versuchsbeginns 37 In der Regel wird eine unmittelbare Gefährdung des Gewahrsams an der für den Diebstahl in Aussicht genommenen Sache und damit ein Ansetzen zur Verwirklichung des Diebstahlstatbestandes schon mit der Erfüllung eines Regelbeispiels vorliegen. Das muß aber nicht zwingend der Fall sein, sondern ist jeweils im Einzelfall darzulegen. Ein unmittelbares Ansetzen trotz Verwirklichung des Regelbeispiels wird etwa dann nicht zu bejahen sein, wenn der Täter die Gewahrsamsschranke nur beseitigen und in einem späteren Zeitpunkt die Wegnahme verwirklichen will. 96 Beispiel: A zerstört mit einem Brecheisen den Schließmechanismus des Garagentors des B. In der nächsten Woche, wenn B einen neuen Wagen geliefert erhalten hat, will er diesen wegnehmen. Ergebnis:

Sachbeschädigung vollendet, Diebstahl erst vorbereitet.

5. Konkurrenzen 38 a) Hat der Täter mehrere Regelbeispiele des § 243 erfüllt, so liegt dennoch nur ein Diebstahl unter besonders schweren Umständen vor. 39 b) Bei den Regelbeispielen "Einbrechen" und "Einsteigen" wird ein evtl. verübter Hausfriedensbruch oder eine Sachbeschädigung konsumiert, und zwar selbst dann, wenn der Diebstahl nur bis zum Versuch gediehen ist. Einer Verurteilung nach §§ 123, 303 bedarf es nicht, da der Unrechtsgehalt des Hausfriedensbruchs oder der Sachbeschädigung bereits in der Strafe gemäß § 243 berücksichtigt wird. 9 7

94

So auch B G H (5. Strafsenat) NStZ-RR 1997 S. 442 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 22/19 (zu § 176 I, III); im übrigen vgl. BayObLG N J W 1980 S. 2207; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 222; O L G Düsseldorf J Z 1 9 8 4 S . 1 0 0 0 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 8 R d n . 6 9 ; HOHMANN/SANDER B . T . I, § 1 R d n . 1 7 6 ; KADEL J R 1 9 8 5 S . 3 8 6 f ; KREY B . T . 2 , R d n . 1 1 0 ; LACKNER/KÜHL § 4 6 R d n . 15; LIEBEN N S t Z 1 9 8 4 S . 5 3 8 f ; O T T O J u r a 1 9 8 9 S . 2 0 1 f; RENGIER B . T . I, § 3 R d n . 3 0 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 3 R d n . 4 4 ; R . SCHMITT

Tröndle-FS, S. 315; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 187 f; WESSELS Lackner-FS, S. 433 ff; DERS. B.T.-2, § 3 I 2. - A.A. BGHSt 33 S. 370; BayObLG NStZ 1997 S. 442; FABRY N J W 1986 S. 18 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 4 3 R d n . 5 8 f f ; KÜPER J Z 1 9 8 6 S . 5 1 8 ; LAUBENTHAL J Z 1 9 8 7 S . 1 0 6 9 ; M A U RACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 1 0 7 ; SCHÄFER J R 1 9 8 6 S . 5 2 2 F ; Z L P F J R 1 9 8 1 S . 1 1 9 f f . 95

Vgl. BayObLG JR 1981 S. 118; KÜPER JZ 1986 S. 525; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 187 f.

9 6

V g l . A R Z T J U S 1 9 7 2 S . 5 1 7 ; STREE P e t e r s - F S , S . 1 8 0 f f ; WESSELS M a u r a c h - F S , S . 3 0 5 f .

97

Dazu KG JR 1979 S. 249 mit Anm. GEERDS S. 250 ff.

168

Schwere Fälle des Diebstahls

§41

6. Urteilstenor In den Urteilstenor gehört die Kennzeichnung der Tat als "besonders schwerer Fall" nicht, 40 denn dieser hat nur die rechtliche Bezeichnung der Tat anzugeben, § 260 Abs. 4 S. 1 StPO. Während der BGH jedoch im Falle der Verurteilung Jugendlicher die Anführung des "besonders schweren Falles" im Urteilstenor beanstandet, korrigiert er im Erwachsenenstrafrecht diesen auch dort für überflüssig gehaltenen Hinweis nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen.

II. § 243 Abs. 2: Ausschluß der Strafschärfung 1. Geringwertig a) § 243 Abs. 2 stellt eine unwiderlegbare Vermutung dafür auf, daß in den Fällen des 41 § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1-6 ein besonders schwerer Fall nicht vorliegt, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht. 98 Der Begriff scheint auf den Verkehrswert zu verweisen und wäre, so interpretiert, 42 durchaus abgrenzbar. Allein diese Interpretation kann im Rahmen eines Delikts, das sogar Sachen ohne Handelswert schützt, nicht richtig sein, zumal wenn man der Ansicht folgt, daß das Unrecht der Wegnahme einer Sache ohne Verkehrswert durchaus größer sein kann als das der Wegnahme einer Sache von hohem Geldwert. Überdies kann z.B. in den Fällen des Abs. 1 Nr. 4 und 5 der Verkehrswert keine Rolle spielen, denn gerade die dort genannten Gegenstände können einen minimalen Verkehrs-, wohl aber einen hohen Gebrauchs- oder Affektionswert haben. Um aber überhaupt einmal einen Ausgangspunkt für die Argumentation zu gewinnen, 43 ist vom Verkehrswert der Sache auszugehen. Erst wenn feststeht, daß die Sache keinen oder nur einen geringen Verkehrswert hat, ist zu fragen, ob sie unter sonstigen schutzwürdigen Aspekten als wertvoll für das Opfer angesehen werden kann. - Wann der Verkehrswert noch als geringwertig anzusehen ist, kann nicht ein für alle Mal bestimmt werden. Änderungen des Preisgefüges sind zu berücksichtigen. Geringwertig derzeit: Verkehrswert unter DM 5 0 , - . "

b) Entscheidend dafür, ob sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht, ist nicht nur 44 der objektive Wert der weggenommenen Sache - sonst wäre § 243 Abs. 1 z.B. stets ausgeschlossen, wenn der Täter nichts wegnimmt, weil er entgegen seiner Vorstellung nichts findet -, sondern auch die Vorstellung des Täters. Nur wenn die als Gegenstand des Diebstahls ins Auge gefaßte Sache objektiv geringwertig ist und der Täter auch von dem geringen Wert ausgeht, findet § 243 Abs. 2 Anwendung. Auf diese Weise kommt es zu einem vertretbaren Ausgleich zwischen den Interessen des Täters und denen des Geschädigten. Beispiel 1: A entwendet eine Vase, die er für geringwertig hält, die aber einen Wert von DM 1000,- hat.

45

Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein, denn objektiv war die Vase nicht geringwertig.'^ Beispiel 2: A entwendet eine Vase, die er für hochwertig hält, die aber nur einen Wert von DM 2,- hat.

98

Vgl. dazu KÜPER NJW 1994 S. 349 ff.

99

Vgl. OLG Düsseldorf JZ 1987 S. 632.

100

V g l . a u c h KÜPER B . T . , S . 1 4 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 3 R d n . 5 ; RUß L K , § 2 4 3 R d n . 4 1 . - A . A . KINDHÄUSER N K , § 2 4 3 R d n . 7 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 1 0 2 .

169

§41

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein, doch kann in diese Situation auf Grund einer Gesamtwertung von Tat und Täter u.U. ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen s e i n . 1 0 1 Beispiel 3: BGH NStZ 1987 S. 71: A hatte die verschlossene Tür eines Kfz aufgebrochen, um Sachen zu stehlen. Er fand nur geringwertige Sachen. BGH: Die Tat bezog sich nicht auf eine geringwertige

Sache.'02

46 c) Eine analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 auf §§ 244, 249, 250, 252 kommt wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht in Betracht. 103 2. Wegnahme mehrerer Sachen 47 Erfolgt die Wegnahme mehrerer Sachen unter den Voraussetzungen einer natürlichen oder tatbestandlichen Handlungseinheit 104 , so ist der Gesamtwert der Beute maßgeblich. - Aber auch wenn die Voraussetzungen der Handlungseinheit nicht vorliegen, aber "zwischen den einzelnen Taten ein sachlicher und situativer Zusammenhang besteht", eröffnet der BGH einen Weg, bei der Strafzumessung zu Ergebnissen zu gelangen, wie sie die nunmehr von ihm preisgegebene Konstruktion der fortgesetzten Handlung 105 ermöglichte, indem lediglich eine niedrige Erhöhung der Einsatzstrafe vorgenommen wird. 106 3. Mittäterschaft 48 Bei Mittäterschaft kommt es auf den Wert der gesamten vom Diebstahl erfaßten Menge an, nicht auf den Anteil des einzelnen Täters. - Liegt der Schaden der mittäterschaftlich begangenen Tat nämlich über der Wertgrenze, so ist dies für das Opfer keine Bagatelle mehr.

III. Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl, §244 49 § 244 ist ein gegenüber § 242 qualifizierter sind abschließend aufgezählt.

Tatbestand: die qualifizierenden Merkmale

1. § 244 Abs. 1 Nr. 1: Diebstahl mit Waffen 50 a) Abs. 1 Nr. 1 a Nach § 244 Abs. 1 a.F. war allein das bloße Bei-Sich-Führen von (gebrauchsbereiten) Schußwaffen beim Diebstahl qualifizierend erfaßt. Das 6. StrRG hat diese Tatbestandsalternative erheblich erweitert. Nunmehr genügt das Bei-Sich-Führen von Waffen oder von gefährlichen Werkzeugen, Abs. 1 Nr. 1 a. 51 Waffen sind Schußwaffen - d.h. Werkzeuge, bei denen ein Geschoß aus einem Lauf ab1 0 1

V g l . a u c h KÜPER N J W 1 9 9 4 S. 3 5 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 3 R d n . 5; R u ß L K , § 2 4 3 R d n . 4 1 . - A . A . -

Versuchter Diebstahl in einem besonders beschweren Fall -: KJNDHÄUSER NK, § 243 Rdn. 73; SEELMANN JuS 1985 S. 457; TRÖNDLE StGB, § 243 Rdn. 41. - Für vollendeten einfachen Diebstahl: M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 3 3 R d n . 1 0 2 . 102

Dazu auch BGH NJW 1975 S. 1286 mit abl. Anm. BRAUNSTEFFER S. 1570 und mit zust. Anm. GRIBBOHMS. 2213.

103

So auch BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 543; SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 57. - A.A. BURKHARDT NJW 1975 S . 1687 f.

104

Vgl. dazu Grundkurs Strafrecht, A.T., § 23 Rdn. 8 ff.

105

Vgl. dazu BGHSt (Gr.S) NJW 1994 S. 1663.

106

vgl. BGH StV 1994 S. 370.

170

Schwere Fälle des Diebstahls

§41

gefeuert wird, das geeignet ist, Menschen körperlich zu verletzen - sowie andere Waffen im technischen Sinne, z.B. Hieb-, Stoß- und Stichwaffen, aber auch Handgranaten oder ein Schlagring. Als Schußwaffen können auch Luftgewehre, Luftpistolen und Gaspistolen, bei denen das Gas durch die Laufmündung a u s t r i t t , 1 0 7 ¡ n Betracht kommen, bei Bolzenschußapparaten kommt es auf die Bauart an (OLG H a m m M D R 1975 S. 420), während Schreckschußpistolen nicht unter den Begriff der Schußwaffe fallen (BGH StV 1988 S. 429).

Zum Begriff des gefährlichen Werkzeugs verweisen die Gesetzesmaterialien auf den ent- 52 sprechenden Begriff in § 224. 1 0 8 - Diese Verweisung ist irreführend, denn in § 224 wird das gefährliche Werkzeug danach bestimmt, ob es nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art der Verwendung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen; vgl. § 16 Rdn. 6 ff. Hier kommt es jedoch auf das bloße Bei-Sich-Führen an und gerade nicht auf die Art eines u.U. geplanten Einsatzes. Damit aber bleibt nur die Möglichkeit, einerseits auf die objektive Eignung des Werkzeugs bei seinem Einsatz erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen, abzustellen, andererseits aber zu fordern, daß bereits die Art des Werkzeugs einen bestimmten gefährlichen Einsatz nahelegt, z.B. die Nutzung einer Brechstange als Schlagwerkzeug um zu verhindern, daß jeder Gegenstand zum gefährlichen Werkzeug wird. Von seiner konkreten Nutzung her kann nämlich auch der Kugelschreiber ein gefährliches Werkzeug sein, wenn damit einem anderen ins Auge gestochen wird. 109 Gefährliche Werkzeuge sind danach Tapetenmesser oder Salzsäure (BT-Drucks. 13/9064, S. 18), Brecheisen, aber auch ein Schraubenzieher oder ein Kfz, das zur Wegnahme eingesetzt wird, sowie sog. Scheinwaffen dazu unter Rdn. 59 -, die als Schlagwerkzeuge Verwendung finden können.

Ein am Tatort anwesender Tatbeteiligter muß die Waffe oder das gefährliche Werkzeug 53 bei sich geführt haben, d.h. er braucht die Waffe oder das Werkzeug nicht in der Hand gehalten zu haben, sie muß ihm jedoch derart zur Verfügung gestanden haben, daß er sich ihrer jederzeit und ohne Schwierigkeiten bedienen konnte. Auch wenn es nicht notwendig ist, daß der Täter die Waffe oder das gefährliche Werk- 54 zeug während des gesamten tatbestandsmäßigen Geschehens bei sich führt, so muß sie ihm doch zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tatgeschehens - Versuch bis Vollendung - zur Verfügung stehen. 110 Daß der Täter dem Opfer die Waffe oder das Werkzeug vor Vollendung der Tat abgenommen hat, genügt. 111 Zum Teil wird der Zeitpunkt der materiellen Beendigung als genügend angesehen, so daß es ausreichen kann, daß sich die W a f f e in dem Fluchtfahrzeug befindet, mit dem der Täter die Beute in Sicherheit bringt. 1 1 2 . Flieht der Täter allerdings ohne Beute, so ist die Tat in dem Moment vollendet und beendet, in dem sich der Täter zur Flucht w e n d e t . 1 1 3

107

Vgl. BGHSt 24 S. 136; B G H NStZ 1989 S. 476; B G H StV 1996 S. 315; GÖSSEL, B.T. 2, § 9 Rdn. 3; RUß L K , § 2 4 4 R d n . 3; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 4 R d n . 3. - A . A . GEPPERT J u r a 1992 S. 4 9 9 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 4 R d n . 5 ; KÜPER B . T . , S . 2 2 6 f ; L a c k n e r / K Ü H L § 2 4 4 R d n . 3.

108

Vgl

BT-Drucks. 13/9064, S. 18.

109

Vgl. auch HÖRNLE Jura 1998 S. 172.

110

Vgl. hierzu auch GEPPERT Jura 1992 S. 497; HRUSCHKA JZ 1969 S. 607 ff; DERS. J Z 1983 S. 217 f;

1 1 1

V g l . B G H S t V 1 9 8 8 S . 4 2 9 m i t K l a r s t e l l u n g SALGER S t V 1 9 8 9 S . 6 6 , u n d A n m . SCHOLDERER S t V

112

BGHSt 20 S. 194, 197 mit Anm. WEBER J Z 1965 S. 417 f; Küper B.T., S. 62 ff; Ruß LK, § 244 Rdn. 5.

113

Vgl. dazu auch BGHSt 31 S. 105; B G H StV 1988 S. 429; SALGER StV 1989 S. 66.

KÜHL J u s 1 9 8 2 S. 1 9 1 f; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S. 3 9 4 .

1988 S. 429 ff sowie StV 1989 S. 153; vgl. auch B G H bei Holtz, M D R 1993 S. 720.

171

55

§41

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

56 Erforderlich ist, daß der Täter die Waffe oder das Werkzeug bei sich hat und dieses weiß. Die Absicht, die Waffe oder das Werkzeug evtl. beim Diebstahl zu benutzen, ist nicht erforderlich. 1 1 4 Die Tatsache, daß der Täter die Waffe oder das gefährliche Werkzeug aus beruflichen Gründen (stets) bei sich führt, schließt die Anwendung des Abs. 1 Nr. 1 daher nicht aus. 1 1 5 - Bei Schußwaffen liegt auch im bloßen Bei-Sich-Führen eine - erhebliche abstrakte Gefahr für das Opfer. Die Erfahrung hat gezeigt, daß auch der feste Entschluß des Täters, die Waffe nicht zu benutzen, keine sichere Hemmung bedeutete, wenn der Täter in einer für ihn unüberschaubaren Situation keinen anderen Ausweg sieht als die Anwendung von Gewalt. Die Art und Weise dieser Anwendung ist dann gleichsam vorgegeben. Auf das Bei-Sich-Führen von gefährlichen Werkzeugen schlechthin ist dieser Gedanke nicht übertragbar, denn gerade wenn erst die Zweckentfremdung eines Werkzeugs, z.B. eines Schraubenziehers oder einer Werkzeugkiste, dieses zum gefährlichen Werkzeug machen kann, ist nicht gesagt, daß der Täter diese mögliche Zweckentfremdung auch verwirklichen würde. Der Anwendungsbereich des Tatbestandes erfaßt daher grundsätzlich unterschiedliche Situationen. 116 b) Abs. 1 Nr. 1 b 57 Ein Werkzeug oder Mittel ist ein Gegenstand, der seiner Art nach geeignet ist, Widerstand durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. 58

Auch in diese Tatalternative muß der Täter das Werkzeug oder Mittel bei sich führen. D i e s sieht der B G H außer in den oben - Rdn. 53 f - beschriebenen Situationen auch dann als gegeben an, wenn der Täter dem Opfer Uberhaupt nicht gegenübertritt, sondern seine Drohung nur schriftlich oder mündlich übermittelt und dabei auf das Mittel verweist, das sich in seiner Herrschaftsmacht b e f i n d e t . 1 1 7 - D i e unmittelbare, in der Tatsituation angelegte Gefahr derartige Mittel wird damit nicht mehr erfaßt. 1 1 8

59 Der Gesetzgeber wollte in dieser Alternative sog. Scheinwaffen, z.B. Attrappen einer Pistole oder ungeladene Pistolen, erfassen, die zur gewaltsamen Überwindung des Opfers eingesetzt werden sollen, ohne hierbei objektiv eine Leibes- oder Lebensgefahr zu begründen. Die Verwendung derartiger „Hilfsmittel" als qualifizierendes Diebstahlselement war im Hinblick auf § 244 Abs. 1 Nr. 2 a.F. umstritten. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die § 244 Abs. 1 Nr. 2 a.F. in diesen Fällen bejahte, stand die h.L. gegenüber. Ob die Kontroverse endgültig ausgestanden ist, 1 1 9 wird die Zukunft zeigen. Klargestellt aber ist, daß der Gegenstand selbst beim Opfer den Eindruck hervorrufen muß, er könne gefährlich sein. Die Vortäuschung, der Täter verfüge über einen solchen Gegenstand, indem der Täter dem Opfer ein Plastikrohr an den Rücken hält und behauptet, es handele sich um eine Pistole, genügt dazu nicht. 1 2 0 60 Subjektiv erfordert Nr. 2, daß der Täter die Absicht hat, die Waffe, das Werkzeug oder 114

Vgl. auch B G H StV 1996 S. 715.

115

S o auch B V e r f G (2. Kammer des 2. Senats) N S t Z 1995 S. 76; B G H S t 30 S. 4 4 (Polizeibeamter im Dienst); OLG Köln NJW 1978 S. 6 5 2 f (bewaffneter Wachsoldat); GEPPERT Jura 1992 S. 4 9 8 ; HETTINGER G A

1 9 8 2 S . 5 2 5 f f ; KATZER N S t Z 1 9 8 2 S . 2 3 6 f f ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 4 R d n . 3 ; R U ß L K ,

§ 2 4 4 R d n . 5 ; S E E L M A N N JUS 1 9 8 5 S . 4 5 7 ; W E S S E L S B . T . / 2 , R d n . 2 5 6 . - A . A . H A F T J u S 1 9 8 8 S . 3 6 4 , 3 6 8 ; HRUSCHKA N J W

1 9 7 8 S . 1 3 3 8 ; K O T Z J u S 1 9 8 2 S . 9 7 f f ; LENCKNER J R 1 9 8 2 S . 4 2 4 f f ; S C H Ü N E -

M A N N J A 1 9 8 0 S. 3 5 5 ; SOLBACH N Z W e h r r 1 9 7 7 S. 161 ff. 116

Krit. auch HÖRNLE Jura 1998 S. 172.

117

Vgl. B G H StV 1 9 9 4 S. 6 5 6 .

118

Vgl. dazu auch KELKER StV 1994 S. 657 f; OTTO Jura 1997 S. 474.

119

Vgl. dazu auch HÖRNLE Jura 1998, S. 172.

120

Vgl. dazu BT-Drucks. 13/9064, S. 18; B G H S t 38 S. 116; B G H N S t Z 1997 S. 184.

172

Schwere Fälle des Diebstahls

§41

das Mittel zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand einzusetzen, bzw. daß er die Absicht eines anderen Tatbeteiligten, in dieser Weise vorzugehen, kennt. 2. § 244 Abs. 1 Nr. 2:

Bandendiebstahl

a) Bande ist eine auf ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung beruhende Ver- 61 bindung mehrerer Personen, die auf geraume Zeit bei der Begehung selbständiger Taten nach §§ 242, 249 zusammenwirken wollen. 1 2 1 aa) Die durch den Gesetzes Wortlaut "... zur fortgesetzten Begehung ..." begründete ehe- 62 malige Streitfrage, ob ein Zusammenschluß zu einem Diebstahl oder Raub in Fortsetzungszusammenhang den Voraussetzungen des Tatbestandes genügt, hat mit der "Liquidierung" des Fortsetzungszusammenhangs durch den Großen Senat für Strafsachen des B G H 1 2 2 ihre Bedeutung werden. Erforderlich ist ein Zusammenschluß zur Begehung mehrerer selbständiger, im einzelnen noch ungewisser Raub- und Diebstahlstaten, bb) Str. ist, ob schon zwei Mitglieder eine Bande i.S. des Gesetzes bilden können. - Dafür 63 spricht, daß § 244 Abs. 1 Nr. 2 Anwendung findet, wenn zwei Mitglieder einer größeren Bande die Tat ausführen. Von daher scheint es nur konsequent, bereits von einer Bande zu sprechen, wenn sich nur zwei Personen zusammengetan haben. 1 2 3 Wesentliches Element der Gefährlichkeit der Bande ist jedoch die Tatsache, daß deren Aktivität unabhängig vom Hinzukommen und Austreten einzelner Mitglieder besteht. Diese Situation ist beim Zusammenschluß von zwei Personen nicht gegeben. 1 2 4 b) Da das qualifizierende Element der gleichsam geteilten Abwehrkraft des Opfers nur 64 von den örtlich und zeitlich am Tatort mitwirkenden Tatbeteiligten realisiert wird, ist es angemessen, § 244 Abs. 1 Nr. 2 nur auf diesen Personenkreis anzuwenden. 1 2 5 - Möglich ist es aber, daß ein nicht am Tatort anwesendes Bandenmitglied auf Grund seiner Position in dem Geschehen als Mittäter des Diebstahls oder als Teilnehmer am Bandendiebstahl verurteilt wird, während die am Tatort mitwirkenden Bandenmitglieder als Mittäter nach § 244 Abs. 1 Nr. 2 bestraft werden. 1 2 6 c) Die Bandenmitgliedschaft ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28, denn 65 sie ist kein besonderes pflichtbegründendes Merkmal. 1 2 7 121

Dazu O L G H a m m NJW 1981 S. 2207 f mit Anm. TENCKHOFF JR 1982 S. 208 f; SCHILD G A 1982 S. 80 ff.

122

BGHSt (GSSt) 40 S. 138.

1 2 3

B G H J Z 1 9 8 6 S . 9 6 8 ; B G H S t 2 3 S. 2 3 9 ; KÜPER B . T . , S . 3 9 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 1 2 3 ; SCHILD G A 1 9 8 2 S. 5 5 f f .

1 2 4

W i e h i e r . DREHER N J W 1 9 7 0 S . 1 8 0 2 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 4 4 R d n . 6; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 3 7 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S. 3 9 5 ; V O L K J R 1 9 7 9 S. 4 2 6 f f . - Z u r k r i m i n o l o g i s c h e n D i f f e r e n z i e r u n g b e i d e r Z w e i e r b a n d e : SCHÖCH NSTZ 1 9 9 6 S. 1 6 6 f f .

125

Vgl. auch BGHSt 33 S. 50 f; B G H StV 1993 S. 132; BGH StV 1995 S. 586; B G H StV 1996 S. 545; B G H S t V 1 9 9 7 S . 2 4 7 ; GÖSSEL B . T . 2, § 9 R d n . 3 5 ; KÜPER B . T . , S . 4 1 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 4 4 R d n . 8; MIEHE S t V 1 9 9 7 S . 2 4 8 . - A . A . ARZT J u S 1 9 7 2 S . 5 7 9 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 4 R d n . 3 3 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 4 R d n . 2 7 m . e . N .

126

Vgl. BGHSt 33 S. 50; B G H StV 1997 S. 247 mit Anm. MIEHE S. 247 ff.

1 2 7

W i e h i e r KREY B . T . 2 , R d n . 1 3 7 ; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 4 5 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 4 R d n . 2 8 ; VOGLER

Lange-FS, S. 278. - A.A. BGHSt 4 S. 32; 12 S. 220; B G H Z NStZ 1996 S. 128 mit Anm. GEPPERT JK 9 6 , S t G B § 2 4 4 / 6 . ARZT J u S 1 9 7 2 S. 5 7 9 ; HERZBERG Z S t W 8 8 ( 1 9 7 6 ) S . 102; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 126; SCHILD G A 1 9 8 2 S. 8 3 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S. 3 9 5 f ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 4 R d n . 13.

173

§41

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

3. § 244 Abs. 1 Nr. 3:

Wohnungseinbruchsdiebstahl

66 Wohnungen sind die der Unterkunft von Menschen dienenden Räume. - Zu den einzelnen Tathandlungen vgl. unter Rdn. 5 ff, da der Gesetzgeber den ursprünglich in § 243 Abs. 1 Nr. 1 a.F. enthaltenen Wohnungseinbruch lediglich als Qualifikationstatbestand in § 244 Abs. 1 Nr. 3 übernommen hat. - § 244 Abs. 1 Nr. 3 enthält eine Spezialregelung gegenüber § 243 Abs. 1 Nr. 1, soweit dieser beim Einbruch in eine Wohnung zugleich erfüllt ist, weil der Wohnungseinbruch sich auch als Einbruch in ein Gebäude darstellt. 4.

Konkurrenzen

67 a) Zwischen einem vollendeten einfachen Diebstahl und einem versuchten Diebstahl nach § 244 ist Idealkonkurrenz möglich. Beispiel: A und B wollen im Hause des X stehlen. A geht dabei davon aus, daß B eine Pistole bei sich hat, von der er notfalls auch Gebrauch machen wird. - Nach dem Diebstahl stellt sich heraus, daß B keine Pistole mitgenommen hatte. Ergebnis: A: §§ 242; 244 Abs. 1 Nr. 1 a, 23; 52. - B: § 242.

68 b) § 244 Abs. 1 Nr. 1 ist gegenüber Nr. 2 die speziellere Regelung. Im übrigen stellen die einzelnen Tatbestände des § 244 lediglich verschiedene Begehungsformen desselben Delikts dar und begründen daher keine Idealkonkurrenz. 128

IV. Schwerer Bandendiebstahl, § 244 a 69 § 244 a ist ein gegenüber § 244 Abs. 1 Nr. 2 weiter qualifizierter Tatbestand. 1. Voraussetzungen

des

Tatbestandes

70 Der schwere Bandendiebstahl setzt einen Bandendiebstahl i. S. des § 244 Abs. 1 Nr. 2, der entweder unter den weiteren Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 - 7 , mit Waffen i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 1 oder als Wohnungseinbruch i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 3 begangen wird. Für die Ausübung der Tat unter Mitwirkung eines Bandenmitglieds sind die Tatmodalitäten des § 244 Abs. 1 Nr. 2 maßgeblich. 1 2 9 - Die Voraussetzungen der Regelbeispiele sind hier qualifizierende Tatbestandsmerkmale. 2.

Konkurrenzen

71 Zwischen einem weniger qualifizierten vollendeten Diebstahl und einem versuchten Diebstahl nach § 244 a ist Idealkonkurrenz möglich. 1 3 0

128

So auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 Rdn. 127. - A.A. LACKNER/KÜHL § 244 Rdn. 10; RUß LK, § 244 Rdn. 18; TRÖNDLE StGB, § 244 Rdn. 16. - Zur Rechtsprechung des BGH vgl. einerseits BGH NStZ 1994 S. 284, andererseits BGH NStZ 1994 S. 285.

129

Vgl. BGH NStZ 1996 S. 493; ZOPFS GA 1995 S. 326 ff.

1 3 0

V g l . LACKNER/KÜHL § 2 4 4 a R d n . 6.

174

Unterschlagung

§42

§ 42: Unterschlagung Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.

1

I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1 1. Das geschützte Rechtsgut Das geschützte Rechtsgut ist identisch mit dem des § 242: Die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. 2. Die einzelnen

2

Tatbestandsmerkmale

a) Zu den Begriffen bewegliche Sachen, fremd vgl. oben § 40 Rdn. 3 ff. Zur Ergänzung:

3

aa) O L G Saarbrücken NJW 1976 S. 65 ff: Die Prostituierte A vereinbarte mit G ein Entgelt von D M 30,-. G gab der A einen Hundertmarkschein, nachdem sie die Rückzahlung von D M 70,- nach dem Verkehr zugesagt hatte. Später faßte sie jedoch den Plan, das ganze Geld zu behalten und verweigerte die Rückzahlung. OLG: A eignete sich eine fremde Sache zu: "Der Eigentumsübergang war von der Bedingung der Rückübereignung von Geldscheinen im Werte von D M 70,- abhängig. Da A den Differenzbetrag von DM 70,nicht zurückgezahlt hat, ist die Bedingung für ihren Eigentumserwerb an dem Hundertmarkschein nicht eingetreten .... Der Geldschein war als fremde Sache daher taugliches Objekt einer Unterschlagung."

4

bb) Zu den Eigentums- bzw. Übereignungsverhältnissen beim Tanken an Selbstbedienungstankstellen vgl. oben § 40 Rdn. 12.

b) Zueignung ist ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, daß er den Berechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft (Eigenbesitz) über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirtschaftlich nutzen will; vgl. im einzelnen dazu oben § 40 Rdn. 44 ff. Da die Zueignung demnach durch drei Elemente - Enteignung des Berechtigten, Aneignung durch den Täter, Absicht wirtschaftlicher Nutzung - gekennzeichnet ist, kann sie sich weder in einem rein subjektiven noch in einem rein objektiven Geschehen erschöpfen. Es geht vielmehr darum, ob ein bestimmtes, nach außen erkennbares Verhalten des Täters - bei Berücksichtigung des Tatplans - zum Ausdruck bringt, daß der Täter sich selbst oder einem Dritten die umfassende Sachherrschaftsposition anmaßt, so daß die Zueignung nach außen erkennbar, d.h. manifest w/rd. 131 - § 246 a.F. setzte eine bereits bestehende Besitzposition des Täters an der Sache im Zeitpunkt der Zueignung voraus. Diese Begrenzung der Tatsituation ist durch das 6. StrRG beseitigt worden. Dennoch läßt sich die Zueignung auch jetzt in den Fällen, in denen der Täter das Tatobjekt bereits vor der Zueignung in Besitz oder Gewahrsam hat, als Anmaßung des Eigenbesitzes durch den Fremdbesitzer kennzeichnen. Die Zueignungsabsicht kann sich z.B. manifestieren im Verbrauch, in der Veräußerung, im Verschenken, in der Verarbeitung, in der Vermischung von Sachen oder im Ableugnen des Besitzes. - Das bloße Unterlassen

131

Eingehender dazu OTTO Jura 1996 S. 383 ff; im übrigen vgl. CHARALAMBAKIS Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda, 1985, S. 151 ff; GÖSSEL B.T. 2, § 11 Rdn. 4; KÜPER B.T., S. 421 ff; RUß LK, § 246 Rdn. 20. - Zu eng ist die Begrenzung der Zueignungshandlungen auf Verbrauch, Entwertung, Veräußerung und die gesetzlichen Eigentumsübergänge durch KARGL ZStW 103 (1991) S. 136 ff, 184.

175

5

6

7

§42

Zweiter Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r d e s Einzelnen

der Herausgabe einer Sache oder der Benachrichtigung des Berechtigten über den Verbleib seiner Sache reichen als Manifestation nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzukommen, die darauf schließen lassen, daß die Nichtherausgabe bzw. die Nichtanzeige gerade Ausdruck der Zueignung i s t . - Das Kopieren einer Diskette ist keine Zueignung der Diskette.' 8

In d e n F ä l l e n , in d e n e n der T ä t e r v o r der Z u e i g n u n g k e i n e B e s i t z p o s i t i o n a m T a t o b j e k t hat, s i n d E n t e i g n u n g s a k t d u r c h d e n Täter u n d A n e i g n u n g d u r c h d i e s e n o d e r Z u e i g n u n g an e i n e n Dritten n ö t i g . M a ß g e b l i c h ist a u c h hier i n s o w e i t d i e B e g r ü n d u n g e i n e r H e r r s c h a f t s p o s i t i o n i m S i n n e der S a c h s u b s t a n z t h e o r i e ; - d a z u v g l . a u c h § 4 0 Rdn. 4 5 - durch e i n e n „ V e r f ü g u n g s a k t " d e s Täters. D i e b l o ß e „ W e r t z u e i g n u n g " ist n i c h t Z u e i g n u n g der S a c h e i.S. d e s § 2 4 6 . D e r s c h o n a u s d e m A l t e r t u m b e k a n n t e G a u n e r , der g u t g l ä u b i g e n N e u r e i c h e n d a s F o r u m r o m a n u m v e r k a u f t e , w a r u n d ist k e i n Täter, der s i c h m i t Z a h l u n g d e s K a u f p r e i s e s d i e s e s z u e i g n e t e o d e r z u e i g n e t , s o n d e r n ein B e t r ü g e r . c) Zur

9

Einübung

aa) A hat von B ein Gemälde geliehen. 1. Alternative: Am 1.4. beschließt er, es zu behalten und es dem B nicht zurückzugeben. - Am 3.4. überlegt er es sich jedoch anders und ist entschlossen, sich als ordentlicher Entleiher zu gerieren. Ergebnis: Keine Zueignung: Die Absicht des A, sich selbst die umfassende Sachherrschaft anzumaßen, ist noch nicht äußerlich manifest geworden. 2. Alternative: Am 5.4. bietet er das Gemälde zum Kauf dem C an. - In Wirklichkeit will er jedoch nur vor C angeben. Er ist entschlossen, den Kauf scheitern zu lassen, falls C Interesse zeigt. Ergebnis: Keine Zueignung. - Zwar könnte das Verhalten des A rein objektiv gesehen als Zueignung gewertet werden, da A in Wirklichkeit den B aber gar nicht aus seiner Sachherrschaftsposition entsetzen will, fehlt es bei A an der Zueignungsabsicht.' 3 4 3. Alternative: Am 8.4. bringt A das Gemälde dem Pfandleiher P. - Er will es vor dem Verfalldatum am 20.4., nach Erhalt seines Gehaltes am 15.4., wieder zurückholen. Ergebnis: Keine Zueignung. Zwar ist die Verpfändung ein rechtswidriges Verhalten gegenüber B, doch verliert B durch dieses Verhalten noch nicht seine umfassende Sachherrschaftsposition. Noch will A dem B gegenüber nur eine Fremdbesitzerposition innehaben. Anm.: Hätte A das Gemälde sicherungshalber übereignet, so hätte er es sich zugeeignet. Sicherungseigentum ist vollgültiges Eigentum. Die umfassende Sachherrschaft übt der Sicherungseigentümer aus, auch wenn ihm schuldrechtlich gewisse Schranken auferlegt sind. 4. Alternative: Am 18.4. überlegt A es sich jedoch anders. Er will das Pfand nunmehr verfallen lassen und unternimmt nichts, um das Pfand einzulösen. Ergebnis: Jetzt liegt eine Zueignung vor. - Indem A die letzte Möglichkeit zur Einlösung des Pfandes verstreichen ließ, verfügte er eigenmächtig über das Pfand. Der Eigentümer verlor seine Sachherrschaftsposition, da A sich diese anmaßte, als er den Besitz verlorengehen ließ. Die Manifestation der Zueignung kann - wie im vorliegenden Fall - auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen liegen, wenn der Täter pflichtwidrig nichts unternimmt, um dem Berechtigten seine Sachherrschaftsstellung zu erhalten, und damit über das Pfand zu eigenen Gunsten (A spart den Einlösungsbetrag) verfügt.' 36

132

Vgl. BGHSt 34 S. 309, 312 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 246/5; OLG Koblenz StV 1984 S. 287; CHARALAMBAKIS U n t e r s c h l a g u n g s t a t b e s t a n d , S . 1 5 1 f f ; G Ö S S E L B . T . 2 , § 11 R d n . 7 f ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 6 R d n . 39; LACKNER/KÜHL § 2 4 6 R d n . 4; OTTO J Z 1 9 8 5 S. 2 5 ; R u ß L K , § 2 4 6 R d n .

13;

TRÖNDLE § 246 Rdn. 17. - A.A. (Unterlassen genügt nicht): MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 3 4 R d n . 3 0 ; SCHÜNEMANN M D R 1 9 8 2 S . 3 7 4 . 133

BayObLG NStZ 1992 S. 284 mit Anm. JULIUS JR 1993 S. 255 f, OTTO JK 92, StGB § 246/7.

134

Dazu auch OLG Schleswig SchlHA 1970 S. 195.

135

Dazu auch BGHSt 12 S. 299.

136

Dazu auch OLG Oldenburg NJW 1952 S. 1267; M. J. SCHMID MDR 1981 S. 806 ff; SCHÜRMANN

176

Unterschlagung

§42

bb) BGHSt 24 S. 115: Der Postbeamte A hatte einen Fehlbetrag in der Kasse. Da er fürchtete, dieser könnte entdeckt werden, legte er Geldbeträge, die mittels Zahlkarte eingezahlt wurden, zwar in die Kasse, vermerkte sie jedoch nicht in der von ihm zu führenden Einzahlungsliste, um sich so die Möglichkeit zu verschaffen, aus eigenen Mitteln den Fehlbetrag nach und nach zu erstatten,

JQ

Ergebnis: Mit dem Hinweis, der Täter habe sich die Rechtsstellung des Eigentümers angemaßt, bejaht der BGH die Zueignung. - Dem kann nicht gefolgt werden: Die Entscheidung zeigt lediglich, wie letztlich jedes Verhalten als Zueignung interpretiert werden kann, wenn davon abgesehen wird, die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffs sorgfältig zu prüfen, und statt dessen mit Leerformeln, wie z.B. der "Benutzung der Sache wie ein Eigentümer", die Problematik verdeckt wird. - Selbst hatte A nämlich in keinem Moment umfassende Sachherrschaft über das Geld begründet. Er hatte stets nur die Stellung eines Fremdbesitzers. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß er nicht ordnungsgemäß mit dem Gelde u m g i n g . . Der Fall ist insofern den Fällen der Wegnahme von Dienstgegenständen ähnlich; dazu oben § 40 Rdn. 65. cc) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch verkaufen wolle. A erklärt sich einverstanden; er verkauft und übereignet das Buch an C.

11

Ergebnis: Mit der Einverständniserklärung, mit der A umfassende Verfügungsmacht bekundete und auch bekunden wollte, hat A sich das Buch zugeeignet. dd) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch leihen könnte. A tut dieses. Nach 8 Tagen kommt C zu A und bittet A, ihm das herrliche Buch zu verkaufen. A tut dieses.

12

Ergebnis: In der Annahme des Kaufangebots durch A liegt die Zueignung. ee) BGH LM Nr. 3 zu § 246: Der Dieb D hatte Drahtrollen gestohlen und später auf einem öffentlich zugänglichen Gelände liegengelassen. A sah diese Rollen, durchschaute das Geschehen und nahm die Drahtrollen in Besitz, um sie zu eigenen Zwecken zu verwenden.

13

BGH: A eignete sich die Drahtrollen zu, als er sie in Besitz nahm, um sie eigennützig zu verwenden. ff) A trifft den B. Dieser entschuldigt sich bei ihm, weil er ein - wie er genau wüßte - dem A gehörendes Buch an C veräußert habe. Er bietet dem A die Bezahlung des Buches an. A nimmt großzügig dieses Angebot und das Geld an, schon deshalb, weil er dem B niemals ein Buch geliehen hatte.

14

Ergebnis: Da A zu keinem Zeitpunkt reale Sachherrschaft über das Buch ausübte, läßt sich in diesem Falle nach der Sachsubstanztheorie keine Zueignung begründen. - Die Anhänger der Sachwerttheorie könnten zwar eine Zueignung des Buches durch A konstruieren, doch erscheint es fraglich, ob sie dieses grob unangemessene Ergebnis überhaupt wollen. gg) RGSt 73 S. 253: A war Verwalter eines Zementlagers einer Behörde. Eines Tages bot A dem H 100 Sack Zement zum Kauf an. Zu einem derartigen Verkauf war A nicht berechtigt.

15

RGSt 73 S. 254: "Die Unterschlagung kann sogar schon damit vollendet sein, daß der Täter die Sache einem anderen ernstlich zum Kauf anbietet. Das muß gelten, ob es sich um eine bestimmte einzelne Sache handelt oder um einen Teil einer aus vertretbaren Sachen bestehenden Sachgesamtheit, die der Menge nach bestimmt, aber von dem Reste noch nicht abgesondert ist. Denn auch in dem Angebot eines solchen Teiles einer Sachgesamtheit kommt der Wille des Anbietenden zum Ausdruck, über die Sache - und zwar über die Sachgesamtheit - wie ein Eigentümer zu verfügen." Dem kann nicht gefolgt werden: In bezug auf die Sachgesamtheit des gesamten Zementvorrats hat A niemals umfassende Sachherrschaft ausgeübt, die 100 Sack, über die er eine derartige Herrschaft anstrebte, waren jedoch noch nicht konkretisiert. - Zueignung daher erst mit dem Aussondern der Säcke. hh) BGHSt 35 S. 152: A verschaffte sich mit der rechtswidrig erlangten codierten eurocheque-Karte des B und dessen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten. BGH: "Wer mit einer dem Berechtigten weggenommenen codierten Scheckkarte unbefugt unter Eingabe der zugehörigen Geheimzahl einen Geldautomaten betätigt, eignet sich das vom Automaten herausgegebene, im MDR 1982 S. 374 f. 137

Dazu auch DEUBNER NJW 1971 S. 1469; KINDHÄUSER B.T., § 6 Rdn. 30; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 115 f; SCHÖNEBORN MDR 1971 S. 811 f. - Für eine idealiter mit einer Untreue konkurrierende Unterschlagung: WESSELS B.T./2, Rdn. 294. - Nur Untreue will KREY B.T.2, Rdn. 177, annehmen.

177

16

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§42

Eigentum der Bank verbliebene Geld mit der Besitzerlangung rechtswidrig zu und hat sich daher vor dem Inkrafttreten des § 263 a StGB am 1.8.1986 wegen Unterschlagung des abgehobenen Geldes nach § 246 StGB strafbar gemacht." 1 3 8 Dem kann nicht gefolgt werden. In der Herausgabe des Geldes durch den Geldautomaten, der - technisch ordnungsgemäß in Betrieb gesetzt wurde, liegt eine Vermögensverfügung des Berechtigten über das Geld. Diese Verfügung schließt aber eine Besitzentziehung, wie sie die Zueignung voraussetzt, begrifflich aus. Es fehlt an der Enteignung des Berechtigten durch den Täter. Entweder hat sich nämlich der Täter den Gewahrsam an der Sache durch Enteignung des Berechtigten verschafft, oder der Gewahrsam ist ihm durch den Berechtigten übertragen worden. Jede der beiden Möglichkeiten schließt die jeweils andere aus. 1 j m Falle des Bankautomatenmißbrauchs mit gefälschter Codekarte hat auch der BGH inzwischen eine Unterschlagung ausgeschlossen. 17

ii) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 22: Dem A waren versehentlich auf seinem Girokonto DM 900,- gutgeschrieben worden. A hob den Betrag ab und verbrauchte ihn für sich. BGH: Da das Geld mit der Auszahlung in das Eigentum des A überging, eignete sich A keine fremde Sache zu. Diese Begründung überzeugt nicht. Auch hier schließt aber die Eigentumsübertragung die Zueignung i.S. des § 246 aus; vgl. dazu Rdn. 16.

18

jj) A unterhielt sich in einer Gastwirtschaft mit B. Als dieser ihm erzählte, er suche gerade ein Baugerüst, teilte A ihm mit, daß ihm das Gerüst am Hause gegenüber der Gastwirtschaft gehöre und er es gerne veräußern wolle. A und B besichtigten das Gerüst, wurden handelseinig und B zahlte an A 6.000.- DM. - Den A sah B nicht wieder. Das Gerüst gehörte dem X, der sich dem Abtransport durch B am nächsten Tage energisch widersetzte. Ergebnis: A hat das Gerüst weder sich noch dem B zugeeignet, denn der „Verkauf des Gerüsts änderte die bestehende Sachherrschaftsposition nicht.

3. Unterschlagung bei Ersatzleistung oder bei Bereitschaft zum Ersatz 19 a) Eignet sich der Täter eine fremde Sache zu, ersetzt diese jedoch derart, daß ein anerkennenswertes wirtschaftliches Interesse des Berechtigten nicht verletzt ist, so fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung der fremden Sache, da der Täter den Vermögensstand des Berechtigten nicht zu dessen Nachteil vermindert; vgl. oben § 40 Rdn. 78 f. 20 Zwar nennen die Zueignungsdelikte einen Vermögensschaden als Tatbestandsvoraussetzung nicht. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, daß auf einen derartigen Schaden verzichtet werden kann. Auch die sog. Eigentumsdelikte sind Vermögensdelikte! Der Gesetzgeber ging jedoch davon aus, daß der Vermögensschaden selbstverständlich sei, weil er in der Entziehung der umfassenden Sachherrschaft über die Sache liege. - Gemeinhin trifft dies auch zu, nicht aber ausnahmslos. 141 b) Zur Einübung 21

aa) Der Polizeibeamte A, dem durch Dienstanweisung jede eigennützige Verwendung von Geldern aus gebührenpflichtigen Verwarnungen untersagt, sogar das bloße Wechseln von Geld verboten ist, wechselt einen eigenen Fünfzigmarkschein gegen 10 Fünfmarkstücke, die aus gebührenpflichtigen Verwarnungen her138

So auch EHRLICHER Der Bankautomatenmißbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bekämpf u n g , 1 9 8 9 , S . 6 7 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 6 R d n . 17: L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 2 R d n . 2 3 ; RANFT w i s t r a 1 9 8 7 S . 8 2 ; DERS. J R 1 9 8 9 S . 1 6 5 f; R u ß L K , § 2 4 6 R d n . 9 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 2 R d n . 19 a; W E B E R

in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 266. - Zur Auseinandersetzung im übrigen vgl. OTTO Jura 1997 S. 472. 1 3 9

Vgl. auch HUFF N J W

1 9 8 8 S . 9 8 1 ; O T T O J u r a 1 9 8 9 S . 2 0 4 ; SCHMITT-EHRLICHER J Z 1 9 8 8 S . 3 6 4 f ;

SPAHN Jura 1989 S. 517 ff; THAETER wistra 1988 S. 342. 140

BGHSt 38 S. 120, 125; dazu OTTO JZ 1993 S. 567.

141

Vgl. auch EBEL JZ 1983 S. 175 ff; OTTO Struktur, S. 263 ff; ROXIN H. Mayer-FS, S. 469 ff; TLEDEMANNJUS 1970 S. 108 ff.

178

Unterschlagung

§42

rühren, weil er sich eine Erfrischung kaufen will, der Verkäufer aber einen Fünfzigmarkschein nicht wechseln kann. Ergebnis: Eine Einwilligung des Berechtigten und auch eine mutmaßliche Einwilligung scheiden hier aus; dazu RGSt 5 S. 305 f. - Dennoch liegt eine Unterschlagung nicht vor, da A die Vermögenslage des Berechtigten nicht rechtswidrig verschlechtert hat. Es fehlt die rechtswidrige Vermögensschädigung: das Geld fungiert hier nur als Wertmesser, ein wirtschaftliches Interesse an individuellen Geldscheinen besteht nicht. bb) O L G Köln N J W 1968 S. 2348: wie unter aa), aber A entnahm den Verwaraungsgeldem D M 5,-, weil er kein Geld bei sich hatte. Das Geld wollte er am nächsten Morgen bei Dienstantritt aus eigenem Geld ersetzen, obwohl er verpflichtet war, die täglichen Einnahmen bei Dienstschluß auf der Dienststelle abzugeben.

22

Das O L G hat in diesem Falle eine Untreue bejaht. Das mag hier dahinstehen. - Jedenfalls liegt in diesem Falle eine rechtswidrige Zueignung im Verbrauchen des Geldes. A benutzt die Verwamungsgelder unerlaubt für einen Kredit. - Mag der Zeitraum auch überschaubar sein, so ist es doch nicht zu übersehen, daß hier auch vermögensrechtliche Interessen des Berechtigten verletzt sind. Die äußerste Grenze wäre hier der Ersatz innerhalb der vom Berechtigten gesetzten Frist bis zur Abgabe der Gelder, wenn die Ersatzbereitschaft außer Frage stand; z.B. wenn A den fehlenden Betrag in der Dienststelle hätte ersetzen können, weil er in seiner Kleidung noch Geld gehabt hätte.

4. Zueignung nach einer Zueignung Hat der Täter durch ein Vermögensdelikt umfassende Sachherrschaft an einer fremden 23 Sache erlangt, so ist eine weitere Zueignung derselben Sache ausgeschlossen. 1 4 2 Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluß des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat. O L G Düsseldorf J Z 1985 S. 592: A hatte sich den Pkw der Fa. F rechtswidrig zugeeignet, indem er den Besitz gegenüber F abstritt und den Pkw an einen der Fa. F nicht zugänglichen Ort verbrachte. Wiederholten Herausgabeverlangen der Fa. F kam A nicht nach und verhinderte außerdem, daß es der Fa. F gelang, den Wagen ausfindig zu machen. O L G Düsseldorf: "Die Zueignung im Sinne des § 246 StGB besteht darin, daß der Täter die Sache dem eigenen Vermögen einverleibt, wobei diese Zueignung kein rein innerer Vorgang ist, sondern vielmehr erfordert, daß der Täter seinen Willen, die Sache zu behalten, durch eine nach außen erkennbare Handlung bestätigt. Mit der nach außen sichtbar vollzogenen Zueignungshandlung ist die Unterschlagung vollendet. Nachträgliche Äußerungen des Herrschaftswillens nach der Zueignung, wie etwa Verschweigen der unterschlagenen Sache oder deren Veräußerung stellen lediglich die Ausnutzung der zuvor durch Zueignung herbeigeführten eigentümerähnlichen Herrschaft dar." Dem ist zuzustimmen, denn wird Zueignung nicht als ein begrifflich konturenloser Vorgang interpretiert, sondern scharf umrissen als Enteignung des Berechtigten und Aneignung der umfassenden Sachherrschaftsposition durch den Täter in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen, so ist die Zueignung einer fremden Sache, die der Täter durch rechtswidrige Zueignung erlangt hat, ausgeschlossen. Der Täter kann nunmehr nach außen kundmachen, daß er den durch die Zueignung begründeten Zustand aufrechterhalten und nutzen will. Eine Entsetzung des Eigentümers und die Überführung der Eigentumsherrschaft auf den Täter können derartige Handlungen begriffsnotwendig jedoch nicht mehr darstellen. - Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluß des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat.

142

So auch BGHSt 14 S. 38 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN JuS 1968 S. 114 ff; BGHSt 16 S. 282; GÖSSEL B . T . 2 , § 11 R d n . 9 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 6 R d n . 4 6 ; KREY B . T . 2 , R d n . 1 7 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 6 R d n . 7 ; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S . 2 6 1 f f ; OTTO S t r u k t u r , S . 1 0 6 f f , 1 1 2 . - A . A . BAUMANN N J W 1 9 6 1 S . 1 1 4 1 f f ; BOCKELMANN J Z 1 9 6 0 S . 6 2 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 4 R d n . 2 2 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 4 4 ; SCH/SCH/ ESER § 2 4 6 R d n . 19; SEELMANN J u S 1 9 8 5 S . 7 0 2 ; TENCKHOFF

JuS 1 9 8 4 S. 7 7 8 f.

179

24

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§43

II. Veruntreuung, § 246 Abs. 2. 25 Die Unterschlagung einer anvertrauten terschlagung dar, § 246 Abs. 2

Sache stellt einen qualifizierten Fall der Un-

1. Die anvertraute Sache 26 Anvertraut ist die Sache, wenn dem Täter der Gewahrsam mit der Maßgabe übertragen wurde, daß er mit der Sache in bestimmter Weise zugunsten des Berechtigten verfahre (z.B. Leihe, Miete, Verwahrung, Kauf unter Eigentumsvorbehalt). 27 a) Das Vertrauensverhältnis selbst braucht rechtlich nicht besonders schutzwürdig zu sein, doch wird ein Vertrauensverhältnis zum Teil abgelehnt, wenn es auf sittenswidriger Grundlage beruht. 143 - Dem ist nicht zu folgen. Vertrauen ist ein sozialer Tatbestand. Die Sittenwidrigkeit läßt daher den Vertrauensbruch nicht ohne weiteres entfallen. 144 28 b) Ein Anvertrauen wird darüber hinaus verneint, wenn das Verwahrungsverhältnis dem "wahren Interesse" des Eigentümers widerspricht. RGSt 40 S. 222: A hatte Stoff gestohlen. Diesen gab er dem B in Verwahrung. B benutzte den Stoff zu eigenen Zwecken. Ergebnis:

Keine Veruntreuung.

29 Dies ist, soweit keine besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauensverhältnisses gefordert wird, inkonsequent, denn die Interessen des Eigentümers berühren das persönliche Verhältnis innerhalb des Vertrauensverhältnisses nicht. 145 2. Anvertrautsein 30 "Anvertrautsein" ist ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, da durch das Vertrauensverhältnis eine besondere Pflichtenposition begründet wird.

§ 43: Haus- und Familiendiebstahl 1

1. Rechtsnatur des § 247 Indem der Gesetzgeber die Verfolgbarkeit des Haus- und Familiendiebstahls sowie der unter den gleichen Umständen begangenen Unterschlagung von einem Strafantrag abhängig gemacht hat, brachte er zum Ausdruck, daß er in einem derartigen Diebstahls- oder Unterschlagungsfall nicht geringeres Unrecht oder geringere Schuld verwirklicht sieht, sondern den Erhalt der Familie und der häuslichen Gemeinschaft höher bewertet als das Interesse an der Strafverfolgung, wenn der Verletzte selbst kein Interesse an der Strafverfolgung zeigt. Das Antragserfordernis des § 247 dient daher allein der Erhaltung des Familien- bzw. Hausfriedens. Es gilt in den Fällen der §§ 242, 243, 244, 244 a, 246, 248 c nicht aber in bezug auf §§ 249 ff. - Der Strafantrag ist Prozeßvoraussetzung. 2. Das Tatopfer

2

a) Für den Angehörigenbegriff

1 4 3 1 4 4

gilt die Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 1.

K I N D H Ä U S E R N K , § 2 4 6 R d n . 6 0 ; S A M S O N S K II, § 2 4 6 R d n . 4 9 ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 6 R d n . 3 0 . S o auch B G H N J W

1 9 5 4 S. 8 8 9 ; BRUNS M e z g e r - F S ,

S . 3 4 8 ; G Ö S S E L B . T . 2 , § 11 R d n . 4 0 ;

B.T., S. 2 2 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.L, § 3 4 Rdn. 4 1 ; R U ß L K , § 2 4 6 Rdn. 26. 1 4 5

180

A . A . RUß L K , § 2 4 6 Rdn. 2 6 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 6 R d n . 2 7 .

KÜPER

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§43

II. Veruntreuung, § 246 Abs. 2. 25 Die Unterschlagung einer anvertrauten terschlagung dar, § 246 Abs. 2

Sache stellt einen qualifizierten Fall der Un-

1. Die anvertraute Sache 26 Anvertraut ist die Sache, wenn dem Täter der Gewahrsam mit der Maßgabe übertragen wurde, daß er mit der Sache in bestimmter Weise zugunsten des Berechtigten verfahre (z.B. Leihe, Miete, Verwahrung, Kauf unter Eigentumsvorbehalt). 27 a) Das Vertrauensverhältnis selbst braucht rechtlich nicht besonders schutzwürdig zu sein, doch wird ein Vertrauensverhältnis zum Teil abgelehnt, wenn es auf sittenswidriger Grundlage beruht. 143 - Dem ist nicht zu folgen. Vertrauen ist ein sozialer Tatbestand. Die Sittenwidrigkeit läßt daher den Vertrauensbruch nicht ohne weiteres entfallen. 144 28 b) Ein Anvertrauen wird darüber hinaus verneint, wenn das Verwahrungsverhältnis dem "wahren Interesse" des Eigentümers widerspricht. RGSt 40 S. 222: A hatte Stoff gestohlen. Diesen gab er dem B in Verwahrung. B benutzte den Stoff zu eigenen Zwecken. Ergebnis:

Keine Veruntreuung.

29 Dies ist, soweit keine besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauensverhältnisses gefordert wird, inkonsequent, denn die Interessen des Eigentümers berühren das persönliche Verhältnis innerhalb des Vertrauensverhältnisses nicht. 145 2. Anvertrautsein 30 "Anvertrautsein" ist ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, da durch das Vertrauensverhältnis eine besondere Pflichtenposition begründet wird.

§ 43: Haus- und Familiendiebstahl 1

1. Rechtsnatur des § 247 Indem der Gesetzgeber die Verfolgbarkeit des Haus- und Familiendiebstahls sowie der unter den gleichen Umständen begangenen Unterschlagung von einem Strafantrag abhängig gemacht hat, brachte er zum Ausdruck, daß er in einem derartigen Diebstahls- oder Unterschlagungsfall nicht geringeres Unrecht oder geringere Schuld verwirklicht sieht, sondern den Erhalt der Familie und der häuslichen Gemeinschaft höher bewertet als das Interesse an der Strafverfolgung, wenn der Verletzte selbst kein Interesse an der Strafverfolgung zeigt. Das Antragserfordernis des § 247 dient daher allein der Erhaltung des Familien- bzw. Hausfriedens. Es gilt in den Fällen der §§ 242, 243, 244, 244 a, 246, 248 c nicht aber in bezug auf §§ 249 ff. - Der Strafantrag ist Prozeßvoraussetzung. 2. Das Tatopfer

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a) Für den Angehörigenbegriff

1 4 3 1 4 4

gilt die Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 1.

K I N D H Ä U S E R N K , § 2 4 6 R d n . 6 0 ; S A M S O N S K II, § 2 4 6 R d n . 4 9 ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 6 R d n . 3 0 . S o auch B G H N J W

1 9 5 4 S. 8 8 9 ; BRUNS M e z g e r - F S ,

S . 3 4 8 ; G Ö S S E L B . T . 2 , § 11 R d n . 4 0 ;

B.T., S. 2 2 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.L, § 3 4 Rdn. 4 1 ; R U ß L K , § 2 4 6 Rdn. 26. 1 4 5

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A . A . RUß L K , § 2 4 6 Rdn. 2 6 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 6 R d n . 2 7 .

KÜPER

§43

Haus- und Familiendiebstahl

b) Zum Vormund vgl. §§ 1773 ff BGB. Der Gegenvormund ist nicht Vormund i.S. des § 247, denn er steht im Gegensatz zum Vormund nicht in einem engen persönlichen Verhältnis zum Mündel, sondern überwacht den Vormund nach § 1799 BGB. 1 4 6 c) Zum Betreuer vgl. §§ 1896 ff BGB. d) Eine häusliche Gemeinschaft setzt den freien und ernstlichen Willen der Mitglieder zum Zusammenleben auf eine gewisse Dauer voraus. 147

3

4 5

Am freien Willen fehlt es z.B. bei Soldaten in der Kaserne oder bei Inhaftierten in einer Justizvollzugsanstalt. - Der ernstliche Wille fehlt, wenn es dem Täter nur darauf ankommt, das Zusammenleben zu Straftaten gegen die anderen Beteiligten auszunutzen. 148

Ist die häusliche Gemeinschaft nach der Tat zerbrochen, so bedarf diese eigentlich nicht mehr des besonderen Schutzes durch den Strafgesetzgeber. Gleichwohl findet § 247 auch dann Anwendung: § 247 stellt auf das Verhältnis zur Tatzeit ab. Dieser zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers ist maßgeblich. 149 3. Der

Antragsberechtigte

Die in § 247 aufgeführten nahen persönlichen Beziehungen müssen zwischen dem Täter und dem Verletzten bestehen. Das ist nach den hier gesetzten Prämissen der umfassende Sachherr; vgl. dazu § 39 Rdn. 6. Soweit Eigentum und Gewahrsam als geschützte Rechtsgüter des Diebstahlstatbestandes angesehen werden, wird das Antragsrecht - wenn Eigentümer und Gewahrsamsinhaber verschiedene Personen sind - beiden zugestanden. Gehört nur eine dieser Personen zu der in § 247 bezeichneten Gruppe, so soll das Privileg nicht durchgreifen, der Diebstahl vielmehr von Amts wegen verfolgbar sein. 150 Bei der Unterschlagung wird zum Teil auch über den Eigentümer hinaus das Antragsrecht bloß Nutzungsberechtigten zuerkannt, z.B. dem Käufer einer Sache nach Gefahrübergang. 151 Zur

6

7 8

9

Verdeutlichung:

Beispiel 1: X hat dem Y eine Sache geliehen. Dort stiehlt sie A, der Sohn des X.

10

Verletzte nach h.M.: X und Y. § 247 findet keine Anwendung. - Verletzter nach der hier entwickelten Ansicht nur X, § 247 findet Anwendung. Beispiel 2: Wie im Beispiel 1, doch ist A der Sohn des Y. Verletzte nach h.M.: X und Y, s.o. - Nach der hier entwickelten Ansicht: Verletzter X, daher kommt § 247 nicht in Betracht. Hinweis: Eine Ausnahme macht die h.M. nur, wenn der unmittelbare Besitzer im Zeitpunkt der Tat lediglich untergeordneten Gewahrsam hat. 1 5 2

Diejenigen, die nur das Eigentum als das geschützte Rechtsgut der Zueignungsdelikte an- 11 1 4 6

A . A . RUß L K , § 2 4 7 R d n . 5 ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 7 R d n . 5 ; T R Ö N D L E S t G B , § 2 4 7 R d n . 3 .

147

BGHSt 29 S. 56 f.

148

BGHSt 29 S. 56 f.

149

Vgl. OLG Hamm NJW 1986 S. 734; OLG Celle JR 1986 S. 385 mit Anm. STREE S. 386 ff; RUß LK, § 247 Rdn. 6.

1 5 0

V g l . G Ö S S E L B . T . 2, § 1 0 R d n . 4 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 7 R d n . 2 ;

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B . T . L , § 3 3 R d n . 1 3 0 . - A . A . S C H / S C H / E S E R § 2 4 7 R d n . 10. 151

Vgl. BayObLG NJW 1963 S. 1464.

152

Dazu BGHSt 10 S. 400 f.

181

§ 44

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

sehen, kommen konsequenterweise zu dem Ergebnis, daß allein der Eigentümer Verletzter sein kann. Beispiel 3: Der Dieb D hat von E vor Jahr und Tag eine Uhr gestohlen. Eines Tages stiehlt A, der Sohn des D, diesem die Uhr. Verletzter nach der hier vertretenen Ansicht: der D; nach Ansicht derer, die das zivilrechtliche Eigentum als Rechtsgut der Zueignungsdelikte betrachten: der E.

4. Der Irrtum des Täters über das Tatopfer 12 Da das Antragserfordernis nicht Ausfluß eines minder schweren Unrechts des Diebstahls oder einer minderen Schuld des Täters ist, sondern allein dem Erhalt des Haus- und Familienfriedens zu dienen bestimmt ist, kommt es nur zum Zuge, wenn die Tat nicht über die geschützte Sphäre hinausgeht. - Maßgeblich ist daher allein die objektive Lage. 13

a) BGHSt 23 S. 281: A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre seiner Ehefrau. Es gehörte jedoch X.

14

b) A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre einer Bekannten seiner Ehefrau. In Wirklichkeit gehörte es der Ehefrau selbst.

BGH: Kein Strafantrag erforderlich, da Verletzter außerhalb des "abgeschirmten Bereichs".

Ergebnis: § 247 findet Anwendung.

15 § 16 Abs. 2 kann bei einem Irrtum des Täters darüber, daß das Opfer in den Haus- oder Familienbereich gehört, keine Anwendung finden, da der Täter über eine Prozeßvoraussetzung irrt, nicht aber einen Umstand annimmt, der den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würde.

§ 44: Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen 1

2

1. Kriminalpolitische Zielsetzung des § 248 a Mit § 248 a, der ergänzt wird durch §§ 153 Abs. 1, 153 a StPO, will der Gesetzgeber das Problem der Bagatellkriminalität im Bereich der Vermögensdelikte prozessual lösen: Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein, soweit nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt. Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 248 a nur auf die §§ 242, 246. Sachlich sind - aufgrund der Regelung der §§ 243 Abs. 2, 248 c Abs. 3 - auch §§ 243, 248 c eingeschlossen, soweit sich "die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht"; vgl. dazu oben § 41 Rdn. 41 ff. 2. Geringwertige Sachen Geringwertige Sachen sind Sachen von unbedeutendem Wert; dazu vgl. oben § 41 Rdn. 42 f. 3. Besondere Probleme des § 248 a

3

a) Handeln in Mittäterschaft Da das Antragserfordernis die Strafverfolgung ausschließlich von der Interessenlage des Verletzten abhängig macht, dem im Falle eines geringen Schadens die Entscheidung über die Strafverfolgung anheim gegeben ist, kommt die Anwendung des § 248 a nicht in Betracht, wenn die Gesamtbeute nicht mehr geringwertig ist. Durch den - wenn auch in Mittäterschaft begangenen - Diebstahl hat der Verletzte keinen geringen, sondern einen erheblichen Schaden erlitten. 182

§ 44

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

sehen, kommen konsequenterweise zu dem Ergebnis, daß allein der Eigentümer Verletzter sein kann. Beispiel 3: Der Dieb D hat von E vor Jahr und Tag eine Uhr gestohlen. Eines Tages stiehlt A, der Sohn des D, diesem die Uhr. Verletzter nach der hier vertretenen Ansicht: der D; nach Ansicht derer, die das zivilrechtliche Eigentum als Rechtsgut der Zueignungsdelikte betrachten: der E.

4. Der Irrtum des Täters über das Tatopfer 12 Da das Antragserfordernis nicht Ausfluß eines minder schweren Unrechts des Diebstahls oder einer minderen Schuld des Täters ist, sondern allein dem Erhalt des Haus- und Familienfriedens zu dienen bestimmt ist, kommt es nur zum Zuge, wenn die Tat nicht über die geschützte Sphäre hinausgeht. - Maßgeblich ist daher allein die objektive Lage. 13

a) BGHSt 23 S. 281: A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre seiner Ehefrau. Es gehörte jedoch X.

14

b) A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre einer Bekannten seiner Ehefrau. In Wirklichkeit gehörte es der Ehefrau selbst.

BGH: Kein Strafantrag erforderlich, da Verletzter außerhalb des "abgeschirmten Bereichs".

Ergebnis: § 247 findet Anwendung.

15 § 16 Abs. 2 kann bei einem Irrtum des Täters darüber, daß das Opfer in den Haus- oder Familienbereich gehört, keine Anwendung finden, da der Täter über eine Prozeßvoraussetzung irrt, nicht aber einen Umstand annimmt, der den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würde.

§ 44: Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen 1

2

1. Kriminalpolitische Zielsetzung des § 248 a Mit § 248 a, der ergänzt wird durch §§ 153 Abs. 1, 153 a StPO, will der Gesetzgeber das Problem der Bagatellkriminalität im Bereich der Vermögensdelikte prozessual lösen: Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein, soweit nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt. Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 248 a nur auf die §§ 242, 246. Sachlich sind - aufgrund der Regelung der §§ 243 Abs. 2, 248 c Abs. 3 - auch §§ 243, 248 c eingeschlossen, soweit sich "die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht"; vgl. dazu oben § 41 Rdn. 41 ff. 2. Geringwertige Sachen Geringwertige Sachen sind Sachen von unbedeutendem Wert; dazu vgl. oben § 41 Rdn. 42 f. 3. Besondere Probleme des § 248 a

3

a) Handeln in Mittäterschaft Da das Antragserfordernis die Strafverfolgung ausschließlich von der Interessenlage des Verletzten abhängig macht, dem im Falle eines geringen Schadens die Entscheidung über die Strafverfolgung anheim gegeben ist, kommt die Anwendung des § 248 a nicht in Betracht, wenn die Gesamtbeute nicht mehr geringwertig ist. Durch den - wenn auch in Mittäterschaft begangenen - Diebstahl hat der Verletzte keinen geringen, sondern einen erheblichen Schaden erlitten. 182

Entziehung elektrischer Energie

§45

Beispiel: 4 Mann stehlen in Mittäterschaft in einem Zigarettenladen Zigaretten im Werte von DM 100,-. Ergebnis: § 248 a findet keine Anwendung.

b) Mehrere Sachen als Tatobjekt Zum Problem der Zusammenrechnung bei der Wegnahme mehrerer Sachen im Rahmen einer Tat vgl. oben § 41 Rdn. 47. Die Ausführungen gelten hier entsprechend. c) Irrtum des Täters über den Wert Das Antragserfordemis berücksichtigt allein Interessen des Verletzten, ist aber nicht Ausdruck geringeren Unrechts oder geringerer Schuld des Täters. Daher ist der Irrtum des Täters über den Gegenstandswert bedeutungslos; § 16 Abs. 2 findet keine Anwendung,

4

5

aa) A nimmt wertvolle Sachen weg, die er für geringwertig hält: § 242. bb) A nimmt geringwertige Sachen weg, die er für wertvoll hält: § 248 a.

d) Versuchsproblematik Nach dem Gesetzeswortlaut findet § 248 a Anwendung, wenn der Täter eine geringwertige Sache stiehlt oder unterschlägt.

6

Beispiel 1: A will eine wertvolle Sache stehlen, findet aber nur eine geringwertige, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, doch findet § 248 a Anwendung. Beispiel 2: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber eine wertvolle Sache, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, § 248 a findet keine Anwendung.

Übertragen auf die Versuchssituation führt diese Regelung jedoch zu WertungsWidersprüchen.

7

Beispiel 1: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber überhaupt nichts vor. Ergebnis: § 248 a findet auf den Versuch Anwendung. Beispiel 2: A will wertvolle Sache stehlen, findet aber nur geringwertige. Da A an geringwertigen Sachen kein Interesse hat, nimmt er gar nichts mit. Ergebnis: Versuch eines Diebstahls, § 248 a findet keine Anwendung.

Im Verhältnis zur Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts sind die hier begründeten Widersprüche nicht auflösbar. Auch wenn § 248 a - entsprechend der Regelung des § 243 Abs. 2 - nur auf den Versuch angewendet wird, wenn sich die Tat auf geringwertige Sachen bezieht, wird der Widerspruch nur verlagert, keineswegs aber beseitigt. 153

8

§ 45: Entziehung elektrischer Energie 1. Entziehung elektrischer Energie in Zueignungsabsicht,

§ 248 c Abs. 1

a) Tatobjekt: fremde elektrische Energie. - Fremd ist die Energie für jeden, der kein Recht zur Entnahme der Energie hat. - Entzogen ist die Energie, wenn den Berechtigten durch die Entnahme eine Energie Verlust entsteht. - Die Entziehung muß mittels eines Leiters erfolgen, d.h. mit Hilfe einer Einrichtung, die vermöge ihrer physikalischen Eigenschaften den Strom weiterleitet, sei es auch nur im Wege der Induktion. 1 5 4

153

Zur Kritik vgl. auch SEELMANN JuS 1985 S. 703.

1 5 4

V g l . R G S t 3 9 S. 4 3 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 8 c R d n . 2; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 c R d n . 9; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 8 c R d n . 3 . - A . A . G Ö S S E L B . T . 2 , § 1 8 R d n . 4 5 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 8 c R d n . 1 0 ; R A N F T J A

1984 S. 2 f; RUß LK, § 248 c Rdn. 4. - Keine Leiter sind elektromagnetische Wellen im Bereich der Telekommunikation; vgl. STÜMPFIG MDR 1991 S. 710.

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1

Entziehung elektrischer Energie

§45

Beispiel: 4 Mann stehlen in Mittäterschaft in einem Zigarettenladen Zigaretten im Werte von DM 100,-. Ergebnis: § 248 a findet keine Anwendung.

b) Mehrere Sachen als Tatobjekt Zum Problem der Zusammenrechnung bei der Wegnahme mehrerer Sachen im Rahmen einer Tat vgl. oben § 41 Rdn. 47. Die Ausführungen gelten hier entsprechend. c) Irrtum des Täters über den Wert Das Antragserfordemis berücksichtigt allein Interessen des Verletzten, ist aber nicht Ausdruck geringeren Unrechts oder geringerer Schuld des Täters. Daher ist der Irrtum des Täters über den Gegenstandswert bedeutungslos; § 16 Abs. 2 findet keine Anwendung,

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5

aa) A nimmt wertvolle Sachen weg, die er für geringwertig hält: § 242. bb) A nimmt geringwertige Sachen weg, die er für wertvoll hält: § 248 a.

d) Versuchsproblematik Nach dem Gesetzeswortlaut findet § 248 a Anwendung, wenn der Täter eine geringwertige Sache stiehlt oder unterschlägt.

6

Beispiel 1: A will eine wertvolle Sache stehlen, findet aber nur eine geringwertige, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, doch findet § 248 a Anwendung. Beispiel 2: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber eine wertvolle Sache, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, § 248 a findet keine Anwendung.

Übertragen auf die Versuchssituation führt diese Regelung jedoch zu WertungsWidersprüchen.

7

Beispiel 1: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber überhaupt nichts vor. Ergebnis: § 248 a findet auf den Versuch Anwendung. Beispiel 2: A will wertvolle Sache stehlen, findet aber nur geringwertige. Da A an geringwertigen Sachen kein Interesse hat, nimmt er gar nichts mit. Ergebnis: Versuch eines Diebstahls, § 248 a findet keine Anwendung.

Im Verhältnis zur Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts sind die hier begründeten Widersprüche nicht auflösbar. Auch wenn § 248 a - entsprechend der Regelung des § 243 Abs. 2 - nur auf den Versuch angewendet wird, wenn sich die Tat auf geringwertige Sachen bezieht, wird der Widerspruch nur verlagert, keineswegs aber beseitigt. 153

8

§ 45: Entziehung elektrischer Energie 1. Entziehung elektrischer Energie in Zueignungsabsicht,

§ 248 c Abs. 1

a) Tatobjekt: fremde elektrische Energie. - Fremd ist die Energie für jeden, der kein Recht zur Entnahme der Energie hat. - Entzogen ist die Energie, wenn den Berechtigten durch die Entnahme eine Energie Verlust entsteht. - Die Entziehung muß mittels eines Leiters erfolgen, d.h. mit Hilfe einer Einrichtung, die vermöge ihrer physikalischen Eigenschaften den Strom weiterleitet, sei es auch nur im Wege der Induktion. 1 5 4

153

Zur Kritik vgl. auch SEELMANN JuS 1985 S. 703.

1 5 4

V g l . R G S t 3 9 S. 4 3 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 8 c R d n . 2; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 c R d n . 9; TRÖNDLE S t G B , § 2 4 8 c R d n . 3 . - A . A . G Ö S S E L B . T . 2 , § 1 8 R d n . 4 5 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 8 c R d n . 1 0 ; R A N F T J A

1984 S. 2 f; RUß LK, § 248 c Rdn. 4. - Keine Leiter sind elektromagnetische Wellen im Bereich der Telekommunikation; vgl. STÜMPFIG MDR 1991 S. 710.

183

1

§46

2

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

b) Der Leiter muß ordnungswidrig sein, nicht nur die Entnahme der Energie. - Die rechtswidrige, weil z.B. vertragswidrige Entnahme von Strom auf ordnungsgemäßem Weg macht den Leiter noch nicht zu einem ordnungswidrigen. Ordnungswidrig daher: Überbrückung eines Zählers (OLG Celle MDR 1969 S. 597); Anbringen eines nicht zur Anlage gehörenden Kabels (BGH GA 1958 S. 369); Anzapfen einer Hochspannungsleitung u.ä. - Nicht ordnungswidrig hingegen: Untermieter hat vertragswidrig nach 10 Uhr abends noch Licht an. - Benutzung eines elektrischen Heizofens, eines Bügeleisens, einer Kochplatte usw. gegen den Willen des Berechtigten. Z.T. wird in der Lehre bei unbefugter Benutzung bestimmter Geräte danach unterschieden, ob der Berechtigte diese Geräte aufgestellt hat oder ein Nichtberechtigter. Diese Differenzierung führt zu zufälligen Unterscheidungen in der Strafbarkeit

3

c) Zueignungsabsicht ist hier die Absicht, über die Energie selbständig zum eigenen Nutzen oder zum Nutzen eines Dritten zu verfügen. 2. Entziehung elektrischer Energie in bloßer Schädigungsabsicht, § 248 c Abs. 4

4

a) Das Delikt entspricht der Sachbeschädigung. Dem Täter geht es nicht darum, sich oder einem Dritten einen Vorteil zu verschaffen, sondern den Berechtigten zu schädigen. - Absicht bedeutet zielgerichtetes Wollen. 5 b) Auch hier ist allein strafbar die entsprechende Schädigung mit Hilfe eines ordnungswidrigen Leiters.

6

3. Anwendung der §§ 247, 248 a Gemäß § 248 c Abs. 3 gelten §§ 247, 248 a entsprechend; vgl. dazu §§ 43, 44.

§ 46: Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes 1

2

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Raubdelikte ist primär das Vermögen, und zwar die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. Daneben wird die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung geschützt. 2. Die Systematik des Gesetzes a) Grundtatbestand der Raubdelikte ist § 249. Zur Interpretation des § 255 als Grundtatbestand

der Raubdelikte durch den BGH vgl. § 53 Rdn. 25 f.

b) Qualifizierungen: §§ 250, 251. c) Raubähnliches Sonderdelikt: § 252. d) Ein zum eigenständigen Sonderdelikt ausgestalteter qualifizierter Fall des Raubes und der räuberischen Erpressung: § 316 a; dazu unter Rdn. 69 ff. e) Der Raub ist als eigenständiges Sonderdelikt (lex specialis) gegenüber den in ihm enthaltenen Tatbeständen der Nötigung und des Diebstahls anzusehen. §§ 247, 248 a finden daher im Bereich der Raubtatbestände keine Anwendung. 1 5 5

M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 3 3 R d n . 1 4 0 ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 8 c R d n . 11.

156

So auch SAMSON SK II, § 248 c Rdn. 8; TRÖNDLE StGB, § 248 c Rdn. 4.

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§46

2

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

b) Der Leiter muß ordnungswidrig sein, nicht nur die Entnahme der Energie. - Die rechtswidrige, weil z.B. vertragswidrige Entnahme von Strom auf ordnungsgemäßem Weg macht den Leiter noch nicht zu einem ordnungswidrigen. Ordnungswidrig daher: Überbrückung eines Zählers (OLG Celle MDR 1969 S. 597); Anbringen eines nicht zur Anlage gehörenden Kabels (BGH GA 1958 S. 369); Anzapfen einer Hochspannungsleitung u.ä. - Nicht ordnungswidrig hingegen: Untermieter hat vertragswidrig nach 10 Uhr abends noch Licht an. - Benutzung eines elektrischen Heizofens, eines Bügeleisens, einer Kochplatte usw. gegen den Willen des Berechtigten. Z.T. wird in der Lehre bei unbefugter Benutzung bestimmter Geräte danach unterschieden, ob der Berechtigte diese Geräte aufgestellt hat oder ein Nichtberechtigter. Diese Differenzierung führt zu zufälligen Unterscheidungen in der Strafbarkeit

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c) Zueignungsabsicht ist hier die Absicht, über die Energie selbständig zum eigenen Nutzen oder zum Nutzen eines Dritten zu verfügen. 2. Entziehung elektrischer Energie in bloßer Schädigungsabsicht, § 248 c Abs. 4

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a) Das Delikt entspricht der Sachbeschädigung. Dem Täter geht es nicht darum, sich oder einem Dritten einen Vorteil zu verschaffen, sondern den Berechtigten zu schädigen. - Absicht bedeutet zielgerichtetes Wollen. 5 b) Auch hier ist allein strafbar die entsprechende Schädigung mit Hilfe eines ordnungswidrigen Leiters.

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3. Anwendung der §§ 247, 248 a Gemäß § 248 c Abs. 3 gelten §§ 247, 248 a entsprechend; vgl. dazu §§ 43, 44.

§ 46: Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes 1

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1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Raubdelikte ist primär das Vermögen, und zwar die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. Daneben wird die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung geschützt. 2. Die Systematik des Gesetzes a) Grundtatbestand der Raubdelikte ist § 249. Zur Interpretation des § 255 als Grundtatbestand

der Raubdelikte durch den BGH vgl. § 53 Rdn. 25 f.

b) Qualifizierungen: §§ 250, 251. c) Raubähnliches Sonderdelikt: § 252. d) Ein zum eigenständigen Sonderdelikt ausgestalteter qualifizierter Fall des Raubes und der räuberischen Erpressung: § 316 a; dazu unter Rdn. 69 ff. e) Der Raub ist als eigenständiges Sonderdelikt (lex specialis) gegenüber den in ihm enthaltenen Tatbeständen der Nötigung und des Diebstahls anzusehen. §§ 247, 248 a finden daher im Bereich der Raubtatbestände keine Anwendung. 1 5 5

M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 3 3 R d n . 1 4 0 ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 8 c R d n . 11.

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So auch SAMSON SK II, § 248 c Rdn. 8; TRÖNDLE StGB, § 248 c Rdn. 4.

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Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§46

II. Raub, § 249 1. Die einzelnen

Tatbestandsmerkmale

a) Die Gewalt gegen eine Person oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben müssen zur Begehung eines Diebstahls eingesetzt sein, d.h. sie müssen Mittel der Wegnahme sein. aa) Gewalt ist der nicht notwendig erhebliche Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der von der Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer, sondern als körperlicher Zwang empfunden wird. Die Anwendung psychischen Zwanges ist hier auf die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begrenzt. Daher sind die Fälle unmittelbar wirksamen psychischen Zwanges, der sich auf das Opfer körperlich auswirkt - vgl. dazu § 27 Rdn. 14 - aus dem Gewaltbegriff herausgenommen. bb) Da die Gewaltanwendung hier Mittel der Wegnahme, d.h. des Gewahrsamsbruchs ist, muß sie als körperlicher Zwang zur Überwindung eines realen oder erwarteten Widerstands eingesetzt werden. Zur

3

4

5

Verdeutlichung:

BGHSt 18 S. 329: A schlug der B, die eine Tasche in der Hand trug, auf die Hand. B ließ daraufhin die Tasehe fallen und A nahm die Tasche an sich.

6

BGH: Raub, denn die Gewaltanwendung diente der Wegnahme. BGH StV 1990 S. 262: A versuchte der B, die eine Geldbombe "unter der linken Achsel eingeklemmt hatte", diese mit einem Ruck zu entreißen. B bemerkte allerdings das Vorhaben des A und verstärkte den Druck, so daß der Plan fehlschlug. BGH: Keine Wegnahme mit Gewalt, wenn nicht die eingesetzte Kraft, sondern List und Schnelligkeit das Bild der Tat prägen. - Damit wird im Gegensatz zu BGHSt 18 S. 329 eine so erhebliche Gewaltanwendung gefordert, daß sie geeignet ist, erwarteten Widerstand zu brechen, nicht nur ihn zu vermeiden oder ihm zuvorzukommen.

cc) Das Nötigungsmittel muß der Täter final zur Ermöglichung der Wegnahme einsetzen. Es genügt nicht, daß die Nötigung lediglich „Begleiterscheinung" der Wegnahme ist, die Wegnahme „gelegentlich" der Nötigungshandlung erfolgt oder daß sie der Nötigung nur zeitlich nachfolgt, ohne daß eine finale Verknüpfung bestünde. 157 Ein kausaler Zusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme ist hingegen nicht erforderlich. Ob das Opfer die Wegnahme auch ohne Widerstand geduldet hätte, d.h. ob die Gewaltanwendung oder Drohung überhaupt nötig war, um die Wegnahme zu ermöglichen, ist unwesentlich. Maßgebend ist allein, daß die Nötigung zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes gegen die Wegnahme vom Täter für erforderlich gehalten wurde. Auch wenn sich die Nötigung gegen eine Person richtet, die nicht zum Widerstand gegen die Wegnahme bereit ist, so ist dies irrelevant, wenn der Täter Widerstand er-wartet. 158 Die Gewaltanwendung erfolgt auch dann zum Zwecke der Wegnahme, wenn der Täter zugleich weitere Ziele erreichen will. 159 157

Vgl. BGHSt NStZ 1982 S. 380; BGH StV 1995 S. 416.

158

Dazu auch BGHSt 4 S. 210; 18 S. 331; BGH StV 1991 S. 516; ESER NJW 1965 S. 378; GEILEN Jura 1 9 7 9 S . 1 6 6 ; H E R D E G E N L K , § 2 4 9 R d n . 3 ; H O H M A N N / S A N D E R B . T . I, § 5 R d n r . 1 2 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 9 R d n . 2 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S . 3 5 2 ; T R Ö N D L E S t G B , § 2 4 9 R d n . 3 . - A . A . KINDHÄUSER N K , § 2 4 9 R d n . 3 0 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 5 0 ; SEELMANN J U S 1 9 8 6 S . 2 0 3 f .

159

Vgl. BGH NStZ 1993 S. 79.

185

7

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§46

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

10

Nutzt der Täter die von einem Dritten angewandte Gewalt ohne dessen Kenntnis zur Wegnahme aus, so fehlt es an dem finalen Konnex. 1 6 0 11 dd) Eine Besonderheit beim Raub im Verhältnis zum Diebstahl ergibt sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit, als diese die Wegnahme nicht vom Gewahrsamsbruch her erfaßt, sondern bei der Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung die Zuordnung nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat vornimmt; eingehender dazu § 53 Rdn. 25 ff. 12 b) Gewalt und Drohung können bis zur Vollendung der Wegnahme eingesetzt werden. Werden diese Mittel hingegen erst nach Vollendung der Wegnahme zur Sicherung der Beute eingesetzt, so kann § 252 vorliegen; dazu unter Rdn. 50 ff. 13 c) Schwierige Abgrenzungsprobleme in Hinsicht auf die finale Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme ergeben sich bei einem Motivwechsel des Täters. Eine saubere Trennung der verschiedenen Fallgruppen gelingt hier nur, wenn streng zwischen der fortdauernden Nötigungswirkung und der Fortdauer des Einsatzes des Nötigungsmittels unterschieden wird: 14 aa) Entschließt sich der Täter während des Einsatzes des Nötigungsmittels so liegt eindeutig ein Raub vor.

zur Wegnahme,

BGHSt 20 S. 32: A wandte gegen M Gewalt an, um sie an sich zu ziehen und zu küssen. M wehrte sich. Als A merkte, daß M eine Armbanduhr trug, streifte er die Uhr während des Handgemenges vom Arm und steckte sie ein. BGH: Raub.

15 bb) Wesentlich problematischer ist die Abgrenzung, wenn das Opfer nach der Gewaltanwendung Widerstand für sinnlos hält, weil es sich dem Täter ausgeliefert sieht und der Täter diese Lage ausnutzt. 16 Hier ist zu unterscheiden: Sieht das Opfer das Verhalten des Täters als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben an und erkennt der Täter diesen Sachverhalt, so kann in seinem Verhalten eine konkludente Drohung liegen. Notwendig ist aber, daß der Täter in irgendeiner Form schlüssig erklärt, er werde eventuellen Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen. 17

Fall in Anlehnung an BGH bei Holtz, MDR 1987 S. 281: A und B hatten den Gastwirt G überfallen, den weit schwächeren G zusammengeschlagen und die Tageskasse entwendet. Drei Tage später erschienen sie erneut als G wiederum allein in der Gaststätte war. Sie verschlossen die Tür, verstellten dem G den Weg und A leerte die Kasse. Sie gingen davon aus, daß G angesichts ihrer Maßnahmen keinen Widerstand leisten würde. Ergebnis: Konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, denn durch ihr Verhalten brachten sie zum Ausdruck, daß im Falle eines Widerstandes dieser in gleicher Weise wie zuvor gebrochen würde.

18 Anders stellt sich hingegen die Situation dar, wenn der Täter davon ausgeht, daß das Opfer aufgrund einer vorangegangenen Gewaltanwendung noch so eingeschüchtert ist, daß es keinen Widerstand leisten wird, d.h. wenn der Täter nicht einmal die Möglichkeit eines Widerstandes für real hält. Der Umstand, daß der Täter diesen Widerstand in gleicher Weise brechen würde, wenn er geleistet würde, ersetzt nicht den Einsatz der Drohung, um eventuellen Widerstand zu brechen.

160

186

Dazu BGH StV 1990 S. 159.

Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 46

Fall: Wie oben, aber A und B gehen davon aus, daß G keinen Widerstand leisten wird, wenn sie ihm Geld wegnehmen. Sie gehen gemeinsam in die Gaststätte des G und leeren die Kasse. Der ängstliche G widersetzt sich nicht. Ergebnis: Keine Drohung.

Das Ergebnis aufgrund dieser Differenzierung überzeugt wenig. Es ist aber in der Ent- 19 Scheidung des Gesetzgebers begründet, die Ausnutzung der fortdauernden Nötigungswirkung nicht dem Einsatz des Nötigungsmittels gleichzustellen. Auch die Rechtsprechung hat den in der Differenzierung liegenden Wertungswiderspruch durchaus erkannt. Das erklärt, warum oft in Einzelfällen die Ausnutzung einer fortdauernden Nötigungswirkung der fortdauernden Gewaltanwendung gleichgestellt wurde. 1 6 1 Daß die Ausnutzung einer fortdauernden Nötigungswirkung gleichwohl etwas anderes ist als der weitere Einsatz des Nötigungsmittels ist allerdings unbestreitbar. BGHSt 32 S. 88 mit Anm. OTTO JZ 1984 S. 143 ff: A hatte den Hotelportier P gefesselt und geknebelt, damit dieser ihn nicht hindern konnte, ohne Bezahlung der Rechnung aus dem Hotel zu verschwinden. Als der A das Hotel verließ, kam er auf die Idee, den Inhalt der Hotelkasse mitzunehmen. BGH: Nur Diebstahl, kein Raub.

Auch in der Literatur ist es sachlich als unbefriedigend angesehen worden, daß derjenige, 20 der eine selbst zuvor geschaffene Nötigungslage ausnutzt, nicht genauso bestraft wird wie deijenige, der die Nötigung zur Wegnahme einsetzt. Vorgeschlagen wurde, die Fortsetzung des Zwanges durch pflichtwidriges Aufrechterhalten der Zwangslage der Anwendung des Nötigungsmittels gleichzusetzen. 162 Diese Konstruktion einer Unterlassung nach vorangegangenem gefährlichem Tun vermag jedoch kein abweichendes Ergebnis zu begründen. Denn selbst wenn der Täter aufgrund der ursprünglichen Gewaltanwendung als Garant verpflichtet ist, von dem Opfer Schäden abzuwehren, denen es infolge seiner durch die Gewaltanwendung begründeten Hilflosigkeit ausgesetzt ist, kann die Ausnutzung der Zwangslage nicht als Gewaltanwendung durch den Unterlassungstäter interpretiert werden. Sein Unterlassen hat nicht den sozialen Sinngehalt einer Gewaltanwendung, sondern nur den eines Fortdauernlassens der Wirkungen der Gewaltanwen" dung. 1 6 3 Erwägenswert ist allerdings, ob in Anwendung allgemeiner Prinzipien strafrechtlicher 21 Zurechnung, etwa entsprechend dem Grundsatz der actio libera in causa 1 6 4 , eine Gleichstellung des Täters, der Gewalt zur Wegnahme anwendet, mit dem, der das Opfer durch Gewaltanwendung in eine wehrlose Lage gebracht hat und diese nun zur Wegnahme ausnutzt, in Betracht kommt. 2. Der subjektive

Tatbestand

Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Dieser muß dem des Diebstahls entsprechen 22 und außerdem auf Wegnahme mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für

161

1 6 2

Vgl. zur Gleichstellung: BGH NStZ 1981 S. 344; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH StV 1983 S. 460. - Andererseits: BGH bei Daliinger, MDR 1968 S. 17; BGH DRiZ 1972 S. 30; BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 455; BGH JZ 1981 S. 596; BGHSt 32 S. 88; BGH NStZ-RR 1997 S. 298. V g l . ESER N J W 1 9 6 5 S . 3 7 9 f ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 9 R d n . 4 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S . 3 5 2 f . - D i f f e -

renzierend: KINDHÄUSER B.T., § 13 Rdn. 28. 1 6 3

V g l . HERDEGEN L K , § 2 4 9 R d n . 1 6 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 9 R d n . 3 8 ; JOERDEN J u S 1 9 8 5 S . 2 6 ; K R E Y

1 6 4

D a z u G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 13 R d n . 15 f f .

B.T.2, Rdn. 193; KÜPER JZ 1981 S. 571.

187

§46

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Leib oder Leben gerichtet sein. - Zur Absicht rechtswidriger Zueignung vgl. § 4 0 Rdn. 4 4 ff. 23 D i e Erweiterung der Zueignungsabsicht oder der W e c h s e l des Zueignungsobjekts nach finalem Einsatz des Nötigungsmittels berührt den Raubvorsatz nicht; vgl. zur entsprechenden Problematik des Diebstahlstatbestands unter § 4 0 Rdn. 41 f. 24

a) BGHSt 22 S. 350: A schlug den B nieder, um ihm DM 5,- wegzunehmen. Als er die Geldbörse des B geöffnet hatte und sah, daß sie erheblich viel mehr Geld enthielt, nahm er das ganze Geld an sich. BGH: Ein einheitlicher Raub in bezug auf die Gesamtmenge. 16 -'

25

b) B schuldete dem A DM 30,-. Da er seine Schuld nicht zahlen wollte, schlug A ihn nieder, um ihm die geschuldete Summe wegzunehmen. Als A sah, daß B erheblich mehr Geld in der Brieftasche hatte, nahm er die ganze Summe an sich. Ergebnis: Kein Raub, denn als A Gewalt einsetzte, fehlt ihm die Absicht rechtswidriger Zueignung; dazu oben § 40 Rdn. 44 ff. Später aber nutzte er nur noch die Wirkungen der Gewaltanwendung zum Diebstahl aus. 1 ™ 3. Vollendung

26

27

und

Versuch

a) Vollendung und B e e n d i g u n g Der Raub ist mit der Begründung neuen Gewahrsams an der Sache, auf deren Zueignung der Täter e s abgesehen hat, vollendet. - Beendet ist der Raub, wenn der Täter diesen Gewahrsam gesichert hat oder der Angriff auf den Gewahrsam erfolgreich abgewehrt wurde.'67 b) Versuch Versucht ist der Raub, w e n n der Täter z u m Z w e c k e der W e g n a h m e zur Gewaltanwendung oder Drohung unmittelbar ansetzt, d.h. w e n n das angegriffene Rechtsgut aus der Sicht des Sachverhalts durch den Täter unmittelbar gefährdet ist. BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 1050 mit Anm. OTTO JK 90, StGB §22/14: A und B wollten den Geschäftsführer des Ratskellers ausrauben, nachdem er das Geschäft geschlossen hatte. Ab ein Uhr nachts warteten sie im Innenhof des Ratskellers. Er erschien aber nicht, da er noch länger beschäftigt war. BGH: Aus der Sicht des Täters noch keine konkrete Gefährdung des Rechtsguts, daher noch kein Versuch, wohl aber Verabredung zu einem Verbrechen, § 30 Abs. 2.

28

K o m m t es d e m Täter auf den Inhalt eines Behältnisses an, s o liegt nur versuchter Raub vor, w e n n das w e g g e n o m m e n e Behältnis das Gewünschte nicht enthält. BGH StV 1983 S. 460: A wollte der B Bargeld wegnehmen, das er in ihrer Handtasche vermutete. Mit Gewalt entriß er ihr die Handtasche. - Als A feststellte, daß kein Geld in der Tasche war, warf er diese fort. BGH: Nur versuchter Raub. 1 6 8

2 9 Ein bloßer Irrtum über den U m f a n g der Beute steht der Vollendung aber nicht entgegen. BGH NStZ 1996 S. 599: A nahm dem T mit Gewalt dessen Geldbörse weg, weil er das Geld des T haben wollte. Als er später sah, daß die Geldbörse nur Münzen enthielt, warf er diese mit der Geldbörse weg. BGH: Der Raub ist vollendet. A wollte den T um sein Geld berauben. Dieses Ziel hat er erreicht.

Zu den verschiedenen möglichen Fallvarianten vgl. auch BGH StV 1990 S. 408. 166

Dazu auch BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH StV 1990 S. 407.

167

Dazu BGH NJW 1985 S. 814 mit Bespr. KÜPER JuS 1986 S. 862 ff.

168

Vgl. dazu auch § 40 Rdn. 70 sowie BGH bei Dallinger, MDR 1976 S. 16; BGH StV 1990 S. 205.

188

Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§46

III. Schwerer Raub, § 250 1. Die Raubqualifikationen

gemäß § 250 Abs. 1

a) § 250 Abs. 1 Nr. 1 a, b, Nr. 2 entsprechen § 244 Abs. 1 Nr. 1 a, b, Nr. 2; zur Problema- 30 tik dieser Qualifikationsmerkmale und insbes. zur Problematik der sog. Scheinwaffen, vgl. unter § 41 Rdn. 50 ff, 59. b) Während in § 250 Abs. 1 Nr. 3 a.F. „die Gefahr einer schweren Körperverletzung 31 (§ 224)" als qualifizierendes Element erfaßt war, hat das 6. StrRG den Rahmen erweitert und stellt nunmehr auf die Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung durch den Raub ab, Abs. 1 Nr. 1 c; zum Begriff der schwerwiegenden Gesundheitsschädigung vgl. § 10 Rdn. 2. c) Will der Täter vom Versuch des schweren Raubes zurücktreten, so muß er die Weg- 32 nahmeabsicht aufgeben. Den Rücktritt von einem Teil eines Delikts kennt das Gesetz nicht. - Allein die Aufgabe des Planes, ein Werkzeug zur Überwindung des Widerstandes des Opfers durch Gewalt beim Raub zu benutzen, und das Fortwerfen dieses Werkzeugs genügen den Rücktrittserfordernissen daher nicht. 1 6 9 2. §250 Abs. 2 a) Abs. 2 Nr. 1 erfaßt als qualifizierendes Element die Verwendung einer Waffe oder eines 33 anderen gefährlichen Werkzeugs. - Zum Begriff der Waffe vgl. § 41 Rdn. 51. - Der Begriff des gefährlichen Werkzeugs kann hier im Gegensatz zu § 244 Abs. Nr. 1 Nr. 1 a, wo bereits das Bei-Sich-Führen des gefährlichen Werkzeugs straferhöhend berücksichtigt wird, in Anlehnung an § 224 Abs. 1 Nr. 2 interpretiert werden: Gefährlich ist ein Werkzeug, das bei seiner konkreten Anwendung zur Durchführung des Raubs geignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen; vgl. dazu auch § 16 Rdn. 7 f. - Nach den Gesetzesmaterialien liegt ein Verwenden der Waffe oder des gefährlichen Werkzeugs nicht nur beim Einsatz gegen den Körper des Opfers vor, sondern bereits dann, wenn dieses nur zur Drohung eingesetzt wird. 1 7 0 b) Abs. 2 Nr. 2 qualifiziert den Bandenraub gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 2 für den Fall, daß 34 einer der Tatbeteiligten eine Waffe bei sich führt. - Zum Begriff der Waffe vgl. § 41 Rdn. 51. c) Abs. 2 Nr. 3 a erfaßt die schwere körperliche Mißhandlung als qualifizierendes Ele- 35 ment. - Eine schwere körperliche Mißhandlung setzt eine gravierende körperliche Beeinträchtigung voraus. 1 7 1 d) Abs. 2 Nr. 3 b qualifiziert den Raub, wenn eine andere Person durch die Tat in die kon- 36 krete, naheliegende Gefahr des Todes gebracht wird. Der besonderen Gefährdung muß sich der Täter bewußt sein, d.h. sie muß von seinem 37 Vorsatz umfaßt sein. § 250 Abs. 2 Nr. 3 b ist kein erfolgsqualifiziertes Delikt i.S. des § 18.172 169

Dazu BGH NStZ 1984 S. 216 mit abl. Anm. GEPPERT JK, StGB § 250/3; STRENG JZ 1984 S. 652 ff; ZACZYK NStZ 1984 S. 217. - Eingehend zum Streitstand: KÜPER JZ 1997 S. 233 f.

170

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 45 unter Hinweis auf BGHSt 26, 176, 180 (Schußwaffe).

171

Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen bei SCH/SCH/LENCKNER § 176 Rdn. 13; TRÖNDLE StGB, § 1 7 6 Rdn. 1 5 .

172

Dazu BGHSt 26 S. 176 mit Anm. KÜPER NJW 1976 S. 543 ff, MEYER-GERHARDS JuS 1976 S. 228 ff;

189

§46

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

38 Tatbeteiligte sind durch § 250 Abs. 2 Nr. 3 b nicht geschützt, vgl. dazu unter Rdn. 44. 3. Verwirklichung mehrerer Alternativen des

Tatbestandes

39 Auch wenn der Täter mehrere Alternativen des Tatbestandes verwirklicht, liegt nur eine Raubtat vor. 1 7 3

IV. Raub mit Todesfolge, § 251 1. Die

Erfolgsqualifizierung

40 a) § 251 enthält gegenüber §§ 249, 250 eine Erfolgsqualifizierung. Der besondere Erfolg, der Tod, braucht nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht auf der zur Wegnahme eingesetzten Gewaltanwendung zu beruhen, so daß nur eine Nötigungshandlung mit tödlichem Ausgang, die auf die Wegnahme gerichtet ist, den Tatbestand des § 250 erfüllt. 1 7 4 41 Entgegen dem zu weit geratenen Wortlaut des Gesetzes, aber im Einklang mit dem Wesen des Strafgrundes der "Erfolgsqualifikation", genügt es zwar nicht, daß der Raub conditio-sine-qua-non für den Erfolg geworden ist, vielmehr muß sich der Todeserfolg aus der Raubhandlung und ihrer spezifischen Gefährlichkeit entwickelt haben. 1 7 5 Darüber hinaus ergab der ursprüngliche Wortlaut des Gesetzes: "... durch die gegen ihn verübte Gewalt", und der systematische Zusammenhang zwischen den Raubdelikten und § 252, daß die tödliche Gewaltanwendung auf die Wegnahme gerichtet sein mußte, so daß nur eine Gewaltanwendung bis zur Vollendung des Raubs relevant war. Mit der Neufassung des § 251 durch das EGStGB: "... durch den Raub", hat der Gesetzgeber den systematischen Zusammenhang zerstört und den Anwendungsbereich des § 251 gegenüber dem § 252 erweitert. 42

Beispiel 1: A schlägt den B, den er ausrauben will, mit einem Knüppel nieder. Er will den B zwar nicht töten, schlägt aber mit solcher Wucht zu, daß die Schädeldecke des B zertrümmert wird. B stirbt. Ergebnis: § 251. Beispiel 2: A schlägt im 2. Stock eines Hauses auf den B ein, um ihn niederzuschlagen und auszurauben. In seiner Not springt B aus dem Fenster. Ergebnis: § 251. Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs. Der Wille des B war nicht frei. 1 Beispiel 3: Nach einem Raubüberfall kommt es zu einer Schießerei zwischen dem Räuber und mehreren Verfolgern auf offener Straße. Durch einen Schuß wird einer der zahlreichen Passanten getroffen. Ergebnis: § 2 5 1 . 1 7 7 Beispiel 4: Als die Täter nach einem Raubüberfall mit dem Auto davonrasen, überfahren sie den X. Ergebnis: §§ 249, 222, 53. BACKMANN M D R 1 9 7 6 S . 9 6 9 f f ; GEILEN J u r a 1 9 7 9 S . 4 4 5 ; S C H Ü N E M A N N J A 1 9 8 0 S . 3 9 3 . 1 7 3

B G H N J W 1994 S. 2 0 3 4 .

174

Vgl. GÖSSEL B.T. 2, § 14 Rdn. 35; KÜPPER Der "unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 100 f; RENGIER Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, 1986, S. 222; SCHÜNEMANN JA 1980 S. 396.

175

Vgl. GEILEN Jura 1979 S. 557; Kindhäuser NK, § 249 Rdn. 6;Lackner/KÜHL § 251 Rdn. 1; OTTO JZ

1 7 6

D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 11 R d n . 4 f f .

1 9 9 3 S . 5 6 9 ; T R ö N D L E S t G B , § 2 5 1 R d n . 2 ; W O L T E R G A 1 9 8 4 S . 4 5 0 ; DERS. J R 1 9 8 6 S . 4 6 5 f f .

177

BGHSt 38 S. 298 f; JESCHECK Welzel-FS, S. 698; OTTO JZ 1993 S. 569; TRÖNDLE StGB, § 251 Rdn. 2; W O L T E R G A 1 9 8 4 S. 4 5 0 . - A . A . GEPPERT J K 9 3 , S t G B § 2 5 1 / 3 ; HERDEGEN L K , § 2 5 1 R d n . KINDHÄUSER N K , § 2 5 1 R d n . 7 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 5 1 R d n . 1; RENGIER N S t Z 1 9 9 2 S . 5 9 0 f.

190

6;

Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf K r a f t f a h r e r

§ 46

b) Abweichend von § 18 genügt in bezug auf den Erfolg nicht mindestes Fahrlässigkeit, 43 erforderlich ist wenigstens Leichtfertigkeit, d.h. ein grob fahrlässiges Verhalten. c) § 251 findet keine Anwendung, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt, denn § 251 44 greift nicht zugunsten dessen ein, vor dessen Tun er gerade erhöhten Schutz bieten soll. 1 7 8 2. Versuch und "Rücktritt" a) Bleibt das Grunddelikt im Versuchsstadium stecken, während die besondere Folge eines 45 erfolgsqualifizierten Delikts bereits aufgrund der Versuchshandlung eintritt, so ist die Möglichkeit der Bestrafung aus dem erfolgsqualifizierten Delikt strittig. Soweit grundsätzlich oder hinsichtlich bestimmter erfolgsqualifizierter Delikte davon ausgegangen wird, daß sich die besondere Folge gerade aus dem Erfolg des Grunddelikts entwickelt haben muß, ist die Möglichkeit eines Versuchs in diesen Fällen zu verneinen, weil es schon am Erfolg des Grunddelikts fehlt. In der Konsequenz dieser Auffassung ist ein Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts überhaupt nicht möglich, da das erfolgsqualifizierte Delikt einen vollendeten Grundtatbestand voraussetzt. 179 Wird der für die Verwirklichung der besonderen Folge relevante Anknüpfungspunkt nicht im Erfolg des Grundtatbestandes gesehen, sondern in der besonders gefährlichen Handlung des Grundtatbestandes, so kann ein erfolgsqualifizierter Versuch bejaht werden, wenn sich bereits bei der Verwirklichung der Handlung des Grundtatbestandes die besondere Gefahr dieser Handlung im besonderen Erfolg realisiert. 1 ^ b) Wird insoweit die Möglichkeit eines Versuchs bejaht, stellt sich die Frage nach den 46 Voraussetzungen, unter denen ein Rücktritt von diesem Versuch möglich ist. Die h.M. bejaht hier zutreffend die Möglichkeit des Rücktritts unter den Voraussetzungen des § 24 StGB, weil es sich formal um ein versuchtes Delikt handelt, denn die Deliktsnatur bestimmt sich nach dem Grundtatbestand. 181 Daß die besondere Gefahr sich bereits in der besonderen Folge realisiert hat, ändert an der Versuchssituation nichts 1 8 2 , da der Verwirklichung der Qualifikation keine Aussage über die Vollendung des Delikts zu entnehmen ist. 3.

Konkurrenzen

a) §§ 222, 226, 250 werden von § 251 konsumiert. 47 b) Tateinheit zwischen einem vorsätzlichen Tötungsdelikt und § 251 ist nach der jetzigen 48 Fassung des Gesetzes möglich: Nach dem Wortlaut des Gesetzes erfaßt der Tatbestand wenigstens leichtfertiges, d.h. aber auch vorsätzliches Verhalten. c) Zur Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung unter § 53 Rdn. 4 f. 49

1 7 8

S o a u c h L A C K N E R / K Ü H L § 2 5 1 R d n . 1; S C H / S C H / E S E R § 2 5 1 R d n . 3 . - A . A . K U N A T H J Z 1 9 7 2 S . 2 0 1 .

179

Vgl. GÖSSEL Lange-FS, S. 238; MAURACH/GÖSSEL/ZIPF, A.T. 2, 7. Aufl. 1989, § 43 Rdn. 117; SCHMIDHÄUSER A.T., Stub, 2. Aufl. 1984, 11/107.

180

Vgl. Grundkurs Strafrecht, A.T., § 18 Rdn. 84; SCHRÖDER JZ 1967 S. 368; WOLTER GA 1984 S. 445 f.

1 8 1

Vgl. B G H N J W

1 9 9 6 S. 2 6 6 3 m i t A n m . GEPPERT J K 9 7 , S t G B § 2 5 1 / 5 ; KÜPER J Z 1 9 9 7 S. 2 3 2 f;

L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 R d n . 2 2 ; O T T O G r u n d k u r s S t r a f r e c h t , A . T . , § 1 9 R d n . 7 0 ; PAEFFGEN N K , § 1 8 R d n . 1 3 0 f ; RENGIER D e l i k t e , S . 2 4 4 ; RUDOLPH1 S K I, § 18 R d n . 8 a ; SCHROEDER L K , § 1 8 R d n . 4 2 ;

SOWADA Jura 1995 S. 653 1 8 2

A . A . H E R D E G E N L K , § 2 5 1 R d n . 16; T R Ö N D L E S t G B , § 1 8 R d n . 4 ; ULSENHEIMER B o c k e l m a n n - F S , S . 4 1 5 f; WOLTER J u S 1981 S. 178.

191

§46

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

V. Räuberischer Diebstahl, § 252 50 § 252 enthält ein raubähnliches Sonderdelikt. Deijenige, der die Beute mit den Mitteln des Raubes sichert, wird dem Räuber gleichgestellt, und zwar sind je nach den Sachverhaltsgegebenheiten §§ 249, 250, 251 anwendbar. 1. Die einzelnen

Tatbestandsmerkmale

a) Vortat: Diebstahl 51 Als Vortat kommen alle privilegierten und qualifizierten Fälle des Diebstahls in Betracht und auch der Raub. 52

Auch wenn der Gesetzestatbestand nur den Diebstahl nennt, erfolgt die Erstreckung seines Anwendungsbereichs auf den Raub noch im Einklang mit dem Gesetzestext: Auch im Raub ist ein Diebstahl enthalten. Der Konkurrenzregelung, daß der Raub dem Diebstahl als lex specialis vorgeht, kommt im Rahmen des § 252 keine Bedeutung zu. - Vom Sinn und Zweck des Gesetzes her wäre es unverständlich, daß derjenige, der nach einem Diebstahl bei der Sicherung der Beute einen anderen leichtfertig tötet, nach § 252 bestraft werden kann, nicht aber derjenige, der zuvor einen Raub, § 249, begangen hat.

b) Die Vortat muß vollendet sein 53 Der Einsatz des Raubmittels nach Vollendung der Vortat begründet die Annahme des § 252 anstelle des § 249. 1 8 3 c) Auf frischer Tat 54 Frisch ist die Vortat, solange mit ihr ein enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Mit Beendigung der Vortat ist dieser Zusammenhang abgebrochen. 184 - Nach anderer Auffassung soll die Beendigung der Vortat die Frische der Tat nicht notwendig ausschließen. 185 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Zeitpunkt der Sicherung der Beute beendet nicht nur die Notwehrsituation des Opfers, sondern bedeutet allgemein eine Zäsur in dem Geschehen. Das Verhalten kann nun nicht mehr als eine einheitliche Raubhandlung bewertet werden. Die Einheit des Geschehens ist aber die Rechtfertigung für die Gleichstellung der nach der Wegnahme geübten Gewaltanwendung mit der zur Wegnahme verwirklichten Gewaltanwendung durch § 252. 1 8 6 d) Das Betreffen 55 Der Täter ist auf frischer Tat betroffen, wenn er bei der Tat mit einem anderen zusammentrifft, der ihn als Tatverdächtigen erkannt hat oder unmittelbar zu erkennen droht. 187 BGHSt 26 S. 95: A war in die Wohnung der C in diebischer Absicht eingedrungen und hatte Schmuck u.a. in einer Aktentasche verstaut. In der Tasche hatte er außerdem noch einen Holzknüppel. Als er die Wohnung gerade verlassen wollte, hörte er, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Er versteckte sich hinter der

183

H.M. vgl. BGHSt 28 S. 224; BGH StV 1985 S. 13; BGH StV 1986 S. 530; BGH JZ 1988 S. 471; HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 7 ff; KINDHÄUSER NK, § 252 Rdn. 11. - A.A. (Beendeter Diebstahl wird vora u s g e s e t z t ) : DREHER M D R 1979 S. 5 2 9 f f ; SCHMIDHÄUSER B T., 8 / 5 9 .

184

Vgl. BGHSt 28 S. 229; BGH NJW 1987 S. 2687; BGH JZ 1988 S. 471; GEILEN Jura 1979 S. 670; GEPPERT J u r a

1 9 9 0 S. 5 5 6 ; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 6, 14; PERRON G A

1989 S. 148,

169;

SCH/SCH/F.SER § 252 Rdn. 4. 185

V g l . DREHER M D R 1979 S. 5 3 1 ; GÖSSEL B . T . 2, § 15 R d n . 13 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 4 .

186

Vgl. auch BGHSt 28 S. 229; GEILEN Jura 1979 S. 670; HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 6; PERRON GA 1989 S. 166, 169; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S. 3 9 8 .

187

192

V g l . LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 5 2 R d n . 4 ; WESSELS B . T . 2 , R d n . 3 5 7 .

R a u b , räuberischer Diebstahl u n d räuberischer Angriff auf K r a f t f a h r e r

§46

Zimmertür und nahm den Knüppel in die Hand. Als Frau C das Zimmer betrat, schlug er sie nieder. Dann verließ er fluchtartig die Wohnung. BGH: A ist auf frischer Tat betroffen w o r d e n . 1 8 8

Der bloße Glaube des Täters, erkannt zu sein, ersetzt das Betroffensein nicht. 189

56

e) Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben aa) Zum Begriff der Gewalt und zu dem der Drohung vgl. oben Rdn. 3 f. 57 bb) Das Opfer braucht nicht der Gewahrsamsinhaber zu sein oder jemand, der den Dieb- 58 stahl verhindern will. Da nur erforderlich ist, daß der Täter handelt, um sich im Besitz der Beute zu halten, genügt es, daß der Täter meint, die Person, gegen die er Gewalt oder Drohung anwendet, werde die Beendigung des Diebstahls verhindern. cc) Da die Anwendung von Gewalt oder Drohung jener gleichkommen muß, mit der beim 59 Raube die Wegnahme ermöglicht wird, ist genau zu beachten, ob sich die Gewalt auch gegen eine Person richtet. Beispiel 1: Der Eigentümer E hält den auf frischer Tat betroffenen Dieb A fest. A reißt sich los. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E. Beispiel 2: Als der E den verfolgten Dieb A einholt, wirft dieser die Beute auf den Fußboden und sich darauf. A muß von E mühsam beiseite geschoben werden. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E.

2. Der subjektive

Tatbestand

a) Der Vorsatz muß sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes erstrecken. Hinzu 60 kommt die Absicht, sich im Besitz der Beute zu halten in einer Situation, in der dem Täter der unmittelbare Entzug der Beute zugunsten des Berechtigten droht. BGH StV 1987 S. 196: A hatte dem K in der Wohnung der S während eines kurzen Einnickens Geld entwendet. Als K den Verlust bemerkte, stellte er den A zur Rede. A gab das Geld aber nicht heraus. Nun verließ K die Wohnung, um seinen Sohn herbeizuholen, der die Sache klären sollte. Um zu verhindern, daß der S ihm das Geld wieder abnehme, eilte A dem K nach und stürzte ihn die Treppe herab. K kam zu Tode. BGH: § 252 nicht erfüllt, denn A handelte nicht in der Absicht, eine gegenwärtige oder bevorstehende Gewahrsamsentziehung zu verhindern. 19 ®

b) Die Absicht, den Besitz des gestohlenen Gutes zu behalten, muß Beweggrund des Tä- 61 ters sein, nicht aber einziger Beweggrund. - Stets muß es dem Täter aber auch darum gehen, sich die umfassende Sachherrschaft zu erhalten und zu sichern. 191 BGH MDR 1987 S. 154: A und B hatten gestohlene Sachen im Kofferraum ihres Kfz verladen, als sie von W überrascht wurden. Sie griffen W tätlich an, um mit dem Kfz fliehen zu können. An die Beute dachten sie in diesem Moment nicht. BGH: Die Absicht, sich im Besitz der Beute zu erhalten, bedeutet, die Beute in das eigene Vermögen zu

1 8 8

Z u s t i m m e n d : G Ö S S E L B . T . 2 , § 1 5 R d n . 1 7 ; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 1 2 ; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 1 3 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 5 2 R d n . 4 ; RENGIER B . T . I, § 1 0 R d n . 6 ; T R Ö N D L E S t G B , § 2 5 2 R d n . 6 . A . A . D R E H E R M D R 1 9 7 9 S . 5 2 9 f f ; FEZER J Z 1 9 7 5 S . 6 0 9 f f ; G E P P E R T J u r a 1 9 9 0 S . 5 5 6 f ; SCHNARR J R 1979 S. 3 1 4

1 8 9

ff.

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 4 . - A . A . HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 12.

190 vgl. dazu auch BGHSt 9 S. 162. 191

HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 17; vgl. auch OLG Zweibrücken JR 1991 S. 383 mit Anm. PERRON S. 384 f ; O L G Z w e i b r ü c k e n S t V 1 9 9 4 S . 5 4 5 m i t A n m . G E P P E R T J K 9 5 , S t G B § 2 5 2 / 5 ; G Ö S S E L B . T . 2 , § 15 R d n . 2 0 ; KÜPER B . T . S. 8 3 f.

193

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§46

bringen, die Sache für sich haben zu wollen und - wenn auch nur auf begrenzte Zeit - wirtschaftlich nutzen zu wollen. Daran fehlt es hier.

62 c) Handelt der Täter bei der Vortat in einem Tatbestandsirrtum, so fehlt ihm das Bewußtsein, bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen zu sein, und damit der Vorsatz. § 252 setzt aber den Diebstahl objektiv und subjektiv voraus. 192 - Doch auch ein Verbotsirrtum bei der Vortat führt zum gleichen Ergebnis, denn dieser verhindert, daß sich der Täter des sozialen Sinngehalts des Geschehens bewußt wird. Er erkennt sein Verhalten nicht als Diebstahl. Damit fehlt auch hier das Bewußtsein, bei einem Diebstahl betroffen zu sein. Fall: G schuldet dem A DM 20,-, weigert sich aber zu bezahlen. A nimmt dem G DM 20,- weg, weil er meint, dies sei rechtens, und sucht das Weite. Als G den A verfolgt, schlägt dieser ihn mit einem Aschenbecher nieder. Ergebnis: Lehnt man nicht, wie es oben - vgl. § 40 Rdn. 77 ff - geschehen ist, eine rechtswidrige Zueignung ab, so ist der Irrtum des A nach h.M. ein Verbotsirrtum. 1 9 3 Doch dieser Irrtum bewirkt, daß A sich nicht der Tatsache bewußt wird, einen Diebstahl begangen zu haben. Die Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale ersetzt aber nicht die Kenntnis des sozialen Sinngehaltes des Geschehens.

3. Täterschaft und Teilnahme 63 a) Mittäter der Vortat können auch Täter des § 252 sein, wenn sie selbst nicht unmittelbar im Besitz der Beute sind. Sie handeln, um sich im Besitz der Beute zu halten, wenn der mittäterschaftlich vermittelte Besitz an der Beute erhalten bleiben soll. aa) Fall: A und B haben bei C eingebrochen und ein Gemälde gestohlen. Als C ihnen nachsetzt, läuft B mit dem Gemälde weiter, während A den C niederschlägt. Ergebnis: A: § 252. - Handelte A im Einvernehmen mit B, so ist § 252 auch auf B anwendbar. 1 9 4 bb) BGH StV 1991 S. 349: Nach einem Diebstahl suchte F das Weite. Den sie verfolgenden X schlug A nieder, der F den Besitz der Beute erhalten wollte. BGH: Da die Absicht des A nicht darauf gerichtet war, sich im Besitz der Beute zu halten, kommt er als Täter des § 252 nicht in Betracht. 1 9 5

Nach der Beuteteilung kann jeder Mittäter nur noch eigene Sachherrschaft verteidigen. 64 b) Str. ist, ob Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein können. Fall: B hat bei C eingebrochen und ein Gemälde entwendet. A stand Schmiere. Als B von C verfolgt wird, schlägt A den C nieder.

65 Da "Wer ..." i.S. des § 252 nicht der Täter der Vortat sein muß, entscheidet sich die Frage danach, ob der Teilnehmer handelt, "um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten". Das setzt voraus, daß er zumindest Mitbesitzer der Beute ist. Ist er Mitbesitzer oder Besitzer der Beute, so kann er auch Täter des § 252 sein. 196 4. Konkurrenzen 66 a) § 252 konsumiert den zuvor begangenen Diebstahl. - Wurde die Anwendung des 192

Vgl. BGH StV

193

Dazu BGHSt 17 S. 88.

194

So auch OLG Stuttgart NJW 1966 S. 1931; GEILEN Jura 1980 S. 45; GÖSSEL B.T. 2, § 15 Rdn. 23;

195

Vgl. dazu auch ENNUSCHAT JR 1991 S. 500 f; OTTO JK 91, StGB § 252/4.

196

So auch BGHSt 6 S. 248; GEPPERT Jura 1990 S. 558; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 35

1987

S.

534.

HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 1 8 ; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 3 2 . - A . A . B G H 6 S . 2 5 0 f .

R d n . 4 0 . - A . A . GEILEN J u r a 1 9 8 0 S . 4 6 ; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 1 8 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S . 3 9 9 .

194

Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§46

Raubmittels jedoch nur versucht, so stehen Diebstahl und versuchter räuberischer Diebstahl in Tateinheit. 197 b) War die Vortat ein Raub gemäß §§ 249, 250, 251, so konsumiert dieser den § 252 als 67 straflose Nachtat, soweit bei der Verwirklichung des § 252 keine schwereren qualifizierenden Merkmale als bei der Vortat verwirklicht wurden. 1 9 8 c) Erfolgt die Verwirklichung des § 252 unter schwereren Qualifikationsumständen als die 68 Vortat - z.B. Vortat: § 249, um sich im Besitz der Beute zu halten, übt der Täter Gewalt mit einer Waffe -, so konsumiert § 252 die Vortat. 1 9 9

VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a 1. Das Wesen der Tat Sachlich stellt § 316 a eine durch die besondere Begehungsweise qualifizierte Form des 69 Raubes, des räuberischen Diebstahls und der räuberischen Erpressung dar. 2 0 0 2. Die einzelnen

Tatbestandsmerkmale

a) Angriff ist jede Bedrohung von Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Fahrers oder 70 Mitfahrers eines Kraftfahrzeuges. - Angreifer können Dritte, Mitfahrer oder der Fahrer selbst sein. Gleichgültig ist, ob der Angriff sich von außen nach innen richtet, bzw. innerhalb oder außerhalb des Kraftfahrzeuges unternommen wird. b) Die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs werden ausgenutzt, wenn die Tat in 71 naher Beziehung zur Benutzung des Kraftfahrzeuges als Verkehrsmittel steht, indem die durch die Fortbewegung des Kraftfahrzeuges geschaffenen und ihm eigentümlichen Gefahren genutzt werden. Diese Gefahren ergeben sich für den Fahrer vor allem aus der Beanspruchung durch die Lenkung und aus der Erschwerung der Flucht oder der Gegenwehr, daneben aber auch nach h.M. aus der Isolierung und Unerreichbarkeit fremder Hilfe. Insofern ist eine Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs auch nach dem Aussteigen aus dem Fahrzeug möglich, jedoch muß der Angriff dann in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Anhalten und Aussteigen erfolgen. Beispiele: Verbringen des Opfers mit Kfz an eine einsame Stelle, um es dort auszurauben, 2 ^ 1 nicht aber, wenn der Überfall erst nach einem Fußmarsch, entfernt vom Parkplatz des Kfz, erfolgen soll. 2 ® 2 - Raub

197

So auch HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 21; LACKNER/KÜHL § 252 Rdn. 8. - A.A. OLG Karlsruhe MDR

198

Vgl. BGH GA 1969 S. 348; BGH StV 1983 S. 104. - A.A. (Vorrang des § 252): BGHSt 21 S. 380.

1 9 7 8 S . 2 4 4 ; S C H / S C H / E S E R § 2 5 2 R d n . 13.

1 9 9

V g l . LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 8.

200

So auch KREY B.T. 2, Rdn. 224; MEURER-MEICHSNER Untersuchungen zum Gelegenheitsgesetz im Strafrecht, 1974, S. 96 ff; SCH/SCH/CRAMER § 316 a Rdn. 1. - Als Verkehrsdelikt interpretiert die höchstrichterliche Rechtsprechung den Tatbestand; vgl. BGHSt 5 S. 281; 13 S. 29; 22 S. 117; HENTSCHEL JR 1986 S. 428 ff. - Als Verkehrs- und Vermögensdelikt sehen die Vorschrift: GEPPERT Jur a 1 9 9 5 S . 3 1 1 f ; G Ö S S E L B . T . 2 , § 15 R d n . 2 7 ; GÜNTHER J Z 1 9 8 7 S . 3 7 5 f f ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 1 6 a

Rdn. 1. 201

Dazu BGHSt 18 S. 173; BGH NStZ 1994 S. 340 mit Anm. HÄUF NStZ 1996 S. 40 f; BGH JR 1997 S.

202

BGHSt 22 S. 114; 33 S. 378 mit Anm. GEPPERT NStZ 1986 S. 552 f; BGH NStZ 1996 S. 435; GÜNTHER JZ 1987 S. 16 ff; HENTSCHEL JR 1986 S. 428 ff; vgl. auch BGHSt 37 S. 256.

1 6 2 . - A . A . G Ü N T H E R J Z 1 9 8 7 S . 3 7 4 f.

195

72

§47

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

eines Kfz, nachdem dessen Fahrer durch List oder Gewalt angehalten wurde,^03 n j c h t aber, gewaltsame Wegnahme eines ohne Zutun des Täters auf der Straße haltenden oder parkenden K f z / ' " - Zusammenschlagen des Opfers in dem engen Fahrzeug, so daß dessen Gegenwehr erschwert ist, 2 0 ^ nicht aber, Erpressung eines Opfers in einem haltenden Wagen.206 Sturz des Opfers vom fahrenden M o f a . 2 0 7

73 c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, den Angriff zu verüben und muß mit der Absicht verbunden sein, einen Raub, eine räuberische Erpressung oder einen räuberischen Diebstahl als Täter zu begehen. Daß der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Ziel u.U. auch gewaltlos zu erreichen, schließt die Absicht nicht notwendig aus. - Der Raubplan muß spätestens während der Ausführung der Angriffshandlung gefaßt 209 s e j n 208 u n c i ¿je Xat hinreichend bestimmt umfassen. 3. Erfolgsqualifizierung,

Abs. 3

74 Abs. 3 erfaßt die wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines anderen Menschen als Erfolgsqualifikation; im einzelnen dazu vgl. die entsprechenden Ausführungen unter § 46 Rdn. 40 ff. 4.

Konkurrenzen

75 a) Wird § 316 a als Raubdelikt interpretiert, so konsumiert er als schwerstes Delikt die anderen Raubtatbestände mit Ausnahme des § 251, gleichgültig, ob diese vollendet oder versucht sind. 76 b) Wird § 316 a als Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs interpretiert, so besteht Idealkonkurrenz mit den Raubdelikten, deren Versuch jedoch konsumiert wird, wenn er nicht nach den §§ 250, 251 qualifiziert ist. 2 1 0

§ 47: Sachbeschädigung 1

Bloßes Vermögensentziehungsdelikt, im Objekt beschränkt auf Sachen, die einem anderen gehören als dem Täter. - Der Gedanke, die rechtswidrige Vermögensbeschädigung allgemein unter Strafe zu stellen, hat sich nicht durchsetzen können, und auch zur Zeit steht die Schaffung eines - subsidiären - Auffangtatbestandes, der jede nicht durch einen anderen Tatbestand erfaßte Vermögensentziehung unter Strafe stellt, nicht zur Debatte.

I. Sachbeschädigung, § 303 1. Das geschützte Rechts gut 2

Geschützt ist die umfassende Sachherrschaftsposition einer Person über eine Sache, die im 203

B G H S t 2 4 S . 321.

204

BGHSt 24 S. 321; BGH GA 1979 S. 466; vgl. auch BGH NStZ 1996 S. 389; BGH StV 1997 S. 356; BGH NStZ-RR 1997 S. 356.

205

BGHSt 25 S. 317; BGH NJW 1992 S. 989.

206

BGH 5 StR 54/72.

207

BGHSt 39 S. 249 mit abl. Anm. GROßE NStZ 1993 S. 525 ff.

208

Vgl. BGH NStZ 1997 S. 236.

209

Dazu vgl. BGH StV 1997 S. 357.

210

Vgl. BGHSt 25 S. 373; BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 808.

196

§47

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

eines Kfz, nachdem dessen Fahrer durch List oder Gewalt angehalten wurde,^03 n j c h t aber, gewaltsame Wegnahme eines ohne Zutun des Täters auf der Straße haltenden oder parkenden K f z / ' " - Zusammenschlagen des Opfers in dem engen Fahrzeug, so daß dessen Gegenwehr erschwert ist, 2 0 ^ nicht aber, Erpressung eines Opfers in einem haltenden Wagen.206 Sturz des Opfers vom fahrenden M o f a . 2 0 7

73 c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, den Angriff zu verüben und muß mit der Absicht verbunden sein, einen Raub, eine räuberische Erpressung oder einen räuberischen Diebstahl als Täter zu begehen. Daß der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Ziel u.U. auch gewaltlos zu erreichen, schließt die Absicht nicht notwendig aus. - Der Raubplan muß spätestens während der Ausführung der Angriffshandlung gefaßt 209 s e j n 208 u n c i ¿je Xat hinreichend bestimmt umfassen. 3. Erfolgsqualifizierung,

Abs. 3

74 Abs. 3 erfaßt die wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines anderen Menschen als Erfolgsqualifikation; im einzelnen dazu vgl. die entsprechenden Ausführungen unter § 46 Rdn. 40 ff. 4.

Konkurrenzen

75 a) Wird § 316 a als Raubdelikt interpretiert, so konsumiert er als schwerstes Delikt die anderen Raubtatbestände mit Ausnahme des § 251, gleichgültig, ob diese vollendet oder versucht sind. 76 b) Wird § 316 a als Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs interpretiert, so besteht Idealkonkurrenz mit den Raubdelikten, deren Versuch jedoch konsumiert wird, wenn er nicht nach den §§ 250, 251 qualifiziert ist. 2 1 0

§ 47: Sachbeschädigung 1

Bloßes Vermögensentziehungsdelikt, im Objekt beschränkt auf Sachen, die einem anderen gehören als dem Täter. - Der Gedanke, die rechtswidrige Vermögensbeschädigung allgemein unter Strafe zu stellen, hat sich nicht durchsetzen können, und auch zur Zeit steht die Schaffung eines - subsidiären - Auffangtatbestandes, der jede nicht durch einen anderen Tatbestand erfaßte Vermögensentziehung unter Strafe stellt, nicht zur Debatte.

I. Sachbeschädigung, § 303 1. Das geschützte Rechts gut 2

Geschützt ist die umfassende Sachherrschaftsposition einer Person über eine Sache, die im 203

B G H S t 2 4 S . 321.

204

BGHSt 24 S. 321; BGH GA 1979 S. 466; vgl. auch BGH NStZ 1996 S. 389; BGH StV 1997 S. 356; BGH NStZ-RR 1997 S. 356.

205

BGHSt 25 S. 317; BGH NJW 1992 S. 989.

206

BGH 5 StR 54/72.

207

BGHSt 39 S. 249 mit abl. Anm. GROßE NStZ 1993 S. 525 ff.

208

Vgl. BGH NStZ 1997 S. 236.

209

Dazu vgl. BGH StV 1997 S. 357.

210

Vgl. BGHSt 25 S. 373; BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 808.

196

Sachbeschädigung

§47

Regelfall durch das Eigentumsrecht vermittelt wird. 2 1 1 - Bei der Zerstörung oder Beschädigung von Sachen, die auch aus der Sicht des Berechtigten völlig wertlos sind und an deren Erhalt er keinerlei sachgerechtes Interesse hat, entfällt der Tatbestand, weil ein Vermögensschaden nicht vorliegt. 2 1 2 2. Die einzelnen

Tatbestandsmerkmale

a) Sache ist - wie bei den Aneignungsdelikten - als körperlicher Gegenstand zu verstehen, d.h. als konkret wahrnehmbares, gegen andere Gegebenheiten abgegrenztes Objekt.

3

Geschützt sind daher auch Tiere. 2 1 3 Erfaßt werden ferner unbewegliche Sachen, z.B. Hausruinen, Brunnenanlagen, Gärten oder Felder. Bei einer Langlaufloipe entscheidet sich die Frage, ob eine Sache i.S. des § 303 vorliegt, danach, ob diese als hinreichend abgegrenzt gegenüber ihrer Umgebung angesehen werden k a n n . 2 ' 4 Zur Sacheigenschaft von Körperteilen und Leichen vgl. § 40 Rdn. 5.

b) Zum Begriff fremd vgl. oben § 40 Rdn. 9 ff. c) Beschädigen ist jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert oder ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, daß die Brauchbarkeit für ihre Zwecke gemindert ist, 2 1 5 weil die Sache selbst durch die Einwirkung verändert oder beeinträchtigt wird. Sachbeschädigung ist damit zunächst die Substanzverletzung, d.h. die Beseitigung der stofflichen Unversehrtheit einer Sache, deren stoffliche Verringerung oder Verschlechterung.

4 5

6

Fall: Bei der Volkszählung 1987 schnitt A aus dem Volkszählungsbogen die Kennziffer, bevor er den Bogen an die zuständige Behörde zurücksandte. Ergebnis: Sachbeschädigung, da die Behörde ein positives Interesse am Erhalt auch nicht ausgefüllter Bögen zur Gewinnung bestimmter Daten h a t t e . 2 " '

Sachbeschädigung ist sodann die Einwirkung auf eine Sache, durch die deren bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur geringfügig beeinträchtigt wird.

7

R G HRR 1936 Nr. 854: A bespritzt die Kleidung des B mit Urin.

Streitig ist, ob die dem Eigentümerinteresse zuwiderlaufende Zustandsveränderung einer Sache als Sachbeschädigung angesehen werden kann.

8

BGHSt 29 S. 129: A beklebte einen Verteilerkasten der Deutschen Bundespost mit einem Plakat, ohne damit die Substanz des Kastens zu verletzen oder seine Brauchbarkeit zu beeinträchtigen. BGH: Keine Sachbeschädigung.

Die Rechtsprechung geht heute davon aus, "daß eine dem Gestaltungswillen des Eigentümers zuwiderlaufende Veränderung der äußeren Erscheinung und Form einer Sache für sich allein grundsätzlich nicht ausreicht, um den Tatbestand der Sachbeschädigung zu 211

Vgl. auch SAX Laufke-FS, S. 322. - Das formale Eigentumsrecht sehen als geschützt an: BGHSt. 29 S. 129; LACKNER/KÜHL § 303 Rdn. 1; WOLFF LK, § 303 Rdn. 1. - Für den Schutz der formalen Rechtsposition und der sich dazu ergebenden inhaltlichen Rechtsmacht: GÖSSEL JR 1980 S. 185.

212

Vgl. B a y O b L G N J W 1993 S. 2760; GÖSSEL B.T. 2, § 4 Rdn. 36; TRÖNDLE StGB, § 303 Rdn. 2; WOLFF LK, § 303 Rdn. 3.

213

Siehe oben § 40 Rdn. 4.

214

Dazu BayObLG JR 1980 S. 429 f mit Anm. M. J. SCHMID S. 430 f.

215

Vgl. BGHSt 13 S. 208 im Anschluß an RGSt 74 S. 14.

216

Vgl. auch O L G Celle N J W 1988 S. 1101 mit zust. Anm. GEERDS JR 1988 S. 435 f; O L G Köln N J W 1988 S. 1103; OLG Düsseldorf M D R 1989 S. 89; BayObLG N J W 1989 S. 599; ENGELAGE N J W 1987 S. 2801 f; - A.A. ZACZYK StV 1988 S. 157 ff.

197

9

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§47

erfüllen". 217 Diese Entscheidung wird der Zwecksetzung des Gesetzgebers, dem Eigentümer den Gebrauchsnutzen einer Sache zu erhalten und ihn in dieser Position zu schützen, nicht gerecht. Auch eine erhebliche negative Zustandsveränderung durch unmittelbare stoffliche Einwirkung auf die Sache ist daher als Sachbeschädigung anzusehen, wenn der Eigentümer ein vernünftiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Zustandes hat.218 10 d) Zerstören ist eine so erhebliche Beschädigung, daß die Sache für ihre Zwecke völlig unbrauchbar ist. 11 e) Die nur dauernde Sachentziehung ist weder Sachbeschädigung noch Sachzerstörung, obwohl ihr Unrechtsgehalt oft an die Sachzerstörung herankommt. 219 12 f) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Beispiele 13

a) Beschmieren einer Marmorbüste mit Farbe. - RGSt 43 S. 204: S a c h b e s c h ä d i g u n g / ^ 0 b) Die Seiten eines Buches werden mit Tinte bespritzt. - Sachbeschädigung, auch wenn man den Text noch lesen kann. Das Buch hat auch Wert als ästhetischer Gegenstand. c) Einfügen eines Teiles in eine Maschine, so daß diese nicht ordnungsgemäß arbeiten kann. - RGSt 20 S. 183: Sachbeschädigung. d) Herauslassen der Luft aus dem Reifen eines Kfz. - BGHSt 13 S. 207: Sachbeschädigung, es sei denn, es ist eine Tankstelle in der Nähe. - Die Einschränkung Uberzeugt nicht. Auch in der Nähe einer Tankstelle kann dieser Eingriff in die Brauchbarkeit des Kfz nicht mehr als unerheblich angesehen werden. - Zweifelhaft hingegen ist die Einordnung des Ablassens der Luft aus einem Fahrradreifen als S a c h b e s c h ä d i g u n g . 2 2 1 e) Löschen eines Tonbandes, Video-Bandes oder eines Datenträgers: S a c h b e s c h ä d i g u n g . 2 2 2 - Zur Datenveränderung, § 303 a; vgl. unter Rdn. 27 ff. f) Einem fremden Kanarienvogel wird die Käfigtür geöffnet. Er fliegt davon. - Bloße Sachentziehung. Ist der Vogel in Freiheit aber nicht lebensfähig, so liegt Sachzerstörung im Moment des Todes des Vogels vor. g) Ein goldener Becher wird ins Meer geworfen. - Bloße - straflose - Sachentziehung.

4. Die Rechtswidrigkeit 14 Die Rechtswidrigkeit der Sachbeschädigung ist allgemeines Verbrechensmerkmal. - Ihr kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Die Rechtswidrigkeit kann insbesondere durch die Einwilligung des Berechtigten ausgeschlossen sein. 223 217

Vgl. BGHSt 29 S. 133; O L G Frankfurt StV 1988 S. 343; O L G Frankfurt NJW 1990 S. 2007; LG Itzehoe N J W 1998 S. 468. - D e m folgend: BEHM JR 1988 S. 360 ff mit Entgegnung SCHROEDER S. 363 f; BOTTKE J A 1 9 8 0 S. 5 4 1 ; KARGL J Z 1 9 9 7 S. 2 8 9 ; KATZER N J W 1981 S. 2 0 3 6 f f ; SEELMANN JUS 1985 S. 199 f; THOSS N J W 1978 S. 1 6 1 2 f f .

218

v g l . DÖLLING N J W 1981 S. 2 0 7 f; GÖSSEL J R 1 9 8 0 S. 184 f f ; HAAS JUS 1 9 7 8 S . 14 f f ; KREY B . T . 2, R d n . 2 4 2 f f ; KINDHÄUSER B . T . , § 2 0 R d n . 16; KÜPER B.T., S. 2 1 9 , 2 2 1 ; MAIWALD J Z 1980 S. 2 5 6 f f ; SCHROEDER J R 1 9 8 7 S. 3 5 9 f; TRÖNDLE S t G B , § 3 0 3 R d n . 6 a.

219

Zur Sachentziehung: R. SCHMITT Stree/Wessels-FS, S. 505 ff.

220

Vgl. dazu auch O L G Düsseldorf N J W 1993 S. 869. - Zur Sachbeschädigung durch Graffiti: OLG Köln StV 1995 S. 592; BayObLG StV 1997 S. 80; durch Verschmutzen des Objektivs eines Radargeräts: O L G Stuttgart VRS 93 (1997) S. 424.

221

So aber BayObLG J Z 1987 S. 1037 mit Anm. BEHM NStZ 1988 S. 275 f, GEERDS JR 1988 S. 218 f.

2 2 2

D a z u MERKEL N J W 1956 S. 7 7 8 ; WOLFF L K , § 3 0 3 R d n . 6. - A . A . GERSTENBERG N J W 1956 S. 5 4 0 ; LAMPE G A 1 9 7 5 S. 16.

223

Zur Frage, ob die Einwilligung zum Tatbestandsausschluß oder zur Rechtfertigung führt, vgl. einerseits

198

Sachbeschädigung

§47

Hat der Täter einen rechtswirksamen Anspruch auf Übereignung oder Zerstörung der Sache, so entfällt die Rechtswidrigkeit der Tathandlung. 224 5. Zur Konkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung a) Bekundet der Täter, der sich eine fremde Sache rechtswidrig zugeeignet hat, daß er die- 15 se Sache weiterbehalten will, so erwächst dem Eigentümer aus diesem Verhalten kein weiterer Schaden durch Entziehung eines Vermögensobjekts oder Minderung seiner Herrschaftsposition; gleiches gilt, wenn der Dieb wiederum bestohlen wird. b) Zerstört hingegen der Täter, der sich die Sache rechtswidrig zugeeignet hat, die Sache, 16 so geht der Gegenstand des Eigentumsrechts unter und damit das Recht selbst. Insofern erleidet der Eigentümer durch diese Tat einen weiteren Schaden. Damit ist Raum für eine tatbestandsmäßige Sachbeschädigung gegeben. Dennoch wird man in diesen Fällen die Sachbeschädigung als straflose Nachtat ansehen können: Mit dem Zueignungsdelikt wird die Anmaßung der umfassenden Sachherrschaft durch den Täter bestraft. Zwar kann er wenn die Sache dem Berechtigten abhanden gekommen ist - durch die Zueignungshandlung selbst das Eigentum des Berechtigten nicht vernichten. Er erlangt aber bereits mit der Zueignungshandlung jene Position, die ihm auch dies ermöglicht. Diese Tatsache wird bereits in der Strafe des Zueignungsdelikts erfaßt. c) Idealkonkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung liegt vor, wenn die 17 Zueignung einer Sache zugleich die Beschädigung einer anderen Sache darstellt, z.B. wenn jemand aus einem fremden Fernseher einen Transistor herausbricht.

II. Besondere Fälle der Sachbeschädigung 1. Zerstörung von Bauwerken, § 305 § 305 erfaßt eine qualifizierte Sachbeschädigung. 18 Die im Gesetz genannten Objekte müssen von einer gewissen Bedeutung sein: Schiffe i.S. des Gesetzes sind daher nur größere Wasserfahrzeuge. Als Brücke kann ein bloßer Fußgängersteg nicht angesehen werden. Das Gebäude braucht noch nicht fertig zu sein (Rohbau) 225 . - Zerstört ist das Bauwerk, wenn es nicht nur unerhebliche Zeit für seinen Zweck unbrauchbar ist. Eine teilweise Zerstörung liegt vor, wenn ein Teil des Bauwerks, z.B. eine Treppe, für seinen Zweck unbrauchbar gemacht worden ist. 2. Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, § 305 a § 305 a erstreckt den Strafrechtsschutz gegen Sachbeschädigungen in das Vorfeld des 19 § 3 1 6 b. - Technisches Arbeitsmittel ist jeder aufgrund technischer Erfahrungen hergestellte Gegenstand, der geeignet und dazu bestimmt ist, die Arbeitsvorgänge bei der Errichtung der genannten Anlagen zu ermöglichen oder zu erleichtern. 226 - Der bedeutende Wert der Arbeitsmittel bemißt sich nach seinem Verkehrswert im Tatzeitpunkt. Er wird z.Zt. bei rd. 1200,- DM anzusetzen sein. 227 Grundkurs Strafrecht, A.T., § 8 Rdn. 123 ff, andererseits GROPENGIEBER JR 1998 S. 91 f m.N. 224

Auch hier für Tatbestandsausschluß: GROPENGIEBER JR 1998 S. 93 ff.

225

Str., dazu BGHSt 6 S. 107.

226

Dazu vgl. BT-Drucks. 10/6635, S. 14.

227

Vgl. dazu WOLFF LK, § 305 a Rdn. 6 m.N.; BayObLG StV 1998 S. 267 für § 315 c: über 1450.- DM.

199

§47

20

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Bei den nach Abs. 1 Nr. 2 geschützten Kraftfahrzeugen kommt es nicht auf die Eigentumsverhältnisse an, sondern darauf, ob das Fahrzeug der Polizei oder der Bundeswehr von der zuständigen Stelle für dienstliche Zwecke bereitgestellt ist.

3. Brandstiftung, § 306 21 Eine durch die Tathandlung qualifizierte Sachbeschädigung enthält § 306; eingehender zu Tatobjekt und Tathandlung vgl. unter § 79 Rdn. 1 ff. 4. Erfolgsqualifizierte Fälle der Brandstiftung 22 Erfolgsqualifizierte Fälle der Brandstiftung stellen die besonders schwere Brandstiftung gemäß § 306 b Abs. 1 und die Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c, dar; im einzelnen dazu unter § 79 Rdn. 13 ff. 5. Fahrlässige Brandstiftung, § 306 d 23 Die fahrlässige Sachbeschädigung stellt § 306 d unter Strafe; im einzelnen dazu unter § 79 Rdn. 17 ff. 6. Gemeinschädliche Sachbeschädigung, § 304 24 a) Systematisch gehört die Vorschrift nicht in den Bereich der Sachbeschädigungsdelikte. Es handelt sich vielmehr um ein gemeinschädliches Delikt, das unabhängig von der Eigentumslage das allgemeine Interesse am Erhalt bestimmter zweckgebundener, insbesondere kultureller oder gemeinnütziger Objekte schützt. 25 b) Schutzgegenstände: religiöse Objekte, dazu oben § 41 Rdn. 22, Gegenstände der Kunst und der Wissenschaft, dazu oben § 41 Rdn. 23. Der öffentliche Nutzungszweck muß sich bei den Gegenständen zum öffentlichen Nutzen unmittelbar aus den Objekten ergeben. Er muß auf einer ausdrücklichen oder aus allgemeiner Übung erwachsenen Widmung beruhen. Beispiele: Parkuhr; Verkehrszeichen; öffentliche Telefonzelle; Feuermelder; Feuerlöscher in allgemein zugänglichen Räumen (BayObLG NJW 1988 S. 837); Rettungsfahrzeuge, die nicht allein einem privaten Zweck dienen (OLG Düsseldorf MDR 1986 S. 515); Ruhebänke im öffentlichen Park u.a. - Nicht hingegen: Wahlplakate einer Partei 2 2 8 , Bäume in einem Park (OLG Oldenburg NJW 1988 S. 924); Hütten, in denen Verkehrsschilder u.a. aufbewahrt werden (BGH NStZ 1990 S. 540).

7. Tätige Reue 26 Gemäß § 306 e Abs. 1 kann das Gericht in den Fällen der §§ 306, 306 b die Strafe mildem oder von Strafe absehen, wenn der Täter den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Im Falle des § 306 d tritt in dieser Situation Straffreiheit ein, § 306 e Abs. 2. - § 306 e Abs. 3 eröffnet die Möglichkeiten der Strafmilderung und Strafbefreiung für den Fall ernstlichen Bemühens des Täters um Schadensabwendung, wenn der Brand ohne Zutun des Täters gelöscht wird, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist.

228

200

LG Wiesbaden NJW 1978 S. 2107; dazu Loos JuS 1979 S. 699 ff.

§47

Sachbeschädigung

III. Schutz von Daten und Datenverarbeitung 1. Datenveränderung, § 303 a a) Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse des Verfügungsberechtigten an der unversehrten 27 Verwendbarkeit von Daten. 229 b) Daten als Handlungsobjekt Handlungsobjekt sind nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten, § 202 a Abs. 2; vgl. dazu 28 § 34 Rdn. 67. c) Die Tathandlungen Löschen der Daten bedeutet Zerstörung i.S. des § 303 Abs. 1, d.h. nicht wiederherstellbare 29 vollständige Unkenntlichkeit der konkreten Speicherung. 230 Unterdrücken ist ein Entziehen der Daten dem Berechtigten gegenüber, so daß dieser sie nicht seiner Vorstellung entsprechend verwenden kann. Ein Unbrauchbarmachen liegt in der Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Daten zu ihrem vorgesehenen Zweck. Verändern erfordert das Herstellen eines neuen Dateninhalts. Die Infizierung eines Programms mit einem Computervirus ist j e nach der Wirkung dieses Virus auf das Programm als Unbrauchbarmachen oder Verändern von Daten anzusehen. 2 3 ^

d) Die Rechtswidrigkeit der Tathandlung Tatbeständsmäßig ist nur die rechtswidrige Tathandlung. Das Merkmal rechtswidrig ist 30 hier im Gegensatz zu § 303 nicht allgemeines Verbrechensmerkmal, sondern einschränkendes Tatbestandsmerkmal, das tatbestandsmäßiges Handeln des unbeschränkt Verfügungs- und Nutzungsberechtigten ausschließt 232 , da jedermann Daten verändern darf, über die er verfügungsberechtigt ist. Soweit "rechtswidrig" hier als allgemeines Verbrechensmerkmal interpretiert wird, erfolgt die allgemein als notwendig anerkannte Begrenzung des Tatbestandes durch Einfügung von Merkmalen, die im Gesetz nicht genannt sind, z.B. " f r e m d " . 2 3 3

Verfügungsberechtigt ist derjenige, der die Speicherung oder Übermittlung der Daten 31 selbst unmittelbar bewirkt hat oder dem das Verfügungsrecht vom unmittelbaren Verfügungsberechtigten übertragen wurde. 234 Irrelevant ist demgegenüber das Eigentum an Datenträger, die Urheberschaft am Speicherungs- oder Übertragungsvorgang oder das bloße Betroffensein von Dateninhalt i.S. des BDSG. 235 229

Vgl. BayObLG wistra 1993 S. 305; GÖSSEL B.T. 2, § 18 Rdn. 56; LACKNER/KÜHL § 303 a Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.l,

§ 36

Rdn.

3;

MÖHRENSCHLAGER

wistra

1986

S. 141;

TRÖNDLE StGB, § 303 a Rdn. 2. - A.A. HAFT NStZ 1987 S. 10; WELP iur 1988 S. 435; Das Vermögen in seiner spezialisierten Ausprägung in Daten. Diese Begrenzung des Schutzes ist systematisch zwar folgerichtig, mit dem Wortlaut des Gesetzes aber nicht in Einklang zu bringen. 2 3 0

LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 829.

231

Vgl. dazu auch GRAVENREUTH NStZ 1989 S. 201 ff.

2 3 2

V g l . HILGENDORF J u S 1996 S. 8 9 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 0 3 a R d n . 4 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 0 3 a R d n . 9 .

233

Vgl. dazu LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 828; WELP Informatik und Recht 1988 S. 447.

2 3 4

V g l . B a y O b L G J R 1994 S. 4 7 7 ; GÖSSEL B . T . 2, § 18 R d n . 66; HILGENDORF J R 1 9 9 4 S. 4 7 9 ; WELP iur 1 9 8 8 S. 4 4 7 .

235

So auch HAFT NStZ 1987 S. 10; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 829; WELP Informatik und R e c h t 1988 S. 4 4 8 . - A . A . B T - D r u c k s . 10/5058, S. 34; TRÖNDLE S t G B , § 3 0 3 a R d n . 9; MÖHREN-

201

§47

Z w e i t e r T e i l : D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r des E i n z e l n e n

Z . T . wird der Tatbestand als verfassungswidrig gemäß Art. 103 Abs. 2 G G angesehen, "da es keine gesetzlichen Regelungen gibt, die die Verfügungsbefugnis an Daten r e g e l n " . 2 3 ' ' [ ) a s überzeugt nicht, da die Problematik durchaus der unbefugten Offenbarung von Geheimnissen vergleichbar ist, w o auch nicht nur auf "gesetzliche Regelungen" abgestellt w i r d . 2 3 7

e) Subjektiver Tatbestand 32 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Dieser muß sich auch auf die Rechtswidrigkeit der Tathandlung i.S. der Verletzung des Verfügungs- oder Nutzungsrechts eines Dritten beziehen. f ) Konkurrenzen 33 Soweit die Substanz des Datenträgers nicht beeinträchtigt wird, ist § 303 a lex specialis gegenüber § 303. Im übrigen ist Idealkonkurrenz mit den §§ 202 a, 303, 263 a, 268, 269, sowie mit § 43 BDSG möglich. 2. Computersabotage,

§ 303 b

a) Geschütztes Rechtsgut und Aufbau des Tatbestandes 34 Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse von Wirtschaft und Verwaltung an der Funktionsfähigkeit ihrer Datenverarbeitung. Abs. 1 Nr. 1 enthält gegenüber § 303 a einen Qualifikationstatbestand, während Abs. 1 Nr. 2 einen selbständigen - der Sachbeschädigung vergleichbaren - Tatbestand darstellt. b) Tatobjekt 35 Tatobjekt ist die Datenverarbeitung, d.h. der Gesamtbereich eines datenverarbeitenden Systems mit der Gesamtheit seiner Datenverarbeitungsvorgänge sowie des weiteren Umgangs mit Daten und deren Verwendung, so daß auch Speicherung, Dokumentierung und Aufbereitung erfaßt sind. 238 - Beschränkt ist der Schutz auf die Datenverarbeitung, die für einen fremden Betrieb usw. von wesentlicher Bedeutung ist. 36 Betrieb ist eine räumlich technische Einheit, mit der ein bestimmter arbeitstechnischer oder wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird. - Der Begriff des Unternehmens ist demgegenüber weiter und erfaßt organisatorische Einheiten, die auf einer Verbindung personeller und sachlicher Mittel beruhen. Der verfolgte Zweck braucht nicht wirtschaftlicher Natur zu sein, auch karitative Organisationen sind vom Schutzzweck erfaßt. - Behörde ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, § 1 Abs. 4 V w V f G , auch Gerichte, § 11 Abs. 1 Nr. 7. 37

Fremd sind der Betrieb und das Unternehmen, wenn sie bei rechtlich-wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht dem Vermögen des Täters zuzuordnen sind. 239 38 Wesentliche Bedeutung hat die Datenverarbeitung für die geschützte Einrichtung, wenn deren Funktionsfähigkeit auf der Grundlage einer konkreten Arbeitsweise, Ausstattung und Organisation ganz oder zu einem erheblichen Teil von dem einwandfreien Funktionieren der Datenverarbeitung abhängt. 240

SCHLAGER wistra 1986 S. 141 f. 236 V g l . TOLKSDORF L K , § 303 a Rdn. 7. 237

V g l . auch B a y O b L G wistra 1993 S. 304 mit A n m . HILGENDORF JR 1994 S. 478 f f , OTTO JK 94, StGB § 303 a/1.

238

V g l . BT-Drucks. 10/5058 S. 36.

239

V g l . LENCKNERAVINKELBAUER C R 1986 S. 830; weiter LACKNER/KÜHL § 303 b Rdn. 2.

2 4 0

LENCKNERAVINKELBAUER C R 1986 S. 830.

202

Strafbare Gebrauchsanmaßungen

§48

c) Die Tathandlungen Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 setzt eine Veränderung von Daten im Sinne des § 303 39 a voraus, an denen ein anderer als der Täter ein Verfügungsrecht hat. - Täter kann daher auch der Eigentümer einer Datenverarbeitungsanlage sein, der im Auftrage anderer Daten verarbeitet. Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 2 richtet sich gegen die Hardware. - Sie kann sich 40 auch gegen Sachen des Täters richten, wenn diese in die geschützte Einrichtung auf Grund von Besitz- oder Nutzungsrechten eingegliedert sind. 2 4 ' - Zum Zerstören vgl. Rdn. 10 f, zum Beschädigen vgl. Rdn. 5 f, zum Unbrauchbarmachen vgl. Rdn. 29. Beseitigen liegt vor, wenn das Tatobjekt aus dem Verfügungsbereich des Berechtigten entfernt wird. d) Der Taterfolg Die Tathandlung muß zu einer Störung der Datenverarbeitung geführt haben. Eine Störung 41 liegt vor, wenn der reibungslose Ablauf der Datenverarbeitung nicht unerheblich beeinträchtigt ist. 242 e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt.

42

f) Konkurrenzen Abs. 1 Nr. 2 ist gegenüber § 303 der speziellere Tatbestand, soweit die Voraussetzungen 43 des § 303 vorliegen. - Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 88, 202 a, 269, 316 b.

IV. Strafantrag Taten nach §§ 303 - 303 b werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Straf- 44 verfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten für geboten hält, § 303 c. Nach h.M. ist Verletzter und damit Antragsberechtigter nicht nur der Eigentümer, son- 45 dem jeder, der ein dingliches oder persönliches Recht an der beschädigten Sache hat und in diesem Recht durch die Tat verletzt worden ist. 243 Für eine derartige Ausweitung des Antragsrechts besteht im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut dieser Vorschrift keinerlei Grund. Antragsberechtigt ist allein der Träger des geschützten Rechtsguts, d.h. im Regelfall der Eigentümer, ausnahmsweise der Inhaber des stärksten Vermögensrechts an der Sache, dazu oben unter Rdn. 2. 2 4 4

§ 48: Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b 1. Das geschützte Rechtsgut Seiner systematischen Stellung nach gehört § 248 b in den Bereich der Delikte gegen die

241

Vgl. dazu LENCKNERAVINKELBAUER CR 1986 S. 831; weiter LACKNER/KÜHL § 303 b Rdn. 5. 242 BT-Drucks. 7/5058 S. 35. 243

Vgl. BayObLG JR 1982 S. 25; OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 2056; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 389; LACKNER/KÜHL § 3 0 3 c R d n . 2; TRÖNDLE S t G B , § 3 0 3 c R d n . 2; WOLFF L K , § 3 0 3 c R d n . 2.

2 4 4

V g l . a u c h R U D O L P H I J R 1 9 8 2 S . 2 8 ; SAMSON S K II, § 3 0 3 c R d n . 3 ; S T R E E J U S 1 9 8 8 S . 1 9 1 f .

203

1

Strafbare Gebrauchsanmaßungen

§48

c) Die Tathandlungen Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 setzt eine Veränderung von Daten im Sinne des § 303 39 a voraus, an denen ein anderer als der Täter ein Verfügungsrecht hat. - Täter kann daher auch der Eigentümer einer Datenverarbeitungsanlage sein, der im Auftrage anderer Daten verarbeitet. Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 2 richtet sich gegen die Hardware. - Sie kann sich 40 auch gegen Sachen des Täters richten, wenn diese in die geschützte Einrichtung auf Grund von Besitz- oder Nutzungsrechten eingegliedert sind. 2 4 ' - Zum Zerstören vgl. Rdn. 10 f, zum Beschädigen vgl. Rdn. 5 f, zum Unbrauchbarmachen vgl. Rdn. 29. Beseitigen liegt vor, wenn das Tatobjekt aus dem Verfügungsbereich des Berechtigten entfernt wird. d) Der Taterfolg Die Tathandlung muß zu einer Störung der Datenverarbeitung geführt haben. Eine Störung 41 liegt vor, wenn der reibungslose Ablauf der Datenverarbeitung nicht unerheblich beeinträchtigt ist. 242 e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt.

42

f) Konkurrenzen Abs. 1 Nr. 2 ist gegenüber § 303 der speziellere Tatbestand, soweit die Voraussetzungen 43 des § 303 vorliegen. - Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 88, 202 a, 269, 316 b.

IV. Strafantrag Taten nach §§ 303 - 303 b werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Straf- 44 verfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten für geboten hält, § 303 c. Nach h.M. ist Verletzter und damit Antragsberechtigter nicht nur der Eigentümer, son- 45 dem jeder, der ein dingliches oder persönliches Recht an der beschädigten Sache hat und in diesem Recht durch die Tat verletzt worden ist. 243 Für eine derartige Ausweitung des Antragsrechts besteht im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut dieser Vorschrift keinerlei Grund. Antragsberechtigt ist allein der Träger des geschützten Rechtsguts, d.h. im Regelfall der Eigentümer, ausnahmsweise der Inhaber des stärksten Vermögensrechts an der Sache, dazu oben unter Rdn. 2. 2 4 4

§ 48: Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b 1. Das geschützte Rechtsgut Seiner systematischen Stellung nach gehört § 248 b in den Bereich der Delikte gegen die

241

Vgl. dazu LENCKNERAVINKELBAUER CR 1986 S. 831; weiter LACKNER/KÜHL § 303 b Rdn. 5. 242 BT-Drucks. 7/5058 S. 35. 243

Vgl. BayObLG JR 1982 S. 25; OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 2056; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 389; LACKNER/KÜHL § 3 0 3 c R d n . 2; TRÖNDLE S t G B , § 3 0 3 c R d n . 2; WOLFF L K , § 3 0 3 c R d n . 2.

2 4 4

V g l . a u c h R U D O L P H I J R 1 9 8 2 S . 2 8 ; SAMSON S K II, § 3 0 3 c R d n . 3 ; S T R E E J U S 1 9 8 8 S . 1 9 1 f .

203

1

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§48

umfassende Sachherrschaftsposition einer Person. Diese Position wird durch die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung verletzt. 245 2. Die einzelnen 2 3

Tatbestandsmerkmale

a) Tatobjekte können Kraftfahrzeuge - dazu § 248 b Abs. 4 - und Fahrräder sein. b) Ingebrauchnahme ist eine Benutzung des Fahrzeugs, "bei der der Täter sich des Fahrzeugs unter Einwirkenlassen der zu Ingangsetzung und Inganghaltung geeigneten Kräfte als Fortbewegungsmittel bedient und dabei eine ihm nicht zustehende Herrschaftsgewalt über das Fahrzeug ausübt". 246 In Gang gesetzt sein muß das Fahrzeug, nicht bloß der Motor. Daher erfüllt das Anlassen des Motors noch nicht den Tatbestand, wohl aber das Fahren im Leerlauf. - Nicht unter § 248 b fallen: Übernachten im fremden Kfz Mitfahren im Autobus als blinder Passagier, Anhängen des eigenen Fahrrades an ein fremdes Fahrzeug.24'

4

aa) Nimmt der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch, nutzt es aber dann in einer dem Willen des Berechtigten nicht mehr entsprechenden Weise, so ist zu differenzieren: Der bloß vertragswidrige Gebrauch während der Zeit der Nutzungsberechtigung erfüllt den Tatbestand nicht. LG Mannheim NJW 1965 S. 1929: Der Mieter eines Kfz, der sich vertraglich verpflichtet hatte, nicht selbst mit dem Fahrzeug zu fahren, nutzt das Fahrzeug dennoch selbst. LG: Der Mieter war Berechtigter i.S. des § 248 b. Sein bloß vertragswidriges Verhalten ist nicht tatbestandsmäßig.

5

Hingegen soll ein weiteres Benutzen des Fahrzeugs nach Ablauf der vertraglichen Nutzungszeit tatbestandsmäßig sein, weil das "unbefugte Inganghalten" dem "unbefugten Ingebrauchnehmen" gleichstehe. 248 OLG Schleswig NStZ 1990 S. 340: Der Mieter eines Kfz verlängerte die Mietdauer mehrmals telefonisch. Dann verweigerte der Vermieter die Verlängerung des Mietvertrages. Der Mieter gab das Kfz dennoch erst Wochen später zurück. OLG: § 248 b liegt vor, da die Vorschrift auch die "Gebrauchsunterschlagung" erfaßt.

6

Das überzeugt nicht. Der kriminalpolitische Zweck des § 248 b liegt darin, den Entwendungen von Kraftfahrzeugen zum vorübergehenden Gebrauch gegen den Willen des Berechtigten zu begegnen, nicht aber rechtswidriges, insbes. vertragswidriges Verhalten sei es in der Art oder Dauer der Benutzung - bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen schlechthin zu pönalisieren. Für einen derart weiten Strafrechtsschutz von Vertragsverletzungen u.ä. besteht kein Bedürfnis. 249

245

Sachlich übereinstimmend, wenn auch auf die Verletzung des Eigentums abstellend: SAMSON SK II, § 2 4 8 b R d n . 1; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 6 7 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 b R d n . 1. - A . A . S c h u t z d e s E i g e n -

tums und jeglicher Gebrauchsrechte: BGHSt 11 S. 51; LACKNER/KÜHL § 248 b Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 7 R d n . 5 ; TRÖNDLE

S t G B , § 2 4 8 b R d n . 4. - F ü r Schutz des

Nutzungsrechts, u.U. auch gegenüber dem Eigentum: GÖSSEL B.T. 2, § 18 Rdn. 27; KINDHÄUSER NK, § 2 4 8 b R d n . 2 ; WESSELS B . T . / 2 , R d n . 3 8 4 . 246

BGHSt 11 S. 50.

247

BGHSt 11 S. 49 f.

2 4 8

B G H S t 11 S . 5 0 ; B G H G A 1 9 6 3 S . 3 4 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 8 b R d n . 3 ; RENGIER B . T . I, § 6 R d n . 7 4 ; RUß L K , § 2 4 8 b R d n . 4 ; TRÖNDLE S t G B , 2 4 8 b R d n . 4 .

249

So auch BayObLG NJW 1953 S. 193 f; OLG Hamm NJW 1966 S. 2360; AG München NStZ 1986 S . 4 5 8 ; FRANKE N J W

204

1 9 7 4 S . 1 8 0 3 f f ; KREY B . T . 2 , R d n .

1 4 9 ; KÜPER B . T . , S .

188 ff; MAU-

Strafbare Gebrauchsanmaßungen

§48

bb) Entsprechend der Möglichkeit einer rechtswidrigen Zueignung einer Sache, über die der Täter zunächst gutgläubig Sachherrschaft erlangte, besteht die Möglichkeit der Verwirklichung des § 248 b allerdings, wenn der Täter bei der Ingebrauchnahme meint, befugt zu sein, später aber merkt, daß dies nicht der Fall ist, er aber gleichwohl das Fahrzeug weiter benutzt.

7

BGHSt 11 S. 47: A lieh sich von P einen PKW. Er meinte, P sei der Eigentümer. Während der Fahrt erkannte A, daß P nicht der rechtmäßige Besitzer des Wagens sein konnte. Er fuhr dennoch weiter. BGH: § 248 b.

Auch sonst ist es nicht erforderlich, daß dem Berechtigten das Kfz durch Gewahrsamsbruch entzogen wurde.

8

Fall: M hat das von V gemietete Fahrzeug nach Vertragsende auf einem Parkplatz einfach stehen lassen. A erkennt die Sachlage und nimmt nun das Fahrzeug - ohne Zueignungsabsicht - in Gebrauch. Ergebnis:

§ 248 b . 2 5 0

cc) Nicht Gebrauchsanmaßung, sondern Diebstahl liegt nach ständiger Rechtsprechung 9 vor, wenn der Täter ein Kfz für eine Fahrt wegnimmt, es dann aber an irgendeiner Stelle stehen läßt und es dem Zufall überläßt, ob und wann der rechtmäßige Eigentümer es wiedererlangt. - Dem ist zuzustimmen: Zueignung, wenn der Täter ein Kraftfahrzeug wegnimmt, um es nach einer Vergnügungsfahrt zu vernichten oder dem willkürlichen Zugriff Dritter auszusetzen, denn hier maßt der Täter sich umfassende Sachherrschaft über das Fahrzeug an. Gebrauchsanmaßung, wenn der Täter sich lediglich die Position eines Fremdbesitzers anmaßt und davon ausgeht, daß der Berechtigte das Kraftfahrzeug aufgrund der Art des Abstellens zurückerhält. Der Rückstellungswille darf jedoch nicht mit dem bloßen - rechtlich irrelevanten - Wünschen verwechselt werden. Der Täter muß daher das Bewußtsein haben, daß die Rückstellung nach dem üblichen Lauf der Dinge erfolgt. Es genügt nicht, daß er meint, der Eigentümer werde das Fahrzeug vielleicht zurückerhalten. Daß er sich dabei u.U. der Hilfe anderer Personen bedient, ist gleichgültig, wenn diese Hilfe mit Sicherheit einplanbar ist. 251 Nicht tatbestandsmäßig ist eine Ingebrauchnahme, um dem Berechtigten den Gebrauch 10 wieder einzuräumen. Dieses Verhalten ist nicht auf Verletzung der umfassenden Sachherrschaft des Berechtigten gerichtet, sondern auf Einräumung der Sachherrschaft. 252 3. Strafantrag Antragsberechtigt ist der Inhaber der umfassenden Sachherrschaft. Dies wird bei Kraft- 11 fahrzeugen in der Regel der Halter, bei Fahrrädern der Eigentümer sein. Gegen seine Dispositions- und Gebrauchsbefugnis richtet sich das Delikt, und zwar auch dann, wenn unmittelbar ein Dritter durch die Tat betroffen wurde, weil er das Fahrzeug z.B. geliehen oder gemietet hatte. So im Ergebnis auch diejenigen, die das geschützte Rechtsgut im Eigentum sehen. - Das Antragsrecht wollen RACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 7 R d n . 9; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 b R d n . 4 a; SCHMIDHÄUSER

NStZ 1986 S. 460 f; DERS. NStZ 1990 S. 341. 2 5 0

A . A . F R A N K E N J W 1 9 7 4 S. 1805; SCHMIDHÄUSER N S t Z 1 9 8 6 S . 4 6 0 f.

251

Vgl. BGH NJW 1987 S. 266; BGHSt 22 S. 46; B G H NStZ 1982 S. 420; BGH NStZ 1996 S. 38 mit A n m . OTTO J K 9 6 , S t G B § 2 4 8 h / 3 ; KELLER J R 1 9 8 7 S. 3 4 3 ; OTTO S t r u k t u r , S. 2 0 0 f f ; RANFT J A 1 9 8 4

S. 280; SCHAFFSTEIN GA 1964 S. 107; TRÖNDLE StGB, § 242 Rdn. 24. - A.A. Rückführungswille nicht erforderlich: ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 238; GEPPERT JK 87, StGB § 248 h/2; RUDOLPHI GA 1965 S. 5 0 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 5 4 ; SEELMANN JUS 1985 S. 4 5 4 f. 252

Vgl. dazu OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 590 mit Anm. OTTO JK, StGB § 248 b/1.

205

12

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§49

jedem durch die Tat berührten Nutzungsberechtigten diejenigen zugestehen, die das geschützte Rechtsgut weiter fassen; dazu oben unter Rdn. 1. 4. Sonderproblem: 13

5. 14

Der Verbrauch

des fremden

Kraftstoffs

D e r V e r b r a u c h d e s B e n z i n s i m T a n k b e g r ü n d e t nicht d i e A n w e n d u n g d e s § 2 4 2 . I n s o w e i t ist § 2 4 8 b l e x s p e c i a l i s g e g e n ü b e r § 2 4 2 , da s o n s t d a s A n t r a g s p r i v i l e g k a u m e i n m a l z u m Zuge käme.253 Konkurrenzen

G e m ä ß § 2 4 8 b A b s . 1 ist d i e V o r s c h r i f t s u b s i d i ä r g e g e n ü b e r T a t b e s t ä n d e n g l e i c h e r o d e r ä h n l i c h e r S c h u t z r i c h t u n g . D i e s gilt i n s b e s o n d e r e g e g e n ü b e r d e n Z u e i g n u n g s d e l i k t e n , d i e w ä h r e n d der G e b r a u c h n a h m e e r f o l g e n , z . B . e i n e r U n t e r s c h l a g u n g .

II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 15

1. Ä h n l i c h d e m § 2 4 8 b s c h ü t z t § 2 9 0 d i e u m f a s s e n d e S a c h h e r r s c h a f t s p o s i t i o n d e s B e r e c h t i g t e n g e g e n d i e r e c h t s w i d r i g e A n m a ß u n g der N u t z u n g der S a c h e .

16

2. N a c h § 2 9 0 w e r d e n öffentliche Pfandleiher, d.h. P f a n d l e i h e r , deren G e s c h ä f t a l l g e m e i n z u g ä n g l i c h ist ( K o n z e s s i o n n i c h t e n t s c h e i d e n d ! ) , bestraft, w e n n s i e e i n e P f a n d s a c h e e i genmächtig nutzen.

17

3. I m F a l l e e i n e r Z u e i g n u n g d e s P f a n d e s ist § 2 9 0 subsidiär g e g e n ü b e r § 2 4 6 .

§ 49: Zur Wiederholung 1

1. Welche Ansichten werden über das geschützte Rechtsgut des Diebstahlstatbestandes vertreten und wo werden die verschiedenen Auffassungen praktisch bedeutsam? - Dazu § 39 Rdn. 1 ff, § 43 Rdn. 8 ff. 2. Welche verschiedenen Definitionen des Begriffs "fremd" in §§ 242, 246 werden vertreten. - Führen die Unterschiede auch zu praktischen Konsequenzen? - Dazu § 40 Rdn. 9 ff. 3. Wie ist der Begriff "Wegnahme" zu definieren? - Dazu § 40 Rdn. 15. 4. Welche Elemente bestimmen den Gewahrsamsbegriff? - Dazu § 40 Rdn. 16 ff. 5. Haben Bewußtlose noch Gewahrsam? - Dazu § 40 Rdn. 21. 6. Geht der Gewahrsam des Erblassers mit dem Tode auf die Erben über? - Dazu § 40 Rdn. 31. 7. Welche Elemente enthält der Begriff der "Zueignung"? - Dazu § 40 Rdn. 55 ff. 8. Was kennzeichnen die Begriffe: Sachsubstanztheorie, Sachwerttheorie, Vereinigungstheorie? - Dazu § 40 Rdn. 45 ff. 9. Wann ist eine Zueignung rechtswidrig? - Dazu § 40 Rdn. 77. 10. Ist es sachgerecht, beim Ausschluß der Rechtswidrigkeit der Zueignung zwischen Gattungs- und Speziesansprüchen zu differenzieren? - Dazu § 40 Rdn. 79. 11. Welche Möglichkeiten enthält die Gesetzestechnik der "Regelbeispiele"? - Dazu § 41 Rdn. 1 ff. 12. Welche Bedeutung hat der Irrtum über das Vorliegen eines Regelbeispiels? - Dazu § 41 Rdn. 31. 13. Kann der Strafrahmen des § 243 auf einen versuchten Diebstahl Anwendung finden? - Dazu § 41 Rdn. 32 ff.

253

206

Dazu BGHSt 14 S. 388; LACKNER/KÜHL § 248 b Rdn. 6; VOGLER Bockelmann-FS, S. 731. - Differenzierend: RANFT JA 1984 S. 281. - Zu den unterschiedlichen Konstruktionen: KINDHÄUSER NK, § 248 b Rdn. 26.

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§49

jedem durch die Tat berührten Nutzungsberechtigten diejenigen zugestehen, die das geschützte Rechtsgut weiter fassen; dazu oben unter Rdn. 1. 4. Sonderproblem: 13

5. 14

Der Verbrauch

des fremden

Kraftstoffs

D e r V e r b r a u c h d e s B e n z i n s i m T a n k b e g r ü n d e t nicht d i e A n w e n d u n g d e s § 2 4 2 . I n s o w e i t ist § 2 4 8 b l e x s p e c i a l i s g e g e n ü b e r § 2 4 2 , da s o n s t d a s A n t r a g s p r i v i l e g k a u m e i n m a l z u m Zuge käme.253 Konkurrenzen

G e m ä ß § 2 4 8 b A b s . 1 ist d i e V o r s c h r i f t s u b s i d i ä r g e g e n ü b e r T a t b e s t ä n d e n g l e i c h e r o d e r ä h n l i c h e r S c h u t z r i c h t u n g . D i e s gilt i n s b e s o n d e r e g e g e n ü b e r d e n Z u e i g n u n g s d e l i k t e n , d i e w ä h r e n d der G e b r a u c h n a h m e e r f o l g e n , z . B . e i n e r U n t e r s c h l a g u n g .

II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 15

1. Ä h n l i c h d e m § 2 4 8 b s c h ü t z t § 2 9 0 d i e u m f a s s e n d e S a c h h e r r s c h a f t s p o s i t i o n d e s B e r e c h t i g t e n g e g e n d i e r e c h t s w i d r i g e A n m a ß u n g der N u t z u n g der S a c h e .

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2. N a c h § 2 9 0 w e r d e n öffentliche Pfandleiher, d.h. P f a n d l e i h e r , deren G e s c h ä f t a l l g e m e i n z u g ä n g l i c h ist ( K o n z e s s i o n n i c h t e n t s c h e i d e n d ! ) , bestraft, w e n n s i e e i n e P f a n d s a c h e e i genmächtig nutzen.

17

3. I m F a l l e e i n e r Z u e i g n u n g d e s P f a n d e s ist § 2 9 0 subsidiär g e g e n ü b e r § 2 4 6 .

§ 49: Zur Wiederholung 1

1. Welche Ansichten werden über das geschützte Rechtsgut des Diebstahlstatbestandes vertreten und wo werden die verschiedenen Auffassungen praktisch bedeutsam? - Dazu § 39 Rdn. 1 ff, § 43 Rdn. 8 ff. 2. Welche verschiedenen Definitionen des Begriffs "fremd" in §§ 242, 246 werden vertreten. - Führen die Unterschiede auch zu praktischen Konsequenzen? - Dazu § 40 Rdn. 9 ff. 3. Wie ist der Begriff "Wegnahme" zu definieren? - Dazu § 40 Rdn. 15. 4. Welche Elemente bestimmen den Gewahrsamsbegriff? - Dazu § 40 Rdn. 16 ff. 5. Haben Bewußtlose noch Gewahrsam? - Dazu § 40 Rdn. 21. 6. Geht der Gewahrsam des Erblassers mit dem Tode auf die Erben über? - Dazu § 40 Rdn. 31. 7. Welche Elemente enthält der Begriff der "Zueignung"? - Dazu § 40 Rdn. 55 ff. 8. Was kennzeichnen die Begriffe: Sachsubstanztheorie, Sachwerttheorie, Vereinigungstheorie? - Dazu § 40 Rdn. 45 ff. 9. Wann ist eine Zueignung rechtswidrig? - Dazu § 40 Rdn. 77. 10. Ist es sachgerecht, beim Ausschluß der Rechtswidrigkeit der Zueignung zwischen Gattungs- und Speziesansprüchen zu differenzieren? - Dazu § 40 Rdn. 79. 11. Welche Möglichkeiten enthält die Gesetzestechnik der "Regelbeispiele"? - Dazu § 41 Rdn. 1 ff. 12. Welche Bedeutung hat der Irrtum über das Vorliegen eines Regelbeispiels? - Dazu § 41 Rdn. 31. 13. Kann der Strafrahmen des § 243 auf einen versuchten Diebstahl Anwendung finden? - Dazu § 41 Rdn. 32 ff.

253

206

Dazu BGHSt 14 S. 388; LACKNER/KÜHL § 248 b Rdn. 6; VOGLER Bockelmann-FS, S. 731. - Differenzierend: RANFT JA 1984 S. 281. - Zu den unterschiedlichen Konstruktionen: KINDHÄUSER NK, § 248 b Rdn. 26.

Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

§50

14. Kann der Begriff des gefahrlichen Werkzeugs gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 a in Anlehnung an § 224 Abs. 1 Nr. 2 definiert werden? - Dazu § 41 Rdn. 52. 15. Ist die Ersatzbereitschaft und -fähigkeit im Rahmen der Zueignungsdelikte relevant? - Dazu § 42 Rdn. 19 f. 16. Warum ist ein Irrtum darüber, daß die weggenommene Sache einem Familienmitglied gehört, im Rahmen des § 247 irrelevant? - Dazu § 43 Rdn. 15. 17. Wann ist eine Sache "geringwertig"? - Dazu § 44 Rdn. 2. 18. Wie müssen sich Gewaltanwendung bzw. Drohung und Wegnahme im Rahmen des Raubes zueinander verhalten? - Dazu § 46 Rdn. 3 ff. 19. Was heißt Verwenden i.S. des § 250 Abs. 2 Nr. 1? - Dazu § 46 Rdn. 33. 20. Genügt es für die Anwendung des § 250 Abs. 2 Nr. 3 b, daß durch den Raub ein Mittäter in die Gefahr des Todes gebracht wird? - Dazu § 46 Rdn. 36 ff. 21. In welchem Verhältnis steht § 252 zur "Vortat"? - Dazu § 46 Rdn. 53. 22. Kann ein Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein? - Dazu § 46 Rdn. 63. 23. Welche Auffassungen werden über das Rechtsgut des § 316 a vertraten? - Wo wird die Verschiedenheit der Auffassungen relevant? - Dazu § 46 Rdn. 69, 75 f. 24. Wie ist das "Beschädigen" einer Sache zu definieren? - Dazu § 47 Rdn. 5. 25. Erfaßt § 248 b auch die vertragswidrige Benutzung eines Fahrzeuges, wenn der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch genommen hat? - Dazu § 48 Rdn. 4.

§ 50: Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 1. Das geschützte

Rechtsgut

Geschützt wird in § 289 die Möglichkeit der Ausübung bestimmter Pfand- und Besitzrechte. Derartige Rechte sind u.a. Nutznießungsrechte 254 , Pfandrechte 255 , Gebrauchsrechte 2 5 6 , Zurückbehaltüngsrechte 257 , das Anwartschaftsrecht beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt, das Gebrauchsrecht des Sicherungsgebers bei der Sicherungsübereignung.

1

Streitig ist, ob auch das Pfändungspfandrecht zu den geschützten Rechten gehört. Dies ist zu bejahen, denn der Schutz des § 136 betrifft ein anderes Rechtsgut als das hier geschützte. 25 ® Solange der Schuldner jedoch im Besitz der gepfändeten Sache ist, dürfte eine Wegnahme kaum begründbar sein; dazu unter Rdn. 6 f.

2

2. Täter und Tathandlung a) Täter kann nur der Eigentümer (auch Miteigentümer) oder ein Dritter sein, der zugunsten des Eigentümers handelt. Dadurch entsteht eine Strafbarkeitslücke dann, wenn ein Dritter zu eigenen Gunsten aber ohne Zueignungsabsicht die Tat begeht.

3

Beispiel: C hat dem B sein Kanu bis zum 1.6. vermietet. Als A dem C erklärt, er möchte das Kanu gern geliehen haben, weist ihn C auf die Miete des B hin, erklärt aber, er habe nichts dagegen, wenn B seines

4

ff,

BGB.

2 5 4

§§ 1030

2 5 5

§§ 559

ff,

581, 585, 590, 647, 704, 1204

2 5 6

§§ 535

ff,

581

1649

ff,

598

ff,

743

ff BGB, §§

397, 410, 421

HGB.

BGB.

257

Z.B. §§ 273, 772 ff, 972, 1000 BGB, § 369 HGB, vertragliche Zurückbehaltüngsrechte.

2 5 8

W i e hier: BAUMANN N J W 1 9 5 6 S. 1 8 6 6 f; KREY B . T . 2, R d n . 2 8 6 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T. 1, § 37 Rdn. 15; TRÖNDLE StGB, § 289 Rdn. 2. - A.A. BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g , 1 9 6 7 , S . 9 6 ; HIRSCH Z S t W 8 2 ( 1 9 7 0 ) S . 4 2 6 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 8 9 R d n . 1.

207

Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

§50

14. Kann der Begriff des gefahrlichen Werkzeugs gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 a in Anlehnung an § 224 Abs. 1 Nr. 2 definiert werden? - Dazu § 41 Rdn. 52. 15. Ist die Ersatzbereitschaft und -fähigkeit im Rahmen der Zueignungsdelikte relevant? - Dazu § 42 Rdn. 19 f. 16. Warum ist ein Irrtum darüber, daß die weggenommene Sache einem Familienmitglied gehört, im Rahmen des § 247 irrelevant? - Dazu § 43 Rdn. 15. 17. Wann ist eine Sache "geringwertig"? - Dazu § 44 Rdn. 2. 18. Wie müssen sich Gewaltanwendung bzw. Drohung und Wegnahme im Rahmen des Raubes zueinander verhalten? - Dazu § 46 Rdn. 3 ff. 19. Was heißt Verwenden i.S. des § 250 Abs. 2 Nr. 1? - Dazu § 46 Rdn. 33. 20. Genügt es für die Anwendung des § 250 Abs. 2 Nr. 3 b, daß durch den Raub ein Mittäter in die Gefahr des Todes gebracht wird? - Dazu § 46 Rdn. 36 ff. 21. In welchem Verhältnis steht § 252 zur "Vortat"? - Dazu § 46 Rdn. 53. 22. Kann ein Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein? - Dazu § 46 Rdn. 63. 23. Welche Auffassungen werden über das Rechtsgut des § 316 a vertraten? - Wo wird die Verschiedenheit der Auffassungen relevant? - Dazu § 46 Rdn. 69, 75 f. 24. Wie ist das "Beschädigen" einer Sache zu definieren? - Dazu § 47 Rdn. 5. 25. Erfaßt § 248 b auch die vertragswidrige Benutzung eines Fahrzeuges, wenn der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch genommen hat? - Dazu § 48 Rdn. 4.

§ 50: Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 1. Das geschützte

Rechtsgut

Geschützt wird in § 289 die Möglichkeit der Ausübung bestimmter Pfand- und Besitzrechte. Derartige Rechte sind u.a. Nutznießungsrechte 254 , Pfandrechte 255 , Gebrauchsrechte 2 5 6 , Zurückbehaltüngsrechte 257 , das Anwartschaftsrecht beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt, das Gebrauchsrecht des Sicherungsgebers bei der Sicherungsübereignung.

1

Streitig ist, ob auch das Pfändungspfandrecht zu den geschützten Rechten gehört. Dies ist zu bejahen, denn der Schutz des § 136 betrifft ein anderes Rechtsgut als das hier geschützte. 25 ® Solange der Schuldner jedoch im Besitz der gepfändeten Sache ist, dürfte eine Wegnahme kaum begründbar sein; dazu unter Rdn. 6 f.

2

2. Täter und Tathandlung a) Täter kann nur der Eigentümer (auch Miteigentümer) oder ein Dritter sein, der zugunsten des Eigentümers handelt. Dadurch entsteht eine Strafbarkeitslücke dann, wenn ein Dritter zu eigenen Gunsten aber ohne Zueignungsabsicht die Tat begeht.

3

Beispiel: C hat dem B sein Kanu bis zum 1.6. vermietet. Als A dem C erklärt, er möchte das Kanu gern geliehen haben, weist ihn C auf die Miete des B hin, erklärt aber, er habe nichts dagegen, wenn B seines

4

ff,

BGB.

2 5 4

§§ 1030

2 5 5

§§ 559

ff,

581, 585, 590, 647, 704, 1204

2 5 6

§§ 535

ff,

581

1649

ff,

598

ff,

743

ff BGB, §§

397, 410, 421

HGB.

BGB.

257

Z.B. §§ 273, 772 ff, 972, 1000 BGB, § 369 HGB, vertragliche Zurückbehaltüngsrechte.

2 5 8

W i e hier: BAUMANN N J W 1 9 5 6 S. 1 8 6 6 f; KREY B . T . 2, R d n . 2 8 6 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T. 1, § 37 Rdn. 15; TRÖNDLE StGB, § 289 Rdn. 2. - A.A. BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g , 1 9 6 7 , S . 9 6 ; HIRSCH Z S t W 8 2 ( 1 9 7 0 ) S . 4 2 6 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 8 9 R d n . 1.

207

§50

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Besitzes verlustig gehe, ihm komme es nur darauf an, daß er das Kanu am 1.6. zur Verfügung habe. A nimmt dem B das Kanu fort und benutzt dies bis zum 1.6. Ergebnis: A und C bleiben straflos.

5 6

7

b) Zum Begriff der - eigenen oder fremden - beweglichen Sache vgl. oben § 40 Rdn. 3 ff. c) Wegnehmen ist, wie in § 242, als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams zu verstehen. Nicht die Rechtsvereitelung schlechthin, sondern das auf die Rechtsvereitelung und den Einbruch in die tatsächliche Herrschaftsphäre des Berechtigten abzielende Verhalten des Täters begründet die Strafwürdigkeit. 259 Z.T. wird das Erforderais eines Gewahrsamsbruchs abgelehnt, und nur der Bruch "eines dem Besitz ähnlichen tatsächlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisses des Berechtigten" vorausgesetzt. 260 Mit dieser verschwommenen Konstruktion eines in rechtlichen Kategorien nicht mehr faßbaren besitzähnlichen Verhältnisses wird jedoch lediglich kaschiert, daß die bloße Rechtsvereitelung als das tatbestandsmäßige Verhalten angesehen wird. Konsequent ist es daher, wenn ein Teil der Lehre ausdrücklich die bloße Rechtsvereitelung genügen läßt. 261

8

Der Unterschied wird insbesondere beim Vermieterpfandrecht bedeutsam. Doch gerade hier kann § 288 den hinreichenden Schutz gewähren. 262

9

d) Da die Tat zugunsten des Eigentümers erfolgen muß, kann ein Zerstören oder Beschädigen der Sache nicht als Wegnahme angesehen werden. Auch eine Wegnahme, um die Sache zu zerstören oder zu beschädigen, ist nicht tatbestandsmäßig, da dieses Verhalten nicht zugunsten des Eigentümers erfolgt. 3. Die Absicht rechtswidriger

Wegnahme

10 Die Absicht rechtswidriger Wegnahme erfordert den unbedingten Vorsatz des Täters, das an der weggenommenen Sache bestehende Recht, zumindest zeitweilig, zu vereiteln. - Die Rechtswidrigkeit der Wegnahme ist auch hier streng vermögensrechtlich zu bestimmen. "Rechtswidrig" ist die Absicht des Täters daher nicht, wenn er einen fälligen Besitzanspruch gegen den Besitzer hat, z.B. der Eigentümer einen fälligen Rückgabeanspruch gegen den Mieter, oder dem Pfändungspfandrecht kein materiell wirksames Forderungsrecht zugrunde liegt oder eine unpfändbare Sache gepfändet wurde. 4, Strafantrag 11 Antragsberechtigt werden sollte.

ist derjenige, dessen Recht durch die Tat vereitelt wurde oder vereitelt

II. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 1. Das geschützte Rechts gut 12 § 288 schützt die Möglichkeit 259

des Gläubigers, aus dem Schuldnervermögen

Befriedigung

Eingehend dazu OTTO JR 1982 S. 32 f; im übrigen vgl. ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 307; BOHNERT J u S 1 9 8 2 S. 2 5 6 f f ; JOERDEN J u S 1 9 8 5 S. 2 2 ; LAUBENTHAL J A 1 9 9 0 S . 4 1 f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 10/8; SCH/SCH/ESER § 2 8 9 R d n . 8.

260

Vgl. RGSt 25 S. 115 f; BayObLG JR 1982 S. 31 f; GEPPERT Jura 1987 S. 433; KÜPER B.T., S. 392 f;

261

Dazu BINDING B.T. I, S. 318 f; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 289 Rdn. 12; TRÖNDLE StGB, § 289 Rdn. 2.

262

Dazu BayObLG JR 1982 S. 31 mit abl. Anm. BOHNERT JuS 1982 S. 256 f, OTTO JR 1982 S. 32 f.

LACKNER/KÜHL § 2 8 9 R d n . 3 ; RENGIER B . T . I, § 2 8 R d n . 7.

208

Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte für einen materiellrechtlichen zwangsvollstreckung. 2. Die einzelnen

Anspruch

zu erlangen,

§50

und zwar im Wege der Einzel-

Tatbestandsmerkmale

a) Die Zwangsvollstreckung droht, wenn aus dem Verhalten des Gläubigers ersichtlich ist, 13 daß er die Zwangsvollstreckung ernsthaft betreiben oder durchsetzen will. Beispiele: Dringende Mahnung, Klageerhebung, Antrag auf Erlaß eines

M a h n b e s c h e i d s .

Da § 288 dem Vermögensschutz des Gläubigers dient, liegt eine Zwangsvollstreckung i.S. 14 des § 288 nur dann vor, wenn aus einem materiellrechtlich bestehenden Anspruch des Gläubigers vollstreckt werden soll. b) Bestandteile des Vermögens sind alle Sachen und Rechte einer Person, in die eine wirk- 15 same Einzelzwangsvollstreckung betrieben werden kann. Fall: X hat gegen den Rechtsstudenten A einen Titel erwirkt und will wegen DM 100,- die Zwangsvollstreckung betreiben. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt A seine juristische Bibliothek, die er für das Studium braucht. Ergebnis: § 288 findet keine Anwendung, da die Bibliothek des A unpfändbar ist, § 811 Nr. 10 ZPO. - Anders, wenn X einen Titel auf die Herausgabe der Bibliothek erwirkt hätte, weil er einen Anspruch auf die Bibliothek hat.

c) Veräußern ist jede rechtsgeschäftliche Verfügung, durch die der Zwangsvoll- 16 streckungszugriff des Gläubigers verschlechtert wird. aa) Keine Veräußerung i.S. des § 288 liegt vor, wenn durch das Veräußerungsgeschäft das 17 dem Zugriff unterliegende Vermögen des Schuldners gleich bleibt oder größer wird. Fall: Der S, gegen den J die Zwangsvollstreckung betreibt, tauscht sein lahmes Rennpferd (Wert DM 300,-) gegen ein Kfz (Wert DM 500,-) ein. Ergebnis: Kein Veräußern i.S. des § 288.

bb) Gleichfalls liegt keine Veräußerung i.S.d. § 288 vor, wenn der Schuldner mit dem 18 Veräußerungsgeschäft nur eine vor der drohenden Zwangsvollstreckung schon bestehende rechtliche Verpflichtung erfüllt. Beispiel: A, der dem X vor Wochen sein Kfz verkauft hat, übereignet es an X, als er hört, G wolle gegen ihn die Zwangsvollstreckung betreiben.

d) Beiseiteschaffen Gläubigerzugriff.

ist das tatsächliche Entziehen des Vermögensgegenstandes vor dem 19

Beispiele: Wegschaffen, Verstecken, Zerstören, Beschädigen einer Sache, so daß sie an Wert v e r l i e r t 2 ^ , Einziehen einer Forderung vor Fälligkeit, o . ä . 2 ^ - Nicht hingegen: bloßes Ableugnen des Besitzes, Behauptung gegenüber dem Gerichtsvollzieher, die Sache stehe im Eigentum eines anderen.

e) Der subjektive Tatbestand erfordert die Absicht (direkter Vorsatz) des Täters, die Be- 20 friedigung des Gläubigers - und sei es auch nur zeitweise - zu vereiteln. Im übrigen genügt zumindest bedingter Vorsatz, der die drohende Zwangsvollstreckung und die Verringerung der Befriedigungsmöglichkeiten für den Gläubiger umfassen muß. - Die Absicht fehlt bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen, wenn genügend andere Vermögenswerte vorhanden sind, die zur Befriedigung des Gläubigers ausreichen. Bei Individualansprüchen genügt es hingegen nicht, daß evtl. Schadensersatzansprüche wegen Ver263

Dazu BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638; GEPPERT Jura 1987 S. 427 f; GÖSSEL B.T. 2, § 28 Rdn. 73.

264

RGSt 42 S. 63; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 288 Rdn. 26. - A.A. GÖSSEL B.T. 2, § 28 Rdn. 79.

265

RGSt 9 S. 232; 19 S. 27; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 288 Rdn. 25. - A.A. HAAS wistra 1989 S. 259 f.

209

§50

Zweiter Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r d e s Einzelnen

Weigerung der Herausgabe befriedigt werden können, denn der Schuldner hat kein Recht, den Gläubiger auf einen anderen Anspruch zu verweisen. 2 6 6 3. Täterschaft und Teilnahme 21 Die Vollstreckung muß dem Täter selbst drohen. Etwaige Vertreter des Täters können gemäß § 14 haften. - Die Schuldnereigenschaft kennzeichnet die Tatsituation, nicht aber eine besondere Pflichtenstellung des Täters. Sie ist daher nicht persönliches Merkmal i.S. des § 2 8 Abs. I . 2 6 7

III. Wilderei, §§ 292 ff 1. Jagdwilderei,

§ 292 Abs. 1

a) Das geschützte Rechtsgut 22 Die Vorschrift schützt in erster Linie das Aneignungsrecht auch die Hege eines gesunden Wildbestandes,268

des Berechtigten, daneben aber

b) Die einzelnen Tatbestandsmerkmale 23 aa) Tatobjekt des Abs. 1 Nr. 1 ist das frei lebende jagdbare Wild, § 2 BJagdG. Nicht herrenloses Wild (z.B. Wild im Tiergarten) ist nicht Gegenstand des Jagd- sondern des Eigentumsrechts. 269 - Tathandlungen sind das Nachstellen, Fangen, Erlegen und sich oder einem Dritten Zueignen. Nachstellen ist Vorbereitung der anderen Handlungen, z.B. Durchstreifen des fremden Jagdreviers mit schußbereiter Flinte o.ä. - Fangen heißt, sich des lebenden Tieres bemächtigen; Erlegen, es auf irgendeine Weise töten. Sich oder einem Dritten zueignen ist die Gewahrsamsbegründung mit Zueignungswillen. 270 24 bb) Tatobjekt des Abs. 1 Nr. 2 sind die herrenlosen, dem Aneignungsrecht des Jagd- bzw. Jagdausübungsberechtigten unterliegenden Sachen, wie verendetes Wild, Fallwild, Abwurfstangen o.ä., vgl. § 1 Abs. 5 BJagdG. - Tathandlungen sind das sich oder einem Dritten Zueignen, das Beschädigen - dazu vgl. § 47 Rdn. 5 - und das Zerstören der entsprechenden Tatobjekte. 25 cc) Der Jagdausübungsberechtigte erwirbt an den Objekten des Jagdrechts Eigentum mit Besitzergreifung. Die Besitzergreifung durch irgendeinen Dritten, der nicht für den Berechtigten handelt, genügt nicht. 2 7 1 Dennoch ist Jagdwilderei durch einen Dritten, der dem Wilderer das Wild entwendet oder abkauft, ausgeschlossen: Das Objekt ist nicht mehr herrenlos, sondern Besitzobjekt und damit Vermögensobjekt des Wilderers, der die umfassende Sachherrschaft darüber ausübt. Es kann daher Gegenstand eines Vermögensdelikts, insbes. der Hehlerei, § 259, sein, nicht aber der Wilderei. 2 7 2 26 dd) Zum Jagdrecht und Jagdausübungsrecht vgl. §§ 3 Abs. 1,11 Abs. 1 BJagdG. 27 ee) Der Vorsatz muß sich darauf beziehen, daß es sich um jagdbares Wild oder um Ge266

So auch RGSt 8 S. 52; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 288 Rdn. 37; SCH/SCH/ESER § 288 Rdn. 22. - A.A.

2 6 7

S o a u c h GEPPERT J u r a 1 9 8 7 S . 4 3 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 8 R d n . 2 , 7 ;

BERGHAUS S . 1 0 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 8 R d n . 6 . MAURACH/SCHROEDER/MAI-

WALD B.T. 1, § 47 Rdn. 11; Roxin LK, § 28 Rdn. 56; WEBER in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 325. - A.A. TRÖNDLE StGB, § 288 Rdn. 14. 268

So auch LACKNER/KÜHL § 292 Rdn. 1; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 292 Rdn. 2; TRÖNDLE StGB, § 292 Rdn.

1; WESSELS J A

1984 S. 221.

- A.A. Nur

SCH/SCH/ESER § 2 9 2 R d n . 1; WELZELLII., § 5 2 I.

210

Aneignungsrecht:

GÖSSEL B . T . 2 ,

§

19 R d n .

1;

Straftaten g e g e n sonstige spezielle V e r m ö g e n s w e r t e

§50

genstände handelt, die dem Jagdrecht unterliegen, und daß der Täter das Jagd- oder Jagdausübungsrecht eines anderen verletzt. c) Irrtum des Täters über das Tatobjekt aa) Hält der Täter eine fremde Sache irrig für ein taugliches Objekt der Jagdwilderei und 28 eignet sich diese Sache zu, so ist - soweit nicht das Tatbestandsmerkmal des Nachstellens aufgrund des Vorgehens des Täters vorliegt - der objektive Tatbestand des § 292 nicht erfüllt. - Eine Bestrafung wegen Diebstahls oder Unterschlagung scheitert hingegen, weil dem Täter der Vorsatz fehlt, sich eine "fremde" Sache zuzueignen. 273 Zum Teil wird auf das Wissen des Täters abgestellt, sich eine Sache zuzueignen, die ihm "nicht gehört". Dieses Bewußtsein soll für den Vorsatz der §§ 242, 246, 292 genügen. Entscheidend für die Strafbarkeit sei daher der jeweils erfüllte objektive Tatbestand. 2 7 4 Andere kommen zur Annahme der vollendeten Wilderei, weil die Verletzung des Aneignungsrechts als Minus in der Verletzung des Eigentumsrechts enthalten ist. 2 7 ^

29

Beispiel: Der Jagdberechtigte hat einen geschossenen Hasen im Unterholz versteckt, weil er ihn erst auf dem Heimweg mitnehmen will. A entdeckt den Hasen bei einem Spaziergang und meint, dieser sei - vor kurzem geschossen - verendet. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Da J den Hasen bereits in Besitz genommen hatte, war der Hase für A eine fremde, nicht aber eine herrenlose Sache, daher entfällt § 292.

bb) Hält der Täter hingegen ein Objekt des Jagdrechts für eine fremde Sache, so kann ver- 30 suchter Diebstahl bzw. versuchte Unterschlagung vorliegen.27^ Beispiel: Nach einer Treibjagd ist ein angeschossener Hase unter einer Bank im Wald verendet. Dort entdeckt A ihn. A meint, der Jagdberechtigte habe den Hasen geschossen und dort versteckt, um ihn auf dem Rückweg mitzunehmen. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Versuchter Diebstahl des A.

d) Konkurrenzen Vermögensdelikte und Jagdwilderei schließen einander nach der hier entwickelten Ansicht 31 aus, da sie an jeweils verschiedenen Objekten begangen werden. - Nach h.M. soll § 259 dem § 292 lediglich als lex specialis vorgehen, wenn jemand von einem Wilderer ein Objekt des Jagdrechts erwirbt. 277 269 27

Dazu auch BayObLG JR 1987 S. 128; BayObLG NStZ 1988 S. 230.

0 Bereits nach altem Recht ließen eine Zueignung an Dritte genügen: OLG Hamm NJW 1956 S. 881; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 292 Rdn. 56.

271

Vgl. dazu PALANDT/BASSENGE BGB, 57. Aufl. 1998, § 958 Rdn. 4; WOLFF/RAISER Sachenrecht, 10. Bearb. 1957, § 78 III 2. - Eigentumserwerb des Berechtigten bei Besitzergreifung irgendeiner Person bejahen BAUR/STÜRNER Lehrbuch des Sachenrechts, 16. Aufl. 1992, § 53 f III 2; HECK Grundriß des Sachenrechts, 1930, § 64 Ziff. 6.

272

Dazu vgl. auch oben § 40 Rdn. 13, sowie eingehend: OTTO Struktur, S. 153 ff.

273

So z.B. auch RGSt 63 S. 37; KREY B.T. 2, Rdn. 271 ff; PREISENDANZ § 292 Anm. 7; TRÖNDLE StGB,

2 7 4

W E L Z E L L b . , § 5 2 I.

275

vgl.

§ 2 9 2 R d n . 2 0 ; WESSELS J A 1 9 8 4 S. 2 2 4 f.

v.

LÜBBECKE M D R

1974

S. 121;

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.

1, § 3 8

Rdn.

20;

SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 9 2 R d n . 8 0 ; W A I D E R G A 1 9 6 2 S . 1 8 3 . 2 7 6

S o a u c h K R E Y B . T . 2 , R d n . 2 7 5 ; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 9 2 R d n . 8 0 ; W E S S E L S J A 1 9 8 4 S . 2 2 5 . -

A.A. Vollendetes Diebstahls- oder Unterschlagungsdelikt: LACKNER/KÜHL § 292 Rdn. 5; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 38 Rdn. 20; WELZEL Lb., § 52 I. - Diese Meinung ist nur haltbar, wenn das Rechtsgut des § 292 ausschließlich im Aneignungsrecht gesehen wird. 277

Vgl. SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 292 Rdn. 36 m.w.N.

211

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§51

2. Besonders schwere Fälle der Wilderei 32 Abs. 2 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle der Wilderei: a) Nr. 1: Die gewerbs- und gewohnheitsmäßige Wilderei. - Zur Gewerbsmäßigkeit vgl. § 41 Rdn. 21. Gewohnheitsmäßig handelt der Täter, der aus einem durch Übung ausgebildeten, selbständig fortwirkenden Hang tätig wird, so daß dessen Befriedigung ihm bewußt oder unbewußt ohne innere Auseinandersetzung gleichsam von der Hand geht. 2 7 8 33 b) Nr. 2: Die nicht waidmännische Jagd. - Nachtzeit ist die Zeit der Dunkelheit, d.h. die Zeit zwischen dem Ende der Abenddämmerung und dem Beginn der Morgendämme rung. 2 7 9 Der Täter muß unter Ausnutzung der Dunkelheit handeln. - Zur Schonzeit vgl. § 22 BJagdG in Verb, mit der Verordnung über die Schonzeit vom 2.4.1977. - Unter Anwendung von Schlingen vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 8 BJagdG. - Zur nicht waidmännischen Begehung vgl. § 19 Abs. 1 BJagdG. 34 c) Nr. 3: Die von mehreren mit Schußwaffen ausgerüsteten Beteiligten gemeinschaftlich begangene Tat. - Erforderlich ist, daß mindestens zwei Tatbeteiligte (Täter oder Teilnehmer) je eine Schußwaffe bei sich führen. 2 8 0 3. Fischwilderei, § 293 35 Der Tatbestand entspricht im Aufbau dem § 292 Abs. 1. - Fischen ist jede auf Fang oder Erlegen frei lebender Wassertiere (auch Krebse, Schildkröten, bestimmte Muscheln) gerichtete Tätigkeit. - Fische in geschlossenen Privatgewässern sind nicht herrenlos. - Das Fischereirecht ist landesrechtlich geregelt. 4. Antragsprivileg,

§ 294

36 Gemäß § 294 wird die einfache Jagd- und die Fischwilderei nur auf Antrag des Verletzten verfolgt, wenn sie von einem Angehörigen oder einem Täter, der die Jagd in beschränktem Umfang ausüben durfte (z.B. Jagdgast), begangen wurde. 5. Analogie des § 248 a 37 Eine analoge Anwendung des § 248 a zugunsten des Wilderers kommt nicht in Betracht, da sich die Wilderei nicht ausschließlich gegen das Vermögen richtet.281

§ 51: Betrug 1

Bereicherungsdelikt. - Dem Täter geht es darum, die dem Berechtigten entzogene Vermögensposition sich oder einem anderen rechtswidrig zu verschaffen. Ein Vermögensgut wird aus einem Vermögen in das andere übertragen; die angestrebte Bereicherung entspricht dem Schaden.

I. Rechtsgut und Gesetzessystematik 1. Das geschützte 2

Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut des Betrugstatbestandes ist nach heute allgemein anerkannter An278

Dazu auch BGHSt 15 S. 377.

279

KG JW 1937 S. 763.

280 vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 21. 281

212

Vgl. dazu WESSELS JA 1984 S. 226.

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§51

2. Besonders schwere Fälle der Wilderei 32 Abs. 2 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle der Wilderei: a) Nr. 1: Die gewerbs- und gewohnheitsmäßige Wilderei. - Zur Gewerbsmäßigkeit vgl. § 41 Rdn. 21. Gewohnheitsmäßig handelt der Täter, der aus einem durch Übung ausgebildeten, selbständig fortwirkenden Hang tätig wird, so daß dessen Befriedigung ihm bewußt oder unbewußt ohne innere Auseinandersetzung gleichsam von der Hand geht. 2 7 8 33 b) Nr. 2: Die nicht waidmännische Jagd. - Nachtzeit ist die Zeit der Dunkelheit, d.h. die Zeit zwischen dem Ende der Abenddämmerung und dem Beginn der Morgendämme rung. 2 7 9 Der Täter muß unter Ausnutzung der Dunkelheit handeln. - Zur Schonzeit vgl. § 22 BJagdG in Verb, mit der Verordnung über die Schonzeit vom 2.4.1977. - Unter Anwendung von Schlingen vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 8 BJagdG. - Zur nicht waidmännischen Begehung vgl. § 19 Abs. 1 BJagdG. 34 c) Nr. 3: Die von mehreren mit Schußwaffen ausgerüsteten Beteiligten gemeinschaftlich begangene Tat. - Erforderlich ist, daß mindestens zwei Tatbeteiligte (Täter oder Teilnehmer) je eine Schußwaffe bei sich führen. 2 8 0 3. Fischwilderei, § 293 35 Der Tatbestand entspricht im Aufbau dem § 292 Abs. 1. - Fischen ist jede auf Fang oder Erlegen frei lebender Wassertiere (auch Krebse, Schildkröten, bestimmte Muscheln) gerichtete Tätigkeit. - Fische in geschlossenen Privatgewässern sind nicht herrenlos. - Das Fischereirecht ist landesrechtlich geregelt. 4. Antragsprivileg,

§ 294

36 Gemäß § 294 wird die einfache Jagd- und die Fischwilderei nur auf Antrag des Verletzten verfolgt, wenn sie von einem Angehörigen oder einem Täter, der die Jagd in beschränktem Umfang ausüben durfte (z.B. Jagdgast), begangen wurde. 5. Analogie des § 248 a 37 Eine analoge Anwendung des § 248 a zugunsten des Wilderers kommt nicht in Betracht, da sich die Wilderei nicht ausschließlich gegen das Vermögen richtet.281

§ 51: Betrug 1

Bereicherungsdelikt. - Dem Täter geht es darum, die dem Berechtigten entzogene Vermögensposition sich oder einem anderen rechtswidrig zu verschaffen. Ein Vermögensgut wird aus einem Vermögen in das andere übertragen; die angestrebte Bereicherung entspricht dem Schaden.

I. Rechtsgut und Gesetzessystematik 1. Das geschützte 2

Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut des Betrugstatbestandes ist nach heute allgemein anerkannter An278

Dazu auch BGHSt 15 S. 377.

279

KG JW 1937 S. 763.

280 vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 21. 281

212

Vgl. dazu WESSELS JA 1984 S. 226.

Betrug

§51

sieht allein das Vermögen. - Streitig ist jedoch die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs; dazu eingehend unter Rdn. 53 ff. 2. Der Aufbau des Gesetzes a) Den Tatbestand des Betruges beschreibt § 263 Abs. 1. b) § 263 Abs. 3 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle des Betrugs und § 263 Abs. 5 enthält einen Qualifikationstatbestand. c) Die Verweisung auf § 243 Abs. 2 in § 263 Abs. 4 stellt klar, daß ein besonders schwerer Fall nicht angenommen werden darf, wenn sich die Tat auf einen geringen Wert bezieht, dies allerdings - entgegen dem Wortlaut des § 243 Abs. 2 - auch dann, wenn Gegenstand des Betruges keine Sache, sondern ein anderes Vermögensobjekt, z.B. eine Forderung, ist (systematische Auslegung!). Gemäß § 263 Abs. 4 finden ferner die §§ 247, 248 a auf entsprechende Betrugsfälle Anwendung.

3 4

d) Speziell geregelte Fälle des Betruges enthalten die §§ 352, 353.

6

5

II. Der gesetzliche Tatbestand Die gesetzliche Formulierung des Gemeinten ist dem Gesetzgeber arg mißglückt. Zum Ausdruck kommen sollte, daß derjenige wegen Betrugs bestraft werden soll, der in der Absicht, sich oder einen anderen rechtswidrig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen einen Irrtum bei einer Person erweckt, aufgrund dessen diese Person eine vermögensschädigende Verfügung zugunsten des Täuschenden oder des von diesem Begünstigten vornimmt.

7

Die Merkmale des Tatbestands sind danach: 1. Eine Täuschung durch den Täter. 2. Ein Irrtum des Getäuschten. 3. Eine Vermögensverfügung des Getäuschten. 4. Ein Vermögensschaden des Getäuschten oder bestimmter dritter Personen.

8

Zwischen den unter 1. bis 4. genannten Merkmalen muß ein funktionaler Zusammenhang bestehen derart, daß das jeweils folgende Merkmal seinen Grund in dem vorangegangenen hat. - Getäuschte und verfügende Person müssen identisch sein, nicht aber verfügende und geschädigte Person.

5. Subjektiv ist neben dem Vorsatz die Absicht des Täters erforderlich, sich oder einen Dritten um einen Vermögensvorteil rechtswidrig zu bereichern. - Der erstrebte Vorteil muß dem Schaden entsprechen.

III. Der objektive Tatbestand 1. Die Täuschung Die umständlichen Formulierungen des Gesetzgebers sollen zum Ausdruck bringen, daß 9 der Täter über Tatsachen getäuscht haben muß, d.h. über einem Beweis zugängliche, konkrete äußere oder innere Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart. Der Gegensatz zur Täuschung über Tatsachen ist die Abgabe unrichtiger Meinungs- 10 äußerungen oder Werturteile, die jeglichen Tatsachenkerns entbehren oder nach allgemeiner Auffassung des Verkehrs nicht als Tatsachenbehauptung angesehen werden. Soweit diese Äußerungen allerdings auf einer Tatsachengrundlage beruhen, kann über diese 213

§51

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

G r u n d l a g e w i e d e r u m getäuscht werden. - P r o b l e m a t i s c h ist die Beurteilung der Ä u ß e r u n g v o n R e c h t s a u f f a s s u n g e n , da in i h n e n stets e i n W e r t u n g s e l e m e n t steckt, z u g l e i c h aber auch e i n e T a t s a c h e n b e h a u p t u n g versteckt sein kann, w e n n sie mit der B e h a u p t u n g der M a ß g e b lichkeit und V e r b i n d l i c h k e i t v e r b u n d e n wird. M a ß g e b l i c h ist hier die A u s l e g u n g der einz e l n e n Ä u ß e r u n g dahin, o b sie l e d i g l i c h e i n e subjektive A u f f a s s u n g d e s Ä u ß e r n d e n w i e dergibt. 11

Beispiel 1: Aufforderung, die Aktien der X-AG zu kaufen, denn diese würden der "Renner" der nächsten Zeit: Zukunftsprognose. Beispiel 2: Aufforderung, die Aktie X zu kaufen, denn diese werde im Kurs steigen, weil der Großaktionär G Order erteilt habe, Aktien der X-AG bis zum Doppelten des derzeitigen Preises zu kaufen: Tatsachenbehauptung. Beispiel 3: Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, dieses sei der Traumwagen jedes fortschrittlich denkenden Menschen: Werturteil. Beispiel 4: Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, im Preis des Grundmodells seien bereits die Extras A - D enthalten: Tatsachenbehauptung, da Behauptung über wertbildende Faktoren. Beispiel 5: A schreibt dem B, daß dieser ihm aus einer (unstr.) Vertragsverletzung auch ein Schmerzensgeld schulde: Äußerung einer Rechtsauffassung und damit bloßes Werturteil. Beispiel 6: A behauptet, aufgrund eines rechtskräftigen Urteils eine bestimmte Forderung gegen B zu haben: Tatsachenbehauptung. 2 8 2

12

Täuschung ist e i n auf Irreführung gerichtetes Verhalten. E s kann durch ausdrückliches Vorspiegeln, durch schlüssiges ( k o n k l u d e n t e s ) Verhalten o d e r durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen.283

13

a) D i e ausdrückliche Täuschung kann durch w ö r t l i c h e Erklärungen o d e r t ä u s c h e n d e M a nipulationen an b z w . mit G e g e n s t ä n d e n verwirklicht w e r d e n , s o w e i t d i e s e n d i e B e d e u t u n g einer Tatsachenäußerung z u k o m m t . M a ß g e b l i c h ist allein, d a ß durch eine Erklärung auf die V o r s t e l l u n g e i n e s anderen e i n g e w i r k t wird oder die Veränderung der V o r s t e l l u n g e i n e s anderen verhindert wird. Täuschung: Vorlage gefälschter Urkunden, Manipulationen an Strom-, Gas- oder Kilometerzählern (LG Marburg MDR 1973 S. 65), Auswechseln von Preisschildern in einem Laden (OLG Hamm NJW 1968 S. 1894), Manipulation des Eindrucks, eine Fahrkarte sei entwertet worden (OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 9 2 4 ) . Keine Täuschung: Wer Beförderungsleistungen in Anspruch nimmt oder sich in eine Veranstaltung einschleicht, selbst wenn die Vorstellung der Aufsichtsperson "alles sei in Ordnung", durch dieses Verhalten unzutreffend wird. Im Hineinsetzen allein liegt keine Erklärung über die Zahlung und damit keine Täuschung. Zur späteren Aufklärung hingegen ist der Täter nicht als Garant verpflichtet. 2 8 4

14

Stets ist das B e w u ß t s e i n d e s Täters erforderlich, daß z w i s c h e n d e m v o r g e g e b e n e n S a c h verhalt und der Wirklichkeit e i n e D i s k r e p a n z besteht. I n s o w e i t hat das M e r k m a l Täus c h u n g e i n e n subjektiven E i n s c h l a g . 2 8 5 282

Im einzelnen dazu BGH JR 1958 S. 106 mit Anm. SCHRÖDER S. 106; OLG Stuttgart NJW 1979 S. 2 6 7 3 m i t A n m . GEPPERT J K , S t G B § 2 6 3 / 5 , L o o s N J W

1 9 8 0 S . 8 4 7 f, MÜLLER JUS 1981 S. 2 5 5 ff,

HEID JUS 1 9 8 2 S. 2 2 ff, MÜLLER JUS 1 9 8 2 S. 2 5 f f ; O L G F r a n k f u r t N J W 1 9 9 6 S. 2 1 7 2 m i t A n m . OTTO J K 9 7 , S t G B § 2 6 3 / 4 7 ; G R A U L J Z 1 9 9 5 S . 6 0 0 f f ; SEIER Z S t W 1 0 2 ( 1 9 9 0 ) S . 5 6 8 f f . 283

Enger KINDHÄUSER ZStW 103 (1991) S. 398 ff, modifiziert BEMMANN-FS, S. 354: Nur Täuschungen relevant, die einen Wahrheitsanspruch des Opfers verletzen.

2 8 4

D a z u B O C K E L M A N N E b . S c h m i d t - F S , S . 4 3 9 ; G Ü N T H E R S K II, § 2 6 3 R d n . 2 2 ; H E R Z B E R G G A S . 2 8 9 f f ; LACKNER L K , 1 0 . A u f l . , § 2 6 3 R d n . 18, 9 1 ; SAMSON J A

kriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 204. - A.A. ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 470. 285

214

Vgl. dazu auch BGHSt 18 S. 237.

1977

1 9 7 8 S . 4 7 2 ; SIEBER C o m p u t e r -

Betrug

§51

b) Bei einer konkludenten Täuschung nimmt der Täter Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt derart, daß dieser Bezug den Inhalt seiner Aussage mitbestimmt. Er weiß, daß sein Verhalten nach der Verkehrssitte, Übereinkunft der Beteiligten o.ä. einen ganz bestimmten Aussagegehalt hat, auf den er sich stillschweigend bezieht, obwohl er sich nicht dem Aussagehalt gemäß verhalten oder an den Aussagegehalt halten will.

J5

Konkludente Erklärungen: Wer einen Vertrag schließt, erklärt, daß er zur Erfüllung fähig und willig 16 i st; 286 w e r e i n e n Scheck begibt, erklärt, daß dieser bei Vorlage gedeckt ist; 2 8 7 wer einer Bank einen Scheck einreicht, erklärt, daß dieser nach seiner Überzeugung gedeckt ist; 2 8 8 wer ein Sparbuch zum Abheben vorlegt, erklärt, daß er dazu berechtigt ist; 2 8 9 w e r einen Betrag von seinem Konto abheben will, erklärt, daß Deckung insoweit vorhanden ist;™0 wer seiner Bank eine Lastschrift einreicht, erklärt, daß die Forderung besteht und er zum Einzug ermächtigt ist; 2 9 ' wer eine Wette eingeht, erklärt, daß er das typische Wettrisiko eingehen will; 2 9 2 der Gastwirt, der Bier serviert, erklärt, daß es sich um frisch gezapftes Bier handelt;^-' der Gebrauchtwagenhändler, der ein Kraftfahrzeug ohne besonderen Hinweis anbietet, erklärt, daß es sich um ein unfallfreies Fahrzeug handelt; 294 W er einen Wechsel zum Diskont anbietet, erklärt, daß es sich um einen Warenwechsel handelt; 29 ^ wer bei einer Selbstbedienungstankstelle tankt, erklärt die Absicht der Z a h l u n g . - Zur Problematik des Tankens an Selbstbedienungstankstellen vgl. auch oben § 40 Rdn. 12. Keine konkludenten Erklärungen: Der Mieter eines Zimmers, der nach Vertragsabschluß zahlungsunfähig 17 wird, erklärt durch bloßes Wohnenbleiben nicht seine Zahlungsfähigkeit. 297 Er ist auch nicht zu einer Offenbarung rechtlich verpflichtet. 298 - Wer eine Forderung aus einer Naturalobligation geltend macht, behauptet nicht, eine gerichtlich durchsetzbare Forderung zu haben. 2 9 9 . Die Annahme versehentlich zu viel gezahlten Geldes enthält nicht die Erklärung, daß eine Forderung auf das Geld besteht.300 Die Vorlage einer formal richtigen Kassenanweisung enthält nicht die Behauptung, daß der Anspruch materiell besteht.301 Die Forderung eines bestimmten Preises für einen Gegenstand enthält nicht die Erklärung, daß diese Forderung angemessen oder üblich i s t , a n d e r e s gilt nur bei üblicherweise gebundenen Preisen.^ 3 286

BGHSH5S. 24.

287

BGH NJW 1983 S. 461, eingehend dazu OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 113.

288

OLG Köln NJW 1991 S. 1122.

289

Dazu OTTO Bankentätigkeit, S. 99; vgl. auch BGH StV 1992 S. 272. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2003.

290

OLG Celle StV 1994 S. 188; vgl. auch BGH NJW 1994 S. 950.

291

OLG Hamm NJW 1977 S. 1836.

292

So BGHSt 29 S. 167 mit abl. Anm. KLIMKE JZ 1980 S. 581 f; BayObLG wistra 1993 S. 306. - A.A. noch BGHSt 16 S. 120.

293

A.A. RGSt 29 S. 35.

294

BayObLG NJW 1994 S. 1078.

295

BGH NJW 1976 S. 2028.

2 9 6

B G H N S t Z 1 9 8 3 S. 5 0 5 m i t A n m . GAUF S. 5 0 5 f f , u n d DEUTSCHER S. 5 0 7 f.

2 9 7

O L G H a m b u r g N J W 1969 S. 3 3 5 m i t A n m . G . E. HIRSCH N J W 1969 S. 8 5 3 f, u n d SCHRÖDER J R 1969 S. 110.

2 9 8

B G H G A 1 9 7 4 S. 2 8 4 ; TRIFFTERER J u S 1971 S. 181 f f .

2 9 9

O L G S t u t t g a r t J Z 1979 S . 5 7 5 m i t A n m . FRANK N J W 1 9 8 0 S. 8 4 8 ; HEID J u S 1982 S. 2 2 f f ; JOECKS J A

300

OLG Köln NJW 1987 S. 2527 mit Anm. JOERDEN JZ 1988 S. 103 ff; OLG Düsseldorf NJW 1987

301

Als Irrtumsproblem sieht der BGH den Sachverhalt, vgl. BGHSt NStZ 1997 S. 281 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/49.

302

OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 503 mit Anm. LACKNER/WERLE S. 503 ff; SCHAUER Grenzen der Preisgestaltung im Strafrecht, 1989, S. 11 ff.

1980 S. 128; Loos NJW 1980 S. 847 f; B. MÜLLER JuS 1981 S. 255 ff. S. 8 5 3 m i t A n m . MÖHLENBRUCH N J W 1988 S. 1 8 9 4 f.

215

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§51 lg

c) Eine Täuschung durch Unterlassen ist nach den Grundsätzen des garantiepflichtwidrigen Unterlassens möglich, hat jedoch Ausnahmecharakter. 3 0 4 - Grundsätzlich kann die Nichthinderung der Entstehung einer Fehlvorstellung durch einen Garanten nämlich nur einer Irrtumserregung durch positives Tun gleichgestellt werden (§ 13), nicht aber einer Irrtumserregung durch Täuschung, d.h. einem qualifizierten positiven Tun. - Durch die weite Interpretation der Täuschung als ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten sind die bestehenden Schranken zwischen der bloßen Herbeiführung eines Irrtums und der Herbeiführung eines Irrtums durch Täuschung im Laufe der Zeit jedoch weitgehend eingeebnet worden. Auch heute wird man aber nur dort eine Täuschung durch Unterlassen annehmen können, w o der Garant aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses ausnahmsweise eine besondere Aufklärungspflicht hat. Diese kommt in Betracht, w o ein Geschäftspartner dem anderen in berechtigtem Vertrauen gleichsam eine Vermögensdispositionsmöglichkeit eingeräumt hat. Bloße vertragliche Nebenpflichten insbesondere aus Treu und Glauben genügen diesen Anforderungen nicht. 3 0 5

19 Aufklärungspflichten können sich ergeben aus öffentlich-rechtlichen Mitteilungs- und Meldepflichten (z.B. §§ 16 VVG, 116 BSHG); nicht aber aus allgemeinen Meldepflichten ohne konkrete Beziehung zwischen den Beteiligten (BGH wistra 1992 S. 141); aus langjähriger Geschäftspartnerschaft, wenn eine auf gegenseitigem Vertrauen basierende kontokorrentartige Geschäftsabwicklung vereinbart ist, in der auch Schweigen als Anerkennung gilt; 30 ^ aus Ingerenz, wenn das vorangegangene Tun einen Irrtum begründet hat (OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1975); aus angeblichem oder wirklichem Sachwissen des Vermittlers von Risikogeschäften gegenüber unerfahrenen Kunden. 307 2 0 Keine Aufklärungspflicht i.S. des § 263 begründen: Normales Kontokorrentverhältnis (BGHSt 39 S. 392, 397 ff), Treu und Glauben, z.B. Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach Vertragsschluß bei Vorleistung des Vertragspartners; 308 finanzielle Schwierigkeiten eines Kaufmanns, die dieser aber zu überwinden hofft; 3 0 9 Inempfangnahme eines höheren Geldbetrages als des geschuldeten (BGH JZ 1989 S. 550); Abheben der Rente nach Tod des Berechtigten; 3 ' 0 Vollstreckung aus einem Räumungsurteil, das wegen Eigenbedarfs erging, wenn der Eigenbedarf nach Erlaß des Urteil weggefallen ist. 3 '' 2. Der 21

Irrtum

Der Täter muß durch Täuschung einen Irrtum, d.h. eine unrichtige Vorstellung über Tatsachen, erregt oder weiter unterhalten haben. - Die bloße Ausnutzung eines vorhandenen Irrtums genügt nicht.

3 0 3

B G H J Z 1989 S. 7 5 9 mit A n m . OTTO J K 90, S t G B § 2 6 3 / 3 0 .

3 0 4

Z u r A u s e i n a n d e r s e t z u n g : GÜNTHER S K II, § 2 6 3 R d n . 4 0 f f ; LACKNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 3 R d n . 5 7 f f .

- Im einzelnen dazu BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 217 ff, 313 ff; GÖSSEL B.T. 2, § 21 Rdn. 43 ff; MAAS Betrug verübt durch Schweigen, 1982, S. 46 ff (Ingerenz), S. 61 ff (Solidaritätsbeziehung), S. 99 ff (Übernahmegarantie); RANFT Jura 1992 S. 67 ff. 3 0 5

A . A . HÄUF M D R 1995 S. 21 f.

3 0 6

B G H S t 3 9 S . 3 9 2 , 3 9 7 f f m i t A n m . GEPPERT J K 9 4 , S t G B § 2 6 3 / 4 0 , JOERDEN J Z NAUCKE N J W 1 9 9 4 S . 2 8 0 9 f f .

307

BGHSt 30 S. 181 f; BGH N J W 1991 S. 2575; dazu OTTO J Z 1993 S. 654.

308

BGH wistra 1988 S. 262; ALBRECHT JuS 1979 S. 52. - A.A. noch BGHSt 6 S. 196.

1 9 9 4 S . 4 2 2 f,

309

BGH bei Dallinger, MDR 1968 S. 202; OLG Stuttgart JR 1978 S. 388 mit Anm. BEULKE S. 390.

310

OLG Köln MDR 1979 S. 250 mit Anm. KÜHL JA 1979 S. 681. - A.A. OLG Hamm NJW 1987 S. 2245 m i t a b l . A n m . OTTO J K 8 8 , S t G B § 2 6 3 / 2 4 .

3 1 1

216

A . A . B a y O b L G J Z 1 9 8 7 S . 6 2 6 m i t z u s t . A n m . HILLENKAMP J R 1 9 8 8 S . 3 0 1 f f ; RENGIER J u S 1 9 8 9 S . 8 0 2 f f ; PUNTE J u r a 1 9 8 9 S . 1 2 8 f f ; u n d m i t a b l . A n m . HELLMANN J A 1 9 8 8 S . 7 3 f f ; O T T O J Z 1 9 8 7 S . 6 2 8 f f ; SEIER N J W 1 9 8 8 S . 1 6 1 7 f f .

Betrug

§51

a) E t w a i g e v e r b l e i b e n d e Z w e i f e l d e s j e n i g e n , auf d e n durch e i n e T ä u s c h u n g e i n g e w i r k t wird, hindern d e n Irrtum nicht, w e n n der G e t ä u s c h t e letztlich d i e s e Z w e i f e l ü b e r w i n d e t und d i e F e h l v o r s t e l l u n g für d i e richtige hält, d e n n der Z w e i f e l n d e , aber s c h l i e ß l i c h d o c h U b e r z e u g t e ist nicht w e n i g e r s c h u t z w ü r d i g als der L e i c h t g l ä u b i g e . Erst w e n n d e m G e täuschten d i e Wahrheit der Erklärung g l e i c h g ü l t i g ist, fehlt e s an e i n e m I r r t u m . 3 1 2 Betrugs-

23

BGHSt 34 S. 199 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/22: Der A organisierte ab 1984 Werbung und Vertrieb für Verjüngungs- und Abmagerungsmittel sowie für "Haarverdicker" und "Nichtraucherpillen". Wie er wußte, waren sämtliche Mittel ebenso wirkungslos wie harmlos. Er verkaufte sie zu Preisen zwischen 46,50 DM bis 76,- DM "ohne jedes Risiko" per Nachnahme zuzüglich Versandspesen mit "Rückgaberecht innerhalb von 14 Tagen mit voller Geldzurückgarantie". Auf Grund der Erfahrungen seiner Hinterleute ging A davon aus, daß etwaige Reklamationen von höchstens 10 % der Käufer erfolgen würden. Dieser Prozentsatz wurde aber nur bei den Schlankheitspillen erreicht. Wurde reklamiert, so erhielt der Kunde den vollen Kaufpreis zurück. Den Produkten selbst wurden in der Werbung geradezu wundersame Wirkungen und Eigenschaften zugeschrieben. So sollte das Hollywood-Lifting-Bad, angeblich aus "taufrischem Frischzellenextrakt", im Blitztempo von nur 12 Bädern wieder schlank, straff und jung formen, und zwar "mit 100 %iger Figurgarantie". Der "Haarverdicker-Doppelhaar" verdoppele das Haar binnen 10 Minuten, auch Schuppen, Flechten, fettiges und trockenes Haar würden mit 100 %iger Garantie beseitigt. In dieser Art wurde für sämtliche Produkte geworben.

24

A u c h L e i c h t g l ä u b i g k e i t oder Naivität b e s e i t i g e n nicht tatbestandes w e g e n e i n e s e t w a i g e n O p f e r m i t v e r s c h u l d e n s .

den

Schutz

des

22

BGH: Allein bei der Strafzumessung im Rahmen der Würdigung der kriminellen Energie des Täters kann ein u.U. leichtfertiges Verhalten des Opfers Berücksichtigung finden. 3 1 3 b) E i n f l u ß n a h m e n auf die automatischen Operationen e i n e s C o m p u t e r s sind der B e e i n f l u s s u n g d e s W i l l e n s e i n e s M e n s c h e n nicht g l e i c h z u s e t z e n . S i e b e g r ü n d e n daher k e i n e n i.S. d e s § 2 6 3 relevanten Irrtum; v g l . dazu § 2 6 3 a. Z u b e a c h t e n ist aber, daß der relevante Irrtum s c h o n durch T ä u s c h u n g v o n Kontrollpersonen hervorgerufen w e r d e n kann und daß durch die E r g e b n i s s e d e s b e e i n f l u ß t e n C o m p u t e r s ein Irrtum bei P e r s o n e n entstehen kann. 3 14

25

c ) Kontrollpersonen, die die R i c h t i g k e i t e i n e s Sachverhalts überprüfen sollen, sind a u c h dann getäuscht, w e n n sie aufgrund d e s ihnen v o r g e l e g t e n Materials d a v o n a u s g e h e n , d a ß der v o r g e t r a g e n e Sachverhalt zutrifft.

26

Beispiele: Irrtum des Sparkassenangestellten, dem ein Sparbuch von einem Dritten zur Auszahlung vorgelegt wird, über die Berechtigung des Vorlegenden, denn da grobe Fahrlässigkeit des Schuldners bei der Auszahlung die Forderung nicht zum Erlöschen b r i n g t , 3 w j r d sich der Schuldner in der Regel Gedanken über die Berechtigung des Buchinhabers m a c h e n . 3 ' " - Irrtum des Richters, dem ein unwahrer Sachverhalt im

27

312

Vgl. BGH wistra 1990 S. 305; FRISCH Bockelmann-FS, S. 647 ff; GÜNTHER Strafrechtswidrigkeit und S t r a f u n r e c h t s a u s s c h l u ß , 1 9 8 3 , S . 1 9 3 f ; DERS. S K II, § 2 6 3 R d n . 5 3 f f , 5 8 ; HERZBERG G A 1 9 7 7 S . 2 8 9 f f ; HILLENKAMP V o r s a t z t a t u n d O p f e r v e r h a l t e n , 1 9 8 1 , S . 18 f f ; KÜPER B . T . , S . 191 f, 1 9 4 ; LACKNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 3 R d n . 8 0 ; LOOS/KRACK JUS 1 9 9 5 S . 2 0 4 f f ; RANFT J A 1 9 8 4 S . 7 3 1 f; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 2 1 ; SEIER D e r K ü n d i g u n g s b e t r u g , 1 9 8 9 , S . 2 7 3 ; SEELMANN JUS 1 9 8 2 S . 2 7 0 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 6 3 R d n . 18 a. - A . A . AMELUNG G A 1 9 7 7 S . 6 f f ; BEULKE N J W 1 9 7 7 S . 1 0 7 3 ; ELLMER B e t r u g

und Opfermitverantwortung, 1986, S. 271 ff; GIEHRING GA 1973 S. 1 ff; R. HASSEMER Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1981, S. 113 ff; SCHÜNEMANN Bockelmann-FS, S. 130 f; DERS. NStZ 1986 S. 439 ff. 313 3

Dazu auch BGH StV 1983 S. 326; HILLENKAMP Vorsatztat, S. 18 ff.

S o auch mit eingehender Begründung SIEBER Computerkriminalität, S. 203 ff, 215; DERS. Computerkriminalität, Nachtrag, S. 2/2 ff; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 86; N. SCHMID Missbräuche im modernen Zahlungs- und Kreditverkehr, 1982, S. 28 f.

315

Vgl. BGHZ 28 S. 368.

316

Vgl. auch LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 88; MAIWALD JA 1971 S. 643; OTTO Bankentätigkeit,

217

§51

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Prozeß vorgetragen wird. 3 - Irrtum des Schecknehmers über die Berechtigung des Scheckbegebenden, wenn dieser einen gestohlenen oder gefälschten Scheck vorlegt, auch dann, wenn der Scheck durch Scheckkarte garantiert ist. Positives Wissen und grob fahrlässige Unkenntnis der Nichtberechtigung verhindern nämlich auch hier die Entstehung des Anspruchs. Damit ist davon auszugehen, daß der Schecknehmer selbst nur vom Berechtigten einen Scheck erhalten will und getäuscht ist, wenn er nach den Umständen davon ausgeht, daß der Berechtigte sein Partner ist.-'' 8 - Irrtum des Schecknehmers, der einen ungedeckten Scheck einlöst.3'"

3. Die

Vermögensverfügung

a) Verfügung und Verfügungsbewußtsein 28 Nach h.M. wird die Vermögensverfügung definiert als ein Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. - Danach kommt es auf ein "Verfügungsbewußtsein" des Opfers nicht an. Gleichgültig soll es sein, ob der Getäuschte weiß, daß er eine Vermögensverschiebung veranlaßt, die Verfügung also bewußt oder unbewußt erfolgt. - Geradezu kurios mutet es allerdings an, wenn die Vertreter dieser Ansicht in gleicher Geschlossenheit darauf hinweisen, daß es für die Abgrenzung des Betruges vom Diebstahl entscheidend auf die Willensrichtung des Verfügenden ankomme. 3 2 0 Diese Behauptung steht im krassen Gegensatz zu den in die Definition der Vermögensverfügung eingegangenen Prämissen und macht deutlich, daß die h.M. von zwei inhaltlich verschiedenen Verfügungsbegriffen ausgeht, was in der Rechtsprechung sogar ausdrücklich hervorgehoben wird. 29

Einerseits BGHSt 14 S. 172: "Derjenige, der die Vermögensverfügung vornimmt, braucht sich dabei nicht bewußt zu sein, daß er auf sein Vermögen oder dasjenige eines Dritten einwirkt." Andererseits: BGH bei Dallinger, MDR 1974 S. 15: "Der Tatbestand des Betruges setzt u.a. voraus, daß der vom Täter Getäuschte aus freiem, nur durch Irrtum beeinflußten Willen über sein Vermögen oder das ihm faktisch anvertraute Vermögen eines anderen verfügt und dieses dadurch unmittelbar schädigt ... Für die Abgrenzung der beiden Tatbestände (gemeint sind Diebstahl und Betrug) kommt es somit in den Fällen, in denen sich der Täter durch Täuschung eine Sache verschaffen will, wesentlich auf die Willensrichtung des Getäuschten und auf sein Verhältnis zu der Sache an. Hiernach liegt mangels eines Verfügungswillens kein Betrug, sondern Diebstahl vor, wenn die Täuschung dem Täter nur die Herbeiführung des Schadens durch eine eigene Handlung ermöglichen soll, die den Gewahrsam des bisherigen Inhabers ohne dessen Willen eigenmächtig a u f h e b t . " 3 2 '

30 Die Aufspaltung des Verfügungsbegriffs läßt sich auch nicht dadurch überwinden, daß dem Verfügungsbewußtsein jegliche Bedeutung abgesprochen und darauf abgestellt wird, ob das Verhalten bei einer Gesamtwürdigung als Selbstschädigung des Getäuschten erscheint oder nicht. 3 2 2 Denn das entscheidende Kriterium in dieser Gesamtwertung ist zumindest beim Sachbetrug wiederum das Verfügungsbewußtsein, was auch von denen zugestanden wird, die dem Verfügungsbewußtsein zunächst jegliche Bedeutung absprechen. 31 Entgegen der von der h.M. verteidigten Definition der Vermögensverfügung ist daher S. 99. - AA. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2003; MlEHE Heidelberg-FS, S. 498. Str. vgl. eingehender unter Rdn. 137 ff. 318

A.A. STEINHILPER Jura 1983 S. 413 f.

319

A.A. AG Tiergarten NJW 1989 S. 846.

320

Vgl. z.B. BGH NJW 1995 S. 3130; BACKMANN Die Abgrenzung des Betrugs von Diebstahl und Unterschlagung, 1974, S. 28; JOECKS Zur Vermögensverfügung beim Betrug, 1982, S. 135; KÜPER B.T., S. 339 ff. - Konsequent demgegenüber GÖSSEL B.T.2, § 21 Rdn. 130 ff.

321

Vgl. dazu auch BGH GA 1987 S. 307; OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923.

322

So aber GÜNTHER SK II, § 263 Rdn. 87 a; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 98.

218

Betrug

§51

davon auszugehen, daß zumindest beim Sachbetrug weithin anerkannt ist, daß das Verfügungsbewußtsein i.S. des Bewußtseins einer Gewahrsamsübertragung Voraussetzung der Vermögensverfügung ist. Dieses Erfordernis ist sachgerecht, denn wenn die allgemeine Typisierung des Betruges als eines Selbstschädigungsdelikts überhaupt einen Sinn haben soll, so muß das Verfügungsbewußtsein als Element der Vermögensverfügung anerkannt werden: Von einer Selbstschädigung des Opfers kann nämlich keine Rede sein, wenn sich der Getäuschte nicht einmal der Tatsache seiner Verfügung bewußt ist. Ohne dieses Bewußtsein kann der Getäuschte nämlich durchaus Werkzeug in der Hand eines Diebes sein. Das bedeutet: Der Getäuschte muß den Verfügungscharakter seines Verhaltens kennen, 32 nicht aber wissen, daß er eine Vermögensschädigung vornimmt. - Vermögensverfügung ist danach jedes vermögensrelevante Tun und Unterlassen des Getäuschten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt und dessen vermögensrelevanten Charakter der Getäuschte kennt.323 Die von der h.M. befürchteten Strafbarkeitslücken, die das Erfordernis des Verfü- 33 gungsbewußtseins zur Folge haben soll, sind keineswegs so gravierend, wie die h.M. befürchtet, im Gegenteil, die Grenzfälle sind entweder als Betrug erfaßbar, auch wenn am Erfordernis des Verfügungsbewußtseins festgehalten wird, oder schon aus anderen Gründen nicht unter den Betrugstatbestand zu subsumieren. - Zwei Fallgruppen fallen hier ins Auge: aa) Die Unterlassung der Geltendmachung eines Anspruchs Fall 1: In Anlehnung an RGSt 65 S. 99: A veräußert für B eine Sache. Es ist vereinbart, daß A dem B den Kaufpreis aushändigen soll. A erlöst DM 200,-, an B führt er als Erlös nur DM 100,- ab.

34

Fall 2: RG HRR 1939 Nr. 1383: A pachtete von B eine Kiesgrube. Der Pachtzins sollte nach der monatlich entnommenen Kiesmenge berechnet werden. A gab diese Menge jeweils zu gering an, daher fordert B jeweils einen geringeren Pachtzins als denjenigen, der ihm nach dem Vertrag zustand. Fall 3: RGSt 76 S. 170: Der mit dem Verkauf von Fahrtausweisen betraute A erklärte bei der Abrechnung wahrheitswidrig, die Kasse stimme. Fall 4: RGSt 70 S. 225: A hatte einen Brandschaden erlitten und von seiner Versicherung Ersatz für den Verlust verschiedener, in einer Liste aufgeführter Gegenstände erhalten. Zwei dieser Gegenstände fand A später unversehrt wieder. Die Versicherung benachrichtigte er davon nicht.

Wird in der Abrechnungssituation, d.h. in der bewußten Entscheidung, eine bestimmte 35 Abrechnung zu akzeptieren, die Verfügung über die abgerechnete Summe erkannt, so werden in den Fällen der Unterlassung der Geltendmachung von Forderungen kaum unerträgliche Strafbarkeitslücken eröffnet, wenn das Verfügungsbewußtsein als Bestandteil der Vermögensverfügung gefordert wird. Zutreffend hat HANSEN dargelegt, daß in den Fällen 1 - 3 von einer unbewußten Unterlassung keine Rede sein könne. 3 2 4 In diesen Fällen liege in der konkreten Abrechnungssituation ein täuschungs- und irrtumsbedingtes Verhalten vor. Die Abrechnung selbst sei nämlich gerade die Verfügung, die stets eine konkrete Entscheidung zum Inhalt habe und die bewußt vorgenommen werde. Unbewußt bleibe nur die Tatsache der Selbstschädigung.

36

Im Fall 4 fehlt es hingegen an einer bewußten Entscheidung der Versicherung. Hier ist ein Betrug ausgeschlossen, wenn man ein Verfügungsbewußtsein als Bestandteil der Verfügung fordert. Daß damit aber

37

323

Vgl. D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1990, S. 95; HANSEN MDR 1975 S. 533 ff; HERZBERG ZStW 89 (1977) S. 369 Fn. 10; JOECKS Zur Vermögensverfügung beim Betrug, 1982, S. 108 f; RANFT Jura 1992 S. 68 ff; - sachlich nahe: MIEHE Unbewußte Verfügungen, 1987, S. 54 ff (Bewußtsein der Vermögensbewegung).

3 2 4

M D R 1975

S.

533

ff

219

§51

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

keine Strafbarkeitslücken auftreten, ist daran zu erkennen, daß in diesem Falle schon die Garantenpflicht zweifelhaft ist und auch die Begründung der Täuschung und des Irrtums auf Schwierigkeiten stoßen, weil hier weniger ein Irrtum erregt oder unterhalten, als vielmehr ein vorhandener Irrtum ausgenutzt wird. Insofern ist es durchaus vertretbar, auch die Verfügung a b z u l e h n e n . 3 2 ^ JOECKS kommt zu d e m Ergebnis, daß die Unterlassung der Geltendmachung einer Forderung stets als Verm ö g e n s v e r f ü g u n g erscheint, da sie immer einen "Umgang mit Vermögen" d a r s t e l l e . 3 2 ^ D i e s e Argumentation gerät jedoch in Gefahr, die Möglichkeit des U m g a n g e s mit d e m V e r m ö g e n d e m realen U m g a n g mit d e m V e r m ö g e n gleichzusetzen.

bb) Die Unterschriftsleistung als Vermögensverfügung 38 Fall:

A war als Provisionsvertreter von Waschmaschinen für X tätig. Er bat den B, der den Kauf einer W a s c h m a s c h i n e abgelehnt hatte, ihm zu bestätigen, daß er, A, ihn, den B, aufgesucht habe. Bei der U n terschriftsleistung hielt A den B o g e n so, daß die Unterschrift d e s B auf ein Formular für den Kaufvertrag einer W a s c h m a s c h i n e kam. D e n Vertrag reichte A bei X ein, der den B auf Abnahme einer W a s c h m a s c h i n e in Anspruch nahm.

39 Rechtsprechung und h.L. haben die Problematik der Fälle erschlichener Vertragsunterschriften allein in der Schadensfeststellung gesehen und die Unterschriftsleistung unter das Vertragsangebot unproblematisch als Vermögensverfügung interpretiert, weil der Getäuschte damit eine Situation geschaffen habe, die tatsächlich - insbesondere unter Berücksichtigung der Beweissituation - der Eingehung einer Verpflichtung gleichkomme. 3 2 7 40 Zuzugestehen ist in diesen Fällen, daß der Getäuschte sich bewußt seiner Unterschrift entäußert hat. Verborgen geblieben ist ihm jedoch der vermögensbezogene Charakter seines Verhaltens. Dieser Vermögensbezug wird allein durch die - dem Getäuschten nicht bewußte - Erklärung hergestellt, unter die die Unterschrift gesetzt wurde. Dadurch entsteht der Schein eines Vertragsschlusses, denn in derartigen Fällen kommt es zu keinem wirksamen - nicht nur anfechtbaren - Vertragsschluß, sondern der Vertrag selbst kommt mangels Erklärungsbewußtseins nicht zustande. 41 Die Situation unterscheidet sich rechtlich daher nicht von jenen Fällen, in denen der Täter später über eine zuvor erschlichene Unterschrift einen Vertragstext setzt oder einen ursprünglich rechtswirksamen Vertrag inhaltlich fälscht. - In diesen zuletzt genannten Fällen stimmen jedoch Rechtsprechung und h.M. darin überein, daß der ursprünglichen Unterschrift kein Verfügungscharakter bezüglich der nun aus dem Vertragstext ersichtlichen Vermögensverfügung zukommt. Es fehlt das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen Vermögensverfügung und Vermögensschaden. 3 2 8 42 Doch auch in den Fällen, in denen der Getäuschte seine Unterschrift unter einen Vertragstext setzt, ohne sich dessen bewußt zu sein, fehlt es an der Unmittelbarkeit zwischen Unterschriftsleistung und Vermögensschaden. Der Getäuschte hat nur die Möglichkeit zu einer Vermögensschädigung durch eine weitere deliktische Handlung des Täters, nämlich die Vortäuschung eines rechtswirksamen Vertragsschlusses, geschaffen. Erst in diesem weiteren - deliktischen Verhalten gegenüber dem Getäuschten, nämlich der Inanspruchnahme aus dem angeblichen Vertrag, liegt die deliktische Vermögensschädigung. Diese kann sich als Erpressung darstellen, wenn der Getäuschte für den Fall, daß er nicht leistet, 3 2 5

Zur Diskussion: einerseits GALLAS Eb. Schmidt-FS, S. 4 2 1 ; LACKNER L K , 10. Aufl., § 2 6 3 Rdn. 98. Andererseits BOCKELMANN Eb. Schmidt-FS, S. 4 5 7 Anm. 4 5 ; WELZEL Lb., § 5 4 I 3.

3 2 6

JOECKS V e r m ö g e n s v e r f ü g u n g , S. 108 f.

3 2 7

Dazu B G H S t 2 2 S. 88; KG JR 1972 S. 28; O L G Köln M D R 1974 S. 157; GÜNTHER S K II, § 2 6 3 Rdn. 82; LACKNER LK, 10. Aufl., § 2 6 3 Rdn. 98; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T. 1, § 4 1 Rdn. 73.

3 2 8

Dazu O L G Düsseldorf N J W 1974 S. 1833; OLG Celle M D R 1976 S. 66; O L G H a m m wistra 1982 S. 1 5 3 .

220

Betrug

§51

damit bedroht wird, er werde mit einem Prozeß überzogen, in dem die falsche Urkunde als Beweismittel verwendet wird. Erfolgt eine solche Androhung nicht, so liegt in der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung ein Betrug. Das bedeutet für den Ausgangsfall:

43

1. Möglichkeit: Aufgrund des eingereichten unterschriebenen Vertrages geht X davon aus, daß A einen Vertragsschluß vermittelt hat, er zahlt A eine Provision. Ergebnis: Betrug des A gegenüber X zu eigenen Gunsten (Provision). 2. Möglichkeit: Da B sich weigert, die Waschmaschine abzunehmen, verklagt X den B. Im Termin wird der Vertrag vorgelegt. B wird zur Abnahme und Zahlung verurteilt, da er die Täuschung nicht beweisen kann. Das Urteil wird rechtskräftig. Ergebnis: Betrug des A als mittelbarer Täter (Täuschung) gegenüber B zu Gunsten des X. - Eingehender zum sog. Prozeßbetrug unter Rdn. 137 ff. 3. Möglichkeit: Nimmt B die Maschine ab und zahlt, weil A ihm droht, er werde im Prozeß den Vertrag vorlegen und als Zeuge aussagen, der Vertrag sei gültig zustande gekommen, so kann auch eine Erpressung, § 253, zu Gunsten des X vorliegen. - Die Verschlechterung der Beweissituation ist ein empfindliches Übel für B, mit dem A droht, um den B zu einer Verfügung - Abnahme der Maschine und Zahlung - zu veranlassen.

b) Verfügender und Geschädigter Die Verfügung des Getäuschten kann sein eigenes Vermögen oder das eines anderen be- 44 treffen. Daher ist Identität zwischen Getäuschten und Verfügenden nötig, nicht aber zwischen Verfügendem und Geschädigtem. Jedoch ist nicht jeder Zugriff auf das Vermögen eines Dritten als Vermögensschädigung durch Vermögensverfügung zu interpretieren. Die Möglichkeit des Gewahrsamsbruches des Täters durch Einsatz eines gutgläubigen Werkzeugs ist nicht ausgeschlossen. Allerdings muß der Geschädigte sich bestimmte Verfügungen Dritter als eigene zurechnen lassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Verfügende selbst der Vermögenssphäre des Geschädigten zuzurechnen ist, d.h. wenn er durch den Geschädigten oder durch die Rechtsordnung in eine Position eingesetzt worden ist, aufgrund derer er die Möglichkeit hat, über Vermögen des Geschädigten zu verfügen. Wird er in dieser Situation das Opfer einer Täuschung und trifft eine Verfügung, zu der er sich aufgrund der Täuschung für berechtigt hält, so muß sich der Vermögensträger diese Verfügung als eigene zurechnen lassen. Der Gewahrsamshüter (Mitgewahrsamsträger oder Gewahrsamsdiener), dessen Aufgabe es ist, den Gewahrsam für den Eigentümer zu bewahren, verfügt daher zu Lasten des Eigentümers, wenn ihm eine Situation vorgespiegelt wird, die - läge sie vor - ihn zu der Verfügung berechtigen würde. - Ist der Getäuschte hingegen in die Sphäre des Täuschenden und nicht in die des Vermögensträgers zu rechnen, so liegt ein Diebstahl in mittelbarer Täterschaft vor. 3 2 9 Zum Teil wird in der Lehre stärker auf die rechtl. Verfügungsbefugnis abgestellt (sog. 45 Befugnis- oder Ermächtigungstheorie). Danach braucht der Geschädigte sich nur solche

Eingehender dazu OFFERMANN-BURCKART Vermögensverfügungen Dritter im Betrugstatbestand, 1994, S. 148 ff, 206 ff; O i r o Z S t W 79 (1967) S. 76 ff; vgl. auch: BGHSt 18 S. 221 (Herausgabe eines Kfz durch einen Garagenwächter); OLG Köln MDR 1966 S. 253 (Herausgabe eines Fahrrades durch Parkplatzwächter); OLG Stuttgart NJW 1965 S. 1930 (Herausgabe des Kfz-Schlüssels durch Zimmervermieter); OLG Celle NJW 1994 S. 142 mit Anm. KNACK/RADTKE JUS 1995 S. 17 ff (Vertretungsverhältnis beim Forderungseinzug); OLG Düsseldorf NJW 1994 S. 3366 (Nichtgeltendmachung einer Forderung durch Gerichtsvollzieher). - Für Idealkonkurrenz zwischen §§ 263, 242 in diesen Fällen: HAAS G A 1 9 9 0 S. 2 0 6 .

221

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§51

Handlungen des Verfügenden zurechnen zu lassen, zu denen dieser - ausdrücklich oder stillschweigend - rechtlich wirksam ermächtigt war. 3 3 0 46 Die Gegenmeinung (sog. Lagertheorie) stellt den tatsächlichen Aspekt in den Vordergrund ihrer Überlegungen. Danach soll es wesentlich darauf ankommen, ob der Getäuschte "innerhalb der Machtsphäre des Berechtigten als dessen Gehilfe und Schützer steht" (SCHRÖDER), ob er "bildlich gesprochen im Lager des Geschädigten steht" (LENCKNER), ob er für den Geschädigten "und an dessen Stelle von einer schon bestehenden Einwirkungsmöglichkeit auf die ihm nahestehende Sache als Folge der Täuschung zum Nachteil des Geschädigten Gebrauch macht" (DREHER).331 Zur

Verdeutlichung:

47

aa) B G H S t 18 S. 221: A, der e h e m a l i g e Freund der B, der den W a g e n der B wiederholt mit deren Einverständnis aus einer Sammelgarage geholt hat, erscheint nach A u f l ö s u n g der Freundschaft in der Garage, tut so, als sei alles w i e sonst, und fährt mit d e m W a g e n der B fort. Der Garagenwärter C duldet dies, da er meint, A handele nach w i e vor im Einverständnis mit der B.

48

bb) Bei der Haushälterin H des Direktors D erscheint A, gibt sich als Bürobote aus und bittet die H, ihm den wertvollen G e h p e l z des B auszuhändigen, da D am A b e n d von der Firma aus ins Theater will und mit der starken Kälte an d i e s e m Tage nicht gerechnet habe. D i e arglose H gibt den Pelz heraus.

49

cc) A verkauft d e m B ein an e i n e m Haus stehendes Leitergerüst. D i e s e s gehört in Wirklichkeit C, während B den A für den Eigentümer hält. B fährt das Gerüst gutgläubig ab.

B G H : V e r m ö g e n s v e r f ü g u n g des C, die B sich als e i g e n e zurechnen lassen muß.

Ergebnis:

Ergebnis: §263.

Verfügung der H, die D sich als e i g e n e zurechnen lassen muß.

Diebstahl des A in mittelbarer Täterschaft. Kein Betrug, da A nicht Verfügungsbefugter i.S. des

c) Schutzunwürdige Vermögensverfügungen 50 Nach neuerer Auffassung des BGH fallen Dienstleistungen, die üblicherweise gegen Entgelt erbracht werden, dann aus dem Schutzbereich des § 263 heraus, wenn diese Dienstleistungen - z.B. Geschlechtsverkehr oder Telefonsex - verbotenen oder unsittlichen Zwekken dienen. Das deutet darauf hin, daß der BGH hier nicht das Vorliegen eines Vermögensschadens bestreiten will, sondern die rechtlich garantierte Handlungsfreiheit begrenzt, d.h. aber, als rechtlich relevante Vermögensverfügung nur die rechtlich akzeptierte Vermögensverfügung anerkennt. 3 3 2 Der Vermögensschutz wird damit sozial-ethisch begrenzt. Das ist nicht sachgerecht, denn auch derjenige, der wirtschaftliche Leistungen zu sittenwidrigen Zwecken erbringt, ist unter vermögensrechtlichen Aspekten nicht schutzunwürdig gegenüber Vermögensschädigungen, die auf Täuschung gegründet sind. 3 3 3 d) Zusammenhang zwischen Täuschung und Verfügung 51 Die Vermögensverfügung muß ihren Grund in dem Irrtum des Getäuschten haben, d.h. sie 3 3 0

Dazu AMELUNG G A 1977 S. 14; BACKMANN D i e Abgrenzung des Betrugs von Diebstahl und Unterschlagung, 1974, S. 127 ff; GÜNTHER S K II, § 2 6 3 Rdn. 9 3 ff; KINDHÄUSER B e m m a n n - F S , S. 3 6 0 ; KREY B.T. 2, Rdn. 4 1 3 ; SAMSON JA 1978 S. 5 6 6 ; SCHÜNEMANN G A 1969 S. 4 6 ff.

331

Dazu DREHER JR 1966 S. 2 9 f; -DERS. G A 1969 S. 5 6 ff; GEPPERT JuS 1977 S. 7 2 ; GRIBBOHM N J W 1967 S. 1897; HÄUF B.T. I, S . 125; KÜPER B.T., S. 3 4 6 ff; LACKNER L K , 10. Aufl., § 2 6 3 Rdn. 114; LENCKNER JZ 1966 S. 3 2 1 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 Rdn. 6 6 ; SCHRÖDER Z S t W 6 0 ( 1 9 4 1 ) S. 70.

3 3 2

Vgl. B G H JZ 1987 S. 6 8 4 mit abl. Anm. OTTO JK 88, S t G B § 2 6 3 / 2 3 , und zust. A n m . TENCKHOFF JR 1988 S. 126 ff; B G H wistra 1989 S. 142; O L G H a m m N S t Z 1990 S. 3 4 2 mit A n m . WÖHRMANN S. 3 4 2 f; BERGMANN/FREUND JR 1988 S. 189 ff; DIES. JR 1991 S. 3 5 7 ff.

3 3 3

Vgl. dazu OTTO Jura 1 9 9 3 S. 4 2 4 ff.

222

§51

Betrug

muß durch den Irrtum veranlaßt worden sein. Ob der Irrende auch ohne Täuschung verfügt hätte, ist irrelevant, wenn er infolge der Täuschung verfügt hat. BGHSt 13 S. 13: Der Referendar A nahm im Gerichtszimmer auf dem Richterstuhl sitzend bei B ein Darlehen auf, indem er B vorspiegelte, er könne es aufgrund des Eingangs einer größeren Summe demnächst zurückzahlen. - Dies war unwahr. B erklärte aber später, auch ohne diese Erklärung hätte er einer Amtsperson ein Darlehen gegeben.

52

BGH: Verfügung des B beruhte auf Täuschung, nur das ist relevant. Hypothetische Überlegungen haben daneben keinen Raum.

4. Der

Vermögensschaden

a) Vermögen und Vermögensschaden Die Vermögensverfügung muß zur Minderung des Vermögens geführt, d.h. einen Wer- 53 mögensschaden begründet haben. Die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs und damit auch die des Begriffs des Vermögensschadens sind jedoch streitig. aa) Personaler Vermögensbegriff Der oben - § 38 Rdn. 3 ff - entwickelte personale Vermögensbegriff sieht Vermögen als 54 eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Diese konstituiert sich in den von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden, weil sie Gegenstand eines Rechtsgeschäfts "Tausch gegen Geld" sein können - Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich. 3 3 4 Ein Vermögensschaden liegt nicht schon im Verlust eines Vermögenswertes, sondern die Vermögensminderung ist nur - und immer dann - Vermögensschaden, wenn der mit der Vermögensminderung erstrebte wirtschaftliche Erfolg nicht erreicht wird. 3 3 5 bb) Wirtschaftlicher Vermögensbegriff Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre vertreten den sog. wirtschaftlichen Vermö- 55 gensbegriff: Vermögen ist die Summe aller wirtschaftlichen (geldwerten) Güter einer Person nach Abzug der Verbindlichkeiten. - Ein Vermögensschaden liegt in der Minderung der Wertsumme, doch wird diese Minderung nicht - dem objektiven Ausgangspunkt dieser Vermögenslehre entsprechend - objektiv bestimmt, sondern objektiv-individuell, d.h. aus der Sicht des Betroffenen, doch unter Berücksichtigung "objektiver Maßstäbe wirtschaftlicher Vernunft". 3 3 6 - Eine Variante des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs ist der sog. 334

335

Auch der funktionale Vermögensbegriff von WEIDEMANN - Das Kompensationsproblem beim Betrug, Diss. Bonn 1972 - steht der personalen Vermögenslehre, wie sie hier entwickelt wurde, sehr nahe, vgl. dazu WEIDEMANN, S. 199 ff; desgleichen die Konzeption von JAKOBS JuS 1977 S. 228 ff. Eingehend dazu ALWART JZ 1986 S. 564 f; BOCKELMANN B.T./l, § 11 A II 3 e, cc; D. GEERDS Wirts c h a f t s s t r a f r e c h t , S . 1 2 5 f f ; DERS. J u r a 1 9 9 4 S . 3 1 1 ; HARDWIG G A

1 9 5 6 S . 17 f f ; HEINITZ J R

1968

S . 3 8 7 f; LABSCH JUS 1 9 8 1 S . 4 7 ; M A I W A L D N J W 1 9 8 1 S . 2 7 8 0 f; M A U R A C H / SCHROEDER/MAIWALD

B.T. 1, § 41 Rdn. 113 ff; OTTO Struktur, S. 34, und dazu MAIWALD MschrKrim 1972 S. 194; SCHMIDHÄUSER B.T., 11/1 - 4. Gegen das Kriterium der Zweckverfehlung: GÖSSEL B.T. 2, § 21 Rdn. 172; GRAUL Brandner-FS, S. 801 ff; SCHMOLLER JZ 1991 S. 119 ff. Sie bestreiten letztlich die Möglichkeit der Abgrenzung wirtschaftlicher Zwecke zu sonstigen subjektiven Zwecksetzungen, übersehen aber, daß die wirtschaftliche Zielsetzung bereits in der Bestimmung wirtschaftlicher Güter - auch im Rahmen des wirtschaftlichen und juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs - konstitutive Bedeutung hat. 336

Dazu RGSt 16 S. 1; 44 S. 233; BGHSt 1 S. 264; 16 S. 220; ARZT in: ArztAVeber, LH 3, Rdn. 436 ff; KREY B . T . 2 , R d n . 4 2 8 , 4 3 3 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 6 3 R d n . 2 7 ; WESSELS B . T . / 2 , R d n . 5 2 1 f.

223

§51

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

dynamische Vermögensbegriff. 3 3 7 Seinen Vertretern geht es darum, die Vereitelung eines Vermögenszuwachses in größerem Maße als es der Rechtsprechung möglich ist, der Vermögensschädigung gleichzusetzen. 338 cc) Juristischer Vermögensbegriff 56 Den Gegensatz zum wirtschaftlichen Vermögensbegriff bildete der sog. juristische Vermögensbegriff, der das Vermögen als Summe der Vermögensrechte und Vermögenspflichten einer Person erfaßte und den Schaden allein im Rechtsverlust sah. 3 3 9 dd) Juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff 57 Der heute h.L. entspricht der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff: Er stimmt im Ausgangspunkt mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff überein, begrenzt aber den Bereich des geschützten Vermögens. Vermögen ist danach die Summe der wirtschaftlichen Güter einer Person, über die diese "rechtliche Verfügungsmacht" hat (NAGLER), die ihr "unter dem Schutz der Rechtsordnung" (WELZEL) oder wenigstens "ohne deren Mißbilligung" (GALLAS) zu Gebote stehen, bzw. die sie "unter Billigung der rechtlichen Güterordnung innehat" (CRAMER).340 - Die Unterschiede zwischen den einzelnen Spielarten dieser Vermögenslehre werden relevant beim Betrug um Besitz, den das Opfer der Tat selbst rechtswidrig erlangt hat, bei der Verfolgung rechtswidriger Zwecke mit Hingabe des Vermögensobjekts und beim Betrug um sog. nichtige Forderungen. 341 58

In einzelnen Entscheidungen hat auch die Rechtsprechung die Prämissen des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs anerkannt, so z.B. bei Beweismittelverschaffung für Tilgung einer nichtbestehenden Forderung (BGHSt 20 S. 136); Lösegeld für Rückgabe der Beute aus Diebstahl (BGHSt 26 S. 346); Arbeitsleistung ohne Rechtsanspruch auf Entgelt (BGHSt 31 S. 178); Dirnenlohn, Telefonsex. 3 4 2

b) Zur Auseinandersetzung aa) Personaler und wirtschaftlicher Vermögensbegriff 59 Der personale Vermögensbegriff gewährleistet - wie unter § 38 Rdn. 3 ff gezeigt - den umfassenden Schutz der Entfaltung des Rechtssubjekts im wirtschaftlichen Bereich. Da er das Vermögenssubjekt nicht aus der Definition des Vermögensbegriffs ausspart, bietet er ein in sich geschlossenes theoretisches Gefüge. Der wirtschaftliche Vermögensbegriff wirthingegen, der keineswegs für sich in Anspruch nehmen kann, ein schaftswissenschaftlich gebildeter Begriff zu sein, sondern vielmehr seinen Ursprung in laienhaften Vorstellungen vom "Wirtschaften" hat, kann die behauptete objektive Bestimmung des Vermögens und des Vermögensschadens nicht durchhalten.

3 3 7

D a z u ESER G A 1 9 6 2 S . 2 8 9 ff; MOHRBOTTER G A 1 9 6 9 S . 2 2 7 f f .

338

Dazu LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 124 a.E.

339

Dazu BINDING B.T. I, S. 238, 341; MERKEL Kriminalistische Abhandlungen II, 1867, S. 101, 199; NAUCKEZur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 215.

340

Dazu CRAMER Vermögensbegriff und Vermögensschaden im Strafrecht, 1968, S. 100 ff; FOTH GA 1 9 6 6 S. 4 2 ; FRANZHEIM G A 1 9 6 0 S . 2 7 7 ; GALLAS E b . S c h m i d t - F S , S . 4 0 9 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 1 R d n . 1 2 0 f f ; GÜNTHER S K II, § 2 6 3 Rdn. 1 1 2 f f ; KÜPER B . T . , S. 3 1 4 f f ; LACKNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 3 R d n . 123; LENCKNER JZ 1 9 6 7 S . 1 0 7 ; NAGLER Z A k D R 1 9 4 1 S. 2 9 4 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 R d n . 8 2 ;

WELZEL Lb., § 54 I 4. - Als zivilrechtlich konstituiertes und bilanzrechtlich konkretisiertes Herrschaftsprinzip präzisiert und objektiviert HEFENDEHL - Vermögensgefährdung und Expektanzen, 1994, S. 115 ff, 166 ff - den Vermögensbegriff. 341

Dazu weiter unter Rdn. 81, sowie OTTO Struktur, S. 292 ff.

342

Vgl. dazu unter Rdn. 79 f.

224

Betrug

§51

Auch der wirtschaftswissenschaftliche Wertbegriff wurde ursprünglich vom objektiven Tauschwert her bestimmt. Heute hat sich hier weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, daß der Wert einer Sache aus der Beziehung des Subjekts zu einem Objekt herrührt. "Der Wert einer Sache ist keine dieser Sache anhaftende Eigenschaft..., sondern die Auffassung eines Subjekts über die Nützlichkeit eines Objekts."343

ßQ

Es ist schlicht unmöglich, den Vermögensschaden bei Verlust eines Vermögensgutes objektiv zu bestimmen. Das gleiche Vermögensgut hat in der Hand verschiedener Vermögenspersonen einen unterschiedlichen Wert, so z.B. in der Hand des Herstellers, des Großhändlers, des Kleinhändlers und des Endverbrauchers. Wollen die Anhänger des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs daher nicht zu unsinnigen Ergebnissen gelangen, so müssen sie in Grenzfällen einen "individuellen Schadenseinschlag" konzedieren. Wann aber das Zugeständnis gemacht wird, bleibt letztlich dem Gutdünken des Rechtsanwendenden überlassen. Eine erhebliche Rechtsunsicherheit ist die Folge, auch wenn durchaus nicht übersehen werden kann, daß die Zufälligkeit, die durch die weitgehend ins Ermessen des Richters gestellte Berücksichtigung individueller Interessen gegeben ist, durch die Rechtsprechung in jahrzehntelangen Bemühungen erheblich begrenzt wurde. So ist es auch verständlich, daß gerade in Extremfällen Übereinstimmung besteht. Darüber hinaus versagt der wirtschaftliche Vermögensbegriff vollkommen bei der BeStimmung des Vermögensschadens dann, wenn ein bestimmtes Vermögensobjekt keinen anerkannten Marktpreis hat, sondern der Preis des Objekts gerade durch Angebot und Nachfrage gebildet werden soll (Zuschlagspreis bei Auktionen), oder wenn eine Vermögensschädigung nicht im Rahmen eines Austauschgeschäftes, sondern bei einseitigen Leistungen in Betracht kommt. Anerkannt ist daher durchaus, daß allein der personale Vermögensbegriff in den Fällen einseitiger Leistungsverhältnisse, z.B. bei der Zahlung von Subventionen usw., den Vermögensschaden ohne Hilfe dubioser Konstruktionen erklären kann. Auch die Rechtsprechung und die h.L. bedienen sich in diesen Fällen schlicht des personalen Vermögensbegriffs, ohne dies aber ausdrücklich zuzugestehen. 344 Dennoch wird gegen die allgemeine Anerkennung der personalen Vermögenslehre vogebracht: "diese auf den ersten Blick bestechende, geradezu anthropologische Vermögensauffassung übersieht, daß der private Wirtschaftler keineswegs auf die Erreichung bestimmter Zwecke, ja nicht einmal auf rationales Wirtschaftsverhalten festgelegt ist. Ein der Leistung vom privaten Leistenden beigelegter Zweck ist willkürlich, austauschbar und rücknehmbar. Er ist überdies als bloße Motivation des Leistenden für den Leistungsempfänger nicht immer einzusehen und stellt daher den Nachweis von Vorsatz und Bereicherungsabsicht vor grundsätzliche Schwierigkeiten". Daher eigne sich der personale Vermögensbegriff für die Schadensbestimmung beim Subventionsbetrug, bei dem es um öffentliche Mittel gehe, nicht aber dann, wenn die Bewertung privater Ausgaben in Rede stehe.3^ Hier wird übersehen, daß auch im privaten Handeln der Zweck der Vermögensverfügung festgelegt ist, denn nur deshalb kommt die Verfügung zustande. Dieser Zweck ist aber der allein maßgebliche und nicht ein irgendwie - je nach den Umständen - aus-

61

343

JACOB Das Wirtschaftsstudium 1972 S. 3.

344

Dazu BGHSt 19 S. 37, 45; 19 S. 206: Erlangung von Bezugsrechten für Aktien: Schaden liegt in der zweck- und sinnlosen Fehlleitung der verfügbaren Mittel. - BGH NJW 1982 S. 2453: Investitionszulage. - BGH NJW 1992 S. 2167: Schenkung. - BGHSt 38 S. 186: Abgabe von Angeboten, die auf verbotenen Submissionsabsprachen beruhen; dazu vgl. auch unter Rdn. 82; CRAMER Vermögensbegriff, S. 202 ff, 210; GALLAS Eb. Schmidt-FS, S. 435.

345

Vgl. TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Bd. 2, 1976, S. 99 ff.

225

62

63

64

65

§51

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

tauschbarer Zweck. Er wird durch Täuschung und Irrtum nicht nur konkretisiert, sondern ausdrücklich vom Täter des Betrugs zum Gegenstand seines Tatverhaltens gemacht. Das Opfer der Täuschung macht ihn sich in seiner Verfügung zu eigen. 66 Der subjektive Ausgangspunkt der personalen Vermögenslehre bedeutet auch keine Gefahr für die Ausdehnung des Schutzobjekts über den Vermögensschutz hinaus. Durch den Bezug auf das wirtschaftliche Gut im Vermögensbegriff und die wirtschaftliche Zweckverfehlung bei der Schadensberechnung ist gewährleistet, daß der subjektive Einschlag nicht über den Vermögensschutz hinaus zum Schutz bloßer Dispositionsfreiheit führt. 346 67 Nicht ohne weiteres abzutun ist hingegen die Überlegung, daß der personale Vermögensbegriff heute noch nicht so durchgearbeitet ist, daß alle Probleme, die mit der Personalisierung des Vermögensbegriffs verbunden sind, in ihrer Bedeutung schon voll abgeschätzt werden können. 347 Gleichwohl sollte die Erörterung der bisher bekannten problematischen Fälle gezeigt haben, daß dieser Begriff aufgrund seines theoretischen Fundaments ein weit höheres Maß an Rechtssicherheit gewährleistet, als es h.M. und Rechtsprechung in immer neuen Einzelfallentscheidungen bisher erreichen konnten. 348 bb) Personaler und juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff 68 Der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff muß - soweit er auf dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff aufbaut - dessen Mängel übernehmen. Seine Bedeutung liegt daher auch nicht in der Präzisierung des Vermögensbegriffs, ihm geht es vielmehr darum, bestimmte rechtlich dubiose, wirtschaftlich aber relevante Positionen (rechtswidriger Besitz, sog. nichtige Forderungen), aus dem Schutzbereich der Vermögensdelikte zu entfernen. Damit aber setzt er sich in Gegensatz zu seinen wirtschaftlichen Prämissen, so daß die entscheidende Grenzziehung vage bleibt. In Einzelfällen (z.B. Anerkennung des rechtswidrig erlangten Besitzes als Vermögensgut) entscheiden seine Vertreter daher durchaus abweichend voneinander. c) Vermögensschaden und Schadensersatzanspruch aus dem Delikt 69 Der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch, den das Opfer aufgrund des deliktischen Verhaltens des Täters erlangt, kann niemals den Eintritt des Vermögensschadens verhindern. Er ist Folge des Schadens, verhindert aber nicht den Eintritt des Schadens! d) Vermögensgefährdung und Vermögensschaden 70 Auch eine "konkrete" Vermögensgefährdung kann begriffsnotwendig als solche niemals ein Vermögensschaden sein, denn die Gefahr eines Schadens ist nicht identisch mit dem eingetretenen Schaden. Es widerspricht daher eklatant dem Grundsatz der Gesetzesbestimmtheit, Art. 103 Abs. 2 GG, wenn die h.M. eine konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensschaden i.S. des § 263 interpretiert. Hingegen kommt der konkreten Gefahr, daß eine geschuldete Leistung nicht erbracht oder eine nicht bestehende Forderung mit rechtswidrigen Mitteln durchgesetzt wird, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise Be346

Dazu WEIDEMANN Kompensationsproblem, S. 118.

347

So LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 124.

348

Eingehend zur Entwicklung und Auseinandersetzung: OTTO Struktur, S. 26 - 84. - Zu den Grenzen der objektiv-individuellen Schadensberechnung D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 130 ff. - Zu Einzelfällen der Untauglichkeit des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs zur Bestimmung eines rechtlich relevanten Vermögensschadens vgl. darüber hinaus: OTTO Zahlungsverkehr, S. 17 ff (Hingabe eines Finanzwechsels als Warenwechsel); DERS. NJW 1979 S. 684 f (durch Täuschung beeinflußter Zuschlag bei Auktionen); DERS. GRUR 1979 S. 100 f (sog. Adreßbuchschwindel).

226

Betrug

§51

deutung für die Bestimmung des realen Wertes des Vermögens zu. Hier wird berücksichtigt, daß der Wert eines Vermögens, auch wenn der Vermögensträger die Vermögensobjekte noch in der Hand hat, vermindert ist, wenn andere - sei es auch juristisch anfechtbar derart Verfügungsmacht über Teile des Vermögens begründet haben, daß sie jederzeit nach ihrem Willen die Verfügung treffen können oder wenn der Vermögensträger trotz juristisch intakter Verfügungsmacht keine Möglichkeit hat, seine Forderung zu realisieren. - Das bedeutet: Ein Vermögensschaden kann sowohl in der Minderung des Bestandes an Vermögensobjekten als auch in der Minderung ihres Wertes liegen. M.a.W.: auch die vermögenswertmindemde Vermögensgefährdung begründet einen echten Vermögensschaden. Keineswegs ist die relevante Vermögensgefährdung nur schadensgleich. Beispiel 1: A hat eine Forderang gegen B in Höhe von DM 100 000,-. Bei Fälligkeit der Forderung kann B nicht zahlen, da seine wirtschaftlichen Verhältnisse schlecht sind. Es besteht aber Hoffnung, daß diese Verhältnisse sich in absehbarer Zeit bessern. Nach kaufmännischen Grundsätzen schreibt A die Forderung zur Hälfte ab.

71

Gefährdet ist die Rückzahlung der Forderung. Da diese Gefahr aber - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - zu einem Wertverlust der Forderung geführt hat, ist das Vermögen des A in Höhe des Wertverlustes geschädigt. Beispiel 2: A schuldete dem B 10.000,- DM. Diese Schuld beglich er, vergaß aber, sich den Schuldschein zurückgeben zu lassen. Nunmehr fordert B unter Vorlage des Schuldscheins die Zahlung von 10.000,- DM. Ergebnis: Eine Forderung gegen A ist nicht begründet. Die Belastung mit der nicht oder schwer widerlegbaren Forderung bedeutet aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Vermögensminderung und damit einen Vermögensschaden.

72

Rechtsprechung und Literatur benutzen den Begriff der konkreten Vermögensgefährdung, 73 die einem Vermögensschaden gleich sein soll, demgegenüber zum Teil undifferenziert und dehnen damit in Einzelfällen den Anwendungsbereich des § 263 über seinen Wortlaut hinaus aus. 3 4 9 Konsequent durchdacht macht diese Auffassung das Merkmal der Vermögensverfügung überflüssig. 350 e) Zur

Verdeutlichung

aa) BGHSt 16 S. 321: A verkauft dem Bauern B eine Melkmaschine, an die drei Kühe angeschlossen werden können. Die Maschine kostet den üblichen Preis. 1. Alternative: B hat 10 Kühe und A hatte dem B versichert, an die Maschine könnten alle 10 Kühe zugleich angeschlossen werden. Eine Maschine für nur drei Kühe erleichtert die Arbeit des B nicht wesentlich. 2. Alternative: B hat nur 3 Kühe. Da A dem B aber vorgeschwindelt hatte, die Maschine sei aufgrund einer Einführungsaktion einmalig günstig im Preis, nahm B, um die Maschine erwerben zu können, ein Darlehen zu hohen Zinsen auf. 5. Alternative: Wie in der 2. Alternative, doch mußte B seine Lebensführung erheblich einschränken, um seinen Verpflichtungen aus dem Kauf der Maschine nachkommen zu können. BGHSt 16 S. 321: "Wer sich aufgrund einer Täuschung zu einer Leistung verpflichtet und dafür eine gleichwertige Gegenleistung erhalten soll, ist allein durch die Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht ohne weiteres im Sinne des Betrugstatbestandes an seinem Vermögen geschädigt. Ein Vermögensschaden ist in diesem Fall nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten. Diese können insbesondere dann vorliegen, wenn der Erwerber

349

Vgl. zuletzt B G H wistra 1991 S. 307; B G H NStZ 1992 S. 233; B G H wistra 1993 S. 340; Übersicht bei GÜNTHER S K I I , § 2 6 3 R d n .

1 6 6 ; RIEMANN V e r m ö g e n s g e f ä h r d u n g u n d V e r m ö g e n s s c h a d e n ,

1989,

S . 2 8 f f ; i m ü b r i g e n v g l . O T T O J u r a 1 9 9 1 S . 4 9 4 f f ; DERS. J Z 1 9 9 3 S . 6 5 7 f. 3 5 0

V g l . d a z u LACKNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 3 R d n . 1 5 3 ; PUPPE M D R 1 9 7 3 S . 12 f ; RIEMANN V e r m ö g e n s g e -

fährdung, S. 44 ff; SCHMIDHÄUSER Tröndle-FS, S. 305 ff; dazu auch HANSEN Jura 1990 S. 510 ff.

227

74

§51

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

(a) die angebotene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann oder (b) durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder (c) infolge der Verpflichtung nicht mehr Uber die Mittel verfügen kann, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschaftsoder Lebensführung unerläßlich sind." Diese Begründung des Schadens in der 2. und 3. Alternative ist im Rahmen des Betrugstatbestandes angreifbar. Schaden und erstrebte Bereicherung müssen sich nämlich derart entsprechen, daß der Schaden gleichsam als Kehrseite der Bereicherung erscheint. Dies sind sie aber - entgegen der Ansicht der BGH - in der 2. und 3. Alternative keineswegs. A ist weder um die Darlehenszinsen noch um den Differenzaufwand zur Bestreitung angemessener Lebenshaltungskosten bereichert, sondern um die erlangte Geldsumme aus dem Verkauf der Maschine. Daß durch die Herausgabe der Geldsumme weitere Schäden begründet wurden, ist im Rahmen des Betrugstatbestandes irrelevant. Diese Schädigungen führten zu keiner weiteren Bereicherung. - Zum Problem der Entsprechung von Schaden und Bereicherung vgl. weiter unter Rdn. 90. Im Denkschema der personalen Vermögenslehre ist die Begründung des Schadens in allen drei Alternativen unproblematisch: 1. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil der übereinstimmend zugrunde gelegte wirtschaftliche Zweck: Möglichkeit, 10 Kühe zugleich zu melken, nicht erreicht werden kann. 2. und 3. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil übereinstimmend zugrunde gelegter wirtschaftlicher Zweck: Möglichkeit ein Wirtschaftsgut zu besonders günstigem Preis zu erwerben, nicht erreicht wurde. Der Kaufpreis entsprach der üblichen Kalkulation. Die Bereicherung entspricht demnach in allen drei Alternativen dem Schaden: Der Täter ist um den Kaufpreis bereichert, das Opfer ist des Kaufpreises verlustig gegangen. 75

bb) OLG Köln NJW 1979 S. 1419: A arbeitete als Zeitschriftenwerber. Der B erklärte er, der Nettogewinn eines Zeitschriftenabonnements für ein Jahr komme entlassenen Strafgefangenen, die mit Rauschgift zu tun gehabt hätten, zugute. Daraufhin abonnierte B die Zeitschrift, weil sie diese Verwendung unterstützen wollte. OLG Köln: Daß in Wirklichkeit ein vorgetäuschter sozialer Zweck verfehlt wird, reicht für den Betrugstatbestand noch nicht aus, wenn die Zeitschrift nicht mehr kostet als sonst und wenn der Getäuschte genügend Geld dafür hat und sie brauchen k a n n . ^ ' Nach dem personalen Vermögensbegriff ist hier zumindest ein Teil des von der B auch erstrebten sozialen und damit wirtschaftlichen Zweckes nicht realisiert worden. Daher lag ein Vermögensschaden vor. 3 ^2

76

cc) BGH StV 1991 S.418: A bestellte Waren, die erst nach der Lieferung zu bezahlen waren, obwohl er wußte, daß er weder zahlungswillig noch -fähig sein würde. BGH: Betrug, wenn A seine Zahlungsunfähigkeit sicher kannte, nicht aber, wenn er nur in geschäftlichen Schwierigkeiten w a r . 3 ^ 3

77

dd) BayObLG JR 1974 S. 336 mit Anm. LENCKNER S. 337 ff: A gab unter Vorspiegelung seiner Zahlungsfähigkeit sein Kraftfahrzeug zur Reparatur. Er war nicht zahlungsfähig. BayObLG: Das Unternehmerpfandrecht hindert den Eintritt des Vermögensschadens nicht. Dem ist nicht zu folgen, wenn das Unternehmerpfandrecht die Forderung deckt und mühelos verwertet werden k a n n . . Gleiches würde gelten, wenn der Anspruch des Unternehmers durch eine andere Sicherheit gedeckt wäre, aus der er sich in vollem Umfang befriedigen k ö n n t e .

351

Vgl. auch KÜPPER/BODE JUS 1992 S. 642 ff. 352 So auch OLG Düsseldorf wistra 1990 S. 200. - Hingegen begründet die Täuschung über den Einsatz beruflich tätiger Werber für einen gemeinnützigen Zweck keinen Vermögensschaden; vgl. dazu BGH NJW 1995 S. 539 mit Ahm. DEUTSCHER/KÖRNER JuS 1996 S. 296 ff, OTTO JK 95, StGB § 263/43, RUDOLPHI NStZ 1995 S. 289 f. 353 vgl. auch BGH wistra 1992 S. 143. 354

228

Vgl. dazu auch BGH wistra 1985 S. 24.

Betrug

§51

ee) BGH JR 1990 S. 517: A verkauft eine Sache, die dem B gehört und die A unterschlagen hat, an den gutgläubigen C.

7g

BGH: Auch derjenige, der gutgläubig eine Sache erworben hat, kann im Sinne des Betrugstatbestandes geschädigt sein. "In solchen Fällen hängt die Beantwortung der Frage, ob eine schadensgleiche Vermögensgefährdung eingetreten ist, davon ab, ob der Erwerber nach den Umständen des Einzelfalles mit der Geltendmachung eines Herausgabeanspruches oder mit sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hatte. Die Identifizierung einer vagen Gefährdung mit einem Vermögensschaden überzeugt nicht. Maßgeblich ist auch hier, ob unter den konkreten Umständen der Entzug des Objekts im Prozeß wahrscheinlich ist. Dann allerdings ist die erlangte Position wirtschaftlich weniger wert als diejenige, die vertraglich einzuräumen war.-'-'" ff) OLG Köln MDR 1972 S. 884: A versprach dem B, ihm gegen Zahlung von DM 20,- eine Prostituierte zum Geschlechtsverkehr zu verschaffen. B zahlte, A war aber von vornherein nicht leistungswillig.

79

OLG: Der Verlust des Geldes stellt einen Schaden dar, da es kein rechtlich gegen Betrug ungeschütztes Vermögen gibt. V o m personalen Vermögensbegriff her ist dem z u z u s t i m m e n . 3 ^ . A.A. Z.T. die Anhänger des juristischwirtschaftlichen Vermögensbegriffs, mit dem Hinweis, der Getäuschte kenne die Unverbindlichkeit und schädige sich daher bewußt selbst.-'-'® gg) BGH JZ 1987 S. 684: A veranlaßte die Prostituierte P durch Versprechen eines beachtlichen Entgelts zur Vornahme des Geschlechtsverkehrs mit ihm. Anschließend verweigerte er die Zahlung.

80

BGH: Keinen Betrug begeht, wer die Prostituierte um den Lohn für verbotene oder sittenwidrige Handlungen prellt. D e m kann nicht gefolgt werden, denn der Einsatz von Arbeitskraft in einem Bereich, der üblicherweise und nach der Abmachung der Beteiligten gegen eine Geldleistung erfolgt, ist eine geldwerte Leistung. Mit der Erbringung dieser Leistung erleidet die P daher einen S c h a d e n . 3 ^ hh) Abwandlung von gg): A faßt den Plan, nicht zu zahlen, erst nach dem Geschlechtsverkehr und entlohnt die P mit Falschgeld.

81

Ergebnis: Die Arbeitsleistung hatte P nicht aufgrund einer Täuschung erbracht. Ein Rechtsanspruch der P gegen A auf Zahlung des vereinbarten Lohnes war jedoch nicht entstanden, § 138 Abs. 1 BGB. Es bestand allein die Möglichkeit, durch Einsatz rechtswidriger Mittel (z.B. Gewalt) wirtschaftliche Güter zu erlangen. Der Ausschluß sog. nichtiger Forderungen aus dem Kreis der Vermögensobjekte hat auch nicht zur Folge, daß wertvollen Wirtschaftsgütem der Schutz versagt wird, vielmehr wird nur verhindert, daß die Möglichkeit, sich durch strafbares Verhalten Vermögensgüter zu verschaffen, in den Rang eines Wirtschaftsgutes erhoben wird. ii) BGHSt 38 S. 186: Bei einer öffentlichen Ausschreibung verabredeten A, B und C, Angebote so abzugeben, daß das Angebot von A das billigste war. A erhielt den Zuschlag. Sein Angebot lag unter dem Marktpreis, doch wäre ohne die Absprache ein noch billigeres Angebot erfolgt. BGH: Vermögensschaden des Auftraggebers, denn bei ordnungsgemäßem Verhalten hätte er dieselbe Leistung zu einem billigeren Preis erhalten.

355

Vgl. dazu auch BGH wistra 1992 S. 142; BGH wistra 1993 S. 265; BGH StV 1995 S. 254; BGH StV 1997 S. 416. - Eingehend dazu OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 102 ff.

356

Eingehender dazu OTTO JK 91, StGB § 263/33.

3 5 7

V g l . OTTO S t r u k t u r , S . 2 9 2 f f , S C H M I D H Ä U S E R B . T . , 1 1 / 3 1 .

358

Vgl. CRAMER Vermögensbegriff, S. 94 ff; DERS. JuS 1966 S. 4 7 2 ff.

359 s 0 auch die Vertreter der juristisch-wirtschaftlichen Vermögenslehre; vgl. z.B. LACKNER LK, 10. Aufl., § 2 6 3 R d n . 1 3 2 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 R d n . 9 7 . 360

Vgl. auch HAFT B.T., § 27 II 2 d; HEINRICH G A 1997 S. 24 ff; KREY B.T. 2, Rdn. 439; SCHMIDHÄUSER B.T. 11/31; TRÖNDLE StGB, § 263 Rdn. 29.

361

Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 51 ff; zur Gegenansicht vgl. KREY B.T. 2, Rdn. 438, 430. Im übrigen vgl. BGHSt 2 S. 364.

229

82

§51

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

D e m ist aus der Sicht der personalen Vermögenslehre vorbehaltslos zuzustimmen. Mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff ist dieses Ergebnis kaum in Einklang zu b r i n g e n . ^ 3

83

jj) OLG Karlsruhe NStZ 1990 S. 282: Durch Täuschung verhindert A die Vollstreckung einer gegen ihn rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe. OLG: Kein Schaden des Staates im Sinne des § 2 6 3 . 3 6 3 D e m kann nicht gefolgt werden. Der Staat erleidet zwar einen Schaden, wenn die Geldstrafe nicht eingebracht wird, doch § 258 Abs. 5 steht als Spezialregelung einer Bestrafung aus § 263 e n t g e g e n . 3 ^

84

kk) BGH StV 1985 S. 189: Der zahlungsunfähige A veranlaßte die Bank B zur Eröffnung eines unwiderruflichen Akkreditivs zugunsten des D. BGH: Schaden mit Eröffnung des Akkreditivs entstanden, da die Bank dem Begünstigten gegenüber wie aus einem abstrakten Schuldversprechen haftet. D e m ist zuzustimmen. Ein Akkreditiv, als vertragliche Verpflichtung einer Bank für Rechnung ihres Auftraggebers innerhalb einer bestimmten Zeit unter bestimmter Voraussetzungen (Einreichung bestimmter Dokumente) Zahlung zu leisten, ist eine reale Belastung des Vermögens der Bank, da es allein von dem Dritten abhängt, ob die Forderung realisiert wird oder nicht.

85

11) A, der zu einer Verkaufsmesse fährt, täuscht seinen Konkurrenten B über das Datum der Messe. B erscheint nicht, A hat den doppelten Umsatz. Ergebnis: Kein Betrug des A. Die Aussicht, daß bestimmte Kunden bei B kaufen, ist nicht Vermögensbestandteil des B. Ihm gehören die Kunden nicht. Nach allgemeiner Meinung gehören bloße Hoffnungen auf Gewinn, unsichere Exspektanzen nicht zum Vermögen. Sind diese allerdings so verfestigt, daß der Geschäftsverkehr ihnen bereits einen wirtschaftlichen Wert beimißt, so sollen sie als Vermögensgut nach h.M. anerkannt werden, wobei letztlich auf die "Wahrscheinlichkeit der Gewinnrealisierung" abgestellt w i r d . 3 ^ Zutreffend beschränkt HEFENDEHL den Begriff der Vermögenswerten Expektanz auf die Situation einer (zivil)rechtlich konstituierten Herrschaft, die die störungsfreie Möglichkeit der Entwicklung eines Zustandes zum Vollwert b e i n h a l t e . 3 ^

86

mm) BayObLG NJW 1994 S. 208: Bei dem Briefmarkenversand B, der bei Erstbestellungen Gratismarken beifügte, um den Erstbesteller als Stammkunden zu gewinnen, bestellte A, der dort bereits Kunde war, unter anderem Namen als "Erstbesteller" Briefmarken. Diese und die Gratismarken erhielt er. BayObLG: Da B durch Einsatz seines Vermögens (Gratismarken) lediglich höchst ungewisse Erwerbschancen wahrnehmen wolle, werde sein Verhalten nicht vom Schutzzweck des § 263 erfaßt.-'®' D e m ist aus der Sicht des personalen Vermögensbegriffs nicht zuzustimmen, da B überhaupt nicht die Chance für seine Geldaufwendungen erhielt, die er nach den zugrundeliegenden Bedingungen erhalten sollte. Daher wurde sein Aufwand z w e c k e n t f r e m d e t . 3 ^

3 6 2

Zur Auseinandersetzung: ACHENBACH NStZ 1993 S. 4 2 8 f; CRAMER NStZ 1993 S. 4 2 f; D. GEERDS DWiR 1992 S. 120 ff; GÜNTHER SK II, § 263 Rdn. 146 a-d; HEFENDEHL JuS 1993 S. 805 ff; JOECKS wistra 1992 S. 247 ff; KRAMM JZ 1993 S. 423 ff; OTTO ZRP 1996 S. 303 ff; RANFT wistra 1994 S. 41 f f ; TIEDEMANN Z R P 1 9 9 2 S . 1 4 9 f f .

Mit Einführung des § 298 hat der Gesetzgeber in diesen Bereich eine Bestrafung auch ermöglicht, wenn der Vermögensschaden nicht nachweisbar ist; vgl. dazu weiter unter § 61 Rdn. 142 ff. - Anwendbar bleibt § 263 aber im Falle des Nachweises eines Vermögensschadens; vgl. BT-Drucks. 13/5584, S. 14. 363

Vgl. auch BGHSt 38 S. 345, 351; BGH StV 1998 S. 194; BayObLG JR 1991 S. 433; GÜNTHER SK II, § 263 Rdn. 149 a.

3 6 4

Dazu auch GRAUL JR 1991 S. 4 3 5 ff.

365

Vgl. BGH MDR 1987 S. 949; B G H wistra 1997 S. 144; D. GEERDS Jura 1994 S. 311 ff; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 134 ff. 366 v g l . HEFENDEHL Vermögensgefährdung, S. 117, zur Kundenproblematik, S. 2 2 0 ff. 367

230

Dazu auch HILGENDORF JuS 1994 S. 466 ff.

Betrug

§51

IV. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz Der Vorsatz - bedingter Vorsatz genügt - muß alle Merkmale des objektiven Tatbestands 87 und den zwischen ihnen bestehenden funktionalen Zusammenhang umfassen. 2. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen (Bereicherungsabsicht) a) Absicht bedeutet - dolus directus 1. Grades - zielgerichtetes Wollen. Absicht ist hier der 88 auf den Vorteil gerichtete Wille, mag der Täter den Vorteil auch nur als Mittel zu einem anderweitigen Zweck anstreben. Maßgeblich ist allein, ob es ihm auf den Vorteil ankommt. Ob er die Verwirklichung seines Willens für sicher oder nur für möglich hält, ist unerheblich. - Es genügt aber nicht, wenn der Vorteil nur als notwendige, aber höchst unerwünschte Nebenfolge eines erstrebten Erfolgs eintritt. b) Vermögensvorteil ist jede günstigere Gestaltung der Vermögenslage. Stets aber ist er- 89 forderlich, daß die eigene wirtschaftliche Potenz des Täters oder die des begünstigten Dritten durch den Vorteil gestärkt wird. 369 Der erstrebte Vorteil muß dem zugefügten Schaden entsprechen, gleichsam als Kehr- 90 seite des Schadens erscheinen. Dieser Zusammenhang zwischen erstrebter Bereicherung und Schaden wird gemeinhin mit dem Stichwort der Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung charakterisiert. Stoffgleichheit darf hier aber nicht als Identität verstanden werden. Es genügt, daß Schaden und Vorteil ihren Grund in derselben Vermögensverfügung haben und daß der Vorteil zu Lasten des geschädigten Vermögens geht. 370 c) Zur Verdeutlichung aa) BGHSt 21 S. 384: A verkaufte als Provisionsvertreter der Firme X Zigarettenautomaten. Durch Tauschung überredete er den B zum Vertragsabschluß. Den Vertrag reichte A bei X ein. Er erhielt eine Provision.

91

BGH: Gegenüber B liegt ein Betrug des A zugunsten der Firma X vor. Der Gewinn aus dem Automatenverkauf floß nicht A, sondern X zu. - Gegenüber X ist jedoch ein eigennütziger Betrug des A gegeben. Er hatte keinen Rechtsanspruch auf die Provision, da der Vertrag zwar gültig aber anfechtbar zustande gekommen war und daher nicht den Wert eines ordnungsgemäßen Vertrags hatte. bb) B verspricht dem A eine Belohnung von DM 200,-, wenn der Hund des Nachbarn C, der den Schlaf des B stört, zur Ruhe gebracht werde. A geht zu C und redet ihm ein, der Hund sei tollwütig. Entsetzt erschießt C den Hund, der einen Wert von DM 200,- hatte.

92

Ergebnis: Kein Betrug des A: Schaden des C und Bereicherung des A haben ihren Grund nicht in derselben Vermögensverfügung. - A hat eine Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft begangen. cc) In Anlehnung an OLG Köln NJW 1987 S. 2095: Die A, die bei ihrer Schwiegermutter Mitleid und Aufmerksamkeit erringen will, erzählte dieser, ihr Kind sei entführt worden. Als sie merkt, daß diese alles zur Rettung des Kindes in die Wege leiten will, berichtet sie, die Entführer hätten 1000,- DM gefordert. Sie weiß, daß die S ihr das Geld geben wird, was auch geschieht, sieht aber keine Möglichkeit, ohne Offenbarung ihrer Lüge aus der Sache herauszukommen. OLG: Keine Bereicherungsabsicht.

368

Vgl. auch GEPPERT JK 94, StGB § 263/41.

369

Dazu vgl. BGH MDR 1988 S. 789 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 253/3.

370

Dazu eingehend GÜNTHER SK II, § 263 Rdn. 188 ff; KÜPER B.T., S. 79 f; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 274.

231

93

§51

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

3. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen schaffen

Vermögensvorteil zu ver-

94 a) Im Rahmen der Delikte gegen das gesamte Vermögen - Betrug, Erpressung - ist weitgehend anerkannt, daß rechtswidrig nur ein Vermögensvorteil ist, auf den der Täter nach materiellem Recht keinen Anspruch hat. Ein Vermögensvorteil ist dann nicht rechtswidrig, wenn die der Bereicherung zugrunde liegende Vermögensentziehung auf die Herbeiführung eines vor der Vermögensordnung rechtsbeständigen Zustandes gerichtet ist. Die Verfolgung berechtigter und Abwehr unberechtigter Ansprüche mit rechtswidrigen Mitteln macht den Vermögensvorteil als solchen nicht zu einem rechtswidrigen. 371 95

Das gleiche Ergebnis, wenn auch auf einem anderen konstruktiven Weg, wird erreicht, wenn der Eintritt eines Vermögensschadens abgelehnt wird, falls der Täter ein Vermögensgut an sich bringt, auf das er einen Anspruch h a t . 3 7 2 D; e Konstruktion ist vom juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriff her konsequent, nicht jedoch mit den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs in Einklang zu bringen. Das Haben eines Objekts ist - wirtschaftlich gesehen - vorteilhafter als der bloße Anspruch auf das Haben. 3 7 3

96 Da die h.M. beim Vermögensschaden und bei der Bereicherung auf den Geldwert abstellt, kommt sie hier nicht zu der - wie unter § 40 Rdn. 79 gezeigt - kaum sachgemäßen Differenzierung zwischen Spezies- und Gattungsschulden, die die Argumentation bei den Zueignungsdelikten bestimmt. 97 Ist der Anspruch hingegen nicht fällig, bedingt oder besteht er nur zum Teil, so ist der erstrebte Vorteil rechtswidrig; beim teilweise begründeten Anspruch, soweit der Anspruch unbegründet ist. 98 b) Irrt der Täter über das Vorliegen eines Anspruchs, so entfällt gleichfalls die Absicht rechtswidriger Bereicherung, da es sich bei der Absicht um ein subjektives Merkmal des Tatbestandes handelt. 374 99 c) Auf die Rechtswidrigkeit braucht sich die Absicht nicht zu erstrecken, insoweit genügt bedingter Vorsatz. 3 7 5 d) Zur Einübung 1 0 0 aa) BGHSt 3 S. 160: Im Prozeß ihres Kindes K auf Unterhalt gegen H sagte A als Zeugin falsch aus. Dadurch gewann K den Prozeß. A war jedoch fest davon überzeugt, daß der Anspruch des K gegen H begründet war. BGH: A wollte dem K keinen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen, da sie davon ausging, daß der Anspruch des K nach materiellem Recht begründet war. 1 0 1 bb) BGH NJW 1953 S. 1479: A hatte eine Forderung gegen B aus einem Geschäft mit diesem. B zeigte sich nicht zahlungswillig. A nahm nun bei B ein Darlehen auf. Bei Fälligkeit des Darlehens rechnete er auf, was er von vornherein vorgehabt hatte. BGH: Da A auf die Leistung einen fälligen Anspruch hatte, war sein Vermögensvorteil nicht rechtswidrig. Die Aufrechnung ist eine von der Rechtsordnung anerkannte Form der Erfüllung! 371

3 7 2

Dazu im einzelnen KÜPER B.T., S. 72 ff; sodann BGHSt 42 S. 271 f; BGH wistra 1982 S. 68; BGH NStZ-RR 1997 S. 257; BayObLG StV 1990 S. 165; BayObLG StV 1995 S. 303; vgl. im übrigen zur entsprechenden Problematik des § 253 unten § 53 Rdn. 10 ff. - A.A. ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 462. V g l . z . B . B G H S t 2 0 S. 1 3 7 f; B G H N J W 1 9 8 3 S . 2 6 4 6 ; BOCKELMANN M e z g e r - F S , S . 3 6 7 f f ; CRAMER

Vermögensbegriff, S. 160; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 276; WELZELNJW 1953 S. 652 f. 373

Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 215 ff.

374

Dazu BGH StV 1992 S. 106; OLG Bamberg NJW 1982 S. 778; OLG Düsseldorf wistra 1992 S. 74. Im einzelnen dazu LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 287 f.

375

BGHSt 31 S. 181; 42 S. 268.

232

Betrug

§51

Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn die Forderung des A noch nicht fällig oder bedingt gewesen, bzw. die Aufrechnung vertraglich ausgeschlossen gewesen wäre. cc) BGH bei Daliinger, MDR 1956 S. 10: A machte Rentenansprüche als Kriegsversehrter wegen einer 1 0 2 Beinverletzung geltend, die er angeblich durch Granatsplitter erlitten hatte. Diese Behauptung war unwahr, doch war A lungenkrank, und es war nicht auszuschließen, daß die Lungenkrankheit auf Kriegseinwirkungen zurückzuführen war. BGH: Kein Betrug des A, wenn A nur die Rente hätte haben wollen, die ihm aufgrund der Lungenkrankheit zukam oder von der A geglaubt hätte, daß sie ihm zustände, was für ihn aber schwer beweisbar gewesen wäre. - Hatte A aufgrund der Lungenerkrankung keinen Anspruch und wußte das, so lag ein vollendeter Betrug vor. - Hatte A hingegen keine Ahnung von einem solchen Anspruch, lag dieser aber vor, so ist ein versuchter Betrug gegeben. dd) BGHSt 42 S. 268 mit Anm. GEPPERT JK 97 § 263/49: A geht irrig davon aus, daß ein gegen ihn geltend 1 0 3 gemachter Anspruch wirksam besteht. Gleichwohl will er dessen Durchsetzung durch Täuschung vereiteln. BGH: Versuchter Betrug, nicht etwa ein bloßes Wahndelikt.

V. Versuch, Vollendung, schwere Fälle des Betrugs und Besonderheiten der Strafverfolgung 1. Der Versuch Der Versuch des Betruges beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen des Täters zur Täu- 104 schung, die zur Vermögensverfügung führen soll. - Eine Täuschung, die nur dazu dient, das Vertrauen des Opfers zu erlangen, um später um so wirksamer eine auf Vermögensverfügung gerichtete Täuschung durchzuführen, ist lediglich eine Vorbereitungshandlung. 377 2. Die Vollendung der Tat Vollendet ist das Delikt mit Eintritt des Vermögensschadens. - Materiell beendet ist der 105 Betrug mit Erlangung des erstrebten Vermögensvorteils durch den Täter. 3. Schwere Fälle des Betrugs a) Besonders schwere Fälle des Betrugs. - Regelbeispiele für besonders schwere Fälle des 106 Betrugs nennt Abs. 3: aa) Nr. 1: Gewerbsmäßiges Handeln - dazu § 41 Rdn. 21 - und Handeln als Mitglied einer 107 Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat; dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 41 Rdn. 61. bb) Nr. 2: Herbeiführung eines Vermögensverlustes größeren Ausmaßes, d.h. Begründung 108 eines erheblichen Vermögensschadens. 378 - Der Täter handelt mit der Absicht, eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, wenn z.B. bei Firmenzusammenbrüchen oder betrügerisch vertriebenen Vermögensanlagen die konkrete Gefahr des Vermögensverlustes für eine erhebliche Zahl von Personen begründet werden soll.

3 7 6

V g l . a u c h L G M a n n h e i m N J W 1 9 9 5 S . 3 3 9 8 m i t A n m . BEHM N S t Z 1 9 9 6 S. 3 1 7 f f , GEPPERT J K 9 6 , S t G B § 2 6 3 / 4 4 , SCHEFFLER J u S 1 9 9 6 S . 1 0 7 0 f ; B G H N S t Z 1 9 9 7 S . 4 3 1 m i t A n m . KUDLICH S . 4 3 2 f f .

377

Dazu BGHSt 37 S. 294 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 22/15; KIENAPFEL JR 1992 S. 122 f.

378

Vgl. dazu BGH NJW 1991 S. 2575; TRÖNDLE StGB, § 263 Rdn. 53.

233

§51

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

109 cc) Nr. 3: In wirtschaftlicher Not wird eine Person gebracht, wenn sie in eine Lage versetzt wird, in der sie in ihrer wirtschaftlichen Lebensführung objektiv so eingeengt ist, daß sie auch lebenswichtige Aufwendungen nicht mehr bestreiten kann. 3 7 9 110 dd) Nr. 4: Ein Mißbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger liegt vor, wenn der Täter seine Befugnisse zu rechtswidrigen Handlungen nutzt oder unter Ausnutzung der ihm gegebenen Möglichkeiten Handlungen außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs begeht. 111 ee) Nr. 5: Vortäuschung eines Versicherungsfalles. - Das durch das 6. StrRG geschaffene Regelbeispiel übernimmt im wesentlichen den Regelungsinhalt des § 265 a.F. - Tatobjekt des § 265 a.F. waren bestimmte versicherte Sachen. Der Wortlaut des § 263 Abs. 3 Nr. 5 geht darüber hinaus, denn ein Versicherungsfall kann auch vorgetäuscht werden, indem darüber getäuscht wird, daß es sich bei der zerstörten Sache um die versicherte Sache gehandelt hat; im übrigen vgl. zur Versicherung einer Sache § 61 Rdn. 2. Der bedeutende Wert einer Sache hängt von ihrem Verkehrswert ab. In Anlehnung an § 315 ff wird man auch hier von einem Wert von mindestens 1.400.- DM ausgehen können. - Zum I n b r a n d setzen und zum ganz oder teilweise durch Brandlegung Zerstören vgl. § 79 Rdn. 2 f. Vorgetäuscht wird der Versicherungsfall, wenn der Täter keinen Anspruch aus der Versicherung hat, diesen aber gleichwohl geltend macht. 1 1 2 Q i e s ¡ s t insbesondere dann der Fall, wenn der Versicherte selbst Täter oder Teilnehmer der Tat ist; § 61 VVG. Dasselbe gilt, wenn der Versicherte sich das Verhalten des Täters als eigenes zurechnen lassen muß, weil der Täter als Repräsentant des Versicherten anzusehen ist. Repräsentant ist derjenige, der befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang, für den Versicherten zu handeln. Nicht erforderlich ist, daß er auch dessen Rechte und Pflichten als Versicherungsnehmer wahrzunehmen hat. 38 ®

b) Qualifizierter Fall des Betrugs: Banden und gewerbsmäßiges Handeln Nach Abs. 5 liegt ein qualifizierter Fall des Betrugs vor, wenn der Täter die Merkmale des Abs. 3 Nr. 1 kumulativ verwirklicht. Das Betätigungsfeld der Bande ist erweitert. 5. Bagatellfälle sowie Haus- und Familienbetrug 114 Gemäß § 263 Abs. 4 ist in Bagatellfällen des Betruges § 248 a anzuwenden sowie die Strafschärfung eines besonders schweren Falles gemäß § 243 Abs. 2 ausgeschlossen; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 44 Rdn. 1, § 41 Rdn. 41 ff. - Bei einem Haus- und Familienbetrug findet gemäß § 263 Abs. 4 der § 247 Anwendung; dazu oben §43.

VI. Besonders bezeichnete Betrugsfälle 1 1 5 Wenn aus einer Art eine Untergruppe eine besondere Bezeichnung erhält, in der die Bezeichnung der Art wieder aufgenommen wird, so kann man gemeinhin davon ausgehen, daß es sich hier um einen besonders typischen Fall der Art handelt. Im Bereich des Betruges ist das jedoch ein Irrtum. Bei den besonders bezeichneten Betrugsfällen handelt es sich keineswegs um besonders typische Betrugsfälle, sondern um Fälle, in denen das Vorliegen des Betruges gerade besonders problematisch ist. Dies wird jedoch durch die besondere Bezeichnung kaschiert, denn der Rechtsanwendende begnügt sich in der Regel mit dem Nachweis, daß die Besonderheit vorliegt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob überhaupt ein Betrugsfall gegeben ist.

3 7 9 3 8 0

V g l . LACKNER/KÜHL § 2 8 3 a R d n . 2; TRÖNDLE S t G B , § 3 0 2 a R d n . 3 6 . V g l . B G H ( Z ) D W i R 1 9 9 4 S. 2 4 6 ; B G H JR 1 9 7 7 S. 3 9 0 m i t A n m . GÖSSEL S. 3 9 1 ; WAGNER JUS 1 9 7 8 S. 161 ff; RANFT Jura 1 9 8 5 S . 3 9 6 f.

234

Betrug

§51

1. Eingehungs- und Erfüllungsbetrug Problembereich:

Konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensschaden.

116

a) Vertragsabschluß und Schadensbegründung Hat einer der Vertragspartner bei einem gegenseitigen Vertrag vor, nicht vertragsgemäß zu 117 leisten, so hat der BGH ursprünglich schon im Vertragsschluß eine Vermögensgefährdung und damit einen Betrug erkannt. Diese Auffassung vertritt der BGH nicht mehr. Heute wird danach differenziert, ob der Vertragspartner durch den Vertragsschluß einen Anspruch erhält, der seinen Verpflichtungen gleichwertig ist. Zur Verdeutlichung: aa) B G H N J W 1953 S. 836: A verkaufte an B Kohle einer bestimmten Sorte. Er hatte vor, schlechtere Kohle zu liefern.

118

BGH: Betrug schon bei Vertragsschluß. Diese Rechtsprechung ist überholt. Bei einer Zug-um-Zug-Leistung tritt der Schaden erst mit der vertragswidrigen Erfüllung ein. bb) BGHSt 23 S. 300: A verpflichtete den B unter Täuschung zur Abnahme einer für B völlig wertlosen Zeitschrift.

119

BGH: Schaden bei Vertragsabschluß. - Dem ist zuzustimmen, denn der Verpflichtung des B, das Abonnement zu bezahlen, stand ein Anspruch gegenüber, der für B wertlos war. cc) BGHSt 31 S. 1 7 8 3 8 2 : A, die wußte, daß sie zahlungsunfähig war, beauftragte den Makler M mit der 1 2 0 Vermittlung einer Wohnung. Der Maklerlohn sollte mit Abschluß des notariellen Kaufvertrages fällig werden. M fand ein entsprechendes Objekt, über das ein privatschriftlicher Kaufvertrag geschlossen wurde. Der notarielle Kaufvertrag kam nicht zustande. BGH: Betrug liegt erst dann vor, wenn M aufgrund des Abschlusses des vermittelten Geschäftes einen rechtswirksamen Vergütungsanspruch gegen A erworben hat. D e m ist mit LENCKNER entgegenzuhalten, daß der Betrug bereits vollendet ist, wenn M seine Leistung erbracht hat, obwohl A zahlungsunwillig und -unfähig ist.- Der Makler, der seine Leistung erbringt, leistet im Vertrauen darauf, daß damit eine Grundlage für den Zahlungsanspruch geschaffen wird. Will der Kunde von vornherein einen solchen Anspruch nicht entstehen lassen oder ist dieser Anspruch wertlos, so schädigt sich der Makler durch seine Leistung, die er dem Kunden erbringt. Darin liegt der Vorteil des Kunden.

Zahlungsunwilligkeit oder -Unfähigkeit des Täters begründen dann keinen Vermögens- 121 schaden bei Vertragsschluß, wenn der Vertragspartner nicht verpflichtet ist, vor zuleisten. 383 b) Das Verhältnis von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug aa) Führt bereits der Vertragsabschluß zu einem Schaden, so ist die Realisierung der mit 122 Vertragsabschluß begründeten Schädigung durch Erfüllung nur noch die materielle Beendigung des Betrugsdelikts. bb) Entsprechen die mit dem Vertragsschluß begründeten Forderungen der Parteivereinba- 123 rung und erbringt eine der Parteien unter Täuschung der anderen eine minderwertige Leistung, so liegt der Betrug in der Leistung eines minderwertigen Objekts an Stelle des geschuldeten Objekts. 384 381

Vgl. BGH StV 1988 S. 386; B G H StV 1995 S. 255; B G H NStZ 1998 S. 85; O L G Düsseldorf JR 1994 S. 522 mit Anm. RANFT S. 523 ff.

3 8 2

M i t A n m . LENCKNER N S t Z 1 9 8 3 S. 4 0 9 f f , BLOY J R 1 9 8 4 S. 1 2 3 f f , M A A S J u S 1 9 8 4 S. 2 5 f f .

383

Vgl. B G H StV 1992 S. 117; B G H StV 1992 S. 465.

384

Dazu O L G Stuttgart JR 1982 S. 470 mit krit. Anm. BLOY S. 471 ff.

235

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§51 124

cc

) Einheitliche oder differenzierte Betrachtung von Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft

Fall: A verkauft an B einen 4 Jahre alten Mercedes 230 E mit der Zusicherung, dieser habe nur 50.000 km gelaufen für 20.000 DM als Sonderangebot, da ein Wagen mit dieser Laufleistung üblicherweise 30.000 DM kostet. Es stellt sich später heraus, daß der Wagen 150.000 km gelaufen, aber einen Handelswert von 20.000.- D M hatte. 1. Alternative:

Das wußte A von Anfang an.

2. Alternative: Erst nach Abschluß des Vertrages, vor Übergabe des Fahrzeugs erfuhr A, daß der Wagen bereits 150.000 km gelaufen hatte. Er klärte den B nicht auf. 3. Alternative: getauscht.

Vor Übergabe des Fahrzeugs hatte A das Fahrzeug gegen ein gleich aussehendes aus-

125 Die h.M. sieht Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft als Einheit an, wenn die Täuschung bereits im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts begangen wurde. Diese einheitliche Betrachtungsweise hat die Konsequenz, daß ein Schaden abzulehnen ist, wenn die unter Täuschung erbrachte Leistung einen Wert hat, der dem Kaufpreis entspricht (1. Alternative). Ein Erfüllungsbetrug soll hingegen vorliegen, wenn sich der Täter nach Abschluß eines Austauschvertrages dazu entschließt, eine wirtschaftlich nicht vollwertige Leistung zu erbringen. Der Anspruch auf den Vertragsgegenstand war dem Vermögen des Vertragspartners bereits zugeflossen. Durch die Annahme der minderwertigen Leistung als Erfüllung wurde dieser Anspruch vereitelt (2. Alternative). Zum Teil wird für den Fall einer schon bei Vertragsschluß begangenen Täuschung ein Betrug wenigstens in den Fällen bejaht, in denen der Erfüllungsanspruch durch eine neue Tathandlung vereitelt wird (3. Alterna-tive). 385 126 Diese unterschiedlichen Beurteilungen von Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft überzeugen nicht. Zu differenzieren ist vielmehr grundsätzlich zwischen Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft: Hat der Getäuschte durch den Vertragsschluß einen Anspruch auf eine Leistung von einem bestimmten Wert erhalten, so ist er geschädigt, wenn er im Rahmen der Abwicklung des Geschäfts um diesen Anspruch gebracht wird, bzw. eine Leistung von geringerem Wert erhält. Ob die Täuschungshandlung zugleich mit Vertragsschluß oder später erfolgt, ist irrelevant. 386 2. Leistung ohne Gegenleistung: Bettel-, Spenden- und Subventionsbetrug 127 Problembereich: Vermögensschaden i.S. des § 263, wenn feststeht, daß eine Leistung ohne eine Gegenleistung erbracht werden soll, so daß das Vermögen bewußt vermindert wird. - Da in diesen Fällen von vornherein nicht beabsichtigt ist, die Vermögensminderung durch ein Äquivalent auszugleichen, stellt sich das Problem, ob hier stets ein Vermögensschaden anzunehmen ist, wenn die Vermögensverfügung durch Täuschung herbeigeführt wurde, oder niemals, bzw. ob zu differenzieren ist. 387

3 8 5

Vgl. dazu

BGHSt

16 S . 2 2 3 ; B a y O b L G

NJW

1 9 8 7 S. 2 4 5 2 ; GÜNTHER S K

II, § 2 6 3

Rdn.

176;

LACKNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 3 R d n . 2 2 8 , 2 3 2 ; TENCKHOFF L a c k n e r - F S , S. 6 8 4 ff. 386

V g l . CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S. 190 f f ; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 161 f f ; LENCKNER N J W 1 9 6 2 S . 5 9 ; P U P P E J Z 1 9 8 4 S . 5 3 1 f f . - I m E r g e b n i s w e i t h i n ü b e r e i n s t i m m e n d : SEYFERT J U S 1 9 9 7

S. 31 ff. - Auch der B G H folgt der Einheitstheorie nicht immer, vgl. BGHSt 32 S. 211; dazu OTTO JK, S t G B § 263/16, 27. 3 8 7

V g l . d a z u G Ü N T H E R S K II, § 2 6 3 R d n . 1 5 1 f f ; RUDOLPHI K l u g - F S , B d . 2 , S . 3 1 5 f f ; SCHMOLLER J Z 1 9 9 1 S . 1 1 7 ff.

236

Betrug

§51

Zur Verdeutlichung: a) BayObLG NJW 1952 S. 798: Der Spender S wird von dem Sammler A zu einer hohen Spende für einen 1 2 8 mildtätigen Zweck veranlaßt, indem ihm vorgespiegelt wird, seine Nachbarn hätten sehr hohe Beträge gespendet. BayObLG: Vermögensschaden des S und damit B e t r u g . 3 ^ - Aufgrund des Vorliegens einer bewußten Selbstschädigung wird der Betrug z.T. abgelehnt. 3 ^ 9 Nach der personalen Vermögenslehre ist ein Betrugsschaden hier abzulehnen, weil der erklärte wirtschaftliche Zweck: Unterstützung einer wohltätigen Organisation, von S erreicht wurde. Daß S darüber hinaus protzen wollte, er könne mehr leisten als seine Nachbarn, ist irrelevant. 39 ® b) Fall: A erlangt durch Täuschung über den kulturellen Wert seiner Theateraufführungen eine Subvention 1 2 9 für sein Theaterunternehmen. Ergebnis: Da kulturelle Subventionen nicht unter § 264 fallen, ist hier § 263 einschlägig. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist auch ein Schaden zu bejahen, denn wer Beträge aus haushaltsrechtlich gebundenen Mitteln erschleicht, ohne zu der im Gesetz begünstigten Bevölkerungsgruppe zu gehören, fügt dem Staat einen Vermögensschaden zu, weil dadurch die zweckgebundenen Mittel verringert werden, ohne daß der erstrebte kulturpolitische Zweck erreicht wird. 3 9 1 Dem ist nach den Prämissen des personalen Vermögensbegriffs zuzustimmen. Mit diesem begründet hier der BGH den Vermögensschaden, ohne auf den wirtschaftlichen Vermögensbegriff, überhaupt einzugehen.

3. Der

Anstellungsbetrug

Problembereich: Vermögensschaden. - Der Anstellungsbetrug ist eine Unterart des Ein- 130 gehungsbetrugs. Seine Problematik löst sich nach denselben Grundsätzen. a) Fall: A läßt sich bei F als Buchhalter einstellen, obwohl er von Buchhaltung keine Ahnung hat.

131

Ergebnis: Betrug mit Vertragsabschluß. Der Anspruch des F auf Dienstleistung durch A ist dem Gehaltsanspruch des A nicht äquivalent. b) Fall: A täuscht bei seiner Einstellung als Buchhalter vor, er habe 6 Semester Betriebswirtschaft studiert. 1 3 2 Daraufhin wird er eingestellt. A ist ein vorzüglicher Buchhalter, studiert hat er jedoch niemals. BGHSt 17 S. 254: Kein Schaden des Dienstberechtigten, wenn der Dienstverpflichtete die Leistungen erbringen kann, die aufgrund seiner gehaltlichen Eingruppierung allgemein von ihm erwartet werden dürfen. c) BGH NJW 1978 S. 2042: A, der eine Vertrauensposition bei der Firma X inne hat, die es ihm ermöglicht, 1 3 3 selbständige Dispositionen über das Vermögen der X zu treffen, hat bei seiner Einstellung darüber getäuscht, daß er wegen verschiedener Vermögensdelikte vorbestraft ist. BGH: Schon mit der Anstellung des für Vermögensstraftaten anfälligen A erlitt X einen Vermögensschaden, da das Vermögen der X der konkreten und ständigen Gefahr ausgesetzt war, daß A zum Nachteil der X über dieses Vermögen verfügte. 3 9 3 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Vermögensgefährdung ist mit einem Vermögensschaden nicht identisch. Diskutabel ist hier allein eine Begründung des Vermögensschadens mit der Erwägung, daß eine Vertrauensstellung höher bezahlt wird, als eine Stellung, in der der Angestellte erst seine Vertrauenswürdigkeit beweisen m u ß . 3 9 4

388

Dazu auch CRAMER Vermögensbegriff, S. 121 ff; GÖSSEL B.T. 2, § 21 Rdn. 173.

389

Dazu GUTMANN MDR 1963 S. 3.

390

Dazu OTTO Struktur, S. 59 f; WINKLER Vermögensbegriff, S. 198.

391

Vgl. die entsprechenden Ausführungen in BGH NJW 1982 S. 2453.

3 9 2

V g l . B G H S t 2 2 S . 3 8 ; O T T O L a c k n e r - F S , S . 7 3 1 . - A . A . JÄHNKE L K , § 7 8 a R d n . 5 ; K Ü H L J Z

1978

S. 552; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 293; TRÖNDLE StGB, § 78 a Rdn. 3. 393

Dazu auch BGHSt 17 S. 259.

394

Dazu MIEHE JuS 1980 S. 261 ff; zur früheren "Stasi-Tätigkeit" : AG Tiergarten NStZ 1994 S. 243.

237

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§51

234 d) BGHSt 5 S. 358: Ein Beamter täuscht Uber eine Einstellungsvoraussetzung (z.B. Abitur). Den übertragenen Dienst versieht er vorzüglich. BGH: Betrug. - Unabhängig von den erbrachten Leistungen hat die Anstellungskörperschaft einen Schaden, weil der Beamte nach bestimmten Laufbahnvorschriften bezahlt wird, nicht aber ein von seiner Leistung unmittelbar abhängiges Entgelt erhält. 39 -' Mit dieser Argumentation wird der Betrug von einem Vermögensdelikt in ein Delikt der Amtserschleichung uminterpretiert. Das ist nicht sachgemäß. 39 " 4. Der

Rentenbetrug

135 Problembereich:

Vermögensschaden und Vermögensgefährdung.

Beispiel: A erschlich durch Täuschung eine Rentenbewilligung. Vor der ersten Zahlung wurde die Täuschung entdeckt. 136 Da der Rentenbescheid nur deklaratorische, nicht aber konstitutive Bedeutung hat, liegt im Erlaß des Bescheids eine Vermögensgefährdung, nicht aber ein Vermögensschaden. Ein vollendeter Betrug ist daher erst mit Auszahlung der ersten Rentensumme verwirklicht. 3 9 7 5. Der

Prozeßbetrug

137 Problembereich:

Irrtum, Verfügender in der Vermögenssphäre des Geschädigten?

Fall 3 9 »: A verklagt den B auf Zahlung von DM 1000,-, obwohl er genau weiß, daß B die Schuld längst bezahlt hat. Da B im Prozeß keine Quittung beibringen kann, A aber den Schuldschein vorlegt, erläßt der Richter ein Urteil gegen B. Dies wird rechtskräftig. A vollstreckt daraus. 138 a) D i e Möglichkeit eines sog. Prozeßbetrugs hängt zunächst davon ab, ob der Richter, demgegenüber ein Prozeßpartner unwahre Angaben macht, überhaupt getäuscht wird und einem Irrtum unterliegt. Zu beachten ist nämlich, daß der Richter aufgrund der B e w e i s lastregeln seine Entscheidung trifft, nicht aber aufgrund der inneren Überzeugung von der Wahrheit des Parteivorbringens. Die Beweislastregelungen sind aber nicht geeignet, den Richter zum Handlanger von Deliktstätern zu degradieren. 139 Weiß er positiv, daß seine Entscheidung auf falschen Angaben beruht, so darf er nicht entscheiden. Damit aber ist der Raum für einen Irrtum eröffnet: Er wird über die Tatsache, daß die Angaben wahr sind, getäuscht. Das bloß abstrakte Wissen, daß Prozeßparteien u.U. die Unwahrheit vortragen, schließt Täuschung und Irrtum im konkreten Fall nicht aus, solange das Rechtspflegeorgan nicht positiv weiß, daß die Angaben im konkreten Fall unwahr s i n d . 3 9 9 Im Mahnverfahren ist die Problematik mit § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO n.F. obsolet geworden, weil eine inhaltliche Prüfung des Anspruchs ausdrücklich ausgeschlossen i s t . 4 ^ 395

Im Ergebnis zustimmend: GUTMANN MDR 1963 S. 96; LACKNER LK, 10. Aufl., §263 Rdn. 239; PREISENDANZ § 2 6 3 A n m . V 3 h , a a ; SARSTEDT J R 1 9 5 2 S. 3 0 8 f ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 R d n . 156.

396

VGL. a u c h DIEKHOFF D B 1961 S. 1 4 8 7 f; HARDWIG G A 1 9 5 6 S . 18; KOHLRAUSCH/LANGE § 2 6 3 A n m . V 2 d ; OTTO S t r u k t u r , S . 2 8 4 f f ; WELZEL L b . , § 5 4 I 4 b.

397

Vgl. BGHSt 27 S. 342; KÜHL JZ 1978 S. 549 ff; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 294; OTTO Lackner-FS, S. 732 f; TRÖNDLE StGB, § 78 a Rdn. 3.

39

^ Zu weiteren Beispielen vgl. OLG Zweibrücken NJW 1983 S. 694 (Prozeßbetrug durch Verschweigen von Tatsachen); OLG Karlsruhe NStZ 1996 S. 282 mit Anm. KINDHÄUER JR 1997 S. 301 ff, KUNERT NStZ 1996 S. 283 f, OTTO JK 96, StGB § 263/45 (Möglichkeit des Prozeßbetrugs vor BVerfG); SEIER ZStW 102 (1990) S. 563 ff (Prozeßbetrug durch Rechts- und ungenügende Tatsachenbehauptungen).

399

Dazu BGHSt 24 S. 260 f.

400

A.A. OLG Düsseldorf NStZ 1991 S. 586 mit abl. Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 263/36.

238

Betrug

§51

b) Weiterhin erscheint es problematisch, ob der Richter als Person in der Vermö- 140 genssphäre dessen, der im Prozeß unterliegt, anzusehen ist. Dies ist schon deshalb zweifelhaft, weil der Richter, je nachdem, ob der Kläger oder der Beklagte den Prozeß verliert, jeweils dem Unterliegenden zugerechnet werden müßte. Ein positiver Akt des Betroffenen, der dem Richter diese Vermögensposition einräumt, liegt nicht vor. Hier muß der Richter gleichsam als Person angesehen werden, die kraft Gesetzes bestimmten Vermögenssphären zugerechnet wird. Die Unterwerfung unter das Gerichtsverfahren hat gleichsam die Einsetzung des Richters in bestimmte Vermögenspositionen zur Folge. 4 0 1 c) Der Schaden liegt im Falle des Prozeßbetruges noch nicht im Erlaß des Urteils, sondern 141 erst in der Ausfertigung der Vollstreckungsklausel des Urteils. Erst dann ist eine Situation eingetreten, die der Belastung eines Vermögens mit einer Forderung vergleichbar ist. 6. Kreditkarten- und Problembereich:

Scheckkartenerschleichung

Schaden.

142

BGHSt 33 S. 244: Der A verschaffte sich unter Täuschung über seine Kreditwürdigkeit eine Kreditkarte, um mit dieser Käufe zu tätigen, obwohl er sein Konto nicht ausgleichen konnte. BGH: Die Aushändigung der Kreditkarte an den stark verschuldeten A stellte eine Vermögensgefährdung dar, die das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens erfüllt.

a) Auch bei der Erschleichung von Kredit- oder Scheckkarten bedarf es keiner Gleich- 143 Stellung einer Vermögensgefährdung mit einem Vermögensschaden. Bei der Überlassung einer Scheckkarte oder einer Kreditkarte im Drei-Partner-System (Eurocard, American Express, Visa u.a.) liegt in der Eröffnung der Kreditmöglichkeit, deren Realisierung allein vom Willen des Kreditnehmers abhängt, eine Belastung des Vermögens des Kreditgebers mit der Forderung auf Einräumung eines Kredits. Diese bedeutet dann einen Vermögensschaden, wenn die Bonität des Kreditnehmers nicht gewährleistet ist. 4 0 2 b) Die Erschleichung einer Kreditkarte im sog. Zwei-Partner-System, sog. Kundenkarte, 144 insbes. von Kaufhäusern und Autovermietern, erfüllt hingegen noch nicht den Tatbestand des Betruges. Diese Karte erleichtert dem Kartengeber die Bonitätsprüfung, sie räumt dem Kartennehmer aber nicht eine Kreditmöglichkeit ein, deren Realisierung allein von seinem Willen abhängt. 4 0 3 c) Die rechtliche Beurteilung der rechtsmißbräuchlichen Nutzung der Kredit- oder 145 Scheckkarte war in Lehre und Rechtsprechung streitig. Nachdem der BGH in der mißbräuchlichen Nutzung der Scheckkarte einen Betrug gesehen hatte, während er die mißbräuchliche Nutzung der Kreditkarte für nicht strafbar hielt 4 0 4 , hat der Gesetzgeber mit Einführung des § 266 b als lex specialis gegenüber §§ 266, 263 eine Klarstellung vorgenommen. - Der Ausschluß des § 263 durch § 266 b soll nach h.M. aber nur beim Kartenmißbrauch im Drei-Partner-System gelten, nicht im Zwei-Partner-System; § 54 Rdn.45 ff. 401

402

Kritisch dazu FAHL Jura 1996 S. 77 f. d a z u ß G H S t 33 S. 246; B G H bei Holtz, MDR 1991 S. 105; ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 452;

Vgl

LACKNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 3

R d n . 3 2 6 ; GEPPERT J K , S t G B § 2 6 3 / 2 0 ; OFFERMANN w i s t r a 1 9 8 6 S. 5 7 ;

OTTO J Z 1 9 8 5 S . 1 0 0 8 ff; SEEBODE J R 1 9 7 3 S . 119. - A . A . BRINGEWAT N S t Z

1 9 8 5 S. 5 3 6 ; LABSCH

NJW 1986 S. 105 f; RIEMANN Vermögensgefährdung, S. 131 f. - Vergleichbar liegt die Problematik beim Erschleichen einer für das "electronic-cash-Verfahren" geeigneten Karte; a.A. ALTENHAIN JZ 1997 S. 7 5 7 . 4 0 3

404

Vgl. dazu BGH StV 1989 S. 199 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 263/29. einerseits BGHSt 2 4 S. 386, andererseits BGHSt 33 S. 244. - Zur Verwendung von für das "electronic-cash-Verfahren geeigneten Karten vgl. ALTENHAIN JZ 1997 S. 753 ff.

V g l

239

§51

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r d e s Einzelnen

7. Lastschriftenbetrug Problembereich: Täuschung und Irrtum. 146 Mit Einreichen einer Lastschrift erklärt der Einreichende konkludent, daß seine Forderung begründet und er zur Lastschrift berechtigt ist. Da allerdings der Sachbearbeiter in der Bank eine sachliche Prüfung des Anspruches nicht durchführt, entspricht die Problematik der des Prozeßbetruges. 405 8. Betrug bei Verkauf und Vermittlung von Termin- bzw. 147 Problembereich:

Terminoptionsgeschäften

Täuschung und Vermögensschaden.

Fall: A verkaufte dem B eine Warenterminoption. Der Kaufpreis enthielt eine Provision für A in Höhe von 50 % des Kaufpreises. A versprach Überwachung des Kurses und bestmögliche Verwertung der Option.

148 Bei der Vermittlung von Termin- oder Terminoptionsgeschäften kann eine Täuschung bereits darin liegen, daß falsche Vorstellungen über die Risiken des Geschäfts erweckt werden. Dazu zählen auch falsche Angaben über die Qualifikationen des Verkäufers, über die Seriosität der Vermittlungsfirma und über die Höhe der Vermittlungsgebühr. 406 149 Einen Schaden in Höhe des gesamten Optionspreises hatte die Rechtsprechung ursprünglich dann bejaht, wenn der Erwerber entweder überhaupt keine oder allenfalls eine Gewinnchance von theoretischer Bedeutung erlangt hatte. Ob diese Chance einen Handelswert hatte, sollte gleichgültig sein. 4 0 7 Inzwischen geht der BGH davon aus, daß bei der Berechnung eines eventuellen Schadens als wirtschaftlicher Gegenwert der Leistung die marktübliche Prämie für die Option sowie die Provision eines seriösen, inländischen Maklers zu berücksichtigen seien. 4 0 8 150 Zutreffend war die ursprüngliche Auffassung der Rechtsprechung, daß der Käufer geschädigt ist, wenn die Chance, einen Gewinn zu machen, aufgrund der Preisgestaltung praktisch wertlos ist. 4 0 9 Zum einen hat der Käufer der Option nämlich selbst keine Gelegenheit, diese zum Einkaufspreis zu veräußern, so daß der Handelswert der Option schon aus diesem Grunde nicht dem Wert des zum Erwerb eingesetzten Geldes gleichgesetzt werden kann. Zum anderen aber könnte als Entgelt der Leistungen des Verkäufers nur dann die Provision eines seriösen Vermittlers eingesetzt werden, wenn der Verkäufer auch die Leistung eines seriösen Vermittlers erbringen würde. Gerade dazu sind unseriöse Vermittler jedoch im Regelfall nicht im Stande. Hat nämlich der Erwerber die Option dem Vermittler zur sachgerechten Ausübung überlassen und ist dieser aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt nicht in der Lage, die Option sachgerecht auszuüben, so ist der Erwerber nicht nur in dem Teil seiner Leistung geschädigt, der für die - wertlosen Beratungstätigkeiten erbracht wurde, sondern er hat einen Schaden in bezug auf seine gesamte Leistung erlitten. Er wollte eine von der Marktsituation abhängige Spekulationschance erwerben und die - versprochene - Leistung fachgerechter Ausübung dieser Option. Erworben hingegen hat er eine spekulative Chance, die einfach ausläuft, so daß es von 405

Dazu OLG Hamm NJW 1977 S. 1834 sowie eingehend: OTTO Bankentätigkeit, S. 138 ff. - Zum elektronischen Lastschriftverfahren: ALTENHAIN JZ 1997 S. 759.

406 vgl. OLG München WM 1989 S. 1719; BGH wistra 1989 S. 19; BGH wistra 1991 S. 25. 407

Vgl. BGHSt 30 S. 177; 31 S. 115; OLG München NJW 1980 S. 794.

408 vgl. BGHSt 30 S. 388; 32 S. 22; BGH StV 1986 S. 299. 409

240

Dazu ACHENBACH NStZ 1988, S. 98 f; FRANKE/RISTAU wistra 1990 S. 252 ff; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 153 ff, 179 f; LACKNER/IMO MDR 1983, S. 971 ff; OTTO Die strafrechtliche Bekämpfung unseriöser Geschäftstätigkeit, 1990, S. 70 f; WORMS wistra 1984 S. 123 ff.

Betrug

§51

vornherein dem Zufall überlassen bleibt, ob sich die Gewinnchance realisieren läßt oder nicht. Damit aber ist die erworbene Gewinnchance über ihren spektulativen Charakter hinaus mit Risiken behaftet, die sie letztlich wertlos machen. 9. Der Sicherungsbetrug Problembereich: Vermögensschaden

151

Fall: A hat eine Sache des B unterschlagen. Als B Herausgabe verlangt, leugnet A, die Sache j e gesehen zu haben.

a) Sicherungsbetrug wird der hier - angeblich - vorliegende Betrug genannt, weil er die 152 Sicherung einer durch ein vorangegangenes Vermögensentziehungsdelikt erlangten Beute dient. Wird dies klar ausgesprochen, so ist die Problematik der Konstruktion offensichtlich: Hat der Täter sich die Beute, z.B. eine Sache, durch einen vorangegangenen Diebstahl, eine Unterschlagung, einen Betrug, eine Erpressung o.ä., verschafft, so ist der Schaden des Vermögensträgers durch dieses Delikt eingetreten. Für einen weiteren Betrugsschaden durch Kaschieren des vorangegangenen Delikts ist kein Raum und damit auch nicht für den Betrug "als straflose Nachtat", denn auch die straflose Nachtat ist tatbestandsmäßige Tat! Die Unterscheidung zwischen nicht tatbestandsmäßiger Tat und tatbestandsmäßiger, aber strafloser Nachtat wird von der Rechtsprechung oft nicht hinreichend deutlich gemacht; BGH bei Daliinger, M D R 1975 S. 23: "straflose Nachtat, weil kein weiterer Schaden e i n t r i t t " . 4 ' ^

b) Läßt das vorangegangene Vermögensdelikt hingegen noch Raum für einen neuen Scha- 153 den, so ist die Sachlage unproblematisch. Beide Delikte stehen in Realkonkurrenz. Fall: A hat das Kfz des B unbefugt in Besitz genommen. Er wollte es dem B am nächsten Tag zurückgeben. A m Abend veräußert er das Fahrzeug jedoch an den bösgläubigen X. Ergebnis:

§§ 248 b, 246, 53.

c) Problematisch ist die Beurteilung, wenn der Täter durch seine Täuschung die Gel- 154 tendmachung des Schadensersatzanspruches des Geschädigten aus der ersten Straftat, dessen sich der Geschädigte bewußt ist, zu verhindern sucht. B G H J Z 1979 S. 764: Nach einem Versicherungsbetrug fordert die geschädigte Versicherung von A den an ihn gezahlten Betrag zurück. A täuscht über eine Gegenforderung, um die Realisierung der Forderung zu verhindern.

Konstruktiv sind hier zwei Schädigungen zu unterscheiden: Schaden durch den Versi- 155 cherungsbetrug und Schaden durch Verhinderung der Realisierung der Forderung, die allerdings aus dem ersten schädigenden Ereignis erwachsen ist. Da es wirtschaftlich jedoch um die Sicherung der Beute aus der 1. Straftat geht, ist es vertretbar, den 2. Betrug als straflose Nachtat zu werten. 4 1 1 d) Zu der entsprechenden Problematik der Zueignung vgl. oben § 42 Rdn. 23 f. - Zur Si- 156 cherungserpressung vgl. unten § 53 Rdn. 6.

4 1 0

Vgl. auch B G H wistra 1992 S. 343; B G H StV 1992 S. 272; dazu OTTO Jura 1994 S. 276 ff.

411

Vgl. auch B G H JZ 1979 S. 765; OTTO JZ 1993 S. 662.

241

§52

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r d e s Einzelnen

§ 52: Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352, 353 1. Gebührenüberhebung, 1 2 3 4

5 6

c) Die Tathandlung besteht im Erheben von Gebühren oder Vergütungen, die entweder kostenrechtlich nicht oder nicht in der geforderten Höhe geschuldet werden. 4 1 3 Erheben ist das Verlangen und Empfangen der Leistung, wobei das Verhalten des Täters auf Täuschung des Schuldners über die Rechtmäßigkeit der Leistung gerichtet sein muß. 4 1 4 - Vergütung ist jedes Entgelt für eine amtliche Tätigkeit. - Gebühr ist ein Unterfall der Vergütung. d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt 4 1 5 . - Bereicherungsabsicht i.S. des § 263 ist nicht erforderlich. 4 1 6 e) Begeht der Täter über die in § 352 genannte Täuschung hinaus eine zusätzliche Täuschung, so liegt Idealkonkurrenz mit § 263 vor. 4 1 7 2. Abgabenüberhebung,

7

§ 352

a) § 352 enthält einen privilegierenden Spezialfall des Betruges. 4 1 2 Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen des Opfers. - Die Tat ist echtes Sonderdelikt, beachte § 28 Abs. 1. b) Täter können nur Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), Anwälte oder sonstige Rechtsbeistände sein, die zum eigenen Vorteil Gebühren oder Vergütungen erheben dürfen.

§ 353 Abs. 1

a) Auch § 353 Abs. 1 enthält einen privilegierenden Sonderfall des Betruges. Geschütztes Rechtsgut ist auch hier das Vermögen. Nach h.M. richtet sich die Tat darüber hinaus gegen den Staat, dem die erhobenen Beträge vorenthalten werden. - Damit aber wird das Delikt noch nicht zum Delikt gegen das Ansehen des Staates. 4 1 8

8

9

b) Täter kann nur ein Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) sein, der öffentlich-rechtliche Abgaben für eine Kasse des Bundes, des Landes, einer öffentlichen Körperschaft oder Anstalt zu erheben hat. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. c) Die Tat setzt voraus, daß der Täter Steuern, Gebühren oder andere Abgaben, die nicht oder nicht in dieser Höhe geschuldet werden, erhebt und ganz oder zum Teil nicht an die öffentliche Kasse abliefert. - Eine rechtswidrige Zueignung des Erlangten ist nicht erforderlich. Daher liefert auch der Täter, der die Abgaben nicht als solche abliefert, sondern sie zur Deckung von Fehlbeträgen der Kasse zuführt, die Abgabe i.S. der Vorschrift nicht ab. 4 1 9 412

Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2901.

413

Vgl. OLG Köln NJW 1988 S. 503 (Gebühr für falsche Sachbehandlung); BayObLG NJW 1989 S. 2901 (unzulässige Honorarvereinbarung); OLG Karlsruhe NStZ 1991 S. 239 (Erfolgshonorar).

414

Vgl. BayObLG NStZ 1990 S. 129.

4 1 5

A.A.

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.

2,

§ 79

Rdn.

11;

SAMSON S K

S C H / S C H / C R A M E R § 3 5 2 R d n . 10. 4 1 6

V g l . z . B . L A C K N E R / K Ü H L § 3 5 2 R d n . 6 ; T R Ä G E R L K , 10. A u f l . , § 3 5 2 R d n . 2 1 .

417

Dazu BGHSt 2 S. 35.

418

A.A. WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 214.

419

Dazu OLG Köln NJW 1966 S. 1373.

242

II,

§ 352

Rdn.

12;

Betrugsähnliche Tatbestände

§52

d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Str. entsprechend der Auseinandersetzung JQ bei § 352. e) Zur Konkurrenz mit § 263 vgl. Rdn. 6; mit § 246 kann - je nach Sachverhalt - Ideal- und 11 Realkonkurrenz vorliegen. 4 2 0 3. Leistungskürzung,

§ 353 Abs. 2

a) Zur Deliktsnatur und zum geschützten Rechtsgut vgl. Rdn. 7. 12 b) Täter kann nur ein Amtsträger sein ( § 1 1 Abs. 1 Nr. 2), der Sachwerte oder Geld amtlich ausgibt. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. c) Die Tathandlung setzt voraus, daß der Täter bei amtlich zu erbringenden Leistungen Abzüge macht, die Leistung aber als vollständig erbracht in Rechnung stellt. d) Zum Vorsatz und zu den Konkurrenzen mit § 263 vgl. Rdn. 10 f.

II. Erschleichen von Leistungen, § 265 a § 265 a ergänzt den § 263 in vier Fällen. Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögend21

13

1. Automatenmißbrauch, § 265 a, I. Alt. a) Nach überkommenem Verständnis kamen für die Verwirklichung der 1. Alternative nur 14 sog. Leistungsautomaten in Betracht, z.B. Fernsprech-, Spiel- und Musikautomaten sowie Münzkassiergeräte an Fernsehern u.ä. - Die Ausleerung sog. Warenautomaten wurde, wenn sie durch Falschgeld oder sonstige Tricks bewirkt wurde, als Diebstahl erfaßt, demgegenüber § 265 a subsidiär ist. Das ließ es angemessen erscheinen, durch restriktive Auslegung des Begriffs "Automaten" bereits den Schutzbereich der Vorschrift von vornherein zu begrenzen. 4 2 2 Nachdem der BGH die Frage des Gewahrsamsbruchs beim Mißbrauch des Geld- 15 automaten nach der funktionsgerechten bzw. funktionswidrigen Nutzung des Automaten entscheidet 423 , erscheint es angemessen, diese Differenzierung auch hier als maßgeblich anzusehen, denn auch Warenautomaten sind heute z.T. bereits computergesteuert. Das hätte zur Konsequenz, entgegen der bisher h.M. auch die Hergabe einer Ware durch einen Automaten als Leistung eines Automaten anzusehen und die Tat bei funktionsgerechter Nutzung des Automaten als Automatenmißbrauch zu erfassen. Nach wie vor wird die funktionswidrige Nutzung des Automaten durch Einwirkung auf seinen Mechanismus von außen hingegen einen Gewahrsamsbruch und damit einen Diebstahl begründen. 4 2 4 b) Als Tatobjekt kommen nur entgeltliche Leistungen in Betracht (Rechtsgut: Vermö- 16 gen!). - Erschleichen setzt keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen voraus, jede "unbefugte Inanspruchnahme" genügt. Die Ausleerung von Automaten durch Aufbrechen 420

Vgl. BGHSt 2 S. 35; BGH NJW 1961 S. 1171.

421

Dazu BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) NJW 1998 S. 1136; FALKENBACH Die Leistungserschieichung (§ 265 a StGB), 1983, S. 78 f; TLEDEMANN LK, § 265 a Rdn. 13.

422

Im einzelnen: FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 81 ff; vgl. auch OLG Celle NJW 1997 S. 1518 mit insoweit abl. Anm. HILGENDORF JR 1997 S. 348; GÖSSEL B.T. 2, § 22 Rdn. 52. - Zum Streitstand:

423

BGHSt 38 S. 124; dazu vgl. auch § 40 Rdn. 39.

424

So auch GÜNTHER SK II, § 265 a Rdn. 11.

KÜPER B T . , S. 3 5 f f ; OTTO J Z 1 9 8 5 S. 2 3 ; TLEDEMANN L K , § 2 6 5 a R d n . 21 f.

243

§52

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

erfüllt in der Regel den Diebstahlstatbestand. 425 - Beim Geldspielautomaten ist zu differenzieren: Erlangt der Täter durch Manipulation kostenlose Spiele, so liegt § 265 a vor, leert er den Automaten durch funktionswidrige Nutzung, so greift § 242 ein. 4 2 6 2. Erschleichen der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes, § 265 a, 2. Alt. 17 Telekommunikationsnetz ist die Gesamtheit der technischen Einrichtungen (Übertragungswege, Vermittlungseinrichtungen und sonstige Einrichtungen, die zur Gewährung eines ordnungsgemäßen Betriebs des Telekommunikationsnetzes unerläßlich sind), die zur Erbringung von Telekommunikationsleistungen - dazu § 34 Rdn. 46 - oder zu nicht gewerblichen Telekommunikationszwecken dient, § 3 Nr. 21 TKG. - Öffentlichen Zwecken dient das Netz, wenn es ganz oder z.T. im Interesse der Öffentlichkeit betrieben wird. Zum Erschleichen vgl. Rdn. 16. 18 Da entgeltliche Leistung im Fernsprechverkehr nur die Herstellung und Aufrechterhaltung der Verbindung ist, wird die bloße Auslösung des Klingelzeichens nicht als Tathandlung erfaßt. 4 2 7 5. Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel, § 265 a, 3. Alt. 19 Beförderung durch ein Verkehrsmittel ist jede entgeltliche Transportleistung. - Erschleichen ist auch in diesem Zusammenhang jedes ordnungswidrige Verhalten, mit dem sich der Täter unberechtigt in den Genuß einer Leistung setzt und dabei Kontrollmaßnahmen umgeht oder sich den Anschein der Ordnungsmäßigkeit gibt. Die Begrenzung des Tatbestandes auf Fälle der Umgehung einer Kontrolleinrichtung überzeugt nicht. 4 2 8 § 265 a soll die Fälle der Inanspruchnahme von Massenleistungen erfassen, in denen mangels Täuschung und Irrtumserregung § 263 nicht anwendbar ist. 4 2 9 20 Bringt der Täter jedoch ausdrücklich dem Berechtigten gegenüber zum Ausdruck, daß er die Leistung ohne Zahlung von Entgelt in Anspruch nimmt, so kann ein "Erschleichen" nicht vorliegen. BayObLG NJW 1969 S. 1042: Der Demonstrant A, der gegen die Erhöhung von Fahrgeld in der Straßenbahn demonstrierte, stieg in die Straßenbahn, fuhr mit und verkündete offen, er werde den Fahrpreis nicht zahlen. BayObLG: Kein "Erschleichen" der Beförderung, wohl aber § 123.

21 Diese Interpretation des Merkmals Erschleichen wird dem allgemeinen Wortsinn sicher gerecht. Mißlich ist jedoch, daß in der 1. Alternative des § 265 a auch die offen angekündigte Inanspruchnahme des Leistungsautomaten, die der Berechtigte nicht verhindern 425

Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1985 S. 795.

426

Vgl. OLG Koblenz NJW 1984 S. 2424.

427

Vgl. dazu auch FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 85 f; GÜNTHER SK II, § 265 a Rdn. 13; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 5 a R d n . 10, 13; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 a R d n . 18. - A . A . BRAUNER/GÖHNER N J W 1 9 7 8 S. 1 4 6 9 f f ; HERZOG G A 1 9 7 5 S. 2 6 1 .

428

So aber ALBRECHT NStZ 1988 S. 222; ALWART NStZ 1991 S. 589 ff; FISCHER NStZ 1991 S. 41 f; GÜNTHER S K II, § 2 6 5 a R d n . 18; LACKNER/KÜHL § 2 6 5 a R d n . 6 a; RANFT J u r a 1 9 9 3 S . 8 7 ; SCHALL J R 1 9 9 2 S . 1 f f ; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 a R d n . 4 7 .

429

Vgl. BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) NJW 1998 S. 1135 f; BayObLG NJW 1969 S. 1042; OLG Stuttgart NJW 1990 S. 924; OLG Hamburg MDR 1991 S. 469; OLG Düsseldorf MDR 1992 S. 502; Gössel B.T. 2, § 2 2 R d n . 7 5 ; HÄUF D R i Z 1 9 9 5 S. 15 f f ; KÜPER B . T . , S. 4 3 f f ; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD

B.T. 1, § 41 Rdn. 223; TRÖNDLE StGB, § 265 a Rdn. 3.

244

Betrugsähnliche Tatbestände

§52

kann, als "Erschleichen" angesehen werden muß. - Damit erhält der gleiche Begriff je nach Zusammenhang einen unterschiedlichen Inhalt. Ist der Täter im Besitz einer gültigen Zeitkarte, die er lediglich nicht bei sich führt, so 22 fehlt es am Erschleichen der Leistung, da er für diese das Entgelt entrichtet hat. 4. Erschleichen freien Eintritts, § 265 a, 4. Alt. Als Veranstaltung kommen Theater, Konzert oder Sportwettkämpfe, als Einrichtungen der 23 Allgemeinheit zugängliche Gebäude oder Stätten wie Museen, Schwimmbäder u.ä. in Betracht. Stets muß es sich aber um Einrichtungen handeln, zu denen gerade durch die Tathandlung der Zugang eröffnet, ermöglicht wird. 430 Das Entgelt muß aus wirtschaftlichen Gründen erhoben werden, nicht nur zur Be- 24 grenzung des Zutritts. Doch dürften die Fälle, in denen das Entgelt ausschließlich zur Begrenzung des Zutritts erhoben wird, Ausnahmecharakter haben. 431 Strafbar ist die Erschleichung des Zutritts, nicht aber die Inanspruchnahme eines teu- 25 reren Platzes. - Wird der zur Einlaßgewährung Berechtigte getäuscht, so kommt § 263 in Betracht. 5. Antragsprivileg Nach § 265 a Abs. 3 gelten §§ 247, 248 a entsprechend.

26

6. Subsidiaritätsklausel Die Subsidiaritätsklausel des § 265 a gilt nur gegenüber Vermögensdelikten. Beim Angriff 27 gegen das Vermögen mit zugleich stärkeren Mitteln ist es angemessen, § 265 a Subsidiarität zuzuerkennen, nicht aber beim Angriff gegen ganz andere Rechtsgüter; im letzteren Fall: Idealkonkurrenz.432 III. Computerbetrug, § 263 a 1. Gesetzgeberische Intention und geschütztes Rechts gut a) Die gesetzgeberische Intention Mit dem steigenden Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen wuchsen die Gefahren ihrer 28 vermögensschädigenden mißbräuchlichen Nutzung, die mit den bisherigen Straftatbeständen nicht zu erfassen waren. § 263 kam nicht in Betracht, wenn kein Irrtum einer Person erregt wurde, § 266 scheiterte oft an der - von der h.M. für beide Tatbestandsalternativen geforderten - selbständigen Vermögensbetreuungspflicht. Die hier begründeten Strafbarkeitslücken sollten durch einen betrugsähnlich aufgebauten Tatbestand gegen vermögensschädigende Computermanipulationen geschlossen werden. 433 430

Vgl. dazu OLG Hamburg JR 1981 S. 390; BayObLG JR 1991 S. 433 mit Anm. GRAUL S. 435 f, OTTO JK 92, StGB § 265 a/2.

431

Dazu OLG Hamburg NJW 1981 S. 1281 mit Anm. M. J. SCHMID JR 1981 S. 391 (Bahnsteig).

4 3 2

S o a u c h G Ü N T H E R S K II, § 2 6 5 a R d n . 2 4 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 4 1 R d n . 2 2 6 ;

TIEDEMANN LK, § 265 a Rdn. 56; im übrigen zu den möglichen Konkurrenzen: FALKENBACH Leistungserschleichung, S. 104 ff. 433 vgl. dazu BT-Drucks. 10/318, S. 16; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 338 f f , 2 / 2 6 f f ; LACKNER T r ö n d l e - F S ,

S. 4 3

f f ; LENCKNER/WINKELBAUER C R

1986 S. 6 5 4 ff;

MÖH-

RENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 2 8 f f ; TIEDEMANN J Z 1 9 8 6 S . 8 6 8 f f .

245

§52 29

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

In der Formulierung der Tatbestandsmerkmale ist § 263 a daher eng an § 263 angelehnt worden. Da jedoch Täuschung, Irrtum und dadurch bedingte Vermögensverfügung die Struktur des Betrugstatbestandes prägen, diese Elemente aber dem Tatbestand des Computerbetruges gerade fehlen, ist die Ähnlichkeit zwischen den Tatbeständen nur eine verbale. Strukturell unterscheiden sie sich grundlegend, da § 263 a auch Elemente der Eigentumsdelikte und der Untreue enthält. 434 Allein bezogen auf den Schutzbereich lassen sich - im Hinblick auf die ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers - aus dem Betrugstatbestand Argumente für die Auslegung des § 263 a gewinnen.

b) Das geschützte Rechtsgut 30 Geschütztes Rechtsgut ist - insoweit in Übereinstimmung mit § 263 - das Vermögen. Daß Computermißbräuche vor allem in Unternehmen verwirklicht werden, macht das Delikt nicht zu einem Wirtschaftsdelikt. Dem Schutz der Wirtschaftsordnung und ihrer Institute durch den Tatbestand kommt keine eigenständige Bedeutung zu. 435 2. Das Angriffsobjekt 31 Angriffsobjekt der verschiedenen Tathandlungen ist das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs. - Der Begriff der Daten ist hier weit auszulegen und erfaßt alle Informationen, die sich kodieren lassen, und damit auch die der Verarbeitung dienenden Programme, da diese als fixierte Arbeitsanweisungen an den Computer aus Daten zusammengefügt sind. 436 Unter Datenverarbeitung sind die technischen Vorgänge zu verstehen, bei denen durch Aufnahme von Daten und ihre Verknüpfung nach Programmen Arbeitsergebnisse erzielt werden. 437 32

Im W e g e teleologischer Auslegung ist der Anwendungsbereich des § 263 a allerdings nach dem heutigen Stand der Technik auf EDV-Systeme zu begrenzen, da nicht jede Beeinträchtigung technischer Sicherheitseinrichtungen, z.B. Zahlenkombination eines Tresorschlosses, in den Schutzbereich fallt. Gleichwohl bleibt der Anwendungsbereich des § 263 a weit, da Leistungs- und Warenautomaten in der Regel mit Geldprüfgeräten versehen sind, die eine Datenverarbeitung bei der Prüfung vornehmen. 43 *®

3. Die Tathandlungen a) Die unrichtige Gestaltung des Programms 33 Da auch Programme aus Daten bestehen, handelt es sich bei der unrichtigen Gestaltung des Programms um einen Spezialfall der zweiten Handlungsalternative, der Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten. 34 Unrichtig kann zum einen subjektiv vom Verfügungsberechtigten, zum anderen objektiv von der Vorstellung der an der Datenverarbeitung Beteiligten her bestimmt werden. - Der objektiven Betrachtungsweise ist der Vorzug zu geben, denn wenn § 263 a im Schutzbereich betrugsspezifisch interpretiert wird, so dient er nicht nur dem Schutz desje4 3 4 VGL. auch SCH/SCH/CRAMER §263 a Rdn. 2; TRÖNDLE StGB, § 263 a Rdn. 1. - A.A. GÜNTHER SK II, § 2 6 3 a R d n . 2 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 a R d n . 2. 4 3 5

Vgl.

GÜNTHER S K

II,

§ 263

a Rdn.

4; LACKNER/KÜHL

§ 263

a Rdn.

1;

MAURACH/SCHROEDER/

M A I W A L D B . T . 1, § 4 1 R d n . 2 2 7 ; T R Ö N D L E S t G B , § 2 6 3 a R d n . 2 . 436

VGL. d a z u B T - D r u c k s .

1 0 / 5 0 5 8 , S. 3 0 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 a R d n 3; LENCKNER/WINKELBAUER

1 9 8 6 S. 4 8 5 ; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a

1 9 8 6 S. 132; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.

Rdn. 2 2 9 . 4 3 7

B T - D r u c k s . 10/318, S. 21.

4 3 8 v g l . dazu auch LACKNER/KÜHL § 263 a Rdn. 4; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 658 f.

246

1,

CR §41

Betrugsähnliche Tatbestände

§52

nigen, der über das Datenprogramm verfügungsberechtigt ist, sondern soll Mißbräuche mit Hilfe der Datenverarbeitung verhindern. 439 Richtig ist ein Programm danach nur dann, wenn es bei Verwendung richtiger und vollständiger Daten in systematischen Arbeitsschritten das den Zwecken der Datenverarbeitung entsprechende Ergebnis liefert. Beispiel: Der Unternehmer A gestaltet das Programm seiner EDV-Anlage so, daß es den Lohn der Arbeitnehmer niedriger errechnet als es der Leistung dieser Arbeitnehmer entspräche. Ergebnis: Programm unrichtig.

b) Die Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten Der Begriff der Verwendung kann unterschiedlich weit interpretiert werden. Er kann als 35 Nutzung der Daten bei der Datenverarbeitung oder enger als Einführung von Daten in den beginnenden oder bereits ablaufenden DatenverarbeitungsVorgang verstanden werden. Ausdrücklich hat der Gesetzgeber sich in der Begründung des ursprünglichen Entwurfs der Vorschrift für den Begriff der Verwendung falscher Daten als den weiteren Begriff entschieden. Dieser Wille des Gesetzgebers hat im Gesetzeswortlaut hinreichend Ausdruck gefunden. Damit verdient der weitere Begriffsinhalt den Vorzug. 4 4 0 Die Verwendung kann unmittelbar durch den Operateur oder den Terminalbenutzer er- 36 folgen, aber auch mittelbar durch einen Hintermann, der ein gutgläubiges Werkzeug benutzt. Ob das Werkzeug dabei tauglicher Adressat einer Täuschung sein kann, weil es einer Prüfungspflicht unterliegt, ist irrelevant, da dieses die mittelbare Täterschaft nicht berührt. 4 4 1 Unrichtig oder unvollständig sind die Daten, wenn sie den bezeichneten Sachverhalt 37 nicht der Wirklichkeit entsprechend oder nicht ausreichend wiedergeben. Der unbegründete Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids im automatisierten Verfahren, fällt unter Berücksichtigung der Pflicht zum wahrheitsgemäßen Parteivortrag im Zivilprozeß unter § 263 a . 4 4 2

c) Die unbefugte Verwendung von Daten aa) Str. ist, ob die unbefugte Verwendung von Daten eine Einwirkung auf den Ablauf ei- 38 nes Datenverarbeitungsvorganges voraussetzt, die bei bloß unerlaubter Inanspruchnahme z.B. eines Geld-, Spielautomaten oder des Btx- Systems nicht vorliegt. Argumentiert wird, daß der Gesetzgeber die Aufzählung der verschiedenen Tatmittel im Gesetzestext mit den Worten "oder sonst durch unbefugte Einwirkung auf den Ablauf beeinflußt", beendet. Sprachlich ordne das Wort "sonst" die vorangegangenen numerativ benannten Manipulationsformen der zuletzt genannten Form, dem unbefugten Einwirken auf den Ablauf, als bloße Beispiele unter. 4 4 3

4 3 9

V g l . G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 2 R d n . 2 1 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 3 a R d n . 1 4 ; H A F T N S t Z 1 9 8 7 S . 7 ; L A C K N E R /

KÜHL § 263 a Rdn. 7; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 87; TRÖNDLE StGB, § 263 a Rdn. 6. - A.A. BT-Drucks. 10/318, S. 20; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S . 6 5 4 ; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 3 2 ; S C H / S C H / C R A M E R § 2 6 3 a R d n . 6 . 440

Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 20; BayObLG NStZ 1994 S. 287; GÖSSEL B.T. 2, § 22 Rdn. 7, 18;

4 4 1

S o a u c h L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 3 a R d n . 8 f . - A . A . GÜNTHER S K II, § 2 6 3 a R d n .

HILGENDORF JUS 1997 S. 131; RANFT J u S 1 9 9 7 S. 20. - D a g e g e n aber ACHENBACH J R 1994 S. 2 9 3 f. 12; L E N C K N E R /

WINKELBAUER C R 1986 S. 656; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 132; TRÖNDLE S t G B , § 2 6 3 a R d n .

7. 442

So auch BT-Drucks. 10/318, S. 20; GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 4; HAFT NStZ 1987 S. 8; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 3 2 . - A . A . GÜNTHER S K II, § 2 6 3 a R d n . 16; L E N C K N E R / W I N K E L BAUER C R 1 9 8 6 S . 6 5 6 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1 , § 4 1 R d n . 2 3 2 .

4 4 3

Vgl. L G Wiesbaden

NJW

1 9 8 9 S . 2 5 5 2 ; JUNGWIRTH M D R

1 9 8 7 S . 5 4 2 f; K L E B - B R A Ü N J A

1986

247

§52

39

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

Die h.M. folgt dem nicht. Sie geht davon aus, daß auch derjenige auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs einwirkt, der das Programm in Gang setzt und interpretiert das Wort "sonst" dahingehend: "Falls nicht eine der drei vorherigen Alternativen gegeben ist". 4 4 4 - Damit entscheidet die Interpretation des Begriffs unbefugt über den Anwendungsbereich des Tatbestandes.

40 bb) Dem Wortsinn am ehesten gerecht wird die Interpretation der unbefugten Verwendung von Daten als unberechtigte Verwendung. Unbefugt werden Daten danach verwendet, wenn ihrer Nutzung der ausdrückliche oder mutmaßliche Willen des Berechtigten entgegensteht. 4 4 5 41 In der Literatur wird eine einschränkende Auslegung vorgeschlagen, indem zum einen eine unbefugte Verwendung nur dann angenommen wird, wenn die Daten gerade in Bezug auf ihre Funktion im Programm unbefugt verwendet werden 4 4 6 , zum anderen wird eine betrugsspezifische Auslegung vorgeschlagen, so daß eine unbefugte Verwendung nur dann angenommen wird, wenn die Befugnis des Täters zur Inanspruchnahme der Leistung seines Beziehungspartners zu den Grundlagen des jeweiligen Geschäftstypus gehört, so daß sie nach den Anschauungen des Geschäftsverkehrs auch bei Schweigen der Beteiligten als selbstverständlich vorhanden vorausgesetzt wird. 4 4 7 42 Bei den unbefugt verwendeten Daten muß es sich - Abgrenzung zur 2. Alternative - um richtige Daten handeln. 4 4 8 cc) Zur 43

Verdeutlichung

Fall 1: OLG Celle NStZ 1989 S. 367 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 263 a/3: A hatte sich rechtswidrig das Programm eines Glücksspielautomaten besorgt. In Kenntnis dieses Programms war er in der Lage, mit der sog. Risikotaste des Automaten sichere Gewinne zu erzielen, da er ermitteln konnte, an welcher Stelle das Programm jeweils war. OLG Celle: § 263 a liegt nicht vor, da der Automat äußerlich ordnungsgemäß genutzt wurde. Diese Begründung überzeugt als Lösung der str. Problematik n i c h t . 4 4 9 Wird Verwenden als Nutzen der Daten bestimmt, so ist auch die mittelbare Verwendung der Daten noch tatbestandsmäßig. Problematisch ist

S. 258 f; RANFT wistra 1987 S. 83. 444

BGHSt 38 S. 121; BayObLG NJW 1991 S. 440; BayObLG JR 1994 S. 289 mit Anm. ACHENBACH S. 293 ff; OLG Köln NJW 1992 S. 125; EHRLICHER Der Bankomatenmißbrauch, 1989, S. 80 ff; G Ü N T H E R S K I I , § 2 6 3 a R d n . 1 1 ; LACKNER T r ö n d l e - F S , S . 5 8 ; O T T O J R 1 9 8 7 S . 2 2 4 .

445

So auch BGHSt 40 S. 331, 335 mit Anm. ARLOTH Jura 1996 S. 354 ff, MITSCH JR 1995 S. 432 f, OTTO J K 9 5 , S t G B § 2 6 3 a / 8 , S C H U L Z J A 1 9 9 5 S . 5 3 8 f f , VASSILAKI C R 1 9 9 5 S . 6 2 2 f f , ZIELINSKI N S t Z

1995 S. 345 ff; BayObLG NJW 1991 S. 440 f; BayObLG JR 1994 S. 289; BÜHLER MDR 1991 S. 16; G Ö S S E L B . T . 2, § 2 2 R d n . 12; HILGENDORF J u S 1 9 9 7 S. 132; O T T O C R 1 9 9 0 S. 7 9 8 . 446

OLG Celle NStZ 1989 S. 367 f; LG Freiburg NJW 1990 S. 2635 f; ACHENBACH JR 1994 S. 295; ALTENHAIN J Z 1 9 9 7 S . 7 5 7 f ; H E R Z O G S t V 1 9 9 1 S . 2 1 7 ; L E N C K N E R / W I N K E L B A U E R C R 1 9 8 6 S . 6 5 7 f ; NEUMANN J u S 1 9 9 0 S. 5 3 7 .

447

Grundlegend: LACKNER Tröndle-FS, S. 53; im übrigen vgl. BGHSt 38 S. 122; OLG Köln NJW 1992 S . 1 2 6 f ; GÜNTHER S K II, § 2 6 3 a R d n . 1 8 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 3 a R d n . 13; M E I E R J U S 1 9 9 2 S . 1 0 1 9 ;

SCH/SCH/CRAMER § 263 a Rdn. 11; TRÖNDLE StGB, § 263 a Rdn. 8. - Mit anderer Akzentuierung: LAMPE JR 1988 S. 437 ff; SCHLÜCHTER NStZ 1988 S. 59. - Dagegen aber RANFT NJW 1994 S. 2577. Im einzelnen dazu OTTO Jura 1993 S. 612 ff. 4 4 8

V g l . a u c h G Ü N T H E R S K II, § 2 6 3 a R d n . 17. - A . A . G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 2 R d n . 14.

449

Vgl. BayObLG NJW 1991 S. 438 mit Anm. BÜHLER NStZ 1991 S. 343 ff, NEUMANN JR 1991 S. 302 f f , SCHLÜCHTER C R 1 9 9 1 S . 1 0 5 f f ; B a y O b L G J R 1 9 9 4 S . 2 8 9 ; A C H E N B A C H J u r a 1 9 9 1 S . 2 2 7 f ; ETTER C R 1991

248

S.

84

ff.

Betrugsähnliche Tatbestände

§52

dann, ob A unbefugt handelte. Das ist zu bejahen, wenn unbefugt als unberechtigt zur Nutzung der Daten bestimmt wird, abzulehnen, wenn auf die funktionsabhängige Interpretation abgestellt wird. Fall 2: BGHSt 38 S. 120: A hatte sich Kartendaten und Geheimnummern für codierte Automatenscheckkarten besorgt. Die Daten übertrug er auf Scheckkarten-Blankette und verschaffte sich mit Hilfe dieser Karten Bargeld aus Bankautomaten.

44

BGH: A ist des Computerbetrugs, § 263 a, schuldig. Dem ist zuzustimmen, denn A nutzte den Bankautomaten zwar funktionsgerecht, aber u n b e f u g t . 4 ^ Unbefugt würde allerdings auch derjenige handeln, dem die richtige Karte und die Geheimnummer von dem berechtigten Inhaber vertragswidrig zur Ausführung eines Auftrags überlassen wurde. Dieses Verhalten wäre aber nicht tatbestandsmäßig, da die Absicht, sich rechtswidrig einen Vermögensvorteil zu verschaffen, fehlt. Hingegen liegt diese Absicht bei demjenigen vor, der einen Auftrag überschreitet, um sich rechtswidrig in den Besitz der Differenzsumme zu s e t z e n . 4 5 ' Auch die mißbräuchliche Nutzung des Bankautomaten durch den berechtigten Karteninhaber, der aber unbefugt sein Konto überzieht, erfüllt den Tatbestand, 4 5 2 während andere dieses Verhalten unter § 266 b subsumieren wollen, zumindest dann, wenn die Karte bei einem Automaten eines anderen Instituts genutzt wird.453 Fall 3: OLG Zweibrücken StV 1993 S. 196: A nutzte das Btx-System, obwohl er zahlungsunfähig und -unwillig war.

45

OLG Zweibrücken: A handelte nicht unbefugt, da der Computer nur die formelle, nicht aber die materielle Berechtigung prüft. Dieses Ergebnis ist nur haltbar auf der Grundlage der Auffassung, daß die Daten in Bezug auf die Funktion im Programm unbefugt verwendet werden m ü s s e n . 4 5 4

d) Die sonst unbefugte Einwirkung auf den Ablauf Die vierte Handlungsalternative ist als Auffangtatbestand gedacht, dessen unbestimmte 46 Weite dann angemessen begrenzt wird, wenn als unbefugt die Einwirkung verstanden wird, infolge derer die Anlage die eingegebenen Informationen über Tatsachen nicht ihrem sachlichen Gehalt entsprechend verarbeitet und aus diesem Grunde zu einem abwei-

450

4 5 1

Vgl. auch ACHENBACH NStZ 1993 S. 430; CRAMER JZ 1992 S. 1032; OTTO JK 92, StGB § 263 a/6; SCHLÜCHTER JR 1993 S. 493 ff; ZIELINSKI CR 1992 S. 223 ff. - Gleiches gilt für die Nutzung einer Karte im "electronic-cash-Verfahren" durch den Nichtberechtigten; dazu ALTENHAIN JZ 1997 S. 755 ff. V g l . H I L G E N D O R F J U S 1 9 9 7 S . 1 3 4 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 3 a R d n . 14; M I T S C H J Z 1 9 9 4 S . 8 8 2 ; O T T O

JR 1992 S. 252 ff. - A.A. OLG Köln NJW 1992 S. 125; OLG Düsseldorf StV 1998 S. 266; GÜNTHER SK II, § 2 6 3 a Rdn. 19. 452

Vgl. auch A C H E N B A C H NJW 1 9 8 6 S. 1 8 3 8 ; B E R N S A U Der Scheck- oder Kreditkartenmißbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 158 ff; EHRLICHER Bankomatenmißbrauch, S. 89 f; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 6 R d n . 3 6 ; G Ü N T H E R S K II, § 2 6 6 b R d n . 6 ; H A F T N S t Z 1 9 8 7 S . 8 ; H I L G E N D O R F J u S 1 9 9 7 S . 135;

LACKNER T r ö n d l e - F S ,

S. 58

f;

MAURACH/

SCHROEDER/MAIWALD

B.T.

1,

§41

Rdn.

233;

MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 133; OTTO wistra 1986 S. 153; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 110; TIEDEMANN JZ 1986 S. 869; TRÖNDLE StGB, § 263 a Rdn. 8 a. - Gleiches gilt für die entsprechende Nutzung einer Karte im "electronic-cash-Verfahren"; a.A. ALTENHAIN JZ 1997 S. 757 f. 453

Hierzu OLG Stuttgart NJW 1988 S. 981; BayObLG NJW 1997 S. 3039; BÜHLER MDR 1989 S. 22; HUFF N J W

1 9 8 7 S. 8 1 5 f f ; MEIER JUS 1 9 9 2 S. 1 0 2 0 f; MITSCH J Z 1 9 9 4 S. 8 8 1 ;

SCH/SCH/CRAMER

§ 263 a Rdn. 8 ff; WEBER JZ 1987 S. 215; DERS. Küchenhoff-GedS, S. 490 ff; vgl. auch § 54 Rdn. 48. 4 5 4

V g l . d a z u O T T O J u r a 1 9 9 3 S . 6 1 5 ; RICHTER C R 1 9 9 1 S . 3 6 1 f f . A . A . G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 2 R d n . 17.

249

§53

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

chenden Ergebnis kommt. 4 5 5 Praktische Bedeutung kann diese Handlungsalternative bei bestimmten Konsol- und Outputmanipulationen erhalten. 4 5 6 4. Die Folge der Tathandlung: Die Beeinflussung des Ergebnisses des Datenverarbeitungsvorgangs 47 Die Tathandlung muß das Ergebnis des Datenverarbeitungsvorgangs beeinflußt und dadurch einen Vermögensschaden begründet haben. - Die Tathandlung hat den Vorgang beeinflußt, wenn sie für das Ergebnis (mit-) ursächlich geworden ist. Irrelevant ist es, ob das Ergebnis verfälscht oder - vgl. Rdn. 40 f - nur unbefugt erzielt wurde. - Das Ergebnis begründet einen Vermögensschaden, wenn es als solches unmittelbar vermögensmindernd wirkt, z.B. eine Gutschrift zugunsten des Täters oder eines Dritten bewirkt. Bedarf es zur Realisierung der Vermögensminderung noch einer deliktischen Zwischenhandlung des Täters, weil das Ergebnis der Datenverarbeitung täuschend genutzt werden soll, so fehlt es an der Unmittelbarkeit der Vermögensminderung. Im übrigen gelten bei der Beurteilung von Vermögensgefährdung und Vermögensschädigung die gleichen Grundsätze wie bei der Schadensbestimmung des Betrugs. 4 5 7 5. Vorsatz und

Bereicherungsabsicht

48 Für den Vorsatz und die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, gelten die Ausführungen zum Betrug entsprechend; vgl. § 51 Rdn. 88 ff. 6.

Konkurrenzen

49 Erfolgt die Vermögensschädigung sowohl durch Täuschung einer mit Prüfungskompetenz versehenen Person als auch durch Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs, so ist § 263 a aufgrund seiner Auffangfunktion als subsidiär gegenüber § 263 anzusehen.- Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 268, 269, 303 a. Der Mißbrauch der Codekarte bei der Nutzung des Geldautomaten erfüllt allein den Tatbestand des § 263 a; er ist insoweit lex specialis gegenüber § 246. 4 5 8

§ 53: Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 1

Das Delikt, ein Bereicherungsdelikt wie der Betrug, ist diesem entsprechend aufgebaut. Dies kommt im Gesetzeswortlaut allerdings nicht zum Ausdruck. Die enge Verwandtschaft dieser Delikte ist aber heute weitgehend anerkannt: Betrug ist die Selbstschädigung des Opfers infolge einer Täuschung über den schädigenden Charakter der Vermögensverfügung; Erpressung ist die Selbstschädigung des Opfers aufgrund einer Nötigung, wobei sich der Geschädigte über den Schaden durch die Vermögensverfügung im klaren ist.

4 5 5

Vgl. ACHENBACH JR 1994 S. 294; BÜHLER Die strafrechtliche Erfassung des Mißbrauchs von Gelds p i e l a u t o m a t e n , 1 9 9 5 , S . 1 0 4 ; G Ü N T H E R S K II, § 2 6 3 a R d n . 2 1 ; L A C K N E R T r ö n d l e - F S , S . 5 6 ; O T T O J u -

ra 1993 S. 615. - A.A. BGHSt 4 0 S. 334. 4 5 6 D a z u ¡ m einzelnen SIEBER Computerkriminalität, S. 6 0 ff, 65 ff. 4 5 7

D a z u v g l . § 5 1 R d n . 7 0 f f ; i m ü b r i g e n v g l . G Ü N T H E R S K II, § 2 6 3 a R d n . 2 4 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 3 a R d n . 1 6 f f ; L E N C K N E R / W I N K E L B A U E R C R 1 9 8 6 S . 3 5 9 ; M A U R A C H / S C H R O E D H R / M A I W A L D B . T . 1, § 4 1 R d n . 2 3 7 ; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6 S. 1 3 3 .

4 5 8

V g l . d a z u G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 2 R d n . 4 0 ; G Ü N T H E R S K II, § 2 6 3 a R d n . 3 2 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 3

Rdn. 28; zur Gegenansicht und zum Streitstand vgl. EHRLICHER Bankomatenmißbrauch, S. 93 f.

250

a

§53

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

chenden Ergebnis kommt. 4 5 5 Praktische Bedeutung kann diese Handlungsalternative bei bestimmten Konsol- und Outputmanipulationen erhalten. 4 5 6 4. Die Folge der Tathandlung: Die Beeinflussung des Ergebnisses des Datenverarbeitungsvorgangs 47 Die Tathandlung muß das Ergebnis des Datenverarbeitungsvorgangs beeinflußt und dadurch einen Vermögensschaden begründet haben. - Die Tathandlung hat den Vorgang beeinflußt, wenn sie für das Ergebnis (mit-) ursächlich geworden ist. Irrelevant ist es, ob das Ergebnis verfälscht oder - vgl. Rdn. 40 f - nur unbefugt erzielt wurde. - Das Ergebnis begründet einen Vermögensschaden, wenn es als solches unmittelbar vermögensmindernd wirkt, z.B. eine Gutschrift zugunsten des Täters oder eines Dritten bewirkt. Bedarf es zur Realisierung der Vermögensminderung noch einer deliktischen Zwischenhandlung des Täters, weil das Ergebnis der Datenverarbeitung täuschend genutzt werden soll, so fehlt es an der Unmittelbarkeit der Vermögensminderung. Im übrigen gelten bei der Beurteilung von Vermögensgefährdung und Vermögensschädigung die gleichen Grundsätze wie bei der Schadensbestimmung des Betrugs. 4 5 7 5. Vorsatz und

Bereicherungsabsicht

48 Für den Vorsatz und die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, gelten die Ausführungen zum Betrug entsprechend; vgl. § 51 Rdn. 88 ff. 6.

Konkurrenzen

49 Erfolgt die Vermögensschädigung sowohl durch Täuschung einer mit Prüfungskompetenz versehenen Person als auch durch Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs, so ist § 263 a aufgrund seiner Auffangfunktion als subsidiär gegenüber § 263 anzusehen.- Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 268, 269, 303 a. Der Mißbrauch der Codekarte bei der Nutzung des Geldautomaten erfüllt allein den Tatbestand des § 263 a; er ist insoweit lex specialis gegenüber § 246. 4 5 8

§ 53: Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 1

Das Delikt, ein Bereicherungsdelikt wie der Betrug, ist diesem entsprechend aufgebaut. Dies kommt im Gesetzeswortlaut allerdings nicht zum Ausdruck. Die enge Verwandtschaft dieser Delikte ist aber heute weitgehend anerkannt: Betrug ist die Selbstschädigung des Opfers infolge einer Täuschung über den schädigenden Charakter der Vermögensverfügung; Erpressung ist die Selbstschädigung des Opfers aufgrund einer Nötigung, wobei sich der Geschädigte über den Schaden durch die Vermögensverfügung im klaren ist.

4 5 5

Vgl. ACHENBACH JR 1994 S. 294; BÜHLER Die strafrechtliche Erfassung des Mißbrauchs von Gelds p i e l a u t o m a t e n , 1 9 9 5 , S . 1 0 4 ; G Ü N T H E R S K II, § 2 6 3 a R d n . 2 1 ; L A C K N E R T r ö n d l e - F S , S . 5 6 ; O T T O J u -

ra 1993 S. 615. - A.A. BGHSt 4 0 S. 334. 4 5 6 D a z u ¡ m einzelnen SIEBER Computerkriminalität, S. 6 0 ff, 65 ff. 4 5 7

D a z u v g l . § 5 1 R d n . 7 0 f f ; i m ü b r i g e n v g l . G Ü N T H E R S K II, § 2 6 3 a R d n . 2 4 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 3 a R d n . 1 6 f f ; L E N C K N E R / W I N K E L B A U E R C R 1 9 8 6 S . 3 5 9 ; M A U R A C H / S C H R O E D H R / M A I W A L D B . T . 1, § 4 1 R d n . 2 3 7 ; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6 S. 1 3 3 .

4 5 8

V g l . d a z u G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 2 R d n . 4 0 ; G Ü N T H E R S K II, § 2 6 3 a R d n . 3 2 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 3

Rdn. 28; zur Gegenansicht und zum Streitstand vgl. EHRLICHER Bankomatenmißbrauch, S. 93 f.

250

a

Erpressung und räuberische Erpressung

§53

1. Das geschützte Rechts gut Geschützte Rechtsgüter des Erpressungstatbestandes sind das Vermögen und die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung, doch liegt der Schwerpunkt, der den Charakter des Delikts prägt, auf dem Vermögensschutz. 4 5 9 2. Der objektive

2

Tatbestand

a) Die Tathandlung, Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, entspricht der des § 240; im einzelnen dazu § 27 Rdn. 14 ff. b) Durch die Gewalt oder die Drohung muß das Tatopfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt werden. Str. ist, ob das abgenötigte Verhalten eine Vermögensverfügung i.S. eines Dispositionsfreiheit voraussetzenden Opferverhaltens sein 461 - Der erstgenannten Ansicht ist der Vorzug zu geben, denn die m u ß460 o c j e r nicht. durch die Vermögensverfügung begründete Unmittelbarkeit der Vermögensschädigung durch das Opferverhalten gibt der Erpressung ihren eigenständigen Bereich innerhalb der Vermögensdelikte. Wird von dem Erfordernis der Verfügung abgesehen, so wird die Erpressung gegenüber den anderen Vermögensdelikten zum umfassenden qualifizierten Vermögensentziehungsdelikt. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, Wilderei, § 292, Pfandkehr, § 289, u.a. werden beim Einsatz von Gewalt und Drohung zur Erpressung und beim Einsatz qualifizierter Raubmittel zur räuberischen Erpressung, § 255. Diese Interpretation des Tatbestandes ist aber weder historisch begründbar noch kriminalpolitisch notwendig. Das Verfügungsbewußtsein umfaßt hier die Kenntnis des Opfers von der schädigenden Natur der Verfügung. Allerdings ist der Begriff der Verfügung bei der Erpressung nicht in vollem Umfang identisch mit dem beim Betrug. Die Vermögensverfügung ist hier nicht nur in unmittelbar zum Vermögensschaden führenden Verhaltensweisen zu sehen, sondern auch in solchen, die notwendigerweise Voraussetzung für die Herbeiführung des Schadens sind. 4 6 2

3 4

5

Fall: A nötigt den B durch Androhung von Gewalt, den Tresor zu öffnen, dessen Zahlenkombination B nicht kennt.

c) Nachteil für das Vermögen ist identisch mit Vermögensschaden i.S. des Betruges, daher treten bei der sog. Sicherungserpressung dieselben Schadensprobleme a u f 4 6 3 wie beim Sicherungsbetrug; dazu § 51 Rdn. 151 ff. Auch hier kann ein Schaden darin bestehen, daß 4 5 9

460

V g l . L A C K N E R / K Ü H L § 2 5 3 R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 2 R d n . 12.

Dazu auch BILETZKI Jura 1995 S. 635 ff; ESER IV, Nr. 16 A 13 ff; GEPPERT/KUBITZA Jura 1985 S. 276 f f ; KREY B . T . 2 , R d n . 2 9 7 ; KÜPER N J W 1 9 7 8 S . 9 5 6 ; DERS. B . T . , S . 3 5 2 f f ; LACKNER L K , 10. A u f l . ,

§ 253 Rdn. 5 ff mit eingehendem Überblick Uber den Streitstand in Fn. 6 ff; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T. 1, § 42 Rdn. 6; OTTO ZStW 79 (1967) S. 85; DERS. Die Struktur des strafrechtlichen V e r m ö g e n s s c h u t z e s , 1 9 7 0 , S . 3 0 4 ; DERS. J Z 1 9 8 4 S . 1 4 4 ; RENGIER JUS 1 9 8 1 S . 6 5 4 ; SCHMIDHÄUSER

B.T., 11/49, 55 f; SCH/SCH/ESER § 253 Rdn. 8; SCHRÖDER ZStW 60 (1941) S. 83; TENCKHOFF JR 1974 S. 489; WERLE Jura 1979 S. 489. 461

BGHSt 7 S. 252; 25 S. 228; 32 S. 88; OLG Hamm MDR 1972 S. 707; ARZT in ArztAVeber, LH 3, Rdn. 3 5 6 ; GEILEN J u r a 1 9 8 0 S . 5 0 ; HERDEGEN L K , § 2 4 9 R d n . 2 1 f f , § 2 5 3 R d n . 5 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 5 3 R d n . 5 , V o r § 2 4 9 R d n . 5 6 f f ; LÜDERSSEN G A

1 9 6 8 S . 2 5 7 f ; MOHRBOTTER G A

1968 S. 117;

SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S . 4 8 6 ; SEELMANN J u S 1 9 8 2 S . 9 1 4 ; SEIER J A 1 9 8 4 S . 4 4 2 ; TAUSCH D i e V e r -

mögensverfügung des Genötigten, notwendiges Mittel des Erpressungstatbestandes?, 1995, S. 101 ff. Im Ergebnis übereinstimmend: GÖSSEL B.T. 2, § 31 Rdn. 10 ff. 4 6 2

V g l . KÜPER N J W 1 9 7 8 S . 9 5 6 ; LACKNER L K , 10. A u f l . , § 2 5 3 R d n . 10; O T T O Z S t W 7 9 ( 1 9 6 7 ) S . 8 7 ;

TENCKHOFF JR 1974 S. 492. - Enger (willentliches, eine Vermögensaufgabe bewirkendes Verhalten g e n ü g t ) : BILETZKI J u r a 1 9 9 5 S . 6 3 7 ; RENGIER J u S 1 9 8 1 S . 6 5 6 ; W E S S E L S B . T . / 2 , R d n . 6 8 8 .

251

5

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§53

der Täter Beweismittel für eine nicht bestehende Forderung erlangt. 4 6 4 7

d) Genötigter und Verfügender müssen identisch sein, nicht hingegen Verfügender und Geschädigter, soweit die Verfügung dem Geschädigten als eigene zuzurechnen ist. Dadurch ist entsprechend der Konstruktion des Dreiecksbetrugs - dazu § 51 Rdn. 44 ff - auch die der Dreieckserpressung möglich: Anknüpfungspunkt ist auch hier die Einräumung einer Herrschaftsposition in der Vermögenssphäre des Berechtigten durch den Berechtigten. Personen in dieser Position unterscheiden sich aufgrund dieser Position grundsätzlich von anderen und ihre Verfügungen können den Vermögensinhaber zugerechnet werden, wenn der Angriff auf sein Vermögen über diese Personen erfolgt. 4 6 5 3. Der subjektive

Tatbestand

8

a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich darauf erstrecken, daß der Genötigte infolge der Nötigung eine vermögensschädigende Verfügung vornimmt. 9 b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, entspricht der Bereicherungsabsicht beim Betrug; dazu § 51 Rdn. 88 ff. Daraus folgt: 10 aa) Absicht ist auch hier auf Bereicherung gerichtetes zielgerichtetes Handeln. Geht es dem Täter nur darum, einen anderen zu schädigen, so liegt nur eine Nötigung vor, selbst wenn ein Dritter mit Wissen des Täters in den Besitz eines Vermögensvorteils gelangt. Beispiel: Der Mercedesfahrer M hindert den BMW-Fahrer A am Überholen, obwohl die Straßenlage das Überholen zuläßt. A verschafft sich den Namen des M und läßt ihn wissen, er werde ihn anzeigen, falls M ihm nicht innerhalb von 8 Tagen eine Quittung über eine Zahlung an das Rote Kreuz in Höhe von DM 100,zukommen lasse. - M zahlt. Ergebnis: Nur Nötigung des M durch A. - Dem A kam es nicht auf eine Bereicherung des Roten Kreuzes an, sondern allein auf eine Schädigung des M.

11 bb) Auch bei § 253 entfällt die Absicht des Täters, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wenn der Täter nach materiellem Recht einen Anspruch auf die Bereicherung hat oder zu haben glaubt. 4 6 6 12 cc) Erforderlich ist auch hier der unmittelbare Zusammenhang zwischen Bereicherung und Vermögensschaden derart, daß die Bereicherung sich als Kehrseite des Vermögensschadens darstellt ("Stoffgleichheit") 4 6 7 13 dd) Darüber hinaus haben h.L. und Rechtsprechung die Anwendung des § 253 auch abgelehnt, wenn der Täter sich durch Nötigung Beweismittel über die "Tilgung" nicht bestehender Forderungen verschafft hat. Forderung und Beweismittel werden in diesem Fall als Einheit angesehen, auch wenn der Täter auf das Beweismittel keinen Anspruch hat. 14

BGHSt 20 S. 136: A rechnete damit, daß seine von ihm getrennt lebende Ehefrau für die Vergangenheit

463

Dazu BGH JZ 1984 S. 146; SEIER NJW 1981 S. 2155 ff.

4 6 4

Vgl. B G H N J W 1987 S. 3 1 4 4 mit A n m . OTTO J K 88, S t G B § 2 5 3 / 7 ; B G H S t V 1989 S. 4 7 8 mit A n m .

465

Vgl. auch KÜPER Jura 1983 S. 208; OTTO JZ 1995 S. 1022; SAMSON SK II, § 253 Rdn. 8 a. - Weiter (Verfügender muß Vermögensinteressen des Geschädigten wahrnehmen wollen): BGHSt 41 S. 123 mit

SONNEN S . 4 7 9 f.

A n m . KRACK J u S 1 9 9 6 S . 4 9 3 f f , MITSCH N S t Z 1 9 9 5 S . 4 9 9 f , O T T O J Z 1 9 9 5 S . 1 0 2 0 f f , W O L F J R 1997

S. 7 3 ff.

466

Dazu BGH NJW 1986 S. 1623; BGH NStZ 1988 S. 216; BGH StV 1990 S. 205; BGH StV 1991 S. 20.

467

Dazu BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 106, im übrigen vgl. oben § 51 Rdn. 90.

252

Erpressung und räuberische Erpressung

§53

Unterhaltsansprüche geltend machen werde. Um diesen materiell nicht bestehenden Ansprüchen entgegenzutreten, veranlaßte er sie unter Androhung von Schlägen, Quittungsformulare zu unterschreiben, die er selbst entsprechend den verlangten Beträgen ausfüllen und dann zum Nachweis der Zahlung benutzen wollte. BGH: Es kommt nicht darauf an, ob ein Anspruch auf das Beweismittel besteht oder nicht. Maßgeblich ist allein das Endziel. Entspricht das Endziel der Rechtsordnung, so wird es nicht dadurch rechtswidrig, daß zu seiner Verwirklichung rechtswidrige Mittel eingesetzt werden.

4. Die Rechtswidrigkeit Rechtswidrig ist die Tat, auch wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, nur dann, wenn 15 Tat und mit der Tat verfolgter Zweck verwerflich, d.h. als sozialgefährlich, sozialschädlich zu beurteilen sind; im einzelnen dazu § 27 Rdn. 28 ff. 5. Versuch, Vollendung und Strafschärfung Der Versuch beginnt, wenn der Täter zur Nötigungshandlung unmittelbar ansetzt. - Voll- 16 endet ist die Tat mit Eintritt des Vermögensschadens, beendet mit Eintritt der Bereicherung. 468 - Den Eintritt des Vermögensschadens verneint der BGH, wenn der Täter beim Empfang der Beute so unter polizeilicher Beobachtung steht, daß er mit der Beute nicht entkommen kann. 4 6 9 - Bringt der Täter durch die Nötigung ein Behältnis - Tasche o.ä. - an sich, in dem aber nicht die erwartete Beute ist, auf die es dem Täter ankommt, so liegt nur ein Versuch vor. 4 7 0 - Erlangt der Täter nur einen Teilbetrag der erstrebten Summe, so nimmt auch die h.M. - entgegen Stellungnahmen zur entsprechenden Problematik des Grundtatbestandes; dazu § 27 Rdn. 50 - nur einen Versuch an. 471 Abs. 4 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen (gewerbs- 17 mäßiges Handeln, Handeln als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Erpressung verbunden hat). 6. Abgrenzung von Betrug und Erpressung Da es bei der Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht darauf ankommt, daß der 18 Drohende dieses Übel wirklich realisieren kann, sondern nur darauf, daß der Drohende vorgibt, das Übel realisieren zu können, umfaßt bereits die Definition der Drohung bestimmte Täuschungshandlungen. Fall: A fordert den B zur Zahlung von DM 1000,- auf, sonst werde er den B "wegen des Geschehens am 1.12. anzeigen". B zahlt. In Wirklichkeit weiß A nur, daß B am 1.12. in irgendetwas Unangenehmes verwickelt war, eine Anzeige zu erstatten hatte A nicht vor. Hätte B dies gewußt, so hätte er nicht gezahlt.

Erfordert der Betrug, "daß das Opfer aus freiem, nur durch Irrtum beeinflußten Willen 19 über sein Vermögen verfügt" 472 , so liegt eine Verfügung im Rahmen des Betruges niemals vor, wenn das Opfer auch genötigt wird, denn dann ist seine Willensfreiheit nicht nur durch den Irrtum, sondern auch durch eine Nötigung beeinträchtigt. Genausowenig, wie die Drohung mit einer ungeladenen Pistole aus dem Gewahr- 20 samsbruch beim Raub eine Vermögensverfügung macht, genausowenig wird eine durch Nötigung erzwungene Handlung zu einer freien, nur durch einen Irrtum beeinträchtigten 468

Dazu BGHSt 19 S. 342.

469

BGH MDR 1994 S. 1071; BGH StV 1998 S. 80.

470

Dazu BGH GA 1983 S. 411; BGH GA 1989 S. 171.

471

Vgl. BGH StV 1990 S. 206.

472

OLG Köln MDR 1973 S. 866.

253

§53

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Verfügung, weil die Nötigung nur vorgeblich realisierbar ist. - Darüber hinaus verfügt das Opfer hier aber bewußt, sein Vermögen schädigend, während der Betrug gerade durch die bewußte Verfügung gekennzeichnet ist, über deren vermögensschädigenden Charakter der Täter irrt. Auch wenn daher in der Nötigung eine Täuschung enthalten ist, so kommt ihr keinerlei Eigenständigkeit zu. Erpressung und Betrug bezüglich des gleichen Objekts schließen einander aus, wenn die Verfügung des Opfers auf einer Nötigung beruht. Ob diese Nötigung wiederum auf einer Täuschung basiert, ist irrelevant. 473 7. Verkauf der Deliktsbeute an das Deliktsopfer 21 Bietet der Täter eines Vermögensdelikts die Herausgabe der z.B. gestohlenen Sache oder die Wiedergutmachung des Schadens gegen Zahlung einer bestimmten Summe an, so sieht die h.M. hierin eine Erpressung, obwohl - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - der Vermögensbestand durch diese Tat nicht verschlechtert, sondern verbessert wird. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise wird mit zivilrechtlichen Konstruktionen überspielt und die eigenen Prämissen werden außer Kraft gesetzt. 22

BGH 1 StR 221/82: Dem X waren Ikonen gestohlen worden. Er ließ verbreiten, daß er bereit sei, sie zu einem angemessenen Preise wiederzuerwerben. A, der davon gehört hatte und die Diebe kannte, bot diesen seine Vermittlung an. Die Diebe gingen darauf ein, und beauftragten den A zur Übergabe der Ikonen gegen ein bestimmtes Lösegeld. Bei der Übergabe des Geldes wurde A gefaßt. BGH: Wäre es zur Zahlung gekommen, so hätte eine vollendete Erpressung vorgelegen. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Schaden des X, der Verlust der Ikonen, war mit dem Diebstahl eingetreten. Zwar hatte X gegen den A Ansprüche auf Herausgabe, §§ 861, 985 BGB. Um diese Ansprüche brachte A den X aber nicht dadurch, daß er sie nicht realisierte. Sie waren wertlos, solange X die Täter nicht kannte. - Als A dem X den Besitz gegen eine bestimmte Summe zum Kauf anbot, eröffnete er ihm die vorher tatsächlich nicht vorhandene Möglichkeit, den Besitz zurückzuerlangen. Dies ließ er sich bezahlen. Unabhängig davon, ob A hier überhaupt als Täter der Erpressung angesehen werden kann, weil er lediglich den Auftrag der Hinterleute ausführte, die vom Geschädigten ausdrücklich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert waren, ist sowohl nach den Prämissen des wirtschaftlichen als auch nach denen des personalen Vermögensbegriffs die Folgerung zwingend, den Schaden abzulehnen. - Wenn der BGH den Schaden bejaht, weil das Opfer der Tat zahlen sollte, ohne einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, so beruht dieses Ergebnis darauf, daß das Haben der Sache und der Anspruch auf die Sache identifiziert werden. Das ist vom Standpunkt des juristisch-wirtschaftlichen Vermöeensbegriffs her konsequent, nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs hingegen f a l s c h . 4 ' 4

II. Räuberische Erpressung, § 255 1. Die Systematik des Gesetzes 23 a) Die räuberische Erpressung ist ein qualifizierter Fall der Erpressung. Die Nötigungsmittel entsprechen denen des Raubes. - Nur die Drohung muß mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erfolgen, nicht aber die Gewaltanwendung. - Gegenwärtig ist die angedrohte Gefahr, wenn die in Aussicht gestellte Schädigung an Leib oder Leben bei ungestörter Weiterentwicklung der Dinge nach menschlicher Erfahrung als sicher oder 473

So auch BGHSt 23 S. 294 mit Anm. KÜPER NJW 1970 S. 2253 f; GÜNTHER ZStW 88 (1976) S. 961 ff; O T T O Z S t W 7 9 ( 1 9 6 7 ) S . 9 4 f f . - A . A . G O S S E L B . T . 2 , § 31 R d n . 4 0 ; HERZBERGJuS 1 9 7 2 S . 5 7 1 ; KREY B . T . 2 , R d n . 3 1 5 ; LACKIER L K , 10. A u f l . , § 2 6 3 R d n . 3 3 0 ; SCH/SCH/ESER § 2 5 3 R d n . 3 7 .

474

Dazu OLG Hamburg MDR 1974 S. 330; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 122. - A.A. BGHSt 26 S . 3 4 6 m i t z u s t . A n m . GÖSSEL J R 1 9 7 7 S . 3 2 f f , u n d a b l . B e s p r . TRUNK J u S 1 9 8 5 S. 9 4 4 f f ; STOFFERS

Jura 1995 S. 117 ff.

254

Erpressung und räuberische Erpressung

§53

höchstwahrscheinlich zu erwarten ist, falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden. 475 b) Als qualifizierter Fall der Erpressung setzt der Tatbestand, wie der Grundtatbestand, 24 eine Vermögensverfügung voraus; im einzelnen zur Auseinandersetzung vgl. Rdn. 4 f. Demgegenüber interpretiert die höchstrichterliche Rechtsprechung den § 255 als um- 25 fassenden Grundtatbestand der Raubdelikte. Die Zuordnung eines Verhaltens zu den Tatbeständen der Erpressung oder des Raubes soll sich allein nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat richten.476 Danach ist § 249 ein durch die Zueignungsabsicht und die Wegnahmehandlung, die rein nach dem äußerlichen Erscheinungsbild als "Wegnehmen" zu bestimmen ist und im Gegensatz zu dem "Weggeben" steht, spezialisierter Sonderfall des § 255. BGHSt 14 S. 386: A stieg in die Taxe des T. Durch Schüsse aus der Gaspistole zwang er den T zum Verlassen des Fahrzeuges. Dann fuhr er mit der Taxe in der Gegend herum. Nach der Fahrt wollte A die Taxe so abstellen, daß T sie in Kürze zurückerhalten hätte. BGH: § 255. - Wird § 255 als qualifizierter Fall der Erpressung interpretiert, so fehlt es hier an einer Vermögensverfügung des T, daher: §§ 224, 240, 248 b, 52 4 7 7

c) Unabhängig davon, ob eine Vermögensverfügung verlangt wird oder nicht, ist eine fi- 26 nale Verknüpfung von Nötigung und Vermögensschädigung nötig. d) Hinsichtlich des Adressaten der Drohung und der Ernsthaftigkeit der Drohung gilt das- 27 selbe wie für § 253. BGH JZ 1985 S. 1 0 5 9 4 7 8 : Nach vorher untereinander verabredetem Plan bedrohte der A die B mit einer Pistole, als diese angeblich bei einem Bankkassierer Geld wechseln wollte, und forderte von dem Kassierer Bargeld. Dieser zahlte. BGH: § 255, da es nur darauf ankommt, daß der Nötigungsadressat von der Ernsthaftigkeit der Drohung ausgeht.

2. Vorsatzwechsel zwischen räuberischer Erpressung und Raub Versucht der Täter mit Mitteln der räuberischen Erpressung ein Vermögensobjekt zu er- 28 langen und geht er sodann bezüglich desselben Objekts zum Raube über oder umgekehrt, so liegt nur ein vollendetes Delikt vor. Dem Versuch mit den jeweiligen anderen Mitteln kommt keine Eigenständigkeit zu, da ein selbständiger Unrechtsgehalt des Versuchs gegenüber dem des vollendeten Delikts nicht auszumachen ist. BGH StV 1982 S. 114: A versuchte unter Androhung von Gewalt den X zur Herausgabe einer Geldbombe zu bringen. Dies mißlang. Nunmehr nahm A dem X die Geldbombe unter Anwendung von Gewalt ab. BGH: Die versuchte räuberische Erpressung ist durch die Verurteilung wegen vollendeten Raubes abgegolten. Der Versuch, die Geldbombe zu erlangen, ist, wenn auch mit anderen Mitteln, durch den Raub lediglich fortgesetzt und zum Erfolg geführt worden.

4 7 5

B G H N J W 1 9 9 7 S . 2 6 5 , 2 6 6 m i t A n m . GEPPERT J K 9 7 , S t G B § 2 5 5 / 8 ; B G H N J W 1 9 8 9 S . 1 2 8 9 ; B G H

476

BGHSt 41 S. 126; im übrigen vgl. BGHSt 7 S. 254 f; 14 S. 390; BGH NStZ-RR 1997 S. 321; dazu

477

Vgl. auch BGHSt 32 S. 88 mit Anm. JAKOBS JR 1984 S. 385 ff (Vereitelung eines Vermieterpfandrechts mit Gewalt). - BGH bei Holtz, MDR 1992 S. 17 (Erlangung des Gewahrsams an einer Sache).

4 7 8

M i t a b l . A n m . ZACZYK S . 1 0 5 9 f , u n d z u s t . A n m . GEPPERT J K , S t G B § 2 5 5 / 7 .

NStZ 1996 S. 494. HERDEGEN L K , § 2 4 9 R d n . 2 5 .

255

§54

Z w e i t e r Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r des Einzelnen

§ 54: Untreue und untreueähnliche Delikte I. Rechtsgut und Aufbau des Untreuetatbestandes 1

Vermögensschädigungsdelikt. - Eine Bereicherung des Täters braucht nicht eingetreten oder beabsichtigt zu sein. Jedoch ändert sich die Deliktsnatur nicht dadurch, daß es dem Täter bei seiner Tat um die Bereicherung durch das dem fremden Vermögen entzogene Vermögensgut oder um einen anderen wirtschaftlichen Vorteil geht.

1. Das geschützte 2

Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut ist allein das Vermögen,479 Dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer oder der Redlichkeit des Rechtsverkehrs kommt keine eigenständige Bedeutung zu. 4 8 0 2. Die besondere Pflichtenposition

3

3. Die 4

5

6 7

des Täters

Das Vermögen kann i.S. des § 266 nicht von jedermann verletzt werden. Der Tatbestand setzt vielmehr als Täter eine Person voraus, die dem Vermögensträger in bezug auf sein Vermögen in besonderer Weise verpflichtet ist. Nur diese Person oder ihr Vertreter i.S. des § 14 kommen als Täter in Betracht. - Die Pflichtenposition ist strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 Abs. I. 4 8 1 Gesetzessystematik

§ 266 Abs. 1 enthält zwei Tatbestände: den Mißbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1 , 1 . Alt., und den Treubruchstatbestand § 266 Abs. 1, 2. Alt. In beiden Alternativen wird die Pflicht des Täters, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, vorausgesetzt. - Streitig ist jedoch der Inhalt dieser Pflicht. a) Der überkommenen Interpretation des Mißbrauchstatbestandes entspricht die Auffassung, daß der Rahmen der Pflicht zur Vermögensfürsorge in der 1. Alternative des § 266 durch die rechtswirksame Einräumung einer Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis gekennzeichnet ist. 4 8 2 Die 2. Alternative des § 266 setzt hingegen die Pflicht des Täters, "fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen" voraus; dazu eingehender unter Rdn. 18 ff. b) Mit BGHSt 24 S. 386 forderte der BGH für den Täter des Mißbrauchstatbestandes dieselbe Vermögensfürsorgepflicht wie für den Täter des Treubruchstatbestandes. Danach soll Täter in beiden Alternativen nur derjenige sein können, dem als Hauptpflicht die Betreuung fremder Vermögensinteressen obliegt. 4 8 3 Die Literatur folgte dem weitgehend

479

H.M., vgl. HÜBNER LK, 10. Aufl., § 266 Rdn. 19 m.w.N.

4 8 0

A . A . D U N K E L G A 1 9 7 7 S . 3 3 4 f ; ESER I V , N r . 17 A g , 11; W E N T Z E L D a s S c h e c k k a r t e n v e r f a h r e n d e r

deutschen Kreditinstitute, 1974, S. 245. 481

So auch BGHSt 26 S. 54; BGH StV 1995 S. 73; BGH wistra 1997 S. 100; HÜBNER LK, 10. Aufl., § 2 6 6 R d n . 1 0 5 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 8 R d n . 4 ; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 3 7 , 4 0 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 6 6 R d n . 15. - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 R d n . 5 2 .

4 8 2

D a z u A R Z T B r u n s - F S , S . 3 8 2 ; BOCKELMANN B . T . / L , § 18 II; HEIMANN-TROSIEN J Z

1976 S.

407;

LABSCH Jura 1987 S. 345 f; DERS. Untreue (§ 266 StGB), 1983, S. 83 ff. 483

256

So: BGHSt 24 S. 386 mit Anm. SEEBODE JR 1973 S. 117 ff, insbes. S. 119; OLG Hamburg NJW 1983 S. 768; OLG Hamm NJW 1977 S. 1835; OLG Köln NJW 1978 S. 714 mit zust. Anm. GÖSSEL JR 1978 S. 469 ff, insbes. S. 473.

Untreue und untreueähnliche Delikte

§54

unter Hinweis darauf, daß der Tatbestand durch das Erfordernis der Vermögensfürsorgepflicht restriktiv begrenzt werde und an Bestimmtheit gewinne. 484 c) Die restriktive Interpretation des Mißbrauchstatbestandes findet in Wirklichkeit jedoch nicht statt. Durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs des Tatbestandes auf den Mißbrauch der rechtlichen Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen oder andere zu verpflichten, war der Tatbestand hinreichend bestimmt. Das rechtliche Können konturierte die Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, eindeutig. Durch die identische Interpretation der Pflicht, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, in beiden Alternativen des § 266 werden hingegen die in der Unbestimmtheit der Vermögensfürsorgepflicht des Treubruchstatbestandes angelegten Unsicherheiten auf den Mißbrauchstatbestand übertragen und kaum akzeptable Strafbarkeitslücken eröffnet. Die Folge ist ein dogmatisches Kuriosum. Die angeblich restriktive Auslegung des § 266 führte zum Ruf nach ausdehnenden Spezialtatbeständen, dem der Gesetzgeber im 2. WiKG mit §§ 266 a Abs. 2, 266 b nachk a m . 4 8 ^ Zudem zeigte sich in der Rechtsprechung die Tendenz, unselbständige Vermögensfürsorgepflichten als selbständige Treuepflichten i.S.d. § 266 zu interpretieren; dazu unter Rdn. 23 f.

8

9

10

Darüber hinaus ist die 1. Alternative ein letztlich überflüssiger Unterfall der 2. Alternative 11 geworden und die vom Gesetz vorgegebene Aufgliederung in zwei sich ergänzende Tatbestände aufgehoben worden. Diese Konsequenz zieht allerdings die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht immer. Die Selbständigkeit beider Tatbestände setzt sich gegen die sachwidrige Konstruktion durch. 486

II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes 1. Der Mißbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1, 1. Alt. a) Der Mißbrauchstatbestand setzt als Tathandlung den Mißbrauch einer Vertretungsmacht 12 (Verpflichtungs- oder Verfügungsmacht) in bezug auf fremdes - verstanden im bürgerlichrechtlichen Sinn - Vermögen voraus. Der Täter überschreitet mißbräuchlich das rechtliche Dürfen im Rahmen des rechtlichen Könnens. Der Täter hat kraft Gesetzes - z.B. als Eltemteil, Vormund, Testamentsvollstrecker, Pfleger, Gerichtsvollzieher, Konkursverwalter - oder kraft behördlichen Auftrags - z.B. staatlich bestellter Treuhänder, mit dem Kassieren von Verwarnungsgeldern beauftragter Polizeibeamter - oder kraft Rechtsgeschäfts z.B. Prokurist - Verfügungs- oder Verpflichtungsmacht übertragen erhalten, aufgrund derer er nach außen wirksame Geschäfte abschließen kann. Im Innenverhältnis ist er aber verpflichtet, von dieser Vertretungsmacht nur in bestimmter Weise Gebrauch zu machen. Hierüber setzt er sich hinweg und schließt pflichtwidrig den Vermögensträger schädigende 4 8 4

V g l . DUNKEL G A 1 9 7 7 S . 3 3 8 f ; GÖSSEL B . T . 2, § 2 5 R d n . 2 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 R d n . 5 ; HÜBNER J Z 1 9 7 3 S . 4 0 7 ; DERS. L K , 10. A u f l . , § 2 6 6 R d n . 5 f f ; KREY B . T . 2 , R d n . 5 4 2 ; KÜPER B . T . , S. 3 1 1 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 R d n . 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MATWALD B . T . l , § 4 5 R d n . 18; D . MEYER JUS

1973 S. 214 f; NELLES Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 218 ff; RENGIER B.T. I, § 18 R d n . 8 ; SCHREIBER/BEULKE JUS 1 9 7 7 S. 6 5 6 f f ; VORMBAUM JUS 1981 S. 2 0 ; WESSELS B . T . / 2 , R d n .

700. Vermittelnd - identische Vermögensbetreuungspflicht, aber unter nivellierten Anforderungen in beiden A l t e r n a t i v e n -: SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 R d n . 2, 11; SCHLÜCHTER JUS 1 9 8 4 S . 6 7 6 f ; WEGENAST

Mitbrauch und Treubruch, 1994, S. 134 ff. 485 v g l . auch SCHROEDER GA 1990 S. 106. 486

Dazu vgl. BGH NJW 1984 S. 2539 mit Anm. OTTO JR 1985 S. 29 ff; sodann OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 365 f mit Anm. OTTO JK, StGB § 266/5.

257

§54

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Geschäfte ab. - Rechtliche Befugnis ist die rechtswirksam eingeräumte Befugnis. Bloßer Gutglaubensschutz genügt nicht. Faktische Einwirkungen auf fremde Vermögenspositionen werden nicht vom Verfügungsbegriff erfaßt. 13

Trotz Anerkennung des Merkmals der "rechtlichen Befugnis" durch die Rechtsprechung, vernachlässigt diese das Merkmal in der praktischen Rechtsanwendung in zunehmendem Maße. Ein Mißbrauch der rechtlichen Befugnis, über fremdes Vermögen verfügen zu können, soll z.B. vorliegen, wenn der zum Verkauf einer Ware für DM 300,- Bevollmächtigte diese Ware für DM 160,- verkauft (OLG Köln JMB1NRW 1959 S. 138) oder wenn der Gerichtsvollzieher den Erlös der Zwangsvollstreckung eigenmächtig verbraucht (BGHSt 13 S. 276). - In diesen Fällen kann von einer Überschreitung des rechtlichen Könnens keine Rede sein, denn rechtliches Können und Dürfen gehen überhaupt nicht auseinander. Unabhängig von der Frage, ob im Einzelfall überhaupt rechtsgeschäftliche Verfügungen vorlagen, fehlte es bereits an der rechtlichen Befugnis zur Verfügung.^®'

14 b) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß das Bewußtsein des Mißbrauchs einer rechtlichen Befugnis und die Schädigung des Vermögens umfassen. c) Zur Einübung 15

aa) BGH LM Nr. 4 zu § 266: Die Verkäuferin A verkauft an Kunden Waren unter dem vom Geschäftsherrn festgesetzten Ladenpreis, um diesen zu schädigen. BGH: Untreue. - Gemäß § 56 HGB konnte A rechtlich wirksam Geschäfte zu den vereinbarten Preisen abschließen. Sie durfte es aber nicht.

16

bb) BGHSt 5 S. 61: A verkauft eine von B geliehene Sache an den gutgläubigen C. BGH: A hat eine Unterschlagung begangen, aber keine Untreue, denn C wurde nicht Eigentümer aufgrund der Verfügungsbefugnis des A. §§ 932 ff BGB gewähren dem Täter keine Verfügungsbefugnis, sondern schützen allein den guten Glauben des Erwerbers.

17

cc) OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 365: A veräußerte unter Vorlage einer ihm nach Widerruf der Vollmacht verbliebenen Vollmachtsurkunde ein Grundstück des K. OLG: § 266 Abs. 1, 1. Alt. (Mißbrauchstatbestand). - Dem ist zuzustimmen, denn hier erfolgte der rechtswirksame Erwerb des Käufers nicht aufgrund guten Glaubens, sondern weil die Vollmacht gem. §§ 171, 172 BGB fortbesteht bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtsgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt worden i s t . 4 8 8

2. Der Treubruchstatbestand, § 266 Abs. 1, 2. Alt. 18 a) Der Treubruchstatbestand setzt die Verletzung einer Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, voraus, die zu einem Vermögensnachteil für den Berechtigten führen muß. 19 b) Angesichts der "uferlosen Weite" der Gesetzesformulierung ist der Treubruchstatbestand seit jeher als rechtsstaatlich höchst problematisch eingestuft und als kaum vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG angesehen worden. 489 20 c) Rechtsprechung und Lehre haben indes versucht, dem Tatbestand durch eine restriktive Interpretation der Vermögensfürsorgepflicht schärfere Konturen zu geben. Gefordert wird zum einen, daß die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen der typische

487

Dazu auch BGH wistra 1990 S. 305; HÜBNER LK, 10. Aufl., § 266 Rdn. 70; LABSCH Untreue, S. 99 ff.

488

Vgl. auch LABSCH Jura 1987 S. 412; NELLES Untreue, S. 519; OTTO JK, StGB §266/5; SCH/SCH/ LENCKNER § 2 6 6 R d n . 4. - A . A . GÜNTHER S K II, § 2 6 6 R d n . 13; KREY B . T . 2, R d n . 5 4 7 f ; WEBER in:

Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 187. 489

258

GOSSRAU in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 8, Besonderer Teil, 79. Sitzung, S. 135; JAKOBS Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1991, 4/30; LABSCH Untreue, S. 189 ff; OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 311; WELZEL Lb., § 56 B.

Untreue und untreueähnliche Delikte

§54

und wesentliche Inhalt des Fürsorgeverhältnisses - "Hauptpflicht" - sein müsse, z u m anderen, daß es sich bei d e m Vermögensfürsorgeverhältnis u m eine Geschäftsbesorgung handeln müsse, s o daß Nebenpflichten aus schuldrechtlichen Austauschverträgen von vornherein ausgeschlossen s i n d . 4 9 0 - D i e fremdnützige Geschäftsbesorgung kennzeichnet die Vermögensfürsorgepflicht. Eine Geschäftsbesorgung in diesem Sinne setzt danach eine selbständige, eigene Überlegung erfordernde 2 1 Tätigkeit wirtschaftlicher Art im Interesse des Geschäftsherrn voraus. Die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen muß der typische und wesentliche Inhalt des Vertragsverhältnisses sein. Darüber hinaus muß dem Pflichtigen eine gewisse Selbstständigkeit bei der Erfüllung seiner Pflichten eingeräumt sein, so daß er Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen hat. "Selbständigkeit bei der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen ist allein, aber auch handeln untrüglich daran zu messen, o b der Betreuer so handeln muß oder auch anders darf.™

22

d) Gleichwohl sind die B e m ü h u n g e n u m eine Konkretisierung der Vermögensfürsorgepflicht letztlich unbefriedigend geblieben, da die Rechtsprechung die durch das Erfordernis der Vermögensfürsorgepflicht in beiden Alternativen des § 2 6 6 Abs. 1 eröffnete Strafbarkeitslücke dadurch zu schließen sucht, daß sie das Merkmal der Selbständigkeit in Einzelfällen zu schlichter Bedeutungslosigkeit a b w e r t e t . 4 9 2

23

Bejaht wurde die Vermögensfürsorgepflicht z.B. trotz Fehlens jeglicher selbständiger Entscheidungsbefugnis bei einem Bankkassierer (BGH wistra 1989 S. 60 mit Anm. OTTO JK, StGB § 266/9), bei Rechtsanwälten und Notaren, die Gelder nach Eintritt ganz bestimmter Voraussetzungen aus- oder zurückzahlen sollten, ohne daß ihnen irgendein Entscheidungsspielraum verblieb 493 , bei einem Notar, der bei einem riskanten Geschäft nicht hinreichend belehrt hatte (BGH wistra 1991 S. 219), bei einem Rechtspfleger als Nachlaßrichter den Erben gegenüber (BGHSt 35 S. 224 mit Anm. OTTO JZ 1988 S. 883 f), bei einem Wohnungsverwalter hinsichtlich der Mieterkautionen. 494

24

Unabhängig davon ist die Rechtsprechung j e d o c h auch dort, w o sie im Ergebnis ZuS t i m m u n g verdient, nicht über die Bildung von Fallgruppen hinausgekommen:

25

Taugliche Täter: Gebrechlichkeitspfleger (OLG Bremen NStZ 1989 S. 228 f); Handelsvertreter, der zu- 2 6 gleich Lagerverwalter ist (BGH NStZ 1983 S. 74); Hauptbuchhalter (BGH GA 1979 S. 144); Konkursverwalter, im Verhältnis zu den Gläubigern (BGHSt 1 S. 243) und im Verhältnis zum Gemeinschuldner (BGH 1 StR 405/73 vom 13.11.1973); Prokurist im Verhältnis zum Firmeninhaber (BGH bei Herlan, GA 1964 S. 130); Rechtsanwalt gegenüber Mandanten (BGH StV 1986 S. 204; BGH wistra 1993 S. 300); Rechtsanwalt aufgrund faktischer Herrschaft über das Vermögen eines in geschäftlichen Dingen Unerfahrenen (BGH NStZ 1997 S. 125); Gerichtsvollzieher (OLG Celle MDR 1990 S. 846); Vormund (BGH wistra 1991 S. 219); Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von Handelsgesellschaften und juristischen Personen (dazu BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 456; BGH NJW 1981 S. 469; BGH wistra 1993 S. 301), doch kommt es auf das Einzelgeschäft an (dazu BGH MDR 1988 S. 511; BGH NJW 1988 S. 2483 ff); Drittbegünstigter bei Geschäftsbesorgungsvertrag mit Auflagen zu seinen Gunsten (BGH NJW 1997 S. 66 mit zust. Anm. OTTO JK 97, StGB § 266/14 und insoweit abl. Anm. D. GEERDS JR 1997 S. 340); Vermieter gegenüber Mieter bei

4 9 0

V g l . B G H N J W 1 9 8 3 S. 4 6 1 ; B G H N S t Z 1 9 8 9 S. 7 2 mit A n m . OTTO J R 1989 S. 2 0 8 f f ; B G H N J W 1991 S. 2 5 7 4 ; GÖSSEL B . T . 2, § 2 5 R d n . 2 3 ; HAAS D i e U n t r e u e (§ 2 6 6 S t G B ) , 1997, S. 39; HÜBNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 6 R d n . 2 6 ; KÜPER B.T., S. 3 2 1 ff; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 R d n . 2 3 a; WEBER in:

491

HÜBNER LK, 10. Aufl., § 266 Rdn. 32.

492

Im einzelnen dazu die Übersicht bei HÜBNER LK, 10. Aufl., § 266 Rdn. 35 ff.

493

BGH NJW 1968 S. 852 f; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 625; BGH wistra 1987 S. 65; zust. RENGIER B.T. I, § 18 R d n . 11.

494

So BGHSt 41 S. 224 mit Anm. OTTO JK 96, StGB § 266/12; SOWADA JR 1997 S. 28 ff. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 1171.

Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 97 f; WESSELS B.T./2, Rdn. 721 f.

259

§54

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Mietkaution (BGHSt 41 S. 229; a.A. OLG Düsseldorf JZ 1989 S. 352); Mieter gegenüber Vermieter bei Mietkaution (BayObLG wistra 1998 S. 158). 27

Untaugliche Täter: Arbeiter, der mit Vermögen des Arbeitgebers umgeht (BGHSt 3 S. 294); Buchhalter (BGH wistra 1987 S. 27); Büroangestellte, die Schreibarbeiten zu erledigen haben (BGHSt 3 S. 294); Kellner (RGSt 69 S. 58); Minderheitsaktionär gegenüber der Aktiengesellschaft (LG Köln wistra 1988 S. 279 f); Reiseveranstalter gegenüber den Leistungsträgern (BGHSt 28 S. 20); Sicherungsgeber gegenüber Sicherungsnehmer (BGH wistra 1984 S. 143 m. Anm. SCHOMBURG S. 143 f; vgl. aber BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 888); Sicherungsnehmer gegenüber Sicherungsgebern (BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 625); Empfanger der Einlage des stillen Gesellschafters gegenüber dem stillen Gesellschafter (OLG Karlsruhe wistra 1992 S. 233); Bank gegenüber Sparvertragskunden (OLG Düsseldorf wistra 1995 S. 72); Schmiergeldempfänger gegenüber Geschäftsherrn (BGH NStZ 1995 S. 233); Provisions- oder Handelsvertreter bei Eigenabschluß gegenüber Geschäftsherrn (OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 S. 201); Filialleiter bei Nichtabführung vereinnahmter Provisionen (BGH wistra 1998 S. 61).

28 e) Nach h.M. braucht es sich bei dem Treueverhältnis um kein besonders schutzwürdiges Vermögensfürsorgeverhältnis zu handeln. Auch gesetz- und sittenwidrige Verhältnisse können Vermögensfürsorgeverhältnisse i.S. des § 266 begründen, doch dürften die Voraussetzungen der Vermögensfürsorgepflicht bei gesetz- oder sittenwidrigen Verhältnissen selten vorliegen. In Betracht kommt aber ein zivilrechtlich nichtiges Treueverhältnis. 495 29 f) Eine Verletzung der Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, liegt in den Verhaltensweisen des Treupflichtigen, mit denen dieser nicht die Vermögensinteressen des Treugebers wahrt, sondern dessen Vermögen schädigt. 30 Maßgebliches Kriterium der Treupflichtverletzung bei riskanten Geschäften ist aber nicht der objektive Erfolg, sondern die Begründung eines unerlaubten Risikos durch den Abschluß des Geschäftes. Dabei ist zu beachten, daß Risiken im Wirtschaftsleben nicht immer ausgeschlossen oder gemindert werden können. Ein unerlaubtes Risiko und damit eine Treupflichtverletzung begeht der Täter im Rahmen von Risikogeschäften daher erst, wenn er "nach Art eines Spielers bewußt und entgegen den Regeln kaufmännischer Sorgfalt eine ... äußerst gesteigerte Verlustgefahr auf sich nimmt, nur um eine höchst zweifelhafte Gewinnaussicht zu erhalten". 4 9 6 31 g) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich beim Treubruchstatbestand auch auf die Vermögensfürsorgepflichtverletzung erstrecken und den Vermögensnachteil umfassen. 4 9 7 3. Der

Vermögensschaden

32 Beide Untreuetatbestände setzen als Taterfolg einen "Nachteil" voraus, der in der Sache mit dem Vermögensschaden i.S. des § 263 identisch ist. 4 9 8 Gleichwohl ergeben sich Besonderheiten: 33 a) Als Nachteil ist auch die pflichtwidrig unterlassene Vermögensmehrung anzusehen. 4 9 9 34 b) An einem Nachteil fehlt es hingegen, wenn der verfügungsberechtigte Täter den Ver4 9 5

W i e h i e r : B G H S t 8 S . 2 5 4 m i t A n m . BRUNS N J W 1 9 5 6 S . 1 5 1 , HÄRTUNG J Z 1 9 5 6 S . 5 7 2 f ; HÜBNER

LK, 10. Aufl., § 266 Rdn. 79; KREY B.T.2, Rdn. 563; TRÖNDLE StGB, § 266 Rdn. 9. - A.A. HAAS Untreue, S. 31 ff; SCHMIDHÄUSERB.T., 11/66; SCH/SCH/LENCKNER § 266 Rdn. 34. 496

BGH wistra 1991 S. 220; vgl. auch BRINGEWAT JZ 1977 S. 668; GÜNTHER SK II, § 266 Rdn. 21; HILLENKAMP N S t Z 1 9 8 1 S . 1 6 1 f f ; HÜBNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 6 R d n . 8 4 f ; N A C K N J W 1 9 8 0 S . 1 5 9 9

ff; OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 68 ff; WAßMER Untreue bei Risikogeschäften, 1997, S. 5 2 ff, 7 3 ff. 497 4 9 8

Vgl. BGH wistra 1986 S. 25; BGHSt 34 S. 390. S o : HÜBNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 6 R d n . 9 0 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 6 R d n . 17; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 R d n .

41; SCH/SCH/LENCKNER § 266 Rdn. 39 ("gleichbedeutend").

260

Untreue und untreueähnliche Delikte

§54

mögensstand des Berechtigten pflichtwidrig mindert, aber jederzeit fähig und willig ist, aus eigenen flüssigen Mitteln die Vermögensminderung auszugleichen. 500 c) Bei der zweckwidrigen Verwendung öffentlicher Gelder sieht die Rechtsprechung in 35 dieser Verwendung eine Vermögensschädigung; sie folgt insoweit den Grundsätzen der personalen Vermögenslehre. 501 d) Entnahmen aus dem Vermögen einer GmbH, die als solche verschleiert werden, stellen 36 nicht notwendig eine Vermögensschädigung der GmbH dar. Sie sind vielmehr als verdeckte Gewinnentnahmen zu interpretieren. Diese sind im Einverständnis mit den Gesellschaftern zulässig, soweit durch die Entnahme nicht das Stammkapital angegriffen oder eine Überschuldung der GmbH herbeigeführt wird. 5 0 2 e) Einen Vermögensschaden erleiden kann nur eine vom Täter verschiedene natürliche 37 oder juristische Person. Bei verselbständigten Vermögensmassen (KG, OHG, BGB-Gesellschaft) kommt es darauf an, ob vom Täter verschiedene (Mit-) Träger der Vermögensmasse negativ betroffen sind. 5 0 3 4. Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 266 Angesichts der mit der Bestimmung der Vermögensfürsorgepflicht grundsätzlich ver- 38 bundenen Schwierigkeiten erscheint es nach wie vor sinnvoll, zu erwägen, ob über die in Lehre und Rechtsprechung erörterten einschränkenden Kriterien hinaus der gesamte Untreuetatbestand nicht erheblich zu begrenzen wäre auf die Fälle, in denen der Täter die ihm rechtswirksam eingeräumte Befugnis fremdes Vermögen zu verwalten oder über fremdes Vermögen rechtswirksam zu verfügen, mißbraucht. Hier besteht, insbes. im Verhältnis zu den Zueignungsdelikten, eine Strafbarkeitslücke, nicht aber dort, wo schon diese Delikte eingreifen. 5 0 4 Das Bedürfnis nach einer tatbestandlichen Begrenzung des § 266 wird besonders deut- 39 lieh, wenn BGH und h.L. in der Veruntreuung eines auf betrügerische Weise erlangten Gegenstandes eine straflose Nachtat gegenüber dem Betrug sehen, obwohl offen bleibt, wie der über den Betrugsschaden hinausgehende Untreueschaden zu begründen ist. 5 0 5

499

Dazu BGHSt 31 S. 232; BGH wistra 1984 S. 109; BGH wistra 1989 S. 224.

500

Dazu BGH NStZ 1982 S. 331 f; BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 281; BGH NStZ 1995 S. 233; vgl. ferner: HÜBNER LK, 10. Aufl., § 266 Rdn. 100; TRÖNDLE StGB, § 266 Rdn. 24; abweichend: SCH/SCH/

501

Vgl. BGHSt 40 S. 287, 291 ff mit Anm. HERDEGEN NStZ 1995 S. 202 f; BGH NStZ 1984 S. 549 m. Anm. OTTO JK, StGB § 266/4; BGH NStZ 1986 S. 455 f; OLG Hamm NStZ 1986 S. 119. - Wesentlich einschränkend aber BGH NJW 1998 S. 913.

502

Vgl. BGHSt 35 S. 333 mit Anm. OTTOJK 89, StGB 266/8, REIß wistra 1989 S. 81 ff (a.A. noch BGHSt 34 S. 379 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 266/7, VORNEMANN GmbHR 1988 S. 329 ff); BGH wistra 1990 S. 99; BGH NStZ 1995 S. 185. Im übrigen vgl. BRAMMSEN DB 1989 S. 1609 ff; FLECK ZGR

LENCKNER § 2 6 6 R d n . 4 2 .

1 9 9 0 S . 3 1 f f ; D . GEERDS J R 1 9 9 7 S . 3 4 0 f; GÖSSEL B . T . 2, § 2 5 R d n . 3 9 ; GRIBBOHM Z G R

1990 S. 1

ff; HELLMANN wistra 1989 S. 214 ff; RADTKE GmbHR 1998 S. 311 ff, 361 ff, 364; ULMER Pfeiffer-FS, S. 853 ff. - Zur Untreue im (faktischen) Konzern: BGH NJW 1997 S. 66 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 266/13. 503

Vgl. BGHSt 34 S. 221 ff; BGH NStZ 1987 S. 279; BGH wistra 1991 S. 183; BGH StV 1992 S. 465; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 6 R d n . 3 ; SCHULTE N J W 1 9 8 4 S . 1 6 7 1 . - A . A . SCHÄFER N J W 1 9 8 3 S . 2 8 5 0 .

504

Dazu HÜBNER LK, 10. Aufl., § 266 Rdn. 32; LABSCH Untreue, S. 302 ff; OTTO Struktur, S. 312 f.

505

Vgl. dazu BGH wistra 1991 S. 218 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 266/11.

261

§54

Z w e i t e r Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r d e s Einzelnen

5. Strafantrag und Strafzumessung 40 §§ 247, 248 a, die Regelbeispiele für besonders schwere Fälle des Betruges § 263 Abs. 3 und § 243 Abs. 2, gelten gemäß Abs. 2 entsprechend. III. Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266 b 1. Das geschützte Rechts gut 41 Geschütztes Rechtsgut des Tatbestandes ist das Vermögen. Daß der Tatbestand im Einzelfall - insoweit durchaus §§ 263, 266 vergleichbar - auch die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs schützt, ändert nicht das Wesen des Delikts als Vermögensdelikt.506 42 Sachlich handelt es sich bei § 266 b um die Wiederherstellung der Möglichkeit, einen Fall der Untreue in der Alternative des Mißbrauchstatbestandes strafrechtlich zu ahnden, nachdem die sachwidrige Erstreckung der Vermögensfürsorgepflicht auf § 266 Abs. 1,1. Alt. - dazu vgl. Rdn. 4 ff - insoweit eine Strafbarkeitslücke begründet hatte. 507 2. Die Täterposition 43 a) Als Täter kommt nur der berechtigte Karteninhaber in Betracht, denn nur diesem ist durch die Überlassung eines Schecks oder einer Kreditkarte die Möglichkeit eingeräumt, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen. - Der Kartenmißbrauch durch nichtberechtigte Karteninhaber stellt in der Regel einen Betrug, § 263, dar. 44 b) Aufgrund der dem Täter eingeräumten Vertrauensstellung ist die Tätereigenschaft besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1; vgl. dazu Rdn. 3. 3. Scheck- und Kreditkarten 45 Als Scheckkarte ist nach dem heute im Wirtschaftsleben bestehenden Bedeutungsgehalt die eurocheque-Karte anzusehen. 508 Der Begriff ist aber für andere, neu zu entwickelnde Systeme offen. - Kreditkarten im Sinne des Gesetzes sind zunächst die Kreditkarten im Drei-Partner-System, z.B. American Express-Karte, Eurocard. Sie räumen - wie die Scheckkarte - dem Karteninhaber die Befugnis ein, den Aussteller zu einer Zahlung - das ist nicht nur die Bargeldzahlung, sondern jegliche Geldleistung, insbes. im Verrechnungswege - zu veranlassen, d.h. dessen Garantieverpflichtung gegenüber einem Dritten auszulösen. Diese Eigenschaft fehlt den Karten im Zwei-Partner-System, z.B. den Karten der Kaufhäuser oder Autovermieter, da es sich hierbei lediglich um Ausweise über die zuvor erfolgte Bonitätsprüfung handelt, die es den Filialen des ausstellenden Unternehmens ermöglicht, Leistungen gegenüber dem Karteninhaber zu erbringen, ohne jeweils erneut die Kreditwürdigkeit prüfen zu müssen. 509 506

v g l . a u c h GÖSSEL B . T . 2 , § 2 6 R d n . 2 0 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 b R d n . 1; KREY B . T . 2, R d n . 5 5 0 a;

OTTO wistra 1986 S. 152; RANFT JUS 1988 S. 675. - Weiter (Vermögen und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs): BGH NStZ 1993 S. 283; LACKNER/KÜHL § 266 b Rdn. 1; TRÖNDLE StGB, § 266 b Rdn. 2. - Nur den unbaren Zahlungsverkehr sieht als geschützt an: BERNSAU Der Scheck- oder Kreditkartenmißbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 63 ff. 507 508

D A Z U A U C H HIRSCH H . K a u f m a n n - G e d S , S. 1 5 2 ; LABSCH N J W 1 9 8 6 S. 108; OTTO J Z 1 9 8 5 S. 1 0 0 9 ; TIEDEMANN J Z 1 9 8 6 S. 8 7 2 .

VGL

Eingehend zum eurocheque-System OTTO HWiStR: "Scheckkartenbetrug". 509 vgl. dazu BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 112; WEISENSEE Die Kreditkarte - ein amerikanisches Phä-

262

Untreue und untreueähnliche Delikte

§54

Gleichwohl erscheint eine Differenzierung nach den Kartensystemen mit der Kon- 46 sequenz, daß der Mißbrauch der Karte im Zwei-Partner-System unter den schärferen § 263 fällt, nicht notwendig. Mit dem Wortlaut des Gesetzes ist die Interpretation, daß der Täter auch beim Mißbrauch dieser Karten von der "eingeräumten Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen", Gebrauch macht, noch vereinbar. 5 1 0 4. Tathandlung und Tatfolgen a) Tathandlung ist der Mißbrauch der mit der Überlassung der Scheck- oder Kreditkarte 47 dem Täter eingeräumten Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen. Das Mißbrauchsmerkmal entspricht dem des § 266 Abs. 1,1. Alt. StGB. Es liegt vor, wenn der Täter - nach außen rechtswirksam - im Rahmen seiner Verpflichtungsbefugnis - im ZweiPartner-System: im Rahmen der ihm eröffneten Kreditmöglichkeiten - die ihm im Innenverhältnis vom Kartenherausgeber gesetzten Grenzen überschreitet und eine Zahlung herbeiführt oder eine Zahlungsverpflichtung begründet in einer Situation, in der er nach der vertraglichen Abmachung die Karte nicht nutzen darf. Der typische Mißbrauch der Scheckkarte liegt vor, wenn der Täter einen Scheckkartenscheck begibt, obwohl er weiß, daß sein Konto weder durch ein Guthaben noch durch Kredit gedeckt ist. Der typische Mißbrauch der Kreditkarte liegt in der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder Waren unter Vorlage der Karte, obwohl der Täter weiß, daß er nicht in der Lage ist, sein Konto auszugleichen. - Nicht tatbestandsmäßig ist der Verkauf der Karte durch den Berechtigten, um Kartenmißbräuche zu ermöglichen. 511 b) Streitig ist, ob der Mißbrauch der Scheck- oder Kreditkarte als Codekarte, d.h. bei der 48 Geldentnahme aus einem Geldautomaten unter § 266 b fällt. Soweit dieses bejaht wird, geschieht es unter Hinweis darauf, daß letztlich in diesen Fällen gleiches untreueähnliches Unrecht verwirklicht wird. Das ändert jedoch nichts daran, daß die Karte hier nicht als Scheck- oder Kreditkarte, sondern aufgrund einer zufällig mit diesen Eigenschaften verbundenen Funktion genutzt wird. Damit begründet die Erfassung des Codekartenmißbrauchs unter § 266 b wenig überzeugende Differenzierungen, denn es sind Codekarten z.B. die S-Card der Sparkassen, die Bank Card der Volks- und Raiffeisenbanken - im Markte, die nur als Automatenkarte nutzbar sind. Sachgerechter, wenn auch das unterschiedliche Strafmaß nicht überzeugend gerechtfertigt werden kann, ist es daher, den Codekarten-Mißbrauch grundsätzlich als Computerbetrug zu erfassen. 5 1 2 c) Der Kartenmißbrauch muß zu einem Schaden des Kartenausstellers geführt haben, und 49 zwar zu einem Vermögensschaden. Der Gesetzgeber hat mit diesem Erfordernis klargestellt, daß - unabhängig von der Einordnung des Kartenmißbrauchs als Betrug oder Untreue - die Regelung des § 266 b StGB jene Lücke schließen soll, die bei der Anwendung dieser Bestimmungen - sei es angeblich oder realiter - offenbar wurde. Darüber hinaus begrenzt das Schadenserfordernis aber auch den Kreis der strafrechtlich relevanten Mißnomen, 1970, S. 93 ff. 510

Vgl. auch GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 9; HILGENDORF JuS 1997 S. 135; OTTO wistra 1986 S . 1 5 2 ; DERS. J Z 1 9 9 2 S . 1 1 3 9 f ; RANFT JUS 1 9 8 8 S . 6 8 0 f ; DERS. N S t Z 1 9 9 3 S . 1 8 5 f ; SCHLÜCHTER

Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 112. - A.A. BGHSt 38 S. 281; ACHENBACH N S t Z 1 9 9 3 S . 4 2 9 f; BERNSAU S c h e c k k a r t e n m i ß b r a u c h , S . 2 1 0 f ; G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 6 R d n . 3 3 ; GÜNTHER S K I I , § 2 6 6 b R d n . 4 ; M I T S C H J R 1 9 9 4 S . 8 8 5 f ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 6 b R d n . 4 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 4 5 R d n . 7 7 ; RENGIER B . T . I, § 19 R d n . 4 . 511

Vgl. BGH MDR 1992 S. 321 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 266 h/2. - A.A. MITSCH JZ 1994 S. 887.

512

Vgl. dazu § 52 Fn. 454.

263

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§54

brauchsfälle. Entsprechend der Schadensbestimmung beim Untreuetatbestand ist nämlich auch hier der Schaden abzulehnen, wenn der Täter einen Scheckkartenscheck begibt, obwohl sein Konto weder durch Guthaben oder Kredit gedeckt ist, er aber jederzeit willig und fähig ist, für Deckung zu sorgen; vgl. dazu Rdn. 34. - Bloße Vermögensgefährdungen genügen dem Schadenserfordernis nicht. 5 1 3 50 Bei der Verwendung der Kreditkarte stellt sich diese Problematik nicht in gleicher Weise, da es hier an einem Mißbrauch fehlt, wenn der Karteninhaber bei Begründung der Verpflichtung davon ausgeht, daß er für den Ausgleich seines Kontos sorgen kann. Nur dort ergibt sich die Problematik, wo dem Karteninhaber ein bestimmtes Limit gesetzt ist, das er nicht überschreiten darf. 5. Der subjektive

Tatbestand

51 Subjektiv fordert der Tatbestand Vorsatz des Täters. - Der Vorsatz - bedingter genügt muß das Bewußtsein des Mißbrauchs der Möglichkeit, den Kartenaussteller zur Zahlung zu veranlassen, und die Schädigung des Vermögens des Kartenausstellers umfassen. Geht der Täter aufgrund konkreter Sachverhaltsgegebenheiten davon aus, daß das Konto Dekkung aufweist oder er ohne weiteres in der Lage ist, für Deckung zu sorgen, so fehlt es am Vorsatz, auch wenn es zum Schadenseintritt kommt. Allein vage Hoffnungen und Vermutungen, daß Deckung ermöglicht werden könne, schließen den Vorsatz hingegen nicht aus. 6.

Antragserfordernis

52 Abs. 2 erklärt § 248 a (Antragserfordernis bei geringem Schaden) für entsprechend anwendbar. 7.

Konkurrenzen

a) Sonderregelung gegenüber §§ 263, 266 53 Aufgrund des auch im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen Willens des Gesetzgebers, durch den neuen Tatbestand die durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Anwendung des Betrugs- und des Untreuetatbestandes zum einen (Kreditkartenmißbrauch) eröffnete, zum anderen (Scheckkartenmißbrauch) befürchtete Strafbarkeitslücke zu schließen, ist § 266 b beim Kartenmißbrauch durch den berechtigten Inhaber als lex specialis gegenüber §§ 263, 266 anzusehen. 5 1 4 Die Sonderregelung greift auch bezüglich des Versuchs durch. Es ist nicht möglich, den nicht strafbaren Versuch des Scheck- und Kreditkartenmißbrauchs als strafbaren Versuch des Betrugs oder der Untreue zu ahnden. 5 1 5

b) Verhältnis zur deliktischen Erlangung der Karte 54 Hat der Täter die Scheck- oder Kreditkarte im Drei-Partner-System bereits durch Täuschung über seine Zahlungswilligkeit und/oder -fähigkeit erlangt, so liegt in diesem Verhalten ein Betrug. Die Möglichkeit, den Kartenaussteller jederzeit nach eigenem Gut5 1 3

V g l . a u c h BERNSAU S c h e c k k a r t e n m i ß b r a u c h , S . 1 1 5 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 6 R d n . 4 5 ; GÜNTHER S K II,

514

So auch BGH NStZ 1987 S. 120; BGH NStZ 1993 S. 283; KG JR 1987 S. 257; OLG Hamm MDR

§ 2 6 6 b R d n . 6 ; RANFT J u S 1 9 8 8 S . 6 7 9 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 b R d n . 10.

1 9 8 7 S . 5 1 4 ; KREY B . T . 2 , R d n . 5 5 0 f; GEPPERT Jura 1 9 8 7 S . 1 6 5 ; OTTO w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 5 3 ; TRÖNDLE

StGB, § 266 b Rdn. 9. - A.A. (Tatbestandsausschluß): GÖSSEL B.T. 2, § 26 Rdn. 52; WEBER JZ 1987 S. 215 f. 515

264

Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 266 b Rdn. 9.

U n t r e u e und untreueähnliche Delikte

§54

dünken mit einer Zahlungsverpflichtung belasten zu können, stellt eine Vermögensbelastung und damit ein Vermögensschaden dar. 5 1 6 Bei der Erlangung einer Kreditkarte im Zwei-Partner-System ist eine über den Wert der Karte hinausgehende Schädigung abzulehnen, da diese Karte nicht die Möglichkeit einer Verpflichtung des Kartenausstellers unabhängig von seinem Willen eröffnet. 5 ' 7

Gegenüber dem in der Erlangung der Karte liegenden Betrug stellt der Mißbrauch der 55 Karte eine mitbestrafte Nachtat dar. 5 1 8

IV. Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 2 1. Das geschützte Rechtsgut Im Gegensatz zu § 266 a Abs. 1, 3, die das Interesse der Solidargemeinschaft der Versi- 56 cherten schützen - dazu § 61 Rdn. 68 handelt es sich bei § 266 a Abs. 2 um ein Delikt gegen das Vermögen des Arbeitnehmers. 519 2. Die

Täterposition

a) Täter kann nur der Arbeitgeber oder eine ihm gleichgestellte Person sein. - Die Tä- 57 terposition charakterisiert jedoch nicht eine besondere Pflichtenstellung des Täters, sondern nur die Nähe zum geschützten Rechtsgut. Sie ist daher nicht besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1.520 Der Begriff des Arbeitgebers ist zivilrechtlich zu bestimmen, da der Tatbestand eine zi- 58 vilrechtlich wirksame Lohnzahlungspflicht voraussetzt. b) Als Täter kommen demnach in Betracht: Arbeitgeber, d.h. nach §§611 ff BGB Dienst- 59 berechtigte, denen der Arbeitnehmer Dienste leistet und von denen er persönlich abhängig ist, Organe und Vertreter im Sinne des § 14 sowie nach Abs. 4 dem Arbeitgeber gleichgestellte Personen, die in §§ 1,2 HeimArbG näher beschrieben sind. 3. Die

Tathandlung

Gegenstand der Tathandlung sind Teile des Arbeitsentgelts, die nicht unter Abs. 1 oder 60 Abs. 2 S. 2 (Lohnsteuer) fallen, die der Arbeitgeber einbehält und die für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen sind. Die Pflicht zur Abführung kann privat- oder öffentlichrechtlich begründet sein. Einbehalten sind Lohnteile, zu denen auch vermögenswirksame Leistungen gehören, 61 516

Vgl. dazu § 5 1 Rdn. 142 f.

517

Vgl. dazu § 5 1 Rdn. 144.

518

Vgl. auch KÜPPER NStZ 1988 S. 61 f; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 117; SCH/SCH/LENCKNER § 266 b Rdn. 14. - A.A. (zum einen Idealkonkurrenz) TRÖNDLE StGB, § 266 b Rdn. 9; (zum anderen Realk o n k u r r e n z ) GÖSSEL B . T . 2 , § 2 6 R d n . 5 7 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 b R d n . 8; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 b R d n . 9 ; WEBER J Z 1 9 8 7 S. 2 1 6 .

519

Vgl. BT-Drucks. 10/5058 S. 31; OLG Celle NJW 1992 S. 190; GÜNTHER SK II, § 226 a Rdn. 3; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 1; MARTENS w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 5 5 ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 a R d n . 2. -

Zur Auseinandersetzung über das Rechtsgut des § 266 a: TAG Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung sowie das Veruntreuen von Arbeitsentgelt, 1994, S. 33 ff. 5 2 0

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 2 ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 a R d n . 2 0 . - A . A . GÜNTHER S K II,

§ 266 a Rdn. 57.

265

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§55

wenn nur ein um die entsprechenden Teile gekürzter Lohn ausgezahlt wird. - Nicht gezahlt ist der Lohn, wenn die Zahlung nicht bei Fälligkeit erfolgt. 62 Zur Nichtzahlung des einbehaltenen Lohnes muß hinzukommen, daß der Arbeitgeber es unterläßt, spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden, den Arbeitnehmer von der Nichtzahlung zu unterrichten. Die Unterrichtung kann sowohl schriftlich, mündlich, ausdrücklich als auch konkludent geschehen. - Vollendet ist die Tat, wenn die Unterrichtung des Arbeitnehmers nicht bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt ist. 4. Der subjektive

Tatbestand

63 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Vorsatz muß nicht nur die pflichtbegründenden Umstände, sondern auch das Bestehen der Zahlungspflicht selbst umfassen, da dem Täter ohne diese Kenntnis der soziale Sinngehalt seines Verhaltens nicht bewußt ist. 5 2 1 5.

Konkurrenzen

64 Verwirklicht die Tathandlung zugleich den Tatbestand des Betruges, so wird § 266 a konsumiert. 5 2 2

§ 55: Strafbare Vermögensgefährdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 1. Das geschützte Rechts gut 1 2

Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen. Dieses wird durch Glücksspiel gefährdet. Dieser strafrechtliche Schutz vor der Gefährdung des eigenen Vermögens ist unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit schwersten Zweifeln ausgesetzt. Diese Zweifel gelten in gleicher Weise für sonst genannte Schutzgüter, nämlich die "wirtschaftliche Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft" 5 2 3 und die Sicherung eines ordnungsgemäßen Spielablaufs 5 2 4 , da der Tatbestand nicht das Falschspiel erfaßt und als Schutzvorschrift im Vorfeld des Falschspieles keineswegs ein Straftatbestand nötig wäre. Ein Ordnungswidrigkeitentatbestand entspräche der Verhältnismäßigkeit. Die Streichung des Tatbestandes insgesamt wäre daher zu begrüßen. So begründet die Vorschrift lediglich den Verdacht, daß hier staatliche Einnahmequellen strafrechtlich garantiert werden. 5 2 5 2. Die einzelnen

3

Tatbestandsmerkmale

a) Als Glücksspiel ist ein Spiel anzusehen, bei dem die Entscheidung über Gewinn und Verlust nach den Vertragsbedingungen nicht wesentlich von den Fähigkeiten und Kennt5 2 1

V g l . a u c h L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 6 a R d n . 1 6 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 2 6 6 a R d n . 17. - A . A . T R Ö N D L E

StGB, § 266 a Rdn. 21. 5 2 2

V g l . a u c h GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 5 8 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 2 0 . - A . A .

MAURACH/

S C H R O E D E R / M A I W A L D B T . 1, § 4 5 R d n . 7 1 . 523

Dazu BGHSt 11 S. 209; BayObLG N J W 1993 S. 2820 mit Anm. LAMPE JUS 1994 S. 737 ff.

524

Dazu MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 44 Rdn. 2.

5 2 5

D a z u a u c h GÖHLER N J W 1 9 7 4 S. 8 3 3 , F n . 127; HERZOG E z S t , S t G B § 2 8 4 N r . 2, S. 7 f f ; LAMPE G A 1 9 7 7 S . 5 5 ; L A N G E D r e h e r - F S , S . 5 7 3 f f ; DERS. G A 1 9 5 3 S . 8 f f ; PETERS Z S t W 7 7 ( 1 9 6 5 ) S . 4 8 2 f .

266

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§55

wenn nur ein um die entsprechenden Teile gekürzter Lohn ausgezahlt wird. - Nicht gezahlt ist der Lohn, wenn die Zahlung nicht bei Fälligkeit erfolgt. 62 Zur Nichtzahlung des einbehaltenen Lohnes muß hinzukommen, daß der Arbeitgeber es unterläßt, spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden, den Arbeitnehmer von der Nichtzahlung zu unterrichten. Die Unterrichtung kann sowohl schriftlich, mündlich, ausdrücklich als auch konkludent geschehen. - Vollendet ist die Tat, wenn die Unterrichtung des Arbeitnehmers nicht bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt ist. 4. Der subjektive

Tatbestand

63 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Vorsatz muß nicht nur die pflichtbegründenden Umstände, sondern auch das Bestehen der Zahlungspflicht selbst umfassen, da dem Täter ohne diese Kenntnis der soziale Sinngehalt seines Verhaltens nicht bewußt ist. 5 2 1 5.

Konkurrenzen

64 Verwirklicht die Tathandlung zugleich den Tatbestand des Betruges, so wird § 266 a konsumiert. 5 2 2

§ 55: Strafbare Vermögensgefährdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 1. Das geschützte Rechts gut 1 2

Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen. Dieses wird durch Glücksspiel gefährdet. Dieser strafrechtliche Schutz vor der Gefährdung des eigenen Vermögens ist unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit schwersten Zweifeln ausgesetzt. Diese Zweifel gelten in gleicher Weise für sonst genannte Schutzgüter, nämlich die "wirtschaftliche Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft" 5 2 3 und die Sicherung eines ordnungsgemäßen Spielablaufs 5 2 4 , da der Tatbestand nicht das Falschspiel erfaßt und als Schutzvorschrift im Vorfeld des Falschspieles keineswegs ein Straftatbestand nötig wäre. Ein Ordnungswidrigkeitentatbestand entspräche der Verhältnismäßigkeit. Die Streichung des Tatbestandes insgesamt wäre daher zu begrüßen. So begründet die Vorschrift lediglich den Verdacht, daß hier staatliche Einnahmequellen strafrechtlich garantiert werden. 5 2 5 2. Die einzelnen

3

Tatbestandsmerkmale

a) Als Glücksspiel ist ein Spiel anzusehen, bei dem die Entscheidung über Gewinn und Verlust nach den Vertragsbedingungen nicht wesentlich von den Fähigkeiten und Kennt5 2 1

V g l . a u c h L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 6 a R d n . 1 6 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 2 6 6 a R d n . 17. - A . A . T R Ö N D L E

StGB, § 266 a Rdn. 21. 5 2 2

V g l . a u c h GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 5 8 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 2 0 . - A . A .

MAURACH/

S C H R O E D E R / M A I W A L D B T . 1, § 4 5 R d n . 7 1 . 523

Dazu BGHSt 11 S. 209; BayObLG N J W 1993 S. 2820 mit Anm. LAMPE JUS 1994 S. 737 ff.

524

Dazu MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 44 Rdn. 2.

5 2 5

D a z u a u c h GÖHLER N J W 1 9 7 4 S. 8 3 3 , F n . 127; HERZOG E z S t , S t G B § 2 8 4 N r . 2, S. 7 f f ; LAMPE G A 1 9 7 7 S . 5 5 ; L A N G E D r e h e r - F S , S . 5 7 3 f f ; DERS. G A 1 9 5 3 S . 8 f f ; PETERS Z S t W 7 7 ( 1 9 6 5 ) S . 4 8 2 f .

266

Strafbare Vermögensgefährdung

§55

nissen und vom Grade der Aufmerksamkeit der Spieler bestimmt wird, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall. Erforderlich ist darüber hinaus ein Einsatz. - Der vereinbarte Gewinn muß einen Vermögenswert haben, und zwar einen - nach den Verhältnissen der Durchschnittsspieler - nicht ganz unbedeutenden. 526 Beispiele: Roulette, Bakkarat, Würfeln um Geld, Spiel am Geldspielautomaten, Poker u.a. Lotterie und Ausspielung sind Glücksspiele, jedoch in § 287 speziell geregelt. Keine Glücksspiele sind Geschicklichkeitsspiele, bei denen Aufmerksamkeit und Fähigkeiten eines Durchschnittsspielers wesentlich über Gewinn und Verlust entscheiden. - Wetten, soweit sie der Austragung emster Meinungsverschiedenheiten dienen und nicht Spielcharakter haben, wie z.B. die Rennwette. - Unterhaltungsspiele, bei denen der Gewinn nach der Verkehrsanschauung und den Verhältnissen der Spieler unbeträchtlich ist 5 2 7 ; das sog. Hütchenspiel ist daher nach den konkreten Umständen zu beurteilen.52®

b) Öffentlich ist das Glücksspiel, wenn beliebigen Personen in erkennbarer Weise die Beteiligung ermöglicht wird. - Gemäß § 284 Abs. 2 gelten Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden, als öffentlich. Gewohnheitsmäßig braucht nicht das Verhalten jedes einzelnen Spielers zu sein, es genügt, daß der Personenkreis aufgrund eines durch Übung ausgebildeten Hanges zum Glücksspiel zusammenkommt. c) Tathandlung ist nicht das Spielen selbst, sondern das Ermöglichen des Spieles als Veranstalter, Halter oder Bereitsteller von Spieleinrichtungen. Nach h.M. ist Veranstalter derjenige, der dem Publikum die Spielgelegenheit verschafft. Diese Definition bleibt jedoch zu ungenau, da es bei dem Veranstalter darauf ankommt, daß dieser nicht nur den Spielbetrieb ermöglicht, sondern auch regelt. Treffender ist es daher, als Veranstalter denjenigen anzusehen, "der die Herrschaftsgewalt über den Spielbetrieb ausübt"529, der "verantwortlich und organisatorisch den äußeren Rahmen für die Abhaltung des Spiels schafft" 530 . Als Halter ist dann derjenige anzusehen, der für den konkreten Spielverlauf verantwortlich ist und sich - je nach Spielart - in qualifizierter Form an diesem beteiligt, um das Spiel zu ermöglichen. 531 Bereitstellen ist ein Zur-Verfügung-Stellen von Spieleinrichtungen (Würfel, Karten, Spieltisch).

4

5

6 7

8

d) Die behördliche Erlaubnis schließt den Tatbestand aus. Die Erlaubnis braucht nicht 9 materiell fehlerfrei zu sein, wohl aber verwaltungsrechtlich bestandskräftig. Hat der Täter die Erlaubnis allerdings bewußt rechtswidrig erlangt durch Täuschung, Bestechung o.ä., so rechtfertigt sie sein Tun nicht, er kann sich nicht auf den formellen Rechtsschein berufen, da er selbst diesen arglistig herbeigeführt hat; vgl. dazu auch § 82 Rdn. 8 ff. e) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich auf die Öffentlichkeit, die fehlende Erlaubnis 10 und die das Glücksspiel charakterisierenden Merkmale beziehen.

526

Vgl. dazu im einzelnen OTTO Jura 1997 S. 386 f.

527

Zur Kettenbriefaktion vgl. BGHSt 34 S. 171 ff m. Anm. LAMPE JR 1987 S. 383 ff; OTTO in: Jacobs/Lindacher/Teplitzky, (Hrsg), Großkommentar zum UWG, 1991, § 6 c Rdn. 7 ff; RICHTER wistra 1 9 8 7 S. 2 7 6 ff.

528

Vgl. BGHSt 36 S. 74 ff; LG Frankfurt NJW 1993 S. 945 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 284/1.

5 2 9

MEURER/BERGMANN J u S 1 9 8 3 S. 6 7 2 .

530

BayObLG NJW 1993 S. 2820.

531

Im einzelnen dazu BayObLG NJW 1993 S. 2820; LAMPE JUS 1994 S. 737 ff; MEURER/BERGMANN JuS 1983 S. 672.

267

§55

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

3. Werbung für das öffentliche Glücksspiel 11 Abs. 4 stellt die Werbung für Glücksspiele nach Abs. 1 unter Strafe. - Werbung ist eine mit Propagandamitteln betriebene Tätigkeit. II. Qualifikationstatbestand, § 2 8 4 Abs. 3 12 Ein qualifizierter Fall des Glücksspiels nach Abs. 1 liegt vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt - dazu § 41 Rdn. 21 - oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung - dazu § 41 Rdn. 63 - von Taten nach Abs. 1 verbunden hat. III. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 2 8 5 13 Beteiligung heißt Teilnahme als Spieler, d.h. Teilnahme an der Möglichkeit von Gewinn und Verlust. IV. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, § 2 8 7 14 1. § 287 erfaßt - aus historischen Gründen - Lotterie und Ausspielung als spezielle Glücksspiele. 15 2. Lotterie und Ausspielung sind Glücksspiele, bei denen einer Mehrzahl von Personen die Möglichkeit eröffnet wird, nach einen vom Unternehmen festgelegten bestimmten Plan gegen einen bestimmten Einsatz ein vom Eintritt eines zufälligen Ereignisses abhängiges Recht auf einen bestimmten Gewinn zu erwerben.- Lotterie und Ausspielung unterscheiden sich darin, daß der Gewinn bei der Lotterie stets in Geld, bei der Ausspielung in geldwerten Sachen oder Leistungen besteht. 532 16 3. Veranstalten ist die Eröffnung der Möglichkeit zur Beteiligung am Spiel nach festgelegtem Spielplan. Das Angebot des Abschlusses von Spielverträgen und die Annahme von Angeboten auf Abschluß derartiger Verträge sind typische Begehungsformen des Veranstaltens. - Zur Öffentlichkeit der Veranstaltung vgl. Rdn. 4. Das Spiel im privaten Kreis ist selbst dann nicht öffentlich, wenn gelegentlich ein Gast in den Kreis aufgenommen wird. 5 3 3 17 4. Gemäß Abs. 2 ist die Werbung für Veranstaltungen nach Abs. 1 unter Strafe gestellt. Zur Werbung vgl. Rdn. 11. V . Gefährdung v o n Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen 18 Die ursprünglich auf den Schutz des Eigentums von Reedern gerichtete Vorschrift ist durch das 6. StrRG grundsätzlich geändert und erweitert worden. Sie dient nunmehr dem Schutz des Schiffs-, Luft- und Kraftverkehrs gegen Gefahren, die aus der Beförderung von Bannware für das Beförderungsmittel, dessen Ladung und die für die Abwicklung des Verkehrs Verantwortlichen erwachsen. 534 532

Vgl. dazu RGSt 67 S. 398; OLG München NStZ-RR 1997 S. 327; v. BUBNOFF LK, 10. Aufl., § 286 R d n . 2 ; OTTO Jura 1 9 9 7 S . 3 8 6 ; SCH/SCH/ESER § 2 8 6 R d n . 2 .

533

Vgl. auch FRUHMANN MDR 1993 S. 822 ff; SCHILD NStZ 1982 S. 446 ff; SCHOENE NStZ 1991 S. 469 f.

534

Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8587, S. 46; 13/9064, S. 22.

268

§56

Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte

Dritter Abschnitt Die Perpetuierungsdelikte § 56: Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte Im Gegensatz zu den Vermögensentziehungsdelikten, die eine reale Minderung des Vermögens eines anderen voraussetzen, liegt der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte in der Beeinträchtigung des Vermögens dadurch, daß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrig geschaffene Vermögenslage aufrechterhalten wird. 1. Die verschiedenen

Tathandlungen

Drei Arten der Schädigung des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage erscheinen dem Gesetzgeber strafwürdig: a)

Die Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage durch Verschaffung der des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung.

b)

Die Perpetuierung einer rechtswidrig geschaffenen Besitzlage durch Unterstützung des Vortäters in seinem Bestreben, aus der durch die Vortat erlangten Vermögensposition den materiellen Vorteil zu ziehen, der ihm am genehmsten ist.

c)

Die Sicherung der Stellung des Täters eines Vermögensentziehungsdelikts ziehung der Beute zugunsten des Berechtigten.

2. Die gesetzliche

1

2

Position

gegen Ent-

Regelung

Im Gesetz selbst hat die Dreiteilung nur mittelbar Ausdruck gefunden. Der Gesetzgeber hat die beiden ersten Fallgruppen im Hehlereitatbestand zusammengefaßt und die dritte Gruppe als Begünstigung selbständig pönalisiert. Darüber hinaus hat er in beiden Tatbeständen eine weitere Strafbarkeitsbegrenzung durch das Erfordernis bestimmter Einstellungen des Täters zu seinem Verhalten vorgenommen:

3

Nur dann, wenn der Täter sich oder einen Dritten bereichern will, macht er sich einer Hehlerei schuldig. Die Begünstigung hingegen erfordert ein Handeln im Interesse des Vortäters.

4

3. Perpetuierungsdelikt

und

Vortat

Da das Perpetuierungsdelikt notwendig ein Vermögensentziehungsdelikt voraussetzt, bedeutet das:

5

a) Vortat eines Perpetuierungsdelikts kann nur ein Delikt sein, das fremde Vermögensinteressen verletzt hat, und zwar durch Entziehung jener Vermögensgüter, auf die sich das Perpetuierungsverhalten des Täters bezieht. In diesen Kreis gehören zunächst die Delikte gegen Vermögensinteressen im engeren Sinne, wie z . B . Betrug, Erpressung, Untreue, Unterschlagung, Diebstahl, Raub, Wilderei und - hier kommt Hehlerei an eigenen Sachen in Betracht - Pfandkehr, sodann aber auch jene Delikte, die neben einem vorrangig geschützten anderen Rechtsgut auch dem Schutz von Vermögensinteressen dienen, wie z.B. die Wirtschaftsdelikte. - Der Versuch eines einschlägigen Delikts genügt, soweit er bereits zu der rechtswidrigen Besitzlage geführt hat.

6

269

§56 I

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Nach allgemeiner Ansicht' soll auch Hehlerei als Vortat genügen. Das ist im Ergebnis richtig, dennoch aber schief gesehen. Die Hehlerei als Vortat genügt nämlich nur, weil bereits diese Hehlerei die vor der ersten Hehlerei durch ein Vermögensentziehungsdelikt geschaffene rechtswidrige Vermögenslage aufrechterhält. Keine geeigneten Vortaten der Perpetuierungsdelikte sind hingegen: Meineid, Urkundenfälschung, Landfriedensbruch, Gewahrsams- oder Arrestbruch, Bestechung usw. In diesen Fällen ist die Vermögensentziehung nicht durch ein Vermögensentziehungsdelikt eingetreten, sondern durch ein Verhalten, das - je nach den Umständen mehr oder minder zufällig - mit der strafbaren Verletzung eines ganz anderen Rechtsguts zusammenfiel. - Steht dieses Delikt in Idealkonkurrenz mit einem Vermögensentziehungsdelikt, oder konsumiert es dieses, so ändert das an dem Vorliegen des Vermögensentziehungsdelikts nichts. Ein nicht gegen das Vermögen gerichtetes Delikt kann jedoch nicht Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein, auch wenn es im Einzelfall einmal zu einer - als Vermögensentziehungsdelikt nicht strafbaren - Vermögensentziehung führt. Auch die herrschende Meinung erkennt bei jenen Delikten, die sich ausschließlich gegen öffentliche Interessen richten, an, daß diese Delikte, auch wenn sie im Einzelfall Vermögensinteressen berühren, nicht geeignete Vortaten eines Perpetuierungsdelikt sein können, weil nicht der Sachentzug unter Strafe gestellt ist. 2 Leider hält die herrschende Meinung die Unterscheidung nicht durch und argumentiert in Einzelfällen nicht mehr von der unter Strafe gestellten Sachentziehung her, sondern stellt auf die - unter Umständen zufällige Verletzung von Vermögensinteressen ab. Danach sollen z.B. Meineid (BGHSt 6 S. 221), Urkundenfälschung, Nötigung (BGH bei Dallinger, MDR 1972 S. 571) geeignete Vortaten sein. 3

8

b) Durch die Neufassung des Gesetzes (EGStGB 1975) wurde die Absicht des Gesetzgebers deutlich, die Begünstigung - im Gegensatz zur Hehlerei - nicht als Vermögensdelikt zu interpretieren. Es wird nämlich im Tatbestand der Begünstigung im Gegensatz zu dem der Hehlerei keine Verletzung fremden Vermögens durch die Vortat vorausgesetzt, und die zu sichernden Vorteile brauchen keine Vermögensvorteile zu sein; gleichwohl verdient auch hier eine restriktive Interpretation des Gesetzes mit der Konsequenz, § 257 als Vermögensdelikt aufzufassen, den Vorzug; dazu unter § 57 Rdn. 1.

9

c) Der Eigentumserwerb des Vortäters steht grundsätzlich weder einer Hehlerei noch einer Begünstigung entgegen. Auch der Betrug, durch den der Vortäter vollwirksam Eigentum an der erschlichenen Sache erlangt, kann daher Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein. Wo das Gesetz hingegen den Eigentumserwerb derart billigt, daß es dem z.B. durch eine Unterschlagung Verletzten keine Möglichkeit gibt, im Rechtswege die betroffenen Sachen herauszuverlangen - Eigentumserwerb nach § 950 BGB -, sondern ihn auf Geldersatz verweist, fehlt es an der für Hehlerei und Begünstigung nötigen rechtswidrigen Besitzlage. Die Verarbeitung hat nach verständiger Wertung eine neue Sache entstehen lassen, die nicht mit dem "Makel einer rechtswidrigen Tat" belastet ist.

10 d) Das Perpetuierungsdelikt knüpft seinem Wesen nach an das Vermögensentziehungsdelikt an. - Daraus zieht die h.M. die Folgerung, die Vortat müsse rechtlich abgeschlossen sein, bevor das Perpetuierungsdelikt begangen werden kann. Das ist grundsätzlich richtig, doch bedarf die Art der Aufeinanderfolge je nach der Art der Anschlußtat der Präzisierung; dazu zur Begünstigung unter § 57 Rdn. 4 f; zur Hehlerei unter § 58 Rdn. 8. 4. Unrechtsbewußtsein des Täters der Vortat I I Nach dem Gesetzeswortlaut muß die Vortat eine rechtswidrige, daher eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, nicht notwendig schuldhafte Straftat sein.

1

Dazu BGHSt 33 S. 48.

2

Z u r h . M . vgl. LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 5; R u ß L K , § 2 5 9 R d n . 5 ; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 9.

3

Vgl. RENGIER B.T. I, § 22 Rdn. 4; Ruß LK, § 259 Rdn. 5. - Anders aber GÖSSEL B T. 2, § 27 Rdn. 11; SIPPEL NStZ 1985 S. 349.

270

Begünstigung

§57

Problematisch ist die Frage, ob Unrechtsbewußtsein bei der Vortat vorauszusetzen ist. 12 Wird nämlich das Unrechtsbewußtsein mit dem Bewußtsein rechtswidrigen Verhaltens identifiziert und gemäß § 17 als Schuldelement angesehen, so ist dieses Unrechtsbewußtsein nicht Voraussetzung der Vortat. 4 - Sieht man hingegen in § 17 nur das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im engeren Sinne des Bewußtseins formeller Rechtswidrigkeit gerade im Gegensatz zum Bewußtsein der materiellen Rechtswidrigkeit (Sozialschädlichkeit) erfaßt und interpretiert das materielle Unrechtsbewußtsein als Element des Unrechtstatbestandes, 5 so erfordert die Hehlerei eine Vortat, die der Täter mit diesem Bewußtsein begangen hat, bzw. soweit eine fahrlässige Vermögensentziehung als Vortat in Betracht kommt, z.B. § 264 Abs. 3 (Leichtfertigkeit), die Möglichkeit des Täters, sich des materiellen Unrechts seiner Tat bewußt zu werden. 6 Das erscheint sachlich angemessen, denn die Hehlerei knüpft an die deliktische Ver- 13 mögensentziehung an und perpetuiert damit nicht nur die schlicht rechtswidrige Vermögensentziehung. Die deliktische Vermögensentziehung erhält ihren vollen Sinngehalt aber durch das Unrechtsbewußtsein des Täters des Vermögensentziehungsdelikts. 7

II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte 1. Der Täter sichert die Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des recht- 14 mäßigen Zustandes im Interesse des Vortäters: Begünstigung, § 257. 2. Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Stellung eines Vermögensentzie- 15 hungstäters oder hilft dem Vortäter beim Beuteabsatz, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen: a) Der Täter weiß, daß die Sachen durch eine strafbare Handlung erlangt sind: Hehlerei, 16 § 259 - Qualifizierungen: §§ 260, 260 a. b) Der Täter - Täterkreis begrenzt - verkennt fahrlässig, daß die Sachen - Edelmetalle und Edelsteine - durch strafbare Handlung erlangt sind: fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO.

§ 57: Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 1. Das geschützte

Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögend Nach h.M. schützt § 257 nicht das Vermögen, sondern "das durch die Vortat verletzte einzelne Individual- oder Gemeinschaftsgut und die Geltung der durch die Vortat verletzten Strafnorm einschließlich aller dadurch gesicherten Rechtsgüter" (AMELUNG).9 Diese 4

Vgl. BGHSt 4 S . 78; BERZ Jura 1980 S. 58; JESCHECK GA 1955 S . 104; ROTH Eigentumsschutz nach der Realisierung von Zueignungsunrecht, 1986, S. 125 ff; STREE JuS 1963 S. 429.

5

D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 7 R d n . 6 2 f f .

6

Im Ergebnis gleich: OLG Hamburg NJW 1966 S. 2228;

7

Dazu im einzelnen: OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 322.

BOCKELMANN

B.T./l, § 22 II 2 b, bb.

8

Vgl. auch GEERDSGA 1988 S. 263.

9

Dazu vgl. AMELUNG JR 1978 S. 227 ff, inbes. S. 231; GEPPERT Jura 1980 S. 270; KREY B.T. 1, Rdn. 6 2 9 f ; LACKNER/KÜHL § 2 5 7 R d n . 1; SCH/SCH/STREE § 2 5 7 R d n . 1; TRÖNDLE S t G B , V o r § 2 5 7 R d n . 2 ;

271

1

Begünstigung

§57

Problematisch ist die Frage, ob Unrechtsbewußtsein bei der Vortat vorauszusetzen ist. 12 Wird nämlich das Unrechtsbewußtsein mit dem Bewußtsein rechtswidrigen Verhaltens identifiziert und gemäß § 17 als Schuldelement angesehen, so ist dieses Unrechtsbewußtsein nicht Voraussetzung der Vortat. 4 - Sieht man hingegen in § 17 nur das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im engeren Sinne des Bewußtseins formeller Rechtswidrigkeit gerade im Gegensatz zum Bewußtsein der materiellen Rechtswidrigkeit (Sozialschädlichkeit) erfaßt und interpretiert das materielle Unrechtsbewußtsein als Element des Unrechtstatbestandes, 5 so erfordert die Hehlerei eine Vortat, die der Täter mit diesem Bewußtsein begangen hat, bzw. soweit eine fahrlässige Vermögensentziehung als Vortat in Betracht kommt, z.B. § 264 Abs. 3 (Leichtfertigkeit), die Möglichkeit des Täters, sich des materiellen Unrechts seiner Tat bewußt zu werden. 6 Das erscheint sachlich angemessen, denn die Hehlerei knüpft an die deliktische Ver- 13 mögensentziehung an und perpetuiert damit nicht nur die schlicht rechtswidrige Vermögensentziehung. Die deliktische Vermögensentziehung erhält ihren vollen Sinngehalt aber durch das Unrechtsbewußtsein des Täters des Vermögensentziehungsdelikts. 7

II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte 1. Der Täter sichert die Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des recht- 14 mäßigen Zustandes im Interesse des Vortäters: Begünstigung, § 257. 2. Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Stellung eines Vermögensentzie- 15 hungstäters oder hilft dem Vortäter beim Beuteabsatz, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen: a) Der Täter weiß, daß die Sachen durch eine strafbare Handlung erlangt sind: Hehlerei, 16 § 259 - Qualifizierungen: §§ 260, 260 a. b) Der Täter - Täterkreis begrenzt - verkennt fahrlässig, daß die Sachen - Edelmetalle und Edelsteine - durch strafbare Handlung erlangt sind: fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO.

§ 57: Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 1. Das geschützte

Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögend Nach h.M. schützt § 257 nicht das Vermögen, sondern "das durch die Vortat verletzte einzelne Individual- oder Gemeinschaftsgut und die Geltung der durch die Vortat verletzten Strafnorm einschließlich aller dadurch gesicherten Rechtsgüter" (AMELUNG).9 Diese 4

Vgl. BGHSt 4 S . 78; BERZ Jura 1980 S. 58; JESCHECK GA 1955 S . 104; ROTH Eigentumsschutz nach der Realisierung von Zueignungsunrecht, 1986, S. 125 ff; STREE JuS 1963 S. 429.

5

D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 7 R d n . 6 2 f f .

6

Im Ergebnis gleich: OLG Hamburg NJW 1966 S. 2228;

7

Dazu im einzelnen: OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 322.

BOCKELMANN

B.T./l, § 22 II 2 b, bb.

8

Vgl. auch GEERDSGA 1988 S. 263.

9

Dazu vgl. AMELUNG JR 1978 S. 227 ff, inbes. S. 231; GEPPERT Jura 1980 S. 270; KREY B.T. 1, Rdn. 6 2 9 f ; LACKNER/KÜHL § 2 5 7 R d n . 1; SCH/SCH/STREE § 2 5 7 R d n . 1; TRÖNDLE S t G B , V o r § 2 5 7 R d n . 2 ;

271

1

§57

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Interpretationen machen aus der Begünstigung ein in Angriffs- und Schutzrichtung farbloses, weitgehend unbestimmtes und kriminalpolitisch in Teilbereichen überflüssiges Delikt. - Der Gewinn hingegen ist gering, denn in der Regel der Fälle ist die Vortat in der Praxis ein Vermögensdelikt. Darüber hinaus bereitet die Anwendung des § 257 Abs. 4 dogmatische Schwierigkeiten, vgl. unter Rdn. 16.

2

2. Die Deliktsnatur Da der Eintritt des Erfolges der Hilfeleistung nicht vorausgesetzt wird, sondern als Hilfeleistung ein Verhalten angesehen wird, das objektiv geeignet ist, dem Vortäter die Vorteile der Vortat zu sichern - vgl. dazu im einzelnen Rdn. 6 handelt es sich bei der Begünstigung um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 10

II. Einzelheiten des Tatbestandes 1. Der objektive Tatbestand 3 4

a) Die Tathandlung knüpft an die rechtswidrige Tat eines anderen (Vortäter) an, die diesem - nach der hier vertretenen Ansicht - einen Vermögensvorteil gebracht hat. Der Begünstigungserfolg, die Verbesserung der Täterposition gegen Entziehung des Vorteils zugunsten des Berechtigten, darf frühestens nach Vollendung der Vortat eintreten, auch wenn die Handlungen schon vorher vorgenommen wurden. Doch ist darüber hinaus zu fordern, daß die Tat auch beendet war, denn eine Unterstützung des Vortäters vor Beendigung der Vortat stellt sich als Beihilfe zu dieser Vortat dar, nicht aber als Begünstigung. 11 Zur Verdeutlichung:

5

Fall 1: Der Hundezüchter A leiht dem Einbrecher E seine läufige Dackelhündin, damit diese ihre männlichen Artgenossen in den Villen, in die E einbricht, ablenkt. Ergebnis: Beihilfe des A zum Diebstahl des E, §§ 27, 242, 244 Abs. 1 Nr. 3. Fall 2: Als E aus einer Villa hinaus will, in der er eine goldene Taschenuhr gestohlen hat, lenkt A den Wachhund des Villenbesitzers mit seiner Dackelhündin ab, so daß E gefahrlos entwischen kann. Ergebnis: Wie Fall 1: Diebstahl zwar formell vollendet, aber noch nicht materiell beendet. Fall 3: Als A sieht, daß drei Stunden nach der Tat mit einem Polizeihund versucht wird, die Spur des Einbrechers E aufzunehmen, lenkt er den Hund mit seiner Dackelhündin ab, um E den Besitz der Beute zu erhalten. Ergebnis: Begünstigung des E, § 257. Fall 4: Wie Fall 3, aber A hatte dem E diese Art der Vorteilssicherung schon vor der Tat versprochen. VOGLER Dreher-FS, S. 414; ZlPF JuS 1980 S. 25. - Zum Teil wird der Schutz auf Individualinteressen beschränkt, vgl. SAMSON SK II, § 257 Rdn. 5; zum Teil wird das Strafrecht selbst als geschützt angesehen; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 14. 10

Vgl. auch BGH bei Holtz, MDR 1985 S. 447 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 257/2; GEERDS GA 1988 S. 259.

"

Gleichfalls für die Möglichkeit einer Begünstigung erst nach Beendigung der Haupttat: GEERDS V. Hentig-FS, S. 155 f; GEPPERT Jura 1994 S. 443; LAUBENTHAL Jura 1985 S. 632 f; SCH/SCH/STREE § 257 Rdn. 8; VOGLER Dreher-FS, S. 417. - Hingegen lassen im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung der Tat den Willen des Helfenden entscheiden, ob sein Verhalten als Beihilfe oder Begünstigung zu beurteilen ist: BGHSt 4 S. 133; OLG Köln NJW 1990 S. 588; BAUMANN JUS 1963 S. 54. Aufgrund der Ablehnung einer Beihilfe nach Vollendung der Tat sehen die Hilfeleistung zur Tat grundsätzlich als Begünstigung an: ISENBECK NJW 1965 S. 2326 ff; RußLK, § 257 Rdn. 5.

272

Begünstigung

§57

Ergebnis: Beihilfe des A zum Diebstahl des E, §§ 27, 242, 244 Abs. 1 Nr. 3. - Die - zugesagte - Hilfeleistung wirkt sich bereits auf die Tat aus und fördert diese. 1 2

b) Hilfeleisten ist ein Verhalten, durch das die Chancen des Vortäters in bezug auf die Vorteilssicherung objektiv verbessert werden und das subjektiv darauf abzielt, die durch das Vermögensentziehungsdelikt begründete Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu sichern. - Das Verhalten braucht nicht endgültig zum Erfolg zu führen, denn Hilfeleistung liegt bereits in jeder Förderung der Chancen des Täters, die Beute zu behalten,13 2. Der subjektive

6

Tatbestand

a) Der zumindest bedingte Vorsatz muß die Vortat in ihren groben Zügen umfassen. Der 7 Täter muß wenigstens eine allgemeine Vorstellung von der Art des Delikts haben. 1 4 b) Die Absicht, dem Vortäter die Vorteile der Tat zu sichern, soll nach h.M. zielgerichtetes 8 Wollen sein. Dem Täter muß es auf den Erfolg ankommen, auch wenn er noch weitere Zwecke neben der Vorteilssicherung verfolgt. 15 Diese Differenzierung zwischen dem Täter, dem es darauf ankommt, dem Vortäter die 9 Vorteile zu sichern, und jenem, der genau weiß, daß er dem Vortäter diese Vorteile sichert, überzeugt nicht. Absicht i.S. des § 257 liegt daher vor, wenn der Täter die Vorstellung hat, die Vorteilssicherung werde die sichere Folge seines Verhaltens sein. 16 c) Die Absicht in diesem Sinne muß darauf gerichtet sein, dem Vortäter die Vorteile der 10 Vortat, d.h. die unmittelbar durch die Vortat erlangten Vorteile gegen ein Entziehen zugunsten des Verletzten zu sichern. Der Begriff des Vorteils ist in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu ermitteln, er ist nicht beschränkt auf eventuell unmittelbar durch die Vortat erlangte Objekte. Umwechseln von Geld, Einlösen von Schecks und Transferieren auf unterschiedliche Konten sind dann Handlungen zur Vorteilssicherung, wenn sie die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes verhindern oder erschweren können. 1 7

Vorteilssicherung ist Sicherung gegen Wiederherstellung der rechtmäßigen Ver- 11 mögenslage, z. B. durch Vereitelung des Zugriffs auf die Beute 1 8 oder der Rückforderung des Opfers 1 9 . - Bloßes Erhalten der Sache - der Täter verhindert die Vernichtung der Sache durch Dritte oder durch Naturgewalt -, Ermöglichung der Ziehung von Gebrauchsvorteilen - Reparatur der gestohlenen Uhr -, Verkauf oder Verzehr, sind nur dann Begünstigungshandlungen, wenn damit der drohende Zugriff durch den Berechtigten vereitelt werden soll. Deshalb kann die Rückveräußerung einer gestohlenen Sache in keinem 12

Vgl. BGH wistra 1994 S. 94.

13

So auch BGHSt 4 S. 224; OLG Düsseldorf NJW 1979 S. 2320; GEERDS GA 1988 S. 259; GEPPERT Jura 1 9 8 0 S. 2 7 4 f f ; KÜPER B . T . , S. 1 2 3 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 5 7 R d n . 3 ; LENCKNER N S t Z 1 9 8 2 S. 4 0 3 ; VOGLER D r e h e r - F S , S. 4 2 1 ; Z I P F J U S 1 9 8 0 S . 2 6 f. - A . A . SEELMANN J u S 1 9 8 3 S. 3 4 ( s u b j e k t i v e H i l f e -

leistungstendenz genügt). 14

Dazu OLG Hamburg NJW 1953 S. 1155; OLG Düsseldorf NJW 1964 S. 2123.

1 5

V g l . z . B . B G H S t 4 S. 108 ff; B G H S t V 1 9 9 3 S. 2 7 ; HRUSCHKA J R 1 9 8 0 S. 2 2 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 5 7

1 6

D a z u OEHLER N J W 1 9 6 6 S. 1 6 3 7 ; SCH/SCH/STREE § 2 5 7 R d n . 2 2 .

1 7

V g l . B G H N J W 1 9 9 0 S . 9 1 8 m i t A n m . GEPPERT J K 9 0 , S t G B § 2 5 7 / 4 .

18

BGH wistra 1993 S. 17.

19

BGH StV

R d n . 5 f; R u ß L K , § 2 5 7 R d n . 18; TRÖNDLE S t G B , § 2 5 7 R d n . 9 ; Z I P F J U S 1 9 8 0 S. 2 6 f.

1994

S.

185.

273

§ 57

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Fall eine Vorteilssicherung darstellen. 20 - Stets setzt die Vorteilssicherung den Besitz des Vortäters voraus. 21 3. Die Selbstbegünstigung,

§ 257 Abs. 3

12 Die Selbstbegünstigung fällt nicht unter § 257 Abs. 1: "... einem anderen ...". - Klargestellt ist in Abs. 3, daß auch Mittäter und Teilnehmer an der Vortat nicht wegen Begünstigung strafbar sind, soweit sie nicht einen Tatunbeteiligten zur Begünstigung anstiften, § 257 Abs. 3 S. 2. 13 a) Die Straffreiheit der Selbstbegünstigung beruht auf der Einsicht, daß die Motivationskraft einer Strafnorm in der Situation der genannten Personen gering ist und die Gesamtsituation der einer Vortat und der mitbestraften Nachtat entspricht. - Daß der Bestrafung aus der Vortat u. U. prozessuale Hindernisse entgegenstehen, ändert die Sachlage nicht. 14 b) Die Strafbarkeit wegen Anstiftung eines Tatunbeteiligten zur eigenen Begünstigung ist mit dem Strafgrund der Teilnahme - mittelbare Rechtsgutsgefährdung 22 - nicht in Einklang zu bringen. Zwar ist die Regelung kein Verstoß gegen die Logik des Gesetzes oder den Schuldgrundsatz, wohl aber, gemessen an den Gründen, die zur Straflosigkeit der anderen Tatbeteiligten führen, eine grob sachwidrige Regelung. 23

III. Die Regelung des § 257 Abs. 4 1. Das

Antragserfordernis

15 Das Antragserfordernis günstigung zur Vortat.

gemäß § 257 Abs. 4 S. 1 ist logische Folge des Bezugs der Be-

2. Die Anwendung des § 248 a 16 a) Die sinngemäße Anwendung des § 248 a gemäß § 257 Abs. 4 S. 2 ist nach den hier gesetzten Prämissen unproblematisch. Es kommt nicht darauf an, daß die Vortat selbst unter § 248 a fällt, denn der Bezug zur Strafe der Vortat wird bereits durch § 257 Abs. 2 hergestellt. § 248 a findet vielmehr Anwendung, wenn der Vorteil aus dem Vermögensentziehungsdelikt geringwertig i.S. des § 248 a ist, d.h. letztlich, wenn sich die Vorteilssicherung auf einen geringwertigen Vermögensvorteil bezieht. 24 17 b) Nach den Prämissen der h.M., die § 257 nicht als Vermögensdelikt interpretiert, muß § 248 a sinngemäß auf alle Vorteile, d.h. auch auf unbedeutende Vorteile nichtvermögensrechtlicher Art, angewendet werden. Damit steht der Begünstigende bei NichtVermögens-delikten als Vortat erheblich günstiger als der Teilnehmer der Vortat, ohne daß für diese Differenzierung ein überzeugender Grund vorhanden wäre.

2 0

V g l . a u c h HRUSCHKA J R 1 9 8 0 S . 2 2 5 , R u ß L K , § 2 5 7 R d n . 11; SCH/SCH/STREE § 2 5 7 R d n . 2 4 . - A . A . STOFFERS J u r a 1 9 9 5 S. 1 2 3 f.

21

Vgl. dazu BGHSt 24 S. 166; B G H NStZ 1994 S. 187.

2 2

D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 R d n . 7 f f .

2 3

D a z u OTTO L a n g e - F S , S . 2 1 4 ; STREEJUS 1 9 7 6 S . 138; WOLTER J u S 1 9 8 2 S. 3 4 7 f.

2 4

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 5 7 R d n . 10; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 101 R d n . VOGLER D r e h e r - F S , S. 4 2 0 . - A . A . STREEJUS 1 9 7 6 S. 139; TRÖNDLE S t G B , § 2 5 7 R d n . 14 a .

274

13;

Hehlerei

§58

Soweit versucht wird, dieser Konsequenz - entgegen den Prämissen in der Rechtsgutsbestimmung - auszuweichen und § 257 Abs. 4 S. 2 nur auf geringfügige Vermögensdelikte anzuwenden, wird letztlich § 257 Abs. 4 S. 2 für überflüssig erklärt, denn durch den Bezug zur Strafe der Vortat gemäß Abs. 2 ist ein weiterer Bezug auf bestimmte Vortaten nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht angebracht.

§ 58: Hehlerei I. Hehlerei, § 259 1. Das geschützte Rechtsgut und der Strafgrund Geschütztes Rechtsgut der Hehlerei ist das Vermögen. - Strafgrund ist die Aufrechterhatung einer durch ein tatbestandsmäßig rechtswidriges Vermögensentziehungsdelikt geschaffenen rechtswidrigen Besitzlage im Einverständnis mit dem Vortäter.

1

Die Gegenansicht - kumulativer Schutz von Vermögens- und allgemeinem Sicherheitsinteresse 2 ^ - hat die Eigenständigkeit des Sicherheitsinteresses bisher nicht überzeugend dargetan.

2. Täter und Tatsituation a) Der Täter der Hehlerei Der Vortäter ist als Hehler nach dem Wortlaut des Gesetzes: "Wer eine Sache, die ein anderer ...", ausgeschlossen. Eindeutig ist damit auch, daß ein Mittäter der Vortat nicht durch die Erlangung seines Beuteanteils Hehlerei begeht, denn die Konstruktion der Mittäterschaft beruht auf der Vorstellung, daß in einem bestimmten Bereich mehrere Personen als eine einzige angesehen werden, so daß hier davon ausgegangen wird, alle Mittäter hätten durch die Tat Verfügungsmacht über die Beute erlangt, unabhängig davon, ob einer oder alle Mittäter die Beute oder Teile davon bei der Tat unmittelbar in Besitz genommen haben.

2

Zur Ausnahme bei der sog. Postpendenzfeststellung vgl. unter § 59 Rdn. 5 f.

Da nach der jetzigen Gesetzesfassung der Täter der Vortat schlechthin als Täter der Hehlerei ausgeschlossen ist, muß dies auch für den Fall gelten, daß der Mittäter der Vortat nach der Beuteteilung den Beuteanteil eines anderen Mittäters erwirbt oder nach Veräußerung der eigenen Beute diese vom Käufer zurückerwirbt. Auch in diesen Fällen handelt es sich um einen Erwerb des Täters der Vortat, d.h. jener Person, die für die Vermögensentziehung und damit auch für den rechtswidrigen Besitzzustand bereits wegen des Vermögensentziehungsdelikts haftet. 27 Offen läßt die Neufassung des Gesetzes jedoch die Streitfrage, ob Anstifter und Gehilfen der Vortat, die im Anschluß an die Vortat Hehlereihandlungen begehen, nicht nur der Teilnahme an der Vortat, sondern auch der Hehlerei schuldig sind. Einerseits haften die Teilnehmer der Vortat wegen der Vermögensentziehung, für die sie mittelbar mitverantwortlich sind. Gerade dann, wenn es ihnen bereits bei der Teilnahme an der Vortat um den Besitz der Beute ging, ist ihre Verantwortung für die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes offensichtlich. Andererseits haben sie die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes nur gefördert, nicht selbst durch-

25

Anders aber STREE JuS 1976 S. 139; TRÖNDLE StGB, § 257 Rdn. 14 a.

2 6

V g l . RUDOLPH! J A 1 9 8 1 S . 4 f; SEELMANN JUS 1 9 8 8 S . 3 9 .

2 7

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 5 9 Rdn.

18; OTTO Jura 1 9 8 5 S. 152; R u ß L K , § 2 5 9 R d n . 4 1 ; TRÖNDLE

S t G B , § 2 5 9 R d n . 2 6 . - A . A . G E P P E R T J u r a 1 9 9 4 S . 1 0 3 f; G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 7 R d n . 4 5 .

275

3

4 5

Hehlerei

§58

Soweit versucht wird, dieser Konsequenz - entgegen den Prämissen in der Rechtsgutsbestimmung - auszuweichen und § 257 Abs. 4 S. 2 nur auf geringfügige Vermögensdelikte anzuwenden, wird letztlich § 257 Abs. 4 S. 2 für überflüssig erklärt, denn durch den Bezug zur Strafe der Vortat gemäß Abs. 2 ist ein weiterer Bezug auf bestimmte Vortaten nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht angebracht.

§ 58: Hehlerei I. Hehlerei, § 259 1. Das geschützte Rechtsgut und der Strafgrund Geschütztes Rechtsgut der Hehlerei ist das Vermögen. - Strafgrund ist die Aufrechterhatung einer durch ein tatbestandsmäßig rechtswidriges Vermögensentziehungsdelikt geschaffenen rechtswidrigen Besitzlage im Einverständnis mit dem Vortäter.

1

Die Gegenansicht - kumulativer Schutz von Vermögens- und allgemeinem Sicherheitsinteresse 2 ^ - hat die Eigenständigkeit des Sicherheitsinteresses bisher nicht überzeugend dargetan.

2. Täter und Tatsituation a) Der Täter der Hehlerei Der Vortäter ist als Hehler nach dem Wortlaut des Gesetzes: "Wer eine Sache, die ein anderer ...", ausgeschlossen. Eindeutig ist damit auch, daß ein Mittäter der Vortat nicht durch die Erlangung seines Beuteanteils Hehlerei begeht, denn die Konstruktion der Mittäterschaft beruht auf der Vorstellung, daß in einem bestimmten Bereich mehrere Personen als eine einzige angesehen werden, so daß hier davon ausgegangen wird, alle Mittäter hätten durch die Tat Verfügungsmacht über die Beute erlangt, unabhängig davon, ob einer oder alle Mittäter die Beute oder Teile davon bei der Tat unmittelbar in Besitz genommen haben.

2

Zur Ausnahme bei der sog. Postpendenzfeststellung vgl. unter § 59 Rdn. 5 f.

Da nach der jetzigen Gesetzesfassung der Täter der Vortat schlechthin als Täter der Hehlerei ausgeschlossen ist, muß dies auch für den Fall gelten, daß der Mittäter der Vortat nach der Beuteteilung den Beuteanteil eines anderen Mittäters erwirbt oder nach Veräußerung der eigenen Beute diese vom Käufer zurückerwirbt. Auch in diesen Fällen handelt es sich um einen Erwerb des Täters der Vortat, d.h. jener Person, die für die Vermögensentziehung und damit auch für den rechtswidrigen Besitzzustand bereits wegen des Vermögensentziehungsdelikts haftet. 27 Offen läßt die Neufassung des Gesetzes jedoch die Streitfrage, ob Anstifter und Gehilfen der Vortat, die im Anschluß an die Vortat Hehlereihandlungen begehen, nicht nur der Teilnahme an der Vortat, sondern auch der Hehlerei schuldig sind. Einerseits haften die Teilnehmer der Vortat wegen der Vermögensentziehung, für die sie mittelbar mitverantwortlich sind. Gerade dann, wenn es ihnen bereits bei der Teilnahme an der Vortat um den Besitz der Beute ging, ist ihre Verantwortung für die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes offensichtlich. Andererseits haben sie die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes nur gefördert, nicht selbst durch-

25

Anders aber STREE JuS 1976 S. 139; TRÖNDLE StGB, § 257 Rdn. 14 a.

2 6

V g l . RUDOLPH! J A 1 9 8 1 S . 4 f; SEELMANN JUS 1 9 8 8 S . 3 9 .

2 7

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 5 9 Rdn.

18; OTTO Jura 1 9 8 5 S. 152; R u ß L K , § 2 5 9 R d n . 4 1 ; TRÖNDLE

S t G B , § 2 5 9 R d n . 2 6 . - A . A . G E P P E R T J u r a 1 9 9 4 S . 1 0 3 f; G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 7 R d n . 4 5 .

275

3

4 5

§58

6

7

8

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

geführt. Insofern bleibt ein gewisser Freiraum, der es konstruktiv ermöglicht, sie selbst wegen der Perpetuierung der rechtswidrigen Besitzlage neben der Verantwortung für die Vermögensentziehung haften zu lassen. 28 b) Die Vortat Die Vortat muß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, auf Vermögensentziehung gerichtete, nicht notwendig schuldhafte Tat sein; dazu im einzelnen oben § 56 Rdn. 5 ff. c) Das Verhältnis der Vortat zur Hehlerei Das Gesetz fordert als Hehlereiobjekt eine Sache, die der Vortäter durch seine Vortat erlangt hat. Durch die Vortat erlangt ist die Sache, wenn der Täter, sei es auch nur als Mitgewahrsamsinhaber, sie in seine tatsächliche Sachherrschaft gebracht hat und zwar vor Beginn der Hehlerei. Grundsätzlich besteht daher Übereinstimmung, daß die Vortat abgeschlossen sein muß, bevor die Hehlerei begangen werden kann. Dieser Grundsatz führt aber nicht zwingend zu der Konsequenz, daß zeitlich ein Zwischenraum zwischen Vortat und Hehlerei liegen muß, auch wenn dies der Regelfall sein wird. Es genügt vielmehr, daß sich die Hehlerei bei wertender Betrachtungsweise deshalb als Anschlußtat an die Tat des Vortäters darstellt, weil sie gleichsam die Kehrseite dieser Tat ist, an deren Existenz angeknüpft wird. Genauso wie z.B. Übergabe und Annahme bei der Übereignung einen einheitlichen Vorgang bilden können, obwohl sie rechtlich gesehen aneinander anschliessen, können auch Vortat und Hehlerei einen zugleich einheitlichen und dennoch aneinander anschließenden Akt bilden. Sie schließen nur unmittelbar aneinander an, es fehlt die dazwischenliegende zeitliche Zäsur. Gerade diese ist aber keineswegs erforderlich dafür, daß von einem Anschluß des einen an das andere gesprochen werden kann. - Ob die bei dem deliktischen Geschehen zusammenwirkenden Personen allerdings gemeinsam eine Vermögensentziehung durchführen oder der eine die Beute des anderen in Empfang nimmt, ist wertend zu ermitteln. OLG Stuttgart JZ 1960 S. 289 mit Anm. MAURACH S. 290 f: A hat eine Sache des X in Besitz. B erkundigt sich, ob A ihm diese veräußere. A sagt zu und übergibt dem B im selben Moment die Sache. OLG: A: Unterschlagung; B: Hehlerei. In der Übergabe der Sache liegt hier zugleich die Manifestation der Unterschlagung und, indem B die Sache annimmt, der Beginn der Hehlerei. Wie bei der Übergabe und Annahme im Rahmen einer Übereignung fallen beide Rechtsakte zusammen. Das ändert jedoch nichts daran, daß der eine Akt Schlußakt einer bestimmten Rechtshandlung ist, an deren Ende der andere anknüpft. Genauso ist es in den Fällen, in denen der Vortäter mit der Hingabe der Sache seine Zueignungsabsicht manifestiert und damit das Vermögensentziehungsdelikt, hier die Unterschlagung, abschließt. Hingabe und Annahme fallen ohne zeitliche Zäsur zusammen, schließen aber sachlich aneinander an. 2 9

9

d) Die durch die Vortat erlangte Sache aa) Das Problem der Ersatzhehlerei Gegenstand der Hehlerei kann nur die unmittelbar aus der Vortat stammende Sache sein. 28

So auch BGHSt 7 S. 134; 22 S. 207; 33 S. 50; LACKNER/KÜHL § 259 Rdn. 18; MAURACH/SCHROE DER/MAIWALD B . T . 1, § 3 9 R d n . 4 6 ; R u ß L K , § 2 5 9 R d n . 4 2 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 5 9 R d n . 2 6 ; WESSELS B . T . / 2 , R d n . 8 2 6 . - A . A . OELLERS G A 1 9 6 7 S. 15; SEELMANN JUS 1988 S. 4 2 . - D i f f e r e n z i e r e n d : SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 5 6 f.

29

So auch ESERIV, Nr. 18 A 25 ff; GEERDS G A 1988 S. 255 Fn. 83; KÜPER StreeAVessels-FS, S. 467 ff; OTTO S t r u k t u r , S. 3 2 7 f f ; RuDOLPHI J A 1981 S. 6; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 15. - A . A . B G H S t V

1989 S. 435; BGH StV 1996 S. 81 mit Anm. OTTO JK 96, StGB § 259/14; OLG Düsseldorf wistra 1990 S. 108; OLG Stuttgart NStZ 1991 S. 285; BERZ Jura 1980 S. 59; GEPPERT Jura 1994 S. 101 f; LACKNER/KÜHI, § 2 5 9 R d n . 6; RENGIER B . T . I, § 2 2 R d n . 6; TRÖNDLE S t G B , § 2 5 9 R d n . 10.

276

Hehlerei

§58

Nur an dieser kann der rechtswidrige Besitzstand perpetuiert werden. - Der Ersatz für die durch die Vortat erlangte Sache, den der Täter im Austausch mit der Sache aus der Vortat erlangt hat, ist selbst nicht unmittelbar durch die Vortat erlangt. An diesem Objekt besteht keine rechtswidrige Besitzlage, die perpetuiert werden könnte. Eine Ausnahme gilt auch nicht für vertretbare Sachen-'" oder für gewechseltes Geld. D a g e g e n wird argumentiert, Geld sei als Wertsumme anzusehen, nicht aber als Sache.-'' D o c h gerade wenn Geld keine Sache ist, so kann nach dem Wortlaut des Gesetzes § 2 5 9 auf Geld überhaupt nicht angewendet w e r d e n . 3 2

10

D i e durch die Straflosigkeit der Ersatzhehlerei begründeten Strafbarkeitslücken sind im übrigen geringer, als zum Teil behauptet w i r d , d e n n oftmals wird in der Erlangung der Ersatzsache - z.B. Kaufpreis aus dem Verkauf der gestohlenen Sache an einen Gutgläubigen - eine neue Straftat liegen, die Vortat der Hehlerei sein kann. Lediglich beim Wechseln von Geld oder Einzahlen von Geld auf ein Konto, von dem dieses später wieder abgehoben wird, treten wesentliche Strafbarkeitslücken auf.

bb) Die Verarbeitung der erlangten Sache 11 Hat der Vortäter Formulare, z.B. Euroscheck-Formulare oder Reisepaß-Formulare, erlangt und diese ausgefüllt, so sind nunmehr andere Sachen, nämlich Wertpapiere bzw. gefälschte Reisepässe entstanden. Damit sind die Objekte andere als die durch die Vortat erlangten Sachen geworden und können bei der Weitergabe nicht Gegenstand der Hehlerei sein. 34 3. Die einzelnen

Tathandlungen

a) Verschaffen und Ankaufen Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Sache, indem er sich oder einem Dritten tatsächliche, selbständige Verfügungsmacht über die durch ein Vermögensentziehungsdelikt erlangte Sache im Einvernehmen mit dem jetzigen Sachherrn, im Regelfall dem Vortäter, einräumen läßt (derivativer Erwerb). Das einverständliche Zusammenwirken zwischen Hehler und Vorbesitzer kennzeichnet die Perpetuierung der tatbestandsmäßigen, rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage gerade als Gegensatz zu einer, realen Entziehung eines Vermögensobjekts. Beide Angriffe auf das Vermögen schließen einander daher aus. Soweit hingegen durch dieses Erfordernis nur ein eigenmächtiges Handeln z.B. durch einen Diebstahl ausgeschlossen werden soll, bleibt das Merkmal farblos und in seinen Auswirkungen zufällig, so daß der Verzicht auf das Merkmal konsequent ist, 35 denn die Ergänzung des Perpetuierungsgedankens durch den Schutz allgemeiner Sicherheitsinteressen (Gefährdungstheorie) 36 führt gleichfalls von der Eigenständigkeit des Perpetuierungsrechts fort. Ankaufen - ein gesetzliches Beispiel für ein Verschaffen - ist die Erlangung der tatsächlichen, selbständigen Verfügungsmacht durch Kauf. An der selbständigen Verfügungsmacht des Täters fehlt es, wenn er vom Vortäter nur

3 0

S o aber GRIBBOHM NJW 1968 S. 2 4 0 f.

31

D . M E Y E R M D R 1 9 7 0 S . 3 7 7 f f ; R o x i N H . Mayer-FS, S. 4 7 2 ff; RUDOLPHI JA 1981 S . 4 .

3 2

Vgl. auch ROTH JA 1988 S. 198; SEELMANN JuS 1988 S. 40.

3 3

Vgl. KNAUTH NJW 1984 S. 2 6 6 6 ff; g e g e n ihn ROTH NJW 1985 S. 2 2 4 2 ff.

3 4

Dazu B G H NJW 1976 S. 1950 mit Anm. D. MEYER M D R 1977 S. 3 7 2 ff; BayObLG JR 1980 S. 2 9 9 mit Anm. PAEFFGEN S. 3 0 0 ff.

35

Vgl. dazu HRUSCHKA JR 1980, 222; DERS. JZ 1996 S. 1135 f; JOERDEN Jura 1986 S. 81 f.

36

Vgl. B G H S t 7 S. 142; 4 2 S. 199 f; GEPPERT Jura 1994 S. 100; KÜPER Probleme der Hehlerei bei ungewisser Vortatbeteiligung, 1989, S. 4 4 ff.

277

12

13

14 15

§58

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

M i t v e r f ü g u n g s m a c h t m i t d i e s e m z u s a m m e n e i n g e r ä u m t erhält o d e r der Vortäter i h m d a s O b j e k t z u e i n e r e i n z i g e n g a n z b e s t i m m t e n V e r f ü g u n g überläßt. Zur

Verdeutlichung:

aa) OLG Stuttgart JZ 1973 S. 739 mit Anm. LENCKNER S. 794 ff: A war Gesellschafter einer GmbH. In diese Gesellschaft wurden von anderen Gesellschaftern durch strafbare Handlungen erlangte Sachen eingebracht. Verfügungsmacht innerhalb der Gesellschaft hatten die Gesellschafter nur gemeinsam. OLG: A haftet nicht wegen Hehlerei, denn er hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht an den Sachen erlangt. - Anders wäre es, wenn jeder Gesellschafter eigenständig über die Sache hätte verfügen können.-^ bb) BGH NJW 1952 S. 754: B hat bei X Schnaps gestohlen. Er lädt den A, der von dem Diebstahl weiß, ein, mitzutrinken. A tut dies. BGH: Keine Hehlerei des A, denn A hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht erlangt. cc) BGHSt 27 S. 160 3 9 : K versetzte durch Betrug erlangte Haushaltsgeräte im städtischen Leihamt. Die Pfandscheine veräußerte er gegen Bezahlung an den A, der in Kenntnis des Sachverhalts über die Geräte zu eigenem Nutzen verfügen sollte. BGH: Der Erwerb des Pfandscheins stellt ein Sichverschaffen der durch Betrug erlangten Sachen dar. 4 ® Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn der Pfandschein durch strafbare Handlung, z.B. Diebstahl, erlangt worden wäre. Dann hätte der Pfandschein Gegenstand einer Hehlerei sein können. Die versetzten Objekte hingegen wären durch Betrug beim Einlösen des Scheines erlangt worden. 16

E i n e i n v e r s t ä n d l i c h e r E r w e r b der V e r f ü g u n g s m a c h t l i e g t a u c h vor, w e n n der T ä t e r d i e S a c h e in K e n n t n i s d e s S a c h v e r h a l t s v o n e i n e m g u t g l ä u b i g e n Z w i s c h e n b e s i t z e r erlangt, nicht aber, w e n n er s i e s i c h d u r c h e i n V e r m ö g e n s e n t z i e h u n g s d e l i k t v o m Vortäter o d e r o h n e K e n n t n i s v o n der V o r t a t v e r s c h a f f t . dd) OLG Düsseldorf JR 1978 S. 465: Der Dieb C schenkt der B, die nichts von dem Diebstahl weiß, einen Ring. Diese schenkt den Ring der A, die den Sachverhalt kennt. OLG Düsseldorf: Hehlerei der A. A verschafft sich die Stellung des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung durch derivativen Erwerb. 4 ' ee) BGH GA 1967 S. 315: A erwarb von B ein Autoradio, ohne zu wissen, daß dieses gestohlen war. Später erhielt er von dem Diebstahl Kenntnis. BGH: Als A die Verfügungsmacht über die Sache erhielt, fehlte ihm der Vorsatz, sich eine durch strafbare Handlung erlangte Sache zu verschaffen. Nach Kenntnis verschaffte er sich jedoch nicht mehr die Verfügungsmacht, sondern hatte diese bereits. Zur Möglichkeit der Unterschlagung in derartigen Fällen vgl. § 42 Rdn. 24. ff) BGHSt 42 S. 196: L hatte durch Betrug gegenüber einer Sparkasse 865.000,- DM erlangt. A, dem L 500.00,- DM schuldete, erfuhr dieses. Er forderte von L dieses Geld unter Hinweis darauf, daß er den L sonst wegen des Betruges anzeigen würde. L zahlte mit dem betrügerisch erlangten Geld.

37 38

Dazu BGH NJW 1988 S. 3108 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 259/8. So auch BGH bei Holtz, MDR 1992 S. 320; GEERDS GA 1988 S. 256; Küper B.T., S. 175; LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 11; OTTO S t r u k t u r , S. 3 2 9 ff; TRÖNDLE S t G B , § 2 5 9 R d n . 15. - A . A .

MAU-

R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 3 9 R d n . 3 1 ; R O T H J A 1 9 8 8 S . 2 0 3 ; S C H / S C H / S T R E E § 2 5 9 R d n .

24: Insichbringen ist die stärkste Form des Ansichbringens. 39

Mit zust. Anm. D. MEYER JR 1978 S. 253 ff, und krit. Anm. SCHALL NJW 1977 S. 2221 f.

4 0

S o a u c h B E R Z J u r a 1 9 8 0 S . 6 2 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 3 9 R d n . 3 0 ; R O T H J A

1988

S . 2 0 2 ; RUDOLPHI J A 1 9 8 1 S . 9 1 . - A . A . G E E R D S G A 1 9 8 8 S . 2 5 5 f ; SAMSON S K II, § 2 5 9 R d n . 2 0 . 41

Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 259 Rdn. 7; O r r o Jura 1985 S. 149; SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 42. A . A . PAEFFGEN J R 1 9 7 8 S . 4 6 6 f ; RUDOLPHI J A 1 9 8 1 S . 6 .

278

Hehlerei

§58

BGH: A: § 240. - Dem ist zuzustimmen, denn A erlangte das Geld durch eine Vermögensentziehung, nicht aber im einverständlichen Zusammenwirken mit L . 4 2 b) Absetzen oder Absetzen helfen

^

aa) Absetzen ist die entgeltliche Übertragung der Verfügungsmacht im Einverständnis und im Interesse des Vortäters auf einen Dritten durch den selbständig handelnden Täter. Eine Rückübertragung auf den Eigentümer genügt diesen Erfordernissen nicht, da durch dieses Verhalten nicht die rechtswidrige Besitzlage perpetuiert wird. Absatzhilfe ist j e d e Unterstützung des Vortäters b e i m Absatz, den der Vortäter oder ein anderer im Interesse des Vortäters vornimmt, z.B. Suchen eines Käufers, Aushandeln des Kaufpreises, Transport der Beute z u m Käufer. - Selbständige Verfügungsmacht erfordert die Absatzhilfe j e d o c h nicht. Stets ist erforderlich ein Handeln i m Interesse des Vortäters. B e i e i n e m Handeln im Interesse Dritter, z.B. des Käufers, k o m m t Beihilfe zur Hehlerei des Dritten ("Sich Verschaffen") in Betracht. Zur

18

Verdeutlichung:

Fall 1: A und P hatten Tabakwaren gestohlen. Diese brachten sie zu E, der zuvor versprochen hatte, das Diebesgut zu lagem, bis ein Kunde gefunden sei.

19

Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen Beihilfe zum Diebstahl zu bestrafen. 44 Fall 2: Wie in Fall 1, aber erst nach dem Diebstahl hatte E die Zusage gemacht. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls zu bestrafen, E bleibt straffrei. Die bloße Lagerung ist noch keine Absatzhilfe. 45 Fall 3: Wie in Fall 1, jedoch hatte E die Zusage gemacht, das Diebesgut selbständig zu veräußern. Ergebnis: Wie in Fall 2. - A.A. BGH, da er in der Übergabe der Beute an einen Verkaufskommissionär wenig überzeugend bereits ein Absetzen sieht, weil er diese Tätigkeit aus der Sicht des Vortäters bestimmt. 4 ^ Fall 4: Wie in Fall 1, aber E hatte sich das Diebesgut gegen Bezahlung geben lassen, um darüber nach eigenem Gutdünken zu verfügen. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen Hehlerei (Ankaufen) zu bestrafen. Fall 5: Wie in Fall 1, E aber machte die Zusage, um die Beute zugunsten von A und P zu sichern. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen Begünstigung (§ 257) zu bestrafen. Fall 6: wie in Fall 1, aber E machte die Zusage und nahm Verhandlungen mit X auf, um ihm die Beute zu verkaufen. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen versuchter Hehlerei in Form der Absatzhilfe zu bestrafen; Str., vgl. sogleich unter Rdn. 20 ff. Fall 7: Wie in Fall 1, aber E hat die Beute für X gelagert, der die Beute bereits von A und P erworben hatte. Ergebnis. A und P sind wegen Diebstahls, X wegen Hehlerei und E wegen Beihilfe zur Hehlerei des X zu bestrafen. bb) Strittig ist, o b Absetzen und Absatzhilfe schon mit den auf Absatz gerichteten Handlungen vollendet sind oder die Vollendung den Eintritt des Absatzerfolges voraussetzt. 42

Im einzelnen dazu OTTO JK 97, StGB § 259/16; im übrigen vgl. OTTO Jura 1988 S. 606 ff; RENGIER B.T. I, § 22 Rdn. 21; RUDOLPHI JA 1981 S. 6. - A.A., auch originärer Erwerb genügt: ROTH JA 1988 S . 2 0 6 f ; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 4 2 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 5 9 R d n . 16.

43

In Anlehnung an BGH NJW 1989 S. 1490.

44

So auch BGHSt 8 S. 392. - A.A. aber BGH NStZ 1996 S. 493 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 259/17.

45

Vgl. auch BGH NStZ 1993 S. 282; BGH NStZ 1994 S. 395 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 259/12; anders aber BGHSt 33 S. 47.

4 6

D a z u OTTO J K 8 9 , S t G B § 2 5 9 / 9 ; STREE J R 1 9 8 9 S. 3 8 4 f f .

279

20

§58

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

21

Dieser Streit ist mit einer Wandlung in der Interpretation des § 259 zu erklären. Das ursprünglich in § 259 enthaltene Verbot des "Mitwirkens zum Absatz" ging auf das Verbot des Beutehandels zurück. In dieser Alternative wurde nicht primär die Hilfe zur Verschaffung der Position des Diebes durch einen Dritten bestraft, sondern schon die Beteiligung an der auf diesen Erfolg gerichteten Handlung. 22 Wird nun - in Abkehr von dem historischen Ausgangspunkt - der einheitliche Strafgrund des § 259 in der Herstellung der dem Täter des Vordelikts entsprechenden Stellung ohne Vermögensentziehung gesehen, bzw. in der Hilfeleistung bei einem derartigen Verhalten, so ist es konsequent, eine vollendete Tat erst mit Eintritt des Absatzerfolges zu bejahen. 4 7 Wird das vollendete Delikt schon in den auf Absatz gerichteten Handlungen gesehen, so führt das - wie die Rechtsprechung des BGH zeigt - dazu, einen Versuch bereits weit im Vorfeld des Absatzes anzunehmen. 4 8 Daran ändert auch der dogmatisch wenig überzeugende Ausschluß von Fällen des untauglichen Versuchs des Absatzes aus der Deliktsvollendung nichts. 49 4. Der subjektive

Tatbestand

23 a) Der Vorsatz - bedingter genügt - setzt die Kenntnis der Vortat in ihren groben Zügen voraus und das Bewußtsein, die Verfügungsmacht in einverständlichem Zusammenwirken zu erlangen, d.h. das Wissen, daß die Tat keine Vermögensentziehung gegenüber dem Vortäter darstellt. - Bei Absatz und der Absatzhilfe ist außerdem das Wissen des Täters, die Interessen des Vortäters zu fördern, erforderlich. 24 b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, entspricht der Bereicherungsabsicht beim Betrug. Gegenstand der Bereicherung kann nur ein Vermögensvorteil sein. An diesem fehlt es beim Austausch gleichwertiger Leistungen, bzw. bei einem Kaufpreis, zu dem die gleiche Sache auch im Handelsverkehr erworben werden könnte. - Jedoch genügt es, wenn der Täter den üblichen Geschäftsgewinn anstrebt. 50 25 aa) Nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs muß die Absicht des Täters dahin gehen, den Geldwert seines Vermögens zu erhöhen. Das bloße Haben von Sachen, die keinen Handelswert haben, stellt danach keinen Vermögensvorteil dar. - Nach den Grundsätzen des personalen Vermögensbegriffs stellt das Haben einer Sache, auch wenn diese keinen offiziellen Handelswert hat, einen Vermögensvorteil dar, wenn sie für den Täter Gebrauchsvorteile besitzt. Das gilt jedoch nicht für Objekte, die als solche nicht Gegenstand des Wirtschaftsverkehrs sein können. 5 1

47

So auch OLG Köln NJW 1975 S. 987 mit zust. Anm. KÜPER JUS 1975 S. 633 ff, und krit. Anm. FEZER N J W 1 9 7 5 S. 1 9 8 2 f; B E R Z J u r a 1 9 8 0 S . 6 5 ; FRANKE N J W 1 9 7 7 S . 8 5 7 f; K R E Y B . T . 2 , R d n . 5 9 1 f f ; KÜPER N J W

1 9 7 7 S . 5 8 ; DERS. B . T . , S . 3 f f ; LACKNER H e i d e l b e r g - F S , S . 6 1 ;

DER/MAIWALD B . T . 1, § 3 9 R d n . 3 4 ; RÜDOLPHI J A

MAURACH/SCHROE-

1 9 8 1 S . 9 3 ; SEELMANN J U S 1 9 8 8 S . 4 1 . - A . A .

BGHSt 27 S. 45; 33 S. 47; BGH MDR 1990 S. 936 mit abl. Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 259/11; D. MEYER JR 1977 S. 80 f; TRÖNDLE StGB, § 259 Rdn. 18; WESSELS B.T./2, Rdn. 808. - Differenzierend: Absatz setzt Erfolg voraus, Absatzhilfe nicht: GEERDS GA 1988 S. 256 f. 48

Vgl. BGH NStZ 1994 S. 395 mit Anm. O r r o J K 95, StGB § 259/12.

49

Vgl. dazu BGHSt 43 S. 110 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 259/18.

50

BGH GA 1978 S. 372; BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267.

51

Vgl. BGH GA 1986 S. 559 (Führerschein); BayObLG JR 1980 S. 299 mit Anm. PAEFFGEN S. 300 ff (Reisepaß). - A.A. BGH bei Holtz, MDR 1996 S. 118, mit der Begründung, Bereicherungsabsicht liege vor, wenn der Täter beabsichtige, mit den fremden Ausweispapieren einen Betrug zu begehen. Damit ist jedoch nicht begründet, daß die Hehlerei auf Bereicherung gerichtet ist, sondern nur, daß spätere Taten Bereicherungsdelikte sein können; dazu vgl. auch OTTO JK 96, StGB § 259/15.

280

Hehlerei

§58

bb) Der Vortäter kann nicht Dritter i.S. des § 259 sein. Das ergibt sich zwingend aus dem 26 Wortlaut des Abs. 1, denn der dort als "anderer" bezeichnete Vortäter kann nicht zugleich Dritter sein. 52 cc) Die Bereicherung, d.h. der erstrebte Vorteil, braucht sich nicht unmittelbar aus der 27 gehehlten Sache zu ergeben. Eine Belohnung für die Absatzhilfe genügt. 53 dd) Strittig ist, ob der erstrebte Vermögensvorteil rechtswidrig sein muß 54 oder nicht 55 . - 28 Die Frage ist zu verneinen, denn daß der Hehler unter Umständen einen Anspruch gegen den Vortäter hat, ändert das Perpetuierungsunrecht nicht. Hat der "Hehler" hingegen einen Anspruch auf Überlassung der Sache gegen das Opfer der Vortat, so fehlt es bereits an der Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage, da der Täter Anspruch auf den Besitz hat. 5. Konkurrenzen

und Strafe

a) Die Anstiftung des Vortäters zur Hehlerei ist mitbestrafte Nachtat der Vortat. 29 b) Nach h.M. liegt neben der Hehlerei auch eine tatbestandsmäßige - allerdings von der 30 Hehlerei konsumierte - Unterschlagung vor, wenn der Täter sich durch die Hehlerei die umfassende Sachherrschaftsposition verschafft. Nach den hier entwickelten Prämissen ist das nicht haltbar. Die Unterschlagung als 31 Vermögensentziehungsdelikt setzt eine reale Vermögensentziehung voraus. An dieser fehlt es jedoch. Die Redeweise von der angeblichen Vertiefung des Schadens des Vermögensentziehungsdelikts durch die Hehlerei verdeckt das nur: Die Sache ist dem Berechtigten durch das Entziehungsdelikt entzogen worden. Dieses "Loch in seinem Vermögen" wird durch anschließende Hehlereihandlungen keineswegs vergrößert! Hehlerei und Vermögensentziehungsdelikt in bezug auf dieselbe Sache durch dieselbe Person schließen einander aus. 56 c) Gemäß § 259 Abs. 2 sind §§ 247, 248 a entsprechend anwendbar. - Maßgeblich für die 32 Anwendung des § 248 a ist der Wert der gestohlenen Sache, nicht aber der Vermögensvorteil des Hehlers, denn welchen Vorteil der Hehler hat, ist für die Situation des durch das Vermögensdelikt Betroffenen gleichgültig. Gegenstand der Perpetuierung, die den Strafgrund des Delikts bildet, ist die gehehlte Sache. Der Vorteilsabsicht kommt allein strafbegrenzende Funktion zu, die Rechtsgutsverletzung betrifft sie unmittelbar nicht. 57

II. Qualifikationstatbestände, §§ 260, 260 a 1. Gewerbsmäßige

Hehlerei, Bandenhehlerei,

§ 260

Ein qualifizierter Fall der Hehlerei liegt vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt - dazu 33 52

So auch BGHZ JR 1996 S. 344 mit Anm. GEPPERT JK 95, StGB § 259/13, PAEFFGEN JR 1996 S. 346 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 17; LACKNER/WERLE J R 1 9 8 0 S . 2 1 4 f f ; TRÖNDLE S t G B , § 2 5 9 R d n .

22. - A.A. noch BGH NJW 1979 S. 2621; SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 50. 53

So auch: BGH wistra 1983 S. 29; BERZ Jura 1980 S. 67; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 39 R d n . 3 9 ; RUDOLPHI J A 1 9 8 1 S . 9 4 ; STREE J u S 1 9 7 6 S . 1 4 4 . - A . A . A R Z T N S t Z 1 9 8 1 S . 13 f ; SEELMANN J u S 1 9 8 8 S . 4 1 f ; TRÖNDLE S t G B , § 2 5 9 R d n . 2 3 .

5 4

A R Z T N S t Z 1 9 8 1 S . 12 f; ROTH J A 1 9 8 8 S . 2 5 9 f.

5 5

H . M . , v g l . : LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 17; R u ß L K , § 2 5 9 R d n . 3 7 ; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 4 9 .

56

Eingehender dazu OTTO Jura 1988 S. 606 ff.

5 7

S o a u c h R u ß L K , § 2 5 9 R d n . 4 4 ; SAMSON S K II, § 2 5 9 R d n . 4 5 ; STREE J u S 1 9 7 6 S . 1 4 4 f. - A . A . LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 2 2 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 5 9 R d n . 2 5 .

281

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§59

§ 41 Rdn. 21 - oder als Mitglied einer Bande - dazu § 41 Rdn. 61 die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat; dazu § 41 Rdn. 62. Allerdings setzt die Bandenhehlerei keinen Einsatz am Tatort voraus. 5 8 2. Gewerbsmäßige

Bandenhehlerei,

§ 260 a

34 Die gewerbsmäßige Bandenhehlerei ist - vergleichbar § 244 a im Diebstahlsbereich; dazu § 41 Rdn. 69 - ein aus der Verbindung der Erschwerungsgründe des § 260 abgeleiteter, weiter qualifizierter Tatbestand.

III. Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO 35 In § 148 b GewO sind Fälle einer fahrlässigen Hehlerei unter Strafe gestellt. Wird das Wesen der Hehlerei in der Kollusion zwischen Hehler und Vortäter gesehen, wobei die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Besitzlage nur als Konsequenz dieser Kollusion erscheint, so ist der Schluß zwingend, diese Delikte als besondere Wirtschaftsdelikte zu interpretieren, die mit der Hehlerei nichts mehr zu tun haben. Es handelt sich dann um Vergehen, die die Vernachlässigung der Pflichten bestimmter Gewerbetreibender erfassen. - Wird hingegen als das wesentliche Moment des Hehlereidelikts die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Besitzstandes in scharfem Gegensatz zur Vermögensentziehung erkannt, so stellt sich die Kollusion zwischen Vortäter und Hehler lediglich als Folge der Tatsache dar, daß Fälle der Vermögensentziehung nicht von dem Tatbestand der Hehlerei erfaßt werden. Dann aber fällt die Verwandtschaft der Hehlerei mit der sogenannten fahrlässigen Hehlerei sofort auf. Es handelt sich sachlich um einen Fall der Hehlerei, gekennzeichnet durch das Fehlen einer Vermögensentziehung, d.h. wiederum um den Fall einer Vermögensverschiebung, deren Strafgrund darin zu sehen ist, daß die durch strafbare Vermögensentziehung bewirkte Schädigung des Berechtigten weiter aufrechterhalten bleibt, wenn auch dem Täter hinsichtlich dieser Aufrechterhaltung nur Fahrlässigkeit zur Last fällt. 5 9

§ 59: Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 1. Die Zulässigkeit 1

2

der

Wahlfeststellung

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Wahlfeststellung dann zulässig, wenn die zur Wahl stehenden Verhaltensweisen rechtsethisch und rechtspsychologisch gleichwertig erscheinen. 6 0 Da im Bereich der Vermögensdelikte jedoch gerade die psychologische Verschiedenheit der einzelnen Angriffe gegen Vermögensobjekte zur Differenzierung der verschiedenen Tatbestände geführt hat, dürfte - die Prämisse ernst genommen - im Bereich der Vermögensdelikte überhaupt keine Wahlfeststellung zugelassen werden, oder man gibt die rechtsethische und rechtspsychologische Gleichwertigkeit als Kriterium für die Zuläs-

5 8

Vgl. B G H StV 1997 S. 2 4 7 mit Anm. MIEHE S. 2 4 8 f; im übrigen vgl. B G H N S t Z 1955 S. 85; B G H N S t Z 1996 S. 4 9 5 .

5 9

Eingehender dazu OTTO Struktur, S. 2 4 4 f.

6 0

Im einzelnen zur Situation und den Voraussetzungen der Wahlfeststellung vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 2 4 Rdn. 7 ff.

282

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

§59

§ 41 Rdn. 21 - oder als Mitglied einer Bande - dazu § 41 Rdn. 61 die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat; dazu § 41 Rdn. 62. Allerdings setzt die Bandenhehlerei keinen Einsatz am Tatort voraus. 5 8 2. Gewerbsmäßige

Bandenhehlerei,

§ 260 a

34 Die gewerbsmäßige Bandenhehlerei ist - vergleichbar § 244 a im Diebstahlsbereich; dazu § 41 Rdn. 69 - ein aus der Verbindung der Erschwerungsgründe des § 260 abgeleiteter, weiter qualifizierter Tatbestand.

III. Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO 35 In § 148 b GewO sind Fälle einer fahrlässigen Hehlerei unter Strafe gestellt. Wird das Wesen der Hehlerei in der Kollusion zwischen Hehler und Vortäter gesehen, wobei die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Besitzlage nur als Konsequenz dieser Kollusion erscheint, so ist der Schluß zwingend, diese Delikte als besondere Wirtschaftsdelikte zu interpretieren, die mit der Hehlerei nichts mehr zu tun haben. Es handelt sich dann um Vergehen, die die Vernachlässigung der Pflichten bestimmter Gewerbetreibender erfassen. - Wird hingegen als das wesentliche Moment des Hehlereidelikts die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Besitzstandes in scharfem Gegensatz zur Vermögensentziehung erkannt, so stellt sich die Kollusion zwischen Vortäter und Hehler lediglich als Folge der Tatsache dar, daß Fälle der Vermögensentziehung nicht von dem Tatbestand der Hehlerei erfaßt werden. Dann aber fällt die Verwandtschaft der Hehlerei mit der sogenannten fahrlässigen Hehlerei sofort auf. Es handelt sich sachlich um einen Fall der Hehlerei, gekennzeichnet durch das Fehlen einer Vermögensentziehung, d.h. wiederum um den Fall einer Vermögensverschiebung, deren Strafgrund darin zu sehen ist, daß die durch strafbare Vermögensentziehung bewirkte Schädigung des Berechtigten weiter aufrechterhalten bleibt, wenn auch dem Täter hinsichtlich dieser Aufrechterhaltung nur Fahrlässigkeit zur Last fällt. 5 9

§ 59: Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 1. Die Zulässigkeit 1

2

der

Wahlfeststellung

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Wahlfeststellung dann zulässig, wenn die zur Wahl stehenden Verhaltensweisen rechtsethisch und rechtspsychologisch gleichwertig erscheinen. 6 0 Da im Bereich der Vermögensdelikte jedoch gerade die psychologische Verschiedenheit der einzelnen Angriffe gegen Vermögensobjekte zur Differenzierung der verschiedenen Tatbestände geführt hat, dürfte - die Prämisse ernst genommen - im Bereich der Vermögensdelikte überhaupt keine Wahlfeststellung zugelassen werden, oder man gibt die rechtsethische und rechtspsychologische Gleichwertigkeit als Kriterium für die Zuläs-

5 8

Vgl. B G H StV 1997 S. 2 4 7 mit Anm. MIEHE S. 2 4 8 f; im übrigen vgl. B G H N S t Z 1955 S. 85; B G H N S t Z 1996 S. 4 9 5 .

5 9

Eingehender dazu OTTO Struktur, S. 2 4 4 f.

6 0

Im einzelnen zur Situation und den Voraussetzungen der Wahlfeststellung vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 2 4 Rdn. 7 ff.

282

D i e W a h l f e s t s t e l l u n g im Bereich der V e r m ö g e n s d e l i k t e

§59

sigkeit einer solchen Verurteilung auf. Die Rechtsprechung hat dies de facto seit langem getan, auch wenn sie an der Formel selbst festhält. 6 1 Wird jedoch das Erfordernis der rechtspsychologischen Vergleichbarkeit aufgegeben, so bestimmt sich die Zulässigkeit der Wahlfeststellung letztlich nach der Identität des Unrechtskerns. Diese Identität liegt vor, wenn sich ein deliktischer Angriff gegen dasselbe Rechtsgut oder ein Rechtsgut derselben Art, derselben Gattung richtet und der Handlungsunwert auf gleicher Ebene liegt. 6 2 Der Unrechtskern ist bei allen Vermögensdelikten identisch, denn diese Identität des Unrechtskerns ermöglicht die Zusammenfassung dieser Delikte in der Gruppe der "Vermögensdelikte". Damit ist grundsätzlich eine Wahlfeststellung zwischen den verschiedenen Vermögensdelikten zulässig. Dies gilt auch für die Vermögensdelikte, die neben dem Vermögen noch andere Rechtsgüter schützen, z.B. die Willensfreiheit, denn dieser Schutz steht nicht im gleichen Rang mit dem Vermögensschutz, wie die Einordnung dieser Delikte als Vermögensdelikte zeigt. Bei den Delikten, bei denen dem Schutz eines weiteren Rechtsguts erhebliche Bedeutung zukommt, wie z.B. dem Schutz der Willensfreiheit in den §§ 249 ff, 255, ist die Deliktsnatur zunächst auf das Vermögensdelikt zu reduzieren, wenn die Verletzung der anderen Rechtsgüter in der möglichen Alternative entfällt.

3

4

a) BGHSt 25 S. 182 6 3 : Alternative Raub-Unterschlagung. BGH: Zu verurteilen ist auf der wahldeutigen Grundlage "Diebstahl oder Unterschlagung". b) BGH NJW 1974 S. 804: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Hehlerei zulässig. 6 4 c) OLG Köln GA 1974 S. 121 f: Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Unterschlagung zulässig. d) OLG Hamm NJW 1974 S. 1957: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Unterschlagung zulässig. e) BGHSt 23 S. 3 6 0 6 5 : Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Begünstigung zulässig.

2. Postpendenzfeststellung

bei der Hehlerei

In Fällen, in denen zweifelhaft bleibt, ob der Täter eine Sache als Mittäter der Vortat, z.B. Diebstahl, Betrug, Erpressung, originär erlangt hat oder derivativ von einem Täter der Vortat erworben hat, bejahen B G H und ein Teil der Lehre eine Hehlerei im Wege der sog. Postpendenzfeststellung. 6 6 61

Dazu HRUSCHKA NJW 1973 S. 1804 f.

62

Dazu OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 67 f; BayObLG MDR 1977 S. 860 mit Anm. HRUSCHKA JR 1 9 7 8 S . 2 6 f f ; i m ü b r i g e n v g l . DEUBNER JUS 1 9 6 2 S . 2 1 f f ; DERS. N J W 1 9 6 7 S . 7 3 8 f ; DREHER M D R 1 9 7 0 S . 3 6 9 f f ; FLECK G A 1 9 6 6 S . 3 3 6 ; HARDWIG E b . S c h m i d t - F S , S . 4 8 4 A n m . 2 8 ; HRUSCHKA N J W 1 9 7 3 S . 1 8 0 4 f; JAKOBS G A

1 9 7 1 S . 2 7 0 ; LOHR J U S 1 9 7 6 S . 7 2 0 ; O T T O P e t e r s - F S , S . 3 9 0 f; SAX J Z

1 9 6 5 S . 7 4 8 ; TRÖNDLE J R 1 9 7 4 S . 1 3 3 f f ; DERS. S t G B , § 1 R d n . 12 f f . - D i f f e r e n z i e r e n d : GÜNTHER

Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, 1976, S. 218 ff, der nach dem graduellen Unwert unterscheiden will, und MONTENBRUCK Wahlfeststellung und Werttypus im Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1976, S. 384, der aus den zur Wahl stehenden Tatbeständen einen gemeinsamen weiteren Tatbestand bilden und sodann anwenden will. 6 3

M i t A n m . HRUSCHKA N J W 1 9 7 3 S . 1 8 0 4 f , T R Ö N D L E J R 1 9 7 4 S . 1 3 3 f f .

64

Dazu OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 65; GÜNTHER JZ 1976 S. 665 ff.

6 5

M i t A n m . S C H R Ö D E R J Z 1 9 7 1 S . 1 4 1 , HRUSCHKA N J W 1 9 7 1 S . 1 3 9 2 f f .

66

Vgl. BGHSt 35 S. 86; BGH NJW 1989 S. 1867; BGH NStZ 1989 S. 574; GEPPERT JK 89, StGB § 1/7; HRUSCHKA J Z 1 9 7 0 S . 6 4 0 f ; JOERDEN J Z 1 9 8 8 S . 8 4 9 ; KÜPER L a n g e - F S , S . 6 5 f f ; D E R S . P r o b l e m e d e r

Hehlerei mit ungewisser Vortatbeteiligung, 1989, mit Bespr. GÖSSEL GA 1990 S. 318 ff; RICHTER Jura 1 9 9 4 S. 1 3 2 f ; RUDOLPHI S K I I , A n h . z u § 5 5 R d n . 2 4 f; W O L T E R N S t Z 1 9 8 8 S . 4 5 6 f f .

283

5

§59 6

Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen

Diese Auffassung ist abzulehnen, denn ihre Prämisse, die Nachtat stehe in jedem Falle fest, zweifelhaft sei nur die Beteiligung an der Vortat, ist unrichtig. Zweifelhaft ist nämlich, ob der Täter sich durch Vermögensentziehung oder Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage die Sache verschafft hat. Damit aber ist zweifelhaft, ob er den Tatbestand der Vortat oder den der Hehlerei verwirklicht hat. Auch hier greifen sachgerecht die Grundsätze der Wahlfeststellung durch. 6 7 - Beim Alleintäter lehnt auch der BGH die Verurteilung wegen Hehlerei im Wege der Postpendenzfeststellung ab. 6 8

67

Vgl. BGHSt 23 S. 360; FRISTER NK, Nach § 2 Rdn. 68 ff; OTTO JK 88, StGB § 1/5 und 10; R u ß LK, § 259 Rdn. 41 a; TRÖNDLELK, 10. Aufl., § 1 Rdn. 67 m.w.N.

68

Vgl. BGH NJW 1990 S. 2476.

284

Dritter Teil Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit Erstes Kapitel

Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter Erster Abschnitt

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung § 60: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht 1. Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsdelikte In der Auseinandersetzung um den Begriff der Wirtschaftskriminalität wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland dem täterbezogenen Aspekt zunächst größere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Ergänzung und Ersetzung dieses Gesichtspunkts in den verschiedenen Definitionsvorschlägen deckte jedoch bald die Grenzen dieser Betrachtungsweise, aber auch die Vielschichtigkeit der hinter dem Begriff verborgenen Problematik, auf. Es zeigte sich, daß ein einziger Begriff der Wirtschaftskriminalität den unterschiedlichen Erkenntniszielen überhaupt nicht gerecht werden konnte, daß es zumindest - bedingt durch die Verschiedenheit der Ziele und Betrachtungsweisen des Erkenntnisgegenstandes - drei verschiedene Begriffe der Wirtschaftskriminalität geben muß. Einer kriminologischen und kriminalsoziologischen Betrachtungsweise ist ein mehr täterorientierter Begriff der Wirtschaftskriminalität angemessen. - Im Vordergrund kriminaltaktischer und strafprozessualer Überlegungen steht hingegen die schwierige und umfangreiche Aufklärung und Aburteilung des strafbaren Verhaltens. Die Tatsache, daß dabei wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse notwendig sind, erhält damit in einer kriminaltaktisch relevanten Definiton der Wirtschaftskriminalität besondere Bedeutung. Rechtsdogmatisch hingegen führen die kriminologischen, kriminalsoziologischen und kriminal- sowie verfahrenstaktischen Ansätze nicht weiter. Für ein Strafrecht, das auf Erhalt des Rechtsfriedens durch den Schutz bestimmter Rechtsgüter gegen bestimmte Angriffe abzielt, ist sowohl eine täterorientierte wie auch eine primär auf Schadenshöhe und Aufklärungserfordernisse bezogene Betrachtungsweise nicht von Gewinn, da von hierher keine systematisch erfaßbaren Einsichten in das Wesen der Wirtschaftskriminalität zu erlangen sind. Sie eröffnen sich erst, wenn es gelingt, als Wirtschaftskriminalität einen von anderen strafwürdigen Rechtsgutsbeeinträchtigungen abgehobenen Rechtsgüterangriff und seine Modalitäten zu erfassen und damit einen eigenständigen Unrechtsgehalt zu beschreiben und strafrechtlich sachgerecht zu würdigen. Diesem Erfordernis können allerdings Definitionen des Begriffs, die wesentlich auf die wirtschaftlich schädliche oder die schlicht wirtschaftsbezogene Verhaltensweise der Wirtschaftskriminalität abstellen, nicht genügen. Der wirtschaftliche Bezug des sozialschädlichen Verhaltens kennzeichnet kein spezifisches Unrecht, das sich von anderen rechtswidrigen strafwürdigen Verhaltensweisen abhebt. Erst der Bezug des Verhaltens auf die Verletzung von überindividuellen (sozialen) Rechtsgütern des Wirtschaftslebens ermöglicht die Erfassung eines spezifischen 285

1

2

§60

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Unrechts, das sich deutlich vom Unrecht einer beliebigen Vermögensschädigung unterscheidet. Von diesem Ausgangspunkt her lassen sich als Wirtschaftsdelikte jene Verhaltensweisen bestimmen, die das Vertrauen in die geltende Wirtschaftsordnung insgesamt oder in einzelne ihrer Institute verletzen und damit den Bestand und die Arbeitsweise dieser Wirtschaftsordnung gefährden. - Die Verwirklichung dieser Delikte macht die Wirtschaftskriminalität aus. 1 2. Das 3

4

Wirtschaftsstrafrecht

Da der Begriff der Wirtschaftskriminalität nicht nur durch die wirtschaftlich schädliche Verhaltensweise dieser Kriminalität konkretisiert wird, kann auch das Wirtschaftsstrafrecht nicht schlicht als das Strafrecht erfaßt werden, das in bezug zu wirtschaftlichen Vorgängen steht oder sich gegen wirtschaftlich schädliches Verhalten richtet. Ein derartiger Begriff könnte wiederum kriminologische oder kriminaltaktische Bedeutung haben, rechtsdogmatisch aber wäre er unbrauchbar. Als Wirtschaftsstrafrecht im eigentlichen Sinne sind nur die Tatbestände anzusehen, die in erster Linie die Wirtschaftsordnung und ihr Funktionieren schützen sollen. Das sind zunächst einmal Normen staatlicher Wirtschaftslenkung und -Ordnung, wie z.B. das Wirtschaftsstrafgesetz oder das Außenwirtschaftsgesetz, dann aber jene Normen, die die wirtschaftliche Betätigung sowie die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Wirtschaftsgütern regeln. Da jedoch auch bei Angriffen gegen individuelle Rechtsgüter, insbesondere bei Angriffen gegen das Vermögen, Teilbereiche der Wirtschaftsordnung betroffen werden können, wird deutlich, daß auch Normen, die in erster Linie dem Schutz individueller Rechtsgüter dienen sollen, wie z.B. dem Betrugs- und dem Untreuetatbestand, gleichfalls Bedeutung bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zukommen. Dies gilt besonders für die Fälle quantitativ massierter Deliktsbegehung und bei schweren Vermögensschädigungen gegenüber wirtschaftlichen Unternehmen. Insofern sind wirtschaftsstrafrechtliche Normen zwar Tatbestände, die auf Abwehr von Wirtschaftskriminalität gerichtet sind, doch darüber hinaus realisieren auch weitere Tatbestände diesen Zweck in erheblichem Umfang. 2 3. Die Gestaltung der

5

6

7

Wirtschaftsstraftatbestände

Da die einzelnen Angriffe auf die Wirtschaftsordnung und ihre Institute durch Verletzung jener Normen, die sie konstituieren, nicht zu naturwissenschaftlich meßbaren Schäden führen, bieten weder Verletzungsdelikt noch konkretes Gefährdungsdelikt die angemessene Deliktsform, um den angestrebten Schutz der Rechtsgüter zu realisieren. Das dem überindividuellen Rechtsgut und dem Angriffsobjekt als geistigen Gebilden entsprechende Mittel des strafrechtlichen Schutzes ist das abstrakte Gefährdungsdelikt. 3 Der mit der Schaffung abstrakter Gefährdungsdelikte stets verbundenen Gefahr einer Ausdehnung des Strafrechts in den nicht mehr strafwürdigen und strafbedürftigen Bereich hinein, kann der Gesetzgeber in verschiedener Weise begegnen: a) Die Strafbarkeit des abstrakt gefährlichen Verhaltens kann an bestimmte konkret geIM einzelnen dazu und zur Auseinandersetzung: D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1990, S. 5 ff, 15 ff; OTTOZStW 96 (1984) S. 339 ff. Dazu im einzelnen: BOTTKE wistra 1991 S. 1 ff, 52 ff, 81 ff; GEERDS Kriminalistik 1968 S. 234; OTTO ZStW 96 (1984) S. 349; STEIMKE NStZ 1994 S. 168 ff; TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, 1976, S. 54 f; WEBER in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 6 ff. Dazu BRAUNECK Allgemeine Kriminologie, 1974, S. 34 f; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 40 ff; OTTO Z S t W 9 6 ( 1 9 8 4 ) S. 3 6 2 f; TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 4 1 f.

286

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

fährliche Situationen geknüpft werden, sog. Krisensituationen, wie sie der Gesetzgeber z.B. in den Konkursdelikten (Überschuldung, eingetretene oder drohende Zahlungsunfähigkeit) ausgebildet hat. b) Eine weitere Möglichkeit der Strafbarkeitsbegrenzung ist das zusätzliche Erfordernis eines besonderen Erfolgsunwertes, z.B. einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit.

8

c) Schließlich kann das Tatverhalten in die Nähe einer Vermögensverletzung oder konkreten Vermögensgefährdung gebracht oder auf solche Verhaltensweisen beschränkt werden, die regelmäßig auch zum Eintritt eines Vermögensschadens führen, um den Bereich der Strafbarkeit zu begrenzen. 4

9

§ 61: Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsmißbrauch, § 265 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die soziale Leistungsfähigkeit der Versicherer. - Mit der Neufassung des § 265 durch das 6. StrRG wird kein betrügerisches Verhalten in § 265 unter Strafe gestellt, sondern die vorsätzliche Auslösung des Versicherungsfalles. 2. Tatobjekt und

Tathandlung

Versichert ist eine Sache, wenn sie Gegenstand eines formgültig zustande gekommenen Versicherungsvertrages geworden ist, unabhängig davon, ob der Vertrag anfechtbar oder z.B. wegen absichtlicher Überversicherung nichtig ist. Auch in diesem Falle besteht die Gefahr, daß die Versicherung zu Unrecht in Anspruch genommen wird. Darüber hinaus soll es nach h.M. auch unerheblich sein, ob der Versicherer nach § 39 Abs. 2 VVG wegen Verzugs des Versicherungsnehmers von seiner Leistungspflicht frei geworden ist. Dem kann nicht gefolgt werden, soweit für den Versicherer offensichtlich ist, daß die Leistungspflicht nicht besteht. In diesem Falle ist auch eine abstrakte Gefährdung nicht gegeben. 5 Versichert sein muß die betroffene Sache gegen Untergang, Beschädigung, Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, Verlust oder Diebstahl. Tathandlungen sind die Beschädigung - dazu vgl. § 47 Rdn. 5 f -, die Zerstörung - dazu vgl. § 47 Rdn. 10 f - die Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, d.h. die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit ohne Substanzverletzung, das Beiseiteschaffen, d.h. das Verbringen des Tatobjekts in eine tatsächliche oder rechtliche Lage, in der der Versicherung der Zugriff unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert ist, sowie das Überlassen der Sache an andere, d.h. das Übertragen der Sachherrschaft auf andere Personen. 3. Der subjektive

5

2

3 4

Tatbestand

Der Täter muß vorsätzlich handeln, bedingter Vorsatz genügt, und in der Absicht, sich oder einem Dritten Leistungen aus der Versicherung zu verschaffen. Der Täter selbst wird grundsätzlich keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung haben, § 61 VVG. Ob der Dritte einen Anspruch auf die Versicherungsleistung hat oder nicht, ist dagegen irrelevant. 4

1

Eingehender dazu OTTO ZStW 96 (1984) S. 363 ff. V g l . RANFT Jura 1 9 8 5 S. 3 9 5 ; DERS. S t V 1 9 8 9 S . 3 0 1 ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 5 R d n . 7 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 R d n . 12. - A . A . B G H N J W 1 9 8 8 S . 3 0 2 5 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 3 R d n . 8 ; LACKNER/KÜHL

§ 265 Rdn. 2; TRÖNDLE StGB, § 265 Rdn. 4 a.

287

5

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

fährliche Situationen geknüpft werden, sog. Krisensituationen, wie sie der Gesetzgeber z.B. in den Konkursdelikten (Überschuldung, eingetretene oder drohende Zahlungsunfähigkeit) ausgebildet hat. b) Eine weitere Möglichkeit der Strafbarkeitsbegrenzung ist das zusätzliche Erfordernis eines besonderen Erfolgsunwertes, z.B. einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit.

8

c) Schließlich kann das Tatverhalten in die Nähe einer Vermögensverletzung oder konkreten Vermögensgefährdung gebracht oder auf solche Verhaltensweisen beschränkt werden, die regelmäßig auch zum Eintritt eines Vermögensschadens führen, um den Bereich der Strafbarkeit zu begrenzen. 4

9

§ 61: Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsmißbrauch, § 265 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die soziale Leistungsfähigkeit der Versicherer. - Mit der Neufassung des § 265 durch das 6. StrRG wird kein betrügerisches Verhalten in § 265 unter Strafe gestellt, sondern die vorsätzliche Auslösung des Versicherungsfalles. 2. Tatobjekt und

Tathandlung

Versichert ist eine Sache, wenn sie Gegenstand eines formgültig zustande gekommenen Versicherungsvertrages geworden ist, unabhängig davon, ob der Vertrag anfechtbar oder z.B. wegen absichtlicher Überversicherung nichtig ist. Auch in diesem Falle besteht die Gefahr, daß die Versicherung zu Unrecht in Anspruch genommen wird. Darüber hinaus soll es nach h.M. auch unerheblich sein, ob der Versicherer nach § 39 Abs. 2 VVG wegen Verzugs des Versicherungsnehmers von seiner Leistungspflicht frei geworden ist. Dem kann nicht gefolgt werden, soweit für den Versicherer offensichtlich ist, daß die Leistungspflicht nicht besteht. In diesem Falle ist auch eine abstrakte Gefährdung nicht gegeben. 5 Versichert sein muß die betroffene Sache gegen Untergang, Beschädigung, Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, Verlust oder Diebstahl. Tathandlungen sind die Beschädigung - dazu vgl. § 47 Rdn. 5 f -, die Zerstörung - dazu vgl. § 47 Rdn. 10 f - die Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, d.h. die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit ohne Substanzverletzung, das Beiseiteschaffen, d.h. das Verbringen des Tatobjekts in eine tatsächliche oder rechtliche Lage, in der der Versicherung der Zugriff unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert ist, sowie das Überlassen der Sache an andere, d.h. das Übertragen der Sachherrschaft auf andere Personen. 3. Der subjektive

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Tatbestand

Der Täter muß vorsätzlich handeln, bedingter Vorsatz genügt, und in der Absicht, sich oder einem Dritten Leistungen aus der Versicherung zu verschaffen. Der Täter selbst wird grundsätzlich keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung haben, § 61 VVG. Ob der Dritte einen Anspruch auf die Versicherungsleistung hat oder nicht, ist dagegen irrelevant. 4

1

Eingehender dazu OTTO ZStW 96 (1984) S. 363 ff. V g l . RANFT Jura 1 9 8 5 S. 3 9 5 ; DERS. S t V 1 9 8 9 S . 3 0 1 ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 5 R d n . 7 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 R d n . 12. - A . A . B G H N J W 1 9 8 8 S . 3 0 2 5 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 3 R d n . 8 ; LACKNER/KÜHL

§ 265 Rdn. 2; TRÖNDLE StGB, § 265 Rdn. 4 a.

287

5

§61

Dritter Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r d e r G e s a m t h e i t

4. Der Versuch 6

Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. 5. Konkurrenz zu § 263

7

Soweit der Täter später einen Betrug, § 263, verwirklicht, ist § 265 subsidiär.

II. Subventionsbetrug, § 264 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 8

Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse an einer sachgemäßen förderungß - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt.7 2. Subvention und subventionserhebliche

staatlichen

Wirtschafts-

Tatsachen

a) Den Begriff der Subvention umschreibt Abs. 7. 8 - Folgende Erfordernisse müssen erfüllt sein: 10 aa) Leistungen aus öffentlichen Mitteln, d.h. Leistungen, die dem Staat, einer öffentlichrechtlichen Körperschaft oder Institution oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung zur Verfügung stehen. 9

11 bb) Grundlagen der Leistungen müssen Vergabevorschriften aus dem Recht des Bundes, der Länder - einschließlich des Rechts der Gemeinden - oder der Europäischen Gemeinschaften sein. Es genügt der globale Ansatz in einem Haushaltsgesetz. Nach dem Willen des Gesetzgebers fallen allerdings Leistungen aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften nicht unter Abs. 7. - In diesem Bereich haben die Regelungen des Steuerrechts ausschließlich Bedeutung. 9

12 cc) Die Leistungen müssen wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt werden. - Das ist dann der Fall, wenn die Leistung nach ihrem objektiven Wert nicht dem entspricht, was nach den konkreten Verhältnissen des betreffenden Marktes üblicherweise für die Leistung aufgewendet werden muß. 13 dd) Die Leistung muß wenigstens zum Teil zur Förderung der Wirtschaft dienen. Es genügt jedoch, daß die Wirtschaftsförderung einer neben anderen Zwecken ist. Leistungen zur Förderung der Forschung, Bildung oder kultureller Einrichtungen fallen daher genausowenig unter den Begriff wie die sog. Sozialsubventionen (z.B. Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld).

6

V g l . B T - D r u c k s . 7 / 5 2 9 1 , S . 3; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 2 4 4 ff; S. 1609; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 R d n .

GÖHLER/WILTS D B

1976

1; S C H / S C H / L E N C K N E R § 2 6 4 R d n . 4 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4

Rdn. 1 1 . - A.A. Staatliches Vermögen: GÖSSEL B.T. 2, § 23 Rdn. 30; HACK Probleme des Tatbestands Subventionsbetrug, § 264 StGB, 1982, S. 19; RANFT JuS 1986 S. 447 ff; SANNWALD Rechtsgut und Subventionsbegriff § 264 StGB, 1982, S. 59, 65 ff, 89; SCHMIDHÄUSER B.T., 11/96 f. 7

Str., w i e hier: BERZ B B

1 9 7 6 S. 1 4 3 6 , HEINZ G A

1977 S. 2 1 0 ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 4 R d n .

5;

TRÖNDLE StGB, § 264 Rdn. 4. - A.A. BT-Drucks. 7/5291, S. 5: Konkretes Gefährdungsdelikt; G Ö H L E R / W I L T S D B 1 9 7 6 S . 1 6 1 3 : A b s t r a k t - k o n k r e t e s G e f ä h r d u n g s d e l i k t ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 R d n .

17: Gefährdungsdelikt. 8

Im einzelnen zum Begriff der Subvention: EBERLE Der Subventionsbetrug nach Paragraph 264 StGB Ausgewählte Probleme einer verfehlten Reform, 1983, S. 22 ff; JARASS JuS 1980 S. 115 ff; SANNWALD R e c h t s g u t , S. 7 6 f; G . SCHMIDT G A

1979 S. 121 ff; T i e d e m a n n L K , § 2 6 4 R d n . 25 ff; VOLK

in:

BELKE/OEHMICHEN (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, 1983, S. 82 ff. 9

B T - D r u c k s . 7 / 5 2 9 1 , S . 11; d a z u a u c h G Ü N T H E R S K I I , § 2 6 4 R d n . 3 0 ; M Ü L L E R - E M M E R T / M A I E R 1 9 7 6 S . 1 6 5 7 f f ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 R d n . 1 3 4 .

288

NJW

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

14

ee) Die Leistung muß einem Betrieb oder Unternehmen gewährt werden. Betrieb ist eine auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenfassung von persönlichen und sächlichen Mitteln zur Erreichung eines - nicht unbedingt wirtschaftlichen - Zwecks ohne Rücksicht auf die Rechtsform. - Dem Unternehmen kommt gegenüber dem Betrieb nur insoweit Eigenständigkeit zu, als es ein Komplex von mehreren Betrieben sein kann.'O

b) Die in Abs. 1 genannten Tathandlungen (Täuschung, Unterlassung vorgeschriebener 15 Angaben usw.) sind nur relevant, soweit sie sich auf subventionserhebliche Tatsachen gemäß Abs. 8 beziehen. Gemäß Abs. 8 Nr. 1 sind dies zunächst die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes 16 vom Subventionsgeber ausdrücklich als subventionserheblich bezeichneten Tatsachen; dazu auch § 2 SubvG. - Es muß sich um klar und unmißverständlich auf den konkreten Fall bezogene Angaben handeln. 11 Gemäß Abs. 8 Nr. 2 werden sodann ergänzend die materiellen Voraussetzungen der 17 Vergabe oder Rückforderung einer Subvention als "subventionserheblich" erklärt, soweit ein Gesetz im materiellen Sinne diese Voraussetzungen regelt, auch wenn sie nicht als subventionserheblich bezeichnet worden sind. Ist die Bewilligung einer Subvention von mehreren tatsächlichen Voraussetzungen abhängig, so ist jede dieser Voraussetzungen subventionserheblich. 12 3. Die

Tathandlung

a) Der äußere Tatbestand fordert falsche oder unvollständige Angaben gegenüber dem 18 Subventionsgeber in bezug auf subventionserhebliche Tatsachen, die für den Erklärenden oder einen anderen vorteilhaft sind (Abs. 1 Nr. 1), die Unterlassung subventionserheblicher Angaben entgegen den Rechtsvorschriften - dazu §§ 3, 4 SubvG - über die Subventionsvergabe (Abs. 1 Nr. 2) oder den Gebrauch einer durch unrichtige oder unvollständige Angaben in einem Subventionsverfahren erlangten Bescheinigung über eine Subventionsberechtigung oder über subventionserhebliche Tatsachen (Abs. 1 Nr. 3). Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie die Aussichten des Subventionsempfängers für 19 die Gewährung oder Belassung der beantragten Subvention oder des geltend gemachten Subventionsvorteils gegenüber der wirklichen Lage objektiv verbessern. - Nicht tatbestandsmäßig sind danach falsche Angaben, die für den Subventionsnehmer ungünstig oder indifferent sind. Daß der Täter u.U. einen anderen - nicht geltend gemachten - Subventionsanspruch hat, ändert die Beurteilung nicht. Das Verfahren ist auch in diesem Fall durch sachwidrige Erwägungen belastet und das Rechtsgut abstrakt gefährdet, denn das Delikt ist kein Vermögensdelikt, bei dem es allein auf den letztlich maßgeblichen Vermögensstand ankommt.' 3

Da die Angaben für den Täter oder einen anderen vorteilhaft sein müssen, kann nicht nur 20 10

D a z u a u c h GÖHLER/WILTS D B 1976 S. 1611; LACKNER/KÜHL § 11 R d n . 15; MÜLLER-EMMERT/MAIER

11

LG Düsseldorf NStZ 1981 S. 223.

12

Dazu OLG Köln NJW 1982 S. 457; BayObLG MDR 1989 S. 1014.

13

Vgl. auch BGHSt 34 S. 265 mit zust. Anm. ACHENBACH JR 1988 S. 251 ff, MEINE wistra 1988 S. 13 ff, und abl. Anm. LÜDERSSEN wistra 1988 S. 43 ff; BGHSt 36 S. 373; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 253 ff; GÖSSEL B.T. 2, § 23 Rdn. 50. - A.A. OLG Karlsruhe NJW 1988 S. 1383; EBERLE Subventi-

NJW 1976 S. 1658; SCH/SCH/LENCKNER § 14 Rdn. 28 ff; TRÖNDLE StGB, § 14 Rdn. 8.

o n s b e t r u g , S. 144 f; GÜNTHER S K II, § 2 6 4 R d n . 5 8 ; HACK P r o b l e m e , S. 106; KINDHÄUSER J Z 1991 S. 4 9 2 ff, 4 9 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 R d n . 18; RANFT N J W 1986 S. 3 1 6 6 f; RENGIER B . T . I, § 17 R d n . 5; SANNWALD R e c h t s g u t , S. 65; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 4 R d n . 4 7 ; TENCKHOFF B e m m a n n - F S , S. 4 6 9 f f , 4 7 8 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 R d n . 84.

289

§61

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

der Begünstigte selbst Täter sein. - Macht jedoch ein Amtsträger, der auf der Seite des Subventionsgebers den Antrag zu prüfen hat, falsche Angaben, so kommt nur Teilnahme in Betracht, denn Abs. 1 Nr. 1 erfaßt ein Tatverhalten, das sich von außen gegen den Subventionsgeber richtet. Handlungen die intern dieses Verfahren fördern, z.B. unrichtige Prüfungsvermerke, sind nicht selbst "falsche Angaben", sondern unterstützen diese nur. 1 4 21 b) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das vorsätzliche, sowie in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 das leichtfertige Verhalten, Abs. 4. 4. Schwere Fälle des

Subventionsbetrugs

22 a) Die Qualifikationen des § 263 Abs. 5 gelten für § 264 entsprechend, Abs. 2. b) Abs. 3 sieht eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung gemäß Abs. 1 vor. - Als Regelbeispiele sind genannt: Die Erlangung einer Subvention großen Ausmaßes, Handeln aus grobem Eigennutz oder unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege (Nr. 1), Mißbrauch der Stellung als Amtsträger (Nr. 2), Mithilfe eines Amtsträgers, der seine Befugnisse oder Stellung mißbraucht (Nr. 3). 5. Tätige Reue und Nebenstrafen 24 Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 5, zu den Nebenstrafen Abs. 6. 6.

Konkurrenzen

25 a) Werden in einem auf rechtswidrige Erlangung einer Subvention gerichteten Verfahren zunächst Bescheinigungen i.S. des Abs. 1 Nr. 3 ausgestellt und später aufgrund ihrer Vorlage die Subvention geleistet, so liegt nur eine Tat nach Abs. 1 Nr. 1 vor. Hier erhält das in Abs. 1 Nr. 3 erfaßte Verhalten keine Eigenständigkeit. Anders hingegen, wenn der Täter bei Erlangung der Bescheinigung gutgläubig war oder ein Dritter die Bescheinigung erlangt hat. - Handelte der Täter bei der Erlangung der Bescheinigung leichtfertig, Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in Verb, mit Abs. 4, bei der Vorlage der Bescheinigung aber vorsätzlich, so erscheint eine Konsumtion des leichtfertigen Verhaltens durch die vorsätzliche Tat angemessen. 26 b) Sind mehrere Alternativen des Tatbestandes erfüllt, so liegt dennoch nur ein Delikt gemäß § 264 vor. 27 c) Nach dem in der Höhe des Strafmaßes zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers geht § 264 dem § 263 als Sonderregelung stets dann vor, wenn das Tatverhalten als vollendeter Subventionsbetrug zu bewerten ist. 15 - Betrifft die Tathandlung eine Subvention, ohne daß § 264 vollendet wird, so wird die Strafbarkeit gemäß § 263 nicht ausgeschlossen. 16

14

Vgl. auch GÖSSEL B.T. 2, § 23 Rdn. 52. - A.A. BGHSt 32 S. 203 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN NStZ 1985 S. 73, und abl. A n m . OTTO JR 1984 S. 475 ff; O L G H a m b u r g N S t Z 1984 S. 218; RANFT JUS 1986 S. 4 4 5 ff; WAGNER J Z 1987 S. 7 1 2 .

15

Vgl. B G H S t 32 S. 206 f; LACKNER/KÜHL § 264 Rdn. 30; TIEDEMANN LK, § 264 Rdn. 161. - Für Idealk o n k u r r e n z : ACHENBACH J R 1 9 8 8 S. 2 5 4 ; GÖSSEL B . T . 2, § 2 3 R d n . 6 8 .

16

B G H wistra 1987 S. 23; RANFT N J W 1986 S. 3164; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 Rdn. 162; TRÖNDLE S t G B ,

§ 264 Rdn. 39.

290

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

III. Kreditbetrug, § 265 b 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Funktionieren des Kreditwesens; daneben wird mittelbar 28 auch das Vermögen geschützt. 17 - Die Tat ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betruges. 2. Der relevante Kredit a) Relevant sind nur Kredite, die von einem Betrieb oder Unternehmen als Kreditgeber 29 gewährt werden. Als Kreditnehmer muß gleichfalls ein Unternehmen auftreten, sei es auch nur, daß der Betrieb, das Unternehmen oder der Umfang eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs vorgetäuscht wird. b) Zum Begriff des Betriebs und Unternehmens sowie zum notwendigen Geschäftsumfang 30 vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 HGB. - Zum Begriff des Kredits vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 2. Nicht erfaßt werden demnach von der Vorschrift Kredite an erst zu gründende Unternehmen' 8 sowie Kredite an Privatpersonen und Kredite von Privatpersonen. Hier sind lediglich §§ 263, 266 einschlägig.

3. Die

Tatbestandsvoraussetzungen

a) Die maßgebliche Tatsituation Erforderlich ist, daß die einzelnen im Gesetz, Abs. 1 Nr. 1, 2 umschriebenen Täu- 31 schungshandlungen im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung eines Kredits vorgenommen werden. - Täuschungshandlungen im Vorfeld der Antragsstellung bleiben irrelevant, wenn es nicht zur Stellung eines Kreditantrages kommt. b) Tathandlungen sind: aa) Nach Abs. 1 Nr. 1: die Vorlage unrichtiger oder unvollständiger Unterlagen über die 32 wirtschaftlichen Verhältnisse (Nr. 1 a) und die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger schriftlicher Angaben über wirtschaftliche Verhältnisse (Nr. 1 b), soweit diese für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Entscheidung über den Kreditantrag relevant sind, d.h. die Kreditgrundlage für den Kreditnehmer positiver erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit ist. - Wirtschaftliche Verhältnisse sind Umstände, die für die Sicherheit des Kredits von Belang sein können. - Vorgelegt sind die Unterlagen, wenn sie im Machtbereich des Kreditgebers eingegangen sind. - Vorteilhaft sind die Angaben, soweit sie geeignet sind, die Aussichten des konkreten Kreditantrags zu verbessern. bb) Nach Abs. 1 Nr. 2: die Verletzung der Offenbarungspflicht über Verschlechterungen 33 der in den Unterlagen oder Angaben dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse. - Der Gesetzgeber berücksichtigt hier, daß bei der Gewährung von Krediten oftmals Unterlagen, z.B. Jahresabschlußbilanzen o.ä. vorgelegt werden, die für einen zurückliegenden Zeit17

Vgl. dazu OLG Stuttgart NStZ 1993 S. 545; GEERDS FLF 1988 S. 96; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 232 ff; KIEBNER Kreditbetrug - § 265 b StGB, 1985, S. 55 f; LAMPE Der Kreditbetrug (§§ 263, 265 b StGB), 1980, S. 37 ff; SCH/SCH/LENCKNER § 265 b Rdn. 3; TLEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 9. - Vorrang i g f ü r V e r m ö g e n s s c h u t z : G Ü N T H E R S K II, § 2 6 5 b R d n . 2 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1,

§ 41 Rdn. 166; TRÖNDLE StGB, § 265 b Rdn. 6. 18

BayObLG wistra 1990 S. 237.

291

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§61

punkt erstellt wurden, so daß sie eine inzwischen eingetretene Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage noch nicht erfassen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Vorlage des Antrages. Das Verschweigen späterer Verschlechterungen ist nicht tatbestandsmäßig, auch wenn damit eine kaum zu begründende Strafbarkeitslücke vorliegt. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit aber eindeutig. 19 34 Täter des Unterlassungsdelikts nach Abs. 1 Nr. 2 ist, wer die Unterlagen vorlegt oder die Angaben macht. Es handelt sich um ein Sonderdelikt, dessen Begehung durch andere Personen nur gemäß § 14 möglich ist. 20 35 c) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz, einschließlich des bedingten Vorsatzes. 36 4. Zur Tätigen Reue vgl. § 265 b Abs. 2. 5. Konkurrenzen 37 Mit Betrug ist aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz möglich. 21

IV. Kapitalanlagebetrug, § 264 a 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechtsgut 38 Mit dem Tatbestand des Kapitalanlagebetruges wollte der Gesetzgeber auf dem Gebiete der Kapitalanlagen den nach seiner Auffassung durch das zuvor geltende Recht nicht ausreichend gewährten, jedoch dringend notwendigen Strafrechtsschutz bieten. Er machte die Strafbarkeit nicht vom Eintritt eines Vermögensschadens abhängig, und die Tathandlung muß nicht notwendig auf eine Vermögensschädigung im Sinne des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs abzielen. Auch Verhaltensweisen, die auf Vorspiegelung von Gewinnen gerichtet sind, fallen unter den Tatbestand, d.h. dieser erfaßt Verhaltensweisen, die auf Vermögensschädigung, aber auch zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichtet sind. Es handelt sich bei dem Tatbestand daher um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das das Vertrauen der Allgemeinheit in das Funktionieren des Kapitalmarktes schützen soll,22 39 Dem auf Vermögensschädigung und zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichteten Tatverhalten kommt die Bedeutung eines Strafwürdigkeitselementes zu, daher bietet der Tatbestand sekundär auch individuellen Vermögensschutz, und zwar in umfassendem Sinne und nicht nur in dem durch den wirtschaftlichen Vermögensbegriff umrissenen. 23 1 9

S o a u c h L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 5 b R d n . 6 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 2 6 5 b R d n . 4 7 . - A . A . TIEDEMANN L K ,

§ 265 b Rdn. 95. 20

Dazu vgl. TIEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 96.

21

Vgl. dazu BERZ BB 1976 S. 1435 ff; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 242 f; OTTO Jura 1983 S. 23; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 b R d n . 1 1 5 . - A . A . B G H S t 3 6 S . 1 3 0 m i t A n m . KINDHÄUSER J R 1 9 9 0 S . 5 2 0 f f ;

GÜNTHER SK II, § 265 b Rdn. 28; HEINZ GA 1977 S. 226: § 265 b ist subsidiär gegenüber § 263. 22

Vgl. auch BT-Drucks. 10/318, S. 22; CERNY MDR 1987 S. 272; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S . 2 0 4 f f ; G R A N D E R A T H D B 1 9 8 6 , B e i l a g e 18, S . 6 ; JAATH D ü n n e b i e r - F S , S . 6 0 7 ; K N A U T H N J W

1987

S . 2 8 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 4 a R d n . 1; M Ö H R E N S C H L A G E R w i s t r a 1 9 8 2 S . 2 0 5 ; O T T O W M 1 9 8 8 S . 7 3 6 ; TIEDEMANN J Z 1 9 8 6 S. 8 7 2 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 6 4 a R d n . 4 ; WEBER N S t Z 1 9 8 6 S. 4 8 6 . - A . A . V e r m ö g e n s s c h u t z : JOECKS w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 4 3 f ; G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 3 R d n . 6 9 ; G Ü N T H E R S K II, § 2 6 4 a

Rdn. 7; SCHLOCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 156; WORMS Anlegerschutz duith Strafrecht, 1987, S. 312 ff. 23

292

Schutz des Vertrauens in den Kapitalmarkt und Vermögensschutz sehen als gleichwertige Rechtsgüter

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

2. Der sachliche Anwendungsbereich In § 264 a hat der Gesetzgeber nicht die unrichtige oder auf Täuschung beruhende Anla- 40 geberatung schlechthin unter Strafe gestellt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist vielmehr begrenzt auf Wertpapiere, Bezugsrechte und Anteile, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, § 264 a Abs. 1 Nr. 1, sowie auf Anteile an einem Vermögen, daß ein Unternehmen im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung verwaltet, § 264 a Abs. 2. a) Als Anteil, der eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren soll, 41 ist jede Form der Beteiligung an einem Unternehmen zu verstehen, bei der der Anleger entweder selbst einen Gesellschaftsanteil an dem Unternehmen erwirbt oder in eine sonstige - unmittelbare - Rechtsbeziehung zu dem Unternehmen tritt, die ihm eine Beteiligung an dem Ergebnis dieses Unternehmens verschafft, z.B. Anteile an Kapitalgesellschaften, Gesellschaftsanteile an Personengesellschaften, Beteiligungen als stiller Gesellschafter oder in Form eines partiarischen Darlehens. - Oftmals wird der Tatbestand zugleich in der Alternative des Erwerbs von Wertpapieren verwirklicht sein, da insoweit Überschneidungen möglich sind. 24 Nicht anwendbar ist § 264 a hingegen auf sog. Bauherrn-, Bauträger- und Erwerbermodelle, soweit diese auf die Verschaffung von individuellem Wohnungseigentum abzielen. Sie gewähren keine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens, und zwar selbst dann nicht, wenn man die neben dem Sondereigentum an der Wohnung entstehende Miteigentümergemeinschaft an den übrigen Gebäudeteilen und dem Grundstück in die Betrachtung miteinbezieht. Hier handelt es sich, genau wie bei sog. Mietpools, um Verwaltungs- bzw. Risikogemeinschaften, die neben dem eigentlichen Anlagezweck bestehen und ihn unterstützen, das Anlageobjekt selbst aber nicht berühren.2^

42

b) Wertpapiere sind Urkunden, die ein Recht in der Weise verbriefen, daß es ohne die 43 Urkunde nicht geltend gemacht werden kann. 2 6 In Betracht kommen Aktien, Industrieobligationen, öffentliche Anleihen, Pfandbriefe, Investmentzertifikate u.ä. c) Bezugsrechte sind den Anteilen und Wertpapieren gleichgestellt, da sie, auch wenn sie 44 nicht verbrieft sind - z.B. als Recht der Aktionäre einer AG oder einer KGaA bei einer Kapitalerhöhung einen ihrem Anteil an dem bisherigen Grundkapital entsprechenden Teil neuer Aktien zugeteilt zu bekommen -, diesen in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung durchaus entsprechen können. d) § 264 a Abs. 2 erstreckt die Strafbarkeit auf Treuhandbeteiligungen in Form der 45 "echten" Treuhand, d.h. auf Anteile an einem Treuhandvermögen, das ein Unternehmen im eigenen Namen für Rechnung der Anleger verwaltet. In Betracht kommen Treuhandbeteiligungen an Abschreibungsgesellschaften, wenn anstelle des Anlegers der Treuhänder Gesellschafter wird, an Reedereien, Immobilienfonds und sonstigen Fonds. 2 7 an: BGH (Z) wistra 1992 S. 214; MARTIN Criminal Securities Commodities Fraud, 1993, S. 172 f; MUTTER NStZ 1991 S.422. 24

Im einzelnen dazu OTTO WM 1988 S. 737 m.w.N.

25

Vgl. auch GÖSSEL B.T. 2, § 23 Rdn. 75; GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 6; JOECKS wistra 1986 S . 1 4 4 ; KALIGIN W P g 1 9 8 7 S . 3 5 7 ; MUTTER N S t Z 1 9 9 1 S . 4 2 2 ; O T T O W M

1 9 8 8 S. 7 3 7 ; T i e d e m a n n

LK, § 264 a Rdn. 29; WORMS Anlegerschutz, S. 318; DERS. wistra 1987 S. 246. - A.A. RICHTER wistra 1987 S. 118; SCHMIDT-LADEMANN WM 1986 S. 1242; beim Mietpool: FLANDERKA/HEYDEL wistra 1 9 9 0 S. 2 5 6 ff. 26 2 7

Zum Teil enger, zum Teil weiter: TIEDEMANN LK, § 264 a Rdn. 22. V g l . B T - D r u c k s . 1 0 / 3 1 8 , S . 2 2 f; JOECKS w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 4 4 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 4 a R d n . 4 ; M Ö H R E N SCHLAGER w i s t r a 1 9 8 2 S . 2 0 6 ; O T T O W M

1 9 8 8 S. 7 3 7 ; T i e d e m a n n L K , § 2 6 4 a R d n . 3 0 f; W O R M S

Anlegerschutz, S. 320 f.

293

§61

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

3. Die Tathandlung 46 Die Tathandlung besteht in der Täuschung der präsumtiven Anleger durch unrichtige vorteilhafte Angaben oder durch Verschweigen nachteiliger Tatsachen, die für die Anlageentscheidung erheblich sind. a) Unrichtige vorteilhafte Angaben 47 Der Begriff der Angabe entspricht dem der Tatsache; dazu vgl. § 51 Rdn. 9. Auch Bewertungen und Prognosen fallen daher unter den Begriff der Angaben, soweit sie nicht erkennbar als bloße Meinungsäußerung oder Werturteil ohne jeglichen Tatsachenkern abgegeben werden. Unrichtig ist die Angabe, wenn sie nicht der Wahrheit entspricht, d.h. "wenn mit ihr nicht vorhandene Umstände als vorhanden oder vorhandene Umstände als nicht vorhanden bezeichnet werden". 28 48

Werturteile, Prognosen, Schätzungen und Beurteilungen sind allerdings nur dann als unrichtig anzusehen, wenn die Angaben evident unrichtig sind derart, daß nach einheitlichem Konsens der einschlägigen Fachleute die vorgelegten Schlußfolgerungen oder Beurteilungen unvertretbar sind. Sind z.B. bei Renditeberechnungen verschiedene Methoden anerkannt, so kann nicht eine als die allein richtige angesehen werden. Der Rahmen der Vertretbarkeit ist hier vielmehr auch für die Richtigkeit maßgebend. 2 ^

49 Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie geeignet sind, die konkreten Aussichten für eine positive Anlageentscheidung zu verbessern. b) Verschweigen nachteiliger Tatsachen 50 Das Verschweigen nachteiliger Tatsachen liegt in der Unterdrückung von Tatsachen, deren Kenntnis geeignet wäre, den eventuellen Interessenten von der Entscheidung für die Anlage abzuhalten. § 264 a begründet die Pflicht, nachteilige Tatsachen zu offenbaren. In dieser Alternative handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt.

c) Die Erheblichkeit der unrichtigen vorteilhaften Angaben oder der verschwiegenen nachteiligen Tatsachen 51 Nur dann sind die Angaben oder Tatsachen tatbestandsmäßig, wenn sie sich auf Umstände beziehen, die für die Anlageentscheidung erheblich sind. Aufgrund der Schutzrichtung des § 264 a, den Kapitalanleger vor vermögensschädigenden und auf zweckverfehlten Mitteleinsatz abzielenden Angeboten zu schützen, sind erheblich solche Angaben und Tatsachen, die nötig sind, um Wert, Chancen und Risiken der Kapitalanlage zutreffend zu beschreiben. Als Maßstab bietet sich hier die Entscheidung eines verständigen durchschnittlich vorsichtigen Anlegers an. 30 52 Unrichtige Angaben, soweit es sich nicht um Bagatellunrichtigkeiten oder entscheidungsirrelevante Angaben handelt, werden im Regelfall erheblich sein, da gerade die Unrichtigkeit der Angabe die Anlageentscheidung beeinflussen soll. Schwieriger stellt sich die Beurteilung beim Verschweigen von Tatsachen dar, da hier eine Ge-

28

BT-Drucks. 10/318, S. 24.

29

Dazu vgl. auch RGSt 49 S. 363; GROTHERR DB 1986 S. 2586; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 5 4 ; WORMS A n l e g e r s c h u t z , S . 3 2 6 .

30

Vgl. dazu auch BT-Drucks. 10/318, S. 24; BGHSt 30 S. 285; GÖSSEL B.T. 2, § 23 Rdn. 77; GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 7; JOECKS Der Kapitalanlagebetrug, 1987, Tz. 59, 129; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 4 9 .

294

W i r t s c h a f t s d e l i k t e i m Strafgesetzbuch

§61

samtwürdigung der Umstände der Aussage, insbes. ein Vergleich der gemachten Angaben im Verhältnis zur Risiko- und Chancenlage der Anlage nötig wird. Auch hier sind die Anforderungen an die Erheblichkeit der Tatsachen jedoch hin- 53 reichend bestimmt, wenn streng darauf gesehen wird, daß es sich bei den verschwiegenen Tatsachen um Angaben handeln muß, die Wert, Chancen oder Risiken der Kapitalanlage berühren, so daß durch ihr Verschweigen die Gefahr der Vermögensschädigung oder des zweckverfehlten Mitteleinsatzes begründet wird. 31 4. Tatmodalitäten a) Die Täuschung muß im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Anteilen im Sinne des 54 Abs. 1 Nr. 1 oder dem Angebot, die Einlage auf diese Anteile zu erhöhen, Abs. 1 Nr. 2, gegenüber einem größeren Kreis von Personen erfolgen. Vertrieb ist eine auf Absatz einer Vielzahl von Anteilen gerichtete Tätigkeit, die sich an 55 den Markt wendet und zu dessen Täuschung führen kann, so z.B. Werbe- und Angebotsaktionen, nicht aber allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen. 32 Daß individuelle Angebote, insbes. also individuelle Anlageberatungen, nicht erfaßt 56 werden, ergibt sich aus dem weiteren Erfordernis, daß die Tathandlung gegenüber einem größeren Kreis von Personen vorgenommen wird, d.h. gegenüber einer solch großen Zahl potentieller Anleger, daß deren Individualität gegenüber dem sie zu einem Kreis verbindenden potentiell gleichen Interesse an der Kapitalanlage zurücktritt. 33 Auch eine sukzessive, planmäßig an eine Vielzahl von Personen gerichtete Werbung, z.B. die systematische Werbung von Tür zu Tür, erfüllt den Tatbestand. 3 4

Das Angebot, die Einlage zu erhöhen, betrifft nur Personen, die schon Anteile im Sinne des § 264 a Abs. 1 Nr. 1 erworben haben. Tatbestandsmäßig ist auch hier nur eine neue Kapitalsammeimaßnahme, nicht aber ein individuelles Angebot. Mit dem Erfordernis des Zusammenhangs mit dem Vertrieb wird klargestellt, daß die Täuschungshandlung im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer bestimmten Vertriebsmaßnahme stehen muß, so daß allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen, insbes. die Informationstätigkeit von Wirtschaftsjournalisten, nicht ausreichen. b) Beschränkt ist die Tathandlung weiter auf Angaben in Prospekten oder in DarStellungen oder Übersichten über den Vermögensstand. Prospekte sind Werbe- oder Informationsschriften, die den Eindruck erwecken, die für die Beurteilung einer Anlageentscheidung erheblichen Angaben zu enthalten und die damit zugleich Grundlage für die Anlageentscheidung sein sollen. Erkennbar lückenhafte Informationen, wie z.B. Werbezettel oder Inserate, genügen diesen Anforderungen nicht. J1

Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 213 ff; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 13; TIEDEMANN J Z 1 9 8 6 S . 8 7 3 ; DERS. L K , § 2 6 4 a R d n . 4 7 f f ; WORMS w i s t r a

1987

S. 273. - Krit. WEBER NStZ 1986 S. 485. - Zur indiziellen Bedeutung der im Zivilrecht entwickelten Grundsätze der Prospekthaftung und der sog. Kapitalanlage-Checklisten vgl. BT-Drucks. 10/5058, S. 3 1 ; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 2 2 8 f; GROTHERR D B 1 9 8 6 S. 2 5 8 8 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 4 a R d n . 3 7 ; JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 143 f f , 169 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 13; OTTO W M

1988 S. 738; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 139 f; WORMS wistra 1987 S. 273. - Krit. GALLANDI wistra 1987 S. 316 ff. 32

Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 24.

33

Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 23.

3 4

V g l . LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 11; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a R d n . 3 3 ; TRÖNDLE S t G B , § 2 6 4 a

Rdn. 13.

295

57 58

59 60

§61

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Darstellungen sind Informationen, die den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. Sie können mündlich oder schriftlich, durch Ton- oder Bildträger gegeben werden. Übersichten über den Vermögensstand sind Vermögensübersichten, z.B. Bilanzen, die schriftlich gegeben werden und den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. 5. Subjektiver Tatbestand 61 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der neben der Tathandlung auch die Modalitäten der Tathandlungen umfassen muß; bedingter Vorsatz genügt. 6. Täterschaft und Teilnahme 62 Da es sich bei § 264 a nicht um ein Sonderdelikt handelt, kann Täter jeder sein, der die Tathandlung verwirklicht. Das bedeutet aufgrund der unterschiedlichen Tatmodalitäten: 63 a) Bei der Täuschung durch Prospekte sind Täter die Personen, die für den Prospektinhalt verantwortlich sind, weil sie an der Konzeption mitgewirkt haben oder weil sie als Verantwortliche für die Richtigkeit des Prospekts auftreten. Dieses können nicht nur die Emittenten, sondern auch Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sein, während Anlageberater und Anlagevermittler, die sich erkennbar der Prospekte anderer, die für den Inhalt verantwortlich sind, bedienen, nur als Teilnehmer in Betracht kommen. 3 5 64 b) Bei der Täuschung durch Darstellungen und Übersichten sind gleichfalls Täter die für den Inhalt dieses Informationsmaterials verantwortlichen Personen. Hier kommt jedoch auch eine täterschaftliche Haftung von Anlageberatern und Anlagevermittlern in Betracht, wenn diese sich dieser Darstellung und Übersichten bedienen, ohne deutlich erkennbar zu machen, daß sie lediglich Informationen, für deren Inhalt andere verantwortlich sind, weitergeben. 7. Tätige Reue, § 264 a Abs. 3 65 Der modernen Gesetzestechnik bei den abstrakten Gefährdungsdelikten folgend, sieht § 264 a Abs. 3 für den Täter nach formeller Tatverwirklichung, aber vor materieller Tatbeendigung eine strafbefreiende Rücktrittsmöglichkeit vor. 66 Straffreiheit erlangt der Täter, der nach formeller Vollendung der Tat, aber vor Erbringung der Leistung entweder die Leistung freiwillig verhindert oder sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemüht, falls die Leistung ohne sein Zutun nicht erbracht wird. - Straffrei wird der Täter allerdings auch dann, wenn der Anleger die Leistung erbringt, obwohl er vorher vom Täter über den unrichtigen Sachverhalt aufgeklärt worden ist. Ist jedoch im Zeitpunkt der Rücktrittshandlung ein Betrug, § 263, bereits als Eingehungsbetrug vollendet, so erstreckt sich die Straffreiheit nicht auf ihn. 3 6 8. Konkurrenzen 67 Aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter konkurrieren §§ 263, 266 sowie § 264 a idealiter, § 52. 3 7 Idealkonkurrenz ist weiter möglich mit §§ 88, 89 BörsG. 3 8

35

Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 213; SCHMIDT-LADEMANN W M 1986 S. 1242 f. - A.A. GÖSSEL B . T . 2, § 2 3 R d n . 8 7 ; JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 2 2 0 ; TLEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 7 5 ;

WORMS wistra 1987 S. 274. 36

Vgl. auch LACKNER/KUHL § 2 6 4 a Rdn. 16; RICHTER wistra 1987 S. 120, Fn. 47; WORMS wistra 1987 S. 2 7 5 . - A . A . JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 2 6 6 ; TLEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 7 1 .

37

Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 231 f; KALIGIN W P g 1987 S. 364, RICHTER wistra 1987 S. 120; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a R d n . 4 1 . - A . A . ( S u b s i d i a r i t ä t d e s § 2 6 4 a): LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a

296

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

Gegenüber § 4 UWG ist § 264 a die lex specialis. 39

V. Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 1, 3 1. Das geschützte Rechtsgut Die Tatbestände schützen das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten an der 68 Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung. 2. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 1, 4 a) Die Täterposition Täter kann nur der Arbeitgeber oder eine ihm gleichgestellte Person sein. Die Täterposi- 69 tion ist kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1; vgl. dazu § 54 Rdn. 57. Da § 266 a Abs. 1 an die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers an- 70 knüpft, ist der Begriff des Arbeitgebers hier nach den im Sozialrecht geltenden Grundsätzen zu bestimmen. Danach sind neben dem zivilrechtlichen Arbeitgeber - dazu vgl. § 54 Rdn. 59 - auch die Personen als Arbeitgeber erfaßt, die die tatsächliche Stellung des Arbeitgebers einnehmen, sich aber z.B. eines Strohmannes bedienen 4 0 oder als Verleiher oder Entleiher beim illegalen Verleih von Arbeitnehmern tätig werden. - Täter können weiter die in § 14 genannten Vertreter und Organe sein. - Die nach Abs. 4 dem Arbeitgeber gleichgestellten Personen sind in § 12 SGB IV näher beschrieben. b) Die Tathandlung Beiträge des Arbeitnehmers sind die nach dem Arbeitsentgelt gemäß § 14 SGB IV zu be- 71 rechnenden, auf ihn entfallenden Beitragsteile, die aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für die Sozialversicherung (Kranken- und Rentenversicherung) und für die Bundesanstalt für Arbeit zu entrichten sind. Sie sind Bestandteile des Bruttolohns, auch wenn sich der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer zur alleinigen Tragung der Beiträge verpflichtet hat oder wenn die Beteiligten vereinbart haben, keine Sozialbeiträge abzuführen (sog. Nettolohnabrede) 41 . Stets muß es sich aber um Beiträge handeln, die der Arbeitnehmer selbst entrichten müßte, hätte das Gesetz die Abführungsaufgabe nicht dem Arbeitgeber auferlegt, d. h. um Mittel, die materiell dem Arbeitnehmer zuzurechnen sind. Die mit einer teilweisen oder vollständig unterlassenen Lohnzahlung verbundene Nichtabführung reicht daher nicht aus. 4 2 Rdn. 17; TRÖNDLE StGB, § 264 a Rdn. 3, sowie diejenigen, die bei § 264 a allein das Vermögen als geschütztes Rechtsgut ansehen. 38

Vgl. LACKNER/KÜHL § 264 a Rdn. 7. - A.A. (Subsidiarität des § 88): SCH/SCH/CRAMER § 264 a Rdn. 41; TRÖNDLE StGB, § 264 a Rdn. 18.

39

Vgl. dazu OTTO W M 1988 S. 739, RICHTER wistra 1987 S. 120. - A.A. (Idealkonkurrenz): JOECKS Kapitalanlagebetrug, Tz. 269; LACKNER/KÜHL § 264 a Rdn. 7; WORMS wistra 1987 S. 275.

40

Dazu B G H G A 1955 S. 81.

41

Vgl. O L G Köln wistra 1997 S. 231.

4 2

V g l . a u c h BENTE w i s t r a 1992 S. 177 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 8; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 a

Rdn. 9. - A.A. KG NStZ 1991 S. 287; OLG Celle JR 1997 S. 478 mit abl. Anm. GRIBBOHM S. 479 ff; MARTENS wistra 1986 S. 156; MLTSCHJZ 1994 S. 888; TAG Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung sowie das Veruntreuen von Arbeitsentgelt, 1994 S. 105 ff; TRÖNDLE StGB, § 266 a Rdn. 11.

297

§61

Dritter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter der Gesamtheit

Nicht erfaßt werden die in den Beiträgen enthaltenen Arbeitgeberbeiträge, und zwar auch dann nicht, wenn das Gesetz die Arbeitnehmeranteile auf den Arbeitgeber abgewälzt hat; vgl. z.B. § 381 Abs. 1 RVO. 4 3 72 Vorenthalten sind die Beiträge, wenn sie nicht spätestens am Fälligkeitstage an die Einzugsstelle abgeführt worden sind; zum Fälligkeitszeitpunkt vgl. § 23 I SGB IV. Die Absicht, die Beiträge auf Dauer zu behalten, ist nicht erforderlich. 44 - Vorausgesetzt wird, daß dem Täter die Zahlung möglich und zumutbar ist, doch werden ihm solche Verhaltensweisen zugerechnet, mit denen er seine Handlungspflicht schuldhaft unmöglich oder ihre Erfüllung unzumutbar gemacht hat, da er hinsichtlich dieser Gelder als Treuhänder seiner Arbeitnehmer angesehen wird, der in seiner Verfügungsbefugnis beschränkt ist. 4 5 3. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 3 a) Die Täterposition 73 Täter kann nur ein Mitglied einer Ersatzkasse sein, d.h. eine Person, die von der Mitgliedschaft einer Pflichtkrankenkasse befreit und nach § 504 ff RVO in eine Ersatzkasse aufgenommen worden ist. b) Die Tathandlung 74 Zu den relevanten Beiträgen und zum Vorenthalten, vgl. Rdn. 71 ff. Die Beiträge sind vom Arbeitgeber erhalten, wenn sie von diesem oder auf dessen Veranlassung unter Kennzeichnung ihrer Zweckbestimmung dem Vermögen des Täters zugeführt worden sind. 4. Der subjektive

Tatbestand

75 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt; dazu vgl. § 54 Rdn. 63. 5. Absehen von Strafe und Straffreiheit, Abs. 5 a) Absehen von Strafe 76 Abs. 5 S. 1 eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn der Täter rechtzeitig - spätestens im Fälligkeitszeitpunkt oder unverzüglich danach, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden - schriftlich mitteilt, in welcher Höhe er Beiträge vorenthalten hat, und welche Gründe zur Unmöglichkeit der fristgerechten Zahlung geführt haben, obwohl er sich ernsthaft um die Zahlung bemüht hat. - Diese Voraussetzungen können nicht wörtlich genommen werden, da die Unmöglichkeit fristgerechter Zahlung ein tatbestandsmäßiges Verhalten ausschließt. Sie müssen daher als erfüllt angesehen werden, wenn das Vorbringen des Täters die Nichtzahlung aufgrund von Bemühungen, den Betrieb zu retten o.ä. verständlich macht. 4 6

4 3

D a z u v g l . a u c h B G H S t V 1 9 9 4 S . 4 2 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 7 ; MARTENS w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 5 7 ;

4 4

BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 1066 f.

SCHLÜCHTERZweites Gesetz, S. 168.

4 5

S o a u c h B G H ( Z ) N J W 1 9 9 7 S . 1 3 3 ; B G H Z 1 3 4 S. 3 0 4 m i t A n m . FRISTER JR 1 9 9 8 S . 6 3 f f , HELLMANN J Z 1 9 9 7 S . 1 0 0 5 f f ; O L G K ö l n w i s t r a 1 9 9 7 S . 2 3 1 f; SCH/SCH/ LENCKNER § 2 6 6 a R d n . 10; TAG V o r -

enthalten, S. 124 ff. - A.A. OLG Celle wistra 1996 S. 114; OLG Düsseldorf NJW-RR 1993 S. 1449; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 3 0 f f ; LÜKE/MULANSKY Z I P 1 9 9 8 S . 6 7 5 f f . 4 6

298

V g l . B T - D r u c k s . 1 0 / 3 1 8 , S . 3 1 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 3 8 f f ; WINKELBAUER w i s t r a 1 9 8 8 S . 17.

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

b) Straffreiheit Straffreiheit tritt über Abs. 5 S. 1 hinaus zwingend ein, wenn nach Erfüllung der Vor- 77 aussetzungen des S. 1 die Beiträge innerhalb einer von der Einzugsstelle gesetzten Frist nachentrichtet werden, Abs. 5 S. 2. - Solange die Frist läuft, ist die staatliche Strafbefugnis auflösend bedingt. 47 6.

Konkurrenzen

Wenn die Tathandlung auch den Tatbestand des Betrugs erfüllt, ist - je nach den Tat- 78 umständen - Real- oder Idealkonkurrenz möglich, da die beiden Tatbestände verschiedene Rechtsgüter schützen. 48

VI. Insolvenzdelikte, §§ 283 - 283 d Mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1.1.1999 werden die Konkursstraftaten in Insolvenzstraftaten 7 9 umbenannt, an Stelle der Konkurseröffnung tritt die Eröffnung des Involvenzverfahrens, die Konkursmasse wird zur Insolvenzmasse und das Konkursverfahren zum Insolvenzverfahren. Insoweit handelt es sich nur um Änderungen begrifflicher Art. Sachlich nimmt die InsO jedoch auch Einfluß auf die strafrechtlichen Regelungen, weil das Insolvenzverfahren schneller und leichter zu eröffnen ist als das bisherige Konkursverfahren. 4 "

Geschützte Rechtsgüter der Insolvenzdelikte sind die Vermögensinteressen der Gläubiger 80 und die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft,50 Die Taten sind abstrakte Gefährdungsdelikte. Wird hingegen nicht die Tathandlung, 81 sondern die Tatsituation zum Ausgangspunkt der Bestimmung des Delikts genommen, so ist die Kennzeichnung der Delikte als abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte durchaus konsequent. 51 1. Bankrott, § 283 a) Angriffsobjekt und Tatzeit Angriffsobjekt ist der Anspruch des Gläubigers auf adäquate, d.h. der Rangordnung und 82 Mehrheit der Gläubiger entsprechende Befriedigung. - Strafbar sind einzelne Bankrotthandlungen, wenn sie im Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Krise vorgenommen werden und - objektive Bedingung der Strafbarkeit - der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist. Krisensituationen sind die Überschuldung, die drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit. aa) Die Feststellung der Überschuldung

setzt die Erstellung eines Vermögensstatus vor- 83

47

Vgl. BGHSt7S. 341.

48

Vgl. auch: SCHLUCHTER Zweites Gesetz, S. 171; TRÖNDLE StGB, § 266 a Rdn. 23. - A.A. (Konsumtion d e s § 2 6 6 a d u r c h § 2 6 3 ) : GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 5 8 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 2 0 ;

MARTENS wistra 1986 S. 158. 49 5 0

Vgl. dazu BT-Drucks. 12/2443, S. 84; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 10, 88. V g l . D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S . 3 5 7 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 1; TIEDEMANN Z R P 1 9 8 3

S. 520; TRÖNDLE StGB, Vor § 283 Rdn. 3. - A.A. (ausschließlich Vermögensinteressen): GÖSSEL B.T. 2, § 2 8 R d n . 2 ; KINDHÄUSER N K , V o r § § 2 8 3 - 2 8 3 d R d n . 2 0 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 8 Rdn. 8. 51

Dazu TIEDEMANN NJW 1977 S. 780 f.

299

§61

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

aus, der auf der Aktiv- und Passivseite die wirklichen Werte zeitnah erfaßt. Überschuldung liegt - schlagwortartig gekennzeichnet - dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, d.h. wenn die Passiva gegenüber den Aktiva überwiegen. 84 Diese knappe Definition ist jedoch unzureichend, um die Bestimmung der Überschuldung eindeutig zu ermöglichen. - Die strafrechtliche Literatur geht z.T. von einer statischen Ermittlung der Überschuldung aus, wobei streitig ist, ob die sog. Liquidationswerte maßgeblich sind 5 2 oder die sog. Betriebsfortführungswerte, d. h. die anhand einer Fortbestehungsprognose unter Berücksichtigung der Ertrags- und Lebensfähigkeit der Gesellschaft korrigierten Liquidationswerte, so daß erst dann eine Überschuldung vorliegt, wenn auch mit Ansatz dieser going-concern-Werte die Überschuldung nicht beseitigt ist. 53 Beide Ansätze führen jedoch an den Problemen der Insolvenz vorbei. Bei Zugrundelegung der echten Liquidationswerte wäre ein großer Teil der Unternehmen überschuldet, während realistische Fortführungswerte allein dann festzustellen sind, wenn ein Unternehmensverkauf durchführbar ist. Gerade diese Möglichkeit fehlt im Insolvenzfall regelmäßig. 85 Der BGH in Zivilsachen hat sich inzwischen zu dem im wirtschaftsrechtlichen Schrifttum herrschenden modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff bekannt. Danach liegt eine Überschuldung nur vor, wenn das Vermögen bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft des Unternehmens nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (Überlebens- oder Fortbeste" hungsprognose). 54 86 Diese Auffassung überzeugt, denn sie verhindert, daß leistungsfähige Unternehmen sinnlos zerschlagen werden. Auf diesem Wege läßt sich allerdings nur die Überschuldung eines Unternehmens im weitesten Sinne feststellen. Das ist auch sachgerecht, denn bei natürlichen Personen bedeutet die rechnerisch feststellbare Überschuldung im Regelfall keineswegs eine Gefährdung der Gläubigerinteressen. Die verfassungskonforme Auslegung gebietet daher, Überschuldung nur in den Fällen als Krisensituation anzuerkennen, in denen sie auch Eröffnungsgrund nach dem Insolvenzrecht ist. 55 - Angesichts der Tatsache, daß rd. 1,6 Millionen Haushalte in Deutschland überschuldet sind, führt die Gegenansicht zu einer nicht mehr angemessenen Ausdehnung der Strafbarkeit, die jedoch von der Praxis - mit Recht - nicht zur Kenntnis genommen wird. 87 bb) Zahlungsunfähigkeit wird definiert als das nach außen in Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des

5 2

V g l . FRANZHEIM N J W 1 9 8 0 S . 2 5 0 1 ; DERS. w i s t r a 1 9 8 4 S . 2 1 2 ; KINDHÄUSER N K , V o r § § 2 8 3 - 2 8 3 d

Rdn. 95. - Differenzierend: MÜLLER/WABNITZ Wirtschaftskriminalität, 4. Aufl. 1997, S. 163 f. 5 3

S o RICHTER G m b H R

1 9 8 4 S. 1 4 0 ; SCHLÜCHTER w i s t r a 1 9 8 4 S . 4 3 ; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n .

154 ff. 54

Vgl. BGHZ 119 S. 201, 213 f m. e. N. zum wirtschaftsrechtlichen Schrifttum; BGHZ 129 S. 136. Grundlegend K. SCHMIDT ZIP 1980 S. 233 ff; DERS. JZ 1982 S. 165 ff. - Zum Strafrecht: OLG München NJW 1994 S. 3112, 3114; BLENECK in: Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. § 6 3 Rdn. 19 ff; RANSIEK Unternehmensstrafrecht, 1996, S. 153. - Krit. Zum Überschuldungsstatbestand Uberhaupt: FENSKE AG 1997 S. 555 ff.

55

Eingehend dazu OTTO Bruns-GedS, S. 273 ff. - A.A. LACKNER/KÜHL § 283 Rdn. 6; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 147.

300

Wirtschaftsdelikte i m Strafgesetzbuch

§61

Täters, seine fälligen Geldschulden im wesentlichen zu erfüllen. 56 , 57 cc) Zahlungsunfähigkeit droht, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Wahr- 88 scheinlichkeit ihres nahen Eintritts besteht. 58 b) Täter Täter des Bankrotts können nur Schuldner sein. Die Schuldnereigenschaft ist besonderes 89 pflichtbegründendes Merkmal i.S. des § 28 Abs. I. 5 9 Die Schuldnereigenschaft ist zugleich besonders persönliches Merkmal i.S. des § 14, 90 mit der Konsequenz, daß auch die dort genannten Organe und Vertreter Täter sein können. Bei den vertretungsberechtigten Organen der GmbH, d.h. bei ihren Geschäftsführern, schränkt der B G H den Täterkreis j e d o c h wesentlich ein. Er vertritt die Auffassung, daß als Täter g e m ä ß § 2 8 3 nur bestraft werden kann, wer die Tathandlung für die G m b H und wenigstens auch in ihrem Interesse vorgenommen hat. Bei einem ausschließlich eigennützigen Verhalten des Täters ist dies nicht der Fall. 6 ® D i e s e Interessentheorie ist in der Literatur vielfältig auf Kritik g e s t o ß e n . 6 ' - Auch der B G H hat ihre Berechtigung in einer neueren Entscheidung o f f e n g e l a s s e n 6 2 und zuvor bereits die Anwendung der Theorie auf den Geschäftsführer einer KG abgelehnt. 6 -' Dieser Kritik ist zuzustimmen, denn der Geschäftsführer der GmbH, der rechtswirksam über Vermögen der G m b H verfügt, handelt in seiner Eigenschaft als Organ der GmbH.

c) Die einzelnen Tathandlungen aa) Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1: Verringerung der Insolvenzmasse durch Beiseiteschaffen, Verheimlichen 91 oder entgegen den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft Zerstören, Beschädigen oder Unbrauchbarmachen von Vermögensbestandteilen, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören würden. 5 6

Vgl. dazu B G H StV 1987 S. 343; B G H wistra 1991 S. 26; BayObLG wistra 1988 S. 363; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 Rdn. 7; SCHLÜCHTER M D R 1978 S. 267; TIEDEMANN LK, Vor § 2 8 3 Rdn. 126 ff. Im einzelnen zum dauernden Unvermögen des Schuldners und zur wesentlichen Unterdeckung: OTTO Bruns-GedS, S. 2 7 7 f.

5 7

Nach den Gesetzesmaterialien - BT-Drucks. 12/2443, S. 114 - soll es auf eine "wesentliche Unterdekkung" nicht mehr ankommen. Nur bei ganz geringfügigen Liquiditätslücken soll die Zahlungsunfähigkeit ausscheiden. - Das ist sachwidrig, denn nur die Liquiditätslücke ist hier relevant, die Ausdruck einer Krise des Unternehmens ist, nicht aber jede Zahlungsschwierigkeit.

5 8

Dazu B G H bei Holtz, M D R 1990 S. 1067; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 Rdn. 8; OTTO Bruns-GedS, S. 2 7 8 ff; TRÖNDLE StGB, Vor § 2 8 3 Rdn. 11; WESSELS B.T./2 Rdn. 4 4 2 . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T. 1, § 4 8 Rdn. 13; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 129; WEBER in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 337: Überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit. - Zu den betriebswirtschaftlichen Methoden der hier nötigen Feststellung: BORUP wistra 1988 S. 88 ff; HOFFMANN D B 1980 S. 1527 f; SCHLÜCHTER Der Grenzbereich zwischen Bankrottdelikten und unternehmerischen Fehlentscheidungen, 1977, S. 8 0 ff. - Zu den Indizien für Zahlungsunfähigkeit: B G H wistra 1993 S. 184; LG Köln wistra 1992 S. 269.

5 9

Str., vgl. RENKL JUS 1973 S. 614; SAMSON SK II, § 2 8 3 Rdn. 28; TIEDEMANN LK, § 2 8 3 Rdn. 225; TRÖNDLE StGB, § 2 8 3 Rdn. 38. - A.A. GÖSSEL B.T. 2, § 28 Rdn. 16; JAKOBS Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1991, 23/24; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 Rdn. 25; VORMBAUM G A 1981 S. 133; WEBER in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 348.

6 0

B G H S t 2 8 S. 371; 3 0 S. 127; 3 4 S. 223; B G H N S t Z 1984 S. 119.

61

Vgl. ARLOTH N S t Z 1990 S. 5 7 2 ff; GÖSSEL JR 1988 S. 2 5 6 ff; KINDHÄUSER N K , Vor §§ 2 8 3 - 2 8 3 d Rdn. 5 2 ff; LABSCH JuS 1985 S. 6 0 2 ff; SCHÄFER wistra 1990 S. 85; TIEDEMANN LK, Vor § 2 8 3 Rdn. 7 8 ff.

6 2

B G H wistra 1990 S. 99.

6 3

Vgl. B G H StV 1988 S. 14 mit Anm. WEBER S. 16 ff, und WINKELBAUER JR 1988 S. 33 ff.

301

§61

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

92 Beiseiteschaffen ist das Verbringen von Vermögensbestandteilen in eine tatsächliche oder rechtliche Lage, in der den Gläubigern der Zugriff unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird, ohne daß dies im Rahmen der ordnungsgemäßen Wirtschaft liegt. Beispiele: Veräußerung, ohne daß der Masse Gegenwerte zufließen; Scheinveräußerung oder -belastung; Verbrauch von Summen, die über den angemessenen Lebensunterhalt hinausgehen (BGH JR 1982 S. 29 mit Anm. SCHLÜCHTER S. 29 ff); Überweisung von Geld auf Konten Dritter (BGH StV 1988 S. 14); Übertragen von Vermögenswerten auf anderes Unternehmen des Täters (OLG Frankfurt NStZ 1997 S. 551).

93 Verheimlichen ist das Verschleiern der Massezugehörigkeit. - Zum Zerstören und Beschädigen vgl. oben § 47 Rdn. 5 ff. Unbrauchbarmachen ist die Funktionsstörung oder Vernichtung ohne Substanzänderung. 94 Der Widerspruch zu den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist zeitlich aus einer ex-ante-Perspektive zu bestimmen, wobei maßgebliche Kriterien die wirtschaftlich vernünftige Zielsetzung, die sorgfältige Risikoabwägung und eine hinreichende Informationsgrundlage sind. 6 4 95 Abs. 1 Nr. 2: Das Eingehen bestimmter Risikogeschäfte. Verlustgeschäfte sind Geschäfte, die von vornherein auf einen Vermögensverlust angelegt sind. Spekulationsgeschäfte beziehen sich auf besonders hohe Risikochancen. - Differenzgeschäfte sind Geschäfte, bei denen es dem Täter um die Differenz zwischen dem An- und Verkaufspreis geht, nicht aber um den Erwerb der Ware (z. B. Warenterminoptionsgeschäfte). - Unwirtschaftliche Ausgaben sind Ausgaben des Schuldners, die zu seinem Gesamtvermögen in keinem angemessenen Verhältnis stehen. 65 96 Abs. 1 Nr. 3: Veräußerung und sonstiges Abgeben von Wertpapieren oder Waren sowie von den aus diesen Waren hergestellten Sachen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Kredits erlangt wurden, erheblich unter ihrem Wert in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise. 97 Abs. 1 Nr. 4: Vortäuschung oder Anerkennung erdichteter Rechte anderer. Abs. 1 Nr. 5: Verletzung der Pflicht, Handelsbücher in bestimmter Weise zu führen. Abs. 1 Nr. 6: Beiseiteschaffen, Verheimlichen, Zerstören und Beschädigen von Handelsbüchern und sonstigen Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann nach Handelsrecht verpflichtet ist. Abs. 1 Nr. 7: Erstellen falscher Bilanzen. Abs. 1 Nr. 8: In einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen Vermögensstand verringern oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlichen oder verschleiern, bb) Abs. 2 98 Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit über die in der Krise begangenen Handlungen auf jene Bankrotthandlungen aus, die erst die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, d.h. die Krise, herbeiführen. d) Subjektive Voraussetzungen 99 aa) Strafbar gemäß Abs. 1 und Abs. 2 ist zunächst die vorsätzliche Verwirklichung Tatbestandes. Der Vorsatz muß sich auch auf die Krisensituation beziehen.

des

64

Im einzelnen dazu KINDHÄUSER NK, Vor §§ 283 - 283 d Rdn. 71 ff; KRAUSE Ordnungsgemäßes Wirtschaften und erlaubtes Risiko, 1995, S. 367 ff; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 106 ff.

65

Dazu BT-Drucks. 7/3441, S. 34.

302

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

bb) Gemäß Abs. 4 ist strafbar, wer die Bankrotthandlung vorsätzlich begeht, das Vor- JQQ handensein der Krise jedoch fahrlässig nicht kennt oder die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit leichtfertig herbeiführt. cc) Gemäß Abs. 5 ist strafbar, wer bestimmte Bankrotthandlungen (Abs. 1 Nr. 2, 5, 7, 101 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2, 5, 7) fahrlässig begeht und das Vorhandensein der Krise wenigstens fahrlässig nicht kennt, bzw. die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit wenigstens leichtfertig herbeiführt. e) Strafbarkeitsvoraussetzung Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen Fällen der Eintritt der Zahlungs- 102 einstellung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens mangels Masse beim Schuldner. - Die systematische Auslegung des § 283 Abs. 6 ergibt, daß mit dem dort genannten Begriff "Täter" der "Schuldner" gemeint ist. 66 Zahlungseinstellung liegt vor, wenn ein Schuldner wegen eines wirklichen oder angeblichen nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nach außen nicht mehr in der Lage ist, den wesentlichen Teil seiner fälligen Geldzahlungen zu erfüllen. Wesentlichkeit ist bei 50 % der Nichtzahlungsquote anzunehmen. 67 Die Zahlungseinstellung muß nicht auf Zahlungsunfähigkeit beruhen, es genügt z. B. Zahlungsunwilligkeit. 68 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Abwägung des Antrags auf Eröffnung 103 (§§ 13, 26 InsO) erfolgt durch Beschluß des Amtsgerichts. Maßgebender Zeitpunkt ist der der Rechtskraft des Beschlusses. - Eröffnungsgründe sind die Zahlungsunfähigkeit ( § 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit, wenn der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt (§ 18 InsO), und die Überschuldung (§ 19 InsO). f) Zusammenhang zwischen Krisensituation und objektiver Bedingung der Strafbarkeit Auch wenn die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit nicht vom Vorsatz und von der 104 Fahrlässigkeit umfaßt sein müssen, so stehen sie doch nicht ohne inneren Zusammenhang zu den anderen Tatbestandsmerkmalen. - Die h.M. fordert eine "tatsächliche Beziehung" zwischen der Bankrotthandlung und dem Bankrott. Dieser Zusammenhang ist jedoch zu ungenau. Es kommt vielmehr darauf an, daß sich im Eintritt der Strafbarkeitsbedingung jene Gefahr realisiert hat, die in der Krisensituation ihren Ausdruck fand. 69 g) Versuch und Konkurrenzen Der Versuch ist nur in den Fällen der Verwirklichung der Absätze 1, 2 strafbar; Abs. 3. 105 Mehrere Bankrotthandlungen innerhalb einer Krise, die zum Bankrott geführt haben, sind als eine Handlungseinheit aufzufassen. Die Rechtsprechung neigt demgegenüber zur Tatmehrheit, soweit nicht die einzelnen Bankrotthandlungen selbst durch eine einheitliche Handlung begangen wurden. 70

6 6

V g l . KINDHÄUSER N K , V o r § § 2 8 3 - 2 8 3 d R d n . 4 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 2 6 ; TIEDEMANN N J W

6 7

V g l . BIENECK w i s t r a 1 9 9 2 S . 9 0 ; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n . 1 4 5 .

6 8

V g l . B G H G A 1 9 5 3 S . 7 3 ; BIENECK w i s t r a 1 9 9 2 S . 8 9 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 8 R d n . 12; LACKNER/KÜHL

1977 S. 780. - Kritisch LABSCH wistra 1985 S. 4.

§ 2 8 3 R d n . 2 7 ; TRÖNDLE S t G B , V o r § 2 8 3 R d n . 13. - A . A . BERZ B B 1 9 7 6 S . 1 4 4 0 ; TIEDEMANN L K ,

Vor § 2 8 3 Rdn. 1 3 4 . 69

Dazu eingehend OTTO Bruns-GedS, S. 281 ff; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 91 ff M.w.N. - A.A. BIENECK wistra 1992 S. 91; SCHÄFER wistra 1990 S. 86.

70

BGH GA 1 9 7 8 S. 1 8 5 ; BGH NJW 1 9 5 5 S. 3 9 4 .

303

§61

Dritter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter der G e s a m t h e i t

2. Besonders schwere Fälle des Bankrotts, § 283 a 106 § 283 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit zwei Regelbeispielen (Gewinnsucht und wirtschaftliche Gefährdung einer größeren Zahl von Personen). - Zur Gewinnsucht vgl. unten § 65 Rdn. 41. 5. Verletzung der Buchführungspflicht,

§ 283 b

107 a) § 283 b Abs. 1 Nr. 1-3 stellt die vorsätzliche, außerhalb der Krisenzeit (sonst greift § 283 Abs. 1 Nr. 5, 6, 7 ein) begangene Verletzung bestimmter handelsrechtlicher Buchführungspflichten unter Strafe. 108 b) Gemäß § 283 b Abs. 2 ist in den Fällen des § 283 b Abs. 1 Nr. 1 und 3 auch die fahrlässige Tatbegehung strafbar. 109 c) Auch hier sind die Zahlungseinstellung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Ablehnung des Antrags auf Eröffnung objektive Bedingungen der Strafbarkeit, vgl. Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6. Die Verletzung der Buchführungspflicht muß symptomatischen Gehalt hinsichtlich ihrer gefährlichen Eignung zur Herbeiführung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs haben. Auch hier besteht daher ein Zusammenhang zwischen der objektiven Bedingung der Strafbarkeit und der Tathandlung, der strafrechtlich dahin relevant wird, daß der Ausschluß eines jeden Zusammenhangs zwischen dem Buchführungsmangel und dem Untemehmenszusammenbruch zur Straffreiheit führen muß ' '

110 d) Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. oben Rdn. 89 f. 4. Die Gläubigerbegünstigung,

§ 283 c

111 a) Die Gläubigerbegünstigung ist ein privilegierter Fall des Bankrotts. - Bestraft wird der Schuldner, der in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit absichtlich oder wissentlich einen Gläubiger vor den übrigen Gläubigern begünstigt, indem er diesem aus seinem dem Konkurs unterliegenden Vermögen eine inkongruente Sicherung oder Befriedigung gewährt. Da das privilegierende Element in der Gläubigerstellung begründet ist, findet § 283 c und nicht § 283 Abs. 1 Nr. 1 Anwendung, wenn der für den Schuldner nach § 14 handelnde Täter selbst der Gläubiger ist. 7 2

112 b) Subjektiv erfordert der Tatbestand neben der sicheren Kenntnis der Zahlungseinstellung direkten Vorsatz in bezug auf den Begünstigungserfolg, während für die Tathandlung bereits bedingter Vorsatz genügt. 7 3 Handelt der Täter nur mit bedingtem Vorsatz bezüglich des Begünstigungserfolges, so bleibt er straffrei. Keineswegs ist in dieser Situation wiederum die Strafbarkeit aus dem Grundtatbestand des § 283 eröffnet, denn das verwirklichte Unrecht liegt im Schweregrad unter dem im privilegierten § 283 c erfaßten Unrecht.

113 c) Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. 114 d) Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist auch hier: Zahlungseinstellung, Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Ablehnung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6. 71

7 2

Vgl. BGHSt 28 S. 231; OLG Hamburg NJW 1987 S. 1342; TIEDEMANN LK, § 283 Rdn. 97 f. - A.A. BIENECK wistra 1992 S. 91; SCHÄFER wistra 1990 S. 87 f. V g l . H A R T W I G B e m m a n n - F S , S . 3 1 1 f f , 3 3 8 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 4 8 R d n . 3 7 . A . A . B G H S t 3 4 S . 2 2 1 m i t abl. A n m . WEBER S t V 1 9 8 8 S . 16 f f , WINKELBAUER J R

1988 S. 33 ff;

KINDHÄUSER N K , § 2 8 3 c R d n . 3 ; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 c R d n . 1 0 f ; T R Ö N D L E S t G B , § 2 8 3 c R d n . 4 ,

10. 7 3

V g l . a u c h G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 8 R d n . 6 1 ; SCH/SCH/STREE, § 2 8 3 c R d n . 16. - D i f f e r e n z i e r e n d : TRÖNDLE

StGB, § 283 c Rdn. 10; VORMBAUM GA 1981 S. 121 f.

304

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

Der Zusammenhang zwischen objektiver Bedingung der Strafbarkeit und Tathandlung liegt vor, wenn Objekte in der Krisensituation dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen entzogen wurden, aus der sich die objektive Bedingung der Strafbarkeit entwickelt hat. e) Durch bloße Annahme der Begünstigung macht sich der begünstigte Gläubiger nicht 115 wegen Beihilfe strafbar (notwendige Teilnahme). Strafbar ist jedoch die Anstiftung des Schuldners und die "rollenüberschreitende Beihilfe" zur Gläubigerbegünstigung. 74 5. Schuldnerbegünstigung,

§ 283 d

a) Nach § 283 d Abs. 1 wird bestraft, wer Vermögensbestandteile eines anderen, die zur 116 Masse gehören würden, mit dessen Einwilligung oder zu dessen Gunsten in einer bestimmten Krisenzeit beiseite schafft, verheimlicht oder in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht. Seinem Wortlaut nach eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, auch den Gläubiger wegen 117 Schuldnerbegünstigung zu bestrafen, der sich in einvernehmlichem Zusammenwirken mit dem Schuldner Vermögensgegenstände zur Absicherung seiner Forderung verschafft. Auch dieser Täter schafft "Bestandteile" des Vermögens eines anderen, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören, mit Einwilligung des Schuldners beiseite. Diese Auslegung würde jedoch dem Sinngehalt des § 283 d widersprechen. Die Vorschriften über die Insolvenzstraftaten begründen eine besondere strafrechtliche Verantwortlichkeit des Schuldners und der für ihn nach § 14 tätigen Personen. Zwischen ihm und den Insolvenzgläubigern besteht eine scharfe Trennung. Daher wäre es ein Widerspruch, wenn das Gesetz einen NichtSchuldner mit der hohen Strafdrohung der §§ 283 Abs. 1 Nr. 1, 283 d Abs. 1 belegte, wo es dem Schuldner die Privilegierung des § 283 c zugute kommen läßt. Von der Tatvariante des Beiseiteschaffens mit Einwilligung des Schuldners werden daher einvernehmlich zwischen Schuldner und Gläubiger vorgenommene Handlungen, wie sie in § 283 c näher unterschieden sind, nicht erfaßt. 7 5 Krisenzeiten sind hier die dem anderen drohende Zahlungsunfähigkeit, die Zeit nach 118 Zahlungseinstellung, das Insolvenzverfahren und das Verfahren zur Herbeifühung der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eines anderen. b) Subjektiv erfordert die Tathandlung Kenntnis der einem anderen drohenden Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Nr. 1), d.h. direkten Vorsatz, im übrigen genügt bedingter Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. c) Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen (Gewinnsucht, wirtschaftliche Gefährdung einer größeren Anzahl von Personen). d) Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist auch hier, daß der andere seine Zahlungen eingestellt hat, über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antrag auf Eröffnung mangels Masse abgewiesen worden ist, Abs. 4. Zum Zusammenhang zwischen Tathandlung und objektiver Bedingung der Strafbarkeit vgl. Rdn. 114. e) Täter kann jeder außer dem Gemeinschuldner sein. - Die Schuldnerbegünstigung ist 74

Dazu BGH NStZ 1993 S. 239; OTTO Lange-FS, S. 214.

7 5

V g l . B G H S t 3 5 S. 3 5 7 m i t A n m . OTTO J K 89, S t G B § 2 8 3 d / 1 , SOWADA G A 1 9 9 5 S . 6 0 ff; GÖSSEL B . T . 2, § 2 8 R d n . 6 4 ; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 d R d n . 4 ; VORMBAUM G A 1981 S. 130.

305

119

120 121

122 123

§61

Dritter Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

nicht etwa eine nur verselbständigte Teilnahme am Bankrott des Schuldners, sondern ein eigenständiges Delikt. Daraus folgt, daß Täterschaft gemäß § 283 d und Teilnahme an § 283 idealiter konkurrieren können und daß der begünstigte Schuldner Teilnehmer der Tat sein kann.

VII. Wucher, § 291 1. Der Schutzbereich

und das geschützte

Rechtsgut

124 § 291 erfaßt die verschiedenen Formen des Individualwuchers. - Sozialwucher i.S. der Ausnutzung der Notlage der Allgemeinheit wird nach §§ 3-6 WiStG erfaßt. - Durch wucherisches Verhalten, insbesondere wenn es quantitativ massiert auftritt, wird der Wirtschaftsverkehr schwer beeinträchtigt. - Geschütztes Rechtsgut ist daher das Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschaft, daneben wird auch das Vermögen geschützt. 1 2 5 Die h.M. sieht nur das Vermögen als das geschützte Rechtsgut an. 7 ^ Dieser Meinung ist zuzugestehen, daß der Tatbestand in seiner derzeitigen Auslegung durch die Rechtsprechung, insbesondere durch restriktive Interpretation des Merkmals der Unerfahrenheit, zu einem Delikt gegen das Vermögen von Personen in bestimmten Ausnahmesituationen geworden ist. Ihm kann auf diese Weise keine Bedeutung für die Wirtschaftsordnung zukommen.

2. Die

Tathandlung

126 Strafbar ist die Ausbeutung der Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) eines anderen dadurch, daß der Täter sich oder einem Dritten für die Gewährung oder Vermittlung einer Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung stehen. 127 a) Vorausgesetzt wird ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, in dem einer Leistung gleich welcher Art eine Gegenleistung gegenübersteht. Mietwucher (Abs. 1 Nr. 1), Kreditwucher (Abs. 1 Nr. 2) und Vermittlungswucher (Abs. 1 Nr. 4) sind nur Beispielsfälle und nennen die kriminalpolitisch bedeutsamsten Fälle des Wuchers. 128 b) Zwischen der angebotenen und der erbrachten Leistung und dem dem Täter oder einem Dritten versprochenen Vermögensvorteil besteht dann ein auffälliges Mißverhältnis, wenn dem Kundigen - sei es auch erst nach genauer Prüfung des Sachverhalts - ein unverhältnismäßiger Wertunterschied zwischen Leistung und Vorteil ins Auge springt. Zu vergleichen ist die Gesamtheit der Leistungen mit den dem Täter oder dem Dritten zugeflossenen oder versprochenen Vermögensvorteilen. Vorteile, die das Tatopfer aus der Verwertung oder Nutzung der Leistung des Täters zieht, bleiben hingegen beim Leistungsvergleich unberücksichtigt. Bei kombinierten Geschäften unter den Beteiligten sind die Gesamtleistungen und die Gesamtvorteile zu vergleichen. 77 129 aa) Beim Mietwucher ist der Beurteilung in Anlehnung an § 5 WiStG die ortsübliche Miete zugrunde zulegen. Waren jedoch Gestehungskosten und Aufwendungen des Vermieters so hoch und bei ordnungsgemäßer Wirtschaft nicht zu vermeiden, daß die orts7 6

V g l . G Ö S S E L B . T . 2 , § 3 2 R d n . 2 ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 0 2 a R d n . 1; MAIJRACII/SCHROEDER/MAIWALD

B.T. 1, § 43 Rdn. 7; SICKENBERGER Wucher als Wirtschaftsstraftat, 1985, S. 57. - Vermögen und Willensfreiheit sieht SCHEFFLER GA 1992 S. 13 f, die Vertragsfreiheit KINDHÄUSER NStZ 1994 S. 106, als das geschützte Rechtsgut an. 77

306

Vgl. auch TRÖNDLF. StGB, § 302 a Rdn. 22. - A.A. OLG Karlsruhe JR 1985 S. 167 mit abl. Anm. OTTO S. 1 6 9 f.

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

übliche Miete nicht kostendeckend ist, so ist dies zu berücksichtigen. 78 bb) Beim Kreditwucher sind die verkehrsüblichen, bei vergleichbarem Risiko geforderten 130 Zinsen zum Vergleichsmaßstab zu wählen. Beim Ratenkredit ist der sog. Schwerpunktzins aus den Monatsberichten der DEUTSCHEN BUNDESBANK als Grundlage des Vergleichs geeignet, doch ist der Vergleichsmaßstab zu modifizieren, soweit im konkreten Fall Risikomaßstäbe oder Laufzeit abweichen oder der Verdacht begründet ist, daß der Schwerpunktzins durch nicht kostendeckende Zinsen manipuliert ist. 79 Die Leistungen des Kreditnehmers werden im sog. effektiven Jahreszins ausgedrückt, 131 der nicht nur Zinsen des Kredits im technischen Sinne, sondern die Gesamtkosten des Kredits erfaßt, d.h. Bearbeitungsgebühren, evtl. Auskunftsgebühren, Vermittlungskosten und in angemessener Weise die Kosten der Restschuldversicherung. 80 Einen festen Richtwert für die Überschreitung der Strafbarkeitsschwelle akzeptiert der BGH nicht. Immerhin dürfte aber ein gegenüber dem Schwerpunktzins 100 % höherer effektiver Jahreszins ein ausreichendes Indiz für einen wucherischen Zinssatz sein. 81 c) Wirken bei einem wirtschaftlich einheitlichen Geschäftsvorgang mehrere Personen in 132 verschiedenen Rollen mit, die dafür jeweils selbständig Vermögensvorteile beanspruchen, und entsteht dadurch ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Summe der Vermögensvorteile und der Summe der Gegenleistungen, so ist gemäß Abs. 1 S. 2 bereits der Mitwirkende strafbar, der die Schwächesituation des anderen für sich oder einen Dritten zur Erzielung eines übermäßigen Vermögensvorteils ausnutzt. Abs. 1 S. 2 findet jedoch keine Anwendung, wenn die Mitwirkenden ihre Tatbeiträge nicht selbständig erbringen, sondern als Mittäter oder als Täter und Teilnehmer. Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn Kreditvermittler und Kreditgeber bei der Vergabe eines wucherischen Kredits zusammenwirken.

d) Ein Ausbeuten liegt vor, wenn der Täter bewußt die bedrängte Lage des Opfers zur Er- 133 langung übermäßiger Vermögensvorteile ausnutzt und damit mißbraucht. Eine besonders anstößige Ausnutzung der Lage ist hingegen nicht erforderlich. 82 3. Die einzelnen Schwächesituationen a) Zwangslage ist eine Situation schwerwiegender, nicht notwendig existenzbedrohender 134 wirtschaftlicher Bedrängnis, die schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt oder befürchten läßt. b) Unerfahrenheit ist nach h.M. die auf Mangel an Geschäftskenntnis und Lebens- 135 erfahrung beruhende Eigenschaft des Ausgebeuteten, durch die er gegenüber dem Durchschnittsmenschen benachteiligt ist. Die bloße Unkenntnis der Bedeutung eines Geschäfts

7 8

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 3 0 2 a R d n . 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 3 R d n . 17. A . A . B G H S t 3 0 S. 2 8 0 m i t a b l . A n m . SCHEU J R 1 9 8 2 S. 4 7 4 f; GÖSSEL B . T . 2, § 3 2 R d n . 2 2 ; KINDHÄUSER N K , § 3 0 2 a R d n . 4 8 ; SICKENBERGER W u c h e r , S . 82.

79

Dazu im einzelnen: BGH(Z) 80 S. 153; BGH(Z) NJW 1983 S. 2780; BGH(Z) NJW 1988 S. 1661; OLG Stuttgart wistra 1982 S. 36; OLG Karlsruhe NJW 1988 S. 1154 ff; HABERSTROH NStZ 1982 S. 265 ff; KINDHÄUSER N K , § 3 0 2 a R d n . 5 0 ; NACK M D R 1 9 8 1 S . 6 2 1 f f ; O T T O N J W 1 9 8 2 S . 2 7 4 5 f f .

80

Dazu im einzelnen; BGH(Z) 80 S. 166 ff; OLG Stuttgart(Z) NJW 1979 S. 2411; OLG Hamburg NJW

81

Dazu BGH(Z) NJW 1988 S. 818; OLG S t u t t g a r t ® NJW 1979 S. 2410; NACK MDR 1981 S. 624;

1 9 8 2 S . 9 4 3 ; NACK M D R 1 9 8 1 S . 6 2 3 ; O R R O N J W 1 9 8 2 S . 2 7 4 7 f. OTTO N J W 1 9 8 2 S . 2 7 4 8 f. 8 2

S o B G H S t 11 S . 1 8 7 ; BERNSMANN G A 1 9 8 1 S . 1 6 5 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 3 2 R d n . 13; HOHENDORF D a s

Individualwucherstrafrecht nach dem Ersten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität von 1 9 7 6 , 1 9 8 2 S . 1 3 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 3 II R d n . 2 1 . - A . A . LACKNER/KÜHL § 3 0 2 a R d n . 8; SCH/SCH/STREE § 3 0 2 a R d n . 2 9 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 0 2 a R d n . 15.

307

§61

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

genügt diesen Erfordernissen nicht. 83 136 Schon vom Wortsinn her ist es schief, die Unerfahrenheit als Eigenschaft einer Person anzusehen. Diese kann höchstens auf bestimmten Eigenschaften einer Person beruhen, doch eine derart biologische Begrenzung dieses Tatbestandsmerkmales ist nicht notwendig. Von Unerfahrenheit kann vielmehr schon dann gesprochen werden, wenn es einer Person nicht möglich ist, trotz Nutzung der ihr gegebenen Fähigkeiten, sich einen Überblick über den Marktpreis zu verschaffen. 8 4 - In genau diesem Sinne interpretiert auch der BGH die Unerfahrenheit in einer neueren Entscheidung zum Lohnwucher. 8 5 Unerfahrenheit würde damit genau wie in § 89 BörsenG dahin interpretiert werden, daß unerfahren derjenige ist, der infolge fehlender geschäftlicher Einsicht die Tragweite eines Geschäftes nicht überblicken kann. 137 c) Mangel an Urteilsvermögen ist ein individueller, nicht durch bloße Erfahrung ausgleichbarer Leistungsmangel, der es dem Betroffenen unmöglich macht oder erheblich erschwert, bei einem Rechtsgeschäft Leistung und Gegenleistung richtig abzuwägen und die wirtschaftlichen Folgen des Geschäftsabschlusses vernünftig zu bewerten. 138 d) Willensschwäche ist jeder Mangel an Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischen Reizen. Sie ist erheblich, wenn sie im Wirkungsgrad den anderen Schwächesituationen vergleichbar ist. 4. Der subjektive

Tatbestand

139 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der die besondere Situation und das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung umfassen muß. 5. Besonders schwere Fälle 140 Abs. 2 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen. a) Das Opfer gerät durch die Tat in wirtschaftliche Not (Nr. 1), d.h. es ist in seiner Lebensführung so beeinträchtigt, daß es lebenswichtige Aufwendungen nicht mehr bestreiten kann. b) Die Tat wird gewerbsmäßig begangen (Nr. 2); zum Begriff der Gewerbsmäßigkeit vgl. § 4 1 Rdn. 21. c) Die wucherischen Vermögensvorteile werden durch Wechsel versprochen (Nr. 3).

VIII. Straftaten gegen den Wettbewerb 141 Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption v. 13.8.1997 hat der Gesetzgeber Straftaten gegen den Wettbewerb in das StGB eingefügt. Diese schützen den freien Wettbewerb, daneben aber - wie auch die anderen Wirtschaftsdelikte des StGB - das Vermögen bestimmter Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr. 86 1. Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen, § 298 142 Mit Aufnahme des § 298 in das StGB beendete der Gesetzgeber eine über Jahrzehnte wäh83

BGHSt 13 S. 233; BGH NJW 1983 S. 2780 mit Anm. NACK NStZ 1984 S. 23 f, OTTO JR 1984 S. 252 f f ; GÖSSEL B . T . 2, § 3 2 R d n . 9 ; SCH/SCH/STREE § 3 0 2 a R d n . 2 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 0 2 a R d n . 11.

84

Dazu NACK MDR 1981 S. 624; OTTO NJW 1982 S. 2749 f.

85

Vgl. BGHSt 43 S. 53, 59 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 302 a a.F./l.

86

BT-Drucks. 13/5584, S. 13; vgl. auch ACHENBACH WUW 1997 S. 959. - Zum freien Wettbewerb als Rechtsgut vgl. einerseits TIEDEMANN in> Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl. 1992, Vor § 38 Rdn. 4 ff m.w.N., andererseits LÜDERSSEN BB 1996, Beilage 11 zu Heft 25, S. 6 ff.

308

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

rende Diskussion ob und wie der sog. Submissionsbetrug strafrechtlich zu erfassen sei. In diesen Jahren hatten Preisabsprachen in verschiedenen Wirtschaftszweigen, vor allem in der Bauwirtschaft, Kartell-, Strafverfolgungsbehörden und Öffentlichkeit kontinuierlich beschäftigt. Geldbußen in Millionenhöhe waren nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 8 GWB verhängt worden, hatten aber offensichtlich keine generalpräventive Wirkung entfaltet. 87 Die Erfassung zumindest bestimmter Submissionsabsprachen als Betrug, § 263, scheiterte in der Praxis an Beweisschwierigkeiten im Hinblick auf den Vermögensschaden. Nachdem sodann im Zusammenhang mit Bestechungsdelikten weitreichende Submissionsabsprachen aufgedeckt worden waren, entschloß sich der Gesetzgeber, einen Teilbereich der bisher als Ordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1, 8 GWB unter Bußgeld stehenden Verhaltensweisen, zu kriminalisieren. Bewußt wurde auf das Erfordernis eines Vermögensschadens verzichtet. 88 Der Tatbestand zielt als abstraktes Gefährdungsdelikt auf den Schutz des freien Wettbewerbs. 8 9 a) Die Tathandlung Tathandlung ist die Abgabe eines Angebots, das auf einer rechtswidrigen Absprache bei 143 einer - beschränkten oder unbeschränkten - Ausschreibung über Waren oder gewerbliche Leistungen, Abs. 1, beruht. Der Ausschreibung gleichgestellt sind freihändige Vergaben nach einem Teilnehmerwettbewerb, Abs. 2. Handlungen im Vorfeld, insbes. die Absprache selbst, sind straflos. - Erfaßt sind nicht nur Vergabeverfahren der öffentlichen Hand, sondern auch Ausschreibungen und freihändige Vergaben nach Teilnahmewettbewerben durch Private. Diese Unternehmen sind bei ihren Vergabeverfahren allerdings nicht an die Bestimmungen der VOB/A und VOL/A gebunden, daher ist an Hand dieser Bestimmungen festzustellen, ob das Vergabeverfahren einer Ausschreibung oder einer freihändigen Vergabe nach einem Teilnahmewettbewerb im Sinne dieser Vorschriften entspricht. 90 Die Begriffe Waren und gewerbliche Leistungen sind im Sinne der kartellrechtlichen 144 Bestimmungen zu verstehen. Ware ist danach, was Gegenstand des geschäftlichen Verkehrs sein kann, also auch Immobilien und Immaterialgüter. 91 Leistungen sind Tätigkeiten für einen anderen, bei dem der Erfolg nur diesem, nicht aber dem Tätigen selbst zufällt. Gewerblich ist eine Leistung, wenn sie im geschäftlichen Verkehr erbracht wird. Das sind nicht nur die Leistungen eines Gewerbebetreibers, sondern Leistungen aller Unternehmen im Sinne des § 1 GWB, also auch Leistungen der freien Berufe sowie des Staates im privatwirtschaftlichen Bereich. 92 b) Der Inhalt der Absprache Absprache ist ein - aus der Sicht der Beteiligten bindendes - Übereinkommen unter den 145 potentiellen Anbietern, über das Verhalten im Ausschreibungsverfahren bzw. bei der freihändigen Vergabe. Bloße Kontakte, Gespräche darüber, wer an der Vergabe interessiert ist und ein Angebot abgeben will o.ä., reichen nicht aus. 9 3 Rechtswidrig ist die Absprache,

87

Im einzelnen zur Entwicklung OTTO ZRP 1996 S. 300 ff.

88

Dazu BT-Drucks. 13/5584, S. 13; DÖLLING Gutachten für den 61. Dt. Juristentag, 1996, C 93 ff; KÖNIG JR 1997 S. 401.

89

Vgl. auch KÖNIG JR 1997 S. 402.

90

Vgl. BT-Drucks. 13/5584, S. 14.

9

'

Dazu im einzelnen m.N.: IMMENGA in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 1 Rdn. 315.

92

Dazu im einzelnen m.N.; IMMENGA in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 1 Rdn. 318.

93

Vgl. dazu BR-Drucks. 229/1/82, S. 7; KÖNIG JR 1997 S. 402.

309

§61

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

wenn sie sich als ein nach § 1 GWB unwirksamer Vertrag oder als eine nach § 25 GWB verbotene abgestimmte Verhaltensweise darstellt. 94 146 Die Absprache muß darauf gerichtet sein, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Nicht erforderlich ist, daß die Absprache vor dem Veranstalter der Ausschreibung verheimlicht wird, obwohl gerade eine Verheimlichung als gleichsam betrügerisches Element Strafwiirdigkeit und Strafbedürftigkeit des Verhaltens wesentlich geprägt hätte. 95 Der Gesetzgeber wollte durch den Verzicht auf das Merkmal des Verheimlichen auch die Fälle erfassen, bei denen der Bieter kollusiv mit dem Veranstalter oder einem Mitarbeiter des Veranstalters, dessen Kenntnis dem Veranstalter zugerechnet werden kann, zusammenarbeitet. 96 c) Subjektiver Tatbestand 147 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der neben der Abgabe des Angebots auch den Inhalt der rechtswidrigen Absprache umfassen muß; bedingter Vorsatz genügt. d) Täterschaft und Teilnahme 148 Da es sich bei § 298 nicht um ein Sonderdelikt handelt, kann auch ein Nichtkartellmitglied Täter sein. Die Strafbarkeit dieser Beteiligten und die von Kartellmitgliedern ist nach den allgemeinen Regeln über Täterschaft und Teilnahme zu beurteilen und richtet sich nach dem jeweiligen Tatbeitrag. 97 e) Tatvollendung 149 Mit der Abgabe des Angebots, ist die Tat vollendet. Abgegeben ist das Angebot noch nicht mit der Entäußerung durch den Täter, sondern - entsprechend den Äußerungsdelikten - mit Zugang beim Veranstalter. Kenntnisnahme ist bei schriftlichen Angeboten nicht nötig, bei mündlichen Angeboten genügt es, daß der Adressat die Erklärung aufgenommen hat. Nicht erforderlich ist, daß er sie in ihrer vollen Bedeutung erfaßt hat. f) Tätige Reue, Abs. 3 150 Abs. 3 sieht für den Täter nach formeller Tatverwirklichung, aber vor materieller Tatbeendigung eine strafbefreiende Rücktrittsmöglichkeit vor. Straffreiheit erlangt der Täter, der nach Abgabe des Angebots aber vor Erbringung der Leistung entweder die Leistung freiwillig verhindert oder sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemüht, falls die Leistung ohne sein Zutun nicht erbracht wird. g) Konkurrenzen 151 Aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter konkurrieren §§ 263, 298 idealiter, § 52. 98 § 38 Abs. 1 Nr. 1, 8 GWB treten gemäß § 21 OWiG hinter § 298 zurück. - Ein eventueller strafbefreiender Rücktritt nach § 298 Abs. 3 erstreckt die Straffreiheit nicht auf einen bereits vollendeten Eingehungsbetrug; zur entsprechenden Problematik des § 264 a vgl. Rdn. 66. h) Unternehmensbuße 152 Zur Verhängung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG sind gemäß § 81 a GWB 94

BT-Drucks. 13/5584, S. 14.

95

Vgl. dazu auch DÖLLING Gutachten, C 95; KÖNIG JR 1997 S. 402.

96

BT-Drucks. 13/5584, S. 14.

97

Vgl. BT-Drucks. 13/5584, S. 14; KÖRTE NStZ 1997 S. 516.

98

Vgl. auch ACHENBACH WuW 1997 S. 959; KÖRTE NStZ 1997 S. 516.

310

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

die Kartellbehörden zuständig. Diese "Aufspaltung der Sanktionierungsbefugnisse" ist nicht unproblematisch." 2. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 Unter redaktioneller Anpassung an die §§ 331 ff hat der Gesetzgeber die aktive und passi- 153 ve Bestechung im geschäftlichen Verkehr aus dem UWG herausgenommen und in das StGB verlagert. Er versprach sich mit dieser Regelung, die ohne Not den ehemaligen § 12 UWG aus dem durch das UWG begründeten Sachzusammenhang riß, das Bewußtsein in der Bevölkerung zu schärfen, "daß es sich auch bei der Korruption im geschäftlichen Bereich um eine Kriminalitätsform handelt, die nicht nur die Wirtschaft selbst betrifft, sondern Ausdruck eines allgemein sozialethisch mißbilligten Verhaltens ist". 1 0 0 In der Praxis hatte § 12 U W G eine geringe Bedeutung, obwohl dem Schmiergeldwesen eine erheblich den Wettbewerb verzerrende Bedeutung zugeschrieben wird und auch spektakuläre Einzelfälle die Öffentlichkeit permanent beschäftigten. Ein Hindernis effektiver Strafverfolgung wurde im Antragserfordemis des § 12 U W G gesehen. Daneben wurde der Ausschluß der Strafbarkeit des unlauteren Wettbewerbs um den privaten Kunden als sachwidrige Begrenzung des Tatbestandes b e u r t e i l t . ' 0 '

a) Der Tatbestand der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, Abs. 1 aa) Täter der Bestechlichkeit können nur Angestellte oder Beauftragte eines geschäftli- 154 chen Betriebes sein. Die Täterposition ist Sonderpflichtmerkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB. - Angestellter ist, wer aufgrund eines Vertrages in einem entgeltlichen oder unentgeltlichen Dienstverhältnis zu einem geschäftlichen Betrieb steht und den Weisungen des Geschäftsherrn unterworfen ist. Beauftragter ist, wer ohne Inhaber oder Angestellter eines geschäftlichen Betriebes zu sein, befugtermaßen - sei es u.U. auch aufgrund eines nichtigen Vertrages oder als sog. faktischer Geschäftsführer - berechtigt oder verpflichtet ist, für den Betrieb dauernd oder gelegentlich geschäftlich tätig zu werden. Eine selbständige Stellung innerhalb des Betriebes steht der Eigenschaft als Beauftragter nicht entgegen. Die Angestellten oder Beauftragten müssen unmittelbar oder mittelbar auf die den Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen betreffenden Entscheidungen des Betriebes Einfluß nehmen können, um als taugliche Täter in Betracht zu kommen - Geschäftlicher Betrieb ist jede auf Dauer angelegte Unternehmung, die außerhalb des reinen Privatbereichs am Wirtschaftsverkehr durch Austausch von Leistung und Gegenleistung teilnimmt. 102 Den Gegensatz zum geschäftlichen Betrieb bildet die rein private Betätigung der Person außerhalb von Erwerb und Berufsausübung. bb) Die Tathandlung ist das Fordern, Sichversprechenlassen oder Annehmen eines Vor- 155 teils für sich oder einen Dritten als Gegenleistung für die zukünftige unlautere Bevorzugung eines anderen im geschäftlichen Verkehr bei dem Bezug von Waren oder Leistungen im Wettbewerb. Fordern ist das ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck gebrachte einseitige Verlan- 156 gen des Täters, einen Vorteil als Gegenleistung für die unlautere Bevorzugung eines anderen für sich oder einen Dritten haben zu wollen. Das Verlangen ist daher eine auf Ab-

9 9

D a z u ACHENBACH W u W 1 9 9 7 S. 9 6 1 f f ; KÖRTE N S t Z 1 9 9 7 S. 5 1 7 f.

100 ßT-Drucks. 13/5584, S. 15. - Krit. zur isolierten Herausnahme des § 12 aus dem U W G : KÖNIG JR 1997 S. 401. 101

Im einzelnen dazu OTTO in: Großkommentar U W G , hrsgeg. von Jacobs, Lindacher, Teplitzky, 1991 ff, § 12 Rdn. 3.

102

Dazu BGHSt 2 S. 403; 10 S. 365; im einzelnen dazu OTTO, GK U W G , § 4 Rdn. 127 ff.

311

§61

Dritter Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

Schluß einer Unrechtsvereinbarung zielende Erklärung, 1 0 3 die dem ins Auge gefaßten Vorteilsgeber oder seinem Mittelsmann zur Kenntnis gebracht werden muß. 1 0 4 Ob dieser die Bedeutung des Ansinnens erkennt oder nicht, ist irrelevant. 105 Es genügt, daß der Täter auf die Unrechtsvereinbarung abzielt, d.h. daß er davon ausgeht, der Erklärungsempfänger werde die Bedeutung des Ansinnens erkennen. 1 0 6 - Sichversprechenlassen ist die Annahme eines auch nur bedingten Angebotes der späteren Zuwendung eines Vorteils. Ob die spätere Zuwendung wirklich erfolgt, ist irrelevant. Die Annahme kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, inhaltlich muß sie zum Ausdruck bringen, daß der Täter die ihm von dem Vorteilsgeber angebotene Unrechtsvereinbarung annimmt. 1 0 7 - Annehmen ist die tatsächliche Entgegennahme des Vorteils mit dem Willen, über diesen zu eigenen Zwekken nach eigenem Willen oder zu Gunsten eines Dritten zu verfügen. 1 0 8 Der Vorbehalt, den Vorteil u.U. später zurückzugeben, hindert die Annahme nicht, 1 0 9 hingegen genügt nicht die Entgegennahme, wenn es dem Empfänger nur darum geht, Beweismittel für das unlautere Verhalten des Vorteilsgebers zu erlangen. 1 1 0 Vorteil ist jede unentgeltliche Leistung, auf die der Vorteilsempfänger oder der Drittbegünstigte keinen Anspruch hat und die die wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage des Empfängers objektiv verbessert. 111 Vorteile sind daher nicht nur Vermögensvorteile, sondern auch Zuwendungen immaterieller A r t . B e i immateriellen Vorteilen wird man jedoch eine Erheblichkeit derart fordern müssen, daß es sich um eine persönliche Besserstellung handelt, die der Besserstellung durch einen erheblichen materiellen Vorteil vergleichbar ist. Daher ist die Gewährung des Geschlechtsverkehrs (BGH StV 1994 S. 527) als Vorteil anzuerkennen, nicht aber flüchtige Zärtlichkeiten (BGH MDR 1960 S. 63), die Zusage sexueller Handlungen (BGH NJW 1989 S. 914), die Befriedigung von Ehrgeiz, Eitelkeit oder auch Geltungsbedürfnis (A.A. BGHSt 14 S. 128).

157 Sozialadäquate Zuwendungen, d.h. kleine Aufmerksamkeiten, deren Angebot den Regeln der Höflichkeit oder der Verkehrssitte entspricht - Angebote einer Zigarette, einer Tasse Kaffee, eines Kalenders oder ähnlichen Werbegeschenkes, Neujahrsgeschenke an Briefträger, die Angestellten der Müllabfuhr u.ä. - sind keine Vorteile i.S. des Gesetzes. 1 1 3 Eine Begrenzung auf eine bestimmte Summe 1 1 4 ist demgegenüber sachwidrig. Damit wird die Käuflichkeit von Diensthandlungen nämlich grundsätzlich akzeptiert. 158 cc) Der Vorteil als Gegenleistung: Die Unrechtsvereinbarung. - Zwischen der angestrebten Bevorzugung durch den Vorteilsnehmer und dem Vorteil muß ein Zusammenhang dahin bestehen, daß der Vorteil als Gegenleistung für die Bevorzugung gedacht ist. Der Vorteilsgeber muß daher mit seinem Verhalten auf eine Unrechtsvereinbarung mit dem Vor103

Vgl. BGHSt 15 S. 97.

104

Vgl. R G S t 3 9 S . 198.

105

Vgl. BGHSt 10 S. 241.

106

Dazu BGHSt 15 S. 98.

107

Vgl. BGHSt 15 S. 97.

108

Vgl. BGHSt 14 S. 127.

109

BGH GA 1963 S. 148.

110

BGHSt 15 S. 97.

111

BGHSt 31 S. 279, eingehender dazu OTTO G K U W G , § 1 2 R d n . 9 f f .

'

prinzipiell gegen die Anerkennung immaterieller Vorteile GEERDS JR 1982 S. 385.

113

Dazu vgl. auch BGH wistra 1991 S. 221; CREIFELDS GA 1962 S. 33 ff; FUHRMANN GA 1959 S. 97 ff.

114

Dazu GRIBL Der Vorteilsbegriff bei den Bestechungsdelikten, 1993, S. 96 ff, 146.

312

W i r t s c h a f t s d e l i k t e im S t r a f g e s e t z b u c h

§61

teils-empfänger derart abzielen, daß der Vorteil die Gegenleistung für die erwartete unlautere Bevorzugung sein soll. 1 1 5 Daß der Vorteilsnehmer das Ziel der Unrechtsvereinbarung erkennt, ist nicht erforderlich. dd) Das Ziel des Täters: Die Bevorzugung beim Bezug von Waren oder gewerblichen Lei- 159 stungen. Die angestrebte Unrechtsvereinbarung muß darauf abzielen, daß der Vorteilsgeber oder ein Dritter von dem Vorteilsnehmer in unlauterer Weise beim Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen bevorzugt wird. - Eine Bevorzugung ist eine Besserstellung des Täters oder des von ihm begünstigten Dritten im Wettbewerb gegenüber Wettbewerbern dadurch, daß er einen Vorteil erlangt, auf den er oder der Dritte keinen Anspruch hat. - Unlauter ist die Bevorzugung, die nicht in sachlichen Erwägungen begründet, sondern durch den Vorteil motiviert ist. Eigenständige Bedeutung kommt dem Merkmal daher nicht zu. 1 1 6 Zum Begriff der Ware und den der gewerblichen Leistung vgl. Rdn. 144. ee) Der Täter muß im geschäftlichen Verkehr handeln. Dazu gehört jede Tätigkeit, die in 160 irgendeiner Weise der Förderung eines beliebigen eigenen oder fremden Geschäftszwecks dient. 1 1 7 ff) Der subjektive Tatbestand. - In allen drei Tatalternativen muß der Täter den objektiven Tatbestand bewußt, d.h. vorsätzlich verwirklichen, und zwar genügt bedingter Vorsatz. Im Falle des Forderns muß der Täter darüber hinaus den Abschluß einer Unrechtsvereinbarung anstreben. Hier ist Absicht im Sinne eines zielgerichteten Wollens, d.h. dolus directus 1. Grades erforderlich. Dem Täter muß es darauf ankommen, daß der ins Auge gefaßte Vorteilsgeber die angebotene Unrechtsvereinbarung erkennt und auf diese eingeht. Im Falle des Sichversprechenlassens und der Annahme genügt es hingegen, daß der Täter sich der Unrechtsvereinbarung bewußt ist. Da dem Merkmal "unlauter" keine eigenständige Bedeutung zukommt, handelt der Täter im Bewußtsein unlauterer Bevorzugung, wenn er sich der Tatsache bewußt ist, daß die Bevorzugung in der erstrebten oder erreichten Vorteilszuwendung ihren Grund hat. 1 1 8 gg) Eine Rechtfertigung durch eine Einwilligung oder Genehmigung des Geschäftsherm kommt nicht in Betracht, da er nicht über das geschützte Rechtsgut verfügen kann, hh) Die Tatvollendung. - In der Tatalternative des Forderns ist die Tat vollendet, wenn der Täter dem in Aussicht genommenen Vorteilsgeber seine entsprechende Willensäußerung zur Kenntnis gebracht hat. Dieser braucht ihren inhaltlichen Charakter - Abzielen auf Abschluß einer Unrechtsvereinbarung - nicht erkannt zu haben. 1 1 9 In den Tatalternativen des Sichversprechenlassens und des Annehmens muß der Vorteilsgeber der Unrechtsvereinbarung zugestimmt haben. 1 2 0 ii) Täter der Bestechlichkeit können nur Angestellte oder Beauftragte des geschäftlichen Betriebs sein. - Dritte Personen können aber - je nach den Tatumständen - Anstifter oder Gehilfen sein. Das Verhalten des Vorteilsnehmers ist abschließend in Abs. 1 erfaßt. Er kann wegen seines Verhaltens nicht als Teilnehmer einer Tat nach Abs. 2 bestraft werden. 115

Vgl. BGHSt 15, 97; 15, 249, BGH wistra 1983 S. 258; 1991 S. 101; OLG Düsseldorf JR 1987 S. 168 m i t A n m . GEERDS S. 119 f f ; PFEIFFER V. G a m m - F S , S. 136.

116

Im einzelnen dazu OTTO GK UWG, § 12 Rdn. 29 ff.

117

Im einzelnen dazu OTTO GK UWG, § 12 Rdn. 37 ff.

118

Vgl. BGH NStZ 1984 S. 25.

119

Vgl. BGHSt 10 S. 241.

120

Vgl. BGHSt 15 S. 97; 15 S. 242.

313

161

162 163

164

§61

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

b) Der Tatbestand der Bestechung im geschäftlichen Verkehr, Abs. 2 165 aa) Abs. 2 entspricht dem Abs. 1 in den Grundzügen spiegelbildlich. - Die Tathandlung ist das Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines Vorteils für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür, daß er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren in unlauterer Weise bevorzuge. Anbieten (einer gegenwärtigen Leistung) und Versprechen (einer zukünftigen Leistung) sind auf Abschluß einer Unrechtsvereinbarung gerichtete, ausdrückliche oder stillschweigende Erklärungen, 121 die auch in vorsichtig formulierten Fragen und Sondierungen bestehen können und die dem anderen Beteiligten zur Kenntnis gebracht werden müssen. 1 2 2 - Gewähren ist die tatsächliche Übergabe mit dem Willen, daß die Verfügungsgewalt auf den Vorteilsnehmer übergehen soll. 166 bb) Zum Vorteil als Gegenleistung vgl. Rdn. 158, zur unlauteren Bevorzugung vgl. Rdn. 159, zum Begriff der Ware und dem der gewerblichen Leistung vgl. Rdn. 144. 167 cc) Der Täter muß im geschäftlichen Verkehr - dazu vgl. Rdn. 160 - zu Zwecken des Wettbewerbs handeln. Objektiv zu Zwecken des Wettbewerbs handelt der Täter, wenn sein Verhalten geeignet ist, den eigenen Absatz oder den des begünstigten Dritten zu fördern und den anderer Wettbewerber zu beeinträchtigen, bzw. den eigenen Kundenkreis oder den des begünstigten Dritten auf Kosten von Mitbewerbern zu erweitern. Vorausgesetzt wird beim Handeln zu Wettbewerbszwecken ein bestehendes oder bevorstehendes Wettbewerbsverhältnis, d.h. ein Konkurrenzverhältnis zwischen Begünstigtem und Geschädigten. - Mitbewerber sind alle Gewerbetreibenden, die Waren oder Leistungen gleicher oder verwandter Art herstellen oder in den geschäftlichen Verkehr bringen. 1 2 3 168 dd) Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz des Täters hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestands und die Absicht, d.h. dolus directus 1. Grades, zu Zwecken des Wettbewerbs zu handeln sowie zu einer Unrechtsvereinbarung zu gelangen. - Zu Zwecken des Wettbewerbs handelt der Täter, wenn er mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils beabsichtigt, den eigenen Absatz oder den eines Dritten auf Kosten der Mitbewerber zu fördern. Der Täter muß ein Verhalten beabsichtigen, das im Falle seiner Verwirklichung äußerlich geeignet ist, den Absatz oder Bezug einer Person zum Nachteil einer anderen zu begünstigen. 169 ee) Zur Rechtfertigung vgl. Rdn. 162. 170 ff) Vollendet ist die Tat beim Anbieten und beim Versprechen eines Vorteils, wenn der Täter dem in Aussicht genommenen Vorteilsnehmer seine entsprechende Willensäußerung zur Kenntnis gebracht hat. Beim Gewähren eines Vorteils muß der Vorteilsnehmer den Vorteil angenommen haben. Bedeutungslos ist es, ob der Vorteilsnehmer die Bevorzugung vornimmt oder vornehmen will. 1 2 4 171 gg) Täter der Bestechung können Mitbewerber und für sie handelnde Personen sein. Privatleute, die nicht im Interesse eines Mitbewerbers handeln, kommen als Täter nicht in Betracht. Sie können - je nach den Umständen des konkreten Falles - aber Anstifter oder Gehilfe sein.

121

Vgl. BGHSt 16 S. 46.

122

Vgl. BGHSt 15 S. 97; 16 S. 46.

123

Vgl. BGHSt 10 S. 368; BGH wistra 1991 S. 101; BGHZ 13 S. 249; 18 S. 181 f.

124

Vgl. BGHSt 15 S. 97.

314

Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

§61

c) Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und der Bestechung im geschäftlichen 172 Verkehr, § 300 § 300 sieht eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen vor und nennt als Regelbeispiele den Vorteil großen Ausmaßes, auf den sich die Tat bezieht (Nr. 1) und das gewerbs- oder bandenmäßige Handeln (Nr. 2). d) Strafverfolgung, § 301 173 Die Strafverfolgung setzt bei beiden Tatbeständen einen Strafantrag voraus, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält, § 301 Abs. 1. - Zur Antragsberechtigung vgl. Abs. 2. e) Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall, § 302 174 § 302 eröffnet in bestimmten Fallkonstellationen die Verhängung einer Vermögensstrafe und den Erweiterten Verfall.

315

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§62

Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens § 62: Delikte gegen den äußeren Frieden 1

Die Delikte gegen den äußeren Frieden, d.h. gegen den Frieden zwischen den Völkern, sind selbständige, vom Staatsschutz getrennte Straftaten.

2

Geschütztes Rechtsgut ist der zwischenstaatliche Frieden als überstaatliches Rechtsgut. Dieser Frieden ist gegen zwei Gefährdungen geschützt:

3

1. Gegen die Vorbereitung eines Angriffskrieges, § 80 Angriffskrieg ist die völkerrechtswidrige, bewaffnete Aggression. 1 - Der Begriff ist jedoch völkerrechtlich umstritten, daher in seiner praktischen Brauchbarkeit Zweifeln ausgesetzt und im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG problematisch. 2 Streitig ist, ob die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland nur den Fall erfaßt, daß die Bundesrepublik angreift, oder auch jenen, daß die Bundesrepublik angegriffen werden soll. Da jedoch das geschützte Rechtsgut in beiden Fällen in gleicher Weise bedroht ist, erscheint die Gleichbehandlung beider Fälle angemessen. 3 Vorbereitung sind alle Maßnahmen, die geeignet sind, einen kriegerischen Konflikt herbeizuführen. - Die Gefahr des Krieges muß konkret gegeben sein. 2. Gegen das Aufstacheln zum Angriffskrieg,

4

5

§ 80 a

Öffentlich ist die Tat, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis von Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind, wahrnehmbar ist, und zwar unabhängig davon, ob der Tatort ein öffentlicher ist - Versammlung ist das Beisammensein einer größeren Zahl von Personen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks. 4 Dieser Zweck braucht nicht auf politische Meinungsbildung gerichtet zu sein. 5 Aufstacheln ist eine emotionell gesteigerte Form des Anreizens. 6 Eine konkrete Kriegsgefahr braucht nicht begründet zu sein.

§ 63: Delikte gegen den inneren Frieden 1

Die Delikte gegen den inneren Frieden richten sich gegen die soziale Friedensordnung, Grundlage für den Staat und andere soziale Verbände abgibt. 7

die ihrerseits erst die

1

LG Köln NStZ 1981 S. 261.

2

Dazu SCHROEDER JZ 1969 S. 41; A.A. KLUG in: Baumann (Hrsg.), Mißlingt die Strafrechtsreform?, 1969, S. 164.

3

So auch BT-Drucks. V/2860, S. 2; a.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 90 Rdn. 6.

4

R G S t 2 1 S . 71.

5

So auch LAUFHÜTTE LK, § 90 Rdn. 8; TRÖNDLE StGB, § 80 a Rdn. 2. - A.A. OLG Koblenz MDR 1981 S. 600; differenzierend: LACKNER/KÜHL § 80 a Rdn. 2.

6

LG Köln NStZ 1981 S. 261, dazu KLUG Jescheck-FS, Bd. 1, S. 594 ff.

7

So auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 60 Rdn. 6. - Z.T. werden die Individualrechtsgüter, die von den Tathandlungen betroffen werden, mit in den Schutzbereich einbezogen; vgl. z . B . LACKNER/KÜHL § 125 R d n . 1; RUDOLPHI S K II, § 125 R d n . 2.

316

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§62

Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens § 62: Delikte gegen den äußeren Frieden 1

Die Delikte gegen den äußeren Frieden, d.h. gegen den Frieden zwischen den Völkern, sind selbständige, vom Staatsschutz getrennte Straftaten.

2

Geschütztes Rechtsgut ist der zwischenstaatliche Frieden als überstaatliches Rechtsgut. Dieser Frieden ist gegen zwei Gefährdungen geschützt:

3

1. Gegen die Vorbereitung eines Angriffskrieges, § 80 Angriffskrieg ist die völkerrechtswidrige, bewaffnete Aggression. 1 - Der Begriff ist jedoch völkerrechtlich umstritten, daher in seiner praktischen Brauchbarkeit Zweifeln ausgesetzt und im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG problematisch. 2 Streitig ist, ob die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland nur den Fall erfaßt, daß die Bundesrepublik angreift, oder auch jenen, daß die Bundesrepublik angegriffen werden soll. Da jedoch das geschützte Rechtsgut in beiden Fällen in gleicher Weise bedroht ist, erscheint die Gleichbehandlung beider Fälle angemessen. 3 Vorbereitung sind alle Maßnahmen, die geeignet sind, einen kriegerischen Konflikt herbeizuführen. - Die Gefahr des Krieges muß konkret gegeben sein. 2. Gegen das Aufstacheln zum Angriffskrieg,

4

5

§ 80 a

Öffentlich ist die Tat, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis von Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind, wahrnehmbar ist, und zwar unabhängig davon, ob der Tatort ein öffentlicher ist - Versammlung ist das Beisammensein einer größeren Zahl von Personen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks. 4 Dieser Zweck braucht nicht auf politische Meinungsbildung gerichtet zu sein. 5 Aufstacheln ist eine emotionell gesteigerte Form des Anreizens. 6 Eine konkrete Kriegsgefahr braucht nicht begründet zu sein.

§ 63: Delikte gegen den inneren Frieden 1

Die Delikte gegen den inneren Frieden richten sich gegen die soziale Friedensordnung, Grundlage für den Staat und andere soziale Verbände abgibt. 7

die ihrerseits erst die

1

LG Köln NStZ 1981 S. 261.

2

Dazu SCHROEDER JZ 1969 S. 41; A.A. KLUG in: Baumann (Hrsg.), Mißlingt die Strafrechtsreform?, 1969, S. 164.

3

So auch BT-Drucks. V/2860, S. 2; a.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 90 Rdn. 6.

4

R G S t 2 1 S . 71.

5

So auch LAUFHÜTTE LK, § 90 Rdn. 8; TRÖNDLE StGB, § 80 a Rdn. 2. - A.A. OLG Koblenz MDR 1981 S. 600; differenzierend: LACKNER/KÜHL § 80 a Rdn. 2.

6

LG Köln NStZ 1981 S. 261, dazu KLUG Jescheck-FS, Bd. 1, S. 594 ff.

7

So auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 60 Rdn. 6. - Z.T. werden die Individualrechtsgüter, die von den Tathandlungen betroffen werden, mit in den Schutzbereich einbezogen; vgl. z . B . LACKNER/KÜHL § 125 R d n . 1; RUDOLPHI S K II, § 125 R d n . 2.

316

Delikte gegen den inneren Frieden

§63

I. Landfriedensbruch, §§ 125, 125 a Der Landfriedensbruch setzt voraus, daß aus einer Menschenmenge heraus bestimmte Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen erfolgen.

2

1. Der objektive Tatbestand a) Menschenmenge ist eine räumlich vereinigte, nicht sofort übersehbare Anzahl von Personen.

3

Eine Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein, doch dürften gut 20 Personen im Regelfall schon eine Menge abgebend Unter besonders unübersichtlichen Gegebenheiten können 10 Personen genügen."

Die Menge braucht nicht im ganzen unfriedlich zu sein. Es genügt, daß innerhalb einer größeren Menge eine kleinere Gruppe, die isoliert dem Mengenbegriff genügen würde, die aggressiven Absichten des oder der Täter mitträgt. - Richten sich Gewalttätigkeiten von Mitgliedern einer Menge gegen andere Mitglieder dieser Menge, so wird dieses Verhalten vom Tatbestand nur erfaßt, wenn die aggressiv Tätigen wiederum eine Menschenmenge bilden, die sich von den anderen Personen abhebt. 10 b) Gewalttätigkeit ist der Einsatz physischer Kraft, die sich aggressiv gegen Menschen oder Sachen richtet. Ein bloß passives Verhalten ist keine Gewalttätigkeit in diesem Sinne.

4

5

Beispiele: Errichten von Barrikaden aus Parkbänken und Geräteteilen von einem Kinderspielplatz 1 '; Vorrücken der Menge gegen Polizei (RGSt 54 S. 90); Wegdrängen von Polizeibeamten; Umwerfen von Kraftfahrzeugen (BGHSt 23 S. 53 f); Werfen mit Blutbeuteln auf Kraftfahrzeug des Bundesverteidigungs" ministers 12 ; Bewerfen mit Erdklumpen (BayObLG MDR 1990 S. 356) oder faulen Eiern (OLG Köln NStZ 1997 S. 234). - Nicht hingegen: der "Sitzstreik" (BGHSt 23 S. 51 f).

c) Bedrohung ist das Inaussichtstellen einer Gewalttätigkeit. - Erfaßt ist hier nicht nur die 6 Gewalt gegen Menschen, denn "Bedrohungen von Menschen" ist nicht als Gegensatz zur "Bedrohung von Sachen" zu verstehen, sondern nur Ausdruck der Selbstverständlichkeit, daß durch die Bedrohung auf den Willen eines Menschen eingewirkt werden soll. d) Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn die Allgemeinheit in ihrem Gefühl, gegen 7 Rechtsgüterbeeinträchtigungen geschützt zu sein, beeinträchtigt ist. Richten sich die Gewalttätigkeiten gegen eine einzelne Person, so ist die öffentliche Sicherheit nicht nur gefährdet, wenn sie das zufällige Opfer aus einer bestimmten Vielzahl ist, es also auch jede andere Person hätte sein können, sondern auch, wenn sie als Opfer nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe ausgewählt wurde, mit ihr also die von ihr repräsentierte Personengruppe getroffen werden sollte. 13 e) Mit vereinten Kräften bedeutet eine Tätigkeit mehrerer aus der Menge. 8 f) Als Täter des Landfriedensbruchs bestimmt das Gesetz bestimmte an den Tat- 9 handlungen beteiligte Personen. 8

Dazu BGHSt 33 S. 308; LG Frankfurt StV 1983 S. 463.

9

BGH NStZ 1994 S. 483.

10

Dazu BGHSt 33 S. 306, 308 mit Anm. OTTO NStZ 1986 S. 70 f.

11

OLG Köln NJW 1970 S. 260; einschränkend OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 869: Gewalttätigkeiten gegen Sachen nur tatbestandsmäßige Handlungen im Sinne des § 303.

12

O L G Hamburg JR 1983 S. 250 mit abl. Anm. RUDOLPHI S. 252 ff.

13

Vgl. BGH NStZ 1993 S. 538; OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 2416; SCH/SCH/LENCKNER § 125 Rdn. 11; TRÖNDLE S t G B , § 1 2 5 R d n . 4 . - A . A . BRAUSE N J W 1 9 8 3 S. 1 6 4 1 .

317

§63

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

aa) Täter des Landfriedensbruchs ist danach: 10 Zum einen jeder, der aus einer Menschenmenge heraus als Täter oder Teilnehmer an der Gewalttätigkeit oder Bedrohung mitwirkt. Beispiele: Wer aus der Menge heraus Steine wirft, auch wenn diese nicht treffen; wer die gewalttätige Gruppe aufreizt oder gegen die Polizei "abschirmt".

11 Zum anderen jeder, der auf die Menschenmenge einwirkt, d.h. sie psychisch beeinflußt, um ihre Bereitschaft zur Gewalttätigkeit oder Bedrohung mit Gewalttätigkeiten (zielgerichte-tes Wollen!) zu fördern, sei es durch Erwecken oder Bestärken des Tatentschlusses. Dies kann auch durch Personen geschehen, die nicht am Tatort anwesend sind, z.B. geistige Anführer, Organisatoren. 14 Dem Teilnehmer ist nachzuweisen, daß er durch sein Verhalten die Gefahr der Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Täter konkret erhöht hat. Dieser Nachweis ist dann zu führen, wenn bewiesen werden kann, daß jemand den Werfern Steine zugeliefert, Hinweise auf Ziele gegeben, Gewalttäter durch Ablenken der Polizei gedeckt und dadurch weitere Gewalttaten ermöglicht hat.

12 bb) Das Erfordernis des Nachweises der eigenen Beteiligung an den Gewaltmaßnahmen begründet die Kritik an dem Tatbestand. Zum einen bleibt der passiv in einer gewalttätigen Menge Verweilende straffrei, selbst wenn sich die Gewalttäter durch seine physische Präsenz gestärkt fühlen, sie als Ermutigung deuten oder als Deckung nutzen. Zum anderen verlocken die Schwierigkeiten der Beweisführung einzelne Personen dazu, sich unter dem Schutz der Menschenmenge an den Ausschreitungen zu beteiligen, weil sie sich sicher fühlen, daß die mit der Gefahrenabwehr beschäftigte Polizei den Täternachweis später nicht führen können wird. Damit aber sind Chancen gewaltorientierter Demonstrationsstrategien eröffnet, die dem Wesen des Demonstrationsrechts als einem Mittel geistiger Auseinandersetzung eklatant widersprechen. Wenn derartige Möglichkeiten als Besitzstand verteidigt werden, so ist dies ein hinreichender Beweis dafür, daß der Sachverhalt mit der grundgesetzlich gesicherten Demonstrationsfreiheit nur noch Ähnlichkeiten aufweist. 15 2. Der subjektive Tatbestand 13 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Anstiftung und Beihilfe 14 Anstiftung und Beihilfe zum Landfriedensbruch kann nur begehen, wer sich nicht selbst in der Menschenmenge befindet. 4. Rechtfertigung 15 Eine Rechtfertigung der Tat durch Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Art. 5, 8 GG, kommt nicht in Betracht, da diese Grundrechte der geistigen Auseinandersetzung Raum geben sollen, nicht aber Gewalttätigkeiten; dazu auch oben § 27 Rdn. 47. 5. §125 Abs. 2 16 Soweit die relevanten Handlungen den Tatbestand des § 113 erfüllen, gelten auch hier § 113 Abs. 3 und 4 entsprechend, dazu unten § 91 Rdn. 16 ff. 14

BVerfG StV 1994 S. 74 f; BVerfG NStZ 1990 S. 487; BGHSt 32 S. 165 mit Anm. WLLLMS JR 1984 S. 120; OLG Braunschweig NStZ 1991 S. 492.

15

Im einzelnen dazu OTTO/KREY/KÜHL in: Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. 2, 1990, Gutachten der Unterkommission VII, Rdn. 123 ff.

318

Delikte gegen den inneren Frieden 6.

§63

Konkurrenzen

§ 125 ist subsidiär, wenn die Tat nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht 17 ist, z.B. nach §§ 211, 212, 224 ff. 16 - Mit § 27 VersG ist Tateinheit möglich. 7. Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs,

§ 125 a

§ 125 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit vier Regelbeispielen. 18 a) Nr. 1: Mitführen einer Schußwaffe-, dazu oben § 41 Rdn. 50. b) Nr. 2: Mitführen einer anderen Waffe, um diese bei der Tat zu verwenden. - Das Gesetz 20 fordert hier, daß der Täter selbst, nicht auch ein anderer Beteiligter, die Waffe führt.' 7 Waffe ist im untechnischen Sinne als gefährliches Werkzeug zu verstehen. Wesentlich ist, daß beabsichtigt ist, das Werkzeug unmittelbar oder mittelbar gegen Menschen einzusetzen. 1 8 c) Nr. 3: Mit Gefahr des Todes oder schwerer Gesundheitsschädigung verbundene Ge- 21 walttätigkeiten; dazu § 46 Rdn. 33, § 10 Rdn. 2. d) Nr. 4: Plünderung oder Anrichten eines bedeutenden Schadens. - Plündern ist Wegnähme oder Abnötigen von Sachen in der Absicht rechtswidriger Zueignung unter Ausnutzung der Situation.

II. Störung öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 126 1. Androhen von Straftaten, Abs. 1 Abs. 1 soll den öffentlichen Frieden gegen die Androhung bestimmter, im einzelnen auf- 23 gezählter Straftaten schützen. - Androhung ist die Ankündigung, daß ein im Katalog genanntes Delikt durch den Drohenden oder kraft seines Einflusses tatsächlich oder vorgeblich verwirklicht werden kann. Das Delikt - und zwar genügt eine rechtswidrige, nicht unbedingt schuldhafte Tat - muß in seinen wesentlichen Zügen konkretisiert sein. Die Tathandlungen müssen nur nach den Umständen geeignet sein, den öffentlichen 24 Frieden zu stören. - Eine Friedensstörung braucht daher nicht eingetreten zu sein, es genügt, daß die Tathandlung die konkrete Besorgnis rechtfertigt, der Angriff werde den Friedenszustand oder das Vertrauen in seine Fortdauer erschüttern. 19 - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tat braucht nicht öffentlich begangen zu werden, es genügt, wenn nach den Umständen mit dem Bekanntwerden in der Bevölkerung zu rechnen ist. 20 2. Vortäuschen von Straftaten, Abs. 2 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf die Fälle, in denen der Täter vortäuscht, andere Per- 25 sonen, auf die er keinen Einfluß hat, planten die genannten Straftaten. Der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn der Täter vorgibt, die Tat stehe unmittelbar oder in nächster Zukunft be16

Dazu BGH NJW 1998 S. 465 mit Anm. RUDOLPHI JZ 1998 S. 471 f.

17

Vgl. auch BGHSt 27 S. 56; BGH StV 1981 S. 74; TRÖNDLE StGB, § 125 a Rdn. 2. - A.A. RUDOLPHI SK II, § 1 2 5 a Rdn. 5 .

18

Vgl. auch BayObLG JZ 1986 S. 1123 mit Anm. DÖLLING JR 1987 S. 467 ff; LG Berlin NStZ 1992 S. 3 7 .

19

BGHSt 34 S. 329.

20

BGHSt 29 S. 27.

319

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§63

vor. Auch hier genügt die Vortäuschung einer rechtswidrigen, nicht unbedingt schuldhaften Tat. 3. Der subjektive

Tatbestand

26 Im Falle der Androhung, Abs. 1, erfordert der Tatbestand Vorsatz, bedingter genügt; insbesondere muß der Täter erkennen, daß seine Androhung ernst genommen wird. - Die Tat gemäß Abs. 2 erfordert direkten Vorsatz.

III. Volksverhetzung, § 130 1. Das geschützte

Rechtsgut

27 Geschützte Rechtsgüter sind der öffentliche Friede sowie in Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 auch die Würde des Einzelnen. 2. Die

Deliktsnatur

28 Für die Tathandlungen des § 130 genügt deren Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören. Der Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein. Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 3. Einzelheiten der Regelung 29 a) Zur Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören vgl. Rdn. 24. 30 b) Abs. 1 unterscheidet zwei Tathandlungen: die Aufstachelung zum Haß gegen Teile der Bevölkerung sowie die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie (Nr. 1) und den Angriff auf die Menschenwürde anderer (Nr. 2). 31 aa) Teile der Bevölkerung sind von der Gesamtbevölkerung durch ein gemeinsames soziologisches Merkmal abgrenzbare Gruppen, seien diese nun nationale, rassische, religiöse oder politische, wirtschaftliche oder berufliche Gruppierungen. Beispiele: Die Juden (BGHSt 31 S. 231); die Ausländer (OLG Hamm NStZ 1995 S. 136); die ausländischen Gastarbeiter (OLG Celle NJW 1970 S. 2257); insbes. die Türken 21 ; in Deutschland lebende Neger 2 2 oder dunkelhäutige Menschen (OLG Zweibrücken NStZ 1994 S. 491); die "Asylbetrüger" 23 und Asylbewerber ohne Anerkennungsanspruch (OLG Düsseldorf MDR 1995 S. 948; Soldaten der Bundeswehr 2 . - Nicht hingegen: die Grenzschutzgruppe 9 (OLG Hamm NJW 1981 S. 591).

32 Zum Haß aufstacheln bedeutet nachhaltig auf Sinne und Gefühle anderer mit dem Ziel einwirken, Haß im Sinne von Feindschaft zu erzeugen oder zu steigern. - Auffordern ist ein Verhalten, mit dem erkennbar von einem anderen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangt wird. - Gewalt- und Willkürmaßnahmen sind gewaltsame und andere Eingriffe ohne Rechtsgrundlage. 33 bb) Die Menschenwürde ist angegriffen, wenn den angegriffenen Personen "ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft" bestritten wird und sie als "unterwertige Wesen" behandelt werden - Untermensch! -, 2 5 21

OLG Frankfurt NJW 1985 S. 1720; Lose NJW 1985 S. 1679.

22

OLG Hamburg NJW 1975 S. 1088 mit Anm. G e i l e n NJW 1976 S. 279 ff.

23

BayObLG NJW 1995 S. 145; OLG Frankfurt NJW 1995 S. 143; OLG Karlsruhe MDR 1995 S. 735.

24

OLG Koblenz NJW 1984 S. 2373; OLG Düsseldorf NJW 1986 S. 2518; vgl. auch BGHSt 36 S. 90; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1369 - a.A. STRENG Lackner-FS, S. 523.

25

Vgl. BGHSt 36 S. 90; 40 S. 150; BayObLG NJW 1991 S. 1493 ff; BayObLG NJW 1994 S. 952 mit

320

Delikte gegen den inneren Frieden

§63

Problematisch ist hingegen, ob die Menschenwürde bereits angegriffen ist, wenn der soziale Geltungsanspruch der Betroffenen verletzt wird und ihnen damit die Möglichkeit genommen wird, unvoreingenommen Gemeinschaft mit anderen zu haben, z. B. indem sie als Schmarotzer oder Kriminelle gebrandmarkt werden. Das ist zu bejahen, denn Teil der Menschenwürde ist auch die Möglichkeit des Einzelnen, unvoreingenommen Gemeinschaft mit anderen zu haben. Dieses Element der Menschenwürde wird hier beeinträchtigt, auch wenn dem Betroffenen die Menschenwürde als solche nicht abgesprochen wird.26 Beschimpfen ist eine besonders verletzende Mißachtenskundgebung. - Böswilliges Verächtlichmachen liegt in einer Herabwürdigung des Angegriffenen aus feindseliger, des Unrechts bewußter Gesinnung. - Zur Verleumdung vgl. § 32 Rdn. 126 ff. c) Tatgegenstand Tatgegenstand des Abs. 2 Nr. 1 sind Schriften und andere Darstellungen - dazu § 11 Abs. 3 -, die zum Haß gegen Teile der Bevölkerung - dazu Rdn. 31 f oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe, d.h. in dieser Weise verbundene Personenmehrheit, aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern - dazu Rdn. 32 - oder in der in Abs. 1 Nr. 2 genannten Weise, die Menschenwürde dieser Personen angreifen. - Ob die Schriften vor- oder nachkonstitutioneller Herkunft sind, ist irrelevant.27 Nach Abs. 2 Nr. 2 ist die Darbietung des in Abs. 2 Nr. 1 bezeichneten Inhalts durch den Rundfunk der Verbreitung von Schriften gleichgestellt. Die Tathandlungen (Verbreiten, öffentlich Ausstellen, usw.) beschreiben Formen des Zugänglichmachens der Tatgegenstände und dazu dienendes Vorverhalten. d) Abs. 3 erfaßt die öffentliche oder in einer Versammlung - dazu oben § 62 Rdn. 4 - erfolgende Billigung, Leugnung oder Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung gemäß § 220 a Abs. 1, in einer Art und Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

34

35

36

37

Abs. 3 erfaßt damit das Bestreiten der Gaskammermorde, sog. A u s c h w i t z l ü g e . - Zur sog. qualifizierten Auschwitzlüge (Leugnung der systematischen Vernichtung der Juden unter der nationalsozialistischen Herrschaft: BGH NJW 1994 S. 1421. - Zum sog. Auschwitz-Mythos: AG Hamburg NJW 1995 S. 1039; LG Hamburg NStZ-RR 1996 S. 262.

e) Die Verbreitung von Schriften mit dem in Abs. 3 genannten Inhalt in der in Abs. 2 be- 38 schriebenen Weise ist strafbar gemäß Abs. 4. f) Die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 gilt in den Fällen des Abs. 2, Abs. 3 sowie 39 Abs. 4 in Verb, mit Abs. 2 entsprechend, Abs. 5. IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur § 140 will den öffentlichen Frieden durch Verhinderung eines psychischen Klimas schüt- 40 Anm. HUFEN JUS 1994 S. 977, OTTO JR 1994 S. 473 ff; OLG Celle NJW 1982 S. 1545 f; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367 ff; OLG Düsseldorf MDR 1995 S. 948; LACKNER/KÜHL § 130 Rdn. 3; MAIWALD J R 1 9 8 9 S. 4 8 8 ; STRENG L a c k n e r - F S , S. 5 1 1 ; . 26

Eingehend dazu m.N. OTTO Jura 1995 S. 277 ff.

27

Vgl. dazu OLG Celle JR 1998 S. 79 mit Anm. POPP S. 80 ff.

28

Vgl. dazu krit. BEISEL NJW 1995 S. 997 ff; HUSTER NJW 1996 S. 487 ff.

321

§63

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

zen, in dem Delikte der in § 138 Abs. 1 Nr. 1-5 und § 126 Abs. 1 genannten Art gedeihen können. Es geht um den Schutz des Gefühls der Rechtssicherheit der Bevölkerung. 29 - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 2. Einzelheiten der Regelung 41 a) Belohnung ist die nachträgliche Gewährung irgendwelcher Vorteile, Billigung das Gutheißen der Straftaten durch eine aus sich heraus verständliche, anderen wahrnehmbare Zustimmung. - Die Billigung muß geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören;^ dazu Rdn. 24. 42 b) Öffentlich ist die Billigung, wenn der Zuhörerkreis nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden oder so groß ist, daß er nach Zahl und Individualität unbestimmbar ist. 31 43 c) Die nachträgliche Belohnung oder Billigung des Versuchs einer der genannten Taten genügt, soweit der Versuch dieser Tat strafbar ist. Daß der konkrete Täter wegen des Versuchs bestraft werden kann, ist jedoch nicht erforderlich. Insoweit ist der Gesetzeswortlaut: "in strafbarer Weise versucht worden ist", mißverständlich.

V. Anleitung zu Straftaten, § 130 a 1. Geschütztes Rechtsgut und Aufbau des Tatbestandes 44 § 130 a will den öffentlichen Frieden durch die Verhinderung eines psychischen Klimas schützen, in dem Delikte der in § 126 Abs. 1 genannten Art gedeihen können 32 ; vgl. auch Rdn. 40. 45 Der Tatbestand erfaßt zum einen das Verbreiten und Zugänglichmachen von Anleitungsschriften, zum anderen die Anleitung in der Öffentlichkeit oder in Versammlungen. 2. Einzelheiten der Regelung a) Anleitung zu einer Katalogtat nach § 126 Abs. 1 46 Anleiten ist die Information über die tatsächlichen, insbes. technischen Möglichkeiten der Tatausführung mit der Tendenz, die Begehung einer Vorsatztat zu fördern. b) Abs. 1 betrifft die eigentlichen Anleitungsschriften 47 Die Schrift - dazu vgl. auch § 11 Abs. 3 - muß zum einen geeignet sein, als Anleitung zu einer Katalogtat zu dienen, zum anderen muß sich aus ihrem Inhalt ihre Zweckbestimmung ergeben, die Bereitschaft anderer zur Begehung einer solchen Tat zu fördern oder zu wecken, d.h. den Tatwillen anderer zu bestärken oder zu verursachen. Verbreitet wird die Schrift, indem sie einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird. - Zugänglichmachen heißt die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch andere 2y

Kritisch zur Strafwürdigkeit des Verhaltens: BEMMANN Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 16; DENCKER S t V 1 9 8 7 S. 1 2 1 ; JAKOBS Z S t W 9 7 ( 1 9 8 5 ) S. 7 7 9 ; KÜHL N J W 1 9 8 7 S. 7 4 5 ; SCHROEDER D i e

Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 12. 30

Im einzelnen dazu BGHSt 22 S. 282; HANACK LK, § 140 Rdn. 14 ff; RUDOLPHI ZRP 1979 S. 219.

31

Dazu OLG Hamm MDR 1980 S. 159.

32

Vgl. BT-Drucks. 10/6286, S. 8. - Krit. dazu DEMSKI/OSTENDORF StV 1989 S. 30 ff; DENCKER StV 1987 S. 121; KÜHL NJW 1987 S. 745.

322

Delikte g e g e n den inneren Frieden

§63

eröffnen. - Ausstellen, Anschlagen und Vorführen sind Beispiele für ein Zugänglichmachen. c) Abs. 2 Nr. 1 betrifft "neutrale" Anleitungsschriften Anstelle der in Abs. 1 erforderlichen Zweckbestimmung der Schrift tritt hier die ent- 48 sprechende Absicht des Täters, die Bereitschaft anderer zur Tatbegehung zu fördern oder zu wecken. d) Abs. 2 Nr. 2 erfaßt die mündliche Anleitung Tathandlung ist das Anleiten zu einer Katalogtat in der Absicht, die Tatbereitschaft ande- 49 rer zu fördern oder zu wecken. Zu den Begriffen öffentlich, und in einer Versammlung vgl. § 62 Rdn. 4. e) Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, erfordert Kenntnis des Täters von den Tatumständen und 50 ihres Bedeutungsgehalts. Eine Subsumtion der Tat unter § 126 Abs. 1 ist jedoch nicht erforderlich; es genügt die Vorstellung von der Tat selbst. - Absicht im Sinne des Abs. 2 ist zielgerichtetes Wollen. f) Die Sozialadäquanzklausel, § 130 a Abs. 3 Die Sozialadäquanzklausel, dazu § 86 Abs. 3, ist für Abs. 2 kaum relevant, da sich die 51 unterschiedliche Zwecksetzung ausschließt. VI. Gewaltdarstellung, § 131 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechts gut Die kriminalpolitisch sehr problematische Vorschrift beruht auf wenig gesicherten 52 Grundlagen, ihre Grenzen sind aufgrund der Verwendung zu vieler normativer Begriffe vage. - Ein Schaden braucht nicht einzutreten; das Delikt ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Es soll den öffentlichen Frieden vor sozialschädlicher Aggression und Hetze schützen, daneben aber auch dem Jugendschutz dienlich sein. 33 2. Einzelheiten der Regelung a) Tatgegenstand sind Schriften und andere Darstellungen; dazu § 11 Abs. 3. Gemäß 53 Abs. 2 ist die Verbreitung durch den Rundfunk der Verbreitung von Schriften gleichgestellt. Die Tathandlungen (Verbreiten der Schriften usw.) beschreiben Formen des Zugänglichmachens der Tatgegenstände und dazu dienendes Vorfeld verhalten. b) Gewalttätigkeiten gegen Menschen setzen den Einsatz physischer Gewalt durch po- 54 sitives Tun unmittelbar gegen einen Menschen voraus, um seine körperliche Integrität zu verletzen. Gerade im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift, sozialschädliche Aggressionen zu verhindern, ist die Beschränkung auf positives Tun, die aber im Wortlaut "Gewalttätigkeit" angelegt ist, sachwidrig. Auch die Schilderung wie jemand z.B. verbrennt oder von Ameisen gefressen wird, ohne daß ihm geholfen wird, obwohl dies möglich wäre, dürfte gleiches Gewicht haben wie die Schilderung einer Gewalttätigkeit durch positives Tun.

Zum Merkmal grausam vgl. oben § 4 Rdn. 36 f; unmenschlich ist die menschenver- 55 achtende Einstellung des Täters. - Verherrlichend ist eine positiv wertende Darstellung, 33

Dazu GERHARDT NJW 1975 S. 375; LANGE Heinitz-FS, S. 593 ff; RUDOLPHI JA 1979 S. 2.

323

§63

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

verharmlost wird das Geschehen durch bewußte Bagatellisierung als akzeptables Mittel zur Lösung von Konflikten. 34 - Eine die Menschenwürde verletzende Darstellungsart liegt vor, wenn Schmerz und Qualen von Menschen gezielt als bloßes Unterhaltungsmittel zum Aufputschen der Nerven eingesetzt werden. Enger BVerfG NJW 1993 S. 1457: "Darstellungen von grausamen oder unmenschlichen Gewalttätigkeiten, die darauf angelegt sind, beim Betrachter eine Einstellung zu erzeugen oder zu verstärken, die den jedem Menschen zukommenden fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet."

56 Die Art der Schilderung muß die Gewalttätigkeiten verherrlichen oder verharmlosen oder sie in einer die Menschenwürde verletzende Weise darstellen. Die Strafwürdigkeit liegt demnach wesentlich in der Art und Weise der Schilderung begründet. 57 c) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich darauf erstrecken, daß in der Schrift Gewalt verherrlicht wird usw. - Eine Absicht des Täters, dieses Ziel zu erreichen, ist nicht erforderlich. Der Täter braucht diese Tendenzen seiner Handlung nicht einmal zu billigen. d) Ausschluß des Tatbestandes 58 aa) Das Berichterstatterprivileg nach § 131 Abs. 3 schließt den Tatbestand aus. - Berichterstattung ist jede auf Reproduktion der tatsächlichen Ereignisse gerichtete Überlieferung, auch die Dokumentation, die in fiktiver Nachgestaltung wirkliche Vorgänge vor Augen führen will. - Übertreibungen, pädagogisch motivierte Schilderungen erdichteter Vorgänge und Verfälschungen der tatsächlichen Ereignisse fallen hingegen nicht unter das Privileg. 59 Sachlich kommt dem Berichterstatterprivileg des § 131 Abs. 3 im wesentlichen nur klarstellende Funktion zu, denn die historisch getreue Berichterstattung erfüllt nicht die im Tatbestand geforderte Art der Schilderung. Werden hingegen historische Ereignisse verzerrt in der beschriebenen Weise geschildert, so greift Abs. 3 nicht ein. 60 bb) Zum Erzieherprivileg des § 131 Abs. 4 vgl. auch unten § 66 Rdn. 62. 3. Zur Rechtfertigung 61 Nur in Ausnahmefällen wird eine der in § 131 erfaßten Gewaltschilderungen und Äußerungen als Kunstwerk anerkannt werden können, da die künstlerische Verarbeitung, selbst wenn die Schilderung grausam oder unmenschlich ist, kaum eine Verherrlichung oder Verharmlosung der Gewalttaten ausdrücken wird. 62 Sollte im Einzelfall allerdings ein Werk, das den Anforderungen des § 131 entspricht, als Kunstwerk anerkannt werden, so wird eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG regelmäßig in Betracht kommen. 35

VII. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 1. Das Wesen des Tatbestandes und das geschützte Rechtsgut 63 a) § 111 Abs. 1 ist ein gegenüber der Anstiftung, § 26, und der versuchten Anstiftung, § 30 Abs. 1, erweiterter Auffangtatbestand. Die rechtswidrige Tat, zu der der Täter auffordert, muß ihrer Art und ihrem rechtlichen Wesen nach bestimmt sein. Im Gegensatz zu §§ 26, 30 ist jedoch nicht erforderlich, daß

34

Vgl. OLG Koblenz MDR 1986 S. 256.

35

Im einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. oben § 32 Rdn. 45 ff.

324

Delikte gegen den inneren Frieden

§63

der Aufgeforderte als ganz bestimmte Person schon feststeht und Zeit, Ort sowie Objekt der Tat bereits in den wesentlichen Zügen konkretisiert sind. b) Geschützt wird der innere Gemeinschaftsfrieden. 3 6

64

2. Die Aufforderung gemäß Abs. 1 a) Aufforderung ist eine Äußerung, mit der erkennbar von einem anderen ein bestimmtes 65 Tun oder Unterlassen verlangt wird. Ein bloßes "Anreizen" zur Tat, Gutheißen 3 7 oder Befürworten der Tat 3 8 genügt nicht. - Nicht vorausgesetzt wird, daß sich unter den Aufgeforderten ein tauglicher Täter der Tat, zu der aufgefordert wird, befindet. Das Delikt ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 39 Aufforderung und Bestimmen i.S. des § 26 sind danach identisch, wenn für das Bestimmen mehr verlangt wird als die bloße Verursachung des Tatentschlusses Bei der Aufforderung zu Sitzblockaden, §§ 111, 240, hat die 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG allerdings die Aufforderung als nicht hinreichend bestimmt angesehen, wenn entsprechende Flugblätter nicht die für die Bewertung der Rechtswidrigkeit maßgebenden Umstände enthalten. 4 ' - Da der Täter im Zweifel überhaupt keinen Anlaß zu derartigen Mitteilungen sieht, ist § 111 damit in bezug auf die Aufforderung zu Sitzblockaden tatsächlich außer Kraft gesetzt sowie Wesen, Schutzzweck und tatbestandliche Besonderheit des § I I I gründlich verkannt w o r d e n . 4 '

Zum Begriff öffentlich vgl. oben § 62 Rdn. 4; in einer Versammlung: vgl. oben § 62 Rdn. 66 4; Verbreiten heißt die Schriften ( § 1 1 Abs. 3) einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich machen, den der Täter nicht mehr kontrollieren kann. Das bloße Anbieten zum Kauf ist noch kein Verbreiten. 43 b) Der Vorsatz ist gegenüber dem Anstiftungsvorsatz weiter, da keine konkrete Person zur 67 Tat bestimmt werden muß. Er erfordert das Bewußtsein, daß die Aufgeforderten eine rechtswidrige Tat begehen, wozu auch die Teilnahme zählt, nicht aber Ordnungswidrigkeiten. Der Vorsatz, daß die Aufgeforderten die Tat vollenden, ist im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut nicht erforderlich, so daß auch ein agent provocateur unter § 111 fällt. 4 4 c) Die Bestrafung nach Abs. 1 setzt voraus, daß die Aufforderung Erfolg gehabt hat, d.h. 68 daß es zu der rechtswidrigen vollendeten Tat oder zu einem mit Strafe bedrohten Versuch gekommen ist. 3 6

V g l . d a z u B G H S t 2 9 S . 2 6 7 ; v . BUBNOFF L K , § 1 1 1 R d n . 5 . - A . A . LACKNER/KÜHL § 111 R d n . 1;

SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 13: das durch die Straftat beeinträchtigte Rechtsgut; PLATE ZStW 84 (1972) S. 303: empirische Geltung der Rechtsordnung; JAKOBS ZStW 97 ( 1 9 8 5 ) S. 7 7 7 : R e c h t s f r i e d e n s s t ö r u n g . 37

BGHSt 32 S. 310.

38

Dazu OLG Karlsruhe NStZ 1993 S. 389.

39

Vgl. BayObLG NJW 1994 S. 396.

4 0

D a z u v g l . GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 R d n . 3 2 f f .

41

Vgl. BVerfG (3. Kammer, 1. Senat) NStZ 1991 S. 279; BVerfG (3. Kammer, 1. Senat) NJW 1992 S. 2688.

4 2

V g l . d a z u B a y O b L G J R 1 9 9 3 S . 1 1 7 m i t A n m . NEHM S. 1 2 0 f f ; v . BUBNOFF L K , § 1 1 1 R d n . 2 3 ; OTTO J R 1 9 9 3 S . 2 5 9 ; SCHMITT GLAESER J R 1 9 9 1 S . 16 f . - A n d e r s : G R A U L J R 1 9 9 4 S . 5 5 f f .

43

K G S t V 1983 S.461.

4 4

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 1 1 1 R d n . 6. - A . A . SCH/SCH/ESER § 111 R d n . 17.

325

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§63

69 d) Die Strafverfolgung nach § 111 setzt keinen Antrag voraus, auch wenn das Delikt, zu dem aufgefordert wird, ein Antragsdelikt ist. 4 5 3. Die erfolglose Aufforderung gemäß Abs. 2 70 Im Hinblick auf den Erfolg der Tat hat Abs. 2 die Funktion des § 30 Abs. 1 gegenüber § 26. Entgegen § 30 Abs. 1 sieht § 111 Abs. 2 jedoch nicht eine Strafmilderung vor, sondern bietet einen selbständigen Strafrahmen. Diese in die Gesetzessystematik nur schwer einzupassende Regelung führt zu der Konsequenz, daß Beihilfehandlungen zur Tat nach Abs. 2 - im Gegensatz zur Beihilfe bei der erfolglosen Anstiftung gemäß § 30 Abs. 1 strafbar sind. 4 6 4.

Konkurrenzen

7 1 Wird der Täter wegen der Tat, zu der er aufgefordert hat, als Täter, Anstifter oder erfolgloser Anstifter, §§ 25, 26, 30, bestraft, so wird § 111 konsumiert. 4 7

45

OLG Stuttgart NJW 1989 S. 1939.

46

Dazu BGHSt 29 S. 266 f.

47

Für Tateinheit: SCH/SCH/ESER § 111 Rdn. 23; TRÖNDLE § 111 Rdn. 9. - Für Subsidiarität des § 111: LACKNER/KÜHL § 111 R d n . 10; SCHROEDER S t r a f t a t e n , S. 30.

326

Delikte gegen d a s P i e t ä t s e m p f i n d e n

§64

Dritter Abschnitt

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens § 64: Delikte gegen das Pietätsempfinden 1. Das geschützte Rechtsgut der §§166-168 Die Bezeichnung der hier relevanten Straftaten als Delikte gegen das Pietätsempfinden ist ungenau. Geschützt wird - genausowenig wie bei der Beleidigung das subjektive Ehrempfinden - keineswegs das subjektive Pietätsempfinden des Einzelnen, sondern der öffentliche Frieden durch das Gebot, das Pietätsempfinden anderer zu achten. Es geht um die Wahrung von Anstand und Würde bei religiösen und weltanschaulichen Äußerungen.1 2. Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen, § 166 Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt, maßgeblich ist die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören.2 a) Schutz religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse, Abs. 1 Die öffentlich - vgl. dazu oben § 62 Rdn. 4 - oder durch Verbreiten von Schriften - zur Gleichstellung mit Schriften vgl. § 11 Abs. 3 - erfolgende Beschimpfung, d.h. nach Form und Inhalt besonders verletzende Mißachtensäußerung, muß geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören - dazu oben § 63 Rdn. 24 -. Die Friedensstörung kann auch bei der Beschimpfung eines individuellen Bekenntnisses gegeben sein, denn es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen sich getroffen fühlen, sondern ob Art und Weise der Äusserung den nach den Grundsätzen friedlichen Zusammenlebens gebotenen Anstand und die erforderliche Würde im religiösen oder weltanschaulichen Bereich verletzen. Als religiöses Bekenntnis ist ein Bekenntnis anzusehen, das inhaltlich wesentlich durch den Glauben an Gott als den letzten Weltgrund bestimmt wird. Dem weltanschaulichen Bekenntnis ist dieser metaphysische Bezug nicht wesentlich, denn der Weltanschauung geht es um eine Deutung der Welt und der Stellung des Einzelnen in ihr ohne diesen Bezug.

1

2

3

4

Daher ist die nach h.M. durch Art. 4 Abs. 1, 140 GG in Verb, mit Art. 137 Abs. 7 WRV gebotene Gleichstellung des religiösen mit dem weltanschaulichen Bekenntnis recht dubios. Das religiöse Bekenntnis ist nämlich andersartigen und auch in andere Dimensionen weisenden Angriffen ausgesetzt als ein weitanschauliches Bekenntnis, und zwar aufgrund seines metaphysischen Bezugs sowie der anderen als den Gläubigen nicht nachvollziehbaren Verbindung des Einzelnen mit Gott im Glaubensakt.

b) Schutz bestimmter Institutionen, Abs. 2 Weltanschauungsvereinigungen sind Personenvereinigungen, die sich zu einer bestimmten Vgl. dazu HARDWIGGA 1962 S. 257 ff; WORMS Die Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB und die Lehre vom Rechtsgut, 1984, S. 88 ff, 133 ff. - Für eine differenzierte Betrachtungsweise bei den einzelnen Tatbeständen, wobei im wesentlichen auf den Schutz des öffentlichen Friedens abgestellt wird: LACKNER/KÜHL § 166 Rdn. 1, § 167 Rdn. 1, § 168 Rdn. 1; MAURACH/ S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 6 1 R d n . 2 ; RUDOLPHI S K II, V o r § 1 6 6 R d n . 1, 3 ; S C H / S C H / L E N C K N E R

Vorbem. §§ 166 ff Rdn. 2. - Als unselbständigen Teil des § 130 Nr. 3 interpretiert FISCHER GA 1989 S. 4 5 6 ff, 4 6 4 , den § 1 6 6 . So auch TRÖNDLE StGB, § 166 Rdn. 3. - A.A. GALLAS Heinitz-FS, S. 182; HERZOG NK, § 166 Rdn. 1; RUDOLPHI S K II, § 1 6 6 R d n . 1 4 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 1 6 6 R d n . 1 2 .

327

5

§64

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Weltanschauung bekennen. - Ob die Religionsgesellschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, spielt keine Rolle. - Einrichtungen sind die für die innere und äußere Verfassung oder die Ausübung der Religion bzw. Weltanschauung verbindlichen Ordnungen der Gruppe. Beispiele: Konfirmation; Singen von Kirchenliedern; Messe; Priestertum; Predigt u.ä.

6

7

Gebräuche sind allgemeine, tatsächliche Übungen der Gruppe, z.B. Kollektenwesen, Bekreuzigung, Reliquienverehrung. c) Zur Rechtfertigung Die Rechtfertigung einer Beschimpfung aufgrund der Wahrnehmung der Freiheit der Kunst, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, wird nur in Grenzfällen in Betracht kommen. Die Beachtung des grundgesetzlichen Wertsystems und der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Wertordnung wird hier nur selten zu einem Vorrang der Kunstausübung führen. Die religiöse Beschimpfung z.B. tangiert aufgrund ihrer Eignung, den existentiellen Persönlichkeitsbereich in seinem Glaubensbezug zu verletzen, die Freiheit der Religionsausübung, die grundsätzlich der Kunstfreiheit gleichwertig ist. 3 3. Störung der Religionsausübung, § 167

a) Störung des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung, Abs. 1 Nr. 1 8 Gottesdienst ist die Vereinigung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft zur religiösen Verehrung oder Anbetung Gottes. Politische Demonstrationen in Form einer religiösen Andacht genießen nicht den Schutz des § 167.4 - Gottesdienstliche Handlung ist eine auf dem religiösen Kult beruhende Handlung, die außerhalb des Gottesdienstes der Gottesverehrung dient oder die Verbundenheit mit Gott zeigen soll, z.B. Taufe, Trauung, Prozession. Die Störung, d.h. Behinderung oder Erschwerung, muß absichtlich, also zielgerichtet, unternommen sein; im übrigen genügt Vorsatz, auch bedingter Vorsatz. 9

b) Beschimpfender Unfug an geweihtem Ort, Abs. 1 Nr. 2 Beschimpfender Unfug ist eine grob ungehörige Verletzung der Achtung des religiösen oder weltanschaulichen Empfindens anderer. - Ein bestimmter Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein, die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. c) Dem Gottesdienst gleichgestellt sind entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden weltanschaulichen Vereinigung, Abs. 3.

4. Störung einer Bestattungsfeier, § 167 a 11 Bestattungsfeiern sind nicht nur Beerdigung und Einäscherung, sondern auch die dazu gehörenden Feierlichkeiten, wie z.B. der Leichenzug und die Trauerfeier. 5. Störung der Totenruhe, § 168 a) Die unbefugte Wegnahme von Leichen u.a., Abs. 1,1. Alt. i

Im einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. oben § 32 Rdn. 45 ff. - Speziell zur Beschimpfung durch Karikaturen und Satiren: OLG Köln NJW 1982 S. 657; OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 1211; WÜRTENBERGER NJW 1982 S. 610 ff. Grundsätzlich zum Konflikt zwischen Glaubensfreiheit und Kunstfreiheit: KRAUSS Noll-GedS, S. 209 ff.

4

Vgl. OLG Celle NJW 1997 S. 1167.

328

Delikte gegen das Pietätsempfinden

§64

aa) Der Körper eines verstorbenen Menschen ist geschützt, solange er noch nicht zerfallen oder Gegenstand des Rechtsverkehrs, z.B. Anatomieleiche, geworden ist; zum Zeitpunkt des Beginns des Lebens als Mensch vgl. oben § 2 Rdn. 4, zum Zeitpunkt des Todes vgl. oben § 2 Rdn. 10. - Teile des Körpers sind die natürlichen Bestandteile des Körpers, auch das Leichenblut und Gewebeteile.5 Dem Körper eingefügte fremde Bestandteile, z.B. Prothesen, Herzschrittmacher, sind durch die Eigentumsdelikte hinreichend geschützt und daher nicht als Körperteile i.S. des § 168 anzusehen.6 - Leibesfrucht ist die menschliche Frucht vom Zeitpunkt der Nidation an.

\2

bb) Wegnahme ist hier nicht als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams i.S. 13 der Eigentumsdelikte zu verstehen, sondern als Entfernung aus einem tatsächlichen Obhutsverhältnis. Dieses Obhutsverhältnis ist nicht rein normativ im Sinne eines bloßen Obhutsrechts zu verstehen, sondern wird durch das Hinzutreten einer faktischen Komponente begründet. Das ist der Fall, wenn der Obhutsberechtigte, d. h. die Person, der die Bestattung obliegt, nach Benachrichtigung vom Tode dem gegenüber, der die Leiche in Gewahrsam hat, zum Ausdruck gebracht hat, daß er die Obhut übernimmt. 7 Gewahrsam an der Leibesfrucht wird im Regelfall der Leiter des Krankenhauses haben, 14 in dem die tote Leibesfrucht durch Schwangerschaftsabbruch angefallen ist.8 Ein Obhutsverhältnis Angehöriger ist hier nur bei ausdrücklichem Verlangen, die Leibesfrucht in Obhut zu nehmen, begründet. 9 Diese Bestimmung des Obhutsverhältnisses hat die Konsequenz, daß eine eigenmächtige Sektion oder Entnahme von Organen zur Transplantation vor der Benachrichtigung der Angehörigen nicht unter den Tatbestand des § 168 fällt. Gleichfalls nicht erfaßt ist im Regelfall auch die Verwertung der Leibesfrucht durch die Leitung eines Krankenhauses. 10 b) Die VerÜbung beschimpfenden Unfugs an einer Leiche u.a., Abs. 1, 2. Alt. Zur Verübung beschimpfenden Unfugs vgl. § 64 Rdn. 9.

15

c) Zerstörung von Aufbahrungsstätten u.a., Abs. 2 Während Aufbahrungsstätten Orte sind, an denen Tote aufgebahrt sind, brauchen sich an 16 Totengedenkstätten keine Toten zu befinden. Der Begriff der Beisetzungsstätte kann dem Schutz des Rechtsgutes gemäß nicht nur unmittelbar auf das Grab beschränkt, sondern muß auch auf die unmittelbar zum Grab gehörenden Gegebenheiten - Grabdenkmäler, Umfriedung - erstreckt werden. - Zum Zerstören und Beschädigen vgl. § 47 Rdn. 5; zum Verüben beschimpfenden Unfugs vgl. § 64 Rdn. 9.

5

KGNJW 1990 S. 782.

6

D a z u § 3 9 Rdn. 5 f; im übrigen vgl. BRINGEWAT JuS 1981 S. 2 1 3 ; DERS. JA 1 9 8 4 S. 61 ff; LACKNER/

KÜHL § 168 Rdn. 2; RUDOLPHI Jura 1979 S. 46. - Differenzierend nach der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität durch die Entfernung: HERZOG N K , § 168 Rdn. 6; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . 2, § 6 2 Rdn. 9 ff; TRÖNDLE S t G B , § 168 Rdn. 2. 7

O L G Z w e i b r ü c k e n JR 1 9 9 2 S . 2 1 2 mit A n m . LAUBENTHAL S. 2 1 3 ; LACKNER/KÜHL § 168 Rdn. 3 ;

OTTO Jura 1992 S. 667 f, m.w.N. - A.A. DIPPEL L K , 10. Aufl., § 168 Rdn. 24; STERNBERG-LIEBEN NJW 1987 S. 2062. 8

BT-Drucks. 10/3758, S. 4.

9

A . A . STERNBERG-LIEBEN N J W 1 9 8 7 S. 2 0 6 2 .

10

Vgl. dazu auch OLG Zweibrücken JR 1992 S. 212.

329

§65

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§ 65: Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfälschung, § 169 1. Das geschützte Rechtsgut und das

Angriffsobjekt

1

a) § 169 schützt die Allgemeinheit und damit mittelbar auch die jeweils Betroffenen vor den Gefahren falscher behördlicher Personenstandsfeststellungen. Personenstand ist der Familienstand, d.h. das familienrechtliche, auf Abstammung oder Rechtsakt beruhende Verhältnis einer Person zu einer anderen Person.

2

b) Angriffsobjekt ist allein der Personenstand eines anderen, d.h. nicht der eigene oder der Personenstand einer nicht existierenden Person. 2. Die Regelung im einzelnen

3

a) Unterschieben eines Kindes ist die Gefährdung des Personenstandes dadurch, daß ein Kind aufgrund einer Täuschung in eine so enge tatsächliche Beziehung zu einer bestimmten Frau gebracht wird, daß es nach der äußeren Sachlage als deren leibliches Kind erscheint. Die Gefahr einer unrichtigen behördlichen Feststellung des Personenstandes, z.B. durch unrichtige Eintragung im Geburtenbuch, braucht nicht konkret gegeben zu sein, es genügt vielmehr, daß das Verhalten geeignet ist, unrichtige behördliche Feststellungen zu begründen. Eine derartige Gefahr ist über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu fordern, denn ist diese Gefahr ausgeschlossen, so daß nur andere Personen aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten getäuscht werden, liegt eine Personenstandsfälschung nicht v o r . ' '

4

Falsche Angaben sind unwahre Erklärungen gegenüber der zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde. - Unterdrücken ist die Herbeiführung eines Zustandes, der die behördliche Feststellung verhindert oder erschwert. Bloßes Unterlassen ist nur in einer Garantenposition strafbar. Die Zuständigkeit zur Führung von Personenstandsbüchern ist im PStG geregelt. - Zuständig zur Feststellung des Personenstandes sind die Behörden, die durch Entscheidung für und gegen jedermann dazu berufen sind, den Personenstand eines Menschen amtlich festzustellen oder zu verändern oder bei einer Veränderung mitzuwirken. Beispiele: Standesbeamter, Vormundschaftsgericht o.a.

5

6

b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muß wissen, daß er den Personenstand eines anderen falsch angibt oder unterdrückt und daß die zuständige Behörde von dem unrichtigen Personenstand Kenntnis erlangt. c) Die Tat ist Zustandsdelikt, d.h. sie ist mit der Herbeiführung des unrichtigen Zustandes beendet. - Vollendet ist das Delikt, wenn die falsche Angabe usw. derart in den Wahrnehmungsbereich der entsprechenden Behörde gelangt ist, daß der zuständige Beamte sie zur Kenntnis nehmen kann. Zur

7

Verdeutlichung:

a) Die Ehefrau A hat nach einem Ehebruch mit X ein Kind bekommen. Sie meldet dies als eheliches Kind zur Eintragung beim Standesamt an. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor. Bis zur Anfechtung der Ehelichkeit gilt das Kind als ehelich, § 1591 BGB. Gleiches gilt bei der Anerkennung eines Kindes als ehelich nach §§ 1600 a ff BGB. ^

11

D a z u BOHNERT J u s 1 9 7 7 S . 7 4 7 ; STURM J Z 1 9 7 4 S . 2.

12

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 169 R d n . 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 3 R d n . 10. - A . A .

330

Delikte gegen die familiäre O r d n u n g

§ 65

b) Die A weigert sich, den Erzeuger ihres nichtehelichen Kindes anzugeben. Dadurch kann das Jugendamt die nötigen gerichtlichen Personenstandsfeststellungen nicht in die Wege leiten. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor, da die A nicht Garantin gegenüber der Behörde ist. In gleicher Weise fehlt die Garantenstellung beim Arzt, der über die Herkunft des Samens bei heterologer Insemination schweigt.

c) Die A, die eine Fehlgeburt erlitten hat, gibt ihrem Ehemann (E) gegenüber das Kind ihrer Freundin F als ihr eigenes aus. Die F ist einverstanden. Sie wollte das Kind zur Adoption freigeben. E meldet das Kind beim Standesamt als eigenes an. Ergebnis: A unterschiebt ein Kind.'^ d) A gibt dem Finanzamt gegenüber fälschlicherweise den X als Vater ihres nichtehelichen Kindes an. Sie meint, das Finanzamt sei auch eine zur Feststellung des Personenstandes zuständige Behörde. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor; A begeht ein Wahndelikt. Ihr Irrglaube erweitert die behördliche Zuständigkeit nicht. e) A meldet seine Freundin F beim Einwohnermeldeamt als seine Ehefrau an. Ergebnis: § 169 nicht gegeben, das Einwohnermeldeamt ist nicht zuständige Behörde i.S. des § 169.

II. Doppelehe, § 172 1. Das geschützte

Rechtsgut

§ 172 schützt die staatliche Eheordnung als Teil der Familienordnung. - Verheiratet ist, wer in formell gültiger Ehe lebt, § 1310 BGB.

8

2. Die Tathandlung Tathandlung ist das Schließen einer formell gültigen Ehe in einem Zeitpunkt, in dem der Täter oder der Partner noch formell gültig verheiratet ist.

9

BGHSt 4 S. 6: A, der damit rechnete, daß seine Ehefrau noch lebte, ließ diese für tot erklären und heiratete nach Rechtskraft der Todeserklärung die B. BGH: Da die erste Ehe erst durch die neue Eheschließung aufgelöst wird, § 1319 Abs.2 BGB, ging A eine Doppelehe ein. - Nicht notwendig ist es, daß nach der Tat zwei Ehen bestehen. Dem ist mit SCH/SCH/LENCKNER § 171 Rdn. 4, entgegenzuhalten, daß in diesen Fällen ein Strafbedürfnis nach § 172 nicht besteht, da die staatliche Eheordnung durch die Tat nicht betroffen wird, weil nach der Tat nur eine formell gültige Ehe besteht.

Führt die erneute Eheschließung nicht zu einer gültigen, wenn u.U. auch anfechtbaren 10 Ehe, sondern zu einer bloßen Nichtehe, so ist der Tatbestand nicht erfüllt. 16 3. Die Deliktsnatur a) Die Tat ist Zustands-, nicht Dauerdelikt. Sie ist daher mit Abgabe der Erklärungen ge- 11 mäß § 1311 BGB vollendet und beendet.

TRÖNDLE StGB, § 169 Rdn. 6. 13

Vgl. DIPPEL LK, 10. Aufl., § 169 Rdn. 20 m.e.N.

14

BT-Drucks. VI/3521, S. 11.

15

Dazu RGSt 36 S. 137. Vgl. LG Hamburg NStZ 1990 S. 280; zur Frage des anwendbaren Rechts bei ausländischer Eheschließung: LIEBELT NStZ 1993 S. 544 f. - Zur Mehrehe eines Ausländers in Deutschland: StA München NStZ 1996 S. 436.

331

§65

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

12 b) Auf Teilnehmer findet § 28 Abs. 1 keine Anwendung, denn der Zustand des "Verheiratetseins" ist keine pflichtbegründende Gegebenheit, sondern allein Voraussetzung für einen wirksamen Angriff auf das geschützte Rechtsgut. 17

III. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 1. Das geschützte Rechts gut 13 Geschütztes Rechtsgut ist die innere Familienordnung. Die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verwandten ist lange Zeit unter Hinweis auf die Möglichkeit psychischer, eugenischer und genetischer Schäden begründet worden. Diese Argumentation ist vielfachen Zweifeln ausgesetzt. Gleichwohl erscheint das Verhalten im Hinblick auf mögliche psychische Schäden durchaus strafwürdig. 14 Die Familie gibt den einzelnen Mitgliedern nur dann Möglichkeiten zu einer ausgeglichenen personalen Entwicklung im emotionalen Bereich, wenn sie die Überlastung oder einseitige Belastung der Psyche des Einzelnen verhindert. - Die nicht intakte, d.h. tatsächlich unvollständige oder aufgrund der Verkennung der jeweiligen Rollenstellung unausgeglichene Familie ist ein kriminogener Faktor ersten Ranges. - Sexuelle Beziehungen zwischen den engsten Familienmitgliedern neben den Ehepartnern stellen sodann eine emotionelle Belastung der unmittelbar Betroffenen wie auch der anderen Familienmitglieder dar, die die Gefahr gestörter Persönlichkeitsentwicklungen begründet. 1 8 Da das Gesetz nach wie vor auf die leibliche Verwandtschaft abstellt, kommt dieser Schutzgedanke nur unvollständig in der Vorschrift selbst zum Tragen. 2. Die

Tathandlung

15 a) Tathandlung ist der Beischlaf, das ist jede Vereinigung der Geschlechtsteile, gleichviel wie weit das männliche Glied in die Scheide eingeführt wird. 1 9 Differenzierungen danach, ob das männliche Glied nur in den Scheidenhof oder in die Scheide selbst gelangt, erscheinen hier wegen der Schwierigkeiten der Feststellungen nicht sinnvoll. 2 ^

16 b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, der sich auf die wirklichen blutsmäßigen Verhältnisse beziehen muß. 3. Die

Deliktsnatur

17 Die Tat ist eigenhändiges Delikt, so daß mittelbare Täterschaft ausscheidet. - Die Beteiligung des Deszendenten (Abs. 1) oder Aszendenten (Abs. 2 S. 1) ist als Teilnahmehandlung nicht eigenständig strafbar, so daß jeder nur aus dem für ihn geltenden Tatbestand bestraft werden kann. Die Teilnahme Dritter richtet sich nach Abs. 1. Da die Verwandtschaft hier die erhöhte sozialethische Pflicht begründet, für eine angemessene psychische Entwicklung der anderen Familienmitglieder Sorge zu tragen, ist die Verwandtschaft besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. I. 2 1

17

E b e n s o HORN S K II, § 171 R d n . 7 ; LACKNER/KÜHL § 171 R d n . 7 ; R o x i n L K , § 2 8 R d n . 6 8 ; SCH/SCH/ LENCKNER§ 1 7 1 R d n . 8. - A . A . TRÖNDLE S t G B , § 171 R d n . 5.

18

Im einzelnen dazu BT-Drucks. VI/1552, S. 14; VI/3521, S. 17.

19

BGHSt 16 S. 177.

20

Dazu BGHSt 16 S. 177; BGH bei Daliinger, MDR 1973 S. 17.

21

So auch LACKNER/KÜHL § 173 Rdn. 6; TRÖNDLE StGB, § 28 Rdn. 7. - A.A. BGH NStZ 1994 S. 181

332

Delikte gegen die familiäre O r d n u n g

§65

4. Strafausschluß § 173 Abs. 3 enthält einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Deszendenten und 18 Geschwister unter 18 Jahren, der eine Strafbarkeit Dritter wegen Anstiftung nicht ausschließt. 22

IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützes Rechtsgut des Abs. 1 ist die materielle Sicherstellung des Berechtigten, dane- 19 ben die Schonung der öffentlichen Finanzen,23 - Abs. 2 dient dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren,24 2. Die Regelung des Abs. 1 a) Das Bestehen einer Unterhaltspflicht richtet sich nach bürgerlichem Recht. Wenn und 20 solange ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch besteht, ist auch eine gesetzliche Unterhaltspflicht i.S. des § 1570 BGB gegeben. Die Voraussetzungen des Anspruchs hat der Strafrichter selbständig zu prüfen; dabei ist er an die Beweisvermutung der §§ 1591 ff, 1600 m, 1600 o BGB gebunden. Ein eventuell vorliegendes Unterhaltsurteil bindet den Strafrichter nicht, wohl aber ist der Strafrichter an die im Statusverfahren rechtskräftig festgestellten Fakten (z.B. Vaterschaft) gebunden. 25 Mangels Verletzung inländischer Interessen liegt eine Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht i.S. § 170 nicht vor, wenn ein im Inland lebender Ausländer 2 ^ oder D e u t s c h e r 2 7 sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht.

b) Als Unterhaltsleistung kommen in erster Linie Ansprüche auf Geldleistungen in Be- 21 tracht. Soweit die Verpflichtung eines Unterhaltsverpflichteten auf Pflege und Erziehung gerichtet ist, vgl. § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB, gehört zum Unterhalt die Vornahme aller der Handlungen, die normalerweise im Haushalt zu erbringen sind. 28 Voraussetzung der Unterhaltspflicht ist, daß der Verpflichtete überhaupt imstande ist zu leisten, und zwar muß es ihm möglich sein, den Anspruch zu erfüllen, ohne seinen eigenen notwendigen Lebensbedarf oder den vorrangig Berechtigter zu gefährden. Einschränkungen seines Lebensstandards muß er in diesem Rahmen hinnehmen. Er ist zur Ausschöp-

m i t A n m . DIPPEL, S. 182 f, OTTO J K 9 4 , S t G B § 2 8 / 1 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 13/11. 22 23

Vgl. B G H bei Miebach, NStZ 1992 S. 174. Dazu B V e r f G E 50 S. 142 f. Daher handelt es sich bei Abs. 2 um ein selbständiges Delikt gegenüber Abs. 1; vgl. SCHITTENHELM NStZ 1997 S. 169 f; SCH/SCH/LENCKNER § 170 b Rdn. 1 a. - Für einen Qualifikationstatbestand, da Abs. 2 auch dem Schutz der Rechtsgüter in Abs. 1 dient: GÜNTHER SK II, § 170 b Rdn. 11 f; LACKNER/KÜHL § 170 b R d n . 1; TRÖNDLE S t G B , § 1 7 0 b R d n . 10 a.

25

Str., wie hier: BGHSt 5 S. 106; BayObLG N J W 1967 S. 1287; O L G Düsseldorf StV 1991 S. 68. - Für eine BindungsWirkung des klageabweisenden Urteils: SCH/SCH/LENCKNER § 170 b Rdn. 13; SCHWAB N J W 1960 S. 2169 ff. - Allgemein für eine Bindungswirkung des Unterhaltsurteils: KAISER N J W 1972 S. 1847 f. - Ablehnend auch gegenüber Statusurteilen: EGGERT M D R 1974 S. 445 ff.

26

Dazu BGHSt 29 S. 85 mit Anm. KUNZ N J W 1980 S. 1201 ff, und OEHLER JR 1980 S. 381 f.

27

BayObLG N J W 1982 S. 1243.

28

Dazu B V e r f G E 50 S. 153 f.

333

§65

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

fung von Verdienstmöglichkeiten zur Realisierung seiner Leistungsmöglichkeit verpflichtet. 29 22 c) Entziehen ist vorrangig ein echtes Unterlassen. Es kann aber auch durch positives Tun Vereitelung des Anspruchs durch Herbeiführung der Leistungsunfähigkeit - begangen werden. 3 0 23 d) Der angemessene Lebensbedarf, nicht der notwendige, muß gefährdet sein. - Die Abwendung der Gefährdung durch Dritte ist dem Täter dann nicht zuzurechnen, wenn diese nur handeln, weil der Unterhaltsverpflichtete seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt, d.h. wenn eine Unterhaltssicherung erforderlich ist und mit der Hilfeleistung bezweckt wird. Zwischen der Unterhaltsverweigerung und der Hilfe Dritter oder der öffentlichen Hilfe muß daher ein innerer Zusammenhang bestehen. Erfolgt die Hilfe Dritter unabhängig von der verweigerten Unterhaltszahlung, so ist der Tatbestand nicht erfüllt. 3 1 24 e) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Er muß sich auf die Entziehung von der Unterhaltsverpflichtung erstrecken und die dadurch bewirkte Gefährdung des Unterhaltsberechtigten umfassen. 3 2 25 f) Die Tat ist Dauerdelikt. 3. Die Regelung des Abs. 2 26 a) Abs. 2 setzt wie Abs. 1 das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus. - Da der nichteheliche Vater nach § 1615 1 Abs. 1 BGB Unterhalt regelmäßig erst ab sechs Wochen vor der Geburt, frühestens ab vier Monaten vor der Entbindung, § 1615 1 Abs. 2 BGB, schuldet, scheidet er in der Regel als Täter aus, obwohl das BVerfG ihm eine besondere Verantwortungsposition der Schwangeren gegenüber zugewiesen hat. 3 3 27 b) Der Unterhalt muß der Schwangeren vorenthalten werden. Das entspricht dem Entziehen des Abs. 1 und bedeutet die Nichtleistung des Unterhalts. 28 c) Das Vorenthalten muß in verwerflicher Weise erfolgen, d.h. in sozial-ethisch besonders negativ zu beurteilender Weise. 3 4 29 d) Das Vorenthalten des Unterhalts muß den Schwangerschaftsabbruch bewirkt haben, d.h. für diesen ursächlich gewesen sein. 30 e) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt.

29

BayObLG NJW 1990 S. 3284; BayObLG NStZ 1991 S. 39; OLG Düsseldorf NJW 1994 S. 672; OLG Hamburg StV 1989 S. 206; LG Stuttgart NStZ 1995 S. 408. - Zur Anforderung und Weiterleitung von Kindergeld: OLG Celle NJW 1984 S. 317.

30

So BGHSt 14 S. 165; 18 S. 379, LG Stuttgart NStZ 1996 S. 234; TRÖNDLE StGB, § 170 b Rdn. 7. A . A . DIPPEL L K , 10. A u f l . , § 170 b R d n . 5 1 f f ; GÜNTHER S K II, § 1 7 0 b R d n . 2 9 ; LACKNER/KÜHL § 170 b Rdn. 9.

31

BVerfGE 50 S. 154; BGH NStZ 1985 S. 166; OLG Zweibrücken NStZ 1984 S. 458; OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 399.

32

Vgl. auch BayObLG StV 1994 S. 429.

3 3

V g l . BECKMANN Z f L 1 9 9 5 S . 3 1 ; GÜNTHER S K II, § 1 7 0 b R d n . 4 1 ; TRÖNDLE N J W 1 9 9 5 S . 3 0 1 7 .

3 4

V g l . d a z u GÜNTHER S K II, § 1 7 0 b R d n . 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 1 7 0 b R d n . 13; OTTO J u r a 1 9 9 6 S. 144.

- Jegliche Bedeutung sprechen dem Merkmal ab: SCHITTENHELM NStZ 1997 S. 171; SCH/SCH/LENCKNER § 1 7 0 b Rdn. 3 4 c.

334

Delikte gegen die familiäre Ordnung

§65

V. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 171 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist die ungestörte Entwicklung eigener oder fremder Kinder. - Das 31 Delikt ist konkretes Gefährdungsdelikt. 2. Die Tathandlung a) Die Fürsorge- oder Erziehungspflicht kann auf Gesetz, Vertrag, öffentlich-rechtlichem 32 Aufgabenbereich oder tatsächlicher Übernahme beruhen. Die Gefahr, in der körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, erfaßt nicht jede Möglichkeit, daß das Kind Schaden erleiden kann. Es muß zu befürchten sein, daß der normale Ablauf des körperlichen oder geistig-seelischen Reifeprozesses dauernd oder nachhaltig gestört wird. 35 - Ein krimineller Lebenswandel liegt vor, wenn der Betroffene nicht unerhebliche, vorsätzliche Straftaten wiederholt begeht. - Der Prostitution nachgehen ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung, nicht erst die Vornahme und das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen. - Zum Begriff der Prostitution: § 66 Rdn. 75. b) Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Gefährdung des Schutzbefohlenen umfassen. 33

VI. Entziehung Minderjähriger, § 235 1. Das geschützte Rechts gut Geschütztes Rechtsgut ist das elterliche oder sonstige familienrechtliche Daneben dient die Vorschrift auch dem Schutz des Minderjährigen.

Sorgerecht.

- 34

2. Die Tathandlung gemäß Abs. 1 Eine Entziehung ist dann gegeben, wenn das aus dem Sorgerecht sich ergebende Recht des 35 Sorgeberechtigten, das Kind zu erziehen, es zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen, auf eine hinsichtlich der Ausübung des Sorgerechts nicht nur unwesentliche Zeit durch räumliche Trennung unwirksam gemacht oder doch so wesentlich beeinträchtigt wird, daß es nicht ausgeübt werden kann. 36 - Ein Vorenthalten liegt vor, wenn der gleiche Taterfolg dadurch erreicht wird, daß eine räumliche Trennung aufrechterhalten wird. - Geschützt sind Personen unter achtzehn Jahren, Abs. 1 Nr. 1, sowie Kinder, Abs. 1 Nr. 2. Täter des Delikts kann jeder außer dem Minderjährigen selbst sein, auch ein Elternteil 36 gegenüber dem (mit-)sorgeberechtigten anderen Elternteil. Die Beeinträchtigung des persönlichen Umgangs des nicht sorgeberechtigten Elternteils ist nicht tatbestandsmäßig, da geschütztes Rechtsgut das Sorgerecht ist. Der Hinweis der Gegenmeinung, die Verletzung des Rechts auf persönlichen Umgang des Elternteils, dem das Personensorgerecht ausdrücklich abgesprochen ist, genüge, weil dieses Recht aus der Personensorge erwachse, überzeugt nicht. Dem nicht Personensorgeberechtigten gegenüber kann das Personensorgerecht nicht verletzt werden. 37

35

Dazu BGH NStZ 1982 S. 328; 1995 S. 178; HORN SK II, § 171 Rdn. 4 ff.

36

Vgl. BGHSt 1 S. 200; 10 S. 378; 16 S. 58 ff; BGH NStZ 1996 S. 333; dazu auch GEPPERT H. Kaufmann-GedS, S. 781.

37

Vgl. auch GEPPERT H. Kaufmann-GedS, S. 773 ff; SCH/SCH/ESER § 235 Rdn. 14. - A.A. BGHSt 10 S. 3 7 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 3 5 Rdn. 2.

335

§65

Dritter Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r d e r G e s a m t h e i t

Wird nicht nur die Ausübung des Sorgerechts beeinträchtigt, sondern - z.B. durch falsche Angaben vor dem Vormundschaftsgericht - das Sorgerecht selbst dem Berechtigten entzogen, so ist streitig, ob § 235 Anwendung findet. Das ist vom Gesetzeszweck her zu bejahen, denn die Entziehung des Sorgebefohlenen durch Beseitigung des Sorgerechts ist ein besonders gravierender Fall der Rechtsgutsbeeinträchtigung.

37 Zu den Tatmitteln: Gewalt vgl. § 27 Rdn. 14; Drohung mit einem empfindlichen Übel vgl. § 27 Rdn. 17 f; List vgl. § 28 Rdn. 21. 3. Die Tathandlung gemäß Abs. 2 38 Abs. 2 erfaßt in Nr. 1 die Entziehung eines Kindes, um es ins Ausland zu verbringen, und in Nr. 2 das Vorenthalten eines Kindes im Ausland. 4. Der Versuch 39 Der Versuch ist in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 und des Abs. 2 Nr. 1 strafbar, Abs. 3. 5. Die Tatbeteiligung des

Sorgebefohlenen

40 Die Einwilligung des Minderjährigen ist unerheblich. Seine Mitwirkung an der Tat, selbst wenn sie sich als Anstiftung oder Beihilfe darstellt, bleibt straffrei, da die Norm auch seinem Schutze dient und sein Wille nicht als entscheidend angesehen wird. 39 6. Qualifizierte und erfolgsqualifizierte

Fälle

a) Qualifikationen 41 Ein qualifizierter Fall gemäß Abs. 4 Nr. 1 liegt vor, wenn das Opfer durch die Tat in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung gebracht wird. - Zum Inhalt der einzelnen Begriffe vgl. die entsprechenden Ausführungen unter § 16 Rdn. 3. Abs. 4 Nr. 2 nennt als weitere Qualifikation das Handeln gegen Entgelt, d.h. gegen Zahlung eines Entgelts, sowie in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, d.h. sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen. 7. Strafantrag 42 Gemäß Abs. 7 wird die Tat in den Fällen der Abs. 1 - 3 nur auf Antrag verfolgt, es sei denn es liegt ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vor.

VII. Kinderhandel, § 236 1. Das geschützte Rechtsgut 43 Geschütztes Rechtsgut des Abs. 1 ist die ungestörte körperliche und seelische Entwicklung des Kindes. Ein tatsächlicher Schaden braucht aber nicht eingetreten zu sein. Es handelt sich daher um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 40 - Abs. 2 dient der strafrechtlichen Absicherung der in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVermiG festgelegten Vermittlungsverböte. 38

Vgl. auch HORN SK II, § 235 Rdn. 2. - A.A. O L G Stuttgart N I W 1968 S. 1342; GEPPERT H. KaufmannGedS, S. 772; VOGLERLK, 10. Aufl., § 235 Rdn. 9.

39

Im einzelnen dazu OTTO Lange-FS, S. 210 ff.

4 0

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 40 f.

336

Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§66

2. „Kauf" und „Verkauf" eines Kindes, Abs. 1 Abs. 1 S. 1 erfaßt den „Verkauf eines Kindes, d.h. das Überlassen des Kindes an einen 44 anderen auf Dauer, wenn der Täter unter grober Vernachlässigung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht - dazu vgl. Rdn. 32 - und gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern - dazu vgl. Rdn. 41 -, handelt. - Abs. 1 S. 2 regelt die Strafbarkeit des „Käufers", d.h. jener Personen, die in den Fällen des Abs. 1 das Kind auf Dauer bei sich aufnehmen und dafür ein Entgelt zahlen. Auf Seiten der „Verkäufer" kann die Tat nur von Eltern oder einem Elternteil - auch Adoptiveltern - gegen ein noch nicht vierzehn Jahre altes Kind begangen werden. 3. Verstoß gegen Vermittlungsverbote, Abs. 2 Gemäß Abs. 2 S. 1 wird der vorsätzliche Verstoß gegen die in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVer- 45 miG festgelegten Vermittlungsverbote unter Strafe gestellt, wenn der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, handelt. - Abs. 2 S. 2 sieht eine Strafschärfung für den Fall vor, daß die nach Abs. 2 S. 1 vermittelte Person vom Ausland in das Inland oder vom Inland in das Ausland verbracht wird. 4. Qualifikationen Eine Strafschärfung sieht Abs. 4 Nr. 1 vor, wenn der Täter aus Gewinnsucht, d.h. aus ei- 46 nem auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß gesteigerten Erwerbssinn heraus, gewerbsmäßig - dazu vgl. § 41 Rdn. 21 - oder bandenmäßig - dazu vgl. entsprechend § 41 Rdn. 61 - handelt. - Abs. 4 Nr. 2 erfaßt den Fall, daß das Kind über die vermittelte Person durch die Tat in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung - dazu § 20 Rdn. 7 - gebracht wird. 5. Strafmilderung oder Absehen von Strafe Abs. 5 sieht in den Fällen des Abs. 1 bei bestimmten Beteiligten und in Abs. 2 bei be- 47 stimmten Teilnehmern die Möglichkeit einer Strafmilderung oder das Absehen von Strafe vor.

§ 66: Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung 1. Das geschützte Rechtsgut Mit der Entscheidung des Gesetzgebers im 4. StrRG, das am 28. 11. 1973 in Kraft trat, die früheren sogenannten Sittlichkeitsdelikte unter der Bezeichnung Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zusammenzufassen, sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß diese Tatbestände nicht mehr eine bestimmte sexuelle Ordnung schützen, sondern ein individuelles Rechtsgut. - Gleichwohl ist die überkommene Einordnung dieser Delikte als Straftaten gegen überindividuelle Rechtsgüter nach wie vor sachgerecht. Geschützt werden soll nämlich die sexuelle Selbstbestimmung nur im Rahmen einer bestimmten Sexualordnung, die - wie Art. 6 GG zeigt - auf Ehe und Familie und damit auf Integrität, Achtung der Menschenwürde des anderen auch im Sexualbereich und schließlich auf dem Schutz des Sexuallebens vor seiner völligen Vermarktung beruht. Erst vor diesem Hintergrund erhalten die §§ 176, 180 a, 181 a, 182, 183, 184, 184 a und 184 b eine befriedigende Erklärung. 337

1

Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§66

2. „Kauf" und „Verkauf" eines Kindes, Abs. 1 Abs. 1 S. 1 erfaßt den „Verkauf eines Kindes, d.h. das Überlassen des Kindes an einen 44 anderen auf Dauer, wenn der Täter unter grober Vernachlässigung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht - dazu vgl. Rdn. 32 - und gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern - dazu vgl. Rdn. 41 -, handelt. - Abs. 1 S. 2 regelt die Strafbarkeit des „Käufers", d.h. jener Personen, die in den Fällen des Abs. 1 das Kind auf Dauer bei sich aufnehmen und dafür ein Entgelt zahlen. Auf Seiten der „Verkäufer" kann die Tat nur von Eltern oder einem Elternteil - auch Adoptiveltern - gegen ein noch nicht vierzehn Jahre altes Kind begangen werden. 3. Verstoß gegen Vermittlungsverbote, Abs. 2 Gemäß Abs. 2 S. 1 wird der vorsätzliche Verstoß gegen die in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVer- 45 miG festgelegten Vermittlungsverbote unter Strafe gestellt, wenn der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, handelt. - Abs. 2 S. 2 sieht eine Strafschärfung für den Fall vor, daß die nach Abs. 2 S. 1 vermittelte Person vom Ausland in das Inland oder vom Inland in das Ausland verbracht wird. 4. Qualifikationen Eine Strafschärfung sieht Abs. 4 Nr. 1 vor, wenn der Täter aus Gewinnsucht, d.h. aus ei- 46 nem auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß gesteigerten Erwerbssinn heraus, gewerbsmäßig - dazu vgl. § 41 Rdn. 21 - oder bandenmäßig - dazu vgl. entsprechend § 41 Rdn. 61 - handelt. - Abs. 4 Nr. 2 erfaßt den Fall, daß das Kind über die vermittelte Person durch die Tat in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung - dazu § 20 Rdn. 7 - gebracht wird. 5. Strafmilderung oder Absehen von Strafe Abs. 5 sieht in den Fällen des Abs. 1 bei bestimmten Beteiligten und in Abs. 2 bei be- 47 stimmten Teilnehmern die Möglichkeit einer Strafmilderung oder das Absehen von Strafe vor.

§ 66: Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung 1. Das geschützte Rechtsgut Mit der Entscheidung des Gesetzgebers im 4. StrRG, das am 28. 11. 1973 in Kraft trat, die früheren sogenannten Sittlichkeitsdelikte unter der Bezeichnung Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zusammenzufassen, sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß diese Tatbestände nicht mehr eine bestimmte sexuelle Ordnung schützen, sondern ein individuelles Rechtsgut. - Gleichwohl ist die überkommene Einordnung dieser Delikte als Straftaten gegen überindividuelle Rechtsgüter nach wie vor sachgerecht. Geschützt werden soll nämlich die sexuelle Selbstbestimmung nur im Rahmen einer bestimmten Sexualordnung, die - wie Art. 6 GG zeigt - auf Ehe und Familie und damit auf Integrität, Achtung der Menschenwürde des anderen auch im Sexualbereich und schließlich auf dem Schutz des Sexuallebens vor seiner völligen Vermarktung beruht. Erst vor diesem Hintergrund erhalten die §§ 176, 180 a, 181 a, 182, 183, 184, 184 a und 184 b eine befriedigende Erklärung. 337

1

§66

Dritter Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

2. Die systematische

Gliederung

des

Gesetzes

2

Nach der unterschiedlichen Akzentuierung im Schutzumfang des Rechtsguts sind sechs Deliktsgruppen zu unterscheiden. 41

3

a) Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne aa) bb) cc) dd) ee)

Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung, § 177 Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge, § 178 Sexueller Mißbrauch widerstandsunfähiger Personen, § 179 Sexueller Mißbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen, § 174 a Abs. 2 Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174 c

b) Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit aa) Sexueller Mißbrauch von gefangenen und verwahrten Personen, § 174 a Abs. 1 bb) Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174 b.

c) Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person (Jugendschutz) aa) Sexueller Mißbrauch von Kindern, § 176 bb) Schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern, § 176 a cc) Sexueller Mißbrauch von Kindern mit Todesfolge, § 176 b dd) Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen, § 174 ee) Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, § 180 ff) Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen, § 182 gg) Jugendgefährdende Prostitution, § 184 b.

d) Sexuelle Belästigung Unbeteiligter aa) Exhibitionistische Handlungen, § 183 bb) Erregung öffentlichen Ärgernisses, § 183 a cc) Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 a.

e) Förderung und Ausnutzung der Prostitution aa) bb) cc) dd)

Förderung der Prostitution, § 180 a Menschenhandel^ 180 b Schwerer Menschenhandel, § 181 Zuhälterei, § 181 a.

f) Verbreitung pornographischer Schriften, § 184

II. Die sexuelle Handlung, § 184 c 1. Die Definition des

Begriffs

4

Der Gesetzgeber hat die im früheren Recht zentralen Begriffe der "unzüchtigen Handlung" und der "Unzucht" durch den der sexuellen Handlung ersetzt, ohne ihn jedoch zu definieren. Damit wurde die Chance vertan, den Anwendungsbereich der Tatbestände gesetzlich zu präzisieren.

5

a) Sexuelle Handlungen sind zunächst alle Handlungen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild aus der Sicht eines objektiven Beobachters die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Subjektiv muß der Täter sich dieses Bezugs bewußt sein. Ein Handeln aus wollüstiger Absicht ist nicht erforderlich. 42 Handlungen, die in ihrem objektiv zu ermittelnden Handlungssinn mehrdeutig sind, z.B. Faustschläge gegen die Brust einer Frau, Schläge auf das Gesäß eines Kindes oder

6

41 42

Hierzu SCHROEDER Das neue Sexualstrafrecht, 1975, S. 16 f. Dazu BGHSt 29 S. 336 mit Anm. HORN JR 1981 S. 251 ff; BGH NStZ 1983 S. 167; BGH NJW 1992 S . 3 2 5 ; BAUMANN J R

1 9 7 4 S. 3 7 1 ; BOCKELMANN B . T . / 2 , § 2 7

III 2 a; DREHER J R

1974 S.

LACKNER/KÜHL § 184 c R d n . 2; MAIWALD G A 1 9 7 9 S. 154; SCH/SCH/LENCKNER § 184 c R d n . 6 ff.

338

47;

Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§66

gynäkologische Untersuchungen, sind dann als sexuelle Handlungen anzusehen, wenn sie nicht durch einen sachbezogenen Zweck, z.B. Untersuchungs- oder Erziehungszweck, in der durchgeführten Art und Weise gerechtfertigt und durch die Absicht der Erregung oder Befriedigung von Geschlechtslust motiviert sind. 43 Auf das Erkennen der Sexualbezogenheit durch das Opfer kommt es nicht an. b) Relevant sind nur Handlungen von einiger Erheblichkeit, d.h. Handlungen, die für das in den einzelnen Tatbeständen jeweils geschützte Rechtsgut nach Art und Intensität des Angriffs gefährlich erscheinen und nicht als bloße Belanglosigkeit abzutun sind. 44

7

2. Sexuelle Handlung "an" und "vor" einer Person Das Gesetz unterscheidet zwischen sexuellen Handlungen an und vor einer Person. a) Die sexuelle Handlung vor einem anderen muß von diesem anderen wahrgenommen werden, § 184 c Nr. 2. Das setzt räumliche Anwesenheit des Täters voraus. 45 Daß der andere die sexuelle Bedeutung der Handlung begreift, ist nicht erforderlich. b) Die sexuelle Handlung an einer Person setzt eine körperliche Berührung dieser Person voraus, braucht aber von dieser weder bewußt wahrgenommen noch als sexuelle Handlung verstanden zu werden. 46

8

III. Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne Mit dem 33. Strafrechtsänderungsgesetz vom 1.7.1997 hatte der Gesetzgeber die rechtliche Differenzierung zwischen der Nötigung zu außerehelichen und ehelichen sexuellen Handlungen beseitigt und das Verhältnis der sexuellen Nötigung zur Vergewaltigung neu geregelt: In § 177 a.F. war die Strafbarkeit der Vergewaltigung geregelt. Grund für diese besondere Hervorhebung der Vergewaltigung im Bereich gewaltsamer sexueller Handlungen war nicht nur die Gefahr kriminell erzwungener und damit unerwünschter Schwangerschaften, sondern auch die besondere Schwere des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung der Frau. Der Gesetzgeber geht nunmehr aufgrund neuerer kriminologischer Erkenntnis davon aus, daß auch andere Sexualpraktiken einen vergleichbar massiven Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers darstellen und von diesem in gleicher Weise erniedrigend empfunden werden wie der erzwungene Beischlaf. Derartige Verhaltensweisen waren bisher nach § 178 a.F. mit einer milderen Strafe bedroht. Um diese Diskrepanz zu beseitigen, wurden §§ 177, 178 a.F. zu einem einheitlichen, differenzierten Tatbestand zusammengefaßt. Die Regelung des § 179 a.F. wurde der des § 177 angepaßt. - Das 6. StrRG stellte die Aufgliederung in drei Tatbestände wieder her. Diese wurden redaktionell sowie im Bereich der besonders schweren Fälle, mit Einfügung eines erfolgsqualifizierten Delikts und in den Strafdrohungen den anderen inhaltlich und strukturell vergleichbare Vorschriften des 6. StrRG angeglichen. 4 ^

1. Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung,

9

§177

a) Tathandlung ist die Nötigung einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit JO gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, zur Duldung sexueller Handlungen des Täters oder eines Dritten oder zur Vornahme an dem Täter oder einem Dritten.

43

Dazu BGH NStZ 1985 S. 24; BGH JR 1983 S. 158 mit Anm. LENCKNER S. 159 ff; LACKNER/KÜHL

44

Dazu BGH NStZ 1992 S. 432.

45

Vgl. BGHSt41 S. 285.

46

Vgl. auch BGH NStZ 1992 S. 433.

§ 1 8 4 c R d n . 2 . - A . A . LAUFHÜTTE L K , § 1 8 4 c R d n . 6 f f ; M A I W A L D G A 1 9 7 9 S . 1 5 4 .

Im einzelnen zur Gesetzesgeschichte OTTO Jura 1998 S. 210 ff.

339

§66

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Zum Begriff der Gewalt vgl. oben § 27 Rdn. 2 ff. Auch nach BVerfGE 92, 1 hat der BGH mehrfach betont, daß Gewalt hier keine erhebliche Kraftentfaltung voraussetzt. 4 8 Zum Begriff der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben vgl. § 27 Rdn. 17 ff. Der Begriff der Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, entspricht dem der hilflosen Lage. Hilflos ist die Lage des Opfers, wenn seine Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten in einem Maße vermindert sind, daß es dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist. "

11 Die Nötigung des Opfers zu sexuellen Handlungen an sich selbst oder zu Handlungen ohne körperliche Berührung - Nacktausziehen, Einnahme sexuell aufreizender Positionen o.ä. - fällt nur unter § 240. 12 b) Die Nötigung muß mit der sexuellen Handlung final verknüpft sein, d.h. der Täter muß die Nötigung einsetzen, um die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung zu erzwingen.^. Dieser Zusammenhang liegt auch vor, wenn Gewalt gegen einen Dritten vom Opfer als motivierender Zwang empfunden wird, während Gewalt gegen Dritte als solche nicht genügt. 51 Bei Vorsatzwechsel nach zunächst aus anderem Grund erfolgter Nötigung genügt es, wenn der Täter bei Vorsatzwechsel das Nötigungsmittel weiter einsetzt oder die vorherige Gewaltanwendung fortwirkt, so daß sie als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung anzusehen ist, nicht hingegen wenn der Täter lediglich den zuvor aus anderem Grund geschaffenen Nötigungserfolg ausnutzt. 5 2 Stellt die Gewaltanwendung selbst die sexuelle Handlung dar, z.B. beim Faustschlag auf die Brust einer Frau, so fehlt die finale Verknüpfung. 5 ^

13 c) Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die finale Verknüpfung von Nötigung und sexueller Handlung umfassen. 14 d) Das Einverständnis des Opfers in die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung läßt die Nötigung entfallen. - In Betracht kommt u.U. ein Versuch. 15 e) Ändert der Täter im Versuchsstadium seinen Plan, eine bestimmte sexuelle Handlung vorzunehmen, indem er sich für eine andere sexuelle Handlung entscheidet, so liegt kein strafbefreiender Rücktritt i.S.d. § 24 vor, da der Täter den Plan, das geschützte Rechtsgut in strafbarer Weise zu beeinträchtigen, nicht aufgegeben hat. 54 16 f) Eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen sieht Abs. 2 vor und nennt Regelbeispiele in Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 2. 17 aa) Nr. 1 erfaßt zunächst den erzwungenen Beischlaf, d.h. den bisherigen Tatbestand der Vergewaltigung, § 177 a.F., als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles. Dem erzwungenen Beischlaf - zum Begriff vgl. § 65 Rdn. 15 - werden sodann ähnliche sexuelle Handlungen gleichgestellt, die das Opfer besonders erniedrigen. Damit ist vor allem das Eindringen des Geschlechtsteils in den Körper als orale oder anale Penetration erfaßt, aber auch das Eindringen mit Gegenständen kann durchaus einen besonders schweren Fall darstellen. 55

48

Vgl. BGH bei Miebach, NStZ 1997 S. 120; BGH NStZ 1995 S. 229; BGH NStZ 1995 S. 230.

49

Vgl. BT-Drucks. 13/2463, S. 6; BGHSt 22 S. 178; 24 S. 90; BGH NJW 1989 S. 917.

50

BGH NJW 1984 S. 1632; BGH NStZ 1992 S. 433, 587.

51

A.A. BGHSt 42 S. 378 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 178/1.

52

Vgl. zur entsprechenden Problematik beim Raub oben § 46 Rdn. 19 f sowie BGH NStZ 1981 S. 344; BGH NStZ 1995 S. 245.

5 3

B G H J R 1 9 8 3 S. 158 m i t A n m . LENCKNER S. 159 f f .

54

BGHSt 33 S. 142 mit Anm. STRENG NStZ 1985 S. 359 f. - A.A. BGH NStZ 1997 S. 385.

55

Vgl. dazu BT-Drucks. 13/7324, S. 6; BT-Drucks. 13/323, S. 5.

340

D e l i k t e g e g e n die s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

§66

bb) Nr. 2 nennt die gemeinschaftlich begangene Tat als Regelbeispiel, weil nach Auffas- i g sung des Gesetzgebers die Mitwirkung mehrerer Personen die Abwehrchancen des Opfers vermindert und die Gefahr besonders massiver sexueller Handlungen besteht. g) Als Qualifikation erfaßt Abs. 3 zum einen tatqualifizierende Nötigungsmittel - Nr. 1: Das Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs; dazu vgl. § 46 Rdn. 33; Nr. 2: Das Beisichführen eines sonstigen zur Verhinderung oder Überwindung eines Widerstandes bestimmten Werkzeugs oder Mittels; dazu vgl. § 46 Rdn. 33 - sowie das Verbringen des Opfers in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung; dazu vgl. § 10 Rdn. 2. h) Als weiteren Qualifikationstatbestand erfaßt Abs. 4 die Verwendung einer Waffe oder 20 eines anderen gefährlichen Werkzeugs bei der Tat (Nr. 1) und die schwere Mißhandlung des Opfers bei der Tat sowie den Fall, daß das Opfer durch die Tat in die Gefahr des Todes gebracht wird (Nr. 2). - Im einzelnen zu diesen Merkmalen vgl. § 41 Rdn. 50 ff; § 10 Rdn. 2 . 2. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung

mit Todesfolge, § 178.

Verursacht der Täter wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers durch die sexuelle Nöti- 21 gung oder Vergewaltigung so wird die Tat als erfolgsqualifiziertes Delikt erfaßt; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 46 Rdn. 40 ff. 3. Sexueller Mißbrauch widerstandsunfähiger

Personen,

§179

a) Abs. 1 Zum Widerstand unfähig ist, wer gegenüber dem sexuellen Ansinnen des Täters nicht im- 22 stände ist, den zur Abwehr nötigen Widerstandswillen zu bilden, zu äußern oder zu betätigen. Die hier gemeinte Unfähigkeit bezieht sich nicht auf den Widerstand gegen etwaige Gewaltakte, sondern schlechthin auf den Widerstand gegen das sexuelle Ansinnen. 5 ^ Die psychische Widerstandsunfähigkeit, Abs. 1 Nr. 1, muß auf bestimmten Faktoren beruhen: Geistige Krankheiten sind exogene Psychosen, die nachweisbar auf himorganischen Ursachen oder auf anderen körperlichen Krankheitsvorgängen beruhen , die sich im Gehirn auswirken, 5 7 seelische Krankheiten sind endogene Psychosen, deren somatische Ursachen noch nicht hinreichend geklärt sind, aber auf Grund des bisherigen Erkenntnisstandes vermutet werden.5®® Geistige Behinderungen sind angeborene oder frühzeitig erworbene Intelligenzdefekte, seelische Behinderungen sind bleibende psychische Beeinträchtigungen, die Folge von psychischer Krankheit s i n d . 5 9 - Bei den Suchtkrankheiten wird nicht unterschieden zwischen seelisch und geistig bedingten Suchtkrankheiten. Tiefgreifende Bewußtseinsstörungen sind erhebliche, nicht krankhafte Trübungen und Einengungen des Bewußtseins, bei denen der Zusammenhang des Bewußtseins und die örtliche, zeitliche Wahrnehmung verloren gehen. Als tiefgreifende Bewußtseinsstörung kommt hier auch Schlaf in B e t r a c h t . ^ - Die körperliche Widerstandsunfähigkeit, Abs. 1 Nr. 2, kann auf äußeren Einwirkungen - z.B. Fesselung - oder auf körperlichem Defekt - z.B. Lähmung - beruhen.

56

Dazu B G H NStZ 1981 S. 139; BGHSt 30 S. 144, 146; B G H JR 1983 S. 254 mit Anm. GEERDS S. 2 5 4 ff.

57

Vgl. dazu RUDOLPHISK I, § 20 Rdn. 6 f m.N.

58

Vgl. dazu RUDOLPHI SK I, § 20 Rdn. 8.

59

Vgl. dazu DIEDERICHSEN, in: Palandt, BGB, 57. Aufl. 1998, § 1896 Rdn. 13 f.

60

Vgl. BGHSt 38 S. 68.

341

23

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§66

24 Der Täter nutzt den Zustand aus, wenn die Widerstandsunfähigkeit den sexuellen Zugriff ermöglicht oder erleichtert und der Täter sich dessen bewußt ist. 61 In der bewußten Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit liegt der vom Gesetz geforderte Mißbrauch des anderen. - Tathandlungen sind die Vornahme sexueller Handlungen an der widerstandsunfähigen Person durch den Täter oder die Veranlassung derartiger Handlungen an dem Täter durch die widerstandsunfähige Person. b) Abs. 2 25 Abs. 2 stellt die Vornahme sexueller Handlungen an einem Dritten und die Veranlassung derartiger Handlungen von einem Dritten an der widerstandsunfähigen Person unter den Umständen des Abs. 1 den Tathandlungen des Abs. 1 gleich. c) Abs. 3 26 Der Versuch der Tat ist strafbar. d) Abs. 4 27 Abs. 4 enthält als Verbrechen eingestufte Qualifikationstatbestände, die § 176 a Abs. 1 Nr. 1 - 3 StGB in der Fassung des 6. StrRG nachgebildet und - ergänzt um die Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung - bereits in § 177 Abs. 1, 3 StGB enthalten sind; vgl. im einzelnen dazu Rdn. 17 und Rdn. 19. e) Abs. 5 28

Abs. 5 gibt einen Strafrahmen für minder schwere Fälle.

f) Abs. 6 29 Abs. 6 erklärt § 176 a Abs. 4 und § 176 b StGB für entsprechend anwendbar und ermöglicht damit erhebliche Strafschärfungen in schwersten Fällen sexueller Übergriffe gegen geistig oder körperlich beeinträchtigte Menschen; im einzelnen vgl. dazu Rdn. 53 und Rdn. 54. 30 g) § 179 will den Schutz der sexuellen Freiheit (geschlechtliche Selbstbestimmung) des widerstandsunfähigen Opfers gewährleisten. Die Tat ist daher nicht eigenhändiges Delikt. Täterschafts- und Teilnahmeprobleme sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu lösen. 62 4. Sexueller Mißbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen,

§ 174 a Abs. 2

31 a) Tathandlungen sind die Vornahme sexueller Handlungen an der geschützten Person oder die Veranlassung derartiger Handlungen durch die geschützte Person an dem Täter. Geschützt sind die in den genannten Einrichtungen zur Behandlung und Pflege aufgenommenen Patienten. - Zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut sind die Patienten jenen Personen, denen ihnen gegenüber Betreuungsaufgaben übertragen sind, z.B. Ärzte, Pfleger, Wärter, u.U. aber auch Angehörige des Verwaltungsdienstes. - Der Mißbrauch setzt zunächst objektiv voraus, daß das Opfer selbst krank oder hilfsbedürftig ist. Dieses 61

So auch BGHSt 32 S. 186 mit Anm. GEERDS JR 1984 S. 430 ff, HERZBERG/SCHLEHOFER JZ 1984 S. 4 8 1 f; B G H J Z

1 9 8 5 S . 1 1 1 5 ; SCHALL JUS

1 9 7 9 S . 1 0 5 ; SCHROEDER S e x u a l s t r a f r e c h t , S . 3 2 ; 1 9 8 4 S. 7 7 3 , das eine Motivation des Täters

StGB, § 1 7 9 Rdn. 8 . - Zu eng: LG Mainz MDR durch die Widerstandsunfähigkeit fordert. TRÖNDLE 62

Wie hier: HERZBERG JuS 1975 S. 172; ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 6. Aufl. 1994, S. 417 f; SCHALL J u S 1 9 7 9 S . 1 0 9 ; SCHROEDER S e x u a l s t r a f r e c h t , S . 3 3 . - A . A . K G N J W 1 9 7 7 S . 8 1 7 ; DREHER J R 1 9 7 4 S . 4 8 ; LACKNER/KÜHL § 1 7 9 R d n . 2 ; SCH/SCH/LENCKNER § 1 7 9 R d n . 15; TRÖNDLE S t G B , § 1 7 9 Rdn. 2 .

342

Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§66

nutzt der Täter aus, wenn der Zustand die Tathandlung ermöglicht oder erleichtert. - Subjektiv ist erforderlich, daß der Täter sich dieser Umstände bewußt ist. - Eine Motivation zur Tat durch die Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit ist hingegen nicht erforderlich; strittig, vgl. zur entsprechenden Auseinandersetzung Rdn. 24. b) Die Tat ist eigenhändiges Delikt. - Als Täter kommen nur die für die Beaufsichtigung 32 oder Betreuung verantwortlichen Personen in Betracht. Die Täterposition kennzeichnet eine besondere Pflichtenposition; beachte § 28 Abs. I. 6 3 Der Schutzbefohlene bleibt auch als Teilnehmer straffrei, da die Vorschrift seinem Schutze dient und sein eigener Wille rechtlich nicht als voll wirksam angesehen wird. 6 4 5. Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174 c a) Zur Tathandlung gemäß Abs. 1 vgl. Rdn. 10 ff. - Zur Opfersituation vgl. Rdn. 23, 31. - 33 Zur Beratung, Behandlung oder Betreuung „anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn es ihm fremdbestimmt überantwortet wird (z.B. der oder die Jugendliche durch die Eltern), als auch dann, wenn es sich von sich aus in die Beratung, Behandlung oder Betreuung begeben hat." 6 5 Das Betreuungsverhältnis ist hier als tatsächliches Obhutsverhältnis zu verstehen. 66 - Unter Mißbrauch seiner Stellung handelt der Täter, der die Gelegenheit, die seine durch das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis begründete Vertrauensstellung bietet, bewußt zu sexuellen Kontakten mit den ihm anvertrauten Personen ausnutzt. Abhängigkeit oder Hilflosigkeit des Opfers sind nicht erforderlich. 67 b) Abs. 2 stellt das psychiatrische Behandlungsverhältnis den in Abs. 1 genannten Ver- 34 trauensverhältnissen gleich. c) Der Versuch ist strafbar, Abs. 3. 35

IV. Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit 1. Sexueller Mißbrauch von gefangenen oder verwahrten Personen, § 174 a Abs. 1 a) Geschützt wird die geschlechtliche Selbstbestimmung gefangener und behördlich ver- 36 wahrter Personen, da deren Entscheidungsfreiheit einerseits in diesem Bereich wesentlich durch das Abhängigkeitsverhältnis eingeschränkt ist, andererseits die Versuchung erheblich ist, durch Duldung der Tathandlung die eigene Lage zu bessern. - Daneben kommt aber auch dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität der Behandlung der genannten Personen eine gewisse Bedeutung zu. 6 8 Das wird deutlich in der Ablehnung der Anwendung des Tatbestandes auf Fälle der Ausnutzung eines nur vorgespiegelten Abhängigkeitsverhältnisses.

6 3

W i e h i e r z . B . ARZT in: A r z t / W e b e r , L H 2, R d n . 4 7 9 ; HORN S K II, § 174 a R d n . 10; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 3 9 ; TRÖNDLE S t G B , § 174 R d n . 1 a. - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 18 R d n . 4 5 ; SCH/SCH/LENCKNER § 174 a R d n . 13.

64

Dazu OTTO Lange-FS, S. 210 ff.

65

BT-Drucks. 13/8267, S. 6 f.

66

BT-Drucks. 13/8267, S. 7.

67

Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8267, S. 7.

68

A.A. HORN SK II, § 17 a Rdn. 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 19 Rdn. 3.

343

§66

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

37 b) Gefangene Personen sind Personen, denen in Ausübung von Polizei- oder Staatsgewalt die Freiheit entzogen ist, so daß sie sich in der Gewalt einer zuständigen Behörde befinden.^ Beispiele: Strafgefangener, Untersuchungsgefangener; von einem Polizeibeamten nach § 127 StPO vorläufig Festgenommener.

38 Auf behördliche Anordnung verwahrte Personen sind Personen, die - außer den Gefangenen - aufgrund hoheitlicher Gewalt eingeschlossen sind. Beispiele: Personen, die nach §§61 ff in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt, einer sozialtherapeutischen Anstalt oder in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind. - Personen in Auslieferungs- oder Abschiebehaft. - Personen in Fürsorgeerziehung.

39 c) Erziehung ist die Leitung und Überwachung der Lebensführung zur Förderung der körperlichen und seelischen Entwicklung. Ausbildung ist die Vermittlung größeren Wissens oder besseren Könnens zu einem bestimmten Ausbildungsziel, insbes. zum Erwerb von Berufserfahrung. - Beaufsichtigung üben Personen aus, die dem Schutzbefohlenen gegenüber die Funktion von Wachpersonal haben. - Ein Betreuungsverhältnis liegt vor, wenn zwischen Täter und gefangener oder verwahrter Person ein Verhältnis besteht, in dessen Rahmen der Täter wenigstens Mitverantwortung für das geistige und sittliche Wohl dieser Person trägt und eine entsprechende Einwirkungsmöglichkeit hat. Auf dieser Grundlage muß sich zwischen Täter und Opfer ein Verhältnis der Über- und Unterordnung herausgebildet haben. - Anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn zwischen beiden besonders enge Beziehungen bestehen, die zu einer gewissen Abhängigkeit der gefangenen oder verwahrten Personen führen. Beispiele: Lehrer; Werkmeister; Geistlicher; Sporttrainer u.a.

40 Ein Mißbrauch der Stellung des Täters liegt bereits vor, wenn der Täter eine durch die Stellung gebotene Gelegenheit zur Tathandlung wahrnimmt. Auf eine Ausnutzung der Abhängigkeit kommt es hier nicht an. 41 d) Zu Täterschaft und Teilnahme vgl. Rdn. 32. 2. Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung,

§ 174 b

42 a) Zum geschützten Rechtsgut vgl. Rdn. 36. - Zum Begriff des Amtsträgers vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2. - Das Strafverfahren beginnt, indem Ermittlungen gegen einen bestimmten Täter angestellt werden. 43 b) Der Mißbrauch der Abhängigkeit liegt vor, wenn der Täter die auf seiner Macht gegenüber dem Schutzbefohlenen beruhende innere Abhängigkeit des Schutzbefohlenen für seine Zwecke ausnutzt, wobei beiden Teilen der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewußt sein muß. 7 1 44 c) Konkurrenzen: §§ 174 a und 174 b überschneiden sich z.B. beim Untersuchungsgefangenen, der dem Richter bei der Vernehmung im Gericht zur Beaufsichtigung anvertraut ist und der zugleich im Strafverfahren von ihm abhängig ist. Die h.M. nimmt in diesen Fällen Idealkonkurrenz zwischen den §§ 174 a, 174 b an.

69

Vgl. RGSt 73 S. 347.

70

Vgl. dazu BGHSt 33 S. 344 f.

71

BGHSt 28 S. 367; BGH NStZ 1982 S. 329; BGH NStZ 1991 S. 81 f; OLG Zweibrücken NJW 1996 S. 330.

344

Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§66

V. Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person Geschützt wird die ungestörte sexuelle Entwicklung Jugendlicher.

45

Die Einwilligung des Jugendlichen in die Tathandlung ist in der Regel irrelevant, da der Gesetzgeber davon ausgeht, daß er die Reife noch nicht hat, die Tragweite derartiger Entscheidungen abzuschätzen. - Ausnahmsweise, z.B. in Fällen echter Liebesbeziehungen, kann die Einwilligung jedoch einen Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses o.ä. ausschließen.

1. Sexueller Mißbrauch von Kindern, §176 a) Tathandlung gemäß Abs. 1 ist die Vornahme sexueller Handlungen an einem Kind - 45 geschützt ist auch das schlafende Kind 72 - oder die Veranlassung derartiger Handlungen durch das Kind an dem Täter. Täter kann nur der Inhaber der Autoritätsstellung sein. 73 Gemäß Abs. 2 ist dem gleichgestellt die Bestimmung des Kindes, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen. Zur sexuellen Handlung vgl. oben Rdn. 5 f. - Bestimmen ist eine beeinflussende Einwirkung auf den Willen des Kindes. 74 b) Gemäß Abs. 3 wird die - gemilderte - Strafandrohung auf sexuelle Handlungen ohne 47 unmittelbaren Körperkontakt (Nr. 1 und Nr. 2) und auf pornographisches Verhalten (Nr. 3) erstreckt, das nicht in § 184 c erfaßt ist. - In diesem Bereich kommt der Erheblichkeit des Verhaltens besondere Bedeutung zu. 75 Eingewirkt werden i.S. der Nr. 3 kann auch von einem Täter, der ortsabwesend ist, z.B. durch telefonische Reden.76

c) Der Versuch der Taten nach Abs. 1, 2, 3 Nr. 1, 2 ist strafbar, Abs. 4.

48

2. Schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern, § 176 a § 176 a erfaßt einen qualifizierten sexuellen Mißbrauch von Kindern.

49

a) Abs. 1 Die Qualifikationsmerkmale des Abs. 1 Nr. 1, 2 (Beischlaf und ähnliche Handlungen, ge- 50 meinschaftliche Tatausführung) sind den § 177 Abs. 2 Nr. 1, 2 nachgebildet; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 17 f - Abs. 3 erfaßt die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung und Nr. 4 die wiederholte Tat als Qualifikaltionsmerkmale. - Zur Fristberechnung der Tat nach Abs. 1 Nr. 4 und zur ausländischen Verurteilung vgl. Abs. 5. b) Abs. 2 Abs. 2 enthält als weiteren Qualifikationstatbestand den Fall, daß der Täter oder ein ande- 51 rer Tatbeteiligter an dem sexuellen Mißbrauch von vornherein in der Absicht handelt, eine kinderpornographische Schrift herzustellen oder zu verbreiten. - Beteiligte sind Mittäter und Teilnehmer.

72

BGHSt 38 S. 6.

73

Vgl. BGHSt 41 S. 242.

74

Vgl. zur entspr. Problematik bei der Anstiftung GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 22 Rdn. 32 ff. - Die Rechtsprechung begnügt sich auch hier mit einem bloßen Verursachen des vom Gesetz umschriebenen Verhaltens; vgl. BGHSt 41 S. 245 f; BGH NJW 1985 S. 924.

75

Vgl. auch BGH NJW 1991 S. 3162.

76

BGHSt 29 S. 29.

345

§66

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

c) Abs. 3 52 Abs. 3 sieht eine Strafmilderung in minder schweren Fällen der Abs. 1, 2 vor. d) Abs. 4 53 Zusätzlich qualifiziert ist die Tat, wenn das Kind in den Fällen des Abs. 1, 2 körperlich schwer mißhandelt (Nr. 1) oder durch die Tat in die Gefahr des Todes gebracht wird (Nr. 2); dazu vgl. § 10 Rdn. 2. 3. Sexueller Mißbrauch von Kindern mit Todesfolge, § 176 b 54 Verursacht der Täter wenigstens leichtfertig den Tod des Kindes durch den sexuellen Mißbrauch, so wird die Tat als erfolgsqualifiziertes Delikt erfaßt; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 46 Rdn. 40. 4. Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen,

§174

55 a) Der Tatbestand unterscheidet drei Gruppen von Schutzbefohlenen: aa) Abs. 1 Nr. 1: Personen unter 16 Jahren, die dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind. 77 bb) Abs. 1 Nr. 2: Personen unter 18 Jahren, die dem Täter entweder i.S. der Nr. 1 anvertraut oder ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind, soweit der Täter das Abhängigkeitsverhältnis mißbraucht,78 cc) Abs. 1 Nr. 3: Das noch nicht 18 Jahre alte leibliche, d.h. blutmäßig vom Täter abstammende KincP9, oder Adoptivkind des Täters. 56 b) Tathandlungen sind: aa) Nach Abs. 1: Sexuelle Handlungen des Täters an dem Schutzbefohlenen oder von diesem am Täter vorgenommene sexuelle Handlungen; vgl. dazu Rdn. 5 ff. - Subjektiv ist Vorsatz, bedingter genügt, erforderlich, der sich auf die Tatumstände und auf das Alter erstrecken muß. bb) Nach Abs. 2: Vornahme sexueller Handlungen vor dem Schutzbefohlenen (Abs. 2 Nr. 1) oder Bestimmen des Schutzbefohlenen dazu, sexuelle Handlungen vor dem Täter vorzunehmen (Abs. 2 Nr. 2). Zur sexuellen Handlung vgl. oben Rdn. 5 ff; zum Bestimmen vgl. oben 46.

In dieser Tatalternative erfordert der Tatbestand neben dem Vorsatz die Absicht des Täter (dolus directus 1. Grades), sich oder den Schutzbefohlenen durch die Tathandlung sexuell zu erregen. c) Absehen von Strafe, Abs. 4 57 Gemäß Abs. 4 kann bei Taten gegen die in Abs. 1 Nr. 1 genannten Schutzbefohlenen in besonderen Konfliktsfällen - echte Liebesbeziehung, Verführung durch sexuell erfahrenen Schutzbefohlenen - von Strafe abgesehen werden. 58 d) Die Tat ist ein eigenhändiges Delikt. 80 Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. Rdn. 32.

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Zum Inhalt der Begriffe Erziehung, Ausbildung, Betreuung in der Lebensführung vgl. oben Rdn. 39 sowie BGHSt 41 S. 139; 33 S. 340, 344 mit Anm. JAKOBS NStZ 1986 S. 216 f, GÖSSEL JR 1986 S. 516 f; BGH NStZ 1989 S. 21;

78

Dazu vgl. Rdn. 31.

79

Dazu BGHSt 29 S. 38; BGH bei Miebach, NStZ 1995 S. 222.

346

Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§ 66

e) Konkurrenzen Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 wird von Nr. 3 und die nach Abs. 1 Nr. 2 von Nr. 1 59 und Nr. 3 konsumiert (gestufte Verschärfung der Voraussetzungen für den Schutz desselben Rechtsguts).81 Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 173, 174 a, 174 b, 176, 177 und 240. 5. Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, §180 a) Die verpönten Handlungen nach Abs. 1 - 3 beziehen sich auf sexuelle Handlungen der 50 geschützten Personen an oder vor einem Dritten oder eines Dritten an der geschützten Person; dazu Rdn. 8. b) Drei verschiedene Förderungshandlungen unterscheidet das Gesetz, je nach der ver- 61 schiedenen Schutzaltersgrenze des Opfers. aa) Abs. 1: Schutzaltersgrenze 16 Jahre; Vorschubleisten, das ist die Förderung der sexu- 62 eilen Handlung, ohne daß es zu dieser kommen muß; d.h. erfolgreiche oder erfolglose Beihilfe zu der sexuellen Handlung. - Das Vorschubleisten muß entweder durch Vermittlungen (Nr. 1) oder Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit geschehen (Nr. 2). Vermittlung ist die Herstellung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Dritten und der geschützten Person, welche die sexuellen Handlungen zum Inhalt hat. - Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit liegt z.B. im Bereitstellen von Räumlichkeiten, in der Organisation von Zusammenkünften und sexuellen Kontakten. Nach Abs. 1 S. 2 schließt das Erzieherprivileg die Anwendung des Abs. 1 Nr. 2 aus, wenn der Personensorgeberechtigte die Tat begeht und dadurch nicht seine Erziehungspflicht gröblich vernachlässigt. - Das Erzieherprivileg begründet für den Personensorgeberechtigten einen Tatbestandsausschluß, und zwar auch dann, wenn er lediglich als Teilnehmer tätig wird ("handelt"). Dritten kommt das Privileg auch dann nicht zugute, wenn sie mit Einwilligung des Sorgeberechtigten tätig werden. - Teilnahme an der Tat des Sorgeberechtigten ist mangels einer Haupttat nicht möglich. 8 ^

bb) Abs. 2: Schutzaltersgrenze 18 Jahre; Bestimmen ist hier im Sinne von Anstiftung zu 63 verstehen; vgl. Rdn. 46. Das Entgelt braucht nicht in Geld zu bestehen, es genügen auch Sachwerte.8-5 Unerheblich ist, ob das Entgelt dem Opfer oder Dritten zufließen soll.84Vorschubleisten genügt hier nur in der Form der Vermittlung, doch muß es zu den sexuellen Handlungen auch gekommen sein.85 cc) Abs. 3: Schutzaltersgrenze 18 Jahre; Mißbrauch bestimmter Abhängigkeitsver- 64 hältnisse; dazu im einzelnen Rdn. 31. c) Eine Teilnahme der geschützten Person bleibt als notwendige Teilnahme straflos. Aber 65 auch der an der Tat beteiligte Dritte bleibt nach § 180 straflos, denn die Tat ist als tatbestandlich verselbständigte Teilnahme an den nicht oder nur nach anderen Tatbeständen strafbaren sexuellen Handlungen des Schutzbefohlenen und des Dritten anzusehen.8(> 80

Vgl. BGHSt 41 S. 242 mit abl. Anm. SCHROEDER JR 1996 S. 211.

81

Dazu eingehend: LACKNER/KÜHL § 174 Rdn. 18. - A.A. BGHSt 30 S. 358 f; TRÖNDLE StGB, § 174 Rdn. 18: Abs. 1 Nr. 2 lex specialis gegenüber Abs. 1 Nr. 1. Näher zu dem auch vom Bestimmtheitsgrundsatz her umstrittenen Erzieherprivileg: BECKER/RUTHE FamRZ 1974 S. 508 ff; LACKNER/KÜHL § 180 Rdn. 9; SCHROEDER Lange-FS, S. 391 ff.

83

BGH NJW 1997 S. 335.

84

BGH NStZ 1995 S. 540.

85 86

BGH NJW 1997 S. 335. S o a u c h BINDOKAT N J W 1961 S. 1 7 3 1 ; HERZBERG G A 1971 S. 10; HORN S K II, § 180 R d n . 2 4 ; ARMIN KAUFMANN M D R 1 9 5 8 S . 1 7 7 ; LACKNER/KÜHL § 1 8 0 R d n . 14; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD

347

§66

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

6. Sexueller Mißbrauch Jugendlicher,

§ 182

66 a) Abs. 1 schützt Personen unter sechzehn Jahren vor sexuellem Mißbrauch durch Personen über achtzehn Jahre. 67 Das verpönte Verhalten bezieht sich auf sexuelle Handlungen, die Nr. 1: an der geschützten Person vorgenommen werden oder die diese an sich vornehmen läßt oder Nr. 2: von der geschützten Person an Dritten oder von einem Dritten an ihr vorgenommen werden sollen. 68 Problematisch ist, ob dieser Schutz gegen sexuelle Handlungen schlechthin angemessen ist und ob das Merkmal der Erheblichkeit - dazu oben Rdn. 7 - hinreicht, nicht strafwürdige Verhaltensweisen hier auszuschließen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es jedoch nicht möglich, sexuelle Handlungen im Sinne des § 182 auf den Vaginal-, Oral- oder Analverkehr zu beschränken. 87 69 Zwei Mißbrauchshandlungen nennt das Gesetz: die Ausnutzung einer Zwangslage, d.h. die Ausnutzung einer ernsten wirtschaftlichen oder persönlichen Bedrängnis des Opfers, 8 8 und das Handeln gegen Entgelt, dazu § 11 Abs. 1 Nr. 9. Während es im Falle der Nr. 1 zu den dort genannten sexuellen Handlungen gekommen sein muß, genügt es im Falle der Nr. 2, daß der Täter die geschützte Person bestimmt hat, die Handlungen vorzunehmen oder an sich vornehmen zu lassen, d. h. daß der Entschluß, die Handlungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen auf die Einflußnahme des Täters zurückzuführen ist. 89 70 Die Ausnutzung der Zwangslage ist mißbräuchlich, wenn der Täter die Zwangssituation der geschützten Person erkannt hat und sich der Tatsache bewußt ist, daß die Bereitschaft zu den sexuellen Handlungen auf der Zwangssituation beruht. - Beim Handeln gegen Entgelt liegt der Mißbrauch in der Kommerzialisierung der sexuellen Handlungen. Insoweit kommt dem Mißbrauchsmerkmal daher keine eigenständige Bedeutung zu. 9 0 71 b) Abs. 2 schützt Personen unter 16 Jahren vor sexuellem Mißbrauch durch Personen über einundzwanzig Jahre. Die relevanten sexuellen Handlungen entsprechen denen des Abs. 1. Tatbestandsmäßig gemäß Abs. 2 ist jedoch die Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung. Das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit ist mißbräuchlich, wenn der Täter die psychische Situation des Opfers kennt und sich der Tatsache bewußt ist, daß die Bereitschaft zu den sexuellen Handlungen auf dem Fehlen der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung beruht. 72 c) Die geschützte Person bleibt auch als Teilnehmer straffrei, da die Vorschrift ihrem Schutze dient und ihr eigener Wille rechtlich nicht als voll wirksam angesehen wird, vgl. Rdn. 32. 73 d) Abs. 3 enthält in Bezug auf den Strafantrag eine dem § 230 Abs. 1 S. 1 entsprechende Regelung; dazu oben § 15 Rdn. 26 ff.

B.T. 1, § 20 Rdn. 35. - A.A. B G H S t 15 S. 377, 382; LAUFHÜTTE L K , § 180 Rdn. 19 f; TRÖNDLE StGB, § 180 Rdn. 25. 87

A.A. KUSCH/MOSSLE N J W 1994 S. 1506.

88

Vgl. BGHSt 42 S. 399.

89

Zum Begriff des Bestimmens vgl. Rdn. 46.

9 0

Vgl. auch KUSCH/MÖSSLE N J W 1994 S. 1507. - Enger: SCHROEDER N J W 1994 S. 1504.

348

Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§66

e) Abs. 4 eröffnet die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn bei Berücksichtigung des 74 Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist. 91 7. Jugendgefährdende

Prostitution, § 184 b

§ 184 b stellt die Prostitution unter Strafe, wenn diese in der Nähe einer Schule oder an- 75 deren Örtlichkeit, die zum Besuch von Personen unter 18 Jahren bestimmt ist (Nr. 1) oder in einem Haus, in dem Personen unter 18 Jahren wohnen, ausgeübt wird (Nr. 2). - Dem Merkmal der sittlichen Gefährdung kommt nur insoweit Bedeutung zu, als es klarstellt, daß die geschützten Personen die Ausübung der Prostitution konkret wahrgenommen haben müssen. Prostitution ist die auf gewisse Dauer angelegte Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt an oder vor wechselnden Partnern oder Zuschauem oder die Duldung derartiger Handlungen an sich durch Dritte. 9 2

VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter Geschützt wird die Person vor Konfrontationen mit sexuellen Handlungen gegen ihren 76 Willen. Damit wird hier der Schutz bestimmter sozialethischer Grundordnungen besonders deutlich. 93 1. Exhibitionistische

Handlungen,

§ 183

a) Eine exhibitionistische Handlung ist das Entblößen des Geschlechtsteils vor einem anderen ohne dessen Einverständnis, um sich durch die Wahrnehmung durch den anderen oder durch dessen Reaktion geschlechtlich zu befriedigen, zu erregen oder eine geschlechtliche Erregung zu steigern. 94 Täter kann nur ein Mann sein. - Durch die exhibitionistische Handlung muß der andere belästigt werden, d.h. er muß schockiert, erschreckt oder mit Abscheu erfüllt werden. Der Eintritt des Deliktserfolgs ist Tatbestandsvoraussetzung. Bloßer Unmut genügt nicht. Die exhibitionistische Handlung muß wegen ihrer sexuellen Tendenz absichtlich begangen werden. Bezüglich des Belästigungserfolges genügt hingegen bedingter Vorsatz. 95 b) § 183 Abs. 2 enthält in bezug auf den Strafantrag eine dem § 230 Abs. 1 S. 1 entsprechende Regelung; dazu oben § 15 Rdn. 26 ff. c) § 183 Abs. 3 bietet die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung, auch wenn erst durch eine längere Heilbehandlung eine günstige Prognose ermöglicht wird. 9 6 Gemäß Abs. 4 ist Abs. 3 anwendbar, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder nach § 174 Abs. 2 Nr. 1 oder § 1 7 6 Abs. 3 Nr. 1 bestraft wird. - In diesem Rahmen werden auch exhibitionistische Handlungen von Frauen relevant. d) Konkurrenzen:

77

78

79 80

Tateinheit ist möglich mit §§ 174 Abs. 2 Nr. 1, 176 Abs. 3 Nr. 1, da das 81

91

Vgl. auch KUSCH/MOSSLE NJW 1994 S. 1507.

92

So auch LACKNER/KÜHL § 180 a Rdn. 1; TRÖNDLE StGB, § 180 a Rdn. 3. - Enger: Auf partnerschaftliche Sexualhandlungen beschränkt: HORN SK II, § 180 a Rdn. 4; SCH/SCH/LENCKNER § 180 a Rdn. 5.

93

Krit. dazu SANDER Zur Beurteilung exhibitionistischer Handlungen, 1995; DERS., ZRP 1997 S. 447 ff.

94

Dazu LG Koblenz NStZ-RR 1997 S. 104; SCHROEDER Sexualstrafrecht, S. 61.

95

Dazu OLG Düsseldorf NJW 1977 S. 262.

96

Dazu BGHSt 34 S. 150 mit Anm. SCHALL JR 1987 S. 397 ff.

349

§66

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

jeweils geschützte Rechtsgut verschieden akzentuiert ist. 97 2. Erregung öffentlichen Ärgernisses, § 183 a 82 Öffentlich vorgenommen ist eine sexuelle Handlung, wenn eine unbestimmte Vielzahl oder eine bestimmte, nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundene Mehrzahl von Personen sie wahrgenommen hat oder hätte wahrnehmen können. 98 Im Falle einer durch persönliche Beziehungen verbundenen Gruppe muß auch der Täter in die persönlichen Beziehungen eingeschlossen sein. 9 9

83 Ein Ärgernis ist erregt, wenn eine Person erheblich in ihrem Empfinden, nicht mit sexuellen Handlungen gegen ihren Willen konfrontiert zu werden, verletzt ist (Erfolgsdelikt). Zum subjektiven Tatbestand vgl. Rdn. 78. 3. Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 a 84 a) § 184 a enthält einen gegenüber § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG qualifizierten Tatbestand. Zur Ausfüllung des Blanketts bedarf es einer Rechtsverordnung, zu deren Erlaß Art. 297 EGStGB ermächtigt. - Ein beharrliches Zuwiderhandeln setzt eine wiederholte Tatbegehung voraus, mit der der Täter erkennen läßt, daß er nicht bereit ist, sich an das Verbot zu halten, und das deshalb eine weitere Wiederholung indiziert. 100 - Der Prostitution Nachgehen ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung der Prostitution, nicht erst die Vornahme oder das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen. 101 - Zum Begriff der Prostitution vgl. Rdn. 75. 85 b) Die Tat ist ein eigenhändiges Delikt. - Teilnahme ist nach allgemeinen Regeln möglich. Die Beharrlichkeit ist kein Sonderpflichtmerkmal und damit nicht besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28. 1 0 2 86 Der Partner des oder der Prostituierten, dessen Rolle sich auf die des zahlenden Freiers beschränkt, ist als notwendiger Teilnehmer straflos. 103 Die Überlassung von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt zur Förderung der Prostitution ist in § 180 a abschließend geregelt, so daß sie nicht auf dem Umweg über die Teilnahme an Taten nach § 184 a kriminalisiert werden darf. 104

VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution 87 Geschützt wird die Unabhängigkeit von Menschen im

9 7

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 1 8 3 R d n .

Prostitutionsmilieu.

11; SCH/SCH/LENCKNER § 1 8 3 R d n .

15. - A . A .

MAURACH/-

SCHROEDER/MAIWALDB.T. 1, § 22 Rdn. 7; TRÖNDLE StGB, § 183 Rdn. 13: Spezialität. 98

BGHSt 11 S. 282.

99

So auch LACKNER/KÜHL § 183 a Rdn. 2; SCHRÖDER JR 1970 S. 429 f. - A.A. OLG Köln NJW 1970 S. 6 7 0 ; LAUFHÜTTE L K , § 1 8 3 a R d n . 4 .

100

Dazu OLG Köln GA 1984 S. 333.

101

Dazu BayObLG JZ 1989 S. 52 mit Anm. BEHM S. 301 f.

102

A.A. BayObLG NJW 1985 S. 1566; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T. 1, § 20 Rdn. 61.

1 0 3

S o LACKNER/KÜHL § 1 8 4 a R d n . 7 ; LAUFHÜTTE L K , § 1 8 4 a R d n . 6 ; TRÖNDLE S t G B , § 1 8 4 a R d n . 6 . A . A . GRAALMANN-SCHEERER G A 1 9 9 5 S . 3 5 2 f.

104

So auch HORN SK II, § 184 a Rdn. 5; LACKNER/KÜHL § 184 a Rdn. 7. - A.A. BayObLG NJW 1981 S . 2 7 6 6 ; GEERDS J R 1 9 8 5 S . 4 7 3 f .

350

Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§66

1. Förderung der Prostitution, § 180 a Geschützt wird die Person davor, zur Prostitution gebracht, darin festgehalten und aus- 88 gebeutet zu werden. - Zum Begriff der Prostitution vgl. Rdn. 75; zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 Rdn. 21. Zum Begriff Prostitution Nachgehen vgl. Rdn. 84. a) Abs. 1 enthält das Verbot von Bordellen oder bordellartigen Betrieben, d.h. Ein- 89 richtungen, die durch organisatorische und räumliche Einbindung von mindestens 2 Prostituierten dem Zwecke dienen, aus den entgeltlichen Sexualkontakten Gewinne zu erzielen. 1 0 5 aa) Nr. 1 erfordert, daß zumindest eine Prostituierte 106 in dem Betrieb in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden.

90

Persönliche Abhängigkeit liegt vor, wenn der Betroffene in seiner Lebensführung, einschließlich der Ausübung seines Gewerbes, weitgehend der Disposition durch andere unterworfen ist, d.h. wenn das Ob, Wo und Wie der Prostitution durch andere bestimmt wird. Wirtschafilich abhängig ist, wer hinsichtlich seiner Einkünfte und der Sicherung seines Lebensunterhalts im wesentlichen einer Fremdbestimmung unterliegt. Halten setzt eine gezielte Einwirkung auf die persönliche oder wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus. - Es ist nicht erforderlich, daß der Täter die Abhängigkeit selbst begründet hat.

bb) Nach Nr. 2 genügt auch ein Betrieb, in dem die Prostitutionsausübung durch Maß- 91 nahmen gefördert wird, die über die Wohnungs-, Unterkunfts- oder Aufenthaltsgewährung und die dabei üblichen Nebenleistungen hinausgehen. Sie brauchen keine Knebelung der Prostituierten zu bezwecken, sondern es genügt, daß sie günstige Bedingungen für die Ausübung der Prostitution schaffen. Beispiele: Veranstaltung von Nackttänzen und Vorführung pornographischer Filme zur Anregung der Gäste (KG JR 1978 S. 296; KG JR 1980 S. 121); Unterhalt einer Sauna zur Förderung der Kontakte; Schaffung intimer Atmosphäre und günstiger Arbeitsbedingungen 1 0 7 ; Alkoholausschank (OLG Hamm MDR 1990 S. 1034); Festsetzung von Gästequoten (KG NJW 1976 S. 813); zentrales Kassieren und anteiliges Verteilen des Dirnenlohnes (BT-Drucks. 7/514, S. 9).

b) Abs. 2 erfaßt die Wohnungs- und gewerbsmäßige Unterkunfts- und Aufenthaltsgewäh- 92 rung an noch nicht 18jährige zur Prostitution, Nr. 1, und das Gewähren von Wohnung zur Prostitution, wenn damit, Nr. 2, ein Ausbeuten, d.h. ein gewinnsüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle verbunden ist, durch das die Prostituierte in eine schlechtere wirtschaftliche Lage gebracht wird. 1 0 8 c) Konkurrenzen: § 180 a Abs. 1 Nr. 2 wird von Nr. 1 konsumiert. 1 0 9 93 2. Menschenhandel,

§ 180 b

Der Tatbestand des § 180 b schützt gegen die Rekrutierung von Menschen beiderlei Ge- 94 schlechts für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse Dritter. a) Abs. 1 richtet sich vor allem gegen Vermittler, die Prostitutionsbetriebe mit Nachwuchs 95 versorgen oder sich sonst am internationalen Menschenhandel beteiligen. Einwirken ist eine intensive Beeinflussung des Willens des Opfers, z.B. durch Überreden, Versprechungen, Täuschung, Einschüchterung, Drohung, Gewalteinwirkung. 1 1 0 105

Vgl. BayObLG NStZ 1994 S. 396.

106

Vgl. dazu BGH NJW 1995 S. 1686.

107

B G H N J W 1 9 8 6 S. 5 9 6 m i t A n m . KÖBERER S t V 1 9 8 6 S . 2 9 5 f f , u n d NITZE N S t Z 1 9 8 6 S. 3 5 9 f f ; B G H

MDR 1987 S. 948. 108

B G H G A 1987 S. 261.

109

BGH NStZ 1990 S. 80.

351

§66

96

97

98

99

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Vermögensvorteil ist jede wirtschaftliche Verbesserung der Vermögenslage, auch die durch den üblichen Geschäftsgewinn. Es muß dem Täter darauf ankommen (zielgerichtetes Wollen), einen bestimmten Erfolg zu erreichen und zwar: aa) Abs. 1 S. 1: Das Opfer zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen. Dabei genügt es, daß das Opfer bestimmt wird die Prostitution unter veränderten, seine Lage verschlechternden Bedingungen fortzusetzen. 111 Der Täter muß in Kenntnis einer tatsächlichen Zwangslage des Opfers handeln, d.h. einer ernsten persönlichen oder wirtschaftlichen Bedrängnis des Opfers. bb) Abs. 1 S. 2: Das Opfer zu bestimmten sexuellen Handlungen zu bringen. - Die Kenntnis des Täters muß sich auf die objektiv bestehende oder erwartete Hilflosigkeit des Opfers beziehen. - Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer aufgrund des Aufenthalts in dem fremden Land und in der konkreten Lage nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht im Stande ist, sich dem Ansinnen der ihm unerwünschten sexuellen Betätigung aus eigener Kraft zu entziehen. 112 b) Abs. 2 schützt unabhängig von einer Zwangslage und einer Vorteilsabsicht des Täters Personen vor der Prostitution in einem fremden Land, Nr. 1, sowie umfassend Personen unter einundzwanzig Jahren, Nr. 2. Der Schutz richtet sich gegen Einwirkungen - dazu Rdn. 95 -, die darauf zielen, das Opfer zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen - dazu Rdn. 69 - oder dazu zu bringen, die Prostitution aufzunehmen oder fortzusetzen. - Dazu bringen heißt, das Opfer in einer Weise in den Einwirkungsbereich des Prostitutionsmilieus zu bringen, daß es sich trotz vorausgegangener Unentschlossenheit oder Abwehr der Prostitutionsausübung zuwendet. Im Falle des Abs. 2 Nr. 1 muß der Täter in der Kenntnis der besonderen Hilflosigkeit des Opfers - dazu Rdn. 97 - handeln. c) Der Versuch ist nur in den Fällen des Abs. 2 strafbar.

3. Schwerer Menschenhandel, § 181 100 Die Vorschrift schützt gegen die Rekrutierung von Menschen beiderlei Geschlechts für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse Dritter unter Einsatz qualifizierter Tatmittel. Sie erfaßt daher dem § 180 b vergleichbares, besonders schweres Unrecht, doch kann § 180 b nicht als Grundtatbestand zu § 181 interpretiert werden. 113 101 a) Abs. 1 Nr. 1: Bestimmen - dazu Rdn. 69 zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution durch Gewalt - dazu § 27 Rdn. 14 - Drohung mit empfindlichem Übel - dazu § 27 Rdn. 17 f - oder durch List - dazu § 28 Rdn. 21. - Es genügt, daß das zur Aufgabe der Prostitution entschlossene Opfer zu deren Fortsetzung 114 oder das der Prostitution nachgehende Opfer zu einer qualitativ andersartigen Prostitutionsausübung bestimmt wird. 115 - Nicht geschützt ist das Recht der Prostituierten, über ihre Einnahmen nach Belieben zu verfü-

110

Vgl. BGH NJW 1990 S. 196.

111

V g l . B G H S t 4 2 S. 179 m i t A n m . BOTTKE J R 1 9 9 7 S. 2 5 0 f f , SCHROEDER J Z 1 9 9 7 S. 155 f, WOLTERS

112

Vgl. auch BT-Drucks. 7/514, S. 10; VI/3521, S. 49.

113

Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 181 Rdn. 2. - A.A. TRÖNDLE StGB, § 181 Rdn. 1.

114

Dazu B G H S t 33 S. 353 mit A n m . BOTTKE JR 1987 S. 33 f, und BÜRGER StV 1987 S. 6 4 ff.

115

Vgl. DENCKER N S t Z 1989 S. 251.

N S t Z 1997 S. 339 ff; DENCKER N S t Z 1989 S. 251.

352

Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§66

gen. 116 - Vollendet ist die Tat mit Vornahme der ersten Handlung des Opfers, die unmittelbar auf eine entgeltliche Betätigung abzielt. 117 b) Abs. 1 Nr. 2: Zu den Tatmitteln vgl. Rdn. 101. - Anwerben ist das vom Täter durch die 102 Einflußnahme auf das Opfer erreichte Einvernehmen mit diesem über dessen Bereitschaft zur Vornahme bestimmter sexueller Handlungen. - Entführen gegen den Willen setzt voraus, daß der Täter das Opfer durch Verbringen an einen anderen Ort für eine gewisse Dauer so in seine Gewalt bringt, daß es seinem ungehemmten Einfluß preisgegeben ist. - Gegen ihren Willen ist Tatbestandsmerkmal. - Zur Kenntnis der durch den Aufenthalt im fremden Land begründeten Hilflosigkeit vgl. Rdn. 97. c) Abs. 1 Nr. 3: Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine 103 fortlaufende Einnahmequelle verschaffen will. - Die gewerbsmäßige Tätigkeit muß im Anwerben liegen. Gewerbsmäßige Weitervermittlung der von anderen angeworbenen Personen genügt dem Erfordernis des Anwerbens nicht. 118 4. Zuhälterei, § 181 a Alle Formen der Zuhälterei setzen voraus, daß der Täter zu der oder dem Prostituierten im Hinblick auf die Tathandlung Beziehungen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. a) Abs. 1 Nr. 1 erfaßt das Ausbeuten einer der Prostitution nachgehenden Person. Ausbeuten erfordert, daß der Täter auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses durch planmäßiges und eigennütziges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle eine spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten herbeiführt. Eine zwangsweise Unterwerfung der Prostituierten ist nicht erforderlich. Es genügt aber die Ausnutzung nach gefühlsmäßiger Bindung durch Täuschung. - Das bloße Ausgehaltenwerden reicht selbst bei erheblichen Leistungen dazu nicht aus. 119 b) Abs. 1 Nr. 2 beschreibt die sog. "dirigierende Zuhälterei". Der Täter muß den Einsatz der Prostituierten durch besondere Organisationsmaßnahmen regeln und durchsetzen und damit Herrschaft ausüben, d.h. bestimmend auf den Willen der Prostituierten ein" wirken. 120 Bloßes Beschützen der Dirne, Vertreiben der Konkurrenten, Vermittlung von Partnern u.ä. genügt nicht. - Maßnahmen gegen das Aufgeben der Prostitution sind Vorkehrungen, die das Lösen aus dem Prostitutionsmilieu erschweren oder unmöglich machen, z.B. Entzug von Geldmitteln, Drohungen, Täuschungen u.ä. - Der Täter muß seines Vermögensvorteils wegen handeln, d.h. dieser Vorteil muß sein Motiv sein. c) § 181 a Abs. 2 stellt die gewerbsmäßige Förderung der Prostitution durch Vermittlung sexuellen Verkehrs - Unterhalt eines Call-Girl-Ringes, Schleppertätigkeit - unter Strafe. d) Abs. 3 bedroht zuhälterische Handlungen in bezug auf den Ehegatten ohne Rücksicht darauf mit Strafe, ob hier Beziehungen im Hinblick gerade auf die zuhälterische Handlung unterhalten werden.

116

BGH StV 1995 S. 23; BGH StV 1996 S. 481.

117

BGH NStZ-RR 1997 S. 294.

118

Vgl. BGH NStZ 1992 S. 434; BGH NStZ 1994 S. 78.

119

Dazu BGH NStZ 1982 S. 507; BGH NStZ 1983 S. 220; BayObLG NJW 1977 S. 1209 mit Anm. GEERDS JR 1978 S. 81 ff; BGH NStZ 1985 S. 453; BGH GA 1987 S. 261; BGH NStZ 1989 S. 67; B G H N J W 1 9 9 3 S . 3 2 0 9 m i t abl. A n m . OETGEN S t V 1 9 9 4 S . 4 8 2 f f ; B G H N S t Z 1 9 9 6 S . 188 m i t A n m . LING G A 1 9 9 7 S . 4 6 8 f f .

120

BGHbeiHoltz, MDR 1990 S. 294.

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Dritter Teil: D e l i k t e g e g e n Rechtsgüter der Gesamtheit

§66

VIII. Verbreitung pornographischer Schriften, § 184 1 0 9 Der Schutzzweck der Norm ist uneinheitlich; vgl. dazu unter Rdn. 111.

1. Pornographische Schriften 110 Pornographisch sind Schriften (auch Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen, § 11 Abs. 3), wenn sie nach ihrem objektiven Gehalt zum Ausdruck bringen, daß sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei den Betrachtern abzielen und eindeutig die Grenzen allgemein anerkannten sexuellen Anstandes überschreiten.121 Nach dem wesentlich durch formale Kriterien bestimmten Kunstbegriff des BVerfG schließen Kunst und Pornographie einander nicht begrifflich aus. Im Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz ist der jeweilige Vorrang durch eine einzelfallbezogene Abwägung zu f i n d e n . 1 2 2

2. Die einzelnen

Tathandlungen

111 a) Die Tatbestände des Abs. 1 Nr. 1-5, 7, 8 dienen vorwiegend dem Jugendschutz, doch ist in ihnen auch das Interesse, nicht gegen den eigenen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden, geschützt. Anbieten ist die Erklärung der Bereitschaft zur Überlassung von Pornographie. Das Angebot muß nach seinem Aussagegehalt für den durchschnittlich interessierten und informierten Betrachter den pornographischen Bezug deutlich machen; BGHSt 34 S. 94. - Überlassen ist die Übertragung des Gewahrsams. - Zugänglichmachen heißt Eröffnung von Wahrnehmungsmöglichkeiten. Ausstellen, Anschlagen und Vorführen sind Beispiele dafür. - Der Versandhandel braucht nicht auf Verkauf angelegt zu sein, es genügt Vermietung; BVerfG NJW 1982 S. 1512. - Ein gewerblicher Filmverleih ist nach der Intention des Gesetzes, das gemäß § 11 Abs. 3 Schriften und Filme gleichstellt, als Leihbücherei i.S. des § 184 Abs. 1 Nr. 3 anzusehen; a.A. BGHSt 29 S. 69. - Ankündigen und Anpreisen müssen den pornographischen Charakter der Objekte erkennen lassen; B G H N J W 1977 S. 1695; O L G Stuttgart M D R 1977 S. 246. - Das Entgelt wird überwiegend für die Vorführung verlangt, wenn deren wirtschaftlicher Wert den der anderen Leistungen, z.B. Getränke, Rauchwaren u.a., ü b e r s t e i g t . 1 2 3

112 b) Abs. 1 Nr. 6 sowie Abs. 2 schützen ausschließlich das Interesse, nicht gegen den eigenen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden. D e m Abs. 2 kommt nur für Live-Sendungen des für die Allgemeinheit bestimmten Bild- und Hörfunks Bedeutung zu, da die Ausstrahlung von Bild- und Tonaufzeichnungen bereits unter die verschiedenen Alternativen des Abs. 1 fallen. - Täter sind die für die Sendung verantwortlichen Personen.

113 c) Abs. 1 Nr. 9 gehört überhaupt nicht in den in § 184 geregelten Zusammenhang, denn hier wird die sexuelle Selbstbestimmung in keiner Weise tangiert, vielmehr geht es um staatliche Interessen, die bei einer Ausfuhr von Pornographie verletzt werden können. 114 d) Abs. 3 richtet sich gegen die sog. harte Pornographie. Er soll der kriminogenen und sozial desintegrierenden Wirkung sadistischer, pädophiler und sodomistischer Pornographie durch ein Herstellungs- und Verbreitungsverbot begegnen.

121

Vgl. dazu BT-Drucks. VI/3521, S. 60; LACKNER/KÜHL § 184 Rdn. 2; LAUFHÜTTE JZ 1974 S. 47. - Zu abweichenden Konzeptionen vgl. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 23 Rdn. 5 ff; SCHROEDER Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit, 1992, S. 28 f, 54.

122

Dazu BVerfG NStZ 1991 S. 188; BGHSt 37 S. 55 mit Anm. MAIWALD JZ 1990 S. 1141 ff; vgl. auch SCHROEDER Pornographie, S. 47 ff.

123

Dazu B V e r f G E 47 S. 109; BGHSt 29 S. 68; K G JR 1978 S. 167; O L G Stuttgart N S t Z 1981 S. 262; ROGALL J Z 1979 S. 715 ff.

354

Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

§67

Zum Begriff der Gewalttätigkeiten vgl. oben § 63 Rdn. 54 f. - Sexuellen Mißbrauch von Kindern haben Darstellungen von Handlungen i.S. des § 176 zum Gegenstand. - Sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren erfordern körperlichen Kontakt.

e) Abs. 4 droht eine verschärfte Strafe an, wenn in Fällen des Abs. 3 die Schrift - dazu § 115 11 Abs. 3 - den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand hat und ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt und der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt. - Abs. 5 stellt das Unternehmen der Besitzverschaffung und den Besitz solcher Schriften unter Strafe. 3. Straf ausSchluß a) Das Erzieherprivileg gemäß Abs. 6 schließt die Anwendung des Abs. 1 Nr. 1 aus, selbst H® wenn das Verhalten des Erziehungsberechtigten eine grobe Verletzung der Erziehungspflicht darstellt. b) Nach Abs. 6 S. 2 gilt Abs. 1 Nr. 3 a nicht, wenn die Handlung im Geschäftsverkehr mit 117 gewerblichen Entleihern erfolgt. c) Abs. 6 S. 3 schließt Abs. 5 aus, wenn die Handlung ausschließlich der Erfüllung recht- 118 mäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten diente.

§ 67: Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität Eine allgemeine Pflicht, anderen zu helfen, kann wegen ihrer Weite nicht Gegenstand einer Rechtsordnung sein. Wohl aber kann eine Rechtsordnung eine Pflicht zur Hilfeleistung in Situationen, in denen die Allgemeinheit oder der Einzelne besonderen, existenzbedrohenden Gefahren ausgesetzt ist, statuieren. Sie greift damit auf jene Grundlagen der Gesellschaft zurück, die ein soziales Miteinander erst ermöglichen, nämlich auf das Minimum der Solidarität zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft. Geschütztes Rechtsgut ist in diesem Bereich daher die mitmenschliche Solidarität, auf die der Einzelne oder die Allgemeinheit in bestimmten Situationen vertraut. 124

1

I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c 1. Die Tatsituation Voraussetzung der Hilfspflicht i.S. des § 323 c ist ein Unglücksfall, gemeine Gefahr oder gemeine Not. a) Ursprünglich ging die Rechtsprechung davon aus, daß Unglücksfall ein plötzliches äußeres Ereignis sei, das erhebliche Schäden an Personen oder Sachen verursacht und weiteren Schaden zu verursachen droht. - Der BGH hat diese Definition dahin konkretisiert, daß eine Situation, in der Schaden erst drohe, genüge und daß es gleichgültig sei, ob die Gefährdung dem Betroffenen von außen zustößt oder von ihm selbst herbeigeführt ist. aa) Mit der Anerkennung der bloßen Sachgefahr gerät die Definition jedoch zu weit. Das Vorliegen einer bloßen Sachgefahr begründet selbst dann keinen Unglücksfall, wenn be124

Vgl. auch KÜPPER B.T. 1, II § 5 Rdn. 58; NEUMANN JA 1987 S. 255. - Für Schutz der bedrohten Indiv i d u a l r e c h t s g ü t e r : GEILEN J u r a 1 9 8 3 S . 7 8 ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 2 3 c R d n . 1; RUDOLPHI S K I I , § 3 2 3 c

Rdn. 1; SEELMANN NK, § 323 c Rdn. 8; SPENDEL LK, § 323 c Rdn. 29. - In der sozialen Stabilisierung sieht PAWLIK GA 1995 S. 365, das Rechtsgut.

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Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

§67

Zum Begriff der Gewalttätigkeiten vgl. oben § 63 Rdn. 54 f. - Sexuellen Mißbrauch von Kindern haben Darstellungen von Handlungen i.S. des § 176 zum Gegenstand. - Sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren erfordern körperlichen Kontakt.

e) Abs. 4 droht eine verschärfte Strafe an, wenn in Fällen des Abs. 3 die Schrift - dazu § 115 11 Abs. 3 - den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand hat und ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt und der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt. - Abs. 5 stellt das Unternehmen der Besitzverschaffung und den Besitz solcher Schriften unter Strafe. 3. Straf ausSchluß a) Das Erzieherprivileg gemäß Abs. 6 schließt die Anwendung des Abs. 1 Nr. 1 aus, selbst H® wenn das Verhalten des Erziehungsberechtigten eine grobe Verletzung der Erziehungspflicht darstellt. b) Nach Abs. 6 S. 2 gilt Abs. 1 Nr. 3 a nicht, wenn die Handlung im Geschäftsverkehr mit 117 gewerblichen Entleihern erfolgt. c) Abs. 6 S. 3 schließt Abs. 5 aus, wenn die Handlung ausschließlich der Erfüllung recht- 118 mäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten diente.

§ 67: Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität Eine allgemeine Pflicht, anderen zu helfen, kann wegen ihrer Weite nicht Gegenstand einer Rechtsordnung sein. Wohl aber kann eine Rechtsordnung eine Pflicht zur Hilfeleistung in Situationen, in denen die Allgemeinheit oder der Einzelne besonderen, existenzbedrohenden Gefahren ausgesetzt ist, statuieren. Sie greift damit auf jene Grundlagen der Gesellschaft zurück, die ein soziales Miteinander erst ermöglichen, nämlich auf das Minimum der Solidarität zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft. Geschütztes Rechtsgut ist in diesem Bereich daher die mitmenschliche Solidarität, auf die der Einzelne oder die Allgemeinheit in bestimmten Situationen vertraut. 124

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I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c 1. Die Tatsituation Voraussetzung der Hilfspflicht i.S. des § 323 c ist ein Unglücksfall, gemeine Gefahr oder gemeine Not. a) Ursprünglich ging die Rechtsprechung davon aus, daß Unglücksfall ein plötzliches äußeres Ereignis sei, das erhebliche Schäden an Personen oder Sachen verursacht und weiteren Schaden zu verursachen droht. - Der BGH hat diese Definition dahin konkretisiert, daß eine Situation, in der Schaden erst drohe, genüge und daß es gleichgültig sei, ob die Gefährdung dem Betroffenen von außen zustößt oder von ihm selbst herbeigeführt ist. aa) Mit der Anerkennung der bloßen Sachgefahr gerät die Definition jedoch zu weit. Das Vorliegen einer bloßen Sachgefahr begründet selbst dann keinen Unglücksfall, wenn be124

Vgl. auch KÜPPER B.T. 1, II § 5 Rdn. 58; NEUMANN JA 1987 S. 255. - Für Schutz der bedrohten Indiv i d u a l r e c h t s g ü t e r : GEILEN J u r a 1 9 8 3 S . 7 8 ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 2 3 c R d n . 1; RUDOLPHI S K I I , § 3 2 3 c

Rdn. 1; SEELMANN NK, § 323 c Rdn. 8; SPENDEL LK, § 323 c Rdn. 29. - In der sozialen Stabilisierung sieht PAWLIK GA 1995 S. 365, das Rechtsgut.

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Dritter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter der G e s a m t h e i t

deutende Sachwerte gefährdet sind. Dies folgt aus der Gleichstellung des Unglücksfalles mit der gemeinen Gefahr und gemeinen Not, die dann überflüssig wäre, wenn schon eine Sachgefahr als Unglücksfall anzusehen wäre. 125 bb) Zu folgen ist dem BGH hingegen in der Erstreckung des Unglücksfalles auf Notsituationen, die der Betroffene selbst herbeigeführt hat. Ein Unglücksfall liegt danach auch in der Suizidsituation, und zwar bereits dann, wenn der Täter den Suizidplan ernsthaft ins Werk setzt, nicht erst dann, wenn der Täter das Opfer seiner selbst geworden ist oder sich von seinem Plan distanziert hat; dazu eingehend oben § 6 Rdn. 58 f. cc) Im Gegensatz zur Suizidsituation liegt kein Unglücksfall vor, wenn ein lebensgefährlich Erkrankter in voller Kenntnis der Situation aufgrund freier Entscheidung eine Behandlung ablehnt; dazu eingehend oben § 6 Rdn. 60. b) Daraus folgt für die Definition des Unglücksfalls: Unglücksfall ist eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, weil ihm erheblicher Schaden an Leib, Leben, Freiheit oder einem anderen höchstpersönlichen Rechtsgut droht. Das Vorliegen des Unglücksfalles ist ex post festzustellen. 126 c) Gemeine Gefahr ist eine Situation, in der die Möglichkeit des Schadens an Leib oder Leben oder an bedeutenden Sachwerten für unbestimmt viele Personen begründet ist; z.B. Überschwemmung, Brand. d) Gemeine Not ist eine Notlage der Allgemeinheit. 2. Das Tatverhalten

10 Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt, mit dem das Unterlassen der erforderlichen und zumutbaren Hilfeleistung unter Strafe gestellt wird. 11 a) Erforderlich ist die Hilfe, wenn aus der Sicht eines Beobachters der Situation - ex-anteBeurteilung - die Chance besteht, den drohenden Schaden abzuwenden. Ob dies wirklich gelingt, ist hingegen irrelevant. 127 12 b) Die Hilfeleistung muß dem Täter zumutbar sein. Die Zumutbarkeit der Hilfe ist Tatbestandsmerkmal. 128 Die Zumutbarkeit ist zum einen nach dem Grad der eigenen Gefährdung, der Beziehung des Hilfsfähigen zum Geschehen, insbesondere auch nach seinen persönlichen Fähigkeiten, Hilfsmitteln, Erfahrungen und der Möglichkeit, z.B. am schnellsten Hilfe leisten zu können, zu bestimmen. Zum anderen aber ist die Situation des Hilfsbedürftigen zu berücksichtigen und zu beachten, welche Hilfsmaßnahmen ihm - unter Beachtung seines Persönlichkeitsrechts - zumutbar sind; dazu vgl. oben § 6 Rdn. 62.

125

So auch ARZT in: Arzt/Weber, L H 2, Rdn. 376; FRELLESEN Die Zumutbarkeit der Hilfeleistung, 1980, S. 150 f f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 16/5; SCH/SCH/CRAMER § 3 2 3 c R d n . 5 ; SEELMANN J u S 1 9 9 5 S. 2 8 4 ;

VERMANDER Unfallsituation und Hilfspflicht im Rahmen des § 330 c StGB, 1969, S. 24 ff, 50. - A.A. GEILEN J u r a 1 9 8 3 S . 8 6 f f ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 2 ; PAWLIK G A 1 9 9 5 S. 3 6 7 ; RUDOLPHI S K II, § 3 2 3 c R d n . 5 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 3 7 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 2 3 c R d n . 3. 126

Vgl. BGHSt 14 S. 216; 32 S. 381; AG Tiergarten NStZ 1991 S. 236 mit Anm. OTTO JK 91, StGB § 323 c / 3 ; SEELMANN J u S 1 9 9 5 S. 2 8 4 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 81. - A . A . RUDOLPHI N S t Z 1991 S. 2 3 7 f.

127

Dazu BGHSt 17 S. 170 f; BGH NStZ 1985 S. 409; GEILEN Jura 1983 S. 142 ff.

128

V g l . d a z u HRUSCHKA J u S 1 9 7 9 S. 3 9 1 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 7 ; NAUCKE W e l z e l - F S , S. 7 6 7 f f ; PAWLIK G A 1 9 9 5 S. 3 7 2 . - A . A ( S c h u l d e l e m e n t ) : MAURACH/SCHROEDER B . T . 2 , § 5 5 R d n . 2 3 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 1 5 9 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 2 3 c R d n . 10.

356

Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

§67

Die erhebliche Gefährdung eigener Rechtsgüter und die Pflichtenkollision sind Beispiele für den Ausschluß der Zumutbarkeit. Dies gilt auch dann, wenn die Pflichtenkollision nicht rechtfertigt, sondern nur entschuldigt oder eine Kollision rechtlicher und religiöser Pflichten v o r l i e g t . ' 2 9 . Die Gefahr einer Strafverfolgung schließt die Zumutbarkeit hingegen grundsätzlich nicht a u s , ' ™ W ohl aber die Gefahr eigener schwerer Körperverletzungen.' 3 1

c) Der zumindest bedingte Vorsatz muß die Notsituation, die Möglichkeit, Erforderlichkeit 13 und Zumutbarkeit der Hilfe umfassen. d) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter die Hilfspflicht erkannt hat und keine Hil- 14 feleistung erbringt. Ein Rücktritt vom vollendeten Delikt ist in analoger Anwendung der §§ 158, 310 möglich, so lange keine Verschlechterung der Situation eingetreten ist. 132

3.

Konkurrenzen

§ 323 c begründet keine Garantenstellung zur Abwendung von Gefahren die dem Hilfs- 15 bedürftigen drohen. Der aus anderem Grunde verpflichtete Garant, der die Hilfe, zu der er verpflichtet ist, unterläßt, haftet aus dem entsprechenden Erfolgsdelikt. Das unechte Unterlassungsdelikt, auch der Versuch, konsumieren die unterlassene Hilfeleistung. - Idealkonkurrenz zwischen einem fahrlässigen Unterlassungsdelikt, z.B. § 222, und unterlassener Hilfeleistung ist möglich. - Bleibt zweifelhaft, ob jemand sich als Täter oder Teilnehmer an der einen Unglücksfall bildenden Straftat beteiligt hat, so kann er nach § 323 c bestraft werden. 1 3 3

II. Mißbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln, § 145 1. Das Wesen des

§145

Das in § 145 umschriebene abstrakte Gefährdungsdelikt soll gleichsam im Vorfeld des 16 § 323 c die Voraussetzungen einer wirksamen Hilfeleistung erhalten helfen, und zwar dadurch, daß verhindert wird, daß nicht erforderliche Hilfe zur Gefahrenabwehr angefordert wird (Abs. 1) oder Präventivmaßnahmen, die zur Verhütung oder Bewältigung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr getroffen wurden, beeinträchtigt werden (Abs. 2). 2. Die Regelung im einzelnen a) § 145 Abs. 1 Nr. 1: Notrufe oder Notzeichen sind akustisch oder optisch wahrnehmbare 17 Kurzäußerungen, die auf das Vorhandensein einer Not- oder Gefahrenlage und die Notwendigkeit fremder Hilfe aufmerksam machen. Beispiele: Betätigung des Notrufmelders einer mit münzfreier Notrufeinrichtung versehenen öffentlichen Fernsprechzelle (OLG Oldenburg NJW 1983 S. 1573); mißbräuchliches Wählen der Notrufnummer 110 (BGHSt 34 S. 4, str.); Betätigung von Polizeinotrufanlagen, Feuermeldern; das Abgeben von SOS-Funk-, Blink- und Winksignalen auf Gewässern und im Gebirge; das Abschießen notanzeigender Leuchtkugeln u.ä. 129

Dazu BVerfGE 32 S. 98.

130

Vgl. BGHSt 11 S. 353; ULSENHEIMER GA 1972 S. 16 f.

131

Vgl. LG Mannheim NJW 1990 S. 2212; im einzelnen dazu SPENDEL LK, § 323 c Rdn. 122 ff.

132

So auch SCH/SCH/CRAMER § 323 c Rdn. 30. - A.A. BGHSt 14 S. 217; RUDOLPHI SK II, § 323 c Rdn. 29; SCHAFFSTEIN Dreher-FS, S. 154.

133

Vgl. BGHSt 39 S. 164 mit zust. Anm. GEPPERT JK 93, StGB § 323 c/4, und abl. Anm. TAG JR 1995 S. 133 ff; BGH NStZ 1997 S. 127.

357

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§67

18 Mißbrauch ist jeder Gebrauch des Rufs oder Zeichens, obwohl keine Not oder Gefahr besteht. 19 b) § 145 Abs. 1 Nr. 2 erfaßt den Fall, daß anders als durch Notruf oder Notzeichen eine Notlage vorgetäuscht wird. Zum Unglücksfall, zu gemeiner Gefahr oder Not vgl. Rdn. 3 ff.

20 c) § 145 Abs. 2 schützt Einrichtungen, deren konkrete Zweckbestimmung in der genannten Schutzfunktion liegt. Beseitigen erfordert räumliche Entfernung. - In seinem Sinn entstellt oder unbrauchbar ist der Gegenstand, wenn er den konkreten Schutzzweck nicht mehr erfüllt. Beispiele für Nr. 1: Verkehrszeichen, die Warn- und Verbotsfunktionen haben; 1 3 4 Warntafeln an Berghängen, Gewässern, Hochspannungsleitungen o.a. Beispiele für Nr. 2: Brückengeländer; Schwimmwesten; Rettungsringe.

21 d) Der Tatbestand erfordert absichtliches oder wissentliches Handeln, bedingter Vorsatz genügt nicht. 3. Konkurrenzen 22 a) Fallen Tathandlungen nach Nr. 1 und 2 zusammen, so liegt die Verwirklichung mehrerer Alternativen desselben Delikts vor. 23 b) Abs. 2 ist subsidiär gegenüber §§ 303, 304, auch wenn der Strafantrag nach § 303 Abs. 3 nicht gestellt wird: "mit Strafe bedroht ist", § 145 Abs. 2. 1 3 5

III. Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138, 139 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 24 a) Abweichend von der hier vertretenen Auffassung - mitmenschliche Solidarität - werden zum geschützten Rechtsgut unterschiedliche Meinungen vertreten: Straftat gegen das Strafrecht, 136 Delikt gegen die durch die anzeigepflichtigen Straftaten bedrohten Rechtsgüter, 137 Delikt gegen die Rechtspflege und die durch die anzeigepflichtigen Straftaten bedrohten Rechtsgüter. 138 25 b) Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt. 2. Die Regelung des § 138 im einzelnen 26 a) Abs. 1: Nur die hier genannten Straftaten - mit Ausnahme der §§ 129 a Abs. 3, 310 Abs. 1 Nr. 2 handelt es sich um Verbrechen - sind anzeigepflichtig. - Glaubhaft erfahren hat der Täter von der Tat, wenn diese ernstlich geplant oder schon ausgeführt wird und er selbst mit ihrer VerÜbung rechnet. - Rechtzeitig ist die Anzeige an die Behörde oder den Bedrohten, wenn die Ausführung der Tat bzw. (bei Kenntniserlangung erst nach Beginn

1 3 4

D a z u H Ä N D E L D A R 1975 S. 59.

1 3 5

S o a u c h ; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 1 4 5 R d n . 13. - A . A . SCH/SCH/STREE § 1 4 5 R d n . 2 2 .

136

SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 9 ff, 32.

1 3 7

HANACK L K , § 1 3 8 R d n . 2 , LACKNER/KÜHL § 1 3 8 R d n . I; RUDOLPHI S K II, § 1 3 8 R d n . 2 ; SCHMID-

1 3 8

K R E Y B . T . 1, R d n . 6 3 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 1 3 8 R d n . 1.

HÄUSER B o c k e l m a n n - F S , S . 6 8 8 f f .

358

Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

§67

der Tat) der Erfolg der Tat noch abgewendet werden kann. 139 - Abs. 1 setzt für das Unterlassen der Anzeige Vorsatz voraus. b) Gemäß Abs. 2 wird die Strafbarkeit auf "das Vorhaben oder die Ausführung einer 27 Straftat nach § 129 a" ausgedehnt. - Hier ist die Benachrichtigung der Behörde erforderlich. - Die Tat erfordert Vorsatz. c) Gemäß § 138 Abs. 3 wird auch das leichtfertige Unterlassen der Anzeige bestraft.

28

3. Entfallen der Anzeigepflicht a) Nicht anzeigepflichtig ist der untaugliche Versuch einer der genannten Straftaten, da dieser keine Notsituation begründen kann. b) Der von der Tat Bedrohte ist nur anzeigepflichtig, wenn sich die Tat auch noch gegen andere Personen richtet. Ist er allein Tatopfer, so verletzt er nicht das Vertrauen in die mitmenschliche Solidarität, wenn er keine Hilfe in Anspruch nimmt. c) Nicht anzeigepflichtig sind die an der geplanten Tat als Täter oder Teilnehmer Beteiligten. Ihre Strafbarkeit ergibt sich aus dem Grade ihrer Tatbeteiligung. Diese jedoch begründet keine Pflicht zur Verhinderung der geplanten Tat. 140 d) Nach Auffassung der Rechtsprechung war nicht nur der Tatbeteiligte, sondern auch der nur Tatverdächtige von der Anzeigepflicht befreit. 141 Diese Ansicht hat der BGH nunmehr dahin modifiziert, daß nur derjenige von der Anzeigepflicht befreit ist, der auch noch nach Abschluß der Beweisaufnahme der nicht angezeigten Tat verdächtig bleibt. 142 Diese Auffassung wird dem Sachproblem nicht gerecht, denn dann müßte man dem Anzeigepflichtigen fairerweise eine Frist bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Beweisaufnahme geben, weil erst dann seine Anzeigepflicht zweifelsfrei besteht bzw. nicht besteht. - Ein unsinniges Ergebnis! Auszugehen ist davon, daß die Anzeigepflicht grundsätzlich unabhängig von einem etwaigen Verdacht der Tatbeteiligung besteht. Sodann ist zu differenzieren: Erweist sich der Verdacht der Tatbeteiligung im Laufe des Verfahrens als berechtigt, so haftet der Betroffene wegen seiner Beteiligung an der Tat. Wird der Verdacht der Tatbeteiligung ausgeräumt, so bleibt es bei der Verletzung der Anzeigepflicht nach § 138. Die Verletzung der Anzeigepflicht und die Tatbeteiligung stehen nämlich - vergleichbar der Teilnahme und Täterschaft - in einem normativen Stufenverhältnis. Sie erfassen einen Angriff auf die geschützten Rechtsgüter in unterschiedlicher Intensität. Das ist offensichtlich, wenn § 138 als Delikt gegen die durch die anzeigepflichtige Straftat bedrohten Rechtsgüter interpretiert wird. Gleiches gilt für die hier vertretene Auffassung, daß § 138 als Delikt gegen die mitmenschliche Solidarität angesehen wird. Grundlage dieser Solidarität ist nämlich das Vertrauen des einzelnen auf die Solidarität der anderen in existenzbedrohenden Situationen. Diesen Situationen wollen auch die Katalogtaten in § 138 wehren. Wird § 138 hingegen als Straftat gegen das Strafrecht oder als Delikt gegen die Rechtspflege und die durch die anzeigepflichtigen Straftaten geschützten Rechtsgüter angesehen, so ist die Annahme 139

BGHSt 42 S. 86 mit zust. Anm. LAGODNY JZ 1997 S. 48 f, OTTO JK 97, StGB § 138/2, und abl. Anm. OSTENDORF J Z 1 9 9 7 S . 1 1 0 7 , PUPPE N S t Z 1 9 9 6 S . 5 9 7 f ; HANACK L K , § 138 R d n . 2 3 ; LACKNER/KÜHL § 1 3 8 R d n . 5 ; RUDOLPHI S K II, § 138 R d n . 14.

140

H.M., a.A. bezüglich des Teilnehmers SCHMIDHÄUSER Bockelmann-FS, S. 683 ff, und sachlich auch JOERDEN Jura 1990 S. 636.

141

Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1986 S. 794; TAG JR 1995 S. 133 ff.

142

Vgl. BGHSt 36 S. 170.

359

29 30

31

32

33

34

§67

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

eines normativen Stufenverhältnisses ausgeschlossen. Auch eine Wahlfeststellung kommt nicht in Betracht, da der Unrechtskern nicht identisch ist. Von diesen Prämissen her erfordert der Grundsatz in dubio pro reo einen Freispruch. 143 4. Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten, § 139 35 a) Ist die anzeigepflichtige Tat weder begangen noch versucht worden, so hat das Gericht die Möglichkeit, von Strafe bei dem Anzeigepflichtigen abzusehen, § 139 Abs. 1. Ist die Tat versucht worden, aber wegen Rücktritts des Täters für diesen straffrei, so findet § 139 Abs. 1 auf den Anzeigepflichtigen keine Anwendung. 36 b) Die Pflicht zur Anzeige entfällt nach § 139 Abs. 2 für Geistliche in bezug auf Mitteilungen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden sind. § 139 Abs. 2 enthält den vom Gesetzgeber geregelten Fall einer rechtfertigenden Pflichtenkollision und ist daher als Rechtfertigungsgrund anzusehen. 144 37 c) Straffrei bleiben nach § 139 Abs. 3 S. 1 Angehörige des oder der Täter, wenn sie sich ernsthaft bemüht haben, den oder die Täter von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn, die geplante Tat ist: 1. ein Mord oder Totschlag, 2. ein Völkermord in den Fällen des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 oder 3. ein erpresserischer Menschenraub, § 239 a Abs. 1, eine Geiselnahme, § 239 b Abs. 1, oder ein Angriff auf den Luft- oder Seeverkehr, § 316 c Abs. 1, durch eine terroristische Vereinigung, § 129 a. - § 139 Abs. 3 S. 1 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. 145 38 d) Unter den gleichen Voraussetzungen entfällt nach § 139 Abs. 3 S. 2 die Anzeigepflicht für Rechtsanwälte, Verteidiger und Arzte, soweit ihnen die Kenntnis von dem Verbrechen in ihrer Berufseigenschaft anvertraut worden ist. § 139 Abs. 3 S. 2 enthält einen Rechtfertigungsgrund; vgl. dazu Rdn. 36. 39 e) Pflichtwidrig handelt gemäß § 139 Abs. 4 S. 1 derjenige nicht, der die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet. Auch wenn das Gesetz nur die Straffreiheit des Täters feststellt, liegt hier ein Ausschluß des Tatbestandes vor, da der Täter seiner mitmenschlichen Pflicht nachgekommen ist. 146 40 f) Straffrei bleibt schließlich gemäß § 139 Abs. 4 S. 2 der Anzeigepflichtige, der sich ernsthaft bemüht hat, den Erfolg abzuwenden, wenn die Ausführung der Tat oder der Erfolg ohne sein Zutun unterbleiben. § 139 Abs. 4 S. 2 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.

143

1 4 4

Vgl. dazu OTTO JK 87, StGB § 138/1, und in Auseinandersetzung mit BGHSt 36 S. 167: JOERDEN Jura 1990 S. 633 ff. S o a u c h H A N A C K L K , § 139 R d n . 13; LACKNER/KÜHL § 139 R d n . 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T. 2, § 98 Rdn. 25; RUDOLPHI S K II, § 139 Rdn. 3; TRÖNDLE StGB, § 139 R d n . 4. - Für Tatbe-

standsausschluß: BLOY Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsg r ü n d e , 1 9 7 6 , S. 135 F n . 1; KIELWEIN G A 1 9 5 5 S. 2 3 1 ; KREY B . T . 1, R d n . 6 4 1 ; SCH/SCH/CRAMER § 139 Rdn. 2. 145

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 139 R d n . 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 9 8 R d n . 2 6 ; TRÖNDLE S t G B , § 139 R d n . 6. - F ü r E n t s c h u l d i g u n g s g r u n d z . B . : GEILEN JUS 1 9 6 5 S . 4 3 1 f ; KREY B . T . 1, R d n . 6 4 2 ; RUDOLPHI S K II, § 139 R d n . 6 ; SCH/SCH/CRAMER § 139 R d n . 4.

146

So auch i m Ergebnis: BLOY D i e dogmatische Bedeutung, S. 135 ff; RUDOLPHI SK II, § 139 Rdn. 16; SCH/SCH/CRAMER § 139 R d n . 6. - A.A. Persönlicher Strafaufhebungsgrund: HANACK L K , § 139 R d n . 3 7 ; LACKNER/KÜHL § 139 R d n . 4.

360

Zur Wiederholung

§68

§ 68: Zur Wiederholung 1. Durch welche Delikte wird der äußere Frieden als überstaatliches Rechtsgut geschützt? - Dazu § 62.

1

2. Kann sogen, passive Gewalt, z.B. ein Sitzstreik, als "Gewalttätigkeit" i.S. des § 125 angesehen werden? Dazu § 63 Rdn. 5. 3. Wann ist die öffentliche Sicherheit i.S. des § 125 gefährdet? - Dazu § 63 Rdn. 7. 4. Setzt § 140 voraus, daß der Täter der belohnten oder gebilligten Tat schuldhaft gehandelt hat? - Dazu § 63 Rdn. 40, 43. 5. Was ist das "Berichterstatterprivileg"? - Dazu § 63 Rdn. 58 f. 6. Wie sind die sog. Delikte gegen das Pietätsempfinden genauer zu bezeichnen? - Dazu § 64 Rdn. 1. 7. Wie wird Wegnahme i.S. des § 168 definiert? - Dazu § 64 Rdn. 13. 8. Welches Rechtsgut schützt § 173? - Dazu § 65 Rdn. 13. 9. In a) b) c)

welchen Fällen ist § 173 anwendbar? A verkehrt mit der nichtehelichen Tochter seiner Frau geschlechtlich. A verkehrt mit seiner Stiefschwester geschlechtlich. A verkehrt mit der in der Ehe geborenen Tochter seiner Ehefrau, deren Ehelichkeit er nicht angefochten hat, geschlechtlich. - Dazu § 65 Rdn. 13.

10. Macht sich ein im Inland lebender Ausländer oder Deutscher, der sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht, nach § 170 strafbar? - Welches ist der entscheidende Gesichtspunkt. - Dazu § 65 Rdn. 20. 11. Welche Angriffsrichtungen sind innerhalb der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu unterscheiden? - Dazu § 66 Rdn. 3. 12. Was ist eine "sexuelle Handlung"? - Dazu § 66 Rdn. 5 f. 13. Kann ein Schutzbefohlener i.S. des § 174 strafbar zum sexuellen Mißbrauch anstiften? - Dazu § 66 Rdn. 32. 14. Welche Restriktion des Begriffs der sexuellen Handlung i.S. des § 182 StGB wird diskutiert? - Dazu § 66 Rdn. 68. 15. Wann ist ein öffentliches Ärgernis i.S. des § 183 erregt? - Dazu § 66 Rdn. 82 f. 16. Was sind Delikte gegen die "mitmenschliche Solidarität"? - Dazu § 67 Rdn. 1. 17. Ist die Selbstmordsituation ein Unglücksfall i.S. des § 323 c? - Dazu § 67 Rdn. 5. 18. Begründet § 323 c eine Garantenstellung? - Dazu § 67 Rdn. 15.

361

§69

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Vierter Abschnitt Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs § 69: Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte 1

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Urkundendelikte ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Beweisverkehrs mit Urkunden und beweiserheblichen Daten. 2. Die

2

3

Schutzrichtung

Der Gesetzgeber hat vier verschiedene Arten des Angriffs auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs in den Urkundendelikten verpönt: a) Den Angriff gegen die Echtheit der Urkunde, §§ 267, 275, 276, 276 a, 277, 2. und 3. Alt., 279 in Verbindung mit § 277, und beweiserheblicher Daten, § 269. - Relevant ist hier, ob der angegebene Aussteller auch der wirkliche ist. b) Den Angriff gegen die inhaltliche Wahrheit der Urkunde, §§271, 276, 276 a, 277, 1. Alt., 279 in Verbindung mit §§ 277, 278, 348 Abs. 1, und der in öffentlichen Dateien gespeicherten Daten, §§ 271, 348 Abs. 1. - Relevant ist hier, ob der Inhalt der Urkunde oder der Daten sachlich richtig ist. c) Den Angriff gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels: §§ 273, 274. - Relevant ist hier der körperliche Fortbestand des Objekts als Beweismittel. d) Den Angriff gegen die bestimmungsgemäße Verwendung des Beweismittels: § 281. Diese starke Differenzierung der strafbaren Angriffsweisen, die zugleich eine scharfe Begrenzung der jeweiligen Schutzbereiche zur Folge hat, begründet die grundsätzliche Problematik der Urkundendelikte, die letztlich auch im Streit um den "richtigen" Urkundenbegriff zum Vorschein kommt: Überall dort, wo der gewährte Schutz als unzureichend empfunden wird, liegt der Versuch nahe, durch Umdeutung der Schutzrichtung den Schutzbereich auszudehnen.

§ 70: Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 1. Der Begriff der Urkunde 1

a) Strukturelemente des Urkundenbegriffs Der Urkundenbegriff muß drei Funktionen gerecht werden: aa) In der Urkunde ist eine menschliche Gedankenerklärung tuierungsfunktion).

verkörpert

(Perpe-

bb) Der Gedankenerklärung kommt Rechtserheblichkeit zu (Beweisfunktion), cc) Die Urkunde muß erkennen lassen, wer für die Erklärung einzustehen (Garantiefunktion).

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hat

§69

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Vierter Abschnitt Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs § 69: Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte 1

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Urkundendelikte ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Beweisverkehrs mit Urkunden und beweiserheblichen Daten. 2. Die

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Schutzrichtung

Der Gesetzgeber hat vier verschiedene Arten des Angriffs auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs in den Urkundendelikten verpönt: a) Den Angriff gegen die Echtheit der Urkunde, §§ 267, 275, 276, 276 a, 277, 2. und 3. Alt., 279 in Verbindung mit § 277, und beweiserheblicher Daten, § 269. - Relevant ist hier, ob der angegebene Aussteller auch der wirkliche ist. b) Den Angriff gegen die inhaltliche Wahrheit der Urkunde, §§271, 276, 276 a, 277, 1. Alt., 279 in Verbindung mit §§ 277, 278, 348 Abs. 1, und der in öffentlichen Dateien gespeicherten Daten, §§ 271, 348 Abs. 1. - Relevant ist hier, ob der Inhalt der Urkunde oder der Daten sachlich richtig ist. c) Den Angriff gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels: §§ 273, 274. - Relevant ist hier der körperliche Fortbestand des Objekts als Beweismittel. d) Den Angriff gegen die bestimmungsgemäße Verwendung des Beweismittels: § 281. Diese starke Differenzierung der strafbaren Angriffsweisen, die zugleich eine scharfe Begrenzung der jeweiligen Schutzbereiche zur Folge hat, begründet die grundsätzliche Problematik der Urkundendelikte, die letztlich auch im Streit um den "richtigen" Urkundenbegriff zum Vorschein kommt: Überall dort, wo der gewährte Schutz als unzureichend empfunden wird, liegt der Versuch nahe, durch Umdeutung der Schutzrichtung den Schutzbereich auszudehnen.

§ 70: Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 1. Der Begriff der Urkunde 1

a) Strukturelemente des Urkundenbegriffs Der Urkundenbegriff muß drei Funktionen gerecht werden: aa) In der Urkunde ist eine menschliche Gedankenerklärung tuierungsfunktion).

verkörpert

(Perpe-

bb) Der Gedankenerklärung kommt Rechtserheblichkeit zu (Beweisfunktion), cc) Die Urkunde muß erkennen lassen, wer für die Erklärung einzustehen (Garantiefunktion).

362

hat

Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

§70

b) Die verschiedenen Urkundenbegriffe Trotz einheitlicher Anerkennung der drei Funktionen werden für den Urkundenbegriff unterschiedliche Konsequenzen gezogen. aa) Die h.M. vertritt den weitesten Urkundenbegriff: Urkunden sind sinnlich wahrnehmbare Gegenstände der Außenwelt, die nach Gesetz, Herkommen oder Vereinbarung der Beteiligten dazu bestimmt und geeignet sind, über ihr körperliches Dasein hinaus eine Gedankenäußerung des Urhebers darzustellen und für bestimmte rechtliche Beziehungen Beweis zu erbringen, und ihren Aussteller erkennen lassen.1 bb) Die Mindermeinung in der Lehre beschränkt den Urkundenbegriff auf Schriftstücke: Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche und zum Beweis geeignete und bestimmte Erklärung eines bestimmten Ausstellers verkörpert.2 cc) Einen gegenüber der h.M. engeren, gegenüber der Mindermeinung aber weiteren Urkundenbegriff vertritt KIENAPFEL: Urkunden sind schriftlich verkörperte Erklärungen, die ihren Aussteller erkennbar machen. 3 c) Stellungnahme aa) Die verkörperte Gedankenerklärung In der Urkunde muß die Kundgabe eines Gedankeninhalts mit einer körperlichen Sache fest verbunden sein. Die Beweiskraft der Urkunde beruht nämlich auf ihrem Inhalt, nicht auf einem bestimmten So-Sein des Objektes im Gegensatz zum So-Sein anderer Objekte. Die Urkunde ist selbst nur Mittel zu einer Beweisführung durch eine verkörperte Gedankenerklärung. Ein rechtsverbindlicher Erklärungswille ist nicht erforderlich, es genügt, daß sich der Erklärende bewußt ist, daß er einen Gedanken äußert und ihn körperlich fixiert. 4 (1.) Die Erklärung selbst muß optisch-visuell erkennbar sein. Aufzeichnungen auf Tonträgem sind daher keine Urkunden. 5 (2.) Bloße Augenscheinsobjekte - Blutflecke, Einschüsse, Fingerabdrücke - und technische Aufzeichnungen - Fahrtenschreiberdiagramme -, die durch ihr So-Sein Beweis erbringen, sind keine Urkunden, da sie keine Gedankenerklärung verkörpern. Das gleiche gilt von Blanketten oder Formularen, die erst durch Ausfüllen eine bestimmte Gedankenerklärung erhalten. 6

1

Dazu RGSt 6 S. 290; 64 S. 49; BGHSt 18 S. 70; ARZT in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 467; ESER IV, N r . 19 A 9 ; KREY B . T . 1, R d n . 6 7 9 f f ; KÜPER B . T . S . 2 7 1 ; KÜPPER B . T . , II § 1 R d n . 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 2 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 2 ; T R Ö N D L E L K , 10. A u f l . , § 2 6 7 R d n . 1 m . w . N . in F n . 8; WESSELS B . T . / L , R d n . 7 6 8 .

2

3

Dazu BINDING B.T. II 1, S. 170; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 65 Rdn. 14; SAMSON Urkunden und Beweiszeichen, 1968, S. 94 ff; DERS. JuS 1970 S. 372; SCHILLING Der strafrechtliche Schutz des Augenscheinsbeweises, 1965, S. 86; DERS. Reform der Urkundenverbrechen, 1971, S. 70 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 14/10; WELZELLb., § 59 II 1. Dazu KIENAPFEL ZStW 82 (1970) S. 367 ff; DERS. GA 1970 S. 193 ff; DERS. Maurach-FS, S. 431 ff; DERS. J Z 1 9 7 2 S . 3 9 6 f ; v g l . a u c h PUPPE J u r a 1 9 7 9 S . 6 3 6 ; DIES. N K , § 2 6 7 R d n . 2 0 .

4 5

Dazu PUPPE Jura 1979 S. 636; SAMSON JA 1979 S. 529; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 14. So

auch

GERSTENBERG

NJW

1956

S. 540;

SCH/SCH/CRAMER

§ 267

Rdn.

6;

SIEBER

Compu-

terkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 284 und Nachtrag 2/22; WESSELS B.T./l, Rdn. 772. A . A . z . B . : ARMIN KAUFMANN Z S t W 7 1 ( 1 9 5 9 ) S . 4 1 6 . 6

Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 625; LG Berlin wistra 1985 S. 242 f.

363

2 3

4

5

6

7

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§70

(3.) Keine Urkunden sind sog. Kennzeichen, d.h. Zeichen, die lediglich der Unterscheidbarkeit, der Kennzeichnung, der Herkunfts- oder Eigentumsbezeichnung dienen. Hingegen sollen sog. Beweiszeichen nach h.M. Urkundenqualität haben. Als bloße Kennzeichen sollen anzusehen sein: Spielchips in einem Spielcasino (RGSt 55 S. 98); der Dienststempelabdruck in der Diensthose als Eigentümerzeichen (RG GA 77 (1933) S. 202); der Waldhammerschlag als Eigentumszeichen (RGSt 25 S. 244); Fabriknummer auf Industrieerzeugnissen (RG GA 59 (1912) S. 352); Autogramm (RGSt 23 S. 214). Hingegen hat die Rechtsprechung als Beweiszeichen angesehen: Färb-, Grenz-, Kerb-, Pfahl-, Pfand-, Prägeund Sperrzeichen, z.B. Merkzeichen auf Bierfilzen (RG DStR 1919 S. 77), Eichstempel an der Waage (RGSt 56 S. 355); Waldhammerschlag, der Eigentumsübergang kennzeichnen sollte (RGSt 14 S. 180); Korkbrand (BGHSt 9 S. 238); Fahrgestell-, Motornummer und amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen (BGHSt 16 S. 94); TÜV-Plakette (OLG Celle VRS 82 (1992) S. 29); Künstlerzeichen auf einem Bild (OLG Frankfurt NJW 1970 S. 673; LÖFFLER NJW 1993 S. 1423 f); Preisetiketten an einer Ware 7 .

8

Trotz jahrelanger Bemühungen ist der Rechtsprechung eine überzeugende Abgrenzung zwischen Kennzeichen und Beweiszeichen nicht gelungen: "Für das Pygmäenvolk der Beweiszeichen, der Kennzeichen, der Identitäts- und Unterscheidungszeichen wurden Abscheidungskriterien, die im einzelnen Fall überzeugende Ergebnisse liefern, nicht gefunden ..." 8 . Diese Abgrenzung kann auch nicht gelingen, denn in Wirklichkeit fehlt es den Beweiszeichen genau wie den Kennzeichen an einer in dem Zeichen selbst verkörperten Gedankenerklärung, durch die die Beweisführung ermöglicht wird. Die Beweisführung erfolgt vielmehr aufgrund der Tatsache, daß das Zeichen einem bestimmten Gegenstand eine andere Beschaffenheit verleiht als einem Gegenstand mit einem anderen Zeichen. Damit wird aber offensichtlich, daß die h.M. sich mit der Anerkennung der Beweiszeichen als Urkunde zu ihren eigenen Prämissen in Widerspruch setzt. Prägnant und zutreffend hat das Reichsgericht dies zum Ausdruck gebracht: ..."immer aber muß ein Gegenstand, wenn er als Urkunde angesehen werden soll, durch seinen gedanklichen Inhalt als Erklärung einer Person zum Beweis für rechtserhebliche Tatsachen in Betracht kommen. Sachen, die lediglich ihr Dasein und ihre sichtbaren Eigenschaften beweisen, sind keine Urkunden, sondern lediglich Augenscheinsgegenstände" 9 .

9

(4.) Für das Erfordernis der verkörperten Gedankenerklärung folgt daraus: Der Erklärende kann sich einer Fremdsprache bedienen, Stenographie oder eine "Geheimschrift" benutzen, wenn und solange der Inhalt der Erklärung noch aus sich heraus oder mit den üblichen Mitteln der Auslegung einer Erklärung verständlich ist: Stets aber muß es sich um eine schriftliche Gedankenerklärung handeln. Bloße, in ihrer Bedeutung willkürlich, ohne jede Änderung ihrer Gestalt austauschbare Zeichen enthalten keine zum Urkundenbeweis fähige Gedankenerklärung. Es sind Zeichen, denen unter Eingeweihten eine bestimmte Bedeutung zukommt, die jederzeit ausgetauscht werden kann, ohne daß das Zeichen verändert wird. Das aber ist mit dem Erfordernis einer im Gegenstand verkörperten Gedankenerklärung nicht vereinbar. 10

bb) Der Aussteller einer Urkunde 10 Die Urkunde muß von einem bestimmten Aussteller, ihrem "Urheber", herrühren. Aussteller ist nach der heute herrschenden sog. Geistigkeitstheorie derjenige, von dem '

O L G K ö l n N J W 1 9 7 9 S. 7 2 9 m i t A n m . KIENAPFEL S. 7 3 0 f, u n d LAMPE J R 1 9 7 9 S. 2 1 4 f f ; O L G D ü s -

seldorf NJW 1982 S. 2268. 8

TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 69.

9

RGSt 55 S. 98.

10

Dazu eingehender OTTO JuS 1987 S. 762 f.

364

A n g r i f f e g e g e n die Echtheit der U r k u n d e

§70

die Erklärung geistig herrührt, nicht aber derjenige, der sie körperlich hergestellt hat, wie es die sog. Körperlichkeitstheorie forderte. 11 Wie TRÖNDLE jedoch darlegt, ist auch nach Auffassung der Vertreter der Geistigkeitstheorie als Aussteller nicht der gemeint, "auf den etwa die Erklärung in ihrer sprachlichen Gestalt oder als geistig-schöpferische Idee zurückgeht, sonst wären Aussteller von Urkunden, die mit rechtskundiger Hilfe zustande gekommen sind, die beteiligten Anwälte oder Notare" 12 . - Auch derjenige, der durch Täuschung zur Unterschrift veranlaßt wurde, steht keineswegs geistig hinter der Erklärung oder fühlt sich an diese gebunden. Zivilrechtlich wird ihm die Erklärung, wenn die Täuschung nicht so weit ging, daß der Unterzeichnende überhaupt keinen Erklärungswillen hatte, aber noch als eigene zugerechnet. An dieser Zurechnung sollte auch das Strafrecht festhalten. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, daß Aussteller derjenige ist, der sich die Erklärung - nach außerstrafrechtlichen Normen - rechtlich zurechnen lassen muß. Die sog. Geistigkeitstheorie ist ihrem Wesen nach daher eine Zurechnungstheorie. 13 Allerdings führt die unbegrenzte Übertragung zivilrechtlicher Zurechnungsgrundsätze zu einer bedenklichen Begrenzung des Strafrechtsschutzes, denn auch derjenige, der sich kraft Rechtsscheins eine Erklärung zurechnen lassen muß, wäre hiernach noch als Aussteller anzusehen. Es ist aber etwas anderes, ob jemand eine Urkunde selbst herstellt oder aber ob er einen Rechtsschein setzt, der es ihm später unmöglich macht, sich einer bestimmten, in einer Urkunde benannten Verpflichtung zu entziehen. 14 Zutreffend erreicht die h.M. die hier nötige Begrenzung durch die Aufstellung der weiteren Rechtssicherheitserfordernisse, daß eine Zurechnung nur dann stattfindet, wenn (1) Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung nicht rechtlich vorgeschrieben ist, (2) der Namensträger sich vertreten lassen und (3) der Unterzeichner den Namensträger vertreten will. 15 Daraus folgt, daß - entgegen zivilrechtlicher Zurechnung - eine Urkundenfälschung vorliegt, wenn der "Vertreter" zwar mit Wissen des "Vertretenen" handelt, dieser sich aber nicht zu der Erklärung bekennen, sondern eine Fälschung behaupten will. 16 Irrelevant ist es hingegen, ob die hergestellte Urkunde aufgrund ihres Inhalts zur Täuschung im Rechtsverkehr benutzt werden soll, wenn die als Aussteller ersichtliche Person sich als Aussteller bekennen will und Eigenhändigkeit der Unterschrift nicht vorgeschrieben ist. 17 11

Vgl. RGSt 22 S. 379; 75 S. 47; BGHSt 13 S. 385; BayObLG NJW 1981 S. 773; ARZT in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 482 ff; LACKNER/KÜHL § 267 Rdn. 14; RHEINECK Fälschungsbegriff und Geistigkeitstheorie,

1 9 7 9 , S . 3 8 f f , 5 3 f f ; SAMSON JUS 1 9 7 0 S . 3 7 5 ; S C H / S C H / C R A M E R § 2 6 7 R d n . 16, 5 5 ; TRÖNDLE L K ,

10. Aufl., § 267 Rdn. 15; WESSELS B.T./l, Rdn. 779. - Kritisch: STEINMETZ Der Echtheitsbegriff im Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), 1991, S. 50 ff. 12

TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 17.

1 3

V g l . a u c h O T T O J R 1 9 9 0 S . 2 5 2 f f ; PAEFFGEN J R 1 9 8 6 S . 1 1 4 f f ; PUPPE J u r a 1 9 7 9 S . 6 3 7 f f ; DIES. J R

14

Gegen eine Begrenzung PUPPE Jura 1986 S. 25 Fn. 10; DIES. JuS 1989 S. 361. - Grundsätzlich bindet den Urkundenbegriff an die zivilrechtliche Zurechnung: ENNUSCHAT Der Einfluß des Zivilrechts auf die strafrechtliche Begriffsbestimmung am Beispiel der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB, 1998.

15

Vgl. BGHSt 33 S. 161 f; BayObLG NJW 1989 S. 2142; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 65 Rdn. 49 f; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 19 ff.

16

Vgl. RGSt 76 S. 126; BayObLG NJW 1988 S. 1401 mit abl. Anm. PUPPE JZ 1991 S. 449; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 20. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 1872 mit abl. Anm. OTTO JK 93,

17

A . A . B a y O b L G J R 1 9 9 0 S . 2 5 1 m i t a b l . A n m . O T T O S . 2 5 2 f f , PUPPE J Z 1 9 9 1 S . 4 5 0 .

1 9 8 1 S . 4 4 1 f f ; DIES. N K , § 2 6 7 R d n . 6 1 ; S C H R O E D E R G A 1 9 7 4 S . 2 3 0 ; ZLELINSKI w i s t r a 1 9 9 4 S . 4 .

S t G B , § 2 6 7 / 1 8 ; PUPPE N K , § 2 6 7 R d n . 6 4 .

365

11

12

13

14

§70 15

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Vertreten in diesem Sinne aber kann nur heißen: bei der Unterschrift tatsächlich vertreten, nicht aber: rechtswirksame Verpflichtungen oder Berechtigungen für den Vertretenen herbeiführen. Das, was für den unmittelbar Handelnden keine Urkundenfälschung ist, kann auch für denjenigen keine Urkundenfälschung sein, der einen anderen mit dessen Wissen bei der Unterschriftsleistung vertritt, wenn der "Vertretene" sich zu der Unterschrift als seiner bekennen will und nicht Eigenhändigkeit rechtlich vorgeschrieben ist.

cc) Die Erkennbarkeit des Ausstellers 16 Der Urkunde muß - sei es auch wiederum im Wege der Auslegung ihres Textes - der Aussteller entnehmbar sein als eine konkrete, zumindest aber konkretisierbare Person, von der die Erklärung herrührt. 17 Aus der Urkunde erkennbar ist der Aussteller stets dann, wenn sie vom Aussteller unterzeichnet oder der Aussteller im Text der Urkunde benannt ist. Anonyme Gedankenerklärungen sind keine Urkunden. Das ist eindeutig im Fall der offenen Anonymität. Hier will der Erklärende gerade den Zusammenhang mit seiner Person verbergen. Er will verheimlichen, daß er hinter der Erklärung steht, gleichgültig ob die Erklärung überhaupt nicht unterschrieben ist, einen Phantasienamen oder ähnliches enthält, z.B. Christoph Kolumbus. - Gleiches gilt für die versteckte Anonymität, d.h. wenn der Urheber trotz namentlicher Unterzeichnung nicht auf eine bestimmte Person als den Erklärenden hinweisen will, z.B. bei der Unterzeichnung mit einem Allerweltsnamen ohne jeden Zusatz. Will der Urheber sich hingegen hinter dem Allerweltsnamen verbergen, dem Erklärungsadressaten gegenüber aber vortäuschen, daß eine ganz bestimmte Person diese Erklärung abgegeben habe, so liegt kein Fall einer Anonymität vor. 1 8 dd) Die Beweiseignung 18 Das von der h.M. geforderte Merkmal der Beweiseignung der Urkunde ist für die Rechtspraxis bedeutungslos. Das Merkmal selbst ist letztlich konturen- und inhaltslos geblieben. 19 Zutreffend hat bereits das Reichsgericht dargelegt, daß "unter den leblosen Gegenständen auf der Erde kein einziger existiert, der nicht u.U. beweisfähig (beweisgeeignet) für irgendeine Tatsache sein könnte" 1 9 . ee) Die Beweisbestimmung 20 Überflüssig ist auch das Merkmal der Beweisbestimmung als selbständiges Element des Urkundenbegriffes. Da es nicht darauf ankommen soll, ob der Aussteller der Gedankenerklärung die Beweisbestimmung gibt oder ein Dritter, ist es zur Differenzierung zwischen Urkunden und bloßen Urkundenentwürfen o.ä. untauglich. Der Entwurf kann von einem Dritten durchaus zum Beweis bestimmt werden. 21 In gleicher Weise untauglich ist dieses Merkmal zur Begründung der Gleichstellung von Absichtsurkunden (Urkunde erhält die Beweisbestimmung bei der Anfertigung durch den Aussteller) und Zufallsurkunden (Beweisbestimmung erfolgt erst später, sei es durch den Aussteller oder Dritte). Warum die Beweisbestimmung durch den Aussteller der durch einen Dritten gleichgestellt wird, ist dem Merkmal gerade nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, das Merkmal verdeckt, daß aufgrund der Beweisbestimmung ganz verschiedener Personen unterschiedliche Sachverhalte bedenkenlos gleich behandelt werden. 2 0

18

D a z u B G H S t 5 S. 151; SEIER JA 1979 S. 135; TRÖNDLELK, 10. Aufl., § 2 6 7 Rdn. 4 2 .

19

RGSt 17 S. 105. - Dazu FREUND Urkundenstraftaten, 1996, Rdn. 101; KIENAPFEL Urkunden im Strafrecht, 1967, S. 2 1 5 f, 311; PUPPE JZ 1986 S. 9 3 8 ; TRÖNDLELK, 10. Aufl., § 2 6 7 Rdn. 66.

2 0

Dazu PUPPE D i e Fälschung technischer A u f z e i c h n u n g e n , 1972, S. 125 f; DIES. N K , § 2 6 7 Rdn. 12 ff.

366

Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

§70

Relevanz kommt der Beweisbestimmung nur in einer Beziehung zu, nämlich insoweit, 22 als das Merkmal darauf hinweist, daß die Urkunde für den Rechtsverkehr bestimmt ist. Dieses Element ist jedoch mit dem Erfordernis der Rechtserheblichkeit des Urkundeninhalts hinreichend erfaßt. ff) Die Rechtserheblichkeit der Erklärung Neben der Beweisbestimmung hat das Merkmal der Rechtserheblichkeit der Erklärung in 23 der Praxis selten eigenständige Bedeutung erlangt. Überflüssig ist es dennoch nicht. Zum einen weist es auf die Einheitlichkeit des Urkundenbegriffs in § 267 und in § 271 hin, zum anderen ist es geeignet, jene Erklärungen aus dem Urkundenschutz herauszunehmen, denen zumindest jetzt keinerlei Rechtserheblichkeit mehr zukommt. d) Konsequenzen für den Urkundenbegriff Eine Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche Ausstellers verkörpert. 2. Besondere Formen strafrechtlich geschützter

Erklärung eines bestimmten

24

Urkunden

a) Die Gesamturkunde Eine Gesamturkunde liegt vor, wenn mehrere einzelne Urkunden oder Schriftstücke zu 25 einem einheitlichen Ganzen (Bogen, Buch, Akteneinheit) vereinigt werden derart, daß eine neue rechtserhebliche Erklärung entsteht, deren Inhalt (Aussage) über den der Einzelteile hinausgeht. - In der Regel wird es der Inhalt der Gesamterklärung sein, daß die Einzelerklärungen erschöpfend über bestimmte Rechtsverhältnisse Auskunft geben. 21 Beispiele: Handelsbücher (RGSt 69 S. 398); Posteinlieferungsbuch (RG LZ 1931 Sp. 259); Bierlieferungsbuch (RGSt 51 S. 38); Melderegister bei Meldebehörden (BGH LM Nr. 19 zu § 267); Personalakte (OLG Düsseldorf NStZ 1981 S. 25 f).

b) Die zusammengesetzte Urkunde Eine zusammengesetzte Urkunde liegt vor, wenn eine Urkunde mit einem Augenscheins- 26 objekt, auf das sich ihre Erklärung inhaltlich bezieht, räumlich fest zu einer "Beweiseinheit" verbunden ist. Beispiele: Lichtbildausweis (BGHSt 17 S. 97); beglaubigte Abschriften und beglaubigte Fotokopien.

c) Durchschriften Mehrere Ausfertigungen derselben Urkunde, Durchschriften und Hektographien sind selb- 27 ständige Urkunden. 2 2 d) Abschriften und als Fotokopien erkennbare Wiedergaben Abschriften und Fotokopien, die als solche erkennbar sind, unterfallen nicht dem Ur- 28 kundenbegriff, weil der Aussteller der Urschrift für die Richtigkeit der Wiedergabe nicht einzustehen hat und auch keine andere Person als Aussteller erscheint. 23

21

Dazu m.N. KÜPER B.T., S. 274 f. - Kritisch gegenüber der Konstruktion der Gesamturkunde: LAMPE G A 1 9 6 4 S . 3 2 3 f f ; PUPPE N K , § 2 6 7 R d n . 4 0 .

22

Im einzelnen dazu GEPPERT Jura 1990 S. 271 ff.

23

Vgl. BGHSt 24 S. 140 f; BGH StV 1993 S. 524; BayObLG NJW 1990 S. 3221; BayObLG NJW 1992 S . 3 3 1 1 ; KÜPER B . T . , S. 2 7 1 f; PUPPE J u r a 1 9 7 9 S . 6 3 5 ; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . , § 2 6 7 R d n . 9 9 ; ZACZYK N J W 1 9 8 9 S. 2 5 1 6 . - A . A . FREUND U r k u n d e n s t r a f t a t e n , R d n . 127; MLTSCH N S t Z 1 9 9 4 S. 8 8 f ; SCHRÖDER J R 1971 S. 4 6 9 .

367

§70

29

Dritter Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

Allerdings soll nach der Rechtsprechung die Vorlage der Kopie ein Gebrauchmachen von der falschen Urkunde sein, von der die Kopie gefertigt wurde. 24 Das soll selbst dann gelten, wenn die Vorlage der Kopie durch Aufeinanderkleben von Unterschrift und Text selbst niemals zur Täuschung geeignet war, weil jedermann sofort erkennen konnte, daß hier keine einheitliche Urkunde vorlag, sondern eine Unterschrift auf einen bestimmten Text geklebt worden ist. 25 Beim bloßen Aufeinanderlegen von Text und Unterschrift fehlt es allerdings an einer verkörperten Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen läßt. Es fehlt daher an einem Original der Urkunde, von dem durch Benutzung der Fotokopie Gebrauch gemacht sein könnte. Hier lehnt auch die Rechtsprechung ein Gebrauchmachen beim Benutzen der Kopie ab. 2 ^

e) Als Reproduktion nicht erkennbare Fotokopie u.ä. 30 Wird eine Reproduktion einer Urkunde angefertigt, die den Anschein einer Originalurkunde erweckt, so enthält das Schriftstück keine Aussage über das, was in einem anderen Schriftstück enthalten ist, sondern es wird der Anschein erweckt, daß hier eine eigene Erklärung des angeblichen Ausstellers vorliegt, für die dieser einstehen wolle. Damit liegt eine unechte Urkunde vor. 27 f) Computerausdrucke 31 Computerausdrucke, denen der Aussteller zu entnehmen ist und die vom Aussteller autorisiert wurden, sind Urkunden, wenn sie eine rechtserhebliche Erklärung enthalten. 28 3. Die unechte Urkunde 32 Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von dem herrührt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht. Auf die inhaltliche Wahrheit oder Unwahrheit der Erklärung kommt es hingegen nicht an. Wer "schriftlich lügt", stellt keine unechte, sondern eine echte, aber unwahre Urkunde her. 4. Die einzelnen Tathandlungen 33 Der Tatbestand unterscheidet drei Alternativen: Das Herstellen einer unechten Urkunde (1. Alternative), das Verfälschen einer echten Urkunde (2. Alternative) und das Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde (3. Alternative). Diese Tathandlungen setzen jeweils voraus, daß der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt. a) Herstellen einer unechten Urkunde 34 Eine unechte Urkunde stellt her, wer den Anschein erweckt, daß sie von einer anderen Person als dem wirklichen Aussteller herrührt. 24

Vgl. BGHSt 5 S. 291; BGH NStZ 1994 S. 88; BayObLG NJW 1991 S. 2163; einschränkend BGHSt 20 S. 17.

25

Dagegen mit Recht ablehnend: JESCHECK GA 1955 S. 105; KÜPER B.T., S. 280 ff; D. MEYER MDR 1973 S. 9 ff; OTTO JUS 1987 S. 768; PUPPE Jura 1979 S. 640. - Im Ergebnis auch BayObLG NJW 1992 S. 3311 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 267/16, das der Vorlage für eine Kopie, die nur zum Kopieren geschaffen wurde, die Urkundenqualität abspricht.

26

BGH bei Holtz, MDR 1976 S. 813.

27

Vgl. OLG Zweibrücken NJW 1982 S. 2268; OLG Köln StV 1987 S. 297; BayObLG JZ 1988 S. 727; BayObLG NJW 1992 S. 3311 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 267/16; LACKNER/KÜHL § 267 Rdn. 16; ZACZYK N J W 1 9 8 9 S . 2 5 1 5 . - A . A . GEPPERT J u r a 1 9 9 0 S . 2 7 4 .

28

368

Dazu PUPPE NK, § 267 Rdn. 47; ZIELINSKI Armin Kaufmann-GedS, S. 605 ff, 627.

Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

§70

aa) Vertretung bei der Unterzeichnung Wie bei der Bestimmung des Ausstellers der Urkunde klargestellt wurde, ist Aussteller der 35 Urkunde nicht derjenige, der sie körperlich herstellt, sondern derjenige, dem sie als Aussteller - unter bestimmten Voraussetzungen; vgl. dazu Rdn. 10 ff - zugerechnet wird. Bei der Abgabe unwahrer Erklärungen durch einen Vertreter im Sinne des Ur- 36 kundenstrafrechts ist danach entscheidend dafür, ob eine unechte Urkunde hergestellt wird oder nicht, wie weit dem Vertretenen - nach den unter Rdn. 10 ff genannten Kriterien - die Erklärung als eigene zugerechnet wird.. BayObLG NJW 1981 S. 774: A hatte vor Antritt der Fahrt mit dem Kraftfahrzeug die Diagrammscheibe des Fahrtenschreibers mit dem erfundenen Namen "S" ausgefüllt, um bei einer eventuellen Kontrolle eine Lenkzeitüberschreitung zu verheimlichen. BayObLG: A hat eine unechte Urkunde hergestellt, wenn er die Eintragung ohne Einwilligung des Fahrzeughalters vorgenommen hat. "... Dann kann dem Halter die Erklärung im Sinne der Geistigkeitstheorie nicht zugerechnet werden, was zur Unechtheit der Urkunde führt. Bei solcher Fallgestaltung wird der Halter als Aussteller vorgetäuscht, während die Urkunde in Wirklichkeit in dieser Form vom Angeklagten herrührt, so daß eine Täuschung über die Person des Ausstellers als dem geistigen Urheber der Erklärung vorliegt".

Daß es in diesen Fällen darauf ankommt, wie weit der unmittelbar Handelnde zur Abgabe 37 von Erklärungen ermächtigt ist, und insbesondere, ob seine Ermächtigung auch die Abgabe unwahrer Erklärungen umfaßt, ist in der Rechtsprechung nicht immer deutlich genug herausgearbeitet worden. In vielen Entscheidungen wird der Eindruck erweckt, als komme es nur darauf an, ob eine Urkundenfälschung vorläge, wenn der Vertretene selbst gehandelt hätte. 29 In anderen Entscheidungen stellen die Gerichte nicht die Frage, wer sich als Aussteller 38 zu der Erklärung bekennen will und soll, sondern stellen darauf ab, ob der "Vertreter" eine rechtswirksame Erklärung für den "Vertretenen" abgegeben hat. BayObLG JR 1990 S. 251 mit Anm. OTTO S. 252 ff: Der A unterschrieb eine Lohnbescheinigung mit Kenntnis und Billigung der Ehefrau mit ihrem Namen, um dem Finanzamt eine Aushilfstätigkeit seiner Ehefrau vorzutäuschen und dadurch den Lohn für von ihm selbst geleistete Arbeit ohne Abzüge ausgezahlt zu bekommen. BayObLG: Da A den Namen seiner Ehefrau, wenn auch mit deren Erlaubnis, benutzte, um im Rechtsverkehr Uber den Empfänger des Geldes zu täuschen, liegt eine Urkundenfälschung vor. Dem kann nicht gefolgt werden, denn das BayObLG identifiziert hier die Täuschung über die Person des Ausstellers mit einer Täuschung über das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses.

Grundsätzlicher Ausgangspunkt der Zurechnung einer Erklärung des "Vertreters" als Er- 39 klärung des "Vertretenen" ist in den Fällen des Handelns für eine andere natürliche Person jedoch stets der Wille des "Vertreters", befugt für den "Vertretenen" zu handeln, sowie der Wille des "Vertretenen", sich zu der Erklärung zu bekennen. - Diese Theorie der Zurechnung einer Erklärung wird in der Rechtsprechung beim Handeln für Behörden, juristische Personen oder Handelsgesellschaften, d.h. für nicht natürliche Personen, zu einer reinen Theorie der inhaltlichen Zurechnung der relevanten Erklärung ausgedehnt. Die fehlende rechtliche Befugnis, bestimmte Erklärungen abzugeben, wird zur Grundlage der Urkundenfälschung nicht aber die Täuschung über die Person des Ausstellers. Das hat die Konsequenz, daß die Unterzeichnung einer Urkunde mit eigenem Namen, aber mit der Behauptung, für eine andere natürliche Person zu handeln, als schriftliche Lüge behandelt 29

Vgl. KG VRS 57 S. 121 mit Anm. GEILEN JK, StGB § 267/3; OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1223; dazu OTTO JuS 1987 S. 764 f; PUPPE JZ 1986 S. 943; deutlich differenzierend wiederum BayObLG NJW 1988 S. 1401 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 267/11, PUPPE JuS 1989 S. 361 f; BayObLG NJW 1988 S. 2190; BayObLG wistra 1992 S. 113.

369

§70

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

wird 3 0 , während die Täuschung über die Vertretungsmacht einer Gesellschaft die Urkunde zur unechten macht. BGHSt 17 S. 11: A, ein Kommanditist, der nicht zur Vertretung der KG berechtigt war, stellte für die KG Wechsel aus und akzeptierte sie für diese, wobei er unter Beisetzung des Firmenstempels mit seinem richtigen Namen unterzeichnete. BGH: A ist der Urkundenfälschung schuldig. 3 '

40 Damit wird das Delikt der Urkundenfälschung uminterpretiert. Aus dem Delikt gegen die Echtheit der Urkunde ist ein Delikt gegen die inhaltliche Wahrheit der Urkunde geworden. Mittel dieser Umdeutung ist eine unterschiedliche Verwendung des Begriffs des Ausstellers der Urkunde. Wird das Urkundendelikt als Delikt gegen die Echtheit der Urkunde bestimmt, so kann Aussteller nur derjenige sein, der die Urkunde hergestellt hat, d.h. eine natürliche Person. Hat diese Person eine andere Person befugt bei der Herstellung der Urkunde vertreten, so wird der Begriff des Herstellers erweitert, weil der körperliche Akt der Urkundenherstellung dann vernachlässigt werden kann, wenn der aus der Urkunde ersichtliche Hersteller sich lediglich bei der Anfertigung der Urkunde vertreten ließ. Hier will und soll er derjenige sein, auf den die Urkunde als ihren Urheber zurückverweist. Eine Behörde, Handelsgesellschaft oder juristische Person kann in diesem Sinne niemals Urheber einer Urkunde sein. Wenn sie als Aussteller einer Urkunde benannt wird, dann geht es nicht um die Kennzeichnung des Urhebers der Urkunde, sondern um den Ausweis des aus der Urkunde rechtlich Befugten oder Verpflichteten. Geschützt wird nicht das Vertrauen, daß der aus der Urkunde als Unterzeichner ersichtliche Hersteller der Urkunde diese auch hergestellt hat, geschützt wird nunmehr das Vertrauen, daß der aus einer Urkunde ersichtliche Verpflichtete oder Berechtigte auch rechtswirksam verpflichtet oder berechtigt ist. Relevanter Prüfungsgegenstand ist nun nicht mehr, ob "Brief und Siegel" derart übereinstimmen, daß der aus der Unterschrift ersichtliche Namensträger sich auch zu der Erklärung bekennt, bzw. ob sie ihm zuzurechnen ist. Wesentlich allein ist jetzt die Frage, ob der aus der Urkunde ersichtliche Unterzeichner Vollmacht zur Abgabe der Erklärung für das aus dem Briefkopf u.ä. ersichtliche Unternehmen hatte. 41

Leider hält die Rechtsprechung in derartigen Fällen ihre Prämisse, daß die Urkundenfälschung in der Täuschung über die Vertretungsbefugnis liege, nicht konsequent durch. BGHSt 33 S. 159: Der A war Inhaber mehrerer Firmen, deren Geschäfte er faktisch führte, während nach außen so getan wurde, als seien dritte Personen (Strohmänner) Inhaber dieser Firmen. A bezweckte mit diesem Verschleierungsmanöver, fingierte Rechnungen an sich selbst auf den Firmenbögen auszustellen, um staatlichen Stellen Aufwendungen vorzuspiegeln, für die er Ersatz verlangen konnte. BGH: Die von A gefertigten Rechnungen waren unechte Urkunden, denn wirklicher und nach außen hin für den beteiligten Personenkreis nicht erkennbarer Aussteller war der A. Gerade auf die Identität des Ausstellers erstreckte sich aber der Beweiswert der Belege. Dieses Ergebnis kann nicht befriedigen, denn A als Inhaber und faktischer Geschäftsführer der Firmen war zumindest nach den Grundsätzen der faktischen Geschäftsführung - befugt, Erklärungen für die ihm gehörenden Firmen abzugeben. Wenn der BGH dennoch zu dem Ergebnis kommt, A habe über den Aussteller der Urkunden getäuscht, setzt er sich damit zu den von ihm bisher vertretenen Prämissen in Widerspruch. 3 2

42 Maßgeblich ist die Rechtswirksamkeit der Erklärung hingegen, wo eine höchstpersönliche 30 31

Vgl. BGH NJW 1993 S. 2759 mit Anm. OTTO JK 94, StGB § 267/19. Vgl. dazu auch BGHSt 7 S. 149; 9 S. 44; BGH StV 1986 S. 156; BGH StV 1993 S. 307; KREY B.T. 1, R d n . 7 1 1 ; KÜPPER B . T . , II § 1 R d n . 3 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 19; PUPPE N K , § 2 6 7 RDN. 7 3 ; RENGIER B . T . I I , § 3 3 R d n . 1 0 ; T R O N D L E L K , 10. A u f l . , § 2 6 7 R d n . 1 3 1 . - A . A . O T T O J u S 1 9 8 7 S . 7 6 6 ; SAMSON J u S 1 9 7 0 S . 3 7 4 f .

3 2

370

V g l . d a z u O T T O J u S 1 9 8 7 S . 7 6 5 f f ; PAEFFGEN J R 1 9 8 6 S . 1 1 4 f f ; PUPPE J u r a 1 9 8 6 S . 2 2 f f ; DIES. J Z 1 9 8 6 S . 9 4 2 f; WEIDEMANN N J W 1 9 8 6 S . 1 9 7 6 f f .

Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

§70

Unterzeichnung rechtlich vorgeschrieben ist. Eine unechte Urkunde stellt daher auch her, wer unzulässigerweise mit fremdem Namen unterzeichnet, so z.B., wenn ein Testament mit dem Namen des Erblassers von einem Dritten unterzeichnet wird oder jemand unter dem Namen eines anderen eine höchstpersönliche Prüfungsleistung erbringt. Wer hingegen eine schriftliche Gedankenerklärung zu seiner eigenen macht und damit zum Ausdruck bringt, daß er sich zu ihr bekennt und sich an sie gebunden fühlt, stellt keine unechte Urkunde her, selbst wenn die Verwendung der fremden Gedankenerklärung verboten ist. So z.B., wenn jemand eine fremde Prüfungsleistung als eigene ausgibt 3 3 oder ein von einem anderen geschriebenes Testament als eigenes unterschreibt.^

bb) Namenstäuschung und Identitätstäuschung Die Täuschung über die Identität des Ausstellers der Urkunde erfolgt im Regelfall durch Namenstäuschung. Die Namenstäuschung ist aber keineswegs zwingende Tatvoraussetzung. Einerseits kann die Täuschung über die Identität des Ausstellers auch beim Gebrauch des richtigen Namens erfolgen, wenn andere Personaldaten nach der Verkehrssitte zur Identifizierung dienen oder genügen, so z.B. wenn dem Namen die Bezeichnung "sen.", ein unrichtiges Geburtsdatum oder eine unrichtige Anschrift zugefügt wird. 3 5 Andererseits ist nicht jede Namenstäuschung als Identitätstäuschung zu interpretieren. Maßgeblich ist vielmehr, ob trotz Verwendung eines falschen Namens im Kreise der Beteiligten ein Irrtum über die Person des Ausstellers ausgeschlossen ist, weil seine Identität unzweifelhaft ist oder aber keinerlei Interesse an dieser Identität besteht. 36 Keine unechte Urkunde stellt demgemäß her, wer mit einem ihn allgemein oder in den beteiligten Kreisen hinreichend kennzeichnenden Namen, z.B. einem Decknamen, Künstlernamen, Spitznamen oder sonstigen Pseudonym, unterschreibt. Gleiches gilt für denjenigen, der ständig unter falschem Namen lebt und daher ohne weiteres als ausstellende Person identifiziert werden kann. Schließlich kann auch bei einer schlichten Namenstäuschung eine echte Urkunde hergestellt werden, wenn ein Irrtum über die Person des Ausstellers in den beteiligten Kreisen ausgeschlossen ist oder keinerlei Interesse an der Identität besteht. Die bloße Möglichkeit einer Verwechslung der Identität begründet noch keine Täuschung über den Aussteller, wenn dieser sich persönlich zu seiner Erklärung bekennen will. Keine unechte Urkunde wird daher bei der Unterzeichnung im eigenen Namen hergestellt, wenn eine andere Person gleichen Namens für den Aussteller gehalten werden soll. Hier liegt u.U. ein Betrug, nicht aber eine Urkundenfälschung vor. Beispiel: Der vermögenslose X unterzeichnet einen Wechsel in der Hoffnung, dieser Wechsel werde als Wechsel seines vermögenden Namensvetters angesehen. Niemand käme auch nur auf die Idee, die Herstellung einer unechten Urkunde läge vor, wenn der im Beispielsfall genannte X nicht vermögenslos wäre, sondern genauso wohlhabend wie sein Namensvetter. 3 ''

33

BayObLG NJW 1981 S. 772 mit Anm. SCHROEDER JuS 1981 S. 417 ff.

34

A.A. OLG Düsseldorf NJW 1966 S. 749 mit Anm. MOHRBOTTER S. 1421 f, OHR JuS 1967 S. 255 ff.

35

BGHSt 40 S. 203, 205 ff mit zust. Anm. OTTO JK 95, StGB § 267/20, und abl. Anm. PUPPE JZ 1997 S. 4 9 2 , SANDER/FEY J R 1 9 9 5 S . 2 0 9 f; FREUND U r k u n d e n s t r a f t a t e n , R d n . 160; KÜPER B . T . , S . 2 2 0 .

36

Dazu RGSt 48 S. 241; BGHSt 1 S. 121; 33 S. 160; BGH StV 1997 S. 636; OLG Celle NJW 1986 S . 2 7 7 2 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 7 0 4 f ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 7 R d n . 1 8 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2, § 6 5 R d n . 5 7 f; OTTO J u S 1 9 8 7 S. 7 6 7 f; T R Ö N D L E L K , 10. A u f l . , § 2 6 7 R d n . 129.

3 7

V g l . B G H S t V 1 9 8 6 S. 156 m i t A n m . OTTO J K , S t G B § 2 6 7 / 8 ; PUPPE N K , § 2 6 7 R d n . 69. - A . A . O L G S c h l e s w i g S c h l H A 1 9 7 3 S . 1 8 4 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 7 0 6 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 7 R d n . 1 9 ; M A U R A C H / -

371

43

44

45

46

§70

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Anders natürlich, wenn der Namenszug des Namensvetters nachgeahmt wird, denn hier kommt in der Urkunde die Identitätstäuschung zum Ausdruck.

b) Verfälschen einer echten Urkunde 47 Verfälscht ist eine Urkunde, wenn sie durch eine unbefugte, nachträgliche Änderung etwas anderes aussagt als der Aussteller erklärt hat. B G H bei Dallinger, M D R 1975 S. 23: Sachlich handelt es sich hier um die Vernichtung einer echten Urkunde und um das Herstellen einer neuen, unechten Urkunde, so daß Verfälschen statt Vernichtung und Herstellung dann vorliegt, wenn nach der Tat eine Urkunde desselben Ausstellers wie zuvor, jedoch mit anderem Inhalt, gegeben ist.

48 Eine selbständige Bedeutung soll das Verfälschen hingegen haben, wenn der Aussteller selbst der Urkunde nachträglich einen anderen Inhalt gibt, nachdem ein Dritter bereits ein Beweisfiihrungsrecht an der Urkunde erlangt hat. KG wistra 1984 S. 233: A hatte Steuervorteile für in Berlin produzierte Waren und angefallene Dienstleistungen in Anspruch genommen. Der Beweis dieser Leistungen wurde durch Vorlage von Rechnungsdurchschlägen geführt. Es ergab sich, daß die auf den Originalrechnungen vorhandenen erforderlichen Herkunftsvermerke auf einer Reihe von Rechnungsdurchschriften fehlten. A, der befürchtete, die Steuervorteile zurückerstatten zu müssen, ließ die Vermerke nachträglich auf die Rechnungsdurchschläge setzen. KG: A hat die Rechnungsdurchschriften verfälscht. "Unter 'Verfälschen' wird nach einhelliger Ansicht jede nachträgliche Veränderung des gedanklichen Inhalts einer Urkunde verstanden, durch die der Anschein erweckt wird, als habe der Aussteller die Erklärung von Anfang an so abgegeben, wie sie nach der Veränderung vorliegt. Entscheidend hierfür ist, daß die Urkunde infolge des Eingriffs eine andere rechtserhebliche Tatsache zu beweisen scheint als vorher, daß sich auch ihre ursprüngliche Beweisrichtung geändert hat".

49 Dieses Ergebnis entspricht der einst h.M. 38 , ist heute jedoch in Frage gestellt, denn durch die nicht "ausstellerbezogene", sondern zugleich "erklärungsbezogene" Interpretation des Merkmals "echt" in § 267 wird in Wirklichkeit der Schutzbereich des § 267 in diesem Einzelfall um den des § 274 erweitert: Dem Angriff auf die Echtheit der Urkunde wird der Angriff auf den inhaltlichen Fortbestand der Urkunde gleichgestellt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Bestandsschutz von Urkunden von weiteren Strafwürdigkeitselementen - § 274 I Nr. 1: Nachteilsabsicht; § 133: dienstliche Verwahrung - abhängig zu machen, wird damit mißachtet und umgangen, der vom Gesetzgeber gewährte Strafrechtsschutz über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. 39 c) Gebrauch einer unechten oder verfälschten Urkunde 50 Gebraucht ist die unechte oder verfälschte Urkunde, wenn sie der Wahrnehmung des zu Täuschenden so zugänglich gemacht ist, daß die Möglichkeit der Kenntnisnahme ohne weiteres besteht.

SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 5 R d n . 5 7 . 38

Zur h.M. vgl. BGHSt 13 S. 382; B G H wistra 1989 S. 100 mit krit. Anm. PUPPE JZ 1991 S. 550 f; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 715 mit zust. Anm. KÜHL JA 1978 S. 527, und krit. Anm. PUPPE JR 1978 S. 206 ff; OLG Koblenz NJW 1995 S. 1624 mit Anm. Otto JK 95, StGB § 267/21, PUPPE JZ 1997 S. 491; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 2 1 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 5 R d n . 6 4 f; PAEFFGEN J u r a 1 9 8 0 S . 4 8 7 ; RENGIER B . T . II, § 3 3 R d n . 2 4 ; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . , § 2 6 7 R d n . 1 4 2 , 1 5 3 f f . -

Einschränkend: OLG Düsseldorf wistra 1998 S. 70, wenn die nachträgliche Änderung inhaltlich der Wahrheit entspricht. 3 9

372

S o a u c h FREUND U r k u n d e n s t r a f t a t e n , R d n . 2 9 f f , 3 5 ; ARMIN KAUFMANN Z S t W 7 1 ( 1 9 5 9 ) S . 4 1 1 ; KIENAPFEL J R 1 9 7 5 S . 5 1 5 ; KÜPPER B . T . l , II § 1 R d n . 4 3 ; LAMPE G A 1 9 6 4 S . 3 2 7 f f ; MAIWALD Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S . 9 5 8 ; OTTO J u S 1 9 8 7 S . 7 6 8 f; PUPPE J R 1 9 7 8 S . 2 0 7 ; DIES. J Z 1 9 8 6 S . 9 4 4 f ; DIES. N K , § 2 6 7 R d n . 8 6 f f ; SAMSON S K II, § 2 6 7 R d n . 7 4 ; SCHILLING S c h u t z , S . 1 1 0 f f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 4 / 2 0 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 6 8 .

A n g r i f f e g e g e n die Echtheit d e r U r k u n d e

§70

Das bloße Mitsichführen der Urkunde (BGH StV 1989 S. 304) oder das Hinterlegen, um die Kenntnisnahme demnächst zu eröffnen (BGHSt 36 S. 64), ist demgemäß noch kein Gebrauchmachen.

Zum Gebrauchmachen von der Urkunde durch Vorlage einer Fotokopie vgl. Rdn. 28.

51

5. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß neben der Tathandlung (Herstellen, Verfälschen, 52 Gebrauchmachen) die Merkmale umfassen, die die Urkundeneigenschaft begründen. b) Zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt, wer einen anderen über die Echtheit der Ur- 53 künde täuschen und dadurch zu einem rechtlich erheblichen Verhalten veranlassen will. Beispiele: Absicht der Täuschung im Rechtsverkehr ist gegeben, wenn die Urkunde im Prozeß als Beweismittel dienen soll, wenn die Polizei irregeführt oder aufgrund der Urkunde ein Kredit erschlichen werden soll. - Auch wenn der Beweis über ein wirklich bestehendes Rechtsverhältnis mit einer verfälschten Urkunde erbracht wird, so ändert das nichts daran, daß von einer verfälschten Urkunde Gebrauch gemacht wird. Gleiches gilt, wenn, wie bei einem Führerschein, die Urkunde durch die Verfälschung als ganze ungültig geworden i s t ™ - Nicht hingegen, wenn jemand nur vor anderen angeben oder aus Eitelkeit über sein Alter täuschen will.

Des rechtserheblichen Verhaltens des anderen muß sich der Täter bewußt sein (direkter 54 Vorsatz), es braucht ihm nicht darauf anzukommen. 41 c) Nach der Klarstellung durch § 270 handelt der Täter auch dann zur Täuschung im 55 Rechtsverkehr, wenn er die fälschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitung, die sich im konkreten Fall auf rechtserhebliche Daten bezieht, bewirken will. 6. Schwere Fälle der Urkundenfälschung a) Besonders schwere Fälle, Abs. 3 Mit dem 6. StrRG hat der Gesetzgeber Regelbeispiele für besonders schwere Fälle der 56 Urkundenfälschung in das Gesetz aufgenommen. Gewerbs- und bandenmäßiges Handeln (Nr. 1), Vermögensverlust großen Ausmaßes (Nr. 2), erhebliche Gefährdung des Rechtsverkehrs (Nr. 3) und den Mißbrauch der Stellung als Amtsträger (Nr. 4). - Bei der erheblichen Gefährdung des Rechtsverkehrs muß der Rechtsverkehr konkret gefährdet sein, im übrigen vgl. zu den anderen Beispielen § 51 Rdn. 107 f, 110, 113. b) Qualifizierte Urkundenfälschung, Abs. 4 Qualifiziert ist die Urkundenfälschung bei banden- und gewerbsmäßigem Handeln, Abs. 57 4; im einzelnen dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 51 Rdn. 107, 113. 7. Das Verhältnis der einzelnen Alternativen zueinander Hat der Täter von Anfang an die Absicht, die gefälschte oder verfälschte Urkunde in be- 58 stimmter Weise zu gebrauchen, so bilden Fälschung oder Verfälschung und Gebrauch eine natürliche Handlungseinheit. Mit dem Gebrauchmachen wird das Delikt materiell beendet. Es liegt nur eine Tat vor. Das gilt auch, wenn der Täter von Anfang an die Urkunde mehrfach gebrauchen will. - Entspricht der spätere Gebrauch hingegen nicht dem früheren Plan oder faßt der Täter nach einem Gebrauch einen erneuten Entschluß, weiter von der Urkunde Gebrauch zu machen, so liegen zwei selbständige Handlungen vor. 42

40 4 1

BGHSt 33 S. 105; dazu OTTO JUS 1987 S. 770 M.w.N. Fn. 91 ff. S o a u c h : C R A M E R J Z 1 9 6 8 S . 3 0 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 7 R d n . 2 5 ; LENCKNER N J W

1967 S. 1890 ff;

TRÖNDLELK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 198 ff. - A.A. BayObLG NJW 1967 S. 1476. 4 2

V g l . B G H S t 5 S . 2 9 3 ; MLEHE G A 1 9 6 7 S . 2 7 5 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 7 9 .

373

§70

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

II. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 1. Das

Angriffsobjekt

a) Beweiserhebliche Daten 59 Der Begriff der Daten umfaßt - wie beim Computerbetrug; vgl. § 52 Rdn. 31 - alle Informationen, die sich kodieren lassen. Ausdrücklich begrenzt ist der relevante Bereich der Daten jedoch auf beweiserhebliche Daten. Wie sich allerdings aus dem gesetzlich zwingend geforderten hypothetischen Vergleich mit der Urkunde ergibt, kommt dem Merkmal der Beweiserheblichkeit nur deklaratorische Bedeutung zu, denn wenn die relevanten Daten im Falle ihrer visuellen Wahrnehmung einer (unechten oder verfälschten) Urkunde entsprechen sollen, so müssen sie - abgesehen von ihrer visuellen Wahrnehmbarkeit - den Urkundsvoraussetzungen - vgl. dazu Rdn. 1 - genügen: Sie müssen - wenn auch nicht visuell erkennbar - stofflich fixiert, d.h. verkörpert sein (Perpetuierungsfunktion), sie müssen einen Aussagegehalt besitzen, der im Rechtsverkehr Bedeutung erlangen kann (Beweisfunktion), und sie müssen ihre Aussteller, d.h. denjenigen, der für die Erklärung einzustehen hat, erkennen lassen (Garantiefunktion). 43 b) Mehrheit von Daten 60 Ob der rechtserhebliche Aussagegehalt sich aus einem einzigen Datum, aus einer Mehrheit von Daten oder erst aus einem Datum im Kontext mit anderen bereits gespeicherten Daten ergibt, ist irrelevant. Möglich sind auch Konstellationen, die der Gesamturkunde - mehrere Datenbestände enthalten rechtserhebliche Aussagen, deren Zusammenfassung eine selbständige, über den bisherigen Aussagegehalt hinausgehende Aussage enthält - oder der zusammengesetzten Urkunde - beweiserhebliche Daten sind in körperlichen Gegenständen gespeichert, die mit anderen Objekten, auf die sich die Daten beziehen, fest zu einer "Beweiseinheit" verbunden sind; vgl. dazu die Ausführungen unter Rdn. 25 f - entsprechen. c) Erkennbarkeit des Ausstellers 61 Aus der Garantiefunktion der Daten folgt, daß ihr Aussteller erkennbar sein muß. Diese Erkennbarkeit braucht sich nicht aus der Datenspeicherung als solcher zu ergeben. Aus dem Gesamtsystem der gespeicherten Daten und den Möglichkeiten, sie visuell wahrnehmbar zu machen, muß sich aber der Aussteller identifizieren lassen. Daher genügt es, wenn der Aussteller z.B. durch den Ausdruck der Daten, durch Programmanweisungen oder durch Zugangsbeschränkungen für die Teilnehmer am Datenverkehr ersichtlich wird. 4 4 62 Ist jedoch auch nach Nutzung eventuell vorhandener "Auslegungsbehelfe" kein bestimmter Aussteller erkennbar, so entfällt der Tatbestand. 63 Da Inhaber und Betreiber einer Datenverarbeitungsanlage sowie für das Programm Verantwortliche und Verfügungsberechtigte in der Regel verschiedene Personen sind, ist der Aussteller, wie bei der Urkundenfälschung - dazu Rdn. 10 -, nach den Regeln der normativ modifizierten sog. Geistigkeitstheorie zu bestimmen: Aussteller ist, wer sich die Daten - nach außerstrafrechtlichen Regeln - rechtlich zurechnen lassen muß.45 4 3

V g l . dazu auch LACKNER/KÜHL § 2 6 9 Rdn. 6; LENCKNERAVINKELBAUER CR 1 9 8 6 S. 8 2 5 .

4 4

V g l . a u c h GRANDERATH D B 1 9 8 6 , B e i l a g e 18, S . 5; LACKNER/KÜHL § 2 6 9 Rdn. 6 ; MÖHRENSCHLAGER

wistra 1986 S. 134 f. 4 5

V g l . d a z u LACKNER/KÜHL § 2 6 9 R d n . 6; LENCKNERAVINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 8 2 5 ; MÖHRENSCHLA-

GER wistra 1986 S. 135; PUPPE NK, § 269 Rdn. 9; ZIELINSKI Armin Kaufmann-GedS, S. 620 ff, 627.

374

Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

§70

2. Die Tathandlung Tathandlungen sind das dem Herstellen einer unechten Urkunde entsprechende Speichern 64 unechter Daten, das der Verfälschung einer echten Urkunde entsprechende Verändern von Daten sowie das dem Gebrauchmachen unechter oder verfälschter Urkunden entsprechende Gebrauchen unechter oder veränderter Daten. Unecht gespeichert sind Daten, wenn bei ihrer Wahrnehmung eine unechte Urkunde 65 vorläge, d.h. wenn der Speichemde den Anschein erweckt, für die Datenspeicherung sei nicht er verantwortlich, sondern derjenige, dem die Daten zugerechnet werden. - Verändert sind Daten, wenn bei ihrer Wahrnehmung eine verfälschte Urkunde vorläge, d.h. wenn der Täter den Anschein erweckt, die Daten hätten den durch die Veränderung erlangten Inhalt von Anfang an besessen bzw. die Veränderung hätte der Berechtigte vorgenommen. - Gebraucht sind die unechten oder verfälschten Daten, wenn sie dem zu Täuschenden - z.B. durch Sichtbarmachen auf dem Bildschirm - zur Kenntnis gebracht oder verfügbar gemacht worden sind. Erfolgt das Gebrauchmachen allerdings durch Vorlage eines Ausdrucks der Daten, der den Aussteller erkennen läßt, so erfüllt dieses Verhalten bereits den Tatbestand des § 267. 46 3. Der subjektive Tatbestand Subjektiv muß der Täter vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und zur Täuschung im 66 Rechtsverkehr - dazu vgl. Rdn. 53 - handeln. 4. Schwere Fälle der Fälschung beweiserheblicher Daten, Abs. 3 Gemäß Abs. 3 gelten für schwere Fälle der Fälschung beweiserhebliche Daten § 263 Abs. 67 3, 4 entsprechend, vgl. dazu unter Rdn. 56. 5. Konkurrenzen a) Für die verschiedenen Begehungsweisen des § 269 untereinander gelten die für § 267 68 entwickelten Grundsätze; vgl. Rdn. 58. b) Bei einem Zusammentreffen von §§ 268, 269 besteht aufgrund der verschiedenen ge- 69 schützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz. c) Wird der unechte Datenbestand zu einer unechten Urkunde ausgedruckt und diese zur 70 Täuschung in Rechtsverkehr gebraucht, so wird § 269 von § 267 konsumiert. Zwar sind §§ 267, 269 nach Unrechtsart und -qualität gleichwertig. Nach der Intention des Gesetzgebers kommt dann § 269 aber gegenüber § 267 die Funktion zu, Strafbarkeitslücken zu schließen. Das rechtfertigt es, § 267 beim Zusammentreffen mit § 269 Vorrang einzuräumen. 47 - Kommt es nur zum Versuch des § 267, so konsumiert § 269 diesen als mitbestrafte Nachtat.

III. Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 275, 276 a 1. Als strafbare Vorbereitungshandlungen zur Urkundenfälschung nach § 267 stellt § 275 71 46

Vgl. im einzelnen dazu LENCKNERAVINKELBAUER CR 1986 S. 825 f; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986

4 7

V g l . a u c h LACKNER/KÜHL § 2 6 9 R d n . 12; LENCKNERAVINKELBAUER C R 1 9 8 6 S . 8 2 6 . - A . A .

S . 1 3 5 ; PUPPE N K , § 2 6 9 R d n . 3 5 f . PUPPE

NK, § 265 Rdn. 39; TRÖNDLE StGB, § 269 Rdn. 9.

375

§70

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Fälschung amtlicher Ausweise selbständig unter Strafe. - Ausweise in diesem Sinne sind nur von Behörden oder anderen Stellen der öffentlichen Verwaltung ausgestellte Urkunden, die die Identität einer Person oder ihre persönlichen Verhältnisse nachweisen. Die Erleichterung des Identitätsnachweises aufgrund einer Bescheinigung durch eine mit hoheitlicher Prüfungsgewalt ausgestattete Stelle kennzeichnet den Ausweis. Als amtliche Ausweise kommen Pässe, Personal-, Dienst- und Studentenausweise, Führerscheine o.a. in Betracht. Keine Ausweise in diesem Sinne sind Kraftfahrzeugschein und -brief (OLG Koblenz VRS 55 (1978) S. 428), Scheck- und Kreditkarten.

72 2. Tätige Reue führt zur Straffreiheit gemäß § 275 Abs. 3 i. V. m. § 149 Abs. 2, 3. 73 3. Das vollendete Urkundendelikt gemäß § 267 konsumiert die Vorbereitungshandlung nach § 275, daher sind Täter und Teilnehmer der entsprechenden Urkundenfälschung nach § 267 nicht strafbar nach § 275. 48 74 4. Gemäß § 276 a werden den Ausweisen aufenthaltsrechtliche Papiere und bestimmte Fahrzeugpapiere gleichgestellt. 75 5. Gewerbs- oder bandenmäßiges Handeln qualifizieren die Tat, §§ 275 Abs. 2.

IV. Vorbereitung des Gebrauchs von falschen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 276, 276 a 76 Als Vorbereitungshandlungen zum Gebrauch falscher Urkunden stellen §§ 276, 276 a das Unternehmen des Ein- oder Ausführens, das Verschaffen, Verwahren oder Überlassen unechter oder verfälschter amtlicher Ausweise, aufenthaltsrechtlicher Papiere und Fahrzeugpapiere in der Absicht, deren Gebrauch zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen, unter Strafe. - Gewerbs- oder bandenmäßiges Handeln qualifiziert die Tat, § 276 Abs. 2.

V. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 1. Die Verfälschung von Gesundheitszeugnissen 77 § 277 unterscheidet drei Alternativen: Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus, wobei er sich unbefugt als Medizinalperson ausgibt (1. Alt.; dazu § 71 Rdn. 28). - Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus und handelt unter fremdem Namen als Medizinalperson (2. Alt.). - Der Täter verfälscht das echte Gesundheitszeugnis einer Medizinalperson (3. Alt.). Die 2. und 3. Alt. des § 277 sind Spezialfälle der 1. und 2. Alt. des § 267. Sie gehen diesen jeweils als leges speciales vor. - Da es sich um Fälle des Angriffs gegen die Echtheit, nicht die Wahrheit der Urkunde handelt, kommt es nicht darauf an, ob das Zeugnis inhaltlich wahr ist oder nicht. 78 a) Gesundheitszeugnisse sind Erklärungen über den (jetzigen, früheren oder künftigen) Gesundheitszustand einer Person. 79 b) Approbierte Medizinalpersonen sind Personen, die mit staatlicher Erlaubnis einen akademischen Heilberuf ausüben. Beispiele: Arzt, Apotheker, Zahnarzt.

48

376

Vgl. OLG Köln NStZ 1994 S. 289.

Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde

§71

c) Die Tat ist zweiaktiges Delikt. Sie ist erst mit dem Gebrauch der Urkunde vollendet.

gQ

2. Der Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 279 in Verb, mit § 277 Die Tat setzt ein im Sinne des § 277 objektiv falsches Gesundheitszeugnis voraus, bei dem 81 überdies die Diagnose falsch sein muß, denn nur dann kann über den Gesundheitszustand getäuscht werden. a) Es ist nicht vorausgesetzt, daß der Täter, der das Zeugnis ausgestellt hat, zur Täuschung 82 i.S. des § 277 gehandelt hat. b) § 277 konsumiert § 279. 83

§ 71: Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 1. Schutzbereich und Täterkreis a) Die Vorschrift stellt die Herstellung bestimmter echter, aber inhaltlich unrichtiger Urkünden und in öffentlichen Dateien gespeicherter Daten unter Strafe. b) Die Tat ist echtes Amtsdelikt. - Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2 sein, die nach Bundes- und Landesrecht zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt sind. Maßgeblich ist hier die sachliche, nicht auch die örtliche Zuständigkeit, da der öffentliche Glaube an die sachliche Zuständigkeit anknüpft, während die örtliche Zuständigkeit für denjenigen, der die Urkunde zur Kenntnis nimmt, kaum durchschaubar ist. 49 Soweit zuständige Amtsträger bei der Erstellung der Urkunde zusammenwirken, können sie Mittäter sein, während eine Haftung Außenstehender nur als Anstifter oder Gehilfe in Betracht kommt; zu beachten ist hier aber § 28 Abs. 1. Mittelbare Täterschaft bei § 348 ist möglich, wenn der beurkundende Amtsträger gutgläubig und der Täter selbst Amtsträger ist, der die Beurkundung selbst vornehmen könnte. 50

1 2

3

2. Der Begriff der öffentlichen Urkunde Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der 4 Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichen Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen (§415 Abs. 1 ZPO) und die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen. - Öffentliche Bücher oder Register sind dementsprechend Bücher oder Register, die öffentlichen Glauben haben, d.h. Beweis für und gegen jedermann begründen. Gleiches gilt für öffentliche Dateien, die beweiserhebliche Daten enthalten. Die Redeweise, die Urkunde müsse Beweiskraft "für und gegen jedermann" haben, ist mißverständlich. Entscheidend ist vielmehr der Ausweis der Richtigkeitsprüfung durch eine hierzu berufene amtliche Person, d.h. die besondere amtliche Richtigkeitsbestätigung. 51

4 9

So auch ARZT in: ArztAVeber, LH 4, Rdn. 599; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 66 Rdn. 7. - A . A . B G H S t 12 S. 8 6 ; PUPPE N K , § 3 4 8 Rdn. 3 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 4 8 R d n . 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 4 8 Rdn. 2 ;

5 0

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 7 1 R d n . 7; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . , § 3 4 8 R d n . 3.

5 1

V g l . FREUND U r k u n d e n s t r a f t a t e n , R d n . 3 0 6 f.

377

Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde

§71

c) Die Tat ist zweiaktiges Delikt. Sie ist erst mit dem Gebrauch der Urkunde vollendet.

gQ

2. Der Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 279 in Verb, mit § 277 Die Tat setzt ein im Sinne des § 277 objektiv falsches Gesundheitszeugnis voraus, bei dem 81 überdies die Diagnose falsch sein muß, denn nur dann kann über den Gesundheitszustand getäuscht werden. a) Es ist nicht vorausgesetzt, daß der Täter, der das Zeugnis ausgestellt hat, zur Täuschung 82 i.S. des § 277 gehandelt hat. b) § 277 konsumiert § 279. 83

§ 71: Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 1. Schutzbereich und Täterkreis a) Die Vorschrift stellt die Herstellung bestimmter echter, aber inhaltlich unrichtiger Urkünden und in öffentlichen Dateien gespeicherter Daten unter Strafe. b) Die Tat ist echtes Amtsdelikt. - Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2 sein, die nach Bundes- und Landesrecht zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt sind. Maßgeblich ist hier die sachliche, nicht auch die örtliche Zuständigkeit, da der öffentliche Glaube an die sachliche Zuständigkeit anknüpft, während die örtliche Zuständigkeit für denjenigen, der die Urkunde zur Kenntnis nimmt, kaum durchschaubar ist. 49 Soweit zuständige Amtsträger bei der Erstellung der Urkunde zusammenwirken, können sie Mittäter sein, während eine Haftung Außenstehender nur als Anstifter oder Gehilfe in Betracht kommt; zu beachten ist hier aber § 28 Abs. 1. Mittelbare Täterschaft bei § 348 ist möglich, wenn der beurkundende Amtsträger gutgläubig und der Täter selbst Amtsträger ist, der die Beurkundung selbst vornehmen könnte. 50

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2. Der Begriff der öffentlichen Urkunde Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der 4 Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichen Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen (§415 Abs. 1 ZPO) und die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen. - Öffentliche Bücher oder Register sind dementsprechend Bücher oder Register, die öffentlichen Glauben haben, d.h. Beweis für und gegen jedermann begründen. Gleiches gilt für öffentliche Dateien, die beweiserhebliche Daten enthalten. Die Redeweise, die Urkunde müsse Beweiskraft "für und gegen jedermann" haben, ist mißverständlich. Entscheidend ist vielmehr der Ausweis der Richtigkeitsprüfung durch eine hierzu berufene amtliche Person, d.h. die besondere amtliche Richtigkeitsbestätigung. 51

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So auch ARZT in: ArztAVeber, LH 4, Rdn. 599; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 66 Rdn. 7. - A . A . B G H S t 12 S. 8 6 ; PUPPE N K , § 3 4 8 Rdn. 3 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 4 8 R d n . 5 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 4 8 Rdn. 2 ;

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S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 7 1 R d n . 7; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . , § 3 4 8 R d n . 3.

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V g l . FREUND U r k u n d e n s t r a f t a t e n , R d n . 3 0 6 f.

377

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§71

5

Der Bezugsgegenstand der erhöhten Beweiskraft erschließt sich daher in der Frage: Was hat die Behörde oder die mit öffentlichem Glauben versehene Person als von ihr geprüft (gesehen, erkannt) beurkundet? Die Reichweite der Beweiskraft ist durch Auslegung zu ermitteln, die beurkundete Tatsache muß sich jedoch aus der Urkunde ergeben und nicht erst aus gedanklichen Schlußfolgerungen. - Bei öffentlichen Urkunden, die eine Verfügung, Anordnung oder Entscheidung enthalten, ist besonders darauf zu achten, ob die Voraussetzungen des Verwaltungsaktes beurkundet sind oder nur der Akt selbst. So erbringt der Tauglichkeitsstempel des Fleischbeschauers Beweis für die Untersuchung des Viehs und ihr Ergebnis, die Aufenthaltserlaubnis eines Ausländers nur Beweis über die Erteilung der Erlaubnis, nicht aber für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen. 52

6

Weitere Beispiele für öffentliche Urkunden und ihre Beweiskraft: Eintragung der nächsten Hauptuntersuchung eines Kraftfahrzeugs im Kraftfahrzeugschein: Beweis für Zeitpunkt dieser Untersuchung (BGHSt 26 S. 11). - Kraftfahrzeugschein: Beweis für die Zulassung eines bestimmten Kraftfahrzeugs mit dem entsprechenden Kennzeichen (OLG Hamburg NJW 1966 S. 1827). - Eintragungen im Sparbuch einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse: Beweis für Ein- und Auszahlungen (BGHSt 19 S. 19). - Erbschein: Beweis der Erbfolge (BGHSt 19 S. 87). - Gefangenenbuch: Beweis der Identität (BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 283). Ausfuhrbescheinigung: Beweis für best. Steuerrückerstattungsansprüche (BayObLG NJW 1990 S. 655). Führerschein: Beweis für Personalangaben (BGHSt 34 S. 299) und Fahrzeugklasse (BGHSt 37 S. 207). Beispiele für öffentliche Bücher oder Register: Annahmebücher der Post über Wertsendungen (RGSt 67 S. 271). - Grundbuch (OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 365). - Amtliche Wiegebücher (BGH bei Daliinger, MDR 1958 S. 140). - Tagebuch des amtlich bestellten Fleischbeschauers (RGSt 40 S. 341). Keine öffentlichen Urkunden sind die für den inneren dienstlichen Verkehr angefertigte Vermerke (dazu BGHSt 7 S. 94) und schriftliche Erklärungen eines Amtsträgers, die in einem Prozeß als Beweismittel dienen sollen (OLG Celle NStZ 1987 S. 282). Gleiches gilt für Polizeiprotokolle (OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 217). Als hier relevante Dateien kommen insbesondere solche in Betracht, in denen der Inhalt öffentlicher Urkunden, Bücher oder Register gespeichert wird. 53

7

3. Die Tathandlung Falsch beurkundet, eingetragen oder eingegeben ist eine Tatsache, wenn das Beurkundete usw. mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. 4. Der subjektive

8

Tatbestand

Der Vorsatz - bedingter genügt - muß die Unrichtigkeit der Erklärung und die Merkmale umfassen, die die Eigenschaft der öffentlichen Urkunde begründen. 5. Die Vollendung des Delikts

9

Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das Delikt vollendet, wenn der Amtsträger die Beurkundung oder Eintragung bewirkt hat. Da aber nicht der Urkundenbestand als solcher geschützt ist, sondern der Beweisverkehr mit öffentlichen Urkunden, muß der Tatbestand restriktiv dahin interpretiert werden, daß die Vollendung des Delikts nur dann eintritt, wenn der Täter im Bewußtsein handelt, daß die Urkunde in den Beweisverkehr gelangt oder gelangen soll. Dieses "Entäußerungselement" kommt in § 267 im Merkmal "zur Täuschung" und in § 278 im Merkmal "zum Gebrauch bei einer Behörde ..." zum Ausdruck. Auch wenn § 348 eine derartige Einschränkung im objektiven bzw. subjektiven Tatbestand nicht enthält, so erscheint es aufgrund der Gleichartigkeit der Problemlage sachge-

52

Dazu OLG Karlsruhe Die Justiz 1967 S. 152; OLG Köln JR 1979 S. 255 mit Anm. PUPPE S. 256 ff.

53

BT-Drucks. 10/318, S. 34.

378

Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde

§71

recht, auch hier den Tatbestand noch nicht als erfüllt anzusehen, wenn der Täter ein Werk anfertigt, das nach seiner Vorstellung den Beweisverkehr niemals gefährden soll. 54

II. Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 1. Die Bedeutung des §271 § 271 ist als Ergänzung des § 348 zu verstehen. Da der Täter des § 348 ein Amtsträger 10 sein muß, ist eine mittelbare Täterschaft durch einen Nicht-Amtsträger bei der Verwirklichung des § 348 nicht möglich. Diese Lücke schließt der § 271. 2. Der Schutzbereich des §271 Bewirken i.S. des § 271 ist jedes Verursachen einer unwahren Beurkundung oder Spei- 11 cherung, das nicht als Anstiftung oder mittelbare Täterschaft zur Falschbeurkundung im Amt, § 348, erfaßbar ist. Damit werden folgende Fälle von § 271 erfaßt: 12 a) Der Täter bewirkt, daß ein zuständiger gutgläubiger Amtsträger etwas Unwahres zu 13 öffentlichem Glauben beurkundet oder speichert. BGHSt 8 S. 293: A erreicht durch Täuschung, daß der Notar N eine inhaltlich unrichtige Beurkundung vornimmt. Ergebnis: A: § 271.

b) Der Täter hält den Amtsträger irrig fiir gutgläubig. - Eine Anstiftung zur Falsch- 14 beurkundung im Amt, §§ 348, 26, entfällt hier, weil der Täter den Amtsträger nicht zu einer vorsätzlichen Tat bestimmen will. Beispiel: A will durch Täuschung erreichen, daß der Notar N gutgläubig etwas Unrichtiges beurkundet. N durchschaut den A jedoch. Gleichwohl fertigt er die Urkunde, weil er dadurch dem X schaden will. Ergebnis: N: §348; A: §271.

A hat den in § 271 pönalisierten Erfolg erreicht. Daß er über die Art des Bewirkens irrte, 15 ist eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs, da der Gesetzgeber die verschiedenen Weisen des Bewirkens gleich bewertet. 55 c) Der Täter hält den Amtsträger irrig für bösgläubig. - Hier läge ohne die Regelung des 16 §271 nur eine straflose erfolglose Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt vor, weil es entgegen der Vorstellung des Täters nicht zur Haupttat kommt. Beispiel: A bittet den Notar N, eine inhaltlich unrichtige Urkunde herzustellen. Er geht jedoch davon aus, daß N gemerkt hat, daß die Urkunde inhaltlich unwahr sein wird. - N hat dies jedoch nicht erfaßt. Er geht davon aus, daß die Urkunde inhaltlich wahr ist. Ergebnis: A : § 271. 5 6

54

So auch ESER IV, Nr. 20 A 52. - Noch weiter: BGH NJW 1952 S. 1064; LACKNER/KÜHL § 348 Rdn. 9; Puppe NK, § 348 Rdn. 23; RÖHMELJA 1978 S. 199; TRÖNDLELK, 10. Aufl., § 348 Rdn. 20.

5 5

S o a u c h ESER I V , N r . 2 0 A 4 0 ; KREY B . T . 1, R d n . 7 3 7 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 1 R d n . 3 0 ; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . , § 2 7 1 R d n . 6 1 . - A . A . BOCKELMANN B . T . / 3 , § 1 4 II 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 6 R d n . 17; SAMSON S K II, § 2 7 1 R d n . 2 1 : n u r V e r s u c h .

5 6

D a z u ESER I V , N r . 2 0 A 4 1 ; HRUSCHKA J Z 1 9 6 7 S. 2 1 2 ; KREY B . T . 1, R d n . 7 3 7 ; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 6 R d n . 17; T R Ö N D L E L K , 10. A u f l . , § 2 7 1 R d n . 6 1 . - A . A . : SAMSON

SK II, § 271 Rdn. 21; SCH/SCH/CRAMER § 271 Rdn. 30: Straflosigkeit.

379

§71

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

3. Der Bezug der

Beweiskraft

17 Es genügt nicht, daß irgendwelche Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen unrichtig beurkundet werden, es muß sich vielmehr um Angaben handeln, auf die sich die erhöhte Beweiskraft erstreckt. Beispiele: Vgl. Rdn. 6.

4. Der subjektive

Tatbestand

18 Der Vorsatz - bedingter genügt - muß insbesondere die inhaltliche Unrichtigkeit und die Rechtserheblichkeit der Erklärung umfassen. 5. Der Gebrauch falscher Beurkundungen

oder Datenspeicherungen,

Abs. 2

19 1. Gemäß Abs. 2 wird der Gebrauch einer unwahren öffentlichen Urkunde oder gespeicherter Daten in Täuschungsabsicht unter Strafe gestellt. 20 a) Der Gesetzeswortlaut - "Beurkundung oder Datenspeicherung der in Abs. 1 bezeichneten Art" - ist zu eng geraten. Der Gesetzgeber meinte nicht den Entstehungsakt, sondern das Ergebnis. Ob der Herstellungsakt nach Abs. 1 bestraft worden ist oder werden kann, ist demgegenüber irrelevant. Die Beurkundung kann daher schuldlos durch den Gebrauchenden bewirkt worden, aber auch ohne Zutun eines anderen durch Irrtum des Amtsträgers entstanden sein. Schließlich genügt es, daß die Urkunde durch den Amtsträger unter Verletzung des § 348 hergestellt worden ist. 57 21 b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 22 2. Der Gebrauch der Urkunde durch den nach § 271 oder § 348 strafbaren Täter steht zu der vorangegangenen Falschbeurkundung im selben Konkurrenzverhältnis wie das Fälschen und Gebrauchmachen bei der Urkundenfälschung; vgl. oben § 70 Rdn. 58. 6. Schwere mittelbare Falschbeurkundung,

Abs. 3

23 Abs. 3 ist ein Qualifikationstatbestand gegenüber Abs. 1, und zwar tritt eine Strafschärfung ein, wenn der Täter die Tat des Abs. 1 gegen Entgelt - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 9 - in der Absicht begeht, sich oder einem Dritten zu bereichern oder eine andere Person zu schädigen. 24 a) Absicht ist hier der auf den Erfolg zielgerichtete Wille. Es genügt aber, daß es dem Täter auf den Erfolg ankommt, weil dieser ein Mittel zur Erzielung eines weiteren Erfolges ist. 25 b) Die Bereicherung muß - entgegen dem Gesetzeswortlaut - eine rechtswidrige i.S. der Vermögensdelikte - dazu oben § 40 Rdn. 77 ff - sein, denn nur die auf eine weitere rechtswidrige Tat gerichtete Absicht erklärt die schärfere Strafe sinnvoll. 58 26 c) Schaden ist nach h.M. jeder Nachteil, nicht nur ein Vermögensnachteil. Es soll genügen, daß jemand Spott, eine Ehrkränkung oder Nachteile durch die Einleitung eines Strafverfahrens erfährt. - Diese weite Ausdehnung des Tatbestandes erscheint kriminalpolitisch keineswegs angebracht. Es muß sich zumindest um einen erheblichen Nach57 5 8

Dazu m.w.N.: TRÖNDLELK, 10. Aufl., § 273 Rdn. 2. S o a u c h BINDING B . T . II 1, S. 2 6 4 ; FRANK S t G B , § 2 6 8 A n m . I 1; PUPPE N K , § 2 7 2 R d n .

2;

SCH/SCH/CRAMER § 272 Rdn. 1. - A.A. h.M. vgl. RGSt 52 S. 93; OLG Hamm NJW 1956 S. 602; LACKNER/KÜHL § 2 7 2 R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 6 R d n . 18; TRÖNDLE L K ,

10. Aufl., § 272 Rdn. 9; DERS. StGB, § 272 Rdn. 3.

380

Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde

§71

teil i.S. einer bedeutsamen Rechtsgutsbeeinträchtigung handeln, so daß bloßer Spott nicht genügt. 59 Auch hier soll es auf die Rechtswidrigkeit des Schadens nach h.M. nicht ankommen; dazu vgl. die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 25.

III. Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen, §§ 276, 276 a Als strafbare Vorbereitungshandlung zum Gebrauch von Falschbeurkundungen stellen 27 §§ 276, 276 a das Unternehmen des Ein- oder Ausführens sowie das Verschaffen, Verwahren oder Überlassen unechter oder verfälschter amtlicher Ausweise, aufenthaltsrechtlicher Papiere und Fahrzeugpapiere, die eine Falschbeurkundung nach §§ 271, 348 enthalten, in der Absicht, deren Gebrauch zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen, unter Strafe.

IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 1. Die 1. Alternative des § 277: "Wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als 28 Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand ausstellt und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht", enthält einen Fall der schriftlichen Lüge über den Beruf des Täters. - Zu den Einzelheiten des Tatbestandes vgl. oben § 70 Rdn. 77 ff. 2. Zum Gebrauch des unrichtigen Gesundheitszeugnisses vgl. die entsprechenden Aus- 29 führungen unter § 70 Rdn. 81 f.

V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278 1. Einzelheiten des Tatbestandes a) § 278 erfaßt die schriftliche Lüge eines Arztes oder einer anderen approbierten Medi- 30 zinalperson - dazu § 70 Rdn. 79 - über den Gesundheitszustand eines anderen. Einem Gesundheitszeugnis kommt besonderer Beweiswert zu, weil die angegebene Diagnose in einer pflichtgemäßen sachverständigen Unterrichtung, im Zweifel einer dem Fall angemessenen Untersuchung, begründet ist. - Ein unrichtiges Zeugnis ist demgemäß ein Zeugnis, das einen unrichtigen Befund enthält. Unrichtig ist der Befund, der nicht das zutreffende Ergebnis einer pflichtgemäßen Untersuchung (Unterrichtung) wiedergibt. 60 b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der bezüglich der inhaltlichen Un- 31 richtigkeit des Zeugnisses direkter Vorsatz sein muß, im übrigen genügt dolus eventualis. c) Vollendet ist das Delikt mit dem Ausstellen des Zeugnisses. 61 32 2. Verhältnis des § 278 zu § 348 Stellt ein beamteter Arzt in seinem Amtsbezirk in einer öffentlichen Urkunde ein un- 33 richtiges Gesundheitszeugnis aus, so verdrängt § 348 den § 278 als lex specialis.

59

Dazu auch BINDING B.T. II 1, S. 267 Fn. 1.

60

Dazu RGSt 74 S. 231; BGHSt 6 S. 90; OLG Düsseldorf MDR 1957 S. 372. - Einschränkend: OLG Zweibrücken JR 1982 S. 294 mit abl. Anm. OTTO S. 296 f.

61

So auch TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 278 Rdn. 3. - A.A. SAMSON SK II, § 278 Rdn. 4.

381

§72

Dritter Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

§ 72: Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. 1. Der objektive 1

Tatbestand

§ 274 Abs. 1 Nr. 1,1. Alt. sichert die Brauchbarkeit von Urkunden und technischen Aufzeichnungen als Beweismittel. a) Zum Begriff der Urkunde vgl. § 70 Rdn. 1.

2

b) Zum Begriff der technischen Aufzeichnungen vgl. § 74 Rdn. 4 ff. Die Urkunde bzw. technische Aufzeichnung gehört dem Täter dann nicht, wenn ein anderer berechtigt ist, die Urkunde als Beweismittel zu gebrauchen. Dies ist dann der Fall, wenn der andere bereits Verfügungsbefugnis erlangt, ein Recht auf Herausgabe der oder auf Einsichtnahme in die Urkunde hat. - Ein solches Recht zur Einsichtnahme haben z.B. Behörden in Personalausweise und Reisepässe, daher gehören diese dem Täter nicht im Sinne des § 274, vgl. dazu weiter Rdn. 14. Im Falle öffentlich-rechtlicher Aufbewahrungs- und Vorlegungspflichten (z.B. von Schaublättem in Fahrtenschreibern) wird zum Teil bestritten, daß diese Pflicht bereits eine Vorlagepflicht i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 1 begründet. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden, denn das Recht auf Vorlage und Einsichtnahme ist hier gesetzlich ausdrücklich vorgesehen. - Wenn aber die Verletzung der Vorlage- und Aufbewahrungspflicht selbständig als Ordnungswidrigkeit unter Strafe gestellt sind, so ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, daß insoweit noch kein strafwürdiges Unrecht vorliegt, zu beachten. Diese Urkunden sind kraft gesetzlicher Entscheidung dem Anwendungsbereich des § 274 Abs. 1 Nr. 1 e n t z o g e n .

3

c) Zum Vernichten und Beschädigen vgl. oben § 47 Rdn. 5, 10.

4

d) Unterdrücken ist jede Verhinderung der Benutzung der Urkunde als Beweismittel durch den Berechtigten, und sei sie auch nur vorübergehend. OLG Celle NJW 1966 S. 557; BayObLG NJW 1968 S. 1896: A hat den Wagen des B angefahren und an dem Wagen des B eine Visitenkarte mit dem Hinweis darauf, daß er den Schaden verursacht hat, angebracht. Später entfernt er die Karte wieder. OLG: Die Karte "gehörte" nicht mehr dem A, da sie bereits in den Macht- und damit Verfügungsbereich des B gelangt war.

2. Der subjektive 5

Tatbestand

Der Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht des Täters, einem anderen Nachteile zuzufügen. Für die Absicht, einem anderen Nachteile zuzufügen, soll nach h.M. direkter Vorsatz genügen. 63 Dem kann nicht gefolgt werden. § 274 Abs. 1 Nr. 1 stellt nicht die Entziehung oder Vernichtung von Beweismitteln schlechterdings unter Strafe, sondern die Entziehung einer Urkundenbeweisposition.

62

Vgl. zur Problematik: BGHSt 29 S. 195; OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 1231 mit Anm. OTTO JK, StGB § 274/3; OLG Düsseldorf MDR 1990 S. 73 mit Anm. BOTTKE JR 1991 S. 252 ff; BayObLG NJW

1 9 8 9 S. 6 7 6 m i t A n m . GEPPERT J K 8 9 , S t G B § 2 7 4 / 4 ; KÜPER B . T . , S. 2 1 8 ; TRÖNDLE L K ,

10.

Aufl., § 274 Rdn. 6. - A.A. AG Elmshorn NJW 1989 S. 3295; SCHNEIDER NStZ 1993 S. 16 ff. 63

Dazu BGH bei Daliinger, MDR 1958 S. 140; BAUMANN NJW 1964 S. 705 ff; LACKNER/KÜHL § 274 R d n . 7 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 6 5 R d n . 1 0 4 ; SIEBER C o m p u t e r k r i m i n a l i t ä t , S . 3 2 7 ;

TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 274 Rdn. 21.

382

Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels

§72

Daraus folgt: Es muß dem Täter darum gehen, dem Opfer einen Nachteil durch Entzug der Urkundenbeweisposition zuzufügen. - Absicht ist daher als zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades) zu verstehen, auch wenn der Erfolg Mittel zu einem anderen Zweck sein kann. Nachteil i.S. des § 274 ist die Beeinträchtigung der Urkundenbeweisposition. - Falls die Absicht nicht vorliegt, bietet § 303 hinreichenden Schutz. 6 4 Zur

6

Verdeutlichung:

Beispiel 1: A, der gesetzliche Erbe des X, vernichtet ein Testament, in dem B von X als Erbe eingesetzt war, um in den Besitz der Erbschaft zu gelangen.

7

Ergebnis: § 274 Abs. 1 Nr. 1. Beispiel 2: A hat die Brieftasche des B gestohlen, in der sich auch ein notarieller Kaufvertrag befand. - Da A mit dem Kaufvertrag nichts anfangen kann, vernichtet er ihn. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung; a.A. h.M. Beispiel 3: Der Pyromane A steckt das Gerichtsgebäude in Brand. Er weiß, daß in dem Gebäude viele Urkunden liegen. Dies ist ihm egal, denn ihm geht es nur darum, das Feuer zu sehen. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung. Die h.M. müßte auch hier § 274 anwenden.

3. Rechtswidrigkeit Die Einwilligung des Berechtigten schließt die Rechtswidrigkeit aus, denn die Einwilligung hebt die Beweisführungsbefugnis nicht auf, sondern stellt eine Ausübung dieser Befugnis dar. 6 5 Die Einwilligung muß den auch sonst nötigen Erfordernissen genügen. 6 6 Der für die Körperverletzung geltende Ausschluß der Rechtfertigung, wenn die Tat trotz der Einwilligung sittenwidrig ist, beruht auf der besonderen Bedeutung des Rechtsguts der Körperintegrität und kann auf andere Anwendungsbereiche nicht ausgedehnt werden. 6 7

8

II. Unterdrückung beweiserheblicher Daten, § 274 Abs. 1 Nr. 2 1. Der objektive Tatbestand § 274 Abs. 1 Nr. 2 schützt das Recht mit bestimmten Daten Beweis zu erbringen, jedoch 9 ist der Zusammenhang der Nr. 2 mit der Nr. 1 zu sehen. Die Unterdrückung von Daten kann sinnvollerweise als "Urkundendelikt" nicht in weiterem Maße strafbar sein, als die Fälschung von Daten i.S.d. § 269. Daraus folgt: Beweiserhebliche Daten i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 2 sind nur Daten mit Urkundscharakter. 68 Die Verweisung auf § 202 a Abs. 2 begrenzt den Anwendungsbereich des Tatbestandes 10 auf Daten, die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden. Das Merkmal Verfügen dürfen entspricht inhaltlich dem Gehören nach Abs. 1 Nr. 1. 2. Der subjektive Tatbestand Zur Problematik des subjektiven Tatbestandes vgl. Rdn. 5 f. 64

Dazu auch FRANK StGB, § 274 Anm. I 3; KOHLRAUSCH/LANGE § 274 Anm. III.

6 5

V g l . d a z u LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 4 ; PUPPE N K , § 2 7 4 R d n . 15; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n .

11

U.-

A.A. KIENAPFEL Jura 1983 S. 188 f; TRÖNDLELK, 10. Aufl., § 274 Rdn. 19. 6 6

V g l . d a z u G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 1 0 6 f f .

6 7

V g l . d a z u G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 1 1 8 f f .

6 8

S o a u c h P U P P E N K , § 2 7 4 R d n . 8 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 7 4 R d n . 5 . - A . A . LENCKNER/WLNKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 8 2 7 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n . 2 2 c.

383

§73

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

III. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 3 12 § 274 Abs. 1 Nr. 3 schützt keinen Urkunden-, sondern einen bestimmten Augenscheinsbeweis. Die Veränderung von Grenzmerkmalen wird ohne Rücksicht auf das Eigentum oder ein sonstiges Recht an dem Merkmal unter Strafe gestellt, selbst wenn diese Merkmale tatsächlich an falscher Stelle stehen. - Auch hier muß es dem Täter darum gehen, dem Berechtigten einen Nachteil durch Änderung des Augenscheinsbeweises zuzufügen; dazu vgl. Rdn. 6. 13 Diese Nachteilszufügung durch Änderung des Augenscheinsbeweises setzt keine Entfernung dieses Beweises aus dem Herrschaftsbereich des Berechtigten voraus. Wegnahme ist hier daher die Entfernung des Augenscheinsobjekts von der Stelle, für welche es von dem hierzu Berechtigten als Beweiszeichen bestimmt wurde. 69

IV. Verändern von amtlichen Ausweisen, § 273 14 Da höchstrichterliche Rechtsprechung und h.L. davon ausgingen, daß Reisepässe und Führerscheine und die darin enthaltenen weiteren Eintragungen urkundenstrafrechtlich ausschließlich dem Inhaber des Ausweises „gehören", konnten sie auf die Veränderung dieser Ausweise § 274 Abs. 1 Nr. 1 , 1 . Alt. nicht anwenden. 70 Die damit begründete Strafbarkeitslücke soll § 273 schließen, doch hat der Gesetzgeber durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel klargestellt, daß § 273 einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entgegenstehen würde. 71 - Zum Begriff des amtlichen Ausweises vgl. § 70 Rdn. 71. Gebraucht ist der Ausweis, wenn er der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist.

§ 73: Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels 1. Das Wesen des § 281 1

§ 281 enthält weniger ein Urkundendelikt, als vielmehr ein Delikt gegen die Autorität der Staatsverwaltung-, dazu unten § 89. - Dieses Delikt steht den Urkundendelikten aber insoweit nahe, als es den Beweiswert einer echten Urkunde für die Persönlichkeitsfeststellung schützt. 2. Einzelheiten der Regelung

2

a) Ausweispapiere, § 281 Abs. 1, sind die von einer hoheitlichen Stelle ausgestellten Papiere, die dem Nachweis der Identität oder der persönlichen Verhältnisse einer Person dienen; vgl. § 70 Rdn. 71. Beispiele: Reisepaß; Personalausweis; Führerschein, Schülerausweis.

3

b) Den Ausweispapieren stehen Zeugnisse und Urkunden gleich, die im Verkehr als Ausweis verwendet werden, § 281 Abs. 2. - Nach der Schutzfunktion des Tatbestandes und 6 9

V g l . LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 6 ; LAUBENTHAL J A 1 9 9 0 S . 4 3 ; OTTO Jura 1 9 9 2 S . 6 6 8 .

70

Vgl. BayObLG NJW 1990 S. 264; BayObLG NJW 1997 S. 1597 mit Anm. GEPPERT JK 97, StGB § 2 7 4 / 5 ; MÄTZLE M D R

1 9 9 6 S.

1 9 f; PUPPE N K ,

TRÖNDLE StGB, § 274 Rdn. 2. 71

384

Vgl. dazu BT-Drucks. 13/9064, S. 20.

§ 2 7 4 R d n . 3 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n .

5;

§73

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

III. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 3 12 § 274 Abs. 1 Nr. 3 schützt keinen Urkunden-, sondern einen bestimmten Augenscheinsbeweis. Die Veränderung von Grenzmerkmalen wird ohne Rücksicht auf das Eigentum oder ein sonstiges Recht an dem Merkmal unter Strafe gestellt, selbst wenn diese Merkmale tatsächlich an falscher Stelle stehen. - Auch hier muß es dem Täter darum gehen, dem Berechtigten einen Nachteil durch Änderung des Augenscheinsbeweises zuzufügen; dazu vgl. Rdn. 6. 13 Diese Nachteilszufügung durch Änderung des Augenscheinsbeweises setzt keine Entfernung dieses Beweises aus dem Herrschaftsbereich des Berechtigten voraus. Wegnahme ist hier daher die Entfernung des Augenscheinsobjekts von der Stelle, für welche es von dem hierzu Berechtigten als Beweiszeichen bestimmt wurde. 69

IV. Verändern von amtlichen Ausweisen, § 273 14 Da höchstrichterliche Rechtsprechung und h.L. davon ausgingen, daß Reisepässe und Führerscheine und die darin enthaltenen weiteren Eintragungen urkundenstrafrechtlich ausschließlich dem Inhaber des Ausweises „gehören", konnten sie auf die Veränderung dieser Ausweise § 274 Abs. 1 Nr. 1 , 1 . Alt. nicht anwenden. 70 Die damit begründete Strafbarkeitslücke soll § 273 schließen, doch hat der Gesetzgeber durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel klargestellt, daß § 273 einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entgegenstehen würde. 71 - Zum Begriff des amtlichen Ausweises vgl. § 70 Rdn. 71. Gebraucht ist der Ausweis, wenn er der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist.

§ 73: Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels 1. Das Wesen des § 281 1

§ 281 enthält weniger ein Urkundendelikt, als vielmehr ein Delikt gegen die Autorität der Staatsverwaltung-, dazu unten § 89. - Dieses Delikt steht den Urkundendelikten aber insoweit nahe, als es den Beweiswert einer echten Urkunde für die Persönlichkeitsfeststellung schützt. 2. Einzelheiten der Regelung

2

a) Ausweispapiere, § 281 Abs. 1, sind die von einer hoheitlichen Stelle ausgestellten Papiere, die dem Nachweis der Identität oder der persönlichen Verhältnisse einer Person dienen; vgl. § 70 Rdn. 71. Beispiele: Reisepaß; Personalausweis; Führerschein, Schülerausweis.

3

b) Den Ausweispapieren stehen Zeugnisse und Urkunden gleich, die im Verkehr als Ausweis verwendet werden, § 281 Abs. 2. - Nach der Schutzfunktion des Tatbestandes und 6 9

V g l . LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 6 ; LAUBENTHAL J A 1 9 9 0 S . 4 3 ; OTTO Jura 1 9 9 2 S . 6 6 8 .

70

Vgl. BayObLG NJW 1990 S. 264; BayObLG NJW 1997 S. 1597 mit Anm. GEPPERT JK 97, StGB § 2 7 4 / 5 ; MÄTZLE M D R

1 9 9 6 S.

1 9 f; PUPPE N K ,

TRÖNDLE StGB, § 274 Rdn. 2. 71

384

Vgl. dazu BT-Drucks. 13/9064, S. 20.

§ 2 7 4 R d n . 3 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n .

5;

Fälschung technischer Aufzeichnungen

§74

aufgrund der Gleichwertigkeit mit den Ausweispapieren ist auch hier zu fordern, daß die Papiere von einer hoheitlichen Stelle ausgestellt sind und ihnen Ausweisfunktion zukommt. Beispiele: Geburtsurkunde (RGSt 12 S. 385); Taufschein; Zeugnis über Staatsprüfungen. Nicht hingegen: Scheckkarten; private Werksausweise.

Die h.M. erstreckt demgegenüber den Schutz des § 281 Abs. 2 auf jede Bescheinigung, die im Rechtsverkehr zum Identitätsnachweis genutzt wird. 72 c) Bestraft wird der Gebrauch oder das Überlassen der Urkunde an einen anderen zur Täuschung im Rechtsverkehr. aa) Gebraucht ist das Papier, wenn es der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist. Die Vorlage einer Fotokopie wird hier vom BGH nicht als Gebrauch des Ausweises interpretiert. 73 bb) Bei der Täuschung im Rechtsverkehr muß es sich um eine Identitätstäuschung handein. Die Täuschung über die Berechtigung zur Verwendung des Papiers genügt nicht. 74 3. Das Verhältnis der beiden Alternativen des § 281 zueinander Wer ein Ausweispapier i.S. des § 281 gebraucht, ist Täter der 1. Alternative. Eine eventuelle Teilnahme am Überlassen des Ausweispapieres wird durch die Täterschaft konsumiert. Umgekehrt zehrt die Verwirklichung des Tatbestandes in der Form des Überlassens des Ausweispapieres alle Möglichkeiten der Teilnahme am Gebrauchmachen auf. 75

4 5 6

7

8

§ 74: Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich 1. Das geschützte Rechtsgut § 268 schützt die Sicherheit der Informationsgewinnung durch technische Geräte,76

1

2. Die unechte Aufzeichnung Dem geschützten Rechtsgut entsprechend ist die Echtheit der Aufzeichnung nicht auf den Aussteller zu beziehen, sondern auf die Herkunft aus einem unbeeinflußten Herstellungsvorgang eines ordnungsgemäß arbeitenden technischen Geräts. - Unecht ist die Aufzeichnung, wenn sie überhaupt nicht oder nicht in ihrer konkreten Gestalt aus einem in seinem automatischen Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt, obwohl sie diesen Eindruck macht. 3. Die Bedeutung der Vorschrift Die gesetzgeberisch wenig geglückte Vorschrift hat in der Praxis bisher überhaupt nur bei 72

Vgl. SCH/SCH/CRAMER § 281 Rdn. 4; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 281 Rdn. 2. - Wie hier: HECKER GA 1997 S. 531; einschränkend auch PUPPE NK, § 281 Rdn. 11 f

73

Vgl. BGHSt20S. 17.

74

BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 280.

75

Im einzelnen dazu R. SCHMITT NJW 1977 S. 1811 f.

76

Dazu im einzelnen: KUNZ JuS 1977 S. 604; SIEBER Computerkriminalität, S. 297 ff; PUPPE NK, § 268 Rdn. 10; TRÖNDLE LK, 10. Aufl.,§ 268 Rdn. 6 ff.

385

2

3

Fälschung technischer Aufzeichnungen

§74

aufgrund der Gleichwertigkeit mit den Ausweispapieren ist auch hier zu fordern, daß die Papiere von einer hoheitlichen Stelle ausgestellt sind und ihnen Ausweisfunktion zukommt. Beispiele: Geburtsurkunde (RGSt 12 S. 385); Taufschein; Zeugnis über Staatsprüfungen. Nicht hingegen: Scheckkarten; private Werksausweise.

Die h.M. erstreckt demgegenüber den Schutz des § 281 Abs. 2 auf jede Bescheinigung, die im Rechtsverkehr zum Identitätsnachweis genutzt wird. 72 c) Bestraft wird der Gebrauch oder das Überlassen der Urkunde an einen anderen zur Täuschung im Rechtsverkehr. aa) Gebraucht ist das Papier, wenn es der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist. Die Vorlage einer Fotokopie wird hier vom BGH nicht als Gebrauch des Ausweises interpretiert. 73 bb) Bei der Täuschung im Rechtsverkehr muß es sich um eine Identitätstäuschung handein. Die Täuschung über die Berechtigung zur Verwendung des Papiers genügt nicht. 74 3. Das Verhältnis der beiden Alternativen des § 281 zueinander Wer ein Ausweispapier i.S. des § 281 gebraucht, ist Täter der 1. Alternative. Eine eventuelle Teilnahme am Überlassen des Ausweispapieres wird durch die Täterschaft konsumiert. Umgekehrt zehrt die Verwirklichung des Tatbestandes in der Form des Überlassens des Ausweispapieres alle Möglichkeiten der Teilnahme am Gebrauchmachen auf. 75

4 5 6

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§ 74: Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich 1. Das geschützte Rechtsgut § 268 schützt die Sicherheit der Informationsgewinnung durch technische Geräte,76

1

2. Die unechte Aufzeichnung Dem geschützten Rechtsgut entsprechend ist die Echtheit der Aufzeichnung nicht auf den Aussteller zu beziehen, sondern auf die Herkunft aus einem unbeeinflußten Herstellungsvorgang eines ordnungsgemäß arbeitenden technischen Geräts. - Unecht ist die Aufzeichnung, wenn sie überhaupt nicht oder nicht in ihrer konkreten Gestalt aus einem in seinem automatischen Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt, obwohl sie diesen Eindruck macht. 3. Die Bedeutung der Vorschrift Die gesetzgeberisch wenig geglückte Vorschrift hat in der Praxis bisher überhaupt nur bei 72

Vgl. SCH/SCH/CRAMER § 281 Rdn. 4; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 281 Rdn. 2. - Wie hier: HECKER GA 1997 S. 531; einschränkend auch PUPPE NK, § 281 Rdn. 11 f

73

Vgl. BGHSt20S. 17.

74

BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 280.

75

Im einzelnen dazu R. SCHMITT NJW 1977 S. 1811 f.

76

Dazu im einzelnen: KUNZ JuS 1977 S. 604; SIEBER Computerkriminalität, S. 297 ff; PUPPE NK, § 268 Rdn. 10; TRÖNDLE LK, 10. Aufl.,§ 268 Rdn. 6 ff.

385

2

3

§74

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Manipulationen am Fahrtenschreiber, § 57 a StVZO, und der Zeituhr des EG-Kontrollgeräts bei Lastwagen Bedeutung erlangt.77

II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 4

5

Den Begriff der technischen Aufzeichnung hat der Gesetzgeber in § 268 Abs. 2 definiert, doch ist ihm hier keine überzeugende Leistung gelungen, wie die bisherigen Kontroversen zeigen. - Treffender kommt das Gemeinte in der Definition von P U P P E zum Ausdruck: technische Aufzeichnung ist die dauerhafte automatische Registrierung eines Zustandes oder Geschehensablaufs.78 1. Die technische Aufzeichnung als Darstellung Als Darstellung ist dementsprechend eine Aufzeichnung anzusehen, bei der die Information in einem selbständig verkörperten, vom Gerät abtrennbaren Stück enthalten ist. 79 Die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Meß- oder Zählgerät - z.B. Gas-, Strom-, Kilometerzähler - ist nicht Darstellung in diesem Sinne, weil ihr die Dauerhaftigkeit der Aufzeichnung fehlt. 80 2. Die ganz oder teilweise selbständige Wirkungsweise des Geräts

6

7

a) Selbständig bewirkt das Gerät die Aufzeichnung, wenn seine Leistung darin besteht, durch einen in Konstruktion oder Programmierung festgelegten automatischen Vorgang einen Aufzeichnungsinhalt mit neuem Informationsgehalt hervorzubringen.81 Fotokopien, Fotografien, Film- und Fernsehaufnahmen sind keine technischen Aufzeichnungen in diesem Sinne, soweit sie lediglich einen von einem Menschen unmittelbar erfaßten Vorgang festhalten. 82 b) Da auch die teilweise selbständige Herstellung genügt, ist menschliche Mitwirkung z.B. durch ständiges Auslösen des Aufzeichnungsvorganges, nicht ausgeschlossen, soweit das Gerät einen Aufzeichnungsinhalt unbeeinflußt von menschlichen Interessen und Einwirkungen herstellt. 3. Der Gegenstand der Aufzeichnung

8

Die technische Aufzeichnung muß den Gegenstand der Aufzeichnung allgemein oder für

77

Dazu im einzelnen: TRÖNDLELK, 10. Aufl., § 268 Rdn. 7, 33 b, 33 d, 36; BayObLG J Z 1986 S. 604.

78

PUPPE, Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972, S. 114.

7 9

B G H S t 2 9 S. 205. - Dazu auch: KIENAPFEL JR 1980 S. 429; LACKNER/KÜHL § 2 6 8 R d n . 3; PUPPE Fäls c h u n g , S . 7 9 f f , 2 3 2 ; DIES. J R 1 9 7 8 S. 125; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . , § 2 6 8 R d n . 11; WESSELS B . T - 1 , Rdn. 8 3 9 .

8 0

S o a u c h B G H S t 29 S. 2 0 4 mit A n m . KIENAPFEL J R 1980 S. 4 2 9 ; ESER IV, Nr. 19 A 78; HIRSCH Z S t W 8 5 ( 1 9 7 3 ) S . 7 1 6 ; KREY B . T . 1, R d n . 7 2 4 ; PUPPE N K , § 2 6 8 R d n . 2 4 ; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . , § 2 6 8 R d n . 11. - A . A . SAMSON S K II, § 2 6 8 R d n . 12; SCHILLING F ä l s c h u n g technischer A u f z e i c h n u n g e n (§ 2 6 8 S t G B ) , 1970, S. 10 f; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 8 R d n . 9.

81

Dazu im einzelnen: SLEBER Computerkriminalität, S. 310 ff; vgl. a u c h PUPPE N K , § 2 6 8 R d n . 18 ff.

8 2

S o a u c h B G H S t 2 4 S. 142; ESER I V N r . KÜPER B . T . , S . 2 3 ; PUPPE F ä l s c h u n g , S. S. 3 0 4 , 3 1 1 ; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . , § F ä l s c h u n g , S. 17, 7 6 ; SCH/SCH/CRAMER

386

19 A 7 9 ; KIENAPFEL J Z 1971 S . 165 f; KREY B . T . 1, R d n . 7 2 0 ; 7 6 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 14/29; SIEBER C o m p u t e r k r i m i n a l i t ä t , 2 6 8 R d n . 2 3 . - A . A . SAMSON S K II, § 2 6 8 R d n . 9 ; SCHILLING § 2 6 8 R d n . 17.

Fälschung technischer Aufzeichnungen

§74

Eingeweihte erkennen lassen. Das bedeutet, daß der konkrete Sachverhalt, welcher der Aufzeichnung zugrunde gelegen hat und auf den sich die aufgezeichneten Informationen beziehen, erkennbar sein muß. 8 3 4. Die

Beweisbestimmung

Die Aufzeichnung muß zum Beweis einer rechtlich erheblichen Tatsache bestimmt sein. Da es hier nicht darauf ankommen soll, ob ihr die Bestimmung schon bei der Herstellung oder später vom Halter des technischen Gerätes oder Dritten gegeben wird, verbirgt sich hinter der Beweisbestimmung nichts anderes als die Feststellung, daß der Aufzeichnung Rechtserheblichkeit zukommen muß; vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 23.

9

III. Die Tathandlung 1. Herstellen, Verfälschen, Gebrauchen, Abs. 1 Gemäß § 268 Abs. 1 wird das Herstellen einer unechten technischen Aufzeichnung das 10 Verfälschen einer technischen Aufzeichnung und der Gebrauch einer unechten oder verfälschten technischen Aufzeichnung bestraft. Herstellen ist das Anfertigen der unechten - dazu oben Rdn. 2 - technischen Aufzeichnung. - Verfälschen ist die inhaltliche Veränderung einer bisher echten technischen Aufzeichnung. - Gebraucht ist die Aufzeichnung, wenn sie dem zu Täuschenden zugänglich gemacht worden ist. 2. Die störende Einwirkung, Abs. 3 Wird eine Aufzeichnung dann als unecht angesehen, wenn sie nicht aus einem in seinem 11 Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt, obwohl sie diesen Eindruck erweckt vgl. Rdn. 2 -, so enthält § 268 Abs. 3 einen Unterfall der Herstellung einer unechten Aufzeichnung. - Störend in diesem Sinne ist eine auf eine unechte technische Aufzeichnung zielende Einwirkung, die den Aufzeichnungsvorgang derart beeinflußt, daß das Gerät die ihm eingegebenen Sachverhalte zu einer von der Programmierung abweichenden Aufzeichnung verarbeitet. 84 Beispiele: Zeitweiliges Unterbrechen des Aufzeichnungsvorgangs; 8 ^ Einlegen eines für das Gerät nicht bestimmten Schaublattes (BGHSt 40 S. 26); Verstellen einer mit dem Gerät verbundenen Zeituhr; 8 ^ Verbiegen des Schreibstiftes des Geräts (BayObLG wistra 1995 S. 316).

3. Die Ausnutzung eines defekten Gerätes Wird für die Definition der echten Aufzeichnung allein auf den ungestörten automatischen 12 Herstellungsvorgang abgestellt, so ist es für die Frage, ob eine Aufzeichnung echt ist, un-

8 3

D a z u LACKNER/KÜHL § 2 6 8 R d n . 5 ; PUPPE J R 1 9 7 8 S. 125; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . , § 2 6 8 R d n . 2 5 a.

84

Vgl. BGHSt 40 S. 26 mit Anm. GEPPERT JK 94, StGB § 268/4; PUPPE JZ 1997 S. 495; OLG Stuttgart VRS 85 (1994) S. 196; OLG Stuttgart NStZ 1993 S. 344 mit Anm. PUPPE JR 1993 S. 330 ff; HIRSCH Z S t W 8 5 ( 1 9 7 3 ) S . 7 1 9 ; KREY B . T . 1, R d n . 7 3 0 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 8 R d n . 8 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 5 R d n . 8 5 ; SIEBER C o m p u t e r k r i m i n a l i t ä t , S. 3 2 4 ; TRÖNDLE L K , 10. A u f l . ,

§ 268 Rdn. 32. 8 5

D a z u LAMPE G A 1 9 7 5 S. 17; PUPPE N J W 1 9 7 4 S. 1 1 7 4 .

86

BayObLG JZ 1986 S. 604; dazu PUPPE JZ 1991 S. 553.

387

§75

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

wesentlich, ob der Herstellungsvorgang vorsätzlich, versehentlich oder zufällig beeinflußt worden ist. Gleichwohl ist zu differenzieren: 13 a) Die bloße Ausnutzung eines Defekts ist nicht tatbestandsmäßig i.S. des Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3, wenn der Defekt selbst nicht auf einem störenden menschlichen Eingriff beruht. Der menschliche Eingriff in den programmierten funktionalen Ablauf des Geräts ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Tatgeschehens. 87 14 b) Beruht der Defekt hingegen auf einem menschlichen Eingriff - sei es des Täters oder eines Dritten - und weiß der Täter dieses, so ist das bewußte Ausnutzen des Defekts zur Herstellung eines unrichtigen Aufzeichnungsergebnisses als Unterlassen tatbestandsmäßig i.S. des Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3, soweit der Täter Garant ist. 88 4. Subjektiver Tatbestand und Konkurrenzen 15 Zum Vorsatz, zur Täuschung im Rechtsverkehr und zur Konkurrenz von Fälschen und Gebrauchmachen der technischen Aufzeichnung vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 52 ff, 56 f. 5. Schwere Fälle der Fälschung technischer Aufzeichnungen, Abs. 5 16 Gemäß Abs. 5 gelten für schwere Fälle der Fälschung technischer Aufzeichnungen § 263 Abs. 3, 4 entsprechend; vgl. dazu unter § 70 Rdn. 56 f.

IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. 17 Zum Begriff der technischen Aufzeichnung vgl. § 74 Rdn. 4 ff; im übrigen vgl. die entsprechenden Ausführungen § 72 Rdn. 1 ff.

§ 75: Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146, 147, 149, 152 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Die Geldfälschungstatbestände sind Spezialfälle der Urkundenfälschung. Sie schützen das allgemeine Interesse an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs. 2 Da das Bargeld volkswirtschaftlich gesehen als Zahlungsmittel jedoch keineswegs die bedeutendste Rolle spielt, wird gelegentlich geltend gemacht, Umfang und Beginn des Strafrechtsschutzes seien in diesem Bereich zu weit ausgedehnt. Diese Betrachtungsweise stellt die Vermögensschädigung des einzelnen Opfers, die im übrigen von § 263 erfaßt wird, zu stark in den Vordergrund. Der durch die §§ 146 ff gewährte Schutz des Funktionierens des Geldverkehrs geht nämlich in eine andere Richtung: Der Verlust des Vertrauens, die dem Wert des Geldes entsprechenden Leistungen für das staatliche Geld zu erhalten, begründet ein tiefes und allgemeines Mißtrauen in die Fähigkeit des Staates, seine Garantien erfüllen zu können. Der Betroffene sieht sich hier nicht nur - wie sonst beim 87

Dazu BGHSt 28 S. 307 mit Anm. KIENAPFEL JR 1980 S. 347 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 65 Rdn. 86; PUPPE Fälschung, S. 262; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 268 Rdn. 36 a.

88

Im einzelnen dazu PUPPE N K , § 268 Rdn. 43.

388

§75

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

wesentlich, ob der Herstellungsvorgang vorsätzlich, versehentlich oder zufällig beeinflußt worden ist. Gleichwohl ist zu differenzieren: 13 a) Die bloße Ausnutzung eines Defekts ist nicht tatbestandsmäßig i.S. des Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3, wenn der Defekt selbst nicht auf einem störenden menschlichen Eingriff beruht. Der menschliche Eingriff in den programmierten funktionalen Ablauf des Geräts ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Tatgeschehens. 87 14 b) Beruht der Defekt hingegen auf einem menschlichen Eingriff - sei es des Täters oder eines Dritten - und weiß der Täter dieses, so ist das bewußte Ausnutzen des Defekts zur Herstellung eines unrichtigen Aufzeichnungsergebnisses als Unterlassen tatbestandsmäßig i.S. des Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3, soweit der Täter Garant ist. 88 4. Subjektiver Tatbestand und Konkurrenzen 15 Zum Vorsatz, zur Täuschung im Rechtsverkehr und zur Konkurrenz von Fälschen und Gebrauchmachen der technischen Aufzeichnung vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 52 ff, 56 f. 5. Schwere Fälle der Fälschung technischer Aufzeichnungen, Abs. 5 16 Gemäß Abs. 5 gelten für schwere Fälle der Fälschung technischer Aufzeichnungen § 263 Abs. 3, 4 entsprechend; vgl. dazu unter § 70 Rdn. 56 f.

IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. 17 Zum Begriff der technischen Aufzeichnung vgl. § 74 Rdn. 4 ff; im übrigen vgl. die entsprechenden Ausführungen § 72 Rdn. 1 ff.

§ 75: Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146, 147, 149, 152 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Die Geldfälschungstatbestände sind Spezialfälle der Urkundenfälschung. Sie schützen das allgemeine Interesse an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs. 2 Da das Bargeld volkswirtschaftlich gesehen als Zahlungsmittel jedoch keineswegs die bedeutendste Rolle spielt, wird gelegentlich geltend gemacht, Umfang und Beginn des Strafrechtsschutzes seien in diesem Bereich zu weit ausgedehnt. Diese Betrachtungsweise stellt die Vermögensschädigung des einzelnen Opfers, die im übrigen von § 263 erfaßt wird, zu stark in den Vordergrund. Der durch die §§ 146 ff gewährte Schutz des Funktionierens des Geldverkehrs geht nämlich in eine andere Richtung: Der Verlust des Vertrauens, die dem Wert des Geldes entsprechenden Leistungen für das staatliche Geld zu erhalten, begründet ein tiefes und allgemeines Mißtrauen in die Fähigkeit des Staates, seine Garantien erfüllen zu können. Der Betroffene sieht sich hier nicht nur - wie sonst beim 87

Dazu BGHSt 28 S. 307 mit Anm. KIENAPFEL JR 1980 S. 347 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 65 Rdn. 86; PUPPE Fälschung, S. 262; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 268 Rdn. 36 a.

88

Im einzelnen dazu PUPPE N K , § 268 Rdn. 43.

388

Geldfälschung

§75

Betrüge - als Opfer der List eines Dritten, sondern zugleich als Opfer der Unfähigkeit des Staates, seinen Verpflichtungen nachzukommen. 2. Geschützt sind Papier- und Metallgeld Geld ist jedes vom Staat - zu ausländischen Staaten vgl. § 152 - oder von einer durch ihn ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigtes, zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmtes Zahlungsmittel ohne Rücksicht auf einen allgemeinen Annahmezwang. 89 Diese Objekte behalten ihre Geldeigenschaft bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie durch einen staatlichen Willensakt außer Kurs gesetzt werden, d.h. aus dem Zahlungsmittelumlauf herausgenommen werden und zwar unabhängig davon, ob noch eine Umtauschverpflichtung für das außer Kurs gesetzte Geld besteht oder nicht. 9 " - Falsch ist Geld, wenn es unecht ist, d.h. nicht oder nicht in der vorliegenden Form von demjenigen stammt, der aus ihm als Aussteller hervorgeht.

3

II. Geldfälschung, § 146 1. Nachmachen und Verfälschen von Geld, Abs. 1 Nr. 1 a) Nachmachen, Abs. 1 Nr. 1,1. Alt., ist das Herstellen unechten Geldes, das geeignet ist, einen Arglosen im gewöhnlichen Zahlungsverkehr zu täuschen. 91 aa) Daß der Fälschung ein echtes Vorbild zugrunde liegt, ist nicht erforderlich. 92 - Auch der 30-DM-Schein ist daher unechtes Geld i.S. der §§ 146 ff, denn er ist geeignet, das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs sowie die Autorität des Staates, der als Garant hinter dem Geld steht, zu verletzen. - Dieses Rechtsgut ist aber nicht beeinträchtigt, wenn ein Phantasieprodukt eines nicht existierenden Staates (500Krachmen-Schein der Inselrepublik Krota) in den Verkehr gebracht wird. Die Verletzung des Vertrauens in eine real nicht existierende Staatsautorität ist nicht geeignet, realer Staatsautorität zu schaden. 93

4

bb) Auch die von einer staatlichen Münzanstalt ohne staatlichen Auftrag hergestellten Münzen sind unecht, denn Aussteller ist auch hier nicht derjenige, der die Münzen körperlich herstellt, sondern deijenige, dem sie rechtlich zugerechnet werden. 94 cc) Manipulationen echten Geldes (Änderungen der Jahreszahl, Serie o.ä.), die dieses Geld nicht ungültig machen, berühren die Echtheit nicht, auch wenn dadurch Sammler getäuscht werden können. 95

6

89

BGHSt 12 S. 345.

9 0

S o auch GEISLER G A 1981 S. 5 1 5 f; PUPPE N K , § 146 Rdn. 8; TRÖNDLE S t G B , § 146 Rdn. 2. - A . A . LACKNER/KÜHL § 146 Rdn. 2 ; HERDEGEN L K , 1 0 . A u f l . § 146 Rdn. 5; SCH/SCH/STREE § 146 Rdn. 3.

91

Vgl. BGH NJW 1994 S. 1423; BGH NStZ 1995 S. 440; a.A. OLG Düsseldorf NJW 1995 S. 1846; dazu

92

BGHSt 30 S. 71.

93

Vgl. auch BARTHOLME JA 1993 S. 199. - A.A. h.M. vgl. BGHSt 30 S. 71 mit zust. Anm. STREE JR 1981 S. 427 ff, und abl. Anm. OTTO NStZ 1981 S. 478 f.

94

Vgl. BGHSt 27 S. 255 mit Anm. DREHER JR 1978 S. 45 ff, GEISLER NJW 1978 S. 708 f, STREE JuS

95

Vgl. LG Karlsruhe NJW 1977 S. 1301; TRÖNDLE StGB, § 146 Rdn. 4. - A.A. HAFKE MDR 1976 S. 278 ff.

HEFENDEHL JR 1 9 9 6 S. 3 5 3 ff.

1978 S. 236 ff. - A.A. LG Karlsruhe NJW 1977 S. 1301; SONNEN JA 1977 S. 481.

389

5

7

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§75

g

b) Verfälschen, Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt., ist ein Verändern echten Geldes in einer Weise, daß für einen Arglosen der Anschein eines höheren Nominalwertes hervorgerufen wird. 2. Sich Verschaffen von Falschgeld, § 146 Abs. 1 Nr. 2

9

Falschgeld verschafft sich, wer eigene (Mit-Verfügungsgewalt an dem Geld begründet. 96 Ursprünglich hatte der BGH ein Sich-Verschaffen bei demjenigen, der nur den Gewahrsam für einen Dritten ausüben oder für dessen Rechnung handeln will, z.B. bei dem sog. Verteilungsgehilfen, abgelehnt. 97 Damit wurde das Kriterium der alleinigen oder gemeinsamen Verfügungsgewalt bestimmter Fallgruppen in Frage gestellt. Inzwischen geht auch der BGH davon aus, daß ein Sich-Verschaffen nur dann nicht vorliegt, wenn der Besitzer den Gewahrsam nur für einen anderen ausübt und dieser die Sachherrschaft nicht verloren hat. 9 8 - Auch die Rücknahme von Falschgeld von einem Abnehmer, der das Geld ursprünglich für echt hielt, ist danach ein Sich-Verschaffen. 99 3. Das Inverkehrbringen,

Abs. 1 Nr. 3

10 a) In den Verkehr gebracht ist das Falschgeld, wenn ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich seiner zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen. - Als Inverkehrbringen als echt interpretiert die h.M. nicht nur die Weitergabe an einen gutgläubigen, sondern auch an den eingeweihten Abnehmer, sofern sie den ersten Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel bedeutet. 1 0 0 11 Diese Interpretation des Inverkehrbringens ist mit dem Gesetzes Wortlaut nicht in Einklang zu bringen, denn in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 unterscheidet der Gesetzgeber ausdrücklich zwischen der Absicht des Inverkehrbringens als echt und der Absicht des Ermöglichens solchen Inverkehrbringens. Diese Differenzierung ist allein sinnvoll, wenn als Inverkehrbringen als echt die Weitergabe an einen Gutgläubigen angesehen wird, denn dann ist das Ermöglichen des Inverkehrbringens das Weitergeben an einen Bösgläubigen, der es seinerseits wiederum an einen Gutgläubigen weitergeben will. Wird hingegen die Weitergabe an einen Gutgläubigen und an einen Bösgläubigen als Inverkehrbringen als echt interpretiert, so bleibt der Begriff "Ermöglichen solchen Inverkehrbringens" inhaltsleer.^101 96

B G H StV 1984 S. 330. Enger (quasi-rechtsgeschäftlicher Erwerb erforderlich): FRISTER G A 1994

97

BGHSt 3 S. 154; vgl. auch LG Gera StV 1996 S. 155 mit Anm. ST. CRAMER N S t Z 1997 S. 84 f;

S. 559. HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 146 R d n . 2 0 ; LACKNER/KÜHL § 146 R d n . 6 ; RUDOLPHI S K II, § 146 R d n . 9; WESSELS B . T . / l , R d n . 903. 9 8

Vgl. B G H S t 35 S. 21 mit A n m . GEPPERT J K 88, S t G B § 146/1, HAUSER N S t Z 1988 S. 5 3 f, JAKOBS J R 1988 S. 121 ff, PRITTWITZ NStZ 1989 S. 8 ff, SCHROEDER JZ 1987 S. 1133; B G H wistra 1997 S. 143; PUPPE N K , § 1 4 6 R d n . 2 0 f f .

99

B G H N J W 1995 S. 1846.

100

BGHSt 29 S. 311 mit abl. Anm. OTTO JR 1981 S. 82 ff; B G H R § 146 Konkurrenzen 3; O L G Düsseldorf J R 1986 S. 5 1 2 mit abl. A n m . KELLER S. 5 1 3 f; HERDEGEN L K , 10. Aufl., § 146 R d n . 23, § 147 R d n . 4 f; LACKNER/KÜHL § 147 R d n . 2 ; STREE JUS 1 9 7 8 S. 2 3 9 f; TRÖNDLE S t G B , § 147 R d n . 2; WEBER in: A r z t / W e b e r , L H 4, R d n . 553; WESSELS B o c k e l m a n n - F S , S. 6 7 7 f.

101

S o auch O L G Stuttgart N J W 1980 S. 2 0 8 9 mit A n m . OTTO J R 1981 S. S . 2 2 5 m i t A n m . OTTO N J W 1979 S . 2 2 6 ; BARTHOLME J A 1 9 9 3 S . 199 f; 2 d ; JAKOBS J R 1988 S. 122; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, N S t Z 1 9 8 9 S . 10; PUPPE J Z 1 9 8 6 S. 9 9 4 ; DIES. J Z 1991 S . 6 1 2 ; RUDOLPHI R d n . 6; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 4 / 5 0 ; STEIN/ONUSSEIT JUS 1980 S. 1 0 4 f f .

390

83; L G K e m p t e n N J W 1979 BOCKELMANN B . T . / 3 , § 16 II § 6 7 R d n . 21 f f ; PRITTWITZ S K II, § 146 R d n . 12 f , § 147

Geldfälschung

§75

b) Nur derjenige kann Täter des Abs. 1 Nr. 3 sein, der das Falschgeld durch eine Tat nach y i Abs. 1 Nr. 1 oder 2 erlangt hat. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Bedingter Vorsatz genügt. Die in Abs. 1 Nr. 13 1, 2 vorausgesetzte Absicht ist zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades). 102 5. Konkurrenzen a) Zur Konkurrenz des Nachmachens, Verfälschens und Verschaffens mit dem In- 14 verkehrbringen gemäß § 146 Abs. 1 Nr. 3 vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 56 f. - Das Inverkehrbringen ist auch hier die materielle Beendigung der zuvor vollendeten Tat. 103 Eigenständige Bedeutung kommt dem § 146 Abs. 1 Nr. 3 nur zu, wenn der einheitliche 15 Vorgang des Nachmachens, Verfälschens oder Verschaffens des Geldes und des Inverkehrbringens dieses Geldes unterbrochen wird. Beispiel 1: Nach rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 bringt der Täter erneut Falschgeld aus der alten Quelle in V e r k e h r . 1 0 4 Beispiel 2: Nach endgültiger Aufgabe des Planes, das Geld in den Verkehr zu bringen, faßt der Täter eines Tages einen neuen Entschluß und bringt nun das Geld in den Verkehr.

b) Mit § 263 besteht Idealkonkurrenz, denn die Tat richtet sich gegen unterschiedliche 16 Rechtsgüter. 105 6. Qualifizierte Geldfälschung, Abs. 2 Qualifiziert ist die Geldfälschung bei gewerbsmäßigem oder bandenmäßigem Handeln, 17 Abs. 2; im einzelnen dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 51 Rdn. 107, 113.

III. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1, 1. Alt. Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Geldfälschung stellt § 149 Abs. 1, 1. Alt. als 18 selbständiges Delikt unter Strafe. 1. § 149 ist subsidiär gegenüber § 146. Er tritt zurück, sobald der Versuch der Fälschungstat begonnen hat. 2. Zur Möglichkeit der Tätigen Reue vgl. § 149 Abs. 2, 3.

IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 Nach § 147 werden die Fälle des Inverkehrbringens von Falschgeld als echt erfaßt, die 19 nicht unter § 146 Abs. 1 Nr. 3 fallen. - Das ist etwa dann der Fall, wenn Falschgeld in Verkehr gebracht wird, das zunächst ohne Verbreitungsabsicht nachgemacht worden ist, oder wenn als echt empfangenes Falschgeld an Gutgläubige abgegeben wird. 102

Str. vgl. HERDEGEN LK, 10. Aufl., § 146 Rdn. 12 einerseits, PUPPE NK, § 146 Rdn. 13 andererseits, jeweils m. N.

103

Vgl. auch BGHSt 34 S. 108; BGH StV 1995 S. 470.

1 0 4

A . A . HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 1 4 6 R d n . 3 ; PUPPE N K , § 146 R d n . 3 2 .

105

So auch h.M., vgl. BGHSt 3 S. 156; 31 S. 380 mit Anm. KIENAPFEL JR 1984 S. 162 f. - A.A. RUDOLPHI SK II, § 146 Rdn. 19: Konsumtion des § 263.

391

§75

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

20

Durch die Interpretation des Inverkehrbringens des Falschgeldes als echt auch bei Weitergabe an einen eingeweihten Dritten, sofern dies der erste Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel ist, wird z.T. versucht, das Ermöglichen des Inverkehrbringens als echt als Inverkehrbringen als echt zu erfassen; vgl. dazu Rdn. 10 f. Damit fällt auch die Weitergabe als echt empfangenen Falschgeldes an einen Eingeweihten unter § 147. - Dem kann aus den unter Rdn. 10 f dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. Aber auch die Gegenmeinung, die in diesem Falle eine Beihilfe an der Tat des eingeweihten Dritten annimmt, wenn dieser sich das Geld geben läßt, um es als echt in den Verkehr zu bringen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27, wird dem Sachproblem nicht gerecht. Der gutgläubige Empfänger von Falschgeld, der dieses selbst an einen Gutgläubigen weitergibt, macht sich lediglich eines Vergehens nach § 147 Abs. 1 schuldig. Schaltet er hingegen einen Dritten ein, so soll er wegen Beihilfe zu einem Verbrechen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27, d.h. wegen eines Verbrechens strafbar sein. 106 21 Dieser Widerspruch ist nicht akzeptabel. - Sachlich angemessen wäre eine Privilegierung desjenigen, der gutgläubig Falschgeld erhalten hat und dieses jetzt weitergibt, sowie jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen. Diese Personen sollten gemäß § 147 bestraft werden, der Erstempfänger sodann gemäß §§ 147, 27. 107 22 Diese Differenzierung ist jedoch mit dem Gesetzeswortlaut der §§ 146 Abs. 1 Nr. 2, 147 nicht in Einklang zu bringen. Möglich aber ist es, aufgrund der Gleichheit im Unrechtsgehalt auf das Verhalten des gutgläubigen Empfängers von Falschgeld, der dieses weitergibt, und jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen, das Strafmaß des § 147 analog anzuwenden, unabhängig von der dogmatischen Erfassung des strafbaren Verhaltens.

V. Wertpapierfälschung, § 151 23 Gemäß § 151 werden bestimmte Wertpapiere - Aufzählung erschöpfend - dem Gelde gleichgestellt. Auswahlkriterien für den Gesetzgeber waren das massenhafte Vorkommen dieser Papiere im Wirtschaftsverkehr und die dem Papiergeld ähnliche tatsächliche Ausstattung. Die Papiere müssen gegen Nachahmung besonders gesichert sein, und zwar durch Gestaltung des Druckes und durch die Auswahl der Papierait. 108 - Die an den Börsen der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Papiere genügen diesen Anforderungen ausnahmslos. 24 Die Fälschung braucht - ebensowenig wie das Geld - kein echtes Vorbild zu haben, doch ist auch hier zu fordern, daß als Aussteller eine wirklich existierende Person angegeben wird, denn nur die Verletzung des Vertrauens in das konkrete Unternehmen des Ausstellers des relevanten Papieres rechtfertigt den erhöhten Strafrechtsschutz; vgl. zum Streitstand Rdn. 5 f.

VI. Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks, § 152 a 1. Das geschützte Rechtsgut 25 Geschütztes Rechtsgut ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zah106

So OLG Stuttgart NJW 1980 S. 2089; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 67 Rdn. 21 ff; RUDOLPHI S K II, § 1 4 6 R d n . 1 2 f.

107

Dazu auch Puppe NK, § 147 Rdn. 15; STEIN/ONUSSEIT JuS 1980 S. 107 f.

108

Vgl. BGH NStZ 1987 S. 504.

392

Wertzeichenfälschung

§ 76

lungsverkehrs. Dem damit verbundenen Vermögensschutz kommt keine Eigenständigkeit zu. 109 2. Das Tatobjekt Tatobjekt sind falsche oder echte inländische oder ausländische Zahlungskarten - zum 26 Begriff der Zahlungskarte vgl. Abs. 4 - sowie Vordrucke für Euroschecks. Falsch sind die Karten oder Vordrucke, wenn sie nicht von dem berechtigten, aus dem Vordruck ersichtlichen Aussteller (Kreditinstitut) herrühren. - Aussteller ist auch hier nicht derjenige, der die Vordrucke körperlich herstellt, sondern derjenige, dem sie rechtlich zugerechnet werden. HO 3. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 a) Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 sind das Nachmachen, d.h. das Herstellen - im einzel- 27 nen dazu vgl. § 75 Rdn. 4 f - und das Verfälschen, das eine Veränderung an einer echten Karte oder einem echten Vordruck voraussetzt - dazu im einzelnen § 75 Rdn. 8 -. b) Subjektiv ist neben dem auf die Tathandlung bezogenen Vorsatz, bedingter genügt, er- 28 forderlich, daß der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr oder um eine solche Täuschung zu ermöglichen, handelt. - Zur Täuschung im Rechtsverkehr vgl. § 70 Rdn. 53. 4. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 2 Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 2 sind das sich oder einem anderen Verschaffen, d.h. das 29 Erlangen der alleinigen oder gemeinsamen Verfügungsmacht über die Karten oder Vordrucke für sich oder einen Dritten, das Feilhalten, d.h. das erkennbare Bereithalten der Karten oder Vordrucke zum Verkauf an andere, das Überlassen des Gewahrsams an den Karten oder Vordrucken an einen anderen und das Gebrauchen - dazu vgl. § 70 Rdn. 50 -. Der subjektive Tatbestand entspricht dem der Nr. 1, vgl. Rdn. 28. 5. Qualifizierte Fälschung, Abs. 2 Qualifiziert ist das Delikt nach Abs. 1 bei gewerbsmäßigem oder bandenmäßigem Han- 30 dein, Abs. 2; im einzelnen dazu die entsprechenden Ausführungen § 51 Rdn. 107, 113. 6. Vorbereitungshandlungen Durch Verweis auf § 149 werden Vorbereitungshandlungen zur Fälschung von Zahlungs- 31 karten und Euroschecks erfaßt.

§ 76: Wertzeichenfälschung I. Wertzeichenfälschung, § 148 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt Rechtsgut des § 148 ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs mit Wertzeichen. - Die Objekte selbst sind nach h.M. nicht Urkunden, sondern Augen-

1°9

V g l . B T - D r u c k s . 1 0 / 5 0 5 8 , S . 2 6 ; LACKNER/KÜHL § 1 5 2 a R d n . 1; O T T O w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 5 3 ; RUDOLPHI S K II, § 1 5 2 a R d n . 1; TRÖNDLE S t G B , § 1 5 2 a R d n . 2.

n o

V g l . § 7 0 R d n . 10 f; i m ü b r i g e n PUPPE N K , § 1 5 2 a R d n . 1 0 ; RUDOLPHI S K II, § 1 5 2 a R d n . 4 f ; SCH/SCH/STREE § 1 5 2 a R d n . 4 .

393

1

Wertzeichenfälschung

§ 76

lungsverkehrs. Dem damit verbundenen Vermögensschutz kommt keine Eigenständigkeit zu. 109 2. Das Tatobjekt Tatobjekt sind falsche oder echte inländische oder ausländische Zahlungskarten - zum 26 Begriff der Zahlungskarte vgl. Abs. 4 - sowie Vordrucke für Euroschecks. Falsch sind die Karten oder Vordrucke, wenn sie nicht von dem berechtigten, aus dem Vordruck ersichtlichen Aussteller (Kreditinstitut) herrühren. - Aussteller ist auch hier nicht derjenige, der die Vordrucke körperlich herstellt, sondern derjenige, dem sie rechtlich zugerechnet werden. HO 3. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 a) Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 sind das Nachmachen, d.h. das Herstellen - im einzel- 27 nen dazu vgl. § 75 Rdn. 4 f - und das Verfälschen, das eine Veränderung an einer echten Karte oder einem echten Vordruck voraussetzt - dazu im einzelnen § 75 Rdn. 8 -. b) Subjektiv ist neben dem auf die Tathandlung bezogenen Vorsatz, bedingter genügt, er- 28 forderlich, daß der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr oder um eine solche Täuschung zu ermöglichen, handelt. - Zur Täuschung im Rechtsverkehr vgl. § 70 Rdn. 53. 4. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 2 Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 2 sind das sich oder einem anderen Verschaffen, d.h. das 29 Erlangen der alleinigen oder gemeinsamen Verfügungsmacht über die Karten oder Vordrucke für sich oder einen Dritten, das Feilhalten, d.h. das erkennbare Bereithalten der Karten oder Vordrucke zum Verkauf an andere, das Überlassen des Gewahrsams an den Karten oder Vordrucken an einen anderen und das Gebrauchen - dazu vgl. § 70 Rdn. 50 -. Der subjektive Tatbestand entspricht dem der Nr. 1, vgl. Rdn. 28. 5. Qualifizierte Fälschung, Abs. 2 Qualifiziert ist das Delikt nach Abs. 1 bei gewerbsmäßigem oder bandenmäßigem Han- 30 dein, Abs. 2; im einzelnen dazu die entsprechenden Ausführungen § 51 Rdn. 107, 113. 6. Vorbereitungshandlungen Durch Verweis auf § 149 werden Vorbereitungshandlungen zur Fälschung von Zahlungs- 31 karten und Euroschecks erfaßt.

§ 76: Wertzeichenfälschung I. Wertzeichenfälschung, § 148 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt Rechtsgut des § 148 ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs mit Wertzeichen. - Die Objekte selbst sind nach h.M. nicht Urkunden, sondern Augen-

1°9

V g l . B T - D r u c k s . 1 0 / 5 0 5 8 , S . 2 6 ; LACKNER/KÜHL § 1 5 2 a R d n . 1; O T T O w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 5 3 ; RUDOLPHI S K II, § 1 5 2 a R d n . 1; TRÖNDLE S t G B , § 1 5 2 a R d n . 2.

n o

V g l . § 7 0 R d n . 10 f; i m ü b r i g e n PUPPE N K , § 1 5 2 a R d n . 1 0 ; RUDOLPHI S K II, § 1 5 2 a R d n . 4 f ; SCH/SCH/STREE § 1 5 2 a R d n . 4 .

393

1

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§77

scheinsobjekte, denn sie verkörpern keine Gedankenerklärung. 111 2. Das amtliche 2

Wertzeichen

Amtliche Wertzeichen sind vom Staat, einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen Körperschaft oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts ausgegebene Marken oder ähnliche Zeichen, die Zahlung gleicher Art (wie von Gebühren, Steuern, Abgaben, Beiträgen und dergleichen) vereinfachen, sicherstellen oder nachweisen sollen. 1 1 2 Auch ausländische Zeichen sind geschützt, soweit sie den Anforderungen genügen. Beispiele: Postwertzeichen; Stempelpapiere; Stempelmarken; Beitragsmarken zur Sozialversicherung; Gerichtskostenmarken o.a.

3. Die 3 4

Tathandlungen

a) Die Tathandlungen gemäß Abs. 1 entsprechen denen der Geldfälschung, vgl. dazu oben § 75 Rdn. 4 ff. b) Gemäß Abs. 2 wird die Wiederverwendung und das in den Verkehr bringen bereits entwerteter amtlicher Wertzeichen bestraft, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist. Der Versuch der Tat beginnt, wenn der Täter sich - nach seinem Vorstellungsbild vom Sachverhalt - anschickt, von den Wertzeichen erneut Gebrauch zu machen. Das ist z.B. bei der Wiederverwendung entwerteter Briefmarken der Fall, wenn der Täter sich anschickt, den mit entwerteten Zeichen versehenen Brief in den Machtbereich der Post gelangen zu lassen. 11 3

4. 5 6

Konkurrenzen

a) Mit § 263 kann § 148 Abs. 1 Nr. 3 in Tateinheit stehen. 1 1 4 - Vgl. dazu § 75 Rdn. 14 f. b) Abs. 2 ist gegenüber § 263 lex specialis, da sonst der mildere Strafrahmen nicht zum Zuge käme. 1 1 5

II. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1, 2. Alt. 7

Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wertzeichenfälschung stellt § 149 Abs. 1, 2. Alt. als selbständiges Delikt unter Strafe; vgl. dazu § 75 Rdn. 18.

§ 77: Zur Wiederholung 1

1. Welches Rechtsgut schützen die Urkundendelikte? - Dazu § 69 Rdn. 1. 2. Welche vier verschiedenen Arten des Angriffs auf dieses Rechtsgut sind im StGB unter Strafe gestellt? Dazu § 69 Rdn. 2.

111

Dagegen mit beachtlichen Gründen PUPPE NK, § 148 Rdn. 3.

112

BGHSt32S. 75.

1 1 3

A . A . O L G K o b l e n z N J W 1 9 8 3 S . 1 6 2 5 m i t a b l . A n m . KÜPER N J W 1 9 8 4 S. 7 7 7 f, u n d LAMPE J R 1 9 8 4

S. 164 f, wo letztlich bereits die erste Verwendung der Briefmarke als Versuch der Wiederverwendung interpretiert wird. 114

BGHSt 31 S. 380 mit Anm. KIENAPFEL JR 1984 S. 162 f.

1 1 5

V g l . KIENAPFEL J R 1 9 8 4 S. 1 6 2 ; SCH/SCH/STREE § 148 R d n . 2 6 .

394

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§77

scheinsobjekte, denn sie verkörpern keine Gedankenerklärung. 111 2. Das amtliche 2

Wertzeichen

Amtliche Wertzeichen sind vom Staat, einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen Körperschaft oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts ausgegebene Marken oder ähnliche Zeichen, die Zahlung gleicher Art (wie von Gebühren, Steuern, Abgaben, Beiträgen und dergleichen) vereinfachen, sicherstellen oder nachweisen sollen. 1 1 2 Auch ausländische Zeichen sind geschützt, soweit sie den Anforderungen genügen. Beispiele: Postwertzeichen; Stempelpapiere; Stempelmarken; Beitragsmarken zur Sozialversicherung; Gerichtskostenmarken o.a.

3. Die 3 4

Tathandlungen

a) Die Tathandlungen gemäß Abs. 1 entsprechen denen der Geldfälschung, vgl. dazu oben § 75 Rdn. 4 ff. b) Gemäß Abs. 2 wird die Wiederverwendung und das in den Verkehr bringen bereits entwerteter amtlicher Wertzeichen bestraft, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist. Der Versuch der Tat beginnt, wenn der Täter sich - nach seinem Vorstellungsbild vom Sachverhalt - anschickt, von den Wertzeichen erneut Gebrauch zu machen. Das ist z.B. bei der Wiederverwendung entwerteter Briefmarken der Fall, wenn der Täter sich anschickt, den mit entwerteten Zeichen versehenen Brief in den Machtbereich der Post gelangen zu lassen. 11 3

4. 5 6

Konkurrenzen

a) Mit § 263 kann § 148 Abs. 1 Nr. 3 in Tateinheit stehen. 1 1 4 - Vgl. dazu § 75 Rdn. 14 f. b) Abs. 2 ist gegenüber § 263 lex specialis, da sonst der mildere Strafrahmen nicht zum Zuge käme. 1 1 5

II. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1, 2. Alt. 7

Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wertzeichenfälschung stellt § 149 Abs. 1, 2. Alt. als selbständiges Delikt unter Strafe; vgl. dazu § 75 Rdn. 18.

§ 77: Zur Wiederholung 1

1. Welches Rechtsgut schützen die Urkundendelikte? - Dazu § 69 Rdn. 1. 2. Welche vier verschiedenen Arten des Angriffs auf dieses Rechtsgut sind im StGB unter Strafe gestellt? Dazu § 69 Rdn. 2.

111

Dagegen mit beachtlichen Gründen PUPPE NK, § 148 Rdn. 3.

112

BGHSt32S. 75.

1 1 3

A . A . O L G K o b l e n z N J W 1 9 8 3 S . 1 6 2 5 m i t a b l . A n m . KÜPER N J W 1 9 8 4 S. 7 7 7 f, u n d LAMPE J R 1 9 8 4

S. 164 f, wo letztlich bereits die erste Verwendung der Briefmarke als Versuch der Wiederverwendung interpretiert wird. 114

BGHSt 31 S. 380 mit Anm. KIENAPFEL JR 1984 S. 162 f.

1 1 5

V g l . KIENAPFEL J R 1 9 8 4 S. 1 6 2 ; SCH/SCH/STREE § 148 R d n . 2 6 .

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Zur Wiederholung

§77

3. Wie wird der Begriff "Urkunde" nach den verschiedenen Meinungen jeweils definiert? - Zeigen Sie den entscheidenden Unterschied auf! - Dazu § 70 Rdn. 2 ff, 6 ff. 4. Welche der folgenden Gegenstände lassen sich nach dem engeren, welche nach dem weiten Urkundenbegriff der h.M. als Urkunde einordnen: Fahrgestell- und Motomummer sowie amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen, Autogramm, Merkstrich auf Bierfilzen, Fahrtenschreiberdiagramm, Tonbandaufzeichnung, Fabriknummer auf einem Industrieerzeugnis, unausgefüllter Scheckvordruck, stenographisches Schuldanerkenntnis, Quittung, Dienststempel in einer Diensthose zur Eigentümerkennzeichnung? - Dazu § 70 Rdn. 6 ff. 5. Welche Bedeutung hat die sog. Geistigkeitstheorie für die Ermittlung des Ausstellers einer Urkunde? Dazu § 70 Rdn. 10 ff. 6. In welchem der folgenden Fälle ist der Aussteller erkennbar, so daß von einer Urkunde gesprochen werden kann? a) Der A unterschreibt einen Erpresserbrief mit "King Kong". b) Die B zeichnet ein dem unbekannten Unfallgegner C übergebenes Schuldanerkenntnis fälschlich mit "Müller". c) Udo Jürgens bestellt schriftlich unter diesem Künstlernamen ein neues Klavier. d) Der C trägt sich im Anmeldeformular eines Hotels unzutreffend mit "Klaus Schultz" ein, um anonym zu bleiben. - Dazu § 70 Rdn. 16 f, 43 f. 7. Was ist eine "Gesamturkunde"? Was ist eine "zusammengesetzte Urkunde"? - Dazu § 70 Rdn. 25 f. 8. Was versteht man unter dem Herstellen einer unechten, was unter dem Verfälschen einer echten Urkunde? - Dazu § 70 Rdn. 34 ff, 47 ff. 9. Macht derjenige von einer "unechten oder verfälschten Urkunde" Gebrauch, der eine Fotokopie vorlegt, die er geschickt durch bloßes Aufeinanderlegen von Einzelbestandteilen erstellt hat? - Dazu § 70 Rdn. 28 f. 10. Der A fügt dem zu seinen Gunsten von B ausgestellten Scheck über DM 100,- gekonnt eine weitere Null hinzu und legt diesen 1000,- DM-Scheck - seinem Plan gemäß - seiner Bank zur Gutschrift vor. Welche Urkundenfälschungen hat A begangen und wie verhalten sich die Taten zueinander? - Dazu § 70 Rdn. 58. 11. Was versteht man unter einer "öffentlichen Urkunde"? - Dazu § 71 Rdn. 4 f. 12. Ist das Delikt der Falschbeurkundung im Amt, § 348, schon mit der bloßen Beurkundung oder Eintragung durch den Amtsträger vollendet? - Dazu § 71 Rdn. 9. 13. Wie ist die Strafbarkeit der Personen in folgenden Fällen zu beurteilen, wenn man davon ausgeht, daß § 271 als lückenschließende Ergänzung zu § 348 zu verstehen ist? a) A will den vermeintlich gutgläubigen Amtsträger N durch Täuschung zu einer unrichtigen Beurkundung bewegen. N fertigt diese Urkunde an, obwohl er A durchschaut hat. b) A gibt dem Amtsträger N Falsches zur Beurkundung, wobei er annimmt, dem N werde dies bei der Urkundenerstellung bewußt sein. N bemerkt hiervon jedoch nichts. - Dazu § 71 Rdn. 14 f, 16. 14. Welche unterschiedlichen Auffassungen werden zur Benachteiligungsabsicht in § 274 Abs. 1 Nr. 1 vertreten? - Dazu § 72 Rdn. 5 f. 15. Ist die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Meß- oder Zählgerät, z.B. einem Kfz-Kilometerzähler, eine "technische Aufzeichnung" i.S. des § 268? Begründen Sie die Antwort aus der Begriffsdefinition! - Dazu § 74 Rdn. 5. 16. Fällt das Ergebnis eines bloß reproduzierenden Vorgangs, z.B. Fotografien, Film- und Fernsehaufnahmen, unter den Begriff der "technischen Aufzeichnung"? Zeigen Sie den entscheidenden Gesichtspunkt auf! - Dazu § 74 Rdn. 6. 17. In welchen der folgenden Fälle ist § 268 verwirklicht? a) A bewirkt, daß sein Fahrtenschreiber bei hoher Geschwindigkeit aussetzt. Die fehlenden Diagrammteile zeichnet er später mit der Hand ein. b) Der Kraftfahrer A gibt seinem Chef ein altes Diagramm anstelle des am selben Tage angefertigten ab. c) B heftet in seine Krankenakte ein Elektrokardiogramm, das in Wirklichkeit für X angefertigt wurde. - Dazu § 74 Rdn. 2, 4 ff, 10 ff.

395

§77

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

18. Ist § 146 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt, wenn der Täter erfundene Geldscheine eines nicht existierenden Staates herstellt? - Dazu § 75 Rdn. 5. 19. Kann die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten als ein Inverkehrbringen "als echt" i.S. der §§ 146, 147 interpretiert werden? - Skizzieren Sie die hierzu vertretenen Meinungen und ihre jeweilige Begründung! - Dazu § 75 Rdn. 10 f, 19 ff. 20. Worin liegt der in der geltenden Gesetzesfassung begründete Wertungswiderspruch, wenn man die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten, das dieser an Gutgläubige weitergibt, als Beihilfe zur Tat des Eingeweihten gem. §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27 beurteilt? - Dazu § 75 Rdn. 20 f.

396

Systematischer Überblick

§78

Fünfter Abschnitt Gemeingefährliche Delikte § 78: Systematischer Überblick I. Der Begriff des gemeingefährlichen Delikts 1. Vom gemeingefährlichen Delikt zum Gefährdungsdelikt Die im 27. Abschnitt des StGB zusammengefaßten Delikte sind nicht durch den Angriff auf ein gemeinsames Rechtsgut gekennzeichnet, sondern durch die Begehungsweise. Sach-lich handelt es sich daher bei den hier erfaßten Delikte um konkrete oder abstrakte Gefährdungsdelikte.

1

Die konkreten Gefährdungsdelikte setzen den Nachweis einer tatsächlich eingetretenen Gefahrensituation voraus, in der es aus der Sicht eines Beobachters der Situation allein zufallsbedingt ist, wenn es nicht zu einer Rechtsgutsverletzung kommt. Abstrakte Gefährdungsdelikte sind Delikte, die ein typischerweise gefahrliches Verhalten verponen, unabhängig davon, ob es zum Eintritt einer konkreten Gefahr kommt oder nicht.

Als gemeingefährlich, d.h. gefährlich für individuell nicht bestimmte Personen oder Sachwerte, können die hier relevanten Delikte daher nicht wegen eines bestimmten Gefährdungsei/o/gej, sondern allein wegen ihrer Handlungstendenz angesehen werden. 2. Der Ausschluß der Realisierung der Gefahr Eine grundsätzliche Frage stellt sich bei allen abstrakten Gefahrdungsdelikten: Wird der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn sichergestellt ist, daß die abstrakte Gefahr sich nicht realisieren kann? a) Folgende Vorschläge zur Lösung der Problematik werden erörtert: aa) Es soll der Gegenbeweis der Ungefahrlichkeit des Verhaltens im Einzelfall zugelassen werden. 1 bb) Die Tatbestände sind durch das - ungeschriebene - Merkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsbeeinträchtigung zu ergänzen. 2 cc) Die Tathandlung soll nur dann tatbestandsmäßig sein, wenn sie in bezug auf das geschützte Rechtsgut sorgfaltspflichtwidrig war. 3 dd) Die abstrakten Gefährdungsdelikte sind in verschiedene Kategorien einzuteilen, mit der Konsequenz entsprechend differenzierter Lösungen der Problematik. 4 ee) Ein "Ausschluß der Strafbarkeit" ist gegeben bei absoluter Unmöglichkeit des Schadenseintritts im Einzelfall. 5 V g l . R A B L D e r G e f ä h r d u n g s v o r s a t z , 1 9 8 3 , S . 2 1 ; SCHRÖDER Z S t W 8 1 ( 1 9 6 9 ) S . 1 5 f ; TIEDEMANN i n :

Belke/Oehmichen (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, S. 28. Vgl. CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 67 f. Vgl. dazu BERZ Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz, 1986, S. 113 f; BREHM Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdeliktes, 1973, S. 126 f; HORN Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 11, 28, 94; RUDOLPHI Maurach-FS, S. 56 f; WOLTER Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981, S. 284 ff. Vgl. SCHÜNEMANNJA 1975 S. 798. V g l . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 5 0 R d n . 39.

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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§78

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ff) Zum Teil wird eine vom Schutzzweck abgeleitete einschränkende Auslegung der abstrakten Gefährdungsdelikte grundsätzlich abgelehnt. 6 b) Stellungnahme: Die Problematik, daß der Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts ein Verhalten erfaßt, das im konkreten Fall das geschützte Rechtsgut überhaupt nicht beeinträchtigen kann, hat nicht nur strafrechtliche, sondern verfassungsrechtliche Dimensionen, denn ein Verhalten, das sich in einem formalen Verstoß gegen das gesetzliche Verbot erschöpft, ist nicht strafwürdig. Hier fragt es sich, ob nicht das Gesetz bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen Reaktionsmöglichkeiten vorsehen muß, die eine Bestrafung des Betroffenen in diesen Fällen v e r h i n d e r n . 7 Solange diese gesetzliche Grundlage fehlt, ist jedoch durch Auslegung der entsprechenden Tatbestände sicherzustellen, daß eine Bestrafung nicht strafwürdigen Verhaltens unterbleibt. Zur Realisierung dieses Ziels sind die verschiedenen Vorschläge jedoch unterschiedlich geeignet: Die Zulassung des Gegenbeweises der Ungefährlichkeit ist mit dem Schuldgrundsatz nicht in Einklang zu bringen. Darüber hinaus erscheint diese Lösung, wie auch die Forderung nach einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsbeeinträchtigung oder nach einer Sorgfaltspflichtverletzung in bezug auf das geschützte Rechtsgut, zu weitgehend. Durch die Eröffnung tatbestandsausschließender Irrtümer wird der vom Gesetzgeber gewollte Schutzbereich eingeengt. Eine Differenzierung zwischen den abstrakten Gefährdungsdelikten kann die Problematik sicher weiter erhellen, erscheint aber nicht unabweisbar notwendig. - Ist die Realisierung der abstrakten Gefahr im Einzelfall jedoch absolut ausgeschlossen und hat der Täter dies durch geeignete Maßnahmen sichergestellt oder sich vom Gefahrenausschluß zumindest überzeugt, so kann dieser Sachverhalt als persönlicher Strafausschließungsgrund akzeptiert werden. Diese Konstruktion ermöglicht auch problemlos eine Strafmilderung, wenn zwar die Realisierung der Gefahr nicht sicher ausgeschlossen war, der Täter sich dieses jedoch vorstellte. 8

II. Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick) 8

1. Die Brandstiftungsdelikte, 2. Die Explosionsdelikte,

9

§§ 306-306f:

dazu unten § 79

§§ 307 - 312

a) Das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion erfaßt § 308. Die Tat ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Tathandlung ist das Herbeiführen einer Explosion, d.h. eines chemischen oder physikalischen Vorgangs, bei dem durch eine plötzliche Volumenvergrößerung Kräfte frei werden, die eine zerstörende Wirkung ausüben können. 9 6

Vgl. BOHNERT JUS 1984 S. 182 ff; KRATZSCH Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 111 f f , 2 7 4 ff; KREY B . T .

1, R d n . 7 6 5 ; RENGIER J U S 1 9 9 8 S . 3 9 9 ; SCHNEIDER J u r a

1988

S. 4 6 0 f. 7 8

Dazu GRAßHOF B V e r f G E 90 S. 202, 207. In gleicher Richtung der Argumentation: BGHSt 26 S. 121 mit Anm. BREHM JUS 1976 S. 22 ff; B G H N J W 1 9 8 2 S . 2 3 2 9 m i t A n m . B O H N E R T J u S 1 9 8 4 S . 1 8 2 f f , HILGER N S t Z 1 9 8 2 S . 4 2 1 f, SEIER J A

1983

S . 4 5 f ; B G H S t 3 4 S . 1 1 5 , 1 1 9 ; GEPPERT J u r a 1 9 8 9 S . 4 2 4 f ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 5 0 R d n . 3 7 ff; WESSELS B . T . / l , R d n . 9 2 7 . 9

398

KG N S t Z 1989 S. 369.

Systematischer Überblick

§78

Eine Gefährdung durch Implosion oder Schallwellen fällt nicht unter den Begriff der Explosion. 10 Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: 10 aa) Das vorsätzliche Herbeiführen einer Explosion, Abs. 1. bb) Das vorsätzliche Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, Abs. 5. cc) Das fahrlässige Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, Abs. 6. dd) Die erfolgsqualifizierte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion - schwere Gesundheitsbeschädigung eines anderen Menschen, dazu vgl. § 10 Rdn. 2, oder Gesundheitsbeschädigung einer großen Zahl von Menschen - erfaßt Abs. 2. ee) Eine weitere Erfolgsqualifikation - wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines anderen Menschen - ist geregelt in Abs. 3. b) Eine Sonderregelung gegenüber § 308 (lex specialis) stellt § 307, Herbeiführen einer 11 Explosion durch Kernenergie, dar. aa) Die Tat ist konkretes Gefährdungsdelikt und im Falle des Abs. 1 (vorsätzliche Gefährdung durch vorsätzliche Tathandlung) Unternehmensdelikt, bb) Abs. 2 erfaßt die vorsätzliche Herbeiführung einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung. cc) Abs. 3 sieht eine Erfolgsqualifikation für die wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat vor. dd) Abs. 4 erfaßt die fahrlässige Herbeiführung der Explosion mit fahrlässiger Gefährdung. c) Mißbrauch ionisierender Strahlen, § 309 12 Gemäß § 309 wird die konkrete Gefährdung von Menschen (Abs. 1) und bestimmten Sachen (Abs. 6) durch ionisierende Strahlen bestraft. aa) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht (dolus directus 1. Grades), die Gesundheit eines anderen zu schädigen (Abs. 1) oder die Brauchbarkeit der betroffenen Sache zu beeinträchtigen (Abs. 6). bb) Abs. 2 enthält einen Qualifikationstatbestand zu Abs. 1. Unübersehbar ist eine Zahl, wenn so viele Menschen betroffen sind, daß ein objektiver Beobachter sie nicht ohne nähere Prüfung bestimmen kann.

cc) Abs. 3 und Abs. 4 erfassen die erfolgsqualifizierte Deliktsbegehung entsprechend dem § 308 Abs. 2, 3; vgl. dazu Rdn. 11. d) Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens, § 310 13 Die Vorschrift schützt über § 30 hinaus gegen Handlungen, die zur Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens nach §§ 307 Abs. 1, 309 Abs. 2 oder § 308 Abs. 1 begangen werden. Die Tat muß in der Vorstellung des Täters bereits in den Grundzügen bestimmt sein. e) Tätige Reue, § 314 a 14 Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 1, 2) oder zum Strafausschluß (Abs. 3, 4) führen kann, ist für die Explosionsdelikte in § 314 a besonders geregelt. 15 3. Freisetzen ionisierender Strahlen § 311; dazu vgl. § 82 Rdn. 90 ff. 1 0

S o auch HORN S K II, § 3 1 1 Rdn. 4 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 1 1 Rdn. 3. - A . A . LACKNER/KÜHL § 3 1 1 Rdn. 2; TRÖNDLE S t G B , § 3 1 1 Rdn. 3; W O L F F L K , § 3 1 1 Rdn. 4 .

399

§78

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

16 4. Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage, § 312\ vgl. § 82 Rdn. 88. 5. Herbeiführen einer Überschwemmung, § 313 17 a) Der Grundtatbestand, Abs. 1, erfaßt die konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert durch die Herbeiführung einer Überschwemmung. b) Die vorsätzliche Herbeiführung der Überschwemmung und fahrlässige Begründung der Gefahr sowie die fahrlässige Herbeiführung der Überschwemmung und die fahrlässige Herbeiführung der Gefahr werden entsprechend § 308 Abs. 5, 6, erfaßt, Abs. 2. 19 c) Qualifizierte und erfolgsqualifizierte Fälle der Herbeiführung einer Überschwemmung werden entsprechend § 308 Abs. 2, 3 erfaßt, Abs. 2; vgl. dazu Rdn. 12. 20 d) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluß (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 314 a besonders geregelt. 21 6. Die Gefährdung des Verkehrswesens, §§ 315-316, 316 c; dazu § 80. 7. Die Beschädigung wichtiger Anlagen, § 318 22 a) Das konkrete Gefährdungsdelikt des Abs. 1 stellt die vorsätzliche Beschädigung oder Zerstörung bestimmter wichtiger Bauten (Wasserleitungen, Schleusen, Wehre, usw.) unabhängig vom Eigentum an diesen Objekten unter Strafe, wenn die Tat eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen begründet. 23 b) Die vorsätzliche Beschädigung wichtiger Anlagen mit fahrlässiger Gefährdung erfaßt Abs. 6 Nr. 1. 24 c) Die fahrlässige Beschädigung wichtiger Anlagen mit fahrlässiger Gefährdung erfaßt Abs. 6 Nr. 2. 25 d) Erfolgsqualifizierte Fälle oder Beschädigung wichtiger Anlagen sind in Abs. 3 (schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen - dazu § 10 Rdn. 2 - Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen) und Abs. 4 (Verursachung des Todes eines anderen Menschen) geregelt. 26 e) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluß (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 27 8. Die gemeingefährliche Vergiftung, § 314; dazu § 82 Rdn. 101 f. 9. Die Baugefährdung, § 319 28 Erfaßt wird die konkrete Gefährdung von Leib und Leben anderer durch die Verletzung der in der Praxis allgemein anerkannten Regeln der Baukunst bei Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder Einbaues oder bei Änderung technischer Einrichtungen in einem Bauwerk, und zwar: a) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und vorsätzliche Gefährdung, Abs. 1, 2. b) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, Abs. 3. c) Fahrlässige Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, Abs. 4. d) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluß (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 400

Brandstiftungsdelikte

§79

10. Vollrausch, § 323 a § 323 a kann formell in die Gruppe der gemeingefährlichen Delikte eingefügt werden, 29 wenn man die Unbeherrschbarkeit der ausgelösten Kräfte stärker betont und weniger ihre Art (Naturgewalt, technische Kraft); dazu § 81. 11. Führungsaufsicht und Einziehung, §§321, 322 Zur Möglichkeit der Führungsaufsicht und Einziehung vgl. §§ 321, 322.

30

III. Nicht gemeingefährliche Delikte im 27. Abschnitt des StGB 1. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a; dazu § 46 Rdn. 69 ff.

31

2. Störung öffentlicher Betriebe, § 316 b Die Vorschrift schützt lebenswichtige Betriebe gegen gewaltsame Eingriffe. 11

32

3. Störung von Telekommunikationsanlagen,

§317

§ 3 1 7 dient dem Schutz von besonders wichtigen öffentlichen Einrichtungen. - Zum Be- 33 griff der Telekommunikationsanlagen vgl. § 34 Rdn. 46. Verhindern des Betriebs bedeutet die Schaffung eines Zustandes, in dem die Anlage nicht mehr für ihren Zweck benutzt werden kann. Der Betrieb ist gefährdet, wenn der Eintritt von Funktionsstörungen wahrscheinlich ist. 12 Auch der einzelne private Fernsprechanschluß ist Teil einer öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsanlage. 13 4. Gefährdung einer Entziehungskur,

§ 323 b

Die Vorschrift schützt behördlich angeordnete oder sonst ohne Einwilligung des Be- 34 troffenen veranlaßte Entziehungskuren gegen Störung durch Dritte. Es handelt sich daher um ein den Rechtspflegedelikten verwandtes Delikt. 5. Unterlassene Hilfeleistung,

§ 323 c; dazu § 67 Rdn. 2 ff.

35

§ 79: Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen und Zerstören durch Brandlegung Die ursprünglich im Gesetz allein vorgesehene Tathandlung des „Inbrandsetzens" ist durch das 6. StrRG durch die Merkmale der ganz oder teilweisen Zerstörung durch eine Brandlegung ergänzt worden. Dadurch sollen auch solche Schädigungen erfaßt werden, die nicht auf ein „Brennen mit heller Flamme" zurückgehen; sondern z.B. auf Ruß-, Rauch- und Hitzeentwicklung oder auf eine Explosion des Zündstoffs u.ä. 1 4 - Ganz zer-

11

Zum Begriff der der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienenden Einrichtung: S. 185 mit Anm. STREE JuS 1983 S. 839 f; OLG Stuttgart NStZ 1997 S. 342 f.

12

Vgl. auch WOLFF LK, § 317 Rdn. 6.

1 3

B G H S t 2 5 S. 3 7 0 m i t A n m . KRAUSE J R

BGHSt 31 S. 1; 31

1975 S. 3 8 0 , MAHNKOPF JUS 1 9 8 2 S. 886; B G H J R

1994

S. 121 m i t a b l . A n m . HELGERTH S . 1 2 2 f, HAHN N S t Z 1 9 9 4 S. 1 9 0 f; W O L F F L K § 3 1 7 R d n . 3. - A . A . B a y O b L G N J W 1 9 7 1 S . 5 2 8 ; B a y O b L G N J W 1 9 9 3 S . 1 2 1 5 ; H O R N S K II, § 3 1 7 R d n . 5 ; M O M B E R G J Z 1 9 8 2 S . 5 7 4 ; SCHMITTMANN C R 1 9 9 5 S . 5 5 0 f f . 14

Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8587, S. 69; 13/9064, S. 22; vgl. auch RENGIER JUS 1998 S. 398.

401

1

Brandstiftungsdelikte

§79

10. Vollrausch, § 323 a § 323 a kann formell in die Gruppe der gemeingefährlichen Delikte eingefügt werden, 29 wenn man die Unbeherrschbarkeit der ausgelösten Kräfte stärker betont und weniger ihre Art (Naturgewalt, technische Kraft); dazu § 81. 11. Führungsaufsicht und Einziehung, §§321, 322 Zur Möglichkeit der Führungsaufsicht und Einziehung vgl. §§ 321, 322.

30

III. Nicht gemeingefährliche Delikte im 27. Abschnitt des StGB 1. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a; dazu § 46 Rdn. 69 ff.

31

2. Störung öffentlicher Betriebe, § 316 b Die Vorschrift schützt lebenswichtige Betriebe gegen gewaltsame Eingriffe. 11

32

3. Störung von Telekommunikationsanlagen,

§317

§ 3 1 7 dient dem Schutz von besonders wichtigen öffentlichen Einrichtungen. - Zum Be- 33 griff der Telekommunikationsanlagen vgl. § 34 Rdn. 46. Verhindern des Betriebs bedeutet die Schaffung eines Zustandes, in dem die Anlage nicht mehr für ihren Zweck benutzt werden kann. Der Betrieb ist gefährdet, wenn der Eintritt von Funktionsstörungen wahrscheinlich ist. 12 Auch der einzelne private Fernsprechanschluß ist Teil einer öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsanlage. 13 4. Gefährdung einer Entziehungskur,

§ 323 b

Die Vorschrift schützt behördlich angeordnete oder sonst ohne Einwilligung des Be- 34 troffenen veranlaßte Entziehungskuren gegen Störung durch Dritte. Es handelt sich daher um ein den Rechtspflegedelikten verwandtes Delikt. 5. Unterlassene Hilfeleistung,

§ 323 c; dazu § 67 Rdn. 2 ff.

35

§ 79: Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen und Zerstören durch Brandlegung Die ursprünglich im Gesetz allein vorgesehene Tathandlung des „Inbrandsetzens" ist durch das 6. StrRG durch die Merkmale der ganz oder teilweisen Zerstörung durch eine Brandlegung ergänzt worden. Dadurch sollen auch solche Schädigungen erfaßt werden, die nicht auf ein „Brennen mit heller Flamme" zurückgehen; sondern z.B. auf Ruß-, Rauch- und Hitzeentwicklung oder auf eine Explosion des Zündstoffs u.ä. 1 4 - Ganz zer-

11

Zum Begriff der der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienenden Einrichtung: S. 185 mit Anm. STREE JuS 1983 S. 839 f; OLG Stuttgart NStZ 1997 S. 342 f.

12

Vgl. auch WOLFF LK, § 317 Rdn. 6.

1 3

B G H S t 2 5 S. 3 7 0 m i t A n m . KRAUSE J R

BGHSt 31 S. 1; 31

1975 S. 3 8 0 , MAHNKOPF JUS 1 9 8 2 S. 886; B G H J R

1994

S. 121 m i t a b l . A n m . HELGERTH S . 1 2 2 f, HAHN N S t Z 1 9 9 4 S. 1 9 0 f; W O L F F L K § 3 1 7 R d n . 3. - A . A . B a y O b L G N J W 1 9 7 1 S . 5 2 8 ; B a y O b L G N J W 1 9 9 3 S . 1 2 1 5 ; H O R N S K II, § 3 1 7 R d n . 5 ; M O M B E R G J Z 1 9 8 2 S . 5 7 4 ; SCHMITTMANN C R 1 9 9 5 S . 5 5 0 f f . 14

Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8587, S. 69; 13/9064, S. 22; vgl. auch RENGIER JUS 1998 S. 398.

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§79

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Dritter Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

stört ist das Objekt, wenn es vernichtet wird oder seine bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig verliert, teilweise zerstört, wenn Teile des Objekts unbrauchbar geworden sind, die für den bestimmungsgemäßen Gebrauch wesentlich sind. 1. Inbrandgesetzt ist ein Objekt, wenn es vom Feuer in einer Weise erfaßt ist, die ein Fortbrennen aus eigener Kraft ermöglicht. 15 Das bloße Brennen des Zündstoffes oder z.B. von Inventar eines Gebäudes reicht nicht aus, wohl aber der Brand von Teilen des Gebäudes, die für dessen bestimmungsmäßigen Gebrauch wesentlich sind (z.B. Tür, Fußboden, Treppe, nicht aber Regale, Schrank, Tapeten, Fußbodensockelleisten), wenn die Möglichkeit besteht, daß das Feuer auf das übrige Objekt übergreift. 1 ^

3

2. Das Inbrandsetzen eines schon brennenden Objekts an anderer Stelle genügt. - Das bloße Verstärken des Brandes ist auch Inbrandsetzen. Die Brandstiftungsdelikte sind, soweit es um das Inbrandsetzen geht, abstrakte Gefährdungsdelikte. In der gefährlichen Verhaltensweise hat der Gesetzgeber das strafwürdige Verhalten erblickt. Unter dem Aspekt dieser Gefährdung ist es aber bedeutungslos, ob eine Gefahr begründet oder eine vorhandene Gefahr intensiviert wird. Die besondere Gefährdung ist auch zu besorgen, wenn ein schon bestehender Brandherd durch Intensivieren vergrößert wird, gleichgültig ob durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen der Erfolgsabwendung. 17

4

3. Versucht ist die Brandstiftung in der Regel, wenn der Täter sich anschickt, den Zündstoff in Brand zu setzen. Sollen Ausschütten (Benzin) oder Anbringen eines Zündstoffs und Entzünden nach dem Tatbild des Täters eine Einheit bilden, so beginnt der Versuch bereits mit dem Ausschütten bzw. Anbringen des Zündstoffs. 18

II. Brandstiftung, § 306 5

6

1. Geschützt sind: Nr. 1: Gebäude - auch Rohbauten 19 und instandsetzungsfähige Ruinen 20 - oder Hütten. Nr. 2: Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, insbes. Maschinen. Nr. 3: Warenlager oder Warenvorräte. Nr. 4: Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge. Nr. 5: Wälder 21 , Heiden oder Moore. Nr. 6: Land-, emährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse. 2. Da der Schutz fremden Eigentums im Vordergrund steht, nicht aber die Abwehr einer Gemeingefahr, handelt es sich hier um ein qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt; vgl. auch § 47 Rdn. 19 f. Eine rechtfertigende Einwilligung ist hier möglich. 22 3. Zum Ausschluß der Realisierung der abstrakten Gefahr, vgl. § 78 Rdn. 2.

15

BGHSt 18 S. 364.

16

BGH StV 1984 S. 245; BGH StV 1991 S. 50; BGH NStZ 1994 S. 130.

17

Zum Streitstand: GEPPERT Jura 1989 S. 422 f m.N; RENGIER JUS 1998 S. 398.

18

Dazu auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 51 Rdn. 5.

19

BGHSt 6 S. 107.

20

BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 810.

21

BGHSt 3 I S . 83.

22

BGH bei Holtz, MDR 1988 S. 101.

402

Brandstiftungsdelikte

§ 79

4. Konkurrenzen: § 306 verdrängt § 305 bei der Zerstörung eines Gebäudes durch Brandstiftung. III. Schwere Brandstiftung, § 306 a 1. Schwere Brandstiftung, Abs. 1 Abs. 1 schützt bestimmte menschliche Wohn- und Aufenthaltsstätten ohne Rücksicht dar- 7 auf, ob im Einzelfall eine konkrete Gefahr für Menschen entstanden ist. - Es handelt sich soweit es um ein Inbrandsetzen geht - um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. a) Gebäude, Schiffe und Hütten und andere Räumlichkeiten sind geschützt, soweit sie tat- 8 sächlich Menschen zum Wohnen dienen, Nr. 1. Ob die Gebäude usw. zum Wohnen bestimmt oder geeignet sind, ist genauso unerheblich wie eine vorübergehende Abwesenheit der Bewohner. Dient das Gebäude tatsächlich noch nicht zum Wohnen (Neubau) oder aber hat der Berechtigte die Wohnungseigenschaft aufgegeben, so greift Nr. 1 nicht ein. - Die Aufgabe der Wohnungseigenschaft kann auch konkludent durch Inbrandsetzen des Gebäudes durch den berechtigten Bewohner erfolgen. 23 Dient das Gebäude zum Teil zum Wohnen und zum anderen Teil anderen, z.B. gewerblichen Zwecken, so ist der Tatbestand bereits erfüllt, wenn es sich um ein einheitliches Gebäude handelt und der andere Teil in Brand gesetzt wird. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, daß ein für den Gebrauch als Wohnung wesentlicher Teil des Gebäudes in Brand gesetzt werden muß, es genügt vielmehr, daß irgendein wesentlicher Bestandteil des Gebäudes vom Feuer erfaßt wird. 24 b) Umfassend geschützt sind Kirchen und andere der Religionsausübung dienende Gebäu- 9 de, Nr. 2. c) Andere Räumlichkeiten (z.B. Büro, Wohnwagen, Scheunen, Stallungen) sind geschützt, 10 wenn sie - sei es auch nur zeitweise - dem Aufenthalt von Menschen dienen, und zwar zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen, Nr. 3. Eine Begrenzung des Anwendungsbereiches versucht der BGH durch das Erfordernis einer gewissen Bewegungsfreiheit in der Räumlichkeit zu erreichen, die z.B. bei Telefonzellen und einem Pkw nicht gegeben ist. 2 ^ Diese Begrenzung ist nicht nötig, wenn der Ausschluß der Gefahr als persönlicher Strafausschließungsgrund - wie oben § 78 Rdn. 2 darlegt - anerkannt wird, da dann in den nicht strafwürdigen Fällen die Strafbarkeit entfällt.

Nach Auffassung des BGH setzt der Tatbestand voraus, daß die geschützte Räumlichkeit 11 zu dem Zeitpunkt brennt, in dem Personen anwesend sind. Es genügt nicht, daß der zum Brand führende Ursachenverlauf zu dieser Zeit in Gang gesetzt wird. - Das wird dem Delikt als abstraktem Gefährdungsdelikt nicht gerecht. Die abstrakte Gefahr entsteht bereits mit der Begründung der Brandquelle.26

23

Dazu BGH JZ 1988 S. 55 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 306 Nr. 2/3; BGH NStZ 1992 S. 541; BGH NStZ 1994 S. 130 mit Anm. GEPPERT JK 95, StGB § 306 Nr. 2/4.

24

So auch BGHSt 34 S. 115; 35 S. 283 mit Anm. KINDHÄUSER StV 1990 S. 161 ff; BGH NStZ 1991 S . 4 3 3 ; SCHNEIDER J u r a 1 9 8 8 S . 4 6 5 f f ; W O L F F L K , § 3 0 6 R d n . 9 . - A . A . HORN S K II, § 3 0 6 R d n . 11; SCH/SCH/CRAMER § 3 0 6 R d n . 11.

25

BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638. - A.A. OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 1042.

26

A.A. BGHSt 36 S. 221 mit abl. Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 306 Nr. 3/1.

403

§79

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

2. Gesundheitsgefährdung anderer, Abs. 2 12 Abs. 2 erfaßt den Fall der Inbrandsetzung bzw. der ganz oder teilweisen Zerstörung durch Brandlegung der Tatobjekte nach § 306 Abs. 1, wenn die Tat einen anderen Menschen in die konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt. - Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Bezugnahme nur die Objekte betreffen, nicht aber die Eigentumslage. 27 Das hätte einer eindeutigen Klarstellung bedurft.

IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 306 b 13 1. Abs. 1 enthält einen erfolgsqualifizierten Fall der Brandstiftung: Verursachung einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - oder einer Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen; beachte § 18. 28 14 2. Abs. 2 erfaßt qualifizierte Fälle des § 306 a: Der Täter bringt einen anderen Menschen durch die Tat in die konkrete Gefahr des Todes (Nr. 1), er handelt in der Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken - dazu vgl. § 4 Rdn. 45 - (Nr. 2) oder er verhindert bzw. erschwert das Löschen des Brandes (Nr. 3). 15 Nr. 1 greift nicht ein, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt. Der Tatbestand dient nicht dem Schutz von Personen, die bewußt, sei es unmittelbar oder mittelbar, die Brandgefahr begründet haben, die sich nun in der Todesgefahr realisiert. Hier handelt es sich vielmehr um Tatbeteiligte, vor deren Tun § 306 b Schutz gewähren soll. 29

V. Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c 16 Als erfolgsqualifizierte Brandstiftung erfaßt § 306 c den Fall, daß der Täter durch eine Brandstiftung nach §§ 306 - 306 b wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen verursacht hat. Das Opfer braucht sich nicht zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten befunden zu haben.

VI. Fahrlässige Brandstiftung, § 306 d 17 1. Abs. 1,1. Alt. knüpft an die Tatbestände der §§ 306 Abs. 1 und 306 a Abs. 1 an. Gegenstand der Handlung können daher nur die in diesen Tatbeständen genannten Objekte sein. - Abs. 1, 2. Alt. stellt die vorsätzliche Brandstiftung gemäß § 306 a Abs. 2, die fahrlässig einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt, unter Strafe. 18 2. Abs. 2 erfaßt die fahrlässige Brandstiftung und fahrlässige Gefahrbegründung gemäß § 306 a Abs. 2.

VII. Herbeiführen einer Brandgefahr, § 306 f 19 1. Abs. 1 erfaßt die vorsätzliche, Abs. 3, 1. Alt. die fahrlässige Herbeiführung einer konkreten Brandgefahr für bestimmte Objekte mit bestimmten Tatmitteln. 27

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 87 f.

28

Tritt der besondere Erfolg beim Versuch der Brandstiftung ein, so ist § 306 b anwendbar; Str., vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18 Rdn. 84 ff; GEPPERT Jura 1989 S. 475 f (zu § 307 a.F.).

29

Vgl. HERZOG NK, § 307 Rdn. 3; SCH/SCH/CRAMER § 307 Rdn. 6. - A.A. GEPPERT Jura 1989 S. 475 m.N.

404

Gefährdungen des Verkehrswesens

§80

2. Abs. 2 erfaßt die vorsätzliche, Abs. 3, 2. Alt. die fahrlässige Herbeiführung einer kon- 20 kreten Brandgefahr für die in Abs. 1 Nr. 1 - 4 bezeichneten Sachen, wenn dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden. - Entsprechend der Bezugnahme in § 306 c Abs. 2 soll der Bezug auf Abs. 1 nur die dort genannten Objekte nicht aber die Eigentumslage betreffen. 30

VIII. Tätige Reue, § 306 e 1. In den Fällen der §§ 306, 306 a und 306 b kann das Gericht die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wenn der Täter den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, Abs. 1. - Freiwillig handelt der Täter, der sich aufgrund autonomer Motive zur Löschung des Brandes entschließt. 31 2. In den Fällen des § 306 d erlangt der Täter Straffreiheit, wenn er den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, Abs. 2. 3. Wird der Brand ohne Zutun des Täters gelöscht, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen 32 dieses Ziel zu erreichen, Abs. 3. 4. Konnte eine Brandstiftung aufgrund des § 310 a.F., der § 306 e in der Sache entspricht, nicht bestraft werden, so sollte eine Bestrafung nach § 310 a a.F., dem nunmehr § 306 f entspricht, gleichwohl möglich sein. Diese Auffassung war nach der alten Gesetzeslage sachwidrig 33 und ist es auch jetzt. § 306 f erfaßt weitgehend die Gefährdung der gleichen Rechtsgüter, die durch die Brandstiftungsdelikte geschützt werden. Der Rücktritt vom Verletzungsdelikt muß dann aber auf das Gefährdungsdelikt erstreckt werden, da auch dessen Strafgrund in der Person des Täters mit der Beseitigung der Gefahr hinfällig wird.

21

22 23

24

§ 80: Gefährdungen des Verkehrswesens I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§ 315, 315 a 1. Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, § 315 a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur §315 erfaßt die Transportgefährdung als konkretes Gefährdungsdelikt. - Angriffsobjekte sind Schienenbahnen auf besonderen Gleiskörpern - beachte § 315 d Seilbahnen sowie Einrichtungen der Schiff- und Luftfahrt. Geschützt ist die Sicherheit dieser Verkehrsarten. - Der konkreten Gefährdung von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Einzelnen sowie fremden Eigentums von bedeutendem Wert - z. Zt. etwa 1200.- DM - kommt nur Bedeutung für das Maß der Gefahr zu. Die Gefährdung ist nur unwiderlegbarer Maßstab 30

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 88.

31

Vgl. dazu eingehender GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 19 Rdn. 36 ff.

32

Vgl. dazu eingehender GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 19 Rdn. 54 ff.

33

So auch BOTTKE Methodik, S. 625; SCH/SCH/CRAMER § 3 1 0 a Rdn. 4; VOGLER Bockelmann-FS, S. 728. - A.A. BGH NJW 1951 S. 726; BGHSt 39 S. 128 mit abl. Anm. GEPPERT JR 1994 S. 72 ff, GROPENGLEßER S t V 1 9 9 4 S . 19 f f ; TRÖNDLE S t G B , § 3 1 0 R d n . 5 ; WOLFF L K , § 3 1 0 R d n . 1. - E i n e

analoge Anwendung des § 306 e sieht RENGIER JuS 1998 S. 401, durch den Wortlaut des Gesetzes als ausgeschlossen an.

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1

Gefährdungen des Verkehrswesens

§80

2. Abs. 2 erfaßt die vorsätzliche, Abs. 3, 2. Alt. die fahrlässige Herbeiführung einer kon- 20 kreten Brandgefahr für die in Abs. 1 Nr. 1 - 4 bezeichneten Sachen, wenn dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden. - Entsprechend der Bezugnahme in § 306 c Abs. 2 soll der Bezug auf Abs. 1 nur die dort genannten Objekte nicht aber die Eigentumslage betreffen. 30

VIII. Tätige Reue, § 306 e 1. In den Fällen der §§ 306, 306 a und 306 b kann das Gericht die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wenn der Täter den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, Abs. 1. - Freiwillig handelt der Täter, der sich aufgrund autonomer Motive zur Löschung des Brandes entschließt. 31 2. In den Fällen des § 306 d erlangt der Täter Straffreiheit, wenn er den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, Abs. 2. 3. Wird der Brand ohne Zutun des Täters gelöscht, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen 32 dieses Ziel zu erreichen, Abs. 3. 4. Konnte eine Brandstiftung aufgrund des § 310 a.F., der § 306 e in der Sache entspricht, nicht bestraft werden, so sollte eine Bestrafung nach § 310 a a.F., dem nunmehr § 306 f entspricht, gleichwohl möglich sein. Diese Auffassung war nach der alten Gesetzeslage sachwidrig 33 und ist es auch jetzt. § 306 f erfaßt weitgehend die Gefährdung der gleichen Rechtsgüter, die durch die Brandstiftungsdelikte geschützt werden. Der Rücktritt vom Verletzungsdelikt muß dann aber auf das Gefährdungsdelikt erstreckt werden, da auch dessen Strafgrund in der Person des Täters mit der Beseitigung der Gefahr hinfällig wird.

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§ 80: Gefährdungen des Verkehrswesens I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§ 315, 315 a 1. Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, § 315 a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur §315 erfaßt die Transportgefährdung als konkretes Gefährdungsdelikt. - Angriffsobjekte sind Schienenbahnen auf besonderen Gleiskörpern - beachte § 315 d Seilbahnen sowie Einrichtungen der Schiff- und Luftfahrt. Geschützt ist die Sicherheit dieser Verkehrsarten. - Der konkreten Gefährdung von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Einzelnen sowie fremden Eigentums von bedeutendem Wert - z. Zt. etwa 1200.- DM - kommt nur Bedeutung für das Maß der Gefahr zu. Die Gefährdung ist nur unwiderlegbarer Maßstab 30

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 88.

31

Vgl. dazu eingehender GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 19 Rdn. 36 ff.

32

Vgl. dazu eingehender GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 19 Rdn. 54 ff.

33

So auch BOTTKE Methodik, S. 625; SCH/SCH/CRAMER § 3 1 0 a Rdn. 4; VOGLER Bockelmann-FS, S. 728. - A.A. BGH NJW 1951 S. 726; BGHSt 39 S. 128 mit abl. Anm. GEPPERT JR 1994 S. 72 ff, GROPENGLEßER S t V 1 9 9 4 S . 19 f f ; TRÖNDLE S t G B , § 3 1 0 R d n . 5 ; WOLFF L K , § 3 1 0 R d n . 1. - E i n e

analoge Anwendung des § 306 e sieht RENGIER JuS 1998 S. 401, durch den Wortlaut des Gesetzes als ausgeschlossen an.

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§80

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

für die Höhe der Gefahr, nicht aber Beeinträchtigung eines eigenständig geschützten Rechtsguts; dazu auch unter Rdn. 27 ff. Keine fremde Sache i.S. des § 315 Abs. 1 ist das vom Täter geführte Tatfahrzeug, unabhängig davon, ob er Eigentümer ist oder nicht. Dieses ist Mittel, nicht aber Objekt der Gefährdung. 3 4

b) Einzelheiten zu den Tathandlungen aa) Die Sicherheit des Verkehrs ist beeinträchtigt, wenn durch den Eingriff gegenüber Menschen oder Einrichtungen, die in Beziehung zu einem bestimmten Verkehrsvorgang stehen, eine Steigerung der normalen Betriebsgefahr eingetreten ist. 3 Für die Beeinträchtigung genügt nicht jedes Mittel, sondern nur ein Eingriff der in Abs. 1 Nr. 1-3 beispielhaft aufgeführten Art oder ein ähnlicher und ebenso gefährlicher Eingriff. Ähnlich und ebenso gefährlich ist ein Eingriff, der unmittelbar auf einen Verkehrsvorgang einwirkt und nach Art und Gefahr den genannten Eingriffen gleichwertig ist. 2

Beispiele: Steinwurf auf den Zugführer; Verdecken von Signalen; Stören des die Flug- und Wasserwege sichernden Funk- und Signalverkehrs.

4

bb) Ein Hindernis bereitet, wer körperliche Gegenstände, die ihrer Beschaffenheit nach zur Hemmung oder Verzögerung des ordnungsgemäßen Betriebs geeignet sind, in den Fahrbereich der Bahn bringt oder als Garant dort beläßt, z.B. Steine auf Schienen oder Metallbügel auf Oberleitungen legt. 35

c) Die subjektiven Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) § 315 Abs. 1 erfaßt die vorsätzliche Begehung, bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muß das Bewußtsein der Beeinträchtigung der Betriebssicherheit und das der Herbeiführung der konkreten Gefahr haben. 7 bb) Handelt der Täter in der Absicht - zielgerichtetes Wollen einen Unglücksfall - dazu § 67 Rdn. 3 - herbeizuführen oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken dazu § 4 Rdn. 45 - so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3 Nr. 1. - Eine Ordnungswidrigkeit ist keine Straftat i.S. des § 315 Abs. 3 Nr. 1 b. 36 8 cc) Einen erfolgsqualifizierten Fall - schwere Gesundheitsschädigung oder Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen - erfaßt Abs. 3 Nr. 2. 9 dd) Bei vorsätzlichem Eingriff, aber nur fahrlässiger Gefährdung greift Abs. 5 ein, bei fahrlässigem Eingriff und fahrlässiger Gefährdung Abs. 6.

5 6

d) Tätige Reue 10 Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluß (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 2. Gefährdung des Bahn-, Schiff- oder Luftverkehrs, § 315 a a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur 11 § 315 a ergänzt den § 315 dadurch, daß er auch bestimmte betriebsinterne Gefährdungen unter Strafe stellt. Auch hier müssen Leib oder Leben eines anderen oder bedeutende

3 4

V g l . B a y O b L G N J W 1 9 8 3 S . 2 8 2 7 ; S C H / S C H / C R A M E R § 3 1 5 R d n . 14. - A . A . B G H S t 2 7 S . 4 4 ; H E R Z O G N K , § 3 1 5 R d n . 12; LACKNER/KÜHL § 3 1 5 R d n . 7.

35

Vgl. BGH NStZ 1988 S. 178.

36

BGHSt 28 S. 93 mit Anm. RÜTH JR 1979 S. 516 f.

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Gefährdungen des Verkehrswesens

§80

fremde Sachwerte konkret gefährdet worden sein. b) Einzelheiten zu den Tathandlungen aa) Abs. 1 Nr. 1 erfaßt das Fahren in einem fahruntüchtigen, rauschbedingten Zustand; 12 dazu vgl. Rdn. 23 f. bb) Abs. 1 Nr. 2 enthält ein Sonderdelikt. - Fahrzeugführer und sonst für die Sicherheit des 13 Verkehrs verantwortliche Personen werden für grob pflichtwidrige Verletzungen von Sicherheitsvorschriften bestraft. Die das Blankett ausfüllenden Vorschriften müssen förmliche Gesetze oder Rechtsverordnungen sein. c) Subjektive Voraussetzungen 14 Die Strafdrohung des § 315 a ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Abs. 1 setzt die vorsätzliche Tathandlung und eine vorsätzliche konkrete Gefährdung voraus. bb) Gemäß Abs. 3 Nr. 1 wird bestraft, wer die Tathandlung vorsätzlich vornimmt, jedoch nur fahrlässig gefährdet, nach Abs. 3 Nr. 2, wer die Tathandlung fahrlässig begeht und die Gefahr fahrlässig verursacht. d) Tätige Reue Eine Möglichkeit tätiger Reue sieht § 320 für § 315 a nicht vor.

15

II. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316 1. Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 315 b a) Der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 In Aufbau und Schutzrichtung entspricht § 315 b dem § 315 - vgl. oben Rdn. 1 - mit der 16 Maßgabe, daß es hier um den Schutz des Straßenverkehrs geht, d.h. um die Sicherheit des Verkehrs auf Wegen, Plätzen usw., die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen. - Im Gegensatz zu § 315 Abs. 1 Nr. 2 fehlt bei der Aufzählung der Tathandlungen das Geben falscher Signale und Zeichen, doch kann in einem derartigen Verhalten ein "ähnlicher, ebenso gefahrlicher Eingriff' liegen. Das Merkmal des Hindernisbereitens und das des ähnlichen, ebenso gefährlichen Ein- 17 griffs sind hier jedoch enger zu fassen: § 315 b erfaßt zunächst verkehrsfremde, von aussen kommende Eingriffe in die Sicherheit des Straßenverkehrs. Vorgänge des fließenden oder ruhenden Verkehrs werden von § 315 b nur dann erfaßt, wenn sie bewußt zweckentfremdet werden, d.h. wenn der Verkehrsvorgang in erster Linie dem Zweck eines gefährlichen Eingriffs dienen soll. Dies ergibt sich aus dem Verhältnis des § 3 1 5 b z u § 3 1 5 c. 37 Sodann soll der Tatbestand nicht jeden behindernden Verkehrsteilnehmer erfassen, sondern nur Einwirkungen von besonderem Gewicht. 38 Bloße Fehlleistungen des Fahrzeugführers in der Bewältigung von Vorgängen des flie- 18 ßenden und ruhenden Verkehrs fallen unter § 315 c, nicht aber unter § 315 b. - Ob dies

37 38

Vgl. OLG Hamm NJW 1969 S. 1976; OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 3212; GEPPERT Jura 1996 S. 641. Vgl. BGHSt 22 S. 366 f; 26 S. 178; 28 S. 89, 41 S. 231, 237 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 315 b/5; RANFT J R 1 9 9 7 S . 2 1 0 f f .

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§80

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

auch für Mitfahrer gilt, ist Str., doch erscheint es angemessen, Eingriffe des Mitfahrers, die der Bewältigung der Verkehrssituation dienen oder dienen sollen, gleich zu behandeln. 39 Verkehrsfremder Eingriff: Spannen eines Drahtes über die Fahrbahn; Hinterlassen einer Ölspur. 4 0 - Liegenlassen eines Balkens auf der Fahrbahn. - Absichtliches Abschneiden des Weges eines anderen Verkehrsteilnehmers mit einem Fahrzeug (BGHSt 21 S. 301). - Zufahren auf einen anderen mit Tötungs- (BGHSt 26 S. 176) oder Körperverletzungsvorsatz, wenn das Opfer nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahr ausweichen k a n n . 4 ' - Abgabe eines Schusses auf einen Fahrzeugführer (BGHSt 25 S. 306). - Bewußtes Befahren der Autobahn in falscher Richtung. - G e i s t e r f a h r e r - Willkürliches, scharfes Abbremsen bei hoher Geschwindigkeit 4 3 . Aufspringen auf Motorhaube eines fahrenden Fahrzeugs (OLG Zweibrücken VRS 93 S. 101). Vorsätzliches Verursachen eines Unfalls. 4 4 Kein verkehrsfremder Eingriff: Unvorsichtiges Überholen. - Überholen über mehrere Kilometer. - Griff des Beifahrers in das Steuer, um das Fahrzeug in eine Straßeneinmündung zu lenken (BGH NZV 1990 S. 35). - Flucht vor einer Polizeikontrolle 4 ''.

b) Subjektive Voraussetzungen 19 Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Gemäß § 315 b Abs. 1 wird bestraft wer die Tathandlung vorsätzlich begeht und die bestimmte konkrete Gefahr vorsätzlich verwirklicht. - Zur relevanten Gefährdung vgl. Rdn. 27. bb) Handelt der Täter in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3 in Verb, mit § 315 Abs. 3 Nr. 1. - Einen erfolgsqualifizierten Fall erfaßt Abs. 3 in Verb, mit § 315 Abs. 3 Nr. 2. cc) Bei vorsätzlicher Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung greift Abs. 4, bei fahrlässiger Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung Abs. 5 ein. c) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluß (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 2. Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315 c a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur 21 Das konkrete Gefährdungsdelikt schützt die Sicherheit des Straßenverkehrs; dazu vgl. Rdn. 16. b) Führen eines Fahrzeugs 22 Das Gesetz setzt in Nr. 1 ausdrücklich, in den meisten Tatbeständen der Nr. 2 stillschweigend voraus, daß der Täter ein Fahrzeug führt. - Ein Fahrzeug führt, wer es unmittelbar in Bewegung bringt und die Fortbewegung unter Nutzung der technischen Vor39

Vgl. OLG Hamm NJW 1969 S. 1975; OLG Köln NJW 1971 S. 670. - A.A. OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 1391; GEPPERT Jura 1996 S. 644 f.

40

OLG Stuttgart NJW 1959 S. 254; BayObLG JZ 1989 S. 704.

4 1

B G H N J W 1 9 8 3 S. 1 6 2 4 m i t A n m . C R A M E R J Z 1 9 8 3 S . 8 1 2 f f .

42

OLG Stuttgart NJW 1976 S. 2223 mit Anm. RÜTH JR 1977 S. 255 f. - A.A. OLG Stuttgart JR 1980

43

OLG Düsseldorf VRS 77 (1989) S. 280; OLG Karlsruhe VRS 93 (1997) S. 102.

44

BGH NStZ 1992 S. 182 mit Anm. SCHEFFLER NZV 1993 S. 463 ff; BGH NStZ 1995 S. 31.

45

BGHSt 28 S. 87; BGH NStZ 1985 S. 267; BGH NStZ-RR 1997 S. 261 mit Anm. GEPPERT JK 98, StGB § 315 b/7.

S. 4 7 0 m i t A n m . KÜRSCHNER S . 4 7 2 f.

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Gefährdungen des Verkehrswesens

§80

richtungen ganz oder teilweise leitet. Das Lösen der Handbremse, das Anlassen des Motors oder das Einschalten des Lichtes genügen noch nicht. 46 c) Tathandlungen aa) Gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a wird bestraft, wer ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge 23 des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel (z.B. Opium, Heroin, Kokain usw.) nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Die Tat ist eigenhändiges Delikt. - Nach neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit (Kfz, Motorrad, Mofa) bei 1,1 Promille Blutalkohol. 47 Als absolut fahruntüchtig wird auch derjenige angesehen, der in der Anflutungsphase nach einem Sturztrunk zwar noch weniger als 1,1 Promille hat, diese Grenze jedoch später erreicht. Bei Radfahrern nimmt die Rechtsprechung absolute Fahruntüchtigkeit bisher bei 1,6 Promille Blutalkohol an . E i n e absolute Fahruntüchtigkeitsgrenze nach Genuß von Rauschgift ist zur Zeit noch nicht festgestellt. 4 9

Im Bereich von 0,3 bis zur Grenze von 1,1 Promille - relative Fahruntüchtigkeit - bedarf 24 die Feststellung der Fahruntüchtigkeit besonderer Beweisanzeichen. Als solche Beweisanzeichen werden z.B. angesehen: Fahren in Schlangenlinien (OLG Hamm VRS 49 S. 270); mit überhöhter Geschwindigkeit (OLG Köln VRS 37 S. 200); Geradeausfahren in Kurven oder grundloses Abkommen von der Fahrbahn (BGH VRS 47 S. 19); bewußt verkehrswidriges Verhalten auf Flucht vor Polizei (OLG Düsseldorf VRS 93 (1997) S. 167.)

bb) Abs. 1 Nr. 1 b erfaßt den Täter, der im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er 25 infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. cc) Abs. 1 Nr. 2 erfaßt grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verstöße gegen bestimmte 26 näher aufgeführte Verkehrsregeln. 50 d) Gefährdung durch die Tathandlung Durch die Tathandlung muß eine konkrete - nicht bloß abstrakt mögliche - Gefahr für Leib 27 und Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert begründet werden. - Das Gefahrenurteil wird aufgrund einer objektiven nachträglichen Prognose gefällt. 51 Die konkrete Gefahr setzt eine Situation voraus, in der es aus der Sicht des Beobachters 28 allein zufallsbedingt ist, daß es nicht zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt; vgl. § 78 Rdn. 1. Damit muß über ein typischerweise gefährliches Verhalten (abstrakte Gefahr) hinaus eine Situation eingetreten sein, in der sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände bereits die Gefahr zu realisieren droht. Eine konkrete Gefahr liegt daher z.B. im Heranfahren an eine Person auf 2 bis 6 Meter bei rund 160 km/h (BayObLG bei Janiszewski NStZ 1987 S. 114), beim Einscheren in eine Fahrbahn mit 160 km/h im Abstand

46

Vgl. BGHSt 35 S. 390; OLG Celle NStZ 1988 S. 411; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) S. 454.

47

BGHSt 37 S. 89 mit Anm. JANISZEWSKI NStZ 1990 S. 493 f; KONZAK/HÜTING Jura 1991 S. 241 ff.

48

Vgl. BayObLG NJW 1992 S. 1906; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 S. 356.

49

Vgl. BayObLG JZ 1994 S. 424; BayObLG StV 1997 S. 254; BayObLG StV 1997 S. 255; OLG Düsseldorf StV 1994 S. 376.

50

Im einzelnen dazu RANFT Jura 1987 S. 612 f.

51

Dazu LACKNER Das konkrete Gefährdungsdelikt im Straßenverkehr, 1967, S. 15; MEYER-GERHARDS JuS 1 9 7 6 S. 2 2 8 .

409

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§80

von 2 Metern vor dem überholten Fahrzeug. 5 ^ - Keine konkrete Gefahr für mitfahrende Personen begründet die absolute Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugführers als solche. Erst wenn er sich der konkreten Fahrsituation nicht gewachsen zeigt, beginnt die konkrete Gefährdung. 5 3 Gleiches gilt für das Durchtrennen eines Bremsschlauchs. 5 4

29 Die Gefährdung muß durch die Tathandlung erfolgen. Eine nur gelegentlich der Handlung entstehende Gefahr genügt nicht. 30 aa) Streitig ist, ob sich der Gefährdungserfolg in einer Person objektivieren kann, die sich bewußt und eigenverantwortlich in den "abstrakten Gefahrenbereich" begeben hat. 31 Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre bejahen dieses unter Hinweis darauf, daß die gefährdete Person nicht der alleinige Träger des durch §§315 b, 315 c StGB geschützten Rechtsguts sei und deshalb deren Einwilligung in die Gefährdung die Rechtswidrigkeit der herbeigeführten Gefahr nicht beseitigen könne. Der Eintritt der konkreten Gefahr ist nach dieser Auffassung auch hier nur ein Indiz für die Gefährlichkeit des Täters, so daß die Tatsache der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung irrelevant ist. 55 32 Die Gegenmeinung will der Einwilligung auch in eine Lebensgefahr eine die Rechtswidrigkeit ausschließende Wirkung beimessen, weil der Tatbestand der §§315 b, 315c erst erfüllt sei, wenn eine konkrete Individualgefahr eingetreten ist, über die der dann Betroffene verfügen könne. - Nach dieser Auffassung käme der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung daher im Ergebnis eine strafbarkeitsausschließende Bedeutung zu, letztlich aber wird eine Verfügungsmöglichkeit über ein überindividuelles Rechtsgut anerkannt. 56 33 Gleichwohl ist dieser Meinung im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung, die weit überzeugender in der Ausgangsüberlegung der Rechtsprechung angelegt ist, zuzustimmen. Zutreffend geht die Rechtsprechung nämlich davon aus, daß §§ 315 b, 315 c eine Gefährdung erfordern, "die dem besonderen verkehrsrechtlichen Schutz Dritter entspricht, den der Gesetzgeber für den Bereich des Straßenverkehrs geschaffen hat. Dieser geht dahin, daß durch eine Teilnahme am Straßenverkehr nicht in den durch Verkehrsvorschriften geschützten Rechtskreis eines anderen eingegriffen werden darf'. 5 7 Damit ist der entscheidende Gesichtspunkt der - sachwidrig - als Einwilligungsproblematik erörterten Problemkonstellation erfaßt: Wer sich eigenverantwortlich in einen Gefahrenbereich begibt und damit zum Ausdruck bringt, daß er mit der Gefährdung einverstanden ist, wird nicht das Opfer der Gefährdung durch einen anderen, der in seinen geschützten 52

BayObLG NJW 1988 S. 273; vgl. auch Brandenburgisches OLG VRS 93 (1997) S. 103.

53

Vgl. BGH NStZ 1996 S. 83 mit Anm. BERZ S. 85; zuvor bereits BayObLG JZ 1989 S. 52 mit Anm. GEPPERT JK 89, StGB § 315 c/1; BayObLG NJW 1990 S. 848 mit Anm. BERZ NStZ 1990 S. 237 f; OLG Köln NJW 1991 S. 3291; KNOLLMANN/LAPPE JUS 1990 S. 708 ff. - Anders noch BGH NStZ 1 9 8 9 S . 7 3 m i t A n m . G E P P E R T S . 3 2 0 f f , BECKER N S t Z 1 9 9 0 S . 1 2 5 , W E R L E J R 1 9 9 0 S . 7 4 f f . - W e -

sentlich einschränkend aber BGH VRS 83 (1993) S. 424. 54

Vgl. BGH NZV 1995 S. 325; BGH NStZ 1996 S. 85 mit Anm. RENZIKOWSKI JR 1997 S. 115 ff; GEPPERT Jura 1996 S. 50 f. - Anders noch BGH NStZ 1985 S. 263.

55

Vgl. BGHSt 23 S. 261; OLG Karlsruhe NJW 1967 S. 2321; OLG Stuttgart NJW 1976 S. 1904; LACKNER Gefährdungsdelikt, S. 12; RÜTH LK, 10. Aufl., § 315 c Rdn. 61; SCHAFFSTEIN Welzel-FS, 1974, S. 574; SCHMIDHÄUSER B.T., 15/81.

56

Dazu BREHM Zur Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte, 1973, S. 34 ff; HILLENKAMP JuS 1977 S . 1 7 0 f ; O E L L E R S N J W 1 9 7 0 S . 2 1 2 1 ; O S T E N D O R F J U S 1 9 8 2 S . 4 3 1 ; SCHROEDER J U S 1 9 9 4 S . 8 4 6 f f . -

Differenzierend zwischen Leibes- und Lebensgefahr: BLCKELHAUPT NJW 1967 S. 713 f; GEPPERT ZStW 83 (1971) S. 984 ff. 57

410

BGHSt 27 S. 43.

Gefährdungen des Verkehrswesens

§80

Rechtskreis eingreift. Er selbst begründet vielmehr die Gefahr für seine Rechtsgüter, da er die Gefahr bewußt auf sich nimmt. §§315 b, 315 c erfassen hingegen die Fälle der Gefährdung durch einen anderen. In der Sache liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zwischen dem gefährlichen Zustand des Kraftfahrzeugführens und der Gefährdung des Dritten vor, so daß das Unrecht der §§315 b, 315 c durch dieses Verhalten nicht verwirklicht wird. 58 Dieser Argumentation steht die Rechtsprechung sachlich allerdings weit näher als es 34 die Erörterung der "Einwilligungsproblematik" vermuten läßt. Einigkeit besteht nämlich in Rechtsprechung und Schrifttum weithin darüber, daß "Tatbeteiligte" nicht in den Schutzbereich der §§ 315 b, 315 c fallen.59 bb) Für die Frage, ob die bedrohte Sache einen bedeutenden Wert hat, kommt es auf den 35 Verkehrswert an, nicht auf den Wert der Sache für den Berechtigten. Nicht nur der Wert der Sache als solcher ist entscheidend, sondern auch der ihr drohende Schaden muß bedeutend sein. Ein bedeutender Wert ist gefährdet bei einer zu befürchtenden Schadenssumme, die über 1.400.- DM liegt. 60 cc) Das vom Täter geführte Fahrzeug ist Mittel, nicht aber Objekt der Gefährdung, auch 36 wenn es nicht Eigentum des Täters ist. 61 e) Die subjektiven Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: 37 aa) Abs. 1 erfordert in bezug auf die Tathandlung und die Gefährdung Vorsatz - bedingter genügt - des Täters. bb) Wird die Tathandlung vorsätzlich begangen, die Gefahr hingegen fahrlässig verursacht, so greift Abs. 3 Nr. 1 ein. cc) Abs. 3 Nr. 2 findet Anwendung, wenn Tathandlung und Gefährdung fahrlässig erfolgt sind. f) Der Versuch, § 315 c Abs. 2 Der Versuch erfordert Vorsatz auch in bezug auf die Gefährdung, denn der Versuch ist nur 38 in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1, nicht aber in denen des Abs. 3, mit Strafe bedroht. g) Gefährdung mehrerer Personen Werden durch eine Handlung i.S. des § 315 c Abs. 1 mehrere Personen gefährdet, so ist 39 der Tatbestand der Gefahrdung im Straßenverkehr dennoch nur einmal verwirklicht. h) Verhältnis der einzelnen Alternativen des § 315 c zueinander Verletzt der Täter bei einer Fahrt mehrere Alternativen des § 315 c, so liegt dennoch nur 40 eine einheitliche Tat vor. 62

58

Vgl. OTTO Jura 1991 S. 444 f; RANFT Jura 1987 S. 614 f. - In der Sache übereinstimmend: ROXIN Gallas-FS, S. 252 f.

59

Vgl. BGHSt 27 S. 43; BGH NJW 1991 S. 1120 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 315 b/4; BGH VRS 8 3 ( 1 9 9 3 ) S . 1 8 5 ; GEILEN Jura 1 9 7 9 S . 2 0 6 ; R Ü T H L K , 1 0 . A u f l . , § 3 1 5 b R d n . 7 ; S C H / S C H / C R A M E R

Vor §§ 306 ff Rdn. 12. - A.A. OLG Stuttgart NJW 1976 S. 1904; HORN SK II, Vor § 306 Rdn. 9; NÜSE JR 1 9 6 5 S. 4 1 . 60

Vgl. BayObLG StV 1998 S. 267.

61

Dazu BGHSt 27 S. 40 mit abl. Anm. RÜTH JR 1977 S. 432 f.

62

BayObLG JZ 1987 S. 788.

411

§80

Dritter Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

3. Trunkenheit im Verkehr, § 316 41 a) Das Führen eines Fahrzeuges im Verkehr in rauschbedingtem fahruntüchtigem Zustand, ohne daß es zur Gefährdung anderer kommt, stellt § 316 als abstraktes Gefährdungsdelikt unter Strafe. 42 b) Täter kann nur der Führer der genannten Fahrzeuge sein. 43 c) Das Delikt ist vorsätzlich ( § 3 1 6 Abs. 1) und fahrlässig ( § 3 1 6 Abs. 2) begehbar. - Der Vorsatz erfordert zumindest das Bewußtsein des Täters von der konkreten Gefahr, fahruntüchtig zu sein. Der schlichte Schluß von der genossenen Alkoholmenge auf den Vorsatz ist unzulässig. 63 4. Schienenbahnen

im Straßenverkehr,

§ 315 d

44 Soweit Schienenbahnen am Straßenverkehr teilnehmen, d.h. wenn ihr Verkehrsraum zugleich dem Straßenverkehr dient oder die Trennung von der Straße nicht scharf durchgeführt ist, so daß der Fahrzeugführer sein Verhalten nach dem allgemeinen Strassenverkehr zu richten hat, gelten für den Betrieb dieser Bahnen nur §§ 315 b, 315 c. §§ 315, 315 a finden keine Anwendung.

III. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 1. Das geschützte Rechts gut 45 § 142 erfaßt kein gemeingefährliches oder auch nur gemeinschädliches Delikt, sondern eine gegen Vermögensinteressen des Einzelnen gerichtete Straftat. Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse Unfallbeteiligter oder Geschädigter an möglichst umfassender Aufklärung des Unfallhergangs zu dem Zwecke, Schadensersatzansprüche zu sichern oder abzuwehren. - Die Darstellung hier erfolgt aus Gründen des Sachzusammenhanges. 2. Der Täter des Delikts 46 a) Täter kann nur ein Unfallbeteiligter sein, d.h. jemand, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann, Abs. 5. - Als Unfallbeteiligter kommt daher nicht nur der Fahrer eines Kfz in Betracht, sondern alle Personen, die beim aktuellen Unfallgeschehen zugegen waren und deren Verhalten den Unfall nach dem äußeren Schein zumindest mitverursacht haben kann. Dies kann z.B. der Beifahrer sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß er den Fahrer behindert oder in seinem verkehrswidrigen Verhalten bestärkt hat, der beim Unfallgeschehen am Unfallort anwesende Fahrzeughalter, der das Fahrzeug einem fahruntüchtigen oder ungeeigneten Fahrer überlassen hat oder einer Garantenpflicht zuwider die Weiterfahrt nicht verhindert h a t . ' " - Der nicht mitfahrende oder erst später am Unfallort erscheinende Fahrzeughalter ist hingegen nicht wartepflichtig, da sein Verhalten nicht zu den Verhaltensweisen gehört, die unmittelbar am Unfallort feststellbar sind.

47 b) Da Täter nur ein Unfallbeteiligter sein kann, handelt es sich beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort um ein Sonderdelikt. Die Unfallbeteiligung begründet jedoch keine Sonderpflichtenposition i.S. des § 28, sondern charakterisiert nur die Positionsnähe zum Rechtsgut. 65 63

64

Vgl. dazu OLG Düsseldorf VRS 86 (1994) S. 110; OLG Celle VRS 91 (1996) S. 177; OLG Frankfurt NJW 1996 S. 1358; OLG Karlsruhe NJW 1993 S. 1282; SALGER DRiZ 1993 S. 311 ff. So auch BGH VRS 24 (1963) S. 34; BGHSt 30 S. 160; BayObLG VRS 12 S. 115; OLG Düsseldorf V R S 8 4 ( 1 9 9 3 ) S . 4 4 0 ; O L G K ö l n V R S 8 6 ( 1 9 9 4 ) S . 2 7 9 ; LACKNER/KÜHL § 1 4 2 R d n . 4 ; RÜTH L K , 10. A u f l . , § 1 4 2 R d n . 2 2 . - A . A . R U D O L P H I S K II, § 1 4 2 R d n . 16; S C H / S C H / CRAMER § 1 4 2 R d n . 2 1 .

6 5

412

H E R Z B E R G Z S t W 8 8 ( 1 9 7 6 ) S . 8 3 ; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 6 8 . - A . A . TRÖNDLE S t G B , § 1 4 2 R d n . 13.

Gefährdungen des Verkehrswesens

§80

3. Der Unfall im Straßenverkehr Unfall im Straßenverkehr ist ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr auf Wegen und Plätzen, das mit dessen Gefahren im ursächlichen Zusammenhang steht und zu einem Personen- oder Sachschaden eines anderen geführt hat. a) Zum Begriff des Straßenverkehrs vgl. § 80 Rdn. 16. Es genügen Vorkommnisse im ruhenden Verkehr und mit ausschließlicher Beteiligung von Fußgängern.66 b) Ein Personenschaden bedeutet Tötung oder nicht ganz unerhebliche Körperverletzung eines anderen. c) Ein Sachschaden ist völlig belanglos i.S. des § 142, wenn der Schadensersatz nicht über DM 50,- hinausgeht.67 d) Str. ist, ob auch eine vorsätzliche Schädigung eines anderen mit dem Kfz - A überfährt B in Tötungsabsicht - als Verkehrsunfall anzusehen ist. Dies ist zu bejahen, wenn die Schädigung - etwa bedingt vorsätzlich - bei der Teilnahme am Straßenverkehr erfolgt, denn dann ist das schädigende Ereignis noch auf einen den typischen Verkehrsgefahren zugehörenden Vorgang zurückzuführen. Wird das Kfz hingegen ausschließlich als Tatmittel bei der Verwirklichung eines Delikts - Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Tötung - eingesetzt oder wird das Kfz vorsätzlich durch nicht den typischen Verkehrsgefahren zugehörige Verhaltensweisen beschädigt, so liegt kein Unfall vor. Das Verhalten wird von den die betroffenen Rechtsgüter unmittelbar schützenden Vorschriften hinreichend erfaßt.68

48 49 50 51 52

4. Die Systematik des § 142 a) Abs. 1 regelt die Pflichten des Täters am Unfallort. Das Gesetz unterscheidet zwei AI- 53 ternativen: sind feststellungsbereite Personen anwesend, so muß der Unfallbeteiligte gemäß Abs. 1 Nr. 1 warten und darüber hinaus die Angabe machen, daß er am Unfall beteiligt ist (Warte- und Vorstellungspflicht). - Sind feststellungsbereite Personen nicht anwesend,, so muß er nur eine angemessene Zeit warten (Wartepflicht), Abs. 1 Nr. 2. b) Abs. 2 regelt den Fall, daß der Unfallbeteiligte sich durch Verlassen des Unfallortes 54 nicht strafbar gemacht hat, sei es, daß er nach angemessener Wartefrist den Unfallort verlassen durfte, Abs. 2 Nr. 1, oder aber daß er sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat, Abs. 2 Nr. 2. In diesen Fällen muß er die Feststellungen unverzüglich nachträglich ermöglichen. 5. Die einzelnen Tathandlungen a) § 142 Abs. 1 Tathandlung des § 142 Abs. 1 ist das Sich-Entfernen vom Unfallort. Er setzt voraus, daß 55 der Verpflichtete deshalb nicht mehr zu den erforderlichen Feststellungen an Ort und Stelle zur Verfügung steht, weil er den Bereich verlassen hat, in dem der Zusammenhang 66

Vgl. OLG Stuttgart VRS 18 (1960) S. 117; OLG Koblenz MDR 1993 S. 366; LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 6. - A . A . BERZ J u S 1973 S. 558.

67

OLG Düsseldorf VRS 93 (1997) S. 165: 40.- DM.

68

Dazu auch OLG Hamm NJW 1982 S. 2456; LACKNER/KÜHL § 142 Rdn. 8; MAGDOWSKI Die Verkehrsunfallflucht in der Strafrechtsreform, 1980, S. 89; TRÖNDLE StGB, § 142 Rdn. 12. - Offengelassen in: B G H S t 2 4 S. 3 8 2 m i t A n m . BERZ JUS 1 9 7 3 S. 5 5 8 ff, EICH M D R

1 9 7 3 S. 8 1 4 ff, FORSTER

NJW

1972 S. 2319 f; BRINGEWAT JA 1977 S. 232. - Sehr weit BayObLG JZ 1986 S. 912.

413

§80

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der G e s a m t h e i t

mit dem Unfall ohne weiteres erkennbar ist. 69 In Betracht kommt nur ein willentliches Verlassen des Unfallortes, u.U. auch als garantenpflichtiger Unterlassender, der die Weiterfahrt nicht verhindert, obwohl er dazu in der Lage wäre. Zu unterscheiden ist sodann: 56 aa) Sind Personen, die bereit sind, Feststellungen zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten zu treffen, anwesend oder erscheinen sie während der Anwesenheit des Unfallbeteiligten, so trifft diesen eine Warte- und Vorstellungspflicht, Abs. 1 Nr. 1. 57 Die Wartepflicht dauert solange, bis die nötigen Feststellungen getroffen sind. Sind keine Feststellungen nötig, weil alle Beteiligten auf weitere Feststellungen verzichten oder die erforderlichen Feststellungen bereits getroffen sind, so entfällt die Wartepflicht. 58 Die Vorstellungspflicht enthält die Pflicht zu Angabe, daß sich ein Unfall ereignet hat und eigene (Mit-) Verursachung in Betracht kommt. Sie beginnt unmittelbar nach dem Unfall und dauert solange an, wie ihre Befolgung möglich ist. 70 - Problematisch allerdings ist die Weite der Vorstellungspflicht. Die h.M. begrenzt diese auf die Angabe des Unfallbeteiligten, daß er am Unfall beteiligt ist. Die Gegenmeinung fordert hingegen die Angabe des Namens, der Adresse und der Unfallbeteiligung. Sie erscheint mehr sachgerecht, denn die Vorstellung soll dem Beteiligten gerade auch die Möglichkeit eröffnen, von einer weiteren Anwesenheit des Unfallbeteiligten abzusehen. Das aber erfordert die über die Beteiligung hinausgehenden Angaben. Die unterschiedliche Bestimmung der Vorstellungspflicht führt zu wesentlichen Konsequenzen: Führt der Unfallbeteiligte das Einverständnis Feststellungsberechtigter durch Täuschung über die relevanten Angaben herbei und entfernt sich dann, so hat er die ihm aus Abs. 1 Nr. 1 obliegende Pflicht nicht erfüllt und damit die Vorstellungspflicht verletzt. 7 ' Der Versuch, in diesen Fällen eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 zu begründen 7 ^, schlägt fehl, da der Täter sich weder berechtigt noch entschuldigt vom Unfallort entfernt hat. 7 3

59 Verzichtet der Unfallgegner auf die weitere Anwesenheit des Unfallbeteiligten am Unfallort, so liegt darin eine rechtfertigende Einwilligung in das Entfernen vom Unfallort. 74 60 bb) Sind keine feststellungsbereiten Personen am Unfallort erschienen, so trifft den Unfallbeteiligten eine Wartepflicht, Abs. 1 Nr. 2. - Die Länge der Wartepflicht bestimmt sich nach dem Grad des Feststellungsinteresses und der Zumutbarkeit. Maßgeblich sind dafür Ort und Schwere des Unfalls, Verkehrsdichte, Witterung und Tageszeit. Positive Maßnahmen zur Aufklärung verkürzen die Wartezeit. - Die Pflicht entfällt, wenn in absehbarer Zeit überhaupt nicht mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen ist. Im einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1107: 10 Minuten genügen ausnahmsweise bei einem geschätzten Schaden von DM 400,-, wenn kein Anhaltspunkt für baldiges Eintreffen feststellungsbereiter Personen vorliegt. - OLG Hamm VRS 59 S. 258: 30 Minuten genügen bei Schaden bis DM 600,-. - OLG Koblenz VRS 49 S. 180: 15 Minuten in der Nacht genügen nicht bei Schaden in Höhe von DM 1500,-. - OLG Stuttgart DAR 1977 S. 22: 20 Minuten bei Schaden von DM 600,- gegen Abend genügen nicht. - Bei Tötung und schwerer Verletzung von Personen ist mindestens 1 Stunde Wartezeit erforderlich. 69

Dazu OLG Stuttgart NJW 1981 S. 878 mit Anm. HENTSCHEL JR 1981 S.211 f.

70

Dazu OLG Oldenburg VRS 88 (1995) S. 349.

71

So auch OLG Stuttgart NJW 1982 S. 2266; GEPPERT Jura 1990 S. 84; JANISZEWSKI NStZ 1990 S. 272; RÜTH LK, 10. Aufl., § 142 Rdn. 36; TRÖNDLE StGB, § 142 Rdn. 29. - A.A. BayObLG NJW 1984 S. 66, 1 3 6 5 ; O L G F r a n k f u r t N J W 1 9 9 0 S . 1 1 8 9 ; K Ü P E R J Z 1 9 9 0 S . 5 1 0 f f ; DERS. G A 1 9 9 4 S . 5 9 f ; RUDOLPHI

SK II, § 142 Rdn. 31. 72

Vgl. BayObLG NJW 1984 S. 1365; OLG Frankfurt NJW 1990 S. 1198.

73

Vgl. auch GEPPERT JK 90, StGB § 142/16; JANISZEWSKI NStZ 1983 S. 403.

74

Vgl. dazu OLG Düsseldorf NZV 1991 S. 77 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 142/17.

414

Gefährdungen des Verkehrswesens

§80

cc) Der Vorsatz, bedingter genügt, muß das Bewußtsein umfassen, möglicherweise einen Unfall verursacht und nach den Umständen erforderliche Feststellungen nicht ermöglicht zu haben. b) § 142 Abs. 2 Abs. 2 begründet die Pflicht zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung der FestStellungen i.S. des Abs. 1, wenn: aa) der Unfallbeteiligte sich nach Ablauf der Wartefrist, Abs. 1 Nr. 1, oder bb) berechtigt oder entschuldigt, Abs. 2 Nr. 2, vom Unfallort entfernt hat. Berechtigt hat sich der Unfallbeteiligte entfernt, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorlag, wobei besonders Einwilligung und nach der Rechtsprechung auch mutmaßliche Einwilligung in Betracht kommen in Fällen, in denen der Berechtigte nach den Umständen - Bestehen freundschaftlicher oder verwandtschaftlicher Beziehungen, Bagatellschaden - mutmaßlich an Feststellungen uninteressiert ist. 75 Entschuldigt erfolgt die Entfernung bei Vorliegen von Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründen, auch bei vorübergehender Schuldunfähigkeit oder unvermeidbarem Verbotsirrtum. - Ist der Schuldausschluß allerdings rauschbedingt, so kommt wegen des Entfernens vom Unfallort eine Strafbarkeit nach § 323 a in Betracht. In diesem Fall entfällt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 142 Abs. 2 Nr. 2, denn der Täter hat sich nicht entschuldigtermaßen vom Unfallort entfernt, sondern schuldhaft im Sinne der Schuldanforderung des § 323 a gehandelt. 76 Nicht tatbestandsmäßig i.S. des § 142 Abs. 2 handelt der Täter, der sich unvorsätzlich vom Unfallort entfernt, weil er keine Kenntnis vom Unfall hat. Die Interpretation des BGH, es genüge, daß der Täter im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall von diesem Kenntnis erlangt habe 7 7 , geht über die durch den Wortlaut gesetzten Grenzen des § 142 hinaus. 7 8 In gleicher Weise nicht mit dem Gesetz vereinbar ist die Annahme, die unvorsätzliche, von Dritten veranlaßte oder erzwungene Entfernung des Täters vom Unfallort stehe einer berechtigten oder entschuldigten Entfernung gleich. Dies mag vom Gesetzessinn her zutreffen, ist jedoch angesichts des engen Wortlauts des Abs. 2 eine Analogie zu Ungunsten des Täters. 79

62

63

64

65

66

cc) Die Mindestvoraussetzungen der nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen, die 67 75

7 6

Vgl. BayObLG StV 1985 S. 109; OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 2725; OLG Frankfurt NJW 1960 S. 2067. Vgl. auch B a y O b L G N J W S . 3 4 3 f, KÜPER N J W

1 9 8 9 S . 1 6 8 5 m i t A n m . GEPPERT J K 9 0 , S t G B § 1 4 2 / 1 5 , KELLER J R

1 9 9 0 S. 2 0 9 ; BEULKE N J W

1 9 7 9 S . 4 0 4 ; RENGIER B . T . II, § 4 6 R d n .

1989 32;

RUDOLPHI S K II, § 1 4 2 R d n . 3 9 ; S C H / S C H / C R A M E R § 1 4 2 R d n . 5 4 . - A . A . B E R Z J u r a 1 9 7 9 S . 1 2 9 ; DORNSEIFER J Z 1 9 8 0 S . 3 0 3 ; K Ü P E R N J W 1 9 9 0 S . 2 1 0 ; M I S E R E J u r a 1 9 9 1 S . 2 9 9 f ; T R Ö N D L E S t G B , § 142

Rdn. 4 0 .

77

B G H S t 2 8 S. 129.

7 8

S o a u c h B E R Z J u r a 1 9 7 9 S . 1 2 8 ; B E U L K E N J W 1 9 7 9 S . 4 0 0 f f ; B O T T K E J A 1 9 8 0 S . 5 1 6 ; DORNSEIFER J Z 1 9 8 0 S. 3 0 1 f; GEPPERT J u r a

1 9 9 0 S . 8 5 ; K R E Y B . T . 2, R d n . 6 4 6 ; L A C K N E R / K Ü H L § 1 4 2 R d n . 2 5 ;

MAGDOWSKI V e r k e h r s u n f a l l f l u c h t ,

S . 1 6 0 f f ; RUDOLPHI J R

1979

S. 2 1 0

f f ; SCHWAB M D R

1983

S. 4 5 4 f. - A . A . O L G D ü s s e l d o r f J Z 1 9 8 5 S. 5 4 4 ; KÜPER H e i d e l b e r g - F S , S. 4 5 1 ; MAURACH/SCHROED E R / M A I W A L D B . T . 1, § 4 9 R d n . 5 4 ; V O L K D A R 1 9 8 2 S . 8 5 . 7 9

Vgl.

LACKNER/KÜHL § 142 R d n .

BayObLG

NJW

1982

S. 1 0 5 9

25. - A.A. mit

abl.

BGHSt

Anm.

3 0 S. 160 mit A n m .

BÄR J R

KLINKENBERG/LIPPOLD/BLUMENTHAL

1982 S. 379; NJW

1982

S. 2 3 5 9 f, JAKOB M D R 1 9 8 3 S. 4 6 1 f, SCHWAB M D R 1 9 8 3 S. 4 5 4 f.

415

§80

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

der Unfallbeteiligte erfüllen muß, um straffrei zu bleiben, beschreibt Abs. 3. Da der Verpflichtete gemäß Abs. 2 unverzüglich handeln muß, hat er die Wahl der Benachrichtigung, soweit das Unverzüglichkeitsgebot nicht verletzt wird. - Unverzüglich erfordert Handeln ohne vorwerfbares Zögern. Das bedeutet, daß dann, wenn eine der zur Wahl stehenden Möglichkeiten zu einer zeitlichen Verzögerung führt, die andere Möglichkeit zu realisieren ist. 80 68 dd) Der Vorsatz, bedingter genügt, umfaßt Kenntnis des Verkehrsunfalls und der möglichen Beteiligung sowie das Bewußtsein, daß nachträgliche Feststellungen erschwert oder vereitelt werden. c) Tätige Reue 69 aa) Nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der ausschließlich nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat, kann das Gericht die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von vierundzwanzig Stunden freiwillig die Feststellungen nachträglich ermöglicht, Abs. 4. - Freiwillig handelt der Unfallbeteiligte, wenn er aufgrund autonomer Motive handelt. 81 70 bb) Aber auch dann, wenn der Unfallbeteiligte nach Vollendung des Delikts, aber bevor ein Feststellungsverlust eingetreten ist, freiwillig die Feststellungen ermöglicht, ist kein Strafbedürfnis gegeben. Eine analoge Anwendung des § 306 e ist hier zu erwägen. d) Konkurrenzen 71 In der Regel besteht zwischen § 142 und der durch den Unfall verursachten Tat Realkonkurrenz. Das gilt auch, wenn der Täter vor und nach dem Unfall eine Dauerstraftat, § 316, begeht. Mit dem Entschluß, sich vom Unfallort zu entfernen, beginnt eine neue Tat. 8 2

IV. Angriff auf den Luft- und Seeverkehr, § 316 c 72 1. Die Vorschrift schützt die Sicherheit des zivilen Flug- und Seeverkehrs. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 73 2. § 316 c Abs. 1 Nr. 1 erfaßt die eigentliche Luft- und Seepiraterie. Ziel des Täters muß die Herrschaft über das Luftfahrzeug bzw. Schiff oder die Einwirkung auf dessen Führung sein, und zwar durch Gewaltanwendung, durch Angriff auf die Entschlußfähigkeit einer Person oder durch Vornahme sonstiger Machenschaften, die in der Wirkung einem Ausschluß der Entschlußfreiheit der Flugzeug- oder Schiffsführung gleichkommen. 83 74 3. § 316 c Abs. 1 Nr. 2 erfaßt Handlungen, die in der Absicht der Zerstörung oder Beschädigung des Luftfahrzeugs, des Schiffs oder seiner Ladung unternommen werden. 75 4. § 316 c Abs. 3 enthält eine Erfolgsqualifikation (wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen). - § 316 c Abs. 4 dehnt die Strafbarkeit bereits auf bestimmte Vorbereitungshandlungen aus. 76 5. Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 1) oder zum Strafausschluß (Abs. 3 Nr. 2) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 80

Vgl. BGHSt29S. 138.

81

Eingehender dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 19 Rdn. 36 ff. - Krit. zur Regelung des Abs. 4:

82

Dazu BayObLG JR 1982 S. 249 mit Anm. HENTSCHEL S. 250 f; OLG Celle GA 1982 S. 41.

83

Vgl. einerseits: SCH/SCH/CRAMER § 316 c Rdn. 16; andererseits: KUNATHJZ 1972 S. 201.

SCHULZ N J W 1 9 9 8 S. 1 4 4 0 f f .

416

Vollrausch

§81

6. Konkurrenzen: Da sich das Delikt gegen die Sicherheit des zivilen Luft- und See- 77 Verkehrs richtet, ist Idealkonkurrenz mit den durch die u.U. erfolgte Verletzung persönlicher Rechtsgüter begangenen Delikten (z.B. §§ 240, 223, 212, 239 b) möglich.

§ 81: Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a § 323 a stellt die Herbeiführung eines gemeingefährlichen Zustandes i.S. eines unberechenbaren, unbeherrschbaren und damit für die Rechtsgüter anderer gefährlichen Zustandes unter Strafe. Geschützte Rechtsgüter sind die in den übrigen Delikten strafrechtlich geschützten Rechtsgüter anderer. Diese Weite des Rechtsgutsschutzes macht deutlich, daß es sich sachlich um eine Ausdehnung der strafrechtlichen Haftung über den Vorsatzund Fahrlässigkeitsbereich hinaus in einen subjektiven Verantwortungsbereich hinein handelt, der nicht mehr die Vorhersehbarkeit der konkreten Rechtsgutsbeeinträchtigung zur Voraussetzung hat, sondern das allgemeine Wissen von der Gefährlichkeit und Nichtsteuerbarkeit einer bestimmten Situation. In der Sache ist § 323 a daher als Ergänzung der §§ 20, 21 und Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen über die Fahrlässigkeit hinaus anzusehen. 84 Formell handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da der Gesetzgeber davon abgesehen hat, diese allgemeine Haftungsausdehnung im Allgemeinen Teil zu regeln, wo sie sachlich hingehört hätte. 85 Sachlich enthält § 323 a eine Schuldzurechnungsregelung, und zwar eine Ergänzung der §§20, 21, die durchaus mit dem Schuldgrundsatz in Einklang steht, wenn als subjektives Tatbestandsmerkmal des § 323 a die Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustands für die Begehung von Delikten vorausgesetzt wird. 86 Auch die Rechtsprechung, die z.T. ausdrücklich betont, daß sie § 323 a als abstraktes Gefährdungsdelikt interpretiert 87 , kommt sachlich zum gleichen Ergebnis, indem sie Strafrahmenverschiebungen bei der Rauschtat nach §§ 27 Abs. 2 S. 2, 23 Abs. 2, 21 Abs.

84

Dazu auch HARDWIG Eb. Schmidt-FS, S. 473 ff; DERS. GA 1964 S. 144 f; HRUSCHKA Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1988, S. 298; MAURACH/ZIPF Strafrecht, A.T. 1, 8. Aufl. 1992, § 36 Rdn. 65; NEUMANN Zurechnung und "Vorverschulden", 1985, S. 125 ff; OTTO Jura 1986 S. 478 ff; STRENG JZ 1984 S. 118 ff; DERS. ZStW 101 (1989) S. 318 ff.

85

Die h.M. ordnet den § 323 a schlicht als abstraktes Gefährdungsdelikt ein, vgl. CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 17 ff m.w.N.; DENCKER NJW 1980 S . 2 1 5 9 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 7 9 7 ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 2 3 a R d n . 1; PUPPE G A 1 9 7 4 S . 1 1 5 ; DIES. J u r a 1 9 8 2 S . 2 8 1 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 1 9 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 2 3 a R d n . 1; W E S S E L S B . T . / l , R d n . 9 9 2 .

- Als konkretes Gefährdungsdelikt

interpretieren den Tatbestand: HEINITZ JR 1957 S. 347 ff; LANGE JR

1 9 5 7 S . 2 4 2 f f ; RANFT M D R 1 9 7 2 S . 7 4 1 ; DERS. J A 1 9 8 3 S . 1 9 4 ; W E L Z E L L b . , § 6 8 II. - F ü r e i n e

Auf-

spaltung in einen engeren und einen weiteren Vollrauschtatbestand: PAEFFGEN NK, § 323 a Rdn. 14 ff; WOLTER NStZ 1982 S.58 ff. 86

So im Ergebnis auch BEMMANN GA 1961 S. 73; CRAMER Vollrauschtatbestand, 1962, S. 106; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 9 6 R d n . 3 ; MONTENBRUCK G A 1 9 7 8 S . 2 4 0 f ; O T T O J u r a

1986 S. 481; SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 70; STRENG JR 1993 S. 37 f. - Einen Verstoß gegen das Schuldprinzip sieht in § 323 a ARTHUR KAUFMANN JZ 1963 S. 425 ff; dazu auch NEUMANN Zurechnung, S. 128; STRENG JZ 1984 S. 119. - Differenzierend: PAEFFGEN ZStW 97 (1985) S. 538; WOLTER NStZ 1982 S. 54 ff, der den Tatbestand aufspaltet und beim Fehlen einer Schuldbeziehung zwischen Rausch und Rauschtat einen Minimalstrafrahmen fordert. 87

Vgl. BGHSt 16 S. 124; 20 S. 284.

417

1

2

Vollrausch

§81

6. Konkurrenzen: Da sich das Delikt gegen die Sicherheit des zivilen Luft- und See- 77 Verkehrs richtet, ist Idealkonkurrenz mit den durch die u.U. erfolgte Verletzung persönlicher Rechtsgüter begangenen Delikten (z.B. §§ 240, 223, 212, 239 b) möglich.

§ 81: Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a § 323 a stellt die Herbeiführung eines gemeingefährlichen Zustandes i.S. eines unberechenbaren, unbeherrschbaren und damit für die Rechtsgüter anderer gefährlichen Zustandes unter Strafe. Geschützte Rechtsgüter sind die in den übrigen Delikten strafrechtlich geschützten Rechtsgüter anderer. Diese Weite des Rechtsgutsschutzes macht deutlich, daß es sich sachlich um eine Ausdehnung der strafrechtlichen Haftung über den Vorsatzund Fahrlässigkeitsbereich hinaus in einen subjektiven Verantwortungsbereich hinein handelt, der nicht mehr die Vorhersehbarkeit der konkreten Rechtsgutsbeeinträchtigung zur Voraussetzung hat, sondern das allgemeine Wissen von der Gefährlichkeit und Nichtsteuerbarkeit einer bestimmten Situation. In der Sache ist § 323 a daher als Ergänzung der §§ 20, 21 und Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen über die Fahrlässigkeit hinaus anzusehen. 84 Formell handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da der Gesetzgeber davon abgesehen hat, diese allgemeine Haftungsausdehnung im Allgemeinen Teil zu regeln, wo sie sachlich hingehört hätte. 85 Sachlich enthält § 323 a eine Schuldzurechnungsregelung, und zwar eine Ergänzung der §§20, 21, die durchaus mit dem Schuldgrundsatz in Einklang steht, wenn als subjektives Tatbestandsmerkmal des § 323 a die Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustands für die Begehung von Delikten vorausgesetzt wird. 86 Auch die Rechtsprechung, die z.T. ausdrücklich betont, daß sie § 323 a als abstraktes Gefährdungsdelikt interpretiert 87 , kommt sachlich zum gleichen Ergebnis, indem sie Strafrahmenverschiebungen bei der Rauschtat nach §§ 27 Abs. 2 S. 2, 23 Abs. 2, 21 Abs.

84

Dazu auch HARDWIG Eb. Schmidt-FS, S. 473 ff; DERS. GA 1964 S. 144 f; HRUSCHKA Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1988, S. 298; MAURACH/ZIPF Strafrecht, A.T. 1, 8. Aufl. 1992, § 36 Rdn. 65; NEUMANN Zurechnung und "Vorverschulden", 1985, S. 125 ff; OTTO Jura 1986 S. 478 ff; STRENG JZ 1984 S. 118 ff; DERS. ZStW 101 (1989) S. 318 ff.

85

Die h.M. ordnet den § 323 a schlicht als abstraktes Gefährdungsdelikt ein, vgl. CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 17 ff m.w.N.; DENCKER NJW 1980 S . 2 1 5 9 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 7 9 7 ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 2 3 a R d n . 1; PUPPE G A 1 9 7 4 S . 1 1 5 ; DIES. J u r a 1 9 8 2 S . 2 8 1 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 1 9 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 2 3 a R d n . 1; W E S S E L S B . T . / l , R d n . 9 9 2 .

- Als konkretes Gefährdungsdelikt

interpretieren den Tatbestand: HEINITZ JR 1957 S. 347 ff; LANGE JR

1 9 5 7 S . 2 4 2 f f ; RANFT M D R 1 9 7 2 S . 7 4 1 ; DERS. J A 1 9 8 3 S . 1 9 4 ; W E L Z E L L b . , § 6 8 II. - F ü r e i n e

Auf-

spaltung in einen engeren und einen weiteren Vollrauschtatbestand: PAEFFGEN NK, § 323 a Rdn. 14 ff; WOLTER NStZ 1982 S.58 ff. 86

So im Ergebnis auch BEMMANN GA 1961 S. 73; CRAMER Vollrauschtatbestand, 1962, S. 106; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 9 6 R d n . 3 ; MONTENBRUCK G A 1 9 7 8 S . 2 4 0 f ; O T T O J u r a

1986 S. 481; SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 70; STRENG JR 1993 S. 37 f. - Einen Verstoß gegen das Schuldprinzip sieht in § 323 a ARTHUR KAUFMANN JZ 1963 S. 425 ff; dazu auch NEUMANN Zurechnung, S. 128; STRENG JZ 1984 S. 119. - Differenzierend: PAEFFGEN ZStW 97 (1985) S. 538; WOLTER NStZ 1982 S. 54 ff, der den Tatbestand aufspaltet und beim Fehlen einer Schuldbeziehung zwischen Rausch und Rauschtat einen Minimalstrafrahmen fordert. 87

Vgl. BGHSt 16 S. 124; 20 S. 284.

417

1

2

§81

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

2 gemäß § 323 a Abs. 2 sowie die Zahl der Rauschtaten und einen Rücktritt von der versuchten Rauschtat innerhalb der Schuld des Vollrausches berücksichtigt. 88

II. Die Voraussetzungen des Tatbestandes 3

4

5

6

1. Die Tathandlung Tathandlung ist das Sichversetzen in einen Rausch durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel, z.B. Rauschgift. - Rausch ist das für das jeweilige Rauschmittel typische, die psychischen Fähigkeiten durch Intoxikation beeinträchtigende Zustandsbild. Einen bestimmten Schweregrad setzt das Gesetz nicht voraus. Gleichwohl geht die h.M. davon aus, daß ein Rausch i.S. des § 323 a nur vorliegt, wenn die Intoxikation durch Rauschmittel einen Grad erreicht hat, in dem die Schuldfähigkeit des Täters mit Sicherheit zumindest erheblich vermindert ist i.S. des § 21, und zwar soll die verminderte Schuldfähigkeit in Bezug auf die Rauschtat bestimmt werden. 89 Die Abhängigkeit des Rauschbegriffs von der Schuldunfähigkeit bzw. der verminderten Schuldfähigkeit wird vom BGH inzwischen in Frage gestellt 90 , und auch in der Literatur wird zunehmend eine eigenständige Definition des Rauschbegriffs vorgeschlagen. Zum Teil wird der Rausch interpretiert als "Zustand, in dem der Täter infolge Rauschmittelkonsums hinsichtlich irgendeines (Straf-) Normverstoßes in irgendeiner Situation bereits nur noch vermindert schuldfähig wäre" 9 1 , oder kurz als Zustand der Sozialunfähigkeit 92 , während andere auf die absolute Fahruntüchtigkeit 93 bzw. auf die biologische Komponente der §§ 20, 21 9 4 abstellen wollen. Die Lösung des Rauschbegriffs von der Definition der Schuldunfähigkeit bzw. der verminderten Schuldfähigkeit ist ein Postulat vernünftiger Gesetzesauslegung, denn würde bereits der Rausch den sicheren Nachweis zumindest verminderter Schuldfähigkeit voraussetzen, so wäre das gesetzliche Erfordernis, daß der Täter in Folge des Rausches schuldunfähig war oder dies nicht auszuschließen ist, sinnlos. Es verwiese auf eine schlichte Tautologie. Jedoch auch der Bezug auf die Fahruntüchtigkeit oder einzelne Aspekte der Schuldunfähigkeit bleibt willkürlich. 95 Das Erfordernis des Rausches im Tatbestand des § 323 a stellt lediglich klar, daß die Gefahrensituation auf einem Rausch und nicht auf anderen Sachverhalten beruhen muß.

88

Vgl. dazu B G H JR 1993 S. 33 mit Anm. STRENG S. 35 ff, PAEFFGEN NStZ 1993 S. 66 ff; BGH NStZ 1994 S. 131 mit Anm. KUSCH S. 132, OTTO JK 94, StGB § 323 a/5; BGH StV 1994 S. 304.

8 9

FORSTER/RENGIER N J W 1 9 8 6 S . 2 8 7 2 ; HORN J R 1 9 8 0 S . 1 f f ; KREY B . T . l , R d n . 8 0 5 ; KÜPER B . T . , S . 1 5 6 f f ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 4 ; PAEFFGEN N S t Z 1 9 8 5 S . 8; RANFT J u r a 1 9 8 8 S . 1 3 8 ; RENGIER B . T . II, § 4 1 R d n . 2 2 ; W E B E R in; A r z t / W e b e r , L H 2 , R d n . 4 4 5 .

90

BGHSt 32 S. 48.

9 1

DENCKER N J W 1 9 8 0 S. 2 1 6 2 ; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 5 6 f f .

9 2

PUPPE J u r a 1 9 8 2 S . 2 8 5 .

93

MONTENBRUCK GA 1978 S. 225 ff.

94

HORN JR 1980 S. 7.

95

Im einzelnen zur Auseinandersetzung mit diesen Definitionen LACKNER Jescheck-FS, S. 659 ff.

418

Vollrausch

§81

Ein bestimmter Mindestschweregrad des Rausches ist daher nicht als Voraussetzung des Rauschbegriffs zu akzeptieren. 96 2. Die Rauschtat Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist die Rauschtat, d.h. eine rechtswidrige Tat i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 5, für die der Täter nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies zumindest nicht auszuschließen ist. Auch im Falle mehrerer Rauschtaten während des Rausches liegt nur ein Delikt des Vollrausches vor, bei dem mehrere objektive Bedingungen der Strafbarkeit erfüllt wurden. 9 7 Die Rauschtat muß den vollen objektiven und subjektiven Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. 98

7

a) Die Rauschtat kann ein Begehungs- oder Unterlassungsdelikt sein. Ist der Täter infolge seines Rausches jedoch nicht mehr handlungsfähig, so kommt eine Haftung nicht in Betracht. § 323 a soll der Gefahr begegnen, die ein handlungsfähiger aber berauschter und daher in seiner Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit beeinträchtigter Täter verwirklicht, nicht aber den Haftungsrahmen über die Handlungsmöglichkeiten im konkreten Fall hinaus ausdehnen.

8

Auch unterlassene Hilfeleistung, § 323 c, kann Rauschtat sein, wenn der Täter in der Lage ist zu erkennen, daß der in Not Geratene auf seine Hilfe angewiesen und ihm die Hilfeleistung möglich ist. 9 9

b) Ist die Rauschtat nur als vorsätzliche Tat mit Strafe bedroht, so muß der Täter die 9 Kenntnis der Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes sowie den Verwirklichungswillen (finales Element des Vorsatzes = natürlicher Vorsatz) gehabt haben. c) Soweit die Rauschtat eine besondere Absicht voraussetzt, muß der zielgerichtete Wille 10 des Täters vorhanden gewesen sein. Ist diese Absicht im Gesetz als spezifisch rechtswidrige Absicht gekennzeichnet, wie z.B. die Absicht rechtswidriger Zueignung in § 242 oder die Absicht rechtswidriger Bereicherung in §§ 253, 263, so läßt die h.M. dieses Erfordernis in Wirklichkeit entfallen, indem sie lediglich die "natürliche zielgerichtete Absicht" voraussetzt. 100 - Dies ist nicht sachgerecht, denn gerade die Absicht rechtswidriger Zueignung bzw. Bereicherung gibt diesen Delikten ihre spezifische Angriffsrichtung, vgl. dazu § 38 Rdn. 12. Da der Täter jedoch im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit nicht mehr fähig ist, das 11 Unerlaubte seines Verhaltens einzusehen oder sich danach zu richten, kann er die geforderte rechtsfeindliche Einstellung seiner Zueignungs- bzw. Bereicherungsabsicht gerade nicht erkennen, bzw. sich danach richten. Damit aber kann er das geforderte Spezifikum der Absicht nicht verwirklichen. Im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit kann daher eine Rauschtat, die die Re- 12

96

Vgl. dazu JAKOBS Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1991, 17/62; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 9 6 R d n . 17 f ; OTTO J u r a 1 9 8 6 S. 4 8 2 f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 3 1 ; S P E N D E L L K , § 3 2 3 a R d n . 1 5 4 ;

TRÖNDLE StGB, § 323 a Rdn. 5 a ff; DERS. Jescheck-FS, S. 682 ff. 97

BGH StV

98

A.A. SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 201: Mindestvoraussetzung eine objektiv-straftatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat.

99

1990

S.

404;

BGH StV

1994

S.

128.

So auch BayObLG NJW 1974 S. 1520; DENCKER NJW 1980 S. 2165; DERS. JuS 1980 S. 214; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 7 0 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 175; STRENG J Z 1 9 8 4 S. 114 f f . - A . A . BACKMANN J u S 1 9 7 5 S. 7 0 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 6 ; LENCKNERJR 1 9 7 5 S . 31 f f .

100

Vgl. dazu BayObLG NJW 1992 S. 2040 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 323 a/3.

419

§81

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

alisierung einer rechtswidrigen Absicht fordert, nicht verwirklicht werden. Dies ist jedoch kein Mangel, denn da bei den entsprechenden Delikten eine unabänderbare Sachlage durch die Tat im Rausch nicht eintritt, ist das Verhalten des Täters im zurechnungsfähigen Zustand für die strafrechtliche Beurteilung relevant. Eignet er sich in diesem Zustand z.B. eine fremde Sache rechtswidrig zu, so haftet er nach § 246. 1 0 1 13 d) Ein Irrtum des Täters, der nicht auf seinem Rausch beruht, ist nach allgemeiner Ansicht genauso zu behandeln wie ein Irrtum eines nüchternen Täters. Beim rauschbedingtem Irrtum will die Rechtsprechung den Täter hingegen nicht entlasten. Dem ist nicht zu folgen. 14 Das Erfordernis der Rauschtat hat eine strafbarkeitsbegrenzende Funktion. - Pflichtwidrig handelt der Täter, weil er sich vorsätzlich oder fahrlässig in den gemeingefährlichen Rauschzustand versetzt hat. Bestraft wird er jedoch nur, wenn er in diesem Zustand eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat begeht. - Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Unrechtstatbestandes dieser Tat müssen gegeben sein. Da der Täter die Tat aber in einem Zustand begangen hat, in dem zumindest nicht auszuschließen ist, daß er unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ist das Unrechtsbewußtsein, und zwar im umfassenden Sinne - materielles und formelles Unrechtsbewußtsein 102 -, nicht Voraussetzung der Rauschtat. 15 Das hat die Konsequenz, daß ein sog. Tatbestandsirrtum, wenn er auf den Rausch zurückzuführen ist, nicht anders zu behandeln ist als ein nicht rauschbedingter Irrtum. Hingegen kann ein sog. Verbotsirrtum, der darauf beruht, daß der Täter aufgrund seines Rauschzustandes nicht mehr in der Lage ist einzusehen, was erlaubt ist, ihn nicht entlasten. 103 16 e) Der Rücktritt vom Versuch der Rauschtat entlastet den Täter. - Der Gesetzeswortlaut des § 323 a Abs. 1: "... rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war ...", ist dahin zu interpretieren: "... rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war." - Ob der Rücktritt im berauschten Zustand oder schon nüchtern erfolgte, ist irrelevant. Da der natürliche Vorsatz zur Begründung des Versuchs genügt, muß er für den Rücktritt hinreichen. 104 3. Die subjektiven Voraussetzungen des Vollrausches 17 Der Täter muß sich vorsätzlich oder fahrlässig in den Rauschzustand versetzt haben. Beruht der Rauschzustand auf dem Zusammenwirken von Rauschmitteln und anderen Grün-

101

Für Erfassung des Unrechts des Gesamtverhaltens durch das Eigentumsdelikt im nüchternen Zustand: WESSELS B.T./l, Rdn. 1003: mitbestrafte Vortat; SCH/SCH/CRAMER § 323 a Rdn. 32: Subsidiarität. Das Eigentumsdelikt sieht als mitbestrafte Nachtat an: OLG Celle NJW 1962 S. 1833.

1 0 2

D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § § 7 R d n . 6 2 f f , 13 R d n . 3 9 f f .

1 0 3

S o a u c h DENCKER N J W 1 9 8 0 S . 2 1 6 4 f ; KREY B . T . 1, R d n . 8 0 1 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 9 6 R d n . 13; PAEFFGEN N K , 3 2 3 a R d n . 7 3 f f ; RANFT J A 1 9 8 3 S . 2 4 1 f ; SCHÜLER-SPRIN-

GORUM MschrKrim 1973 S. 363 ff; TRÖNDLE StGB, § 323 a Rdn. 13. - A.A. BGH NJW 1953 S. 1442; O L G C e l l e N J W 1 9 6 9 S . 1 7 7 5 ; BOCKELMANN B . T . / 3 , § 2 5 I V 2 ; KUSCH D e r V o l l r a u s c h , 1 9 8 4 , S . 8 8 f f M.w.N. 104

Vgl. BGH NStZ 1994 S. 131 mit zust. Anm. OTTO JK 94, StGB § 323 a/5, und abl. Anm. KUSCH NStZ 1 9 9 4 S . 1 3 2 ; B G H S t V 1 9 9 4 S . 3 0 4 ; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 8 0 ; TRÖNDLE S t G B , § 3 2 3 a R d n . 4 6 . - A . A . RANFT M D R 1 9 7 2 S . 7 4 3 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 2 2 1 .

420

Vollrausch

§81

den - Erregung, Medikamenten -, so muß die Vorhersehbarkeit des Täters sich darauf erstrecken, daß im Zusammenwirken dieser Gegebenheiten ein Rauschzustand entsteht. 105 Weiter muß der Täter die allgemeine Kenntnis haben, daß ein Rauschzustand gefährlich ist, weil es in einem derartigen Zustand zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen Dritter kommen kann, und zwar unabhängig, ob das Delikt als abstraktes Gefährdungsdelikt oder als Erweiterung des Haftungsrahmens über §§20, 21 hinaus interpretiert wird. Die allgemeine Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustandes ist Mindesterfordernis des Schuldgrundsatzes. 106 a) Hat der Täter sich vorsätzlich in einen Rausch versetzt, um eine Straftat im Rausch- 18 zustand zu begehen, so haftet er nicht aus § 323 a, sondern aus dem Tatbestand der verwirklichten Tat wegen einer actio libera in causa. 107 b) Hat der Täter Vorkehrungen gegen die Realisierung von Gefahren im Rausch getroffen, 19 die mit Sicherheit eine Realisierung der Gefahren ausgeschlossen hätten, so haftet er nicht, wenn durch bewußtes Eingreifen Dritter diese Vorkehrungen beseitigt werden. Ihm fehlt in dieser Situation die allgemeine Kenntnis von der Gefährlichkeit seines konkreten Zustandest 0 8 4. Teilnahme am Vollrausch Teilnahme am Vollrausch, § 323 a, ist ausgeschlossen. Dies folgt daraus, daß es sich hier 20 sachlich um kein eigenständiges Delikt handelt, sondern um eine Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen in einer bestimmten Situation für bestimmte Personen. 109 Die Beteiligung an der Rauschtat richtet sich nach den allgemeinen Regeln. 5. Wahlfeststellung Eine Wahlfeststellung zwischen der Rauschtat und dem Vollrausch kommt nicht in Be- 21 tracht, da zwischen der im Rausch begangenen Rechtsgutsbeeinträchtigung und der voll verantwortlich verwirklichten Rechtsgutsbeeinträchtigung ein normatives Stufenverhältnis besteht. Ist nicht nachweisbar, ob der Täter die Rauschtat im Zustand der Schuldunfähigkeit, der 22 verminderten Schuldfähigkeit oder - trotz Rausches - in einem Zustand voller Zurechnungsfähigkeit begangen hat, so ist er, wenn der Rausch erwiesen ist, aus § 323 a zu bestrafen. Der Rauschtäter, der - wenn er schuldfähig gewesen wäre - aus der für die im Rausch begangene Tat geltenden Norm verurteilt werden müßte, ist durch die Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" nicht schlechter gestellt, wenn gegen ihn wegen nicht 105

Dazu BGH NJW 1979 S. 1370; BGH NStZ 1982 S. 116; BGH StV 1987 S. 246 mit Anm. NEUMANN S. 247 ff. - Zum erstmaligen Auftreten eines pathologischen Rausches vgl. BGHSt 40 S. 198.

106

Dazu auch BGHSt 10 S. 251.

107

Dazu sowie zur fahrlässigen Haftung trotz Rausches GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 13 Rdn. 15 ff.

1 0 8

V g l . a u c h MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 9 6 R d n . 5 ; OTTO J u r a 1 9 8 6 S. 4 8 6 ; SPENDEL L K ,

109

Str., die Stellungnahmen sind wesentlich durch die jeweilige Auffassung über die Rechtsnatur des § 323 a geprägt, doch Uberwiegt die Auffassung, daß eine Teilnahme am Vollrausch nicht möglich ist.

§ 323 a Rdn. 64. - A.A. OLG Hamburg JR 1982 S. 345 mit Anm. HORN S. 347 ff.

V g l . d a z u HAFT B . T . , § 3 7 II 5 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 17; RANFT J A 1 9 8 3 S . 2 4 4 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 2 3 a R d n . 2 5 ; WELZEL L b . , § 6 8 II 4 a. - A . A . B G H S t 10 S. 2 4 8 ; BRUNS J Z 1 9 5 8 S. 105 f f ; LANGE J Z 1 9 5 3 S. 4 0 8 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 9 6 R d n . 2 3 f ;

PAEFFGEN NK, § 323 a Rdn. 66; ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 6. Aufl. 1994, S. 431 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 3 3 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 2 6 9 f f .

421

§81

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

ausgeschlossener Schuldunfähigkeit die weniger gravierende Norm des § 323 a zur Anwendung kommt. 1 1 0 23 Eine Strafbarkeitslücke ist allerdings auch innerhalb dieser Konzeption begründet: Ist nicht nachweisbar, ob der Täter einen Rausch hatte oder nicht, so kann er weder aus dem Vollrausch noch aus der Rauschtat bestraft werden. 1 1 1 6. Die Strafe 24 Die Strafe ist begrenzt durch den Strafrahmen der Rauschtat, § 323 a Abs. 2; zum Strafantrag vgl. Abs. 3.

1 1 0

V g l . B G H S t 3 2 S. 5 4 f f ; B G H b e i H o l t z , M D R 1 9 9 3 S. 4 0 7 ; DREHER M D R 1 9 7 0 S . 3 7 0 f; HEISS N S t Z 1 9 8 3 S. 6 9 ; OTTO P e t e r s - F S , S. 3 8 2 f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 3 1 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 1 5 4 f f ; TRÖNDLE J e s c h e c k - F S , S. 6 7 8 f f ; WOLTER W a h l f e s t s t e l l u n g u n d in d u b i o p r o reo, 1 9 8 7 , S . 7 5 f f .

111

Dazu SCHUPPNER/SLPPEL NStZ 1984 S. 67 ff.

422

Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der U m w e l t s t r a f n o r m e n

§82

Sechster Abschnitt Straftaten gegen die Umwelt § 82: Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnormen 1. Die Intention des Gesetzgebers Mit dem am 1.7.1980 in Kraft getretenen 18. Strafrechtsänderungsgesetz - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - hat der Gesetzgeber wichtige Tatbestände zum Schutz der Umwelt, die zuvor in Spezialgesetzen des Nebenstrafrechts - z.B. im WasserhaushaltsG, Bundes-ImmissionsschutzG, AbfallG und AtomG - enthalten waren, erweitert, modifiziert und im Strafgesetzbuch zusammengefaßt. Weniger bedeutsame Vorschriften - z.B. § 148 GewerbeO, §§ 51, 52 LebensmittelG, §§ 63 ff Bundes-SeuchenG, § 74 TierschutzG, § 39 PflanzenschutzG - blieben in den Spezialgesetzen. Mit der Regelung des Umweltstrafrechts im Strafgesetzbuch wollte der Gesetzgeber das Bewußtsein der Öffentlichkeit für die Sozialschädlichkeit von Umwelteingriffen schärfen, die Anerkennung selbständiger Umweltschutzgüter fördern, die Vereinheitlichung der Materie erleichtern und eine Erhöhung der generalpräventiven Wirkung dieser Normen erzielen.1 2. Die Verwirklichung der gesetzten Ziele Diese Zielsetzung fand damals in der Literatur breite Zustimmung und wird auch heute weithin positiv beurteilt.2 Kritisiert wurde jedoch, daß die Intentionen des Gesetzgebers sich nicht realisiert haben. Eingehende Untersuchungen, die für die Bundesrepublik Deutschland belegen, daß das Strafrecht in seiner wichtigsten Zielsetzung, schwerwiegende Umweltbeeinträchtigungen zu ahnden und die Effizienz der Umweltschutznormen zu stärken, versagt und zugleich im Bagatellbereich Überreaktion erzeugt, mehrten den Verdacht, daß "das Umweltstrafrecht rechtliche Potenz nur vorgaukele" 3 und begründeten die Forderung in der Öffentlichkeit nach einer Verschärfung des Strafrechts. Mit dem Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität v. 27,6.1994 (2. UKG) hat der Gesetzgeber die einzelnen Tatbestände des Umweltstrafrechts ergänzt und z.T. modifiziert. 4

1

BT-Drucks. 8/2382, S. 1, 9; 8/3633, S. 1 f, 19.

2

Vgl. zum einen: LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER ZStW 92 (1980) S. 912 ff; TIEDEMANN Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, 1980, S. 13; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, 1980, S. 30, jeweils mit w.N.; zum anderen: Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe "Umwelthaftungs- und Umweltstrafrecht" - Arbeitskreis "Umweltstrafrecht" v. 19.12.1988, S. 26, 38; Beschlüsse Nr. 1, 2 der strafrechtlichen Abteilung des 57. DJT, in: Verhandlungen des 57. DJT Mainz 1988, Bd. II, 1988, L 279 ff.

3

HEINE NJW 1990 S. 2425. - Vgl. auch BREUER JZ 1994 S. 1080; HEINE/MEINBERG Gutachten zum 57. DJT Mainz, 1988, D 72 ff; MEINBERG ZStW 100 (1988) S. 112 ff; SCHALL NJW 1990 S. 1263 ff; DERS. wistra 1992 S. 1 ff.

4

Vgl. dazu auch MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 513 ff, 566 ff; OTTO Jura 1995 S. 134 ff; SCHMIDT/SCHÖNE N J W 1 9 9 4 S . 2 5 1 4 ff.

423

1

2

3

4

§82

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

II. Die grundsätzlichen Problemstellungen des Umweltstrafrechts 1. Die Akzessorietät 5

6

7

8

9

des

Umweltstrafrechts

Das Umweltstrafrecht ist wesentlich geprägt durch eine enge Verflechtung präventivverwaltungsrechtlicher und sanktionsrechtlicher Regelungen, die jeweils aufeinander bezogen sind. Das damit verbundene hohe Maß an Begriffs-, Verwaltungs- und Verwaltungsrechtsakzessorietät der strafrechtlichen Regelungen begründet ihre grundsätzliche Problematik. a) Die begriffliche Akzessorietät Die begriffliche Akzessorietät des Umweltstrafrechts besteht in der Übernahme von Begriffen des Umweltverwaltungsrechts - z.B. Abfall, kerntechnische Anlagen - in das Umweltstrafrecht. Diese Akzessorietät ist aufgrund des zwischen den Materien bestehenden Sachzusammenhangs sachgerecht und fördert die Rechtssicherheit. Zu beachten ist aber, daß die unterschiedlichen Schutzfunktionen der Regelungen in den verschiedenen Sachgebieten inhaltliche Abweichungen in der Bestimmung einzelner Begriffe begründen können. Das aber fördert Rechtsunsicherheit. b) Die Verwaltungsrechtsakzessorietät Im Falle der Verwaltungsrechtsakzessorietät ist der strafrechtliche Tatbestand als Blankettnorm ausformuliert, der die Zuwiderhandlung gegen eine verwaltungsrechtliche Norm voraussetzt. Problematisch ist diese Gesetzestechnik vor allem, da einzelne Strafrechtsnormen an die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten und damit an Rechtsvorschriften anderer Gesetzgeber anknüpfen; vgl. z.B. §§ 311, 325 Abs. 1, 2, 326 Abs. 3, 328 Abs. 3 in Verb, mit § 330 d Nr. 4 a. Die hiergegen vorgebrachten Bedenken hat das BVerfG jedoch insoweit zurückgewiesen, als die ausfüllende Norm sich darauf beschränkt, das zu spezifizieren und zu konkretisieren, was im Strafgesetz und in der Ermächtigungsnorm schon im wesentlichen mit hinreichender Bestimmtheit entschieden ist. 5 c) Die Verwaltungsakzessorietät Verwaltungsakzessorietät liegt vor, wenn die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens von der Einzelanordnung einer Verwaltungsbehörde, einem Verwaltungsakt, abhängig ist, wie z.B. in §§ 325 Abs. 1, 2 in Verb, mit § 330 d Nr. 4, 327, 328 Abs. 1, oder das Fehlen einer Befugnis - vgl. §§ 324, 326 - voraussetzt. Im Einzelfall können hier Art. 103 Abs. 2 und Art. 92 GG berührt sein. 6 Soweit sich die Verwaltung im Rahmen der Konkretisierung und Spezifizierung der gesetzlichen Vorgaben hält, ist die Akzessorietät gegenüber einem formell und materiell rechtmäßigen Verwaltungsakt jedoch zu akzeptieren. Die Probleme liegen in der Bindung an rechtswidrige Verwaltungsakte, die zwar anfechtbar, aber bis zur Rücknahme rechtswirksam sind; vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG. Ihre Wirksamkeit ist aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auch im Strafrecht grundsätzlich anzuerkennen. 7 5

Dazu BVerfGE 75 S. 342; 78 S. 382; KÜHL Lackner-FS, S. 824 ff; OTTO Jura 1991 S. 310 f; SCHALL NJW 1990 S. 1266; DERS. wistra 1992 S. 4 f; STEINDORF LK, Vor § 324 Rdn. 28. - Vgl. auch MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 515; OTTO Jura 1995 S. 138 f.

6

D a z u BREUER J Z 1 9 9 4 S. 1 0 8 3 f f , 1 0 8 9 f f ; KÜHL L a c k n e r - F S , S. 8 3 4 f f , 8 3 9 f f ; OTTO J u r a 1991 S. 3 1 1 f f ; SCHALL N J W 1 9 9 0 S. 1 2 6 6 f f ; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n . 2 2 f f ; TIEDEMANN H a n d w ö r t e r b u c h

des Umweltrechts (HdUR), Bd. II, 1994, S. 2450 f; WINKELBAUER Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, 1985, S. 34 ff. 7

424

Dazu BGHSt 23 S. 91; 31 S. 314; OLG Köln wistra 1991 S. 74; DÖLLING JZ 1985 S. 465 f; HEI-

K r i m i n a l p o l i t i s c h e Z i e l e , R e c h t s g u t u n d S c h u t z b e r e i c h der U m w e l t s t r a f n o r m e n

§ 82

Den durch diese Bindung an u.U. rechtswidriges Verwaltungshandeln begründeten Gefahren ist je nach der unterschiedlichen Sachlage zu begegnen. aa) Der durch die Bindung an einen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt be- 10 gründeten Gefahr, daß im Einzelfall nicht ein sozialschädlicher Eingriff in Umweltrechtsgüter bestraft wird, sondern schlichter Ungehorsam gegenüber der Verwaltung, bzw. ein nur formaler Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, kann dadurch begegnet werden, daß auch hier ein persönlicher Strafausschließungsgrund für die Fälle anerkannt wird, in denen das Verhalten des Täters das Rechtsgut nicht beeinträchtigte und der Täter dieses auch wußte. 8 bb) Der Gefahr rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte, z.B. rechtswidriger Ge- 11 nehmigungen, die dem Täter eine Befugnis einzuräumen scheinen, die Umwelt sozialschädlich zu beeinträchtigen, sind Rechtsprechung und h.L. bereits zuvor durch Begrenzung der Wirksamkeit in Fällen des Rechtsmißbrauchs begegnet. Derjenige konnte sich nicht auf einen begünstigenden Verwaltungsakt berufen, der ihn durch Täuschung, Drohung und kollusives Zusammenwirken mit der Umweltbehörde erlangt h a t t e t Mit § 330 d Nr. 5 hat der Gesetzgeber im 2. UKG den Rechtsmißbrauchsgedanken 12 nunmehr positiviert und seine Grenzen gesetzlich fixiert: Der durch Drohung, Bestechung, falsche Angaben oder Kollusion erlangte Verwaltungsakt begründet keine rechtswirksamen Handlungsbefugnisse. Unter Kollusion versteht der Gesetzgeber den Fall gemeinschaftlichen Rechtsbruchs des Täters mit Personen, die auf Seiten der Genehmigungsbehörde in das Verfahren eingeschaltet sind.'®

Dadurch, daß das Handeln aufgrund einer erschlichenen Befugnis dem ohne Befugnis 13 gleichgestellt wird, geht die Regelung ihrem Wortlaut nach über den Gehalt des Rechtsmißbrauchsgedankens hinaus. Nicht nur dem Täter wird die Berufung auf den Verwaltungsakt versagt, dieser wird vielmehr dem nichtigen Verwaltungsakt gleichgestellt. Das kann Probleme für die Beurteilung des Verhaltens gutgläubiger Dritter begründen. - Im Wege restriktiver Auslegung ist § 330 d Nr. 5 daher auf den Rechtsmißbrauchsgedanken N E / M E I N B E R G G u t a c h t e n , D 4 9 ; LENCKNER P f e i f f e r - F S , S . 2 8 ; PAPIER N U R

1 9 8 6 S . 3 f ; RUDOLPHI

NStZ 1984 S. 197; TIEDEMANN Neuordnung, S. 39. - A.A. Für eine eigenständige Bestimmung der Nichtigkeitsgründe eines Verwaltungsakts im Strafrecht: RENGIER ZStW 101 (1989) S. 897 f; SCHÜNEMANN wistra 1986 S. 239. - Für eine grundsätzliche Bindung nur an materiell rechtmäßige Verwaltungsakte: KÜHL Lackner-FS, S. 842 ff m.w.N.; SCHALL NJW 1990 S. 1266 ff; DERS. NStZ 1 9 9 2 S . 2 1 3 f. 8

9

Vgl. auch FRISCH Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht, 1993, S. 4 2 ff; HEINE/MEINBERG Gutachten, D 50; OTTO Jura 1991 S. 312; SCH/SCH/CRAMER Vorbem. §§ 324 ff Rdn. 21; SCHWARZ G A 1993 S. 318 ff; WÜTERICH NStZ 1987 S. 108. - Zur Situation des Anspruchs auf die Genehmigung vgl. KINDHÄUSER Helmrich-FS, S. 983; RUDOLPHI Z f W 1992 S. 209. Zur grundsätzlichen Problematik des unbefugten, aber nicht rechtsgutsgefährdenden Verhaltens vgl. unter § 78 Rdn. 5 ff. Vgl. BGHSt 39 S. 387; OLG Celle NdsRpfl. 1986 S. 218; LG Hanau NJW 1988 S. 576; StA Mannheim N J W 1 9 7 6 S . 5 8 6 ; B L O Y Z S t W 1 0 0 ( 1 9 8 8 ) S . 5 0 4 ; DÖLLING J Z 1 9 8 5 S . 4 6 9 ; HEINE N J W 1 9 9 0 S . 2 4 3 0 ; O T T O J u r a 1 9 9 1 S . 3 1 3 ; PAPIER N u R 1 9 8 6 S . 4 ; RUDOLPHI Z f W 1 9 8 2 S . 2 0 3 ; W I M M E R J Z 1 9 9 3 S . 6 7

ff. - Im Ergebnis übereinstimmend: FRISCH Verwaltungsakzessorietät, S. 7 0 ff. - Z. T. wird dem Rechtsmißbrauchsgedanken nur dort Raum gegeben, w o dem rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt rechtfertigende Wirkung zukommt, nicht aber dort, w o er den Tatbestandsausschluß bewirkt, vgl. KÜHL Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1997, § 9 Rdn. 131; LENCKNER Pfeiffer-FS, S. 27; SCH/SCH/CRAMER V o r § § 3 2 4 f f R d n . 17. 10

Vgl. BT-Drucks. 12/7300, S. 25. - Im einzelnen zu der Neuregelung PASCHKE wistra 1996 S. 161 ff; R O G A L L G A 1 9 9 5 S . 2 9 9 f f ; STEINDORF L K , § 3 3 0 d R d n . 7 .

425

§82

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

zurückzuführen: Derjenige, der eine Befugnis erschlichen hat oder vom Erschleichen Kenntnis hat, kann sich bei seinem Handeln nicht auf diese berufen. 11 14 cc) Keine Gefahren für die Anwendung der Strafrechtsnormen bilden rechtswidrige Duldungen der Verwaltungsbehörden. Sie mögen im Einzelfall einen strafrechtlich relevanten Irrtum des Täters begründen, ihnen kommt jedoch keine legalisierende Wirkung zu. 1 2 d) Abhängigkeit von gerichtlichen Entscheidungen 15 Die gleichen Probleme wie bei der Verwaltungsakzessorietät stellen sich dort, wo die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten an gerichtliche Entscheidungen anknüpft, § 330 d Nr. 4 b. 2. Die Strafbarkeit der

Amtsträger

16 Da vielfach die wenig erfreuliche tatsächliche Umweltsituation auf rechtswidriges Verhalten von Amtsträgern zurückgeführt wird, ist der Ruf nach einem Sondertatbestand für Amtsträger erhoben worden. 17 Gleichwohl hat der Gesetzgeber auch im 2. UKG davon abgesehen, einen Sondertatbestand über die Verantwortlichkeit von Amtsträgern in das Gesetz aufzunehmen, und es bei den allgemeinen strafrechtlichen Regeln belassen. Er ging davon aus, daß die Praxis bisher keine gravierenden Strafbarkeitslücken offenbart habe und daß ein derartiger Tatbestand die Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Umweltbehörden erschweren könne. >3 In der Tat bietet das geltende Recht hinreichend Möglichkeiten, kriminelles Fehlverhalten von Amtsträgern im Umweltbereich zu ahnden. - Es ist jedoch zu differenzieren: a) Sonderdelikte 18 Im Falle eines Sonderdelikts, das nur ganz bestimmte Personen als taugliche Täter zuläßt, z.B. als Adressat verwaltungsrechtlicher Pflichten, §§ 311, 325, oder als Betreiber einer Anlage, §§ 327, 329, kommt eine Strafbarkeit des Amtsträgers in der Regel nur unter dem Aspekt der Beihilfe in Betracht. Zu nicht mehr akzeptablen Ausdehnungen der Sonderpflicht vgl. unter Rdn. 24.

b) Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft 19 Bei den Allgemeindelikten, z.B. §§ 324, 326 sind Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft des Amtsträgers konstruktiv durchaus möglich, doch dürften die Fälle der Mit- oder Alleintäterschaft des Amtsträgers Ausnahmecharakter haben. - Das hat die Rechtsprechung jedoch nicht gehindert, Täterschaft des Amtsträgers anzunehmen. 20 Bei der Mittäterschaft hat der BGH Rückgriff auf eine weit interpretierte Interessentheorie genommen und Mittäterschaft bejaht, wenn der rechtswidrig an der Erteilung einer Genehmigung mitwirkende Amtsträger ein eigenes Interesse am Erfolg hat, weil er seinem Ruf als effizienter Abfallmanager gerecht werden will. - Mittelbare Täterschaft des Amts-

11

Vgl. auch PAETZOLD NStZ 1996 S. 173; STEINDORF LK, § 330 d Rdn. 6.

12

So auch OLG Karlsruhe ZfW 1996 S. 409; BREUER NJW 1988 S. 2082; DÖLLING JZ 1985 S. 469; FLUCK N U R 1 9 9 0 S . 1 9 7 f f ; HEINE N J W

1 9 9 0 S . 2 4 3 3 f; LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER Z S t W

92

(1980) S. 931 f; PFOHL NJW 1994 S. 422; Rogall NJW 1995 S. 922 ff; SCHALL NStZ 1992 S. 214 f. A . A . z . B . D A H S / P A P E N S t Z 1 9 8 8 S . 3 9 5 ; WASSMUTH/KOCH N J W 1 9 9 0 S . 2 4 3 9 f f ; WERNICKE N J W

1977 S. 1664. 13

Vgl. BT-Drucks. 12/7300, S. 21, 27; MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 515 f; OTTO Jura 1995 S. 139 f; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n . 4 9 f f .

426

Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen

§ 82

trägers soll bereits dann vorliegen, wenn der Amtsträger unter Verstoß gegen das Umweltrecht die Tatbestandsverwirklichung durch einen Gutgläubigen "freigibt". 14 Die Täterschaft ist in diesen Fällen jedoch nicht mehr auf Tatherrschaft gründbar, denn 21 die Erteilung einer rechtswidrigen Befugnis begründet keine Tatherrschaft und damit keine Täterschaft des Amtsträgers. Dieser beherrscht die Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Erteilung der Genehmigung nicht planend. Der Empfänger der Genehmigung entscheidet darüber, ob und wie er von der Genehmigung Gebrauch macht. Die Genehmigung verpflichtet nicht zum Gebrauch. Damit aber beherrscht der Amtsträger das Geschehen weder objektiv, noch hat er den Willen, das Geschehen steuernd zu lenken. Ihm kommt aufgrund der Beseitigung normativer Schranken auch keine "normative Tatherrschaft" zu, denn Tatherrschaft gründet auf reale Beherrschung des tatsächlichen Geschehens. Mit der Anerkennung einer "normativen Tatherrschaft" werden die Grundlagen der Tatherrschaftslehre verlassen. 15 c) Fahrlässige Täterschaft Eine strafrechtliche Haftung des Amtsträgers wegen fahrlässiger Umweltbeeinträchtigung 22 ist möglich, wenn der Amtsträger pflichtwidrig gehandelt hat und der Begünstigte ohne die rechtswidrig erteilte Befugnis die Umweltbeeinträchtigung nicht vorgenommen hätte. 1« d) Unterlassungstäterschaft aa) Den Umweltbehörden ist in ihrem Aufgabenbereich und innerhalb der ihnen zu- 23 gewiesenen Befugnisse der Schutz der Umweltgüter anvertraut. Die zuständigen Amtsträger haben in diesem Rahmen diesen Gütern Schutz zu gewähren, sie sind daher Beschützergaranten, die rechtswidrige Eingriffe in die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Umweltgüter abzuwehren haben. 1 7 bb) Eine Haftung des Amtsträgers als Überwachungsgarant wird nur in Ausnahmefällen 24 in Betracht kommen, in denen ein Amtsträger Garant dafür ist, daß Gefahren, die in einer bestimmten Anlage begründet sind, sich nicht in einer Umweltbeeinträchtigung realisieren. 1 8 14

Vgl. dazu BGHSt 39 S. 381 mit zust. Anm.HORN JZ 1994 S. 636, RUDOLPHI NStZ 1994 S. 433 ff, und abl. Anm. MICHALKE NJW 1994 S. 1696 ff, OTTO JK 94, StGB Vor §§ 324 ff/2.

15

D a z u BREUER N J W 1 9 8 8 S. 2 0 8 4 ; IMMEL Z R P 1 9 8 9 S . 107; LACKNER/KÜHL V o r § 3 2 4 R d n . 10; OTTO Jura 1 9 9 1 S. 3 1 4 f; SCHALL N J W 1 9 9 0 S. 1 2 6 9 ; DERS. wistra 1 9 9 2 S. 3 f; ROGALL N J W 1 9 9 5 S. 9 2 5 ,

Fn. 51; TRÖNDLE Meyer-GedS, S. 613 ff. - A.A. BGHSt 39 S. 381; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 2757; HORN N J W 1 9 8 1 S. 4; KELLER JR 1 9 8 8 S. 174; MEINBERG N J W 1 9 8 6 S. 2 2 2 2 ; RENGIER B . T . II, § 4 7 R d n . 2 5 ; RUDOLPHI D ü n n e b i e r - F S , S. 5 6 6 ; DERS. N S t Z 1 9 8 4 S . 198; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n .

53; TIEDEMANN/KINDHÄUSER NStZ 1988 S. 345; WINKELBAUER NStZ 1986 S. 151. 16

17

Vgl. auch OTTO Jura 1991 S. 315; RUDOLPHI Dünnebier-FS, S. 567; TRÖNDLE Meyer-GedS, S. 617. Weiter WINKELBAUER NStZ 1986 S. 152. V g l . B G H S t 3 8 S. 3 2 5 m i t A n m . MICHALKE N J W 1 9 9 4 S. 1 6 9 3 f f . NESTLER G A 1 9 9 4 S. 5 1 4 f f , OTTO

JK 93, StGB § 13/21, SCHALL JuS 1993 S. 719 ff, SCHWARZ NStZ 1993 S. 285 f; OLG Saarbrücken N J W 1991 S. 3 0 4 5 m i t A n m . KÜHNE S. 3 0 2 0 ; L G B r e m e n N S t Z 1 9 8 2 S. 164; BRAMMSEN D i e E n t s t e -

hungsvoraussetzungen der Garantenpflichten,

1986, S. 197 f; KUHLEN WiVerw.

1992 S. 299;

LACKNER/KÜHL V o r § 3 2 4 R d n . 11; MÖHRENSCHLAGER N u R 1 9 8 3 S. 2 1 2 ; RANFT J Z 1 9 8 7 S. 9 1 6 ,

RENGIER B.T. II, § 47 RDN. 31; ROGALL Die Strafbarkeit von Amtsträgern im Umweltbereich, 1991, S . 2 2 3 ; SCHULTZ A m t s w a l t e r u n t e r l a s s e n , 1 9 8 4 , S. 1 6 6 ff; STEINDORF L K , § 3 2 4 Rdn. 5 6 ; WLNKELBAUER N S t Z 1 9 8 6 S . 151. - A . A . GEISLER N J W 1 9 8 2 S. 12; RUDOLPHI D ü n n e b i e r - F S , S. 5 8 0 ; SCHALL N J W 1 9 9 0 , S. 1 2 7 0 ; SCHÜNEMANN w i s t r a 1 9 8 6 S. 2 4 3 f; TRÖNDLE M e y e r - G e d S , S. 6 1 8 f f . 18

Dazu auch SCHALL NJW 1990S. 1270; TRÖNDLE Meyer-GedS, S. 620.

427

§82

Dritter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter der Gesamtheit

Zu weit geht es, aus der Herrschaft über ein Grundstück bereits eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Müllablagerungen Dritter zu begründen, denn der Grundstückseigentümer ist nicht Garant für das rechtmäßige Verhalten Dritter. 25 cc) Hingegen ist eine Haftung wegen Unterlassens nach vorangegangenem gefährlichen Tun möglich, wenn der Amtsträger nach Erteilung einer rechtswidrigen Genehmigung nicht von einer möglichen Rücknahme Gebrauch macht. - Garant ist in diesem Fall aber nur der Amtsträger, der die rechtswidrige Befugnis erteilt hat. Die Haftung aus vorangegangenem gefährlichen Tun erstreckt sachlich die Begehungshaftung über den Zeitraum der Kongruenz von subjektivem und objektivem Tatbestand hinaus. In diese Position kann kein Täter durch Amtsnachfolge hineinwachsen, er selbst muß die Gefahr begründet habend 3. Grenzen des strafrechtlichen

Umweltschutzes

26 Selbst schwerste Umweltbeeinträchtigungen sind strafrechtlich nicht ahndbar, wenn sie auf Summations-, Kumulations- oder synergetischen Effekten beruhen, die ihrerseits durch legale, d.h. Genehmigungen und Auflagen nicht überschreitende Handlungen verursacht werden. 21 27 Darüber hinaus können Umweltbeeinträchtigungen nach den Zurechnungsregeln des Strafrechts Personen nur als Einzel- oder Mittäter zugerechnet werden. Die Praxis der letzten Jahre hat jedoch gezeigt, daß gerade besonders schwere Umweltbelastungen durch Unternehmen auf Organisations- und Aufsichtsmängeln beruhen, die sich im Laufe von Jahren entwickelt haben, ohne daß sie auf das Fehlverhalten einzelner Personen derart zurückgeführt werden können, daß diese für die eingetretenen Schäden verantwortlich gemacht werden könnten. Damit entfällt nach geltendem Recht auch eine Haftung der Unternehmen, denn diese knüpft an die Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten einzelner leitender Personen an. 28 Die Änderungen der §§ 29, 130 OWiG durch das 2. UKG können daher noch nicht das letzte Wort sein. Sie knüpfen immer noch an die Taten einzelner Verantwortlicher an, nicht aber an fehlerhafte Organisation und mangelnde Kontrolle innerhalb des Unternehmens. In der Sache muß es jedoch darum gehen, die Geldbuße als wirtschaftsaufsichtsrechtliches Sanktionsinstrument zu nutzen, wenn der "organisierten Unverantwortlichkeit" Einhalt geboten werden soll. 22

III. Das geschützte Rechtsgut 1. Die Definition des Rechtsguts 29 Geschütztes Rechtsgut der Umweltschutztatbestände ist die Umwelt in ihren verschiedenen Medien (Boden, Luft, Wasser) und Erscheinungsformen (Tier- und Pflanzenwelt). 19

Vgl. auch RUDOLPHI SK I, § 13 Rdn. 28. - A.A. OLG Stuttgart NuR 1987 S. 281; LG Koblenz NStZ 1987 S. 281; StA Landau MDR 1994 S. 935; IBURG NJW 1988 S. 2338.

2 0

V g l . a u c h OTTO Jura 1 9 9 1 S . 3 1 5 ; SCHÜNEMANN w i s t r a 1 9 8 6 S . 2 4 4 ; TRÖNDLE M e y e r - G e d S , S . 6 2 1 f . A . A . z . B . RUDOLPHI D ü n n e b i e r - F S , S . 5 7 8 ; SCHALL N J W 1 9 9 0 S . 1 2 6 9 ; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n . 5 7 ; WINKELBAUER N S t Z 1 9 8 6 S . 1 5 1 .

21

Vgl. LACKNER/KÜHL Vor § 324 Rdn. 5; dazu auch HERZOG Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 141 ff.

22

Eingehend dazu OTTO Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, 1993, S. 6 ff, 25 ff.

428

Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen

§ 82

Doch dürfen diese nicht isoliert gesehen werden. Schutzwürdig ist die Umwelt in ihrer Funktion, den Menschen der Gegenwart humane, d.h. menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewähren und auch künftigen Generationen zu erhalten. Umwelt ist nicht nur wirtschaftlicher Reichtum, sondern vor allem Raum zur menschlichen Entfaltung, die immer mehr als bloß wirtschaftliche Entfaltung ist. 23 2. Die systematische Einordnung des geschützten Rechtsguts Die Umweltschutzgüter sind selbständige Rechtsgüter, auch wenn sie als den existen- 30 tiellen Rechtsgütern des Menschen (Leben, Gesundheit) nur vorgelagert erscheinen. Ihr Schutzbereich ist nämlich keineswegs auf diese Rechtsgüter beschränkt, sondern beansprucht einen eigenständigen Raum. Aus diesem Grunde ist es auch nicht zutreffend, die Umweltkriminalität als Unterfall 31 der Wirtschaftskriminalität zu erfassen. Der Lebensraum des Menschen ist zweifellos besonders durch Emissionen aus Wirtschaftsbetrieben (Luft-, Gewässer-, Bodenverunreinigung und Verursachung von Lärm) bedroht. Auch hier geht es um den Schutz eines überindividuellen Rechtsguts, das sachgerecht durch abstrakte Gefährdungsdelikte geschützt werden kann. Gleichwohl darf "die Parallelität in der Rechtsgutsbestimmung, der Tatbestandskonstruktion und der Betroffenheit der Wirtschaft"24 nicht dazu führen, diese Delikte der Wirtschaftskriminalität zuzurechnen. Andernfalls würden die Grenzen des rechtsdogmatisch brauchbaren Begriffs der Wirtschaftskriminalität gesprengt und der Verlust der Eigenständigkeit des durch die Umweltschutztatbestände geschützten Rechtsguts müßte zwangsläufig zu einer Nivellierung des Schutzes dieses bedeutenden Rechtsguts führen, soweit dieses nicht durch Wirtschaftsbetriebe, sondern durch Privatpersonen verletzt wird.25 IV. Die einzelnen Schutzbereiche Eine systematische Gliederung der §§ 324 - 330 d ist kaum möglich, denn den Regelungen 32 liegt kein einheitliches Gliederungsprinzip zugrunde. Der Gesetzgeber hat einmal bestimmte Schutzobjekte (§ 324: Gewässer; § 324 a: Boden; § 325: Luft), ein anderes Mal den Umgang mit gefährlichen Stoffen (§ 328: radioaktive Stoffe und andere gefährliche Stoffe und Güter; § 330 a: Gifte) und schließlich bestimmte Tätigkeiten (§ 326: Umgang mit Abfällen; § 327: Betreiben von Anlagen) zum Anknüpfungspunkt seiner Regelungen gemacht. Immerhin ermöglichen diese Anknüpfungspunkte die Beschreibung bestimmter Schutzbereiche. 1. Der Schutz von Gewässern a) Gewässerverunreinigung, § 324 § 324 schützt Gewässer in den ihnen in ihrem Naturzustand innewohnenden Funktionen 33

23

Im einzelnen dazu BT-Drucks. 8/2382, S. 10; 8/3633, S. 19; BLOY JUS 1997 S. 579 ff; KÜHL in: NidaRümelin/v. d. Pforden (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 1995, S. 245 ff, 261; KUHLEN Z S t W 105 ( 1 9 9 3 ) S . 7 0 1 ; MEURER N J W

1 9 8 8 S . 2 0 6 7 ; RENGIER N J W 1 9 9 0 S . 2 5 0 6 ; ROGALL N S t Z

1992 S. 363; L. SCHULZ in: Nida-Rümelin/v. d. Pforden, S. 276 ff, 277; STEINDORF LK, Vor § 324 Rdn. 9 ff. 24

TIEDEMANN Neuordnung, S. 11 f.

25

A.A. KAISER Kriminologie, 3. Aufl. 1996, § 75 Rdn. 7; WEBER ZStW 96 (1984) S. 376 ff.

429

§82

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

für die Umwelt und den Menschen vor unbefugter (äußerlich sichtbarer) Verunreinigung oder sonstiger nachteiliger Veränderung ihrer Eigenschaften. 2 ^ 34 aa) Gewässer i.S. des Gesetzes ist ein oberirdisches Gewässer, d.h. ständig oder zeitweilig in Betten fließendes oder stehendes oder aus Quellen wild abfließendes Wasser - dazu § 1 Abs. 1 Nr. 1 WHG -, das Grundwasser und das Meer, § 330 d Nr. 1. - Verunreinigung ist die nachteilige Veränderung der Wassereigenschaft durch Einbringung von Stoffen, die zu einer Verschlechterung der physikalischen, chemischen, biologischen oder thermischen Beschaffenheit des Wassers führt. - Eine sonstige nachteilige Veränderung der Eigenschaften des Gewässers liegt vor, wenn die physikalische, chemische, biologische oder thermische Beschaffenheit des Wassers anders als durch Verunreinigung negativ beeinträchtigt wird. - In beiden Alternativen sind allerdings nur erhebliche - sozialinadäquate - Beeinträchtigungen tatbestandsmäßig. Verunreinigungen z.B.: Überlaufenlassen eines Öltanks (BT-Drucks. 8/2382, S. 13); Einleiten von Schadstoffen in Kanalisation (OLG Hamm NJW 1975 S. 747); weitere Verunreinigung schon verschmutzter Gewässer (OLG Hamburg ZfW 1983 S. 112; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 2753). Sonstige nachteilige Veränderungen z.B.: Einleitung von Kühlwasser aus einem Kraftwerk; Verringerung der Fließgeschwindigkeit durch Stauung, so daß die Selbstreinigungskraft des Flusses beeinträchtigt wird (BT-Drucks. 8/2382, S. 14); Absenken des Wasserspiegels (OLG Stuttgart MDR 1995 S. 89).

35 bb) Strafbar sind die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, und die fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 3. 36 cc) Unbefugt bedeutet rechtswidrig i.S. des allgemeinen Verbrechensmerkmals der Rechtswidrigkeit. Verwaltungsrechtlich wirksame Genehmigungen, Bewilligungen und Erlaubnisse schließen die Rechtswidrigkeit aus. 27 Darüber hinaus haben hier Bedeutung für den Ausschluß der Rechtswidrigkeit: Gewohnheitsrechtlich anerkannte Befugnisse, die rechtfertigende Pflichtenkollision und der rechtfertigende Notstand, § 34. - Die Erhaltung von Arbeitsplätzen rechtfertigt allerdings keineswegs eine ständige Gewässerverunreinigung. Eine Rechtfertigung kommt aber z.B. in Betracht, wenn einer einmaligen Verunreinigung der dauernde Verlust von Arbeitsplätzen o.ä. gegenübersteht. 28 37 dd) Vollendet ist die Tat mit der nachteiligen Veränderung des Gewässers. Der Versuch ist strafbar, § 324 Abs. 2. b) Gefährdungen im Vorfeld 38 aa) Gefährdungshandlungen erfassen § 324 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 (Gefahr der Gewässerschädigung), § 325 Abs. 2, 3, 4 Nr. 2 (Freisetzen von Schadstoffen), § 326 Abs. 1 Nr. 26

Ökologische Sichtweise, vgl. BGH NStZ 1987 S. 324; OLG Stuttgart wistra 1989 S. 276; OLG Köln Z f W 1 9 8 9 S . 4 7 ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 2 4 R d n . 1; RENGIER N J W 1 9 9 0 S . 2 5 0 7 f f ; STEINDORF L K , § 3 2 4

Rdn. 3; TIEDEMANN/KINDHÄUSER NStZ 1988 S. 340. - Die demgegenüber vertretene wasserwirtschaftliche - geschützt die optimale Bewirtschaftung durch die Wasserbehörden; dazu PAPIER NUR 1986 S. 1 ff; BRAHMS Definition des Erfolges der Gewässerverunreinigung, 1994, S. 94, 170, - und formell administrative Betrachtungsweise - geschützt das staatliche Bewirtschaftungsmonopol; dazu BICKEL in: Meinberg/Möhrenschlager/Link (Hrsg.), Umweltstrafrecht, 1989, S. 273 ff, bzw. die behördliche Kontrollfunktion; dazu FRANZHEIM GA 1993 S. 339 - können weder für das Meer Geltung beanspruchen, noch den Monopolanspruch begründen. 2 7

V g l . d a z u K U H L E N S t V 1 9 8 6 S . 5 4 4 f f ; STEINDORF L K , § 3 2 4 R d n . 7 2 ; TIEDEMANN/KINDHÄUSER N S t Z

28

Dazu auch BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 723; OLG Stuttgart ZfW 1977 S. 118, 124; OVG Münster ZIP 1984 S. 1224; LG Bremen NStZ 1982 S. 164 mit Anm. MÖHRENSCHLAGER S. 165 f; SCHALL NStZ 1992 S. 215 f.

1988 S. 340. - Zur vorsätzlich rechtswidrig erlangten Befugnis vgl. § 330 d Nr. 5.

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Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen

§82

4 a, Abs. 5 (Lagerung und Beseitigung gewässerverunreinigungsgeeigneter Abfälle) und § 329 Abs. 2, 4 Nr. 1 (Eingriff in Wasser- und Heilquellenschutzgebiete), bb) Im Vorfeld des Schutzes von Gewässern ist in § 327 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 bereits 39 der unbefugte Betrieb einer Rohrleitungsanlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. c) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. 40 2. Der Schutz des Bodens a) Bodenverunreinigung, § 324 a § 324 a schützt den Boden gegen Einträge und Einwirkungen gefährlicher Stoffe. Das 41 Einbringen und Eindringenlassen von Stoffen in den Boden sowie das Freisetzen, d.h. das Schaffen einer Lage, in der sich der Stoff ganz oder teilweise unkontrolliert im Boden ausbreiten kann, unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften 29 wird unter zwei Voraussetzungen bestraft. Zum einen - § 324 a Abs. 1 Nr. 1 -, wenn die Tathandlung generell geeignet ist, die Gesundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert oder ein Gewässer zu schädigen. Zum anderen - § 324 a Abs. 1 Nr. 2 -, wenn der Boden durch die Tathandlung in bedeutendem Umfang verunreinigt oder nachteilig verändert wird. aa) Die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 ist abstraktes Gefährdungsdelikt. - Als Sachen von be- 42 deutendem Wert kommen Objekte von wirtschaftlichem, ökologischem oder historischem Wert in Betracht, wenn ein gewichtiges Allgemein- oder Individualinteresse an ihrer Erhaltung besteht. 30 - Bei der Schädigung kommt es allerdings - entsprechend der Gefährdung dieser Objekte in anderen Tatbeständen - vgl. dazu Rdn. 30 f - entgegen den dem Wortlaut des Gesetzes nicht auf den bedeutenden Wert der geschädigten Sache, sondern auf die Bedeutung des Schadens an der geschützten Sache an. Zur Verunreinigung und zur nachteiligen Veränderung vgl. die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 34. - Das Erfordernis des bedeutenden Umfangs stellt klar, daß die Beeinträchtigung von einigem Gewicht sein muß. 31 bb) Strafbar sind die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, und die fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 3. cc) Zur rechtswidrig erlangten Befugnis vgl. § 330 d Nr. 5. dd) Vollendet ist die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 mit der Tathandlung, die nach Abs. 1 Nr. 2 mit der nachteiligen Veränderung des Bodens. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2.

43

44 45 46

b) Gefährdungen im Vorfeld Gefährdungshandlungen im Vorfeld erfassen § 325 Abs. 2, 3, 4 Nr. 2 (Freisetzen von 47 Schadstoffen), § 326 Abs. 1 Nr. 4 a, Abs. 5 (Lagerung und Beseitigung gefährlicher Abfälle) und § 329 Abs. 3, 4 Nr. 2 (Eingriffe in geschützte Gebiete). c) Strafschärfung in besonders schweren Fälle: § 330 48

29

Dazu im einzelnen SANDEN wistra 1996 S. 285 ff. - Krit. Dazu HOFMANN wistra 1997 S. 90 ff.

30

Dazu RENGIER Spendel-FS, S. 559 ff; 570 ff.

31

Vgl. dazu BT-Drucks. 12/192, S. 17; MÒHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 517; STEINDORF LK, § 324 a Rdn. 57. - Krit. dazu HOFMANN wistra 1997 S. 96; SANDEN wistra 1996 S. 284.

431

§82

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

3. Der Schutz der Luft a) Luftverunreinigung, § 325 49 § 325 schützt die Luft gegen bestimmte Veränderungen, Abs. 1, und gegen das Freisetzen von Schadstoffen, Abs. 2. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 50 aa) Tathandlung nach Abs. 1 ist die Verursachung der Veränderung der natürlichen Zusammensetzung der Luft in einer Weise, die geeignet ist, die Gesundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert - vgl. Rdn. 42 - zu schädigen. - Tathandlung nach Abs. 2 ist das Freisetzen - vgl. Rdn. 41 - von Schadstoffen, Abs. 4, in bedeutendem Umfang; Rdn. 43. Die Tathandlungen sind unter drei Aspekten begrenzt: Zum einen sind die Tathandlungen auf den Betrieb einer Anlage beschränkt. - Anlagen sind auf gewissen Dauer vorgesehene, als Funktionseinheit organisierte Einrichtungen von nicht ganz unerheblichen Ausmaßen, die der Verwirklichung bestimmter Zwecke dienen. 32 - Ausgenommen sind die in Abs. 5 genannten Anlagen. Beispiele: Heizungsanlage, Baumaschine, Landmaschine, Flugplätze u.a.

51 Zum anderen ist erforderlich, daß die Tathandlung nach Abs. 1 unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten - dazu § 330 d Nr. 4 - und daß die Tathandlung nach Abs. 2 unter grober Verletzung dieser Pflichten erfolgt. Die Verletzung der verwaltungsrechtlichen Pflichten ist Tatbestandsvoraussetzung. Verwaltungsrechtlich zulässiges Verhalten ist daher nicht tatbestandsmäßig. - Zur erschlichenen Befugnis vgl. § 330 d Nr. 5.

52 Schließlich ist nur die Eignung zur Schädigung außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereiches, d.h. der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit, relevant. - Für Schädigungen innerhalb der Anlage kommen allein die Körperverletzungs- und Tötungsdelikte in Betracht. 53 bb) Strafbar sind die vorsätzliche, Abs. 1, 2, und die fahrlässige, Abs. 3, Tatbestandsverwirklichung. - Bedingter Vorsatz genügt. 54 cc) Da die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten bereits Voraussetzung der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens ist, wird eine Rechtfertigung des Verhaltens nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen; auch hier ist aber z.B. die Möglichkeit einer Rechtfertigung nach § 34 nicht ausgeschlossen. 55 dd) Der Versuch der Luftverunreinigung gemäß Abs. 1 ist strafbar. b) Gefährdungen im Vorfeld 5g aa) Gefährdungshandlungen im Vorfeld erfassen § 326 Abs. 1 Nr. 4 a, Abs. 5 (Lagerung und Beseitigung gefährlicher Abfälle) und § 329 Abs. 1, 4 Nr. 1 (Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete). 57 bb) Im Vorfeld des Schutzes der Luft ist in § 327 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 bereits der unbefugte Betrieb einer nach dem BImSchG - dort § 4 - genehmigungsbedürftigen Anlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. 33 58 c) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330 4. Der Schutz vor Lärm, Erschütterungen und nichtionisierenden Strahlen a) Verursachen von Lärm, Erschütterungen und nichtionisierenden Strahlen, § 325 a 59 § 325 a Abs. 1 dient dem Schutz gegen unangenehmen Lärm, Abs. 2 soll bestimmten konkreten Gefährdungen durch Erschütterungen und nichtionisierende Strahlen wehren. - Die 32

Vgl. BayObLG wistra 1994 S. 237; LACKNER/KÜHL § 325 Rdn. 2.

33

Vgl. dazu BayObLG MDR 1991 S. 77; JR 1992 S. 516 mit Anm. SACK S. 518.

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Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen

§82

Tat nach Abs. 1 ist abstraktes, die nach Abs. 2 konkretes Gefährdungsdelikt. Tathandlung nach Abs. 1 ist die Verursachung von Lärm, der geeignet ist, die Gesund- 60 heit eines anderen zu schädigen. - Die Tathandlung ist entsprechend der Tathandlung des § 325 Abs. 1 begrenzt, vgl. dazu Rdn. 50 - Tathandlung nach Abs. 2 ist die Gefährdung der Gesundheit eines anderen, von Tieren, die dem Täter nicht gehören, oder von fremden Sachen von bedeutendem Wert Dabei kommt es aber für die Tathandlung nicht auf den bedeutenden Wert der gefährlichen Sache, sondern auf die Bedeutung des drohenden Schadens an der gefährdeten Sache an. 3 4 Begrenzt ist die Tathandlung auf den Betrieb einer Anlage sowie auf die Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften, die dem Schutz vor Lärm, Erschütterungen oder nichtionisierenden Strahlen dienen. Die Verletzung der verwaltungsrechtlichen Pflichten ist Tatbestandsvoraussetzung; vgl. dazu Rdn. 51. Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, 2, sowie die fahrlässige, Abs. 3, Tatbestandsverwirklichung. b) Gefährdungshandlungen im Vorfeld erfaßt § 329 Abs. 1, 4 Nr. 1 (Gefährdung schütz- 61 bedürftiger Gebiete). - Im Vorfeld des Lärmschutzes ist in § 327 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 bereits der unbefugte Betrieb einer nach dem BImSchG - dort § 4 - genehmigungsbedürftigen Anlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. c) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. 62 d) Tätige Reue Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung im Rahmen des § 325 a Abs. 2, 3 63 Nr. 2 vgl. Rdn. 106. 5. Unerlaubter Umgang mit gefährlichen

Abfällen

a) Umweltgefährdende Abfallbeseitigung, § 326 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 § 326 schützt neben allen Umweltmedien auch die menschliche Gesundheit sowie die 64 Tier- und Pflanzenwelt gegen unzulässige Abfallbeseitigung. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Begriff des Abfalls ist in Anlehnung an § 1 Abs. 1 AbfallG, aber ohne die Beschränkung des § 1 Abs. 3 AbfallG zu bestimmen. Zu unterscheiden sind: Sog. gewillkürter Abfall, das sind bewegliche Sachen, derer sich der Benutzer als für ihn 55 wertlos entledigen und die er nicht unmittelbar einer Weiterverwendung oder Weiterverarbeitung zuführen will. Daß eine wirtschaftliche Wiederverwertung nach der Entsorgung noch möglich ist, ändert die Abfalleigenschaft nicht. 35 Sog. Zwangsabfall, das sind bewegliche Sachen, die für den Besitzer gegenwärtig keinen 66 Gebrauchswert haben und deren geordnete Entsorgung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere des Schutzes der Umwelt, geboten ist. 36 3 4

Vgl. B G H JR 1990 S. 512, 5 1 3 mit A n m . LAUBENTHAL S. 513 ff; dazu auch SCHALL N S t Z 1997 S. 4 2 2

35

Vgl. dazu B G H S t 37 S. 333 mit A n m . HORN J Z 1991 S. 886 f, SACK JR 1991 S. 338 ff; dazu auch

m.N. SCHALL N S t Z 1 9 9 7 S. 4 6 3 f; STEINDORF L K , § 3 2 6 R d n . 3 f f , 2 6 f f . 36

Vgl. dazu BGHSt 37 S. 26 f; 37 S. 334 f; OLG Oldenburg MDR 1996 S. 301; BayObLG JR 1991 S. 216; KUHLEN W i V e r w 1991 S. 206; ROGALL N S t Z 1992 S. 3 6 3 f; SCHALL N S t Z 1997 S. 462; STEINDORF L K , § 3 2 6 R d n . 3 f f , 4 7 f f .

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§82

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Es kann sich um feste, flüssige oder in festen Behältern erfaßte gasförmige Stoffe handeln. 67 aa) Tatobjekte sind nur gefährliche Abfälle, die Gifte - dazu oben § 16 Rdn. 5 - und Seuchenerreger enthalten oder hervorbringen können, Abs. 1 Nr. 1, die für den Menschen krebserzeugend, fruchtschädigend oder erbgutverändernd, Abs. 1 Nr. 2, die explosionsgefährlich - dazu §§ 1 ff SprengstoffG - selbstentzündlich - dazu § 1 Abs. 1 Nr. 3 a ArbeitsstoffVO - oder nicht nur geringfügig radioaktiv sind, Abs. 1 Nr. 3, und sog. Sonderabfälle, Abs. 1 Nr. 4. Letztere müssen die Eigenschaft haben, nachhaltig, d.h. in erheblichem Umfang und für längere Dauer, eines der genannten Medien zu verunreinigen oder sonst nachteilig zu verändern, Nr. 4 a, oder einen Bestand von Tieren oder Pflanzen zu gefährden, Nr. 4 b. 3 7 68 bb) Tathandlung ist das Beseitigen, d.h. jedes Verhalten, das dazu dient, sich des gefährlichen Abfalls zu entledigen. 38 Nur besonders genannte Beispielsfälle des Beseitigens sind das Behandeln, d.h. hier die Aufbereitung, Zerkleinerung, Verbrennung usw., die der Beseitigung und nicht der wirtschaftlichen Nutzung dienen, das Lagern, d.h. die vorübergehende Zwischenlagerung, die - endgültige - Ablagerung und das Ablassen, d.h. Abfließenlassen. 69 cc) Der Tatbestand entfällt bei Beseitigung im Rahmen dafür zugelassener Anlagen und außerhalb solcher Anlagen 39 , aber im Rahmen zulässiger Verfahren. 70 dd) Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 1, 5 Nr. 1. 71 ee) Unbefugt ist auch hier rechtswidrig i.S. der Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal. Ein ordnungsgemäßes Verhalten (zugelassene Anlagen; zulässiges Verfahren) schließt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens aus. 72 ff) Der Versuch ist strafbar, Abs. 4. b) Grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen, Abs. 2, 5 Nr. 1 73 Die Regelung soll den Auswüchsen des sog. Abfalltourismus wehren. 74 aa) Erforderliche Genehmigungen sind insbes. die nach § 13 AbfG und § 11 StrlSchV. 75 bb) Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 2, 5 Nr. 1. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 4. c) Verletzung der Pflicht zur Ablieferung radioaktiver Stoffe, Abs. 3, 5 Nr. 2 76 aa) Wegen der besonderen Gefährlichkeit radioaktiver Abfälle ist die Nichtablieferung unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten - dazu § 330 d Nr. 4 - unter Strafe gestellt. 77 bb) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter über die Stoffe Besitz erlangt hat und ihm die Ablieferung möglich und zumutbar ist, d.h. unverzügliches Handeln ist erforderlich. 40 78 cc) Der Tatbestand kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig ver37

Vgl. dazu OLG Zweibrücken NJW 1992 S. 2841 mit Anm. WEBER/WEBER NStZ 1994 S. 36, WINKELBAUER JuS 1994 S. 112 ff; dazu auch SCHALL NStZ 1997 S. 465.

38

Vgl. OLG Köln NJW 1986 S. 1118 f; OLG Düsseldorf wistra 1994 S. 73. - A.A. STEINDORF LK, § 326 Rdn. 98, der auf die Nichterfüllung der Überlassungspflicht an den Entsorgungspflichtigen abstellt. Unterlassen in Garantenstellung ist möglich.

39

Dazu vgl. BGHSt 39 S. 385.

40

So auch LACKNER/KÜHL StGB, § 3 2 6 Rdn. 9; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, S. 213. - A.A. BTDrucks. 8/2382, S. 19 (rechtzeitig, wenn Eintritt von Gefahren vermieden wird).

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Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen

§82

wirklicht werden, Abs. 3, 5 Nr. 2. 79

d) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330 e) Tätige Reue Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung vgl. Rdn. 106.

80

f) Minima-Klausel, Abs. 6 Abs. 6 enthält einen objektiven Strafausschließungsgrund, der jedoch sachwidrig begrenzt 81 ist durch den Bezug auf die Abfallmenge anstatt auf die Gefahrenlage. 41 Schädliche Einflüsse sind offensichtlich ausgeschlossen, wenn keine vernünftigen Zweifel an der Unschädlichkeit aufkommen können. g) Ungenehmigter Betrieb einer Abfallbeseitigungsanlage, § 327 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 § 327 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 stellt den vorsätzlichen oder fahrlässigen Betrieb einer 82 Abfallbeseitigungsanlage ohne Planfeststellung oder Genehmigung unter Strafe. 4 2 o-i h) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330 6. Strahlenschutz a) Fehlerhafte Herstellung einer kern technischen Anlage, § 312 § 312 stellt die fehlerhafte Herstellung und Lieferung von kerntechnischen Anlagen - dazu § 330 d Nr. 2 - oder zu ihrem Betrieb bestimmter Gegenstände unter Strafe, wenn durch Kernspaltungsvorgänge oder Strahlung eine Gefahr für Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert entstanden ist. - Die Tat ist konkretes Gefährdungsdelikt. aa) Herstellen bedeutet Bearbeiten oder Verarbeiten von Werkstoffen zur Gestaltung eines Gegenstandes. Liefern bedeutet Überlassen zum bestimmungsgemäßen Gebrauch. Fehlerhaft ist die Leistung, wenn die Tauglichkeit des Objekts zum bestimmungsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder wesentlich gemindert ist. bb) Gemäß Abs. 1 ist für die Tathandlung und für die Gefährdung Vorsatz - bedingter genügt - erforderlich. Die fahrlässige Gefahrherbeiführung bei vorsätzlicher Tathandlung erfaßt Abs. 6 Nr. 1. - Abs. 6 Nr. 2 stellt die fahrlässige Gefahrherbeiführung durch leichtfertiges Handeln im Sinne des Abs. 1 unter Strafe. cc) Erfolgsqualifizierte Fälle erfassen entsprechend § 308 Abs. 2, 3 die Abs. 3, 4.

84 85

86

87

88

b) Unerlaubtes Betreiben kerntechnischer Anlagen, § 327 Abs. 1, 3 Nr. 1 § 327 Abs. 1 Nr. 1 stellt den ungenehmigten Betrieb, die Innehabung, die wesentliche Än- 89 derung und den Abbau kerntechnischer Anlagen - dazu vgl. § 330 d Nr. 2 -, Abs. 1 Nr. 2 die Veränderung von Betriebsstätten, in denen Kernbrennstoffe verwendet werden, sowie deren Lageveränderung unter Strafe. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tathandlung setzt ein verwaltungsrechtlich unzulässiges Verhalten voraus. - Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1. - Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. 41

Dazu ROGALL JZ-GD 1980 S. 115; SCHITTENHELM GA 1983 S. 318 ff, TIEDEMANN Neuordnung, S. 37; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, S. 214. - Zum Grenzfall des Nichtbeseitigens von Hundekot: OLG Düsseldorf NStZ 1991 S. 335.

42

Dazu ROGALL NStZ 1992 S. 564 ff. - Zum Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage durch Unterlassen StA Landau/Pfalz MDR 1994 S. 935 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 327/1.

435

§82

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

c) Freisetzen ionisierender Strahlen, § 311 90 aa) § 311 Abs. 1 stellt zum Schutz von Leib, Leben und Eigentum das verbotene Freisetzen von ionisierenden Strahlen und das Bewirken von Kernspaltungsvorgängen unter Strafe. - Da eine konkrete Schädigung oder Gefährdung nicht vorausgesetzt wird, handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 43 Der Tatbestand setzt die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten voraus; dazu § 330 d Nr. 4. 91 bb) Die Tat nach Abs. 1 erfordert Vorsatz, bedingter Vorsatz genügt. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. 92 cc) Im Fahrlässigkeitsbereich, Abs. 3, ist die Tathandlung begrenzt, und zwar gemäß Abs. 3 Nr. 1 auf Handlungen beim Betrieb einer Anlage - dazu Rdn. 50 -, die geeignet sind, eine Schädigung außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereichs herbeizuführen, sowie nach Abs. 3 Nr. 2 auf Handlungen unter grober Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften. d) Unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern, § 328 93 aa) § 328 Abs. 1 Nr. 1 erfaßt die ungenehmigte Verwendung, Aufbewahrung, Beförderung, Be- und Verarbeitung sowie Ein- und Ausfuhr von Kernbrennstoffen - dazu § 2 Abs. 1 AtomG. Abs. 1 Nr. 2 stellt die entsprechenden grob pflichtwidrig verwirklichten Tathandlungen in Bezug auf sonstige radioaktive Stoffe, die nach Art, Beschaffenheit oder Menge geeignet sind, durch ionisierende Strahlen den Tod oder eine schwere Gesundheitsbeschädigung eines anderen, d.h. einen langwierigen, qualvollen oder die Leistungsfähigkeit schwer beeinträchtigenden psychischen oder physischen Krankheitszustand herbeizuführen, unter Strafe. 4 4 - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 94 bb) § 328 Abs. 2 stellt die Verletzung von Pflichten nach dem Atomgesetz zur Ablieferung von Kernbrennstoffen in Nr. 1 unter Strafe sowie in Nr. 2 die Abgabe und Vermittlung der Abgabe von Kernbrennstoffen und gefährlichen Stoffen in Sinne des Abs. 1 Nr. 2 an Unberechtigte. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 95 cc) § 328 Abs. 3 erfaßt den illegalen Umgang mit gefährlichen Stoffen, der die Gesundheit eines anderen, dem Täter nicht gehörende Tiere oder fremde Sachen von bedeutendem Wert - dazu unter Rdn. 42 - gefährdet. 96 Abs. 3 Nr. 1 stellt die Lagerung, Bearbeitung, Verarbeitung oder sonstiger Verwendung von radioaktiven Stoffen oder Gefahrstoffen im Sinne des Chemikaliengesetzes 45 unter Strafe. - Begrenzt ist die Tathandlung dadurch, daß sie unter grober Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften - dazu § 330 d Nr. 4 - und beim Betrieb einer Anlage - dazu Rdn. 50 - erfolgen muß. - Abs. 3 Nr. 2 erfaßt die Beförderung, den Versand, die Verpakkung, das Auspacken, das Verladen, das Entladen, die Entgegennahme und das Überlassen an andere von gefährlichen Gütern schlechthin. Die Tathandlung ist durch die grobe Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten - dazu § 330 d Nr. 4 - begrenzt. - Das Delikt ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. 97 dd) Die einzelnen Tathandlungen können vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 5. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 4.

43

Dazu BGHSt 39 S. 371 mit Anm. GEERDS JR 1995 S. 33 f; BGH NJW 1994 S. 2161.

44

Vgl. dazu auch BT-Drucks. VI/3434, S. 13.

45

Dazu vgl. BayObLG JR 1996 S. 299, 300 mit Anm. HEINE S. 300 ff.

436

Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen

§82

ee) Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung vgl. Rdn. 106.

9g

e) Zur Beseitigung radioaktiver Abfälle, § 326 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 5 vgl. Rdn. 64 ff.

99

7. Schutz wertvoller Bestandteile der Natur Schwerwiegende Beeinträchtigungen von Naturschutzgebieten - vgl. § 13 BNatSchG -, 100 einstweilig dafür sichergestellten Flächen - dazu § 12 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG - sowie Nationalparks - dazu § 14 BNatSchG - werden in § 329 Abs. 3, 4 unter Strafe gestellt. - Da die Tathandlungen - vgl. dazu Abs. 3 Nr. 1-8 - zwar eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Schutzzwecks der zum Schutz der Gebiete erlassenen Rechtsvorschrift oder vollziehbaren Untersagung voraussetzen, nicht aber eine Umweltgefährdung oder Schädigung, handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 3, und fahrlässig, Abs. 4 Nr. 2, verwirklicht werden. - Zur Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. 8. Schutz vor der Verbreitung von Giften a) Gemeingefährliche Vergiftung, § 314 aa) Bestraft wird gemäß § 314 die vorsätzliche Vergiftung von Wasser in gefaßten Quel- 101 len, in Brunnen, in Leitungen oder Trinkwasserspeicher, Abs. 1 Nr. 1, sowie von Gegenständen, die zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmt sind, Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. - Dem Vergiften steht das Beimischen von gesundheitsschädlichen Stoffen, gleich, Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. Strafbar ist ferner das Inverkehrbringen (z.B. Verkaufen, Feilhalten) derart vergifteter Stoffe Abs. 1 Nr. 2, 3. Alt. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt, bb) Erfolgsqualifizierte Fälle entsprechend § 308 Abs. 2, 3 sind durch Abs. 2 erfaßt. 102 cc) Zur Strafmilderung oder zum Absehen von Strafe aufgrund Tätiger Reue vgl. § 314 a Abs. 2 Nr. 1. b) Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften, § 330 a aa) Abs. 1 erfaßt die Verbreitung oder Freisetzung, d.h. die Ermöglichung unkontrollierter 103 Ausbreitung von Stoffen, die Gift enthalten oder Hervorbringen, erfordert jedoch, daß dadurch die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - eines anderen oder die Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht wird. Die Tat ist damit konkretes Gefährdungsdelikt. bb) Gemäß Abs. 1 ist Vorsatz - bedingter genügt - für Tathandlung und Gefährdung er- 104 forderlich. Die fahrlässige Herbeiführung der Gefahr durch eine vorsätzliche Tathandlung erfaßt Abs. 4 und Abs. 5 die fahrlässige Gefahrherbeiführung durch eine leichtfertige Tathandlung. Abs. 2 erfaßt einen erfolgsqualifizierten Fall - Verursachung des Todes eines anderen Menschen -. cc) Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung vgl. Rdn. 106. 105 9. Tätige Reue, § 330 b a) § 330 b Abs. 1 Wendet der Täter freiwillig die Gefahr ab oder beseitigt er freiwillig den von ihm verur- 106 sachten Zustand, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist, so gewährt ihm § 330 b Abs. 1 S. 1 einen fakultativen Strafmilderungs- oder Strafaufhebungsgrund in den Fällen 437

§82

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

des § 325 a Abs. 2 (konkrete Gefährdung durch Lärm usw.), § 326 Abs. 1 - 3 (Umweltgefährdende Abfallbeseitigung), § 328 Abs. 1 - 3 (Unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern) und § 330 a Abs. 1 - 4(Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften). Unter den gleichen Voraussetzungen ist die Strafaufhebung nach § 330 b Abs. 1 S. 2 zwingend angeordnet in den Fällen des § 325 a Abs. 3 Nr. 2 (Fahrlässige konkrete Gefährdung durch Lärm usw.), § 326 Abs. 5 (Fahrlässige umweltgefährdende Abfallbeseitigung), § 328 Abs. 5 (Fahrlässiger unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern) und § 330 a Abs. 5 (Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften bei leichtfertigem Handeln und fahrlässiger Gefahrverursachung). 46 b) § 330 b Abs. 2 107 Nach Abs. 2 genügt - in den in Abs. 1 genannten Fällen - das freiwillige und ernsthafte Bemühen des Täters die Gefahr abzuwenden oder den rechtswidrig verursachten Zustand zu beseitigen, wenn dieser Erfolg ohne sein Zutun verwirklicht worden ist.

46

438

Das Gesetz nennt hier § 330 a Abs. 4. - Offenbar hat der Gesetzgeber die Änderung der Abs. 3, 4 in Abs. 4, 5 nicht gesehen, so daß es sich hier um ein Redaktionsversehen zu Ungunsten des Täters handelt.

Zweites Kapitel

Delikte gegen staatliche Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen den Bestand des Staates § 83: Hochverrat I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes 1. Das geschützte

Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut der §§ 81-83 a ist die territoriale und verfassungsmäßige des Bundes und der Bundesländer.

Integrität

1

2. Aufbau des Gesetzes a) Nach § 81 wird der Hochverrat gegen die Bundesrepublik, nach § 82 der gegen ein Bundesland bestraft. b) § 83 erfaßt die Vorbereitung des Hochverrats als selbständiges Delikt. c) § 83 a regelt Rücktritt und Tätige Reue in den Fällen der §§ 81 bis 83.

2 3 4

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Hochverrat gegen den Bund, § 81 Zu unterscheiden sind der Bestandshochverrat und der Verfassungshochverrat. a) Abs. 1 Nr. 1: Angriffsobjekt des Bestandshochverrats ist der Bestand der Bundesrepublik Deutschland; dazu § 92 Abs. 1. - Tathandlung ist das Unternehmen, diesen Bestand mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu beeinträchtigen. - Der Gewaltbegriff entspricht grundsätzlich dem der Nötigung, doch ist hier eine gewisse Erheblichkeit in Anbetracht des betroffenen Rechtsguts zu fordern.

5 6

b) Abs. 1 Nr. 2: Angriffsobjekt des Verfassungshochverrats ist die verfassungsmäßige Ordnung in der konkreten Ausgestaltung, die die Grundsätze einer freiheitlichen Demokratie auf dem Boden des Grundgesetzes gefunden haben. - Tathandlung ist das Unternehmen, die verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, d.h. ein Verfassungsorgan zu beseitigen o.ä. Die bloße Störung der Tätigkeit eines Verfassungsorgans genügt nicht. 1

7

2. Hochverrat gegen ein Land, § 82 § 82 ist dem § 81 nachgebildet, erfaßt jedoch im Rahmen des Bestandshochverrats nur den Gebietsverrat. - In der Regel wird zwischen den §§ 81, 82 Idealkonkurrenz bestehen. 3. Vorbereitung eines hochverräterischen

8

Unternehmens, § 83

§ 83 erhebt die Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens nach

B G H S t 6 S. 3 5 2 ; SCHROEDER Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 4 1 7 ff.

439

9

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§84

§§ 81, 82 zum selbständigen Delikt. Es muß sich um ein Unternehmen handeln, d.h. eine Tat nach §§81, 82, deren Angriffsgegenstand und -ziel feststeht und die nach Ort, Zeit und Art der Durchführung bereits in ihren Grundzügen konkretisiert ist. - Die Realisierung des Unternehmens muß aus der Sicht der Täter zwar nicht unmittelbar, doch in absehbarer Zeit bevorstehen. 2 Vorbereitung ist jede ihrer Art nach gefährliche Handlung, die das geplante Unternehmen fördern soll, ohne selbst bereits Teil des Unternehmens zu sein. 3 4. Rücktritt und Tätige Reue, § 83 a 10 Die Voraussetzungen der Tätigen Reue, § 83 a, sind von der vorgesehenen Tat her differenziert: § 83 a Abs. 1 enthält die Voraussetzungen in bezug auf §§ 81, 82; § 83 a Abs. 2 die in bezug auf § 83.

§ 84: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats 1

Da die verfassungsmäßige Ordnung nicht nur mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt gefährdet und beeinträchtigt werden kann, erfassen § § 8 4 bis 90 b andere gefährliche Angriffe auf die verfassungsmäßige Ordnung.

I. Gesetzessystematik der § § 8 4 - 9 1 1. Die einzelnen Tatbestände lassen sich in 3 Gruppen 2 3 4

2. 5

aufgliedern:

a) Die eigentlichen Organisationsdelikte, §§ 84-86 a, erfassen die Unterstützung verbotener Vereinigungen. b) Staatsgefährdende Eingriffe (Sabotage, Zersetzung) in das Funktionieren des staatlichen Lebens werden gemäß §§ 87-89 bestraft. c) Die §§ 90-90 b schützen den Staat, seine höchsten Repräsentanten und Organe vor verfassungsverräterischer Beschimpfung. - Die hier erfaßten Verunglimpfungen stellen einen Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat dar, da sie geeignet sind, sein Ansehen zu untergraben. Geltungsbereich

In § 91 ist der Geltungsbereich der §§ 84, 85 und 87 abweichend von § 9 besonders geregelt. - Nebenfolgen und Einziehung: §§ 92 a, b.

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Fortführung einer für verfassungswidrig 6 7

erklärten Partei, § 84

§ 84 stellt Tätigkeiten unter Strafe, die dazu bestimmt sind, den Organisationszusammenhalt verbotener Parteien aufrechtzuerhalten. a) Abs. 1 und 2 setzen voraus, daß das BVerfG die Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG in Verb, mit § 46 BVerfGG für verfassungswidrig erklärt oder gemäß § 33 Abs. 1 ParteienG fest2

Dazu auch BGHSt 7 S. 11; LAUFHÜTTE LK, § 83 Rdn. 3 f; kritisch: SCHROEDER NJW 1980 S. 920 ff; WAGNER N J W 1 9 8 0 S. 9 1 3 ff.

3

440

Dazu BGHSt 6 S. 336.

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§84

§§ 81, 82 zum selbständigen Delikt. Es muß sich um ein Unternehmen handeln, d.h. eine Tat nach §§81, 82, deren Angriffsgegenstand und -ziel feststeht und die nach Ort, Zeit und Art der Durchführung bereits in ihren Grundzügen konkretisiert ist. - Die Realisierung des Unternehmens muß aus der Sicht der Täter zwar nicht unmittelbar, doch in absehbarer Zeit bevorstehen. 2 Vorbereitung ist jede ihrer Art nach gefährliche Handlung, die das geplante Unternehmen fördern soll, ohne selbst bereits Teil des Unternehmens zu sein. 3 4. Rücktritt und Tätige Reue, § 83 a 10 Die Voraussetzungen der Tätigen Reue, § 83 a, sind von der vorgesehenen Tat her differenziert: § 83 a Abs. 1 enthält die Voraussetzungen in bezug auf §§ 81, 82; § 83 a Abs. 2 die in bezug auf § 83.

§ 84: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats 1

Da die verfassungsmäßige Ordnung nicht nur mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt gefährdet und beeinträchtigt werden kann, erfassen § § 8 4 bis 90 b andere gefährliche Angriffe auf die verfassungsmäßige Ordnung.

I. Gesetzessystematik der § § 8 4 - 9 1 1. Die einzelnen Tatbestände lassen sich in 3 Gruppen 2 3 4

2. 5

aufgliedern:

a) Die eigentlichen Organisationsdelikte, §§ 84-86 a, erfassen die Unterstützung verbotener Vereinigungen. b) Staatsgefährdende Eingriffe (Sabotage, Zersetzung) in das Funktionieren des staatlichen Lebens werden gemäß §§ 87-89 bestraft. c) Die §§ 90-90 b schützen den Staat, seine höchsten Repräsentanten und Organe vor verfassungsverräterischer Beschimpfung. - Die hier erfaßten Verunglimpfungen stellen einen Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat dar, da sie geeignet sind, sein Ansehen zu untergraben. Geltungsbereich

In § 91 ist der Geltungsbereich der §§ 84, 85 und 87 abweichend von § 9 besonders geregelt. - Nebenfolgen und Einziehung: §§ 92 a, b.

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Fortführung einer für verfassungswidrig 6 7

erklärten Partei, § 84

§ 84 stellt Tätigkeiten unter Strafe, die dazu bestimmt sind, den Organisationszusammenhalt verbotener Parteien aufrechtzuerhalten. a) Abs. 1 und 2 setzen voraus, daß das BVerfG die Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG in Verb, mit § 46 BVerfGG für verfassungswidrig erklärt oder gemäß § 33 Abs. 1 ParteienG fest2

Dazu auch BGHSt 7 S. 11; LAUFHÜTTE LK, § 83 Rdn. 3 f; kritisch: SCHROEDER NJW 1980 S. 920 ff; WAGNER N J W 1 9 8 0 S. 9 1 3 ff.

3

440

Dazu BGHSt 6 S. 336.

Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats

§84

gestellt hat, daß es sich bei der Partei um eine Ersatzorganisation einer verbotenen Partei handelt. - Zum Begriff der Partei vgl. § 2 ParteienG. Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist eine Partei, wenn sie die verfassungswidrigen Bestrebungen der verbotenen Partei weiterverfolgt, § 33 Abs. 1 ParteienG. aa) Tathandlung nach Abs. 1 ist jede aktive, auf das Aufrechterhalten des organisierten Zusammenhaltes der Partei gerichtete Tätigkeit. - Rädelsführer ist, wer in der Organisation eine führende Rolle spielt, Hintermann, wer als Außenstehender geistig oder wirtschaftlich maßgeblichen Einfluß auf die Führung der Organisation hat. bb) Nach Abs. 2 wird die fördernde Tätigkeit als Mitglied und die Unterstützung der Organisation durch Nichtmitglieder bestraft.

8

9

b) Abs. 3 ergänzt Abs. 1, 2 und erfaßt das Zuwiderhandeln gegen bestimmte Sachent- 10 Scheidungen, die das BVerfG in den in Abs. 3 genannten Verfahren getroffen hat. c) Tätige Reue eröffnet Abs. 5, die Möglichkeiten der Strafmilderung Abs. 4, 5. 11 2. Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot, § 85 Nach § 85 wird bestraft, wer als Rädelsführer oder Hintermann den organisatorischen Zusammenhalt einer Vereinigung aufrechterhält, die sich gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung, Art. 9 Abs. 2 GG, richtet. a) Abs. 1 setzt voraus, daß im Verfahren nach § 33 Abs. 3 ParteienG unanfechtbar durch die Verwaltungsbehörden festgestellt ist, daß die Partei oder Vereinigung Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist. b) Abs. 2 setzt voraus, daß die Vereinigung im Verfahren nach §§ 3 ff VereinsG unanfechtbar verboten oder daß im Verfahren nach § 8 Abs. 2 VereinsG unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen Vereinigung ist. c) Zum Begriff des Hintermannes und Rädelsführer vgl. oben Rdn. 8. - Vereinigung in diesem Sinne ist der in § 2 Abs. 1 VereinsG definierte Verein. 4 d) Zur Tätigen Reue und zur Strafmilderung vgl. § 84 Abs. 4, 5, die gemäß § 85 Abs. 3 entsprechend gelten.

12

13

14

15 16

3. Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, § 86 § 86 richtet sich gegen das Verbreiten staatsfeindlicher Propagandamittel bestimmter ver- 17 botener Parteien oder Vereinigungen als mittelbares Organisations- und abstraktes Gefährdungsdelikt. a) Bestraft wird das Verbreiten, Herstellen, Vorrätighalten, Ein-, Ausführen oder in Daten- 18 speichern öffentlich Zugänglichmachen von Schriften (§11 Abs. 3), deren Inhalt gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist (Propagandamittel, § 86 Abs. 2). Verbreiten bedeutet, die Schrift einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich machen, und zwar der Substanz nach, während ein öffentliches Zugänglichmachen von Datenspeichern bereits vorliegt, wenn die Schrift inhaltlich zur Kenntnis genommen werden kann. - Herstellen, Vorrätighalten, Ein- und Ausführen sind Vorbereitungshandlungen zum Verbreiten und öffentlich in Datenspeichern Zugänglichmachen. Hergestellt ist ein Werk, wenn der Inhalt endgültig feststeht. 5 4

Dazu BGHSt 16 S. 298.

5

Dazu BGHSt 32 S. 1.

441

§84

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

19 b) Es muß sich um Propagandamittel einer für verfassungswidrig erklärten Partei, verbotenen Vereinigung (Abs. 1 Nr. 1, 2) oder bestimmter ausländischer Stellen handeln (Abs. 1 Nr. 3) bzw. um nationalsozialistische Propagandamittel (Abs. 1 Nr. 4). Ob auch vorkonstitutionelle Schriften (z.B. Hitlers "Mein Kampf') oder nur neonazistisches Propagandamaterial, das sich ausdrücklich gegen die Bundesrepublik Deutschland als demokratischen Rechtsstaat richtet, unter Abs. 1 Nr. 4 fällt, ist str. - Angemessen ist es, hier nicht zu unterscheiden, wenn der Inhalt der Schrift sich grundsätzlich gegen die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats wendet. 6 20 c) Gemäß Abs. 3 entfällt der Tatbestand des Abs. 1, wenn das Propagandamittel oder die Tathandlung der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient (Gedanke der Sozialadäquanz). 21 d) Gleichfalls ist Abs. 1 nicht anwendbar auf Zeitungen oder Zeitschriften, die ausserhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB in ständiger, regelmäßiger Folge erscheinen und dort allgemein und öffentlich vertrieben werden, Art. 296 EGStGB. 22 e) Konkurrenz: Dient die Verbreitung der Propagandamittel zugleich dem Zweck, die verbotene Vereinigung zusammenzuhalten, so können §§ 84, 85 und § 86 idealiter konkurrieren. 7 4. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger

Organisationen,

§ 86 a

23 § 86 a bezweckt als abstraktes Gefährdungsdelikt den Schutz des demokratischen Rechtsstaats und des öffentlichen Friedens. Er stellt das Verwenden oder Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Parteien und verbotener Vereinigungen oder diesen zum Verwechseln ähnlicher Kennzeichen unter Strafe. 24 a) Das Kennzeichen wird durch seinen Symbolgehalt geprägt. Außer den in Abs. 2 genannten Kennzeichen kommen in Betracht: der "Deutsche Gruß", das Horst-WesselLied, akustische oder optische Erkennungszeichen, wie zum Beispiel das Hakenkreuz oder ihm ähnliche Abbildungen, die aber beim unbefangenen Beobachter den Eindruck eines Hakenkreuzes vermitteln, SS-Runen u . ä A nicht aber das Keltenkreuz?

25 Verwenden ist jeder Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht. 1 0 - Verbreiten bedeutet, die Kennzeichen einem größeren Personenkreis zugänglich machen. 26 b) Gemäß § 86 a Abs. 3 gilt die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 entsprechend. Danach erfaßt der Tatbestand Handlungen, die ihn formell erfüllen, dann nicht, wenn sie sachlich seinem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen. Als Schutzzweck in diesem Sinne vgl. Rdn. 23 - ist nicht nur die Abwehr der Wiederbelebung der verbotenen Organisation und der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verstehen, sondern auch die Wahrung des politischen Friedens dadurch, daß jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutsch-

6

So TRÖNDLE StGB, § 86 Rdn. 5. - A.A. BGHSt 29 S. 73 mit Anm. BOTTKE JA 1980 S. 125 f.

7

Dazu BGHSt 26 S. 261.

8

Dazu BANEFELD DRiZ 1993 S. 430 ff.

9

B G H N S t Z 1996 S. 81.

10

BGHSt 23 S. 267.

442

Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats

§84

land gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, daß verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet werden. 11 Tatbestandsmäßig daher die Verbreitung von Hakenkreuzen auf originalgetreuen Flugzeugnachbildungen (BGHSt 28 S. 394); Darstellung des Buchstaben "ß" durch SS-Runen (OLG Frankfurt NStZ 1982 S. 333; BGH NStZ 1983 S. 261); Tragen eines Hitlerbildes auf einem T-Shirt (LG Frankfurt NStZ 1986 S. 167); Singen des Horst-Wessel-Liedes, auch mit verfremdetem Text (OLG Oldenburg NJW 1988 S. 351); Singen des Liedes: "Es zittern die morschen Knochen" (OLG Celle NJW 1991 S. 1497). Nicht tatbestandsmäßig hingegen antiquarischer Handel mit Kennzeichen, wenn sich das Angebot im wesentlichen an Museen und wissenschaftlich Interessierte wendet (BGHSt 31 S. 383); Verknüpfung von Hakenkreuz und Davidstern, um zur Versöhnung aufzurufen (BayObLG NJW 1988 S. 2901); Hitlergruß, um Protest gegen für nazistisch gehaltene Methoden auszudrücken (OLG Oldenburg NStZ 1986 S. 166).

5. Agententätigkeit zu Sabotagezwecken, § 87 a) § 87 stellt die Vorbereitung rechtsstaatsgefährdender Sabotagehandlungen unter Strafe. 27 b) Der Begriff der Sabotagehandlung ist in Abs. 2 abschließend umschrieben. - Vor- 28 aussetzungen aller Tathandlungen ist die Steuerung des Sabotageagenten von außen, d.h. das Vorliegen eines dem Täter erteilten Auftrags einer in Abs. 1 genannten, außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB befindlichen Stelle. - Der Auftrag muß auf die Vorbereitung von Sabotageakten, die im Geltungsbereich des StGB begangen werden sollen, gerichtet sein, doch brauchen die Akte selbst noch nicht konkret bestimmt zu sein. c) Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 3.

29

6. Verfassungsfeindliche Sabotage, § 88 Gemäß § 88 wird bestraft, wer als Rädelsführer oder Hintermann - dazu vgl. Rdn. 8 - ei- 30 ner Gruppe oder als einzelner ohne Rücksicht auf eine Gruppe rechtsstaatsgefährdende Sabotage betreibt. - Angriffs gegenständ sind bestimmte Verkehrs- oder Fernmelde- sowie bestimmte Versorgungseinrichtungen. a) Absichtlich handelt der Täter, wenn es ihm auf die Stillegung oder Zweckentfremdung 31 ankommt. b) Gerechtfertigt sind die Störungen dann, wenn sie im Rahmen eines arbeitsrechtlich zu- 32 lässigen Streiks erfolgen. 7. Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane, §89 Bestraft wird die planmäßige, gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder 33 die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete, auf Zersetzung der pflichtgemäßen Einsatzbereitschaft abzielende Einwirkung auf Bundeswehrangehörige oder Angehörige eines öffentlichen Sicherheitsorgans. a) Öffentliche Sicherheitsorgane sind z.B. die kasernierte Bereitschaftspolizei, der Bun- 34 desgrenzschutz, die Verfassungsschutzämter und die Nachrichtendienste. Die Adressaten müssen bereits Angehörige der Sicherheitsorgane sein. 12 - Einwirken ist jede Tätigkeit zur Beeinflussung auch nur eines Angehörigen des betroffenen Personenkreises. 11

BGHSt 25 S. 33; 31 S. 387. - Zur satirischen Verwendung von NS-Kennzeichen: BVerfG NStZ 1990 S. 333.

12

BGH NJW 1989 S. 1363.

443

§85

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

35 b) Auf das Ziel der Zersetzung muß es dem Täter ankommen (Absicht). 36 c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht der Bestrafung nicht entgegen. 13 37 d) Erfolgt die Tat durch Verbreitung einer Druckschrift, so greifen nicht die kurzen Verjährungsfristen nach den Pressegesetzen ein, weil nicht der Inhalt der Druckschrift strafbar ist, sondern nur das Verbreiten der Druckschrift in einem bestimmten Personenkreis. 14 8. Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staates und seiner Symbole sowie verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, §§ 90, § 90 a, § 90 b 38 Die Vorschriften schützen Amt und Person des Bundespräsidenten, die Bundesrepublik Deutschland, ihre Länder und Symbole sowie bestimmte Verfassungsorgane gegen öffentliche Herabsetzung. 15 39 a) Verunglimpfen ist eine nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder den Beweggründen erheblichere Ehrenkränkung i.S. der §§ 185-187. 16 - Böswillig Verächtlichmachen bedeutet, trotz Kenntnis des Unrechts, den Angriffsgegenstand als der Achtung der Bürger unwert und unwürdig hinzustellen. 40 b) Im Konflikt mit der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, sind die betroffenen Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen in den Grundrechten Dritter und anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern.17 41 c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht einer Bestrafung nicht entgegen. 18 42 d) § 90 a Abs. 3 enthält einen Qualifikationstatbestand.19

§ 85: Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik 1

2

1. Im Gegensatz zu den in den §§ 83, 84 des GRUNDKURSES behandelten Straftaten richtet sich der Landesverrat gegen die äußere Sicherheit, d.h. die Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu fremden Staaten. 2. Die Tatbestände lassen sich unterteilen in die Gruppe der landesverräterischen Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen und ähnlich geschützter Sachverhalte: §§ 94 - 97 b, 100 a, und in die Gruppe der im Vorfeld des Verrats liegenden landesverräterischen Konspiration: §§ 9 8 - 1 0 0 .

II. Das Staatsgeheimnis 1. §93 Abs. 1 3

Gemäß § 9 3 Abs. 1, der den sog. materiellen Geheimnisbegriff 13

positiviert, sind Staats-

BVerfGE 47 S. 130; BGHSt 27 S. 59.

14

BGHSt 27 S. 353.

1 5

D a z u ROGGEMANN J Z 1 9 9 2 S. 9 3 4 f f .

16

BGHSt 12 S. 364.

1 7

V g l . B V e r f G E 8 1 S. 2 7 8 u n d S. 2 9 8 m i t A n m . GUSY J Z 1 9 9 0 S. 6 4 0 f; HUFEN JUS 1 9 9 1 S. 6 8 7 f f ; L G A a c h e n N J W 1 9 9 5 S. 8 9 4 ; VOLK J R 1 9 8 4 S. 4 4 1 f f ; WÜRTENBERGER N J W 1 9 8 3 S. 1 1 4 7 f f .

18

Dazu BVerfGE 47 S. 231 (zu § 90 a); BGHSt 29 S. 50 (zu § 90 b).

19

BGH StV 1984 S. 329.

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§85

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

35 b) Auf das Ziel der Zersetzung muß es dem Täter ankommen (Absicht). 36 c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht der Bestrafung nicht entgegen. 13 37 d) Erfolgt die Tat durch Verbreitung einer Druckschrift, so greifen nicht die kurzen Verjährungsfristen nach den Pressegesetzen ein, weil nicht der Inhalt der Druckschrift strafbar ist, sondern nur das Verbreiten der Druckschrift in einem bestimmten Personenkreis. 14 8. Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staates und seiner Symbole sowie verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, §§ 90, § 90 a, § 90 b 38 Die Vorschriften schützen Amt und Person des Bundespräsidenten, die Bundesrepublik Deutschland, ihre Länder und Symbole sowie bestimmte Verfassungsorgane gegen öffentliche Herabsetzung. 15 39 a) Verunglimpfen ist eine nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder den Beweggründen erheblichere Ehrenkränkung i.S. der §§ 185-187. 16 - Böswillig Verächtlichmachen bedeutet, trotz Kenntnis des Unrechts, den Angriffsgegenstand als der Achtung der Bürger unwert und unwürdig hinzustellen. 40 b) Im Konflikt mit der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, sind die betroffenen Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen in den Grundrechten Dritter und anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern.17 41 c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht einer Bestrafung nicht entgegen. 18 42 d) § 90 a Abs. 3 enthält einen Qualifikationstatbestand.19

§ 85: Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik 1

2

1. Im Gegensatz zu den in den §§ 83, 84 des GRUNDKURSES behandelten Straftaten richtet sich der Landesverrat gegen die äußere Sicherheit, d.h. die Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu fremden Staaten. 2. Die Tatbestände lassen sich unterteilen in die Gruppe der landesverräterischen Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen und ähnlich geschützter Sachverhalte: §§ 94 - 97 b, 100 a, und in die Gruppe der im Vorfeld des Verrats liegenden landesverräterischen Konspiration: §§ 9 8 - 1 0 0 .

II. Das Staatsgeheimnis 1. §93 Abs. 1 3

Gemäß § 9 3 Abs. 1, der den sog. materiellen Geheimnisbegriff 13

positiviert, sind Staats-

BVerfGE 47 S. 130; BGHSt 27 S. 59.

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BGHSt 27 S. 353.

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D a z u ROGGEMANN J Z 1 9 9 2 S. 9 3 4 f f .

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BGHSt 12 S. 364.

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V g l . B V e r f G E 8 1 S. 2 7 8 u n d S. 2 9 8 m i t A n m . GUSY J Z 1 9 9 0 S. 6 4 0 f; HUFEN JUS 1 9 9 1 S. 6 8 7 f f ; L G A a c h e n N J W 1 9 9 5 S. 8 9 4 ; VOLK J R 1 9 8 4 S. 4 4 1 f f ; WÜRTENBERGER N J W 1 9 8 3 S. 1 1 4 7 f f .

18

Dazu BVerfGE 47 S. 231 (zu § 90 a); BGHSt 29 S. 50 (zu § 90 b).

19

BGH StV 1984 S. 329.

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L a n d e s v e r r a t und G e f ä h r d u n g der äußeren Sicherheit

§85

geheimnisse Sachverhalte, die als Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen, d.h. ihrem Schutzbereich zuzurechnen sind, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. 2. §93 Abs. 2 a) Kein Staatsgeheimnis i.S. des Gesetzes ist das sog. illegale Staatsgeheimnis i.S. des 4 § 93 Abs. 2. Da der Verrat derartiger Geheimnisse daher keinen Verrat von Staatsgeheimnissen darstellt, ist Abs. 2 als Tatbestandseinschränkung jener Tatbestände zu verstehen, die den Verrat von Staatsgeheimnissen unter Strafe stellen. 20 Die Offenbarung derartiger Geheimnisse ist jedoch nicht ohne Ausnahme straflos; dazu weiter unter Rdn. 17 f. b) Abs. 2 erfaßt nicht alle geheimhaltungsbedürftigen rechtswidrigen Sachverhalte. Eine 5 Offenbarung dieser Sachverhalte kann jedoch gemäß § 34 im Einzelfall gerechtfertigt sein. 3. Mosaiktheorie Da als Staatsgeheimnis allein Sachverhalte in Betracht kommen, die nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich sind, werden Erkenntnisse, die durch systematische Auswertung allgemein zugänglicher Tatsachen erarbeitet werden, nicht mehr geschützt, auch wenn das Ergebnis der Auswertung selbst ein Staatsgeheimnis ist.

6

III. Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen 1. Landesverrat, § 94 § 94 schützt die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gegen den Verrat von 7 Staatsgeheimnissen. a) Strafbar ist, wer ein Staatsgeheimnis einer fremden Macht oder einem ihrer Mit- 8 telsmänner mitteilt (Abs. 1 Nr. 1) oder sonst an einen Unbefugten gelangen läßt bzw. öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen (Abs. 1 Nr. 2), und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. 21 Unbefugter ist jeder, der nicht rechtmäßig zur Kenntnisnahme befugt ist. Gelangen las- 9 sen bedeutet bei körperlichen Gegenständen Überführung in den Gewahrsam des Empfängers, sonst Kenntnisnahme durch den Empfänger. - Die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland muß konkret nachweisbar sein. b) Abs. 2 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen für be- 10 sonders schwere Fälle (Mißbrauch einer verantwortlichen Stellung, Gefahr eines beson20

21

So auch BT-Drucks. V/2860, S. 16; RUDOLPHI SK II, § 93 Rdn. 35. - A.A. (Rechtfertigungsgrund): JESCHECK Engisch-FS, S. 592; PAEFFGEN Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97 b StGB) und die allgemeine Intumslehre, 1979, S. 190 ff. Zur Strafbarkeit früherer Geheimdienstmitarbeiter der DDR vgl. BVerfGE 92 S. 277 mit Anm. ARNDT N J W 1 9 9 5 S. 1 8 0 3 f, CLASSEN N S t Z 1 9 9 5 S. 3 7 1 f f , DOEHRING Z R P 1 9 9 5 S . 2 9 3 f f , HUBER J u r a 1 9 9 6

S. 301 ff, SCHROEDER JR 1995, s. 441 ff, VOLK NStZ 1995 S. 367 ff; BGHSt 41 S. 292 mit Anm. SCHLÜCHTER/DUTTGE NStZ 1996 S. 457; BayObLG JR 1996 S. 427 mit Anm. W. SCHMIDT S. 430 ff.

445

§85

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

ders schweren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland). 11 c) Eine zum selbständigen Delikt erhobene Vorbereitungshandlung zur Tat nach § 94 stellt § 96 Abs. 1 unter Strafe. 2. Offenbaren von Staatsgeheimnissen,

§ 95

12 § 95 konkretisiert die Grenzen der Pressefreiheit, indem er die Preisgabe von Staatsgeheimnissen in Publikationsorganen unter Berücksichtigung des Widerstreits zwischen Pressefreiheit und Geheimnisschutz regelt. 13 a) Der Tatbestand unterscheidet sich von dem des Landesverrats dadurch, daß aa) das Staatsgeheimnis zur Zeit der Tat von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird und bb) die Offenbarung nicht in Schädigungs- oder Begünstigungsabsicht begangen sein darf. 14 b) Eine Vorbereitungshandlung zur Begehung des § 95 stellt § 96 Abs. 2 als selbständiges Delikt unter Strafe. 3. Preisgabe von Staatsgeheimnisse,

§ 97

15 a) Gemäß § 97 Abs. 1, dessen objektiver Tatbestand dem des § 95 entspricht, wird bestraft, wer die Tathandlung vorsätzlich begeht, bzgl. des Gefährdungserfolgs jedoch nur fahrlässig handelt. 16 b) Personen, denen ein Staatsgeheimnis kraft Amtes, Dienststellung oder eines von amtlicher Stelle erteilten Auftrags zugänglich ist, werden gemäß § 97 Abs. 2 bestraft, wenn sie das Staatsgeheimnis leichtfertig an einen Unbefugten gelangen lassen und damit fahrlässig eine Staatsgefährdung begründen. 4. Verrat illegaler Geheimnisse, § 97 a 17 a) Die Vorschrift löst in Verbindung mit § 93 Abs. 2 die Kollision zwischen dem Recht zur Rüge von Mißständen im öffentlichen Leben und der Pflicht, Staatsgeheimnisse zu wahren. Gemäß § 93 Abs. 2 geht das Interesse an der Mitteilung und Entdeckung rechtswidriger Geheimnisse der Wahrung äußerer Sicherheit vor. Ausgenommen sind nur solche Verratshandlungen, die trotz des Rechtsverstoßes im Hinblick auf einen effektiven Staatsschutz nicht mehr erträglich erscheinen, weil sie nicht auf öffentliche Diskussion des Mißstandes zielen, sondern zumindest objektiv eine andere Macht begünstigen: die Mitteilung des Geheimnisses unmittelbar an eine fremde Macht oder ihre Mittelsmänner, bzw. die Ausspähung des Geheimnisses, § 96 Abs. 1, in dieser Mitteilungsabsicht. 18 b) Praktisch erfolgt die Anwendung des § 97 a dadurch, daß in § 94 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 sowie in § 96 Abs. 1 in Verb, mit § 94 Abs. 1 Nr. 1 an die Stelle des Staatsgeheimnisses das Geheimnis i.S.d. § 93 Abs. 2 tritt. 5. Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses,

§ 97 b

19 § 97 b enthält keinen selbständigen Tatbestand, sondern eine besondere Irrtumsvorschrift (Rechtsfolgenverweisung) für den Fall des Verrats eines Staatsgeheimnisses, das der Täter irrig für ein Geheimnis i.S. des § 93 Abs. 2 hält. - Nötig wurde diese Vorschrift, weil der Gesetzgeber - unter der Prämisse, § 93 Abs. 2 enthält einen Tatbestandsausschluß - das bei

446

Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit

§85

der Anwendung der allgemeinen Irrtumsregeln zwingende Ergebnis: Straffreiheit des Irrenden, ausschließen wollte. 22 Mit dem Schuldgrundsatz ist die Gleichstellung des irrenden Täters mit dem Täter, der 20 bewußt ein Staatsgeheimnis verrät, nicht in Einklang zu bringen. Die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift erfordert daher eine Milderung des Strafrahmens. 2 3 6. Landesverräterische

Fälschung, § 100 a

§ 100 a schützt nicht nur die äußere Sicherheit, sondern die äußere Machtstellung Bundesrepublik Deutschland im ganzen gegen landesverräterische Fälschung.

der

21

a) Gemäß § 100 a Abs. 1 wird bestraft, wer bestimmte gefälschte oder unwahre Sach- 22 verhalte an einen anderen gelangen läßt und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere staatliche Sicherheit oder die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeiführt. - Gefälscht oder verfälscht ist ein Sachverhalt, wenn er zum Zwecke der Täuschung derart angefertigt oder verändert wurde, daß er den Anschein eines wahren Sachverhalts erweckt. - Der Sachverhalt braucht kein Staatsgeheimnis zu sein. b) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz in bezug auf die Tathandlung und die Ge- 23 fahrdung sowie die Absicht des Täters, einer fremden Macht die Echtheit oder Wahrheit der verratenen Sachverhalte vorzutäuschen. Der Täter muß die Unechtheit oder Unwahrheit der verratenen Sachverhalte positiv kennen ("wider besseres Wissen"). c) Nach § 100 a Abs. 2 sind Vorbereitungshandlungen strafbar.

zu Abs. 1 als selbständiges Delikt 24

IV. Die landesverräterische Konspiration 1. Geheimdienstliche

Agententätigkeit,

§ 99

§ 99 schützt als umfassender Spionagetatbestand gegen geheimdienstliche Tätigkeit. 25 a) Gemäß Abs. 1 Nr. 1 wird die Ausübung einer geheimdienstlichen Tätigkeit gegen die 26 Bundesrepublik Deutschland, die auf Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, bestraft. 2 4 Gemäß Art. 7 Abs. 1 Nr. 4 des 4. StrÄG ist der Schutz auf diejenigen Nato-Vertragsstaaten, die Truppen im Bundesgebiet haben, ausgedehnt. 25 Geheimdienst ist in der Regel eine im staatlichen Bereich organisierte Einrichtung, die 27 der Beschaffung und Auswertung von Nachrichten aus fremden Machtbereichen dient, ihre Tätigkeit in diesen Bereichen vor den fremden Behörden geheimhält und daher konspirative Methoden anwendet. - Ausüben wird vom BGH als tätig sein interpretiert, ohne daß es auf eine Konspiration ankommt 2 6 , während in der Literatur z.T. eine auf gewisse

11

So im Ergebnis auch: PAEFFGEN Verrat, S. 229. - Für selbständigen Tatbestand: SCH/SCH/STREE § 97 b Rdn. 1; für negativ formulierten Rechtfertigungsgrund: JESCHECK Engisch-FS, S. 596.

23

Dazu auch PAEFFGEN Verrat, S. 170.

24

Zur Strafbarkeit früherer Geheimdienstmitarbeiter der DDR vgl. Fn. 20.

25

BGHSt 32 S. 104.

26

BGH NJW 1989 S. 1371.

447

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§86

Dauer angelegte Tätigkeit gefordert wird 27 . Die Begrenzung des Tatbestandes auf länger angelegte Tätigkeit führt jedoch zu nicht berechtigten$Strafbarkeitslücken. - Bloßes Ausgeforschtwerden oder Sich-ausfragen-lassen ist allerdings noch keine Ausübung der Tätigkeit i.S. des Gesetzes. 28 - Gegen die Bundesrepublik Deutschland heißt gegen deren Interessen, nicht nur gegen die einzelner Personen oder Gruppen, doch werden nicht nur staatliche Interessen, sondern auch wirtschaftliche, wissenschaftliche und andere Interessen erfaßt. 28 b) Nach Abs. 1 Nr. 2 ist der Tätigkeit das ernstliche Bereiterklären zu dieser Tätigkeit gegenüber einer fremden Macht oder ihren Mittelsmännern gleichgestellt. - Die Erklärung mit der sich der Täter bereit erklärt, muß dem Empfänger zugegangen sein. 29 29 c) Besonders schwere Fälle sind als Regelfälle in Abs. 2 genannt; die Möglichkeit Tätiger Reue eröffnet Abs. 3 in Verb, mit § 98 Abs. 2. 2. Landesverräterische Agententätigkeiten, § 98 30 § 98 erfaßt als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht nur Vorbereitungshandlungen zum Landesverrat (§ 94) oder zur Ausspähung (§ 96 Abs. 1), sondern deckt deren Vorfeld ab, auch wenn noch gar kein konkreter Tatplan i.S. dieser Vorschrift besteht. Im Gegensatz zu § 99 ist eine geheimdienstliche Tätigkeit aber nicht erforderlich, jedoch muß die Agententätigkeit auf ein Staatsgeheimnis gerichtet sein. Zur Strafbarkeit des Bereiterklärens vgl. Abs. 1 Nr. 2, zur Strafbarkeit besonders schwerer Fälle: Abs. 1 S. 2. - Tätige Reue ist unter den Voraussetzungen des Abs. 2 möglich.

3. Friedensgefährdende Beziehungen,

§100

31 § 100 schützt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gegen friedensgefährdende Agententätigkeit. 32 a) Die Vorschrift erfaßt nicht eine bestimmte Tätigkeit wie §§ 98, 99, sondern die staatsgefährdende Aufnahme und Unterhaltung von Beziehungen zu einer bestimmten Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB oder zu einem ihrer Mittelsmänner in staatsgefährdender Absicht. - Die Tat muß in der Absicht erfolgen, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen, z.B. "Einmarsch zwecks friedlicher Besetzung" 30 gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. 33 b) Täter kann nur ein Deutscher sein, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat. 4. Nebenfolgen und Einziehung 34 Zu den Nebenfolgen und zur Einziehung bei Verurteilung wegen einer Straftat nach dem 2. Abschnitt des StGB vgl. §§ 101, 101 a.

§ 86: Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut 1

Die Überschrift des 3. Abschnitts des StGB: "Straftaten gegen ausländische Staaten", bringt die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, mit diesen Vorschriften nicht nur die 2 7

V g l . SCHROEDERJZ 1 9 8 3 S. 6 7 1 f f .

28

BVerfGE 57 S. 265 f; BGHSt 30 S. 294.

29

Vgl. OLG Celle NJW 1991 S. 579.

3 0

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 8 5 R d n . 6 8 .

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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§86

Dauer angelegte Tätigkeit gefordert wird 27 . Die Begrenzung des Tatbestandes auf länger angelegte Tätigkeit führt jedoch zu nicht berechtigten$Strafbarkeitslücken. - Bloßes Ausgeforschtwerden oder Sich-ausfragen-lassen ist allerdings noch keine Ausübung der Tätigkeit i.S. des Gesetzes. 28 - Gegen die Bundesrepublik Deutschland heißt gegen deren Interessen, nicht nur gegen die einzelner Personen oder Gruppen, doch werden nicht nur staatliche Interessen, sondern auch wirtschaftliche, wissenschaftliche und andere Interessen erfaßt. 28 b) Nach Abs. 1 Nr. 2 ist der Tätigkeit das ernstliche Bereiterklären zu dieser Tätigkeit gegenüber einer fremden Macht oder ihren Mittelsmännern gleichgestellt. - Die Erklärung mit der sich der Täter bereit erklärt, muß dem Empfänger zugegangen sein. 29 29 c) Besonders schwere Fälle sind als Regelfälle in Abs. 2 genannt; die Möglichkeit Tätiger Reue eröffnet Abs. 3 in Verb, mit § 98 Abs. 2. 2. Landesverräterische Agententätigkeiten, § 98 30 § 98 erfaßt als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht nur Vorbereitungshandlungen zum Landesverrat (§ 94) oder zur Ausspähung (§ 96 Abs. 1), sondern deckt deren Vorfeld ab, auch wenn noch gar kein konkreter Tatplan i.S. dieser Vorschrift besteht. Im Gegensatz zu § 99 ist eine geheimdienstliche Tätigkeit aber nicht erforderlich, jedoch muß die Agententätigkeit auf ein Staatsgeheimnis gerichtet sein. Zur Strafbarkeit des Bereiterklärens vgl. Abs. 1 Nr. 2, zur Strafbarkeit besonders schwerer Fälle: Abs. 1 S. 2. - Tätige Reue ist unter den Voraussetzungen des Abs. 2 möglich.

3. Friedensgefährdende Beziehungen,

§100

31 § 100 schützt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gegen friedensgefährdende Agententätigkeit. 32 a) Die Vorschrift erfaßt nicht eine bestimmte Tätigkeit wie §§ 98, 99, sondern die staatsgefährdende Aufnahme und Unterhaltung von Beziehungen zu einer bestimmten Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB oder zu einem ihrer Mittelsmänner in staatsgefährdender Absicht. - Die Tat muß in der Absicht erfolgen, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen, z.B. "Einmarsch zwecks friedlicher Besetzung" 30 gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. 33 b) Täter kann nur ein Deutscher sein, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat. 4. Nebenfolgen und Einziehung 34 Zu den Nebenfolgen und zur Einziehung bei Verurteilung wegen einer Straftat nach dem 2. Abschnitt des StGB vgl. §§ 101, 101 a.

§ 86: Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut 1

Die Überschrift des 3. Abschnitts des StGB: "Straftaten gegen ausländische Staaten", bringt die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, mit diesen Vorschriften nicht nur die 2 7

V g l . SCHROEDERJZ 1 9 8 3 S. 6 7 1 f f .

28

BVerfGE 57 S. 265 f; BGHSt 30 S. 294.

29

Vgl. OLG Celle NJW 1991 S. 579.

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MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 8 5 R d n . 6 8 .

448

Delikte gegen die demokratische Willensbildung

§87

guten Beziehungen zu den ausländischen Staaten, sondern diese selbst und ihre Organe sowie Organträger zu schützen. Gleichwohl steht im Vordergrund der Regelung der Schutz normaler Auslandsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland und damit der Schutz des eigenen Staates, wie insbes. die Regelung des § 104 a zeigt.

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, § 102 Bestraft wird der Angriff auf Leib oder Leben ausländischer Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder oder beglaubigter Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung, während sich der Angegriffene in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält.

2

2. Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, §103 Die Vorschrift enthält einen gegenüber den §§ 185 ff speziellen Beleidigungstatbestand zum Schutz bestimmter ausländischer Staatsmänner. a) Die §§ 190, 192, 193 finden auf § 103 Anwendung, da sie allgemeine Grundsätze des Beleidigungsrechts enthalten. 31 b) Kann aus § 103 aus einem Grunde nicht bestraft werden, so greifen die allgemeinen Vorschriften, §§185 ff, durch.

4

3. Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten, §104 Geschützt sind alle ausländischen Flaggen und Hoheitszeichen in Anlehnung an § 90 a Abs. 2.

6

3

5

III. Voraussetzung der Strafverfolgung, § 104 a 1. Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen unter II dargestellten Tatbeständen: a) das Bestehen normaler diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu dem betreffenden Staat, b) die tatsächliche Verbürgung der Gegenseitigkeit. 2. Prozeßvoraussetzung ist: a) das Vorliegen eines Strafverlangens durch die ausländische Regierung und b) die Ermächtigung der Bundesregierung zur Verfolgung der Täter.

7

$

§ 87: Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d 1. Geschütztes Rechtsgut der Tatbestände dieses Abschnittes ist die in staatlichen Angelegenheiten gewährleistete Willensbildung und die verfassungsrechtlich gesicherte Willensbetätigung der Verfassungsorgane. Diese sollen vor Terror und Verfälschung be-

31

BVerwG NJW 1982 S. 1008.

449

j

Delikte gegen die demokratische Willensbildung

§87

guten Beziehungen zu den ausländischen Staaten, sondern diese selbst und ihre Organe sowie Organträger zu schützen. Gleichwohl steht im Vordergrund der Regelung der Schutz normaler Auslandsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland und damit der Schutz des eigenen Staates, wie insbes. die Regelung des § 104 a zeigt.

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, § 102 Bestraft wird der Angriff auf Leib oder Leben ausländischer Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder oder beglaubigter Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung, während sich der Angegriffene in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält.

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2. Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, §103 Die Vorschrift enthält einen gegenüber den §§ 185 ff speziellen Beleidigungstatbestand zum Schutz bestimmter ausländischer Staatsmänner. a) Die §§ 190, 192, 193 finden auf § 103 Anwendung, da sie allgemeine Grundsätze des Beleidigungsrechts enthalten. 31 b) Kann aus § 103 aus einem Grunde nicht bestraft werden, so greifen die allgemeinen Vorschriften, §§185 ff, durch.

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3. Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten, §104 Geschützt sind alle ausländischen Flaggen und Hoheitszeichen in Anlehnung an § 90 a Abs. 2.

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III. Voraussetzung der Strafverfolgung, § 104 a 1. Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen unter II dargestellten Tatbeständen: a) das Bestehen normaler diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu dem betreffenden Staat, b) die tatsächliche Verbürgung der Gegenseitigkeit. 2. Prozeßvoraussetzung ist: a) das Vorliegen eines Strafverlangens durch die ausländische Regierung und b) die Ermächtigung der Bundesregierung zur Verfolgung der Täter.

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§ 87: Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d 1. Geschütztes Rechtsgut der Tatbestände dieses Abschnittes ist die in staatlichen Angelegenheiten gewährleistete Willensbildung und die verfassungsrechtlich gesicherte Willensbetätigung der Verfassungsorgane. Diese sollen vor Terror und Verfälschung be-

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BVerwG NJW 1982 S. 1008.

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§87

2

Dritter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter der Gesamtheit

wahrt werden. - Der nötigende Druck muß so erheblich sein, daß er geeignet erscheint, den Willen des Verfassungsorgans zu beugen. 32 2. Angriffe gegen die Verfassungsorgane und deren Mitglieder sind in den §§ 105-106 b erfaßt, die §§ 107-108 d schützen die Wahlen.

II. Die einzelnen Tatbestände 3

4

1. Nötigung von Verfassungsorganen, §105 Die Vorschrift schützt bestimmte Verfassungsorgane (Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder, Bundesversammlung, Bundesregierung und Landesregierungen sowie das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder) und ihre Untergliederungen (Ausschüsse) als Ganzes gegen Nötigung. Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 entsprechend anzuwenden; dazu § 27 Rdn. 28 ff. 2. Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans, § 106 Während § 105 das Verfassungsorgan als Ganzes schützt, ist § 106 auf den Schutz des Bundespräsidenten und einzelner Mitglieder der in § 105 genannten Verfassungsorgane gegen Nötigung in ihrem Aufgabenbereich gerichtet. Soweit zu diesem Aufgabenbereich auch bloßes Verwaltungshandeln gehört, z.B. beim Minister als Leiter oberster Bundesoder Landesbehörden, werden auch derartige Tätigkeiten erfaßt. 33

3. Bannkreisverletzung, § 106 a 5 § 106 a schützt die Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder sowie das Bundesverfassungsgericht gegen den Druck der Straße. 6 a) Abs. 1 bestraft die Teilnahme an Aufzügen oder öffentlich unter freiem Himmel veranstalteten Versammlungen innerhalb des "Bannkreises". 34 Der Begriff der Versammlung ist im selben Sinn zu verstehen wie im Versammlungsgesetz. 35 - Aufzug ist eine zu einem bestimmten Zweck vereinigte Menschenmenge, die sich in der Öffentlichkeit als zusammengehöriges Ganzes so bewegt, daß sie Aufmerksamkeit auf sich lenkt. 7 b) Abs. 2 erfaßt bereits die Aufforderung zu der in Abs. 1 beschriebenen Bannkreisverletzung als eigenständiges Delikt.

8 9

4. Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans, § 106 b § 106 b schützt die Polizeigewalt in Gebäuden und den dazu gehörenden Grundstücken der Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder. a) Abs. 1 erfaßt den Verstoß gegen Hausordnungsvorschriften, durch den die Tätigkeit des Organs gestört oder gehindert wird. Derartige Vorschriften können insbesondere in Geschäftsordnungen der Gesetzgebungsorgane enthalten sein. 36 32

BGHSt 32 S. 165 mit Anm. WLLLMS JR 1984 S. 120 f.

33

A . A . OLG Düsseldorf N J W 1978 S . 2562 mit abl. Anm. SCHOREIT MDR 1979 S . 633 f.

34

Dazu § 16 VersG sowie die Bannmeilengesetze des Bundes und der Länder.

35

Dazu OLG Köln MDR 1980 S. 1040; OLG Köln VRS 85 (1993) S. 332.

36

OLG Celle NStZ 1986 S. 410.

450

Delikte gegen die demokratische Willensbildung

§87

Gebäude meint das jeweilige Gebäude, in dem das Gesetzgebungsorgan gerade tagt und für das die Anordnung erlassen ist. - Hindern heißt die Tätigkeit - sei es auch nur für kurze Zeit - unmöglich machen. Stören bedeutet erschweren der Tätigkeit.

b) Gemäß Abs. 2 können Parlaments- oder Regierungsmitglieder nicht Täter sein. 5. Als Delikte gegen Wahlen - Legaldefinition

in § 108 d - sind

10

erfaßt:

a) Wahlbehinderung, § 107 Geschützt ist der Wahl Vorgang in seinem Gesamtablauf.

11

b) Wahlfälschung, § 107 a aa) Abs. 1 erfaßt die Herbeiführung eines falschen Ergebnisses vor Beendigung der Wahl 12 und die Verfälschung des Ergebnisses nach diesem Zeitpunkt. 3 7 Es genügt jede Handlung, die ein unrichtiges Ergebnis bewirkt. 3 8 - Unbefugt wählt auch, wer unter anderem Namen den Kandidaten wählt, den auch der Vertretene gewählt hätte. 3 9 bb) Abs. 2 betrifft die falsche Verkündung eines Wahlergebnisses. - Täter kann nur sein, 13 wer die amtliche Aufgabe hat, das Ergebnis öffentlich zu verkünden oder verkünden zu lassen oder wer sich diese Befugnis anmaßt. c) Fälschung von Wahlunterlagen, § 107 b Die Vorschrift stellt bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wahlfälschung selbständig unter Strafe.

14

d) Verletzung des Wahlgeheimnisses, § 107 c Bestraft wird die Verletzung von Vorschriften, die dem Schutz des Wahlgeheimnisses 15 dienen, in der Absicht, sich oder einem anderen Kenntnis darüber zu verschaffen, wie jemand gewählt hat. - Als das Blankett ausfüllende Normen kommen z.B. § 34 BWahlG, §§ 50, 51 BWahlO in Betracht. e) Wählernötigung, § 108 aa) Geschützt ist der einzelne Bürger gegen Nötigung bei der Ausübung seines Wahlrechts.

16

bb) Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 anwendbar. f) Wählertäuschung, § 108 a Geschützt ist der Wähler gegen Täuschung beim Wahlakt, nicht gegen Täuschung bei der 17 Willensbildung in bezug auf die Entscheidung für eine bestimmte Partei, z.B. durch falsche Wahlversprechen o.ä. g) Wählerbestechung, § 108 b Die Vorschrift stellt Bestechung und Bestechlichkeit des Wählers unter Strafe. - Maß- 18 geblich ist hier eine personale Beziehung zwischen dem Bestechenden und dem zu bestechenden Wähler, die zumindest zu einer gefühlsmäßigen Verpflichtung des Wählers, in 37

Zur Wahlfälschung bei Kommunalwahlen in der DDR: BVerfG (2. K„ 2. S.) N J W 1993 S. 2524; BGHSt 39 S. 54 N J W 1993 S. 1019 mit Anm. KÖNIG JR 1993 S. 207 ff; BGHSt 40 S. 307 mit Anm. WEBER JR 1995 S. 403 ff; BezG Dresden N S t Z 1992 S. 438 mit Anm. HÖCHST JR 1992 S. 433 ff, LORENZ N S t Z 1992 S. 4 2 2 , DERS. M D R 1 9 9 3 S. 7 0 5 f f , SCHROEDER N S t Z 1 9 9 3 S. 2 1 6 f f .

38

Dazu O L G Zweibrücken NStZ 1986 S. 554.

39

Dazu BGHSt 29 S. 380 mit Anm. OEHLER JR 1981 S. 519 f.

451

§88

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

der vom Bestechenden beabsichtigten Weise abzustimmen, führen kann. 40 Ob und wie der Wähler wählt, ist unerheblich, sein geheimer Vorbehalt, sich durch die Bestechung nicht beeinflussen zu lassen, ist irrelevant. h) Nebenfolgen 19 Zu den Nebenfolgen vgl. § 108 c. i) Abgeordnetenbestechung, § 108 e 20 Bestraft wird das Unternehmen des Kaufs und Verkaufs der Stimme für eine Wahl oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände. Auch wenn Kauf und Verkauf nicht im zivilrechtlichen Sinne, sondern "im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs bildlich zu verstehen" sind 4 ', so ist doch eine konkrete Unrechtsvereinbarung zwischen dem Abgeordneten und dem Dritten erforderlich, die Stimme bei einer konkreten Abstimmung in bestimmter Art und Weise abzugeben. Damit soll gewährleistet werden, daß nicht jede Ausrichtung des Abstimmungsverhaltens an eigennützigen Interessen des Abgeordneten strafbar ist, sondern nur eine solche, die verwerflich ist und nicht "politisch übliches und sozialadäquates Verhalten" betrifft 42 . - Praktisch ist der Tatbestand damit bedeutungslos. 43

§ 88: Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich 1

Die Delikte des 5. Abschnitts des StGB dienen dem Schutz der Landesverteidigung, und zwar ihrem Wortlaut nach gegenüber Angriffen auf das Kräftepotential der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland. Gemäß Art. 7 des 4. StrÄG ist der strafrechtliche Schutz der §§ 109 d-109 g, 109 i aber auf die militärische Sicherheit der Vertragsstaaten der NATO und ihrer in Deutschland stationierten Truppen ausgedehnt worden.

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung, § 109 Die Vorschrift will die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht und damit das Wehrpotential der Bundesrepublik Deutschland sichern. 3 a) Nach Abs. 1 wird der Täter bestraft, der sich oder einen anderen mit dessen Einwilligung in bestimmter Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder machen läßt. - Führt allerdings ein Soldat die Untauglichkeit an sich oder einem anderen Soldaten herbei, so greift § 17 WStG als Spezialvorschrift ein. 2

Zur Wehrpflicht vgl. §§ 1-3 WehrpflG. - Untauglich, der Wehrpflicht zu genügen, ist der Wehrpflichtige, wenn er wegen körperlicher oder geistiger Mängel nicht mehr in der Art oder dem Umfang wehrtauglich ist wie vorher. - Verstümmelung ist unmittelbare mechanische Einwirkung auf den Körper, Untauglichmachen in anderer Weise kann z.B. durch Einnahme gesundheitsschädlicher Medikamente o.ä. erfolgen.

4

b) Milder bestraft wird das Delikt gemäß Abs. 2, wenn die Untauglichkeit nur für eine gewisse Zeit oder eine einzelne Art der Verwendung herbeigeführt wird. 40

Vgl. dazu BGHSt 33 S. 336 mit Anm. DÖLLING NStZ 1987 S. 69 f, GEERDS JR 1986 S. 253 ff.

41

Vgl. BT-Drucks. 12/5927, S. 5.

42

BT-Drucks. 12/5927, S. 4 f.

43

Vgl. bereits BARTON NJW 1994 S. 1098 ff, 1100 f.

452

§88

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

der vom Bestechenden beabsichtigten Weise abzustimmen, führen kann. 40 Ob und wie der Wähler wählt, ist unerheblich, sein geheimer Vorbehalt, sich durch die Bestechung nicht beeinflussen zu lassen, ist irrelevant. h) Nebenfolgen 19 Zu den Nebenfolgen vgl. § 108 c. i) Abgeordnetenbestechung, § 108 e 20 Bestraft wird das Unternehmen des Kaufs und Verkaufs der Stimme für eine Wahl oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände. Auch wenn Kauf und Verkauf nicht im zivilrechtlichen Sinne, sondern "im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs bildlich zu verstehen" sind 4 ', so ist doch eine konkrete Unrechtsvereinbarung zwischen dem Abgeordneten und dem Dritten erforderlich, die Stimme bei einer konkreten Abstimmung in bestimmter Art und Weise abzugeben. Damit soll gewährleistet werden, daß nicht jede Ausrichtung des Abstimmungsverhaltens an eigennützigen Interessen des Abgeordneten strafbar ist, sondern nur eine solche, die verwerflich ist und nicht "politisch übliches und sozialadäquates Verhalten" betrifft 42 . - Praktisch ist der Tatbestand damit bedeutungslos. 43

§ 88: Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich 1

Die Delikte des 5. Abschnitts des StGB dienen dem Schutz der Landesverteidigung, und zwar ihrem Wortlaut nach gegenüber Angriffen auf das Kräftepotential der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland. Gemäß Art. 7 des 4. StrÄG ist der strafrechtliche Schutz der §§ 109 d-109 g, 109 i aber auf die militärische Sicherheit der Vertragsstaaten der NATO und ihrer in Deutschland stationierten Truppen ausgedehnt worden.

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung, § 109 Die Vorschrift will die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht und damit das Wehrpotential der Bundesrepublik Deutschland sichern. 3 a) Nach Abs. 1 wird der Täter bestraft, der sich oder einen anderen mit dessen Einwilligung in bestimmter Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder machen läßt. - Führt allerdings ein Soldat die Untauglichkeit an sich oder einem anderen Soldaten herbei, so greift § 17 WStG als Spezialvorschrift ein. 2

Zur Wehrpflicht vgl. §§ 1-3 WehrpflG. - Untauglich, der Wehrpflicht zu genügen, ist der Wehrpflichtige, wenn er wegen körperlicher oder geistiger Mängel nicht mehr in der Art oder dem Umfang wehrtauglich ist wie vorher. - Verstümmelung ist unmittelbare mechanische Einwirkung auf den Körper, Untauglichmachen in anderer Weise kann z.B. durch Einnahme gesundheitsschädlicher Medikamente o.ä. erfolgen.

4

b) Milder bestraft wird das Delikt gemäß Abs. 2, wenn die Untauglichkeit nur für eine gewisse Zeit oder eine einzelne Art der Verwendung herbeigeführt wird. 40

Vgl. dazu BGHSt 33 S. 336 mit Anm. DÖLLING NStZ 1987 S. 69 f, GEERDS JR 1986 S. 253 ff.

41

Vgl. BT-Drucks. 12/5927, S. 5.

42

BT-Drucks. 12/5927, S. 4 f.

43

Vgl. bereits BARTON NJW 1994 S. 1098 ff, 1100 f.

452

Delikte gegen die L a n d e s v e r t e i d i g u n g

§88

c) Fehlt die Einwilligung bei der Fremdverstümmelung, so greifen nur die §§ 223 ff ein. Die Einwilligung gehört bei § 109 Abs. 1, 2. Alt. zum gesetzlichen Tatbestand. d) Konkurrenzen: Zwischen dem Versuch nach Abs. 1 und der Vollendung nach Abs. 2 ist Idealkonkurrenz möglich (str.). - Die Einwilligung rechtfertigt nach h.M. die Körperverletzung nicht, § 228. Mit den §§ 223, 224 besteht Tateinheit. 44 Wird die Sittenwidrigkeit hingegen von der Schwere der Verletzung abhängig gemacht 45 , so greift in den Fällen der §§ 223, 224 die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund durch. Mit §§ 226, 227 ist hingegen Idealkonkurrenz möglich. 2. Wehrpflichtentziehung durch Täuschung, § 109 a Die Vorschrift will die Erfüllung der Wehrpflicht sichern. a) Bestraft wird, wer sich oder einen anderen durch arglistige, auf Täuschung beruhende Machenschaften der Erfüllung der Wehrpflicht in bestimmter Weise entzieht. Machenschaften bezeichnen ein methodisches, über die bloße Lüge hinausgehendes, berechnendes Vorgehen, das auf Täuschung gerichtet sein muß. Die Kennzeichnung der Machenschaft als arglistig ist tautologisch, da die Machenschaft bereits ein gewisses Raffinement voraussetzt.

5 6

7 8 9

Beispiele: Scheinverlegung des Wohnsitzes in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes (OLG Celle NJW 1965 S. 1675; OLG Celle NStZ 1986 S. 168); systematisches Vortäuschen körperlicher Mängel (RGSt 29 S. 218).

Für Soldaten ist die Wehrpflichtentziehung durch Täuschung in § 18 WStG speziell ge- 10 regelt. 3. Störpropaganda gegen die Bundeswehr, § 109 d Die Vorschrift soll der geistigen Sabotage gegen die Bundeswehr entgegenwirken. Be- 11 straft wird das Aufstellen und Verbreiten verleumderischer Tatsachenbehauptungen gegen die Bundeswehr in der Absicht der Wehrkraftzerstörung. - Aufgrund der in der Regel kaum nachweisbaren subjektiven Voraussetzungen hat der Tatbestand nur geringe Bedeutung. 4. Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln, § 109 e § 109 e bezweckt den Schutz der Funktionstüchtigkeit von Wehrmitteln sowie bestimmter 12 Einrichtungen und Anlagen. a) Bestraft wird nach Abs. 1 die Sabotage an Gegenständen der Landesverteidigung. 13 Wehrmittel sind Gegenstände, die für den bewaffneten Einsatz der Truppe geeignet und bestimmt sind. Einrichtungen und Anlagen dienen der Landesverteidigung oder dem Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren, wenn ihr Zweck, sei es auch nur mittelbar, auf die Landesverteidigung oder den Schutz der Zivilbevölkerung abzielt. Beispiele: Munitionslager; Flugsicherungsanlagen; Rüstungsbetriebe.

Die Tat muß eine konkrete Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die 14 Schlagkraft der Truppe oder ein bzw. mehrere Menschenleben begründet haben. b) Unbefugt handelt, wer zu seinem Verhalten nicht zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich 15 befugt ist. - Die geschützten Güter (Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Schlagkraft der Truppe, ein oder mehrere Menschenleben) müssen konkret gefährdet sein.

4 4

V g l . LACKNER/KÜHL § 109 R d n . 7.

4 5

D a z u G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 1 1 8 f f .

453

§88

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Iß c) Der aktiven Sabotage (Abs. 1) wird gemäß Abs. 2 die fehlerhafte Herstellung oder Lieferung eines Gegenstandes der Landesverteidigung oder des dafür bestimmten Werkstoffs gleichgesetzt, wenn der Täter dadurch die in Abs. 1 genannten Gefahren herbeiführt. 17 d) Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Die Tat nach Abs. 1 erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auch auf die Gefährdung beziehen muß. - Abs. 2 setzt für die Tathandlung und Gefährdung Wissentlichkeit voraus. bb) Erfolgt die Tathandlung i.S. des Abs. 1 vorsätzlich, doch trifft den Täter Fahrlässigkeit bezüglich der Herbeiführung der Gefahr, so haftet er gemäß Abs. 5. - Gleiches gilt für den Täter, der die Tathandlung i.S. des Abs. 2 wissentlich begeht, die Gefährdung jedoch zumindest bedingt vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt. 18 e) § 109 e ist lex specialis gegenüber §§ 303-305. 46 5. Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst, § 109 f 19 Bestraft wird der militärische Nachrichtendienst für eine Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland oder für eine verbotene Vereinigung i.S. der §§ 84, 85. - Das Delikt erfaßt Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit. Liegt daher bereits eine geheimdienstliche Tätigkeit i.S. der §§ 93 ff, insbes. des § 99 vor, so wird § 109 f konsumiert. 6. Sicherheitsgefährdendes Abbilden, § 109 g 20 Die Vorschrift erfaßt Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats. a) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das Abbilden oder Beschreiben militärischer Objekte sowie das Gelangenlassen solcher Abbildungen und Beschreibungen an andere, wenn dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet wird. b) Nach Abs. 2 wird bestraft, wer vorsätzlich von einem Luftfahrzeug aus eine Lichtbildaufnahme eines Gebiets oder Gegenstandes im räumlichen Geltungsbereich des § 109 g anfertigt oder eine solche Aufnahme an einen anderen gelangen läßt und dadurch wissentlich den Gefährdungserfolg herbeiführt. 7. Nebenfolgen und Einziehung 21 Zu den möglichen Nebenfolgen bei einer Verurteilung nach den §§ 109 e und 109 f sowie zur Einziehung bei einer Straftat nach den §§ 109 d-109 g vgl. §§ 109 i, 109 k.

46

454

A.A. Idealkonkurrenz z.B. SCHROEDER LK, § 109 e Rdn. 17.

G e f ä h r d u n g d e r staatlichen A u t o r i t ä t

§89

Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Staatsgewalt § 89: Gefährdung der staatlichen Autorität I. Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134 1. Das geschützte

Rechtsgut

§ 1 3 4 soll der Diskreditierung der Staatsgewalt wehren. Geschützt ist die Autorität der Staatsgewalt. Bekanntmachungen öffentlicher Dienststellen sollen so, wie sie bekanntgemacht worden sind, der Bevölkerung zur Kenntnis kommen. 2. Die

1

Tathandlung

a) Bestraft wird das Zerstören, Beseitigen, Verunstalten, Unkenntlichmachen und die EntStellung des Sinnes von öffentlich angeschlagenen oder ausgelegten dienstlichen Schriftstücken, auch wenn deren Inhalt nur eine bestimmte Person betrifft, wie z.B. im Falle der öffentlichen Zustellung.

2

Dienstlich ist jedes von Behörden oder anderen Dienststellen öffentlich-rechtlicher Körperschaften gefertigte Schriftstück, das amtlichen Inhalt hat. - Zur Bekanntmachung öffentlich angeschlagen oder ausgelegt ist das Schriftstück, wenn die Allgemeinheit Kenntnis nehmen kann und soll. - Zum Zerstören vgl. § 47 Rdn. 10. Beseitigen bedeutet Entziehung durch Ortsveränderung gegen den Willen des Berechtigten. - Verunstalten, Unkenntlichmachung und Entstellen des Sinnes sind Einwirkungen auf die inhaltliche Aussage.

b) Aus dem Schutz herausnehmen will die h.M. Schriftstücke offensichtlich verfassungsoder gesetzwidrigen Inhalts. - Dies ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen, vielmehr handelt es sich hier um eine Frage der Rechtfertigung im Einzelfall. 1

3

II. Mißbrauch von Ausweispapieren, § 281 Dazu vgl. oben § 73.

4

III. Amtsanmaßung, § 132 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt wird die Autorität des Staates und seiner Organe, und zwar durch Schutz des allgemeinen Vertrauens in die Echtheit und Zuverlässigkeit von Hoheitsakten,2 2. Der Tatbestand Der Tatbestand enthält zwei Alternativen:

5

6

a) Die 1. Alternative erfaßt die Fälle, in denen sich der Täter als Inhaber eines inländischen öffentlichen Amtes, d.h. als Organ der Staatsgewalt, ausgibt und Qine diesem Amt zurechenbare Tätigkeit ausübt.

S o a u c h MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 2 R d n . 2 2 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 2 2 / 3 . - Z u r h . M . v g l . O L G H a m b u r g M D R 1 9 5 3 S . 2 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 1 3 4 R d n . 3. V g l . GEPPERT J u r a 1 9 8 6 S . 5 9 1 ; RUDOLPHI S K II, § 1 3 2 R d n . 1 m . w . N . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/

MAIWALD B.T. 2, § 79 Rdn. 1: Staatliche Organisationsgewalt.

455

7

§89

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Beispiele: Täter gibt sich als Kriminalbeamter aus und trifft eine Polizei Verfügung^; Täter führt als Polizeibeamter verkleidet Verkehrskontrollen durch; Täter pfändet eine Sache als angeblicher Gerichtsvollzieher. Keine Amtsanmaßung: Täter bezeichnet sich einem privaten Bekannten gegenüber als Polizeidirektor; Täter fordert in der Bahn einen Sitzplatz mit dem Hinweis, er sei der Bundesbahnpräsident; Täter gibt sich beim fiskalischen Einkauf als Hoheitsträger aus (OLG Oldenburg MDR 1987 S. 604); Täter verfälscht amtliches Schriftstück (BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 719).

8

b) Die 2. Alternative erfaßt jene Fälle, in denen der Täter zwar nicht vortäuscht, Inhaber eines Amtes zu sein, jedoch den Eindruck hoheitlichen Handelns hervorruft. Beispiele: Privatperson stellt am öffentlichen Weg ein amtliches Verkehrszeichen auf, durch das der Verkehr beeinflußt wird; Täter klebt eine Pfandmarke auf einen bestimmten Gegenstand, der dadurch als der gepfändete erscheint; Anbringen eines vom eigenen Kfz entfernten Verwarnungszettels an fremdem Kfz. - Wird hingegen ein Verwarnungszettel am eigenen Kraftfahrzeug angebracht, um die Polizei zu täuschen, so ist der Tatbestand nicht erfüllt, da hier nicht dem Bürger ein hoheitliches Handeln vorgetäuscht wird. 4

9

Bei Durchsuchungen, Verhaftungen usw. kommt es darauf an, ob der Täter - ohne ein bestimmtes Amt vorzugeben - anderen gegenüber, sei es ausdrücklich, sei es konkludent, den Anschein einer Amtshandlung hervorruft. Beispiel 1: A erscheint bei B, erklärt, er vermute in der Wohnung des B ein ihm gestohlenes Bild und besteht auf einer Durchsuchung. Ergebnis: § 132 nicht erfüllt. Beispiel 2: A erscheint bei B und erklärt, die letzte Verhaftung in der Diebstahlssache X habe hinreichenden Verdacht begründet, daß das gestohlene Gut in der Wohnung des B sei. A müsse die Wohnung durchsuchen und B verhaften, falls dieser sich widersetze. Ergebnis: § 132,2. Alt. ist geben, obwohl A nicht vorgespiegelt hat, ein bestimmter Amtsträger zu sein.^

10 c) Unbefugt handelt, wer nicht durch seine Amtsstellung oder besonderen öffentlichrechtlichen Ermächtigungsakt zur Vornahme der Handlung berechtigt ist. Unbefugt ist Tabestandsmerkmal. 3. Täter 11 a) Täter der Amtsanmaßung kann jeder sein, auch ein Amtsträger, soweit er sich Befugnisse anmaßt, die mit seinem Amte nicht verbunden sind. Ist die Amtshandlung jedoch nach außen wirksam, verstößt sie aber gegen Weisungen oder Zuständigkeitsverteilungen innerhalb der Behörde oder ist sie von jemandem erlassen worden, der die Amtsstellung erschlichen hat, so liegt eine Amtsanmaßung nicht vor. Dieses Verhalten tangiert das geschützte Rechtsgut nicht. 12 b) Die Tat kann auch in mittelbarer Täterschaft begangen werden. Jedoch fällt die Veranlassung einer Amtshandlung durch einen getäuschten Amtsträger nicht unter § 132, da der Tatbestand nur die Durchbrechung der Amtsgewalt, nicht aber ihre Überlistung erfaßt. 4. Das Verhältnis der beiden Alternativen des Tatbestandes

zueinander

13 Da die 1. Alternative im Gegensatz zur 2. Alternative das Vortäuschen einer Amtseigenschaft voraussetzt, besteht zwischen beiden Alternativen Exklusivität.6

3

A.A. OLG Koblenz NStZ 1989 S. 268 mit abl. Anm. KRÜGER S. 477 f, GEPPERT JK 90, StGB § 132/1, u n d z u s t . A n m . OSTENDORF J Z 1 9 9 4 S . 5 5 8 .

4

D a z u a u c h BAUMANN N J W 1 9 6 4 S . 7 0 8 ; SCHRÖDER J R 1 9 6 4 S. 2 3 0 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 7 4 S . 1 0 7 .

5

Dazu RGSt 59 S. 295; BGHSt 40 S. 8 mit Anm. GEPPERT JK 94, StGB § 132/2.

456

Gefährdung der staatlichen Autorität

§89

IV. Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a 1. Das geschützte

Rechtsgut

Die Vorschrift dient weniger dem Schutz staatlicher Autorität oder der Autorität einzelner 14 Titel usw., als vielmehr dem Schutz der Allgemeinheit vor Hochstaplern, die sich durch falsche Titel und Bezeichnungen den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit geben. 7 2. Die

Tathandlung

a) Das Führen eines Titels usw. (Abs. 1 Nr. 1-3) setzt eine aktive Tätigkeit des Täters vor- 15 aus, mit der er Dritten gegenüber in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise und Intensität den Titel usw. in Anspruch nimmt. - Bloßes Dulden der Anrede genügt nicht, desgleichen ist ein einmaliger Gebrauch des Titels, insbes. im privaten Verkehr, noch nicht tatbestandsmäßig. 8 - Der Täter muß die förmliche Dienst-, Amts- oder Berufsbezeichnung führen. Es genügt das Weiterführen einer Dienstbezeichnung nach der Entlassung. 9 - Wer sich z.B. schlechthin als "Polizeibeamter" ausgibt, führt damit noch keine Amtsbezeichnung. 10 b) Das Tragen einer Uniform usw. (Abs. 1 Nr. 4) setzt voraus, daß der Täter den Eindruck 16 erweckt, er sei hierzu öffentlich-rechtlich befugt. Nicht tatbestandsmäßig daher der Besuch eines Maskenballs in einer U n i f o r m . ' '

c) Unbefugt - dazu Rdn. 10 - ist Tatbestandsmerkmal.

17

Die Genehmigung zum Führen eines ausländischen Titels ersetzt nicht dessen Verleihung, daher ist das Führen trotz der Genehmigung unbefugt.' 2

d) Die Führung von Bezeichnungen usw., die denen in Abs. 1 genannten zum Ver- 18 wechseln ähnlich sind, ist gemäß Abs. 2 entsprechend Abs. 1 zu bestrafen. Zum Verwechseln ähnlich ist die Bezeichnung usw., wenn nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen Beobachters eine Verwechslung möglich ist.

e) Zum Schutz der Amtsbezeichnungen usw. der Kirchen und anderer Religions- 19 gesellschaften des öffentlichen Rechts vgl. Abs. 3. 3. Die Tat ist eigenhändiges Delikt. 20

6

S o a u c h KÜPER J R 1 9 6 7 S. 4 5 1 ff. - A . A . v . BUBNOFF L K , § 132 R d n . 2 4 ; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . 2 , § 7 9 R d n . 12: S p e z i a l i t ä t . - HERZBERG J u S 1 9 7 3 S . 2 3 6 ; LACKNER/KÜHL § 132 R d n .

7

Dazu BGH GA 1966 S. 279; BayObLG NJW 1979 S. 2359; OLG Oldenburg JR 1984 S. 468; GEPPERT Jura 1986 S. 594; MEURER JR 1984 S. 473.

10: Konsumtion. - RGSt 59 S. 295: IdealkonkurTenz.

8

BGHSt 31 S. 6 1 . - Z u r Unterzeichnung einer Satire mit Dr.-Grad: LG Saarbrücken NJW 1996S.2665.

9

BGH NJW 1990 S. 918.

10

Dazu BGHSt 26 S. 267; KAHLE Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen Rechtsgut, Schutzzweck und Anwendungsbereich des § 132 StGB, 1995, S. 165.

11

Vgl. BayObLG NStZ-RR 1997 S. 135.

12

Vgl. BGH NStZ 1994 S. 236 mit abl. Anm. ZIMMERLING S. 238 f.

457

§90

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§ 90: Gefährdung der Staatsgewalt 1 2 3

1. Bildung bewaffneter Gruppen, § 127 In erster Linie dient die Vorschrift der Sicherung der internen Staatsgewalt, daneben wird auch die Sicherung der Neutralität nach außen miterfaßt. 13 Drei Tatbestände sind zu unterscheiden: a) Unbefugtes Bilden oder Befehligen einer Gruppe, die über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge verfügt, § 127 S. 1, 1. Alt. - Zu einer Gruppe gehören mindestens 3 Personen, zwischen denen aber nicht notwendig ein räumlicher Zusammenhang bestehen muß. 1 4 - Andere gefährliche Werkzeuge sind Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. 1 5 Das setzt voraus, daß über einen eventuellen Einsatz zumindest bestimmte Vorstellungen bestehen. b) Der Anschluß an eine derartige Gruppe, § 127 S. 1,2. Alt. c) Versorgung der Gruppe mit Waffen oder Geld oder sonstige Unterstützung, § 127 S. 1, 3. Alt. - Hier handelt es sich um einen Fall der zur Täterschaft verselbständigten Beihilfe. 2. Bildung krimineller Vereinigungen,

4

5

6

§ 129

Geschützt ist die staatliche Zwangsgewalt, die durch einen auf strafbare Handlungen gerichteten Zusammenschluß mehrerer Personen gefährdet ist 1 6 a) Die Tathandlung Bestraft wird gemäß Abs. 1 die Gründung oder die Beteiligung als Mitglied an einer auf strafbare Handlungen gerichteten Vereinigung sowie die Werbung für derartige Vereinigungen und ihre Unterstützung. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Vereinigung ein im räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes bestehender auf Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluß von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame (kriminelle) Zwecke verfolgen oder gemeinsame (kriminelle) Tätigkeiten entfalten und unter sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen. 1 7 - Zur Erfassung Organisierter Kriminalität ist dieser Begriff untauglich, da die dort agierenden Gruppen in der Regel hierarchisch aufgebaut sind. 18 13

A . A . v . B U B N O F F L K , § 127 R d n . 2 ; LACKNER/KÜHL § 127 R d n . 1; SCH/SCH/LENCKNER § 127 R d n . 1:

14

Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 28; 13/9064, S. 9.

15

Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 9.

16

A . A . B G H S t 4 1 S. 4 7 m i t A n m . GEPPERT J K 9 6 , § 129/5, KREHL J R 1 9 9 6 S. 2 0 8 f f , OSTENDORF J Z

Schutz des öffentlichen Friedens.

1996 S. 55 f, SCHITTENHELM NStZ 1995 S. 343 f; BayObLG StV 1998 S. 266 (Voraussetzung erheblicher Gefahr); LACKNER/KÜHL § 129 Rdn. 1: Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. RUDOLPHI Bruns-FS, S. 317; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 9, 28: Vorverlegung des Strafrechtsschutzes in das Vorbereitungsstadium. 17

BGHSt 31 S. 204 f; 31 S. 239; BGH MDR 1991 S. 1182.

18

Vgl. dazu SIEBER/BÖGEL Logistik der Organisierten Kriminalität, 1993, S. 358. - Einen weiteren Spielraum entnimmt den Kriterien des BGH: SCHEIFF Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle

458

Gefährdung der Staatsgewalt

§90

Kriminell ist die Vereinigung, wenn sie nach dem Willen der führenden Funktionäre die Begehung einer Mehrheit von Straftaten anstrebt oder verwirklicht.

7

Damit unterscheidet sich die kriminelle Vereinigung von der bloßen Mittäterschaft i.S. des § 25 Abs. 2 darin, daß diese nur die gemeinschaftliche Tatbegehung, d.h. ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken der Tatgenossen mit Täterwillen voraussetzt.' 9 Der Unterschied zur Bande liegt darin, daß bei dieser eine lose Zusammenfügung ohne besondere Organisationsform ausreicht. 2 *) Darüber hinaus läßt die Rechtsprechung für die Bande schon zwei Mitglieder genügen; vgl. § 41 Rdn. 63. Von der Gruppe unterscheidet sich die Vereinigung durch die Zielsetzung und durch den Grad der Organisation.

Gründen erfordert führende Mitwirkung bei der Schaffung des Zusammenschlusses oder der Umwandlung einer legalen Vereinigung in eine kriminelle. - Beteiligung als Mitglied setzt nicht formelle Mitgliedschaft, wohl aber auf Fortdauer gerichtete Teilnahme am Verbandsleben voraus. 21 - Unterstützen ist die zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe eines Nichtmitglieds, die auf Fortbestand oder Verwirklichung der Ziele der Vereinigung gerichtet ist. 22 - Werben ist die mit Mitteln der Propaganda betriebene Tätigkeit, die auf Weckung oder Stärkung der Bereitschaft Dritter zur Förderung einer bestimmten Vereinigung gerichtet ist. 23 b) Der Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Strafbarkeit der Zwecke bzw. der Tätigkeit der Vereinigung umfassen.

8

9

c) Tatbestandsausschluß gemäß Abs. 2 Gemäß Abs. 2 ist Abs. 1 nicht anwendbar auf politische Parteien, die nicht vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt sind und andere bestimmte, im Regelfall politische Vereinigungen, bei denen strafbare Handlungen, z.B. Abreißen von Plakaten, Beschmieren von Wänden u.a., nur Nebenzweck der im übrigen verfolgten Tätigkeit sind.

10

d) Rechtfertigung Handlungen von Beschuldigten und Verteidigern, die sachlich die Voraussetzungen der 11 Tathandlungen erfüllen, sind dann gerechtfertigt, wenn sie sich in den Grenzen prozessual zulässiger Verteidigung halten. 25 e) Versuch Der Versuch, eine kriminelle Vereinigung zu gründen, ist strafbar, Abs. 3. - Der Versuch 12 beginnt mit jenen Handlungen, die unmittelbar darauf gerichtet sind, einen Zusammen-

vereinigungen (§ 129 StGB)?, 1997, S. 36 ff. 19

B G H S t 3 1 S. 205.

20

D a z u B G H S t 3 1 S. 205.

21

Dazu BGHSt 29 S. 114; B G H N S t Z 1993 S. 37.

22

Dazu BGHSt 29 S. 99; 32 S. 243; BGH MDR 1987 S. 1039. - Einschr. BOTTKE JR 1985 S. 123; RUDOLPHI B r u n s - F S , S . 3 2 7 .

23

Dazu BGHSt 28 S. 26 mit abl. Anm. RUDOLPHI JR 1979 S. 33 ff, REBMANN NStZ 1981 S. 457 ff; BGHSt 33 S. 16; BayObLG NStZ-RR 1996 S. 7.

24

Vgl. aber BGHSt 41 S. 47.

25

Dazu BGHSt 29 S. 99; BGHSt 31 S. 16, 19 mit Anm. GÖSSEL JR 1983 S. 118 ff; OLG Hamburg JZ 1 9 7 9 S . 2 7 5 m i t A n m . OSTENDORF S . 2 5 2 f f . - A . A . BOTTKE J A 1 9 8 0 S . 4 4 8 ; GIEMULLA J A 1 9 8 0 S . 2 5 3 f ; I. MÜLLER S t V 1 9 8 1 S . 9 7 ; MÜLLER-DIETZ J R 1 9 8 1 S . 7 6 f f : T a t b e s t a n d s a u s s c h l u ß . S o w e i t

Äußerungen allerdings der Verteidigung dienen, wird ihnen der werbende Charakter fehlen. In diesem Falle sind sie nicht tatbestandsmäßig; vgl. B G H StV 1990 S. 200.

459

§91

Dritter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter der Gesamtheit

Schluß von Personen zur Vereinigung herbeizuführen, d.h. die unmittelbare Gefahr begründen, die abstrakt gefährliche Situation entstehen zu lassen. 26 f) Besonders schwere Fälle, Abs. 4 13 Abs. 4 nennt besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen: Rädelsführer und Hintermann; dazu § 84 Rdn. 8. g) Fakultatives Absehen von Strafe 14 Zum Absehen von Strafe und zur Tätige Reue vgl. Abs. 5, 6. h) Konkurrenzen 15 Mehrere tatbestandsmäßige Handlungen als Mitglied einer Vereinigung bilden eine natürliche Handlungseinheit. Die einzelnen von der Vereinigung begangenen Taten und die Mitgliedschaft in der Vereinigung werden nach der Rechtsprechung durch § 129 zu einer Handlungseinheit verklammert, soweit nicht wegen des größeren Unwerts eines Aktes die Klammerwirkung entfällt. 27 Diese Konstruktion ist den allgemeinen Einwendungen gegen die Klammerwirkung ausgesetzt. 28 3. Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129 a 16 a) Abs. 1 enthält einen Qualifikationstatbestand gegenüber § 129 Abs. 1, soweit die Vereinigung auf die Begehung der in § 129 a Abs. 1 Nr. 1-3 genannten Straftaten gerichtet ist. 17 b) Abs. 2 qualifiziert den Tatbestand des Abs. 1 für Rädelsführer und Hintermänner - dazu § 84 Rdn. 8 - zu einem Verbrechen. 18 c) Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a Abs. 1 ist in Abs. 3 zur selbständigen Deliktsform erhoben worden; dazu Rdn. 8. 19 d) Zum Absehen von Strafe und zur Tätigen Reue vgl. Abs. 4, 5. - Zur Nebenstrafe vgl. Abs. 6.

§ 91: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113, 114 1

1. Das geschützte Rechts gut Geschütztes Rechtsgut ist die rechtmäßig betätigte Vollstreckungsgewalt durch den Schutz der zu ihrer Ausführung berufenen Organe. 29 2. Der geschützte

2

des

Staates

Personenkreis

a) Geschützt sind gemäß § 113 Abs. 1 inländische Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) sowie 20

Im einzelnen dazu SCHEIFF Strafrechtsschutz, S. 171 ff, der zwar das Gefährdungsstadium als Kriterium ablehnt, die gefährliche Situation aber recht anschaulich in Beispielen erfaßt.

27

Dazu BGHSt 29 S. 288 mit Anm. RIESS NStZ 1981 S. 74 f.

2 8

D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 3 R d n . 2 2 f f .

2 9

V g l . V. BUBNOFF L K , § 1 1 3 A n m . 2; LACKNER/KÜHL § 1 1 3 R d n . 1; SCH/SCH/ESER § 1 1 3 R d n . 2;

WESSELS BT-1, Rdn. 610. - Das Rechtsgut beschränken auf den Schutz staatlicher Vollstrekkungsgewalt: M. J. SCHMID JZ 1980 S. 57 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 22/23; TRÖNDLE StGB, § 113 Rdn. 1. Den Schutz der Person stellen in den Vordergrund: HORN SK II, § 113 Rdn. 2; ZIELINSKI AK, § 113 Rdn. 4.

460

§91

Dritter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter der Gesamtheit

Schluß von Personen zur Vereinigung herbeizuführen, d.h. die unmittelbare Gefahr begründen, die abstrakt gefährliche Situation entstehen zu lassen. 26 f) Besonders schwere Fälle, Abs. 4 13 Abs. 4 nennt besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen: Rädelsführer und Hintermann; dazu § 84 Rdn. 8. g) Fakultatives Absehen von Strafe 14 Zum Absehen von Strafe und zur Tätige Reue vgl. Abs. 5, 6. h) Konkurrenzen 15 Mehrere tatbestandsmäßige Handlungen als Mitglied einer Vereinigung bilden eine natürliche Handlungseinheit. Die einzelnen von der Vereinigung begangenen Taten und die Mitgliedschaft in der Vereinigung werden nach der Rechtsprechung durch § 129 zu einer Handlungseinheit verklammert, soweit nicht wegen des größeren Unwerts eines Aktes die Klammerwirkung entfällt. 27 Diese Konstruktion ist den allgemeinen Einwendungen gegen die Klammerwirkung ausgesetzt. 28 3. Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129 a 16 a) Abs. 1 enthält einen Qualifikationstatbestand gegenüber § 129 Abs. 1, soweit die Vereinigung auf die Begehung der in § 129 a Abs. 1 Nr. 1-3 genannten Straftaten gerichtet ist. 17 b) Abs. 2 qualifiziert den Tatbestand des Abs. 1 für Rädelsführer und Hintermänner - dazu § 84 Rdn. 8 - zu einem Verbrechen. 18 c) Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a Abs. 1 ist in Abs. 3 zur selbständigen Deliktsform erhoben worden; dazu Rdn. 8. 19 d) Zum Absehen von Strafe und zur Tätigen Reue vgl. Abs. 4, 5. - Zur Nebenstrafe vgl. Abs. 6.

§ 91: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113, 114 1

1. Das geschützte Rechts gut Geschütztes Rechtsgut ist die rechtmäßig betätigte Vollstreckungsgewalt durch den Schutz der zu ihrer Ausführung berufenen Organe. 29 2. Der geschützte

2

des

Staates

Personenkreis

a) Geschützt sind gemäß § 113 Abs. 1 inländische Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) sowie 20

Im einzelnen dazu SCHEIFF Strafrechtsschutz, S. 171 ff, der zwar das Gefährdungsstadium als Kriterium ablehnt, die gefährliche Situation aber recht anschaulich in Beispielen erfaßt.

27

Dazu BGHSt 29 S. 288 mit Anm. RIESS NStZ 1981 S. 74 f.

2 8

D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 3 R d n . 2 2 f f .

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V g l . V. BUBNOFF L K , § 1 1 3 A n m . 2; LACKNER/KÜHL § 1 1 3 R d n . 1; SCH/SCH/ESER § 1 1 3 R d n . 2;

WESSELS BT-1, Rdn. 610. - Das Rechtsgut beschränken auf den Schutz staatlicher Vollstrekkungsgewalt: M. J. SCHMID JZ 1980 S. 57 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 22/23; TRÖNDLE StGB, § 113 Rdn. 1. Den Schutz der Person stellen in den Vordergrund: HORN SK II, § 113 Rdn. 2; ZIELINSKI AK, § 113 Rdn. 4.

460

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

§91

Soldaten der Bundeswehr, denen die Verwirklichung des auf den Einzelfall konkretisierten Staatswillens, notfalls durch unmittelbaren Zwang, übertragen ist. Das sind z.B. Polizeibeamte (RGSt 54 S. 323); Gerichtsvollzieher (RGSt 41 S. 85); Vollstreckungsbeamte der Finanzämter (OLG Frankfurt NJW 1972 S. 268); Bahnpolizeibeamte (BGHSt 21 S. 334); Richter in Ausübung der Sitzungspolizei (RGSt 15 S. 227).

b) Gemäß § 114 Abs. 1 ist der geschützte Personenkreis darüber hinaus erweitert auf Per- 3 sonen, die - ohne Amtsträger zu sein - die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind. Das sind z.B. die bestätigten Jagdaufseher nach § 25 Abs. 2 BJagdG und können nach § 152 Abs. 2 GVG ernannte Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sein. Wird der Gedanke der Privilegierung des Widerstandes gegen hoheitliche Vollstreckungshandlungen konsequent realisiert, dann ist es angemessen, §§113, 114 auf Jagd- und Fischereiausübungsberechtigte nach Landesrecht, die das Recht zu hoheitlichen Vollstreckungshandlungen (z.B. Wegnahme von Wildereigerät) haben, ohne in der bezeichneten Pflichtenposition zu stehen, analog anzuwenden.™

c) Erfaßt sind schließlich die von den Vollstreckungsbeamten zur Unterstützung bei der 4 Amts- oder Diensthandlung zugezogenen Hilfskräfte, § 114 Abs. 2. Beispiel: Schlosser, der für den Gerichtsvollzieher eine Tür öffnet, damit die Vollstreckung durchgeführt werden kann. - Zeugen bei einer Hausdurchsuchung gemäß § 105 Abs. 2 StPO.

II. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 1. Die Diensthandlung Diensthandlung i.S. des § 113 ist eine Vollstreckungshandlung. Die Vollstreckungs- 5 handlung ist auf Verwirklichung des konkretisierten Willens des Staates zur Regelung eines bestimmten Falles gegenüber bestimmten Personen oder Sachen notfalls mit Gewalt gerichtet.31 Bloße Überwachungs- und Ermittlungstätigkeiten, bei denen nicht einem bestimmten Verdacht nachgegangen wird, genügen nicht. Vollstreckungshandlungen: Durchsuchung; vorläufige Festnahme; Pfändung durch Gerichtsvollzieher; Durchführung allgemeiner Verkehrskontrollen; Ausweiskontrolle als Identifizierungsmaßnahme. Keine Vollstreckungshandlungen: Streifenfahrten von Polizeibeamten (OLG Zweibrücken NJW 1966 S. 1086); Streifengang von Soldaten im Kasernengelände (BGH GA 1983 S. 411); Begleitung eines Demonstrationszugs (KG StV 1988 S. 437); Beobachtung einer Personengruppe (KG NStZ 1989 S. 121 mit Anm. GEPPERT JK 89, StGB § 113/1).

2. Die Tathandlung Tathandlung ist die gegen die Vollstreckungshandlung gerichtete Widerstandsleistung des 6 Täters mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt sowie durch einen tätlichen Angriff, a) Die Vollstreckungshandlung muß bereits begonnen haben oder unmittelbar be- 1 vorstehen. Sie darf noch nicht beendet sein. Die Vollstreckungshandlung beginnt mit der Vornahme der gegen die Person oder Sache gerichteten Handlung. - Unmittelbar bevor steht die Vollstreckungshandlung, wenn der Vollstreckungsbeamte in den "Kontaktbereich" des Betroffenen kommt. - Beendet ist die Vollstreckungshandlung, wenn zwischen dem Vollstreckungsbeamten und der Person oder Sache, gegen die sich die Vollstreckung richtet, eine räumliche Trennung eingetreten 30

Dazu SCH/SCH/ESER § 114 Rdn. 3.

31

BGHSt 25 S. 314.

461

§91

8

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

ist derart, daß auch für einen objektiven Beobachter erkennbar ist, daß der unmittelbare Kontakt zu der Person oder Sache nicht mehr besteht, weil der durch die Vollstrekkungshandlung begründete Interaktionsprozeß zum Abschluß gekommen ist. 3 2 b) Widerstand ist nur das aktiv gegen das Vollstreckungsorgan gerichtete Vorgehen, nicht bloße Verweigerung der Mitwirkung an einer gegen die eigene Person gerichteten Vollstreckungshandlung. Diese Tendenz ist bei der Definition des Begriffs der Gewalt i.S. des §113 zu berücksichtigen: Es ist die unmittelbar oder mittelbar gegen den Beamten gerichtete Kraftentfaltung, die sich derart auswirkt, daß dieser seine Amtshandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen. 3 3 - Die Widerstandsleistung muß sich im Zeitpunkt der Amtshandlung auswirken, sie kann schon vorher ins Werk gesetzt worden sein, wie z.B. beim Versperren des Zugangs durch Hindernisse o.ä. - Tätlicher Angriff ist jede in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf den Erfolg. 3 4 Widerstandsleistung durch Gewalt, z.B.: Zufahren auf einen Beamten mit Kfz; Losfahren mit Kfz, auf dessen Trittbrett der Beamte steht, damit dieser herunterfällt; Strampeln und Festhalten, um Abtransport zu verhindern; Hinlegen vor Polizeifahrzeug, damit dieses nicht weiterfahren kann; Einschließen des Gerichtsvollziehers; Aussperren des Gerichtsvollziehers durch Verrammeln der Tür. Keine Widerstandsleistung: Der auf der Fahrbahn sitzende Demonstrant muß weggetragen werden; KfzFahrer beachtet das Haltezeichen eines Polizeibeamten nicht, ohne den Beamten zu gefährden.

3. Die Rechtmäßigkeit 9

der

Vollstreckungshandlung

Die Vollstreckungshandlung, gegen die sich der Widerstand richtet, muß rechtmäßig sein.

a) Dogmatische Einordnung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung 10 Innerhalb des Verbrechensaufbaus ist die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung ein pflichtbegrenzendes Merkmal. Die Pflicht, die Vollstreckungshandlung hinzunehmen, besteht nur gegenüber rechtmäßigen Vollstreckungshandlungen. Formell handelt es sich also um ein objektives pflichtbegrenzendes Merkmal außerhalb des Gesetzestatbestandes, das sachlich gleiche Funktionen hat wie ein Rechtfertigungsgrund, nämlich die Grenzen einer Rechtspflicht anzugeben. Insoweit ist es Merkmal des Unrechts-, nicht aber des Gesetzestatbestandes im engeren Sinne. 3 5 b) Die inhaltliche Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 11 aa) Die h.M. vertritt den sog. strafrechtlichen Rechtsmäßigkeitsbegriff. - Danach ist zu differenzieren: 12 (1.) Vollzieht der Vollstreckungsbeamte unmittelbar ein materielles Gesetz, so ist allein 32

Dazu eingehender BayObLG MDR 1988 S. 517; OTTO JR 1983 S. 73 f.

33

BGHSt 18 S. 135; OLG Hamm NStZ 1995 S. 547 mit Anm. GEPPERT JK 96, StGB § 113/2; OLG Düs-

34

RGSt 59 S. 265.

s e l d o r f V R S 9 2 ( 1 9 9 7 ) S. 9 m i t A n m . GEPPERT J K 9 7 , S t G B § 113/4. 35

Sachlich wie hier: v. BUBNOFF LK, § 113 Rdn. 23; DREHER Heinitz-FS, S. 221; DERS. JR 1984 S. 401 f f ; HERDEGEN B G H - F S , S. 2 0 2 ; HIRSCH K l u g - F S , B d . 2, S. 2 4 6 f f ; PAEFFGEN J Z 1979 S . 5 2 1 ; SCHOLZ

Dreher-FS, S. 482; TRÖNDLE StGB, § 113 Rdn. 10. - Als "modifizierte objektive Bedingung der Strafbarkeit" interpretieren die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung: KG NJW 1972 S. 781; BOCKELMANN B.T./3, § 18 VI 2; HAFT B.T., S. 4; WESSELS B.T.-l, Rdn. 622. Diese Interpretation ist mit Abs. 4 nicht in Einklang zu bringen. - Als Tatbestandsmerkmal sehen die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung an: NAUCKE Dreher-FS, S. 472; SAX JZ 1976 S. 15 f, 430; SCH/SCH/ESER § 113 Rdn. 20. - Für Strafauss c h l i e ß u n g s g r u n d : B O T T K E J A 1 9 8 0 S. 9 8 ; SCHMIDHÄUSERB.T., 2 2 / 2 4 , 31.

462

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

§91

entscheidend, ob er im Rahmen seiner örtlichen und sachlichen Zuständigkeit gehandelt, die wesentlichen Förmlichkeiten für den betreffenden Vollstreckungsakt beachtet und bei Ermessenshandlungen sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. (2.) Vollzieht der Vollstreckungsbeamte einen Staatsakt (Urteil, Beschluß oder Verfügung) 13 eines Gerichts oder den Verwaltungsakt einer Verwaltungsbehörde, so ist nur dessen rechtliche Wirksamkeit, nicht dessen materielle Rechtmäßigkeit zu fordern. Die Diensthandlung ist daher in der Regel nur dann rechtswidrig, wenn der Staatsakt nichtig oder nicht vollstreckbar ist. Ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der Diensthandlung, der nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht, schließt die Rechtmäßigkeit nicht aus, wohl aber ein Irrtum über die Grenzen der Amtsbefugnis. (3.) Handelt der Vollstreckungsbeamte auf Anordnung, so handelt er rechtmäßig, wenn er 14 einen von einem örtlich oder sachlich zuständigen Vorgesetzten erteilten dienstlichen, nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehl im Vertrauen auf seine Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht. Der Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist dann i.S. des § 113 rechtmäßig, wenn der Vollstreckungsbeamte nicht oder nicht weiter zur Prüfung der Rechtmäßigkeit berechtigt oder verpflichtet ist; vgl. dazu § 56 BBG, § 11 SoldatenG, § 5 I WStrafG. 3 6 bb) Die Gegenansicht geht zutreffend davon aus, daß die Bestimmung der Rechtswid- 15 rigkeit in § 113 sich am öffentlichen Recht orientieren muß. Danach sind bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit eines Vollstreckungsakts zwei Wertungsstufen zu unterscheiden: Die Beurteilung der Ermächtigungsgrundlage und die Beurteilung der sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen. Handelt es sich bei der Ermächtigungsgrundlage um eine zwar rechtswidrige aber vollstreckbare, so bietet sie der Vollstreckungshandlung eine hinreichende rechtliche Grundlage. Nur die nichtige Ermächtigungsgrundlage schlägt auf den Vollstreckungsakt durch mit der Folge seiner Rechtswidrigkeit. - Ist die Ermächtigungsgrundlage in diesem Sinne hinreichend, so kann sich aus der Verletzung von Vollstrekkungsvorschriften jedoch die Rechtswidrigkeit des Vollstreckungsakts ergeben. Maßgeblich ist hier, ob der Akt nach Verwaltungsrecht rechtswidrig ist (Vollstreckbarkeitstheorie). 37

III. Der Irrtum des Widerstandleistenden 1. Irrtum bei rechtswidriger Vollstreckungshandlung Ist die Vollstreckungshandlung nicht rechtmäßig, der Täter hält sie aber für rechtmäßig, so 16 36

Zur h.M. vgl. BGHSt 21 S. 334; 24 S. 130; BayObLG JR 1981 S. 28 mit abl. Anm. THIELE S. 30 f; OLG Köln N J W 1975 S. 889; O L G Köln N S t Z 1986 S. 235; v. BUBNOFF LK, § 113 Rdn. 25 ff; GEPPERT J u r a 1989 S. 2 7 6 ; GÜNTHER N J W 1 9 7 3 S . 3 0 9 f f ; HAFT B . T . , S. 4 f; KÜPPER B . T . l , II § 3

Rdn. 45 ff; LACKNER/KÜHL § 113 Rdn. 8 ff; NEUHEUSER Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln im Strafrecht, 1996, S. 196 ff, 207; TRÖNDLE StGB, § 113 Rdn. 11 ff; VITT ZStW 106 (1994) S. 581 ff; WESSELS B.T./l, § 14 Rdn. 624. 3 7

G r u n d s ä t z l i c h ü b e r e i n s t i m m e n d : AMELUNG JUS 1 9 8 6 S. 3 3 6 f; DERS. Z R P 1991 S. 143 f; BACKES/ RANSIEK J u S 1989 S. 6 2 7 f f ; BENFER N S t Z 1 9 8 5 S . 2 5 5 f; OSTENDORF J Z 1 9 8 9 S. 5 7 3 f; REINHART N J W 1 9 9 7 S. 9 1 1 ; ROXIN P f e i f f e r - F S , S. 4 8 f f ; SCHÜNEMANN J A 1972 S. 7 0 9 f, 7 7 5 ; THIELE J R 1975

S. 353 ff. - Zum Teil wird in der Literatur nur der nichtige Vollstreckungsakt als rechtswidrig i.S.d. § 113 angesehen (Wirksamkeitstheorie); vgl. z.B. KREY B.T. 1, Rdn. 511; W . MEYER N J W 1972 S. 1845 f f ; DERS. N J W 1 9 7 3 S . 1 0 7 4 f; WAGNER JUS 1975 S . 2 2 4 f f .

463

§91

Dritter Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

läge nach allgemeinen Grundsätzen - je nach Art des Irrtums - ein Wahndelikt oder ein Versuch vor. Dieser Versuch ist jedoch nicht strafbar, weil der Versuch der Widerstandsleistung gemäß § 113 nicht strafbar ist. Dies stellt Abs. 3 S. 2 noch einmal klar. KG GA 1975 S. 213: A schlug den rechtswidrig handelnden Gerichtsvollzieher nieder, ohne die Rechtswidrigkeit der gegen ihn gerichteten Handlung zu erkennen. KG: § 113 entfällt, § 113 Abs. 3 S. 2.

17 18 19

20

2. Irrtum bei rechtmäßiger Vollstreckungshandlung Ist die Diensthandlung rechtmäßig, doch hält der Täter sie für rechtswidrig, so gilt abweichend von den allgemeinen Irrtumsgrundsätzen: a) War der Irrtum vermeidbar, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder bei geringer Schuld von Strafe absehen, Abs. 4 S. 1. b) War der Irrtum nicht vermeidbar und war es dem Täter nach den ihm bekannten Umständen nicht zumutbar, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nach § 113 nicht strafbar, Abs. 4 S. 2, 1. Teil. c) War der Irrtum nicht vermeidbar, dem Täter aber zuzumuten, Rechtsbehelfe statt des Widerstandes zu ergreifen, so ist die Strafe nur zu mildern, Abs. 4 S. 2, 2. Teil. Zumutbar ist der Rechtsweg in der Regel dann, wenn die Diensthandlung nicht zu einem später nicht wiedergutzumachenden Schaden führt.

IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 21 Abs. 2 enthält eine Strafschärfungsvorschrift mit zwei Regelbeispielen: 1. Mitführen einer Waffe, die bei der Tat Verwendung finden soll: dazu § 63 Rdn. 20. 2. Mit der konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - verbundene Gewalttätigkeit.

V. Das Verhältnis des § 113 zu § 240 22 Gegenüber § 240 ist § 113 ein privilegierter Tatbestand. Dies begründet eigenartige Konsequenzen: 23 1. Der Schutz des Vollstreckungsbeamten ist geringer als der, den der Bürger allgemein gegen Nötigung genießt. Der Hinweis auf den "affektähnlichen Zustand" des Betroffenen in der Vollstreckungssituation kann zwar als nachträgliche Rationalisierung einer im Ergebnis weitgehend als sachgerecht empfundenen Lösung akzeptiert werden, trifft den Grund der Regelung jedoch nicht, denn diese Regelung geht auf ein Versehen des Gesetzgebers des Jahres 1943 z u r ü c k .

24 2. Wird der Vollstreckungsbeamte nicht durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt genötigt, sondern durch Drohung mit einem anderen empfindlichen Übel, z.B. der Androhung einer Anzeige wegen einer dem Täter aus anderem Zusammenhang bekannten Straftat, so findet § 113 jedenfalls keine Anwendung. 25 Geht man nun davon aus, § 113 sei eine abschließende Regelung des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, so wäre dieses Verhalten straffrei. 39 Ein derart weitgehender 38 3 9

Dazu HIRSCH Klug-FS, Bd. 2, s . 236 ff. S o i n d e r T a t B A C K E S / R A N S I E K J U S 1 9 8 9 S . 6 2 9 ; H O R N S K II, § 1 1 3 R d n . 2 3 ; K Ü P P E R B . T . l , I I § 3 R d n . 53; SCH/SCH/ESER § 113 R d n . 3, 4 3 , 4 5 , 6 8 ; WEBER in: A r z t / W e b e r , L H 5, R d n . 121.

464

Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei

§92

Ausschluß der Strafbarkeit von Nötigungen ist aber weder den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, noch als vernünftige Lösung der Nötigungsproblematik anzuerkennen. Da der in § 113 geregelte Fall nicht vorliegt, greift § 240 durch, doch gebietet es die Sachlage, § 113 Abs. 3, 4 und den Strafrahmen des § 113 analog anzuwenden. 40

§ 92: Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die amtliche Verwahrungsgewalt des Staates. b) Täter kann jeder sein mit Ausnahme des Gefangenen selbst.

1

Der Gesetzgeber hat aus kriminalpolitischen Gründen - Wirkungslosigkeit der Norm in der psychischen Situation des Gefangenen - von einer Strafbarkeit des Gefangenen als Täter des Delikts abgesehen.

2. Gefangene und gleichgestellte Personen Gefangener ist, wem in Ausübung von Polizei- oder Strafgewalt die Freiheit rechtswirksam entzogen worden ist, so daß er sich in der Gewalt der zuständigen Behörden befindet. - Die Gefangenschaft beginnt mit der Begründung des Gewahrsams und endet mit dessen faktischer Aufhebung. Maßgeblich ist die formell ordnungsgemäße Ingewahrsamsnahme. Ob diese sich später als sachlich ungerechtfertigt erweist, ist unbeachtlich. 41

2

Beispiele: Straf- und Untersuchungsgefangene; der von einem Strafverfolgungsorgan gemäß § 127 StPO Festgenommene; der in Zwangs- oder Ordnungshaft Befindliche; der Jugendarrestant. Nicht dagegen: Der gem. § 81 a StPO zur Blutprobe Gebrachte (BayObLG NJW 1984 S. 1192); der gem. § 127 Abs. 1 StPO von einer Privatperson Festgenommene.

Vollzugslockerungen, wie z. B. offener Vollzug, § 10 Abs. 1 StVollzG, Freigang, § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG, Ausgang, § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG oder Urlaub, § 13 Abs. 1 StVollzG, heben den Gefangenenstatus nicht auf. 42 Gemäß § 120 Abs. 4 steht dem Gefangenen gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.

3

Beispiele: Sicherungsverwahrte; nach §§63, 64 Untergebrachte; nach § 126 a StPO einstweilig Untergebrachte; Fürsorgezöglinge.

3. Die Tathandlung Der Tatbestand enthält drei Begehungsweisen: a) Die Befreiung eines Gefangenen. - Befreiung bedeutet Aufhebung der amtlichen Gewalt über den Gefangenen trotz bestehenden Haftrechts. Wird der Haftbefehl durch Täuschung beseitigt, so liegt keine Befreiung i.S. des Gesetzes vor. 43 4 0

S o auch v . BUBNOFF L K , § 113 R d n . 65; EHLEN/MEURER N J W 1974 S. 1777; HIRSCH Klug-FS, Bd. 2, S . 2 4 2 f ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 7 0 R d n . 3 ; TRÖNDLE S t G B , § 1 1 3 R d n . 1.

41

KG JR 1980 S. 513.

4 2

Vgl.

BGH

MDR

1991

S.981;

GEPPERT J K

LAUBENTHAL J U S 1 9 8 9 S . 8 3 0 ; RÖSSNER J Z

92,

StGB

§120/2;

LACKNER/KÜHL

§120

Rdn.

3;

1 9 8 4 S . 1 0 6 7 ; TRÖNDLE S t G B , § 1 2 0 R d n . 4 . - A . A .

v . BUBNOFF L K , § 1 2 0 R d n . 2 3 f f ; KUSCH N S t Z 1 9 8 5 S. 3 8 7 ; S C H / S C H / E S E R § 1 2 0 R d n . 6 ; ZIELINSKI

StV 43

1992

S.

228.

Dazu auch KREY Jura 1979 S. 322.

465

4

Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei

§92

Ausschluß der Strafbarkeit von Nötigungen ist aber weder den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, noch als vernünftige Lösung der Nötigungsproblematik anzuerkennen. Da der in § 113 geregelte Fall nicht vorliegt, greift § 240 durch, doch gebietet es die Sachlage, § 113 Abs. 3, 4 und den Strafrahmen des § 113 analog anzuwenden. 40

§ 92: Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die amtliche Verwahrungsgewalt des Staates. b) Täter kann jeder sein mit Ausnahme des Gefangenen selbst.

1

Der Gesetzgeber hat aus kriminalpolitischen Gründen - Wirkungslosigkeit der Norm in der psychischen Situation des Gefangenen - von einer Strafbarkeit des Gefangenen als Täter des Delikts abgesehen.

2. Gefangene und gleichgestellte Personen Gefangener ist, wem in Ausübung von Polizei- oder Strafgewalt die Freiheit rechtswirksam entzogen worden ist, so daß er sich in der Gewalt der zuständigen Behörden befindet. - Die Gefangenschaft beginnt mit der Begründung des Gewahrsams und endet mit dessen faktischer Aufhebung. Maßgeblich ist die formell ordnungsgemäße Ingewahrsamsnahme. Ob diese sich später als sachlich ungerechtfertigt erweist, ist unbeachtlich. 41

2

Beispiele: Straf- und Untersuchungsgefangene; der von einem Strafverfolgungsorgan gemäß § 127 StPO Festgenommene; der in Zwangs- oder Ordnungshaft Befindliche; der Jugendarrestant. Nicht dagegen: Der gem. § 81 a StPO zur Blutprobe Gebrachte (BayObLG NJW 1984 S. 1192); der gem. § 127 Abs. 1 StPO von einer Privatperson Festgenommene.

Vollzugslockerungen, wie z. B. offener Vollzug, § 10 Abs. 1 StVollzG, Freigang, § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG, Ausgang, § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG oder Urlaub, § 13 Abs. 1 StVollzG, heben den Gefangenenstatus nicht auf. 42 Gemäß § 120 Abs. 4 steht dem Gefangenen gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.

3

Beispiele: Sicherungsverwahrte; nach §§63, 64 Untergebrachte; nach § 126 a StPO einstweilig Untergebrachte; Fürsorgezöglinge.

3. Die Tathandlung Der Tatbestand enthält drei Begehungsweisen: a) Die Befreiung eines Gefangenen. - Befreiung bedeutet Aufhebung der amtlichen Gewalt über den Gefangenen trotz bestehenden Haftrechts. Wird der Haftbefehl durch Täuschung beseitigt, so liegt keine Befreiung i.S. des Gesetzes vor. 43 4 0

S o auch v . BUBNOFF L K , § 113 R d n . 65; EHLEN/MEURER N J W 1974 S. 1777; HIRSCH Klug-FS, Bd. 2, S . 2 4 2 f ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 7 0 R d n . 3 ; TRÖNDLE S t G B , § 1 1 3 R d n . 1.

41

KG JR 1980 S. 513.

4 2

Vgl.

BGH

MDR

1991

S.981;

GEPPERT J K

LAUBENTHAL J U S 1 9 8 9 S . 8 3 0 ; RÖSSNER J Z

92,

StGB

§120/2;

LACKNER/KÜHL

§120

Rdn.

3;

1 9 8 4 S . 1 0 6 7 ; TRÖNDLE S t G B , § 1 2 0 R d n . 4 . - A . A .

v . BUBNOFF L K , § 1 2 0 R d n . 2 3 f f ; KUSCH N S t Z 1 9 8 5 S. 3 8 7 ; S C H / S C H / E S E R § 1 2 0 R d n . 6 ; ZIELINSKI

StV 43

1992

S.

228.

Dazu auch KREY Jura 1979 S. 322.

465

4

§92

5

6

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

b) Das Verleiten zum Entweichen und das Fördern des Entweichens. Hier hat der Gesetzgeber zwei Begehungsformen zu einem selbständigen Delikt erhoben, die - gäbe es einen Tatbestand der strafbaren Selbstbefreiung - als Anstiftung und Beihilfe zu diesem Tatbestand strafbar wären. c) Vollendet ist die Tat in allen drei Alternativen erst, wenn der Verwahrungsgewahrsam über den Gefangenen gebrochen ist. 4. Teilnahme

a) Teilnahme Dritter Teilnahme an den verschiedenen Begehungsformen des Delikts ist nach den allgemeinen Regeln möglich, doch stellt sich hier ein Abgrenzungsproblem: 8 Da die Anstiftung eines Dritten zur Befreiung eines Gefangenen zugleich ein Fördern des Entweichens darstellt und z.B. auch die Hilfe eines Dritten beim Fördern der Gefangenenbefreiung durch einen anderen selbst wiederum Förderung dieser Gefangenenbefreiung ist, scheint hier die Anstiftung zur 1. Alternative (Befreiung) und auch die Hilfe oder Anstiftung zur 3. Alternative (Fördern) zugleich Täterschaft i.S. der 3. Alternative zu sein. - Diesen Effekt wollte der Gesetzgeber jedoch nicht erzielen. Leider ist aber eine inhaltliche Differenzierung der verschiedenen "Förderungshandlungen" kaum möglich. Es bleibt nur die formelle Abgrenzungsmöglichkeit: Die unmittelbaren Teilnahmehandlungen an der Befreiung des Gefangenen sind Täterhandlungen i.S. des § 120, nur mittelbare Teilnahmehandlungen gelten auch hier bloß als Teilnahme. 44 7

Z u r Verdeutlichung: A gibt dem Gefangenen G während der Sprechstunde einen Nachschlüssel, mit dem dieser aus dem Gefängnis entweicht. Den Schlüssel hat B nachgemacht, der wußte, wozu A ihn verwenden wollte. A war zur Tat durch C angestiftet worden. Ergebnis: G: straffrei. - A: § 120, 3. Alternative; A hat das Entweichen des G gefördert. - B: §§ 120, 3. Alternative, 27. - C: §§ 120, 3. Alternative, 26.

b) Teilnahme durch den Gefangenen selbst aa) Nach der Rechtsprechung ist eine strafbare Teilnahme des Gefangenen (Beihilfe oder Anstiftung) an seiner eigenen Befreiung möglich, es sei denn, die Teilnahme dient der gegenseitigen Selbstbefreiung. 45 10 bb) Konstruktiv ist gegen dieses Ergebnis nichts einzuwenden. - Sachlich befriedigt es jedoch nicht, da die täterschaftliche Selbstbefreiung mit Rücksicht auf die psychische Situation des Gefangenen straflos gelassen worden ist. Die psychische Situation des Gefangenen ist jedoch insoweit bei der Teilnahme identisch mit der bei der Täterschaft. Daher ist es angemessen, die Teilnahme auch hier straffrei zu lassen. 46 9

5. Strafschärfung nach Abs. 2 11 Abs. 2 sieht eine Strafschärfung für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete vor, die gehalten sind, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern (unechtes Amtsdelikt).

4 4

V g l . a u c h v . BUBNOFF L K , § 1 2 0 R d n . 3 1 ; SCH/SCH/ESER § 1 2 0 R d n . 12; TENCKHOFF/ARLOTH J u S

45

Dazu BGHSt 4 S. 400; 17 S. 369, 373.

4 6

S o a u c h DEUBNER N J W 1 9 6 2 S . 2 2 6 0 f f ; HERZBERG T ä t e r s c h a f t u n d T e i l n a h m e , 1 9 7 7 , S . 1 3 6 ; KREY

1 9 8 5 S . 1 3 4 . - A . A . LACKNER/KÜHL § 1 2 0 R d n . 8.

B . T . 1, R d n . 5 3 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 1 R d n . 13.

466

Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei

§92

II. Gefangenenmeuterei, § 121 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Vorschrift ist die amtliche Gewalt. Diese wird gegen den Bruch 12 eines Verwahrungsgewahrsams (Rechtsgut des § 120) und gegen die Beeinträchtigung ihrer rechtmäßigen Betätigung (Rechtsgut des § 113) geschützt. 2. Täter und Tathandlung a) Täter können nur Gefangene - dazu Rdn. 2 - und Sicherungsverwahrte sein (Abs. 4).

13

Außenstehende kommen als Teilnehmer in Betracht. Da die Eigenschaft als Gefangener oder Sicherungsverwahrter aber keine besondere Pflichtenposition kennzeichnet, sondern nur die besondere Nähe und damit Gefährlichkeit der Betroffenen für das geschützte Rechtsgut erfaßt, ist § 28 Abs. 1 nicht anwendbar

b) Tathandlung ist das Zusammenrotten, d.h. die räumliche Vereinigung von mindestens 14 zwei Gefangenen 48 , um mit vereinten Kräften, d.h. mit gegenseitiger - sei es auch nur psychischer - Unterstützung, die in Abs. 1 Nr. 1-3 beschriebenen Handlungen zu verwirklichen: Nr. 1: Nötigung oder tätlicher Angriff gegen bestimmte Personen. Nr. 2: Gewaltsamer Ausbruch, wobei Gewalt gegen Sachen (Aufbrechen von Zellentüren; Aufbrechen von Schränken, um Werkzeuge zum Ausbruch oder Zivilkleidung zu erlangen) genügt. Nr. 3: Gewaltsames Verhelfen zum Ausbruch. Hierbei handelt es sich um einen qualifizierten Fall des § 120 (Fördern des Entweichens). c) Vollendet ist das Delikt im Falle der Nr. 1 mit Eintritt des Nötigungserfolgs, in den 15 Fällen der Nr. 2 und Nr. 3, wenn der Ausbruch gelungen ist. 49 3. Das Verhältnis der verschiedenen Begehungsweisen zueinander Die drei Alternativen sind verschiedene Tatmodalitäten eines Delikts. 50

16

4. Strafschärfung, Abs. 3 Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen für be- 17 sonders schwere Fälle: a) Nr. 1: Mitführen einer Schußwaffe; dazu § 41 Rdn. 50. b) Nr. 2: Mitführen einer Waffe, die bei der Tat verwendet werden soll; dazu vgl. oben § 63 Rdn. 20. c) Nr. 3: Mit der konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung verbundene Gewalttätigkeit; vgl. dazu § 46 Rdn. 35 f.

4

'

So auch BLAUTH "Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, 1968, S. 7 7 , 107; v . BUBNOFF L K , § 121 R d n . 10; LACKNER/KÜHL § 121 R d n . - A . A . TRÖNDLE S t G B , § 2 8

Rdn. 5. 48

BGHSt 20 S. 307.

49

BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 542.

5 0

S o a u c h LACKNER/KÜHL § 121 R d n . 9; SCH/SCH/ESER § 121 R d n . 2 3 . - A . A . TRÖNDLE S t G B , § 121

Rdn. 20: Tateinheit.

467

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§93

§ 93: Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 1. Geschütztes Rechtsgut und 1

2

3

Angriffsobjekt

a) Geschützt wird die staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen in dienstlichem (Abs. 1) oder kirchenamtlichem (Abs. 2) Verwahrungs- oder Aufbewahrungsbesitz in ihrem tatsächlichen Bestand und das Vertrauen in die staatliche Herrschaftsgewalt, nämlich das Vertrauen, daß Gegenstände, die sich kraft staatlicher Hoheitsrechte im Besitz des Staates befinden und denen der Staat seine Fürsorge in erkennbarer Weise zugewendet hat, auch ordnungsgemäß aufbewahrt werden. 51 b) Angriffsobjekt kann jede bewegliche Sache sein, insbes. neben den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Schriftstücken auch vertretbare und verbrauchbare Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind. Dienstlicher Verwahrungsbesitz, ist gegeben, wenn der Zweck der dienstlichen Verwahrung darin liegt, die Sache vor unbefugtem Zugriff zu bewahren und in ihrem Bestand in der Verfügungsgewalt des Hoheitsträgers zu erhalten, um einen über das bloße Funktionsinteresse der Behörde hinausgehenden Zweck sicherzustellen. Beispiele: Laufende oder in Staatsarchiven untergebrachte Behördenakten (BGHSt 3 S. 291); behördlich geführte Register (RGSt 67 S. 229); beschlagnahmte Gegenstände; nach § 81 a StPO entnommene Blutprobe (BayObLG JZ 1988 S. 726); vom StA im Rahmen der dienstlichen Aufgaben entgegengenommene Schriftstücke, Beweismittel, Zahlungen, Schecks. 5 2 Nicht in Verwahrungsbesitz sondern in bloßem Amtsbesitz befinden sich Sachen, die zum Ge- oder Verbrauch durch den Hoheitsträger bestimmt sind, z.B. sog. Überstücke von Anklageschriften, die zu Ausbildungszwecken genutzt werden sollen 5 -', Führerscheinformulare oder andere Blankourkunden, die von der Behörde zur Anfertigung einer Urkunde benutzt werden sollen (BGHSt 33 S. 190). - Gleiches gilt von Sachen, deren Rückgabe nur gattungsmäßig geschuldet wird, sowie Sachen, deren Aufbewahrung unmittelbar Interessen der Öffentlichkeit dient, wie z.B. Gemälde und Bücher in Museen und Bibliotheken.

4

c) Dienstlich ist ein Gegenstand dann in Verwahrung genommen, wenn dem Empfänger dienstliche Herrschaftsgewalt übertragen wurde. 2. Die

5

6

Tathandlung

a) Abs. 1 Zum Zerstören und Beschädigen vgl. § 47 Rdn. 5, 10. - Unbrauchbarmachen meint eine Beeinträchtigung der Sache für ihre Funktion ohne Substanzverletzung. - Der dienstlichen Verfügung entzogen ist die Sache, wenn dem dienstlich Berechtigten der Zugriff auf die Sache unmöglich ist. Die Entziehung setzt ein Handeln gegen den Willen des Verwahrers voraus. 5 4 Eine Ortsveränderung ist dazu nicht unbedingt erforderlich. 55 b) Abs. 2 Abs. 2 stellt klar, daß auch die kirchenamtliche Verwahrung vom Tatbestand erfaßt wird. 51

BGHSt 5 S. 159 f; 38 S. 385.

52

BGHSt 38 S. 381, 386 mit Anm. BRAMMSEN NStZ 1993 S. 543 ff.

53

OLG Köln JR 1980 S. 382 mit Anm. RUDOLPHI S. 383 f, und OTTO JuS 1980 S. 490 ff.

54

BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 719.

55

Zu einem Grenzfall des Verbergens eines Objekts im Schreibtisch vgl. BGHSt 35 S. 340 mit Anm. BRAMMSEN Jura 1989 S. 81 ff.

468

Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch

§93

3. Qualifizierung, Abs. 3 Qualifiziert ist die Tat nach Abs. 3 für Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) und Personen i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 4, sofern ihnen die Sache aufgrund dieser besonderen Eigenschaft anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist (unechtes Amtsdelikt). - Anvertraut als Amtsträger usw. ist dem Täter die Sache, wenn er aufgrund dienstlicher Anordnung Verfügungsmacht über sie hat und kraft seines Amtsverhältnisses verpflichtet ist, für ihre Erhaltung und Gebrauchsfähigkeit zu sorgen.

7

II. Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschützt ist die durch formell wirksame Beschlagnahme oder Siegelung begründete staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen (bewegliche und unbewegliche).

8

Forderungen fallen nicht unter den Schutz der Vorschrift.

Ob eine wirksame Verstrickung vorliegt, d.h. eine wirksame Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelung, richtet sich nach den Vorschriften, aufgrund derer der Akt erfolgt. b) Täter kann jeder sein, auch der Amtsträger, der die staatliche Herrschaftsgewalt begründet hat, es sei denn, er kann noch über die Freigabe rechtswirksam entscheiden,56

9

2. Die Tathandlung nach Abs. 1 (Verstrickungsbruch) Zerstören und Beschädigen: vgl. § 47 Rdn. 5. - Unbrauchbarmachen: Rdn. 5, 10. - Der 10 Verstrickung entziehen heißt die Verfügungsgewalt der Behörde dauernd oder vorübergehend beseitigen. Ein obligatorischer Vertrag Uber die Sache entzieht die Sache selbst der Verstrickung noch nicht. - Eine nur unerhebliche Erschwerung der Pfändung ist nicht als tatbestandsmäßiger Verstrickungsbruch anzusehen. 5 7

3. Die Tathandlung nach Abs. 2 (Siegelbruch) a) Angelegt ist das Siegel, wenn es mit einer Sache verbunden ist, sei es auch nur mit einer 11 Stecknadel. 58 - Siegel ist eine von einer Behörde oder einem Amtsträger herrührende Kennzeichnung mit Beglaubigungscharakter. - Siegel ausländischer Behörden sind dann relevant, wenn ihnen aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung innerstaatliche Wirkung beigelegt ist. 59 b) Beschädigen: vgl. § 47 Rdn. 5; Ablösen bedeutet Beseitigung der Siegels. - Ein Unwirk- 12 sammachen des Verschlusses liegt in der Mißachtung der mit der Siegelung gebildeten dienstlichen Sperrung, z.B. im Betreten eines Raumes, dessen Tür versiegelt ist, nach Ausheben des Fensters. 4. Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, Abs. 3 Gemäß Abs. 3 ist die Tat nicht strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig war. a) Zur dogmatischen Einordnung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung: § 91 Rdn. 10. 56

B G H S t 5 S . 161.

57

Dazu OLG Hamm NJW 1980 S. 2537; OSTENDORFGA 1982 S. 333 ff.

58

BGH bei Daliinger, MDR 1952 S. 658.

59

Vgl. BGH NStZ 1996 S. 229 (Portugiesische Zollplombe); KREHL NJW 1992 S. 604 ff.

469

13

§ 93

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

14 b) Bei der inhaltlichen Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung stellt die h.M. entsprechend den Überlegungen zu § 113 Abs. 3 auf den "strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff" ab; dazu § 91 Rdn. 11. 5. Der subjektive

Tatbestand

15 Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Tatumstände nach Abs. 1 bzw. Abs. 2 umfassen. 6. Der Irrtum des Täters 16 a) Geht der Täter davon aus, daß die Verstrickung überhaupt nicht erfolgt oder erloschen ist, so irrt er über das Vorliegen der staatlichen Herrschaftsgewalt und handelt in einem Tatbestandsirrtum i.S. des § 16. 60 17 b) Der Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ist nach § 16 Abs. 4 in Verb, mit § 113 Abs. 4 zu bewerten; vgl. dazu § 91 Rdn. 21. 7. Konkurrenzen 18 Zwischen § 136 Abs. 1 und Abs. 2 ist Idealkonkurrenz möglich. 61 - Dient die Entfernung des Siegels aber nur der Verdeckung eines Verstrickungsbruchs, so konsumiert Abs. 1 den Abs. 2. 6 2

III. Zur Einübung 19

Fall: Durch Vorlage eines gefälschten Schuldscheins über eine Schuld von DM 1000,- hat B ein vollstreckbares Urteil gegen den Rechtsreferendar A erwirkt. B betreibt die Vollstreckung aus diesem Urteil. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt A seine Schmucksachen im Keller. Als der Gerichtsvollzieher nunmehr weiter nichts findet, pfändet er die juristische Bibliothek des A. Sobald der Gerichtsvollzieher gegangen ist, entfernt A die Pfandmarken und verkauft die Bücher, damit B sie nicht versteigern lassen kann. Hat A sich strafbar gemacht? Lösungsskizze: 1. Vergraben des Schmuckes: a) Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288: liegt nicht vor. - Dem A droht die Zwangsvollstreckung, doch B ist nicht Gläubiger i.S. des § 288, da er keinen materiell-rechtlich wirksamen Anspruch gegen A hat. b) Betrug, § 263: entfällt, da es auf jeden Fall an einem Schaden des B fehlt. 2. Entfernen der Marken a) § 136 Abs. 2: liegt vor. Pfändungsmarke war dienstliches Siegel, das angelegt war, um die Bücher in Beschlag zu nehmen (Pfändung). Das Siegel hat A abgelöst. Er handelte bewußt und gewollt. § 136 Abs. 3 schließt die Rechtswidrigkeit nicht aus: Zwar waren die Bücher unpfändbar (§ 811 Nr. 10 ZPO), damit war die Pfändung anfechtbar, aber nicht nichtig. b) Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1: entfällt, da dem A die Absicht fehlte, den B zu schädigen. c) Sachbeschädigung, § 303: Tatbestand liegt vor, doch § 136 lex specialis.

6 0

S o a u c h G E P P E R T J u r a 1 9 8 7 S . 4 1 ; L A C K N E R / K Ü H L § 1 3 6 R d n . 8 ; NIEMEYER J Z 1 9 7 6 S . 3 1 6 . - A . A . D .

MEYER JuS 1971 S. 643 f: Verbotsirrtum. 6 1

D a z u K R E Y B . T . 1, R d n . 5 5 1 ; L A C K N E R / K U H L § 1 3 6 R d n . 9 ; T R Ö N D L E S t G B , § 1 3 6 R d n . 12. - A . A .

BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 129; RUDOLPHI SK II, § 136 R d n . 3 1 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 2 2 / 1 6 : S u b s i d i a r i t ä t . 62

470

Dazu D. MEYERJUS 1971 S. 646.

Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch

§ 93

d) Verwahrungsbruch, § 133: entfallt, da Gerichtsvollzieher die Bücher nicht in Besitz genommen hat. e) Pfandkehr, § 289: entfällt; nach h.M. fällt das Pfandungspfandrecht nicht unter § 289, doch kann dies dahinstehen, da § 289 das Bestehen eines wirksamen materiellen Anspruchs, auf dem das Pfandrecht beruht, voraussetzt. 3. Verkauf der Bücher: a) Betrug, § 263: entfällt. Durch Vertragsschluß noch kein Schaden, im übrigen würde der gutgläubige Käufer lastenfrei erwerben. b) § 136 Abs. 1: entfällt, da der Verkauf allein die Sache der Verstrickung noch nicht entzieht. 4. Ergebnis: A ist strafbar gemäß § 136 Abs. 2.

471

§94

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Dritter Abschnitt

Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen § 94: Gefährdung öffentlicher Interessen 1. Verletzung des Dienstgeheimnisses, 1

2

3

§ 353 b

Geschützt werden wichtige öffentliche Interessen vor Gefährdungen durch Verletzung der Amtsverschwiegenheit oder besonders auferlegter Geheimhaltungspflichten. Damit kommen nur solche Geheimnisse in Betracht, die sich nach Inhalt und Gegenstand auf wichtige öffentliche Interessen beziehen. Daß durch Verletzung der Verschwiegenheitspflicht das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung erschüttert wird, genügt nicht. 1 a) Abs. 1 aa) Täter können nur Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§ 11 Abs. 1 Nr. 4), Personen mit Aufgaben im Personalvertretungsrecht und gemäß § 4 8 Abs. 1, 2 WStG Soldaten sein. - Die Tat ist ein echtes Amtsdelikt. bb) Dienstgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zugänglich sind und ihrer Natur nach oder aufgrund einer Rechtsvorschrift oder besonderen Anordnung der Geheimhaltung bedürfen. Beispiele: Prüfungsaufgaben (RGSt 74 S. 110; BGHSt 11 S.401); dienstliche Beurteilungen (BGHSt 10 S. 108); Ermittlungsverfahren (BGHSt 10 S. 276); polizeiliche Erkenntnisse 2 ; Codewort für Halterabfragen beim Kraftfahrtbundesamt 3 .

4

cc) Tathandlung ist das Offenbaren eines Geheimnisses, das dem Täter im inneren Zusammenhang mit der Ausübung seines Dienstes bekannt geworden ist. - Zum Offenbaren vgl. § 34 Rdn. 33. Die Offenbarung muß eine konkrete Gefahr für öffentliche Interessen begründet haben. 4

5

dd) Subjektive Voraussetzungen: Bestraft wird die vorsätzliche Offenbarung und vorsätzliche Gefährdung gemäß Abs. 1 S. 1 und die vorsätzliche Offenbarung, die mit einer fahrlässigen Gefährdung verbunden ist, gemäß Abs. 1 S. 2.

6

ee) Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i.S. von rechtswidrig. Unbefugt ist die Offenbarung, die nicht gerechtfertigt ist. Eine Rechtfertigung kann sich z.B. aus § 61 BBG, § 54 StPO, § 376 StPO, § 28 Abs. 2 BVerfGG ergeben. Die Einwilligung des Betroffenen in die Offenbarung eines Privatgeheimnisses rechtfertigt die Tat, selbst wenn öffentliche Interessen verletzt werden, da der Tatbestand nur die öffentlichen Interessen gegen Verletzung durch unbefugte Offenbarung eines Geheimnisses schützt, jedoch die Verfügung über das Geheimnis nicht beschränkt.^

7

ff) Die Strafverfolgung

1

setzt die Ermächtigung der zuständigen Behörde voraus, Abs. 4.

V g l . A R Z T i n : A r z t / W e b e r , L H 5 , R d n . 5 0 7 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 3 5 3 b R d n . 1, 6 ; SCHUMANN N S t Z

1985 S. 170. - A.A. OLG Düsseldorf NStZ 1985 S. 169; OLG Düsseldorf NStZ 1989 S. 324; OLG Köln NJW 1988 S. 2489; TRÖNDLE StGB, § 353 b Rdn. 1. 2

OLG Köln NJW 1988 S. 2489; OLG Düsseldorf NStZ 1989 S. 324.

3

OLG Zweibrücken JR 1991 S. 292 mit Anm. KELLER S. 293 f.

4

Dazu OLG Zweibrücken JR 1991 S. 293 m.w.N.

5

A . A . h . M . v g l . z . B . LACKNER/KÜHL § 3 5 3 b R d n . 13; SCH/SCH/LENCKNER § 3 5 3 b R d n . 2 1 .

472

Gefährdung öffentlicher Interessen

§94

b) Abs. 2 aa) Täter können nur besonders verpflichtete Personen nach Nr. 1 und 2 sein. 8 Die Verpflichtung bedarf einer außerstrafrechtlichen Rechtsgundlage oder der Vereinbarung zwischen den Beteiligten. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt. Die Tathandlung nach Abs. 2 setzt Gegenstände und Nachrichten voraus, das sind alle tatsächlichen Vorgänge und Zustände, alle körperlichen Gegenstände und alle gedanklichen Sachverhalte sowie Nachrichten darüber, zu deren Geheimhaltung der Täter verpflichtet ist. bb) Zum Begriff: an einen anderen gelangen lassen vgl. § 85 Rdn. 9. - Zur öffentlichen 9 Bekanntmachung vgl. § 89 Rdn. 2. Auch hier muß die Tathandlung zu einer konkreten Gefahr für wichtige öffentliche Interessen geführt haben. cc) Strafbar ist nur die vorsätzliche Tatbegehung. 10 dd) Zum Merkmal unbefugt vgl. Rdn. 6. 11 ee) Strafverfolgungsvoraussetzung ist die Ermächtigung durch die zuständige Behörde, 12 Abs. 4. 2. Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst, § 353 a Die Vorschrift, die diplomatischen Ungehorsam und diplomatische Falschberichte straf- 13 rechtlich erfaßt, ist systematisch nur schwer anderen Bestimmungen zuzuordnen. Die Weite des Begriffs "wichtige öffentliche Interessen" ermöglicht ihre Einordnung an dieser Stelle, denn durch die Tathandlung können durchaus wichtige öffentliche Interessen der Bundesrepublik im diplomatischen Verkehr gefährdet werden. a) Täter kann nur ein diplomatischer Vertreter der Bundesrepublik Deutschland sein. b) Der Falschbericht muß Tatsachen betreffen. c) Die Tat erfordert Vorsatz. Dieser muß beim Falschbericht mit der Absicht (zielgerichtetes Wollen) der Irreleitung verbunden sein.

473

§95

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Vierter Abschnitt

Delikte gegen die Rechtspflege § 95: Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 1. Das geschützte 1

2. Einzelheiten 2 3

4

Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut ist die Funktionsfähigkeit der inländischen staatlichen Rechtspflege; daß daneben auch Interessen des unmittelbar Betroffenen geschützt werden, ändert die Schutzrichtung des Delikts nicht. 1 des

Tatbestandes

a) Abs. 1 Der Tatbestand des Abs. 1 setzt voraus, daß jemand einen bestimmten anderen bei einer Behörde (dazu § 11 Abs. 1 Nr. 7), einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger (Polizeibeamter, Staatsanwalt), einem militärischen Vorgesetzten oder öffentlich (dazu oben § 62 Rdn. 4) einer rechtswidrigen Tat oder einer Dienstpflichtverletzung verdächtigt. Die Person, die verdächtigt wird, muß so weit bestimmt sein, daß ihre Identifizierung möglich ist. Anzeige gegen Unbekannt, Hinweis auf den "großen Unbekannten" usw. genügen nicht. Verdächtigen heißt, einen Verdacht gegen eine bestimmte Person begründen, auf diese umlenken oder einen bestehenden Verdacht verstärken, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffung bestimmter Indizien, insbes. durch die Manipulation von Beweismaterial. 2 Bloßes Leugnen der Täterschaft, durch das automatisch der Tatverdacht auf einen anderen fällt, ist kein Verdächtigen im Sinne des Gesetzes, da der Leugnende keine Verdacht gegen einen Dritten begründende Tatsache behauptet.^ - Im Gegensatz zum bloßen Leugnen eigener Tatbeteiligung beeinflußt das ausdrückliche Bezichtigen eines Dritten das Verdachtsurteil gegen diesen und erweitert die Tatsachengrundlage für die Herbeiführung eines behördlichen Verfahrens.^

5

Rechtswidrige Tat in diesem Sinne ist nur eine strafbare, verfolgbare Tat. Dies folgt aus dem Sinn des Tatbestandes, die Rechtspflege vor unnützer Inanspruchnahme zu schützen. Die Schilderung eines Sachverhalts, der nicht zur Einleitung eines behördlichen Verfah-

Vgl. GEERDS Jura 1985 S. 617 f; LANGER Die falsche Verdächtigung, 1973, S. 64 f; RUDOLPHI SK II, § 164 Rdn. 1. - Für den Schutz der staatlichen Rechtspflege sowie des Einzelnen gegen unbegründete Zwangsmaßnahmen: BGHSt 9 S. 240; GEILEN Jura 1984 S. 251; HERDEGEN LK, 10. Aufl., § 164 Rdn. 1 f; LACKNER/KÜHL § 164 Rdn. 1. - Allein für den Schutz des individuellen Interesses: HIRSCH Schröder-GedS, S. 307 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 6/6; VORMBAUM Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1 9 8 7 , S. 4 4 9 f. V g l . H E R D E G E N L K , 10. A u f l . , § 1 6 4 R d n . 5 ; K Ü P E R B . T . , S . 2 2 6 ; RUDOLPHI S K II, § 1 6 4 R d n . 7 ; SCH/SCH/LENCKNER

§ 164 R d n . 8; W E L P J u S

1 9 6 7 S. 5 1 0 . - A . A . LANGER L a c k n e r - F S ,

S.

542;

VORMBAUM N K , § 164 R d n . 2 1 . V g l . KÜPER B . T . , S. 2 2 6 ; LANGER L a c k n e r - F S , S. 5 4 1 f f , 5 6 0 .

Eingehend dazu LANGER Lackner-FS, S. 564 ff. - A.A. BayObLG JZ 1985 S. 753 mit Anm. FAHRENHORST J u S 1 9 8 7 S . 7 0 7 f , G E P P E R T J K , S t G B § 1 6 4 / 1 , KELLER J R 1 9 8 6 S . 3 0 f , L A N G E R J Z S. 8 0 4 ff; O L G D ü s s e l d o r f N J W

1992 S. 979 f. - Differenzierend VORMBAUM NK, § 164 Rdn. 28.

474

1987

1 9 9 2 S. 1 1 1 9 m i t A n m . GEPPERT J K 9 2 , S t G B § 1 6 4 / 3 , MITSCH J Z

Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat

§95

rens geeignet ist - mit der Straftat wird z.B. zugleich ein entschuldigender Sachverhalt geschildert -, wird vom Tatbestand nicht erfaßt, 5 wohl aber die Schilderung eines tatbestandsmäßigen Sachverhalts unter Verschweigen der rechtfertigenden Umstände. 6 Gleichermaßen muß die Verletzung der Dienstpflicht disziplinarisch ahndbar sein. Die Verdächtigung muß unwahr sein. Entscheidend ist, ob die vom Täter behaupteten Tatsachen oder Verdachtsgründe der Realität entsprechen. Dabei kommt es auf den Kern der Verdächtigung an. Bloßes Ausschmücken des wahren Kerns ist noch nicht tatbestandsmäßig, wohl aber das unwahre Vorbringen qualifizierender Merkmale o.ä.

6

Der Kern der Verdächtigung ist auch dann unwahr, wenn die behaupteten Tatsachen wahr sind, der Täter jedoch weiß, daß der Verdacht, auf den sie hinweisen, unbegründet ist, so z.B. wenn A, der das Haus der B angesteckt hat, bei der Polizei wahrheitsgemäß erzählt, der X habe vor einigen Tagen geäußert, dem B gehöre der rote Hahn aufs Dach gesetzt.

Ob sich der Verdacht später als richtig erweist, ist irrelevant, wenn der Täter falsche Behauptungen aufgestellt oder falsche Indizien begründet hat. Die Tat kann sich daher gegen einen Unschuldigen oder auch gegen einen Schuldigen, der mit falschen Angaben verdächtigt wird, richten. 7 Subjektiv ist erforderlich, daß der Täter die Unwahrheit der Verdächtigung positiv kennt (wider besseres Wissen) und die Absicht hat, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Verdächtigen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. b) Abs. 2 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf das Aufstellen von Behauptungen tatsächlicher Art, die geeignet sind, ein behördliches Verfahren oder eine andere behördliche Maßnahme gegen den Verdächtigten herbeizuführen.

7

8

9

Beispiele: Sicherungsverfahren; Bußgeldverfahren; Verfahren zur Entziehung der Fahr- oder Gewerbeerlaubnis oder des Sorgerechts.

c) Tatvollendung und Rücktritt Vollendet ist die Tat, wenn die Verdächtigung der Behörde oder Stelle zugegangen oder 10 wenn die Vernehmung, in der die Verdächtigung geäußert wurde, abgeschlossen ist. Eine spätere Berichtigung ist kein Rücktritt i.S. des § 24, da das Delikt vollendet ist. Ist aber die behördliche Maßnahme noch nicht eingeleitet worden, so kommt eine analoge Anwendung des § 158 in Betracht. 8 d) Abs. 1 ist gegenüber Abs. 2 lex specialis.

11

II. Vortäuschen einer Straftat, § 145 d 1. Das geschützte Rechts gut Dazu GEILEN Jura 1984 S. 257; LANGER Verdächtigung, S. 16. Dazu OLG Brandenburg NJW 1997 S. 141; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 S. 37. V g l . G E E R D S J u r a 1 9 8 5 S . 6 2 0 ; GEILEN J u r a 1 9 8 4 S . 3 0 2 f ; K Ü P E R B . T . , S . 2 2 7 f ; L A C K N E R / K Ü H L § 1 6 4 R d n . 7 ; L A N G E R G A 1 9 8 7 S . 3 0 2 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 6 / 8 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 1 6 4 R d n . 16,

30. - A.A. BGHSt 35 S. 50 mit abl. Anm. DEUTSCHER JuS 1988 S. 526 ff, FEZER NStZ 1988 S. 177 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 99 Rdn. 14; SCHILLING Armin Kaufmann-GedS, S. 595 ff; TRÖNDLE StGB, § 164 Rdn. 6. S o a u c h L A C K N E R / K Ü H L § 1 6 4 R d n 10; S C H / S C H / L E N C K N E R § 1 6 4 R d n . 3 5 ; V O R M B A U M N K , § 1 6 4 R d n . 7 3 . - A . A . RUDOLPHI S K II, § 1 6 4 R d n . 3 6 .

475

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§95

12 Die Vorschrift schützt die Rechtspflege (Abs. 1, 2 Nr. 1) und die präventiv polizeilich tätigen Organe des Staates (Abs. 1, 2 Nr. 2) gegen unberechtigte Inanspruchnahme des inländischen staatlichen Verfolgungsapparates.'' 2. Die

Tathandlung

13 a) Gemäß Abs. 1 wird bestraft, wer einer Behörde oder einer zu Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht, daß eine rechtswidrige Tat begangen wurde (Nr. 1) oder die Verwirklichung einer der in § 126 Abs. 1 genannten Taten bevorstehe (Nr. 2). Als zuständige Stellen ohne Behördencharakter sind - soweit man hier nicht schon eine Behörde annimmt die einzelnen nach § 158 StPO zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten anzusehen, im übrigen kommen parlamentarische Untersuchungsausschüsse als derartige Stellen in Betracht. Nach dem Gesetzeswortlaut - "rechtswidrige Tat" - genügt eine tatbestandsmäßig rechtswidrige Tat (auch Versuch und Teilnahme). Der Tatbestand ist aber restriktiv auszulegen. Daher entfällt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens, wenn der Täter einen Sachverhalt vortäuscht, der keine Tätigkeit des Rechtspflegeorgans auslöst, z.B. Vortäuschung einer Tat im entschuldigenden Notstand.

14 aa) Vortäuschen ist das Erregen oder Verstärken eines Verdachts, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffen einer verdachtserregenden Beweislage. Der Verdacht muß falsch sein. Erweist er sich hinterher als richtig, so ist - im Gegensatz zu § 164 - der Tatbestand auch dann nicht erfüllt, wenn der Täter zum Beweis der Tat unrichtige Behauptungen aufgestellt hat, weil die Inanspruchnahme der Behörde nicht überflüssig war. Die Vortäuschung muß geeignet sein, das behördliche Einschreiten auszulösen. Ob sie Erfolg hat, ist unerheblich, daher ist auch die verfahrensfehlerhafte Äußerung grundsätzlich geeignet. 11 - Maßgeblich ist, daß eine rechtswidrige Tat begangen worden ist. Problematisch ist, ob "Täuschungen mit Wahrheitskern", z.B. Übertreibungen, den Tatbestand erfüllen. Die Rechtsprechung versucht diese Problematik wertend danach zu entscheiden, ob die Täuschungen mit erheblicher Mehrarbeit für die Behörden verbunden sind oder nicht. 12 In der Literatur werden z.T. formale Kriterien genannt, z.B. der Übergang vom Vergehen zum Verbrechen 1 3 oder vom Privatklage- bzw. Antragsdelikt zum Offizialdelikt 14 , z.T. wird darauf abgestellt, ob das geschilderte Geschehen tatsächlich eine rechtswidrige Tat enthalte. Treffe dieses zu, so entfalle der Tatbestand, da die Behörden insoweit zur umfassenden Aufklärung verpflichtet seien. 15 - Diese Ansicht verdient den Vorzug, da sie präzis auf die strafrechtlich relevante Mehrarbeit abstellt. 15 Daß der Täter sich selbst als Täter der rechtswidrigen Tat bezichtigt, steht seiner Strafbarkeit nicht entgegen. Geht die Täuschung des Täters aber dahin, eine wirklich begangene Tat zu vertuschen, d.h. darüber zu täuschen, daß gar keine Tat begangen worden ist, so

9

10

Dazu BGH NStZ 1984 S. 360; OLG Düsseldorf JR 1983 S. 75 mit Anm. BOTTKE S. 76; SAAL Die Vortäuschung einer Straftat (§ 145 d StGB) als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1997, 97 ff. V g l . RUDOLPHI S K II, § 1 4 5 d R d n . 7 ; SCH/SCH/STREE § 1 4 5 d R d n . 7 ; WILLMS L K , 10. A u f l . , § 1 4 5 d

Rdn. 7. - A.A. SAAL Vortäuschung S. 137 ff, 146. 11

Vgl. GEPPERT JK 96, StGB § 145 d/7. - A.A. OLG Hamburg StV 1995 S. 588.

12

Vgl. OLG Hamm NStZ 1987 S. 578 (Vollendung, statt Versuch); BayObLG NJW 1988 S. 83 (Schadensumfang); OLG Karlsruhe MDR 1992 S. 1166 (vollendete Körperverletzung bei einem Mordversuch).

13

KRÜMPELMANN Z S t W 9 6 ( 1 9 8 4 ) S . 1 0 7 1 f f .

1 4

STREE N S t Z 1 9 8 7 S . 5 5 9 f.

15

V g l . GEPPERT I K 9 3 , S t G B § 1 4 5 d / 6 ; RUDOLPHI S K II, § 1 4 5 d R d n . 9 a - c.

476

Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat

§95

liegt nach Sinn und Zweck des § 145 d der Tatbestand nicht vor. Dieser Täter will der Rechtspflege Arbeit ersparen, sie aber nicht unnötig belasten! Daher handelt nicht tatbestandsmäßig, wer über den Täter täuscht, wenn die Tat in der Person des angeblichen Täters keine Straftat wäre. 1 6 bb) Der subjektive Tatbestand verlangt ein Handeln wider besseres Wissen, d.h. mit dolus 16 directus bzgl. des täuschenden Verhaltens. b) Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit aus auf Täter, die die in Abs. 1 bezeichneten Stellen über 17 die Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat oder an einer bevorstehenden Tat gemäß § 126 Abs. 1 zu täuschen suchen. Eine Täuschung liegt vor, wenn der Tatverdacht auf Unbeteiligte gelenkt werden soll. Ei- 18 ne Strafanzeige gegen Unbekannt genügt daher. 1 7 - Bloßes Leugnen, die Tat selbst nicht begangen zu haben, genügt aber nicht, selbst dann nicht, wenn dadurch der Verdacht auf einen anderen fällt, der aber nicht vom Täter benannt worden ist, sonst würde der Täter mit einer dem deutschen Strafprozeß fremden Wahrheitspflicht belastet werden, aa) Auch die bloße Entlastung des wirklichen Täters oder die Ablenkung des Tatverdachts 19 von einem Tatbeteiligten, z.B. durch ein falsches Alibi, erfüllt den Tatbestand, denn im Gegensatz zu Abs. 1, wo beim Fehlen einer rechtswidrigen Tat keine weiteren Ermittlungen nötig werden, macht ein derartiges Verhalten dann, wenn feststeht, daß die Tat begangen worden ist, den Strafverfolgungsbehörden erhebliche, unnütze Arbeit. 1 8 bb) Streitig ist, ob in Fällen der Nr. 2 die Tat wirklich begangen worden sein muß oder ob 20 es genügt, daß der Täter aufgrund eines Irrtums davon ausgeht, daß eine Tat begangen worden ist. Die h.M. läßt es unter Berufung auf den Zweck der Vorschrift - Ersparnis unnützer Aufklärungsarbeit - genügen, daß der Täter beim Vorliegen konkreter Verdachtsgründe die Tatbegehung irrig annimmt. - Das erscheint nicht überzeugend, denn solange noch zu klären ist, ob überhaupt eine Tat vorliegt, erscheint dieses Verhalten nur strafwürdig, soweit Abs. 1 erfüllt ist. Weiß die Behörde überdies im Gegensatz zum Täter, daß keine rechtswidrige Tat begangen worden ist oder eine Tat i.S. des § 126 Abs. 1 nicht geplant ist, so bewirkt die Anzeige keine Mehrarbeit. 19 cc) Der subjektive Tatbestand fordert Handeln wider besseres Wissen, d.h. mit dolus di- 21 rectus bzgl. des vortäuschenden Verhaltens; im übrigen genügt dolus eventualis. 3. Selbst- oder

Angehörigenbegünstigungsabsicht

Im Rahmen des § 258, der im Regelfall durch unwahre Angaben gegenüber der Polizei 22 begangen wird, hat der Gesetzgeber der persönlichen Situation des Täters durch die Straf16

BGHSt 19 S. 305; OLG Celle JR 1981 S. 34 mit Anm. GEERDS S. 35 ff.

17

BGHSt 6 S. 255; LACKNER/KÜHL § 145 d Rdn. 7. - A.A. FEZER Stree/Wessels-FS, S. 674.

18

Vgl. TRÖNDLE StGB, § 145 d Rdn. 7; im Erg. zust. WLLLMS LK, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 16. - A.A. BayObLG JR 1985 S. 294 mit Anm. KÜHL S. 296 ff, und abl. OTTO JK, StGB § 145 d/3; KG JR 1989

19

So auch O L G Hamburg M D R 1949 S. 309 mit Anm. HÜNEMÖRDER S. 309 f; O L G Frankfurt N J W

S . 2 6 ; E S E R I I I , N r . 1 6 A 17 f ; S T R E E L a c k n e r - F S , S . 5 2 7 f f .

1 9 7 5 S . 1 8 9 6 ; K G J R 1 9 8 9 S . 2 6 ; KREY B . T . l , R d n . 6 0 7 ; KRÜMPELMANN Z S t W 9 6 ( 1 9 8 4 ) S . 9 9 9 f f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 2 3 / 5 ; RENGIER B . T . II, § 5 1 R d n . 8 ; T R Ö N D L E S t G B , § 1 4 5 d R d n . 7 . - A . A . O L G Hamm NJW

1 9 6 3 S. 2 1 3 8 m i t A n m . MORNER N J W

1964 S. 3 1 0 ; LACKNER/KÜHL § 145 d R d n . 7

(Ausnahme: rechtl. Irrtum); MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 99 Rdn. 29; SAAL Vortäuschen, S. 173 ff, 179; SCH/SCH/STREE § 145 d Rdn. 13.

477

§96

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

ausschließungsgründe der Selbst- und Angehörigenbegünstigung, § 258 Abs. 5, 6, Rechnung getragen. Eine vergleichbare Situation ist bei der Vortäuschung einer Straftat nicht gegeben. Die Absicht, sich oder einen Angehörigen der Strafe zu entziehen, steht einer Bestrafung nach § 145 d nicht entgegen. Die Subsidiaritätsklausel wird nur wirksam, wenn der Täter wirklich aus dem schwereren Delikt bestraft wird. Scheitert eine Bestrafung nach § 258 z.B. an § 258 Abs. 6, so greift die Subsidiaritätsklausel nicht durch. 20 4. Tatvollendung 23 Vollendet ist die Tat, wenn die Behörde oder zuständige Stelle von der Tat Kenntnis erlangt hat.

§ 96: Strafvereitelung und Geld wasche I. Strafvereitelung, § 258 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt 1 Geschützt ist die staatliche Rechtspflege, und zwar in ihrem Anspruch auf Durchsetzung der gesetzmäßigen Strafen und Maßregeln.21 2. Gesetzessystematik 2 Das Gesetz unterscheidet zwischen der Verfolgungsvereitelung (Abs. 1) und der Vollstreckungsvereitelung (Abs. 2) sowie der Strafvereitelung im Amt als qualifiziertem Tatbestand (§ 258 a). 3. Die Verfolgungsvereitelung, § 258 Abs. 1 Den objektiven Tatbestand erfüllt, wer ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat (§11 Abs. 1 Nr. 5) bestraft oder einer Maßnahme (§11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird. 4 a) Voraussetzung der Tat ist demnach eine Vortat, aus der ein staatlicher Straf- oder Maßnahmeanspruch erwachsen ist. Das bedeutet: Bei der Vereitelung einer Bestrafung ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte Tat Voraussetzung, deren Verfolgung kein persönlicher Strafaufhebungs-, Strafausschließungsgrund oder ein Verfolgungshindernis entgegenstehen darf. Das Vorliegen der Vortat ist von dem erkennenden Gericht in eigener Verantwortung zu prüfen. 5 b) Vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der staatliche Zugriff rechtswidrig infolge der Handlung für geraume Zeit nicht verwirklicht worden ist. 3

Beispiele: Verstecken des Täters; Vernichten von Beweismitteln; Beiseiteschaffen von Ermittlungsakten; Fluchthilfe; falsche Aussagen, die das Verfahren beeinflussen.

6

aa) Das erfordert den Nachweis, daß der Strafanspruch ohne das Täterverhalten zumindest 20

Vgl. dazu BayObLG NJW 1978 S. 2563 mit zust. Anm. STREE JR 1979 S. 253 ff, RUDOLPHI JUS 1979 S. 859, 862; BayObLG JR 1985 S. 294; OLG Celle JR 1981 S. 34 mit Anm. GEERDS S. 35 ff.

21

Vgl. LENCKNER Schröder-GedS, S. 344. - A.A. AMELUNG JR 1978 S. 231: die durch die Vortat verletzten Rechtsgüter.

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§96

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

ausschließungsgründe der Selbst- und Angehörigenbegünstigung, § 258 Abs. 5, 6, Rechnung getragen. Eine vergleichbare Situation ist bei der Vortäuschung einer Straftat nicht gegeben. Die Absicht, sich oder einen Angehörigen der Strafe zu entziehen, steht einer Bestrafung nach § 145 d nicht entgegen. Die Subsidiaritätsklausel wird nur wirksam, wenn der Täter wirklich aus dem schwereren Delikt bestraft wird. Scheitert eine Bestrafung nach § 258 z.B. an § 258 Abs. 6, so greift die Subsidiaritätsklausel nicht durch. 20 4. Tatvollendung 23 Vollendet ist die Tat, wenn die Behörde oder zuständige Stelle von der Tat Kenntnis erlangt hat.

§ 96: Strafvereitelung und Geld wasche I. Strafvereitelung, § 258 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt 1 Geschützt ist die staatliche Rechtspflege, und zwar in ihrem Anspruch auf Durchsetzung der gesetzmäßigen Strafen und Maßregeln.21 2. Gesetzessystematik 2 Das Gesetz unterscheidet zwischen der Verfolgungsvereitelung (Abs. 1) und der Vollstreckungsvereitelung (Abs. 2) sowie der Strafvereitelung im Amt als qualifiziertem Tatbestand (§ 258 a). 3. Die Verfolgungsvereitelung, § 258 Abs. 1 Den objektiven Tatbestand erfüllt, wer ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat (§11 Abs. 1 Nr. 5) bestraft oder einer Maßnahme (§11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird. 4 a) Voraussetzung der Tat ist demnach eine Vortat, aus der ein staatlicher Straf- oder Maßnahmeanspruch erwachsen ist. Das bedeutet: Bei der Vereitelung einer Bestrafung ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte Tat Voraussetzung, deren Verfolgung kein persönlicher Strafaufhebungs-, Strafausschließungsgrund oder ein Verfolgungshindernis entgegenstehen darf. Das Vorliegen der Vortat ist von dem erkennenden Gericht in eigener Verantwortung zu prüfen. 5 b) Vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der staatliche Zugriff rechtswidrig infolge der Handlung für geraume Zeit nicht verwirklicht worden ist. 3

Beispiele: Verstecken des Täters; Vernichten von Beweismitteln; Beiseiteschaffen von Ermittlungsakten; Fluchthilfe; falsche Aussagen, die das Verfahren beeinflussen.

6

aa) Das erfordert den Nachweis, daß der Strafanspruch ohne das Täterverhalten zumindest 20

Vgl. dazu BayObLG NJW 1978 S. 2563 mit zust. Anm. STREE JR 1979 S. 253 ff, RUDOLPHI JUS 1979 S. 859, 862; BayObLG JR 1985 S. 294; OLG Celle JR 1981 S. 34 mit Anm. GEERDS S. 35 ff.

21

Vgl. LENCKNER Schröder-GedS, S. 344. - A.A. AMELUNG JR 1978 S. 231: die durch die Vortat verletzten Rechtsgüter.

478

Strafvereitelung und Geldwäsche

§96

früher verwirklicht worden wäre. - Die Zeitspanne selbst ist streitig, doch geht es zu weit, jede zeitliche Verzögerung schon als kriminelle Deliktsvollendung einzuordnen. Als Richtwert erscheint eine Frist von einer Woche angemessen. 22 bb) Durch die Tathandlung selbst muß die Möglichkeit der Verwirklichung des Strafanspruchs verschlechtert worden sein. Zwar ist es nicht erforderlich, daß die Vereitelungshandlung in einem strukturell täterschaftlichen Handeln des Vereitelnden besteht, 23 jedoch muß sie eigenständigen Gehalt haben, indem sie einen sachlichen Zustand darstellt. Handlungen, die nur darin bestehen, den Selbstschutzwillen des Vortäters hervorzurufen oder zu bestärken genügen dem nicht. 24 cc) Sozialadäquate Verhaltensweisen, d.h. Verhaltensweisen in denen sich der auch sonst übliche soziale Umgang mit einem anderen realisiert, sind nicht tatbestandsmäßig, da sie nicht auf rechtswidrige Beeinträchtigung des staatlichen Strafanspruchs abzielen.

7

8

Zusammenwohnen mit einem flüchtigen Straftäter (BGH NJW 1984 S. 135), Gewährung von Arbeit und Wohnung sind daher nur dann Vereitelungshandlungen, wenn ihnen durch die Ausgestaltung im einzelnen der Charakter der Versteckgewährung zukommt.

dd) Macht der Täter von einem eigenen Recht Gebrauch, oder wendet sein Verteidiger prozeßrechtlich zulässige Mittel an, um den Täter der Strafe zu entziehen, so liegt gleichfalls keine Vereitelungshandlung i.S. des Tatbestandes vor. Nicht prozeßrechtsgemäßes Verteidigerhandeln, insbes. täuschende Maßnahmen, können hingegen den Tatbestand erfüllen. 26 Tatbestandsmäßig z.B.: Erwirken falscher Zeugenaussage 27 ; Erschleichung von Informationen durch Täuschen 2 ^; Veranlassung des Angeklagten, nicht zur Hauptverhandlung zu kommen (OLG Koblenz NStZ 1992 S. 146). Nicht tatbestandsmäßig: Rat des Verteidigers, vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen 29 oder keine Angaben zu machen (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 970); prozessual zulässige Information des Mandanten aus Akten 3 0 ; Information anderer Verteidiger 3 '; Stellung eines Beweisantrags zu spätem Zeitpunkt (OLG Düsseldorf JZ 1986 S. 408); zulässige Informationen oder Ratschläge 32 .

22

Dazu einerseits: BGH NJW 1959 S. 495 (sechs Tage genügen nicht); OLG Stuttgart NJW 1976 S. 2084 (zehn Tage sind ausreichend); BGH wistra 1995 S. 143 (Verzögerung der Ermittlungshandlungen um 14 Tage genügt nicht). - Enger: LENCKNER Schröder-GedS, S. 342 ff; RUDOLPHI JuS 1979 S. 860 ff (jede zeitliche Verzögerung). - Weiter: SAMSON JA 1982 S. 181 ff (bei zeitlicher Verzögerung nur Versuch).

23

So aber EBERT Z R G 1993 S. 56 ff; LENCKNER Schröder-GedS, S. 352 ff; RUDOLPHI Kleinknecht-FS,

2 4

V g l . FRISCH J u S 1 9 8 3 S . 9 1 9 f ; K Ü P E R G A 1 9 9 7 S . 3 1 5 f f ; L A C K N E R H e i d e l b e r g - F S , S . 4 2 f f ; R u ß L K ,

25

Dazu OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1569 mit Anm. FRISCH JUS 1983 S. 915 ff; OLG Koblenz NJW 1982

S . 3 8 9 f f ; SCHOLDERER S t V 1 9 9 3 S . 2 2 9 f .

§ 258 Rdn. 35. S . 2 7 8 5 m i t A n m . FRISCH N J W 1 9 8 3 S . 2 4 7 1 f f ; KÜPPER G A 1 9 8 7 S . 3 9 9 f f ; R U ß L K , § 2 5 8 R d n . 1 0 b . 26

Im einzelnen: OLG Düsseldorf StV 1998 S. 66; BEULKE Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989; KREKELER N S t Z 1989 S. 146 f f ; MÜLLER-DIETZ J u r a 1979 S. 2 4 2 ff; OSTENDORF J Z 1989 S. 5 7 8 f;

OTTO Jura 1987 S. 329 ff; PFEIFFER DRiZ 1984 S. 341 ff. - Als straffrei will PAULUS - NStZ 1992 S. 305 ff - alle Prozeßhandlungen des Verteidigers ansehen; dagegen HAAS NStZ 1993 S. 173. - Zur sog. Konfliktverteidigung: JAHN Z R P 1998 S. 103 ff. 27

Dazu B G H N J W 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE N S t Z 1983 S. 504 f, BOTTKEJR 1984 S. 300 ff.

28

B G H N S t Z 1983 S. 556 mit A n m . MEHLE S. 557 ff.

29

B G H S t 10 S. 393 mit A n m . ACKERMANN M D R 1958 S. 49 f.

30

BGH NJW 1980 S. 64 mit Anm. GlEMULLA JA 1980 S. 253 f.

479

9

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§96

29 Vereiteln kann auch durch Unterlassen erfolgen, soweit der Unterlassende der Rechtspflege gegenüber eine Garantenpflicht zum Handeln hat. 33 11 c) Teilweise vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der Vortäter besser gestellt wird, als es der materiellen Rechtslage entspricht, z.B. wenn die Strafschärfung aus einem Erschwerungsgrund verhindert wird, wenn nur wegen Beihilfe statt Täterschaft bestraft oder wenn der erlangte Gewinn nur teilweise eingezogen werden kann. 12 d) Subjektiv muß der Täter die Besserstellung erstrebt oder doch als sichere Folge seines Verhaltens erkannt haben. Hinsichtlich der Vortat genügt bedingter Vorsatz. e) Versuch und Vollendung 13 aa) Versucht ist die Straftat, wenn der Täter nach seinem Vorstellungsbild vom Sachverhalt unmittelbar zur Vereitelung, z.B. zur Täuschung des Rechtspflegeorgans ansetzt. Dies ist noch nicht der Fall, wenn eine falsche Aussage versprochen 3 4 oder verabredet 3 ^ wird, wenn der Zeuge zu einer falschen Aussage aufgefordert wird 3 ^ oder wenn ein Zeuge dem Angeld, eine falsche Erklärung vor der Hauptverhandlung aushändigt (BGH StV 1992 S. 146). Leider hält der BGH diese Abgrenzung nicht durch, wenn es nicht um eine Bestrafung wegen Strafvereitelung geht, sondern um prozessuale Konsequenzen aus rechtswidrigem Verteidigerhandeln. In diesem Zusammenhang wird bereits der Versuch der Strafvereitelung im Einwirken auf den Z e u g e n 3 7 und in der Benennung eines präparierten Zeugen (BGH StV 1987 S. 195) gesehen. Auffallend ist, daß der BGH in diesen Entscheidungen nicht von der konkreten Gefährdung des Rechtsguts vom Vorstellungsbild des Täters her argumentiert, sondern sich mit dem Hinweis begnügt, der Täter habe seinerseits alles Erforderliche getan, um den Erfolg herbeizuführen.

14 bb) Hält der Täter ein nicht strafbares Verhalten für eine rechtswidrige Vortat, so liegt nur ein Wahnverbrechen vor. 38 15 cc) Vollendet ist die Tat mit Eintritt des Vereitelungserfolges. 4. Vollstreckungsvereitelung,

§ 258 Abs. 2

16 a) Bestraft wird das Vereiteln der Vollstreckung einer rechtskräftig gegen einen anderen verhängten und mindestens zum Teil noch nicht vollstreckten Strafe oder Maßnahme. - Ob die rechtskräftige Verurteilung materiell zu Recht erfolgt ist, hat das Gericht nicht zu prüfen. Beispiele: Gefangenenbefreiung; Beiseiteschaffen von Vollstreckungsakten; Verbüßung der Freiheitsstrafe für einen anderen.

3 1

O L G F r a n k f u r t NSTZ 1981 S. 144 mit A n m . SEIERJUS 1981 S. 8 0 6 ff.

32

OLG Düsseldorf StV 1992 S. 57; OLG Karlsruhe StV 1991 S. 519.

3 3

Dazu BGH NJW

1 9 9 7 S . 2 0 5 9 m i t A n m . G E P P E R T J K 9 8 , S t G B § 2 5 8 / 1 0 , KLESCZEWSKI J Z 1 9 9 8 S .

313 ff, MARTIN JUS 1997 S. 1047 f, RUDOLPHI NStZ 1997 S. 599 ff; OLG Hamburg NStZ 1996 S. 102 m i t A n m . G E P P E R T J K 9 6 , S t G B § 2 5 8 / 9 , KLESCZEWSKI N S t Z 1 9 9 6 S . 1 0 3 f . 34

OLG Hamburg NJW 1981 S. 771 mit Anm. RUDOLPHI JR 1981 S. 160 ff.

35

BGHSt 31 S. 10 mit Anm. BEULKE NStZ 1982 S. 330 f; OLG Bremen JR 1981 S . 4 7 4 mit Anm. MÜLLER-DIETZ S. 475 ff; LENCKNER NStZ 1982 S. 401 ff; OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 84.

36

KG JR 1984 S. 250; OLG Frankfurt StV 1992 S. 360 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 258/8.

37

BGH NJW 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE NStZ 1983 S. 504 f.

38

Vgl. BayObLG NJW 1981 S. 772 mit Anm. STREE JR 1981 S. 297 ff.

480

Strafvereitelung u n d G e l d w ä s c h e

§96

Bei der Zahlung einer Geldstrafe durch einen anderen wird die Auffassung vertreten, es liege eine Vereitelung vor, gleichgültig, ob die Zahlung unmittelbar durch den Dritten erfolgt 3 9 oder der Dritte dem Verurteilten das Geld zur Zahlung schenkt. Dem kann nicht gefolgt werden. Voraussetzung der Beitreibung, d.h. der Vollstreckung einer Geldstrafe, ist, daß der Verurteilte die Strafe nicht zahlt oder nicht zahlen kann. Zahlt der Verurteilte fristgerecht, so fehlt es an der nötigen Voraussetzung einer zulässigen Vollstreckung. Erst wenn die Voraussetzungen für eine Beitreibung gegeben sind, liegt daher überhaupt eine Vollstrekkungssituation vor. Vollstreckungsvereitelung hinsichtlich einer Geldstrafe ist demgemäß die Ver- oder Behinderung des Beitreibens der Geldstrafe. Keineswegs ist es gerechtfertigt, Vollstreckung hier umfassender als Realisierung des gerichtlich verhängten Strafübels zu verstehen. 4 ^

b) Zum subjektiven Tatbestand vgl. Rdn. 12.

17

5. Strafvereitelung zu eigenen Gunsten, Abs. 5 a) Wer als Täter einen gegen ihn selbst gerichteten Strafanspruch vereitelt, erfüllt nicht 18 den Tatbestand der Abs. 1, 2: "... daß ein anderer...". b) Daß aber auch derjenige, der Dritte zur Vereitelung eines gegen ihn gerichteten Strafanspruchs anstiftet oder ihnen bei der Tat Beihilfe leistet, straffrei bleibt, stellt Abs. 5 klar. Allerdings lehnt der BGH die Anwendung des Abs. 5 ab, wenn Vortat und Vereitelungshandlung im Verhältnis von vorheriger Zusage eines falschen Alibis und der späteren Einlösung der Zusage stehen.41 Das ist nur zutreffend, wenn die Zusage des falschen Alibis nicht als Beihilfe bestraft werden kann, denn sonst stehen Zusage und Einlösung der Zusage sachlich im Verhältnis der vor- und mitbestraften Nachtat. c) Straffrei bleibt nur die Strafvereitelung als solche, nicht aber eine damit zusammenfallende Straftat, wie z.B. ein Betrug, eine Anstiftung zum Meineid o.ä. 6. Strafvereitelung zugunsten eines Angehörigen, Abs. 6 Straffrei bleibt auch die Strafvereitelung, die der Täter ausschließlich oder doch zugleich 19 zugunsten eines Angehörigen begeht, Abs. 6. Kenntnis der Angehörigeneigenschaft ist nicht erforderlich, es kommt allein auf die objektive Lage an. 42 II. Strafvereitelung im Amt, § 258 a 1. Die Vorschrift ist gegenüber §258 ein durch die besondere Tätereigenschaft quali- 20 fizierter Tatbestand. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die besondere Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 2. Täter kann nur ein Amtsträger sein, der zur Mitwirkung bei dem Straf- oder An- 21 ordnungsverfahren oder zur Mitwirkung bei der Vollstreckung der Strafe oder Maßnahme berufen ist. 3 9

S o z.B. O L G F r a n k f u r t S t V 1 9 9 0 S. 112 mit abl. A n m . NOACK S. 113 f, OTTO J K 9 0 , S t G B § 2 5 8 / 6 ; H I L L E N K A M P L a c k n e r - F S , S . 4 6 6 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 6 2 0 f f ; K Ü P P E R B . T . , II § 2 R d n . 1 4 ; M Ü L L E R -

DIETZ Jura 1979 S. 246; RUßLK, § 258 Rdn. 24 a. 40

Vgl. auch BGHSt 37 S. 226 mit zust. Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 258/7, KREY JZ 1991 S. 889 f, MÜLLER-CHRISTMANN JUS 1 9 9 2 S. 3 7 9 f f , u n d abl. A n m . HILLENKAMP J R 1 9 9 2 S. 7 4 ff, WODICKA

NStZ 1991 S. 487 f; ARZT in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 379; ENGELS Jura 1981 S.581. 41

BGH NStZ 1998 S. 246.

42

So auch BAUMANN/WEBER/MITSCH Strafrecht, A.T., 10. Aufl. 1995, § 24 Rdn. 6; Ruß LK, § 258 Rdn. 3 7 . - A . A . LACKNER/KÜHL § 2 5 8 R d n . 17; STREE J u S 1 9 7 6 S. 141; W A R D A J u r a 1 9 7 9 S. 2 9 2 .

481

§96

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Täter können z.B. sein: Richter; Staatsanwälte; Polizeibeamte; Geschäftsstellenbeamte der Gerichte; Bahnpolizeibeamte usw. Die Tathandlung wird oft in einem Unterlassen, z.B. Nichtweiterleiten einer Anzeige, Nichtbearbeitung einer Akte o.a. liegen. Bei privaten Kenntnissen des Amtsträgers von der Vortat besteht nur bei schweren, die Öffentlichkeit besonders berührenden Straftaten eine Pflicht zur weiteren Verfolgung der Angelegenheit. 4 3

22 3. Das Angehörigenprivileg, § 258 Abs. 6, gilt im Rahmen des § 258 a nicht, wohl aber das Selbstbegünstigungsprivileg des § 258 Abs. 5.

III. Sabotage gerichtlicher Entscheidungen 23 Sachlich in die Nähe der Strafvereitelung gehören die Fälle der Sabotage gerichtlicher Entscheidungen, die die Wirksamkeit gerichtlich angeordneter Maßnahmen gefährden. 1. Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht,

§ 145 a

24 Bestraft wird als echtes Sonderdelikt der Verstoß gegen Weisungen gemäß § 68 b Abs. 1, wenn sich aus dem Verstoß gegen die Weisung in Verbindung mit dem Gesamtverhalten des Verurteilten die Wahrscheinlichkeit ergibt, daß er sich nicht mehr zu einer die Strafgesetze respektierenden Lebensführung motivieren läßt. 44 - Die Tätereigenschaft kennzeichnet die Rechtsgutsbezogenheit der Tatsituation, nicht jedoch eine besondere Pflichtenposition. Sie ist daher kein persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. 2. Verstoß gegen das Berufsverbot, § 145 c 25 Bestraft wird jede Handlung, die sich als die untersagte Berufs- oder Gewerbeausübung darstellt. - § 145 c betrifft nur die Berufsverbote nach § 70 StGB und § 132 a StPO, die überdies hinreichend bestimmt sein müssen 45 - Für Verbote der Verwaltungsbehörden greifen die Vorschriften der GewO (§ 146 Abs. 1 Nr. 6 i. Verb, mit § 35 Abs. 1) ein. Der Irrtum über die Wirksamkeit des Berufsverbots ist Tatbestandsirrtum. 46

IV. Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte, §261 1. Geldwäsche und Organisierte

Kriminalität

26 Unter Geldwäsche ist die Einschleusung von Vermögensgegenständen aus Organisierter Kriminalität in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf zum Zweck der Tarnung zu verstehen. Der Wert soll erhalten, zugleich aber dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen werden. 47 4 3

S o z . B . B G H S t 5 S . 2 2 5 ; 12 S . 2 7 7 ; 3 8 S . 3 8 8 m i t A n m . BERGMANN S t V 1 9 9 3 S . 5 1 8 f f , LAUBENTHAL

JuS 1993 S. 907 ff, MITSCH NStZ 1993 S. 384 ff, RUDOLPHI JR 1995 S. 167 ff; BGH NStZ 1998 S. 194; OLG Karlsruhe NStZ 1988 S. 503 mit Anm. GEERDS JR 1989 S. 212; BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 194 f; OTTO JUS 1987 S. 761. - A.A. KRAUSE JZ 1984 S. 548 ff; WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 294: Keine Verfolgungspflicht. 44 45

Im einzelnen zum Tatbestand: GROTH NJW 1979 S. 743 ff. Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1995 S. 446 mit Anm. ST. CRAMER NStZ 1996 S. 136, STREE NStZ 1995 S. f.

447 46

BGH NJW 1989 S. 1939.

47

BT-Drucks. 12/989, S. 26.

482

Strafvereitelung und Geldwäsche

§96

Da das StGB nur unzulängliche Möglichkeiten hatte, die Geldwäsche zu bekämpfen 48 , 27 und in Umsetzung internationalen und europäischen Rechts4^ hat der Gesetzgeber den Tatbestand der Geldwäsche in das OrgKG v. 15. 7. 1992, BGBl I, S. 1302, aufgenommen und in das StGB eingefügt. Mit diesem Tatbestand und dem GeldwäscheG v. 25. 10. 1993, BGBl I, S. 1770, meinte der Gesetzgeber hinreichende rechtliche Grundlagen zur effektiven Bekämpfung der Geldwäsche geschaffen zu haben. - Der bisherige Erfolg ist allerdings eher dürftig. 50 2. Das geschützte Rechtsgut § 261 schützt die inländische Rechtspflege in ihrer Aufgabe, die Wirkung von Straftaten 28 zu beseitigen. Diesem für Abs. 1 anerkannten Schutzzweck wird für Abs. 2 der Schutz der durch die Vortat verletzten Interessen h i n z u g e f ü g t . 5 ' - Diese Ausweitung des Rechtsgüterschutzes gegenüber dem Abs. 1 ist weder notwendig noch sachgerecht. Sie macht den Abs. 2 vielmehr zu einem in Angriffs- und Schutzrichtung farblosen Delikt, dessen "Rechtsschutzverdoppelung" kriminalpolitisch überflüssig ist; vgl. zur identischen Problematik des § 257 unter § 57 Rdn. 1.

3. Der Verschleierungstatbestand, Abs. 1 a) Der Täter Nach der ursprünglichen Fassung des Gesetzes war klargestellt, daß der Vortäter nicht 29 Täter der Geldwäsche sein konnte. Im Wege der sog. Postpendenzfeststellung hatte der BGH allerdings bei Zweifeln an einer mittäterschaftlichen Beteiligung an der Vortat die Verurteilung wegen Geldwäsche ermöglicht. Damit wurde der Gesetzeswortlaut mißachtet, denn auch der Mittäter der Vortat ist Täter der Vortat. 52 Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4.5.1998 (BGBl. I, S. 845) hat der Gesetzgeber die Strafbarkeit wegen Geldwäsche auch auf den Vortäter erstreckt. Da die Tathandlungen des Abs. 1 im Hinblick auf den Vortäter typische Selbstbegünstigungshandlungen sind, die Interpretation des § 261 als straflose Nachtat nach einem Individualdelikt jedoch nicht sachgerecht sein kann, hat der Gesetzgeber in Anlehnung an die Konstruktion der straflosen Nachtat in Abs. 9 einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Beteiligte an der Vortat geschaffen. 5 3

b) Das Tatobjekt Tatobjekt sind Gegenstände, die aus bestimmten Straftaten herrühren. Der Begriff umfaßt 30 "Sachen und Rechte, also zum Beispiel bewegliche und unbewegliche Sachen, Edelmetalle und -steine, Grundstücke und Rechte an solchen, Geld (Bargeld, Buchgeld in inländischen und ausländischen Währungen, Wertpapiere und Forderungen". 54 48

Zu den unzulänglichen Möglichkeiten des früheren Rechts, Geldwäsche zu bekämpfen: ARZT NStZ 1990 S. 2; FORTHAUSER Geldwäscherei de lege lata et ferenda, 1992, S. 18 ff; LÖWE-KRAHL wistra 1 9 9 3 S. 123, O T T O J u r a 1 9 9 3 S. 3 2 9 f.

Zur Umsetzung internationalen und europäischen Rechts: CARL/KLOS Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und ihre Anwendung in der Praxis, 1994, S. 49 ff. 50 5 1

Überblick über die bisherigen Stellungnahmen zu § 261 bei MEYER/HETZER NJW 1998 S. 1018, Fn. 6. Vgl. BT-Drucks.

1 2 / 9 8 9 , S . 2 7 ; BURR G e l d w ä s c h e ,

1995, S. 2 6 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 1

Rdn.

1;

TRÖNDLE S t G B , § 2 6 1 R d n . 3 b. 5 2

V g l . B G H N S t Z 1 9 9 5 S . 5 0 0 m i t A n m . K Ö R N E R w i s t r a 1 9 9 5 S . 3 1 1 f, O T T O J K 9 6 , S t G B § 2 6 1 / 1 ;

53

Vgl. dazu auch MEYER/HETZER NJW 1998 S. 1020.

5 4

B T - D r u c k s . 12/989, S. 27.

BGH wistra 1998 S. 25. - BR-Drucks. 554/96, S. 1, 12 f.

483

§96

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

31

Diese Gegenstände müssen aus einer schweren in Abs. 1 S. 2 genannten rechtswidrigen Tat - Verbrechen (Nr. 1), Vergehen nach § 332 Abs. 1, § 334, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG oder § 29 Abs. 1 Nr. 1 des GrundstoffüberwachungsG (Nr. 2), Vergehen nach § 373 AO, und wenn der Täter gewerbsmäßig handelt, nach § 374 AO jeweils auch in Verb, mit § 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation (Nr. 3), Vergehen nach den §§ 180 b, 180 a, 242, 246, 253, 259, 263 - 264, 266, 267, 269, 284, 326 Abs. 1, 2 und 4 sowie § 328 Abs. 1, 2 und 4, nach § 92 a AusländerG und § 84 AsylverfG die gewerbsmäßig oder die von einem Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, begangen worden sind (Nr. 4), und Vergehen, die von einem Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangen wurden (Nr. 5), herrühren. - In den Fällen der Nr. 3 gilt Abs. 1 S. 1 auch für Gegenstände, hinsichtlich deren Abgaben hinterzogen worden sind. - Ergänzt wird der Katalog der Vortaten durch Abs. 8. Danach reichen im Ausland begangene Taten der in Abs. 1 bezeichneten Art als Anknüpfungstaten aus, wenn sie am Tatort mit Strafe bedroht sind. 32 Mit dem Begriff des Herrührens wollte der Gesetzgeber sicherstellen, daß auch eine Kette von Verwertungshandlungen erfaßt wird, bei welcher der ursprüngliche Gegenstand unter Beibehaltung seines Wertes durch einen anderen ersetzt wird. Er war sich der relativen Umbestimmtheit des Begriffs bewußt, denn er betont, daß bei der Auslegung des Begriffs zu beachten sei, daß einerseits ein Interesse besteht, den Zugriff nicht schon nach einem Waschvorgang zu verlieren, andererseits der Rückgriff aber dort seine Grenze finden müsse, wo der Wert des in Betracht kommenden Gegenstandes durch Weiterverarbeitung im wesentlichen auf eine selbständige spätere Leistung Dritter zurückzuführen ist. 55 Danach rührt ein Gegenstand aus einer Katalogtat her, wenn - entsprechend der Bestimmung des Vorteils im Sinne des § 257; dazu vgl. § 57 Rdn. 10 f - zwischen ihm und der Vortat ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. 56 c) Die Tathandlungen 33 Die Tathandlungen umschreiben Verhaltensweisen, die den Zugriff der Strafverfolgungsorgane auf Gegenstände aus den genannten Vortaten verhindern oder erschweren. Tathandlungen sind das Verbergen der Gegenstände, d.h. das Verheimlichen vor dem Zugriff, das Verschleiern der Herkunft, d.h. das irreführende Verhalten, mit dem die wirklichen wirtschaftlichen Verhaltensweisen verdeckt werden sollen, sowie das Vereiteln oder Gefährden der Ermittlung der Herkunft, der Auffindung, des Verfalls, der Einziehung (§§ 73 ffStGB) oder der Sicherstellung (§§ 111 b ff StPO) der Gegenstände. - Das Vereiteln ist Erfolgsdelikt, das Gefährden konkretes Gefährdungsdelikt. 4. Der Erwerbs-, Besitz- und Verwendungstatbestand,

Abs. 2

a) Täter und Tatobjekt 34 Durch die Verweisung auf "einen in Abs. 1 bezeichneten Gegenstand" ist klargestellt, daß das Tatobjekt aus einer der dort genannten rechtswidrigen Taten eines anderen herrühren

55

BT-Drucks. 12/989, S. 27; im einzelnen vgl. ARZT JZ 1993 S. 913 ff; BARTON NStZ 1993 S. 163; BOTTKE wistra 1995 S. 90 f; LAMPE JZ 1994 S. 127; LEIP Der Straftatbestand der Geldwäsche, 1995, S. 66 ff, 92 ff; OTTO Jura 1993 S. 331.

56

Vgl. dazu auch BURR Geldwäsche, S. 66 ff; FLATTEN Zur Strafbarkeit von Bankangestellten bei der Geldwäsche, 1996, S. 76 f; LEIP/HARDTKE wistra 1997 S. 282 ff; Otto Jura 1993 S. 331. - Anders BARTON NStZ 1993 S. 161 ff. Er begrenzt den Kreis der relevanten Gegenstände unter Adäquanzgesichtspunkten.

484

Strafvereitelung und Geldwäsche

§96

muß. Der Vortäter ist daher auch als Täter des Abs. 2 ausgeschlossen, im übrigen gelten die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 29 ff. b) Die Tathandlungen Tathandlung der Nr. 1 ist, daß der Täter den bezeichneten Gegenstand sich oder einem 35 anderen verschafft. Das Gesetz knüpft damit bewußt an die entsprechende Formulierung des § 259, doch nicht an den Strafgrund des § 259 an. Während es dort um die Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage im Einverständnis mit dem Vortäter geht, kommt es hier allein auf die Perpetuierung einer bestimmten Vermögenslage an. Ein Handeln im Einverständnis mit dem Vortäter oder in dessen Interesse ist daher nicht erforderlich. Demgemäß verschafft der Täter sich oder einem Dritten die Sache, indem er für sich oder den Dritten die tatsächliche, selbständige Verfügungsgewalt begründet. 57 Durch Nr. 2 sollen neben dem Verwahren des Gegenstandes vor allem die vielfältigen 36 Geldgeschäfte erfaßt werden. Verwenden ist daher jede wirtschaftliche Nutzung des Gegenstandes, insbesondere Verfügungen über den Gegenstand als eigenen oder zu eigenen Zwecken. 58 Objektiv eingeschränkt wird der Bereich der Strafbarkeit des Abs. 2 durch Abs. 6: Die 37 Tat ist nicht strafbar, wenn zuvor ein Dritter den Gegenstand erlangt hat, ohne hierdurch eine Straftat zu begehen. - Subjektiv eingeschränkt wird der Tatbestand durch die Klausel der Nr. 2: Der Tatbestand setzt voraus, daß der Täter die illegale Herkunft des Gegenstandes zu dem Zeitpunkt gekannt hat, zu dem er ihn erlangt hat; spätere Kenntnis ist unschädlich. 5. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter Vorsatz genügt. - Der Täter muß 38 die Vortat nicht in ihren konkreten Einzelheiten kennen, es genügt, daß er weiß, daß der Gegenstand aus einer der in Abs. 1, 8 genannten Taten herrührt. 6. Der Versuch Der Versuch ist strafbar, Abs. 3.

39

7. Strafschärfung in besonders schweren Fällen, Abs. 4 Als Regelbeispiele besonders schwerer Fälle nennt das Gesetz gewerbsmäßiges - dazu 40 § 41 Rdn. 21 - Handeln und das Handeln als Mitglied einer Bande - dazu § 41 Rdn. 63. 8. Ausdehnung der Strafbarkeit auf leichtfertiges Handeln, Abs. 5 Abs. 5 dehnt die Strafbarkeit aus auf den Fall, daß der Täter die Herkunft des Tatge- 41 genstandes aus den in Abs. 1 genannten rechtswidrigen Taten leichtfertig verkennt, im übrigen aber vorsätzlich handelt. - Leichtfertiges Verhalten ist eine gravierende Form bewußter oder unbewußter Fahrlässigkeit, die der "groben Fahrlässigkeit" des Zivilrechts

57

Die h.M. interpretiert den Begriff des Verschaffens i.S. des § 259; vgl. BT-Drucks. 12/989, S. 27; BURR Geldwäsche, S. 82; FLATTEN Strafbarkeit, S. 80 f; LACKNER/KÜHL § 261 Rdn. 8; TRÖNDLE StGB, § 261 Rdn. 14. - Für den von BARTON StV 1993 S. 163, vorgeschlagenen Tatbestandsausschluß bei der Entgegennahme von Geld bei üblicher Geschäftstätigkeit und in ähnlicher Situation gibt der Gesetzeswortlaut keine Anhaltspunkte.

58

Enger: MÖHRENSCHLAGER wistra 1992 S. 287.

485

§97

Dritter Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

entspricht. 59 Die Herkunft des Gegenstandes aus einer Katalogtat muß sich dem Täter geradezu aufdrängen und er dennoch handeln, weil er dies aus grober Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit außer Acht läßt. 60 9. Strafaufhebung

und Strafmilderung,

Abs. 9, 10

42 a) Die Vergünstigung der persönlichen Strafaufhebung, Abs. 9, und der persönlichen Strafmilderung, Abs. 10, entsprechend § 31 Nr. 1 BtMG, sollen Anreize zur Aufklärung strafbarer Geldwäsche, der Vortat und zur Sicherstellung des gewaschenen Gegenstandes geben. Die Vergünstigung des Abs. 9 kommt nicht nur dem Anzeigenerstatter (z.B. dem Geschäftsleiter eines Kreditinstituts), sondern auch dem Veranlasser (z.B. einem Angestellten der Bank, der den Geschäftsleiter zur Anzeige veranlaßt) zugute. Voraussetzung ist aber, daß die Anzeige freiwillig erstattet wird und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem die Tat weder ganz oder z.T. entdeckt ist oder aber, wenn die Entdeckung erfolgt ist, der Täter dieses nicht wußte und bei verständiger Würdigung der Sachlage nicht damit rechnen mußte. 43 Ein Vorsatztäter nach Abs. 1 oder Abs. 2 erlangt die Vergünstigung nach Abs. 9 nur, wenn er die Anzeige im Sinne des Abs. 9 erstattet oder veranlaßt hat und durch die freiwillig erstattete oder veranlaßte Anzeige die Sicherstellung des "bemakelten" Gegenstandes herbeigeführt hat. Bei leichtfertigem Verhalten nach Abs. 5 genügt zur Erlangung der Vergünstigung die freiwillig erstattete oder veranlaßte Anzeige im Sinne des Abs. 9 Nr. 1; vgl. dazu Abs. 9 Nr. 2, der sich nur auf Abs. 1, 2, nicht aber auf Abs. 5 bezieht. 44 b) Für Personen, die wegen Beteiligung an der Vortat strafbar sind, enthält Abs. 9 einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der konstruktiv der straflosen Nachtat nachgebildet wurde.

§ 97: Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick 1

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Aussagedelikte ist die staatliche Rechtspflege, und zwar im Sinne des Schutzes des Vertrauens in die Funktion der Rechtspflegeorgane, Tatsachen zu ermitteln. Ein wenig geht der Schutz durch die Aussagedelikte über diesen Rahmen hinaus, da §§ 153, 154, insbes. aber § 156, auch falsche uneidliche und eidliche Aussagen bzw. falsche eidesstattliche Versicherungen vor bestimmten Verwaltungsbehörden und anderen staatlichen Stellen, z.B. parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, erfassen. Die staatliche Rechtspflege ist jedoch der wesentliche Anwendungsbereich der §§ 153 ff, und die darüber hinaus geschützte staatliche Tätigkeit steht der Rechtspflege sachlich nahe. Das rechtfertigt es, das geschützte Rechtsgut kurz als die staatliche Rechtspflege zu kennzeichnen. 6 '

2. Die 2

Deliktsnatur

Die Rechtspflege als Institution und das Vertrauen in die Funktionsweise der Rechtspflege

5 9

D a z u e i n g e h e n d e r G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 1 0 R d n . 9 0 f .

60

Vgl. BGHSt 43 S. 158, 168 mit Anm. OTTO J K 98, StGB § 261/2; dazu auch KREB wistra 1998 S. 127.

61

A.A. VORMBAUM Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 139 ff, 178 ff; DERS. NK, Vor § 153 Rdn. 11 ff: Verfahrensziel der jeweils betroffenen Verfahren.

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§97

Dritter Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

entspricht. 59 Die Herkunft des Gegenstandes aus einer Katalogtat muß sich dem Täter geradezu aufdrängen und er dennoch handeln, weil er dies aus grober Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit außer Acht läßt. 60 9. Strafaufhebung

und Strafmilderung,

Abs. 9, 10

42 a) Die Vergünstigung der persönlichen Strafaufhebung, Abs. 9, und der persönlichen Strafmilderung, Abs. 10, entsprechend § 31 Nr. 1 BtMG, sollen Anreize zur Aufklärung strafbarer Geldwäsche, der Vortat und zur Sicherstellung des gewaschenen Gegenstandes geben. Die Vergünstigung des Abs. 9 kommt nicht nur dem Anzeigenerstatter (z.B. dem Geschäftsleiter eines Kreditinstituts), sondern auch dem Veranlasser (z.B. einem Angestellten der Bank, der den Geschäftsleiter zur Anzeige veranlaßt) zugute. Voraussetzung ist aber, daß die Anzeige freiwillig erstattet wird und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem die Tat weder ganz oder z.T. entdeckt ist oder aber, wenn die Entdeckung erfolgt ist, der Täter dieses nicht wußte und bei verständiger Würdigung der Sachlage nicht damit rechnen mußte. 43 Ein Vorsatztäter nach Abs. 1 oder Abs. 2 erlangt die Vergünstigung nach Abs. 9 nur, wenn er die Anzeige im Sinne des Abs. 9 erstattet oder veranlaßt hat und durch die freiwillig erstattete oder veranlaßte Anzeige die Sicherstellung des "bemakelten" Gegenstandes herbeigeführt hat. Bei leichtfertigem Verhalten nach Abs. 5 genügt zur Erlangung der Vergünstigung die freiwillig erstattete oder veranlaßte Anzeige im Sinne des Abs. 9 Nr. 1; vgl. dazu Abs. 9 Nr. 2, der sich nur auf Abs. 1, 2, nicht aber auf Abs. 5 bezieht. 44 b) Für Personen, die wegen Beteiligung an der Vortat strafbar sind, enthält Abs. 9 einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der konstruktiv der straflosen Nachtat nachgebildet wurde.

§ 97: Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick 1

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Aussagedelikte ist die staatliche Rechtspflege, und zwar im Sinne des Schutzes des Vertrauens in die Funktion der Rechtspflegeorgane, Tatsachen zu ermitteln. Ein wenig geht der Schutz durch die Aussagedelikte über diesen Rahmen hinaus, da §§ 153, 154, insbes. aber § 156, auch falsche uneidliche und eidliche Aussagen bzw. falsche eidesstattliche Versicherungen vor bestimmten Verwaltungsbehörden und anderen staatlichen Stellen, z.B. parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, erfassen. Die staatliche Rechtspflege ist jedoch der wesentliche Anwendungsbereich der §§ 153 ff, und die darüber hinaus geschützte staatliche Tätigkeit steht der Rechtspflege sachlich nahe. Das rechtfertigt es, das geschützte Rechtsgut kurz als die staatliche Rechtspflege zu kennzeichnen. 6 '

2. Die 2

Deliktsnatur

Die Rechtspflege als Institution und das Vertrauen in die Funktionsweise der Rechtspflege

5 9

D a z u e i n g e h e n d e r G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 1 0 R d n . 9 0 f .

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Vgl. BGHSt 43 S. 158, 168 mit Anm. OTTO J K 98, StGB § 261/2; dazu auch KREB wistra 1998 S. 127.

61

A.A. VORMBAUM Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 139 ff, 178 ff; DERS. NK, Vor § 153 Rdn. 11 ff: Verfahrensziel der jeweils betroffenen Verfahren.

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Aussagedelikte

§97

werden nicht erst dann beeinträchtigt, wenn aufgrund falscher Aussagen oder eidesstaatlicher Versicherungen gegen einen Verfahrensbeteiligten eine sachlich unrichtige Entscheidung ergangen oder die konkrete Gefahr einer derartigen Entscheidung begründet worden ist. Schon die Tatsache, daß falsche Aussagen Grundlagen des gerichtlichen Entscheidungsprozesses werden können, untergräbt das Vertrauen in die sachgemäße richterliche Tatsachenfeststellung. Die Aussagedelikte sind demgemäß abstrakte Gefährdungsdelikte. 3. Die Gesetzessystematik a) Aussagedelikte sind die falsche uneidliche Aussage, § 153, der Meineid und der fahrlässige Falscheid, §§ 154, 155, 163, sowie die vorsätzliche und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt, §§ 156, 163. b) Die Teilnahme- und Täterschaftsregelungen des Allgemeinen Teils ergänzende Bestimmungen enthalten §§ 159, 160. c) Möglichkeiten der Strafmilderung und des Absehens von Strafe bieten die Vorschriften der §§ 157, 158.

3

II. Das relevante Angriffsverhalten 1. Die falsche Aussage oder Versicherung an Eides Statt Geschützt wird durch die §§ 153 ff die staatliche Rechtspflege in ihrer Funktionsweise nicht schlechthin, sondern nur gegen falsche Aussagen oder falsche eidesstattliche Versicherungen.

4

a) Die inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch aa) Nach der herrschenden objektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie inhaltlich nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Gegenstand der Aussage können äussere und innere Tatsachen sein. 62

5

Fall 1: A sagt als Zeuge vor Gericht aus, B sei am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft des G gewesen. A hat eine Aussage über eine äußere Tatsache, d.h. über einen außerhalb seiner selbst liegenden Sachverhalt gemacht. Diese Aussage ist richtig, wenn B in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst dann, wenn A glaubt, B sei in Wirklichkeit nicht dort anwesend gewesen. Die Aussage ist falsch, wenn B am Abend des 1.3. nicht in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst dann, wenn A glaubt, B sei dort anwesend gewesen. Fall 2: A sagt als Zeuge vor Gericht aus, er erinnere sich, den B am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft des G gesehen zu haben. In diesem Fall hat A eine Aussage über eine innere Tatsache (das sind Wahrnehmungen, Empfindungen, Wissen, Überzeugungen o.ä.) gemacht. Diese Aussage ist richtig, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat, gleichgültig, ob B am 1.3. wirklich in der Gastwirtschaft war.

6 2

V g l . B G H S t 7 S . 1 4 8 ; H R U S C H K A / K Ä S S E R J U S 1 9 7 2 S . 7 1 0 ; K R E Y B . T . / 1 , R d n . 5 5 2 ; KÜPER B . T . , S . 2 8 f f ; K Ü P P E R B . T . , II § 2 R d n . 4 f f ; L A C K N E R / K Ü H L V o r § 1 5 3 R d n . 3 ;

MAURACH/SCHROEDER/

M A I W A L D B . T . 2 , § 7 4 R d n . 1 3 f f ; RENGIER B . T . II, § 4 9 R d n . 8 ; S C H / S C H / L E N C K N E R V o r b e m . § § 1 5 3 ff R d n . 6; WEBER in: A r z t / W e b e r , L H 5, R d n . 2 6 9 f f ; WELZEL L b . , § 7 7 I 1 a; WESSELS B . T - 1 , R d n .

723 ff; WOLF JUS 1991 S. 179 ff. - Modifizierend PAULUS Küchenhoff-GedS, 1987, S. 435 ff.

487

§97

Dritter Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

Die Aussage ist falsch, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild nicht zutreffend wiedergegeben hat, und zwar unabhängig davon, ob B am 1.3. wirklich in der Gaststätte war.

6

bb) Nach der subjektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie inhaltlich nicht dem aktuellen Vorstellungsbild und Wissen des Aussagenden entspricht.63 Konsequenzen im Fall 1: Die Aussage des A ist richtig, wenn A der Überzeugung ist, B sei am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob B wirklich anwesend war. Die Aussage ist falsch, wenn A in Wirklichkeit der Überzeugung ist, B sei nicht in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob B anwesend war oder nicht. Bei der Bekundung äußerer Tatsachen kommen objektive und subjektive Theorie im Falle der Diskrepanz zwischen wirklichem Geschehen und der Vorstellung des Aussagenden von diesem Geschehen zu genau entgegengesetzten Ergebnissen. - Bei der Bekundung innerer Tatsachen hingegen besteht dieser Gegensatz nicht. Werden Wahrnehmungen, Empfindung o.ä. unrichtig wiedergegeben, d.h. entgegen der wirklichen Wahrnehmung, Empfindung usw., so ist die Aussage nach beiden Theorien falsch, denn die Aussage bezieht sich nicht auf das Objekt der Wahrnehmung, Empfindungen o.a., sondern auf diese selbst. Konsequenzen im Fall 2: Genau wie nach der Beurteilung durch die objektive Theorie ist die Aussage richtig, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat; die Aussage ist falsch, wenn dies nicht der Fall ist. - Unerheblich ist es, ob B am 1.3. wirklich in der Gaststätte war oder nicht.

7

cc) Nach der Pflichttheorie ist die Aussage falsch, mit der der Aussagende seine prozeßrechtliche Wahrheitspflicht verletzt. Dann und nur dann sagt der Aussagende falsch aus, wenn seine Aussage nicht das Wissen wiedergibt, das der Aussagende bei prozeßordnungsgemäßem Verhalten, d.h. bei kritischer Prüfung seines Erinnerungs- bzw. Wahrnehmungsvermögens, reproduzieren könnte. 64 Konsequenzen für Fall 1 und Fall 2: Falsch ist die Aussage, wenn A bei situationsangemessenem Einsatz seiner Verstandeskräfte eine inhaltlich andere Aussage gemacht hätte, weil sein reproduzierbares Erinnerungsbild nicht seiner Aussage entsprach. Richtig ist die Aussage, wenn die Aussage des A nach kritischer Überprüfung und Wahrnehmung der ihm eigenen Verstandeskräfte das ihm erreichbare Wissen, d.h. das Erinnerungsbild wiedergegeben hat, dessen Wiedergabe ihm möglich war. - Ob B am Abend des 1.3. wirklich in der Gastwirtschaft war, ist für die Beurteilung der Aussage nur mittelbar von Bedeutung.

8

b) Stellungnahme Auf den ersten Blick erscheint die Richtigkeit der objektiven Theorie evident: eine die Wirklichkeit zutreffend wiedergebende Aussage ist offenbar ungeeignet, die Rechtspflege zu gefährden. Der wirksame Schutz des Rechtsguts scheint daher für die objektive Theorie zu sprechen und dieser kriminalpolitschen Vorrang zu gewähren. Darüber hinaus wird als systematisches Argument geltend gemacht, allein die objektive Theorie ermögliche eine sachgerechte Anwendung der §§ 160, 163. Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten zeigt jedoch, daß die objektive Theorie sowohl von ihren logischen Voraussetzungen als auch unter rechts-

6 3

D a z u BINDING B . T . II 1, S. 134; GALLAS G A 1 9 5 7 S. 3 1 5 f f ; NIETHAMMER D S t r R 1 9 4 0 S. 161 f f ; SCHAFFSTEIN J W 1 9 3 8 S. 145 f f .

64

Eingehender entwickelt wurde die Theorie von SCHMIDHÄUSER OLG Celle-FS, S. 207 ff; im übrigen v g l . OTTO J u S 1 9 8 4 S . 162; SCHMIDHÄUSER B . T . , 2 3 / 1 0 ; TRÖNDLE S t G B , V o r § 153 R d n . 7. - I n d e r

Sache weitgehend übereinstimmend: die modifizierte objektive Theorie von RUDOLPHI SK II, Vor § 153 Rdn. 40 ff; VORMBAUM NK, § 153 Rdn. 80 ff; sowie die modifizierte subjektive Theorie von WILLMS LK, 10. Aufl., Vor § 153 Rdn. 9 ff. - Sachlich nahe kommt der Theorie ARTHUR KAUFMANN Baumann-FS, S. 119 ff, 129 - in Auseinandersetzung mit der philosophischen Wahrheitstheorie, während HILGENDORF - GA 1993 S. 547 ff, 558 f - an dem Versuch, aus dem philosophischen Grundlagenstreit um den Wahrheitsbegriff Erkenntnisse für die Aussagetheorie abzuleiten, Kritik übt.

488

Aussagedelikte

§97

dogmatischen, kriminalpolitischen und gesetzessystematischen Aspekten durchgreifenden Einwänden ausgesetzt ist: aa) Jede Aussage - dieses Argument hat bereits BINDING geltend gemacht - kann stets nur 9 eine "Tatsache des Innenlebens", ein von menschlicher Unvollkommenheit im räumlichen Erfassen und Bewahren beeinflußtes Vorstellungsbild wiedergeben, weil derjenige, der aussagt und schwört, immer nur das Bild des äußeren Vorgangs offenbaren kann, das er in seinem Inneren vorfindet. 65 Die Differenzierung zwischen Aussagen über äußere und über innere Tatsachen beruht 10 demnach auf einer sachwidrigen Fiktion. Die Vorstellung, daß eine Aussage über eine äußere Tatsache zur Aussage über eine innere Tatsache wird, nur weil der Aussagende erklärt, wie er zu der konkreten Aussage kommt, ist offensichtlich falsch, denn die Aussage selbst kann durch eine derartige Erklärung in ihrem Wesen nicht verändert werden. Gleichgültig, ob eine entsprechende Erklärung abgegeben wird oder nicht: der Aussagende kann ausnahmslos nur wiedergeben, was zu leisten ihm seine Sinnes- und Geisteskräfte gestatten. Dies aber kann stets nur die Wiedergabe dessen sein, was er wahrgenommen hat, für richtig hält, zu wissen glaubt usw., d.h. eine innere Tatsache, mag diese selbst wiederum auf eine äußere oder innere Tatsache bezogen sein. Stets gibt der Zeuge ein subjektives Bild wieder, er kann gar keine objektiv gültigen, von ihm als Subjekt unabhängigen Feststellungen treffen, mag er dies nun ausdrücklich erwähnen oder nicht, bb) Nun ließe sich die tatsächliche Unmöglichkeit einer über die menschliche Lei- JJ stungsfähigkeit hinausgehenden Bekundung im rechtlichen Bereich mit einer Fiktion überbrücken, wenn so der angestrebte Rechtsgüterschutz besser realisiert werden könnte. Die insoweit möglich Fiktion erweist sich jedoch rechtsdogmatisch als sachwidrig, 12 denn sie mißachtet die prozessuale Rollenverteilung in den hier relevanten Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverfahren: Der Richter (oder die sonstigen Vernehmungspersonen), nicht aber der Zeuge hat die Aufgabe, den wirklich geschehenen Sachverhalt aufzudecken und darzulegen. Der Zeuge ist insofern nur ein Mittel der Aufklärung unter anderen, denn der Richter bildet seine Überzeugung aufgrund einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Beweise. Die Grundlage dieser Wertung wird aber verfälscht, wenn der Aussagende sich gar nicht nach Kräften bemüht, sein eigenes Vorstellungsbild wiederzugeben oder sogar bewußt einen Sachverhalt schildert, von dem er zwar meint, daß er dem wirklichen Geschehen entspreche, der aber seine eigenen Wahrnehmungen nicht enthält. Der richterlichen Überzeugungsbildung, auf der die Funktionsweise der Rechtspflege 13 wesentlich beruht, ist daher nur dann wirklich gedient, wenn der Aussagende nach kritischer Prüfung seines Erinnerungsvermögens sein Vorstellungsbild oder Wissen zu dem Beweisthema mit allen Zweifeln und ihm ernst erscheinenden Vorbehalten wiedergibt. Unwesentlich ist es demgegenüber, ob die Aussage damit dem wirklichen Geschehen entspricht (obj. Theorie) oder ob der Aussagende der Meinung ist, so wie er den Sachverhalt schildere, habe sich dieser wirklich zugetragen (subj. Theorie). Er genügt seiner prozessualen Wahrheitspflicht allein, wenn er das beste ihm erreichbare Erinnerungs- oder Wissensbild wiedergibt. Die Würdigung dieser Aussage ist dann nicht mehr seine Aufgabe, sondern die des Gerichts. 66

6 5

V g l . BINDING B . T . II 1, S . 1 3 4 ; NIETHAMMER D S t r R 1 9 4 0 S . 1 7 1 ; WILLMS L K , 10. A u f l . , V o r § 1 5 3 R d n . 9.

6 6

D a z u v g l . O T T O JUS 1 9 8 4 S . 1 6 2 f ; SCHMIDHÄUSER O L G C e l l e - F S , S . 2 0 7 f f ; VORMBAUM N K , § 1 5 3 R d n . 7 4 ; W I L L M S L K , 10. A u f l . , V o r § 1 5 3 R d n . 9 f f .

489

§97

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

14 cc) Auch kriminalpolitisch führen objektive und subjektive Theorie zu nicht akzeptablen Konsequenzen, denn nach diesen Theorien ist es durchaus straflos möglich, beliebige Aussagen über angebliche äußere Tatsachen zu machen sowie andere zu solchen Aussagen aufzufordern und anzuwerben, soweit man nur von der inhaltlichen Richtigkeit der Aussage überzeugt ist. Eine sich in der Bekundung einer äußeren Tatsache erschöpfende Aussage ist aber wertlos. Daher wird ein Richter, der seine Aufgabe ernst nimmt, stets aufklären, wie der Aussagende zu seinem Wissen gelangt ist. Nimmt der Richter seine Funktion in der Rechtspflege ordnungsgemäß wahr, so darf er sich niemals mit einer schlicht eine äußere Tatsache bekundenden Aussage abfinden. Daher ist der Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Theorie nur solange relevant, als sich Lehre und Rechtsprechung mit sachwidrig herbeigeführten Prozeßergebnissen begnügen. Aber auch allein die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit eines Sachverhalts rechtfertigt nicht eine entsprechende Aussage. Die Feststellung, wie das Geschehen sich wirklich ereignete, ist Aufgabe richterlicher Würdigung der Beweise. Der Aussagende hingegen soll nicht mitteilen, was er für richtig hält, sondern das ihm mögliche beste subjektive Erinnerungs- bzw. Wissensbild wiedergeben.

15 dd) Systematisch schließlich ist - unabhängig von Einzelheiten zu den §§ 163, 160; dazu Rdn. 67 f, 85 f - anzumerken, daß überhaupt nur die subjektive Theorie, wenn auch in sehr eng gestecktem Rahmen, und die Pflichttheorie die fahrlässige Falschaussage begründen können. Die Frage nach der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens kann nämlich stets nur dahin gehen, ob es dem Täter bei entsprechender Anstrengung seiner Geistesgaben möglich gewesen wäre, eine inhaltlich andere Aussage als die abgegebene zu machen. Der mögliche Bezugspunkt kann daher stets nur die erreichbare Aussage sein, nicht aber unmittelbar das wirkliche Geschehen. 2. Die Wahrheitspflicht des Aussagenden a) Der Vernehmungsgegenstand 16 Der strafrechtlich relevante Inhalt einer Aussage wird stets durch die prozessuale Wahrheitspflicht des Aussagenden begrenzt. Dieser Wahrheitspflicht unterliegen alle Angaben, die Gegenstand der Vernehmung sind: 17 aa) Im Zivilprozeß wird der Gegenstand der Vernehmung zunächst durch den Beweisbeschluß förmlich bezeichnet (§§ 358, 359 ZPO). Die dort gestellten Beweisfragen bestimmen den Umfang der Zeugnispflicht. 18 bb) Im Strafprozeß ist Gegenstand der Vernehmung allgemein der "Gegenstand der Untersuchung", der dem Zeugen vor seiner Vernehmung mitzuteilen ist, § 69 Abs. 1 StPO. Die Aussagepflicht - und damit die Wahrheitspflicht - umfaßt hier alle Tatsachen, die mit der Tat i.S. des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können. 19 cc) Im Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ist Aussagegegenstand der Gegenstand des Untersuchungsauftrags. 67 20 dd) Im Zivil- und Strafprozeß kann der Vernehmungsgegenstand und damit die Aussageund Wahrheitspflicht durch Fragen des Gerichts und anderer Verfahrensbeteiligter erweitert werden. 68 Auf die Erheblichkeit der Aussage für das betreffende Verfahren kommt es nicht an, doch gehören völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die mit dem Verfahren offensichtlich nichts zu tun haben - Antwort auf die

67

Vgl. O L G Koblenz StV 1988 S. 531. - Zur Rechtsstellung der Aussageperson vor dem Unters u c h u n g s a u s s c h u ß : O L G K ö l n N J W 1988 S. 2 4 8 5 ; KOHLMANN J A 1 9 8 4 S. 6 7 0 f f .

68

490

B G H NStZ 1982 S. 464.

Aussagedelikte

§97

Frage des Vorsitzenden an den Zeugen, ob ihm die Wartezeit lang geworden sei - nicht zum Gegenstand der Vernehmung.

Auch durch unzulässige Fragen können Beweisthema und Wahrheitspflicht eines Zeugen 21 erweitert werden, wenn die Fragen nicht vom Gericht zurückgewiesen werden.169 Allerdings will der BGH die Wahrheitspflicht auf die enge, wörtliche Beantwortung der Frage begrenzen und vervollständigende Angaben von der Wahrheitspflicht ausschließen. Spontane Äußerungen des Aussagenden, die den Vernehmungsgegenstand überschreiten, fallen nach h.M. nur dann unter die Wahrheitspflicht, wenn sie auf nachträgliche Erweiterung des Beweisthemas durch den vernehmenden Richter hin bestätigt werden. 71 ee) Die oben unter Rdn. 17 und Rdn. 20 beschriebene Begrenzung des Vernehmungs- 22 gegenständes im Zivilprozeß erscheint jedoch nicht sachgerecht. Es ist nicht einzusehen, warum im Zivilprozeß neben den Aussagen zu dem durch den Beweisbeschluß und etwaige Fragen der Verfahrensbeteiligten bezeichneten Beweisthema nicht auch jene Äußerungen den Gegenstand der Aussage bilden sollten, die mit dem Beweisthema in so engem Zusammenhang stehen, daß sie für das Verfahren erheblich sein könnten. Damit wird nicht an versteckter Stelle der überwundene Gegensatz zwischen erheblichen und unerheblichen Aussagen wieder für die Aussagedelikte aktualisiert. Da es nämlich auf die bloße Möglichkeit der Erheblichkeit für das Verfahren ankommt, wird lediglich eine schon oben getroffene Feststellung bestätigt: Völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die offensichtlich mit der Sache, um die es geht, mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen o.a. nichts zu tun haben, die gleichsam nur Äußerungen bei Gelegenheit der Vernehmung sind, gehören nicht zum Gegenstand der Vernehmung. Sie begründen keine Falschaussage i.S. der Aussagedelikte. Der Glaube des Täters, sich durch derartige Äußerungen strafbar zu machen, ersetzt die Strafbarkeit des Verhaltens nicht, sondern stellt lediglich ein strafloses Wahndelikt dar. - In diesem Rahmen ist die Straflosigkeit sachlich auch angemessen, da eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeschlossen ist.

b) Das Verschweigen prozeßerheblichen Wissens Unbefragt muß der Aussagende bei der Mitteilung seines Wissens alle Tatsachen angeben, 23 die unmittelbar das Beweisthema betreffen oder in so engem Zusammenhang mit ihm stehen, daß sie für das Verfahren erheblich sein könnten. Schweigt der Aussagende insoweit pflichtwidrig, so wird seine Aussage falsch. - Nicht erfaßt wird jedoch das Schweigen zu nichtgenannten, wenn auch prozeßerheblichen Themen. Der Zeuge, der die Beweisfrage wörtlich und auch dem Sinne nach wahrheitsgemäß beantwortet, jedoch verfahrenserhebliches Wissen zu einem nicht gefragten Thema verschweigt, macht keine falsche Aussage. BGHSt 3 S. 221: Die A wurde im Unterhaltsprozeß ihres nichtehelichen Kindes darüber vernommen, ob sie in der gesetzlichen Empfängniszeit mit B und/oder C geschlechtlich verkehrt habe. Dies verneinte sie, verschwieg aber, daß sie in dieser Zeit mit D verkehrt hatte. Ergebnis: Keine falsche Aussage. - Zwar war die Tatsache des Geschlechtsverkehrs mit D auch für den Prozeß erheblich, die Beweisfrage betraf aber nur den Verkehr mit B und C. Diese Frage hatte A jedoch zutreffend beantwortet.

Zur ungefragten Äußerung von Vermutungen ist der Aussagende nicht verpflichtet. 72 69

Vgl. B G H bei Holtz, M D R

1991 S. 1021 mit Anm. OTTO JK 92, StGB Vor §§

24

153 ff/2;

SCH/SCH/LENCKNER V o r § 1 5 3 R d n . 15; WILLMS L K , 10. A u f l . , V o r § 1 5 3 R d n . 2 2 . A . A . LACKNER/KÜHL § 1 5 4 R d n . 6 ; RUDOLPHI S K II, V o r § 1 5 3 R d n . 2 3 . 70 71

Vgl. BGHSt 2 S. 90; BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 1021; BRUNS GA 1960 S. 172 f, 179 f. Vgl. dazu BGHSt 25 S. 244; B G H NStZ 1982 S. 464; KG JR 1978 S. 78 mit Anm. WILLMS S. 78 ff; DEMUTH N J W 1 9 7 4 S . 7 5 8 ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . § § 1 5 3 R d n . 15; WILLMS L K , 10. A u f l . , V o r

§ 153 Rdn. 24. - A.A., wenn entscheidungserhebliche Tatsachen betroffen sind: LACKNER/KÜHL § 154 R d n . 6 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 4 R d n . 2 7 ; RUDOLPHI J R 1 9 7 4 S . 2 9 3 f f . 72

BGH StV 1 9 9 0 S. 110.

491

§97

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

3. Die prozeßrechtswidrige

falsche

Aussage

a) Der anerkannte Bereich 25 Einhellig anerkannt und nach dem Gesetz zwingend ist, daß eine falsche Aussage oder eine falsche Versicherung an Eides Statt nur vor einer zur eidlichen Vernehmung bzw. zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zuständigen Stelle erfolgen kann und daß ein Meineid die Beachtung der wesentlichen Formerfordernisse der Eidesleistung voraussetzt. Verfahrensmängel in diesem Bereich schließen ein vollendetes Aussagedelikt aus. b) Die in ihren Auswirkungen umstrittenen Verfahrensfehler 26 aa) Andere Verfahrensmängel sollen hingegen nach h.M. auf die Tatbestandsmäßigkeit falscher Aussagen keinen Einfluß haben. Gleichgültig soll es demgemäß sein, ob die Aussage unter Verletzung der Belehrungspflicht über ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht oder unter Verletzung der §§ 69, 241 Abs. 2 StPO, 396 ZPO (keine Bezugnahme auf frühere Aussagen, Erforderlichkeit der Belehrung über den Gegenstand des Verfahrens, Zurückweisung sachfremder Fragen) zustande gekommen ist. Auch die Verletzung von Vereidigungsverboten soll unbeachtlich sein, obwohl auch § 157 Abs. 2 offensichtlich davon ausgeht, daß der Meineid eines Eidesunmündigen nicht tatbestandsmäßig ist. Verfahrensfehler sollen lediglich strafmildernd Berücksichtigung finden können. 7 3 27 bb) Die insbesondere von RUDOLPHI begründete Gegenmeinung hingegen sieht eine falsche Aussage oder falsche eidesstattliche Versicherung nur dann als tatbestandsmäßig i.S. der §§ 153 ff an, wenn sie prozessual verwertbar ist. 74 c) Stellungnahme 28 Zuzugeben ist der h.M., daß auch eine prozessual unverwertbare Aussage tatsächlich das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigen kann, wenn sie nämlich trotz des Verwertungsverbots verwertet wird. Jedoch liegt die hier relevante Problematik nicht in der Beeinträchtigung der Rechtspflege als solcher, sondern in der Zuweisung der Verantwortung für diese Beeinträchtigung: Wenn durch die Verwertung einer unverwertbaren Aussage im Prozeß das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigt wird, so ist dafür nicht der Aussagende verantwortlich, sondern derjenige, der der Garant des prozeßordnungsmäßigen Verfahrens ist, nämlich der Richter, der solche Aussagen gegen das Gesetz Eingang in das Verfahren finden läßt. Daraus folgt: Eine prozessual unverwertbare Aussage ist grundsätzlich nicht tatbestandsmäßig i.S. der §§ 153 ff. Allerdings - und hier läßt der Gedanke der Verantwortungszuweisung eine Einschränkung zu - muß das Gericht die Möglichkeit gehabt haben, die Unverwertbarkeit der Aussage zu erkennen. 29 Diese Modifizierung der Mindermeinung beseitigt zwei grundlegende Einwände dieser Ansicht gegenüber: Zum einen - darauf haben die Vertreter dieser Meinung stets hinge73

Vgl. BGHSt 8 S. 187 ff; 17 S. 136; 23 S. 31 f; 27 S. 75; BGH StV 1988 S. 427; BGH wistra 1993 S. 258; OLG Düsseldorf wistra 1995 S. 353 (Eid); MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 74 Rdn. 2 3 ; RENGIER B . T . I I , § 4 9 R d n . 3 6 ; TRÖNDLE S t G B , V o r § 1 5 3 R d n . 11; W E B E R in: A r z t / W e b e r , L H 5 ,

Rdn. 336 ff. - Einschränkend: SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 23, 24; WLLLMS LK, 10. Aufl., Vor § 153 Rdn. 31; DERS. JR 1978 S. 79. 74

Dazu RUDOLPHI GA 1969 S. 140 ff; DERS. SK II, Vor § 153 Rdn. 34 f; im übrigen vgl. DEDES Schröd e r - G e d S , S . 3 3 5 ; GEPPERT J u r a 1 9 8 8 S . 4 9 8 ; HRUSCHKA/KÄSSER JUS 1 9 7 2 S . 7 1 1 ; SCHNEIDER G A

1956 S. 341; VORMBAUM Schutz, S. 267 ff; ders. NK, § 153 Rdn. 32 ff. - Differenzierend: MEINECKE Die Auswirkungen von Verfahrensfehlern auf die Strafbarkeit nach den Aussagedelikten, 1996, S. 171 ff.

492

Aussagedelikte

§97

wiesen - ist nicht jeder Verstoß gegen die Verfahrensregeln schon geeignet, die unter Verletzung dieser Regeln zustande gekommene Aussage aus dem Bereich der Wahrheitspflicht auszugrenzen. Zum anderen aber ist sichergestellt, daß dem Gericht nicht erkennbare oder sogar durch Täuschung aufgedrängte Mängel keine materiellrechtliche Wirksamkeit erlangen derart, daß sie die Grenzen der Wahrheitspflicht bestimmen. 7 5 Beispiel: V, die Verlobte des Angeklagten A, wird im Prozeß gegen A als Zeugin vernommen. Sie verschweigt, daß sie mit A verlobt ist. - Auch den Akten ist kein Hinweis auf die Verlobung zu entnehmen, weil A und V übereingekommen sind, erst einmal abzuwarten, welche Konsequenzen die falsche Aussage der V für den weiteren Prozeßverlauf hat. Hier fällt die Tatsache, daß die V nicht über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist, nicht in den Verantwortungsbereich des Gerichts, denn das Gericht hat keinen Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht schuldhaft übergangen. Mag die Aussage daher prozessual auch unverwertbar sein, so ist es dennoch sachgerecht, sie nicht von vornherein aus dem tatbestandsmäßigen Bereich der §§ 153 ff auszuklammern.

4. Konsequenzen

aus der

Wahrheitspflicht

Den Aussagenden trifft, wie dargelegt, eine persönlich zu erfüllende prozessuale Wahr- 30 heitspflicht, die er durch seine falsche Aussage oder eidesstattliche Versicherung verletzt. Die Aussagedelikte sind daher eigenhändige Delikte. Ihre Begehung im Wege der mittelbaren Täterschaft ist ausgeschlossen. Die Wahrheitspflicht ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1, da 3 1 sie nur die Grenzen der Angriffsmöglichkeiten auf die Rechtspflege umschreibt, nicht aber eine pflichtbegründende Sonderposition des Aussagenden gegenüber Dritten. 7 6

III. Die einzelnen Aussagedelikte 1. Falsche uneidliche Aussage,

§ 153

a) Die objektive Tatbestand setzt voraus, daß der Täter vor Gericht oder einer anderen zur 32 eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger falsch aussagt. aa) Gerichte sind die inländischen staatlichen Gerichte in allen ihren Funktionen, z.B. der 33 Rechtspfleger im Verfahren nach § 75 K O 7 7 , nicht dagegen die privaten Schiedsgerichte, §§ 1025 ff ZPO. Andere zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständige Stellen sind Behörden, denen der Gesetzgeber das Recht der eidlichen Vernehmung gegeben hat, z.B. das Bundespatentamt (§ 46 PatG) und parlamentarische Untersuchungsausschüsse (Art. 44 GG und entsprechende Vorschriften der Landesverfassungen), nicht hingegen Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzämter und andere Verwaltungsbehörden. - Die den Eid abnehmende Amtsperson muß staats- und gerichtsverfassungsgemäß in ihr Amt berufen worden sein. bb) Die Aussage - die auch die Angaben zur Person und zum Beruf umfaßt - muß un- 34 mittelbar vor dem Vernehmenden erfolgen. Das bedeutet, daß Aussage hier als mündliche Erklärung zu verstehen ist. Eine Ausnahme macht nur § 186 GVG, der eine schriftliche 75

76

Vgl. auch Vormbaum NK, § 153 Rdn. 34; WLLLMS LK, 10. Aufl., Vor § 153 Rdn. 29 f. - Für eine grundsätzliche Differenzierung auch BRUNS GA 1960 S. 178, und SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. § § 1 5 3 ff Rdn. 2 3 . So auch SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 42. - A.A. HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 103 f; LANGER E r n s t W o l f - F S , S . 3 4 3 f f ; RUDOLPHI S K II, V o r § 1 5 3 R d n . 9 ; VORMBAUM N K , § 1 5 3 R d n . 7 .

77

OLG Hamburg NJW 1984 S. 935.

493

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§97

Verständigung zwischen dem Vernehmenden und einer tauben oder stummen Person zuläßt.7» 35 cc) Der Täter muß als Zeuge oder Sachverständiger ausgesagt haben. - Die Angeklagten im Strafprozeß, die Parteien im Zivilprozeß oder die Beteiligten im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind nicht taugliche Täter. Gleiches gilt für den Betroffenen im Verfahren vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Die Tatbeteiligung selbst schließt hingegen die Zeugenrolle nicht aus, vgl. §§ 55, 60 Nr. 2 StPO. Wird jedoch ein Tatbeteiligter willkürlich in die Zeugenrolle gedrängt, um ihn u.U. sogar dem Eideszwang auszusetzen, ist er nicht Zeuge und § 153 bleibt unanwendbar.

36 b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muß sich darauf erstrecken, daß die Aussage falsch ist, d.h. mit dem wirklichen oder erreichbaren Erinnerungsbild nicht übereinstimmt, daß die Aussage unter die Wahrheitspflicht fällt und vor einer zuständigen Stelle stattfindet. - Ist sich der Täter dieser Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes bewußt, so handelt er vorsätzlich. 37 c) Vollendet ist die falsche Aussage mit dem Abschluß der Vernehmung. Dies ist der Fall, wenn der Vernehmende zu erkennen gibt, daß er von dem Zeugen oder Sachverständigen keine weitere Auskunft über den Vernehmungsgegenstand erwartet, und der Aussagende, daß er seinerseits nichts mehr zu bekunden hat das bisher Bekundete als seine verantwortliche Aussage gelten lassen will. - Berichtigt der Aussagende bis zu diesem Zeitpunkt eine falsche Aussage, so bleibt er straffrei, da der Versuch der uneidlichen Aussage straflos ist. Wird der Aussagende in mehreren Terminen desselben Rechtszuges zu demselben Beweisthema gehört, ohne daß es bereits zu einem Abschluß der Vernehmung gekommen ist, und sagt falsch aus, so liegt nur eine einheitliche falsche Aussage vor. 2. Meineid, § 154 38 a) § 154 stellt - soweit es um den Meineid eines Zeugen oder Sachverständigen geht - einen gegenüber § 153 qualifizierten Tatbestand dar, im übrigen - Parteieid - ein selbständiges Delikt. 39 b) Die Tathandlung besteht in falschem Schwören, d.h. in der Bekräftigung einer falschen Aussage mit dem Eide vor Gericht oder einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle. Der Eid kann als "Voreid" vor der Vernehmung oder als "Nacheid", nach der Vernehmung abgenommen werden. Er ist nur tatbestandsmäßig, wenn die wesentlichsten Formerfordernisse gewahrt wurden. Unerläßlich ist die vom Schwörenden zu sprechende Formel: "Ich schwöre".

40 aa) Täter können alle Personen sein, die nach dem Verfahrensrecht eidespflichtig gemacht werden können. Das sind nicht nur Zeugen oder Sachverständige, sondern z.B. auch die Parteien im Zivilprozeß. Wird ein Eidesunmündiger, d.h. eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, vereidigt, so liegt kein tatbestandsmäßiger Eid vor, da eine solche Person das Wesen des Eids nach der unwiderlegbaren Vermutung des Gesetzes nicht versteht; davon geht offenbar auch § 157 Abs. 2 aus. 8 ®

78

So auch OLG München MDR 1968 S. 939; RUDOLPHI SK II, § 153 Rdn. 2; TRÖNDLE StGB, § 153 Rdn. 2; WILLMS LK, 10. Aufl., § 153 Rdn. 4; VORMBAUM NK, § 153 Rdn. 7. - Eine schriftliche "Beweisaussage" lassen dort, wo die Prozeßgesetze diese gestatten, genügen: MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . 2, § 7 4 R d n . 3 5 ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . § § 1 5 3 ff R d n . 2 2 ; WAGNER G A

S. 272. 79

494

Dazu BGHSt 10 S. 10; WILLMS LK, 10. Aufl., § 153 Rdn. 10.

1976

Aussagedelikte

bb) Das Gericht oder die zuständige Stelle muß zur Abnahme von Eiden gesetzlich mächtigt sein. Darüber hinaus muß in dem konkreten Verfahren ein Eid der geleisteten gesetzlich zugelassen sein. 81 Daran fehlt es nach h.M. beim Parteieid im Verfahren freiwilligen Gerichtsbarkeit. 82 Ferner muß die den Eid abnehmende Person nach den verbindlichen Gesetzen zu sem Akt berechtigt sein, was z.B. bei einem Referendar gemäß § 10 S. 2 GVG nicht Fall ist.

§97

er- 41 Art der dieder

c) Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz, bedingter genügt. 42 aa) Der Vorsatz muß sich darauf erstrecken, daß die Aussage falsch ist, daß sie unter den 43 Eid fällt und daß der Eid vor einer zuständigen Stelle erfolgt. bb) Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum liegt daher vor, wenn der Täter sich nicht der Tatsache bewußt ist, daß seine Aussage nicht seinem wirklichen oder dem erreichbaren Erinnerungsbild entspricht, wenn er nicht weiß, daß seine Aussage noch Gegenstand der Vernehmung ist und damit der Wahrheitspflicht unterfällt oder daß seine Aussage vor Gericht oder einer entsprechenden Behörde erfolgt. Es genügt jedoch, daß der Täter sich der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehaltes bewußt ist. Hat er dieses Bewußtsein, glaubt sich aber dennoch zu einer Falschaussage berechtigt, so kann dieser Irrtum nur im Rahmen des § 17 berücksichtigt werden. 8 3

d) Vollendet ist der Meineid beim Voreid mit Abschluß der Aussage, beim Nacheid mit 44 der Beendigung des Schwurs. aa) Ein strafbarer Versuch des Meineids liegt demgemäß beim Voreid vor, wenn der Täter 45 zu der falschen Aussage, und beim Nacheid, wenn er zur Leistung des Eides unmittelbar ansetzt, d.h. mit dem Sprechen der Eidesworte. - Ein strafbarer untauglicher Versuch ist nach allgemeinen Grundsätzen anzunehmen, wenn der Täter irrig einen Sachverhalt annimmt, der, läge er vor, die Voraussetzungen des Meineids vor einer zuständigen Behörde erfüllen würde. - Ein Wahndelikt hingegen ist gegeben, wenn der Täter den Sachverhalt kennt, die den Eid abnehmende Stelle aber aufgrund falscher rechtlicher Erwägungen für zuständig hält, obwohl diese es nicht ist. 8 4 Beispiel: A wird in einer Verkehrssache als Zeuge von der Polizei gehört. Der Polizist vereidigt den A, der der Ansicht ist, auch die Polizei dürfe Zeugen vereidigen. Ergebnis: Wahndelikt des A.

8 0

V g l . K R E Y B . T . 1, R d n . 5 6 3 ; KÜPPER B . T . , II § 2 R d n . 18; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 7 4 R d n . 2 3 ; QUEDENFELD J Z 1 9 7 3 S . 2 3 8 f f ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . § § 1 5 3 f f R d n . 2 5 . - F ü r

tatbestandlichen Ausschluß bereits aus grundsätzlichen Erwägungen (prozessuale Unverwertbarkeit): HRUSCHKA/KÄSSER JUS 1 9 7 2 S . 7 1 1 ; R U D O L P H I G A 1 9 6 9 S . 1 4 0 f f ; DERS. S K II, § 1 5 4 R d n . 8 . - A . A .

(Tatbestand erfüllt): BGHSt 10 S. 144; LACKNER/KÜHL § 154 Rdn. 2; TRÖNDLE StGB, Vor § 153 Rdn. 11; WILLMS LK, 10. Aufl., § 154 Rdn. 10. - Zur verfahrenswidrigen Beeidigung im übrigen vgl. die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 41. 8

'

Zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages: GÜTHER/SEILER NStZ 1993 S. 305 ff.

82

Vgl. dazu BGHSt 10 S. 272; WILLMS LK, 10. Aufl., § 154 Rdn. 7, 9 m.w.N. - A.A. TRÖNDLE StGB, § 154 Rdn. 3.

83

Vgl. dazu BGHSt 5 S. 118; 10 S. 15.

84

Wie hier: OLG Bamberg NJW 1949 S. 876; KREY B.T. 1, Rdn. 559; SCH/SCH/LENCKNER § 154 Rdn. 15; WILLMS LK, 10. Aufl., § 154 Rdn. 21. - A.A. RGSt 72 S. 80; BGHSt 3 S. 253 f; HERZBERG JuS 1980 S. 472 ff; JESCHECK/WEIGEND Strafrecht, A.T., 5. Aufl. 1996, § 50 II 2. - Differenzierend: SCHLÜCHTER Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, 1983, S. 155 ff.

495

§97

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

46 bb) Nach dem Gesetzesaufbau zwingend ist der Nacheid selbst nicht mehr Teil der falschen Aussage, sondern schließt an diese an. Das hat die Konsequenz, daß der Täter, der vom Versuch des Meineids straffrei gemäß § 24 Abs. 1,1. Alt. zurücktritt, wegen der bereits vollendeten falschen Aussage strafbar bleibt, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe gemäß § 158. Kriminalpolitisch sinnvoll ist diese Konstruktion nicht, denn damit wird dem Eid die Fähigkeit als gesteigertes Druckmittel zur Bewirkung wahrer Aussagen weitgehend genommen: Der Täter steht nicht vor der Entscheidung, durch den Rücktritt insgesamt Straffreiheit zu erlangen, denn ihm ist jetzt bereits die Bestrafung nach § 153 sicher. Dieser Gewißheit steht dann lediglich noch das Risiko einer geringfügig höheren Strafe nach § 154 gegenüber, wenn er seine falsche Aussage zusätzlich beschwört.

3. Eidesgleiche Bekräftigung, § 155 47 § 155 stellt dem Eid als Tatbestandsmerkmal des § 154 gleich: 48 a) Gemäß § 155 Nr. 1: die den Eid ersetzende Bekräftigung der Wahrheit, die vorgesehen ist für Personen, die sich aus Glaubens- oder Gewissensgründen weigern, einen Eid zu leisten; vgl. §§ 66 d StPO, 484 ZPO. 49 b) Gemäß § 155 Nr. 2: die Berufung des Aussagenden - bloßer Hinweis des Richters genügt nicht - auf einen früheren Eid oder eine früheren Bekräftigung. Diese kommt in Betracht: 1. Alt.: Bei der Berufung auf einen in derselben Sache früher geleisteten Partei-, Zeugenoder Sachverständigeneid, bzw. die entsprechende Bekräftigung; vgl. §§ 67, 72 StPO, 398 Abs. 3, 402, 451 ZPO. 2. Alt.: Zur Berufung eines allgemein vereidigten Sachverständigen auf den von ihm geleisteten Eid oder eine entsprechende Bekräftigung; vgl. §§79 Abs. 3 StPO, 410 Abs. 2 ZPO. Zu beachten ist hier, daß ein früher geleisteter Sachverständigeneid

bei Berufung auf ihn nicht eine spätere

Zeugenaussage e r f a ß t . 8 ^

50 c) Zur Berufung eines Beamten auf den von ihm geleisteten Diensteid: § 386 Abs. 2 ZPO. 4. Falsche Versicherung an Eides Statt, § 156 51 Eidestattliche Versicherungen sind ein wichtiges Mittel zur Glaubhaftmachung tatsächlicher Behauptungen, vgl. §§ 294 Abs. 1, 807, 920 Abs. 2, 936 ZPO; 56, 74 Abs. 3 StPO. 52 a) Der objektive Tatbestand verlangt die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung vor einer zuständigen Behörde oder eine falsche Aussage vor einer solchen Behörde unter Berufung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung. 53 aa) Falsch ist die Versicherung entsprechend der falschen Aussage, wenn sie nicht das wirkliche oder erreichbare Wissens- oder Erinnerungsbild des Versichernden wiedergibt. 54 bb) Zuständig ist die Behörde nicht schon dann, wenn sie allgemein zuständig zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen ist. Entscheidend ist vielmehr, daß die Behörde die konkrete Versicherung über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, und in dem Verfahren, in dem sie eingereicht wird, abnehmen darf und daß die Versicherung selbst nicht rechtlich völlig bedeutungslos ist. Das bedeutet auch, daß der Versichernde in seiner verfahrensrechtlichen Stellung eine derartige Versicherung zu dem angestrebten Zweck über-

85

496

Dazu OLG Köln MDR 1955 S. 183.

Aussagedelikte

§97

haupt abgeben darf. 86 cc) Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung und die Aussage unter Beru- 55 fung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung können sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen. Mündlich erfolgt die Erklärung durch die Äußerung unmittelbar vor der Behörde mit deren Einverständnis. Eine schriftliche Erklärung ist abgegeben, wenn die Erklärung in den Machtbereich der Behörde gelangt, bei der sie zu Beweiszwecken dienen soll. Kenntnisnahme durch den zuständigen Sachbearbeiter ist nicht erforderlich.

dd) Bezüglich der Wahrheitspflicht ergeben sich bei der eidesstattlichen Versicherung 56 insofern Besonderheiten, als es bei spontanen Versicherungen an einer Festlegung des Beweisthemas durch eine Behörde fehlt. In diesen Fällen ist zur Bestimmung des "Versicherungsgegenstandes" die Versicherung selbst auszulegen. Das Beweisthema, wie es nach dem Gegenstand und Stand des Verfahrens zu formulieren gewesen wäre, kann nicht maßgeblich sein, da dieses dem Erklärenden oftmals überhaupt nicht bekannt ist oder auch nur bekannt sein kann. 87 Gegenstand der falschen Versicherung ist aber nicht jede in der Versicherung enthaltene unrichtige Bekundung. Die Wahrheitspflicht erfaßt auch hier nur die Äußerungen, die für das konkrete Verfahren möglicherweise von Bedeutung sein könnend Danach entscheidet sich auch die Frage, wieweit ein Verschweigen die Versicherung 57 zu einer falschen macht: Verschweigen von Tatsachen macht eine Versicherung zu einer falschen, wenn Tatsachen verschwiegen werden, die mit dem gewählten Beweisthema so eng zusammenhängen, daß ihre Offenbarung die Erklärung inhaltlich ändern würde, weil ihr Sinngehalt ein anderer würde. Beispiel 1: (nach BGH NJW 1959 S. 1235): Der Großhändler A versichert in einem Arrestverfahren an Eides Statt, daß ihm die Namen und Orte der Gastwirtschaften, in denen bestimmte Münzautomaten aufgestellt worden waren, unbekannt seien. - Er verschwieg, daß er jederzeit durch Rückfrage bei einem engen Mitarbeiter und Provisionsvertreter die Standorte der Geräte hätte erfahren können. BGH: Trotz wörtlicher Richtigkeit der Erklärung gab A eine falsche Versicherung an Eides Statt ab. Beispiel 2: OLG Frankfurt NStZ-RR 1998 S. 72: A versicherte an Eides Statt gemäß § 5 StVG, daß er seinen Führerschein verloren habe. Das stimmte auch. Er verschwieg aber, daß ihm die Fahrerlaubnis entzogen war. OLG Frankfurt: Die Versicherung bezog sich nur auf den Verlust des Führerscheins, nicht auf dessen Gültigkeit.

b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muß wissen, 58 daß seine Versicherung falsch ist und vor einer zuständigen Behörde erfolgt. Auch hier genügt aber die Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts. Eine gleichwohl bestehende Vorstellung des Täters, zur falschen Versicherung berechtigt zu sein, kann im Rahmen des § 17 Berücksichtigung finden.

c) Von besonderer Bedeutung in der Praxis ist die Versicherung des Schuldners nach 59

86

Vgl. dazu BGHSt 17 S. 303 (Wiederaufnahmeverfahren); BGHSt 25 S. 92 (Wiedereinsetzungsverfahren); BGH StV 1990 S. 111 (Konkursverfahren); BayObLG wistra 1990 S. 70 (Vollstreckungsverfahren); BayObLG wistra 1990 S. 199, BayObLG StV 1991 S. 467 (Wiedereinsetzungsverfahren); BayObLG NJW 1998, S. 1577 (Ermittlungsverfahren) LACKNER/KÜHL § 156 Rdn. 2; MAU-

8 7

S o a u c h RUDOLPHI S K I I , § 1 5 6 R d n . 10; W I L L M S L K ,

R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 7 4 R d n . 5 9 f f ; RUDOLPHI S K I I , § 1 5 6 R d n . 5 . 10. A u f l . , § 1 5 6 R d n . 1 7 ; V O R M B A U M

NK,

§ 156 R d n . 4 6 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 156 R d n . 5. 88

Vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 1848; OLG Karlsruhe NStZ 1985 S. 412; BLOMEYER JR 1976 S. 441 ff; WILLMS LK, 10. Aufl., § 156 Rdn. 17 m.w.N.

497

§97

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§807 ZPO. Hat eine Pfändung des Gläubigers nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt oder macht der Gläubiger glaubhaft, daß er durch Pfändung seine Befriedigung nicht vollständig erlangen könne, so ist der Schuldner auf Antrag verpflichtet, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und an Eides Statt zu versichern, "daß er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe". - Die Offenbarungs- und damit Wahrheitspflicht wird durch den Zweck der Norm, dem Gläubiger eine Vollstreckung in das vorhandene Schuldnervermögen zu ermöglichen, konkretisiert: Nur solche wahrheitswidrigen Angaben machen die Versicherung zu einer falschen, die unter die Offenbarungspflicht fallen und geeignet sind, den Gläubigerzugriff zu vereiteln oder zu erschweren. 89 Die Entscheidung, ob im Zweifel ein Objekt unter die Offenbarungspflicht fällt, ist nicht dem Schuldner überlassen. Daraus folgt: 60 aa) Offenbarungspflichtig ist das gesamte gegenwärtige Vermögen sowie früheres Vermögen, soweit ein Rückübertragungsanspruch besteht oder nach dem AnfechtungsG - vgl. § 807 Abs. 1 Nr. 1-3 ZPO, § 3 AnfechtungsG - zur Entstehung gebracht werden kann, auch wenn eine eventuelle Gegenforderung der Forderung wertgleich ist. Streitige und unpfändbare Forderungen gehören hierher, denn über den Erfolg einer Zwangsvollstreckung entscheidet nicht das Ermessen des Schuldners, sondern das Urteil der entsprechenden Gerichtsorgane, wenn der Gläubiger deren Entscheidung herbeigeführt haben will. 9 0 Künftige Forderungen, die bereits jetzt Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein können, und Anwartschaftsrechte mit Vermögenswert 91 sowie Einnahmen aus angebahnten, aber noch nicht abgewickelten Maklergeschäften 9 2 sind anzugeben, nicht aber ist ein umfassender Überblick über die Tätigkeit zu gewähren, wenn aus dieser Tätigkeit erst später Vermögenserwerbsmöglichkeiten erwachsen. 9 3 61 bb) Anzugeben sind neben den Vermögensobjekten auch die Umstände, die für die Zugriffsmöglichkeit des Gläubigers von Bedeutung sind, z.B. der Name eines Drittschuldners, der Stand einer Erbauseinandersetzung u.ä. 62 cc) Offensichtlich völlig wertlose Gegenstände oder eindeutig im Wege der Zwangsvollstreckung nicht verwertbare Objekte z.B. die Firma, Firmenmantel des Kaufmanns sowie die Mittel des täglichen Lebensbedarfs brauchen nicht angegeben zu werden. 9 4 63 dd) Die Angabe fingierter Vermögensstücke macht die Versicherung hingegen falsch, denn dadurch kann der Gläubiger zu zwecklosen Vollstreckungshandlungen veranlaßt werden. 9 5 64 ee) Daß der Versichernde sich durch eine wahrheitsgemäße Angabe einer Straftat bezichtigen würde, berührt die Offenbarungspflicht nicht, doch unterliegen diese Angaben in bezug auf ein Strafverfahren einem Verwertungsverbot. 96 89

Dazu BGHSt 8 S. 400; 19 S. 126 ff; BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 813; OLG Celle MDR 1995 S. 1056.

9 0

B G H N J W 1 9 5 3 S . 3 9 0 m i t A n m . SCHMIDT-LEICHNER; B G H N J W 1 9 5 6 S. 7 5 6 .

91

BGHSt 15 S. 130; BGH GA 1966 S. 243; OLG Hamm GA 1975 S. 180; BayObLG wistra 1993 S. 73.

92

BGHSt 37 S. 340.

93

BGH StV 1990 S. 111.

94

BGHSt 13 S. 348 f; 14 S. 349; BayObLG MDR 1991 S. 1079.

95

BGHSt 7 S. 375.

96

Dazu BVerfG NJW 1981 S. 1431 ff; BGHSt 37 S. 340.

498

Aussagedelikte

§97

ff) Der Irrtum über die Offenbarungspflicht hinsichtlich bestimmter Vermögensgegen- 55 stände ist Tatbestandsirrtum.97 5. Fahrlässiger Falscheid und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt, § 163 a) Die objektiven Voraussetzungen des § 163 entsprechen denen der §§ 154, 155, 156. - 66 Falsch ist auch hier eine Aussage oder Versicherung, die nicht das wirkliche oder reproduzierbare Erinnerungs- bzw. Wissensbild des Äußernden wiedergibt. b) Die Fahrlässigkeit des Täters kann im wesentlichen auf drei verschiedenen Gründen 67 beruhen: aa) Der Täter erkennt nicht, daß seine Angaben falsch sind, obwohl er bei entsprechender 68 Anspannung seiner Geistesgaben die Diskrepanz zwischen den Angaben und seinem Erinnerungsbild hätte erkennen können. Bei einem Zeugen ist dies der Fall, wenn er aus Nachlässigkeit sein noch im Gedächtnis bestehendes Erinnerungsbild nicht dementsprechend wiedergibt, wenn er etwas Unzutreffendes als sicheres Erinnerungsbild hinstellt, obwohl er es wegen fehlender Überlegung nicht als sicheres Wissen ausgeben darf, oder wenn er es vorwerfbar unterläßt, tatsächliche Anhaltspunkte oder äußere Hilfsmittel zu benutzen, die sich ihm während der Vernehmung darbieten und die geeignet sind, mindestens Zweifel an der Richtigkeit seines Erinnerungsbildes zu wecken. 9 8 Beispiel: Der Vertreter A sagt vor Gericht als Zeuge aus, er sei am 1.3. bei G in dessen Gastwirtschaft gewesen. In Wirklichkeit war er erst am 2.3. bei G. Dem A ist bekannt, daß andere Zeugen ihn dort nur am 2.3. gesehen haben wollen. Da A jedoch sicher glaubt, am 1.3. in der Gaststätte gewesen zu sein, ist er über die Aussagen der anderen Zeugen sehr verblüfft. Er hält es gleichwohl nicht für nötig, in seinem Auftragsbuch, in dem der Besuch bei G verzeichnet ist, noch einmal nachzuschauen. Ergebnis: Nach den ihm gegebenen Möglichkeiten hätte er erkennen können, daß sein Erinnerungsbild falsch war. Wenn er es dennoch wiedergab, ohne von den ihm zur Verfügung stehenden Prüfungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, handelte er sorgfaltspflichtwidrig und damit fahrlässig. Im Gegensatz zum Zeugen, der keine Vorbereitungspflicht, sondern nur eine Konzentrations- und Prüfungspflicht hat, haben der Sachverständige, die Prozeßpartei und der zur Offenbarung seines Vermögens verpflichtete Schuldner aufgrund ihrer Verfahrensstellung eine Informationspflicht vor der Aussage, d.h. eine Vorbereitungspflicht."

bb) Der Täter ist sich bewußt, daß er falsche Angaben macht, erkennt aber nicht, daß diese 69 Angaben noch zum wahrheitspflichtigen Inhalt seiner Aussage gehören, d.h. unter die Wahrheitspflicht fallen. cc) Der Täter hält die den Eid bzw. die die Versicherung abnehmende Behörde irrig für 70 unzuständig.

IV. Teilnahme und mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten 1. Teilnahme Die Interpretation der Aussagedelikte als eigenhändige Straftaten schließt zwar die Täter- 71 schaft von Außenstehenden, nicht aber deren Teilnahme aus. Anstiftung und Beihilfe bestimmen sich nach den allgemeinen Regeln. - Als Teilnehmer haftet jedoch nicht, wer

97

KG JR 1985 S. 161.

98

Dazu OLG Köln MDR 1980 S. 421; OLG Koblenz JR 1984 S. 422 mit Anm. BOHNERT S. 425 ff.

99

Dazu WILLMS LK, 10. Aufl., § 163 Rdn. 6 ff m.w.N.

499

§97

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

durch sein Prozeßverhalten ausschließlich die Möglichkeit eröffnet, daß ein anderer - ohne vorheriges Einvernehmen - ein Aussagedelikt begeht. a) Teilnahme durch positives Tun 72 aa) Eine Teilnahme durch positives Tun aufgrund prozeßordnungsgemäßer Äußerungen und Prozeßhandlungen eines Prozeßbeteiligten scheidet von vornherein aus, denn nach materiellem Recht können nicht Verhaltensweisen mit Strafe bedroht werden, die die entsprechende Prozeßordnung ausdrücklich erlaubt. Schweigen oder Leugnen des Angeklagten, das eine falsche Aussage verursacht, kann als solches keine Strafbarkeit des Angeklagten begründen.

73 bb) Aber auch für ein prozeßordnungswidriges Verhalten gilt gleiches: Wer wider besseres Wissen einen Anspruch bestreitet oder behauptet und dadurch die Benennung eines Zeugen veranlaßt oder sogar selbst den Zeugen benennt, haftet für dieses Verhalten allein noch nicht als Teilnehmer. Die zivilprozessuale Wahrheitspflicht, § 138 ZPO, ändert daran nichts, denn sie bürdet demjenigen, der sich prozeßordnungswidrig verhält, noch nicht die Verantwortung für das strafbare Verhalten eines anderen auf, der eine falsche Aussage macht, ohne hierbei im Einverständnis mit dem Benennenden tätig zu werden. Die bloße Eröffnung der Möglichkeit, ein Delikt zu begehen, zu dem sich ein anderer sodann im Rechtssinne frei verantwortlich entschließt, begründet noch keine strafrechtliche Haftung als Teilnehmer. 1 0 0 b) Teilnahme durch Unterlassen 74 Auch eine Haftung als Teilnehmer durch Unterlassen kann ein prozeßordnungswidriges Verhalten als solches nicht begründen, soll nicht letztlich aus § 138 ZPO wiederum eine Verantwortung für fremdes deliktisches Verhalten hergeleitet werden. 75 aa) Unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung stellte der BGH in BGHSt 17 S. 321 fest, daß das wahrheitswidrige Bestreiten allein noch keine Garantenpflicht zur Verhinderung des Meineids eines Zeugen auslöse, daß Vorverhalten müsse vielmehr eine prozeßinadäquate, besondere Gefahr einer Falschaussage begründen. Als solche Gefahren sollen die Beschränkung der Entschlußfreiheit des Zeugen, z.B. durch die Fortsetzung des ehewidrigen Verhaltens während des Scheidungsprozesses, und die Ausnutzung der Tatsache, daß der Zeuge unterwürfig ist und sich bereits durch Lügen im Vorfeld des Prozesses "festgefahren hat", angesehen werden. Es sollen verwandtschaftliche, eheliche oder sonstige persönliche Bindungen eine Rolle spielen. 101 76 bb) Doch auch diese Begrenzung der Garantenpflicht ist noch zu weit. Eheliche oder sonstige persönliche Bindungen begründen keine Garantenpflicht gegenüber der Rechtspflege. 1 0 2 Das Vorverhalten muß vielmehr als solches bereits eine inadäquate Gefährdung der Rechtspflege darstellen derart, daß die Möglichkeiten sachgemäßer Tatsachenermittlung bereits durch dieses Verhalten beeinträchtigt werden. Dies ist erörterungswürdig in 100

So auch BGHSt 17 S. 323; OLG Hamm NJW 1992 S. 1977 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 153/2, SCHEFFLER G A 1 9 9 3 S . 3 4 1 f f , SEEBODE N S t Z 1 9 9 3 S . 8 3 f ; L G M ü n s t e r S t V 1 9 9 4 S . 1 3 4 ; HEINRICH J u S 1 9 9 5 S . 1 1 1 8 f ; PRITTWITZ S t V 1 9 9 5 S . 2 7 2 f f ; RUDOLPHI S K II, V o r § 1 5 3 R d n . 5 1 ; VORMBAUM S c h u t z , S . 2 9 3 f. - A . A . BRAMMSEN S t V 1 9 9 4 S . 1 3 7 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 4 R d n . 8 0 f f ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . § § 1 5 3 f f R d n . 3 7 ; WILLMS L K , 10. A u f l . , § 1 5 4 R d n . 15.

101

Dazu BGH 4 StR 306/55 S. 4; BGHSt 6 S. 322; BGHSt 17 S. 321; BGH 1 StR 504/60 S. 5; KG JR 1 9 6 9 S. 2 7 m i t a b l . A n m . LACKNER S . 2 9 f f ; O L G D ü s s e l d o r f N J W 1 9 9 4 S. 2 7 2 m i t a b l . A n m . O T T O

JK 94, StGB § 154/3; OLG Köln NStZ 1990 S. 594. 1 0 2

500

V g l . a u c h HEINRICH JUS 1 9 9 5 S . 1 1 1 9 f ; KREY B . T . 1, R d n . 5 7 8 ; VORMBAUM N K , § 1 5 3 R d n . 1 1 9 .

Aussagedelikte

§97

dem Fall, daß z.B. jemand einen anderen zu einer uneidlichen falschen Aussage vor Gericht angestiftet hat und es nun zu einer Vereidigung kommen läßt, ohne aufklärend einzugreifen. 1 ^ 2. Versuch der Anstiftung zur Falschaussage,

§ 159

Eine Bestrafung wegen versuchter Anstiftung zu einem Aussagedelikt unter Anwendung 77 des § 30 ist allein beim Meineid, §§ 154, 155, möglich (Verbrechen). In § 159 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 (Versuch der Anstiftung zu einem Verbrechen) auf die Taten nach §§ 153, 156 erweitert, weil er die versuchte Anstiftung auch hier als besonders gefährlich einstufte. Diese Regelung ist kriminalpolitisch gleichwohl wenig überzeugend, denn da der Ver- 78 such der Falschaussage bzw. der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung nicht unter Strafe gestellt ist, ergeben sich eigenartige Konsequenzen für den Fall, daß die Tat des Haupttäters nur zum Versuch gediehen ist: Der Haupttäter bleibt straflos, obwohl seine kriminelle Energie im Regelfall größer ist als die des erfolglos anstiftenden Hintermannes. - Die hier begründeten Diskrepanzen will der BGH dadurch mildern, daß er § 159 dann nicht anwenden will, wenn die Tätigkeit des Angestifteten aufgrund des Tatplans nur zu einem untauglichen Versuch führen kann. BGHSt 24 S. 38: A fordert die V auf, eine falsche eidesstattliche Versicherung zur Vorlage beim Strafrichter abzugeben, in der sie versichert, sie wisse, A sei unschuldig. BGH: A ist nicht strafbar, da die Tat der V nur zu einem untauglichen Versuch geführt hätte.

Unabhängig von der Frage, ob im konkreten Fall nicht in der Person der V ein Wahn- 79 verbrechen vorgelegen hätte 1 0 4 , so daß A aus diesem Grund straffrei bleiben mußte, läßt sich eine Differenzierung zwischen tauglichem und untauglichem Versuch sowie völligem Fehlschlag der Anstiftung aus § 159 nicht entnehmen. Es kommt allein auf die Vorstellung des Anstiftenden an, daß der Angestiftete das entsprechende Delikt begehen wird. So kriminalpolitisch begrüßenswert die Einschränkung des § 159 hier auch sein mag, mit dem Gesetz ist sie nicht in Einklang zu bringen. 1 0 5 a) Objektiv setzt § 159 einen Versuch des Bestimmens voraus, d.h. Handlungen, mit denen 80 der Täter unmittelbar zur Willensbeeinflussung des Anzustiftenden ansetzt. Verabredungen zu einem Gespräch, Erkundigungen über das Wissen eines anderen oder über seine Stellung zu anderen Verfahrensbeteiligten genügen dazu noch nicht.

b) Die Anstiftung darf nicht zum Erfolg (falsche uneidliche Aussage, falsche Versicherung 81 an Eides Statt) geführt haben. Der Grund des Mißlingens - Anstiftungsbrief erreicht den Adressaten nicht, es kommt nicht zur Vernehmung, der Anzustiftende ist schon zuvor zur falschen Aussage entschlossen, der Zeuge erkennt den Anstiftungsversuch nicht und sagt gutgläubig falsch aus - ist gleichgültig.

c) Der Vorsatz des Anstifters, bedingter genügt, muß sich darauf beziehen, einen anderen 82 zu einer falschen uneidlichen Aussage oder Versicherung an Eides Statt zu bestimmen.

103

Vgl. dazu auch BGH NStZ 1993 S. 489; OLG Köln NStZ 1990 S. 594; RUDOLPHI SK II, Vor § 153 Rdn. 52 f; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 40.

104

Dazu KREY B.T. 1, Rdn. 585.

1 0 5

S o a u c h DREHER M D R 1 9 7 1 S . 4 1 0 f; LACKNER/KÜHL § 1 5 9 R d n . 3 ; RUDOLPHI S K II, § 1 5 9 R d n . 3; SCHRÖDER J Z 1 9 7 1 S. 5 6 3 f; TRÖNDLE G A 1 9 7 3 S . 3 3 7 ; W E B E R i n : A r z t / W e b e r , L H 5 , R d n . 3 6 6 . A . A . KREY B . T . 1, R d n . 5 8 7 f ; VORMBAUM G A 1 9 8 6 S . 3 6 7 ; WILLMS L K , 10. A u f l . , § 1 5 9 R d n . 1.

501

§97

Dritter T e i l : D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

Der Vorsatz braucht sich nicht auf alle Einzelheiten der Tat zu erstrecken, muß sie aber in ihren groben U m rissen erfassen.

83 d) § 159 verweist uneingeschränkt auf § 30 Abs. 1. Strafbar gemäß §§ 159, 30 Abs. 1 ist daher auch die versuchte Anstiftung zur Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage und Versicherung an Eides Statt (Kettenanstiftung). 106 Straflos ist hingegen die versuchte Anstiftung zur Beihilfe und die Beihilfe zum Anstiftungsversuch. 84 e) Die Rücktrittsvorschriften des § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 gelten gemäß § 159 entsprechend. 3. Verleitung zur Falschaussage, § 160 85 Da die Aussagedelikte eigenhändige Delikte sind, kommt bei ihnen nach den allgemeinen Regeln eine mittelbare Täterschaft nicht in Betracht. Die hier befürchtete Strafbarkeitslücke soll § 160 schließen: Bestraft wird, wer bewirkt, daß ein anderer unvorsätzlich gutgläubig einen falschen Eid leistet, eine falsche Versicherung an Eides Statt abgibt oder eine falsche uneidliche Aussage macht. Während § 159 voraussetzt, daß der Aussagende bösgläubig handelt, verlangt das Verleiten in § 160 Gutgläubigkeit des Aussagenden. Er ist Werkzeug in der Hand des Hintermannes. 86 a) Nach der Pflichttheorie ist die Aussage auch hier falsch, wenn der Erklärende aufgrund der Einflußnahme des Hintermannes eine Aussage macht oder Erklärung abgibt, die nicht seinem möglichen Erinnerungsbild bzw. Wissensbild entspricht, was ihm selbst allerdings nicht bewußt ist. 87

Ist es dem Verleiteten aufgrund des Einflusses jedoch nicht möglich, zu erkennen, daß seine A u s s a g e von seinem ursprünglichen Erinnerungs- oder Wissensbild abweicht, so daß er nicht einmal fahrlässig bei der Abgabe der A u s s a g e bzw. Erklärung handelt, kann von einer pflichtwidrigen Aussage in seiner Person keine Rede sein. Konsequent muß die Pflichttheorie hier eine falsche A u s s a g e verneinen, will sie nicht im Rahmen des § 160 zur objektiven Theorie Zuflucht nehmen oder als falsch bereits die Aussage ansehen, die nicht mit dem Wissens- oder Erinnerungsbild des Verleiteten vor der Einflußnahme durch den Hintermann übereinstimmt. - Nennenswerte Strafbarkeitslücken dürften allerdings durch die konsequente Anwendung der Pflichttheorie auch im Rahmen des § 160 nicht eröffnet werden, denn der Fall, daß der Hintermann so sorgfältig und erfolgreich arbeitet, daß der Verleitete überhaupt nicht mehr erkennen kann, daß sein Wissensoder Erinnerungsbild verfälscht wurde, dürfte äußerst selten s e i n . ' " 7

88 b) Das Verleiten kann durch beliebige Mittel erfolgen, nicht genügt aber auch hier die bloße Eröffnung der Möglichkeit zur Aussage durch Benennung als Zeuge o.ä., da das Verleiten - wie die mittelbare Täterschaft - eine über die bloße Eröffnung der Möglichkeit, eine Aussage zu machen oder eine Erklärung abzugeben, hinausgehende Einwirkung auf das "Werkzeug" voraussetzt. 89 c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muß sich insbesondere darauf erstrecken, daß die Aussageperson gutgläubig eine falsche Aussage macht. 90 d) Der Irrtum des Hintermanns über die Gutgläubigkeit der Aussageperson. 91 aa) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig für gutgläubig, so ist er objektiv Anstifter, hält sich aber für einen Verleitenden i.S. des § 160. 1 0 6

V g l . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 4 R d n . 9 1 . - A . A . RUDOLPHI S K II, § 1 5 9 R d n . 8; SCH/SCH/LENCKNER § 1 5 9 R d n . 7 ; VORMBAUM N K , § 1 5 9 R d n . 13.

107

502

Dazu vgl. auch SCHMIDHÄUSER OLG Celle-FS, S. 227.

Aussagedelikte

§97

Beispiel: A versucht dem B, der als Zeuge vor Gericht über die Anwesenheit des A an einem bestimmten Ort am 20.10. aussagen soll, einzureden, daß sie sich dort getroffen haben. In Wirklichkeit fand das Treffen am 19.10. statt. - B merkt, daß A ihm etwas Falsches einreden will, läßt sich aber nichts anmerken und sagt im Sinne des A aus. Der B G H und ein Teil der Lehre wollen Vollendung des § 160 bejahen und geben diesem damit die Funktion eines Auffangtatbestandes für alle Fälle, in denen keine Bestrafung wegen Anstiftung möglich ist.

Für diese Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 160 besteht jedoch kein Anlaß, da 92 der Versuch der Verleitung zur Falschaussage strafbar ist, § 160 Abs. 2, und in der hier relevanten Fallkonstellation ein Versuch vorliegt. Die vom Hintermann beabsichtigte Gefährdung der Rechtspflege durch ein gutgläubiges Werkzeug, zu der der Hintermann durch Einflußnahme auf den Aussagenden unmittelbar ansetzte, ist nicht gelungen. Der Hintermann ist wegen eines Versuchs der Verleitung zur Falschaussage strafbar. 1 0 9 bb) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig für bösgläubig, so will er selbst Anstifter 93 sein, während er objektiv den Aussagenden verleitet. O L G Karlsruhe Die Justiz 1982 S. 141: A will B dazu bestimmen, eine falsche eidesstattliche Versicherung abzugeben. B merkt dies nicht und glaubt sich an das Geschehen so zu erinnern, wie A es ihr darstellt. Sie gibt die falsche Versicherung an Eides Statt gutgläubig ab. OLG: Wenn die Beweisperson entgegen der Vorstellung des Hintermanns allenfalls fahrlässig die falsche Versicherung an Eides Statt abgibt, liegt ein Versuch der Anstiftung zur falschen Versicherung an Eides Statt nach §§ 159, 30 Abs. 1 v o r . 1 1 "

e) Da der Versuch des § 160 strafbar ist, reicht die Strafbarkeit des Verleitenden hier wei- 94 ter als die des Täters der §§ 153, 156, weil dort der Versuch nicht strafbar ist. - Über die kriminalpolitische Angemessenheit dieses Ergebnisses läßt sich streiten, nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es jedoch zwingend. 1 1 1

V. Strafmilderung und Absehen von Strafe 1. Aussagenotstand,

§ 157 Abs. 1

a) Über die allgemeinen Notstandsvorschriften, §§ 34, 35, hinausgehend, eröffnet § 157 95 Abs. 1 die Möglichkeit einer Strafmilderung für jene Zwangslage, die dadurch entstehen kann, daß die Beweisperson einerseits durch wahre Angaben sich selbst oder einen Angehörigen - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 1 - der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt, andererseits jedoch einer zwangsweise durchsetzbaren prozessualen Aussagepflicht unterworfen ist. Daraus folgt: aa) Nur Zeugen und Sachverständigen ist die Berufung auf die Zwangslage eröffnet, nicht 96

108

V g l . d a z u B G H S t 2 1 S . 1 1 6 ; H R U S C H K A / K Ä S S E R J u S 1 9 7 2 S . 7 1 3 ; KÜPER B . T . , S . 1 1 6 f f ; K Ü P P E R B . T . , II § 2 R d n . 3 2 f ; L A C K N E R / K Ü H L § 1 6 0 R d n . 4 ; PREISENDANZ § 1 6 0 A n m . 4 ; RUDOLPHI S K II, § 160 R d n . 4 ; SCH/SCH/LENCKNER § 160 R d n . 9; VORMBAUM N K , § 160 R d n .

12, 2 2 ; W E B E R i n :

Arzt/Weber, LH 5, Rdn. 361; WESSELS B.T./l, Rdn. 764. 1 0 9

Vgl.

ESCHENBACH

Jura

1993

S. 4 0 8

f f ; GALLAS E n g i s c h - F S ,

S. 6 0 0 ;

KREY B . T .

1, R d n .

572;

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 7 4 R d n . 9 8 f; TRÖNDLE S t G B , § 1 6 0 R d n . 3; WELZEL L b . , § 7 7 V 2 e. 110

So auch GALLAS Engisch-FS, S. 619 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 74 Rdn. 98 f. - Für

1 1 1

V g l . a u c h S C H / S C H / L E N C K N E R § 1 6 0 R d n . 10. - A . A . HIRSCH J Z 1 9 5 5 S . 2 3 4 f ; V O R M B A U M N K , § 1 6 0

§§ 2 6 , 1 5 4 b z w . § § 2 6 , 153, 156: TRÖNDLE S t G B , § 160 R d n . 3.

Rdn. 26; WILLMS LK, 10. Aufl., § 160 Rdn. 7.

503

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§97

dagegen Parteien, da diese nicht unter Aussage- und Eideszwang stehen. Auch eine analoge Anwendung des § 157 kommt hier nicht in Betracht. bb) Die Anwendung des § 157 Abs. 1 wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Zeuge die Aussage verweigern könnte, denn die Angabe der Gründe der Auskunftsverweigerung kann ihn in die gleich Zwangslage bringen. 1 1 2 - Unschädlich ist es auch, daß der Zeuge sich selbst zur Aussage anbot, denn es ist ohne Belang, ob der Täter die Konfliktslage verschuldet hat oder nicht. 1 1 3 cc) Anstifter und Gehilfen sowie dem Verleitenden nach § 160 kommt § 157 Abs. 1 nicht zugute, da sie nicht unmittelbar in der Zwangssituation stehen. 1 1 4 dd) Eine Erstreckung des § 157 auf Mitglieder einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft führt über den Gesetzes Wortlaut hinaus. 1 1 5 97 b) Der Täter muß die Unwahrheit gesagt haben, um die Gefahr abzuwenden, bestraft oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung unterworfen zu werden. Die Gefahrabwendung muß nicht der einzige, wohl aber ein entscheidender Beweggrund sein. - Maßgeblich ist die Absicht des Täters. Ob eine solche Gefahr bestand, ist daher nach den Vorstellungen des Täters festzustellen. 116 98 aa) Strafe ist Bestrafung durch die ordentlichen Strafgerichte. Die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit genügt nicht. - Die freiheitsentziehenden Maßregeln ergeben sich aus §§ 63-66. 99 bb) Auch dann, wenn der Täter die Strafe nicht abwenden, sondern nur mildern will, ist § 157 Abs. 1 anwendbar. BGH NJW 1980 S. 2264: Die A sagte im Strafverfahren gegen ihren Ehemann wegen Totschlags, § 212, falsch aus, um eine Anwendung des § 213 zu ermöglichen. BGH: § 157 Abs. 1 ist anwendbar.

100 cc) Wer unbewußt von der Wahrheit abweicht, kann damit nicht die geforderte Absicht verbinden. Beim fahrlässigen Aussagedelikt, § 163, kommt § 157 Abs. 1 daher nicht zur Anwendung. 101 c) Die Bestrafung muß wegen einer Straftat drohen, die zeitlich vor der falschen uneidlichen Aussage oder dem Meineid liegt. - In Betracht kommt jedes Delikt. 102 aa) Unanwendbar ist § 157 Abs. 1 danach aber, wenn der Zeuge in gleicher Instanz eine oder mehrere falsche Aussagen in einem späteren Termin beschwört. Aussage und Meineid bilden eine Tateinheit, es fehlt an der Vortat, auch wenn andere Delikte mit den fal112

Dazu BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 460; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 711; OLG Düsseldorf MDR 1993 S. 561.

113

Vgl. BGHSt 7 S. 332; BGH StV 1995 S. 250; WILLMS LK, 10. Aufl., § 157 Rdn. 5. - Einschränkend bei verschuldeter Zwangslage: OLG Düsseldorf StV 1991 S. 68; RUDOLPHI SK II, § 157 Rdn. 14;

1 1 4

V g l . B G H S t 1 S . 2 8 ; 2 S . 3 7 9 ; 7 S . 5 ; KREY B . T . 1, R d n . 5 7 3 ; L A C K N E R / K Ü H L § 1 5 7 R d n . 1; O T T O JUS

S C H / S C H / L E N C K N E R § 1 5 7 R d n . 11.

1 9 8 4 S . 1 7 1 ; TRÖNDLE S t G B , § 1 5 7 R d n . 1. - A . A . BEMMANN H . M a y e r - F S , S . 4 9 1 ; H E U S E L J R

1989

S. 429. 1 1 5

Vgl. B a y O b L G N J W

1 9 8 6 S . 2 0 2 m i t z u s t . A n m . O T T O J K , S t G B § 1 1 / 2 , u n d a b l . A n m . KRÜMPEL-

MANN/HENSEL J R 1 9 8 7 S . 4 1 f ; O L G B r a u n s c h w e i g N S t Z 1 9 9 4 S . 3 4 4 m i t A n m . GEPPERT J K 9 5 , S t G B § 1 5 7 / 1 3 , H Ä U F N S t Z 1 9 9 5 S . 3 5 ; O L G C e l l e N J W 1 9 9 7 S. 1 0 8 4 . 116

504

Vgl. dazu BGHSt 8 S. 317; OLG Düsseldorf NJW 1986 S. 1822. - Weiter BGH NJW 1988 S. 2391; BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 1039; BayObLG NJW 1996 S. 2244: Es genügt für die Anwendung des § 157, daß der genannte Beweggrund nicht auszuschließen ist.

Aussagedelikte

§97

sehen Aussagen in Idealkonkurrenz begangen wurde. Es liegt nur eine Tat vor. 117 bb) Wird der zur Deckung einer Falschaussage geleistete Meineid erst in einer späteren 103 Instanz geleistet oder eine falsche Aussage in einer späteren Instanz wiederholt, so bleibt § 157 Abs. 1 anwendbar. 118 cc) § 157 bleibt anwendbar, wenn der Eid im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt, um fal- 104 sehe Aussagen im ersten Verfahren zu decken, auch wenn wegen dieser Aussagen schon ein rechtskräftiger Freispruch erfolgte, da die Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht kommen könnte, § 362 Nr. 4 StPO. 119 2. Aussagen Eidesunmündiger, § 157 Abs. 2 §157 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit der Milderung oder des Absehens von Strafe für 105 uneidliche Aussagen eines Eidesunmündigen, auch wenn keine Zwangslage i.S. des § 157 Abs. 1 bestand. 3. Berichtigung einer falschen Angabe, §§ 158, 163 Abs. 2 a) Der Anwendungsbereich des § 158 aa) Personell ist § 158 nicht nur auf Zeugen und Sachverständige anwendbar, sondern 106 auch auf Parteien und Teilnehmer. Eine analoge Anwendung kommt für den Verleitenden i.S. des § 160 in Betracht, denn maßgeblich ist die Zielsetzung des § 158, möglichst umfassend eine Abwendung der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu ermöglichen, bb) Sachlich setzt § 158 eine vollendete falsche Aussage voraus. Daran kann es z.B. bei 107 konkludentem Widerruf vorheriger falscher Angaben und anschließender berechtigter Aussageverweigerung fehlen. 120 Im Falle des versuchten Meineids ist § 158 neben § 24 anwendbar. Das ist bedeutsam, 108 da § 158 keine freiwillige, sondern nur eine rechtzeitige Berichtigung verlangt. Beispiel (nach BGHSt 4 S. 175): Beim Aussprechen der Eidesformel besinnt sich A, der eine falsche Aussage beschwören wollte, eines Besseren. Er bricht die Eidesleistung ab, gesteht, daß seine Aussage falsch war, und bekundet nunmehr die Wahrheit. 1. Alternative:

Dies geschah, weil A sich nicht eines Meineids schuldig machen wollte.

2. Alternative: Dies geschah, weil A bewußt wurde, daß seine Aussage bereits als falsch erkannt worden war, so daß er den gewünschten Einfluß auf den Prozeß nicht mehr nehmen konnte. Ergebnis in der 1. Alternative: Straffreiheit bzgl. des versuchten Meineids, § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt.; Anwendung des § 158 bzgl. der falschen Aussage. Ergebnis in der 2. Alternative: § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. nicht anwendbar, da A nicht freiwillig handelte; Anwendung des § 158 aber auf falsche Aussage und versuchten Meineid.

b) Die Berichtigung Berichtigung ist die Ersetzung der falschen Angabe in allen wesentlichen Punkten durch 109 Mitteilung der Wahrheit. - Jedoch ist zu beachten: aa) Für die Berichtigung genügt es, daß der Aussagende mit der Erklärung, so etwas nie

117

Vgl. dazu BGHSt 8 S. 319; 9 S. 121 mit Anm. ARMIN KAUFMANN JZ 1956 S. 605 f.

1 1 8

V g l . B G H S t V 1 9 9 5 S. 2 4 9 m i t A n m . GEPPERT J K 9 6 , S t G B § 1 5 7 / 4 ; BUSCH G A 1 9 5 5 S . 2 6 4 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 1 5 7 R d n . 8, 11.

119

Dazu BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 280.

120

BGH StV 1 9 8 2 S. 4 2 0 .

505

§98

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

gesagt zu haben oder es nicht so gesagt zu haben, von seiner früheren falschen Darstellung eindeutig abweicht und sie durch eine wahrheitsgemäße Aussage ersetzt. 121 bb) Ist nicht aufklärbar, ob die zweite oder die erste Aussage richtig war, so soll § 158 nach h.M. in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" Anwendung finden. 122 c) Die Berichtigungsstelle 110 Gemäß § 158 Abs. 3 kann die Berichtigung bei der Behörde erfolgen, bei der die Falschaussage erstattet wurde oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem beliebigen Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde. d) Der Zeitpunkt der Berichtigung 111 Die Berichtigung muß rechtzeitig erfolgen. - Verspätet ist die Berichtigung gemäß § 158 Abs. 2: aa) Wenn sie bei der Entscheidung - das sind nur Sachentscheidungen, die den Fall ganz oder teilweise erledigen - nicht mehr berücksichtigt werden kann; bb) wenn aus der Tat schon ein - über die bloße Verschlechterung der Prozeßlage hinausgehender - Nachteil für einen anderen entstanden ist; cc) wenn bereits gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist. Maßgeblich für den Zeitpunkt ist der Eingang der Berichtigung bei einer der zuständigen Behörden, nicht der der Kenntnisnahme durch den zuständigen Beamten. e) Rechtsfolgen 112 Die Rechtsfolgen gemäß § 158 Abs. 1 und § 163 Abs. 2 sind unterschiedlich: Bei den Falschaussagen i.S. der §§ 153, 154, 156 kann der Richter die Strafe gemäß § 49 Abs. 2 mildern oder ganz von Strafe absehen. - Bei den fahrlässigen Falschaussagen ist die Straflosigkeit obligatorisch.

§ 98: Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 339 1

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege in ihrer speziellen Aufgabe, richtiges Recht zu sprechen. Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1.

2. Rechtssache und Partei 2 Rechtssache ist eine Rechtsangelegenheit, bei der mehrere Beteiligte mit widerstreitenden rechtlichen Belangen einander gegenüberstehen können, wenn über sie nicht durch Verwaltungsmaßnahmen zu befinden ist, sondern in einem rechtlich geregelten Verfahren eine richterliche oder eine dieser gleichkommende Entscheidung zu treffen ist. 123 - Partei ist jeder Beteiligte an der Rechtssache.

121 1 2 2

OLG Hamburg JR 1981 S. 383 mit Anm. RUDOLPHI S. 384 ff. Vgl. B a y O b L G N J W

1 9 7 6 S . 8 6 0 m i t A n m . KÜPER N J W

1 9 7 6 S . 1 8 2 8 ff, STREE J R 1 9 7 6 S. 4 7 0 f f ;

DERS. I n d u b i o p r o r e o , 1 9 6 2 , S . 2 9 f f . - A . A . U I B E L N J W 1 9 6 0 S . 1 8 9 3 f . 123

506

BGHSt 24 S. 327; 34 S. 146.

§98

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

gesagt zu haben oder es nicht so gesagt zu haben, von seiner früheren falschen Darstellung eindeutig abweicht und sie durch eine wahrheitsgemäße Aussage ersetzt. 121 bb) Ist nicht aufklärbar, ob die zweite oder die erste Aussage richtig war, so soll § 158 nach h.M. in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" Anwendung finden. 122 c) Die Berichtigungsstelle 110 Gemäß § 158 Abs. 3 kann die Berichtigung bei der Behörde erfolgen, bei der die Falschaussage erstattet wurde oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem beliebigen Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde. d) Der Zeitpunkt der Berichtigung 111 Die Berichtigung muß rechtzeitig erfolgen. - Verspätet ist die Berichtigung gemäß § 158 Abs. 2: aa) Wenn sie bei der Entscheidung - das sind nur Sachentscheidungen, die den Fall ganz oder teilweise erledigen - nicht mehr berücksichtigt werden kann; bb) wenn aus der Tat schon ein - über die bloße Verschlechterung der Prozeßlage hinausgehender - Nachteil für einen anderen entstanden ist; cc) wenn bereits gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist. Maßgeblich für den Zeitpunkt ist der Eingang der Berichtigung bei einer der zuständigen Behörden, nicht der der Kenntnisnahme durch den zuständigen Beamten. e) Rechtsfolgen 112 Die Rechtsfolgen gemäß § 158 Abs. 1 und § 163 Abs. 2 sind unterschiedlich: Bei den Falschaussagen i.S. der §§ 153, 154, 156 kann der Richter die Strafe gemäß § 49 Abs. 2 mildern oder ganz von Strafe absehen. - Bei den fahrlässigen Falschaussagen ist die Straflosigkeit obligatorisch.

§ 98: Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 339 1

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege in ihrer speziellen Aufgabe, richtiges Recht zu sprechen. Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1.

2. Rechtssache und Partei 2 Rechtssache ist eine Rechtsangelegenheit, bei der mehrere Beteiligte mit widerstreitenden rechtlichen Belangen einander gegenüberstehen können, wenn über sie nicht durch Verwaltungsmaßnahmen zu befinden ist, sondern in einem rechtlich geregelten Verfahren eine richterliche oder eine dieser gleichkommende Entscheidung zu treffen ist. 123 - Partei ist jeder Beteiligte an der Rechtssache.

121 1 2 2

OLG Hamburg JR 1981 S. 383 mit Anm. RUDOLPHI S. 384 ff. Vgl. B a y O b L G N J W

1 9 7 6 S . 8 6 0 m i t A n m . KÜPER N J W

1 9 7 6 S . 1 8 2 8 ff, STREE J R 1 9 7 6 S. 4 7 0 f f ;

DERS. I n d u b i o p r o r e o , 1 9 6 2 , S . 2 9 f f . - A . A . U I B E L N J W 1 9 6 0 S . 1 8 9 3 f . 123

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BGHSt 24 S. 327; 34 S. 146.

S t r a f b a r e Beeinträchtigung rechtlicher V e r f a h r e n

§98

Rechtssachen sind danach alle Rechtsstreitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten sowie Verfahren vor den Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs-, Finanz- und Verfassungsgerichten, Disziplinarverfahren und das Verwaltungsvorverfahren, das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, soweit alleinverantwortliche Entscheidungen der StA in Betracht k o m m e n . ' 2 4 Keine Rechtssachen sind das Steuerfestsetzungs- und Steuerveranlagungsverfahren (BGHSt 24 S. 326; OLG Celle NStZ 1986 S. 513); Kostenfestsetzungsverfahren durch Rechtspfleger (OLG Düsseldorf MDR 1987 S. 604); Sozialhilfeverfahren (OLG Koblenz GA 1987 S. 553); Abnahme der Meisterprüfung (OLG Koblenz MDR 1993 S. 1104); Tätigkeit des Gerichtsvollziehers (OLG Düsseldorf NJW 1997 S. 2124).

3. Die Tathandlung Das Recht beugt, wer Gesetz und Recht dadurch verletzt, daß er die ihn treffenden Pflichten als Richter (nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 auch Schöffen!), Amtsträger oder Schiedsrichter bei der Ermittlung des Sachverhalts oder der Anwendung des Rechts verletzt. 125 - Auf der Basis einer grundsätzlich objektiven Bestimmung des Begriffs der Rechtsbeugung schränkt der BGH den Tatbestand in seiner neueren Rechtsprechung dadurch wesentlicher ein, daß er als Rechtsbeugung nur den "schwerwiegenden Rechtsbruch" ansieht. 126 Diese Begrenzung des Tatbestandes findet im Gesetzesentwurf keine Grundlage. 127 Die Tathandlung muß zu einem schädlichen Erfolg, der Verbesserung oder der Verschlechterung der Lage einer Partei geführt haben. 4. Der subjektive

3

Tatbestand

Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auf die Verletzung der Rechtspflichten und deren begünstigende oder benachteiligende Wirkung für eine Partei beziehen muß. 128

4

5. Schutzfunktion zugunsten des Entscheidenden § 339 hat für den Entscheidenden in einer Rechtssache eine nicht unerhebliche Schutzfunktion: Wer wegen seiner Tätigkeit bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zur Verantwortung gezogen wird, kann auch nach anderen Vorschriften als § 339 (insbes. nach §§ 211, 212, 239) nur dann verurteilt werden, wenn ihm eine Rechtsbeugung i.S. des § 339 nachgewiesen wird. 129

124 125

Vgl. dazu BGHSt 32 S. 357; OLG Bremen NStZ 1986 S. 120. So auch BEHRENDT JuS 1989 S. 946 ff; GEPPERT Jura 1981 S. 80; RuDOLPHiZStW 82 (1970) S. 628 ff; SCHMIDHÄUSER B . T . , 2 3 / 4 4 ; W A G N E R A m t s v e r b r e c h e n , 1 9 7 5 , S . 1 9 9 f f ( P f l i c h t t h e o r i e ) . - A u f d i e o b -

jektive Rechtsverletzung stellen ab: BEMMANN GA 1969 S. 65 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 76 Rdn. 8; SEEBODE JuS 1969 S. 204; SPENDELLK, 10. Aufl., § 336 Rdn. 41 (objektive Theorie). - Das Handeln des Täters gegen seine Rechtsüberzeugung halten für maßgeblich: SARSTEDT Heinitz-FS, S. 427 ff; v. WEBER NJW 1950 S. 272 ff (subjektive Theorie). 126 vgl. BGHSt 32 S. 363 f; 34 S. 149; 38 S. 383; 40 S. 40; 40 S. 178; 40 S. 283; 41 S. 251; 42 S. 345; B G H N J W 1 9 9 7 S. 1452. - Z u s t . : LACKNER/KÜHL § 3 3 6 R d n . 5; SCH/SCH/CRAMER § 3 3 6 R d n . 5 b. 1 2 7

Z u r K r i t i k v g l . BEMMANN

J Z 1 9 9 5 S . 1 2 7 ; BRAMMSEN N S t Z 1 9 9 3 S . 5 4 2 ; H O H M A N N

D t Z 1 9 9 6 S.

237; SCHOLDERER Rechtsbeugung im demokratischen Rechtsstaat, 1993, S. 644; SCHROEDER DRiZ 1 9 9 6 S . 2 2 2 ; SCHULZ S t V 1 9 9 5 S . 2 0 8 f; SEEBODE J R 1 9 9 4 S . 1 f f ; DERS. J u r a 1 9 9 7 S . 4 2 0 f ; DERS. J R 1 9 9 7 S . 4 7 4 f f ; SOWADA G A 1 9 9 8 S . 1 7 8 f f ; SPENDEL J R 1 9 9 4 S . 2 2 2 ; DERS. J R 1 9 9 6 S . 1 7 7 f f ; DERS. J Z 1 9 9 8 S . 8 6 f ; STANGLOW J u S 1 9 9 5 S . 9 7 5 ; V O L K N S t Z 1 9 9 7 S . 4 1 2 f; W A G N E R J Z 1 9 8 7 S . 6 6 1 . 1 2 8

A . A . H . G . KRAUSE N J W 1 9 7 7 S . 2 8 5 f; I. MÜLLER N J W 1 9 8 0 S . 2 3 9 0 f f .

129

Vgl. BGHSt 10 S. 294;32 S. 364; 41 S. 255; OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 396 mit Anm. OTTO JK 90, S t G B § 3 3 6 / 3 ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 3 6 R d n . 11; RUDOLPHI S K I I , § 3 3 6 R d n . 2 2 ; SCHROEDER G A

1993

507

5

§98

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

6. Rechtsbeugung in der ehemaligen DDR 6 Bei der Beurteilung von Handlungen in einem anderen Rechtssystem sind die Besonderheiten dieses Rechtssystems zu berücksichtigen. Das gilt auch für die jeweils geltenden Maßstäbe der Gesetzesauslegung. - Für die Bestrafung von Richtern der DDR wegen Rechtsbeugung folgt daraus, daß diese nur in Betracht kommt, wenn die Rechtswidrigkeit der Entscheidung offensichtlich war, insbes. weil die Entscheidung wegen Verletzung von Menschenrechten als willkürlich anzusehen war. 130

II. Aussageerpressung, § 343 7

Geschützt ist die Rechtspflege. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 131

1. Der objektive Tatbestand Vorausgesetzt wird, daß ein Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), der zur Mitwirkung an bestimmten Verfahren berufen ist, einen anderen körperlich mißhandelt - dazu § 15 Rdn. 2, gegen ihn sonst Gewalt anwendet - dazu § 27 Rdn. 14 -, ihm Gewalt androht - dazu § 27 Rdn. 15 - oder ihn seelisch quält - dazu § 20 Rdn. 17. 9 Die Verfahren - Strafverfahren, Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung (Abs. 1 Nr. 1), Bußgeld- (Abs. 1 Nr. 2), Disziplinarverfahren, ehrengerichtliche oder berufsgerichtliche Verfahren (Abs. 1 Nr. 3) - sind abschließend aufgezählt. 8

Zum Strafverfahren gehören auch das Jugendgerichtsverfahren sowie das Verfahren zur Anordnung einer Maßnahme gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 8. Der Anordnung einer behördlichen Verwahrung dienen z.B. die Verfahren zur Anordnung der Fürsorgeerziehung und zur Unterbringung Geistes- und Suchtkranker. - Zum Bußgeldverfahren vgl. §§ 35 ff OWiG; zu den Disziplinarverfahren z.B. die BDO; zu den ehren- und berufsgerichtlichen Verfahren z.B. §§ 116 ff BRAO, §§ 46 ff SteuerberatG.

2. Der subjektive Tatbestand 10 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands und die Absicht (zielgerichtetes Wollen), das Opfer zu einer verfahrensrelevanten Aussage oder Erklärung oder zu deren Unterlassung zu nötigen.

III. Verfolgung Unschuldiger, § 344 11 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1. Bestraft wird die Verfolgung Unschuldiger in bestimmten Verfahren. 1. Der objektive Tatbestand 12 a) § 344 Abs. 1 S. 1 setzt voraus, daß ein Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren - abgesehen von dem Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsS. 3 9 4 f ; SPENDEL L K , 10. A u f l . , § 3 3 6 R d n . 129. - A . A . BEGEMANN N S t Z 1 9 9 6 S. 3 8 9 ; SCH/SCH/ CRAMER § 3 3 6 R d n . 7.

130 vgl. dazu BGHSt 40 S. 30 mit Anm. BÄNDEL NStZ 1994 S. 439 f, GEPPERT JK 1994, StGB § 336/4, SPENDEL J R 1 9 9 4 S. 2 2 1 , ROGGEMANN J Z 1 9 9 4 S. 7 6 9 f f ; 4 0 S. 178; 4 1 S. 2 5 1 ; MAIWALD N J W 1 9 9 3

S. 1881 ff; SCHROEDER GA 1993 S. 401 ff; WASSERMANN NJW 1992 S. 878 f. - Überblick über die R e c h t s p r e c h u n g : SPENDEL J R 1 9 9 6 S. 177 f f , WILLNOW J R 1 9 9 7 S. 2 6 5 f f . 131

D a z u MAIWALD J u S 1 9 7 7 S. 3 5 8 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 4 3 R d n . 1. - A . A . GEPPERT J u r a 1981 S. 8 1 ;

LACKNER/KÜHL, § 343 Rdn. 1: echtes Amtsdelikt; TRÖNDLE StGB, § 343 Rdn. 1.

508

S t r a f b a r e B e e i n t r ä c h t i g u n g rechtlicher V e r f a h r e n

§98

entziehenden Maßregel (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) - berufen ist, einen Unschuldigen, d.h. jemanden, der wegen der dem Verfahren zugrunde liegenden Tat nicht strafbar ist, oder jemanden, der nach dem Gesetz nicht verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, d.h. eine prozessual unzulässige Verfolgung betreibt. 132 Strafbare Verfolgung ist jedes dienstliche Tätigwerden im Rahmen eines Strafverfahrens. Das Hinwirken auf eine solche Verfolgung erfaßt die Tätigkeit von Hilfsorganen, die nicht selbst die Verantwortung für die Verfolgung tragen. Da es darauf ankommt, daß der Betroffene nicht verfolgt werden darf, entfällt der Tatbestand, wenn nach den einschlägigen Prozeßgesetzen eine Untersuchung trotz Kenntnis der Unschuld einer Person zu führen oder weiterzuführen ist, z.B. nach Eröffnung des Hauptverfahrens.' 3 3

b) In Abs. 1 S. 2 wird die entsprechende Tätigkeit eines Amtsträgers, der zur Mitwirkung 13 an einem Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung berufen ist, erfaßt. c) Abs. 2 S. 1 erfaßt die entsprechende Tätigkeit des Amtsträgers im Verfahren zur An- 14 Ordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßnahme, § 11 Abs. 1 Nr. 8. d) Gemäß Abs. 2 S. 2 tritt an die Stelle der Verfolgung wegen einer Straftat oder rechts- 15 widrigen Tat die wegen einer Ordnungswidrigkeit, eines disziplinarischen Vergehens oder solcher Vergehen, die im ehrengerichtlichen oder berufsgerichtlichen Verfahren geahndet werden. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Absicht oder Wissentlichkeit-, bedingter Vorsatz ge- 16 nügt nicht. Ist der Amtsträger nicht subjektiv von der Unschuld des Verfolgten überzeugt oder kommt es ihm nicht darauf an, einen Unschuldigen zu verfolgen, so fehlt es am subjektiven Tatbestand. - Der Heranziehung der Lehre von der Sozialadäquanz oder des erlaubten Risikos bedarf es in diesem Falle n i c h t . ' 3 4

3. Konkurrenzen Gegenüber § 339 ist § 344 lex specialis. Im militärischen Disziplinarverfahren geht § 39 17 WStG als Spezialvorschrift vor. 135

IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1. 18 Bestraft wird die Vollstreckung von Strafen oder Maßregeln, die nach dem Gesetz nicht oder nicht so vollstreckt werden dürfen. 1. § 345 Abs. 1,2 a) Abs. 1, 2 erfassen die mit Freiheitsentzug verbundene rechtswidrige Vollstreckung ei- 19 ner Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§61 Nr. 1-4) oder einer freiheitsentziehenden behördlichen Verwahrung. - Vollstreckung 132

Vgl. GEERDS Spendel-FS, S. 511.

133

So auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 76 Rdn. 31.

134

Vgl. auch OLG Düsseldorf wistra 1992 S. 358; OLG München MDR 1985 S. 781 mit Anm. HERZBERG J R 1 9 8 6 S . 6 f f , u n d GEPPERT J K , S t G B § 3 4 4 / 1 ; O L G D ü s s e l d o r f J R 1 9 8 9 S. 1 1 8 m i t A n m . LANGER

S. 95 ff; GEERDS Spendel-FS, S. 513 ff. 135

So auch HORN SK II, § 344 Rdn. 15. - A.A. GEPPERT Jura 1981 S. 83: Tateinheit.

509

§98

Dritter Teil: Delikte g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

ist jede dienstliche Tätigkeit und jedes pflichtwidrige Unterlassen, das den Erfolg der vollständigen oder teilweisen Vollziehung einer Rechtsfolge herbeiführt. 20 b) Die Tat muß zumindest bedingt vorsätzlich (Abs. 1) oder leichtfertig (Abs. 2) begangen werden. - Leichtfertig bedeutet grob fahrlässig. 1 3 6 2. §345 Abs. 3 21 a) Abs. 3 erfaßt in Satz 1 die rechtswidrige Vollstreckung von nicht freiheitsentziehenden Strafen (z.B. Geldstrafe) und Maßnahmen (§ 61 Nr. 5-7) sowie in Satz 2 die Vollstreckung weiterer, erschöpfend aufgezählter Maßregeln (Jugendarrest, Geldbuße oder Nebenfolge nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht, Ordnungsgeld, Ordnungshaft, disziplinarische, ehrengerichtliche und berufsgerichtliche Maßnahmen). 22 b) Die Tat gemäß Abs. 3 erfordert zumindest bedingten Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar. 3. Konkurrenzen 23 Tateinheit ist möglich mit § 339. - Gegenüber § 239 ist § 345 lex specialis.

V. Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d 24 Die Vorschrift schränkt das Recht, aus Gerichtsverhandlungen oder Gerichtsakten Mitteilungen zu machen, für bestimmte Fälle ein, in denen dies zum Schutz der durch das Strafverfahren Betroffenen nötig erscheint. - Mittelbar geschützt wird damit auch die Rechtspflege. 1 3 7 1. Der objektive Tatbestand der einzelnen

Alternativen

25 a) Nr. 1: Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot der öffentlichen Mitteilung über den sachlichen Inhalt einer Gerichtsverhandlung, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder über den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Schriftstücks. Ein gesetzliches Verbot der Mitteilung findet sich z.B. in § 174 Abs. 2 GVG. - Die Öffentlichkeit muß durch gerichtliche Anordnung ausgeschlossen worden sein, vgl. z.B. § 172 GVG. 26 b) Nr. 2: Verstoß gegen die Schweigepflicht; dazu § 174 Abs. 3 GVG. Unbefugt heißt hier rechtswidrig und ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Als Befugnis, d.h. Rechtfertigungsgrund, kommt insbes. eine gesetzliche Aussagepflicht in Betracht. 27 c) Nr. 3: Verstoß gegen das Verbot, Anklageschrift und bestimmte andere amtliche Schriftstücke im Wortlaut öffentlich mitzuteilen, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. 1 3 8 Im Wortlaut öffentlich mitteilen setzt wortgetreue öffentliche Wiedergabe voraus, und zwar wesentlicher Teile des

136 137

OLG Hamm NStZ 1983 S. 459 mit Anm. MÜLLER-DIETZ S. 460. Vgl. WALDNER MDR 1983 S. 424; WILHELM NJW 1994 S. 1521. - Für den Schutz der Unbefangenheit d e r V e r f a h r e n s b e t e i l i g t e n : M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 2 , § 7 5 R d n . 6 ; SCHMIDHÄUSER B . T . ,

23/56; SCH/SCH/LENCKNER § 353 d Rdn. 40. - Für einen gleichberechtigten Schutz beider Rechtsgüter: BVerfGE 71 S. 216 ff; BOTTKE NStZ 1987 S. 316 f; LACKNER/KÜHL § 353 d Rdn. 1; TRÖNDLE StGB, § 353 d Rdn. 1. 138

Zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift: BVerfGE 71 S. 206 mit Anm. BOTTKE NStZ 1987 S. 314 ff, u n d HOFFMANN-RIEM J Z 1 9 8 6 S. 4 9 4 f.

510

Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren

§98

Schriftstücks. 139 Mitteilungen durch den Betroffenen selbst, z.B. den Angeklagten, sind nicht tatbestandsmäßig, da sie das geschützte Rechtsgut nicht verletzen. 140 Private Schriftstücke werden nicht dadurch amtlich, daß sie in die Strafakten gelangen. 141 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz.

28

VI. Parteiverrat, § 356 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Die Vorschrift schützt die Rechtspflege, d.h. das Vertrauen in die Integrität der Rechts- 29 pflege. Die Schutz der persönlichen Treueverpflichtung gegenüber dem Auftraggeber ist nur Reflex dieses Schutzes. b) Rechtssachen sind alle Angelegenheiten des Zivil-, Straf-, Verwaltungsrechts und der 30 freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei denen mehrere Beteiligte in entgegengesetztem Interesse einander gegenüberstehen können und die nach Rechtsgrundsätzen zu entscheiden sind. 142 c) Täter kann jeder Rechtsbeistand im weiteren Sinne sein, der zur geschäftsmäßigen Be- 31 sorgung fremder Rechtsangelegenheiten amtlich zugelassen ist. - Es ist nicht erforderlich, daß der Täter den Beruf eines Rechtsbeistandes auf Dauer ausübt. Beispiele: Rechtsanwälte, jedoch nicht als Konkursverwalter (BGHSt 13 S. 231), Vormund (BGHSt 24 S. 191) oder Syndikus, wenn dieser weisungspflichtig tätig wird (dazu § 46 BRAO). - Patentanwälte; Hochschullehrer nach § 138 StPO; Referendare nach §§ 138 Abs. 2 und 142 Abs. 2 StPO; Prozeßagenten nach § 157 ZPO. - Letztere werden als täteruntauglich von denjenigen angesehen, die eine berufsmäßige Ausübung der Tätigkeit fordern. 1 4 3

Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1.

32

2. Der Grundtatbestand, Abs. 1 a) Abs. 1 erfaßt das Verhalten des Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes, der bei den ihm 33 in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien dient. Anvertrauen ist bereits die Übertragung der Interessenwahrnehmung. - Parteien sind 34 die an einer Rechtssache rechtlich beteiligten Personen. - Dienen ist jede berufliche Tätigkeit in der Eigenschaft als Anwalt oder Rechtsbeistand, rechtlicher oder tatsächlicher

139

Im einzelnen dazu OLG Köln JR 1980 S. 473 mit Anm. BOTTKE S. 474 ff; SCHOMBURG Z R P 1982 S. 142 ff; TöBBENS G A 1983 S. 97 ff.

140 vgl. auch LG Mannheim NStZ-RR 1996 S. 361; AG Weinheim NJW 1994 S. 1543 mit Anm. WILHELM S. 1520 ff. - Anders wenn die Rechtspflege als geschütztes Rechtsgut angesehen wird; vgl. A G N ü r n b e r g M D R 1 9 8 3 S . 4 2 4 m i t A n m . W A L D N E R S . 4 2 4 f; L A C K N E R / K Ü H L § 3 5 3 d R d n . 4 . 141

So auch A G Hamburg NStZ 1988 S. 411 mit Anm. STRATE S. 412; LACKNER/KÜHL § 353 d Rdn. 4. A.A. O L G H a m b u r g N S t Z 1990 S. 283 mit abl. A n m . SENFFT StV 1990 S. 4 1 1 f; TRAEGER LK, 10.

Aufl., § 353 d Rdn. 48. 142

BGHSt 18 S. 192; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 S. 298.

143

Im einzelnen dazu HÜBNER LK, 10. Aufl., § 356 Rdn. 28 ff.

511

Dritter Teil: Delikte gegen R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t

§98

Art, durch die das Interesse einer Partei gefördert werden soll 144 . - Der Täter muß beiden Parteien dienen; die Verfolgung eigener Interessen gegen den früheren Auftraggeber ist daher nicht tatbestandsmäßig. - Ob dieselbe Rechtssache vorliegt, ist nach dem Interessenkreis zu beurteilen, den der Auftraggeber dem Täter anvertraut hat. Dabei kommt es nicht auf die Identität der einzelnen Ansprüche oder des Verfahrens an, sondern darauf, ob die sich aus dem Gesamtsachverhalt ergebenden Interessen möglicherweise identisch sind. Beispiele: Zwei aufeinanderfolgende Scheidungsprozesse, bei denen jeweils die andere Partei vertreten wird (BGHSt 17 S. 305; 18 S. 192); Strafverfahren und damit zusammenhängende Schadensersatzklage (BGH GA 1961 S. 203); Verteidigung des Ehemannes im Verfahren wegen eines Sexualdelikts und Vertretung der Ehefrau im Scheidungsverfahren (OLG Düsseldorf NJW 1959 S. 1050); Beratung von Miterben (BayObLG JR 1991 S. 163 mit Anm. RANFT S. 164 ff); Beratung des Angekl. und eines als Alternativtäter in Betracht kommmenden Z e u g e n ; 1 4 5 Verteidigung des Angekl. und Schadensersatzprozeß gegen den Angekl. 1 4 *'

35 Pflichtwidrig dient der Anwalt, wenn er der anwaltlichen Berufspflicht (§ 45 Nr. 2 BRAO) zuwiderhandelt, d.h. wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache bereits in entgegengesetzem Interesse beraten oder vertreten hat. Entscheidend ist der Interessengegensatz, der auf der Grundlage der konkreten Ziele der Parteien und des erteilten Auftrags zu ermitteln ist. 147 Daß er in beiden Verfahren denselben Rechtsstandpunkt vertritt, ist unerheblich. 148 - Eine Einwilligung des Auftraggebers ist irrelevant, da nicht seine Interessen, sondern die der Rechtspflege geschützt werden. 149 - Eine Vertretung zweier Parteien durch Anwälte derselben Sozietät ist nicht pflichtwidrig. 150 36 b) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz. Der Täter muß sich insbes. "der Identität des materiellen Rechtsverhältnisses" 151 und des Interessengegensatzes bewußt sein. 152 3. Die Qualifikation, Abs. 2 37 Abs. 2 qualifiziert den Abs. 1 zum Verbrechen, wenn der Täter im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei handelt. Der Nachteil (Schaden) aufgrund der Tätigkeit des Täters braucht nicht eingetreten zu sein. Es genügt, daß sich der Täter der Verschlechterung der Rechtslage der anderen Partei bewußt i s t . 1 5 3

144

Vgl. BGHSt 20 S. 41.

145

Vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1995 S. 35 mit Anm. DAHS S. 16 ff, GEPPERT JK 95, StGB § 356/4, NIBBELING JR 1995 S.479 ff.

146

Vgl. BayObLG NJW 1995 S. 606 mit Anm. RANFT JR 1996 S. 256 f.

147

Vgl. BGHSt 5 S. 307 f; 7 S. 20; 9 S. 347; 18 S. 198; 34 S. 192; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 S. 237 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 356/5.

148

BGHSt 34 S. 190.

149

BGH NStZ 1985 S. 74.

150

BGH NJW 1994 S. 2302. - Zur Sozietät auch BGHSt 40 S. 188.

151

BGHSt 15 S. 338.

152

Dazu RANFT JR 1991 S. 164 ff.

153

OLG Düsseldorf wistra 1989 S. 316.

512

Bestechungsdelikte

§99

Fünfter Abschnitt Delikte gegen den öffentlichen Dienst § 99: Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die öffentliche Verwaltung, und zwar das Vertrauen in die Unkäuflichkeit von Trägern staatlicher Funktionen und in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen als Voraussetzung für ein sachgerechtes Funktionieren der Verwaltung.1 2. Die Systematik des Gesetzes Das Gesetz unterscheidet zwischen passiver und aktiver Bestechung. a) Grundtatbestand der passiven Bestechung ist § 331 Abs. 1 (Vorteilsannahme). Qualifiziert ist der Tatbestand in § 331 Abs. 2 für Richter und Schiedsrichter hinsichtlich ihrer richterlichen Tätigkeit. Eine weitere Qualifizierung des § 331 Abs. 1, 2 findet sich sodann in § 332 Abs. 1, 2 (Bestechlichkeit). Das qualifizierende Element besteht in der pflichtwidrigen Diensthandlung. Der Zusammenhang zwischen pflichtwidriger Diensthandlung und Käuflichkeit begründet eine stärkere Erschütterung des Vertrauens in die Sachlichkeit der Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern als der Zusammenhang zwischen pflichtgemäßer Diensttätigkeit und Käuflichkeit. b) Grunddelikt der aktiven Bestechung ist § 333 (Vorteilsgewährung). Einen qualifizierten Tatbestand enthält § 334 (Bestechung). c) Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und der Bestechung erfaßt § 335. d) § 336: Unterlassen der Diensthandlung, stellt klar, daß der Vornahme einer Diensthandlung oder einer richterlichen Handlung i.S. der §§ 331 - 335 auch das (vergangene oder künftige) Unterlassen der Handlung gleichsteht. e) § 337: Schiedsrichtervergütung, stellt klar, daß der sich gegen beide Parteien richtende Vergütungsanspruch des Schiedsrichters nicht als Vorteil i.S. der §§ 331 - 334 anzusehen ist. f) § 338 regelt die Voraussetzung der Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls in den Fällen der §§ 332, 334.

1

2 3

4 5 6

7

8

3. Tatbeteiligte a) Täter des Delikts nach § 331 Abs. 1 können nur Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) oder für 9 den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§ 11 Abs. 1 Nr. 4) sein. Diesen sind als Täter des § 331 Abs. 1, 332 Abs. 1, 336 gemäß § 48 Abs. 1 WStG Offiziere und Unteroffiziere und gemäß § 48 Abs. 2 WStG auch Mannschaften als Täter nach §§ 332 Abs. 1, 336 gleichgestellt. Täter des Delikts nach § 331 Abs. 2 und 332 Abs. 2 kann nur ein Richter (§ 11 Abs. 1 Nr. 3) oder ein Schiedsrichter (dazu z.B. §§ 1025, 1048 ZPO) sein. Die Täterposition ist strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1. V g l . B G H 15 S. 9 6 f; B G H S t V 1 9 9 7 S. 129; GEPPERT Jura 1 9 8 1 S. 4 6 ; JESCHECKLK, V o r § 3 3 1 R d n . 17; KREY B . T . 1, R d n . 6 6 0 ; KÜPPER B . T . l , II § 4 R d n . 5; LACKNER/KÜHL § 3 3 1 R d n . 1; LOOS W e l z e l F S , S. 8 9 0 ; RUDOLPHI S K II, § 3 3 1 R d n . 4 ; SCHLÜCHTER G e e r d s - F S , S. 7 1 5 .

513

§ 99

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

10

Diese Personen haften wegen ihrer Tatbeteiligung allein gemäß §§ 331, 332 und nicht als Teilnehmer an der Tat des Vorteilsgebers (§§ 333, 334), auch wenn sie diesen zur Tat angestiftet oder über das notwendige Maß hinaus Beihilfe geleistet haben. Die §§ 331, 332 enthalten für den dort genannten Täterkreis eine Exklusivregelung. 11 b) Umgekehrt ist das Verhalten des Vorteilsgebers abschließend in §§ 333, 334 erfaßt. Er kann wegen seines Verhaltens nicht als Teilnehmer einer Tat nach §§ 331, 332 bestraft werden. 12 c) Die Teilnahme Dritter ist in den §§331 ff nicht ausdrücklich geregelt. Damit erscheinen die allgemeinen Regeln anwendbar mit der Konsequenz, daß der Teilnehmer auf Seiten des Voiteilsnehmers nach §§ 26, 27 i.V.m. §§ 331, 332 haftet, der Teilnehmer auf Seiten des Vorteilsgebers nach §§ 26, 27 i.V.m. §§ 333, 334. 13 Diese Differenzierung geht jedoch an der Tatsache vorbei, daß die Tat des Vorteilsgebers im Regelfall einen schwereren Unrechtsgehalt verwirklicht als die eines Aussenstehenden, gleichgültig, ob er auf den Vorteilsnehmer oder -geber einwirkt, bzw. einen oder beide unterstützt. Daher erscheint es angemessen, allein den Vorteilsnehmer gemäß §§ 331, 332 zu erfassen, das Verhalten des Vorteilsgebers und an der Tat teilnehmender Dritter aber nach §§ 333, 334, bzw. unter Anwendung des Strafrahmens der §§ 333, 334 zu bestrafen. 2

II. Vorteilsannahme, § 331 1. Der Tatbestand des Abs. 1 14 Tathandlungen nach Abs. 1 sind das Fordern, Sichversprechenlassen oder Annehmen eines Vorteils für sich oder einen Dritten für die Dienstausübung, die als solche nicht nachweisbar dienstpflichtwidrig ist. Das Verhalten muß daher auf eine "Unrechtsvereinbarung" gerichtet sein, die aber im Gegensatz zum früheren Recht nicht mehr auf eine konkrete Diensthandlung "als Gegenleistung" gerichtet sein muß. Bezugspunkt ist nunmehr die dienstliche Tätigkeit, so daß es genügt, daß die Zuwendung in dem Bewußtsein erfolgt, daß der Amtsträger hierfür eine dienstliche Tätigkeit vorzunehmen hat oder künftig vornehmen werde. 3 Die Unrechtsvereinbarung braucht in der Alternative des Forderns nicht zum Abschluß gekommen zu sein, während sie in den Alternativen des Sichversprechenlassens oder des Annehmens zustande gekommen sein muß. Keine Annahme daher, wenn der Vorteil ordnungsgemäß weitergeleitet oder nur zu Beweiszwecken genommen wird, da es dann an der übereinstimmenden Unrechtsvereinbarung fehlt.

15 a) Vorteil ist jede Leistung, auf die der Amtsträger oder der begünstigte Dritte keinen Anspruch hat und die die wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage des Begünstigten objektiv verbessert. 4 16 Sozialadäquate Zuwendungen, d.h. kleine Aufmerksamkeiten, deren Angebot den Regeln der Höflichkeit oder der Verkehrssitte entspricht - Angebote einer Zigarette, einer Tasse Kaffee, eines Kalenders oder ähnlichen Werbegeschenkes, Neujährsgeschenke an BriefVgl. auch JESCHECK LK, § 334 Rdn. 8; KREY B.T. 1, Rdn. 675; RUDOLPHISK II, § 334 Rdn. 6 ff. Der Gesetzgeber folgte hier dem Vorschlag von DÖLLING Gutachten für den 61. Dt. Juristentag, 1996, C 64 ff; vgl. dazu auch GEERDS JR 1996 S. 310; KÖNIG JR 1997 S. 399. - Krit. dazu LÜDERSSEN StV 1997 S. 321 ff. Im einzelnen dazu vgl. § 61 Rdn. 19.

514

Bestechungsdelikte

§99

träger, die Angestellten der Müllabfuhr u.a. - sind keine Vorteile i.S. des Gesetzes. 5 Eine Begrenzung auf eine bestimmte Summe 6 ist demgegenüber sachwidrig. Damit wird die Käuflichkeit von Diensthandlungen nämlich grundsätzlich akzeptiert. Entgegen der früheren gesetzlichen Regelung werden jetzt nicht nur Vorteile erfaßt, die 17 die Amtsperson selbst besser stellen, sondern auch Zuwendungen an Dritte, denn auch in Fällen der Bevorteilung Dritter wird das geschützte Rechtsgut "Verkauf der dienstlichen Tätigkeit" beeinträchtigt. 7 b) Fordern ist das einseitige Verlangen des Vorteils. Sichversprechenlassen ist die An- 18 nähme eines auch nur bedingten Angebotes der späteren Zuwendung. - Annehmen ist das tatsächliche Empfangen des angebotenen Vorteils. 8 Keine Diensthandlungen sind erkennbare Privathandlungen, auch wenn diese bei Gelegenheit des Dienstes oder mit Kenntnissen aus dem Dienst wahrgenommen werden, wie z.B. Privat-Unterricht eines Lehrers (BGH GA 1966 S. 377); Detektivtätigkeit eines Polizeibeamten in seiner Freizeit (OLG Zweibrücken JR 1 9 8 2 S . 3 8 1 m i t A n m . GEERDS S . 3 8 4 f f ) .

c) Zwischen der Dienstausübung und dem Vorteil muß eine Beziehung bestehen. 19 Ob eine bestimmte dienstliche Tätigkeit wirklich vorgenommen worden ist oder vorgenommen wird, ist unbeachtlich. - Auch wenn der Täter nur vortäuscht, daß er eine Diensthandlung vorgenommen habe oder vornehmen werde, hat er eine Unrechtsvereinbarung erstrebt und damit das Vertrauen in seine Amtsführung erschüttert. 9 Dies war nach der früheren Gesetzeslage unstreitig für künftige Diensthandlungen, galt aber auch für in der Vergangenheit liegende Diensthandlungen, da die Beeinträchtigung des geschütztes Rechtsguts insoweit identisch ist. 1 0 d) Der Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz.

20

2. Der Tatbestand des Abs. 2 Die Tathandlungen gemäß Abs. 2 unterscheiden sich von denen des Abs. 1 nur dadurch, 21 daß sie sich auf eine konkrete richterliche Handlung beziehen, d.h. auf Handlungen, die nach den geltenden Rechtsvorschriften in den Zuständigkeitsbereich eines Richters oder Schiedsrichters fallen. 3. Die behördliche Genehmigung, Abs. 3 a) Nach Abs. 3 ist ein "Sichversprechenlassen" und "Annehmen" i.S. des Abs. 1 nicht 22 strafbar, wenn die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse die Annahme des Vorteils entweder vorher oder nach unverzüglicher Anzeige durch den Amtsträger ge5

Dazu auch BGH wistra 1991 S. 221; CREIFELDS GA 1962 S. 33 ff; FUHRMANN GA 1959 S. 97 ff; GEERDS Bestechungsdelikte, S. 76 ff.

6

Dazu GRIBL Der Vorteilsbegriff bei den Bestechungsdelikten, 1993, S. 96 ff, 146.

7

Zu den damit begründeten Problemen altruistischer Leistungen vgl. einerseits GRIBL Der Vorteilsbegriff bei den Bestechungsdelikten, 1993, S. 96 ff, 146; KÖRTE NStZ 1997 S. 515, andererseits im Hinblick auf diese Probleme im Rahmen klinischer Forschung und Drittmittelforschung vgl. PEIFFER NJW

8

Im einzelnen dazu vgl. § 61 Rdn. 156.

1 9 9 7 S . 7 8 2 f f ; LÜDERSSEN J Z 1 9 9 7 S . 1 1 2 .

9

Vgl. auch RUDOLPHI SK II, § 331 Rdn. 17 a.

10

So zum alten Recht auch GEERDS JR 1981 S. 301 ff; JESCHECK LK, § 331 Rdn. 14; LACKNER/KÜHL § 3 3 1 R d n . 1 1 . - A . A . B G H S t 2 9 S. 3 0 0 ; DÖLLING JUS 1 9 8 1 S. 5 7 2 ff; GÜLZOW M D R

1982 S. 8 0 2 ff;

MAIWALD N J W 1981 S. 2 7 7 7 ff.

515

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

§99

nehmigt hat. - Eine Genehmigung der Annahme vom Täter geforderter Vorteile kommt nicht in Betracht. 23 Maßgeblich ist nicht die formelle Genehmigung, sondern die tatsächliche Genehmigungsfähigkeit der Vorteilsannahme. Dann aber ist es angemessen, die Genehmigung als Rechtfertigungsgrund zu interpretieren und die Rechtfertigung auch dann durchgreifen zu lassen, wenn die Genehmigung pflichtwidrig verweigert wird. 11 24 b) Wird die Genehmigung erteilt, obwohl die Vorteilsannahme nicht genehmigungsfähig war, so hat die Genehmigungsbehörde sich nicht im Rahmen ihrer Befugnisse gehalten. Die Genehmigung kann keine rechtfertigenden Befugnisse entfalten, doch kommt für den Amtsträger ein Verbotsirrtum in Betracht. 12

III. Bestechlichkeit, § 332 1. Der

Tatbestand

25 a) § 332 qualifiziert § 331 für den Fall, daß die Unrechtsvereinbarung auf eine pflichtwidrige Dienst- oder richterliche Handlung abzielt. Gegenstand der Unrechtsvereinbarung ist hier - ausdrücklich oder konkludent - die Gewährung eines Vorteils an den Empfänger als Gegenleistung für eine von ihm vorzunehmende oder vorgenommene konkrete pflichtwidrige Dienst- oder richterliche Handlung. Die pflichtwidrige Handlung muß in ihrem sachlichen Gehalt mindestens in groben Umrissen erkennbar und festgelegt sein. 13 26 b) Eine Verletzung der Dienstpflicht liegt vor, wenn die Diensthandlung selbst - nicht nur die Vorteilsannahme - gegen ein auf Gesetz, Dienstvorschrift oder Einzelanordnung beruhendes Verbot oder Gebot verstößt. Sie ist auch dann gegeben, wenn der Täter eine dienstlich verbotene Handlung vornimmt, die ihm gerade durch seine Dienststellung ermöglicht wird. 1 4 27 c) Eine Klarstellung über den Umfang des Tatbestandes enthält Abs. 3. Danach finden Abs. 1, 2 auch Anwendung, wenn der Vorteilsnehmer sich in bezug auf eine künfiige Diensthandlung dem Vorteilsgeber gegenüber bereit zeigt, seine Pflichten zu verletzen oder, im Falle von Ermessenshandlungen, dem Vorteil Einfluß auf die Entscheidungen einzuräumen. - Der geheime Vorbehalt des Täters, den Vorteil nicht zu beachten oder die pflichtwidrige Handlung nicht zu begehen, entlastet ihn nicht. 28 Diese Entscheidung des Gesetzgebers, mit der eine langjährige Rechtsprechung positiviert wurde, ist konsequent: Auch in den unmittelbar in Abs. 1 und Abs. 2 genannten Fällen kommt es auf die Unrechtsvereinbarung an, nicht darauf, ob die Handlung dann 11

So im Ergebnis auch MAIWALD JUS 1977 S. 357. - Die h.M. fordert demgegenüber die Genehmigungsfähigkeit und die Absicht des Täters, unverzüglich Anzeige zu erstatten; vgl. ESER III, Nr. 18 A 5 0 ; G E P P E R T J u r a 1 9 8 1 S . 5 0 ; JESCHECK L K , § 3 3 1 R d n . 1 6 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 6 7 0 ; L A C K N E R / K Ü H L

§ 331 Rdn. 16. - Auf einen Verbotsirrtum stellt ab: TRÖNDLE StGB, § 331 Rdn. 25. Zur entsprechenden Problematik, wenn auch in einem anderen Rechtsbereich: OLG Jena NStZ-RR 1997 S. 315. 1 2

V g l . HARDTUNG E r l a u b t e V o r t e i l s a n n a h m e , 1 9 9 4 , S . 1 3 5 f f , 1 5 5 ; M A I W A L D JUS 1 9 7 7 S . 3 5 6 ; TRÖNDLE

1 3

V g l . B G H S t 3 2 S . 2 9 1 ; 3 9 S. 4 5 , 4 7 m i t A n m . GEERDS JR 1 9 9 3 S. 2 1 1 ff, OTTO J K 9 3 , S t G B § 3 3 1 / 4 ,

StGB, § 331 Rdn. 19; - A.A. SCH/SCH/CRAMER § 331 Rdn. 53. W A G N E R J Z 1 9 9 3 S . 4 7 3 f; B G H S t V 1 9 9 4 S . 2 4 3 . 14

Dazu BGH NJW 1983 S. 462; B G H NStZ 1987 S. 326 mit Anm. LETZGUS S. 3 0 9 ff, OTTO JK 87, S t G B § 3 3 2 / 2 . - A . A . E B E R T G A 1 9 7 9 S. 361 ff.

516

Bestechungsdelikte

§99

später in der vorgesehenen Weise vorgenommen wird. In den Fällen des Abs. 3 ist der Gehalt der Unrechtsvereinbarung, selbst wenn diese erst bis zur Bereiterklärung gediehen ist, von gleich negativer Wirkung für das geschützte Rechtsgut. - Die Vereinbarung muß aber objektiv auf ein pflichtwidriges Verhalten oder die Berücksichtigung des Vorteils bei einer Eimessensentscheidung gerichtet sein. Gibt der Vorteilsnehmer eine rechtmäßige Entscheidung lediglich als pflichtwidrig aus, oder täuscht er die Ermessenshandlung nur vor, so liegt nur § 3 3 1 (u.U. in Idealkonkurrenz mit § 263) vor, weil die Unrechtsvereinbarung objektiv nicht über pflichtwidriges Verhalten, sondern nur über ein scheinbar pflichtwidriges Verhalten zustande gekommen ist. Zur

Verdeutlichung:

BGH NStZ 1984 S. 24: A, dem die Überprüfung oblag, ob ausreisende Lkw-Fahrer einer Verkehrsgenehmigung bedurften, erweckte bei den Fahrern den Eindruck, er erteile die Verkehrsgenehmigung, obwohl die Voraussetzungen nicht vorlägen, wenn er ein Entgelt erhalte. In Wirklichkeit lagen die Voraussetzungen vor. BGH: Dem A kann der Anschein der Käuflichkeit für pflichtwidriges Handeln nur dann strafrechtlich zugerechnet werden, wenn die Diensthandlung objektiv pflichtwidrig und ihm die Pflichtwidrigkeit bewußt ist. Dies ist hier nicht der Fall.

d) Subjektiv erfordert der Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz. 2. Die

29

Tatvollendung

Die Tat ist mit dem Zustandekommen der Unrechtsvereinbarung in den Alternativen des 30 Sichversprechenlassens und Annehmens vollendet, beim Fordern mit Geltendmachung der Forderung. 3. Behördliche

Genehmigung

Eine Rechtfertigung durch behördliche Genehmigung kommt nicht in Betracht, weil die 3 1 Tat auf eine Pflichtverletzung gerichtet ist. 4. Strafschärfung,

Vermögensstrafe

und Erweiterter

Verfall

Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, auch in 32 Verb, mit Abs. 3, erfaßt § 335. Als Regelbeispiele nennt § 335 Abs. 2 den Vorteil großen Ausmaßes, die fortgesetzte Annahme von Vorteilen, die als Gegenleistung für Aufträge oder Diensthandlungen gefordert wurden sowie das gewerbsmäßige Handeln und das Handeln als Mitglied einer Bande. § 338 Abs. 1 eröffnet die Möglichkeit der Verhängung einer Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls.

IV. Vorteilsgewährung, § 333 1. Der Tatbestand

des § 333 Abs. 1

a) § 333 bildet auf Seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu § 331, je- 33 doch mit einer Modifizierung: Die Tat kann nicht nur gegenüber den in § 331 genannten Amtspersonen, sondern auch gegenüber Soldaten (§ 1 Abs. 1 SoldatenG) begangen werden. - Da der einfache Soldat in § 331 nicht mit Strafe bedroht ist, vgl. § 48 Abs. 1 WStG, bleibt dieser als Nehmer des Vorteils straflos, während der Geber nach § 333 bestraft wird. - Eine wenig überzeugende Regelung. b) Als Tathandlung

entspricht dem Fordern das Anbieten, dem Versprechenlassen das 34 517

§ 100

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Versprechen und dem Annehmen das Gewähren: im einzelnen dazu § 61 Rdn. 165. 35 c) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz. 2. Der Tatbestand des Abs. 2 36 a) Gegenstand der Tathandlung nach Abs. 2 ist eine bereits vorgenommene oder künftig vorzunehmende richterliche oder schiedsrichterliche Handlung. b) Subjektiv ist auch hier zumindest bedingter Vorsatz erforderlich. 37 3. Die behördliche Genehmigung nach Abs. 3 ist das Gegenstück zu § 331 Abs. 3; vgl. dazu Rdn. 22 f.

V. Bestechung, § 334 1. Der Tatbestand der Abs. 1, 2 38 § 334 Abs. 1, 2 bilden auf Seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu § 332 Abs. 1,2. 2. Die Regelung des Abs. 3 39 Abs. 3 stellt klar, daß mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils als Gegenleistung für eine künftige Diensthandlung oder richterliche Handlung nur der Versuch verbunden sein muß, den anderen zu bestimmen, bei einer gebundenen Diensthandlung seine Pflichten zu verletzen (Nr. 1) oder bei einer Ermessenshandlung dem Vorteil Einfluß auf die Entscheidung einzuräumen (Nr. 2). Ob der Versuch erfolgreich ist oder erfolglos bleibt, ist irrelevant. Auch im Falle des Abs. 3 Nr. 2 genügt bedingter Vorsatz, einer besonderen Beeinflussungsabsicht bedarf es nicht. 3. Strafschärfung 40 Besonders schwere Fälle der Bestechung nach § 334 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, jeweils auch in Verb, mit Abs. 3 erfaßt § 335; dazu vgl. Rdn. 32. § 338 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit der Verhängung der Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls in best. Fällen des § 334.

§ 100: Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357 1. Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift 1 Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift liegt darin, daß der Täter, der nicht schon nach den allgemeinen Regeln Mittäter oder mittelbarer Täter der vom Untergebenen begangenen Tat ist, nicht nur als Anstifter, Gehilfe oder erfolgloser Anstifter, sondern wie ein Täter bestraft wird. Für ihn sind die Strafmilderungsmöglichkeiten der §§ 27, 30 ausgeschlossen. 2. Geschütztes Rechtsgut und Täter 2

a) Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, daß der vorgesetzte oder beaufsichtigende Amtsträger die Verantwortung dafür trägt, daß in seinem Dienstbereich mit seinem Wis518

§ 100

Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit

Versprechen und dem Annehmen das Gewähren: im einzelnen dazu § 61 Rdn. 165. 35 c) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz. 2. Der Tatbestand des Abs. 2 36 a) Gegenstand der Tathandlung nach Abs. 2 ist eine bereits vorgenommene oder künftig vorzunehmende richterliche oder schiedsrichterliche Handlung. b) Subjektiv ist auch hier zumindest bedingter Vorsatz erforderlich. 37 3. Die behördliche Genehmigung nach Abs. 3 ist das Gegenstück zu § 331 Abs. 3; vgl. dazu Rdn. 22 f.

V. Bestechung, § 334 1. Der Tatbestand der Abs. 1, 2 38 § 334 Abs. 1, 2 bilden auf Seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu § 332 Abs. 1,2. 2. Die Regelung des Abs. 3 39 Abs. 3 stellt klar, daß mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils als Gegenleistung für eine künftige Diensthandlung oder richterliche Handlung nur der Versuch verbunden sein muß, den anderen zu bestimmen, bei einer gebundenen Diensthandlung seine Pflichten zu verletzen (Nr. 1) oder bei einer Ermessenshandlung dem Vorteil Einfluß auf die Entscheidung einzuräumen (Nr. 2). Ob der Versuch erfolgreich ist oder erfolglos bleibt, ist irrelevant. Auch im Falle des Abs. 3 Nr. 2 genügt bedingter Vorsatz, einer besonderen Beeinflussungsabsicht bedarf es nicht. 3. Strafschärfung 40 Besonders schwere Fälle der Bestechung nach § 334 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, jeweils auch in Verb, mit Abs. 3 erfaßt § 335; dazu vgl. Rdn. 32. § 338 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit der Verhängung der Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls in best. Fällen des § 334.

§ 100: Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357 1. Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift 1 Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift liegt darin, daß der Täter, der nicht schon nach den allgemeinen Regeln Mittäter oder mittelbarer Täter der vom Untergebenen begangenen Tat ist, nicht nur als Anstifter, Gehilfe oder erfolgloser Anstifter, sondern wie ein Täter bestraft wird. Für ihn sind die Strafmilderungsmöglichkeiten der §§ 27, 30 ausgeschlossen. 2. Geschütztes Rechtsgut und Täter 2

a) Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, daß der vorgesetzte oder beaufsichtigende Amtsträger die Verantwortung dafür trägt, daß in seinem Dienstbereich mit seinem Wis518

Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 3 5 7

§ 100

sen keine rechtswidrigen Taten durch nachgeordnete Amtsträger begangen werden. b) Das geschützte Rechtsgut ist das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und in die ordnungsgemäße Kontrolle von Untergebenen durch Vorgesetzte und Aufsichtspflichtige. 15 c) Täter und Untergebener (Abs. 1) oder Beaufsichtigender (Abs. 2) müssen Amtsträger sein, da nur dann das nötige Maß der Gefährdung des Rechtsguts erreicht ist. 16 Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. I. 1 7 3. Einzelheiten des

3

4

Tatbestandes

a) Rechtswidrige Tat im Amte muß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, vorsätzliche Tat sein.

5

Demgegenüber wird zum Teil gefordert, unter § 357 auch solche Handlungen der Amtsvorgesetzten zu erfassen, in denen der Untergebene gutgläubig tätig wird oder nur fahrlässig handelt, wenn der Vorgesetzte wegen Fehlens der erforderlichen Täterqualität nicht selbst mittelbarer Täter sein kann. 1 8 - Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die weite Auslegung möglich. Dennoch erscheint die Erweiterung der Täterstrafe auf Fälle der Urheberschaft, die nicht bereits nach allgemeinen Regeln als Fälle unmittelbarer Täterschaft faßbar sind, kriminalpolitisch nicht notwendig.

b) Die Tat braucht kein Amtsdelikt im engeren Sinne zu sein, d.h. eine Tat i.S. des 28. Abschnitts des StGB, sondern eine Tat, die der Untergebene usw. in Ausübung seines Dienstes begangen hat oder begehen sollte. - In Abs. 2 muß "begangene Tat" auch als "zu begehende Tat" interpretiert werden, da die erfolglose Anstiftung hier keineswegs ausgeschlossen, sondern die Parallele des Tatbestands mit Abs. 1 voll durchgeführt werden sollte.

6

c) Verleiten ist erfolgreiches Bestimmen, doch bezieht das Unternehmen den Versuch des Verleitens ein. Geschehenlassen setzt die tatsächliche Möglichkeit der Verhinderung der Tat voraus. Erfaßt wird aber nicht nur die Beihilfe durch Unterlassen, sondern auch die Beihilfe durch positives Tun.

7

4. Zur Verdeutlichung BGHSt 3 S. 349: Der Kriminalsekretär O führte die Untersuchungsgefangene S angeblich zu einer Gegenüberstellung mit dem Hehler. Auf dem W e g e dorthin erschoß er sie. Sein Dienstvorgesetzter G hatte ihm Ratschläge für die Durchführung dieser Tat gegeben. BGH: O: § 211. - G: sachlich §§ 211, 27 jedoch Bestrafung als Täter gemäß § 357 i.V.m. § 211.

15

Dazu JESCHECK LK, 10. Aufl., § 357 Rdn. 1.

16

JESCHECK LK, 10. Aufl., § 357 Rdn. 5.

17

D a z u JESCHECK L K , 10. A u f l . , § 3 5 7 R d n . 1; LACKNER/KÜHL § 3 5 7 R d n . 1. - A . A . RUDOLPHI S K II, §

357 Rdn. 1; TRÖNDLE StGB, § 357 Rdn. 1: Unechtes Amtsdelikt, soweit §§ 26, 27 oder 30 Abs. 1 erfüllt sind. 18

JESCHECK L K , 10. A u f l . , § 3 5 7 R d n . 5 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 9 7 R d n . 4 ; ROGALL

19

So auch TRÖNDLE StGB, § 357 Rdn. 1 i.V. m. § 11 Rdn. 33.

GA 1 9 7 9 S . 2 4 .

519

8

Paragraphenregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Paragraphen, die mageren auf deren Randnummern. §80 § 80 a §81 §82 § 83 a §84 §85 §86 § 86 a §87 §88 §89 §90 § 90 a § 90 b §93 §94 §95 §97 § 97 a § 97 b §98 §99 § 100 § 100 a § 102 § 103 § 104 § 104 a § 105 § 106 § 106 a § 106 b § 107 § 107 a § 107 b § 107 c § 108 § 108 a 520

62 3 62 4 f 83 5 ff 83 8 f 84 10 84 6 ff 84 12 ff 84 17 ff 84 23 ff 84 27 ff 84 30 ff 84 33 ff 84 38 ff 84 38 ff 84 38 ff 85 3 ff 85 7 ff 85 12 ff 85 15 f 85 17 f 85 19 f 85 30 85 25 ff 85 31 ff 85 21 ff 86 2 86 3 ff 86 6 86 7 f 87 3 f 87 4 87 5 ff 87 8 ff 87 11 87 12 f 87 14 87 15 87 16 87 17

§ 108 b § 108 c § 109

87 18 87 20 88 2 ff

§ § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § §

88 7 ff 88 11 88 12 ff 88 19 88 20 37 4 63 63 ff 91 1 ff 91 1 f 92 1 ff 92 12 ff 35 1 ff 35 21 ff 63 2 ff 63 18 ff 63 23 ff 90 1 ff 90 4 ff 91 16 ff 63 27 ff 63 44 ff 63 52 ff 89 5ff 89 14 ff 93 1 ff 89 1 ff 93 8 ff 67 26 ff 67 35 ff 63 40 ff 80 45 ff 67 16 ff 96 24 96 25 95 12 ff

109 a 109 d 109 e 109 f 109 g 109 h 111 113 114 120 121 123 124 125 125 a 126 127 129 129 a 130 130 a 131 132 132 a 133 134 136 138 139 140 142 145 145 a 145 c 145 d

§ § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § §

146 147 148 149 151 152 a 153 154 155 156 157 158 159 160 163 164 166 167 167 a 168 169 170 170 II 171 172 173 174 a 174 b 174 c 176 176 a 176 b 177 178 179 180 180 a 180 b 181

75 4 ff 75 19 ff 76 1 ff 75 18 75 23 f 75 25 ff 97 32 ff 97 38 ff 97 47 ff 97 51 ff 97 95 ff 97 106 ff 97 77 ff 97 85 ff 97 66 ff 95 1 ff 64 2 ff 64 8 ff 64 11 64 12 ff 65 1 ff 65 19 ff 13 63 65 31 ff 65 8 ff 65 13 ff 66 31 ff 66 42 ff 66 33 ff 66 46 ff 66 45 ff 66 54 ff 66 10 ff 66 21 66 22 ff 66 60 ff 66 88 ff 66 94 ff 66 100 ff

Paragraphenregister § 181 a § 182 § 183 § 183 a § § § §

184 184 a 184 b 184 c

§ 185 § 186 § 187 § 188 § 189 § 193 § 194 §201 §202 §202 a § 203 §204 §206 §211 §212 §213 §216 §218 § 218 a § 218 b § 218 c §219 §219 a § 219 b § 220 a §221 § 222 §223 §224 §225 §226 §227 §229 §231 §234

66 104 ff 6 6 66 ff 66 77 ff 66 82 f 66 109 ff 66 84 ff 66 75 66 4 ff 3 2 1 ff 32 16 ff 3 2 26 f 3 2 28 ff 3 3 1 ff 3 2 36 ff 3 2 57 f 3 4 1 ff 3 4 16 ff 3 4 66 ff 3 4 26 ff 3 4 41 ff 3 4 45 ff 4 1 ff 3 1 ff 5 1 ff 6 1 ff 13 31 ff 13 27 ff 13 55 13 58 13 60 13 61 13 61 11 1 ff 10 1 ff 9 1 ff 15 1 ff 16 1 ff 20 1 ff 17 1 ff 18 1 ff 21 1 2 3 1 ff 28 20 f

§234 §235 §236 §239 § 239 § 239 §240 §241 §241 §242 §243 §244 §244 §246 §247 § 248 § 248 § 248 §249 §250 §251 §252 §253 §255 §257 §258 § 258 §259 §260 §260 §261 §263 § 263 §264 §264 §265 § 265 § 265 §266 § 266 § 266 § 266 §267

37 1 ff 65 34 ff 65 43 ff 28 1 ff 29 2 ff a b 29 8 ff 27 1 ff 36 1 ff a 37 1 ff 40 1 ff 41 1 ff 41 49 ff a 42 69 ff 42 I f f 43 1 ff a 44 1 ff b 48 1 ff c 45 1 ff 46 3 ff 46 30 ff 46 40 ff 46 50 ff 53 1 ff 53 23 ff 57 1 ff 96 1 ff a 96 20 ff 58 1 ff 58 33 a 58 34 96 26 ff 51 2 ff a 52 28 ff 61 8 ff a 61 38 ff 61 1 ff a 52 13 ff b 61 28 ff 54 1 ff a II 54 56 ff a I, III 61 68 ff b 54 41 ff 70 1 ff a

§268 §269 §271 § 273 §274

74 1 ff 70 59 ff 71 10 ff 72 14 72 1 ff, 74 17

§275 §276

70 71 ff 70 76, 71 27 70 76, 71 27 70 77 ff, 71 28 f 71 30 ff 70 81 ff 73 1 ff 61 82 ff 61 106 61 107 ff 61 111 ff 55 1 ff 55 13 55 14 ff 50 12 ff 50 1 ff 48 15 ff 61 124 ff 50 22 ff 50 35 50 36 61 142 ff 61 153 ff 61 172 61 173 61 174 47 2 ff 47 27 ff 47 34 ff 47 24 f 47 18 47 19 f 79 5 f 79 7 ff

§ 276 a §277 §278 §279 §281 §283 §283 § 283 § 283 §284 §285 §287 § 288 §289 §290 §291 §292 §293 §294 §298 §299 §300 §301 §302 § 303 § 303 § 303 §304 §305 § 305 §306 § 306

a b c

a b

a a

521

Paragraphenregister

§ § § §

306 306 306 306

b c d e

§ 306 f § 307 § 308 § 309 §310 §311 § 312 § 313 §314 §314 a §315 §315 a § 315 b § 315 c § 315 d §316 §316 a § 316 b § 316 c § 317 § 318 § 319 § 320 § 323 a § 323 b

522

79 13 ff 79 16 79 17 f 79 21 ff, 47 26 79 19 f 78 11 78 9 f 78 12 78 13 82 90 ff 82 84 ff 78 17 ff 82 101 f 78 14 80 I f f 80 11 ff 80 16 ff 80 21 ff 80 44 80 41 ff 46 69 ff 78 32 80 72 ff 78 33 78 22 ff 78 28 80 20 81 1 ff 78 34

§ 323 c §324 § 324 a §325 § 325 a §326 § 327 § 328 §329 § 330 a § 330 b §331 § 332 §333 §334 §339 §340 §343 §344 §345 §348 §352 §353 § 353 a § 353 b § 353 d §355 §356 §357

67 2 ff 82 33 ff 82 41 ff 82 49 f 82 59 ff 82 64 ff 82 89 82 93 ff 82 100 82 103 ff 82 106 f 99 14 ff 99 25 ff 99 33 ff 99 38 ff 98 1 ff 19 1 ff 98 7 ff 98 11 ff 98 18 ff 71 1 ff 52 1 ff 52 7 ff 94 13 94 1 ff 98 24 ff 34 59 ff 98 29 ff 100 1 ff

Sachregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Paragraphen, die mageren auf deren Randnummern. Abbilden, sicherheitsgefährdendes 88 20 Abbruch der Schwangerschaft 13 1 ff - Beratungs- und Feststellungssystem 13 9 ff - gerechtfertigter 13 39 ff -Indikation 13 46 ff - Konkurrenz zu Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 13 65 ff -Strafausschluß 13 50 ff - strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium 13 61 ff Abfallbeseitigung, umweltgefährdende 82 64 ff Abgabenüberhebung 52 7 ff Abhören 34 6 ff Absatzhilfe 58 17 ff Absetzen 58 17 f Abtreibung 13 1 ff Affektionswert 38 2, 41 42 Agententätigkeit 84 27 ff - geheimdienstliche 85 17 ff - landesverräterische 85 7 ff Aids 15 5; 16 13 ff Akzessorietät - der Teilnahme 8 1 ff - des Umweltstrafrechts 82 5 ff Amtsanmaßung 89 5 ff Androhung - eines Unterlassens 27 21 ff - von Straftaten 63 23 f Aneignung 40 55 ff Angehörigenprivileg 96 19 Angriffskrieg 62 3 Ankaufen 58 14 f Anleiten zu Straftaten 63 44 ff Anstellungsbetrug 51 130 ff Anvertraut - Geheimnis 34 30

- Sache 42 26 f - Gefangene und Verwahrte 66 39 - als Amtsträger 93 7 Anwerben für fremden Wehrdienst 37 4 Anzeigepflicht 67 29 ff Arbeitsentgelt - Veruntreuung 54 56 ff - Vorenthalten 61 68 ff Ärgerniserregung 66 82 f Aufstacheln zum Angriffskrieg 62 4 f Aufstachelung zum Rassenhaß 63 27 ff Aufzug 87 6 Augenscheinsobjekte 70 7 Ausnutzen 40 2 4 f Aussage, falsche 97 1 ff - inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch 97 5 ff - objektive Theorie 97 5 - subjektive Theorie 97 6 - Pflichttheorie 97 7 Aussagedelikte 97 1 ff Aussageerpressung 98 7 ff Aussagenotstand 97 95 ff Ausschreibungsbetrug 61 142 ff Aussetzung 10 1 ff - versuchte erfolgsqualifizierte 10 9 Ausspähen von Daten 34 66 ff Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse 71 30 ff Aussteller 70 10 ff Ausweispapier 73 2 Automatenmißbrauch 52 14 ff

Bande 41 61 ff Bandendiebstahl 41 61 ff - schwerer 41 69 ff Bandenhehlerei 58 33 f 523

Sachregister Bankrott 61 82 ff - besonders schwere Fälle 61 106 - einzelne Tathandlungen 61 91 ff - Täter 61 89 f Bannkreisverletzung 87 5 ff Baugefährdung 78 28 Bedrohung 36 1 ff Befriedigung des Geschlechtstriebes 4 7 ff Begünstigung 57 1 ff Behältnis 34 21, 41 18 f Behandlungsabbruch 6 29 ff Beischlaf zwischen Verwandten 65 13 ff Beiseiteschaffen 50 19 Beleidigung 32 1 ff - eines Kollektivs 31 15 ff - mittels Tätlichkeit 32 22 ff - unter einer Kollektivbezeichnung 31 10 ff Belohnung von Straftaten 63 40 ff Berichterstatterprivileg 63 58 ff Berichtigung falscher Angaben 97 106 ff Beschädigen 47 5 ff - wichtiger Anlagen 78 22 ff Beschimpfung von Bekenntnissen 64 2 ff Besitztum, befriedetes 35 57 Bestechlichkeit 61 153 ff, 87 18 Bestechung 61 153 ff, 99 1 ff Bestechungsdelikte 99 1 ff - Systematik 99 2 ff Beteiligung an einer Schlägerei 23 1 ff Betrieb 61 14 Betrug 51 1 ff -Anstellungsbetrug 51 130ff - bei Optionsgeschäften 51 147 ff - bei Termingeschäften 51 147 ff - Bereicherungsabsicht 51 94 ff - Bettelbetrug 51 127 ff - Computerbetrug 52 28 ff - Eingehungsbetrug 51 116 ff - Erfüllungsbetrug 51 116 ff -Irrtum 51 21 ff 524

-

Kapitalanlagebetrug 61 38 ff Kreditbetrug 61 28 ff Kreditkartenerschleichung 51 142 ff Lastschriftenbetrug 51 146 f Prozeßbetrug 51 137 ff Rechtsgut 51 2 Rentenbetrug 51 135 f Scheckkartenerschleichung 51 142 ff Sicherungsbetrug 51 151 ff Spendenbetrug 51 127 ff Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung 51 89 f - subjektiver Tatbestand 51 87 ff - Subventionsbetrug 61 8 ff - Täuschung (ausdrückliche, konkludente, durch Unterlassen) 51 9 ff - Verfügender und Geschädigter 51 44 ff - Vermögensgefährdung 51 70 ff - Vermögensschaden 51 54 ff - Vermögensverfügung 51 28 ff Bewegungsfreiheit 28 2 f Beweisbestimmung 70 21 ff Beweisfunktion 70 1 Beweiskraft, erhöhte 71 4 f Beweismittel, Angriff - gegen dessen Unversehrtheit 72 1 ff - gegen bestimmungsgemäße Verwendung 73 1 ff Beweiszeichen 70 7 Bildung - bewaffneter Haufen 90 1 ff - krimineller Vereinigungen 90 4 ff - terroristischer Vereinigungen 90 16 ff Billigung von Straftaten 63 40 ff Brandstiftung 79 1 ff - besonders schwere 79 13 ff - fahrlässige 79 17 f - schwere 79 7 ff - Tätige Reue 79 21 ff - vorsätzliche 79 5 ff - mit Todesfolge 79 16

Sachregister Brandstiftungsdelikte 79 1 ff Briefgeheimnis, Verletzung 34 16 ff Buchführungspflicht, Verletzung der 61 107 ff Computerbetrug 52 28 ff Daten - Fälschung 70 58 ff - Schutz 34 63 f, 47 27 ff - Unterdrückung 72 9 f - Veränderung 47 27 f - Ausspähen von 34 65 ff Datenverarbeitungsanlagen, mißbräuchliche Nutzung 52 31 ff Diebstahl, einfacher 40 1 ff - Abgrenzung zum Betrug 40 28 ff zur Erpressung 40 28 ff zur Unterschlagung 39 8 ff - bewegliche Sache 40 3 ff - fremd 40 9 ff - geringwertiger Sachen 41 41 ff - Geringwertigkeit des Tatobjekts 41 41 ff - Irrtum über Vorliegen eines Regelbeispiels 41 44 - mit Waffen 41 50 ff - Rechtsgut 39 1 - schwerer 41 1 ff - subjektiver Tatbestand 40 40 ff - Versuch 41 32 ff - Wegnahme 40 15 ff Diensthandlung 91 5 Doppelehe 65 8 ff Doppelselbstmord, fehlgeschlagener 6 54 ff Drittzueignung 40 71 ff Drohung 27 17 ff

Ehre (Begriff) 31 1 ff - normativer 31 2 - normativ-faktischer 31 3 - personaler 31 4 Ehrverletzungsdelikte 31 ff - Einzelheiten 32 1 ff - Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände 32 55 f - Rechtfertigung 32 35 ff Eidesgleiche Bekräftigung 97 47 ff Eidesunmündiger, Aussagen 97 105 Einbrechen 41 5 ff Eindringen 35 9 ff Eingehungsbetrug 51 116 ff Eingriff, gefährlicher - in den Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehr 80 11 ff - in den Straßenverkehr 80 16 ff Einheitstheorie 24 5 Einsperren 28 4 Einsteigen 41 10 Einwilligung - Ausschluß der 15 18 - Körperverletzung 15 15 ff - Tötung auf Verlangen 6 5 ff - mutmaßliche 15 22 ff Enteignung 40 56 ff Entführen 29 4 Entziehung - elektrischer Energie 45 1 ff - Minderjähriger 65 34 ff Erfüllungsbetrug 51 116 ff Ermächtigungs-(Befugnis-) theorie 40 38, 51 44 ff Erpresserischer Menschenraub 29 2 Erpressung 53 1 ff - Abgrenzung vom Betrug 53 18 ff Ersatzhehlerei 58 9 ff Erschleichen - der Beförderung durch ein Verkehrsmittel 52 19 ff - der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden 525

Sachregister Fernmeldenetzes 52 17 ff - freien Eintritts 52 23 ff - von Leistungen 52 13 ff Erstattung von Anzeigen 32 53 Erzieherprivileg 63 58, 66 62 Euthanasie 6 1 ff Exhibitionistische Handlungen 66 77 ff Explosionsdelikte 78 9 ff - durch Kernenergie 78 11 - durch Sprengstoff 78 9 f

Fahrlässiger Falscheid und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt 97 66 ff Fahruntüchtigkeit 80 23 ff Falschaussage 97 4 ff - versuchte Anstiftung 97 77 ff - Verleitung zur 97 85 ff Falschbeurkundung im Amt 71 1 ff - mittelbare 71 10 ff - schwere mittelbare 71 23 ff Falsche Verdächtigung 95 ff Falsche Versicherung an Eides Statt 97 51 ff Falscheid, fahrlässiger 97 66 ff Falscher Schlüssel 41 11 f Fälschung - beweiserheblicher Daten 70 59 ff - technischer Aufzeichnungen 74 1 - von Euroscheck(karten)vordrucken 75 25 ff - von Wahlunterlagen 87 12 Familiendiebstahl 43 1 ff - Irrtum über das Tatopfer 43 12 ff Fischwilderei 50 35 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger 66 60 ff Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei 84 6 ff Fotokopie 70 28 ff Freiheitsberaubung 28 1 ff - mittelbare Täterschaft 28 6 f 526

- Rechtswidrigkeit 28 8 ff - Verhältnis zur Nötigung 28 15 ff Freiheitsdelikte 26 1 ff Frieden sgefährdende Beziehungen 85 31 ff Fristenlösung, Beratungspflicht 13 9 ff Führen eines Fahrzeugs 80 22 Garantiefunktion 70 1 Gattungsschuld 40 81, 51 9 ff Gebäude 41 7 f Gebrauch - einer Urkunde 70 50 - falscher Beurkundungen 71 19 ff - Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen 71 27 Gebrauchen, Begriff 70 50 f Gebrauchsanmaßung - Abgrenzung zum Diebstahl 40 44 - strafbare 48 1 ff Gebührenüberhebung 52 1 ff Geburt 2 4 ff Gefährdung - des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs 80 11 ff - des demokratischen Rechtsstaats 84 1 ff - des Straßenverkehrs 80 16 ff - des Verkehrswesens 80 1 ff Gefährdungsdelikte 78 1 ff Gefangenenbefreiung 92 1 ff - Teilnahme Dritter 92 7 f - Teilnahme durch den Gefangenen selbst 92 9 f Gefangenenmeuterei 92 12 ff Gefangener 92 2 Gegensatztheorie 24 6 Geheimdienstliche Agententätigkeit 85 25 ff Geheimnissphäre 34 16 ff Geiselnahme 29 8 ff Geistigkeitstheorie 70 10 ff

Sachregister Geldfälschung 75 1 ff - Inverkehrbringen 75 10 ff, 19 ff - Nachmachen 75 4 ff - Sich verschaffen 75 9 - Verfälschen 75 8 Geldschuld 40 82 ff Geldwäsche 96 26 ff - Leichtfertiges Handeln 96 41 - Organisierte Kriminalität 96 26 - Strafaufhebung 96 42 -Strafmilderung 96 42 - Verschleierungstatbestand 96 29 ff Geldwerte Objekte 38 2 Geltungsanspruch, sozialer 31 3 Gemeine Gefahr 67 8 Gemeine Not 67 9 Gemeingefährliche Delikte 78 1 ff - Begriff 78 1 f - Überblick 78 8 ff Gemeingefährliche Mittel 4 41 ff Gemeinschädliche Sachbeschädigung 47 24 ff Geringwertig 41 42 f Geschäftsräume 35 4, 41 8 Gesundheitsschädigung 15 4 Gesundheitszeugnisse - Ausstellung 71 30 f - Fälschung und Gebrauch falscher 70 77 ff, 71 28 f Gewahrsam 40 16 ff Gewahrsamsbruch 40 28 ff Gewahrsamshüter 40 26 f Gewalt 27 2 ff - Begriff 27 2 ff Gewässer 82 34 Gewerbsmäßig 4 1 2 1 , 50 32 Gewohnheitsmäßig 50 32 Gift 16 4 f Gläubigerbegünstigung 61 111 Glücksspiel - Begriff 55 3 - Beteiligung am unerlaubten 55 13 Grausam 4 36 ff

Habgier 4 11 ff Haus- und Familiendiebstahl 43 1 ff Hausfriedensbruch 35 1 ff - befriedetes Besitztum 35 5 f - Eindringen 35 9 ff - schwerer 35 21 ff - Verweilen ohne Befugnis 35 17 f Häusliche Gemeinschaft 42 5 Hehlerei 58 1 ff - Ersatzhehlerei 58 9 ff - fahrlässige 58 35 - gewerbsmäßige 58 33 f - Konkurrenzen und Strafe 58 29 ff - subjektiver Tatbestand 58 23 ff - Verhältnis zur Vortat zur Hehlerei 58 7 f Heileingriff, ärztlicher 15 6 ff Heimtücke 4 17 ff Herbeiführen einer Brandgefahr 79 19 f Herrschaftswille 40 17 ff Herstellen einer unechten Urkunde 70 34 ff Hilfeleistung 57 6, 67 2 ff Hilfeleistung, unterlassene 67 1 ff - beim Suizid 6 58 ff Hilflosigkeit 10 2, 66 97 Hindernisbereiten 80 17 Hinterlistiger Überfall 16 9 Hintermann 28 8 f Hochverrat 83 1 ff - gegen den Bund 83 5 ff - gegen ein Land 83 8 Hungerstreik 6 53

Identitätstäuschung 70 32 ff Inbrandsetzen 79 1 ff Indikation 13 46 ff - medizinisch-soziale 13 46 ff - kriminologische 13 49 Ingebrauchnahme 48 3 Insolvenzdelikte 61 79 ff Instichlassen, Begriff 10 3 527

Sachregister Intimsphäre 32 52 Inverkehrbringen von Falschgeld 75 10 ff, 19 ff Irrtum 51 21 ff

Krisensituation 61 82 ff - drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit 61 87 f - Überschuldung 61 83 ff Kunstfreiheit 32 45 ff

Jagdwilderei 50 22 ff

Kapitalanlagebetrug 61 38 ff Kennzeichen 70 7, 84 23 ff Kettenanstiftung 97 83 Kinderhandel 65 43 ff Kollektivbeleidigung 31 10 ff Körperverletzung - einfache 15 1 ff - dauernde Entstellung 16 9 - fahrlässige 21 1 ff - gefährliche 16 1 ff - gefährliches Werkzeug 16 6 ff - gemeinschaftliche 16 10 - Gift oder andere gesundheitsschädigende Stoffe 16 4 ff - hinterlistiger Überfall 16 9 - im Amt 19 1 ff - Infizieren mit Aids 16 13 ff - Lähmung 16 10 - lebensgefährdende Behandlung 16 11 - mit Todesfolge 18 1 ff - schwere 17 1 ff - Siechtum 16 10 - Verfall 16 10 - wichtiges Glied 17 6 f Körperverletzungsdelikte 15 1 ff - Einwilligung 15 15 ff - Konkurrenzen 24 1 ff - Systematik 14 1 ff Kreditbetrug 61 28 ff Kreditgefährdung 32 27 Kreditkartenerschieichung 51 142 ff Kreditwucher 61 130 Kriminelle Vereinigung 90 6 ff

528

Lagertheorie 40 38 Landesverrat 85 7 ff Landesverräterische - Agententätigkeit 85 30 Landfriedensbruch 63 2 ff Lastschriftenbetrug 51 146 Lebensgefährdende Behandlung 16 11 Lebenslange Freiheitsstrafe 2 26 ff Lebensverkürzung - schmerzlindernde 6 32 ff Leibesfrucht 2 5 ff; 13 6 ff Leiche - Wegnahme 40 14; 64 12 ff Leichtfertigkeit, Begriff 46 44 Leistungskürzung 52 12 List 28 9 lucrum - e x r e 40 48 - ex negotio cum re 40 48 Luftverkehr, Angriff auf 80 11 ff

Meineid 97 38 ff Menschenhandel 66 94 ff Menschenmenge 35 22, 63 3 Menschenraub 29 2 ff Menschliches Leben 2 3 ff -Beginn 2 5 ff - Ende 3 61 Mietwucher 61 129 Minima-Klausel 82 81 Mißbrauch - von Ausweispapieren 73 1 ff - von Notrufen 67 16 ff - von Scheck- und Kreditkarten 54 41 ff

Sachregister - von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 89 14 ff - von Automaten 52 14 ff Mißbrauchstatbestand 54 12 ff Mißhandlung 5 6; 15 2 - körperliche 15 2 - rohe 20 5 - seelische 15 4 - von Schutzbefohlenen 20 1 ff Mittelbare Falschbeurkundung 71 10 f - schwere 71 23 ff Mord 4 1 ff - gemeingefährliche Mittel 4 41 ff - grausam 4 36 ff -Habgier 4 11 f - Heimtücke 4 17 ff - Mordlust 4 5 f - niedrige Beweggründe 4 13 ff - Teilnahmeprobleme 8 1 ff - Verdeckungsabsicht 4 45 ff - Verhältnis zu § 213 5 15 ff - Vorsatzprobleme 4 54 ff - zur Befriedigung des Geschlechtstriebes 4 7 ff Mosaiktheorie 85 6

Nachmachen 75 4 ff Nachrede, üble 32 16 ff Namenstäuschung 70 32 Nichtanzeige geplanter Straftaten 67 24 ff Nichterweislichkeit 32 21 Niedrige Beweggründe 4 13 ff Nötigung 27 1 ff - Androhung eines Unterlassens 27 21 ff - des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 87 4 - Drohung mit einem empfindlichen Übel 27 17 ff - Gewalt 27 2 ff

- Versuch 27 49 ff - Verwerflichkeitsklausel 27 28 ff - von Verfassungsorganen 87 3

Offenbarung - von Geheimnissen 34 26 ff Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 63 63 ff Öffentliche Urkunden 71 4 ff

Parteiverrat 98 29 ff Perpetuierungsdelikte 56 1 ff - Systematik 56 14 ff Personaler Vermögensbegriff 38 1 ff, 51 54 Personenstandsfälschung 65 1 ff - falsche Angaben 65 4 - Unterschieben eines Kindes 65 3 Persönlichkeitssphäre 34 1 Pfandkehr 50 1 ff Pfändungspfandrecht 50 2 Pflichttheorie 97 7 Politische Verdächtigung 37 1 ff Post- und Fernmeldegeheimnis, Verletzung 34 45 ff Preisgabe von Staatsgeheimnissen 85 15 f Privatgeheimnis 34 26 Prostitution - Ausbeuten 66 92 - Ausübung der verbotenen 66 84 ff - Förderung 66 88 ff - jugendgefährdende 66 75 - Nachgehen 66 84 Provokation, Schwere der 5 4 f, 18 22 ff Prozeßbetrug 51 137 ff

Quälen 20 5

529

Sachregister Rädelsführer 84 8 Raub 46 1 ff - Abgrenzung zum räuberischen Diebstahl 46 12 ff - finale Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme 46 7 ff - Gewalt und Drohung 46 3 ff - mit Todesfolge 46 40 ff - schwerer 46 30 ff - Systematik 46 2 ff -Versuch 46 27 f Räuberische Erpressung 53 23 ff Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 46 69 ff Räuberischer Diebstahl 46 50 ff - auf frischer Tat 46 54 -Betreffen 46 55 - Gewalt und Drohung 46 57 - Irrtum bei Vortat 46 62 - Konkurrenzen 46 66 ff - Täterschaft und Teilnahme 46 63 f Raum, umschlossener 41 5 ff Rausch, Begriff 81 3 ff Rauschtat 81 7 ff Rechtsbeugung 98 1 ff Rechtserheblichkeit der Gedankenerklärung 70 23 Rechtssachen 98 2 Regel(fall)beispiele 41 1 ff Rentenbetrug 51 135 f

Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 88 12 ff Sachbeschädigung 47 1 ff - Konkurrenz zu Zueignungsdelikten 47 15 ff - Besondere Fälle 47 18 ff Sachentziehung, straflose 47 11 Sachgefahr 67 4 ff Sachherrschaftsverhältnis 40 15 ff Sachsubstanztheorie 40 45 S ach Werttheorie 40 46 530

Scheckkartenerschleichung 51 142 ff Scheinwaffe 41 59 Schiedsrichtervergütung 99 7 Schienenbahnen im Straßenverkehr 80 44 Schiffsgefährdung durch Bannware 55 18 Schlägerei 23 2 ff Schuldnerbegünstigung 61 116 ff Schußwaffe 4 1 5 1 Schutz von Daten und Datenverarbeitung 34 63 f, 47, 27 ff Schutzvorrichtungen 41 17 f Schwächesituationen 61 134 ff - Mangel an Urteilsvermögen 61 137 - Unerfahrenheit 61 135 f -Willensschwäche 61 138 - Zwangslage 61 134 Selbstbegünstigung 57 10 f Sexuelle Belästigung Unbeteiligter 66 76 Sexuelle Handlung 66 5 ff Sexuelle Nötigung 66 10 ff Sexueller Mißbrauch -Jugendlicher 66 66 ff - unter Ausnutzung einer Amtsstellung 66 42 ff - unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses 66 30 ff - von gefangenen und verwahrten Personen 66 66 ff - von Kranken und Hilfsbedürftigen 66 31 f - von Schutzbefohlenen 66 55 ff - widerstandsunfähiger Personen 66 22 ff Sichbemächtigen 29 4 Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 88 19 Sicherungsbetrug 51 151 ff Sichversprechenlassen 99 14 Spendenbetrug 51 127 ff

Sachregister

Speziesschuld 40 79 Staatsgeheimnis 85 3 ff Sterbehilfe 6 1 ff - aktive 6 32 ff - passive 6 22 ff Steuergeheimnis, Verletzung 34 59 ff Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung 51 89 f Störpropaganda gegen die Bundeswehr 88 11 Störung - der Religionsausübung 64 8 ff - der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans 87 8 ff - der Totenruhe 64 12 ff - des öffentlichen Friedens 63 23 ff - einer Bestattungsfeier 64 11 - öffentlicher Betriebe 78 32 - von Telekommunikationsanlagen 78 33 Strafvereitelung 96 1 ff - Angehörigenprivileg 96 19 - im Amt 96 20 ff - zu eigenen Gunsten 96 18 Straßenverkehr 80 16 ff Submissionsbetrug 61 142 ff Subvention, Begriff 61 9 Subventionsbetrug 61 8 ff Suizid 6 40 ff - als Unglücksfall 6 58 ff - einseitig fehlgeschlagener Doppelselbstmord 6 54 ff - Garantenstellung zur Hinderung 6 45 ff - und Tötung auf Verlangen 6 40 ff - und Mitwirkung Dritter 6 40 ff

Tatsachenbehauptung 32 5 Täuschung 51 9 ff Telekommunikation 34 46 - Anlagen 34 46

-Dienste 34 46 - Dienstleistungen 34 46 Totschlag 3 1 ff - besonders schwere Fälle 3 5 - minder schwere Fälle 5 1 ff Tötung - auf Verlangen 6 1 ff - auf Verlangen und Suizid 6 40 f - fahrlässige 9 1 ff Tötungsdelikte - Konkurrenz zu Körperverletzungsdelikten 24 4 ff - Systematik 2 1 ff - Teilnahmeprobleme 8 1 ff Transportgefährdung 80 1 ff Treubruchstatbestand 54 18 ff Trunkenheit im Verkehr 80 23 ff, 80 41 ff

Überschuldung 61 83 ff Überschwemmungsdelikte 78 17 ff Üble Nachrede 32 16 ff -öffentliche 32 25 - und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens 32 28 ff Umweltstrafnormen 82 1 ff - Akzessorietät 82 5 ff - Amtsträgerstrafbarkeit 82 16 ff - einzelne Schutzbereiche 82 32 ff - geschütztes Rechtsgut 82 29 ff - Minima-Klausel 82 81 - Schutz von Gewässern 82 33 ff - Schutz von Luft 82 49 ff - Schutz vor der Verbreitung von Giften 82 101 ff - Schutz wertvoller Bestandteile der Natur 82 100 -Strahlenschutz 82 84 ff - umweltgefährdende Abfallbeseitigung 82 64 ff - Schutz vor Lärm, Erschütterungen

531

Sachregister und nichtionisierenden Strahlen 82 59 ff

Unbefugter Gebrauch - eines Fahrzeugs 48 1 ff - von Pfandsachen 50 1 ff Unbrauchbarmachen 93 5 Unerlaubte Veranstaltung - einer Lotterie oder Ausspielung 55 14 ff - eines Glücksspiels 55 1 ff Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 80 45 ff Unfall im Straßenverkehr 80 48 ff Unfallbeteiligter 80 46 f Unglücksfall 6 59 f, 41 26, 67 3 ff Unterdrücken - Beweiserheblicher Daten 72 9 f - von Postsendungen 34 55 - von Urkunden 72 1 ff Unterhaltspflicht, Verletzung der 65 19 ff Unternehmen 61 41 Unternehmensbuße 61 151 Unterschlagung 42 1 ff - als Grundtatbestand der Vermögensdelikte 40 8 - bei Ersatzleistung oder Bereitschaft zum Ersatz 42 19 ff - geringwertiger Sachen 43 1 ff - Verhältnis zum Diebstahl 40 8 Untreue und untreueähnliche Delikte 54 1 ff - Begrenzung des Anwendungsbereichs 54 38 - Gesetzessystematik 54 4 ff - Mißbrauchstatbestand 54 12 ff - Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten 54 41 ff - Treubruchstatbestand 54 18 ff - Veruntreuen von Arbeits-

532

entgelt 54 56 ff - Vermögensschaden 54 32 ff Urkunde 70 1 ff - Absichtsurkunde 70 21 - Abschriften und Fotokopien 70 28 ff - Augenscheinsobjekte 70 7 - Aussteller 70 10 ff - Begriff 70 1 ff - Beweisbestimmung 70 21 ff - Beweiseignung 70 18 f -Durchschriften 70 27 -Fotokopien 70 28 - Gebrauchen 70 50 - Geistigkeitstheorie 70 10 ff - Gesamturkunde 70 25 - Herstellen 70 34 ff - Identitätstäuschung 70 32 - Kennzeichen 70 7 - Strukturelemente 70 1 -unechte 70 32 -Verfälschen 70 47 ff - verkörperte Gedankenerklärung 70 6 f - zusammengesetzte 70 26 Urkundendelikte 70 1 ff Urkundenfälschung 70 1 ff Urkundenunterdrückung 72 1 ff

Veränderung einer Grenzbezeichnung 72 12 f Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen 98 24 ff Verbreitung pornografischer Schriften 66 109 ff Verdächtigen, Begriff 95 4 f Verdeckungsabsicht 4 45 ff Vereinigung, kriminelle 90 6 ff Vereinigungstheorie 40 48 f Vereinigungsverbot 84 12 ff Vereiteln der Zwangsvollstreckung 50 12 ff Verfälschen, Begriff 70 47 ff

Sachregister Verfassungsfeindliche - Einwirkung 84 33 ff -Sabotage 84 30 ff Verfolgung - aus politischen Gründen 37 2 - Unschuldiger 98 11 ff Verfolgungsvereitelung 96 3 ff Vergewaltigung 66 10 ff Vergiftung - gemeingefährliche 82 101 f Verherrlichung von Gewalt 63 52 ff Verleiten - eines Untergebenen 100 1 ff - zur Falschaussage 97 85 ff Verletzung - amtlicher Bekanntmachungen 89 1 ff - der Buchführungspflicht 61 283 b - der Fürsorge- und Erziehungspflicht 65 31 ff - der Unterhaltspflicht 65 19 ff - der Vertraulichkeit des Wortes 34 1 ff - des Briefgeheimnisses 34 16 ff - des Dienstgeheimnisses 94 1 ff - des Post- und Fernmeldegeheimnisses 34 45 ff - des Steuergeheimnisses 34 59 ff - des Wahlgeheimnisses 87 15 - von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten 86 6 - von Privatgeheimnissen 34 26 f Verleumdung 32 26 f Vermögensbegriff 51 54 ff - dynamischer 51 55 - juristischer 51 56 - juristisch-wirtschaftlicher 51 57 ff - personaler 38 3 ff, 51 54 - wirtschaftlicher 51 55 Vermögensdelikte 38 1 ff - praktische Bedeutung 38 14 ff - Struktur 38 10 ff Vermögensentziehungsdelikte 39 1 ff Vermögensgefährdung 51 70 ff

Vermögensschaden 51 53 ff Vermögensverfügung 51 28 ff Verrat - illegaler Geheimnisse 85 17 ff - in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses 85 20 Verschaffen 58 12 ff Verschleierung unrechtmäßiger Vermögenswerte 96 29 ff - Geldwäsche 96 26 ff Verschleppung 37 1 ff Versetzen in hilflose Lage 6 2 Versicherungsmißbrauch 61 1 ff Verstoß - gegen das Berufsverbot 96 25 - gegen ein Vereinigungsverbot 84 12 ff - gegen Weisungen 96 24 Verstrickungs- und Siegelbruch 93 8 ff Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst 94 13 Vertrauliche Äußerungen 32 52 Verunglimpfung - des Andenkens Verstorbener 33 1 ff - des Bundespräsidenten usw. 84 38 ff Veruntreuung 42 25 ff - anvertrauter Sachen 42 25 ff - von Arbeitsentgelt 54 56 ff Verwahrungsbruch 93 1 ff Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 84 23 ff Verwerflichkeitsklausel -Nötigung 27 28 ff Verwerflichkeitssprinzip 2 23 ff Verwertung fremder Geheimnisse 34 41 ff Völkermord 11 1 ff Volksverhetzung 63 24 ff Vollrausch 81 1 ff - actio libera in causa 81 18 - rauschbedingter Irrtum 81 13 ff

533

Sachregister - Rauschtat 81 7 ff - Teilnahme am 81 20 Vollstreckung gegen Unschuldige 98 18 ff Vollstreckungshandlung - Begriff 91 6 ff Vollstreckungsvereitelung 96 16 ff Vorbereitung - der Fälschung von amtlichen Ausweisen 73 14 - der Fälschung von Geld 75 1 ff - eines Angriffskrieges 62 3 - eines hochverräterischen Unternehmens 83 3 Vordrucke von Euroschecks 75 25 ff Vorenthalten von Arbeitsentgelt 61 68 ff Vorstellungspflicht 80 58 Vortäuschen einer Straftat 95 12 ff Vortäuschen eines Versicherungsfalles 51 111 f Vorteil, Begriff 99 15 ff Vorteilsannahme 99 14 ff Vorteilsgewährung 99 33 ff

Waffe 16 6, 41 50 ff Wahlbehinderung 87 11 Wählerbestechung 88 18 Wählernötigung 87 16 Wählertäuschung 87 17 Wahlfälschung 87 12 f Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 59 1 ff Wahrheitsbeweis 32 14, 21 Wahrnehmung berechtigter Interessen 32 6 ff Wartepflicht 80 57 Wegnahme 40 15 ff Wehrpflichtentziehung - durch Täuschung 88 7 ff - durch Verstümmelung 88 2 ff Weitergabe von Gerüchten 32 54

534

Werben 90 8 Werkzeug, gefährliches 16 6 ff Wertpapierfälschung 75 23 f Werturteil 32 6 ff Wertzeichenfälschung 76 1 ff - Vorbereitung 76 7 Wettbewerbsdelikte 61 141 ff Wichtiges Glied 17 6 f Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 91 1 ff - Irrtum des Widerstandleistenden 91 16 ff - besonders schwere Fälle 91 21 - Verhältnis zu § 240 91 22 ff Wilderei 50 22 ff Wirtschaftliche Nutzung 40 46 ff Wirtschaftsdelikte 60 1 ff Wirtschaftskriminalität 60 1 ff Wohnung 35 3, 41 66 Wucher 61 124 ff - Ausbeuten 61 103

Zahlungseinstellung 61 102 ff Zahlungskarten 75 25 ff Zahlungsunfähigkeit 61 87 ff Zerstören, Begriff 47 10 ff Zerstörung - von Bauwerken 47 18 - wichtiger Arbeitsmittel 47 19 f Zueignung 40 44 ff - Drittzueignung 40 71 ff -Elemente 40 55 ff - bei Gattungs- bzw. Speziesschuld 40 79 ff - nach einer Zueignung 42 23 ff - rechtswidrige 40 77 ff Zugänglichmachen 66 111 Zuhälterei 66 104 ff Zusammenrotten 35 22, 92 14 Zweckverfehlung, wirtschaftliche 38 9