Grundkurs Strafrecht: Die einzelnen Delikte [Reprint 2019 ed.] 9783110905069, 9783110127669


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German Pages 513 [516] Year 1991

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Table of contents :
Vorbemerkung
Inhaltsverzeichnis
Schrifttum zum Studium des Strafrechts, Besonderer Teil
1. Teil: Einführung
2. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Paragraphenregister
Sachregister
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Grundkurs Strafrecht: Die einzelnen Delikte [Reprint 2019 ed.]
 9783110905069, 9783110127669

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de Gruyter Lehrbuch

Grundkurs Strafrecht Die einzelnen Delikte

von

Harro Otto 3., neubearbeitete Auflage

W G DE

1991

Walterde Gruyter • Berlin • New York

Dr. jur. Dr. h. c. HARRO OTTO, O. Professor an der Universität Bayreuth

Zitiervorschlag: Otto, Grundkurs Strafrecht, BT, 3. Aufl. 1991, S. 100

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

CIP-Titelaufiiahme der Deutschen Bibliothek Otto, Harro: Grundkurs Strafrecht/von Harro Otto. - Berlin; New York: de Gruyter. (De-Gruyter-Lehrbuch) Die einzelnen Delikte. - 3., neubearb. Aufl. -1991 ISBN 3-11-012766-0

© Copyright 1991 by Walter de Gruyter& Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Gerike GmbH, 1000 Berlin 36. Bindearbeiten: Dieter Mikolai, 1000 Berlin 10.

Vorbemerkung Lerntheoretisches Ziel, Anlage und Methode dieses Teils des Grundkurses Strafrecht entsprechen denen der Allgemeinen Strafrechtslehre. Allerdings ließen diese sich nicht ohne weiteres auf die Beschreibung der einzelnen Delikte übertragen. Die Eigenart des Stoffes verlangte gewisse Modifizierungen und die Verlagerung einzelner Akzente: Der Allgemeinen Strafrechtslehre geben nämlich die Prinzipien der Zurechnungslehre ihren durchgehenden systematischen Zusammenhang. Ihre Wirksamkeit gilt es in den verschiedenen Problemkreisen des Allgemeinen Teils zu erkennen und in ihrer Bedeutung im sozialen Raum abschätzen zu lernen. Der Verschiedenheit des jeweiligen Aspekts der Zurechnung entsprechen die verschiedenen Lernziele. Die einzelnen Problemstellungen bezeichnen den jeweils zu erschließenden Raum. Eine vergleichbare Problementfaltung ist bei der Beschreibung der einzelnen Delikte nur dort von Nutzen, wo ein übergreifender Zusammenhang die einzelnen Delikte einer Gruppe in ihrem Wesen entscheidend prägt, ohne daß dies dem Wortlaut der einzelnen Gesetzestatbestände ausdrücklich zu entnehmen ist. In diesem Bereich muß das Lernziel der Einblick in die Art und Weise der Wirksamkeit dieses Zusammenhangs sein. Im übrigen kann aber das Lernziel der einzelnen Abschnitte vorweg definiert werden: Kenntnis der Art und des Umfangs des Schutzes der Rechtsgüter der einzelnen Deliktstatbestände. Innerhalb des so gewonnenen, jeweils überschaubaren Rahmens ist die Beschäftigung mit den einzelnen Delikten sodann die Fortsetzung der in der Allgemeinen Strafrechtslehre begonnenen Einübung in das strafrechtliche Denken, dessen normativ-begrifflicher Aspekt stets der Ergänzung durch eine faktische Abschätzung der Probleme und ihrer Bedeutung im sozialen Bereich bedarf. Beide Betrachtungsweisen sind jedoch schon in der begrifflichen Begrenzung des Schutzumfangs der einzelnen Delikte weit enger miteinander verbunden, als es vielleicht den Anschein hat. Die Bestimmung des Schutzumfangs der Tatbestände und des Inhalts der einzelnen Begriffe ist heute bereits das Ergebnis harter, langer Arbeit am Begriff durch Lehre und Rechtsprechung in steter Auseinandersetzung mit einer Vielzahl verschiedener Problemstellungen. Vor allem in den gerichtlichen Entscheidungen werden die einzelnen Begriffe einer steten Bewährungsprobe unterzogen. In die Bestimmung, Modifizierung oder völlige Neuschöpfung einzelner Begriffsinhalte gehen umfangreiche kriminologische Überlegungen, kriminalpolitische Zwecksetzungen und sozialpolitische Stellungnahmen ein, auch wenn darüber nicht jeweils Rechenschaft abgelegt wird. - Der Rechtsprechung kommt daher in diesem Bereich besondere Bedeutung zu, die auch in der konkreten Zielsetzung des Grundkurses Ausdruck finden mußte: nicht nur der "fertige Jurist", auch schon der Anfänger muß die Entscheidungen, die die Praxis als besonders bedeutsam ansieht, kennenlernen. Er muß sie nicht auswendig lernen, sich aber mit ihnen auseinandersetzen, um die eigene Meinung zu begründen. In dieser Verflechtung von Theorie und Praxis ist die Eigenart dieses Bandes des Grundkurses begründet. Im übrigen ist der Umfang der Darstellung der einzelnen Deliktsgruppen nach der Bedeutung der Delikte in Ausbildung und Praxis differenziert. Der Schwerpunkt des Grundkurses aber liegt in dem Bemühen, den Le-

VI

Vorbemerkung

ser auf wesentliche Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen, in die selbständige Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Problemen einzuüben und Wege zur weiteren Vertiefung zu zeigen. Der Leser soll am Prozeß der Meinungsbildung beteiligt werden, sich aber nicht zur freundlichen Bedienung mit fremden Meinungen eingeladen fühlen. Meinen Assistenten, Herrn Dr. Detlev Geerds und Herrn Dr. Joerg Brammsen, danke ich sehr herzlich für ihre Mitarbeit. Bayreuth, Dezember 1990

Harro Otto

Inhaltsverzeichnis

Schrifttum

1. Teil: Einführung § 1: Die einzelnen Tatbestände und das "System des Besonderen Teils" I. Unrecht und strafbares Unrecht IL Die Rechtsgutsverletzung als Kern des Straftatbestandes III. Die Legalordnung

XIX

1 1 1 3 3

2. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen 1. Kapitel: Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter 1. Abschnitt: Delikte gegen das Leben § 2: Die Systematik der Tötungsdelikte § 3: Totschlag § 4: Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikation II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale III. Vorsatzprobleme § 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 II. Das Verhältnis des § 213 zu § 211 § 6: Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 II. Die Problematik der Sterbehilfe III. Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung IV. Zur Teilnahmeproblematik

5 5 5 5 10 11 11 11 20 21 21 23 24 24 27 32 36

§ 7: Kindestötung § 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte I. Prämissen der Entscheidung II. Zur Einübung § 9: Fahrlässige Tötung

37 37 38 39 40

§ 10: Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes II. Besondere Probleme des Tatbestandes

42 42 44

VIII §11: Völkermord I. Das geschützte Rechtsgut II. Die Bedeutung des Tatbestandes § 12: Zur Wiederholung 2. Abschnitt: Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben § 13: Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung II. Abbruch der Schwangerschaft, § 218 III. Der nicht strafbare Schwangerschaftsabbruch, § 218 a IV. Das Beratungs- und Feststellungssystem des Gesetzes §§ 218 b, 219,219 a V. Strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 3. Abschnitt: Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit § 14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut II. Die Systematik des Gesetzes § 15: Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 Abs. 1 II. Zur Rechtswidrigkeit III. Aszendentenverletzung, § 223 Abs. 2 IV. Zur Bestrafung § 16: Die gefährliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 223 a II. Die einzelnen Tatmittel III. Vorsatz IV. Sonderproblem Aids § 17: Schwere und beabsichtigte schwere Körperverletzung I. Der Aufbau der §§224, 225 II. Die einzelnen Merkmale III. Versuch und Täterschaft § 18: Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 226 II. Der Strafrahmen des § 226 Abs. 2 § 19: Körperverletzung im Amt § 20: Mißhandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 223 b II. Einzelheiten zur Interpretation III. Zur sozialen Relevanz des § 223 b § 21: Fahrlässige Körperverletzung

Inhaltsverzeichnis 45 45 46 46 48 48 48 50 51 54 55 55 58 58 58 58 58 58 60 62 62 63 63 64 65 65 67 67 67 68 69 69 70 70 72 72 72 73 73

Inhaltsverzeichnis

IX

§ 22: Vergiftung I. Das Wesen des § 229 II. Einzelheiten der Regelung III. Besonderheiten des Versuchs § 23: Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat II. Einzelheiten der Regelung III. Zur Einübung § 24: Zur Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten § 25: Zur Wiederholung 4. Abschnitt: Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26: Rechtsgut und Systematik der Freiheitsstrafe I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte II. Die Systematik der Freiheitsdelikte § 27: Nötigung I. Der objektive Tatbestand II. Der subjektive Tatbestand III. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung IV. Versuch und Vollendung § 28: Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 II. Rechtswidrigkeit III. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung V. Menschenraub, § 234 § 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b II. Tatbestandsvoraussetzungen III. Erfolgsqualifizierungen nach §§ 239 a Abs. 3, 239 b Abs. 2 IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4,239 b Abs. 2 i.V.m. § 239 a V. Konkurrenzen § 30: Zur Wiederholung 5. Abschnitt: Delikte gegen die Ehre § 31: Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte II. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre

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X

Inhaltsverzeichnis

§ 32: Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 II. Üble Nachrede, § 186 III. Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände IV. Rechtfertigung V. Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände VI. Erfordernis des Strafantrags § 33: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 6. Abschnitt: Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich § 34: Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 II. Verletzung des Briefgeheimnisses § 202 III. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 V. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 354 VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 VII. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2,204,202 a § 35: Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 § 36: Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut II. Die Tathandlung § 37: Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a.... II. Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h, und Auswanderungsbetrug, § 144 2. Kapitel: Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen) 1. Abschnitt: Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte § 38: Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut II. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte III. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte 2. Abschnitt: Die Vermögensentziehungsdelikte § 39: Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut II. Systematischer Überblick

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Inhaltsverzeichnis

XI

§ 40: Diebstahl I. Der objektive Tatbestand II. Der subjektive Tatbestand m . Rechtswidrigkeit § 41: Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwere Fälle des Diebstahls, § 243 Abs. 1 n. § 243 Abs. 2: Ausschluß der Strafschärfung m . Diebstahl mit Waffen und Bandendiebstahl, § 244

133 133 140 148 148 148 155 156

§ 42: Unterschlagung I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1,1. Alt II. Veruntreuung, § 246 Abs. 1,2. Alt § 43: Haus- und Familiendiebstahl

159 159 165 166

§ 44: Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen

168

§ 45: Entziehung elektrischer Energie

169

§ 46: Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes n. Raub, § 249 III. Schwerer Raub, § 250 IV. Raub mit Todesfolge, § 252 V. Räuberischer Diebstahl, § 252 VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, §316 a § 47: Sachbeschädigung I. Sachbeschädigung, § 303 II. Besondere Fälle der Sachbeschädigung III. Schutz von Daten und Datenverarbeitung IV. Strafantrag § 48: Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 § 49: Zur Wiederholung

170 170 171 174 175 177 180 182 182 184 185 188 188 188 190 191

§ 50: Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 II. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 III. Wilderei, §§ 292 ff § 51: Betrug I. Rechtsgut und Gesetzessystematik II. Der gesetzliche Tatbestand III. Der objektive Tatbestand IV. Der subjektive Tatbestand V. Versuch, Vollendung und Besonderheiten der Strafverfolgung.... VI. Besonders bezeichnete Betrugsfälle

192 192 193 195 197 197 198 198 213 215 216

XII

Inhaltsverzeichnis

§ 52: Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§352,353 II. Erschleichen von Leistungen, § 265 a III. Computerbetrug, § 263 a § 53: Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 II. Räuberische Erpressung, § 255 § 54: Untreue und untreueähnliche Delikte I. Rechtsgut und Aufbau des Untreuetatbestandes II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes III. Mißbrauch von Scheck-und Kreditkarten IV. Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 2 § 55: Strafbare Vermögensgefährdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 II. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 284 a III. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder einer Ausspielung, § 286 IV. Schiffsgefährdung durch Bannware, § 297 3. Abschnitt: Die Perpetuierungsdelikte § 56: Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte § 57: Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur II. Einzelheiten des Tatbestandes III. Die Regelung des § 257 Abs. 4 §58: Hehlerei I. Hehlerei, § 259 II. Gewerbsmäßige Hehlerei, § 260 III. Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO § 59: Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 3. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit 1. Kapitel: Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter 1. Abschnitt: Delikte gegen die Wirtschaftsordnung § 60: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht § 61: Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsbetrug, § 265 II. Subventionsbetrug, § 264 III. Kreditbetrug, § 265 b IV. Kapitalanlagenbetrug, § 264 a V. Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 c Abs. 1,3

223 223 224 226 230 230 234 235 235 237 240 244 245 245 246 246 247 248 248 248 250 250 250 251 253 254 254 260 260 261 263 263 263 263 265 265 267 269 271 276

Inhaltsverzeichnis VI. Konkursdelikte, §§ 283-283 d Vn. Wucher, § 302 a 2. Abschnitt: Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens § 62: Delikte gegen den äußeren Frieden § 63: Delikte gegen den inneren Frieden I. Landfriedensbruch, §§ 125,125 a ü . Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 126 III. Volksverhetzung, § 130 IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 V. Anleitung zu Straftaten, § 130 a VI. Verherrlichung von Gewalt; Aufstachelung zum Rassenhaß, § 131 VII. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 3. Abschnitt: Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens § 64: Delikte gegen das Pietätsempfinden § 65: Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfälschung, § 169 II. Doppelehe, § 171 III. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 b V. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 170 d VI. Kindesentziehung, § 235 VII. Entführung mit Willen der Entführten, § 236 § 66: Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung II. Die sexuelle Handlung, § 184 c III. Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne IV. Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit V. Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution VIII. Verbreitung pornographischer Schriften, § 184 § 67: Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c II. Mißbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln, § 145 III. Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138,139 § 68: Zur Wiederholung 4. Abschnitt: Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs... § 69: Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte

XIII 277 284 287 287 287 288 290 291 292 292 293 295 297 297 300 300 301 302 303 304 305 306 307 307 309 309 313 314 318 319 322 323 323 325 326 329 330 330

XIV

Inhaltsverzeichnis

§ 70: Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 II. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 m . Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisend 275 IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277,2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 §71: Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 II. Mittelbare Falschbeurkundung, §§ 271,272 III. Gebrauch falscher Beurkundungen, § 273 IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277,1. Alt., § 279 in Verb, mit 5 277 V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278 § 72: Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1,1. Alt II. Unterdrückung beweiserheblicher Daten, § 274 Abs. 1 Nr. 2 III. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 2 § 73: Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels § 74: Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 III. Die Tathandlung IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1,2. Alt § 75: Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146,147,149,152 II. Geldfälschung, § 146 III. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1,1. Alt IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 V. Wertpapierfälschung, § 151 VI. Fälschung von Vordrucken für Euroscheck und Euroscheckkarten, § 152 a VII. Einziehung § 76: Wertzeichenfälschung I. Wertzeichenfälschung, § 148 II. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1,2. Alt § 77: Zur Wiederholung 5. Abschnitt: Gemeingefährliche Delikte § 78: Systematischer Überblick I. Der Begriff des "gemeingefährlichen Delikts" II. Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick) III. Nicht gemeingefährliche Delikte im 27. Abschnitt des StGB

330 330 341 343 343 344 344 345 347 348 348 348 348 350 350 351 352 352 352 353 354 354 354 355 357 357 358 358 359 360 360 360 361 363 363 363 364 367

Inhaltsverzeichnis

XV

§ 79: Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen II. Brandstiftung, § 308 III. Schwere Brandstiftung, § 306 IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 307 V. Fahrlässige Brandstiftung, § 309 VI. Herbeiführen einer Brandgefahr, § 310 a Vn. Tätige Reue, § 310 § 80: Gefährdungen des Verkehrswesens I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffe- oder Luftverkehrs, §§ 315,315 a II. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316 III. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 IV. Angriff auf den Luftverkehr, § 316 c § 81: Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a II. Die Voraussetzungen des Tatbestandes 6. Abschnitt. Straftaten gegen die Umwelt

368 368 368 369 370 370 370 371 371

§ 82: Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnormen II. Die grundsätzliche Problemstellung des Umweltstrafrechts III. Das geschützte Rechtsgut IV. Die einzelnen Schutzbereiche 2. Kapitel: Delikte gegen staatliche Rechtsgüter 1. Abschnitt: Delikte gegen den Bestand des Staates § 83: Hochverrat I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes II. Die einzelnen Tatbestände § 84: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats I. Gesetzessystematik der §§ 84-91 II. Die einzelnen Tatbestände § 85: Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik II. Das Staatsgeheimnis III. Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen IV. Die landesverräterische Konspiration § 86: Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut II. Die einzelnen Tatbestände III. Voraussetzungen der Strafverfolgung, § 104 a

371 373 377 381 382 382 382 387 387 387 388 392 392 401 401 401 401 401 402 402 403 406 406 407 407 409 411 411 411 411

XVI

Inhaltsverzeichnis

§ 87: Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d II. Die einzelnen Tatbestände § 88: Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich II. Die einzelnen Tatbestände 2. Abschnitt: Delikte gegen die Staatsgewalt § 89: Gefährdungen der staatlichen Autorität I. Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134 II. Mißbrauch von Ausweispapieren, §281 III. Amtsanmaßung, § 132 IV. Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a § 90: Gefährdung der Staatsgewalt § 91: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113,114 II. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 III. Der Irrtum des Widerstandleistenden IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 V. Das Verhältnis des § 113 zu § 240 § 92: Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 II. Gefangenenmeuterei, § 121 § 93: Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 II. Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 III. Zur Einübung 3. Abschnitt: Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen § 94: Gefährdung öffentlicher Interessen 4. Abschnitt: Delikte gegen die Rechtspflege § 95: Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 II. Vortäuschen einer Straftat, § 145 d § 96: Strafvereitelung I. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt II. Der Grundtatbestand, § 258 III. Strafvereitelung im Amt, § 258 a IV. Sabotage gerichtlicher Entscheidungen § 97: Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick II. Das relevante Angriffsverhalten III. Die einzelnen Aussagedelikte

412 412 412 414 414 414 417 417 417 417 417 419 420 422 422 422 425 425 426 426 426 428 429 429 430 432 433 433 435 435 435 436 438 438 439 441 442 442 442 443 449

Inhaltsverzeichnis IV. Teilnahme und mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten. V. Strafmilderung und Absehen von Strafe § 98: Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 336 II. Aussageerpressung, § 343 III. Verfolgung Unschuldiger, § 344 IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345 V. Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d VI. Parteiverrat 5. Abschnitt: Delikte gegen den öffentlichen Dienst § 99: Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte II. Vorteilsannahme, § 331 III. Bestechlichkeit, § 332 IV. Vorteilsgewährung, § 333 V. Bestechung, § 334 § 100: Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357 Paragraphenregister Sachregister

XVII 455 459 462 462 464 464 465 466 467 469 469 469 470 472 473 474 475 477 461

Schrifttum zum Studium des Strafrechts, Besonderer Teil Der Bezug auf den GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., betrifft den RECHT, Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Aufl. 1988.

GRUNDKURS STRAF-

I. Alteres Schrifttum 1. Lehrbücher BINDING v . LISZT/SCHMIDT

Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2 Bde., 1./2. Aufl. 1902-1905 Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927

2. Kommentare FRANK v . OLSHAUSEN

Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931 Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1927, 12. Aufl. (nur bis § 246) 1942/43

II. Neueres Schrifttum 1. Lehrbücher ARZT/WEBER

BLEI BOCKELMANN

ESER

GÖSSEL HAFT

Strafrecht, Besonderer Teil, LH 1: Delikte gegen die Person, 3. Aufl. 1988 LH 2: Delikte gegen die Person (Randbereich), Schwerpunkt: Gefährdungsdelikte, 1983 LH 3: Vermögensdelikte (Kernbereich), 2. Aufl. 1986 LH 4: Wirtschaftsstraftaten, Vermögensdelikte (Randbereich), Fälschungsdelikte, 2. Aufl. 1989 LH 5: Delikte gegen den Staat, gegen Amtsträger und durch Amtsträger, 1982 Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. 1982 Bd. 2: Delikte gegen die Person, 1977 Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit, 1980 Strafrecht, Bd. 3: Delikte gegen die Person und Gemeinschaftswerte, 2. Aufl. 1980 Bd. 4: Vermögensdelikte, 4. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1,1987 Strafrecht, Besonderer Teil, 3. Aufl. 1988

XX KREY

MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD MAURACH/SCHROEDER SCHMIDHÄUSER WELZEL WESSELS

Schrifttum Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 7. Aufl. 1989 Bd. 2: Vermögensdelikte, 7. Aufl. 1988 Strafrecht, Besonderer Teil, Tbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 7. Aufl. 1988 Strafrecht, Besonderer Teil, Tbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 6. Aufl. 1981 Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Aufl. 1983 Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 14. Aufl. 1990 Bd. 2: Straftaten gegen Vermögenswerte, 13. Aufl. 1990

2. Kommentare ALTERNATIVKOMMENTAR (AK) DREHER/TRÖNDLE KOHLRAUSCH/LANGE LACKNER LEIPZIGER KOMMENTAR (LK) PFEIFFER/MAUL/ SCHULTE PREISEND ANZ SCHÖNKE/SCHRÖDER SYSTEMAT. KOMMENTAR ZUM STRAFGESETZBUCH ( S K )

Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Wassermann, 3. Bd, 1986 Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 44. Aufl. 1988 Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl. 1961 StGB, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 18. Aufl. 1989 Großkommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Jescheck, Ruß und Willms, 10. Aufl. 1978 ff Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1969 Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. 1978 Strafgesetzbuch, bearb. von Cramer, Eser, Lenckner und Stree, 23. Aufl. 1988 bearb. von Rudolphi, Horn und Samson, Besonderer Teil, Stand Juli 1990

III. Verzeichnis der im Text angeführten Festschriften/Gedächtnisschriften BOCKELMANN, PAUL BOSCH, F R . W . BRUNS, HANS-JÜRGEN BRUNS, RUDOLF BUNDESGERICHTSHOF DREHER, EDUARD DÜNNEBIER, HANNS

Festschrift zum 70. Geburtstag, 1979 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1976 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1978 Gedächtnisschrift, 1980 Festschrift zum 25jährigen Bestehen, "25 Jahre Bundesgerichtshof, 1975 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1977 Festschrift zum 75. Geburtstag, 1982

Schrifttum DÜRIG, GÜNTER ENGISCH, KARL GALLAS, WILHELM GEIGER, WILLI GÖPPINGER, HANS HEIDELBERG

HEINITZ, ERNST HENKEL, HEINRICH VON HENTIG, HANS HÜBNER, HEINZ JAUCH, G E R D JESCHECK, HEINRICH KAUFMANN, ARMIN KAUFMANN, HILDE KLEINKNECHT, THEODOR KLUG, ULRICH KÜCHENHOFF, GUNTHER LACKNER, KARL LANGE, RICHARD LEFERENZ, HEINZ MAURACH, REINHART MAYER, HELLMUTH MEYER, KARLHEINZ METZGER, EDMUND MIDDENDORF, WOLF NOLL, PETER O L G CELLE OEHLER, DIETRICH PALLIN, FRANZ PETERS, KARL PFEIFFER, G E R D REBMANN, KURT

XXI Festschrift zum 70. Geburtstag, "Das akzeptierte Grundgesetz", 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1969 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1973 Festschrift zum 80. Geburtstag, "Verantwortlichkeit und Freiheit", 1989 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Kriminalität Persönlichkeit, Lebensgeschichte und Verhalten, 1990 Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprechts-Karl-Universität Heidelberg, "Richterliche Rechtsfortbildung", 1986 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft", 1974 Festschrift zum 80. Geburtstag, "Kriminologische Wegzeichen", 1967 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1984 Festschrift zum 65. Geburtstag, "Wie würden Sie entscheiden?", 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1985 Gedächtnisschrift, 1989 Gedächtnisschrift, 1986 Festschrift zum 75. Geburtstag, Strafverfahren im Rechtsstaat", 1985 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1983 Gedächtnisschrift, "Recht und Rechtsbesinnung", 1987 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1987 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1976 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Kriminologie-Psychiatrie-Strafrecht", 1983 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft", 1966 Gedächtnisschrift, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1954 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1986 Gedächtnisschrift, 1984 Göttinger Festschrift zum 250jährigen Bestehen 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1985 Festschrift zum 80. Geburtstag, "Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie", 1989 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Einheit und Vielfalt des Strafrechts", 1974 Festschrift, "Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht", 1988 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1989

XXII REIMERS, WALTER SARSTEDT, WERNER SCHAFFSTEIN, FRIEDRICH SCHMIDT, EBERHARD SCHNEIDER, PETER SCHRÖDER, HORST SCHULTZ, HANS SCHWINGE, ERICH TRÖNDLE, HERBERT WELZEL, HANS WOLF, ERNST WÜRTENBERGER, THOMAS

Schrifttum Festschrift zum 65. Geburtstag, "Aus dem Hamburger Rechtsleben", 1979 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1981 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1975 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Kritik und Vertrauen", 1990 Gedächtnisschrift, 1978 Festgabe zum 65. Geburtstag, "Lebendiges Strafrecht", 1977 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Persönlichkeit in der Demokratie", 1973 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1989 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Recht und Rechtserkenntnis", 1985 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Kultur - Kriminalität Strafrecht", 1977

Erster Teil Einführung § 1: Die einzelnen Tatbestände und das "System des Besonderen Teils" I. Unrecht und strafbares Unrecht 1. DiefragmentarischeNatur des Strafrechts In der Einführung in die Allgemeine Strafrechtslehre wurde klargestellt, daß Strafrechtsnormen als Mittel der Verhaltenssteuerung und Erwartungssicherung, die auf eine gerechte Ordnung abzielen, bestimmten Grundsätzen genügen müssen, sollen sie den zur Entwicklung nötigen Handlungsspielraum des Einzelnen und der Gesamtheit garantieren, Rechtssicherheit gewähren und Willkür vorbeugen: (1) Sie müssen hinreichend bestimmt gefaßt sein, Art. 103 Abs. 2 GG. (2) Sie müssen gleiche Sachverhalte in gleicher Weise regeln, Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 GG. (3) Nur soweit Strafe als ultima ratio zur Sicherung des sozialen Miteinanders unerläßlich erscheint, sind Strafrechtsnormen legitim. a) Die angemessene Berücksichtigung dieser drei Grundsätze führt nun nicht zur gleichen Bestrafung aller Rechtsgutsbeeinträchtigungen gleicher Intensität, sondern im Gegenteil, sie macht eine Differenzierung nach der über die Rechtsgutsverletzung hinausgehenden Sozialschädlichkeit der verschiedenen Verhaltensweisen nötig. Das Unrecht, die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens, erschöpft sich nicht in der Rechtsgutsverletzung, sondern manifestiert sich lediglich in dieser! - Doch auch das gleiche Maß der Sozialgefährlichkeit oder -Schädlichkeit und damit der Strafwürdigkeit begründet dort noch keine Strafbarkeit, wo es an der Strafbedürftigkeit fehlt, weil andere, wirksamere oder gleich wirksame Mittel zur Verfügung stehen, dem strafwürdigen Verhalten zu begegnen (fragmentarische Natur des Strafrechts). b) Straßares Unrecht ist demnach durch seine besondere Beschreibung in den Gesetzestatbeständen des Besonderen Teils jeweils als besonders vertyptes Unrecht gekennzeichnet und damit aus der Masse des allgemeinen Unrechts herausgehoben, weil der Gesetzgeber dieses Unrecht als strafwürdig und straßedürftig ansieht. Zur Wiederholung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 II 5.

c) Ein Tatbestand: "Wer das Vermögen eines anderen schädigt, wird ... bestraft", würde durchaus dem Bestimmtheits- und auch dem Gleichheitsgrundsatz genügen. Er würde jedoch zahllose Verhaltensweisen umfassen, die keineswegs mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden müssen, z.B. jede vermögensschädigende Vertragsverletzung usw., usf. Die Einzeltatbestände, z.B. im Bereich des Vermögensstrafrechts, haben gegenüber einem einzigen umfassenden Tatbestand den kriminalpolitischen Vorzug eines gezielteren und damit sachgerechteren Vorgehens. Die damit verbundene Abgrenzungsproblematik ist nicht zu umgehen, soll der strafbare Raum möglichst scharf von dem nicht strafbaren Bereich abgegrenzt werden.

Einführung

2

2. Die strafrechtlichen Deliktstypen Die Vertypung der einzelnen Straftaten geht auf das Erlebnis der Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen zurück. Diese werden als derart sozialschädlich empfunden, daß versucht wird, ihnen mit dem stärksten zur Verfügung stehenden Abwehrmittel, der Strafe, zu begegnen. Und zwar wird die Sozialschädlichkeit, das Unrecht, nicht nur quantitativ, sondern mehr noch qualitativ erlebt. Gerade das unterschiedliche qualitative Erlebnis führt zur Unrechtsvertypung, in der sich allerdings im sozialen Erlebnis zunächst ein persönlicher Typ durchsetzt: der des Mörders, Diebes, Räubers usw. Von diesem Kern anschaulicher kriminologischer Typen geht das Strafrecht in seinen Anfängen aus. Sie werden in ihrer Eigenart, aber auch in ihrer betonten Verschiedenheit als bekannt vorausgesetzt. - Im Zuge der Rechtsentwicklung ist eine derartige Gesetzestechnik aus Rechtssicherheitsgründen nicht mehr tragbar. Die Maxime "nullum crimen sine lege" fordert die abstrakte, kriminologieferne Tatbestandsfassung, d.h. den Übergang von der bloßen Kennzeichnung des Täters zur auflösenden (analysierenden) und zugleich abstrahierenden Beschreibung von Taten. Der Prozeß dieser legislatorischen Wandlung wird im geltenden StGB noch deutlich in der Verwendung normativer, d.h. wertausfüllungsbedürftiger Begriffe neben den deskriptiven Merkmalen; vgl. z.B. "niedrige Beweggründe" in § 211. In Einzelfällen hat der Gesetzgeber sogar noch gänzlich von einer Tatbeschreibung abgesehen, wie z.B. in § 185: "Die Beleidigung wird ... bestraft." Die im Erlebnis der Strafwürdigkeit eines Sachverhalts begründete Vertypung von Straftatbeständen folgt allerdings nicht - vergleichbar dem Zurechnungsprinzip, das den Aufbau der Allgemeinen Strafrechtslehre strukturiert - einer einheitlichen Idee. Dennoch stehen die einzelnen Tatbestände der verschiedenen Deliktsgruppen nicht isoliert, unsystematisch nebeneinander. Als Ausdruck des gleichen Erlebnisses der Strafwürdigkeit eines umfassenderen Sachverhaltes sind sie aufeinander bezogen und damit systematisch miteinander verbunden. 3. Gesetzestatbestand und Unrechtstypus Die einzelnen im Gesetzestatbestand erfaßten Merkmale des "Unrechtstypus" beschreiben die jeweilige Rechtsgutsverletzung und ihre Modalitäten, d.h. spezifisches Unrecht unter der Voraussetzung, daß das Verhalten überhaupt Unrecht ist. So beschreiben z.B. die Tatbestände der Tötungsdelikte in den §§ 211 ff spezifisches Tötungsunrecht unter der Voraussetzung, daß die konkret zu bewertende Tötung Unrecht ist. Die einzelnen Gesetzestatbestände der Vermögensdelikte kennzeichnen spezifische Angriffe gegen das Vermögen als bestimmtes strafwürdiges Unrecht, vorausgesetzt, der Eingriff in das Vermögen ist rechtswidrig. Der Gesetzestatbestand selbst ist insoweit wertfrei, als er keine Auskunft darüber gibt, ob das von ihm beschriebene Verhalten rechtswidrig ist. Er "indiziert" auch nicht die Rechtswidrigkeit. - Er ist wertbezogen, insofern er ein Verhalten beschreibt, das auf die Prüfung der Rechtswidrigkeit bezogen ist. Ob ein rechtswidriger Eingriff einer Person in strafrechtlich geschützte Rechtsgüter einer anderen vorliegt, ergibt die Prüfung des Unrechtstatbestandes, dessen Bestandteil der Gesetzestatbestand ist. Z u r Wiederholung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 51, II.

§ 1 Die einzelnen Tatbestände

3

II. Die Rechtsgutsverletzung als Kern des Straftatbestandes Aus der Natur des Strafrechts als Schutzrecht folgt, daß bestimmte Rechtsgüter gegen bestimmte Angriffe geschützt werden, weil der Schutz dieser Rechtsgüter Voraussetzung für die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft innerhalb des staatlichen Gefüges ist. Diese Güter (Werte) werden demnach nicht geschützt, weil sie als absolute Werte anerkannt werden, wobei ihre Werthaftigkeit gerade außerhalb jeder Kritik stände, sondern weil sich im steten Vollzug des Soziallebens gezeigt hat, daß bestimmte soziale Funktionseinheiten (Werte) Voraussetzung eines sozialen Zusammenlebens sind. Mit dem Wandel der Stellung zu diesen sozialen Werten ist auch eine Wandlung der strafrechtlichen Auffassung von der Schutzwürdigkeit dieser Werte verbunden. So wurde im Jahre 1969 der Straftatbestand des Ehebruchs, § 172, aus dem StGB entfernt, und die Tatbestände der Unzucht zwischen Männern, §§ 175, 175 a, wurden wesentlich geändert. Derartige Wandlungen rechtzeitig zu erfassen, gelingt dem Strafgesetzgeber nicht immer. Oft vollzieht sich eine Rechtsänderung auch ohne Gesetzesänderung, da eine Verschiebung des individuellen oder kollektiven Aspekts eines Rechtsguts zu einer anderen Auslegung der Vorschrift führt. Das geschützte Rechtsgut ist dem Wortlaut der einzelnen Tatbestände in der Regel nicht unmittelbar zu entnehmen, es ist durch Auslegung des einzelnen Tatbestandes oder der gesamten Deliktsgruppe zu ermitteln. Die Auslegung der einzelnen Merkmale eines Tatbestandes wiederum erfolgt im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, denn seinen Schutz gegen bestimmte Angriffe sollen diese Merkmale gerade sicherstellen. Zur Wiederholung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 II 2 - 4.

III. Die Legalordnung Innerhalb einer stark differenzierten Rechtsordnung, die zahlreiche Straftatbestände enthält, müssen diese in einer gewissen Ordnung stehen. Möglich wäre durchaus eine Einteilung nach der Schwere der angedrohten Strafe oder nach dem bei der Tat eingesetzten Angriffsmittel (z.B. Gewalt, Täuschung, List usw.). Gegen eine derartige Einteilung spricht jedoch, daß Praktikabilität und Übersichtlichkeit, aber auch der für die Auslegung der einzelnen Tatbestände höchst relevante Sachzusammenhang zwischen den einzelnen Delikten in höherem Maße Berücksichtigung finden können, wenn eine Ordnung nach der materiellen Angriffsrichtung der Delikte, d.h. nach dem geschützten Rechtsgut der einzelnen Tatbestände, angestrebt wird. Abweichungen innerhalb dieser Ordnung, die z.B. durch die Art des Angriffs (gemeingefährliche und gemeinlästige Straftaten) bedingt sind, können dabei durchaus als Ausnahme von der Regel erfaßt werden. Unmittelbar in das Strafgesetzbuch sind Deliktsgruppen aufgenommen worden, deren Bedeutung im Laufe der historischen Entwicklung besonders in das allgemeine Bewußtsein gedrungen ist. Es sind im wesentlichen Tatbestände, die die Grundlagen jeglichen sozialen Miteinanders sichern. Sie können weitgehend auf die Richtlinien des Dekalogs zurückgeführt werden. Die Tatsache des größeren Bekanntheitsgrades dieser Tatbestände darf aber nicht von der Relevanz des Nebenstrafrechts ablenken. Nebenstrafrecht ist nicht nebensächliches Strafrecht!

Zweiter Teil Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen Erstes Kapitel Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen das Leben § 2: Die Systematik der Tötungsdelikte Zur Einführung: BGHSt 23 S. 119: A erschlug die schlafende M, mit der er bis dahin zusammengelebt hatte, mit einem Beil. BGH: Mord, § 211. - Strafe: Lebenslange Freiheitsstrafe. BGHSt 19 S. 321: A fiel über Frau W her, um sie zu verprügeln. Sie wehrte sich. Daraufhin faßte A den Entschluß, Frau W umzubringen. Er stürzte sie in einen Kellerschacht. Frau W kam zu Tode. BGH: Totschlag, § 212. - Strafrahmen: 5-15 Jahre Freiheitsstrafe. BGHSt 25 S. 223: A geriet bei einer Unterredung mit der B in heftige Erregung, als diese abfällige Bemerkungen über die Söhne des A machte. Hierdurch zum Zorne gereizt, erwürgte A die B. BGH: Minder schwerer Fall des Totschlags, § 213. - Strafrahmen: 6 Monate - 5 Jahre Freiheitsstrafe.

Frage: Ist es sachgerecht, im Falle der vorsätzlichen Verletzung desselben Rechtsguts - Leben - besonders schwere und - unabhängig von der Schuld des Täters - minder schwere Delikte neben dem Grunddelikt zu unterscheiden? 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Tötungstatbestände ist das menschliche Leben. - Angriffsobjekt ist der geborene Mensch. a) Das Leben als Mensch fängt mit dem Beginn der Geburt an, wie sich aus § 217 ("Kind in oder gleich nach der Geburt tötet") ergibt. Als Beginn der Geburt ist das Einsetzen der sog. Eröffnungswehen anzusehen. Vgl. BGHSt 31 S. 348; 32 S. 194; dazu ARZT FamRZ 1983 S. 1019 f; HIRSCH JR 1985 S. 336 ff; LÜTTGER N S t Z 1983 S. 481 ff.

Bei einer operativen Entbindung ist der die Eröffnungsperiode ersetzende Eingriff entscheidend, d.h. bei einer Schnittentbindung die Öffnung des Uterus. Vgl. JÄHNKE LK, V o r § 211 R d n . 3; LACKNER S t G B , V o r § 211 A n m . 2 a; MAURACH/SCHROEDER/

MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 8; weitergehend LÜTTGER Heinitz-Festschrift, S. 366.

Das Kind muß im Zeitpunkt der Geburt gelebt haben, nicht erforderlich ist dagegen seine weitere Lebensfähigkeit. Geschützt wird daher auch die unreife und die mißgestaltete Leibesfrucht, nicht aber das krankhaft entartete Ei, die sogenannte Mole.

Delikte gegen das Leben

6 Zur Verdeutlichung:

aa) BGHSt 10 S. S: Die Einwirkung der A auf ihre Leibesfrucht führte zu einer nicht lebensfähigen Frühgeburt. BGH: Strafbarkeit der A nur wegen einer Abtreibung, nicht aber wegen eines Tötungsdelikts. bb) BGHSt 13 S. 21: Infolge der Einwirkung der B auf die Leibesfrucht kommt es zu einer Frühgeburt. Das Kind wird sogleich nach der Geburt getötet. BGH: B hat eine versuchte Abtreibung und einen vollendeten Totschlag in Realkonkurrenz begangen. D a z u auch: KREY B . T . l , R d n . 6; MAURACH/SCHR0EDER/MAIWALD B . T . l , § 5 R d n . 30; SCH/SCH/ ESER § 218 R d n . 9.

cc) BGHSt 32 S. 194: A warf die schwangere S, bei der die Eröffnungswehen schon eingesetzt hatten, einen Hang hinunter. S starb, die Geburt wurde nicht mehr vollendet. BGH: Zwei vollendete Tötungsdelikte, nämlich Tötung der S und des Kindes.

Außerhalb des Schutzbereichs der Tötungsdelikte liegen Eingriffe in exkorporal befruchtete Eier sowie erzeugte Embryonen vor einem eventuellen Embryonentransfer. Zur kriminalpolitischen Diskussion: BR-Drucksache 210/86; Diskussionsentwurf eines Embryonenschutzgesetzes des BUNDESMINISTERS DER JUSTIZ, mitgeteilt bei DEUTSCH Z R P 1986 S. 243; BUNDESMINISTER FÜR FORSCHUNG UND TECHNOLOGIE, (Hrsg.), In-vitro-Fertilisation, G e n o m a n a l y s e und

Gentherapie, 1986 (Berichte der sogenannten Benda-Kommission); Bericht der Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", 1987; dazu DEUTSCH ZRP 1987 S. 305 ff; Bericht der BundLänder-Arbeitsgruppe Fortpflanzungsmedizin, 1988; dazu "recht" 1988 S. 88. Im übrigen vgl. BECKMANN

Z R P 1987 S. 80 ff; BORN J u r a 1988 S. 225 ff; EBERBACH Z R P 1990 S. 217 ff; GRAF VITZTHUM Z R P

1987 S. 33 ff; GÜNTHER/KELLER (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, 1987; HOFMANN J Z 1986 S. 253 ff; KAUFMANN (Hrsg.), Moderne Medizin und Strafrecht, 1988; KOCH M e d R 1986 S. 259 ff; PÜTTNER/BRÜHL J Z 1987 S. 529 ff; RIEDEL E u G R Z 1986 S. 469 ff;

SCHIRMER Status und Schutz des frühen Embryos bei der "In-vitro'-Fertilisation, 1987; STERNBERGLIEBEN N S t Z 1988 S. 1 ff; ZLERL D R i Z 1986 S. 161 ff.

b) Als Ende des Lebens wurde früher der endgültige Stillstand von Kreislauf und Atmung angesehen. Nach heute h.M. gilt als Todeszeitpunkt das irreversible Erlöschen der Gehirntätigkeit. D a z u GEILEN Heinitz-Festschrift, S. 373 ff; JÄHNKE LK, V o r § 211 R d n . 7 ff; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 1 R d n . 12; STRATENWERTH Engisch-Festschrift, S. 528 ff; WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT DER BUNDESÄRZTEKAMMER J Z 1983 S. 594 ff mit E r l ä u t e r u n g e n von SCHREIBER J Z 1983 S. 593 f.

Allgemein zur rechtlichen Problematik des Todeszeitpunktes: FRITSCHE Grenzbereich zwischen Leben und Tod, 1979; KRÖSL/SCHERZER Die Bestimmung des Todeszeitpunktes, 1973; SAERBECK Beginn und Ende des Lebens als Rechtsbegriffe, 1974.

Taugliches Tötungsobjekt können demnach auch der Todgeweihte und der Sterbende sein. Es gibt kein lebensunwertes Menschenleben. Daher ist auch der Anencephalus geschützt. Ihm fehlen zwar Groß-, Zwischen- und Mittelhirn, doch wegen der Funktion des Stammhirns ist der Anencephalus nicht einem Hirntoten gleichzustellen. Auch er ist, als zur Gattung Mensch zugehörig, als Mensch strafrechtlich geschützt. Dazu auch: ISEMER/LLLIE MedR 1988 S. 67; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 10. - A A . HIERSCHE M e d R 1984 S. 215; JÄHNKE LK, § 218 R d n . 4; LACKNER StGB, § 218 A n m . 2 a b b .

§ 2 Die Systematik der Tötungsdelikte

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2. Die Systematik der vorsätzlichen Tötungsdelikte a) Nach h.L. ist der Totschlag, § 212, als Grundtatbestand der Tötungsdelikte anzusehen. Der Mord, § 211, ist demgegenüber eine Qualifizierung; dazu weiter § 4 1 . Die Tötung auf Verlangen, § 216, und die Kindestötung, § 217, sind Privilegierungen. Vgl. BOCKELMANN B . T . / 2 , § 4; GÖSSEL B . T . l , $ l R d n . 6; LACKNER S t G B , V o r § 2 1 1 A n m . 5 c;

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 60 f, 65 f; WELZEL Lb, § 38; WESSELS B.T.-l, § 21.

Für Sonderdelikt: DREHER/TRÖNDLE § 216 Rdn. 1, § 217 Rdn. 1; in Bezug auf $ 216: SCH/SCH/ ESER V o r § 2 1 1 R d n . 7.

Der minder schwere Fall des Totschlags, § 213, enthält in seinem ersten Teil (Reizung zum Zorne) eine Privilegierung, in seinem zweiten Teil (sonst ein minder schwerer Fall) eine bloße Strafzumessungsregel. Str., so auch: BOCKELMANN B.T./2, § 4 I, § 2 III. - Die h.M. sieht den § 213 einheitlich als bloße Strafzumessungsregel an, vgl. DREHER/TRÖNDLE § 213 Rdn. 1; GEILEN Dreher-Festschrift, S. 358; GÖSSEL B.T.l, § 1 Rdn. 9; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 39; KREY B.T.l, Rdn. 50; LACKNER StGB, $ 213

Anm. 1.

Die Interpretation auch der 1. Alt. des § 213 als bloße Strafzumessungsregel und damit als unbenannter Strafänderungsgrund ist unzutreffend. Innerhalb der Systematik der Strafänderungsgründe unterscheidet das Gesetz benannte und unbenannte Strafänderungsgründe. Da der strafmildernde Sachverhalt in § 213, 1. Alt. zwingend festgelegt wird, handelt es sich insoweit um einen benannten Strafmilderungsgrund, d. h. um eine Privilegierung. Zwingende Beispiele unbenannter Strafänderungsgründe gibt es innerhalb dieser Systematik nicht, denn dieses wären benannte Fälle unbenannter Strafänderungsgründe! Die Konsequenz dieser Auffassung reicht allerdings weit: Der Versuch des § 213,1. Alt. StGB ist nämlich nicht strafbar. Hier wäre der Gesetzgeber gefordert, soweit man diese Konsequenz für kriminalpolitisch unangemessen hält. - Auch der BGH hat die 1. Alt. des § 213 zunächst zutreffend als Privilegierung eingeordnet; vgl. BGHSt 1S. 203.

b) Nach Auffassung der Rechtsprechung sind § 211 und § 212 als selbständige Tatbestände anzusehen, die miteinander in keiner Weise verbunden sind. Vgl. dazu BGHSt 1 S. 370, 372; 2 S. 255; 6 S. 329; 22 S. 377; 24 S. 108; sowie zu den Konsequenzen BGHSt (GrSSt) 30 S. 105.

Das hat den 1. Strafsenat des BGH jedoch nicht daran gehindert, die Möglichkeit von Mord und Totschlag durch Mittäter, die jeweils nur das eine der beiden Delikte verwirklicht haben, anzuerkennen. Damit ist die These, daß beide Tatbestände selbständige, von einander unabhängige Delikte beschreiben, in der Sache aufgegeben. Vgl. BGHSt 36 S. 231 mit Anm. BEULKE NStZ 1990 S. 278 f, GEPPERT JK 90, StGB § 211/18, TLMPE JZ1990 S. 97 f.

c) § 213 enthält nach Auffassung der Rechtsprechung lediglich eine Strafzumessungsregel gegenüber § 212. - §§ 216, 217 werden als Sondertatbestände bezeichnet, doch meint die Rechtsprechung damit wegen des beschränkten Täterkreises unechte Sonderdelikte, d.h. in den praktischen Auswirkungen privilegierte Tatbestände. Vgl. dazu BGH NJW 1953 S. 1440; sowie GÖSSEL B.T.l, § 1 Rdn. 14; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 42.

d) Zu den Konsequenzen der verschiedenen Auffassungen in der Teilnahmelehre, vgl. § 8. 3. Die sachliche Berechtigung der Differenzierung Die Sachgerechtigkeit der im deutschen Strafrecht schon in der Carolina und in vielen ausländischen Rechtsordnungen ausgeprägten Differenzierung zwischen einem Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte und einem qualifizierten

8

Delikte gegen das Leben

Tatbestand sowie privilegierten Tötungsdelikten wird bestritten. Unabhängig von der Frage nach der Richtigkeit einzelner Entscheidungen wird die Berechtigung der Dreiteilung als solche in Zweifel gezogen. Vorgeschlagen wird eine Differenzierung lediglich zwischen nicht privilegierter Tötung und privilegierten Tötungsfällen. Vgl. ESBR 53. D J T - G u t a c h t e n , 1980, D 106 ff; BECKMANN G A 1 9 8 1 S . 337 ff.

Der Dreiteilung ist gleichwohl der Vorzug zu geben, denn in ihr findet ein Differenzierungsbedürfnis Ausdruck, das in der unterschiedlichen sozialethischen Beurteilung der Tötungstaten begründet ist. Diese sozialethische Betrachtung, die jedem rechtserheblichen Ereignis zuteil wird, weil es sich zugleich um eine sozial erhebliche Tatsache handelt, begründet die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte: Je bedeutsamer, verständlicher oder zwingender z 3 . der Anlaß zur Tat erscheint, um so geringer wird ihr Unwert als Störung der sozialen Begehungen der Rechtsgenossen untereinander empfunden. Innerhalb dieser Weitung wird die vorsätzliche Tötung ganz nüchtern als ein Mittel zur Lösung bestimmter sozialer Konflikte bewertet. Motive, Zweck, Art und Weise der Anwendung des Mittels, Aufkommen der Konfliktsituation und Stellung des Täters in ihr werden zum gewählten Mittel der Problemlösung ins Verhältnis gesetzt. Egoistische und altruistische Strebungen innerhalb der Konfliktsituation werden gegenübergestellt. Der Grundtatbestand der Tötungsdelikte, Totschlag, ist erfüllt, wenn diese Beurteilung zu dem Ergebnis führt, daß die Tat Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters ist, weil die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorgezogen werden. - Ein qualifizierter Fall des Totschlags, ein Mord, liegt hingegen vor, wenn die Tat ein derartiges Maß an Sozialgefährlichkeit des Täters erweist, daß sie nur noch als Ausdruck des krassesten und primitivsten Egoismus des Täters und einer über die Tötung selbst hinausweisenden sozialen Gefährlichkeit des Täters angesehen werden kann. - Ein privilegierter Tötungsfall ist hingegen anzunehmen, wenn die Tat als ausnahmsweise Entgleisung eines Menschen erscheint, "die Gesinnung neben dem natürlichen Egoismus jedes Individuums auch hinreichend entwickelte soziale Tendenzen enthält, so daß man von einer ethisch guten, anständigen und deshalb auch rechtlichen Gesinnung dieses Menschen red e n kann" (BINDER).

Eingehender dazu BINDER SchwZStr 67 (1952) S. 312 ff; OTTO ZStW 83 (1971) S. 43 f. Diese sozialethische Differenzierung basiert auf der Würdigung der verwerflichen Motive und Zwecksetzung des Täters - Verwerflichkeitsprinzip - sowie seiner in der Tat zum Ausdruck gekommenen Gefährlichkeit - Gefährlichkeitsprinzip -. Im Gegensatz zu dieser Auffassung wird vielfach in der Lehre versucht, die qualifizierten Totschlagsfälle nur als besonders verwerfliche Tötungen zu erfassen (Verwerflichkeitsprinzip). Die Verwerflichkeit wird zum einen in der Niedrigkeit der Motivation des Täters (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, sonstige niedrige Beweggründe), zum anderen im Tatzweck (Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat) und in der Art der Tatausführung (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) gesehen. - Eine neuere Lehre erkennt demgegenüber das maßgebende Kriterium allein in der besonders gefährlichen Einstellung des Täters gegenüber Leib und Leben anderer (Gefährlichkeitsprinzip). Weder die Verwerflichkeit der Gesinnung des Täters noch seine Gefährlichkeit allein sind geeignet, Tötungsfälle im Bereich der vorsätzlichen Tötung als besonders qualifiziertes Unrecht zu charakterisieren. Schon der Totschlag ist durch eine verwerfliche Gesinnung des Täters gekennzeichnet, und die Tat kann auf eine besondere Gefährlichkeit des Täters hindeuten, sie muß es aber nicht, wie gerade die in der Literatur genannten Fälle besonderer Gefährlichkeit, z.B. die "Mehrfachtötung", die "Tötung mit unerlaubt mitgeführter Schußwaffe" oder die "Tötung bei bandenmäßiger Begehung", zeigen. - Die einzelnen Fallgestaltungen könnten als Regelfallbeispiele brauchbar sein, als tatbestandliche Qualifikationsmerkmale müssen sie zu unbefriedigenden Zufallsergebnissen führen. Die Tatsache, daß z.B. jemand einen anderen mit einer unerlaubt in seinem Besitz befindlichen Waffe tötet, der ihn zuvor schwer

§ 2 Die Systematik der Tötungsdelikte

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gekränkt hat, macht die Tötung noch nicht zu einem schlechthin sozial unerträglichen Tötungsfall, gibt ihr vor allem kein anderes Gepräge als einer Tat mit erlaubt mitgefühlter Waffe. Gleiches gut für eine Tötung durch eine Bande oder für eine Mehrfachtötung als solche. Eingehender zur Auseinandersetzung mit dem Verwerflichkeits- und dem Gefährlichkeitsprinzip sowie zur Bedeutung des Elements der sozialen Rücksichtslosigkeit als Grundlage der Mordqualifikationen: HEINE Tötung aus "niedrigen Beweggründen", 1988, S. 183 ff; 195 ff, 217 ff.

Der BGH geht davon aus, daß der Mordtatbestand in § 211 Abs. 2 abschließend die Tatumstände jener Tötungen beschreibt, die nach dem Willen des Gesetzgebers zwingend als besonders verwerflich anzusehen sind. Eine zusätzliche Verwerflichkeitsprüfung bzgl. der einzelnen Tat komme daher nicht in Betracht, und deshalb sei eine "Typen-" oder 'Tatbestandskorrektur" ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen eines Mordmerkmals erfüllt sind, auch wenn die Tötungshandlung aufgrund umfassender Gesamtwürdigung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit als nicht besonders verwerflich erscheint. Ausnahmsweise eröffnet der BGH jedoch ein Abweichen von der lebenslangen Strafe in Tötungsfällen, in denen das Merkmal "Heimtücke" erfüllt ist, aber "außergewöhnliche Umstände vorliegen, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint. In diesen Fällen ist wegen Mordes zu verurteilen, jedoch ist der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuwenden". BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; dazu kritisch ALBRECHT JZ 1982 S. 697 ff; ARZT in: Arzt/ Weber, LH 1,

Rdn. 112 a; BRUNS J R 1981 S. 358 ff; DERS. Kleinknecht-Festschrift, S. 49 ff; DREHER/TRÖNDLE § 211 Rdn. 17; ESER J R 1981 S. 177 ff; DERS. NStZ 1981 S. 383 ff; FÜNFSINN Jura 1986 S. 136 ff; GÜNTHER NJW 1982 S. 353 ff; DERS. JR 1985 S. 268 ff; HASSEMER J Z 1983 S. 967 ff; KÖHLER JuS 1984 S. 762 ff; KREY B.T.l, Rdn. 67 ff; LACKNER NStZ 1981 S. 348 ff; LANGER Ernst Wolf-Festschrift, S. 335 ff; PAEFFGEN G A 1982 S. 255 ff; SONNEN JA 1981 S. 638 ff; SPENDEL JR 1983 S. 271 ff; VEH Mordtatbe-

stand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1986, S. 123 ff. - Vgl. nunmehr auch BGH MDR 1990 S. 834.

Zustimmend: GÖSSEL B.T.l, § 4 Rdn. 13 ff; KRATZSCH JA 1982 S. 401 ff; RENGIER NStZ 1982 S. 225 ff; DERS. NStZ 1984 S. 21 ff; FROMMEL StV 1982 S. 533 ff.

Diese Flucht in eine Generalklausel anstelle des Versuchs, die Mordmerkmale unter einer gemeinsamen leitenden Hinsicht zu interpretieren, vermag weder dogmatisch noch kriminalpolitisch zu überzeugen. Zum einen sind die Kriterien zu unbestimmt, um Rechtssicherheit zu gewährleisten, zum anderen ist auf diesem Weg nicht sicherzustellen, daß Fälle, die nach ihrem Sinngehalt unter § 213 fallen, aus dem Anwendungsbereich des Mordtatbestandes herausgehalten werden, wie gerade die Praxis zeigt; dazu weiter unter § 5 II. Die hier vertretene Lösung bietet bei der Anwendung des Mordtatbestandes ein höheres Maß an Sachgerechtigkeit und Rechtssicherheit und prägt zugleich die Auslegung des § 212 Abs. 2, da die Mordqualifikationen Beispielcharakter für die Anwendung des § 212 Abs. 2 haben. Damit wird gewährleistet, daß innerhalb des Mordtatbestandes Fälle gleicher Schwere in gleicher Weise erfaßt werden. Soweit ein Fall nicht die Merkmale des § 211 Abs. 2 erfüllt, bleibt es möglich, ihn als qualifizierten Fall des Totschlags gemäß 212 Abs. 2 einzuordnen. - Die Situationen privilegierter Tötungen heben sich demgegenüber deutlich ab: in ihnen kann niemals ein unerträglicher Egoismus des Täters und eine über die Tötung selbst hinausgehende Gefahr des Täters für die Sozietät ihren Ausdruck finden. Mord und privilegierte Tötungsfälle schließen sich demgemäß sachlich aus, weil die Tatbestände unterschiedliche, nicht vergleichbare Fallsituationen beschreiben.

Delikte gegen das Leben

10 4. Zur Reform der Tötungsdelikte

ARZT ZStW 83 (1971) S. 1 ff; ESER 53. DJT-Gutachten, D 34 ff; FUHRMANN 53. DJT-Sitzungsbericht, M 7 ff; GEILEN J R 1980 S. 309 ff; GÖSSEL D R i Z 1980 S. 2 8 1 ff; GRIBBOHM Z R P 1980 S. 222 ff; JÄHNKE

MDR 1980 S. 705 ff; LACKNER J Z 1977 S. 502 ff; DERS. 53. DJT-Sitzungsbericht, M 25 ff; OTTO ZStW 83 (1971) S. 39 ff; RÜPING J Z 1979 S. 621; SESSAR Rechtliche und soziale Prozesse einer Definition der Tötungskriminalität, 1981, S. 21 ff; WEHLING J Z 1981 S. 109 f; WOESNER NJW 1978 S. 1025 ff; DERS. NJW 1980 S. 1136 ff; ZlPF Würtenberger-Festschrift, S. 151 f. Rechtsvergleichend: ESER/KOCH ZStW 92 (1980) S. 491 ff; M o o s ZStW 89 (1977) S. 796 ff; RENGIER ZStW 92 (1980) S. 459 ff; SIMSON/GEERDS Straftaten gegen die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht; 1969.

5. Zur Kriminologie der Tötungsdelikte DOTZAUER/JAROSCH Tötungsdelikte, 1971; GÖPPINGER/BRESSER Tötungsdelikte, 1980; KREUZER Kriminalistik 1982, S. 491 ff; MIDDENDORF Kriminologie der Tötungsdelikte, 1984; RASCH/HINZ Kriminalistik 1980 S. 377 ff; STEIGLEDER Mörder und Totschläger, 1968; SLGG Begriff, Wesen und Genese des Beziehungsdelikts, 1969; SLOL Mordmerkmale in kriminologischer und kriminalpolitischer Sicht, 1973.

6. Zur Kriminalistik im Bereich der Tötungsdelikte GROSS/GEERDS Handbuch der Kriminalistik, 1978, Bd. 1, S. 163 ff, Bd. 2, S. 258 ff.

7. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der lebenslangen Freiheitsstrafe B V e r f G E 45 S. 187 ff mit A n m . BECKMANN G A 1981 S. 337 ff, und SCHMIDHÄUSER J R 1978 S. 265 ff; ERICHSEN N J W 1976 S. 1721 ff; MÜLLER-DLETZ J u r a 1983 S. 573 ff.

§ 3: Totschlag 1. Der objektive Tatbestand a) Tötung eines Menschen Der objektive Tatbestand des Totschlags, § 212, erfordert die Tötung eines Menschen. Der Täter ist in eigener Sicht "er selbst", nicht aber "ein Mensch". Aus der Gesetzesformulierung in Ubereinstimmung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers, den Selbstmordversuch nicht unter Strafe zu stellen, ist demgemäß davon auszugehen, daß das Opfer des Totschlags ein anderer Mensch als der Täter sein müsse. Der Selbstmord erfüllt nicht den Tatbestand des § 212. Da die "rechtswidrige Tat" (Haupttat) i.S. der §§ 26, 27 fehlt, entfällt die Möglichkeit, Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord als Tötungsdelikt zu bestrafen; dazu weiter unter § 6 III. H.M., vgl. dazu OTTO 56. DJT-Gutachten, 1986, D 18 ff M.e.N. - A A . BRINGEWAT ZStW 87 (1975) S. 623 ff; KLINKENBERG J R 1978 S. 441 ff; DERS. J R 1979 S. 183 f; SCHMIDHÄUSER Welzel-Festschrift, S. 801 ff.

b) Die Tathandlung Tathandlung ist jede Herbeiführung des Todes, d.h. jede Verkürzung des Lebens. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz in bezug auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes; bedingter Vorsatz genügt. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unter § 24 II.

§ 4 Mord

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3. Hinweis zur Subsumtion Mit den Worten: "ohne Mörder zu sein" in § 212 wollte der Gesetzgeber allein darauf hinweisen, daß die Prüfung des § 211 nicht übersehen werden darf. Dieser Hinweis ist bei der Subsumtion des § 212 selbst ohne jede Bedeutung und daher keinesfalls als Tatbestandsmerkmal anzusehen mit der Konsequenz, daß in der Prüfung des § 212 der ganze § 211 zu erörtern wäre.

4. Besonders schwere Fälle des Totschlags Nach § 212 Abs. 2 kann in besonders schweren Fällen eines Totschlags lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Zu beachten ist aber, daß § 211 als spezielle Regelung vorgeht und diese Regelung sich auf die Auslegung des § 212 Abs. 2 dahingehend auswirkt, daß als besonders schwerer Fall nur eine Tat aufgefaßt werden kann, die im Unrechts- und Schuldgehalt den in § 211 erfaßten Sachverhalten gleichkommt. Es genügt daher nicht, daß die Tatumstände den Mordmerkmalen nur nahekommen. Dazu BVerfG JR 1979 S. 28 mit Anrn. BRUNS S. 28 ff; BGH NStZ 1981S. 258 f; BGH JR 1983 S. 28 mit A n m . BRUNS S. 28 ff; B G H S t V 1987 S. 296 f.

§ 4: Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen Den Tatbestand des Mordes, § 211, erfüllt, wer einen Totschlag unter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgezählten qualifizierenden Umständen begeht. Gemeinsam ist den Merkmalen, die diese Tatumstände beschreiben, daß es Unrechtsmerkmale und nicht bloße Schuldmerkmale sind, da in ihnen eine erhöhte, über den einzelnen Totschlag hinausgehende Gefährlichkeit des Täters ihren Ausdruck findet. Vgl. FUHRMANN J u S 1963 S. 19 ff; JÄHNKE LK, V o r § 211 R d n . 46 ff; MAURACH/ SCHROEDER/

MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 22 ff; RCIPING JZ 1979 S. 619 f. - Als Schuldmerkmale interpretieren die Mordqualifikationen: ENGISCH GA 1955 S. 161 ff; LANGE Schröder-Gedächtnisschrift, S. 221. - Zum

Teil werden die subjektiv geprägten Mordmerkmale dem Schuldtatbestand, die objektiv ausformulierten

dem Unrechtstatbestand zugeordnet; vgl. z.B.: GALLAS ZStW 67 (1955) S. 46; JESCHECK LK, Vor § 13

R d n . 74; LANGER D a s Sonderverbrechen, 1972, S. 359; SCH/SCH/LENCKNER V o r § 13 R d n . 122. - Z u m

Teil werden einzelne Mordmerkmale als komplexe, Unrecht und Schuld betreffende Merkmale

interpretiert; vgl. LAMPE Das personale Unrecht, 1967, S. 242; ROXIN LK, § 28 Rdn. 47, 50; SCHMIDHÄUSER Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1975,8/93.

II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale Der Gesetzgeber hat die Mordmerkmale in drei Gruppen unterteilt: 1. Niedrige Motive des Täters Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier sind im Gesetz ausdrücklich als Beispiele sonstiger niedriger Beweggründe genannt, a) Mordlust Nach neuerer Auffassung - auch der Rechtsprechung - liegt Mordlust vor, wenn die Tötung als solche Zweck der Tat ist. - Hier sind daher die Fälle einzuordnen, in denen es dem Täter allein darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen, sei es, daß er die Tötung aus Mutwillen, Langeweile oder Angeberei begeht oder sie als Stimulans für seine abgestumpften Nerven bzw. als "sportliches Vergnügen" betrachtet.

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Delikte gegen das Leben

V g l . H O R N S K , § 2 1 1 R d n . 9; JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 6; O T T O Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 ) S. 5 8 ff; RÜPING J Z 1979 S . 6 2 0 ; F . - C H R . SCHROEDER JUS 1984 S . 2 7 7 f.

Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 34 S. 59: Der A hielt sich angetrunken in einer Bahnhofsgaststätte auf. Als er dort die Toilette aufsuchte, kam er auf den Gedanken, daß niemand hören und bemerken würde, wenn an diesem abgelegenen Ort ein Mensch umgebracht würde. In diesem Moment ging die W an ihm vorbei zur Toilette. A dachte bei sich: "jetzt oder nie, und meinte dabei bei sich selbst, entweder er bringe diese Frau jetzt um oder er lasse es überhaupt bleiben." Er folgte der W und versuchte, sie zu erwürgen. bb) BGH VRS 63 S. 119: Der A warf von einer Brücke Steine hinunter, wenn sich Fahrzeuge näherten. Er rechnete damit, daß die Steine die Windschutzscheibe des Fahrzeugs durchschlagen und den Fahrer treffen würden. Er hoffte, daß in einem solchen Fall der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren und ein Massenunfall mit unübersehbarem Sach- und Personenschaden entstehen würde. cc) FAZ vom 3.6.1983, S. 7: Drei junge Männer im Alter von 17,19 und 22 Jahren, die im November vergangenen Jahres einen 23 Jahre alten Stadtstreicher auf dem Bonner Venusberg zu Tode gequält hatten, sind in Bonn wegen gemeinschaftlichen Mordes zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das Opfer war, so stellte es das Gericht fest, getreten, mit Knüppeln geschlagen und stranguliert worden. Die Täter hatten den Stadtstreicher gezwungen, brennende Zigarettenkippen zu schlucken und ihm mit einer abgebrochenen Bierflasche in den Kehlkopf gestochen. dd) FAZ vom 12.9.1983, S. 7: Ein belgischer Reisebus und ein nachfolgender Personenwagen sind am Samstagmorgen auf dem Autobahnring München-Ost beschossen worden. Die Polizei teilte mit, ein Geschoß sei in die Windschutzscheibe des Omnibusses eingeschlagen und durch ein Seitenfenster wieder ausgetreten. Die Windschutzscheibe sei zertrümmert worden. Sowohl der Fahrer als auch der Beifahrer des Busses seien durch Splitter verletzt worden. Bei dem Personenwagen wurde die Motorhaube getroffen. Die Fahndung nach dem Täter, der von einem Feld aus auf die Autobahn geschossen hatte, blieb ohne Erfolg. ee) FAZ vom 23.5.1990, S. 9: Die Polizei nahm drei junge Männer fest, die am Ostersonntag einen 30 kg schweren Gullydeckel auf die Autobahn geworfen hatten. Nach der Verhaftung gaben die drei lakonisch an: "Wir wollten nur mal sehen, wie einer so ein Ding richtig vor die Birne kriegt".

b) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs Zur Befriedigung des Geschlechtstriebes tötet der Täter, der das Töten als ein Mittel zur geschlechtlichen Befriedigung einsetzt. Drei Fallgruppen sind zu unterscheiden: aa) Der Täter befriedigt seinen Geschlechtstrieb durch Töten, bb) Der Täter tötet, um sich an der Toten zu vergehen. BGHSt 7 S. 353: Der A faßte in anhaltender geschlechtlicher Erregung den Plan, ein Mädchen durch betäubende Schläge "still" zu machen, um mit der Bewußtlosen den ununterbrochenen Beischlaf ausüben zu können. Dieses Vorhaben führte er aus; er steckte ein Beil zu sich, schlug im Dunkeln eine radfahrende Frau von seinem Rade aus nieder, schleppte die Bewußtlose beiseite, tötete sie, weil sie sich noch bewegte, und er es deshalb für notwendig hielt, mit weiteren kräftigen Beilschlägen und befriedigte sich sodann an der Leiche.

cc) Der Täter nimmt den Tod als Folge der Gewaltanwendung beim Geschlechtsverkehr in Kauf. BGHSt 19 S. 101: A überfiel die Oberschülerin E, um sie geschlechtlich zu mißbrauchen, und würgte sie, bis sie das Bewußtsein verlor. Um sie wehrlos zu halten und ungestört mit ihr geschlechtlich verkehren zu können, schnürte er ein Taschentuch um ihren Hals, zog zu, so fest er konnte, und verknotete es zweimal. A erkannte, daß das Mädchen dadurch ersticken konnte, wollte aber auf jeden Fall - auch um den Preis des Lebens seines Opfers - zum ungestörten Geschlechtsverkehr kommen. Er führte an der mit offenen Augen krampfhaft atmenden Bewußtlosen den Geschlechtsverkehr aus. Nach dem Verkehr bemerkte er, daß die E nicht mehr atmete. Er erschrak und löste das Taschentuch. Das Mädchen war an der Drosselung erstickt. Vgl. weiter: BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 102; BGH NJW 1982 S. 2565.

§ 4 Mord

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Geht es dem Täter nicht um sexuelle Befriedigung, sondern nur um sexuelle Erregung, so wird - je nach den Tatumständen - Mordlust oder Tötung aus niedrigen Beweggründen vorliegen. Vgl. JÄHNKE LK, § 211 R d n . 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 32; SCH/SCH/ ESER § 211 R d n . 16.

c) Habgier Habgier als besonderes rücksichtsloses und sozialethisch anstößiges Streben nach Gewinn bedeutet ein Handeln um eines materiellen Vorteils willen in einer Handlungssituation, in der der erstrebte Vorteil in einem unerträglichen Mißverhältnis zum angerichteten Schaden steht. - Das Streben nach dem Vorteil muß die Tat wesentlich prägen; BGH StV 1986 S. 47; 1989 S. 150. aa) BGHSt 29 S. 317: A tötete den Z, weil er in den Besitz von 1 Gramm Heroin im Wert von DM 200.- gelangen wollte, das Z besaß. rig-

BGH: A erstrebte den Vorteil auch um den Preis eines Menschenlebens, daher handelte er habgie-

Dem ist zuzustimmen. Insoweit liegt ein typischer Fall des Raubmordes vor: Der Täter tötet das Opfer, um sich einen Vermögenswert zu verschaffen. - Im konkreten Fall (Täter rauschgiftsüchtig) wäre allerdings zu erwägen, ob krankhafte Suchtabhängigkeit das Ergebnis ändern könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn die Sucht so stark gewesen wäre, daß der Täter nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich der Diskrepanz zwischen dem erstrebten Vermögensvorteil und dem Wert eines Menschenlebens bewußt zu werden. D a z u auch: ALWART J R 1981S. 293 ff; FRANKE J Z 1 9 8 1 S . 525 ff; PAEFFGEN G A 1982 S. 269.

bb) OLG Hamburg NJW 1947/48 S. 350: A hatte einen Anspruch gegen die S. Da sie nicht zahlte, suchte er sie auf, um sein Geld zu erhalten. Eine Pistole nahm er vorsichtshalber mit. Als S auch bei dem Besuch die Zahlnng verweigerte, erschoß A sie. OLG Hamburg: Keine Habgier, denn die beabsichtigte Gewinnerzielung müsse rechtswidrig sein. Kritik: Im Ergebnis ist dem zuzustimmen, nicht aber in der Begründung. Der Anspruch allein schließt ein habgieriges Verhalten nicht per se aus. Wohl aber wird das Vorliegen eines bestehenden oder vermeintlich bestehenden Anspruchs die Wertung der Situation zugunsten des Täters beeinflussen, wenn es etwa zur Tötung kommt, nachdem der Schuldner die Erfüllung des Anspruchs verweigert hat, obwohl ihm die Zahlung möglich ist, oder wenn er den Gläubiger fortweist mit dem Bemerken, dieser werde seine Forderung in einem Prozeß nicht beweisen können. Diese Sachverhalte unterscheiden sich grundlegend von jenen Situationen, in denen ein Mensch getötet wird, weil der Täter Geld oder andere Werte bei ihm weiß oder vermutet, um die sich der Täter bereichern will. Vgl. dazu einerseits: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 130; SCHMIDHÄUSER Reimers-Festschrift, S. 446 ff; WELZEL Lb., § 38 II 1. - Andererseits: JÄHNKE LK, § 211 R d n . 8; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 33; SCH/SCH/ESER § 211 R d n . 17.

cc) BGHSt 10 S. 399: A tötete die B, um von der Unterhaltslast für das von B erwartete Kind freizukommen. BGH: A handelte habgierig. So auch: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 130; GÖSSEL B.T.l, § 4 Rdn. 39; LACKNER StGB, § 211 Anm. 3 aa; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 33. - Bei bloßer Absicht, den Besitzstand zu wahren, lehnen Habgier ab: ALWART JR 1981 S. 293 f; DREHER/TRÖNDLE § 211 Rdn. 5; PAEFFGEN G A 1982 S. 255.

dd) BGH JZ 1981 S. 283: M suchte jemand, der ihr beim Selbstmord helfen sollte, dafür wollte sie ihn bezahlen. Sie flehte und bettelte den A an, sie gegen Zahlung von DM 500.- umzubringen. A führte die Tat aus. BGH: Keine Habgier, da nicht die Absicht, einen Vorteil zu erlangen, die Tat wesentlich prägte, sondern andere Motive.

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Delikte gegen das Leben

d) Niedrige Beweggründe Hinter der seit BGHSt 3 S. 132 weitgehend anerkannten, jedoch pathetisch überladen formulierten Definition der niedrigen Beweggründe als "Beweggründe, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich sind", verbirgt sich nichts anderes als die nüchterne Feststellung, daß Beweggründe niedrig sind, "wenn zwischen dem Anlaß der Tat und ihren Folgen ein unerträgliches Mißverhältnis besteht" (BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 725). Die Bewertung der Beweggründe hat in einer Gesamtwürdigung zu erfolgen, in der das Mißverhältnis zwischen Anlaß und Erfolg der Tat, besondere emotionelle Erregungen und ihr Anlaß, sowie Persönlichkeitsgegebenheiten zu berücksichtigen sind. Der Täter muß sich der Umstände, die sein Verhalten als besonders verwerflich erscheinen lassen, bewußt sein und die Bedeutung seiner Beweggründe und Ziele für die Bewertung der Tat erfassen; daß er sie selbst als verwerflich bewertet, ist nicht nötig. Spielen bei der Tat gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen eine Rolle, so muß der Täter in der Lage sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern, damit dem Täter die Niedrigkeit seiner Handlung vorgeworfen werden kann; BGH StV 1987 S. 150; 1987 S. 296; BGH MDR 1989, 654. Waren mehrere Motive für die Tat maßgeblich (Motivbündel), so ist die Tat nur dann auf niedrige Motive zurückzuführen, wenn diese das Hauptmotiv waren oder der Tat ihr Gepräge gaben. Vgl. B G H bei Holtz, M D R 1984 S. 441 f; LACKNER StGB, § 211 A n m . 3 a, bb. - A A ALWART GA 1983 S. 4 3 3 ff; S C H / S C H / E S E R § 2 1 1 R d n . 18.

Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 3 S. 180: Der 39jährige verheiratete A verspürte Lust zum Geschlechtsverkehr mit der 19jährigen B. Diese wies ihn entrüstet ab. Er erstach sie daraufhin, weil auch kein anderer die B haben sollte. BGH: Beweggrund niedrig. bb) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 542: A, der als unbesiegbarer Schläger galt, provozierte den B durch Belästigungen, um "in eine tätliche Auseinandersetzung zu kommen.* Als diese begann, mußte A erkennen, daß B stärker war. Dies "konnte A nicht verwinden" und stieß dem B deshalb wütend, schnell und mit aller Kraft die Klinge seines Taschenmessers in die Brust. Der tödliche Ausgang dieses Angriffs war ihm recht. BGH: Wut und Enttäuschung darüber, daß er in der Auseinandersetzung mit dem sich vollkommen rechtmäßig verhaltenden B nicht als Sieger hervorging, sind als niedrige Beweggründe anzusehen. cc) BGH NJW 1980 S. 537: A und B, zwei Türken, versuchten den St zu töten, der die Tochter bzw. Schwester geschwängert hatte, aber nicht bereit war, sie zu heiraten. Nach den Sitten ihres Heimatlandes empfanden sie dies als verbindliche Familienpflicht. BGH: Keine niedrigen Beweggründe, denn bei ausländischen Tätern sind die Anschauungen ihrer Heimat bei der Wertung ihrer Motive zu berücksichtigen. Dazu auch: GEILEN JK, StGB § 211/5; KÖHLER JZ1980 S. 238; SONNEN JA 1980 S. 747. dd) BGH NStZ 1985 S. 454: A, der Schwierigkeiten in Ehe und Beruf hatte, beschloß "auszusteigen und unterzutauchen". Um einen Unfall vorzutäuschen, tötete er den X, setzte die Leiche in seinen Wagen und zündete diesen an. BGH: Wer einen ihm unbekannten Menschen tötet, um statt seiner als tot zu gelten, sich damit aus seinen familiären und beruflichen Bindungen zu lösen und - frei von der damit einhergehenden Verantwortung - ein "neues Leben" beginnen zu können, offenbart damit vielfach ein derart erhebliches Maß an Menschenverachtung, daß sein Beweggrund für die Tötung sittlich auf tiefster Stufe steht und damit niedrig im Sinne des Mordtatbestandes ist.

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§ 4 Mord 2. Art der

Tatausfiihrung

a) Heimtücke Heimtückisch tötet nach ständiger Rechtsprechung, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tötung ausnutzt; BGHSt 32 S. 383 f m. w. N. Arglos ist, wer beim Eintritt der Tat in das Versuchsstadium von dem Täter keinen Angriff auf Leib oder Leben befürchtet. Wehrlos ist, wer in seiner Abwehrbereitschaft oder -fähigkeit im Augenblick der Tat stark eingeschränkt ist. - D e m Merkmal der feindlichen Willensrichtung hat die Rechtsprechung bisher keine eigenständige Bedeutung zugemessen, das Merkmal jedoch verneint, wenn der Täter meinte, "zum Besten des Opfers" zu handeln. Ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der Täter sich der tatsächlichen Umstände, die die Tötung zu einer heimtückischen machen, bewußt ist in dem Sinne, daß er gedanklich erfaßt, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dazu BGHSt 6 S. 121; 11 S. 144; 22 S. 80; BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 487; BGH StV 1984 S. 511; BGH GA 1987 S. 129; BGH NStZ 1987 S. 554. Diese Begriffsbestimmung ist wegen ihrer Weite, aber auch wegen der in ihr angelegten wenig überzeugenden Differenzierung verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die der B G H durch verschiedentliche Randkorrekturen auszugleichen versuchte. So hat der BGH zunächst angenommen, daß Arglosigkeit schon entfalle, wenn der Täter dem Opfer bei einer nur verbalen Auseinandersetzung in offener Feindschaft gegenübertritt; vgl. BGHSt 27 S. 324; BGH NStZ 1983 S. 35. Diese Auffassung führte in letzter Konsequenz dazu, "daß ein tötungswilliger Täter sein Opfer nur mit einem verbalen Streit zu überziehen braucht, um vor dem Vorwurf der Heimtücke sicher zu sein" ( D R E H E R / T R Ö N D L B § 2 1 1 Rdn. 6 b). Inzwischen hat der BGH diese Aussage allerdings eingeschränkt und läßt einen verbalen Angriff nicht genügen, wenn das Opfer bezüglich eines Angriffs auf Leib und Leben arglos bleibt; vgl. BGHSt 30 S. 113 f; 33 S. 363. Eine Ausnahme von der Voraussetzung, daß das Opfer bei Beginn des Versuchs arglos sein muß, machte der BGH für den Fall, daß der Täter das Opfer "nach einem wohl überlegten Plan mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt"; BGHSt 22 S. 77; BGH NStZ 1984 S. 261. Das soll allerdings nur dann gelten, wenn der Täter das Opfer "unentrinnbar" durch die von langer Hand geplante Tat in seine Gewalt gebracht hat; BGH NStZ 1989 S. 354 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 211/19. Schließlich mildert der BGH die lebenslange Strafe über § 49 Abs. 1 in Fällen, in denen außergewöhnliche Umstände die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen; BGHSt (GrSSt) 30 S. 105.- Bei diesen außergewöhnlichen Umständen muß es sich um Sachverhalte handeln, "die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen (z.B. bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit oder bei entschuldigendem Notstand i. S. von § 35 I S. 2 StGB) vergleichbar" (BGH MDR 1982 S. 1033) oder so außergewöhnlich sind, daß von einem Grenzfall gesprochen werden kann. Dazu auch: BGH JR 1983 S. 301; BGH NStZ 1983 S. 553. Die Literatur bietet kein einheitliches Bild. Zum Teil wird dem BGH .gefolgt; vgl. z.B. L A C K N E R StGB, § 211 Anm. 3 b . - Weithin besteht aber Konsens darüber, daß die Überraschung des Opfers in hilfloser Lage, so daß dieses gehindert ist, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen, keinen derart erhöhten Unrechtsvorwurf begründen kann, daß das Ausnutzen dieser Situation den Totschlag zum Mord werden läßt. - Der Regelfall des Totschlags ist nämlich keinesfalls der ritterliche Zweikampf nach vorheriger Ansage und Wahl der Waffen! Zum einen wird nur die Ausnutzung eines bestehenden Vertrauensverhältnisses oder der Mißbrauch entgegengebrachten Vertrauens als Heimtücke anerkannt (vgl. S C H M I D H Ä U S E R B.T., 2/20). Zum anderen wird ein heimliches und tückisches Verhalten gefordert (vgl. VEH Mordtatbestand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1986, S. 161 ff, 177). Schließlich wird auf das Fehlen eines "achtenswerten

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Delikte gegen das Leben

Grundes" (SCHWALM MDR 1957 S. 260), eine "besonders weitgehende, dem Opfer nicht erkennbare Tätervorbereitung" (SCHMOLLER ZStW 99 (1987) S. 389 ff, 414 ff), auf die Ausnutzung "kreatürlicher Arglosigkeit" (vgl. ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 114) oder den Mißbrauch "sozial-positiver Verhaltensmuster" (vgl. z.B. M.-K. MEYER JR 1979 S. 485 ff; DIES. JR 1986 S. 135 ff) abgestellt.

Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder der Mißbrauch begründeten Vertrauens des Opfers zur Ausführung der Tat erscheinen hier als die wesentlichen Qualifikationskriterien. Denn die bloße Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers begründet noch keine über die Einzeltat hinausgehende Gefahr des Täters. Im Gegenteil, tötet der Täter überraschend, um dem Opfer die Todesangst zu ersparen, so erscheint dies nicht als ein sozialethisch in höherem Maße unerträgliches Verhalten, als wenn er das Opfer zuvor mit seinem Plan vertraut macht und sodann tötet (a.A. BGHSt 32 S. 388 f.) Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses (Freundschaft, Liebe, Ehe o.ä.) zur Durchführung der Tat oder der Mißbrauch begründeten Vertrauens des Opfers, das der Täter arglos gemacht hat, stellt hingegen einen über die konkrete Tötung hinausgehenden Angriff auf die Vertrauensgrundlage der Rechtsgesellschaft dar. Der bloße Mißbrauch sozial-positiver Verhaltensmuster (Hilflosigkeit und freundliches Entgegenkommen) erscheint demgegenüber als noch nicht so gravierende Verletzung dieser Vertrauensgrundlagen. Die hier vorgeschlagene Definition der Heimtücke führt zu einer Begrenzung des Anwendungsbereiches dieses Merkmals, keineswegs aber zu einer unerträglichen Einengung des Anwendungsbereiches des Mordtatbestandes, denn aufgrund ihrer Motivation können Tötungen, bei denen der Täter die Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, durchaus Fälle der Tötung aus niedrigen Beweggründen oder Mordlust sein. Die Tatsache, daß der sog. Meuchelmord nicht als heimtückische Tötung erfaßbar ist, schließt nicht aus, solche Taten überhaupt als Mord zu bewerten!

Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 3 S. 183: Der A hat seinen Stiefvater, den Landwirt Z, mit einem Prügel erschlagen. Er hatte, in einem Kornfeld versteckt, ihm aufgelauert. Als Z, wie erwartet, ahnungslos und wehrlos auf seiner Mähmaschine an ihm vorbeigefahren war, war er herausgesprungen und hatte ihn hinterrücks überfallen. BGH: A handelte heimtückisch. Kritik: Von einer Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder dem Mißbrauch entgegengebrachten Vertrauens zur Durchführung der Tat kann hier keine Rede sein. bb) BGHSt 9 S. 385: A, dem ein Verfahren wegen Unterschlagung drohte, beschloß Selbstmord zu begehen und Frau und Tochter, die er sehr liebte, mit in den Tod zu nehmen. Er glaubte, daß seine Familie die Entehrung und die Not, die er über sie gebracht hatte, nicht ertragen könnte. Deshalb meinte er, seiner Familie eine Wohltat zu erweisen, wenn er sie auslösche. Nach Tötung der Tochter und dem Versuch, die Ehefrau zu töten, brach er sein Vorhaben ab. BGH: Zwar Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer, dennoch keine Heimtücke, weil A glaubte, zum Besten seiner Opfer zu handeln; vgl. auch BGH StV 1989 S. 390. Kritik: Die Formulierung, eine Tötung könne nicht Mord sein, wenn der Täter meint, "zum Besten des Opfers zu handeln", ist einfach schief. In der Sache geht es darum, ob der Täter sich bewußt war, das ihm entgegengebrachte Vertrauen auszunutzen bzw. zu mißbrauchen, weil er davon ausging, daß "die Schande" die Familie härter treffen würde als der Tod. - Diese Problematik ist für beide Definitionen der "Heimtücke" identisch. cc) BGHSt 33 S. 363: A, der den L nach einem Barbesuch mit sich in seine Wohnung genommen hatte, ärgerte sich über einen homosexuellen Annäherungsversuch des L, wies ihm die Tür und verfolgte den widerspruchslos fortgehenden L schimpfend auf der Straße. Die Beschimpfungen nahm L gelassen hin. Darauf beschloß A, den L zu erschlagen. Er eilte mit einem 8 Pfund schweren Stein von hinten an L heran und erschlug diesen.

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BGH: Ein der Tötungshandlung unmittelbar vorausgegangener, allein mit Worten geführter Angriff schließt Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer dennoch gegenüber einem Angriff auf Leben oder körperliche Unversehrtheit arglos bleibt. Enger noch BGHSt 27 S. 322. Dort hatte der BGH Heimtücke abgelehnt, wenn die vorangegangene Begegnung zwischen Täter und Opfer im Zeichen feindseligen Verhaltens stand. Einen tätlichen Angriff braucht das Opfer nicht zu erwarten. Kritik: Zu begrüßen ist die Klarstellung des BGH, daß vorangegangene verbale Äußerungen die Heimtücke nicht ausschließen können; vgl dazu auch: F R O M M E L StV 1987 S. 292 ff; R E N G I E R NStZ 1986 S. SOS f. - Unabhängig davon aber bleibt auch in diesem Fall fraglich, ob die Annahme der Heimtücke überhaupt sachgerecht ist. dd) BGHSt 8 S. 216: Die A tötete ihr drei Wochen altes Kind, indem sie Schlaftabletten unter die Babynahrung mischte. Den E, der dem Kind geholfen hätte, täuschte sie über dessen Zustand. BGH: Einem ganz kleinen Kind gegenüber kann der Täter in der Regel nicht heimtükkisch handeln, weil es nicht fähig ist, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Wer ein Schlafmittel in die Nahrung eines solchen Kindes mischt, handelt aber heimtückisch, wenn er es tut, weil das Kind anderenfalls das Mittel seines Geschmacks wegen nicht zu sich nehmen würde. Möglich ist in derartigen Fällen auch ein heimtückisches Verhalten gegenüber einem schutzbereiten Dritten. Dieses setzt nicht voraus, daß der Täter dessen Arglosigkeit herbeiführt; es genügt, daß er sie ausnutzt. Die Arglosigkeit schutzbereiter Dritter tritt jedoch nur an die Stelle der Arglosigkeit des Opfers bei Personen, die unfähig sind, Arg zu empfinden und Abwehr zu leisten, z.B. bei Kleinkindern; dazu auch BGHSt 18 S. 37. Kritik: Im Ergebnis ist dem BGH hier zuzustimmen. Auffällig ist allerdings, daß er in seiner Begründung gleichfalls auf den Vertrauensbruch abstellt, auch wenn er die Heimtücke nicht ausdrücklich mit dem Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses begründet. ee) BGHSt 23 S. 119: Der A hat Frau M und den gemeinsamen Sohn, mit denen er bis dahin zusammengelebt hat, während beide schliefen, mit einem Beil erschlagen. BGH: Heimtückisch handelt in der Regel, wer einen Schlafenden tötet: "Der Schlafende ist in aller Regel arglos, wenn er einschläft. Wer sich zum Schlafen niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den SchlaP. Anders soll es beim Eintritt von Bewußtlosigkeit sein, da in diesem Falle die Wehrlosigkeit nicht auf der Arglosigkeit beruht; Str., vgl. D R E H E R / T R Ö N D L B § 2 1 1 Rdn. 6 b. Kritik: Die Entscheidung nach dem Kriterium des Vertrauensmißbrauchs ist hier eindeutig: Da sowohl Frau M als auch S darauf vertrauten, daß ihnen von A keine Gefahr drohe, als sie sich in der Wohnung, in der sich auch A befand, zum Schlafen niederlegten, mißbrauchte A ihm entgegengebrachtes Vertrauen. - Dringt hingegen ein Dritter von außen ein, so läge kein Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses vor. Eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers müßte hingegen bejaht werden. ff) BGHSt (GrSSt) 30 S. 105: Der S, ein Onkel des A, hatte die Ehefrau des A vergewaltigt. Diese wollte sich daraufhin scheiden lassen. Sie unternahm mehrere Selbstmordversuche. Der S brüstete sich sogar noch mit der Tat dem A gegenüber. - Eines Abends, als S in einer Gaststätte mit anderen Karten spielte und nichts Böses ahnte, erschoß A ihn. BGH: Es liegt ein Fall heimtückischer Tötung vor, doch gebieten hier die außergewöhnlichen Tatumstände eine Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe; § 49 Abs. 1 Nr. 1 analog. Kritik: Gerade diese Entscheidung zeigt die Schwächen der Konstruktion. Obwohl der Täter der Situation des § 213 weit näher steht als der des Mordes, bleibt eine Anwendung des § 213 versagt. Die nach § 49 Abs. 1 mögliche Milderung des Strafrahmens bietet jedoch keinen Ersatz. Im konkreten Fall wurde A nach erneuter Hauptverhandlung zu 12jähriger Haft verurteilt; LG Münster 8 Ks 30 Js 37/79 2/81.- Das Ergebnis spricht für sich. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensmißbrauchs ist dies ein unproblematischer Fall: Heimtücke ist abzulehnen. - Zur Auseinandersetzung mit BGHSt 30 S. 105 vgl. § 4 II 2 a. gg) BGHSt 32 S. 382: Die H hatte sich von der A im Laufe einer harmlosen Auseinandersetzung fesseln lassen. Später kam es zu einem ernsten Streit zwischen H und A. Dabei entschloß A sich spontan, die H, die sich nicht wehren konnte, zu töten. Sie nahm vor den Augen der H ein großes Kopftuch aus dem Schrank, faltete es durch mehrfaches Umschlagen auf 7 cm Breite zusammen und schritt, das Tuch

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an den Enden in den Händen haltend, von vorn auf die auf einer Matraze hockende H zu. Dieser war bereits beim Falten des Tuches klar geworden, was die A vorhatte. Sie rief in Todesangst um Hilfe, jedoch ohne Erfolg. Die A kniete hinter H nieder, legte ihr das gefaltete Tuch um den Hals und erdrosselte sie. BGH: Keine heimtückische Tötung, da H bei Versuchsbeginn nicht mehr arglos war. Kritik: Die Auffassung des BGH, daß in der Tötung der H kein erhöhter Unrechtsgehalt lag, weil A die Tötung ohne jegliche Heimlichkeit oder List vor den Augen des Opfers vorbereitete und ausführte, kann nicht gefolgt werden. Hier wurde - nach dem bisherigen Verhältnis der Beteiligten - begründetes Vertrauen in sozial unerträglicher Weise mißbraucht; vgl zur Kritik auch: JAKOBS JZ1984 S. 996 ff; M.K. MEYER JR 1986 S. 133 ff; OTTO JK, StGB { 211/11. b) Grausam Grausam handelt, wer d e m Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen. H.M.: BGHSt 3 S. 180; BGH NStZ 1982 S. 379 f; BGH bei Holtz, MDR 1987 S. 623; DREHER/TRÖNDLE § 211 R d n . 7; HORN SK, § 211 R d n . 40; JÄHNKE LK, § 211 R d n . 5 ff; LACKNER StGB, § 211 A n m . 3 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 R d n . 47; WELZEL Lb., § 38 II 1 b.

Der Definition ist zuzustimmen, denn im Erfordernis der gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung kommt das über den Unrechtsgehalt einer Tötung hinausweisende Unrechtselement zum Ausdruck. Die bloße Zufügung von Schmerzen oder Qualen, die über das zur Tötung erforderliche Maß hinausgehen, genügt diesen Anforderungen nicht; AA. RÜPING JZ 1979 S. 620; SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 27. D i e Grausamkeit muß nicht notwendig in der eigentlichen Ausführungshandlung des Täters liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird. Lediglich grausame Verletzungen, die mit Körperverletzungsvorsatz zugefügt werden und an die sich eine Tötung anschließt, genügen allerdings nicht. Notwendig ist ein vom Tötungsvorsatz getragenes Verhalten, in d e m die Herbeiführung des Todes den Schlußpunkt einer Entwicklung darstellt. So auch: BGH NJW 1971 S. 1190; BGH NJW 1990 S. 2632; JÄHNKE LK, § 211 Rdn. 56; LACKNER StGB, § 211 Anm. 3 c.- AA. Grausame Gesinnung muß bei Beginn der Tatausführung, d.h. bei Beginn des Versuchs vorüegen; BGH NJW 1986 S. 265 mit abl. Anm. OTTO JK, StGB § 211/14. Zur Verdeutlichung: aa) LG Hamburg DRiZ 1967 S. 19 ff: Der W hatte befohlen, daß der Straftäter P, der im Oktober 1943 mit einem Schiff von Japan nach Deutschland gebracht werden sollte, nicht in Feindeshand fallen dürfte, sondern bei Selbstversenkung des Schiffes mit diesem untergehen sollte. Als das Schiff aufgebracht wurde, blieb P in seiner Zelle eingeschlossen. Er ging mit dem Schiff unter. Der W, in seemännischer Tradition erzogen, sah es als normalen Tod an, mit dem Schiff unterzugehen, wenn keine Rettung möglich ist. LG Hamburg: W war sich zwar der Qualen des P bewußt, die dieser beim Tod des Ertrinkens leiden würde, er handelte aber nicht aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung. bb) BGH NJW 1971 S. 1189 (1190): Auf Anordnung der Haupttäter wurden Personen, denen bekannt war, daß sie in ein Vernichtungslager verbracht werden sollten, auf engem Raum zusammengetrieben, wo sie bei großer Hitze auf den Transport warten und ansehen mußten, wie alte und kranke Menschen erschossen wurden und wo sie selbst erbarmungslosen Schlägen mit Ochsenziemern und Reitpeitschen ausgesetzt waren. Sodann wurden sie abtransportiert und getötet. BGH: Tötung erfolgte grausam, denn "die Grausamkeit muß nicht notwendig in der eigentlichen Ausführungshandlung der Tötung liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird". c) Gemeingefährliche Mittel Gemeingefährliche Mittel sind Mittel, deren Wirkungen auf Leib und L e b e n anderer Menschen der Täter nach den konkreten Umständen ihres Einsatzes nicht in der

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Hand hat. - Der Täter muß die gemeingefährliche Situation selbst schaffen, ihre bloße Ausnutzung genügt nicht; BGHSt 34 S. 13. Die bloß abstrakte Gefährlichkeit des Mittels - z.B. Feuer, Sprengstoff, Gift - genügt nicht; Andererseits braucht auch noch keine konkrete Gefahr für weitere Personen real eingetreten zu sein; a A . RENGIER StV 1986 S. 406 f. Es ist vielmehr erforderlich, daß in der konkreten Tatsituation der Täter das Geschehen nicht so beherrscht, daß eine Gefahrdung weiterer Menschen mit Sicherheit ausgeschlossen ist.

Zur Verdeutlichung: aa) BGH VRS 63 S. 119: A warf von einer Brücke Steine auf Kraftfahrzeuge und war sich der Tatsache bewußt, daß es nach einem Treffer zu einem Massenunfall kommen könnte. BGH: A handelte mit gemeingefährlichen Mitteln. Hingegen: Wirft A mit einem Stein auf den einsamen Spaziergänger X, so liegt keine Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels vor. bb) BGH NJW 1985 S. 1477: A warf 3 Brandflaschen in ein von zwei Personen bewohntes Zimmer eines Wohnheimes. Die beiden Bewohner kamen zu Tode. Weitere Personen wurden dank der feuersicheren Bauweise des Gebäudes nicht gefährdet. A hatte sich aber nicht vorher überzeugt, wie viele Personen überhaupt im Zimmer waren. BGH: "A setzte eine Gefahr für eine unbestimmte Zahl von Personen, die dort hätten sein können. Jedenfalls dann, wenn der Täter, der ein seiner Natur nach gemeingefährliches Mittel einsetzt, nicht dessen gewiß ist, die Wirkung der von ihm entfalteten Kräfte so beschränken zu können, daß der Eintritt der Gemeingefahr ausgeschlossen ist, begeht er einen Mord".

3. Verfolgte Zwecke: Um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken a) Die andere Straftat muß Straftat im engeren Sinne des Wortes sein. Ordnungswidrigkeit, Disziplinarvergehen o.ä. genügt nicht. Es reicht aber aus, daß der Täter sich vorstellt, er ermögliche oder verdecke eine Straftat (subjektives Merkmal!). b) Die andere Straftat braucht keine eigene Tat des Täters zu sein. c) Die verdeckte Tat kann mit dem Mord tateinheitlich zusammenfallen, denn da Tateinheit auch bei längere Zeit andauernden Geschehnissen möglich ist, kann 'Tat" hier nicht im rechtstechnischen Sinne, sondern muß als strafbares Geschehnis verstanden werden; Str., vgl. unter d, dd). Zur Verdeutlichung: aa) BGH GA 1963 S. 84: A wollte ein Mädchen vergewaltigen. Er legte sich in einsamer Gegend auf die Lauer. Als sich ein Paar, die B und der C, näherte, schoß A auf den C, um ihn zu töten, weil er fürchtete, dieser werde der B zur Hilfe kommen. BGH: Tötung zur Ermöglichung einer Straftat (Vergewaltigung). bb) Typischer Fall ßr die Absicht, eine andere Straftat zu verdecken: A tötet nach einer Straftat den Zeugen Z, weil dieser ihn vor Gericht belasten könnte. Problem: Kann die "Selbstbegünstigungsabsicht" wirklich als qualifizierendes Merkmal bewertet werden? Einerseits besteht eine Neigung, den Versuch des Täters, sich selbst einer - wenn auch verdienten Strafe zu entziehen, strafmildernd zu bewerten. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß ein Staat, der durch seine Organe (Polizeibeamte) Verbrechen verfolgt, diese geradezu unerträglichen Risiken aussetzt, wenn er bereit ist, sich die zunächst verständliche Wertung der Selbstbegünstigungsabsicht als schuldmilderndes Motiv zu eigen zu machen. Die Wertung dieser Motivation als sozialethisch besonders unerträglich muß daher verteidigt werden; vgl. auch: JÄHNKE LK, § 211 R d n . 12.

cc) BGHSt 11 S. 226 mit Anm. STRATENWERTH JZ 1958 S. 545: Der C schlug dem Geschäftsführer G im Laufe einer Auseinandersetzung, als dieser ihn an den Haaren packte und niederhielt, mit einer

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Wasserflasche auf den Kopf, so daß G für kurze Zeit bewußtlos zu Boden fiel. Als G wieder zu sich kam und dem C Vorwürfe machte, tötete ihn dieser, um zu verhindern, daß er wegen des vorher geführten Schlages mit der Flasche angezeigt und bestraft werde. BGH: Daß die "Vortat" des C u. U. durch Notwehr gerechtfertigt ist, ist unbeachtlich. Es genügt, daß sich der Täter eine kriminelle, strafbare Tat vorstellt, die er verdecken will (Konsequenz aus der rein subjektiven Gestaltung dieses Merkmals). dd) BGHSt 35 S. 116: Der A war aufgrund eines Mißverständnisses mit der M in Streit geraten. Er versetzte ihr drei Faustschläge. M stürzte nach hinten, schlug mit dem Kopf auf und blieb bewußtlos liegen. Aus Angst, daß seine Tat entdeckt und er deswegen bestraft werden könne, entschloß sich A, die M zu töten und damit als Tatzeugin zu beseitigen. Diesen Entschluß führte er aus. BGH: A handelte in Verdeckungsabsicht. Es besteht hier kein Anlaß einer restriktiven Auslegung, da die Verdeckungsabsicht bei Berücksichtigung aller tat- und täterbezogenen Umstände die Voraussetzungen des niedrigen Beweggrundes erfüllt. Zur Entwicklung der Rechtsprechung - Überblick: BGHSt 35 S. 118 ff - vgl. zunächst: BGHSt 7 S. 325, sodann: BGHSt 27 S. 346, und schließlich: BGHSt 28 S. 77 (80, 82). - Dazu auch HOHMANN/ M A T T J A 1989 S. 134 ff; LABER M D R 1989 S . 8 6 1 ff; O T T O J K 88, S t G B § 2 1 1 / 1 6 ; SCHMIDHÄUSER

NStZ 1989 S. 55 ff; TLMPE NStZ 1989 S. 70 ff. ee) BGHSt 7 S. 287: A überfuhr nach Alkoholgenuß mit seinem Personenkraftwagen versehentlich den X. A, der sein Fahrzeug etwa 80 m hinter der Unfallstelle zum Stehen gebracht hatte, kehrte zur Unfallstelle um und betrachtete mit seinen Begleitern den Verunglückten, der noch Lebenszeichen von sich gab. Nachdem das Herbeiholen von Hilfe erörtert worden war, beschloß A, wegzufahren, weil er Alkohol getrunken hatte, veranlaßte seine Begleiter zum Einsteigen, verpflichtete sie zum Schweigen über den Vorfall und fuhr nach Hause, ohne sich weiter um den Verunglückten zu kümmern. BGH: Keine Tötung durch Unterlassen seitens des A zur Verdeckung einer Straftat. A hat den Tod des X nicht als Mittel zur Verdeckung eingesetzt, sondern nur davon abgesehen, seine eigene Tat aufzudecken. Kritik Unterließ A Rettungsmaßnahmen, weil diese zur Entdeckung seiner Straftat geführt hätten, so verletzte er seine Handlungspflicht, um die Straftat zu verdecken. Daß er den tödlichen Kausalverlauf nicht mit Tötungsvorsatz einleitete, steht dem nicht entgegen, denn dies setzt das Unterlassen nach gefährlichem vorangegangenem Tun gerade voraus; vgl. einerseits: JÄHNKE LK, § 211 Rdn. 22; andererseits: KREY B.T.l, Rdn. 75.

III. Vorsatzprobleme 1. In der 1. Gruppe der Mordqualifikationen (niedrige Motive) muß der Täter sich der Umstände bewußt sein, die seine Tat als sozialethisch unerträglich erscheinen lassen. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen ist daher grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz möglich. Das gilt auch für das Merkmal der Mordlust. Auch derjenige handelt aus Mordlust, der Pflastersteine von einer Brücke auf die Autobahn wirft, um es "einmal so richtig krachen zu hören", auch wenn er sich nur der tödlichen Gefahr für die Autofahrer bewußt ist, nicht aber davon ausgeht, daß der Tod mit Sicherheit eintritt; vgl. OTTO JK, StGB § 211/15. - A A . DREHER/TRÖNDLE § 211 R d n . 11; LACK-

NER StGB, § 211 Anm. 4.

2. In der 2. Gruppe der Mordqualifikation muß der Täter die objektiven Merkmale (Vertrauensverhältnis, Wirkung des eingesetzten Mittels) kennen; bei der Verwirklichung des Merkmals "grausam" muß es ihm aufgrund seiner Gesinnung auf die Schmerzzufiigung ankommen (dolus directus 1. Grades). 3. Bei den verfolgten Zwecken, 3. Gruppe, muß sich die Absicht im engeren Sinne auf den Zweck beziehen. Die Tötung selbst hingegen braucht nur bedingt gewollt zu sein.

§ 5 Der minder schwere Fall des Totschlags

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Zur Verdeutlichung: a) BGH MDR 1980 S. 629: Um bei einem Banküberfall in den Kassenraum zu gelangen, schoß A gegen die Glasfüllung der Tür. Er nahm dabei billigend in Kauf, daß er einen hinter der Tür stehenden Bankangestellten tödlich verletzen könnte. BGH: A handelte nicht zur Ermöglichung einer Straftat, denn die Tötung war nur Begleiterscheinung, nicht aber Mittel zur Ermöglichung der Straftat. Dem ist nicht zu folgen, denn die Tötungshandlung wurde hier zur Ermöglichung der Straftat bewußt eingesetzt; vgl. auch: Geilen Lackner-Festschrift, S. 573 ff. - Die Problematik entspricht deijenigen Fallgestaltung, daß A mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Bankangestellten schießt, um an den Tresor heranzukommen, vor dem dieser steht. Dazu auch: BGHSt 23 S. 176, 194; BGH GA 1963 S. 84; BGH NStZ 1990 S. 30; JÄHNKE LK, § 211 Rdn. 11. - Kritisch zur Mittel-Zweck-Fonnel auch SCHALL JuS 1990 S. 624 m.e.N. in Fn. 6 ff. b) BGH StV 1988 S. 486: Der A hatte die N schwer mißhandelt und verletzt, nachdem er sie der Freiheit beraubt hatte. Obwohl er sich des lebensgefahrlichen Zustandes der N bewußt war, hielt er sie weiter gefangen, weil er verhindern wollte, daß er als Täter entdeckt würde, wenn der Zustand der N bekannt würde. Ergebnis: Verdeckungsabsicht liegt vor. Dazu auch: BGHSt 11 S. 269; 15 S. 291 mit Anm. JESCHECK JZ 1961 S. 752; BGH VRS 24 S. 184; JÄHNKE LK, § 211 Rdn. 24.

c) BGH GA 1983 S. 565: A wurde bei einem Einbruch von S überrascht. Um nicht von ihr später wiedererkannt zu werden, schoß er auf sie. BGH: Kann der Täter die erstrebte Verdeckunß der Straftat mir durch den Tod des Opfers erreichen, so ist die Verwirklichung der Verdeckungsabsicht nur mit direktem Tötungsvorsatz möglich. Vgl. auch: BGHSt 21 S. 284 f; BGH NStZ 1985 S. 166.

4. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unter § 24 II.

§ 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 1. § 213,1. Alt.: ein privilegiertes Tötungsdelikt In seiner 1. Alt.: "War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden", enthält der Tatbestand einen benannten Strafmilderungsgrund, d.h. eine Privilegierung gegenüber § 212 mit der Konsequenz, daß der Versuch nicht strafbar ist; vgl. dazu auch oben § 2,2 a. Das Unrecht der Tat wird in dieser Alternative durch drei Faktoren geprägt: (1) das spätere Opfer fügt dem späteren Täter oder einem seiner Angehörigen ein erhebliches Unrecht zu, (2) der Täter gerät dadurch in einen - seine Entscheidungsfreiheit wesentlich einengenden - Erregungszustand und (3) den Täter trifft keine Schuld daran, daß ihm ein Unrecht zugefügt worden ist. Nicht nur der schuldmindernd zu berücksichtigende Erregungszustand und ein begrenzter Bereich auslösender Faktoren kennzeichnen die Situation, sondern diese wird zugleich bestimmt durch "die Schuld des Opfers an der Tat". Die Tat erscheint daher gegenüber einer "typischen" Tötung als geringere Störung der sozialen Bezie-

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Delikte gegen das Leben

hungen. Insoweit beruht die Regelung des § 213 darauf, daß er zwar Tötungsunrecht unter Strafe stellt, jedoch im Verhältnis zu § 212 minder schweres Tötungsunrecht. Die Schwere der Provokation ist unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu ermitteln. Der Tatvorgeschichte kann daher Bedeutung zukommen (BGH NJW 1987 S. 3143). Auch aus der Wiederholung von Beschimpfungen kann sich die Schwere der Beleidigung ergeben (BGH NStZ 1983 S. 365).

Ohne eigene Schuld handelt der Täter, der die beleidigende Äußerung des Opfers im gegebenen Augenblick entweder überhaupt nicht oder aber nicht vorwerfbar veranlaßt hat; BGH StV 1984 S. 283. Nur ein solches Verhalten ist aber relevant, das "zu dem Verhalten des Getöteten in dem entscheidenden Augenblick genügende Veranlassung gegeben hatte" (BGH NStZ 1981 S. 300; BGH NStZ 1983 S. 554), und zwar derart, daß "das Verhalten des Opfers eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes schuldhaftes Tun des Täters darstellt" (BGH NStZ 1981S. 479; BGH NJW 1983 S. 293).

Eine Mißhandlung kann körperlich oder seelisch erfolgen. - Beleidigung ist nicht als terminus technicus i.S. einer Ehrverletzung gemäß §§ 185 ff zu verstehen, sondern als schwere Kränkung. In Betracht kommt z.B. ein Vertrauensbruch, etwa ein Ehebruch (BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 110). Maßgebend ist der objektive Erklärungsweit des Verhaltens, nicht allein die Vorstellung des Täters, gekränkt worden zu sein, da es hier um die Feststellung des Unrechts des späteren Opfers geht (BGH NStZ 1982 S. 27; 1986 S. 455; BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 111).

Die Beleidigung muß dem Täter oder einem seiner Angehörigen zugefügt worden sein. Eine analoge Anwendung auf nahestehende Personen ist aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Sie ist kriminalpolitisch auch nicht notwendig, da in einschlägigen Fällen die 2. Alternative des § 213 in Betracht kommt; vgl. LACKNER StGB, § 213 Anm. 2 c; OTTO JK, StGB § 11/2. - A.A. DREHER/TRÖNDLE § 11 R d n . 8 a; STRÄTZ F a m R Z 1980 S. 308.

Auf der Stelle reagiert der Täter, der noch voll unter dem Einfluß des erlittenen Unrechts steht. Zwischen Beleidigung und Reaktion kann daher durchaus ein gewisser Zeitraum liegen. Auch kann sich das beleidigende Verhalten über längere Zeit erstrecken. Es genügt, daß das Verhalten unmittelbar vor der Tat "der Tropfen war, der das Faß zum Überlaufen brachte" (BGH NStZ 1982 S. 27; BGH StV 1984 S. 284.) Durch die Provokation ist der Täter auch dann zur Tat hingerissen worden, wenn neben der Reizung zum Zorn noch andere Motive zur Tatauslösung beigetragen haben, sofern sie den Zorn nicht in eine unerhebliche Rolle verdrängt haben. Vgl. BGH StV 1983 S. 60, 198; dazu auch GEILEN JR 1978 S. 341 ff; DERS. Dreher-Festschrift, S. 357 ff.

Die Rechtsprechung hält daran fest, daß Verhältnismäßigkeit zwischen der Schwere der Kränkung und der im Zorn verübten Tat nicht gegeben zu sein braucht. Hier ist jedoch zu beachten, daß. in Fällen, in denen die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist, die Reaktion des Täters auf das Verhalten des Opfers kaum als verständlich beurteilt werden kann. Vgl. dazu einerseits: BGH NStZ 1982 S. 27; 1985 S. 216; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.L, § 2 Rdn. 56; andererseits: GEILEN Dreher-Festschrift, S. 374 ff; NEUMANN Zurechnung und "Vorverschulden", 1985, S. 253.

§ 5 Der minder schwere Fall des Totschlags

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2. § 213, 2. Alt.: ein unbenannter Strafmilderungsgrund Ein sonstiger minder schwerer Fall i.S. des § 213 braucht sozialethisch nicht auf der Ebene der Umstände des § 213, 1. Alt. zu liegen. Entscheidend ist allein, ob "das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist" (BGH bei Holtz, MDR 1976 S. 633). Beleidigungen durch Dritte sowie Beleidigungen und Mißhandlungen nahestehender Personen können hier als privilegierende Umstände in Betracht kommen, wenn sie das Tatbild wesentlich prägen und damit die Tat vom Durchschnittsfall der Tötung abweicht. Übersicht über die Rechtsprechung: HSER NStZ 1984 S. 52 ff; DERS. Middendorff-Festschrift, S. 65 ff.

3. Irrtum des Täters über die Beleidigung durch das Opfer a) Wird - wie es hier geschehen ist - § 213, 1. Alt. als privilegierender Tatbestand gegenüber § 212 anerkannt, so liegt ein Fall des § 16 Abs. 2 vor. So auch: ESER NStZ 1984 S. 53.

Sachgerecht ist diese Lösung nicht. Sie würde zwar überzeugen, wenn die Privilegierung allein in schuldmindernden Erwägungen läge, denn in diesem Fall ist die psychische Situation des Täters identisch, gleichgültig, ob die objektiven Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Ist der Grund der Privilegierung aber zumindest auch in einem das Unrecht der Tat mindernden Verhalten des Opfers zu sehen, so wird dieses Verhalten über die Anwendung des § 16 Abs. 2 in bestimmten Fällen für irrelevant erklärt. - Ob der Gesetzgeber sich dieser Konsequenz in vollem Umfang bewußt war, erscheint zweifelhaft. - Sachgerechter wäre die Anwendung des § 213, 2. Alt. b) Soweit § 213 insgesamt als Strafzumessungsregel interpretiert wird, kann in einem Irrtumsfall "ein anderer mildernder Umstand" i.S. des § 213, 2. Alt. gesehen werden. D a z u B G H S t 1 S . 203; DREHER/TRÖNDLE § 213 R d n . 7; JÄHNKE LK, § 213 R d n . 9.

II. Das Verhältnis des § 213 zu § 211 1. Werden die Mordqualifikationen - wie es hier geschehen ist - als Ausdruck einer sozialethisch besonders unerträglichen, weil gefährlichen Gesinnung interpretiert, so schließen die §§ 211, 213 einander aus. Die Tat kann nicht zugleich Ausdruck einer schlechthin unerträglichen und einer doch menschlich verständlichen Einstellung zu dem Geschehen sein. Wer z.B. aus unbarmherziger Gesinnung einem anderen besondere Schmerzen bei der Tötung zufügt, wer das Vertrauen eines anderen mißbraucht oder wer eine andere Straftat verdecken will, tötet das Opfer genausowenig aufgrund der Erregung über ein ihm selbst zugefügtes Unrecht, wie derjenige, der mit gemeingefährlichen Mitteln Dritte in Gefahr oder zu Tode bringt, die ihm nichts Böses getan haben. Im E r g e b n i s übereinstimmend: BERNSMANN J Z 1983 S. 49 ff; DREHER/TRÖNDLE § 213 R d n . 1; RIESS N J W 1968 S. 630.

2. Werden die Qualifikationen - in Betracht kommt praktisch nur die Gruppe 2 als "objektive Tatbestandsmerkmale" interpretiert, in denen keine über das Wissen

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Delikte gegen das Leben

der objektiven Voraussetzungen hinausgehende besondere Einstellung gefordert ist, so können in diesem Bereich sowohl die Voraussetzungen des § 211 als auch die des § 213 vorliegen. a) Nach Auffassung des BGH, der § 213 nur auf § 212 bezieht, weil er § 211 als Sondertatbestand auffaßt, schließt § 211 den § 213 aus. Dazu BGHSt 2 S. 258 ff; 11 S. 139,142 f; ebenso: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 158; LACKNER StGB, Vor §211 Anm. 5 b.

b) Soweit § 211 als Qualifizierung und § 213 als Privilegierung - allerdings nur die erste Alternative - des § 212 angesehen wird, erfolgt eine Bestrafung nur aus § 213. Grundsatz: Die Privilegierung geht der Qualifizierung vor. Dazu BOCKELMANN B.T./2, § 5 1 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 55 ("Sperrwirkung des milderen Tatbestandes").

c) Auch soweit § 213 nur als unbenannter Strafmilderungsgrund interpretiert wird, soll sein Vorliegen die Anwendung des § 211 ausschließen, wenn aufgrund einer negativen Typenkorrektur die Tötung insgesamt als nicht besonders verwerflich erscheint. Vgl. GEILEN Dreher-Festschrift, S. 383 ff; DERS. JR 1980 S. 314; HORN SK, § 211 Rdn. 6; RENGIER M D R 1980 S. 2 f; S C H / S C H / E S E R § 2 1 1 R d n . 10, § 2 1 3 R d n . 3.

§ 6: Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 1. Die Grundlagen der Auslegung Der Tatbestand stellt eine Form der Mitwirkung an einer Selbsttötung eines anderen unter Strafe. - Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. - Das Unrecht der Tötung ist zwar durch diese "Einwilligung" nicht ausgeschlossen, wohl aber gemindert. Es bleibt jedoch Tötungsunrecht, deshalb ist der Tatbestand als privilegiertes Tötungsdelikt anzusehen. So auch: JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 45; LACKNER StGB, § 216 A n m . 1; MAURACH/SCHROEDER/

MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 61; WELZEL Lb., § 38 III. - Als eigenständiges Sonderdelikt interpretieren den § 216: B G H S t 2 S. 258; DREHER/TRÖNDLE § 216 R d n . 1; S C H / S C H / E S E R § 216 R d n . 2.

2. Voraussetzungen des Tatbestandes a) Die Tathandlung ist täterschaftliche Tötung eines anderen. Bloße Teilnahme an der Selbsttötung eines anderen genügt nicht. Da die Situation der Tötung auf Verlangen zum einen wesentlich durch den Willen des Opfers geprägt wird, zum anderen das Opfer in Bezug auf die Ausführungshandlung gerade abhängig ist vom Willen des Täters, ist die Differenzierung problematisch. Die Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 216 auf die Fälle, in denen der Getötete nur eine Anstiftungshandlung begangen hat - vgl. DREHER MDR 1964 S. 338 - fuhrt zu willkürlichen Unterscheidungen, denn ein gewisses Maß an Mitwirkung an der Tötungshandlung ist für die Situation typisch, ihr Fehlen hingegen ändert nicht den gesamten Unrechtsgehalt. - Auch der Versuch, nach Kriterien der Tatherrschaft über das Tötungsgeschehen oder nach dem Täterwillen zu differenzieren, geht fehl, denn in der Situation des § 216 sind Täter- und Opferwille so miteinander verwoben, daß Täter und Opfer als Mitträger der Tatherrschaft angesehen werden müssen. Gleichfalls ist die Unterscheidung nach dem "Schwergewicht des Tatbeitrags" abhängig von Zufälligkeiten bei der Tatausführung.

§ 6: Tötung auf Verlangen

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Maßgeblich für die Bestimmung der Täterschaft ist die Herrschaft über den Akt, mit dem über das Leben verfügt wird. Ausgangspunkt der Beurteilung ist daher die letzte Handlung des anderen. Hatte der Getötete nach diesem Tatbeitrag des Partners noch die freie Entscheidung über Leben oder Tod durch eigene Verhaltensmöglichkeiten, z.B. durch das Verlassen des Raumes, das Ausspucken einer Tablette o.ä., so hat das Unterlassen dieser Handlungsmöglichkeiten Verfügungscharakter über das Leben. Es liegt ein Suizid vor, an dem sich der andere straflos beteiligt hat. Liegt in der Handlung des Partners selbst hingegen die unmittelbare Verfügung über das Leben, weil nach seinem Tatbeitrag kein Raum mehr ist für eine freie Entscheidung des Getöteten über Leben oder Tod, sondern die Entscheidung durch den Tatbeitrag selbst getroffen wurde - z.B. durch eine tödliche Injektion, einen Schuß mit einer Waffe o.ä. -, so liegt in diesem Tatbeitrag die strafbare täterschaftliche Tötung eines anderen. Eingehender dazu OTTO Tröndle-Festschrift, S. 159 ff.

b) Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Es ist das wohlüberlegte eigene Verlangen, das ausdrücklich, d.h. nicht notwendig mit Worten, aber unmißverständlich erklärt sein muß. aa) RGSt 68 S. 306: Der A rief in der S Selbstmordgedanken hervor. Um S seinen Wünschen gefügig zu machen, redete er vier Stunden auf sie ein. Auf seine Aufforderung hielt schließlich die S ihren Arm hin, und nun brachte A ihr die Schnitte bei, die ihren Tod herbeiführen sollten. RG: Bloßes Einverstandensein ist kein ausdrückliches und ernstliches Verlangen i.S. des § 216: "Einverstandensein bedeutet die Billigung des bekannten Vorhabens des anderen, also zwar mehr als ein bloßes Hinnehmen und ein bloßes Geschehenlassen, aber doch nur den Ausdruck der Übereinstimmung der eigenen inneren Stellungnahme mit der des anderen. Verlangen i.S. des § 216 StGB schließt demgegenüber begrifflich eine Betätigung mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen ein. bb) BGH NJW 1987 S. 1092: Der 70jährige schwerkranke O war zur Selbsttötung entschlossen, die er mit einem Betäubungsmittel herbeiführen wollte. Dies teilte er seinem Neffen A mit und fragte ihn zugleich, ob er ihm behilflich sein würde, wenn er es nicht mehr schaffen sollte, seinen Plan zu verwirklichen. Als er sah, wie erschrocken A war, lenkte er jedoch sofort ein und versprach, den A aus der Sache herauszuhalten. Einige Tage später kam A zu O und bemerkte, daß dieser seinen Entschluß in die Tat umgesetzt hatte. Aufgrund der näheren Umstände befürchtete er aber, daß der Selbsttötungsversuch fehlschlagen könnte. Er entschloß sich daher, das Leben des O durch eine weitere Spritze mit Sicherheit zu beenden und führte diesen Plan aus. BGH: A handelte aufgrund eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens.

Aus dem Wesen des "Verlangens" als qualifizierter Einwilligung folgt, daß abgesehen von der Fähigkeit des Verlangenden, über das betroffene Rechtsgut verfügen zu können - die Voraussetzungen der Einwilligung in vollem Umfang vorliegen müssen. Das Verlangen muß daher insbesondere frei von Willensmängeln sein und der Verlangende muß sich der Tragweite seiner Entscheidung bewußt sein. Zu den Voraussetzungen der Einwilligung im einzelnen vgl. Grundkurs Strafrecht A.T., § 8 III 1.

Ist das Verlangen nicht wirksam, weil es durch Täuschung erschlichen wurde oder der Verlangende gar nicht in der Lage war, die Tragweite seiner Entscheidung abzuschätzen, so ist der Tatbestand des § 216 nicht gegeben. Je nach den tatsächlichen Gegebenheiten liegen §§ 212,211 vor. Fall: A leidet an einem harmlosen Magenleiden. Er selbst meint aber, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein. Die Beteuerungen des Arztes und seiner Ehefrau hält er für schonungsvolle Lügen. Inständig bittet er daher die E, ihn zu erlösen. Als er sein Verlangen immer eindringlicher geltend macht und von nichts anderem mehr redet, gibt E seinem Verlangen nach. - § 216 nicht anwendbar, denn A war sich

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deshalb der Tragweite seiner Entscheidung nicht bewußt, weil er seine Entscheidung von falschen Voraussetzungen her traf. E wußte dies.

c) Der Täter muß durch das Verlangen zur Tat bestimmt worden sein, d.h. das Verlangen muß als entscheidender Tatantrieb gewirkt haben. Die Initiative kann aber durchaus von dem Täter ausgehen, wenn deutlich bleibt, daß erst die Entscheidung des "Opfers" die Tatsituation grundsätzlich gestaltet und diese Entscheidung in den eigenen Überlegungen des "Opfers" ihren Grund hat. aa) Der schwerkranke T leidet fürchterliche Schmerzen. Seine Ehefrau E erfüllt dies gleichfalls mit Schmerz und auch Mitleid. Sie deutet dem T gegenüber an, daß sie bereit sei, ihm eine erlösende Spritze zu geben, falls er es wünsche. T bittet sogleich darum. Er hatte es nicht gewagt, der E gegenüber ein derartiges Verlangen zu äußern. Ergebnis: § 216 anwendbar. bb) Wie unter aa), doch E ist bereits fest entschlossen, den T zu töten, als T sie plötzlich um diese Gefälligkeit bittet. H.M.: § 216 nicht anwendbar, da E bereits zuvor zur Tat entschlossen. - Sachgerechtigkeit des Ergebnisses zweifelhaft, denn an dem durch das Verlangen des T geminderten Unrecht der Tat ändert der vorgefaßte Plan nichts. - Anwendbarkeit des § 213,2. Alt. daher geboten.

3. Die Motivierung durch das Verlangen a) Das "Verlangen" ist ein unrechtsmindernder Sachverhalt. Die Motivierung durch dieses Verlangen ist ein persönliches Merkmal, jedoch kein Sonderpflichtmerkmal, und daher kein besonderes Merkmal im Sinne des § 28; vgl. die entsprechenden Ausführungen in § 8. Anders die h.M., die § 28 aber über die Sonderpflichtmerkmale hinaus ausdehnt; vgl. z.B.: JÄHNKE LK, § 216 Rdn. 10; LACKNER StGB, § 216 Anm. 2 a; SCH/SCH/ESER § 216 Rdn. 18; differenzierend: ROXIN LK, § 28 Rdn. 54; SCHÜNEMANN Jura 1980 S. 579 f.

Die Beurteilung der Teilnahme Außenstehender erfolgt daher nach den allgemeinen Grundsätzen. Fall: A bittet den B um Gift, weil er dem Verlangen des C, ihn zu töten, nachkommen will. B, dem das Schicksal des C egal ist und der dem A einen Gefallen tun will, gibt dem A das Gift. A führt die Tat aus. Ergebnis: A: § 216; B: §§ 216,27. Nach h.M. wäre B gemäß §§ 216,27,28 Abs. 2 aus §§ 212,27 zu bestrafen.

b) Geht der Täter von einem ausdrücklichen Verlangen aus, obwohl es nicht vorliegt, so kommt gem. § 16 Abs. 2 gleichfalls nur eine Bestrafung aus § 216 als Vorsatztat in Betracht. Uber die Sachgerechtigkeit dieser Lösung läßt sich streiten, denn das unrechtsmindernde Element der Einwilligung des Betroffenen wird damit für die Anwendung des Tatbestandes auf diesen Fall für irrelevant erklärt. Systemgerechter wäre eine Lösung über § 213,2. Alt.; vgl. JÄHNKE LK, § 216 Rdn. 2.

c) Handelt der Täter in Unkenntnis des Verlangens, so haftet er nach §§ 212, 211. 4. Die laiminalpolitische Berechtigung des Tatbestandes a) Beseitigung des § 216 Die vereinzelt geforderte Beseitigung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen ist weder dogmatisch noch kriminalpolitisch geboten. - Da die privaten Rechtsgüter dem Einzelnen zugeordnet werden, weil diese Zuordnung seiner Entwicklung und der der

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Rechtsgesellschaft am angemessensten entspricht, kann aus der Zuordnung kein Argument für eine unbeschränkte Verfügungsmacht über das Rechtsgut hergeleitet werden. Eine Beschränkung der Verfügungsmacht trotz Zuordnung des Rechtsguts zur Person des Einzelnen ist daher dogmatisch durchaus vertretbar, und auch kriminalpolitisch erscheint die Aufrechterhaltung des Tötungstabus im weitestmöglichen Umfang angemessen. Vgl. auch: ENGISCH H . Mayer-Festschrift, S. 412; DERS. Schaffstein-Festschrift, S. 1 ff; DERS. D r e her-Festschrift, S. 318; HIRSCH Welzel-Festsdbrift, S. 775 ff; JÄHNKE LK, § 216 R d n . 1; MÖLLERING D e r

Schutz des Lebens und Recht auf Sterben, 1977, S. 93; WILMS/JAGER Z R P 1988 S. 41 ff.

A A . MARX Zur Definition des Begriffs "Rechtsgut", 1972, S. 64, 82; R. SCHMITT Maurach-Festschrift, S. 118; DERS. J Z 1 9 7 9 S. 462 ff.

b) Erweiterung des § 216 Der Alternativentwurf Sterbehilfe hat eine Erweiterung des § 216 dahin vorgeschlagen, daß das Gericht unter den Voraussetzungen des § 216 Abs. 1 von Strafe absehen kann, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann. Vgl. Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe, vorgelegt von BAUMANN u.a., 1986, S. 34 ff. Krit. dazu LAUTER/MEYER Mschkrim 1988 S. 370 ff.

Diese Erweiterung des Gesetzes erscheint nicht notwendig, da die Lösung, der hier relevanten Fällen über § 34 StGB zu finden ist; vgl. dazu weiter unter II.

II. Die Problematik der Sterbehilfe 1. Sterbehilfe und Selbstbestimmung Die Problematik der Sterbehilfe im Sinne der Einflußnahme auf den Sterbeprozeß eines unheilbar Erkrankten ist in ihrer rechtlichen Dimension bereits aufgrund der Unterschiede im tatsächlichen Bereich differenziert zu beurteilen. Darüber hinaus aber wird die Ausgangssituation schon durch das grundgesetzlich garantierte Recht einer jeden Person, selbst zu bestimmen, ob und wie weit andere Eingriffe an ihrem Körper vornehmen dürfen, rechtlich gestaltet. BVerfGE 52 S. 178: "Im Lichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist das Institut der Einwilligung demgegenüber inhaltlich so zu bestimmen, daß das Recht des Patienten gewahrt bleibt, entsprechend seinen ureigensten Maßstäben seine Einwilligung zu erteilen oder zu verweigern; hierüber ist er von Verfassungs wegen allenfalls sich selbst, nicht aber dritten Personen und ihren Maßstäben Rechenschaft schuldig. Dieses Recht verdient von Verfassungs wegen Achtung und Schutz zumal dort, wo es sich - etwa wegen der Schwere seiner Krankheit, der Notwendigkeit des Eingriffs oder auch des Risikos, das mit ihm oder seinem Unterbleiben verbunden ist - um eine existentielle Entscheidung des Patienten über seine eigene Integrität handelt."

2. Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung Die Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung betrifft die Hilfe beim Sterben. Eine derartige Hilfe durch schmerzstillende oder -vermindernde Maßnahmen ist durch die Einwilligung des Betroffenen gerechtfertigt, auch wenn sie zu einer Beeinträchtigung des Bewußtseins des Betroffenen führt. Verweigert der Betroffene hingegen die Einwilligung, so ist die entsprechende Maßnahme rechtswidrig. Ob der Betroffene Schmerz

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und Pein auf sich nehmen will, weil er auch im Leid Sinn verwirklicht sieht oder nicht, ist allein von seiner Entscheidung abhängig. 3. Passive Sterbehilfe Die passive Sterbehilfe bezeichnet den Verzicht auf lebensverlängernde Theraphie oder die Einstellung einer begonnenen lebensverlängernden Theraphie. Hat ein Arzt die Behandlung eines Patienten übernommen, so ist er grundsätzlich verpflichtet, das ihm Mögliche zu tun, um das Leben des Patienten zu erhalten, und zwar auch dann, wenn feststeht, daß die lebensverlängernden Maßnahmen das Ende nur um einen absehbaren Zeitraum hinausschieben. Unterläßt der Arzt eigenmächtig diese Lebenserhaltung vorsätzlich oder fahrlässig, so kann er für die dadurch begründete Lebensverkürzung wegen eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Tötungsdelikts durch Unterlassen haftbar sein. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß die Achtung der Würde der Person in bestimmten Situationen einer Hinauszögerung des Sterbeprozesses bis zum Eintritt des Todes entgegensteht, a) Passive Sterbehilfe im Einverständnis mit dem Betroffenen aa) Ist sich der Patient seiner Lage bewußt und bringt er klar zum Ausdruck, daß er weitere lebensverlängernde Maßnahmen oder die Einleitung einer neuen Theraphie, die Vornahme einer Operation o.ä., nicht wünscht, so bindet sein Wille auch den behandelnden Arzt. Die mit der Übernahme der Behandlung begründete Garantenposition des Arztes dem Patienten gegenüber ändert die Sach- und Rechtslage nicht. Durch Betrauung des Arztes mit der Behandlung räumt der Patient dem Arzt den zur Durchführung der übernommenen Aufgabe nötigen tatsächlichen Einflußund Herrschaftsbereich ein. Mit der Übernahme der Behandlung entsteht eine "Beschützergarantenstellung" des Arztes gegenüber dem Patienten. Die Garantenpflicht ist auf Hilfe gegenüber dem Patienten angelegt und in Umfang und Existenz abhängig vom Willen des Patienten. Sie berechtigt nicht zu einer Bevormundung des Patienten oder gar zu körperlichen Eingriffen gegen seinen Willen. Der Versuch, den Prozeß des Sterbens gegen den Willen des Betroffenen zu beeinflussen, ist der Versuch, den eigenen Tod des Betroffenen durch einen fremdbestimmten Tod zu ersetzen. Der Arzt, der sich über den Willen des Betroffenen hinwegsetzt, handelt rechtswidrig. Vgl. im einzelnen dazu BAUMANN JZ 1975 S. 202 f; BUSCHENDORF Die strafrechtliche Problematik der Euthanasie und der Freigabe "lebensunwerten Lebens", in: Valentin (Hrsg.), Die Euthanasie, 1969, S. 59; V. DELLINGSHAUSEN Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes, 1981, S. 360 ff; ENGISCH Dreher-Festschrift, S. 322 ff; DERS. Bockelmann-Festschrift, S. 534; GEILEN Euthanasie und Selbstbestimmung, 1975, S. 12 f; GIESEN JZ 1990 S. 929 ff; HANACK Gynäkologe 1982 S. 109 f; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 796 Fn. 68; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 13; ARTHUR KAUFMANN J Z 1982

S. 485; KREY B.T. 1, Rdn. 9; LACKNER StGB, Vor § 211 Anm. 2 d, bb; OTTO Recht auf den eigenen Tod?, Gutachten zum 56. Dt. Juristentag, 1986, D 38 Fn. 86 m.w.N.

bb) Die Entscheidung des Betroffenen bindet auch dann noch, wenn der Betroffene bewußtlos geworden ist oder einen eigenverantwortlichen Willefi nicht mehr bilden kann. Seine Willensentscheidung sollte nämlich gerade auch diese Situation seinem Willen gemäß gestalten. cc) Ob der Behandlungsabbruch durch positives Tun - z B. Abschalten des Reanimationsgeräts - oder durch Unterlassen - weitere therapeutische Maßnahmen werden

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nicht ergriffen - erfolgt, ist rechtlich irrelevant. Die Einstellung der Behandlungsmaßnahmen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten ist rechtmäßig, denn dieses Verhalten realisiert das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, sein Grundrecht auf Behandlungsfreiheit. Vgl. auch: LG Ravensburg NStZ 1987 S. 229 mit Anm. HERZBERG J Z 1988 S. 185 ff, OTTO JK 87, StGB, § 216/3, ROXIN NStZ 1987 S. 348 ff, und eingehend rechtlicher Würdigung von TRÖNDLE Göppinger-Festschrift, S. 595 ff.

Das Abschalten eines Geräts, um eine Behandlung abzubrechen oder zu beenden, ist keine Unterlassung, sondern positives Tun. Vgl. BAUMANN/WEBER A.T., § 18 II 1; BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, 1968, S. 112,125 Fn. 45; DERS. WMW 1976 S. 149; GÖSSEL in: Maurach/Gössel/Zipf A.T. 2, § 45 I C 2; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 16; JESCHECK A.T., § 58 II 2; LANGER Rechtliche Aspekte bei der Sterbehilfe, in: Kruse/Wagner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität, 1986, S. 123 f; RUDOLPHI SK, Vor § 13 Rdn. 47; SAMSON Welzel-Festschrift, S. 601 f; SAX J Z 1975 S. 137 ff; STRATENWERTH SchwZStR 95 (1978) S. 67; ZIMMERMANN NJW1977 S. 2104. A A . BOTTKE Z E E 1981S. 126; DREHER/TRÖNDLE Vor § 211 Rdn. 17; ENGISCH Gallas-Festschrift, S. 177 f; EsER Sterbehilfe und Euthanasie in rechtlicher Sicht, in: Eid (Hrsg.), Euthanasie oder soll man auf Verlangen töten, 1975, S. 60; GEILEN FamRZ 1968 S. 126 Fn. 35; DERS. J Z 1968 S. 151; DERS. Heinitz-Festschrift, S. 383 Fn. 22; HANACK Gynäkologe 1982 S. 112; KREY B.T.l, Rdn. 11; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 41; ROXIN Engisch-Festschrift, S. 396 ff; SCHMIDHÄUSER A.T., Stub., 12/54.

Wenn in der Lehre gleichwohl versucht wird, dieses Tun in ein Unterlassen umzudeuten, so ist die Motivation - Begründung eines Unterschieds zur sog. aktiven Sterbehilfe - zwar anerkennenswert, aber weder dogmatisch notwendig, da es allein auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens ankommt, noch begrifflich haltbar, denn mit der Einführung des "Unterlassens durch Tun" wird der begriffliche Unterschied zwischen Tun und Unterlassen aufgehoben. Dazu eingehend: OTTO Gutachten, D 42 ff.

b) Passive Sterbehilfe durch Behandlungsverzicht oder -abbruch Ist eine Entscheidung des Betroffenen über die Fortführung oder Aufnahme einer Therapie nicht möglich, weil der Betroffene nicht oder nicht mehr in der Lage ist, eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben, so muß der Arzt die Entscheidung selbstverantwortlich treffen. Er hat dabei zu prüfen, ob Anhaltspunkte für den Willen des Betroffenen auffindbar sind. Sind derartige Anhaltspunkte - z.B. eine frühere schriftliche Erklärung des Betroffenen - vorhanden, so hat er diese Willensäußerung bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Zu beachten ist aber, daß ein - insbesondere älteres - Patiententestament als solches keine bindende Wirkung hat. Der Arzt ist verpflichtet, zu prüfen, ob Anhaltspunkte gegen den ursprünglich geäußerten Willen sprechen. Vgl. dazu auch: Richtlinien der Bundesärztekammer für die Sterbehilfe, MedR 1985 S. 38; Resolution zur Behandlung Todkranker und Sterbender der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Der Chirurg 1979 S. 273; DEUTSCH NJW 1979 S. 1907 ff; GIESEN J Z 1990 S. 938 ff; OTTO Gutachten, D 41 m.w.N. in Fn. 92; ROXIN Welzel-Festschrift, S. 469. Soweit dem Patiententestament Bindungswirkung zuerkannt wird, vgl. STERNBERG-LIEBEN NJW 1985 S. 2735 ff, wird verkannt, daß eine existentielle Entscheidung stets durch die Situation geprägt ist, so daß die Möglichkeit, eine Willensänderung zu berücksichtigen, nicht ausgeschlossen werden darf.

Fehlen Anhaltspunkte für den Willen des Patienten, so ist grundsätzlich von der Pflicht des Arztes, den Prozeß des Sterbens hinauszuzögern, auszugehen. Steht jedoch fest, daß die Verlängerung des Sterbeprozesses mit Schmerzen verbunden ist,

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die ein bewußtes Erfassen der Umwelt, geschweige denn eine Auseinandersetzung mit ihr, unmöglich machen, so endet die Pflicht des Arztes, das Leben zu erhalten. Gleiches gilt, wenn der irreversible Bewußtseinsverlust eingetreten ist oder durch eine mögliche Operation eintreten würde. Dazu im einzelnen: Bottke ZEE 1981 S. 126; v. Dellingshausen S. 425 f; Eser in: Eid, Euthanasie, S. 59 f; Geilen Euthanasie S. 20 f; Hanack Gynäkologe 1982 S. 110 f; Otto Gutachten, D 51 m.w.N. in Fn. 116.

c) Passive Sterbehilfe gegen den Willen des Betroffenen Die grundsätzliche Pflicht des Arztes zur Erhaltung und/oder Verlängerung des Lebens endet auch gegen den Willen des Betroffenen, wenn die Todesursache definitiv gesetzt und der Bewußtseinsverlust nachweislich irreversibel ist. Die Erhaltung eines "personal entleerten Gefäßes des Humanuni" (Thielicke), das selbst nicht mehr Subjekt, sondern nur noch Objekt sein kann, in der Situation definitiv gesetzter Todesursache, bedeutet nicht mehr Achtung der Würde der Person des Betroffenen, sondern Verletzung seiner Personenwürde durch Verweigerung des ihm als Person eigenen Todes. Vgl. BOTTKE ZEE 1981 S. 123 ff; ESER Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch in rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 1977, S. 130 f; DERS. Grenzen der BehandlungspfÜcht aus juristischer Sicht, in: Lawin/Huth (Hrsg.), Grenzen ärztlicher Aufklärungs- und Behandlungspflicht, 1982, S. 87 f; HANACK Gynäkologe 1982 S. 109 f; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 20; KREY B.T.l, Rdn. 8 f; OTTO Gutachten D 37 m.w.N. in Fn. 80.

4. Aktive Sterbehilfe a) Begriff der aktiven Sterbehilfe Aktive Sterbehilfe ist die bewußte Verkürzung des verlöschenden Lebens durch aktive über den Behandlungsabbruch hinausgehende - Einflußnahme auf den Krankheitsprozeß. Als Tathandlung kommt nur aktives Tun in Betracht. Das Selbstbestimmungsrecht des aufgeklärten und im Rechtssinne frei verantwortlichen Betroffenen entbindet Garanten von ihrer Handlungspflicht. - Ist der Wille des Betroffenen hingegen nicht im Rechtssinne frei, so fehlt es an einem rechtlich bedeutsamen "ausdrücklich und ernstlichen Verlangen" i.S. des § 216 StGB und das Verhalten kann als vorsätzliche Tötung nach §§ 212,211 relevant werden. Vgl. auch: BOCKELMANN Strafrecht, B . T . / 2 , § 4 II 2 a; DETERING J u S 1983 S. 419; SCH/SCH/ESER

Vorbem. §§ 211 Rdn. 28; 216 Rdn. 10; KREY B.T.l, Rdn. 12 f; LACKNER StGB, Vor § 211 Anm. 3 c bb.

b) Schmerzlindernde, lebensverkürzende Sterbehilfe Auch wenn die Sterbehilfe das Sterben nur erleichtern soll, dabei aber eine Lebensverkürzung bewußt in Kauf genommen wird (sogenannte indirekte Sterbehilfe), liegt ein Fall aktiver Sterbehilfe vor. Gleichgültig, ob der Handelnde die lebensverkürzende Wirkung seiner Maßnahmen nur als Nebenwirkung ansieht oder nicht, er handelt vorsätzlich, wenn er das konkrete Risiko der Lebensverkürzung erkannt hat oder die Lebensverkürzung sogar als unvermeidliche Begleiterscheinung seiner für geboten erachteten schmerzlindernden Therapie ansieht. Vgl. dazu auch: ESER in: Auer/Menzel/Eser, S. 88; GEILEN Bosch-Festschrift, S. 283; HANACK in: Hiersche (Hrsg.), Euthanasie, 1975, S. 132,147; DERS. Gynäkologe 1982 S. 113; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 15 in Verb, mit Rdn. 17; KREY B.T.l, Rdn. 12 ff; OTTO Gutachten, D 54 ff. A A . BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 25,70.

§ 6: Tötung auf Verlangen

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Es ist auch nicht möglich, das Verhalten in diesen Fällen aus dem Schutzbereich der Tötungsdelikte zu eliminieren, denn die Tötungshandlung steht hier außer Frage. Vgl. dazu OTTO Gutachten, D 55. - A A . JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 15 in Verb, mit Rdn. 17; KREY

B.T.l, Rdn. 14 ff; WESSELS B.T.-l, § 1 III 2.

In Betracht kommt in diesen Fällen jedoch eine Rechtfertigung über § 34 StGB, weil die Achtung der menschlichen Würde die lebensverkürzende Schmerzlinderung legitimiert. Bedrohen Schmerz, Pein und Qual den Einzelnen in der Situation definitiv gesetzter Todesursache derart, daß ihm eine geistige Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und/oder sich selbst nicht mehr möglich ist, weil der Schmerz das Bewußtsein überlagert, so kann der Arzt das höhere Interesse wahrnehmen, wenn er die zur Schmerzlinderung erforderlichen Maßnahmen trifft, selbst wenn diese nicht nur mit der abstrakt möglichen, sondern mit der konkreten Gefahr einer sicheren Lebensverkürzung verbunden sind. Die Achtung der menschlichen Würde auch im Sterben kann diese Hilfe legitimieren, deren Maß und Umfang vom Erfordernis der zur Schmerzlinderung unabweisbar nötigen Maßnahmen bestimmt wird. Sie ermöglicht es dem Betroffenen, als Person zu sterben, nicht aber als ein nur noch vom Schmerz beherrschtes Wesen, das sich seiner selbst nicht mehr bewußt werden kann. Dazu vgl. auch: BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 55 ff; V. DELLINGSHAUSEN S. 185 ff; ENGISCH Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens in strafrechtlicher Beleuchtung, 1948, S. 5 f; ESER in: Auer/Menzel/Eser S. 89 f; GEILEN Euthanasie, S. 23,26; GIESEN JZ 1990 S. 935 f; HANACK G y n ä k o l o g e 1982 S. 113; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 795; HORN SK, § 2 1 2 R d n . 26; LANGER

Aspekte, S. 145; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 38; MÖLLERING Schutz des Lebens - Recht auf Sterben, 1977, S. 30 ff; OTTO Gutachten, D 56 ff; ROXIN Der Schutz des Lebens aus der Sicht des Juristen, in: Blaha u.a. (Hrsg.), Schutz des Lebens - Recht auf Tod, S. 87 f; SCHREIBER Beiträge zur gerichtlichen Medizin 33 (1975) S. 40; SLMSON Schwinge-Festschrift, S. 110; WIMMER FamRZ 1975 S. 438 f.

c) Beendigung von Leiden durch Tötung Eine grundsätzliche Rechtfertigung einer Tötung aus Barmherzigkeit - auch in hoffnungslosen Fällen -, kommt nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers in § 216 nicht in Betracht. Auch wenn einem Arzt eine weitere Schmerzlinderung unmöglich ist, so geht er über den Heilauftrag hinaus, wenn er den Todkranken tötet, um dessen Leiden ein Ende zu bereiten. Auch in dieser Situation wird aber nicht ausnahmslos das Unrecht eines Tötungsdelikts verwirklicht. In seltenen Ausnahmesituationen kann die Achtung menschlicher Würde der Achtung des Lebens vorgehen, weil der Sterbeprozeß in ein Stadium gelangt ist, in dem der Schmerz jeden anderen Bewußtseinsinhalt verdrängt und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der Betroffene der Unerträglichkeit der Schmerzen erliegt. Fall: Ein Lastkraftwagenfahrer und sein Beifahrer waren mit dem Lastkraftwagen unterwegs. Es kam zu einem Unfall, der Wagen geriet in Brand. Der Fahrer, der hinter dem Steuerrad eingeklemmt war, begann am lebendigen Leib zu verbrennen. Der nur leicht verletzte Beifahrer hatte keine Chance, den Fahrer herauszuziehen oder sonst aus seiner Situation zu befreien. Nachdem die Brandverletzungen einen tödlichen Grad erreicht hatten und dem um Erlösung flehenden Fahrer die Stimme bereits versagte, erschlug der Beifahrer den Fahrer.

In derart extremen Ausnahmesituationen kommt eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht. Vgl. dazu BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 64 f; GEILEN Euthanasie, S. 26 ff; DERS. Bosch-Festschrift, S. 288; GIESEN JZ 1990 S. 935; HEINITZ Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 1970, S. 17; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 795 f; OTTO Gutachten, D 60 f, m.w.N. in Fn. 144. Gegen eine Rechtfertigung: BAUMANN JZ 1975 S. 202; BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 24; DERS. B . T . / 2 , § 2 II 3; BOTTKE Z E E 1981 S. 121 ff; ESER Suizid, S. 400; DERS. in: A u e r / M e n z e l / E s e r ,

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S. 91; GÖSSEL B.T.l, § 2 Rdn. 29; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 14 f; KREY B.T.l, Rdn. 14; LACKNER StGB, Vor § 211 Anm. 2 d, aa; LANGER Aspekte, S. 119 f; RoxiN in: Blaha u.a., Schutz, S. 93; WESSELS B.T.l, § 1 III 2. Für eine Entschuldigung: V. DELLINGSHAUSEN S. 337 ff, 353; LANGER Aspekte, S. 122 f; RUDOLPHI

Welzel-Festschrift, S. 628.

5. Zum Sterbenlassen schwerstgeschädigter Neugeborener (Früheuthanasie) Auch das schwerstgeschädigte, mißgebildet geborene Kind hat als Träger der Menschenwürde Lebensrecht. In Ausnahmesituationen kann aber auch hier die Pflicht, das Leben des Kindes zu erhalten, unter dem Gesichtspunkt der Achtung menschlicher Würde begrenzt sein. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist hier, ob dem Kind eine Lebensverlängerung zugemutet werden kann, ob sinnvolles Leben überhaupt zu ermöglichen ist. Die Empfehlungen der deutschen Gesellschaft für Medizinrecht - MedR 1986 S. 281 - stellen hier zutreffend darauf ab, daß die ärztliche Behandlungspflicht nicht allein durch die Möglichkeiten der Medizin bestimmt wird, sondern ebenso an humanethischen Beurteilungskriterien und am Heilauftrag des Arztes auszurichten ist. Eine Ausschöpfung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten wird abgelehnt, wenn erstens das Leben dadurch nicht auf Dauer erhalten werden kann, sondern nur der sichere Tod hinausgezögert wird, zweitens es trotz der Behandlung ausgeschlossen ist, daß das Neugeborene jemals die Fähigkeit zur Kommunikation mit der Umwelt erlangt, und drittens die Vitalfunktionen des Neugeborenen auf Dauer nur durch intensivmedizinische Maßnahmen aufrechterhalten werden können. Z u r Diskussion im einzelnen vgl. GIESEN J Z 1990 S. 941; HANACK M e d R 1985 S. 33 ff; ARTHUR

KAUFMANN JZ 1982 S. 485; R. PETERS Der Schutz des Neugeborenen insbesondere des mißgebildeten Kindes, 1988, S. 242 ff; R. SCHMITT Klug-Festschrift, Bd. 2, S. 335.

III. Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung 1. Suizid und Mitwirkung Dritter Wie unter § 6 12 a) dargelegt, ist die Tathandlung des § 216 die täterschaftliche Tötung eines anderen. Daraus folgt: a) Hat der die Tötung Verlangende allein die Tatherrschaft über den unmittelbar das Leben beendenden Akt inne, so stellt sich die Tat als Suizid dar. Mitwirkende an der Tat sind nicht wegen eines Tötungsdelikts strafbar. Es fehlt an der Haupttat. b) Auch eine Haftung wegen fahrlässiger Tötung entfällt, wenn der Dritte durch fahrlässiges Verhalten den Selbstmord ermöglicht oder unterstützt hat. So auch: BGHSt 24 S. 342; zustimmend: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 60; DÖLLING GA 1984 S. 71 ff; VAN ELS NJW1972 S. 1476 f; HERZBERG Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 102; HORN SK, § 212 Rdn. 21; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 23; ROXIN Gallas-Festschrift, S. 245; SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 211 ff Rdn. 35. Kritisch: GEILEN J Z 1974 S. 145; KOHLHAAS J R 1973 S. 53; DERS. N J W 1973 S. 548; WELP J R 1972

S. 427.

c) Ist der Willensentschluß des Suizidenten nicht als freiverantwortlich anzusehen, weil er die Situation in ihrer Bedeutung verkennt, sich in einer Notstandssituation befindet oder es an seiner Einsichtsfähigkeit mangelt, so macht sich ein Dritter, der dies erkennt und dennoch aktiv an der Selbsttötung mitwirkt, sei es, daß er den fehlerhaf-

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ten Suizidentschluß hervorruft oder daß er dem Suizidenten das Tötungsmittel verschafft, der Tötung des Suizidenten in mittelbarer Täterschaft durch das Opfer selbst schuldig. Dazu BGHSt 32 S. 38 mit Anm. ROXIN NStZ 1984 S. 71 und SCHMIDHÄUSER JZ 1984 S. 195 f; BOCKELMANN B.T./2, § 2 I 2; BOTTKE G A 1983 S. 31 ff; DREHER/TRÖNDLE Vor § 211 Rdn. 5; ENGISCH Euthanasie, S. 12; HERZBERG Täterschaft, S. 39 ff; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 29; OTTO

Gutachten, D 65; SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 211 ff Rdn. 37; WESSELS B.T.-l, § 1IV 2

d) Eine Garantenpflicht zur Hinderung der Selbsttötung eines frei verantwortlich Handelnden besteht nicht. Auch die Garantenpflichtposition von Lebensschutzgaranten findet ihre Grenze an der frei verantwortlichen Entscheidung des Suizidenten, denn die Garantenposition begründet keine "Vormundschaftsstellung" gegenüber dem zu Schützenden. Vgl. auch: OLG München NJW 1987 S. 2940; ARZT in: Arzt/Weber LH 1, Rdn. 192 ff; BOCKEL MANN B.T./2, § 2 1 2 a; BOTTKE G A 1983 S. 33; BRAMMSEN D i e Entstehungsvoraussetzungen der Ga-

rantenpflichten, 1986, S. 163 f, 211 f; DREHER/TRÖNDLE Vor § 211 Rdn. 6; ENGISCH Dreher-Festschrift, S. 309; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 792; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 24; LACKNER StGB, Vor § 211 Anm. 3 c, bb; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 22; ROXIN Dreher-Festschrift, S. 349; SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 211 Rdn. 41. A A BGHSt 32 S. 378 f (3. Senat) - zurückhaltender aber der 2. Senat, NJW 1988 S. 1532 -; BRINGEWAT JUS 1975 S. 155 ff; DERS. ZStW 87 (1975) S. 637; GEILEN JZ 1974 S. 153 ff; HERZBERG JA 1985 S. 177 ff; KUTZER M D R 1985 S. 712 ff; SCHMIDHÄUSER Welzel-Festschrift, S. 819 ff.

aa) Die Voraussetzungen einer auf Fürsorge gerichteten Garantenpflicht sind hier nicht niedriger anzusetzen als sonst, insbesondere ist es nicht sachgerecht, die in § 20 StGB aufgerichteten Schranken für einen auf Krankheit beruhenden Verantwortungsausschluß hier nicht zu beachten und den Selbstmörder aufgrund seines Entschlusses zum Selbstmord als nicht frei verantwortlich Handelnden anzusehen. Untersuchungen in den USA haben zwar zu dem Ergebnis geführt, daß - je nach Studie - zwischen 93 und 100 % der Suizidenten unter Depressionen (rund 80 %), Alkoholismus (10 - 20 %) oder Schizophrenie (bis zu 10 %) litten. In diesen Fällen war jedoch nicht zwingend die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen. Wesentlich war vielmehr, daß aufgrund der Depressionen das eigene Leben, die Welt und die Zukunft völlig negativ und hoffnungslos erschienen. Dazu im einzelnen: HÄFNER Psychiatrie, Neurologie und Medizinische Psychologie 1989 S. 449 ff; vgl. auch: J.-E. MEYER MedR 1985 S. 210 ff. Wenn in der Literatur demgegenüber davon ausgegangen wird, daß rund 95 % aller Suizidenten nicht frei verantwortlich handeln - JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 29; LANGER Aspekte, S. 118 - so wird hier die krankhafte, seelische Entwicklung mit dem Verantwortungsausschluß identifiziert.

bb) Eine Garantenpflicht zur Verhinderung der Selbsttötung aus natürlicher Verbundenheit mit dem Opfer (Ehe, Verlobung, Freundschaft) entsteht auch dann nicht, wenn der Suizident die Situation nicht mehr beherrscht, weil er bereits ein Opfer seiner selbst geworden ist. Ursprünglich hatte der BGH eine umfassende Garantenpflicht zur Abwendung des Selbstmordes bejaht (BGHSt 2 S. 150). Später tendierte die Rechtsprechung dahin, eine Garantenpflicht nur noch anzunehmen, wenn der Suizident bereits ein Opfer seiner selbst geworden war, z.B. hilflos in der Schlinge hing (BGH JR 1961S. 28 f mit Anm. HEINITZ S. 29 f) oder nach Gifteinnahme das Bewußtsein verloren hatte. Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Konstruktion finden sich jedoch schon in BGHSt 13 S. 162: Die Schwiegermutter des A mochte nicht mehr im Altersheim leben. A wollte sie nicht bei sich aufnehmen. Darauf erklärte die S, sie wolle aus dem Leben scheiden und in die Kerspe-Sperre gehen. A nahm dieses nicht ernst. Als sie aber an einem Teich vorbeikamen und S sagte, sie wolle hier ihr Leben beenden, er-

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bot sich A, ihr einen besser geeigneten Teich zu zeigen. Dann führte A die S zum Kronenberger Hammerteich, und sie setzten sich in der Nähe nieder. Später ging S auf den Staudamm zu, setzte sich dort hin und ließ die Beine ins Wasser hängen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte A zum ersten Mal ernstlich, daß die S vorhatte, sich das Leben zu nehmen. Er ging hinter ihr her auf den Damm. Die S forderte ihn auf, sie hineinzustoßen. Ob sie das wirklich wollte, oder ob sie es nur sagte, um den A zum Widerspruch zu veranlassen und ihn zu bewegen, sie wieder zu Hause aufzunehmen, konnte nicht festgestellt werden. Der A kam dieser Aufforderung nicht nach, fühlte sich jedoch dadurch aufgefordert, ihre Selbsttötung mindestens nicht zu verhindern. Die S wiederholte die Aufforderung, sie hineinzustoßen, noch zweimal. Sie geriet dann ins Wasser. Wie das geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden. Sie starb durch Ertrinken. Außer dem A war niemand sonst zugegen. BGH: § 216 liegt nicht vor, weil A die Situation nicht beherrschen wollte. In Betracht kommt allein eine Haftung gemäß § 323 c; dazu weiter unter 3.

cc) Die Garantenpflicht von Lebensschutzgaranten entfaltet hingegen ihre volle Wirksamkeit, wenn der Suizident nicht frei verantwortlich im Rechtssinne handelt, sei es, daß der Suizident nicht schuldfähig ist oder aber in einem Irrtum über die Situation befangen ist und der Garant dieses weiß. Vgl. dazu BGH NStZ 1984 S. 73; OLTO/BRAMMSEN Jura 1985 S. 539 f.

dd) Hat ein Dritter sich entschlossen, den Suizidenten zu retten, und leitet einen rettenden Kausalverlauf ein, so haftet er für Schäden, die sich aus seinem Verhalten ergeben. Er kann sich nicht nachträglich auf den Selbsttötungswillen des Betroffenen berufen. Auch ein Arzt, der die rettende Behandlung eines Suizidenten übernommen hat, ist nach Aufnahme der Behandlung in einer Garantenposition. Dazu vgl. BayObLG NJW 1973 S. 565; BRINGEWAT NJW 1973 S. 540 ff; GEILEN JZ1973 S. 320 ff.

ee) Gibt der Suizident zu erkennen, daß er an seinem Selbsttötungsplan nicht mehr festhält, vermag er selbst aber den eingeleiteten Kausalverlauf nicht mehr zu unterbrechen, so befindet er sich in einer lebensgefährlichen Situation. - Hier gelten für die Haftung von Garanten die allgemeinen Grundsätze. Der Fall unterscheidet sich nicht von dem Fall, daß der Garant es nicht verhindert, daß sein Schützling Opfer eines Unfalles wird. - Stellt der Garant sich irrig eine derartige Situation vor, liegt ein Tötungsversuch vor. ff) Auch im Falle des Hungerstreiks gelten diese Grundsätze uneingeschränkt. Wer den Hungerstreik bewußt und im Rechtssinne verantwortlich als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele einsetzt, ist sich der eigenen Lebensgefährdung bewußt. Insoweit unterscheidet sich seine Situation nicht von der des Suizidenten. Mit der Begründung einer konkreten Gefahr für das eigene Leben ist auch hier ein Unglücksfall i.S. des § 323 c gegeben. Zumutbare Hilfe in dieser Situation kann aber nur die Aufklärung sein, daß den Forderungen nicht nachgegeben wird. Gerät der Drohende allerdings in Vollzug seines Planes in eine Lage, in der er nicht mehr fähig ist, einen rechtsverbindlichen Willen zu äußern, so wandelt sich - situationsbedingt - die zumutbare Hilfeleistung. Entsprechend der zumutbaren Hilfeleistung bei einem Suizid kann hier auch eine Lebensrettung in Betracht kommen; dazu unter 2. Zum Hungerstreik Inhaftierter vgl. §§ 101, 178 StVollzG sowie OLG Stuttgart NJW 1977 S. 1461; O L G Koblenz J R 1977 S. 471 mit Anm. WAGNER S. 473; BAUMANN Z R P 1978 S. 35 f. Umfassend zum

Gefangenensuizid: HERZBERG ZStW 91 (1979) S. 557 ff; MLCHALE Recht und Pflicht zur Zwangsernährung bei Nahrungsverweigerung in Justizvollzugsanstalten, 1983; OSTENDORF Das Recht zum Hungerstreik, 1983; TRÖNDLE Kleinknecht-Festschrift, S. 411 ff.

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e) Im Falle des sog. einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes - zwei Menschen wollen gemeinsam aus dem Leben gehen, einer von beiden stirbt bei dem Unternehmen, der andere wird gerettet - liegt gleichsam eine Selbsttötung in Mittäterschaft vor. Überlebt einer der beiden Selbstmordkandidaten, so haftet er nicht wegen einer Tötung des anderen. Die Rechtsprechung ist bisher nicht bereit, von der gemeinsamen Tatherrschaft der zur Selbsttötung Entschlossenen auszugehen, sondern spaltet die gemeinsame Tatherrschaft auf. BGHSt 19 S. 135 ff: A und B wollten gemeinsam aus dem Leben gehen. Sie wollten sich vergiften, indem sie die Auspuffgase des Kraftfahrzeugs, in dem sie saßen, in das Wageninnere leiteten. A betätigte das Gaspedal. B wurde zuerst ohnmächtig, dann A. Als A und B gefunden wurden, gelang es: 1. Alternative: das Leben von B noch zu retten. - BGH: keine Bestrafung der B, da B nicht die Tatherrschaft über das Geschehen im entscheidenden letzten Augenblick innehatte. 2. Alternative: das Leben von A noch zu retten. - BGH: Da A im entscheidenden letzten Augenblick die Tatherrschaft innehatte, haftet er nach 9 216.

Durch die Aufspaltung der gemeinschaftlich verwirklichten Selbsttötung in eine Tötung auf Verlangen und eine anschließende Selbsttötung werden tatsächliche Zufälligkeiten - wer betätigt das Gaspedal, wo werden die Auspuffgase in das Fahrzeuginnere geleitet - entscheidend für die rechtliche Wertung. Das ist sachwidrig. Hier liegt ein Fall mittäterschaftlicher Verwirklichung des Todes zweier Personen vor. Beide Partner verwirklichen gemeinsam ihre Selbsttötung. Diesen Erfolg streben sie arbeitsteilig an, so daß sie Mitträger der Tatherrschaft über das Geschehen bleiben. Dazu BOCKELMANN B.T./2, § 4 II 3; FWEBE GA 1959 S. 168 f; OTTO Tröndle-Festschrift, S. 164 ff; ROXIN Täterschaft, S. 570.

2. Der Swzid als Unglücksfall LS. des § 323 c Unabhängig von der Problematik des § 216 ist die Frage, ob der Suizid als "Unglücksfall" i. S. des § 323 c anzusehen ist. a) Wer den Unglücksfall als plötzliches, äußeres Ereignis, das erheblichen Schaden an Leib und Leben eines anderen zu bringen droht, interpretiert, kommt zu dem Ergebnis, daß der Suizid keinen Unglücksfall darstellt. Er ist kein plötzlich eintretendes äußeres Ereignis. So im Ergebnis: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 313 ff; BRAMMSEN Entstehungsvoraussetzungen, S. 164; BRÄNDEL Z R P 1985 S. 92; DREHER/TRONDLE § 323 C R d n . 3; RUDOLPHI SK, § 323 c R d n . 8; SCH/SCH/CRAMER § 323 c R d n . 7.

b) Wird hingegen der Unglücksfall als eine Notsituation definiert, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, wenn er nicht schweren Schaden an Leib oder Leben nehmen will, so ist auch der Suizid Unglücksfall. Für die Sachgerechtigkeit dieser Definition spricht, daß die Beschränkung auf ein plötzliches, äußeres Ereignis willkürlich erscheint, da ein Verschulden des Täters am Eintritt dieses Ereignisses nach einhelliger Ansicht irrelevant ist. Nicht an Äußerlichkeit oder Innerlichkeit eines Ereignisses kann die Solidaritätspflicht anknüpfen, sondern an die Ausweglosigkeit der Situation für den Betroffenen. Und zwar ist die Unglückssituation in dem Moment gegeben, in dem der

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Betroffene Handlungen ins Werk setzt, die im ununterbrochenen Fortgang zur Selbsttötung führen sollen. So im Ergebnis: BGHSt 6 S. 149; 13 S. 169; OLG München NJW 1987 S. 2940; DÖLUNG NJW 1986 S. 1013; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 24; OTTO Gutachten, D 76 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 16/5. - Erst bei beendetem Suizidversuch bejahen einen Unglücksfall z.B.: GEILEN Jura 1989 S. 208; LACKNER StGB, § 323 c Anm. 2.

c) Problematisch jedoch ist die Zumutbarkeit der Hilfeleistung im Falle des Suizids. Zumutbar ist eine Hilfeleistung nämlich zum einen dann, wenn mit ihr ohne erhebliche Gefährdung eigener Rechtsgüter die Suizidgefahr beseitigt wird. Zum anderen ist aber auch der Suizident als Person zu achten. Unzumutbar sind daher langandauernde Freiheitsentziehung oder eine über längere Zeit sich erstreckende oder mehrmals wiederholte "Zwangsernährung" eines die Nahrungsaufnahme verweigernden Suizidenten. Hier handelt es sich bereits um nicht mehr akzeptable Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts und der körperlichen Integrität des Betroffenen, die daher über der Zumutbarkeitsgrenze liegen. Dazu eingehender OTTO Gutachten, D. 80 ff m.w.N.

d) Befindet sich der Suizident in einer Situation irreparabler schwerer körperlicher Schäden, die die psychische Grundstruktur des Betroffenen so schwer beeinträchtigen, daß seine Personalität auf Dauer in erheblichem Maße reduziert ist, so begrenzt dieses die Hilfspflicht. Hilfe kann nicht die Belastung mit einem Weiterleben sein, das durch schwere körperliche Leiden geprägt oder dem die Möglichkeit personaler Äußerungen genommen ist. In dieser Situation liegt kein Unglücksfall im Sinne des § 323 c vor. Dazu eingehend OTTO Gutachten, D 82 f.

IV. Zur Teilnahmeproblematik 1. Beihilfe und Anstiftung durch Dritte Strafbare Anstiftung durch einen Dritten ist durch die Tatsituation des § 216 ausgeschlossen, denn auch wenn ein Dritter das Verlangen dem späteren Täter übermittelt, setzt § 216 voraus, daß der Täter durch das Verlangen, nicht aber die Tätigkeit des Dritten zur Tat bestimmt wird. HORN SK, § 2 1 6 R d n . 13. - A A . JÄHNKE LK, § 216 R d n . 10; S C H / S C H / E S E R § 2 1 6 R d n . 18.

Beihilfe zur Tat ist möglich. Die Strafe des Gehilfen richtet sich nach § 216, sofern dieser die Voraussetzungen dieses Tatbestandes beim Haupttäter kennt oder irrig annimmt. Bei fehlender Kenntnis haftet er aus § 212. § 28 findet keine Anwendung, da das Verlangen das Unrecht der Tat mindert, nicht aber eine Sonderpflichtposition des Täters begründet. Vgl. HORN SK, § 2 1 6 R d n . 13. - A A . JÄHNKE LK, § 2 1 6 R d n . 10; LACKNER S t G B , § 2 1 6 A n m . 2 a; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n . 18.

2. Teilnahme des Opfers Eine Teilnahme - Anstiftung oder Beihilfe - desjenigen, der die Tötung verlangt, an der Tötung ist konstruktiv durchaus möglich, wenn auch nur in der Versuchssituation relevant. Sie bleibt aber straflos. Die Schuldsituation, die eine Strafbarkeit des ver-

§ 8 Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte

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suchten Selbstmordes als sinnwidrig erscheinen läßt, ist dieselbe, gleichgültig, ob der Täter den Selbstmord als Täter begeht oder an der eigenen Tötung teilnimmt. Diese Erwägung verbirgt sich hinter dem üblichen Hinweis, die Teilnahme bleibe als notwendige Teilnahme straflos. Dazu DREHER MDR 1964 S. 337; JAHNKE LK, § 216 Rdn. 10; OTTO Länge-Festschrift, S. 212 f; RoXIN LK, V o r § 26 R d n . 33; WOLTER J u S 1982 S. 343 ff.

§ 7: Kindestötung Die Vorschrift trägt der außergewöhnlichen psychischen Situation bei der Geburt Rechnung und privilegiert die nichteheliche Mutter daher aus Schuldgesichtspunkten.

1. Tatbestandsvoraussetzungen a) Nichtehelich ist ein Kind, dessen Eltern weder zur Zeit des Beischlafs noch zur Zeit der Geburt in formell gültiger Ehe miteinander verheiratet waren. - Wird eine Ehe später für nichtig erklärt, erstreckt sich die Wirkung der Nichtigkeitserklärung nicht auf den Status des Kindes, § 1591 Abs. 1 S. 1 BGB. b) Die Tötungshandlung muß in oder gleich nach der Geburt erfolgen. Dieser Zeitraum endet mit dem Abklingen der durch den Geburtsvorgang hervorgerufenen Erregungsphase, die durchaus eine erhebliche Zeit dauern kann. H . M . vgl. DREHER/TRÖNDLB § 217 R d n . 5; HORN SK, § 217 R d n . 8; LACKNER S t G B , § 217 A n m . 3;

MAURACH/SCHROEDER/MAJWALD B.T.l, § 2 Rdn. 68; SCH/SCH/ESER § 217 Rdn. 5. - Auf den üblicherweise mit dem Geburtsvorgang verbundenen Zeitraum der Erregungsphase stellt ab: JÄHNKE LK, § 217 R d n . 6. - A A GÖSSEL B.T. 1, § 6 R d n . 11.

2. Irrtum über die Nichtehelichkeit a) Die irrige Annahme der privilegierenden Umstände eröffnet gemäß § 16 Abs. 2 die Anwendung des § 217. Dabei ist es unbeachtlich, ob die Täterin einem Tatsachenirrtum unterliegt oder einem Rechtsirrtum, weil sie z.B. nicht weiß, daß die Nichtigerklärung der Ehe den Status des Kindes nicht berührt. Den Rechtsirrtum bewerten hier nur als Verbotsirrtum: DREHER/TRÖNDLE § 217 Rdn. 2. - Als unbeachtlichen Subsumtionsirrtum stufen ihn ein: HORN SK, § 217 Rdn. 6; JÄHNKE LK, § 217 Rdn. 12.

b) Kennt die Täterin die privilegierenden Umstände nicht (Täterin glaubt, Kind sei ehelich), so sind die §§ 212,211 anzuwenden. Kritik: Nicht die Nichtehelichkeit des Kindes ist für die Privilegierung maßgeblich, sondern allein der außergewöhnliche, durch den Geburtsvorgang ausgelöste psychische Erregungszustand. Daher ist die - historisch zu erklärende - Differenzierung zwischen der Tötung des nichtehelichen Kindes und der des ehelichen Kindes sachwidrig. Grundsätzliche Bedenken gegen die Privilegierung bei SIEG ZStW 102 (1990) S. 292 ff.

§ 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte

Problemstellung: Wird die Akzessorietät der Teilnahme gemäß § 28 im Bereich der Tötungsdelikte durchbrochen? Fall 1: A leistet Beihilfe zu einem Mord, den B aus Habgier begeht. Das weiß A, er selbst handelt aber nicht aus Habgier. - Ist A gemäß §§ 211,27 oder §§ 212,27 zu bestrafen?

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Delikte gegen das Leben

Fall 2: A leistet aus Habgier Beihilfe bei der Tötung des X durch B. B handelt nicht habgierig. - Ist A gemäß §§ 211,27 oder §§ 212,27 zu bestrafen?

I. Prämissen der Entscheidung Die jeweilige Stellungnahme wird durch zahlreiche Prämissen innerhalb der Interpretation des § 28 und der §§ 211 ff bedingt. Diese müssen klar erkannt werden, soll die Übersicht nicht verloren gehen. - Im wesentlichen läßt sich differenzieren: 1. Persönliche Merkmale LS. des §28 als Sonderpflichtmerkmale a) Werden - dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 1 3 - als besondere persönliche Merkmale nur Sonderpflichtmerkmale anerkannt und § 211 als Qualifizierung des § 212 begriffen, so kann § 28 im Rahmen der Tötungsdelikte keine Bedeutung erlangen. Möglich ist es allerdings, eine Ausnahme bei der Heimtücke zu machen. Das besondere Vertrauensverhältnis kann als besonderes Pflichtverhältnis und damit als ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2 interpretiert werden; vgl. LANGER Länge-Festschrift, S. 262 Fn. 135.

b) Soweit eine Privilegierung innerhalb der Tötungsdelikte allein auf Schuldgesichtspunkten beruht, greift § 29 ein. Beispiel: A leistet der M Beihilfe bei der Tötung ihres nichtehelichen Kindes. M: § 217. A: Haupttat: § 217. Zu dieser Haupttat hat A Hilfe geleistet. Grundsätzlich wäre A daher zu bestrafen gemäß §§ 217, 27. Da die schuldmindernde Situation aber in der Person des A nicht vorlag, versagt § 29 die Anwendung des § 217, und A haftet gemäß der eigenen Schuld aus §§ 212,27. Ergebnis: §§ 217,27, 29 -> 212,27.

2. Mordqualifikationen als Schuldelemente Werden die Mordqualifikationen als Schuldelemente und § 211 als Qualifizierung des § 212 angesehen, so braucht man sich mit § 28 überhaupt nicht zu befassen, sondern läßt jeden Beteiligten "ohne Rücksicht auf die Schuld der anderen nach seiner Schuld" haften gemäß § 29. Diese Konstruktion entspricht der hier im Verhältnis von § 217 zu § 212 aufgezeigten Lösung. Hintergrund dieser Ansicht ist die Auffassung, daß alle Schuldmerkmale nur von § 29, nicht aber zugleich von § 28 Abs. 1, 2 erfaßt werden. Dazu JESCHECK Lehrbuch des Strafrechts, A.T., 4. Aufl. 1988, § 61 VII 4 c; LANGER Das Sonderverbrechen, 1972, S. 472 f; SCHMIDHÄUSER A.T., 2. Aufl. 1975,14/89,96.

Die h.M. erfaßt die im Besonderen Teil vertatbestandlichten Schuldmerkmale unter § 28 Abs. 2, nicht aber die im Allgemeinen Teil erfaßten Schuldsituationen; dazu im einzelnen: HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 72 Fn. 12; ROXIN LK, § 28 Rdn. 7 ff.

3. Tat- und täterbezogene Merkmale Die h.M. identifiziert die besonderen persönlichen Merkmale i.S. des § 28 mit sog. täterbezogenen Merkmalen. Die Mordqualifikationen der 1. und 3. Gruppe sind in diesem Denkschema subjektive, täterbezogene Merkmale, so daß auf sie § 28 Anwendung findet, während die Merkmale der 2. Gruppe (heimtückisch, grausam, gemeingefährliche Mittel) als sog. tatbezogene Merkmale nicht unter § 28 fallen sollen.

§ 8 Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte

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So im Grundsatz: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 108 ff; HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 105 ff; JAKOBS N J W 1969 S. 489; LACKNER S t G B , § 211 A n m . 5; R o x i N LK, § 28 R d n . 47.

Für eine Interpretation auch der 3. Gruppe als tatbezogene Merkmale: DREHER JR 1970 S. 146 ff.

4. Die Ansicht des BGH Die Rechtsprechung folgt grundsätzlich der Interpretation der Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe als täterbezogene und damit als besondere persönliche Merkmale i.S. des § 28. Da sie jedoch § 211 als einen Sondertatbestand innerhalb der Tötungsdelikte ansieht, der die Anwendung der §§ 212, 213 ausschließt, kann sie gegebenenfalls nur § 28 Abs. 1 anwenden. Dazu BGHSt 22 S. 375; 24 S. 106; BGH StV 1984 S. 69.

II. Zur Einübung Fall 1: A erschießt den B, um ihm sein Bargeld abzunehmen und sich damit nette Stunden mit der Gunstgewerblerin G zu machen. Die Pistole hat er von C, der weiß, was A vorhat, selbst aber keine materiellen Vorteile aus der Tat zieht. 1. Straßarkeit desA: § 211 (Habgier). 2. StraßaHceit des C: a) 1. Meinung (§ 28 nur Sonderpflichtmerkmale): §§ 211,27 (Anwendung der §§ 28,29 kommt nicht in Betracht). b) 2. Meinung (Mordqualifikationen: Schuldelemente): Haupttat: § 211, zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet, § 27. Da aber das Schuldelement der Habgier bei C fehlt, kann gemäß § 29 seine Strafe nur aus dem Grundtatbestand in Verbindung mit § 27 entnommen werden. Ergebnis: §§ 211,27,29 -> 212,27. c) 3. Meinung (h.L.): Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende täterbezogene persönliche Merkmal der Habgier fehlt, kommt § 28 Abs. 2 zur Anwendung, so daß C gemäß §§ 212, 27 bestraft wird. Ergebnis: §§ 211,27, 28 Abs. 2 - > 212,27. d) 4. Meinung (BGH) Haupttat: § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende, täterbezogene, persönliche Merkmal der Habgier fehlt, findet § 28 Abs. 1 Anwendung (Strafmilderung). Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 1,49 Abs. 1. Fall 2: A erschlägt den B im Zorn, nachdem dieser ihn schwer beleidigt hat. Als A schon 'vor Wut kochte" und nach einem Messer schrie, um den B "kaltzumachen", hat C, der den B beerben will, dem A ein Messer gereicht. 1. Straßarkeit des A: § 213,1. Alt. 2. Straßarkeit des C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 213,27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 213,27,29 -> 211,27. c) 3. Meinung (h.L.): §§ 213,27, 28 Abs. 2 analog -> 212,27, 28 Abs. 2 analog -> 211,27. - § 28 wird hier von der h.L. nur analog angewandt, da sie § 213 als Strafzumessungsregel interpretiert. d) 4. Meinung (BGH): §§ 213,27,28 Abs. 2 analog -> 212,27. Fall 3: Der A wollte mit der B ein Liebesverhältnis beginnen. Als diese ihn abwies, wollte er sie auch keinem anderen gönnen und erschoß sie. Die Pistole hatte er von C, der sich von B DM 100,- geliehen hatte und hier eine Möglichkeit sah, die Gläubigerin loszuwerden.

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Delikte gegen das Leben

1. Strafbarkeit desA: § 211 (niedriger Beweggrund). 2. Strafbarkeit des C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 211,27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 211 (niedriger Beweggrund), 27,29 -> 212, 27, da Habgier gegeben, wiederum § 29 -> 211,27. c) 3. Meinung (h.L.): § 211 (niedriger Beweggrund), 27,28 Abs. 2 -> 212,27, 28 Abs. 2 (Habgier) -> 211,27. d) 4. Meinung (BGH): Bei strengem Durchhalten der Prämissen müßte der BGH zum Ergebnis kommen: §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1, da bei C nicht derselbe niedrige Beweggrund wie bei A vorliegt, ein Austausch verschiedener niedriger Beweggründe aber jeweils zu einem anderen Tatbild führt. Der BGH - vgl. BGHSt 23 S. 39 f - läßt jedoch innerhalb der Gruppe der niedrigen Beweggründe einen Austausch der einzelnen Merkmale zu, obwohl jedes Merkmal der Tat ihren persönlichen, eigenständigen, täterbezogenen Charakter geben soll, und kommt somit zur Ablehnung des § 28 Abs. 1, weil zwar nicht dasselbe, wohl aber ein besonderes persönliches Merkmal auch bei C vorliegt. Ergebnis: §§ 211,27. - Dazu ARZT JZ1973 S. 681 ff. Fall 4: Als die 62jährige Witwe A eine Wiederverheiratung mit dem 29jährigen Spanier S ins Auge faßte, widersprach ihre 40jährige Tochter T heftig. A lud die Tochter daher zu einer Aussprache zu sich ein. Während des Gesprächs reichte A der T einen Schnaps, der mit Arsen vermischt war. T starb. - Das Gift hatte A von C, die genau wußte, was A mit dem Gift vorhatte. 1. Strafbarkeit derA: § 211 (Heimtücke). 2. Strafbarkeit der C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 211,27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 211,27,29 -> 212,27. c) 3. Meinung (h.L.): Da Heimtücke ein tatbezogenes Merkmal ist, kommt § 28 nicht zur Anwendung. Ergebnis: §§ 211,27. d) 4. Meinung (BGH): §§ 211,27.

§ 9: Fahrlässige Tötung 1. Der Aufbau des Delikts Die fahrlässige Tötung unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung nicht in der objektiven Zurechnung des Erfolges zur Person des Täters, sondern allein im subjektiven Bereich. Der sorgfältige Aufbau des Delikts führt auch hier an die relevanten Probleme heran. OLG Hamm NJW 1973 S. 1422: Kraftfahrer A verursachte im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit mit seinem Kfz einen Verkehrsunfall, bei dem B schwere Bruchverletzungen davontrug. In der Klinik, in die B gebracht wurde, erhielt er im Zuge der Behandlung mehrfach gruppengleiches Blut zugeführt. Nach einigen Tagen starb B an einer sog. Serumhepatitis, die auf unreines Blut zurückzuführen war, das von hepatitiskranken Spendern stammte. Zum Zeitpunkt der Behandlung war es unmöglich, die Unreinheit der Blutkonserven zu erkennen, da ein exakter Nachweis des verantwortlichen Erregers noch nicht durchführbar war. Strafbarkeit des A a) Die in § 222 beschriebene Rechtsgutsverletzung ist eingetreten: B ist tot. b) A hatte (durch regelgerechtes Verhalten) die tatsächliche Möglichkeit, den eingetretenen Erfolg zu vermeiden.

§ 9 Fahrlässige Tötung

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c) Durch sein Fahren in fahruntüchtigem Zustand hat A eine Gefahr auch für das Leben des B begründet. d) Die von A begründete Gefahr realisierte sich im Tode des B, denn die behandelnden Arzte erhöhten oder veränderten diese Gefahr nicht pflichtwidrig, sondern bemühten sich situationsbedingt um die Verminderung der von A begründeten Gefahr. Der gefährliche Einsatz des Blutes war dafür nötig und unter Abwägung des Risikos auch sachgemäß. e) A hatte bei seinen Fähigkeiten die Möglichkeit, den Sachverhalt zu erkennen. Er war in der Lage vorauszusehen, daß es aufgrund seiner Fahnmtüchtigkeit auch zu einem tödlichen Unfall kommen könnte. Voraussehbar war auch, daß entstehende Unfallverletzungen nur noch mit selbst lebensgefährdenden Behandlungsmethoden behandelt werden können und dabei der Tod des Opfers eintritt. f) Feststellungen zur Pflichtbegrenzung: A hat die ihm obliegende Soigfaltspflicht im Hinblick auf den eingetretenen Todeserfolg verletzt, denn er hat mit der Trunkenheitsfahrt eine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer begründet. g) A hatte die Möglichkeit, sich der Sozialschädlichkeit seines Verhaltens bewußt zu werden. h) Schuld: Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die an der Schuld des A zweifeln ließen. Hinweis: Zum Aufbau des fahrlässigen Erfolgsdelikts durch Unterlassen sowie zu anderen Aufbauweisen des fahrlässigen Erfolgsdelikts, vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 10. 2. Der Zusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg Auch bei der Zurechnung eines fahrlässig begründeten Erfolges geht es um die zentrale Frage, wann ein bestimmter Erfolg dem Täter als sein Werk zuzurechnen ist. D i e s e Frage ist nicht durch isolierte Bejahung der Erfolgsverursachung und der Sorgfaltspflichtverletzung zu beantworten, denn Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg stehen auch hier in einem funktionalen Zusammenhang. Dieser ist unter drei Aspekten besonders sorgfältiger Prüfung bedürftig. a) Nicht jedes pflichtwidrige Verhalten ist für die Zurechnung des Erfolges relevant. Maßgeblich ist, ob der Täter durch sein pflichtwidriges Verhalten eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus begründet oder erhöht hat. D i e schlichte Pflichtwidrigkeit des Verhaltens allein ist nämlich dann unerheblich, wenn nachgewiesen werden kann, daß das pflichtwidrige Verhalten deshalb keine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr begründet oder erhöht hat, weil die Rechtsgutsverletzung bereits derart in dem Geschehen angelegt war, daß sie auch bei rechtmäßigem Verhalten des Täters eingetreten wäre. OLG Karlsruhe GA 1970 S. 313: A fuhr innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h. Er überfuhr dabei ein 4 Jahre altes Kind. Der tödliche Unfall hätte sich in gleicher Weise zugetragen, wenn A die zulässige Höchstgeschwindigkeit von SO km/h eingehalten hätte. Ergebnis: Ist nicht feststellbar, ob die Gefahr bei ordnungsgemäßem Verhalten des A geringer gewesen wäre, so fehlt es an dem Nachweis, daß A durch pflichtwidriges Verhalten die Gefahr für das Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus erhöht hat. Hingegen: Beruft A sich darauf, daß der mit überhöhter Geschwindigkeit entgegenkommende Kraftfahrer X das Kind erfaßt hätte, wenn er es nicht überfahren hätte, so ist diese Einlassung irrelevant, denn die mögliche rechtswidrige Erfolgsherbeiführung durch Dritte entlastet den Täter nicht. Z u r E i n ü b u n g und Vertiefung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 0 1 4 .

b) D a es nicht auf bloße Kausalität für den Erfolg ankommt, sondern auf die Zurechnung der Verantwortung für den Erfolg, ist genau zu prüfen, ob die Rechtsgutsverletzung ihren Grund in einem Verhalten des Täters, eines Dritten oder des Opfers hat (Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs). aa) BayObLG JZ 1982 S. 731: X verlieh an Y, der die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß, ein Kraftfahrzeug, das nicht verkehrssicher war. Aufgrund der Mängel des Fahrzeuges und der fehlenden

Delikte gegen das Leben

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Fahrtüchtigkeit des Y kam es zu einem Unfall. Trotz auffälliger Warnzeichen und eindeutig unübersichtlicher Verkehrssituation fuhr A mit weit überhöhter Geschwindigkeit an die Unfallstelle heran und erfaßte den Z mit dem Kraftfahrzeug. Z hatte nach dem ersten Unfall helfen wollen. Er wurde getötet. BayObLG: Der zweite Unfall war für X und Y nicht vorhersehbar. Kritik: Daß es an Unfallstellen im Straßenverkehr durch grob verkehrswidriges Verhalten Dritter zu weiteren Unfällen kommt, ist leider eine bekannte Tatsache und daher auch objektiv voraussehbar. Gleichwohl ist das Urteil des BayObLG im Ergebnis zutreffend. Die Gefahr, die sich im Tode des Z realisierte, wurde nicht von X und Y begründet, sondern von A, als dieser trotz Kenntnis der unübersichtlichen Verkehrslage seine Geschwindigkeit nicht auf das erforderliche Maß herabminderte. - Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn A aufgrund der Sachverhaltsgegebenheiten die Gefahrenstelle nicht rechtzeitig hätte wahrnehmen können. bb) BGHSt 32 S. 262: A verschaffte dem H die erforderliche Spritze für den Heroinkonsum. H injizierte sich ein Heroingemisch, das er sich zuvor besorgt hatte. Anschließend wurde er bewußtlos und starb. A, der auch Heroin genommen hatte, überlebte. Ergebnis: H hat frei verantwortlich und in voller Kenntnis der Gefahr das Risiko für sein Leben begründet. A schuf lediglich eine Voraussetzung für diese Selbstgefährdung des H. Damit aber realisierte sich im Tode des H die von ihm selbst begründete Gefahr. I m einzelnen zur A u s e i n a n d e r s e t z u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 0 1 4 f.

cc) Wie bb), aber als H bewußtlos war, erkannte A die Notsituation, unternahm aber nichts zur Rettung des H. Ergebnis: A haftet nach § 323 c. - Der BGH kommt in entsprechenden Fällen, vgl. BGH NStZ 1984 S. 452, zur Annahme eines Unterlassens des A nach vorangegangenem gefährlichen Tun. Da das die Todesgefahr begründende Tun aber ein eigenverantwortliches Tun des H war, kann es keine Haftung des A begründen. Zur Auseinandersetzung: BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 306 f; GEPPERT JK, StGB § 222/2; HERZBERG JA 1985 S. 271, Fn. 102; OTTO Grundkurs Strafrecht, A.T., § 9 III 1. dd) A lieh dem B, der keinen Führerschein hatte und fahrunerfahren war, sein Motorrad. B kam auf der Fahrt zu Tode, weil er in einer gefährlichen Situation nicht bremsen konnte, da A den Bremszylinder entfernt hatte, was B nicht wußte. Ergebnis: A haftet für den Tod des B, denn die relevante Gefahr hatte B nicht bewußt auf sich genommen. A verfügte über ein besseres Sachwissen.

c) Schließlich ist zu beachten, ob der Schutzzweck der durch den Täter verletzten Norm gerade auch auf die Vermeidung des vom Täter bewirkten Erfolges zielte. OLG Hamm MDR 1980 S. 1036: An einem mit eingeschaltetem Warnblinklicht haltenden Schulbus fuhr A mit 50 km/h vorbei. Er verletzte den erwachsenen B, der in Höhe des Schulbusses trotz des herannahenden Fahrzeuges des A noch versuchte, die Fahrbahn zu überqueren. OLG: § 20 Abs. 1 a StVO, der eine vorsichtige Fahrweise beim Vorbeifahren an Schulbussen vorschreibt, dient ausschließlich der Sicherheit von Schulkindern im Straßenverkehr. Der von A bewirkte Erfolg - Verletzung des B - liegt daher außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm. Auf die Verletzung des § 20 Abs. 1 a StVO kann eine Verurteilung des A in diesem Falle daher nicht gegründet werden.

§ 10: Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes 1. Das geschützte Rechtsgut Einigkeit besteht darin, daß der Tatbestand in beiden Tatmodalitäten ein konkretes Gefährdungsdelikt beschreibt. Streitig ist, ob eine konkrete Lebensgefahr vorliegen muß oder eine Leibesgefahr ausreicht. Unter Hinweis auf § 221 Abs. 3 und darauf,

§ 10 Aussetzung

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daß Lebens- und Leibesgefahr nicht immer trennbar sind, wird von der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre die Begründung einer Leibesgefahr für ausreichend gehalten. Demgegenüber spricht die systematische Stellung des § 221 für eine restriktive Auslegung dahin, daß nur die konkrete Gefährdung des Lebens von ihm erfaßt werden soll. Daß bei entsprechenden Leibes- oder Gesundheitsgefahren im Regelfall bereits eine konkrete Lebensgefahr vorliegt, spricht nicht dafür, den Schutzbereich auf die Leibesgefahr zu erweitern. In diesen Fällen ist vielmehr die Anwendung des § 221 unproblematisch. Ergibt sich jedoch, daß eine konkrete Lebensgefahr nicht nachweisbar ist, so ist für § 221 kein Raum. § 221 Abs. 3,1. Alt. betrifft lediglich eine Erfolgsqualifikation, die für eine Interpretation des Tatbestandes, eine Leibesgefahr genüge bereits, nichts hergibt, insbesondere konkretisiert Abs. 3 nicht die hier gemeinte Gefahr. Vgl. auch: GÖSSEL B . T . l , § 8 R d n . 2; KREY B.T.l, R d n . 141; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 R d n . 2; SCHMIDHÄUSER B.T., 2 / 4 1 ; SCH/SCH/ESER § 221 R d n . 1, 8. - A A B G H S t 4 S. 113; 2 1 S. 44; 25 S. 218; 26 S. 35; BOCKELMANN B . T . / 2 , § 13 I; DREHER/TRÖNDLE § 221 R d n . 1; JÄHNKE LK, § 221 R d n . 3; HORN SK, § 221 R d n . 3.

2. Einzelheiten des Tatbestandes Der Tatbestand enthält zwei Alternativen: a) Das Aussetzen einer wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflosen Person. Hilflos ist eine Person, wenn sie in der konkreten Gefahrensituation außerstande ist, sich aus eigener Kraft vor einer drohenden Lebensgefahr zu schützen und sich der Hilfe Dritter nicht sicher sein kann. In jugendlichem Alter sind Neugeborene und Kleinkinder, darüber hinaus kommt es auf den Entwicklungsstand und die Anforderungen der Tatsituation an; dazu BGHSt 21 S. 44 ff. - Gebrechlichkeit ist die durch Alter, körperliche Leiden oder Beschwerden begründete stark herabgesetzte körperliche Betätigungsmöglichkeit. - Krankheit ist ein pathologischer Zustand, der z.B. auch starke Trunkenheit umfaßt. • Aussetzen ist das Verbringen des Hilflosen in eine konkrete Lebensgefahr begründende oder steigernde Lage.

b) Das Verlassen einer solchen Person in hilfloser Lage, wenn sie in der Obhut des Täters steht oder er für ihre Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme zu sorgen hat. In hilfloser Lage ist das Opfer, wenn es schutzlos der Lebensgefahr preisgegeben ist. Zur Begründung der Obhuts- und Beistandspflichten sind die Grundsätze heranzuziehen, die für die Entstehung einer Garantenpflicht gelten; BGHSt 26 S. 37.

Str. ist, ob das Verlassen eine räumliche Trennung voraussetzt oder nicht. Beispiel: Die Krankenschwester K verweilt untätig am Bett des Kranken, als dessen Lage sich verschlechtert und zu seiner Rettung ein kreislaufbelebendes Mittel gegeben werden müßte. - Soll hier wirklich die Haftung gemäß § 221 davon abhängen, ob K aus dem Zimmer geht oder nicht?

Die Strafwürdigkeit des Verhaltens ist nicht davon abhängig, ob der zur Hilfe Verpflichtete sich räumlich von dem Schutzbedürftigen trennt oder nicht. Maßgeblich ist, daß der Verpflichtete den Schutzbedürftigen im Stich läßt. So auch: GÖSSEL B.T.l, § 8 R d n . 20 f; HALL SchwZStr 46 (1932) S. 353; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 4 R d n . 8; SCH/SCH/ESER § 221 R d n . 7. - A A . DREHER/TRÖNDLE § 221 R d n . 6; GEILEN J Z 1973 S. 324; HORN SK, § 221 R d n . 7; JÄHNKE LK, § 221 R d n . 13.

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Delikte gegen das Leben

II. Besondere Probleme des Tatbestandes 1. Die 1an sich rechtmäßige"Aussetzungshandlung Verbringt jemand einen anderen aus einer sicheren in eine lebensgefährliche Lage, so wird der Unrechtsgehalt des Verhaltens durch den Eingriff in den geschützten Rechtsbereich des Betroffenen geprägt Problematisch ist es jedoch, ob der Unrechtsgehalt der gleiche ist, wenn der Täter durch sein Verhalten einem rechtswidrigen Eingriff des nunmehr Betroffenen begegnet, wenn also der Betroffene bei der Abwehr eines rechtswidrig von ihm ausgehenden Rechtsgütereingriffs in die Gefahr gerät. Auch wenn hier §§ 32, 34 nicht eingreifen, weil der Täter über die erforderliche Abwehr hinausgeht, stellt sich die Frage, ob er durch die Abwehr rechtswidrigen Verhaltens in die Schutzposition des 8 221 gezwungen werden kann oder ob hier, vergleichbar der Situation, daß jemand durch Notwehr eine lebensgefährliche Lage für den Angreifer schafft, vgl. dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 9 i n 1 b, nur die

allgemeine Beistandspflicht gemäß § 323 c ausgelöst wird. KG JR 1973 s. 72 mit Anm. SCHRÖDER S. 73 ff: Der Gastwirt G setzte den volltnmkenen Gast K, dem er wegen Zechprellerei einen Denkzettel geben wollte, in teilweise entkleidetem Zustand auf die Straße und überließ ihn dort seinem Schicksal. KG: K war infolge einer durch Alkoholgenuß bedingten hochgradigen Bewußtseinsstörung krank i.S. des § 221. Wegen dieses Zustandes war er hilflos. In dem Verbringen des hilflosen K aus seiner bisherigen verhältnismäßig gesicherten Lage in dem Lokal in eine ihn gefährdende Lage auf der Straße liegt ein Aussetzen des K durch G. SCHRÖDER erkennt durchaus die Problematik, die darin liegt, daß G nicht verpflichtet war, den K in seinen Räumen zu dulden, er ihn "an sich" in Ausübung seines Hausrechts vor die Tür setzen durfte. Er stellt die Frage, "ob man mit der Konsequenz des § 221 StGB eine illegale Situation beseitigen darf, kommt dann aber zu dem Ergebnis, daß die Rechtsausübung durch G angesichts der möglichen Folgen einen Rechtsmißbrauch darstellt. Diese Konstruktion wird der Problematik nicht gerecht. - Als G den K hinaussetzte, verletzte er keine Obhutspflicht dem K gegenüber, sondern übte sein Hausrecht aus. Die Tatsache, daß K dadurch in eine hilflose Lage geriet, ändert die rechtliche Bewertung nicht. Auch ein Verlassen i.S. des § 221 Abs. 1, 2. Alt. kommt nicht in Betracht, weil G mit dem Hinausbefördern des K nicht den ihm rechtlich gewährten Handlungsspielraum auf Kosten des K ausdehnte. Da K jedoch in eine Unglückssituation i.S. des § 323 c geriet, war G, wollte er eine Haftung aus § 323 c vermeiden, wie jeder Dritte verpflichtet, dem K aus dieser Situation zu helfen. Indem er dieser Pflicht nicht sogleich nachkam und für die Sicherheit des K sorgte, machte er sich strafbar gemäß § 323 c. Vgl. auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 4 R d n . 5; SCH/SCH/ESER § 2 2 1 R d n . 6. A . A . GÖSSEL B.T. 1, § 8 R d n . 11; JÄHNKE LK, § 221 R d n . 9.

2. Die Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen Beide Alternativen des Tatbestandes können durch positives Tun und Unterlassen begangen werden. Problematisch ist allerdings eine Begründung der Obhutspflicht aus vorangegangenem Tun. Nach einhelliger Meinung ist der Tatbestand des Aussetzens nämlich nicht erfüllt, wenn das Opfer erst durch die Aussetzungshandlung zur hilflosen Person wird. So, wenn der Kapitän den gesunden blinden Passagier auf einer einsamen Insel aussetzt. Dazu auch: OLG Hamm VRS 19 S. 431; BOCKELMANN B.T./2, § 13 II; JÄHNKE LK, § 221 Rdn. 8.

Diese einhellig anerkannte Absicht des Gesetzgebers wird unterlaufen, wenn die erste nicht tatbestandsmäßige Gefährdungshandlung als vorangegangenes gefährli-

§11 Völkermord

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ches Tun bewertet wird, mit der Konsequenz, daß nach Eintritt der Hilflosigkeit eine Garantenstellung entsteht. Konsequenz im Beispielsfall: Nach zwei Tagen, als der ehemals gesunde Passagier durch Sonneneinwirkung und Hunger krank ist, muß der Kapitän zurückkehren, will er sich nicht nach der 2. Alt. des § 221 strafbar machen.

Will man diese Konsequenz vermeiden und ernst machen mit dem Satz, daß § 221 ausscheidet, wenn die Hilflosigkeit allein durch das Verhalten des Täters herbeigeführt wird, so muß man eine Begründung einer Obhutspflicht durch vorangegangenes Tun ablehnen; einschränkend auch BGH NStZ 1983 S. 454. 3. Der Versuch der erfolgsqualifizierten Aussetzung, §§ 221 Abs.3, 23 Streitig ist bereits, ob der Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts überhaupt möglich ist, wenn der Grundtatbestand nicht erfüllt ist; im einzelnen dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18IV 6. Wird in dieser Konstellation die Möglichkeit des Versuchs anerkannt, so stellt sich im Rahmen des § 221 die Frage, ob ein Versuch gemäß §§ 221 Abs. 3, 23 in Betracht kommt, obwohl der Versuch des Grundtatbestandes, §§ 221, 23, nicht strafbar ist. Dies wird zum Teil abgelehnt mit der Erwägung, daß in dieser Konstellation die besondere Folge strafbegründend, nicht aber straferhöhend wirkt, wovon § 18 ausgeht. Die Gegenmeinung erkennt diese Konsequenz nicht in § 18 angelegt und sieht in der Tatsache, daß der Handlungsunwert des Grundtatbestandes noch nicht als strafwürdig erscheint, kein Argument dagegen, daß der Unrechtsgehalt des versuchten Grundtatbestandes und der verwirklichten (oder angestrebten) besonderen Folge bereits die Grenze der Strafwürdigkeit erreicht. Fall: A will das Kleinkind seiner Freundin B, mit der er zusammenlebt, aus dem Weg schaffen, indem er es an einem kalten Wintertag bei offenem Fenster in eine Wanne mit kaltem Wasser setzt. Beim Hineinsetzen des Kindes reagiert das Kind mit wilden Bewegungen und schlägt mit dem Kopf auf dem Wannenrand auf. K verliert das Sehvermögen auf einem Auge. Angesichts der Verletzung des Kindes gibt A seinen weiteren Plan auf. Ergebnis: A hat sich einer versuchten Aussetzung gemäß §§ 221 Abs. 3,23 schuldig gemacht. So auch: LAUBENTHAL JZ 1987 S. 1067; vgl. im einzelnen zur Auseinandersetzung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18IV 6 c. - Offengelassen wird die Problematik in BGH StV 1986 S. 201 mit Anm. ULSENHEIMER S t V 1986 S. 201 ff.

4. Aussetzung in der Situation des §217 Hat eine Mutter ihr nichteheliches Kind gleich nach der Geburt ausgesetzt und damit fahrlässig den Tod des Kindes herbeigeführt, so sperrt der mildere Strafrahmen des § 217 die Anwendung des Strafrahmens nach § 221 Abs. 3. Dieser Strafrahmen ist bis zum Mindestmaß des § 217 Abs. 2 zu unterschreiten. So auch: KREY B.T.l, Rdn. 143; LACKNER STGB, 5 R d n . 11; JÄHNKE LK, § 221 R d n . 28.

221 Anm. 7. - A A . DREHER/TRONDLE § 221

§11: Völkermord

I. Das geschützte Rechtsgut § 220 a schützt nicht in erster Linie das Leben, sondern den humanitären Gedanken. Systematisch gehört er daher nicht zu den Tötungsdelikten.

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Delikte gegen das Leben

II. Die Bedeutung des Tatbestandes 1. Praktisch ist der Tatbestand als Vorschrift des nationalen Strafrechts nutzlos, denn die Tathandlung kann bereits nach anderen Vorschriften bestraft werden. Geschieht dies jedoch nicht, so deshalb, weil der Täter mit Hilfe oder mit Billigung des Staates, auf dessen Gebiet er handelt, tätig wird. Dann aber erfolgt mit Sicherheit auch keine Bestrafung gemäß §§ 220 a. 2. Bedeutung kann die Vorschrift, die entsprechend Art. II der Internationalen Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9.12.1948 in das Gesetz eingeführt wurde, aber als Ansatzpunkt zu einem Völkerstrafrecht erlangen. Dazu TRIFFTERER Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg, 1966, S. 192 ff; JESCHECK A.T., § 14. - Als funktionslos sieht den Tatbestand an: CAMPBELL § 220 a StGB: Der richtige Weg zur Verhütung und Bestrafung von Genozid?, 1986, S. 172 ff.

§ 12: Zur Wiederholung 1. In welchen Fällen ist der Schutz menschlichen Lebens durch die Tötungstatbestände streitig? Dazu § 2,1. 2. Wie bestimmt die h. L. das Verhältnis der §§ 211, 212, 213 zueinander und wie der BGH? - Dazu §2,2. 3. Was spricht gegen die Interpretation auch der 1. Alternative des § 213 als bloße Strafzumessungsregel? - Dazu § 2,2 a. 4. Worin besteht die sachliche Berechtigung für die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte in einen Grundtatbestand, eine Qualifizierung sowie Privilegierungen? - Dazu § 2,3. 5. Auf welche Weise ermöglicht der BGH ein Absehen von lebenslanger Freiheitsstrafe, obwohl er das Vorliegen einer heimtückischen Tötung bejaht? - Dazu § 2,3. 6. Kann Anstiftung oder Beihilfe zur Selbsttötung als Teilnahme an einem Tötungsdelikt bestraft werden? - Dazu § 3,1. 7. Sind die Mordqualifikationen als Schuld- oder als Unrechtsmerkmale anzusehen? - Dazu § 41. 8. Welche drei Gruppen von Mordmerkmalen unterscheidet das Gesetz? - Dazu 1 4 II. 9. Was ist unter "Mordlust" zu verstehen? - Dazu auch § 4 II 1 a. 10. Welche Fälle werden unter dem Merkmal "zur Befriedigung des Geschlechtstriebes" erfaßt? Dazu § 4 II 1 b. 11. Was ist das wesentliche Kennzeichen der niedrigen Beweggründe? - Dazu § 4 II 1 d. 12. Wie definiert die Rechtsprechung das Merkmal "Heimtücke"? Welche Ansichten werden im Schrifttum vertreten? - Dazu § 4 II 2 a. 13. Was ist ein "gemeingefährliches Mittel"? - Dazu § 4 II 2 c. 14. Worin besteht das grundsätzliche Problem des Merkmals "um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken"? - Dazu § 4 II 3 c, bb. 15. Welcher Straftatbestand kommt in Betracht, wenn der Täter zur Tötung bereits fest entschlossen ist, bevor das Opfer sie ernstlich und ausdrücklich verlangt? - Dazu § 6 1 2 c. 16. Welche Fallgruppen der Sterbehilfe sind zu unterscheiden? - Dazu § 6 II. 17. Ist ein Arzt gegen den Willen des Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen berechtigt oder sogar verpflichtet? - Dazu § 6 II 1. 18. Ist die Selbsttötungssituation als Unglücksfall i.S.d. § 323 c anzusehen? - Dazu § 6 III 3. 19. Warum ist bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten der Zusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg besonders sorgfältig zu prüfen? - Dazu § 9, 2.

§ 12 Zur Wiederholung

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20. Welche Problematik verbirgt sich hinter dem Stichwort der "an sich rechtmäßigen" Aussetzungshandlung? • Dazu § 10 II 1.

Zweiter Abschnitt Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben § 13: Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung 1. Die Entscheidung des Gesetzgebers Mit dem 5. Strafrechtsreformgesetz vom 18. Juni 1974 hatte der Gesetzgeber den Versuch unternommen, auch in der Bundesrepublik Deutschland die sog. Fristenlösung (Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft) durchzusetzen. Dieses Gesetz ist jedoch nie in Kraft getreten, denn mit dem Urteil vom 25. 2. 1975, BVerfGE 39 S. 1 ff, hat das BUNDESVERFASSUNGSGERICHT das Gesetz für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt. Der Gesetzgeber hat daraufhin durch Gesetz vom 18. 5. 1976 (15. Strafrechtsänderungsgesetz) die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vorgenommen. Diese Regelung ist keineswegs eine reine Indikationslösung, sondern enthält Elemente einer Indikations- und einer Fristenlösung. I m e i n z e l n e n d a z u BEULKE F a m R Z 1976 S. 596 ff; GÖSSEL J R 1976 S. 1 ff; LACKNER N J W 1976

S. 1233 ff; LENCKNER in: Eser/Hirsch, Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch, 1980, S. 173 ff; ROXIN J A 1 9 8 1 S . 226 ff; SAX J Z 1 9 7 7 S. 326 ff; R . SCHMITT F a m R Z 1976 S. 5 9 5 f.

Weitere Angaben zu den einzelnen Phasen des Gesetzgebungsverfahrens bei DREHER/TRÖNDLE Vor § 218 Rdn. 1 - 4.

Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gelten §§ 153 - 155 StGB-DDR sowie § 1 Abs. 2 - § 4 Abs. 1, § 5 des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9.3.1972 und § 1 - § 4 Abs. 2 S. 1, § 4 Abs. 3 - § 9 der Durchführungsbestimmung zu diesem Gesetz bis zu einer Neuregelung der Materie weiter. - Gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft ist die Schwangere berechtigt, die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen nach deren Beginn durch einen ärztlichen Eingriff in einer geburtshilflich-gynäkologischen Einrichtung unterbrechen zu lassen. Nicht unter diese Regelung fallende unzulässige Schwangerschaftsunterbrechungen, ihre Veranlassung und Unterstütztung werden nach §§ 153 ff StGB-DDR bestraft. Vgl. Einigungsvertrag vom 23.9.1990, BGBl. 1990, II, S. 885 ff, Aul. II, Kap. III, Sachgebiet C, Abschn. I, N r . 1 , 4 , 5 . - D a z u a u c h SCHNEIDERS M D R 1990 S. 1053 f; WLLMS Z R P 1990 S. 4 7 2 ff.

2. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Geschütztes Rechtsgut des § 218 a.F. war allein das ungeborene menschliche Leben. - Das kam unmißverständlich in der Kennzeichnung der Tathandlung als "Abtöten der Leibesfrucht" zum Ausdruck. Dieses klare Bekenntnis zum Schutz des menschlichen Lebens hat der Gesetzgeber bewußt nicht wiederholt. Wie die zeitliche Differenzierung des straffreien Abbruchs der Schwangerschaft in § 218 a zeigt, sind nunmehr auch Gesundheitsinteressen und Entscheidungsfreiheit der Schwangeren mitberücksichtigt, ohne daß sich jedoch im einzelnen der Regelung entnehmen ließe, worin der Schutz dieses Gesundheitsinteresses, z.B. gegen den Willen der Schwangeren, seine Berechtigung findet, denn vergleichbare Schädigungen der Gesundheit der

§ 13 Abbruch der Schwangerschaft

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Schwangeren auf andere Weise sind im Regelfall durch ihre Einwilligung gerechtfertigt. Man kann daher feststellen, daß die Berücksichtigung der gesundheitlichen Interessen und der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren die Formulierung der Gesetzestatbestände beeinflußt hat. Den Rang eines in den §§ 218 ff eigenständig geschützten Rechtsguts haben diese Interessen damit jedoch nicht erlangt. Geschütztes Rechtsgut der §§ 218 ff ist allein das ungeborene menschliche Leben. Vgl. B G H S t 28 S. 15; JÄHNKE LK, V o r § 218 R d n . 16; RUDOLPHISK, V o r § 218 R d n . 25; SCHMIDHÄUSERB.T., 3 / 1 - 3; WESSELS B.T.-L, § 4 n 2. A A a b e r DREHER/TRÖNDLB V o r § 218 R d n . 6; MAURACH/SCHR0EDER/MAJWALD B.T. 1, § 5

Rdn. 16 ff; SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 218 ff Rdn. 7; WEBER in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 360.

b) Taugliches Angriffsobjekt ist die Leibesfrucht erst nach der Nidation. Gemäß § 219 d gelten Handlungen, die sich gegen die Einnistung des Eies in der Gebärmutter richten, noch nicht als Schwangerschaftsabbruch i.S. des Gesetzes. - Damit ist klargestellt, daß nidationshindernde Maßnahmen der Empfängnisverhütung nicht von § 218 erfaßt werden. Gleichfalls werden nicht von § 218 Einwirkungen erfaßt, die erst nach Beginn der Geburt - dazu vgl. oben § 2, 1 - das Kind treffen oder die auf Beseitigung einer bereits abgestorbenen Frucht oder eines krankhaft entarteten Eies (Mole) zielen. - Zum Anencephalus vgl. oben § 2,1 b. 3. Die Systematik des Gesetzes a) Die tatbestandliche Regelung Der Grundtatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ist in § 218 Abs. 1 beschrieben. aa) Eine Strafschärfung ist in den Regelbeispielen gemäß § 218 Abs. 2 (Handeln gegen den Willen der Schwangeren, leichtfertige Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren) vorgesehen. bb) Die Tat der Schwangeren ist als privilegierter Tatbestand in § 218 Abs. 3 S. 1 erfaßt. b) Rechtfertigung Ein speziell auf den Schwangerschaftsabbruch bezogener Rechtfertigungsgrund ist der medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a Abs. 1. c) Strafausschließungsgründe aa) Objektive Strafausschließungsgründe stellen der eugenisch, ethisch und sozial indizierte Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a Abs. 2 dar; str., vgl. sogleich unter III 2 b. bb) Einen persönlichen Strafausschließungsgrund räumt der Schwangeren darüber hinaus § 218 Abs. 3 S. 2 ein. d) Möglichkeit des Absehens von Strafe Unabhängig von den bisher genannten Fällen der Rechtfertigung oder des Strafausschlusses ermöglicht § 218 Abs. 3 S. 3 in Fällen "besonderer Bedrängnis" ein Absehen von Strafe. e) Versuch Der Versuch der Abtreibung ist strafbar, § 218 Abs. 4 S. 1. - In der Person der Schwangeren bleibt der Versuch straffrei. Es handelt sich hier um einen persönlichen

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Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben

Strafausschließungsgrund, so daß Teilnehmer am Versuch der Schwangeren strafbar bleiben. f) Flankierende Maßnahmen aa) Die subsidiären §§ 218 b, 219 sollen die Beratungs- und die Indikationsfeststellung gewährleisten. bb) § 219 a soll die Indikationsfeststellung gegen unrichtige ärztliche Feststellungen absichern. cc) §§ 219 b, 219 c stellen bestimmte Teilnahmehandlungen im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs als abstrakte Gefährdungsdelikte unter Strafe.

II. Abbruch der Schwangerschaft, § 218 1. Die Tathandlung a) § 218 Abs. 1 beschreibt die tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl des Abbruchs der Schwangerschaft durch einen Dritten (Fremdabtreibung) als auch den in der Rechtsfolge gemäß Abs. 3 S. 1 privilegierten Abbruch der Schwangerschaft durch die Schwangere selbst. b) Die Kennzeichnung der Tathandlung als "Abbruch der Schwangerschaft" ist zwar konsequent, wenn vorausgesetzt wird, daß es hier nicht mehr allein um den Schutz des ungeborenen Lebens geht. Sachlich ist die Bezeichnung gleichwohl nur angetan, Mißverständnisse herbeizuführen, denn nach wie vor ist die relevante Tathandlung das Abtöten der Leibesfrucht. An dieser Zielsetzung fehlt es, wenn die Schwangerschaft unterbrochen wird, indem der Eintritt der Geburt durch wehenfördernde Mittel beschleunigt oder durch ärztlichen Eingriff die Geburt eines lebensfähigen Kindes angestrebt wird, auch wenn der Eingriff mißlingt und das Kind tot zur Welt kommt. Vgl. LACKNER N J W 1 9 7 6 S. 1235; LÜTTGER J R 1 9 7 1 S . 133 ff, SCH/SCH/ESER § 218 R d n . 5.

c) Das Zulassen des Abbruchs durch die Schwangere ist - aufgrund des Ermöglichens der Tat - im Regelfall arbeitsteiliges Anstreben des Erfolges und daher als mittäterschaftlicher Abbruch der Schwangerschaft erfaßbar. Vgl. d a z u DREHER/TRÖNDLE § 218 R d n . 8; JÄHNKE L K , § 218 R d n . 16; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T. 1, § 6 R d n . 6; ROXIN J A 1 9 8 1 S . 542; SCH/SCH/ESER § 218 R d n . 16.

2. Die Rechtfertigung Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe werden durch § 218 a Abs. 1 - dazu sogleich unter III - nicht ausgeschlossen. - Die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch der Schwangerschaft hat allerdings keine rechtfertigende Wirkung, unabhängig davon, ob man das ungeborene Leben als isoliertes Rechtsgut oder ungeborenes Leben und Körper der Schwangeren als Einheit begreift, folgt dies aus der Tatsache, daß die Tat der Schwangeren grundsätzlich unter Strafe gestellt ist. - § 34 ist auch in Fällen des Abbruchs der Schwangerschaft anwendbar. Der Regelung des § 218 Abs. 1 ist jedoch zu entnehmen, daß der Gesetzgeber dem Schwangerschaftsabbruch durch einen

§ 13 Abbruch der Schwangerschaft

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Arzt Vorrang einräumt, so daß die Fälle "einer nicht anders abwendbaren Gefahr" selten sein dürften. 3. Die Privilegierung der Schwangeren Gemäß Abs. 3 Satz 1 ist die Strafe in der Person der Schwangeren gemildert. Der Gesetzgeber trägt damit ihrer persönlichen Konfliktsituation Rechnung. - Volle Straffreiheit erlangt die Schwangere gemäß Abs. 3 Satz 2, wenn sie den Abbruch nach vorheriger Beratung innerhalb von 22 Wochen seit Empfängnis von einem Arzt durchführen läßt. Mit Recht ist diese Regelung als "verkappte Fristenlösung" bezeichnet worden, denn entgegen den Forderungen des BVerfG (BVerfGE 39 S. 1, 48) ist innerhalb der ersten 22 Wochen nach Empfängnis dem Selbstbestimmungsrecht der Frau der Vorrang vor dem Lebensschutz der Leibesfrucht eingeräumt worden. AA. LAUFHÜTTE/WIUOTZKI JZ1976 S. 330. - Dagegen überzeugend LACKNER NJW1976 S. 1242 f;

im übrigen vgl. DEUTSCHER RICHTERBUND D R i Z 1975 S. 398; DREHER/TRÖNDLE § 218 Rdn. 8 c; RO-

XIN JA 1981S. 229, 542; RUDOLPHISK, Vor § 218 Rdn. 19 f.

III. Der nicht strafbare Schwangerschaftsabbruch, § 218 a 1. Die rechtstatsächliche Situation Die Entwicklung der Statistik zeigt, daß die soziale Indikation in zunehmendem Maße großzügig gehandhabt wird. Waren es im Jahre 1976 erst 45 %, so wuchs diese Zahl bis zum Jahr 1981 auf 75 % und sodann im Jahre 1986 auf 85 %. Auf die medizinische Indikation kamen 1986: 11,4 % (1981: 20,5 % und 1976: 47 %) und auf die eugenische 1986:1,3 % (1981: 3,2 % und 1976: 4,9 %) der abgebrochenen Schwangerschaften.

Allerdings sind Aussagen, die aus den gemeldeten Schwangerschaftsabbrüchen abgeleitet werden (1976: 24044; 1981: 87535; 1986: 84274) wenig aussagekräftig, da diese Abbrüche nur einen Bruchteil der tatsächlich durchgeführten Abbrüche darstellen. Die Gesamtzahl der Abbrüche liegt nach seriösen Schätzungen zwischen 220 000 und 250 000. Im einzelnen dazu SPIEKER Jura 1987 S. 57 ff; DERS. in: Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht, Nr. 6,1989, S. 41 ff; im übrigen dazu: DREHER/TRÖNDLE Vor § 218 Rdn. 18.

2. Die Voraussetzungen des § 218 a Der legale Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a setzt in jedem Fall die Vornahme des Eingriffs durch einen Arzt sowie die Einwilligung der Schwangeren voraus. Im übrigen ist zu unterscheiden: a) Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs, § 218 a Abs. 1 Gerechtfertigt ist der Abbruch der Schwangerschaft gemäß § 218 a im Falle der medizinisch-sozialen Indikation gemäß § 218 a Abs. 1. Unter den in Absatz 2 näher beschriebenen Umständen ist die Abwendung der konkreten Gefahr für Leben oder Gesundheit der Schwangeren das höherrangige Interesse gegenüber dem Leben des Embryo. Dieser Interessenvorrang rechtfertigt den Abbruch der Schwangerschaft. Der Schwangerschaftsabbruch muß nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den Erfahrungen der ärztlichen Praxis das geeignete und angemessene Mittel sein, um eine konkrete Gefahr für das Leben oder die konkrete Gefahr einer

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Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben

schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden. Als Lebensgefahr kommt auch die Selbstmordgefahr in Betracht; vgl. BGHSt 3 S. 7. - Die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes liegt vor bei der Verursachung oder der Steigerung einer Krankheit sowie bei einer erst aufgrund einer Gesamtwürdigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse zu prognostizierenden signifikanten Verschlechterung der körperlichen oder seelischen Verfassung der Schwangeren. Aber auch dann ist der Schwangerschaftsabbruch nur gerechtfertigt, wenn die Gefahr nicht auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann.

b) Der objektive Strafausschließungsgrund des § 218 a Abs. 2 Der in § 218 a Abs. 2 beschriebene eugenisch, ethisch und sozial indizierte Schwangerschaftsabbruch rechtfertigt die Tat nicht, sondern stellt lediglich einen objektiven Strafausschließungsgrund dar. Die Rechtfertigung einer Verhaltensweise, die zu der Schädigung eines Rechtsguts führt, kommt nur dann in Betracht, wenn nach der Wertentscheidung der Rechtsordnung durch dieses Verhalten ein höherrangiges Interesse wahrgenommen wird. Dieses ist das Grundprinzip jeder Rechtfertigung, an das auch der Gesetzgeber selbst gebunden ist, will er nicht Widersprüche in die Rechtsordnung bringen. Ein derartiger Interessenvorrang ist in den Fällen des Absatz 2 nicht gegeben, denn dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren kommt kein höherer Rang zu als dem ungeborenen menschlichen Leben; dazu auch BVerfGE 39 S. 50. - Auch eine Entschuldigung wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Schwangerschaft kommt nicht in Betracht. Durch Zuordnung zur Schuldebene wird der hier relevante Konflikt in unangemessener Weise als persönlicher Konflikt der Schwangeren gleichsam privatisiert. Nicht beachtet wird dabei die durchaus beachtliche Schuld der Gesellschaft an der Entstehung dieses Konflikts, denn bisher ist die Gesellschaft den Beweis schuldig geblieben, daß sie durch hinreichenden Abbau von Vorurteilen, Bereitstellung von Mitteln und durch die Ermöglichung menschlichen Beistandes das ihr Zumutbare zum Abbau der Konfliktsituation geleistet hat. Diese Verantwortung der Gesellschaft läßt sich nicht in der Person der Schwangeren zum Ausgleich bringen, und auch die Verantwortung des Kindesvaters darf nicht übersehen werden. Schließlich aber ist mit der Anerkennung des Schuldausschlusses der Schwangeren nicht die Straffreiheit des Arztes zu begründen, der seinerseits zum Abbruch rechtlich nicht einmal verpflichtet ist. Die Straffreiheit des Arztes ist aber nach der gesetzlichen Regelung unstreitig, vom Gesetzgeber gewollt und richtig, wenn Schwangere nicht Lebensgefahren beim Abbruch der Schwangerschaft ausgesetzt werden sollen. Sachgerecht erscheint es daher, den Gesetzgeber mit der Kennzeichnung des Schwangerschaftsabbruchs als "nicht strafbar" beim Wort zu nehmen, und hier einen objektiven Strafausschließungsgrund anzuerkennen. Eingehender dazu OTTO NStZ 1990 S. 178 ff; DERS. JR 1990 S. 343 f. - Im übrigen vgl. BELLING Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a StGB haltbar?, 1987, S. 150 f; LANGER JR 1987 S. 261; SPIEKER in: Voss u.a. (Hrsg.), Chance für das ungeborene Leben, 1988, S. 62 ff. Für eine Entschuldigung: BayObLG NJW 1990 S. 2328; DREHER/TRÖNDLE Vor § 218 Rdn. 8 ff. Für Strafunrechtsausschluß: GÜNTHER Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 314 ff. - Für Zurordnung des Verhaltens zum rechtsfreien Raum: ARTHUR KAUFMANN JuS 1978 S. 366 f; SCHILD JA 1978 S. 635. - Für die Interpretation der Indikationen als negative Strafwürdigkeitsvoraussetzungen: SAX J Z 1977 S. 333. Für eine Rechtfertigung: BT-Drucks. 7/4696, S. 7; BERNSMANN ArbuR 1989 S. 13 ff; FROMMELZRP 1990 S. 352 f; GÖSSEL B.T. 1, §. 10 Rdn. 8 ff; GROPP GA 1988 S. 17 ff; HAFT B.T., § 15 I 1; HANACK

§ 13 Abbruch der Schwangerschaft

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M e d R 1988 S. 22; JÄHNKE LK, Vor § 218 Rdn. 22 ff; KÖHLER G A 1988 S. 435 f; KREY B.T. 1, Rdn. 163 f, 171; LACKNER StGB, § 218 a Anm. 1; LMJFHÜTTE/WILKITZKI J Z 1976 S. 331; LENCKNER G A 1985 S. 306; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 6 Rdn. 15; ROXIN JA 1981 S. 229; RUDOLPHI SK, § 218 a Rdn. 1; SCHMIDHÄUSER B.T., 3 / 2 ; SCH/SCH/ESER § 218 a Rdn. 5; WESSELS

B.T.-l, § 4IV.

Gegen die Rechtfertigungsthese bringen verfassungsrechtliche Einwände z.B. vor: BOSCH NJW 1987 S. 2630; BURMEISTER JR 1989 S. 52 ff; ESSER M e d R 1983 S. 57; GEIGER F a m R Z 1986 S. 1 ff; DERS. Jura 1987 S. 60 ff; GRITSCHNEDER M e d R 1984 S. 99, 101; KLUTH F a m R Z 1985 S. 440; DERS. G A 1988 S. 547 ff; LECHLER M e d R 1985 S. 214, 216; MOLLER NJW 1984 S. 1798,1802; REIS D a s Lebensrecht des

ungeborenen Kinds als Verfassungsproblem, 1984, S. 157 ff; R. SCHMITT JZ 1975 S. 357; TRÖNDLE Jura 1987 S. 66 ff. Ein Lebensrecht des Embryos wird gänzlich verneint von HOERSTER JUS 1989 S. 170 ff.

aa) Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund eugenischer (embryopathischer oder ländlicher) Indikation ist bis zum Ende der 22. Woche nach der Empfängnis zulässig, § 218 a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3. Dringende Gründe sprechen für die Annahme einer Schädigung, wenn die festgestellten Symptome die konkrete Gefahr der Schädigung befürchten lassen. Maßgeblich ist die Situation der jeweiligen Schwangeren. Läßt sich die Gefahr der Schädigung bei bestimmten Krankheiten nur prozentual nach ärztlichen Erfahrungswerten abschätzen, so muß ein Prozentsatz von 25 % genügen. S o auch: LACKNER StGB, § 218 a Anm. 4 a; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 6 Rdn. 21;

RUDOLPHI SK, § 218 a Rdn. 32. - A.A. BEULKE FamRZ 1976 S. 599 (lehnt jede prozentuale Festlegung ab); DREHER/TRÖNDLE § 218 a Rdn. 16; JÄHNKE LK, § 218 a Rdn. 56 (es genügen 8 - 1 0 %).

Die zu erwartende Schädigung muß so schwer wiegen, daß Pflege und Erziehung des kranken Kindes die Mutter zeitlich, kräftemäßig und wirtschaftlich überfordern würden. Dazu BT-Drucks. VI/3434 S. 24; BVerfGE 39 S. 49.

Führt der Schwangerschaftsabbruch zur Geburt eines geschädigten lebenden Kindes, so ist dessen Tötung nicht straffrei, weil der Schwangerschaftsabbruch straffrei gewesen wäre. Eine Ausnahme bilden hier die Fälle der sogenannten Früheuthanasie, vgl. oben § 6 II 5. - Liegen deren Voraussetzungen vor, so ist auch ein Schwangerschaftsabbruch unabhängig von der im Gesetz genannten Frist gerechtfertigt. D a z u EBERBACH JR 1989 S. 267 f; HANACK Noll-Gedächtnisschrift, S. 202 ff; HLERSCHE/JÄHNKE M D R 1986 S. 1 ff; JÄHNKE LK, § 218 a Rdn. 6; KREY B.T.l, Rdn. 169 a f.

bb) Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund ethischer (kriminologischer und humanitärer) Indikation ist bis zum Ende der 12. Woche nach der Empfängnis zulässig, § 218 a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3. Vorausgesetzt wird eine rechtswidrige - nicht notwendig schuldhafte - Tat gemäß §§ 176 - 179. Dringende Gründe, d.h. Annahmen, die auf konkreten Indizien beruhen, müssen dafür sprechen, daß die Schwangerschaft ihren Grund in der Tat hat. cc) Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund sozialer Indikation (Notlagenindikation) ist bis zum Ende der 12. Woche nach der Empfängnis zulässig, § 218 a Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3. Nach dem Gesetzeswortlaut muß die Gefahr einer Notlage drohen, die so schwerwiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, und die darüber hinaus für die Schwangere nicht auf andere zumutbare Weise abwendbar ist. Rechtsprechung und Literatur betonen daher auch,

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Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben

daß wirtschaftliche oder familiäre Schwierigkeiten, soweit sie nicht extrem sind, insbesondere z.B. der Wunsch, die berufliche Karriere nicht zu beeinträchtigen oder den bisherigen Lebensstandard nicht zu gefährden, keine soziale Indikation begründen können. V g l . B V e r f G E 39 s. 50-, B a y O b L G N J W 1990 S . 2328; D R E H E R / T R O N D L E § 2 1 8 a RDN. 26; JÄHNKE L K , § 2 1 8 a R d n . 6 5 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 6 R d n . 24; PHILIPP J u r a 1 9 8 7 S . 8 8 ; ROXIN J A 1 9 8 1 S . 230; R U D O L P H I S K , § 2 1 8 a R d n . 43; S C H / S C H / E S E R § 2 1 8 a R d n . 47; TRÖNDLE J u r a 1987 S . 74.

In der Praxis ist die Notlagenvoraussetzung vielfach zur Farce geworden. Jede Beeinträchtigung der "Persönlichkeitsentfaltung" wird letztlich als hinreichende Notlage akzeptiert. Geradezu mit Empörung werden in der sog. emanzipatorischen Literatur Fälle geschildert, in denen Arzte oder Beratungsstellen eine dem Gesetzeswortlaut entsprechende Notlage fordern. Vgl. z.B.: FRAUENAKTION DORTMUND (FAD) Schwangerschaft und der neue § 218,1976, S. 126 ff; KÖNIG Gewalt über Frauen, 1980, S. 172 f, 185 f, 259 ff; PRO FAMILIA BREMEN Wir wollen nicht mehr nach Holland fahren, 1980. Kritisch zur Interpretation der sozialen Indikation durch "Pro Familia" auch: TALLEN § 218, Zwischenbilanz einer Reform, 1980, S. 38 ff.

3. Mitwirkungspflicht Dritter Nach Art. 2 des 5. StrRG ist niemand verpflichtet, an einem legalen Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, es sei denn, es gilt von der Schwangeren eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden. In allen anderen Fällen ist auch ein Arzt nicht zur Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch verpflichtet.

IV. Das Beratungs- und Feststellungssystem des Gesetzes, §§ 218 b, 219, 219 a Den als notwendig erkannten Schutz des ungeborenen Lebens wollte der Gesetzgeber durch eine Beratung zugunsten des Lebens erhöhen. Über diese Zielsetzung einer Beratung "zum Leben", die allerdings nicht als Bevormundung gedacht werden kann, bestand beim Erlaß des Gesetzes Einmütigkeit im Parlament. Inzwischen hat die Erörterung des sogenannten Beratungsgesetzes gezeigt, daß dieser Konsens nicht mehr besteht. Es wird gefordert, die Beratung inhaltlich als gleichberechtigte Information über Abtreibungsmöglichkeiten und Lebensschutz auszugestalten. Im einzelnen zur Auseinandersetzung einerseits: KÖHLER J Z 1988 S. 904 ff; andererseits: TRÖNDLE Geiger-Festschrift, S. 190 ff.

1. Verstöße gegen das für die Zulassung des Eingriffs vorgeschriebene Verfahren erfassen die §§ 218 b (Verstoß gegen die Beratungspflicht), 219, 219 a (Verstoß gegen die Feststellungspflicht). a) § 218 b Abs. 1 umschreibt den Inhalt der erforderlichen sozialen (Nr. 1) und ärztlichen (Nr. 2) Beratung. - Abs. 2 zählt die Beratungsstellen auf und nennt die allerdings im Falle 2c recht dürftigen - Qualifikationsmerkmale des Beraters. - Abs. 3 erklärt die soziale Beratung für überflüssig, wenn die Indikation medizinisch bedingt ist.

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Die Strafvorschrift wendet sich im Regelfall an den Arzt, da Laien bereits grundsätzlich nach § 218 Abs. 1 haften, § 218 b Abs. 1. - § 34 ist durch diese Regelung aber nicht ausgeschlossen.

b) § 219 stellt klar, daß der den Eingriff vornehmende Arzt einerseits eigenverantwortlich über das Vorliegen der im Gesetz vorgesehenen Indikation entscheidet, andererseits aber auf die Feststellungen durch einen "neutralen Fachmann" nicht verzichtet wird. Wie die Erfahrungen jedoch gezeigt haben, handelt es sich hier nur um einen scheinbar erhöhten Schutz durch einen "neutralen Fachmann", da § 218 b Abs. 2 Nr. 2 c die wechselseitige Arbeitsteilung (Beratung - Vollzug des Eingriffs) zwischen zwei Ärzten durchaus ermöglicht. c) Die unrichtige Feststellung einer Indikation durch den Arzt "wider besseres Wissen" ist nach § 219 a Abs. 1 strafbar. Dazu im einzelnen: LACKNER NJW1976 S. 1241; LAUFHÜTrE/WlLKITZKI JZ1976 S. 329 ff.

2. Die Schwangere selbst ist in keinem der hier genannten Fälle strafbar, §§ 218 b Abs. 1 S. 2,219 Abs. 1 S. 2,219 a Abs. 2. 3. Angesichts der Tatsache, daß in der Situation der §§ 218 b, 219, 219 a der Schwangerschaftsabbruch selbst straflos ist - da nach ihrer Subsidiaritätsklausel die §§ 218 b, 219, 219 a nur auf Fälle beschränkt sind, die nicht bereits unter § 218 fallen kann die Kriminalstrafe kaum als angemessene Reaktion auf diese Pflichtverletzung angesehen werden. Sie hat vielmehr nur noch Alibifunktion gegenüber dem Vorwurf, dem ungeborenen Leben Strafrechtsschutz zu versagen. Dies zeigt die Kriminalstatistik hinreichend deutlich. Gemäß §§ 219, 219 a sind seit Inkrafttreten des Gesetzes bis zum Jahre 1987 nur 3 Personen verurteilt worden, nach § 218 b erfolgten in derselben Zeit insgesamt 6 Verurteilungen.

V. Strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs Als Abstrakte Gefährdungsdelikte stellen § 219 b die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft und § 219 c das In-Verkehr-Bringen von Mitteln zum illegalen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe.

VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 1. Grundlagen der Argumentation Aufgrund der Trennung zwischen den Rechtsgütern der Schwangeren und denen des Embryos kommt die h.M. zu dem Ergebnis, daß die Rechtsgüterverletzungen auch dann strafrechtlich nebeneinander zu erfassen sind, wenn der Angriff sich nicht nur gegen den Embryo richtet, sondern zugleich gegen die Schwangere selbst. Übersehen wird dabei, daß Schwangere und Embryo bis zur Geburt eine natürliche Einheit bilden, die allerdings aus Gründen des Rechtsschutzes gedanklich getrennt werden kann und in den Fällen auch getrennt werden muß, in denen sich der Angriff gegen den Embryo richtet und der Körper der Schwangeren über das zur Tötung des Embryos notwendige Maß hinaus nicht verletzt werden soll. Überall dort, wo sich der Angriff gegen die Person der Schwangeren richtet, ist die Trennung der Rechtsgüter

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unangemessen. Der Anwendungsbereich der §§ 218 ff ist restriktiv auf die Fälle des vorsätzlichen Angriffs auf den Embryo, der die Schwangere gerade nicht über dessen Abtötung hinaus beeinträchtigen soll, zu begrenzen. Wird dagegen die Trennung grundsätzlich akzeptiert, so wird einerseits der Strafrechtsschutz überhöht, indem Angriffe gegen das Leben einer Schwangeren auch als Abtreibung des Embryos erfaßt werden, zum anderen jedoch nivelliert, weil fahrlässige Verletzungen des Embryos strafrechtlich nicht erfaßbar sind: Der Schutz der §§ 218 ff setzt einen vorsätzlichen Angriff voraus, der Schutz der §§ 223 ff, 211 ff beginnt erst mit der Geburt. Damit sind Einwirkungen auf den Embryo vor der Geburt mit Wirkungen nach der Geburt strafrechtlich nicht erfaßt. 2. Zur Verdeutlichung a) BGHSt 11 S. IS: Der A fuhr mit seinem Kraftwagen von rückwärts seine auf dem Rad fahrende, nichts ahnende schwangere Ehefrau mit voller Wucht an, so daß sie durch die Luft geschleudert wurde und 12 m vom Ort des Anpralls entfernt liegenblieb. Sie erlitt schwere Verletzungen. Ihre Leibesfrucht wurde nicht abgetötet. BGH: A ist wegen versuchten Mordes in Idealkonkurrenz mit versuchter Abtreibung zu bestrafen. Nach der hier vertretenen Auffassung käme nur eine Bestrafung wegen versuchten Mordes in Betracht. Zur Problematik vgl. auch JÄHNKE LK, § 218 Rdn. 8. b) Die im 7. Monat schwangere S begeht einen Selbstmordversuch mit Gift. - Als sie besinnungslos ist, wird sie entdeckt. Sofort eingeleitete ärztliche Maßnahmen führen zur Rettung ihres Lebens, der Embryo ist jedoch nicht mehr zu retten. Ergebnis: Nach der hier vertretenen Konzeption bleibt die S straffrei. - Die h.M. muß die S wegen Abtreibung bestrafen, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 218 Abs. 3 S. 3. Z u r h . M . vgl. DREHER/TRÖNDLE § 218 R d n . 5; JÄHNKE LK, § 218 R d n . 9; ROXIN J A 1981 S. 543;

RUDOLPHISK, § 218 Rdn. 7; SCH/SCH/ESER § 218 Rdn. 11. - Dagegen: BOCKELMANN B.T./2, § 2 1 2 b; JESCHECK J Z 1 9 5 8 S. 749; SCHMIDHÄUSER B.T., 3 / 1 5 .

c) BGHSt 28 S. 11 mit Anm. WAGNER JR 1979 S. 295 f: A führte Abtreibungshandlungen durch, indem er Seifenlösungen in die Gebärmutter Schwangerer spritzte. (1) Die U erlitt daraufhin erhebliche Schmerzen und eine Fehlgeburt. (2) Die S erlitt erhebliche Schmerzen, die Abtreibung jedoch führte nicht zu dem gewünschten Erfolg. (3) Die Z stieß aufgrund der Tätigkeit des A einen toten Fetus ab und verstarb selbst. BGH: Fall U: § 218 Abs. 1, verdrängt §§ 223,223 a. Fall S: §§ 218 Abs. 1,23,223 a, 52. Fall Z: §§ 218 Abs. 1,226,52. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dem BGH in vollem Umfang zuzustimmen. Die mit der Abtreibung im Regelfall verbundene Körperverletzung gegenüber der Schwangeren wird durch § 218 Abs. 1 konsumiert (Fall U). Kommt es bei der Abtreibung jedoch zu Verletzungen im Sinne der §§ 224, 225, 226, so behalten diese ihre Selbständigkeit (Fall Z). Gelangt die Abtreibung aber nur bis zu dem Versuchsstadium, so erhält auch die vollendete Körperverletzung im Sinne des § 223 a ihre eigenständige Bedeutung bei (Fall S), denn sie wird nicht schon bei einer versuchten Abtreibung im Regelfall als vollendete Körperverletzung verwirklicht. d) BVerfG NJW 1988 S. 2945: Durch eine fehlerhafte Diagnose bewirkte der Arzt A, daß das noch ungeborene Kind im Mutterleib verstarb. BVerfG: Fahrlässige pränatale Einwirkungen mit tödlichen Folgen sind strafrechtlich nicht erfaßt. Dazu auch: OLG Bamberg NJW 1988 S. 2963; EBERBACH JR 1989 S. 267; OSTENDORF J Z 1984 S. 597 f.

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Nach der hier vertretenen Auffassung wäre der Sachverhalt als fahrlässige Körperverletzung der Schwangeren strafrechtlich zu erfassen gewesen. Zur Körperverletzung gegenüber der Schwangeren bei Tötung der Leibesfrucht auch: ARZT FamRZ 1983 S. 1020. e) Im übrigen vgl. oben § 2,1 a.

Dritter Abschnitt Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit § 14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Die Tat richtet sich gegen einen anderen lebenden Menschen, dazu oben § 2,1.

II. Die Systematik des Gesetzes 1. Der Grundtatbestand der Körperverletzungsdelikte ist: § 223 Abs. 1. Qualifikationen sind: §§ 223 Abs. 2, 223 a, 223 b (soweit er Körperverletzungen betrifft), 225, 229 Abs. 1, 340 Abs. 1. - Erfolgsqualifizierte Körperverletzungsdelikte sind beschrieben in den §§ 224,226, 229 Abs. 2,340 Abs. 2. 2. Fahrlässige Körperverletzung: § 230. 3. Die Beteiligung an einer Schlägerei, § 227, ist weniger Körperverletzungsdelikt als ein "Massendelikt", das dem Schutz der Allgemeinheit vor Körperverletzungen dient. 4. § 223 b ist gegenüber den Körperverletzungsdelikten als Sonderdelikt anzusehen, soweit er seelische Qualen betrifft; dazu unter § 201.

§ 15: Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 Abs. 1 1. Körperliche Mißhandlung und Gesundheitsbeschädigung Der Tatbestand des § 223 Abs. 1 enthält zwei Alternativen: Die körperliche Mißhandlung und die Gesundheitsbeschädigung. a) Körperliche Mißhandlung ist die "üble unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperlichen Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt wird". Dazu: BGHSt 14 S. 269; DREHER/TRÖNDLE § 223 Rdn. 3; HIRSCH LK, § 223 Rdn. 6; KREY B.T.l, R d n . 189; LACKNER S t G B , § 2 2 3 A n m . 3 a; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 3.

HORN - SK, § 223 Rdn. 8 - will auch unerhebliche Einwirkungen auf den Körper, sofern sie von einer üblen unangemessenen Gesinnung charakterisiert sind, hierher zählen. Damit wird jedoch die Grenze zur Beleidigung verwischt; dazu auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 4.

Die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit braucht nicht notwendig z.B. bei schmerzunempfindlichen oder vermindert schmerzempfindlichen Personen mit beträchtlichen Schmerzen verbunden zu sein. Beispiele: Abscheren des Bartes (aA. RGSt 29 S. 58), Abschneiden der Haare (BGH NJW 1953 S. 1440), Schläge gegen den Kopf einer Person, die aufgrund einer Geisteskrankheit kein Schmerzempfinden zeigt (RGSt 19 S. 136), Ohrfeige (BGH bei Dallinger, MDR 1973 S. 901), schweren Ekel erregendes Anspeien (RG GA 58 (1911) S. 184; SCH/SCH/ESER § 223 Rdn. 4. - A A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 4).

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aa) Eine übermäßige Schmerzempfindung (Hyperästhesie) ist bei der Beurteilung der Erheblichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen. - Damit wird der Strafrechtsschutz nicht zu Lasten des Täters ausgedehnt: Kennt der Täter die Hyperästhesie des Opfers nicht, so fehlt es ihm am Vorsatz. Ist sie ihm jedoch bekannt und baut er gerade auf ihr seinen verbrecherischen Plan auf, so trifft die Strafe ihn mit Recht. Wie hier: SCH/SCH/ESER § 223 Rdn. 4 a. - A A . HIRSCH LK, § 223 Rdn. 7.

bb) Seelische Beeinträchtigungen sind nur dann als körperliche Mißhandlung anzusehen, wenn sie sich körperlich auswirken. b) Gesundheitsbeschädigung ist das Herbeiführen oder die Steigerung eines nicht unerheblichen anomalen körperlichen Zustandes, unabhängig von dessen Dauer. Die Ansteckung eines anderen mit einer Krankheit, zum Beispiel die Infizierung mit Aids, ist daher tatbestandsmäßig, weil der körperliche Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändert wird. Vgl. dazu BGHSt 36 S. 1,6 f m.e.N; BGH NJW1990 S. 129. - A A . AG Kempten NJW 1988 S. 2313; PRTITWITZ StV 1989 S. 126 f.

Bloße Störungen des seelischen Wohlbefindens, die keine Verschlechterung des körperlichen Zustandes zur Folge haben, reichen nicht aus. Vgl. OLG Hamm MDR 1958 S. 939; DREHBR/TRÖNDLE § 223 Rdn. 6; HORN SK, § 223 Rdn. 23; LACKNER StGB, § 223 Anm. 3 b. - A A . KREY B.T.l, Rdn. 195; SCH/SCH/ESER § 223 Rdn. 6; WELZEL Lb., § 3 9 1 1 b. Beispiele für Gesundheitsbeschädigung: Erregung von Trunkenheit (BGH NJW 1983 S. 462) oder sonstigen Rauschzuständen (BGH NJW 1970 S. 519); nervliche Zerrüttung durch lautstarkes Anfahren von Lastwagen zur Nachtzeit in Wohngegend (LG Kreuznach BB 1957 S. 93); wiederholte nächtliche Störanrufe (LG Hamburg MDR 1954 S. 630); schwerer Schock (OLG Koblenz VRS 42 S. 29); Aufrechterhalten von Tablettensucht (OLG Frankfurt NStZ 1988 S. 25); Verabreichung von Drogenausweichmitteln (AG Landau StV 1989 S. 536).

2. Der ärztliche Heileingriff BGHSt 11 S. 111: A, der Chefarzt eines Krankenhauses, nahm bei der N eine Operation vor, mit der eine Gebärmuttergeschwulst entfernt werden sollte. Während der Operation ergab sich, daß die Geschwulst nicht auf der Gebärmutter saß, sondern mit ihr fest verwachsen war. Weil sie nicht anders als durch gleichzeitige Ausräumung der Gebärmutter beseitigt werden konnte, entfernte A den ganzen Gebärmutterkörper.

Die Frage, ob der ärztliche Heileingriff eine körperliche Mißhandlung darstellt, ist streitig. a) Die Rechtsprechung geht davon aus, daß der ärztliche Heileingriff stets eine körperliche Mißhandlung darstellt. - Allerdings kann die Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsverletzung durch Einwilligung ausgeschlossen sein. BGHSt 11 S. 111; 16 S. 309; OLG Hamm MDR 1963 S. 520; OLG Hamburg NJW 1975 S. 603; zustimmend: WEBER in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 320; BAUMANN NJW 1958 S. 2093; KREY B.T.l, Rdn. 219; SCHWALM Bockelmann-Festschrift, S. 540.

b) In der Lehre wird z.T. die Ansicht vertreten, ein lege artis durchgeführter Heileingriff sei niemals eine Körperverletzung: der zu Heilzwecken vorgenommene Eingriff in die körperliche Integrität sei keine "üble unangemessene Behandlung des Körpers", sondern ein sinnvoller, angemessener Eingriff. Dazu ENGISCH ZStW 58 (1939) S. 5; EB. SCHMIDT 44. DJT-Gutachten, 1962, 4. Teil, S. 188 ff; WELZEL Lb., § 3 9 1 3 a.

c) Die heute wohl h.L. will hingegen nur in dem gelungenen, zur Heilung führenden, lege artis durchgeführten Heileingriff keine Körperverletzung sehen.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

D a z u BOCKELMANN B . T . / 2 , § 9 M 2 c, bb; GÖSSEL B.T. 1, 5 13 R d n . 68; HIRSCH LK, V o r § 223 R d n . 3 ff; MAURACH /SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 8 R d n . 29; SCHMIDHÄUSER B.T. 1 / 5 .

d) Wieder andere verneinen nur dann eine Körperverletzung, wenn der Eingriff nicht zu einem Substanzverlust oder zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation des Patienten geführt hat. D a z u HARDWIG G A 1 9 6 5 S. 161 ff; SCHRÖDER N J W 1 9 6 1 S . 951 ff; SCH/SCH/ESBR § 223 R d n . 32 ff. - Weiter differenzierend: KRAUS Bockelmann-Festschrift, S. 574 ff.

e) Stellungnahme: Der lege artis vorgenommene, erforderliche Heileingriff führt zu einer Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. Er ist daher keine negative Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und damit auch keine Körperverletzung, selbst wenn es zu einem Substanzverlust kommt. - Der erfolglos gebliebene oder zu einer Verschlechterung führende Eingriff hat hingegen objektiv eine negative Beeinträchtigung der Körperintegrität zur Folge. - Wird "üble unangemessene Behandlung" als körperlich negative unangemessene Behandlung interpretiert und nicht als ein besonderer über die objektive Körperverletzung hinausweisender Handlungsunwert, so muß ein solcher Eingriff als Körperverletzung angesehen werden. Zuzustimmen ist daher der Lehre, die den gelungenen, lege artis durchgeführten Heileingriff nicht als Körperverletzung ansieht; vgl. dazu oben c). Keine Körperverletzung ist daher nur der gelungene lege artis durchgeführte Heileingriff. f) Der nicht medizinisch indizierte Heileingriff, z.B. eine kosmetische Operation, die nur aus ästhetischen, nicht aber medizinischen Gründen erfolgt, und der nicht lege artis durchgeführte Eingriff sind tatbestandsmäßige Körperverletzungen. D a z u MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 8 R d n . 38.

g) Die Tatsache schließlich, daß der Täter die Seele des Opfers über den Eingriff in die körperliche Integrität bessern will - A prügelt den boshaften B durch, um seine Seele zu bessern -, ändert nichts daran, daß es sich hier um eine Körperverletzung handelt. H . M . - A A . WÜRTENBERGER D R Z 1 9 4 8 S. 291 ff.

II. Zur Rechtswidrigkeit Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen kommen bei den Körperverletzungsdelikten der Einwilligung sowie nach h.M. der "mutmaßlichen Einwilligung" und dem Züchtigungsrecht besondere Bedeutung zu. 1. Die Einwilligung a) Voraussetzungen aa) Der Einwilligende muß über das betroffene Rechtsgut verfügen können. bb) Die Einwilligung muß sich aal künftiges Verhalten beziehen. cc) Die Einwilligung muß/rei, d.h. ohne Willensmangel, und ernstlich erklärt sein. dd) Der Einwilligende muß sich der Tragweite seiner Entscheidung bewußt sein und den Sachverhalt - Art des Eingriffs, Risiko, Folgen, eingreifende Person - in groben Zügen kennen. ee) Subjektives Merkmal: Kenntnis der Einwilligung durch den Täter.

§ 15 Die Körperverletzung

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ff) Die Tat - Körperverletzung - darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen, § 226 a. - Die Sittenwidrigkeit der Tat will die h.M. nach dem Zweck der Beeinträchtigung bestimmen. Richtiger ist es jedoch, die Sittenwidrigkeit der Tat nach der Schwere der tatbestandlichen Verletzung zu bestimmen. Eingehender dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., $ 8 m 1. - Zur Stellung der Einwilligung im Verbrechensaufbau: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 III 2.

b) Einwilligung in Sportverletzungen Bei der Verletzung von Teilnehmern sportlicher Wettkämpfe erkennt die Praxis die Möglichkeit einer Rechtfertigung durch Einwilligung an. BayObLG NJW 1961 S. 2072: Bei einem FuBballverbandsligaspiel stießen der Stürmer A und der Torwart M so stark zusammen, daß der M einen Bruch des linken Schien- und Wadenbeins erlitt. BayObLG: Erfolgt eine Körperverletzung bei einem gegeneinander ausgetragenen Wettkampf, so ist diese durch Einwilligung gerechtfertigt, soweit sie nicht auf grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verstoß gegen die Regeln beruht. OLG Stuttgart MDR 1972 S. 623: A und N begannen einverständlich eine Prügelei, wobei A dem N mit der Faust eine Platzwunde beibrachte. OLG Stuttgart: Durch Einwilligung sind nicht nur typische Verletzungen bei sportlichen Veranstaltungen gerechtfertigt, sondern auch Körperverletzungen bei normalen körperlichen Auseinandersetzungen, wie sie sich z.B. im Anschluß an einen Bierzeltbesuch ergeben. Auch hier gelten gewisse Kampfregeln, und die Auseinandersetzung ist nicht mit ernster Gefahr für Leib und Leben verbunden.

Der Gedanke der Einwilligung trägt jedoch in diesen Fällen nicht, denn der Teilnehmer an einem Wettkampf will eigene körperliche Verletzungen vermeiden, er willigt aber nicht in diese ein. Dazu bereits EsER JZ1978 S. 368 ff; SCHILD Jura 1982 S. 520 ff.

Begibt sich der Teilnehmer an einem Wettkampf jedoch frei verantwortlich und in Kenntnis der möglichen Folgen seines Verhaltens in eine Gefahrensituation, so liegt insoweit eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, die einen durch das Handeln anderer Teilnehmer begründeten Zurechnungszusammenhang unterbricht. Dazu eingehend OTTO Tröndle-Festschrift S. 170 ff, 174. OLG Zweibrücken Blutalkohol 1965/66 S. 388: A und S hatten an einer Betriebsfeier teilgenommen und Alkohol in erheblichen Mengen getrunken. Anschließend fuhr A (1,37 o/oo Blutalkohol) mit dem Kfz nach Hause. S fuhr mit, obwohl er wußte, daß A getrunken hatte. Es kam zu einem Unfall. S wurde leicht verletzt. OLG Zweibrücken: Ist sich der Mitfahrer der Gefährdung durch die Fahruntüchtigkeit des Fahrers bewußt, so kann im bloßen Mitfahren bereits eine rechtfertigende Einwilligung in die Körperverletzung liegen. Sachgerechter erscheint es auch hier, eine Unterbrechung des von A begründeten Zurechnungszusammenhangs durch eigenverantwortliche Selbstgefährdung anzunehmen, da S bewußt das Risiko, das sich in seiner Verletzung realisierte, auf sich nahm. Vgl. auch GRUNDKURS STRAFRECHT A.T., § 6 II 3 b.

2. Die sogenannte mußmaßliche Einwilligung Nach h.M. kann in Fällen einer rechtlich zulässigen, aber tatsächlich fehlenden Einwilligung ein Verhalten durch eine sogenannte mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn eine Einwilligung des Berechtigten nicht zu erlangen ist, aber gemutmaßt werden kann, weil der Rechtsgütereingriff in seinem Interesse erfolgt. Die mutmaßliche Einwilligung soll einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund bilden.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Vgl. B G H S t 16 S. 312; 3 5 S. 249; D R E H E R / T R Ö N D L E V o r § 3 2 R d n . 4; HIRSCH LK, V o r § 3 2 R d n . 129; HRUSCHKA Dreher-Festschrift, S. 205; SCH/SCH/LENCKNER V o r § 3 2 R d n . 56.

Diese Ansicht ist auf der unrichtigen Auffassung gegründet, daß im Rahmen der Rechtfertigung des § 34 nur eine objektive Interessen- und Güterabwägung stattfinden kann. Das aber ist unrichtig, denn auch die Berücksichtigung subjektiver Interessen ist in § 34 nicht ausgeschlossen. Wird dieses erkannt und zugleich beachtet, daß die sogenannte mutmaßliche Einwilligung überhaupt kein eigenständiges Kriterium bietet, wann die Einwilligung gemutmaßt werden darf, so ist einsichtig, daß der mutmaßlichen Einwilligung keine Eigenständigkeit als Rechtfertigungsgrund zukommt. In den relevanten Fällen ist eine Prüfung der Rechtfertigung nach den Kriterien des § 34 vorzunehmen. D a z u e i n g e h e n d e r : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 I V .

3. Das Züchtigungsrecht Das Züchtigungsrecht beruht auf dem familienrechtlichen Erziehungsrecht, vgl. dazu §§ 1626, 1631, 1705, 1800 BGB. Es ist in seiner Existenz streitig, doch übersehen die Gegner, daß schwerere Eingriffe in die körperliche Integrität in keinem Fall durch das Züchtigungsrecht gerechtfertigt sind, so daß das Züchtigungsrecht nicht als Deckmantel für schwere Körperverletzungen dienen kann. Vgl. D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 2 3 Rdn. 10 ff; HIRSCH LK, § 2 2 3 Rdn. 22; S C H / S C H / E S E R § 2 2 3 R d n . 20.

- A A U. SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987, S. 210 ff m. e. N. in Fn. 87.

Voraussetzungen: a) Hinreichender Anlaß zum erzieherischen Eingriff des Erziehungsberechtigten. b) Angemessenheit zur Erreichung des erzieherischen Zwecks, wobei insbesondere Alter, körperliche Konstitution, Geschlecht u.a. zu beachten sind. c) Nur maßvolle Züchtigung kann überhaupt gerechtfertigt werden. d) Subjektiv: Handeln mit Erziehungswillen. Eingehender dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 V 4; insbesondere zum Züchtigungsrecht des Lehrers: § 8 V 4 c.

III. Aszendentenverletzung, § 223 Abs. 2 Gemäß § 223 Abs. 2 ist die Körperverletzung qualifiziert, wenn sie sich gegen Aszendenten (Eltern, Großeltern) richtet.

IV. Zur Bestrafung 1. Der Versuch der einfachen Körperverletzung ist straflos. 2. Antrags- und Privatklagedelikt Die einfache Körperverletzung ist ein durch das Fehlen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bedingtes Antragsdelikt, § 232. a) Grundsätzlich setzt die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens einen Strafantrag des Verletzten voraus, §§ 77 ff. Sodann Möglichkeit der Privatklage, § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO, oder, bei "öffentlichem Interesse", das öffentliche Verfahren, § 376 StPO.

§ 15 Die Körperverletzung

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b) Ist aber ein "besonderes öffentliches Interesse" zu bejahen, so kann die Staatsanwaltschaft auch ohne Strafantrag die öffentliche Klage erheben, § 232. 3. Kompensation, § 233 Gemäß § 233 besteht die Möglichkeit der Kompensation von leichten Körperverletzungen mit leichten oder fahrlässigen Körperverletzungen oder Beleidigungen, soweit diese auf der Stelle erwidert werden. - Das ist der Fall, solange der durch die Ersttat ausgelöste Erregungszustand anhält. Der Gesetzgeber berücksichtigt damit die Gemütserregung des zuerst Angegriffenen sowie die Tatsache, daß der zuerst Angreifende mit der Reaktion des Angegriffenen bereits "seine Strafe" erhalten hat. a) Kompensationsfähig sind nur Körperverletzungen, die den Unrechtstatbestand der §§ 223,230 erfüllen, und rechtswidrige Beleidigungen gemäß §§ 185 ff. b) Erfolgt die Ersttat durch einen Schuldunfähigen, so ergibt sie keine Kompensationsgrundlage. Die Körperverletzung durch einen Schuldunfähigen zur Vergeltung der Ersttat ist hingegen wirksame Kompensationsgrundlage. c) Bei irriger Annahme einer Ersttat wird z.T. eine Anwendung des § 233 bejaht, § 16 Abs. 2 analog. Die Gegenmeinung verlangt das tatsächliche Vorliegen einer tatbestandsmäßigen rechtswidrigen Ersttat. Der erstgenannten Meinung ist zu folgen, denn auch wenn § 233 keine Notwehrlage betrifft, handelt es sich doch um Verhaltensweisen im Grenzbereich zur Notwehr, die § 233 unter privilegierende Strafzumessungsgrundsätze stellt. So auch: OLG Hamm GA 1972 S. 29; OLG Köln MDR 1973 S. 688; DEUBNER NJW 1967 S. 63; HIRSCH L K , § 2 3 3 R d n . 13; LACKNER S t G B , § 1 9 9 A n m . 2. - A A . D R E H E R / T R Ö N D L E $ 1 9 9 R d n . 1; KÜPER J Z 1 9 6 8 S . 6 5 1 ff; SCH/SCH/LENCKNER § 1 9 9 R d n . 7; R U D O L P H I S K , § 1 9 9 R d n . 8.

d) § 233 findet auch Anwendung, wenn der behauptete erste Angriff nicht erwiesen ist. Als privilegierende Strafzumessungsregel betrifft § 233 materielles Strafrecht, auf das der Grundsatz in dubio pro reo Anwendung findet. Dazu BGHSt 10 S. 373. - A A . DREHER/TRÖNDLE § 199 Rdn. 1 zur entsprechenden Problematik bei §199.

§ 16: Die gefährliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 223 a Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, § 223 a, qualifiziert den § 223 Abs. 1 wegen der gefährlichen Begehungsweise der Körperverletzung. Bei der Körperverletzung mittels einer Waffe, eines Messers oder anderen gefährlichen Werkzeugs handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die Ausführungsweise der Körperverletzung muß die Gefahr einer erheblichen Körperverletzung begründen. - Bei den drei anderen Ausführungsweisen (hinterlistiger Überfall, von mehreren gemeinschaftlich, das Leben gefährdende Behandlung) genügt die Begründung der abstrakten Gefahr einer erheblichen Körperverletzung.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Einheitlich als konkretes Gefährdungsdelikt wird § 223 a interpretiert von HIRSCH LK, § 223 a Rdn. 3; LAMPE ZStW 83 (1971) S. 177 ff.

II. Die einzelnen Tatmittel 1. Gefährliches Werkzeug Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ist das geßhrüche Werkzeug der Oberbegriff der 1. Ausführungsart, während die Waffe - hier im technischen Sinne zu verstehen und das Messer nur Beispiele für besonders gefährliche Werkzeuge sind. Gefährlich ist ein Werkzeug, das als Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach seiner konkreten Anwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. - Gefährliche Werkzeuge im Sinne der Vorschrift sind nicht nur mechanisch wirksame Objekte, sondern alle Gegenstände, deren Verwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Aus dem Wortsinn "Werkzeug" wird z.T. geschlossen, daß das Werkzeug ein beweglicher Gegenstand sein müsse. Vom Zweck der Vorschrift, konkret gefährliche Körperverletzungen zu vermeiden, ist diese Differenzierung nicht überzeugend. - Körperteile sind keine Werkzeuge i.S. des § 223 a; BGH GA 1984 S. 124 f. Beispiele: Schuh, wenn nach Art des Einsatzes oder der Beschaffenheit erhebliche Körperverletzungen zu befürchten sind (vgl. BGH StV 1988 S. 62; OLG Düsseldorf NJW1989 S. 920); Kleiderbügel, bei Schlägen ins Gesicht, nicht hingegen bei Schlägen aufs Gesäß (BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 367); Zange oder Schere, bei Stößen gegen den Körper, nicht hingegen, wenn eine ärztliche Zange bei einer Operation verwendet wird, da durch die sachgerechte Verwendung eines Werkzeugs bei einer Operation gerade erhebliche, über den Eingriff hinausgehende Verletzungen vermieden werden sollen (vgl. auch BGH NJW 1978 S. 1206); Spritze in der Hand nicht zugelassenen Heilpersonals (BGH NStZ 1987 S. 174; dazu GEPPERT JK 87, StGB § 223 a/2; SOWADA JR 1988 S. 123 ff; WOLSH GA 1987 S. 527 ff); Salzsäure, beim Spritzen ins Gesicht einer Person (BGHSt 1 S. 1); Brennspiritus, wenn er als Trinkalkohol ausgeschenkt wird (BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 526); erhitzter Kochherd, auf den jemand mit bloßem Hintern gesetzt wird (aA. RGSt 24 S. 372); Wand, gegen die der Kopf einer Person geschlagen wird (aA. BGHSt 22 S. 235; dazu R. SCHMITT JZ 1969 S. 304; STREE Jura 1980 S. 284 ff); Zeltstange eines Festzeltes (aA. BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 987).

2. Hinterlistiger Überfall Hinterlistig ist ein Überfall, d.h. ein unvorhergesehener Angriff, bei dem der Täter seine Angriffsabsicht planmäßig verdeckt, z.B. durch Vortäuschen von Friedfertigkeit. Bloßes Ausnutzen der Überraschung genügt nicht; BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267. - Darüber hinaus ist zu fordern, daß der Angriff die abstrakte Gefahr einer erheblichen Körperverletzung enthält (Deliktsnatur des § 223 a!); str. Beispiele: Faustschläge gegen das nichtsahnende Opfer von hinten: kein hinterlistiger Überfall (OLG Schleswig SchlHA 1953 S. 245); desgleichen: plötzlicher Angriff auf eine gegenüberstehende Person (BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267); bloße Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers (GA 1989 S. 132). Dagegen: plötzlicher Uberfall nach vorherigem freundschaftlichem Gruß (BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 526).

3. Die von mehreren gemeinschaftlich begangene Körperverletzung Nach h.M. müssen mindestens 2 Personen als Mittäter mitwirken, jedoch sind eigenhändige Verletzungshandlungen jedes einzelnen Mittäters nicht erforderlich. Vgl. z.B.: BGH GA 1986 S. 229; (zweifelnd BGHSt 23 S. 122); DREHER/TRÖNDLE § 223 a Rdn. 4; LACKNER StGB, § 223 a A n m . 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 9 R d n . 17.

§ 16 Die gefährliche Körperverletzung

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Richtig erscheint es demgegenüber, das Zusammenwirken eines Täters und eines Gehilfen genügen zu lassen, die gemeinschaftlich am Tatort tätig sind, da auch in dieser Situation die Abwehrbereitschaft des Opfers durch die Verteidigung gegen mehrere Angreifer geschwächt ist. - Bei gleichzeitiger Anwesenheit am Tatort wird allerdings Beihilfe nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1989 S. 530 mit Anm. OTTO S. 531, DEUTSCHER NStZ 1990 S. 125 ff; BAUMANN JUS 1 9 6 3 S . 5 1 ; S C H / S C H / S T R E E 5 2 2 3 a R d n . 11; STREE J u r a 1980 S . 2 9 0 .

4. Lebensgefährdende Behandlung Eine lebensgefährdende Behandlung liegt vor, wenn die konkrete Handlungsweise eine abstrakte Lebensgefahr begründet. Beispiele: Würgegriff am Hals (BGH GA 1961S. 241); Anfahren mit Kfz (BGH VRS 14 S. 286); Abschütteln vom Moped (BGH bei Daliinger, MDR 1957 S. 652); schwere Schläge mit der Faust an den Kopf einer Frau (OLG Köln NJW 1983 S. 2274); zum Infizieren mit Aids, vgl. unter IV.

III. Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Umstände erfassen, aus denen sich die Gefahr ergibt. - Bei der ersten Begehungsweise muß der Täter darüber hinaus wissen, daß das Werkzeug nach seiner konkreten Anwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Bei den anderen Begehungsweisen muß der Täter sich der jeweils abstrakten Gefahr bewußt sein. S t r . - W i e h i e r : BACKMANN M D R 1976 S. 976; H E R D E G E N B G H - F e s t s c h r i f t , S. 2 0 3 ; HIRSCH L K ,

§ 223 a Rdn. 23; LACKNER StGB, § 223 a A n m . 6.

Kenntnis der Umstände, aus denen die Gefährlichkeit sich objektiv ergibt, lassen genügen: für die erste Begehungsweise: BGHSt 19 S. 352; BGH NJW 1990 S. 3156; DRHHER/TRÖNDLE § 223 a Rdn. 6; HORN SK, § 223 a Rdn. 15; für die vierte Begehungsweise: BGHSt 19 S. 352; 28 S. 17; BGH NJW 1989 5 . 785; D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 2 3 a R d n . 6; H O R N S K , § 2 2 3 a R d n . 27; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I -

WALD B.T.l, § 9 Rdn. 17.

IV. Sonderproblem Aids 1. Infizieren mit Aids Im Infizieren mit Aids hat der BGH zutreffend eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gesehen. Auch den Vorsatz hat der BGH mit dem Hinweis darauf, daß die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns ergibt, genügt, bejaht. Den Tötungsvorsatz hat der BGH im konkreten Fall mit der Erwägung abgelehnt, es sei nicht erwiesen, daß der Täter die Hemmschwelle zur Tötung überschritten habe. Vgl. BGHSt 36 S. 1, 15 f; mit Anm. BRUNS M D R 1989 S. 199 ff; HELGERTH NStZ 1989 S. 117 f; HERZBERG J Z 1 9 8 9 S . 470 ff; PRITTWITZ S t V 1989 S. 123 ff; SCHÜNEMANN J R 1989 S . 8 9 , 9 2 f.

Die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung bei erfolgter Infizierung beziehungsweise eines Versuchs der gefährlichen Körperverletzung bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr, wenn die Infizierung selbst nicht erfolgt oder nicht nachweisbar ist, erscheint zutreffend. Die Infizierung mit einer Krankheit ist eine Gesundheitsbeschädigung, auch wenn die Krankheit selbst noch nicht zum Ausbruch gekommen ist.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Problematischer ist die Bejahung des Vorsatzes. Maßgeblich ist hier, ob nach dem derzeit bekannten Wissensstand der ungeschützte Geschlechtsverkehr bereits die konkrete Gefahr einer Ansteckung begründet oder ob dieses Risiko aufgrund des geringen Wahrscheinlichkeitsgrades einer Ansteckung als bloß abstrakte Gefahr abgetan werden kann. Geht man mit dem BGH davon aus, daß die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung nicht so gering ist, daß ihr bereits Zufallswert zukommt, so ist das Bewußtsein der konkreten Gefährdung zu bejahen, denn jeder Geschlechtsverkehr ist dann geeignet, die Krankheit zu übertragen, und dieses Wissen kann im konkreten Fall nur unter besonderen individuellen Umständen fehlen. Zieht man diese Konsequenz, dann ist sowohl der Vorsatz lebensgefährdender Behandlung als auch der einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 224 (Siechtum) und letztlich der auch bedingte - Tötungsvorsatz nicht auszuschließen. Im einzelnen zur. Diskussion außer den oben genannten: BOTTKE in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von Aids, 1988, S. 171 ff; GEPPERT Jura 1987 S. 668 ff; KREUTZER ZStW 100 (1988) S. 786 ff; H. W. MAYER JuS 1990 S 784 ff; B.-D. MEIER GA 1989 S. 207 ff; RENGIER Jura 1989 S. 225 ff.

Eine Anwendung des § 229 kommt hingegen im Regelfall nicht in Betracht, da die Absicht des Täters darauf gerichtet sein muß, das Opfer an der Gesundheit zu beschädigen. Hier ist dolus directus 1. Grades erforderlich. A A HERZBERG JZ1989 S. 480 f, im Anschluß an SCHÜNEMANN JR 1989 S. 91 ff.

2. Einverständlicher Geschlechtsverkehr mit Aidsinfiziertem Beim Geschlechtsverkehr mit einem mit Aids infizierten Partner könnte es naheliegen, auch dann, wenn der andere Partner die Gefahr kennt und dennoch mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr einverstanden ist, den Akt als Körperverletzung des Kranken an dem bisher gesunden Partner zu interpretieren. Diese Sicht wird dem Sachverhalt des gemeinsam ausgeübten Geschlechtsverkehrs jedoch nicht gerecht. Beide Partner sind im Hinblick auf den gefährlichen Akt Mitträger der Tatherrschaft. Damit aber läßt sich der Sachverhalt nicht als täterschaftliche Verletzung des anderen durch den infizierten Partner erfassen. Vgl. dazu auch: BAYOLG NJW 1990 S. 131 mit Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 223a/4, DÖLUNG JR 1990 S. 475 ff; BOTTKE in: Rechtsprobleme, S. 182 ff; 184; EBERBACH JR 1986 S. 231; HELGERTH NStZ 1988 S. 261 ff; HERZBERG NJW 1987 S. 1462; HERZOG/NESTLER-TREMEL StV 1987 S. 366; OTTO

Tröndle-Festschrift, 1989, S. 166 f; PRITTWITZ JA 1988 S. 432; RENGIER Jura 1989 S. 225, 230; SCHLEHOFER NJW 1989 S. 2017 ff.

3. Blutentnahme für verheimlichten Aids-Test Aids-Tests, die zur sachgerechten Diagnose oder Therapie bei einer ärztlichen Behandlung erforderlich sind, werden von der Einwilligung in die Untersuchung oder Behandlung erfaßt und sind daher - auch soweit dieser Eingriff als Körperverletzung angesehen wird; dazu § 15 12 - nicht als solche aufklärungsbedürftig. Vgl. DREHER/TRÖNDLE § 223 Rdn. 9 w, LACKNER StGB, § 226 a Anm. 5 a, bb; LAUFS/LAUFS NJW

1987 S. 2257,2263; LAUFS/NARR MedR 1987 S. 282; LESCH NJW 1989 S. 2309 ff; SCH/SCH/ESER § 223 Rdn. 41; SOLBACH/SOLBACH MedR 1988 S. 241.

Bei einer Blutentnahme und ihrer Untersuchung zum Schutz Dritter (Arzt und Personal) ist die Venenpunktion in jedem Fall ein Eingriff in die körperliche Integrität, der als tatbestandsmäßige Körperverletzung anzusehen ist. Dieser Eingriff ist

§ 17 Schwere und beabsichtigte schwere Körperverletzung

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durch die Einwilligung in die Untersuchung und/oder Behandlung nicht gedeckt. In Betracht kommt aber eine Rechtfertigung nach § 34. Grundsätzlich wird man hier, wenn Schutzmaßnahmen aufgrund der Behandlung oder Untersuchung angezeigt sind, eine Rechtfertigung nach § 34 annehmen müssen. Vgl. auch: SOLBACH/SOLBACH JA 1988 S. 112,116. Soweit eine Ansteckungsgefahr aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen erscheint, entfällt die Rechtfertigung; dazu BRUNS M D R 1987 S. 355; EBERBACH NJW 1987 S. 1472; JANKER N J W 1987

S. 2902 f; DERS. Strafrechtliche Aspekte heimlicher Aids-Tests, 1988, S. 85 ff; MICHEL JuS 1988 S. 8,10. Unter Verweis auf das Erfordernis der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel bei der Einwilligung wird eine Rechtfertigung durch Einwilligung stets dann bejaht, wenn der Betroffene über den körperlichen Eingriff aufgeklärt worden ist. Die Täuschung über den Test soll als Motivirrtum irrelevant sein; vgl. SCHLEHOFER Jura 1989 S. 265. Damit wird der Einwilligung letztlich die Bedeutung genommen, sicherzustellen, daß Eingriffe in die körperliche Integrität nur insoweit zulässig sind, wie der Rechtsgutsinhaber in voller Kenntnis der Situation über seine körperliche Integrität verfugt hat. - Eingehender zur Kritik an der Lehre von der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 III 1 C.

§ 17: Schwere und beabsichtigte schwere Körperverletzung I. Der Aufbau der §§ 224,225 1. Schwere Körperverletzung, § 224 § 224 qualifiziert den Grundtatbestand des § 223 aufgrund der Schwere des Erfolges. Er ist erfolgsqualifiziertes Delikt. a) In der schweren Folge muß sich eine in der Körperverletzungshandlung typischerweise angelegte Gefahr realisiert haben. Die Problematik der Zurechnung der schweren Folge entspricht hier der des § 226; vgl. zur Auseinandersetzung daher unter § 1811.

b) Hinsichtlich der schweren Tatfolge muß dem Täter mindestens Fahrlässigkeit zur Last fallen, § 18. 2. Beabsichtigte schwere Körperverletzung, § 225 § 225 qualifiziert den § 224 wegen des erhöhten subjektiven Unrechts. Der Täter muß die schwere Folge absichtlich herbeigeführt haben.

II. Die einzelnen Merkmale 1. Verlust eines wichtigen Gliedes, des Sehvermögens, des Gehörs, der Sprache oder der Zeugungsfähigkeit a) Wichtiges Glied ist ein Körperteil mit herausgehobener Funktion im Gesamtorganismus. Das sind nicht nur die durch Gelenke verbundenen äußeren Körperteile, z.B. Daumen oder Zeigefinger, sondern auch innere Organe, z.B. die Niere. Denn entscheidend für die Qualifizierung ist die Schwere der körperlichen Schädigung, nicht aber eine formale Unterscheidung nach äußeren und inneren Organen. So auch: O L G Neustadt NJW 1961 S. 2076; DREHER/TRÖNDLE § 224 Rdn. 4; EBERT J A 1979 S. 278; WESSELS B.T.-l, § 5 I V 1. - A A . BGHSt 28 S. 100; HIRSCH J Z 1 9 7 9 S. 109; HORN SK, § 224 Rdn. 5.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Wichtig bestimmt die h.M. aus der Sicht des individuell Betroffenen (wichtig z.B. der kleine Finger des Pianisten), während die Gegenmeinung die Wichtigkeit aus der Funktion für den Gesamtorganismus bestimmt. - Der h.M. ist zuzustimmen, denn sie eröffnet den sachgerechteren Schutz des individuellen Opfers, ohne dem Täter ein unangemessenes Risiko anzulasten, da sich seine Fahrlässigkeit, bzw. im Rahmen des § 225 seine Absicht, auf die Voraussetzungen, die das Glied zu einem wichtigen machen, beziehen muß. Z u r Auseinandersetzung: HIRSCH LK, § 224 R d n . 9.

Nach h.L. liegt ein Verlust des Glieds bei dauernder Unbrauchbarkeit vor. Die Gegenansicht stellt hingegen auf die physische Abtrennung ab. Dies überzeugt nicht, denn die physische Abtrennung ist nicht notwendig Ausdruck schwereren Unrechts. So auch: HIRSCH LK, § 224 R d n . 12; LACKNER StGB, § 224 A n m . 2; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 9 R d n . 22. - A A . B G H N J W 1988 S. 2622 m . kritischer A n m . GEPPERT J K 88, S t G B § 224/2; KRATZSCH J R 1989 S. 295 f.

b) Ein Verlust des Seh- oder Hörvermögens liegt vor, wenn dies auf einen im täglichen Leben nicht mehr wesentlichen Rest reduziert ist (Verminderung des Sehvermögens um 20 % noch nicht relevant; AG Köln MDR 1981 S. 780). - Zeugungsfähigkeit ist im Sinne der Fortpflanzungsfähigkeit zu verstehen. - Bei der Prognose, ob ein Verlust als dauernd angesehen werden kann, ist die Möglichkeit einer zumutbaren operativen Beseitigung zu berücksichtigen. 2. Die dauernde Entstellung Eine erhebliche dauernde Entstellung liegt vor, wenn die Verunstaltung nicht in absehbarer Zeit zu beheben ist. Kann die Entstellung durch künstliche Hilfsmittel beseitigt werden, so ist dies zu berücksichtigen. B G H S t 24 S. 315 mit A n m . HANACKJR 1972 S. 472 ff, und ULSENHEIMER J Z 1973 S. 64 ff.

3. Der Verfall in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit Verfall ist ein in absehbarer Zeit nicht behebbarer chronischer Krankheitszustand. Siechtum bedeutet ein Schwinden geistiger und körperlicher Kräfte, das zur allgemeinen Hilflosigkeit führt. - Lähmung ist die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit eines Körperteils, die - wenn auch mittelbar - die Bewegungsfähigkeit des ganzen Körpers in Mitleidenschaft zieht, z.B. die Versteifung des Hüftgelenks, eines Armes oder des Knies; vgl. auch BGH NJW 1988 S. 2622.

III. Versuch und Täterschaft 1. Der Versuch Der Versuch des § 225 ist stets strafbar. - Die Möglichkeit des Versuchs des § 224 ist streitig: Hat der Täter die konkrete Gefahr erkannt, daß die schwere Folge eintritt dolus eventualis genügt -, so ist auch nach h.M. ein strafbarer Versuch möglich, da die Situation der eines vorsätzlichen Erfolgsdelikts entspricht. Aber auch dann, wenn der Täter bereits beim Versuch des Grundtatbestandes die schwere Folge fahrlässig verwirklicht, liegt ein strafbarer Versuch vor. Str.; vgl. im einzelnen GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 8 I V 6.

§ 18 Körperverletzung mit Todesfolge

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2 Täterschaft Ob Täterschaft oder Teilnahme vorliegt, ist nach den Beteiligungsformen am Grunddelikt zu bestimmen. - Eine Bestrafung aus § 224 setzt aber Fahrlässigkeit des jeweiligen Beteiligten bezüglich der schweren Folge voraus.

§ 18: Körperverletzung mit Todesfolge

I. Der Aufbau des § 226 1. Das Verhältnis zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge a) § 226 beschreibt ein erfolgsqualifiziertes Delikt; beachte § 18. b) Einigkeit besteht heute darüber, daß zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der Herbeiführung der schweren Folge eine engere Beziehung bestehen muß als die bloße Tatsache, daß die Verwirklichung des Grundtatbestandes nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele. - Der Erfolg muß sich als Realisierung der typischen (spezifischen) Gefahr des Grundtatbestandes erweisen. Da das erfolgsqualifizierte Delikt besonders gefährlichen Handlungen entgegenwirken will, ist dieser Zusammenhang dann gegeben, wenn der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausganges anhaftet und sich eben dieses, dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko im Eintritt des Erfolges verwirklicht. - Das ist nicht der Fall, wenn der Tod des Verletzten nicht unmittelbar durch die Körperverletzung selbst, sondern durch das Eingreifen eines Dritten oder das eigene freiverantwortliche Verhalten des Opfers herbeigeführt wird. Vgl. BGHSt 31S. 99; 32 S. 25; DREHER/TRÖNDLB § 226 Rdn. 2; PUPPE NStZ 1983 S. 22 ff; RENGIER J u r a 1986 S. 143 ff; SCH/SCH/STREE § 226 R d n . 4; STREE J Z 1 9 8 3 S. 75.

Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Grundtatbestandes und dem Todeserfolg fordern demgegenüber: DEUBNER NJW 1960 S. 1068; GEILEN Welzel-Festschrift, S. 681; HIRSCH JR 1983 S. 78 ff; DERS. LK, § 226 Rdn. 3; KÜPPER Der "unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 85 ff; LACKNER StGB, § 226 A n m . 2; SCHLAPP StV 1983 S. 62 ff; ULSENHEIMER G A 1966 S. 272.

c) Ein strafbarer Versuch des § 226 liegt vor, wenn der für den Täter vorhersehbare Todeserfolg beim Versuch des Grunddelikts eintritt; vgl. dazu oben § 17 III 1. Strebt der Täter den Todeserfolg vorsätzlich an, so greifen die §§ 211 ff ein. 2. Zur Einübung a) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 196: A benutzt eine Pistole als Schlagwerkzeug gegen B. Ungewollt löst sich ein Schuß, durch den B getötet wird. BGH: § 226 liegt vor. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Tod durch Erschießen ist nicht mehr typische Folge eines Schlages mit gefährlichem Werkzeug. Nicht die Schlaggefahr hat sich realisiert, sondern eine Gefahr, die nicht typisch war für die angestrebte Verletzung. Dazu vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 1 1 2 b, bb; sowie SCHMIDHÄUSER B.T., 2/50.

b) BGH NJW 1971 S. 152: A schlägt auf die B ein und verletzt sie erheblich. Um weiteren Schlägen zu entgehen, springt B aus dem Fenster. Sie stürzt tödlich.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

BGH: § 226 liegt nicht vor, nur §§ 223, 222, 52. - Dem wäre im Ergebnis zuzustimmen, wenn B mit im Rechtssinn freien Willen gehandelt hätte. Da sich B jedoch in einem Nötigungsnotstand befand, war ihr Wille nicht frei, und insofern ist der Erfolg dem A als unmittelbares Werk zuzurechnen, nicht aber auf die freie - den Zurechnungszusammenhang unterbrechende - Entscheidung der B zurückzuführen. Dazu auch: RENGIER Jura 1986 S. 144. c) BGHSt 31 S. 96: A warf den Hochsitz um, auf dem der D in 3,5 m Höhe saß. D fiel herunter und brach sich den Knöchel. Der Bruch wurde operativ behandelt. Nach der Entlassung aus der Klinik blieb D fast ausschließlich im Bett. Ihm war nicht gesagt worden, daß er der Gefahr einer Lungenembolie durch Bewegung vorbeugen müßte. D starb an einer Lungenembolie. BGH: § 226 ist gegeben. - Dem ist zuzustimmen, denn im Tode des D realisierte sich eine in einer Körperverletzung typischerweise angelegte Gefahr. Die Tatsache, daß D sachwidrig nicht auf die Emboliegefahr hingewiesen worden war, unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, da hier kein Handeln eines Dritten im vollen Bewußtsein der Gefahrensituation vorliegt. d) BGHSt 32 S. 25: A versetzte dem D einen kräftigen Faustschlag gegen den Kopf. Dadurch verlor D das Gleichgewicht, fiel zu Boden und schlug mit dem Schädel auf die Asphaltdecke auf. Anschließend trat N dem D unabhängig von A mit großer Wucht an den Kopf. D erlitt 2 Schädelbrüche und starb. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der durch das Aufschlagen oder durch das Zuschlagen entstandene Schädelbruch zum Tode führte oder beide zusammen. BGH: Eine Bestrafung des A nach § 226 kommt nicht in Betracht, da nicht festgestellt ist, daß sich im Tode des D die der Körperverletzung des A "anhaftende, ihr eigentümliche Gefahr verwirklicht" hat. - Aus gleichem Grunde entfällt auch die Strafbarkeit nach § 226 bei N. Vgl. auch: BGH MDR 1979 S. 279. - AA. aber: BGH MDR 1977 S. 282; 1984 S. 442.

II. Der Strafrahmen des § 226 Abs. 2 Bei Vorliegen einer Provokationssituation i.S. des § 213, 1. Alt. ist zwingend ein minder schwerer Fall i.S. des § 226 anzunehmen. BGHSt 25 S. 222; BGH NStZ 1983 S. 555; BGH StV 1990 S. 546.

§ 19: Körperverletzung im Amt 1. Rechtsnatur des § 340 § 340 ist als qualifizierte Körperverletzung ein unechtes Amtsdelikt, und zwar § 340 Abs. 1 gegenüber § 223 Abs. 1, § 340 Abs. 2 gegenüber § 224. Weil der Täter bei der Verletzung eines individuellen Rechtsguts zugleich das Ansehen des Staates als Rechtsstaat gefährdet, ist die Amtseigenschaft ein straferhöhendes Merkmal, und zwar ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. H.M. - A A . WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 85 ff; DERS. Z R P 1975 S. 273 f: eigenständiges

Amtsdelikt, dessen Unrechtsgehalt in der Begehung von Staatsunrecht liegt.

2. Die Tathandlung a) Der Täter muß die Körperverletzung während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begehen oder begehen lassen. Die Formulierung des Tatbestandes scheint darauf hinzudeuten, daß bei einer Körperverletzungshandlung, die zeitlich in die Ausübung des Dienstes fällt, in jedem Fall der Tatbestand erfüllt ist. Diese Interpretation des Tatbestandes wird seinem Wesen - vgl. oben unter 1 - jedoch nicht gerecht. Nur dann, wenn die Handlung in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Ausübung des Dienstes steht,

§ 19 Körperverletzung im Amt

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ist das qualifizierende Element - Beeinträchtigung des Ansehens des Staates als Rechtsstaat - erfüllt. Eine bei Gelegenheit der Amtsausübung begangene Körperverletzung erfüllt den Tatbestand nicht. H.M., vgl. z.B. HORN SK, § 340 Rdn. 4; LACKNER StGB, § 340 Anm. 2; MAURACH/SCHROEDER

B.T.2, § 79 I 2; SCHMIDHÄUSER B.T., 1/20. - A A zeitlicher Zusammenhang genügt: DREHER/ TRÖNDLE 1 3 4 0 Rdn. 2; WAGNER Z R P 1 9 7 5 S. 273.

b) Begehen liegt vor, wenn der Amtsträger die Körperverletzung als Täter oder Mittäter verwirklicht. - Begehenlassen bedeutet Tatausführung in mittelbarer Täterschaft. Str. - Die h.M. läßt auch Anstiftung und Beihilfe für das Begehenlassen genügen; vgl. z.B. RGSt 66 S. 59; DREHER/TRÖNDLB § 340 Rdn. 2; MAURACH/SCHROEDER B.T.2, § 79 I 2; SCH/SCH/CRAMER § 340 Rdn. 4.

Damit wird im Rahmen des § 340 letztlich vom Einheitstäterbegriff ausgegangen, dem die §§ 25 ff gerade nicht entsprechen; so auch HIRSCH LK, § 340 Rdn. 9.

c) Nach h.M. fällt auch das garantiepflichtwidrige Unterlassen eines Amtsträgers unter die Alternative "Begehenlassen". - Dem ist nicht zu folgen, denn die Nichtabwendung der Körperverletzung durch einen anderen ist ein pflichtwidriges Geschehenlassen und entspricht damit gemäß § 13 dem "Begehen". Vgl. MAURACH/SCHROEDER B.T.2, § 7 9 1 2; a A . h.M. vgl. z.B.: SCH/SCH/CRAMER § 340 Rdn. 4.

3. Rechtfertigung a) Das Delikt ist Körperverletzungsdelikt. Hoheitliche Eingriffsrechte in die körperliche Integrität des Betroffenen rechtfertigen daher das Verhalten. b) Auch die Einwilligung des Verletzten in die Körperverletzung hat rechtfertigende Kraft. Wie ausgeführt beruht das besondere Unrecht dieses Tatbestands darin, daß das Ansehen des Staates als Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn der Täter in usübung der Amtsgewalt eine Körperverletzung begeht. Körperverletzung in diesem Sinne kann aber nur der Unrechtstatbestand einer Körperverletzung sein. Liegt dieser Unrechtstatbestand wegen der Einwilligung des Verletzten nicht vor, so leidet auch das Ansehen des Staates nicht. So im Ergebnis auch: AMELUNG Dünnebier-Festschrift, S. 487 ff; AMELUNG/WEIDEMANN JUS 1984 S. 595 ff; HORN SK, § 340 Rdn. 7. - AA. h.M.: B G H NJW 1983 S. 462; DREHER/TRÖNDLE § 340 Rdn. 1; HERZBERG JuS 1984 S. 937 ff; HIRSCH LK, § 340 Rdn. 14; MAURACH/SCHROEDER B.T.2, § 7 9 1 2; SCH/SCH/CRAMER § 340 Rdn. 5; WAGNER JZ 1987 S. 662.

4. Zur Verdeutlichung a) Der Polizeibeamte P verprügelt bei einer Vernehmung den X, weil er sich über dessen freche Antworten ärgert. Ergebnis: § 340 Abs. 1. b) Der Gerichtsvollzieher G, der eine Pfändung vornimmt, sieht plötzlich seinen Nebenbuhler N, der mit der Pfändung nichts zu tun hat. Diesen verprügelt er. Ergebnis: § 223; str. vgl. oben 2 a. c) OLG Karlsruhe MDR 1983 S. 250: Der als Chefarzt eines Kreiskrankenhauses tätige A nimmt eine Operation ohne rechtswirksame Einwilligung vor.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

OLG Karlsruhe: Der Chefarzt ist zwar Amtsträger i.S. des § 340, er hat die Körperverletzung jedoch nicht "während der Ausführung seines Dienstes" oder "in Beziehung auf seinen Dienst begangen", denn die konkrete Heilbehandlung des einzelnen Patienten ist keine dienstliche Tätigkeit i.S. des § 340. Kritik: Da auch die Heilbehandlung im Rahmen der Daseinsvorsorge, die das Kreiskrankenhaus wahrnimmt, erfolgte, überzeugt diese Begründung nicht. Hier zeigen sich die mißlichen Konsequenzen der Prämisse, den Heileingriff schlechthin als Körperverletzung zu interpretieren. d) BGH NJW 1983 S. 462: Der Krankenpfleger K versorgt die in einer Entziehungsanstalt befindlichen Alkoholsüchtigen mit Alkohol. BGH: K ist strafbar nach § 340, da eine Einwilligung der Abnehmer nicht rechtfertigt. - Dem wäre nur zuzustimmen, wenn die Abnehmer aufgrund ihrer Sucht unzurechnungsfähig waren. Handelten sie im Rechtssinne freiverantwortlich, so entfällt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 340.

§ 20: Mißhandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 223 b In der Alternative der rohen Mißhandlung und der Gesundheitsschädigung erfaßt § 223 b Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit. Insoweit ist er als ein durch das Schutzverhältnis zwischen Täter und Opfer qualifiziertes Körperverletzungsdelikt anzusehen. In der Alternative des Quälens hingegen richtet sich die Tathandlung auch gegen die Psyche des Opfers. Das Delikt ist insoweit als Straftat gegen das "Seelenleben des Menschen" zu begreifen, das je nach den Tatumständen zu Körperverletzungsdelikten in Idealkonkurrenz stehen kann. Die Schutzposition ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28. In der Körperverletzungsalternative ist § 223 b demnach als unechtes Sonderdelikt zu sehen, in der Alternative des seelischen Quälens als echtes Sonderdelikt. In der Literatur wird demgegenüber eine einheitliche Interpretation des § 223 b versucht, die jedoch den Nachteil hat, daß eine der beiden Möglichkeiten, das Delikt zu verwirklichen, jeweils vernachlässigt werden muß. Für ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt: BGHSt 3 S. 20; DREHER/TRÖNDLB § 223 b Rdn. 1; HORN SK, § 223 b R d n . 2; LACKNER S t G B , § 223 b A n m . 1.

Für ein gegenüber den Körperverletzungsdelikten selbständiges Delikt: HIRSCH LK, § 223 b Rdn. 1;

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 10 Rdn. 2.

II. Einzelheiten zur Interpretation 1. Die Tatsituation Die Tatsituation ist durch die Wehrlosigkeit des Opfers sowie ein Abhängigkeitsverhältnis dem Täter gegenüber gekennzeichnet. Dem Schutzverhältnis muß eine rechtliche Verpflichtung zugrunde liegen. Bloße Gefälligkeitsverhältnisse begründen kein Fürsorgeverhältnis im Sinne des § 223 b. Vgl. B G H N J W 1982 S. 2390. - AA.

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 10 R d n . 6 f.

§ 22 Vergiftung

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2. Die Tathandlung Quälen ist das Zufügen dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art, z.B. Versetzen eines Kindes in Todesangst; BGH LM Nr. 3 zu § 223 b. Eine rohe Mißhandlung ist eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung, die sich in erheblichen Folgen äußert, sei es in erheblichen Schmerzen oder in einer erheblichen Verletzung der Körperintegrität; BGHSt 25 S. 277. Böswillig handelt, wer aus sozialethisch besonders verwerflichem Motiv heraus (Haß, Sadismus, nicht aber Gleichgültigkeit) tätig wird; dazu BGHSt 3 S. 20.

III. Zur sozialen Relevanz des § 223 b Die Zahl der Verurteilungen hält sich relativ konstant: 1960: 235, 1975: 297, 1981: 228, 1986: 289. Die Zahl der polizeilich erfaßten Fälle ist jedoch höher: 1975: 1644, 1981: 1999 Fälle, darunter 1423 Mißhandlungen von Kindern, 1986: 1643. - Die Dunkelziffer ist erheblich: Schätzungen gehen dahin, daß 95 % der Fälle den Behörden nicht bekannt werden. Zur Vertiefung: ARBEITSGRUPPE KINDERSCHUTZ Gewalt gegen Kinder, 1983; BAUER Die Kindesmißhandlung, 1969; GEERDS MSchr für Kinderheilkunde 1986 S. 327 ff; HONIG Kindesmißhandlung, 1982; URSULA SCHNEIDER Körperliche G e w a l t a n w e n d u n g in d e r Familie, 1987, S. 59 ff; TRUBE-BECKER

Gewalt gegen das Kind, 2. Aufl., 1987.

§ 21: Fahrlässige Körperverletzung 1. Deliktsspezifische Probleme der fahrlässigen Körperverletzung, § 230, sind nicht gegeben. Es gilt das zum Aufbau und zur Problematik der fahrlässigen Tötung Ausgeführte mit dem einzigen Unterschied, daß der Erfolg dieses Delikts nicht im Tode eines anderen Menschen besteht, sondern in einer Körperverletzung; vgl. oben § 9. 2. Zur Körperverletzung vgl. die Ausführungen zu § 223 oben § 15 I. 3. Zum Strafantrag und zur Kompensation vgl. oben § 15 IV 2, 3.

§ 22: Vergiftung I. Das Wesen des § 229 1. § 229 Abs. 1 enthält einen wegen seiner besonderen Gefährlichkeit (gefährliches Werkzeug, u.U. lebensgefährdende Behandlung) zur selbständigen Tat erhobenen Versuch einer gefährlichen Körperverletzung. - Das Delikt ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die beigebrachten Stoffe müssen im konkreten Fall geeignet sein, die Gesundheit zu zerstören. 2. § 229 Abs. 2 enthält erfolgsqualifizierte Delikte, beachte § 18.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

II. Einzelheiten der Regelung 1. Der objektive Tatbestand Tatmittel sind Gift, d.h. chemische oder chemisch-physikalisch wirkende Substanzen und andere Stoffe, z.B. Bakterien, Viren oder auch mechanisch wirkende Substanzen, die nach Art der beigebrachten Menge, der Form der Beibringung und der Beschaffenheit des Körpers des Opfers geeignet sind, die Gesundheit zu zerstören. - Beibringen setzt die Herstellung einer Körper-Stoff-Beziehung voraus, gleichgültig ob intern, z.B. durch Schlucken, oder extern, z.B. durch Begießen mit Salzsäure. Der Eintritt einer Wirkung im Inneren des Körpers ist nicht erforderlich. So auch: B G H M D R 1976 S. 768 mit Anm. D . MEYER JuS 1977 S. 517 ff; BGHSt 32 S. 130 mit Anm. BOTTKE NStZ 1984 S. 166 f, und SCHALL JZ 1984 S. 338 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 11 Rdn. 11. - A A . u.a.: SCHRÖDER JR 1960 S. 466; STREB JR 1984 S. 335 ff.

Geeignet zur Gesundheitszerstörung sind Stoffe, wenn sie wesentliche körperliche Funktionen nicht nur für unerhebliche Dauer gravierend zu beeinträchtigen vermögen; BGHSt 4 S. 278. 2. Der subjektive Tatbestand Der Täter muß mit der Absicht der Gesundheitsbeschädigung gehandelt haben (dolus directus 1. Grades); im übrigen genügt Vorsatz, auch bedingter. - Aus der Sicht des Täters muß aber eine erhebliche Gesundheitsbeschädigung angestrebt sein. Das hohe Strafmaß erfordert diese restriktive Auslegung des Tatbestandes. Doch bedeutet das nicht, daß nur schwerwiegende Dauerschäden, wie z.B. Blindheit oder Entstellung in Betracht kommen; dazu BGHSt 32 S. 131 f.

III. Besonderheiten des Versuchs Mit dem Beibringen des Giftes ist das Delikt vollendet. Ein Rücktritt vom Versuch i.S. des § 24 ist daher nur vor diesem Zeitpunkt oder beim Versuch mit untauglichem Mittel möglich. - Übt der Täter tätige Reue, bevor die Gefahr der Gesundheitszerstörung sich realisiert, so erscheint aber eine analoge Anwendung der §§ 83 a, 311c Abs. 2,316 a Abs. 2 sachgerecht. So auch: HIRSCH LK, § 229 Rdn. 22; HORN SK, § 229 Rdn. 9; SCH/SCH/Stree § 229 Rdn. 11. - Gegen eine strafbefreiende oder strafmildernde Analogie: DREHER/TRONDLE § 229 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 229 Anm. 4.

§ 23: Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat § 227 erfaßt ein sog. Massendelikt. Strafgrund ist nicht eine Körperverletzung, sondern die schuldhafte Beteiligung an einer Rauferei, aus der sich Gefahren für die Allgemeinheit ergeben können. Es handelt sich demnach um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.

§ 23 Beteiligung an einer Schlägerei

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II. Einzelheiten der Regelung 1. Der Tatbestand a) Schlägerei ist eine mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als 2 Personen mitwirken; BGHSt 31 S. 124. - Übt einer von drei Betroffenen lediglich Schutzwehr, indem er z.B. den eigenen Kopf mit seinen Armen schützend umfaßt, so liegt noch keine Schlägerei vor. - Es ist aber nicht erforderlich, daß alle Beteiligten rechtswidrig handeln. Ein von mehreren gemachter Angriff ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung von mindestens zwei Personen; BGHSt 31 S. 124. - Beteiligt ist jeder, der an der Auseinandersetzung im Zusammenwirken mit anderen teilnimmt, d.h. physisch oder psychisch mitwirkt. Mittäterschaft im technischen Sinn ist nicht erforderlich, wohl aber bei den Angreifenden Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstandes und des Angriffswillens; BGHSt 2 S. 163. b) Mit der Klarstellung, daß nicht nach § 227 bestraft wird, wer ohne sein Verschulden in die Schlägerei hineingezogen wurde, weist der Gesetzgeber lediglich darauf hin, daß ein Beteiligter gerechtfertigt oder entschuldigt sein kann. 2. Die schwere Folge Die Schlägerei oder der Angriff mehrerer muß den Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht haben. Maßgeblich ist der Zusammenhang der schweren Folge mit der Schlägerei oder dem Angriff, während es gleichgültig ist, wen die Folge trifft. Der Tatbestand ist auch dann gegeben, wenn ein Angreifer in Notwehr getötet wird. Vgl. BGHSt 33 S. 100; LACKNER StGB, § 227 Rdn. 5; SCH/SCH/STREE § 227 Rdn. 14. - A A GÜNTHER J Z 1985 S. 585, 587; HENKE Jura 1985 S. 585, 589; KREY B . T . 1, R d n . 297; MONTENBRUCK JR

1986 S. 138,142; SCHUIR StV 1986 S. 250 f.

a) Auf den Zeitpunkt der Beteiligung: vor, bei oder nach Eintritt der schweren Folge, kommt es nach h.M. nicht an. Vgl. B G H S t 14 S. 132; 16 S. 130; DREHER/TRÖNDLE § 2 2 7 R d n . 9; GÖSSEL B . T . 1, § 17 R d n . 11;

LACKNER StGB, § 227 ANM. 3.

b) Die Gegenmeinung beschränkt die Haftung auf diejenigen Personen, die sich zum Zeitpunkt des Eintritts der schweren Folge noch oder bereits an dem Raufhandel beteiligen. Vgl. BLNDING B . T . I, S. 78; KREY B.T. 1, Rdn. 297; WELZEL Lb., § 4 0 II 2.

c) Die h.M. zieht den Kreis der Verantwortlichen zu weit, soweit sie auch Mitwirkende als Beteiligte erfaßt, die nach Eintritt der schweren Folge an der Rauferei teilgenommen haben. Die Gegenmeinung erweist sich als zu eng, da die Auswirkungen einer Beteiligung nicht mit dem Ausscheiden der tätigen Person abbrechen. - Sachgerecht ist es daher, den als Beteiligten anzusehen, der vor oder bei Eintritt der schweren Folge an der Rauferei mitwirkte. Erst nachträglich Mitwirkende haften nicht für die schwere Folge. S o auch: BIRKHAHN M D R 1962 S. 625 f; HIRSCH LK, § 227 R d n . 8; HORN SK, § 2 2 7 R d n . 8; STREE

JuS 1962 S. 94.

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

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III. Zur Einübung 1. BGHSt 14 S. 132; Zwischen Jugendlichen aus I und Sch kam es zu einer Schlägerei. G und K beteiligten sich, mußten aber aufgrund der eigenen Einbußen bald aufgeben. Sie entfernten sich. Im weiteren Verlauf der Schlägerei wurde T erstochen. BGH: Auch G und K sind strafbar nach § 227. 2. BGHSt 16 S. 130: Bei einer Schlägerei zwischen mehreren Personen brachte H dem W mehrere tödliche Stiche bei. Die Schlägerei ging aber weiter. Nunmehr beteiligte sich auch J daran. BGH: Auch J ist strafbar nach § 227. - Nach der hier vertretenen Ansicht scheidet eine Strafbarkeit des J nach § 227 aus. 3. Bei einer Schlägerei in einer Gaststätte, an der sich unter anderem X, Y und Z beteiligten, wollte der Gast G schlichten. Er begab sich unter die Raufenden und forderte diese laut zu friedlichem Verhalten auf. Im Gewühl wurde er jedoch erschlagen. Ergebnis: § 227 liegt vor. Der Getötete braucht nicht selbst an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sein, es genügt, daß sein Tod durch die Schlägerei bewirkt wurde. 4. RGSt 32 S. 33: Bei einer Schlägerei zwischen A, B, C, D, E und F wurde allein der F schwer am Körper verletzt i.S. des § 224. RG: Auch F ist strafbar nach § 227; vgl. auch BGHSt 33 S. 104. 5. BGHSt 15 S. 369: C verprügelte S ohne Grund. S wehrte sich. V, der Vater des S, wollte seinem Sohn zu Hilfe kommen. A verhinderte dies, indem er den V festhielt. S kam bei der Prügelei zu Tode. BGH: A ist auch nach § 227 strafbar.

§ 24: Konkurrenzprobleme I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte 1.

Grundsatz

Die jeweils schwerere Körperverletzung konsumiert die jeweils leichtere. - Kommt es jedoch nur zum Versuch der schwereren Körperverletzung, so konkurrieren diese und die vollendete geringere idealiter, damit im Urteilstenor zum Ausdruck kommt, daß eine Körperverletzung bereits vollendet wurde. 2.

Besonderheiten

Infolge des von den Körperverletzungsdelikten abweichenden Strafgrundes des § 227 konkurriert § 227 idealiter mit den bei dem Raufhandel verwirklichten Körperverletzungsdelikten. - Zwischen § 340 Abs. 1 und § 223 Abs. 1 sowie § 340 Abs. 2 und § 224 besteht Gesetzeskonkurrenz (Qualifikation). Im übrigen steht § 340 zu den Körperverletzungsdelikten in Idealkonkurrenz. Im Falle der Idealkonkurrenz von §§ 340, 225 weist § 340 Abs. 2 den Mindeststrafrahmen, da nach der Entscheidung des Gesetzgebers dieser Strafrahmen bereits bei der Verwirklichung des minder schweren § 224 verbindlich ist. 3. Zur Einübung a) A schießt auf B und ist sich dabei der Gefahr bewußt, dem B das Auge auszuschießen. Er trifft den B am Kopf, doch bleibt dem B die Sehkraft erhalten. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 223 a, 224,23,52.

§ 24 Konkurrenzprobleme

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b) Wie unter a), doch will A dem B absichtlich ins Auge schießen. Er trifft, doch kommt B wider Erwarten zu Tode. Ergebnis: A strafbar gemäß § 226. §§ 225, 23 werden von § 226 konsumiert.- A A vgl. z.B.: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 29: Idealkonkurrenz. Auch hier ist Konsumtion der §§ 225, 23 durch § 226 jedoch angemessener, da der Unrechtsgehalt des beabsichtigten Delikts voll im Strafmaß des § 226 berücksichtigt werden kann. c) Bei einer Schlägerei i.S. des § 227 schlägt A dem B das Auge absichtlich aus. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 227,225,52.

II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungs-delikten 1. Das Verhältnis des Tötungs- zum Körperverletzungsvorsatz Ausgangsfall: BGHSt 22 S. 248: A schießt mit Tötungsvorsatz aus einer Entfernung von 3 bis 4 m auf seinen Vater. Der Schuß geht durch die Schläfe auf den Augapfel bis zur Nasenwurzel. Der Vater bleibt am Leben, verliert aber das linke Auge.

a) Da jede Tötung notwendigerweise über das Stadium einer Körperverletzung verwirklicht wird, ist der Körperverletzungsvorsatz im Tötungsvorsatz als notwendiger Bestandteil enthalten; sog. Einheitstheorie. b) Diesen notwendigen Bezug zwischen Körperverletzung und Tötung verkennt die sog. Gegensatztheorie, die von einem gegenseitigen Ausschluß von Körperverletzungs- und Tötungsvorsatz ausgeht. Z u r Einheitstheorie vgl. BGHSt 16 S. 122; 21 S. 265; HIRSCH LK, Vor § 223 Rdn. 14 ff; JAKOBS Die

Konkurrenz von Tötungsdelikten mit Körperverletzungsdelikten, 1967, S. 119 ff; KREY JuS 1971S. 143. Zur Gegensatztheorie: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 230.

2. Konsequenzen a) Das vollendete Tötungsdelikt konsumiert das jeweils verwirklichte Körperverletzungsdelikt als notwendigen Bestandteil. Gleichfalls für Gesetzeskonkurrenz, wenn auch z. T. für Subsidiarität: BGHSt 16 S. 122; 22 S. 248; KREY J u S 1 9 7 1 S . 143; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 8 R d n . 45.

Auch die privilegierten Tötungsdelikte konsumieren die qualifizierten Körperverletzungsdelikte, da sonst die Absicht des Gesetzgebers, das Verhalten zu privilegieren, umgangen würde. b) Ist das Tötungsdelikt nur bis in das Versuchsstadium gelangt, eine qualifizierte Körperverletzung gemäß §§ 224, 225, 229 Abs. 2 jedoch bereits vollendet worden, so besteht zwischen versuchtem Tötungsdelikt und Körperverletzungsdelikt Idealkonkurrenz. Der Tötungsversuch konsumiert das Unrecht der vollendeten qualifizierten Körperverletzung nicht. V g l . a u c h : JAKOBS N J W 1969 S. 438; KREY B . T . l , R d n . 239; R . SCHMITT J Z 1962 S. 392. - A A . i n

Bezug auf § 224: BGHSt 22 S. 248; BGH bei Holtz, MDR 1986 S. 622.

3. Konsequenzen für den Ausgangsfall a) BGH: A ist wegen versuchten Totschlags zu bestrafen. Die schwere Körperverletzung wird konsumiert. b) Nach der hier vertretenen Ansicht wäre A gemäß §§ 224,212,23,52 zu bestrafen.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

§ 25: Zur Wiederholung 1. Wie ist die "körperliche Mißhandlung" zu definieren? - Dazu § 1511 a. 2. Wie ist die "Gesundheitsbeschädigung" zu definieren? - Dazu § 1511 b. 3. Was bedeutet die Möglichkeit der Kompensation bei der Körperverletzung? - Dazu § 15IV 3. 4. Ist § 223 a ein abstraktes oder ein konkretes Gefährdungsdelikt? - Dazu § 161. 5. A verspricht dem B 10,- DM, wenn er den anwesenden C verprügelt. B tut dies. Haben mehrere gemeinschaftlich i.S. des § 223 a die Körperverletzung begangen? - Dazu § 16 II 3. 6. Wie ist der ungeschützte Geschlechtsverkehr eines Aids-Kranken mit unwissendem Partner strafrechtlich zu würdigen? - Dazu § 16IV 1. 7. Ist ein Versuch der schweren Körperverletzung gemäß §§ 224, 23 möglich? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? - Dazu $ 17 III 1. 8. Welcher Zusammenhang muß zwischen Todeserfolg und Körperverletzung in § 226 bestehen? Dazu § 181. 9. Ist § 223 b ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt? - Dazu § 201. 10. Wann ist der Stoff "beigebracht" i.S. des § 229? - Dazu § 22 II 1. 11. Kann derjenige nach § 227 bestraft werden, der an der Schlägerei erst teilnimmt, nachdem es zu einer tödlichen Verletzung eines anderen gekommen ist? - Dazu § 23 II 3. 12. Der Beamte A verletzt den X bei Ausübung seines Amtes mit einem Stock schwer. - Wie konkurrieren §§ 223 a, 340 Abs. 1 hier? - Dazu § 241. 13. A würgt die B, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. B erleidet eine Kehlkopfverletzung. - Kann A wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft werden? - Dazu § 24 II 2 b. 14. A gibt der B ein Gift, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. Durch das Gift fällt die B jedoch in Siechtum. Kann A gemäß § 229 bestraft werden? - Dazu § 24 II 2 b. 15. A versucht die B mit einem Messer zu töten. Der Versuch mißlingt. Kann A gemäß §§ 212, 23, 223 a, 52 bestraft werden? - Dazu § 24 II 3.

Vierter Abschnitt Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26: Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte

I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte Geschütztes Rechtsgut der Freiheitsdelikte ist nicht die Freiheit schlechthin, sondern die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung.

II. Die Systematik der Freiheitsdelikte 1. Die Gesetzessystematik a) Innerhalb der im 18. Abschnitt des StGB enthaltenen Delikte sind nur der Menschenraub, § 234, die Freiheitsberaubung, § 239, der erpresserische Menschenraub, § 239 a, die Geiselnahme, § 239 b, und die Nötigung, § 240, Freiheitsdelikte. b) Die Bedrohung, § 241, ist kein Freiheitsdelikt, sondern ein Delikt gegen den persönlichen Rechtsfrieden (str.; eingehender dazu unten § 36), Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a, sollen die Person gegen die Beraubung der Gemeinschaft, des rechtsstaatlichen Schutzes und der Hilfe der Gemeinschaft schützen (dazu unten § 37 II). Die Kindesentziehung, § 235, und die Entführung mit Willen der Entführten, § 236, sind Delikte gegen die familiäre Ordnung (dazu unten § 65 VI, VII), die Entführung gegen den Willen der Entführten, § 237, ist ein Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung (dazu unten § 66 III 5). c) Außerhalb des 18. Abschnittes des StGB wird in zahlreichen Tatbeständen neben anderen Rechtsgütern auch die Freiheit der Willensbetätigung geschützt, so z.B. in § 249 (Raub), § 253 (Erpressung), § 177 (Vergewaltigung) u.a. 2. Das Verhältnis der Freiheitsdelikte zueinander a) Umfassend werden Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung in § 240 unter Strafe gestellt. b) Einen Teilbereich dieses Rechtsguts, nämlich die Freiheit, den derzeitigen Aufenthaltsort zu verlassen (potentielle persönliche Bewegungsfreiheit), schützt § 239. § 239 ist gegenüber § 240 insoweit eine lex specialis. aa) §§ 239 Abs. 2 und Abs. 3 enthalten erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung; beachte § 18. bb) §§ 239 a, 239 b beschreiben qualifizierte Delikte gegen die persönliche Freiheit. cc) In § 234 ist ein spezieller Fall der Freiheitsberaubung geregelt.

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§ 27: Nötigung I. Der objektive Tatbestand 1. Nötigen Nötigen ist die Veranlassung eines anderen zu einem von diesem nicht gewollten Verhalten (Handeln, Dulden oder Unterlassen) durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel. 2. Der Begriff der Gewalt Die Rechtsprechung des RG war von Anfang an dadurch gekennzeichnet, daß das Gericht Gewalt nicht nur in Gewalttätigkeiten sah. Als konstitutives Merkmal des Gewaltbegriffs wurden zum einen die Kraftentfaltung auf Seiten des Täters und zum anderen die Zwangswirkung dem Opfer gegenüber herausgestellt. Betont wurde, daß Gewalt im Sinne des § 240 I nicht nur Gewalt an der Person oder Gewalt gegen die Person sei und daß eine körperliche Berührung des Tatopfers nicht für erforderlich gehalten werde. "Unter den Begriff der Gewalt im Sinne des § 240 fällt daher auch jede unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen, welche geeignet ist und darauf abzielt, die freie Willensentscheidung desselben zu hindern und ihn auf diese Weise zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen"; RGSt 13 S. 50. Auch Gewalt gegen Sachen hat das RG ohne Vorbehalt dem Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Abs. 1 zugeordnet, "wenn sie auch nur indirekt gegen eine Person gerichtet ist und darauf abzielt, den Widerstand derselben zu brechen oder auszuschließen"; RGSt 13 S. 51. a) In der Praxis hat sich das RG bei der Anwendung des Gesetzes jedoch weniger von den begrifflichen Merkmalen leiten lassen als mehr von einem überkommenen Vorverständnis des Delikts, das auf das crimen vis publica des gemeinen Rechts zurückging. Als crimen vis publica wurde eine die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohende Betätigung von Personen erfaßt. Vgl. dazu im einzelnen: JAKOBS H. Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 791 ff; OTTO/KREY/KÜHL Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt aus der Sicht der Strafrechtswissenschaft, Gutachten der Unterkommission VII, in: Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. II, 1990, Rdn. 51 ff. Bedingt durch dieses Verständnis der Gewalt im Sinne des § 240 sah das RG kein Problem bei der Bejahung der Gewalt im Falle des Einsperrens von Personen, auch wenn das Umdrehen des Schlüssels nur mit einem minimalen Kraftaufwand verbunden war und sogar weitere Möglichkeiten bestanden, den Raum zu verlassen, dem Opfer diese aber verborgen waren (RGSt 13 S. 49). Die Bedrohung durch diese Verhaltensweise war evident, da der Genötigte sich als Gefangener sah. Hingegen fehlte dem Verhalten dieser schon • äußerlich - bedrohende Charakter, wenn jemand einem anderen ein betäubendes Mittel eingab, ohne hierbei wiederum selbst Gewalt anzuwenden, oder wenn das Opfer hypnotisiert wurde. Die Ablehnung der Anwendung von Gewalt durch das RG in diesen Fällen lag daher nahe (RGSt 56 S. 87,88 f; 58 S. 98; 64 S. 113, 115 f). - Die Beurteilung des Aussperrens von Personen bereitete dem Reichsgericht hingegen erhebliche Schwierigkeiten, da der schon äußerlich bedrohliche Eindruck des Verhaltens hier nicht grundsätzlich auszuschließen war. Zunächst allerdings interpretierte das RG das Aussperren eines Mieters durch Entfernen der Türklinke als Gewaltanwendung, da der Mieter und seine Familie aufgrund dieses Verhaltens den Witterungseinfl&ssen ausgesetzt waren und dieses eine körperliche Beeinträchtigung darstellte (RG GA 39 (1891) S. 215, 216). Später lehnte es die Gewaltanwendung durch Verschließen der Eingangstür einer Werkstatt ab, weil keine Einwirkung auf den Körper des Mieters vorgelegen habe (RGSt 20 S. 354, 356). Schließlich wurde die Gewaltanwendung wiederum bejaht, denn es reiche "eine nur mittelbar gegen eine Person gerichtete

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Einwirkung aus, die von dem zu Überwindenden körperlich empfunden wird" (RGSt 69 S. 327, 330). Die begrifflichen Voraussetzungen des Gewaltbegriffs hätten diese Differenzierungen nicht erzwungen.

b) In der Rechtsprechung des BGH hat der Gewaltbegriff keine Änderung erfahren, wohl aber sind die konstitutiven Elemente des Begriffs unterschiedlich akzentuiert worden. Am Ende dieser Entwicklung ist deutlich geworden, daß auf Seiten des Täters keine erhebliche körperliche Kraftentfaltung gefordert und daß keine unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Opfers vorausgesetzt wird. Das BVerfG hat in dieser Interpretation des Gewaltbegriffs keinen Verstoß gegen die Verfassung gesehen. Vgl. BVerfGE 73 S. 242 f; dazu CALLIES NStZ 1987 S. 209 ff; KÜHL StV 1987 S. 122 ff; OTTO NStZ 1987 S. 212 f; SCHMITT GLAESER Dürig-Festschrift, S. 91 ff; DERS. Private Gewalt im politischen Meinungskampf, 1990, S. 80 ff; STARCK JZ1987 S. 145 ff. Beispiele aus der Rechtsprechung: Überraschendes Beibringen eines Betäubungsmittels (BGHSt 1 S. 145). - Absperren der Heizung in einer Frostperiode, um eine Zahlung des Mieters zu erzwingen; nicht aber bloße Unterbindung der Heizöllieferung durch entsprechende Anweisung an den Heizöllieferanten (OLG Hamm NJW 1983 S. 1505). - Einflößen von Alkohol gegen den Willen des Betroffenen (BGHSt 14 S. 82). - Verhindern des Überholens durch Linksfahren (BGHSt 18 S. 389). - Dichtes Auffahren zur Erzwingung eines Überholvorgangs (BGHSt 19 S. 263; BayObLG VRS 79 (1990) S. 15). Abgabe von Schreckschüssen (BGH GA 1962 S. 145). - Richten einer entsicherten Pistole auf einen anderen (BGHSt 23 S. 126). - Blockaden von Straßen, Zufahrten u.a., z.B. Blockieren von Straßenbahnschienen durch Sitzstreik (BGHSt 23 S. 46); Blockieren der Zufahrt zu Munitionslager (BGHSt 35 S. 270). - Verteidigung eines Parkplatzes durch einen Fußgänger gegenüber Autofahrer (OLG Köln NJW 1979 S. 2056). - Wegschieben eines Fußgängers aus einer Parklücke (OLG Hamburg NJW 1968 S. 662). - Erzwingen des Abbruchs einer Lehrveranstaltung durch Lärm (BGH NJW 1982 S. 189). - Willkürliches Abbremsen eines Kfz (OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 265).

c) Die Entwicklung der Rechtsprechung ist in der Lehre weitgehend auf Kritik gestoßen. Es wird insbesondere geltend gemacht, daß der Gewaltbegriff jegliche Konturen verloren hat, nachdem die bloße Zwangswirkung für das Opfer an die Stelle der unmittelbaren Einwirkung auf den Körper des Opfers getreten ist, daß Sachbeschädigungen im Rahmen eines so verstandenen Gewaltbegriffs in Nötigungen umgedeutet werden können und daß die Grenze zwischen Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt vollkommen aufgehoben worden ist. Gefordert wird zum einen die Begrenzung der Gewalt auf unmittelbar körperliche Eingriffe: BERGMANN Das Unrecht der Nötigung (§ 240 StGB), 1983; KOSTARAS Zur strafrechtlichen Problematik der D e m o n s t r a t i o n s d e l i k t e , 1982; SCHMIDHÄUSER B.T., 4 / 4 , 4 / 1 5 ; SEILER Pallin-Festschrift, S. 381, 399;

WEBER in: Arzt/Weber, LH1, Rdn. 582; WOLTER NStZ 1985 S. 193 ff, 245 ff. - Zum anderen befürworten eine Begrenzung des Gewaltbegriffs auf aggressives oder gewalttätiges Verhalten: CALLIES Recht und Staat, 1974, S. 33; OTT Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 5. Aufl. 1987, § 15 Rdn. 9. - Schließlich wird der Gewaltbegriff normativ bestimmt von JAKOBS H. Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 796 ff; v. HEINTSCHEL-HEINEGG Die Gewalt als Nötigungsmittel im Strafrecht, 1975, S. 236; TLMPE Die Nötigung, 1989, S. 70 ff. - Daneben stehen Versuche, die vis absoluta aus dem Tatbestand der Nötigung herauszunehmen - KÖHLER Leferenz-Festschrift, S. 511 ff, 524 - oder den Tatbestand auf derartige Fälle zu beschränken - vgl. SOMMER NJW 1985 S. 769, 772 -, bzw. unter Vernachlässigung des Tatmittels auf den Verlust der Willensfreiheit des Opfers und deren Ersetzung durch den Willen des Täters abzustellen; vgl. GÖSSEL in: Recht in Ost und West, hrsg. v. Institute of Comparative Law Waseda University, 1988, S. 956 ff.

d) Diese Kritik an der Rechtsprechung ist nur insoweit berechtigt, als in der Rechtsprechung die Grenze zwischen der Gewaltanwendung und der Drohung mit einem empfindlichen Übel in der Tat verwischt wird. Im übrigen aber sind alle Versuche, die Gewaltanwendung auf einen körperlichen Eingriff oder auf die Gewalttätigkeit zu beschränken von vornherein dogmatischen Zweifeln ausgesetzt, denn sie begründen nicht aktzeptable Unterschiede in der Strafbarkeit. In gleicher Weise

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wirksame Eingriffe in die Willensbildungs- oder Willensbetätigungsfreiheit werden rechtlich ungleich behandelt. So liegt z.B. Nötigung vor, wenn jemand zur Geschäftsaufgabe gezwungen werden soll mit der Drohung, sonst werde sein Laden rechtswidrig ausgeräumt, hingegen läge keine Nötigung vor, wenn die Geschäftsaufgabe unmittelbar durch Ausräumen des Ladens bewirkt wird (BGH wistra 1987 S. 212). Es läge Nötigung mit Gewalt vor, wenn jemand durch Festhalten am Wegfahren gehindert werden soll, hingegen bliebe das Verhalten straffrei, wenn das Wegfahren durch Blockieren der Räder des Fahrzeugs verhindert wird. e) Ausgangspunkt der Abgrenzung kann daher nur die jeweilig unterschiedliche Zwangswirkung sein, wobei die Gegenwärtigkeit der Zwangswirkung im Gegensatz zum künftig in Aussicht gestellten Übel das wesentliche Abgrenzungskriterium ist, das aber weiterer Eingrenzung bedarf. Die Zwangswirkung muß nicht nur gegenwärtig sein, sie muß sich körperlich auswirken, körperlich vermittelt werden. Dieses ist der Fall, wenn der Genötigte ihr entweder überhaupt nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in nicht zumutbarer Weise begegnen kann. - Die Voraussetzung der Körperlichkeit wird damit allerdings normativiert. Diese Normativierung ist aber erforderlich, weil die Beschränkung der Nötigung auf Brachialgewalt dem sozialen Sinngehalt nötigenden Verhaltens im heutigen Sozialleben nicht mehr gerecht werden würde. Zur Gegenwärtigkeit der Zwangswirkung: HAFT B.T., § 19 II 2 a; HORN SK, § 240 Rdn. 5 ff, 9, 11; KNÖDEL Der Begriff der Gewalt im Strafrecht, 1962, S. 52 ff; SCH/SCH/ESER Vor § 234 Rdn. 6 , 9 , 1 5 ff; - zur körperlichen Auswirkung: BROHM J Z 1985 S. 503 ff; BUSSE Nötigung im Straßenverkehr, 1968, S. 94 ff; 100 ff; GEERDS Einzelner und Staatsgewalt im geltenden Strafrecht, 1969, S. 31; KREY Zum Gewaltbegriff im Strafrecht, 1. Teil, in: BKA (Hrsg.), Was ist Gewalt?, 1986, Rdn. 136; WELZEL Lb., § 4311; - zur Normativierung: DREHER/TRÖNDLE § 240 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 240 Anm. 3 a, bb; OTTO NStZ 1987 S. 212 f; SCHÄFER LK, § 240 Rdn. 5 ff.

Demgemäß ist Gewalt, der - nicht notwendig erhebliche • Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der von der Person, gegen die er sich richtet, als nicht nur seelischer, sondern körperlicher Zwang empfunden wird. - Körperlich wird ein Zwang empfunden, wenn das Opfer ihm in der konkreten Situation gar nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in unzumutbarer Weise begegnen kann. Vgl. dazu: BayObLG NJW 1990 S. 59; OLG Köln StV 1990 S. 266; DREHER/TRÖNDLE § 240 Rdn. 12; KREY Gewaltbegriff, Rdn. 236; LACKNER StGB, § 240 Anm. 3 a, bb; SCH/SCH/ESER Vor § 234 Rdn. 22; SCHÄFER LK, § 240 Rdn. 5 ff.

f) Konsequenzen: Die nötigende Gewalt kann sich unmittelbar gegen die Person, die zu einem bestimmten Verhalten gezwungen werden soll, richten, sie kann ihre Zwangswirkung aber auch durch Einwirkung auf Sachen oder auf dritte Personen entfalten. Auch Gewalt gegen einen Dritten ist Gewalt gegen den zu Nötigenden, soweit diese die Willensbildung oder Willensbetätigung des zu Nötigenden in der vorausgesetzten Weise beeinträchtigt. Daß der Dritte dem zu Nötigenden in besonderer Weise nahesteht, ist nicht erforderlich, maßgeblich ist die Zwangswirkung. Zur Verdeutlichung: Fall 1: A, der selbst nicht Autofahren kann, wird gezwungen eine Fahrt abzubrechen, weil sein Chauffeur niedergeschlagen wird. Ergebnis: Gewalt gegen den Chauffeur zugleich Gewalt gegen A, da dem A die Betätigung seines Willens unmöglich gemacht wird; vgl. auch: RGSt 17 S. 82; SCHÄFER LK, § 240 Rdn. 39.

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Fall 2: Wie unter aa), aber A wird gezwungen seine Reise abzubrechen, weil sein Chauffeur in einen Keller eingesperrt wird, dessen Tür A nur mit großen Mühen aufbrechen könnte. Ergebnis: Wie unter aa), da A dem Zwang nur mit erheblicher Kraftentfaltung begegnen könnte. Fall 3: Wie aa), allerdings könnte A das Auto fahren, aber er besitzt keinen Führerschein. Ergebnis: Wie unter aa), denn es ist dem A unzumutbar, dem Zwang durch Fahren ohne Führerschein zu entgehen. 3. Die Drohung mit einem empfindlichen

Übel

a) Drohung ist die Ankündigung eines Übels, auf dessen Eintritt der D r o h e n d e zumindest vorgeblich - Einfluß hat. - O b der Täter die Drohung realisieren will oder sich insgeheim vorbehält, dieses nicht zu tun, ist unwesentlich. b) Empfindlich ist das Übel, wenn es einen Nachteil von solcher Erheblichkeit bedeutet, daß seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. D i e s e Voraussetzung ist gegeben, w e n n v o n d e m konkret Bedrohten in seiner individuellen Lage nicht erwartet werden kann, daß er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. Vgl. BGH NJW 1983 S. 767; BGH wistra 1984 S. 23. - Dazu auch: MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T.l, § 13 Rdn. 26; WELZEL Lb., | 4311 a. - Einen objektiven Maßstab - Eignung der Drohung "einen besonnenen Durchschnittsmenschen" zu bestimmen - fordern: BayObLGSt 1955 S. 12; KLEIN Zum Nötigungstatbestand - Strafbarkeit der Drohung mit einem Unterlassen, 1988, S. 136 ff; KREY B.T.l, Rdn. 326; LACKNER StGB, § 240 Anm. 4 b; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 9. Zur

Verdeutlichung:

Fall 1: Dem A, einem ehemaligen Alkoholiker, bei dem schon die kleinste Menge Alkohol zum Rückfall führen kann, wird von B angedroht, er werde demnächst ein Getränk des A mit einer geringen Menge Alkohol versetzen, wenn A nicht einen bestimmten Betrag bezahlt. Ergebnis: Einen "besonnenen Durchschnittsmenschen" würde die Drohung des B sicher nicht ängstigen. Warum der A aber deshalb gegen Nötigung nicht geschützt sein soll, nur weil seine körperliche Verfassung der des Durchschnittsmenschen nicht entspricht, ist nicht einzusehen. Fall 2: A, der etwas nervös ist, pflegt hin und wieder übersteigert zu reagieren. Als B ihn auffordert, ihn in seine Geschäftsgeheimnisse einzuweihen, sonst werde er ein Volkslied heruntergröhlen, gibt A nach. Ergebnis: Auch unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten des A liegt keine Androhung eines empfindlichen Übels vor. A reagiert nicht auf einen erheblichen Zwang, sondern auf eine bloße Störung seiner Ruhe. Auch in seiner individuellen Lage kann erwartet werden, daß er der Drohung standhält. c) D i e Androhung eines Unterlassens Fall: Abwandlung von BGHSt 31 S. 195: Die Ladendiebin B ist gefaßt worden. Der Hausdetektiv H hat eine Anzeige geschrieben und in die Post gegeben. A, ein Kollege des H, bietet der B an, diese Anzeige aus der Post zu entfernen, wenn sie mit ihm schlafe. Z.T. wird die Ankündigung eines Unterlassens in Lehre und Rechtsprechung nur dann als Drohung mit einem Ü b e l verstanden, wenn eine Rechtspflicht des Drohenden zum Handeln besteht: Wer nur in Aussicht stellt, ein d e m Opfer drohendes Ü b e l durch Dritte oder einen schon in Gang befindlichen Kausalverlauf nicht abzuwenden, kündigt selbst kein Ü b e l an, im Gegenteil, er stellt lediglich einen Vorteil in Aussicht, den er allerdings vergütet haben möchte. Vgl. BGH GA 1960 S. 278; OLG Hamburg NJW 1980 S. 2592; BAUER JZ 1953 S. 652 f; FROHN StV 1983 S. 365 f; HAFFKE ZStW 84 (1972) S. 71 Anm. 135; HERZBERG Die Unterlassung im Strafrecht und

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das Garantenprinzip, 1972, S. 150; HORN NStZ 1983 S. 497 ff; OSTENDORF NJW 1980 S. 2592 f; ROXIN JuS 1964 S. 377; DERS. modifizierend JR 1983 S. 335 f; SCHUBARTH JuS 1981S. 726 ff.

Die Gegenmeinung sieht in dieser Argumentation eine unzulässige Übertragung der Grundsätze der Haftung aus einem unechten Unterlassungsdelikt auf ein Begehungsdelikt durch Ankündigung einer Unterlassung, die kriminalpolitisch keineswegs erwünscht ist. Die generelle Ausklammerung der Ankündigung rechtmäßigen Unterlassens aus §§ 240, 253 eröffnet nämlich die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung in Fällen, in denen die Koppelung von Mittel und Zweck sozial unerträglich ist. Vgl. BGHSt 31 S. 195; DREHER/TRÖNDLB § 240 Rdn. 18; SCHÄFER LK, § 240 Rdn. 81 ff; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 20; STOFFERS JR 1988 S. 492, 496 f; VOLK JR 1981 S. 274. - Modifizierend: ARZT Lackner-Festschrift, S. 641,656 f; SCHROEDER JZ1983 S. 288.

Zwar erscheint die Androhung, die Abwendung eines bereits drohenden Übels zu unterlassen, objektiv als Vorteil für den Betroffenen. Subjektiv ist jedoch maßgeblich, daß dem Betroffenen ein Übel droht, auf das der Täter Einfluß zu haben vorgibt. Würde man diese Fälle bereits aus dem Tatbestand der Nötigung ausscheiden, so wäre hier die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung eröffnet. Die Problematik ist daher nicht auf der Ebene des Tatbestandes, sondern innerhalb der Rechtswidrigkeitsprüfung zu lösen.

II. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 verlangt Vorsatz, bedingter genügt. Demgegenüber wird in der Lehre z.T. ein zielgerichtetes Handeln zu Nötigungszwecken gefordert, denn es erscheint nicht überzeugend, z.B. denjenigen, der ein fremdes Kraftfahrzeug zerstört hat, auch wegen Nötigung zu bestrafen, wenn er weiß, daß der Eigentümer des Fahrzeugs durch sein Verhalten gezwungen wird, nunmehr zu Fuß nach Hause zu gehen. Derartige Konsequenzen sind aber nicht durch die Beschränkung des Vorsatzes zu korrigieren. Die Vermögensdelikte schützen die gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung der Person. Soweit diese Entfaltung durch eine Sachzerstörung oder -entziehung beeinträchtigt wird, ist der Unrechtsgehalt voll durch das Vermögensdelikt erfaßt oder - falls das Verhalten als Vermögensdelikt nicht strafbar ist - vom Gesetzgeber als nicht strafwürdig beurteilt worden. Erst einer darüber hinausgehenden Absicht käme im Rahmen der Nötigung Eigenständigkeit zu. - Die Problematik liegt hier genauso wie in dem Fall, daß der Straftäter den Polizisten durch Flucht zur Verfolgung "nötigt". Diesem Verhalten kommt keinerlei Eigenständigkeit neben der zuvor erfolgten Deliktsverwirklichung zu. D a ß in derartigen Fällen daher nur die beabsichtigte Nötigung eigenständig zu erfassen ist, ändert nichts daran, daß die Nötigung selbst grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz verwirklicht werden kann. Wie hier: BGHSt 5 S. 246; DREHER/TRÖNDLE § 240 Rdn. 33; GEILEN H. Mayer-Festschrift, S. 461; HAFFKE ZStW 84 (1972) S. 51 ff; JAKOBS J R 1982 S. 206 f; WEBER in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 598. Zielgerichtetes Handeln zu Nötigungszwecken fordern: HORN SK, § 240 Rdn. 7; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 13 Rdn. 41; SCHMIDHÄUSER B.T., 4/14, 17; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 34. - Differenzierend: WESSELS B.T.-l, § 8 III 5.

III. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung 1. Rechtfertigungsgrund und Verwerflichkeitsprüfung a) Schon bei der Verletzung scharf umrissener Rechtsgüter wie Leben, Körper, Eigentum o.ä. ist der Satz: "der Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund vorliegt", unrichtig, weil er von der Fiktion eines geschlos-

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senen und bekannten Kreises von Rechtfertigungsgründen ausgeht und den dem Täter gegenüber zu erbringenden positiven Nachweis der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu dessen Lasten durch die bloße Aufzählung nicht vorliegender Rechtfertigungsgründe ersetzt. Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 1 .

Bei einem Rechtsgut, das allein schon durch seine Weite unzähligen verschiedenen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, wäre die schlichte Erwägung, ob im Falle einer solchen Beeinträchtigung ein herkömmlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt oder nicht, geradezu verhängnisvoll. - Bereits die Tatsache, daß die rechtfertigenden Situationen zunächst bei den Verletzungen von Leib und Leben ins Auge fielen und im Verständnishorizont dieser Eingriffe ausformuliert wurden, macht deutlich, daß sie gar nicht geeignet sind, die Vielfalt der hier möglichen Situationen sachgerecht zu erfassen. Eine haltlose Vielstraferei wäre die Folge, wollte man die Rechtfertigung derart begrenzen. b) Mit dem Verweis auf die Verwerflichkeit in § 240 Abs. 2 anstatt auf die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens soll daher nicht etwa die Strafbarkeit erweitert werden, so daß auch nicht rechtswidriges, aber sittlich anstößiges Verhalten strafbar wäre, sondern Zwang ausgeübt werden, genau zu prüfen, ob ein Verhalten bereits einen solchen Grad der Strafwürdigkeit aufweist, daß es mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden muß. Daraus folgt: Ein gerechtfertigtes Verhalten ist in diesem Sinne niemals verwerflich. Die herkömmlichen Rechtfertigungsgründe sind daher vor der Verwerflichkeit zu prüfen. Mit der Ablehnung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes ist jedoch noch nicht die Strafwürdigkeit des Verhaltens dargetan. Diese ist in der Verwerflichkeitsprüfung nachzuweisen. Der Ausschluß der Verwerflichkeit beseitigt die Strafwürdigkeit des Verhaltens, d.h. die Rechtswidrigkeit i.S. des § 240 Abs. 2. GÜNTHER - Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 322 f - spricht hier zutreffend von einem Strafunrechtsausschluß im Gegensatz zum allgemeinen Ausschluß der Rechtswidrigkeit, da das Strafunrecht stets in besonderer Weise strafwürdiges Unrecht sein muß. Vgl. BGHSt 2 S. 194, 195 f; BGHSt 35 S. 270; BERGMANN Unrecht, S. 171 ff, 176; SCHÄFER LK, § 240 R d n . 66; SCHMIDHÄUSER B.T., 4 / 1 8 . - A A . T a t b e s t a n d s a u s s c h l u ß : HIRSCH L K , V o r § 3 2 R d n . 19; JAKOBS A . T . , 6 / 6 1 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 13 R d n . 2 9 ff; ROXIN Z S t W 8 2 ( 1 9 7 0 ) S. 6 8 2 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 16.

2. Der Inhalt der Verwerflichkeitsklausel a) Ob ein Verhalten verwerflich ist, darf nicht isoliert nach dem eingesetzten Mittel oder dem erstrebten Zweck beurteilt werden, sondern ist aus der sog. MittelZweck-Relation, d.h. aus der Verknüpfung von Nötigungsmittel und -zweck, herzuleiten. Sachlich kommt es darauf an, ob die Nötigung aufgrund dieser Relation nach allgemeinem Urteil so sozialethisch zu mißbilligen ist, "daß sie ein als Vergehen strafwürdiges Unrecht, eine über die Erfüllung eines bloßen Übertretungstatbestandes hinausgehendes Unrecht" (BGHSt 18 S. 391), ein "sozial unerträgliches" Verhalten (WELZELLb., § 43 1 3 b) darstellt. Unter Berücksichtigung der Funktion der Verwerflichkeitsklausel bedeutet das: In einem Verfahren sozialethischer Wertung, wie es aus der Arbeit mit dem rechtferti-

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genden Notstand bekannt ist, gilt es zu prüfen, ob ein bestimmtes Verhalten bereits als sozialschädliche, sozialgefährliche und damit strafwürdige Verhaltensweise erscheint oder ob es noch als sozialstörendes, unerwünschtes Verhalten unterhalb der Strafwürdigkeitsgrenze angesehen werden kann. b) Bei der Bestimmung der Mittel-Zweck-Relation sind die subjektiv verfolgten Zwecke des Täters umfassend zu würdigen. Eine Begrenzung auf den unmittelbar angestrebten Zweck - sogenanntes Nahziel - im Gegensatz zu den über das Nahziel hinausgehenden Zwecken - sogenannte Fernziele - ist sachlich unangemessen, denn es handelt sich um eine Rechtswidrigkeitsprüfung im weiteren Sinne, die methodisch auf das Verhaltens des Täters bezogen ist, das als Objektivation subjektiver Zielsetzung umfassend und nicht nur in einem Teilbereich zu würdigen ist. Bei allen Rechtfertigungsgründen gibt es nämlich tatbestandsmäßige Nahziele und rechtfertigende Fernziele. Beispiel: Veranlaßt A den Autofahrer B zum Anhalten, weil hinter der nächsten Kurve ein Felsbrokken auf der Straße liegt, der für B eine tödliche Gefahr bedeutet, so wäre die Rechtswidrigkeitsprüfung unter dem Aspekt des rechtfertigenden Notstands, § 34, methodisch verfehlt, würde man den Eingriff in die Freiheit des B allein unter dem Aspekt des Nahziels: "Anhalten" des B beurteilen. Selbstverständlich ist hier zu berücksichtigen, daß das Anhalten erfolgt, um das Fernziel: "Lebensrettung" des B zu ermöglichen.

Eine ganz andere Problematik ist es hingegen, daß die Durchsetzung politischer, religiöser, weltanschaulicher und wirtschaftlicher Ziele des Täters nicht Eingriffe in Rechtsgüter Dritter legitimieren können. Ob ein Eingriff in die Freiheit eines Dritten noch als sozial erträglich unterhalb der Grenze der Strafwürdigkeit anzusehen ist, kann nicht durch eine Differenzierung von Nah- und Fernzielen entschieden werden, sondern ist nach Art, Weise, Umfang und Veranlassung des Eingriffs selbst zu bestimmen. Für eine Begrenzung der Beurteilung auf die sog. Nahziele: BGHSt 35 S. 270; OLG DÜSSELDORF M D R 1989 S. 840; O L G ZWEIBRÜCKEN S t V 1990 S. 264; A R Z T W e l z e l - F e s t s c h r i f t , S. 8 2 8 ff; BAUMANN N J W 1987 S. 37; DERS. Z R P 1987 S. 265; BROHM J Z 1985 S. 501, 511; D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 4 0 R d n . 27; JAKOBS J Z 1986 S. 1064; GÖSSEL B . T . 1, § 19 R d n . 28; KÜHL S t V 1987 S. 1 2 2 ff; LACKNER S t G B , § 2 4 0 A n m . 6 a; SCHÄFER L K , § 240 R d n . 2 7 , 6 1 ; STARCK J Z 1987 S. 1 4 5 , 1 4 8 ; TRÖNDLE L a c k n e r -

Festschrift, S. 634; DERS. Rebmann-Festschrift, S. 481,499 ff.

Für eine umfassende Beurteilung der tatrelevanten Umstände, wenn auch mit zum Teil unterschiedlicher Gewichtung: BERGMANN Unrecht S. 184; ESER Jauch-Festschrift S. 39 ff; ARTHUR KAUFMANN N J W 1988 S. 2583; DERS. P . - S c h n e i d e r - F e s t s c h r i f t , S. 167; M E U R E R / BERGMANN J R 1988 S. 5 2 f; O T T O / K R E Y / K Ü H L G u t a c h t e n , R d n . 72; S C H / S C H / E S E R § 240 R d n . 29.

c) Unter Beachtung dieser Grundsätze wird die Nötigung dann als strafwürdig anzusehen sein, wenn ein gravierender Eingriff in die Rechtsgüter eines anderen zur Durchsetzung eigener - egoistischer oder altruistischer - Zwecke erfolgt oder wenn zwei nicht zusammenhängende Lebensvorgänge willkürlich durch den Täter verknüpft werden und ein Standhalten des Opfers mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen für das Opfer verbunden ist. Das bedeutet: Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels nach Zweck, Art und Umfang des Eingriffs in die Willensbildungsoder Willensbetätigungsfreiheit nicht geringfügig und im Hinblick auf ein pflichtwidriges Verhalten des Genötigten unangemessen ist. In die gleiche Richtung argumentieren: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l § 13 Rdn. 34; SCHMITT GLAESER B a y V B l 1988 S. 4 5 7 f; DERS. D ü r i g - F e s t s c h r i f t , S. 106 ff; VOLK J R 1981 S. 274; i m

übrigen vgl. ARZT Welzel-Festschrift, S. 823 ff; HANSEN Die tatbestandliche Erfassung von Nötigungs-

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§ 27 Nötigung unrecht, 1 9 7 2 , S. 1 5 4 ff; JuS 1 9 6 4 S. 3 7 3 ff.

OTTO/KREY/KÜHL

Gutachten, Rdn. 9 4 ff;

SCHMIDHÄUSER B.T., 4 / 1 8 ;

ROXIN

3. Zur Verdeutlichung: a) BGHSt 5 S. 254: Der Vermieter V erhält davon Kenntnis, daß sein Mieter M, mit dem er seit langem in Streit lebt, versucht hat, seine Scheune anzuzünden. V schreibt ihm, er werde ihn wegen versuchter Brandstiftung anzeigen, falls er nicht auf der Stelle ausziehe. BGH: Nötigung des M durch V nicht verwerflich, da der Sachverhalt, der das Recht zur Strafanzeige gibt, zugleich den Anspruch begründet, den V geltend macht. Das bedeutet: Die Tatsache der unerlaubten Selbsthilfe als solche ist noch nicht strafwürdig, wenn der Täter dem Betroffenen die rechtlichen Maßnahmen androht, zu denen er aufgrund des in Rede stehenden Sachverhalts berechtigt wäre oder die ihm auch im Rechtswege gewährt würden. - Anders hingegen, wenn Maßnahmen aufgrund eines Sachverhalts angedroht werden, der in keinerlei sachlicher Beziehung zum Mietverhältnis steht, so z.B. wenn V dem M angedroht hätte, einen Ladendiebstahl des M, vom dem V weiß, zur Anzeige zu bringen; vgl. auch OLG Hamburg HESt 2 S. 293. b) BGHSt 31 S. 195 - zum Sachverhalt vgl oben I 3 c -: Die Verknüpfung der Beseitigung der Anzeige mit der Aufforderung zum Geschlechtsverkehr ist verwerflich. Hier werden heterogene Lebensvorgänge in einen nötigenden Zusammenhang gebracht, und ein Standhalten des Opfers ist für dieses mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden. Daher kommt es nicht darauf an, ob das Opfer einen Rechtsanspruch auf das Verhalten des Täters hat oder nicht. c) OLG Koblenz J R 1976 S. 69 mit Anm. R O X I N S. 71ff:Die A, eine Filialleiterin, forderte von einer ertappten Ladendiebin DM 50,- als Bearbeitungsgebühr (Fangprämie), sonst werde sie Anzeige erstatten. Sie ging davon aus, daß aufgrund der Aufwendungen für Beobachtungen und des Arbeitsausfalles ein derartiger Anspruch gegen die Ladendiebin bestehe. OLG Koblenz: Nötigung. - Dagegen mit Recht R O X I N : Bestand der Anspruch, so diente die Drohung mit der Anzeige wegen Diebstahls allein der Durchsetzung und Klärung des Anspruchs aus dem Diebstahl. Die A nahm dann durch Drohung mit der Anzeige ihre Rechte wahr, machte sich aber keiner verwerflichen Nötigung schuldig. - Falls A den Bestand des Anspruchs irrig annahm: vgl. Fall h). Zum StreitstandMERTINS GA 1980 S. 47; MBURER Die Bekämpfung des Ladendiebstahls, 1976, S. 24 ff; DERS. JuS 1976 S. 300 ff; SCHULTZ MDR 1981S. 373. d) OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 51: Von einer Autobahnauffahrt fuhr A auf die rechte Fahrbahn der Autobahn, wobei er den notwendigen Sicherheitsabstand zu B erheblich unterschritt. B mußte sein Fahrzeug abbremsen. OLG Düsseldorf: Das Verhalten des A rechtfertigt wegen seines Bagatellcharakters nicht das Verwerflichkeitsurteil. Derartige einmalige Vorfahrtsverletzungen oder kurzfristiges, nahes Auffahren erreichen noch nicht die Grenze der Strafwürdigkeit. e) BGHSt 35 S. 270: A und andere beteiligten sich am 9.5.1983 an einer ganztägigen Blockadeaktion vor dem Sondermunitionslager Großengstingen. Durch Blockade der einzig befahrbaren Zufahrt zu dem Depot wollten sie "ein Zeichen setzen" und damit gegen die in ihren Augen sich ständig steigernde Hochrüstung demonstrieren. Aufforderungen, sich zu entfernen, kamen sie nicht nach. Sie ließen sich jedoch widerstandslos durch Polizeibeamte von der Fahrbahn tragen. BGH: Verhalten des A verwerflich, da die Fernziele von Straßenblockierern nicht bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung sondern ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Überzeugender in der Begründung ist jedoch BayObLG NJW 1988 S. 719: "Ein solches Verhalten, das Dritte zum Werkzeug, zum Objekt des Handelns Andersdenkender macht, findet seine sittliche Mißbilligung auch in der darin zum Ausdruck kommenden Mißachtung der Menschenwürde (BVerfGE 27,6; 45,228; BayObLGSt. 1986, 19, 24) und in dem Negieren der Handlungs- und Meinungsfreiheit anderer ... Wenn aber ... die unmittelbar gewollten oder gebilligten Wirkungen - Behinderung anderer zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für eine bestimmte politische Meinung = Nahziel - in ihrem Zusammenhang mit der Gewaltausübung als verwerflich anzusehen sind, vermag das letztlich verfolgte Fernziel - z.B. Eintreten für Frieden und Abrüstung - daran nichts zu ändern. Die Berücksichtigung solcher Fernziele im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung würde zu einer unannehmbaren Subjektivierung eines Straftatbestandes führen und den Strafrichter darüber befinden

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Delikte gegen die persönliche Freiheit

lassen, ob die von den berufenen Staatsorganen ergriffenen oder gebilligten Maßnahmen zur Wahrung des Friedens die richtigen Mittel zum - allseits anerkannten - Ziel sind (Dreher/Tröndle, StGB, 43. Aufl., § 240 Rdn. 10; Schäfer, LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 61 b; OLG Düsseldorf NJW 1986,942, 945). Die Strafbarkeit eines Demonstrationsverhaltens kann daher nicht vom Wert oder Unwert des Demonstrationszieles abhängig gemacht werden (vgl. Otto, NStZ 1987,213; Baumann, NJW 1987,38)." Zur Auseinandersetzung mit BGHSt 35 S. 279: ARZT J Z 1988 S. 775 ff; JAHN JuS 1988 S. 946 ff; ARTHUR KAUFMANN N J W 1988 S. 2581 ff; OSTENDORF StV 1988 S. 488 ff; OTTO J K 88, S t G B § 240 n / 3 ; ROGGEMANN J Z 1988 S. 1108 ff; SCHMITT GLAESER BayVBl. 1988 S. 454 ff.

Eingehende Übersicht über den Streitstand bei der strafrechtlichen Beurteilung von Sitzblockaden bei OTTO/KREY/KOHL Gutachten, R d n . 64 ff.

Zum Ausschluß der Verwerflichkeit bei kurzfristigen, symbolischen Blockaden, vgl. OLG Koblenz NJW 1985 S. 2434; OLG Köln NJW 1986 S. 2443. f) BGH NStZ 1982 S. 287: H wollte mit der Freundin F des A geschlechtlich verkehren. Als F sich weigerte, äußerte A, daß es zwischen ihnen aus sei, wenn F nicht mache, was der H wolle. Daraufhin willigte F in den Geschlechtsverkehr ein. BGH: § 240 Abs. 1 entfällt bereits, weil das angedrohte Übel (Abbruch der Freundschaft) unter diesen Umständen nicht als empfindliches anzusehen war. - Darüber läßt sich streiten, denn die Entscheidung hängt davon ab, wie weit man die Bindung der F an A zu ihren Gunsten berücksichtigt. Vertretbar daher auch die Androhung eines empfindlichen Übels. Dann war die Nötigung jedoch nicht verwerflich, da ein Standhalten der F nicht mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden war. Dazu auch: SCHROEDER J Z 1983 S. 287. g) BGH NStZ 1982 S. 286: A forderte die E zum Geschlechtsverkehr auf. Für den Fall ihrer Verweigerung drohte er, sich selbst umzubringen. E gab nach. Ergebnis: Auch hier kann schon die Frage, ob A mit einem empfindlichen Übel drohte, unterschiedlich beantwortet werden. Keinesfalls war die Nötigung aber verwerflich; vgl. Fall f). h) Der Gastwirt A verwechselt den Gast G mit dem Gast Y, dem er Lokalverbot erteilt hat. Als er den G in seiner Gaststätte sieht, weist er ihn hinaus und als G nicht freiwillig geht, drängt er ihn gewaltsam auf die Straße. Ergebnis: Verwerflichkeit ist abzulehnen, denn aus der Sicht des A setzt er lediglich das Verbot mit zulässigen Mitteln durch. Des Rückgriffs auf die Irrtumslehre bedarf es hier nicht, denn wer aufgrund eines Irrtums über Tatsachen der Meinung ist, rechtmäßig zu handeln, setzt aus seiner Sicht ein erlaubtes Mittel zu einem erlaubten Zweck ein. - Zu den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten der Problematik über die Irrtumslehren: - RoxiN JR 1976 S. 71 f.

IV. Versuch und Vollendung 1. Beginn der abgenötigten Handlung und Tatvollendung BGH NStZ 1987 S. 70: A, der die H in sein Fahrzeug verbringen wollte, um mit ihr an einen entlegenen Ort zu fahren und dort den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben, versuchte die H in das Fahrzeug zu drücken. Aufgrund der Gegenwehr des Opfers gelang dieses nicht. H konnte nur z.T. in das Fahrzeug gedrängt werden. A nahm von seinem Vorhaben daher Abstand. BGH: Die Nötigung durch A war bereits vollendet.

Die h.M. bejaht eine vollendete Nötigung bereits dann, wenn das Opfer unter Einwirkung des Nötigungsmittels mit der verlangten Handlung, Duldung oder Unterlassung begonnen hat. Vgl. DREHER/TRÖNDLE § 240 R d n . 32; LACKNER StGB, § 240 A n m . 7; SCHÄFER LK, § 240 R d n . 58.

Dem kann nicht gefolgt werden. Die Nötigung ist ein Erfolgsdelikt. Beginnt das Opfer mit dem geforderten Verhalten, so wird in der Regel der Handlungsunwert durch den Täter verwirklicht sein. Der Erfolgsunwert ist jedoch erst eingetreten,

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wenn das angestrebte Handlungsziel erreicht ist. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt nur ein Versuch vor. Dazu auch: OTTO JK 87, StGB § 240/10.

2 Vermittlung des Nötigungserfolges durch Dritte BayObLG JZ 1990 S. 448: Die Angeklagten blockierten die Zufahrt zu einer Baustelle. Um gewaltsame Konfrontationen von Autofahrern und Blockierern zu verhindern, sperrte die Polizei den Bereich ab und hielt die Kraftfahrzeuge etwa 300 m vor der Blockade an. BayObLG: Nur versuchte, nicht aber vollendete Nötigung durch die Angeklagten."... Der Tatbestand der Nötigung lautet aber nicht: "Wer rechtswidrig mit Gewalt... die Handlung, Duldung oder Unterlassung eines anderen verursacht, ...*, sondern: "wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt... nötigt,...". Daraus zieht der Senat den Schluß, daß es nicht genügt, wenn die intendierte Handlung in irgendeiner ursächlichen Verknüpfung mit der Gewalt steht, so zjJ., daß eine Straßenblockade die Polizei veranlaßt, den Verkehr anzuhalten oder umzuleiten. Vielmehr muß für die Erfüllung des Tatbestands der Nötigung und damit für die Vollendung der Tat verlangt werden, daß die Handlung, Duldung oder Unterlassung die spezifische Folge der Gewalteinwirkung ist Die Gewalt muß das Nötigungsopfer erreicht haben; dessen Willensentscheidung muß unter direkter Einwirkung dieser Gewalt zustande gekommen sein."

Bei der Vermittlung des Nötigungserfolges durch Dritte ist der Erfolg dem Ersttätigen zuzurechnen, falls dieser das Verhalten des Dritten als mittelbarer Täter beherrscht. Ist dieses nicht der Fall, weil der Dritte in Kenntnis der Situation eine eigenverantwortliche Entscheidung trifft, ist diese Entscheidung die Grundlage für den Nötigungserfolg. Es liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs vor. Dem zunächst Tätigen ist das Verhalten nur als Versuch zuzurechnen. Vgl. auch O T T O JK 90, StGB § 240/12. - A A OLG Stuttgart Justiz 1986 S. 417.

§ 28: Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Freiheit der Person, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen; sog. potentielle persönliche Bewegungsfreiheit. Da die potentielle, nicht aber die reale persönliche Bewegungsfreiheit maßgeblich sein soll, kommt die h.M. zu dem Ergebnis, es sei bedeutungslos, ob der Betroffene die Beeinträchtigung seiner Bewegungsfreiheit wahrgenommen habe oder nicht. Sodann jedoch wird differenziert. Während einige den Grundsatz uneingeschränkt anwenden, kommen andere zu dem Ergebnis, eine Freiheitsberaubung sei nicht möglich, wenn der Betroffene zur Tatzeit einen natürlichen Fortbewegungswillen gar nicht haben kann, weil die Möglichkeit der Willensbildung und -betätigung ausgeschaltet ist. Daher sei keine Freiheitsberaubung möglich beim sinnlos Betrunkenen, beim Ohnmächtigen, beim Tiefschlafenden oder beim Kleinstkind, hingegen könne das Opfer, das lediglich nicht merke, daß es eingesperrt sei, durchaus der Freiheit beraubt werden. Diese Differenzierung bleibt willkürlich, denn schon die Annahme der Freiheitsberaubung einer Person, die überhaupt nicht bemerkt, daß sie ihrer Freiheit beraubt ist, ist mit dem Schutz der persönlichen Bewegungsfreiheit nicht in Einklang zu brin-

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gen. Zutreffender erscheint es daher, eine Freiheitsberaubung dort abzulehnen, wo der Wille des Betroffenen nicht tangiert wurde, weil sein Wille weder durch irgendwelche Einwirkungen (Hypnose, Schlafmittel) ausgeschaltet noch er selbst sich der Beraubung seiner Bewegungsfreiheit bewußt wurde (Ohnmacht, Schlaf, Beschäftigung mit anderen Dingen). Ist er sich hingegen der Tatsache bewußt geworden, daß er seinen Aufenthaltsort nicht verlassen kann, so ist es gleichgültig, ob er ihn verlassen will, unabhängig davon, ob der Betroffene zur Fortbewegung fähig ist. Insofern ist es richtig, auf die potentielle persönliche Bewegungsfreiheit abzustellen, denn schon das Bewußtsein, seinen Aufenthaltsort nicht verändern zu können, beeinflußt die Willensbildung. Wie hier: BINDING B.T. I, S. 98; HORN SK, § 239 Rdn. 3; WEBER in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 535. Grundsätzlich auf den Schutz der potentiellen Bewegungsfreiheit, unabhängig von der Kenntnis der Situation stellen ab: BOCKELMANN B . T . / 2 , § 18 1 1 c; GEPPERT JUS 1975 S. 387; LACKNER S t G B , § 239

Anm. 1; SCHMIDHÄUSER B.T., 4/26. - Eine Freiheitsberaubung gegenüber Personen, denen die Freiheit fehlt, sich frei zu bewegen (z.B. sinnlos Betrunkene, Bewußtlose) lehnen ab: DREHER/TRÖNDLE § 239 R d n . 1; KREY B.T. 1, R d n . 315; SCH/SCH/ESER { 239 Rdn. 3; WOLTER N S t Z 1985 S. 247. - Differenzie-

rend bei der letztgenannten Personengruppe nach dem hypothetischen Willen: BLOY ZStW 96 (1984) S. 721 ff; SCHÄFER LK, § 239 R d n . 13.

2. Die Tathandlung a) Die Freiheitsberaubung Tathandlung ist der Eingriff in die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen. Diesem wird die Möglichkeit genommen, sich nach seinem Willen fortzubewegen. Einsperren - Hinderung am Verlassen eines Raumes durch äußere Vorrichtungen - ist nur ein Beispielsfall einer Freiheitsberaubung, die z.B. auch durch Drohung, Gewalt oder Wegnahme der Kleider erfolgen kann. Maßgeblich ist allein, daß dem Opfer die Willensbetätigung zur Ortsveränderung nach allen Seiten unmöglich gemacht ist; BGHSt 32 S. 187 ff. - Wird dem Opfer lediglich die Bewegung in eine Richtung unmöglich gemacht oder das Opfer in eine andere Richtung gezwungen, so liegt nur Nötigung vor. - Das Delikt ist ein Dauerdelikt, doch erfordert der Tatbestand keine lange Dauer ("ein Vaterunser lang" genügt). Ob ein u.U. verbleibender Ausweg ungewöhnlich ist oder nicht, spielt keine Rolle. Die Grenze beginnt dort, wo

dem Opfer der Ausweg nicht mehr zumutbar ist, z.B. beim lebensgefährlichen Sprung aus dem Fenster eines Hochhauses oder beim Herunterklettern über eine Feuerleiter oberhalb einer belebten Straße ohne Bekleidung.

b) Mittelbare Täterschaft Grundsätzlich ohne besondere Probleme ist auch die Verwirklichung einer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft, wenn der Hintermann die Tatherrschaft innehat, weil das Werkzeug irrt oder im Nötigungsnotstand handelt. Daher wird von der h.M. auch eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft angenommen, wenn der Täter durch eine falsche Anzeige dafür ursächlich wird, daß der Angezeigte in Haft kommt. Dies mag für eine falsche Anzeige vor der Polizei, die dazu führt, daß das Opfer in U-Haft genommen wird, zutreffen; dazu BGHSt 3 S. 4. - Soweit die Haft auf einem Urteil beruht, ist der Anzeigende nicht mehr für dieses Ergebnis als mittelbarer Tä-

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ter verantwortlich. Das Gericht ist nicht Werkzeug des Anzeigenden! Es ist verpflichtet, belastende und entlastende Momente zu überprüfen und eigenverantwortlich zu wägen. Das widerspricht seiner Werkzeugeigenschaft dort, wo ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist, evident. Vgl. auch: OTTO NStZ 1985 S. 75 f. - A.A. AMELUNG/BRAUER JR 1985 S. 476 f; GEPPERT JK, StGB § 239/1 m. w.N.

II. Rechtswidrigkeit Die Widerrechtlichkeit ist nicht Tatbestandsmerkmal i.S. eines Merkmals des Gesetzestatbestandes, sondern allgemeines Verbrechensmerkmal. - Als Rechtfertigungsgründe kommen alle rechtfertigenden Situationen in Betracht, insbesondere die Ausübung des Sorgerechts im Rahmen der Familienpflege - dazu BGHSt 13 S. 197 - sowie das Festnahmerecht gemäß § 127 StPO. Nach h.M. schließt das Einverständnis des Opfers in die Freiheitsberaubung bereits den Tatbestand aus. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, denn die Freiheitsberaubung setzt begrifflich kein Handeln gegen den Willen des Betroffenen voraus. Auch List kommt als Mittel der Freiheitsberaubung in Betracht. Beim Handeln mit Willen des Betroffenen kann jedoch eine rechtfertigende Einwilligung vorliegen. S o auch: JESCHECK A.T., § 3 4 I 1 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l § 12 Rdn. 16. - Für

Tatbestandsausschluß: DREHER/TRÖNDLE § 239 Rdn. 8; LACKNER StGB, § 239 Rdn. 2; SCH/SCH/ESER § 239 Rdn. 8.

Bei hoheitlichem Freiheitsentzug, z.B. Verbringung zur Blutentnahme, Einweisung in eine psychiatrische Anstalt, stellt die h.M. darauf ab, ob der Freiheitsentzug sachlich begründet war oder nicht, während Mängel des förmlichen Verfahrens irrelevant sein sollen. BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 624; OLG Schleswig NStZ 1985 S. 74; SCH/SCH/ESER § 239 Rdn. 8.

So verallgemeinert ist diese Aussage angreifbar. Maßgeblich kann allein sein, ob der Eingriffsakt rechtswirksam war oder nicht. Die Anfechtbarkeit begründet nicht die Rechtswidrigkeit der rechtswirksam vollzogenen Maßnahmen. Beruht der Eingriffsakt aber auf einer Täuschung durch einen Dritten - z.B. falsche Anschuldigung, die dazu führt, daß der Betroffene festgenommen wird - so liegt ein Fall der Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch ein rechtmäßig handelndes Werkzeug vor. Keinesfalls ist hier in der Person des Hintermannes nur ein Versuch gegeben (so aber AMELUNG/BRAUER JR 1985 S. 476 f; GEPPERT JK, StGB § 239/1), denn die Tathandlung bleibt in der Person des Hintermannes objektiv und subjektiv rechtswidrige Freiheitsentziehung, auch wenn das Werkzeug rechtswirksam handelt. III. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung In § 239 Abs. 2 und Abs. 3 sind erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung geregelt. 1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen Die über eine Woche hinausgehende Freiheitsberaubung, wie auch der Tod oder die schwere Körperverletzung i.S. des § 224 müssen für den Täter vorhersehbar gewesen

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sein, § 18. - Daß das Opfer den Tod selbst herbeigeführt hat, sei es durch Selbstmord oder einen gefährlichen Fluchtversuch, ist irrelevant, da der Wille des seiner Freiheit beraubten Opfers im Rechtssinne nicht frei ist Auch in diesen Fällen realisiert sich die der Freiheitsberaubung spezifische Gefahr. Dazu BGH LM Nr. 4 zu § 239; BGHSt 19 S. 382 mit abL Anm. WIDMANN MDR 1967 S. 972 f; KÜPPER "Der unmittelbare Zusammenhang* zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 104; RENGIER Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungformen, 1986, S. 196.

Führt der Täter die schwere Folge vorsätzlich herbei, so ist Tateinheit mit §§ 211, 212, 225 möglich. 2 Der Versuch Der Versuch der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 ist nicht strafbar, wohl aber der Versuch der erfolgsqualifizierten Fälle, da es sich hier um Verbrechen handelt. Zur Problematik der verschiedenen beim erfolgsqualifizierten Delikt möglichen Versuchskonstellationen vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 8 I V 6.

IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung Die Freiheitsberaubung ist ein Spezialfall der Nötigung, wenn die Nötigung nur darauf gerichtet ist, das Opfer zu hindern nach seinem Belieben seinen Aufenthaltsort zu verändern. Im übrigen ist die Entscheidung nach dem Schwergericht des Unrechtsvorwurfs zu treffen. Das bedeutet im einzelnen: 1. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach eigenem Belieben zu verändern, weil es dem Täter darauf ankommt, das Opfer an seinem Aufenthaltsort festzuhalten: Freiheitsberaubung. Beispiel: A sperrt den B im Keller seines Hauses ein, um ungestört mit Frau B Ehebruch betreiben zu können. Ergebnis: Die Freiheitsberaubung geht als lex specialis der Nötigung vor.

2. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach seinem Belieben zu verändern, weil es zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird und andere Verhaltensweisen ihm neben dem erzwungenen Verhalten nicht möglich sind, so liegt nur eine Nötigung vor. Beispiel: A zwingt den B mit vorgehaltener Pistole nach X zu fahren. Ergebnis: Nötigung des B, gegen seinen Willen dorthin zu fahren wohin ihn der A dirigiert. Der Tatsache, daß B nicht zugleich an einen anderen Ort fahren kann, kommt hier keine Eigenständigkeit zu. Damit konsumiert die Nötigung die Freiheitsberaubung.

3. Soll das Opfer durch den Freiheitsentzug zu einem bestimmten, über den Freiheitsentzug hinausgehenden Verhalten gezwungen werden: Nötigung und Freiheitsberaubung in Idealkonkurrenz. Beispiel: A sperrt den B ein, um ihn zu zwingen, ihm ein Geschäftsgeheimnis zu verraten. Der Plan ist erfolgreich. Ergebnis: Der Unrechtsgehalt der Freiheitsberaubung und der der Nötigung stehen gleichwertig nebeneinander; §§ 240, 239,52 StGB.

4. Mißlingt der Versuch des Täters, eine Person an einem bestimmten Ort festzuhalten: versuchte Nötigung.

§ 29 Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme

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Beispiel: A legt der B den Ann um den Hals, um diese am Verlassen der Wohnung zu hindern. B kann sich befreien. Ergebnis: Geht es dem Täter allein um die Freiheitsberaubung, so ist - wenn das Delikt vollendet wird - § 239 lex specialis gegenüber § 240. Diese Funktion kommt dem als Vergehen straflosen Versuch der Freiheitsberaubung nicht zu. Das Unrecht wird in diesem Fall von § 239 nicht ausschließlich, sondern überhaupt nicht erfaßt. Vgl. auch: BGHSt 30 S. 235 f; DREHER/TRÖNDLE $ 240 Rdn. 36; OTTO Jura 1989 S. 498; LACKNER S t G B , § 239 A n m . S; SCHMIDHÄUSER B.T. 4 / 2 8 . - A A . JAKOBS J R 1982 S. 206 f; KREY B.T. 1, R d n . 318; SCH/SCH/ESER § 240, R d n . 41.

V. Menschenraub, § 234 In § 234 ist ein Spezialfall der Freiheitsberaubung geregelt. Das Delikt währt so lange, wie die Bemächtigung anhält (Dauerdelikt). Einzelheiten des Tatbestandes: List ist ein geflissentliches Verbergen der verfolgten Absicht, z.B. durch Täuschung oder Ausnutzung eines Irrtums. - Bemächtigen heißt Begründen der physischen Herrschaft über eine Person. - Zur hilflosen Lage vgl. oben § 1012 b.

§ 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b Beide Vorschriften schützen zunächst die persönliche Freiheit und Unversehrtheit des Opfers, sodann aber die persönliche Freiheit des Dritten, dessen Sorge ausgenutzt werden soll. - Dahinter tritt der in § 239 a auch erfaßte Schutz des Vermögens zurück, so daß es sachgerecht ist, beide Delikte, § 239 a und § 239 b, als Freiheitsdelikte einzuordnen. So auch: lACKNER StGB, § 239 a Anm. 1; SCHÄFER LK, § 239 a Rdn. 2. Die Nähe des § 239 a zur Erpressung betonen demgegenüber MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 15 R d n . 19; SCH/SCH/ESER § 239 a R d n . 3.

II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Erpresserischer Menschenraub, § 239 a a) Tatopfer kann jeder Mensch sein, insbesondere auch das eigene Kind. Dazu BGHSt 26 S. 70.

b) Der Tatbestand unterscheidet zwei Alternativen: in der ersten Alternative erfolgt die "Entführung" oder das "Sich-Bemächtigen eines Dritten" bereits in der Absicht der Erpressung; in der zweiten Alternative wird ein ursprünglich aus anderen Gründen (Scherz, Rache o.ä.) hergestelltes Gewaltverhältnis später zur Erpressung ausgenutzt. Entfuhren setzt ein Verbringen an einen anderen Ort voraus, wo das Opfer dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist. - Sich bemächtigen bedeutet die Begründung physischer Herrschaft des Täters über das Opfer. Ein Verbringen an

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einen anderen Ort ist nicht begriffsnotwendig; das in Schach halten mit einer Waffe kann genügen; BGH NStZ 1986 S. 166. Stellt sich jemand einem anderen freiwillig zur Verfügung, damit dieser eine Geiselnahme vortäuschen kann, so entfällt der Tatbestand, da weder eine Entführung noch ein Sich-Bemächtigen vorliegt. Vgl. LG München 31 Js 81385/75; BACKMANN JUS 1977 S. 449. - A A . LAMPE JR 1975 S. 425.

c) In der 1. Alternative muß mit dem Vorsatz die Absicht des Täters verbunden sein, "die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung auszunutzen". Sorge um das Wohl des Opfers ist bereits die Befürchtung, das Opfer könne beim Fortbestehen der vom Täter geschaffenen Lage körperlichen oder seelischen Schaden erleiden. Damit handelt aus Sorge in diesem Sinne auch der Staat, der nicht unmittelbar aus Sorge um das Wohl der Geisel zahlt, sondern aus Gründen der Staatsräson dokumentiert, daß er das Leben der Geisel mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln schützt, wie auch der Bankkassierer, der vielleicht sogar den bedrohten Kunden haßt, der aber weiß, daß er selbst erhebliche Nachteile haben wird, wenn er nicht für das Wohl des Opfers sorgt und zahlt. Um eine Sorge um einen anderen im herkömmlichen Sinne des Wortes handelt es sich hier nicht mehr, sondern nur noch um die Befürchtung, ein anderer werde Schaden nehmen. Eingehender dazu HANSEN GA 1974 S. 353 ff; im übrigen vgl. BGH NStZ 1987 S. 222 mit Anm. JAKOBS JR 1987 S. 340 ff, und OTTO JK 87, StGB § 253/1; BGH bei Holtzt, MDR 1989 S. 305; BOHNERT JR 1982 S. 397,399; SEELMANN JuS 1986 S. 203.

Ob der Täter wirklich die Absicht hat, dem Opfer einen Schaden zuzufügen oder nicht, ist irrelevant. Maßgeblich ist allein die Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge Dritter. - Zu den Erfordernissen der Erpressung vgl. unter § 53 I. d) Vollendet ist die Tat in der 1. Alternative, wenn der Täter einen anderen entführt oder sich eines anderen bemächtigt hat in der Absicht, die Sorge des Opfers oder die Sorge eines Dritten zu einer Erpressung auszunutzen. Es braucht nicht einmal bis zu einem Versuch einer Erpressung zu kommen. - In der 2. Alternative ist der Tatbestand vollendet, wenn der Täter die von ihm geschaffene Lage zu einer Erpressung ausnutzt, d.h. die Erpressung zumindest versucht; BGHSt 26 S. 310 (zu § 239 b). 2. Geiselnahme, § 239 b a) Tatopfer und Tathandlung entsprechen § 239 a. Im Gegensatz zu § 239 a tritt an die Stelle der Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge eines Dritten in erpresserischer Absicht in § 239 b die Absicht einer Nötigung mit qualifiziertem Mittel (Drohung mit dem Tode oder einer schweren Körperverletzung - § 224 - des Opfers oder mit Freiheitsentzug von über einer Woche Dauer). - Der Vorbehalt des Täters, die Drohung nicht zu realisieren, ist irrelevant. Eine derartige Einschränkung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. b) Der Aufbau des Tatbestandes und seine Vollendung entsprechen § 239 a; vgl. unter 1.

§ 30 Zur Wiederholung

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III. Erfolgsqualifizierung nach §§ 239 a Abs. 3,239 b Abs. 2 Die Erfolgsqualifizierungen gemäß § 239 a Abs. 3 und § 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a Abs. 3 entsprechen in ihrer Struktur dem Raub mit Todesfolge; dazu unter 8 46IV. Zu beachten ist auch hier, daß sich in der Erfolgsqualifikation die spezifische Gefahr der Verwirklichimg des Grundtatbestandes realisiert haben muß. Diese Gefahr kann auch in Befreiungsaktionen zugunsten des Opfers begründet sein. Der notwendige Zusammenhang liegt hingegen nicht vor, wenn es zum Tod der Geisel kommt, weil Polizeibeamte, die von der Geiselnahme keine Kenntnis haben, auf das Fluchtfahrzeug schießen, in dem sich nach ihrer Vorstellung nur Räuber befinden; str. Vgl. BGHSt 33 S. 322 mit Anm. FISCHER NStZ 1986 S. 314, GEPPERT JK, StGB § 239 a/1, KREHL StV 1986 S. 432, LÖFFELER JA 1986 S. 286 f, WOLTER JR 1986 S. 465 ff.

IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4,239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a Abs. 4 Abweichend von anderen Fällen der sog. Tätigen Reue nach vollendeter Tat erfordert Abs. 3 keine Freiwilligkeit, unterwirft aber die Strafmilderung nicht § 49 Abs. 2, sondern dem strengeren § 49 Abs. 1. Erstrebte Leistung ist in § 239 a die Beute, in § 239 b der Nötigungserfolg. - Ein Verzicht liegt vor, wenn der Täter seinen Erpressungs- oder Nötigungsplan vor Eintritt des Erfolges aufgibt, bzw. die Beute wieder herausgibt oder auf die Ausnutzung der Nötigungssituation verzichtet. - In seinen Lebenskreis zurückgelangt ist das Opfer, wenn es, aus der Gewalt des Täters entlassen, die Möglichkeit hat, seinen Aufenthaltsort frei zu bestimmen und zu erreichen.

V. Konkurrenzen §§ 239, 240 werden konsumiert von §§ 239 a, 239 b. - Mit §§ 235 - 237, 253, 255 ist Idealkonkurrenz möglich. § 239 b ist gegenüber § 239 a subsidiär, wenn mit der Tathandlung eine Bereicherung erstrebt wird. Soweit neben der Bereicherung noch ein anderer Zweck verfolgt wird, ist Tateinheit möglich; BGHSt 25 S. 386; 26 S. 24.

§ 30: Zur Wiederholung 1. Wie wurde "Gewalt* i.S. des § 240 ursprünglich definiert und worin unterschied sich diese Definition von der, die der BGH seinen Entscheidungen in der Regel zugrunde legt? - Dazu § 2712. 2. Kommt es bei einer Drohung mit einem empfindlichen Übel darauf an, ob der Drohende die Drohung wirklich realisieren kann? - Dazu § 2713 a. 3. Ist die Verwerflichkeit eines nötigenden Verhaltens vor den Rechtfertigungsgründen zu prüfen? Dazu § 27 III 1. 4. Genügt es, daß eine Nötigung sittlich anstößig ist, oder fordert die Strafbarkeit auch hier ein rechtswidriges Verhalten? - Dazu § 27 III 1 b. 5. Wann ist ein Verhalten "verwerflich" i.S. des § 240 Abs. 2? - Dazu § 27 III 2. 6. Kann ein "Bewußtloser" seiner Freiheit beraubt werden? - Dazu § 2811. 7. Liegt eine Freiheitsberaubung vor, wenn der Betroffene seinen Aufenthaltsort nur auf "ungewöhnlichem" Wege verlassen kann? • Dazu § 2812.

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Delikte gegen die persönliche Freiheit

8. Welche Bedenken bestehen geßen eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch eine Behörde oder ein Gericht aufgrund einer Täuschung (unwahre Aussage)? - Dazu § 2812. 9. Was heißt "sich eines Menschen bemächtigen" in § 234? - Dazu § 28 V. 10. Wie ist das Ausnutzen der Sorge eines Dritten in §§ 239 a, b zu bestimmen? - Dazu § 29 II 1 c.

Fünfter Abschnitt Delikte gegen die Ehre § 31: Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte

I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte Einigkeit besteht darüber, daß das geschützte Rechtsgut der §§ 185 ff die Ehre ist. Inhalt und Grenzen dieses Begriffs sind jedoch streitig, obwohl nicht zu verkennen ist, daß die verschiedenen Auffassungen über die inhaltliche Bestimmung des Ehrbegriffs sich in einem Kernbereich weitgehend angenähert haben, nachdem insbesondere ENGISCH - Lange-Festschrift, S. 412 ff - nachgewiesen hat, daß jeder Ehrbegriff normative und faktische Elemente enthält und enthalten muß. Es bleiben jedoch Divergenzen, die über bloß unterschiedliche Akzentuierungen hinausgehen. 1. Der Streitstand a) Auf der Grundlage des normativen Ehrbegriffs ist Ehre als der auf die Personenwürde gegründete innere Wert des Menschen anzusehen. Sie geht unmittelbar aus seiner sittlichen Existenz hervor und ist in ihrem Bestand allein abhängig von seinem sittlichen Habitus und seinem sittlichen Verhalten, wobei das sittliche Element z.T. auf den Gesamtbereich der Sozialethik bezogen wird. Vgl. HERDEGEN LK, 9. Aufl., Vor § 185 Rdn. 4 ff; HIRSCH Ehre und Beleidigung, 1967, S. 29 ff, 45 ff, 72 ff; ARTHUR KAUFMANN Z S t W 72 (1960) S. 430 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 5 / 1 ; TENCKHOFF D i e Be-

deutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände, 1974, S. 181 f; WELZEL Lb., § 4211.

b) In der normativ-faktischen Betrachtungsweise wird der soziale Wert- und Achtungsanspruch wesentlich neben den aus der Personenwürde fließenden sittlichen Wertstand gestellt. Maßgeblich ist zunächst der auf der Würde der Person beruhende sittliche Geltungswert, der unmittelbar aus der sittlichen Existenz der Person hervorgeht und jedem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommt (innere Ehre). Dieser Bereich ist der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Kernbereich der Ehre, der jedem Menschen die Achtung als Mensch verbürgt. Daneben tritt der soziale Achtungsanspruch, der der Person aufgrund ihres Verhaltens in der Sozietät zuwächst, das nach sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird (äußere Ehre). Vgl. BVerfGE 30 S. 195; BGHSt 1 S. 288; 11 S. 70; ARZT JuS 1982 S. 718; ENGISCH Lange-Festschrift, S. 412 ff; GEPPERT Jura 1983 S. 532; LACKNER StGB, Vor § 185 Anm. 1; MACKEPRANG Ehrenschutz im Verfassungsstaat, 1990, S. 176 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 24 Rdn. 5 ff; OTTO Schwinge-Festschrift, S. 71 ff; RUDOLPHI SK, Vor § 185 Rdn. 5; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 185 ff Rdn. 1; WESSELS B.T.-l, § 101; WoLFF ZStW 81 (1969) S. 886 f.

c) Den personalen Charakter des Rechtsguts bestreitet JAKOBS Jescheck-Festschrift, S. 637 ff, der die Beleidigung als zugleich öffentliche Interessen verletzende unwahre Zuwendung zu Lasten einer Person definiert. d) Einen streng faktischen Ehrbegriff - geschützt durch § 185 das Geltungsbewußtsein des Einzelnen, durch §§ 186,187 der gute Ruf - vertritt KNITTEL Ansehen und Geltungsbewußtsein, 1985, S. 34 ff.

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Delikte gegen die Ehre

2. Stellungnahme Im Denkschema des sog. normativen Ehrbegriffs ist die Ehrminderung in der schuldhaften Verletzung sittlicher i.S. sozialethischer Pflichten zu sehen. Doch gerade diese Fixierung des Maßstabes gibt zu Bedenken Anlaß, denn unabhängig von der Vielschichtigkeit und Fragwürdigkeit sozialethischer Pflichten in einer pluralistischen Gesellschaft, führt die Begrenzung der Person und ihrer personalen Entfaltung auf das Bezugssystem von Rechten und Pflichten in diesem Bereich zu einer Beschränkung der personalen Möglichkeiten. Nur ein geringer - wenn auch bedeutender - Teil der hier relevanten Verhaltensweisen läßt sich im Gefüge von Rechtsausübung und Pflichterfüllung unterbringen. Der weitaus größere Teil ist in diesem Schema nicht zu erfassen, obwohl auch diese Verhaltensweisen durchaus sozialethischer Bewertung zugänglich sind. - An diesen Befund knüpft der normativ-faktische Ehrbegriff an. Er erfaßt die Ehre als ein zugleich faktisch und normativ zu verstehendes Beziehungsverhältnis, mit dessen Schutz die Rechtsgesellschaft unmittelbar die Fundamente menschlichen Zusammenlebens sichert. Geschützt wird die Möglichkeit der Person, mit anderen Personen Gemeinschaft zu haben, und zwar zum einen, indem jeder Person die Würde als Person zugestanden wird, zum anderen, indem der Person in bestimmtem Rahmen Möglichkeiten gesichert werden, sich in der Gesellschaft personal zu entfalten. Dieser Schutz wird dadurch erreicht, daß der Anspruch der Person geachtet und nach ihren auf Gemeinschaft bezogenen Werken eingeschätzt zu werden, gewährleistet wird. Das bedeutet: Maßgeblich für die Beurteilung der Person ist zunächst ihr auf der Würde der Person beruhender Wertstand, sodann aber ihr individuelles Verhalten, das unter sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird. Insoweit sind Normativität und Faktizität im Ehrbegriff miteinander verbunden. Dazu ENGISCH Lange-Festschrift, S. 412 ff; MACKEPRANG Ehrenschutz, S. 176 ff; OTTO SchwingeFestschrift, S. 71 ff; STERN Hübner-Festschrift, S. 824 ff; WOLFF ZStW 81 (1969) S. 886 ff. - Die Verletzung des begründeten Achtungsanspruchs in diesem Sinne durch abwertende (ehrenrührige) Werturteile oder Tatsachenbehauptungen stellt die in §§ 185 ff erfaßte Ehrverletzung dar.

II. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre 1. Die Beleidigungsfähigkeit Da der soziale Geltungsanspruch auf der Menschenwürde aufbaut, ist jeder Mensch beleidigungsfähig, auch Kinder, Geisteskranke usw. 2. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung Selbstverständlich ist, daß mehrere Personen gemeinsam mit einem Ausspruch beleidigt werden können, z.B. "Ihr drei seid doof!" - Aber auch wenn die Betroffenen nicht genau individualisiert sind, sondern nur als Angehörige einer Personenmehrheit konkretisiert werden, ist eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung möglich derart, daß jeder Angehörige der Personenmehrheit verletzt ist. Um eine Ausuferung der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung zu vermeiden, ist die Forderung aufgestellt worden, daß sich die bezeichnete Personengruppe aufgrund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit herausheben muß, daß der Kreis der Betroffenen klar abgegrenzt ist. Damit bleibt aber unge-

§31 Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte

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klärt, aus welchem Grunde den Personen der Ehrenschutz versagt wird, die unstreitig zu einer großen Personengruppe gehören. - Die Begrenzung ergibt sich jedoch aus dem Wesen des geschützten Rechtsguts. Ist nämlich aufgrund der Art der Beleidigung und der Unüberschaubarkeit der Personengruppe für jeden, der die beleidigende Äußerung zur Kenntnis nimmt, klar, daß nicht alle genannten Personen gemeint sein können, so bleibt offen, wer überhaupt gemeint ist. Der Beleidigte verliert sich in der unbestimmten Vielzahl der Betroffenen. Vgl. dazu BGHSt 11 S. 208; BGHSt 36 S. 83,85 f m.e.N.; BayObLG JZ 1988 S. 726; JZ 1990 S. 348; K G J R 1978 S. 423; O L G F r a n k f u r t N J W 1989 S. 1367; ANDROULAHS D i e Sammelbeleidigung, 1970, S. 79 ff; ARZT J Z 1989 S. 647 f; DAU N S t Z 1989 S. 361 ff; HERDEGEN LK, 10. Aufl., V o r § 185 R d n . 22 ff; MAIWALD J R 1989 S. 485 ff; OTTO J K 89, S t G B § 185 ff/7; WAGNER JuS 1978 S. 677.

Beispiele: Bejaht wurde eine Beleidigung aller betroffenen Einzelner unter einer Kollektivbezeichnung für: die deutschen Offiziere (RG LZ 1915 S. 60); die deutschen Ärzte (RG JW 1932 S. 3113); die Juden, die jetzt in Deutschland leben und Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen waren (BGHSt 11 S. 208); die deutschen Patentanwälte (BayObLG NJW 1953 S. 554 f mit zustimmender Anm. BOCKELMANN S. 554 f); die in Schutz- und Kriminalpolizei tätigen Beamten (OLG Düsseldorf MDR 1981 S. 868); die aktiven Soldaten der Bundeswehr (BGHSt 36 S. 83; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367); die an einer bestimmten Veranstaltung beteiligten Polizisten (BayObLG JZ 1988 S. 726). Verneint wurde die Beleidigungsfähigkeit für: die an der Entnazifizierung Beteiligten (BGHSt 2 S. 38); die Akademiker (BGHSt 11 S. 209); die Katholiken (BGHSt 11 S. 209); die Frauen (LG Hamburg NJW 1980 S. 56); die Robenknechte von Moabit (KG JR 1978 S. 422); die Polizei (OLG Düsseldorf MDR 1981S. 337; BayObLG JZ 1990 S. 348).

Zielt die Ehrverletzung nur auf einen oder eine Gruppe von Angehörigen aus der Personenmehrheit, bleibt aber offen, wer gemeint ist, so kommt eine Beleidigung einzelner Mitglieder der Personenmehrheit nur in Betracht, wenn die in Frage kommende Gruppe selbst wieder einen verhältnismäßig kleinen überschaubaren Personenkreis darstellt. Dann aber sind alle Mitglieder dieser Gruppe betroffen. Andernfalls verliert sich auch hier die Beleidigung in der großen Zahl der in Betracht kommenden Personen. Vgl. HERDEGEN LK, 10. Aufl., Vor § 185 R d n . 21; KREY B.T. I, R d n . 395 ff; LACKNER StGB, V o r § 185 A n m . 2 a; LAMPRECHT Z R P 1973 S. 215 ff; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . §§ 185 ff R d n . 5 ff.

Beispiele: Als hinreichend bestimmte Gruppe wurden angesehen: Zwei Mitglieder der X-Fraktion in M, seien Verfassungsfeinde (BGHSt 14 S. 48); ein bayerischer Minister, der Kunde eines Callgirl-Rings sei (BGHSt 19 S. 235). Als zu unbestimmt wurde beurteilt: eine nicht genannte Zahl von Richtern eines mit mehr als 200 Richtern besetzten Gerichts (KG JR 1978 S. 422). Im einzelnen dazu GEPPERT J u r a 1983 S. 538 f; TENCKHOFF JuS 1988 S. 459 f.

3. Die Beleidigung eines Kollektivs a) In § 194 Abs. 3, 4 geht das Gesetz selbst davon aus, daß Behörden, Gesetzgebungsorgane und politische Körperschaften beleidigungsfähig sind. Die Rechtsprechung hat daraus den allgemeinen Schluß gezogen, daß Kollektive schlechthin beleidigungsfähig sind, wenn sie (a) eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und (b) einen einheitlichen Willen zu bilden vermögen. Beispiele: Die Bundeswehr (BGHSt 36 S. 83; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367; OLG Hamm NZWehrR 1977 S. 70); Kapitalgesellschaft als Inhaberin einer Bank (OLG Köln NJW 1979 S. 1723); po-

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Delikte gegen die Ehre

litische Parteien und ihre Untergliedeningen (OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 692); die Mannheimer Polizei (OLG Frankfurt NJW1977 S. 1353).

Die Ausdehnung des Ehrenschutzes von Kollektiven über den Rahmen des § 194 Abs. 3, 4 hinaus, ist in ihrer Berechtigung streitig. Das Kollektiv ist nicht auf die gleichen Möglichkeiten der personellen Entwicklung existentiell angewiesen wie die natürliche Person; ihm selbst kommt keine Personenwürde zu, so daß beim Ehrenschutz eines Kollektivs allein ein sozialer Achtungsanspruch geschützt wird. Darüber hinaus werden durch die Tat in der Regel die für die Willensbildung oder Tätigkeit des Kollektivs Verantwortlichen betroffen sein, so daß ein über diesen Schutz natürlicher Personen hinausgehender Schutz nicht unbedingt erforderlich ist. Andererseits überzeugt eine Begrenzung des Ehrenschutzes auf die in § 194 Abs. 3, 4 angeführten Institutionen nicht, denn § 194 stellt klar, wer zur Stellung eines Strafantrags berechtigt ist, trifft jedoch keine Auswahl zwischen möglicherweise beleidigungsfähigen Kollektiven. Die Vertreter des normativen Ehrbegriffs müssen hier folgerichtig den Ehrenschutz ablehnen, denn Personenwürde kommt diesen Kollektiven unmittelbar nicht zu. Vgl. HIRSCH Ehre, S. 113; ARTHUR KAUFMANN ZStW 72 (1960) S. 423 ff; KRUG Ehre und Beleidigungsfähigkeit von V e r b ä n d e n , 1965, S. 203 ff; WELZEL Lb., § 42 I 1 b. - A A , TENCKHOFF J u S 1988

S. 457 f. - Kritisch aber auch: DREHER/TRÖNDLE § 185 Rdn. 21; WAGNER JUS 1978 S. 676. - Für die Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung: BRUNS N J W 1955 S. 689 ff; KREY B . T . l , R d n . 412; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 24 R d n . 14 ff.

Ablehnend gegenüber der Beleidigungsfähigkeit von Behörden: FISCHER JZ1990 S. 73 f.

b) Inkonsequent argumentiert allerdings die Rechtsprechung, wenn sie eine Familienehre nicht anerkennt. Zum einen erfüllt die Familie die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein Kollektiv bezüglich der gesellschaftlichen Funktion (vgl. Art. 6 GG) und ist als heute gesellschaftstypische Kleinfamilie (Eltern und Kinder) auch in der Lage, einen einheitlichen Willen zu bilden, zum anderen aber steht dieses Kollektiv der Person selbst am nächsten. So auch: ARTHUR KAUFMANN ZStW 72 (1960) S. 441; WELZEL MDR 1951 S. 501 ff. - A A . BGHSt 6 S. 192; B G H M D R 1951 S. 500; B a y O b L G S t 1958 S. 246; HERDEGEN LK, V o r § 185 R d n . 25; KREY B . T . l , RDN. 413; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 24 R d n . 19; RUDOLPHI SK, V o r § 185

Rdn. 10.

Strafbarkeitslücken begründet allerdings die Ablehnung einer Familienehre nicht, da die Interpretation derartiger Beleidigungen als Beleidigung der Familienmitglieder unter einer Kollektivbezeichnung mühelos gelingt. § 32: Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 1. Der objektive Tatbestand a) Beleidigung bedeutet Kundgabe der Mißachtung oder Nichtachtung der Ehre, d.h. des sittlichen und sozialen Achtungsanspruchs eines anderen. - Kundgabe isMußerung der Miß- oder Nichtachtung gegenüber einem anderen. Tagebuchaufzeichnungen, Monologe oder Briefe, die der Schreiber noch nicht aus der Hand gegeben hat, sind nicht als Kundgabe anzusehen. Anders hingegen, wenn das Tagebuch oder der Brief einem Dritten diktiert wird oder der Monolog für Dritte hörbar ist.

§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

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Zur "Äußerung im engsten Familienkreis" vgl unter IV 3 a.

Die Äußerung kann durch Worte, Bilder, Gesten (§ 185,1. Alt.) oder auch durch Tätlichkeiten (§ 185, 2. Alt.) erfolgen; vgl. dazu unter III 1. Ob die Äußerung einen beleidigenden Inhalt hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist der objektive Sinngehalt unter Berücksichtigung des Empfängerverständnisses. b) Die Beleidigung kann auf dreierlei Weise erfolgen: aa) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber dem Betroffenen ("Du Lümmel"). bb) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber einem Dritten ("A ist ein Lümmel"). cc) Ehrverletzende Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen ("Du hast mir meine Uhr gestohlen"). c) Die Abgrenzung der Tatsachenbehauptung vom Werturteil ist nicht immer unproblematisch, obwohl über die relevanten Kriterien Einigkeit besteht: Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn der Gehalt der Äußerung einer objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes dem Beweis offensteht. Ein Werturteil ist hingegen dann anzunehmen, wenn die Äußerung durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist und die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptung Sache persönlicher Uberzeugung ist. Vgl. BVerfGE 61S. 1; BGH NJW1982 S. 2248; OLG Celle NJW 1988 S. 354.

Bei der Beantwortung der Frage, ob es sich bei einer Äußerung um ein Tatsachenurteil oder um ein Werturteil handelt, ist der Sinn entscheidend, der sich nach dem Gesamtinhalt der Äußerung dem unbefangenen Hörer bzw. Leser aufdrängt. Da diese Beurteilung allerdings schon bei geringfügig unterschiedlicher Akzentuierung zu verschiedenen Ergebnissen führen kann, ist die Beurteilung einzelner Äußerungen oft streitig. Besonders kompliziert wird die Abgrenzung jedoch dann, wenn Tatsachenbehauptung und Werturteil in einer einheitlichen Äußerung miteinander verbunden werden oder ein Werturteil erkennbar Bezug nimmt auf ein tatsächliches Geschehen. Hier ist nach dem jeweiligen Schwergewicht abzugrenzen: aa) Ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, daß er gegenüber der subjektiven Wertung völlig in den Hintergrund tritt, so liegt nur ein Werturteil vor. Gleiches gilt, wenn die Tatsachenbehauptung für jeden offensichtlich falsch ist. Auch hier dient die Tatsachenbehauptung nur der Kaschierung eines Werturteils. Dazu BayObLG NStZ 1983 S. 126.

bb) Beschreibt die Äußerung das tatsächliche Geschehen hingegen so deutlich, daß auch ein nicht unterrichteter Dritter, d.h. der unbefangene Hörer, die Schlußfolgerung mitvollziehen kann und die der Wertung zugrunde liegende Tatsache erkennen kann, oder ist das Werturteil erkennbar auf ein tatsächliches Geschehen bezogen, das gleichsam nur verkürzt in dem Werturteil zusammengefaßt wird, so bleibt die Äußerung Tatsachenbehauptung. - In diesen Fällen erstreckt sich ein eventueller Wahrheitsbeweis auch auf das in der Äußerung mitliegende Werturteil. cc) Stehen ehrverletzende Tatsachenbehauptung und Werturteil isoliert nebeneinander oder geht das Werturteil weit über eine allgemein akzeptable Wertung des

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Delikte gegen die Ehre

mitgeteilten Tatsachenkerns hinaus, so kommt der Tatsachenbehauptung und dem Werturteil bei der Beurteilung der Ehrverletzung jeweils selbständige Bedeutung zu. Zur Verdeutlichung: aa) Ehrverletzende Werturteile: Jungfaschist (OLG Karlsruhe MDR 1978 S. 421); Bezeichnung eines Polizeibeamten als Bulle (LG Essen NJW 1980 S. 1639; aA. KG JR 1984 S. 165 mit abl. Anm. OTTO S. 166 f) oder als "Scheißbulle" (OLG Oldenburg JR 1990 S. 127 mit Anm. OTTO S. 128 f); Bezeichnung als Jude, wenn mit diesem Ausdruck der im Nationalsozialismus übliche herabsetzende Sinngehalt verbunden wird (BGHSt 8 S. 325); Bezeichnung von Soldaten als vergleichbar mit Folterknechten, KZAufsehern, Henkern (BGH NJW 1989 S. 1365); Bezeichnung von Soldaten als Mörder (OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367; LG Frankfurt NStZ 1990 S. 233 mit Anm. BRAMMSEN S. 235 ff.) bb) Ehrverletzungen durch Gesten: z.B. "einen Vogel zeigen", Zurückweisung eines Gastes beim Gaststättenbesuch (BayObLG NJW 1983 S. 2040). cc) Zur Beleidigung durch Satiren und Karikaturen vgl. IV 2.

2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muß sich bewußt sein, daß er einem anderen gegenüber eine Äußerung tut, die geeignet ist, ehrverletzend zu wirken. Eine Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. - Zur Bedeutung der Überzeugung des Täters, seine Behauptung sei wahr, vgl. unter 3. 3. Der Wahrheitsbeweis Gegenstand eines Ehrenschutzes, der auf der Personenwürde und auf der Wertung der auf "die anderen" bezogenen Handlungen einer Person fundiert ist, kann nur der begründete soziale Geltungsanspruch, nicht aber ein unbegründeter, in der Sozietät irrtümlich - tatsächlich anerkannter Geltungsanspruch sein. Der gelungene Wahrheitsbeweis schließt daher eine Ehrverletzung aus, soweit diese sich nicht unabhängig vom Inhalt der Äußerung aus der Form oder aus den besonderen Umständen ergibt, § 192. Der tatsächlich anerkannte Geltungsanspruch ist jedoch nicht bedeutungslos: Seine Begründetheit wird zugunsten des Anspruchsberechtigten bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. Nur auf der Basis dieser Vermutung kann der strafrechtliche Ehrenschutz die Entfaltung der Person im sozialen Raum gewährleisten. Das bedeutet: Nicht nur im Bereich des § 186, sondern auch in dem des § 185 ist es irrelevant, ob der Täter seine ehrverletzende Behauptung für wahr gehalten hat, maßgeblich ist vielmehr, ob sie erweislich wahr ist. Eingehend dazu OTTO Schwinge-Festschrift, S. 82 f. - Im übrigen vgl. RGSt 64 S. 11; OLG Frankfurt M D R 1980 S. 495; HÄRTUNG N J W 1965 S. 1743 ff; HERDEGEN LK, § 185 R d n . 36 ff; LACKNER StGB, § 185 A n m . 6; MAU RÄCH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 25 R d n . 18; TENCKHOFF J u S 1989 S. 37.

Unter Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber nur in § 186 eine Regelung getroffen hat, nach der Zweifel bezüglich der Wahrheit der bekundeten Tatsache zu Lasten des Täters gehen, wollen bei § 185 diese Zweifel zu Gunsten des Täters berücksichtigen: BayObLG NJW 1959 S. 57; OLG Köln NJW 1964 S. 2121; O L G Koblenz M D R 1977 S. 864; DREHER/TRÖNDLE § 186 R d n . 12; ESER III, Nr. 15 A 68; RUDOLPHISK, § 185 Rdn. 4; SCH/SCH/LENCKNER § 185 Rdn. 6.

§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

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II. Üble Nachrede, § 186 1. Der objektive Tatbestand a) § 186 erfaßt ehrverletzende Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten, nicht gegenüber dem Verletzten selbst (A äußert gegenüber B, C habe ihm seine goldene Uhr gestohlen); zur Tatsachenbehauptung vgl. oben 11 c. b) Behaupten heißt, eine Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr hinstellen. Verbreiten ist die Weitergabe einer fremden Äußerung. Auch die Weitergabe von Gerüchten mit beleidigendem Inhalt oder von beleidigenden Äußerungen Dritter ist Kundgabe der Miß- bzw. Nichtachtung. Eine Identifizierung des Äußernden mit dem Inhalt seiner Äußerung ist nicht erforderlich; vgl. aber unter IV 3 c. c) In Beziehung auf einen anderen heißt einem Dritten, nicht nur dem Verletzten gegenüber. - Dieser Bezug ist auch gegeben, wenn der Täter verbirgt, daß er als Urheber hinter der Äußerung steht, indem er eine den Betroffenen kompromittierende Sachlage schafft. Auch in diesem Falle mindert der Täter den Achtungsanspruch des Betroffenen Dritten gegenüber. Vgl. OTTO J K , S t G B § 185 f f / 2 ; STRENG G A 1985 S. 214. - A A . B G H N S t Z 1984 S. 216; DREHER/TRÖNDLE § 186 R d n . 5; KÜPPER J A 1985 S. 459; LACKNER S t G B , § 186 ANM. 5 b ; TENCKHOFF JUS 1988 S. 621.

d) Daß die Tatsache geeignet ist, einen anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, bedeutet nichts anderes, als daß die Tatsachenbehauptung ehrverletzenden Inhalt hat. 2. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Ehrenrührigkeit der Tatsache bzw. des Werturteils und die Kundgabe an einen anderen erfassen. Eine darüber hinausgehende Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. 3. Der Wahrheitsbeweis Daß ein bestehender Achtungsanspruch Geltung bis zum Beweis des Gegenteils beansprucht, hat der Gesetzgeber in § 186 ausdrücklich klargestellt. Der mißlungene Wahrheitsbeweis geht hier nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers zu Lasten des Täters. - Die h.M. interpretiert die Nichterweislichkeit der Tatsache als objektive Bedingung der Strafbarkeit. E i n g e h e n d d a z u BLNDING B.T. I, S. 146 f; HERDEGEN LK, § 185 R d n . 36 ff; LACKNER S t G B , § 185 A n m . 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWAU) B . T . l , § 26 R d n . 9 ff; OTTO Schwinge-Festschrift, S. 8 2 ff;

TENCKHOFF JuS 1989 S. 35 ff. - Der Wahrheitsbeweis ist geführt, wenn erwiesen ist, daß die Behauptung in ihrem Kern zutrifft; vgl. BGHSt 18 S. 182.

III. Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände 1. Beleidigung mittels Tätlichkeit, § 185, 2. Alt. Nicht jede Körperverletzung oder unsittliche Berührung ist eine Beleidigung. Es kann jedoch im Einzelfall in einer Körperverletzung - Ohrfeige mit dem Handrücken o.ä. - oder einer anderen Tätlichkeit - Anspucken; dazu OLG Zweibrücken NStZ 1990 S. 541 - eine Mißachtung des sozialen Geltungsanspruchs Ausdruck finden.

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Delikte gegen die Ehre

Gleiches gilt von unsittlichen Berührungen. Auch in einem geschlechtsbezogenen Angriff kann eine Mißachtung des personalen Geltungsanspruchs Ausdruck finden. Dies ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Keineswegs aber kann § 185 eine Lückenbüßerfunktion gegenüber den Sexualdelikten erfüllen. Freiheitsberaubungen, Vergewaltigungen und Nötigungen verletzen durchaus die Personenwürde, indem sie das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen mißachten. Die Verletzung durch diese Delikte und die damit verbundene Beeinträchtigung der Personenwürde fällt aber nicht in den Bereich der Beleidigung. Das gilt auch, wenn diese Verhaltensweisen im Einzelfall als Sexual-, Freiheitsdelikt o.ä. nicht strafbar sind. Eine eigenständige Bedeutung kommt der Beleidigung in diesem Zusammenhang nur zu, wenn der Täter durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dem Opfer komme nur ein geminderter sozialer Achtungsanspruch zu. Aus diesem Grund ist ein Ehebruch, der Geschlechtsverkehr mit einem oder einer Minderjährigen oder die Zusendung von Prospekten mit sog. Aufklärungsinhalt noch keine Beleidigung. Hingegen ist der Tatbestand erfüllt, wenn der soziale Achtungsanspruch eines anderen auf geschlechtsbezogenem Gebiet verletzt wird dadurch, daß er nicht gemäß des ihm eigenen Verhaltens behandelt und geachtet wird, so z.B. wenn jemand unberechtigt als Prostituierte behandelt wird. Vgl. dazu B G H NJW 1986 S. 2442 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 185/5; HILLENKAMP JR 1987 S. 126 ff; LAUBENTHAL JuS 1987 S. 700 ff; B G H NStZ 1987 S. 21; B G H NStZ 1988 S. 69; BGHSt 36 S. 145 mit Anm. OTTO J Z 1989 S. 803, und HILLENKAMP NStZ 1989 S. 529 f; B G H NJW 1989 S. 3029; dazu RIEHL S. 303 ff; OLG Düsseldorf G A 1988 S. 473; OLG Zweibrücken NJW 1986 S. 2960; HERDEGEN LK, § 185 R d n . 2 8 ff; HIRSCH Ehre, S. 6 1 ff; WELZEL M D R 1 9 5 1 S . 5 0 1 ff.

2. Die "öffentliche"üble Nachrede, § 186, 2. Alt. Öffentlich ist die üble Nachrede, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis wahrnehmbar ist. - Zum Verbreiten durch Schriften: § 11 Abs. 3. 3. Verleumdung, § 187 a) Die Verleumdung im System der ehrverletzenden Delikte In den beiden ersten Alternativen ("verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen") stellt das Delikt nach allgemeiner Auffassung eine durch die Behauptung unwahrer Tatsachen qualifizierte üble Nachrede dar. Aber für die 3. Alternative ("Kredit zu gefährden") gilt nichts anderes, denn die kreditgefährdende Verleumdung ist eine besonders gefährliche Art der Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, der auch durch die Kreditwürdigkeit einer Person oder eines Kollektivs wesentlich geprägt wird. A A . (Vermögensdelikt) h.M.: LAMPE Oehler-Festschrift, S. 283 ff; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T.L, § 25 R d n . 32; RUDOLPHISK, § 187 R d n . 9 m.w.N.; TENCKHOFF JuS 1988 S. 200.

b) Einzelheiten des Tatbestandes Wider besseres Wissen ist sichere Kenntnis der Unwahrheit; Bewußtsein der Gefahr, daß die Tatsache unwahr ist, genügt nicht. - Kreditgefährdung ist Verletzung des Vertrauens, das jemand bezüglich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten genießt.

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4. Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politschen Lebens, § 187 a a) Der gegenüber §§ 186,187 qualifizierte Tatbestand soll der Vergiftung des politischen Lebens entgegenwirken. b) Im politischen Leben des Volkes stehen Personen, die sich für eine gewisse Dauer mit den grundsätzlichen, den Staat, seine Verfassung, Gesetzgebung oder Verwaltung unmittelbar berührenden Angelegenheiten befassen und aufgrund der ausgeübten Funktionen das politische Leben maßgeblich beeinflussen; BayObLG JZ 1982 S. 516. Wesentliches Abgrenzungskriterium ist die Maßgeblichkeit des politischen Einflusses auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland ("des Volkes"). Unter den Schutz des § 187a fallen daher der Bundespräsident, die Mitglieder der Bundesregierung, die Bundesverfassungsrichter, Gewerkschaftsführer und die Führer der Arbeitgeberverbände sowie anderer bedeutender Verbände. Nicht unter den Schutz des § 187 a fallen demgemäß Kommunalpolitiker z.B. Landräte (OLG Frankfurt NJW 1981 S. 1569; a A . BayObLG JZ 1989 S. 699); Gemeinderatsmitglieder (BayObLG JZ 1982 S. 516) und einzelne Verwaltungsbeamte.

c) Zum Merkmal öffentlich vgl. oben 2., zum Merkmal Versammlung vgl. unter § 62,2. d) Die üble Nachrede muß aus Beweggründen begangen worden sein, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen. Nicht die Tatsache der öffentlichen Position allein wirkt straferschwerend, sondern der Zusammenhang zwischen dem Beweggrund der Tat und der öffentlichen Position.

§ 187 a findet daher keine Anwendung, wenn ein Kanditat für ein bestimmtes Amt in seiner Eigenschaft als Kandidat diffamiert wird, auch wenn dieser Kandidat unabhängig von seiner Kandidatur öffentliche Positionen im Sinne der Vorschrift inne hat. Vgl. BräUEL Ehrverletzung und Ehrenschutz im politischen Leben, 1984, S. 50; - a A . OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 1211 f.

e) Die Tat muß geeignet sein, das öffentliche Wirken des Betroffenen erheblich zu erschweren. Maßgeblich ist hier nur der Inhalt der Behauptung und deren abstrakte Eignung zu negativen Auswirkungen. - Auf die Glaubwürdigkeit, Art und Weise der Verbreitung o.ä. kommt es nicht an.

IV. Rechtfertigung Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen, z.B. Notwehr und Einwilligung, können ehrverletzende Äußerungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1, 2 GG, konkretisiert in der Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193, und durch das Grundrecht der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, gerechtfertigt sein. 1. Wahrnehmung berechtigter Interessen, §193 a) Anwendungsbereich des § 193 Nach den Prinzipien der Interessenabwägung gewährt der Gesetzgeber in § 193 die Befugnis zur Verletzung der Ehre eines anderen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen. § 193 konkretisiert die Grundsätze des Art. 5 Abs. 1, 2 GG. - Aus Art. 10

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Abs. 2 EMRK sind bzgl. des Ehrenschutzes keine eigenständigen Grundsätze herzuleiten. Als Entschuldigungsgrund interpretieren § 193: ERDSIEK JZ 1969 S. 311; ROEDER Heinitz-Festschrift, S. 240; EIKE SCHMIDT J Z 1970 S. 8.

Eine Ausdehnung des Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen auf Tatbestände, die in besonderer Weise gemeinschaftsbezogen sind und deren Schutz durch die Interessen anderer relativiert ist, zum Beispiel §§ 123, 203, kommt nicht in Betracht. § 193 trifft eine Entscheidung über die Grenzen des Ehrenschutzes gegenüber der Meinungsfreiheit. Eine allgemeine Entscheidung dahin, daß die Wahrnehmung eigener, berechtigter Interessen auch sonst die Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter anderer rechtfertigen könne, ist ihm nicht zu entnehmen. So auch: O L G Stuttgart N S t Z 1987 S. 121 mit A n m . OTTO J K 87, StGB § 193/1, u n d LENCKNER JUS 1988 S. 349 ff, insbes. S. 351 ff; TENCKHOFF JUS 1989 S. 198 f m.w.N. Fn. 15. - A A ESER W a h r n e h m u n g

berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund, 1969, S. 15, 40; NOLL ZStW 77 (1965) S. 31 ff; TIEDEMANN J Z 1969 S. 721.

b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen aa) Der Ehrverletzung muß die Wahrnehmung eines rechtlich schutzwürdigen, sozialethisch billigenswerten Interesses gegenüberstehen. Hierunter fällt auch die berufsmäßige Wahrnehmung von Interessen, z.B. das Plädoyer oder die Äußerung des Strafverteidigers im Prozeß; dazu BGH NStZ 1987 S. 554; KG JR 1988 S. 522.

bb) Das Interesse muß den Äußernden nahe angehen. Interessen der Allgemeinheit berühren jeden Bürger nahe. Die Beteiligung an einer öffentlichen politischen Auseinandersetzung oder die Diskussion sonstiger öffentlicher Belange ist daher stets Wahrnehmung eines eigenen Interesses, denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Es ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der das Lebenselement dieser Staatsordnung ist, weil er sie vor Erstarrung bewahrt. Dazu BVerfGE 5 S. 205; 7 S. 207 ff; 12 S. 125; 24 S. 278; BVerfG NJW 1976 S. 1677; 1980 S. 2069; 1983 S. 1415 mit A n m . SCHMITT GLAESER J Z 1983 S. 95 u n d VON DER DECKEN N J W 1983 S. 1400 ff;

BGHSt 12 S. 287; BGHZ 45 S. 296; OLG Koblenz NJW 1978 S. 1816; SCHWINGE MDR 1973 S. 808; TEITINGER J Z 1983 S. 323 f.

Auch die Presse hat die Aufgabe, an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. Ihre Beschäftigung mit allgemein interessierenden Themen ist demgemäß gleichfalls Wahrnehmung eines eigenen Interesses. Dazu BVerfGE 12 S. 126; BGHZ 31 S. 308; BGH NJW 1977 S. 1289; NJW 1979 S. 267; BayObLG StV 1982 S. 576 ff.

cc) Die Äußerung muß zur Wahrnehmung des Interesses erforderlich sein. Erforderlich können auch scharfe, drastische, taktlose und überspitzte Formulierangen sein. - In der öffentlichen Auseinandersetzung können nämlich herabsetzende Äußerungen, insbesondere unter dem Aspekt des "Rechts zum Gegenschlag", in Betracht kommen, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite geäußerten Auffassungen nicht unverhältnismäßig sind und noch als adäquate Reaktion auf den vorausgegangenen Vorgang verstanden werden können, insbesondere aber einen gemeinsamen Bezug zu den konkreten, erörterten öffentlichen Interessen aufweisen.

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Ein Recht, Beleidigungen mit Beleidigungen heimzuzahlen, d.h. "mit gleicher Münze zurückzuzahlen", gibt es genausowenig, wie es das Recht auf Meinungsfreiheit rechtfertigen kann, Informationen mit rechtswidrigen oder sogar kriminellen Mitteln zu beschaffen. - Polemische Ausfälle, die jede Sachlichkeit vermissen lassen, gehässige und böswillige Schmähkritik und sog. Wertungsexzesse, die bewußt das Bild einer Person und ihrer Motive verzerren, sind in keinem Fall zur Interessenwahrnehmung erforderlich. Dazu BVerfGE 12 S. 129; BGHSt 12 S. 293 f; BayObLGSt 1963 S. 178; OLG Stuttgart JZ1969 S. 78.

Das BVerfG hat im Einzelfall die Grenzen der Meinungsfreiheit gegenüber dem Ehrenschutz weiter gezogen, indem es bei spontanen Äußerungen in der öffentlichen Auseinandersetzung eine Vermutung für die Zulässigkeit dieser Äußerungen aufstellte. Damit ist der Ehrenschutz in diesem Bereich weitgehend obsolet geworden. Darüber hinaus hat das BVerfG der Meinungsfreiheit gegenüber dem Ehrenschutz Raum gegeben, indem es die Auffassung vertrat, der Schutz anderer Rechtsgüter müsse gegenüber der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG um so mehr zurücktreten, als es sich nicht um eine unmittelbar gegen diese Rechtsgüter gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten handelt; hier spreche die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede. - Damit erfolgt in Wirklichkeit eine "VorabHöherbewertung" eines Grundrechts auf Kosten anderer Rechtsgüter. Derartige Privilegierungen sind aber verfassungsrechtlich nicht begründbar. Im konkreten Fall hat die Privilegierung zu einer weitgehenden Beseitigung des Ehrenschutzes geführt, obwohl mit der Ehre gerade auch die Würde der Person angegriffen wird. Vgl. z.B. BVerfGE 7 S. 212; 54 S. 139; 60 S. 241; 61S. 7; 66 S. 150; BVerfG NStZ 1990 S. 383. - Kritisch: VON DER DECKEN N J W 1 9 8 3 S. 1400; MACKEPRANG Ehrenschutz, S. 210 ff; OTTO J R 1 9 8 3 S. 6 ff; SCHMITT GLAESER JZ 1983 S. 95; DERS. Dürig-Festschrift, S. 102 ff. - Im übrigen vgl. RUDOLPHI SK, § 193 Rdn. 23 a; SCH/SCH/LENCKNER § 193 Rdn. 15 f.

dd) Der Äußernde unterliegt einer in ihrem Ausmaß von den Umständen des Einzelfalles abhängigen Informationspflicht. Die Äußerung bewußt unwahrer Tatsachenbehauptungen ist daher in keinem Fall zu rechtfertigen. Auch leichtfertig aufgestellte Behauptungen können nicht gerechtfertigt werden. Dazu BVerfG NJW 1989 S. 1789; BGHSt 14 S. 51; OLG Hamburg MDR 1980 S. 953; FUHRMANN JuS 1970 S. 75.

ee) Die Äußerung muß subjektiv zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses geschehen. Bloße Kenntnis der objektiven Rechtfertigungslage genügt nicht. Die Annahme einer Interessenverletzung durch Dritte allein rechtfertigt nicht die Ehrverletzung, vielmehr findet diese erst ihren Grund in der Interessenwahrnehmung. So auch: BGHSt 18 S. 186; OLG Düsseldorf VRS 60 S. 115; OLG Hamburg NJW 1952 S. 903; DREHER/TRÖNDLE § 193 Rdn. 17; HERDEGEN LK, § 193 Rdn. 25. - A A . LACKNER StGB, § 193 Anm. 4; SCH/SCH/LENCKNER § 193 Rdn. 21.

2. Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S.1GG Gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist die Freiheit der Kunst vorbehaltlos gewährleistet. Anerkannt ist jedoch heute, daß die Freiheit der Kunst vorbehaltlos, nicht aber schrankenlos gewährleistet ist. Tangieren künstlerische Werke die Ehre eines ande-

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ren, so ist der soziale Wert- und Achtlingsanspruch des einzelnen ebensowenig der Kunstfreiheit übergeordnet, wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf. Maßgeblich im Einzelfall ist vielmehr eine Interessenabwägung, in der das Interesse an der künstlerischen Gestaltung gegen das Interesse des Schutzes des Achtungsanspruchs abzuwägen ist. - Diese Abwägung ist deshalb problematisch, weil das Bundesverfassungsgericht den Kunstbegriff weitgehend formal bestimmt: "Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers." Zwar kann das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung eines Sachverhalts Auskunft über das Gewicht einer eventuellen Ehrverletzung geben, das im Einzelfall vorrangige Interesse ist damit aber nicht bestimmt, soweit nicht der Betroffene im Kern seiner Persönlichkeit, unmittelbar in seiner Menschenwürde verletzt wird. Dazu vgl. BVerfGE 67 S. 228 mit Anm. OTTO NStZ 1985 S. 213 ff; BVerfGE 75 S. 369,380 mit Anm. HUFEN JuS 1989 S. 136 f, WÜRKNER NStZ 1988 S. 23 ff; OLG Hamburg JZ 1985 S. 343 mit Anm. GEPPERT JR 1985 S. 430, WÜRKNER NJW 1988 S. 317 ff.

Um überhaupt eine Grundlage für die Abwägung zu schaffen, ist zu fragen, wie weit ein Kunstwerk auf Aussagen zur Realität angelegt ist und wie weit es auf eine eigene Welt abzielt. Als Richtpunkt der Abwägung kann sodann der Grundsatz gelten, daß derjenige, der eine authentische Schilderung zu geben behauptet, sich auch an diesem Anspruch messen lassen muß, während er dann, wenn er erkennbar ein fiktives Geschehen darstellt, einen breiteren Raum künstlerischer Gestaltung beanspruchen kann, selbst wenn aus dem gestalteten Sachverhalt Ehrverletzungen für konkrete Personen herausgelesen werden können. Vgl. dazu auch: BVerfGE 30 S. 193; BGH(Z) NJW 1983 S. 1194; OLG Stuttgart (Z) NJW 1989 S. 396. - Im einzelnen dazu H E N S C H E L NJW 1990 S. 1940 ff; L A C K N E R StGB, § 193 Anm. 7; O T T O JR 1 9 8 3 S. 10; DERS. N J W 1986 S. 1210; S C H / S C H / L E N C K N E R § 193 R d n . 17 a; W Ü R T E N B E R G E R N J W

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S. 615; D E R S . NJW 1983 S. 1144 ff. - Wenig überzeugend: BVerfGE 67 S . 213 mit Anm. Otto NStZ 1985 S. 213 ff; OLG Hamburg NJW 1984 S. 1130 mit Anm. O T T O JR 1983 S. 511 ff.

Eine besondere Problematik bieten eventuelle Beleidigungen durch Satiren und Karikaturen, da diesen die Übertreibung, Verzerrung und Überzeichnung wesenseigen ist. Nach den bereits vom Reichsgericht entwickelten Grundsätzen - RGSt 62 S. 183 - sind hier der erkennbare Aussagekern und seine karikativen bzw. satirischen Einkleidungen zu unterscheiden. Beide sind gesondert unter dem Gesichtspunkt einer Ehrverletzung zu würdigen. Als Beleidigungen sind nach dieser Differenzierung eingestuft worden: die Behauptung, ein demokratischer Politiker sei ein Faschist und/oder Kriegstreiber (OLG Hamm NJW 1982 S. 659 ff; BayObLG NStZ 1983 S. 265 f) oder könne nur noch als Objekt in einer Peep-Show dienen (OLG Hamm 6 St Ss 286/82) sowie die Darstellung eines Politikers als kopulierendes Schwein (BVerfGE 75 S. 369).

Methodisch verläuft die Abwägung genau wie im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen. Gleichwohl sind die Abwägungen nicht identisch, denn das Maß der künstlerischen Gestaltung, die Verfremdung eines bestimmten Sachverhalts

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und seine Verallgemeinerung können durchaus im Einzelfall das Ergebnis rechtfertigen, daß eine Aussage nicht mehr unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit zulässig erscheint, wohl aber - aufgrund des Grades der Verfremdung - als "Nebenwirkung" eines Kunstwerkes hingenommen werden muß. Das Interesse der Kunstfreiheit wird in jedem Fall dort seine Grenzen finden, wo es um die Verletzung der Menschenwürde anderer geht. Dazu BVerfGE 30 S. 193; OLG Hamm NJW 1982 S. 660; OLG Hamburg JR 1983 S. 508 mit abl. Anm. OTTO S. 511 ff; ERHARD Kunstfreiheit und Strafrecht, 1989, S. 210 ff; HENSCHEL NJW 1990 S. 1940 ff; OTTO J R 1983 S. 8; WÜRTENBERGERNJW 1983 S. 1144 ff.

3. Einzelne Probleme der Rechtfertigung a) Vertrauliche Äußerungen Bei "Äußerungen im engen Familienkreis" wird von einigen die "Kundgabe" bestritten. Dem ist nicht zu folgen, denn auch der Täter, der im engsten Familienkreis ehrverletzende Tatsachen in bezug auf Dritte behauptet, gibt Mißachtung des sozialen Geltungsanspruchs des Betroffenen kund. Weil aber das Familienverhältnis als enges Gemeinschaftsverhältnis gerade die vorbehaltlose Erörterung aller Probleme fordert, Vorbehalte irgendwelcher Art hingegen dieses Verhältnis zerstören müßten, bleibt die Äußerung in einem solchen Kreis straflos. Das Ausspracheinteresse des Äußernden im Intimkreis ist höher zu bewerten als das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten. - Ein derart hoch zu bewertendes Ausspracheinteresse ist jedoch nicht ausschließlich auf den engsten Familienkreis beschränkt. Auch im Verhältnis Anwalt und Klient sind durchaus Situationen denkbar, in denen das Ausspracheinteresse des Klienten überwiegt, ohne daß damit das Bestehen einer Intimsphäre zwischen ihnen angenommen werden müßte. Grundsätzlich ist daher bei "vertraulichen" Äußerungen das Ausspracheinteresse des Äußernden und das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten im Rahmen des § 193 abzuwägen. Vgl. dazu HERDEGEN LK, § 185 R d n . 14; OTTO Schwinge-Festschrift, S. 87 f; SCHMIDHÄUSER B.T.,

5/10; ablehnend im Verhältnis Anwalt/Klient: OLG Hamburg NJW 1990 S. 1246 mit Anm. DAHN JR 1990 S. 516 f; GEPPERT JK 90, StGB § 185/8. - Eine Kundgabe verneinen bereits: OLG Oldenburg GA 1954 S. 284; HANSEN JuS 1974 S. 106; KREY B.T. 1 Rdn. 417 ff. - Zum gleichen Ergebnis gelangen durch eine teleologische Reduktion des Tatbestandes: LACKNER StGB, § 185 Anm. 3 b; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 24 R d n . 31; RUDOLPHISK, Vor § 185 R d n . 19; WESSELS B.T.-l, § 10 II 2. - Le-

diglich einen Strafausschluß will LENCKNER in: Schönke/Schröder Vor § 185 Rdn. 9 akzeptieren. - Zusammenfassender Überblick bei GEPPERT Jura 1983 S. 533 f.

b) Die Erstattung von Anzeigen Auch dann, wenn ein beleidigender Sachverhalt einer Behörde zur Kenntnis gebracht wird, deren Aufgabe in der Prüfung solcher Sachverhalte besteht - z.B. Mitteilung eines Diebstahlsverdachts gegenüber der Polizei -, kommt eine Rechtfertigung gemäß § 193 in Betracht. Hier kann im Einzelfall auch eine leichtfertige Anzeige gerechtfertigt sein, wenn der Anzeigende die Tatsachen, die seine Leichtfertigkeit begründen, mitteilt und erkennbar macht, daß er davon ausgeht, die Behörde werde den Sachverhalt prüfen. Dazu OLG Hamm NJW 1961S. 520 f; RANFT MDR 1966 S. 107 ff.

c) Weitergabe von Gerüchten Die Weitergabe von Gerüchten ist - wie oben dargelegt - auch dann Äußerung einer Ehrverletzung, wenn der Äußerade sich nicht mit dem Inhalt des Gerüchtes identifi-

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ziert. Gibt er das Gerücht jedoch ausschließlich weiter, um dem Betroffenen eine Stellungsnahme oder Gegenwehr zu ermöglichen, so ist er durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt.

V. Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände Wird den ehrverletzenden Tatbeständen ein einheitliches Rechtsgut zuerkannt, so ist § 185 als Grundtatbestand der ehrverletzenden Delikte anzusehen. § 186 ist ein durch den größeren Schaden qualifizierter und § 187 ein darüber hinausgehend qualifizierter Tatbestand. Erfolgt eine Beleidigung durch eine Tatsachenbehauptung gegenüber Dritten in Anwesenheit des Verletzten oder durch eine Tatsachenbehauptung und ein ehrenrühriges Werturteil in Anwesenheit Dritter, so konsumiert § 186 den zugleich verwirklichten § 185. So auch: HERDEGEN LK, Vor § 185 Rdn. 30; RUDOLPHI SK, Vor § 185 Rdn. 21. - Für Ideal-

konkurrenz: BGHSt 6 S. 161; 12 S. 292. - Für § 186 als lex specialis gegenüber § 185: SCH/SCH/ LENCKNER § 186 Rdn. 21.

VI. Erfordernis des Strafantrags 1. Grundsatz Die Beleidigungsdelikte nach den §§ 185 -187 a sind Antragsdelikte, § 194. 2. Ausnahmen Das Antragserfordernis entfällt bei Beleidigungen unter den Voraussetzungen des § 194 Abs. 1 S. 2, 3 (Beleidigung von Personen, die unter dem Nationalsozialismus oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verfolgt wurden). Dazu KÖHLER NJW 1985 S. 2389 ff; VOGELGESANG N J W 1 9 8 5 S. 2386 ff.

In den Fällen des § 194 Abs. 4 tritt an die Stelle des Strafantrags die Ermächtigung der betroffenen Körperschaft.

§ 33: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 1. Das geschützte Rechtsgut des § 189 Als geschütztes Rechtsgut wird die Ehre des Toten oder aber das Pietätsgefühl der Angehörigen und der Allgemeinheit angesehen. Für die erstgenannte Ansicht spricht, daß die Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, selbst wenn es sich um eine schwere Verletzung dieses Anspruchs handelt, das Pietätsgefühl einer Person nur dann stärker berühren wird, wenn ihr der Verstorbene bekannt gewesen ist. Gerade dieser Sachverhalt deutet darauf hin, daß es sich im Grunde doch um einen Angriff gegen die immer noch bestehende soziale Anerkennung des Verstorbenen handelt und nicht nur um die Verletzung eines letztlich sehr abstrakten Pietätsgefühls der Allgemeinheit. Wie hier: HERDEGEN LK, § 189 Rdn. 2 - 4; HIRSCH Ehre, S. 125; SCH/SCH/LENCKNER § 189 Rdn. 1;

WELZEL Lb., § 42 II 4. - A A . z.B.: OLG Düsseldorf NJW 1967 S. 1142; LACKNER StGB, § 189 Anm. 1; RÜPING G A 1977 S. 304 f.

§ 33 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener

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2. Einzelheiten des Tatbestandes Verunglimpfen ist ein grobe Form der Ehrverletzung. - Als Verstorbene sind auch für tot Erklärte anzusehen. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Irrtum des Täters über den Tod des Betroffenen Wird die Ehre des Verstorbenen als Rechtsgut des § 189 begriffen, so ist der Irrtum des Täters darüber, ob der Betroffene tot ist oder nicht, irrelevant, denn die Ehre des lebenden Betroffenen ist kein aliud gegenüber der Ehre des Verstorbenen. Die Verletzung wird lediglich in zwei verschiedenen Tatbeständen erfaßt. Fall: A, der meint, der Kirchenvorsteher K sei verstorben, erzählt wider besseres Wissen, der Verstorbene habe Kirchengelder im Freudenhaus veijubelt. - K lebt und stellt Strafantrag. Ergebnis: A haftet nach § 187. - Wird hingegen das Pietätsgefühl der Angehörigen oder das der Angehörigen und der Allgemeinheit in § 189 als geschützt angesehen, so bleibt der Täter straffrei. § 187 fiegt nicht vor, da A nicht die Ehre eines lebenden Menschen verletzen will. § 189 findet keine Anwendung, weil sein objektiver Tatbestand nicht gegeben ist.

4. Strafantrag Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ist Antragsdelikt, § 194 Abs 2. Auch hier entfällt der Antrag bei bestimmten Verunglimpfungen Verstorbener, die ihr Leben als Opfer der Nationalsozialisten oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verloren haben.

Sechster Abschnitt Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich § 34: Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Die Vorschrift schützt die Persönlichkeitssphäre des Menschen, in der die Unbefangenheit des Wortes gesichert werden soll. b) Angriffsobjekt ist das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen. aa) Nicht öffentlich ist das Wort, wenn es objektiv und nach dem Willen des Sprechers nicht über einen überschaubaren, durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis hinaus wahrnehmbar ist. - Auch vom Sprechenden unbemerkte Zuhörer schließen die NichtÖffentlichkeit aus, nicht aber illegale Lauscher. Vgl. O L G C e l l e J R 1977 S. 3 3 8 mit abl. A n m . ARZT S. 339 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.l, § 29 Rdn. 54.

Amtliche Unterredungen, Telefongespräche usw. sind nicht öffentlich, wenn sie nicht mit Wissen der Beteiligten vor einem öffentlichen Zuhörerkreis stattfinden. Dazu OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1513 mit zust. Anm. ALBER JR 1981 S. 495 ff, und abl. Anm. OSTENDORF J R 1979 S. 468 ff; O L G Frankfurt J R 1978 S. 168 mit A n m . ARZT S. 170 f.

bb) Auch wenn die Gedankenäußerung in Form eines Gedichtes oder Liedes gekleidet wird, bleibt der Schutz erhalten. - Steht jedoch die künstlerische Gestaltung der Aussage im Vordergrund - Gesang, Deklamation so greift der Schutz des § 201 nicht durch. Vgl. MAIWALD ZStW 91 (1979) S. 951; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 29 Rdn. 55. Das gesungene Wort schließen aus: DREHER/TRÖNDLE § 201 Rdn. 2; TRÄGER LK, § 201 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 201 Anm. 2. - Dagegen aber: SCH/SCH/LENCKNER § 201 Rdn. 5; WESSELS B.T.-l, § 12 II 1. - Jegliche Stimmäußerung bezieht ein: ARZT Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970, S. 243.

2. Die einzelnen Tathandlungen a) § 201 Abs. 1 unterscheidet zwei Tathandlungen aa) Nr. 1: Aufnehmen ist das mechanische Fixieren des Wortes auf einen Tonträger, d.h. eine Vorrichtung zur wiederholten Wiedergabe von Tonfolgen (Tonband, Schallplatte o.ä.). - Das Überspielen einer Aufnahme auf einen anderen Tonträger ist nur im Rahmen der Nr. 2 erfaßt. - Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter 4. bb) Nr. 2: Gebrauchen heißt Nutzen der Aufnahme zum Abspielen, Kopieren oder Überspielen. S o auch: LACKNER S t G B , § 201 A n m . 3 b; TRÄGER LK, § 2 0 1 R d n . 14. - A A . DREHER/TRONDLE

§ 201 Rdn. 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, 1 2 9 Rdn. 58.

Zugänglichmachen ist die Ermöglichung des Abspielens durch Dritte. - Eine so hergestellte Aufnahme ist eine unbefugt hergestellte Aufnahme.

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Gegenüber dem Abspielen einer befugt aufgenommenen Aufnahme ist das Abspielen einer unbefugt hergestellten Aufnahme ein schwerer Eingriff in die Eigensphäre des Berechtigten. - Das unbefugte Abspielen einer befugt hergestellten Aufnahme mag ein Vertrauensbruch sein, einen einer heimlichen Aufnahme vergleichbaren Einbruch in die Eigensphäre stellt das Verhalten im Regelfall aber nicht dar. Daher wandelt sich das in Nr. 1 als allgemeines Verbrechensmerkmal anzusehende Erfordernis der "unbefugten" Aufnahme hier in ein echtes Tatbestandsmerkmal. - Die Befugnis zum Gebrauchmachen hingegen ist wiederum allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter 4. Wie hier: ARZT Intimsphäre, S. 264; BLEI Henkel-Festschrift, S. 112 f; KREY ZStW 90 (1978) S. 180 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 29 R d n . 59; SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1 R d n . 16. -

A A SUPPERT Studien zur Notwehr und "notwehrähnlichen Lage", 1973, S. 209 ff; WELZEL Lb., § 45 III.

b) § 201 Abs. 2 erfaßt zwei unterschiedliche Sachverhalte aa) Nr. 1: Das unbefugte Abhören mittels eines Abhörgerätes. - Abhörgerät ist hier als technische Einrichtung zu verstehen, mit der das Wort über seinen normalen Klangbereich hinaus wahrnehmbar gemacht wird. Fernsehapparate und bei ihnen übliche Zusatzgeräte, wie z.B. Zweithörer und Lautsprecher sind keine Abhörgeräte in diesem Sinne. Der Gesetzgeber hat nicht das unbefugte Mithören unter Strafe gestellt, sondern den darüber hinausgehendenden Eingriff in die Sphäre anderer durch Nutzung besonderer technischer Geräte. So auch: BGH(Z) Anm. 4; TRÄGER LK,

N J W 1982 S. 1397; DREHER/TRONDLE § 201 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 201 § 201 Rdn. 20. - A A . GÖSSEL B.T. 1, § 37 Rdn. 39; KLUG Sarstedt-Festschrift, S. 106; SCH/SCH/LENCKNER § 201 R d n . 23.

bb) Nr. 2: Die Veröffentlichung des illegal aufgenommenen oder abgehörten nichtöffentlich gesprochenen Wortes. - Öffentlich ist die Mitteilung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis wahrnehmbar ist. - Tatbestandsmäßig ist die Mitteilung des geschützten Werkes im Wortlaut oder in seinem wesentlichen Inhalt. Gerechtfertigt ist die Mitteilung, wenn sie "zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird", Abs. 2 S. 3. Damit wird klargestellt, daß überragende öffentliche Interessen einen Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz genießen. Straffrei bleibt die Mitteilung, wenn sie nicht geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Hier handelt es sich um einen objektiven Strafausschließungsgrund, nicht etwa um einen Tatbestandsausschluß, denn sonst würde im Falle eines Irrtums des Täters das Risiko, daß die Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen zu verletzen, auf den Geschützten übertragen werden. Das ist sachlich unangemessen. 3. Qualifikation, § 201 Abs. 3 a) § 201 Abs. 3 ist ein Qualifikationstatbestand für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete; dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2,4. b) Das Delikt ist ein sog. unechtes Amtsdelikt. - Die öffentlich-rechtliche Position ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2. - Der Täter muß in seiner

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hoheitlichen Position, d.h. im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit, gehandelt haben. 4. Rechtswidrigkeit Die Tatbestände der §§ 201 ff setzen voraus, daß der Täter unbefugt handelt. Unbefugt ist jede Tathandlung, für die ein Rechtfertigungsgrund nicht besteht. a) Die rechtswirksam erteilte Befugnis zur Herstellung der Aufnahme oder zu ihrem Abspielen (Einwilligung) rechtfertigt das Verhalten. Der Vertrauensbruch, der darin liegt, daß eine Aufnahme, in die der Berechtigte eingewilligt hat, gegen seinen Willen einem größeren Kreis bekanntgemacht wird, wird von § 201 nicht erfaßt. Hier liegt kein Eingriff von außen in die Eigensphäre vor. Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1514; LACKNER StGB, Vor § 201 Anm. 2; ROGALL NStZ 1983 5. 6; WARDA Jura 1979 S. 296. - A A Tatbestandsausschluß OLG Köln NJW 1962 S. 686 mit zust. Anm. BINDOKAT N J W 1962 S. 686 f u n d abl. A n m . DREHER M D R 1962 S. 592; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T.I, § 29 R d n . 56.

b) Bei Aufnahmen, die der Abwehr von Gefahren dienen, die von dem Betroffenen ausgehen, ist zu differenzieren: aa) Dient die Aufnahme der Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs - z.B. Aufnahme eines erpresserischen Anrufs, um den Erpressungsversuch abzuwehren - so kommt eine Rechtfertigung nach § 32 in Betracht. bb) Steht die Rechtsgutsverletzung noch nicht unmittelbar bevor, ist die Gefahr der späteren Rechtsgutsverletzung aber bereits begründet worden - z.B. Ankündigung des Bestreitens der zwar erfolgten, vom Prozeßgegner aber nicht beweisbaren Zahlung in einem künftigen Prozeß - so kann eine eventuelle Aufnahme gemäß § 34 gerechtfertigt sein, denn die gegenwärtige Gefahr geht weiter als der gegenwärtige Angriff. cc) Soll mit der Aufnahme lediglich die spätere Bestrafung einer Person ermöglicht werden - z.B. Überführung nach Beleidigung am Telefon so ist weder § 32 noch § 34 unmittelbar anwendbar. Zurückzugreifen ist auf das allgemeine Prinzip des Interessenvorrangs, wie es in §§ 34 StGB, 228,904 BGB Ausdruck gefunden hat. Dazu OTTO Kleinknecht-Festschrift, S. 334 ff; DERS. Grundkurs Strafrecht A.T., § 8 VI 2 b. - Im übrigen vgl. zum Meinungsstand und zur Auseinandersetzung: TRÄGER LK, § 201 Rdn. 27 f.

c) Bei behördlichen Abhörmaßnahmen kommen als gesetzliche Vorschriften, die das Verhalten rechtfertigen, §§ 100 a, b StPO und das Gesetz zu Art. 10 GG (G 10) vom 13.8.1968 in Betracht. 5. Konkurrenzen Die Begehungshandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 stellen eine einheitliche Tat dar, auch wenn der Täter die unbefugte Aufnahme gebraucht oder Dritten zugänglich macht. - Die Begehungsformen der Absätze 1 und 2 können zueinander in Tateinheit stehen. Dazu eingehend: SCH/SCH/LENCKNER§ 201 Rdn. 38.

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6. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist derjenige, der das geschützte Wort gesprochen hat.

II. Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Die Vorschrift schützt die formal begrenzte Geheimsphäre gegen Indiskretion. b) Geschützt ist nicht nur das Briefgeheimnis (Art. 10 GG), sondern jeder abgeschlossene Gegenstand mit gedanklichem Inhalt sowie Abbildungen, es sei denn, der Verschluß dient nicht dazu, die inhaltliche Kenntnisnahme zu verhindern, so z.B. der Paketverschluß bei der Versendung von Romanen, allgemein zugänglichen Kochrezepten usw. c) Schriftstück ist jeder Träger von Schriftzeichen, die einen gedanklichen Inhalt ergeben. Der Brief ist ein Unterfall des Schriftstückes. 2 Die einzelnen Tathandlungen a) § 202 Abs. 1 Nr. 1: Öffnen ist das Beseitigen oder Unwirksammachen des Verschlusses. - Anwendung von Gewalt oder eine Beschädigung des Verschlusses ist nicht erforderlich. b) § 202 Abs. 1 Nr. 2: Anwendung technischer Mittel bedeutet den Einsatz spezifischer technischer Hilfsmittel. - Bloßes Abtasten oder "Gegen-Licht-halten" des Schriftstückes genügt nicht (BT-Drucks. 7/550 S. 237). - Vom Inhalt des Schriftstükkes hat sich der Täter "Kenntnis verschafft", wenn er den Inhalt wahrgenommen hat. Verständnis des Inhalts ist nicht erforderlich. Vgl. einerseits: LACKNER StGB, § 202 Anm. 3 b; andererseits: SCH/SCH/LENCKNER § 202 Rdn. 9.

c) § 202 Abs. 2 erfordert ein Öffnen zum Zwecke der Kenntnisnahme. - Verschlossenes Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen - und nicht zum Betreten von Menschen - bestimmtes Raumgebilde, dessen Verschluß fremde Kenntnisnahme des Behältnisinhaltes verhindern soll. Es genügt nicht, daß der Täter aus anderen Gründen das Behältnis öffnet (z.B. um Geld daraus zu stehlen) und Kenntnis von dem Inhalt des Schriftstückes nimmt.

3. Rechtswidrigkeit a) Zur Befugnis vgl. oben 14 a. b) Die rechtfertigende Befugnis kann hier insbes. aus §§ 99, 100 StPO, § 121 KO, § 2 Überwachungsgesetz und Art. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG v. 13.8.1968 folgen. Im einzelnen dazu TRÄGER LK, § 202 Rdn. 30 ff.

4. Konkurrenzen Die durch die Öffnung bewirkte Sachbeschädigung, § 303, wird von § 202 konsumiert. - Gegenüber § 354 ist § 202 subsidiär, § 202 Abs. 1 a.E. - Öffnet der Täter ein durch Diebstahl oder Unterschlagung entwendetes Schriftstück unbefugt, so ist je nach den

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zeitlichen Tatmodalitäten Real- oder Idealkonkurrenz zwischen §§ 242, 246 und § 202 gegeben. Dazu auch: BGH JZ 1977 S. 237 mit Anm. KÜPER JZ1977 S. 464, und LENCKNER JR 1978 S. 424 f.

5. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist derjenige, der zur Tatzeit das Bestimmungsrecht über die Sache hat, d.h. bei Sendungen der Absender bis zum Empfang durch den Adressaten. A A . SAMSON SK, § 205 R d n . 4.

III. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 1. Rechtsgut, Tatobjekt und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die Geheimsphäre des Einzelnen und daneben das Allgemeininteresse an der Verschwiegenheit der hier genannten Personen, da diese weitgehend Voraussetzung für eine effektive Ausübung der genannten Tätigkeiten ist. Vgl. auch: KREY B.T. 1, R d n . 457; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.L, § 29 R d n . 4. - D a s All-

gemeininteresse akzeptieren nur für Abs. 1: DREHER/TRÖNDLE § 203 Rdn. 1; LACKNER StGB, § 203 Anm. 1. - Für einen Vorrang des Allgemeininteresses: OLG Köln NStZ 1983 S. 412; MÜLLER-DlETZ SÄB 1980 S. 357; SCHLUND J R 1977 S. 269; SCH/SCH/LENCKNER § 203 R d n . 3. - N u r das Indi-

vidualinteresse sehen als geschützt an: JÄHNKE LK, § 203 Rdn. 14 f; ROGALL NStZ 1983 S. 5; SCHMIDHÄUSER B.T., 6 / 2 7 ; SCHÜNEMANN Z S t W 90 (1978) S. 51 ff.

Der Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 steht - wenn auch nicht in vollem Umfang entsprechend das Schweigerecht nach §§ 53,53 a StPO, § 383 ZPO gegenüber.

b) Tatobjekt der Abs. 1 und 2 S. 1 ist ein "fremdes Geheimnis", d.h. ein Privatgeheimnis, das einen anderen Menschen als den Täter betrifft. - Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist, an deren Geheimhaltung der Betroffene ein sachlich begründetes Interesse hat und das er nicht offenbaren will. - Das Geheimnis kann sich auf den persönlichen, beruflichen oder wirtschaftlichen Lebensbereich des Betroffenen beziehen. Das zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnis sowie das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis sind nur Beispiele für die hier relevanten Geheimnisse. Geheimnisse des Staates sind in den §§ 93 ff, 353 b geschützt, doch sind Überschneidungen mit § 353 b möglich.

c) Der Täterkreis aa) Zu den einzelnen Tätergruppen vgl. Gesetzeswortlaut, Abs. 1,2 S. 1. bb) Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. cc) Das Geheimnis muß dem Täter in seiner Eigenschaft als Arzt, Wirtschaftsprüfer, Amtsträger usw. anvertraut oder bekanntgeworden sein, d.h. die Kenntnisnahme muß in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Berufs- oder Amtstätigkeit stehen. - Anvertraut ist das Geheimnis, wenn es dem Betroffenen unter Umständen mitgeteilt worden ist, aus denen sich die Anforderung des Geheimhaltens ergibt. - Sonst bekanntgeworden ist dem Täter das Geheimnis, wenn er es auf andere Weise erfahren hat.

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V g l . D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 0 3 R d n . 8; JÄHNKE L K , § 2 0 3 R d n . 31; ROGALL NSTZ 1 9 8 3 S . 413. -

Eine Kenntniserlangung im Rahmen einer typischerweise auf Vertrauen angelegten Sonderbeziehung fordert: SCH/SCH/LENCKNER§ 203 Rdn. 15.

dd) Die berufsmäßig tätigen Gehilfen der nach Abs. 1 Verpflichteten und die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf Tätigen stehen den besonders Verpflichteten gleich, § 203 Abs. 3. - Bei den Gehilfen muß es sich aber um Gehilfen in der Berufsausübung handeln, nicht etwa um sonstige Gehilfen, wie z.B. den Chauffeur oder die Putzfrau. Dazu KOHLHAAS N J W 1 9 7 2 S. 1502.

ee) Nach dem Tode einer verpflichteten Person (Berufsausübender oder Gehilfe) ist in gleicher Weise verpflichtet, wer das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlaß erlangt hat, § 203 Abs. 3 S. 2. 2. Die Tathandlung a) Tathandlung ist das Offenbaren eines anvertrauten oder sonst bekannt gewordenen Geheimnisses. - Offenbaren ist Mitteilung an einen Dritten. b) Qualifiziert ist die Tat gemäß § 203 Abs. 5. aa) Bereicherungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen. bb) Schädigungsabsicht setzt den auf Schädigung gerichteten dolus directus 1. Grades voraus. 3. Rechtswidrigkeit a) Zur Befugnis vgl. oben 14 a. b) Als Befugnis kommen insbesondere in Betracht: aa) Die Einwilligung, die u.U. stillschweigend - z.B. Mitteilung des Arztes an seinen Vertreter oder Nachfolger - oder konkludent - Einwilligung zur sog. Anstellungsuntersuchung umfaßt Befugnis zur Mitteilung des Ergebnisses an anstellende Behörde bzw. Firma - erteilt werden kann. Einwilligungsberechtigter ist grundsätzlich der Träger des Geheimnisses, d.h. der vom Geheimnis Betroffene. Eine Ausnahme ist jedoch dann zu machen, wenn ein Dritter dem Täter das Geheimnis anvertraut hat und mit der Offenbarung einverstanden ist. In diesem Fall ist das Vertrauensverhältnis zwischen Betroffenem und Täter nicht verletzt. Vgl. auch: OLG Köln NStZ 1983 S. 413; SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 23. - A A . LACKNER StGB, § 2 0 3 ANM. 6 a, a a ; ROGALL N S t Z 1983 S. 414; WAGNER J Z 1 9 8 7 S. 708.

bb) Gesetzliche Anzeigepflichten, z.B. § 138 i.V.m. § 139 Abs. 2, Abs. 3 StGB, Geschlechtskrankheitengesetz, Bundesseuchengesetz usw. Zum staatsanwaltschaftlichen Auskunfts- und Herausgabeersuchen: §§ 160, 161, 94 I, 95 I StPO; vgl. OLG Karlruhe NJW 1986 S. 145.

cc) Zeugnispflicht, wenn der Verpflichtete von der Schweigepflicht entbunden ist, § 53 Abs. 2 StPO. dd) Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB.

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In Fällen, in denen die Offenbarung eines Geheimnisses zur Lebensrettung eines anderen nötig ist, ist die Offenbarung durch § 34 zu rechtfertigen (vgl. BGH JZ1983 S. 151 mit Anm. GEIGER S. 153 f). In gleicher Weise ist gemäß § 34 der Konflikt zwischen dem Schutz eines Geheimnisses und dem Auskunftsanspruch der Presse zu lösen (vgl. OLG Schleswig NJW1985 S. 1090). Vgl. dazu auch: LACKNER StGB, § 203 Anm. 6 a, hh; SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 30. - Ein Absehen von den strengen Voraussetzungen des § 34 mit der Konsequenz, die Wahrnehmung berechtigter Interessen hier genügen zu lassen - dazu vgl. oben § 3 2 I V 1 a -, ist hier nicht geboten, da kein Anlaß besteht, dem hier geschützten Rechtsgut geringeren Schutz zu gewähren als anderen Rechtsgütern, bei denen der Gesetzgeber eine Sonderregelung getroffen hat.

4. Zum Strafantrag, § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist der Geheimnisberechtigte.

IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 1. Rechtsgut und Täterkreis entsprechen dem § 203. 2. Die Tathandlung ist das Verwerten eines fremden Geheimnisses unter Verletzung von Interessen des Berechtigten, um Gewinn zu erzielen. Vgl. MAIWALD JUS 1977 S. 362; DERS. NStZ 1984 S. 170. - Die h.M. - vgl. z.B.: BayObLG NStZ 1984 5. 169 f - begnügt sich demgegenüber mit einer wirtschaftlichen Nutzung zum Zwecke der Gewinnerzielung.

3. §§ 204 und 203 schließen einander aus. Erfolgt die Gewinnerzielung durch Offenbarung des Geheimnisses an einen Dritten, z.B. Verkauf des Geheimnisses, so geht § 203 Abs. 5 dem § 204 vor; BT-Drucksache 7/550, S. 244. 4. Zum Strafantrag: § 205, vgl. m 4.

V. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 354 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt in Abs. 1, 2 Nr. 1, 3, Abs. 4 das Post- und Femmeldegeheimnis (Art. 10 GG), in Abs. 2 Nr. 2, 3 das öffentliche Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Postverkehrs. 2. Der Täterkreis der Abs. Ibis 3 a) Bedienstete der Post, Abs. 1, 2 - in den Fällen des Abs. 1 auch ausgeschiedene Bedienstete - sind die bei der Post beschäftigten Beamten, Angestellten und Arbeiter. b) Mit postdienstlichen Verrichtungen betraut, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, sind Personen, die nicht zu dem unter a) genannten Kreis gehören, aber in die Abwicklung des Postund Fernmeldeverkehrs eingeschaltet sind. Beispiel: Bahnbedienstete, die Postsäcke befördern (BT-Drucks. 7/550, S. 285).

c) Personen, die eine für den öffentlichen Verkehr bestimmte Fernmeldeanlage betreiben, beaufsichtigen, bedienen oder sonst bei ihrem Betrieb tätig sind, Abs. 3 S. 1 Nr. 2. - Bei den genannten Anlagen handelt es sich um Telegrafen-, Funk- und Fernschreibanlagen, die einem allgemeinen Benutzerkreis (nicht nur behördeninterner Nutzung) zugänglich sind.

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d) Mit der Herstellung von Posteinrichtungen usw. oder mit Arbeiten daran betraute Personen, Abs. 3 S. 2, sind Inhaber, Angestellte und Arbeiter von Privatunternehmen, die Post- und Fernmeldeanlagen errichten und ausbessern. e) Die Täterqualität ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, denn den Täterkreis kennzeichnet eine erhöhte Pflichtenstellung in bezug auf das geschützte Rechtsgut. Vgl. MAIWALD JUS 1977 S. 361; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 78 1 4 . - A A NER $ 354 RDN. 41.

SCH/SCH/LENCK-

3. Die einzelnen Tatbestände der Abs. 1 bis 3 a) Abs. 1 stellt die Mitteilung von Tatsachen, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, an andere unter Strafe. - Dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegt nicht nur der Inhalt von Sendungen, Telefongesprächen, Telegrammen und Fernschreiben, sondern auch die Tatsache, daß ein Post- oder Fernmeldeverkehr zwischen bestimmten Personen stattgefunden hat, Abs. 5. b) Abs. 2 Nr. 1, 2 schützt die der Post anvertrauten Sendungen gegen Ausforschung (Nr. 1) und Unterdrückung (Nr. 2). Sendung ist jeder körperliche Gegenstand, der auf dem Post- oder Fernmeldeweg übermittelt werden soll. Die Sendung muß verschlossen sein. Sendungen, die zwar nicht offen sind, aber jederzeitiger Öffnung und Kontrolle unterliegen sollen, genügen diesem Erfordernis nicht. OLG Stuttgart NStZ 1984 S. 25; BVerwG NJW1984 S. 2111: mit Klammern gesicherte Warenbeutel.

Der Post anvertraut sind alle Sendungen, die ordnungsgemäß in den Post- oder Fernmeldeverkehr gelangt sind und sich noch dort befinden. - Zu den Begriffen Öffnen und unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschaffen, vgl. oben II 2 b. Unterdrücken heißt dem ordnungsgemäßen Postverkehr entziehen, sei es auch nur zeitweise; vgl. OLG Köln NJW 1987 S. 2596. OLG Hamm NJW 1980 S. 2320: Der im Paketzustelldienst tätige Beamte A behielt die an den Absender zurückzusendenden Zahlkartenabschnitte bei Nachnahmepaketen und die kassierten Nachnahmesummen zeitweilig zurück und lieferte sie nicht unverzüglich bei seiner Dienststelle ab. OLG: § 354 Abs. 2 Nr. 2 bezüglich der Zahlkartenabschnitte, nicht aber bezüglich des Geldes, denn das Geld stellt keine Sendung i.S. dieser Vorschrift dar, weil es nicht körperlich dem Absender des Paketes zugeführt werden sollte.

Der Täter muß als Bediensteter, d.h. im inneren Zusammenhang mit seinem Dienst tätig geworden sein. Die Tatsache allein, daß er zur Tatzeit Postbediensteter war, genügt nicht. c) Abs. 2 Nr. 3 erfaßt das Gestatten und Fördern des Ausforschens oder Unterdrückens. - Ein Gestatten in diesem Sinne liegt nicht nur beim pflichtwidrigen Unterlassen des Einschreitens, bei Einwilligung in die Tat oder bei Genehmigung der Tat vor, sondern auch beim Anstiften zur Tat. - Fördern ist Hilfeleistung durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen. - Die Bedeutung von Abs. 2 Nr. 3 liegt darin, daß sachliche Teilnahmehandlungen formell zum Täterverhalten erklärt werden. 4. Erweiterung des Schutzgutes gemäß Abs. 4 Abs. 4 erweitert den Strafrechtsschutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses über den postalischen Bereich hinaus. - Täter können nur Amtsträger anderer Dienstbe-

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reiche sein. Der befugte Eingriff setzt eine Rechtfertigung des Eingriffs voraus, z.B. durch §§ 99 -100 b StPO. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 5. Rechtswidrigkeit Unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i.S. von rechtswidrig. - Die Befugnis kann hier insbes. auf §§ 99 - 100 b StPO, Art. 1 Abs. 1 des Ges. zu Art. 10 GG, § 12 FAG oder § 5 PostG beruhen. Auch § 138 StGB kann rechtfertigend eingreifen. § 34 kommt u.U. in Betracht, soweit nicht ein in Spezialgesetzen geregelter Sachverhalt vorliegt. Im einzelnen dazu SCH/SCH/LENCKNER § 354 Rdn. 14; WELP Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, 1974, S. 163 ff; DERS. ArchPF 1976 S. 783 ff.

6. Besondere Täterqualifikation Im Verhältnis zu §§ 133, 202, 274 Abs. 1 Nr. 1 beschreibt Abs. 2 Nr. 1 und 2 ein unechtes Sonderdelikt, beachte § 28 Abs. 2. Im übrigen sind die in § 354 erfaßten Taten echte Sonderdelikte, beachte § 28 Abs. 1.

VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 1. Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist das Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Steuergeheimnisses, die Voraussetzung eines wirksamen Besteuerungsverfahrens ist. Dazu OLG Hamm NJW 1981S. 357.

b) Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 2 Nr. 2 - und bestimmte, in Abs. 2 abschließend aufgezählte Personen sein. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 2. Die Tathandlungen Die Verhältnisse, die dem Täter im Rahmen bestimmter Verfahren (vgl. Abs. 1 Nr. 1) bekanntgeworden sein müssen und deren Offenbarung, d.h. Mitteilung an andere, unter Strafe gestellt ist, sind alle für die steuerliche, finanzielle, wirtschaftliche und persönliche Lage einer Person relevanten Umstände, ohne Rücksicht auf einen etwaigen Geheimnischarakter, soweit sie nicht offenkundig sind oder an ihrer Geheimhaltung keinerlei Interesse erkennbar ist. - Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind nur Sonderfälle dieser Verhältnisse, so daß Abs. 1 Nr. 2 nur die Tathandlungen in einem Teilbereich nach Abs. 1 Nr. 1 konkretisiert. - Zum Verwerten vgl. oben IV 2. 3. Rechtfertigung §§ 30 Abs. 4 und 5, 31 AO enthalten die Gründe, die eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses gestatten und die Offenbarung zu einer befugten machen. - Der Katalog ist nicht abschließend. Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, insbes. § 34, sind daher nicht ausgeschlossen. Dazu MAIWALD JUS 1977 S. 362 f.

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VII. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2,204, 202 a Strafrechtlichen Datenschutz gewährt der Gesetzgeber im StGB erstens durch die Gleichstellung mit dem Geheimnisschutz in §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204 und zweitens durch den Schutz besonders gesicherter Daten, § 202 a. Zum weitergehenden strafrechtlichen Datenschutz vgl. § 41BDSG.

1. Der Schutz von Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhaltnisse eines anderen, §§ 203Abs. 2 S. 2, 204 a) Gemäß § 203 Abs. 2 S. 2 wird der durch § 203 Abs. 2 S. 1 gewährte Geheimnisschutz auf solche Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen erweitert, die fiir Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden sind, soweit solche Einzelangaben nicht anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt. Zum Täterkreis, zur Tathandlung und zur Befugnis zum Offenbaren vgl. oben III lc,2,3. b) Der Schutz vor einer Verwertung des Geheimnisses, § 204, ist auf die Angaben gemäß § 203 Abs. 2 S. 2 ausgedehnt; vgl. insoweit IV. 2. Ausspähen von Daten, § 202 a a) Da es sich bei den geschützten Daten nicht notwendig um Geheimnisse handeln muß, schützt § 202 a das durch das Erfordernis besonderer Sicherung formalisierte Interesse an der Geheimhaltung bestimmter Daten. Vgl.

LENCKNER/WINKF.LBAUER

CR

1986

S.

485;

MÖHRENSCHLAGER

wistra

1986

S. 140;

SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 58 f. - A A z.B. HAFT NStZ 1987 S. 9, der das Vermögen als geschützt ansieht.

b) Tatobjekt sind Daten. Daten sind alle codierbaren Informationen. Deren Schutz wird gemäß Abs. 2 auf nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten beschränkt. Nicht unmittelbar wahrnehmbar sind Daten, deren Bedeutungsgehalt erst nach technischer Umformung mit den menschlichen Sinnen erfaßbar wird, z.B. neben den im Gesetz genannten elektronisch oder magnetisch fixierten Daten auch Daten auf Tonbändern, Schallplatten, Mikrofilmen u.ä. - Gespeichert sind zur Wiederverwendung erfaßte Daten. Geschützt werden diese Daten auch im Übermittlungsstadium (Anzapfen von Datenübertragungsleitungen). c) Nicht für den Täter bestimmt sind Daten, die nach dem Willen des Berechtigten nicht in den Herrschaftsbereich des Täters gelangen sollen. - Gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind Daten, wenn Vorkehrungen speziell zu dem Zweck getroffen sind, den Zugriff Unberechtigter zu verhindern oder zu erschweren, z.B. durch verschlossene Behältnisse oder systemimmanente Vorkehrungen wie Magnetkarten, Paßwörter u.a. d) Sich oder einem anderen Verschaffen bedeutet Herstellung der eigenen oder der Herrschaft eines anderen über die Daten. Das bedeutet, daß der Täter entweder die Daten selbst zur Kenntnis nimmt bzw. einem anderen die Kenntnisnahme ermöglicht

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Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

oder ohne Kenntnisnahme sich oder einem anderen den Besitz an den Datenträgern verschafft. e) Der Tatbestand erfordert Vorsatz; bedingter genügt. f) Unbefugtes Handeln ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Die Tat kann durch Gesetz - z.B. § 94 StPO durch Einwilligung des Berechtigten, dazu unter g), oder durch rechtfertigenden Notstand, § 34, gerechtfertigt sein. g) Die Tat ist Antragsdelikt gemäß § 20S. Antragsberechtigt ist der Verletzte, d.h. der Träger des Rechtsguts. Das ist der über die Daten Verfügungsberechtigte. Dem Schutz des vom Dateninhalt Betroffenen kommt keine Eigenständigkeit zu. Sein Schutz ist durch § 41 BDSG gewährleistet. Str., vgl. im einzelnen LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 485.

§ 35: Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 1. Rechtsgut und Tatobjekt a) Das Rechtsgut Geschützt ist das Hausrecht, d.h. die Freiheit der Entscheidung darüber, wer sich in den gesetzlich geschützten Bereichen aufhalten darf und wer nicht. Differenzierend nach der Art der Schutzsphären: SCHALL Die Schutzfunktionen der Strafbestimmung gegen den Hausfriedensbruch, 1974, S. 134 f, 145 ff, 159 ff, 169.

Der Berechtigte braucht nicht zivilrechtlicher Eigentümer der geschützten Sphäre zu sein, es genügt, daß er ein stärkeres Recht als der Störer hat. Bei vermieteten Räumen steht das Hausrecht in der Regel dem Mieter zu, soweit sich Ausnahmen nicht ausdrücklich aus dem Mietvertrag oder den besonderen Umständen des Falles ergeben; dazu OLG Hamm GA1961S. 181; OLG Braunschweig NJW 1966 S. 263; BERNSMANN Jura 1981S. 342 f.

Steht das Hausrecht mehreren gemeinsam zu (z.B. Ehegatten), so muß die von dem anderen gestattete Anwesenheit Dritter im Rahmen der Zumutbarkeit geduldet werden. b) Die einzelnen geschützten Sphären aa) Wohnung ist der Raum oder die zusammenliegende Mehrheit von Räumen, die einer Person oder mehreren Personen zur Unterkunft dient oder zur Benutzung freisteht. Dazu RGSt 12 S. 132 f. Die Wohnung braucht nicht Teil eines Hauses zu sein, daher kann z.B. auch der Wohnwagen o.a. "Wohnung" sein.

bb) Geschäftsräume sind die - hauptsächlich - zum Betrieb von Geschäften bestimmten, abgegrenzten Räume. - Raum ist auch hier nicht nur als Gebäudeteil zu verstehen, sondern als räumlicher Bezirk. Geschäftsräume daher auch: Lagerhallen, Fabrikhöfe, Zirkuszelte, u.ä.

cc) Das befriedete Besitztum ist eine unbewegliche Sache, die in äußerlich erkennbarer Weise mittels Schutzwehren gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert ist. - Die Wehr muß aber gegen das Betreten von außen gerichtet,

§ 35 Hausfriedensbruch

123

nicht nur dazu bestimmt sein, ein Ausbrechen nach außen zu verhindern, wie im Falle einer eingezäunten Kuhweide. Dazu BayObLG JR 1969 S. 466 mit Anm. SCHRÖDER S. 467 f.

Die Schutzwehr braucht nicht lückenlos zu sein, doch muß sie so weit gehen, daß der Sicherungscharakter klar wird. Ein bloßes Verbotsschild genügt dafür nicht. Auch sog. Abbruchhäuser sind befriedete Besitztümer, solange die vorhandenen Vorrichtungen erkennen lassen, daß der Berechtigte das Betreten durch Dritte verhindern will. - Ist das Haus hingegen derart verwahrlost, daß Türen und Fenster weitgehend fehlen und eine einheitliche Sperrvorrichtung nicht mehr erkennbar ist, so ist das Haus kein befriedetes Besitztum i.S. dieser Vorschrift. Vgl. OLG Hamm NJW 1982 S. 1824 u. 2676; OLG Köln NJW 1982 S. 2674 mit Anm. DEGENHART JR 1984 S. 30; OLG Düsseldorf NJW 1982 S. 2680. - Eingehend zu der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur: SCHALL NStZ 1983 S. 241 ff.

dd) Abgeschlossene Räume sind zum öffentlichen Dienst bestimmt, wenn in ihnen Tätigkeiten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften ausgeübt werden, z.B. Schulen, Universitäten, Gerichtsgebäude, nicht aber eine öffentlich-rechtlich betriebene Tiefgarage, da die Tätigkeit des Garagenwächters nicht die Nutzung des Raumes kennzeichnet; vgl. ALLGAIER MDR 1987 S. 723. - A.A. BayObLG NJW 1986 S. 2065. - Zum öffentlichen Verkehr bestimmte abgeschlossene Räume sind gleichfalls nicht nur Geschäftsräume und Gebäudeteile, sondern auch dem öffentlichen Verkehr dienende Räume, wie z.B. Bahnhofshallen, Eisenbahnwagen, Straßenbahnwagen, Autobusse, Parkhäuser u.ä. - Daß das dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen auch von einer Privatperson betrieben werden kann, ist bedeutungslos. ee) Sog. Zubehörflächen, die selbst nicht abgeschlossen sind (z.B. Höfe, Vorgärten, Kaufhauspassagen), sind dann in den Schutz einbezogen, wenn sie örtlich und funktional so eng mit dem geschützten Objekt verbunden sind, daß sie für jedermann erkennbar mit diesem eine Einheit bilden, auch wenn ihr Betreten nicht durch besondere Schutzwehr erschwert ist. So auch: BayObLG MDR 1969 S. 778; OLG Oldenburg NJW 1985 S. 1352; BLOY JR 1986 S. 81; KREY B.T. 1, R d n . 432 a; LACKNER StGB, § 123 A n m . 2 a; SCHÄFER LK, § 123 R d n . 13. - A A . AMELUNG J Z 1986 S. 247 ff; DERS. N J W 1986 S. 2079; ARZT in: A r z t / W e b e r , L H 1, R d n . 473; BEHM G A 1986 S. 547 ff; DERS. J u S 1987 S. 950 ff; MÜLLER-CHRISTMANN JuS 1987 S. 19 ff; VOLK J R 1981S. 167 f.

2. Widerrechtliches Eindringen a) Eindringen setzt voraus, daß der Täter - zumindest mit einem Teil des Körpers gegen den Willen des Berechtigten in die geschützte Sphäre gelangt ist. - Der Wille des Berechtigten kann ausdrücklich oder konkludent erklärt sein, er kann auch aufgrund einer Wertung der Gesamtumstände vermutet werden. Stets geht es aber um eine Verletzung des realen Willens des Berechtigten, auch dann, wenn dieser - mangels positiver Kenntnis - nur vermutet wird. - Hat der Berechtigte seinen Willen erklärt, so kommt es nicht auf den sog. wahren, nämlich einen hypothetischen Willen des Berechtigten an, es sei denn, seiner Erklärung kommt deshalb nicht der Sinngehalt einer Verfügung zu, weil er sich nur der Gewalt beugt und eine Verteidigung seines Hausrechts als sinnlos empfindet, da der Täter unabhängig von seiner "Zustimmung" eindringen würde. Im übrigen gilt: Genausowenig wie eine irrtumsbedingte Verfügung über eine Sache eine Gewahrsamsübertragung zu einem Gewahrsamsbruch macht, macht ein Irrtum bei der Erklärung des Einverständnisses zum Betreten der häuslichen Sphäre dieses zum widerrechtlichen Eindringen.

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Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

Vgl. AMELUNG NStZ 1985 S. 457 f; BERNSMANN Jura 1981S. 403 f; BOHNERT GA 1983 S. 14; DREHER/TRÖNDLE § 123 Rdn. 10; GEERDS JR 1982 S. 185; GEPPERT Jura 1989 S. 380 f; OSTENDORF JuS 1980 S. 664; OTTO NJW 1973 S. 668; DERS. Jura 1986 S. 333 f; STÜCKEMANN JR 1973 S. 414; WESSELS

B.T.-l, § 13 I 3. - A A OLG München NJW 1972 S. 2275; RUDOLPHISK, § 123 Rdn. 18; SCHÄFER LK, § 123 Rdn. 27; SCHALL Schutzfunktionen, S. 143 f.

Vereitelt jemand durch Täuschung die Durchsetzung eines gegen ihn individuell ausgesprochenen Hausverbots, so ändert dieses am Eindringen nichts, denn durch sein Verhalten wird das konkrete Verbot nicht beseitigt. Vgl. auch SCH/SCH/LENCKNER § 123 Rdn. 24; - aA. SCHILD NStZ 1986 S. 346 ff.

Die Begehung der Tat durch unechtes Unterlassen ist möglich für den Fall, daß ein Garant, dem die Beaufsichtigung eines anderen obliegt, das Betreten der geschützten Sphäre durch diesen nicht hindert. Bloßes Verweilen in einem Raum nach Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis ist hingegen nicht tatbestandsmäßig. Vgl. dazu auch BERNSMANN Jura 1981 S. 405; RUDOLPHI SK, 1123 Rdn. 19; SEIER JA 1978 S. 624. A A . BGHSt 21 S. 224; JANISZEWSKI JA 1985 S. 570 f; LACKNER StGB, § 123 Anm. 3 a; SCH/SCH/LENCKNER § 123 Rdn. 15.

b) Eindringen ist ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten. Die Zustimmung des Berechtigten (Einverständnis) steht daher bereits der Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals entgegen. Die Widerrechtlichkeit des Eindringens bzw. die fehlende Befugnis zum Verweilen sind allgemeine Verbrechensmerkmale. Sie werden durch das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeschlossen. Ein Recht zum Betreten öffentlicher Dienst- und Verkehrsräume kann sich aus der öffentlichen Zweckbestimmung dieser Räume ergeben. Diese Zweckbestimmung kann der Ausschließung Einzelner entgegenstehen, soweit sie sich im Rahmen der Zweckbestimmung halten. Daher liegt ein rechtswidriges Eindringen vor, wenn sich das Überschreiten der Zutrittserlaubnis bereits aus den äußeren Umständen ergibt, z.B. beim nächtlichen Einsteigen in die Schule oder Universität durch Schüler bzw. Studenten. Ist einem Anstaltsnutzer oder einem Anstaltsangehörigen gegenüber ein Hausverbot durch Verwaltungsakt erlassen worden, so ist ein Verstoß hiergegen ein widerrechtliches Eindringen, wenn der Betroffene keinen Widerspruch mit aufschiebender Wirkung eingelegt hat oder der Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt worden ist. - Ob der Verwaltungsakt sich in einem späteren Prozeß als rechtswirksam erweist, ist demgegenüber unbeachtlich. Dazu im einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1776; OVG Lüneburg NJW 1975 S. 136; OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 116; OLG Hamburg NJW 1978 S. 2520; OLG Hamburg NJW 1980 S. 1007 mit Anm. OEHLER JR 1981 S. 33 f; OLG Karlsruhe JR 1980 S. 342 mit Anm. SCHWABE S. 344 f; BERNS-

MANN Jura 1981S. 466 ff; SCHALL Schutzfunktion, S. 26 ff; TLEDEMANN JZ1969 S. 717 ff.

Die bloße Möglichkeit, die Wirksamkeit des Hausverbots aufschiebend zu beseitigen, berechtigt als solche nicht zum weiteren Betreten. A A . OLG Hamm NJW 1979 S. 728.

Für das Recht zum Betreten privater Räume können z.B. §§ 102,103 StPO Bedeutung haben. Auch der rechtfertigende Notstand kann eingreifen, doch können mit seiner Hilfe nicht die Voraussetzungen der speziellen Durchsuchungsrechte nach der StPO umgangen werden.

§ 35 Hausfriedensbruch

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3. Verweilen ohne Befugnis Verweilen ohne Befugnis ist Aufenthalt ohne Berechtigung hierzu. Nach Ablauf eines Miet- oder Nutzungsvertrags verweilt der ehemals Berechtigte so lange nicht ohne Befugnis in den Räumen, wie er nach der Rechtsordnung Räumungsschutz genießt. Maßt er sich nach Ablauf dieser Frist ein selbständiges Recht an, z.B. durch Besetzung der Räume, so verweilt er von diesem Moment an ohne Befugnis; vgl. OLG Düsseldorf JZ1990 S. 1088.

Die Aufforderung zum Verlassen der geschützten Räume kann auch konkludent erfolgen. 4. Konkurrenzen a) Die 2. Alternative des Tatbestandes ist gegenüber der 1. Alternative subsidiär. b) Wenn mehrere Straftaten während des Hausfriedensbruchs begangen werden, stehen diese mit demselben in Idealkonkurrenz; eingehend dazu Grundkurs Strafrecht, A.T., § 23 II 4. 5. Zum Strafantrag, § 123 Abs. 2.

II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 1. Geschütztes Rechtsgut Die Vorschrift schützt neben dem Hausrecht auch den öffentlichen Frieden. 2. Einzelheiten des Tatbestandes a) Menschenmenge ist eine Personenmehrheit, deren Zahl nicht mehr sofort überschaubar ist. Maßgeblich ist, daß diese Personenmehrheit aufgrund ihres räumlichen Zusammenhangs bei Außenstehenden als räumlich verbundenes Ganzes erscheint. Eine Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein, doch dürften gut 20 Personen im Regelfall schon eine Menge ergeben, unter bes. Umständen auch schon 15 Personen; vgl. BGHSt 33 S. 308; LG Frankfurt StV 1983 S. 463. - Eine Menschenmenge rottet sich zusammen, wenn sie zu einem gewaltsamen oder bedrohlichen Zweck zusammentritt, wobei der friedensstörende Wille äußerlich erkennbar in Erscheinung treten muß. Öffentlich ist das Zusammenrotten, wenn für eine unbestimmte Zahl von Personen die Möglichkeit der Beteiligung besteht. b) Täter ist jeder, der an der Zusammenrottung und dem widerrechtlichen Eindringen teilnimmt. Das bedeutet: aa) Der Täter muß sich in Kenntnis des Zwecks der Rotte anschließen oder in ihr verbleiben und dadurch deren friedensstörende Ziele fördern. Dazu BGH NJW 1954 S. 1694.

bb) Er muß sich beim Eindringen der Menge anschließen. Mit "eigenem Fuß" braucht er die geschützten Räume aber nicht betreten zu haben. Er genügt, daß ihm das Eindringen anderer nach den Regeln der Mittäterschaft zugerechnet wird. Dazu RGSt 55 S. 35.

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Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

c) Der Vorsatz erfordert das zumindest bedingte Wissen um das Zusammenrotten und das Eindringen. - Die Absicht zur Begehung von Gewalttaten braucht der Täter nicht selbst zu haben, es genügt, daß er weiß, daß andere Teilnehmer diese Absicht haben. Die Gewalttätigkeiten brauchen nur beabsichtigt zu sein, sie müssen noch nicht realisiert sein. d) Konkurrenzen: Idealkonkurrenz mit § 12S ist möglich.

§ 36: Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des § 241 ist der persönliche (subjektive) Rechtsfrieden des Einzelnen. A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 16 Rdn. 2; SCHROEDER Lackner-Festschrift,

S. 671: Willensentschließungsfreiheit.

II. Die Tathandlung 1. Drohung mit einem Verbrechen, § 241 Abs. 1 Bestraft wird die Drohung mit der Begehung eines Verbrechen, d.h. die Ankündigung eines künftigen Verhaltens, das die Merkmale eines Verbrechens, § 12 Abs. 1, aufweist, auf dessen Begehung der Drohende Einfluß zu haben vorgibt. - Das Verbrechen muß sich angeblich gegen den Bedrohten oder eine dem Bedrohten nahestehende Person richten. a) Der Vorbehalt des Drohenden, die Drohung nicht zu realisieren, ist unbeachtlich. b) Daß der Bedrohte die Drohung ernst nimmt, ist nicht erforderlich, da es sich bei der Tat um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 22; SCH/SCH/ESER § 241 Rdn. 2,15.

2. Vortäuschen eines Verbrechens, § 241 Abs. 2 Da der Rechtsfriede des Betroffenen in gleicher Weise bedroht ist, wenn der Täter das Verbrechen nicht androht, sondern vortäuscht, es stehe unmittelbar oder in nächster Zeit ein Verbrechen gegen den Betroffenen oder eine ihm nahestehende Person durch einen Dritten, auf den der Täter keinen Einfluß hat, bevor, stellt Abs. 2 die Vortäuschung eines Verbrechens wider besseres Wissen der Androhung eines Verbrechens i.S. des Abs. 1 gleich. - Auch hier ist nicht erforderlich, daß die schuldhafte Begehung eines Verbrechens angekündigt wird. 3. Der subjektive Tatbestand Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muß das angedrohte Verbrechen nicht selbst als Verbrechen i.S. des StGB bewerten, es genügt, wenn er sich der Umstände bewußt ist, die diese Tat zum Verbrechen machen. Dazu BGHSt 17 S. 307.

§ 37 Delikte gegen den Schutz der Person

127

4. Konkurrenzen Idealkonkurrenz möglich mit § 126. - § 241 Abs. 1 wird von §§ 113,177, 240, 253 konsumiert, auch wenn nur ein Versuch dieser Taten vorliegt. Vgl. OLG Koblenz MDR

1984

S. 1 0 4 0 ;

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.l, § 1 6 Rdn.

7.

§ 37: Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a 1. Geschütztes Rechtsgut ist die Schutzmöglichkeit der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat. Dazu H A R D W I G GA 1955 S. 140 ff. - A A Freiheitsdelikt ( W E L Z E L Lb., § 43 III 2, 3). - Verbrechen gegen die Menschlichkeit ( M A U R A C H / S C H R O E D E R B.T.2, § 86,4).

2. Ob politische Gründe vorliegen, ist materiell zu bestimmen. Die Kaschierung einer politischen Verfolgung als Verfolgung einer unpolitischen Straftat ist daher unbeachtlich. - Eine Verfolgung aus politischen Gründen liegt vor, wenn die Verfolgung durch kein Gesetz erlaubt ist, ihre Rechtsgrundlage mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Widerspruch steht oder wenn unter dem Deckmantel der Sühne kriminellen Unrechts politische Zwecke bzw. die Sicherung und weitere Entwicklung eines totalitären Regimes durch Zwangsmaßnahmen verfolgt werden. Vgl. LG Koblenz NStZ 1983 S. 508. - Anzeige wegen eines Devisenvergehens ist keine politische Verdächtigung: BGHSt 33, S. 238 mit Anm. S C H R O E D E R JR 1986 S . 162 ff.

II. Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h, und Auswanderungsbetrug, § 144 Zum geschützten Rechtsgut vgl. oben I 1. - Zum Teil wird das geschützte Rechtsgut des § 109 h in der Erhaltung der Wehrkraft, z.T. in der Erhaltung der Neutralität der Bundesrepublik Deutschland gesehen. Wie hier H A R D W I G GA 1955 S . 140 ff zu §§ 141, 144 a.F. - Im übrigen vgl. einerseits: StGB, § 109 h Anm. 1; - andererseits: M A U R A C H / S C H R O E D E R B.T. 2, § 85 II C 1.

LACKNER

In der ehemaligen DDR gilt § 144 nicht, vgl. Einigungsvertrag v. 23.9.1990, BGBl. 1990, II, S. 885 ff, Anl. I, Kap. III, Sachgebiet C, Abschn. III, Nr. 1.

Zweites Kapitel Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen) Erster Abschnitt Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte § 38: Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut 1. Geld- oder Gebrauchswert als Grundlage des Veimögensbegriffs Unter der Bezeichnung "Vermögensdelikte" wird allgemein die Gruppe jener Delikte zusammengefaßt, die sich gegen das "Vermögen" eines Rechtssubjekts richten. Je nachdem, ob ein Tatbestand das Vermögen umfassend oder nur in begrenztem Umfang - z.B. Eigentum, Besitz, Aneignungsrechte o.ä. - schützt, wird herkömmlich zwischen den Delikten gegen das gesamte Vermögen und den Delikten gegen einzelne Vermögensobjekte unterschieden. Voraussetzung dieser Differenzierung scheint ein einziger, einheitlicher Vermögensbegriff zu sein. In Wirklichkeit gehen h.L. und Rechtsprechung jedoch von zwei verschiedenen Vermögensbegriffen aus: Durch die Delikte gegen das gesamte Vermögen, z.B. durch Betrug oder Erpressung, sollen nur geldwerte Objekte geschützt sein, während sich z.B. Diebstahl und Raub auch gegen Sachen ohne Geldwert, sog. Sachen mit bloßem Affektionswert, richten können. Das bedeutet: Bei den Delikten gegen das gesamte Vermögen wird der Vermögensbegriff vom Geldwert, von der Umsatzmöglichkeit her bestimmt, bei anderen Delikten vom Gebrauchswert her. Die Sachgerechtigkeit dieser Differenzierung erscheint jedoch zweifelhaft. Denn unabhängig von der Ausgestaltung des strafrechtlichen Schutzes im einzelnen ist zunächst die grundsätzliche Frage zu stellen, ob durch den Schutz des Vermögens als einer einheitlichen Wertsumme oder einer personal strukturierten sachlichen Einheit die Aufgaben der Strafrechtsordnung am angemessensten realisiert werden können. Sodann erst ist zu überlegen, ob im Einzelfall - aus besonderen Gründen - die grundsätzlich angemessene Regelung zurücktreten muß. - Ausgangspunkt der Überlegung muß die Besinnung auf die Funktion des Strafrechts sein. Die Aufgabe des Strafrechts wurde in seiner Schutzfunktion gesehen, die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen in der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Entfaltung der Persönlichkeit setzt auch die Möglichkeit des Umgangs mit Sachen voraus, denn in diesem Umgang wird sich die Person ihrer Fähigkeit zur Gestaltung ihrer Umwelt bewußt. Insoweit wird durch das Wort Vermögen "unmittelbar das Wesen der Sache selbst ausgedrückt, die durch das Daseyn jener Rechte uns zuwachsende Macht, das was wir durch sie auszurichten imstand sind oder vermögen" (SAVIGNY).

Vermögen in diesem Sinne ist "gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung", die auf den wirtschaftlichen Bereich bezogen ist, sofern die Objekte, auf die die Entfaltungsmöglichkeit gerichtet ist, Güter des wirtschaftlichen Bereiches

§ 38 Rechtsgut und systematische Gliederung

129

sind. Geldwerte Güter sind nur eine Untergruppe dieser Güter, da der Geldwert nur das Ergebnis einer einzigen wirtschaftlichen Funktion ist, nämlich der, mit dem Gut am Handelsverkehr teilzunehmen. Daß es sich bei dem Geldwert einer Sache nur um eine Teilfunktion handelt, wird z.B. darin sichtbar, daß eine auf den Geldwert einer Sache bezogene Sozialbindung - wie sie Art. 14 GG vorsieht - eine geradezu unsinnige Vorstellung ist, während eine Sozialbindung bestimmter Gebrauchsmöglichkeiten eines Vermögensobjekts zu den selbstverständlichen Bestandteden einer Rechtsordnung gehört, wie z.B. Wettbewerbs- und Kartellrecht zeigen.

Ein Strafrecht, das den Schutz der Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums innerhalb eines gesellschaftlichen Bezuges gewährleisten will, würde eine weite Sphäre des wirtschaftlichen Bereiches schutzlos preisgeben, wenn es seinen Schutz allein auf den Geldwert beziehen würde. Den umfassenderen Schutz der Persönlichkeit bietet die Anknüpfung des Schutzes am Gebrauchswert. Vermögen in diesem Sinne ist demnach eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Sie konstituiert sich in von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden. - Das bedeutet: Vermögen ist wirtschaftliche Potenz des Rechtssubjekts, die auf der Herrschaftsgewalt über Objekte beruht, die die Rechtsgesellschaft als selbständige Objekte des Wirtschaftsverkehrs ansieht. Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich (sog. personaler Vermögensbegriff). Zur Entwicklung des personalen Vermögensbegriffs im einzelnen: OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 26 - 84.

2. Die Verletzung des Rechtsguts "Vermögen" Ein Vermögensschaden setzt stets eine Verringerung der wirtschaftlichen Potenz des Vermögensträgers voraus. - Diese Verringerung wirtschaftlicher Potenz braucht sich nicht in einer Geldsumme auszudrücken. Es genügt, daß eine wirtschaftliche Disposition zur Verfügung über wirtschaftliche Mittel führt, ohne daß der vom Berechtigten gewollte wirtschaftliche Zweck erreicht wird. Die wirtschaftliche Zweckverfehlung ist das Kriterium des Schadens, nicht ein irgendwie gearteter geldlicher Minderwert, obwohl - das darf nicht übersehen werden - oftmals beide identisch sein werden. Die Zweckverfehlung selbst ist insoweit subjektiv zu bestimmen, als die maßgebliche Zwecksetzung die des Berechtigten ist. Sie ist zugleich objektiv zu begründen, da die Feststellung, welcher wirtschaftliche Erfolg eingetreten ist und wie weit wirtschaftliche Zwecke des Berechtigten realisiert worden sind, aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters erfolgt. Ist über die Erzielung eines bestimmten wirtschaftlichen Zwecks eine Einigung mehrerer Personen zustandegekommen, so bestimmt sich der relevante Zweck nach dieser Abrede. Die bloß fehlgeschlagene Disposition als solche ist noch kein Schaden. Zur praktischen Bedeutung der unterschiedlichen Definitionen des Vermögensbegriffs eingehender unter § 51 III 4.

130

Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte

II. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte 1. Die Struktur der Vermögensdelikte Wird von einem einheitlichen Vermögensbegriff als Rechtsgut der Vermögensdelikte ausgegangen, so läßt sich zwar zwischen Delikten gegen spezielle Vermögenswerte und gegen das Vermögen insgesamt unterscheiden. Mehr als eine Aufzählung ist durch diese Differenzierung aber nicht zu gewinnen. Gleiches gilt für den Versuch einer Systematisierung von der Begehungsweise und vom Tatobjekt her - dazu SCHROEDER Jura 1987 S. 113 ff, 116 -, auch wenn hier durchaus ein Gewinn an Übersichtlichkeit erzielt wird. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn nach der unterschiedlichen Weise des Angriffs auf das geschützte Rechtsgut unterteilt wird. Unabhängig von der Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände zeigen sich zwei in der Struktur verschiedene Weisen des Angriffs auf das Vermögen: Die Entziehung von Vermögen und die Perpetuierung einer rechtswidrigen Vermögenslage. Diesen Angriffsweisen entsprechen die Vermögensentziehungs- und die Perpetuierungsdelikte. 2. Die beiden Gruppen der Vermögensdelikte a) Die Vermögensentziehungsdelikte sind ausnahmslos gekennzeichnet durch den realen, nachweisbaren Entzug eines Vermögensobjekts, sei es, daß das Objekt vom Berechtigten auf eine andere Person übergeht (Vermögensverschiebung) oder lediglich zerstört oder beschädigt wird (bloße Vermögensentziehung). Der reale Vermögensschaden auf der Seite des Opfers des Delikts kennzeichnet diese Delikte, zu denen z.B. §§ 242,253,263,303 gehören. b) Kein realer, über die schon erfolgte Vermögensentziehung hinausgehender Vermögensschaden tritt hingegen durch ein sog. Perpetuierungsdelikt ein. Die Beeinträchtigung fremden Vermögens geschieht gerade nicht durch Entziehung einer Vermögensposition. Hier geht es dem Gesetzgeber vielmehr darum, Verhaltensweisen zu verpönen, die das Vermögen des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer tatbestandsmäßig und rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage beeinträchtigen. Die bewußte Verhinderung der Wiederherstellung der rechtmäßigen Vermögenslage oder die Weiterverschiebung deliktisch erlangter Vermögensobjekte kennzeichnet das hier strafwürdige Verhalten, das der Gesetzgeber z.B. in §§ 257,259 erfaßt hat.

III. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte Etwa 30 % der jährlichen Verurteilungen - ohne Berücksichtigung der Verkehrsdelikte sogar fast 60 % - erfolgen wegen eines Vermögensdelikts. - Die Verurteiltenstatistik gibt jedoch nur einen unvollständigen Einblick in die Verbrechenswirklichkeit. Unabhängig von der Tatsache, daß eine Dunkelziffer von 1 : 5 im Bereich des Vermögensstrafrechts sicher nicht zu hoch angesetzt ist, führt auch nur ein geringer Teil der als Straftaten erkannten Taten zu einer Verurteilung des Täters wegen dieser Tat. Die Zahl der bekanntgewordenen Straftaten ist der jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegebenen "Polizeilichen Kriminalstatistik" zu entnehmen, die Zahl der

§ 38 Rechtsgut und systematische Gliederung

131

Yerurteilten (V) ergibt sich aus der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Übersicht: Fachserie 10: Rechtspflege, Reihe 3: Strafverfolgung.

1. Verbrechen und Vergehen insgesamt 2. Verbrechen und Vergehen ohne Verkehrsdelikte 3. Diebstahl ohne erschwerende Umstände, §§ 242,247,248 a und § 248 b 4. Diebstahl und unbefugte Ingebrauchnahme von Kfz unter erschwerenden Umständen, §§ 243, 244 5. Unterschlagung 6. Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 7. Betrug 8. Erpressung 9. Untreue 10. Sachbeschädigung 11. Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei

T. V. T. V. T. V. T. V.

1978 3.380.516 739.044

1982 4.291.975 772.194

1987 4.444.108 691394

-

-

-

407.010 1.067.423 122.209 1.147.992 39.415

459.689 1.227.027 139.186 1348.750 43.432

437.611 1.060.957 122.362 1.729.892 35.527

T. V. T. V.

33.474 6.235 21.648 5.113

42365 6.569 30.465 6.522

49.846 6.995 28.122 5.491

T. V. T. V. T. V. T. V. T. V.

228.989 28.321

323.675 34.720 3.650 461 5.052 1.604 343.601 9.112 28.237 6.901

358.493 48.351 2545 401 4.311 1.677 386.309 9.041 30.445 6.729

3.220 422 3.239 1.461 280.954 8.068 20.775 6.084

Vergegenwärtigt man sich, daß der einfache Diebstahl und der schwere Diebstahl zusammen 2 / 3 der bekanntgewordenen Verbrechen und Vergehen ausmachen, so dürfte bewußt werden, wie sehr diese Verhaltensweisen die soziale Realität tangieren.

Zweiter Abschnitt Die Vermögensentziehungsdelikte § 39: Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Diebstahlstatbestände und der Unterschlagung ist die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. - Diese Position hat inne, wer seine Sachherrschaftsposition nicht aus dem Rechte eines anderen herleitet, sondern selbständige, umfassende Herrschaft ausübt. Das Sachherrschaftsverhältnis kennzeichnet damit jenen Sachverhalt, der zivilrechtlich positiviert in § 903 BGB als Eigentumsrecht erfaßt wird. Die tatsächlichen Herrschaftsmöglichkeiten, die das Eigentumsrecht gewährleistet, sind aber nicht identisch mit dem Eigentumsrecht. Rechtsgut ist daher nicht das Eigentum i.S. des Eigentumsrechts, denn das Eigentumsrec/if selbst wird z.B. durch einen Diebstahl nicht verletzt. Es bleibt auch nach dem Diebstahl bestehen, §§ 985, 935 BGB. Die Ausübung der Sachherrschaft ist jedoch nach dem Diebstahl dem Eigentümer unmöglich geworden. Insoweit ist an seine Stelle der Dieb getreten. Auch der Gewahrsam ist mit der tatsächlichen, umfassenden Sachherrschaft nicht identisch. Gewahrsam hat auch, wer sein Besitzrecht vom Eigentümer ableitet. Diesen Gewahrsam kann der Eigentümer rechtswidrig brechen, ohne damit zum Dieb zu werden, denn Gegenstand des Diebstahls sind nur fremde Sachen. - Der Gewahrsam ist kein selbständiges Schutzobjekt des Diebstahls. D a z u HEUBEL J u s 1984 S. 445; OTTO Struktur, S. 274; SCH/SCH/ESER § 242 R d n . 1 , 2 .

Auf das Eigentumsrecht stellen ab: BINDING B.T. I, S. 294; CRAMER Vermögensbegriff und Vermögensschaden, 1968, S. 94; DREHER/TRÖNDLB § 242 R d n . 1; SCHMIDHÄUSER B.T., 8 / 1 5 .

Die h.M. bezeichnet Eigentum und Gewahrsam als Rechtsgüter des Diebstahls; dazu vgl. BGHSt 10 S. 401; 29 S. 323; LACKNER S t G B , § 242 A n m . 1; LAMPE G A 1966 S. 228; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 1.

Konsequenzen hat die unterschiedliche Bestimmung des geschützten Rechtsguts für die Frage nach dem Verletzten und damit Antragsberechtigten im Rahmen der §§ 247, 248 a. Fall: B hat gutgläubig eine dem X vor langer Zeit gestohlene Uhr erworben. A stiehlt dem B die Uhr. Nach h.M.: Geschädigt durch die Tat: B und X. Soweit im Eigentumsrecht das geschützte Rechtsgut gesehen wird: Geschädigt ist allein der Eigentümer X. Nach der hier entwickelten Auffassung: Geschädigt allein der B, da die Sachherrschaftsposition des X durch die Tat des A nicht verschlechtert wurde. Weitere Konsequenzen: unten § 43,3.

§ 40 Diebstahl

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II. Systematischer Überblick 1. Unter Hinweis auf sonst zwischen Diebstahl und Unterschlagung eröffnete Strafbarkeitslücken wird in der Lehre z.T. die Unterschlagung als der umfassende, das Eigentum schützende Tatbestand angesehen. Im Gegensatz zum Diebstahl, der die Zueignung fremder Sachen durch Gewahrscansbruch erfaßt, soll die Unterschlagung als Zueignung fremder Sachen ohne Gewahrsamsbruch zu interpretieren sein (sog. große berichtigende Auslegung des § 246). Danach wäre die Unterschlagung gleichsam als Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte anzusehen. Dazu BlNDING B.T. I, S. 275; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/40; WELZEL Lb., $ 47,1 b.

Mit dem Wortlaut des Gesetzes: "... fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet...", und damit mit Art. 103 Abs. 2 GG ist diese Auslegung nicht in Einklang zu bringen. Nicht die Zueignung als solche, sondern der Mißbrauch eines bestimmten Näheverhältnisses zu einer Sache durch Zueignung der Sache kennzeichnet die Unterschlagung; dazu weiter unter § 4213 a. - Diebstahl und Unterschlagung stellen danach zwei selbständige,voneinander verschiedene strafrechtlich relevante Angriffsweisen auf dasselbe Rechtsgut dar. 2. Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte ist § 242. - Einen qualifizierten Tatbestand enthält § 244. - Einen unbenannten Straferhöhungsgrund mit Regelbeispielen beschreibt § 243 Abs. 1 (Einschränkung § 243 Abs. 2). - Für den Haus- und Familiendiebstahl stellt § 247 das Antragserfordernis auf, das gleichfalls für § 248 a, den Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen gilt, soweit kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung begründet ist. 3. Um ein dem Diebstahl ähnliches Zueignungsdelikt handelt es sich bei der Entziehung elektrischer Energie, § 248 c Abs. 1. Geht man davon aus, daß auch Strom eine Sache i.S. des § 242 ist (h.M.), so ist § 248 c Abs. 1 als lex specialis gegenüber $ 242 anzusehen.

4. Fälle strafbarer Gebrauchsanmaßung, und deshalb keine Fälle eines Diebstahls, sind der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, und der unbefugte Gebrauch von Pfandsachen, § 290. § 40: Diebstahl Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen durch Wegnahme und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.

I. Der objektive Tatbestand Der objektive Tatbestand setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache voraus. 1. Sache Sachen i.S. des Strafrechts sind nur körperliche Gegenstände, auch Tiere, im Gegensatz zu § 90 a BGB. - Der Aggregatzustand (z.B. flüssig, gasförmig) ist gleichgültig. Rechte und Computerprogramme sind keine Sachen, wohl aber sind Papiere, die

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Rechte verbriefen (z.B. Wechsel, Sparbuch u.ä.) und Datenträger, auf denen Programme gespeichert sind, Sachen. Der Mensch als Person ist keine Sache. Auch organische Teile des Menschen - anders hingegen Fremdbestandteile, z.B. Zahnprothese - sind keine Sachen, solange sie mit dem lebenden Körper verbunden sind. Mit dem Tod endet jedoch die Personenqualität des Menschen. Die Leiche und ihre Bestandteile - wie auch vom lebenden Körper abgetrennte Bestandteile - sind Sachen. Vgl. v . BUBNOFF G A 1968 S. 75; EICHHOLZ N J W 1968 S. 2272 ff; GÖRGENS J R 1980 S. 140 f; KOHLHAAS N J W 1967 S. 1491. - A A Persönlichkeitsrückstand: R G Z 100 S. 171; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 32 R d n . 19.

Streitig ist die Sachqualität der sog. Implantate. Hier jedoch ist zu differenzieren. Soweit das Implantat - z.B. künstliches Hüftgelenk, Zahnplombe, Herzschrittmacher - mit dem Körper fest verbunden wird, verliert es seine Sacheigenschaft. Es wird Bestandteil des Körpers. Mit einer eventuellen Trennung wird es - wie auch natürliche Körperbestandteile, z.B. durch Unfall oder Organspende - eine Sache und wie diese geschützt. H.M., vgl. z.B. BGH bei Daliinger MDR 1958 S. 739; LG Mainz MedR 1984 S. 199 f; DREHER/ TRÖNDLE § 242 Rdn. 6 a; RUß LK, § 242 Rdn. 4. - Zum Teil wird die Sachqualität grundsätzlich bejaht, vgl. z.B. BRINGEWAT JA 1984 S. 63; SAMSON SK, § 242 Rdn. 4. - Andere differenzieren nach dem Grad der Verbindung mit dem Körper, vgl. GÖRGENS JR 1980 S. 141, oder unterscheiden zwischen Ersatzimplantaten, die in Form und Funktion an die Stelle defekter Körperteile treten, z.B. Zahnplomben, Stiftzähne, und Zusatzimplantaten, die insuffiziente Organe nicht ersetzen, wohl aber unterstützen, z.B. Herzschrittmacher, die ihre Sacheigenschaft behalten sollen, vgl. GROPP JR 1985 S. 183 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 32 R d n . 18; SCH/SCH/ESER § 242 R d n . 10.

2. Beweglich Beweglich sind alle Sachen, die tatsächlich fortgeschafft werden können, daher auch Grundstückszubehör und Teile unbeweglicher Sachen, soweit sie bewegbar sind oder beweglich gemacht werden. 3. Fremd Nach fast einhelliger Ansicht ist eine Sache fremd, wenn sie im zivilrechtlichen Eigentum - Miteigentum genügt - eines anderen steht. Zwar gesteht die h.M. zu, daß diese Bindung des Begriffs "fremd" an den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff hin und wieder der angemessenen Lösung problematischer Fälle entgegensteht. Der Klarheit der Begriffsbestimmung wird jedoch der Vorrang vor der sachlichen Angemessenheit einzelner Fallösungen eingeräumt. Möglich und sachlich überzeugender ist es jedoch, den Begriff "fremd" von seiner wirtschaftlichen Funktion her zu bestimmen. Dies ist keineswegs mit den Schwierigkeiten verbunden, die die h.M. offenbar argwöhnt, sondern erfordert allein eine genauere Analyse der rechtlichen Verhältnisse in bezug auf das Objekt des Diebstahls vom Täter her gesehen: Wirtschaftlich betrachtet ist eine Sache für den Täter fremd, wenn sie einer anderen Person gehört, wenn jemand anderes ein stärkeres Vermögensrecht, eine umfassendere Vermögensposition an der Sache hat als der Täter. - Gemeinhin wird diese stärkere Vermögensposition natürlich durch das Eigentumsrecht gewährt. Gleichwohl eröffnet die grundsätzliche Lösung vom zivilrechtlichen Eigentumsbegriff eine flexiblere Argumentation.

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Zur h.M. vgl. LACKNER StGB, § 242 ANM. 2 c . - Kritisch gegenüber der h.M.: LAMPE in: MüllerDietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 63; LIVER Schultz-Festgabe, S. 121; OTTO S t r u k t u r , S. 143 ff; RANFT J A 1984 S. 4 f.

In der Konsequenz dieses Grundsatzes sind als fremde Sachen anzusehen: die unter Higentumsvorbehalt gekaufte Sache für den Vorbehaltskäufer (OLG Düsseldorf NJW 1984 S. 810); die sicherungsübereignete Sache für den Sicherungsgeber (RGSt 61S. 65; BGH NJW 1987 S. 2242 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 246/5); die übergebene, aber noch nicht übereignete Sache für den Käufer; das Sammelgut, das anläßlich des Sammelaufrufs einer best. Organisation zum Abholen auf die Straße gestellt wird (BayObLG J Z 1986 S. 967 f); ein staatlicher Grenzstein, selbst wenn er schon vor 200 Jahren eingesetzt worden ist (OLG Frankfurt NJW 1984 S. 2303 f); das nicht beim Telefonieren verbrauchte, im Automaten befindliche Geld in einer Telefonzelle (OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 2153); das vom Kunden einer Selbstbedienungstankstelle gezapfte Benzin (OLG Hamm NStZ 1983 S. 266 mit Anm. MOLLER-LUCKMANN S. 267; - A A . OLG Düsseldorf JR 1982 S. 343); die einer Einmann-GmbH gehörenden Sachen für den Alleingesellschafter, doch ist hier zu beachten, daß er als Geschäftsführer dann zu seinen Gunsten über das Eigentumsrecht verfügen kann, wenn nicht spezielle Verfügungsbeschränkungen bestehen (vgl. OTTO Jura 1989 S. 139 f). In diesen Fällen gewährt das Eigentumsrecht die umfassende Sachherrschaftsposition, die Dritte zu achten haben. Dem Eigentümer gehören die Sachen. Dritten gegenüber sind es fremde Sachen. - Darüber hinaus aber sind z.B. auch fremde Sachen derelinquierte Sachen im Besitz des Finders, der sie selbst nicht als derelinquiert erkannt hat, und das gewilderte Tier im Besitz des Wilderers gegenüber Dritten.

Str. ist, ob eine Leiche eine fremde Sache sein kann. - Da an einer Leiche weder derivativ noch originär Eigentum erworben werden kann - vgl. dazu DILCHER in: Staudinger, BGB, Bd. 2, 12. Aufl. 1980, § 90 Rdn. 19 ff - müßte die h.M. zum Ergebnis kommen, daß die Leiche keine fremde Sache sein kann, da an ihr kein zivilrechtliches Eigentum besteht. - Der strafrechtliche Schutz des Leichnams wird damit auf § 168 beschränkt. Dazu RANFT JA 1984 S. 3.

Von dem hier vertretenen Standpunkt aus bereitet der Schutz des Leichnams in Anatomien u.ä. keine Schwierigkeiten. Anerkannt ist nämlich, daß die Angehörigen das Recht haben, unberechtigte Eingriffe Dritter in die Leiche abzuwehren und bestimmte Verfügungen (Bestattung usw.) vorzunehmen; vgl. auch KG NJW 1990 S. 782. Auch wenn diese Rechte kein Aneignungsrecht im vermögensrechtlichen Sinne gewähren, wird man den Erben doch das Recht einräumen müssen, über die Leiche oder einzelne Organe zu Gunsten Dritter verfügen zu können. Dieses vorrangige Verfügungsrecht macht den Leichnam Dritten gegenüber zu einer fremden Sache. Für ein beschränktes Aneignungsrecht, das aber zivilrechtlich nicht überzeugend begründet wird: EICHHOLZ NJW 1968 S. 2274; PEUSTER Eigentumsverhältnisse an Leichen und ihre transplantationsrechtliche Relevanz, 1971.

4. Wegnahme Wegnahme ist Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams. - Gewahrsam ist das von einem Herrschaftswillen getragene, tatsächliche Herrschaftsverhältnis einer Person über eine Sache unter Berücksichtigung der sozialen Zuordnung. Gewahrsam als tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis beruht grundsätzlich auf der Möglichkeit der tatsächlichen Einwirkung auf die Sache ohne Uberwindung nennenswerten Widerstandes (physisch-reales Element). Dieses "faktische" Haben wird jedoch modifiziert durch die soziale Zuordnung (normativ-soziales Element).

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D i e Vermögensentziehungsdelikte

Zum Teil wird in der Lehre stärker das tatsächliche Herrschaftselement (Herrschaftswille) betont, vgl. z.B. DREHER/TRÖNDLB $ 242 R d n . 9; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 33 R d n . 14 f;

SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 25. - Zum Teil wird der Gesichtspunkt der sozialen Zuordnung in den Vordergrund gestellt, vgl. z.B.: BLTTNER JuS 1974 S. 156 ff; GEILEN JR 1963 S. 446 ff; GÖSSEL ZStW 85 (1973) S. 619; WELZEL GA1960 S. 257 ff. D i e beiden Elemente beschränken und ergänzen einander. a) Dadurch wird das Sachherrschaftsverhältnis zum einen über das bloße "In-denHänden-Haben" ausgedehnt. BGHSt 16 S. 273 f: "Gewahrsam ist zwar tatsächliche Sachheirschaft. Ob sie vorliegt, hängt aber nicht in erster Linie, jedenfalls nicht allein von der körperlichen Nähe zur Sache und nicht von der physischen Kraft ab, mit der die Beziehung zur Sache aufrechterhalten wird oder aufrechterhalten werden kann. Vielmehr kommt es für die Frage der Sachherrschaft entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an. Der Gewahrsamsbegriff ist wesentlich durch die Verkehrsauffassung bestimmt,... Sie allein rechtfertigt die A n n a h m e , daß ein Bauer Gewahrsam an seinem auf dem Feld zurückgelassenen Pflug behält, mag auch sein Hof weit entfernt liegen und der Pflug dem Zugriff eines körperlich kräftigeren und näher wohnenden Nachbarn unmittelbar offen stehen. Das gleiche gilt für Haustiere, die sich vorübergehend von dem Anwesen ihres Herren entfernt haben. Der Wohnungsinhaber auf Reisen bleibt Gewahrsamsinhaber nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch im Verhältnis zu der die Wohnung bewachenden Hausangestellten. Zweifellos weist die Verkehrsauffassung auch dem, der einen Gegenstand in der Tasche seiner Kleidung mit sich trägt, regelmäßig Gewahrsam zu, weil eine intensivere Herrschaftsbeziehung zur Sache kaum denkbar ist, vor allem der Ausschluß anderer besonders deutlich zum Ausdruck kommt." Außerhalb der eigenen Gewahrsamsphäre verlorene oder vergessene Sachen sind gewahrsamslos, soweit nicht der Inhaber der Gewahrsamssphäre, in der die Sache ist, Gewahrsam erlangt hat aufgrund seines generellen Herrschaftswillens. Einen derartigen subsidiären Gewahrsam wird man in öffentlich zugänglichen Gebäuden oder Räumen - Bahnhof, Post, Kino, Gaststätte usw. - annehmen müssen. - Der Gewahrsamswille muß nicht jederzeit realisierbar sein. Schlafende und Bewußlose behalten aufgrund der sozialen Zuordnung Gewahrsam an ihren Sachen (BGHSt 4 S. 211), auch wenn der Bewußtlose stirbt, ohne das Bewußtsein wiederzuerlangen ( B G H JR 1986 S. 294; a.A. BayObLG JR 1961 S. 188). b) Z u m anderen bedeutet die normativ-soziale Modifizierung des tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses eine Begrenzung des Sachherrschaftsverhältnisses. Trotz unmittelbarer Zugriffsmöglichkeit haben danach keinen Gewahrsam: der diebische Nachbar am Obst im Garten seines verreisten Nachbarn; die Hausangestellte an den Einrichtungsgegenständen im Haus; der Kunde, der einen Anzug im Ladengeschäft anprobiert, an diesem Anzug (BGH LM Nr. 11 zu § 242); der Gast an dem in der Gaststätte benutzten Geschirr (BayObLGSt Bd. 9 (1910) S. 376). Gewahrsam hingegen an Briefen im Briefkasten, auch wenn der Gewahrsamsinhaber gar nicht bemerkt hat, daß der Briefträger schon da war. - Gewahrsam an den in der Wohnung verlegten Sachen. Gewahrsam auch an den Sachen, die ein Dritter in der Gewahrsamssphäre versteckt hat, die aber bei gründlicher Durchsuchung gefunden würden. - Kein Gewahrsam, wenn nach allgemeiner Voraussicht das Versteck (z. B. Hausangestellte versteckt den Ring ihrer Arbeitgeberin unter losem Dielenbrett und befestigt dieses danach) auch bei gründlichem Suchen nicht gefunden würde (str.). c) D a nur natürliche Personen einen tatsächlichen Willen bilden können, können nur natürliche Personen Gewahrsam aktuell innehaben. Für juristische üben.

Personen können aber natürliche Personen den Gewahrsam aus-

d) Gewahrsam können mehrere Personen gemeinsam haben. - Unproblematisch ist in diesem Zusammenhang der Mitgewahrsam von Personen, die eine gleiche Herrschaftsbeziehung zu der Sache haben. Daneben erkennt die h.M. einen über-

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und untergeordneten Gewahrsam an, mit der Konsequenz, daß der Träger des übergeordneten Gewahrsams beim Ansichnehmen der betroffenen Sache keinen Gewahrsamsbruch begeht, während der Träger des untergeordneten Gewahrsams einen Gewahrsamsbruch begehen kann. Diese Konstruktion ist unnötig umständlich, denn wie die Beispiele der h.M. zeigen, haben die Träger des untergeordneten Gewahrsams überhaupt keine eigene selbständige Herrschaftsposition, wohl aber Schutzund Abwehrfunktionen in bezug auf die Sache. Diese Personen unterstützen den Vermögensinhaber bei der Ausübung seiner Herrschaftsmacht. Sie sind zu Verfügungen nur im Rahmen der unterstützenden Tätigkeit befugt. Ihre Hauptaufgabe ist der Schutz des Gewahrsams. Sie können daher am sinnvollsten als Gewahrsamshüter bezeichnet werden. Der Bruch ihrer Herrschaftsmacht ist Bruch des Gewahrsams des Gewahrsamsherren; eingehender dazu OTTO ZStW 79 (1967) S. 80 ff. Beispiele: Angestellte und Verkäufer in einem Ladengeschäft, je nach Organisation: Träger von Mitgewahrsam oder Gewahrsamshüter bezüglich der Waren. - Hausangestellte bezüglich der Gegenstände des Arbeitgebers: Gewahrsamshüter. - Ladenangestellter, der mit Geld zum Wechseln geschickt wird: Gewahrsamshüter; anders jedoch, wenn er das Geld abends mitbekommt, um es am nächsten Tag umzuwechseln. - Fernfahrer bezüglich der Ladung des LKW: Inhaber des Alleingewahrsams (vgl. BGH GA 1979 S. 390 f). - Bei der Verwahrung von Gegenständen, an die der Gewahrsamsgeber allein nicht ohne weiteres herankommt: Alleingewahrsam des Verwahrers (str.). - Ist ein Behältnis verwahrt, an das der Verwahrungsgeber nur mit Hilfe des Verwahrers herankommt, weil z.B. zwei Schlüssel notwendig sind: Mitgewahrsam (str.). - Ist das Behältnis dem Verwahrungsgeber ohne weiteres zugänglich - sei es auch nur innerhalb bestimmter Öffnungszeiten -: Alleingewahrsam des Verwahrungsgebers.

e) Gebrochen ist der Gewahrsam, wenn der Berechtigte die tatsächliche Herrschaft gegen seinen Willen verloren hat. - Eine bewußte und gewollte Übertragung des Gewahrsams schließt den Bruch aus, selbst wenn sie irrtümlich - Problematik der Abgrenzung zum Betrug - erfolgt. Der Diebstahl als formelles Willensbruchsdelikt setzt die Verletzung des realen Willens des Betroffenen voraus, ein Handeln gegen einen etwaigen hypothetischen Willen des Betroffenen (wenn dieser den "wahren Sachverhalt gekannt hätte") genügt nicht. Gleiches gilt, wenn die Übertragung des Gewahrsams auf einer Nötigung beruht, die dem Berechtigten aber noch eine echte Wahlmöglichkeit offenläßt - Problematik der Abgrenzung zur Erpressung. f) Vollendet ist die Wegnahme und damit der Diebstahl mit der Begründung des neuen Gewahrsams durch den Täter oder einen Dritten. Auch hier kommt der sozialen Zuordnung besondere Bedeutung zu: Gewahrsamsbruch liegt vor, wenn jemand in einem Selbstbedienungsladen oder einer sonstigen Gewahrsamssphäre eines anderen handliche Gegenstände in der Kleidung versteckt oder in eine Tasche steckt, die er bei sich trägt (vgl. BGHSt 16 S. 271; 17 S. 208 f; 23 S. 254; BayObLG NJW 1983 S. 406) oder wenn er Objekte unter seiner Kleidung versteckt (OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 100). - Kein Gewahrsamsbruch, wenn Sachen im Kaufhaus im Einkaufskorb verborgen werden (OLG Köln NJW 1984 S. 810), oder beim Abtransport eines sperrigen und schweren Gegenstandes, z.B. eines 300 kg schweren Tresors, solange das Objekt sich noch in der Herrschaftssphäre (Grundstück, Geschäft) des Berechtigten befindet (BGH NStZ 1981 S. 435 f; BGH StV 1984 S. 376). g) Hinweis: Gewahrsam und unmittelbarer Besitz sind weitgehend identisch, jedoch sind die Fiktionen der §§ 855,857 BGB nicht auf den Gewahrsam übertragbar.

Zur Einübung aa) BGHSt 4 S. 199: Auf einem Wochenmarkt baute die Polizei eine Diebesfalle auf: Eine Kriminalbeamtin legte eine Geldbörse auf ihren Einkaufskorb. Zwei Kriminalbeamte bewachten die Börse. Beim Zugreifen sollten sie den Dieb fassen. 7. Alternative: A ergreift die Geldbörse und im nächsten Augenblick greifen die Beamten zu und nehmen ihm die Börse aus der Hand.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

BGH: Nur versuchte Wegnahme: A hat noch keinen eigenen Gewahrsam begründet. - Dem ist zuzustimmen, denn mit dem bloßen Ergreifen der Geldbörse begründet A unter den gegebenen Umständen noch keine umfassende Sachherrschaft über die Börse. 2. Alternative: A ergreift die Börse, steckt sie ein und entwischt im Gewühl. BGH: Keine vollendete Wegnahme, weil die Berechtigten in die Wegnahme eingewilligt haben und damit ein Gewahrsamsbruch unmöglich geworden war. Da A aber von der Einwilligung keine Kenntnis hatte, liegt ein versuchter Diebstahl vor. Diese Überlegungen treffen im vorliegenden Fall nicht zu: Wie der BGH in der 1. Alternative ausführt, sollte nach dem Plan der Berechtigten der Täter bereits bei der Gewahrsamslockerung, d.h. beim Versuch des Gewahrsamsbruchs, gefaßt und damit der Gewahrsamsbruch verhindert werden. Von einer Einwilligung in den Gewahrsamsbruch kann daher im vorliegenden Fall keine Rede sein. - Anders wäre die Sachlage gewesen, wenn die Diebesfalle so angelegt gewesen wäre, daß der Täter die Sache in seinen Gewahrsam bringen sollte, damit diese später bei ihm gefunden würde und er überführt werden könnte. In diesem Fall hätte der Berechtigte dem Gewahrsamsübergang bewußt keinen Widerstand entgegengesetzt. Das bedeutet nicht, daß er mit dem Gewahrsamsübergang oder sogar damit einverstanden wäre, bestohlen zu werden. Er will lediglich seinen Herrschaftswillen im Zeitpunkt der Wegnahme nicht ausüben. Damit wird sein realer Herrschaftswille durch die Wegnahme nicht gebrochen. Es liegt nur ein versuchter Diebstahl vor; vgl. auch: BayObLG JR 1979 S. 296 f mit Anm. PAEFFGEN S. 297 ff; OLG Celle JR 1987 S. 253 f mit Anm. HILLENKAMP S. 254 ff; GEPPERT JK 87, StGB § 242/11; OLG Düsseldorf NJW1988 S. 83; - im einzelnen dazu OTTO Jura 1989 S. 140 f. bb) OLG Hamburg MDR 1970 S. 1027 einerseits - BGH bei Dallinger, MDR 1972 S. 925 andererseits: A öffnet gewaltsam ein fremdes Kfz, schließt die Zündung kurz, fährt los, rammt aber nach 10 m wegen schlechter Sicht ein parkendes Fahrzeug. Er flieht nun zu Fuß. Das OLG hat hier eine vollendete Wegnahme bejaht, der BGH verneint, weil A noch keinen Gewahrsam begründet habe. Bei der Wegnahme sperriger Gegenstände wird man in der Tat einen Gewahrsam des Täters verneinen müssen, solange es dem Berechtigten nach den gebenen Umständen ohne Mühe möglich ist, dem Täter die Sache wieder wegzunehmen. - Anders verhält es sich jedoch mit einem Kfz. Ist dies erst einmal in Gang gesetzt, so sind die Möglichkeiten des Eigentümers, seine Herrschaft noch auszuüben, im Regelfall vernichtet. Daß er durch Zufall seine Herrschaftsmöglichkeit wiedererlangen kann, ändert daran nichts. Nur wenn von vornherein feststeht, daß das Fahrzeug nur wenige Meter fortbewegt werden kann, weil z.B. dann eine Diebstahlssicherung die Räder blockiert oder weil noch ein Hindernis (Hoftor) überwunden werden muß, kann man einen Gewahrsam des Täters mit dem Losfahren ablehnen. cc) A erscheint bei X, gibt sich als Kriminalbeamter aus und beschlagnahmt eine Schreibmaschine. Er nimmt sie mit, weil auf der Maschine angeblich ein Typenvergleich durchgeführt werden soll. X duldet dies, denn er hofft, der Irrtum werde sich bald aufklären. Ergebnis: Gewahrsamsbruch des A. Eine Gewahrsamsübertragung durch X lag nicht vor, er duldete lediglich die Mitnahme, da er eine Weigerung für sinnlos hielt. Eingehend dazu BGHSt 18 S. 223; OTTO ZStW 79 (1967) S. 74 f; SCH/SCH/CRAMER § 263 Rdn. 63. dd) BGH GA 1987 S. 307: A behauptete, daß er Video-Recorder und andere Waren unter Marktpreis beschaffen könne. Interessenten veranlaßte er, den Kaufpreis in einen von ihm mitgebrachten Briefumschlag zu tun, den er dann in seinen Arbeitskittel steckte, angeblich um das Geld vorher dem Lagermeister vorzuzeigen. Die Bezahlung sollte bei Warenübergabe erfolgen. - Indem A die Kaufinteressenten sodann ablenkte, tauschte er den Briefumschlag aus und gab den Interessenten einen mit Papierschnitzeln gefüllten Umschlag zurück, woraufhin er sich unter einem Vorwand mit dem Geld entfernte. BGH: "Im vorliegenden Fall haben die Kaufinteressenten zwar aufgrund freier Willensentscheidung das Geld in den Briefumschlag gesteckt und diesen sodann dem A übergeben. Dadurch verloren sie aber noch nicht den Gewahrsam an dem Geld. Sie hatten es dem A nur für kurze Zeit zum Vorzeigen in ihrer Anwesenheit überlassen. Unter diesen Umständen besaßen sie nach den Anschauungen des täglichen Lebens noch eine von einem entsprechenden Willen getragene Sachherrschaft. Ob auch der A schon durch die Entgegennahme des Briefumschlages ein Gewahrsamsverhältnis begründete, bedarf nicht der Entscheidung". - Vgl. dazu auch die in der Problematik vergleichbare Entscheidung OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/31.

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ee) OLG Düsseldorf NJW 1988, S. 922: In einem Verkaufsmarkt wollte A einen Winkelschleifer kaufen. Er wählte ein Gerät aus. Nachdem er durch Öffnen der Verpackung festgestellt hatte, daß Trennscheiben in der Packung nicht als Zubehör vorhanden waren, und auch ein Verkäufer bestätigt hatte, daß Trennschreiben nicht im Preise des Winkelschleifers enthalten seien, nahm A vier Trennscheiben, legte sie in den Karton und verschloß diesen wieder. An der Kasse legte A den verschlossenen Karton auf das Kassenband. Die Kassiererin berechnete den Kaufpreis für den Winkelschleifer. A bezahlte und entfernte sich aus dem Kassenbereich. Er wurde sodann durch den Hausdetektiv gestellt, der durch einen Zeugen auf das Verhalten des A aufmerksam gemacht worden war. OLG Düsseldorf: A erlangte die Trennscheiben nicht durch Gewahrsamsbruch. Aus dem festgestellten Sachverhalt folgt vielmehr, daß A "den Gewahrsam an den vier Trennscheiben aufgrund einer durch Irrtum veranlaßten Vermögensverfügung der Kassiererin erlangt hat". Dem ist zuzustimmen: Ein Gewahrsamsbruch liegt hingegen vor, wenn der Täter eine Ware so durch die Kasse schmuggelt, daß dem Kassenpersonal verborgen bleibt, daß ein bestimmtes Objekt seinem Gewahrsam entzogen wird; vgl. BayObLG MDR 1989 S. 376. ff) OLG Hamm NJW 1969 S. 620: Frau B ließ beim Bezahlen im Selbstbedienungsladen ihr Portemonnaie an der Kasse liegen. Frau A trat nach ihr an die Kasse, zahlte und packte die gekauften Sachen ein, als die Kassiererin ihr zurief: "Vergessen Sie nicht ihr Portemonnaie!" Frau A, die genau wußte, daß ihr das Portemonnaie nicht gehörte, bedankte sich und steckte das Portemonnaie ein. OLG: Ursprünglich hatte Frau B Gewahrsam an dem Portemonnaie. Dieser ging verloren, als sie den Laden verließ und sich entfernte. Das Portemonnaie wurde damit nicht gewahrsamslos, sondern ging in den Gewahrsam des Ladeninhabers über. Für diesen übte K Gewahrsam aus. K übertrug den Gewahrsam jedoch nicht auf A. Ihr fehlte das Bewußtsein, Gewahrsam zu übertragen, denn sie ging davon aus, daß das Portemonnaie sich im Gewahrsam der A befand. Als diese das Portemonnaie einsteckte, brach sie daher den Gewahrsam des Ladeninhabers. gg) BGHSt 18 S. 221: A unterhielt Beziehungen zu Frau W, die einen Pkw besaß. Diesen Wagen hatte Frau W in einer parkhausähnlichen Garage untergestellt. Die Garage war Tag und Nacht geöffnet und wurde von einem Pförtner beaufsichtigt. Dieser hatte einen zweiten Zündschlüssel, den er auf Anforderung dem Berechtigten gab, falls dieser seinen eigenen Schlüssel vergessen hatte o.ä. Im Einverständnis mit Frau W holte A den Wagen einmal aus der Garage ab. In weiteren 6-8 Fällen setzte A aufgrund seiner Beziehungen zu Frau W deren Einverständnis voraus. Am 20.5.61 schließlich holte A ohne Wissen und Willen von Frau W den Wagen ab, um ihn sich anzueignen. BGH: Kein Diebstahl, sondern Betrug. Dem ist zuzustimmen: Hätte Frau W dem A aufgrund eines Irrtums den Wagen überlassen, so hätte eine Gewahrsamsverfügung vorgelegen. Gleiches würde gelten, wenn Frau W den Wagen einer Person zu bestimmten Verfügungen überlassen hätte, z.B. zum Verkauf, und dieser Person wäre durch Täuschung über das Vorliegen des relevanten Sachverhalts der Wagen abgeschwindelt worden, z.B. Kauf mit Falschgeld. Nun hatte P sicher keinen Gewahrsam an dem Wagen derart, daß er zu selbständigen Verfügungen berechtigt war. Er war Gewahrsamshüter, denn er sollte den Gewahrsam der Frau W schützen und ihr u.U. bei der Ausübung der Sachherrschaft behilflich sein. Wenn P sich aber - sei es auch aufgrund eines Irrtums - subjektiv in dem Rahmen hält, der ihm objektiv eingeräumt worden ist, dann muß sich der Gewahrsamsinhaber die Verfügungen seines Gewahrsamshüters als eigene zurechnen lassen. Ein Gewahrsamsbruch durch den Gewahrsamshüter scheidet demnach aus, wenn dieser sich im Rahmen seiner rechtlichen Befugnisse zu halten glaubt. Eingehend dazu HERZBERG ZStW 89 (1977) S. 367 ff; OTTO ZStW 79 (1967) S. 76 ff. Die Gegenmeinungen stellen einerseits streng auf die rechtliche Befugnis zur Übertragung des Gewahrsams ab (Befugnis- oder Ermächtigungstheorie), andererseits darauf, ob der Verfügende "im Lager des Geschädigten steht" (Lagertheorie); dazu unten § 51 III 3 b. Für Idealkonkurrenz von Diebstahl und Betrug in diesen Fällen, obwohl das Objekt nur einmal erlangt wurde: HAAS GA 1990 S. 206. hh) BGHSt 35 S. 152: A entwendete dem B dessen durch einen Magnetstreifen codierte eurochequeKarte. Mit Hilfe dieser Karte und der ihr bekannten Geheimnummer verschaffte sie sich aus Geldautomaten insgesamt 5100,- DM. Die Sparkasse belastete das Konto des B mit den abgehobenen Beträgen. BGH: Kein Gewahrsamsbruch an dem erlangten Geld.

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D i e Vermögensentziehungsdelikte

Dem ist zuzustimmen: Bei einem mechanisierten Gewahrsamsübergang ist das entscheidende Abgrenzungskriterium des Gewahrsamsbruchs von der Gewahrsamsübertragung die ordnungsgemäße bzw. ordnungswidrige Nutzung des Mechanismus. Wer durch Automatisierung und Standardisierung der Geldherausgabe die Überprüfung der Berechtigung auf bestimmte Daten (Karte, Geheimnummer) begrenzt hat, kann sich nicht auf die fehlende Berechtigung des Automatenbenutzers zur Nutzung des Automaten berufen. Hier läge ein Rekurs auf einen hypothetischen Willen vor, denn der reale Wille hat in der Mechanisierung entsprechenden Ausdruck gefunden. - Für den Fall ordnungsgemäßer Betätigung wird Gewahrsam übertragen. Wird der Automat hingegen ordnungswidrig betätigt - gefälschte Karte, manipulierte Daten - so liegt ein Gewahrsamsbruch vor, denn der Mechanismus wird gerade nicht in der vorgesehenen Weise bestätigt. Vgl. auch: HUFF NJW 1988 S. 981; RUB LK, § 242 Rdn. 36; EHRLICHER Der Bankautomatenmißbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bekämpfung, 1989, S. 64 ff; SCHMITT/EHRLICHER JZ 1988 S. 364 f; THAETER JA 1988 S. 547 ff; DERS. wistra 1988 S. 339 f. - Zur Auseinandersetzung um die rechtliche Einordnung des Geldautomatenmißbrauchs vor der BGH-Entscheidung vgl. OTTO JR 1987 S. 221 ff. Zur Frage der Unterschlagung des Geldes vgL unter § 42 I 3 c, gg; zum Computerbetrug in diesen Fällen vgl. unter § 52 III 2 c, bb. Entsprechend diesen Grundsätzen ist die Problematik der Leerung von Geldspielautomaten zu entscheiden. Wird ordnungswidrig auf den Automaten eingewirkt - Einwurf von Falschgeld, Einführung von Gegenständen in den Mechanismus - so liegt ein Gewahrsamsbruch vor, nicht hingegen, wenn der Täter sein Wissen um den Spielablauf ausnutzt. Vgl. auch: BayObLG JR 1982 S. 291 mit Anm. MEURERS. 292 ff; OLG Stuttgart NJW 1982 S. 1659 mit Anm. ALBRECHT JuS 1983 S. 101 ff, GEILEN JK, StGB § 242/2; SEIER J R 1982 S. 509 ff; O L G

Koblenz NJW 1984 S. 2424. - AA. LG Saarbrücken NJW 1989 S. 2272.

II. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz Der Vorsatz erfordert das Bewußtsein des Täters, daß es sich bei dem Tatobjekt u m eine ihm fremde, bewegliche Sache im Gewahrsam eines anderen handelt, den der Täter bricht. a) Eine Konkretisierung des Vorsatzes auf bestimmte einzelne Sachen ist nicht erforderlich. D i e Tat bleibt ein einheitlicher Diebstahl, gleichgültig, ob der Täter seinen Vorsatz später erweitert oder auf ein anderes Tatobjekt bezieht. Zur

Verdeutlichung:

Fall 1: A will die Brieftasche des B aus dessen Schreibtischschublade stehlen. Als er sieht, daß in der Schublade Schmuck liegt, nimmt er diesen auch an sich. Ergebnis: Ein einziger Diebstahl, denn es liegt ein einheitlicher Angriff auf die umfassende Sachherrschaftsmacht des B vor: A wollte die umnfassende Sachherrschaftsmacht des B brechen, das hat er getan. Daß er den Umfang seines Angriffs erweitert hat, ist irrelevant. Fall 2: Wie Fall 1, doch ist die Brieftasche gar nicht in der Schublade. A nimmt nun den Schmuck weg. Ergebnis: Ein einheitlicher Diebstahl, nicht etwa ein versuchter Diebstahl in bezug auf die Brieftasche und em vollendeter Diebstahl bezüglich des Schmuckes; vgl. Begründung zu Fall 1. b) Zur Vorsatzänderung auf geringwertige Objekte vgl. unten § 41 II 1 b.

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2. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen a) Das Objekt der Zueignung Mit der Zueignung der Sache bringt der Täter zum Ausdruck, daß er sich selbst die Position anmaßt, die dem Eigentümer rechtlich zukommt. Er verschafft sich mehr als nur die Möglichkeit des rechtswidrigen Gebrauchs der Sache (Abgrenzung zur Gebrauchsanmaßung), und es geht ihm nicht nur darum, den Berechtigten durch Entzug der Sache zu schädigen (Abgrenzung zur Sachbeschädigung und zur straflosen Sachentziehung). - Streitig ist aber, ob das Objekt der Zueignung die Sache selbst oder der Sachwert ist. aa) Die Anhänger der sog. Sachsubstanztheorie (Substanztheorie) sehen - dem Wortlaut des Gesetzes folgend - die weggenommene Sache als den Gegenstand der Zueignung an. D a z u BINDING B.T. I, S. 267 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.L, § 3 3 R d n . 4 3 ff; OTTO

Struktur, S. 167 ff mit eingehender Literaturübersicht; ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Aufl. 1990, S. 3 4 1 ff; RuDOLPHI G A 1965 S. 38; WELZEL Lb., § 4 6 , 1 .

bb) Die Vertreter der sog. Sachwerttheorie sehen den Sachwert als Objekt der Zueignung an. D a z u R G S t 5 7 S. 168; FRANK S t G B , § 242 A n m . V I I 2 a; LAMPE G A 1966 S. 241; SAUER G A 6 3 (1917) S. 284.

Zur Verdeutlichung der Konsequenzen (im Anschluß an Lampe GA 1966 S. 230): A wirft die Sachen des E an einer bestimmten Stelle aus dem Zug auf den Bahndamm. Später veräußert er diese an D, der Zahlung gegen Mitteilung des Fundortes leistet. Sachsubstanztheorie: A hatte im Zeitpunkt der Veräußerung noch keinen Gewahrsam an den Sachen selbst begründet. War dem Berechtigten daher auch die Sachherrschaftsposition entzogen, so fehlte es doch an der Neubegründung einer umfassenden Sachherrschaftsposition durch A. Deshalb keine Zueignung der Sachen, daran ändert der "Verkauf nichts. Sachwerttheorie: Zueignung vollendet, indem A den Kaufpreis erhält. In diesem Augenblick überführte er den Sachwert in sein Vermögen.

cc) Die h.M. ist die sog. Vereinigungstheorie. Danach soll eine Zueignung dann gegeben sein, wenn der Täter die Sache selbst oder den in ihr verkörperten Wert in sein Vermögen überführt. - Allerdings wird dieser Wert im Anschluß an BOCKELMANN ZStW 65 (1953) S. 575 ff - enger interpretiert als von den Vertretern der Sachwerttheorie. Maßgeblich soll für die Zueignung nur der in der Sache selbst steckende Wert ("lucrum ex re") sein, nicht aber die Möglichkeit, die Sache zur Erlangung anderer Werte einzusetzen ("lucrum ex negotio cum re"). D a z u B G H S t 4 S. 238; 19 S. 388; B G H N J W 1985 S. 812; D R E H E R / T R O N D L E § 242 R d n . 18; ESER J u S 1964 S. 481; GRIBBOHM N J W 1968 S. 1270; KREY B.T.2, R d n . 5 1 ff; LACKNER S t G B , § 242

Anm. 5 a, aa; PAULUS Der strafrechtliche Begriff der Sachzueignung, 1968, S. 220; RUß LK, § 242 R d n . 49; S C H / S C H / E S E R § 2 4 2 R d n . 47; TENCKHOFF J u S 1980 S. 725; ULSENHEIMER J u r a 1979 S. 178; WESSELS N J W 1965 S. 1153.

Es gäbe allerdings keinen Unterschied zwischen Sachsubstanz- und Sachwerttheorie, wenn als relevanter Sachwert allein der in der Sache verkörperte, von ihr vermittelte und von ihr nicht trennbare Wert angesehen würde, denn damit wäre die Einheit von Sache und Sachwert erhalten geblieben. Jede Ausdehnung des Wertgesichtspunktes über diese Grenze hinaus führt hingegen dazu, die Grenzen zwischen den Eigentumsdelikten, den Sachzueignungsdelikten und den allgemeinen Bereicherungsdelikten zu verwischen. Die Verschaffung irgendwelcher Teilwerte der Sache

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Die Vermögensentziehungsdelikte

wird zwangsläufig zur Zueignung der Sache. Auch Beschränkungen auf den "Zwecknutzen" (PAULUS) u.ä. helfen über diese mißliche Konsequenz nicht hinweg. - Es eröffnet sich die in keinem Fall mehr kriminalpolitisch erstrebenswerte Möglichkeit, bei der Kenntnisnahme vom Inhalt geheimer Papiere (neue Modelle, Rezepte, Konstruktionspläne) einen Diebstahl zu bejahen, wenn das Papier selbst seinem Eigentümer nur kurzfristig entzogen wird. Der Diebstahl als ein klar konturiertes Delikt gegen fremde Sachherrschaft ist dann zu einem farblosen und in seinen Grenzen dubiosen Bereicherungsdelikt geworden. Diese Mängel der Sachwerttheorie übernimmt die Vereinigungstheorie um den Preis einer rechtsstaatlich geradezu anrüchig austauschbaren Argumentation, denn sie bedient sich willkürlich der Sachsubstanz- und der Sachwerttheorie, ohne einen Oberbegriff der Sachsubstanz- und Sachwertzueignung zu bilden. Zwar mag es richtig sein, daß Sachwert- und Substanzzueignung die verschiedenen möglichen Eigentumsverletzungen erfassen. Im dogmatischen Ausgangspunkt schließen sie einander jedoch aus. Auch die Betonung, daß der Sachwerttheorie innerhalb der Vereinigungstheorie nur subsidiäre Bedeutung zukommt (vgl. z.B. KREY B.T.2, Rdn. 51; TENCKHOFFJUS 1980 S. 725; ULSENHEIMER Jura 1979 S. 175), ändert daran nichts. MAIWALD Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970, S. 79: "Als Ergebnis der Betrachtung der Vereinigungslehren bleibt demgemäß der Befund, daß sie auch in ihrer heutigen Form Sachwert- und Sachsubstanztheorie jeweils nur zur kriminal politisch erwünschten Lückenschließung benutzen, daß sie aber beide Theorien nicht als Ausprägung eines Prinzips rechtfertigen, mit dem das Wesen der Zueignung gekennzeichnet werden könnte. Sachwert- und Sachsubstanztheorie kommen in Einzelfällen aufgrund ihrer methodisch verschiedenen Ausgangspunkte zu verschiedenen Ergebnissen. Wird behauptet, Zueignung sei Zuführung des wirtschaftliches Weites einer Sache oder_ Anmaßung des Eigentums an der Substanz, so befindet man sich in der Situation des Schuljungen, der Äpfel und Birnen addiert: Der Zueignungsbegriff, der damit zustande kommt, ist ein unverbundenes Nebeneinander zweier nicht vergleichbarer Größen." Dazu auch: OTTO JuS 1980 S. 491; DERS. Struktur, S. 169 ff; RUDOLPHIGA 1965 S. 33.

Soll der erklärte Wille des Gesetzgebers, "eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich ... zuzueignen" nicht umgangen werden, indem Wegnahme- und Zueignungsobjekt in verschiedenen Objekten gesehen werden, so ist an der Sachsubstanztheorie nicht vorbeizukommen. b) Die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffes Gemeinhin werden zwei Elemente als konstitutiv für den Zueignungsbegriff angesehen: die auf Dauer angelegte Enteignung des Berechtigten und die zumindest zeitweise Aneignung des Diebstahlsobjekts durch den Täter. Innerhalb der "Aneignung" wird sodann mehr oder minder deutlich darauf hingewiesen, daß es dem Täter auch darum gehen muß, "Vorteile" aus der Tat zu ziehen. Diese Verquickung verschiedener Probleme begünstigt Mißverständnisse. Als Elemente des Zueignungsbegriffes sind vielmehr zu unterscheiden: aa) Die Enteignung des Berechtigten, das ist Entziehung der Sachherrschaft des Berechtigten. - Dieser entspricht gleichsam spiegelbildlich: bb) Die Aneignung durch den Täter, d.h. die Begründung einer Eigenbesitzerposition durch den Täter.

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cc) Darüber hinaus ist erforderlich die Absicht des Täters, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftliche Nutzung heißt allerdings nicht nur Nutzung im Wirtschaftsverkehr, sondern Gebrauchen, Verbrauchen, in Besitz haben u.a. Hingegen ist die bloße Absicht, einem anderen die Sache zu entziehen, sei es um ihn zu schädigen oder um ihn zu ärgern, nicht wirtschaftliche Nutzung der Sache.

Ein zeitliches Element - Entziehung der Sachherrschaft auf Dauer o.ä. - ist dem Zueignungsbegriff hingegen nicht wesentlich. Nicht die Dauer des Gebrauchs ist ein brauchbares Abgrenzungskriterium zur straflosen Gebrauchsanmaßung, sondern allein die Art und Weise des Gebrauchs: Solange sich der Täter in der Rolle eines Fremdbesitzers sieht und hält, fehlt es an einer Zueignung. Der Täter maßt sich rechtswidrig den Gebrauch einer fremden Sache an. Hat der Täter jedoch gezeigt, daß er sich selbst in der Position des umfassend bestimmenden Sachherrn sieht, so hat er sich die Sache zugeeignet. Demgegenüber fordert die h.M., daß die Enteignung "auf Dauer angelegt sein muß"; vgl. BGHSt 22 S. 46; DREHER/TRÖNDLE § 242 R d n . 19; GROPP J R 1985 S. 519; LACKNER S t G B , § 242 A n m . 5 b ; RUB LK, § 242 R d n . 51; SCHMIDHÄUSER Bruns-Festschrift, S. 350 f; SCH/SCH/ESER § 242 R d n . 51; SEELMANN J u S 1985 S. 455.

In der Lösung problematischer Fälle mißt jedoch auch die h.M. dem Dauerelement keine Bedeutung zu. Betont wird dann nämlich, daß auf Dauer nicht unbedingt endgültig heißen müsse (TENCKHOFF JuS 1980 S. 724) oder das Dauerelement wird schon dann bejaht, wenn der Berechtigte nicht mehr im eigenen Namen über die Sache verfügen kann (RANFT JA 1984 S. 284).

Zueignung ist danach ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, daß er den Berechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirtschaftlich nutzen will. c) Zur Einübung: Enteignung des Berechtigten - Aneignung durch den Täter aa) O L G Celle J R 1967 S. 389 mit A n m . DEUBNER N J W 1967 S. 1921 f u n d ANDROULAKIS J u S 1968

S. 409: A nimmt im Warenhaus des B ein Taschenbuch mit, liest es durch und bringt es am nächsten Tag zurück. OLG: A hat sich das Buch zugeeignet. - Die Entscheidung erscheint bei einem Taschenbuch vertretbar, weil dieses in der Regel beim Durchlesen so viel Schaden nimmt, daß es nicht mehr als neues Verkaufsobjekt angesehen werden kann und daher wegen Funktionsverlustes bei wertender Betrachtungsweise als eine qualitativ andere Sache erscheint. - Im Falle eines gebundenen Buches, das vorsichtig behandelt wird, wäre der Entscheidung hingegen kaum zu folgen, denn auch durch das Blättern und Anlesen einzelner Teile verliert dieses Buch noch nicht seine Eigenschaft als Verkaufsobjekt. D a z u E S E R I V , N r . 3 A 3 1 ff; GRIBBOHM N J W 1968 S. 1270; LACKNER S t G B , § 242 A n m . 5 a, aa; OTTO Struktur, S. 181 f; SCH/SCH/ESER § 242 R d n . 51; SCHRÖDER J R 1967 S. 390 ff.

bb) BGHSt 35 S. 152: A entwendete dem B dessen eurocheque-Karte. Mit Hilfe dieser Karte und der ihr bekannten Geheimnummer will sie sich aus einem Geldautomaten Geld verschaffen. BGH: Die Wegnahme einer codierten eurocheque-Karte in der Absicht, sich unbefugt durch ihre Benutzung und die Eingabe der zugehörigen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten zu verschaffen und sie sodann dem Berechtigten zurückzugeben, ist eine straflose Gebrauchsentwendung (furtum usus). - Dem ist zuzustimmen, denn in der Scheckkarte wird nur der Sachwert der Karte selbst verkörpert, nicht aber die mit Hilfe der Karte und der Geheimnummer zu erlangende Geldsumme. So auch: BayObLG NJW 1987 S. 663; OLG Hamburg NJW 1987 S. 336; EHRLICHER Bankautomatenmißbrauch, S. 39 f; HUFF NStZ 1985 S. 438 f; KREY B.T.2, Rdn. 513; LACKNER StGB, § 242 Anm. 5 a; LENCKNER/WlNKELBAUER wistra 1984 S. 85; OTTO JR 1987 S. 221; SCHMITT/EHRLICHER JZ 1988 S. 364; STEINHILPER Jura 1983 S. 408 ff. - AA. OLG Düsseldorf NStE Nr. 14 zu § 242 StGB; SCHROTH NJW 1981S. 729; SEELMANN JuS 1985 S. 289.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

cc) A entwendet dem B das Sparbuch, das ein Guthaben von DM 3000,- ausweist. A hebt DM 1000,ab und verbraucht das Geld. Das Buch schickt er sodann - wie geplant - an B zurück. Ergebnis: Die Anhänger der Sachwert- und der Vereinigungstheorie bejahen hier eine Wegnahme des Buches in der Absicht der Zueignung. Dazu BGHSt 35 S. 157; FRANK StGB, § 242 Anm. VII 2 a; RUB LK, § 242 Rdn. 54. - Vom Standpunkt der Sachsubstanztheorie bejahen die Zueignung gleichfalls: RUDOLPHIGA 1965 S. 53 f; WELZEL Lb., § 46,2 a. Dem kann nicht gefolgt werden: Mit der Wegnahme eines Legitimationspapieres verschafft sich der Täter zwar einen Vermögenswert. Dieser beruht auf der Möglichkeit, sich als Inhaber bestimmter Rechte zu legitimieren. Inhaber des Rechts oder eines Wertes, der dem des im Papier ausgewiesenen Rechts entspricht, wird der Täter mit der Wegnahme nicht. Mit der Einziehung des Rechts realisiert der Täter nicht den in dem Papier verkörperten Wert, vielmehr verschafft er sich dabei mit Hilfe des Papiers einen anderen Wert, der auf dem Legitimationswert beruht, mit diesem jedoch nicht identisch ist. - Genausowenig wie in der Wegnahme eines Ausweises, mit dem sich der Täter als Berechtigter zur Abholung einer Sache ausweisen will (vgl. OLG Hamm JMB1NRW 1953 S. 153: Zechenausweis), eine Zueignung dieses Ausweises zu sehen ist, liegt in der Zueignung eines Legitimationspapieres eine Zueignung des in dem Papier ausgewiesenen Geldbetrages. dd) BGHSt 19 S. 387: Der wehrpflichtige A merkt eines Tages, daß sein Uniformkoppel weg ist. Nachts bricht er den Schrank des B auf und nimmt dessen Koppel an sich, um dieses 3 Monate später bei der Entlassung als das ihm übergebene zurückzugeben. BGH: Keine Zueignung des Koppels, denn die Sachherrschaftsstellung des Eigentümers (Militärfiskus) wollte A sich nicht anmaßen. Diesem gegenüber wollte er stets Fremdbesitzer sein. Dazu auch: OLG Frankfurt NJW 1962 S. 1879; OLG Celle NdsRpfl 1964 S. 230; OLG Hamm NJW 1964 S. 1427; OLG Stuttgart NJW 1979 S. 277; ESER JuS 1964 S. 477; OTTO Struktur, S. 195; TENCKHOFF JuS 1980 S. 723; WESSELS J Z 1 9 6 5 S. 631.

ee) RGSt 57 S. 199: Der A ist Lagerarbeiter auf dem Getreidespeicher des G. Dort entwendet er Getreide, füllt es in Säcke und bringt es zu B. B veräußert, wie verabredet, das Getreide wiederum an G. Den Erlös teilen A und B. RG (unter Anwendung der Sachwerttheorie): Zueignung des Getreides durch A liegt vor. - Auch vom Boden der Sachsubstanztheorie ist dem zuzustimmen, wenn A die Veräußerung an den Eigentümer als eine von mehreren relevanten Nutzungsmöglichkeiten des Getreides sah, selbst wenn der Verkauf an den Eigentümer in erster Linie ins Auge gefaßt war. - Anders hingegen, wenn ausschließlich der Verkauf an den Eigentümer geplant war und etwa bei Verhinderung dieses Verkaufs die Sache dem Eigentümer auch ohne Entgelt wieder zur Verfügung gestellt werden sollte. Dann käme nur ein Betrug in Betracht. Zum Streitstand einerseits: BGHSt 24 S. 119; DREHER/TRÖNDLE § 242 Rdn. 19; KREY B.T.2, R d n . 74; RUDOLPHI G A 1965 S. 43; WESSELS N J W 1965 S. 1156. - Andererseits: BOCKELMANN B . T . / l , § 3 II 2 b; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 111 ff; SCHRÖDER J R 1965 S. 27.

ff) BGH NJW 1982 S. 2265 mit Anm. BERNSMANN S. 2214 ff: A nahm den Fernseher des H, der ihm DM 900,- schuldete, eigenmächtig an sich und ließ den H wissen, daß er diesen verkaufen werde, wenn H nicht bis zu einem bestimmten Termin seine Schulden zahlen würde. BGH: Keine Zueignung des Fernsehers durch A. - Darüber hinaus vgl. auch BGH StV 1983 S. 329. gg) BGH: MDR 1985, S. 155: B, die Geliebte des A, hatte diesen verlassen und befand sich mit L auf Ibiza. Um B und L zu trennen und B zu bestrafen, beschloß A, sich in den Besitz ihrer Habe zu setzen, insbesondere ihrer Kleidung, ihrer Personalpapiere und ihrer finanziellen Mittel. A hatte vor, der B die ihr gehörenden Gegenstände "möglicherweise" zurückzugeben, wenn sie nämlich zu ihm zurückkehren sollte. In Ausführung dieses Plans brach A mit einem Komplizen in das Appartement von B und L ein. Sie räumten dieses aus und brachten die Sachen über Barcelona nach Deutschland. B, die sich alsbald mit A versöhnte, erhielt einen Teil ihrer Sachen später zurück. BGH: A handelte in Zueignungsabsicht bzgl. aller Sachen: "Durch den Abtransport erlangte er, wie von ihm erstrebt, den unmittelbaren, seinem Vermögen zurechenbaren Besitz an den Sachen und dadurch in tatsächlicher Hinsicht zugleich eine dem Eigentum vergleichbare Sachherrschaft. Diese Position entzog er den Geschädigten endgültig, wenn auch hinsichtlich eines Teiles der Beute unter dem Vorbehalt späterer Wiedergutmachung ... Daß es dem Täter in einem solchen Fall nicht gerade darauf

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ankommt, den Berechtigten die Sache für immer vorzuenthalten, ist unter diesen Umständen nicht entscheidend." Dem ist zuzustimmen, denn in der Tat kommt es nicht darauf an, ob der Täter dem Opfer die Sache "für immer", "auf Dauer" oder sonst eine bestimmte Zeit entziehen will, sondern ob er sich eine Eigenbesitzerstellung über die Sachen verschaffen will. Diese Position wollte A aber erlangen, und er hat sie auch erlangt. d) Zur Einübung: Wirtschaftliche Nutzung BGH wistra 1988 S. 186: Der A brachte den Hund der P an sich, um ihn ins Tierheim zu bringen, weil er beobachtet hatte, daß P den Hund wiederholt gequält hatte. aa) BGH: Keine Zueignungsabsicht des A, denn er handelte nicht, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen. Zur Abgrenzung der wirtschaftlichen Nutzung von der Zerstörungsabsicht: BGH JR 1978 S. 171 f mit A n m . GEERDS S. 172 f, und LIEDER N J W 1977 S. 2272; O L G Düsseldorf N J W 1987 S. 2526 mit A n m .

KELLER JR 1987 S. 521. - Darüber hinaus: BGH GA1971S. 114; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810. bb) BGH StV 1987 S. 245: A wollte den B um Geld bestehlen, das er im Jackett des B vermutete. Er nahm das Jackett an sich und lief fort. An sicherem Ort durchsuchte er das Jackett. Da kein Geld darin enthalten war, warf er das Jackett fort. BGH: Keine Zueignung des Jacketts, denn wenn es dem Täter allein auf den Inhalt eines Behältnisses ankommt, so will er sich das Behältnis nicht zueignen. Anders ist zu entscheiden, wenn es dem Täter darum geht, das Behältnis selbst zu nutzen, z.B. wenn er die Beute in einen Koffer des Opfers packt, um sie wegzutransportieren, auch wenn er beabsichtigt, den Koffer nach dem Transport fortzuwerfen; vgl. dazu OTTO Jura 1989 S. 143; RUß Pfeiffer-Festschrift, S. 61 ff.

3. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen Der Täter eignet die Sache sich nicht nur zu, wenn er sie selbst benutzen oder verbrauchen will, sondern auch dann, wenn er über die Sache zum wirtschaftlichen Vorteil eines Dritten verfügen will. - Auch die Verfügung zum Vorteil Dritter ("Vermögensumverteilung") ist wirtschaftliche Nutzung einer Sache. - Allerdings setzt diese Verfügung des Täters voraus, daß er selbst zunächst - sei es auch nur kurzfristig - umfassende Sachherrschaft an der Sache erlangt hat. Die Rechtsprechung kommt bei der Zueignung an Dritte unter Anwendung der Sachwerttheorie zu einer Zueignung durch den Täter, wenn dieser von der Zuwendung einen Nutzen oder Vorteil im weitesten Sinne, und sei es auch nur mittelbar, hat. aa) BGH 1 StR 73/78: K wollte sich in das Ausland absetzen. Ihm fehlten allerdings die Mittel dazu. Diese sollten durch einen Raub beschafft werden, an dem A mitwirkte, weil sie dem K zu der Reise verhelfen wollte. Das erbeutete Geld nahm K sofort an sich. BGH: Der Nutzen der A bestand darin, daß sie selbst wirtschaftlich nichts zu opfern brauchte, um das Ziel - Flucht des K -, an dem ihr viel gelegen war, zu erreichen. Das genügt zur Bejahung der Zueignungsabsicht; vgl. auch BGHSt 17 S. 93; BGH StV 1986 S. 61. Dem ist jedenfalls dann nicht zuzustimmen, wenn A selbst zu keinem Zeitpunkt Mitherrschaft über die Beute erlangt hat oder erlangen sollte, bzw. ihr die Herrschaft der anderen nicht als Mittäterin zurechenbar wäre. Im übrigen steht diese Entscheidung nicht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH zum sog. absichtslos dolosen Werkzeug; vgl. sogleich Fall bb). bb) BGH bei Dallinger, MDR 1974 S. 724 f (vereinfacht): A wußte, daß H wertvolle Schmucksachen bei sich hatte. Er überredete den B, diese der H wegzunehmen und ihm gegen Zahlung von DM 500,auszuhändigen. B lauerte der H auf, nahm ihr den Schmuck weg und überbrachte den Schmuck bald darauf dem A gegen die versprochene Summe. BGH: B hat sich den Schmuck nicht zugeeignet. Er war lediglich Werkzeug und Gehilfe beim Diebstahl des A, der sich den Schmuck zueignete, als B ihn an sich nahm.

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Diese Konstruktion - vgl. auch E s e r IV, Nr. 4 A 14; LAMPE GA 1966 S. 240 - beruht auf der Prämisse, daß B Werkzeug des mittelbaren Täters ist. B ist angeblich absichtslos doloses Werkzeug des A. Dem kann nicht gefolgt werden, denn eine Herrschaftsposition des A über B, die die mittelbare Täterschaft voraussetzt - vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 21IV 3 f - liegt hier nicht vor. Der BGH erwähnt die Konstruktion in neueren Entscheidungen nicht mehr; vgl. BGH wistra 1987 S. 253 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 242/12. Um zu sachgerechten Ergebnisssen zu gelangen, bedarf es der Konstruktion aber überhaupt nicht. B entzog dem H die umfassende Sachherrschaftsposition und maßte sie sich selbst an. Dies geschah auch in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftlich nutzt der Täter das Tatobjekt nämlich nicht nur, wenn er es selbst benutzen oder verbrauchen will, sondern auch dann, wenn er durch Zueignung des Objekts an einen Dritten eine Vennögensumverteilung - sei es entgeltlich oder unentgeltlich vornehmen will. Dazu auch: OTTO Struktur, S. 269 ff; ROXIN Tatherrschaft, S. 339 ff; RUDOLPHI GA 1965 S. 41, 51; TENCKHOFF JUS 1980 S. 726.

cc) Im Auslieferungslager der Firma X lädt der Lagerarbeiter A ohne Wissen des Kunden K zehn Zentner Kohlen auf den Wagen des K, statt der auf dem Lagerschein stehenden acht Zentner. Ergebnis: Da A niemals selbst umfassende Sachherrschaft über die Kohlen erlangt hat, hat er sie sich nicht zugeeignet. Hier liegt eine - straflose - Drittzueignung vor. dd) RGSt 21 S. 110 einerseits, RGSt 47 S. 147 andererseits: A hatte dem K Bretter als eigene verkauft, die in Wirklichkeit dem X gehörten und in dessen Gewahrsam lagen. Er zeigte dem K die Bretter, und K holte die Bretter an einem der nächsten Tage ab. RGSt 21S. 110: Keine Zueignung der Bretter durch A. Anders hingegen - unter Verwendung der Sachwerttheorie - RGSt 47 S. 147. - Auch nach der Sachsubstanztheorie hat A sich die Bretter zugeeignet, und zwar als mittelbarer Täter mit Hilfe des gutgläubigen Werkzeugs K; eingehender dazu OTTO Struktur, S. 268 f.

4. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen Die Absicht des Täters muß darauf gerichtet sein, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen, d.h. unter Umständen, die die Zueignung zu einer rechtswidrigen machen. Nun ist in Fällen, in denen der Täter einen Anspruch auf die weggenommene Sache hat - z.B. A hat von B ein Schmuckstück gekauft, B übereignet dieses aber nicht -, die eigenmächtige Wegnahme der Sache sicher rechtswidrig, soweit nicht das Selbsthilferecht nach § 229 BGB eingreift. Fraglich ist dennoch, ob diese "unerlaubte Selbsthilfe" den Täter bereits zum Täter eines Vermögensdelikts macht. Denn ausschließlich vermögensrechtlich, d.h. hier wirtschaftlich betrachtet, hat der Täter genau die Vermögenslage hergestellt, auf die er nach der Rechtslage einen Anspruch hatte, auch wenn der Weg rechtswidrig war. Vorzuwerfen ist diesem Täter daher die Art seines Vorgehens, die eingetretene Vermögenslage kann hingegen nicht als rechtswidriger Zustand angesehen werden. Damit aber liegt der Vorwurf gegen den Täter nicht darin, durch Entziehung von Vermögen eine rechtswidrige Vermögenslage geschaffen, sondern darin, einen auch von der Rechtsordnung gewünschten Zustand auf einem von der Rechtsordnung nicht gebilligten Weg herbeigeführt zu haben. Derartige Verhaltensweisen waren im gemeinen Recht als "unerlaubte Selbsthilfe" unter Strafe gestellt. Der Gesetzgeber des Reichsstrafgesetzbuches hielt einen eigenen Tatbestand nicht mehr für sinnvoll, da im Falle gravierender Rechtsverletzungen die §§ 123, 240, 223 hinreichenden Rechtsschutz gewährten. - An dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers ist auch heute noch festzuhalten: die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist streng von der angestrebten Vermögenslage her zu bestimmen, die Art und Weise des Vorgehens selbst bleibt bei diesem Wer-

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tungsvorgang unbeachtet. Die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung ist damit ein unmittelbar auf die Zueignung und damit ausschließlich auf die erstrebte Vermögenslage bezogenes Tatbestandsmerkmal. So auch: BGH GA 1962 S. 144 f; 1968 S. 121; BGH wistra 1987 S. 136; BGH StV 1988 S. 529; DREHER/TRÖNDLE § 242 R d n . 21; ESER I V , N r . 4 A 17 ff; KREY B.T.2, R d n . 92; LACKNER S t G B , § 242

Anm. 5 d; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 Rdn. 56; OTTO Struktur, S. 212 f; RUß LK, S 242 R d n . 68; SCHMIDHÄUSER Bruns-Festschrift, S. 359; WARDA J u r a 1979 S. 77. A A HIRSCH J Z 1 9 6 3 S. 149; WELZEL Lb., § 4 7 , 3 .

a) Die Rechtswidrigkeit der Zueignung entfällt demgemäß nach h.M., wenn der Täter einen fälligen Anspruch auf Übereignung der weggenommenen Sache hat (Speziesschuld). RGSt 64 S. 210: A hatte vom Forstamt bestimmte Eichenstämme gekauft. Zwei Raten hatte er bezahlt, mit dem Restkaufpreis aufgerechnet, als er die Stämme abfahren ließ, ohne daß diese ihm zuvor vom Forstamt übereignet worden waren. RGSt 64 S. 213: Aeignet sich die Stämme nicht rechtswidrig zu, sondern verwirklicht lediglich seinen Rechtsanspruch auf Übereignung der Stämme. "Die Rechtswidrigkeit in diesem Sinne muß in einem vom Recht mißbilligten Widerspruch gerade zu dem Eigentumsrechte des Verletzten (mit der rechtlichen Eigentumsordnung) stehen. Hat der Wegnehmende aber einen fälligen und unbeschränkten Anspruch auf Übereignung einer bestimmten Sache, so schafft die Verwirklichung dieses Anspruchs durch Wegnahme und Aneignung der Sache - anders als wenn die Wegnahme einer Sache zu dem Zwecke erfolgt, sich damit wegen einer Geldforderung bezahlt zu machen - nur den vom Rechte gewollten Zustand. Darauf, ob der Täter dabei in berechtigter Selbsthilfe handelt, kommt es nicht an, da der Mangel des Rechts zur Selbsthilfe nur die Besitzentziehung, nicht aber die dem Recht gerade entsprechende Zueignung rechtswidrig machen kann."

b) Gleichfalls fehlt es an der Absicht rechtswidriger Zueignung, wenn der Täter überzeugt ist, einen Anspruch auf die konkrete Sache zu haben, der in Wirklichkeit nicht besteht. Das folgt daraus, daß es sich bei der Absicht rechtswidriger Zueignung um ein subjektives Tatbestandsmerkmal handelt. D a z u G RIBBOHM N J W 1968 S. 240 f; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S. 159 ff; DERS. Z S t W 9 1 (1979)

S. 955; OTTO Struktur, S. 212.

c) Bei Sachen, die der Gattung nach geschuldet werden, soll hingegen nach h.M. die Zueignung der geschuldeten Menge rechtswidrig sein, da der Anspruch des Täters nicht auf die konkret weggenommene Gattungssache geht. - Diese Unterscheidung ist jedoch dann, wenn der Sachverhalt von seiner vermögensrechtlichen, wirtschaftlichen Seite her gesehen wird, sachwidrig, denn ein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache wird auch hier nicht verletzt. Bei der Gattungsschuld kann das Wahlrecht nur deshalb vom Gesetzgeber dem Schuldner überlassen bleiben, weil der Gesetzgeber nicht bereit ist, einen relevanten wirtschaftlichen Unterschied zwischen den einzelnen Stücken anzuerkennen. Im übrigen aber spielt diese Schuld heute im Wirtschaftsleben eine Rolle bei industriellen Serienprodukten und beschränkten Vorratsschulden. Hier ist es offensichtlich, daß das Wahlrecht dem Schuldner keine wirtschaftlichen Vorteile zu bringen vermag. - Dann aber ist es nur konsequent und sachgerecht, die Rechtswidrigkeit der Zueignung immer dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig, ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld. In dieser Situation wird kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache verletzt.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Fall: A hat bei B 10 Zentner Koks einer bestimmten Größenordnung gekauft und bezahlt. Trotz Mahnung liefert B nicht. Eines Nachts erscheint A und entwendet 10 Zentner Koks der vereinbarten Sorte. Dem B teilt er mit, daß die Angelegenheit erledigt sei. Ergebnis: Die h.M. würde hier eine rechtswidrige Zueignung bejahen und allenfalls einen Tatbestandsirrtum zugestehen, falls A der Unterschied zwischen Gattungs- und Speziesschuld unbekannt war. - Nach der hier vertretenen Auffassung fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung.

d) Ist eine bestimmte Geldsumme Gegenstand der Schuld, so wird auch von Anhängern der h.M. zum Teil versucht, die mißlichen Konsequenzen der Bejahung der rechtswidrigen Zueignung zu vermeiden, wenn der Gläubiger sich die entsprechende Summe mit rechtswidrigen Mitteln zueignet. Argumentiert wird, der Geldschuldner schulde keine Sache, sondern eine Geldsumme. Werde ihm daher die geschuldete Summe weggenommen, so werde ihm entzogen, was er schulde. Vgl. dazu HEUBEL J u s 1984 S. 450; ROXIN H . Mayer-Festschrift, S. 467 ff; SCH/SCH/ESER § 242

Rdn. 59.

Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, denn wird Geld nicht als Sache, sondern als eine von einer Sache verschiedene Summe geschuldet, so fällt die Wegnahme von Geld nicht unter den Tatbestand des § 242. BGHSt 17 S. 88: Der G schuldete dem A noch mindestens DM 20,-. Eines Tages traf A den G auf der Straße. Er forderte ihn mit den Worten: "Moos raus", zur Bezahlung seiner Zechschulden auf. G wandte sich jedoch zum Weitergehen. A hielt den G fest, durchsuchte die Taschen G's und fand darin einen Zehnmarkschein und einen Fünfmarkschein. Beide nahm er ihm weg. BGH: Zueignung rechtswidrig, da A keinen Anspruch auf die konkret weggenommenen Geldscheine hatte. Wenn A sein Verhalten für erlaubt hielt, so kann dies ein Tatbestandsirrtum gewesen sein, wenn A davon ausging, er hätte einen Anspruch auf die konkret vorgefundenen Geldscheine.

Nach der hier vertretenen Ansicht fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung. Diese ist stets dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld, wenn in dieser Situation kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Leistung besteht. Vgl. auch: GRIBBOHM N J W 1968 S. 240 f; KREY B.T.2, R d n . 98; MAIWALD Z S t W 9 1 (1979) S. 955; RUß LK, § 242 R d n . 69; SCHMIDHÄUSER B.T., 8 / 2 6 .

III. Rechtswidrigkeit Als Rechtfertigungsgründe sind insbesondere zu beachten: §§ 229, 904 BGB, § 34 StGB

§ 41: Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 1. Die Rechtsnatur des § 243 Abs. 1 § 243 Abs. 1 eröffnet für bestimmte Diebstahlsfälle die Möglichkeit der Anwendung eines höheren Strafrahmens. Es handelt sich um Strafzumessungsgründe, und zwar um Erschwerungsgründe in Form von Regelbeispielen und nicht um Qualifikationsmerkmale, denn sie enthalten keine zwingende und abschließende Regelung. H.M. - A A . qualifizierte Tatbestandsmerkmale: CALLIES JZ1975 S. 112 ff; JAKOBS A.T., 6/99.

§41 Schwere Fälle des Diebstahls

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Das bedeutet: Trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ist der Richter nicht gezwungen, den Strafrahmen des § 243 anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Tat erhebliche, für den Täter günstige Gesichtspunkte in den Vordergrund treten läßt. Wird jedoch bei Vorliegen eines Regelbeispiels der Strafrahmen des § 243 herangezogen, so bedarf dies keiner besonderen Begründung. Darüber hinaus kann der Richter nach h.M. auf den Strafrahmen des § 243 zurückgreifen, wenn zwar kein Regelbeispiel gegeben ist, "das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist"; BGHSt 29 S. 322. Mit der Forderung nach dieser Gesamtwertung wird der Versuch des Gesetzgebers, durch Regelbeispiele einen bestimmten Unrechtstypus zu beschreiben, und zwar nicht abschließend, wohl aber typisierend beispielhaft, und dadurch die unbenannten Strafänderungsgründe stärker zu konkretisieren, zunichte gemacht. Aufgrund der Gesamtbewertung kann der Strafrahmen des § 243 eröffnet sein, bei Anwendung von List durch den Täter, bei einem Vertrauensbruch durch den Täter, bei Anrichtung eines besonders großen Schadens und dann, wenn der Täter seine Stellung als Beamter ausnutzt. Vgl. dazu BGHSt 29 S. 322 mit Anm. BRUNS JR 1981S. 335 f; DREHER/TRÖNDLE § 243 Rdn. 37 ff.

2. § 243 Abs. 1: Die einzelnen Regelbeispiele: a) § 243 Abs. 1 Nr. 1: Einbruchs- und Nachschlüsseldiebstahl aa) Die einzelnen Merkmale des Beispiels: Oberbegriff der geschützten Räumlichkeiten ist der umschlossene Raum, das ist ein Raumgebilde, das - mindestens auch - dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden und das mit - mindestens teilweise künstlichen - Vorrichtungen umgeben ist, die das Eindringen von Unbefugten abwehren sollen; BGHSt 1 S. 164. Beispiele: Wohnwagen, Wohnschiffe, abgetrennte Abteilungen innerhalb eines Gebäudes (BGHSt 1 S. 158 ff); umzäunte Friedhöfe bei Nacht (BGH NJW 1954 S. 1897); von Gartenhecke oder Umzäunung, die Unbefugte fernhalten soll, umgebenes Grundstück (BGH NStZ 1983 S. 168; BGH StV 1984 S. 204); Untergrundbahnhöfe (OGHSt 3 S. 113 f); Bahnhofshallen mit durchgehenden Gleisen (RGSt 55 S. 154). Nicht hingegen: Öffentliche Fernsprechzellen (OLG Hamburg NJW 1962 S. 1453), umzäunte Viehweide, da Zaun in erster Linie ein Ausbrechen des Viehs verhindern soll (OLG Bremen JR 1951S. 88).

Das Gebäude ist ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest wenn auch nur durch die eigene Schwere - verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet und das Unbefugte abhalten soll; BGHSt 1 S. 163. Beispiele: Häuser, Baracken, Baubuden.

Wohnungen sind die der Unterkunft von Menschen dienenden Räume. - Dienstoder Geschäftsräume sind die den Dienst- oder Geschäftszwecken dienenden Räume. Einbrechen ist jedes gewaltsame Öffnen der Umschließung eines umschlossenen Raumes von außen. - Nicht erforderlich ist, daß der Täter in den Raum eintritt, um dann zu stehlen. Es genügt, daß der Täter in den Raum hineinlangt, um zu stehlen, oder einen umschlossenen Raum (z.B. Pkw) aufbricht, um ihn wegzunehmen. Einsteigen ist das Betreten eines Raumes auf nicht ordnungsgemäßem Wege. Der Täter muß nicht mit dem ganzen Körper eingedrungen sein, es genügt, daß er sich

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Die Vermögensentziehungsdelikte

innerhalb des geschützten Raumes einen festen Stützpunkt verschafft hat (OLG Hamm NJW 1960 S. 1359). Beispiele: Durchzwängen durch Lüftungsschacht, Übersteigen einer Umfriedung, Einsteigen durch ein Fenster, selbst wenn dies auch vom Berechtigten als Zugang benutzt wird, weil die Tür kaputt ist (RGSt 59 S. 171). - Durchzwängen oder Durchkriechen durch eine Hecke (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810).

Falscher Schlüssel ist jeder Schlüssel, der vom Berechtigten nicht oder nicht mehr zur Öffnung des Verschlusses bestimmt ist. Das bedeutet: Bloßer Verlust macht den richtigen Schlüssel noch nicht zum "falschen". Er wird es erst dadurch, daß ihm der Berechtigte die Bestimmung zur ordnungsgemäßen Öffnung entzieht. - Dies kann konkludent geschehen, z.B. durch Beschaffung eines neuen Schlüssels, kann aber auch bei Kenntnis des Diebstahls als Regelfall unterstellt werden; BGHSt 21S. 190.

Andere zur ordnungsgemäßen Öffnung nicht bestimmte Werkzeuge sind Geräte, die ordnungswidrig auf den Mechanismus des Schlosses wirken. Beispiele: Dietrich, Haken u.a. - Nicht hingegen: Brechstange, da sie gewaltsam das Schloß sprengt.

Sich verborgen halten ist ein Aufhalten unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen gegen Entdeckung zum Zwecke der Tatausführung. Gleichgültig, ob der Täter legal oder illegal in die Räume gelangt ist; maßgeblich ist allein, daß sein Aufenthalt zur Tatzeit rechtswidrig ist. Beispiel: Der Kunde K versteckt sich unter einem Tisch im Warenhaus und läßt sich nach Geschäftsschluß einschließen, um nachts in aller Ruhe zu stehlen.

bb) Der Täter muß bei der Überwindung der Gewahrsamssicherung zur Ausführung der Tat gehandelt haben. - Ein nachträglicher Entschluß, einen Diebstahl zu begehen, genügt nicht. Fall: A steigt in das Haus des B ein, um diesen zu verprügeln. Als er sieht, daß B abwesend ist, entwendet er ein Gemälde. Ergebnis: § 243 Abs. 1 Nr. 1 findet keine Anwendung.

cc) Nicht erforderlich ist es, daß aus dem Raum, in den der Täter eingedrungen ist, gestohlen wird. Es genügt, daß er mit seiner Tathandlung eine Gewahrsamssicherung in bezug auf das Tatobjekt überwunden hat. Beispiele: Aulbrechen eines Pkw, um diesen zu stehlen; Einbruch in einen Raum, um aus diesem den Schlüssel für den Raum, aus dem gestohlen werden soll, zu holen.

dd) Nach h.M. soll auch derjenige, der an sich zum Aufenthalt in dem umschlossenen Raum oder Gebäude berechtigt ist, die Begehungsform der Nr. 1 verwirklichen können. - Dem ist nicht zuzustimmen, wenn der Täter sich auch ohne weiteres den Zugang auf ordnungsgemäße Weise hätte verschaffen können. Denn dann dient "sein Einbruch" nicht der Überwindung einer Gewahrsamsschranke, sondern allein zur Ablenkung des Verdachts. Anders: BGHSt 22 S. 127 mit abl. Anm. SÄCKER NJW 1968 S. 2116 f.

b) § 243 Abs. 1 Nr. 2: Diebstahl besonders gesicherter Sachen aa) Schutzvorrichtungen sind technisch geschaffene Einrichtungen, die dazu geeignet und bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Beispiele: Schlösser, insbes. Lenkrad- und Fahrradschlösser. - Bankomaten, Geldherausgabevorrichtung eines Geldspielautomaten (str., vgl. BayObLG JR 1982, S. 292 mit Anm. MEURER S. 292 ff).

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Die in Nr. 1 genannten Gewahrsamsvorrichtungen kommen als Schutzvorrichtungen der Nr. 2 nicht in Betracht. Insoweit ist Nr. 1 als Spezialfall der Nr. 2 anzusehen; vgl. BayObLG JR 1973 S. 507 mit A n m . SCHRÖDER S. 507 f.

bb) Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen dienendes und sie umschließendes Raumgebilde, das nicht dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden; vgl. BGHSt 1 S. 163. Beispiele: Schränke, Kassetten, Kofferraum eines Pkw. - Maßgeblich: die erhöhte Gewahrsamssicherung. - Kein Behältnis in diesem Sinne daher: Briefumschlag, Hosentasche, o.a. BGH NJW 1972 S. 167: A nahm einen Automaten ("Nußglocke") aus einer Gaststätte mit, um sich zu Hause in aller Ruhe das Geld aus diesem herauszuholen. Dies gelang auch. BGH: § 243 Abs. 1 Nr. 2 findet Anwendung. - Dagegen SCHRÖDER NJW 1972 S. 778 ff: Die den Gewahrsam des Berechtigten in erhöhtem Maße schützende Funktion ist inzwischen verlorengegangen. Dem ist zuzustimmen: Im Machtbereich des Berechtigten war die Sicherung des Geldes durch die Umhüllung des Automaten eine besondere Gewahrsamssicherung, nicht aber außerhalb dieses Bereiches.

cc) Verschlossen ist das Behältnis, wenn sein Inhalt durch eine technische Schließvorrichtung oder auf andere Weise, z.B. durch Verschnüren, gegen den ordnungswidrigen Zugriff von außen gesichert ist. Nach dem Sinn der Vorschrift scheidet ein ordnungsgemäßes Öffnen als Straferhöhungsgrund aus. Das Regelbeispiel ist daher nicht erfüllt, wenn der im Behältnis steckende Schlüssel verwendet wird oder derjenige das Behältnis öffnet, der den Schlüssel befugterweise in Besitz hat.

dd) Gegen Wegnahme besonders gesichert erfordert einen spezifischen Schutzzweck der Vorrichtung gegen Wegnahme der gesicherten Sache. OLG Hamm NJW 1978 S. 769: mit Klebestreifen verschlossene Kartons in mit Schnur verschlossenem Postsack.

c) § 243 Abs. 1 Nr. 3: Gewerbsmäßiger Diebstahl Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle verschaffen will; dazu BGHSt 1 S. 383. Diese Einstellung kann schon bei der 1. Tat vorliegen! d) § 243 Abs. 1 Nr. 4: Kirchendiebstahl Das Tatobjekt muß dem Gottesdienst gewidmet sein, wie z.B. der Altar, Kelche o.ä., oder der religiösen Verehrung dienen, wie z.B. Heiligenbilder, Votivtafeln o.ä. Nicht erfaßt sind Einrichtungsgegenstände, Gesangbücher usw.

e) § 243 Abs. 1 Nr. 5: Diebstahl von Sachen mit kultureller Bedeutung Geschützt sind nur Gegenstände von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst usw., d.h. Objekte, deren Verlust für die betroffenen Bereiche eine erhebliche Einbuße bedeutet. -Allgemein zugänglich ist eine - öffentliche oder private - Sammlung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich ist. Die Erhebung eines Eintrittsgeldes steht der Öffentlichkeit nicht entgegen. - Öffentlich ausgestellt sind Sachen an allgemein zugänglichen Orten. f) § 243 Abs. 1 Nr. 6: Diebstahl unter Ausnutzung der Notlage anderer aa) Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer der Tat aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, sich gegen die seiner Sachherrschaft drohende Gefahr zu schützen. BayObLG JR 1973 S. 427 mit Anm. SCHRÖDER S. 427: A besuchte seinen blinden Arbeitskollegen B. Bei diesem Besuch entwendete er Geld, das auf einem Tischchen in der Wohnung des B lag. BayObLG: § 243 Abs. 1 Nr. 6 findet Anwendung.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Maßgeblich ist, ob der Täter eine Situation ausnutzt, in der das Opfer in erhöhtem Maß schutzwürdig ist. Dieses ist z.B. der Fall, wenn der Schlaf eines Kranken, nicht der Schlaf eines Gesunden zur Tat ausgenutzt wird. - Vgl. BGH NStZ 1990 S. 388; Rab LK, § 243 Rdn. 32. - A A . DREHER/TRÖNDLE § 243 R d n . 34; SCH/SCH/ESER § 243 R d n . 40.

bb) Unglücksfall: Eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, da ihm sonst erhebliche Gefahr an Leib und Leben droht. Beispiele: Unfall im Betrieb, Haushalt oder Verkehr (BGHSt 11S. 135).

cc) Ob das Opfer der Tat die Notlage verschuldet hat, ist gleichgültig. H . M . - A A . MAURACH/SCHROEDER/MATWAIX) B.T.L, § 3 3 R d n . 100.

dd) Ausnutzen liegt vor, wenn der Täter die durch die Notlage geschaffene Gelegenheit zum Diebstahl nutzt. - Die Tat braucht sich dabei nicht gegen den in Not Geratenen zu richten, Tatopfer kann z.B. auch eine Person sein, die mit Hilfsmaßnahmen beschäftigt ist. g) § 243 Abs. 1 Nr. 7: Diebstahl von Feuerwaffen Mit der Kennzeichnung des Diebstahls der hier genannten Feuerwaffen als besonders schwerer Fall wollte der Gesetzgeber den Strafrechtsschutz im Vorfeld schwerer Gewaltdelikte verstärken. - Die Verallgemeinerung einer im Einzelfall durchaus möglichen Gefahr als strafschärfendes Merkmal ist jedoch wenig überzeugend. 3. Vorsatz und Irrtum im Rahmen des § 243 Abs. 1 a) Die in § 243 Abs. 1 beschriebenen straferhöhenden Umstände müssen vom Täter vorsätzlich bewirkt werden, d.h. er muß sich der objektiven Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts bewußt sein; § 16 analog. Beispiel: A öffnet die Wohnung des B, um dort zu stehlen, mit einem Schlüssel, von dem er meint, er gehöre dem B. In Wirklichkeit ist es nicht der Schlüssel des B, doch ist das Schloß derart ausgeleiert, daß es sich mühelos mit dem von A verwendeten Schlüssel öffnen läßt. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.

b) Der Irrtum des Täters, ein Regelbeispiel zu verwirklichen, ersetzt dessen Vorliegen nicht. Der Handlungsunwert allein eröffnet nicht den erweiterten Strafrahmen des § 243 Abs. 1. Beispiel: A findet vor der Haustür des B einen Dietrich. Er kommt auf die Idee, damit in das Haus des B einzudringen und zu stehlen. - So geschieht es auch. Den Dietrich hatte jedoch B verloren. Er diente ihm seit langem zur Öffnung der Tür. - Demnach war der Dietrich das zur ordnungsgemäßen Öffnung der Tür bestimmte Werkzeug. Dies allerdings wußte A nicht. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.

4. Versuch a) Versuch und Regelbeispiel Streitig ist die Frage, ob der Strafrahmen des § 243 Abs. 1 auch dann eröffnet ist, wenn der Diebstahl selbst im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Dabei ist zunächst danach zu unterscheiden, ob der Täter beim Versuch des Diebstahls das Regelbeispiel bereits verwirklicht hat oder nicht. BGH StV 1985 S. 103: A wollte mit zwei Komplizen aus dem Hause des X stehlen. Mit einem Hebelwerkzeug brachen die Täter das Vorhängeschloß einer Holztür auf und gelangten auf diese Weise in

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das Gebäude. Zur Wegnahme von Sachen kam es allerdings nicht mehr, weil sie von der Polizei überrascht wurden. BGHSt 33 S. 370: A und B wollten in eine Gaststätte einbrechen. A stand Schmiere, während B versuchte, eines der Butzenfenster der Gaststätte mit Hilfe eines Schraubenziehers aus der Bleifassung zu stemmen. Als B die Bleifassung gerade erst gelockert hatte, erschien die Polizei.

Ist im Falle eines erfolglos gebliebenen Diebstahlsversuchs ein Regelbeispiel objektiv und subjektiv verwirklicht worden - vgl. dazu BGH StV 1985 S. 103 -, so bestehen keine Bedenken, die Regelwirkung durchgreifen zu lassen, so daß eine Bestrafung wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall, §§ 242, 22 in Verb, mit § 2431S. 2 Nr. 1 erfolgt. Vgl. z.B.: B G H StV 1985 S. 103; DREHER/TRÖNDLE § 46 Rdn. 48; FABRY N J W 1986 S. 18; KREY B.T.2, Rdn. 109; LACKNER StGB, § 46 A n m . II 2 d; LAUBENTHAL J Z 1987 S. 1068 ff; RUß LK, § 243 Rdn. 36; SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 44; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 184 ff; WESSELS LacknerFestschrift, S. 430. - A A . ARZT StV 1985 S. 105; CALUES J Z 1975 S. 112 ff.

In diesem Falle kann die Strafe analog §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 gemildert werden, denn eine direkte Anwendung des § 23 Abs. 2 kommt nicht in Betracht, da er sich nicht auf Regelfallbeispiele bezieht. Für die direkte Anwendung der §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1: BGH MDR 1986 S. 250; OLG Köln MDR 1973 S. 779; WESSELS Lackner-Festschrift, S. 430. - Gegen die Zulässigkeit der Strafmilderung: DREHER/TRÖNDLE § 46 Rdn. 48.

Von der Indizwirkung des Regelbeispiels kann hingegen keine Rede sein, wenn das Regelbeispiel im Rahmen eines versuchten - vgl. dazu BGHSt 33 S. 376 - oder vollendeten Diebstahls zwar verwirklicht werden sollte, aber nicht verwirklicht worden ist. Da der Gesetzgeber sich nicht damit begnügt hat, die Indizwirkung bereits an die geplante Erfüllung des Regelbeispiels zu knüpfen, sondern diese Wirkung an die Verwirklichung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Regelbeispiels gebunden hat, wäre eine Ausdehnung des gesetzlichen Anwendungsbereichs nur über §§ 22, 23 möglich. Diesem Weg steht jedoch Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. § 23 knüpft unmittelbar an die Regelung des § 22 an, der nur auf gesetzliche Tatbestände bezogen ist, nicht aber auf Strafzumessungsgründe. Aus § 23 Abs. 1 und Abs. 2 ist daher einzig und allein zu entnehmen, daß bei einem Deliktsversuch der Strafrahmen desjenigen Tatbestandes für die Strafzumessung entscheidend ist, zu dessen Verwirklichung der Täter im Sinne des § 22 unmittelbar angesetzt hat. Zur Bedeutung außertatbestandlicher Umstände bei dem Versuch macht § 23 Abs. 1, 2 keine Aussage. Es gibt nach dem klar zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers keinen "Versuch eines Straferschwerungsgrundes". § 243 Abs. 1 wiederum ist deutlich zu entnehmen, welche Voraussetzungen - unabhängig von der Frage, ob ein Straferschwerungsgrund außerhalb der Regelbeispiele aufgrund der Gesamtwürdigung von Tat und Täter vorliegt - erfüllt sein müssen, damit der Strafrahmen des § 243 eröffnet ist. Hätte der Gesetzgeber sich hier mit einem Handlungsunwert begnügen wollen, so hätte er dieses zum Ausdruck bringen müssen. Aus der früheren Fassung des § 243 ist jedenfalls kein Gegenargument herzuleiten, denn in dieser Fassung enthielt § 243 qualifizierte Diebstahlsfälle, so daß die Versuchsregeln sich selbstverständlich auch auf § 243 erstreckten. Dieser Bezug ist durch die Umwandlung des § 243 in einen bloßen Strafzumessungsgrund aufgehoben worden. Nunmehr setzt die Anwendung des § 243 - soweit ein Regelbeispiel in Betracht kommt - voraus, daß dieses Beispiel subjektiv und objektiv erfüllt ist.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

So auch: BayObLG NJW 1980 S. 2207; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 222; OLG Düsseldorf JZ 1984 S. 1000; BOCKELMANN B . T . / l , S 3 I V 5; GEPPERT J K , S t G B $ 2 4 3 / 2 ; KADEL J R 1985 S. 386 f; KREY B.T.2, R d n . 110; LACKNER StGB, $ 46 A n m . O 2 d; LIEBEN N S t Z 1984 S. 538 f; v . LÖBBECKE M D R 1973 S. 375; OTTO J u r a 1989 S. 201 f; SCH/SCH/ESER § 243 R d n . 44; R . SCHMITT Tröndle-Festschrift, S. 315; STERNBERG-LIEBEN J u r a 1986 S. 187 f; WESSELS Lackner-Festschrift, S. 433 ff; DERS. B.T.-2, § 3 1 2 . A A . B G H S t 33 S. 370; FABRY N J W 1986 S. 18 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 33 R d n . 107; SCHÄFER J R 1986 S. 522 f; ZlPF J R 1981S. 119 ff.

cc) Ist bei einem zur Vollendung gelangten Diebstahl die beabsichtigte Verwirklichung des Regelbeispiels im Versuchsstadium stekkengeblieben, so ist gleichfalls der Strafrahmen des § 243 nicht eröffnet. Beispiel: A, der versucht mit einem Brecheisen in das Haus des B zu gelangen, erkennt plötzlich, daß die Tür gar nicht abgeschlossen ist. Er betritt das Haus und entwendet eine Uhr. Ergebnis: Bestrafung nur nach $ 242. Vgl. auch: BayObLG JR 1981S. 118; KÜPER JZ 1986 S. 525; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 187 f.

b) Problematik des Versuchsbeginns In der Regel wird eine unmittelbare Gefährdung des Gewahrsams an der für den Diebstahl in Aussicht genommenen Sache und damit ein Ansetzen zur Verwirklichung des Diebstahlstatbestandes schon mit der Erfüllung eines Regelbeispiels vorliegen. Das muß aber nicht zwingend der Fall sein, sondern ist jeweils im Einzelfall darzulegen. Ein unmittelbares Ansetzen trotz Verwirklichung des Regelbeispiels wird etwa dann nicht zu bejahen sein, wenn der Täter die Gewahrsamsschranke nur beseitigen und in einem späteren Zeitpunkt die Wegnahme verwirklichen will.

Beispiel: A zerstört mit einem Brecheisen den Schließmechanismus des Garagentors des B. In der nächsten Woche, wenn B einen neuen Wagen geliefert erhalten hat, will er diesen wegnehmen. Ergebnis: Sachbeschädigung vollendet, Diebstahl erst vorbereitet. Vgl. im einzelnen dazu ARZT JuS 1972 S. 517; KREY B.T.2, Rdn. 108; STREE Peters-Festschrift, S. 180 ff; WESSELS Maurach-Festschrift, S. 305 f.

5. Konkurrenzen a) Hat der Täter mehrere Regelbeispiele des § 243 erfüllt, so liegt dennoch nur ein Diebstahl unter besonders schweren Umständen vor. b) Bei den Regelbeispielen "Einbrechen" und "Einsteigen" wird ein evtl. verübter Hausfriedensbruch oder eine Sachbeschädigung konsumiert, und zwar selbst dann, wenn der Diebstahl nur bis zum Versuch gediehen ist. Einer Verurteilung nach §§ 123,303 bedarf es nicht, da der Unrechtsgehalt des Hausfriedensbruchs oder der Sachbeschädigung bereits in der Strafe gemäß § 243 berücksichtigt wird. D a z u K G J R 1979 S. 249 mit A n m . GEERDS S. 250 ff.

6. Urteilstenor In den Urteilstenor gehört die Kennzeichnung der Tat als "besonders schwerer Fall" nicht, denn dieser hat nur die rechtliche Bezeichnung der Tat anzugeben, § 260 Abs. 4 S. 1 StPO. Während der BGH jedoch im Falle der Verurteilung Jugendlicher die Anführung des "besonders schweren Falles" im Urteilstenor beanstandet, korrigiert er im Erwachsenenstrafrecht diesen auch dort für überflüssig gehaltenen Hinweis nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen.

§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls

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II. § 243 Abs. 2: Ausschluß der Strafschärfung 1. Geringwertig a) § 243 Abs. 2 stellt eine unwiderlegbare Vermutung dafür auf, daß ein besonders schwerer Fall nicht vorliegt, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht. Der Begriff scheint auf den Verkehrswert zu verweisen und wäre, so interpretiert, durchaus abgrenzbar. Allein diese Interpretation kann im Rahmen eines Delikts, das sogar Sachen ohne Handelswert schützt, nicht richtig sein, zumal wenn man der Ansicht folgt, daß das Unrecht der Wegnahme einer Sache ohne Verkehrswert durchaus größer sein kann als das der Wegnahme einer Sache von hohem Geldwert. Überdies kann z.B. in den Fällen des Abs. 1 Nr. 4 und 5 der Verkehrswert keine Rolle spielen, denn gerade die dort genannten Gegenstände können einen minimalen Verkehrs-, wohl aber einen hohen Gebrauchs- oder Affektionswert haben. Um aber überhaupt einmal einen Ausgangspunkt für die Argumentation zu gewinnen, ist vom Verkehrswert der Sache auszugehen. Erst wenn feststeht, daß die Sache keinen oder nur einen geringen Verkehrswert hat, ist zu fragen, ob sie unter sonstigen schutzwürdigen Aspekten als wertvoll für das Opfer angesehen werden kann. Wann der Verkehrswert noch als geringwertig anzusehen ist, kann nicht ein für alle Mal bestimmt werden. Änderungen des Preisgefüges sind zu berücksichtigen. Geringwertig derzeit: Verkehrsweit unter DM 50,-; vgl. OLG Düsseldorf JZ 1987 S. 632.

b) Entscheidend dafür, ob sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht, ist nicht nur der objektive Wert der weggenommenen Sache - sonst wäre § 243 Abs. 1 z.B. stets ausgeschlossen, wenn der Täter nichts wegnimmt, weil er entgegen seiner Vorstellung nichts findet -, sondern auch die Vorstellung des Täters. Nur wenn die als Gegenstand des Diebstahls ins Auge gefaßte Sache objektiv geringwertig ist und der Täter auch von dem geringen Wert ausgeht, findet § 243 Abs. 2 Anwendung. Auf diese Weise kommt es zu einem vertretbaren Ausgleich zwischen den Interessen des Täters und denen des Geschädigten. Beispiel 1: A entwendet eine Vase, die er für geringwertig hält, die aber einen Wert von DM 1000,hat. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein, denn objektiv war die Vase nicht geringwertig. Beispiel 2: A entwendet eine Vase, die er für hochwertig hält, die aber nur einen Wert von DM 2,hat. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein. Beachte: § 16 Abs. 2 kann keine Anwendung finden, da es sich bei § 243 Abs. 2 nicht um einen privilegierten Tatbestand handelt. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 Rdn. 102. Beispiel 3: BGH NStZ 1987 S. 71: A hatte die verschlossene Tür eines Kfz aufgebrochen, um Sachen zu stehlen. Er fand nur geringwertige Sachen. BGH: Die Tat bezog sich nicht auf eine geringwertige Sache. Dazu auch: BGH NJW 1975 S. 1286 mit abl. Anm. BRAUNSTEFFER S. 1570 und mit zust. Anm. G RIBBOHM S. 2213.

c) Eine analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 auf §§ 244, 249, 250, 252 kommt wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht in Betracht. S o auch: B G H b e i Dallinger, M D R 1975 S. 543; SCH/SCH/ESER § 243 R d n . 57. - A A

NJW 1975 S. 1687 f.

BURKHARDT

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Die Vermögensentziehungsdelikte

2 Fortgesetzte Handlung Bei einer fortgesetzten Handlung macht die h.M. die Anwendung des § 243 Abs. 2 vom Gesamtwert des tatsächlich Erlangten abhängig, nicht vom Wert der darüber hinaus erstrebten Beute. Vgl. SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 56.

Das ist inkonsequent: Wird die fortgesetzte Tat als einheitliche Tat begriffen, dann bezieht sich die Tat nicht nur auf den schon verwirklichten Teil der Tat. Geringwertig kann das Tatobjekt daher nur sein, wenn das Objekt der gesamten ins Auge gefaßten fortgesetzten Tat noch geringwertig ist. Beispiel: A hat erkannt, daß er mit einem Dietrich einen Zigarettenautomaten öffnen kann. Er beschließt, seinen täglichen Zigarettenbedarf - 2 Packungen - jeweils morgens mit Hilfe des Dietrichs dem Automaten zu entnehmen. Am 3. Tag wird A gefaßt. Nach h.M. ist § 243 Abs. 2 anwendbar, weil die erlangte Menge noch als geringwertig anzusehen ist. - Nach der hier vertretenen Ansicht entfällt § 243 Abs. 2, da sich die Tat nicht auf eine geringwertige (Gesamt-)menge bezog.

3. Mittäterschaft Bei Mittäterschaft kommt es auf den Wert der gesamten vom Diebstahl erfaßten Menge an, nicht auf den Anteil des einzelnen Täters. - Liegt der Schaden der mittäterschaftlich begangenen Tat nämlich über der Wertgrenze, so ist dies für das Opfer keine Bagatelle mehr.

III. Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl, § 244 § 244 ist ein gegenüber § 242 qualifizierter Tatbestand: die qualifizierenden Merkmale sind abschließend aufgezählt. 1. § 244 Abs. 1 Nr. 1: Diebstahl mit Schußwaffen a) Schußwaffe ist eine Waffe, bei der ein Geschoß - darunter sind nicht nur körperliche Gegenstände, sondern auch gasförmige oder flüssige Stoffe zu verstehen durch einen Lauf mit Bewegungsrichtung nach vorn getrieben wird und die geeignet ist, Menschen körperlich zu verletzen. b) Ein am Tatort anwesender Tatbeteiligter muß die Schußwaffe bei sich geführt haben, d.h. er braucht die Waffe nicht in der Hand gehalten zu haben, sie muß ihm jedoch derart zur Verfügung gestanden haben, daß er sich ihrer jederzeit und ohne Schwierigkeiten bedienen konnte. Auch wenn es nicht notwendig ist, daß der Täter die Waffe während des gesamten tatbestandsmäßigen Geschehens bei sich führt, so muß sie ihm doch zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tatgeschehens - Versuch bis Vollendung - zur Verfügung stehen. Vgl. hierzu auch: GEILEN Jura 1979 S. 222, 277; HRUSCHKA JZ 1969 S. 607 ff; ISENBECK NJW 1965 S. 2326 ff; KÜHL JuS 1982 S. 191 f; SCHONEMANN JA 1980 S. 394.

AA. dazu BGHSt 20 S. 197 mit Anm. WEBER JZ 1965 S. 417 f; HAFT JuS 1988 S. 367 ff; RUß LK, § 244 Rdn. 5: Zeitpunkt der materiellen Beendigung genügt, so daß es ausreichen kann, daß sich die Waffe in dem Fluchtfahrzeug befindet, mit dem der Täter die Beute in Sicherheit bringt. - Flieht der Täter allerdings ohne Beute, so ist die Tat in dem Moment vollendet und beendet, in dem sich der Täter zur Flucht wendet; vgl. dazu auch BGHSt 31S. 105 mit Anm. HRUSCHKA JZ 1983 S. 217 f, und KÜHL JR 1983 S. 425 ff.

§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls

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Daß der Täter dem Opfer die Waffe vor Vollendung der Tat abgenommen hat, genügt. Vgl. B G H StV 1988 S. 429 mit Klarstellung SALGER StV 1989 S. 66, und A n m . SCHMOLDERER StV

1988 S. 429 ff sowie StV 1989 S. 153.

Erforderlich ist, daß der Täter die Schußwaffe bei sich hat und dieses weiß. Die Absicht, die Waffe evtl. beim Diebstahl zu benutzen, ist nicht erforderlich. Der Gesetzgeber hat damit die Konsequenz aus der Erkenntnis gezogen, daß auch der feste Entschluß, eine Schußwaffe nicht zu benutzen, keine sichere Hemmung bedeutet, wenn der Täter in einer für ihn überraschenden Situation keinen anderen Ausweg sieht als die Anwendung von Gewalt. Die Tatsache, daß der Täter die Waffe aus beruflichen Gründen (stets) bei sich führt, schließt die Anwendung des § 244 Abs. 1 Nr. 1 daher nicht aus. So auch: BGHSt 30 S. 44 (Polizeibeamter im Dienst); OLG Köln NJW 1978 S. 652 f (bewaffneter Wachsoldat); HEITINGER GA 1982 S. 525 ff; KATZER NStZ 1982 S. 236 ff; LACKNER StGB, § 244 A n m . 2 b; RUfl LK, § 244 Rdn. 5; SEELMANN JuS 1985 S. 457; WESSELS B.T.-2, § 4 1 1 . - A A . GREBING Jura 1980 S. 93; HRUSCHKA N J W 1978 S. 1338; KOTZ JuS 1982 S. 97 ff; LENCKNER J R 1982 S. 424 ff; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 355; SOLBACH NZWehrr 1977 S. 161 ff.

Da das qualifizierende Element des Diebstahls in der Gefährlichkeit der Waffe liegt, muß diese als Schußwaffe einsatzfähig sein. Als Schußwaffen können auch Luftgewehre und Luftpistolen in Betracht kommen, bei Bolzenschußapparaten (dazu OLG Hamm MDR 1975 S. 420) und Gaspistolen (vgl. einerseits: BGHSt 24 S. 136; BGH NStZ 1989 S. 476; - andererseits: LACKNER StGB, § 244 Anm. 2 b) kommt es auf die Bauart an, während Schreckschußpistolen nicht unter den Begriff der Schußwaffe fallen (BGH StV 1988 S. 429).

2. § 244 Abs. 1 Nr. 2: Diebstahl mit sonstigen Waffen Waffe (im technischen Sinne) oder sonst ein Werkzeug oder Mittel ist ein Gegenstand, der seiner Art nach geeignet ist, Widerstand durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Dies kann im Einzelfall ein Kfz (BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 987) oder ein Schuh am Fuß des Täters (BGHSt 30 S. 375 mit abl. Besprechung HEITINGER JuS 1982 S. 895 ff) sein.

a) Problematisch ist, ob die sog. Scheinwaffe, z.B. Attrappe einer Pistole oder ungeladene Pistole, ein "Mittel" i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 2 ist, wenn der Täter sie bei dem Diebstahl bei sich führt und nur zur Drohung, nicht aber z.B. als Schlagwerkzeug einsetzen will. Die Auslegung des § 244 Abs. 1 Nr. 2 im engen Zusammenhang mit Nr. 1, wo eindeutig die Gefährlichkeit der Waffe das qualifizierende Element ist, spricht gegen die Anwendung der Nr. 2 bei bloßer Verwendung von Scheinwaffen zur Drohung. Andererseits kann jedoch nicht verkannt werden, daß in einer Zeit erheblich zunehmender Gewaltdelikte die besondere Ahndung jeglicher Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen ist. Aus der Sicht des Opfers ist die Drohung mit der Pistole in gleicher Weise furchterregend, unabhängig davon, ob die Pistole verwendungsfähig ist oder nicht, wenn das Opfer davon ausgehen muß, daß die Pistole verwendet werden kann. Dann liegt aber bereits im Mitführen auch einer Scheinwaffe ein qualifizierendes Element des Diebstahls. Aus dem Fehlen der objektiven Gefahr sollte aber die Konsequenz gezogen werden, die geringere Gefährlichkeit grundsätzlich strafmildernd zu berücksichtigen und den Tatbestand auszuschließen, wenn das Opfer die Ungefährlichkeit der Waffe erkannt hat.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Zum Streitstand im einzelnen vgl. bei der entsprechenden Problematik des § 250 Abs. 1 Nr. 2 unten § 46 III 1 b. Die Täuschung über das Vorhandensein einer Waffe genügt den Anforderungen des Tatbestandes nicht; BGH NStZ 1985 S. 547 mit Anm. OTTO JK, StGB § 250/4.

b) Über die Eignung des Tatmittels hinaus den Widerstand eines anderen durch Gewalt zu überwinden, wird zum Teil gefordert, daß die Tatmittel geeignet sein müssen, bei dem vom Täter geplanten Einsatz eine erhebliche Verletzung des Betroffenen herbeizuführen, also durch ihren Gebrauch die Gefahr einer erheblichen Verletzung zu begründen. Dem ist zuzustimmen, denn der Grund der Qualifikation liegt in der erheblichen Gefährdung des Opfers, nicht aber darin, daß Erleichterungen der Tatausführung mit Hilfe technischer Mittel ermöglicht werden. So auch: ESER J Z 1981 S. 768 f; GEILEN Jura 1979 S. 389 f; GEPPERT JK, StGB § 250/5; KÜPER JuS 1976 S. 647 ff; LACKNER StGB, § 244 Anm. 2 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 35 Rdn. 27. - AA. B G H MDR 1989 S. 754.

c) Subjektiv erfordert Nr. 2, daß der Täter die Absicht hat, die Waffe, das Werkzeug oder das Mittel zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand einzusetzen, bzw. daß er die Absicht eines anderen Tatbeteiligten, in dieser Weise vorzugehen, kennt. 3. § 244 Abs. 1 Nr. 3: Bandendiebstahl a) Bande ist eine auf ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung beruhende Verbindung mehrerer Personen, die auf geraume Zeit bei der Begehung selbständiger Taten nach §§ 242, 249 zusammenwirken wollen. Dazu OLG Hamm NJW 1981 S. 2207 f mit Anm. TENCKHOFF JR 1982 S. 208 f; SCHILD GA 1982

S. 80 ff.

aa) Der Gesetzestext"... zur fortgesetzten Begehung ..." ist ungenau. Ein Zusammenschluß zu einem Diebstahl oder Raub in Fortsetzungszusammenhang genügt nicht. Dazu B G H J Z 1986 S. 968; DREHER/TRÖNDLE § 244 Rdn. 10; RUß LK, § 244 Rdn. 12; SCHILD G A 1982 S. 55 ff. - A A . GEPPERT JK 87, StGB § 244/5; SAMSON SK, § 244 Rdn. 20.

bb) Str. ist, ob schon zwei Mitglieder eine Bande i.S. des Gesetzes bilden können. Dafür spricht, daß § 244 Abs. 1 Nr. 3 Anwendung findet, wenn zwei Mitglieder einer größeren Bande die Tat ausführen. Von daher scheint es nur konsequent, bereits von einer Bande zu sprechen, wenn sich nur zwei Personen zusammengetan haben. Wesentliches Element der Gefährlichkeit der Bande ist jedoch die Tatsache, daß deren Aktivität unabhängig vom Hinzukommen und Austreten einzelner Mitglieder besteht. Diese Situation ist beim Zusammenschluß von zwei Personen nicht gegeben. Wie hier: DREHER NJW 1970 S. 1802 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/37; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 395; VOLK J R 1979 S. 426 ff. - A A . B G H J Z 1986 S. 968; BGHSt 23 S. 239; LACKNER StGB, § 244 Anm. 3 a; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 Rdn. 123; SCHILD G A 1982 S. 55 ff.

b) Da das qualifizierende Element der gleichsam geteilten Abwehrkraft des Opfers nur von den örtlich und zeitlich am Tatort mitwirkenden Tatbeteiligten realisiert wird, ist es angemessen, § 244 Abs. 1 Nr. 3 nur auf diesen Personenkreis anzuwenden. So auch: BGHSt 8 S. 205. - AA. ARZT JuS 1972 S. 579; SCH/SCH/ESER § 244 Rdn. 27 mit eingehenden Nachweisen.

§ 42 Unterschlagung

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c) Die Bandenmitgliedschaft ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28, denn sie ist kein besonderes pflichtbegründendes Merkmal. W i e hier: KREY B.T.2, R d n . 137; ROXIN LK, { 2 8 R d n . 45; SCH/SCH/ESER § 244 R d n . 28; VOGLER

Lauge-Festschrift, S. 278. - A A . BGHSt 4 S. 32; 12 S. 220; ARZT JUS 1972 S. 579; DREHER/TRÖNDLB § 244 Rdn. 13; HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 102; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 R d n . 126; SCHILD G A 1 9 8 2 S. 83; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 395 f.

4. Konkurrenzen a) Zwischen einem vollendeten einfachen Diebstahl und einem versuchten Diebstahl nach § 244 ist Idealkonkrrenz möglich. Beispiel: A und B wollen im Hause des X stehlen. A geht dabei davon aus, daß B eine Pistole bei sich hat, von der er notfalls auch Gebrauch machen wird. - Nach dem Diebstahl stellt sich heraus, daß B keine Pistole mitgenommen hatte. Ergebnis: A: §§ 242; 244,23; 52. - B: § 242.

b) Der § 244 Abs. 1 Nr. 1 ist gegenüber Nr. 2 die speziellere Regelung. Im übrigen stellen die einzelnen Tatbestände des § 244 lediglich verschiedene Begehungsformen desselben Delikts dar und begründen daher keine Idealkonkurrenz. So auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 Rdn. 127. - AA. BGHSt 26 S. 174; BGH

bei Daliinger, MDR 1971 S. 363; DREHER/TRÖNDLE § 244 Rdn. 16; LACKNER StGB, § 244 Anm. 4 a;

RUß LK, § 244 Rdn. 18.

§ 42: Unterschlagung Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.

I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1,1. Alt. 1. Das geschützte Rechtsgut Das geschützte Rechtsgut ist identisch mit dem des § 242: Die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. 2 Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Zu den Begriffen fremd, bewegliche Sachen vgl. oben § 4011 - 3. Zur Ergänzung: aa) OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 65 ff: Die Prostituierte A vereinbarte mit G ein Entgelt von DM 30,-. G gab der A einen Hundertmarkschein, nachdem sie die Rückzahlung von DM 70,- nach dem Verkehr zugesagt hatte. Später faßte sie jedoch den Plan, das ganze Geld zu behalten und verweigerte die Rückzahlung. OLG: A eignete sich eine fremde Sache zu: "Der Eigentumsübergang war von der Bedingung der Rückübereignung von Geldscheinen im Werte von DM 70,- abhängig. Da A den Differenzbetrag von DM 70,- nicht zurückgezahlt hat, ist die Bedingung für ihren Eigentumserwerb an dem Hundertmarkschein nicht eingetreten .... Der Geldschein war als fremde Sache daher taugliches Objekt einer Unterschlagung." bb) Zu den Eigentums- bzw. Übereignungsverhältnissen beim Tanken an Selbstbedienungstankstellen vgl. oben § 4013.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Zueignung ist ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, daß er den Berechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft (Eigenbesitz) über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirtschaftlich nutzen will; vgl. im einzelnen dazu oben § 40 II 2. Da die Zueignung demnach durch drei Elemente - Enteignung des Berechtigten, Aneignung durch den Täter, Absicht wirtschaftlicher Nutzung - gekennzeichnet ist, kann sie sich weder in einem rein subjektiven noch in einem rein objektiven Geschehen erschöpfen. Es geht vielmehr darum, daß die Zueignung nach außen erkennbar, d.h. manifest wird. Maßgeblich ist danach, ob ein bestimmtes nach außen erkennbares Verhalten des Täters - bei Berücksichtigung des Täterplanes - zum Ausdruck bringt, daß der Täter sich die Eigenbesitzerstellung über eine fremde Sache anmaßt. Die Zueignungsabsicht kann sich z.B. manifestieren im Verbrauch, in der Veräußerung, im Verschenken, in der Verarbeitung, in der Vermischung von Sachen oder im Ableugnen des Besitzes. - Das bloße Unterlassen der Herausgabe einer Sache oder der Benachrichtigung des Berechtigten über den Verbleib seiner Sache reichen als Manifestation nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzukommen, die darauf schließen lassen, daß die Nichtherausgabe bzw. die Nichtanzeige gerade Ausdruck der Zueignung ist. Dazu BGH NJW 1987 S. 2242 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 246/5; OLG Koblenz StV 1984 S. 287 mit Anm. GEILEN JK, StGB § 246/3; CHARAMLABAKIS Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda, 1985, S. 151 ff; RUß LK, § 246 Rdn. 20.

c) Zur Einübung aa) A hat von B ein Gemälde geliehen. 1. Alternative: Am 1.4. beschließt er, es zu behalten und es dem B nicht zurückzugeben. - Am 3.4. überlegt er es sich jedoch anders und ist entschlossen, sich als ordentlicher Entleiher zu gerieren. Ergebnis: Keine Zueignung: Die Absicht des A, sich selbst die umfassende Sachherrschaft anzumaßen, ist noch nicht äußerlich manifest geworden. 2. Alternative: Am 5.4. bietet er das Gemälde zum Kauf dem C an. - In Wirklichkeit will er jedoch nur vor C angeben. Er ist entschlossen, den Kauf scheitern zu lassen, falls C Interesse zeigt. Ergebnis: Keine Zueignung. - Zwar könnte das Verhalten des A rein objektiv gesehen als Zueignung gewertet werden, da A in Wirklichkeit den B aber gar nicht aus seiner Sachherrscnaftsposition entsetzen will, fehlt es bei A an der Zueignungsabsicht. - Dazu auch: OLG Schleswig SchlHA 1970 S. 195. 3. Alternative: Am 8.4. bringt A das Gemälde dem Pfandleiher P. - Er will es vor dem Verfalldatum am 20.4., nach Erhalt seines Gehaltes am 15.4., wieder zurückholen. Ergebnis: Keine Zueignung. Zwar ist die Verpfändung ein rechtswidriges Verhalten gegenüber B, doch verliert B durch dieses Verhalten noch nicht seine umfassende Sachherrschaftsposition. Noch will A dem B gegenüber nur eine Fremdbesitzerposition innehaben. Dazu auch: BGHSt 12 S. 299. Anm.: Hätte A das Gemälde sicherungshalber übereignet, so hätte er es sich zugeeignet. Sicherungseigentum ist vollgültiges Eigentum. Die umfassende Sachherrschaft übt der Sicherungseigentümer aus, auch wenn ihm schuldrechtfich gewisse Schranken auferlegt sind. 4. Alternative: Am 18.4. überlegt A es sich jedoch anders. Er will das Pfand nunmehr verfallen lassen und unternimmt nichts, um das Pfand einzulösen. Ergebnis: Jetzt liegt eine Zueignung vor. • Indem A die letzte Möglichkeit zur Einlösung des Pfandes verstreichen ließ, verfügte er eigenmächtig über das Pfand. Der Eigentümer verlor seine Sachherrschaftsposition, da A sich diese anmaßte, als er den Besitz verlorengehen ließ. Die Manifestation der Zueignung kann - wie im vorliegenden Fall - auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen liegen, wenn der Täter pflichtwidrig nichts unternimmt, um dem Berechtigten seine Sachherrschaftsstellung zu erhalten, und damit über das Pfand zu eigenen Gunsten (A spart den Einlösungsbetrag) verfügt. Dazu auch: OLG Oldenburg NJW 1952 S. 1267; M. J. SCHMID MDR 1981 S. 806 ff; SCHÜRMANN MDR 1982 S. 374 f.

§ 42 Unterschlagung

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bb) BGHSt 24 S. 115: Der Postbeamte A hatte einen Fehlbetrag in der Kasse. Da er fürchtete, dieser könnte entdeckt werden, legte er Geldbeträge, die mittels Zahlkarte eingezahlt wurden, zwar in die Kasse, vermerkte sie jedoch nicht in der von ihm zu führenden Einzahlungsliste, um sich so die Möglichkeit zu verschaffen, aus eigenen Mitteln den Fehlbetrag nach und nach zu erstatten. Ergebnis: Mit dem Hinweis, der Täter habe sich die Rechtsstellung des Eigentümers angemaßt, bejaht der BGH die Zueignung. - Dem kann nicht gefolgt werden: Die Entscheidung zeigt lediglich, wie letztlich jedes Verhalten als Zueignung interpretiert werden kann, wenn davon abgesehen wird, die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffs sorgfaltig zu prüfen, und statt dessen mit Leerformeln, wie z.B. der "Benutzung der Sache wie ein Eigentümer", die Problematik verdeckt wird. - Selbst hatte A nämlich in keinem Moment umfassende Sachherrschaft über das Geld begründet. Er hatte stets nur die Stellung eines Fremdbesitzers. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß er nicht ordnungsgemäß mit dem Gelde umging. - Der Fall ist insofern den Fällen der Wegnahme von Dienstgegenständen ähnlich; dazu oben § 40 II 2 d, dd. D a z u auch: DEUBNER N J W 1971 S. 1469; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 115 f; SCHÖNEBORN M D R 1971S. 811 f.

Für eine idealiter mit einer Untreue konkurrierende Unterschlagung: WESSELS B.T.-2, § 5 III 3. Nur Untreue will KREY B.T.2, Rdn.177 annehmen.

3. Der maßgebliche Zeitpunkt der Zueignung Der Tatbestand des § 246 bezeichnet denjenigen als Täter, der sich eine fremde bewegliche Sache rechtswidrig zueignet, die er in Besitz oder Gewahrsam hat. a) Str. ist allerdings, ob es sich hier um eine positive Festlegung des Zeitpunktes der Zueignung durch den Gesetzgeber handelt (Tatbestandsmerkmal) oder um einen gesetzestechnisch mißglückten Hinweis zur Abgrenzung der Unterschlagung vom Diebstahl. - Die Gesetzesmaterialien geben zur Entscheidung dieses Streits nichts her, da sie arg widersprüchlich sind. aa) Die streng am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung fordert, daß Gewahrsam oder Besitz bereits vor der Zueignung begründet waren. S o z.B.: BOCKELMANN M D R 1953 S. 3 ff; CHARALAMBAKIS S. 84 ff; GEPPERT J u r a 1984 S. 616; OTTO Struktur, S. 254 ff; SCHÜNEMANN JuS 1968 S. 114 ff; SEELMANN J u S 1985 S. 699 ff; TENCKHOFF J u S 1984 S. 777; WEBER in: A r z t / W e b e r , L H 3, R d n . 258.

bb) Nach der sog. "kleinen berichtigenden Auslegung" des Tatbestandes können Gewahrsamserlangung und Zueignung zusammenfallen. Vgl. B G H N J W 1988 S. 980 f; B G H S t 35 S. 161; DREHER/TRÖNDLB § 246 R d n . 10; KREY B.T.2, R d n . 165; LACKNER StGB, § 246 A n m . 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 34 R d n . 3; SCH/SCH/ESER § 246 R d n . 1.

cc) Die sog. "große berichtigende Auslegung" sieht vom Erfordernis des Gewahrsams ganz ab. Danach soll die Erwähnung des Gewahrsams im Gesetzeswortlaut nur klarstellen, daß die Zueignung einer fremden Sache ohne Gewahrsamsbruch Unterschlagung ist. D a z u SCHMIDHÄUSER B.T., 8 / 4 0 , 4 2 ; WELZEL Lb., § 4 7 1 b.

b) Die berichtigenden Auslegungen des Tatbestandes stehen nur schwerlich mit Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang. Sie scheinen aber gegenüber der strengen Auslegung den Vorteil zu haben, Strafbarkeitslücken, die kaum gerechtfertigt sind - z.B. bei der sog. Fundunterschlagung und der Leichenfledderei -, zu vermeiden. Eine sachgerechte Anwendung der strengen Auslegung bietet jedoch die gleichen Vorteile, so daß kriminalpolitische Erwägungen keineswegs die berichtigenden Auslegungen dringend erforderlich machen. Zu beachten ist allerdings:

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Die Vermögensentziehungsdelikte

aa) Besitz und Gewahrsam sind nicht identisch. Besitz umfaßt vielmehr den unmittelbaren und den mittelbaren Besitz. - Der Hinweis, der Gesetzgeber habe Besitz und Gewahrsam als Synonyme verwendet, beruht auf Mutmaßungen über den historischen Stand der Besitzlehre zur Zeit der Vorarbeiten zum StGB. Selbst wenn diese zuträfen, wäre diese enge Bindung an den Willen des historischen Gesetzgebers angesichts des entgegenstehenden Wortlauts des Gesetzes nicht gerechtfertigt. S o auch: CHARALAMBAKIS, S. 110 ff; MAURACH/SCHROEOER/MAIWALD B.T.l, § 34 R d n . 5; OTTO Struktur, S. 256; RANFT J A 1984 S. 286; SEIER J A 1979 S. 488 f; TIMMERMANN M D R 1977 S. 534. - Be-

sitz und Gewahrsam identifizieren: OLG Schleswig NJW 1979 S. 882; KREY B.T.2, Rdn. 161; OSTEN-

DORF N J W 1 9 7 9 S. 883 f; RUß LK, § 246 R d n . 10; SCH/SCH/ESER § 246 R d n . 9.

bb) Der relevante Zeitpunkt der Zueignung wird auch bei der sog. Fundunterschlagung in der Regel nicht mit der Gewahrsamsbegründung zusammenfallen. Der Täter wird die gefundene Sache zunächst in Augenschein nehmen. Selbst wenn er schon jetzt beschließt, sie selbst zu behalten, erscheint es nicht unangemessen, ihm einen gewissen Überlegungsspielraum zu gewähren, so daß die relevante Zueignung erst in solchen Handlungen zu sehen wäre, mit denen der Täter - nach Gewahrsamsbegründung - zum Ausdruck bringt, daß er sich die Position des umfassenden Sachherren anmaßen will. - Wird dies beachtet, so dürfte auch die strenge Auslegung des Unterschlagungstatbestandes kaum zu gravierenden Strafbarkeitslücken führen. Der Theorienstreit wird damit auf sein relevantes, recht dürftiges Maß zurückgeführt. Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 254 ff.

c) Zur Einübung aa) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch verkaufen wolle. A erklärt sich einverstanden; er verkauft und übereignet das Buch an C. Ergebnis: Mit der Einverständniserklärung, mit der A umfassende Verfügungsmacht bekundete und auch bekunden wollte, hat A sich das Buch - nach allen Theorien - zugeeignet. bb) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch leihen könnte. A tut dieses. Nach 8 Tagen kommt C zu A und bittet A, ihm das herrliche Buch zu verkaufen. A tut dieses. Ergebnis: Wird Besitz als Synonym für Gewahrsam verstanden, dann könnte allein mit der großen berichtigenden Auslegung eine Zueignung des Buches durch A begründet werden. - Wird hingegen - wie es hier geschehen ist - Besitz i.S. des § 246 auch als mittelbarer Besitz interpretiert, so liegt in der Annahme des Kaufangebots durch A schon nach der strengen Auslegung des § 246 eine Zueignung. cc) BGH LM Nr. 3 zu § 246: Der Dieb D hatte Drahtrollen gestohlen und später auf einem öffentlich zugänglichen Gelände liegengelassen. A sah diese Rollen, durchschaute das Geschehen und nahm die Drahtrollen in Besitz, um sie zu eigenen Zwecken zu verwenden. BGH: A eignete sich die Drahtrollen zu, als er sie in Besitz nahm, um sie eigennützig zu verwenden. - Damit bekannte sich der BGH zur "kleinen berichtigenden Auslegung". Nach den hier gesetzten Prämissen läge die Zueignung in dem der Gewahrsamsbegründung folgenden ersten Akt, in dem die Absicht des A, die Drahtrollen eigennützig zu verwenden, Ausdrude gefunden hätte. dd) A trifft den B. Dieser entschuldigt sich bei ihm, weil er ein - wie er genau wüßte - dem A gehörendes Buch an C veräußert habe. Er bietet dem A die Bezahlung des Buches an. A nimmt großzügig dieses Angebot und das Geld an, schon deshalb, weil er dem B niemals ein Buch geliehen hatte. Ergebnis: Da A zu keinem Zeitpunkt reale Sachherrschaft über das Buch ausübte, läßt sich in diesem Falle - unabhängig von den verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten des § 246 - nach der Sachsubstanztheorie keine Zueignung begründen. - Die Anhänger der Sachwerttheorie könnten zwar mit Hilfe der großen berichtenden Auslegung eine Zueignung des Buches durch A konstruieren, doch erscheint es fraglich, ob sie dieses grob unangemessene Ergebnis überhaupt wollen.

§ 42 Unterschlagung

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ee) RGSt 73 S. 253: A war Verwalter eines Zementlagers einer Behörde. Eines Tages bot A dem H 100 Sack Zement zum Kauf an. Zu einem derartigen Verkauf war A nicht berechtigt. RGSt 73 S. 254: "Die Unterschlagung kann sogar schon damit vollendet sein, daß der Täter die Sache einem anderen ernstlich zum Kauf anbietet. Das muß gelten, ob es sich um eine bestimmte einzelne Sache handelt oder um einen Teil einer aus vertretbaren Sachen bestehenden Sachgesamtheit, die der Menge nach bestimmt, aber von dem Reste noch nicht abgesondert ist. Denn auch in dem Angebot eines solchen Teiles einer Sachgesamtheit kommt der Wille des Anbietenden zum Ausdruck, über die Sache - und zwar über die Sachgesamtheit - wie ein Eigentümer zu verfügen." Dem kann nicht gefolgt werden: In bezug auf die Sachgesamtheit des gesamten Zementvorrats hat A niemals umfassende Sachherrschaft aufgeübt, die 100 Sack, über die er eine derartige Herrschaft anstrebte, waren jedoch noch nicht konkretisiert. - Zueignung daher erst mit dem Aussondern der Säcke. ff) BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 22: Dem A waren versehentlich auf seinem Girokonto DM 900,- gutgeschrieben worden. A hob den Betrag ab und verbrauchte ihn für sich. BGH: Da das Geld mit der Auszahlung in das Eigentum des A überging, eignete sich A keine fremde Sache zu. Diese Begründung ist mit der sog. kleinen berichtigenden Auslegung des § 246 nicht in Einklang zu bringen, denn danach genügt es, daß Gewahrsamserlangung und Zueignung zusammenfallen. Wenn das Ergebnis dennoch allgemein Anerkennung gefunden hat, so zeigt dies, wie wenig sich die berichtigende Auslegung im konkreten Fall durchzusetzen vermag. - Nach der strengen Auslegung des § 246 ist das Ergebnis selbstverständlich. Vgl. auch: OLG Düsseldorf NJW 1969 S. 623 f. - Im einzelnen dazu OTTO Bankentätigkeit, S. 147 f. gg) BGHSt 35 S. 152: A verschaffte sich mit der rechtswidrig erlangten codierten eurocheque-Karte des B und dessen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten. BGH: "Wer mit einer dem Berechtigten weggenommenen codierten Scheckkarte unbefugt unter Eingabe der zugehörigen Geheimzahl einen Geldautomaten betätigt, eignet sich das vom Automaten herausgegebene, im Eigentum der Bank verbliebene Geld mit der Besitzerlangung rechtswidrig zu und hat sich daher vor dem Inkrafttreten des § 263 a StGB am 1.8.1986 wegen Unterschlagung des abgehobenen Geldes nach § 246 StGB strafbar gemacht." So auch: DREHER/TRÖNDLE § 242 Rdn. 19 a; EHRLICHER Der Bankautomatenmißbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bekämpfung, 1989, S. 67 ff; LACKNER StGB, § 242 Anm. 5 a, bb; RANFT wistra 1987 S. 82; DERS. JR 1989 S. 165 f; RUß LK, § 246 Rdn. 9; WEBER in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 266. Dem kann nicht gefolgt werden. In der Herausgabe des Geldes durch den Geldautomaten, der technisch - ordnungsgemäß in Betrieb gesetzt wurde, liegt eine Vermögensverfügung des Berechtigten über das Geld. Diese Verfügung schließt aber eine Besitzentziehung, wie sie die Zueignung voraussetzt, begrifflich aus. Es fehlt an der Enteignung des Berechtigten durch den Täter. Entweder hat sich nämlich der Täter den Gewahrsam an der Sache durch Enteignung des Berechtigten verschafft, oder der Gewahrsam ist ihm durch den Berechtigten übertragen worden. Jede der beiden Möglichkeiten schließt die jeweils andere aus. Vgl. auch: HUFF N J W 1988 S. 981; OTTO Jura 1989 S. 204; SCHMITT-EHRLICHER J Z 1988 S. 364 f;

SPAHN Jura 1989 S. 517 ff; THAETER wistra 1988 S. 342.

4. Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft bei der Unterschlagung a) Für die Bestimmung der Mittäterschaft bei der Unterschlagung gelten die allgemeinen Regeln. BGHSt 2 S. 317: A hatte als Lastkraftwagenfahrer der Fa. X Papierrollen an die Fa. Y auszuliefern. Er gab jedoch nicht alle Rollen ab, sondern behielt zwei zurück, die er auf eigene Rechnung verkaufte. B und C, Angestellte bei Y, ermöglichten dieses, indem sie fälschlich für ihre Fa. den Empfang sämtlicher Rollen quittierten. BGH: B und C können nicht Mittäter der Unterschlagung des A sein, da sie im Tatzeitpunkt die Papierrollen nicht im Besitz oder Gewahrsam hatten.

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D i e Vermögensentziehungsdelikte

Mit der Forderung, alle Mittäter einer Unterschlagung müßten Besitz oder Gewahrsam am Tatobjekt im Tatzeitpunkt haben, wird keineswegs die Konsequenz aus der kleinen berichtigenden Auslegung des Gesetzestatbestandes gezogen, denn unstreitig müssen bei einem Erfolgsdelikt nicht alle Mittäter die Tathandlung oder Tathandlungen eigenhändig begehen. Das Wesen der Mittäterschaft, eine Personenmehrheit als Einheit zu erfassen, macht es möglich, einzelnen Mittätern die Handlungen anderer Mittäter als eigene zuzurechnen. Das gilt auch für die Unterschlagung. Diese ist kein eigenhändiges Delikt, vielmehr entscheiden sich Täterschafts- und Teilnehmerfragen nach den allgemeinen Regeln. - In der Regel wird allerdings dem Zueignungsakt als solchem die zentrale Bedeutung innerhalb der Deliktsverwirklichung zukommen, so daß erst die unmittelbare Mitwirkung an diesem Akt eine Täterposition begründet. Das folgt dann aber gerade aus den Prämissen der Täterlehre, nicht aber aus besonderen Tätererfordernissen" der Unterschlagung. - Dazu auch: RoxiN Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Aufl. 1990, S. 387; OTTO Struktur, S. 261 ff.

b) Auch bei der mittelbaren Täterschaft ergeben sich keine besonderen Problemstellungen: D i e Täterschaft ist nach den Grundsätzen der Täterlehre zu bestimmen. Fall: Der Bauer A sieht auf der Heimfahrt von der Kartoffelernte neben der Straße zwei Säcke mit Kartoffeln liegen, die Bauer X verloren hat. Zu Hause angekommen, schickt A seinen Knecht los, die beiden Säcke zu holen, "die ihm vom Wagen gefallen sind". K holt gutgläubig die Kartoffeln und stellt sie zu den übrigen Kartoffeln in die Scheune des A. Ergebnis: Täter der Unterschlagung: A. Tatherrschaft des A gründet sich auf Irrtum des K. 5. Unterschlagung bei Ersatzleistung oder bei Bereitschaft zum Ersatz a) Eignet sich der Täter eine fremde Sache zu, ersetzt diese jedoch derart, daß ein anerkennenswertes wirtschaftliches Interesse des Berechtigten nicht verletzt ist, so fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung der fremden Sache, da der Täter den Vermögensstand des Berechtigten nicht zu dessen Nachteil vermindert; vgl. dazu oben § 40 II 4 a. Zwar nennen die Zueignungsdelikte einen Vermögensschaden als Tatbestandsvoraussetzung nicht. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, daß auf einen derartigen Schaden verzichtet werden kann. Auch die sog. Eigentumsdelikte sind Vermögensdelikte! Der Gesetzgeber ging jedoch davon aus, daß der Vermögensschaden selbstverständlich sei, weil er in der Entziehung der umfassenden Sachherrschaft über die Sache liege. - Gemeinhin trifft dies auch zu, nicht aber ausnahmslos. Vgl. auch: EBEL J Z 1983 S. 175 ff; OTTO Struktur, S. 263 ff; ROXIN H . Mayer-Festschrift, S. 469 ff; TIEDEMANN JuS 1970 S. 108 ff.

b) Zur Einübung aa) Der Polizeibeamte A, dem durch Dienstanweisung jede eigennützige Verwendung von Geldern aus gebührenpflichtigen Verwarnungen untersagt, sogar das bloße Wechseln von Geld verboten ist, wechselt einen eigenen Fünfzigmarkschein gegen 10 Fünfmarkstücke, die aus gebührenpflichtigen Verwarnungen herrühren, weil er sich eine Erfrischung kaufen will, der Verkäufer aber einen Fünfzigmarkschein nicht wechseln kann. Ergebnis: Eine Einwilligung des Berechtigten und auch eine mutmaßliche Einwilligung scheiden hier aus; dazu RGSt 5 S. 305 f. - Dennoch liegt eine Unterschlagung nicht vor, da A die Vermögenslage des Berechtigten nicht rechtswidrig verschlechtert hat. Es fehlt die rechtswidrige Vermögensschädigung: das Geld fungiert hier nur als Wertmesser, ein wirtschaftliches Interesse an individuellen Geldsummen besteht nicht. bb) OLG Köln NJW 1968 S. 2348: wie unter aa), aber A entnahm den Verwarnungsgeldern DM 5,-, weil er kein Geld bei sich hatte. Das Geld wollte er am nächsten Morgen bei Dienstantritt aus eigenem Geld ersetzen, obwohl er verpflichtet war, die täglichen Einnahmen bei Dienstschluß auf der Dienststelle abzugeben.

§ 42 Unterschlagung

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Das OLG hat in diesem Falle eine Untreue bejaht. Das mag hier dahinstehen. - Jedenfalls liegt in diesem Falle eine rechtswidrige Zueignung im Verbrauchen des Geldes. A benutzt die Verwarnungsgelder unerlaubt für einen Kredit. - Mag der Zeitraum auch überschaubar sein, so ist es doch nicht zu übersehen, daß hier auch vermögensrechtliche Interessen des Berechtigten verletzt sind. Die äußerste Grenze wäre hier der Ersatz innerhalb der vom Berechtigten gesetzten Frist bis zur Abgabe der Gelder, wenn die Ersatzbereitschaft außer Frage stand; z.B. wenn A den fehlenden Betrag in der Dienststelle hätte ersetzen können, weil er in seiner Kleidung noch Geld gehabt hätte.

6. Zueignung nach einer Zueignung Hat der Täter durch ein Vermögensdelikt umfassende Sachherrschaft an einer fremden Sache erlangt, so ist eine weitere Zueignung derselben Sache ausgeschlossen. Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluß des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat. OLG Düsseldorf J Z 1985 S. 592: A hatte sich den Pkw der Fa. F rechtswidrig zugeeignet, indem er den Besitz gegenüber F abstritt und den Pkw an einen der Fa. F nicht zugänglichen Ort verbrachte. Wiederholten Herausgabeverlangen der Fa. F kam A nicht nach und verhinderte außerdem, daß es der Fa. F gelang, den Wagen ausfindig zu machen. OLG Düsseldorf: "Die Zueignung im Sinne des § 246 StGB besteht darin, daß der Täter die Sache dem eigenen Vermögen einverleibt, wobei diese Zueignung kein rein innerer Vorgang ist, sondern vielmehr erfordert, daß der Täter seinen Willen, die Sache zu behalten, durch eine nach außen erkennbare Handlung bestätigt. Mit der nach außen sichtbar vollzogenen Zueignungshandlung ist die Unterschlagung vollendet. Nachträgliche Äußerungen des Herrschaftswillens nach der Zueignung, wie etwa Verschweigen der unterschlagenen Sache oder deren Veräußerung stellen lediglich die Ausnutzung der zuvor durch Zueignung herbeigeführten eigentümerähnlichen Herrschaft dar." Dem ist zuzustimmen, denn wird Zueignung nicht als ein begrifflich konturenloser Vorgang interpretiert, sondern scharf umrissen als Enteignung des Berechtigten und Aneignung der umfassenden SachherTschaftsposition durch den Täter in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen, so ist die Zueignung einer fremden Sache, die der Täter durch rechtswidrige Zueignung erlangt hat, ausgeschlossen. Der Täter kann nunmehr nach außen kundmachen, daß er den durch die Zueignung begründeten Zustand aufrechterhalten und nutzen will. Eine Entsetzung des Eigentümers und die Uberführung der Eigentumsherrschaft auf den Täter können derartige Handlungen begriffsnotwendig jedoch nicht mehr darstellen. - Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluß des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat. So auch: BGHSt 14 S. 38 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN JuS 1968 S. 114 ff; BGHSt 16 S. 282; KREY B.T.2, R d n . 174; LACKNER S t G B , § 246 A n m . 4 a, b b ; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S. 2 6 1 ff; OTTO S t r u k t u r , S. 106 ff. - A A BAUMANN N J W 1961 S. 1141 ff; BOCKELMANN J Z 1960 S. 624; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 34 R d n . 2 2 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 8 / 4 4 ; S C H / S C H / E S E R § 246 R d n . 19; SEELMANN J U S 1985 S. 702; TENCKHOFF J u S 1984 S. 778 f.

II. Veruntreuung, § 246 Abs. 1,2. Alt. Die Unterschlagung einer anvertrauten Sache stellt einen qualifizierten Fall der Unterschlagung dar, § 246 Abs. 1,2. Alt. 1. Die anvertraute Sache Anvertraut ist die Sache, wenn dem Täter der Gewahrsam mit der Maßgabe übertragen wurde, daß er mit der Sache in bestimmter Weise zugunsten des Berechtigten verfahre (z.B. Leihe, Miete, Verwahrung, Kauf unter Eigentumsvorbehalt). a) Das Vertrauensverhältnis selbst braucht rechtlich nicht besonders schutzwürdig zu sein, doch wird ein Vertrauensverhältnis zum Teil abgelehnt, wenn das Vertrau-

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Die Vermögensentziehungsdelikte

ensverhältnis auf sittenswidriger Grundlage beruht. - Dem ist nicht zu folgen, denn das Vertrauensverhältnis muß nicht auf rechtlichen Nonnen beruhen. Vertrauen ist ein sozialer Tatbestand. Die Sittenwidrigkeit des Verhältnisses läßt daher den Vertrauensbruch nicht ohne weiteres entfallen. So auch: B G H N J W 1954 S. 889; BRUNS Mezger-Festschrift, S. 348; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T.L, § 3 4 R d n . 41; R U ß L K , § 246 R d n . 2 6 . - A A SAMSON S K , § 2 4 6 R d n . 49; S C H / S C H / E S E R § 2 4 6 Rdn. 3 0 .

b) Ein Anvertrauen wird darüber hinaus verneint, wenn das Verwahrungsverhältnis dem "wahren Interesse" des Eigentümers widerspricht. RGSt 40 S. 222: A hatte Stoff gestohlen. Diesen gab er dem B in Verwahrung. B benutzte den Stoff zu eigenen Zwecken. Ergebnis: Keine Veruntreuung.

Dies ist, soweit keine besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauensverhältnisses gefordert wird, inkonsequent, denn die Interessen des Eigentümers berühren das persönliche Verhältnis innerhalb des Vertrauensverhältnisses nicht. A A . D R E H E R / T R Ö N D L B § 2 4 6 R d n . 27; RUB L K , § 2 4 6 R d n . 26.

2. Anvertrautsein "Anvertrautsein" ist ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, da durch das Vertrauensverhältnis eine besondere Pflichtenposition begründet wird.

§ 43: Haus- und Familiendiebstahl 1. Rechtsnatur des § 247 Indem der Gesetzgeber die Verfolgbarkeit des Haus- und Familiendiebstahls sowie der unter den gleichen Umständen begangenen Unterschlagung von einem Strafantrag abhängig gemacht hat, brachte er zum Ausdruck, daß er in einem derartigen Diebstahls- oder Unterschlagungsfall nicht geringeres Unrecht oder geringere Schuld verwirklicht sieht, sondern den Erhalt der Familie und der häuslichen Gemeinschaft höher bewertet als das Interesse an der Strafverfolgung, wenn der Verletzte selbst kein Interesse an der Strafverfolgung zeigt. Das Antragserfordernis des § 247 dient daher allein der Erhaltung des Familien- bzw. Hausfriedens. Es gilt in den Fällen der §§ 242, 243, 244, 246, nicht aber in bezug auf §§ 249 ff; zu § 248 c vgl. unten § 45, 3. Der Strafantrag ist Prozeßvoraussetzung. 2. Das Tatopfer a) Für den Angehörigenbegriff gilt die Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 1. b) Zum Vormund vgl. §§ 1773 ff BGB. Der Gegenvormund ist nicht Vormund i.S. des § 247, denn er steht im Gegensatz zum Vormund nicht in einem engen persönlichen Verhältnis zum Mündel, sondern überwacht den Vormund nach § 1799 BGB. A . A . D R E H E R / T R Ö N D L B § 2 4 7 R d n . 3; RUB L K , I 2 4 7 R d n . 5; S C H / S C H / E S E R § 2 4 7 R d n . 5.

c) Zum Betreuer vgl. §§ 1896 ff BGB.

§ 43 Haus- und Familiendiebstahl

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d) Eine häusliche Gemeinschaft setzt den freien und ernstlichen Willen der Mitglieder zum Zusammenleben auf eine gewisse Dauer voraus; BGHSt 29 S. 54. Am freien Willen fehlt es z.B. bei Soldaten in der Kaserne oder bei Inhaftierten in einer Justizvollzugsanstalt. - Der ernstliche Wille fehlt, wenn es dem Täter nur darauf ankommt, das Zusammenleben zu Straftaten gegen die anderen Beteiligten auszunutzen; BGHSt 29 S. 54.

Ist die häusliche Gemeinschaft nach der Tat zerbrochen, so bedarf diese eigentlich nicht mehr des besonderen Schutzes durch den Strafgesetzgeber. Gleichwohl findet § 247 auch dann Anwendung: § 247 stellt auf das Verhältnis zur Tatzeit ab. Dieser zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers ist maßgeblich. Vgl. OLG Hamm NJW 1986 S. 734; OLG Celle JR 1986 S. 385 mit Anm. STREB S. 386 £f; RUß LK, § 247 Rdn. 6.

3. Der Antragsberechtigte Die in § 247 aufgeführten nahen persönlichen Beziehungen müssen zwischen dem Täter und dem Verletzten bestehen. Das ist nach den hier gesetzten Prämissen der umfassende Sachherr; vgl. dazu § 391. Soweit Eigentum und Gewahrsam als geschützte Rechtsgüter des Diebstahlstatbestandes angesehen werden, wird das Antragsrecht - wenn Eigentümer und Gewahrsamsinhaber verschiedene Personen sind - beiden zugestanden. Gehört nur eine dieser Personen zu der in § 247 bezeichneten Gruppe, so soll das Privileg nicht durchgreifen, der Diebstahl vielmehr von Amts wegen verfolgbar sein. Vgl. LACKNER StGB, § 247 A n m . 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 33 R d n . 130. - AA. SCHÖNKB/SCHROEDER/ESER § 247 R d n . 10.

Bei der Unterschlagung wird zum Teil auch über den Eigentümer hinaus das Antragsrecht bloß Nutzungsberechtigten zuerkannt, z.B. dem Käufer einer Sache nach Gefahrübergang. Vgl. BayObLG NJW 1963 S. 1464.

Zur Verdeutlichung: Beispiel 1: X hat dem Y eine Sache geliehen. Dort stiehlt sie A, der Sohn des X. Verletzte nach h.M.: X und Y. § 247 findet keine Anwendung. - Verletzter nach der hier entwickelten Ansicht nur X, § 247 findet Anwendung. Beispiel 2: Wie im Beispiel 1, doch ist A der Sohn des Y. Verletzte nach h.M.: X und Y, s.o. - Nach der hier entwickelten Ansicht: Verletzter X, daher kommt § 247 nicht in Betracht. Hinweis: Eine Ausnahme macht die h.M. nur, wenn der unmittelbare Besitzer im Zeitpunkt der Tat lediglich untergeordneten Gewahrsam hat. Dazu BGHSt 10 S. 400 f.

Diejenigen, die nur das Eigentum als das geschützte Rechtsgut der Zueignungsdelikte ansehen, kommen konsequenterweise zu dem Ergebnis, daß allein der Eigentümer Verletzter sein kann. Beispiel 3: Der Dieb D hat von E vor Jahr und Tag eine Uhr gestohlen. Eines Tages stiehlt A, der Sohn des D, diesem die Uhr. Verletzter nach der hier vertretenen Ansicht: der D; nach Ansicht derer, die das zivilrechtliche Eigentum als Rechtsgut der Zueignungsdelikte betrachten: der E.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

4. Der Irrtum des Täters über das Tatopfer Da das Antragserfordernis nicht Ausfluß eines minder schweren Unrechts des Diebstahls oder einer minderen Schuld des Täters ist, sondern allein dem Erhalt des Haus- und Familienfriedens zu dienen bestimmt ist, kommt es nur zum Zuge, wenn die Tat nicht über die geschützte Sphäre hinausgeht. - Maßgeblich ist daher allein die objektive Lage. a) BGHSt 23 S. 281: A entwendete ein Annband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre seiner Ehefrau. Es gehörte jedoch X. BGH: Kein Strafantrag erforderlich, da Verletzter außerhalb des "abgeschirmten Bereichs". b) A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre einer Bekannten seiner Ehefrau. In Wirklichkeit gehörte es der Ehefrau selbst. Ergebnis: § 247 findet Anwendung.

§ 16 Abs. 2 kann bei einem Irrtum des Täters darüber, daß das Opfer in den Hausoder Familienbereich gehört, keine Anwendung finden, da der Täter über eine Prozeßvoraussetzung irrt, nicht aber einen Umstand annimmt, der den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würde.

§ 44: Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen 1. Kriminalpolitische Zielsetzung des § 248 a Mit § 248 a, der ergänzt wird durch §§ 153 Abs. 1, 153 a StPO, will der Gesetzgeber das Problem der Bagatellkriminalität im Bereich der Vermögensdelikte prozessual lösen: Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein, soweit nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt. Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 248 a nur auf §§ 242, 246. Sachlich ist - aufgrund der Regelung des § 243 Abs. 2 auch § 243 eingeschlossen, soweit sich "die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht"; vgl. dazu oben § 41 II. - Zu § 248 c vgl. unten § 45,3. Dieser Versuch des Gesetzgebers, die Problematik der vermögensstrafrechtlichen Bagatellkriminalität prozessual zu lösen, ist mit Recht in der Lehre kritisch aufgenommen worden; vgl. die eingehenden Angaben bei LACKNER StGB, § 248 a Anm. 1 a, b.

2 Geringwertige Sachen Geringwertige Sachen sind Sachen von unbedeutendem Wert; dazu vgl. oben § 41 II 1. 3. Besondere Probleme des § 248 a a) Handeln in Mittäterschaft Da das Antragserfordernis die Strafverfolgung ausschließlich von der Interessenlage des Verletzten abhängig macht, dem im Falle eines geringen Schadens die Entscheidung über die Strafverfolgung anheim gegeben ist, kommt die Anwendung des § 248 a nicht in Betracht, wenn die Gesamtbeute nicht mehr geringwertig ist. Durch den - wenn auch in Mittäterschaft begangenen - Diebstahl hat der Verletzte keinen geringen, sondern einen erheblichen Schaden erlitten. Beispiel: 4 Mann stehlen in Mittäterschaft in einem Zigarettenladen Zigaretten im Werte von D M 100,-.

Ergebnis: § 248 a findet keine Anwendung.

§ 45 Entziehung elektrischer Energie

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b) Fortgesetzte Tat Zum Problem der Zusammenrechnung bei der fortgesetzten Tat vgl. oben § 41 II 2. Die Ausführungen gelten hier entsprechend. c) Irrtum des Täters über den Wert Das Antragserfordernis berücksichtigt allein Interessen des Verletzten, ist aber nicht Ausdruck geringeren Unrechts oder geringerer Schuld des Täters. Daher ist der Irrtum des Täters über den Gegenstandswert bedeutungslos; § 16 Abs. 2 findet keine Anwendung. aa) A nimmt wertvolle Sachen weg, die er für geringwertig hält: $ 242. bb) A nimmt geringwertige Sachen weg, die er für wertvoll hält: § 248 a.

d) Versuchsproblematik Nach dem Gesetzeswortlaut findet § 248 a Anwendung, wenn der Täter eine geringwertige Sache stiehlt oder unterschlägt. Beispiel 1: A will eine wertvolle Sache stehlen, findet aber nur eine geringwertige. Diese nimmt er mit. Ergebnis: Diebstahl vollendet, doch findet § 248 a Anwendung. Beispiel 2: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber eine wertvolle Sache. Diese nimmt er mit. Ergebnis: Diebstahl vollendet, § 248 a findet keine Anwendung.

Übertragen auf die Versuchssituation führt diese Regelung jedoch zu Wertungswidersprüchen. Beispiel 1: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber überhaupt nichts vor. Ergebnis: § 248 a findet auf den Versuch Anwendung. Beispiel 2: A will wertvolle Sache stehlen, findet aber nur geringwertige. Da A an geringwertigen Sachen kein Interesse hat, nimmt er gar nichts mit. Ergebnis: Versuch eines Diebstahls, § 248 a findet keine Anwendung.

Im Verhältnis zur Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts sind die hier begründeten Widersprüche nicht auflösbar. Auch wenn § 248 a - entsprechend der Regelung des § 243 Abs. 2 - nur auf den Versuch angewendet wird, wenn sich die Tat auf geringwertige Sachen bezieht, wird der Widerspruch nur verlagert, keineswegs aber beseitigt. Zur Kritik vgl. auch: SEELMANN JuS 1985 S. 703.

§ 45: Entziehung elektrischer Energie 1. Entziehung elektrischer Energie in Zueignungsabsicht, § 248 c Abs. 1 a) Tatobjekt: fremde elektrische Energie. - Fremd ist die Energie für jeden, der kein Recht zur Entnahme der Energie hat. - Entzogen ist die Energie, wenn sie unbefugt entnommen wird. - Die Entziehung muß mittels eines Leiters erfolgen, d.h. mit Hilfe einer Einrichtung, die vermöge ihrer physikalischen Eigenschaften den Strom weiterleitet, sei es auch nur im Wege der Induktion. So z.B. auch RGSt 39 S. 436. - A.A. Als Leiter kommen nur elektrisch leitfähige Gegenstände in Betracht; vgl. z.B. RANFT J A 1984 S. 3.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Der Leiter muß ordnungswidrig sein, nicht nur die Entnahme der Energie. - Die rechtswidrige, weil z.B. vertragswidrige Entnahme von Strom auf ordnungsgemäßem Weg macht den Leiter noch nicht zu einem ordnungswidrigen. Ordnungswidrig daher: Überbrückung eines Zählers (OLG Celle MDR 1969 S. 597); Anbringen eines nicht zur Anlage gehörenden Kabels (BGH GA1958 S. 369); Anzapfen einer Hochspannungsleitung u.ä. Nicht ordnungswidrig hingegen: Untermieter hat vertragswidrig nach 10 Uhr abends noch Licht an. Benutzung eines elektrischen Heizofens, eines Bügeleisens, einer Kochplatte usw. gegen den Willen des Berechtigten. - Z.T. wird in der Lehre bei unbefugter Benutzung bestimmter Geräte danach unterschieden, ob der Berechtigte diese Geräte aufgestellt bat oder ein Nichtberechtigter. Diese Differenzierung führt zu zufalligen Unterscheidungen in der Strafbarkeit. So auch: DREHER/TRÖNDLE $ 248 c Rdn. 4; SAMSON SK, § 248 c Rdn. 8. - A A . MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 33 Rdn. 139; SCH/SCH/ESER § 248 c Rdn. 11.

c) Zueignungsabsicht ist hier die Absicht, über die Energie selbständig zum eigenen Nutzen zu verfügen. 2. Entziehung elektrischer Energie in bloßer Schädigungsabsicht, § 248 c Abs. 3 a) Das Delikt entspricht der Sachbeschädigung. Dem Täter geht es nicht darum, sich einen Vorteil zu verschaffen, sondern den Berechtigten zu schädigen. - Absicht bedeutet zielgerichtetes Wollen. b) Auch hier ist allein strafbar die entsprechende Schädigung mit Hilfe eines ordnungswidrigen Leiters. 3. Analoge Anwendung der §§ 247, 248 a Da § 248 c lediglich eine Lücke innerhalb der durch §§ 242, 246 geschützten Objekte schließen soll, ist eine analoge Anwendung der §§ 247, 248 a in den entsprechenden Fällen angezeigt.

§ 46: Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Raubdelikte ist primär das Vermögen, und zwar die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. Daneben wird die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung geschützt. 2. Die Systematik des Gesetzes a) Grundtatbestand der Raubdelikte ist § 249. Zur Interpretation des § 255 als Grundtatbestand der Raubdelikte durch den BGH vgl. § 53 II 1 b.

b) Qualifizierungen: §§ 250,251. c) Raubähnliches Sonderdelikt: § 252. d) Ein zum eigenständigen Sonderdelikt ausgestalteter qualifizierter Fall des Raubes und der räuberischen Erpressung: § 316 a; dazu unter VI.

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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e) Der Raub ist als eigenständiges Sonderdelikt (lex specialis) gegenüber den in ihm enthaltenen Tatbeständen der Nötigung und des Diebstahls anzusehen. §§ 247, 248 a finden daher im Bereich der Raubtatbestände keine Anwendung.

II. Raub, § 249 1. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Die Gewalt gegen eine Person oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben müssen zur Begehung eines Diebstahls eingesetzt sein, d.h. sie müssen Mittel der Wegnahme sein. aa) Gewalt ist der nicht notwendig erhebliche Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der von der Person, gegen die sie sich richtet, als nicht nur seelischer, sondern körperlicher Zwang empfunden wird. Die Anwendung psychischen Zwanges ist hier auf die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begrenzt. Daher sind die Fälle unmittelbar wirksamen psychischen Zwanges, den das Opfer körperlich empfindet - vgl. dazu oben § 271 2 e - aus dem Gewaltbegriff herausgenommen. bb) Da die Gewalt hier aber Mittel des Gewahrsamsbruch ist, muß sie als körperlicher Zwang bei der Überwindung der Sachherrschaft des Opfers empfunden werden. List und Geschicklichkeit, mit denen der Täter die Sachherrschaft des Opfers bricht, bevor das Opfer einen körperlichen Zwang empfindet, sind nicht Gewalt i.S. des Raubes. Zur Verdeutlichung BGHSt 18 S. 329: A schlug der B, die eine Tasche in der Hand trug, auf die Hand. B ließ daraufhin die Tasche fallen und A nahm die Tasche an sich. BGH: Raub, denn die Gewaltanwendung diente der Wegnahme. BGH StV 1990 S. 262: A versuchte der B, die eine Geldbombe "unter der linken Achsel eingeklemmt hatte", diese mit einem Ruck zu entreißen. B bemerkte allerdings das Vorhaben des A und verstärkte den Druck, so daß der Plan fehlschlug. BGH: Keine Wegnahme mit Gewalt, wenn nicht die eingesetzte Kraft, sondern List und Schnelligkeit das Bild der Tat prägen. - Damit wird im Gegensatz zu BGHSt 18 S. 329 eine so erhebliche Gewaltanwendung gefordert, daß sie geeignet ist, erwarteten Widerstand zu brechen, nicht nur ihn zu vermeiden oder ihm zuvorzukommen.

cc) Das Nötigungsmittel muß der Täter final zur Ermöglichung der Wegnahme einsetzen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme ist hingegen nicht erforderlich. Ob das Opfer die Wegnahme auch ohne Widerstand geduldet hätte, d.h. ob die Gewaltanwendung überhaupt nötig war, um die Wegnahme zu ermöglichen, ist unwesentlich. Maßgebend ist allein, daß die Nötigung zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes gegen die Wegnahme vom Täter für erforderlich gehalten wurde. Auch wenn sich die Nötigung gegen eine Person richtet, die nicht zum Widerstand gegen die Wegnahme bereit ist, so ist dies irrelevant, wenn der Täter Widerstand erwartet. Dazu auch: BGHSt 4 S. 210; 18 S. 331; DREHER/TRÖNDLE § 249 Rdn. 3; ESER NJW 1965 S. 378; GEILEN J u r a 1979 S . 166; H E R D E G E N L K , § 2 4 9 R d n . 3; LACKNER S t G B , § 2 4 9 A n m . 2 a; SCHÜNEMANN JA 1980 S. 352.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Nutzt der Täter die von einem Dritten angewandte Gewalt ohne dessen Kenntnis zur Wegnahme aus, so fehlt es an dem finalen Konnex. Dazu BGH StV 1990 S. 159.

b) Gewalt und Drohung können bis zur Vollendung der Wegnahme eingesetzt werden. - Werden diese Mittel hingegen erst nach Vollendung der Wegnahme zur Sicherung der Beute eingesetzt, so kann § 2S2 vorliegen; dazu unter V 1 b. c) Schwierige Abgrenzungsprobleme in Hinsicht auf die finale Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme ergeben sich bei einem Motivwechsel des Täters. Eine saubere Trennung der verschiedenen Fallgruppen gelingt hier nur, wenn streng zwischen der fortdauernden Nötigungswirkung und der Fortdauer des Einsatzes des Nötigungsmittels unterschieden wird: aa) Entschließt sich der Täter während des Einsatzes des Nötigungsmittels zur Wegnahme, so liegt eindeutig ein Raub vor. BGHSt 20 S. 32: A wandte gegen M Gewalt an, um sie an sich zu ziehen und zu küssen. M wehrte sich. Als A merkte, daß M eine Armbanduhr trug, streifte er die Uhr während des Handgemenges vom Arm und steckte sie ein. BGH: Raub.

bb) Wesentlich problematischer ist die Abgrenzung, wenn das Opfer nach der Gewaltanwendung Widerstand für sinnlos hält, weil es sich dem Täter ausgeliefert sieht und der Täter diese Lage ausnutzt. Hier ist zu unterscheiden: Sieht das Opfer das Verhalten des Täters als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben an und erkennt der Täter diesen Sachverhalt, so kann in seinem Verhalten eine konkludente Drohung liegen. Notwendig ist aber, daß der Täter in irgendeiner Form schlüssig erklärt, er werde eventuellen Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen. Fall in Anlehnung an BGH bei Holtz, MDR 1987 S. 281: A und B hatten den Gastwirt G überfallen, den weit schwächeren G zusammengeschlagen und die Tageskasse entwendet. Drei Tage später erschienen sie erneut als G wiederum allein in der Gaststätte war. Sie verschlossen die Tür, verstellten dem G den Weg und A leerte die Kasse. Sie gingen davon aus, daß G angesichts ihrer Maßnahmen keinen Widerstand leisten würde. Ergebnis: Konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, denn durch ihr Verhalten brachten sie zum Ausdruck, daß im Falle eines Widerstandes dieser in gleicher Weise wie zuvor gebrochen würde.

Anders stellt sich hingegen die Situation dar, wenn der Täter davon ausgeht, daß das Opfer aufgrund einer vorangegangenen Gewaltanwendung noch so eingeschüchtert ist, daß es keinen Widerstand leisten wird, d.h. wenn der Täter nicht einmal die Möglichkeit eines Widerstandes für real hält. Der Umstand, daß der Täter diesen Widerstand in gleicher Weise brechen würde, wenn er geleistet würde, ersetzt nicht den Einsatz der Drohung, um eventuellen Widerstand zu brechen. Fall: Wie oben, aber A und B gehen davon aus, daß G keinen Widerstand leisten wird, wenn sie ihm Geld wegnehmen. Sie gehen gemeinsam in die Gaststätte des G und leeren die Kasse. Der ängstliche G widersetzt sich nicht. Ergebnis: Keine Drohung.

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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Das Ergebnis aufgrund dieser Differenzierung überzeugt wenig. Es ist aber in der Entscheidung des Gesetzgebers begründet, die Ausnutzung der fortdauernden Nötigungswirkung nicht dem Einsatz des Nötigungsmittels gleichzustellen. Auch die Rechtsprechung hat den in der Differenzierung liegenden Wertungswiderspruch durchaus erkannt. Das erklärt, warum immer wieder in Einzelfällen die Ausnutzung einer fortdauernden Nötigungswirkung der fortdauernden Gewaltanwendung gleichgestellt wurde. Vgl. zur Gleichstellung: BGH NStZ 1981 S. 344; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH StV 1983 S. 460. Andererseits: BGH bei Dallinger, MDR 1968 S. 17; BGH DRiZ 1972 S. 30; BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 455; BGH JZ1981S. 596; BGHSt 32 S. 88.

Daß die Ausnutzung einer fortdauernden Nötigungswirkung gleichwohl etwas anderes ist als der weitere Einsatz des Nötigungsmittels ist allerdings unbestreitbar. BGHSt 32 S. 88 mit Anm. OTTO JZ 1984 S. 143 ff: A hatte den Hotelportier P gefesselt und geknebelt, damit dieser ihn nicht hindern konnte, ohne Bezahlung der Rechnung aus dem Hotel zu verschwinden. Als der A das Hotel verließ, kam er auf die Idee, den Inhalt der Hotelkasse mitzunehmen. BGH: Nur Diebstahl, kein Raub.

Auch in der Literatur ist es sachlich als unbefriedigend angesehen worden, daß derjenige, der eine selbst zuvor geschaffene Nötigungslage ausnutzt, nicht genauso bestraft wird wie deijenige, der die Nötigung zur Wegnahme einsetzt. Vorgeschlagen wurde, die Fortsetzung des Zwanges durch pflichtwidriges Aufrechterhalten der Zwangslage der Anwendung des Nötigungsmittels gleichzusetzen. Diese Konstruktion einer Unterlassung nach vorangegangenem gefährlichem Tun vermag jedoch kein abweichendes Ergebnis zu begründen. Denn selbst wenn der Täter aufgrund der ursprünglichen Gewaltanwendung als Garant verpflichtet ist, von dem Opfer Schäden abzuwehren, denen es infolge seiner durch die Gewaltanwendung begründeten Hilflosigkeit ausgesetzt ist, kann die Ausnutzung der Zwangslage nicht als Gewaltanwendung durch den Unterlassungstäter interpretiert werden. Sein Unterlassen hat nicht den sozialen Sinngehalt einer Gewaltanwendung, sondern nur den eines Fortdauernlassens der Wirkungen der Gewaltanwendung. So auch: HERDEGEN LK, § 249 Rdn. 16; JOERDEN JUS 1985 S. 26; KREY B.T.2, Rdn. 193; KÜPER J Z 1981 S. 571. - A A ESER NJW 1965 S. 379 f; LACKNER StGB, § 249 Anm. 2 c; SCHÜNEMANN JA 1980 S. 352 f.

Erwägenswert ist allerdings, ob in Anwendung allgemeiner Prinzipien strafrechtlicher Zurechnung, etwa entsprechend dem Grundsatz der actio libera in causa dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, AT., § 13 II 4 -, eine Gleichstellung des Täters, der Gewalt zur Wegnahme anwendet, mit dem, der das Opfer durch Gewaltanwendung in eine wehrlose Lage gebracht hat und diese nun zur Wegnahme ausnutzt, in Betracht kommt. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Dieser muß dem des Diebstahls entsprechen und außerdem auf Wegnahme mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gerichtet sein. - Zur Absicht rechtswidriger Zueignung vgl. oben § 40 II 2-4. Auch hier erfordert die Täterschaft die Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen; vgl. BGH StV 1990 S. 160.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Die Erweiterung der Zueignungsabsicht oder der Wechsel des Zueignungsobjekts nach finalem Einsatz des Nötigungsmittels berührt den Raubvorsatz nicht; vgl. zur entsprechenden Problematik des Diebstahlstatbestands oben § 41 II 1 b. a) BGHSt 22 S. 350: A schlug den B nieder, um ihm DM 5,- wegzunehmen. Als er die Geldbörse des B geöffnet hatte und sah, daS sie erheblich viel mehr Geld enthielt, nahm er das ganze Geld an sich. BGH: Ein einheitlicher Raub in bezug auf die Gesamtmenge; zu den verschiedenen möglichen Fallvarianten vgl. auch BGH StV 1990 S. 408. b) B schuldete dem A DM 30,-. Da er seine Schuld nicht zahlen wollte, schlug A ihn nieder, um ihm die geschuldete Summe wegzunehmen. Als A sah, daß B erheblich mehr Geld in der Brieftasche hatte, nahm er die ganze Summe an sich. Ergebnis: Kein Raub, denn als A Gewalt einsetzte, fehlt ihm die Absicht rechtswidriger Zueignung; dazu oben § 40 II 2-4. Später aber nutzte er nur noch die Wirkungen der Gewaltanwendung zum Diebstahl aus. - Dazu auch: BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH StV 1990 S. 407.

3. Vollendung und Vesuch a) Vollendung und Beendigung Der Raub ist mit der Begründung neuen Gewahrsams an der Sache, auf deren Zueignung der Täter es abgesehen hat, vollendet. - Beendet ist der Raub, wenn der Täter diesen Gewahrsam gesichert hat oder der Angriff auf den Gewahrsam erfolgreich abgewehrt wurde; dazu BGH N J W 1 9 8 5 S. 8 1 4 mit Bespr. K Ü P E R J U S 1 9 8 6 S. 8 6 2 ff. b) Versuch Versucht ist der Raub, wenn der Täter zum Zwecke der Wegnahme zur Gewaltanwendung oder Drohung unmittelbar ansetzt, d.h. wenn das angegriffene Rechtsgut aus der Sicht des Sachverhalts durch den Täter unmittelbar gefährdet ist. BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 1050 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 22/14: A und B wollten den Geschäftsführer des Ratskellers ausrauben, nachdem er das Geschäft geschlossen hatte. Ab ein Uhr nachts warteten sie im Innenhof des Ratskellers. Er erschien aber nicht, da er noch länger beschäftigt war. BGH: Aus der Sicht des Täters noch keine konkrete Gefährdung des Rechtsguts, daher noch kein Versuch, wohl aber Verabredung zu einem Verbrechen, § 30 Abs. 2.

Kommt es dem Täter auf den Inhalt eines Behältnisses an, so liegt nur versuchter Raub vor, wenn das weggenommene Behältnis das Gewünschte nicht enthält. BGH Strafverteidiger 1983 S. 460: A wollte der B Bargeld wegnehmen, das er in ihrer Handtasche vermutete. Mit Gewalt entriß er ihr die Handtasche. - Als A feststellte, daß kein Geld in der Tasche war, warf er diese fort. BGH: Nur versuchter Raub, vgl. dazu auch § 40 II 2 d, bb sowie BGH bei Dallinger, MDR 1976 S. 16; BGH StV 1990 S. 205.

III. Schwerer Raub, § 250 1. Die Raubqualifikationen gemäß § 250Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 a) Die Fassung des § 250 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 entspricht der des § 244 Abs. 1 Nr. 1-3; zur Problematik dieser Qualifikationsmerkmale vgl. oben § 41 III 1-3. b) Entsprechend der Interpretation des § 244 Abs. 1 Nr. 2 - dazu oben § 41 III 2 sieht die Rechtsprechung die sog. Scheinwaffe als Waffe i.S. des § 250 Abs. 1 Nr. 2 an. Dazu BGH NJW 1976 S. 248 mit abl. Anm. KÜPER JuS 1976 S. 645 ff; BGH NStZ 1981 S. 436 mit a b l . A n m . KÜPER N S t Z 1982 S. 28 f. D e m B G H f o l g e n d : D R E H E R / T R Ö N D L B § 2 5 0 R d n . 5; PREISEN-

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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DANZ s 250 Anm. 2. - A A . ESER J Z 1981 S. 761 ff, 821 ff; HERDEGEN LK, § 250 Rdn. 18 ff; LACKNER StGB, § 244 Anm. 2 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 35 Rdn. 27.

Wegen Fehlens der objektiven Gefahr wäre es allerdings angezeigt, im Fall der Verwendung einer Scheinwaffe einen minder schweren Fall gemäß § 250 Abs. 2 anzunehmen. Der BGH berücksichtigt die geringere Gefährdung in der Regel jedoch nur als einen Umstand neben anderen in der Gesamtwertung. Dazu BGH NStZ 1981 S. 436; BGH JZ 1982 S. 868; BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 91; BGH StV 1985 S. 456; BGH bei Holte, MDR 1990 S. 97; ESER JZ 1981S. 821; HETTINGER JZ 1982 S. 849 ff.

In jedem Fall entfällt jedoch das qualifizierende Element, wenn das Opfer die Waffe als Scheinwaffe erkennt. Hier liegt nur ein versuchter schwerer Raub in Idealkonkurrenz mit einem vollendeten einfachen Raub vor. A A BGH JZ 1990 S. 552 mit abl. Anm. HERZOG StV 1990 S. 547 f, GEPPERT JK 90, StGB § 250/6.

c) Will der Täter vom Versuch des schweren Raubes zurücktreten, so muß er die Wegnahmeabsicht aufgeben. Den Rücktritt von einem Teil eines Delikts kennt das Gesetz nicht. - Allein die Aufgabe des Planes, eine Waffe beim Raub zu benutzen, und das Fortwerfen der Waffe genügen den Rücktrittserfordernissen daher nicht. Dazu BGH NStZ 1984 S.216 mit abl. Anm. GEPPERT JK, StGB § 250/3; STRENG JZ 1984 S. 652 ff; ZACZYK NStZ 1984 S. 217.

2. § 250Abs. 1 Nr. 3: Gefährlicher Raub a) Bei den hier relevanten Gefahren muß es sich um konkrete, naheliegende Gefahren handeln, wie die an dem im Wortlaut gleichen §§ 113 Abs. 2 Nr. 2, 125 a Nr. 3 orientierte Auslegung ergibt. b) Der besonderen Gefährdung muß sich der Täter bewußt sein, d.h. sie muß von seinem Vorsatz umfaßt sein. § 250 Abs. 1 Nr. 3 ist kein erfolgsqualifiziertes Delikt i.S. des § 18. Dazu BGHSt 26 S. 176 mit Anm. KÜPER NJW 1976 S. 543 ff, und MEYER-GERHARDS JUS 1976 S. 228 ff; BACKMANN M D R 1976 S. 969 ff; GEILEN Jura 1979 S. 445; SCHÜNEMANN JA 1980 S. 393.

Tatbeteiligte sind durch § 250 Abs. 1 Nr. 3 nicht geschützt, vgl. dazu unter IV 1 c.

IV. Raub mit Todesfolge, § 251 1. Die Erfolgsqualifizierung § 251 enthält gegenüber §§ 249, 250 eine Erfolgsqualifizierung. Der besondere Erfolg, der Tod eines anderen, muß auf die - zwischen Versuchsbeginn und Vollendung vorgenommene - Tathandlung des Raubes zurückzuführen sein. - Abweichend von § 18 genügt aber in bezug auf den Erfolg nicht mindestens Fahrlässigkeit, vielmehr muß der Täter den Erfolg leichtfertig verursacht haben. a) Leichtfertig ist als grob fahrlässig zu interpretieren; dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A T . , § 1 0 1 2 b .

b) Entgegen dem zu weit geratenen Wortlaut des Gesetzes, aber im Einklang mit dem Wesen des Strafgrundes der "Erfolgsqualifikation", genügt es nicht, daß der Raub conditio-sine-qua-non für den Erfolg geworden ist, vielmehr muß sich der To-

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Die Vermögensentziehungsdelikte

deserfolg aus der Raubhandlung und ihrer spezifischen Gefährlichkeit entwickelt haben. Beispiel 1: A schlägt den B, den er ausrauben will, mit einem Knüppel nieder. Er will den B zwar nicht töten, schlägt aber mit solcher Wucht zu, daß die Schädeldecke des B zertrümmert wird. B stirbt. Ergebnis: § 251. Beispiel 2: A schlägt im 2. Stock eines Hauses auf den B ein, um ihn niederzuschlagen und auszurauben. In seiner Not springt B aus dem Fenster. Ergebnis: § 251. - Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch B, da der Wille des B nicht frei war; dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1112. Beispiel 3: Bei einem Raubüberfall kommt es zu einer Schießerei mit dem Überfallenen. Durch einen Schuß wird einer der zahlreichen Passanten getroffen. Ergebnis: § 251. - Str., vgl. einerseits: LACKNER StGB, J 251 Anm. 1; - andererseits: SCH/SCH/ESER § 251 Rdn. 5. Beispiel 4: Als die Täter nach einem Raubüberfall mit dem Auto davonrasen, überfahren sie den X. Ergebnis: §§ 249,222, 53.

c) § 251 findet keine Anwendung, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt, denn § 251 greift nicht zugunsten dessen ein, vor dessen Tun er gerade erhöhten Schutz bieten soll. So auch: LACKNER StGB, § 251 A n m . 1; SCH/SCH/ESER § 251 R d n . 3. - A A KUNATH J Z 1972 S. 201.

2. Der Versuch Tritt der schwere Erfolg bereits beim Versuch des Raubes ein, so ist § 251 anwendbar; str., dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 8 I V 6. 3. Konkurrenzen a) §§ 222, 226,250 werden von § 251 konsumiert. b) Tateinheit zwischen einem vorsätzlichen Tötungsdelikt und § 251 ist nach der jetzigen Fassung des Gesetzes ausgeschlossen: Nach dem Wortlaut des Gesetzes erfaßt der Tatbestand nicht ein mindestens leichtfertiges, sondern nur ein leichtfertiges Verhalten. Dazu BGHSt 26 S. 175 mit zust. Anm. RUDOLPHIJR 1976 S. 74 f; KREY B.T.2, Rdn. 204; LACKNER StGB, § 251 Anm. 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 35 Rdn. 34; TENCKHOFF ZStW 88 (1976) S. 912. - A.A. BGHSt 35 S. 257 mit Anm. ALWART NStZ 1989 S. 225 f; GEILEN Jura 1979 S. 613; HERDEGEN LK, § 251 R d n . N ff; HERZBERG JUS 1976 S. 43 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 8 / 5 6 ; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 396.

Damit ergibt sich der Widerspruch, daß in den Fällen des § 212 die Strafdrohung unter der des § 251 liegt, d.h. leichtfertiges Verhalten schwerer bestraft wird als vorsätzliches. - Auch wenn in den meisten Fällen, in denen der Täter tötet, um sich eine fremde Sache rechtswidrig zuzueignen, Habgier vorliegt und damit § 211 durchgreift, bleibt der Widerspruch unerträglich, denn nicht in allen Fällen der Tötung, um einen Vermögensvorteil zu erlangen, ist Habgier gegeben; dazu oben § 4 II 1 c. Die Beseitigung des Widerspruchs durch Interpretation der Strafdrohung des § 251 als Mindeststrafdrohung des § 212 bei Raub mit Tötungsvorsatz ist jedoch als Analogie zuungunsten des Täters ausgeschlossen.

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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So auch: LAUBENTHAL JR 1988 S. 335 f; RENGIER Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, 1986, S. 107; RUDOLPHI JR 1976 S. 74 f. - A A . LACKNER StGB, § 251 Anm. 4; TENCKHOFF ZStW 88 (1976) S. 914 ff. - Im übrigen vgl. MAIWALD GA 1974 S. 270 f.

c) Zur Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung unter § 53 II 1 b.

V. Räuberischer Diebstahl, § 252 § 252 enthält ein raubähnliches Sonderdelikt. Derjenige, der die Beute mit den Mitteln des Raubes sichert, wird dem Räuber gleichgestellt, und zwar sind je nach den Sachverhaltsgegebenheiten §§ 249,250,251 anwendbar. 1. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Vortat: Diebstahl Als Vortat kommen alle privilegierten und qualifizierten Fälle des Diebstahls in Betracht und auch der Raub. Auch wenn der Gesetzestatbestand nur den Diebstahl nennt, erfolgt die Erstreckung seines Anwendungsbereichs auf den Raub noch im Einklang mit dem Gesetzestext: Auch im Raub ist ein Diebstahl enthalten. Der Konkurrenzregelung, daß der Raub dem Diebstahl als lex specialis vorgeht, kommt im Rahmen des § 252 keine Bedeutung zu. - Vom Sinn und Zweck des Gesetzes her wäre es unverständlich, daß derjenige, der nach einem Diebstahl bei der Sicherung der Beute einen anderen leichtfertig tötet, nach § 251 bestraft werden kann, nicht aber derjenige, der zuvor einen Raub, § 249, begangen hat.

b) Die Vortat muß vollendet sein Der Einsatz des Raubmittels nach Vollendung der Vortat aber vor ihrer Beendigung begründet die Annahme des § 252 anstelle des § 249. H.M. vgl. BGHSt 28 S. 224; BGH StV 1985 S. 13; 1986 S. 530; BGH J Z 1988 S. 471; HERDEGEN LK, § 252 R d n . 7 ff. - A A DREHER M D R 1979 S. 529 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 8 / 5 9 .

BGH MDR 1987 S. 775: Der Angeld. (A) quartierte sich als Demonstrant gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in der Scheune der Eheleute W ein. Diese waren damit einverstanden. In der Nacht schlich er sich in das Schlafzimmer seiner Gastgeber und entwendete dort 520,- DM sowie Schmuckgegenstände. Beides steckte er in seine Gesäßtasche und begab sich wieder in die Scheune, um seinen Rucksack zu packen und zu verschwinden. Inzwischen hatte Frau W das Fehlen des Geldes bemerkt. Sie hatte den A sofort in Verdacht und stellte ihn deswegen in der Scheune zur Rede. A bestritt den Diebstahl. Als W ihn anflehte, das Geld zurückzugeben, schlug er ihr mit der Hand in das Gesicht, um sich den Besitz der gestohlenen Sachen zu erhalten und wandte sich zur Flucht. Um diese zu verhindern, trat ihm die W erneut in den Weg, worauf A sie bedrohte, bevor er von zwei herbeigeeilten Männern überwältigt wurde. BGH: Diebstahl noch nicht beendet, da Täter noch in der Herrschafitsphäre der Bestohlenen und daher der Gewahrsam noch nicht gesichert und gefestigt war. Vgl. einerseits: OTTO JK 88, StGB § 252/3; - andererseits: KRATZSCH JR 1988 S. 397 ff.

c) Auf frischer Tat Frisch ist die Tat, die vollendet, aber noch nicht beendet ist. Nach der Sicherung des Gewahrsams durch den Täter ist kein Raum mehr für die Anwendung des § 252. Demgegenüber verlangt die Rechtsprechung einen zeitlich - räumlichen Zusammenhang zwischen Vortat und Einsatz des Nötigungsmittels, so daß auch eine noch nicht beendete Tat nicht notwendig frisch zu sein braucht. Vgl. B G H S t 28 S. 228; KÜHL J A 1979 S. 491; SCH/SCH/ESER § 252 Rdn. 4; SEIER JuS 1979 S. 338. Dagegen: DREHER M D R 1979 S. 532; HERDEGEN LK, § 252 R d n . 14; SCHNARR J R 1979 S. 316 f.

Umgekehrt soll die Beendigung der Vortat die Frische der Tat nicht notwendig ausschließen.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Vgl. DREHER M D R 1979 S. 531; LACKNER § 252 Amn. 4; SCH/SCH/ESER § 252 Rdn. 4.

Dem kann nicht gefolgt werden. Der Zeitpunkt der Sicherung der Beute beendet nicht nur die Notwehrsituation des Opfers, sondern bedeutet allgemein eine Zäsur in dem Geschehen. Das Verhalten kann nun nicht mehr als eine einheitliche Raubhandlung bewertet werden. Die Einheit des Geschehens ist aber die Rechtfertigung für die Gleichstellung der nach der Wegnahme geübten Gewaltanwendung mit der zur Wegnahme verwirklichten Gewaltanwendung durch § 252. Vgl. auch BGHSt 28 S. 229; GEILEN Jura 1979 S. 670; HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 6; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 398.

d) Das Betreffen Der Täter ist auf frischer Tat betroffen, wenn er bei der Tat mit einem anderen zusammentrifft, der ihn als Tatverdächtigen erkannt hat oder unmittelbar zu erkennen droht. BGHSt 26 S. 95: A war in die Wohnung der C in diebischer Absicht eingedrungen und hatte Schmuck u.a. in einer Aktentasche verstaut. In der Tasche hatte er außerdem noch einen Holzknüppel. Als er die Wohnung gerade verlassen wollte, hörte er, wie die Wohnungstör aufgeschlossen wurde. Er versteckte sich hinter der Zimmertür und nahm den Knüppel in die Hand. Als Frau C das Zimmer betrat, schlug er sie nieder. Dann verließ er fluchtartig die Wohnung. BGH: A ist auf frischer Tat betroffen worden. Zustimmend: HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 12. - A A DREHER M D R 1979 S. 529 ff; FEZER J Z 1975 S. 609 ff; GEPPERT Jura 1990 S. 556 f; SCHNARR J R 1979 S. 314 ff.

Der bloße Glaube des Täters, erkannt zu sein, ersetzt das Betroffensein nicht. So auch: LACKNER StGB, § 252 Anm. 4. - A A . HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 12.

e) Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben aa) Zum Begriff der Gewalt und zu dem der Drohung vgl. oben II 1 a, aa. bb) Das Opfer braucht nicht der Gewahrsamsinhaber zu sein oder jemand, der den Diebstahl verhindern will. Da nur erforderlich ist, daß der Täter handelt, um sich im Besitz der Beute zu halten, genügt es, daß der Täter meint, die Person, gegen die er Gewalt oder Drohung anwendet, werde die Beendigung des Diebstahls verhindern. cc) Da die Anwendung von Gewalt oder Drohung jener gleichkommen muß, mit der beim Raube die Wegnahme ermöglicht wird, ist genau zu beachten, ob sich die Gewalt auch gegen eine Person richtet. Beispiel 1: Der Eigentümer E hält den auf frischer Tat betroffenen Dieb A fest. A reißt sich los. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E. Beispiel 2: Als der E den verfolgten Dieb A einholt, wirft dieser die Beute auf den Fußboden und sich darauf. A muß von E mühsam beiseite geschoben werden. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E.

2. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz muß sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes erstrekken. Hinzu kommt die Absicht, sich im Besitz der Beute zu halten in einer Situation, in der dem Täter der unmittelbare Entzug der Beute zugunsten des Berechtigten droht. BGH StV 1987 S. 196: A hatte dem K in der Wohnung der S während eines kurzen Einnickens Geld entwendet. Als K den Verlust bemerkte, stellte er den A zur Rede. A gab das Geld aber nicht heraus.

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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Nun verließ K die Wohnung, um seinen Sohn herbeizuholen, der die Sache klären sollte. Um zu verhindern, daß der S ihm das Geld wieder abnehme, eilte A dem K nach und stürzte ihn die Treppe herab. K kam zu Tode. BGH: § 252 nicht erfüllt, denn A handelte nicht in der Absicht, eine gegenwärtige oder bevorstehende Gewahrsamsentziehung zu verhindern. VgL dazu auch BGHSt 9 S. 162.

b) Die Absicht, den Besitz des gestohlenen Gutes zu behalten, muß Beweggrund des Täters sein, nicht aber einziger Beweggrund. - Stets muß es dem Täter aber auch darum gehen, sich die umfassende Sachherrschaft zu erhalten und zu sichern. BGH MDR 1987 S. 154: A und B hatten gestohlene Sachen im Kofferraum ihres Kfz verladen, als sie von W überrascht wurden. Sie griffen W tätlich an, um mit dem Kfz fliehen zu können. An die Beute dachten sie in diesem Moment nicht. BGH: Die Absicht, sich im Besitz der Beute zu erhalten, bedeutet, die Beute in das eigene Vermögen zu bringen, die Sache für sich haben zu wollen und - wenn auch nur auf begrenzte Zeit - wirtschaftlich nutzen zu wollen. Daran fehlt es hier. Anders: OLG Köln NJW 1967 S. 739.

c) Handelt der Täter bei der Vortat in einem Tatbestandsirrtum, so fehlt ihm das Bewußtsein, bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen zu sein, und damit der Vorsatz. § 252 setzt aber den Diebstahl objektiv und subjektiv voraus, vgl. BGH StV 1987 S. 534. - Doch auch ein Verbotsirrtum bei der Vortat führt zum gleichen Ergebnis, denn dieser verhindert, daß sich der Täter des sozialen Sinngehalts des Geschehens bewußt wird. Er erkennt sein Verhalten nicht als Diebstahl. Damit fehlt auch hier das Bewußtsein, bei einem Diebstahl betroffen zu sein. Fall: G schuldet dem A DM 20,-, weigert sich aber zu bezahlen. A nimmt dem G DM 20,- weg, weil er meint, dies sei rechtens, und sucht das Weite. Als G den A verfolgt, schlägt dieser ihn mit einem Aschenbecher nieder. Ergebnis: Lehnt man nicht, wie es oben - vgl. § 40 II 4 - geschehen ist, eine rechtswidrige Zueignung ab, so ist der Irrtum des A nach h.M. ein Verbotsirrtum; dazu BGHSt 17 S. 88. Doch dieser Irrtum bewirkt, daß A sich nicht der Tatsache bewußt wird, einen Diebstahl begangen zu haben. Die Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale ersetzt aber nicht die Kenntnis des sozialen Sinngehaltes des Geschehens.

3. Täterschaft und Teilnahme a) Mittäter der Vortat können auch Täter des § 252 sein, wenn sie selbst nicht im Besitz der Beute sind. Sie handeln, um sich im Besitz der Beute zu halten, wenn der mittäterschaftlich vermittelte Besitz an der Beute erhalten bleiben soll. Beispiel: A und B haben bei C eingebrochen und ein Gemälde gestohlen. Als C ihnen nachsetzt, läuft B mit dem Gemälde weiter, während A den C niederschlägt. Ergebnis: A: § 252. - Handelte A im Einvernehmen mit B, so ist § 252 auch auf B anwendbar. So auch: OLG Stuttgart NJW 1966 S. 1931; GEILEN Jura 1980 S. 45; HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 18.

Nach der Beuteteilung kann jeder Mittäter nur noch eigene Sachherrschaft verteidigen. b) Str. ist, ob Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein können. Fall: B hat bei C eingebrochen und ein Gemälde entwendet. A stand Schmiere. Als B von C verfolgt wird, schlägt A den C nieder.

Da "Wer ..." i.S. des § 252 nicht der Täter der Vortat sein muß, entscheidet sich die Frage danach, ob der Teilnehmer handelt, "um sich im Besitz des gestohlenen Gutes

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Die Vermögensentziehungsdelikte

zu erhalten". Das setzt voraus, daß er zumindest Mitbesitzer der Beute ist. Ist er Mitbesitzer oder Besitzer der Beute, so kann er auch Täter des § 252 sein. So auch: BGHSt 6 S. 248: DREHER/TRÖNDLE { 252 Rdn. 9; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 5 R d n . 40. - A A GEILEN J u r a 1980 S. 46; S C H / S C H / E S E R § 2 5 2 R d n . 11; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 399.

4. Konkurrenzen a) § 252 konsumiert den zuvor begangenen Diebstahl. - Wurde die Anwendung des Raubmittels jedoch nur versucht, so stehen Diebstahl und versuchter räuberischer Diebstahl in Tateinheit. So auch: HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 21; LACKNER StGB, § 252 Anm. 8. - A A . OLG Karlsruhe M D R 1978 S. 244; S C H / S C H / E S E R § 252 R d n . 13.

b) War die Vortat ein Raub gemäß §§ 249, 250, 251, so konsumiert dieser den § 252 als straflose Nachtat, soweit bei der Verwirklichung des § 252 keine schwereren qualifizierenden Merkmale als bei der Vortat verwirklicht wurden. c) Erfolgt die Verwirklichung des § 252 unter schwereren Qualifikationsumständen als die Vortat - z.B. Vortat: § 249, um sich im Besitz der Beute zu halten, übt der Täter Gewalt mit einer Waffe -, so konsumiert § 252 die Vortat. VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a 1. Das Wesen der Tat Sachlich stellt § 316 a eine durch die besondere Begehungsweise qualifizierte Form des Raubes, des räuberischen Diebstahls und der räuberischen Erpressung dar. Der Strafrechtsschutz ist vorverlegt für den Fall, daß der Täter seinen Angriff unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs unternimmt. Durch Gleichstellung von Versuch und Vollendung im Unternehmen der Tat hat der Gesetzgeber ein eigenständiges Raubdelikt geschaffen. Vgl. auch: KREY B.T. 2, Rdn. 224; SCH/SCH/CRAMER § 316 a Rdn. 1. - Als Verkehrsdelikt interpretiert die höchstrichterliche Rechtsprechung den Tatbestand; vgl. BGHSt 5 S. 281; 13 S. 29; 22 S. 117; HENTTSCHEL JR 1986 S. 428 ff. - Als Verkehrs- und Vermögensdelikt sehen die Vorschrift: GÜNTHER J Z 1987 S. 375 ff; LACKNER StGB, § 316 a Anm. 1.

a) Zu den Konsequenzen der verschiedenen Auffassungen vgl. unter 3. und 4. b) Zu den Einzelheiten der räuberischen Erpressung vgl. unten § 53 II. 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Angriff ist jede Bedrohung von Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Fahrers oder Mitfahrers eines Kraftfahrzeuges. - Angreifer können Dritte, Mitfahrer oder der Fahrer selbst sein. Gleichgültig ist, ob der Angriff sich von außen nach innen richtet, innerhalb oder außerhalb des Kraftfahrzeuges unternommen wird. b) Die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs werden ausgenutzt, wenn die Tat in naher Beziehung zur Benutzung des Kraftfahrzeuges als Verkehrsmittel steht, indem die durch die Fortbewegung des Kraftfahrzeuges geschaffenen und ihm eigentümlichen Gefahren genutzt werden. Diese Gefahren ergeben sich für den Fahrer vor allem aus der Beanspruchung durch die Lenkung und im übrigen aus der Erschwe-

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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rung der Flucht oder der Gegenwehr, daneben aber auch nach h.M. aus der Isolierung und Unerreichbarkeit fremder Hilfe. Beispiele: Verbringen des Opfers mit Kfz an eine einsame Stelle, um es dort auszurauben (dazu BGHSt 18 S. 173; aA. GÜNTHER JZ1987 S. 374 f), nicht aber, wenn der Überfall erst nach längerem Fußmarsch, entfernt vom Parkplatz des Kfz, erfolgen soll (BGHSt 22 S. 114; 33 S. 378 mit Anm. GEP-

PERT NStZ 1986 S. 552 f; GÜNTHER J Z 1987 S. 16 ff; HENTSCHEL JR 1986 S. 428 fi). - Raub eines Kfz,

nachdem dessen Fahrer durch List oder Gewalt angehalten wurde (BGHSt 24 S. 321), nicht aber gewaltsame Wegnahme eines ohne Zutun des Täters auf der Straße haltenden oder parkenden Kfz (BGHSt 24 S. 321; BGH GA 1979 S. 466). - Zusammenschlagen des Opfers in dem engen Fahrzeug, so daß dessen Gegenwehr erschwert ist (BGHSt 25 S. 315), nicht aber Erpressung eines Opfers in einem haltenden Wagen (BGH 5 StR 54/72).

c) Unternehmen heißt, einen Angriff versuchen oder vollenden, § 11 Abs. 1 Nr. 6. aa) Die Tat ist mit dem Versuch des Angriffs vollendet. - Ein Versuch des § 316 a ist als Versuch begrifflich ausgeschlossen, weil die Vollendung des Delikts bereits mit der unmittelbaren Gefährdung des geschützten Rechtsguts auf der Grundlage des Täterplans eintritt. Den Zeitpunkt des Ansetzens zur unmittelbaren Verwirklichung des Tatbestandes sieht die Rechtsprechung sehr früh, da sie das geschützte Rechtsgut in der Sicherheit des Verkehrs erkennt: Einsteigen des Täters (BGHSt 6 S. 84); Einsteigenlassen des Opfers (BGHSt 18 S. 173; Beginn der Fahrt (BGHSt 33 S. 378; NStZ 1989 S. 476).

bb) Auch der Täter, der zunächst aus anderen Gründen angegriffen hat und während dieses Angriffs erst den Raubplan faßt, unternimmt einen Angriff i.S. des § 316 a. d) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, den Angriff zu unternehmen und muß mit der Absicht verbunden sein, einen Raub, eine räuberische Erpressung oder einen räuberischen Diebstahl als Täter zu begehen. 3. Tätige Reue, § 316 a Abs. 2 Die Sicht des in § 316 a geschützten Rechtsgutes bestimmt den für einen Rücktritt möglichen Zeitpunkt. Wird § 316 a nämlich als Raubdelikt interpretiert, so ist Erfolg i.S. des § 316 a Abs. 2 die Vollendung des Raubes oder des raubähnlichen Delikts. Vgl. BOTTKE Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979, S. 646 f; SCH/SCH/CRAMER § 316 a Rdn. 11.

Für diejenigen, die in § 316 a ein Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs sehen, ist Erfolg i.S. des § 316 a Abs. 2 der Angriff auf Leib, Leben oder Entscheidungsfreiheit des Opfers. Dazu BGHSt 10 S. 320; DREHER/TRÖNDLE § 316 a Rdn. 6; GEPPERT JUS 1975 S. 386; LACKNER S t G B , § 316 a A n m . 5; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 35 R d n . 61; SCHÄFER LK, § 316 a Rdn. 31.

4. Konkurrenzen a) Wird § 316 a als Raubdelikt interpretiert, so konsumiert er als schwerstes Delikt die anderen Raubtatbestände mit Ausnahme des § 251, gleichgültig, ob diese vollendet oder versucht sind.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Wird § 316 a als Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs interpretiert, so besteht Idealkonkurrenz mit den Raubdelikten, deren Versuch jedoch konsumiert wird, wenn er nicht nach den §§ 250,251 qualifiziert ist. Vgl. BGHSt 25 S. 373; BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 808.

§ 47: Sachbeschädigung Bloßes Vermögensentziehunesdelikt, im Objekt beschränkt auf Sachen, die einem anderen gehören als dem Täter. - Der Gedanke, die rechtswidrige Vermogensbeschädigung allgemein unter Strafe zu stellen, hat sich nicht durchsetzen können, und auch zur Zeit steht die Schaffung eines - subsidiären Auffangtatbestandes, der jede nicht durch einen anderen Tatbestand erfaßte Vermögensentziehung unter Strafe stellt, nicht zur Debatte.

I. Sachbeschädigung, § 303 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt ist die umfassende Sachherrschaftsposition einer Person über eine Sache, die im Regelfall durch das Eigentumsrecht vermittelt wird. - Bei der Zerstörung oder Beschädigung von Sachen, die auch aus der Sicht des Berechtigten völlig wertlos sind und an deren Erhalt er keinerlei sachgerechtes Interesse hat, entfällt der Tatbestand, weil ein Vermögensschaden nicht vorliegt. 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Sache ist - wie bei den Aneignungsdelikten - als körperlicher Gegenstand zu verstehen, d.h. als konkret wahrnehmbares, gegen andere Gegebenheiten abgegrenztes Objekt. - Geschützt sind auch unbewegliche Sachen, z.B. Hausruinen, Brunnenanlagen, Gärten oder Felder. Bei einer Langlaufloipe entscheidet sich die Frage, ob eine Sache i.S. des § 303 vorliegt, danach, ob diese als hinreichend abgegrenzt gegenüber ihrer Umgebung angesehen werden kann. Dazu BayObLG JR 1980 S. 429 f mit Anm. M. J. SCHMID S. 430 f.

b) Zum Begriff fremd vgl. oben § 4013. c) Beschädigen ist jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert oder ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, daß die Brauchbarkeit für ihre Zwecke gemindert ist; vgl. BGHSt 13 S. 208. Sachbeschädigung ist damit zunächst die Substanzverletzung, d.h. die Beseitigung der stofflichen Unversehrtheit einer Sache, deren stoffliche Verringerung oder Verschlechterung. Fall: Bei der Volkszählung 1987 schnitt A aus dem Volkszählungsbogen die Kennziffer, bevor er den Bogen an die zuständige Behörde zurücksandte. Ergebnis: Sachbeschädigung, da die Behörde ein positives Interesse am Erhalt auch nicht ausgefüllter Bögen zur Gewinnung bestimmter Daten hatte. Vgl. auch: OLG Celle NJW 1988 S. 1101 mit zust. Anm. GEERDS JR 1988 S. 435 f; OLG Köln NJW 1988 S. 1103; OLG Düsseldorf MDR 1989 S. 89; BayObLG NJW 1989 S. 599; ENGELAGE NJW 1987 S . 2 8 0 1 f; - A A . ZACZYK S t V 1988 S . 157 ff.

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Sachbeschädigung ist sodann die Einwirkung auf eine Sache, durch die deren bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur geringfügig beeinträchtigt wird. Nicht tatbestandsmäßig sind daher Beeinträchtigungen, deren Beseitigung keinen größeren Aufwand an Mühe, Zeit und Kosten erfordert.

Streitig ist, ob die dem Eigentümerinteresse zuwiderlaufende Zustandsveränderung einer Sache als Sachbeschädigung angesehen werden kann. BGHSt 29 S. 129: A beklebte einen Verteilerkasten der Deutschen Bundespost mit einem Plakat, ohne damit die Substanz des Kastens zu verletzen oder seine Brauchbarkeit zu beeinträchtigen. BGH: Keine Sachbeschädigung.

Die Rechtsprechung geht heute davon aus, "daß eine dem Gestaltungswillen des Eigentümers zuwiderlaufende Veränderung der äußeren Erscheinung und Form einer Sache für sich allein grundsätzlich nicht ausreicht, um den Tatbestand der Sachbeschädigung zu erfüllen". Vgl. BGHSt 29 S. 133; OLG Frankfurt StV 1988 S. 343; NJW 1990 S. 2007;- Dem folgend: BEHM JR 1 9 8 8 S. 3 6 0 ff m i t E n t g e g n u n g SCHROEDER S . 3 6 3 f; BOTTKE J A 1980 S . 541; KATZER N J W 1 9 8 1 S. 2 0 3 6 f f ; SEELMANN JUS 1985 S. 199 f; THOSS N J W 1978 S . 1612 ff.

Diese Entscheidung wird der Zwecksetzung des Gesetzgebers, dem Eigentümer den Grauchsnutzen einer Sache zu erhalten und ihn in dieser Position zu schützen, nicht gerecht. Auch eine erhebliche negative Zustandsveränderung ist daher als Sachbeschädigung anzusehen, wenn der Eigentümer ein vernünftiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Zustandes hat. V g l . DÖLLING N J W 1 9 8 1 S . 2 0 7 f; D R E H E R / T R Ö N D L B § 3 0 3 R d n . 6 a ; GÖSSEL J R 1980 S . 184 fT; HAAS JUS 1978 S . 14 ff; KREY B . T . 2, R d n . 2 4 2 ff; MAIWALD J Z 1980 S. 2 5 6 f f ; SCHROEDER J R 1987 S . 3 5 9 f.

d) Zerstören ist eine so erhebliche Beschädigung, daß die Sache für ihre Zwecke völlig unbrauchbar ist. e) Die nur dauernde Sachentziehung ist weder Sachbeschädigung noch Sachzerstörung, obwohl ihr Unrechtsgehalt oft an die Sachzerstörung herankommt. f) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Beispiele a) Beschmieren einer Marmorbüste mit Farbe. - RGSt 43 S. 204: Sachbeschädigung. b) Die Seiten eines Buches werden mit Tinte bespritzt. • Sachbeschädigung, auch wenn man den Text noch lesen kann. Das Buch hat auch Wert als ästhetischer Gegenstand. c) Einfügen eines Teiles in eine Maschine, so daß diese nicht mehr ordnungsgemäß arbeiten kann. RGSt 20 S. 183: Sachbeschädigung. d) Herauslassen der Luft aus dem Reifen eines Kfz. - BGHSt 13 S. 207: Sachbeschädigung, es sei denn, es ist eine Tankstelle in der Nähe. - Die Einschränkung überzeugt nicht. Auch in der Nähe einer Tankstelle kann dieser Eingriff in die Brauchbarkeit des Kfz nicht mehr als unerheblich angesehen werden. - Zweifelhaft hingegen ist die Einordnung des Ablassens der Luft aus einem Fahrradreifen als Sachbeschädigung durch BayObLG J Z 1987 S. 1037 mit abl. Anm. BEHM NStZ 1988 S. 275 f; GEERDS JR 1988 S. 218 f. e) Löschen eines Tonbandes, Video-Bandes oder eines Datenträgers. - Sachbeschädigung. - Zur Datenveränderung, § 303 a; vgl. unter III. D a z u MERKEL N J W 1956 S. 778; WOLFF L K , § 3 0 3 R d n . 6 . - A A GERSTENBERG N J W 1956 S . 540; LAMPE G A 1 9 7 5 S . 16.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

l Einem fremden Kanarienvogel wird die Käfigtür geöffnet. Er fliegt davon. - Bloße Sachentziehung. S er Vogel in Freiheit aber nicht lebensfähig, so liegt Sachzerstörung im Moment des Todes des Vogels vor. g) Ein goldener Becher wird ins Meer geworfen. - Bloße - straflose - Sachentziehung.

4. Die Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit der Sachbeschädigung ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Ihr kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Die Rechtswidrigkeit kann insbesondere durch die Einwilligung des Berechtigten ausgeschlossen sein. 5. Zur Konkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung a) Bekundet der Täter, der sich eine fremde Sache rechtswidrig zugeeignet hat, daß er diese Sache weiterbehalten will, so erwächst dem Eigentümer aus diesem Verhalten kein weiterer Schaden durch Entziehung eines Vermögensobjekts oder Minderung seiner Herrschaftsposition; gleiches gilt, wenn der Dieb wiederum bestohlen wird. b) Zerstört hingegen der Täter, der sich die Sache rechtswidrig zugeeignet hat, die Sache, so geht der Gegenstand des Eigentumsrechts unter und damit das Recht selbst. Insofern erleidet der Eigentümer durch diese Tat einen weiteren Schaden. Damit ist Raum für eine tatbestandsmäßige Sachbeschädigung gegeben. Dennoch wird man in diesen Fällen die Sachbeschädigung als straflose Nachtat ansehen können: Mit dem Zueignungsdelikt wird die Anmaßung der umfassenden Sachherrschaft durch den Täter bestraft. Zwar kann er - wenn die Sache dem Berechtigten abhanden gekommen ist - durch die Zueignungshandlung selbst das Eigentum des Berechtigten nicht vernichten. Er erlangt aber bereits mit der Zueignungshandlung jene Position, die ihm auch dies ermöglicht. Diese Tatsache wird bereits in der Strafe des Zueignungsdelikts erfaßt. c) Idealkonkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung liegt vor, wenn die Zueignung einer Sache zugleich die Beschädigung einer anderen Sache darstellt, z.B. wenn jemand aus einem fremden Fernseher einen Transistor herausbricht.

II. Besondere Fälle der Sachbeschädigung 1. Zerstörung von Bauwerken, § 305 § 305 erfaßt eine qualifizierte Sachbeschädigung. Die im Gesetz genannten Objekte müssen von einer gewissen Bedeutung sein: Schiffe i.S. des Gesetzes sind daher nur größere Wasserfahrzeuge. Als Brücke kann ein bloßer Fußgängersteg nicht angesehen werden. Das Gebäude braucht noch nicht fertig zu sein (Rohbau); Str., dazu BGHSt 6 S. 107. - Zerstört ist das Bauwerk, wenn es nicht nur unerhebliche Zeit für seinen Zweck unbrauchbar ist. Eine teilweise Zerstörung liegt vor, wenn ein Teil des Bauwerks, z.B. eine Treppe, für seinen Zweck unbrauchbar gemacht worden ist.

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2 Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, § 305 a § 305 a erstreckt den Strafrechtsschutz gegen Sachbeschädigungen in das Vorfeld des § 316 b. - Technisches Arbeitsmittel ist jeder aufgrund technischer Erfahrungen hergestellte Gegenstand, der geeignet und dazu bestimmt ist, die Arbeitsvorgänge bei der Errichtung der genannten Anlagen zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dazu vgl. BT-Drucks. 10/6635, S. 14.

Bei den nach Abs. 1 Nr. 2 geschützten Kraftfahrzeugen kommt es nicht auf die Eigentumsverhältnisse an, sondern darauf, ob das Fahrzeug der Polizei oder der Bundeswehr von der zuständigen Stelle für dienstliche Zwecke bereitgestellt ist. 3. Brandstiftung, § 308Abs. 1,1. Alt. Eine durch die Tathandlung qualifizierte Sachbeschädigung enthält die 1. Alt. des § 308 Abs. 1, soweit die dort genannten Objekte in fremdem Eigentum stehen; eingehender zu Tatobjekt und Tathandlung vgl. unter § 7912. 4. Fahrlässige Brandstiftung, § 309 In Verbindung mit § 308 Abs. 1, 1. Alt. stellt § 309 einen Fall fahrlässiger Sachbeschädigung unter Strafe; im einzelnen dazu § 79 V. 5. Gemeinschädliche Sachbeschädigung, § 304 a) Systematisch gehört die Vorschrift nicht in den Bereich der Sachbeschädigungsdelikte. Es handelt sich vielmehr um ein gemeinschädliches Delikt, das unabhängig von der Eigentumslage das allgemeine Interesse am Erhalt bestimmter zweckgebundener, insbesondere kultureller oder gemeinnütziger Objekte schützt. b) Schutzgegenstände.- religiöse Objekte, dazu oben § 41 I 2 d, Gegenstände der Kunst und der Wissenschaft, dazu oben § 4112 e. Der öffentliche Nutzungszweck muß sich bei den Gegenständen zum öffentlichen Nutzen unmittelbar aus den Objekten ergeben. Er muß auf einer ausdrücklichen oder aus allgemeiner Übung erwachsenen Widmung beruhen. Beispiele: Parkuhr; Verkehrszeichen; öffentliche Telefonzelle; Feuermelder; Feuerlöscher in allgemein zugänglichen Räumen (BayObLG NJW 1988 S. 837); Rettungsfahrzeuge, die nicht allein einem privaten Zweck dienen (OLG Düsseldorf MDR 1986 S. 515); Ruhebänke im öffentlichen Park u.ä. Nicht hingegen: Wahlplakate einer Partei (LG Wiesbaden NJW 1978 S. 2107; dazu Loos JuS 1979 S. 699 ff), Bäume in einem Park (OLG Oldenburg NJW 1988 S. 924); Hütten, in denen Verkehrsschilder u.ä. aufbewahrt werden (BGH NStZ 1990 S. 540).

III. Schutz von Daten und Datenverarbeitung 1. Datenveränderung § 303 a a) Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse an der unversehrten Verwendbarkeit von Daten. Vgl. DREHER/TRÖNDLE § 303 a R d n . 2; LACKNER S t G B , § 303 a A n m . 1; MAURACH/SCHROEDER/

MAIWALD B.T.l, § 36 Rdn. 3; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 141. - A A . HAFT NStZ 1987 S. 10: Das

Vermögen in seiner spezialisierten Ausprägung in Daten. Diese Begrenzung des Schutzes ist systematisch zwar folgerichtig, mit dem Wortlaut des Gesetzes aber nicht in Einklang zu bringen.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Daten als Handlungsobjekt Handlungsobjekt sind nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten, § 2 0 2 a Abs. 2; vgl. dazu § 34 VII2 b.

c) Die Tathandlungen Löschen der Daten bedeutet Zerstörung i.S. des § 303 Abs. 1, d.h. nicht wiederherstellbare vollständige Unkenntlichkeit der konkreten Speicherung; LENCKNER/ WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S . 8 2 9 .

Unterdrücken ist ein Entziehen der Daten dem Berechtigten gegenüber, so daß dieser sie nicht seiner Vorstellung entsprechend verwenden kann. Ein Unbrauchbarmachen liegt in der Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Daten zu ihrem vorgesehenen Zweck. Verändern erfordert das Herstellen eines neuen Dateninhalts. Die Infizierung eines Programms mit einem Computervirus ist je nach der Wirkung dieses Virus auf das Programm als Unbrauchbarmachen oder Verändern von Daten anzusehen; vgl. dazu auch: GRA-

VENREUTH NStZ 1989 S. 201 ff.

d) Die Rechtswidrigkeit der Tathandlung Tatbeständsmäßig ist nur die rechtswidrige Tathandlung. Das Merkmal rechtswidrig ist hier im Gegensatz zu § 303 nicht allgemeines Verbrechensmerkmal, sondern einschränkendes Tatbestandsmerkmal, das tatbestandsmäßiges Handeln des unbeschränkt Verfügungs- und Nutzungsberechtigten ausschließt. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 303 a Rdn. 9; LACKNER StGB, § 303 a Anm. 4; - Soweit "rechtswidrig"

hier als allgemeines Verbrechensmerkmal interpretiert wird, erfolgt die allgemein als notwendig anerkannte Begrenzung des Tatbestandes durch Einfügung von Merkmalen, die im Gesetz nicht genannt sind, z.B. "fremd"; vgl. dazu LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 828; WELP Informatik und Recht 1988 S. 447.

Rechtswidrig ist das Verhalten, wenn es Verfügungs- oder Nutzungsrechte eines anderes verletzt. - Die Verletzung von Interessen des vom Dateninhalt Betroffenen i.S. des BDSG genügt hingegen nicht. So auch: HAFT NStZ 1987 S. 10; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 829; WELP Informatik und Recht 1988 S. 448. - A A . BT-Drucksache 10/5058, S. 34; DREHER/TRÖNDLE § 303 a Rdn. 9; MÖHRENSCHLAGERwistra 1986 S. 141 f.

e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Dieser muß sich auch auf die Rechtswidrigkeit der Tathandlung i.S. der Verletzung des Verfügungs- oder Nutzungsrechts eines Dritten beziehen. f) Konkurrenzen Soweit die Substanz des Datenträgers nicht beeinträchtigt wird, ist § 303 a lex specialis gegenüber § 303. Im übrigen ist Idealkonkurrenz mit den §§ 202 a, 303, 263 a, 268, 269, sowie mit § 41 BDSG möglich. 2. Computersabotage, § 303 b a) Geschütztes Rechtsgut und Aufbau des Tatbestandes Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse von Wirtschaft und Verwaltung an der Funktionsfähigkeit ihrer Datenverarbeitung. Abs. 1 Nr. 1 enthält gegenüber § 303 a einen Qualifikationstatbestand, während Abs. 1 Nr. 2 einen selbständigen - der Sachbeschädigung vergleichbaren - Tatbestand darstellt.

§ 47 Sachbeschädigung

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b) Tatobjekt Tatobjekt ist die Datenverarbeitung, d.h. der Gesamtbereich eines datenverarbeitenden Systems mit der Gesamtheit seiner Datenverarbeitungsvorgänge sowie des weiteren Umgangs mit Daten und deren Verwendung, so daß auch Speicherung, Dokumentierung und Aufbereitung erfaßt sind. - Beschränkt ist der Schutz auf die Datenverarbeitung, die für einen fremden Betrieb, ein fremdes Unternehmen oder eine Behörde von wesentlicher Bedeutung ist. Betrieb ist eine räumlich technische Einheit, mit der ein bestimmter arbeitstechnischer oder wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird. - Der Begriff des Unternehmens ist demgegenüber weiter und erfaßt organisatorische Einheiten, die auf einer Verbindung personeller und sachlicher Mittel beruhen. Der verfolgte Zweck braucht nicht wirtschaftlicher Natur zu sein, auch karitative Organisationen sind vom Schutzzweck erfaßt. - Behörde ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, § 1 Abs. 4 VwVfG, auch Gerichte, § 11 Abs. 1 Nr. 7. Fremd sind der Betrieb und das Unternehmen, wenn sie bei rechtlich-wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht dem Vermögen des Täters zuzuordnen sind. Vgl. LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 830; - weiter LACKNER StGB, § 303 b Anm. 2.

Wesentliche Bedeutung hat die Datenverarbeitung für die geschützte Einrichtung, wenn deren Funktionsfähigkeit auf der Grundlage einer konkreten Arbeitsweise, Ausstattung und Organisation ganz oder zu einem erheblichen Teil von dem einwandfreien Funktionieren der Datenverarbeitung abhängt; L E N C K N E R / W I N K E L B A U E R CR 1986 S. 830. c) Die Tathandlung Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 kann auch vom Eigentümer einer Datenverarbeitungsanlage verwirklicht werden, der im Auftrage anderer Daten verarbeitet. Die Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 2 können sich gleichfalls gegen Sachen des Täters richten, wenn diese in die geschützte Einrichtung auf Grund von Besitz- oder Nutzungsrechten eingegliedert sind. Vgl. dazu LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 831; - weiter LACKNER StGB, § 303 b Anm. 2.

Zum"Zerstören" vgl. § 47 I 2 d, zum "Beschädigen" vgl. § 47 I 2 c, zum "Unbrauchbarmachen" vgl. 1 c. Beseitigen liegt vor, wenn das Tatobjekt aus dem Verfügungsbereich des Berechtigten entfernt wird. d) Der Taterfolg Die Tathandlung muß zu einer Störung der Datenverarbeitung geführt haben. Eine Störung liegt vor, wenn der reibungslose Ablauf der Datenverarbeitung nicht unerheblich beeinträchtigt ist; BT-Drucksache 7/5058 S. 35. e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. f) Konkurrenzen Abs. 1 Nr. 2 ist gegenüber § 303 der speziellere Tatbestand, soweit die Voraussetzungen des § 303 vorliegen. - Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 88, 109 c, 202 a, 269,316 b.

188

Die Vermögensentziehungsdelikte

IV. Strafantrag Taten nach §§ 303 - 303 b werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung e^n Einschreiten für geboten hält, § 303 c. Nach h.M. ist Verletzter und damit Antragsberechtigter nicht nur der Eigentümer, sondern jeder, der sonst ein dingliches oder persönliches Recht an der beschädigten Sache hat und in diesem Recht durch die Tat verletzt worden ist. Vgl. BayObLG JR 1982 S. 25; OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 2056; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 389; DREHER/TRÖNDLB § 303 C R d n . 2; LACKNER S t G B , § 303 c A n m . 2; WOLFF LK, § 3 0 3 R d n . 14.

Für eine derartige Ausweitung des Antragsrechts besteht im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut dieser Vorschrift keinerlei Grund. Antragsberechtigt ist allein der Träger des geschützten Rechtsguts, d.h. im Regelfall der Eigentümer, ausnahmsweise der Inhaber des stärksten Vermögensrechts an der Sache, dazu oben unter 1. Vgl. auch: RUDOLPHI JR 1982 S. 28; SAMSON SK, § 303 c Rdn. 3; STREB JuS 1988 S. 191 f.

Für eine derartige Ausweitung des Antragsrechts besteht im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut dieser Vorschrift keinerlei Grund. Antragsberechtigt ist allein der Träger des geschützten Rechtsguts, d.h. im Regelfall der Eigentümer, ausnahmsweise der Inhaber des stärksten Vermögensrechts an der Sache, dazu oben unter 1. Vgl. auch: RUDOLPHI JR 1982 S. 28; SAMSON SK, § 303 c Rdn. 3; STREE JuS 1988 S. 190 f.

§ 48: Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b 1. Das geschützte Rechtsgut Seiner systematischen Stellung nach gehört § 248 b in den Bereich der Delikte gegen die umfassende Sachherrschaftsposition einer Person. Diese Position wird durch die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung verletzt. Sachlich übereinstimmend, wenn auch auf die Verletzung des Eigentums abstellend: SAMSON SK, § 248 b R d n . 1; SCHMIDHÄUSER B.T., 8 / 6 7 ; SCH/SCH/ESER § 248 b R d n . 1. - A A . Schutz des E i g e n -

tums und jeglicher Gebrauchsrechte: BGHSt 11 S. 51; DREHER/TRÖNDLE § 248 b Rdn. 4; LACKNER S t G B , § 248 b A n m . 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 37 R d n . 5.

2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Tatobjekte können Kraftfahrzeuge - dazu § 248 b Abs. 4 - und Fahrräder sein. b) Ingebrauchnahme ist eine Benutzung des Fahrzeugs, "bei der der Täter sich des Fahrzeugs unter Einwirkenlassen der zu Ingangsetzung und Inganghaltung geeigneten Kräfte als Fortbewegungsmittel bedient und dabei eine ihm nicht zustehende Herrschaftsgewalt über das Fahrzeug ausübt" (BGHSt I I S . 50). In Gang gesetzt sein muß das Fahrzeug, nicht bloß der Motor. Daher erfüllt Anlassen des Motors noch nicht den Tatbestand, wohl aber Fahren im Leerlauf. - Nicht unter § 248 b fallen: Übernachten im fremden Kfz, Mitfahren im Autobus als blinder Passagier, Anhängen des eigenen Fahrrades an ein fremdes Fahrzeug (BGHSt 11S. 49 f)-

aa) Nimmt der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch, nutzt es aber dann in einer dem Willen des Berechtigten nicht mehr entsprechenden

§ 48 Strafbare Gebrauchsanmaßungen

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Weise, so ist zu differenzieren. Der bloß vertragswidrige Gebrauch während der Zeit der Nutzungsberechtigung erfüllt den Tatbestand nicht. LG Mannheim NJW 1965 S. 1929: Der Mieter eines Kfz, der sich vertraglich verpflichtet hatte, nicht selbst mit dem Fahrzeug zu fahren, nutzt das Fahrzeug dennoch selbst. LG: Der Mieter war Berechtigter i.S. des § 248 b. Sein bloß vertragswidriges Verhalten ist nicht tatbestandsmäßig.

Hingegen soll ein weiteres Benutzen des Fahrzeugs nach Ablauf der vertraglichen Nutzungszeit tatbestandsmäßig sein, weil das "unbefugte Inganghalten" dem "unbefugten Ingebrauchnehmen" gleichstehe. OLG Schleswig NStZ 1990 S. 340: Der Mieter eines Kfz verlängerte die Mietdauer mehrmals telefonisch. Dann verweigerte der Vermieter die Verlängerung des Mietvertrages. Der Mieter gab das Kfz dennoch erst Wochen später zurück. OLG: § 248 b liegt vor, da die Vorschrift auch die 'Gebrauchsunterschlagung" erfaßt.

Das überzeugt nicht. Der kriminalpolitische Zweck des § 248 b liegt darin, den Entwendungen von Kraftfahrzeugen zum vorübergehenden Gebrauch gegen den Willen des Berechtigten zu begegnen, nicht aber rechtswidriges, insbes. vertragswidriges Verhalten - sei es in der Art oder Dauer der Benutzung - bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen schlechthin zu pönalisieren. Für einen derart weiten Strafrechtsschutz von Vertragsverletzungen u.ä. besteht kein Bedürfnis. So auch: BayObLG NJW 1953 S. 193 f; OLG Hamm NJW 1966 S. 2360; AG München NStZ 1986 S. 4 5 8 ; FRANKE N J W 1974 S. 1 8 0 3 ff; KREY B . T . 2, R d n . 149; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 3 7 R d n . 9; S C H / S C H / E S E R § 2 4 8 b R d n . 4 a ; SCHMIDHÄUSER N S t Z 1986 S . 4 6 0 f; DERS. N S t Z 1990 S. 341.

A A . B G H S t 11 S. 50; B G H G A 1963 S. 344; DREHER/TRÖNDLE § 248 b Rdn. 4; LACKNER StGB,

§ 248 b Arnn. 3; RUß LK, § 248 b Rdn. 4.

bb) Entsprechend der Möglichkeit einer rechtswidrigen Zueignung einer Sache, über die der Täter zunächst gutgläubig Sachherrschaft erlangte, besteht die Möglichkeit der Verwirklichung des § 248 b allerdings, wenn der Täter bei der Ingebrauchnahme meint, befugt zu sein, später aber merkt, daß dies nicht der Fall ist, er aber gleichwohl das Fahrzeug weiter benutzt. BGHSt 11 S. 47: A lieh sich von P einen PKW. Er meinte, P sei der Eigentümer. Während der Fahrt erkannte A, daß P nicht der rechtmäßige Besitzer des Wagens sein konnte. Er fuhr dennoch weiter. BGH: § 248 b.

Auch sonst ist es nicht erforderlich, daß dem Berechtigten das Kfz durch Gewahrsamsbruch entzogen wurde. Fall: M hat das von V gemietete Fahrzeug nach Vertragsende auf einem Parkplatz einfach stehen lassen. A erkennt die Sachlage und nimmt nun das Fahrzeug - ohne Zueignungsabsicht - in Gebrauch. Ergebnis: § 248 b. - A A . FRANKE N J W 1974 S. 1805; SCHMIDHÄUSER NStZ 1986 S. 460 f.

cc) Nicht Gebrauchsanmaßung, sondern Diebstahl liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Täter ein Kfz für eine Fahrt wegnimmt, es dann aber an irgendeiner Stelle stehen läßt und es dem Zufall überläßt, ob und wann der rechtmäßige Eigentümer es wiedererlangt. - Dem ist zuzustimmen: Zueignung, wenn der Täter ein Kraftfahrzeug wegnimmt, um es nach einer Vergnügungsfahrt zu vernichten oder dem willkürlichen Zugriff Dritter auszusetzen. Gebrauchsdiebstahl, wenn der Täter davon ausgeht, daß der Berechtigte das Kraftfahrzeug aufgrund der Art des Abstellens zurückerhält. Der Rückstellungswille darf jedoch nicht mit dem bloßen rechtlich irrelevanten - Wünschen verwechselt werden. Der Täter muß daher das Be-

190

Die Vermögensentziehungsdelikte

wußtsein haben, daß die Rückstellung nach dem üblichen Lauf der Dinge erfolgt. Es genügt nicht, daß er meint, der Eigentümer werde das Fahrzeug vielleicht zurückerhalten. Daß er sich dabei u.U. der Hilfe anderer Personen bedient, ist gleichgültig, wenn diese Hilfe mit Sicherheit einplanbar ist. Vgl. BGH NJW 1987 S. 266; BGHSt 22 S. 46; BGH NStZ 1982 S. 420; DREHER/TRÖNDLE § 242

Rdn. 24; KELLER JR 1987 S. 343; OTTO Struktur, S. 200 ff; RANFT JA 1984 S. 280; SCHAFFSTEIN GA

1964 S. 107. A A Rückführungswille nicht erforderlich: ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 238; GEPPERT JK 87,

StGB § 248 b/2; RUDOLPHI GA 1965 S. 50 f; SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 54; SEELMANN JuS 1985

S. 454 f.

Nicht tatbestandsmäßig ist eine Ingebrauchnahme, um dem Berechtigten den Gebrauch wieder einzuräumen. Dieses Verhalten ist nicht auf Verletzung der umfassenden Sachherrschaft des Berechtigten gerichtet, sondern auf Einräumung der Sachherrschaft; vgl. dazu OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 590 mit Anm. O T T O JK, StGB § 248 b/1. 3. Strafantrag Antragsberechtigt ist der Inhaber der umfassenden Sachherrschaft. Dies wird bei Kraftfahrzeugen in der Regel der Halter, bei Fahrrädern der Eigentümer sein. Gegen seine Dispositions- und Gebrauchsbefugnis richtet sich das Delikt, und zwar auch dann, wenn unmittelbar ein Dritter durch die Tat betroffen wurde, weil er das Fahrzeug z.B. geliehen oder gemietet hatte. So im Ergebnis auch diejenigen, die das geschützte Rechtsgut im Eigentum sehen. - Das Antragsrecht wollen jedem durch die Tat berührten Nutzungsberechtigten diejenigen zugestehen, die das geschützte Rechtsgut weiter fassen; dazu oben unter 1.

4. Sonderproblem: Der Verbrauch des fremden Kraftstoffs Der Verbrauch des Benzins im Tank begründet nicht die Anwendung des § 242. Insoweit ist § 248 b lex specialis gegenüber § 242, da sonst das Antragsprivileg kaum einmal zum Zuge käme. Dazu BGHSt 14 S. 388; LACKNER StGB, § 248 b Anm. 6; VOGLER Bockelmann-Festschrift, S. 731. -

Differenzierend: RANFT JA 1984 S. 281.

5. Konkurrenzen Gemäß § 248 b Abs. 1 ist die Vorschrift subsidiär gegenüber Tatbeständen gleicher oder ähnlicher Schutzrichtung. Dies gilt insbesondere gegenüber den Zueignungsdelikten, die während der Gebrauchnahme erfolgen, z.B. einer Unterschlagung.

II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 1. Ähnlich dem § 248 b schützt § 290 die umfassende Sachherrschaftsposition des Berechtigten gegen die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung der Sache. 2. Nach § 290 werden öffentliche Pfandleiher, d.h. Pfandleiher, deren Geschäft allgemein zugänglich ist (Konzession nicht entscheidend!), bestraft, wenn sie eine Pfandsache eigenmächtig nutzen. 3. Im Falle einer Zueignung des Pfandes ist § 290 subsidiär gegenüber § 246.

§ 49 Zur Wiederholung

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§ 49: Zur Wiederholung 1. Welche Ansichten werden über das geschützte Rechtsgut des Diebstahlstatbestandes vertreten und wo werden die verschiedenen Auffassungen praktisch bedeutsam? - Dazu § 391, § 43,3. 2. Welche verschiedenen Definitionen des Begriffs 'fremd* in §§ 242, 246 werden vertreten. - Führen die Unterschiede auch zu praktischen Konsequenzen? - Dazu § 4013. 3. Wie ist der Begriff "Wegnahme" zu definieren? • Dazu § 4014. 4. Welche Elemente bestimmen den Gewahrsamsbegriff? - Dazu § 4014. 5. Haben Bewußtlose noch Gewahrsam? - Dazu § 4014 a. 6. Geht der Gewahrsam des Erblassers mit dem Tode auf die Erben über? - Dazu § 4014 g. 7. Welche Elemente enthält der Begriff der "Zueignung"? - Dazu § 40 II 2 b. 8. Was kennzeichnen die Begriffe: Sachsubstanztheorie, Sachwerttheorie, Vereinigungstheorie? Dazu § 40 II 2 a. 9. Wann ist eine Zueignung rechtswidrig? - Dazu § 40 II 4. 10. Ist es sachgerecht, beim Ausschluß der Rechtswidrigkeit der Zueignung zwischen Gattungs- und Speziesansprüchen zu differenzieren? - Dazu § 40 II 4 a. 11. Welche Möglichkeiten enthält die Gesetzestechnik der "Regelbeispiele"? • Dazu § 4111. 12. Welche Bedeutung hat der Irrtum über das Vorliegen eines Regelbeispiels? - Dazu § 4113 b. 13. Kann der Strafrahmen des § 243 auch auf einen versuchten Diebstahl Anwendung finden? - Dazu § 4114. 14. Kann § 244 Abs. 1 Nr. 2 Anwendung finden, wenn der Täter eine sog. Scheinwaffe bei der Tat benutzt? - Dazu § 41 III 2. 15. Was versteht man unter der "berichtigenden Auslegung des § 246"? - Dazu § 4 2 1 3 a, b. 16. Erfordert die Mittäterschaft im Rahmen des § 246 Besonderheiten? - Dazu § 421 4 a. 17. Ist die Ersatzbereitschaiit und -fähigkeit im Rahmen der Zueignungsdelikte irrelevant? Dazu § 4215. 18. Warum ist ein Irrtum darüber, daß die weggenommene Sache einem Familienmitglied gehört, im Rahmen des § 247 irrelevant? - Dazu § 43,4. 19. Wann ist eine Sache "geringwertig"? - Dazu § 44,2. 20. Wie müssen sich Gewaltanwendung bzw. Drohung und Wegnahme im Rahmen des Raubes zueinander verhalten? • Dazu § 46 II 1. 21. In welchem Verhältnis steht § 252 zur "Vortat"? - Dazu § 46 V 1 b. 22. Kann ein Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein? - Dazu § 46 V 3. 23. Welche Auffassungen werden über das Rechtsgut des § 316 a vertreten? - Wo wird die Verschiedenheit der Auffassungen relevant? - Dazu § 46 VI, 1,3,4. 24. Wie ist das "Beschädigen" einer Sache zu definieren? - Dazu § 4712 c. 25. Erfaßt § 248 b auch die vertragswidrige Benutzung eines Fahrzeuges, wenn der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch genommen hat? - Dazu § 4812 b, aa.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

§ 50: Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt wird in § 289 die Möglichkeit der Ausübung bestimmter Pfand- und Besitzrechte. Derartige Rechte sind u.a. Nutznießungsrechte (§§ 1030 ff, 1649 BGB), Pfandrechte (§§ 559 ff, 581, 585, 590, 647, 704, 1204 ff BGB, §§ 397, 410, 421 HGB), Gebrauchsrechte (§§ 535 ff, 581 ff, 598 ff, 743 BGB), Zurückbehaltüngsrechte (z.B. §§ 273, 772 ff, 972,1000 BGB, § 369 HGB, vertragliche Zurückbehaltüngsrechte), das Anwartschaftsrecht beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt, das Gebrauchsrecht des Sicherungsgebers bei der Sicherungsübereignung. Str. ist, ob auch das Pfändungspfandrecht zu den geschützten Rechten gehört. Dies ist zu bejahen, denn der Schutz des § 136 betrißt ein anderes Rechtsgut als das hier geschützte. Solange der Schuldner jedoch im Besitz der gepfändeten Sache ist, dürfte eine Wegnahme kaum begründbar sein; dazu weiter unter 2 c. W i e h i e r : BAUMANN N J W 1956 S. 1866 f; D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 8 9 R d n . 2; KREY B . T . 2, R d n . 2 8 6 f; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 3 7 R d n . 15.

A A BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 96; HIRSCH ZStW 82 ( 1 9 7 0 ) S. 426; LACKNER S t G B , § 2 8 9 A n m . 1.

2. Täter und Tathandlung a) Täter kann nur der Eigentümer (auch Miteigentümer) oder ein Dritter sein, der zugunsten des Eigentümers handelt. Dadurch entsteht eine Strafbarkeitslücke dann, wenn ein Dritter zu eigenen Gunsten aber ohne Zueignungsabsicht die Tat begeht. Beispiel: C hat dem B sein Kanu bis zum 1.6. vermietet. Als A dem C erklärt, er möchte das Kanu gern geliehen haben, weist ihn C auf die Miete des B hin, erklärt aber, er habe nichts dagegen, wenn B seines Besitzes verlustig gehe, ihm komme es nur darauf an, daß er das Kanu am 1.6. zur Verfügung habe. A nimmt dem B das Kanu fort und benutzt dies bis zum 1.6. Ergebnis: A und C bleiben straflos.

b) Zum Begriff der - eigenen oder fremden - beweglichen Sache vgl. oben § 4012. c) Wegnehmen ist, wie in § 242, als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams zu verstehen. Nicht die Rechtsvereitelung schlechthin, sondern das auf die Rechtsvereitelung und den Einbruch in die tatsächliche Herrschaftsphäre des Berechtigten abzielende Verhalten des Täters begründet die Strafwürdigkeit. Eingehend dazu OTTO JR 1982 S. 32 f; im übrigen vgl. ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 307; BOHNERT JuS 1982 S. 256 ff; JOERDEN JuS 1985 S. 22; LAUBENTHAL JA 1990 S. 41 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 10/8; SCH/SCH/ESER § 289 Rdn. 8.

Die Rechtsprechung lehnt zwar das Erfordernis eines Gewahrsamsbruch ab, setzt jedoch den Bruch "eines dem Besitz ähnlichen tatsächlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisses des Berechtigten" voraus; dazu RGSt 25 S. 117; BayObLG JR 1982 S. 31 f. Mit dieser verschwommenen Konstruktion eines in rechtlichen Kategorien nicht mehr faßbaren besitzähnlichen Verhältnisses wird jedoch lediglich kaschiert, daß die bloße Rechtsvereitelung als das tatbestandsmäßige Verhalten angesehen wird.

§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

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Konsequent ist es daher, wenn ein Teil der Lehre ausdrücklich die bloße Rechtsvereitelung genügen läßt. D a z u BlNDING B.T. I, S. 318 f; DREHER/TRÖNDLE § 289 R d n . 2; GEPPERT J u r a 1987 S. 433; LACKNER S t G B , § 289 ANM. 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, $ 37 R d n . 16; SCHÄFER LK, § 289

Rdn. 12.

Der Unterschied wird insbesondere beim Vermieterpfandrecht bedeutsam. Doch gerade hier kann 1288 den hinreichenden Schutz gewähren; dazu BayObLG JR 1982 S. 31 mit abl. Anm. BOHNERT JUS 1982 S. 256 f, und OTTO JR 1982 S. 32 f.

d) Da die Tat zugunsten des Eigentümers erfolgen muß, kann ein Zerstören oder Beschädigen der Sache nicht als Wegnahme angesehen werden. Auch eine Wegnahme, um die Sache zu zerstören oder zu beschädigen, ist nicht tatbestandsmäßig, da dieses Verhalten nicht zugunsten des Eigentümers erfolgt. 3. Die Absicht rechtswidriger Wegnahme Die Absicht rechtswidriger Wegnahme erfordert den unbedingten Vorsatz des Täters, das an der weggenommenen Sache bestehende Recht, zumindest zeitweilig, zu vereiteln. - Die Rechtswidrigkeit der Wegnahme ist auch hier streng vermögensrechtlich zu bestimmen. "Rechtswidrig" ist die Absicht des Täters daher nicht, wenn er einen fälligen Besitzanspruch gegen den Besitzer hat, z.B. der Eigentümer einen fälligen Rückgabeanspruch gegen den Mieter, oder dem Pfändungspfandrecht kein materiell wirksames Forderungsrecht zugrunde liegt oder eine unpfändbare Sache gepfändet wurde. 4. Strafantrag Antragsberechtigt ist derjenige, dessen Recht durch die Tat vereitelt wurde oder vereitelt werden sollte. II. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 1. Das geschützte Rechtsgut § 288 schützt die Möglichkeit des Gläubigers, aus dem Schuldnervermögen Befriedigung für einen materiellrechtlichen Anspruch zu erlangen, und zwar im Wege der Einzelzwangsvollstreckung. 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Die Zwangsvollstreckung droht, wenn aus dem Verhalten des Gläubigers ersichtlich ist, daß er die Zwangsvollstreckung ernsthaft betreiben oder durchsetzen will. Beispiele: Dringende Mahnung, Klageerhebung, Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids; dazu auch BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638; GEPPERT Jura 1987 S. 427 f.

Da § 288 dem Vermögensschutz des Gläubigers dient, liegt eine Zwangsvollstreckung i.S. des § 288 nur dann vor, wenn aus einem materiellrechtlich bestehenden Anspruch des Gläubigers vollstreckt werden soll. b) Bestandteile des Vermögens sind alle Sachen und Rechte einer Person, in die eine wirksame Einzelzwangsvollstreckung betrieben werden kann.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Fall: X hat gegen den Rechtsstudenten A einen Titel erwirkt und will wegen DM 100,- die Zwangsvollstreckung betreiben. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt A seine juristische Bibliothek, die er für das Studium braucht. Ergebnis: § 288 findet keine Anwendung, da die Bibliothek des A unpfändbar ist, § 811 Nr. 10 ZPO. Anders, wenn X einen Titel auf die Herausgabe der Bibliothek erwirkt hätte, weil er einen Anspruch auf die Bibliothek hat.

c) Veräußern ist jede rechtsgeschäftliche Verfügung, durch die der Zwangsvollstreckungszugriff des Gläubigers verschlechtert wird. aa) Keine Veräußerung i.S. des § 288, wenn durch das Veräußerungsgeschäft das dem Zugriff unterliegende Vermögen des Schuldners gleich bleibt oder größer wird. Fall: S, gegen den J die Zwangsvollstreckung betreibt, tauscht sein lahmes Rennpferd (Wert DM 300,-) gegen ein Kfz (Wert DM 500,-) ein. Ergebnis: Kein Veräußern i.S. des § 288.

bb) Gleichfalls liegt keine Veräußerung i.S.d. § 288 vor, wenn der Schuldner mit dem Veräußerungsgeschäft nur eine vor der drohenden Zwangsvollstreckung schon bestehende rechtliche Verpflichtung erfüllt. Beispiel: A, der dem X vor Wochen sein Kfz verkauft hat, übereignet es an X, als er hört, G wolle gegen ihn die Zwangsvollstreckung betreiben.

d) Beiseiteschaffen ist das tatsächliche Entziehen des Vermögensgegenstandes vor dem Gläubigerzugriff. Beispiele: Wegschaffen, Verstecken, Zerstören, Beschädigen einer Sache, so daß sie an Wert verliert (RGSt 42 S. 63; SCHÄFER LK , § 288 Rdn. 26. - A A . SCH/SCH/ESER § 288 Rdn. 17), Einziehen einer Forderung vor Fälligkeit (RGSt 9 S. 232; 19 S. 27; SCHÄFER LK, § 288 Rdn. 25; - a A . HAAS wistra 1989 S. 259 f) o.ä. - Nicht hingegen: bloßes Ableugnen des Besitzes, Behauptung gegenüber dem Gerichtsvollzieher, die Sache stehen im Eigentum eines anderen.

e) Der subjektive Tatbestand erfordert die Absicht (direkter Vorsatz) des Täters, die Befriedigung des Gläubigers - und sei es auch nur zeitweise - zu vereiteln. Im übrigen genügt zumindest bedingter Vorsatz, der die drohende Zwangsvollstreckung und die Verringerung der Befriedigungsmöglichkeiten für den Gläubiger umfassen muß. - Die Absicht fehlt bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen, wenn genügend andere Vermögenswerte vorhanden sind, die zur Befriedigung des Gläubigers ausreichen. Bei Individualansprüchen genügt es hingegen nicht, daß evtl. Schadensersatzansprüche wegen Verweigerung der Herausgabe befriedigt werden können, denn der Schuldner hat kein Recht, den Gläubiger auf einen anderen Anspruch zu verweisen. So auch: R G S t 8 S. 52; SCHÄFER LK, § 288 Rdn. 37; SCH/SCH/ESER § 288 R d n . 22. - A A . BERGHAUS S . 101; LACKNER S t G B , § 2 8 8 A n m . 6.

3. Täterschaft und Teilnahme Die Vollstreckung muß dem Täter selbst drohen. Etwaige Vertreter des Täters können gemäß § 14 haften. - Die Schuldnereigenschaft kennzeichnet die Tatsituation, nicht aber eine besondere Pflichtenstellung des Täters. Sie ist daher nicht persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. So auch: GEPPERT Jura 1987 S. 431; LACKNER StGB, § 288 Anm. 2; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . 1, § 4 7 R d n . 11; W E B E R in: A r z t / W e b e r , L H 4, R d n . 325. - A A . D R E H E R / TRÖNDLE § 2 8 8

Rdn. 14; ROXIN LK, § 28 Rdn. 39.

§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

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III. Wilderei, §§ 292 ff 1. Jagdwilderei, § 292 Abs. 1 a) Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt in erster Linie das Aneignungsrecht des Berechtigten, daneben aber auch die Hege eines gesunden Wildbestandes. S o auch: DREHER/TRÖNDLE § 292 R d n . 1; LACKNER S t G B , § 292 A n m . 1; SCHÄFER LK, § 292 R d n . 2; WESSELS J A 1984 S. 221. - A A . N u r Aneignungsrecht: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, S 38 R d n . 6; SCH/SCH/ESER § 292 R d n . 1; WELZEL Lb., § 521.

b) Die einzelnen Tatbestandsmerkmale aa) Tatobjekt der 1. Alternative ist das frei lebende jagdbare Wild, § 2 BJagdG. Nicht herrenloses Wild (z.B. Wild im Tiergarten) ist nicht Gegenstand des Jagd- sondern des Eigentumsrechts; dazu auch BayObLG JR 1987 S. 128; NStZ 1988 S. 230. Tatobjekt der 2. Alternative sind die herrenlosen, dem Aneignungsrecht des Jagdberechtigten unterliegenden Sachen, wie verendetes Wild, Fallwild, Abwurfstangen u.ä., vgl. § 1 Abs. 5 BJagdG. bb) In der 1. Alternative wird das Nachstellen, Fangen, Erlegen und Zueignen unter Strafe gestellt. Nachstellen ist Vorbereitung der anderen Handlungen, z.B. Durchstreifen des fremden Jagdreviers mit schußbereiter Flinte o.a. - Fangen heißt, sich des lebenden Tieres bemächtigen; Erlegen, es auf irgendeine Weise töten. Sich zueignen ist die Gewahrsamsbegründung mit Zueignungswillen (str., Zueignung an Dritte soll nach OLG Hamm NJW 1956 S. 881 genügen).

Unter die 2. Alternative fällt Zueignen, Beschädigen oder Zerstören des entsprechenden Tatobjektes. cc) Der Jagdausübungsberechtigte erwirbt an den Objekten des Jagdrechts Eigentum mit Besitzergreifung. Die Besitzergreifung durch irgendeinen Dritten, der nicht für den Berechtigten handelt, genügt nicht. Vgl. dazu PALANDT/BASSENGE BGB, 49. Aufl. 1990, § 958 Anm. 3 b; WOLFF/RAISER Sachenrecht, 10. Bearb. 1957, § 78 III 2. - Eigentumserwerb des Berechtigten bei Besitzergreifung irgendeiner Person bejahen BAUR Lehrbuch des Sachenrechts, 14. Aufl. 1987, § 53 f III 2; HECK Grundriß des Sachenrechts, 1930, § 64 Ziff. 6.

Dennoch ist Jagdwilderei durch einen Dritten, der dem Wilderer das Wild entwendet oder abkauft, ausgeschlossen: Das Objekt ist nicht mehr herrenlos, sondern Besitzobjekt und damit Vermögensobjekt des Wilderers, der die umfassende Sachherrschaft darüber ausübt. Es kann daher Gegenstand eines Vermögensdelikts, insbes. der Hehlerei, § 259, sein, nicht aber der Wilderei. Dazu vgl. auch oben § 4013; sowie eingehend: OTTO Struktur, S. 153 ff.

dd) Zum Recht auf Ausübung der Jagd vgl. §§ 3 ff BJagdG. ee) Der Vorsatz muß sich darauf beziehen, daß es sich um jagdbares Wild oder um Gegenstände handelt, die dem Jagdrecht unterliegen, und daß der Täter das Jagdrecht eines anderen verletzt. c) Irrtum des Täters über das Tatobjekt aa) Hält der Täter eine fremde Sache irrig für ein taugliches Objekt der Jagdwilderei und eignet sich diese Sache zu, so ist - soweit nicht das Tatbestandsmerkmal des Nachstellens aufgrund des Vorgehens des Täters vorliegt - der objektive Tatbe-

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Die Vermögensentziehungsdelikte

stand des § 292 nicht erfüllt. - Eine Bestrafung wegen Diebstahls oder Unterschlagung scheitert hingegen, weil dem Täter der Vorsatz fehlt, sich eine "fremde" Sache zuzueignen. S o z.B. auch: R G S t 63 S. 37; DREHER/TRÖNDLB § 292 R d n . 20; KREY B.T. 2, R d n . 271 ff; PREISENDANZ § 292 A n m . 7; WESSELS J A 1984 S. 224 f. - A A WELZEL Lb., § 5 2 1 3 : D e r T ä t e r weiß, d a ß er sich

eine Sache zueignet, die ihm "nicht gehört". Dieses Bewußtsein genügt für den Vorsatz der §§ 242, 246, 292. Entscheidend für die Strafbarkeit sei daher der jeweils erfüllte objektive Tatbestand. - Wieder andere kommen zur Annahme der vollendeten Wilderei, weil die Verletzung des Aneignungsrechts als Minus in der Verletzung des Eigentumsrechts enthalten ist; vgl. v. LÖBBECKE MDR 1974 S. 121; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 38 R d n . 20; SCHÄFER LK, § 292 R d n . 80; WAIDER G A 1962 S. 183.

Beispiel: Der Jagdberechtigte hat einen geschossenen Hasen im Unterholz versteckt, weil er ihn erst auf dem Heimweg mitnehmen will. A entdeckt den Hasen bei einem Spaziergang und meint, dieser sei vor kurzem geschossen - verendet. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Da J den Hasen bereits in Besitz genommen hatte, war der Hase für A eine fremde, nicht aber eine herrenlose Sache, daher entfällt § 292.

bb) Hält der Täter hingegen ein Objekt des Jagdrechts für eine fremde Sache, so kann versuchter Diebstahl bzw. versuchte Unterschlagung vorliegen. So auch: KREY B.T. 2, R d n . 275; SCHÄFER LK, § 292 R d n . 80; WESSELS J A 1984 S. 225. - A.A.

Vollendetes Diebstahls- oder Unterschlagungsdelikt: LACKNER StGB, § 292 Anm. 4; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 38 Rdn. 20; WELZEL Lb., § 521. - Diese Meinung ist nur haltbar, wenn das Rechtsgut des § 292 ausschließlich im Aneignungsrecht gesehen wird. Beispiel: Nach einer Treibjagd ist ein angeschossener Hase unter einer Bank im Wald verendet. Dort entdeckt A ihn. A meint, der Jagdberechtigte habe den Hasen geschossen und dort versteckt, um ihn auf dem Rückweg mitzunehmen. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Versuchter Diebstahl des A.

d) Konkurrenzen Vermögensdelikte und Jagdwilderei schließen einander nach der hier entwickelten Ansicht aus, da sie an jeweils verschiedenen Objekten begangen werden. - Nach h.M. soll § 259 dem § 292 lediglich als lex specialis vorgehen, wenn jemand von einem Wilderer ein Objekt des Jagdrechts erwirbt; vgl. SCHÄFER LK, § 292 Rdn. 36 m.w.N. 2. Qualifizierte Fälle der Wilderei a) Für besonders schwere Fälle droht § 292 Abs. 2 eine erhöhte Strafe an. Die fünf in § 292 Abs. 2 aufgezählten Beispiele sind zwar nicht abschließend, aber verbindlich. Daher handelt es sich insoweit um Qualifikationsmerkmale. So z.B.: B G H S t 5 S. 211; SCHÄFER LK, § 292 R d n . 86. - A A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 38 R d n . 24; SCH/SCH/ESER § 292 R d n . 22; WESSELS J A 1984 S. 226.

Nachtzeit ist die Zeit der Dunkelheit, d.h. die Zeit zwischen dem Ende der Abenddämmerung und dem Beginn der Morgendämmerung; KG JW 1937 S. 763. Der Täter muß unter Ausnutzung der Dunkelheit handeln. - Zur Schonzeit vgl. § 22 BJagdG in Verb, mit der Verordnung über die Schonzeit vom 2.4.1977. - Unter Anwendung von Schlingen vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 8 BJagdG. - Zur nicht waidmännischen Begehung vgl. § 19 Abs. 1 BJagdG. - Die Tat wird von mehreren mit Schußwaffen ausgerüsteten Tätern gemeinsam begangen, wenn mindestens zwei mit Schußwaffen ausgerüstete Mittäter am Tatort anwesend sind. b) Die gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Wilderei, § 292 Abs. 3, ist unstreitig ein qualifizierter Tatbestand. - Zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 II 2 c. Gewohnheits-

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mäßig handelt der Täter, der aus einem durch Übung ausgebildeten, selbständig fortwirkenden Hang tätig wird, so daß dessen Befriedigung ihm bewußt oder unbewußt ohne innere Auseinandersetzung gleichsam von der Hand geht; dazu auch BGHSt 15 S. 377. 3. Fischwilderei, § 293 Der Tatbestand entspricht im Aufbau der Jagdwilderei. - Fischen ist jede auf Fang oder Erlegen frei lebender Wassertiere (auch Krebse, Schildkröten, bestimmte Muscheln) gerichtete Tätigkeit. - Fische in geschlossenen Privatgewässern sind nicht herrenlos. - Das Fischereirecht ist landesrechtlich geregelt. 4. Antragsprivileg, § 294 Gemäß § 294 wird die einfache Jagd- und Fischwilderei nur auf Antrag des Verletzten verfolgt, wenn sie von einem Angehörigen oder einem Täter, der die Jagd in beschränktem Umfang ausüben durfte (z.B. Jagdgast), begangen wurde. 5. Analogie des § 248 a Eine analoge Anwendung des § 248 a zugunsten des Wilderers kommt nicht in Betracht, da sich die Wilderei nicht ausschließlich gegen das Vermögen richtet. Vgl. d a z u WESSELS J A 1984 s . 226.

§ 51: Betrug Bereicherungsdelikt. - Dem Täter geht es darum, die dem Berechtigten entzogene Vermögensposition sich oder einem anderen rechtswidrig zu verschaffen. Ein Vermögensgut wird aus einem Vermögen in das andere übertragen; die angestrebte Bereicherung entspricht dem Schaden.

I. Rechtsgut und Gesetzessystematik 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des Betrugstatbestandes ist nach heute allgemein anerkannter Ansicht allein das Vermögen. - Streitig ist jedoch die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs; dazu eingehend unter III 4 a. 2. DerAußau des Gesetzes a) Den Tatbestand des Betruges beschreibt § 263 Abs. 1. b) § 263 Abs. 3 enthält einen unbenannten, die Deliktsnatur nicht verändernden Strafschärfungsgrund. Die Verweisung auf § 243 Abs. 2 in § 263 Abs. 4 stellt klar, daß ein besonders schwerer Fall nicht angenommen werden darf, wenn sich die Tat auf einen geringen Wert bezieht, dies allerdings - entgegen dem Wortlaut des § 243 Abs. 2 - auch dann, wenn Gegenstand des Betruges keine Sache, sondern ein anderes Vermögensobjekt, z.B. eine Forderung, ist (systematische Auslegung!).

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Gemäß § 263 Abs. 4 finden ferner die §§ 247, 248 a auf entsprechende Betrugsfälle Anwendung. c) Speziell geregelte Fälle des Betruges enthalten die §§ 352,353.

II. Der gesetzliche Tatbestand Die gesetzliche Formulierung des Gemeinten ist dem Gesetzgeber arg mißglückt. Zum Ausdruck kommen sollte, daß derjenige wegen Betrugs bestraft werden soll, der in der Absicht, sich oder einen anderen rechtswidrig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen einen Irrtum bei einer Person erweckt, aufgrund dessen diese Person eine vermögensschädigende Verfügung zugunsten des Täuschenden oder des von diesem Begünstigten vornimmt. Die Merkmale des Tatbestands sind danach: 1. Eine Täuschung durch den Täter. 2. Ein Irrtum des Getäuschten. 3. Eine Vermögensverfiigung des Getäuschten. 4. Ein Vermögensschaden des Getäuschten oder bestimmter dritter Personen. Zwischen den unter 1. bis 4. genannten Merkmalen muß ein funktionaler Zusammenhang bestehen derart, daß das jeweils folgende Merkmal seinen Grund in dem vorangegangenen hat. - Getäuschte und verfügende Person müssen identisch sein, nicht aber verfügende und geschädigte Person. - Da nach h.M. - vgl. dazu unter III 3 - die Vermögensverfiigung als ein den Vermögensschaden begründendes Verhalten interpretiert wird, kommt ihr im Denkschema der h.M. keine Eigenständigkeit zu. Täuschung, Irrtum und Vermögensminderung sind dann die Betrugselemente, wie SCHMIDHÄUSER Tröndle-Festschrift, S. 305 ff nachgewiesen hat; dazu HANSEN Jura 1990 S. 510 ff.

5. Subjektiv ist neben dem Vorsatz die Absicht des Täters erforderlich, sich oder einen Dritten um einen Vermögensvorteil rechtswidrig zu bereichern. - Der erstrebte Vorteil muß dem Schaden entsprechen.

III. Der objektive Tatbestand 1. Die Täuschung Die umständlichen Formulierungen des Gesetzgebers sollen zum Ausdruck bringen, daß der Täter über Tatsachen getäuscht haben muß, d.h. über einem Beweis zugängliche, konkrete äußere oder innere Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart. Der Gegensatz zur Täuschung über Tatsachen ist die Abgabe unrichtiger Meinungsäußerungen oder Werturteile, die jeglichen Tatsachenkems entbehren oder nach allgemeiner Auffassung des Verkehrs nicht als Tatsachenbehauptung angesehen werden. Soweit diese Äußerungen allerdings auf einer Tatsachengrundlage beruhen, kann über diese Grundlage wiederum getäuscht werden. Beispiel 1: Aufforderung, die Aktien der X-AG zu kaufen, denn diese würden der "Renner" der nächsten Zeit: Zukunftsprognose. Beispiel 2: Aufforderung, die Aktie X zu kaufen, denn diese werde im Kurs steigen, weil der Großaktionär G Order erteilt habe, Aktien der X-AG bis zum Doppelten des derzeitigen Preises zu kaufen: Tatsachenbehauptung.

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Beispiel 3: Anpreisung des Modells X der Kfe-Marke Y mit dem Hinweis, dieses sei der Traumwagen jedes fortschrittlich denkenden Menschen: Werturteil Beispiel 4: Anpreisung des Modells X der Kfe-Marke Y mit dem Hinweis, im Preis des Grundmodells seien bereits die Extras A - D enthalten: Tatsachenbehauptung, da Behauptung über wertbildende Faktoren.

Täuschung ist ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten. Es kann durch ausdrückliches Vorspiegeln, durch schlüssiges (konkludentes) Verhalten oder durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen. a) Die ausdrückliche Täuschung kann durch wörtliche Erklärungen oder täuschende Manipulationen an bzw. mit Gegenständen verwirklicht werden. Maßgeblich ist allein, daß auf die Vorstellung eines anderen eingewirkt wird oder die Veränderung der Vorstellung eines anderen verhindert wird. Täuschung: Vorlage gefälschter Urkunden, Manipulationen an Strom-, Gas- oder Kilometerzählern (LG Marburg MDR 1973 S. 65), Auswechseln von Preisschildern in einem Laden (OLG Hamm NJW 1968 S. 1894), Manipulation des Eindrucks, eine Fahrkarte sei entwertet worden (OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 924). Keine Täuschung: Wer Beförderungsleistungen in Anspruch nimmt oder sich in eine Veranstaltung einschleicht, selbst wenn die Vorstellung der Aufsichtsperson "alles sei in Ordnung", durch dieses Verhalten unzutreffend wird. Im Hineinsetzen allein liegt noch keine Täuschung. Zur späteren Aufklärung hingegen ist der Täter nicht als Garant verpflichtet. D a z u BOCKELMANN E b . Schmidt-Festschrift, S. 439; HERZBERG G A 1977 S. 289 ff; LACKNER LK,

§ 263 Rdn. 18, 91; SAMSON JA 1978 S. 472; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 204. - A A . ARZT in: A r z t / W e b e r , L H 3, R d n . 470.

Stets ist das Bewußtsein des Täters erforderlich, daß zwischen dem vorgegebenen Sachverhalt und der Wirklichkeit eine Diskrepanz besteht. Insoweit hat das Merkmal Täuschung einen subjektiven Einschlag; vgl. dazu auch BGHSt 18 S. 237.

b) Bei einer konkludenten Täuschung nimmt der Täter Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt der Art, daß dieser Bezug sein Verhalten inhaltlich mitbestimmt. Er weiß, daß sein Verhalten nach der Verkehrssitte, Übereinkunft der Beteiligten o.ä. einen ganz bestimmten Aussagegehalt hat, auf den er sich stillschweigend bezieht, obwohl er sich nicht dem Aussagehalt gemäß verhalten oder an den Aussagegehalt halten will. Konkludente Erklärungen: Wer einen Vertrag schließt, erklärt, daß er zur Erfüllung fähig und willig ist (BGHSt 15 S. 24); wer einen Scheck begibt, erklärt, daß dieser bei Vorlage gedeckt ist (BGH NJW 1983 S. 461, eingehend dazu OTTO Bankentätigkeit, S. 113); wer einer Bank einen Scheck einreicht, erklärt, daß dieser nach seiner Überzeugung gedeckt ist (OLG Köln NJW 1981S. 1851); wer ein Sparbuch zum Abheben vorlegt, erklärt, daß er dazu berechtigt ist (dazu OTTO Bankentätigkeit, S. 99; - a A . OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2003); wer einen Betrag von seinem Konto abheben will, erklärt, daß Deckung insoweit vorhanden ist (OLG Stuttgart NJW 1979 S. 2321 mit Anm. JOECKS JA 1979 S. 390 f, und B. MÜLLER JR 1979 S. 472 ff; - a A . AG Tiergarten NJW 1989 S. 846); wer seiner Bank eine Lastschrift einreicht, erklärt, daß die Forderung besteht und er zum Einzug ermächtigt ist (OLG Hamm NJW 1977 S. 1836); wer eine Wette eingeht, erklärt, daß er das typische Wettrisiko eingehen will (so BGHSt 29 S. 167 mit abl. Anm. KLIMKE JZ 1980 S. 581 f. - A A . noch BGHSt 16 S. 120); der Gastwirt, der Bier serviert, erklärt, daß es sich um frisch gezapftes Bier handelt (aA. RGSt 29 S. 35); der Gebrauchtwagenhändler, der ein Kraftfahrzeug ohne besonderen Hinweis anbietet, erklärt, daß es sich um ein unfallfreies Fahrzeug handelt (OLG Nürnberg MDR 1964 S. 693); wer einen Wechsel zum Diskont anbietet, erklärt, daß es sich um einen Warenwechsel handelt (BGH NJW 1976 S. 2028); wer bei einer Selbstbedienungstankstelle tankt, erklärt die Absicht der Zahlung (BGH NStZ 1983 S. 505 mit Anm. GAUF S. 505 ff, und DEUTSCHER S. 507 f). - Zur Problematik des Tankens an Selbstbedienungstankstellen vgl. auch oben § 4013. Keine konkludenten Erklärungen: Der Mieter eines Zimmers, der nach Vertragsabschluß zahlungsunfähig wird, erklärt durch bloßes Wohnenbleiben nicht seine Zahlungsfähigkeit (OLG Hamburg NJW

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Die Vermögensentziehungsdelikte

1969 S. 335 mit Anm. G. E. HIRSCH NJW1969 S. 853 f und SCHRÖDER JR 1969 S. 110). Er ist auch nicht zu einer Offenbarung rechtlich verpflichtet (BGH GA 1974 S. 284; TRIFFTERER JUS 1971 S. 181 ff). Wer eine Forderung aus einer Naturalobligation geltend macht, behauptet nicht, eine gerichtlich durchsetzbare Forderung zu haben (OLG Stuttgart JZ 1979 S. 575 mit Anm. FRANK NJW 1980 S. 848; HEID JuS 1982 S. 22 ff; JoECKS JA 1980 S. 128; Loos NJW 1980 S. 847 f; B. MÜLLER JuS 1981S. 255 ff). - Die Annahme versehentlich zu viel gezahlten Geldes enthält nicht die Erklärung, daß eine Forderung auf das Geld besteht (OLG Köln NJW 1987 S. 2527 mit Anm. JOERDEN JZ 1988 S. 103 ff; OLG Düsseldorf NJW 1987 S. 853 mit Anm. MÖHLENBRUCH NJW 1988 S. 1894 f). - Die Forderung eines best. Preises für einen Gegenstand enthält nicht die Erklärung, daß diese Forderung angemessen oder üblich ist (dazu SCHAUER Grenzen der Preisgestaltung im Strafrecht, 1989, S. 11 ff); anderes gilt nur bei üblicherweise gebundenen Preisen (BGH JZ 1989 S. 759 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 263/30).

c) Eine Täuschung durch Unterlassen ist nach den Grundsätzen des garantiepflichtwidrigen Unterlassens möglich, hat jedoch Ausnahmecharakter. - Grundsätzlich kann die Nichthinderung der Entstehung einer Fehlvorstellung durch einen Garanten nämlich nur einer Irrtumserregung durch positives Tun gleichgestellt werden (§ 13), nicht aber einer Irrtumserregung durch Täuschung, d.h. einem qualifizierten positiven Tun. - Durch die weite Interpretation der Täuschung als ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten sind die bestehenden Schranken zwischen der bloßen Herbeiführung eines Irrtums und der Herbeiführung eines Irrtums durch Täuschung im Laufe der Zeit jedoch weitgehend eingeebnet worden. Auch heute wird man aber nur dort eine Täuschung durch Unterlassen annehmen können, wo der Garant aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses ausnahmsweise eine besondere Aufklärungspflicht hat. Bloße vertragliche Nebenpflichten insbesondere aus Treu und Glauben genügen den Anforderungen nicht. Aufklfirungspflichten können sich ergeben aus öffentlich-rechtlichen Mitteilungs- und Meldepflichten (z.B. §§ 16 W G , 116 BSHG); aus besonderem Vertrauensverhältnis aufgrund lange bestehender vertraglicher Beziehungen (BGH GA 1965 S. 208); aus Ingerenz, wenn das vorangegangene Tun einen Irrtum begründet hat (OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1975). Keine Aufklärungspflicht i.S. des § 263 begründen: Treu und Glauben, z.B. Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach Vertragsschluß bei Vorleistung des Vertragspartners, es sei denn, es besteht ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten (BGH wistra 1988 S. 262; ALBRECHT JuS 1979 S. 52; - aA. dagegen noch BGHSt 6 S. 196); finanzielle Schwierigkeiten eines Kaufmanns, die dieser aber zu überwinden hofft (BGH bei Dallinger, MDR 1968 S. 202; OLG Stuttgart JR 1978 S. 388 mit Anm. BEULKE S. 390); Inempfangnahme eines höheren Geldbetrages als des geschuldeten (BGH JZ 1989 S. 550); Abheben der Rente nach Tod des Berechtigten (OLG Köln MDR 1979 S. 250 mit Anm. KÜHL JA 1979 S. 681; - aA. OLG Hamm NJW 1987 S. 2245 mit abl. Anm. OTTO JK 88, StGB § 263/24); Vollstreckung aus einem Räumungsurteil, das wegen Eigenbedarfs erging, wenn der Eigenbedarf nach Erlaß des Urteil weggefallen ist (aA. BayObLG JZ 1987 S. 626 mit zust. Anm. HILLENKAMP JR 1988 S. 301 ff; RENGIER JuS 1989 S. 802 ff; PUNTE Jura 1989 S. 128 ff; und mit abl. Anm. HELLMANN JA 1988 S. 73 ff; OTTO JZ 1987 S. 628 ff; SEIER NJW 1988 S. 1617 ff). Im einzelnen dazu BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 217 ff, 313 ff; MAAB Betrug verübt durch Schweigen, 1982, S. 46 ff (Ingerenz), S. 61 ff (Solidaritätsbeziehung), S. 99 ff (Übernahmegarantie). - Zur grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Täuschung durch Unterlassen: LACKNER LK, § 263 Rdn. 57 ff.

2. Der Irrtum Der Täter muß durch Täuschung einen Irrtum, d.h. eine unrichtige Vorstellung über Tatsachen, erregt oder weiter unterhalten haben. - Die bloße Ausnutzung eines vorhandenen Irrtums genügt nicht. a) Etwaige verbleibende Zweifel desjenigen, auf den durch eine Täuschung eingewirkt wird, hindern den Irrtum nicht, wenn der Getäuschte letztlich diese Zweifel überwindet und die Fehlvorstellung für die richtige hält, denn der Zweifelnde, aber

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schließlich doch Überzeugte ist nicht weniger schutzwürdig als der Leichtgläubige. Erst wenn dem Getäuschten die Wahrheit der Erklärung gleichgültig ist, fehlt es an einem Irrtum. So auch: BGH wistra 1990 S. 305; DREHER/TRÖNDLE $ 263 Rdn. 18 a; FRISCH Bockelmann-Festschrift, S. 647 ff; GÜNTHER Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 193 f; HERZBERG GA 1977 S. 289 ff; HILLENKAMP Vorsatztat und Opferverhalten, 1981, S. 18 ff; LACKNER LK, § 263

R d n . 80; RANFT J A 1984 S. 7 3 1 f; SEIER D e r Kündigungsbetrug, 1989, S. 273; SEELMANN J u S 1982 S. 270. - A A AMELUNG G A 1977 S. 6 ff; BEULKE N J W 1977 S. 1073; ELLMER B e t r u g u n d

Opfermitverantwortung, 1986, S. 271 ff; GIEHRING GA 1973 S. 1 ff; R. HASSEMER Schutzbedürftigkeit

des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1981, S. 113 ff; SCHÜNEMANN Bockelmann-Festschrift, S. 130 f; DERS. NStZ 1986 S. 439 ff.

Auch Leichtgläubigkeit oder Naivität beseitigen nicht den Schutz des Betrugstatbestandes wegen eines etwaigen Opfermitverschuldens. BGHSt 34 S. 199 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/22: Der A organisierte ab 1984 Werbung und Vertrieb für Verjüngungs- und Abmagerungsmittel sowie für "Haarverdicker" und "Nichtraucherpillen". Wie er wußte, waren sämtliche Mittel ebenso wirkungslos wie harmlos. Er verkaufte sie zu Preisen zwischen 46,50 DM bis 76,- DM "ohne jedes Risiko" per Nachnahme zuzüglich Versandspesen mit "Rückgaberecht innerhalb von 14 Tagen mit voller Geldzurückgarantie". Auf Grund der Erfahrungen seiner Hinterleute ging A davon aus, daß etwaige Reklamationen von höchstens 10 % der Käufer erfolgen würden. Dieser Prozentsatz wurde aber nur bei den Schlankheitspillen erreicht. Wurde reklamiert, so erhielt der Kunde den vollen Kaufpreis zurück. - Den Produkten selbst wurden in der Werbung geradezu wundersame Wirkungen und Eigenschaften zugeschrieben. So sollte das Hollywood-Lifting-Bad, angeblich aus "taufrischem Frischzellenextrakt", im BUtztempo von nur 12 Bädern wieder schlank, straff und jung formen, und zwar "mit 100 %iger Figurgarantie". Der "Haarverdicker-Doppelhaar" verdoppele das Haar binnen 10 Minuten, auch Schuppen, Flechten, fettiges und trockenes Haar würden mit 100 %iger Garantie beseitigt. In dieser Art wurde für sämtliche Produkte geworben. Allein bei der Strafzumessung im Rahmen der Würdigung der kriminellen Energie des Täters kann ein u.U. leichtfertiges Verhalten des Opfers Berücksichtigung finden; dazu BGH StV 1983 S. 326; HILLENKAMP Vorsatztat, S. 18 ff.

b) Einflußnahmen auf die automatischen Operationen eines Computers sind der Beeinflussung des Willens eines Menschen nicht gleichzusetzen. Sie begründen daher keinen i.S. des § 263 relevanten Irrtum; vgl. dazu § 263 a. Zu beachten ist aber, daß der relevante Irrtum schon durch Täuschung von Kontrollpersonen hervorgerufen werden kann und daß durch die Ergebnisse des beeinflußten Computers ein Irrtum bei Personen entstehen kann. So auch mit eingehender Begründung: SIEBER Computerkriminalität, S. 203 ff, 215; DERS. Computerkriminalität, Nachtrag, S. 2/2 ff; LACKNER LK, § 263 Rdn. 86; N. SCHMID Missbräuche im modernen Zahlungs- und Kreditverkehr, 1982, S. 28 f. c) Kontrollpersonen, die die Richtigkeit eines Sachverhalts überprüfen sollen, sind auch dann getäuscht, wenn sie aufgrund des ihnen vorgelegten Materials davon ausgehen, daß der vorgetragene Sachverhalt zutrifft. Beispiele: Irrtum des Sparkassenangestellten, dem ein Sparbuch von einem Dritten zur Auszahlung vorgelegt wird, über die Berechtigung des Vorlegenden, denn da grobe Fahrlässigkeit des Schuldners bei der Auszahlung die Forderung nicht zum Erlöschen bringt - vgl. BGHZ 28 S. 368 - wird sich der Schuldner in der Regel Gedanken über die Berechtigung des Buchinhabers machen (vgl. auch LACKNER LK, § 263 Rdn. 88; MAIWALD JA 1971 S. 643; OTTO Bankentätigkeit, S. 99; - aA. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2003; MLEHE Heidelberg-Festschrift, S. 498). - Irrtum des Richters oder Rechtspflegers, dem ein unwahrer Sachverhalt im Prozeß oder im Antrag auf einen Mahnbescheid vorgetragen wird (str., wie hier BGHSt 24 S. 257; aA.. z.B. GIEHRING GA 1973 S. 1 ff). - Irrtum des Schecknehmers über die Berechtigung des Scheckbegebenden, wenn dieser einen gestohlenen oder gefälschten Scheck vorlegt, auch dann, wenn der Scheck durch Scheckkarte garantiert ist. Positives Wissen und grob fahrlässige Unkenntnis der Nichtberechtigung verhindern nämüch auch hier die Entstehung des Anspruchs. Damit ist davon auszugehen, daß der Schecknehmer selbst nur vom Berechtigten einen Scheck erhalten will und

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Die Vermögensentziehungsdelikte

getäuscht ist, wenn er nach den Umständen davon ausgeht, daß der Berechtigte sein Partner ist (aA. STEINHILPER Jura 1983 S. 413 f). - Anders hingegen beim Begeben eines ungedeckten Schecks durch den berechtigten Karteninhaber, § 266 b. - Irrtum des Schecknehmers der einen ungedeckten Scheck einlöst (aA. AG Tiergarten NJW1989 S. 846).

3. Die Vermögensverfügung a) Verfügung und Verfügungsbewußtsein Nach h.M. wird die Vennögensverfiigung definiert als ein Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. - Danach kommt es auf ein "Verfügungsbewußtsein" des Opfers nicht an. Gleichgültig soll es sein, ob der Getäuschte weiß, daß er eine Vermögensverschiebung veranlaßt, die Verfügung also bewußt oder unbewußt erfolgt. - Geradezu kurios mutet es allerdings an, wenn die Vertreter dieser Ansicht in gleicher Geschlossenheit darauf hinweisen, daß es für die Abgrenzung des Betruges vom Diebstahl entscheidend auf die Willensrichtung des Verfügenden ankomme. Diese Behauptung steht im krassen Gegensatz zu den in die Definition der Vermögensverfügung eingegangenen Prämissen und macht deutlich, daß die h.M. von zwei inhaltlich verschiedenen Verfügungsbegriffen ausgeht, was in der Rechtsprechung sogar ausdrücklich hervorgehoben wird. Einerseits BGHSt 14 S. 172: "Derjenige, der die Vermögensverfügung vornimmt, braucht sich dabei nicht bewußt zu sein, daß er auf sein Vermögen oder dasjenige eines Dritten einwirkt." Andererseits: BGH bei Daliinger, MDR 1974 S. 15: "Der Tatbestand des Betruges setzt u.a. voraus, daß der vom Täter Getäuschte aus freiem, nur durch Irrtum beeinflußten Willen über sein Vermögen oder das ihm faktisch anvertraute Vermögen eines anderen verfügt und dieses dadurch unmittelbar schädigt,... Für die Abgrenzung der beiden Tatbestände (gemeint sind Diebstahl und Betrug) kommt es somit in den Fällen, in denen sich der Täter durch Täuschung eine Sache verschaffen will, wesentlich auf die Willensrichtung des Getäuschten und auf sein Verhältnis zu der Sache an. Hiernach liegt mangels eines Verfügungswillens kein Betrug, sondern Diebstahl vor, wenn die Täuschung dem Täter nur die Herbeiführung des Schadens durch eine eigene Handlung ermöglichen soll, die den Gewahrsam des bisherigen Inhabers ohne dessen Willen eigenmächtig aufhebt." Vgl. dazu auch: BGH GA 1987 S. 307; OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923.

Die Aufspaltung des Verfügungsbegriffs läßt sich auch nicht dadurch überwinden, daß dem Verfügungsbewußtsein jegliche Bedeutung abgesprochen und darauf abgestellt wird, ob das Verhalten bei einer Gesamtwürdigung als Selbstschädigung des Getäuschten erscheint oder nicht - vgl. LACKNER LK, § 263 Rdn. 98 -. Denn das entscheidende Kriterium in dieser Gesamtwertung ist zumindest beim Sachbetrug wiederum das Verfügungsbewußtsein, was auch von denen zugestanden wird, die dem Verfügungsbewußtsein zunächst jegliche Bedeutung absprechen. Entgegen der von der h.M. verteidigten Definition der Vermögensverfügung ist daher davon auszugehen, daß zumindest beim Sachbetrug allgemein anerkannt ist, daß das Verfügungsbewußtsein i.S. des Bewußtseins einer Gewahrsamsübertragung Voraussetzung der Vermögensverfügung ist. Dieses Erfordernis ist sachgerecht, denn wenn die allgemeine Typisierung des Betruges als eines Selbstschädigungsdelikts überhaupt einen Sinn haben soll, so muß das Verfügungsbewußtsein als Element der Vermögensverfügung anerkannt werden: Von einer Selbstschädigung des Opfers kann nämlich keine Rede sein, wenn sich der Getäuschte nicht einmal der Tatsache seiner Verfügung bewußt ist. Ohne dieses Bewußtsein kann der Getäuschte nämlich durchaus Werkzeug in der Hand eines Diebes sein.

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Das bedeutet: Der Getäuschte muß den Verfügungscharakter seines Verhaltens kennen, nicht aber wissen, daß er eine Vermögensschädigung vornimmt. - Vermögensverfügung ist danach jedes vermögensrelevante Tun und Unterlassen des Getäuschten, dessen vermögensrelevanten Charakter der Getäuschte kennt. Vgl. D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1990, S. 95; HANSEN MDR 1975 S. 533 ff; HERZBERG ZStW 89 (1977) S. 369 Fn. 10, JOECKS Zur Vermögensverfügung beim Betrug, 1982, S. 108 f; SAMSON JA 1978 S. 566; - sachlich nahe: MLEHE Unbewußte Verfügungen, 1987 S. 54 ff (Bewußtsein der Vermögensbewegung).

Die von der h.M. befürchteten Strafbarkeitslücken, die das Erfordernis des Verfügungsbewußtseins zur Folge haben soll, sind keineswegs so gravierend, wie die h.M. befürchtet, im Gegenteil, die Grenzfälle sind entweder als Betrug erfaßbar, auch wenn am Erfordernis des Verfügungsbewußtseins festgehalten wird, oder schon aus anderen Gründen nicht unter den Betragstatbestand zu subsumieren. - Zwei Fallgruppen fallen hier ins Auge: aa) Die Unterlassung der Geltendmachung eines Anspruchs Fall 1: In Anlehnung an RGSt 65 S. 99: A veräußert für B eine Sache. Es ist vereinbart, daß A dem B den Kaufpreis aushändigen soll. A erlöst DM 200,-, an B führt er als Erlös nur DM 100,- ab. Fall 2: RG HRR 1939 Nr. 1383: A pachtete von B eine Kiesgrube. Der Pachtzins sollte nach der monatlich entnommenen Kiesmenge berechnet werden. A gab diese Menge jeweils zu gering an, daher fordert B jeweils einen geringeren Pachtzins als denjenigen, der ihm nach dem Vertrag zustand. Fall 3: RGSt 76 S. 170: Der mit dem Verkauf von Fahrtausweisen betraute A erklärte bei der Abrechnung wahrheitswidrig, die Kasse stimme. Fall 4: RGSt 70 S. 225: A hatte einen Brandschaden erlitten und von seiner Versicherung Ersatz für den Verlust verschiedener, in einer Liste aufgeführter Gegenstände erhalten. Zwei dieser Gegenstände fand A später unversehrt wieder. Die Versicherung benachrichtigte er davon nicht.

Wird in der Abrechnungssituation, d.h. in der bewußten Entscheidung, eine bestimmte Abrechnung zu akzeptieren, die Verfügung über die abgerechnete Summe erkannt, so werden in den Fällen der Unterlassung der Geltendmachung von Forderungen kaum unerträgliche Strafbarkeitslücken eröffnet, wenn das Verfügungsbewußtsein als Bestandteil der Vermögensverfügung gefordert wird. Zutreffend hat HANSEN - MDR 1975 S. 533 ff - dargelegt, daß in den Fällen 1 - 3 von einer unbewußten Unterlassung keine Rede sein könne. In diesen Fällen liege in der konkreten Abrechnungssituation ein täuschungs- und irrtumsbedingtes Verhalten vor. Die Abrechnung selbst sei nämlich gerade die Verfügung, die stets eine konkrete Entscheidung zum Inhalt habe und die bewußt vorgenommen werde. Unbewußt bleibe nur die Tatsache der Selbstschädigung. Im Fall 4 fehlt es hingegen an einer bewußten Entscheidung der Versicherung. Hier ist ein Betrug ausgeschlossen, wenn man ein Verfügungsbewußtsein als Bestandteil der Verfügung fordert. Daß damit aber keine Strafbarkeitslücken auftreten, ist daran zu erkennen, daß in diesem Falle schon die Garantenpflicht zweifelhaft ist und auch die Begründung der Täuschung und des Irrtums auf Schwierigkeiten stoßen, weil hier weniger ein Irrtum erregt oder unterhalten, als vielmehr ein vorhandener Irrtum ausgenutzt wird. Insofern ist es durchaus vertretbar, auch die Verfügung abzulehnen. Im übrigen zur Diskussion: einerseits GALLAS Eb. Schmidt-Festschrift, S. 421; LACKNER LK, § 263 Rdn. 98. - Andererseits BOCKELMANN Eb. Schmidt-Festschrit, S. 457 Anm. 45; WELZEL Lb., § 5413. JOECKS, Vermögensverfügung, S. 108 f, kommt zu dem Ergebnis, daß die Unterlassung der Geltendmachung einer Forderung stets als Vermögensverfügung erscheint, da sie immer einen "Umgang mit Vermögen" darstelle. Diese Argumentation gerät jedoch in Gefahr, die Möglichkeit des Umganges mit dem Vermögen dem realen Umgang mit dem Vermögen gleichzusetzen.

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bb) Die Unterschriftsleistung als Vermögensverfügung Fall: A war als Provisionsvertreter von Waschmaschinen für X tätig. Er bat den B, der den Kauf einer Waschmaschine abgelehnt hatte, ihm zu bestätigen, daß er, A, ihn, den B, aufgesucht habe. Bei der Unterschriftsleistung hielt A den Bogen so, daß die Unterschrift des B auf ein Formular für den Kaufvertrag einer Waschmaschine kam. Den Vertrag reichte A bei X ein, der den B auf Abnahme einer Waschmaschine in Anspruch nahm.

Rechtsprechung und h.L., haben die Problematik der Fälle erschlichener Vertragsunterschriften allein in der Schadensfeststellung gesehen und die Unterschriftsleistung unter das Vertragsangebot unproblematisch als Vermögensverfügung interpretiert, weil der Getäuschte damit eine Situation geschaffen habe, die tatsächlich insbesondere unter Berücksichtigung der Beweissituation - der Eingehung einer Verpflichtung gleichkomme. Dazu BGHSt 22 S. 88; KG JR 1972 S. 28; OLG Köln MDR 1974 S. 157; LACKNER LK, § 263 Rdn. 98; MAURACH/SCHROEDER/MAJWALD B . T . 1, § 4 1 R d n . 73.

Zuzugestehen ist in diesen Fällen, daß der Getäuschte sich bewußt seiner Unterschrift entäußert hat. Verborgen geblieben ist ihm jedoch der vermögensbezogene Charakter seines Verhaltens. Dieser Vermögensbezug wird allein durch die - dem Getäuschten nicht bewußte - Erklärung hergestellt, unter die die Unterschrift gesetzt wurde. Dadurch entsteht der Schein eines Vertragsschlusses, denn in derartigen Fällen kommt es zu keinem wirksamen - nicht nur anfechtbaren - Vertragsschluß, sondern der Vertrag selbst kommt mangels Erklärungsbewußtseins nicht zustande. Die Situation unterscheidet sich rechtlich daher nicht von jenen Fällen, in denen der Täter später über eine zuvor erschlichene Unterschrift einen Vertragstext setzt oder einen ursprünglich rechtswirksamen Vertrag inhaltlich fälscht. - In diesen zuletzt genannten Fällen stimmen jedoch Rechtsprechung und h.M. darin überein, daß der ursprünglichen Unterschrift kein Verfügungscharakter bezüglich der nun aus dem Vertragstext ersichtlichen Vermögensverfügung zukommt. Es fehlt das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen Vermögensverfügung und Vermögensschaden. Dazu OLG Düsseldorf NJW 1974 S. 1833; OLG Celle MDR 1976 S. 66; OLG Hamm wistra 1982 S. 153.

Doch auch in den Fällen, in denen der Getäuschte seine Unterschrift unter einen Vertragstext setzt, ohne sich dessen bewußt zu sein, fehlt es an der Unmittelbarkeit zwischen Unterschriftsleistung und Vermögensschaden. Der Getäuschte hat nur die Möglichkeit zu einer Vermögensschädigung durch eine weitere deliktische Handlung des Täters, nämlich die Vortäuschung eines rechtswirksamen Vertragsschlusses, geschaffen. Erst in diesem - weiteren - deliktischen Verhalten gegenüber dem Getäuschten, nämlich der Inanspruchnahme aus dem angeblichen Vertrag, liegt die deliktische Vermögensschädigung. Diese kann sich als Erpressung darstellen, wenn der Getäuschte für den Fall, daß er nicht leistet, damit bedroht wird, er werde mit einem Prozeß überzogen, in dem die falsche Urkunde als Beweismittel verwendet wird. Erfolgt eine solche Androhung nicht, so liegt in der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung ein Betrug. Das bedeutet für den Ausgangsfall: 1. Möglichkeit: Aufgrund des eingereichten unterschriebenen Vertrages geht X davon aus, daß A einen Vertragsschluß vermittelt hat, er zahlt A eine Provision. Ergebnis: Betrug des A gegenüber X zu eigenen Gunsten (Provision).

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2. Möglichkeit: Da B sich weigert, die Waschmaschine abzunehmen, verklagt X den B. Im Termin wird der Vertrag vorgelegt. B wird zur Abnahme und Zahlung verurteilt, da er die Täuschung nicht beweisen kann. Das Urteil wird rechtskräftig. Ergebnis: Betrug des A als mittelbarer Täter (Täuschung) gegenüber B zu Gunsten des X. - Eingehender zum sog. Prozeßbetrug unter III 4. 3. Möglichkeit: Nimmt B die Maschine ab und zahlt, weil A ihm droht, er werde im Prozeß den Vertrag vorlegen und als Zeuge aussagen, der Vertrag sei gültig zustande gekommen, so kann auch eine Erpressung § 2S3, zu Gunsten des X vorliegen. - Die Verschlechterung der Beweissituation ist ein empfindliches Übel füir B, mit dem A droht, um den B zu einer Verfügung - Abnahme der Maschine und 7-ahlnng. zu veranlassen.

b) Verfügender und Geschädigter Die Verfügung des Getäuschten kann sein eigenes Vermögen oder das eines anderen betreffen. Daher ist Identität zwischen Getäuschten und Verfügenden nötig, nicht aber zwischen Verfügendem und Geschädigtem. Jedoch ist nicht jeder Zugriff auf das Vermögen eines Dritten als Vermögensschädigung durch Vermögensverfügung zu interpretieren. Die Möglichkeit des Gewahrsamsbruches des Täters durch Einsatz eines gutgläubigen Werkzeugs ist nicht ausgeschlossen. Allerdings muß der Geschädigte sich bestimmte Verfügungen Dritter als eigene zurechnen lassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Verfügende selbst der Vermögenssphäre des Geschädigten zuzurechnen ist, d.h. wenn er durch den Geschädigten oder durch die Rechtsordnung in eine Position eingesetzt worden ist, aufgrund derer er die Möglichkeit hat, über Vermögen des Geschädigten zu verfügen. Wird er in dieser Situation das Opfer einer Täuschung und trifft eine Verfügung, zu der er sich aufgrund der Täuschung für berechtigt hält, so muß sich der Vermögensträger diese Verfügung als eigene zurechnen lassen. Der Gewahrsamshüter (Mitgewahrsamsträger oder Gewahrsamsdiener), dessen Aufgabe es ist, den Gewahrsam für den Eigentümer zu bewahren, verfügt daher zu Lasten des Eigentümers, wenn ihm eine Situation vorgespiegelt wird, die - läge sie vor - ihn zu der Verfügung berechtigen würde. - Ist der Getäuschte hingegen in die Sphäre des Täuschenden und nicht in die des Vermögensträgers zu rechnen, so liegt ein Diebstahl in mittelbarer Täterschaft vor. Eingehender dazu OTTO ZStW 79 (1967) S. 76 ff; vgl. auch: BGHSt 18 S. 221 (Herausgabe eines Kfz durch einen Garagenwächter); OLG Köln MDR 1966 S. 253 (Herausgabe eines Fahrrades durch Parkplatzwächter); OLG Stuttgart NJW 1965 S. 1930 (Herausgabe des Kfz-SchlOssels durch Zimmervermieter).

Zum Teil wird in der Lehre stärker auf die rechtl. Verfügungsbefugnis abgestellt (sog. Befugnis- oder Ermächtigungstheorie). Danach braucht der Geschädigte sich nur solche Handlungen des Verfügenden zurechnen zu lassen, zu denen dieser - ausdrücklich oder stillschweigend - rechtlich wirksam ermächtigt war. Dazu AMELUNG GA 1977 S. 14; BACKMANN Die Abgrenzung des Betrugs von Diebstahl und Unter-

schlagung, 1974, S. 127 ff; KREY B.T. 2, Rdn. 413; SAMSON JA 1978 S. 566; SCHÜNEMANN GA 1969 S. 46 ff.

Die Gegenmeinung (sog. Lagertheorie) stellt den tatsächlichen Aspekt in den Vordergrund ihrer Überlegungen. Danach soll es wesentlich darauf ankommen, ob der Getäuschte "innerhalb der Machtsphäre des Berechtigten als dessen Gehilfe und Schützer steht" (SCHRÖDER), ob er "bildlich gesprochen im Lager des Geschädigten steht" (LENCKNER), ob er für den Geschädigten "und an dessen Stelle von einer schon bestehenden Einwirkungsmöglichkeit auf die ihm nahestehende Sache als Folge der Täuschung zum Nachteil des Geschädigten Gebrauch macht" (DREHER).

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Dazu DREHER JR 1966 S. 29 f; DERS. GA 1969 S. 56 ff; GEPPERT JuS 1977 S. 72; GRIBBOHM NJW 1967 S. 1897; LACKNER LK, § 263 Rdn. 114; LENCKNER J Z 1966 S. 321; SCH/SCH/CRAMER § 263 Rdn. 66; SCHRÖDER ZStW 60 (1941) S. 70.

Für Idealkonkurrenz zwischen §§ 263,242 in den Fällen: HAAS GA 1990 S. 206.

Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 18 S. 221: A, der ehemalige Freund der B, der den Wagen der B wiederholt mit deren Einverständnis aus einer Sammelgarage geholt hat, erscheint nach Auflösung der Freundschaft in der Garage, tut so, als sei alles wie sonst, und fahrt mit dem Wagen der B fort. Der Garagenwärter C duldet dies, da er meint, A handele nach wie vor im Einverständnis mit der B. BGH: Vermögensverfügung des C, die B sich als eigene zurechnen lassen muß. bb) Bei der Haushälterin H des Direktors D erscheint A, gibt sich als Bürobote aus und bittet die H, ihm den wertvollen Gehpelz des B auszuhändigen, da D am Abend von der Firma aus ins Theater will und mit der starken Kälte an diesem Tage nicht gerechnet habe. Die arglose H gibt den Pelz heraus, den A schleunigst ins Pfandhaus trägt. Ergebnis: Verfügung der H, die D sich als eigene zurechnen lassen muß. cc) A verkauft dem B ein an einem Haus stehendes Leitergerüst. Dieses gehört in Wirklichkeit C, während B den A für den Eigentümer hält. B fährt das Gerüst gutgläubig ab. Ergebnis: Diebstahl des A in mittelbarer Täterschaft. Kein Betrug, da A nicht Verfügungsbefugter i.S. des §263.

c) Zusammenhang zwischen Täuschung und Verfügung Die Vermögensverfügung muß ihren Grund in dem Irrtum des Getäuschten haben, d.h. sie muß durch den Irrtum veranlaßt worden sein. Ob der Irrende auch ohne Täuschung verfügt hätte, ist irrelevant, wenn er infolge der Täuschung verfügt hat. BGHSt 13 S. 13: Der Referendar A nahm im Gerichtszimmer auf dem Richterstuhl sitzend bei B ein Darlehen auf, indem er B vorspiegelte, er könne es aufgrund des Eingangs einer größeren Summe demnächst zurückzahlen. - Dies war unwahr. B erklärte aber später, auch ohne diese Erklärung hätte er einer Amtsperson ein Darlehen gegeben. BGH: Verfügung des B beruhte auf Täuschung, nur das ist relevant. Hypothetische Überlegungen haben daneben keinen Raum.

4. Der Vermögensschaden a) Vermögen und Vermögensschaden Die Vermögensverfügung muß zur Minderung des Vermögens geführt, d.h. einen Vermögensschaden begründet haben. Die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffe und damit auch die des Begriffs des Vermögensschadens sind jedoch streitig. aa) Der oben - § 38 I - entwickelte personale Vermögensbegriff sieht Vermögen als eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Diese konstituiert sich in den von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden. - Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich. Ein Vermögensschaden liegt nicht schon im Verlust eines Vermögenswertes, sondern die Vermögensminderung ist nur - und immer dann - Vermögensschaden, wenn der mit der Vermögensminderung erstrebte wirtschaftliche Erfolg nicht erreicht wird.

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Eingehend dazu ALWART JZ 1986 S. 564 f; BOCKELMANN B.T./l, § 11 A II 3 e, cc; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 125 ff; HARDWIG G A 1956 S. 17 ff; HEINITZ J R 1968 S. 387 f; LABSCH JuS 1981

S. 47; MAIWALD NJW 1981 S. 2780 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 Rdn. 113 ff;

OTTO Struktur, S. 34, und dazu MAIWALD MschrKrim 1972 S. 192 f; OTTO Bargeldloser Zahlungsverkehr und Strafrecht, 1978, S. 18,26; SCHMIDHÄUSERB.T., 11/1 - 4. Auch der funktionale Vermögensbegriff von WEIDEMANN - Das Kompensationsproblem beim Betrug, Diss. Bonn 1972 - steht der personiden Vermögenslehre, wie sie hier entwickelt wurde, sehr nahe, vgl. dazu WEIDEMANN, S. 199 ff; desgleichen die Konzeption von JAKOBS JuS 1977 S. 228 ff.

bb) Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre vertreten den sog. wirtschaftlichen Vermögensbegriff: Vermögen ist die Summe aller wirtschaftlichen (geldwerten) Güter einer Person nach Abzug der Verbindlichkeiten. - Ein Vermögensschaden liegt in der Minderung der Wertsumme, doch wird diese Minderung nicht - dem objektiven Ausgangspunkt dieser Vermögenslehre entsprechend - objektiv bestimmt, sondern objektiv-individuell, d.h. aus der Sicht des Betroffenen, doch unter Berücksichtigung "objektiver Maßstäbe wirtschaftlicher Vernunft". Dazu RGSt 16 S. 1; 44 S. 233; BGHSt 1 S. 264; 16 S. 220; ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 436 ff;

DREHER/TRÖNDLE § 263 Rdn. 27; KREY B.T. 2, Rdn. 428,433; WESSELS B.T.-2, § 13 II 4 a.

Eine Variante des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs ist der sog. dynamische Vermögensbegriff; dazu ESER GA 1962 S. 289 ff; MOHRBOTTER GA 1969 S. 227 ff. Seinen Vertretern geht es darum, die Vereitelung eines Vermögenszuwachses in größerem Maße als es der Rechtsprechung möglich ist, der Vermögensschädigung gleichzusetzen; dazu LACKNER LK, § 263 Rdn. 124 a.E.

cc) Den Gegensatz zum wirtschaftlichen Vermögensbegriff bildete der sog. juristische Vermögensbegriff, der das Vermögen als Summe der Vermögensrechte und Vermögenspflichten einer Person erfaßte und den Schaden allein im Rechtsverlust sah. Dazu BINDING B.T. I, S. 238, 341; MERKEL Kriminalistische Abhandlungen II, 1867, S. 101, 199; NAUCKE Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 215.

dd) Der heute h.L, entspricht der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff: Er stimmt im Ausgangspunkt mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff überein, begrenzt aber den Bereich des geschützten Vermögens. Vermögen ist danach die Summe der wirtschaftlichen Güter einer Person, über die diese "rechtliche Verfügungsmacht" hat (NAGLER), oder die ihr "unter dem Schutz der Rechtsordnung" (WELZEL) oder wenigstens "ohne deren Mißbilligung" (GALLAS) ZU Gebote stehen bzw. die sie "unter Billigung der rechtlichen Güterordnung innehat" (CRAMER).

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Spielarten dieser Vermögenslehre werden relevant beim Betrug um Besitz, den das Opfer der Tat selbst rechtswidrig erlangt hat, bei der Verfolgung rechtswidriger Zwecke mit Hingabe des Vermögensobjekts und beim Betrug um sog. nichtige Forderungen. Dazu CRAMER Vermögensbegriff und Vermögensschaden im Strafrecht, 1968, S. 100 ff; FOTH GA 1966 S. 42; FRANZHEIM G A 1960 S. 277; GALLAS Eb. Schmidt-Festschrift, S. 409; LACKNER LK, § 263

Rdn. 123; LENCKNER J Z 1967 S. 107; NAGLER ZAkDR 1941 S. 294; SCH/SCH/CRAMER § 263 Rdn. 82; WELZEL Lb., § 5 4 1 4 .

In einzelnen Entscheidungen hat auch die Rechtsprechung die Prämissen des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs anerkannt: BGHSt 20 S. 136 (Beweismittelverschaffung für Tilgung einer nichtbestehenden Forderung); BGHSt 26 S. 346 (Lösegeld für Rückgabe der Beute aus Diebstahl); BGHSt 31 S. 178 (Arbeitsleistung ohne Rechtsanspruch auf Entgelt); BGH JZ 1987 S. 684 mit Anm.

BARTON StV 1987 S. 485, OTTO JK 88, StGB § 263/23, TENCKHOFF JR 1988 S. 126 ff; BGH wistra 1989

S. 142 (Dirnenlohn); OLG Hamm NStZ 1990 S. 342 mit Anm. WÖHRMANN S. 342 f (Telefonsex). Dazu weiter unter e, ee - gg, sowie OTTO Struktur, S. 292 ff.

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b) Zur Auseinandersetzung aa) Personaler und wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der personale Vermögensbegriff gewährleistet - wie oben § 38 I gezeigt - den umfassenden Schutz der Entfaltung des Rechtssubjekts im wirtschaftlichen Bereich. Da er das Vermögenssubjekt nicht aus der Definition des Vermögensbegriffs ausspart, bietet er ein in sich geschlossenes theoretisches Gefüge. Der wirtschaftliche Vermögensbegriff hingegen, der keineswegs für sich in Anspruch nehmen kann, ein wirtschaftswissenschaftlich gebildeter Begriff zu sein, sondern vielmehr seinen Ursprung in laienhaften Vorstellungen vom "Wirtschaften" hat, kann die behauptete objektive Bestimmung des Vermögens und des Vermögensschadens nicht durchhalten. Auch der wirtschaftswissenschaftliche Wertbegriff wurde ursprünglich vom objektiven Tauschwert her bestimmt. Heute hat sich hier weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, daß der Wert einer Sache aus der Beziehung des Subjekts zu einem Objekt herrührt. "Der Wert einer Sache ist keine dieser Sache anhaftende Eigenschaft ..., sondern die Auffassung eines Subjekts über die Nützlichkeit eines Objekts" ( J A C O B Das Wirtschaftsstudium 1972 S. 3).

Es ist schlicht unmöglich, den Vermögensschaden bei Verlust eines Vermögensgutes objektiv zu bestimmen. Das gleiche Vermögensgut hat in der Hand verschiedener Vermögenspersonen einen unterschiedlichen Wert, so z.B. in der Hand des Herstellers, des Großhändlers, des Kleinhändlers und des Endverbrauchers. Wollen die Anhänger des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs daher nicht zu unsinnigen Ergebnissen gelangen, so müssen sie in Grenzfällen einen "individuellen Schadenseinschlag" konzedieren. Wann aber das Zugeständnis gemacht wird, bleibt letztlich dem Gutdünken des Rechtsanwendenden überlassen. Eine erhebliche Rechtsunsicherheit ist die Folge, auch wenn durchaus nicht übersehen werden kann, daß die Zufälligkeit, die durch die weitgehend ins Ermessen des Richters gestellte Berücksichtigung individueller Interessen gegeben ist, durch die Rechtsprechung in jahrzehntelangen Bemühungen erheblich begrenzt wurde. So ist es auch verständlich, daß gerade in Extremfällen Übereinstimmung besteht. Darüber hinaus versagt der wirtschaftliche Vermögensbegriff vollkommen bei der Bestimmung des Vermögensschadens dann, wenn ein bestimmtes Vermögensobjekt keinen anerkannten Marktpreis hat, sondern der Preis des Objekts gerade durch Angebot und Nachfrage gebildet werden soll (Zuschlagspreis bei Auktionen), oder wenn eine Vermögensschädigung nicht im Rahmen eines Austauschgeschäftes, sondern bei einseitigen Leistungen in Betracht kommt. Anerkannt ist daher durchaus, daß allein der personale Vermögensbegriff in den Fällen einseitiger Leistungsverhältnisse, z.B. bei der Zahlung von Subventionen usw., den Vermögensschaden ohne Hilfe dubioser Konstruktionen erklären kann. Auch die Rechtsprechung und die h.L. bedienen sich in diesen Fällen schlicht des personalen Vermögensbegriffs, ohne dies aber ausdrücklich zuzugestehen. Dazu BGHSt 19 S. 45: Schaden liegt in der zweck- und sinnlosen Fehlleitung der verfügbaren Mittel; BGHSt 1 9 S . 2 0 6 ff mit Anm. S C H R Ö D E R JZ 1 9 6 4 S . 4 6 7 f; BGH NJW 1 9 8 2 S . 2 4 5 3 mit Anm. S O N N E N JA 1 9 8 2 S . 5 9 3 ff; C R A M E R Vermögensbegriff, S . 2 0 2 ff, 2 1 0 ; D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 6 3 Rdn. 3 5 ; G A L L A S Eb. Schmidt-Festschrift, S. 435.

Dennoch wird gegen die allgemeine Anerkennung der personalen Vermögenslehre vorgebracht: "diese auf den ersten Blick bestechende, geradezu anthropologische Vermögensauffassung übersieht, daß der private Wirtschaftler keineswegs auf die Erreichung bestimmter Zwecke, ja nicht einmal auf rationales Wirtschaftsver-

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halten festgelegt ist. Ein der Leistung vom privaten Leistenden beigelegter Zweck ist willkürlich, austauschbar und rücknehmbar. Er ist überdies als bloße Motivation des Leistenden für den Leistungsempfänger nicht immer einzusehen und stellt daher den Nachweis von Vorsatz und Bereicherungsabsicht vor grundsätzliche Schwierigkeiten". Daher eigne sich der personale Vermögensbegriff für die Schadensbestimmung beim Subventionsbetrug, bei dem es um öffentliche Mittel gehe, nicht aber dann, wenn die Bewertung privater Ausgaben in Rede stehe. Vgl. TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Bd. 2,1976, S. 99 ff.

Hier wird übersehen, daß auch im privaten Handeln der Zweck der Vermögensverfügung festgelegt ist, denn nur deshalb kommt die Verfügung zustande. Dieser Zweck ist aber der allein maßgebliche und nicht ein irgendwie - je nach den Umständen - austauschbarer Zweck. Er wird durch Täuschung und Irrtum nicht nur konkretisiert, sondern ausdrücklich vom Täter des Betrugs zum Gegenstand seines Tatverhaltens gemacht. Das Opfer der Täuschung macht ihn sich in seiner Verfügung zu eigen. Der subjektive Ausgangspunkt der personalen Vermögenslehre bedeutet auch keine Gefahr für die Ausdehnung des Schutzobjekts über den Vermögensschutz hinaus. Durch den Bezug auf das wirtschaftliche Gut im Vermögensbegriff und die wirtschaftliche Zweckverfehlung bei der Schadensberechnung ist gewährleistet, daß der subjektive Einschlag nicht über den Vermögensschutz hinaus zum Schutz bloßer Dispositionsfreiheit führt. Dazu WEIDEMANN Kompensationsproblem, S. 118.

Nicht ohne weiteres abzutun ist hingegen die Überlegung, daß der personale Vermögensbegriff heute noch nicht so durchgearbeitet ist, daß alle Probleme, die mit der Personalisierung des Vermögensbegriffs verbunden sind, in ihrer Bedeutung schon voll abgeschätzt werden können; so LACKNER LK, § 263 Rdn. 124. Gleichwohl sollte die Erörterung der bisher bekannten problematischen Fälle gezeigt haben, daß dieser Begriff aufgrund seines theoretischen Fundaments ein weit höheres Maß an Rechtssicherheit gewährleistet, als es h.M. und Rechtsprechung in immer neuen Einzelfallentscheidungen bisher erreichen konnten. Eingehend zur Entwicklung und Auseinandersetzung: OTTO Struktur, S. 26 - 84. - Zu den Grenzen der objektiv-individuellen Schadensberechnung D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 130 ff. • Zu Einzelfällen der Untauglichkeit des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs zur Bestimmung eines rechtlich relevanten Vermögensschadens vgl. darüber hinaus: OTTO Zahlungsverkehr, S. 17 ff (Hingabe eines Finanzwechsels als Warenwechsel); DERS. NJW 1979 S. 684 f (durch Täuschung beeinflußter Zuschlag bei Auktionen); DERS. GRUR 1979 S. 100 f (sog. Adreßbuchschwindel).

bb) Personaler und juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff muß - soweit er auf dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff aufbaut - dessen Mängel übernehmen. Seine Bedeutung liegt daher auch nicht in der Präzisierung des Vermögensbegriffs, ihm geht es vielmehr darum, bestimmte rechtlich dubiose, wirtschaftlich aber relevante Positionen (rechtswidriger Besitz, sog. nichtige Forderungen), aus dem Schutzbereich der Vermögensdelikte zu entfernen. Damit aber setzt er sich in Gegensatz zu seinen wirtschaftlichen Prämissen, so daß die entscheidende Grenzziehung vage bleibt. In Einzelfällen (z.B. Anerkennung des rechtswidrig erlangten Besitzes als Vermögensgut) entscheiden seine Vertreter daher durchaus abweichend voneinander.

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c) Vermögensschaden und Schadensersatzanspruch aus dem Delikt Der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch, den das Opfer aufgrund des deliktischen Verhaltens des Täters erlangt, kann niemals den Eintritt des Vermögensschadens verhindern. Er ist Folge des Schadens, verhindert aber nicht den Eintritt des Schadens! d) Vermögensgefährdung und Vermögensschaden Auch eine "konkrete" Vermögensgefährdung kann begriffsnotwendig als solche niemals ein Vermögensschaden sein, denn die Gefahr eines Schadens ist nicht identisch mit dem eingetretenen Schaden. Es widerspricht daher eklatant dem Grundsatz der Gesetzesbestimmtheit, Art. 103 Abs. 2 GG, wenn die h.M. eine konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensschaden i.S. des § 263 interpretiert. Hingegen kommt der Gefahr, daß eine geschuldete Leistung nicht erbracht oder eine nicht bestehende Forderung mit rechtswidrigen Mitteln durchgesetzt wird, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise Bedeutung fiir die Bestimmung des realen Wertes des Vermögens zu. Hier wird berücksichtigt, daß der Wert eines Vermögens, auch wenn der Vermögensträger die Vermögensobjekte noch in der Hand hat, vermindert ist, wenn andere - sei es auch juristisch anfechtbar - derart Verfügungsmacht über Teile des Vermögens begründet haben, daß sie jederzeit nach ihrem Willen die Verfügung treffen können oder wenn der Vermögensträger trotz juristisch intakter Verfügungsmacht keine Möglichkeit hat, seine Forderung zu realisieren. Ansätze zur Bestimmung des jeweiligen Schadens bieten die kaufmännischen Bewertungsgrundsätze für Rückstellungen. Beispiel 1: A hat eine Forderung gegen B in Höhe von DM 100 000,-. Bei Fälligkeit der Forderung kann B nicht zahlen, da seine wirtschaftlichen Verhältnisse schlecht sind. Es besteht aber Hoffnung, daß diese Verhältnisse sich in absehbarer Zeit bessern. Nach kaufmännischen Grundsätzen schreibt A die Forderung zur Hälfte ab. Gefährdet ist die Rückzahlung der Forderung. Da diese Gefahr aber - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - zu einem Wertverlust der Forderung geführt hat, ist das Vermögen des A in Höhe des Wertverlustes geschädigt. Beispiel 2: A schuldete dem B 10.000,- DM. Diese Schuld beglich er, vergaß aber, sich den Schuldschein zurückgeben zu lassen. Nunmehr fordert B unter Vorlage des Schuldscheins die Zahlung von 10.000,- DM. Ergebnis: Eine Forderung gegen A ist nicht begründet. Die Belastung mit der nicht oder schwer widerlegbaren Forderung bedeutet aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Vermögensminderung und damit einen Vermögensschaden.

Rechtsprechung und Literatur benutzen den Begriff der konkreten Vermögensgefährdung, die einem Vermögensschaden gleich sein soll, demgegenüber zum Teil undifferenziert und dehnen damit in Einzelfällen den Anwendungsbereich des § 263 über seinen Wortlaut hinaus aus. Zur Rechtsprechung vgl. die Übersicht bei RIEMANN Vermögensgefährdung und Vermögensschaden, 1989, S. 28 ff; - im übrigen vgl. ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 448 ff; BOCKELMANN B.T./l, § 11 II 3 b dd ß; HAFT B.T., S. 212 f; KREY B.T. 2, Rdn. 448 ff; WESSELS B.T.-2, § 13 II 4 b. 6).

Konsequent durchdacht macht diese Auffassung das Merkmal der Vermögensverfügung überflüssig. Vgl. dazu LACKNER LK, § 263 Rdn. 153; PUPPE MDR 1973 S. 12 f; RIEMANN Vermögensgefährdung, S. 44 ff; ScHMlDHÄUSERTröndle-Festschrift, S. 305 ff.

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e) Zur Verdeutlichung aa) BGHSt 16 S. 321: A verkauft dem Bauern B eine Melkmaschine, an die drei Kühe angeschlossen werden können. Die Maschine kostet den üblichen Preis. 1. Alternative: B hat 10 Kühe und A hatte dem B versichert, an die Maschine könnten alle 10 Kühe zugleich angeschlossen werden. Eine Maschine für nur drei Kühe erleichtert die Arbeit des B nicht wesentlich. 2. Alternative: B hat nur 3 Kühe. Da A dem B aber vorgeschwindelt hatte, die Maschine sei aufgrund einer Einführungsaktion einmalig günstig im Preis, nahm B, um die Maschine erwerben zu könne, ein Darlehen zu hohen Zinsen auf. 3. Alternative: Wie in der 2. Alternative, doch mußte B seine Lebensführung erheblich einschränken, um seinen Verpflichtungen aus dem Kauf der Maschine nachkommen zu können. BGHSt 16 S. 321: "Wer sich aufgrund einer Täuschung zu einer Leistung verpflichtet und dafür eine gleichwertige Gegenleistung erhalten soll, ist allein durch die Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht ohne weiteres im Sinne des Betrugstatbestandes an seinem Vermögen geschädigt. Ein Vermögensschaden ist in diesem Fall nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten. Diese können insbesondere dann vorliegen, wenn der Erwerber (a) die angebotene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann oder (b) durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder (c) infolge der Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfügen kann, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschafts- oder Lebensführung unerläßlich sind." Diese Begründimg des Schadens in der 2. und 3. Alternative ist im Rahmen des Betrugstatbestandes angreifbar. Schaden und erstrebte Bereicherung müssen sich nämlich derart entsprechen, daß der Schaden gleichsam als Kehrseite der Bereicherung erscheint. Dies sind sie aber - entgegen der Ansicht der BGH - in der 2. und 3. Alternative keineswegs. A ist weder um die Darlehenszinsen noch um den Differenzaufwand zur Bestreitung angemessener Lebenshaltungskosten bereichert, sondern um die erlangte Geldsumme aus dem Verkauf der Maschine. - Zum Problem der Entsprechung von Schaden und Bereicherung vgl. weiter unter IV 2 b. Im Denkschema der personalen Vermögenslehre ist die Begründung des Schadens in allen drei Alternativen unproblematisch: 1. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil der übereinstimmend zugrunde gelegte wirtschaftliche Zweck: Möglichkeit, 10 Kühe zugleich zu melken, nicht erreicht werden kann. 2. und 3. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil übereinstimmend zugrunde gelegter wirtschaftlicher Zweck: Möglichkeit ein Wirtschaftsgut zu besonders günstigem Preis zu erwerben, nicht erreicht wurde. Der Kaufpreis entsprach der üblichen Kalkulation. Die Bereicherung entspricht demnach in allen drei Alternativen dem Schaden: Der Täter ist um den Kaufpreis bereichert, das Opfer ist des Kaufpreises verlustig gegangen. bb) OLG Köln NJW 1979 S. 1419: A arbeitete als Zeitschriftenwerber. Der B erklärte er, der Nettogewinn eines Zeitschriftenabonnements für ein Jahr komme entlassenen Strafgefangenen, die mit Rauschgift zu tun gehabt hätten, zugute. Daraufhin abonnierte B die Zeitschrift, weil sie diese Verwendung unterstützen wollte. OLG Köln: Daß in Wirklichkeit ein vorgetäuschter sozialer Zweck verfehlt wird, reicht für den Betrugstatbestand noch nicht aus, wenn die Zeitschrift nicht mehr kostet als sonst und wenn der Getäuschte genügend Geld dafür hat und sie brauchen kann. Nach dem personalen Vermögensbegriff ist hier zumindest ein Teil des von der B auch erstrebten sozialen und damit wirtschaftlichen Zweckes nicht realisiert worden. Daher lag ein Vermögensschaden vor. - So auch OLG Düsseldorf wistra 1990 S. 200. cc) BayObLG JR 1974 S. 336 mit Anm. LENCKNER S. 337 ff: A gab unter Vorspiegelung seiner Zahlungsfähigkeit sein Kraftfahrzeug zur Reparatur. Er war nicht zahlungsfähig.

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BayObLG: Das Unternehmerpfandrecht hindert den Eintritt des Vermögensschadens nicht. Dem ist nicht zu folgen, wenn das Unternehmerpfandrecht die Forderung deckt und mühelos verwertet werden kann. Vgl. dazu auch: BGH wistra 1985 S. 24. dd) LG Mannheim NJW 1977 S. 160 mit Anm. BEUUCE NJW 1977 S. 1073: Die A mietete ein Appartement von B, wobei sie ihm verschwieg, daß sie dieses Appartement als Callgirl nutzen wollte. LG Mannheim: Vermögensschaden liegt in der Gefahr künftiger Entwertung der Wohnungen im Hause. - Dem ist mit BEULKE zutreffend entgegenzuhalten, daß diese Gefahr als realer Vermögensschaden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht faßbar war. ee) BGH JR 1990 S. 517: A verkauft eine Sache, die dem B gehört und die A unterschlagen hat, an den gutgläubigen C. BGH: Auch derjenige, der gutgläubig eine Sache erworben hat, kann im Sinne des Betrugstatbestandes geschädigt sein. "In solchen Fällen hängt die Beantwortung der Frage, ob eine schadensgleiche Vermögensgefährdung eingetreten ist, davon ab, ob der Erwerber nach den Umständen des Einzelfalles mit der Geltendmachung eines Herausgabeanspruches oder mit sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hatte. Die Identifizierung einer vagen Gefährdung mit einem Vermögensschaden überzeugt nicht. Maßgeblich ist auch hier, ob unter den konkreten Umständen der Entzug des Objekts im Prozeß wahrscheinlich ist. Dann allerdings ist die erlangte Position wirtschaftlich weniger wert als diejenige, die vertraglich einzuräumen war; eingehend dazu LACKNER LK, § 263 Rdn. 201. ff) OLG Köln MDR 1972 S. 884: A versprach dem B, ihm gegen Zahlung von DM 20,- eine Prostituierte zum Geschlechtsverkehr zu verschaffen. B zahlte, A war aber von vornherein nicht leistungswilKgOLG: Der Verlust des Geldes stellt einen Schaden dar, da es kein rechtlich gegen Betrug ungeschütztes Vermögen gibt. Vom personalen Vermögensbegriff her ist dem zuzustimmen, vgl. OTTO Struktur, S. 292 ff, SCHMIDHÄUSER B.T., 11/31. - A A z.T. die Anhänger des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs - vgl. CRAMER Vermögensbegriff, S. 94 ff; DERS. JuS 1966 S. 472 ff - mit dem Hinweis, der Getäuschte kenne die Unverbindlichkeit und schädige sich daher bewußt selbst. g g ) B G H J Z 1987 S. 6 8 4 m i t abl. A n m . O T T O J K 88, S t G B § 2 6 3 / 2 3 , u n d z u s t . A n m . TENCKHOFF J R

1988 S. 126 ff: A veranlaßte die Prostituierte P durch Versprechen eines beachtlichen Entgelts zur Vornahme des Geschlechtsverkehrs mit ihm. Anschließend verweigerte er die Zahlung. BGH: Keinen Betrug begeht, wer die Prostituierte um den Lohn für verbotene oder sittenwidrige Handlungen prellt; vgl. auch BGH wistra 1989 S. 142. Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Einsatz von Arbeitskraft in einem Bereich, der üblicherweise und nach der Abmachung der Beteiligten gegen eine Geldleistung erfolgt, ist eine geldwerte Leistung. Mit der Erbringung dieser Leistung erleidet die P daher einen Schaden. V g l . a u c h : D R E H E R / T R Ö N D L B § 2 6 3 R d n . 29; H A F T B.T., § 2 7 I I 2 d ; KREY B . T . 2, R d n . 439;

SCHMIDHÄUSER B.T. 11/31. - A A . die Vertreter der juristisch-wirtschaftlichen Vermögenslehre; vgl. z.B.: LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 132; S C H / S C H / C R A M E R § 2 6 3 R d n . 97. - Z u r BERGMANN/FREUND J R 1988 S. 189 ff.

Auseinandersetzung

hh) Abwandlung von gg): A faßt den Plan, nicht zu zahlen, erst nach dem Geschlechtsverkehr und entlohnt die P mit Falschgeld. Ergebnis: Die Arbeitsleistung hatte P nicht aufgrund einer Täuschung erbracht. Ein Rechtsanspruch der P gegen A auf Zahlung des vereinbarten Lohnes war jedoch nicht entstanden, § 138 Abs. 1 BGB. Es bestand allein die Möglichkeit, durch Einsatz rechtswidriger Mittel (z.B. Gewalt) wirtschaftliche Güter zu erlangen. Der Ausschluß sog. nichtiger Forderungen aus dem Kreis der Vermögensobjekte hat auch nicht zur Folge, daß wertvollen Wirtschaftsgütern der Schutz versagt wird, vielmehr wird nur verhindert, daß die Möglichkeit, sich durch strafbares Verhalten Vermögensgüter zu verschaffen, in den Rang eines Wirtschaftsgutes erhoben wird. Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 51 ff; - zur Gegenansicht vgl. KREY B.T. 2, Rdn. 443. Im übrigen vgl. BGHSt 2 S. 364.

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ii) BGH GA 1978 S. 332: A verkaufte dem B die Teilnahme an einem Kursus, indem er ihm vortäuschte, daß die in dem Kurs erlangten Kenntnisse dem B besonders günstige Verdienstmöglichkeiten eröffnen würden. In Wirklichkeit konnte von derartigen Verdienstmöglichkeiten keine Rede sein. BGH: Es liegt keine betrügerische Vermogensbeschädigung vor, wenn sich nur eine wirtschaftlich nicht faßbare Hoffnung auf Vermögenszuwachs zerschlägt. Nach den Prämissen des personalen Vermögensbegriffs kann dem nicht gefolgt werden, denn Vertragsgegenstand war die Vermittlung von Kenntnissen, die sich wirtschaftlich verwerten ließen. Da eine solche Leistung innerhalb des Kurses nicht erbracht wurde, liegt ein Vermögensschaden vor. jj) OLG Karlsruhe NStZ 1990 S. 282: Durch Täuschung verhindert A die Vollstreckung einer gegen ihn rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe. OLG: Kein Schaden des Staates im Sinne des § 263. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Staat erleidet zwar einen Schaden, wenn die Geldstrafe nicht eingebracht wird, doch § 258 Abs. 5 steht als Spezialregelung einer Bestrafung aus § 263 entgegen. kk) BGH StV 1985 S. 189: Der zahlungsunfähige A veranlaßte die Bank B zur Eröffnung eines unwiderruflichen Akkreditivs zugunsten des D. BGH: Schaden mit Eröffnung des Akkreditivs entstanden, da die Bank dem Begünstigten gegenüber wie aus einem abstrakten Schuldversprechen haftet. Dem ist zuzustimmen. Ein Akkreditiv, als vertragliche Verpflichtung einer Bank für Rechnung ihres Auftraggebers innerhalb einer bestimmten Zeit unter bestimmter Voraussetzungen (Einreichung bestimmter Dokumente) Zahlung zu leisten, ist eine reale Belastung des Vermögens der Bank, da es allein von dem Dritten abhängt, ob die Forderung realisiert wird oder nicht. 11) A, der zu einer Verkaufsmesse fährt, täuscht seinen Konkurrenten B über das Datum der Messe. B erscheint nicht, A hat den doppelten Umsatz. Ergebnis: Kein Betrug des A. Die Aussicht, daß bestimmte Kunden bei B kaufen, ist nicht Vermögensbestandteil des B. Ihm gehören die Kunden nicht. Nach allgemeiner Meinung gehören bloße Hoffnungen auf Gewinn, unsichere Exspektanzen nicht zum Vermögen. Sind diese allerdings so verfestigt, daß der Geschäftsverkehr ihren bereits einen wirtschaftlichen Wert beimißt, so sollen sie als Vermögensgut nach h.M. anerkannt werden; vgl. BGH MDR 1987 S. 949 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 263/25; LACKNER LK, § 263 Rdn. 134 ff.

IV. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz Der Vorsatz - bedingter Vorsatz genügt - muß alle Merkmale des objektiven Tatbestands und den zwischen ihnen bestehenden funktionalen Zusammenhang umfassen. 2. D i e Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen (Bereicherungsabsicht) a) Absicht bedeutet hier - dolus directus 1. Grades - zielgerichtetes Wollen. Es genügt aber, daß es dem Täter auf den rechtswidrigen Vermögensvorteil als sichere und erwünschte Folge seines Handelns ankommt, mag der Vorteil von ihm auch nur als Mittel zu einem anderweitigen Zweck erstrebt werden. Es genügt daher nicht, wenn der Vorteil nur als notwendige, aber höchst unerwünschte Nebenfolge eines erstrebten Erfolgs eintritt. Nicht erforderlich ist, daß der Vermögensvorteil die eigentliche Triebfeder oder das in erster Linie erstrebte Ziel des Täters ist; BGHSt 16 S. 1.

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b) Vermögensvorteil ist jede günstigere Gestaltung der Vermögenslage. Stets aber ist erforderlich, daß die eigene wirtschaftliche Potenz des Täters durch den Vorteil gestärkt wird. Dazu vgl. BGH MDR 1988 S. 789 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 253/3.

Der erstrebte Vorteil muß dem zugefügten Schaden entsprechen, gleichsam als Kehrseite des Schadens erscheinen. Dieser Zusammenhang zwischen erstrebter Bereicherung und Schaden wird gemeinhin mit dem Stichwort der Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung charakterisiert Stoffgleichheit darf hier aber nicht als Identität verstanden werden. Es genügt, daß Schaden und Vorteil ihren Grund in derselben Vermögensverfügung haben und daß der Vorteil zu Lasten des geschädigten Vermögens geht. Dazu eingehend: LACKNER LK, § 263 Rdn. 274.

c) Zur Verdeutlichung aa) BGHSt 21 S. 384: A verkaufte als Provisionsvertreter der Firme X Zigarettenautomaten. Durch Täuschung überredete er den B zum Vertragsabschluß. Den Vertrag reichte A bei X ein. Er erhielt eine Provision. BGH: Gegenüber B liegt ein Betrug des A zugunsten der Firma X vor. Der Gewinn aus dem Automatenverkauf floß nicht A, sondern X zu. - Gegenüber X ist jedoch ein eigennütziger Betrug des A gegeben. Er hatte keinen Rechtsanspruch auf die Provision, da der Vertrag zwar gültig aber anfechtbar zustande gekommen war und daher nicht den Wert eines ordnungsgemäßen Vertrags hatte. bb) B verspricht dem A eine Belohnung von DM 200,-, wenn der Hund des Nachbarn C, der den Schlaf des B stört, zur Ruhe gebracht werden. A geht zu C und redet ihm ein, der Hund sei tollwütig. Entsetzt erschießt C den Hund, der einen Wert von DM 200,- hatte. Ergebnis: Kein Betrug des A: Schaden des C und Bereicherung des A haben ihren Grund nicht in derselben Vermögensverfügung. - A hat eine Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft begangen. cc) In Anlehnung an OLG Köln NJW1987 S. 2095: Die A, die bei ihrer Schwiegermutter Mitleid und Aufmerksamkeit erringen will, erzählte dieser, ihr Kind sei entführt worden. Als sie merkt, daß diese alles zur Rettung des Kindes in die Wege leiten will, berichtet sie, die Entführer hätten 1000,- DM gefordert. Sie weiß, daß die S ihr das Geld geben wird, was auch geschieht, sieht aber keine Möglichkeit, ohne Offenbarung ihrer Lüge aus der Sache herauszukommen. OLG: Keine Bereicherungsabsicht.

3. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen a) Im Rahmen der Delikte gegen das gesamte Vermögen - Betrug, Erpressung - ist weitgehend anerkannt, daß rechtswidrig nur ein Vermögensvorteil ist, auf den der Täter nach materiellem Recht keinen Anspruch hat. Ein Vermögensvorteil ist dann nicht rechtswidrig, wenn die der Bereicherung zugrunde liegende Vermögensentziehung auf die Herbeiführung eines vor der Vermögensordnung rechtsbeständigen Zustandes gerichtet ist. Die Verfolgung und Abwehr von Ansprüchen mit rechtswidrigen Mitteln macht den Vermögensvorteil als solchen nicht zu einem rechtswidrigen. Dazu BGH wistra 1982 S. 68; BayObLG StV 1990 S. 165; vgl. im übrigen zur entsprechenden Problematik des § 253 unten § 5313. - A A ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 462. Das gleiche Ergebnis, wenn auch auf einem anderen konstruktiven Weg, wird erreicht, wenn der Eintritt eines Vermögensschadens abgelehnt wird, falls der Täter ein Vermögensgut an sich bringt, auf das er einen Anspruch hat; vgl. z.B. BOCKELMANN Mezger-Festschrift, S. 367 ff; CRAMER Vermögensbegriff, S. 160; LACKNER LK, § 263 R d n . 276; WELZEL N J W 1953 S. 652 f; B G H S t 20 S. 137 f; B G H

NJW 1983 S. 2646.

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Die Konstruktion ist vom juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriff her konsequent, nicht jedoch mit den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs in Einklang zu bringen. Das Haben eines Objekts ist - wirtschaftlich gesehen - vorteilhafter als der bloße Anspruch auf das Haben. Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 215 ff.

Da die h.M. beim Vermögensschaden und bei der Bereicherung auf den Geldwert abstellt, kommt sie hier nicht zu der - wie oben § 40 II 4 a gezeigt - kaum sachgemäßen Differenzierung zwischen Spezies- und Gattungsschulden, die die Argumentation bei den Zueignungsdelikten bestimmt. Ist der Anspruch hingegen nicht fällig, bedingt oder besteht er nur zum Teil, so ist der erstrebte Vorteil rechtswidrig; beim teilweise begründeten Anspruch, soweit der Anspruch unbegründet ist. b) Irrt der Täter über das Vorliegen eines Anspruchs, so entfällt gleichfalls die Absicht rechtswidriger Bereicherung, da es sich bei der Absicht um ein subjektives Merkmal des Tatbestandes handelt. Dazu BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 99; OLG Bamberg NJW 1982 S. 778. Im einzelnen dazu LACK-

NER LK, § 263 Rdn. 287 f.

c) Auf die Rechtswidrigkeit braucht sich die Absicht nicht zu erstrecken, insoweit genügt bedingter Vorsatz; BGHSt 31 S. 181. d) Zur Einübung aa) BGHSt 3 S. 160: Im Prozeß ihres Kindes K auf Unterhalt gegen H sagte A als Zeugin falsch aus. Dadurch gewann K den Prozeß. A war jedoch fest davon überzeugt, daß der Anspruch des K gegen H begründet war. BGH: A wollte dem K keinen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen, da sie davon ausging, daß der Anspruch des K nach materiellem Recht begründet war. bb) BGH NJW 1953 S. 1479: A hatte eine Forderung gegen B aus einem Geschäft mit diesem. B zeigte sich nicht zahlungswillig. A nahm nun bei B ein Darlehen auf. Bei Fälligkeit des Darlehens rechnete er auf, was er von vornherein vorgehabt hatte. BGH: Da A auf die Leistung einen fälligen Anspruch hatte, war sein Vermögensvorteil nicht rechtswidrig. Die Aufrechnung ist eine von der Rechtsordnung anerkannte Form der Erfüllung! Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn die Forderung des A noch nicht fällig oder bedingt gewesen, bzw. die Aufrechnung vertraglich ausgeschlossen gewesen wäre. cc) BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 10: A machte Rentenansprüche als Kriegsversehrter wegen einer Beinverletzung geltend, die er angeblich durch Granatsplitter erlitten hatte. Diese Behauptung war unwahr, doch war A lungenkrank, und es war nicht auszuschließen, daß die Lungenkrankheit auf Kriegseinwirkungen zurückzuführen war. BGH: kein Betrug des A, wenn A nur die Rente hätte haben wollen, die ihm aufgrund der Lungenkrankheit zukam oder von der A geglaubt hätte, daß sie ihm zustände, was für ihn aber schwer beweisbar gewesen wäre. - Hatte A aufgrund der Lungenerkrankung keinen Anspruch und wußte das, so lag ein vollendeter Betrug vor. - Hatte A hingegen keine Ahnung von einem solchen Anspruch, lag dieser aber vor, so ist ein versuchter Betrug gegeben.

V. Versuch, Vollendung und Besonderheiten der Strafverfolgung 1. Der Versuch des Betruges beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen des Täters zur Täuschung, die zur Vermögensverfügung führen soll. - Eine Täuschung, die nur dazu dient, das Vertrauen des Opfers zu erlangen, um später um so wirksamer eine auf Vermögensverfügung gerichtete Täuschung durchzuführen, ist lediglich eine Vorbereitungshandlung.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Dazu BGH wistra 1984 S. 142; OLG Karlsruhe NJW 1982 S. 59 mit Anm. BURKHARDT JuS 1983 S. 426 ff.

2. Vollendet ist das Delikt mit Eintritt des Vermögensschadens. - Materiell beendet ist der Betrug mit Erlangung des erstrebten Vermögensvorteils durch den Täter. 3. Gemäß § 263 Abs. 4 ist in Bagatellfällen des Betruges § 248 a anzuwenden sowie die Strafschärfung eines besonders schweren Falles gemäß § 243 Abs. 2 ausgeschlossen; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen oben § 44, § 41 II. - Bei einem Haus- und Familienbetrug findet gemäß § 263 Abs. 4 der § 247 Anwendung; dazu oben § 43.

VI. Besonders bezeichnete Betrugsfälle Wenn aus einer Art eine Untergruppe eine besondere Bezeichnung erhält, in der die Bezeichnung der Art wieder aufgenommen wird, so kann man gemeinhin davon ausgehen, daß es sich hier um einen besonders typischen Fall der Art handelt. Im Bereich des Betruges ist das jedoch ein Irrtum. Bei den besonders bezeichneten Betrugsfällen handelt es sich keineswegs um besonders typische Betrugsfälle, sondern um Fälle, in denen das Vorliegen des Betruges gerade besonders problematisch ist. Dies wird jedoch durch die besondere Bezeichnung kaschiert, denn der Rechtsanwendende begnügt sich in der Regel mit dem Nachweis, daß die Besonderheit vorliegt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob überhaupt ein Betrugsfall gegeben ist.

1. Eingehungs- und Erfüllungsbetrug Problembereich: Konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensschaden, a) Vertragsabschluß und Schadensbegründung Hat einer der Vertragspartner bei einem gegenseitigen Vertrag vor, nicht vertragsgemäß zu leisten, so hat der BGH ursprünglich schon im Vertragsschluß eine Vermögensgefährdung und damit einen Betrug erkannt. Diese Auffassung vertritt der BGH nicht mehr. Heute wird danach differenziert, ob der Vertragspartner durch den Vertragsschluß einen Anspruch erhält, der seinen Verpflichtungen gleichwertig ist. Zur Verdeutlichung: aa) BGH NJW 1953 S. 836: A verkaufte an B Kohle einer bestimmten Sorte. Er hatte vor, schlechtere Kohle zu liefern. BGH: Betrug schon bei Vertragsschluß. Diese Rechtsprechung ist überholt. Bei einer Zug-um-Zug-Leistung tritt der Schaden erst mit der vertragswidrigen Erfüllung ein; vgl. BGH StV 1988 S. 386. bb) BGHSt 23 S. 300: A verpflichtete den B unter Täuschung zur Abnahme einer für B völlig wertlosen Zeitschrift. BGH: Schaden bei Vertragsabschluß. • Dem ist zuzustimmen, denn der Verpflichtung des B, das Abonnement zu bezahlen, stand ein Anspruch gegenüber, der für B wertlos war. cc) B G H S t 3 1 S. 178 mit A n m . LENCKNER N S t Z 1983 S. 4 0 9 ff, MAAS JuS 1984 S. 2 5 ff, u n d BLOY JR

1984 S. 123 ff: A, die wußte, daß sie zahlungsunfähig war, beauftragte den Makler M mit der Vermittlung einer Wohnung. Der Maklerlohn sollte mit Abschluß des notariellen Kaufvertrages fällig werden. M fand ein entsprechendes Objekt, über das ein privatschriftlicher Kaufvertrag geschlossen wurde. Der notarielle Kaufvertrag kam nicht zustande. BGH: Betrug liegt erst dann vor, wenn M aufgrund des Abschlusses des vermittelten Geschäftes einen rechtswirksamen Vergütungsanspruch gegen A erworben hat. Dem ist mit LENCKNER entgegenzuhalten, daß der Betrug bereits vollendet ist, wenn M seine Leistung erbracht hat, obwohl A zahlungsunwilUg und -unfähig ist.- Der Makler, der seine Leistung er-

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bringt, leistet im Vertrauen darauf, daß damit eine Grundlage für den Zahlungsanspruch geschaffen wird. Will der Kunde von vornherein einen solchen Anspruch nicht entstehen lassen oder ist dieser Anspruch wertlos, so schädigt sich der Makler durch seine Leistung, die er dem Kunden erbringt. Darin liegt der Vorteil des Kunden.

b) Das Verhältnis von Eingehungs- und Erfüllungsbetrag aa) Führt bereits der Vertragsabschluß zu einem Schaden - vgl. oben a, bb - so ist die Realisierung der mit Vertragsabschluß begründeten Schädigung durch Erfüllung nur noch die materielle Beendigung des Betrugsdelikts. bb) Entsprechen die mit dem Vertragsschluß begründeten Forderangen der Parteivereinbarang und erbringt eine der Parteien unter Täuschung der anderen eine minderwertige Leistung, so liegt der Betrug in der Leistung eines minderwertigen Objekts an Stelle des geschuldeten Objekts. Dazu OLG Stuttgart JR 1982 S. 470 mit krit. Anm. BLOY S. 471 ff.

cc) Einheitliche oder differenzierte Betrachtung von Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft Fall: A verkauft an B einen 4 Jahre alten Mercedes 230 E mit der Zusicherung, dieser habe nur 50.000 km gelaufen für 20.000 DM als Sonderangebot, da ein Wagen mit dieser Laufleistung üblicherweise 30.000 DM kostet. Es stellt sich später heraus, daß der Wagen 150.000 km gelaufen, aber einen Handelswert von 20.000.- DM hatte. 1. Alternative: Das wußte A von Anfang an. 2 Alternative: Erst nach Abschluß des Vertrages, vor Übergabe des Fahrzeugs erfuhr A, daß der Wagen bereits 150.000 km gelaufen hatte. Er klärte den B nicht auf. 3. Alternative: Vor Übergabe des Fahrzeugs hatte A das Fahrzeug gegen ein gleich aussehendes ausgetauscht.

Die h.M. sieht Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft als Einheit an, wenn die Täuschung bereits im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts begangen wurde. Diese einheitliche Betrachtungsweise hat die Konsequenz, daß ein Schaden abzulehnen ist, wenn die unter Täuschung erbrachte Leistung einen Wert hat, der dem Kaufpreis entspricht (1. Alternative). Ein Erfüllungsbetrug soll hingegen vorliegen, wenn sich der Täter nach Abschluß eines Austauschvertrages dazu entschließt, eine wirtschaftlich nicht vollwertige Leistung zu erbringen. Der Anspruch auf den Vertragsgegenstand war dem Vermögen des Vertragspartners bereits zugeflossen. Durch die Annahme der minderwertigen Leistung als Erfüllung wurde dieser Anspruch vereitelt (2. Alternative). Zum Teil wird für den Fall einer schon bei Vertragsschluß begangenen Täuschung ein Betrug wenigstens in den Fällen bejaht, in denen der Erfüllungsansprach durch eine neue Tathandlung vereitelt wird (3. Alternative). Vgl. dazu BGHSt 16 S. 223; BayObLG NJW 1987 S. 2452; LACKNER LK, § 263 Rdn. 228, 232; TENCKHOFF Lackner-Festschrift, S. 684 ff.

Diese unterschiedlichen Beurteilungen von Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft überzeugen nicht. Zu differenzieren ist vielmehr grundsätzlich zwischen Eingehungsund Erfüllungsgeschäft: Hat der Getäuschte durch den Vertragsschluß einen Anspruch auf eine Leistung von einem bestimmten Wert erhalten, so ist er geschädigt, wenn er im Rahmen der Abwicklung des Geschäfts um diesen Ansprach gebracht wird, bzw. eine Leistung von geringerem Wert erhält. Ob die Täuschungshandlung zugleich mit Vertragsschluß oder später erfolgt, ist irrelevant.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Vgl. CRAMER Vermögensbegriff, S. 190 ff; D . GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 161 ff; LENCKNER

NJW 1962 S. 59; PUPPE J Z 1984 S. 531 ff. - Auch der BGH folgt der Einheitstheorie nicht immer, vgl. BGHSt 32 S. 211; dazu OTTO JK, StGB $ 263/16,27.

2. Leistung ohne Gegenleistung: Bettel-, Spenden- und Subventionsbetrug Problembereich: Vermögensschaden i.S. des § 263, wenn feststeht, daß eine Leistung ohne eine Gegenleistung erbracht werden soll, so daß das Vermögen bewußt vermindert wird. Da in diesen Fällen von vornherein nicht beabsichtigt ist, die Vermögensminderung durch ein Äquivalent auszugleichen, stellt sich das Problem, ob hier stets ein Vermögensschaden anzunehmen ist, wenn die Vermögensverfügung durch Täuschung herbeigeführt wurde, oder niemals, bzw. ob zu differenzieren ist; vgl. dazu RUDOLPHI Klug-Festschrift, Bd. 2, S. 315 ff. Zur Verdeutlichung: a) BayObLG NJW 1952 S. 798: Der Spender S wird von dem Sammler A zu einer hohen Spende für einen mildtätigen Zweck veranlaßt, indem ihm vorgespiegelt wird, seine Nachbarn hätten sehr hohe Beträge gespendet. BayObLG: Vermögensschaden des S und damit Betrug; dazu auch CRAMER Vermögensbegriff, S. 121 ff. - Aufgrund des Vorliegens einer bewußten Selbstschädigung wird der Betrug z.T. abgelehnt; dazu GUTMANN M D R 1963 S. 3.

Nach der personalen Vermögenslehre ist ein Betrugsschaden hier abzulehnen, weil der erklärte wirtschaftliche Zweck'. Unterstützung einer wohltätigen Organisation, von S erreicht wurde. Daß S darüber hinaus protzen wollte, er könne mehr leisten als seine Nachbarn, ist irrelevant; dazu OTTO Struktur, S. 59 f. b) Fall: A erlangt durch Täuschung über den kulturellen Wert seiner Theateraufführungen eine Subvention für sein Theaterunternehmen. Ergebnis: Da kulturelle Subventionen nicht unter $ 264 fallen, ist hier § 263 einschlägig. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist auch ein Schaden zu bejahen, denn wer Beträge aus haushaltsrechtlich gebundenen Mitteln erschleicht, ohne zu der im Gesetz begünstigten Bevölkerungsgruppe zu gehören, fügt dem Staat einen Vermögensschaden zu, weil dadurch die zweckgebundenen Mittel verringert werden, ohne daß der erstrebte kulturpolitische Zweck erreicht wird; vgl. die entsprechenden Ausführungen in BGH NJW 1982 S. 2453. Dem ist nach den Prämissen des personalen Vermögensbegriffs zuzustimmen, denn mit diesem beündet hier der BGH den Vermögensschaden, ohne auf den wirtschaftlichen Vermögensbegriff, der er nicht paßt, überhaupt einzugehen.

S

3. Der Anstellungsbetrug Problembereich: Vermögensschaden. - Der Anstellungsbetrag ist eine Unterart des Eingehungsbetrugs. Seine Problematik löst sich nach denselben Grandsätzen. a) Fall: A läßt sich bei F als Buchhalter einstellen und bezahlen, obwohl er von Buchhaltung keine Ahnung hat. Ergebnis: Betrug mit Vertragsabschluß. Der Anspruch des F auf Dienstleistung durch A ist dem Gehaltsanspruch des A nicht äquivalent. Vgl. BGHSt 22 S. 38; JESCHECK A.T., § 86 I 2; OTTO Lackner-Festschrift, S. 731. - A.A. DREHER/TRÖNDLE § 78a R d n . 3; JÄHNKE LK, § 78a R d n . 5; KÜHL J Z 1978 S. 552; LACKNER LK, § 263

Rdn.293.

b) Fall: A täuscht bei seiner Einstellung als Buchhalter vor, er habe 6 Semester Betriebswirtschaft studiert. Daraufhin wird er eingestellt. A ist ein vorzüglicher Buchhalter, studiert hat er jedoch niemals.

§51 Betrug

219

BGHSt 17 S. 254: Kein Schaden des Dienstberechtigten, wenn der Dienstverpflichtete die Leistungen erbringen kann, die aufgrund seiner gehaltlichen Eingruppierung allgemein von ihm erwartet werden dürfen. c) BGH NJW 1978 S. 2042: A, der eine Vertrauensposition bei der Firma X inne hat, die es ihm ermöglicht, selbständige Dispositionen über das Vermögen der X zu treffen, hat bei seiner Einstellung darüber getäuscht, daß er wegen verschiedener Vermögensdelikte vorbestraft ist. BGH: Schon mit der Anstellung des für Vermögensstraftaten anfälligen A erlitt X einen Vermögensschaden, da das Vermögen der X der konkreten und ständigen Gefahr ausgesetzt war, daß A zum Nachteil der X über dieses Vermögen verfügte; dazu auch BGHSt 17 S. 259. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Vermögensgefährdung ist mit einem Vermögensschaden nicht identisch. Diskutabel ist hier allein eine Begründung des Vermögensschadens mit der Erwägung, daß eine Vertrauensstellung höher bezahlt wird, als eine Stellung, in der der Angestellte erst seine Vertrauenswürdigkeit beweisen muß. Dazu MIEHE JuS 1980 S. 261 ff. d) BGHSt 5 S. 358: Ein Beamter täuscht über eine Einstellungsvoraussetzung (z.B. Abitur). Den übertragenen Dienst versieht er vorzüglich. BGH: Betrug. - Unabhängig von den erbrachten Leistungen hat die Anstellungskörperschaft einen Schaden, weil der Beamte nach bestimmten Laufbahnvorschriften bezahlt wird, nicht aber ein von seiner Leistung unmittelbar abhängiges Entgelt erhält. I m E r g e b n i s z u s t i m m e n d : GUTMANN M D R 1963 S. 96; LACKNER LK, § 263 R d n . 239; PREISENDANZ § 263 A n m . V 3 h, aa; SARSTEDT J R 1952 S. 308 f; SCH/SCH/CRAMER § 263 R d n . 156.

Mit dieser Argumentation wird der Betrug von einem Vermögensdelikt in ein Delikt der Amtserschleichung uminterpretiert. Das ist nicht sachgemäß; vgl. auch: DLEKHOFF DB 1961 S. 1487 f; HARDWIG G A 1956 S. 18; KOHLRAUSCH/LANGE § 263 A n m . V 2 d; OTTO Struktur, S. 284 ff; WELZEL Lb.,

S 541 4 b.

4. Der Rentenbetrug Problembereich: Vermögensschaden und Vermögensgefährdung. Beispiel: A erschlich durch Täuschung eine Rentenbewilligung. Vor der ersten Zahlung wurde die Täuschung entdeckt.

Da der Rentenbescheid nur deklaratorische, nicht aber konstitutive Bedeutung hat, liegt im Erlaß des Bescheids eine Vermögensgefährdung, nicht aber ein Vermögensschaden. Ein vollendeter Betrug ist daher erst mit Auszahlung der ersten Rentensumme verwirklicht. Vgl. B G H S t 27 S. 342; DREHER/TRONDLE § 78a R d n . 3; KÜHL J Z 1978 S. 549 ff; LACKNER LK,

§ 263 Rdn. 294; OTTO Lackner-Festschrift, S. 732 f.

5. Der Prozeßbetrug Problembereich: Irrtum, Verfügender in der Vermögenssphäre des Geschädigten? Fall: A verklagt den B auf Zahlung von DM 1000,-, obwohl er genau weiß, daß B die Schuld längst bezahlt hat. Da B im Prozeß keine Quittung beibringen kann, A aber den Schuldschein vorlegt, erläßt der Richter ein Urteil gegen B. Dies wird rechtskräftig. A vollstreckt daraus.

a) Die Möglichkeit eines sog. Prozeßbetrugs hängt zunächst davon ab, ob der Richter, demgegenüber ein Prozeßpartner unwahre Angaben macht, überhaupt getäuscht wird und einem Irrtum unterliegt. Zu beachten ist nämlich, daß der Richter aufgrund der Beweislastregeln seine Entscheidung trifft, nicht aber aufgrund der inneren Überzeugung von der Wahrheit des Parteivorbringens. Die Beweislastregelungen sind aber nicht geeignet, den Richter zum Handlanger von Deliktstätern zu degradieren.

220

Die Vermögensentziehungsdelikte

Weiß er positiv, daß seine Entscheidung auf falschen Angaben beruht, so darf er nicht entscheiden. Damit aber ist der Raum für einen Irrtum eröffnet: Er wird über die Tatsache, daß die Angaben wahr sind, getäuscht. Das bloß abstrakte Wissen, daß Prozeßparteien u.U. die Unwahrheit vortragen, schließt Täuschung und Irrtum im konkreten Fall nicht aus, solange das Rechtspflegeorgan nicht positiv weiß, daß die Angaben im konkreten Fall unwahr sind; dazu BGHSt 24 S. 260 f. Im Mahnverfahren ist die Problematik mit Einführung des automatisierten Mahnverfahrens obsolet geworden, da das Rechtspflegeorgan nicht mehr getäuscht wird.

b) Weiterhin erscheint es problematisch, ob der Richter als Person in der Vermögenssphäre dessen, der im Prozeß unterliegt, anzusehen ist. Dies ist schon deshalb zweifelhaft, weil der Richter, je nachdem, ob der Kläger oder der Beklagte den Prozeß verliert, jeweils dem Unterliegenden zugerechnet werden müßte. Ein positiver Akt des Betroffenen, der dem Richter diese Vermögensposition einräumt, liegt nicht vor. Hier muß der Richter gleichsam als Person angesehen werden, die kraft Gesetzes bestimmten Vermögenssphären zugerechnet wird. Die Unterwerfung unter das Gerichtsverfahren hat gleichsam die Einsetzung des Richters in bestimmte Vermögenspositionen zur Folge. c) Der Schaden liegt im Falle des Prozeßbetruges noch nicht im Erlaß des Urteils, sondern erst in der Ausfertigung der Vollstreckungsklausel des Urteils. Erst dann ist eine Situation eingetreten, die der Belastung eines Vermögens mit einer Forderung vergleichbar ist. d) Zum Prozeßbetrug durch Verschweigen von Tatsachen: OLG Zweibrücken NJW 1983 S. 694 Zum Prozeßbetrug durch Rechts- und ungenügende Tatsachenbehauptungen: SEIER ZStW 102 (1990) 5. 563 ff.

6. Kreditkarten- und Scheckkartenerschleichung Problembereich: Schaden. BGHSt 33 S. 244: Der A verschaffte sich unter Täuschung Uber seine Kreditwürdigkeit eine Kreditkarte, um mit dieser Käufe zu tätigen, obwohl er sein Konto nicht ausgleichen konnte. BGH: Die Aushändigung der Kreditkarte an den stark verschuldeten A stellte eine Vermögensgefährdung dar, die das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens erfüllt.

a) Auch bei der Erschleichung von Kredit- oder Scheckkarten bedarf es keiner Gleichstellung einer Vermögensgefährdung mit einem Vermögensschaden. Bei der Überlassung einer Scheckkarte oder einer Kreditkarte im Drei-Partner-System (Eurocard, American Express, Visa u.a.) liegt in der Eröffnung der Kreditmöglichkeit, deren Realisierung allein vom Willen des Kreditnehmers abhängt, eine Belastung des Vermögens des Kreditgebers mit der Forderung auf Einräumung eines Kredits. Diese bedeutet dann einen Vermögensschaden, wenn die Bonität des Kreditgebers nicht gewährleistet ist. Vgl. dazu ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 452; GEPPERT JK, StGB § 263/20; OFFERMANN wistra 1986 S. 57; OTTO J Z 1985 S. 1008 ff. - A A . BRINGEWAT NStZ 1985 S. 536; LABSCH NJW 1986 S. 105 f; RIEMANN Vermögensgefährdung, S. 131 f. - Zur entsprechenden Problematik der Erschleichung einer Scheckkarte vgl. LACKNER LK, § 263 Rdn. 326.

b) Die Erschleichung einer Kreditkarte im sog. Zwei-Partner-System, sog. Kundenkarte, insbes. von Kaufhäusern und Autovermietern, erfüllt hingegen noch nicht den Tatbestand des Betruges. Diese Karte erleichtert dem Kartengeber die Bonitäts-

§ 51 Betrug

221

prüfung, sie räumt dem Kartennehmer aber nicht eine Kreditmöglichkeit ein, deren Realisierung allein von seinem Willen abhängt Vgl. dazu BGH StV 1989 S. 199 mit Anm. OTTO JK 89, StGB $ 263/29.

c) Die rechtliche Beurteilung der rechtsmißbräuchlichen Nutzung der Kredit- oder Scheckkarte war in Lehre und Rechtsprechung streitig. Nachdem der BGH in der mißbräuchlichen Nutzung der Scheckkarte einen Betrug gesehen hatte, während er die mißbräuchliche Nutzung der Kreditkarte für nicht strafbar hielt - vgl. einerseits BGHSt 24 S. 386, andererseits BGHSt 33 S. 244 - hat der Gesetzgeber mit Einführung des § 266 b als lex specialis gegenüber §§ 266, 263 eine Klarstellung vorgenommen; vgl. dazu unten $ 54 m . 7. Lastschriftenbetrug Problembereich: Täuschung und Irrtum. Mit Einreichen einer Lastschrift erklärt der Einreichende konkludent, daß seine Forderung begründet und er zur Lastschrift berechtigt ist. Da allerdings der Sachbearbeiter in der Bank eine sachliche Prüfung des Anspruches nicht durchführt, entspricht die Problematik der des Prozeßbetruges. Dazu OLG Hamm NJW 1977 S. 1834 sowie eingehend: OTTO Bankentätigkeit, S. 138 ff.

& Betrug beim Verkauf und bei der Vermittlung von Termin- bzw. Terminoptionsgeschäften Problembereich: Täuschung und Vermögensschaden. Fall: A verkaufte dem B eine Warenterminoption. Im Kaufpreis war eine Provision für A in Höhe von SO % des Kaufpreises enthalten. A versprach Überwachung des Kurses und bestmöglichste Verwertung der Option.

Bei der Vermittlung von Termin- oder Terminoptionsgeschäften kann eine Täuschung bereits darin liegen, daß falsche Vorstellungen über die Risiken des Geschäfts erweckt werden. Dazu zählen auch falsche Angaben über die Qualifikationen des Verkäufers, über die Seriosität der Vermittlungsfirma und über die Höhe der Vermittlungsgebühr. Vgl. OLG München WM 1989 S. 1719; BGH wistra 1989 S. 19.

Einen Schaden in Höhe des gesamten Optionspreises hatte die Rechtsprechung ursprünglich dann bejaht, wenn der Erwerber entweder überhaupt keine oder allenfalls eine Gewinnchance von theoretischer Bedeutung erlangt hatte. Ob diese Chance einen Handelswert hatte, sollte gleichgültig sein. Vgl. BGHSt 30 S. 177; 31S. 115; OLG München NJW 1980 S. 794.

Inzwischen geht der BGH davon aus, daß bei der Berechnung eines eventuellen Schadens als wirtschaftlicher Gegenwert der Leistung die marktübliche Prämie für die Option sowie die Provision eines seriösen, inländischen Maklers zu berücksichtigen seien. Vgl. BGHSt 30 S. 388; 32 S. 22; BGH StV 1986 S. 299.

Zutreffend war die ursprüngliche Auffassung der Rechtsprechung, daß der Käufer geschädigt ist, wenn die Chance, einen Gewinn zu machen, aufgrund der Preisgestaltung praktisch wertlos ist.

222

Die Vermögensentziehungsdelikte

Zum einen hat der Käufer der Option nämlich selbst keine Gelegenheit, diese zum Einkaufspreis zu veräußern, so daß der Handelswert der Option schon aus diesem Grunde nicht dem Wert des zum Erwerb eingesetzten Geldes gleichgesetzt werden kann. Zum anderen aber könnte als Entgeld der Leistungen des Verkäufers nur dann die Provision eines seriösen Vermittlers eingesetzt werden, wenn der Verkäufer auch die Leistung eines seriösen Vermittlers erbringen würde. Gerade dazu sind unseriöse Vermittler jedoch im Regelfall nicht im Stande. Hat nämlich der Erwerber die Option dem Vermittler zur sachgerechten Ausübung überlassen und ist dieser aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt nicht in der Lage, die Option sachgerecht auszuüben, so ist der Erwerber nicht nur in dem Teil seiner Leistung geschädigt, der für die - wertlosen - Beratungstätigkeiten erbracht wurde, sondern er hat einen Schaden in bezug auf seine gesamte Leistung erlitten. Er wollte eine von der Marktsituation abhängige Spekulationschance erwerben und die - versprochene Leistung fachgerechter Ausübung dieser Option. Erworben hingegen hat er eine spekulative Chance, die einfach ausläuft, so daß es von vornherein dem Zufall überlassen bleibt, ob sich die Gewinnchance realisieren läßt oder nicht. Damit aber ist die erworbene Gewinnchance über ihren spektulativen Charakter hinaus mit Risiken behaftet, die sie letztlich wertlos machen. Im einzelnen dazu ACHENBACH NStZ 1988, S. 98 f; FRANKE/RISTAU wistra 1990 S. 252 ff; D . GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 153 ff, 179 f; LACKNER/IMO M D R 1983, S . 9 7 1 ff;

OTTO D i e

strafrechtliche Bekämpfung unseriöser Geschäftstätigkeit, 1990, S. 70 f; WORMS wistra 1984 S. 123 ff.

9. Der Sicherungsbetrug Problembereich: Vermögensschaden Fall: A hat eine Sache des B unterschlagen. Als B Herausgabe verlangt, leugnet A, die Sache je gesehen zu haben.

a) Sicherungsbetrug wird der hier - angeblich - vorliegende Betrug genannt, weil er die Sicherung einer durch ein vorangegangenes Vermögensentziehungsdelikt erlangten Beute dient. Wird dies klar ausgesprochen, so ist die Problematik der Konstruktion offensichtlich: Hat der Täter sich die Beute, z.B. eine Sache, durch einen vorangegangenen Diebstahl, eine Unterschlagung, einen Betrug, eine Erpressung o.ä., verschafft, so ist der Schaden des Vermögensträgers durch dieses Delikt eingetreten. Für einen weiteren Betrugsschaden durch Kaschieren des vorangegangenen Delikts ist kein Raum und damit auch nicht für den Betrug "als straflose Nachtat", denn auch die straflose Nachtat ist tatbestandsmäßige Tat! Die Unterscheidung zwischen nicht tatbestandsmäßiger Tat und tatbestandsmäßiger, aber strafloser Nachtat wird von der Rechtsprechung oft nicht hinreichend deutlich gemacht; z.B. BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 23: "straflose Nachtat, weil kein weiterer Schaden eintritt".

b) Läßt das vorangegangene Vermögensdelikt hingegen noch Raum für einen neuen Schaden, so ist die Sachlage unproblematisch. Beide Delikte stehen in Realkonkurrenz. Fall: A hat das Kfz des B unbefugt in Besitz genommen. Er wollte es dem B am nächsten Tag zurückgeben. Am Abend veräußert er das Fahrzeug jedoch an den bösgläubigen X. Ergebnis: §§ 248 b, 246,53.

c) Problematisch ist die Beurteilung, wenn der Täter durch seine Täuschung die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches des Geschädigten aus der ersten Straftat, dessen sich der Geschädigte bewußt ist, zu verhindern sucht.

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

223

BGH J Z 1979 S. 764: Nach einem Versicherungsbetrug fordert die geschädigte Versicherung von A den an ihn gezahlten Betrag zurück. A täuscht über eine Gegenforderung, um die Realisierung der Forderung zu verhindern.

Konstruktiv sind hier zwei Schädigungen zu unterscheiden: Schaden durch den Versicherungsbetrug und Schaden durch Verhinderung der Realisierung der Forderung, die allerdings aus dem ersten schädigenden Ereignis erwachsen ist. Da es wirtschaftlich jedoch um die Sicherung der Beute aus der 1. Straftat geht, ist es vertretbar, den 2. Betrug als straflose Nachtat zu werten; vgl. auch BGH JZ 1979 S. 765. d) Zu der entsprechenden Problematik der Zueignung nach einer Zueignung vgl. oben § 421 6. - Zur Sicherungserpressung vgl. unten § 5312 c.

§ 52: Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352,353 1. Gebührenüberhebung, § 352 a) § 352 enthält einen privilegierenden Spezialfall des Betruges; vgl. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2901. Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen des Opfers. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. b) Täter können nur Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2), Anwälte oder sonstige Rechtsbeistände sein, die zum eigenen Vorteil Gebühren oder Vergütungen erheben dürfen. c) Die Tathandlung besteht im Erheben von Gebühren oder Vergütungen, die entweder kostenrechtlich nicht oder nicht in der geforderten Höhe geschuldet werden. Vgl. OLG Köln NJW 1988 S. 503 (Gebühr für falsche Sachbehandlung); BayObLG NJW 1989 S. 2901 (unzulässige Honorarvereinbarung).

Erheben ist das Verlangen und Empfangen der Leistung, wobei das Verhalten des Täters auf Täuschung des Schuldners über die Rechtmäßigkeit der Leistung gerichtet sein muß; vgl. BayObLG NStZ 1990 S. 129. - Vergütung ist jedes Entgelt für eine amtliche Tätigkeit. - Gebühr ist ein Unterfall der Vergütung. d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt; Bereicherungsabsicht i.S. des § 263 ist nicht erforderlich. S o a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 352 R d n . 8; LACKNER S t G B , § 3 5 2 A n m . 5; TRÄGER L K , § 352

Rdn. 21. - Für den Ausschluß des bedingten Vorsatzes: MAURACH/SCHROEDER B.T.2, § 79 II 2; SAMSON S K , § 3 5 2 R d n . 12; SCH/SCH/CRAMER § 352 R d n . 10.

e) Begeht der Täter über die in § 352 genannte Täuschung hinaus eine zusätzliche Täuschung, so liegt Idealkonkurrenz mit § 263 vor. Dazu BGHSt 2 S. 35.

2. Abgabenüberhebung, § 353 Abs. 1 a) Auch § 353 Abs. 1 enthält einen privilegierenden Sonderfall des Betruges. Geschütztes Rechtsgut ist auch hier das Vermögen. Nach h.M. richtet sich die Tat darüber hinaus gegen den Staat, dem die erhobenen Beträge vorenthalten werden. - Damit aber wird das Delikt noch nicht zum Delikt gegen das Ansehen des Staates; a.A. WAGNER A m t s v e r b r e c h e n , 1975, S. 214.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Täter kann nur ein Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) sein, der öffentlich-rechtliche Abgaben für eine Kasse des Bundes, des Landes, einer öffentlichen Körperschaft oder Anstalt zu erheben hat. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. c) Die Tat setzt voraus, daß der Täter Steuern, Gebühren oder andere Abgaben, die nicht oder nicht in dieser Höhe geschuldet werden, erhebt oder ganz oder zum Teil nicht an die öffentliche Kasse abliefert. - Eine rechtswidrige Zueignung des Erlangten ist nicht erforderlich. Daher liefert auch der Täter, der die Abgaben nicht als solche abliefert, sondern sie zur Deckung von Fehlbeträgen der Kasse zuführt, die Abgabe i.S. der Vorschrift nicht ab. Dazu OLG Köln NJW 1966 S. 1373.

d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Str. entsprechend der Auseinandersetzung bei § 352. e) Zur Konkurrenz mit § 263 vgl. oben 1 e; mit § 246 kann - je nach Sachverhalt Ideal- und Realkonkurrenz vorliegen; vgl. BGHSt 2 S. 35; BGH NJW 1961 S. 1171. 3. Leistungskürzung, § 353Abs. 2 a) Zur Deliktsnatur und zum geschützten Rechtsgut vgl. oben 2 a. b) Täter kann nur ein Amtsträger sein (§11 Abs. 1 Nr. 2), der Sachwerte oder Geld amtlich ausgibt. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. c) Die Tathandlung setzt voraus, daß der Täter bei amtlich zu erbringenden Leistungen Abzüge macht, die Leistung aber als vollständig erbracht in Rechnung stellt. d) Zum Vorsatz und zu den Konkurrenzen mit § 263 vgl. oben 2 d, e.

II. Erschleichen von Leistungen, § 265 a § 265 a ergänzt den § 263 in vier Fällen. Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen. Dazu FALKENBACH Die Leistungserschieichung (§ 265 a StGB), 1983, S. 78 f.

1. Automatenmißbrauch, § 265 a, 1. Alt. a) Relevant für die Verwirklichung der 1. Alternative sind nur sog. Leistungsautomaten, z.B. Fernsprech-, Spiel- und Musikautomaten sowie Münzkassiergeräte an Fernsehern u.ä. - Zwar fällt auch der sog. Warenautomat bei wörtlicher Auslegung unter den Begriff des Automaten. Da die Ausleerung derartiger Automaten, wenn sie durch Falschgeld oder sonstige Tricks bewirkt wird, aber als Diebstahl zu erfassen ist, demgegenüber § 265 a subsidiär ist, erscheint es angemessen, durch restriktive Auslegung des Begriffs "Automaten" bereits den Schutzbereich der Vorschrift von vornherein zu begrenzen. Im einzelnen: FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 81 ff.

b) Als Tatobjekt kommen nur entgeltliche Leistungen in Betracht (Rechtsgut: Vermögen!). - Erschleichen setzt keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen voraus, jede "unbefugte Inanspruchnahme" genügt. Die Ausleerung von Automaten durch Aufbrechen erfüllt in der Regel den Diebstahlstatbestand; vgl. BGH bei Holtz, MDR 1985 S. 795. - Beim Geldspielautomaten ist zu differenzieren: Erlangt der Täter durch Manipulation kostenlose Spiele, so liegt § 265 a vor, leert er den Automaten

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

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durch regelwidrige Nutzung, so greift § 242 ein; vgl. OLG Koblenz NJW 1984 S. 2424. c) Der Versuch, bei der Entwendung von Waren aus einem Automaten unter Anwendung von Tricks § 265 a anzuwenden statt § 242, weil die Tat ihrer Struktur nach mehr dem Betrug zuzuordnen ist, überzeugt nicht, da das wesentliche Element des Betruges, die Täuschung eines Menschen, gerade fehlt. Vgl. BayObLG NJW 1981 S. 2826 mit Anm. MEURER JR 1982 S. 292 ff; OLG Stuttgart NJW 1982 S. 1659 mit Anm. SEIER JR 1982 S. 509 ff, und ALBRECHT JuS 1983 S. 101 ff; OTTO J Z 1985 S. 23; RANFT JA 1984 S. 6. - A A . AG Lichtenfels NJW 1980 S. 2206 f mit abl. Anm. SEIER JA 1980 S. 681 f, und SCHULZ NJW 1981S. 1351 f; DREHER MDR 1952 S. 563 f.

2. Erschleichen der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldenetzes, § 265 a, 2 Alt. Als Fernmeldenetz sind z.B. Telefonnetze, Rundfunk und Fernsehen, auch Breitbandkabelnetz, anzusehen. - öffentlichen Zwecken dient das Netz, wenn es ganz oder teilweise im Interesse der Öffentlichkeit betrieben wird. - Zum Erschleichen vgl. oben lb.

Da entgeltliche Leistung im Fernsprechverkehr nur die Herstellung und Aufrechterhaltung der Verbindung ist, wird die bloße Auslösung des Klingelzeichens nicht als Tathandlung erfaßt. So auch: FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 85 f; LACKNER LK, § 265 a Rdn. 3; SCH/SCH/LENCKNER § 265 a R d n . 10, 13. - A A . BRAUNER/GÖHNER N J W 1978 S. 1469 ff; HERZOG

GA1975 S. 261.

3. Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel, § 265 a, 3. Alt. Beßrderung durch ein Verkehrsmittel ist jede entgeltliche Transportleistung. - Erschleichen ist auch in diesem Zusammenhang jedes ordnungswidrige Verhalten, mit dem sich der Täter unberechtigt in den Genuß einer Leistung setzt und dabei Kontrollmaßnahmen umgeht oder sich den Anschein der Ordnungsmäßigkeit gibt. Vgl. OLG Hamburg NJW 1987 S. 2688 mit abl. Anm. ALBRECHT NStZ 1988 S. 222 ff, FISCHER NJW 1988 S. 1828 f; OLG Stuttgart MDR 1989 S. 841; LACKNER StGB, § 265 a Anm. 3; MAHNKOPF JUS 1982 S. 887; - einschränkend ALWART J Z 1986 S. 563 ff.

Bringt der Täter jedoch ausdrücklich dem Berechtigten gegenüber zum Ausdruck, daß er die Leistung ohne Zahlung von Entgelt in Anspruch nimmt, so soll ein "Erschleichen" nicht vorliegen. BayObLG NJW 1969 S. 1042: Der Demonstrant A, der gegen die Erhöhung von Fahrgeld in der Straßenbahn demonstrierte, stieg in die Straßenbahn, fuhr mit und verkündete offen, er werde den Fahrpreis nicht zahlen. BayObLG: Kein "Erschleichen* der Beförderung, wohl aber § 123.

Diese Interpretation des Merkmals Erschleichen wird dem allgemeinen Wortsinn sicher gerecht. Mißlich ist jedoch, daß in der 1. Alternative des § 265 a auch die offen angekündigte Inanspruchnahme des Leistungsautomaten, die der Berechtigte nicht verhindern kann, als "Erschleichen" angesehen werden muß. - Damit erhält der gleiche Begriff je nach Zusammenhang einen unterschiedlichen Inhalt. Ist der Täter im Besitz einer gültigen Zeitkarte, die er lediglich nicht bei sich führt, so fehlt es am Erschleichen der Leistung, da er für diese das Entgelt entrichtet hat.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

4. Erschleichen freien Eintritts, § 265 a, 4. AU. Als Veranstaltung kommen Theater, Konzert oder Sportwettkämpfe, als Einrichtungen Museen, Schwimmbäder u.ä. in Betracht. - Das Entgelt muß aus wirtschaftlichen Gründen erhoben werden, nicht nur zur Begrenzung des Zutritts. Doch dürften die Fälle, in denen das Entgelt ausschließlich zur Begrenzung des Zutritts erhoben wird, Ausnahmecharakter haben. Dazu OLG Hamburg NJW 1981S. 1281 mit Anm. M. J. SCHMID JR 1981S. 391 (Bahnsteig).

Strafbar ist die Erschleichung des Zutritts, nicht aber die Inanspruchnahme eines teureren Platzes. - Wird der zur Einlaßgewährung Berechtigte getäuscht, so kommt § 263 in Betracht. 5. Antragsprivileg Nach § 265 a Abs. 3 gelten §§ 247,248 a entsprechend. 6. Subsidiaritätsklausel Die Subsidiaritätsklausel des § 265 a gilt nur gegenüber Vermögensdelikten. Beim Angriff gegen das Vermögen mit zugleich stärkeren Mitteln erscheint es angemessen, § 265 a Subsidiarität zuzuerkennen, nicht aber beim Angriff gegen ganz andere Rechtsgüter; im letzteren Fall: Idealkonkurrenz. So auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 Rdn. 221; im übrigen zu den möglichen Konkurrenzen: FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 104 ff.

III. Computerbetrug, § 263 a 1. Gesetzgeberische Intention und geschütztes Rechtsgut a) Die gesetzgeberische Intention Mit dem steigenden Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen wuchsen die Gefahren ihrer vermögensschädigenden mißbräuchlichen Nutzung, die mit den bisherigen Straftatbeständen nicht zu erfassen waren. § 263 kam nicht in Betracht, wenn kein Irrtum einer Person erregt wurde, § 266 scheiterte oft an der - von der h.M. für beide Tatbestandsalternativen geforderten - selbständigen Vermögensbetreuungspflicht. Die hier begründeten Strafbarkeitslücken sollten durch einen betrugsähnlich aufgebauten Tatbestand gegen vermögensschädigende Computermanipulationen geschlossen werden. Vgl. dazu BT-Drucks. 10/318, S. 16; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 338 ff, 2 / 2 6 ff; LACKNER Tröndle-Festschrift, S. 43 ff; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 654 ff; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 128 ff; TIEDEMANN J Z 1 9 8 6 S. 868 ff.

In der Formulierung der Tatbestandsmerkmale ist § 263 a daher eng an § 263 angelehnt worden. Da jedoch Täuschung, Irrtum und dadurch bedingte Vermögensverfügung die Struktur des Betrugstatbestandes prägen, diese Elemente aber dem Tatbestand des Computerbetruges gerade fehlen, ist die Ähnlichkeit zwischen den Tatbeständen nur eine verbale. Strukturell unterscheiden sie sich grundlegend, da § 263 a auch Elemente der Eigentumsdelikte und der Untreue enthält. Vgl. auch DREHER/TRÖNDLE § 263 a R d n . 1; SCH/SCH/CRAMER §263 a R d n . 2. - A.A. LACKNER

StGB, § 263 a Anm. 2.

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

227

Allein bezogen auf den Schutzbereich lassen sich - im Hinblick auf die ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers - Argumente für die Auslegung des § 263 a gewinnen. b) Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist - insoweit in Übereinstimmung mit § 263 - das Vermögen. Daß Computermißbräuche vor allem in Unternehmen verwirklicht werden, macht das Delikt nicht zu einem Wirtschaftsdelikt. Dem Schutz der Wirtschaftsordnung und ihrer Institute durch den Tatbestand kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Vgl. DREHER/TRÖNDLE § 263 a R d n . 2; LACKNER S t G B , § 263 a A n m . 1; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T. l , § 4 1 R d n . 223.

2. Das Angriffsobjekt Angriffsobjekt der verschiedenen Tathandlungen ist das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs. - Der Begriff der Daten ist hier weit auszulegen und erfaßt alle Informationen, die sich kodieren lassen, und damit auch die der Verarbeitung dienenden Programme, da diese als fixierte Arbeitsanweisungen an den Computer aus Daten zusammengefügt sind. Vgl. dazu BT-Drucks. 10/5058, S. 30; LACKNER StGB, § 263 a Anm. 3 a; LENCKNER/ WINKELBAUER C R 1986 S. 485; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 132; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1,

§ 41 Rdn. 225.

Unter Datenverarbeitung sind die technischen Vorgänge zu verstehen, bei denen durch Aufnahme von Daten und ihre Verknüpfung nach Programmen Arbeitsergebnisse erzielt werden; BT-Drucks. 10/318, S. 21. Im Wege teleologischer Auslegung ist der Anwendungsbereich des § 263 a allerdings nach dem heutigen Stand der Technik auf EDV-Systeme zu begrenzen, da nicht jede Beeinträchtigung technischer Sicherheitseinrichtungen, z.B. Zahlenkombination eines Tresorschlosses, in den Schutzbereich fällt. Gleichwohl bleibt der Anwendungsbereich des § 263 a weit, da Leistungs- und Warenautomaten in der Regel mit Geldprüfgeräten versehen sind, die eine Datenverarbeitung bei der Prüfung vornehmen; vgl. dazu auch LACKNER StGB, § 263 a Anm. 3 b; LENCKNER/WLNKELBAUER CR 1986 S. 658 f.

3. Die Tathandlungen a) Die unrichtige Gestaltung des Programms Da auch Programme aus Daten bestehen, handelt es sich bei der unrichtigen Gestaltung des Programmes um einen Spezialfall der zweiten Handlungsalternative, der Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten. Unrichtig kann zum einen subjektiv vom Verfügungsberechtigten, zum anderen objektiv von der Vorstellung der an der Datenverarbeitung Beteiligten her bestimmt werden. - Der objektiven Betrachtungsweise ist der Vorzug zu geben, denn wenn § 263 a im Schutzbereich betrugsspezifisch interpretiert wird, so dient er nicht nur dem Schutz desjenigen, der über das Datenprogramm verfügungsberechtigt ist, sondern soll Mißbräuche mit Hilfe der Datenverarbeitung verhindern. S o a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 263 a R d n . 6; HAFT N S t Z 1987 S. 7; LACKNER S t G B , § 263 a

Anm. 5 a, bb; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 87. A A BT-Drucks. 10/318, S. 20; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 654; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 132; SAMSON SK, § 263 a R d n . 5.

228

Die Vermögensentziehungsdelikte

Richtig ist ein Programm danach nur dann, wenn es bei Verwendung richtiger und vollständiger Daten in systematischen Arbeitsschritten das den Zwecken der Datenverarbeitung entsprechende Ergebnis liefert. Beispiel: Der Unternehmer A gestaltet das Programm seiner EDV-Anlage so, daß es den Lohn der Arbeitnehmer niedriger errechnet als es der Leistung dieser Arbeitnehmer entspräche. Ergebnis: Programm unrichtig.

b) Die Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten Der Begriff der Verwendung kann unterschiedlich weit interpretiert werden. Er kann als Nutzung der Daten bei der Datenverarbeitung oder enger als Einführung von Daten in den beginnenden oder bereits ablaufenden Datenverarbeitungsvorgang verstanden werden. - Auch wenn die unterschiedliche Weite des Begriffs weniger in dieser Handlungsalternative, sondern eher bei der unbefugten Verwendung von Daten relevant wird, sollten nicht unterschiedlich weite Inhalte desselben Begriffs verwendet werden. Dann aber verdient der weitere Begriffsinhalt den Vorzug, weil er den umfassenderen, vom Wortlaut noch gedeckten Schutzumfang bietet. Die Verwendung kann unmittelbar durch den Operateur oder den Terminalbenutzer erfolgen, aber auch mittelbar durch einen Hintermann, der ein gutgläubiges Werkzeug benutzt. Ob das Werkzeug dabei tauglicher Adressat einer Täuschung sein kann, weil es einer Prüfungspflicht unterliegt, ist irrelevant, da dieses die mittelbare Täterschaft nicht berührt. So auch: D R E H E R / T R Ö N D L B § 263 a Rdn. 7; L A C K N E R StGB, § 263 a Anm. 4 L E N C K N E R / W I N K E L B A U E R C R 1986 S. 656; M Ö H R E N S C H L A G E R wistra 1986 S. 132.

b, aa. - A.A. z.B.

Unrichtig oder unvollständig sind die Daten, wenn sie den bezeichneten Sachverhalt nicht der Wirklichkeit entsprechend oder nicht ausreichend wiedergeben. Der unbegründete Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids im automatisierten Verfahren, fällt unter Berücksichtigung der Pflicht zum wahrheitsgemäßen Parteivertrag im Zivilprozeß unter § 263 a. So auch: BT-Drucks. 1 0 / 3 1 8 , S. 2 0 ; wistra 1 9 8 6 S. 1 3 2 .

MÖHRENSCHLAGER

G R A N D E R A T H DB 1 9 8 6 , Beilage 1 8 , S. 4 ; H A F T NStZ 1 9 8 7 S. 8 ; - A . A . D R E H E R / T R Ö N D L B § 2 6 3 a Rdn. 7 ; L E N C K N E R / W I N K E L -

BAUER C R 1986 S. 656; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 1 R d n . 228.

c) Die unbefugte Verwendung von Daten aa) Dem Wortsinn am ehesten gerecht wird die Interpretation der unbefugten Verwendung von Daten als unberechtigte Verwendung. Unbefugt werden Daten danach verwendet, wenn sie zwar objektiv richtig sind und daher den Zugang zum Automaten eröffnen, aber von dem Nutzer nicht zu diesem Zweck verwendet werden dürfen. So auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 Rdn. 229.

In der Literatur wird eine einschränkende Auslegung vorgeschlagen, indem zum einen eine unbefugte Verwendung nur dann angenommen wird, wenn die Daten gerade in bezug auf ihre Funktion im Programm unbefugt verwendet werden, zum anderen wird eine betrugsspezifische Auslegung vorgeschlagen, so daß eine unbefugte Verwendung nur dann angenommen wird, wenn die Befugnis des Täters zur Inanspruchnahme der Leistung seines Beziehungspartners zu den Grundlagen des jeweiligen Geschäftstypus gehört, so daß sie nach den Anschauungen des Geschäftsverkehrs auch bei Schweigen der Beteiligten als selbstverständlich vorhanden vorausgesetzt wird.

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

229

Zur Funktionsabhängigkeit: LENCKNER/WLNKELBAUER CR 1986 S. 657 f; SAMSON SK, §263 a Rdn. 8; SCH/SCH/CRAMER $ 263 a Rdn. 8 ff. - Zu der betrugsspezifischen Interpretation - mit unterschiedlichen Akzenten -: LACKNER Tröndle-Festschrift, S. 53; LAMPE JR 1988 S. 437 ff; SCHLÜCHTER NStZ 1988 S. 59.

bb) Zur Verdeutlichung Fall 1: OLG Celle NStZ 1989 S. 367: A hatte sich rechtswidrig das Programm eines Glücksspielautomaten besorgt. In Kenntnis dieses Programms war er in der Lage, mit der sog. Risikotaste des Automaten sichere Gewinne zu erzielen, da er ermitteln konnte, an welcher Stelle das Programm jeweils war. OLG Celle: $ 263 a liegt nicht vor, da äußerlich ordnungsgemäß auf den Automaten eingewirkt wurde. Diese Begründung überzeugt als Lösung der Str. Problematik - dazu JK 90, StGB § 263 a/3; LACKNER StGB, § 263 a Anm. 4 c, cc - nicht; vgL auch BayObLG NStZ 1990 S. 595. Wird Verwenden als Nutzen der Daten bestimmt, so ist auch die mittelbare Verwendung der Daten noch tatbestandsmäßig. Setzt man eine Einführung der Daten in den Datenverarbeitungsvorgang voraus, so ist Str., ob die Betätigung der Risikotaste bereits als Datenverwendung angesehen werden kann; vgl. einerseits NEUMANN CR 1989 S. 719; DERS. JuS 1990 S 536 f; andererseits LACKNER StGB, § 263 a Anm. 4 c, cc. - Ähnlich problematisch ist die Frage, ob A unbefugt handelte. Das ist zu bejahen, wenn unbefugt als unberechtigt zur Nutzung der Daten bestimmt wird, abzulehnen, wenn auf die funktionsabhängige Interpretation abgestellt wird, und streitig, wenn unbefugt betrugsspezifisch ausgelegt wird; vgl. LACKNER Tröndle-Festschrift, S. 51, F n . 34; LAMPE J R 1988 S. 438; DERS. J R 1990 S. 348 f.

Fall 2: LG Wiesbaden NJW 1989 S. 2551 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 263 a/4: A, der die Geheimnummer der Scheckkarte der L kannte, verschaffte sich die Karte und nutzte diese zur Geldbeschaffung am Bankautomaten. LG Wiesbaden: § 263 a liegt nicht vor, da das Ergebnis des Datenverarbeitungsvorgangs durch die unbefugte Eingabe von Daten nicht ordnungswidrig beeinflußt wurde. Diese Begründung - vgl. dazu auch KLEB-BRAUN JA 1986 S. 259; JUNGWIRTH MDR 1987 S. 542 f. RANFT wistra 1987 S. 83 F - überzeugt nicht. Zwar vermitteln die beiden ersten Alternativen des § 263 den Eindruck, daß die Einwirkung zu einem manipulierten Ergebnis des Datenverarbeitungsvorgangs geführt haben müsse, zwingend kann dieses aber nicht als notwendiges Element des Einwirkens anerkannt werden. In gleicher Weise läßt sich die Beeinflussung eines Datenverarbeitungsvorgangs nicht zwingend als Einflußnahme auf einen schon in Gang befindlichen Verarbeitungsvorgang begrenzen. Vertretbar ist es, in der Auslösung und Steuerung eines Datenverarbeitungsvorgangs die stärkste Form der Beeinflussung zu sehen. Vgl. dazu BT-Drucks. 10/5058, S. 30; DREHER/TRÖNDLE § 263 a Rdn. 8; EHRLICHER Der Bankomatenmißbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bekämpfung, 1989, S. 76 ff, 80 ff; LACKNER StGB, § 263 a A n m . 4 c, cc; OTTO J R 1987 S. 224; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41

Rdn. 229; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 92; SPAHN Jura 1989 S. 519 f. In gleicher Weise erfüllt die mißbräuchliche Nutzung des Bankautomaten durch den berechtigten Karteninhaber, der aber unbefugt sein Konto überzieht, den Tatbestand. Vgl. ACHENBACH NJW 1986 S. 1838; BERNSAU Der Scheck- oder Kreditkartenmißbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 158 ff; DREHER/TRÖNDLE § 263 a Rdn. 10; EHRLICHER Bankomatenmißbrauch, S. 89 f; HAFT NStZ 1987 S. 8; LACKNER StGB, § 263 a Anm. 4 c, cc; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 R d n . 229; OTTO wistra 1986 S. 153; TLEDEMANN J Z 1 9 8 6 S. 869.

Unter § 266 b wollen das Verhalten subsumieren: SAMSON SK, § 263 a Rdn. 8; SCH/SCH/CRAMER § 263 a Rdn. 8ff;WEBER JZ 1987 S. 215; dazu vgl. unten § 54 III 4 b.

d) Die sonst unbefugte Einwirkung auf den Ablauf Die vierte Handlungsalternative ist als Auffangtatbestand gedacht, dessen unbestimmte Weite dann angemessen begrenzt wird, wenn als unbefugt die Einwirkung verstanden wird, infolge derer die Anlage die eingegebenen Informationen über Tatsachen nicht ihrem sachlichen Gehalt entsprechend verarbeitet und aus diesem Grunde zu einem abweichenden Ergebnis kommt. Vgl. LACKNER Tröndle-Festschrift, S. 56.

230

Die Vermögensentziehungsdelikte

Praktische Bedeutung kann diese Handlungsalternative bei bestimmten Konsolund Outputmanipulationen erhalten. Dazu im einzelnen SIEBER Computerkriminalität, S. 60 ff, 65 ff.

4. Die Folge der Tathandlung: Die Beeinflussung des Ergebnisses des Datenverarbeitungsvorgangs Die Tathandlung muß das Ergebnis des Datenverarbeitungsvorgangs beeinflußt und dadurch einen Vermögensschaden begründet haben. - Die Tathandlung hat den Vorgang beeinflußt, wenn sie für das Ergebnis (mit-) ursächlich geworden ist. Irrelevant ist es, ob das Ergebnis verfälscht oder - vgl. oben c, bb - nur unbefugt erzielt wurde. Das Ergebnis begründet einen Vermögensschaden, wenn es als solches unmittelbar vermögensmindernd wirkt, z.B. eine Gutschrift zugunsten des Täters oder eines Dritten bewirkt. Bedarf es zur Realisierung der Vermögensminderung noch einer deliktischen Zwischenhandlung des Täters, weil das Ergebnis der Datenverarbeitung täuschend genutzt werden soll, so fehlt es an der Unmittelbarkeit der Vermögensminderung. Im übrigen gelten bei der Beurteilung von Vermögensgefährdung und Vermögensschädigung die gleichen Grundsätze wie bei der Schadensbestimmung des Betrugs. Dazu vgl. oben § 51 III 4 d; im übrigen vgl. LACKNER StGB, § 263 a Anm. 5; LENCKNER/WLNKEL, BAUER C R 1986 S. 359; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 4 1 R d n . 232; MÖHRENSCHLAGER

wistra 1986 S. 133.

5. Vorsatz und Bereicherungsabsicht Für den Vorsatz und die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, gelten die Ausführungen zum Betrug entsprechend; vgl. oben § 51IV. 6. Konkurrenzen Erfolgt die Vermögensschädigung sowohl durch Täuschung einer mit Prüfungskompetenz versehenen Person als auch durch Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs, so ist § 263 a aufgrund seiner Auffangfunktion als subsidiär gegenüber § 263 anzusehen.- Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 268,269,303 a. Der Mißbrauch der Codekarte bei der Nutzung des Geldautomaten erfüllt allein den Tatbestand des a; vgl. dazu L A C K N E R StGB, § 2 6 3 a Anm. 1 0 b; zur Gegenansicht und zum Streitstand vgl. EHRLICHER Bankomatenmißbrauch, S. 93 f. §

2 6 3

§ 53: Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 Das Delikt, ein Bereicherungsdelikt wie der Betrug, ist diesem entsprechend aufgebaut. Dies kommt im Gesetzeswortlaut allerdings nicht zum Ausdruck, und auch der E 1962, der im Erpressungstatbestand, § 259, die Notwendigkeit einer Vermögensverfügung des Opfers hervorhob, formulierte in § 252 die Voraussetzungen des Betruges nicht so, daß der enge Zusammenhang zwischen diesen Delikten schon im Wortlaut des Gesetzes klargestellt wurde. Die enge Verwandtschaft dieser Delikte ist aber heute weitgehend anerkannt: Betrug ist die Selbstschädigung des Opfers infolge einer Täuschung über den schädigenden Charakter der Vermögensverfügung; Erpressung ist die Selbstschädigung des Opfers aufgrund einer Nötigung, wobei sich der Geschädigte über den Schaden durch die Vermögensverfügung im klaren ist.

§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung

231

1. Das geschützte Rechtsgut Geschützte Rechtsgüter des Erpressungstatbestandes sind das Vermögen und die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung, doch liegt der Schwerpunkt, der den Charakter des Delikts prägt, auf dem Vermögensschutz. Vgl. LACKNER S t G B , § 2 5 3 A n m . l ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 2 R d n . 12.

2. Der objektive Tatbestand a) Die Tathandlung, Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, entspricht der des § 240; im einzelnen dazu oben § 271. b) Durch die Gewalt oder die Drohung muß das Tatopfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt werden. Str. ist, ob das abgenötigte Verhalten eine Vermögensverfügung i.S. eines Dispositionsfreiheit voraussetzenden Opferverhaltens sein muß oder ob es bereits genügt, daß das Opfer den Eingriff in sein Vermögen nur passiv duldet. - Der erstgenannten Ansicht ist der Vorzug zu geben, denn die durch die Vermögensverfügung begründete Unmittelbarkeit der Vermögensschädigung durch das Opferverhalten gibt der Erpressung ihren eigenständigen Bereich innerhalb der Vermögensdelikte. Wird von dem Erfordernis der Verfügung abgesehen, so wird die Erpressung gegenüber den anderen Vermögensdelikten zum umfassenden qualifizierten Vermögensentziehungsdelikt. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, Wilderei, § 292, Pfandkehr, § 289, u.a. werden beim Einsatz von Gewalt und Drohung zur Erpressung und beim Einsatz qualifizierter Raubmittel zur räuberischen Erpressung, § 255. - Diese Interpretation des Tatbestandes ist aber weder historisch begründbar noch kriminalpolitisch notwendig. D a z u a u c h : E S E R I V , N r . 16 A 13 ff; GEPPERT/KUBITZA J u r a 1985 S. 276 ff; KREY B . T . 2, R d n . 297;

KÜPER NJW 1978 S. 956; LACKNER LK, § 253 Rdn. 5 ff mit eingehendem Überblick über den Streit-

s t a n d in F n . 6 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 2 R d n . 6; OTTO Z S t W 7 9 (1967) S. 85; DERS. D i e S t r u k t u r d e s s t r a f r e c h t l i c h e n V e r m ö g e n s s c h u t z e s , 1970, S. 304; DERS. J Z 1984 S. 144; RENGIER JUS 1981 S. 654; SCHMIDHÄUSER B.T., 1 1 / 4 9 , 55 f; S C H / S C H / E S E R § 2 5 3 R d n . 8; SCHRÖDER Z S t W 60 (1941) S. 83; TENCKHOFF J R 1974 S. 489; WERLE J u r a 1979 S. 489.

A A BGHSt 7 S. 252; 25 S. 228; 32 S. 88; OLG Hamm MDR 1972 S. 707; ARZT in Arzt/Weber, L H 3, R d n . 356; GEILEN J u r a 1980 S. 50; HERDEGEN L K , § 249 R d n . 2 1 ff; LÜDERSSEN G A 1968 S. 2 5 7 f; MOHRBOTTER G A 1968 S. 117; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 486; SEELMANN J u S 1982 S. 914; SEIER J A 1984 S. 442.

Das Verfügungsbewußtsein umfaßt hier die Kenntnis des Opfers von der schädigenden Natur der Verfügung. Allerdings ist der Begriff der Verfügung bei der Erpressung nicht in vollem Umfang identisch mit dem beim Betrug. Die Vermögensverfügung ist hier nicht nur in unmittelbar zum Vermögensschaden führenden Verhaltensweisen zu sehen, sondern auch in solchen, die notwendigerweise Voraussetzung für die Herbeiführung des Schadens sind. Fall: A nötigt den B durch Androhung von Gewalt, den Tresor zu öffnen, dessen Zahlenkombination B nicht kennt. Vgl. a u c h : KÜPER N J W 1978 S. 956; LACKNER LK, § 253 R d n . 10. - A A . RENGIER J u S 1 9 8 1 S . 654.

c) Nachteil für das Vermögen ist identisch mit Vermögensschaden i.S. des Betruges, daher treten bei der sog. Sicherungserpressung dieselben Schadensprobleme auf dazu BGH JZ 1984 S. 146; S E I E R NJW 1981 S. 2155 ff - wie beim Sicherungsbetrug; dazu oben § 51 VI 9.

232

Die Vermögensentziehungsdelikte

Auch hier kann ein Schaden darin bestehen, daß der Täter Beweismittel für eine nicht bestehende Forderung erlangt; vgl. BGH NJW 1987 S. 3144 mit Anm. OTTO JK 88, StGB S 253/7; BGH StV 1989 S. 478 mit Anm. SONNEN S. 479 f.

d) Genötigter und Verfügender müssen identisch sein, nicht hingegen Verfügender und Geschädigter, soweit die Verfügung dem Geschädigten als eigene zuzurechnen ist; dazu oben § 51 III 3. 3. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich darauf erstrecken, daß der Genötigte infolge der Nötigung eine vermögensschädigende Verfügung vornimmt. b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, entspricht der Bereicherungsabsicht beim Betrug; dazu oben § 51IV 2,3. Darausfolgt: aa) Absicht ist auch hier auf Bereicherung gerichtetes zielgerichtetes Handeln. Geht es dem Täter nur darum, einen anderen zu schädigen, so liegt nur eine Nötigung vor, selbst wenn ein Dritter mit Wissen des Täters in den Besitz eines Vermögensvorteils gelangt. Beispiel: Der Mercedesfahrer M hindert den BMW-Fahrer A am Überholen, obwohl die Straßenlage das Überholen zuläßt. A verschafft sich den Namen des M und läßt ihn wissen, er werde ihn anzeigen, falls M ihm nicht innerhalb von 8 Tagen eine Quittung über eine Zahlung an das Rote Kreuz in Höhe von DM 100,- zukommen lasse. - M zahlt. Ergebnis: Nur Nötigung des M durch A. - Dem A kam es nicht auf eine Bereicherung des Roten Kreuzes an, sondern allein auf eine Schädigung des M.

bb) Auch bei § 253 entfällt die Absicht des Täters, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wenn der Täter nach materiellem Recht einen Anspruch auf die Bereicherung hat oder zu haben glaubt. Dazu BGH NJW 1986 S. 1623; BGH NStZ 1988 S. 216; BGH StV 1988 S. 385; 1990 S. 205.

cc) Erforderlich ist auch hier der unmittelbare Zusammenhang zwischen Bereicherung und Vermögensschaden derart, daß die Bereicherung sich als Kehrseite des Vermögensschadens darstellt ("Stoffgleichheit"). Dazu BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 106, im übrigen vgl. oben § 51IV 2 b.

dd) Darüber hinaus haben h.L. und Rechtsprechung die Anwendung des § 253 auch abgelehnt, wenn der Täter sich durch Nötigung Beweismittel über die "Tilgung" nicht bestehender Forderungen verschafft hat. Forderung und Beweismittel werden in diesem Fall als Einheit angesehen, auch wenn der Täter auf das Beweismittel keinen Anspruch hat. BGHSt 20 S. 136: A rechnete damit, daß seine von ihm getrennt lebende Ehefrau für die Vergangenheit Unterhaltsansprüche geltend machen werde. Um diesen materiell nicht bestehenden Ansprüchen entgegenzutreten, veranlaßte er sie unter Androhung von Schlägen, Quittungsformulare zu unterschreiben, die er selbst entsprechend den verlangten Beträgen ausfüllen und dann zum Nachweis der Zahlung benutzen wollte. BGH: Es kommt nicht darauf an, ob ein Anspruch auf das Beweismittel besteht oder nicht. Maßgeblich ist allein das Endziel. Entspricht das Endziel der Rechtsordnung, so wird es nicht dadurch rechtswidrig, daß zu seiner Verwirklichung rechtswidrige Mittel eingesetzt werden.

§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung

233

4. Die Rechtswidrigkeit Rechtswidrig ist die Tat, auch wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, nur dann, wenn Tat und mit der Tat verfolgter Zweck verwerflich, d.h. als sozialgefährlich, sozialschädlich zu beurteilen sind; im einzelnen dazu oben § 27 III. 5. Versuch und Vollendung Der Versuch beginnt, wenn der Täter zur Nötigungshandlung unmittelbar ansetzt. Vollendet ist die Tat mit Eintritt des Vermögensschadens, beendet mit Eintritt der Bereicherung; dazu BGHSt 19 S. 342. - Bringt der Täter durch die Nötigung ein Behältnis - Tasche o.ä. - an sich, in dem aber nicht die erwartete Beute ist, auf die es dem Täter ankommt, so hegt nur ein Versuch vor; dazu BGH GA 1983 S. 411; BGH GA 1989 S. 171. - Erlangt der Täter nur einen Teilbetrag der erstrebten Summe, so nimmt auch die h.M. - entgegen Stellungnahmen zur entsprechenden Problematik des Grundtatbestandes; dazu oben § 27 IV 1 - nur einen Versuch an; vgl. BGH StV 1990 S. 206. 6. Abgrenzung von Betrug und Erpressung Da es bei der Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht darauf ankommt, daß der Drohende dieses Übel wirklich realisieren kann, sondern nur darauf, daß der Drohende vorgibt, das Übel realisieren zu können, umfaßt bereits die Definition der Drohung bestimmte Täuschungshandlungen. Fall: A fordert den B zur Zahlung von DM 1000,- auf, sonst werde er den B "wegen des Geschehens am 1.12. anzeigen". B zahlt. In Wirklichkeit weiß A nur, daß B am 1.12. in irgendetwas Unangenehmes verwickelt war, eine Anzeige zu erstatten hatte A nicht vor. Hätte B dies gewußt, so hätte er nicht gezahlt.

Erfordert der Betrug, "daß das Opfer aus freiem, nur durch Irrtum beeinflußten Willen über sein Vermögen verfügt" (OLG Köln MDR 1973 S. 866), so liegt eine Verfügung im Rahmen des Betruges niemals vor, wenn das Opfer auch genötigt wird, denn dann ist seine Willensfreiheit nicht nur durch den Irrtum, sondern auch durch eine Nötigung beeinträchtigt. Genausowenig, wie die Drohung mit einer ungeladenen Pistole aus dem Gewahrsamsbruch beim Raub eine Vermögensverfügung macht, genausowenig wird eine durch Nötigung erzwungene Handlung zu einer freien, nur durch einen Irrtum beeinträchtigten Verfügung, weil die Nötigung nur vorgeblich realisierbar ist. - Darüber hinaus verfügt das Opfer hier aber bewußt, sein Vermögen schädigend, während der Betrug gerade durch die bewußte Verfügung gekennzeichnet ist, über deren vermögensschädigenden Charakter der Täter irrt. Auch wenn daher in der Nötigung eine Täuschung enthalten ist, so kommt ihr keinerlei Eigenständigkeit zu. Erpressung und Betrug bezüglich des gleichen Objekts schließen einander aus, wenn die Verfügung des Opfers auf einer Nötigung beruht. Ob diese Nötigung wiederum auf einer Täuschung basiert, ist irrelevant. So auch: B G H S t 23 S. 294 mit A n m . KÜPER N J W 1970 S. 2253 f; GÜNTHER Z S t W 88 (1976) S . 9 6 0 f f ; O T T O Z S t W 7 9 (1967) S. 9 4 ff. - A A . HERZBERG J u S 1972 S . 571; KREY B . T . 2, R d n . 315; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 330; S C H / S C H / E S E R § 2 5 3 R d n . 37.

234 7. Verkauf der Deliktsbeute an das

D i e Vermögensentziehungsdelikte Deliktsopfer

Bietet der Täter eines Vermögensdelikts die Herausgabe der z.B. gestohlenen Sache oder die Wiedergutmachung des Schadens gegen Zahlung einer bestimmten Summe an, so sieht die h.M. hierin eine Erpressung, obwohl - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - der Vermögensbestand durch diese Tat nicht verschlechtert, sondern verbessert wird. D i e wirtschaftliche Betrachtungsweise wird mit zivilrechtlichen Konstruktionen überspielt und die eigenen Prämissen werden außer Kraft gesetzt. BGH 1 StR 221/82: Dem X waren Ikonen gestohlen worden. Er ließ verbreiten, daß er bereit sei, sie zu einem angemessenen Preise wiederzuerwerben. A, der davon gehört hatte und die Diebe kannte, bot diesen seine Vermittlung an. Die Diebe gingen darauf ein, und beauftragten den A zur Übergabe der Ikonen gegen ein bestimmtes Lösegeld. Bei der Übergabe des Geldes wurde A gefaßt. BGH: Wäre es zur Zahlung gekommen, so hätte eine vollendete Erpressung vorgelegen. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Schaden des X, der Verlust der Ikonen, war mit dem Diebstahl eingetreten. Zwar hatte X gegen den A Ansprüche auf Herausgabe, §§ 861, 985 BGB. Um diese Ansprüche brachte A den X aber nicht dadurch, daß er sie nicht realisierte. Sie waren wertlos, solange X die Täter nicht kannte. - Als A dem X den Besitz gegen eine bestimmte Summe zum Kauf anbot, eröffnete er ihm die vorher tatsächlich nicht vorhandene Möglichkeit, den Besitz zurückzuerlangen. Dies ließ er sich bezahlen. Unabhängig davon, ob A hier überhaupt als Täter der Erpressung angesehen werden kann, weil er lediglich den Auftrag der Hinterleute ausführte, die vom Geschädigten ausdrücklich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert waren, ist sowohl nach den Prämissen des wirtschaftlichen als auch nach denen des personalen Vermögensbegriffs die Folgerung zwingend, den Schaden abzulehnen. - Wenn der BGH den Schaden bejaht, weil das Opfer der Tat zahlen sollte, ohne einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, so beruht dieses Ergebnis darauf, daß das Haben der Sache und der Anspruch auf die Sache identifiziert werden. Das ist vom Standpunkt des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs her konsequent, nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs hingegen falsch. Dazu OLG Hamburg MDR 1974 S. 330 und LACKNER LK, § 263 Rdn. 122. Zur Gegenansicht: BGHSt 26 S. 346 mit zust. Anm. GÖSSEL JR 1977 S. 32 ff, und abl. Bspr. TRUNK JuS 1985 S. 944 ff.

II. Räuberische Erpressung, § 255 1. Die Systematik des Gesetzes a) Die räuberische Erpressung ist ein qualifizierter Fall der Erpressung. D i e Nötigungsmittel entsprechen denen des Raubes. - Nur die Drohung muß mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erfolgen, nicht aber die Gewaltanwendung. Zur Gegenwärtigkeit der Gefahr BGH NJW 1989 S. 1289. b) Als qualifizierter Fall der Erpressung setzt der Tatbestand, wie der Grundtatbestand, eine Vermögensverfügung voraus; im einzelnen zur Auseinandersetzung vgl. oben 1 2 b. Als umfassenden Grundtatbestand der Raubdelikte interpretieren diejenigen den § 255, die das Erfordernis einer Vermögensverfügung ablehnen. Danach ist § 249 ein durch die Zueignungsabsicht und die Wegnahmehandlung, die rein äußerlich als "Wegnehmen" zu bestimmen ist und im Gegensatz zu dem "Weggeben" steht, spezialisierter Sonderfall des § 255. BGHSt 14 S. 386: A stieg in die Taxe des T. Durch Schüsse aus der Gaspistole zwang er den T zum Verlassen des Fahrzeuges. Dann fuhr er mit der Taxe in der Gegend herum. Nach der Fahrt wollte A die Taxe so abstellen, daß T sie in Kürze zurückerhalten hätte.

§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte

235

BGH: § 255. - Wird § 255 als qualifizierter Fall der Erpressung interpretiert, so fehlt es hier an einer Vermögensverfügung des T, daher: §§ 223 a, 240,248 b, 52. Vgl. auch: BGHSt 32 S. 88 mit Anm. JAKOBS JR 1984 S. 385 ff (Vereitelung eines Vermieterpfandrechts mit Gewalt).

c) Unabhängig davon, ob eine Vermögensverfügung verlangt wird oder nicht, ist eine finale Verknüpfung von Nötigung und Vermögensschädigung nötig. Vgl. BGH Stv 1984 S. 377; BGH wistra 1988 S. 348.

d) Hinsichtlich des Adressaten der Drohung und der Ernsthaftigkeit der Drohung gilt dasselbe wie für § 253. BGH JZ 1985 S. 1059 mit abl. Anm. ZACZYK S. 1059 f, und zust. Anm. GEPPERT JK, StGB § 255/7: Nach vorher untereinander verabredetem Plan bedrohte der A die B mit einer Pistole, als diese angeblich bei einem Bankkassierer Geld wechseln wollte, und forderte von dem Kassierer Bargeld. Dieser zahlte. BGH: § 255, da es nur darauf ankommt, daß der Nötigungsadressat von der Ernsthaftigkeit der Drohung ausgeht.

2. Vorsatzwechsel zwischen räuberischer Erpressung und Raub Versucht der Täter mit Mitteln der räuberischen Erpressung ein Vermögensobjekt zu erlangen und geht er sodann bezüglich desselben Objekts zum Raube über oder umgekehrt, so liegt nur ein vollendetes Delikt vor. Dem Versuch mit den jeweiligen anderen Mitteln kommt keine Eigenständigkeit zu, da ein selbständiger Unrechtsgehalt des Versuchs gegenüber dem des vollendeten Delikts nicht auszumachen ist. BGH StV 1982 S. 114: A versuchte unter Androhung von Gewalt den X zur Herausgabe einer Geldbombe zu bringen. Dies mißlang. Nunmehr nahm A dem X die Geldbombe unter Anwendung von Gewalt ab. BGH: Die versuchte räuberische Erpressung ist durch die Verurteilung wegen vollendeten Raubes abgegolten. Der Versuch, die Geldbombe zu erlangen, ist, wenn auch mit anderen Mitteln, durch den Raub lediglich fortgesetzt und zum Erfolg geführt worden.

§ 54: Untreue und untreueähnliche Delikte I. Rechtsgut und Aufbau des Untreuetatbestandes Vermögensschädigungsdelikt. - Eine Bereicherung des Täters braucht nicht eingetreten oder beabsichtigt zu sein. Jedoch ändert sich die Deliktsnatur nicht dadurch, daß es dem Täter bei seiner Tat um die Bereicherung durch das dem fremden Vermögen entzogene Vermögensgut oder um einen anderen wirtschaftlichen Vorteil geht.

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist allein das Vermögen. H.M., vgl. HÜBNER LK, § 266 Rdn. 19 m.w.N. - Dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer oder der Redlichkeit des Rechtsverkehrs kommt keine eigenständige Bedeutung zu; a A . DUNKEL G A 1977 s . 334 f; ESER IV, Nr. 17 A g, 11; WENTZEL D a s Scheckkartenverfahren der

deutschen Kreditinstitute, 1974, S. 245.

2. Die besondere Pflichtenposition des Täters Das Vermögen kann i.S. des § 266 nicht von jedermann verletzt werden. Der Tatbestand setzt vielmehr als Täter eine Person voraus, die dem Vermögensträger in bezug auf sein Vermögen in besonderer Weise verpflichtet ist. Nur diese Person oder ihr

236

Die Vermögensentziehungsdelikte

Vertreter i.S. des § 14 kommen als Täter in Betracht. - Die Pflichtenposition ist strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 Abs. 1. So auch: B G H S t 26 S. 54; DREHER/TRÖNDLE J 266 R d n . 15; HÜBNER LK, § 266 R d n . 105; LACKNER StGB, § 28 A n m . 2 a; ROXIN LK, § 28 R d n . 37,40. - A A . SCH/SCH/LENCKNER § 266 R d n . 52.

3. Die Gesetzessystematik § 266 Abs. 1 enthält zwei Tatbestände: den Mißbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1, 1. Alt., und den Treubruchstatbestand § 266 Abs. 1, 2. Alt. In beiden Alternativen wird die Pflicht des Täters, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, vorausgesetzt. Streitig ist jedoch der Inhalt dieser Pflicht. a) Der überkommenen Interpretation des Mißbrauchstatbestandes entspricht die Auffassung, daß der Rahmen der Pflicht zur Vermögensfürsorge in der 1. Alternative des § 266 durch die rechtswirksame Einräumung einer Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis gekennzeichnet ist. D a z u BOCKELMANN B . T . / l , § 18 II; DREHER/TRÖNDLE § 266 R d n . 5; LABSCH J u r a 1987 S. 345 f; SAMSON SK, § 266 R d n . 13; SAX J Z 1 9 7 7 S. 702.

Die 2. Alternative des § 266 setzt hingegen die Pflicht des Täters, "fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen" voraus; dazu eingehender unter II 2. b) Mit BGHSt 24 S. 386 forderte der BGH für den Täter des Mißbrauchstatbestandes dieselbe Vermögensfürsorgepflicht wie für den Täter des Treubruchstatbestandes. Danach soll Täter in beiden Alternativen nur derjenige sein können, dem als Hauptpflicht die Betreuung fremder Vermögensinteressen obliegt. So: BGHSt 24 S. 386 mit Anm. SEEBODE JR 1973 S. 117 ff, insbes. S. 119; OLG Hamburg NJW 1983 S. 768; OLG Hamm NJW 1977 S. 1835; OLG Köln NJW 1978 S. 714 mit zust. Anm. GÖSSEL JR 1978 S. 469 ff, insbes. S. 473. Die Literatur folgte dem weitgehend unter Hinweis darauf, daß der Tatbestand durch das Erfordernis der Vermögensfürsorgepflicht restriktiv begrenzt werde und an Bestimmtheit gewinne. - Vgl. DUNKEL G A 1977 S. 338 f; HÜBNER J Z 1973 S. 407; DERS. LK, § 266 R d n . 5 ff; KREY B.T./2, R d n . 542; LACKNER StGB, § 266 A n m . 2 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 45 R d n . 18; D . MEYER JUS 1973 S. 214 f; SCHREIBER/BEULKE JuS 1977 S. 656 ff; VORMBAUM J u S 1981 S. 20; WESSELS B.T.-2,

§ 181 2.

c) Die restriktive Interpretation des Mißbrauchstatbestandes findet in Wirklichkeit jedoch nicht statt. Durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs des Tatbestandes auf den Mißbrauch der rechtlichen Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen oder andere zu verpflichten, war der Tatbestand hinreichend bestimmt. Das rechtliche Können konturierte die Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, eindeutig. Durch die identische Interpretation der Pflicht, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, in beiden Alternativen des § 266 werden hingegen die in der Unbestimmtheit der Vermögensfürsorgepflicht des Treubruchstatbestandes angelegten Unsicherheiten auf den Mißbrauchstatbestand übertragen und kaum akzeptable Strafbarkeitslücken eröffnet. Die Folge war ein dogmatisches Kuriosum. Die angeblich restriktive Auslegung des § 266 führte zum Ruf nach ausdehnenden Spezialtatbeständen, dem der Gesetzgeber im 2. WiKG mit §§ 266 a Abs. 2, 266 b nachkam; vgl. auch SCHROEDER GA 1990 S. 106. Zudem zeigte sich in der Rechtsprechung die verhängnisvolle Tendenz, unselbständige Vermögensfürsorgepflichten als selbständige Treuepflichten i.S.d. § 266 zu interpretieren; dazu unter II 2 d.

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Darüber hinaus ist die 1. Alternative ein letztlich überflüssiger Unterfall der 2. Alternative geworden und die vom Gesetz vorgegebene Aufgliederung in zwei sich ergänzende Tatbestände aufgehoben worden. Diese Konsequenz zieht allerdings die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht immer. Die Selbständigkeit beider Tatbestände setzt sich gegen die sachwidrige Konstruktion durch. Dazu vgl. BGH NJW 1984, 2539 m. Anm. OTTO JR 1985, 29 ff; sodann OLG Stuttgart NStZ 1985, S. 365 f m. Anm. OTTO JK, StGB § 266/5. Im übrigen vgl. BRINGEWAT G A 1973 S. 360 ff; DERS. N S t Z 1983 S. 457 ff; E S E R I V , N r . 17 A 10 ff; HEIMANN-TROSIEN J Z 1976 S. 551; LABSCH U n t r e u e (§ 266 StGB), 1983, S. 83 ff, insbes. S. 9 1 ff; OTTO

Bargeldloser Zahlungsverkehr und Strafrecht, 1978, S. 100 f; SCH/SCH/LENCKNER § 266 Rdn. 2, 11; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 244.

II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes 1. Der Mißbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1,1. Alt. a) Der Mißbrauchstatbestand setzt als Tathandlung den Mißbrauch einer Vertretungsmacht (Verpflichtungs- oder Verfügungsmacht) in bezug auf fremdes - verstanden im bürgerlich-rechtlichen Sinn - Vermögen voraus. Der Täter überschreitet mißbräuchlich das rechtliche Dürfen int Rahmen des rechtlichen Könnens. Der Täter hat kraft Gesetzes - z.B. als Elternteil, Vormund, Testamentsvollstrecker, Pfleger, Gerichtsvollzieher, Konkursverwalter - oder kraft behördlichen Auftrags - z.B. staatlich bestellter Treuhänder, mit dem Kassieren von Verwarnungsgeldern beauftragter Polizeibeamter - oder kraft Rechtsgeschäfts - z.B. Prokurist - Verfügungs- oder Verpflichtungsmacht übertragen erhalten, aufgrund derer er nach außen wirksame Geschäfte abschließen kann. Im Innenverhältnis ist er aber verpflichtet, von dieser Vertretungsmacht nur in bestimmter Weise Gebrauch zu machen. Hierüber setzt er sich hinweg und schließt pflichtwidrig den Vermögensträger schädigende Geschäfte ab. - Rechtliche Befugnis ist die rechtswirksam eingeräumte Befugnis. Bloßer Gutglaubensschutz genügt nicht. Trotz Anerkennung des Merkmals der "rechtlichen Befugnis" durch die Rechtsprechung, vernachlässigt diese das Merkmal in der praktischen Rechtsanwendung in zunehmendem Maße. Ein Mißbrauch der rechtlichen Befugnis, über fremdes Vermögen verfügen zu können, soll z.B. vorliegen, wenn eine Verkäuferin heimlich Waren mit nach Hause nimmt, um sie zu verbrauchen (BGH LM Nr. 4 zu § 266), wenn der zum Verkauf einer Ware für DM 300,- Bevollmächtigte diese Ware für DM 160,- verkauft (OLG Köln JMB1NRW 1959 S. 138) oder wenn der Gerichtsvollzieher den Erlös der Zwangsvollstreckung eigenmächtig nutzt (BGHSt 13 S. 276). - In allen diesen Fällen kann von einer Überschreitung des rechtlichen Könnens keine Rede sein, denn rechtliches Können und Dürfen gehen überhaupt nicht auseinander. Unabhängig von der Frage, ob im Einzelfall überhaupt rechtsgeschäftliche Verfügungen vorlagen, fehlte es bereits an der rechtlichen Befugnis zur Verfügung. Dazu auch BGH wistra 1990 S. 305; HÜBNER LK, § 266 Rdn. 70; LABSCH Untreue, S. 99 ff.

Beim sog. Risikogeschäft liegt die Pflichtverletzung dann vor, wenn der Täter den Bereich des ihm erlaubten Risikos überschreitet. Dies ist im Einzelfall aufgrund einer wirtschaftlich vernünftigen, die einzelnen Risiken abwägenden Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Dazu BGH wistra 1985 S. 190; BRINGEWAT JZ 1977 S. 668; HILLENKAMP NStZ 1981S. 161ff;HÜBNER LK, § 266 Rdn. 84 f; KOHLMANN JA 1980 S. 231; NACK NJW 1980 S. 1599 ff; OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 68 ff.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß das Bewußtsein des Mißbrauchs einer rechtlichen Befugnis und die Schädigung des Vermögens umfassen. c) Zur Einübung aa) BGH LM Nr. 4 zu § 266: Die Verkäuferin A verkauft an Kunden Waren unter dem vom Geschäftsherrn festgesetzten Ladenpreis, um diesen zu schädigen. BGH: Untreue. - Gemäß § 56 HGB konnte A rechtlich wirksam Geschäfte zu den vereinbarten Preisen abschließen. Sie durfte es aber nicht. bb) BGHSt 5 S. 61: A verkauft eine von B geliehene Sache an den gutgläubigen C. BGH: A hat eine Unterschlagung begangen, aber keine Untreue, denn C wurde nicht Eigentümer aufgrund der Verfügungsbefugnis des A. §§ 932 ff BGB gewähren dem Täter keine Verfügungsbefugnis, sondern schützen allein den guten Glauben des Erwerbers. cc) OLG Stuttgart: NStZ 1985 S. 365: A veräußerte unter Vorlage einer ihm nach Widerruf der Vollmacht verbliebenen Vollmachtsurkunde ein Grundstück des K. OLG: § 266 Abs. 1,1. Alt. (Mißbrauchstatbestand). - Dem ist zuzustimmen, denn hier erfolgte der rechtswirksame Erwerb des Käufers nicht aufgrund guten Glaubens, sondern weil die Vollmacht gem. §§ 171, 172 BGB fortbesteht bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtsgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt worden ist; vgl. auch LABSCH Jura 1987 S. 412; OTTO JK, StGB § 266/5; SCH/SCH/ LENCKNER § 266 R d n . 4.

2. Der Treubruchstatbestand, § 266 Abs. 1, 2 Alt. a) Der Treubruchstatbestand setzt die Verletzung einer Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, voraus, die zu einem Vermögensnachteil für den Berechtigten führen muß. b) Angesichts der "uferlosen Weite" der Gesetzesformulierung ist der Treubruchstatbestand seit jeher als rechtsstaatlich höchst problematisch eingestuft und als kaum vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG angesehen worden. GOSSRAU in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 8, Besonderer Teil, 79. Sitzung, S. 135; JAKOBS Strafrecht, A.T., 1983, 4/30; LABSCH Untreue, S. 189 ff; OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 311; WELZEL Lb., § 56 B.

c) Rechtsprechung und Lehre haben indes versucht, dem Tatbestand durch eine restriktive Interpretation der Vermögensfürsorgepflicht schärfere Konturen zu geben. Gefordert wird zum einen, daß die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen der typische und wesentliche Inhalt des Fürsorgeverhältnisses "Hauptpflicht" - sein müsse, zum anderen, daß es sich bei dem Vermögensfürsorgeverhältnis um eine Geschäftsbesorgung handeln müsse, so daß Nebenpflichten aus schuldrechtlichen Austauschverträgen von vornherein ausgeschlossen sind. Vgl. BGH GA 1977 S. 18 f; BGH NJW 1983 S. 461; BGH NStZ 1989 S. 72 mit Anm. OTTO JR 1989 S. 208 ff; HÜBNER LK, § 266 R d n . 26; SCH/SCH/LENCKNER § 266 R d n . 23 a; WEBER in: A r z t / W e b e r , L H 4, R d n . 97 f; WESSELS B.T.-2, § 18 II 2.

Eine Geschäftsbesorgung in diesem Sinne setzt danach eine selbständige, eigene Überlegung erfordernde Tätigkeit wirtschaftlicher Art im Interesse des Geschäftsherrn voraus. Die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen muß der typische und wesentliche Inhalt des Vertragsverhältnisses sein. Darüber hinaus muß dem Pflichtigen eine gewisse Selbstständigkeit bei der Erfüllung seiner Pflichten eingeräumt sein, so daß er Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen hat; dazu vgl. im einzelnen mit Nachweisen OTTO JK, StGB § 266/6.

"Selbständigkeit bei der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen ist allein, aber auch untrüglich daran zu messen, ob der Betreuer so handeln muß oder auch anders handeln darf'-, HÜBNER LK, § 266 Rdn. 32.

§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte

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d) Gleichwohl sind die Bemühungen um eine Konkretisierung der Vermögensfürsorgepflicht letztlich unbefriedigend geblieben, da die Rechtsprechung die durch das Erfordernis der Vermögensfiirsorgepflicht in beiden Alternativen des § 266 Abs. 1 eröffnete Strafbarkeitslücke dadurch zu schließen sucht, daß sie das Merkmal der Selbständigkeit in Einzelfällen zu schlichter Bedeutungslosigkeit abwertet. Bejaht wurde die Vermögensfürsorgepflicht z.B. trotz Fehlens jeglicher selbständiger Entscheidungsbefugnis bei einem Bankkassierer (BGH wistra 1989 S. 60 mit Anm. OTTO JK, StGB § 266/9) sowie bei Rechtsanwälten und Notaren, die Gelder nach Eintritt ganz bestimmter Voraussetzungen ausoder zurückzahlen sollten, ohne daß ihnen irgendein Entscheidungsspielraum verblieb (vgl. BGH NJW 1968 S. 852 f; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 625; BGH wistra 1987 S. 65). Im einzelnen dazu die Übersicht bei HÜBNER LK, § 266 Rdn. 35 ff.

Unabhängig davon ist die Rechtsprechung jedoch auch dort, wo sie im Ergebnis Zustimmung verdient, nicht über die Bildung von Fallgruppen hinausgekommen: Taugliche Täten Gebrechlichkeitspfleger (OLG Bremen NStZ 1989 S. 228 f); Handelsvertreter, der zugleich Lagerverwalter ist (BGH NStZ 1983 S. 74); Hauptbuchhalter (BGH GA 1979 S. 144); Konkursverwalter, im Verhältnis zu den Gläubigern (BGHSt 1 S. 243) und im Verhältnis zum Gemeinschuldner (BGH 1 StR 405/73 vom 13.11.1973); Prokurist im Verhältnis zum Firmeninhaber (BGH bei Herlan, GA 1964 S. 130); Rechtspfleger (BGHSt 35 S. 224 mit Anm. OTTO JZ 1988 S. 883 f); Gerichtsvollzieher (OLG Celle MDR 1990 S. 846); Vormund (RGSt 35 S. 341); Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von Handelsgesellschaften und juristischen Personen (dazu BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 456; BGH NJW 1981 S. 469; OLG Stuttgart MDR 1978 S. 593), doch kommt es auf das Einzelgeschäft an (dazu BGH MDR 1988 S. 511; BGH NJW 1988 S. 2483 ff). Untaugliche Täten Arbeiter, der mit Vermögen des Arbeitgebers umgeht (BGHSt 3 S. 294); Buchhalter (BGH wistra 1987 S. 27); Büroangestellte, die Schreibarbeiten zu erledigen haben (BGHSt 3 S. 294); Hausverwalter (BGH wistra 1988 S. 353); Kellner (RGSt 69 S. 58); Minderheitsaktionär gegenüber der Aktiengesellschaft (LG Köln wistra 1988 S. 279 f); Reiseveranstalter gegenüber den Leistungsträgern (BGHSt 28 S. 20); Sicherungsgeber gegenüber Sicherungsnehmer (BGH wistra 1984 S. 143 m. Anm. SCHOMBURG S. 143 f; vgl. aber BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 888); Sicherungsnehmer gegenüber Sicheningsgebern (BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 625); Vermieter gegenüber Mieter bei Mietkautionen (OLG Düsseldorf JZ 1989 S. 352; aA. LG Hamburg MDR 1990 S. 269).

e) Nach h.M. braucht es sich bei dem Treueverhältnis um kein besonders schutzwürdiges Vermögensfürsorgeverhältnis zu handeln. Auch gesetz- und sittenwidrige Verhältnisse können Vermögensfürsorgeverhältnisse i.S. des § 266 begründen, doch dürften die Voraussetzungen der Vermögensfürsorgepflicht bei gesetz- oder sittenwidrigen Verhältnissen selten vorliegen. In Betracht kommt aber ein zivilrechtlich nichtiges Treueverhältnis. Wie hier: BGHSt 8 S. 254 mit Anm. BRUNS NJW 1956 S. 151, HÄRTUNG JZ 1956 S. 572 f; DREHER/TRÖNDLE § 266 R d n . 9; HÜBNER LK, § 266 R d n . 79; KREY B.T.2, R d n . 563; - A A MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 45 R d n . 27; SCHMIDHÄUSER B.T., 11/66; SCH/SCH/LENCKNER

§ 266 Rdn. 34.

f) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich beim Treubruchstatbestand auch auf die Vermögensfürsorgepflichtverletzung erstrecken und den Vermögensnachteil umfassen; vgl. BGH wistra 1986 S. 25; BGHSt 34 S. 390. 3. Der Vermögensschaden Beide Untreuetatbestände setzen als Taterfolg einen "Nachteil" voraus, der in der Sache mit dem Vermögensschaden i.S. des § 263 identisch ist. So: HÜBNER LK, § 266 R d n . 90; LACKNER StGB, § 266 A n m . 5; SAMSON SK, § 266 R d n . 37; SCH/SCH/LENCKNER § 266 R d n . 39 ("gleichbedeutend").

240

Die Vermögensentziehungsdelikte

Gleichwohl ergeben sich Besonderheiten: a) Als Nachteil ist auch die pflichtwidrig unterlassene Vermögensmehrung anzusehen; dazu BGHSt 31 S. 232; BGH wistra 1984 S. 109; 1989 S. 224. b) An einem Nachteil fehlt es hingegen, wenn der verfügungsberechtigte Täter den Vermögensstand des Berechtigten pflichtwidrig mindert, aber jederzeit fähig und willig ist, aus eigenen flüssigen Mitteln die Vermögensminderung auszugleichen. Dazu BGH NSTZ 1982 S. 331 f; BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 281; vgl. ferner: DREHER/TRÖNDLB § 2 6 6 R d n . 24; HÜBNER L K , § 2 6 6 R d n . 100; a b w e i c h e n d : SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 R d n . 42.

c) Bei der zweckwidrigen Verwendung öffentlicher Gelder sieht die Rechtsprechung in dieser Verwendung eine Vermögensschädigung; sie folgt insoweit den Grundsätzen der personalen Vermögenslehre. Vgl. BGH NStZ 1984 S. 549 m. Anm. OTTO JK, StGB 5 266/4; BGH NStZ 1986 S. 455 f; OLG Hamm NStZ 1986 S. 119.

d) Entnahmen aus dem Vermögen einer GmbH, die als solche verschleiert werden, stellen nicht notwendig eine Vermögensschädigung der GmbH dar. Sie sind vielmehr als verdeckte Gewinnentnahmen zu interpretieren. Diese sind im Einverständnis mit den Gesellschaftern zulässig, soweit durch die Entnahme nicht das Stammkapital angegriffen oder eine Überschuldung der GmbH herbeigeführt wird. Vgl. BGH wistra 1990 S. 99 - Widersprüchlich zuvor BGHSt 34 S. 379 m. Anm. OTTO JK 88, StGB § 2 6 6 / 7 , VONNEMANN G m b H R 1 9 8 8 S. 3 2 9 ff; B G H S t 3 5 S. 3 3 3 m . A n m . OTTO J K 89, S t G B § 2 6 6 / 8 ,

REIß wistra 1989 S. 81 ff. Im übrigen vgl. BRAMMSEN D B 1989 S. 1609 ff; FLECK Z G R 1990 S. 31 ff; GRIBBOHM Z G R 1990 S. 1 ff; HELLMANN wistra 1989 S. 214 ff; ULMER Pfeiffer-Festschrift, S. 853 ff.

e) Einen Vermögensschaden erleiden kann nur eine vom Täter verschiedene natürliche oder juristische Person. Bei verselbständigten Vermögensmassen (KG, OHG, BGB-Gesellschaft) kommt es darauf an, ob vom Täter verschiedene (Mit-) Träger der Vermögensmasse negativ betroffen sind. Vgl. BGHSt 34 S. 221 ff; BGH NStZ 1987 S. 279; LACKNER StGB, § 266 Anm. 2 b; SCHULTE NJW 1984 S. 1671. - A A SCHÄFER N J W 1983 S. 2850.

4. Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 266 Angesichts der mit der Bestimmung der Vermögensfürsorgepflicht grundsätzlich verbundenen Schwierigkeiten erscheint es nach wie vor sinnvoll, zu erwägen, ob über die in Lehre und Rechtsprechung erörterten einschränkenden Kriterien hinaus der gesamte Untreuetatbestand nicht erheblich zu begrenzen wäre auf die Fälle, in denen der Täter die ihm rechtswirksam eingeräumte Befugnis fremdes Vermögen zu verwalten oder über fremdes Vermögen rechtswirksam zu verfügen, mißbraucht. Hier besteht, insbes. im Verhältnis zu den Zueignungsdelikten, eine Strafbarkeitslücke, nicht aber dort, wo schon diese Delikte eingreifen. Dazu HÜBNER LK, § 266 Rdn. 32; LABSCH Untreue, S. 302 ff; OTTO Struktur, S. 312 f.

III. Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266 b 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des Tatbestandes ist das Vermögen. Daß der Tatbestand im Einzelfall - insoweit durchaus §§ 263, 266 vergleichbar - auch die Sicherheit und

§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte

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Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs schützt, ändert nicht das Wesen des Delikts als Vermögensdelikt. Vgl. auch: LACKNER StGB, § 266 b Anm. 1; OTTO wistra 1986 S. 152; RANFT JuS 1988 S. 675. - Weiter: DREHER/TRÖNDLB | 266 b Rdn. 2. - Nur den unbaren Zahlungsverkehr sieht als geschützt an: BERNSAU Der Scheck- oder Kreditkartenmißbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 63 ff.

Sachlich handelt es sich bei § 266 b um die Wiederherstellung der Möglichkeit, einen Fall der Untreue in der Alternative des Mißbrauchstatbestandes strafrechtlich zu ahnden, nachdem die sachwidrige Erstreckung der Vermögensfürsorgepflicht auf § 266 Abs. 1,1. Alt. - dazu vgl. 13 - insoweit eine Strafbarkeitslücke begründet hatte. Vgl. dazu auch: HIRSCH H. Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 152; LABSCH NJW1986 S. 108; OTTO JZ 1985 S. 1009; TIEDEMANN J Z 1986 S. 872.

2 Die Täterposition a) Als Täter kommt nur der berechtigte Karteninhaber in Betracht, denn nur diesem ist durch die Überlassung eines Schecks oder einer Kreditkarte die Möglichkeit eingeräumt, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen. - Der Kartenmißbrauch durch nichtberechtigte Karteninhaber stellt in der Regel einen Betrug, § 263, dar. b) Aufgrund der dem Täter eingeräumten Vertrauensstellung ist die Tätereigenschaft besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1; vgl. dazu 12. 3. Scheck- und Kreditkarten Als Scheckkarte ist nach dem heute im Wirtschaftsleben bestehenden Bedeutungsgehalt die eurocheque-Karte anzusehen; eingehend zum eurocheque-System O T T O HWiStR: "Scheckkartenbetrug". - Der Begriff ist aber für andere, neu zu entwickelnde Systeme offen. - Kreditkarten im Sinne des Gesetzes sind zunächst die Kreditkarten im Drei-Partner-System, z.B. American Express-Karte, Eurocard. Sie räumen - wie die Scheckkarte - dem Karteninhaber die Befugnis ein, den Aussteller zu einer Zahlung - das ist nicht nur die Bargeldzahlung, sondern jegliche Geldleistung, insbes. im Verrechnungswege - zu veranlassen, d.h. dessen Garantieverpflichtung gegenüber einem Dritten auszulösen. Diese Eigenschaft fehlt den Karten im ZweiPartner-System, z.B. den Karten der Kaufhäuser oder Autovermieter, da es sich hierbei lediglich um Ausweise über die zuvor erfolgte Bonitätsprüfung handelt, die es den Filialen des ausstellenden Unternehmens ermöglicht, Leistungen gegenüber dem Karteninhaber zu erbringen, ohne jeweils erneut die Kreditwürdigkeit prüfen zu müssen. Vgl. dazu BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 112; WEISENSEE Die Kreditkarte - ein amerikanisches Phänomen, 1970, S. 93 ff.

Gleichwohl erscheint eine Differenzierung nach den Kartensystemen mit der Konsequenz, daß der Mißbrauch der Karte im Zwei-Partner-System unter den schärferen § 263 fiele, nicht notwendig. Mit dem Wortlaut des Gesetzes ist die Interpretation, daß der Täter auch beim Mißbrauch dieser Karten von der "eingeräumten Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen", Gebrauch macht, noch vereinbar. Vgl. a u c h GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 9; OTTO wistra 1986 S. 152; RANFT JUS 1988 S. 680 f. - A A BERNSAU S c h e c k k a r t e n m i ß b r a u c h , S. 210 f; LACKNER S t G B , § 266 b A n m . 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 45 R d n . 72.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

4. Tathandlung und Tatfolgen a) Tathandlung ist der Mißbrauch der mit der Überlassung der Scheck- oder Kreditkarte dem Täter eingeräumten Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen. Das Mißbrauchsmerkmal entspricht dem des § 266 Abs. 1, 1. Alt. StGB. Es liegt vor, wenn der Täter - nach außen rechtswirksam - im Rahmen seiner Verpflichtungsbefugnis - im Zwei-Partner-System: im Rahmen der ihm eröffneten Kreditmöglichkeiten - die ihm im Innenverhältnis vom Kartenherausgeber gesetzten Grenzen überschreitet und eine Zahlung herbeiführt oder eine Zahlungsverpflichtung begründet in einer Situation, in der er nach der vertraglichen Abmachung die Karte nicht nutzen darf. Der typische Mißbrauch der Scheckkarte liegt vor, wenn der Täter einen Scheckkartenscheck begibt, obwohl er weiß, daß sein Konto weder durch ein Guthaben noch durch Kredit gedeckt ist. Der typische Mißbrauch der Kreditkarte liegt in der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder Waren unter Vorlage der Karte, obwohl der Täter weiß, daß er nicht in der Lage ist, sein Konto auszugleichen. b) Streitig ist, ob der Mißbrauch der Scheck- oder Kreditkarte als Codekarte, d.h. bei der Geldentnahme aus einem Geldautomaten unter § 266 b fällt. Soweit dieses bejaht wird, geschieht es unter Hinweis darauf, daß letztlich in diesen Fällen gleiches untreueähnliches Unrecht verwirklicht wird. Da jedoch in diesen Fällen die Garantiefunktion der Karte nicht mißbraucht wird, kann das verwirklichte Unrecht - ähnlich wie beim Mißbrauch der Karte im ZweiPartner-System - durchaus dem des Betruges nahekommen. Im übrigen aber wird die Karte hier nicht als Scheck- oder Kreditkarte, sondern aufgrund einer zufällig mit diesen Eigenschaften verbundene Funktion genutzt. Damit begründet die Erfassung des Codekartenmißbrauchs unter § 266 b wenig überzeugende Differenzierungen, denn es sind Codekarten - z.B. die S-Card der Sparkassen, die Bank Card der Volksund Raiffeisenbanken - im Markte, die nur als Automatenkarte nutzbar sind. Sachgerechter, wenn auch das unterschiedliche Strafmaß nicht überzeugend gerechtfertigt werden kann, ist es daher, den Codekarten-Mißbrauch grundsätzlich als Computerbetrug zu erfassen. So auch: ACHENBACH NJW 1986 S. 1838; BERNSAU Scheckkartenmißbrauch, S. 154 ff; DREHER/ TRÖNDLE § 263 a R d n . 10; GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 4; LACKNER Tröndle-Festschrift,

5. 58 f; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 133; OTTO wistra 1986 S. 153; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 191; TLEDEMANN JZ1986 S. 869; WESSELS B.T.-2, § 13 V 2. AA. OLG Stuttgart NJW 1988 S. 981 mit abl. Anm. OTTO JK 88, StGB § 266 b/1; BÜHLER MDR 1989 S. 22; HUFF N J W 1987 S. 815 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 45 R d n . 73; WEBER

NStZ 1986 S. 484; DERS. Küchenhoff-Gedächtnisschrift, S. 490 ff.

c) Der Kartenmißbrauch muß zu einem Schaden des Kartenausstellers geführt haben, und zwar zu einem Vermögensschaden. Der Gesetzgeber hat mit diesem Erfordernis klargestellt, daß - unabhängig von der Einordnung des Kartenmißbrauchs als Betrug oder Untreue - die Regelung des § 266 b StGB jene Lücke schließen soll, die bei der Anwendung dieser Bestimmungen - sei es angeblich oder realiter - offenbar wurde. Darüber hinaus begrenzt das Schadenserfordernis aber auch den Kreis der strafrechtlich relevanten Mißbrauchsfälle. Entsprechend der Schadensbestimmung beim Untreuetatbestand ist nämlich auch hier der Schaden abzulehnen, wenn der Täter einen Scheckkartenscheck begibt, obwohl sein Konto weder durch Guthaben oder

§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte

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Kredit gedeckt ist, er aber jederzeit willig und fähig ist, für Deckung zu sorgen; vgl. dazu II 3 b. Bei der Verwendung der Kreditkarte stellt sich diese Problematik nicht in gleicher Weise, da es hier an einem Mißbrauch fehlt, wenn der Karteninhaber bei Begründung der Verpflichtung davon ausgeht, daß er für den Ausgleich seines Kontos sorgen kann. Nur dort ergibt sich die Problematik, wo dem Karteninhaber ein bestimmtes Limit gesetzt ist, das er nicht überschreiten darf. 5. Der subjektive Tatbestand Subjektiv fordert der Tatbestand Vorsatz des Täters. - Der Vorsatz - bedingter genügt - muß das Bewußtsein des Mißbrauchs der Möglichkeit, den Kartenaussteller zur Zahlung zu veranlassen, und die Schädigung des Vermögens des Kartenausstellers umfassen. Geht der Täter aufgrund konkreter Sachverhaltsgegebenheiten davon aus, daß das Konto Deckung aufweist oder er ohne weiteres in der Lage ist, für Dekkung zu sorgen, so fehlt es am Vorsatz, auch wenn es zum Schadenseintritt kommt. Allein vage Hoffnungen und Vermutungen, daß Deckung ermöglicht werden könne, schließen den Vorsatz hingegen nicht aus. 6. Antragserfordernis Abs. 2 erklärt § 248 a (Antragserfordernis bei geringem Schaden) für entsprechend anwendbar. 7. Konkurrenzen a) Sonderregelung gegenüber §§ 263, 266 Aufgrund des auch im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen Willens des Gesetzgebers, durch den neuen Tatbestand die durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Anwendung des Betrugs- und des Untreuetatbestandes zum einen (Kreditkartenmißbrauch) eröffnete, zum anderen (Scheckkartenmißbrauch) befürchtete Strafbarkeitslücke zu schließen, ist § 266 b beim Kartenmißbrauch durch den berechtigten Inhaber als lex specialis gegenüber §§ 263, 266 anzusehen. So auch: BGH NStZ 1987 S. 120; BGH GA 1987 S. 263; KG JR 1987 S. 257; OLG Hamm MDR 1987 S. 514; DREHER/TRONDLE, § 266 b Rdn. 9; GEPPERT Jura 1987 S. 165; OTTO wistra 1986 S. 153; WEBERNStZ 1986 S. 484. Die Sonderregelung greift auch bezüglich des Versuchs durch. Es ist nicht möglich, den nicht strafbaren Versuch des Scheck- und Kreditkartenmißbrauchs als strafbaren Versuch des Betrugs oder der Untreue zu ahnden. Vgl. auch LACKNER StGB, § 266 b Anm. 8.

b) Verhältnis zur deliktischen Erlangung der Karte Hat der Täter die Scheck- oder Kreditkarte im Drei-Partner-System bereits durch Täuschung über seine Zahlungswilligkeit und/oder -fähigkeit erlangt, so liegt in diesem Verhalten ein Betrug. Die Möglichkeit, den Kartenaussteller jederzeit nach eigenem Gutdünken mit einer Zahlungsverpflichtung belasten zu können, stellt eine Vermögensbelastung und damit ein Vermögensschaden dar. Für die Kreditkarte vgl. BGHSt 33 S. 246 (schadensgleiche Vermögensgefährdung); OTTO JZ 1985 S. 1008. - A A . BR1NGEWAT N S t Z 1985 S. 536; LABSCH N J W 1986 S. 105.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

F ü r die Scheckkarte vgl. LACKNER LK, § 263 R d n . 326; SEEBODE J R 1973 S. 119.

Bei der Erlangung einer Kreditkarte im Zwei-Partner-System ist eine über den Wert der Karte hinausgehende Schädigung abzulehnen, da diese Karte nicht die Möglichkeit einer Verpflichtung des Kartenausstellers unabhängig von seinem Willen eröffnet. Dazu BGH wistra 1989 S. 61 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 263/29.

Gegenüber dem in der Erlangung der Karte liegenden Betrug stellt der Mißbrauch der Karte eine mitbestrafte Nachtat dar. Vgl. auch KÜPPER NStZ 1988 S. 61 f; LACKNER StGB, § 266 b Anm. 8; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 117. - A A . ( I d e a l k o n k u r r e n z ) DREHER/TRÖNDLB § 266 b R d n . 9; WEBER J Z 1 9 8 7 S. 216.

IV. Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 2 1. Das geschützte Rechtsgut Im Gegensatz zu § 266 a Abs. 1, 3, die das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten schützen - dazu § 61 V 1 -, handelt es sich bei § 266 a Abs. 2 um ein Delikt gegen das Vermögen des Arbeitnehmers. Vgl. BT-Drucks. 10/5058 S. 31; LACKNER StGB, § 266 a Anm. 1; MARTENS wistra 1986 S. 155; SCH/SCH/LENCKNER § 266 a R d n . 2.

2. Die Täterposition a) Täter kann nur ¿ex Arbeitgeber oder eine ihm gleichgestellte Person sein. - Die Täterposition charakterisiert jedoch nicht eine besondere Pflichtenstellung des Täters, sondern nur die Nähe zum geschützten Rechtsgut. Sie ist daher nicht besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. So auch: LACKNER S t G B , § 266 a A n m . 2; SCH/SCH/LENCKNER § 266 a R d n . 20. - A A . SAMSON SK,

§ 266 a Rdn. 57.

Der Begriff des Arbeitgebers ist zivilrechtlich zu bestimmen, da der Tatbestand eine zivilrechtlich wirksame Lohnzahlungspflicht voraussetzt. b) Als Täter kommen demnach in Betracht: Arbeitgeber, d.h. nach §§611 ff BGB Dienstberechtigte, denen der Arbeitnehmer Dienste leistet und von denen er persönlich abhängig ist, Organe und Vertreter im Sinne des § 14 sowie nach Abs. 4 dem Arbeitgeber gleichgestellte Personen, die in §§ 1,2 HeimArbG näher beschrieben sind. 3. Die Tathandlung Gegenstand der Tathandlung sind Teile des Arbeitsentgelts, die nicht unter Abs. 1 oder Abs. 2 S. 2 (Lohnsteuer) fallen, die der Arbeitgeber einbehält und die für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen sind. Die Pflicht zur Abführung kann privat* oder öffentlichrechtlich begründet sein. Einbehalten sind Lohnteile, zu denen auch vermögenswirksame Leistungen gehören, wenn nur ein um die entsprechenden Teile gekürzter Lohn ausgezahlt wird. Nicht gezahlt ist der Lohn, wenn die Zahlung nicht bei Fälligkeit erfolgt. Zur Nichtzahlung des einbehaltenen Lohnes muß hinzukommen, daß der Arbeitgeber es unterläßt, spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden, den Arbeitnehmer von der Nichtzahlung zu unterrichten. Die Unterrichtung kann sowohl schriftlich, mündlich, ausdrücklich als auch kon-

§ 55 Strafbare Vermögensgefährdung

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kludent geschehen. - Vollendet ist die Tat, wenn die Unterrichtung des Arbeitnehmers nicht bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt ist. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Vorsatz muß nicht nur die pflichtbegründenden Umstände, sondern auch das Bestehen der Zahlungspflicht selbst umfassen, da dem Täter ohne diese Kenntnis der soziale Sinngehalt seines Verhaltens nicht bewußt ist. Vgl. auch: LACKNER StGB, § 266 a Anm. 6; SCH/SCH/LENCKNER § 266 a Rdn. 17. - A A . DREHER/TRÖNDLE § 266 a Rdn. 21.

5. Konkurrenzen Verwirklicht die Tathandlung zugleich den Tatbestand des Betruges, so wird § 266 a konsumiert. § 55: Strafbare Vermögensgefährdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen. Dieses wird durch Glücksspiel gefährdet. Dieser strafrechtliche Schutz vor der Gefährdung des eigenen Vermögens ist unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit schwersten Zweifeln ausgesetzt. Diese Zweifel gelten in gleicher Weise für sonst genannte Schutzgüter, nämlich die "wirtschaftliche Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft"; dazu BGHSt 11 S. 209, und die Sicherung eines ordnungsgemäßen Spielablaufs; dazu MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 4 4 Rdn. 2, da der Tatbestand nicht das Falschspiel erfaßt und als Schutzvorschrift im Vorfeld des Falschspieles keineswegs ein Straftatbestand nötig wäre. Ein Ordnungswidrigkeitentatbestand entspräche der Verhältnismäßigkeit. Die Streichung des Tatbestandes insgesamt wäre daher zu begrüßen. So begründet die Vorschrift lediglich den Verdacht, daß hier staatliche Einnahmequellen strafrechtlich garantiert werden. Dazu auch. GÖHLER NJW 1974 S. 833, Fn. 127; HERZOG EzSt, StGB § 284 Nr. 2, S. 7 ff; LAMPE GA 1977 S. 55; LANGE Dreher-Festschrift, S. 573 ff; DERS. GA 1953 S. 8 ff; PETERS ZStW 77 (1965) S. 482 f.

2 Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Als Glücksspiel ist ein Spiel anzusehen, bei dem die Entscheidung über Gewinn und Verlust nicht wesentlich von den Fähigkeiten und Kenntnissen und vom Grade der Aufmerksamkeit der Spieler bestimmt wird, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall. - Der vereinbarte Gewinn muß einen Vermögenswert haben, und zwar einen - nach den Verhältnissen der Durchschnittsspieler - nicht ganz unbedeutenden. Beispiele: Roulette, Bakkarat, Würfeln um Geld, Spiel am Geldspielautomaten, Poker u.ä. Keine Glücksspiele sind. Geschicklichkeitsspiele, bei denen Aufmerksamkeit und Fähigkeiten eines Durchschnittsspielers wesentlich über Gewinn und Verlust entscheiden. - Wetten, soweit sie der Austragung ernster Meinungsverschiedenheiten dienen und nicht Spielcharakter haben, wie z.B. die Rennwette. - Unterhaltungsspiele, bei denen der Gewinn nach der Verkehrsanschauung und den Verhältnissen

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Die Vermögensentziehungsdelikte

der Spieler unbeträchtlich ist; das sog. Hütchenspiel ist daher nach den konkreten Umständen zu beurteilen, vgl. BGHSt 36 S. 74 ff. Zur Kettenbriefaktion vgl. BGHSt 34 S. 171 ff m. Anm. LAMPE JR 1987 S. 383 ff; OTTO in: Jacobs/Lindacher/Teplitzky, (Hrsg) Großkommentar zum UWG, 1991, $ 6 c Rdn. 7 ff; RICHTER wistra 1987 S. 276 ff.

Lotterie und Ausspielung sind Glücksspiele, jedoch in § 286 speziell geregelt.

b) Öffentlich ist das Glücksspiel, wenn beliebigen Personen in erkennbarer Weise die Beteiligung ermöglicht wird. - Gemäß § 284 Abs. 2 gelten Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden, als öffentlich. Gewohnheitsmäßig braucht nicht das Verhalten jedes einzelnen Spielers zu sein, es genügt, daß der Personenkreis aufgrund eines durch Übung ausgebildeten Hanges zum Glücksspiel zusammenkommt. c) Tathandlung ist nicht das Spielen selbst, sondern das Ermöglichen des Spieles als Veranstalter, Halter oder Bereitsteller von Spieleinrichtungen. Nach h.M. ist Veranstalter derjenige, der dem Publikum die Spielgelegenheit verschafft. Diese Definition bleibt jedoch zu ungenau, da es bei dem Veranstalter darauf ankommt, daß dieser nicht nur den Spielbetrieb ermöglicht, sondern auch regelt. Treffender ist es daher, als Veranstalter denjenigen anzusehen, "der die Herrschaftsgewalt über den Spielbetrieb ausübt" ( M E U R E R / B E R G M A N N JuS 1 9 8 3 S. 6 7 2 ) . Als Halter wird gemeinhin derjenige angesehen, der "als Unternehmer die Einrichtungen zum Spiel zur Verfügung stellt oder in die Rolle des Unternehmers eintretend, das Spiel in der Weise fortsetzt, daß die Beteiligung daran einer unbestimmten Zahl von Personen ermöglicht wird" (BayObLG NJW 1 9 7 9 S. 2 2 5 8 ) . Damit überschneiden sich Halter- und Veranstalterbegriff. Auch hier ist es daher angemessener, den Halterbegriff in Abgrenzung zum Veranstalterbegriff zu definieren und als Halter denjenigen anzusehen, der beim Glücksspiel Gläubiger oder Schuldner der Spielenden wird. Im einzelnen dazu MEURER/BERGMANN JuS 1983 S. 672.

Bereitstellen ist ein Zur-Verfügung-Stellen von Spieleinrichtungen (Würfel, Karten, Spieltisch). d) Die behördliche Erlaubnis schließt den Tatbestand aus. Die Erlaubnis braucht nicht materiell fehlerfrei zu sein, wohl aber verwaltungsrechtlich bestandskräftig. Hat der Täter die Erlaubnis allerdings bewußt rechtswidrig erlangt durch Täuschung, Bestechung o.ä., so rechtfertigt sie sein Tun nicht, er kann sich nicht auf den formellen Rechtsschein berufen, da er selbst diesen arglistig herbeigeführt hat. e) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich auf die Öffentlichkeit, die fehlende Erlaubnis und die das Glücksspiel charakterisierenden Merkmale beziehen.

II. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 284 a Beteiligung heißt Teilnahme als Spieler, d.h. Teilnahme an der Möglichkeit von Gewinn und Verlust.

III. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, § 286 1. § 286 erfaßt - aus historischen Gründen - Lotterie und Ausspielung als spezielle Glücksspiele.

§ 55 Strafbare Vermögensgefährdung

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2. Lotterìe und Ausspielung sind Glücksspiele, die nach einem vom Unternehmer einseitig festgelegten Spielplan, der den Spielbetrieb (Beteiligungsmöglichkeit, Durchführung des Spieles), einen festen Einsatz und die ausgesetzten Gewinne nach Höhe, Art und Reihenfolge der Gewinnermittlung festlegt, gespielt werden. - Lotterie und Ausspielung unterscheiden sich darin, daß der Gewinn bei der Lotterie stets in Geld, bei der Ausspielung in geldwerten Sachen oder Leistungen besteht. 3. Veranstalten ist die Eröffnung der Möglichkeit zur Beteiligung am Spiel nach festgelegtem Spielplan. - Zur Öffentlichkeit der Veranstaltung vgl. oben I 2 b. Das Spiel im privaten Kreis ist selbst dann nicht öffentlich, wenn gelegentlich ein Gast in den Kreis aufgenommen wird. Dazu im einzelnen: SCHILD NStZ 1982 S. 446 ff.

IV. Schiffsgefährdung durch Bannware, § 297 Die Vorschrift schützt Eigentum und Vermögen des Reeders, der nicht selber Täter sein kann. Dazu SCHROEDER ZRP 1978 S. 12 f.

Schiffer ist der Kapitän, Schiffsmann ein Angehöriger der Besatzung.

Dritter Abschnitt Die Perpetuierungsdelikte § 56: Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte Im Gegensatz zu den Vermögensentziehungsdelikten, die eine reale Minderung des Vermögens eines anderen voraussetzen, liegt der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte in der Beeinträchtigung des Vermögens dadurch, daß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrig geschaffene Vermögenslage aufrechterhalten wird.

1. Die verschiedenen Tathandlungen Drei Arten der Schädigung des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage erscheinen dem Gesetzgeber strafwürdig: a) Die Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage durch Verschaffung der Position des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung. b) Die Perpetuierung einer rechtswidrig geschaffenen Besitzlage durch Unterstützung des Vortäters in seinem Bestreben, aus der durch die Vortat erlangten Vermögensposition den materiellen Vorteil zu ziehen, der ihm am genehmsten ist. c) Die Sicherung der Stellung des Täters eines Vermögensentziehungsdelikts gegen Entziehung der Beute zugunsten des Berechtigten. 2. Die gesetzliche Regelung Im Gesetz selbst hat die Dreiteilung nur mittelbar Ausdruck gefunden. Der Gesetzgeber hat die beiden ersten Fallgruppen im Hehlereitatbestand zusammengefaßt und die dritte Gruppe als Begünstigung selbständig pönalisiert. Darüber hinaus hat er in beiden Tatbeständen eine weitere Strafbarkeitsbegrenzung durch das Erfordernis bestimmter Einstellungen des Täters zu seinem Verhalten vorgenommen: Nur dann, wenn der Täter sich oder einen Dritten bereichem will, macht er sich einer Hehlerei schuldig. Die Begünstigung hingegen erfordert ein Handeln im Interesse des Vortäters. 3. Perpetuierungsdelikt und Vortat Da das Perpetuierungsdelikt notwendig ein Vermögensentziehungsdelikt voraussetzt, bedeutet das: a) Vortat eines Perpetuierungsdelikts kann nur ein Delikt sein, das fremde Vermögensinteressen verletzt hat, und zwar durch Entziehung jener Vermögensgüter, auf die sich das Perpetuierungsverhalten des Täters bezieht. In diesen Kreis gehören zunächst die Delikte gegen Vermögensinteressen im engeren Sinne, wie z.B. Betrug, Erpressung, Untreue, Unterschlagung, Diebstahl, Raub, Wilderei und - hier kommt Hehlerei an eigenen Sachen in Betracht - Pfandkehr, sodann aber auch jene Delikte, die neben einem vorrangig geschützten anderen Rechtsgut auch dem Schutz von Vermögensinteressen dienen, wie z.B. die Wirtschaftsdelikte. - Der Versuch eines einschlägigen Delikts genügt, soweit er bereits zu der rechtswidrigen Besitzlage geführt hat.

§ 56 Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte

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Nach allgemeiner Ansicht - dazu BGHSt 33 S. 48 - soll auch Hehlerei als Vortat genügen. Das ist im Ergebnis richtig, dennoch aber schief gesehen. Die Hehlerei als Vortat genügt nämlich nur, weil bereits diese Hehlerei die vor der ersten Hehlerei durch ein Vennögensentziehungsdelikt geschaffene rechtswidrige Vermögenslage aufrechterhält. Keine geeigneten Vortaten der Perpetuierungsdelikte sind hingegen: Meineid, Urkundenfälschung, Landfriedensbruch, Gewahrsams- oder Arrestbruch, Bestechung usw. In diesen Fällen ist die Vermögensentriehung nicht durch ein Vermögensentziehungsdelikt eingetreten, sondern durch ein Verhalten, das je nach den Umständen mehr oder minder zufällig - mit der strafbaren Verletzung eines ganz anderen Rechtsguts zusammenfiel. - Steht dieses Delikt in Idealkonkurrenz mit einem Vermögensentziehungsdelikt, oder konsumiert es dieses, so ändert das an dem Vorliegen des Vermögensentziehungsdelikts nichts. Ein nicht gegen das Vermögen gerichtetes Delikt kann jedoch nicht Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein, auch wenn es im Einzelfall einmal zu einer - als Vermögensentziehungsdelikt nicht strafbaren - Vermögensentziehung führt. Auch die herrschende Meinung erkennt bei jenen Delikten, die sich ausschließlich gegen öffentliche Interessen richten, an, daß diese Delikte, auch wenn sie im Einzelfall Vermögensinteressen berühren, nicht geeignete Vortaten eines Perpetuierungsdelikt sein können, weil hier nicht der Sachentzug unter Strafe gestellt ist. Zur h.M. vgl. LACKNER StGB, § 259 Anm. 3 b; RUB LK, § 259 Rdn. 5; S C H / S C H / S T R E E § 259 Rdn. 9. Leider hält die herrschende Meinung die Unterscheidung nicht durch und argumentiert in Einzelfällen nicht mehr von der unter Strafe gestellten Sachentziehung her, sondern stellt auf die - unter Umständen zufällige - Verletzung von Vermögensinteressen ab. Danach sollen z.B. Meineid (BGHSt 6 S. 221), Urkundenfälschung (RUß LK, § 259 Rdn. 5; aA. SlPPEL NStZ 1985 S. 349), Nötigung (BGH bei Daliinger, MDR 1972 S. 571) geeignete Vortaten sein.

b) Durch die Neufassung des Gesetzes (EGStGB 1975) wurde die Absicht des Gesetzgebers deutlich, die Begünstigung - im Gegensatz zur Hehlerei - nicht als Vermögensdelikt zu interpretieren. Es wird nämlich im Tatbestand der Begünstigung im Gegensatz zu dem der Hehlerei keine Verletzung fremden Vermögens durch die Vortat vorausgesetzt, und die zu sichernden Vorteile brauchen keine Vermögensvorteile zu sein; gleichwohl verdient auch hier eine restriktive Interpretation des Gesetzes mit der Konsequenz, § 257 als Vermögensdelikt aufzufassen, den Vorzug; dazu unter § 571. c) Der Eigentumserwerb des Vortäters steht grundsätzlich weder einer Hehlerei noch einer Begünstigung entgegen. Auch der Betrug, durch den der Vortäter vollwirksam Eigentum an der erschlichenen Sache erlangt, kann daher Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein. Wo das Gesetz hingegen den Eigentumserwerb derart billigt, daß es dem z.B. durch eine Unterschlagung Verletzten keine Möglichkeit gibt, im Rechtswege die betroffenen Sachen herauszuverlangen - Eigentumserwerb nach § 950 BGB -, sondern ihn auf Geldersatz verweist, fehlt es an der für Hehlerei und Begünstigung nötigen rechtswidrigen Besitzlage. Die Verarbeitung hat nach verständiger Wertung eine neue Sache entstehen lassen, die nicht mit dem "Makel einer rechtswidrigen Tat" belastet ist. d) Das Perpetuierungsdelikt knüpft seinem Wesen nach an das Vermögensentziehungsdelikt an. - Daraus zieht die h.M. die Folgerung, die Vortat müsse rechtlich abgeschlossen sein, bevor das Perpetuierungsdelikt begangen werden kann. Das ist grundsätzlich richtig, doch bedarf die Art der Aufeinanderfolge je nach der Art der Anschlußtat der Präzisierung; dazu zur Begünstigung unten § 57 II 1 a; zur Hehlerei unten § 58 12 c.

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Die Perpetuierungsdelikte

4. Unrechtsbewußtsein des Täters der Vortat Nach dem Gesetzeswortlaut muß die Vortat eine rechtswidrige, daher eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, nicht notwendig schuldhafte Straftat sein. Problematisch ist die Frage, ob Unrechtsbewußtsein bei der Vortat vorauszusetzen ist. Wird nämlich das Unrechtsbewußtsein mit dem Bewußtsein rechtswidrigen Verhalten identifiziert und gemäß § 17 als Schuldelement angesehen, so ist dieses Unrechtsbewußtsein nicht Voraussetzung der Vortat. - Sieht man hingegen in § 17 nur das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im engeren Sinne des Bewußtseins formeller Rechtswidrigkeit gerade im Gegensatz zum Bewußtsein der materiellen Rechtswidrigkeit (Sozialschädlichkeit) erfaßt und interpretiert das materielle Unrechtsbewußtsein als Element des Unrechtstatbestandes - dazu G R U N D K U R S STRAFRECHT, A.T., 8 7 V -, so erfordert die Hehlerei eine Vortat, die der Täter mit diesem Bewußtsein begangen hat, bzw. soweit eine fahrlässige Vermögensentziehung als Vortat in Betracht kommt, z.B. § 264 Abs. 3 (Leichtfertigkeit), die Möglichkeit des Täters, sich des materiellen Unrechts seiner Tat bewußt zu werden. Im Ergebnis gleich: OLG Hamburg NJW1966 S. 2228; BOCKELMANN B.T./l, § 22 II 2 b, bb.

Das erscheint sachlich angemessen, denn die Hehlerei knüpft an die deliktische Vermögensentziehung an und perpetuiert damit nicht nur die schlicht rechtswidrige Vermögensentziehung. Die deliktische Vermögensentziehung erhält ihren vollen Sinngehalt aber durch das Unrechtsbewußtsein des Täters des Vermögensentziehungsdelikts. Dazu im einzelnen: OTTO Struktur, S. 322. - Zur Gegenansicht vgl. BGHSt 4 S. 78; BERZ Jura 1980 5. 58; JESCHECK GA 1955 S. 104; ROTH Eigentumsschutz nach der Realisierung von Zueignungsunrecht, 1986, S. 125ff;STREE JuS 1963 S. 429.

II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte 1. Der Täter sichert die Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes im Interesse des Vortäters: Begünstigung, § 257. 2. Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Stellung eines Vermögensentziehungstäters oder hilft dem Vortäter beim Beuteabsatz, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen: a) Der Täter weiß, daß die Sachen durch eine strafbare Handlung erlangt sind: Hehlerei, § 259 - Qualifizierung: § 260. b) Der Täter - Täterkreis begrenzt - verkennt fahrlässig, daß die Sachen - Edelmetalle und Edelsteine - durch strafbare Handlung erlangt sind: fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO.

§ 57: Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen; vgl. auch G E E R D S

GA

1988 S . 263.

§ 57 Begünstigung

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Nach h.M. schützt § 257 nicht das Vermögen, sondern "das durch die Vortat verletzte einzelne Individual- oder Gemeinschaftsgut und die Geltung der durch die Vortat verletzten Strafnorm einschließlich aller dadurch gesicherten Rechtsgüter" (AMELUNG). Dazu im einzelnen: AMELUNG JR 1978 S. 227 ff, inbes. S. 231; DREHER/TRÖNDLE Vor § 257 Rdn. 2; GEPPERT Jura 1980 S. 270; KREY B.T. 1, Rdn. 629 f; LACKNER StGB, § 257 Anm. 1; SCH/SCH/STREE § 257 Rdn. 1; VOGLER Dreher-Festschrift, S. 414; ZlPF JuS 1980 S. 25. Zum Teil wird der Schutz auf Individualinteressen beschränkt, vgl. SAMSON SK, § 257 Rdn. 5; zum Teil wird das Strafrecht selbst als geschützt angesehen; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 14.

Diese Interpretationen machen aus der Begünstigung ein in Angriffs- und Schutzrichtung farbloses, weitgehend unbestimmtes und kriminalpolitisch in Teilbereichen überflüssiges Delikt. - Der Gewinn hingegen ist gering, denn in der Regel der Fälle ist die Vortat in der Praxis ein Vermögensdelikt; vgl. E 1962, Begründung S. 455. Darüber hinaus bereitet die Anwendung des § 257 Abs. 4 dogmatische Schwierigkeiten, vgl. unter III. 2. Die Deliktsnatur Da der Eintritt des Erfolges der Hilfeleistung nicht vorausgesetzt wird, sondern als Hilfeleistung ein Verhalten angesehen wird, das objektiv geeignet ist, dem Vortäter die Vorteile der Vortat zu sichern - vgl. dazu im einzelnen II 1 b -, handelt es sich bei der Begünstigung um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Vgl. auch: BGH bei Holte, MDR 1985 S. 447 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 257/2; GEERDS GA 1988 S. 259.

II. Einzelheiten des Tatbestandes 1. Der objektive Tatbestand a) Die Tathandlung knüpft an die rechtswidrige Tat eines anderen (Vortäter) an, die diesem - nach der hier vertretenen Ansicht - einen Vermögensvorteil gebracht hat. Der Begünstigungserfolg, die Verbesserung der Täterposition gegen Entziehung des Vorteils zugunsten des Berechtigten, darf frühestens nach Vollendung der Vortat eintreten, auch wenn die Handlungen schon vorher vorgenommen wurde. Doch ist darüber hinaus zu fordern, daß die Tat auch beendet war, denn eine Unterstützung des Vortäters vor Beendigung der Vortat stellt sich als Beihilfe zu dieser Vortat dar, nicht aber als Begünstigung. Zur Verdeutlichung: Fall 1: Der Hundezüchter A leiht dem Einbrecher E seine läufige Dackelhündin, damit diese ihre männlichen Artgenossen in den Villen, in die E einbricht, ablenkt. Ergebnis: Beihilfe des A zum Diebstahl des E, §§ 27,242,243 Abs. 1 Nr. 1. Fall 2: Als E aus einer Villa hinaus will, in der er eine goldene Taschenuhr gestohlen hat, lenkt A den Wachhund des Villenbesitzers mit seiner Dackelhündin ab, so daß E gefahrlos entwischen kann. Ergebnis: Wie Fall 1: Diebstahl zwar formell vollendet, aber noch nicht materiell beendet. In gleicher Weise sehen die Möglichkeit einer Begünstigung erst nach Beendigung der Haupttat: GEERDS v. Hentig-Festschrift, S. 155 f; LAUBENTHAL Jura 1985 S. 632 f; SCH/SCH/STREE § 257 Rdn. 8;

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Die Perpetuierungsdelikte

VOGLER Dreher-Festschrift, S. 417. - Hingegen lassen im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung der Tat den Willen des Helfenden entscheiden, ob sein Verhalten als Beihilfe oder Begünstigung zu beurteilen ist: BGHSt 4 S. 133; BAUMANN JUS 1963 S. 54; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 99 II 2. Aufgrund der Ablehnung der Möglichkeit einer Beihilfe nach Vollendung der Tat sehen die Hilfeleistung zur Tat grundsätzlich als Begünstigung an: ISENBECK NJW1965 S. 2326 ff; RUß LK, §257 Rdn. 5. Fall 3: Als A sieht, daß drei Stunden nach der Tat mit einem Polizeihund versucht wird, die Spur des Einbrechers E aufzunehmen, lenkt er den Hund mit seiner Dackelhündin ab, um E den Besitz der Beute zu erhalten. Ergebnis: Begünstigung des E, § 257.

b) Hilfeleisten ist ein Verhalten, durch das die Chancen des Vortäters in bezug auf die Vorteilssicherung objektiv verbessert werden und das subjektiv darauf abzielt, die durch das Vermögensentziehungsdelikt begründete Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu sichern. - Das Verhalten braucht nicht endgültig zum Erfolg zu führen, denn Hilfeleistung liegt bereits in jeder Förderung der Chancen des Täters, die Beute zu behalten. So auch: BGHSt 4 S. 224; OLG Düsseldorf NJW 1979 S. 2320; GEERDS GA 1988 S. 259; GEPPERT Jura 1980 S. 274 ff; LACKNER StGB, § 257 Anm. 3; LENCKNER NStZ 1982 S. 403; VOGLER Dreher-Festschrift, S. 421; ZIPF JuS 1980 S. 26 f. - A A SEELMANN JuS 1983 S. 34 (subjektive Hilfeleistungstendenz genügt).

2. Der subjektive Tatbestand a) Der zumindest bedingte Vorsatz muß die Vortat in ihren groben Zügen umfassen. Der Täter muß wenigstens eine allgemeine Vorstellung von der Art des Delikts haben. Dazu OLG Hamburg NJW 1953 S. 1155; OLG Düsseldorf NJW 1964 S. 2123.

b) Die Absicht, dem Vortäter die Vorteile der Tat zu sichern, soll nach h.M. zielgerichtetes Wollen sein. Dem Täter muß es auf den Erfolg ankommen, auch wenn er noch weitere Zwecke neben der Vorteilssicherung verfolgt. Vgl. z.B. BGHSt 4 S. 108 ff; B G H G A 1985 S. 321; DREHER/TRÖNDLB § 257 R d n . 9; HRUSCHKA J R 1980 S. 225; LACKNER StGB, § 257 A n m . 5 a; R u ß LK, § 257 Rdn. 18; ZIPF JuS 1980 S. 26 f.

Diese Differenzierung zwischen dem Täter, dem es darauf ankommt, dem Vortäter die Vorteile zu sichern, und jenem, der genau weiß, daß er dem Vortäter diese Vorteile sichert, überzeugt nicht. Absicht i.S. des § 257 liegt daher vor, wenn der Täter die Vorstellung hat, die Vorteilssicherung werde die sichere Folge seines Verhaltens sein. Dazu OEHLERNJW 1966 S. 1637; SCH/SCH/STREE § 257 Rdn. 22.

c) Die Absicht in diesem Sinne muß darauf gerichtet sein, dem Vortäter die Vorteile der Vortat, d.h. die unmittelbar durch die Vortat erlangten Vorteile gegen ein Entziehen zugunsten des Verletzten zu sichern. Der Begriff des Vorteils ist in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu ermitteln, er ist nicht beschränkt auf eventuell unmittelbar durch die Vortat erlangte Objekte. Umwechseln von Geld, Einlösen von Schecks und Transferieren auf unterschiedliche Konten sind dann Handlungen zur Vorteilssicherung, wenn sie die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes verhindern oder erschweren können; vgl. BGH NJW 1990 S. 918 mit Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 257/4.

Vorteilssicherung ist Sicherung gegen Wiederherstellung der rechtmäßigen Vermögenslage. - Bloßes Erhalten der Sache - der Täter verhindert die Vernichtung der

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Sache durch Dritte oder durch Naturgewalt Ermöglichung der Ziehung von Gebrauchsvorteilen - Reparatur der gestohlenen Uhr Verkauf oder Verzehr, sind nur dann Begünstigungshandlungen, wenn damit der drohende Zugriff durch den Berechtigten vereitelt werden soll. BGH MDR 1971 S. 856 mit Anm. MAURACH JR 1972 S. 70 f: A hatte DM 450 000,- unterschlagen. Von diesem Geld schenkte er der E DM 29 000,-. Er erzählte ihr, das Geld habe er im Spielkasino gewonnen. Als die Unterschlagung aufgedeckt wurde, versprach E dem Geschädigten die Rückgabe des Geldes, das sie auf ein Sparkonto eingezahlt hatte. Sie hob den Betrag ab, schenkte das Geld aber dem A, der es verspielte. BGH: Keine Begünstigung. Die Vorteilssicherung setzt voraus, daß die Vorteile noch im Besitz des Vortäters sind. Hat dieser sich des Vorteils gänzlich entäußert, indem er - wie im vorliegenden Fall - die durch seine Straftat erlangten Geldbeträge verschenkte, so ist für eine Begünstigung im Hinblick auf seine Tat kein Raum mehr.

3. Die Selbstbegünstigung, § 257Abs. 3 Die Selbstbegünstigung fällt nicht unter § 257 Abs. 1:"... einem anderen...". - Klargestellt ist in Abs. 3, daß auch Mittäter und Teilnehmer an der Vortat nicht wegen Begünstigung strafbar sind, soweit sie nicht einen Tatunbeteiligten zur Begünstigung anstiften, § 257 Abs. 3 S. 2. a) Die Straffreiheit der Selbstbegünstigung beruht auf der Einsicht, daß die Motivationskraft einer Strafnorm in der Situation der genannten Personen gering ist und die Gesamtsituation der einer Vortat und der mitbestraften Nachtat entspricht. - Daß der Bestrafung aus der Vortat u. U. prozessuale Hindernisse entgegenstehen, ändert die Sachlage nicht. b) Die Strafbarkeit wegen Anstiftung eines Tatunbeteiligten zur eigenen Begünstigung ist mit dem Strafgrund der Teilnahme - mittelbare Rechtsgutsgefährdung; dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 2 2 I c, bb - nicht in Einklang zu bringen. Zwar ist die Regelung kein Verstoß gegen die Logik des Gesetzes oder den Schuldgrundsatz, wohl aber, gemessen an den Gründen, die zur Straflosigkeit der anderen Tatbeteiligten führen, eine grob sachwidrige Regelung. Dazu OTTO Länge-Festschrift, S. 214; STREE JuS 1976 S. 138; WOLTER JuS 1982 S. 347 f.

III. Die Regelung des § 257 Abs. 4 1. Das Antragseifordemis Das Antragserfordernis gemäß § 257 Abs. 4 S. 1 ist logische Folge des Bezugs der Begünstigung zur Vortat. 2 Die Anwendung des § 248 a a) Die sinngemäße Anwendung des § 248 a gemäß § 257 Abs. 4 S. 2 ist nach den hier gesetzten Prämissen unproblematisch. Es kommt nicht darauf an, daß die Vortat selbst unter § 248 a fällt, denn der Bezug zur Strafe der Vortat wird bereits durch § 257 Abs. 2 hergestellt. § 248 a findet vielmehr Anwendung, wenn der Vorteil aus dem Vermögensentziehungsdelikt geringwertig i.S. des § 248 a war, d.h. letztlich, wenn sich die Vorteilssicherung auf einen geringwertigen Vermögensvorteil bezieht. So auch: LACKNER StGB, § 257 Anm. 9; MAURACH/SCHROEDER B.T. II, § 99 II 7; VOGLER Dreher-

Festschrift, S. 420. - AA. DREHER/TRÖNDLE § 257 Rdn. 14 a; STREE JUS 1976 S. 139.

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Die Perpetuierungsdelikte

b) Nach den Prämissen der h.M., die § 257 nicht als Vermögensdelikt interpretiert, muß § 248 a sinngemäß auf alle Vorteile, d.h. auch auf unbedeutende Vorteile nichtvermögensrechtlicher Art, angewendet werden. Damit steht der Begünstigende bei Nicht-Vermögensdelikten als Vortat erheblich günstiger als der Teilnehmer der Vortat, ohne daß für diese Differenzierung ein überzeugender Grund vorhanden wäre. Soweit versucht wird, dieser Konsequenz - entgegen den Prämissen in der Rechtsgutsbestimmung auszuweichen und § 257 Abs. 4 S. 2 nur auf geringfügige Vermögensdelikte anzuwenden, wird letztlich § 257 Abs. 4 S. 2 für überflüssig erklärt, denn durch den Bezug zur Strafe der Vortat gemäß Abs. 2 ist ein weiterer Bezug auf bestimmte Vortaten nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht angebracht. Anders aber: DREHER/TRÖNDLE § 257 Rdn. 14 a; STREE JuS 1976 S. 139.

§ 58: Hehlerei I. Hehlerei, § 259 1. Das geschützte Rechtsgut und der Strafgrund Geschütztes Rechtsgut der Hehlerei ist das Vermögen. - Strafgrund ist die Aufrechterhaltung einer durch ein tatbestandsmäßig rechtswidriges Vermögensentziehungsdelikt geschaffenen rechtswidrigen Besitzlage im Einverständnis mit dem Vortäter. 2. Täter und Tatsituation a) Der Täter der Hehlerei Der Vortäter ist als Hehler nach dem Wortlaut des Gesetzes: "Wer eine Sache, die ein anderer ...", ausgeschlossen. Eindeutig ist damit auch, daß ein Mittäter der Vortat nicht durch die Erlangung seines Beuteanteils Hehlerei begeht, denn die Konstruktion der Mittäterschaft beruht auf der Vorstellung, daß in einem bestimmten Bereich mehrere Personen als eine einzige angesehen werden, so daß hier davon ausgegangen wird, alle Mittäter hätten durch die Tat Verfügungsmacht über die Beute erlangt, unabhängig davon, ob einer oder alle Mittäter die Beute oder Teile davon bei der Tat unmittelbar in Besitz genommen haben. Zur Ausnahme bei der sog. Postpendenzfeststellung vgl. unten § 59,1.

Da nach der jetzigen Gesetzesfassung der Täter der Vortat schlechthin als Täter der Hehlerei ausgeschlossen ist, muß dies auch für den Fall gelten, daß der Mittäter der Vortat nach der Beuteteilung den Beuteanteil eines anderen Mittäters erwirbt oder nach Veräußerung der eigenen Beute diese vom Käufer zurückerwirbt. Auch in diesen Fällen handelt es sich um einen Erwerb des Täters der Vortat, d.h. jener Person, die für die Vermögensentziehung und damit auch für den rechtswidrigen Besitzzustand bereits wegen des Vermögensentziehungsdelikts haftet. Offen läßt die Neufassung des Gesetzes jedoch die Streitfrage, ob Anstifter und Gehilfen der Vortat, die im Anschluß an die Vortat Hehlereihandlungen begehen, nicht nur der Teilnahme an der Vortat, sondern auch der Hehlerei schuldig sind. Auch die Teilnehmer der Vortat haften wegen der Vermögensentziehung, für die sie mittelbar mitverantwortlich sind. Gerade dann, wenn es ihnen bereits bei der

§ 58 Hehlerei

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Teilnahme an der Vortat um den Besitz der Beute ging, ist ihre Verantwortung für die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes offensichtlich. Andererseits haben sie die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes nur gefördert, nicht selbst durchgeführt. Insofern bleibt ein gewisser Freiraum, der es konstruktiv ermöglicht, sie selbst wegen der Perpetuierung der rechtswidrigen Besitzlage neben der Verantwortung für die Vermögensentziehung haften zu lassen. So auch: BGHSt 7 S. 134; 22 S. 207; BGH wistra 1986 S. 217; DREHER/TRÖNDLB § 259 Rdn. 26; LACKNER StGB, § 259 Anm. 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 39 Rdn. 46; RUß LK, § 259 Rdn. 42; WESSELS B.T.-2, § 20 VI 2. - A.A. OELLERS GA 1967 S. 15; SEELMANN JUS 1988 S. 42. - Differenzierend: SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 56 f.

b) Die Vortat Die Vortat muß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, auf Vermögensentziehung gerichtete, nicht notwendig schuldhafte Tat sein; dazu im einzelnen oben § 5613. c) Das Verhältnis der Vortat zur Hehlerei Das Gesetz fordert als Hehlereiobjekt eine Sache, die der Vortäter durch seine Vortat erlangt hat. Durch die Vortat erlangt ist die Sache, wenn der Täter, sei es auch nur als Mitgewahrsamsinhaber, sie in seine tatsächliche Sachherrschaft gebracht hat und zwar vor Beginn der Hehlerei. Grundsätzlich besteht daher Übereinstimmung, daß die Vortat abgeschlossen sein muß, bevor die Hehlerei begangen werden kann. Dieser Grundsatz führt aber nicht zwingend zu der Konsequenz, daß zeitlich ein Zwischenraum zwischen Vortat und Hehlerei liegen muß, auch wenn dies der Regelfall sein wird. Es genügt vielmehr, daß sich die Hehlerei bei wertender Betrachtungsweise deshalb als Anschlußtat an die Tat des Vortäters darstellt, weil sie gleichsam die Kehrseite dieser Tat ist, an deren Existenz angeknüpft wird. Genauso wie z.B. Übergabe und Annahme bei der Übereignung einen einheitlichen Vorgang bilden können, obwohl sie rechtlich gesehen aneinander anschließen, können auch Vortat und Hehlerei einen zugleich einheitlichen und dennoch aneinander anschließenden Akt bilden. Sie schließen nur unmittelbar aneinander an, es fehlt die dazwischenliegende zeitliche Zäsur. Gerade diese ist aber keineswegs erforderlich dafür, daß von einem Anschluß des einen an das andere gesprochen werden kann. - Ob die bei dem deliktischen Geschehen zusammenwirkenden Personen allerdings gemeinsam eine Vermögensentziehung durchführen oder der eine die Beute des anderen in Empfang nimmt, ist wertend zu ermitteln. OLG Stuttgart J Z 1960 S. 289 mit Anm. MAURACH S. 290 f: A hat eine Sache des X in Besitz. B erkundigt sich, ob A ihm diese veräußere. A sagt zu und übergibt dem B im selben Moment die Sache. OLG: A: Unterschlagung; B: Hehlerei; a A . aber OLG Stuttgart J Z 1990 S. 1144. In der Übergabe der Sache liegt hier zugleich die Manifestation der Unterschlagung und, indem B die Sache annimmt, der Beginn der Hehlerei. Wie bei der Übergabe und Annahme im Rahmen einer Übereignung fallen beide Rechtsakte zusammen. Das ändert jedoch nichts daran, daß der eine Akt Schlußakt einer bestimmten Rechtshandlung ist, an deren Ende der andere anknüpft. Genauso ist es in den Fällen, in denen der Vortäter mit der Hingabe der Sache seine Zueignungsabsicht manifestiert und damit das Vermögensentziehungsdelikt, hier die Unterschlagung, abschließt. Hingabe und Annahme fallen ohne zeitliche Zäsur zusammen. Das ändert aber nichts daran, daß sie aneinander anschließen. So auch: ESERIV, Nr. 18 A 25 ff; GEERDS GA 1988 S. 255 Fn. 83; OTTO Struktur, S. 327 ff; RUDOLPHI JA 1981S. 6; SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 15. A A . BGH StV 1989 S. 435; OLG Düsseldorf wistra 1990 S. 108; BERZ Jura 1980 S. 59; DREHER/ TRÖNDLE § 259 Rdn. 10; LACKNER StGB, § 259 Anm. 3 c; ROTH JA 1988 S. 199 f.

Die Perpetuierungsdelikte

256 d) Die durch die Vortat erlangte Sache

aa) Das Problem der Ersatzhehlerei Gegenstand der Hehlerei kann nur die unmittelbar aus der Vortat stammende Sache sein. Nur an dieser kann der rechtswidrige Besitzstand perpetuiert werden. - Der Ersatz für die durch die Vortat erlangte Sache, den der Täter im Austausch mit der Sache aus der Vortat erlangt hat, ist selbst nicht unmittelbar durch die Vortat erlangt. An diesem Objekt besteht keine rechtswidrige Besitzlage, die perpetuiert werden könnte. Eine Ausnahme gilt auch nicht für vertretbare Sachen (so aber GRIBBOHM NJW 1968 S. 240 f) oder für gewechseltes Geld. - A A . D . M E Y E R M D R 1970 S. 377 ff; R O X I N H . Mayer-Festschrift, S . 472 ff, R U D O L P H I JA 1981 S . 4 mit dem Argument, Geld sei als Wertsumme anzusehen, nicht aber als Sache. Doch gerade wenn Geld keine Sache ist, so kann nach dem Wortlaut des Gesetzes S 259 auf Geld überhaupt nicht angewendet werden; vgl. auch R O T H JA 1988 S . 198; SEELMANN JuS 1988 S . 40. Die durch die Straflosigkeit der Ersatzhehlerei begründeten Strafbarkeitslücken sind im übrigen geringer, als zum Teil behauptet wird (vgl. K N A U T H NJW 1984 S. 2666 ff; gegen ihn R O T H NJW 1985 S. 2242 ff), denn oftmals wird in der Erlangung der Ersatzsache - z.B. Kaufpreis aus dem Verkauf der gestohlenen Sache an einen Gutgläubigen - eine neue Straftat liegen, die Vortat der Hehlerei sein kann. Lediglich beim Wechseln von Geld oder Einzahlen von Geld auf ein Konto, von dem dieses später wieder abgehoben wird, treten wesentliche Strafbarkeitslücken auf.

bb) Die Verarbeitung der erlangten Sache Hat der Vortäter Formulare, z.B. Euroscheck-Formulare oder Reisepaß-Formulare, erlangt und diese Formulare ausgefüllt, so sind nunmehr andere Sachen, nämlich Wertpapiere bzw. gefälschte Reisepässe entstanden. Damit sind die Objekte andere als die durch die Vortat erlangten Sachen geworden und können bei der Weitergabe nicht Gegenstand der Hehlerei sein. Dazu BGH NJW 1976 S. 1950 mit Anm. D.

MEYER

MDR 1977 S. 372 ff; BayObLG JR 1980 S. 299

m i t A n m . PAEFFGEN S. 3 0 0 ff.

3. Die einzelnen Tathandlungen a) Verschaffen und Ankaufen Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Sache, indem er sich oder einem Dritten tatsächliche, selbständige Verfügungsmacht über die durch ein Vermögensentziehungsdelikt erlangte Sache im Einvernehmen mit dem jetzigen Sachherrn, im Regelfall dem Vortäter, einräumen läßt (derivativer Erwerb). - Ankaufen - ein gesetzliches Beispiel für ein Verschaffen - ist die Erlangung der tatsächlichen, selbständigen Verfügungsmacht durch Kauf. An der selbständigen Verfügungsmacht des Täters fehlt es, wenn er vom Vortäter nur Mitverfügungsmacht mit diesem zusammen eingeräumt erhält oder der Vortäter ihm das Objekt zu einer einzigen ganz bestimmten Verfügung überläßt. Zur Verdeutlichung: aa) OLG Stuttgart JZ 1973 S. 739 mit Anm. LENCKNER S. 794 ff: A war Gesellschafter einer GmbH. In diese Gesellschaft wurden von anderen Gesellschaftern durch strafbare Handlungen erlangte Sachen eingebracht. Verfügungsmacht innerhalb der Gesellschaft hatten die Gesellschafter nur gemeinsam. OLG: A haftet nicht wegen Hehlerei, denn er hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht an den Sachen erlangt. - Anders wäre es, wenn jeder Gesellschafter eigenständig über die Sache hätte verfügen können; dazu BGH NJW 1988 S. 3108 mit Anm. G E P P E R T JK 88, StGB § 259/8. bb) BGH NJW 1952 S. 754: B hat bei X Schnaps gestohlen. Er lädt den A, der von dem Diebstahl weiß, ein, mitzutrinken. A tut dies.

§ 58 Hehlerei

257

BGH: Keine Hehlerei des A, denn A hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht erlangt. S o auch: DREHER/TRÖNDLE § 259 R d n . 15; GEERDS G A 1988 S. 256; LACKNER S t G B , § 259 A n m . 4 a, b b ; OTTO Struktur, S. 329 ff. - A A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 39 R d n . 31;

ROTH JA 1988 S. 203; SCH/SCH/STREE S 259 Rdn. 24: Insichbringen ist die stärkste Form des Ansichbringens.

cc) BGHSt 27 S. 160 mit zust. Anm. D. MEYER JR 1978 S. 253 ff, und krit. Anm. SCHALL NJW 1977 S. 2221 f: K versetzte durch Betrug erlangte Haushaltsgeräte im städtischen Leihamt. Die Pfandscheine veräußerte er gegen Bezahlung an den A, der in Kenntnis des Sachverhalts über die Geräte zu eigenem Nutzen verfügen sollte. BGH: Der Erwerb des Pfandscheins stellt ein Sichverschaffen der durch Betrug erlangten Sachen dar. S o auch: BERZ J u r a 1980 S. 62; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 39 R d n . 30; ROTH J A 1988 S. 202; RUDOLPHI J A 1 9 8 1 S . 91. - A A . GEERDS G A 1988 S. 255 f; SAMSON SK, § 259 R d n . 20.

Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn der Pfandschein durch strafbare Handlung, z.B. Diebstahl, erlangt worden wäre. Dann hätte der Pfandschein Gegenstand einer Hehlerei sein können. Die versetzten Objekte hingegen wären durch Betrug beim Einlösen des Scheines erlangt worden. Ein einverständlicher Erwerb der Verfügungsmacht liegt auch vor, w e n n der Täter die Sache in Kenntnis des Sachverhalts von e i n e m gutgläubigen Zwischenbesitzer erlangt, nicht aber, w e n n er sie sich durch ein Vermögensentziehungsdelikt v o m Vortäter oder ohne Kenntnis von der Vortat verschafft. dd) OLG Düsseldorf JR 1978 S. 465: Der Dieb C schenkt der B, die nichts von dem Diebstahl weiß, einen Ring. Diese schenkt den Ring der A, die den Sachverhalt kennt. OLG Düsseldorf: Hehlerei der A. A verschafft sich die Stellung des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung durch derivativen Erwerb. Vgl. auch: LACKNER StGB, § 259 Anm. 3 d, aa; OTTO Jura 1985 S. 149; SCH/SCH/STREE § 259 R d n . 42. - A A . PAEFFGEN J R 1978 S. 466 f; RUDOLPHI J A 1 9 8 1 S . 6.

ee) BGH GA 1967 S. 315: A erwarb von B ein Autoradio, ohne zu wissen, daß dieses gestohlen war. Später erhielt er von dem Diebstahl Kenntnis. BGH: Als A die Verfügungsmacht über die Sache erhielt, fehlte ihm der Vorsatz, sich eine durch strafbare Handlung erlangte Sache zu verschaffen. Nach Kenntnis verschaffte er sich jedoch nicht mehr die Verfügungsmacht, sondern hatte diese bereits. Zur Möglichkeit der Unterschlagung in derartigen Fällen vgl. oben § 4216 b. ff) RGSt 35 S. 278: A nötigt den Angestellten B zur Unterschlagung von Geld und zur Aushändigung dieses Geldes an A. RG: A: §§ 253, 259, 52. - Dem ist nicht zuzustimmen. Entweder erlangt der Täter die Sache durch Vermögensentziehung, dann liegt eine Erpressung gegenüber dem Vorbesitzer B vor, oder er erlangt sie im einverständlichen Zusammenwirken mit B, dann ist kein Platz für ein Vermögensentziehungsdelikt. So auch OTTO Jura 1988 S. 606 ff; RUDOLPHI JA 1981S. 6. AA. Auch originärer Erwerb genügt: DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 16; ROTH JA 1988 S. 206 f; SCH/SCH/STREE § 259 R d n . 42.

b) Absetzen oder Absetzen helfen aa) Absetzen ist die entgeltliche Übertragung der Verfügungsmacht im Einverständnis und im Interesse des Vortäters auf einen Dritten durch den selbständig handelnden Täter. - Eine Rückübertragung auf den Eigentümer genügt diesen Erfordernissen nicht, da durch dieses Verhalten nicht die rechtswidrige Besitzlage perpetuiert wird. Absatzhilfe ist jede Unterstützung des Vortäters beim Absatz, den der Vortäter oder ein anderer im Interesse des Vortäters vornimmt, z.B. Suchen eines Käufers, Aushandeln des Kaufpreises, Transport der Beute zum Käufer. - Selbständige Verfü-

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Die Perpetuierungsdelikte

gungsmacht erfordert die Absatzhilfe jedoch nicht. Stets ist erforderlich ein Handeln im Interesse des Vortäters. Bei einem Handeln im Interesse Dritter, z.B. des Käufers, kommt Beihilfe zur Hehlerei des Dritten ("Sich Verschaffen") in Betracht. Zur Verdeutlichung - in Anlehnung an BGH NJW 1989 S. 1490: Fall 1: A und P hatten Tabakwaren gestohlen. Diese brachten sie zu E, der zuvor versprochen hatte, das Diebesgut zu lagern, bis ein Kunde gefunden sei. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen Beihilfe zum Diebstahl zu bestrafen. Fall 2: Wie in Fall 1, aber erst nach dem Diebstahl hatte E die Zusage gemacht. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls zu bestrafen, E bleibt straffrei (so BGH a.a.O.; a A . BGHSt 33 S. 47). Fall 3: Wie in Fall 1, jedoch hatte E die Zusage gemacht, das Diebesgut selbständig zu veräußern. Ergebnis: Wie in Fall 2. - A A . BGH a.a.O., da er in der Übergabe der Beute an einen Verkaufskommissionär wenig überzeugend bereits ein Absetzen sieht, weil er diese Tätigkeit aus der Sicht des Vortäters bestimmt. - Dazu OTTO JK 89, StGB $ 259/9; STREE JR 1989 S. 384 ff. Fall 4: Wie in Fall 1, aber E hatte sich das Diebesgut gegen Bezahlung geben lassen, um darüber nach eigenem Gutdünken zu verfügen. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen Hehlerei (Ankaufen) zu bestrafen. Fall 5: Wie in Fall 1, E aber machte die Zusage, um die Beute zugunsten von A und P zu sichern. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen Begünstigung (§ 257) zu bestrafen. Fall 6: wie in Fall 1, aber E machte die Zusage und nahm Verhandlungen mit X auf, um ihm die Beute zu verkaufen. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen versuchter Hehlerei in Form der Absatzhilfe zu bestrafen; str., vgl. sogleich unter bb). Fall 7: Wie in Fall 1, aber E hat die Beute für X gelagert, der die Beute bereits von A und P erworben hatte. Ergebnis. A und P sind wegen Diebstahls, X wegen Hehlerei und E wegen Beihilfe zur Hehlerei des X zu bestrafen.

bb) Strittig ist, ob Absetzen und Absatzhilfe schon mit den auf Absatz gerichteten Handlungen vollendet sind oder die Vollendung den Eintritt des Absatzerfolges voraussetzt. Dieser Streit ist mit einer Wandlung in der Interpretation des § 259 zu erklären. Das ursprünglich in § 259 enthaltene Verbot des "Mitwirkens zum Absatz" ging auf das Verbot des Beutehandels zurück. In dieser Alternative wurde nicht primär die Hilfe zur Verschaffung der Position des Diebes durch einen Dritten bestraft, sondern schon die Beteiligung an der auf diesen Erfolg gerichteten Handlung. Wird nun - in Abkehr von dem historischen Ausgangspunkt - der einheitliche Strafgrund des § 259 in der Herstellung der dem Täter des Vordelikts entsprechenden Stellung ohne Vermögensentziehung gesehen, bzw. in der Hilfeleistung bei einem derartigen Verhalten, so ist es konsequent, eine vollendete Tat erst mit Eintritt des Absatzerfolges zu bejahen. So auch: OLG Köln NJW 1975 S. 987 mit zust. Anm. KÜPER JuS 1975 S. 633 ff, und krit. Anm. FEZER NJW 1975 S. 1982 f; BERZ Jura 1980 S. 65; FRANKE NJW 1977 S. 857 f; KREY B.T. 2, Rdn. 591 ff; RÜPER NJW 1977 S. 58; LACKNER Heidelberg-Festschrift, S. 61; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 39 Rdn. 34; RUDOLPHI JA 1981S. 93.

A A . BGHSt 27 S. 45; 33 S. 47; BGH NJW 1989 S. 1490; BGH MDR 1990 S. 936; DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 18; D. MEYER M D R 1975 S. 721 f; DERS. JR 1977 S. 80 f; WESSELS B.T.-2,

§ 20 III 3 b.

§ 58 Hehlerei

259

Differenzierend: Absatz setzt Erfolg voraus Absatzhilfe nicht; GEERDS GA 1988 S. 256 f.

4. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - setzt die Kenntnis der Vortat in ihren groben Zügen voraus und das Bewußtsein, die Verfügungsmacht in einverständlichem Zusammenwirken zu erlangen, d.h. das Wissen, daß die Tat keine Vermögensentziehung gegenüber dem Vortäter darstellt. - Bei Absatz und der Absatzhilfe ist außerdem das Wissen des Täters, die Interessen des Vortäters zu fördern, erforderlich. b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, entspricht der Bereicherungsabsicht beim Betrug. Gegenstand der Bereicherung kann nur ein Vermögensvorteil sein. An diesem fehlt es beim Austausch gleichwertiger Leistungen, bzw. bei einem Kaufpreis, zu dem die gleiche Sache auch im Handelsverkehr erworben werden könnte. - Jedoch genügt es, wenn der Täter den üblichen Geschäftsgewinn anstrebt; BGH GA 1978 S. 372; BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267. aa) Nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs muß die Absicht des Täters dahin gehen, den Geldwert seines Vermögens zu erhöhen. Das bloße Haben von Sachen, die keinen Handelswert haben, stellt danach keinen Vermögensvorteil dar. - Nach den Grundsätzen des personalen Vermögensbegriffs stellt das Haben einer Sache, auch wenn diese keinen offiziellen Handelswert hat, einen Vermögensvorteil dar, wenn sie für den Täter Gebrauchsvorteile besitzt. Das gilt jedoch nicht für Objekte, die als solche nicht Gegenstand des Wirtschaftsverkehrs sein können. Dazu BGH GA 1986 S. 559 (Führerschein); BayObLG JR 1980 S. 299 mit Anm. PAEFFGEN S. 300 ff (Reisepaß).

bb) Der Vortäter kann nicht Dritter i.S. des § 259 sein. Das ergibt sich zwingend aus dem Wortlaut des Abs. 1, denn der dort als "anderer" bezeichnete Vortäter kann nicht zugleich Dritter sein. S o a u c h : D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 5 9 R d n . 2 2 ; LACKNER S t G B , § 2 5 9 A n m . 6; L A C K N E R / W E R L E J R

1980 S. 214 ff. - A . A . B G H N J W 1 9 7 9 S. 2621; SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 50.

cc) Die Bereicherung, d.h. der erstrebte Vorteil, braucht sich nicht unmittelbar aus der gehehlten Sache zu ergeben. Eine Belohnung für die Absatzhilfe durch den Vortäter genügt. So auch: BGH wistra 1983 S. 29; BERZ Jura 1980 S. 67; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 3 9 R d n . 3 9 ; RUDOLPHI J A 1 9 8 1 S . 9 4 ; STREE J u S 1 9 7 6 S. 144. - A . A . A R Z T N S t Z 1 9 8 1 S. 1 3 f; D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 5 9 R d n . 23; SEELMANN J u S 1 9 8 8 S. 4 1 f.

dd) Strittig ist, ob der erstrebte Vermögensvorteil rechtswidrig sein muß oder nicht. S o d i e h . M . , vgl. z . B . : LACKNER S t G B , § 2 5 9 A n m . 6; R U ß L K , § 2 5 9 R d n . 3 7 ; S C H / S C H / S T R E E § 2 5 9 R d n . 4 9 . - A A . A R Z T N S t Z 1 9 8 1 S. 1 2 f; R O T H J A 1 9 8 8 S. 2 5 9 f.

Der h.M., ist zu folgen, denn daß der Hehler unter Umständen einen Anspruch gegen den Vortäter hat, ändert das Perpetuierungsunrecht nicht. Hat der "Hehler" hingegen einen Anspruch auf Überlassung der Sache gegen das Opfer der Vortat, so fehlt es bereits an der Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage, da der Täter Anspruch auf den Besitz hat.

260

Die Perpetuierungsdelikte

5. Konkurrenzen und Strafe a) Die Anstiftung des Vortäters zur Hehlerei ist mitbestrafte Nachtat der Vortat. b) Nach h.M. liegt neben der Hehlerei auch eine tatbestandsmäßige - allerdings von der Hehlerei konsumierte - Unterschlagung vor, wenn der Täter sich durch die Hehlerei die umfassende Sachherrschaftsposition verschafft. Nach den hier entwickelten Prämissen ist das nicht haltbar. Die Unterschlagung als Vermögensentziehungsdelikt setzt eine reale Vermögensentziehung voraus. An dieser fehlt es jedoch. Die Redeweise von der angeblichen Vertiefung des Schadens des Vermögensentziehungsdelikts durch die Hehlerei verdeckt das nur: Die Sache ist dem Berechtigten durch das Entziehungsdelikt entzogen worden. Dieses "Loch in seinem Vermögen" wird durch anschließende Hehlereihandlungen keineswegs vergrößert! Hehlerei und Vermögensentziehungsdelikt in bezug auf dieselbe Sache durch dieselbe Person schließen einander aus. Eingehender dazu OTTO Jura 1988 S. 606 ff.

c) Gemäß § 259 Abs. 2 sind §§ 247, 248 a entsprechend anwendbar. - Maßgeblich für die Anwendung des § 248 a ist der Wert der gestohlenen Sache, nicht aber der Vermögensvorteil des Hehlers, denn welchen Vorteil der Hehler hat, ist für die Situation des durch das Vermögensdelikt Betroffenen gleichgültig. Gegenstand der Perpetuierung, die den Strafgrund des Delikts bildet, ist die gehehlte Sache. Der Vorteilsabsicht kommt allein strafbegrenzende Funktion zu, die Rechtsgutsverletzung selbst betrifft sie unmittelbar nicht. S o a u c h . R U ß L K , § 2 5 9 R d n . 4 4 ; SAMSON S K , § 2 5 9 R d n . 4 5 ; STREE J u S 1 9 7 6 S. 1 4 4 f. - A A . D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 5 9 R d n . 2 5 ; LACKNER S t G B , § 2 5 9 A n m . 10.

II. Gewerbsmäßige Hehlerei, § 260 Ein qualifizierter Fall der Hehlerei liegt vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt, §260.

Zum Begriff der Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 II 2 c. III. Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO In § 148 b GewO sind Fälle einer fahrlässigen Hehlerei unter Strafe gestellt. Wird das Wesen der Hehlerei in der Kollusion zwischen Hehler und Vortäter gesehen, wobei die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Besitzlage nur als Konsequenz dieser Kollusion erscheint, so ist der Schluß zwingend, diese Delikte als besondere Wirtschaftsdelikte zu interpretieren, die mit der Hehlerei nichts, mehr zu tun haben. Es handelt sich dann um Vergehen, die die Vernachlässigung der Pflichten bestimmter Gewerbetreibender erfassen. - Wird hingegen als das wesentliche Moment des Hehlereidelikts die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Besitzstandes in scharfem Gegensatz zur Vermögensentziehung erkannt, so stellt sich die Kollusion zwischen Vortäter und Hehler lediglich als Folge der Tatsache dar, daß Fälle der Vermögensentziehung nicht von dem Tatbestand der Hehlerei erfaßt werden. Dann aber fällt die Verwandtschaft der Hehlerei mit der sogenannten fahrlässigen Hehlerei sofort auf. Es handelt sich sachlich um einen Fall der Hehlerei, gekenn-

§ 59 Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte

261

zeichnet durch das Fehlen einer Vermögensentziehung, d.h. wiederum um den Fall einer Vermögensverschiebung, deren Strafgrund darin zu sehen ist, daß die durch strafbare Vermögensentziehung bewirkte Schädigung des Berechtigten weiter aufrechterhalten bleibt, wenn auch dem Täter hinsichtlich dieser Aufrechterhaltung nur Fahrlässigkeit zur Last fällt. Eingehender dazu OTTO Struktur, S. 244 f.

§ 59: Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 1. Die Zulässigkeit der Wahlfeststellung Nach ständiger Rechtsprechung des BGH, von der sich allerdings in letzter Zeit nicht nur die Lehre, sondern auch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zunehmend distanzierten, ist eine Wahlfeststellung dann zulässig, wenn die zur Wahl stehenden Verhaltensweisen rechtsethisch und rechtspsychologisch gleichwertig erscheinen. Im einzelnen zur Situation und den Voraussetzungen der Wahlfeststellung vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 4 II.

Da im Bereich der Vermögensdelikte jedoch gerade die psychologische Verschiedenheit der einzelnen Angriffe gegen Vermögensobjekte zur Differenzierung der verschiedenen Tatbestände geführt hat, dürfte - die Prämisse ernst genommen - im Bereich der Vermögensdelikte überhaupt keine Wahlfeststellung zugelassen werden, oder man gibt die rechtsethische und rechtspsychologische Gleichwertigkeit als Kriterium für die Zulässigkeit einer solchen Verurteilung auf. Die Rechtsprechung hat dies de facto seit langem getan, auch wenn sie an der Formel selbst festhält; dazu H RUSCH KA N J W 1973 S. 1804 f.

Wird jedoch das Erfordernis der rechtspsychologischen Vergleichbarkeit aufgegeben, so bestimmt sich die Zulässigkeit der Wahlfeststellung letztlich nach der Identität des Unrechtskems. Diese Identität liegt vor, wenn sich ein deliktischer Angriff gegen dasselbe Rechtsgut oder ein Rechtsgut derselben Art, derselben Gattung richtet und der Handlungsunwert auf gleicher Ebene liegt. Dazu OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 67 f; BayObLG MDR 1977 S. 860 mit Anm. HRUSCHKA JR 1978 S. 26 ff; i m ü b r i g e n vgl. DEUBNER JUS 1962 S. 2 1 ff; DERS. N J W 1967 S. 7 3 8 f; D R E H E R M D R 1970 S. 369 ff; D R E H E R / T R Ö N D L E § 1 R d n . 12 ff; FLECK G A 1966 S. 336; HARDWIG E b . S c h m i d t - F e s t s c h r i f t , S. 4 8 4 A n m . 28; HRUSCHKA N J W 1973 S. 1804 f; JAKOBS G A 1971 S. 270; L Ö H R J u S 1976 S. 720; OTTO P e t e r s - F e s t s c h r i f t , S. 390 f; SAX J Z 1965 S. 748; TRÖNDLE J R 1974 S. 133 ff; DERS. L K , § 1 R d n . 104. -

Differenzierend: GÜNTHER Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, 1976, S. 218 ff, der nach dem graduellen Unwert unterscheiden will, und MONTENBRUCK Wahlfeststellung und Werttypus im Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1976, S. 384, der aus den zur Wahl stehenden Tatbeständen einen gemeinsamen weiteren Tatbestand bilden und sodann anwenden will.

Der Unrechtskern ist bei allen Vermögensdelikten identisch, denn diese Identität des Unrechtskerns ermöglicht die Zusammenfassung dieser Delikte in der Gruppe der "Vermögensdelikte". Damit ist grundsätzlich eine Wahlfeststellung zwischen den verschiedenen Vermögensdelikten zulässig. Dies gilt auch für die Vermögensdelikte, die neben dem Vermögen noch andere Rechtsgüter schützen, z.B. die Willensfreiheit, denn dieser Schutz steht nicht im gleichen Rang mit dem Vermögensschutz, wie die Einordnung dieser Delikte als Vermögensdelikte zeigt. Bei den Delikten, bei denen dem Schutz eines weiteren Rechtsguts erhebliche Bedeutung zukommt, wie z.B. dem Schutz der Willensfreiheit in den §§ 249 ff, 255, ist die Deliktsnatur

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Die Perpetuierungsdelikte

zunächst auf das Vermögensdelikt zu reduzieren, wenn die Verletzung der anderen Rechtsgüter in der möglichen Alternative entfällt. a) BGHSt 25 S. 182 mit Anm. H R U S C H K A NJW 1973 S. 1804 f, T R Ö N D L E JR 1974 S. 133 ff: Alternative Raub-Unterschlagung. BGH: Zu verurteilen ist auf der wahldeutigen Grundlage 'Diebstahl oder Unterschlagung". b) BGH NJW 1974 S. 804: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Hehlerei zulässig. Dazu OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 65 und GÜNTHER JZ1976 S. 665 ff. c) OLG Köln GA 1974 S. 121 f: Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Unterschlagung zulässig. d) OLG Hamm NJW 1974 S. 1957: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Unterschlagung zulässig. e) BGHSt 23 S. 360 mit Anm. SCHRÖDER JZ 1971 S. 141, HRUSCHKA NJW 1971 S. 1392 ff: Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Begünstigung wilässig.

In Fällen, in denen zweifelhaft bleibt, ob der Täter eine Sache als Mittäter der Vortat, z.B. Diebstahl, Betrug, Erpressung, originär erlangt hat oder derivativ von einem Täter der Vortat erworben hat, bejahen BGH und ein Teil der Lehre eine Hehlerei im Wege der sog. Postpendenzfeststellung. Vgl. BGHSt 35 S. 86; BGH NJW 1989 S. 1867; BGH NStZ 1989 S. 574; GEPPERT JK 89, StGB § 1/7; H R U S C H K A J Z 1 9 7 0 S . 6 4 0 f; J O E R D E N J Z 1 9 8 8 S . 8 4 9 ; K Ü P E R L a n g e - F e s t s c h r i f i t S . 6 5 f f ; D E R S . P r o -

bleme der Hehlerei mit ungewisser Vortatbeteiligung, 1989, mit Bespr. GÖSSEL GA 1990 S. 318 ff; RUD O L P H I S K , A n h . z u § 5 5 R d n . 2 4 f; W O L T E R N S t Z 1 9 8 8 S . 4 5 6 ff.

Diese Auffassung ist abzulehnen, denn ihre Prämisse, die Nachtat stehe in jedem Falle fest, zweifelhaft sei nur die Beteiligung an der Vortat, ist unrichtig. Zweifelhaft ist nämlich, ob der Täter sich durch Vermögensentziehung oder Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage die Sache verschafft hat. Damit aber ist zweifelhaft, ob er den Tatbestand der Vortat oder den der Hehlerei verwirklicht hat. Auch hier greifen sachgerecht die Grundsätze der Wahlfeststellung durch. Vgl. auch: BGHSt 23 S. 360; OTTO JK 88, StGB § 1/5 und 10; TRÖNDLE LK, § 1 Rdn. 67 m.w.N.

Beim Alleintäter lehnt auch der BGH die Verurteilung wegen Hehlerei im Wege der Postpendenzfeststellung ab. Vgl. BGH NJW 1990 S. 2476.

2. § 246 als Grundtatbestand der Vermögensdelikte Die Problematik der Wahlfeststellung bei der deliktischen Verschaffung von Sachen wird allerdings erheblich eingeschränkt, wenn § 246 als Grundtatbestand aller Sachzueignungsdelikte interpretiert wird; dazu oben § 39 II. Dann besteht zwischen der Unterschlagung und den anderen Vermögensentziehungsdelikten bei der Sachzueignung ein Stufenverhältnis, so daß gemäß dem Grundsatz "in dubio pro reo" stets nur wegen Unterschlagung zu bestrafen ist. Vgl. dazu W E L Z E L Lb., § 46; W O L T E R Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht, 1976, S. 61ff;DERS. GA 1974 S. 161 ff.

Dritter Teil Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit Erstes Kapitel

Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen die Wirtschaftsordnung § 60: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht 1. Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsdelikte In der Auseinandersetzung um den Begriff der Wirtschaftskriminalität wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland dem täterbezogenen Aspekt zunächst größere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Ergänzung und Ersetzung dieses Gesichtspunkts in den verschiedenen Definitionsvorschlägen deckte jedoch bald die Grenzen dieser Betrachtungsweise, aber auch die Vielschichtigkeit der hinter dem Begriff verborgenen Problematik, auf. Es zeigte sich, daß ein einziger Begriff der Wirtschaftskriminalität den unterschiedlichen Erkenntniszielen überhaupt nicht gerecht werden konnte, daß es zumindest - bedingt durch die Verschiedenheit der Ziele und Betrachtungsweisen des Erkenntnisgegenstandes - drei verschiedene Begriffe der Wirtschaftskriminalität geben muß. Einer kriminologischen und kriminalsoziologischen Betrachtungsweise ist ein mehr täterorientierter Begriff der Wirtschaftskriminalität angemessen. - Im Vordergrund kriminaltaktischer und strafprozessualer Überlegungen steht hingegen die schwierige und umfangreiche Aufklärung und Aburteilung des strafbaren Verhaltens. Die Tatsache, daß dabei wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse notwendig sind, erhält damit in einer kriminaltaktisch relevanten Definiton der Wirtschaftskriminalität besondere Bedeutung. - Rechtsdogmatisch hingegen führen die kriminologischen, kriminalsoziologischen und kriminal- sowie verfahrenstaktischen Ansätze nicht weiter. Für ein Strafrecht, das auf Erhalt des Rechtsfriedens durch den Schutz bestimmter Rechtsgüter gegen bestimmte Angriffe abzielt, ist sowohl eine täterorientierte wie auch eine primär auf Schadenshöhe und Aufklärungserfordernisse bezogene Betrachtungsweise nicht von Gewinn, da von hierher keine systematisch erfaßbaren Einsichten in das Wesen der Wirtschaftskriminalität zu erlangen sind. Sie eröffnen sich erst, wenn es gelingt, als Wirtschaftskriminalität einen von anderen strafwürdigen Rechtsgutsbeeinträchtigungen abgehobenen Rechtsgüterangriff und seine Modalitäten zu erfassen und damit einen eigenständigen Unrechtsgehalt zu beschreiben und strafrechtlich sachgerecht zu würdigen. Diesem Erfordernis können allerdings Definitionen des Begriffs, die wesentlich auf die wirtschaftlich schädliche oder die schlicht wirtschaftsbezogene Verhaltensweise der Wirtschaftskriminalität abstellen, nicht genügen. Der wirtschaftliche Bezug des sozialschädlichen Verhaltens kennzeichnet kein

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

spezifisches Unrecht, das sich von anderen rechtswidrigen strafwürdigen Verhaltensweisen abhebt. Erst der Bezug des Verhaltens auf die Verletzung von überindividuellen (sozialen) Rechtsgütern des Wirtschaftslebens ermöglicht die Erfassung eines spezifischen Unrechts, das sich deutlich vom Unrecht einer beliebigen Vermögensschädigung unterscheidet. Von diesem Ausgangspunkt her lassen sich als Wirtschaftsdelikte jene Verhaltensweisen bestimmen, die das Vertrauen in die geltende Wirtschaftsordnung insgesamt oder in einzelne ihrer Institute verletzen und damit den Bestand und die Arbeitsweise dieser Wirtschaftsordnung gefährden. - Die Verwirklichung dieser Delikte macht die Wirtschaftskriminalität aus. Im einzelnen dazu und zur Auseinandersetzung: D. G E E R D S Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1990, S. 5 ff, 15 ff; O t t o ZStW 96 (1984) S. 339 ff.

2 Das Wirtschaftsstrafrecht Da der Begriff der Wirtschaftskriminalität nicht nur durch die wirtschaftlich schädliche Verhaltensweise dieser Kriminalität konkretisiert wird, kann auch das Wirtschaftsstrafrecht nicht schlicht als das Strafrecht erfaßt werden, das in bezug zu wirtschaftlichen Vorgängen steht oder sich gegen wirtschaftlich schädliches Verhalten richtet. Ein derartiger Begriff könnte wiederum kriminologische oder kriminaltaktische Bedeutung haben, rechtsdogmatisch aber wäre er unbrauchbar. Als Wirtschaftsstrafrecht im eigentlichen Sinne sind nur die Tatbestände anzusehen, die in erster Linie die Wirtschaftsordnung und ihr Funktionieren schützen sollen. Das sind zunächst einmal Normen staatlicher Wirtschaftslenkung und -Ordnung, wie z.B. das Wirtschaftsstrafgesetz oder das Außenwirtschaftsgesetz, dann aber jene Normen, die die wirtschaftliche Betätigung sowie die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Wirtschaftsgütern regeln. Da jedoch auch bei Angriffen gegen individuelle Rechtsgüter, insbesondere bei Angriffen gegen das Vermögen, Teilbereiche der Wirtschaftsordnung betroffen werden können, wird deutlich, daß auch Normen, die in erster Linie dem Schutz individueller Rechtsgüter dienen sollen, wie z.B. dem Betrugs- und dem Untreuetatbestand, gleichfalls Bedeutung bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zukommen. Dies gilt besonders für die Fälle quantitativ massierter Deliktsbegehung und bei schweren Vermögensschädigungen gegenüber wirtschaftlichen Unternehmen. Insofern sind wirtschaftsstrafrechtliche Normen zwar Tatbestände, die auf Abwehr von Wirtschaftskriminalität gerichtet sind, doch darüber hinaus realisieren auch weitere Tatbestände diesen Zweck in erheblichem Umfang. Dazu im einzelnen: G E E R D S Kriminalistik 1968 S. 234; O T T O ZStW 96 (1984) S. 349; Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1,1976, S. 54 f; W E B E R in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 6 ff.

TLEDEMANN

3. Die Gestaltung der Wirtschaftsstraftatbestände Da die einzelnen Angriffe auf die Wirtschaftsordnung und ihre Institute durch Verletzung jener Normen, die sie konstituieren, nicht zu naturwissenschaftlich meßbaren Schäden führen, bieten weder Verletzungsdelikt noch konkretes Gefährdungsdelikt die angemessene Deliktsform, um den angestrebten Schutz der Rechtsgüter zu realisieren. Das dem überindividuellen Rechtsgut und dem Angriffsobjekt als geistigen Gebilden entsprechende Mittel des strafrechtlichen Schutzes ist das abstrakte Gefährdungsdelikt.

§61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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Dazu BRAUNECK Allgemeine Kriminologie, 1974, S. 34 f; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 40 ff; OTTO ZStW 96 (1984) S. 362 f; TLEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 41 f.

Der mit der Schaffung abstrakter Gefährdungsdelikte stets verbundenen Gefahr einer Ausdehnung des Strafrecht in den nicht mehr strafwürdigen und strafbedürftigen Bereich hinein, kann der Gesetzgeber in verschiedener Weise begegnen: a) Die Strafbarkeit des abstrakt gefährlichen Verhaltens kann an bestimmte konkret gefährliche Situationen geknüpft werden, sog. Krisensituationen, wie sie der Gesetzgeber z.B. in den Konkursdelikten (Überschuldung, eingetretene oder drohende Zahlungsunfähigkeit) ausgebildet hat. b) Eine weitere Möglichkeit der Strafbarkeitsbegrenzung ist das zusätzliche Erfordernis eines besonderen Erfolgsunwertes, z.B. in der Art einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit. c) Schließlich kann das Tatverhalten in die Nähe einer Vermögensverletzung oder konkreten Vermögensgefährdung gebracht oder auf solche Verhaltensweise beschränkt werden, die regelmäßig auch zum Eintritt eines Vermögensschadens führen, um den Bereich der Strafbarkeit zu begrenzen. Eingehender dazu OTTO ZStW 96 (1984) S. 363 ff.

§ 61: Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsbetrug, § 265 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die soziale Leistungsfähigkeit der Versicherer. Nur der Schutz dieses Rechtsgutes erklärt die hohe Strafe und die Vorverlegung der Strafbarkeit überzeugend. Als Element der sozialen Leistungsfähigkeit mitgeschützt ist das Vermögen der Versicherer, doch kommt diesem Gesichtspunkt im Rahmen des Rechtsgutes keine eigenständige Bedeutung zu. Vgl. dazu BGHSt 25 S. 262; GEERDS Welzel-Festschrift, S. 853; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 260 ff. - Nur das Vermögen wollen als geschütztes Rechtsgut ansehen: BOCKELMANN B.T./l, § 12 I; RANFT Jura 1985 S. 399; SAMSON SK, § 265 Rdn. 1; SCHMIDHÄUSER B.T., 11/41. - Für den Schutz von Vermögen und sozialer Leistungsfähigkeit der Versicherer: KREY B.T. 2, Rdn. 506; LACKNER LK, § 265 Rdn. 1; SCH/SCH/LENCKNER § 265 Rdn. 1 f; WESSELS B.T.-2, § 15 I 1. - Den Aspekt der Gemeingefährlichkeit der Deliktshandlung betonen: DREHER/TRÖNDLE § 265 Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T. l, § 41 Rdn. 194 f.

Der Schutzbereich der Vorschrift ist - historisch bedingt - auf die Feuer- und Seeversicherung begrenzt. Diese Einschränkung ist heute nicht mehr sachgerecht; dazu GEERDS Welzel-Festschrift, S. 8 4 1 ff. 2 Tatobjekt und Tathandlung Versichert ist eine Sache, wenn sie Gegenstand eines formgültig zustande gekommenen Versicherungsvertrages geworden ist, unabhängig davon, ob der Vertrag anfechtbar oder z.B. wegen absichtlicher Überversicherung nichtig ist. Auch in diesem Falle besteht die Gefahr, daß die Versicherung zu Unrecht in Anspruch genommen wird. Darüber hinaus soll es nach h.M. auch unerheblich sein, ob der Versicherer nach § 39 Abs. 2 W G wegen Verzugs des Versicherungsnehmers

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

von seiner Leistungspflicht frei geworden ist. Dem kann nicht gefolgt werden, soweit für den Versicherer offensichtlich ist, daß die Leistungspflicht nicht besteht. In diesem Falle ist auch eine abstrakte Gefährdung nicht gegeben. Vgl. RANFT Jura 1985 S. 395; DERS. StV 1989 S. 301; SCH/SCH/LENCKNER § 265 RDN. 7. - A A . BGH NJW 1988 S. 3025; DREHER/TRÖNDLE § 265 Rdn. 4 a; LACKNER LK, § 265 Rdn. 2.

In Brand gesetzt ist die versicherte Sache dann, wenn sie selbständig weiterbrennen kann; vgl. dazu unten § 7911. 3. Die betrügerische Absicht a) Betrügerische Absicht ist die Absicht des Täters, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil, nämlich die Versicherungssumme aus der Feueroder Seeversicherung zu verschaffen. Die Absicht, eine andere Versicherungssumme betrügerisch zu erlangen, genügt nicht; BGHSt 32 S. 137. - Rechtswidrig ist der Vermögensvorteil, wenn der Versicherte keinen Anspruch auf die Leistung hat. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Versicherte selbst Täter oder Teilnehmer der Tat ist; § 61 W G . Dasselbe gilt, wenn der Versicherte sich das Verhalten des Täters als eigenes zurechnen lassen muß, weil der Täter als Repräsentant des Versicherten anzusehen ist. Repräsentant ist derjenige, der befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang, für den Versicherten zu handeln und dabei auch dessen Rechte und Pflichten als Versicherungsnehmer wahrzunehmen. Dazu BGH NJW 1976 S. 2271 mit Anm. Gössel JR 1977 S. 391, und Wagner JuS 1978 S. 161 ff; BGH StV 1989 S. 300 mit Anm. Ranft S. 301 ff; Ranft Jura 1985 S. 399 f.

Ein effektiver Schutz des Rechtsguts müßte die Strafbarkeit bereits an die Absicht knüpfen, einen Schaden zu begründen, um den Versicherungsfall herbeizuführen. Damit würde jedoch dem betrügerischen Element jegliche Bedeutung genommen. Nicht erforderlich ist hingegen eine Täuschung des Täters oder des Versicherten. § 265 ist auch erfüllt, wenn der Täter davon ausgeht, daß der Versicherte gutgläubig den nicht bestehenden Anspruch gegenüber der Versicherung geltend macht. b) Die betrügerische Absicht wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter daran zweifelt, ob der Erfolg wirklich eintritt. Zweifel am Eintritt des Erfolgs der Tat stehen dem zielgerichteten Wollen des Erfolges nicht entgegen. Vgl. auch: BGHSt 35 S. 325 mit Anm. GEERDS Jura 1989 S. 294 ff, und RANFT StV 1989 S. 303.

c) Da die betrügerische Absicht subjektives Tatbestandsmerkmal ist, entscheidet für ihr Vorliegen allein die Vorstellung des Täters. Maßgeblich ist, ob der Täter sich einen Sachverhalt vorstellt, der die Leistungspflicht des Versicherers entfallen läßt. Kennt der Täter hingegen den Sachverhalt und meint nur aufgrund irriger Wertung der Anspruchsvoraussetzungen, die Leistungspflicht des Versicherers bestehe nicht, so liegt ein strafloses Wahnverbrechen vor. Vgl. auch: OTTO JK, StGB § 265/2; RANFT Jura 1985 S. 402; DERS. StV 1989 S. 301 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 11/42; SCH/SCH/LENCKNER § 265 Rdn. 14. - A A . BGH StV 1989 S. 298; LACKNER LK, § 265 Rdn. 8; WAGNER JUS 1978 S. 161 ff.

4. Konkurrenz zu § 263 Der Versicherungsbetrug steht mit dem u.U. später begangenen Betrug, mit dem die Versicherungssumme kassiert wird, in Realkonkurrenz, da beide Delikte verschiedene Rechtsgüter schützen.

§61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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Wird als Rechtsgut des § 265 das Vermögen angesehen, so konsumiert § 265 den § 263 als straflose Nachtat.

II. Subventionsbetrug, § 264 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse an einer sachgemäßen staatlichen Wirtschaftsförderung. Vgl. BT-Drucks. 7/5291, S. 3; D. GEERDS Wimchafttsinfrecht, S. 244 ff; GÖHLER/WILTS DB 1976 S. 1609; LACKNER StGB, § 264 A n m . 1; SCH/SCH/LENCKNER § 264 R d n . 4; TLEDEMANN LK, § 264

Rdn. 8. - A A . Staatliches Vermögen: HACK Probleme des Tatbestands Subventionsbetrug, § 264 StGB, 1982, S. 19; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 R d n . 165; RANFT J u S 1986 S. 447 ff; SANN-

WALD Rechtsgut und Subventionsbegriff $ 264 StGB, 1982, S. 59,65 ff, 89; SCHMIDHÄUSER B.T., 11/96 f.

Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Str., wie hier: BERZ B B 1976 S. 1436, DREHER/TRÖNDLB § 264 R d n . 4; HEINZ G A 1977 S. 210;

SCH/SCH/LENCKNER § 264 Rdn. 5. - A.A. BT-Drucks. 7/5291, S. 5: Konkretes Gefährdungsdelikt; GÖHLER/WILTS DB 1976 S. 1613: Abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt.

2 Subvention und subventionserhebliche Tatsachen a) Den Begriff der Subvention umschreibt Abs. 6. - Folgende Erfordernisse müssen erfüllt sein: aa) Leistungen aus öffentlichen Mitteln, d.h. Leistungen, die dem Staat, einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Institution oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung zur Verfügung stehen. bb) Grundlagen der Leistungen müssen Vergabevorschriften aus dem Recht des Bundes, der Länder - einschließlich des Rechts der Gemeinden - oder der Europäischen Gemeinschaften sein. Es genügt der globale Ansatz in einem Haushaltsgesetz. Nach dem Willen des Gesetzgebers - BT-Drucks. 7/5291, S. 11 - fallen allerdings Leistungen aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften nicht unter Abs. 6. - In diesem Bereich haben die Regelungen des Steuerrechts ausschließlich Bedeutung. D a z u FUHRHOP N J W 1980 S. 1261 ff; MULLER-EMMERT/MAIER N J W 1976 S. 1657 ff; TlEDEMANN

LK, § 264 Rdn. 132.

cc) Die Leistungen müssen wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt werden. - Das ist dann der Fall, wenn die Leistung nach ihrem objektiven Wert nicht dem entspricht, was nach den konkreten Verhältnissen des betreffenden Marktes üblicherweise für die Leistung aufgewendet werden muß. dd) Die Leistung muß wenigstens zum Teil zur Förderung der Wirtschaft dienen. Es genügt jedoch, daß die Wirtschaftsförderung einer neben anderen Zwecken ist. Leistungen zur Förderung der Forschung, Bildung oder kultureller Einrichtungen fallen daher genausowenig unter den Begriff wie die sog. Sozialsubventionen (z.B. Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld).

ee) Die Leistung muß einem Betrieb oder Unternehmen gewährt werden. Betrieb ist eine auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenfassung von persönlichen und sächlichen Mitteln zur Erreichung eines - nicht unbedingt wirtschaftlichen - Zwecks ohne Rücksicht auf die Rechtsform. - Dem Unternehmen kommt gegenüber dem Betrieb nur insoweit Eigenständigkeit zu, als es ein Komplex von mehreren Betrieben sein kann. D a z u auch: DREHER/TRÖNDLE § 14 R d n . 8; GÖHLER/WILTS D B 1976 S. 1611; LACKNER StGB, § 11 A n m . 5 b; MÜLLER-EMMERT/MAIBR N J W 1976 S. 1658; SCH/SCH/LENCKNER § 14 R d n . 28 ff.

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

ff) Im einzelnen zum Begriff der Subvention: EBERLE Der Subventionsbetrug nach Paragraph 264 StGB - Ausgewählte Probleme einer verfehlten Reform, 1983, S. 22 ff; JARASS JUS 1980 S. 115 ff; SANNWALD R e c h t s g u t , S. 76 f; G . SCHMIDT G A 1979 S. 121 ff; VOLK in: BELKE/OEHMICHEN (Hrsg.),

Wirtschaftskriminalität, 1983, S. 82 ff.

b) Die in Abs. 1 genannten Tathandlungen (Täuschung, Unterlassung vorgeschriebener Angaben usw.) sind nur relevant, soweit sie sich auf subventionserhebliche Tatsachen gemäß Abs. 7 beziehen. Gemäß Abs. 7 Nr. 1 sind dies zunächst die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes vom Subventionsgeber ausdrücklich als subventionserheblich bezeichneten Tatsachen; dazu auch § 2 SubvG. - Es muß sich um klar und unmißverständlich auf den konkreten Fall bezogene Angaben handeln; LG Düsseldorf NStZ 1981 S. 223. Gemäß Abs. 7 Nr. 2 werden sodann ergänzend die materiellen Voraussetzungen der Vergabe oder Rückforderung einer Subvention als "subventionserheblich" erklärt, soweit ein Gesetz im materiellen Sinne diese Voraussetzungen regelt, auch wenn sie nicht als subventionserheblich bezeichnet worden sind. Ist die Bewilligung einer Subvention von mehreren tatsächlichen Voraussetzungen abhängig, so ist jede dieser Voraussetzungen subventionserheblich. Dazu OLG Köln NJW 1982 S. 457; BayObLG MDR 1989 S. 1014.

3. Die Tathandlung a) Der äußere Tatbestand fordert falsche oder unvollständige Angaben gegenüber dem Subventionsgeber in bezug auf subventionserhebliche Tatsachen, die für den Erklärenden oder einen anderen vorteilhaft sind (Abs. 1 Nr. 1), die Unterlassung subventionserheblicher Angaben entgegen den Rechtsvorschriften - dazu §§ 3, 4 SubvG - über die Subventionsvergabe (Abs. 1 Nr. 2) oder den Gebrauch einer durch unrichtige oder unvollständige Angaben in einem Subventionsverfahren erlangten Bescheinigung über eine Subventionsberechtigung oder über subventionserhebliche Tatsachen (Abs. 1 Nr. 3). Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie die Aussichten des Subventionsempfängers für die Gewährung oder Belassung der beantragten Subvention oder des geltend gemachten Subventionsvorteils gegenüber der wirklichen Lage objektiv verbessern. Daß der Täter u.U. einen anderen - nicht geltend gemachten Subventionsanspruch hat, ändert die Beurteilung nicht. Das Verfahren ist auch in diesem Fall durch sachwidrige Erwägungen belastet und das Rechtsgut abstrakt gefährdet, denn das Delikt ist kein Vermögensdelikt, bei dem es allein auf den letztlich maßgeblichen Vermögensstand ankommt. Vgl. auch BGHSt 34 S. 265 mit zust. Anm. ACHENBACH JR 1988 S. 251 ff, MEINE wistra 1988 S. 13 ff, und abl. Anm. LÜDERSSEN wistra 1988 S. 43 ff; BGHSt 36 S. 373; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 253 ff. - A A . OLG Karlsruhe NJW 1988 S. 1383; LACKNER StGB, § 264 Anm. 5 a; EBERLE Subventionsbetrug, S. 144 (: HACK Probleme des Tatbestands Subventionsbetrug, § 264 StGB, S. 106;

RANFT N J W 1986 S. 3166 f; SANNWALD Rechtsgut, S. 65; SCH/SCH/LENCKNER § 264 R d n . 47; TLEDEMANN LK, § 264 R d n . 67.

Da die Angaben für den Täter oder einen anderen vorteilhaft sein müssen, kann nicht nur der Begünstigte selbst Täter sein. - Macht jedoch ein Amtsträger, der auf der Seite des Subventionsgebers den Antrag zu prüfen hat, falsche Angaben, so kommt nur Teilnahme in Betracht, denn Abs. 1 Nr. 1 erfaßt ein Tatverhalten, das sich von außen gegen den Subventionsgeber richtet. Handlungen die intern dieses Verfahren fördern, z.B. unrichtige Prüfungsvermerke, sind nicht selbst "falsche Angaben", sondern unterstützen diese nur.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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A A . h.M. vgl. BGHSt 32 S. 203 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN NStZ 1985 S. 73, und abl. Anm. OTTO J R 1984 S. 475 ff; O L G H a m b u r g N S t Z 1984 S. 218; RANFT JUS 1986 S. 445 ff; WAGNER J Z 1987 S. 712.

- Distanzierend auch LACKNER StGB, § 264 Anm. 5 a.

b) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das vorsätzliche, sowie in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 das leichtfertige Verhalten, Abs. 3. 4. Besonders schwere Fälle Abs. 2 sieht eine Strafschärfung für besonders schwere Falle der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung gemäß Abs. 1 vor. Als Regelbeispiele sind genannt: Die Erlangung einer Subvention großen Ausmaßes, Handeln aus grobem Eigennutz oder unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege (Nr. 1), Mißbrauch der Stellung als Amtsträger (Nr. 2), Mithilfe eines Amtsträgers, der seine Befugnisse oder Stellung mißbraucht (Nr. 3). 5. Tätige Reue und Nebenstrafen Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 4, zu den Nebenstrafen Abs. 5. 6. Konkurrenzen a) Werden in einem auf rechtswidrige Erlangung einer Subvention gerichteten Verfahren zunächst Bescheinigungen i.S. des Abs. 1 Nr. 3 ausgestellt und später aufgrund ihrer Vorlage die Subvention geleistet, so liegt nur eine Tat nach Abs. 1 Nr. 1 vor. Hier erhält das in Abs. 1 Nr. 3 erfaßte Verhalten keine Eigenständigkeit. Anders hingegen, wenn der Täter bei Erlangung der Bescheinigung gutgläubig war oder ein Dritter die Bescheinigung erlangt hat. - Handelte der Täter bei der Erlangung der Bescheinigung leichtfertig, Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in Verb, mit Abs. 3, bei der Vorlage der Bescheinigung aber vorsätzlich, so erscheint eine Konsumtion des leichtfertigen Verhaltens durch die vorsätzliche Tat angemessen. b) Sind mehrere Alternativen des Tatbestandes erfüllt, so liegt dennoch nur ein Delikt gemäß § 264 vor. c) Nach dem in der Höhe des Strafmaßes zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers geht § 264 dem § 263 als Sonderregelung stets dann vor, wenn das Tatverhalten als vollendeter Subventionsbetrug zu bewerten ist. - Betrifft die Tathandlung eine Subvention, ohne daß § 264 vollendet wird, so wird die Strafbarkeit gemäß § 263 nicht ausgeschlossen. III. Kreditbetrug, § 265 b 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Funktionieren des Kreditwesens; daneben wird mittelbar auch das Vermögen geschützt. Vgl. dazu GEERDS FLF 1988 S. 96; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 232 ff; KlEßNER Kreditbetrug - § 265 b StGB, 1985, S. 55 f; LAMPE Der Kreditbetrug (§§ 263, 265 b StGB), 1980, S. 37 ff; SCH/SCH/LENCKNER § 265 b R d n . 3; TIEDEMANN LK, § 265 b R d n . 9. - V o r r a n g i g f ü r V e r mögensschutz: DREHER/TRÖNDLE § 265 b R d n . 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 R d n . 166; SAMSON SK, § 265 b R d n . 2.

Die Tat ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betruges.

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

2. Der relevante Kredit a) Relevant sind nur Kredite, die von einem Betrieb oder Unternehmen als Kreditgeber gewährt werden. Als Kreditnehmer muß gleichfalls ein Unternehmen auftreten, sei es auch nur, daß der Betrieb, das Unternehmen oder der Umfang eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs vorgetäuscht wird. b) Zum Begriff des Betriebs und Unternehmens sowie zum notwendigen Geschäftsumfang vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 HGB. - Zum Begriff des Kredits vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 2. Nicht erfaßt werden demnach von der Vorschrift Kredite an erst zu gründende Unternehmen (BayObLG wistra 1990 S. 237) sowie Kredite an Privatpersonen und Kredite von Privatpersonen. Hier sind lediglich §§ 263,266 einschlägig.

3. Die Tatbestandsvoraussetzungen a) Die maßgebliche Tatsituation Erforderlich ist, daß die einzelnen im Gesetz, Abs. 1 Nr. 1, 2 umschriebenen Täuschungshandlungen im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung eines Kredits vorgenommen werden. - Täuschungshandlungen im Vorfeld der Antragsstellung bleiben irrelevant, wenn es nicht zur Stellung eines Kreditantrages kommt. b) Tathandlungen sind: aa) Nach Abs. 1 Nr. 1: die Vorlage unrichtiger oder unvollständiger Unterlagen über die wirtschaftlichen Verhältnisse (Nr. 1 a) und die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger schriftlicher Angaben über wirtschaftliche Verhältnisse (Nr. 1 b), soweit diese für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Entscheidung über den Kreditantrag relevant sind, d.h. die Kreditgrundlage für den Kreditnehmer positiver erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit ist. - Wirtschaftliche Verhältnisse sind Umstände, die für die Sicherheit des Kredits von Belang sein können. - Vorgelegt sind die Unterlagen, wenn sie im Machtbereich des Kreditgebers eingegangen sind. - Vorteilhaft sind die Angaben, soweit sie geeignet sind, die Aussichten des konkreten Kreditantrags zu verbessern. bb) Nach Abs. 1 Nr. 2: die Verletzung der Offenbarungspflicht über Verschlechterungen der in den Unterlagen oder Angaben dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse. - Der Gesetzgeber berücksichtigt hier, daß bei der Gewährung von Krediten oftmals Unterlagen, z.B. Jahresabschlußbilanzen o.ä. vorgelegt werden, die für einen zurückliegenden Zeitpunkt erstellt wurden, so daß sie eine inzwischen eingetretene Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage noch nicht erfassen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Vorlage des Antrages. Das Verschweigen späterer Verschlechterungen, z.B. in der Zeit zwischen der Entscheidung über den Antrag und der Kreditgewährung, ist nicht tatbestandsmäßig, auch wenn damit eine kaum zu begründende Strafbarkeitslücke vorliegt. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit aber eindeutig. S o auch: LACKNER S t G B , § 265 b A n m . 3 b; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 5 b R d n . 47. - AA. MANN LK, § 265 b R d n . 74.

TLEDE-

Täter des Unterlassungsdelikts nach Abs. 1 Nr. 2 ist, wer die Unterlagen vorlegt oder die Angaben macht. Es handelt sich um ein Sonderdelikt, dessen Begehung durch andere Personen nur gemäß § 14 möglich ist; dazu vgl. TIEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 75.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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c) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz, einschließlich des bedingten Vorsatzes. 4. Zur Tätigen Reue vgl. § 265 b Abs. 2. J. Konkurrenzen Mit Betrug ist aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz möglich. Vgl. dazu BERZ BB 1976 S. 1435 ff; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 242 f; OTTO Jura 1983 S. 23; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 b R d n . 89. - A . A . B G H S t 3 6 S . 130 m i t A n m . KINDHÄUSER J R 1990 S . 5 2 0 ff;

HEINZ GA 1977 S. 226; LACKNER LK, § 263 Rdn. 331: § 265 b ist subsidiär gegenüber § 263.

IV. Kapitalanlagebetrug, § 264 a 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechtsgut Mit dem Tatbestand des Kapitalanlagebetruges wollte der Gesetzgeber auf dem Gebiete der Kapitalanlagen den nach seiner Auffassung durch das zuvor geltende Recht nicht ausreichend gewährten, jedoch dringend notwendigen Strafrechtsschutz bieten. Er machte die Strafbarkeit nicht vom Eintritt eines Vermögensschadens abhängig, und die Tathandlung muß nicht notwendig auf eine Vermögensschädigung im Sinne des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs abzielen. Auch Verhaltensweisen, die auf Vorspiegelung von Gewinnen gerichtet sind, fallen unter den Tatbestand, d.h. dieser erfaßt Verhaltensweisen, die auf Vermögensschädigung, aber auch zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichtet sind. Es handelt sich bei dem Tatbestand daher um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das das Vertrauen der Allgemeinheit in das Funktionieren des Kapitalmarktes schützen soll. Vgl. auch: BT-Drucks. 10/318, S. 22; CERNY MDR 1987 S. 272; DREHER/TRÖNDLE § 264 a Rdn. 4; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 204 ff; GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 6; JAUTH DünnebierF e s t s c h r i f t , S . 607; KNAUTH N J W 1987 S. 28; LACKNER S t G B , § 2 6 4 a A n m . 1; MÖHRENSCH LAGER wis t r a 1 9 8 2 S. 205; O T T O W M 1988 S . 736; TIEDEMANN J Z 1986 S. 872; W E B E R N S t Z 1986 S . 486. - A . A .

(Vermögensschutz): JOECKS wistra 1986 S. 143 f; SAMSON SK, § 264 a Rdn. 7; SCHLÜCHTER Zweites

Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 156; WORMS Anlegerschutz durch Strafrecht, 1987, S. 312 ff.

Dem auf Vermögensschädigung und zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichteten Tatverhalten kommt die Bedeutung eines Strafwürdigkeitselementes zu, daher bietet der Tatbestand sekundär auch individuellen Vermögensschutz, und zwar in umfassendem Sinne und nicht nur in dem durch den wirtschaftlichen Vermögensbegriff umrissenen. 2. Der sachliche Anwendungsbereich In § 264 a hat der Gesetzgeber nicht die unrichtige oder auf Täuschung beruhende Anlageberatung schlechthin unter Strafe gestellt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist vielmehr begrenzt auf Wertpapiere, Bezugsrechte und Anteile, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, § 264 a Abs. 1 Nr. 1, sowie auf Anteile an einem Vermögen, daß ein Unternehmen im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung verwaltet, § 264 a Abs. 2.

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

a) Als Anteil der eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren soll, ist jede Form der Beteiligung an einem Unternehmen zu verstehen, bei der der Anleger entweder selbst einen Gesellschaftsanteil an dem Unternehmen erwirbt oder in eine sonstige - unmittelbare - Rechtsbeziehung zu dem Unternehmen tritt, die ihm eine Beteiligung an dem Ergebnis dieses Unternehmens verschafft, z.B. Anteile an Kapitalgesellschaften, Gesellschaftsanteile an Personengesellschaften, Beteiligungen als stiller Gesellschafter oder in Form eines partiarischen Darlehens. - Oftmals wird der Tatbestand zugleich in der Alternative des Erwerbs von Wertpapieren verwirklicht sein, da insoweit Überschneidungen möglich sind. Im einzelnen dazu OTTO WM 1988 S. 737 m.w.N. Nicht anwendbar ist § 264 a hingegen auf sog. Bauherrn-, Bauträger- und Erwerbermodelle, soweit diese auf die Verschaffung von individuellem Wohnungseigentum abzielen. Sie gewähren keine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens, und zwar selbst dann nicht, wenn man die neben dem Sondereigentum an der Wohnung entstehende Miteigentümergemeinschaft an den übrigen Gebäudeteilen und dem Grundstück in die Betrachtung miteinbezieht. Hier handelt es sich, genau wie bei sog. Mietpools, um Verwaltungs- bzw. Risikogemeinschaften, die neben dem eigentlichen Anlagezweck bestehen und ihn unterstützen, das Anlageobjekt selbst aber nicht berühren. Vgl. auch: GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 6; JOECKS wistra 1986 S. 144; KALIGIN W P g 1987 S. 357; OTTO W M 1988 S. 737; WORMS Anlegerschutz, S. 318; DERS. wistra 1987 S. 246. - A A RICHTER

wistra 1987 S. 118; SCHMIDT-LADEMANN WM 1986 S. 1242; beim Mietpool: FLANDERKA/HEYDEL wistra 1990 S. 256 ff.

b) Wertpapiere sind Urkunden, die ein Recht in der Weise verbriefen, daß es ohne die Urkunde nicht geltend gemacht werden kann. In Betracht kommen Aktien, Industrieobligationen, öffentliche Anleihen, Pfandbriefe, Investmentzertifikate u.ä. c) Bezugsrechte sind den Anteilen und Wertpapieren gleichgestellt, da sie, auch wenn sie nicht verbrieft sind - z.B. als Recht der Aktionäre einer AG oder einer KGaA bei einer Kapitalerhöhung einen ihrem Anteil an dem bisherigen Grundkapital entsprechenden Teil neuer Aktien zugeteilt zu bekommen diesen in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung durchaus entsprechen können. d) § 264 a Abs. 2 erstreckt die Strafbarkeit auf Treuhandbeteiligungen in Form der "echten" Treuhand, d.h. auf Anteile an einem Treuhandvermögen, das ein Unternehmen im eigenen Namen für Rechnung der Anleger verwaltet. In Betracht kommen Treuhandbeteiligungen an Abschreibungsgesellschaften, wenn anstelle des Anlegers der Treuhänder Gesellschafter wird, an Reedereien, Immobilienfonds und sonstigen Fonds. Vgl. auch. BT-Drucks. 10/318, S. 22 f; JOECKS wistra 1986 S. 144; LACKNER StGB, § 264 a Rdn. 2 b; MÖHRENSCHLAGER wistra 1982 S. 206; OTTO W M 1988 S. 737; WORMS Anlegerschutz, S. 320 f.

3. Die Tathandlung Die Tathandlung besteht in der Täuschung der präsumtiven Anleger durch unrichtige vorteilhafte Angaben oder durch Verschweigen nachteiliger Tatsachen, die für die Anlageentscheidung erheblich sind, a) Unrichtige vorteilhafte Angaben Der Begriff der Angabe entspricht dem der Tatsache; dazu vgl. § 51 III 1. Auch Bewertungen und Prognosen fallen daher unter den Begriff der Angaben, soweit sie nicht erkennbar als bloße Meinungsäußerung oder Werturteil ohne jeglichen Tatsachenkern abgegeben werden.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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Unrichtig ist die Angabe, wenn sie nicht der Wahrheit entspricht, d.h. "wenn mit ihr nicht vorhandene Umstände als vorhanden oder vorhandene Umstände als nicht vorhanden bezeichnet werden"; BT-Drucks. 10/318, S. 24. Werturteile, Prognosen, Schätzungen und Beurteilungen sind allerdings nur dann als unrichtig anzusehen, wenn die Angaben evident unrichtig sind derart, daß nach einheitÜchem Konsens der einschlägigen Fachleute die vorgelegten Schlußfolgerungen oder Beurteilungen unvertretbar sind. Sind z.B. bei Renditeberechnungen verschiedene Methoden anerkannt, so kann nicht eine als die allein richtige angesehen werden. Der Rahmen der Vertretbarkeit ist hier vielmehr auch für die Richtigkeit maßgebend. Dazu vgl. auch: RGSt 49 S. 363; GROTHERR DB 1986 S. 2586; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; WORMS Anlegerschutz, S. 326.

Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie geeignet sind, die konkreten Aussichten für eine positive Anlageentscheidung zu verbessern. b) Verschweigen nachteiliger Tatsachen Das Verschweigen nachteiliger Tatsachen liegt in der Unterdrückung von Tatsachen, deren Kenntnis geeignet wäre, den eventuellen Interessenten von der Entscheidung für die Anlage abzuhalten. § 264 a begründet die Pflicht, nachteilige Tatsachen zu offenbaren. In dieser Alternative handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt.

c) Die Erheblichkeit der unrichtigen vorteilhaften Angaben oder der verschwiegenen nachteiligen Tatsachen. Nur dann sind die Angaben oder Tatsachen tatbestandsmäßig, wenn sie sich auf Umstände beziehen, die für die Anlageentscheidung erheblich sind. Aufgrund der Schutzrichtung des § 264 a, den Kapitalanleger vor vermögensschädigenden und auf zweckverfehlten Mitteleinsatz abzielenden Angeboten zu schützen, sind erheblich solche Angaben und Tatsachen, die Wert, Chancen und Risiken der Kapitalanlage berühren. Als Maßstab bietet sich hier die Entscheidung eines verständigen durchschnittlich vorsichtigen Anlegers an. Vgl. dazu auch: BT-Drucks. 10/318, S. 24; BGHSt 30 S. 285; GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 7; JOECKS D e r Kapitalanlagebetrug, 1987, Tz. 59,129.

Unrichtige Angaben, soweit es sich nicht um Bagatellunrichtigkeiten oder entscheidungsirrelevante Angaben handelt, werden im Regelfall erheblich sein, da gerade die Unrichtigkeit der Angabe die Anlageentscheidung beeinflussen soll. Schwieriger stellt sich die Beurteilung beim Verschweigen von Tatsachen, da hier eine Gesamtwürdigung der Umstände der Aussage, insbes. ein Vergleich der gemachten Angaben im Verhältnis zur Risiko- und Chancenlage der Anlage nötig wird. Auch hier sind die Anforderungen an die Erheblichkeit der Tatsachen jedoch hinreichend bestimmt, wenn streng darauf gesehen wird, daß es sich bei den verschwiegenen Tatsachen um Angaben handeln muß, die Wert, Chancen oder Risiken der Kapitalanlage berühren, so daß durch ihr Verschweigen die Gefahr der Vermögensschädigung oder des 2weckverfehlten Mitteleinsatzes begründet wird. Vgl. auch: D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 213 ff; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; LACKNER StGB, § 264 a A n m . 4 b ; TLEDEMANN J Z 1986 S. 873; WORMS wistra 1987 S. 273. - Krit. WEBER N S t Z 1986

S. 485. Zur indiziellen Bedeutung der im Zivilrecht entwickelten Grundsätze der Prospekthaftung und der sog. Kapitalanlage-Checklisten vgl. BT-Drucks. 10/5058 S. 31; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht,

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

S. 228 f; GROTHERR DB 1986 S. 2588; JoECKS Kapitalanlagebetrug, Tz. 143 ff, 169 fT; LACKNER StGB, § 264 a Anm. 4 b; OTTO WM 1988 S. 738; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 139 f; WORMS wistra 1987 S. 273. - Krit. GALLANDI wistra 1987 S. 316 ff.

4. Tatmodalitäten a) Die Täuschung muß im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Anteilen im Sinne des § 264 a Abs. 1 Nr. 1 oder dem Angebot, die Einlage auf diese Anteile zu erhöhen, § 264 Abs. 1 Nr. 2, gegenüber einem größeren Kreis von Personen erfolgen. Vertrieb ist eine auf Absatz einer Vielzahl von Anteilen gerichtete Tätigkeit, die sich an den Markt wendet und zu dessen Täuschung führen kann, so z.B. Werbe- und Angebotsaktionen, nicht aber allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen; vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 24. Daß individuelle Angebote, insbes. also individuelle Anlageberatungen, nicht erfaßt werden, ergibt sich aus dem weiteren Erfordernis, daß die Tathandlung gegenüber einem größeren Kreis von Personen vorgenommen wird, d.h. gegenüber einer solch großen Zahl potentieller Anleger, daß deren Individualität gegenüber dem sie zu einem Kreis verbindenden potentiell gleichen Interesse an der Kapitalanlage zurücktritt; vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 23. Auch eine sukzessive, planmäßig an eine Vielzahl von Personen gerichtete Werbung, z.B. die systematische Werbung von Tür zu Tür, erfüllt den Tatbestand. Vgl. auch DREHER/TRÖNDLE § 264 a Rdn. 13; LACKNER StGB, § 264 a Anm. 3 c; SCH/SCH/CRAMER § 264 a Rdn. 33.

Das Angebot, die Einlage zu erhöhen, betrifft nur Personen, die schon Anteile im Sinne des § 264 a Abs. 1 Nr. 1 erworben haben. Tatbestandsmäßig ist auch hier nur eine neue Kapitalsammeimaßnahme, nicht aber ein individuelles Angebot. Mit dem Erfordernis des Zusammenhangs mit dem Vertrieb wird klargestellt, daß die Täuschungshandlung im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer bestimmten Vertriebsmaßnahme stehen muß, so daß allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen, insbes. die Informationstätigkeit von Wirtschaftsjournalisten, nicht ausreichen. b) Beschränkt ist die Tathandlung weiter auf Angaben in Prospekten oder in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand. Prospekte sind Werbe- oder Informationsschriften, die den Eindruck erwecken, die für die Beurteilung einer Anlageentscheidung erheblichen Angaben zu enthalten und die damit zugleich Grundlage für die Anlageentscheidung sein sollen. Erkennbar lükkenhafte Informationen, wie z.B. Werbezettel oder Inserate, genügen diesen Anforderungen nicht. Darstellungen sind Informationen, die den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. Sie können mündlich oder schriftlich, durch Ton- oder Bildträger gegeben werden. Übersichten über den Vermögensstand sind Vermögensübersichten, z.B. Bilanzen, die schriftlich gegeben werden und den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. 5. Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der neben der Tathandlung auch die Modalitäten der Tathandlungen umfassen muß; bedingter Vorsatz genügt.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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6. Täterschaft und Teilnahme Da es sich bei § 264 a nicht um ein Sonderdelikt handelt, kann Täter jeder sein, der die Tathandlung verwirklicht. Das bedeutet aufgrund der unterschiedlichen Tatmodalitäten: a) Bei der Täuschung durch Prospekte sind Täter die Personen, die für den Prospektinhalt verantwortlich sind, weil sie an der Konzeption mitgewirkt haben. Dieses können nicht nur die Emittenten, sondern auch Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sein, während Anlageberater und Anlagevermittler, die sich erkennbar der Prospekte anderer, die für den Inhalt verantwortlich sind, bedienen, nur als Teilnehmer in Betracht kommen. Vgl. auch: D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 213; SCHMIDT-LADEMANN WM 1986 S. 1242 f. AA. JOECKS Kapitalanlagebetrug, Tz. 220; WORMS wistra 1987 S. 274.

b) Bei der Täuschung durch Darstellungen und Übersichten sind gleichfalls Täter die für den Inhalt dieses Informationsmaterials verantwortlichen Personen. Hier kommt jedoch auch eine täterschaftliche Haftung von Anlageberatem und Anlagevermittlern in Betracht, wenn diese sich dieser Darstellung und Übersichten bedienen, ohne deutlich erkennbar zu machen, daß sie lediglich Informationen, für deren Inhalt andere verantwortlich sind, weitergeben. 7. Tätige Reue, § 264 a Abs. 3 Der modernen Gesetzestechnik bei den abstrakten Gefährdungsdelikten folgend, sieht § 264 a Abs. 3 für den Täter nach formeller Tatverwirklichung, aber vor materieller Tatbeendigung eine strafbefreiende Rücktrittsmöglichkeit vor. Straffreiheit erlangt der Täter, der nach formeller Vollendung der Tat, aber vor Erbringung der Leistung entweder die Leistung freiwillig verhindert oder sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemüht, falls die Leistung ohne sein Zutun nicht erbracht wird. - Straffrei wird der Täter allerdings auch dann, wenn der Anleger die Leistung erbringt, obwohl er vorher vom Täter über den unrichtigen Sachverhalt aufgeklärt worden ist. Ist jedoch im Zeitpunkt der Rücktrittshandlung ein Betrug, § 263 StGB, bereits als Eingehungsbetrug vollendet, so erstreckt sich die Straffreiheit nicht auf ihn. Vgl. auch: LACKNER StGB, § 264 a Anm. 6; RICHTER wistra 1987 S. 120, Fn. 47; WORMS wistra 1987

S. 275. - A.A. JOECKS Kapitalanlagebetrug, Tz. 266.

8. Konkurrenzen Aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter konkurrieren §§ 263, 266 sowie § 264 a idealiter, § 52. Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 231 f; KALIGIN WPg 1987 S. 364, RICHTER wistra 1987 S. 120; SCH/SCH/CRAMER § 264 a R d n . 41. - A.A. (Subsidiarität des § 264 a): DREHER/TRÖNDLE

§ 264 a Rdn. 3; LACKNER StGB, § 264 a Rdn. 7 in Verb, mit § 265 b Rdn. 6, sowie diejenigen, die bei § 264 a allein das Vermögen als geschütztes Rechtsgut ansehen.

Idealkonkurrenz ist weiter möglich mit §§ 88, 89 BörsG. Vgl. LACKNER StGB, § 264 a Anm. 7. - A A . für § 88 (Subsidiarität des § 88): DREHER/TRÖNDLE § 264 a R d n . 18; SCH/SCH/CRAMER § 264 a R d n . 41.

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Gegenüber § 4 UWG ist § 264 a die lex specialis. Vgl. dazu OTTO W M 1988 S. 739, RICHTER wistra 1987 S. 120. - A A . (Idealkonkurrenzen): JOECKS

Kapitalanlagebetrug, Tz. 269; LACKNER StGB, § 264 a Anm. 7; WORMS wistra 1987 S. 275.

V. Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 1, 3 1. Das geschützte Rechtsgut Die Tatbestände schützen das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung. 2. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 1, 4 a) Die Täterposition Täter kann nur der Arbeitgeber oder eine ihm gleichgestellte Person sein. Die Täterposition ist kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1; vgl. dazu § 54 IV 2 a. Da § 266 a Abs. 1 an die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers anknüpft, ist der Begriff des Arbeitgebers hier nach den im Sozialrecht geltenden Grundsätzen zu bestimmen. Danach sind neben dem zivilrechtlichen Arbeitgeber dazu vgl. § 54 IV 2 b - auch die Personen als Arbeitgeber erfaßt, die die tatsächliche Stellung des Arbeitgebers einnehmen, sich aber z.B. eines Strohmannes bedienen dazu BGH GA 1955 S. 81 - oder als Verleiher oder Entleiher beim illegalen Verleih von Arbeitnehmern tätig werden. - Täter können weiter die in § 14 genannten Vertreter und Organe sein. - Die nach Abs. 4 dem Arbeitgeber gleichgestellten Personen sind in § 12 SGBIV näher beschrieben. b) Die Tathandlung Beiträge des Arbeitnehmers sind die nach dem Arbeitsentgelt gemäß § 14 SGB IV zu berechnenden, auf ihn entfallenden Beitragsteile, die aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für die Sozialversicherung (Kranken- und Rentenversicherung) und für die Bundesanstalt für Arbeit zu entrichten sind. Sie sind Bestandteile des Bruttolohns, auch wenn sich der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer zur alleinigen Tragung der Beiträge verpflichtet hat oder wenn die Beteiligten vereinbart haben, keine Sozialbeiträge abzuführen (sog. Nettolohnabrede). - Nicht erfaßt werden die in den Beiträgen enthaltenen Arbeitgeberbeiträge, und zwar auch dann nicht, wenn das Gesetz die Arbeitnehmeranteile auf den Arbeitgeber abgewälzt hat; vgl. z.B. § 381 Abs. 1 RVO. Dazu vgl. LACKNER StGB, § 266 a Anm. 3 a; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 168; SCH/SCH/ LENCKNER § 266 a Rdn. 4.

Vorenthalten sind die Beiträge, wenn sie nicht spätestens am Fälligkeitstage an die Einzugsstelle abgeführt worden sind; zum Fälligkeitszeitpunkt vgl. § 23 I SGB IV. Die Absicht, die Beiträge auf Dauer zu behalten, ist nicht erforderlich; BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 1066 f. - Vorausgesetzt wird, daß dem Täter die Zahlung möglich und zumutbar ist, doch werden ihm solche Verhaltensweisen zugerechnet, mit denen er seine Handlungspflicht schuldhaft unmöglich oder ihre Erfüllung unzumutbar gemacht hat. D a z u vgl. LACKNER StGB, § 266 a Anm. 3 b, cc; SCH/SCH/LENCKNER § 266 a Rdn. 10.

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3. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 3 a) Die Täterposition Täter kann nur ein Mitglied einer Ersatzkasse sein, d.h. eine Person, die von der Mitgliedschaft einer Pflichtkrankenkasse befreit und nach § 504 ff RVO in eine Ersatzkasse aufgenommen worden ist. b) Die Tathandlung Zu den relevanten Beiträgen und zum Vorenthalten, vgl. 2 b. Die Beiträge sind vom Arbeitgeber erhalten, wenn sie von diesem oder auf dessen Veranlassung unter Kennzeichnung ihrer Zweckbestimmung dem Vermögen des Täters zugeführt worden sind. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt; im einzelnen dazu vgl. § 54IV 4. 5. Absehen von Strafe und Straffreiheit, Abs. 5 a) Absehen von Strafe Abs. 5 S. 1 eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn der Täter rechtzeitig - spätestens im Fälligkeitszeitpunkt oder unverzüglich danach, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden - schriftlich mitteilt, in welcher Höhe er Beiträge vorenthalten hat, und welche Gründe zur Unmöglichkeit der fristgerechten Zahlung geführt haben, obwohl er sich ernsthaft um die Zahlung bemüht hat. - Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn das Vorbringen des Täters die eingetretene und von ihm nur als vorübergehend beurteilte Leistungsunfähigkeit verständlich macht. D a z u vgl. B T - D r u c k s . 1 0 / 3 1 8 , S. 31; LACKNER S t G B , § 2 6 6 a A n m . 7 a ; WINKELBAUER w i s t r a 1988 5 . 17.

b) Straffreiheit Straffreiheit tritt über Abs. 5 S. 1 hinaus zwingend ein, wenn nach Erfüllung der Voraussetzungen des S. 1 die Beiträge innerhalb einer von der Einzugsstelle gesetzten Frist nachentrichtet werden, Abs. 5 S. 2. - Solange die Frist läuft, ist die staatliche Strafbefugnis auflösend bedingt; vgl. BGHSt 7 S. 341. 6. Konkurrenzen Wenn die Tathandlung auch den Tatbestand des Betrugs erfüllt, ist - je nach den Tatumständen- Real- oder Idealkonkurrenz möglich, da die beiden Tatbestände verschiedene Rechtsgüter schützen. V g l . a u c h : D R E H E R / T R O N D L E § 266 a R d n . 23; SCHLÜCHTER Z w e i t e s G e s e t z , S. 171. - A A .

(Konsumtion des § 266 a durch § 263): LACKNER StGB, § 266 a Anm. 8; MARTENS wistra 1986 S. 158.

VI. Konkursdelikte, §§ 283 - 283 d Geschützte Rechtsgüter der Konkursdelikte sind die Vermögensinteressen der Gläubiger und die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft.

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Vgl. DREHER/TRÖNDLE V o r § 283 R d n . 3; D . GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 357 ff; LACKNER

StGB, § 283 Anm. 1; TLEDEMANN ZRP 1983 S. 520. - A A (ausschließlich Vermögensinteressen): MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 48 R d n . 8.

Die Taten sind abstrakte Gefährdungsdelikte. Wird hingegen nicht die Tathandlung, sondern die Tatsituation zum Ausgangspunkt der Bestimmung des Delikts genommen, so ist die Kennzeichnung der Delikte als abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte durchaus konsequent; dazu TlEDEMANN NJW 1977 S. 780 f.

1. Bankrott, § 283 a) Angriffsobjekt und Tatzeit Angriffsobjekt ist der Anspruch des Gläubigers auf adäquate, d.h. der Rangordnung und Mehrheit der Gläubiger entsprechende Befriedigung. - Strafbar sind einzelne Bankrotthandlungen, wenn sie im Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Krise vorgenommen werden und - objektive Bedingung der Strafbarkeit - der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist. Krisensituationen sind die Überschuldung, die drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit. aa) Die Feststellung der Überschuldung setzt die Erstellung eines Vermögensstatus voraus, der auf der Aktiv- und Passivseite die wirklichen Werte zeitnah erfaßt. Überschuldung liegt dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, d.h. wenn die Passiva gegenüber den Aktiva überwiegen. Vgl. BGH wistra 1987 S. 28; BGH(Z) NJW 1987 S. 2433.

Streitig ist jedoch die Bewertung der Vermögenswerte. - Nach wie vor wird in der strafrechtlichen Literatur die Auffassung vertreten, die Bewertung habe nach sog. Liquidationswerten (Zerschlagungswerten) zu erfolgen; vgl. F R A N Z H E I M wistra 1984 S. 2 1 2 ff. In der insolvenzrechtlichen Literatur ist dieser Standpunkt heute überwunden. Unter dem Einfluß entsprechender betriebswirtschaftlicher Lehren wird die nach den Liquidationswerten ermittelte Überschuldung nur als rechnerische Überschuldung bezeichnet, sodann aber wird differenziert: Die sog. Zwei-Stufen-Theorie geht von den Liquidationswerten aus und korrigiert diese Werte anhand einer Fortbestehensprognose unter Berücksichtigung der Ertrags- und Lebensfähigkeit des Unternehmens (sog. Fortführungswerte, goingconcern-Werte). Erst wenn auch nach Ansatz dieser Werte die Überschuldung nicht beseitigt ist, soll eine Insolvenz im Rechtssinne vorliegen. Vgl. BGH(Z) NJW 1987 S. 2433; MENTZEL-KUHN-UHLENBRUCK, Kommentar zur KO, 10. Aufl. 1986, § 207 Rdn. 7; SCHLÜCHTER wistra 1984 S. 41 ff; WEBER in: Jaeger, KO, 8. Aufl. 1958/73, §§ 207, 208 Rdn. 20.

Eine andere Meinung geht demgegenüber davon aus, daß eine Insolvenz abzulehnen ist, wenn bei Vorliegen einer rechnerischen Überschuldung eine fundiert und sachverständig erstellte Fortbestehungsprognose zu dem Ergebnis führt, daß ein Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Vgl. KILGER K O , 15. Aull. 1987, § 102, A n m . 2 b; K. SCHMIDT J Z 1982 S. 165 ff; SCHULZE-OSTER-

LOH in: Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 15. Aufl. 1988, § 63 Rdn. 8.

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Auf diesem Wege läßt sich allerdings nur die Überschuldung eines Unternehmens im weitesten Sinne feststellen. Das ist auch sachgerecht, denn bei natürlichen Personen bedeutet die rechnerisch feststellbare Überschuldung im Regelfall keineswegs eine Gefährdung der Gläubigerinteressen. Die verfassungskonforme Auslegung gebietet daher, Überschuldung nur in den Fällen als Krisensituation anzuerkennen, in denen sie auch Konkursgrund nach dem Konkursrecht ist. Hingehend dazu OTTO Bruns-Gedächtnisschrift, S. 273 ff.

bb) Zahlungsunfähigkeit wird definiert als das nach außen in Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des Täters, seine fälligen Geldschulden im wesentlichen zu erfüllen. Vgl. dazu BGH StV 1987 S. 343; BayObLG wistra 1988 S. 363; OLG(Z) Düsseldorf NJW 1988 S . 3 1 6 6 ; D R E H E R / T R Ö N D L E V o r § 2 8 3 R d n . 10; LACKNER S t G B , § 2 8 3 A n m . 3 b ; SCHLÜCHTER M D R

1978 S. 267. - Im einzelnen zum dauernden Unvermögen des Schuldners und zur wesentlichen Unterdekkung: OTTO Bruns-Gedächtnisschrift, S. 277 f.

cc) Zahlungsunfähigkeit droht, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Wahrscheinlichkeit ihres nahen Eintritts besteht. Dazu BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 1067; DREHER/TRÖNDLE Vor § 283 Rdn. 11; LACKNER StGB, § 2 8 3 A n m . 3 c; OTTO B r u n s - G e d ä c h t n i s s c h r i f t , S. 2 7 8 ff; WESSELS B . T . - 2 , § 1 2 III 3. - Z u d e n b e t r i e b s -

wirtschaftlichen Methoden der hier nötigen Feststellung: BORUP wistra 1988 S. 88 ff; HOFFMANN DB 1980 S. 1527 f; SCHLÜCHTER Der Grenzbereich zwischen Bankrottdelikten und unternehmerischen Fehlentscheidungen, 1977, S. 80 ff.

b) Täter Täter des Bankrotts können nur Schuldner sein. Die Schuldnereigenschaft ist besonderes pflichtbegründendes Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. Str., w i e hier: D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 8 3 R d n . 38; RENKL J u S 1 9 7 3 S. 6 1 4 ; SAMSON S K , § 2 8 3 R d n . 28; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 R d n . 2 2 1 . - A A LACKNER S t G B , § 2 8 3 A n m . 7; VORMBAUM G A 1 9 8 1 S . 133;

WEBER in: Arzt/Weber, L H 4, Rdn. 348.

Die Schuldnereigenschaft ist zugleich besonders persönliches Merkmal i.S. des § 14, mit der Konsequenz, daß auch die dort genannten Organe und Vertreter Täter sein können. Bei den vertretungsberechtigten Organen der GmbH, d.h. bei ihren Geschäftsführern, schränkt der BGH den Täterkreis jedoch wesentlich ein. Er vertritt die Auffassung, daß als Täter gemäß § 283 nur bestraft werden kann, wer die Tathandlung für die GmbH und wenigstens auch in ihrem Interesse vorgenommen hat. Bei einem ausschließlich eigennützigen Verhalten des Täters ist dies nicht der Fall; BGHSt 28 S. 371; 30 S. 127; BGH NStZ 1984 S. 119. Diese Interessentheorie ist in der Literatur vielfältig auf Kritik gestoßen - vgl. z.B. ARLOTH NStZ 1 9 9 0 S. 5 7 2 ff; GÖSSEL J R 1 9 8 8 S. 2 5 6 ff; LABSCH JUS 1 9 8 5 S. 6 0 2 ff; SCHÄFER w i s t r a 1 9 9 0 S. 8 5 -; a u c h

der BGH hat ihre Berechtigung in einer neueren Entscheidung, BGH wistra 1990 S. 99, offengelassen und zuvor bereits die Anwendung der Theorie auf den Geschäftsführer einer KG abgelehnt; vgl. BGH S t V 1 9 8 8 S. 1 4 m i t A n m . WEBER S. 16 ff, u n d WINKELBAUER J R 1 9 8 8 S. 3 3 ff.

Dieser Kritik ist zuzustimmen, denn der Geschäftsführer der GmbH, der rechtswirksam über Vermögen der GmbH verfügt, handelt in seiner Eigenschaft als Organ der GmbH.

c) Die einzelnen Tathandlungen aa) Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1: Verringerung der Konkursmasse durch Beiseiteschaffen, Verheimlichen oder entgegen ordnungsgemäßer Wirtschaft Zerstören, Beschädigen oder Unbrauchbarmachen von Vermögensbestandteilen, die im Falle der Konkurseröffnung zur Konkursmasse gehören würden.

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Beiseiteschaffen ist das Verbringen von Vermögensbestandteilen in eine tatsächliche oder rechtliche Lage, in der den Gläubigern der Zugriff unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird, ohne daß dies im Rahmen der ordnungsgemäßen Wirtschaft liegt. Beispiele: Veräußerung, ohne daß der Masse Gegenwerte zufließen; Scheinveräußerung oder -belastung; Verbrauch von Summen, die über den angemessenen Lebensunterhalt hinausgehen (BGH JR 1982 S. 29 mit Anm. SCHLÜCHTER S. 29 ff); Überweisung von Geld auf Konten Dritter (BGH StV 1988 S. 14).

Verheimlichen ist das Verschleiern der Massezugehörigkeit. - Zum Zerstören und Beschädigen vgl. oben § 47 I 2. Unbrauchbarmachen ist die Funktionsstörung oder Vernichtung ohne Substanzänderung. Abs. 1 Nr. 2: Das Eingehen bestimmter Risikogeschäfte. Verlustgeschäfte sind Geschäfte, die von vornherein auf einen Vermögensverlust angelegt sind. - Spekulationsgeschäfte beziehen sich auf besonders hohe Risikochancen. - Differenzgeschäfte sind Geschäfte, bei denen es dem Täter um die Differenz zwischen dem An- und Verkaufspreis geht, nicht aber um den Erwerb der Ware (z. B. Warenterminoptionsgeschäfte). - Unwirtschaftliche Ausgaben sind Ausgaben des Schuldners, die zu seinem Gesamtvermögen in keinem angemessenen Verhältnis stehen; dazu BT-Drucks. 7/3441, S. 34. Abs. 1 Nr. 3: Veräußerung und sonstiges Abgeben von Wertpapieren oder Waren sowie den aus diesen Waren hergestellten Sachen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Kredits erlangt wurden, erheblich unter ihrem Wert in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise. Abs. 1 Nr. 4: Vortäuschung oder Anerkennung erdichteter Rechte anderer. Abs. 1 Nr. 5: Verletzung der Pflicht, Handelsbücher in bestimmter Weise zu führen. Abs. 1 Nr. 6: Beiseiteschaffen, Verheimlichen, Zerstören und Beschädigen von Handelsbüchern und sonstigen Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann nach Handelsrecht verpflichtet ist. Abs. 1 Nr. 7: Erstellen falscher Bilanzen. Abs. 1 Nr. 8: In einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen Vermögensstand verringern oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlichen oder verschleiern, bb) Abs. 2 Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit über die in der Krise begangenen Handlungen auf jene Bankrotthandlungen aus, die erst die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, d.h. die Krise, herbeiführen. d) Subjektive Voraussetzungen aa) Strafbar gemäß Abs. 1 und Abs. 2 ist zunächst die vorsätzliche Verwirklichung des Tatbestandes. Der Vorsatz muß sich auch auf die Krisensituation beziehen. bb) Gemäß Abs. 4 ist strafbar, wer die Bankrotthandlung vorsätzlich begeht, das Vorhandensein der Krise jedoch fahrlässig nicht kennt oder die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit leichtfertig herbeiführt.

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cc) Gemäß Abs. 5 ist strafbar, wer bestimmte Bankrotthandlungen (Abs. 1 Nr. 2, 5, 7, Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2, 5, 7) fahrlässig begeht und das Vorhandensein der Krise wenigstens fahrlässig nicht kennt, bzw. die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit wenigstens leichtfertig herbeiführt. e) Strafbarkeitsvoraussetzung Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen Fällen der Eintritt der Zahlungseinstellung, die Konkurseröffnung oder die Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse beim Schuldner. - Die systematische Auslegung des § 283 Abs. 6 ergibt, daß mit dem dort genannten Begriff 'Täter" der "Schuldner" gemeint ist. V g l . LACKNER, S t G B , § 2 8 3 A N M . 8; TIEDEMANN N J W 1 9 7 7 S . 7 8 0 . Krit. LABSCH w i s t r a 1 9 8 5 S . 4.

Zahlungseinstellung liegt vor, wenn ein Schuldner wegen eines wirklichen oder angeblichen nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nach außen nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Geldzahlungen zu erfüllen. Die Konkurseröffnung bzw. die Ablehnung der Eröffnung (§§ 105, 107 KO) erfolgt durch Beschluß des Amtsgerichts. Maßgebender Zeitpunkt ist der der Rechtskraft des Beschlusses. f) Der Zusammenhang zwischen Krisensituation und objektiver Bedingung der Strafbarkeit Auch wenn die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit nicht vom Vorsatz und von der Fahrlässigkeit umfaßt sein müssen, so stehen sie doch nicht ohne inneren Zusammenhang zu den anderen Tatbestandsmerkmalen. - Die h.M. fordert eine "tatsächliche Beziehung" zwischen der Bankrotthandlung und dem Bankrott. Dieser Zusammenhang ist jedoch zu ungenau. Es kommt vielmehr darauf an, daß sich im Eintritt der Strafbarkeitsbedingung jene Gefahr realisiert hat, die in der Krisensituation ihren Ausdruck fand. Dazu eingehend: OTTO Bruns-Gedächtnisschrift, S. 281 ff; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 88 ff m.w.N.

g) Versuch und Konkurrenzen Der Versuch ist nur in den Fällen der Verwirklichung der Absätze 1, 2 strafbar; Abs. 3. Mehrere Bankrotthandlungen innerhalb einer Krise, die zum Bankrott geführt haben, sind als eine Handlungseinheit aufzufassen. Str., die Rechtsprechung neigt zur Tatmehrheit, soweit nicht die einzelnen Bankrotthandlungen selbst durch eine einheitliche Handlung begangen wurden; BGH GA 1978 S. 185; BGH NJW 1955 S. 394.

2. Besonders schwere Fälle des Bankrotts, § 283 a § 283 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit zwei Regelbeispielen (Gewinnsucht und wirtschaftliche Gefährdung einer größeren Zahl von Personen). Zur Gewinnsucht vgl. unten § 65 VI 4. 3. Verletzung der Buchfiihrungspflicht, § 283 b a) § 283 b Abs. 1 Nr. 1-3 stellt die vorsätzliche, außerhalb der Krisenzeit (sonst greift § 283 Abs. 1 Nr. 5, 6, 7 ein) begangene Verletzung bestimmter handelsrechtlicher Buchführungspflichten unter Strafe.

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b) Gemäß § 283 b Abs. 2 ist in den Fällen des § 283 b Abs. 1 Nr. 1 und 3 auch die fahrlässige Tatbegehung strafbar. c) Auch hier ist Zahlungseinstellung, Konkurseröffnung oder Ablehnung des Antrags auf Konkurseröffnung objektive Bedingung der Strafbarkeit, vgl. Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6. Die Verletzung der Buchfiihrungspflicht muß symptomatischen Gehalt hinsichtlich ihrer gefährlichen Eignung zur Herbeiführung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs haben. Auch hier besteht daher ein Zusammenhang zwischen der objektiven Bedingung der Strafbarkeit und der Tathandlung, der strafrechtlich dahin relevant wird, daß der Ausschluß eines jeden Zusammenhangs zwischen dem Buchführungsmangel und dem Unternehmenszusammenbruch zur Straffreiheit fuhren muß. Vgl. BGHSt 28 S. 231; OLG Hamburg NJW 1987 S. 1342; TLEDEMANN LK, § 283 Rdn. 93. - A A . SCHÄFER wistra 1990 S. 87 f.

d) Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. oben 1 b. 4. Die Gläubigerbegünstigung, § 283 c a) Die Gläubigerbegünstigung ist ein privilegierter Fall des Bankrotts. - Bestraft wird der Schuldner, der in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit absichtlich oder wissentlich einen Gläubiger vor den übrigen Gläubigern begünstigt, indem er diesem aus seinem dem Konkurs unterliegenden Vermögen eine inkongruente Sicherung oder Befriedigung gewährt. Da das privilegierende Element in der Gläubigerstellung begründet ist, findet § 283 c und nicht § 283 Abs. 1 Nr. 1 Anwendung, wenn der Schuldner selbst oder der für ihn nach § 14 handelnde Titer Gläubiger ist. A A. B G H S t 34 S. 221 mit abl. A n m . WEBER StV 1988 S. 16 ff, u n d WINKELBAUER J R 1988 S. 3 3 ff.

b) Subjektiv erfordert der Tatbestand neben der sicheren Kenntnis der Zahlungseinstellung direkten Vorsatz in bezug auf den Begünstigungserfolg, während für die Tathandlung bereits bedingter Vorsatz genügt. D i f f e r e n z i e r e n d : DREHER/TRÖNDLB § 283 c R d n . 10; VORMBAUM G A 1 9 8 1 S . 121 f.

Handelt der Täter nur mit 1>edingtem Vorsatz bezüglich des Begünstigungserfolges, so bleibt er straffrei. Keineswegs ist in dieser Situation wiederum die Strafbarkeit aus dem Grundtatbestand des § 283 eröffnet, denn das verwirklichte Unrecht liegt im Schweregrad unter dem im privilegierten § 283 c erfaßten Unrecht.

c) Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. d) Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist auch hier: Zahlungseinstellung, Konkurseröffnung oder Ablehnung des Antrags auf Konkurseröffnung, Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6. Der Zusammenhang zwischen objektiver Bedingung der Strafbarkeit und Tathandlung liegt vor, wenn Objekte in der Situation dem zum Konkurs gehörenden Vermögen entzogen wurden, aus der sich die objektive Bedingung der Strafbarkeit entwickelt hat. e) Durch bloße Annahme der Begünstigung macht sich der begünstigte Gläubiger nicht wegen Beihilfe strafbar (notwendige Teilnahme). Strafbar ist jedoch die Anstiftung des Schuldners und die "rollenüberschreitende Beihilfe" zur Gläubigerbegünstigung. Dazu OTTO Länge-Festschrift, S. 214.

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5. Schuldnerbegünstigung, § 283 d a) Nach § 283 d Abs. 1 wird bestraft, wer Vermögensbestandteile eines anderen, die zur Masse gehören würden, mit dessen Einwilligung oder zu dessen Gunsten in einer bestimmten Krisenzeit beiseite schafft, verheimlicht oder in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht. Seinem Wortlaut nach eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, auch den Gläubiger wegen Schuldnerbegünstigung zu bestrafen, der sich in einvernehmlichem Zusammenwirken mit dem Schuldner Vermögensgegenstände zur Absicherung seiner Forderung verschafft. Auch dieser Täter schafft "Bestandteile" des Vermögens eines anderen, die im Falle der Konkurseröffnung zur Konkursmasse gehören, mit Einwilligung des Schuldners beiseite. Diese Auslegung widerspricht jedoch dem Sinngehalt des § 283 d. Die Vorschriften über die Konkursstraftaten begründen eine besondere strafrechtliche Verantwortlichkeit des Schuldners und der für ihn nach § 14 tätigen Personen. Zwischen ihm und den Konkursgläubigern besteht eine scharfe Trennung. Daher wäre es ein Widerspruch, wenn das Gesetz einen NichtSchuldner mit der hohen Strafdrohung der §§ 283 Abs. 1 Nr. 1, 283 d Abs. 1 belegte, wo es dem Schuldner die Privilegierung des § 283 c zugute kommen läßt. Von der Tatvariante des Beiseiteschaffens mit Einwilligung des Schuldners werden daher einvernehmlich zwischen Schuldner und Gläubiger vorgenommene Handlungen, wie sie in § 283 c näher unterschieden sind, nicht erfaßt. V g l . B G H S t 3 5 S. 3 5 7 mit A n m . OTTO JK 89, S t G B § 2 8 3 d / 1 ; TIEDEMANN LK, § 2 8 3 d R d n . 4; VORMBAUM G A 1 9 8 1 S . 130. - A A . DREHER/TRÖNDLE § 2 8 3 d R d n . 1.

Krisenzeiten sind hier die dem anderen drohende Zahlungsunfähigkeit, die Zeit nach Zahlungseinstellung, das Konkursverfahren, das gerichtliche Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses oder das Verfahren zur Herbeiführung der Entscheidung über die Eröffnung des Konkurs- oder gerichtlichen Vergleichsverfahrens eines anderen. b) Subjektiv erfordert die Tathandlung Kenntnis der einem anderen drohenden Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Nr. 1), d.h. direkten Vorsatz, im übrigen genügt bedingter Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. c) Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen (Gewinnsucht, wirtschaftliche Gefährdung einer größeren Anzahl von Personen). d) Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist auch hier, daß der andere seine Zahlungen eingestellt hat, über sein Vermögen der Konkurs eröffnet oder der Antrag auf Eröffnung mangels Masse abgewiesen worden ist, Abs. 4. Zum Zusammenhang zwischen Tathandlung und objektiver Bedingung der Strafbarkeit vgl. 4 d. e) Täter kann jeder außer dem Gemeinschuldner sein. - Die Schuldnerbegünstigung ist nicht etwa eine nur verselbständigte Teilnahme am Bankrott des Schuldners, sondern ein eigenständiges Delikt. Daraus folgt, daß Täterschaft gemäß § 283 d und Teilnahme an § 283 idealiter konkurrieren können und daß der begünstigte Schuldner Teilnehmer der Tat sein kann.

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VII. Wucher, § 302 a 1. Der Schutzbereich und das geschützte Rechtsgut § 302 a erfaßt die verschiedenen Formen des Individualwuchers. - Sozialwucher i.S. der Ausnutzung der Notlage der Allgemeinheit wird nach §§ 3-6 WiStG erfaßt. Durch wucherisches Verhalten, insbesondere wenn es quantitativ massiert auftritt, wird der Wirtschaftsverkehr schwer beeinträchtigt. - Geschütztes Rechtsgut ist daher das Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschaft, daneben wird auch das Vermögen geschützt. Die h.M. sieht nur das Vermögen als das geschützte Rechtsgut an; vgl. LACKNER StGB, § 302 a Anm. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, I 43 Rdn. 7; SICKENBERGER Wucher als Wirtschaftsstraftat, 1985 S. 57. Dieser Meinung ist zuzugestehen, daß der Tatbestand in seiner derzeitigen Auslegung durch die Rechtsprechung, insbesondere durch restriktive Interpretation des Merkmals der Unerfahrenheit, zu einem Delikt gegen das Vermögen von Personen in bestimmten Ausnahmesituationen geworden ist. Ihm kann auf diese Weise keine Bedeutung für die Wirtschaftsordnung zukommen.

2 Die Tathandlung Strafbar ist die Ausbeutung der Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) eines anderen dadurch, daß der Täter sich oder einem Dritten für die Gewährung oder Vermittlung einer Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung stehen. a) Vorausgesetzt wird ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, in dem einer Leistung gleich welcher Art eine Gegenleistung gegenübersteht. Mietwucher (Abs. 1 Nr. 1), Kreditwucher (Abs. 1 Nr. 2) und Vermittlungswucher (Abs. 1 Nr. 4) sind nur Beispielsfälle und nennen die kriminalpolitisch bedeutsamsten Fälle des Wuchers. b) Zwischen der angebotenen und der erbrachten Leistung und dem dem Täter oder einem Dritten versprochenen Vermögensvorteil besteht dann ein auffälliges Mißverhältnis, wenn dem Kundigen - sei es auch erst nach genauer Prüfung des Sachverhalts - ein unverhältnismäßiger Wertunterschied zwischen Leistung und Vorteil ins Auge springt. Zu vergleichen ist die Gesamtheit der Leistungen mit den dem Täter oder dem Dritten zugeflossenen oder versprochenen Vermögensvorteilen. Vorteile, die das Tatopfer aus der Verwertung oder Nutzung der Leistung des Täters zieht, bleiben hingegen beim Leistungsvergleich unberücksichtigt. Bei kombinierten Geschäften unter den Beteiligten sind die Gesamtleistungen und die Gesamtvorteile zu vergleichen. Vgl. auch: DREHER/TRÖNDLE § 302 a Rdn. 22. - AA. OLG Karlsruhe JR 1985 S. 167 mit abl. Anm. OTTOS. 169 f.

aa) Beim Mietwucher ist der Beurteilung in Anlehnung an § 5 WiStG die ortsübliche Miete zugrunde zulegen. Waren jedoch Gestehungskosten und Aufwendungen des Vermieters so hoch und bei ordnungsgemäßer Wirtschaft nicht zu vermeiden, daß die ortsübliche Miete nicht kostendeckend ist, so ist dies zu berücksichtigen. So auch: LACKNER StGB, § 302 a Anm. 3 a; AA. BGHSt 30 S. 280 mit abl. Anm. SCHEU JR 1982

S. 474 f; SICKENBERGER Wucher, S. 82.

bb) Beim Kreditwucher sind die verkehrsüblichen, bei vergleichbarem Risiko geforderten Zinsen zum Vergleichsmaßstab zu wählen. Beim Ratenkredit ist der sog.

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Schwerpunktzins aus den Monatsberichten der DEUTSCHEN BUNDESBANK als Grundlage des Vergleichs geeignet, doch ist der Vergleichsmaßstab zu modifizieren, soweit im konkreten Fall Risikomaßstäbe oder Laufzeit abweichen oder der Verdacht begründet ist, daß der Schwerpunktzins durch nicht kostendeckende Zinsen manipuliert ist. Im einzelnen dazu BGHZ 80 S. 153; BGH(Z) NJW1983 S. 2780; BGH(Z) NJW 1988 S. 1661; OLG Stuttgart (Z) NJW 1979 S. 2409; OLG Stuttgart wistra 1982 S. 36; OLG Karlsruhe NJW 1988 S. 1154 ff; HABERSTROH NStZ 1982 S. 265 ff; NACK MDR 1981S. 621 ff; OTTO NJW 1982 S. 2745 ff.

Die Leistungen des Kreditnehmers werden im sog. effektiven Jahreszins ausgedrückt, der nicht nur Zinsen des Kredits im technischen Sinne, sondern die Gesamtkosten des Kredits erfaßt, d.h. Bearbeitungsgebühren, evtl. Auskunftsgebühren, Vermittlungskosten und in angemessener Weise die Kosten der Restschuldversicherung. Dazu im einzelnen: BGHZ 80 S. 166 ff; OLG Stuttgart (Z) NJW 1979 S. 2411; OLG Hamburg NJW 1982 S. 943; NACK MDR 1981S. 623; OTTO NJW 1982 S. 2747 f.

Einen festen Richtwert für die Überschreitung der Strafbarkeitsschwelle akzeptiert der BUNDESGERICHTSHOF nicht. Immerhin dürfte aber ein gegenüber dem Schwerpunktzins 100 % höherer effektiver Jahreszins ein ausreichendes Indiz für einen wucherischen Zinssatz sein. Dazu BGH(Z) NJW 1988 S. 818; OLG Stuttgart (Z) NJW 1979 S. 2410; NACK MDR 1981 S. 624; OTTO NJW 1982 S. 2748 f.

c) Wirken bei einem wirtschaftlich einheitlichen Geschäftsvorgang mehrere Personen in verschiedenen Rollen mit, die dafür jeweils selbständig Vermögensvorteile beanspruchen, und entsteht dadurch ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Summe der Vermögensvorteile und der Summe der Gegenleistungen, so ist gemäß Abs. 1 S. 2 bereits der Mitwirkende strafbar, der die Schwächesituation des anderen für sich oder einen Dritten zur Erzielung eines übermäßigen Vermögensvorteils ausnutzt. Abs. 1 S. 2 findet jedoch keine Anwendung, wenn die Mitwirkenden ihre Tatbeiträge nicht selbständig erbringen, sondern als Mittäter oder als Täter und Teilnehmer. Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn Kreditvermittler und Kreditgeber bei der Vergabe eines wucherischen Kredits zusammenwirken.

d) Ein Ausbeuten liegt vor, wenn der Täter bewußt die bedrängte Lage des Opfers zur Erlangung übermäßiger Vermögensvorteile ausnutzt und damit mißbraucht. Eine besonders anstößige Ausnutzung der Lage ist hingegen nicht erforderlich. So auch: BGHSt 11 S. 187; BERNSMANN GA 1981 S. 165; HOHENDORF Das Individualwucherstrafrecht nach dem Ersten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität von 1976, 1982 S. 133; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 43 II Rdn. 21. - A A . DREHER/TRÖNDLE § 302 a Rdn. 15; LACKNER StGB, § 302 a Anm. 4; SCH/SCH/STREE § 302 a Rdn. 29.

3. Die einzelnen Schwächesituationen a) Zwangslage ist eine Situation schwerwiegender, nicht notwendig existenzbedrohender wirtschaftlicher Bedrängnis, die schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt oder befürchten läßt. b) Unerfahrenheit ist nach h.M. die auf Mangel an Geschäftskenntnis und Lebenserfahrung beruhende Eigenschaft des Ausgebeuteten, durch die er gegenüber dem Durchschnittsmenschen benachteiligt ist. Die bloße Unkenntnis der Bedeutung eines Geschäfts genügt diesen Erfordernissen nicht.

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

V g l . B G H S t 13 S. 233; B G H N J W 1 9 8 3 S. 2 7 8 0 m i t abl. A n m . NACK NSTZ 1984 S. 2 3 f, u n d OTTO J R 1984 S. 2 5 2 ff; DREHER/TRÖNDLE § 3 0 2 a R d n . 11; SCH/SCH/STREE § 3 0 2 a R d n . 25.

Schon vom Wortsinn her ist es schief, die Unerfahrenheit als Eigenschaft einer Person anzusehen. Diese kann höchstens auf bestimmten Eigenschaften einer Person beruhen, doch eine derart biologische Begrenzung dieses Tatbestandsmerkmales ist nicht notwendig. Von Unerfahrenheit kann vielmehr schon dann gesprochen werden, wenn es einer Person nicht möglich ist, trotz Nutzung der ihr gegebenen Fähigkeiten, sich einen Überblick über den Marktpreis zu verschaffen. D a z u NACK M D R 1 9 8 1 S . 624; OTTO N J W 1 9 8 2 S. 2749 f.

Unerfahrenheit würde damit genau wie in § 88 BörsenG dahin interpretiert werden, daß unerfahren derjenige ist, der infolge fehlender geschäftlicher Einsicht die Tragweite eines Geschäftes nicht überblicken kann. c) Mangel an Urteilsvermögen ist ein individueller, nicht durch bloße Erfahrung ausgleichbarer Leistungsmangel, der es dem Betroffenen unmöglich macht oder erheblich erschwert, bei einem Rechtsgeschäft Leistung und Gegenleistung richtig gegeneinander abzuwägen und die wirtschaftlichen Folgen des Geschäftsabschlusses vernünftig zu bewerten. d) Willensschwäche ist jeder Mangel an Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischen Reizen. Sie ist erheblich, wenn sie im Wirkungsgrad den anderen Schwächesituationen vergleichbar ist. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der die besondere Situation und das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung umfassen muß. 5. Besonders schwere Fälle Abs. 2 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen. a) Das Opfer gerät durch die Tat in wirtschaftliche Not (Nr. 1), d.h. es ist in seiner Lebensführung so beeinträchtigt, daß es lebenswichtige Aufwendungen nicht mehr bestreiten kann. b) Die Tat wird gewerbsmäßig begangen (Nr. 2); zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 II 2 c. c) Die wucherischen Vermögensvorteile werden durch Wechsel versprochen (Nr. 3).

Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens § 62: Delikte gegen den äußeren Frieden Die Delikte gegen den äußeren Frieden, d.h. gegen den Frieden zwischen den Völkern, sind selbständige, vom Staatsschutz getrennte Straftaten.

Geschütztes Rechtsgut ist der zwischenstaatliche Frieden als überstaatliches Rechtsgut. Dieser Frieden ist gegen zwei Gefährdungen geschützt: 1. Gegen die Vorbereitung eines Angriffskrieges, § 80 Angriffskrieg ist die völkerrechtswidrige, bewaffnete Aggression; LG Köln NStZ 1981 S. 261. - Der Begriff ist jedoch völkerrechtlich umstritten, daher in seiner praktischen Brauchbarkeit Zweifeln ausgesetzt und im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG problematisch. Dazu SCHROEDER JZ 1969 S. 41; A A KLUG in: Baumann (Hrsg.), Mißlingt die Strafrechtsreform?, 1969, S. 164.

Streitig ist, ob die Beteiligung der BUNDESREPUBLIK D E U T S C H L A N D nur den Fall erfaßt, daß die Bundesrepublik angreift, oder auch jenen, daß die Bundesrepublik angegriffen werden soll. Da jedoch das geschützte Rechtsgut in beiden Fällen in gleicher Weise bedroht ist, erscheint die Gleichbehandlung beider Fälle angemessen. So auch BT-Drucks. V/2860, S. 2; aA. MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 88 II 1.

Vorbereitung sind alle Maßnahmen, die geeignet sind, einen kriegerischen Konflikt herbeizuführen. - Die Gefahr des Krieges muß konkret gegeben sein. 2. Gegen das Aufstacheln zum Angriffskrieg, § 80 a Öffentlich ist die Tat, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis von Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind, wahrnehmbar ist. - Versammlung ist das Beisammensein einer größeren Zahl von Personen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks; RGSt 21 S. 71. Dieser Zweck braucht nicht auf politische Meinungsbildung gerichtet zu sein. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 80 a Rdn. 2; WILLMS LK, § 90 Rdn. 8. - A A . OLG Koblenz MDR 1981S. 600; differenzierend: LACKNER StGB, § 80 a Anm. 2.

Aufstacheln ist eine emotionell gesteigerte Form des Anreizens; LG Köln NStZ 1981 S. 261, dazu K L U G Jescheck-Festschrift, Bd. 1, S. 594 ff. - Eine konkrete Kriegsgefahr braucht nicht begründet zu sein. § 63: Delikte gegen den inneren Frieden Die Delikte gegen den inneren Frieden richten sich gegen die soziale Friedensordnung, die ihrerseits erst die Grundlage für den Staat und andere soziale Verbände abgibt. So auch: MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 60 I 1. - Z.T. werden die Individualrechtsgüter, die von den Tathandlungen betroffen werden, mit in den Schutzbereich einbezogen; vgl. z.B. LACKNER StGB, § 125 A n m . 1; RUDOLPHI SK, § 125 R d n . 2.

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I. Landfriedensbruch, §§ 125,125 a Der Landfriedensbruch setzt voraus, daß aus einer Menschenmenge heraus bestimmte Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen erfolgen. 1. Der objektive Tatbestand a) Menschenmenge ist eine räumlich vereinigte, nicht sofort übersehbare Anzahl von Personen. Eine Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein, doch dürften gut 20 Personen im Regelfall schon eine Menge abgeben; dazu BGHSt 33 S. 308; LG Frankfurt StV 1983 S. 463.

Die Menge braucht nicht im ganzen unfriedlich zu sein. Es genügt, daß innerhalb einer größeren Menge eine kleinere Gruppe, die isoliert dem Mengenbegriff genügen würde, die aggressiven Absichten des oder der Täter mitträgt. - Richten sich Gewalttätigkeiten von Mitgliedern einer Menge gegen andere Mitglieder dieser Menge, so wird dieses Verhalten vom Tatbestand nur erfaßt, wenn die aggressiv Tätigen wiederum eine Menschenmenge bilden, die sich von den anderen Personen abhebt; dazu BGHSt 3 3 S. 306, 3 0 8 mit Anm. O t t o NStZ 1986 S. 7 0 f. b) Gewalttätigkeit ist der Einsatz physischer Kraft, die sich aggressiv gegen Menschen oder Sachen richtet. Ein bloß passives Verhalten ist keine Gewalttätigkeit in diesem Sinne. Beispiele: Errichten von Barrikaden aus Parkbänken und Geräteteilen von einem Kinderspielplatz (OLG Köln NJW 1970 S. 260); Vorrücken der Menge gegen Polizei (RGSt 54 S. 90); Wegdrängen von Polizeibeamten, Umwerfen von Kraftfahrzeugen (BGHSt 23 S. 53 f); Werfen mit Blutbeuteln auf Kraftfahrzeug des Bundesverteidigungsministers (OLG Hamburg JR 1983 S. 250 mit abl. Anm. RuDOLPHI S. 252 ff); Werfen mit Erdklumpen auf Polizeibeamte (BayObLG MDR 1990 S. 356). - Nicht hingegen: der "Sitzstreik" (BGHSt 23 S. 51 f).

c) Bedrohung ist das Inaussichtstellen einer Gewalttätigkeit. - Erfaßt ist hier nicht nur die Gewalt gegen Menschen, denn "Bedrohungen von Menschen" ist nicht als Gegensatz zur "Bedrohung von Sachen" zu verstehen, sondern nur Ausdruck der Selbstverständlichkeit, daß durch die Bedrohung auf den Willen eines Menschen eingewirkt werden soll. d) Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn die Allgemeinheit in ihrem Gefühl, gegen Rechtsgüterverletzungen geschützt zu sein, beeinträchtigt ist. Richten sich die Gewalttätigkeiten gegen eine einzelne Person, so ist die öffentliche Sicherheit nicht nur gefährdet, wenn sie das zufällige Opfer aus einer bestimmten Vielzahl ist, es also auch jede andere Person hätte sein können, sondern auch, wenn sie als Opfer nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe ausgewählt wurde, mit ihr also die von ihr repräsentierte Personengruppe getroffen werden sollte. Vgl. O L G Karlsruhe N J W 1979 S. 2416; DREHER/TRÖNDLE § 125 R d n . 4; SCH/SCH/LENCKNER § 125 Rdn. 11. - A A . BRAUSE N J W 1983 S. 1641.

e) Mit vereinten Kräften bedeutet eine Tätigkeit mehrerer aus der Menge. f) Als Täter des Landfriedensbruchs bestimmt das Gesetz bestimmte an den Tathandlungen beteiligte Personen.

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aa) Täter des Landfriedensbruchs ist danach: Zum einen jeder, der aus einer Menschenmenge heraus als Täter oder Teilnehmer an der Gewalttätigkeit oder Bedrohung mitwirkt. Ti»«r: Wer aus der Menge heraus Steine wirft, auch wenn diese nicht treffen; wer die gewalttätige Gruppe aufreizt oder gegen die Polizei "abschirmt".

Zum anderen jeder, der auf die Menschenmenge einwirkt, d.h. sie psychisch beeinflußt, um ihre Bereitschaft zur Gewalttätigkeit oder Bedrohung mit Gewalttätigkeiten (zielgerichtetes Wollen!) zu fördern, sei es durch Erwecken oder Bestärken des Tatentschlusses. Dies kann auch durch Personen geschehen, die nicht am Tatort anwesend sind, z.B. geistige Anführer, Organisatoren; BGHSt 32 S. 165 mit Anm. WILLMS JR 1984 S. 120 f; BVerfG NStZ 1990 S. 487. Dem Teilnehmer ist nachzuweisen, daß er durch sein Verhalten die Gefahr der Rechtsgutsverletzung durch den Täter konkret erhöht hat. Dieser Nachweis ist dann zu führen, wenn bewiesen werden kann, daß jemand den Werfern Steine zugeliefert, Hinweise auf Ziele gegeben, Gewalttäter durch Ablenken der Polizei gedeckt und dadurch weitere Gewalttaten ermöglicht hat.

bb) Das Erfordernis des Nachweises der eigenen Beteiligung an den Gewaltmaßnahmen begründet die Kritik an dem Tatbestand. Zum einen bleibt der passiv in einer gewalttätigen Menge Verweilende straffrei, selbst wenn sich die Gewalttäter durch seine physische Präsenz gestärkt fühlen, sie als Ermutigung deuten oder als Deckung nutzen. Zum anderen verlocken die Schwierigkeiten der Beweisführung einzelne Personen dazu, sich unter dem Schutz der Menschenmenge an den Ausschreitungen zu beteiligen, weil sie sich sicher fühlen, daß die mit der Gefahrenabwehr beschäftigte Polizei den Täternachweis später nicht führen können wird. Damit aber sind Chancen gewaltorientierter Demonstrationsstrategien eröffnet, die dem Wesen des Demonstrationsrechts als einem Mittel geistiger Auseinandersetzung eklatant widersprechen. Wenn derartige Möglichkeiten geradezu als Besitzstand verteidigt werden, so ist dies ein hinreichender Beweis dafür, daß der Sachverhalt mit der grundgesetzlich gesicherten Demonstrationsfreiheit allenfalls noch Ähnlichkeiten aufweist. Im einzelnen dazu OTTO/KREY/KÜHL in: Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. 2,1990, Gutachten der Unterkommission VII, Rdn. 123 ff.

2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Anstiftung und Beihilfe Anstiftung und Beihilfe zum Landfriedensbruch kann nur begehen, wer sich nicht selbst in der Menschenmenge befindet. 4. Rechtfertigung Eine Rechtfertigung der Tat durch Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Art. 5, 8 GG, kommt nicht in Betracht, da diese Grundrechte der geistigen Auseinandersetzung Raum geben sollen, nicht aber Gewalttätigkeiten; dazu auch oben § 27 III 3 g.

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Delikte gg. die Gründl, des friedl. Zusammenlebens

5. §125 Abs. 2 Soweit die relevanten Handlungen den Tatbestand des § 113 erfüllen, gelten auch hier § 113 Abs. 3 und 4 entsprechend, dazu unten 5 91 III 1,2. 6. Konkurrenzen § 125 ist subsidiär, wenn die Tat nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist, z.B. nach §§ 211,212,223 a ff. - Mit § 27 VersG ist Tateinheit möglich. 7. Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, § 125 a § 125 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit vier Regelbeispielen. a) Nr. 1: Mitführen einer Schußwaffe', dazu oben § 41 III 1 a. b) Nr. 2: Mitführen einer anderen Waffe, um diese bei der Tat zu verwenden. Das Gesetz fordert hier, daß der Täter selbst, nicht auch ein anderer Beteiligter, die Waffe führt. Vgl. auch BGHSt 27 S. 56; BGH StV 1981 S. 74; DREHER/TRÖNDLE § 125 a Rdn. 2. - A A RUDOL, PHISK, § 125 Rdn. 5.

Waffe ist im untechnischen Sinne als gefährliches Werkzeug zu verstehen. Wesentlich ist, daß beabsichtigt ist, das Werkzeug unmittelbar oder mittelbar gegen Menschen einzusetzen; vgl. BayObLG JZ 1986 S. 1123 mit Anm. DÖLLING JR 1987 S. 4 6 7 ff. c) Nr. 3: Mit Gefahr des Todes oder schwerer Körperverletzung verbundene Gewalttätigkeiten; dazu oben § 46 III 2. d) Nr. 4: Plünderung oder Anrichten eines bedeutenden Schadens. - Plündern ist Wegnahme oder Abnötigen von Sachen in der Absicht rechtswidriger Zueignung unter Ausnutzung der Situation.

II. Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, §126 1. Androhen von Straftaten, Abs. 1 Abs. 1 soll den öffentlichen Frieden gegen die Androhung bestimmter, im einzelnen aufgezählter Straftaten schützen. - Androhung ist die Ankündigung, daß ein im Katalog genanntes Delikt durch den Drohenden oder kraft seines Einflusses tatsächlich oder vorgeblich verwirklicht werden kann. Das Delikt - und zwar genügt eine rechtswidrige, nicht unbedingt schuldhafte Tat - muß in seinen wesentlichen Zügen konkretisiert sein. Die Tathandlungen müssen nur nach den Umständen geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. - Eine Friedensstörung braucht daher nicht eingetreten zu sein, es genügt, daß die Tathandlung die konkrete Besorgnis rechtfertigt, der Angriff werde den Friedenszustand oder das Vertrauen in seine Fortdauer erschüttern; BGHSt 34 S. 329. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tat braucht nicht öffentlich begangen zu werden, es genügt, wenn nach den Umständen mit dem Bekanntwerden in der Bevölkerung zu rechnen ist; BGHSt 29 S. 27

§ 63 Delikte gegen den inneren Frieden

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2. Vortäuschen von Straftaten, Abs. 2 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf die Fälle, in denen der Täter vortäuscht, andere Personen, auf die er keinen Einfluß hat, planten die genannten Straftaten. Der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn der Täter vorgibt, die Tat stehe unmittelbar oder in nächster Zukunft bevor. Auch hier genügt die Vortäuschung einer rechtswidrigen, nicht unbedingt schuldhaften Tat. 3. Der subjektive Tatbestand Im Falle der Androhung, Abs. 1, erfordert der Tatbestand Vorsatz, bedingter genügt; insbesondere muß der Täter erkennen, daß seine Androhung ernst genommen wird. Die Tat gemäß Abs. 2 erfordert direkten Vorsatz.

III. Volksverhetzung, § 130 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschützte Rechtsgüter sind der öffentliche Friede und die Würde des Eittzelnen. Die Struktur des Tatbestandes schließt es aus, nur den öffentlichen Frieden (so OLG München JZ 1985 S. 807; VON BUBNOFF, LK, § 130 Rdn. 1) oder die Menschenwürde (so FISCHER GA 1989 S. 455 f; STRENG Lackner-Festschrift, S. 509 f) als geschützt anzusehen und den Schutz des jeweils anderen Rechtsguts nur als Reflex zu bewerten. Die Rechtsgüttr stehen gleichrangig nebeneinander; vgl. auch LACKNER, S t G B , § 130 A n m . 1; SCHAFHEUTLE J Z 1960 S. 4 7 2 f.

Verletzter i.S.d. § 172 Abs. 1 StPO ist daher jeder, dessen Menschenwürde angegriffen wurde; vgl. OLG Karlsruhe NJW 1986 S. 1276 - a.A. OLG München JZ 1985 S. 807 f. Die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören, genügt, der Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein. Die Tat ist daher abstraktes Gefährdungsdelikt. 2. Einzelheiten der Regelung a) Zur Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, vgl. oben II 1. b) Die Menschenwürde ist angegriffen, wenn die Äußerung den Kernbereich der Persönlichkeit der Betroffenen berührt, d.h. ihnen der jeder Person zukommende Personenwert abgesprochen - Untermensch! - oder ihnen die Möglichkeit, gleichwertig Gemeinschaft mit anderen zu haben, bestritten wird. Dazu BGH NStZ 1981 S. 258; BGHSt 36 S. 90; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1369.

c) Teile der Bevölkerung sind von der Gesamtbevölkerung durch ein gemeinsames soziologisches Merkmal abgrenzbare Gruppen, seien diese nun nationale, rassische, religiöse oder politische, wirtschaftliche oder berufliche Gruppierungen. Beispiele: Die Juden (BGHSt 31 S. 231); Gastarbeiter (OLG Celle NJW 1970 S. 2257); Türken (OLG Frankfurt NJW 1985 S. 1720; LOSE NJW 1985 S. 1679); in Deutschland lebende Neger (OLG Hamburg NJW 1975 S. 1088 mit Anm. GEILEN NJW 1976 S. 279 ff); Soldaten der Bundeswehr (OLG Koblenz NJW 1984 S. 2373; OLG Düsseldorf NJW 1986 S. 2518; vgl. auch BGHSt 36 S. 90; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1369 - a.A. STRENG Lackner-Festschrift, S. 523). - Nicht hingegen: die Grenzschutzgruppe 9 (OLG Hamm NJW 1981S. 591).

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Delikte gg. die Gründl, des friedl. Zusammenlebens

IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur § 140 will den öffentlichen Frieden durch Verhinderung eines psychischen Klimas schützen, in dem Delikte der in § 138 Abs. 1 Nr. 1-5 und § 126 Abs. 1 genannten Art gedeihen können. Es geht um den Schutz des Gefühls der Rechtssicherheit der Bevölkerung. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Kritisch zur Strafwürdigkeit des Verhaltens: BEMMANN Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981 S. 16; DENCKER StV 1987 S. 121; JAKOBS ZStW 97 (1985) S. 779; KÜHL NJW 1987 S. 745; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 12.

2. Einzelheiten der Regelung a) Belohnung ist die nachträgliche Gewährung irgendwelcher Vorteile, Billigung das Gutheißen der Straftaten durch eine aus sich heraus verständliche, anderen wahrnehmbare Zustimmung. - Die Billigung muß geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören; dazu oben II 1. Im einzelnen dazu BGHSt 22 S. 282; HANACK LK, § 140 Rdn. 14 ff; RUDOLPHI ZRP 1979 S. 219.

b) Öffentlich ist die Billigung, wenn der Zuhörerkreis nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden oder so groß ist, daß er nach Zahl und Individualität unbestimmbar ist; dazu OLG Hamm MDR 1980 S. 159. c) Die nachträgliche Belohnung oder Billigung des Versuchs einer der genannten Taten genügt, soweit der Versuch dieser Tat strafbar ist. Daß der konkrete Täter wegen des Versuchs bestraft werden kann, ist jedoch nicht erforderlich. Insoweit ist der Gesetzeswortlaut: "in strafbarer Weise versucht worden ist", mißverständlich. V. Anleitung zu Straftaten, § 130 a 1. Geschütztes Rechtsgut und Außau des Tatbestandes § 130 a will den öffentlichen Frieden durch die Verhinderung eines psychischen Klimas schützen, in dem Delikte der in § 126 Abs. 1 genannten Art gedeihen können; vgl. auch IV 1. Vgl. BT-Drucks. 10/6286, S. 8. - Krit. dazu DEMSKI/OSTENDORF StV 1989 S. 30 ff; DENCKER StV 1987 S. 121; KÜHL N J W 1987 S. 745.

Der Tatbestand erfaßt zum einen das Verbreiten und Zugänglichmachen von Anleitungsschriften, zum anderen die Anleitung in der Öffentlichkeit oder in Versammlungen. 2. Einzelheiten der Regelung a) Anleitung zu einer Katalogtat nach § 126 Abs. 1 Anleiten ist die Information über die tatsächlichen, insbes. technischen Möglichkeiten der Tatausführung mit der Tendenz, die Begehung einer Vorsatztat zu fördern. b) Abs. 1 betrifft die eigentlichen Anleitungsschriften Die Schrift - dazu vgl. auch § 11 Abs. 3 - muß zum einen geeignet sein, als Anleitung zu einer Katalogtat zu dienen, zum anderen muß sich aus ihrem Inhalt ihre Zweckbe-

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Stimmung ergeben, die Bereitschaft anderer zur Begehung einer solchen Tat zu fördern oder zu wecken, d.h. den Tatwillen anderer zu bestärken oder zu verursachen. Verbreitet wird die Schrift, indem sie einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird. - Zugänglichmachen heißt die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch andere eröffnen. - Ausstellen, Anschlagen und Vorführen sind Beispiele für ein Zugänglichmachen. c) Abs. 2 Nr. 1 betrifft "neutrale" Anleitungsschriften Anstelle der in Abs. 1 erforderlichen Zweckbestimmimg der Schrift tritt hier die entsprechende Absicht des Täters, die Bereitschaft anderer zur Tatbegehung zu fördern oder zu wecken. d) Abs. 2 Nr. 2 erfaßt die mündliche Anleitung Tathandlung ist das Anleiten zu einer Katalogtat in der Absicht, die Tatbereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken. Zu den Begriffen öffentlich, und in einer Versammlung vgl. § 62,2. e) Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, erfordert Kenntnis des Täters von den Tatumständen und ihres Bedeutungsgehalts. Eine Subsumtion der Tat unter § 126 Abs. 1 ist jedoch nicht erforderlich; es genügt die Vorstellung von der Tat selbst. - Absicht im Sinne des Abs. 2 ist zielgerichtetes Wollen. f) Die Sozialadäquanzklausel, § 130 a Abs. 3 Die Sozialadäquanzklausel, dazu § 86 Abs. 3, ist für Abs. 2 kaum relevant, da sich die unterschiedliche Zwecksetzung ausschließt.

VI. Verherrlichung von Gewalt; Aufstachelung zum Rassenhaß, § 131 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechtsgut Die kriminalpolitisch sehr problematische Vorschrift beruht auf wenig gesicherten Grundlagen, ihre Grenzen sind aufgrund der Verwendung zu vieler normativer Begriffe vage. - Ein Schaden braucht nicht einzutreten; das Delikt ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Es soll den öffentlichen Frieden vor sozialschädlicher Aggression und Hetze schützen, daneben aber auch dem Jugendschutz dienlich sein. Dazu GERHARDT NJW1975 S. 375; LANGE Heinitz-Festschrift, S. 593 ff; RUDOLPHI JA 1979 S. 2.

2. Einzelheiten der Regelung a) Tatgegenstand sind Schriften und andere Darstellungen-, dazu § 11 Abs. 3. Nach Abs. 2 ist die Verbreitung durch den Rundfunk der Verbreitung von Schriften gleichgestellt. Die Tathandlungen (Verbreiten der Schriften usw.) beschreiben Formen des Zugänglichmachens der Tatgegenstände und dazu dienendes Vorfeldverhalten. b) Gewalttätigkeiten gegen Menschen setzen den Einsatz physicher Gewalt durch positives Tun unmittelbar gegen einen Menschen voraus, um seine körperliche Integrität zu verletzen. Gerade im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift, sozialschädliche Aggressionen zu verhindern, ist die Beschränkung auf positives Tun, die aber im Wortlaut "Gewalttätigkeit" angelegt ist, sachwidrig. Auch die Schilderung wie jemand z.B. verbrennt oder von Ameisen gefressen wird, ohne daß ihm

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geholfen wird, obwohl dies möglich wäre, dürfte gleiches Gewicht haben wie die Schilderung einer Gewalttätigkeit durch positives Tun.

Zum Merkmal grausam vgl. oben § 4 II 2 b; unmenschlich ist die menschenverachtende Einstellung des Täters. - Verherrlichend ist eine positiv wertende Darstellung, verharmlost wird das Geschehen durch bewußte Bagatellisierung als akzeptables Mittel zur Lösung von Konflikten; vgl. OLG Koblenz MDR 1986 S. 256. Zum Rassenhaß stachelt die Schilderung auf, wenn sie nachhaltig auf die Gefühle anderer einwirkt, um Haßgefühle gegen bestimmte Menschengruppen zu erzeugen. Die Gruppe braucht nicht biologisch, sie kann auch ideologisch bestimmt sein; BGH NStZ 1981 S. 262. - Eine die Menschenwürde verletzende Darstellungsart liegt vor, wenn Schmerz und Qualen von Menschen gezielt als bloßes Unterhaltungsmittel zum Aufputschen der Nerven eingesetzt werden. Die Art der Schilderung muß die Gewalttätigkeiten verherrlichen oder verharmlosen oder sie in einer die Menschenwürde verletzende Weise darstellen. Die Strafwürdigkeit liegt demnach wesentlich in der Art und Weise der Schilderung begründet. c) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich darauf erstrecken, daß in der Schrift Gewalt verherrlicht usw. oder zum Rassenhaß aufgestachelt wird. - Eine Absicht des Täters, dieses Ziel zu erreichen, ist nicht erforderlich. Der Täter braucht diese Tendenzen seiner Handlung nicht einmal zu billigen, d) Ausschluß des Tatbestandes aa) Das Berichterstatterprivileg nach § 131 Abs. 3 schließt den Tatbestand aus. - Berichterstattung ist jede auf Reproduktion der tatsächlichen Ereignisse gerichtete Überlieferung, auch die Dokumentation, die in fiktiver Nachgestaltung wirkliche Vorgänge vor Augen führen will. - Übertreibungen, pädagogisch motivierte Schilderungen erdichteter Vorgänge und Verfälschungen der tatsächlichen Ereignisse fallen hingegen nicht unter das Privileg. Sachlich kommt dem Berichterstatterprivileg des § 131 Abs. 3 im wesentlichen nur klarstellende Funktion zu, denn die historisch getreue Berichterstattung erfüllt nicht die im Tatbestand geforderte Art der Schilderung. Werden hingegen historische Ereignisse verzerrt in der beschriebenen Weise geschildert, so greift Abs. 3 nicht ein. bb) Zum Erzieherprivileg des § 131 Abs. 4 vgl. auch unten § 66 V 4 b, bb. 3. Zur Rechtfertigung Nur in Ausnahmefällen wird eine der in § 131 erfaßten Gewaltschilderungen und Äußerungen als Kunstwerk anerkannt werden können, da die künstlerische Verarbeitung, selbst wenn die Schilderung grausam oder unmenschlich ist, kaum eine Verherrlichung oder Verharmlosung der Gewalttaten ausdrücken oder zum Rassenhaß aufstacheln wird. Sollte im Einzelfall allerdings ein Werk, das den Anforderungen des § 131 entspricht, als Kunstwerk anerkannt werden, so wird eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG regelmäßig in Betracht kommen. Im einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. oben § 32IV 2.

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VII. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 1. Das Wesen des Tatbestandes und das geschützte Rechtsgut a) § 111 Abs. 1 ist ein gegenüber der Anstiftung, § 26, und der versuchten Anstiftung, § 30 Abs. 1, erweiterter Auffangtatbestand. Die rechtswidrige Tat, zu der der Täter auffordert, muß ihrer Art und ihrem rechtlichen Wesen nach bestimmt sein. Im Gegensatz zu §§ 26, 30 ist jedoch nicht erforderlich, daß der Aufgeforderte als ganz bestimmte Person schon feststeht und Zeit, Ort sowie Objekt der Tat bereits in den wesentlichen Zügen konkretisiert sind. b) Geschützt wird der innere Gemeinschaftsfrieden. Vgl. dazu BGHSt 29 S. 267; V. BUBNOFF LK, $ 111 Rdn. 5. - A A . LACKNER StGB, § 111 Anm. 1; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 13: das durch die Straftat beeinträchtigte Rechtsgut; PLATE ZStW 84 (1972) S. 303: empirische Geltung der Rechtsordnung; JAKOBS ZStW 97 (1985) S. 777: R e c h t s f r i e d e n s s t ö r u n g .

2. Die Aufforderung gemäß Abs. 1 a) Aufforderung ist eine Äußerung, mit der erkennbar von einem anderen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangt wird. Ein bloßes "Anreizen" zur Tat oder Gutheißen der Tat genügt nicht; BGHSt 32 S. 310. Aufforderung und Bestimmen i.S. des § 26 sind danach identisch, wenn für das Bestimmen mehr verlangt wird als die bloße Verursachung des Tatentschlusses; dazu vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 22 II 2.

Zum Begriff öffentlich vgl. oben § 62, 2; in einer Versammlung: vgl. oben § 62, 2; Verbreiten heißt die Schriften (§11 Abs. 3) einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich machen, den der Täter nicht mehr kontrollieren kann. Das bloße Anbieten zum Kauf ist noch kein Verbreiten; KG StV 1983 S. 461. b) Der Vorsatz ist gegenüber dem Anstiftungsvorsatz weiter, da keine konkrete Person zur Tat bestimmt werden muß. Er erfordert das Bewußtsein, daß die Aufgeforderten eine rechtswidrige Tat begehen, wozu auch die Teilnahme zählt, nicht aber Ordnungswidrigkeiten. Der Vorsatz, daß die Aufgeforderten die Tat vollenden, ist im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut nicht erforderlich, so daß auch ein agent provocateur unter § 111 fällt. S o auch: LACKNER S t G B , § 111 A n m . 4. - A . A . SCH/SCH/ESER § 111 R d n . 17.

c) Die Bestrafung nach Abs. 1 setzt voraus, daß die Aufforderung Erfolg gehabt hat, d.h. daß es zu der rechtswidrigen vollendeten Tat oder zu einem mit Strafe bestrohten Versuch gekommen ist. d) Die Strafverfolgung nach § 111 setzt keinen Antrag voraus, auch wenn das Delikt, zu dem aufgefordert wird, ein Antragsdelikt ist; OLG Stuttgart NJW 1989 S. 1939. 3. Die erfolglose Aufforderung gemäß Abs. 2 Im Hinblick auf den Erfolg der Tat hat Abs. 2 die Funktion des § 30 Abs. 1 gegenüber § 26. Entgegen § 30 Abs. 1 sieht § 111 Abs. 2 jedoch nicht eine Strafmilderung vor, sondern bietet einen selbständigen Strafrahmen. Diese in die Gesetzessystematik

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nur schwer einzupassende Regelung führt zu der Konsequenz, daß Beihilfehandlungen zur Tat nach Abs. 2 - im Gegensatz zur Beihilfe bei der erfolglosen Anstiftung gemäß § 30 Abs. 1 - strafbar sind; dazu BGHSt 29 S. 266 f. 4. Konkurrenzen Wird der Täter wegen der Tat, zu der er aufgefordert hat, als Täter, Anstifter oder erfolgloser Anstifter, §§ 25,26,30, bestraft, so besteht Tateinheit mit dieser Tat. Vgl. auch: DREHER/TRÖNDLB § 111 Rdn. 9; SCH/SCH/ESER § 111 Rdn. 23. - A A Subsidiarität des § 111: LACKNER StGB, $ 111 Anm. 6 b; SCHROEDER Straftaten, S. 30.

Dritter Abschnitt Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens § 64: Delikte gegen das Pietätsempfinden 1. Das geschützte Rechtsgut der §§ 166 -168 Die Bezeichnung der hier relevanten Straftaten als Delikte gegen das Pietätsempfinden ist ungenau. Geschützt wird - genausowenig wie bei der Beleidigung das subjektive Ehrempfinden - keineswegs das subjektive Pietätsempfinden des Einzelnen, sondern der öffentliche Frieden durch das Gebot, das Pietätsempfinden anderer zu achten. Es geht um die Wahrung von Anstand und Würde bei religiösen und weltanschaulichen Äußerungen. Vgl. dazu HARDWIG GA 1962 S. 257 ff; WORMS Die Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB und die Lehre vom Rechtsgut, 1984, S. 88 ff, 133 ff. - Für eine differenzierte Betrachtungsweise bei den einzelnen Tatbeständen, wobei im wesentlichen auf den Schutz des öffentlichen Friedens abgestellt wird: LACKNER StGB, § 166 Anm. 1, § 167 Anm. 1, § 168 Anm. 1; MAURACH/SCHROEDER B . T . 2, § 6 1 I 2; RUDOLPHI S K , V o r § 166 R d n . 1, 3; S C H / S C H / L E N C K N E R V o r b e m . §§ 166 ff

Rdn. 2. - Als unselbständigen Teil des § 130 Nr. 3 interpretiert FISCHER GA 1989 S. 456 ff, 464, den §166.

2 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen, §166 Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt, maßgeblich ist die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören. S o a u c h : D R E H E R / T R Ö N D L E § 166 R d n . 3. - A A . GALLAS H e i n i t z - F e s t s c h r i f t , S. 182; RUDOLPHI S K , § 166 R d n . 14; S C H / S C H / L E N C K N E R § 166 R d n . 12.

a) Schutz religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse, Abs. 1 Die öffentlich - vgl. dazu oben § 62, 2 - oder durch Verbreiten von Schriften - zur Gleichstellung mit Schriften vgl. § 11 Abs. 3 - erfolgende Beschimpfung, d.h. nach Form und Inhalt besonders verletzende Mißachtensäußerung, muß geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören - dazu oben § 63 II 1 -. Die Friedensstörung kann auch bei der Beschimpfung eines individuellen Bekenntnisses gegeben sein, denn es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen sich getroffen fühlen, sondern ob Art und Weise der Äußerung den nach den Grundsätzen friedlichen Zusammenlebens gebotenen Anstand und die erforderliche Würde im religiösen oder weltanschaulichen Bereich verletzen. Als religiöses Bekenntnis ist ein Bekenntnis anzusehen, das inhaltlich wesentlich durch den Glauben an Gott als den letzten Weltgrund bestimmt wird. Dem weltanschaulichen Bekenntrüs ist dieser metaphysische Bezug nicht wesentlich, denn der Weltanschauung geht es um eine Deutung der Welt und der Stellung des Einzelnen in ihr ohne diesen Bezug. Daher ist die nach h.M. durch Art. 4 Abs. 1, 140 GG in Verb, mit Art. 137 Abs. 7 WRV gebotene Gleichstellung des religiösen mit dem weltanschaulichen Bekenntnis recht dubios. Das religiöse Bekenntnis ist nämlich andersartigen und auch in andere Dimensionen weisenden Angriffen ausgesetzt als ein weltanschauliches Bekenntnis, und zwar aufgrund seines metaphysischen Bezugs sowie der anderen als den Gläubigen nicht nachvollziehbaren Verbindung des Einzelnen mit Gott im Glaubensakt.

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

b) Schutz bestimmter Institutionen, Abs. 2 Weltanschauungsvereinigungen sind Personenvereinigungen, die sich zu einer bestimmten Weltanschauung bekennen. - Ob die Religionsgesellschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, spielt keine Rolle. - Einrichtungen sind die für die innere und äußere Verfassung oder die Ausübung der Religion bzw. Weltanschauung verbindlichen Ordnungen der Gruppe. Beispiele: Konfirmation; Singen von Kirchenliedern; Messe; Priestertum; Predigt u.a.

Gebräuche sind allgemeine, tatsächliche Übungen der Gruppe, z.B. Kollektenwesen, Bekreuzigung, Reliquienverehrung. c) Zur Rechtfertigung Die Rechtfertigung einer Beschimpfung aufgrund der Wahrnehmung der Freiheit der Kunst, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, wird nur in Grenzfällen in Betracht kommen. Die Beachtung des grundgesetzlichen Wertsystems und der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Wertordnung wird hier nur selten zu einem Vorrang der Kunstausübung führen. Die religiöse Beschimpfung z.B. tangiert aufgrund ihrer Eignung, den existentiellen Persönlichkeitsbereich in seinem Glaubensbezug zu verletzen, die Freiheit der Religionsausübung, die grundsätzlich der Kunstfreiheit gleichwertig ist. Im einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. S Abs. 3 S. 1 GG vgl. oben § 32 IV 2. - Speziell zur Beschimpfung durch Karikaturen und Satiren: OLG Köln NJW 1982 S. 657; OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 1211; WÜRTENBERGER NJW 1982 S. 610 ff. Grundsätzlich zum Konflikt zwischen Glaubensfreiheit und Kunstfreiheit: KRAUSS Noll-Gedächtnisschrift, S. 209 ff.

3. Störung der Religionsausübung, § 167 a) Störung des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung, Abs. 1 Nr. 1. Gottesdienst ist die Vereinigung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft zur religiösen Verehrung oder Anbetung Gottes. - Gottesdienstliche Handlung ist eine auf dem religiösen Kult beruhende Handlung, die außerhalb des Gottesdienstes der Gottesverehrung dient oder die Verbundenheit mit Gott zeigen soll, z.B. Taufe, Trauung, Prozession. Die Störung, d.h. Behinderung oder Erschwerung, muß absichtlich, also zielgerichtet, unternommen sein; im übrigen genügt Vorsatz, auch bedingter Vorsatz. b) Beschimpfender Unfug an geweihtem Ort, Abs. 1 Nr. 2 Beschimpfender Unfug ist eine grob ungehörige Verletzung der Achtung des religiösen oder weltanschaulichen Empfindens anderer. - Ein bestimmter Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein, die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. c) Dem Gottesdienst gleichgestellt sind entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden weltanschaulichen Vereinigung, Abs. 3. 4. Störung einer Bestattungsfeier, § 167 a Bestattungsfeiern sind nicht nur Beerdigung und Einäscherung, sondern auch die dazu gehörenden Feierlichkeiten, wie z.B. der Leichenzug und die Trauerfeier.

§ 64 Delikte gegen das Pietätsempfinden

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5. Störung der Totenruhe, § 168 a) Die unbefugte Wegnahme von Leichen u.a., § 168 Abs. 1,1. Alt. aa) Leiche ist der Körper eines verstorbenen Menschen, solange er noch nicht zerfallen oder Gegenstand des Rechtsverkehrs, z.B. Anatomieleiche, geworden ist; zum Zeitpunkt des Beginns des Lebens als Mensch vgl. oben § 2, 1 a, zum Zeitpunkt des Todes vgl. oben § 2,1 b. - Leichenteile sind die natürlichen Bestandteile des Körpers, auch das Leichenblut und Gewebeteile; KG NJW 1990 S. 782. Dem Körper eingefügte fremde Bestandteile, z.B. Prothesen, Herzschrittmacher, sind durch die Eigentumsdelikte hinreichend geschützt und daher nicht als Leichenteile i.S. des § 168 anzusehen. Dazu oben § 3 9 1 1 ; im übrigen vgl. B R I N G E W A T J U S 1 9 8 1 S. 2 1 3 ; D E R S . J A 1 9 8 4 S . 6 1 ff; L A C K N E R StGB, § 1 6 8 Anm. 2 a; R U D O L P H I Jura 1 9 7 9 S. 4 6 . - Differenzierend nach der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität durch die Entfernung: D R E H E R / T R Ö N D L E § 1 6 8 Rdn. 2 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R B.T. 2 , § 6 2 III 1 b.

Leibesfrucht ist die menschliche Frucht vom Zeitpunkt der Nidation an. bb) Wegnahme ist hier nicht als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams i.S. der Eigentumsdelikte zu verstehen, sondern als Entfernung aus einem tatsächlichen Obhutsverhältnis. Die Obhut wird mit der Benachrichtigung von jenen Personen übernommen, denen die Bestattung obliegt. Von diesem Zeitpunkt an wird die Obhut von zufälligen Gewahrsamsinhabern, z.B. Krankenhausleitung, Polizei, nur noch für diese Obhutsträger ausgeübt. Vgl. auch: KG NJW 1990 S. 782; LAUBENTHALJA 1990 S. 42 f.

Gewahrsam an der Leibesflucht wird im Regelfall der Leiter des Krankenhauses haben, in dem die tote Leibesfrucht durch Schwangerschaftsabbruch angefallen ist; BT-Drucks. 10/3758, S. 4. Ein Obhutsverhältnis Angehöriger ist hier nur bei ausdrücklichem Verlangen, die Leibesfrucht in Obhut zu nehmen, begründet. A A . STERNBERG-LIEBEN N J W 1987 S. 2062.

Diese Bestimmung des Obhutsverhältnisses hat die Konsequenz, daß eine eigenmächtige Sektion oder Entnahme von Organen zur Transplantation vor der Benachrichtigung der Angehörigen nicht unter den Tatbestand des § 168 fällt. Gleichfalls nicht erfaßt ist im Regelfall auch die Verwertung der Leibesfrucht durch die Leitung eines Krankenhauses. cc) Erfolgt im Ausnahmefall eine Wegnahme zur Durchführung einer Sektion oder zur Entnahme von Organen zur Transplantation, so rechtfertigt die vor dem Tode erteilte Einwilligung des Verstorbenen oder die Einwilligung seiner nächsten Angehörigen. Die Einwilligung des Verstorbenen geht dem Willen der Angehörigen vor. Demgegenüber bleibt letztlich die Versagung der Einwilligung durch den Verstorbenen ohne Wirkung, wenn die Angehörigen ihr Einverständnis erteilen, da dieses Einverständnis eine Wegnahme ausschließt. Vgl. auch LACKNER StGB, § 168 Anm. 2 b bb. - A.A. ALBRECHT Die rechtliche Zulässigkeit postmortaler Transplantatentnahmen, 1986, S. 44; DLPPEL LK, § 168 Rdn. 31.

Liegen Einwilligungserklärungen nicht oder mit gegensätzlichem Inhalt vor, so kann eine Rechtfertigung durch rechtfertigenden Notstand, § 34, in Betracht kommen. Die Abwägung der Interessen selbst ist problematisch, weil ein eindeutiger Vorrang der Interessen des zu rettenden Menschen vor denen der Achtung des Pie-

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

tätsempfindens nicht rational und allgemeingültig zu begründen ist. Maßgeblich ist hier z.B. auch die Stellung der verschiedenen Religionen zum Wert des menschlichen Lebens. Dazu einerseits: OLG Frankfurt NJW 1975 S. 271 mit Anm. GEILEN JZ 1975 S. 380 ff, ROXIN JuS 1976 S. 505 ff, und GRIBBOHM GA 1979 S. 95 ff; HEINITZ Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 1970, S. 25 f; KOHLHAAS Sarstedt-Festschrift, S. 136; LACKNER S t G B , § 168 A n m . 2 b, b b ; SAMSON N J W

1974 S. 2030 ff; SEELMANN Das Verhältnis von § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen, 1978, S. 69. - Andererseits: KAISER in: Göppinger (Hrsg.), Arzt und Recht, 1966, S. 80; TROCKEL MDR 1969 S. 811 ff.

b) Verübung beschimpfenden Unfugs an einer Leiche oder an einer Beisetzungsstätte, § 168 Abs. 1,2. Alt. Der Begriff der Beisetzungsstätte kann dem Schutz des Rechtsgutes gemäß nicht nur unmittelbar auf das Grab beschränkt, sondern muß auch auf die unmittelbar zum Grab gehörenden Gegebenheiten - Grabdenkmäler, Umfriedung - erstreckt werden. - Zum beschimpfenden Unfug vgl. oben 3 b. c) Zerstörung oder Beschädigung einer Beisetzungsstätte, § 168 Abs. 1,3. Alt. Zum Begriff Zerstören und Beschädigen vgl. oben § 4712 c, d.

§ 65: Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfälschung, § 169 1. Das geschützte Rechtsgut und das Angriffsobjekt a) § 169 schützt die Allgemeinheit und damit mittelbar auch die jeweils Betroffenen vorden Gefahren falscher behördlicher Personenstandsfeststellungen. Personenstand ist der Familienstand, d.h. das familienrechtliche, auf Abstammung oder Rechtsakt beruhende Verhältnis einer Person zu einer anderen Person. b) Angriffsobjekt ist allein der Personenstand eines anderen, d.h. nicht der eigene oder der Personenstand einer nicht existierenden Person. 2. Die Regelung im einzelnen a) Unterschieben eines Kindes ist die Gefährdung des Personenstandes dadurch, daß ein Kind aufgrund einer Täuschung in eine so enge tatsächliche Beziehung zu einer bestimmten Frau gebracht wird, daß es nach der äußeren Sachlage als deren leibliches Kind erscheint. Die Gefahr einer unrichtigen behördlichen Feststellung des Personenstandes, z.B. durch unrichtige Eintragung im Geburtenbuch, braucht nicht konkret gegebenen zu sein, es genügt vielmehr, daß das Verhalten geeignet ist, unrichtige behördliche Feststellungen zu begründen. Eine derartige Gefahr ist über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu fordern, denn ist diese Gefahr ausgeschlossen, so daß nur andere Personen aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten getäuscht werden, liegt jedenfalls eine Personenstandsfälschung nicht vor. D a z u BOHNERT JUS 1977 S. 747; STURM J Z 1974 S. 2.

Falsche Angaben sind unwahre Erklärungen gegenüber der zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde. - Unterdrücken ist die Herbeiführung eines Zustandes, der die behördlichen Feststellung verhindert oder erschwert. Bloßes Unterlassen ist nur in einer Garantenposition strafbar.

§ 65 Delikte gegen die familiäre Ordnung

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Die Zuständigkeit zur Führung von Personenstandsbüchem ist im PStG geregelt. Zuständig zur Feststellung des Personenstandes sind die Behörden, die durch Entscheidung für und gegen jedermann dazu berufen sind, den Personenstand eines Menschen amtlich festzustellen oder zu verändern oder bei einer Veränderung mitzuwirken. Beispiele: Standesbeamter, Vormundschaftsgericht o.a.

b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muß wissen, daß er den Personenstand eines anderen falsch angibt oder unterdrückt und daß die zuständige Behörde von dem unrichtigen Personenstand Kenntnis erlangt. c) Die Tat ist Zustandsdelikt, d.h. sie ist mit der Herbeiführung des unrichtigen Zustandes beendet. - Vollendet ist das Delikt, wenn die falsche Angabe usw. derart in den Wahrnehmungsbereich der entsprechenden Behörde gelangt ist, daß der zuständige Beamte sie zur Kenntnis nehmen kann. Zur Verdeutlichung: a) Die Ehefrau A hat nach einem Ehebruch mit X ein Kind bekommen. Sie meldet dies als eheliches Kind zur Eintragung beim Standesamt an. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor. Bis zur Anfechtung der Ehelichkeit gilt das Kind als ehelich, § 1591 BGB. - Gleiches gilt bei der Anerkennung eines Kindes als ehelich nach §§ 1600 a ff BGB. S o a u c h : LACKNER S t G B , § 169 A n m . 2 b , aa; MAURACH/SCHROEDER B . T . 2, § 6 3 II 2. - A A DREHER/TRÖNDLE § 169 R d n . 6.

b) Die A weigert sich, den Erzeuger ihres nichtehelichen Kindes anzugeben. Dadurch kann das Jugendamt die nötigen gerichtlichen Personenstandsfeststellungen nicht in die Wege leiten. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor, da die A nicht Garantin gegenüber der Behörde ist. Vgl. DIPPEL L K , § 169 R d n . 20 m . e . N .

In gleicher Weise fehlt die Garantenstellung beim Arzt, der über die Herkunft des Samens bei heterologer Insemination schweigt; BT-Drucks. VI/3521, S. 11. c) Die A, die eine Fehlgeburt erlitten hat, gibt ihrem Ehemann (E) gegenüber das Kind ihrer Freundin F als ihr eigenes aus. Die F ist einverstanden. Sie wollte das Kind zur Adoption freigeben. E meldet das Kind beim Standesamt als eigenes an. Ergebnis: A unterschiebt ein Kind; dazu RGSt 36 S. 137. d) A gibt dem Finanzamt gegenüber fälschlicherweise den X als Vater ihres nichtehelichen Kindes an. Sie meint, das Finanzamt sei auch eine zur Feststellung des Personenstandes zuständige Behörde. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor; A begeht ein Wahndelikt. Ihr Irrglaube erweitert die behördliche Zuständigkeit nicht. e) A meldet seine Freundin F beim Einwohnermeldeamt als seine Ehefrau an. Ergebnis: § 169 nicht gegeben, das Einwohnermeldeamt ist nicht zuständige Behörde i.S. des § 169.

II. Doppelehe, § 171 1. Das geschützte Rechtsgut § 171 schützt die staatliche Eheordnung als Teil der Familienordnung. - Verheiratet ist, wer in formell gültiger Ehe lebt, § 11 EheG.

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

2. Die Tathandlung Tathandlung ist das Schließen einer formell gültigen Ehe in einem Zeitpunkt, in dem der Täter oder der Partner noch formell gültig verheiratet ist. BGHSt 4 S. 6: A, der damit rechnete, daß seine Ehefrau noch lebte, ließ diese für tot erklären und heiratete nach Rechtskraft der Todeserklärung die B. BGH: Da die erste Ehe erst durch die neue Eheschließung aufgelöst wird, § 38 EheG, ging A eine Doppelehe ein. - Nicht notwendig ist es, daß nach der Tat zwei Ehen bestehen. Dem ist mit SCH/SCH/LENCKNER § 171 Rdn. 4, entgegenzuhalten, daß in diesen Fällen ein Strafbedürfnis nach § 171 nicht besteht, da die staatliche Eheordnung durch die Tat nicht betroffen wird, weil nach der Tat nur eine formell gültige Ehe besteht.

3. Die Deliktsnatur a) Die Tat ist Zustands-, nicht Dauerdelikt. Sie ist daher mit Abgabe der Erklärungen gemäß § 13 EheG vollendet und beendet. b) Auf Teilnehmer findet § 28 Abs. 1 keine Anwendung, denn der Zustand des "Verheiratetseins" ist keine pflichtbegründende Gegebenheit, sondern allein Voraussetzung für einen wirksamen Angriff auf das geschützte Rechtsgut. So auch: HORNSK, § 171 Rdn. 7; LACKNER StGB, § 171 Anm. 6; SCH/SCH/LENCKNER § 171 Rdn. 8. - A A . DREHER/TRÖNDLB § 171 R d n . 5; ROXIN LK, § 2 8 Rdn. 39.

III. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die innere Familienordnung. Die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verwandten ist lange Zeit unter Hinweis auf die Möglichkeit psychischer, eugenischer und genetischer Schäden begründet worden. Diese Voraussetzungen der Strafwürdigkeit sind vielfachen Zweifeln ausgesetzt. Gleichwohl erscheint das Verhalten im Hinblick auf mögliche psychische Schäden durchaus strafwürdig. Die Familie gibt den einzelnen Mitgliedern nur dann Möglichkeiten zu einer ausgeglichenen personalen Entwicklung im emotionalen Bereich, wenn sie die Überlastung oder einseitige Belastung der Psyche des Einzelnen verhindert. - Die nicht intakte, d.h. tatsächlich unvollständige oder aufgrund der Verkennung der jeweiligen Rollenstellung unausgeglichene Familie ist ein kriminogener Faktor ersten Ranges. Sexuelle Beziehungen zwischen den engsten Familienmitgliedern neben den Ehepartnern stellen sodann eine emotionelle Belastung der unmittelbar Betroffenen wie auch der anderen Familienmitglieder dar, die die Gefahr gestörter Persönlichkeitsentwicklungen begründet. Im einzelnen dazu BT-Drucks. VI/1552, S. 14; VI/3521, S. 17; HORN SK, § 173 Rdn. 2; MAURACH/ SCHROEDER B.T. 2, § 6 3 V I I 1 .

Da das Gesetz nach wie vor auf die leibliche Verwandtschaft, d.h. die Blutsverwandtschaft abstellt, kommt dieser Schutzgedanke nur unvollständig in der Vorschrift selbst zum Tragen.

§ 65 Delikte gegen die familiäre Ordnung

303

2. Die Tathandlung a) Tathandlung ist der Beischlaf, das ist jede Vereinigung der Geschlechtsteile, gleichviel wie weit das männliche Glied in die Scheide eingeführt wird; BGHSt 16 S. 177. Differenzierungen danach, ob das männliche Glied nur in den Scheidenhof oder in die Scheide selbst gelangt, erscheinen hier wegen der Schwierigkeiten der Feststellungen nicht sinnvoll. Dazu BGHSt 16 S. 177; BGH bei Daliinger, MDR 1973 S. 17.

b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, der sich auf die wirklichen blutsmäßigen Verhältnisse beziehen muß. 3. Die Deliktsnatur Die Tat ist eigenhändiges Delikt, so daß mittelbare Täterschaft ausscheidet. - Die Beteiligung des Deszendenten (Abs. 1) oder Aszendenten (Abs. 2 S. 1) ist als Teilnahmehandlung nicht eigenständig strafbar, so daß jeder nur aus dem für ihn geltenden Tatbestand bestraft werden kann. Die Teilnahme Dritter richtet sich nach Abs. 1. Da die Verwandtschaft hier die erhöhte sozialethische Pflicht begründet, für eine angemessene psychische Entwicklung der anderen Familienmitglieder Sorge zu tragen, ist die Verwandtschaft besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. S o a u c h : D R E H E R / T R Ö N D L E § 2 8 R d n . 7; LACKNER S t G B , § 1 7 3 A N M . 6. - A A . SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 3 / 1 1 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 173 R d n . 8.

4. Strafausschluß § 173 Abs. 3 enthält einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Deszendenten und Geschwister unter 18 Jahren. IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 b 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützes Rechtsgut ist die materielle Sicherstellung des Berechtigten, daneben die Schonung der öffentlichen Finanzen. Dazu BVerfGE 50 S. 142 f.

2. Einzelheiten der Regelung a) Das Bestehen einer Unterhaltspflicht richtet sich nach bürgerlichem Recht. Wenn und solange ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch besteht, ist auch eine gesetzliche Unterhaltspflicht i.S. des § 1670 BGB gegeben. Die Voraussetzungen des Anspruchs hat der Strafrichter selbständig zu prüfen; dabei ist er an die Beweisvermutung der §§ 1591 ff, 1600m, 1600o BGB gebunden. Ein eventuell vorliegendes Unterhaltsurteil bindet den Strafrichter nicht, wohl aber ist der Strafrichter an die im Statusverfahren rechtskräftig festgestellten Fakten (z.B. Vaterschaft) gebunden. Str., wie hier: BGHSt 5 S. 106; BayObLG NJW 1967 S. 1287. - Für eine Bindungswirkung des klageabweisenden Urteils: SCH/SCH/LENCKNER § 170 b Rdn. 13; SCHWAB NJW 1960 S. 2169 ff. - Allgemein für eine Bindungswirkung des Unterhaltsurteils: KAISER NJW 1972 S. 1847 f. - Ablehnend auch gegenüber Statusurteilen: EGGERT MDR 1974 S. 445 ff.

304

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

Mangels Verletzung inländischer Interessen liegt eine Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht i.S. § 170 b nicht vor, wenn ein im Inland lebender Ausländer (dazu BGHSt 29 S. 85 mit Anm. KUNZ NJW 1980 S. 1201 ff, und OEHLER JR 1980 S. 381 f) oder Deutscher (BayObLG NJW 1982 S. 1243) sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht.

b) Als Unterhaltsleistung kommen in erster Linie Ansprüche auf Geldleistungen in Betracht. Soweit die Verpflichtung eines Unterhaltsverpflichteten auf Pflege und Erziehung gerichtet ist, vgl. § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB, gehört zum Unterhalt die Vornahme aller der Handlungen, die normalerweise im Haushalt zu erbringen sind. Dazu BVerfGE 50 S. 153 f.

Voraussetzung der Unterhaltspflicht ist, daß der Verpflichtete überhaupt imstande ist zu leisten, und zwar muß es ihm möglich sein, den Anspruch zu erfüllen, ohne seinen eigenen notwendigen Lebensbedarf oder den vorrangig Berechtigter zu gefährden. Einschränkungen seines Lebensstandards muß er in diesem Rahmen hinnehmen. Er ist zur Ausschöpfung von Verdienstmöglichkeiten zur Realisierung seiner Leistungsmöglichkeit verpflichtet. Dazu BayObLG StV 1983 S. 418; NJW 1990 S. 3284; OLG Zweibrücken StV 1986 S. 531; OLG Hamburg StV 1989 S. 206. - Zur Anforderung und Weiterleitung von Kindergeld: OLG Celle NJW 1984 S. 317.

c) Entziehen ist vorrangig ein echtes Unterlassen. Es kann aber auch durch positives Tun - Vereitelung des Anspruchs durch Herbeiführung der Leistungsunfähigkeit begangen werden. Vgl. B G H S t 14 S. 165; 18 S. 379, SAMSON SK, § 170 b R d n . 9. - A . A . DLPPEL LK, § 170 b R d n . 5 1 ff; LACKNER S t G B , § 170 b A n m . 4.

d) Der angemessene Lebensbedarf, nicht der notwendige, muß gefährdet sein. Die Abwendung der Gefährdung durch Dritte ist dem Täter dann nicht zuzurechnen, wenn diese nur handeln, weil der Unterhaltsverpflichtete seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt, d.h. wenn eine Unterhaltssicherung erforderlich ist und mit der Hilfeleistung bezweckt wird. Zwischen der Unterhaltsverweigerung und der Hilfe Dritter oder der öffentlichen Hilfe muß daher ein innerer Zusammenhang bestehen. Erfolgt die Hilfe Dritter unabhängig von der verweigerten Unterhaltszahlung, so ist der Tatbestand nicht erfüllt. BVerfGE 50 S. 154; BGH NStZ 1985 S. 166; OLG Zweibrücken NStZ 1984 S. 458; OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 399.

e) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Er muß sich auf die Entziehung von der Unterhaltsverpflichtung erstrecken und die dadurch bewirkte Gefährdung des Unterhaltsberechtigten umfassen. f) Die Tat ist Dauerdelikt.

V. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 170 d 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist die ungestörte Entwicklung eigener oder fremder Kinder. Das Delikt ist konkretes Gefährdungsdelikt.

§ 65 Delikte gegen die familiäre Ordnung

305

2. Die Tathandlung a) Die Fürsorge- oder Erziehungspflicht kann auf Gesetz, Vertrag, öffentlichrechtlichem Aufgabenbereich oder tatsächlicher Übernahme beruhen. Die Gefahr, in der körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich gestört zu werden, bedeutet nicht jede Möglichkeit, daß das Kind Schaden erleiden kann. Es muß vielmehr zu befürchten sein, daß der normale Ablauf des körperlichen oder geistig-seelischen Reifeprozesses dauernd oder nachhaltig gestört wird; dazu BGH NStZ 1982 S. 328. - Ein krimineller Lebenswandel liegt vor, wenn der Betroffene nicht unerheblich, vorsätzliche Straftaten wiederholt begeht. - Der Prostitution nachgeben ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung der Prostitution, nicht erst die Vornahme und das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen. - Zum Begriff der Prostitution vgl. unten § 66 V 6. b) Der Vorsatz, bedingter genügt, muß sich auf die Gefährdung des Schutzbefohlenen beziehen.

VI. Kindesentziehung, § 235 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das elterliche oder sonstige familienrechtliche Sorgerecht. Daneben dient die Vorschrift auch dem Schutz des Minderjährigen. 2. Die Tathandlung Eine Entziehung ist dann gegeben, wenn das aus dem Sorgerecht sich ergebende Recht des Sorgeberechtigten, das Kind zu erziehen, es zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen, auf eine hinsichtlich der Ausübung des Sorgerechts nicht nur unwesentliche Zeit durch räumliche Trennung unwirksam gemacht oder doch so wesentlich beeinträchtigt wird, daß es nicht ausgeübt werden kann. Vgl. BGHSt 1 S. 200; 10 S. 378; 16 S. 58 ff; dazu auch GEPPERT H. Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 781.

Täter des Delikts kann jeder außer dem Minderjährigen selbst sein, auch ein Elternteil gegenüber dem (mit-)sorgeberechtigten anderen Elternteil. Die Beeinträchtigung des persönlichen Umgangs des nicht sorgeberechtigten Elternteils ist nicht tatbestandsmäßig, da geschütztes Rechtsgut das Sorgerecht ist. Der Hinweis der Gegenmeinung, die Verletzung des Rechts auf persönlichen Umgang des Elternteils, dem das Personensorgerecht ausdrücklich abgesprochen ist, genüge, weil dieses Recht aus der Personensorge erwachse, überzeugt nicht. Dem nicht Personensorgeberechtigten gegenüber kann das Personensorgerecht nicht verletzt werden. Vgl. auch: GEPPERT H . K a u f m a n n - G e d ä c h t n i s s c h r i f t , S. 773 ff; SCH/SCH/ESER § 235 R d n . 14. -

A A . BGHSt 10 S. 376; LACKNER StGB, § 235 Anm. 2.

Wird nicht nur die Ausübung des Sorgerechts beeinträchtigt, sondern • z.B. durch falsche Angaben vor dem Vormundschaftsgericht - das Sorgerecht selbst dem Berechtigten entzogen, so ist streitig, ob § 235 Anwendung findet. Das ist vom Gesetzeszweck her zu bejahen, denn die Entziehung des Sorgebefohlenen durch Beseitigung des Sorgerechts ist ein besonders gravierender Fall der Rechtsgutsverletzung.

Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

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Vgl. auch: HORN SK, § 235 Rdn. 2. - AA. OLG Stuttgart NJW1968 S. 1342; GEPPERT H. KaufmannGedächtnisschrift, S. 772; VOGLER LK, § 235 Rdn. 9.

Zu den Tatmitteln: List vgl. oben § 28 V; Drohung vgl. oben § 27 13 a; Gewalt vgl. oben § 2712 e. 3. Die Tatbeteiligung des Sorgebefohlenen Die Einwilligung des Minderjährigen ist unerheblich. Seine Mitwirkung an der Tat, selbst wenn sie sich als Anstiftung oder Beihilfe darstellt, bleibt straffrei, da die Norm auch seinem Schutze dient und sein Wille nicht als entscheidend angesehen wird. Im einzelnen dazu OTTO Länge-Festschrift, S. 210 ff.

4. Besonders schwerer Fall § 235 Abs. 2 enthält einen unbestimmten Strafschärfungsgrund mit einem Regelbeispiel: Handeln aus Gewinnsucht, d.h. aus einem auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß gesteigerten Erwerbssinn heraus; BGHSt 1 S. 388. - Zu Fallgestaltungen, die dem Unrechts- und Schuldgehalt des Regelbeispiels entsprechen, vgl. BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 295. 5. Strafantrag Zum Strafantrag vgl. § 238. VII. Entführung mit Willen der Entführten, § 236 1. Das geschützte Rechtsgut Auch § 236 schützt das elterliche oder sonstige familienrechtliche Sorgerecht. 2. Die Tathandlung Entführen ist das Verbringen der Minderjährigen von ihrem bisherigen an einen anderen Aufenthaltsort durch den Täter, an dem sie seinem Einfluß ausgesetzt ist und an dem es gerade für die Eltern (oder den gesetzlichen Vertreter) unmöglich oder wesentlich erschwert ist, durch Ausübung ihres Schutz- und Aufsichtsrechts die Absicht des Täters zu vereiteln. S.

BGH NJW

1966

S.

1523.

- AA. (Überschreiten des "Muntbereichs")

BOHNERT

ZStW

100

(1988)

515.

Die Einwilligung der Entführten ist Tatbestandsmerkmal. Die Minderjährige muß daher in die Entführung rechtswirksam eingewilligt haben, d.h. insbesondere, sie muß die Absicht des Täters, sie zu außerehelichen sexuellen Handlungen zu bringen, gekannt haben als sie einwilligte und sich der Bedeutung dieser Handlungen bewußt sein. 3. Der Irrtum des Täters über die Einwilligung der Minderjährigen Nimmt der Täter irrig das Vorliegen der Einwilligung der Minderjährigen an, so müßte der Tatbestand bei strenger wörtlicher Auslegung abgelehnt werden, denn es fehlt die tatbestandlich vorausgesetzte Einwilligung. Der Irrtum ersetzt sie nicht. Die Folge wäre, daß der Täter, der gegen den Willen der Minderjährigen handelt und ihre Einwilligung irrig annimmt, straffrei ausgeht, während der Täter, der die Einwil-

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

307

ligung der Minderjährigen hat, bestraft wird. Hier macht sich bemerkbar, daß §§ 235, 236, 237 wie Qualifikationen und Privilegierungen aufgebaut sind, nicht aber über einen gemeinsamen Grundtatbestand verfügen. Nur wenn dieser in § 236 hineininterpretiert wird, mit der Konsequenz, daß das Handeln mit Willen der Minderjährigen bereits als Privilegierung erscheint, ist § 236 auch auf die Fälle irrig angenommener Einwilligung anwendbar. Hier jedoch wird der Interpretation eine Aufgabe zugewiesen, die nur der Gesetzgeber lösen kann. Vgl. BOHNERT ZStW 100 (1988) S. 525; krit. auch PUPPE JR 1984 S. 232. - A A . BGHSt 24 S. 168 mit zust. Anm. SCHRÖDER JR 1971S. 511 f, und KÜPER NJW1972 S. 646 f.

4. Die Absicht, die Minderjährige zu außerehelichen sexuellen Handlungen zu bringen Die neben dem Vorsatz geforderte Absicht, die Minderjährige zu außerehelichen sexuellen Handlungen i.S. des § 184 c - dazu unten § 66 II - zu bringen, ist zielgerichtetes Wollen, d.h. dolus directus 1. Grades. 5. Das Verhältnis von § 235 zu § 236 Nach h.M. stehen § 235 und § 236 in Idealkonkurrenz. Dabei beruft sich die h.M. auf RGSt 18 S. 283 ff und BGHSt 1 S. 203, übersieht dabei aber, daß damals die Entführung mit Willen auch an Volljährigen begangen werden konnte. - Aufgrund desselben geschützten Rechtsguts und der besonderen im § 235 geforderten Tatmittel ist zwischen den beiden Tatbeständen Gesetzeskonkurrenz unter Vorrang des § 235 anzunehmen. Mit der Verwirklichung des Tatbestandes des § 235 wird das Unrecht des § 236 - trotz gleicher Strafdrohung in Abs. 1 - konsumiert. 6. Strafantrag Zum Strafantrag vgl. § 238. 7. Geltungsbereich Anstelle der §§ 175, 182, 236 StGB gilt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR § 149 StGB-DDR fort. Danach werden Erwachsene, die Jugendliche beiderlei Geschlechts zwischen 14 und 16 Jahren unter Ausnutzung der moralischen Unreife durch Geschenke, Versprechen von Vorteilen oder in ähnlicher Weise dazu mißbrauchen, mit ihnen Geschlechtsverkehr auszuüben oder geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen vorzunehmen, bestraft. § 66: Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung 1. Das geschützte Rechtsgut Mit der Entscheidung des Gesetzgebers im 4. StrRG, das am 28. 11. 1973 in Kraft trat, die früheren sogenannten Sittlichkeitsdelikte unter der Bezeichnung Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zusammenzufassen, sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß diese Tatbestände nicht mehr eine bestimmte sexuelle Ordnung schützen, sondern ein individuelles Rechtsgut. - Gleichwohl ist die überkommene Einordnung dieser Delikte als Straftaten gegen überindividuelle Rechtsgüter nach wie vor sachge-

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

recht. Geschützt werden soll nämlich die sexuelle Selbstbestimmung nur im Rahmen einer bestimmten Sexualordnung, die - wie Art. 6 GG zeigt - auf Ehe und Familie und damit auf Integrität, Achtung der Menschenwürde des anderen auch im Sexualbereich und schließlich auf dem Schutz des Sexuallebens vor seiner völligen Vermarktung beruht. Erst vor diesem Hintergrund erhalten die §§ 175,176, 180 a, 181 a, 183, 184,184 a und 184 b eine befriedigende Erklärung. 2 Die systematische Gliederung des Gesetzes Nach der unterschiedlichen Akzentuierung im Schutzumfang des Rechtsguts erscheint es angemessen, die Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung - weitgehend SCHROEDER Das neue Sexualstrafrecht, 1975, S. 16 f, folgend - in sechs Gruppen zu untergliedern. a) Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne aa) Sexuelle Nötigung, § 178 bb) Vergewaltigung, § 177 cc) Sexueller Mißbrauch von Kranken in Anstalten, § 174 a Abs. 2 ee) Entführung gegen den Willen der Entführten, § 237.

b) Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit aa) Sexueller Mißbrauch von Gefangenen und Verwahrten, § 174 a Abs. 1 bb) Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174 b.

c) Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person (Jugendschutz) aa) Sexueller Mißbrauch von Kindern, § 176 bb) Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen, § 174 cc) Homosexuelle Handlungen, § 175 dd) Förderung sexueller Handlungen Mindeijähriger, § 180 ee) Verführung, § 182 ff) Jugendgefährdende Prostitution, § 184 b.

d) Sexuelle Belästigung Unbeteiligter aa) Exhibitionistische Handlungen, § 183 bb) Öffentliche Ärgerniserregung, § 183 a cc) Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 a.

e) Förderung und Ausnutzung der Prostitution aa) Förderung der Prostitution, § 180 a bb) Menschenhandel, § 181 cc) Zuhälterei, § 181 a.

f) Verbreitung pornographischer Schrifen, § 184

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

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II. Die sexuelle Handlung, § 184 c 1. Die Definition des Begriffs Der Gesetzgeber hat die im früheren Recht zentralen Begriffe der "unzüchtigen Handlung" und der "Unzucht" durch den der sexuellen Handlung ersetzt, ohne ihn jedoch zu definieren. Damit wurde die Chance vertan, den Anwendungsbereich der Tatbestände gesetzlich zu präzisieren.

a) Sexuelle Handlungen sind zunächst alle Handlungen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Subjektiv muß der Täter sich dieses Bezugs bewußt sein. Ein Handeln aus wollüstiger Absicht ist nicht erforderlich. Dazu BGHSt 29 S. 336 mit Anm. HORN JR 1981 S. 251 ff; BGH NStZ 1983 S. 167; BAUMANN JR 1974 S. 371; BOCKELMANN B.T./2, § 27 III 2 a; DREHER JR 1974 S. 47; DREHER/TRÖNDLE Vor § 174 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 184 c Anm. 1 a; MAIWALD G A 1979 S. 154; SCH/SCH/LENCKNER § 184 C

Rdn. 6 ff.

Handlungen, die in ihrem objektiv zu ermittelnden Handlungssinn mehrdeutig sind, z.B. Faustschläge gegen die Brust einer Frau, Schläge auf das Gesäß eines Kindes oder gynäkologische Untersuchungen, sind dann als sexuelle Handlungen anzusehen, wenn sie nicht durch einen sachbezogenen Zweck, z.B. Untersuchungs- oder Erziehungszweck, in der durchgeführten Art und Weise gerechtfertigt und durch die Absicht der Erregung oder Befriedigung von Geschlechtslust motiviert sind. Dazu BGH NStZ 1985 S. 24; BGH JR 1983 S. 158 mit Anm. LENCKNER S. 159 ff; LACKNER StGB, § 184 c Anm. 1 a. - A A LAUFHÜTTE LK, § 184 C Rdn. 6 ff; MAJWALD G A 1979 S. 154. -

Auf das Erkennen der Sexualbezogenheit durch das Opfer kommt es nicht an. b) Relevant sind nur Handlungen von einiger Erheblichkeit, d.h. Handlungen, die für das in den einzelnen Tatbeständen jeweils geschützte Rechtsgut nach Art und Intensität des Angriffs gefährlich erscheinen und nicht als bloße Belanglosigkeit abzutun sind. 2. Sexuelle Handlung "an" und "vor" einer Person Das Gesetz unterscheidet zwischen sexuellen Handlungen an und vor einer Person. a) Die sexuelle Handlung vor einem anderen muß von diesem anderen wahrgenommen werden, § 184 c Nr. 2. Daß der andere die sexuelle Bedeutung der Handlung begreift, ist nicht erforderlich. b) Die sexuelle Handlung an einer Person setzt eine körperliche Berührung dieser Person voraus, braucht aber von dieser weder bewußt wahrgenommen noch als sexuelle Handlung verstanden zu werden.

III. Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne 1. Sexuelle Nötigung, §178 a) Tathandlung ist die Nötigfing durch Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung außerehelicher sexueller Handlungen des Täters oder eines Dritten (1. Alt.) oder zur Vornahme an dem Täter oder einem Dritten (2. Alt.).

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

Die Nötigung des Opfers zu sexuellen Handlungen an sich selbst oder zu Handlungen ohne körperliche Berührung - Nacktausziehen, Einnahme sexuell aufreizender Positionen o.a. - fällt nur unter § 240. Zum Begriff der Gewalt vgl. oben I 27 I 2 e, zum Begriff der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben vgl. oben § 2713 a. Zur Drohung gegenüber Dritten vgl. oben § 2712 f.

b) Die Nötigung muß mit der sexuellen Handlung final verknüpft sein, d.h. der Täter muß die Nötigung einsetzen, um die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung zu erzwingen; BGH NJW 1984 S. 1632. Bei Vorsatzwechsel nach zunächst aus anderem Grund erfolgter Nötigung genügt es, wenn der Täter bei Vorsatzwechsel das Nötigungsmittel weiter einsetzt oder die vorherige Gewaltanwendung als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung anzusehen ist, nicht hingegen wenn der Täter lediglich den zuvor aus anderem Grund geschaffenen Nötigungserfolg ausnutzt; vgl. zur entsprechenden Problematik beim Raub oben § 46 II 1 a, cc sowie BGH NStZ 1981S. 344. Stellt die Gewaltanwendung selbst die sexuelle Handlung dar, z.B. beim Faustschlag auf die Brust einer Frau, so fehlt die finale Verknüpfung; BGH JR 1983 S. 158 mit Anm. LENCKNER S. 159 ff.

c) Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die finale Verknüpfung von Nötigung und sexueller Handlung umfassen. d) Die rechtswirksame Einwilligung des Opfers in die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung läßt die Nötigung entfallen. - In Betracht kommt u.U. ein Versuch. e) Ändert der Täter im Versuchsstadium seinen Plan, eine bestimmte sexuelle Handlung vorzunehmen, indem er sich für eine andere sexuelle Handlung entscheidet, so liegt kein strafbefreiender Rücktritt i.S.d. § 24 vor, da der Täter den Plan, das geschützte Rechtsgut in strafbarer Weise zu verletzen, nicht aufgegeben hat. Vgl. dazu auch: BGHSt 33 S. 142 mit Anm. STRENG NStZ 1985 S. 359 f.

f) § 178 Abs. 3 enthält einen erfolgsqualifizierten Fall der sexuellen Nötigung. Aufgrund des Erfordernisses der "Leichtfertigkeit" ist die Möglichkeit einer Idealkonkurrenz mit einem vorsätzlichen Tötungsdelikt nicht mehr gegeben. Im übrigen vgl. zur entsprechenden Problematik bei § 251 oben § 46IV 1.

2. Vergewaltigung, §177 a) § 177 Abs. 1 beschreibt einen durch das Merkmal des Beischlafs qualifizierten Fall der sexuellen Nötigung. - Da der Beischlaf - zum Begriff oben § 65 III 2 a - mit einem Dritten genügt, kann Täter des Delikts auch eine Frau sein. - Sind mehrere an dem Tatgeschehen beteiligt, so entscheiden über die Zurechnung des Geschehens als Täterschaft oder Teilnahme die allgemeinen Regeln. b) Gewalt bedeutet auch hier - vgl. im einzelnen dazu oben § 27 I 2 - den Einsatz körperliche Kraftentfaltung, der von der Person, gegen die er sich richtet, als ein nicht nur seelischer, sondern körperlicher Zwang empfunden wird. Dazu genügt ein Einsperren des Opfers oder das Verbringen des Opfers an einen abgelegenen Ort derart, daß dieses dem Täter ausgeliefert ist und Widerstand sinnlos erscheint. - Erzwingt der Täter in dieser Situation den Beischlaf, indem er die Lage des Opfers ausnutzt, so erzwingt er ihn mit Gewalt. Dazu eingehender: LG Saarbrücken NStZ 1981 S. 222; LACKNER StGB, § 177 Anm. 4 a; OTTO JR 1982 S. 116 ff. - Enger: BGH NJW 1981S. 2204 mit abl. Anm. GOY/LOHSTOTER StV 1982 S. 20 ff.

Zwischen der Gewaltanwendung oder der Drohung und dem Beischlaf muß ein finaler Zusammenhang bestehen. Dazu vgl. die entsprechenden Ausführungen oben 1 b.

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

311

c) Zur Einwilligung vgl. oben 1 d. d) Der erzwungene eheliche Beischlaf fällt nicht unter § 177, sondern nur unter § 240. Der Gesetzgeber hat hier bewußt Zurückhaltung gewahrt, da der Nachweis der finalen Verknüpfung von Nötigung und Beischlaf im ehelichen Bereich mit erheblichen Beweisschwierigkeiten belastet ist. Diese Entscheidung ist inzwischen rechtspolitisch umstritten. Es häufen sich die Forderungen nach einer Gleichstellung. Da jedoch in diesen Forderungen ausnahmslos ein Straf antragsrecht oder ein Widerspruchsrecht des betroffenen Ehepartners vorausgesetzt wird, kann die Gleichstellung nicht im Verbrechensbereich erfolgen. Hier wäre ein entsprechendes Verfügungsrecht systematisch unannehmbar. Eine Lösung auf der Vergehensebene wäre hingegen systemkonform. Vgl. dazu mit eingehenden Angaben OTTO/KREY/KÜHL in: Schwind/Bavunann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. 2,1990, Gutachten der Unterkommission VII, Rdn. 205 f.

e) § 177 Abs. 3 enthält einen erfolgsqualifizierten Fall der Vergewaltigung; dazu vgl. oben die entsprechenden Ausführungen unter 1 e. 3. Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger, §179 Im Gegensatz zu den §§ 178, 177 bricht der Täter nicht den Widerstand eines anderen, sondern nutzt eine vorhandene Widerstandsunfähigkeit des Opfer zu sexuellen Handlungen aus. Hat der Täter die Widerstandsunfähigkeit selbst herbeigeführt, um die sexuellen Handlungen zu ermöglichen, so konsumiert § 178 den § 179 Abs. 1, § 177 den § 179 Abs. 2.

a) Widerstandsunfähig ist, wer gegenüber dem sexuellen Ansinnen des Täters nicht imstande ist, den zur Abwehr nötigen Widerstandswillen zu bilden, zu äußern oder zu betätigen. Die hier gemeinte Unfähigkeit bezieht sich nicht auf den Widerstand gegen etwaige Gewaltakte, sondern schlechthin auf den Widerstand gegen das sexuelle Ansinnen. Dazu BGH NStZ 1981 S. 139; BGHSt 30 S. 144, 146; BGH JR 1983 S. 254 mit Anm. GEERDS S. 254 ff. Die psychische Widerstandsunfähigkeit, Abs. 1 Nr. 1, muß auf einem der biologischen Gründe beruhen, die nach § 20 die Schuldfähigkeit ausschließen können. - Die körperliche Widerstandsunfähigkeit, Abs. 1 Nr. 2, kann auf äußeren Einwirkungen - z.B. Fesselung - oder auf körperlichem Defekt - z.B. I ühmnng. beruhen.

Der Täter nutzt den Zustand aus, wenn die Widerstandsunfähigkeit den sexuellen Zugriff ermöglicht oder erleichtert und der Täter sich dessen bewußt ist. So auch: BGHSt 32 S. 186 mit Anm. GEERDS JR 1984 S. 430 ff; HERZBERG/SCHLEHOFER JZ 1984 S. 4 8 1 f; B G H J Z 1985 S. 1115; DREHER/TRÖNDLE § 179 R d n . 8; SCHALL J u S 1979 S. 105; SCHROEDER

Sexualstrafrecht, S. 32. - Zu eng: LG Mainz MDR 1984 S. 773, das eine Motivation des Täters durch die Widerstandsunfähigkeit fordert.

In der bewußten Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit liegt der vom Gesetz geforderte Mißbrauch des anderen. b) § 179 will den Schutz der sexuellen Freiheit (geschlechtliche Selbstbestimmung) des widerstandsunfähigen Opfers gewährleisten. Die Tat ist daher nicht eigenhändiges Delikt. Täterschafts- und Teilnahmeprobleme sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu lösen. Wie hier: HERZBERG JuS 1975 S. 172; RoxiN Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Aufl. 1990, S. 417 f; SCHALL J u S 1 9 7 9 S. 109; SCHROEDER Sexualstrafrecht, S. 33. - A A K G N J W 1977 S. 8 1 7 ; DREHER J R 1 9 7 4 S. 48; DREHER/TRÖNDLE § 179 R d n . 2; HORN SK, § 179 R d n . 15; LACKNER S t G B , § 179 A n m . 2; SCH/SCH/LENCKNER § 179 R d n . 15.

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4. Sexueller Mißbrauch von Kranken in Anstalten, § 174 a Abs. 2 a) Zur Tathandlung vgl. oben II 1. - Insassen sind nur die in den angeführten Anstalten zur Behandlung oder Pflege untergebrachten Patienten. - Zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut sind die Insassen jenen Personen, denen Betreuungsaufgaben übertragen sind, z.B. Ärzte, Pfleger, Wärter, u.U. aber auch Angehörige des Verwaltungsdienstes. - Der Mißbrauch setzt zunächst objektiv voraus, daß das Opfer selbst krank oder hilfsbedürftig ist. Dieses nutzt der Täter aus, wenn der Zustand die Tathandlung ermöglicht oder erleichtert. - Subjektiv ist erforderlich, daß der Täter sich dieser Umstände bewußt ist. - Eine Motivation zur Tat durch die Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit ist hingegen nicht erforderlich. Str., vgl. zur entsprechenden Auseinandersetzung oben 3 a.

b) Die Tat ist eigenhändiges Delikt. - Als Täter kommen nur die für die Beaufsichtigung oder Betreuung verantwortlichen Personen in Betracht. Die Täterposition kennzeichnet eine besondere Pflichtenposition; beachte § 28 Abs. 1. Wie hier z.B. ARZT in: Arzt/Weber, LH 2, Rdn. 479; DREHBR/TRÖNDLE § 174 Rdn. 1 a; ROXIN LK, § 28 R d n . 39. - A A , MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 18 R d n . 45; SCH/SCH/LENCKNER § 174 a Rdn. 13.

Der Schutzbefohlene bleibt auch als Teilnehmer straffrei, da die Vorschrift seinem Schutze dient und sein eigener Wille rechtlich nicht als voll wirksam angesehen wird. Dazu OTTO Lange-Festschrift, S. 210 ff.

5. Entführung gegen den Willen der Entführten, § 237 a) Entführen setzt voraus, daß der Täter die Frau durch Verbringen an einen anderen Ort für eine gewisse Dauer so in seine Gewalt bringt, daß sie seinem ungehemmten Einfluß preisgegeben ist. - Als Beispielsfall ausdrücklich im Gesetz genannt ist die Entführung mit einem Fahrzeug. Wie weit ein Verbringen an einen nahegelegenen Ort (z.B. Nebenzimmer, Nebengebäude) bereits tatbestandsmäßig ist, muß wertend ermittelt werden. Maßgeblich ist hier, ob bei natürlicher Betrachtungsweise durch einen außenstehenden Dritten die örtlichen Gegebenheiten noch als Einheit angesehen werden können oder nicht; vgl. BGH NJW1989 S. 917 mit Anm. OTTO JR 1989 S. 340 f.

Hilflos ist die Lage der Frau, wenn sie nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten in der konkreten Situation nicht imstande ist, sich dem Einfluß des Täters mit eigener Kraft zu entziehen, und auch Hilfe Dritten nicht sicher ist. - Wider den Willen des Opfers handelt der Täter, der ohne rechtswirksame Einwilligung des Opfers tätig wird. Zum bewußtlosen Opfer vgl. BGHSt 25 S. 237 mit Anm. GEILEN JZ 1974 S. 540 ff, und MEYERGERHARDS JuS 1974 S. 566 ff. - Daß das Opfer (Prostituierte) unter bestimmten Bedingungen mit der sexuellen Handlung einverstanden wäre, ersetzt die Einwilligung nicht, wenn diese Bedingung nicht erfüllt wird; aA.. BGHSt 21 S. 188 mit abl. Anm. HRUSCHKA JZ 1967 S. 594, ROXIN NJW 1967 S. 1286,

SCHRÖDER J R 1967 S. 226.

Das Einverständnis des Opfers mit der Ortsveränderung ist irrelevant, wenn dem Opfer der vom Täter damit verfolgte sexuelle Zweck verborgen bleibt. Vgl. auch BGH NJW 1984 S. 1633 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 237/2; LACKNER StGB, § 237 A n m . 3 a; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 18 R d n . 49. - A . A . R . SCHMITT Lackner-Fest-

schrift S. 625; VOGLER LK, § 237 Rdn. 12.

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Zu den Entführungsmitteln: List ist ein auf geschicktes Ausnutzen der Situation gerichtetes Verhalten, zur Drohung vgl. oben § 27 I 3 a, zur Gewalt vgl. oben § 271 2 e, zum Ausnutzen der Lage vgl. oben 3 b.- Zur sexuellen Handlung vgl. oben II 1. b) Die Tat ist zweiaktiges Delikt. Entführung und Ausnutzung der Lage müssen verwirklicht sein, damit das Delikt vollendet ist. Der Vorsatz muß sich auf beide Teilakte beziehen, doch braucht der Täter bei der Entführung noch nicht den Plan gefaßt zu haben, die durch die Ortsveränderung entstandene hilflose Lage zu sexuellen Handlungen auszunutzen. Jedoch muß bereits bei der Entführung der Täter mit der Ortsveränderung den Zweck verfolgen, das Opfer in eine hilflose Lage zu bringen. Vgl. B G H S t 29 S. 233; B G H b e i Holtz, M D R 1988 S. 627; DREHER/TRÖNDLB § 237 R d n . 7; HORN SK, § 237 R d n . 10; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 18 R d n . 53; TRÖNDLE G A 1973 S. 324; VOGLER LK, § 237 R d n . 18; WESSELS B . T . - l , § 9 1 Z - A A . HRUSCHKA J Z 1973 S. 12 ff; KREY B.T. 1, R d n . 311; SCHMIDHÄUSER B.T., 4 / 4 5 ; SCH/SCH/ESER § 237 R d n . 6.

c) Täter kann auch eine Frau sein, wenn gleichgeschlechtliche Handlungen bezweckt sind, denn sexuelle Handlungen mit Dritten genügen hier nicht, wie ein Vergleich des Gesetzeswortlautes mit dem der §§ 177,178 ("Dritten") zeigt. d) Die Tat ist Antragsdelikt, § 238 Abs. 1. - Zum Prozeßhindernis der Eheschließung vgl. § 238 Abs. 2. IV. Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit 1. Sexueller Mißbrauch von Gefangenen und Verwahrten, § 174 a Abs. 1 a) Geschützt wird die geschlechtliche Selbstbestimmung Gefangener und behördlich Verwahrter, da deren Entscheidungsfreiheit einerseits in diesem Bereich wesentlich durch das Abhängigkeitsverhältnis eingeschränkt ist, andererseits die Versuchung erheblich ist, durch Duldung der Tathandlung die eigene Lage zu bessern. - Daneben kommt aber auch dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität der Behandlung der genannten Personen eine gewissen Bedeutung zu. Das wird deutlich in der Ablehnung der Anwendung des Tatbestandes auf Fälle der Ausnutzung eines nur vorgespiegelten Abhängigkeitsverhältnisses. Allein für die geschlechtliche Selbstbestimmung als geschütztes Rechtsgut: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 19 R d n . 3.

b) Gefangener ist, wem in Ausübung von Polizei- oder Staatsgewalt die Freiheit entzogen ist, so daß er sich in der Gewalt einer zuständigen Behörde befindet; vgl. RGSt 73 S. 347. Beispiele: Strafgefangener, Untersuchungsgefangener; von einem Polizeibeamten nach § 127 StPO vorläufig Festgenommener.

Auf behördliche Anordnung Verwahrte sind Personen, die - außer den Gefangenen aufgrund hoheitlicher Gewalt eingeschlossen sind. Beispiele: Personen, die nach §§ 61 ff in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt, einer sozialtherapeutischen Anstalt oder in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind. - Personen in Auslieferungs- oder Abschiebehaft. - Personen in Fürsorgeerziehung.

c) Erziehung ist die Leitung und Überwachung der Lebensführung zur Förderung der körperlichen und seelischen Entwicklung. Ausbildung ist die Vermittlung größeren Wissens oder besseren Könnens zu einem bestimmten Ausbildungsziel, insbes. zum Erwerb von Berufserfahrung. - Beaufsichtigung üben Personen aus, die dem

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Schutzbefohlenen gegenüber die Funktion von Wachpersonal haben. - Ein Betreuungsverhältnis liegt vor, wenn zwischen Täter und Minderjährigem ein Verhältnis besteht, in dessen Rahmen der Täter wenigstens Mitverantwortung für das geistige und sittliche Wohl der Mindeijährigen trägt und eine entsprechende Einwirkungsmöglichkeit hat. Auf dieser Grundlage muß sich zwischen Täter und Opfer ein Verhältnis der Über- und Unterordnung herausgebildet haben. - Anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn zwischen beiden besonders enge Beziehungen bestehen, die zu einer gewissen Abhängigkeit der jungen Menschen führen; vgl. dazu BGHSt 33 S. 344 f. Beispiele: Lehrer, Werkmeister; Geistlicher; Sporttrainer iLa.

Ein Mißbrauch der Stellung des Täters liegt bereits vor, wenn der Täter eine durch die Stellung gebotene Gelegenheit zur Tathandlung wahrnimmt. Dies ist der Fall, wenn der Täter seinen Machtbereich gegenüber dem Schutzbefohlenen erkennt und die auf ihr beruhende Abhängigkeit zur sexuellen Handlung ausnutzt. Beiden Teilen muß dabei der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewußt sein; BGHSt 28 S. 367; BGH NStZ 1982 S. 329. d) Zum Mißbrauch vgl. oben III 4 a; zu Täterschaft und Teilnahme vgl. oben III 4 b. 2. Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174 b a) Zum geschützten Rechtsgut vgl. oben 1 a. - Zum Begriff des Amtsträgers: § 11 Abs. 1 Nr. 2. - Das Strafverfahren beginnt, indem Ermittlungen gegen einen bestimmten Täter angestellt werden. b) Zum Mißbrauch der Abhängigkeit vgl. die Ausführungen oben 1 c. c) Konkurrenzen: §§ 174 a und 174 b überschneiden sich z.B. beim Untersuchungsgefangenen, der dem Richter bei der Vernehmung im Gericht zur Beaufsichtigung anvertraut ist und der zugleich im Strafverfahren von ihm abhängig ist. Die h.M. nimmt in diesen Fällen Idealkonkurrenz zwischen den §§ 174 a, 174 b an. V. Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person Geschützt wird die ungestörte sexuelle Entwicklung Jugendlicher. Die Einwilligung des Jugendlichen in die Tathandlung ist in der Regel irrelevant, da der Gesetzgeber davon ausgeht, daß er die Reife noch nicht hat, die Tragweite derartiger Entscheidungen abzuschätzen. Ausnahmsweise, z.B. in Fällen echter Liebesbeziehungen, kann die Einwilligung jedoch einen Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses o.ä. ausschließen.

1. Sexueller Mißbrauch von Kindern, §176 a) Tathandlung gemäß Abs. 1 ist die Vornahme sexueller Handlungen an einem Kind oder durch das Kind an dem Täter. Gemäß Abs. 2 ist dem gleichgestellt die Bestimmung des Kindes, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen. Zur sexuellen Handlung vgl. oben II 1. - Bestimmen ist eine beeinflussende Einwirkung auf den Willen des Kindes; vgl. zur entsprechenden Problematik bei der Anstiftung: GRUNDKURS STRAFRECHT, AT., § 2 2 II 2 .

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b) § 176 Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen. - Die Erfolgsqualifikation gemäß § 176 Abs. 4 entspricht weitgehend der nach § 251 beim Raube; vgl. dazu oben § 46IV. c) Gemäß § 176 Abs. 5 wird die - gemilderte - Strafandrohung auf sexuelle Handlungen ohne unmittelbaren Körperkontakt (Nr. 1 und Nr. 2) und auf pornographisches Verhalten (Nr. 3) erstreckt, das nicht in § 184 c erfaßt ist. - In diesem Bereich kommt der Erheblichkeit des Verhaltens besondere Bedeutung zu. - Neben dem zumindest bedingten Vorsatz im übrigen ist hier die Absicht erforderlich, sich, das Kind oder einen anderen durch das Verhalten sexuell zu erregen. Eingewirkt werden i.S. der Nr. 3 kann auch von einem Täter, der ortsabwesend ist, z.B. durch telefonische Reden; BGHSt 29 S. 29.

2. Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen, §174 a) Der Tatbestand unterscheidet drei Gruppen von Schutzbefohlenen: aa) Abs. 1 Nr. 1: Personen unter 16 Jahren, die dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind. Zum Inhalt der Begriffe Erziehung, Ausbildung, Betreuung in der Lebensßhrung vgl. oben IV 1 c sowie BGHSt 33 S. 340 mit Anm. JAKOBS NStZ 1986 S. 216 f, und GÖSSEL JR 1986 S. 516 f; BGH NStZ 1989 S. 21.

bb) Abs. 1 Nr. 2: Personen unter 18 Jahren, die dem Täter entweder i.S. der Nr. 1 anvertraut oder ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind, soweit der Täter das Abhängigkeitsverhältnis mißbraucht; dazu oben III 4 a. cc) Abs. 1 Nr. 3: Das noch nicht 18 Jahre alte leibliche, d.h. blutmäßig vom Täter abstammende Kind - dazu BGHSt 29 S. 387 - oder Adoptivkind des Täters. b) Tathandlungen sind aa) Nach Abs. 1: Sexuelle Handlungen des Täters an dem Schutzbefohlenen oder von diesem am Täter vorgenommene sexuelle Handlungen; vgl. dazu oben II. - Subjektiv ist Vorsatz, bedingter genügt, erforderlich, der sich auf die Tatumstände und auf das Alter erstrecken muß. bb) Nach Abs. 2: Vornahme sexueller Handlungen vor dem Schutzbefohlenen (Abs. 2 Nr. 1) oder Bestimmen des Schutzbefohlenen dazu, sexuelle Handlungen vor dem Täter vorzunehmen (Abs. 2 Nr. 2). Zur sexuellen Handlung vgl. oben II 1; zum Bestimmen vgl. oben V i a .

In dieser Tatalternative erfordert der Tatbestand neben dem Vorsatz die Absicht des Täter (dolus directus 1. Grades), sich oder den Schutzbefohlenen durch die Tathandlung sexuell zu erregen. c) Absehen von Strafe, Abs. 4 Gemäß Abs. 4 kann bei Taten gegen die in Abs. 1 Nr. 1 genannten Schutzbefohlenen in besonderen Konfliktsfällen - echte Liebesbeziehung, Verführung durch sexuell erfahrenen Schutzbefohlenen - von Strafe abgesehen werden. d) Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. oben III 4 b.

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e) Konkurrenzen Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 wird von Nr. 3 und die nach Abs. 1 Nr. 2 von Nr. 1 und Nr. 3 konsumiert (gestufte Verschärfung der Voraussetzungen für den Schutz desselben Rechtsguts). Dazu eingehend: LACKNER StGB, § 174 Anm. 11. - AA. Abs. 1 Nr. 2 lex specialis gegenüber Abs. 1 Nr. 1: BGHSt 30 S. 358 f; DREHER/TRÖNDLE § 174 Rdn. 18.

Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 173,174 a, 174 b, 175, 176,177 und 240. 3. Homosexuelle Handlungen, §175 a) Geschützt ist der junge Mann in seiner heterogenen sexuellen Entwicklung. Dieses Rechtsgut wird durch die Tathandlung dann nicht tangiert, wenn der Täter (z.B. als Dirne verkleideter Mann) von dem Opfer der Tat nicht als Mann erkannt wird. Vgl. auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, 8 20 R d n . 39; SCH/SCH/LENCKNER § 175 R d n . 4. - A A . B G H S t 21 S. 219 mit A n m . LACKNER J R 1968 S. 192 f; DREHER/TRÖNDLE § 175 R d n . 5; HORN S K , § 175 R d n . 1.

b) Täter des Delikts kann nur ein Mann über 18 Jahren sein, der sexuelle Handlungen an einem Mann unter 18 Jahren vornimmt oder von einem Mann unter 18 Jahren an sich vornehmen läßt; dazu oben II. - Die geschützte Person ist als notwendiger Teilnehmer straffrei; dazu oben III 4 b.- Darüber hinaus ist Teilnahme nach den allgemeinen Regeln möglich, d.h. auch Teilnahme durch einen noch nicht 18jährigen. Das Argument, dieser Teilnehmer wäre als Täter straflos, trägt hier nicht, denn wenn der Täter selbst noch nicht 18 Jahre alt ist, ist das Unrecht der Tat ein anderes, als wenn der Täter über 18 Jahre alt ist. Vgl. DREHER/TRÖNDLE § 175 R d n . 3; LACKNER StGB, § 175 A n m . 6; SCH/SCH/LENCKNER § 175

Rdn. 7. - Differenzierend: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 20 Rdn. 39.

c) Abs. 2 ermöglicht ein Absehen von Strafe in zwei Fällen: Nr. 1: Der Täter war zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt. - Dieser Tatbestand kommt insbesondere in Betracht, wenn die Tat auf Entwicklungsstörungen des Täters beruht oder es sich um eine Tat zwischen annähernd gleichaltrigen Personen handelt. Nr. 2: Geringes Unrecht der Tat unter Berücksichtigung des Verhaltens desjenigen, gegen den sich die Tat richtet. d) Zum Geltungsbereich des § 175 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR vgl. § 65 VII7.

4. Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, § 180 a) Die verpönten Handlungen nach Abs. 1-3 beziehen sich auf sexuelle Handlungen der geschützten Personen an oder vor einem Dritten oder eines Dritten an der geschützten Person; dazu oben II. b) Drei verschiedene Förderungshandlungen unterscheidet das Gesetz, je nach der verschiedenen Schutzaltersgrenze des Opfers. aa) Abs.l: Schutzaltersgrenze 16 Jahre; Vorschubleisten, das ist die Förderung der sexuellen Handlung, ohne daß es zu dieser kommen muß; d.h. erfolgreiche oder erfolglose Beihilfe zu der sexuellen Handlung. - Das Vorschubleisten muß entweder durch Vermittlungen (Nr. 1) oder Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit geschehen (Nr. 2).

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Vermittlung ist die Herstellung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Dritten und der geschützten Person, welche die sexuellen Handlungen zum Inhalt hat. - Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit liegt z.B. im Bereitstellen von Räumlichkeiten, in der Organisation von Zusammenkünften und sexuellen Kontakten. Nach Abs. 1 S. 2 schließt das Erzieherprivileg die Anwendung des Abs. 1 Nr. 2 aus, wenn der Personensorgeberechtigte die Tat begeht und dadurch nicht seine Erziehungspflicht gröblich vernachlässigt. - Das Erzieherprivileg begründet für den Personensorgeberechtigten einen Tatbestandsausschluß, und zwar auch dann, wenn er lediglich als Teilnehmer tätig wird ("handelt"). Dritten kommt das Privileg auch dann nicht zugute, wenn sie mit Einwilligung des Sorgeberechtigten tätig werden. - Teilnahme an der Tat des Sorgeberechtigten ist mangels einer Haupttat nicht möglich. Näher zu dem auch vom Bestimmtheitsgrundsatz her umstrittenen Erzieherprivileg: BECKER/ RUTHE FamRZ 1974 S. 508 ff; LACKNER StGB, § 180 Anm. 5; SCHROEDER Lange-Festschrift, S. 391 ff.

bb) Abs. 2: Schutzaltersgrenze 18 Jahre; Bestimmen ist hier im Sinne von Anstiftung zu verstehen; vgl. oben 1 a) - Das Entgelt braucht nicht in Geld zu bestehen, es genügen auch Sachwerte. - Vorschubleisten genügt hier nur in der Form der Vermittlung. cc) Abs. 3: Schutzaltersgrenze 18 Jahre; Mißbrauch bestimmter Abhängigkeitsverhältnisse; dazu im einzelnen oben III 4 a. c) Eine Teilnahme der geschützten Person bleibt als notwendige Teilnahme straflos. Aber auch der an der Tat beteiligte Dritte bleibt nach § 180 straflos, denn die Tat ist sachlich als tatbestandlich verselbständigte Teilnahme an den nicht oder nur nach anderen Tatbeständen strafbaren sexuellen Handlungen des Schutzbefohlenen und des Dritten anzusehen. S o auch: BINDOKAT N J W 1961 S. 1731; HERZBERG G A 1971 S. 10; ARMIN KAUFMANN M D R 1958 S. 177; LACKNER S t G B , § 180 A n m . 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 20 R d n . 35. - A A .

BGHSt 15 S. 377,382; DREHER/TRÖNDLE § 180 Rdn. 25; LAUFHÜTTE LK, § 180 Rdn. 19 f.

5. Verführung, § 182 a) Verfuhren ist ein Einwirken auf den Willen eines Mädchens unter 16 Jahren, um es unter Ausnutzung seiner geschlechtlichen Unerfahrenheit oder geringeren Widerstandsfähigkeit zum Beischlaf zu bewegen, den es an sich nicht will. - Zum Beischlaf vgl. oben § 65 III 2 a. b) Die Tat ist eigenhändiges Delikt, denn Täter kann nur der Mann sein, der mit der Verführten den Beischlaf ausführt. c) Zum Strafantrag und Eheschließungsprivileg, § 182 Abs. 2. d) Die Möglichkeit des Gerichts, von Strafe abzusehen, eröffnet Abs. 3. Zum Geltungsbereich des § 182 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR vgl. § 65 VII7.

6. Jugendgefährdende Prostitution, § 184 b § 184 b stellt die Prostitution unter Strafe, wenn diese in der Nähe einer Schule oder anderen Örtlichkeit, die zum Besuch von Personen unter 18 Jahren bestimmt ist (Nr. 1) oder in einem Haus, in dem Personen unter 18 Jahren wohnen, ausgeübt wird (Nr. 2). - Dem Merkmal der sittlichen Gefährdung kommt nur insoweit Bedeutung zu, als es klarstellt, daß die geschützten Personen die Ausübung der Prostitution konkret wahrgenommen haben müssen.

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Prostitution ist die auf gewisse Dauer angelegte Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt an oder vor wechselnden Partnern oder Zuschauern oder die Duldung derartiger Handlungen an sich durch Dritte. So auch: DREHER/TRÖNDLB § 180 a Rdn. 3; LACKNER StGB, S 180 a Anm. 2. - Enger: Auf partnerschaftliche Sexualhandlungen beschränkt: HORN SK, § 180 a Rdn. 4; SCH/SCH/LENCKNER § 180 a Rdn. 5.

VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter Geschützt wird die Person vor Konfrontationen mit sexuellen Handlungen gegen ihren Willen. Damit wird hier der Schutz bestimmter sozialethischer Grundordnungen besonders deutlich. 1. Exhibitionistische Handlungen, § 183 a) Eine exhibitionistische Handlung ist das Entblößen des Geschlechtsteils vor einem anderen ohne dessen Einverständnis, um sich durch die Wahrnehmung durch den anderen oder durch dessen Reaktion geschlechtlich zu befriedigen, zu erregen oder eine geschlechtliche Erregung zu steigern. Dazu SCHROEDER Sexualstrafrecht, S. 61.

Täter kann nur ein Mann sein. - Durch die exhibitionistische Handlung muß der andere belästigt werden, d.h. er muß schockiert, erschreckt oder mit Abscheu erfüllt werden. Der Eintritt des Deliktserfolgs ist Tatbestandsvoraussetzung. Bloßer Unmut genügt nicht. Die exhibitionistische Handlung muß wegen ihrer sexuellen Tendenz absichtlich begangen werden. Bezüglich des Belästigungserfolges genügt hingegen bedingter Vorsatz. Dazu OLG Düsseldorf NJW 1977 S. 262.

b) § 183 Abs. 2 enthält in bezug auf den Strafantrag eine dem § 232 Abs. 1 S. 1 entsprechende Regelung; dazu oben § 15 IV 2. c) § 183 Abs. 3 bietet die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung, auch wenn erst durch eine längere Heilbehandlung eine günstige Prognose ermöglicht wird; dazu BGHSt 34 S. 150 mit Anm. SCHALL JR 1987 S. 397 ff. Gemäß Abs. 4 ist Abs. 3 anwendbar, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder nach § 174 Abs. 2 Nr. 1 oder § 176 Abs. 5 Nr. 1 bestraft wird. - In diesem Rahmen werden auch exhibitionistische Handlungen von Frauen relevant. d) Konkurrenzen: Tateinheit ist möglich mit §§ 174 Abs. 2 Nr. 1, 176 Abs. 5 Nr. 1, da das jeweils geschützte Rechtsgut verschieden akzentuiert ist. So auch: LACKNER StGB, § 183 Anm. 7; SCH/SCH/LENCKNER § 183 Rdn. 15. - A A . DREHER/ TRÖNDLE § 183 Rdn. 13; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 22 Rdn. 7: Spezialität.

2. Öffentliche Ärgerniserregung, § 183 a Öffentlich vorgenommen ist eine sexuelle Handlung, wenn eine unbestimmte Vielzahl oder eine bestimmte, nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundene

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Mehrzahl von Personen sie wahrgenommen hat oder hätte wahrnehmen können; BGHSt 11 S. 282. Im Falle einer durch persönliche Beziehungen verbundenen Gruppe muß auch der Täter in die persönlichen Beziehungen eingeschlossen sein. So auch: LACKNER StGB, § 183 a Anm. 2; SCHRÖDER JR 1970 S. 429 f. - AA. OLG Köln NJW 1970 S. 670; LAUFHÜTTE LK, § 183 a R d n . 4.

Ein Ärgernis ist erregt, wenn eine Person erheblich in ihrem Empfinden, nicht mit sexuellen Handlungen gegen ihren Willen konfrontiert zu werden, verletzt ist (Erfolgsdelikt!). Zum subjektiven Tatbestand vgl. oben 1 a.

3. Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 a a) § 184 a enthält einen gegenüber § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG qualifizierten Tatbestand. - Zur Ausfüllung des Blanketts bedarf es einer Rechtsverordnung, zu deren Erlaß Art. 297 EGStGB ermächtigt. - Ein beharrliches Zuwiderhandeln setzt eine wiederholte Tatbegehung voraus, mit der der Täter erkennen läßt, daß er nicht bereit ist, sich an das Verbot zu halten, und das deshalb eine weitere Wiederholung indiziert; dazu OLG Köln GA 1984 S. 333. - Der Prostitution Nachgehen ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung der Prostitution, nicht erst die Vornahme oder das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen; dazu BayObLG JZ 1989 S. 52 mit Anm. B E H M S. 301 f. - Zum Begriff der Prostitution vgl. oben V 6. b) Teilnahme ist nach allgemeinen Regeln möglich. Die Beharrlichkeit ist kein Sonderpflichtmerkmal und damit nicht besonderes persönliches Merkmal i.S. des §28. A.A. B a y O b L G N J W 1985 S. 1566; DREHER/TRONDLE § 184 a R d n . 6; HORN SK, § 184 a R d n . 5; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 20 Rdn. 61.

Der Partner des oder der Prostituierten, dessen Rolle sich auf die des zahlenden Freiers beschränkt, ist als notwendiger Teilnehmer straflos. Die Überlassung von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt zur Förderung der Prostitution ist in § 180 a abschließend geregelt, so daß sie nicht auf dem Umweg über die Teilnahme an Taten nach § 184 a kriminalisiert werden darf. So auch: HORN SK, § 184 a Rdn. 5; LACKNER StGB, § 184 a Anm. 6. - A.A. BayObLG NJW 1981 S. 2766; GEERDS JR 1985 S. 473 f.

VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution Geschützt wird die Unabhängigkeit von Menschen im Prostitutionsmilieu. 1. Förderung der Prostitution, § 180 a Geschützt wird die Person davor, zur Prostitution gebracht, darin festgehalten und ausgebeutet zu werden. - Zum Begriff der Prostitution vgl. oben V 6; zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 4112 c. Zum Begriff Prostitution Nachgehen vgl. VI 3 a. a) Abs. 1 enthält das Verbot von Bordellen oder bordellartigen Betrieben (z.B. sog. Massagesalons), und zwar unter bestimmten Voraussetzungen:

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aa) Nr. 1 erfordert, daß Prostituierte in dem Betrieb in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden. Persönliche Abhängigkeit liegt vor, wenn der Betroffene in seiner Lebensführung, einschließlich der Ausübung seines Gewerbes, weitgehend der Disposition durch andere unterworfen ist, d.h. wenn das Ob, Wo und Wie der Prostitution durch andere bestimmt wird. Wirtschaftlich abhängig ist, wer hinsichtlich seiner Einkünfte und der Sicherung seines Lebensunterhalts im wesentlichen einer Fremdbestimmung unterliegt. - Halten setzt eine gezielte Einwirkung auf die persönliche oder wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus. - Es ist nicht erforderlich, daß der Täter die Abhängigkeit selbst begründet hat.

bb) Nach Nr. 2 genügt auch ein Betrieb, in dem die Prostitutionsausübung durch Maßnahmen gefördert wird, die über die Wohnungs-, Unterkünfte- oder Aufenthaltsgewährung und die dabei üblichen Nebenleistungen hinausgehen. Sie brauchen keine Knebelung der Prostituierten zu bezwecken, sondern es genügt, daß sie günstige Bedingungen für die Ausübung der Prostitution schaffen. Beispiele: Veranstaltung von Nackttänzen und Vorführung pornographischer Filme zur Anregung der Gäste (KG JR 1978 S. 296; KG JR 1980 S. 121); Unterhalt einer Sauna zur Förderung der Kontakte, Schaffung intimer Atmosphäre und günstiger Arbeitsbedingungen (BGH NJW 1986 S. 596 mit Anm. KÖBERER StV 1986 S. 295 ff, und NrrZE NStZ 1986 S. 359 ff; BGH MDR 1987 S. 948); Alkoholausschank (OLG Hamm MDR 1990 S. 1034); Festsetzung von Gästequoten (KG NJW 1976 S. 813); zentrales Kassieren und anteiliges Verteilen des Dirnenlohnes (BT-Drucks. 7/514, S. 9).

b) Abs. 2 erfaßt die Wohnungs- und gewerbsmäßige Unterkünfte- und Aufenthaltsgewährung an noch nicht 18jährige zur Prostitution, Nr. 1, und das Gewähren von Wohnung zur Prostitution, wenn damit, Nr. 2, ein Ausbeuten, d.h. ein gewinnsüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle verbunden ist, durch das die Prostituierte in eine schlechtere wirtschaftliche Lage gebracht wird; BGH GA 1987 S. 261. c) Nach Abs. 3 wird das gewerbsmäßige Anwerben zur Prostitution bestraft. - Anwerben setzt Einverständnis des Täters mit dem Angeworbenen über die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit voraus. - Es muß dem Täter darauf ankommen (zielgerichtetes Wollen), den Angeworbenen entweder dazu zu bringen, der Prostitution nachzugehen, oder ihn zu veranlassen, die Prostitution in einem fremden Land auszuüben. d) Abs. 4 soll verhindern, daß noch nicht 21jährige zur Prostitution gebracht oder dort festgehalten werden. Zuführen ist ein Verbringen des Opfers in den Einwirkungsbereich des Prostituiertenmilieus, so daß es sich der Prostitutionsausübung zuwendet, z.B. durch Vermittlung an einen Zuhälter, Mitnahme an einen Call-Girl-Betrieb o.ä. Die Initiative kann auch vom Opfer ausgehen. Die bloße Zustimmung zur Tätigkeit ist aber noch kein Zuführen. - Einwirken ist intellektuelle Beeinflussung mit einer gewissen Hartnäkkigkeit, z.B. durch Überreden, Versprechungen, Täuschung, Einschüchterung, Drohung, Gewalteinwirkung; vgl. BGH NJW 1990 S. 196. Da durch diese Tatmittel bereits erheblich auf den Willen Einfluß genommen wird, ist das Bestimmen hier als Anstiftung im Sinne einer Einwirkung auf den Willen eines anderen zu verstehen. e) Konkurrenzen: § 180 a Abs. 1 Nr. 2 wird von Nr. 1 konsumiert; BGH NStZ 1990 S. 80. Zwischen Abs. 2 Nr. 1 und 2, zwischen den beiden Alternativen des Abs. 3 und zwischen Abs. 3 und Abs. 4 ist Idealkonkurrenz möglich. - Desgleichen zwischen Abs. 4 und § 181 a Abs. 1 Nr. 2; OLG Köln MDR 1979 S. 73.

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

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2. Menschenhandel, § 181 Der Tatbestand des § 181 schützt gegen die "Rekrutierung von Menschen beiderlei Geschlechts für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse Dritter'' (LACKNER StGB, § 181 Anm. 1). a) Nr. 1 erfaßt die Veranlassung zur Prostitution durch Nötigung oder List. Geschützt werden nicht nur Personen, die noch nicht der Prostitution nachgehen, sondern auch diejenigen, die nicht mehr den Willen haben, der Prostitution weiter nachzugehen, und dennoch gegen ihren Willen zur Fortsetzung der Tätigkeit veranlaßt werden. Vgl. BGHSt 33 S. 353 mit Anm. BOTTKE JR 1987 S. 33 ff; und BÜRGER StV 1987 S. 64; eingehend dazu DENCKER NStZ 1989 S. 249 ff.

Zum Begriff der Gewalt vgl. oben § 2712 e; zur Drohung mit einem empfindlichen Übel vgl. oben § 271 3; zum Begriff der List vgl. oben § 28 V; die List muß zur Täuschung darüber angewendet werden, daß das Opfer zur Prostitution gebracht werden soll; BGHSt 27 S. 27 mit Anm. SCHROEDER JR 1977 S. 357 ff. Zum Begriff der Prostitution vgl. oben V 6. b) Nr. 2 erfaßt Anwerben und Entführung durch List, Drohung oder Gewalt. Zum Anwerben vgl. oben VII1 c; zum Entführen vgl. oben § 65 VII2.

Der Täter muß in der Absicht handeln, das Opfer unter Ausnutzung seiner Hilflosigkeit in einem fremden Land zu bestimmten sexuellen Handlungen zu bringen. Hilflosigkeit liegt vor, wenn der Betroffene aufgrund seiner besonderen persönlichen Situation in dem für ihn fremden Land nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht imstande ist, sich dem Ansinnen der ihm unerwünschten sexuellen Betätigung aus eigener Kraft zu entziehen. - Ausnutzen ist bereits die Wahrnehmung der Situation zur erleichterten Herstellung sexueller Beziehungen. Beim Anwerben ist der Tatbestand nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Opfer weiß, es solle der Prostitution nachgehen. Weiß es hingegen auch, daß es in eine hilflose Lage versetzt werden soll, so liegt kein Ausnutzen dieser Lage vor. 3. Zuhalterei, § 181 a Alle Formen der Zuhälterei setzen voraus, daß der Täter zu der oder dem Prostituierten im Hinblick auf die Tathandlung Beziehungen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. a) Abs. 1 Nr. 1 erfaßt das Ausbeuten einer der Prostitution nachgehenden Person. Ausbeuten erfordert, daß der Täter auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses durch planmäßiges und eigennütziges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle eine spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten herbeiführt. Eine zwangsweise Unterwerfung der Prostituierten ist nicht erforderlich. - Das bloße Ausgehaltenwerden reicht selbst bei erheblichen Leistungen dazu nicht aus. Dazu BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 282; BGH NStZ 1982 S. 507; BGH NStZ 1983 S. 220; BayObLG NJW 1977 S. 1209 mit Anm. GEERDS JR 1978 S. 81 ff; BGH NStZ 1985 S. 453; BGH GA 1987 S. 261; BGH NStZ 1989 S. 67.

b) Abs. 1 Nr. 2 beschreibt die sog. "dirigierende Zuhälterei". Der Täter muß den Einsatz der Prostituierten durch besondere Organisationsmaßnahmen regeln und

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

durchsetzen und damit Herrschaft ausüben, d.h. bestimmend auf den Willen der Prostituierten einwirken; BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 294. Bloßes Beschützen der Dirne, Vertreiben der Konkurrenten, Vermittlung von Partnern u.ä. genügt nicht. Maßnahmen gegen das Aufgeben der Prostitution sind Vorkehrungen, die das Lösen aus dem Prostitutionsmilieu erschweren oder unmöglich machen, z.B. Entzug von Geldmitteln, Drohungen, Täuschungen u.ä. - Der Täter muß seines Vermögensvorteils wegen handeln, d.h. dieser Vorteil muß sein Motiv sein. c) § 181 a Abs. 2 stellt die gewerbsmäßige Förderung der Prostitution durch Vermittlung sexuellen Verkehrs - Unterhalt eines Call-Girl-Ringes, Schleppertätigkeit unter Strafe. d) Abs. 3 bedroht zuhälterische Handlungen in bezug auf den Ehegatten ohne Rücksicht darauf mit Strafe, ob hier Beziehungen im Hinblick gerade auf die zuhälterische Handlung unterhalten werden. e) Konkurrenzen: Die verschiedenen Begehungsformen können in bezug auf dasselbe Opfer in Fortsetzungszusammenhang stehen. Sind mehrere Prostituierte betroffen, so scheidet Fortsetzungszusammenhang wegen des höchstpersönlichen Rechtsguts (sexuelle Selbstbestimmung) aus; BGH StV 1987 S. 243.

VIII. Verbreitung pornographischer Schriften, § 184 Der Schutzzweck der Norm ist uneinheitlich; vgl. dazu unter 2.

1. Pornographische Schriften Pornographisch sind Schriften (auch Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen, § 11 Abs. 3), wenn sie nach ihrem objektiven Gehalt zum Ausdruck bringen, daß sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei den Betrachtern abzielen und eindeutig die Grenzen allgemein anerkannten sexuellen Anstandes überschreiten. Vgl. dazu BT-Drucks. VI/3521, S. 60; LACKNER StGB, § 184 Anm. 2 a; LAUFHÜTTE J Z 1974 S. 47. -

Zu abweichenden Konzeptionen vgl. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 23 Rdn. 5 ff. Nach dem wesentlich durch formale Kriterien bestimmten Kunstbegriff des BVerfG schließen Kunst und Pornographie einander nicht begrifflich aus. Im Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz ist der jeweilige Vorrang durch eine einzelfallbezogene Abwägung zu finden; dazu im einzelnen BGH N J W 1990 S. 3026 mit A n m . MAIWALD J Z 1990 S. 1141 ff.

2. Die einzelnen Tathandlungen a) Die Tatbestände der Nr. 1-5,7, 8 dienen vorwiegend fem Jugendschutz, doch ist in ihnen auch das Interesse, nicht gegen den eigenen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden, geschützt. Anbieten ist die Erklärung der Bereitschaft zur Überlassung von Pornographie. Das Angebot muß nach seinem Aussagegehalt für den durchschnittlich interessierten und informierten Betrachter den pornographischen Bezug deutlich machen; BGHSt 34 S. 94. - Überlassen ist die Übertragung des Gewahrsams. - Zugänglichmachen heißt Eröffnung von Wahrnehmungsmöglichkeiten. Ausstellen, Anschlagen und Vorführen sind Beispiele dafür. - Der Versandhandel braucht nicht auf Verkauf angelegt zu sein, es genügt Vermietung; BVerfG NJW 1982 S. 1512. - Ein gewerblicher Filmverleih ist nach der Intention des Gesetzes, das gemäß § 11 Abs. 3 Schriften und Filme gleichstellt, als Leihbücherei i.S. des § 184 Abs. 1 Nr. 3 anzusehen; aA. BGHSt 29 S. 69. - Ankündigen und Anpreisen müssen den pornographischen Charakter der Objekte erkennen lassen; BGH NJW 1977 S. 1695; OLG Stuttgart

§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung

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MDR 1977 S. 246. - Das Entgelt wird überwiegend für die Vorführung verlangt, wenn deren wirtschaftlicher Wert den der anderen Leistungen, z.B. Getränke, Rauchwaren u.a., übersteigt; dazu im einzelnen: BVerfGE 47 S. 109; BGHSt 29 S. 68; KG JR 1978 S. 167; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 262; ROGALL JZ1979 S. 715 ff.

b) Abs. 1 Nr. 6 sowie Abs. 2 schützen ausschließlich das Interesse, nicht gegen den eigenen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden. Dem Abs. 2 kommt nur für Iive-Sendungen des für die Allgemeinheit bestimmten Bild- und Hörfunks Bedeutung zu, da die Ausstrahlung von Bild- und Tonauizeichnungen bereits unter die verschiedenen Alternativen des Abs. 1 fallen. - Täter sind die für die Sendung verantwortlichen Personen.

c) Abs. 1 Nr. 9 gehört überhaupt nicht in den in § 184 geregelten Zusammenhang, denn hier wird die sexuelle Selbstbestimmimg in keiner Weise tangiert, vielmehr geht es um staatliche Interessen, die bei einer Ausfuhr von Pornographie verletzt werden können. d) Abs. 3 richtet sich gegen die sog. harte Pornographie. Er soll der kriminogenen und sozial desintegrierenden Wirkung sadistischer, pädophiler und sodomistischer Pornographie durch ein Herstellungs- und Verbreitungsverbot begegnen. Zum Begriff der Gewalttätigkeiten vgl. oben § 63 V 2 b. - Sexuellen Mißbrauch von Kindern haben Darstellungen von Handlungen i.S. des § 176 zum Gegenstand. - Sexuelle Handlungen von Menschen mit Heren erfordern körperlichen Kontakt.

3. Das Erzieherprivileg Das Erzieherprivileg gemäß § 184 Abs. 4 schließt die Anwendung des § 184 Abs. 1 Nr. 1 aus, selbst wenn das Verhalten des Erziehungsberechtigten eine grobe Verletzung der Erziehungspflicht darstellt. § 67: Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität Eine allgemeine Pflicht, anderen zu helfen, kann wegen ihrer Weite nicht Gegenstand einer Rechtsordnung sein. Wohl aber kann eine Rechtsordnung eine Pflicht zur Hilfeleistung in Situationen, in denen die Allgemeinheit oder der Einzelne besonderen, existenzbedrohenden Gefahren ausgesetzt ist, statuieren. Sie greift damit auf jene Grundlagen der Gesellschaft zurück, die ein soziales Miteinander erst ermöglichen, nämlich auf das Minimum der Solidarität zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft. Geschütztes Rechtsgut ist in diesem Bereich daher die mitmenschliche Solidarität, auf die der Einzelne oder die Allgemeinheit in bestimmten Situationen vertraut. I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c 1. Die Tatsituation Voraussetzung der Hilfspflicht i.S. des § 323 c ist ein Unglücksfall, gemeine Gefahr oder gemeine Not. a) Ursprünglich ging die Rechtsprechung davon aus, daß Unglücksfall ein plötzliches äußeres Ereignis sei, das erhebliche Schäden an Personen oder Sachen verursacht und weiteren Schaden zu verursachen droht. - Der BGH hat diese Definition dahin konkretisiert, daß eine Situation, in der Schaden erst drohe, genüge und daß es

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

gleichgültig sei, ob die Gefährdung dem Betroffenen von außen zustößt oder von ihm selbst herbeigeführt ist. aa) Mit der Anerkennung der bloßen Sachgefahr gerät die Definition jedoch zu weit. Das Vorliegen einer bloßen Sachgefahr begründet selbst dann keinen Unglücksfall, wenn bedeutende Sachwerte gefährdet sind. Dies folgt aus der Gleichstellung des Unglücksfalles mit der gemeinen Gefahr und gemeinen Not, die dann überflüssig wäre, wenn schon eine Sachgefahr als Unglücksfall anzusehen wäre. So auch: A R Z T in: Arzt/Weber, LH 2, Rdn. 376; F R E L L E S E N Die Zumutbarkeit der Hilfeleistung, 1980, S . 150 ff; S C H M I D H Ä U S E R B.T., 16/5; S C K / S C H / C R A M E R § 323 c Rdn. 5; V E R M A N D E R Unfallsituation und Hilfspflicht im Rahmen des § 330 c StGB, 1969, S. 24 ff, 50. - A A . D R E H E R / T R Ö N D L B § 323 c Rdn. 3; G E I L E N Jura 1983 S . 86 ff; L A C K N E R StGB, $ 323 c Anm. 2 a; R U D O L P H I S K , § 323 c Rdn. 5.

bb) Zu folgen ist dem BGH hingegen in der Erstreckung des Unglücksfalles auf Notsituationen, die der Betroffene selbst herbeigeführt hat. Ein Unglücksfall liegt danach auch in der Suizidsituation, und zwar bereits dann, wenn der Täter den Suizidplan ernsthaft ins Werk setzt, nicht erst dann, wenn der Täter das Opfer seiner selbst geworden ist oder sich von seinem Plan distanziert hat; dazu eingehend oben § 6 III 2. cc) Im Gegensatz zur Suizidsituation liegt kein Unglücksfall vor, wenn ein lebensgefährlich Erkrankter in voller Kenntnis der Situation aufgrund freier Entscheidung eine Behandlung ablehnt; dazu eingehend oben § 6 II. b) Daraus folgt für die Definition des Unglücksfalls: Unglücksfall ist eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, soll er nicht erheblichen Schaden an Leib, Leben, Freiheit oder einem anderen höchstpersönlichen Rechtsgut nehmen. c) Gemeine Gefahr ist eine Situation, in der die Möglichkeit des Schadens an Leib oder Leben oder an bedeutenden Sachwerten für unbestimmt viele Personen begründet ist; z.B. Überschwemmung, Brand. d) Gemeine Not ist eine Notlage der Allgemeinheit. 2 Das Tatverhalten Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt, mit dem das Unterlassen der erforderlichen und zumutbaren Hilfeleistung unter Strafe gestellt wird. a) Erforderlich ist die Hilfe, wenn aus der Sicht eines Beobachters der Situation ex-ante-Beurteilung - die Chance besteht, den drohenden Schaden abzuwenden. Ob dies wirklich gelingt, ist hingegen irrelevant. Dazu BGHSt 17 S. 170 f; BGH NStZ 1985 S. 409;

GEILEN

Jura 1983 S. 142 ff.

b) Die Hilfeleistung muß dem Täter zumutbar sein. Die Zumutbarkeit der Hilfe ist Tatbestandsmerkmal. Vgl. dazu H R U S C H K A J U S 1979 S . 391; L A C K N E R StGB, S . 7 6 7 ff. - A A : M A U R A C H / S C H R O E D E R B . T . 2 , § 5 6 II 4 .

§ 323 c Anm. 4; N A U C K E Welzel-Festschrift,

Die Zumutbarkeit ist zum einen nach dem Grad der eigenen Gefährdung, der Beziehung des Hilfsfähigen zum Geschehen, insbesondere auch nach seinen persönlichen Fähigkeiten, Hilfsmitteln, Erfahrungen und der Möglichkeit, z.B. am schnellsten Hilfe leisten zu können, zu bestimmen. Zum anderen aber ist die Situation des Hilfs-

§ 67 Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

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bedürftigen zu berücksichtigen und zu beachten, welche Hilfsmaßnahmen ihm - unter Beachtung seines Persönlichkeitsrechts - zumutbar sind; dazu vgl. oben § 6 III 2 c. Die erhebliche Gefährdung eigener Rechtsgüter und die Pflichtenkollision sind Beispiele für den Ausschluß der Zumutbarkeit. Dies gilt auch dann, wenn die Pflichtenkollision nicht rechtfertigt, sondern nur entschuldigt oder eine Kollision rechtlicher und religiöser Pflichten vorliegt; dazu BVerfGE 32 S. 98. - Die Gefahr einer Strafverfolgung schließt die Zumutbarkeit hingegen grundsätzlich nicht aus - vgl. BGHSt 11 S. 353; ULSENHEIMER GA 1972 S. 16 ff, wohl aber die Gefahr eigener schwerer Körperverletzungen; vgl. LG Mannheim NJW1990 S. 2212.

c) Der zumindest bedingte Vorsatz muß die Notsituation, die Möglichkeit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Hilfe umfassen. d) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter die Hilfspflicht erkannt hat und keine Hilfeleistung erbringt. Ein Rücktritt vom vollendeten Delikt ist in analoger Anwendung der §§ 158, 310 möglich, so lange keine Verschlechterung der Situation eingetreten ist So auch: SCH/SCH/CRAMER 8 323 c Rdn. 30. - A A BGHSt 14 S. 217; RUDOLPHI SK, § 323 c Rdn. 29; SCHAFFSTEIN Dreher-Festschrift, S. 154.

3. Konkurrenzen § 323 c begründet keine Garantenstellung zur Abwendung von Gefahren die dem Hilfsbedürftigen drohen. Der aus anderem Grunde verpflichtete Garant, der die Hilfe, zu der er verpflichtet ist, unterläßt, haftet aus dem entsprechenden Erfolgsdelikt. Das unechte Unterlassungsdelikt, auch der Versuch, konsumieren die unterlassene Hilfeleistung. - Idealkonkurrenz zwischen einem fahrlässigen Unterlassungsdelikt, z.B. § 222, und unterlassener Hilfeleistung ist möglich.

II. Mißbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungsund Nothilfemitteln, § 145 1. Das Wesen des § 145 Das in § 145 umschriebene abstrakte Gefährdungsdelikt soll gleichsam im Vorfeld des § 323 c die Voraussetzungen einer wirksamen Hilfeleistung erhalten helfen, und zwar dadurch, daß verhindert wird, daß nicht erforderliche Hilfe zur Gefahrenabwehr angefordert wird (Abs. 1) oder Präventivmaßnahmen, die zur Verhütung oder Bewältigung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr getroffen wurden, beeinträchtigt werden (Abs. 2). 2. Die Regelung im einzelnen a) § 145 Abs. 1 Nr. 1: Notrufe oder Notzeichen sind akustisch oder optisch wahrnehmbare Kurzäußerungen, die auf das Vorhandensein einer Not- oder Gefahrenlage und die Notwendigkeit fremder Hilfe aufmerksam machen. Beispiele: Betätigung des Nötrufmelders einer mit münzfreier Notrufeinrichtung versehenen öffentlichen Fernsprechzelle (OLG Oldenburg NJW 1983 S. 1573); mißbräuchliches Wählen der Notrufnummer 110 (BGHSt 34 S. 4, Str.); Betätigung von Polizeinotrufanlagen, Feuermeldern; das Abgeben von SOS-Funk-, Blink- und Winksignalen auf Gewässern und im Gebirge; das Abschießen notanzeigender Leuchtkugeln u.ä.

Mißbrauch ist jeder Gebrauch der Rufs oder Zeichens, obwohl keine Not oder Gefahr besteht.

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

b) § 145 Abs. 1 Nr. 2 erfaßt den Fall, daß anders als durch Notruf oder Notzeichen eine Notlage vorgetäuscht wird. Zum Unglücksfall, zu gemeiner Gefahr oder Not vgl. oben 11 a-c.

c) § 145 Abs. 2 schützt Einrichtungen, deren konkrete Zweckbestimmung in der genannten Schutzfunktion liegt. Beseitigen erfordert räumliche Entfernung. - In seinem Sinn entstellt oder unbrauchbar ist der Gegenstand, wenn er den konkreten Schutzzweck nicht mehr erfüllt. Beispiele lilr Nr. 1: Verkehrszeichen, die Warn- und Verbotsfunktionen haben (dazu HÄNDEL DAR 1975 S. 59); Warntafeln an Berghängen, Gewässern, Hochspannungsleistungen o.ä. Beispiele IQr Nr. 2: Brückengeländer; Schwimmwesten; Rettungsringe.

d) Der Tatbestand erfordert absichtliches oder wissentliches Handeln, bedingter Vorsatz genügt nicht. 3. Konkurrenzen a) Fallen Tathandlungen nach Nr. 1 und 2 zusammen, so liegt die Verwirklichung mehrerer Alternativen desselben Delikts vor. b) Abs. 2 ist subsidiär gegenüber §§ 303, 304, auch wenn der Strafantrag nach § 303 Abs. 3 nicht gestellt wird: "mit Strafe bedroht ist", § 145 Abs. 2. S o auch: HERDEGEN LK, § 145 R d n . 13. - A A SCH/SCH/STREE § 145 R d n . 22.

III. Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138,139 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur a) Abweichend von der hier vertretenen Auffassung - mitmenschliche Solidarität werden zum geschützten Rechtsgut unterschiedliche Meinungen vertreten: Straftat gegen das Strafrecht: SCHROEDERDie Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 9 ff, 32. - Delikt gegen die durch die anzeigepflichtigen Straftaten bedrohten Rechtsgüter: HANACK LK, § 138 Rdn. 2, LACKNER StGB, § 138 Anm. 1; RUDOLPHI SK, § 138 Rdn. 2; SCHMIDHÄUSER Bockelmann-Festschrift,

S. 688 ff. - Delikt gegen die Rechtspflege und die durch die anzeigepflichtigen Straftaten bedrohten Rechtsgüter: DREHER/TRÖNDLE § 138 Rdn. 1; KREY B.T. 1, Rdn. 635.

b) Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt. 2. Die Regelung des § 138 im einzelnen a) Abs. 1: Nur die hier genannten Straftaten - mit Ausnahme der §§ 129 a Abs. 3, 311 Abs. 1 Nr. 2 Verbrechen - sind anzeigepflichtig. - Glaubhaft erfahren hat der Täter von der Tat, wenn diese ernstlich geplant oder schon ausgeführt wird und er selbst mit ihrer Verübung rechnet. - Rechtzeitig ist die Anzeige an die Behörde oder den Bedrohten, wenn der Erfolg der Tat bzw. die Ausführung der Tat noch abgewendet werden kann. - Abs. 1 setzt für das Unterlassen der Anzeige Vorsatz voraus. b) Gemäß Abs. 2 wird die Strafbarkeit auf "das Vorhaben oder die Ausführung einer Straftat nach § 129 a" ausgedehnt. - Hier ist die Benachrichtigung der Behörde erforderlich. - Die Tat erfordert Vorsatz. c) Gemäß § 138 Abs. 3 wird auch das leichtfertige Unterlassen der Anzeige bestraft.

§ 67 Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität

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3. Entfallen der Anzeigepßcht a) Nicht anzeigepflichtig ist der untaugliche Versuch einer der genannten Straftaten, da dieser keine Notsituation begründen kann. b) Der von der Tat Bedrohte ist nur anzeigepflichtig, wenn sich die Tat auch noch gegen andere Personen richtet. Ist er allein Tatopfer, so verletzt er nicht das Vertrauen in die mitmenschliche Solidarität, wenn er keine Hilfe in Anspruch nimmt. c) Nicht anzeigepflichtig sind die an der geplanten Tat als Täter oder Teilnehmer Beteiligten. Ihre Strafbarkeit ergibt sich aus dem Grade ihrer Tatbeteiligung. Diese jedoch begründet keine Pflicht zur Verhinderung der geplanten Tat. H.M., A A . bezüglich des Teilnehmers SCHMIDHÄUSER Bockelmann-Festschrift, S. 683 ff, und sachlich auch JOERDEN Jura 1990 S. 636.

d) Nach Auffassung der Rechtsprechung war nicht nur der Tatbeteiligte, sondern auch der nur Tatverdächtige von der Anzeigepflicht befreit; vgl. BGH bei Holtz, MDR 1986 S. 794. Diese Auffassung hat der BGH nunmehr dahin modifiziert, daß nur derjenige von der Anzeigepflicht befreit ist, der auch noch nach Abschluß der Beweisaufnahme der nicht angezeigten Tat verdächtig bleibt; vgl. BGHSt 36 S. 170. Diese Auffassung wird dem Sachproblem nicht gerecht, denn dann müßte man dem Anzeigepflichtigen fairerweise eine Frist bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Beweisaufnahme geben, weil erst dann seine Anzeigepflicht zweifelsfrei besteht bzw. nicht besteht. - Ein unsinniges Ergebnis! Auszugehen ist davon, daß die Anzeigepflicht grundsätzlich unabhängig von einem etwaigen Verdacht der Tatbeteiligung besteht. Sodann ist zu differenzieren: Erweist sich der Verdacht der Tatbeteiligung im Laufe des Verfahrens als berechtigt, so haftet der Betroffene wegen seiner Beteiligung an der Tat. Wird der Verdacht der Tatbeteiligung ausgeräumt, so bleibt es bei der Verletzung der Anzeigepflicht nach § 138. Die Verletzung der Anzeigepflicht und die Tatbeteiligung stehen nämlich vergleichbar der Teilnahme und Täterschaft - in einem normativen Stufenverhältnis. Sie erfassen einen Angriff auf die geschützten Rechtsgüter in unterschiedlicher Intensität. Das ist offensichtlich, wenn § 138 als Delikt gegen die durch die anzeigepflichtige Straftat bedrohten Rechtsgüter interpretiert wird. Gleiches gilt für die hier vertretene Auffassung, daß § 138 als Delikt gegen die mitmenschliche Solidarität angesehen wird. Grundlage dieser Solidarität ist nämlich das Vertrauen des einzelnen auf die Solidarität der anderen in existenzbedrohenden Situationen. Diesen Situationen wollen auch die Katalogtaten in § 138 wehren. Wird § 138 hingegen als Straftat gegen das Strafrecht oder als Delikt gegen die Rechtspflege und die durch die anzeigepflichtigen Straftaten geschützten Rechtsgüter angesehen, so ist die Annahme eines normativen Stufenverhältnisses ausgeschlossen. Auch eine Wahlfeststellung kommt nicht in Betracht, da der Unrechtskern nicht identisch ist. Von diesen Prämissen her erfordert der Grundsatz in dubio pro reo einen Freispruch. Vgl. dazu OTTO JK 87, StGB § 138/1, und in Auseinandersetzung mit BGHSt 36 S. 167: JOERDEN Jura 1990 S. 633 ff.

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Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen

4. Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten, § 139 a) Ist die anzeigepflichtige Tat weder begangen noch versucht worden, so hat das Gericht die Möglichkeit, von Strafe bei dem Anzeigepflichtigen abzusehen, § 139 Abs. 1. Ist die Tat versucht worden, aber wegen Rücktritts des Täters für diesen straffrei, so findet § 139 Abs. 1 auf den Anzeigepflichtigen keine Anwendung.

b) Die Pflicht zur Anzeige entfällt nach § 139 Abs. 2 für Geistliche in bezug auf Mitteilungen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden sind. § 139 Abs. 2 enthält den vom Gesetzgeber geregelten Fall einer rechtfertigenden Pflichtenkollision und ist daher als Rechtfertigungsgrund anzusehen. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 139 Rdn. 4; HANACK LK, § 139 Rdn. 13; LACKNER StGB, § 139 ANM. 2; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 96 III b; RUDOLPHISK, § 139 Rdn. 3.

Für Tatbestandsausschluß: BLOY Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufh e b u n g s g r ü n d e , 1976, S . 135 F n . 1; KIELWEIN G A 1955 S. 231; KREY B . T . 1, R d n . 641; S C H / S C H / C R A MER S 139 Rdn. 2.

c) Straffrei bleiben nach § 139 Abs. 3 S. 1 Angehörige des oder der Täter, wenn sie sich ernsthaft bemüht haben, den oder die Täter von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn, die geplante Tat ist: 1. ein Mord oder Totschlag, 2. ein Völkermord in den Fällen des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 oder 3. ein erpresserischer Menschenraub, § 239 a Abs. 1, eine Geiselnahme, § 239 b Abs. 1, oder ein Angriff auf den Luftverkehr, § 316 c Abs. 1, durch eine terroristische Vereinigung, § 129 a. § 139 Abs. 3 S. 1 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 139 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 139 Anm. 3; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 96 HI c. F ü r E n t s c h u l d i g u n g s g r u n d z.B.: GEILEN J u S 1965 S . 4 3 1 f; KREY B . T . 1, R d n . 642; RUDOLPHI S K , § 139 R d n . 6; S C H / S C H / C R A M E R § 139 R d n . 4.

d) Unter den gleichen Voraussetzungen entfällt nach § 139 Abs. 3 S. 2 die Anzeigepflicht für Rechtsanwälte, Verteidiger und Ärzte, soweit ihnen die Kenntnis von dem Verbrechen in ihrer Berufseigenschaft anvertraut worden ist. § 139 Abs. 3 S. 2 enthält einen Rechtfertigungsgrund; vgl. die entsprechende Problematik oben b).

e) Pflichtwidrig handelt gemäß § 139 Abs. 4 S. 1 deijenige nicht, der die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet. Auch wenn das Gesetz nur die Straffreiheit des Täters feststellt, liegt hier ein Ausschluß des Tatbestandes vor, da der Täter seiner mitmenschlichen Pflicht nachgekommen ist. So auch im Ergebnis: BLOY Die dogmatische Bedeutung, S. 135 ff; RUDOLPHI SK, § 139 Rdn. 16; SCH/SCH/CRAMER § 139 Rdn. 6. - A A . Persönlicher Strafaufhebungsgrund: HANACK LK, § 139 Rdn. 37; LACKNER StGB, § 139 Anm. 4.

f) Straffrei bleibt schließlich gemäß § 139 Abs. 4 S. 2 der Anzeigepflichtige, der sich ernsthaft bemüht hat, den Erfolg abzuwenden, wenn die Ausführung der Tat oder der Erfolg ohne sein Zutun unterbleiben. § 139 Abs. 4 S. 2 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.

§ 68 Zur Wiederholung

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§ 68: Zur Wiederholung 1. Durch welche Delikte wird der äußere Frieden als überstaatliches Rechtsgut geschätzt? - Dazu §62. 2. Kann sogen, passive Gewalt, z.B. ein Sitzstreik, als "Gewalttätigkeit" i.S. des § 125 angesehen werden? - Dazu § 6311 b. 3. Wann ist die öffentliche Sicherheit i.S. des § 125 gefährdet? - Dazu § 6311 d. 4. Setzt § 140 voraus, daß der Täter der belohnten oder gebilligten Tat schuldhaft gehandelt hat? Dazu §63 IV 1,2 c. 5. Was ist das "Berichterstatterprivileg"? - Dazu § 63 V 2 d, aa. 6. Wie sind die sog. Delikte gegen das Pietätsempfinden genauer zu bezeichnen? - Dazu § 64,1. 7. Wie wird Wegnahme i.S. des § 168 definiert? - Dazu § 64,5 a, bb. 8. Welches Rechtsgut schützt § 173? - Dazu § 65 m 1. 9. In welchen Fällen ist § 173 anwendbar? a) A verkehrt mit der nichtehelichen Tochter seiner Frau geschlechtlich. b) A verkehrt mit seiner Stiefschwester geschlechtlich. c) A verkehrt mit der in der Ehe geborenen Tochter seiner Ehefrau, deren Ehelichkeit er nicht angefochten hat, geschlechtlich. - Dazu § 65 III 1. 10. Macht sich ein im Inland lebender Ausländer oder Deutscher, der sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht, nach § 170 b strafbar? - Nenne den entscheidenden Gesichtspunkt. - Dazu § 65IV 2 a. 11. Welche Angriffsrichtungen sind innerhalb der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu unterscheiden? - Dazu § 6612. 12. Was ist eine "sexuelle Handlung"? - Dazu § 66 II 1. 13. Kann ein Schutzbefohlener i.S. des § 174 strafbar zum sexuellen Mißbrauch anstiften? - Dazu § 66 V 2 d, III 4 b. 14. Ist die mittelbare Täterschaft durch eine Frau bei homosexuellen Handlungen, § 175, möglich? Dazu § 66 V 3 b. 15. Wann ist ein öffentliches Ärgernis i.S. des § 183 erregt? - Dazu § 66 VI 2. 16. Was sind Delikte gegen die "mitmenschliche Solidarität"? - Dazu § 67 vor I. 17. Ist die Selbstmordsituation ein Unglücksfall i.S. des § 323 c? - Dazu § 6711 a, bb. 18. Begründet § 323 c eine Garantenstellung? - Dazu § 6713.

Vierter Abschnitt Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs § 69: Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Urkundendelikte ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Beweisverkehrs mit Urkunden und beweiserheblichen Daten. 2. Die Schutzrichtung Der Gesetzgeber hat vier verschiedene Arten des Angriffs auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs in den Urkundendelikten verpönt: a) Den Angriff gegen die Echtheit der Urkunde, §§ 267, 275, 277, 2. und 3. Alt., 279 in Verbindung mit § 277, und beweiserheblicher Daten, § 269. Relevant ist hier, ob der angegebene Aussteller auch der wirkliche ist. b) Den Angriff gegen die inhaltliche Wahrheit der Urkunde, §§ 271, 272, 273, 277, 1. Alt., 279 in Verbindung mit §§ 277, 278, 348 Abs. 1, und der in öffentlichen Dateien gespeicherten Daten, §§ 271, 273, 348 Abs. 1. - Relevant ist hier, ob der Inhalt der Urkunde oder der Daten sachlich richtig ist. c) Den Angriff gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels: § 274. - Relevant ist hier der körperliche Fortbestand des Beweismittels als Beweismittel. d) Den Angriff gegen die bestimmungsgemäße Verwendung des Beweismittels: §281.

Diese starke Differenzierung der strafbaren Angriffsweisen, die zugleich eine scharfe Begrenzung der jeweiligen Schutzbereiche zur Folge hat, begründet die grundsätzliche Problematik der Urkundendelikte, die letztlich auch im Streit um den "richtigen" Urkundenbegriff zum Vorschein kommt: Überall dort, wo der gewährte Schutz als unzureichend empfunden wird, liegt der Versuch nahe, durch Umdeutung der Schutzrichtung den Schutzbereich auszudehnen.

§ 70: Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 1. Der Begriff der Urkunde a) Strukturelemente des Urkundenbegriffs Der Urkundenbegriff muß drei Funktionen gerecht werden: aa) In der Urkunde ist eine menschliche Gedankenerklärung verkörpert (Perpetuierungsfunktion). bb) Der Gedankenerklärung kommt Rechtserheblichkeit zu (Beweisfunktion), cc) Die Urkunde muß erkennen lassen, wer für die Erklärung einzustehen hat (Garantiefunktion).

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

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b) Die verschiedenen Urkundenbegriffe Trotz einheitlicher Anerkennung der drei Funktionen werden für den Urkundenbegriff unterschiedliche Konsequenzen gezogen. aa) Die h.M. vertritt den weitesten Urkundenbegriff: Urkunden sind sinnlich wahrnehmbare Gegenstände der Außenwelt, die nach Gesetz, Herkommen oder Vereinbarung der Beteiligten dazu bestimmt und geeignet sind, über ihr körperliches Dasein hinaus eine Gedankenäußerung des Urhebers darzustellen und für bestimmte rechtliche Beziehungen Beweis zu erbringen, und ihren Aussteller erkennen lassen. Dazu RGSt 6 S. 290; 64 S. 49; BGHSt 18 S. 70; ARZT in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 467; ESER IV, Nr. 19 A 9; KREY B.T. 1, Rdn. 679 ff; LACKNER StGB, § 2 6 7 ANM. 2; SCH/SCH/CRAMER § 267 Rdn. 2; TRÖNDLE LK, § 267 Rdn. 1 m.w.N. in Fn. 8; WESSELS B . T . - l , § 1 8 1 2 .

bb) Die Mindermeinung in der Lehre beschränkt den Urkundenbegriff auf Schriftstücke: Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche und zum Beweis geeignete und bestimmte Erklärung eines bestimmten Ausstellers verkörpert. D a z u BINDING B.T. II 1, S. 170; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 65 II; SAMSON U r k u n d e n und B e -

weiszeichen, 1968, S. 94 ff; DERS. JuS 1970 S. 372; SCHILLING Der strafrechtliche Schutz des Augenscheinsbeweises, 1965, S. 86; DERS. Reform der Urkundenverbrechen, 1971, S. 70 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 1 4 / 1 0 ; WELZEL Lb., § 59 II 1.

cc) Stärker noch begrenzt KIENAPFEL den Urkundenbegriff: Urkunden sind schriftlich verkörperte Erklärungen, die ihren Aussteller erkennbar machen. Dazu KIENAPFEL ZStW 82 (1970) S. 367 ff; DERS. GA 1970 S. 193 ff; DERS. Maurach-Festschrift, S. 4 3 1 ff; DERS. J Z 1 9 7 2 S. 396 f.

c) Stellungnahme aa) Die verkörperte Gedankenerklärung In der Urkunde muß die Kundgabe eines Gedankeninhalts mit einer körperlichen Sache fest verbunden sein. Die Beweiskraft der Urkunde beruht nämlich auf ihrem Inhalt, nicht auf einem bestimmten So-Sein des Objektes im Gegensatz zum So-Sein anderer Objekte. Die Urkunde ist selbst nur Mittel zu einer Beweisführung durch eine verkörperte Gedankenerklärung. Ein rechtsverbindlicher Erklärungswille ist nicht erforderlich, es genügt, daß sich der Erklärende bewußt ist, daß er einen Gedanken äußert und ihn körperlich fixiert. D a z u PUPPE Jura 1979 S. 636; SAMSON J A 1979 S. 529; TRÖNDLE LK, § 267 Rdn. 14.

(1.) Die Erklärung selbst muß optisch-visuell erkennbar sein. Aufzeichnungen auf Tonträgern sind daher keine Urkunden. S o auch: GERSTENBERG N J W 1956 S. 540; SCH/SCH/CRAMER § 267 Rdn. 6; SIEBER Compu-

terkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 284 und Nachtrag 2/22; WESSELS B.T.-l, § 18 I 2 a. A A . z.B.: ARMIN KAUFMANN ZStW 71 (1959) S. 416.

(2.) Bloße Augenscheinsobjekte - Blutflecke, Einschüsse, Fingerabdrücke - und technische Aufzeichnungen - Fahrtenschreiberdiagramme die durch ihr So-Sein Beweis erbringen, sind keine Urkunden, da sie keine Gedankenerklärung verkörpern. Das gleiche gilt von Blanketten oder Formularen, die erst durch Ausfüllen eine bestimmte Gedankenerklärung erhalten. Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 625; LG Berlin wistra 1985 S. 242 f.

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

(3.) Keine Urkunden sind sog. Kennzeichen, d.h. Zeichen, die lediglich der Unterscheidbarkeit, der Kennzeichnung, der Herkunfts- oder Eigentumsbezeichnung dienen. - Hingegen sollen sog. Beweiszeichen nach h.M. Urkundenqualität haben. Als bloße Kennzeichen sollen anzusehen sein: Spielchips in einem Spielcasino (RGSt 55 S. 98); der Dienststempelabdruck in der Diensthose als Eigentümerzeichen (RG GA 77 (1933) S. 202); der Waldhammerschlag als Eigentumszeichen (RGSt 25 S. 244); Fabriknummer auf Industrieerzeugnissen (RG GA 59 (1912) S. 352); Autogramm (RGSt 23 S. 214). Hingegen hat die Rechtsprechung als Beweiszeichen angesehen: Färb-, Grenz-, Kerb-, Pfahl-, Pfand-, Präge- und Sperrzeichen, z.B. Merkzeichen auf Bierfilzen (RG DStR 1919 S. 77), Eichstempel an der Waage (RGSt 56 S. 355); Waldhammerschlag, der Eigentumsübergang kennzeichnen sollte (RGSt 14 S. 180); Korkbrand (BGHSt 9 S. 238); Fahrgestell-, Motornummer und amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen (BGHSt 16 S. 94); Künstlerzeichen auf einem Bild (OLG Frankfurt NJW1970 S. 673); Preisetiketten an einer Ware (OLG Köln NJW 1979 S. 729 mit Anm. KIENAPFEL S. 730 f, und LAMPE JR 1979 S. 214 ff; OLG Düsseldorf NJW 1982 S. 2268). .

Trotz jahrelanger Bemühungen ist der Rechtsprechung eine überzeugende Abgrenzung zwischen Kennzeichen und Beweiszeichen nicht gelungen: "Für das Pygmäenvolk der Beweiszeichen, der Kennzeichen, der Identitäts- und Unterscheidungszeichen wurden Abscheidungskriterien, die im einzelnen Fall überzeugende Ergebnisse liefern, nicht gefunden..."; T R Ö N D L E LK, § 267 Rdn. 69. Diese Abgrenzung kann auch nicht gelingen, denn in Wirklichkeit fehlt es den Beweiszeichen genau wie den Kennzeichen an einer in dem Zeichen selbst verkörperten Gedankenerklärung, durch die die Beweisführung ermöglicht wird. Die Beweisführung erfolgt vielmehr aufgrund der Tatsache, daß das Zeichen einem bestimmten Gegenstand eine andere Beschaffenheit verleiht als einem Gegenstand mit einem anderen Zeichen. Damit wird aber offensichtlich, daß die h.M. sich mit der Anerkennung der Beweiszeichen als Urkunde zu ihren eigenen Prämissen in Widerspruch setzt. Prägnant und zutreffend hat das Reichsgericht dies zum Ausdruck gebracht: ..."immer aber muß ein Gegenstand, wenn er als Urkunde angesehen werden soll, durch seinen gedanklichen Inhalt als Erklärung einer Person zum Beweis für rechtserhebliche Tatsachen in Betracht kommen. Sachen, die lediglich ihr Dasein und ihre sichtbaren Eigenschaften beweisen, sind keine Urkunden, sondern lediglich Augenscheinsgegenstände" (RGSt 55 S. 98). (4.) Für das Erfordernis der verkörperten Gedankenerklärung folgt daraus: Der Erklärende kann sich einer Fremdsprache bedienen, Stenographie oder eine "Geheimschrift" benutzen, wenn und solange der Inhalt der Erklärung noch aus sich heraus oder mit den üblichen Mitteln der Auslegung einer Erklärung verständlich ist: Stets aber muß es sich um eine schriftliche Gedankenerklärung handeln. Bloße, in ihrer Bedeutung willkürlich, ohne jede Änderung ihrer Gestalt austauschbare Zeichen enthalten keine zum Urkundenbeweis fähige Gedankenerklärung. Es sind Zeichen, denen unter Eingeweihten eine bestimmte Bedeutung zukommt, die jederzeit ausgetauscht werden kann, ohne daß das Zeichen verändert wird. Das aber ist mit dem Erfordernis einer im Gegenstand verkörperten Gedankenerklärung nicht vereinbar. Dazu eingehender: OTTO JuS 1987 S. 762 f.

bb) Der Aussteller einer Urkunde Die Urkunde muß von einem bestimmten Aussteller, ihrem "Urheber", herrühren.

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

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Aussteller ist nach der heute herrschenden sog. Geistigkeitstheorie derjenige, von dem die Erklärung geistig herrührt, nicht aber deijenige, der sie körperlich hergestellt hat, wie es die sog. Körperlichkeitstheorie forderte. Vgl. RGSt 22 S. 379; 75 S. 47; BGHSt 13 S. 385; BayObLG NJW 1981S. 773; ARZT in: Arzt/Weber, L H 4, Rdn. 482 ff; LACKNER StGB, § 267 Anm. 2 e; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 65 IV 1 c; RHEINECK Fälschungsbegriff und Geistigkeitstheorie, 1979, S. 38 ff, 53 ff; SAMSON JUS 1970 S. 375; SCH/SCH/CRAMER § 267 Rdn. 16, 55; TRÖNDLE LK, § 267 Rdn. 15; WESSELS B.T.-L, § 1 8 1 2 c.

Wie TRÖNDLE - L K § 2 6 7 Rdn. 17 - jedoch darlegt, ist auch nach Auffassung der Vertreter der Geistigkeitstheorie als Aussteller nicht der gemeint, "auf den etwa die Erklärung in ihrer sprachlichen Gestalt oder als geistig-schöpferische Idee zurückgeht, sonst wären Aussteller von Urkunden, die mit rechtskundiger Hilfe zustande gekommen sind, die beteiligten Anwälte oder Notare". - Auch deijenige, der durch Täuschung zur Unterschrift veranlaßt wurde, steht keineswegs geistig hinter der Erklärung oder fühlt sich an diese gebunden. Zivilrechtlich wird ihm die Erklärung, wenn die Täuschung nicht so weit ging, daß der Unterzeichnende überhaupt keinen Erklärungswillen hatte, aber noch als eigene zugerechnet. An dieser Zurechnung sollte auch das Strafrecht festhalten. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, daß Aussteller derjenige ist, der sich die Erklärung - nach außerstrafrechtlichen Normen rechtlich zurechnen lassen muß. Die sog. Geistigkeitstheorie ist ihrem Wesen nach daher eine Zurechnungstheorie. Vgl. auch: OTTO JR 1990 S. 252 ff; PAEFFGEN JR 1986 S. 114 ff; PUPPE Jura 1979 S. 637 ff; DIES. JR 1981S. 441 ff; SCHROEDER GA 1974 S. 230.

Allerdings führt die unbegrenzte Übertragung zivilrechtlicher Zurechnungsgrundsätze zu einer bedenklichen Begrenzung des Strafrechtsschutzes, denn auch derjenige, der sich kraft Rechtsscheins eine Erklärung zurechnen lassen muß, wäre hiernach noch als Aussteller anzusehen. Es ist aber etwas anderes, ob jemand eine Urkunde selbst herstellt oder aber ob es einen Rechtsschein setzt, der es ihm später unmöglich macht, sich einer bestimmten, in einer Urkunde benannten Verpflichtung zu entziehen. Gegen eine Begrenzung aber PUPPE Jura 1986 S. 25 Fn. 10; DIES. JuS 1989 S. 361.

Zutreffend erreicht die h.M. die hier nötige Begrenzung durch die Aufstellung der weiteren Rechtssicherheitserfordernisse, daß eine Zurechnung nur dann stattfindet, wenn (1) Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung nicht rechtlich vorgeschrieben ist, (2) der Namensträger sich vertreten lassen und (3) der Unterzeichner den Namensträger vertreten will. Vertreten in diesem Sinne aber kann nur heißen: bei der Unterschrift vertreten, nicht aber: rechtswirksame Verpflichtungen oder Berechtigungen für den Vertretenen herbeiführen. Das, was für den unmittelbar Handelnden keine Urkundenfälschung ist, kann auch für denjenigen keine Urkundenfälschung sein, der einen anderen mit dessen Wissen bei der Unterschriftsleistung vertritt, wenn der "Vertretene" sich zu der Unterschrift als seiner bekennen will und nicht Eigenhändigkeit rechtlich vorgeschrieben ist. cc) Die Erkennbarkeit des Ausstellers Der Urkunde muß - sei es auch wiederum im Wege der Auslegung ihres Textes - der Aussteller entnehmbar sein als eine konkrete, zumindest aber konkretisierbare Person, von der die Erklärung herrührt.

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Aus der Urkunde erkennbar ist der Aussteller stets dann, wenn sie vom Aussteller unterzeichnet oder der Aussteller im Text der Urkunde benannt ist. Anonyme Gedankenerklärungen sind keine Urkunden. Das ist eindeutig im Fall der offenen Anonymität. Hier will der Erklärende gerade den Zusammenhang mit seiner Person verbergen. Er will verheimlichen, daß er hinter der Erklärung steht, gleichgültig ob die Erklärung überhaupt nicht unterschrieben ist, einen Phantasienamen oder ähnliches enthält, z.B. Christoph Kolumbus. - Gleiches gilt für die versteckte Anonymität, d.h. wenn der Urheber trotz namentlicher Unterzeichnung nicht auf eine bestimmte Person als den Erklärenden hinweisen will, z.B. bei der Unterzeichnung mit einem Allerweltsnamen ohne jeden Zusatz. - Will der Urheber sich hingegen hinter dem Allerweltsnamen verbergen, dem Erklärungsadressaten gegenüber aber vortäuschen, daß eine ganz bestimmte Person diese Erklärung abgegeben habe, so liegt kein Fall einer Anonymität vor. Dazu BGHSt 5 S. 151; SEIER JA 1979 S. 135; TRÖNDLE LK, § 267 Rdn. 42.

dd) Die Beweiseignung Das von der h.M. geforderte Merkmal der Beweiseignung der Urkunde ist für die Rechtspraxis bedeutungslos. Das Merkmal selbst ist letztlich konturen- und inhaltslos geblieben. Es ist überflüssig. Zutreffend hat bereits das Reichsgericht dargelegt, daß "unter den leblosen Gegenständen auf der Erde kein einziger existiert, der nicht u.U. beweisfähig (beweisgeeignet) für irgendeine Tatsache sein könnte" (RGSt 17 S. 105). Dazu KIENAPFEL Urkunden im Strafrecht, 1967, S. 215 f, 311; PUPPE JZ 1986 S. 938; TRÖNDLE LK, § 267 Rdn. 66.

ee) Die Beweisbestimmung Überflüssig ist auch das Merkmal der Beweisbestimmung als selbständiges Element des Urkundenbegriffes. Da es nicht darauf ankommen soll, ob der Aussteller der Gedankenerklärung die Beweisbestimmung gibt oder ein Dritter, ist es zur Differenzierung zwischen Urkunden und bloßen Urkundenentwürfen o.ä. untauglich. Der Entwurf kann von einem Dritten durchaus zum Beweis bestimmt werden. In gleicher Weise untauglich ist dieses Merkmal zur Begründung der Gleichstellung von Absichtsurkunden (Urkunde erhält die Beweisbestimmung bei der Anfertigung durch den Aussteller) und Zufallsurkunden (Beweisbestimmung erfolgt erst später, sei es durch den Aussteller oder Dritte). Warum die Beweisbestimmung durch den Aussteller der durch einen Dritten gleichgestellt wird, ist dem Merkmal gerade nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, das Merkmal verdeckt, daß aufgrund der Beweisbestimmung ganz verschiedener Personen unterschiedliche Sachverhalte bedenkenlos gleich behandelt werden. Dazu PUPPE Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972, S. 125 f.

Relevanz kommt der Beweisbestimmung nur in einer Beziehung zu, nämlich insoweit, als das Merkmal darauf hinweist, daß die Urkunde für den Rechtsverkehr bestimmt ist. Dieses Element ist jedoch mit dem Erfordernis der Rechtserheblichkeit des Urkundeninhalts hinreichend erfaßt, ff) Die Rechtserheblichkeit der Erklärung Neben der Beweisbestimmung hat das Merkmal der Rechtserheblichkeit der Erklärung in der Praxis selten eigenständige Bedeutung erlangt. Überflüssig ist es dennoch

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

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nicht. Zum einen weist es auf die Einheitlichkeit des Urkundenbegriffs in § 267 und in § 271 hin, zum anderen ist es geeignet, jene Erklärungen aus dem Urkundenschutz herauszunehmen, denen zumindest jetzt keinerlei Rechtserheblichkeit mehr zukommt. d) Konsequenzen für den Urkundenbegriff Eine Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche Gedankenerklärung eines bestimmten Ausstellers verkörpert. 2. Besondere Formen strafrechtlich geschützter Urkunden a) Die Gesamturkunde Eine Gesamturkunde liegt vor, wenn mehrere einzelne Urkunden oder Schriftstücke zu einem einheitlichen Ganzen (Bogen, Buch, Akteneinheit) vereinigt werden derart, daß eine neue rechtserhebliche Erklärung entsteht, deren Inhalt (Aussage) über den der Einzelteile hinausgeht. - In der Regel wird es der Inhalt der Gesamterklärung sein, daß die Einzelerklärungen erschöpfend über bestimmte Rechtsverhältnisse Auskunft geben. Beispiele: Handelsbücher (RGSt 69 S. 398); Posteinlieferungsbuch (RG LZ 1931 Sp. 259); Bierlieferungsbuch (RGSt 51 S. 38); Melderegister bei Meldebehörden (BGH LM Nr. 19 zu § 267); Personalakte (OLG Düsseldorf NStZ 1981S. 25 f).

b) Die zusammengesetzte Urkunde Eine zusammengesetzte Urkunde liegt vor, wenn eine Urkunde mit einem Augenscheinsobjekt, auf das sich ihre Erklärung inhaltlich bezieht, räumlich fest zu einer "Beweiseinheit" verbunden ist. Beispiele: Lichtbildausweis (BGHSt 17 S. 97); beglaubigte Abschriften und beglaubigte Fotokopien.

c) Durchschriften Mehrere Ausfertigungen derselben Urkunde, Durchschriften und Hektographien sind selbständige Urkunden. Im einzelnen dazu GEPPERT Jura 1990 S. 271 ff.

d) Abschriften und als Fotokopien erkennbare Wiedergaben Abschriften und Fotokopien, die als solche erkennbar sind, unterfallen nicht dem Urkundenbegriff, weil der Aussteller der Urschrift für die Richtigkeit der Wiedergabe nicht einzustehen hat und auch keine andere Person als Aussteller erscheint. Allerdings soll nach der Rechtsprechung - vgl. BGHSt 5 S. 291, einschränkend BGHSt 20 S. 17 - die Vorlage der Kopie ein Gebrauchmachen von der falschen Urkunde sein, von der die Kopie gefertigt wurde. Das soll selbst dann gelten, wenn die Vorlage der Kopie durch Aufeinanderkleben von Unterschrift und Text selbst niemals zur Täuschung geeignet war, weil jedermann sofort erkennen konnte, daß hier keine einheitliche Urkunde vorlag, sondern eine Unterschrift auf einen bestimmten Text geklebt worden ist. Dazu BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 197. Dagegen mit Recht ablehnend: JESCHECK GA 1955 S. 105; D . MEYER M D R 1973 S. 9 ff; PUPPE Jura 1979 S. 640.

Beim bloßen Aufeinanderlegen von Text und Unterschrift fehlt es allerdings an einer verkörperten Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen läßt. Es fehlt daher an einem Original der Urkunde, von dem durch Benutzung der Fotokopie Gebrauch gemacht sein könnte. Hier lehnt auch die Rechtsprechung ein Gebrauchmachen beim Benutzen der Kopie ab; BGH bei Holtz, MDR 1976 S. 813.

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e) Als Reproduktion nicht erkennbare Fotokopie u.a. Wird eine Reproduktion einer Urkunde angefertigt, die den Anschein einer Originalurkunde erweckt, so enthält das Schriftstück keine Aussage über das, was in einem anderen Schriftstück enthalten ist, sondern es wird der Anschein erweckt, daß hier eine eigene Erklärung des angeblichen Ausstellers vorliegt, für die dieser einstehen wolle. Damit liegt eine unechte Urkunde vor. Vgl. OLG Zweibrücken NJW 1982 S. 2268; OLG Köln StV 1987 S. 297; BayObLG J Z 1988 S. 727; dagegen aber: GEPPERT Jura 1990 S. 273; ZACZYKNJW 1989 S. 2515 ff.

f) Computerausdrucke Computerausdrucke, denen der Aussteller zu entnehmen ist, sind Urkunden, wenn sie eine rechtserhebliche Erklärung enthalten. Dazu eingehend: ZLEUNSKI Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 605 ff, 627.

3. Die unechte Urkunde Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von dem herrührt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht. Auf die inhaltliche Wahrheit oder Unwahrheit der Erklärung kommt es hingegen nicht an. Wer "schriftlich lügt", stellt keine unechte, sondern eine echte, aber unwahre Urkunde her. 4. Die einzelnen Tathandlungen Der Tatbestand unterscheidet drei Alternativen: Das Herstellen einer unechten Urkunde (1. Alternative), das Verfälschen einer echten Urkunde (2. Alternative) und das Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde (3. Alternative). Diese Tathandlungen setzen jeweils voraus, daß der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt, a) Herstellen einer unechten Urkunde Eine unechte Urkunde stellt her, wer den Anschein erweckt, daß sie von einer anderen Person als dem wirklichen Aussteller herrührt, aa) Vertretung bei der Unterzeichnung Wie bei der Bestimmung des Ausstellers der Urkunde klargestellt wurde, ist Aussteller der Urkunde nicht derjenige, der sie körperlich herstellt, sondern derjenige, dem sie als Aussteller - unter bestimmten Voraussetzungen; vgl. dazu I 1 c bb zugerechnet wird. Bei der Abgabe unwahrer Erklärungen durch einen Vertreter im Sinne des Urkundenstrafrechts ist danach entscheidend dafür, ob eine unechte Urkunde hergestellt wird oder nicht, wie weit der Vertretene sich die Urkunde zurechnen lassen will. BayObLG NJW 1981 S. 774: A hatte vor Antritt der Fahrt mit dem Kraftfahrzeug die Diagrammscheibe des Fahrtenschreibers mit dem erfundenen Namen "S" ausgefüllt, um bei einer eventuellen Kontrolle eine Lenkzeitüberschreitung zu verheimlichen. BayObLG: A hat eine unechte Urkunde hergestellt, wenn er die Eintragung ohne Einwilligung des Fahrzeughalters vorgenommen hat."... Dann kann dem Halter die Erklärung im Sinne der Geistigkeitstheorie nicht zugerechnet werden, was zur Unechtheit der Urkunde führt. Bei solcher Fallgestaltung wird der Halter als Aussteller vorgetäuscht, während die Urkunde in Wirklichkeit in dieser Form vom Angeklagten herrührt, so daß eine Täuschung über die Person des Ausstellers als dem geistigen Urheber der Erklärung vorliegt".

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

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D a ß es in diesen Fällen darauf ankommt, wie weit der unmittelbar Handelnde zur Abgabe von Erklärungen ermächtigt ist, und insbesondere, ob seine Ermächtigung auch die Abgabe unwahrer Erklärungen umfaßt, ist in der Rechtsprechung nicht immer deutlich genug herausgearbeitet worden. In vielen Entscheidungen wird der Eindruck erweckt, als komme es nur darauf an, ob eine Urkundenfälschung vorläge, w e n n der Vertretene selbst gehandelt hätte. Vgl. KG VRS 57 S. 121 mit Anm. GEILEN JK, StGB § 267/3; OLG Stuttgart NJW 1981S. 1223; dazu OTTO JUS 1987 S. 764 f; PUPPE JZ1986 S. 943; deutlich differenzierend wiederum BayObLG NJW 1988 S. 1401 mit A n m . OTTO JK, 88 StGB § 267/11; PUPPE JuS 1989 S. 361 f; B a y O b L G N J W 1988 S. 2190.

In anderen Entscheidungen stellen die Gerichte nicht die Frage, wer sich als Aussteller zu der Erklärung bekennen will und soll, sondern stellen darauf ab, ob der "Vertreter" eine rechtswirksame Erklärung für den "Vertretenen" abgegeben hat. BayObLG JR 1990 S. 251 mit Anm. OTTO S. 252 ff: Der A unterschrieb eine Lohnbescheinigung mit Kenntnis und Billigung der Ehefrau mit ihrem Namen, um dem Finanzamt eine Aushilfstätigkeit seiner Ehefrau vorzutäuschen und dadurch den Lohn für von ihm selbst geleistete Arbeit ohne Abzüge ausgezahlt zu bekommen. BayObLG: Da A den Namen seiner Ehefrau, wenn auch mit deren Erlaubnis, benutzte, um im Rechtsverkehr über den Empfänger des Geldes zu täuschen, liegt eine Urkundenfälschung vor. Dem kann nicht gefolgt werden, denn das BayObLG identifiziert hier die Täuschung über die Person des Ausstellers mit einer Täuschung über das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses. Schließlich verläßt die höchstrichterliche Rechtsprechung die Basis der Täuschung über den Aussteller der Urkunde als denjenigen, d e m die Urkunde zuzurechnen ist, in einzelnen Entscheidungenwillkürlich beim Handeln von Personen für Behörden, juristische Personen oder andere Firmen, obwohl in anderen Entscheidungen die Problematik sorgfältig herausgearbeitet wird. BGH StV 1986 S. 156: A beabsichtigte als Geschäftsführer der A-GmbH, einen Kredit aufzunehmen. Er reichte eine von G unterzeichnete Kostenermittlung bei der Kreditgeberin ein. Nach Zusage des Kredits veranlaßte er den Bruder des G, den B. G., auf Bögen der A-GmbH Baufortschrittsmitteilungen zu verfassen und zu unterschreiben, die nicht der Wahrheit entsprachen. Der Kredit wurde ausgezahlt, weil die Kreditgeberin nicht merkte, daß G und B.G. nicht identisch waren. BGH: Hier war die A GmbH als das im Briefkopf genannte Unternehmen Ausstellerin des Kostenvoranschlags und der Bautenstandsberichte. Für die Gesellschaft war zum einen der A als deren Geschäftsführer zeichnungsberechtigt, zum anderen aber auch jede weitere Person, die von A entsprechend bevollmächtigt war. Das war im Falle der Kostenermittlung der Architekt G, im Falle der Bautenstandsberichte dessen Bruder B. G.... Der A stand hinter den inhaltlich unrichtigen Urkunden, die mit seinem Willen von einem Dritten unterschrieben wurden. Die geschickt durchgeführte Täuschung der Kreditgeberin ändert nichts daran, daß es sich bei den Bautenstandsberichten ebenso wie bei der Kostenermittlung um echte Urkunden handelte, weil sie ihren wahren Aussteller, die A GmbH, erkennen ließen. Vgl. auch. BGHSt 7 S. 149; 17 S. 11. D i e Zurechnungskonstruktion wird hingegen aufgegeben, w e n n in anderen Fällen bereits die Täuschung über die Identität des Unterzeichnenden als Herstellung einer unechten Urkunde interpretiert wird. BGHSt 33 S. 159: Der A war Inhaber mehrerer Firmen, deren Geschäfte er faktisch führte, während nach außen so getan wurde, als seien dritte Personen (Strohmänner) Inhaber dieser Firmen. A bezweckte mit diesem Verschleierungsmanöver, fingierte Rechnungen an sich selbst auf den Firmenbögen auszustellen, um staatlichen Stellen Aufwendungen vorzuspiegeln, für die er Ersatz verlangen konnte. BGH: Die von A gefertigten Rechnungen waren unechte Urkunden, denn wirklicher und nach außen hin für den beteiligten Personenkreis nicht erkennbarer Aussteller war der A. Gerade auf die Identität des Ausstellers erstreckte sich aber der Beweiswert der Belege.

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

Dieses Ergebnis kann nicht befriedigen, denn A als Inhaber und faktischer Geschäftsführer der Firmen war - zumindest nach den Grundsätzen der faktischen Geschäftsführung - befugt, Erklärungen für die ihn» gehörenden Firmen abzugeben. Wenn der BGH dennoch zu dem Ergebnis kommt, A habe über den Aussteller der Urkunden getäuscht, setzt er sich damit zu den von ihm bisher vertretenen Prämissen in Widerspruch. Vgl. dazu O T T O JUS 1987 S. 765 ff; PAEFFGEN JR 1986 S. 114 ff; PUPPE Jura 1986 S . 22 ff; DIES. J Z 1986 S. 942 f; WEIDEMANN N J W 1 9 8 6 S. 1976 ff.

Maßgeblich ist die Rechtswirksamkeit der Erklärung hingegen, wo eine höchstpersönliche Unterzeichnung rechtlich vorgeschrieben ist. Eine unechte Urkunde stellt daher auch her, wer unzulässigerweise mit fremdem Namen unterzeichnet, so z.B., wenn ein Testament mit dem Namen des Erblassers von einem Dritten unterzeichnet wird oder jemand unter dem Namen eines anderen eine höchstpersönliche Prüfungsleistung erbringt. Wer hingegen eine schriftliche Gedankenerklärung zu seiner eigenen macht und damit zum Ausdruck bringt, daß er sich zu ihr bekennt und sich an sie gebunden fühlt, stellt keine unechte Urkunde her, selbst wenn die Verwendung der fremden Gedankenerklärung verboten ist. So z.B., wenn jemand eine fremde Prüfungsleistung als eigene ausgibt (BayObLG NJW 1981S. 772 mit Anm. S C H R O E D E R JuS 1981 S. 417 ff) oder ein von einem anderen geschriebenes Testament als eigenes unterschreibt ( A A . OLG Düsseldorf NJW 1966 S . 749 mit Anm. M O H R B O T T E R S. 1421 f, und O H R JuS 1967 S. 255 ff.)

bb) Namenstäuschung und Identitätstäuschung Die Täuschung über die Identität des Ausstellers der Urkunde erfolgt im Regelfall durch Namenstäuschung. Gleichwohl ist nicht jede Namenstäuschung als Identitätstäuschung zu interpretieren. Maßgeblich ist vielmehr, ob trotz Verwendung eines falschen Namens im Kreise der Beteiligten ein Irrtum über die Person des Ausstellers ausgeschlossen ist, weil seine Identität unzweifelhaft ist oder aber keinerlei Interesse an dieser Identität besteht. Vgl. dazu RGSt 48 S. 241; BGHSt 1 S. 121; 33 S. 160; OLG Celle NJW 1986 S. 2772; KREY B.T. 1, Rdn. 704 f; LACKNER StGB, § 267 Anm. 3 a; M A U R A C H / S C H R O E D E R B . T . 2, § 65 I V 1; OTTO JuS 1987 S . 7 6 7 f; T R Ö N D L E L K , § 2 6 7 R d n . 129.

Keine unechte Urkunde stellt demgemäß her, wer mit einem ihn allgemein oder in den beteiligten Kreisen hinreichend kennzeichnenden Namen, z.B. einem Decknamen, Künstlernamen, Spitznamen oder sonstigen Pseudonym, unterschreibt. Gleiches gilt für denjenigen, der ständig unter falschem Namen lebt und daher ohne weiteres als ausstellende Person identifiziert werden kann. Schließlich kann auch bei einer schlichten Namenstäuschung eine echte Urkunde hergestellt werden, wenn ein Irrtum über die Person des Ausstellers in den beteiligten Kreisen ausgeschlossen ist oder keinerlei Interesse an der Identität besteht. Die bloße Möglichkeit einer Verwechslung der Identität begründet noch keine Täuschung über den Aussteller, wenn dieser sich persönlich zu seiner Erklärung bekennen will. Keine unechte Urkunde wird daher bei der Unterzeichnung im eigenen Namen hergestellt, wenn eine andere Person gleichen Namens für den Aussteller gehalten werden soll. Hier liegt u.U. ein Betrug, nicht aber eine Urkundenfälschung vor. Beispiel: Der vermögenslose X unterzeichnet einen Wechsel in der Hoffnung, dieser Wechsel werde als Wechsel seines vermögenden Namensvetters angesehen. Niemand käme auch nur auf die Idee, die Herstellung einer unechten Urkunde läge vor, wenn der im Beispielsfall genannte X nicht vermögenslos wäre, sondern genauso wohlhabend wie sein Namensvetter.

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

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A A . OLG Schleswig SchlHA 1973 S. 184; KREY B.T. 1, Rdn. 706; LACKNER StGB, § 267 Anm. 3 b; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 65 IV 1 a. - Anders natürlich, wenn der Namenszug des Namensvetters nachgeahmt wird, denn hier kommt in der Urkunde die Identitätstäuschung zum Ausdruck.

b) Verfälschen einer echten Urkunde Verfälscht ist eine Urkunde, wenn sie durch eine unbefugte, nachträgliche Änderung etwas anderes aussagt als der Aussteller erklärt hat. BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 23: Sachlich handelt es sich hier um die Vernichtung einer echten Urkunde und um das Herstellen einer neuen, unechten Urkunde, so daß Verfälschen statt Vernichtung und Herstellung dann vorliegt, wenn nach der Tat eine Urkunde desselben Ausstellers wie zuvor, jedoch mit anderem Inhalt, gegeben ist.

Eine selbständige Bedeutung soll das Verfälschen hingegen haben, wenn der Aussteller selbst der Urkunde nachträglich einen anderen Inhalt gibt, nachdem ein Dritter bereits ein Beweisführungsrecht an der Urkunde erlangt hat. KG wistra 1984 S. 233: A hatte Steuervorteile für in Berlin produzierte Waren und angefallene Dienstleistungen in Anspruch genommen. Der Beweis dieser Leistungen wurde durch Vorlage von Rechnungsdurchschlägen geführt. Bei einer Betriebsprüfung stellte sich heraus, daß die auf den Originalrechnungen vorhandenen erforderlichen Herkunftsvermerke auf einer Reihe von Rechnungsdurchschriften fehlten. A, der befürchtete, die Steuervorteile zurückerstatten zu müssen, ließ die Vermerke nachträglich auf die Rechnungsdurchschläge setzen. KG: A hat die Rechnungsdurchschriften verfälscht. "Unter 'Verfälschen' wird nach einhelliger Ansicht jede nachträgliche Veränderung des gedanklichen Inhalts einer Urkunde verstanden, durch die der Anschein erweckt wird, als habe der Aussteller die Erklärung von Anfang an so abgegeben, wie sie nach der Veränderung vorliegt. Entscheidend hierfür ist, daß die Urkunde infolge des Eingriffs eine andere rechtserhebliche Tatsache zu beweisen scheint als vorher, daß sich auch ihre ursprüngliche Beweisrichtung geändert hat".

Dieses Ergebnis entspricht der einst h.M., ist heute jedoch in Frage gestellt, denn durch die nicht "ausstellerbezogene", sondern zugleich "erklärungsbezogene" Interpretation des Merkmals "echt" in § 267 wird in Wirklichkeit der Schutzbereich des § 267 in diesem Einzelfall um den des § 274 erweitert: Dem Angriff auf die Echtheit der Urkunde wird der Angriff auf die inhaltliche Wahrheit der Urkunde gleichgestellt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Bestandsschutz von Urkunden von weiteren Strafwürdigkeitselementen - § 274 I Nr. 1: Nachteilsabsicht; § 133: dienstliche Verwahrung - abhängig zu machen, wird damit mißachtet und umgangen, der vom Gesetzgeber gewährte Strafrechtsschutz über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Zur h.M. vgl. BGHSt 13 S. 382; BGH wistra 1989 S. 100; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 715 mit zust. A n m . KÜHL J A 1978 S. 527, u n d krit. A n m . PUPPE J R 1978 S. 206 ff; LACKNER S t G B , § 267 A n m . 4 b ; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 65 I V 2; PAEFFGEN J u r a 1980 S. 487; TRÖNDLE LK, § 267 R d n . 142, 153 ff. - A A . ARMIN KAUFMANN Z S t W 7 1 (1959) S. 411; KIENAPFEL J R 1975 S. 515; LAMPE G A 1 9 6 4 S. 327 ff; MAIWALD Z S t W 9 1 (1979) S. 958; OTTO J u S 1987 S. 768 f; PUPPE J R 1978 S. 207; DIES. J Z 1986 S. 944 f; SAMSON SK, § 267 R d n . 74; SCHILLING Schutz S. 110 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 14/20; SCH/SCH/CRAMER § 267 R d n . 68.

c) Gebrauch einer unechten oder verfälschten Urkunde Gebraucht ist die unechte oder verfälschte Urkunde, wenn sie der Wahrnehmung des zu Täuschenden so zugänglich gemacht ist, daß die Möglichkeit der Kenntnisnahme ohne weiteres besteht. Das bloße Mitsichführen der Urkunde (BGH StV 1989 S. 304) oder das Hinterlegen, um die Kenntnisnahme demnächst zu eröffnen (BGHSt 36 S. 64), ist demgemäß noch kein Gebrauchmachen. Ob hingegen der Täter als Vertreter eines anderen handelt oder in der Position eines Boten ohne Kenntnis des Geschäftsherni die Urkunde dem zu Täuschenden zur Kenntnis bringt ist irrelevant (aA. OLG Stuttgart NJW 1989 S. 2552).

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

Zum Gebrauchmachen von der Urkunde durch die Vorlage einer Fotokopie vgl. oben 2 d. 5. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß neben der Tathandlung (Herstellen, Verfälschen, Gebrauchmachen) die Merkmale umfassen, die die Urkundeneigenschaft begründen. b) Zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt, wer einen anderen über die Echtheit der Urkunde täuschen und dadurch zu einem rechtlich erheblichen Verhalten veranlassen will. Beispiele: Absicht der Täuschung im Rechtsverkehr ist gegeben, wenn die Urkunde im Prozeß als Beweismittel dienen soll, wenn die Polizei irregeführt oder aufgrund der Urkunde ein Kredit erschlichen werden soll. - Auch wenn der Beweis über ein wirklich bestehendes Rechtsverhältnis mit einer verfälschten Urkunde erbracht wird, so ändert das nichts daran, daB von einer verfälschten Urkunde Gebrauch gemacht wird (OLG Köln MDR 1986 S. 71). Gleiches gilt, wenn, wie bei einem Führerschein, die Urkunde durch die Verfälschung als ganze ungültig geworden ist (BGHSt 33 S. 105; dazu OTTO JuS 1987 S. 770 m.w.N. Fn. 91 ff). - Nicht hingegen, wenn jemand nur vor anderen angeben oder aus Eitelkeit über sein Alter täuschen will.

Des rechtserheblichen Verhaltens des anderen muß sich der Täter bewußt sein (direkter Vorsatz), es braucht ihm nicht darauf anzukommen. S o auch: CRAMER J Z 1968 S. 30; LACKNER S t G B , § 2 6 7 ANM. 7; LENCKNER N J W 1967 S. 1890 ff;

TRÖNDLE LK, § 267 Rdn. 198 ff. - A A . BayObLG NJW 1967 S. 1476.

c) Nach der Klarstellung durch § 270 handelt der Täter auch dann zur Täuschung im Rechtsverkehr, wenn er die /¿Uschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitung, die sich im konkreten Fall auf rechtserhebliche Daten bezieht, bewirken will. 6. Das Verhältnis der einzelnen Alternativen zueinander a) Hat der Täter von Anfang an die Absicht, die gefälschte oder verfälschte Urkunde in bestimmter Weise zu gebrauchen, so bilden Fälschung oder Verfälschung und Gebrauch eine natürliche Handlungseinheit. Mit dem Gebrauchmachen wird das Delikt materiell beendet. Es liegt nur eine Tat vor. Das gilt auch, wenn der Täter von Anfang an die Urkunde mehrfach gebrauchen will. - Entspricht der spätere Gebrauch hingegen nicht dem früheren Plan oder faßt der Täter nach einem Gebrauch einen erneuten Entschluß, weiter von der Urkunde Gebrauch zu machen, so liegen zwei selbständige Handlungen vor. Vgl. B G H S t 5 S. 293; MLEHE G A 1967 S. 275; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 79; TRÖNDLE LK,

§ 267 Rdn. 212.

b) Im Gegensatz zu dieser Auffassung will der BGH bei der Verwirklichung der verschiedenen Formen des § 267 eine fortgesetzte Tat annehmen, soweit der Täter mit Gesamtvorsatz handelt. - Dem kann nicht gefolgt werden, da die verschiedenen Tathandlungen des § 267 nicht als gleichartige Deliktsbegehungsweisen i.S. einer fortgesetzten Tat angesehen werden können. Im einzelnen dazu BGHSt 17 S. 97; GEPPERT Jura 1988 S. 162 f; HÄUSSLING JZ 1963 S. 69 f; MLEHE G A 1967 S. 2 7 0 ff; TRÖNDLE LK, § 2 6 7 R d n . ? ' L

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

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II. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 1. Das Angriffsobjekt a) Beweiserhebliche Daten Der Begriff der Daten umfaßt - wie beim Computerbetrug; vgl. § 52 III 2 - alle Informationen, die sich kodieren lassen. Ausdrücklich begrenzt ist der relevante Bereich der Daten jedoch auf beweiserhebliche Daten. Wie sich allerdings aus dem gesetzlich zwingend geforderten hypothetischen Vergleich mit der Urkunde ergibt, kommt dem Merkmal der Beweiserheblichkeit nur deklaratorische Bedeutung zu, denn wenn die relevanten Daten im Fiille ihrer visuellen Wahrnehmung einer (unechten oder verfälschten) Urkunde entsprechen sollen, so müssen sie - abgesehen von ihrer visuellen Wahrnehmbarkeit - den Urkundsvoraussetzungen - vgl. dazu I 1 a - genügen: Sie müssen - wenn auch nicht visuell erkennbar - stofflich fixiert, d.h. verkörpert sein (Perpetuierungsfunktion), sie müssen einen Aussagegehalt besitzen, der im Rechtsverkehr Bedeutung erlangen kann (Beweisfunktion), und sie müssen ihre Aussteller, d.h. denjenigen, der für die Erklärung einzustehen hat, erkennen lassen (Garantiefunktion). Vgl. dazu auch: LACKNER StGB, § 269 Aran. 2; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 825.

b) Mehrheit von Daten Ob der rechtserhebliche Aussagegehalt sich aus einem einzigen Datum, aus einer Mehrheit von Daten oder erst aus einem Datum im Kontext mit anderen bereits gespeicherten Daten ergibt, ist irrelevant. Möglich sind auch Konstellationen, die der Gesamturkunde - mehrere Datenbestände enthalten rechtserhebliche Aussagen, deren Zusammenfassung eine selbständige, über den bisherigen Aussagegehalt hinausgehende Aussage enthält - oder der zusammengesetzten Urkunde - beweiserhebliche Daten sind in körperlichen Gegenständen gespeichert, die mit anderen Objekten, auf die sich die Daten beziehen, fest zu einer "Beweiseinheit" verbunden sind; vgl. dazu die Ausführungen unter 12 a, b - entsprechen. c) Erkennbarkeit des Ausstellers Aus der Garantiefunktion der Daten folgt, daß ihr Aussteller erkennbar sein muß. Diese Erkennbarkeit braucht sich nicht aus der Datenspeicherung als solcher zu ergeben. Aus dem Gesamtsystem der gespeicherten Daten und den Möglichkeiten, sie visuell wahrnehmbar zu machen, muß sich aber der Aussteller identifizieren lassen. Daher genügt es, wenn der Aussteller z.B. durch den Ausdruck der Daten, durch Programmanweisungen oder durch Zugangsbeschränkungen für die Teilnehmer am Datenverkehr ersichtlich wird. Vgl. auch GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 5; LACKNER StGB, § 269 Anm. 3 b, bb; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 134 f.

Ist jedoch auch nach Nutzung eventuell vorhandener "Auslegungsbehelfe" kein bestimmter Aussteller erkennbar, so entfällt der Tatbestand. Da Inhaber und Betreiber einer Datenverarbeitungsanlage sowie für das Programm Verantwortliche und Verfügungsberechtigte in der Regel verschiedene Personen sind, ist der Aussteller, wie bei der Urkundenfälschung - dazu oben I 1 c, bb -, nach den Regeln der normativ modifizierten sog. Geistigkeitstheorie zu bestimmen:

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

Aussteller ist, wer sich die Daten - nach außerstrafrechtlichen Regeln - rechtlich zurechnen lassen muß. Vgl. dazu: LACKNER StGB, § 269 A n m . 3 b, bb; LENCKNHR/WINKELBAUER C R 1986 S. 825; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 135; ZLELINSKI A n n i n Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 6 2 0 ff, 627.

2 Die Tathandlung Tathandlungen sind das dem Herstellen einer unechten Urkunde entsprechende Speichern unechter Daten, das der Verfälschung einer echten Urkunde entsprechende Verändern von Daten sowie das dem Gebrauchmachen unechter oder verfälschter Urkunden entsprechende Gebrauchen unechter oder veränderter Daten. Unecht gespeichert sind Daten, wenn bei ihrer Wahrnehmung eine unechte Urkunde vorläge, d.h. wenn der Speichernde den Anschein erweckt, für die Datenspeicherung sei nicht er verantwortlich, sondern deijenige, dem die Daten zugerechnet werden. - Verändert sind Daten, wenn bei ihrer Wahrnehmung eine verfälschte Urkunde vorläge, d.h. wenn der Täter den Anschein erweckt, die Daten hätten den durch die Veränderung erlangten Inhalt von Anfang an besessen bzw. die Veränderung hätte der Berechtigte vorgenommen. - Gebraucht sind die unechten oder verfälschten Daten, wenn sie dem zu Täuschenden - z.B. durch Sichtbarmachen auf dem Bildschirm - zur Kenntnis gebracht oder verfügbar gemacht worden sind. Erfolgt das Gebrauchmachen allerdings durch Vorlage eines Ausdrucks der Daten, der den Aussteller erkennen läßt, so erfüllt dieses Verhalten bereits den Tatbestand des § 267. Vgl. im einzelnen dazu LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 825 f; MÖHRENSCHLAGER wistra

1986 S. 135.

3. Der subjektive Tatbestand Subjektiv muß der Täter vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und zur Täuschung im Rechtsverkehr - dazu vgl. 15 b - handeln. 4. Konkurrenzen a) Für die verschiedenen Begehungsweisen des § 269 untereinander gelten die für § 267 entwickelten Grundsätze; vgl. 16. b) Bei einem Zusammentreffen von §§ 268, 269 besteht aufgrund der verschiedenen geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz. c) Wird der unechte Datenbestand zu einer unechten Urkunde ausgedruckt und diese zur Täuschung in Rechtsverkehr gebraucht, so wird § 268 von § 267 konsumiert. Zwar sind §§ 267, 269 nach Unrechtsart und -qualität gleichwertig. Nach der Intention des Gesetzgebers kommt dann § 269 aber gegenüber § 267 die Funktion zu, Strafbarkeitslücken zu schließen. Das rechtfertigt es, § 267 beim Zusammentreffen mit § 269 Vorrang einzuräumen. Vgl. auch: LACKNER StGB, § 269 A n m . 6 a; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 826.

Kommt es nur zum Versuch des § 267, so konsumiert § 269 diesen als mitbestrafte Nachtat.

§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde

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III. Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, § 275 1. Als strafbare Vorbereitungshandlungen zur Urkundenfälschung nach § 267 stellt § 275 bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Fälschung amtlicher Ausweise selbständig unter Strafe. - Ausweise in diesem Sinne sind nur von Behörden oder anderen Stellen der öffentlichen Verwaltung ausgestellte Urkunden, die die Identität einer Person oder ihre persönlichen Verhältnisse nachweisen. Die Erleichterung des Identitätsnachweises aufgrund einer Bescheinigung durch eine mit hoheitlicher Prüfungsgewalt ausgestattete Stelle kennzeichnet den Ausweis. Als amtliche Ausweise kommen Pässe, Personal-, Dienst- und Studentenausweise, Führerscheine o.a. in Betracht. Keine Ausweise in diesem Sinne sind Kraftfahrzeugschein und -brief (OLG Koblenz VRS 55 S. 428), Scheck- und Kreditkarten.

2. Tätige Reue führt zur Straffreiheit gemäß § 275 Abs. 2 i. V. m. § 149 Abs. 2,3. 3. Das vollendete Urkundendelikt gemäß § 267 konsumiert die Vorbereitungshandlung nach § 275. IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277,2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 1. Die Verfälschung von Gesundheitszeugnissen § 277 unterscheidet drei Alternativen: Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus, wobei er sich unbefugt als Medizinalperson ausgibt (1. Alt.; dazu unten § 71 IV). Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus und handelt hierbei unter fremdem Namen als Medizinalperson (2. Alt.). - Der Täter verfälscht das echte Gesundheitszeugnis einer Medizinalperson (3. Alt.). Die 2. und 3. Alt. des § 277 sind Spezialfälle der 1. und 2. Alt. des § 267. Sie gehen diesen jeweils als leges speciales vor. - Da es sich um Fälle des Angriffs gegen die Echtheit, nicht die Wahrheit der Urkunde handelt, kommt es nicht darauf an, ob das Zeugnis inhaltlich wahr ist oder nicht. a) Gesundheitszeugnisse sind Erklärungen über den (jetzigen, früheren oder künftigen) Gesundheitszustand einer Person. b) Approbierte Medizinalpersonen sind Personen, die mit staatlicher Erlaubnis einen akademischen Heilberuf ausüben. Beispiele: Arzt, Apotheker, Zahnarzt.

c) Die Tat ist zweiaktiges Delikt. Sie ist erst mit dem Gebrauch der Urkunde vollendet. 2. Der Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 279 in Verb, mit § 277 Die Tat setzt ein im Sinne des § 277 objektiv falsches Gesundheitszeugnis voraus, bei dem überdies die Diagnose falsch sein muß, denn nur dann kann über den Gesundheitszustand getäuscht werden. a) Es ist nicht vorausgesetzt, daß der Täter, der das Zeugnis ausgestellt hat, zur Täuschung i.S. des § 277 gehandelt hat. b) § 277 konsumiert § 279.

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

§ 71: Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 1. Schutzbereich und Täterkreis a) Die Vorschrift stellt die Herstellung bestimmter echter, aber inhaltlich unrichtiger Urkunden und in öffentlichen Dateien gespeicherter Daten unter Strafe. b) Die Tat ist echtes Amtsdelikt. - Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2 - sein, die nach Bundes- und Landesrecht zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt sind. Maßgeblich ist hier die sachliche, nicht auch die örtliche Zuständigkeit, da der öffentliche Glaube an die sachliche Zuständigkeit anknüpft, während die örtliche Zuständigkeit für denjenigen, der die Urkunde zur Kenntnis nimmt, kaum durchschaubar ist. So auch: ARZT in: A r z t / W e b e r , L H 4, Rdn. 599; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 66 I 2 a. - A A B G H S t 12 S. 86; D R E H E R / T R O N D L E § 3 4 8 R d n . 2; S C H / S C H / C R A M E R § 3 4 8 R d n . 5.

Soweit zuständige Amtsträger bei der Erstellung der Urkunde zusammenwirken, können sie Mittäter sein, während eine Haftung Außenstehender nur als Anstifter oder Gehilfe in Betracht kommt; zu beachten ist hier aber § 28 Abs. 1. Mittelbare Täterschaft bei § 348 ist möglich, wenn der beurkundende Amtsträger gutgläubig und der Täter selbst Amtsträger ist, der die Beurkundung selbst vornehmen könnte. So auch: LACKNER StGB, § 271 Anm. 5 a; TRÖNDLE LK, § 348 Rdn. 3.

2. Der Begriff der öffentlichen Urkunde Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichen Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen (§ 415 Abs. 1 ZPO) und die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen. - Öffentliche Bücher oder Regbter sind dementsprechend Bücher oder Register, die öffentlichen Glauben haben, d.h.. Beweis für und gegen jedermann begründen. Gleiches gilt für öffentliche Dateien, die beweiserhebliche Daten enthalten. Der Beweis für und gegen jedermann beruht auf der Tatsache, daß die zuständige Behörde oder die mit öffentlichem Glauben versehene Person zur Prüfung und beweiskräftigen Beurkundung bestimmter Tatsachen berufen ist. Die Beweiskraft erstreckt sich allein auf die beurkundete Tatsache. Der Bezugsgegenstand der erhöhten Beweiskraft erschließt sich daher in der Frage: Was hat die Behörde oder die mit öffentlichem Glauben versehene Person als von ihr geprüft (gesehen, erkannt) beurkundet? Die Reichweite der Beweiskraft ist durch Auslegung zu ermitteln, die beurkundete Tatsache muß sich jedoch aus der Urkunde ergeben und nicht erst aus gedanklichen Schlußfolgerungen. - Bei öffentlichen Urkunden, die eine Verfügung, Anordnung oder Entscheidung enthalten, ist besonders darauf zu achten, ob die Voraussetzungen des Verwaltungsaktes beurkundet sind oder nur der Akt selbst. So soll der Tauglichkeitsstempel des Fleischbeschauers Beweis für die Untersuchung des Viehs und ihr Ergebnis, die Aufenthaltserlaubnis eines Ausländers nur Beweis über die Erteilung der Erlaubnis, nicht aber für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen erbringen.

§71 Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde

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Dazu OLG Karlsruhe Die Justiz 1967 S. 152; OLG Köln JR 1979 S. 255 mit Anm. PUPPE S. 256 ff. Weitere Beispiele für öffentliche Urkunden und ihre Beweiskraft: Eintragung der nächsten Hauptuntersuchung eines Kraftfahrzeugs im Kraftfahrzeugschein: Beweis für Zeitpunkt dieser Untersuchung (BGHSt 26 S. 11). - Kraftfahrzeugschein: Beweis für die Zulassung eines bestimmten Kraftfahrzeugs mit dem entsprechenden Kennzeichen (OLG Hamburg NJW 1966 S. 1827). - Eintragungen im Sparbuch einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse: Beweis für Ein- und Auszahlungen (BGHSt 19 S. 19). - Erbschein: Beweis der Erbfolge (BGHSt 19 S. 87). - Gefangenenbuch; Beweis der Identität (BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 283). - Ausfuhrbescheinigung: Beweis für best. Steuerrückerstattungsansprüche (BayObLG NJW 1990 S. 655). - Führerschein: Beweis für Personalangaben (BGHSt 34 S. 299). Beispiele für öffentliche Bücher oder Register: Annahmebücher der Post über Wertsendungen (RGSt 67 S. 271). - Grundbuch (OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 365). - Amtliche Wiegebücher (BGH bei Daliinger, MDR 1958 S. 140). - Tagebuch des amtlich bestellten Fleischbeschauers (RGSt 40 S. 341). Keine öffentlichen Urkunden sind die für den inneren dienstlichen Verkehr angefertigte Vermerke (dazu BGHSt 7 S. 94) und schriftliche Erklärungen eines Amtsträgers, die in einem Prozeß als Beweismittel dienen sollen (OLG Celle NStZ 1987 S. 282). Gleiches gilt für Polizeiprotokolle (OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 217). Als hier relevante Dateien kommen insbesondere solche in Betracht, in denen der Inhalt öffentlicher Urkunden, Bücher oder Register gespeichert wird; BT-Drucks. 10/318, S. 34.

3. Die Tathandlung Falsch beurkundet, eingetragen oder eingegeben ist eine Tatsache, wenn das Beurkundete usw. mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. 4. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz - bedingter genügt - muß die Unrichtigkeit der Erklärung und die Merkmale umfassen, die die Eigenschaft der öffentlichen Urkunde begründen. 5. Die Vollendung des Delikts Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das Delikt vollendet, wenn der Amtsträger die Beurkundung oder Eintragung bewirkt hat. Da aber nicht der Urkundenbestand als solcher geschützt ist, sondern der Beweisverkehr mit öffentlichen Urkunden, muß der Tatbestand restriktiv dahin interpretiert werden, daß die Vollendung des Delikts nur dann eintritt, wenn der Täter im Bewußtsein handelt, daß die Urkunde in den Beweisverkehr gelangt oder gelangen soll. Dieses "Entäußerungselement" kommt in § 267 im Merkmal "zur Täuschung" und in § 278 im Merkmal "zum Gebrauch bei einer Behörde ..." zum Ausdruck. Auch wenn § 348 eine derartige Einschränkung im objektiven bzw. subjektiven Tatbestand nicht enthält, so erscheint es aufgrund der Gleichartigkeit der Problemlage sachgerecht, auch hier den Tatbestand noch nicht als erfüllt anzusehen, wenn der Täter ein Werk anfertigt, das nach seiner Vorstellung den Beweisverkehr niemals gefährden soll. So auch: ESER IV, Nr. 20 A 52. - Noch weiter: BGH NJW 1952 S. 1064; LACKNER StGB, § 348

Anm. 3 d; RÖHMEL JA 1978 S. 199; TRÖNDLELK, § 348 Rdn. 20.

II. Mittelbare Falschbeurkundung, §§ 271, 272 1. Die Bedeutung des § 271 § 271 ist als Ergänzung des § 348 zu verstehen. Da der Täter des § 348 ein Amtsträger sein muß, ist eine mittelbare Täterschaft durch einen Nicht-Amtsträger bei der Verwirklichung des § 348 nicht möglich. Diese Lücke schließt der § 271.

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

2. Der Schutzbereich des § 271 Bewirken i.S. des § 271 ist jedes Verursachen einer unwahren Beurkundung oder Speicherung, das nicht als Anstiftung oder mittelbare Täterschaft zur Falschbeurkundung im Amt, § 348, erfaßbar ist. Damit werden folgende Fälle von § 271 erfaßt: a) Der Täter bewirkt, daß ein zuständiger gutgläubiger Amtsträger etwas Unwahres zu öffentlichem Glauben beurkundet oder speichert. BGHSt 8 S. 293: A erreicht durch Täuschung, daß der Notar N eine inhaltlich unrichtige Beurkundung vornimmt. Ergebnis: A: § 271.

b) Der Täter hält den Amtsträger irrig für gutgläubig. - Eine Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt, §§ 348, 26, entfällt hier, weil der Täter den Amtsträger nicht zu einer vorsätzlichen Tat bestimmen will. Beispiel: A will durch Täuschung erreichen, daß der Notar N gutgläubig etwas Unrichtiges beurkundet. N durchschaut den A jedoch. Gleichwohl fertigt er die Urkunde, weil er dadurch dem X schaden will. Ergebnis: N: § 348; A: § 271.

A hat den in § 271 pönalisierten Erfolg erreicht. Daß er über die Art des Bewirkens irrte, ist eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs, da der Gesetzgeber die verschiedenen Weisen des Bewirkens gleich bewertet. So auch: ESERIV, Nr. 20 A 40; KREY B.T. 1, Rdn. 737; SCH/SCH/CRAMER § 271 Rdn. 30; TRÖNDLE LK, § 271 Rdn. 61. - A A . BOCKELMANN B.T./3, § 14 II 4; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 66 I 4 c; SAMSON SK, § 271 Rdn. 21: nur Versuch.

c) Der Täter hält den Amtsträger irrig für bösgläubig. - Hier läge ohne die Regelung des § 271 nur eine straflose erfolglose Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt vor, weil es entgegen der Vorstellung des Täters nicht zur Haupttat kommt. Beispiel: A bittet den Notar N, eine inhaltlich unrichtige Urkunde herzustellen. Er geht jedoch davon aus, daß N gemerkt hat, daß die Urkunde inhaltlich unwahr sein wird. - N hat dies jedoch nicht erfaßt. Er geht davon aus, daß die Urkunde inhaltlich wahr ist. Ergebnis: A: § 271. Dazu ESER IV, Nr. 20 A 41; HRUSCHKA JZ 1967 S. 212; KREY B.T. 1, Rdn. 737; MAURACH/ SCHROEDER B.T. 2, § 66 I 4 c; TRÖNDLE LK, § 271 Rdn. 61. - A.A..: SAMSON SK, § 271 Rdn. 21; SCH/SCH/CRAMER § 271 Rdn. 30: Straflosigkeit.

3. Der Bezug der Beweiskraft Es genügt nicht, daß irgendwelche Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen unrichtig beurkundet werden, es muß sich vielmehr um Angaben handeln, auf die sich die erhöhte Beweiskraft erstreckt. Beispiele: Vgl. oben 12.

4. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz - bedingter genügt - muß insbesondere die inhaltliche Unrichtigkeit und die Rechtserheblichkeit der Erklärung umfassen.

§ 71 Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde

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5. Schwere mittelbare Falschbeurkundung, § 272 § 272 ist ein Qualifikationstatbestand gegenüber § 271, und zwar tritt eine Strafschärfung ein, wenn der Täter die Tat des § 271 in der Absicht begeht, sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem anderen Schaden zuzufügen. a) Absicht ist hier der auf den Erfolg zielgerichtete Wille. Es genügt aber, daß es dem Täter auf den Erfolg ankommt, weil dieser ein Mittel zur Erzielung eines weiteren Erfolges ist. b) Der Vermögensvorteil muß - entgegen dem Gesetzeswortlaut - ein rechtswidriger i.S. der Vermögensdelikte - dazu oben § 40 II 4 - sein, denn nur die auf eine weitere rechtswidrige Tat gerichtete Absicht erklärt die schärfere Strafe sinnvoll. S o auch: BlNDING B.T. II 1, S. 264; FRANK StGB, S 268 Anm. 1 1 ; SCH/SCH/CRAMER § 272 Rdn. 1. A A h.M. vgl. z.B. RGSt 52 S. 93; OLG Hamm NJW 1956 S. 602; DREHER/TRÖNDLB § 272 Rdn. 3; LACKNER StGB, § 272 Anm. l; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 6 6 1 4 d; TRÖNDLE LK, § 272 Rdn. 9.

c) Schaden ist nach h.M. jeder Nachteil, nicht nur ein Vermögensnachteil. Es soll genügen, daß jemand Spott, eine Ehrkränkung oder Nachteile durch die Einleitung eines Strafverfahrens erfährt. - Diese weite Ausdehnung des Tatbestandes erscheint kriminalpolitisch keineswegs angebracht. Es muß sich zumindest um einen erheblichen Nachteil i.S. einer bedeutsamen Rechtsgutsverletzung handeln, so daß bloßer Spott nicht genügt. Dazu auch: BlNDING B.T. II 1, S. 267 Fn. 1.

Auch hier soll es auf die Rechtswidrigkeit des Schadens nach h.M. nicht ankommen; dazu vgl. die entsprechenden Ausführungen unter b).

III. Gebrauch falscher Beurkundungen, § 273 1. Gemäß § 273 wird der Gebrauch einer unwahren öffentlichen Urkunde oder gespeicherter Daten in Täuschungsabsicht unter Strafe gestellt, und zwar entsprechend § 271 und § 272. a) Der Gesetzeswortlaut - "Beurkundung oder Datenspeicherung der in § 271 bezeichneten Art" - ist zu eng geraten. Der Gesetzgeber meinte nicht den Entstehungsakt, sondern das Ergebnis. Ob der Herstellungsakt nach § 271 bestraft worden ist oder werden kann, ist demgegenüber irrelevant. Die Beurkundung kann daher schuldlos durch den Gebrauchenden bewirkt worden, aber auch ohne Zutun eines anderen durch Irrtum des Amtsträgers entstanden sein. Schließlich genügt es, daß die Urkunde durch den Amtsträger unter Verletzung des § 348 hergestellt worden ist. Dazu m.w.N.: TRÖNDLE LK, § 273 Rdn. 2.

b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 2. Der Gebrauch der Urkunde durch den nach §§ 271, 272 oder § 348 strafbaren Täter steht zu der vorangegangenen Falschbeurkundung im selben Konkurrenzverhältnis wie das Fälschen und Gebrauchmachen bei der Urkundenfälschung; dazu vgl. oben § 7014.

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 1. Die 1. Alternative des § 277: "Wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand ausstellt und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht", enthält einen Fall der schriftlichen Lüge über den Beruf des Täters. - Zu den Einzelheiten des Tatbestandes vgl. oben § 70IV1. 2. Zum Gebrauch des unrichtigen Gesundheitszeugnisses vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 70IV 2. V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278 1. Einzelheiten des Tatbestandes a) § 278 erfaßt die schriftliche Lüge eines Arztes oder einer anderen approbierten Medizinalperson - dazu oben § 70 III 1 b - über den Gesundheitszustand eines anderen. Einem Gesundheitszeugnis kommt besonderer Beweiswert zu, weil die angegebene Diagnose in einer pflichtgemäßen sachverständigen Unterrichtung, im Zweifel einer dem Fall angemessenen Untersuchung, begründet ist. - Ein unrichtiges Zeugnis ist demgemäß ein Zeugnis, das einen unrichtigen Befund enthält. Unrichtig ist der Befund, der nicht das zutreffende Ergebnis einer pflichtgemäßen Untersuchung (Unterrichtung) wiedergibt. Dazu RGSt 74 S. 231; BGHSt 6 S. 90; OLG Düsseldorf MDR 1957 S. 372. - Einschränkend: OLG Zweibrücken JR 1982 S. 294 mit abl. Anm. OTTO S. 296 f.

b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der bezüglich der inhaltlichen Unrichtigkeit des Zeugnisses direkter Vorsatz sein muß, im übrigen genügt dolus eventualis. c) Vollendet ist das Delikt mit dem Ausstellen des Zeugnisses. So auch: TRÖNDLE LK, § 278 Rdn. 3. - A A SAMSON SK, § 278 Rdn. 4.

2 Verhältnis des §278 zu § 348 Stellt ein beamteter Arzt in seinem Amtsbezirk in einer öffentlichen Urkunde ein unrichtiges Gesundheitszeugnis aus, so verdrängt § 348 den § 278 als lex specialis. § 72: Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1,1. Alt. 1. Der objektive Tatbestand § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. sichert die Brauchbarkeit von Urkunden und technischen Aufzeichnungen als Beweismittel. a) Zum Begriff der Urkunde vgl. oben § 7011.

§ 72 Angriffe gg. die äußere Unversehrtheit des Beweismittels

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b) Zum Begriff der technischen Aufrechnungen vgl. unten § 74 II. Die Urkunde bzw. technische Aufzeichnung gehört dem Täter dann nicht, wenn ein anderer berechtigt ist, die Urkunde als Beweismittel zu gebrauchen. Dies ist dann der Fall, wenn der andere bereits Verfügungsbefugnis erlangt, ein Recht auf Herausgabe der oder auf Einsichtnahme in die Urkunde hat. Im Falle öffentlich-rechtlicher Aufbewahrung*- und Vorlegungspflichten (z.B. von Schaublättern in Fahrtenschreibern) wird zum Teil bestritten, daß diese Pflicht bereits eine Vorlagepflicht i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 1 begründet. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden, denn das Recht auf Vorlage und Einsichtnahme ist hier gesetzlich ausdrücklich vorgesehen. - Wenn aber die Verletzung der Vorlage- und Aufbewahrungspflicht selbständig als Ordnungswidrigkeit unter Strafe gestellt sind, so ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, daß insoweit noch kein strafwürdiges Unrecht vorliegt, zu beachten. Diese Urkunden sind kraft gesetzlicher Entscheidung dem Anwendungsbereich des § 274 Abs. 1 Nr. 1 entzogen. Vgl. zur Problematik: BGHSt 29 S. 195; OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 1231 mit Anm. OTTO JK, StGB § 274/3; OLG Düsseldorf MDR 1990 S. 73; BayObLG NJW 1989 S. 676 mit Anm. GEPPERT JK 89, StGB § 274/4; TRÖNDLE LK, § 274 Rdn. 6. - AA. AG Elmshorn NJW 1989 S. 3295.

c) Zum Verruchten und Beschädigen vgl. oben § 4 7 1 1 c, d. d) Unterdrücken ist jede Verhinderung der Benutzung der Urkunde als Beweismittel durch den Berechtigten, und sei sie auch nur vorübergehend. OLG Celle NJW 1966 S. 557; BayObLG NJW 1968 S. 1896: A hat den Wagen des B angefahren und an dem Wagen des B eine Visitenkarte mit dem Hinweis darauf, daß er den Schaden verursacht hat, angebracht. Später entfernt er die Karte wieder. OLG: Die Karte "gehörte" nicht mehr dem A, da sie bereits in den Macht- und damit Verfügungsbereich des B gelangt war.

2. Der subjektive Tatbestand Der Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht des Täters, einem anderen Nachteile zuzufügen. Für die Absicht, einem anderen Nachteile zuzufügen, soll nach h.M. direkter Vorsatz genügen. Dazu BGH bei Dallinger, MDR 1958 S. 140; BAUMANN NJW 1964 S. 705 ff; LACKNER StGB, § 274 A n m . 4; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 65 VI 4; SIEBER Computerkriminalität, S. 327; TRÖNDLE LK,

§ 274 Rdn. 21.

Dem kann nicht gefolgt werden. § 274 Abs. 1 Nr. 1 stellt nicht die Entziehung oder Vernichtung von Beweismitteln schlechterdings unter Strafe, sondern die Entziehung einer Urkundenbeweisposition. Daraus folgt: Es muß dem Täter darum gehen, dem Opfer einen Nachteil durch Entzug der Urkundenbeweisposition zuzufügen. - Absicht ist daher als zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades) zu verstehen, auch wenn der Erfolg Mittel zu einem anderen Zweck sein kann. Nachteil i.S. des § 274 ist die Beeinträchtigung der Urkundenbeweisposition. - Für Fälle, in denen die Absicht in dieser Weise nicht vorliegt, bietet § 303 hinreichenden Schutz. Dazu auch: FRANK StGB, § 274 Anm. 13; KOHLRAUSCH/LANGE § 274 Anm. III.

Zur Verdeutlichung: Beispiel 1: A, der gesetzliche Erbe des X, vernichtet ein Testament, in dem B von X als Erbe eingesetzt war, um in den Besitz der Erbschaft zu gelangen. Ergebnis: § 274 Abs. 1 Nr. 1.

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

Beispiel 2: A hat die Brieftasche des B gestohlen, in der sich auch ein notarieller Kaufvertrag befand. - Da A mit dem Kaufvertrag nichts anfangen kann, vernichtet er ihn. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung; a-A. h.M. Beispiel 3: Der Pyromane A steckt das Gerichtsgebäude in Brand. Er weiß, daß in dem Gebäude viele Urkunden liegen. Dies ist ihm egal, denn ihm geht es nur darum, das Feuer zu sehen. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung. Die LM. müßte auch hier § 274 anwenden.

3. Rechtswidrigkeü Die Einwilligung des Berechtigten schließt die Rechtswidrigkeit aus, denn die Einwilligung hebt die Beweisführungsbefugnis nicht auf, sondern stellt eine Ausübung dieser Befugnis dar. Vgl. dazu LACKNER StGB, § 274 Anm. 1 c; SCH/SCH/CRAMER § 274 Rdn. 11. - A A . KIENAPFEL Jura 1983 S. 188 f; TRÖNDLE LK, $ 274 Rdn. 19.

Die Einwilligung muß den auch sonst nötigen Erfordernissen genügen, vgl. dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 III 1. - Der für die Körperverletzung geltende Ausschluß der Rechtfertigung, wenn die Tat trotz der Einwilligung sittenwidrig ist, beruht auf der besonderen Bedeutung des Rechtsguts der Körperintegrität und kann auf andere Anwendungsbereiche nicht ausgedehnt werden. Dazu BERZ GA 1969 S. 145 ff; JESCHECK A.T., 4. Aufl. 1988, $ 34 III 2; LACKNER StGB, Vor § 32

Anm. II 5 c, cc; NOLL ZStW 77 (1965) S. 21. - AA. BGHSt 6 S. 251; BAUMANN/WEBER A.T., 9. Aufl. 1985, § 21 II 4 c.

II. Unterdrückung beweiserheblicher Daten, § 274 Abs. 1 Nr. 2 1. Der objektive Tatbestand, § 274 Abs. 1 Nr. 2 schützt das Recht mit bestimmten Daten Beweis zu erbringen, jedoch ist der Zusammenhang der Nr. 2 mit der Nr. 1 zu sehen. Die Unterdrückung von Daten kann sinnvollerweise als "Urkundendelikt" nicht in weiterem Maße strafbar sein, als die Fälschung von Daten i.S.d. § 269. Daraus folgt: Beweiserhebliche Daten i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 2 sind nur Daten mit Urkundscharakter. So auch: LACKNER StGB, § 274 Anm. 2. - A A . LENCKNER/WLNKELBAUER CR 1986 S. 827; SCH/SCH/CRAMER § 274 R d n . 22 c.

Die Verweisung auf § 202 a Abs. 2 begrenzt den Anwendungsbereich des Tatbestandes auf Daten, die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden. - Das Merkmal verfügen dürfen entspricht inhaltlich dem Gehören nach Abs. 1 Nr. 1. - Zu den Tathandlungen vgl. oben § 47 III 1 c. 2. Der subjektive Tatbestand Zur Problematik des subjektiven Tatbestandes vgl. oben 12.

III. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 3 § 274 Abs. 1 Nr. 3 schützt keinen Urkunden-, sondern einen bestimmten Augenscheinsbeweis. Die Veränderung von Grenzmerkmalen wird ohne Rücksicht auf das Eigentum oder ein sonstiges Recht an dem Merkmal unter Strafe gestellt, selbst wenn diese Merkmale tatsächlich an falscher Stelle stehen. - Auch hier muß es dem

§ 73 Angriffe gg. bestimmungsgem. Verwendung eines Beweismittels

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Täter darum gehen, dem Berechtigten einen Nachteil durch Änderung des Augenscheinsbeweises zuzufügen; dazu vgl. oben 12.

§ 73: Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels 1. Das Wesen des § 281 § 281 enthält weniger ein Urkundendelikt, als vielmehr ein Delikt gegen die Autorität der Staatsverwaltung; dazu unten § 89. - Dieses Delikt steht den Urkundendelikten aber insoweit nahe, als es den Beweiswert einer echten Urkunde für die Persönlichkeitsfeststellung schützt. 2. Einzelheiten der Regelung a) Ausweispapiere, § 281 Abs. 1, sind die von einer hoheitlichen Stelle ausgestellten Papiere, die dem Nachweis der Identität oder der persönlichen Verhältnisse einer Person dienen; vgl. oben § 70 III 1. Beispiele: Reisepaß; Personalausweis; Führerschein, Schülerausweis.

b) Den Ausweispapieren stehen Zeugnisse und Urkunden gleich, die im Verkehr als Ausweis verwendet werden, § 281 Abs. 2. - Nach der Schutzfunktion des Tatbestandes und aufgrund der Gleichwertigkeit mit den Ausweispapieren ist auch hier zu fordern, daß die Papiere von einer hoheitlichen Stelle ausgestellt sind und ihnen Ausweisfunktion zukommt. Beispiele: Geburtsurkunde (RGSt 12 S. 385); Taufschein; Zeugnis über Staatsprüfungen. Nicht hingegen: Scheckkarten; private Werksausweise.

Die h.M. erstreckt demgegenüber den Schutz des § 281 Abs. 2 auf jede Bescheinigung, der im Rechtsverkehr eine Ausweisfunktion zukommt. Vgl. SCH/SCH/CRAMER § 281 Rdn. 4; TRÖNDLE LK, § 281 Rdn. 2. - Einschränkend auf Identitätsnachweis: SAMSON SK, § 281 Rdn. 3.

c) Bestraft wird der Gebrauch oder das Überlassen der Urkunde an einen anderen zur Täuschung im Rechtsverkehr. aa) Gebraucht ist das Papier, wenn es der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist. Vorlage einer Fotokopie wird hier vom BGH nicht als Gebrauch des Ausweises interpretiert; vgl. BGHSt 20 S. 17.

bb) Bei der Täuschung im Rechtsverkehr muß es sich um eine Identitätstäuschung handeln. Die bloße Täuschung über die Berechtigung zur Verwendung des Ausweispapieres genügt nicht; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 280. 3. Das Verhältnis der beiden Alternativen des § 281 zueinander Wer ein Ausweispapier i.S. des § 281 gebraucht ist Täter der 1. Alternative. Eine eventuelle Teilnahme am Überlassen des Ausweispapieres wird durch die Täterschaft konsumiert. Umgekehrt zehrt die Verwirklichung des Tatbestandes in der Form des Überlassens des Ausweispapieres alle Möglichkeiten der Teilnahme am Gebrauchmachen auf. Im einzelnen dazu R. SCHMITT NJW 1977 S. 1811 f.

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

§ 74: Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich 1. Das geschützte Rechtsgut § 268 schützt die Sicherheit der Informationsgewinnung durch technische Geräte. Dazu im einzelnen: KUNZ JUS 1977 S. 604; SIEBER Computerkriminalität, S. 297 ff; TRÖNDLE LK, § 268 Rdn. 6 ff.

2. Die unechte Aufzeichnung Dem geschützten Rechtsgut entsprechend ist die Echtheit der Aufzeichnung nicht auf den Aussteller zu beziehen, sondern auf die Herkunft aus einem unbeeinflußten Herstellungsvorgang eines ordnungsgemäß arbeitenden technischen Geräts. - Unecht ist die Aufzeichnung, wenn sie überhaupt nicht oder nicht in ihrer konkreten Gestalt aus einem in seinem automatischen Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt, obwohl sie diesen Eindruck macht. 3. Die Bedeutung der Vorschrift Die gesetzgeberisch wenig geglückte Vorschrift hat in der Praxis bisher überhaupt nur bei Manipulationen am Fahrtenschreiber, § 57 a StVZO, und der Zeituhr des EG-Kontrollgeräts bei Lastwagen Bedeutung erlangt. Dazu im einzelnen: TRÖNDLE LK, § 268 Rdn. 7 , 3 3 b, 33 d, 36; BayObLG JZ 1986 S. 604.

II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 Den Begriff der technischen Aufzeichnung hat der Gesetzgeber in § 268 Abs. 2 definiert, doch ist ihm hier keine überzeugende Leistung gelungen, wie die bisherigen Kontroversen zeigen. - Treffender kommt das Gemeinte in der Definition von PUPPE - Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972, S. 114 - zum Ausdruck: technische Aufzeichnung ist die dauerhafte automatische Registrierung eines Zustandes oder Geschehensablaufs. 1. Die technische Aufzeichnung als Darstellung Als Darstellung ist dementsprechend eine Aufzeichnung anzusehen, bei der die Information in einem selbständig verkörperten, vom Gerät abtrennbaren Stück enthalten ist; BGHSt 29 S. 205. Dazu auch: KIENAPFEL JR 1980 S. 429; LACKNER StGB, § 268 Anm. 3 a; PUPPE Fälschung, S. 79 ff, 232; DIES. JR 1978 S. 125; TRÖNDLE LK, § 268 Rdn. 11; WESSELS B.T-1, § 18 VI 2 a.

Die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Meß- oder Zählgerät - z.B. Gas-, Strom-, Kilometerzähler - ist nicht Darstellung in diesem Sinne, weil ihr die Dauerhaftigkeit der Aufzeichnung fehlt. So auch: BGHSt 29 S. 204 mit Anm. KIENAPFEL JR 1980 S. 429; ESER IV, Nr. 19 A 78; HIRSCH ZStW 85 (1973) S. 716; KREY B.T. 1, Rdn. 724; TRÖNDLE LK, § 268 Rdn. 11. - A A . SAMSON SK, § 268 Rdn. 12; SCHILLING Fälschung technischer Aufzeichnungen (§ 268 StGB), 1970, S. 10 f; SCH/SCH/CRAMER § 268 Rdn. 9.

§ 74 Fälschung technischer Aufzeichnungen

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2. Die ganz oder teilweise selbständige Wirkungsweise des Geräts a) Selbständig bewirkt das Gerät die Aufzeichnung, wenn seine Leistung darin besteht, durch einen in Konstruktion oder Programmierung festgelegten automatischen Vorgang einen Aufzeichnungsinhalt mit neuem Informationsgehalt hervorzubringen. Dazu im einzelnen: SIEBER Computerkriminalität, S. 310 ff.

Fotokopien, Fotografien, Film- und Femsehaufnahmen sind keine technischen Aufzeichnungen in diesem Sinne, soweit sie lediglich einen von einem Menschen unmittelbar erfaßten Vorgang festhalten. S o auch: B G H S t 2 4 S. 142; ESER IV Nr. 19 A 79; KIENAPFEL J Z 1971 S. 165 f; DERS. N J W 1971 S. 1783 f; KREY B.T. 1, Rdn. 720; PUPPE Fälschung, S. 76; SCHMIDHÄUSER B.T., 14/29; SIEBER Computerkriminalität, S. 304, 311; TRÖNDLE LK, { 268 Rdn. 23. - A A . SAMSON SK, § 268 Rdn. 9; SCHILLING Fälschung, s . 17,76; SCH/SCH/CRAMER $ 268 Rdn. 17.

b) Da auch die teilweise selbständige Herstellung genügt, ist menschliche Mitwirkung z.B. durch ständiges Auslösen des Aufzeichnungsvorganges, nicht ausgeschlossen, soweit das Gerät einen Aufzeichnungsinhalt mit neuem Informationsgehalt hervorbringt und nicht nur menschliche Eingaben reproduziert. 3. Der Gegenstand der Aufzeichnung Die technische Aufzeichnung muß den Gegenstand der Aufzeichnung allgemein oder für Eingeweihte erkennen lassen. Das bedeutet, daß der konkrete Sachverhalt, welcher der Aufzeichnung zugrunde gelegen hat und auf den sich die aufgezeichneten Informationen beziehen, erkennbar sein muß. D a z u LACKNER StGB, § 268 A n m . 3 c; PUPPE JR 1978 S. 125; TRÖNDLE LK, § 268 Rdn. 25 a.

4. Die Beweisbestimmung Die Aufzeichnung muß zum Beweis einer rechtlich erheblichen Tatsache bestimmt sein. - Da es hier nicht darauf ankommen soll, ob ihr die Bestimmung schon bei der Herstellung oder später vom Halter des technischen Gerätes oder Dritten gegeben wird, verbirgt sich hinter der Beweisbestimmung nichts anderes als die Feststellung, daß der Aufzeichnung Rechtserheblichkeit zukommen muß; vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 7011 c, ff. III. Die Tathandlung 1. Herstellen, Verfälschen, Gebrauchen, Abs. 1 Gemäß § 268 Abs. 1 wird das Herstellen einer unechten technischen Aufzeichnung das Verfälschen einer technischen Aufzeichnung und der Gebrauch einer unechten oder verfälschten technischen Aufzeichnung bestraft. Herstellen ist das Anfertigen der unechten - dazu oben I 2 - technischen Aufzeichnung. - Verfälschen ist die inhaltliche Veränderung einer bisher echten technischen Aufzeichnung. - Gebraucht ist die Aufzeichnung, wenn sie dem zu Täuschenden zugänglich gemacht worden ist.

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Delikte gg. d. Sicherheit d. Rechts- u. Geldverkehrs

2. Die störende Einwirkung, Abs. 3 Wird eine Aufzeichnung dann als unecht angesehen, wenn sie nicht aus einem in seinem Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt - vgl. oben I 2 -, so enthält § 268 Abs. 3 einen Unterfall der Herstellung einer unechten Aufzeichnung. - Störend in diesem Sinne ist aber nur ein Eingriff, der auf ein unrichtiges Ergebnis abzielt. So auch: OLG Hamm NJW1984 S. 2173; BayObLG JZ1986 S. 604; HIRSCH ZStW 85 (1973) S. 719; KREY B.T. 1, R d n . 730; LACKNER S t G B , § 268 A n m . 4 b ; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 65 V 2 d; SIEBER C o m p u t e r k r i m i n a l i t ä t , S. 324; TRÖNDLE LK, § 268 R d n . 3 Z

3. Die Ausnutzung eines defekten Gerätes Wird für die Definition der echten Aufzeichnung allein auf den ungestörten automatischen Herstellungsvorgang abgestellt, so dürfte es für die Frage, ob eine Aufzeichnung echt ist, unwesentlich sein, ob der Herstellungsvorgang vorsätzlich, versehentlich oder zufällig beeinflußt worden ist. Gleichwohl ist zu differenzieren: a) Die bloße Ausnutzung eines Defekts ist nicht tatbestandsmäßig i.S. des Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3, wenn der Defekt selbst nicht auf einem störenden menschlichen Eingriff beruht. Der menschliche Eingriff in den programmierten funktionalen Ablauf des Geräts ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Tatgeschehens. Dazu BGHSt 28 S. 307 mit Anm. KIENAPFEL JR 1980 S. 347 f; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 65 V 2 f; PUPPE Fälschung, S. 262; TRÖNDLE LK, § 268 R d n . 36 a.

b) Beruht der Defekt hingegen auf einem menschlichen Eingriff - sei es des Täters oder eines Dritten - und weiß der Täter dieses, so ist das bewußte Ausnutzen des Defekts zur Herstellung eines unrichtigen Aufzeichnungsergebnisses als Unterlassen tatbestandsmäßig i.S. des Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3, soweit der Täter Garant ist. Zur Garantenstellung des Täters für das ordnungsgemäße Funktionieren des Fahrtenschreibers vgl. TRÖNDLE LK, § 268 R d n . 36 b .

4. Subjektiver Tatbestand und Konkurrenzen Zum Vorsatz, zur Täuschung im Rechtsverkehr und zur Konkurrenz von Fälschen und Gebrauchmachen der technischen Aufzeichnung vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 7015, 6. IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1,2. Alt. Zum Begriff der technischen Aufzeichnung vgl. oben § 74 II; im übrigen vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 72 II. § 75: Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146,147,149,152 1. Das geschützte Rechtsgut Die Geldfälschungstatbestände sind Spezialfälle der Urkundenfälschung. Sie schützen das allgemeine Interesse an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs.

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Da das Bargeld volkswirtschaftlich gesehen als Zahlungsmittel jedoch keineswegs die bedeutendste Rolle spielt, wird gelegentlich geltend gemacht, Umfang und Beginn des Strafrechtsschutzes seien in diesem Bereich zu weit ausgedehnt. Diese Betrachtungsweise stellt die Vermögensschädigung des einzelnen Opfers, die im übrigen von § 263 erfaßt wird, zu stark in den Vordergrund. Der durch die §§ 146 ff gewährte Schutz des Funktionierens des Geldverkehrs geht nämlich in eine andere Richtung: Der Verlust des Vertrauens, die dem Wert des Geldes entsprechenden Leistungen für das staatliche Geld zu erhalten, begründet ein tiefes und allgemeines Mißtrauen in die Fähigkeit des Staates, seine Garantien erfüllen zu können. Der Betroffene sieht sich hier nicht nur - wie sonst beim Betrüge - als Opfer der List eines Dritten, sondern zugleich als Opfer der Unfähigkeit des Staates, seinen Verpflichtungen nachzukommen. 2. Geschützt sind Papier- und Metallgeld Geld ist jedes vom Staat - zu ausländischen Staaten vgl. § 152 - oder von einer durch ihn ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigtes, zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmtes Zahlungsmittel ohne Rücksicht auf einen allgemeinen Annahmezwang; BGHSt 12 S. 345. Diese Objekte behalten ihre Geldeigenschaft bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie durch einen staatlichen Willensakt außer Kurs gesetzt werden, d.h. aus dem Zahlungsmittelumlauf herausgenommen werden. - Falsch ist Geld, wenn es unecht ist, d.h. nicht oder nicht in der vorliegenden Form von demjenigen stammt, der aus ihm als Aussteller hervorgeht. II. Geldfälschung, § 146 1. Nachmachen und Verfälschen von Geld, Abs. 1 Nr. 1 a) Nachmachen, Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt., ist das Herstellen unechten Geldes, das geeignet ist, einen Arglosen im gewöhnlichen Zahlungsverkehr zu täuschen. aa) Daß der Fälschung ein echtes Vorbild zugrunde liegt, ist nicht erforderlich; BGHSt 30 S. 71. - Auch der 30-DM-Schein ist daher unechtes Geld i.S. der §§ 146 ff, denn er ist geeignet, das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs sowie die Autorität des Staates, der als Garant hinter dem Geld steht, zu verletzen. - Dieses Rechtsgut ist aber nicht beeinträchtigt, wenn ein Phantasieprodukt eines nicht existierenden Staates (500-Krachmen-Schein der Inselrepublik Krota) in den Verkehr gebracht wird. Die Verletzung des Vertrauens in eine real nicht existierende Staatsautorität ist nicht geeignet, realer Staatsautorität zu schaden. A A . h.M. vgl. BGHSt 30 S. 71 mit zust. Anm. STREB JR 1981 S. 427 ff, und abl. Anm. OTTO NStZ 1981S. 478 f.

bb) Auch die von einer staatlichen Münzanstalt ohne staatlichen Auftrag hergestellten Münzen sind unecht, denn Aussteller ist auch hier nicht derjenige, der die Münzen körperlich herstellt, sondern deijenige, dem sie rechtlich zugerechnet werden. V g l . B G H S t 2 7 S. 2 5 5 m i t A n m . D R E H E R J R 1 9 7 8 S. 4 5 ff; GEISLER N J W 1 9 7 8 S. 7 0 8 f; STREE JUS

1978 S. 236 ff. - A A . LG Karlsruhe NJW 1977 S. 1301; SONNEN JA 1977 S. 481.

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cc) Manipulationen echten Geldes (Änderungen der Jahreszahl, Serie o.ä.), die dieses Geld nicht ungültig machen, berühren die Echtheit nicht, auch wenn dadurch Sammler getäuscht werden können. Vgl. L G Karlsruhe N J W 1977 S. 1301; DREHEK/TRÖNDLE § 146 Rdn. 4. - A A HAFKE M D R 1976 S. 278 ff.

b) Verfälschen, Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt., ist ein Verändern echten Geldes in einer Weise, daß für einen Arglosen der Anschein eines höheren Nominalwertes hervorgerufen wird. 2 Sich Verschaffen von Falschgeld, § 146 Abs. 1 Nr. 2 Falschgeld verschafft sich, wer eigene (Mit-)Verfügungsgewalt an dem Geld begründet; BGH StV 1984 S. 330. Ursprünglich hatte der BGH ein Sich-Verschaffen bei demjenigen, der nur den Gewahrsam für einen Dritten ausüben will, z.B. dem sog. Verteilungsgehilfen, abgelehnt; BGHSt 3 S. 154. Ob er diese Begrenzung aufrechterhalten oder das tatsächliche Erlangen von Verfügungsgewalt genügen lassen will, ist inzwischen streitig. - Vgl. BGHSt 35 S. 21 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 146/1, HAUSER NStZ 1988 S. 5 3 f, JAKOBS JR 1988 S. 121 ff, PRITTWITZ N S t Z 1989 S. 8 ff, und SCHROEDER J Z 1987 S. 1133.

3. Das Inverkehrbringen, Abs. 1 Nr. 3 a) In den Verkehr gebracht ist das Falschgeld, wenn ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich seiner zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen. - Als Inverkehrbringen als echt interpretiert die h.M. nicht nur die Weitergabe an einen gutgläubigen, sondern auch an den eingeweihten Abnehmer, sofern sie den ersten Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel bedeutet. Diese Interpretation des Inverkehrbringens ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht in Einklang zu bringen, denn in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 unterscheidet der Gesetzgeber ausdrücklich zwischen der Absicht des Inverkehrbringens als echt und der Absicht des Ermöglichens solchen Inverkehrbringens. Diese Differenzierung ist allein sinnvoll, wenn als Inverkehrbringen als echt die Weitergabe an einen Gutgläubigen angesehen wird, denn dann ist das Ermöglichen des Inverkehrbringens das Weitergeben an einen Bösgläubigen, der es seinerseits wiederum an einen Gutgläubigen weitergeben will. Wird hingegen die Weitergabe an einen Gutgläubigen und an einen Bösgläubigen als Inverkehrbringen als echt interpretiert, so bleibt der Begriff Ermöglichen solchen Inverkehrbringens inhaltsleer. So auch: OLG Stuttgart NJW 1980 S. 2089 mit Anm. OTTO JR 1981 S. 83; LG Kempten NJW 1979 S. 225 mit A n m . OTTO N J W 1979 S. 226; BOCKELMANN B . T . / 3 , § 16 II 2 d; JAKOBS J R 1988 S. 122; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 67 II 6; PRITTWITZ N S t Z 1989 S. 10; PUPPE J Z 1986 S. 994; RUDOLPHISK, § 146 Rdn. 12 f, § 147 Rdn. 6; SCHMIDHÄUSER B.T., 14/50; STEIN/ONUSSEIT JuS 1980 S. 104 ff.

- A A . BGHSt 29 S. 311 mit abl. Anm. OTTO JR 1981 S. 82 ff; OLG Düsseldorf JR 1986 S. 512 mit abl. A n m . KELLER S. 5 1 3 f; DREHER/TRÖNDLE § 147 Rdn. 2; HERDEGEN LK, § 146 Rdn. 23, § 147 Rdn. 4 f; LACKNER StGB, § 147 A n m . 3; STREE JUS 1978 S. 239 f; WEBER in: A r z t / W e b e r , L H 4, Rdn. 553;

WESSELS Bockelmann-Festschrift, S. 677 f.

b) Nur derjenige kann Täter des Abs. 1 Nr. 3 sein, der das Falschgeld durch eine Tat nach Abs. 1 Nr. 1 oder 2 erlangt hat. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Bedingter Vorsatz genügt. Die in Abs. 1 Nr. 1,2 vorausgesetzte Absicht ist zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades).

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5. Konkurrenzen a) Zur Konkurrenz des Nachmachens, Verfälschens und Verschaffens mit dem Inverkehrbringen gemäß § 146 Abs. 1 Nr. 3 vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 701 6. - Das Inverkehrbringen ist auch hier die materielle Beendigung der zuvor vollendeten Tat; vgl. auch BGHSt 34 S. 108. Eigenständige Bedeutung kommt dem § 146 Abs. 1 Nr. 3 nur zu, wenn der einheitliche Vorgang des Nachmachens, Verfälschens oder Verschaffens des Geldes und des Inverkehrbringens dieses Geldes unterbrochen wird. Beispiel 1: Nach rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 bringt der Täter erneut Falschgeld aus der alten Quelle in Verkehr. Beispiel 2: Nach endgültiger Aufgabe des Planes, das Geld in den Verkehr zu bringen, faßt der Täter eines Tages einen neuen Entschluß und bringt nun das Geld in den Verkehr.

b) Mit § 263 besteht Idealkonkurrenz, denn die Tat richtet sich gegen unterschiedliche Rechtsgüter. S o a u c h h.M., vgl. B G H S t 3 S. 156; 3 1 S. 380 mit A n m . KIENAPFEL J R 1984 S. 162 f. - A A RUDOL-

PHISK, § 146 Rdn. 19: Konsumtion des § 263.

III. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1,1. Alt. Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Geldfälschung stellt § 149 Abs. 1,1. Alt. als selbständiges Delikt unter Strafe. 1. § 149 ist subsidiär gegenüber § 146. Er tritt zurück, sobald der Versuch der Fälschungstat begonnen hat. 2. Zur Möglichkeit der Tätigen Reue vgl. § 149 Abs. 2, 3.

IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 Nach § 147 werden die Fälle des Inverkehrbringens von Falschgeld als echt erfaßt, die nicht unter § 146 Abs. 1 Nr. 3 fallen. - Das ist etwa dann der Fall, wenn Falschgeld in Verkehr gebracht wird, das zunächst ohne Verbreitungsabsicht nachgemacht worden ist, oder wenn als echt empfangenes Falschgeld an Gutgläubige abgegeben wird. Durch die Interpretation des Inverkehrbringens des Falschgeldes als echt auch bei Weitergabe an einen eingeweihten Dritten, sofern dies der erste Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel ist, wird z.T. versucht, das Ermöglichen des Inverkehrbringens als echt als Inverkehrbringen als echt zu erfassen. Damit fällt auch die Weitergabe als echt empfangenen Falschgeldes an einen Eingeweihten unter § 147. Dem kann nicht gefolgt werden, vgl. oben II 3 a. Aber auch die Gegenmeinung, die in diesem Falle eine Beihilfe an der Tat des eingeweihten Dritten annimmt, wenn dieser sich das Geld geben läßt, um es als echt in den Verkehr zu bringen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27, wird dem Sachproblem nicht gerecht. Der gutgläubige Empfänger von Falschgeld, der dieses selbst an einen Gutgläubigen weitergibt, macht sich lediglich eines Vergehens nach § 147 Abs. 1 schuldig. Schaltet er hingegen einen Dritten ein, so soll er wegen Beihilfe zu einem Verbrechen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27, d.h. wegen eines Verbrechens strafbar sein. So: O L G Stuttgart N J W 1980 S. 2089; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 67 II 6; RUDOLPHI SK,

§ 146 Rdn. 12 f.

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Dieser Widerspruch ist nicht akzeptabel. - Sachlich angemessen wäre eine Privilegierung desjenigen, der gutgläubig Falschgeld erhalten hat und dieses jetzt weitergibt, sowie jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen. Diese Personen sollten gemäß § 147 bestraft werden, der Erstempfänger sodann gemäß §§ 147,27. Dazu auch STEIN/ONUSSBIT JUS 1980 S. 107 f.

Diese Differenzierung ist jedoch mit dem Gesetzeswortlaut der §§ 146 Abs. 1 Nr. 2, 147 nicht in Einklang zu bringen. Möglich aber ist es schon jetzt, aufgrund der Gleichheit im Unrechtsgehalt auf das Verhalten des gutgläubigen Empfängers von Falschgeld, der dieses weitergibt, und jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen, das Strafmaß des § 147 analog anzuwenden, unabhängig von der dogmatischen Erfassung des strafbaren Verhaltens.

V. Wertpapierfälschung Gemäß § 151 werden bestimmte Wertpapiere - Aufzählung erschöpfend - dem Gelde gleichgestellt. Auswahlkriterien für den Gesetzgeber waren das massenhafte Vorkommen dieser Papiere im Wirtschaftsverkehr und die dem Papiergeld ähnliche tatsächliche Ausstattung. Die Papiere müssen gegen Nachahmung besonders gesichert sein, und zwar durch Gestaltung des Druckes und durch die Auswahl der Papierart; vgl. BGH NStZ 1987 S. 504. - Die an den Börsen der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Papier genügen diesen Anforderungen ausnahmslos. Die Fälschung braucht - ebensowenig wie das Geld - ein echtes Vorbild zu haben, doch ist auch hier zu fordern, daß als Aussteller eine wirklich existierende Person angegeben wird, denn nur die Verletzung des Vertrauens in das konkrete Unternehmen des Ausstellers des relevanten Papieres rechtfertigt den erhöhten Strafrechtsschutz; vgl. zum Streitstand oben II 1.

VI. Fälschung von Vordrucken für Euroschecks und Euroscheckkarten; § 152 a 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Dem damit verbundenen Vermögensschutz kommt keine Eigenständigkeit zu. Vgl. BT-Drucks. 10/5058, S. 26; DREHER/TRONDLE § 152 a Rdn. 2; LACKNER StGB, § 152 a Anm. 1; OTTO wistra 1986 S. 153; RUDOLPHISK, § 152 a Rdn. 1.

2. Das Tatobjekt Tatobjekt sind falsche Vordrucke für inländische oder ausländische Euroschecks und Euroscheckkarten. Falsch sind diese Vordrucke, wenn sie nicht von dem berechtigten, aus dem Vordruck ersichtlichen Aussteller (Kreditinstitut) herrühren. - Aussteller ist auch hier nicht derjenige, der die Vordrucke körperlich herstellt, sondern deijenige, dem sie rechtlich zugerechnet werden. Vgl. § 7 0 1 1 c, bb; im übrigen vgl. RUDOLPHI SK, § 152 a Rdn. 4 f; SCH/SCH/STREE § 152 a Rdn. 4.

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3. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 a) Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 sind das Herstellen, d.h. das Anfertigen der falschen Vordrucke, das sich oder einem anderen Verschaffen, d.h. das Erlangen der umfassenden Verfügungsmacht über die Vordrucke für sich oder einen Dritten, das Feilhalten, d.h. das erkennbare Bereithalten der Vordrucke zum Verkauf an andere, und das Überlassen des Gewahrsams an den Vordrucken an einen anderen. b) Subjektiv ist neben dem auf die Tathandlung bezogenen Vorsatz, bedingter genügt, die Absicht des Täters erforderlich, die ausgefüllten Vordrucke selbst im Zahlungsverkehr zu verwenden (als echt in den Verkehr zu bringen durch Weitergabe an Gutgläubige; dazu I 3 a) oder ihre Verwendung zu ermöglichen (das Inverkehrbringen ermöglichen durch Weitergabe an Bösgläubige, die selbst die Schecks weiter in den Verkehr bringen wollen). 4. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 2 Abs. 1 Nr. 2 dehnt die Strafbarkeit auf Vorbereitungshandlungen zur Tathandlung des Herstellens nach Abs. 1 Nr. 1 aus. - Die Tathandlungen sind hier um das Verwahren, d.h. das Innehaben des Gewahrsams, erweitert worden. - Zum subjektiven Tatbestand vgl. 3 b. 5. Die Tat nach Abs. 3 Abs. 3 erfaßt die Fälschung von Vordrucken für Euroscheckkarten in der in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 beschriebenen Weise. Da die Karten selbst aber nicht in den Verkehr gebracht werden, sondern nur zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden, ist die Verwendungsabsicht entsprechend diesem Tatverhalten modifiziert worden. Zur Täuschung im Rechtsverkehr oder zur Ermöglichung einer solchen Täuschung handelt gemäß § 270 auch, wer falsche Scheckkarten herstellt, mit denen eine Datenverarbeitung fälschlich beeinflußt werden soll - vgl. dazu § 27015 b -, d.h. die z.B. in Geldautomaten genutzt werden sollen. & Tätige Reue, Abs. 4 Abs. 4 eröffnet entsprechend § 145 Abs. 2, 3 den persönlichen Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue. 7. Das Verhältnis des Abs. 1 Nr. 1 zu Abs. 1 Nr. 2 Abs. 1 Nr. 2 ist als Vorbereitungshandlung zu Abs. 1 Nr. 1 mitbestrafte Vortat der Tat nach Abs. 1 Nr. 1. VII. Einziehung Die Objekte einer Straftat nach §§ 146 ff werden eingezogen, § 150, 152 a Abs. 5.

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§ 76: Wertzeichenfälschung

I. Wertzeichenfälschung, § 148 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt Rechtsgut des § 148 ist die Sicherheit und Funktionsßhigkeit des Rechtsverkehrs mit Wertzeichen. - Die Objekte selbst sind nicht Urkunden, sondern Augenscheinsobjekte, denn sie verkörpern keine Gedankenerklärung. 2 Das amtliche Wertzeichen Amtliche Wertzeichen sind vom Staat, einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen Körperschaft oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts ausgegebene Marken oder ähnliche Zeichen, die Zahlung gleicher Art (wie von Gebühren, Steuern, Abgaben, Beiträgen und dergleichen) vereinfachen, sicherstellen oder nachweisen sollen; BGHSt 32 S. 75. Auch ausländische Zeichen sind geschützt, soweit sie den Anforderungen genügen. Beispiele: Postwertzeichen; Stempelpapiere, Stempelmarken; Beitragsmarken zur Sozialversicherung; Gerichtskostenmarken o.ä.

3. Die Tathandlungen a) Die Tathandlungen gemäß Abs. 1 entsprechen denen der Geldfälschung, vgl. dazu oben § 75 II. b) Gemäß Abs. 2 wird die Wiederverwendung und das in den Verkehr bringen bereits entwerteter amtlicher Wertzeichen bestraft, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist. Der Versuch der Tat beginnt, wenn der Täter sich - nach seinem Vorstellungsbild vom Sachverhalt - anschickt, von den Wertzeichen erneut Gebrauch zu machen. Das ist z.B. bei der Wiederverwendung entwerteter Briefmarken der Fall, wenn der Täter sich anschickt, den mit entwerteten Zeichen versehenen Brief in den Machtbereich der Post gelangen zu lassen; a A . O L G Koblenz NJW 1983 S. 1625 mit abl. Anm. KÜPER N J W 1984 S. 777 f, und LAMPE J R 1984

S. 164 f, wo letztlich bereits die erste Verwendung der Briefmarke als Versuch der Wiederverwendung interpretiert wird.

4. Konkurrenzen a) Mit § 263 kann § 148 Abs. 1 Nr. 3 in Tateinheit stehen; BGHSt 31 S. 380 mit Anm. KIENAPFEL J R 1984 S. 162 f. - Zum entsprechenden Streitstand vgl. im übrigen oben § 75 II 5. b) Abs. 2 ist gegenüber § 263 lex specialis, da sonst der mildere Strafrahmen nicht zum Zuge käme.

II. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1, 2. Alt. Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wertzeichenfälschung stellt § 149 Abs. 1, 2. Alt. als selbständiges Delikt unter Strafe; dazu auch oben § 75 III.

§ 77 Zur Wiederholung

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§ 77: Zur Wiederholung 1. Welches Rechtsgut schützen die Urkundendelikte? - Dazu $ 69,1. 2. Welche vier verschiedenen Arten des Angriffs auf dieses Rechtsgut sind im StGB unter Strafe gestellt? - Dazu § 69,2. 3. Wie wird der Begriff "Urkunde" nach den verschiedenen Meinungen jeweils definiert? - Zeige den entscheidenden Unterschied auf! - Dazu § 7011 b, c. 4. Welche der folgenden Gegenstände lassen sich nach dem engeren, welche nach dem weiten Urkundenbegriff der h.M. als Urkunde einordnen: Fahrgestell- und Motornummer sowie amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen, Autogramm, Merkstrich auf Bierfilzen, Fahrtenschreiberdiagramm, Tonbandaufzeichnung, Fabrutnummer auf einem Industrieerzeugnis, unausgefüllter Scheckvordruck, stenographisches Schuldanerkenntnis, Quittung, Dienststempel in einer Diensthose zur Eigentümerkennzeichnung? - Dazu § 7011 c, aa. 5. Welche Bedeutung hat die sog. Geistigkeitstheorie für die Ermittlung des Ausstellers einer Urkunde? - Dazu § 7011 c, bb. 6. In welchem der folgenden Fälle ist der Aussteller erkennbar, so daß von einer Urkunde gesprochen werden kann: a) Der A unterschreibt einen Erpresserbrief mit "King Kong"? b) Die B zeichnet ein dem unbekannten Unfallgegner C übergebenes Schuldanerkenntnis fälschlich mit "Müller"? c) Udo Jürgens bestellt schriftlich unter diesem Künstlernamen ein neues Klavier? d) Der C trägt sich im Anmeldeformular eines Hotels unzutreffend mit "Klaus Schultz" ein, um anonym zu bleiben? - Dazu § 7011 c, cc, 4 a, bb. 7. Was ist eine "Gesamturkunde"? Wann liegt eine "zusammengesetzte Urkunde" vor? - Dazu § 70 12 a, b. 8. Was versteht man unter dem Herstellen einer unechten, was unter dem Verfälschen einer echten Urkunde? - Dazu § 7014 a, b. 9. Macht derjenige von einer "unechten oder verfälschten Urkunde" Gebrauch, der eine Fotokopie vorlegt, die er geschickt durch bloßes Aufeinanderlegen von Einzelbestandteilen erstellt hat? - Dazu § 70 12 d. 10. Der A fügt dem zu seinen Gunsten von B ausgestellten Scheck über DM 100,- gekonnt eine weitere Null hinzu und legt diesen 1000,- DM-Scheck - seinem Plan gemäß - seiner Bank zur Gutschrift vor. Welche Urkundenfälschungen hat A begangen und wie verhalten sich die Taten zueinander? - Dazu § 70 16. 11. Was versteht man unter einer "öffentlichen Urkunde"? - Dazu § 7112. 12. Ist das Delikt der Falschbeurkundung im Amt, § 348, schon mit der bloßen Beurkundung oder Eintragung durch den Amtsträger vollendet? - Dazu § 7115. 13. Wie ist die Strafbarkeit der Personen in folgenden Fällen zu beurteilen, wenn man davon ausgeht, daß § 271 als lückenschließende Ergänzung zu § 348 zu verstehen ist. a) A will den vermeintlich gutgläubigen Amtsträger N durch Täuschung zu einer unrichtigen Beurkundung bewegen. N fertigt diese Urkunde an, obwohl er A durchschaut hat? b) A gibt dem Amtsträger N Falsches zur Beurkundung, wobei er annimmt, dem N werde dies bei der Urkundenerstellung bewußt sein. N bemerkt hiervon jedoch nichts? - Dazu § 71 II 2 b, c. 14. Welche unterschiedlichen Auffassungen werden zur Benachteiligungsabsicht in § 274 Abs. 1 Nr. 1 vertreten? - Dazu § 7212. 15. Ist die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Meß- oder Zählgerät, z.B. einem Kfz-Kilometerzähler, eine "technische Aufzeichnung" i.S. des § 268? Begründe die Antwort aus der Begriffsdefinition! - Dazu § 74 II 1. 16. Fällt das Ergebnis eines bloß reproduzierenden Vorgangs, z.B. Fotografien, Film- und Fernsehaufnahmen, unter den Begriff der "technischen Aufzeichnung"? Zeige den entscheidenden Gesichtspunkt auf! - Dazu § 74 II 2 a.

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17. In welchen der folgenden Fälle ist § 268 verwirklicht: a) A bewirkt, daß sein Fahrtenschreiber bei hoher Geschwindigkeit aussetzt. Die fehlenden Diagrammteile zeichnet er später mit der Hand ein? b) Der Kraftfahrer A gibt seinem Chef ein altes Diagramm anstelle des am selben Tage angefertigten ab? c) B heftet in seine Krankenakte ein Elektrokardiogramm, das in Wirklichkeit für X angefertigt wurde? - Dazu § 7412, II, III. 18. Ist § 146 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt, wenn der Täter erfundene Geldscheine eines nicht existierenden Staates herstellt? - Dazu § 75 II 1 a, aa. 19. Kann die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten als ein Inverkehrbringen "als echt" i.S. der §§ 146,147 interpretiert werden? - Skizziere die hierzu vertretenen Meinungen und ihre jeweilige Begründung! - Dazu § 75 II 3 a, IV. 20. Worin liegt der in der geltenden Gesetzesfassung begründete Weitungswiderspruch, wenn man die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten, das dieser an Gutgläubige weitergibt, als Beihilfe zur Tat des Eingeweihten gem. §§ 146 Abs. 1 Nr. 3,27 beurteilt? - Dazu § 75IV.

Fünfter Abschnitt Gemeingefährliche Delikte § 78: Systematischer Überblick I. Der Begriff des "gemeingefährlichen Delikts" 1. Vom gemeingefährlichen Delikt zum Gefährdungsdelikt Die im 27. Abschnitt des StGB zusammengefaßten Delikte sind nicht durch den Angriff auf ein gemeinsames Rechtsgut gekennzeichnet, sondern durch die Begehungsweise. Eine Gemeingefahr, d.h. die Gefährdung individuell nicht bestimmter Personen oder Sachwerte, setzen in der jetzigen Fassung des Gesetzes jedoch nur noch wenige Delikte (§§ 312-314) voraus. Sachlich handelt es sich daher bei den meisten der hier erfaßten Delikte um konkrete oder abstrakte Gefährdungsdelikte. Die konkreten Gefährdungsdelikte setzen den Nachweis einer tatsächlich eingetretenen Gefahrensituation voraus, in der es aus der Sicht eines Beobachters der Situation allein zufallsbedingt ist, wenn es nicht zu einer Rechtsgutsverletzung kommt. Abstrakte Gefährdungsdelikte sind Delikte, die ein typischerweise gefährliches Verhalten verpönen, unabhängig davon, ob es zum Eintritt einer konkreten Gefahr kommt oder nicht. D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 4 I V 2.

Als gemeingefährlich können die hier relevanten Delikte daher nicht wegen eines bestimmten Gefährdungse/fo/ger, sondern allein wegen ihrer Handlungstendenz angesehen werden. 2 Der Ausschluß der Realisierung der Gefahr Eine grundsätzliche Frage stellt sich bei allen abstrakten Gefährdungsdelikten: Wird der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn sichergestellt ist, daß die abstrakte Gefahr sich nicht realisieren kann? a) Folgende Vorschläge zur Lösung der Problematik werden erörtert: aa) Es soll der Gegenbeweis der Ungefährlichkeit des Verhaltens im Einzelfall zugelassen werden. Vgl. RABL D e r Gefährdiingsvorsatz, 1983, S. 21; SCHRÖDER Z S t W 81 (1969) S. 15 f; TLEDEMANN in:

Belke/Oehmichen (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, S. 28.

bb) Die Tatbestände sind durch das - ungeschriebene - Merkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsverletzung zu ergänzen. Vgl. CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 67 f.

cc) Die Tathandlung soll nur dann tatbestandsmäßig sein, wenn sie in bezug auf das geschützte Rechtsgut sorgfaltspflichtwidrig war. Vgl. BERZ Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz, 1986, S. 113 f; BREHM Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdeliktes, 1973, S. 126 F, HORN Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 11, 28,94; RUDOLPHI Maurach-Festschrift, S. 56 f; WOLTER Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981, S. 284 ff.

dd) Die abstrakten Gefährdungsdelikte sind in verschiedene Kategorien einzuteilen, mit der Konsequenz entsprechend differenzierter Lösungen der Problematik. Vgl. SCHÜNEMANN J A 1975 S. 798.

364

Gemeingefährliche Delikte

ee) Ein "Ausschluß der Strafbarkeit" ist gegeben bei absoluter Unmöglichkeit des Schadenseintritts im Einzelfall. Vgl: MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 5 1 I V 3.

ff) Zum Teil wird eine vom Schutzzweck abgeleitete einschränkende Auslegung der abstrakten Gefährdungsdelikte grundsätzlich abgelehnt. Vgl. BOHNERT J u s 1984 S. 182 ff; KRATZSCH Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 111 ff, 274 ff; KREY B.T. 2, Rdn. 765; SCHNEIDER Jura 1988 S. 460 f.

b) Stellungnahme: Die Zulassung des Gegenbeweises der Ungefährlichkeit ist mit dem Schuldgrundsatz nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen. Darüber hinaus erscheint diese Lösung, wie auch die Forderung nach einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsverletzung oder nach einer Sorgfaltspflichtverletzung in bezug auf das geschützte Rechtsgut, zu weitgehend. Durch die Eröffnung tatbestandsausschließender Irrtümer wird der vom Gesetzgeber gewollte Schutzbereich über Gebühr eingeengt. Eine Differenzierung zwischen den abstrakten Gefährdungsdelikten kann die Problematik sicher weiter erhellen, erscheint aber nicht unabweisbar notwendig. - Ist die Realisierung der abstrakten Gefahr im Einzelfall absolut ausgeschlossen und hat der Täter dies durch geeignete Maßnahmen sichergestellt oder sich vom Gefahrenausschluß zumindest überzeugt, so kann dieser Sachverhalt als persönlicher Strafausschließungsgrund akzeptiert werden. - Diese Konstruktion ermöglicht auch problemlos eine Strafmilderung, wenn zwar die Realisierung der Gefahr nicht sicher ausgeschlossen war, der Täter sich dieses jedoch vorstellte. In gleicher Richtung der Argumentation: BGHSt 26 S. 121 mit Anm. BREHM JuS 1976 S. 22 ff; BGH NJW 1982 S. 2329 mit Anm. BOHNERT JuS 1984 S. 182 ff, HLLGER NStZ 1982 S. 421 f, SEIER JA 1983 S. 45 f; B G H S t 34 S. 115, 119; GEPPERT Jura 1989 S. 424 f; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 5 1 I V 3; WESSELS B.T.-L,§ 21 II 1.

II. Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick) 1. Die Brandstiftungsdelikte, §§ 306-310 a: dazu unten § 79 2. Die Explosionsdelikte, §§ 310 b - 311 c a) Das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion erfaßt § 311. Die Tat ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Tathandlung ist das Herbeiführen einer Explosion, d.h. eines chemischen oder physikalischen Vorgangs, bei dem durch eine plötzliche Volumenvergrößerung Kräfte frei werden, die eine zerstörende Wirkung ausüben können; KG NStZ 1989 S. 369. Eine Gefährdung durch Implosion oder Schallwellen fällt nicht unter den Begriff der Explosion. So auch: HORN SK, § 311 Rdn. 4; SCH/SCH/CRAMER § 311 Rdn. 3. - A A DREHER/TRONDLE § 311 Rdn. 3; LACKNER StGB, § 311 Anm. 2; WOLFF LK, § 311 Rdn. 4.

Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Das vorsätzliche Herbeiführen einer Explosion mit vorsätzlicher Gefährdung, §311 Abs. 1.

§ 78 Systematischer Überblick

365

Abs. 3 nennt als besonders schweren Fall der vorsätzlichen Herbeiführung einer Explosion das Regelbeispiel der leichtfertigen Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat.

bb) Das vorsätzliche Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, § 311 Abs. 4. cc) Das fahrlässige Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, § 311 Abs. 5. b) Eine Sonderregelung gegenüber § 311 (lex specialis) stellt § 310 b, Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie, dar. aa) Die Tat ist konkretes Gefährdungsdelikt und im Falle des Abs. 1 (vorsätzliche Gefährdung durch vorsätzliche Tathandlung) Unternehmensdelikt. bb) Abs. 2 erfaßt die vorsätzliche Herbeiführung einer Explosion mit fahrlässiger Gefahrdung. cc) Abs. 3 sieht eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen der Abs. 1, 2 vor, für die ein Regelbeispiel genannt wird: leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat. dd) Abs. 4 erfaßt die fahrlässige Herbeiführung der Explosion mit fahrlässiger Gefährdung. c) Mißbrauch ionisierender Strahlen, § 311 a Gemäß § 311 a wird die konkrete Gefährdung von Menschen (Abs. 1) und bestimmten Sachen (Abs. 4) durch ionisierende Strahlen bestraft. aa) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht (dolus directus 1. Grades), die Gesundheit eines anderen zu schädigen (Abs. 1) oder die Brauchbarkeit der betroffenen Sache zu beeinträchtigen (Abs. 4). bb) Abs. 2 enthält einen Qualifikationstatbestand zu Abs. 1. Unübersehbar ist eine Zahl, wenn so viele Menschen betroffen sind, daß ein objektiver Beobachter sie nicht ohne nähere Prüfung bestimmen kann.

cc) Abs. 3 sieht eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen vor, für die ein Regelbeispiel genannt wird: leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat. d) Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens, § 311 b Die Vorschrift schützt über § 30 hinaus gegen Handlungen, die zur Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens nach §§ 310 b Abs. 1, 311 a Abs. 2 oder § 311 Abs. 1 begangen werden. Die Tat muß in der Vorstellung des Täters bereits in den Grundzügen bestimmt sein. e) Tätige Reue, § 311 c Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 1, 2) oder zum Strafausschluß (Abs. 3, 4) führen kann, ist für die Explosionsdelikte in § 311 c besonders geregelt. 3. Freisetzen ionisierender Strahlen § 311 d; dazu vgl. unten § 82 III 4 a. 4. Fehlerhafte Herstellung einer kemtechnischen Anlage, § 31 le; dazu unten § 82 III 4 b.

366

Gemeingefährliche Delikte

5. Überschwemmungsdelikte, §§ 312-314 a) Herbeiführen einer lebensgefährdenden Überschwemmung, § 312 aa) Die 1. Alternative erfaßt die Herbeiführung einer Überschwemmung mit gemeiner Gefahr für Menschenleben. Gemeine Gefahr bedeutet hier eine konkrete Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen,

bb) Die 2. Alternative enthält einen erfolgsqualifizierten Fall (Tod eines Menschen); beachte § 18. b) Herbeiführen einer sachgefährdenden Überschwemmung, § 313 aa) § 313 Abs. 1 bestraft die Herbeiführung einer Überschwemmung mit gemeiner Gefahr für erhebliche - fremde - Sachwerte. Die Sachen müssen verschiedenen Eigentümern gehören, da sonst von einer gemeinen Gefahr keine Rede sein kann. S o auch: DREHER/TRÖNDLB § 313 Rdn. 1; WOLFF LK, § 313 Rdn. 2. - A A . HORN SK, § 313 Rdn. 3;

LACKNER StGB, § 313 Anm. l.

bb) Abs. 2 berücksichtigt das Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation, in der der Täter sich befindet oder zu befinden meint. c) Fahrlässiges Herbeiführen einer Überschwemmung, § 314 Gemäß § 314 wird das fahrlässige Herbeiführen einer Überschwemmung i.S. der §§ 312, 313 unter Strafe gestellt. 6. Die Gefährdung des Verkehrswesens, §§ 315-316, 316 c; dazu unten § 80. 7. Die Beschädigung wichtiger Anlagen, §§ 318, 320 a) Beschädigung wichtiger Anlagen, § 318 aa) Das konkrete Gefährdungsdelikt des Abs. 1 stellt die vorsätzliche Beschädigung oder Zerstörung bestimmter wichtiger Bauten (Wasserleitungen, Schleusen, Wehre, usw.) unabhängig vom Eigentum an diesen Objekten unter Strafe, wenn die Tat eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit anderer begründet. bb) Abs. 2 enthält zwei erfolgsqualifizierte Fälle (schwere Körperverletzung, § 224, und Tod eines Menschen); beachte § 18. b) Fahrlässige Beschädigung wichtiger Anlagen, § 320 in Verb, mit § 318. Die fahrlässige Verwirklichung des § 318 ist gemäß § 320 strafbar, wenn außer dem durch die Handlung entstandenen unmittelbaren Schaden ein weiterer Schaden gleich welcher Art - verursacht worden ist. Der weitere Schaden ist objektive Bedingung der Strafbarkeit; dazu unten § 82 III 7 b. 8. Die gemeingefährliche Vergiftung, §§ 319, 320; dazu unten § 82 III 7. 9. Die Baugefährdung, § 323 Erfaßt wird die konkrete Gefährdung von Leib und Leben anderer durch die Verlet-

§ 78 Systematischer Überblick

367

zung der in der Praxis allgemein anerkannten Regeln der Baukunst bei Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder Einbaues oder bei Änderung technischer Einrichtungen in einem Bauwerk, und zwar: a) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und vorsätzliche Gefährdung, § 323 Abs. 1,2. b) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, § 323 Abs. 3. c) Fahrlässige Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, § 323 Abs. 4. d) Tätige Reue ist gemäß § 323 Abs. 5 möglich. 10. Vollrausch, § 323 a § 323 a kann formell in die Gruppe der gemeingefährlichen Delikte eingefügt werden, wenn man die Unbeherrschbarkeit der ausgelösten Kräfte stärker betont und weniger ihre Art (Naturgewalt, technische Kraft); dazu unten § 81. 11. Führungsaufsicht und Einziehung, §§ 321, 322 Zur Möglichkeit der Führungsaufsicht und Einziehung vgl. §§ 321,322. III. Nicht gemeingefährliche Delikte im 27. Abschnitt des StGB 1. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a; dazu oben § 46 VI. 2. Störung öffentlicher Betriebe, § 316 b Die Vorschrift schützt lebenswichtige Betriebe gegen gewaltsame Eingriffe. Zum Begriff der der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienenden Einrichtung: BGHSt 31 S. 1; 31 S. 185 mit Anm. STREB JuS 1983 S. 839 f.

3. Störung von Femmeldeanlagen, §317 § 317 dient dem Schutz einer besonders wichtigen öffentlichen Einrichtung. - Zu den Fernmeldeanlagen, § 1 FAG, gehören z.B. Fernsprecher, Fernschreiber, Telefax, Hörfunk und Fernsehen. Verhindern des Betriebs bedeutet die Schaffung eines Zustandes, in dem die Anlage nicht mehr für ihren Zweck benutzt werden kann. Der Betrieb ist gefährdet, wenn der Eintritt von Funktionsstörungen wahrscheinlich ist. Auch der einzelne private Fernsprechanschluß ist Teil einer öffentlichen Zwecken dienenden Ferns p r e c h a n l a g e ; B G H S t 2 5 S. 370 mit A n m . KRAUSE J R 1975 S. 380; MAHNKOPF JUS 1982 S. 886. - A . A . B a y O b L G N J W 1 9 7 1 S. 528; HORN S K , § 317 R d n . 5; MOMBERG J Z 1 9 8 2 S. 574.

4. Gefährdung einer Entziehungskur, § 323 b Die Vorschrift schützt behördlich angeordnete oder sonst ohne Einwilligung des Betroffenen veranlaßte Entziehungskuren gegen Störung durch Dritte. Es handelt sich daher um ein den Rechtspflegedelikten verwandtes Delikt. 5. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c; dazu oben § 671

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Gemeingefährliche Delikte

§ 79: Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen Die Brandstiftung wird vom Gesetzgeber in den Brandstiftungsdelikten als "Inbrandsetzen des geschützten Objekts" erfaßt. 1. Inbrandgesetzt ist ein Objekt, wenn es vom Feuer in einer Weise erfaßt ist, die ein Fortbrennen aus eigener Kraft ermöglicht; BGHSt 18 S. 364. Das bloße Brennen des Zündstoffes oder z.B. von Inventar eines Gebäudes reicht nicht aus, wohl aber der Brand von Teilen des Gebäudes, die für dessen bestimmungsmäßigen Gebrauch wesentlich sind (z.B. Tür, Fußboden, Treppe), wenn die Möglichkeit besteht, daß das Feuer auf das übrige Objekt übergreift; BGH StV 1984 S. 245 m.w.N.

2. Das Inbrandsetzen eines schon brennenden Objekts an anderer Stelle genügt. Streitig ist, ob das bloße Verstärken des Brandes noch als Inbrandsetzen zu erfassen ist. Das ist zu bejahen. Die Brandstiftungsdelikte sind abstrakte Gefährdungsdelikte. In der gefährlichen Verhaltensweise hat der Gesetzgeber das strafwürdige Verhalten erblickt. Unter dem Aspekt dieser Gefährdung ist es aber bedeutungslos, ob eine Gefahr begründet oder eine vorhandene Gefahr intensiviert wird. Die besondere Gefährdung ist auch zu besorgen, wenn ein schon bestehender Brandherd durch Intensivieren vergrößert wird, gleichgültig ob durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen der Erfolgsabwendung. Zum Streitstand: GEPPERT Jura 1989 S. 422 f m.N.

3. Versucht ist die Brandstiftung in der Regel, wenn der Täter sich anschickt, den Zündstoff in Brand zu setzen. Sollen Ausschütten (Benzin) oder Anbringen eines Zündstoffs und Entzünden nach dem Tatbild des Täters eine Einheit bilden, so beginnt der Versuch bereits mit dem Ausschütten bzw. Anbringen des Zündstoffs. Dazu auch: MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 5 2 1 4 .

II. Brandstiftung, § 308 1. §308Abs. 1, I.Alt. a) Geschützt gegen Brandstiftung sind gemäß § 308 Abs. 1, 1. Alt. Gebäude - auch Rohbauten (BGHSt 6 S. 107) und instandsetzungsfähige Ruinen (BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 810) -, Schiffe, Hütten (OLG Karlsruhe NStZ 1981 S. 482), Bergwerke, Magazine, bestimmte Warenvorräte, Waldungen (BGHSt 31 S. 83) und Torfmoore, wenn diese Objekte in fremdem Eigentum stehen. b) Da der Schutz fremden Eigentums im Vordergrund steht, nicht aber die Abwehr einer Gemeingefahr, handelt es sich hier um ein qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt; vgl. auch oben § 47 II 2. Eine rechtfertigende Einwilligung ist hier möglich; BGH bei Holtz, MDR 1988 S. 101. 2. §308Abs. 1,2. Alt. a) § 308 Abs. 1, 2. Alt. enthält ein abstraktes Gefährdungsdelikt, wobei sich die Gefahr allein aus der Beschaffenheit und Lage des geschützten Objektes ergeben muß, nicht aber aus anderen Umständen, z.B. Wind und Wetter.

§ 79 Brandstiftungsdelikte

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b) Der Vorsatz, bedingter genügt, erfordert das Bewußtsein des Inbrandsetzens des geschützten Gegenstandes und die Kenntnis der abstrakten Gefährlichkeit des Verhaltens. 3. Zum Ausschluß der Realisierung der abstrakten Gefahr, vgl. oben § 7812. 4. Konkurrenzen § 308 verdrängt § 305 bei der Zerstörung eines Gebäudes durch Brandstiftung. §§ 306,307 gehen dem § 308 Abs. 1,2. Alt. vor.

III. Schwere Brandstiftung, § 306 § 306 schützt bestimmte menschliche Wohn- und Aufenthaltsstätten ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall eine konkrete Gefahr für Menschen entstanden ist. - Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 1. Umfassend geschützt sind Gebäude, die zu gottesdienstlichen Versammlungen dienen, Nr. 1. 2. Gebäude, Schiffe und Hütten sind geschützt, soweit sie tatsächlich Menschen zum Wohnen dienen. Ob die Gebäude usw. zum Wohnen bestimmt oder geeignet sind, ist genauso unerheblich wie eine vorübergehende Abwesenheit der Bewohner. Dient das Gebäude tatsächlich noch nicht zum Wohnen (Neubau) oder aber hat der Berechtigte die Wohnungseigenschaft aufgegeben, so greift Nr. 2 nicht ein. Die Aufgabe der Wohnungseigenschaft kann auch konkludent durch Inbrandsetzen des Gebäudes durch den berechtigten Bewohner erfolgen; dazu BGH JZ 1988 S. 55 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 306 Nr. 2/3; LG Düsseldorf NStZ 1981S. 224.

Dient das Gebäude zum Teil zum Wohnen und zum anderen Teil anderen, z.B. gewerblichen Zwecken, so ist der Tatbestand bereits erfüllt, wenn der andere Teil in Brand gesetzt wird. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, daß ein für den Gebrauch als Wohnung wesentlicher Teil des Gebäudes in Brand gesetzt werden muß, es genügt vielmehr, daß irgendein wesentlicher Bestandteil des Gebäudes vom Feuer erfaßt wird. So auch: BGHSt 34 S. 115; BGH NJW 1988 S. 3025; SCHNEIDER Jura 1988 S. 465 ff; WOLFF LK,

§ 306 Rdn. 9. - A A HORN SK, § 306 Rdn. 11; SCH/SCH/CRAMER § 306 Rdn. 11.

Zum Strafausschluß für den Fall, daß ein Übergreifen des Feuers auf den zum Wohnen dienenden Teil ausgeschlossen ist, vgl. oben § 7812. 3. Andere Räumlichkeiten (z.B. Büro, Wohnwagen, Scheunen, Stallungen) sind geschützt, wenn sie - sei es auch nur zeitweise - dem Aufenthalt von Menschen dienen. Eine Begrenzung des Anwendungsbereiches versucht der BGH durch das Erfordernis einer gewissen Bewegungsfreiheit in der Räumlichkeit zu erreichen, die z.B. bei Telefonzellen und einem Pkw nicht gegeben sein soll; BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638. - A A. OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 1042. Diese Begrenzung ist nicht nötig, wenn der Ausschluß der Gefahr als persönlicher Strafausschließungsgrund - wie oben § 78 I 2 darlegt - anerkannt wird, da dann in den nicht strafwürdigen Fällen die Strafbarkeit entfällt.

Nach Auffassung des BGH setzt der Tatbestand voraus, daß die geschützte Räumlichkeit zu dem Zeitpunkt brennt, in dem Personen anwesend sind. Es genügt nicht, daß der zum Brand führende Ursachenverlauf zu dieser Zeit in Gang gesetzt wird. -

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Gemeingefährliche Delikte

Das wird dem Delikt als abstraktem Gefährdungsdelikt nicht gerecht. Die abstrakte Gefahr entsteht bereits mit der Begründung der Brandquelle. A A . BGHSt 36 S. 221 mit abl. Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 306 Nr. 3/1. Zum Inbrandsetzen gemischt genutzter Gebäude vgl. oben 2. sowie BGHSt 35 S. 283 mit Anm. KINDHÄUSER S t V 1990 S . 1 6 1 ff.

IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 307 § 307 Nr. 1 enthält einen erfolgsqualifizierten Fall des § 306; beachte § 18! - Da das Opfer sich zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten befanden haben muß, genügt der Tod eines Helfers beim Löschen oder einer Person, die in das brennende Gebäude zurückkehrt, nachdem sie es unversehrt verlassen hat, nicht. Tritt der besondere Erfolg beim Versuch der Brandstiftung ein, so ist § 307 anwendbar; str., vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 8 I V 6 b ; GEPPERT J u r a 1989 S . 4 7 5 f.

§ 307 Nr. 1 greift nicht ein, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt. Der Tatbestand dient nicht dem Schutz der Personen, die bewußt, sei es unmittelbar oder mittelbar, die Brandgefahr begründet haben, die sich nun in ihrem Tode realisiert. Hier handelt es sich vielmehr um Tatbeteiligte vor deren Tun § 307 Schutz gewähren soll. V g l . S C H / S C H / C R A M E R § 3 0 7 R d n . 6; A A . GEPPERT J u r a 1989 S. 4 7 5 m . N .

2. § 307 Nr. 2 ist ein Qualifikationstatbestand gegenüber § 306. - Absicht ist hier zielgerichtetes Wollen. Ausnutzen setzt voraus, daß der Täter die durch den Brand geschaffene Lage zur Verwirklichung einer der genannten Straftaten nutzt. Der Brand selbst kann Tathandlung oder Teil der Tathandlung sein, z.B. wenn die Brandstiftung zur Tötung eines anderen erfolgt. So auch: BGHSt 20 S. 246; DREHER/TRÖNDLB § 307 Rdn. 4; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 52 II 5 b ; W O L F F L K , § 3 0 7 R d n . 5 . - A A . H O R N S K , § 3 0 7 R d n . 10; LACKNER S t G B , § 3 0 7 A n m . 2 b .

3. § 307 Nr. 3 ist ein durch das Entfernen oder Unbrauchbarmachen von Löschgeräten qualifizierter Fall des § 306. Das Abstellen der Wasserleitung verhindert zwar das Löschen, macht die Löschgeräte als solche aber nicht unbrauchbar, daher ist der Tatbestand auf diesen Fall nicht anzuwenden. - So auch: HORN SK, § 3 0 7 R d n . 15. - A A . LACKNER S t G B , § 3 0 7 A n m . 2 c; MAURACH/SCHROEDER B . T . 2, § 5 2 I I 5 c.

V. Fahrlässige Brandstiftung, § 309 1. § 309,1. Alt. knüpft an die Tatbestände der §§ 306 und 308 an. Gegenstand der Handlung können daher nur die in diesen Tatbeständen genannten Objekte sein. 2. § 309, 2. Alt. enthält einen Strafschärfungsgrund für den erfolgsqualifizierten Fall, daß durch den Brand der Tod eines Menschen verursacht wird; beachte § 18.

VI. Herbeiführen einer Brandgefahr, § 310 a 1. § 310 a erfaßt die vorsätzliche (Abs. 1) und fahrlässige (Abs. 2) Herbeiführung einer konkreten Brandgefahr für bestimmte Objekte. Auf das Eigentum an diesen Objekten kommt es nicht an. 2. §§ 306 - 309 konsumieren § 310 a.

§ 79 Brandstiftungsdelikte

371

VII. Tätige Reue, § 310 1. Der Täter erlangt wegen Brandstiftung Straffreiheit, wenn der Brand noch nicht entdeckt, ein weiterer als der durch die Inbrandsetzung eingetretene Schaden nicht herbeigeführt ist und der Täter den Brand gelöscht hat. a) Entdeckt ist der Brand nach h.M., wenn ein Unbeteiligter ihn wahrgenommen hat. - Diese objektive Interpretation des Merkmals wird jedoch der in der neueren Gesetzgebung zum Ausdruck kommenden Privilegierung des freiwilligen Rücktritts nicht gerecht. - Sachgerechter erscheint es, das Merkmal "Entdeckung" als Indiz für die Unfreiwilligkeit des Täters zu interpretieren. - Entdeckt ist der Brand danach, wenn ein Unbeteiligter ihn wahrgenommen und der Täter dies erkannt hat. Dem heimlich beobachteten Täter, der von der Beobachtung nichts weiß, kommt damit das Privileg noch zugute, wenn die anderen Voraussetzungen erfüllt sind, nicht hingegen dem Täter, der irrig glaubt, entdeckt zu sein. Vgl. BOTTKE Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979, S. 623 ff; SCH/SCH/CRAMER § 310 Rdn. 3; WOLFF LK, § 310 Rdn. 3. - A A . GEPPERT Jura 1989 S. 480 f; WEBER in: Arzt/Weber, LH 2, Rdn. 184, die aber bei dem Täter, der von der Entdeckung nichts weiß, eine analoge Anwendung des § 310 befürworten.

b) Ein weiterer Schaden ist eingetreten, wenn das Feuer einen erheblich größeren Umfang erreicht hat, als zum selbständigen Weiterbrennen erforderlich ist. Ist das geschützte Objekt noch nicht in Brand gesetzt, weil z.B. erst der Zündstoff oder Inventarteile des Gebäudes brennen, so richtet sich der Rücktritt nach § 24, denn es liegt erst eine versuchte Brandstiftung vor.

2. Erlischt der Brand ohne Zutun des Täters, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, den Brand zu löschen, §§ 311 c Abs. 4,315 Abs. 6 S. 3 analog. Dazu BGH NStZ 1986 S. 27; BOTTKE Methodik, S. 624.

3. Kann eine Brandstiftung aufgrund des § 310 nicht bestraft werden, so soll dennoch eine Bestrafung gemäß § 310 a möglich sein. - Dem ist nicht zu folgen, § 310 a erfaßt die Gefährdung der gleichen Rechtsgüter, die durch die Brandstiftungsdelikte geschützt werden. Der Rücktritt von der Brandstiftung erfaßt dann aber - wie sonst auch - die Gefährdung mit. S o auch: BOTTKE M e t h o d i k , S. 625; SCH/SCH/CRAMER § 310 a R d n . 4; VOGLER B o c k e l m a n n - F e s t schrift, S. 728. - A A . B G H N J W 1951 S. 726; DREHER/TRÖNDLE § 310 R d n . 5; LACKNER S t G B , § 310

Anm. 1.

§ 80: Gefährdungen des Verkehrswesens I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§ 315, 315 a 1. Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, § 315 a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur § 315 erfaßt die Transportgefährdung als konkretes Gefährdungsdelikt. - Angriffsobjekte sind Schienenbahnen auf besonderen Gleiskörpern - beachte § 315 d -, Seilbahnen sowie Einrichtungen der Schiff- und Luftfahrt. Geschützt ist die Sicherheit dieser Verkehrsarten. - Der konkreten Gefährdung von Leben und körperlicher Unversehrt-

372

Gemeingefährliche Delikte

heit des Einzelnen sowie fremden Eigentums von bedeutendem Wert kommt nur Bedeutung für das Maß der Gefahr zu. Die Gefährdung ist nur unwiderlegbarer Maßstab für die Höhe der Gefahr, nicht aber Beeinträchtigung eines eigenständig geschützten Rechtsguts; dazu auch unter II 2 d. Keine fremde Sache i.S. des § 315 Abs. 1 ist das vom Täter geführte Tatfahrzeug, unabhängig davon ob er Eigentümer ist oder nicht. Dieses ist Mittel, nicht aber Objekt der Gefährdung; vgl. BayObLG NJW 1983 S . 2827; S C H / S C H / C R A M E R § 315 Rdn. 14. - A.A. L A C K N E R StGB, § 315 ANIN. 4.

b) Einzelheiten zu den Tathandlungen aa) Die Sicherheit des Verkehrs ist beeinträchtigt, wenn durch den Eingriff gegenüber Menschen oder Einrichtungen, die in Beziehung zu einem bestimmten Verkehrsvorgang stehen, eine Steigerung der normalen Betriebsgefahr eingetreten ist. Für die Beeinträchtigung genügt allerdings nicht jedes Mittel, sondern nur ein Eingriff der in Abs. 1 Nr. 1-3 beispielhaft aufgeführten Art oder ein ähnlicher und ebenso gefährlicher Eingriff. Ähnlich und ebenso gefährlich ist ein Eingriff, der unmittelbar auf einen Verkehrsvorgang einwirkt und nach Art und Gefahr den beispielhaft genannten Eingriffen gleichwertig ist. Beispiele: Steinwurf auf den Zugführer; Verdecken von Signalen; Stören des die Flug- und Wasserwege sichernden Funk- und Signalverkehrs.

bb) Ein Hindernis bereitet, wer körperliche Gegenstände, die ihrer Beschaffenheit nach zur Hemmung oder Verzögerung des ordnungsgemäßen Betriebs geeignet sind, in den Fahrbereich der Bahn bringt oder als Garant dort beläßt, z.B. Steine auf Schienen oder Metallbügel auf Oberleitungen legt; vgl. BGH NStZ 1988 S. 178. c) Die subjektiven Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) § 315 Abs. 1 erfaßt die vorsätzliche Begehung, bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muß das Bewußtsein der Beeinträchtigung der Betriebssicherheit und das der Herbeiführung der konkreten Gefahr haben. bb) Handelt der Täter in der Absicht - zielgerichtetes Wollen -, einen Unglücksfall - dazu oben § 67 I 1 a - herbeizuführen oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3. Eine Ordnungswidrigkeit ist keine Straftat i.S. des § 315 Abs. 3 Nr. 2; BGHSt 28 S. 93 mit Anm. RÜTH JR 1979 S. 516 f.

cc) Bei vorsätzlichem Eingriff, aber nur fahrlässiger Gefährdung greift Abs. 4 ein, bei fahrlässigem Eingriff und fahrlässiger Gefährdung Abs. 5. d) Tätige Reue § 315 Abs. 5 enthält einen Fall Tätiger Reue. Der Täter kann von dem vollendeten Delikt zurücktreten, wenn er die geschaffene Gefahr freiwillig abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist. 2. Gefährdung des Bahn-, Schiff- oder Luftverkehrs, § 315 a a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur § 315 a ergänzt den § 315 dadurch, daß er auch bestimmte betriebsinterne Gefährdungen unter Strafe stellt. Auch hier müssen Leib oder Leben eines anderen oder bedeutende fremde Sachwerte konkret gefährdet worden sein.

§ 80 Gefährdungen des Verkehrswesens

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b) Einzelheiten zu den Tathandlungen aa) Abs. 1 Nr. 1 erfaßt das Fahren in einem fahruntüchtigen, rauschbedingten Zustand; dazu vgl. auch unter II 2 c. bb) Abs. 1 Nr. 2 enthält ein Sonderdelikt. - Fahrzeugführer und sonst für die Sicherheit des Verkehrs verantwortliche Personen werden für grob pflichtwidrige Verletzungen von Sicherheitsvorschriften bestraft. Die das Blankett ausfüllenden Vorschriften müssen förmliche Gesetze oder Rechtsverordnungen sein. c) Subjektive Voraussetzungen Die Strafdrohung des § 315 a ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Abs. 1 setzt die vorsätzliche Tathandlung und eine vorsätzliche konkrete Gefährdung voraus. bb) Gemäß Abs. 3 Nr. 1 wird bestraft, wer die Tathandlung vorsätzlich vornimmt, jedoch nur fahrlässig gefährdet, nach Abs. 3 Nr. 2, wer die Tathandlung fahrlässig begeht und die Gefahr fahrlässig verursacht. d) Rücktritt vom vollendeten Delikt Eine Rücktrittsregelung sieht § 315 a nicht vor, doch ist § 315 Abs. 6 auf § 315 a Abs. 1 Nr. 2 analog anwendbar. II. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316 1. Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 315 b a) Der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 In Aufbau und Schutzrichtung entspricht § 315 b dem § 315 - vgl. oben I 1 - mit der Maßgabe, daß es hier um den Schutz des Straßenverkehrs geht, d.h. um die Sicherheit des Verkehrs auf Wegen, Plätzen usw., die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen. - Im Gegensatz zu § 315 Abs. 1 Nr. 2 fehlt bei der Aufzählung der Tathandlungen das Geben falscher Signale und Zeichen, doch kann in einem derartigen Verhalten ein "ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff' liegen. Das Merkmal des Hindemisbereitens und das des ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriffs sind hier jedoch enger zu fassen: § 315 b erfaßt zunächst verkehrsfremde, von außen kommende Eingriffe in die Sicherheit des Straßenverkehrs. Vorgänge des fließenden oder ruhenden Verkehrs werden von § 315 b nur dann erfaßt, wenn sie bewußt zweckentfremdet werden, d.h. wenn der Verkehrsvorgang in erster Linie dem Zweck eines gefährlichen Eingriffs dienen soll. Dies ergibt sich aus dem Verhältnis des § 315 b zu § 315 c; vgl. OLG Hamm NJW 1969 S. 1976. Bloße Fehlleistungen des Fahrzeugführers in der Bewältigung von Vorgängen des fließenden und ruhenden Verkehrs werden von § 315 c erfaßt, nicht aber von § 315 b. - Ob dies auch für Mitfahrer gilt, ist str., doch erscheint es angemessen, Eingriffe des Mitfahrers, die der Bewältigung der Verkehrssituation dienen oder dienen sollen, gleich zu behandeln; vgl. OLG Hamm NJW 1969 S. 1975; a.A. OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 1391. Verkehrsfremder Eingriff: Spannen eines Drahtes über die Fahrbahn; Hinterlassen einer Ölspur (OLG Stuttgart NJW 1959 S. 254; BayObLG JZ 1989 S. 704). - Liegenlassen eines Balkens auf der

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Fahrbahn. - Absichtliches Abschneiden des Weges eines anderen Verkehrsteilnehmers mit einem Fahrzeug (BGHSt 21 S. 301). - Zufahren auf einen anderen mit Tötungs- (BGHSt 26 S. 176) oder Körperverletzungsvorsatz, wenn das Opfer nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahr ausweichen kann (BGH NJW 1983 S. 1624 mit Anm. CRAMER JZ 1983 S. 812 ff). - Abgabe eines Schusses auf einen Fahrzeugführer (BGHSt 25 S. 306). - Bewußtes Befahren der Autobahn in falscher Richtung. - Geisterfahrer. (OLG Stuttgart NJW 1976 S. 2223 mit Anm. RÜTH JR 1977 S. 255 f; AA. OLG Stuttgart JR 1980 S. 470 mit Anm. KÜRSCHNER S. 472 f). - Willkürliches, scharfes Abbremsen bei hoher Geschwindigkeit (OLG Düsseldorf VRS 77 S. 280). Kein verkehrsfremder Eingriff: Unvorsichtiges Überholen. - Überholen über mehrere Kilometer. Trunkenheitsbedingter Griff des Beifahrers in das Steuer (OLG Köln NJW 1971S. 670). - Flucht vor einer Polizeikontrolle (BGHSt 28 S. 87; BGH NStZ 1985 S. 267).

b) Subjektive Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Gemäß § 315 b Abs. 1 wird bestraft wer die Tathandlung vorsätzlich begeht und die bestimmte konkrete Gefahr vorsätzlich verwirklicht. bb) Handelt der Täter in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3. cc) Bei vorsätzlicher Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung greift Abs. 4, bei fahrlässiger Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung Abs. 5 ein. c) Gemäß § 315 b Abs. 6 i.V.m. § 315 Abs. 6 ist Tätige Reue möglich. 2. Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315 c a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur Das konkrete Gefährdungsdelikt schützt die Sicherheit des Straßenverkehrs; dazu oben lila. b) Führen eines Fahrzeugs Das Gesetz setzt in Nr. 1 ausdrücklich, in den meisten Tatbeständen der Nr. 2 stillschweigend voraus, daß der Täter ein Fahrzeug führt. - Ein Fahrzeug fuhrt, wer es unmittelbar in Bewegung bringt und die Fortbewegung unter Nutzung der technischen Vorrichtungen ganz oder teilweise leitet. Das Lösen der Handbremse, das Anlassen des Motors oder das Einschalten des Lichtes genügen noch nicht. Vgl. BGHSt 35 S. 390; OLG Celle NStZ 1988 S. 411.

c) Tathandlungen aa) Gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a wird bestraft, wer ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel (z.B. Opium, Heroin, Kokain usw.) nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. - Die Tat ist eigenhändiges Delikt. - Nach neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit (Kfz, Motorrad, Mofa) bei 1,1 Promille Blutalkohol; BGH NJW 1990 S. 2393 mit Anm. JANISZEWSKI NStZ 1990 S. 493 f. - Als absolut fahruntüchtig wird auch derjenige angesehen, der in der Anflutungsphase nach einem Sturztrunk zwar noch weniger als 1,1 Promille hat, diese Grenze jedoch später erreicht. Bei Radfahrern (BGHSt 34 S. 133) und Schiffsführern (OLG Köln NJW 1990 S. 847) nimmt die Rechtsprechung absolute Fahruntüchtigkeit bisher bei 1,7 Promille Blutalkohol an.

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Unterhalb der 1,1 Promillegrenze - relative Fahruntüchtigkeit - bedarf die Feststellung der Fahruntüchtigkeit besonderer Beweisanzeichen. Als solche Beweisanzeichen werden z.B. angesehen: Fahren in Schlangenlinien (OLG Hamm VRS 49 S. 270); mit überhöhter Geschwindigkeit (OLG Köln VRS 37 S. 200); Geradeausfahren in Kurven oder grundloses Abkommen von der Fahrbahn (BGH VRS 47 S. 19).

bb) Abs. 1 Nr. 1 b erfaßt den Täter, der im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. cc) Abs. 1 Nr. 2 erfaßt grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verstöße gegen bestimmte näher aufgeführte Verkehrsregeln. Im einzelnen dazu RANFT Jura 1987 S. 612 f.

d) Gefährdung durch die Tathandlung Durch die Tathandlung muß eine konkrete - nicht bloß abstrakt mögliche - Gefahr für Leib und Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert begründet werden. - Das Gefahrenurteil wird aufgrund einer objektiven nachträglichen Prognose gefällt. Dazu LACKNER Das konkrete Gefährdungsdelikt im Straßenverkehr, 1967, S. 15; MEYER-GERHARDS J u S 1976 S. 228.

Die konkrete Gefahr setzt eine Situation voraus, in der es aus der Sicht des Beobachters allein zufallsbedingt ist, daß es nicht zu einer Rechtsgutsverletzung kommt; vgl. § 78 I 1. Damit muß über ein typischerweise gefährliches Verhalten (abstrakte Gefahr) hinaus eine Situation eingetreten sein, in der sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände bereits die Gefahr zu realisieren droht. Eine konkrete Gefahr liegt daher z.B. im Heranfahren an eine Person auf 2 bis 6 Meter bei rund 160 km/h (BayObLG bei Janiszewski NStZ 1987 S. 114), beim Einscheren in eine Fahrbahn mit 160 km/h im Abstand von 2 Metern vor dem überholten Fahrzeug (BayObLG NJW 1988 S. 273). - Keine konkrete Gefahr für mitfahrende Personen begründet die absolute Fahruntüchtißkeit des Fahrzeugführers als solche. Erst wenn er sich der konkreten Fahrsituation nicht gewachsen zeigt, beginnt die konkrete Gefährdung (so auch BayObLG JZ 1989 S. 52 mit Anm. GEPPERT JK 89, StGB § 315 c/1;

BayObLG NJW 1990 S. 848 mit Anm. BERZ NStZ 1990 S. 237 f; KNOLLMANN/LAPPE JUS 1990 S. 708 ff. - A A B G H NStZ 1989 S. 73 mit Anm. GEPPERT S. 320 ff, BECKER NStZ 1990 S. 125, WERLE JR 1990 S.

74 ff).

aa) Die Gefährdung muß durch die Tathandlung erfolgen. - Die Beachtung des engen Zusammenhanges zwischen Tathandlung und Gefahr löst die viel diskutierte Frage, ob der Einwilligung im Rahmen des § 315 c rechtfertigende Wirkung zukommt. Dies ist kaum begründbar, wenn § 315 c als Delikt gegen die Sicherheit des Verkehrs interpretiert wird, denn in diesem Falle ist die Gefährdung des Dritten nur Indiz für die Gefährlichkeit des Täters. Irrelevant ist, ob in diese Gefährdung eingewilligt worden ist. - Jedoch ist damit nicht der entscheidende Aspekt erfaßt: Wer in voller Kenntnis des fahruntüchtigen Zustandes des Kraftfahrzeugführers an einer Fahrt teilnimmt, begründet selbst die Gefahr für seine Rechtsgüter, da er die Gefahr bewußt auf sich nimmt. § 315 c erfaßt hingegen Fälle der Gefährdung durch einen anderen. In der Sache liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zwischen gefährlichem Zustand des Kraftfahrzeugführers und der Gefährdung eines Dritten vor, so daß das Unrecht des § 315 c durch dieses Verhalten nicht verwirklicht wird. Für rechtfertigende Einwilligung: OLG Hamburg NJW 1969 S. 336; BREHM Zur Dogmatik des ab-

strakten Gefährdungsdelikts, 1973,, S. 34 ff; DREHER/TRONDLE § 315 c Rdn. 17; HILLENKAMP JUS 1977

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S. 170 f; HORN SK, § 315 C R d n . 22; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 5 1 1 2 ; RANFT J u r a 1987 S. 614 f; SCH/SCH/CRAMER $ 315 c R d n . 33.

A A BGHSt 23 S. 261 mit abl. Anm. OELLERS NJW1970 S. 2121; OLG Stuttgart NJW 1976 S. 1904; LACKNER Gefäbrdungsdelikte, S. 12; RÜTH LK, 8 315 c Rdn. 61; SCHAFFSTEIN Welzel-Festschrift, S. 574; SCHMIDHÄUSER B.T., 15/81; WESSELS B.T.-l, § 22 II 3.

Differenzierend: BLCKELHAUPT NJW 1967 S. 713 f; GEPPERT ZStW 83 (1971) S. 984 ff; ROXIN Gallas-Festschrift, S. 253.

bb) Für die Frage, ob die bedrohte Sache einen bedeutenden Wert hat, kommt es auf den Verkehrswert an, nicht auf den Wert der Sache für den Berechtigten. Nicht nur der Wert der Sache als solcher ist entscheidend, sondern auch der ihr drohende Schaden muß bedeutend sein. Ein bedeutender Wert ist gefährdet bei einer zu befürchtenden Schadenssumme von derzeit etwa DM 1000,-. cc) Das vom Täter geführte Fahrzeug ist Mittel, nicht aber Objekt der Gefährdung, auch wenn es nicht Eigentum des Täters ist. Dazu BGHSt 27 S. 40 mit abl. Anm. RÜTH JR 1977 S. 432 f.

e) Die subjektiven Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Abs. 1 erfordert in bezug auf die Tathandlung und die Gefährdung Vorsatz bedingter genügt - des Täters. bb) Wird die Tathandlung vorsätzlich begangen, die Gefahr hingegen fahrlässig verursacht, so greift Abs. 3 Nr. 1 ein. Teilnahme ist nach den Regeln der Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt möglich; dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 22 V.

cc) Abs. 3 Nr. 2 findet Anwendung, wenn Tathandlung und Gefährdung fahrlässig erfolgt sind. f) Der Versuch, § 315 c Abs. 2 Der Versuch erfordert Vorsatz auch in bezug auf die Gefährdung, denn der Versuch ist nur in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1, nicht aber in denen des Abs. 3, mit Strafe bedroht. g) Gefährdung mehrerer Personen Werden durch eine Handlung i.S. des § 315 c Abs. 1 mehrere Personen gefährdet, so ist der Tatbestand der Gefährdung im Straßenverkehr dennoch nur einmal verwirklicht; vgl. BGH NStZ 1989 S. 73. h) Verhältnis der einzelnen Alternativen des § 315 c zueinander. Verletzt der Täter bei einer Fahrt mehrere Alternativen des § 315 c, so liegt dennoch nur eine einheitliche Tat vor; BayObLG JZ 1987 S. 788. 3. Trunkenheit im Verkehr, §316 a) Das Führen eines Fahrzeuges im Verkehr in rauschbedingtem fahruntüchtigem Zustand, ohne daß es zur Gefährdung anderer kommt, stellt § 316 als abstraktes Gefährdungsdelikt unter Strafe. b) Täter kann nur der Führer der genannten Fahrzeuge sein. c) Das Delikt ist vorsätzlich (§ 316 Abs. 1) und fahrlässig (§ 316 Abs. 2) begehbar. Der Vorsatz erfordert zumindest das Bewußtsein des Täters von der konkreten Ge-

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fahr, fahruntüchtig zu sein. Der schlichte Schluß von der genossenen Alkoholmenge auf den Vorsatz ist unzulässig. 4. Schienenbahnen im Straßenverkehr, § 315 d Soweit Schienenbahnen am Straßenverkehr teilnehmen, d.h. wenn ihr Verkehrsraum zugleich dem Straßenverkehr dient oder die Trennung von der Straße nicht scharf durchgeführt ist, so daß der Fahrzeugführer sein Verhalten nach dem allgemeinen Straßenverkehr zu richten hat, gelten für den Betrieb dieser Bahnen nur §§ 315 b, 315 c. - §§ 315,315 a finden keine Anwendung.

III. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 1. Das geschützte Rechtsgut § 142 erfaßt kein gemeingefährliches oder auch nur gemeinschädliches Delikt, sondern eine gegen Vermögensinteressen des Einzelnen gerichtete Straftat. Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse Unfallbeteiligter oder Geschädigter an möglichst umfassender Aufklärung des Unfallhergangs zu dem Zwecke, Schadensersatzansprüche zu sichern oder abzuwehren. - Die Darstellung an dieser Stelle erfolgt aus Gründen des Sachzusammenhanges. 2. Der Täter des Delikts a) Täter kann nur ein Unfallbeteiligter sein, d.h. jemand, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann, Abs. 4. - Als Unfallbeteiligter kommt daher nicht nur der Fahrer eines Kfz in Betracht, sondern alle Personen, die beim aktuellen Unfallgeschehen zugegen waren und deren Verhalten den Unfall nach dem äußeren Schein zumindest mitverursacht haben kann. Dies kann z.B. der Beifahrer sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß er den Fahrer behindert oder in seinem verkehrswidrigen Verhalten bestärkt hat, der Fahrzeughalter, der das Fahrzeug einem fahruntüchtigen oder ungeeigneten Fahrer überlassen hat oder einer Garantenpflicht zuwider die Weiterfahrt nicht verhindert hat. So auch: BGH VRS 24 S. 34; BGHSt 30 S. 160; BayObLG VRS 12 S. 115; LACKNER StGB, § 142 A n m . 2 a; RÜTH LK, § 142 R d n . 22. - A A RUDOLPHI SK, § 142 R d n . 16; SCH/SCH/CRAMER § 142

Rdn. 61. Der nicht mitfahrende oder erst später am Unfallort erscheinende Fahrzeughalter ist hingegen nicht wartepflichtig, da sein Verhalten nicht zu den Verhaltensweisen gehört, die unmittelbar am Unfallort feststellbar sind.

b) Da Täter nur ein Unfallbeteiligter sein kann, handelt es sich beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort um ein Sonderdelikt. Die Unfallbeteiligung begründet jedoch keine Sonderpflichtenposition i.S. des § 28, sondern charakterisiert nur die Positionsnähe zum Rechtsgut. So auch: HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 83; LACKNER StGB, § 142 Anm. 2 b. - A A . DREHER/ TRÖNDLE § 142 R d n . 13; ROXIN LK, § 28 R d n . 39.

3. Der Unfall im Straßenverkehr Unfall im Straßenverkehr ist ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr auf Wegen und Plätzen, das mit dessen Gefahren im ursächlichen Zusammenhang steht und zu einem Personen- oder Sachschaden eines anderen geführt hat.

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a) Zum Begriff des Straßenverkehrs vgl. oben § 80 II 1 a. Es genügen Vorkommnisse im ruhenden Verkehr und mit ausschließlicher Beteiligung von Fußgängern. So auch: OLG Stuttgart VRS 18 S. 117; LACKNER StGB, § 142 ANM. 3 a. - A A u.a. BERZ JUS 1973 S. 558.

b) Ein Personenschaden bedeutet Tötung oder nicht ganz unerhebliche Körperverletzung eines anderen. c) Ein Sachschaden ist völlig belanglos i.S. des § 142, wenn der Schadensersatz nicht über DM SO,- hinausgeht. d) Str. ist, ob auch eine vorsätzliche Schädigung eines anderen mit dem Kfz - A überfährt B in Tötungsabsicht - als Verkehrsunfall anzusehen ist. Dies ist zu bejahen, wenn die Schädigung - etwa bedingt vorsätzlich - bei der Teilnahme am Straßenverkehr erfolgt, denn dann ist das schädigende Ereignis noch auf einen den typischen Verkehrsgefahren zugehörenden Vorgang zurückzuführen. Wird das Kfz hingegen ausschließlich als Tatmittel bei der Verwirklichung eines Delikts - Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Tötung - eingesetzt oder wird das Kfz vorsätzlich durch nicht den typischen Verkehrsgefahren zugehörige Verhaltensweisen beschädigt, so liegt kein Unfall vor. Das Verhalten wird von den die betroffenen Rechtsgüter unmittelbar schützenden Vorschriften hinreichend erfaßt. D a z u a u c h : O L G H a m m N J W 1982 S. 2456; DREHBR/TRÖNDLE § 142 R d n . 12; LACKNER S t G B ,

§ 142 Anm. 3 c; MAGDOWSH Die VerkehrsunfaUflucht in der Strafrechtsreform, 1980, S. 89. - Offengel a s s e n in: B G H S t 2 4 S. 382 mit A n m . BERZ JUS 1973 S. 558 ff, EICH M D R 1973 S. 8 1 4 ff, u n d FÖRSTER

NJW 1972 S. 2319 f; BRINGEWAT JA 1977 S. 232. - Sehr weit BayObLG JZ1986 S. 912.

4. Die Systematik des § 142 a) Abs. 1 regelt die Pflichten des Täters am Unfallort. Das Gesetz unterscheidet zwei Alternativen: sind feststellungsbereite Personen anwesend, so muß der Unfallbeteiligte gemäß Abs. 1 Nr. 1 warten und darüber hinaus die Angabe machen, daß er am Unfall beteiligt ist (Warte- und Vorstellungspflicht). - Sind feststellungsbereite Personen nicht anwesend, so muß er nur eine angemessene Zeit warten (Wartepflicht), Abs. 1 Nr. 2. b) Abs. 2 regelt den Fall, daß der Unfallbeteiligte sich durch Verlassen des Unfallortes nicht strafbar gemacht hat, sei es, daß er nach angemessener Wartefrist den Unfallort verlassen durfte, Abs. 2 Nr. 1, oder aber daß er sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat, Abs. 2 Nr. 2. In diesen Fällen muß er die Feststellungen unverzüglich nachträglich ermöglichen. 5. Die einzelnen Tathandlungen a) § 142 Abs. 1 Tathandlung des § 142 Abs. 1 ist das Sich-Entfernen vom Unfallort. Er setzt voraus, daß der Verpflichtete deshalb nicht mehr zu den erforderlichen Feststellungen an Ort und Stelle zur Verfügung steht, weil er den Bereich verlassen hat, in dem der Zusammenhang mit dem Unfall ohne weiteres erkennbar ist. D a z u O L G S t u t t g a r t N J W 1 9 8 1 S . 878 mit A n m . HENTSCHEL J R 1 9 8 1 S . 211 f.

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In Betracht kommt nur ein willentliches Verlassen des Unfallortes, u.U. auch als garantiepflichtiger Unterlassender, der die Weiterfahrt nicht verhindert, obwohl er dazu in der Lage wäre.

Zu unterscheiden ist sodann: aa) Sind Personen, die bereit sind, Feststellungen zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten zu treffen, anwesend oder erscheinen solche während der Anwesenheit des Unfallbeteiligten, so trifft diesen eine Warte- und Vorstellungspflicht, Abs. 1 Nr. 1. Die Wartepflicht dauert solange, bis die nötigen Feststellungen getroffen sind. Sind keine Feststellung nötig, weil allein der Täter unfallbeteiligt und geschädigt ist, alle Beteiligten auf weitere Feststellungen verzichten oder die erforderlichen Feststellungen bereits getroffen sind, so entfällt die Wartepflicht.

Die Vorstellungspßcht enthält die Pflicht zu Angabe, daß sich ein Unfall ereignet hat und eigene (Mit-) Verursachung in Betracht kommt. Sie beginnt unmittelbar nach dem Unfall und dauert solange an, wie ihre Befolgung möglich ist. - Problematisch allerdings ist die Weite der Vorstellungspflicht. Die h.M. begrenzt diese auf die Angabe des Unfallbeteiligten, daß er am Unfall beteiligt ist. Die Gegenmeinung fordert hingegen die Angabe des Namens, der Adresse und der Unfallbeteiligung. Sie erscheint mehr sachgerecht, denn die Vorstellung soll dem Beteiligten gerade auch die Möglichkeit eröffnen, von einer weiteren Anwesenheit des Unfallbeteiligten abzusehen. Das aber erfordert die über die Beteiligung hinausgehenden Angaben. Die unterschiedliche Bestimmung der Vorstellungspflicht führt zu wesentlichen Konsequenzen: Führt der Unfallbeteiligte das Einverständnis Feststellungsberechtigter durch Täuschung über die relevanten Angaben herbei und entfernt sich dann, so hat er die ihm aus Abs. 1 Nr. 1 obliegenden Pflicht nicht erfüllt und damit die Vorstellungspflicht verletzt. So auch O L G Stuttgart N J W 1982 S. 2266; DREHER/TRÖNDLB § 142 R d n . 29; GEPPERT Jura 1990 S. 84; JANISZEWSH N S t Z 1990 S. 272; RÜTH L K , § 142 R d n . 36. - A A . B a y O b L G N J W 1984 S. 6 6 , 1 3 6 5 ; O L G F r a n k f u r t N J W 1990 S. 1189; KÜPER J Z 1990 S. 510 ff; RUDOLPHISK, § 142 R d n . 31; SCHILD A K , § 142 Rdn. 155.

Der Versuch, in diesen Fällen eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 zu begründen - vgl. BayObLG NJW 1984 S. 1365; OLG Frankfurt NJW 1990 S. 1198 -, schlägt fehl, da der Täter sich weder berechtigt noch entschuldigt vom Unfallort entfernt hat; vgl. auch GEPPERT JK 90, StGB § 142/16; JANISZEWSKI NStZ 1983 S. 403.

bb) Sind keine feststellungsbereiten Personen am Unfallort erschienen, so trifft den Unfallbeteiligten eine Wartepflicht, Abs. 1 Nr. 2. - Die Länge der Wartepflicht bestimmt sich nach dem Grad des Feststellungsinteresses und der Zumutbarkeit. Maßgeblich sind dafür Ort und Schwere des Unfall, Verkehrsdichte, Witterung und Tageszeit. Positive Maßnahmen zur Aufklärung verkürzen die Wartezeit. - Die Pflicht entfällt, wenn in absehbarer Zeit überhaupt nicht mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen ist. Im einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1107 (10 Minuten genügen ausnahmsweise bei einem geschätzten Schaden von DM 400,-, wenn kein Anhaltspunkt für baldiges Eintreffen feststellungsbereiter Personen). - OLG Hamm VRS 59 S. 258 (30 Minuten genügen bei Schaden bis DM 600,-). - OLG Koblenz VRS 49 S. 180 (15 Minuten in der Nacht genügen nicht bei Schaden in Höhe von DM 1500,-). OLG Stuttgart DAR 1977 S. 22 (20 Minuten bei Schaden von DM 600,- gegen Abend genügen nicht). Bei Tötung und schwerer Verletzung von Personen ist mindestens 1 Stunde Wartezeit erforderlich.

cc) Der Vorsatz, bedingter genügt, muß das Bewußtsein umfassen, möglicherweise einen Unfall verursacht und nach den Umständen erforderliche Feststellungen nicht ermöglicht zu haben.

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b) § 142 Abs. 2 Abs. 2 begründet die Pflicht zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung der Feststellungen i.S. des Abs. 1, wenn: aa) der Unfallbeteiligte sich nach Ablauf der Wartefrist, Abs. 1 Nr. 1, oder bb) berechtigt oder entschuldigt, Abs. 2 Nr. 2, vom Unfallort entfernt hat. Berechtigt hat sich der Unfallbeteiligte entfernt, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorlag, wobei besonders Einwilligung und nach der Rechtsprechung auch mutmaßliche Einwilligung in Betracht kommen in Fällen, in denen der Berechtigte nach den Umständen - Bestehen freundschaftlicher oder verwandtschaftlicher Beziehungen, Bagatellschaden - mutmaßlich an Feststellungen uninteressiert ist. Vgl. BayObLG StV 1985 S. 109; OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 2725; OLG Frankfurt NJW 1960 S. 2067.

Entschuldigt erfolgt die Entfernung bei Vorliegen von Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründen, auch bei vorübergehender Schuldunfähigkeit oder unvermeidbarem Verbotsirrtum. - Ist der Schuldausschluß allerdings rauschbedingt, so kommt wegen des Entfernens vom Unfallort eine Strafbarkeit nach § 323 a in Betracht. In diesem Fall entfällt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 142 Abs. 2 Nr. 2, denn der Täter hat sich nicht entschuldigtermaßen vom Unfallort entfernt, sondern schuldhaft im Sinne der Schuldanforderung des § 323 a gehandelt. Vgl. auch BayObLG NJW 1989 S. 1685 mit Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 142/15, KELLER JR 1989 S. 3 4 3 f, KÜPER N J W 1990 S. 209; BEULKE N J W 1979 S. 404; RUDOLPHISK, § 142 Rdn. 39; SCH/SCH/ CRAMER § 142 Rdn. 47. A A . BERZ Jura 1979 S. 129; DORNSEIFER J Z 1980 S. 303; DREHER/TRÖNDLB § 142 Rdn. 40; SCHILD A K , § 142 Rdn. 148.

Nicht tatbestandsmäßig i.S. des § 142 Abs. 2 handelt der Täter, der sich unvorsätzlich vom Unfallort entfernt, weil er keine Kenntnis vom Unfall hat. Die Interpretation des BGH - BGHSt 28 S. 129 -, es genüge, daß der Täter im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall von diesem Kenntnis erlangt habe, geht über die durch den Wortlaut gesetzten Grenzen des § 142 hinaus. S o auch BERZ Jura 1979 S. 128; BEULKE N J W 1979 S. 400 ff; BOTTKE J A 1980 S. 516; DORNSEIFER J Z 1980 S. 301 f; GEPPERT Jura 1990 S. 85; KREY B.T. 2, Rdn. 646; LACKNER StGB, § 142 A n m . 5 b, cc; MAGDOWSKI Verkehrsunfallflucht, S. 160 ff; RUDOLPHI JR 1979 S. 210 ff; SCHILD A K , § 142 Rdn. 149;

SCHWAB M D R 1983 S. 454 f. - A.A. OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 544; KÜPER Heidelberg-Festschrift, S. 451; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 49 Rdn. 54; VOLK D A R 1982 S. 85.

In gleicher Weise nicht mit dem Gesetz vereinbar ist die Annahme, die unvorsätzliche, von Dritten veranlaßte oder erzwungene Entfernung des Täters vom Unfallort stehe einer berechtigten oder entschuldigten Entfernung gleich. Dies mag vom Gesetzessinn her zutreffen, ist jedoch angesichts des engen Wortlauts des Abs. 2 eine Analogie zu Ungunsten des Täters. Vgl. LACKNER StGB, § 142 Anm. 5 b, cc. - A.A. BGHSt 30 S. 160 mit Anm. BÄR JR 1982 S. 379; BayObLG NJW 1982 S. 1059 mit abl. Anm. KLINKENBERG/LIPPOLD/BLUMENTHAL NJW 1982 S. 2359 f; JAKOB M D R 1983 S. 461 f; SCHWAB M D R 1983 S. 454 f.

cc) Die Mindestvoraussetzungen der nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen, die der Unfallbeteiligte erfüllen muß, um straffrei zu bleiben, beschreibt Abs. 3.

§ 80 Gefährdungen des Verkehrswesens

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Da der Verpflichtete gemäß Abs. 2 unverzüglich handeln muß, hat er die Wahl der Benachrichtigung, soweit das Unverzüglichkeitsgebot nicht verletzt wird. - Unverzüglich erfordert Handeln ohne vorwerfbares Zögern. Das bedeutet, daß dann, wenn eine der zur Wahl stehenden Möglichkeiten zu einer zeitlichen Verzögerung führt, die andere Möglichkeit zu realisieren ist; vgl. BGHSt 29 S. 138. dd) Der Vorsatz, bedingter genügt, umfaßt Kenntnis des Verkehrsunfalls und der möglichen Beteiligung sowie das Bewußtsein, daß nachträgliche Feststellungen erschwert oder vereitelt werden. c) Tätige Reue Ermöglicht der Täter nachträglich Feststellungen nach Vollendung des Delikts, aber bevor ein Feststellungsverlust eingetreten ist, so besteht kein Strafbedürfiiis. Analog §§ 310,311 c Abs. 3 ist ihm Straffreiheit zuzubilligen. S o auch: SCHILD AK, § 142 Rdn. 108; SCH/SCH/CRAMER § 142 Rdn. 74. - A A . DREHER/TRÖNDLE § 142 Rdn. 53; LACKNER StGB, § 142 A n m . 8; SCHAFF5TEIN Dreher-Festschrift, S. 154.

d) Konkurrenzen In der Regel besteht zwischen § 142 und der durch den Unfall verursachten Tat, z.B. §§ 222, 230, 315 c, Realkonkurrenz. Das gilt auch, wenn der Täter vor und nach dem Unfall eine Dauerstraftat, § 316, begeht. Mit dem Entschluß, sich vom Unfallort zu entfernen, beginnt eine neue Tat. D a z u BayObLG JR 1982 S. 249 mit Anm. HENTSCHEL S. 250 f; O L G Celle G A 1982 S. 41.

IV. Angriff auf den Luftverkehr, § 316 c 1. Die Vorschrift schützt die Sicherheit des zivilen Flugverkehrs. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 2. § 316 c Abs. 1 Nr. 1 erfaßt die eigentliche Luftpiraterie. Ziel des Täters muß die Herrschaft über das Luftfahrzeug oder die Einwirkung auf dessen Führung sein, und zwar durch Gewaltanwendung, durch Angriff auf die Entschlußfähigkeit einer Person oder durch Vornahme sonstiger Machenschaften, die in der Wirkung einem Ausschluß der Entschlußfreiheit des Flugzeugführers gleichkommen. Vgl. einerseits: SCH/SCH/CRAMER § 316 c Rdn. 16; andererseits: KUNATH J Z 1 9 7 2 S. 201.

3. § 316 c Abs. 1 Nr. 2 erfaßt Handlungen, die in der Absicht der Zerstörung oder Beschädigung des Luftfahrzeugs oder seiner Ladung unternommen werden. 4. § 316 c Abs. 2 enthält eine Erfolgsqualifikation (leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen). - § 316 c Abs. 3 dehnt die Strafbarkeit bereits auf bestimmte Vorbereitungshandlungen aus. 5. Tätige Reue ist gemäß § 316 c Abs. 4 möglich. 6. Konkurrenzen: Da sich das Delikt gegen die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs richtet, ist Idealkonkurrenz mit den durch die u.U. erfolgte Verletzung persönlicher Rechtsgüter begangenen Delikten (z.B. §§ 240, 223, 212, 239 b) möglich. - Zur Diskrepanz der Strafdrohung des § 316 c Abs. 2 gegenüber § 212 vgl. die entsprechenden Ausführungen oben § 46IV 3 b.

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Gemeingefährliche Delikte

§ 81: Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a § 323 a stellt die Herbeiführung eines gemeingefährlichen Zustandes i.S. eines unberechenbaren, unbeherrschbaren und damit für die Rechtsgüter anderer gefährlichen Zustandes unter Strafe. Geschützte Rechtsgüter sind die in den übrigen Delikten strafrechtlich geschützten Rechtsgüter anderer. Diese Weite des Rechtsgutsschutzes macht deutlich, daß es sich sachlich um eine Ausdehnung der strafrechtlichen Haftung über den Vorsatz- und Fahrlässigkeitsbereich hinaus in einen subjektiven Verantwortungsbereich hinein handelt, der nicht mehr die Vorhersehbarkeit der konkreten Rechtsgutsverletzung zur Voraussetzung hat, sondern das allgemeine Wissen von der Gefährlichkeit und Nichtsteuerbarkeit einer bestimmten Situation. In der Sache ist § 323 a daher als Ergänzung der §§ 20, 21 und Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen über die Fahrlässigkeit hinaus anzusehen. Dazu auch: HARDWIG Eb. Schmidt-Festschrift, S. 473 ff; DERS. GA 1964 S. 144 f; HRUSCHKA Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1988, S. 298; MAURACH/ZIPF Strafrecht, A.T. 1, 7. Aufl. 1987, § 36 Rdn. 65; NEUMANN Zurechnung und "Vorverschulden", 1985, S. 125 ff; OTTO Jura 1986 S. 478 ff; STRENG JZ 1984 S. 118 ff; DERS. ZStW 101 (1989) S. 318 ff.

Formell handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da der Gesetzgeber davon abgesehen hat, diese allgemeine Haftungsausdehnung im Allgemeinen Teil zu regeln, wo sie sachlich hingehört hätte. Sachlich enthält § 323 a eine Schuldzurechnungsregelung, und zwar eine Ergänzung der §§ 20, 21, die durchaus mit dem Schuldgrundsatz in Einklang steht, wenn als subjektives Tatbestandsmerkmal des § 323 a die Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustands für die Begehung von Delikten vorausgesetzt wird. So im Ergebnis auch: BGHSt 10 S. 247; BGH JR 1958 S. 28; BEMMANN GA 1961S. 73; CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 106; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, S 9 4 1 3 ; MONTENBRUCK G A 1978 S. 240 f; OTTO J u r a 1986 S. 481; SPENDEL LK, § 323 a R d n . 68.

Einen Verstoß gegen das Schuldprinzip sieht in § 323 a ARTHUR KAUFMANN JZ 1963 S. 425 ff; dazu auch NEUMANN Zurechnung, S. 128; STRENG JZ 1984 S. 119. - Differenzierend: PAEFFCEN ZStW 97 (1985) S. 538; WOLTER NStZ 1982 S. 54 ff, der den Tatbestand aufspaltet und beim Fehlen einer Schuldbeziehung zwischen Rausch und Rauschtat einen Minimalstrafrahmen fordert. Als konkretes Gefährdungsdelikt interpretieren den Tatbestand: HEINITZ JR 1957 S. 347 ff; LANGE JR 1957 S. 242 ff; RANFT M D R 1972 S. 741; DERS. J A 1983 S. 194; WELZEL Lb., § 68 II.

Die h.M. ordnet den § 323 a schlicht als abstraktes Gefährdungsdelikt ein, vgl. CRAMER Vollrauschtatbestand, S. 17 ff m.w.N.; DENCKER N J W 1980 S. 2159; DREHER/TRÖNDLE § 323 a R d n . 1; KREY B.T. 1, R d n . 797; LACKNER StGB, § 323 a A n m . 1; PUPPE G A 1974 S. 115; DIES. J u r a 1982 S. 281;

SCHMIDHÄUSER B.T., 15/19; WESSELS B.T.-l, § 23 I 1. - Dem entspricht auch die grundsätzliche Haltung der Rechtsprechung, vgl. BGHSt 16 S. 124; 20 S. 284.

II. Die Voraussetzungen des Tatbestandes 1. Die Tathandlung Tathandlung ist das Sichversetzen in einen Rausch durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel, z.B. Rauschgift. - Rausch ist das für das jeweilige Rauschmittel typische, die psychischen Fähigkeiten durch Intoxikation beeinträchtigende Zustandsbild.

§ 81 Vollrausch

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Einen bestimmten Schweregrad setzt das Gesetz nicht voraus. Gleichwohl geht die h.M. davon aus, daß ein Rausch i.S. des § 323 a nur vorliegt, wenn die Intoxikation durch Rauschmittel einen Grad erreicht hat, in dem die Schuldfähigkeit des Täters mit Sicherheit zumindest erheblich vermindert ist i.S. des § 21, und zwar soll die verminderte Schuldfähigkeit in Bezug auf die Rauschtat bestimmt werden. D a z u FORSTER/RENGIER NJW 1986 S. 2872; HORN JR 1980 S. 1 ff; LACKNER StGB, § 323 a

Anm. 2 b; PAEFFGEN NStZ 1985 S. 8. - Vgl. im übrigen: BGHSt 16 S. 189; DENCKER NJW 1980 S. 2161 f; RANFT JA 1983 S. 197; WEBER in: Arzt/Weber, L H 2, Rdn. 445.

Die Abhängigkeit des Rauschbegriffs von der Schuldunfähigkeit bzw. der verminderten Schuldfähigkeit wird vom BGH in einer neueren Entscheidung - BGHSt 32 S. 48 - in Frage gestellt und auch in der Literatur wird zunehmend eine eigenständige Definition des Rauschbegriffs vorgeschlagen. Als "Zustand, in dem der Täter infolge Rauschmittelkonsums hinsichtlich irgendeines (Straf-) Nonnverstoßes in irgendeiner Situation bereits nur noch vermindert schuldfähig wäre", interpretiert DENCKER - NJW 1980 S. 2162 - den Rausch. - PUPPE - Jura 1982 S. 285 - will den Rausch als Zustand der Sozialunfähigkeit definieren, während MONTENBRUCK - GA 1978 S. 225 ff - auf die absolute Fahruntüchtigkeit und HORN - JR 1980 S. 7 - auf die biologische Komponente der §§ 20,21 abstellen will.

Die Lösung des Rauschbegriffs von der Definition der Schuldunfähigkeit bzw. der verminderten Schuldfähigkeit ist ein Postulat vernünftiger Gesetzesauslegung, denn würde bereits der Rausch den sicheren Nachweis zumindest verminderter Schuldfähigkeit voraussetzen, so wäre das gesetzliche Erfordernis, daß der Täter in Folge des Rausches schuldunfähig war oder dies nicht auszuschließen ist, sinnlos. Es verwiese auf eine schlichte Tautologie. Jedoch auch der Bezug auf die Fahruntüchtigkeit oder einzelne Aspekte der Schuldunfähigkeit bleibt willkürlich. Im einzelnen zur Auseinandersetzung mit diesen Definitionen LACKNER Jescheck-Festschrift, S. 659 ff.

Das Erfordernis des Rausches im Tatbestand des § 323 a stellt lediglich klar, daß die Gefahrensituation auf einem Rausch und nicht auf anderen Sachverhalten beruhen muß. Ein bestimmter Mindestschweregrad des Rausches ist daher nicht als Voraussetzung des Rauschbegriffs zu akzeptieren. Vgl. dazu auch: DREHER/TRÖNDLE § 323 a Rdn. 5 a ff; JAKOBS Strafrecht, A.T., 1983, 17/62; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 94 II 2; OTTO Jura 1986 S. 482 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 15/31; SPENDELLK, § 323 a Rdn. 154; TRÖNDLE Jescheck-Festschrift, S. 682 ff.

2. Die Rauschtat Objektive Bedingung der Straßarkeit ist die Rauschtat, d.h. eine rechtswidrige Tat i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 5, für die der Täter nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies zumindest nicht auszuschließen ist. Auch im Falle mehrerer Rauschtaten während des Rausches liegt nur ein Delikt des Vollrausches vor, bei dem mehrere objektive Bedingungen der Strafbarkeit erfüllt wurden; BGH StV 1990 S. 404. Die Rauschtat muß den vollen objektiven und subjektiven Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. a) Die Rauschtat kann ein Begehungs- oder Unterlassungsdelikt sein. Ist der Täter infolge seines Rausches jedoch nicht mehr handlungsfähig, so kommt eine Haftung nicht in Betracht. § 323 a soll der Gefahr begegnen, die ein handlungsfähiger aber berauschter und daher in seiner Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit beeinträchtigter

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Gemeingefährliche Delikte

Täter verwirklicht, nicht aber den Haftungsrahmen über die Handlungsmöglichkeiten im konkreten Fall hinaus ausdehnen. Auch unterlassene Hilfeleistung, § 323 c, kann Rauschtat sein, wenn der Täter in der Lage ist zu erkennen, daß der in Not Geratene auf seine Hilfe angewiesen und ihm die Hilfeleistung möglich ist. So auch: BayObLG NJW1974 S. 1520, DENCKER NJW 1980 S. 2165; DERS. JuS 1980 S. 214; STRENG J Z 1984 S. 114 ff. - A A . BACKMANN JuS 1975 S. 702; LACKNER StGB, § 323 a Anm. 3 b; LENCKNER JR 1975 S. 31 ff; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 94 D 1 e.

b) Ist die Rauschtat nur als vorsätzliche Tat mit Strafe bedroht, so muß der Täter die Kenntnis der Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes sowie den Verwirklichungswillen (finales Element des Vorsatzes = natürlicher Vorsatz) gehabt haben. c) Soweit die Rauschtat eine besondere Absicht voraussetzt, muß der zielgerichtete Wille des Täters vorhanden gewesen sein. - Ist diese Absicht im Gesetz als spezifisch rechtswidrige Absicht gekennzeichnet, wie z.B. die Absicht rechtswidriger Zueignung in § 242 oder die Absicht rechtswidriger Bereicherung in §§ 253,263, so läßt die h.M. dieses Erfordernis in Wirklichkeit entfallen, indem sie lediglich die "natürliche zielgerichtete Absicht" voraussetzt. - Dies ist nicht sachgerecht, denn gerade die Absicht rechtswidriger Zueignung bzw. Bereicherung gibt diesen Delikten ihre spezifische Angriffsrichtung, vgl. dazu oben § 38 II 2 a. Da der Täter jedoch im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit nicht mehr fähig ist, das Unerlaubte seines Verhaltens einzusehen oder sich danach zu richten, kann er die geforderte rechtsfeindliche Einstellung seiner Zueignungs- bzw. Bereicherungsabsicht gerade nicht erkennen, bzw. sich danach richten. Damit aber kann er das geforderte Spezifikum der Absicht nicht verwirklichen. Im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit kann daher eine Rauschtat, die die Realisierung einer rechtswidrigen Absicht fordert, nicht verwirklicht werden. Dies ist jedoch kein Mangel, denn da bei den entsprechenden Delikten eine unabänderbare Sachlage durch die Tat im Rausch nicht eintritt, ist das Verhalten des Täters im zurechnungsfähigen Zustand für die strafrechtliche Beurteilung relevant. Eignet er sich in diesem Zustand z.B. eine fremde Sache rechtswidrig zu, so haftet er nach § 246. Für Erfassung des Unrechts des Gesamtverhaltens durch das Eigentumsdelikt im nüchternen Zus t a n d : WESSELS B.T.-L, § 2 3 1 4: m i t b e s t r a f t e V o r t a t ; S C H / S C H / C R A M E R § 3 2 3 a R d n . 32: S u b s i d i a r i t ä t . -

Das Eigentumsdelikt sieht als mitbestrafte Nachtat an: OLG Celle NJW 1962 S. 1833.

d) Ein Irrtum des Täters, der nicht auf seinem Rausch beruht, ist nach allgemeiner Ansicht genauso zu behandeln wie ein Irrtum eines nüchternen Täters. Beim rauschbedingtem Irrtum will die Rechtsprechung den Täter hingegen nicht entlasten. Dem ist nicht zu folgen. Das Erfordernis der Rauschtat hat eine straßarkeitsbegrenzende Funktion. Pflichtwidrig handelt der Täter, weil er sich vorsätzlich oder fahrlässig in den gemeingefährlichen Rauschzustand versetzt hat. Bestraft wird er jedoch nur, wenn er in diesem Zustand eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat begeht. - Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Unrechtstatbestandes dieser Tat müssen gegeben sein. Da der Täter die Tat aber in einem Zustand begangen hat, in dem zumindest nicht auszuschließen ist, daß er unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ist das Unrechtsbewußtsein, und zwar im umfassenden Sinne - materielles und formelles Unrechtsbewußtsein: dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, AT., §§ 7 V, 13 IV -, nicht Voraussetzung der Rauschtat.

§ 81 Vollrausch

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Das hat die Konsequenz, daß ein sog. Tatbestandsirrtum, wenn er auf den Rausch zurückzuführen ist, nicht anders zu behandeln ist als ein nicht rauschbedingter Irrtum. Hingegen kann ein sog. Verbotsirrtum, der darauf beruht, daß der Täter aufgrund seines Rauschzustandes nicht mehr in der Lage ist einzusehen, was erlaubt ist, ihn nicht entlasten. So auch: DENCKER N J W 1980 S. 2164 f; DREHEK/TRÖNDLE J 323 a R d n . 13; KREY B.T. 1, R d n . 801; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 94 n 1 c, bb; RANFT J A 1983 S. 241 f; SCHÜLER-SPRINGORUM

MschrKrim 1973 S. 363 ff. - AA. BGH NJW 1953 S. 1442; OLG Celle NJW 1969 S. 1775; BOCKELMANN B.T./3, § 25IV 2; KUSCH Der Vollrausch, 1984, S. 88 ff m.w.N.

e) Der Rücktritt vom Versuch der Rauschtat entlastet den Täter, gleichgültig, ob der Rücktritt im berauschten oder nüchternen Zustand erfolgt. A A . KUSCH S. 128 f.

Die Problematik wird in der Praxis vor allem bei Vermögensdelikten aktuell werden; vgl. auch BGH bei Dallinger, MDR 1971 S. 362. Nach der hier vertretenen Konzeption entfällt in diesen Fällen aber schon aus anderen Gründen - vgl. oben c) - der Tatbestand der Rauschtat. Sollte in anderen Fallkonstellationen der Versuch der Rauschtat bei Eintritt der Nüchternheit des Täters noch andauern - der zur Körperverletzung entschlossene Täter verfolgt sein Opfer bis zum Eintritt der Nüchternheit -, so ist nicht einzusehen, warum der Rücktritt nicht zugunsten des Täters zu berücksichtigen ist, da auch sonst das schon verwirklichte Unrecht aufgrund der Freiwilligkeit des Rücktritts als nicht strafbedürftig angesehen wird. 3. Die subjektiven Voraussetzungen des Vollrausches Der Täter muß sich vorsätzlich oder fahrlässig in den Rauschzustand versetzt haben. Beruht der Rauschzustand auf dem Zusammenwirken von Rauschmitteln und anderen Gründen Erregung, Medikamenten -, so muß die Vorhersehbarkeit des Täters sich darauf erstrecken, daß im Zusammenwirken dieser Gegebenheiten ein Rauschzustand entsteht. Dazu BGH NJW 1979 S. 1370; BGH NStZ 1982 S. 116; BGH StV 1987 S. 246 mit Anm. NEUMANN S. 247 ff.

Weiter muß der Täter die allgemeine Kenntnis haben, daß ein Rauschzustand gefährlich ist, weil es in einem derartigen Zustand zu Rechtsgutsverletzungen Dritter kommen kann, und zwar unabhängig, ob das Delikt als abstraktes Gefährdungsdelikt oder als Erweiterung des Haftungsrahmens über §§ 20, 21 hinaus interpretiert wird. Die allgemeine Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustandes ist Mindesterfordernis des Schuldgrundsatzes; dazu auch BGHSt 10 S. 251. a) Hat der Täter sich vorsätzlich in einen Rausch versetzt, um eine Straftat im Rauschzustand zu begehen, so haftet er nicht aus § 323 a, sondern aus dem Tatbestand der verwirklichten Tat wegen einer actio libera in causa; dazu eingehend sowie zur fahrlässigen Haftung trotz Rausches GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 13 II 4. b) Hat der Täter Vorkehrungen gegen die Realisierung von Gefahren im Rausch getroffen, die mit Sicherheit eine Realisierung der Gefahren ausgeschlossen hätten, so haftet er nicht, wenn durch bewußtes Eingreifen Dritter diese Vorkehrungen beseitigt werden. Ihm fehlt in dieser Situation die allgemeine Kenntnis von der Gefährlichkeit seines konkreten Zustandes.

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Gemeingefährliche Delikte

Vgl. auch: MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, 5 94 I 3; OTTO Jura 1986 S. 486; SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 64. - AA. OLG Hamburg JR 1982 S. 345 mit Anm. HORN S. 347 ff.

4. Teilnahme am Vollrausch Teilnahme am Vollrausch, § 323 a, ist ausgeschlossen. Dies folgt daraus, daß es sich hier sachlich um kein eigenständiges Delikt handelt, sondern um eine Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen in einer bestimmten Situation für bestimmte Personen. Str., die Stellungnahmen sind wesentlich durch die jeweilige Auffassung über die Rechtsnatur des § 323 a geprägt, doch überwiegt die Auffassung, daß eine Teilnahme am Vollrausch nicht möglich ist.

Vgl. dazu HAFT B.T., § 37 II 5; LACKNER StGB, § 323 a A n m . 6; RANFT J A 1983 S. 244; SCH/SCH/CRAMER § 323 a Rdn. 25; WELZEL L b , $ 68 II 4 a. - A A . BGHSt 10 S. 248; BRUNS J Z 1958 5. 105 ff; LANGE J Z 1953 S. 408 ff; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 94 II 5; ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Aufl. 1989, S. 431 f; SCHMIDHÄUSER B . T , 15/33; SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 269 ff.

Die Beteiligung an der Rauschtat richtet sich nach den allgemeinen Regeln. 5. Wahlfeststellung Eine Wahlfeststellung zwischen der Rauschtat und dem Vollrausch kommt nicht in Betracht, da zwischen der im Rausch begangenen Rechtsgutsverletzung und der voll verantwortlich verwirkten Rechtsgutsverletzung ein normatives Stufenverhältnis besteht. Ist nicht nachweisbar, ob der Täter die Rauschtat im Zustand der Schuldunfähigkeit, der verminderten Schuldfähigkeit oder - trotz Rausches - in einem Zustand voller Zurechnungsfähigkeit begangen hat, so ist er, wenn der Rausch erwiesen ist, aus § 323 a zu bestrafen. Der Rauschtäter, der - wenn er schuldfähig gewesen wäre - aus der für die im Rausch begangene Tat geltenden Norm verurteilt werden müßte, ist durch die Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" nicht schlechter gestellt, wenn gegen ihn wegen nicht ausgeschlossener Schuldunfähigkeit die weniger gravierende Norm des § 323 a zur Anwendung kommt. Vgl. BGHSt 32 S. 54 ff; DREHER M D R 1970 S. 370 f; HEISS NStZ 1983 S. 69; OTTO Peters-Fest-

schrift, S. 382 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 15/31; SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 154; TRÖNDLE Jescheck-Festschrift, S. 678 ff; WOLTER Wahlfeststellung und in dubio pro reo, 1987, S. 75 ff.

Eine Strafbarkeitslücke ist allerdings auch innerhalb dieser Konzeption begründet: Ist nicht nachweisbar, ob der Täter einen Rausch hatte oder nicht, so kann er weder aus dem Vollrausch noch aus der Rauschtat bestraft werden. Dazu SCHUPPNER/SIPPEL NStZ 1984 S. 67 ff.

6. Die Strafe Die Strafe ist begrenzt durch den Strafrahmen der Rauschtat, § 323 a Abs. 2; zum Strafantrag vgl. Abs. 3.

Sechster Abschnitt Straftaten gegen die Umwelt § 82: Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnormen 1. Die Intention des Gesetzgebers Mit dem am 1.7.1980 in Kraft getretenen 18. Strafrechtsänderungsgesetz - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - hat der Gesetzgeber wichtige Tatbestände zum Schutz der Umwelt, die zuvor in Spezialgesetzen des Nebenstrafrechts - z.B. im WasserhaushaltsG, Bundes-ImmissionsschutzG, AbfallG und AtomG - enthalten waren, erweitert, modifiziert und im Strafgesetzbuch zusammengefaßt. Weniger bedeutsame Vorschriften - z.B. § 148 GewerbeO, §§ 51, 52 LebensmittelG, §§ 63 ff BundesSeuchenG, § 74 TierschutzG, § 39 PflanzenschutzG - blieben in den Spezialgesetzen. Mit der Regelung des Umweltstrafrechts im Strafgesetzbuch wollte der Gesetzgeber das Bewußtsein der Öffentlichkeit für die Sozialschädlichkeit von Umwelteingriffen schärfen, die Anerkennung selbständiger Umweltschutzgüter fördern, die Vereinheitlichung der Materie erleichtern und eine Erhöhung der generalpräventiven Wirkung dieser Normen erzielen; BT-Drucks. 8/2382, S. 1, 9; 8/3633, S. 1 f, 19. 2. Die Verwirklichung der gesetzten Ziele Diese Zielsetzung fand damals in der Literatur breite Zustimmung und wird auch heute weithin positiv beurteilt. Vgl. zum einen: LAUFHOTTE/MÖHRENSCHLAGER ZStW 92 (1980) S. 912 ff; TLEDEMANN Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, 1980, S. 13; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, 1980, S. 30, jeweils mit w.N.; zum anderen: Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe "Umwelthaftungs- und Umweltstrafrecht" - Arbeitskreis "Umweltstrafrecht" v. 19.12.1988, S. 26, 38; Beschlüsse Nr. 1, 2 der strafrechtlichen Abteilung des 57. DJT, in: Verhandlungen des 57. DJT Mainz 1988, Bd. II, 1988, L 279 ff.

In gleicher Weise besteht jedoch heute ein breiter Konsens darüber, daß die Intentionen des Gesetzgebers sich nicht realisiert haben. Eingehende Untersuchungen, die für die Bundesrepublik Deutschland belegen, daß das Strafrecht in seiner wichtigsten Zielsetzung, schwerwiegende Umweltbeeinträchtigungen zu ahnden und die Effizienz der Umweltschutznormen zu stärken, versagt und zugleich im Bagatellbereich Überreaktion erzeugt, mehren den Verdacht, daß "das Umweltstrafrecht rechtliche Potenz nur vorgaukele". HEINE NJW 1990 s. 2425. - Dazu auch HEINE/MEINBERG Gutachten zum 57. DJT Mainz, 1988, D 72 ff; MEINBERG Z S t W 100 (1988) S. 112 ff; SCHALL N J W 1990 S. 1263 ff.

Auf eine Reform des Umweltstrafrechts richten sich nunmehr erneut die Hoffnungen. - Im Februar 1990 wurden Entwürfe zur Reform des Umweltstrafrechts vorgelegt von der Bundesregierung - BR-Drucks. 126/90 -, von der SPD - BT-Drucks. 11/6449 - und - gleichlautend mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - von den Fraktionen von CDU/CSU und FDP - BT-Drucks. 11/6453. - § 191 a DDR-StGB wurde zu einem Tatbestand über Bodenverunreinigung umgestaltet und beibehalten.

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Straftaten gegen die Umwelt

Wesentliche Ziele der Reform sind eine Erweiterung des § 324 durch Aufgabe der Beschränkung des Tatbestandes auf den Schutz inländischer Gewässer, der Schutz gegen Bodenverunreinigung in einem neuen § 324 a, die Regelung des Schutzes vor Luftverunreinigung in § 325 und des Schutzes vor Lärm und anderen Umwelteinwirkungen in § 325 a sowie die Erweiterung der §§ 326,327,328,329,330,330 a.

Diese Ausdehnung des Strafrechtsschutzes mag kriminalpolitisch berechtigt sein. Die grundsätzlichen Probleme des Umweltstrafrechts berührt sie jedoch nicht, da diese in der Struktur der Tatbestände angelegt sind.

II. Die grundsätzlichen Problemstellungen des Umweltstrafrechts 1. Die Akzessorietät des Umweitstrafrechts Das Umweltstrafrecht ist wesentlich geprägt durch eine enge Verflechtung präventivverwaltungsrechtlicher und sanktionsrechtlicher Regelungen, die jeweils aufeinander bezogen sind. Das damit verbundene hohe Maß an Begriffs-, Verwaltungs- und Verwaltungsrechtsakzessorietät der strafrechtlichen Regelungen begründet ihre grundsätzliche Problematik. a) Die begriffliche Akzessorietät Die begriffliche Akzessorietät des Umweitstrafrechts besteht in der Übernahme von Begriffen des Umweltverwaltungsrechts - z.B. Abfall, kerntechnische Anlagen - in das Umweltstrafrecht. Diese Akzessorietät ist aufgrund des zwischen den Materien bestehenden Sachzusammenhangs sachgerecht und fördert die Rechtssicherheit. Zu beachten ist aber, daß die unterschiedlichen Schutzfunktionen der Regelungen in den verschiedenen Sachgebieten inhaltliche Abweichungen in der Bestimmung einzelner Begriffe begründen können. Das aber fördert Rechtsunsicherheit. So ist z.B. der Begriff Abfall i.S. des § 326 in Anlehnung an § 1 Abs. 1 S. 1 AbfallG zu bestimmen, jedoch ohne die verwaltungsrechtlichen Anwendungsbeschränkungen des § 1 Abs. 3 AbfallG; dazu BGH NJW 1990 S. 2477.

b) Die Verwaltungsrechtsakzessorietät Im Falle der Verwaltungsrechtsakzessorietät ist der strafrechtliche Tatbestand als Blankettnorm ausformuliert, der die Zuwiderhandlung gegen eine verwaltungsrechtliche Norm voraussetzt. Problematisch ist diese Gesetzestechnik vor allem, wenn die Strafrechtsnorm durch Normen eines anderen Gesetzgebers, z.B. eines Landesgesetzgebers, ausgefüllt werden soll, wie z.B. in §§ 311 d, 326 Abs. 2, 329, 330 Abs. 1 Nr. 2, 4. Die hiergegen vorgebrachten Bedenken hat das BVerfG jedoch insoweit zurückgewiesen, als die ausfüllende Norm sich darauf beschränkt, das zu spezifizieren und zu konkretisieren, was im Strafgesetz und in der Ermächtigungsnorm schon im wesentlichen mit hinreichender Bestimmtheit entschieden ist. Dazu BVerfGE 75 S. 342; KÜHL Lackner-Festschrift, S. 824 ff; SCHALL NJW 1990 S. 1266.

c) Die Verwaltungsakzessorietät Verwaltungsakzessorietät liegt vor, wenn die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens von der Einzelanordnung einer Verwaltungsbehörde, einem Verwaltungsakt, abhängig ist, wie z.B. in §§ 325 Abs. 1,4,327, 328 Abs. 1,330 Abs. 1 Nr. 2,4, oder das Fehlen einer Befugnis - vgl. §§ 324, 326 - voraussetzt. Im Einzelfall können hier Art. 103 Abs. 2 und Art. 92 GG berührt sein. Dazu im einzelnen KÜHL Lackner-Festschrift, S. 834 ff, 839 ff; SCHALL NJW 1990 S. 1266 ff; WlNKELBAUER Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweitstrafrechts, 1985, S. 34 ff.

§ 82 Kriminalpolitische Ziele der Umweltstrafnormen

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Soweit sich die Verwaltung im Rahmen der Konkretisierung und Spezifizierung der gesetzlichen Vorgaben hält, ist die Akzessorietät gegenüber einem formell und materiell rechtmäßigen Verwaltungsakt jedoch zu akzeptieren. Die Probleme liegen in der Bindung an rechtswidrige Verwaltungsakte, die zwar anfechtbar, aber bis zur Rücknahme rechtswirksam sind; vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG. Ihre Wirksamkeit ist aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auch im Strafrecht grundsätzlich anzuerkennen. Dazu BGHSt 23 S. 91; 31 S. 314; DÖLLING JZ 1985 S. 465 f; HEINE/MEINBERG Gutachten, D 49; LENCKNER Pfeiffer-Festschrift, S. 28; PAPIER N U R 1986 S. 3 f; RUDOLPHI N S t Z 1984 S. 197; TLEDE-

MANN Neuordnung, S. 39.

A A . Für eine eigenständige Bestimmung der Nichtigkeitsgründe eines Verwaltungsakts im Strafrecht: RENGIER ZStW 101 (1989) S. 897 f; SCHÜNEMANN wistra 1986 S. 239. - Für eine grundsätzliche Bindung nur an materiell rechtmäßige Verwaltungsakte: KÜHL Lackner-Festschrift, S. 842 ff m.w.N.; SCHALL N J W 1990 S. 1266 ff.

Den durch diese Bindung an u.U. rechtswidriges Verwaltungshandeln begründeten Gefahren ist je nach der unterschiedlichen Sachlage zu begegnen. aa) Der durch die Bindung an einen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt begründeten Gefahr, daß im Einzelfall nicht ein sozialschädlicher Eingriff in Umweltrechtsgüter bestraft wird, sondern schlichter Ungehorsam gegenüber der Verwaltung, kann dadurch begegnet werden, daß - entsprechend der Regelung bei den abstrakten Gefährdungsdelikten; dazu § 78 I 2 - ein persönlicher Strafausschließungsgrund für die Fälle anerkannt wird, in denen das Verhalten des Täters rechtmäßig war und der Täter dieses auch wußte. Vgl. auch HEINE/MEINBERG Gutachten, D 50; SCH/SCH/CRAMER Vorbem. §§ 324 ff Rdn. 21; WÜTERICH NStZ 1987 S. 108.

bb) Der Gefahr rechtswidriger begünstigender Venvaltungsakte, z.B. rechtswidriger Genehmigungen, die dem Täter eine Befugnis einzuräumen scheinen, die Umwelt sozialschädlich zu beeinträchtigen, ist durch Begrenzung der Wirksamkeit in Fällen des Rechtsmißbrauchs zu begegnen. Der Gedanke des Rechtsmißbrauchs ist hinreichend konkretisiert, wenn er auf den Bereich des "Schändlichkeitsgrundsatzes" - dazu Grundkurs Strafrecht, A.T., § 13 II 4 c - begrenzt wird, der die Berufung des Täters auf eigenes vorsätzliches, deliktisches Verhalten ausschließt. Das bedeutet, daß derjenige sich nicht auf eine begünstigende Genehmigung für umweltschädliches Verhalten berufen kann, der diese Genehmigung bewußt rechtswidrig, z.B. durch Täuschung, Drohung oder kollusives Zusammenwirken mit der Umweltbehörde, erlangt hat. Vgl. OLG Celle NdsRpfl. 1986 S. 218; LG Hanau NJW 1988 S. 576; StA Mannheim NJW 1976 S. 586; BLOY ZStW 100 (1988) S. 504; DÖLLING JZ 1985 S. 469; HEINE NJW 1990 S. 2430; PAPIER NUR 1986 S. 4; RUDOLPHI Z f W 1982 S. 203.

cc) Keine Gefahren für die Anwendung der Strafrechtsnormen bilden rechtswidrige Duldungen der Verwaltungsbehörden. Sie mögen im Einzelfall einen strafrechtlich relevanten Irrtum des Täters begründen, ihnen kommt jedoch keine legalisierende Wirkung zu. S o a u c h BREUER N J W 1988 S. 2082; FLUCK NUR 1990 S. 197 ff; DÖLLING J Z 1985 S. 469; HEINE

NJW 1990 S. 2433 f; LAUFHÜITE/MÖHRENSCHIAGER ZStW 92 (1980) S. 931 f. - A.A. z.B. DAHS/PAPE NStZ 1988 S. 395; WASSMUTH/KOCH NJW 1990 S. 2439 ff; WERNICKE NJW 1977 S. 1664.

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2. Die Strafbarkeit der Amtsträger Da vielfach die wenig erfreuliche tatsächliche Umweltsituation auf rechtswidriges Verhalten von Amtsträgern zurückgeführt wird, ist der Ruf nach einem Sondertatbestand für Amtsträger erhoben worden. Mit Recht wird demgegenüber jedoch die Entscheidung des Gesetzgebers, es bei den allgemeinen strafrechtlichen Regeln auch hier zu belassen, verteidigt, da diese durchaus hinreichenden Schutz bieten, wo das Strafrecht überhaupt Schutz bieten kann; dazu sogleich unter 3. - Es ist jedoch zu differenzieren: a) Sonderdelikte Im Falle eines Sonderdelikts, das nur ganz bestimmte Personen als taugliche Täter zuläßt, vgl. z.B. §§311 d, 325, 326 Abs. 2, 327, 329, kommt eine Strafbarkeit des Amtsträgers nur unter dem Aspekt der Beihilfe in Betracht. b) Mittelbare Täterschaft des Amtsträgers Bei den Allgemeindelikten ist eine mittelbare Täterschaft des Amtsträgers zwar konstruktiv möglich, die Erteilung z.B. einer rechtswidrigen Genehmigung begründet jedoch keine Tatherrschaft und damit keine Täterschaft des Amtsträgers. Dieser beherrscht die Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Erteilung der Genehmigung nicht planend. Der Empfänger der Genehmigung entscheidet darüber, ob und wie er von der Genehmigung Gebrauch macht. Die Genehmigung verpflichtet nicht zum Gebrauch. Damit aber beherrscht der Amtsträger das Geschehen weder objektiv, noch hat er den Willen, das Geschehen steuernd zu lenken. Ihm kommt aufgrund der Beseitigung normativer Schranken auch keine "normative Tatherrschaft" zu, denn Tatherrschaft gründet auf reale Beherrschung des tatsächlichen Geschehens. Mit der Anerkennung einer "normativen Tatherrschaft" werden die Grundlagen der Tatherrschaftslehre verlassen. Dazu auch SCHALL NJW 1990 S. 1269; TRÖNDLE Meyer-Gedächtnisschrift, S. 613 ff. A A . h.M. vgl. HORN N J W 1981 S. 4; KELLER J R 1988 S. 174; MEINBERG N J W 1986 S. 2222; R u DOLPHI Dünnebier-Festschrift, S. 566; DERS. N S t Z 1984 S. 198; WINKELBAUER N S t Z 1986 S. 151.

c) Fahrlässige Täterschaft Eine strafrechtliche Haftung des Amtsträgers wegen fahrlässiger Umweltbeeinträchtigung ist möglich, wenn der Amtsträger pflichtwidrig gehandelt hat, der Begünstigte ohne die rechtswidrig erteilte Befugnis die Umweltbeeinträchtigung nicht vorgenommene hätte und eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs aufgrund bewußt dolosen Verhaltens des Begünstigten nicht vorliegt. Vgl. auch RUDOLPHI Dünnebier-Festschrift, S. 567; TRÖNDLE Meyer-Gedächtnisschrift, S. 617. Weiter WINKELBAUER NStZ 1986 S. 152.

d) Unterlassungstäterschaft des Amtsträgers aa) Den Umweltbehörden ist in ihrem Aufgabenbereich und innerhalb der ihnen zugewiesenen Befugnisse der Schutz der Umweltgüter anvertraut. Die zuständigen Amtsträger haben in diesem Rahmen diesen Gütern Schutz zu gewähren, sie sind daher Beschützergaranten, die rechtswidrige Eingriffe in die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Umweltgüter abzuwehren haben. Vgl. auch LG Bremen NStZ 1982 S. 164; BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 197 f; LACKNER StGB, V o r § 324 A n m . 5 a, b b ; MÖHRENSCH LAGER N u R 1983 S. 212, SCHULTZ Amtswalterunterlassen, 1984, S. 166 ff; STEINDORF LK, § 324 R d n . 64; WINKELBAUER

NStZ 1986 S. 151.

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A A . GEISLER N J W 1982 S. 12; RUDOLPHI Dünnebier-Festschrift, S. 580; SCHALL N J W 1990,

S. 1270; SCHÜNEMANN wistra 1986 S. 243 f; TRÖNDLE Meyer-Gedächtnisschrift, S. 618 ff.

bb) Eine Haftung des Amtsträgers als Überwachungsgarant wird nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, in denen ein Amtsträger Garant dafür ist, daß Gefahren, die in einer bestimmten Anlage begründet sind, sich nicht in einer Umweltbeeinträchtigung realisieren. Dazu auch SCHALL NJW 1990 S. 1270; TRÖNDLE Meyer-Gedächtnisschrift, S. 620.

cc) Hingegen ist eine Haftung wegen Unterlassens nach vorangegangenem gefährlichen Tun möglich, wenn der Amtsträger nach Erteilung einer rechtswidrigen Genehmigung nicht von einer möglichen Rücknahme Gebrauch macht. - Garant ist in diesem Fall aber nur der Amtsträger, der die rechtswidrige Befugnis erteilt hat. Die Haftung aus vorangegangenem gefährlichen Tun erstreckt sachlich die Begehungshaftung über den Zeitraum der Kongruenz von subjektivem und objektivem Tatbestand hinaus. In diese Position kann kein Täter durch Amtsnachfolge hineinwachsen, er selbst muß die Gefahr begründet haben. Vgl. auch SCHÜNEMANN wistra 1980 S. 244; TRÖNDLE Meyer-Gedächtnisschrift, S. 621 f. - AA. z.B. RUDOLPHI Dünnebier-Festschrift, S. 578; SCHALL N J W 1990 S. 1269; WINKELBAUER N S t Z 1986 S. 151.

3. Grenzen des strafrechtlichen Umweltschutzes Selbst schwerste Umweltbeeinträchtigungen sind strafrechtlich nicht ahndbar, wenn sie auf Summations-, Kumulations- oder synergetischen Effekten beruhen, die ihrerseits durch legale, d.h. Genehmigungen und Auflagen nicht überschreitende Handlungen verursacht werden. Dazu LACKNER StGB, Vor § 324 Anm. 2 b m.w.N.

Darüber hinaus können Umweltbeeinträchtigungen nach den Zurechnungsregeln des Strafrechts Personen nur als Einzel- oder Mittäter zugerechnet werden. Die Praxis der letzten Jahre hat jedoch gezeigt, daß gerade besonders schwere Umweltbelastungen durch Unternehmen auf Organisations- und Aufsichtsmängeln beruhen, die sich im Laufe von Jahren entwickelt haben, ohne daß sie auf das Fehlverhalten einzelner Personen derart zurückgeführt werden können, daß diese für die eingetretenen Schäden verantwortlich gemacht werden könnten. Diese Schäden waren nämlich bei den einzelnen fehlerhaften Verhaltensweisen keineswegs voraussehbar. - Auch eine Reform der Strafvorschriften des Umweltrechts kann diese Problematik nicht beseitigen. Ein Ausweg böte sich erst, wenn im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht - unter Lösung vom Schuldgrundsatz - nach dem Vorbild des vom EuGH und der EG-Kommission entwickelten Rechts Bußgelder selbständig gegen Unternehmen verhängt werden könnten. EuGH und EG-Kommission knüpfen an Strukturen für fehlerhafte Organisation und mangelnde Aufsicht an, ohne auf das Verschulden einzelner Personen in leitender Stellung abzustellen. Vgl. DANNECKER/FlSCHER-FRITSCH Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 252 ff; dazu auch OTTO ZStW 102 (1990) S. 105 f.

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III. Das geschützte Rechtsgut 1. Die Definition des Rechtsguis Geschütztes Rechtsgut der Umweltschutztatbestände ist die Umwelt in ihren verschiedenen Medien (Boden, Luft, Wasser) und Erscheinungsformen (Tier- und Pflanzenwelt). Doch dürfen diese nicht isoliert gesehen werden. Schutzwürdig ist die Umwelt in ihrer Funktion, den Menschen der Gegenwart humane, d.h. menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewähren und auch künftigen Generationen zu erhalten. Umwelt ist nicht nur wirtschaftlicher Reichtum, sondern vor allem Raum zur menschlichen Entfaltung, die immer mehr als bloß wirtschaftliche Entfaltung ist. Im einzelnen dazu BT-Drucks. 8/2382, S. 10, 8/3633, S. 19; RENGIER NJW 1990 S. 2506 mit eingehender Auseinandersetzung.

2. Die systematische Einordnung des geschützten Rechtsguts Die Umweltschutzgüter sind selbständige Rechtsgüter, auch wenn sie als den existentiellen Rechtsgütern des Menschen (Leben, Gesundheit) nur vorgelagert erscheinen. Ihr Schutzbereich ist nämlich keineswegs auf diese Rechtsgüter beschränkt, sondern beansprucht einen eigenständigen Raum. Aus diesem Grunde ist es auch nicht zutreffend, die Umweltkriminalität als Unterfall der Wirtschaftskriminalität zu erfassen. Der Lebensraum des Menschen ist zweifellos besonders durch Emissionen aus Wirtschaftsbetrieben (Luft-, Gewässer-, Bodenverunreinigung und Verursachung von Lärm) bedroht. Auch hier geht es um den Schutz eines überindividuellen Rechtsguts, das sachgerecht durch abstrakte Gefährdungsdelikte geschützt werden kann. Gleichwohl darf "die Parallelität in der Rechtsgutsbestimmung, der Tatbestandskonstruktion und der Betroffenheit der Wirtschaft" (TIEDEMANN Neuordnung, S. 11 f) nicht dazu führen, diese Delikte der Wirtschaftskriminalität zuzurechnen. Andernfalls würden die Grenzen des rechtsdogmatisch brauchbaren Begriffs der Wirtschaftskriminalität gesprengt und der Verlust der Eigenständigkeit des durch die Umweltschutztatbestände geschützten Rechtsguts müßte zwangsläufig zu einer Nivellierung des Schutzes dieses bedeutenden Rechtsguts führen, soweit dieses nicht durch Wirtschaftsbetriebe, sondern durch Privatpersonen verletzt wird. AA. KAISER Kriminologie, 2. Aufl. 1988, § 92 Rdn. 8; WEBER ZStW 96 (1984) S. 376 ff.

IV. Die einzelnen Schutzbereiche Eine systematische Gliederung der §§ 324 - 330 d ist kaum möglich, denn den Regelungen liegt kein einheitliches Gliederungsprinzip zugrunde. Der Gesetzgeber hat einmal bestimmte Schutzobjekte (§ 324: Gewässer; § 325 Abs. 1 Nr. 1: Luft), ein anderes Mal den Umgang mit gefährlichen Stoffen (§ 328: Kernbrennstoffe; § 330 a: Gifte) und schließlich bestimmte Tätigkeiten (§ 326: Abfallbeseitigung; § 327: Betreiben von Anlagen) zum Anknüpfungspunkt seiner Regelungen gemacht. Immerhin ermöglichen diese Anknüpfungspunkte die Beschreibung bestimmter Schutzbereiche.

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1. Der Schutz von Gewässern, §§ 324, 326Abs. 1 Nr. 3, 329Abs. 2, 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2. a) Verunreinigung eines Gewässers, § 324 § 324 schützt Gewässer in den ihnen in ihrem Naturzustand innewohnenden Funktionen für die Umwelt und den Menschen vor unbefugter (äußerlich sichtbarer) Verunreinigung oder sonstiger nachteiliger Veränderung ihrer Eigenschaften. Ökologische Sichtweise, vgl. BGH NStZ 1987 S. 324; OLG Stuttgart wistra 1989 S. 276; OLG Köln

Z f W 1989 S. 47; LACKNER StGB, § 324 A n m . 1; RENGIER N J W 1990 S. 2507 ff; TLEDEMANN/ KLND-

HÄUSER NStZ 1988 S. 340. - Die demgegenüber vertretene wasserwirtschaftliche - geschützt die optimale Bewirtschaftung durch die Wasserbehörden; dazu PAPIER NuR 1986 S. 1 ff - und formell administrative Betrachtungsweise - geschützt das staatliche Bewirtschaftungsmonopol; dazu BLCKEL in: Meinberg/Möhrenschlager/Link (Hrsg.), Umweltstrafrecht, 1989, S. 273 ff - können weder für das Meer Geltung beanspruchen, noch den Monopolanspruch begründen.

aa) Gewässer i.S. des Gesetzes ist ein oberirdisches Gewässer, d.h. ständig oder zeitweilig in Betten fließendes oder stehendes oder aus Quellen wild abfließendes Wasser - dazu § 1 Abs. 1 Nr. 1 WHG -, das Grundwasser im räumlichen Geltungsbereich des StGB und das Meer, § 330 d Nr. 1. - Verunreinigung ist die nachteilige Veränderung der Wassereigenschaft durch Einbringung von Stoffen, die zu einer Verschlechterung der physikalischen, chemischen, biologischen oder thermischen Beschaffenheit des Wassers führt. - Eine sonstige nachteilige Veränderung der Eigenschaften des Gewässers liegt vor, wenn die physikalische, chemische, biologische oder thermische Beschaffenheit des Wassers anders als durch Verunreinigung negativ beeinträchtigt wird. - In beiden Alternativen sind allerdings nur erhebliche - sozialinadäquate Beeinträchtigungen tatbestandsmäßig. Verunreinigungen z.B.: Überlaufenlassen eines Öltanks (BT-Drucks. 8/2382, S. 13); Einleiten von Schadstoffen in Kanalisation (OLG Hamm NJW 1975 S. 747); weitere Verunreinigung schon verschmutzter Gewässer (OLG Hamburg ZfW 1983 S. 112; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 2753). Sonstige nachteilige Veränderungen z.B.: Einleitung von Kühlwasser aus einem Kraftwerk; Verringerung der Fließgeschwindigkeit durch Stauung, so daß die Selbstreinigungskraft des Flusses beeinträchtigt wird (BT-Drucks. 8/2382, S. 14).

bb) Strafbar sind die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt Abs. 1, und die fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 3. cc) Unbefugt bedeutet rechtswidrig i.S. des allgemeinen Verbrechensmerkmals der Rechtswidrigkeit. Verwaltungsrechtlich wirksame Genehmigungen, Bewilligungen und Erlaubnisse schließen die Rechtswidrigkeit aus. Vgl. dazu KUHLEN StV 1986 S. 544 ff; STEINDORF LK, § 324 Rdn. 77; TLEDEMANN/KLNDHÄUSER

NStZ 1988 S. 340. - Zur vorsätzlich rechtswidrig erlangten Befugnis vgl. II 1 c, bb.

Darüber hinaus haben hier Bedeutung für den Ausschluß der Rechtswidrigkeit: Gewohnheitsrechtlich anerkannte Befugnisse, die rechtfertigende Pflichtenkollision und der rechtfertigende Notstand, § 34. Die Erhaltung von Arbeitsplätzen rechtfertigt allerdings keineswegs eine ständige Gewässerverunreinigung. Eine Rechtfertigung kommt aber z.B. in Betracht, wenn einer einmaligen Verunreinigung der dauernde Verlust von Arbeitsplätzen o.ä. gegenübersteht. Dazu auch: BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 723; OLG Stuttgart ZfW 1977 S. 118, 124; OVG Münster ZIP 1984 S. 1224; LG Bremen NStZ 1982 S. 164 mit Anm. MÖHRENSCHLAGER S. 165 f.

dd) Vollendet ist die Tat mit der nachteiligen Veränderung des Gewässers. Der Versuch ist strafbar, § 324 Abs. 2.

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ee) Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen: § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. b) Gefährdungen im Vorfeld Gefährdungshandlungen erfassen § 326 Abs. 1 Nr. 3 (Lagerung und Beseitigung gewässerverunreinigungsgeeigneter Abfälle) und § 329 Abs. 2 (Eingriff in Wasser- und Heilquellenschutzgebiete). 2 Der Schutz von Luft und Ruhe, §§ 325, 326Abs. 1 Nr. 3, 327Abs. 2 Nr. 1, 329Abs. 1, 330Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 a) Luftverunreinigung und Lärm, § 325 § 325 dient der Reinheit der Luft und dem Schutz gegen Lärm. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. aa) Die Tathandlung braucht nur die generelle Eignung zur Schädigung der Gesundheit eines anderen und/oder bei der Luftverschmutzung auch von Tieren, Pflanzen oder anderen Sachen von bedeutendem Wert zu haben. Als Sachen von bedeutendem Wert kommen Objekte von wirtschaftlichem, ökologischem oder historischem Wert in Betracht, wenn ein gewichtiges Allgemein- oder Individualinteresse an ihrer Erhaltung besteht. - Tathandlungen sind die Verursachung der Veränderung der natürlichen Zusammensetzung der Luft, Abs. 1 Nr. 1, sowie die Verursachung von Lärm, Abs. 1 Nr. 2, doch sind die Tathandlungen unter drei Aspekten begrenzt: Zum einem ist die Tathandlung auf den Betrieb einer Anlage beschränkt. - Anlage ist eine auf gewisse Dauer vorgesehene, als Funktionseinheit organisierte Einrichtung von nicht ganz unerheblichen Ausmaßen, die der Verwirklichung bestimmter Zwecke dient. Beispiele: Heizungsanlage; Baumaschine; Landmaschine; Flugplätze; Anlagen, die der Luft radioaktive Stoffe zuführen. Zum anderen ist erforderlich, daß der Betrieb der Anlage unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten erfolgt, d.h. ohne die zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderliche Genehmigung, bzw. entgegen einer zu diesem Zweck erlassenen vollziehbaren Untersagung, oder grob pflichtwidrig entgegen einer vollziehbaren Anordnung oder Auflage, die dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dient, Abs. 4. Der Widerspruch zum Verwaltungsrecht ist Tatbestandsvoraussetzung. Verwaltungsrechtlich zulässiges Handeln ist daher nicht tatbestandsmäßig. Vgl. auch BT-Drucks. 8/2382, S. 15; 8/3633, S. 27; HEINE/MEINBERG Gutachten, D 48; LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER ZStW 92 (1980) S. 941. - Zur vorsätzlich rechtswidrig erlangten Befugnis vgl. oben II 1 c, bb. Schließlich ist nur die Eignung zur Schädigung außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereiches, d.h. der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit, relevant. - Für Schädigungen innerhalb der Anlage kommen allein die Körperverletzungs- und Tötungsdelikte in Betracht sowie das Arbeitsschutzrecht. bb) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich auf die Eignung zur Schädigung und den Widerspruch des Verhaltens mit dem Verwaltungsrecht erstrecken. cc) Da die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten bereits Voraussetzung der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens ist, wird eine Rechtfertigung des Verhaltens nur

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in Ausnahmefällen in Betracht kommen; auch hier ist aber z.B. die Möglichkeit einer Rechtfertigung nach § 34 nicht ausgeschlossen. b) Unerlaubtes Betreiben von Anlagen, § 327 Abs. 2 Nr. 1 Im Vorfeld des Schutzes von Luft und Ruhe, aber über den Schutz dieser beiden Bereiche hinausgehend, ist in § 327 Abs. 2 Nr. 1 der bloß unbefugte Betrieb einer nach dem BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen: § 330 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. c) Gefährdungssachverhalte Zum Schutz luft- und lärmschutzbedürftiger Gebiete vgl. § 329 Abs. 1; zur Beseitigung luftverunreinigungsgeeigneter Abfälle vgl. § 326 Abs. 1 Nr. 3. 3. Umweltgefährdende Abfallbeseitigung, §§ 326, 327Abs. 2 Nr. 2, 330Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 a) Umweltgefährdende Abfallbeseitigung, § 326 Abs. 1 § 326 schützt neben allen Umweltmedien auch die Tier- und Pflanzenwelt gegen unzulässige Abfallbeseitigung. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Dazu SCHITTENHELM GA 1983 S. 310 ff. - Zum Schutz behördlicher Kontrollinteressen durch § 327: RENGIER N J W 1 9 9 0 S. 2513.

Der Begriff des Abfalls ist in Anlehnung an § 1 Abs. 1 AbfallG, aber ohne die Beschränkung des § 1 Abs. 3 AbfallG zu bestimmen; BGH NJW 1990 S. 2477. Zu unterscheiden sind sog. gewillkürter Abfall - bewegliche Sachen, denen sich der Benutzer entledigen will, § 1 Abs. 1 S. 1 AbfallG - und sog. Zwangsabfall - bewegliche Sachen, deren geordnete Entsorgung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere des Schutzes der Umwelt geboten ist, § 1 Abs. 1 S. 2 AbfallG. - Es kann sich um feste, flüssige oder in festen Behältern erfaßte gasförmige Stoffe handeln. - Diese Definition bedarf bei ihrer Anwendung auf § 326 jedoch der Einschränkung, da nicht alle Sachen, derer sich jemand entledigen will - z.B. auch zum Verkauf stehende Objekte -, oder Sachen, die von einem bestimmten Ort beseitigt werden müssen - verkehrsgefährlich geparktes Kfz -, Abfall sind. Im einzelnen dazu BayObLG NJW 1975 S. 396; MDR 1984 S. 250; OLG Düsseldorf MDR 1984 S. 250 f; OLG Hamm ZfW 1977 S. 60; OLG Koblenz MDR 1983 S. 601; MÖHRENSCHLAGER NUR 1983 S. 2 1 8 ; SACK J Z 1978 S. 17; STEINDORF L K , § 3 2 6 R d n . 6 ff.

aa) Tatobjekte sind nur gefährliche Abfälle, die Gifte - dazu oben § 22 II 1 - und Seuchenerreger enthalten oder hervorbringen können, Abs. 1 Nr. 1, die explosionsgefährlich - dazu §§ 1 ff SprengstoffG - selbstentzündlich - dazu § 1 Abs. 1 Nr. 3 a ArbeitsstoffVO - oder nicht nur geringfügig radioaktiv sind, Abs. 1 Nr. 2, und sog. Sonderabfälle, Abs. 1 Nr. 3. Letztere müssen die Eigenschaft haben, nachhaltig, d.h. in erheblichem Umfang und für längere Dauer, eines der genannten Medien zu verunreinigen oder zu verseuchen,

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bb) Tathandlung ist das Beseitigen, d.h. jedes Verhalten, das dazu dient, sich des gefährlichen Abfalls zu entledigen. Vgl. OLG Köln NJW 1986 S. 1117. - A A STEINDORF LK, § 326 Rein. 40, der auf die Nichterfüllung der Uberlassungspflicht an den Entsorgungspflichtigen abstellt. - Unterlassen in Garantenstellung ist möglich.

Nur besonders genannte Beispielsfälle des Beseitigens sind das Behandeln, d.h. hier die Aufbereitung, Zerkleinerung, Verbrennung usw., die der Beseitigung und nicht der wirtschaftlichen Nutzung dienen, das Lagern, d.h. die vorübergehende Zwischenlagerung, die - endgültige - Ablagerung und das Ablassen, d.h. Abfließenlassen. cc) Der Tatbestand entfällt bei Beseitigung im Rahmen dafür zugelassener Anlagen und außerhalb solcher Anlagen, aber im Rahmen zulässiger Verfahren, Abs. 1. dd) Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 1,4. ee) Unbefugt ist auch hier rechtswidrig i.S. der Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal. Ein ordnungsgemäßes Verhalten (zugelassene Anlagen; zulässiges Verfahren) schließt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens aus. b) Verletzung der Pflicht zur Ablieferung radioaktiver Stoffe, § 326 Abs. 2 aa) Wegen der besonderen Gefährlichkeit radioaktiver Abfälle ist die Verletzung der Ablieferungspflicht nach §§ 5 Abs. 2,9a Abs. 2 AtomG unter Strafe gestellt. bb) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter über die Stoffe Besitz erlangt hat und ihm die Ablieferung möglich und zumutbar ist. So auch: LACKNER StGB, § 326 Anm. 4; TRIFFrERER Umweltstrafrecht, S. 213. - AA. BT-Drucks. 8/2382, S. 19 (rechtzeitig, wenn Eintritt von Gefahren vermieden wird).

cc) Der Tatbestand kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 2,4. c) Minima-Klausel, § 326 Abs. 5 § 326 Abs. 5 enthält einen objektiven Strafausschließungsgrund, dem allerdings durch seinen gegenüber § 326 Abs. 1, 2 wesentlich eingeschränkten Anwendungsbereich kaum größere Bedeutung zukommt. Sachwidrig ist zudem sein Bezug auf die Abfallmenge anstatt auf die Gefahrenlage. Dazu ROGALL JZ-GD 1980 S. 115; SCHITTENHELM GA 1983 S. 318 ff, TIEDEMANN Neuordnung, S. 37; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, S. 214. - Zum Grenzfall des Nichtbeseitigens von Hundekot: AG Düsseldorf NStZ 1989 S. 532.

Schädliche Einflüsse sind offensichtlich ausgeschlossen, wenn keine vernünftigen Zweifel an der Unschädlichkeit aufkommen können. d) Ungenehmigter Betrieb einer Abfallbeseitigungsanlage, § 327 Abs. 2 Nr. 2 § 327 Abs. 2 Nr. 2 stellt bereits den vorsätzlichen oder fahrlässigen Betrieb einer Abfallbeseitigungsanlage i.S. des AbfallG ohne Planfeststellung oder Genehmigung unter Strafe. Dazu MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 58 IV 5.

e) Strafschärfung gegenüber §§ 326, 327 Eine Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen begründet § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6.

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4. Strahlenschutz, §§ 311 d, 311 e, 326 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 327Abs. 1, 328, 330Abs. 1 Nr. 1,4, Abs. 2 a) Freisetzen ionisierender Strahlen, § 311 d § 311 d stellt zum Schutz von Leib, Leben und Eigentum das verbotene Freisetzen von ionisierenden Strahlen und das Bewirken von Kernspaltungsvorgängen unter Strafe. - Da eine konkrete Schädigung oder Gefährdung nicht vorausgesetzt wird, handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Tatbestand setzt die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten voraus, Abs. 4. - Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, und fahrlässig, Abs. 3, verwirklicht werden. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. b) Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage, § 311 e § 311 e stellt die fehlerhafte Herstellung und Lieferung von kerntechnischen Anlagen - dazu § 330 d Nr. 2 - oder zu ihrem Betrieb bestimmter Gegenstände unter Strafe, wenn durch Kernspaltungsvorgänge oder Strahlung eine Gefahr für Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert entstanden ist. - Die Tat ist konkretes Gefährdungsdelikt. aa) Herstellen bedeutet Bearbeiten oder Verarbeiten von Werkstoffen zur Gestaltung eines Gegenstandes. Liefern bedeutet Überlassen zum bestimmungsgemäßen Gebrauch. Fehlerhaft ist die Leistung, wenn die Tauglichkeit des Objekts zum bestimmungsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder wesentlich gemindert ist. bb) Gemäß Abs. 1 ist für die Tathandlung und für die Gefährdung Wissentlichkeit Voraussetzung. - Gemäß Abs. 4 genügen für die Gefährdung die anderen Vorsatzformen und Fahrlässigkeit. Die Tathandlung erfordert aber auch hier Wissentlichkeit. cc) Besonders schwere Fälle erfaßt Abs. 3. c) Unerlaubtes Betreiben kerntechnischer Anlagen, § 327 Abs. 1 § 327 Abs. 1 stellt den ungenehmigten Betrieb, die Innehabung, die wesentliche Änderung und den Abbau kerntechnischer Anlagen - dazu vgl § 330 d Nr. 2 - unter Strafe. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tathandlung setzt ein verwaltungsrechtlich unzulässiges Verhalten voraus. Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1. - Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen, § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. d) Unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen, § 328 § 328 erfaßt die ungenehmigte Verwendung von Kernbrennstoffen - dazu § 2 Abs. 1 AtomG - außerhalb kerntechnischer Anlagen sowie die Beförderung, Aufbewahrung und Nichtablieferung von Kernbrennstoffen. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Zu den Verpflichtungen beim Umgang mit Kernbrennstoffen im einzelnen vgl. §§ 3-6, 9 AtomG. - Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 1, 3. - Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen: § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. e) Beseitigung radioaktiver Abfälle, § 326 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 § 326 Abs. 1 Nr. 2 erfaßt die unbefugte Beseitigung radioaktiver Abfälle - dazu Anlage 1 zur StrahlenschutzVO -, § 326 Abs. 2 die Verletzung der Ablieferungspflicht - dazu

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§ 9 a AtomG - in bezug auf derartige Abfälle. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - oder fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 1,4. - Der Versuch der unbefugten Abfallbeseitigung ist strafbar, Abs. 1, 3. - Strafschärfimg beim Eintritt schwerer Folgen: § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; dazu im einzelnen unter 6. f) Die Beförderung sonstiger radioaktiver Stoffe, § 330 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Die Beförderung sonstiger radioaktiver Stoffe - dazu § 2 Abs. 1 Nr. 2 AtomG - ist bei Gefährdung von Menschen, wertvollen Sachen, der Wasserversorgung von Heilquellen nach § 330 Abs. 1 Nr. 4 sowie bei nachhaltiger Beeinträchtigung von Gewässern, Boden oder Bestandteilen des Naturhaushalts von erheblicher ökologischer Bedeutung nach § 330 Abs. 2 strafbar. - Die Tat gemäß Abs. 1 Nr. 4 ist konkretes Gefährdungsdelikt, gemäß Abs. 2 Verletzungsdelikt. Zur Abstufung der Strafdrohungen nach Vorsatz und Fahrlässigkeit vgl. Abs. 1, 2, 5, 6. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 3. - Besonders schwere Fälle in Regelfallbeispielen nennt Abs. 4. 5. Schutz wertvoller Bestandteile der Natur, §§ 329 Abs. 3, 4, 330Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 Schwerwiegende Beeinträchtigungen von Naturschutzgebieten - vgl. dazu § 13 BNatSchG -, einstweilig dafür sichergestellten Flächen - dazu § 12 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG - sowie Nationalparks - dazu § 14 BNatSchG - werden in § 329 Abs. 3, 4 strafrechtlich erfaßt. - Da die Tathandlungen - vgl. dazu Abs. 3 Nr. 1-5 - zwar eine wesentliche Beeinträchtigung der genannten Gebiete voraussetzen, nicht aber eine Umweltgefährdung oder -Schädigung, handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Eine Beeinträchtigung wesentlicher Bestandteile der geschützten Gebiete soll eine Störung von solcher Intensität sein, daß der Eintritt konkreter Gefahren für den erstrebten Schutz wahrscheinlich erscheint. Dazu einerseits: BT-Dnicks. 8/2382, S. 22; andererseits: SCHROEDER JZ 1967 S. 681.

Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 3, und fahrlässig, Abs. 4, verwirklicht werden. - Zur Strafschärfung beim Eintritt schwerer Folgen: § 330 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2; dazu im einzelnen unter 6. 6. Schwere Umweltgefährdung, § 330 Der unübersichtliche und in seiner Konzeption mißlungene Tatbestand enthält in Abs. 1 Nr. 1 für die Vorsatztatbestände der §§ 324, 326-329 Erfolgsqualifikationen, deren schwere Folge im Eintritt einer konkreten Gefahr (Abs. 1) oder in einem Verletzungserfolg (Beeinträchtigung eines Umweltschutzobjekts) bestehen muß. Darüber hinaus erfaßt § 330 in Abs. 1 Nr. 2-4 selbständige Tatbestände, die als konkrete Gefährdungsdelikte (Abs. 1) sowie als Verletzungsdelikte (Abs. 2) ausgestaltet sind. a) Erforderlich ist, daß die Tathandlung Leib und Leben eines anderen, fremde Sachen von bedeutendem Wert, die öffentliche Wasserversorgung oder eine staatlich anerkannte Heilquelle gefährdet, Abs. 1, die Eigenschaft eines Gewässers - dazu

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§ 330 d Nr. 1 - oder eines in bestimmter Weise genutzten Bodens derart beeinträchtigt, daß die bisherige Nutzung auf längere Zeit unmöglich wird, Abs. 2 Nr. 1, oder Bestandteile des Naturhaushalts von erheblicher ökologischer Bedeutung nachteilig beeinträchtigt. - Derartige Bestandteile des Naturhaushalts sollen Naturgüter sein, "deren Vorhandensein für ein funktionsfähiges Wirkungsgefüge im Naturhaushalt notwendig ist"; BT-Drucks. 8/2382, S. 25. Im einzelnen zu dieser begrifflich nicht mehr faßlichen Klausel: MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 58 VII2; SACK NJW1980 S. 1429; TLEDEMANN Neuordnung, S. 39.

b) Als Tathandlungen erfaßt Nr. 2 über § 325 hinaus den Verstoß gegen alle Rechtsvorschriften usw., die dem Schutz vor schädlichen Immissionen - dazu § 3 Abs. 1, 2 BImSchG - oder andere Gefahren für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft dienen - dazu §§ 1, 45 BImSchG -; Nr. 3 betrifft den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen - dazu §§ 19 a, 9 WHG -; Nr. 4 beschreibt die unerlaubte Beförderung gefährlicher Güter - dazu § 330 d Nr. 4. c) Zur Verknüpfung der Gefährdung (Abs. 1) oder der Beeinträchtigung (Abs. 2) mit den Tathandlungen im subjektiven Bereich sowie zur Abstufung der Strafdrohungen nach Vorsatz und Fahrlässigkeit, vgl. Abs. 1, 5, 6. - Die Straßarkeit des Versuchs, Abs. 3, gilt für die erfolgsqualifizierten Delikte nach Abs. 1 Nr. 1 auch dann, wenn der Versuch des entsprechenden Grundtatbestandes nicht strafbar ist. Für den Versuchsbeginn ist hier das unmittelbare Ansetzen zur Erfolgsqualifizierung maßgeblich. Dazu DREHER/TRÖNDLE § 330 Rdn. 10; HORN SK, § 330 Rdn. 3; LACKNER StGB, § 330 Anm. 5; SCH/SCH/CRAMER § 330 R d n . 40.

Besonders schwere Fälle mit Regelfallbeispielen nennt Abs. 4. - Tätige Reue ermöglicht in den Fällen der Abs. 1,5: § 330 b. 7. Schutz vor der Verbreitung von Giften, §§ 319, 320, 330 a a) Gemeingefährliche Vergiftung, §§ 319,320 aa) Bestraft wird gemäß § 319 die vorsätzliche Vergiftung von Brunnen oder Wasserbehältern, die dem Gebrauch von Menschen dienen, § 319, 1. Alt., sowie von Gegenständen, die zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmt sind, § 319, 2. Alt. - Dem Vergiften steht das Beimischen von Stoffen, die geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu zerstören, gleich. - Strafbar ist ferner das Inverkehrbringen (z.B. Verkaufen, Feilhalten) derart vergifteter Stoffe unter Verschweigen dieser Eigenschaft, § 319, 3. Alt. bb) Einen erfolgsqualifizierten Tatbestand - Tod eines Menschen -, enthält § 319 a.E.; beachte § 18. b) Die fahrlässige gemeingefährliche Vergiftung, § 320 aa) Die fahrlässige gemeingefährliche Vergiftung ist nur strafbar, wenn außer dem durch die Handlung unmittelbar eingetretenen Schaden (Vergiftung des Objekts) ein weiterer Schaden entstanden ist. Da an den Eintritt des weiteren Schadens keine höhere Strafe geknüpft ist, handelt es sich hier um keine Erfolgsqualifizierung i.S. des § 18. Das Erfordernis des weiteren Schadens ist vielmehr eine strafbarkeitseinschränkende objektive Bedingung der Strafbarkeit: Im Falle des Fehlens des Vorsatzunrechts sieht der Gesetzgeber die

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Strafwürdigkeit des Verhaltens erst beim Eintritt eines weiteren Erfolgsunwertes als begründet an. D a z u D R E H E R / T R Ö N D L E § 3 2 0 R d n . 2; H O R N S K , § 3 2 0 R d n . 6; LACKNER S t G B , § 3 2 0 A N M . 1; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 8 4 , WOLFF L K , § 3 2 0 R d n . 6 . - A A S C H / S C H / C R A M E R § 3 2 0 R d n . 3 .

bb) Ein erfolgsqualifizierter Tatbestand - Tod eines Menschen - auf der Grundlage eines fahrlässigen Grundtatbestandes beschreibt § 320 a.E.; beachte § 18. Auch hier für objektive Bedingung der Strafbarkeit: HORN SK, § 320 Rdn. 10.

c) Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften, § 330 a § 330 a erfaßt die Verbreitung oder Freisetzung, d.h. die Ermöglichung unkontrollierter Ausbreitung von Giften, erfordert jedoch die Verbringung eines anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung i.S. des § 224. - Die Tat ist damit konkretes Gefährdungsdelikt. Gemäß Abs. 1 ist Vorsatz - bedingter genügt - für Tathandlung und Gefährdung erforderlich, gemäß Abs. 2 genügt Fahrlässigkeit für die Gefährdung, doch ist auch hier Vorsatz in bezug auf die Tathandlung nötig. - Zur tätigen Reue: § 330 b.

Zweites Kapitel Delikte gegen staatliche Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen den Bestand des Staates § 83: Hochverrat I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der §§ 81-83 a ist die territoriale und verfassungsmäßige Integrität des Bundes und der Bundesländer. 2. Außau des Gesetzes a) Nach § 81 wird der Hochverrat gegen die Bundesrepublik, nach § 82 der gegen ein Bundesland bestraft. b) § 83 erfaßt die Vorbereitung des Hochverrats als selbständiges Delikt. c) § 83 a enthält Vorschriften über Rücktritt und Tätige Reue in den Fällen der §§ 81 - 83. - Nebenfolgen und Einziehung: §§ 92 a, b.

IL Die einzelnen Tatbestände 1. Hochverrat gegen den Bund, § 81 Zu unterscheiden sind der Bestandshochverrat und der Verfassungshochverrat. a) Abs. 1 Nr. 1: Angriffsobjekt des Bestandshochverrats ist der Bestand der Bundesrepublik Deutschland; dazu § 92 Abs. 1. - Tathandlung ist das Unternehmen, diesen Bestand mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu beeinträchtigen. - Der Gewaltbegriff entspricht grundsätzlich dem der Nötigung, doch ist hier eine gewisse Erheblichkeit in Anbetracht des betroffenen Rechtsguts zu fordern. b) Abs. 1 Nr. 2: Angriffsobjekt des Verfassungshochverrats ist die verfassungsmäßige Ordnung in der konkreten Ausgestaltung, die die Grundsätze einer freiheitlichen Demokratie auf dem Boden des Grundgesetzes gefunden haben. - Tathandlung ist das Unternehmen, die verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, d.h. ein Verfassungsorgan zu beseitigen o.ä. Die bloße Störung der Tätigkeit eines Verfassungsorgans genügt nicht. Dazu BGHSt 6 S. 352; SCHROEDER Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 417 ff.

2. Hochverrat gegen ein Land, § 82 § 82 ist dem § 81 nachgebildet, erfaßt jedoch im Rahmen des Bestandshochverrats nur den Gebietsverrat. - In der Regel wird zwischen den §§ 81, 82 Idealkonkurrenz bestehen.

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Delikte gegen den Bestand des Staates

3. Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, § 83 § 83 erhebt die Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens nach §§ 81, 82 zum selbständigen Delikt. Es muß sich um ein Unternehmen handeln, d.h. eine Tat nach §§ 81, 82, deren Angriffsgegenstand und -ziel feststeht und die nach Ort, Zeit und Art der Durchführung bereits in ihren Grundzügen konkretisiert ist. Die Realisierung des Unternehmens muß aus der Sicht der Täter zwar nicht unmittelbar, doch in absehbarer Zeit bevorstehen. Dazu auch BGHSt 7 S. 11; WlLLMS LK, § 83 Rdn. 2 f; kritisch: SCHROEDER NJW 1980 S. 920 ff; WAGNER NJW 1980 S. 913 ff.

Vorbereitung ist jede ihrer Art nach gefährliche Handlung, die das geplante Unternehmen fördern soll, ohne selbst bereits Teil des Unternehmens zu sein. Dazu BGHSt 6 S. 336.

4. Rücktritt und Tätige Reue, §83 a Die Voraussetzungen der Tätigen Reue, § 83 a, sind von der vorgesehenen Tat her differenziert: § 83 a Abs. 1 enthält die Voraussetzungen in bezug auf §§ 81, 82; § 83 a Abs. 2 die in bezug auf § 83. § 84: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats Da die verfassungsmäßige Ordnung nicht nur mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt gefährdet und beeinträchtigt werden kann, erfassen §§ 84 bis 90 b andere gefährliche Angriffe auf die verfassungsmäßige Ordnung.

I. Gesetzessystematik der §§ 84 - 91 1. Die einzelnen Tatbestände lassen sich in 3 Gruppen aufgliedern: a) Die eigentlichen Organisationsdelikte, §§ 84-86 a, erfassen die Unterstützung verbotener Vereinigungen. b) Staatsgefährdende Eingriffe (Sabotage, Zersetzung) in das Funktionieren des staatlichen Lebens werden gemäß §§ 87-89 bestraft. c) Die §§ 90-90 b schützen den Staat, seine höchsten Repräsentanten und Organe vor verfassungsverräterischer Beschimpfung. - Die hier erfaßten Verunglimpfungen stellen einen Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat dar, da sie geeignet sind, sein Ansehen zu untergraben. 2. Geltungsbereich In § 91 ist der Geltungsbereich der §§ 84, 85 und 87 abweichend von § 9 besonders geregelt. - Nebenfolgen und Einziehung: §§ 92 a, b.

§ 84 Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats

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II. Die einzelnen Tatbestände 1. Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei, § 84 § 84 stellt Tätigkeiten unter Strafe, die dazu bestimmt sind, den Organisationszusammenhalt verbotener Parteien aufrechtzuerhalten. a) Abs. 1 und 2 setzen voraus, daß das BVerfG die Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG in Verb, mit § 46 BVerfGG für verfassungswidrig erklärt oder gemäß § 33 Abs. 1 ParteienG festgestellt hat, daß es sich bei der Partei um eine Ersatzorganisation einer verbotenen Partei handelt. - Zum Begriff der Partei vgl. § 2 ParteienG. Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist eine Partei, wenn sie die verfassungswidrigen Bestrebungen der verbotenen Partei weiterverfolgt, § 33 Abs. 1 ParteienG. aa) Tathandlung nach Abs. 1 ist jede aktive, auf das Aufrechterhalten des organisierten Zusammenhaltes der Partei gerichtete Tätigkeit. - Rädelsführer ist, wer in der Organisation eine führende Rolle spielt, Hintermann, wer als Außenstehender geistig oder wirtschaftlich maßgeblichen Einfluß auf die Führung der Organisation hat. bb) Nach Abs. 2 wird die fördernde Tätigkeit als Mitglied und die Unterstützung der Organisation durch Nichtmitglieder bestraft. b) Abs. 3 ergänzt Abs. 1 und 2 und erfaßt das Zuwiderhandeln gegen bestimmte Sachentscheidungen, die das BVerfG in den in Abs. 3 genannten Verfahren getroffen hat. c) Tätige Reue eröffnet Abs. 5, die Möglichkeiten der Strafmilderung Abs. 4, 5. 2. Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot, § 85 Nach § 85 wird bestraft, wer als Rädelsführer oder Hintermann den organisatorischen Zusammenhalt einer Vereinigung aufrechterhält, die sich gegen die verfassungsgemäße Ordnimg oder den Gedanken der Völkerverständigung, Art. 9 Abs. 2 GG, richtet. a) Abs. 1 setzt voraus, daß im Verfahren nach § 33 Abs. 3 ParteienG unanfechtbar durch die Verwaltungsbehörden festgestellt ist, daß die Partei oder Vereinigung Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist. b) Abs. 2 setzt voraus, daß die Vereinigung im Verfahren nach §§ 3 ff VereinsG unanfechtbar verboten oder daß im Verfahren nach § 8 Abs. 2 VereinsG unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen Vereinigung ist. c) Zum Begriff des Hintermannes und Rädelsführer vgl. oben 1 a, aa. - Vereinigung in diesem Sinne ist der in § 2 Abs. 1 VereinsG definierte Verein. Dazu BGHSt 16 S. 298.

d) Zur Tätigen Reue und zur Strafmilderung vgl. § 84 Abs. 4, 5, die gemäß § 85 Abs. 3 entsprechend gelten. 3. Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, § 86 § 86 richtet sich gegen das Verbreiten staatsfeindlicher Propagandamittel bestimmter verbotener Parteien oder Vereinigungen als mittelbares Organisations- und abstraktes Gefährdungsdelikt.

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Delikte gegen den Bestand des Staates

a) Bestraft wird das Verbreiten, Herstellen, Vorrätighalten oder Einführen von Schriften (§11 Abs. 3), deren Inhalt gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist (Propagandamittel, § 86 Abs. 2). Verbreiten bedeutet, die Schrift einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich machen, und zwar der Substanz nach. - Herstellen, Vorrätighalten und Einfuhren sind Vorbereitungshandlungen zum Verbreiten. Hergestellt ist ein Werk, wenn der Inhalt endgültig feststeht; dazu BGHSt 32 S. 1. b) Es muß sich um Propagandamittel einer für verfassungswidrig erklärten Partei, verbotenen Vereinigung (Abs. 1 Nr. 1,2) oder bestimmter ausländischer Stellen handeln (Abs. 1 Nr. 3) bzw. um nationalsozialistische Propagandamittel (Abs. 1 Nr. 4). Ob auch vorkonstitutionelle Schriften (z.B. Hitlers "Mein Kampf) oder nur neonazistisches Propagandamaterial, das sich ausdrücklich gegen die Bundesrepublik Deutschland als demokratischen Rechtsstaat richtet, unter Abs. 1 Nr. 4 fällt, ist str. Angemessen ist es, hier nicht zu unterscheiden, wenn der Inhalt der Schrift sich grundsätzlich gegen die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats wendet. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 86 Rdn. 5. - A A BGHSt 29 S. 73 mit Anm. BOTTKE JA 1980 S. 125 f.

c) Gemäß Abs. 3 entfällt der Tatbestand des Abs. 1, wenn das Propagandamittel oder die Tathandlung der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient (Gedanke der Sozialadäquanz). d) Gleichfalls ist Abs. 1 nicht anwendbar auf Zeitungen oder Zeitschriften, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB in ständiger, regelmäßiger Folge erscheinen und dort allgemein und öffentlich vertrieben werden, Art. 296 EGStGB. e) Konkurrenz: Dient die Verbreitung der Propagandamittel zugleich dem Zweck, die verbotene Vereinigung zusammenzuhalten, so können §§ 84, 85 und § 86 idealiter konkurrieren. Dazu BGHSt 26 S. 261.

4. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, § 86 a § 86 a bezweckt als abstraktes Gefährdungsdelikt den Schutz des demokratischen Rechtsstaats und des öffentlichen Friedens. Er stellt das Verwenden oder Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Parteien und verbotener Vereinigungen unter Strafe. a) Das Kennzeichen wird durch seinen Symbolgehalt geprägt. Außer den in Abs. 2 genannten Kennzeichen kommen in Betracht: der "Deutsche Gruß", das HorstWessel-Lied, akustische oder optische Erkennungszeichen, wie z.B. das Hakenkreuz oder ihm ähnliche Abbildungen, die aber beim unbefangenen Beobachter den Eindruck eines Hakenkreuzes vermitteln, SS-Runen u.ä.

Verwenden ist jeder Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht; BGHSt 23 S. 267. - Verbreiten bedeutet, die Kennzeichen einem größeren Personenkreis zugänglich machen. b) Gemäß § 86 a Abs. 3 gilt die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 entsprechend. - Danach erfaßt der Tatbestand Handlungen, die ihn formell erfüllen,

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dann nicht, wenn sie sachlich seinem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen. Als Schutzzweck in diesem Sinne - vgl. oben - ist nicht nur die Abwehr der Wiederbelebung der verbotenen Organisation und der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verstehen, sondern auch die Wahrung des politischen Friedens dadurch, daß jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, daß verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet werden; BGHSt 25 S. 33; 31 S. 387. Tatbestandsm&ßig daher die Verbreitung von Hakenkreuzen auf originalgetreuen Flugzeugnachbildungen (BGHSt 28 S. 394); Darstellung des Buchstaben "ß" durch SS-Runen (OLG Frankfurt NStZ 1982 S. 333; BGH NStZ 1983 S. 261); Tragen eines Hitlerbildes auf einem T-Shirt (LG Frankfurt NStZ 1986 S. 167); Singen des Horst-Wessel-Liedes, auch mit verfremdetem Text (OLG Oldenburg NJW 1988 S. 351). Nicht tatbestandsmäßig hingegen antiquarischer Handel mit Kennzeichen, wenn sich das Angebot im wesentlichen an Museen und wissenschaftlich Interessierte wendet (BGHSt 31 S. 383); Verknüpfung von Hakenkreuz und Davidstern, um zur Versöhnung aufzurufen (BayObLG NJW 1988 S. 2901); Hitlergruß, um Protest gegen Methoden auszudrücken, die für nazistisch gehalten werden (OLG Oldenburg NStZ 1986 S. 166). Zur satirischen Verwendung von NS-Kennzeichen: BVerfG NStZ 1990 S. 333.

5. Agententätigkeit zu Sabotagezwecken, § 87 a) § 87 stellt die Vorbereitung rechtsstaatsgefährdender Sabotagehandlungen unter Strafe. b) Der Begriff der Sabotagehandlung ist in Abs. 2 abschließend umschrieben. Voraussetzungen aller Tathandlungen ist die Steuerung des Sabotageagenten von außen, d.h. das Vorliegen eines dem Täter erteilten Auftrags einer in Abs. 1 genannten, außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB befindlichen Stelle. - Der Auftrag muß auf die Vorbereitung von Sabotageakten, die im Geltungsbereich des StGB begangen werden sollen, gerichtet sein, doch brauchen die Akte selbst noch nicht konkret bestimmt zu sein. c) Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 3. 6. Verfassungsfeindliche Sabotage, § 88 Gemäß § 88 wird bestraft, wer als Rädelsßhrer oder Hintermann - dazu vgl. oben 1 a einer Gruppe oder als einzelner ohne Rücksicht auf eine Gruppe rechtsstaatsgefährdende Sabotage betreibt. - Angriffsgegenstand sind bestimmte Verkehrs- oder Fernmelde- sowie bestimmte Versorgungseinrichtungen. a) Absichtlich handelt der Täter, wenn es ihm auf die Stillegung oder Zweckentfremdung ankommt. b) Gerechtfertigt sind die Störungen dann, wenn sie im Rahmen eines arbeitsrechtlich zulässigen Streiks erfolgen. 7. Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane, §89 Bestraft wird die planmäßige, gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete, auf Zersetzung der pflichtgemäßen

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Delikte gegen den Bestand des Staates

Einsatzbereitschaft abzielende Einwirkung auf Bundeswehrangehörige oder Angehörige eines öffentlichen Sicherheitsorgans. a) Öffentliche Sicherheitsorgane sind z.B. die kasernierte Bereitschaftspolizei, der Bundesgrenzschutz, die Verfassungsschutzämter und die Nachrichtendienste. Die Adressaten müssen bereits Angehörige der Sicherheitsorgane sein; BGH NJW 1989 S. 1363. - Einwirken ist jede Tätigkeit zur Beeinflussung auch nur eines Angehörigen des betroffenen Personenkreises. b) Auf das Ziel der Zersetzung muß es dem Täter ankommen (Absicht). c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht der Bestrafung nicht entgegen; BVerfGE 47 S. 130; BGHSt 27 S. 59. d) Erfolgt die Tat durch Verbreitung einer Druckschrift, so greifen nicht die kurzen Verjährungsfristen nach den Pressegesetzen ein, weil nicht der Inhalt der Druckschrift Eds solcher strafbar ist, sondern nur das Verbreiten der Druckschrift in einem bestimmten Personenkreis; BGHSt 27 S. 353. 8. Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staates und seiner Symbole sowie verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, §§ 90, 90 a, 90 b Die Vorschriften schützen Amt und Person des Bundespräsidenten, die Bundesrepublik Deutschland, ihre Länder und Symbole sowie bestimmte Verfassungsorgane gegen öffentliche Herabsetzung. a) Verunglimpfen ist eine nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder den Beweggründen erheblichere Ehrenkränkung i.S. der §§ 185-187; BGHSt 12 S. 364. - Böswillig Verächtlichmachen bedeutet, trotz Kenntnis des Unrechts, den Angriffsgegenstand als der Achtung der Bürger unwert und unwürdig hinzustellen. b) Im Konflikt mit der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, sind die betroffenen Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen nicht nur in den Grundrechten Dritter, sie kann auch mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern in Widerstreit treten. Vgl. BVerfG NStZ 1990 S. 276 mit Anm. GUSY J Z 1990 S. 640 f; VOLK JR 1984 S. 441 ff; WÜRTENBERGERNJW1983 S. 1147 ff.

c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht einer Bestrafung nicht entgegen. Dazu BVerfGE 47 S. 231 (zu § 90 a); BGHSt 29 S. 50 (zu § 90 b).

d) § 90 a Abs. 3 enthält einen Qualifikationstatbestand; BGH StV 1984 S. 329. § 85: Landesverrat und Gefahrdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik 1. Im Gegensatz zu den in den §§ 83, 84 des GRUNDKURSES behandelten Straftaten richtet sich der Landesverrat gegen die äußere Sicherheit, d.h. die Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu fremden Staaten. 2. Die Tatbestände lassen sich unterteilen in die Gruppe der landesverräterischen Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen und ähnlich ge-

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schützter Sachverhalte: §§ 94-97 b, 100 a, und in die Gruppe der im Vorfeld des Verrats liegenden landesverräterischen Konspiration: §§ 98-100. II. Das Staatsgeheimnis 1. § 93 Abs. 1 Gemäß § 93 Abs. 1, der den sog. materiellen Geheimnisbegriff positiviert, sind Staatsgeheimnisse Sachverhalte, die als Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen, d.h. ihrem Schutzbereich zuzurechnen sind, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. 2. § 93 Abs. 2 a) Kein Staatsgeheimnis i.S. des Gesetzes ist das sog. illegale Staatsgeheimnis i.S. des § 93 Abs. 2. Da der Verrat derartiger Geheimnisse daher keinen Verrat von Staatsgeheimnissen darstellt, ist Abs. 2 als Tatbestandseinschränkung jener Tatbestände zu verstehen, die den Verrat von Staatsgeheimnissen unter Strafe stellen. So auch BT-Drucks. V/2860, S. 16; RUDOLPHI SK, § 93 Rdn. 35. - A A . (Rechtfertigungsgrund): JESCHECK Engisch-Festschrift, S. 592; PAEFFGEN Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97 b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, 1979, S. 190 ff.

Die Offenbarung derartiger Geheimnisse ist jedoch nicht ohne Ausnahme straflos; dazu weiter unter III 4. b) Abs. 2 erfaßt nicht alle geheimhaltungsbedürftigen rechtswidrigen Sachverhalte. Eine Offenbarung dieser Sachverhalte kann jedoch gemäß § 34 im Einzelfall gerechtfertigt sein. 3. Mosaiktheorie Da als Staatsgeheimnis allein Sachverhalte in Betracht kommen, die nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich sind, werden Erkenntnisse, die durch systematische Auswertung allgemein zugänglicher Tatsachen erarbeitet werden, nicht mehr geschützt, auch wenn das Ergebnis der Auswertung selbst ein Staatsgeheimnis ist. III. Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen 1. Landesverrat, § 94 § 94 schützt die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gegen den Verrat von Staatsgeheimnissen. a) Strafbar ist, wer ein Staatsgeheimnis einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt (Abs. 1 Nr. 1) oder sonst an einen Unbefugten gelangen läßt bzw. öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen (Abs. 1 Nr. 2), und dadurch die Gefahr eines

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Delikte gegen den Bestand des Staates

schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. Unbefugter ist jeder, der nicht rechtmäßig zur Kenntnisnahme befugt ist. Gelangen lassen bedeutet bei körperlichen Gegenständen Überführung in den Gewahrsam des Empfängers, sonst Kenntnisnahme durch den Empfänger. - Die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland muß konkret nachweisbar sein.

b) Abs. 2 enthält einen unbenannten Stnrfschäifungsgrund mit Regelbeispielen für besonders schwere Fälle (Mißbrauch einer verantwortlichen Stellung, Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland). c) Eine zum selbständigen Delikt erhobene Vorbereitungshandlung zur Tat nach § 94 stellt § 96 Abs. 1 unter Strafe. 2. Offenbaren von Staatsgeheimnissen, § 95 § 95 konkretisiert die Grenzen der Pressefreiheit, indem er die Preisgabe von Staatsgeheimnissen in Publikationsorganen unter Berücksichtigung des Widerstreits zwischen Pressefreiheit und Geheimnisschutz regelt. a) Der Tatbestand unterscheidet sich von dem des Landesverrats dadurch, daß aa) das Staatsgeheimnis zur Zeit der Tat von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird und bb) die Offenbarung nicht in Schädigungs- oder Begünstigungsabsicht begangen sein darf. b) Eine Vorbereitungshandlung zur Begehung des § 95 stellt § 96 Abs. 2 als selbständiges Delikt unter Strafe. 3. Preisgabe von Staatsgeheimnisse, § 97 a) Gemäß § 97 Abs. 1, dessen objektiver Tatbestand dem des § 95 entspricht, wird bestraft, wer die Tathandlung vorsätzlich begeht, bzgl. des Gefährdungserfolgs jedoch nur fahrlässig handelt. b) Personen, denen ein Staatsgeheimnis kraft Amtes, Dienststellung oder eines von amtlicher Stelle erteilten Auftrags zugänglich ist, werden gemäß § 97 Abs. 2 bestraft, wenn sie das Staatsgeheimnis leichtfertig an einen Unbefugten gelangen lassen und damit fahrlässig eine Staatsgefährdung begründen. 4. Verrat illegaler Geheimnisse, § 97 a a) Die Vorschrift löst in Verbindung mit § 93 Abs. 2 die Kollision zwischen dem Recht zur Rüge von Mißständen im öffentlichen Leben und der Pflicht, Staatsgeheimnisse zu wahren. Gemäß § 93 Abs. 2 geht das Interesse an der Mitteilung und Entdeckung rechtswidriger Geheimnisse der Wahrung äußerer Sicherheit vor. Ausgenommen sind nur solche Verratshandlungen, die trotz des Rechtsverstoßes im Hinblick auf einen effektiven Staatsschutz nicht mehr erträglich erscheinen, weil sie nicht auf öffentliche Diskussion des Mißstandes zielen, sondern zumindest objektiv eine andere Macht begünstigen: die Mitteilung des Geheimnisses unmittelbar an eine fremde Macht oder ihre Mittelsmänner, bzw. die Ausspähung des Geheimnisses, § 96 Abs. 1, in dieser Mitteilungsabsicht.

§ 85 Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit

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b) Praktisch erfolgt die Anwendung des § 97 a dadurch, daß in § 94 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 sowie in § 96 Abs. 1 in Verb, mit § 94 Abs. 1 Nr. 1 an die Stelle des Staatsgeheimnisses das Geheimnis i.S.d. § 93 Abs. 2 tritt.

5. Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses, § 97 b § 97 b enthält keinen selbständigen Tatbestand, sondern eine besondere Irrtumsvorschrift (Rechtsfolgenverweisung) für den Fall des Verrats eines Staatsgeheimnisses, das der Täter irrig für ein Geheimnis i.S. des § 93 Abs. 2 hält. - Nötig wurde diese Vorschrift, weil der Gesetzgeber - unter der Prämisse, § 93 Abs. 2 enthält einen Tatbestandsausschluß - das bei der Anwendimg der allgemeinen Irrtumsregeln zwingende Ergebnis: Straffreiheit des Irrenden, ausschließen wollte. So im Ergebnis auch: PAEFFGEN Verrat, S. 229. - Für selbständigen Tatbestand: SCH/SCH/STREE § 97 b Rdn. 1; für negativ formulierten Rechtfertigungsgrund: JESCHECK Engisch-Festschrift, S. 596.

Mit dem Schuldgrundsatz ist die Gleichstellung des irrenden Täters mit dem Täter, der bewußt ein Staatsgeheimnis verrät, nicht in Einklang zu bringen. Die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift erfordert daher eine Milderung des Strafrahmens. Dazu auch: PAEFFGEN Verrat, S. 170.

6. Landesverräterische Fälschung, § 100 a § 100 a schützt nicht nur die äußere Sicherheit, sondern die äußere Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im ganzen gegen landesverräterische Fälschung. a) Gemäß § 100 a Abs. 1 wird bestraft, wer bestimmte gefälschte oder unwahre Sachverhalte an einen anderen gelangen läßt und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere staatliche Sicherheit oder die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeiführt. - Gefälscht oder verfälscht ist ein Sachverhalt, wenn er zum Zwecke der Täuschung derart angefertigt oder verändert wurde, daß er den Anschein eines wahren Sachverhalts erweckt. - Der Sachverhalt braucht kein Staatsgeheimnis zu sein. b) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz in bezug auf die Tathandlung und die Gefährdung sowie die Absicht des Täters, einer fremden Macht die Echtheit oder Wahrheit der verratenen Sachverhalte vorzutäuschen. Der Täter muß die Unechtheit oder Unwahrheit der verratenen Sachverhalte positiv kennen ("wider besseres Wissen"). c) Nach § 100 a Abs. 2 sind Vorbereitungshandlungen zu Abs. 1 als selbständiges Delikt strafbar.

IV. Die landesverräterische Konspiration 1. Geheimdienstliche Agententätigkeit, § 99 § 99 schützt als umfassender Spionagetatbestand gegen geheimdienstliche Tätigkeit. a) Gemäß Abs. 1 Nr. 1 wird die Ausübung einer geheimdienstlichen Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland, die auf Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, bestraft.

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Delikte gegen den Bestand des Staates

Gemäß Art. 7 Abs. 1 Nr. 4 des 4. StrÄG ist der Schutz auf diejenigen Nato-Vertragsstaaten, die Truppen im Bundesgebiet haben, ausgedehnt; BGHSt 32 S. 104. Geheimdienst ist in der Regel eine im staatlichen Bereich organisierte Einrichtung, die der Beschaffung und Auswertung von Nachrichten aus fremden Machtbereichen dient, ihre Tätigkeit in diesen Bereichen vor den fremden Behörden geheimhält und daher koaspirative Methoden anwendet - Ausüben wird vom BUNDESGERICHTSHOF als tätig sein interpretiert, ohne daß es auf eine Konspiration ankommt (BGH NJW 1989 S. 1371), während in der Literatur z.T. eine auf gewisse Dauer angelegte Tätigkeit gefordert wird (vgl. SCHROEDER JZ 1983 S. 671 ff). Die Begrenzung des Tatbestandes auf länger angelegte Tätigkeit führt jedoch zu nicht berechtigten Strafbarkeitslücken. - Bloßes Ausgeforschtwerden oder Sich-ausfragen-Lassen ist allerdings noch keine Ausübung der Tätigkeit i.S. des Gesetzes; BVerfGE 57 S. 265 f; BGHSt 30 S. 294. - Gegen die Bundesrepublik Deutschland heißt gegen deren Interessen, nicht nur gegen die einzelner Personen oder Gruppen, doch werden nicht nur staatliche Interessen, sondern auch wirtschaftliche, wissenschaftliche und andere Interessen erfaßt. b) Nach Abs. 1 Nr. 2 ist der Tätigkeit das ernstliche Bereiterklären zu dieser Tätigkeit gegenüber einer fremden Macht oder ihren Mittelsmännern gleichgestellt. c) Besonders schwere Fälle sind als Regelfälle in Abs. 2 genannt; die Möglichkeit Tätiger Reue eröffnet Abs. 3 in Verb, mit § 98 Abs. 2. 2 Landesverräterische Agententätigkeiten, § 98 § 98 erfaßt als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht nur Vorbereitungshandlungen zum Landesverrat (§ 94) oder zur Ausspähung (§ 96 Abs. 1), sondern deckt deren Vorfeld ab, auch wenn noch gar kein konkreter Tatplan i.S. dieser Vorschrift besteht. Im Gegensatz zu § 99 ist eine geheimdienstliche Tätigkeit aber nicht erforderlich, jedoch muß die Agententätigkeit auf ein Staatsgeheimnis gerichtet sein. Zur Strafbarkeit des Bereiterklärens vgl. Abs. 1 Nr. 2, zur Strafbarkeit besonders schwerer Fälle: Abs. 1 S. 2. - Tätige Reue ist unter den Voraussetzungen des Abs. 2 möglich.

3. Friedensgeßhrdende Beziehungen, § 100 § 100 schützt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gegen friedensgefährdende Agententätigkeit. a) Die Vorschrift erfaßt nicht eine bestimmte Tätigkeit wie §§ 98, 99, sondern die staatsgefährdende Aufnahme und Unterhaltung von Beziehungen zu einer bestimmten Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB oder zu einem ihrer Mittelsmänner in staatsgefährdender Absicht. Die Tat muß in der Absicht erfolgen, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen, z.B. "Einmarsch zwecks friedlicher Besetzung" (MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 83IV A 3) gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen. b) Täter kann nur ein Deutscher sein, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat.

§ 86 Delikte gegen ausländische Staaten

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4. Nebenfolgen und Einziehung Zu den Nebenfolgen und zur Einziehung bei Verurteilung wegen einer Straftat nach dem 2. Abschnitt des StGB vgl. §§ 101,101 a.

§ 86: Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut Die Überschrift des 3. Abschnitts des StGB: "Straftaten gegen ausländische Staaten", bringt die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, mit diesen Vorschriften nicht nur die guten Beziehungen zu den ausländischen Staaten, sondern diese selbst und ihre Organe sowie Organträger zu schützen. Gleichwohl steht im Vordergrund der Regelung der Schutz normaler Auslandsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland und damit der Schutz des eigenen Staates, wie insbes. die Regelung des § 104 a zeigt. II. Die einzelnen Tatbestände 1. Angriffgegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, § 102 Bestraft wird der Angriff auf Leib oder Leben ausländischer Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder oder beglaubigter Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung, während sich der Angegriffene in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält. 2. Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, § 103 Die Vorschrift enthält einen gegenüber den §§ 185 ff speziellen Beleidigungstatbestand zum Schutz bestimmter ausländischer Staatsmänner. a) Die §§ 190, 192, 193 finden auf § 103 Anwendung, da sie allgemeine Grundsätze des Beleidigungsrechts enthalten; BVerwG NJW 1982 S. 1008. b) Kann aus § 103 aus einem Grunde nicht bestraft werden, so greifen die allgemeinen Vorschriften, §§ 185 ff, durch. 3. Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten, § 104 Geschützt sind alle ausländischen Flaggen und Hoheitszeichen in Anlehnung an § 90 a Abs. 2. III. Voraussetzung der Strafverfolgung, § 104 a 1. Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen unter II dargestellten Tatbeständen: a) das Bestehen normaler diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu dem betreffenden Staat, b) die tatsächliche Verbürgung der Gegenseitigkeit. 2. Prozeßvoraussetzung ist: a) das Vorliegen eines Strafverlangens durch die ausländische Regierung und b) die Ermächtigung der Bundesregierung zur Verfolgung der Täter.

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Delikte gegen den Bestand des Staates

§ 87: Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d 1. Geschütztes Rechtsgut der Tatbestände dieses Abschnittes ist die in staatlichen Angelegenheiten gewährleistete Willensbildung und die verfassungsrechtlich gesicherte Willensbetätigung der Verfassungsorgane. Diese sollen vor Terror und Verfälschung bewahrt werden. - Der nötigende Druck muß so erheblich sein, daß er geeignet erscheint, den Willen des Verfassungsorgans zu beugen, BGHSt 32 S. 165 mit Anm. WILLMSJR 1984 S. 120 f.

2. Angriffe gegen die Verfassungsorgane und deren Mitglieder sind in den §§ 105106 b erfaßt, die §§ 107-108 d schützen die Wahlen.

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Nötigung von Verfassungsorganen, § 105 Die Vorschrift schützt bestimmte Verfassungsorgane (Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder, Bundesversammlung, Bundesregierung und Länderregierungen sowie das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder) und ihre Untergliederungen (Ausschüsse) als Ganzes gegen Nötigung. Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 entsprechend anzuwenden; dazu oben § 27 III. 2. Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans, § 106 Während § 105 das Verfassungsorgan als Ganzes schützt, ist § 106 auf den Schutz des Bundespräsidenten und einzelner Mitglieder der in § 105 genannten Verfassungsorgane gegen Nötigung in ihrem Aufgabenbereich gerichtet. Soweit zu diesem Aufgabenbereich auch bloßes Verwaltungshandeln gehört, z.B. beim Minister als Leiter oberster Bundes- oder Landesbehörden, werden auch derartige Tätigkeiten erfaßt. AA. OLG Düsseldorf NJW 1978 S. 2562 mit abl. Anm. SCHOREIT MDR 1979 S. 633 f.

3. Bannkreisverletzung, § 106 a § 106 a schützt die Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder sowie das Bundesverfassungsgericht gegen den Druck der Straße. a) Abs. 1 bestraft die Teilnahme an Aufzügen oder öffentlich unter freiem Himmel veranstalteten Versammlungen innerhalb des "Bannkreises". Dazu § 16 VersG sowie die BannmeUengesetze des Bundes und der Länder. - Der Begriff der Versammlung ist im selben Sinn zu verstehen wie im Versammlungsgesetz; dazu OLG Köln MDR 1980 S. 1040. - Aufzug ist eine zu einem bestimmten Zweck vereinigte Menschenmenge, die sich in der Öffentlichkeit als zusammengehöriges Ganzes so bewegt, daß sie Aufmerksamkeit auf sich lenkt.

b) Abs. 2 erfaßt bereits die Aufforderung zu der in Abs. 1 beschriebenen Bannkreisverletzung als eigenständiges Delikt.

§ 87 Delikte gegen Verfassungsorgane

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4. Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans, § 106 b § 106 b schützt die Polizeigewalt in Gebäuden und den dazu gehörenden Grundstükken der Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder. a) Abs. 1 erfaßt den Verstoß gegen Hausordnungsvorschriften, durch den die Tätigkeit des Organs gestört oder gehindert wird. Derartige Vorschriften können insbesondere in Geschäftsordnungen der Gesetzgebungsorgane enthalten sein; OLG Celle NStZ 1986 S. 410. Gebäude meint das jeweilige Gebäude, in dem das Gesetzgebungsorgan gerade tagt und für das die Anordnung erlassen ist. - Hindern heißt die Tätigkeit - sei es auch nur für kurze Zeit - unmöglich machen. Stören bedeutet erschweren der Tätigkeit.

b) Gemäß Abs. 2 können Parlaments- oder Regierungsmitglieder nicht Täter sein. 5. Als Delikte gegen Wahlen - Legaldefinition in § 108 d - sind erfaßt: a) Wahlbehinderung, § 107 Geschützt ist der Wahlvorgang in seinem Gesamtablauf. b) Wahlfälschung, § 107 a aa) Abs. 1 erfaßt die Herbeiführung eines feilschen Ergebnisses vor Beendigung der Wahl und die Verfälschung des Ergebnisses nach diesem Zeitpunkt. Es genügt jede Handlung, die ein unrichtiges Ergebnis bewirkt; dazu OLG Zweibrücken NStZ 1986 S. 554. - Unbefugt wählt auch, wer unter anderem Namen den Kandidaten wählt, den auch der Vertretene gewählt hätte; dazu BGHSt 29 S. 380 mit A n m . OEHLER J R 1 9 8 1 S . 5 1 9 f.

bb) Abs. 2 betrifft die falsche Verkündung eines Wahlergebnisses. - Täter kann nur sein, wer die amtliche Aufgabe hat, das Ergebnis öffentlich zu verkünden oder verkünden zu lassen oder wer sich diese Befugnis anmaßt. c) Fälschung von Wahlunterlagen, § 107 b Die Vorschrift stellt bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wahlfälschung selbständig unter Strafe. d) Verletzung des Wahlgeheimnisses, § 107 c Bestraft wird die Verletzung von Vorschriften, die dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienen, in der Absicht, sich oder einem anderen Kenntnis darüber zu verschaffen, wie jemand gewählt hat. Als das Blankett ausfüllende Normen kommen z.B. § 34 BWahlG, §§ 50,51 BWahlO in Betracht.

e) Wählernötigung, § 108 aa) Geschützt ist der einzelne Bürger gegen Nötigung bei der Ausübung seines Wahlrechts. bb) Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 anwendbar. f) Wählertäuschung, § 108 a Geschützt ist der Wähler gegen Täuschung beim Wahlakt, nicht gegen Täuschung bei der Willensbildung in bezug auf die Entscheidung für eine bestimmte Partei, z.B. durch falsche Wahlversprechen o.ä.

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Delikte gegen den Bestand des Staates

g) Wählerbestechung, § 108 b Die Vorschrift stellt Bestechung und Bestechlichkeit des Wählers unter Strafe. Maßgeblich ist hier - vergleichbar der Unrechtsvereinbarung bei den Bestechungsdelikten - eine personale Beziehung zwischen dem Bestechenden und dem zu bestechenden Wähler, die zumindest zu einer gefühlsmäßigen Verpflichtung des Wählers, in der vom Bestechenden beabsichtigten Weise abzustimmen, führen kann; vgl. dazu BGHSt 33 S. 336 mit Anm. DÖLLING NStZ 1987 S. 69 f, GEERDS J R 1986 S. 253 ff. Ob und wie der Wähler wählt, ist unerheblich, sein geheimer Vorbehalt, sich durch die Bestechung nicht beeinflussen zu lassen, ist irrelevant. h) Nebenfolgen Zu den Nebenfolgen vgl. § 108 c.

§ 88: Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich Die Delikte des 5. Abschnitts des StGB dienen dem Schutz der Landesverteidigung, und zwar ihrem Wortlaut nach gegenüber Angriffen auf das Kräftepotential der Streitkräfte der Bundesrepublik. Gemäß Art. 7 des 4. StrÄG ist der strafrechtliche Schutz der §§ 109 d-109 g, 109 i aber auf die militärische Sicherheit der Vertragsstaaten der NATO und ihrer in Deutschland stationierten Truppen ausgedehnt worden.

II. Die einzelnen Tatbestände 1. Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung, § 109 Die Vorschrift will die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht und damit das Wehrpotential der Bundesrepublik Deutschland sichern. a) Nach Abs. 1 wird der Täter bestraft, der sich oder einen anderen mit dessen Einwilligung in bestimmter Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder machen läßt. - Führt allerdings ein Soldat die Untauglichkeit an sich oder einem anderen Soldaten herbei, so greift § 17 WStG als Spezialvorschrift ein. Zur Wehrpflicht vgl. §§ 1-3 WehrpflG. - Untauglich, der Wehrpflicht zu genügen, ist der Wehrpflichtige, wenn er wegen körperlicher oder geistiger Mängel nicht mehr in der Art oder dem Umfang wehrtauglich ist wie vorher. - Verstümmelung ist unmittelbare mechanische Einwirkung auf den Körper, Untauglichmachen in anderer Weise kann z.B. durch Einnahme gesundheitsschädlicher Medikamente o.a. erfolgen.

b) Milder bestraft wird das Delikt gemäß Abs. 2, wenn die Untauglichkeit nur für eine gewisse Zeit oder eine einzelne Art der Verwendung herbeigeführt wird. c) Fehlt die Einwilligung bei der Fremdverstümmelung, so greifen nur die §§ 223 ff ein. - Die Einwilligung gehört bei § 109 Abs. 1,2. Alt. zum gesetzlichen Tatbestand. d) Konkurrenzen: Zwischen dem Versuch nach Abs. 1 und der Vollendung nach Abs. 2 ist Idealkonkurrenz möglich (str.). - Die Einwilligung rechtfertigt nach h.M. die Körperverletzung nicht, § 226 a. Mit den §§ 223,223 a wird danach entweder Tateinheit oder Konsumtion angenommen; vgl. LACKNER StGB, § 109 Anm. 7. Wird die Sittenwidrigkeit hingegen von der Schwere der Verletzung abhängig gemacht - dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 III 1 -, so greift in den Fällen der §§ 223,223 a die

§ 88 Delikte gegen die Landesverteidigung

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Einwilligung als Rechtfertigungsgrund durch. Mit §§ 224 bis 226 ist hingegen Idealkonkurrenz möglich. 2 Wehrpflichtentziehung durch Täuschung, § 109 a Die Vorschrift will die Erfüllung der Wehrpflicht sichern. a) Bestraft wird, wer sich oder einen anderen durch arglistige, auf Täuschung berechnete Machenschaften der Erfüllung der Wehrpflicht in bestimmter Weise entzieht. Machenschaften bezeichnen ein methodisches, über die bloße Lüge hinausgehendes, berechnendes Vorgehen, das auf Täuschung gerichtet sein muß. Die Kennzeichnung der Machenschaft als arglistig ist tautologisch, da die Machenschaft bereits ein gewisses Raffinement voraussetzt Beispiele: Scheinverlegung des Wohnsitzes in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes (OLG Celle NJW 1965 S. 167S; OLG Celle NStZ 1986 S. 168); systematisches Vortäuschen körperlicher Mängel (RGSt 29 S. 218).

Für Soldaten ist die Wehrpflichtentziehung durch Täuschung in § 18 WStG speziell geregelt. 3. Störpropaganda gegen die Bundeswehr, § 109 d Die Vorschrift soll der geistigen Sabotage gegen die Bundeswehr entgegenwirken. Bestraft wird das Aufstellen und Verbreiten verleumderischer Tatsachenbehauptungen gegen die Bundeswehr in der Absicht der Wehrkraftzerstörung. - Aufgrund der in der Regel kaum nachweisbaren subjektiven Voraussetzungen hat der Tatbestand nur geringe Bedeutung. Dazu GREISER NJW 1973 S. 231 ff; JESCHECK NZWehrr 1969 S. 128; SCHWENK NZWehrr 1969

S.

136.

4. Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln, § 109 e § 109 e bezweckt den Schutz der Funktionstüchtigkeit von Wehrmitteln sowie bestimmter Einrichtungen und Anlagen. a) Bestraft wird nach Abs. 1 die Sabotage an Gegenständen der Landesverteidigung. Wehrmittel sind Gegenstände, die für den bewaffneten Einsatz der Truppe geeignet und bestimmt sind. - Einrichtungen und Anlagen dienen der Landesverteidigung oder dem Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren, wenn ihr Zweck, sei es auch nur mittelbar, auf die Landesverteidigung oder den Schutz der Zivilbevölkerung abzielt. Beispiele: Munitionslager; Flugsicherungsanlagen; Rüstungsbetriebe.

Die Tathandlung muß eine konkrete Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Truppe oder ein bzw. mehrere Menschenleben begründet haben. b) Unbefugt handelt, wer zu seinem Verhalten nicht zivilrechtlich oder öffentlichrechtlich befugt ist. - Die geschützten Güter (Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Schlagkraft der Truppe, ein oder mehrere Menschenleben) müssen konkret gefährdet sein. c) Der aktiven Sabotage (Abs. 1) wird gemäß Abs. 2 die fehlerhafte Herstellung oder Lieferung eines Gegenstandes der Landesverteidigung oder des dafür bestimm-

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Delikte gegen den Bestand des Staates

ten Werkstoffs gleichgesetzt, wenn der Täter dadurch die in Abs. 1 genannten Gefahren herbeiführt. d) Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Die Tat nach Abs. 1 erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auch auf die Gefährdung beziehen muß. - Abs. 2 setzt für die Tathandlung und Gefährdung Wissentüchkeit voraus. bb) Erfolgt die Tathandlung LS. des Abs. 1 vorsätzlich, doch trifft den Täter Fahrlässigkeit bezüglich der Herbeiführung der Gefahr, so haftet er gemäß Abs. S. - Gleiches gilt für den Täter, der die Tathandlung LS. des Abs. 2 wissentlich begeht, die Gefährdung jedoch zumindest bedingt vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt. e) § 109 e ist lex specialis gegenüber §§ 303-305. AA. Idealkonkurrenz z.B.: SCHROEDER LK, 5 109 e Rdn. 17.

5. Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst, § 109 f Bestraft wird der militärische Nachrichtendienst für eine Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland oder für eine verbotene Vereinigung i.S. der §§ 84, 85. Das Delikt erfaßt Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit. Liegt daher bereits eine geheimdienstliche Tätigkeit i.S. der §§ 93 ff, insbes. des § 99 vor, so wird § 109 f konsumiert. 6. Sicherheitsgefährdendes Abbilden, § 109 g Die Vorschrift erfaßt Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats. a) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das Abbilden oder Beschreiben militärischer Objekte sowie das Gelangenlassen solcher Abbildungen und Beschreibungen an andere, wenn dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet wird. b) Nach Abs. 2 wird bestraft, wer vorsätzlich von einem Luftfahrzeug aus eine Lichtbildaufnahme eines Gebiets oder Gegenstandes im räumlichen Geltungsbereich des § 109 g anfertigt oder eine solche Aufnahme an einen anderen gelangen läßt und dadurch wissentlich den Gefährdungserfolg herbeiführt. 7. Nebenfolgen und Einziehung Zu den möglichen Nebenfolgen bei einer Verurteilung nach den §§ 109 e und 109 f sowie zur Einziehung bei einer Straftat nach den §§ 109 d-109 g vgl. §§ 109 i, 109 k.

Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Staatsgewalt § 89: Gefahrdung der staatlichen Autorität I. Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134 1. Das geschützte Rechtsgut § 134 soll der Diskreditierung der Staatsgewalt wehren. Geschützt ist die Autorität der Staatsgewalt. Bekanntmachungen öffentlicher Dienststellen sollen so, wie sie bekanntgemacht worden sind, der Bevölkerung zur Kenntnis kommen. 2. Die Tathandlung a) Bestraft wird das Zerstören, Beseitigen, Verunstalten, Unkenntlichmachen und die Entstellung des Sinnes von öffentlich angeschlagenen oder ausgelegten dienstlichen Schriftstücken, auch wenn deren Inhalt nur eine bestimmte Person betrifft, wie z.B. im Falle der öffentlichen Zustellung. Dienstlich ist jedes von Behörden oder anderen Dienststellen öffentlich-rechtlicher Körperschaften gefertigte Schriftstück, das amtlichen Inhalt hat. - Zur Bekanntmachung öffentlich angeschlagen oder ausgelegt ist das Schriftstück, wenn die Allgemeinheit Kenntnis nehmen kann und soll. - Zum Zerstören vgl. oben § 471 2 d. - Beseitigen bedeutet Entziehung durch Ortsveränderung gegen den Willen des Berechtigten. - Verunstalten, Unkenntlichmachung und Entstellen des Sinnes sind Einwirkungen auf die inhaltliche Aussage.

b) Aus dem Schutz herausnehmen will die h.M. Schriftstücke offensichtlich verfassungs- oder gesetzwidrigen Inhalts. - Dies ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen, vielmehr handelt es sich hier um eine Frage der Rechtfertigung im Einzelfall. S o auch: MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 72 V 2; SCHMIDHÄUSER B.T., 2 2 / 3 . - Z u r h . M . vgl. O L G

Hamburg MDR 1953 S. 247; LACKNER StGB, § 134 Anm. 2 b.

II. Mißbrauch von Ausweispapieren, § 281 Dazu vgl. oben § 73.

III. Amtsanmaßung, § 132 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt wird die Autorität des Staates und seiner Organe, und zwar dadurch, daß das allgemeine Vertrauen in die Echtheit und Zuverlässigkeit von Hoheitsakten geschützt wird. Vgl. GEPPERT Jura 1986 S. 591; RUDOLPHISK, § 132 Rdn. 1 m.w.N. - A.A. MAURACH/SCHROEDER

B.T. 2, § 7711: staatliche Organisationsgewalt.

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Delikte gegen die Staatsgewalt

2 Der Tatbestand Der Tatbestand enthält zwei Alternativen: a) Die 1. Alternative erfaßt die Fälle, in denen sich der Täter als Inhaber eines inländischen öffentlichen Amtes, d.h. als Organ der Staatsgewalt, ausgibt und eine diesem Amt zurechenbare Tätigkeit ausübt. Beispiele: Täter gibt sich als Kriminalbeamter aus und trifft eine Polizeiverfugung (aA. OLG Koblenz NStZ 1989 S. 268 mit abl. Anm. KRÜGERS. 477 f, und GEPPERT JK 90, StGB § 132/1); Täter führt als Polizeibeamter verkleidet Verkehrskontrollen durch; Täter pfändet eine Sache als angeblicher Gerichtsvollzieher. Keine Amtsanmaßung: Täter bezeichnet sich einem privaten Bekannten gegenüber als Polizeidirektor; Täter fordert in der Bahn einen Sitzplatz mit dem Hinweis, er sei der Bundesbahnpräsident; Täter gibt sich beim fiskalischen Einkauf als Hoheitsträger aus (OLG Oldenburg MDR 1987 S. 604).

b) Die 2 Alternative erfaßt jene Fälle, in denen der Täter zwar nicht vortäuscht, Inhaber eines Amtes zu sein, jedoch den Eindruck hoheitlichen Handelns hervorruft. Beispiele: Privatperson stellt am öffentlichen Weg ein amtliches Verkehrszeichen auf, durch das der Verkehr beeinflußt wird; Täter klebt eine Pfandmarke auf einen bestimmten Gegenstand, der dadurch als der gepfändete erscheint; Anbringen eines vom eigenen Kfz entfernten Verwarnungszettels an fremdem Kfa. - Wird hingegen ein Verwarnungszettel am eigenen Kraftfahrzeug angebracht, um die Polizei zu täuschen, so ist der Tatbestand nicht erfüllt, da hier nicht dem Bürger em hoheitliches Handeln vorgetäuscht wird. D a z u a u c h : BAUMANN N J W 1964 S. 708; SCHRÖDER J R 1964 S . 230; SCHÜNEMANN J A 1974 S . 107.

Bei Durchsuchungen, Verhaftungen usw. kommt es darauf an, ob der Täter - ohne ein bestimmtes Amt vorzugeben - anderen gegenüber, sei es ausdrücklich, sei es konkludent, den Eindruck hoheitlichen Handelns hervorruft. Beispiel 1: A erscheint bei B, erklärt, er vermute in der Wohnung des B ein ihm gestohlenes Bild und besteht auf einer Durchsuchung. Ergebnis: § 132 nicht erfüllt. Beispiel 2: A erscheint bei B und erklärt, die letzte Verhaftung in der Diebstahlssache X habe hinreichenden Verdacht begründet, daß das gestohlene Gut in der Wohnung des B sei. A müsse die Wohnung durchsuchen und B verhaften, falls dieser sich widersetze. Ergebnis: § 132, 2. Alt. ist geben, obwohl A nicht vorgespiegelt hat, ein bestimmter Amtsträger zu sein. Dazu RGSt 59 S. 295.

c) Unbefugt handelt, wer nicht durch seine Amtsstellung oder besonderen öffentlich-rechtlichen Ermächtigungsakt zur Vornahme der Handlung berechtigt ist. Unbefugt ist Tabestandsmerkmal. 3. Täter a) Täter der Amtsanmaßung kann jeder sein, auch ein Amtsträger, soweit er sich Befugnisse anmaßt, die mit seinem Amte nicht verbunden sind. Ist die Amtshandlung jedoch nach außen vollwirksam, verstößt sie aber gegen Weisungen oder Zuständigkeitsverteilungen innerhalb der Behörde oder ist sie von jemandem erlassen worden, der die Amtsstellung erschlichen hat, so liegt eine Amtsanmaßung nicht vor. Dieses Verhalten tangiert das geschützte Rechtsgut nicht. b) Die Tat kann auch in mittelbarer Täterschaft begangen werden. Jedoch fällt die Veranlassung einer Amtshandlung durch einen getäuschten Amtsträger nicht unter

§ 89 Gefährdung der staatlichen Autorität

419

§ 132, da der Tatbestand nur die Durchbrechung der Amtsgewalt, nicht aber ihre Überlistung erfaßt. 4. Das Verhältnis der beiden Alternativen des Tatbestandes zueinander Da die 1. Alternative im Gegensatz zur 2. Alternative das Vortäuschen einer Amtseigenschaft voraussetzt, besteht zwischen beiden Alternativen Exklusivität. So auch: HERDEGEN LK, § 132 R d n . 10; KÜPER J R 1967 S. 451 ff. - A A . MAURACH/SCHROEDER

B.T. 2, § 77 II 4: Spezialität. - HERZBERG JuS 1973 S. 236; LACKNER StGB, § 132 Anm. 6: Konsumtion. RGSt 59 S. 295: Idealkonkurrenz.

IV. Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift dient weniger dem Schutz staatlicher Autorität oder der Autorität einzelner Titel usw., als vielmehr dem Schutz der Allgemeinheit vor Hochstaplern, die sich durch falsche Titel und Bezeichnungen den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit geben. Dazu BGH GA 1966 S. 279; BayObLG NJW 1979 S. 2359; OLG Oldenburg JR 1984 S. 468; GEPPERT J u r a 1986 S. 594; MEURER J R 1984 S. 473.

2. Die Tathandlung a) Das Führen eines Titels usw. (Abs. 1 Nr. 1-3) setzt eine aktive Tätigkeit des Täters voraus, mit der er Dritten gegenüber in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise und Intensität den Titel usw. in Anspruch nimmt. - Bloßes Dulden der Anrede genügt nicht, desgleichen ist ein einmaliger Gebrauch des Titels, insbes. im privaten Verkehr, noch nicht tatbestandsmäßig; BGHSt 31 S. 61. - Der Täter muß die förmliche Dienst-, Amts- oder Berufsbezeichnung führen. Es genügt das Weiterführen einer Dienstbezeichnung nach der Entlassung; BGH NJW 1990 S. 918. - Wer sich z.B. schlechthin als "Polizeibeamter" ausgibt, führt damit noch keine Amtsbezeichnung. Dazu BGHSt 26 S. 267.

b) Das Tragen einer Uniform usw. (Abs. 1 Nr. 4) setzt voraus, daß der Täter den Eindruck erweckt, er sei hierzu öffentlich-rechtlich befugt. Nicht tatbestandsmäßig daher der Besuch eines Maskenballs in einer Uniform.

c) Unbefugt - dazu oben III 2 c - ist Tatbestandsmerkmal. d) Die Führung von Bezeichnungen usw., die denen in Abs. 1 genannten zum Verwechseln ähnlich sind, ist gemäß Abs. 2 entsprechend Abs. 1 zu bestrafen. Zum Verwechseln ähnlich ist die Bezeichnung usw., wenn nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen Beobachters eine Verwechslung möglich ist.

e) Zum Schutz der Amtsbezeichnungen usw. der Kirchen und anderer Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts vgl. Abs. 3. 3. Die Tat ist eigenhändiges Delikt.

Delikte gegen die Staatsgewalt

420

§ 90: Gefährdung der Staatsgewalt 1. Bildung bewaffneter Haufen, § 127 In erster Linie dient die Vorschrift der Sicherung der internen Staatsgewalt, daneben wird auch die Sicherung der Neutralität nach außen miterfaßt. A.A. V. B U B N O F F L K , § 127 Rdn. 2; Rdn. 1: Schutz des öffentlichen Friedens.

LACKNER

StGB, S 127 Anm. 1;

SCH/SCH/LENCKNER

§ 127

Drei Tatbestände sind zu unterscheiden: a) Unbefugtes Bilden oder Befehligen eines bewaffneten Haufens, d.h. einer größeren Zahl räumlich vereinigter Menschen, Abs. 1,1. Alt. b) Versorgung einer ohne staatliche Befugnis gesammelten Mannschaft, d.h. einer organisierten und disziplinierten Gruppe mit Waffen und Kriegsbedarf, Abs. 1,2. Alt. c) Der Anschluß an eine derartige Gruppe, Abs. 2. 2. Bildung krimineller Vereinigungen, § 129 Geschützt ist die staatliche Zwangsgewalt, die durch einen auf strafbare Handlungen gerichteten Zusammenschluß mehrerer Personen gefährdet ist AA. BGH NJW 1975 S. 985; L A C K N E R StGB, § 129 Anm. 1: Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. - R U D O L P H I Bruns-Festschrift, S. 317; O S T E N D O R F AK, § 129 Rdn. 5: Vorverlegung des Strafrechtsschutzes in das Vorbereitungsstadiuni.

a) Die Tathandlung Bestraft wird gemäß Abs. 1 die Gründung oder die Beteiligung als Mitglied an einer auf strafbare Handlungen gerichteten Vereinigung sowie die Werbung für derartige Vereinigungen und ihre Unterstützung. Vereinigung ist der auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenschluß von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen; BGHSt 28 S. 147 mit Anm. VOLK J R 1979 S. 426 ff. Erforderlich ist mindestens eine Teilorganisation im Bundesgebiet; BGHSt 30 S. 328 mit Anm. RUDOLPHI NStZ 1982 S. 198 ff; BGHSt 31 S. 239 mit Anm. RUDOLPHI J R 1984 S. 32 ff. Kriminell ist die Vereinigung, wenn sie nach dem Willen der führenden Funktionäre die Begehung einer Mehrheit von Straftaten anstrebt oder verwirklicht. Damit unterscheidet sich die kriminelle Vereinigung von der bloßen Mittäterschaft i.S. des § 25 Abs. 2 darin, daß diese nur die gemeinschaftliche Tatbegehung, d.h. ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken der Tatgenossen mit Täterwillen voraussetzt; BGH NJW 1983 S. 1334. Der Unterschied zur Bande liegt darin, daß bei dieser eine lose Zusammenfügung ohne besondere Organisationsform ausreicht; dazu BGH NStZ 1982 S. 68. Darüber hinaus läßt die Rechtsprechung für die Bande schon zwei Mitglieder genügen; vgl. oben § 4113 a.

Gründen erfordert führende Mitwirkung bei der Schaffung des Zusammenschlusses oder der Umwandlung einer legalen Vereinigung in eine kriminelle. - Beteiligung als Mitglied setzt nicht formelle Mitgliedschaft, wohl aber Teilnahme am Verbandsleben voraus; dazu BGHSt 29 S. 114. - Unterstützen ist die zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe eines Nichtmitglieds, die auf Fortbestand oder Verwirklichung der Ziele der Vereinigung gerichtet ist; dazu BGHSt 29 S. 99; 32 S. 243; BGH MDR 1987 S. 1039. - Werben ist die mit Mitteln der Propaganda betriebene Tätigkeit, die

§ 90 Gefährdung der Staatsgewalt

421

auf Weckung oder Stärkung der Bereitschaft Dritter zur Förderung einer bestimmten Vereinigung gerichtet ist; dazu BGHSt 28 S. 26 mit abl. Anm. RUDOLPHI J R 1979 S. 33 ff; REBMANN NStZ 1981 S. 457 ff; BGHSt 33 S. 16; BGH M D R 1987 S. 1040. b) Der Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Strafbarkeit der Zwecke bzw. der Tätigkeit der Vereinigung umfassen. c) Tatbestandsausschluß gemäß Abs. 2 Gemäß Abs. 2 ist Abs. 1 nicht anwendbar auf politische Parteien, die nicht vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt sind und andere bestimmte, im Regelfall politische Vereinigungen, bei denen strafbare Handlungen, z.B. Abreißen von Plakaten, Beschmieren von Wänden u.ä., nur Nebenzweck der im übrigen verfolgten Tätigkeit sind. d) Rechtfertigung Handlungen von Beschuldigten und Verteidigern, die sachlich die Voraussetzungen der Tathandlungen erfüllen, sind dann gerechtfertigt, wenn sie sich in den Grenzen prozessual zulässiger Verteidigung halten. Dazu BGHSt 29 S. 99; BGH JR 1983 S. 116 mit Anm. GÖSSEL S. 118 ff; OLG Hamburg JZ 1979 S. 275 mit Anm. OSTENDORF S. 252 ff. - A A BOTTKE JA 1980 S. 448; GIEMULLA JA 1980 S. 253 f; I.

MÜLLER StV 1981 S. 97; MOLLER-DIETZ JR 1981 S. 76 ff: Tatbestandsausschluß. Soweit Äußerungen allerdings der Verteidigung dienen, wird ihnen der werbende Charakter fehlen. In diesem Falle sind sie nicht tatbestandsmäßig; vgl. BGH StV 1990 S. 200.

e) Besonders schwere Fälle, Abs. 4 Abs. 4 nennt besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen: Rädelsführer und Hintermann; dazu § 84 II 1 a, aa. f) Fakultatives Absehen von Strafe Zum Absehen von Strafe und zur Tätige Reue vgl. Abs. 5, 6. g) Konkurrenzen Mehrere tatbestandsmäßige Handlungen als Mitglied einer Vereinigung bilden eine natürliche Handlungseinheit. Mehrere Unterstützungs- oder Werbehandlungen in bezug auf eine Vereinigung können in Fortsetzungszusammenhang stehen. Die einzelnen von der Vereinigung begangenen Taten und die Mitgliedschaft in der Vereinigung werden nach der Rechtsprechung durch § 129 zu einer Handlungseinheit verklammert, soweit nicht wegen des größeren Unwerts eines Aktes die Klammerwirkung entfällt; dazu BGHSt 29 S. 288 mit Anm. RIESS NStZ 1981 S. 74 f. Diese Konstruktion ist den allgemeinen Einwendungen gegen die Klammerwirkung ausgesetzt. Dazu GRUNDKURS STRAFRECHT , A.T., § 23 II 4.

3. Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129 a a) Abs. 1 enthält einen Qualifikationstatbestand gegenüber § 129 Abs. 1, soweit die Vereinigung auf die Begehung der in § 129 a Abs. 1 Nr. 1-3 genannten Straftaten gerichtet ist. b) Abs. 2 qualifiziert den Tatbestand des Abs. 1 für Rädelsßhrer und Hintermänner - dazu § 84 II 1 a, aa - zu einem Verbrechen.

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Delikte gegen die Staatsgewalt

c) Die Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a Abs. 1 ist in Abs. 3 zur selbständigen Deliktsform erhoben worden; dazu oben 2 a. d) Zum Absehen von Strafe und zur Tätigen Reue vgl. Abs. 4, 5. - Zur Nebenstrafe Abs. 6.

§ 91: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113,114 I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die rechtmäßig betätigte Vollstreckungsgewalt des Staates durch den Schutz der zu ihrer Ausfuhrung berufenen Organe. Vgl. V. BUBNOFF LK, § 113 R d n . 2; LACKNER S t G B , § 113 ANM. 1; SCH/SCH/ESER § 113 R d n . 2;

WESSELS BT-1, § 14 M 1. - Das Rechtsgut beschränken auf den Schutz staatlicher Vollstreckungsgewalt: DREHER/TRÖNDLE § 113 R d n . 1; M . J . SCHMID J Z 1980 S. 57 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 2 2 / 2 3 . D e n

Schutz der Person stellen in den Vordergrund: HORN SK, § 113 Rdn. 2; ZLEUNSKI AK, § 113 Rdn. 4.

2 Der geschützte Personenkreis a) Geschützt sind gemäß § 113 Abs. 1 inländische Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) sowie Soldaten der Bundeswehr, denen die Verwirklichung des auf den Einzelfall konkretisierten Staatswillens, notfalls durch unmittelbaren Zwang, übertragen ist. Das sind z.B. Polizeibeamte (RGSt 54 S. 323); Gerichtsvollzieher (RGSt 41 S. 85); Vollstreckungsbeamte der Finanzämter (OLG Frankfurt NJW 1972 S. 268); Bahnpolizeibeamte (BGHSt 21 S. 334); Richter in Ausübung der Sitzungspolizei (RGSt 15 S. 227).

b) Gemäß § 114 Abs. 1 ist der geschützte Personenkreis darüber hinaus erweitert auf Personen, die - ohne Amtsträger zu sein - die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind. Das sind z.B. die bestätigten Jagdaufseher nach § 25 Abs. 2 BJagdG und können nach § 152 Abs. 2 GVG ernannte Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sein. Wird der Gedanke der Privilegierung des Widerstandes gegen hoheitliche Vollstreckungshandlungen konsequent realisiert, dann ist es angemessen, §§ 113,114 auf Jagd- und Fischereiausübungsberechtigte nach Landesrecht, die das Recht zu hoheitlichen Vollstreckungshandlungen (z.B. Wegnahme von Wildereigerät) haben, ohne in der bezeichneten Pflichtenposition zu stehen, analog anzuwenden. Dazu SCH/SCH/ESER § 114 Rdn. 3.

c) Erfaßt sind schließlich die von den Vollstreckungsbeamten zur Unterstützung bei der Amts- oder Diensthandlung zugezogenen Hilfskräfte, § 114 Abs. 2. Beispiel: Schlosser, der für den Gerichtsvollzieher eine Tür öffnet, damit die Vollstreckung durchgeführt werden kann. - Zeugen bei einer Hausdurchsuchung gemäß § 105 Abs. 2 StPO.

II. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 1. Die Diensthandlung Diensthandlung i.S. des § 113 ist eine Vollstreckungshandlung. Die Vollstreckungshandlung ist auf Verwirklichung des konkretisierten Willens des Staates zur Regelung eines bestimmten Falles gegenüber bestimmten Personen oder Sachen notfalls mit Gewalt gerichtet; BGHSt 25 S. 314. Bloße Überwachungs- und Ermitt-

§ 91 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

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lungstätigkeiten, bei denen nicht einem bestimmten Verdacht nachgegangen wird, genügen nicht. Vollstreckt!ngghandlungen: Durchsuchung; vorläufige Festnahme; Pfändung durch Gerichtsvollzieher; Durchführung allgemeiner Verkehrskontrollen; Ausweiskontrolle als Identifizierungsmaßnahme. Keine Vollstreckungshan (Hungen: Streifenfahrten von Polizeibeamten (OLG Zweibrücken NJW 1966 S. 1086); Streifengang von Soldaten im Kasernengelände (BGH GA 1983 S. 411); Begleitung eines Demonstrationszugs (KG StV 1988 S. 437); Beobachtung einer Personengruppe (KG NStZ 1989 S. 121 mit Anm. GEPPERT JK 89, StGB $ 113/1).

2 Die Tathandlung Tathandlung ist die gegen die Vollstreckungshandlung gerichtete Widerstandsleistung des Täters mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt sowie durch einen tätlichen Angriff. a) Die Vollstreckungshandlung muß bereits begonnen haben oder unmittelbar bevorstehen. Sie darf noch nicht beendet sein. Die Vollstreckungshandlung beginnt mit der Vornahme der gegen die Person oder Sache gerichteten Handlung. - Unmittelbar bevor steht die Vollstreckungshandlung, wenn der Vollstreckungsbeamte in den "Kontaktbereich" des Betroffenen kommt. Beendet ist die Vollstreckungshandlung, wenn zwischen dem Vollstreckungsbeamten und der Person oder Sache, gegen die sich die Vollstreckung richtet, eine räumliche Trennimg eingetreten ist derart, daß auch für einen objektiven Beobachter erkennbar ist, daß der unmittelbare Kontakt zu der Person oder Sache nicht mehr besteht, weil der durch die Vollstreckungshandlung begründete Interaktionsprozeß zum Abschluß gekommen ist. Dazu eingehender: BayObLG MDR 1988 S. 517; OTTO JR 1983 S. 73 f.

b) Widerstand ist nur das aktiv gegen das Vollstreckungsorgan gerichtete Vorgehen, nicht bloße Verweigerung der Mitwirkung an einer gegen die eigene Person gerichteten Vollstreckungshandlung. Diese Tendenz ist bei der Definition des Begriffs der Gewalt LS. des § 113 zu berücksichtigen: Es ist die unmittelbar oder mittelbar gegen den Beamten gerichtete Kraftentfaltung, die sich derart auswirkt, daß dieser seine Amtshandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen; BGHSt 18 S. 135. - Die Widerstandsleistung muß sich im Zeitpunkt der Amtshandlung auswirken, sie kann schon vorher ins Werk gesetzt worden sein, wie z.B. beim Versperren des Zugangs durch Hindernisse o.ä. Tätlicher Angriff ist jede in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf den Erfolg; RGSt 59 S. 265. Widerstandsleistung durch Gewalt, z.B.: Zufahren auf einen Beamten mit Kfz; Losfahren mit Kfz, auf dessen Trittbrett der Beamte steht, damit dieser herunterfällt; Strampeln und Festhalten, um Abtransport zu verhindern; Hinlegen vor Polizeifahrzeug, damit dieses nicht weiterfahren kann; Einschließen des Gerichtsvollziehers; Aussperren des Gerichtsvollziehers durch Verrammeln der Tür. Keine Widerstandsleistung: Der auf der Fahrbahn sitzende Demonstrant muß weggetragen werden; Kfz-Fahrer beachtet das Haltezeichen eines Polizeibeamten nicht und fährt weiter, ohne den Beamten zu gefährden.

3. Die Vollstreckungshandlung, gegen die sich der Widerstand richtet, muß rechtmäßig sein.

424

Delikte gegen die Staatsgewalt

a) Dogmatische Einordnung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung Innerhalb des Verbrechensaufbaus ist die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung ein pflichtbegrenzendes Merkmal. Die Pflicht, die Vollstreckungshandlung hinzunehmen, besteht nur gegenüber rechtmäßigen Vollstreckungshandlungen. Formell handelt es sich also um ein objektives pflichtbegrenzendes Merkmal außerhalb des Gesetzestatbestandes, das sachlich gleiche Funktionen hat wie ein Rechtfertigungsgrund, nämlich die Grenzen einer Rechtspflicht anzugeben. Insoweit ist es Merkmal des Unrechts-, nicht aber des Gesetzestatbestandes im engeren Sinne. Sachlich wie hier: V. BUBNOFF LK, $ 113 Rdn. 23; DREHER Heinitz-Festschrift, S. 221; DERS. JR 1984 S. 401 ff; DREHER/TRÖNDLB § 113 Rdn. 10; HERDEGEN BGH-Festschrift, S. 202; HIRSCH KlugFestschrift, Bd. 2, S. 246 ff; PAEFFGEN JZ1979 S. 521; SCHOLZ Dreher-Festschrift, S. 482. Als "modifizierte objektive Bedingung der Strafbarkeit" interpretieren die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung: KG NJW 1972 S. 781; BOCKELMANN B.T./3, § 18 VI 2; HAFT B.T., S. 4; WESSELS B.T.-l, § 14 III 5. Diese Interpretation ist mit Abs. 4 nicht in F.inklang zu bringen. - Als Tatbestandsmerkmal sehen die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung an: NAUCKE Dreher-Festschrift, S. 472; SAX JZ 1976 S. 15 f, 430; SCH/SCH/ESER § 113 Rdn. 20.

Für Strafausschließungsgrund: BOTTKE JA 1980 S. 98; SCHMIDHÄUSER B.T., 22/24,31.

b) Die inhaltliche Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung aa) Die h.M. vertritt den sog. strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff. - Danach ist zu differenzieren: (1.) Vollzieht der Vollstreckungsbeamte unmittelbar ein materielles Gesetz, so ist allein entscheidend, ob er im Rahmen seine örtlichen und sachlichen Zuständigkeit gehandelt, die wesentlichen Förmlichkeiten für den betreffenden Vollstreckungsakt beachtet und bei Ermessenshandlungen sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. (2.) Vollzieht der Vollstreckungsbeamte einen Staatsakt (Urteil, Beschluß oder Verfügung) eines Gerichts oder den Verwaltungsakt einer Verwaltungsbehörde, so ist nur dessen rechtliche Wirksamkeit, nicht dessen materielle Rechtmäßigkeit zu fordern. Die Diensthandlung ist daher in der Regel nur dann rechtswidrig, wenn der Staatsakt nichtig oder nicht vollstreckbar ist. Ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der Diensthandlung, der nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht, schließt die Rechtmäßigkeit nicht aus, wohl aber ein Irrtum über die Grenzen der Amtsbefugnis. (3.) Handelt der Vollstreckungsbeamte auf Anordnung, so handelt er rechtmäßig, wenn er einen von einem örtlich oder sachlich zuständigen Vorgesetzten erteilten dienstlichen, nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehl im Vertrauen auf seine Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht. Der Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist dann i.S. des § 113 rechtmäßig, wenn der Vollstreckungsbeamte nicht oder nicht weiter zur Prüfung der Rechtmäßigkeit berechtigt oder verpflichtet ist; vgl. dazu § 56 BBG, § 11 SoldatenG, § 5 I WStrafG. Zur h.M. vgl. BGHSt 21 S. 334; BayObLG JR 1981 S. 28 mit abl. Anm. THIELE S. 30 f; OLG Köln

NJW 1975 S. 889; OLG Köln NStZ 1986 S. 235; v . BUBNOFF LK, § 113 Rdn. 25 ff; DREHER/TRÖNDLB § 113 Rdn. 11 ff; GÜNTHER NJW 1973 S. 309 ff; HAFT B.T., S. 4 f; LACKNER StGB, § 113 Anm. 5 f; WESSELS B.T.-l, § 14 III 5.

bb) Die Gegenansicht geht zutreffend davon aus, daß die Bestimmung der Rechtswidrigkeit in § 113 sich am öffentlichen Recht orientieren muß. Danach sind bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit eines Vollstreckungsakts zwei Wertungsstufen zu unterscheiden: Die Beurteilung der Ermächtigungsgrundlage und die Beur-

§ 91 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

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teilung der sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen. Handelt es sich bei der Ermächtigungsgrundlage um eine zwar rechtswidrige aber vollstreckbare, so bietet sie der Vollstreckungshandlung eine hinreichende rechtliche Grundlage. Nur die nichtige Ermächtigungsgrundlage schlägt auf den Vollstreckungsakt durch mit der Folge seiner Rechtswidrigkeit. - Ist die Ermächtigungsgrundlage in diesem Sinne hinreichend, so kann sich aus der Verletzung von Vollstreckungsvorschriften jedoch die Rechtswidrigkeit des Vollstreckungsakts ergeben. Maßgeblich ist hier, ob der Akt nach Verwaltungsrecht rechtswidrig ist Grundsätzlich übereinstimmend: AMELUNG JUS 1986 S. 336 f; BENFER NStZ 1985 S. 255 f; BACKES/ RANSIEK JUS 1989 S. 627 ff; OSTENDORF J Z 1 9 8 9 S. 573 f; ROXIN Pfeiffer-Festschrift, S. 48 ff; SCHÜNEMANNJA1972 S. 709 f, 775; THIELE J R 1 9 7 5 S. 353 ff.

Zum Teil wird in der Literatur nur der nichtige Vollstreckungsakt als rechtswidrig LS.d. § 113 ange-

sehen; vgl. z.B. KREY B.T. 1, Rdn. 511; W. MEYER NJW 1972 S. 1845 ff; DERS. NJW 1973 S. 1074 f; WAGNER JuS 1975 S. 224 ff.

III. Der Irrtum des Widerstandleistenden 1. Irrtum bei rechtswidriger Vollstreckungshandlung Ist die Vollstreckungshandlung nicht rechtmäßig, der Täter hält sie aber für rechtmäßig, so läge nach allgemeinen Grundsätzen - je nach Art des Irrtums - ein Wahndelikt oder ein Versuch vor. Dieser Versuch ist jedoch nicht strafbar, weil der Versuch der Widerstandsleistung gemäß § 113 nicht strafbar ist. Dies stellt Abs. 3 S. 2 noch einmal klar. KG GA 1975 S. 213: A schlug den rechtswidrig handelnden Gerichtsvollzieher nieder, ohne die Rechtswidrigkeit der gegen ihn gerichteten Handlung zu erkennen. KG: § 113 entfällt, § 113 Abs. 3 S. 2.

2. Irrtum bei rechtmäßiger Vollstreckungshandlung Ist die Diensthandlung rechtmäßig, doch hält der Täter sie für rechtswidrig, so gilt abweichend von den allgemeinen Irrtumsgrundsätzen: a) War der Irrtum vermeidbar, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder bei geringer Schuld von Strafe absehen, Abs. 4 S. 1. b) War der Irrtum nicht vermeidbar und war es dem Täter nach den ihm bekannten Umständen nicht zumutbar, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nach § 113 nicht strafbar, Abs. 4 S. 2,1. Teil. c) War der Irrtum nicht vermeidbar, dem Täter aber zuzumuten, Rechtsbehelfe statt des Widerstandes zu ergreifen, so ist die Strafe nur zu mildern, Abs. 4 S. 2, 2. Teil. Zumutbar ist der Rechtsweg in der Regel dann, wenn die Diensthandlung nicht zu einem später nicht wiedergutzumachenden Schaden führt. IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 Abs. 2 enthält eine Strafschärfungsvorschrift mit zwei Regelbeispielen: 1. Mitführen einer Waffe, die bei der Tat Verwendung finden soll: dazu oben § 6317 b.

426

Delikte gegen die Staatsgewalt

2. Mit Gefahr des Todes oder schwerer Körperverletzung verbundene Gewalttätigkeit: dazu oben § 46 III 2.

V. Das Verhältnis des § 113 zu § 240 Gegenüber § 240 ist § 113 ein privilegierter Tatbestand. Dies begründet eigenartige Konsequenzen: 1. Der Schutz des Vollstreckungsbeamten ist geringer als der, den der Bürger allgemein gegen Nötigung genießt. Der Hinweis auf den "affektähnlichen Zustand" des Betroffenen in der Vollstreckungssituation kann zwar als nachträgliche Rationalisierung einer im Ergebnis weitgehend als sachgerecht empfundenen Lösung akzeptiert werden, trifft den Grund der Regelung jedoch nicht, denn diese Regelung geht auf ein Versehen des Gesetzgebers des Jahres 1943 zurück. Dazu HIRSCH Hug-Festschrift, Bd. 2, S. 236 ff.

2. Wird der Vollstreckungsbeamte nicht durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt genötigt, sondern durch Drohung mit einem anderen empfindlichen Übel, z.B. der Androhung einer Anzeige wegen einer dem Täter aus anderem Zusammenhang bekannten Straftat, so findet § 113 jedenfalls keine Anwendung. Geht man nun davon aus, § 113 sei eine abschließende Regelung des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, so wäre dieses Verhalten straffrei. S o in d e r T a t : HORN SK, § 113 R d n . 23; SCH/SCH/ESER § 113 R d n . 3, 43, 45, 68; WEBER in:

Arzt/Weber, LH 5, Rdn. 121.

Ein derart weitgehender Ausschluß der Strafbarkeit von Nötigungen ist aber weder den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, noch als vernünftige Lösung der Nötigungsproblematik in diesem Bereich anzuerkennen. Da der in § 113 geregelte Fall nicht vorliegt, greift § 240 durch, doch gebietet es die Sachlage, § 113 Abs. 3,4 und den Strafrahmen des § 113 analog anzuwenden. S o auch: BOCKELMANN B . T . / 3 , § 18 VIII; DREHER/TRÖNDLE § 113 R d n . 1; EHLEN/MEURER N J W 1974 S. 1777; HIRSCH Klug-Festschrift, Bd. 2, S. 242 f; MAURACH/SCHROEDER B . T . 2, § 7 0 1 3 .

§ 92: Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei

I. Gefangenenbefreiung, § 120 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die amtliche Verwahrungsgewalt des Staates. b) Täter kann jeder sein mit Ausnahme des Gefangenen selbst. Der Gesetzgeber hat aus kriminalpolitischen Gründen - Wirkungslosigkeit der Norm in der psychischen Situation des Gefangenen - von einer Strafbarkeit des Gefangenen als Täter des Delikts abgesehen.

2 Gefangene und gleichgestellte Personen Gefangener ist, wem in Ausübung von Polizei- oder Strafgewalt die Freiheit rechtswirksam entzogen worden ist, so daß er sich in der Gewalt der zuständigen Behörden befindet. - Die Gefangenschaft beginnt mit der Begründung des Gewahrsams und endet mit dessen faktischer Aufhebung. Maßgeblich ist die formell ordnungsgemäße

§ 92 Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei

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Ingewahrsamsnahme. Ob diese sich später als sachlich nicht gerechtfertigt erweist, ist unbeachtlich; KG JR 1980 S. 513. Beispiele: Straf- und Untersuchungsgefangene; der von einem Strafverfolgungsorgan gemäß § 127 StPO Festgenommene; der in Zwangs- oder Ordnungsbaft Befindliche; der Jugendarrestant. Nicht dagegen: Der gem. § 81 a StPO zur Blutprobe Gebrachte (BayObLG NJW 1984 S. 1192); der gem. § 127 Abs. 1 StPO von einer Privatperson Festgenommene.

Gemäß § 120 Abs. 4 steht dem Gefangenen gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird. Beispiele: Sicherungsverwahrte; nach SS 63, 64 Untergebrachte; nach § 126 a StPO einstweilig Untergebrachte; Fürsorgezöglinge.

3. Die Tathandlung Der Tatbestand enthält drei Begehungsweisen: a) Die Befreiung eines Gefangenen. - Befreiung bedeutet Aufhebung der amtlichen Gewalt über den Gefangenen trotz bestehenden Haftrechts. Besteht die amtliche Gewalt nicht - z.B. während des Urlaubs eines Gefangenen - oder wird der Haftbefehl durch Täuschung beseitigt, so liegt keine Befreiung i.S. des Gesetzes vor; dazu auch KREY Jura 1979 S. 322.

b) Das Verleiten zum Entweichen und das Fördern des Entweichens. Hier hat der Gesetzgeber zwei Begehungsformen zu einem selbständigen Delikt erhoben, die - gäbe es einen Tatbestand der strafbaren Selbstbefreiung - als Anstiftung und Beihilfe zu diesem Tatbestand strafbar wären. c) Vollendet ist die Tat in allen drei Alternativen erst, wenn der Verwahrungsgewahrsam über den Gefangenen gebrochen ist. 4. Teilnahme a) Teilnahme Dritter Teilnahme an den verschiedenen Begehungsformen des Delikts ist nach den allgemeinen Regeln möglich, doch stellt sich hier ein Abgrenzungsproblem: Da die Anstiftung eines Dritten zur Befreiung eines Gefangenen zugleich ein Fördern des Entweichens darstellt und z.B. auch die Hilfe eines Dritten beim Fördern der Gefangenenbefreiung durch einen anderen selbst wiederum Förderung dieser Gefangenenbefreiung ist, scheint hier die Anstiftung zur 1. Alternative (Befreiung) und auch die Hilfe oder Anstiftung zur 3. Alternative (Fördern) zugleich Täterschaft i.S. der 3. Alternative zu sein. - Diesen Effekt wollte der Gesetzgeber jedoch nicht erzielen. Leider ist aber eine inhaltliche Differenzierung der verschiedenen "Förderungshandlungen" kaum möglich. Es bleibt nur die formelle Abgrenzungsmöglichkeit: Die unmittelbaren Teilnahmehandlungen an der Befreiung des Gefangenen sind Täterhandlungen LS. des § 120, nur mittelbare Teilnahmehandlungen gelten auch hier bloß als Teilnahme. Vgl. auch: SCH/SCH/ESER § 120 Rdn. 12; TENCKHOFF/ARLOTH JUS 1985 S. 134. - A A . LACKNER

StGB, § 120 Anm. 5 a.

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Delikte gegen die Staatsgewalt

Zur Verdeutlichung: A gibt dem Gefangenen G während der Sprechstunde einen Nachschlüssel, mit dem dieser aus dem Gefängnis entweicht. Den Schlüssel hat B nachgemacht, der wußte, wozu A ihn verwenden wollte. A war zur Tat durch C angestiftet worden. Ergebnis: G: straffrei. - A: § 120, 3. Alternative; A hat das Entweichen des G gefordert. - B: §§ 120, 3. Alternative, 27. - C: §§ 120,3. Alternative, 26.

b) Teilnahme durch den Gefangenen selbst aa) Nach der Rechtsprechung ist eine strafbare Teilnahme des Gefangenen (Beihilfe oder Anstiftung) an seiner eigenen Befreiung möglich, es sei denn, die Teilnahme dient der gegenseitigen Selbstbefreiung. Dazu BGHSt 4 S. 400; 17 S. 369,373.

bb) Konstruktiv ist gegen dieses Ergebnis nichts einzuwenden. - Sachlich befriedigt es jedoch nicht, da die täterschaftliche Selbstbefreiung mit Rücksicht auf die psychische Situation des Gefangenen straflos gelassen worden ist. Die psychische Situation des Gefangenen ist jedoch insoweit bei der Teilnahme identisch mit der bei der Täterschaft. Daher ist es angemessen, die Teilnahme auch hier straffrei zu lassen. So auch: DEUBNER NJW 1962 S. 2260 ff; HERZBERG Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 136; KREY B.T. 1, Rdn. 533; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 7 1 II 3.

5. Strafschärfung nach Abs. 2 Abs. 2 sieht eine Strafschärfung für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete vor, die gehalten sind, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern (unechtes Amtsdelikt).

II. Gefangenenmeuterei, § 121 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Vorschrift ist die amtliche Gewalt. Diese wird gegen den Bruch eines Verwahrungsgewahrsams (Rechtsgut des § 120) und gegen die Beeinträchtigung ihrer rechtmäßigen Betätigung (Rechtsgut des § 113) geschützt. 2 Täter und Tathandlung a) Täter können nur Gefangene - dazu oben I 2 - und Sicherungsverwahrte sein (Abs. 4). Da die Eigenschaft als Gefangener oder Sicherungsverwahrter aber keine besondere Pßchtenposition kennzeichnet, sondern nur die besondere Nähe und damit Gefährlichkeit der Betroffenen für das geschützte Rechtsgut erfaßt, ist § 28 nicht anwendbar. So auch: BLAUTH "Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, 1968, S. 7 7 , 1 0 7 ; ROXIN LK, § 2 8 Rdn. 41. - A . A . DREHER/TRÖNDLE § 121 Rdn. 18.

b) Tathandlung ist das Zusammenrotten, d.h. die räumliche Vereinigung von mindestens zwei Gefangenen (BGHSt 20 S. 307), um mit vereinten Kräften, d.h. mit gegenseitiger - sei es auch nur psychischer - Unterstützung, die in Abs. 1 Nr. 1-3 beschriebenen Handlungen zu verwirklichen: Nr. 1: Nötigung oder tätlicher Angriff gegen bestimmte Personen. Nr. 2: Gewaltsamer Ausbruch, wobei Gewalt gegen Sachen (Aufbrechen von Zellentüren; Aufbrechen von Schränken, um Werkzeuge zum Ausbruch oder Zivilkleidung zu erlangen) genügt.

§ 93 Verwahrangs-, Verstrickungs- und Siegelbruch

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Nr. 3: Gewaltsames Verhelfen zum Ausbruch. Hierbei handelt es sich um einen qualifizierten Fall des § 120 (Fördern des Entweichens). c) Vollendet ist das Delikt im Falle der Nr. 1 mit Eintritt des Nötigungserfolgs, in den Fällen der Nr. 2 und Nr. 3, wenn der Ausbruch gelungen ist; BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 542. 3. Das Verhältnis der verschiedenen Begehungsweisen zueinander Die drei Alternativen sind verschiedene Tatmodalitäten eines Delikts. S o auch: LACKNER S t G B , § 121 ANM. 8; SCH/SCH/ESER § 121 R d n . 23. - A A . DREHER/TRÖNDLE

§ 121 Rdn. 20: Tateinheit.

4. Strafschärfung, Abs. 3 Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen für besonders schwere Fälle: a) Nr. 1: Mitführen einer Schußwaffe; dazu oben § 4111. b) Nr. 2: Mitführen einer Waffe, die bei der Tat verwendet werden soll; dazu oben § 63 17 b. c) Nr. 3: Mit Gefahr des Todes oder schwerer Körperverletzung verbundene Gewalttätigkeit; dazu oben § 46 III 2. § 93: Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Geschützt wird die staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen in dienstlichem (Abs. 1) oder kirchenamtlichem (Abs. 2) Verwahrungs- oder Aufbewahrungsbesitz in ihrem tatsächlichen Bestand und das Vertrauen in die staatliche Herrschaftsgewalt, nämlich das Vertrauen, daß Gegenstände, die sich kraft staatlicher Hoheitsrechte im Besitz des Staates befinden und denen der Staat seine Fürsorge in erkennbarer Weise zugewendet hat, auch ordnungsgemäß aufbewahrt werden; BGHSt 5 S. 159 f. b) Angriffsobjekt kann jede bewegliche Sache sein, insbes. neben den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Schriftstücken auch vertretbare und verbrauchbare Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind. Dienstlicher Verwahrungsbesitz, ist gegeben, wenn der Zweck der dienstlichen Verwahrung darin liegt, die Sache vor unbefugtem Zugriff zu bewahren und in ihrem Bestand in der Verfügungsgewalt des Hoheitsträgers zu erhalten, um einen über das bloße Funktionsinteresse der Behörde hinausgehenden Zweck sicherzustellen. Beispiele: Laufende oder in Staatsarchiven untergebrachte Behördenakten (BGHSt 3 S. 291); behördlich geführte Register (RGSt 67 S. 229); beschlagnahmte Gegenstände; Waren, Geldscheine u.a., die z.B. der Bahn oder Post zur Beförderung übergeben worden sind und deren Rückgabe nicht nur der Gattung nach geschuldet wird (BGHSt 18 S. 313); nach § 81 a StPO entnommene Blutprobe (BayObLG JZ 1988 S. 726).

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Delikte gegen die Staatsgewalt

Nicht in Verwahrungsbesitz sondern in bloßem Amtsbesitz befinden sich Sachen, die zum Ge- oder Verbrauch durch den Hoheitsträger bestimmt sind, zJ). sog. Überstücke von Anklageschriften, die zu Ausbildungszwecken genutzt werden sollen (OLG Köln JR 1980 S. 382 mit Anm. RUDOLPHI S. 383 f, und OTTO JUS 1980 S. 490 ff), Führerscheinformulare oder andere Blankourkunden, die von der Behörde zur Anfertigung einer Urkunde benutzt werden sollen (BGHSt 33 S. 190). - Gleiches gilt von Sachen, deren Rückgabe nur gattungsmäßig geschuldet wird, sowie Sachen, deren Aufbewahrung unmittelbar Interessen der Öffentlichkeit dient, wie z.B. Gemälde und Bücher in Museen und Bibliotheken.

c) Dienstlich, d.h. aufgrund dienstlicher Anordnung und zu dienstlichen Zwecken ist ein Gegenstand dann in Verwahrung genommen, wenn dem Empfänger dienstliche Herrschaftsgewalt übertragen wurde. 2. Die Tathandlung a) Abs. 1 Zum Zerstören und Beschädigen vgl. oben § 47 I 1 c, d. - Unbrauchbarmachen meint eine Beeinträchtigung der Sache für ihre Funktion ohne Substanzverletzung. - Der dienstlichen Verfügung entzogen ist die Sache, wenn dem dienstlich Berechtigten der Zugriff auf die Sache unmöglich ist. Eine Ortsveränderung ist dazu nicht unbedingt erforderlich. Zu einem Grenzfall des Verbergens eines Objekts im Schreibtisch vgl. BGHSt 35 S. 340 mit Anm. BRAMMSEN Jura 1989 S. 81 ff.

b) Abs. 2 Abs. 2 stellt klar, daß auch die kirchenamtliche Verwahrung vom Tatbestand erfaßt wird. 3. Qualifizierung, Abs. 3 Qualifiziert ist die Tat nach Abs. 3 für Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) und Personen i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 4, sofern ihnen die Sache aufgrund dieser besonderen Eigenschaft anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist (unechtes Amtsdelikt). - Anvertraut ah Amtsträger usw. ist dem Täter die Sache, wenn er aufgrund dienstlicher Anordnung Verfügungsmacht über sie hat und kraft seines Amtsverhältnisses verpflichtet ist, für ihre Erhaltung und Gebrauchsfähigkeit zu sorgen. II. Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschützt ist die durch formell wirksame Beschlagnahme oder Siegelung begründete staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen (bewegliche und unbewegliche). Forderungen fallen nicht unter den Schutz der Vorschrift.

Ob eine wirksame Verstrickung vorliegt, d.h. eine wirksame Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelung, richtet sich nach den Vorschriften, aufgrund derer der Akt erfolgt. - Beschlagnahme ist die zwangsweise Sicherstellung einer Sache zu behördlicher Verfügung. b) Täter kann jeder sein, auch der Amtsträger, der die staatliche Herrschaftsgewalt begründet hat, es sei denn, er kann noch über die Freigabe rechtswirksam entscheiden-, BGHSt 5 S. 161.

§ 93 Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch

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2. Die Tathandlung nach Abs. 1 (Verstrickungsbruch) Zerstören und Beschädigen: vgl. oben § 47 I 1 c, d. - Unbrauchbarmachen: oben 12.Der Verstrickung entziehen heißt die Verfügungsgewalt der Behörde dauernd oder vorübergehend beseitigen. Ein obligatorischer Vertrag über die Sache entzieht die Sache selbst der Verstrickung noch nicht. Eine nur unerhebliche Erschwerung der Pfändung ist nicht als tatbestandsmäßiger Verstrickungsbruch anzusehen; dazu OLG Hamm NJW1980 S. 2S37; OSTENDORF GA1982 S. 333 ff.

3. Die Tathandlung nach Abs. 2 (Siegelbruch) a) Angelegt ist das Siegel, wenn es mit einer Sache verbunden ist, sei es auch nur mit einer Stecknadel; BGH bei Daliinger, MDR 1952 S. 658. - Siegel ist eine von einer Behörde oder einem Amtsträger herrührende Kennzeichnung mit Beglaubigungscharakter. b) Beschädigen: vgl. oben § 47 I 1 c; Ablösen bedeutet Beseitigung der Siegels. Ein Unwirksammachen des Verschlusses liegt in der Mißachtung der mit der Siegelung gebildeten dienstlichen Sperrung, z.B. im Betreten eines Raumes, dessen Tür versiegelt ist, nach Ausheben des Fensters. 4. Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, Abs. 3 Gemäß Abs. 3 ist die Tat nicht strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig war. a) Zur dogmatischen Einordnung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung vgl. oben § 91 n 3 a. b) Bei der inhaltlichen Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung stellt die h.M. entsprechend den Überlegungen zu § 113 Abs. 3 auf den "strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff' ab; dazu oben § 91 II 3 b, aa. 5. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Tatumstände nach Abs. 1 bzw. Abs. 2 umfassen. 6. Der Irrtum des Täters a) Geht der Täter davon aus, daß die Verstrickung überhaupt nicht erfolgt oder erloschen ist, so irrt er über das Vorliegen der staatlichen Herrschaftsgewalt und handelt in einem Tatbestandsirrtum i.S. des § 16. So auch: GEPPERT Jura 1987 S. 41; LACKNER StGB, § 136 Anm. 6; NIEMEYER J Z 1976 S. 316. - A A .

D. MEYER JuS 1971S. 643 f: Verbotsirrtum.

b) Der Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ist nach § 16 Abs. 4 i. Verb, mit § 113 Abs. 4 zu bewerten; vgl. dazu oben § 91IV. 7. Konkurrenzen Zwischen § 136 Abs. 1 und Abs. 2 ist Idealkonkurrenz möglich. D a z u DREHER/TRÖNDLE § 136 R d n . 12; KREY B.T. 1, R d n . 551; LACKNER StGB, § 136 A n m . 7. -

A.A. BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 129; RUDOLPHISK, § 136 Rdn. 31; SCHMIDHÄUSER B.T., 22/16: Subsidiarität.

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Delikte gegen die Staatsgewalt

Dient die Entfernung des Siegels aber nur der Verdeckung eines Verstrickungsbruchs, so konsumiert Abs. 1 den Abs. 2. Dazu D. MEYER Jus 1971S. 646.

III. Zur Einübung Fall: Durch Vorlage eines gefälschten Schuldscheins über eine Schuld von DM 1000,- hat B ein vollstreckbares Urteil gegen den Rechtsreferendar A erwirkt. B betreibt die Vollstreckung aus diesem Urteil. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt A seine Schmucksachen im Keller. Als der Gerichtsvollzieher nunmehr weiter nichts findet, pfändet er die juristische Bibliothek des A. Sobald der Gerichtsvollzieher gegangen ist, entfernt A die Pfandmarken und verkauft die Bücher, damit B sie nicht versteigern lassen kann. Hat A sich strafbar gemacht? Lösungsskizze 1. Vergraben des Schmuckes: a) Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288: liegt nicht vor. - Dem A droht die Zwangsvollstreckung, doch B ist nicht Gläubiger i.S. des § 288, da er keinen materiell-rechtlich wirksamen Anspruch gegen A hat. b) Betrug, § 263: entfällt, da es auf jeden Fall an einem Schaden des B fehlt. 2. Entfernen der Marken a) § 136 Abs. 2: liegt vor. Pfändungsmarke war dienstliches Siegel, das angelegt war, um die Bücher in Beschlag zu nehmen (Pfändung). Das Siegel hat A abgelöst. Er handelte bewußt und gewollt. § 136 Abs. 3 schließt die Rechtswidrigkeit nicht aus: Zwar waren die Bücher unpfändbar (§ 811 Nr. 10 ZPO), damit war die Pfändung anfechtbar, aber nicht nichtig. b) Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1: entfällt, da dem A die Absicht fehlt, den B zu schädigen. c) Sachbeschädigung, § 303: Tatbestand liegt vor, doch § 136 lex specialis. d) Verwahrungsbruch, § 133: entfällt, da Gerichtsvollzieher die Bücher nicht in Besitz genommen hat. e) Pfandkehr, § 289: entfällt; nach h.M. fällt das Pfändungspfandrecht nicht unter § 289, doch kann dies dahinstehen, da § 289 das Bestehen eines wirksamen materiellen Anspruchs, auf dem das Pfandrecht beruht, voraussetzt. 3. Verkauf der Bücher: a) Betrug, § 263: entfällt. Durch Vertragsschluß noch kein Schaden, im übrigen würde der gutgläubige Käufer lastenfrei erwerben. b) § 136 Abs. 1: entfällt, da der Verkauf allein die Sache der Verstrickung noch nicht entzieht. 4. Ergebnis: A ist strafbar gemäß § 136 Abs. 2.

Dritter Abschnitt Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen § 94: Gefährdung öffentlicher Interessen 1. Verletzung des Dienstgeheimnisses, § 353 b Geschützt werden wichtige öffentliche Interessen vor Gefährdungen durch Verletzung der Amtsverschwiegenheit oder besonders auferlegter Geheimhaltungspflichten. Damit kommen nur solche Geheimnisse in Betracht, die sich nach Inhalt und Gegenstand auf wichtige öffentliche Interessen beziehen. Daß durch Verletzung der Verschwiegenheitspflicht das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung erschüttert wird, genügt nicht. Vgl. ARZT in: A r z t / W e b e r , L H 5, Rdn. 507; SCH/SCH/LENCKNER § 353 b R d n . 1, 6; SCHUMANN

NStZ 1985 S. 170. - AA. OLG Düsseldorf NStZ 1985 S. 169; 1989 S. 324; OLG Köln NJW1988 S. 2489; DREHER/TRÖNDLB § 353 b Rdn. 1.

a) Abs. 1 aa) Täter können nur Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2), für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§11 Abs. 1 Nr. 4), Personen mit Aufgaben im Personalvertretungsrecht und gemäß § 48 Abs. 1, 2 WStG Soldaten sein. - Die Tat ist ein echtes Amtsdelikt. bb) Dienstgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zugänglich sind und ihrer Natur nach oder aufgrund einer Rechtsvorschrift oder besonderen Anordnung der Geheimhaltung bedürfen. Beispiele: Prüfungsaufgaben (RGSt 74 S. 110; BGHSt 11 S. 401); dienstliche Beurteilungen (BGHSt 10 S. 108); Ermittlungsverfahren (BGHSt 10 S. 276); polizeiliche Erkenntnisse (OLG Köln NJW 1988 S. 2489; OLG Düsseldorf NStZ 1989 S. 324); Codewort für Halterabfragen beim Kraftfahrtbundesamt (OLG Zweibrücken NStZ 1990 S. 495).

cc) Tathandlung ist das Offenbaren eines Geheimnisses, das dem Täter im inneren Zusammenhang mit der Ausübung seines Dienstes bekannt geworden ist. - Zum Offenbaren vgl. oben § 34 III 2 a. Die Offenbarung muß eine konkrete Gefahr für öffentliche Interessen begründet haben; dazu OLG Düsseldorf NJW 1982 S. 2883. dd) Subjektive Voraussetzungen: Bestraft wird die vorsätzliche Offenbarung und vorsätzliche Gefahrdung gemäß Abs. 1 S. 1 und die vorsätzliche Offenbarung, die mit einer fahrlässigen Gefährdung verbunden ist, gemäß Abs. 1 S. 2. ee) Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i.S. von rechtswidrig. Unbefugt ist die Offenbarung, die nicht gerechtfertigt ist. Eine Rechtfertigung kann sich z.B. aus § 61 BBG, § 54 StPO, § 376 StPO, § 28 Abs. 2 BVerfGG ergeben. Die Einwilligung des Betroffenen in die Offenbarung eines Privatgeheimnisses rechtfertigt die Tat, selbst wenn öffentliche Interessen verletzt werden, da der Tatbestand nur die öffentlichen Interessen gegen Verletzung durch unbefugte Offenbarung eines Geheimnisses schützt, jedoch die Verfugung über das Geheimnis nicht beschränkt. A A . h.M. vgl. z.B. LACKNER StGB, § 353 b Anm. 7; SCH/SCH/LENCKNER § 353 b Rdn. 21.

ff) Strafverfolgungsvoraussetzung ist die Ermächtigung der zuständigen Behörde, Abs. 4.

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Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen

b) Abs. 2 aa) Täter können nur besonders verpflichtete Personen nach Nr. 1 und 2 sein. Die Verpflichtung bedarf einer außerstrafrechtlichen Rechtsgundlage oder der Vereinbarung zwischen den Beteiligten. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt. Die Tathandhutg nach Abs. 2 setzt Gegenstände und Nachrichten voraus, das sind alle tatsächlichen Vorgänge und Zustände, alle körperlichen Gegenstände und alle gedanklichen Sachverhalte sowie Nachrichten darüber, zu deren Geheimhaltung der Täter verpflichtet ist. bb) Zum Begriff: an einen anderen gelangen lassen vgl. oben § 85 III 1 a. - Zur öffentlichen Bekanntmachung vgl. oben § 89 I 2 a. Auch hier muß die Tathandlung zu einer konkreten Gefahr für wichtige öffentliche Interessen geführt haben, cc) Strafbar ist nur die vorsätzliche Tatbegehung, dd) Zum Merkmal unbefugt vgl. oben a, ee. ee) Strafverfolgungsvoraussetzung ist die Ermächtigung der zuständigen Behörde, Abs. 4. 2 Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst, § 353 a Die Vorschrift, die diplomatischen Ungehorsam und diplomatische Falschberichte strafrechtlich erfaßt, ist systematisch nur schwer anderen Bestimmungen zuzuordnen. Die Weite des Begriffs "wichtige öffentliche Interessen" ermöglicht ihre Einordnung an dieser Stelle, denn durch die Tathandlung können durchaus wichtige öffentliche Interessen der Bundesrepublik im diplomatischen Verkehr gefährdet werden. a) Täter kann nur ein diplomatischer Vertreter der Bundesrepublik Deutschland sein. b) Der Falschbericht muß Tatsachen betreffen. c) Die Tat erfordert Vorsatz. Dieser muß beim Falschbericht mit der Absicht (zielgerichtetes Wollen) der Irreleitung verbunden sein.

Vierter Abschnitt Delikte gegen die Rechtspflege § 95: Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Funktionsßhigkeit der inländischen staatlichen Rechtspflege; daß daneben auch Interessen des unmittelbar Betroffenen geschützt werden, ändert die Schutzrichtung des Delikts nicht. So auch: GEBRDS Jura 1985 S. 617 f; LANGER Die falsche Verdächtigung, 1973, S. 64 f; RUDOLPHI SK, § 164 Rdn. 1. - Für den Schutz der staatlichen Rechtspflege sowie des Einzelnen gegen unbegründete Zwangsmaßnahmen: BGHSt 9 S. 240; GEILEN Jura 1984 S. 251; HERDEGEN LK, § 164 Rdn. 1 f; LACKNER StGB, § 164 Anm. 1. - Allein für den Schutz des individuellen Interesses: HIRSCH SchröderGedächtnisschrift, S. 307 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 6/6; VORMBAUM Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 449 f.

2. Einzelheiten des Tatbestandes a) Abs. 1 Der Tatbestand des Abs. 1 setzt voraus, daß jemand einen bestimmten anderen bei einer Behörde (dazu § 11 Abs. 1 Nr. 7), einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger (Polizeibeamter, Staatsanwalt), einem militärischen Vorgesetzten oder öffentlich (dazu oben § 62, 2) einer rechtswidrigen Tat oder einer Dienstpflichtverletzung verdächtigt. Die Person, die verdächtigt wird, muß so weit bestimmt sein, daß ihre Identifizierung möglich ist. Anzeige gegen Unbekannt, Hinweis auf den "großen Unbekannten" usw. genügen nicht. Verdächtigen heißt, einen Verdacht gegen eine bestimmte Person begründen, auf diese umlenken oder einen bestehenden Verdacht verstärken, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffung bestimmter Indizien. Weiß z.B. der leugnende Täter, daß durch sein Leugnen automatisch Verdacht auf einen anderen fällt - nach einem Unfall mit einem Kfz werden A und B angetrunken am Tatort gestellt, A leugnet, das Fahrzeug gefahren zu haben -, so liegt noch keine Verdächtigung vor. Daß aufgrund eines Leugnens auf die Täterschaft eines anderen geschlossen wird, verpflichtet den Leugnenden nicht, die Wahrheit zu gestehen. - Die Behauptung im Prozeß, ein Zeuge sage falsch aus, geht jedoch über den straflosen Rahmen hinaus. A A . BayObLG J Z 1985 S. 753 mit Anm. FAHRENHORST JuS 1987 S. 707 f, GEPPERT JK, StGB § 1 6 4 / 1 , KELLER J R 1986 S. 30 f, LANGER J Z 1987 S. 8 0 4 ff.

Rechtswidrige Tat in diesem Sinne ist nur eine strafbare, verfolgbare Tat. Dies folgt aus dem Sinn des Tatbestandes, die Rechtspflege vor unnützer Inanspruchnahme zu schützen. Die Schilderung eines Sachverhalts, der nicht zur Einleitung eines behördlichen Verfahrens geeignet ist - mit der Straftat wird z.B. zugleich ein entschuldigender Sachverhalt geschildert -, wird vom Tatbestand nicht erfaßt. Dazu GEILEN Jura 1984 S. 257; LANGER Verdächtigung, S. 16.

Aus dem gleichen Grunde muß die Verletzung der Dienstpflicht disziplinarisch ahndbar sein.

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Delikte gegen die Rechtspflege

Die Verdächtigung muß unwahr sein. Entscheidend ist, ob die vom Täter behaupteten Tatsachen oder Verdachtsgründe der Realität entsprechen. Dabei kommt es auf den Kern der Verdächtigung an. Bloßes Ausschmücken des wahren Kerns ist noch nicht tatbestandsmäßig, wohl aber das unwahre Vorbringen qualifizierender Merkmale o.ä. Der Kern der Verdächtigung ist auch dann unwahr, wenn die behaupteten Tatsachen wahr sind, der Täter jedoch weiß, daß der Verdacht, auf den sie hinweisen, unbegründet ist, so z.B. wenn A, der das Haus der B angesteckt hat, bei der Polizei wahrheitsgemäß erzählt, der X habe vor einigen Tagen geäußert, dem B gehöre der rote Hahn aufs Dach gesetzt.

Ob sich der Verdacht später als richtig erweist, ist irrelevant, wenn der Täter falsche Behauptungen aufgestellt oder falsche Indizien begründet hat. Die Tat kann sich daher gegen einen Unschuldigen oder auch gegen einen Schuldigen, der mit falschen Angaben verdächtigt wird, richten. So u.a. auch: GEERDS Jura 1985 S. 620; GEILEN Jura 1984 S. 302 f; LACKNER StGB, § 164 Anm. 4; LANGER G A 1987 S. 302; SCHMIDHÄUSER B.T., 6 / 8 ; SCH/SCH/LENCKNER § 164 R d n . 16, 30. - A A

BGHSt 35 S. 50 mit abl. Anm. DEUTSCHER JuS 1988 S. 526 ff, FEZER NStZ 1988 S. 177 f; DREHER/ TRÖNDLE § 164 R d n . 6; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 9 7 I 6; SCHILLING G A 1984 S. 371 f; DERS.

Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 595 ff.

Subjektiv ist erforderlich, daß der Täter die Unwahrheit der Verdächtigung positiv kennt (wider besseres Wissen) und die Absicht (direkter Vorsatz genügt) hat, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Verdächtigen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. b) Abs. 2 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf das Aufstellen von Behauptungen tatsächlicher Art, die geeignet sind, ein behördliches Verfahren oder eine andere behördliche Maßnahme gegen den Verdächtigten herbeizuführen. Beispiele: Sicherungsverfahren; Bußgeldverfahren; Verfahren zur Entziehung der Fahr- oder Gewerbeerlaubnis oder des Sorgerechts.

c) Tatvollendung und Rücktritt Vollendet ist die Tat, wenn die Verdächtigung der Behörde oder Stelle zugegangen oder wenn die Vernehmung, in der die Verdächtigung geäußert wurde, abgeschlossen ist. Eine spätere Berichtigung ist kein Rücktritt i.S. des § 24, da das Delikt vollendet ist. Ist aber die behördliche Maßnahme noch nicht eingeleitet worden, so kommt eine analoge Anwendung des § 158 in Betracht. So auch: LACKNER StGB, § 164 Anm. 6; SCH/SCH/LENCKNER § 164 Rdn. 35. - AA. RUDOLPHISK, § 164 Rdn. 36.

d) Abs. 1 ist gegenüber Abs. 2 lex specialis.

II. Vortäuschen einer Straftat, § 145 d 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt die Rechtspflege (Abs. 1, 2 Nr. 1) und die präventiv polizeilich tätigen Organe des Staates (Abs. 1, 2 Nr. 2) gegen unberechtigte Inanspruchnahme des inländischen staatlichen Verfolgungsapparates. Dazu BGH NStZ 1984 S. 360; OLG Düsseldorf JR 1983 S. 75 mit Anm. BOTTKE S. 76.

§ 95 Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat

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2. Die Tathandlung a) Gemäß Abs. 1 wird bestraft, wer einer Behörde oder einer zu Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht, daß eine rechtswidrige Tat begangen worden ist (Nr. 1) oder die Verwirklichung einer der in 8 126 Abs. 1 genannten Taten bevorstehe (Nr. 2). Als zuständige Stellen ohne Behördencharakter sind - soweit man hier nicht schon eine Behörde annimmt - die einzelnen nach § 158 StPO zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten anzusehen, im übrigen kommen parlamentarische Untersuchungsausschüsse als derartige Stellen in Betracht. Nach dem Gesetzeswortlaut - "rechtswidrige Tat* - genügt eine tatbestandsmäßig rechtswidrige Tat (auch Versuch und Teilnahme). Der Tatbestand ist aber restriktiv auszulegen. Daher entfällt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens, wenn der Täter einen Sachverhalt vortäuscht, der keine Tätigkeit des Rechtspflegeorgans auslöst, z.B. Vortäuschung einer Tat im entschuldigenden Notstand.

aa) Vortäuschen ist das Erregen oder Verstärken eines Verdachts, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffen einer verdachtserregenden Beweislage. Der Verdacht muß falsch sein. Erweist er sich hinterher als richtig, so ist - im Gegensatz zu § 164 - der Tatbestand auch dann nicht erfüllt, wenn der Täter zum Beweis der Tat unrichtige Behauptungen aufgestellt hat, weil die Inanspruchnahme der Behörde nicht überflüssig war. - Maßgeblich ist, daß eine rechtswidrige Tat begangen worden ist. Täuschungen des Täters über den Verwirklichungsgrad der Tat, z.B. Vollendung statt Versuch (OLG Hamm NStZ 1987 S. 558), die Art der Tat - z.B. Verbrechen statt Vergehen (A.A. KRÜMPELMANN ZStW 96 (1984) S. 1021 ff) - oder den Umfang des Schadens der Tat (BayObLG NJW 1988 S. 83) sind irrelevant. Daß der Täter sich selbst als Täter der rechtswidrigen Tat bezichtigt, steht seiner Strafbarkeit nicht entgegen. Geht die Täuschung des Täters aber dahin, eine wirklich begangene Tat zu vertuschen, d.h. darüber zu täuschen, daß gar keine Tat begangen worden ist, so liegt nach Sinn und Zweck des § 145 d der Tatbestand nicht vor. Dieser Täter will der Rechtspflege Arbeit ersparen, sie aber nicht unnötig belasten! Daher handelt nicht tatbestandsmäßig, wer über den Täter täuscht, wenn die Tat in der Person des angeblichen Täters keine Straftat wäre; BGHSt 19 S. 305; OLG Celle JR 1 9 8 1 S. 3 4 m i t A n m . GEERDS S. 3 5 ff.

bb) Der subjektive Tatbestand verlangt ein Handeln wider besseres Wissen, d.h. mit dolus directus bzgl. des täuschenden Verhaltens. b) Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit aus auf Täter, die die in Abs. 1 bezeichneten Stellen über die Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat oder an einer bevorstehenden Tat gemäß § 126 Abs. 1 zu täuschen suchen. Eine Täuschung liegt vor, wenn der Tatverdacht auf Unbeteiligte gelenkt werden soll. Eine Strafanzeige gegen Unbekannt genügt daher; BGHSt 6 S. 255. - Bloßes Leugnen, die Tat selbst nicht begangen zu haben, genügt aber nicht, selbst dann nicht, wenn dadurch der Verdacht auf einen anderen fällt, der aber nicht vom Täter benannt worden ist, sonst würde der Täter mit einer dem deutschen Strafprozeß fremden Wahrheitspflicht belastet werden. aa) Auch die bloße Entlastung des wirklichen Täters oder die Ablenkung des Tatverdachts von einem Tatbeteiligten, z.B. durch ein falsches Alibi, erfüllt den Tatbestand, denn im Gegensatz zu Abs. 1, wo beim Fehlen einer rechtswidrigen Tat keine weiteren Ermittlungen nötig werden, macht ein derartiges Verhalten dann, wenn

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Delikte gegen die Rechtspflege

feststeht, daß die Tat begangen worden ist, den Strafverfolgungsbehörden erhebliche, unnütze Arbeit. S o auch: DREHER/TRÖNDLE § 145 d Rdn. 7; LACKNER StGB, § 145 d Anm. 3 c, WLLLMS LK, $ 145 d

Rdn. 16. - A A . BayObLG JR 1985 S. 294 mit abL Anm. KÜHL S. 296 ff, OTTO JK, StGB § 145 d/3; KG JR 1989 S. 26; ESER m , Nr. 16 A 17 f; STREE Lackner-Festschrift, S. 527 ff.

bb) Streitig ist, ob in Fällen der Nr. 2 die Tat wirklich begangen worden sein muß oder ob es genügt, daß der Täter aufgrund eines Irrtums davon ausgeht, daß eine Tat begangen worden ist. Die h.M. läßt es unter Berufung auf den Zweck der Vorschrift - Ersparnis unnützer Aufklärungsarbeit - genügen, daß der Täter beim Vorliegen konkreter Verdachtsgründe die Tatbegehung irrig annimmt. - Das erscheint nicht überzeugend, denn solange noch zu klären ist, ob überhaupt eine Tat vorliegt, erscheint dieses Verhalten nur strafwürdig, soweit Abs. 1 erfüllt ist. Weiß die Behörde überdies im Gegensatz zum Täter, daß keine rechtswidrige Tat begangen worden ist oder eine Tat i.S. des § 126 Abs. 1 nicht geplant ist, so bewirkt die Anzeige keine Mehrarbeit. So auch: OLG Hamburg MDR 1949 S. 309 mit Anm. HÜNEMÖRDER S. 309 f; OLG Frankfurt NJW 1975 S. 1896; DREHER/TRÖNDLE § 145 d Rdn. 7; ScHMIDHÄUSER B.T., 2 3 / 5 . - A A . O L G H a m m NJW 1963 S. 2138 mit Anm. MORNER NJW 1964 S. 310; LACKNER StGB, § 145 d Anm. 3 c; MAURACH/ SCHROEDER B.T. 2, § 9 7 1 6 ; SCH/SCH/STREE § 145 d Rdn. 13.

cc) Der subjektive Tatbestand fordert Handeln wider besseres Wissen, d.h. mit dolus directus bzgl. des vortäuschenden Verhaltens; im übrigen genügt dolus eventualis. 3. Selbst- oder Angehörigenbegünstigungsabsicht Im Rahmen des § 258, der im Regelfall durch unwahre Angaben gegenüber der Polizei begangen wird, hat der Gesetzgeber der persönlichen Situation des Täters durch die Strafausschließungsgründe der Selbst- und Angehörigenbegünstigung, § 258 Abs. 5, 6, Rechnung getragen. Eine vergleichbare Situation ist bei der Vortäuschung einer Straftat nicht gegeben. Die Absicht, sich oder einen Angehörigen der Strafe zu entziehen, steht einer Bestrafung nach § 145 d nicht entgegen. Die Subsidiaritätsklausel wird nur wirksam, wenn der Täter wirklich aus dem schwereren Delikt bestraft wird. Scheitert eine Bestrafung nach § 258 z.B. an § 258 Abs. 6, so greift die Subsidiaritätsklausel nicht durch. Vgl. dazu BayObLG NJW 1978 S. 2563 mit zust. Anm. STREE JR 1979 S. 253 ff, RUDOLPHI JuS 1979 S. 859,862; BayObLG JR 1985 S. 294; OLG Celle JR 1981S. 34 mit Anm. GEERDS S. 35 ff.

4. Tatvollendung Vollendet ist die Tat, wenn die Behörde oder zuständige Stelle von der Tat Kenntnis erlangt hat.

§ 96: Strafvereitelung I. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt Geschützt ist die staatliche Rechtspflege, und zwar in ihrem Anspruch auf Durchsetzung der gesetzmäßigen Strafen und Maßregeln. Vgl. LENCKNER Schröder-Gedächtnisschrift, S. 344. - A A . AMELUNG JR 1978 S. 231: die durch die Vortat verletzten Rechtsgüter.

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II. Der Grundtatbestand, § 258 Das Gesetz unterscheidet zwischen der Verfolgungsvereitelung (Abs. 1) und der Vollstreckungsvereitelung (Abs. 2). 1. Die Verfolgungsvereitelung, § 258Abs. 1 Den objektiven Tatbestand erfüllt, wer ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat (§11 Abs. 1 Nr. 5) bestraft oder einer Maßnahme (§11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird. a) Voraussetzung der Tat ist demnach eine Vortat, aus der ein staatlicher Strafoder Maßnahmeanspruch erwachsen ist Das bedeutet: Bei der Vereitelung einer Bestrafung ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte Tat Voraussetzung, deren Verfolgung kein persönlicher Strafaufhebungs-, Strafausschließungsgrund oder ein Verfolgungshindernis entgegenstehen darf. Das Vorliegen der Vortat ist von dem erkennenden Gericht in eigener Verantwortung zu prüfen. b) Vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der staatliche Zugriff rechtswidrig infolge der Handlung für geraume Zeit nicht verwirklicht worden ist. Beispiele: Verstecken des Täters; Vernichten von Beweismitteln; Beiseiteschaffen von Ermittlungsakten; Fluchthilfe; falsche Aussagen, die das Verfahren beeinflussen.

aa) Das erfordert den Nachweis, daß der Strafanspruch ohne das Täterverhalten zumindest früher verwirklicht worden wäre. - Die Zeitspanne selbst ist streitig, doch geht es zu weit, jede zeitliche Verzögerung schon als kriminelle Deliktsvollendung einzuordnen. Als Richtwert erscheint eine Frist von einer Woche angemessen. Dazu einerseits: BGH NJW 1959 S. 495 (sechs Tage genügen nicht); OLG Stuttgart NJW 1976 S. 2084 (zehn Tage sind ausreichend). - Enger: LENCKNER Schröder-Gedächtnisschrift, S. 342 ff; R U D O L P H I J U S 1979 S. 860 ff (jede zeitliche Verzögerung). - Weiter: S A M S O N J A 1982 S. 181 ff (bei zeitlicher Verzögerung nur Versuch).

bb) Durch die Tathandlung selbst muß die Möglichkeit der Verwirklichung des Strafanspruchs verschlechtert worden sein. Bloße Ratschläge u.ä., wie der Täter sich dem Strafanspruch entziehen soll, sind lediglich straflose Teilnahmehandlungen an einer Selbstbegünstigung des Vortäters. Dazu LENCKNER Schröder-Gedächtnisschrift, S. 352ff;DERS. JR 1977 S. 75; R U D O L P H I KleinknechtFestschrift, S. 389 ff.

cc) Sozialadäquate Verhaltensweisen sind nicht tatbestandsmäßig, da sie nicht auf rechtswidrige Beeinträchtigung des staatlichen Strafanspruchs abzielen. Zusammenwohnen mit einem flüchtigen Straftäter (BGH NJW 1984 S. 135), Gewährung von Arbeit und Wohnung sind daher nur dann Vereitelungshandlungen, wenn ihnen durch die Ausgestaltung im einzelnen der Charakter der Versteckgewährung zukommt; dazu OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1569 mit Anm. FRISCH JuS 1 9 8 3 S. 9 1 5 ff; OLG Koblenz NJW 1 9 8 2 S. 2 7 8 5 mit Anm. FRISCH NJW 1 9 8 3 S . 2 4 7 1 ff; KÜPPER G A 1 9 8 7 S . 3 8 5 ff.

dd) Macht der Täter von einem eigenen Recht Gebrauch, oder wendet sein Verteidiger prozeßrechtlich zulässige Mittel an, um den Täter der Strafe zu entziehen, so liegt gleichfalls keine Vereitelungshandlung i.S. des Tatbestandes vor. Nicht prozeßrechtsgemäßes Verteidigerhandeln, insbes. täuschende Maßnahmen, können hingegen den Tatbestand erfüllen.

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Delikte gegen die Rechtspflege

Tatbestandsmäfiig z.B.: Erwirken falscher Zeugenaussage (dazu BGH NJW 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE NStZ 1983 S. 304 f, BOTTKE JR 1984 S. 300 ff); Erschleichung von Informationen durch Täuschen (BGH NStZ 1983 S. 556 mit Anm. MEHLE S. 557 B). Nicht tatbestandsmüßig: Rat des Verteidigers, vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen (BGHSt 10 S. 393 mit Anm. ACKERMANN MDR 1958 S. 49 f) oder keine Angaben zu machen (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 970); prozessual zulässige Informationen des Mandanten aus Akten (BGH NJW 1980 S. 64 mit Anm. GlEMULLA JA 1980 S. 253 f); Information anderer Verteidiger (OLG Frankfurt NStZ 1981S. 144 mit Anm. SEIER JuS 1981S. 806 ff); Stellung eines Beweisantrags zu spätem Zeitpunkt (OLG Düsseldorf JZ1986 S. 408). Im einzelnen: BEULKE Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989; KREKELER NStZ 1989 S. 146 ff; MÜLLER-DIETZ J u r a 1979 S. 242 ff; OSSENDORF J Z 1989 S. 578 f; OTTO J u r a 1987 S. 329 ff; PFEIFFER

DRiZ 1984 S. 341 ff.

Vereiteln kann auch durch Unterlassen erfolgen, soweit der Unterlassende der Rechtspflege gegenüber eine Garantenpflicht zum Handeln hat. c) Teilweise vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der Täter besser gestellt wird, als es der materiellen Rechtslage entspricht, z.B. wenn die Strafschärfung aus einem Erschwerungsgrund verhindert wird, wenn nur wegen Beihilfe statt Täterschaft bestraft oder wenn der erlangte Gewinn nur teilweise eingezogen werden kann. d) Subjektiv muß der Täter die Besserstellung erstrebt oder doch als sichere Folge seines Verhaltens erkannt haben. Hinsichtlich der Vortat genügt bedingter Vorsatz. e) Versuch und Vollendung aa) Versucht ist die Straftat, wenn der Täter nach seinem Vorstellungsbild vom Sachverhalt unmittelbar zur Vereitelung, z.B. zur Täuschung des Rechtspflegeorgans ansetzt. Dies ist noch nicht der Fall, wenn eine falsche Aussage versprochen (OLG Hamburg NJW 1981 S. 771 mit Anm. RUDOLPHI JR 1981 S. 160 ff), verabredet (BGHSt 31 S. 10 mit Anm. BEULKE NStZ 1982 S. 330 f; OLG Bremen JR 1981 S. 474 mit Anm. MÜLLER-DIETZ S. 475 ff; LENCKNER NStZ 1982 S. 401 ff; OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 84) oder wenn der Zeuge zu einer falschen Aussage aufgefordert wird (KG JR 1984 S. 250). Leider hält der BGH diese Abgrenzung nicht durch, wenn es nicht um eine Bestrafung wegen Strafvereitelung geht, sondern um prozessuale Konsequenzen aus rechtswidrigem Verteidigerhandeln. In diesem Zusammenhang wird bereits der Versuch der Strafvereitelung im Einwirken auf den Zeugen (BGH NJW 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE NStZ 1983 S. 504 f) und in der Benennung eines präparierten Zeugen (BGH StV 1987 S. 195) gesehen. Auffallend ist, daß der BGH in diesen Entscheidungen nicht von der konkreten Gefährdung des Rechtsguts vom Vorstellungsbild des Täters her argumentiert, sondern sich mit dem Hinweis begnügt, der Täter habe seinerseits alles Erforderliche getan, um den Erfolg herbeizuführen.

bb) Hält der Täter ein nicht strafbares Verhalten für eine rechtswidrige Vortat, so liegt nur ein Wahnverbrechen vor. Vgl. BayObLG NJW 1981S. 772 mit Anm. STREE JR 1981S. 297 ff.

cc) Vollendet ist die Tat mit Eintritt des Vereitelungserfolges. 2. Vollstreckungsvereitelung, § 258Abs. 2 a) Bestraft wird das Vereiteln der Vollstreckung einer rechtskräftig gegen einen anderen verhängten und mindestens zum Teil noch nicht vollstreckten Strafe oder Maßnahme. - Ob die rechtskräftige Verurteilung materiell zu Recht erfolgt ist, hat das Gericht nicht zu prüfen. Beispiele: Gefangenenbefreiung; Beiseiteschaffen von Vollstreckungsakten; Verbüßung der Freiheitsstrafe für einen anderen.

§ 96 Strafvereitelung

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Bei der Zahlung einer Geldstrafe durch einen anderen soll nach h.M. eine Vereitelung vorliegen, gleichgültig, ob die Zahlung unmittelbar durch den Dritten erfolgt (so z.B. OLG Frankfurt StV 1990 S. 112 mit abl. Anm. NOACK S. 113 f, und OTTO JK 90, StGB § 258/6; HILLENKAMP Lackner-Festschrift, S. 466; KREY B.T. 1, Rdn. 620 ff; LACKNER StGB, 8 258 Anm. 2 c; MÜLLER-DIETZ Jura 1979 S. 246;

RUB LK, § 258 Rdn. 24) oder der Dritte dem Verurteilten das Geld zur Zahlung schenkt (hier auch AA. MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, S 1 0 0 II; WESSELS B.T.-l, § 16 M 3).

Dem kann nicht gefolgt werden. Voraussetzung der Beitreibung, d.h. der Vollstreckung einer Geldstrafe, ist, daß der Verurteilte die Strafe nicht zahlt oder nicht zahlen kann. Zahlt der Verurteilte fristgerecht, so fehlt es an der nötigen Voraussetzung einer zulässigen Vollstreckung. Erst wenn die Voraussetzungen für eine Beitreibung gegeben sind, liegt daher überhaupt eine Vollstreckungssituation vor. Vollstreckungsvereitelung hinsichtlich einer Geldstrafe ist demgemäß die Ver- oder Behinderung des Beitreibens der Geldstrafe. Keineswegs ist es gerechtfertigt Vollstreckung hier umfassender als Realisierung des gerichtlich verhängten Strafübels zu verstehen. Vgl. auch BGH 2 StR 439/90 v. 7.11.1990; ARZT in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 379; ENGELS Jura 1981 S. 581; SAMSON SK, § 258 R d n . 35; SCHMIDHÄUSER B.T., 23/36.

b) Zum subjektiven Tatbestand vgl. oben 1 d. 3. Strafvereitelung zu eigenen Gunsten, Abs. 5 a) Wer als Täter einen gegen ihn selbst gerichteten Strafanspruch vereitelt, erfüllt nicht den Tatbestand der Abs. 1,2:"... daß ein anderer...". b) Daß aber auch deijenige, der Dritte zur Vereitelung eines gegen ihn gerichteten Strafanspruchs anstiftet oder ihnen bei der Tat Beihilfe leistet, straffrei bleibt, stellt Abs. 5 klar. c) Straffrei bleibt nur die Strafvereitelung als solche, nicht aber eine damit zusammenfallende Straftat, wie z.B. ein Betrug, eine Anstiftung zum Meineid o.ä. 4. Straf vereitelung zugunsten eines Angehörigen, Abs. 6 Straffrei bleibt auch die Strafvereitelung, die der Täter ausschließlich oder doch zugleich zugunsten eines Angehörigen begeht, Abs. 6. Kenntnis der Angehörigeneigenschaft ist nicht erforderlich, es kommt allein auf die objektive Lage an. So auch: RUß LK, § 258 Rdn. 37. - A A . LACKNER StGB, § 258 Anm. 8; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 98 II 6; STREE J u S 1976 S. 141; WARDA J u r a 1979 S. 292.

III. Strafvereitelung im Amt, § 258 a 1. Die Vorschrift ist gegenüber § 258 ein durch die besondere Tätereigenschaft qualifizierter Tatbestand. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die besondere Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 2. Täter kann nur ein Amtsträger sein, der zur Mitwirkung bei dem Straf- oder Anordnungsverfahren oder zur Mitwirkung bei der Vollstreckung der Strafe oder Maßnahme berufen ist. T&ter können z.B. sein: Richter; Staatsanwälte; Polizeibeamte; Geschäftsstellenbeamte der Gerichte; Bahnpolizeibeamte usw. Die Tathandlung wird oft in einem Unterlassen, z.B. Nichtweiterleiten einer Anzeige, Nichtbearbeitung einer Akteo.ä. liegen. Bei privaten Kenntnissen des Amtsträgers von der Vortat besteht nur bei schweren, die Öffentlichkeit besonders berührenden Straftaten eine Pflicht zur weiteren Verfolgung der Angelegenheit. So z.B. BGHSt 5 S. 225; 12 S. 277; BGH NStZ 1989 S. 223; OLG Karlsruhe NStZ 1988 S. 503; OLG Köln NJW 1981 S. 1794; BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986,

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Delikte gegen die Rechtspflege

S. 194 f; LACKNER StGB, § 258 a Anm. 3 b. - A A KRAUSE JZ1984 S. 548 ff; WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 294: Keine Verfolgungspflicht.

3. Das Angehörigenprivileg, § 258 Abs. 6, gilt im Rahmen des § 258 a nicht, wohl aber das Selbstbegünstigungsprivileg des § 258 Abs. 5.

IV. Sabotage gerichtlicher Entscheidungen Sachlich in die Nähe der Strafvereitelung gehören die Fälle der Sabotage gerichtlicher Entscheidungen, die die Wirksamkeit gerichtlich angeordneter Maßnahmen gefährden. 1. Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht, § 145 a Bestraft wird als echtes Sonderdelikt der Verstoß gegen Weisungen gemäß § 68 b Abs. 1, wenn sich aus dem Verstoß gegen die Weisung in Verbindung mit dem Gesamtverhalten des Verurteilten die Wahrscheinlichkeit ergibt, daß er sich nicht mehr zu einer die Strafgesetze respektierenden Lebensführung motivieren läßt. - Die Tätereigenschaft kennzeichnet die Rechtsgutsbezogenheit der Tatsituation, nicht jedoch eine besondere Pflichtenposition. Sie ist daher kein persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. Im einzelnen zum Tatbestand: GROTH NJW1979 S. 743 ff.

2. Verstoß gegen das Berufsverbot, § 145 c Bestraft wird jede Handlung, die sich als die untersagte Berufs- oder Gewerbeausübung darstellt. - § 145 c betrifft nur die Berufsverbote nach § 70 StGB und § 132 a StPO. - Für Verbote der Verwaltungsbehörden greifen die Vorschriften der GewO (§ 146 Abs. 1 Nr. 6 i. Verb, mit § 35 Abs. 1) ein. Der Irrtum über die Wirksamkeit des Berufsverbots ist Tatbestandsirrtum (BGH NJW 1989 S. 1939).

§ 97: Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Aussagedelikte ist die staatliche Rechtspflege, und zwar im Sinne des Schutzes des Vertrauens in die Funktion der Rechtspflegeorgane, Tatsachen zu ermitteln. Ein wenig geht der Schutz durch die Aussagedelikte über diesen Rahmen hinaus, da §§ 153,154, insbes. aber § 156, auch falsche uneidliche und eidliche Aussagen bzw. falsche eidesstattliche Versicherungen vor bestimmten Verwaltungsbehörden und anderen staatlichen Stellen, z.B. parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, erfassen. Die staatliche Rechtspflege ist jedoch der wesentliche Anwendungsbereich der §§ 153 ff, und die darüber hinaus geschützte staatliche Tätigkeit steht der Rechtspflege sachlich nahe. Das rechtfertigt es, das geschützte Rechtsgut kurz als die staatliche Rechtspflege zu kennzeichnen. A A . VORMBAUM Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 139 ff, 178 ff: Verfahrensziel.

§ 97 Aussagedelikte

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2. Die Deliktsnatur Die Rechtspflege als Institution und das Vertrauen in die Funktionsweise der Rechtspflege werden nicht erst dann beeinträchtigt, wenn aufgrund falscher Aussagen oder eidesstaatlicher Versicherungen gegen einen Verfahrensbeteiligten eine sachlich unrichtige Entscheidung ergangen oder die konkrete Gefahr einer derartigen Entscheidung begründet worden ist. Schon die Tatsache, daß falsche Aussagen Grundlagen des gerichtlichen Entscheidungsprozesses werden können, untergräbt das Vertrauen in die sachgemäße richterliche Tatsachenfeststellung. Die Aussagedelikte sind demgemäß abstrakte Gefährdungsdelikte. 3. Die Gesetzessystematik a) Aussagedelikte sind die falsche uneidliche Aussage, § 153, der Meineid und der fahrlässige Falscheid, §§ 154, 155, 163, sowie die vorsätzliche und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt, §§ 156,163. b) Die Teilnahme- und Täterschaftsregelungen des Allgemeinen Teils ergänzende Bestimmungen enthalten §§ 159,160. c) Möglichkeiten der Strafmilderung und des Absehens von Strafe bieten die Vorschriften der §§ 157,158. II. Das relevante Angriffsverhalten 1. Die falsche Aussage oder Versicherung an Eides Statt Geschützt wird durch die §§ 153 ff die staatliche Rechtspflege in ihrer Funktionsweise nicht schlechthin, sondern nur gegen falsche Aussagen oder falsche eidesstattliche Versicherungen. a) Die inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch aa) Nach der herrschenden objektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie inhaltlich nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Gegenstand der Aussage können äußere und innere Tatsachen sein. Vgl. BGHSt 7 S. 148; BADURA GA 1957 S. 404; BOCKELMANN B.T./3, § 1 I V 2; DREHER/TRÖNDLE Vor § 153 R d n . 5; HRUSCHKA/KÄSSER JuS 1972

S. 710; KREY B.T./l, Rdn. 552; LACKNER StGB, Vor § 153 Anm. 2 a; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 73 I 4; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 6; WEBER in: Arzt/Weber, LH 5, Rdn. 269 ff; WELZEL Lb., § 77 I 1 a; WESSELS B.T-1, § 17 I 2 a. - Modifizierend PAULUS Küchenhoff-Gedächtnisschrift, 1987, S. 435 ff. Fall 1: A sagt als Zeuge vor Gericht aus, B sei am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft des G gewesen. A hat eine Aussage über eine äußere Tatsache, d.h. über einen außerhalb seiner selbst liegenden Sachverhalt gemacht. Diese Aussage ist richtig, wenn B in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst Hann, wenn A glaubt, B sei in Wirklichkeit nicht dort anwesend gewesen. Die Aussage ist falsch, wenn B am Abend des 1.3. nicht in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst dann, wenn A glaubt, B sei dort anwesend gewesen. Fall 2: A sagt als Zeuge vor Gericht aus, er erinnere sich, den B am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft des G gesehen zu haben.

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Delikte gegen die Rechtspflege

In diesem Fall hat A eine Aussage über eine innere Tatsache (das sind Wahrnehmungen, Empfindungen, Wissen, Überzeugungen o.a.) gemacht. Diese Aussage istrichtig,wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat, gleichgültig, ob B am 13. wirklich in der Gastwirtschaft war. Die Aussage ist falsch, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild nicht zutreffend wiedergegeben hat, und zwar unabhängig davon, ob B am 13. wirklich in der Gaststätte war. bb) Nach der subjektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie inhaltlich nicht dem aktuellen Vorstellungsbild und Wissen des Aussagenden entspricht. Vgl. dazu BINDING B.T. II 1, S. 134; GALLAS G A 1957 S. 315 ff; NIETHAMMER DStrR 1940 S. 161 ff; SCHAFFSTEIN J W 1938 S. 145 ff.

Konsequenzen im Fall 1: Die Aussage des A ist richtig, wenn A der Überzeugung ist, B sei am Abend des 13. in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob B wirklich anwesend war. Die Aussage ist falsch, wenn A in Wirklichkeit der Überzeugung ist, B sei nicht in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob B anwesend war oder nicht. Bei der Bekundung äußerer Tatsachen kommen objektive und subjektive Theorie im Falle der Diskrepanz zwischen wirklichem Geschehen und der Vorstellung des Aussagenden von diesem Geschehen zu genau entgegengesetzten Ergebnissen. - Bei der Bekundung innerer Tatsachen hingegen entsteht diese Gegensatz nicht. Werden Wahrnehmungen, Empfindung o.ä. unrichtig wiedergegeben, d.h. entgegen der wirklichen Wahrnehmung, Empfindung usw., so ist die Aussage nach beiden Theorien falsch, denn die Aussage bezieht sich nicht auf das Objekt der Wahrnehmung, Empfindungen o.a., sondern auf diese selbst. Konsequenzen im Fall 2: Genau wie nach der Beurteilung durch die objektive Theorie ist die Aussage richtig, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat; die Aussage ist falsch, wenn dies nicht der Fall ist. - Unerheblich ist es, ob B am 13. wirklich in der Gaststätte war oder nicht. cc) Nach der Pflichttheorie ist die Aussage falsch, mit der der Aussagende seine prozeßrechtliche Wahrheitspflicht verletzt. Dann und nur dann sagt der Aussagende falsch aus, wenn seine Aussage nicht das Wissen wiedergibt, das der Aussagende bei prozeßordnungsgemäßem Verhalten, d.h. bei kritischer Prüfung seines Erinnerungsbzw. Wahrnehmungsvermögens, reproduzieren könnte. Eingehender entwickelt wurde die Theorie von SCHMIDHÄUSER OLG Celle-Festschrift, S. 207 ff; im übrigen vgl. OTTO JuS 1984 S. 162; SCHMIDHÄUSER B.T., 23/10. - In der Sache weitgehend übereinstimmend: die modifizierte objektive Theorie von BLEI B.T., § 107 IV; RUDOLPHISK, Vor § 153 Rdn. 40 ff; VORMBAUM Schutz S. 132 ff, 154 ff; sowie die modifizierte subjektive Theorie von WLLLMS LK, Vor § 135 Rdn. 9 ff. Konsequenzen für Fall 1 und Fall 2: Falsch ist die Aussage, wenn A bei situationsangemessenem Einsatz seiner Verstandeskräfte eine inhaltlich andere Aussage gemacht hätte, weil sein reproduzierbares Erinnerungsbild nicht seiner Aussage entsprach. Richtig ist die Aussage, wenn die Aussage des A nach kritischer Überprüfung und Wahrnehmung der ihm eigenen Verstandeskräfte das ihm erreichbare Wissen, d.h. das Erinnerungsbild wiedergegeben hat, dessen Wiedergabe ihm möglich war. - Ob B am Abend des 13. wirklich in der Gastwirtschaft war, ist für die Beurteilung der Aussage nur mittelbar von Bedeutung. b) Stellungnahme Auf den ersten Blick erscheint die Richtigkeit der objektiven Theorie evident: eine die Wirklichkeit zutreffend wiedergebende Aussage ist offenbar ungeeignet, die Rechtspflege zu gefährden. Der wirksame Schutz des Rechtsguts scheint daher für die objektive Theorie zu sprechen und dieser kriminalpolitschen Vorrang zu gewähren. Darüber hinaus wird als systematisches Argument geltend gemacht, allein die objektive Theorie ermögliche eine sachgerechte Anwendung der §§ 160,163.

§ 97 Aussagedelikte

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Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten zeigt jedoch, daß die objektive Theorie sowohl von ihren logischen Voraussetzungen als auch unter rechtsdogmatischen, kriminalpolitischen und gesetzessystematischen Aspekten durchgreifenden Einwänden ausgesetzt ist: aa) Jede Aussage - dieses Argument hat bereits BINDING geltend gemacht - kann stets nur eine Tatsache des Innenlebens", ein von menschlicher Unvollkommenheit im räumlichen Erfassen und Bewahren beeinflußtes Vorstellungsbild wiedergeben, weil derjenige, der aussagt und schwört, immer nur das Bild des äußeren Vorgangs offenbaren kann, das er in seinem Inneren vorfindet. D a z u vgl. BINDING B.T. II 1, S. 134; NlEIHAMMER D S t r R 1940 S. 171; WlLLMS LK, Vor § 153

Rdn. 9.

Die Differenzierung zwischen Aussagen über äußere und über innere Tatsachen beruht demnach auf einer sachwidrigen Fiktion. Die Vorstellung, daß eine Aussage über eine äußere Tatsache zur Aussage über eine innere Tatsache wird, nur weil der Aussagende erklärt, wie er zu der konkreten Aussage kommt, ist offensichtlich falsch, denn die Aussage selbst kann durch eine derartige Erklärung in ihrem Wesen nicht verändert werden. Gleichgültig, ob eine entsprechende Erklärung abgegeben wird oder nicht: der Aussagende kann ausnahmslos nur wiedergeben, was zu leisten ihm seine Sinnes -und Geisteskräfte gestatten. Dies aber kann stets nur die Wiedergabe dessen sein, was er wahrgenommen hat, für richtig hält, zu wissen glaubt usw., d.h. eine innere Tatsache, mag diese selbst wiederum auf eine äußere oder innere Tatsache bezogen sein. Stets gibt der Zeuge ein subjektives Bild wieder, er kann gar keine objektiv gültigen, von ihm als Subjekt unabhängigen Feststellungen treffen, mag er dies nun ausdrücklich erwähnen oder nicht. bb) Nun ließe sich die tatsächliche Unmöglichkeit einer über die menschliche Leistungsfähigkeit hinausgehenden Bekundung im rechtlichen Bereich mit einer Fiktion überbrücken, wenn dadurch der angestrebte Rechtsgüterschutz besser realisiert werden könnte. Die insoweit möglich Fiktion erweist sich jedoch rechtsdogmatisch als sachwidrig, denn sie mißachtet die prozessuale Rollenverteilung in den hier relevanten Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverfahren: Der Richter (oder die sonstigen Vernehmungspersonen), nicht aber der Zeuge hat die Aufgabe, den wirklich geschehenen Sachverhalt aufzudecken und darzulegen. Der Zeuge ist insofern nur ein Mittel der Aufklärung unter anderen, denn der Richter bildet seine Überzeugung aufgrund einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Beweise. Die Grundlage dieser Wertung wird aber verfälscht, wenn der Aussagende sich gar nicht nach Kräften bemüht, sein eigenes Vorstellungsbild wiederzugeben oder sogar bewußt einen Sachverhalt schildert, von dem er zwar meint, daß er dem wirklichen Geschehen entspreche, der aber seine eigenen Wahrnehmungen nicht enthält. Der richterlichen Überzeugungsbildung, auf der die Funktionsweise der Rechtspflege wesentlich beruht, ist daher nur dann wirklich gedient, wenn der Aussagende nach kritischer Prüfung seines Erinnerungsvermögens sein Vorstellungsbild oder Wissen zu dem Beweisthema mit allen Zweifeln und ihm ernst erscheinenden Vorbehalten wiedergibt. Unwesentlich ist es demgegenüber, ob die Aussage damit dem wirklichen Geschehen entspricht (obj. Theorie) oder ob der Aussagende der Meinung ist, so wie er den Sachverhalt schildere, habe sich dieser wirklich zugetragen

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(subj. Theorie). Er genügt seiner prozessualen Wahrheitspflicht allein, wenn er das beste ihm erreichbare Erinnerungs- oder Wissensbild wiedergibt. Die Würdigung dieser Aussage ist dann nicht mehr seine Aufgabe, sondern die des Gerichts. D a z u vgl. O T T O JUS 1984 S . 1 6 2 f; SCHMIDHÄUSER O L G C e l l e - F e s t s c h r i f t , S . 2 0 7 ff; WLLLMS L K ,

Vor § 153 Rdn. 9 ff.

cc) Auch kriminalpolitisch führen objektive und subjektive Theorie zu nicht akzeptablen Konsequenzen, denn nach diesen Theorien ist es durchaus straflos möglich, beliebige Aussagen über angebliche äußere Tatsachen zu machen sowie andere zu solchen Aussagen aufzufordern und anzuwerben, soweit man nur von der inhaltlichen Richtigkeit der Aussage überzeugt ist Eine sich in der Bekundung einer äußeren Tatsache erschöpfende Aussage ist aber wertlos. Daher wird ein Richter, der seine Aufgabe ernst nimmt, stets aufklären, wie der Aussagende zu seinem Wissen gelangt ist. Nimmt der Richter seine Funktion in der Rechtspflege ordnungsgemäß wahr, so darf er sich niemals mit einer schlicht eine äußere Tatsache bekundenden Aussage abfinden. Daher ist der Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Theorie nur solange relevant, als sich Lehre und Rechtsprechung mit sachwidrig herbeigeführten Prozeßergebnissen begnügen. Aber auch allein die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit eines Sachverhalts rechtfertigt nicht eine entsprechende Aussage. Die Feststellung, wie das Geschehen sich wirklich ereignete, ist Aufgabe richterlicher Würdigung der Beweise. Der Aussagende hingegen soll nicht mitteilen, was er für richtig hält, sondern das ihm mögliche beste subjektive Erinnerungs- bzw. Wissensbild wiedergeben.

dd) Systematisch schließlich ist - unabhängig von Einzelheiten zu den §§ 163, 160; dazu unter III 5 und IV 3 - anzumerken, daß überhaupt nur die subjektive Theorie, wenn auch in sehr eng gestecktem Rahmen, und die Pflichttheorie die fahrlässige Falschaussage begründen können. Die Frage nach der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens kann nämlich stets nur dahin gehen, ob es dem Täter bei entsprechender Anstrengung seiner Geistesgaben möglich gewesen wäre, eine inhaltlich andere Aussage als die abgegebene zu machen. Der mögliche Bezugspunkt kann daher stets nur die erreichbare Aussage sein, nicht aber unmittelbar das wirkliche Geschehen. 2. Die Wahrheitspflicht des Aussagenden a) Der Vernehmungsgegenstand Der strafrechtlich relevante Inhalt einer Aussage wird stets durch die prozessuale Wahrheitspflicht des Aussagenden begrenzt. Dieser Wahrheitspflicht unterliegen alle Angaben, die Gegenstand der Vernehmung sind: aa) Im Zivilprozeß wird der Aussagegegenstand zunächst durch den Beweisbeschluß förmlich bezeichnet (§§ 358, 359 ZPO). Die dort gestellten Beweisfragen bestimmen den Umfang der Zeugnispflicht. bb) Im Strafprozeß ist Gegenstand der Vernehmung allgemein der "Gegenstand der Untersuchung", der dem Zeugen vor seiner Vernehmung mitzuteilen ist, § 69 Abs. 1 StPO. Die Aussage - und damit die Wahrheitspflicht - umfaßt hier alle Tatsachen, die mit der Tat i.S. des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können. cc) Im Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ist Aussagegegenstand der Gegenstand des Untersuchungsauftrags. Vgl. OLG Koblenz StV 1988 S. 531. - Zur Rechtsstellung der Aussageperson vor dem Untersuchungsausschuß: OLG Köln NJW 1988 S. 2485; KOHLMANN JA 1984 S. 670 ff.

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dd) Im Zivil- und Strafprozeß kann der Veraehmungsgegenstand und damit die Aussage- und Wahrheitspflicht durch Fragen des Gerichts und anderer Verfahrensbeteiligter erweitert werden; BGH NStZ 1982 S. 464. Auf die Erheblichkeit der Aussage für das betreffende Verfahren kommt es nicht an, doch gehören völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die mit dem Verfahren offensichtlich nichts zu tun haben - Antwort auf die Frage des Vorsitzenden an den Zeugen, ob ihm die Wartezeit lang geworden sei - nicht zum Gegenstand der Vernehmung.

Spontane Äußenmgen des Aussagenden, die den Rahmen des Vernehmungsgegenstandes überschreiten, fallen nach h.M. nur dann unter die Wahrheitspflicht, wenn sie auf nachträgliche Erweiterung des Beweisthemas durch den vernehmenden Richter hin bestätigt werden. Vgl. dazu BGHSt 25 S. 244; BGH NStZ 1982 S. 464; KG JR 1978 S. 78 mit Anm. WlLLMS S. 78 ff; DEMUTH NJW 1974 S. 758; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 Rdn. 15; WlLLMS LK, Vor § 153 Rdn. 24. - AA., wenn entscheidungserhebliche Tatsachen betroffen sind: LACKNER StGB, § 154 Anm. 4 a; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, J 7315; RUDOLPHI JR 1974 S. 293 ff.

ee) Die oben unter aa) und dd) beschriebene Begrenzung des Vernehmungsgegenstandes im Zivilprozeß erscheint jedoch nicht sachgerecht. Es ist nicht einzusehen, warum im Zivilprozeß neben den Aussagen zu dem durch den Beweisbeschluß und etwaige Fragen der Verfahrensbeteiligten bezeichneten Beweisthema nicht auch jene Äußerungen den Gegenstand der Aussage bilden sollten, die mit dem Beweisthema in so engem Zusammenhang stehen, daß sie für das Verfahren erheblich sein könnten. Damit wird nicht an versteckter Stelle der überwundene Gegensatz zwischen erheblichen und unerheblichen Aussagen wieder für die Aussagedelikte aktualisiert. Da es nämlich auf die bloße Möglichkeit der Erheblichkeit für das Verfahren ankommt, wird lediglich eine schon oben getroffene Feststellung bestätigt: Völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die offensichtlich mit der Sache, um die es geht, mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen o.ä. nichts zu tun haben, die gleichsam nur Äußerungen bei Gelegenheit der Vernehmung sind, gehören nicht zum Gegenstand der Vernehmung. Sie begründen keine Falschaussage i.S. der Aussagedelikte. Der Glaube des Täters, sich durch derartige Äußerungen strafbar zu machen, ersetzt die Strafbarkeit des Verhaltens nicht, sondern stellt lediglich ein strafloses Wahndelikt dar. - In diesem Rahmen ist die Straflosigkeit sachlich auch angemessen, da eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeschlossen ist. BGH NStZ 1982 S. 464: A wurde in einem Zivilprozeß über den Verlauf von Verhandlungen vernommen, die sein Arbeitgeber mit dem Beklagten geführt hatte. Um die Glaubwürdigkeit des A zu überprüfen, fragte der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten den A, ob er schon in anderen Zivilprozessen seines Arbeitgebers aufgetreten sei. A bestätigte dies und versicherte, auch in diesen Fällen wahrheitsgemäß ausgesagt zu haben. Sodann fügte er wahrheitswidrig hinzu: *Sechs oder sieben andere Zeugen haben in ihrer Vernehmung das gleiche bekundet, wie ich auch". Der BGH hat den A freigesprochen. - Nach der hier vertretenen Auffassung läge eine vollendete falsche Aussage vor. - Straflos wäre A nur geblieben, wenn er z.B. seine Aussage mit dem wahrheitswidrigen Zusatz ausgeschmückt hätte, auch in Prozessen anderer Personen sei er schon als Zeuge aufgetreten und habe die Wahrheit gesagt.

b) Das Verschweigen prozeßerheblichen Wissens Unbefragt muß der Aussagende bei der Mitteilung seines Wissens alle Tatsachen angeben, die unmittelbar das Beweisthema betreffen oder in so engem Zusammenhang mit ihm stehen, daß sie für das Verfahren erheblich sein könnten. Schweigt der Aussagende insoweit pflichtwidrig, so wird seine Aussage falsch. - Nicht erfaßt wird jedoch das Schweigen zu nichtgenannten, wenn auch prozeßerheblichen Themen. Der Zeuge, der die Beweisfrage wörtlich und auch dem Sinne nach wahrheitsgemäß beantwortet, jedoch verfahrenserhebliches Wissen zu einem nicht gefragten Thema verschweigt, macht keine falsche Aussage.

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BGHSt 3 S. 221: Die A wurde im UnterhaltsprozeB ihres nichtehelichen Kindes darüber vernommen, ob sie in der gesetzlichen Empfangniszeit mit B und/oder C geschlechtlich verkehrt habe. Dies verneinte sie, verschwieg aber, daß sie in dieser Zeit mit D verkehrt hatte. Ergebnis: Keine falsche Aussage. - Zwar war die Tatsache des Geschlechtsverkehrs mit D auch für den Prozeß erheblich, die Beweis&age betraf aber nur den Verkehr mit B und C. Diese Frage hatte A jedoch zutreffend beantwortet.

Zur ungefragten Äußerung von Vermutungen ist der Aussagende nicht verpflichtet; BGH StV 1990 S. 110. 3. Die prozeßrechtswidrige falsche Aussage a) Der anerkannte Bereich Einhellig anerkannt und nach dem Gesetz zwingend ist, daß eine falsche Aussage oder eine falsche Versicherung an Eides Statt nur vor einer zur eidlichen Vernehmung bzw. zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zuständigen Stelle erfolgen kann und daß ein Meineid die Beachtung der wesentlichen Formerfordernisse der Eidesleistung voraussetzt. Verfahrensmängel in diesem Bereich schließen ein vollendetes Aussagedelikt aus. b) Die in ihren Auswirkungen umstrittenen Verfahrensfehler aa) Andere Verfahrensmängel sollen hingegen nach h.M. auf die Tatbestandsmäßigkeit falscher Aussagen keinen Einfluß haben. Gleichgültig soll es demgemäß sein, ob die Aussage unter Verletzung der Belehrungspflicht über ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht oder unter Verletzung der §§ 69, 241 Abs. 2 StPO, 396 ZPO (keine Bezugnahme auf frühere Aussagen, Erforderlichkeit der Belehrung über den Gegenstand des Verfahrens, Zurückweisung sachfremder Fragen) zustande gekommen ist. Auch die Verletzung von Vereidigungsverboten soll unbeachtlich sein, obwohl auch § 157 Abs. 2 offensichtlich davon ausgeht, daß der Meineid eines Eidesunmündigen nicht tatbestandsmäßig ist. Verfahrensfehler sollen lediglich strafmildernd Berücksichtigung finden können. Vgl. BGHSt 8 S. 187 ff; 17 S. 136; 23 S. 31 f; 27 S. 75; BGH StV 1986 S. 341; 1987 S. 195; 1988 S. 427; DREHER/TRÖNDLE Vor § 153 Rdn. 11; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 73 I 5; WEBER in:

Arzt/Weber, LH 5, Rdn. 336 ff. - Einschränkend: SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 23, 24; WILLMS LK, Vor § 153 Rdn. 31; DERS. JR 1978 S. 79.

bb) Die insbesondere von RUDOLPHI begründete Gegenmeinung hingegen sieht eine falsche Aussage oder falsche eidesstattliche Versicherung nur dann als tatbestandsmäßig i.S. der §§ 153 ff an, wenn sie prozessual verwertbar ist. Dazu RUDOLPHI G A 1 9 6 9 S. 140 ff; DERS. SK, Vor § 153 Rdn. 34 f; im übrigen vgl. DEDES SchröderGedächtnisschrift, S. 335; GEPPERT Jura 1988 S. 498; HRUSCHKA/KÄSSER JUS 1972 S. 711; SCHNEIDER G A 1956 S. 341; VORMBAUM Schutz S. 267 ff.

c) Stellungnahme Zuzugeben ist der h.M., daß auch eine prozessual unverwertbare Aussage tatsächlich das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigen kann, wenn sie nämlich trotz des Verwertungsverbots verwertet wird. Jedoch liegt die hier relevante Problematik nicht in der Beeinträchtigung der Rechtspflege als solcher, sondern in der Zuweisung der Verantwortung für diese Beeinträchtigung: Wenn durch die Verwertung einer unverwertbaren Aussage im Prozeß das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigt wird, so ist dafür nicht der Aussagende verantwortlich, sondern derjenige, der der Garant des prozeßordnungsmäßigen Verfahrens ist, nämlich der Richter, der solche Aussa-

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gen gegen das Gesetz Eingang in das Verfahren finden läßt. Daraus folgt: Eine prozessual unverwertbare Aussage ist grundsätzlich nicht tatbestandsmäßig i.S. der §§ 153 ff. Allerdings - und hier läßt der Gedanke der Verantwortungszuweisung eine Einschränkung zu - muß das Gericht die Möglichkeit gehabt haben, die Unverwertbarkeit der Aussage zu erkennen. Diese Modifizierung der Mindermeinung beseitigt zwei grundlegende Einwände dieser Ansicht gegenüber: Zum einen - darauf haben die Vertreter dieser Meinung stets hingewiesen - ist nicht jeder Verstoß gegen die Verfahrensregeln schon geeignet, die unter Verletzung dieser Regeln zustande gekommene Aussage aus dem Bereich der Wahrheitspflicht auszugrenzen. Zum anderen aber ist sichergestellt, daß dem Gericht nicht erkennbare oder sogar durch Täuschung aufgedrängte Mängel keine materiellrechtliche Wirksamkeit erlangen derart, daß sie die Grenzen der Wahrheitspflicht bestimmen. In diese Richtung geht auch die Argumentation von WlLLMS LK, Vor § 153 Rdn. 29 f. - Für eine grundsätzliche Differenzierung auch BRUNS GA 1960 S. 178, und SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§153 ff Rdn. 23. Beispiel: verschweigt, men, weil A Aussage der

V, die Verlobte des Angeklagten A, wird im Prozeß gegen A als Zeugin vernommen. Sie daß sie mit A verlobt ist. - Auch den Akten ist kein Hinweis auf die Verlobung zu entnehund V übereingekommen sind, erst einmal abzuwarten, welche Konsequenzen die falsche V für den weiteren Prozeßverlauf hat.

Hier fallt die Tatsache, daß die V nicht über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist, nicht in den Verantwortungsbereich des Gerichts, denn das Gericht hat keinen Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht schuldhaft übergangen. Mag die Aussage daher prozessual auch unverwertbar sein, so ist es dennoch sachgerecht, sie nicht von vornherein aus dem tatbestandsmäßigen Bereich der §§ 153 ff auszuklammern.

4. Konsequenzen aus der Wahrheitspflicht Den Aussagenden trifft, wie dargelegt, eine persönlich zu erfüllende prozessuale Wahrheitspflicht, die er durch seine falsche Aussage oder eidesstattliche Versicherung verletzt. Die Aussagedelikte sind daher eigenhändige Delikte. Ihre Begehung im Wege der mittelbaren Täterschaft ist ausgeschlossen. Die Wahrheitspflicht ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des §28 Abs. 1, da sie nur die Grenzen der Angriffsmöglichkeiten auf die Rechtspflege umschreibt, nicht aber eine pflichtbegründende Sonderposition des Aussagenden gegenüber Dritten. So auch: SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 42. - A A . HERZBERG ZStW 88 (1976) 5. 103 f; LANGER Ernst Wolf-Festschrift, S. 343 ff; ROXIN LK, § 28 Rdn. 32; RUDOLPHI SK, Vor § 153 Rdn. 9.

III. Die einzelnen Aussagedelikte 1. Falsche uneidliche Aussage, § 153 a) Die objektive Tatbestand setzt voraus, daß der Täter vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger falsch aussagt. aa) Gerichte sind die inländischen staatlichen Gerichte in allen ihren Funktionen, z.B. der Rechtspfleger im Verfahren nach § 75 KO (OLG Hamburg NJW 1984

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S. 935), nicht dagegen die privaten Schiedsgerichte, §§ 1025 ff ZPO. Andere zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständige Stellen sind Behörden, denen der Gesetzgeber das Recht der eidlichen Vernehmung gegeben hat, z.B. das Bundespatentamt (§ 46 PatG) und parlamentarische Untersuchungsausschüsse (Art. 44 GG und entsprechende Vorschriften der Landesverfassungen), nicht hingegen Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzämter und andere Verwaltungsbehörden. - Die den Eid abnehmende Amtsperson muß staats- und gerichtsverfassungsgemäß in ihr Amt berufen worden sein. bb) Die Aussage - die auch die Angaben zur Person und zum Beruf umfaßt - muß unmittelbar vor dem Vernehmenden erfolgen. Das bedeutet, daß Aussage hier als mündliche Erklärung zu verstehen ist. Eine Ausnahme macht nur § 186 GVG, der eine schriftliche Verständigung zwischen dem Veraehmenden und einer tauben oder stummen Person zuläßt. So auch: OLG München MDR 1968 S. 939; DRBHER/TRÖNDLE § 153 Rdn. 2; RUDOLPHISK, $ 153 Rdn. 2; WLLLMS LK, § 153 Rdn. 4. - Eine schriftliche "Beweisaussage" lassen dort, wo die Prozeßgesetze diese gestatten, genügen: MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 73 II 4; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff R d n . 22; WAGNER G A 1976 S. 272.

cc) Der Täter muß als Zeuge oder Sachverständiger ausgesagt haben. - Die Angeklagten im Strafprozeß, die Parteien im Zivilprozeß oder die Beteiligten im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind nicht taugliche Täter. Gleiches gilt für den Betroffenen im Verfahren vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Die Tatbeteiligung selbst schließt hingegen die Zeugenrolle nicht aus, vgl. §§ 55,60 Nr. 2 StPO. Wird jedoch ein Tatbeteiligter willkürlich in die Zeugenrolle gedrängt, um ihn u.U. sogar dem Eideszwang auszusetzen, ist er nicht Zeuge,und § 153 bleibt unanwendbar. Dazu BGHSt 10 S. 10;WILLMS LK, § 153 Rdn. 10.

b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muß sich darauf erstrecken, daß die Aussage falsch ist, d.h. mit dem wirklichen oder erreichbaren Erinnerungsbild nicht übereinstimmt, daß die Aussage unter die Wahrheitspflicht fällt und vor einer zuständigen Stelle stattfindet. - Ist sich der Täter dieser Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes bewußt, so handelt er vorsätzlich. c) Vollendet ist die falsche Aussage mit dem Abschluß der Vernehmung. Dies ist der Fall, wenn der Veraehmende zu erkennen gibt, daß er von dem Zeugen oder Sachverständigen keine weitere Auskunft über den Vernehmungsgegenstand erwartet, und der Aussagende, daß er seinerseits nichts mehr zu bekunden hat das bisher Bekundete als seine verantwortliche Aussage gelten lassen will. - Berichtigt der Aussagende bis zu diesem Zeitpunkt eine falsche Aussage, so bleibt er straffrei, da der Versuch der uneidlichen Aussage straflos ist. Wird der Aussagende in mehreren Terminen desselben Rechtszuges zu demselben Beweisthema gehört und sagt falsch aus, so liegt nur eine einheitliche falsche Aussage vor. Vgl. B a y O b L G StV 1989 S. 251 mit A n m . WÄCHTLER S. 252 f; RUDOLPHI SK, § 153 R d n . 11; SCH/SCH/LENCKNER § 153 R d n . 14. - A A . B G H S t 8 S. 302; DREHER/TRÖNDLE § 153 R d n . 8.

2. Meineid, § 154 a) § 154 stellt - soweit es um den Meineid eines Zeugen oder Sachverständigen geht - einen gegenüber § 153 qualifizierten Tatbestand dar, im übrigen - Parteieid - ein selbständiges Delikt.

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b) Die Tathandlung besteht in falschem Schwören, d.h.. in der Bekräftigung einer falschen Aussage mit dem Eide vor Gericht oder einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle. Der Eid kann als "Voreid" vor der Vernehmung oder als "Nacheid", nach der Vernehmung abgenommen werden. Er ist nur tatbestandsmäßig, wenn die wesentlichsten Formerfordernisse gewahrt wurden. Unerläßlich ist die vom Schwörenden zu sprechende Formel: "Ich schwöre".

aa) Täter können alle Personen sein, die nach dem Verfahrensrecht eidespflichtig gemacht werden können. Das sind nicht nur Zeugen oder Sachverständige, sondern z.B. auch die Parteien im Zivilprozeß. Wird ein Eidesunmündiger, d.h. eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, vereidigt, so liegt kein tatbestandsmäßiger Eid vor, da eine solche Person das Wesen des Eids nach der unwiderlegbaren Vermutung des Gesetzes nicht versteht; davon geht offenbar auch § 157 Abs. 2 aus. Vgl. KREY B.T. 1, R d n . 563; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, 8 73 I 5; QUEDENFELD J Z 1973

S. 238 ff; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 25. - Für tatbestandlichen Ausschluß bereits aus grundsätzlichen Erwägungen (prozessuale Unverwertbarkeit): HRUSCHKA/KASSER JUS 1972 S. 711; RUDOLPHI GA 1969 S. 140 ff; DERS. SK, § 154 Rdn. 8. - AA. (Tatbestand erfüllt): BGHSt 10 S. 144; DREHER/TRÖNDLE V o r § 153 R d n . 11; LACKNER StGB, § 154 A n m . 1; WLLLMS LK, § 154 R d n . 10.

bb) Das Gericht oder die zuständige Stelle muß zur Abnahme von Eiden gesetzlich ermächtigt sein. Darüber hinaus muß in dem konkreten Verfahren ein Eid der geleisteten Art gesetzlich zugelassen sein. Daran fehlt es nach h.M. beim Parteieid im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; vgl. dazu

BGHSt 10 S. 272; WlLLMS LK, § 154 Rdn. 7,9 m.w.N. - A.A. DREHER/TRÖNDLE § 154 Rdn. 3.

Ferner muß die den Eid abnehmende Person nach den verbindlichen Gesetzen zu diesem Akt berechtigt sein, was z.B. bei einem Referendar gemäß § 10 S. 2 GVG nicht der Fall ist. c) Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz, bedingter genügt. aa) Der Vorsatz muß sich darauf erstrecken, daß die Aussage falsch ist, daß sie unter den Eid fällt und daß der Eid vor einer zuständigen Stelle erfolgt. bb) Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum liegt daher vor, wenn der Täter sich nicht der Tatsache bewußt ist, daß seine Aussage nicht seinem wirklichen oder dem erreichbaren Erinnerungsbild entspricht, wenn er nicht weiß, daß seine Aussage noch Gegenstand der Vernehmung ist und damit der Wahrheitspflicht unterfällt oder daß seine Aussage vor Gericht oder einer entsprechenden Behörde erfolgt. Es genügt jedoch, daß der Täter sich der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehaltes bewußt ist. Hat er dieses Bewußtsein, glaubt sich aber dennoch zu einer Falschaussage beredtigt, so kann dieser Irrtum nur im Rahmen des § 17 berücksichtigt werden; vgl. dazu BGHSt 5 S. 118; 10 S. 15.

d) Vollendet ist der Meineid beim Voreid mit Abschluß der Aussage, beim Nacheid mit der Beendigung des Schwurs. aa) Ein strafbarer Versuch des Meineids liegt demgemäß beim Voreid vor, wenn der Täter zu der falschen Aussage, und beim Nacheid, wenn er zur Leistung des Eides unmittelbar ansetzt, d.h. mit dem Sprechen der Eidesworte. - Ein straßarer untauglicher Versuch ist nach allgemeinen Grundsätzen anzunehmen, wenn der Täter irrig einen Sachverhalt annimmt, der, läge er vor, die Voraussetzungen des Meineids vor einer zuständigen Behörde erfüllen würde. - Ein Wahndelikt hingegen ist gegeben, wenn der Täter den Sachverhalt kennt, die den Eid abnehmende Stelle aber aufgrund falscher rechtlicher Erwägungen für zuständig hält, obwohl diese es nicht ist.

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Delikte gegen die Rechtspflege

Beispiel: A wird in einer Verkehrssache als Zeuge von der Polizei gehört. Der Polizist vereidigt den A, der der Ansicht ist, auch die Polizei dürfe Zeugen vereidigen. Ergebnis: Wahndelikt des A. Wie hier: OLG Bamberg NJW 1949 S. 876; KREY B.T. 1, Rdn. 559; SCH/SCH/LENCKNER $ 154

Rdn. 15; WLLLMS LK, § 154 Rdn. 21. - A.A. RGSt 72 S. 80; BGHSt 3 S. 253 f. Im konkreten Fall gleicher Ansicht, im übrigen aber differenzierend nach der rechtsgutsbezogenen Relevanz des Verhaltens: SCHLÜCHTER Irrtum Ober normative Tatbestandsmerkmale im Strarrecht, 1983, S. 155 ff.

bb) Nach dem Gesetzesaufbau zwingend ist der Nacheid selbst nicht mehr Teil der falschen Aussage, sondern schließt an diese an. Das hat die Konsequenz, daß der Täter, der vom Versuch des Meineids straffrei gemäß § 24 Abs. 1, 1. Alt. zurücktritt, wegen der bereits vollendeten falschen Aussage strafbar bleibt, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe gemäß $ 158. Kriminalpolitisch sinnvoll ist diese Konstruktion nicht, denn damit wird dem Eid die Fähigkeit als gesteigertes Druckmittel zur Bewirkung wahrer Aussagen weitgehend genommen: Der Täter steht nicht vor der Entscheidung, durch den Rüdetritt insgesamt Straffreiheit zu erlangen, denn ihm ist jetzt bereits die Bestrafung nach $ 153 sicher. Dieser Gewißheit steht dann lediglich noch das Risiko einer geringfügig höheren Strafe nach § 154 gegenüber, wenn er seine falsche Aussage zusätzlich beschwört.

3. Eidesgleiche Bekräftigung, § 155 § 155 stellt dem Eid als Tatbestandsmerkmal des § 154 gleich: a) Gemäß § 155 Nr. 1: die den Eid ersetzende Bekräftigung der Wahrheit, die vorgesehen ist für Personen, die sich aus Glaubens- oder Gewissensgründen weigern, einen Eid zu leisten; vgl. §§ 66 d StPO, 484 ZPO. b) Gemäß § 155 Nr. 2: die Berufung des Aussagenden - bloßer Hinweis des Richters genügt nicht - auf einen früheren Eid oder eine früheren Bekräftigung. Diese kommt in Betracht: 1. Alt.: Bei der Berufung auf einen in derselben Sache früher geleisteten Partei-, Zeugen- oder Sachverständigeneid, bzw. die entsprechende Bekräftigung; vgl. §§ 67, 72 StPO, 398 Abs. 3,402,451 ZPO. 2. Alt.: Bei der Berufung eines allgemein vereidigten Sachverständigen auf den von ihm früher geleisteten Eid oder eine entsprechende Bekräftigung; vgl. §§ 79 Abs. 3 StPO, 410 Abs. 2 ZPO. Zu beachten ist hier, daß ein früher geleisteter Sachverständigeneid bei Berufung auf ihn nicht eine spätere Zeugenaussage erfaßt; dazu OLG Köln MDR 1955 S. 183.

c) Bei der Berufung eines Beamten auf den von ihm geleisteten Diensteid; vgl. § 386 Abs. 2 ZPO. 4. Falsche Versicherung an Eides Statt, § 156 Eidestattliche Versicherungen sind ein wichtiges Mittel zur Glaubhaftmachung tatsächlicher Behauptungen, vgl. §§ 294 Abs. 1, 807, 920 Abs. 2, 936 ZPO; 56, 74 Abs. 3 StPO. a) Der objektive Tatbestand verlangt die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung vor einer zuständigen Behörde oder eine falsche Aussage vor einer solchen Behörde unter Berufung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung.

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aa) Falsch ist die Versicherung entsprechend der falschen Aussage, wenn sie nicht das wirkliche oder erreichbare Wissens- oder Erinnerungsbild des Versichernden wiedergibt. bb) Zuständig ist die Behörde nicht schon dann, wenn sie allgemein zuständig zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen ist Entscheidend ist vielmehr, daß die Behörde die konkrete Versicherung über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, und in dem Verfahren, in dem sie eingereicht wird, abnehmen darf und daß die Versicherung selbst nicht rechtlich völlig bedeutungslos ist Das bedeutet auch, daß der Versicherade in seiner verfahrensrechtlichen Stellung eine derartige Versicherung zu dem angestrebten Zweck überhaupt abgeben darf. Vgl. dazu BGHSt 17 S. 303 (Wiederaufnahmeverfahren); BGHSt 25 S. 92 (Wiedereinsetzungsverfahren); BGH StV 1990 S. 111 (Konkursverfahren); BayObLG wistra 1990 S. 70 (Vollstrekkungsverfahren); wistra 1990 S. 199 (Wiedereinsetzungsverfahren); LACKNER StGB, $ 156 Anm. 2; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 7 3 I V 1 ; RUDOLPM SK, 8 156 Rdn. 5.

cc) Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung und die Aussage unter Berufung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung können sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen. Mündlich erfolgt die Erklärung durch die Äußerung unmittelbar vor der Behörde mit deren Einverständnis. Eine schriftliche Erklärung ist abgegeben, wenn die Erklärung in den Machtbereich der Behörde gelangt, bei der sie zu Beweiszwecken dienen soll. Kenntnisnahme durch den zuständigen Sachbearbeiter ist nicht erforderlich.

dd) Bezüglich der Wahrheitspflicht ergeben sich bei der eidesstattlichen Versicherung insofern Besonderheiten, als es bei spontanen Versicherungen an einer Festlegung des Beweisthemas durch eine Behörde fehlt. In diesen Fällen ist zur Bestimmung des "Versicherungsgegenstandes" die Versicherung selbst auszulegen. Das Beweisthema, wie es nach dem Gegenstand und Stand des Verfahrens zu formulieren gewesen wäre, kann nicht maßgeblich sein, da dieses dem Erklärenden oftmals überhaupt nicht bekannt ist oder auch nur bekannt sein kann. So auch: RUDOLPHI SK, § 156 Rdn. 10; WlLLMS LK, § 156 Rdn. 17. - A.A. SCH/SCH/LENCKNER § 156 Rdn. 5.

Gegenstand der falschen Versicherung ist aber nicht jede in der Versicherung enthaltene unrichtige Bekundung, sondern auch hier erfaßt die Wahrheitspflicht nur die Äußerungen, die für das konkrete Verfahren möglicherweise von Bedeutung sein können. Vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 1848; OLG Karlsruhe NStZ 1985 S. 412; BLOMEYER JR 1976 S. 441 ff; WlLLMS LK, § 156 Rdn. 17 m.w.N.

Danach entscheidet sich auch die Frage, wieweit ein Verschweigen die Versicherung zu einer falschen macht: Verschweigen von Tatsachen macht eine Versicherung zu einer falschen, wenn Tatsachen verschwiegen werden, die mit dem gewählten Beweisthema so eng zusammenhängen, daß ihre Offenbarung die Erklärung inhaltlich ändern würde, weil ihr Sinngehalt ein anderer würde. Beispiel: (nach BGH NJW 1959 S. 1235): Der Großhändler A versichert in einem Arrestverfahren an Eides Statt, daß ihm die Namen und Orte der Gastwirtschaften, in denen bestimmte Münzautomaten aufgestellt worden waren, unbekannt seien. - Er verschwieg, daß er jederzeit durch Rückfrage bei einem engen Mitarbeiter und Provisionsvertreter die Standorte der Geräte hätte erfahren können. BGH: Trotz wörtlicher Richtigkeit der Erklärung gab A eine falsche Versicherung an Eides Statt ab.

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Delikte gegen die Rechtspflege

b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muß wissen, daß seine Versicherung falsch ist und vor einer zuständigen Behörde erfolgt. Auch hier genügt aber die Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts. Eine gleichwohl bestehende Vorstellung des Täters, zur falschen Versicherung berechtigt zu sein, kann im Rahmen des § 17 Berücksichtigung finden.

c) Von besonderer Bedeutung in der Praxis ist die Versicherung des Schuldners nach §807 ZPO. Hat eine Pfändung des Gläubigers nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt oder macht der Gläubiger glaubhaft, daß er durch Pfändung seine Befriedigung nicht vollständig erlangen könne, so ist der Schuldner auf Antrag verpflichtet, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und an Eides Statt zu versichern, "daß er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe". - Die Offenbarungs- und damit Wahrheitspflicht wird durch den Zweck der Norm, dem Gläubiger eine Vollstreckung in das vorhandene Schuldnervermögen zu ermöglichen, konkretisiert: Nur solche wahrheitswidrigen Angaben machen die Versicherung zu einer falschen, die unter die Offenbarungspflicht fallen und geeignet sind, den Gläubigerzugriff zu vereiteln oder zu erschweren. Dazu BGHSt 8 S. 400; 19 S. 126 ff; BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 813.

Die Entscheidung, ob im Zweifel ein Objekt unter die Offenbarungspflicht fällt, ist nicht dem Schuldner überlassen. Daraus folgt: aa) Offenbarungspflichtig ist das gesamte gegenwärtige Vermögen sowie früheres Vermögen, soweit ein Rückübertragungsanspruch besteht oder nach dem AnfechtungsG - vgl. § 807 Abs. 1 Nr. 1-3 ZPO, § 3 AnfechtungsG - zur Entstehung gebracht werden kann, auch wenn eine eventuelle Gegenforderung der Forderung wertgleich ist. Streitige und unpfändbare Forderungen gehören hierher, denn über den Erfolg einer Zwangsvollstreckung entscheidet nicht das Ermessen des Schuldners, sondern das Urteil der entsprechenden Gerichtsorgane, wenn der Gläubiger deren Entscheidung herbeigeführt haben will (BGH NJW 1953 S. 390 mit Anm. SCHMIDT-LEICHNER; BGH NJW 1956 S. 756). Künftige Forderungen, die bereits jetzt Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein können, und Anwartschaftsrechte mit Vermögenswert sind anzugeben (BGHSt 15 S. 130; BGH GA 1966 S. 243; OLG Hamm GA 1975 S. 180), nicht aber ist ein umfassender Überblick über die Tätigkeit zu gewähren, wenn aus dieser Tätigkeit erst später Vermögenserwerbsmöglichkeiten erwachsen (BGH StV 1990 S. 111). bb) Anzugeben sind neben den Vermögensobjekten auch die Umstände, die für die Zugriffsmöglichkeit des Gläubigers von Bedeutung sind, z.B. der Name eines Drittschuldners, der Stand einer Erbauseinandersetzung u.ä. cc) Offensichtlich völlig wertlose Gegenstände oder eindeutig im Wege der Zwangsvollstreckung nicht verwertbare Objekte (z.B. die Firma, Firmenmantel des Kaufmanns) brauchen nicht angegeben zu werden; BGHSt 13 S. 348 f; 14 S. 349. dd) Die Angabe fingierter Vermögensstücke macht die Versicherung hingegen falsch, denn dadurch kann der Gläubiger zu zwecklosen Vollstreckungshandlungen veranlaßt werden; BGHSt 7 S. 375. ee) Daß der Versichernde sich durch eine wahrheitsgemäße Angabe einer Straftat bezichtigen würde, berührt die Offenbarungspflicht nicht, doch unterliegen diese An-

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gaben in bezug auf ein Strafverfahren einem Verwertungsverbot; dazu BVerfG NJW 1981 S. 1431 ff. ff) Der Irrtum über die Offenbarungspflicht hinsichtlich bestimmter Vermögensgegenstände ist Tatbestandsirrtum; KG JR 1985 S. 161. 5. Fahrlässiger Falscheid und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt, § 163 a) Die objektiven Voraussetzungen des $ 163 entsprechen denen der §§ 154, 155, 156. - Falsch ist auch hier eine Aussage oder Versicherung, die nicht das wirkliche oder reproduzierbare Erinnerungs- bzw. Wissensbild des Äußernden wiedergibt. b) Die Fahrlässigkeit des Täters kann im wesentlichen auf drei verschiedenen Gründen beruhen: aa) Der Täter erkennt nicht, daß seine Angaben falsch sind, obwohl er bei entsprechender Anspannung seiner Geistesgaben die Diskrepanz zwischen den Angaben und seinem Erinnerungsbild hätte erkennen können. Bei einem Zeugen ist dies der Fall, wenn er aus Nachlässigkeit sein noch im Gedächtnis bestehendes Erinnerungsbild nicht dementsprechend wiedergibt, wenn er etwas Unzutreffendes als sicheres Erinnerungsbild hinstellt, obwohl er es wegen fehlender Überlegung nicht als sicheres Wissen ausgeben darf, oder wenn er es vorwerfbar unterläßt, tatsächliche Anhaltspunkte oder äußere Hilfsmittel zu benutzen, die sich ihm während der Vernehmung darbieten und die geeignet sind, mindestens Zweifel an der Richtigkeit seines Erinnerungsbildes zu wecken. Dazu OLG Köln MDR 1980 S. 421; OLG Koblenz JR 1984 S. 422 mit Anm. BOHNERT S. 425 ff. Beispiel: Der Vertreter A sagt vor Gericht als Zeuge aus, er sei am 13. bei G in dessen Gastwirtschaft gewesen. In Wirklichkeit war er erst am 2.3. bei G. Dem A ist bekannt, daß andere Zeugen ihn dort nur am 2.3. gesehen haben wollen. Da A jedoch sicher glaubt, am 13. in der Gaststätte gewesen zu sein, ist er über die Aussagen der anderen Zeugen sehr verblüfft. Er hält es gleichwohl nicht für nötig, in seinem Auftragsbuch, in dem der Besuch bei G verzeichnet ist, noch einmal nachzuschauen. Ergebnis: Nach den ihm gegebenen Möglichkeiten hätte er erkennen können, daß sein Erinnerungsbild falsch war. Wenn er es dennoch wiedergab, ohne von den ihm zur Verfügung stehenden Prüfungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, handelte er sorgfaltspflichtwidrig und damit fahrlässig. Im Gegensatz zum Zeugen, der keine Vorbereitungspflicht, sondern nur eine Konzentrations- und Prüfungspflicht hat, haben der Sachverständige, die Prozeßpartei und der zur Offenbarung seines Vermögens verpflichtete Schuldner aufgrund ihrer Verfahrensstellung eine Informationspflicht vor der Aussage, d.h. eine Vorbereitungspflicht. Dazu WILLMS LK, § 163 Rdn. 6 ff m.w.N.

bb) Der Täter ist sich bewußt, daß er falsche Angaben macht, erkennt aber nicht, daß diese Angaben noch zum wahrheitspflichtigen Inhalt seiner Aussage gehören, d.h. unter die Wahrheitspflicht fallen. cc) Der Täter hält die den Eid bzw. die die Versicherung abnehmende Behörde irrig für unzuständig.

IV. Teilnahme und unmittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten 1. Teilnahme Die Interpretation der Aussagedelikte als eigenhändige Straftaten schließt zwar die Täterschaft von Außenstehenden, nicht aber deren Teilnahme aus. Anstiftung und Beihilfe bestimmen sich nach den allgemeinen Regeln. - Als Teilnehmer haftet je-

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Delikte gegen die Rechtspflege

doch nicht, wer durch sein Prozeßverhalten ausschließlich die Möglichkeit eröffnet, daß ein anderer - ohne vorheriges Einvernehmen - ein Aussagedelikt begeht. a) Teilnahme durch positives Tun aa) Eine Teilnahme durch positives Tun aufgrund prozeßordnungsgemäßer Äußerungen und Prozeßhandlungen eines Prozeßbeteiligten scheidet von vornherein aus, denn nach materiellem Recht können nicht Verhaltensweisen mit Strafe bedroht werden, die die entsprechende Prozeßordnung ausdrücklich erlaubt. Schweigen oder Leugnen des Angeklagten, das eine falsche Aussage verursacht, kann als solches keine Strafbarkeit des Angeklagten begründen.

bb) Aber auch für ein prozeßordnungswidriges Verhalten gilt gleiches: Wer wider besseres Wissen einen Anspruch bestreitet oder behauptet und dadurch die Benennung eines Zeugen veranlaßt oder sogar selbst den Zeugen benennt, haftet für dieses Verhalten allein noch nicht als Teilnehmer. Die zivilprozessuale Wahrheitspflicht, § 138 ZPO, ändert daran nichts, denn sie bürdet demjenigen, der sich prozeßordnungswidrig verhält, noch nicht die Verantwortung für das strafbare Verhalten eines anderen auf, der eine falsche Aussage macht, ohne hierbei im Einverständnis mit dem Benennenden tätig zu werden. Die bloße Eröffnung der Möglichkeit, ein Delikt zu begehen, zu dem sich ein anderer sodann im Rechtssinne frei verantwortlich entschließt, begründet noch keine strafrechtliche Haftung als Teilnehmer. So auch: BGH 1 StR 379/51 S. 13 f; BGH 4 StR 306/55 S. 2; RUDOLPHI SK, Vor § 153 Rdn. 51; VORMBAUM Schutz, S. 293 f. - A A . MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 7 3 V I A ; SCH/SCH/LENCKNER

Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 37; WLLLMS LK, § 154 Rdn. 15.

b) Teilnahme durch Unterlassen Auch eine Haftung als Teilnehmer durch Unterlassen kann ein prozeßordnungswidriges Verhalten als solches nicht begründen, soll nicht letztlich aus § 138 ZPO wiederum eine Verantwortung für fremdes deliktisches Verhalten hergeleitet werden. aa) Unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung stellte der BGH in BGHSt 17 S. 321 fest, daß das wahrheitswidrige Bestreiten allein noch keine Garantenpflicht zur Verhinderung des Meineids eines Zeugen auslöse, daß Vorverhalten müsse vielmehr eine prozeßinadäquate, besondere Gefahr einer Falschaussage begründen. Als solche Gefahren sollen die Beschränkung der Entschlußfreiheit des Zeugen, z.B. durch die Fortsetzung des ehewidrigen Verhaltens während des Scheidungsprozesses, und die Ausnutzung der Tatsache, daß der Zeuge unterwürfig ist und sich bereits durch Lügen im Vorfeld des Prozesses "festgefahren hat", angesehen werden. Es sollen verwandtschaftliche oder eheliche Bindungen eine Rolle spielen. Dazu BGH 4 StR 306/55 S. 4; BGHSt 6 S. 322; BGHSt 17 S. 321; BGH 1 StR 504/60 S. 5; KG JR 1969 S. 27 mit abl. A m n . LACKNER S. 29 ff.

bb) Doch auch diese Begrenzung der Garantenpflicht ist noch zu weit. Eheliche oder verwandtschaftliche Bindungen begründen keine Garantenpflicht gegenüber der Rechtspflege. Das Vorverhalten muß vielmehr als solches bereits eine inadäquate Gefährdung der Rechtspflege darstellen derart, daß die Möglichkeiten sachgemäßer Tatsachenermittlung bereits durch dieses Verhalten beeinträchtigt werden. Dies ist erörterungswürdig in dem Fall, daß z.B. jemand einen anderen zu einer uneidlichen

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falschen Aussage vor Gericht angestiftet hat und es nun zu einer Vereidigung kommen läßt, ohne aufklärend einzugreifen. Vgl. dazu auch OLG Köln NStZ 1990 S. 594; RUDOLPHI SK, Vor § 153 Rdn. 52 f; SCH/SCH/ LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 40. Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Ingerenz: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 9 III 1.

2. Versuch der Anstiftung zur Falschaussage, § 159 Eine Bestrafung wegen versuchter Anstiftung zu einem Aussagedelikt unter Anwendung des § 30 ist allein beim Meineid, §§ 154,155, möglich, da nur dieser ein Verbrechen i.S. des § 12 darstellt. In § 159 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 (Versuch der Anstiftung zu einem Verbrechen) auf die Taten nach §§ 153, 156 erweitert, weil er die versuchte Anstiftung auch hier als besonders gefährlich einstufte. Diese Regelung ist kriminalpolitisch gleichwohl wenig überzeugend, denn da der Versuch der Falschaussage bzw. der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung nicht unter Strafe gestellt ist, ergeben sich eigenartige Konsequenzen für den Fall, daß die Tat des Haupttäters nur zum Versuch gediehen ist: Der Haupttäter bleibt straflos, obwohl seine kriminelle Energie im Regelfall größer ist als die des erfolglos anstiftenden Hintermannes. - Die hier begründeten Diskrepanzen will der BGH dadurch mildern, daß er § 159 dann nicht anwenden will, wenn die Tätigkeit des Angestifteten aufgrund des Tatplans nur zu einem untauglichen Versuch führen kann. BGHSt 24 S. 38: A fordert die V auf, eine falsche eidesstattliche Versicherung zur Vorlage beim Strafrichter abzugeben, in der sie versichert, sie wisse, A sei unschuldig. BGH: A ist nicht strafbar, da die Tat der V nur zu einem untauglichen Versuch geführt hätte.

Unabhängig von der Frage, ob im konkreten Fall nicht in der Person der V ein Wahnverbrechen vorgelegen hätte - dazu K R E Y B . T . 1, Rdn. 5 8 5 -, so daß A aus diesem Grund straffrei bleiben mußte, läßt sich eine Differenzierung zwischen tauglichem und untauglichem Versuch sowie völligem Fehlschlag der Anstiftung aus § 159 nicht entnehmen. Es kommt allein auf die Vorstellung des Anstiftenden an, daß der Angestiftete das entsprechende Delikt begehen wird. So kriminalpolitisch begrüßenswert die Einschränkung des § 159 hier auch sein mag, mit dem Gesetz ist sie nicht in Einklang zu bringen. So auch: DREHER M D R 1971 S. 410 f; LACKNER StGB, § 159 A n m . 3; RUDOLPHI SK, § 159 R d n . 3; SCHRÖDER J Z 1971S. 563 f; TRÖNDLE G A 1973 S. 337; WEBER in: A r z t / W e b e r , L H 5, R d n . 366. - A A KREY B.T. 1, R d n . 587 f; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 73 VI B 1; VORMBAUM G A 1986 S. 367; WILLMS LK, § 159 R d n . 1.

a) Objektiv setzt § 159 einen Versuch des Bestimmens voraus, d.h. Handlungen, mit denen der Täter unmittelbar zur Willensbeeinflussung des Anzustiftenden ansetzt. Verabredungen zu einem Gespräch, Erkundigungen über das Wissen eines anderen oder über seine Stellung zu anderen Verfahrensbeteiligten genügen dazu noch nicht.

b) Die Anstiftung darf nicht zum Erfolg (falsche uneidliche Aussage, falsche Versicherung an Eides Statt) geföhrt haben. Der Grund des Mißlingens - Anstiftungsbrief erreicht den Adressaten nicht, es kommt nicht zur Vernehmung, der Anzustiftende ist schon zuvor zur falschen Aussage entschlossen, der Zeuge erkennt den Anstiftungsversuch nicht und sagt gutgläubig falsch aus - ist gleichgültig.

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Delikte gegen die Rechtspflege

c) Der Vorsatz des Anstifters muß sich darauf beziehen, einen anderen zu einer falschen uneidlichen Aussage oder Versicherung an Eides Statt zu bestimmen; bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz braucht sich nicht auf alle Einzelheiten der Tat zu erstrecken, muß sie aber in ihren groben Umrissen erfassen.

d) § 159 verweist uneingeschränkt auf § 30 Abs. 1. Strafbar gemäß §§ 159, 30 Abs. 1 ist daher auch die versuchte Anstiftung zur Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage und Versicherung an Eides Statt (Kettenanstiftung). So auch MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, $ 73 V I B 5. - A.A. RUDOLPHI SK, § 159 Rdn. 8; SCH/SCH/LENCKNER § 159 Rdn. 7.

Straflos ist hingegen die versuchte Anstiftung zur Beihilfe und die Beihilfe zum Anstiftungsversuch. e) Die Rücktrittsvorschriften des 5 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 gelten gemäß § 159 a.E. entsprechend. 3. Verleitung zur Falschaussage, § 160 Da die Aussagedelikte eigenhändige Delikte sind, kommt bei ihnen nach den allgemeinen Regeln eine mittelbare Täterschaft nicht in Betracht. Die hier befürchtete Strafbarkeitslücke soll § 160 schließen: Bestraft wird, wer bewirkt, daß ein anderer unvorsätzlich gutgläubig einen falschen Eid leistet, eine falsche Versicherung an Eides Statt abgibt oder eine falsche uneidliche Aussage macht. Während § 159 voraussetzt, daß der Aussagende bösgläubig handelt, verlangt das Verleiten in § 160 Gutgläubigkeit des Aussagenden. Er ist Werkzeug in der Hand des Hintermannes. a) Nach der Pflichttheorie ist die Aussage auch hier falsch, wenn der Erklärende aufgrund der Einflußnahme des Hintermannes eine Aussage macht oder Erklärung abgibt, die nicht seinem möglichen Erinnerungsbild bzw. Wissensbild entspricht, was ihm selbst allerdings nicht bewußt ist. Ist es dem Verleiteten aufgrund des Einflusses jedoch nicht mehr möglich, zu erkennen, daß seine Aussage von seinem ursprünglichen Erinnerungs- oder Wissensbild abweicht, so daß er nicht einmal fahrlässig bei der Abgabe der Aussage bzw. Erklärung handelt, kann von einer pflichtwidrigen Aussage in seiner Person keine Rede sein. Konsequent muß die Pflichttheorie hier eine falsche Aussage verneinen, will sie nicht im Rahmen des § 160 zur objektiven Theorie Zuflucht nehmen oder als falsch bereits die Aussage ansehen, die nicht mit dem Wissens- oder Erinnerungsbild des Verleiteten vor der Einflußnahme durch den Hintermann übereinstimmt. - Nennenswerte Strafbarkeitslücken dürften allerdings durch die konsequente Anwendung der Pflichttheorie auch im Rahmen des § 160 nicht eröffnet werden, denn der Fall, daß der Hintermann so sorgfältig und erfolgreich arbeitet, daß der Verleitete überhaupt nicht mehr erkennen kann, daß sein Wissens- oder Erinnerungsbild verfälscht wurde, dürfte äußerst selten sein. Dazu vgl. auch: SCHMIDHÄUSER OLG Celle-Festschrift, S. 227.

b) Das Verleiten kann durch beliebige Mittel erfolgen, nicht genügt aber auch hier die bloße Eröffnung der Möglichkeit zur Aussage durch Benennung als Zeuge o.ä., da das Verleiten - wie die mittelbare Täterschaft - eine über die bloße Eröffnung der Möglichkeit, eine Aussage zu machen oder eine Erklärung abzugeben, hinausgehende Einwirkung auf das "Werkzeug" voraussetzt.

§ 97 Aussagedelikte

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c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muß sich insbesondere darauf erstrecken, daß die Aussageperson gutgläubig eine falsche Aussage macht. d) Der Irrtum des Hintermanns über die Gutgläubigkeit der Aussageperson. aa) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig für gutgläubig, so ist er objektiv Anstifter, hält sich aber für einen Verleitenden i.S. des § 160. Beispiel: A versucht dem B, der als Zeuge vor Gericht über die Anwesenheit des A an einem bestimmten Ort am 20.10. aussagen soll, einzureden, daß sie sich dort getroffen haben. In Wirklichkeit fand das Treffen am 19.10. statt. - B merkt, daß A ihm etwas Falsches einreden will, läßt sich aber nichts anmerken und sagt im Sinne des A aus. Der BGH und ein Teil der Lehre wollen hier Vollendung des § 160 bejahen und geben diesem damit die Funktion eines Auffangtatbestandes für alle Fälle, in denen keine Bestrafung wegen Anstiftung möglich ist. Vgl. dazu BGHSt 21 S. 116; HRUSCHKA/KASSER JUS 1972 S. 713; LACKNER StGB, § 160 Anm. 3 a; PREISENDANZ § 160 A n m . 4; RUDOLPHI S K , § 160 R d n . 4; SCH/SCH/LENCKNER § 160 R d n . 9; WEBER

in: Arzt/Weber, LH 5, Rdn. 361; WESSELS B.T.-l, § 17 V 3.

Für diese Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 160 besteht jedoch kein Anlaß, da der Versuch der Verleitung zur Falschaussage strafbar ist, § 160 Abs. 2, und in der hier relevanten Fallkonstellation ein Versuch vorliegt. Die vom Hintermann beabsichtigte Gefährdung der Rechtspflege durch ein gutgläubiges Werkzeug, zu der der Hintermann durch Einflußnahme auf den Aussagenden unmittelbar ansetzte, ist nicht gelungen. Der Hintermann ist wegen eines Versuchs der Verleitung zur Falschaussage strafbar. Vgl. DREHER/TRÖNDLB § 160 R d n . 3; GALLAS E n g i s c h - F e s t s c h r i f t , S. 600; KREY B . T . 1, R d n . 572; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 7 3 V I D ; WELZEL Lb., § 7 7 V 2 e.

bb) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig für bösgläubig, so will er selbst Anstifter sein, während er objektiv den Aussagenden verleitet. OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 S. 141: A will B dazu bestimmen, eine falsche eidesstattliche Versicherung abzugeben. B merkt dies nicht und glaubt sich an das Geschehen so zu erinnern, wie A es ihr darstellt. Sie gibt die falsche Versicherung an Eides Statt gutgläubig ab. OLG: Wenn die Beweisperson entgegen der Vorstellung des Hintermanns allenfalls fahrlässig die falsche Versicherung an Eides Statt abgibt, liegt ein Versuch der Anstiftung zur falschen Versicherung an Eides Statt nach §§ 159,30 Abs. 1 vor. So auch: GALLAS Engisch-Festschrift, S. 619 f; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 73 VI D. - Für

§§ 26,154 bzw. §§ 26,153,156: DREHER/TRÖNDLB § 160 Rdn. 3.

e) Da der Versuch des § 160 strafbar ist, reicht die Strafbarkeit des Verleitenden hier weiter als die des Täters der §§ 153, 156, weil dort der Versuch nicht strafbar ist. - Über die kriminalpolitische Angemessenheit dieses Ergebnisses läßt sich streiten, nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es jedoch zwingend. Vgl. auch: LACKNER StGB, § 160 Anm. 3 b; SCH/SCH/LENCKNER § 160 Rdn. 10. - A A . HIRSCH J Z 1955 S. 234 f; WLLLMS L K , § 160 R d n . 7.

V. Strafmilderung und Absehen von Strafe 1. Aussagenotstand, § 157 Abs. 1 a) Über die allgemeinen Notstandsvorschriften, §§ 34, 35, hinausgehend eröffnet § 157 Abs. 1 die Möglichkeit einer Strafmilderung für jene Zwangslage, die dadurch

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entstehen kann, daß die Beweisperson einerseits durch wahre Angaben sich selbst oder einen Angehörigen - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 1 - der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt, andererseits jedoch einer zwangsweise durchsetzbaren prozessualen Aussagepflicht unterworfen ist. Daraus folgt: aa) Nur Zeugen und Sachverständigen ist die Berufung auf die Zwangslage eröffnet, nicht dagegen Parteien, da diese nicht unter Aussage- und Eideszwang stehen. Auch eine analoge Anwendung des § 157 kommt hier nicht in Betracht. bb) Die Anwendung des § 157 Abs. 1 wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Zeuge die Aussage verweigern könnte, denn die Angabe der Gründe der Auskunftsverweigerung kann ihn in die gleich Zwangslage bringen; dazu BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 460; OLG Stuttgart NJW 1978 S.711. - Unschädlich ist es auch, daß der Zeuge sich selbst zur Aussage anbot, denn es ist ohne Belang, ob der Täter die Konfliktslage verschuldet hat oder nicht. Vgl. WlLLMS LK, § 157 Rdn. 5. - Einschränkend bei verschuldeter Zwangslage: RUDOLPHISK, § 157 R d n . 14; S C H / S C H / L E N C K N E R § 1 5 7 R d n . 11.

cc) Anstifter und Gehilfen sowie dem Verleitenden nach § 160 kommt § 157 Abs. 1 nicht zugute, da sie nicht unmittelbar in der Zwangssituation stehen. Vgl. BGHSt 1 S. 28; 2 S. 379; 7 S. 5; D R E H E R / T R Ö N D L E § 157 Rdn. 1. - A A . Festschrift, S. 491.

BEMMANN

H.Mayer-

dd) Eine Erstreckung des § 157 auf Mitglieder einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft führt über den Gesetzeswortlaut hinaus. Vgl. BayObLG NJW 1986 S. 202 mit zust. Anm. OTTO JK, StGB § 11/2, und abl. Anm. KRÜMPELMANN/HENSEL J R 1987 S. 41 f.

b) Der Täter muß die Unwahrheit gesagt haben, um die Gefahr abzuwenden, bestraft oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung unterworfen zu werden. Maßgeblich ist die Absicht des Täters. Ob eine solche Gefahr bestand, ist daher nach den Vorstellungen des Täters festzustellen. Vgl. dazu BGHSt 8 S. 317; OLG Düsseldorf NJW 1986 S. 1822. - Weiter BGH NJW 1988 S. 2391: Es genügt für die Anwendung des § 157, daß der genannte Beweggrund nicht auszuschließen ist.

aa) Strafe ist Bestrafung durch die ordentlichen Strafgerichte. Die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit genügt nicht. - Die freiheitsentziehenden Maßregeln ergeben sich aus §§ 63-66. bb) Auch dann, wenn der Täter die Strafe nicht abwenden, sondern nur mildern will, ist § 157 Abs. 1 anwendbar. BGH NJW 1980 S. 2264: Die A sagte im Strafverfahren gegen ihren Ehemann wegen Totschlags, § 212, falsch aus, um eine Anwendung des § 213 zu ermöglichen. BGH: § 157 Abs. 1 ist anwendbar.

cc) Wer unbewußt von der Wahrheit abweicht, kann damit nicht die geforderte Absicht verbinden. Beim fahrlässigen Aussagedelikt, § 163, kommt § 157 Abs. 1 daher nicht zur Anwendung. c) Die Bestrafung muß wegen einer Straftat drohen, die zeitlich vor der falschen uneidlichen Aussage oder dem Meineid liegt. - In Betracht kommt jedes Delikt. aa) Unanwendbar ist § 157 Abs. 1 danach aber, wenn der Zeuge in gleicher Instanz eine oder mehrere falsche Aussagen in einem späteren Termin beschwört. Aus-

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sage und Meineid bilden eine Tateinheit, es fehlt an der Vortat, auch wenn andere Delikte mit den falschen Aussagen in Idealkonkurrenz begangen wurde. Es liegt nur eine Tat vor. Vgl. dazu BGHSt 8 S. 319; 9 S. 121 mit Anm. ARMIN KAUFMANN JZ1956 S. 605 f.

bb) Wird der zur Deckung einer Falschaussage geleistete Meineid erst in einer späteren Instanz geleistet, so bleibt § 157 Abs. 1 anwendbar, es sei denn, die beiden Aussagedelikte bilden eine fortgesetzte Handlung. Vgl. BGHSt 8 S. 320; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 711. • Einen grundsätzlichen Ausschluß des § 157 Abs. 1 befürworten hier: SCH/SCH/LENCKNER $ 157 Rdn. 8,11. Stets anwenden will BUSCH - GA 1955 S. 264 - § 157 in diesen Fällen.

cc) § 157 bleibt anwendbar, wenn der Eid im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt, um falsche Aussagen im ersten Verfahren zu decken, auch wenn wegen dieser Aussagen schon ein rechtskräftiger Freispruch erfolgte, da die Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht kommen könnte, § 362 Nr. 4 StPO; dazu BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 280. 2. Aussagen Eidesunmündiger, § 157 Abs. 2 § 157 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit der Milderung oder des Absehens von Strafe für uneidliche Aussagen eines Eidesunmündigen, auch wenn keine Zwangslage i.S. des § 157 Abs. 1 bestand. 3. Berichtigung einer falschen Angabe, §§ 158,163 Abs. 2 a) Der Anwendungsbereich des § 158 aa) Personell ist § 158 nicht nur auf Zeugen und Sachverständige anwendbar, sondern auch auf Parteien und Teilnehmer. Eine analoge Anwendung kommt für den Verleitenden i.S. des § 160 in Betracht, denn maßgeblich ist die Zielsetzung des § 158, möglichst umfassend eine Abwendung der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu ermöglichen. bb) Sachlich setzt § 158 eine vollendete falsche Aussage voraus. Daran kann es z.B. bei konkludentem Widerruf vorheriger falscher Angaben und anschließender berechtigter Aussageverweigerung fehlen; BGH StV 1982 S. 420. Im Falle des versuchten Meineids ist § 158 neben § 24 anwendbar. Das ist bedeutsam, da § 158 keine freiwillige, sondern nur eine rechtzeitige Berichtigung verlangt. Beispiel: (nach BGHSt 4 S. 175): Beim Aussprechen der Eidesformel besinnt sich A, der eine falsche Aussage beschwören wollte, eines Besseren. Er bricht die Eidesleistung ab, gesteht, daß seine Aussage falsch war, und bekundet nunmehr die Wahrheit. 1. Alternative: Dies geschah, weil A sich nicht eines Meineids schuldig machen wollte. 2. Alternative: Dies geschah, weil A bewußt wurde, daß seine Aussage bereits als falsch erkannt worden war, so daß er den gewünschten Einfluß auf den Prozeß nicht mehr nehmen konnte. Ergebnis in der 1. Alternative: Straffreiheit bzgl. des versuchten Meineids, § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt.; Anwendung des § 158 bzgl. der falschen Aussage. Ergebnis in der 2. Alternative: § 24 Abs. 1 S. 1,1. Alt. nicht anwendbar, da A nicht freiwillig handelte; Anwendung des § 158 aber auf falsche Aussage und versuchten Meineid.

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Delikte gegen die Rechtspflege

b) Die Berichtigung Berichtigung ist die Ersetzung der falschen Angabe in allen wesentlichen Punkten durch Mitteilung der Wahrheit. - Jedoch ist zu beachten: aa) Für die Berichtigung genügt es, daß der Aussagende mit der Erklärung, so etwas nie gesagt zu haben oder es nicht so gesagt zu haben, von seiner früheren falschen Darstellung eindeutig abweicht und sie durch eine wahrheitsgemäße Aussage ersetzt; OLG Hamburg J R 1981 S. 383 mit Anm. RUDOLPHI S. 384 ff. bb) Ist nicht aufklärbar, ob die zweite oder die erste Aussage richtig war, so soll § 158 nach h.M. in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" Anwendung finden. Vgl. BayObLG NJW 1976 S. 860 mit Anm. KÜPER NJW1976 S. 1828 ff, und STREB JR 1976 S. 470 ff; DERS. In dubio pro reo, 1962, S. 29 ff. - A A . UlBEL NJW 1960 S. 1893 f.

c) Die Berichtigungsstelle Gemäß § 158 Abs. 3 kann die Berichtigung bei der Behörde erfolgen, bei der die Falschaussage erstattet wurde oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem beliebigen Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde. d) Der Zeitpunkt der Berichtigung Die Berichtigung muß rechtzeitig erfolgen. - Verspätet ist die Berichtigung gemäß § 158 Abs. 2: aa) Wenn sie bei der Entscheidung - das sind nur Sachentscheidungen, die den Fall ganz oder teilweise erledigen - nicht mehr berücksichtigt werden kann; bb) wenn aus der Tat schon ein - über die bloße Verschlechterung der Prozeßlage hinausgehender - Nachteil für einen anderen entstanden ist; cc) wenn bereits gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist. Maßgeblich für den Zeitpunkt ist der Eingang der Berichtigung bei einer der zuständigen Behörden, nicht der der Kenntnisnahme durch den zuständigen Beamten. e) Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen gemäß § 158 Abs. 1 und § 163 Abs. 2 sind unterschiedlich: Bei den Falschaussagen i.S. der §§ 153, 154, 156 kann der Richter die Strafe gemäß § 49 Abs. 2 mildern oder ganz von Strafe absehen. - Bei den fahrlässigen Falschaussagen ist die Straflosigkeit obligatorisch.

§ 98: Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 336 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege in ihrer speziellen Aufgabe, richtiges Recht zu sprechen. Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 2. Rechtssache und Partei Rechtssache ist eine Rechtsangelegenheit, bei der mehrere Beteiligte mit widerstreitenden rechtlichen Belangen einander gegenüberstehen können, wenn über

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sie nicht durch Verwaltungsmaßnahmen zu befinden ist, sondern in einem rechtlich geregelten Verfahren eine richterliche oder eine dieser gleichkommende Entscheidung zu treffen ist; BGHSt 24 S. 327; 34 S. 146. - Partei ist jeder Beteiligte an der Rechtssache. Rechtssachen sind danach alle Rechtsstreitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten sowie Verfahren vor den Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs-, Finanz- und Verfassungsgerichten, Disziplinarverfahren und das Verwaltungsvorverfahren, das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, soweit alleinverantwortliche Entscheidungen der StA in Betracht kommen (vgl dazu BGHSt 32 S. 357; OLG Bremen NStZ 1986 S. 120). Keine Rechtssachen sind das Steuerfestsetzung!- und Steuerveranlagungsverfahren (BGHSt 24 S. 326; OLG Celle NStZ 1986 S. 513); Kostenfestsetzungsverfahren durch Rechtspfleger (OLG Düsseldorf MDR 1987 S. 604); Sozialhilfeverfahren (OLG Koblenz GA 1987 S. 553).

3. Die Tathandlung Das Recht beugt, wer Gesetz und Recht dadurch verletzt, daß er die ihn treffenden Pflichten als Richter (nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 auch Schöffen!), Amtsträger oder Schiedsrichter bei der Ermittlung des Sachverhalts oder der Anwendung des Rechts verletzt. So auch: BEHRENDT JuS 1989 S. 946 ff; GEPPERT Jura 1981 S. 80; RUDOLPHI ZStW 82 (1970) S. 628 ff; SCHMIDHÄUSERB.T., 23/44; WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 199 ff (Pflichttheorie).

Auf die objektive Rechtsverletzung stellen ab: OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 1374; BEMMANN GA 1969 S. 65 ff; MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 74 II 3; SEEBODE J u S 1969 S. 204; SPENDEL LK, § 336

Rdn. 41 (objektive Theorie). Das Handeln des Täters gegen seine Rechtsüberzeugung halten für maßgeblich: SARSTEDT HeinitzFestschrift, S. 427 ff, V WEBER NJW 1950 S. 272 ff (subjektive Theorie).

Die Tathandlung muß zu einem schädlichen Erfolg, der Verbesserung oder der Verschlechterung der Lage einer Partei geführt haben. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auf die Verletzung der Rechtspflichten und deren begünstigende oder benachteiligende Wirkung für eine Partei beziehen muß. A A H . G . KRAUSE N J W 1977 S. 285 f; I. MÜLLER N J W 1980 S. 2390 ff.

5. Schutzfunktion zugunsten des Entscheidenden § 336 hat für den Entscheidenden in einer Rechtssache eine nicht unerhebliche Schutzfunktion: Wer wegen seiner Tätigkeit bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zur Verantwortung gezogen wird, kann auch nach anderen Vorschriften als § 336 (insbes. nach §§ 211, 212, 239) nur dann verurteilt werden, wenn ihm eine Rechtsbeugung i.S. des § 336 nachgewiesen wird. Vgl. auch BGHSt 10 S. 294; BGH NJW 1984 S. 2712; OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 396 mit Anm. OTTO J K 90, S t G B § 3 3 6 / 3 ; LACKNER S t G B , § 336 A n m . 8; RUDOLPHI SK, § 336 R d n . 22; SPENDEL LK, § 336 R d n . 129. - A A . SCH/SCH/CRAMER § 336 R d n . 7.

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II. Aussageerpressung, § 343 Geschützt ist die Rechtspflege. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des 9 28 Abs. 2. D a z u MAIWALD JUS 1977 S. 358; SCH/SCH/CRAMER { 343 R d n . 1. - A A . DREHER/TRÖNDLB $ 343

Rdn. 1; GEPPBRT Jura 1981S. 81; LACKNER StGB, S 343 Anm. 1: echtes Amtsdelikt.

1. Der objektive Tatbestand Vorausgesetzt wird, daß ein Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2), der zur Mitwirkung an bestimmten Verfahren berufen ist, einen anderen körperlich mißhandelt - dazu oben § 15 I 1 a -, gegen ihn sonst Gewalt anwendet - dazu oben § 27 I 2 e -, ihm Gewalt androht - dazu oben § 2713 a - oder ihn seelisch quält - dazu oben § 20 II 2. Die Verfahren - Strafverfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung (Abs. 1 Nr. 1), Bußgeldverfahren (Abs. 1 Nr. 2), Disziplinarverfahren, ehrengerichtliche oder berufsgerichtliche Verfahren (Abs. 1 Nr. 3) - sind abschließend aufgezählt. Zum Strafverfahren gehören auch das Jugendgerichtsverfahren sowie das Verfahren zur Anordnung einer Maßnahme gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 8. Der Anordnung einer behördlichen Verwahrung dienen z.B. die Verfahren zur Anordnung der Fürsorgeerziehung t u d zur Unterbringung Geistes- und Suchtkranker. Zum Bußgeldverfahren vgl. §§ 35 ff OWiG; zu den Disziplinarverfahren z.B. die BDO; zu den ehrenund berufsgerichtlichen Verfahren z.B. §§ 116 ff BRAO, §§ 46 ff SteuerberatG.

2 Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands und die Absicht (zielgerichtetes Wollen), das Opfer zu einer verfahrensrelevanten Aussage oder Erklärung oder zu deren Unterlassung zu nötigen.

III. Verfolgung Unschuldiger, § 344 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. Bestraft wird die Verfolgung Unschuldiger in bestimmten Verfahren. 1. Der objektive Tatbestand a) § 344 Abs. 1 S. 1 setzt voraus, daß ein Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren - abgesehen von dem Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßregel (§11 Abs. 1 Nr. 8) - berufen ist, einen Unschuldigen, d.h. jemanden, der wegen der dem Verfahren zugrunde liegenden Tat nicht strafbar ist, oder jemanden, der nach dem Gesetz nicht verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt. - Straßare Verfolgung ist jedes dienstliche Tätigwerden im Rahmen eines Strafverfahrens. Das Hinwirken auf eine solche Verfolgung erfaßt die Tätigkeit von Hilfsorganen, die nicht selbst die Verantwortung für die Verfolgung tragen. Da es darauf ankommt, daß der Betroffene nicht verfolgt werden darf, entfällt der Tatbestand, wenn nach den einschlägigen Prozeßgesetzen eine Untersuchung trotz Kenntnis der Unschuld einer Person zu führen oder weiterzuführen ist, z.B. nach Eröffnung des Hauptverfahrens. So auch: MAURACH/SCHROEDER B.T. 2, § 74IV 3.

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b) In Abs. 1 S. 2 wird die entsprechende Tätigkeit eines Amtsträgers, der zur Mitwirkung an einem Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung berufen ist, erfaßt. c) Abs. 2 S. 1 erfaßt die entsprechende Tätigkeit des Amtsträgers im Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßnahme, § 11 Abs. 1 Nr. 8. d) Gemäß Abs. 2 S. 2 tritt an die Stelle der Verfolgung wegen einer Straftat oder rechtswidrigen Tat die wegen einer Ordnungswidrigkeit, eines disziplinarischen Vergehens oder solcher Vergehen, die im ehrengerichtlichen oder berufsgerichtlichen Verfahren geahndet werden. 2 Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Absicht oder Wissentlichkeif, bedingter Vorsatz genügt nicht. Ist der Amtsträger nicht subjektiv von der Unschuld des Verfolgten überzeugt oder kommt es ihm nicht darauf an, einen Unschuldigen zu verfolgen, so fehlt es am subjektiven Tatbestand. - Der Heranziehung der Lehre von der Sozialadäquanz oder des erlaubten Risikos bedarf es in diesem Falle nicht. Vgl. auch OLG München MDR 1 9 8 5 S. 7 8 1 mit Anm. HERZBERG JR 1 9 8 6 S. 6 ff, und GEPPERT JK, StGB § 3 4 4 / 1 ; OLG Düsseldorf JR 1 9 8 9 S . 1 1 8 mit Anm. L A N G E R S . 9 5 ff.

3. Konkurrenzen Gegenüber § 336 ist § 344 lex specialis. Im militärischen Disziplinarverfahren geht § 39 WStG als Spezialvorschrift vor. So auch: H O R N SK, § 3 4 4 Rdn. S. 83: Tateinheit.

15. - A A

DREHER/TRÖNDLE § 3 4 4

Rdn.

7; GEPPERT

Jura

1981

IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. Bestraft wird die Vollstreckung von Strafen oder Maßregeln, die nach dem Gesetz nicht oder nicht so vollstreckt werden dürfen. 1. § 345Abs. 1, 2 a) Abs. 1, 2 erfassen die mit Freiheitsentzug verbundene rechtswidrige Vollstrekkung einer Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 61 Nr. 1-4) oder einer freiheitsentziehenden behördlichen Verwahrung. - Vollstreckung ist jede dienstliche Tätigkeit und jedes pflichtwidrige Unterlassen, das den Erfolg der vollständigen oder teilweisen Vollziehung einer Rechtsfolge herbeiführt. b) Die Tat muß zumindest bedingt vorsätzlich (Abs. 1) oder leichtfertig (Abs. 2) begangen werden. - Leichtfertig bedeutet grob fahrlässig; OLG Hamm NStZ 1983 S. 459 m i t A n m . MÜLLER-DIETZ S. 460.

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Delikte gegen die Rechtspflege

2. §345 Abs. 3 a) Abs. 3 erfaßt in Satz 1 die rechtswidrige Vollstreckung von nicht freiheitsentziehenden Strafen (z.B. Geldstrafe) und Maßnahmen (§61 Nr. 5-7) sowie in Satz 2 die Vollstreckung weiterer, erschöpfend aufgezählter Maßregeln (Jugendarrest, Geldbuße oder Nebenfolge nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht, Ordnungsgeld, Ordnungshaft, disziplinarische, ehrengerichtliche und berufsgerichtliche Maßnahmen). b) Die Tat gemäß Abs. 3 erfordert zumindest bedingten Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar. 3. Konkurrenzen Tateinheit ist möglich mit § 336. - Gegenüber § 239 ist § 345 lex specialis.

V. Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d Die Vorschrift schränkt das Recht, aus Gerichtsverhandlungen oder Gerichtsakten Mitteilungen zu machen, für bestimmte Fälle ein, in denen dies zum Schutz der Rechtspflege nötig erscheint. 1. Der objektive Tatbestand der einzelnen Alternativen a) Nr. 1: Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot der öffentlichen Mitteilung über den sachlichen Inhalt einer Gerichtsverhandlung, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder über den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Schriftstücks. Ein gesetzliches Verbot der Mitteilung findet sich z.B. in § 174 Abs. 2 GVG. - Die Öffentlichkeit muß durch gerichtliche Anordnung ausgeschlossen worden sein, vgl. z.B. § 172 GVG. b) Nr. 2: Verstoß gegen die Schweigepflicht; dazu § 174 Abs. 3 GVG. Unbefugt heißt hier rechtswidrig und ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Als Befugnis, d.h. Rechtfertigungsgrund, kommt insbes. eine gesetzliche Aussagepflicht in Betracht. c) Nr. 3: Verstoß gegen das Verbot, Anklageschrift und bestimmte andere amtliche Schriftstücke im Wortlaut öffentlich mitzuteilen, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. Zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift: BVerfGE 71 S. 206 mit Anm. BOTTKE NStZ 1987 S. 3 1 4 ff, u n d HOFFMANN-RIEM J Z 1 9 8 6 S. 4 9 4 f.

Im Wortlaut öffentlich mitteilen setzt wortgetreue öffentliche Wiedergabe voraus, und zwar wesentlicher Teile des Schriftstücks. I m e i n z e l n e n d a z u O L G K ö l n J R 1980 S. 4 7 3 m i t A n m . BOTTKE S. 4 7 4 ff; SCHOMBURG Z R P 1982 S. 142 ff; TÖBBENS G A 1 9 8 3 S. 9 7 ff.

Private Schriftstücke werden nicht dadurch amtlich, daß sie in die Strafakten gelangen. So auch AG Hamburg NStZ 1988 S. 411 mit Anm. STRATE S. 412; LACKNER StGB, § 353 d Anm. 2 c. - A A O L G H a m b u r g N S t Z 1990 S. 2 8 3 m i t abl. A n m . SENFFT S t V 1990 S. 4 1 1 f; TRAEGER L K , § 3 5 3 d Rdn. 48.

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2 Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz. VI. Parteiverrat, § 356 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Die Vorschrift schützt die Rechtspflege, d.h. das Vertrauen in die Integrität der Rechtspflege. Die Schutz der persönlichen Treueverpflichtung gegenüber dem Auftraggeber ist nur Reflex dieses Schutzes. b) Rechtssachen sind alle Angelegenheiten des Zivil-, Straf-, Verwaltungsrechts und derfreiwilligenGerichtsbarkeit, bei denen mehrere Beteiligte in entgegengesetzem Interesse einander gegenüberstehen können. Vgl. OTTO Jura 1986 S. 222 m.w.N.

c) Täter kann jeder Rechtsbeistand im weiteren Sinne sein, der zur geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten amtlich zugelassen ist. - Es ist nicht erforderlich, daß der Täter den Beruf eines Rechtsbeistandes auf Dauer ausübt. Beispiele: Rechtsanwälte, jedoch nicht als Konkursverwalter (BGHSt 13 S. 231), Vormund (BGHSt 24 S. 191) oder Syndikus, wenn dieser weisungspflichtig tätig wird (dazu § 46 BRAO). - Patentanwälte; Hochschullehrer nach § 138 StPO; Referendare nach §§ 138 Abs. 2 und 142 Abs. 2 StPO; Prozeßagenten nach § 157 ZPO. - Letztere werden als täteruntauglich von denjenigen angesehen, die eine berufsmäßige Ausübung der Tätigkeit fordern; im einzelnen dazu HÜBNER LK, § 356 Rdn. 28 ff.

Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. 2. Der Grundtatbestand, Abs. 1 a) Abs. 1 erfaßt das Verhalten des Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes, der bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien dient. Anvertrauen ist bereits die Übertragung der Interessenwahrnehmung. - Parteien sind die an einer Rechtssache rechtlich beteiligten Personen. - Dienen ist jede berufliche Tätigkeit in der Eigenschaft als Anwalt oder Rechtsbeistand, rechtlicher oder tatsächlicher Art, durch die das Interesse einer Partei gefördert werden soll; vgl. BGHSt 20 S. 41. - Der Täter muß beiden Parteien dienen; die Verfolgung eigener Interessen gegen den früheren Auftraggeber ist daher nicht tatbestandsmäßig. - Ob dieselbe Rechtssache vorliegt, ist nach dem Interessenkreis zu beurteilen, den der Auftraggeber dem Täter anvertraut hat. Dabei kommt es nicht auf die Identität der einzelnen Ansprüche oder des Verfahrens an, sondern darauf, ob die sich aus dem Gesamtsachverhalt ergebenden Interessen möglicherweise identisch sind. Beispiele: Zwei aufeinanderfolgende Scheidungsprozesse, bei denen jeweils die andere Partei vertreten wird (BGHSt 17 S. 305; 18 S. 192); Strafverfahren und damit zusammenhängende Schadensersatzklage (BGH GA 1961 S. 203); Verteidigung des Ehemannes im Verfahren wegen eines Sexualdelikts und Vertretung der Ehefrau im Scheidungsverfahren (OLG Düsseldorf NJW 1959 S. 1050).

Pflichtwidrig dient der Anwalt, wenn er der anwaltlichen Berufspflicht (§ 45 Nr. 2 BRAO) zuwiderhandelt, d.h. wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache bereits in entgegengesetzem Interesse beraten oder vertreten hat. Daß er in beiden Verfahren denselben Rechtsstandpunkt vertritt, ist unerheblich; BGHSt 34 S. 190. -

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Delikte gegen die Rechtspflege

Eine Einwilligung des Auftraggebers ist irrelevant, da nicht seine Interessen, sondern die der Rechtspflege geschützt werden; BGH NStZ 1985 S. 74. - Eine Vertretung beider Parteien durch Anwälte derselben Sozietät ist nicht pflichtwidrig; OLG Stuttgart NJW 1986 S. 948. b) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz. Der Täter muß sich insbes. "der Identität des materiellen Rechtsverhältnisses" (BGHSt 15 S. 338) und des Interessengegensatzes bewußt sein. 3. Die Qualifikation, Abs. 2 Abs. 2 qualifiziert den Abs. 1 zum Verbrechen, wenn der Täter im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei handelt. Der Nachteil (Schaden) aufgrund der Tätigkeit des Täters braucht nicht eingetreten zu sein. Es genügt, daß sich der Täter der Verschlechterung der Rechtslage der anderen Partei bewußt ist; OLG Düsseldorf wistra 1989 S. 316.

Fünfter Abschnitt Delikte gegen den öffentlichen Dienst § 99: Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die öffentliche Verwaltung, und zwar das Vertrauen in die Unkäußchkeit von Trägern staatlicher Funktionen und in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen als Voraussetzung für ein sachgerechtes Funktionieren der Verwaltung. Im einzelnen dazu OLG Koblenz wistra 1985 S. 83; GEERDS Über den Unrechtsgehalt der Bestechungsdelikte und seine Konsequenzen für die Rechtsprechung und Gesetzgebung, 1961, S. 44 ff; JESCHECK LK, Vor § 331 Rdn. 17; LOOS Welzel-Festschrift, S. 879 ff.

2. Die Systematik des Gesetzes Das Gesetz unterscheidet zwischen passiver und aktiver Bestechung. a) Grundtatbestand der passiven Bestechung ist § 331 Abs. 1 (Vorteilsannahme). Qualifiziert ist der Tatbestand in § 331 Abs. 2 für Richter und Schiedsrichter hinsichtlich ihrer richterlichen Tätigkeit. Eine weitere Qualifizierung des § 331 Abs. 1, 2 findet sich sodann in § 332 Abs. 1, 2 (Bestechlichkeit). Das qualifizierende Element besteht in der pflichtwidrigen Diensthandlung. Der Zusammenhang zwischen pflichtwidriger Diensthandlung und Käuflichkeit begründet eine stärkere Erschütterung des Vertrauens in die Sachlichkeit der Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern als der Zusammenhang zwischen pflichtgemäßer Handlung und Käuflichkeit. b) Grunddelikt der aktiven Bestechung ist § 333 (Vorteilsgewährung). Einen qualifizierten Tatbestand enthält § 334 (Bestechung). c) § 335: Unterlassen der Diensthandlung, stellt klar, daß der Vornahme einer Diensthandlung oder einer richterlichen Handlung i.S. der §§ 331 - 334 auch das (vergangene oder künftige) Unterlassen der Handlung gleichsteht. d) § 335 a: Schiedsrichtervergütung, stellt klar, daß der sich gegen beide Parteien richtende Vergütungsanspruch des Schiedsrichters nicht als Vorteil i.S. der §§ 331 334 anzusehen ist. 3. Tatbeteiligte a) Täter des Delikts nach § 331 Abs. 1 und § 332 Abs. 1 können nur Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) sowie Offiziere und Unteroffiziere (§ 48 Abs. 1 WStG) oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§11 Abs. 1 Nr. 4) sein. Täter des Delikts nach § 331 Abs. 2 und 332 Abs. 2 kann nur ein Richter (§11 Abs. 1 Nr. 3) oder ein Schiedsrichter (dazu z.B. §§ 1025, 1048 ZPO) sein. - Die Täterposition ist strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1. Diese Personen haften wegen ihrer Tatbeteiligung allein gemäß §§ 331, 332 und nicht als Teilnehmer an der Tat des Vorteilsgebers (§§ 333, 334), auch wenn sie die-

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Delikte gegen den öffentlichen Dienst

sen zur Tat angestiftet oder über das notwendige Maß hinaus Beihilfe geleistet haben. Die §§ 331, 332 enthalten für den dort genannten Täterkreis eine Exklusivregelung. b) Umgekehrt ist das Verhalten des Vorteilsgebers abschließend in §§ 333, 334 erfaßt. Er kann wegen seines Verhaltens nicht als Teilnehmer einer Tat nach §§ 331, 332 bestraft werden, selbst dann nicht, wenn er nach §§ 333, 334 straflos bleibt, weil sich §§ 331, 332 einerseits und §§ 333, 334 andererseits nicht in vollem Umfang entsprechen: Die nachträgliche Belohnung einer an sich nicht pflichtwidrigen Diensthandlung oder richterlichen Handlung ist nämlich nicht in §§ 333, 334 erfaßt, wohl aber ist die Annahme der Belohnung gemäß § 331 strafbar. c) Die Teilnahme Dritter ist in den §§ 331 ff nicht ausdrücklich geregelt. Damit erscheinen die allgemeinen Regeln anwendbar mit der Konsequenz, daß der Teilnehmer auf Seiten des Vorteilsnehmers nach §§ 26, 27 i.V.m. §§ 331,332 haftet, der Teilnehmer auf Seiten des Vorteilsgebers nach §§ 26,27 i.V.m. §§ 333,334. Diese Differenzierung geht jedoch an der Tatsache vorbei, daß die Tat des Vorteilsgebers im Regelfall einen schwereren Unrechtsgehalt verwirklicht als die eines Außenstehenden, gleichgültig, ob er auf den Vorteilsnehmer oder -geber einwirkt, bzw. einen oder beide unterstützt. Daher erscheint es angemessen, allein den Vorteilsnehmer gemäß §§ 331, 332 zu erfassen, das Verhalten des Vorteilsgebers und an der Tat teilnehmender Dritter aber nach §§ 333, 334, bzw. unter Anwendung des Strafrahmens der §§ 333, 334 zu bestrafen. - Findet jedoch ein in § 331 erfaßtes Verhalten keine Entsprechung in § 333, so sind derartige Verhaltensweisen nicht nur für den Vorteilsgeber - dazu oben unter b) -, sondern auch für Dritte straffrei. Wer daher als Außenstehender den Amtsträger oder Richter veranlaßt, einen Vorteil nachträglich für eine schon vorgenommene pflichtgemäße Diensthandlung oder richterliche Handlung anzunehmen, haftet nicht als Teilnehmer zu § 331, sondern bleibt straffrei, weil § 333 insoweit nicht eingreift. So auch: BELL M D R 1979 S. 719; KREY B.T. 1, Rdn. 672; MAURACH/SCHROEDER B . T . 2, § 76 II 9; SCHMIDHÄUSER B.T., 24/10; SCH/SCH/CRAMER § 334 Rdn. 12 f; WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 399. - A A . RGSt 42 S. 383; DREHER/TRONDLE § 331 Rdn. 24; LACKNER StGB, § 331 ANM. 7.

II. Vorteilsannahme, § 331 1. Der Tatbestand des Abs. 1 Tathandlungen nach Abs. 1 sind das Fordern, Sichversprechenlassen oder Annehmen eines Vorteils als Gegenleistung für eine geschehene oder künftige Diensthandlung, die als solche nicht nachweisbar dienstpflichtwidrig ist. Das Verhalten muß daher auf eine "Unrechtsvereinbarung", d.h. eine Vereinbarung über die Käuflichkeit der Diensthandlung gerichtet sein. Diese braucht in der Alternative des Fordems nicht zum Abschluß gekommen zu sein, während in den Alternativen des Sichversprechenlassens oder des Annehmens die Unrechtsvereinbarung zustande gekommen sein muß. Keine Annahme daher, wenn der Vorteil ordnungsgemäß weitergeleitet oder nur zu Beweiszwecken genommen wird, da es dann an der übereinstimmenden Unrechtsvereinbarung fehlt.

§ 99 Bestechungsdelikte

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a) Vorteil ist eine Zuwendung, die - von der Diensthandlung abgesehen - unentgeltlich erfolgt und die wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage des Empfängers objektiv verbessert. Vorteile sind daher nicht nur Vermögensvorteile, sondern auch Zuwendungen immaterieller Art. Bei immateriellen Vorteilen wird man jedoch eine Erheblichkeit derart fordern müssen, daß es sich um eine persönliche Besserstellung handelt, die der Besserstellung durch einen erheblichen materiellen Vorteil vergleichbar ist. Daher ist die Gewährung des Geschlechtsverkehrs (RGSt 64 S. 291) als Vorteil anzuerkennen, nicht aber flüchtige Zärtlichkeiten (BGH MDR 1960 S. 63), die Zusage sexueller Handlungen (BGH NJW 1989 S. 914), die Befriedigung von Ehrgeiz, Eitelkeit oder auch Geltungsbedürfnis (AA. BGHSt 14 S. 128). - Prinzipiell gegen die Anerkennung immaterieller Vorteile GEERDS JR 1982 S. 385).

Sozialadäquate Zuwendungen, d.h. kleine Aufmerksamkeiten, deren Angebot den Regeln der Höflichkeit oder der Verkehrssitte entspricht - Angebote einer Zigarette, einer Tasse Kaffee, eines Kalenders oder ähnlichen Werbegeschenkes, Neujahrsgeschenke an Briefträger, die Angestellten der Müllabfuhr u.ä. - sind keine Vorteile i.S. des Gesetzes. D a z u auch: GEERDS Bestechungsdelikte, S. 76 ff; CREIFELDS G A 1962 S. 33 ff; FUHRMANN G A 1959 S. 97 ff.

Der Vorteil muß die Amtsperson selbst besser stellen. Zuwendungen an Dritte fallen nur unter den Tatbestand, wenn sie die Amtsperson mittelbar besser stellen. Das ist bei Angehörigen der Fall, wenn aus der Sicht des Empfängers die Zuwendung als Besserstellung des Amtsträgers angesehen wird und bei Zuwendungen an Dritte, insbes. an Organisationen, wenn die Position des Amtsträgers in der Organisation verbessert wird. Vgl. dazu BGHSt 35 S. 128 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 332/3, KUHLEN NStZ 1988 S. 433 ff, TENCKHOFF J R 1989 S. 33 ff.

b) Fordern ist das einseitige Verlangen des Vorteils. Sichversprechenlassen ist die Annahme eines auch nur bedingten Angebotes der späteren Zuwendung. - Annehmen ist das tatsächliche Empfangen des angebotenen Vorteils. c) Diensthandlungen - als Gegensatz zu bloß privaten Handlungen - sind die Handlungen (Unterlassungen gemäß § 335), durch die der Amtsträger die ihm übertragenen Aufgaben wahrnimmt. Keine Diensthandlungen sind erkennbare Privathandlungen, auch wenn diese bei Gelegenheit des Dienstes oder mit Kenntnissen aus dem Dienst wahrgenommen werden, wie z.B. Privat-Unterricht eines Lehrers (BGH GA 1966 S. 377); Detektivtätigkeit eines Polizeibeamten in seiner Freizeit (OLG Zweibrücken JR 1982 S. 381 mit Anm. GEERDS S. 384 ff).

Zwischen der Diensthandlung und dem Vorteil muß eine Beziehung bestehen. Der Vorteil muß als Gegenleistung gedacht sein. Er muß daher für die bestimmte geschehene oder künftige Dienstleistung gefordert werden oder der Gegenstand der hinreichend bestimmten Unrechtsvereinbarung (Sichversprechenlassen, Annehmen) sein. Vgl. dazu BGH NStZ 1984 S. 24; BGHSt 32 S. 290; BGH NStZ 1989 S. 74 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 332/5; OLG Düsseldorf JR 1987 S. 168 mit Anm. GEERDS S. 169 ff.

Ob die Diensthandlung wirklich vorgenommen worden ist oder vorgenommen wird, ist unbeachtlich. - Auch wenn der Täter nur vortäuscht, daß er die Diensthandlung vorgenommen habe oder vornehmen werde, hat er eine Unrechtsvereinbarung erstrebt und damit das Vertrauen in seine Amtsführung erschüttert. Dies ist unstreitig für künftige Diensthandlungen, gilt aber auch für in der Vergangenheit lie-

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Delikte gegen den öffentlichen Dienst

gende Diensthandlungen, da die Beeinträchtigung des geschütztes Rechtsguts insoweit identisch ist. So auch: GEERDS JR 1981S. 301 ff; JESCHECK LK, § 331 Rdn. 14; LACKNER StGB, § 331 Anm. 3 e. A A . BGHSt 29 S. 300; DÖLLING JuS 1981S. 572 ff; GÜLZOW M D R 1982 S. 802 ff; MAIWALD N J W 1 9 8 1

S. 2777 ff.

d) Der Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz. 2. Der Tatbestand des Abs. 2 Die Tathandlungen gemäß Abs. 2 unterscheiden sich von denen des Abs. 1 nur dadurch, daß sie sich auf einerichterlicheHandlung beziehen, d.h. auf Handlungen, die nach den geltenden Rechtsvorschriften in den Zuständigkeitsbereich eines Richters oder Schiedsrichters fallen. 3. Die behördliche Genehmigung, Abs. 3 a) Nach Abs. 3 ist ein "Sichversprechenlassen" und "Annehmen" i.S. des Abs. 1 nicht strafbar, wenn die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse die Annahme des Vorteils entweder vorher oder nach unverzüglicher Anzeige durch den Amtsträger genehmigt hat. - Eine Genehmigung der Annahme vom Täter geforderter Vorteile kommt nicht in Betracht. Maßgeblich ist nicht die formelle Genehmigung, sondern die tatsächliche Genehmigungsfähigkeit der Vorteilsannahme. Dann aber ist es angemessen, die Genehmigung als Rechtfertigungsgrund zu interpretieren und die Rechtfertigung auch dann durchgreifen zu lassen, wenn die Genehmigung pflichtwidrig verweigert wird. So im Ergebnis auch: MAIWALD JUS 1977 S. 357. - Die H.M. fordert demgegenüber die Genehmigungsfälligkeit und die Absicht des Täters, unverzüglich Anzeige zu erstatten; vgl. EsER III, Nr. 18 A 50; GEPPERT Jura 1981 S. 50; JESCHECK LK, § 331 Rdn. 16; KREY B.T. 1, Rdn. 670; LACKNER StGB, § 331

Anm. 6 c. - Lediglich auf einen Verbotsirrtum stellen ab: DREHER/TRÖNDLE § 331 Rdn. 25.

b) Wird die Genehmigung erteilt, obwohl die Vorteilsannahme nicht genehmigungsfähig war, so wird man einen Strafausschließungsgrund annehmen müssen, da das Gesetz auf die Genehmigung und nicht auf die Genehmigungsfähigkeit abstellt. So auch: DREHER/TRÖNDLE § 331 Rdn. 21; SCH/SCH/CRAMER § 331 Rdn. 52.

III. Bestechlichkeit, § 332 1. Der Tatbestand a) § 332 qualifiziert § 331 für den Fall, daß die Unrechtsvereinbarung auf eine pflichtwidrige Dienst- oder richterliche Handlung abzielt. b) Eine Verletzung der Dienstpflicht liegt vor, wenn die Diensthandlung selbst nicht nur die Vorteilsannahme - gegen ein auf Gesetz, Dienstvorschrift oder Einzelanordnung beruhendes Verbot oder Gebot verstößt. Sie ist auch dann gegeben, wenn der Täter eine dienstlich verbotene Handlung vornimmt, die ihm gerade durch seine Dienststellung ermöglicht wird. Dazu BGH NJW 1983 S. 462; BGH NStZ 1987 S. 326 mit Anm. LETZGUS S. 309 ff, OTTO JK 87, StGB § 332/2. - A A . EBERT G A 1979 S. 361 ff.

§ 99 Bestechungsdelikte

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c) Eine Klarstellung über den Umfang des Tatbestandes enthält Abs. 3. Danach finden Abs. 1, 2 auch Anwendung, wenn der Vorteilsnehmer sich in bezug auf eine künftige Diensthandlung dem Vorteilsgeber gegenüber bereit zeigt, seine Pflichten zu verletzen oder, im Falle von Ermessenshandlungen, dem Vorteil Einfluß auf die Entscheidungen einzuräumen. - Der geheime Vorbehalt des Täters, den Vorteil nicht zu beachten oder die pflichtwidrige Handlung nicht zu begehen, entlastet ihn nicht. Diese Entscheidung des Gesetzgebers, mit der eine langjährige Rechtsprechung positiviert wurde, ist konsequent: Auch in den unmittelbar in Abs. 1 und Abs. 2 genannten Fällen kommt es auf die Unrechtsvereinbarung an, nicht darauf, ob die Handlung dann später in der vorgesehenen Weise vorgenommen wird. In den Fällen des Abs. 3 ist der Gehalt der Unrechtsvereinbarung, selbst wenn diese erst bis zur Bereiterklärung gediehen ist, von gleich negativer Wirkung für das geschützte Rechtsgut. - Die Vereinbarung muß aber objektiv auf ein pflichtwidriges Verhalten oder die Berücksichtigung des Vorteils bei einer Ermessensentscheidung gerichtet sein. Gibt der Vorteilsnehmer eine rechtmäßige Entscheidung lediglich als pflichtwidrig aus, oder täuscht er die Ermessenshandlung nur vor, so liegt nur § 331 (u.U. in Idealkonkurrenz mit § 263) vor, weil die Unrechtsvereinbarung objektiv nicht über pflichtwidriges Verhalten, sondern nur über ein scheinbar pflichtwidriges Verhalten zustande gekommen ist. Zur Verdeutlichung: BGH NStZ 1984 S. 24: A, dem die Überprüfung oblag, ob ausreisende Lkw-Fahrer einer Verkehrsgenehmigung bedurften, erweckte bei den Fahrern den Eindruck, er erteile die Verkehrsgenehmigung, obwohl die Voraussetzungen nicht vorlägen, wenn er ein Entgelt erhalte. In Wirklichkeit lagen die Voraussetzungen vor. BGH: Dem A kann der Anschein der Käuflichkeit für pflichtwidriges Handeln nur dann strafrechtlich zugerechnet werden, wenn die Diensthandlung objektiv pflichtwidrig und ihm die Pflichtwidrigkeit bewußt ist. Dies ist hier nicht der Fall.

d) Subjektiv erfordert der Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz. 2 Die Tatvollendung Die Tat ist mit dem Zustandekommen der Unrechtsvereinbarung in den Alternativen des Sichversprechenlassens und Annehmens vollendet, beim Fordern mit Geltendmachung der Forderung. 3. Behördliche Genehmigung Eine Rechtfertigung durch behördliche Genehmigung kommt nicht in Betracht, weil die Tat auf eine Pflichtverletzung gerichtet ist. IV. Vorteilsgewährung, § 333 1. Der Tatbestand des § 333Abs. 1 § 333 bildet auf Seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu § 331, jedoch mit zwei Modifizierungen: a) Die Tat kann nicht nur gegenüber den in § 331 genannten Amtspersonen, sondern auch gegenüber Soldaten (§ 1 Abs. 1 SoldatenG) begangen werden. - Da der einfache Soldat in § 331 nicht mit Strafe bedroht ist, vgl. §48 Abs. 1 WStG, bleibt

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dieser als Nehmer des Vorteils straflos, während der Geber nach § 333 bestraft wird. - Eine wenig überzeugende Regelung. b) Im Gegensatz zu § 331 Abs. 1 bezieht § 333 Abs. 1 sich nur auf eine künftige Ermessenshandlung des Amtsträgers usw. Versucht jedoch der Vorteilsgeber, den Amtsträger usw. durch die Vorteilsgewährung zu bestimmen, sich bei Ausübung des Ermessens durch den Vorteil beeinflussen zu lassen, oder rechnet er mit der Möglichkeit, daß der Vorteilsnehmer sich beeinflussen lassen wird, so liegt bereits ein qualifizierter Fall des § 333 nach § 334 vor. - Da dies regelmäßig der Fall sein wird, ist für § 333 Abs. 1, 2 kaum ein eigenständiger Anwendungsbereich vorhanden. Seine Funktion ist daher die eines Auffangtatbestandes für die Fälle, in denen die Anwendung des § 334 auf Beweisschwierigkeiten stößt. Dazu BT-Drucks. 7/1261, S. 21; DORNSEIFER JZ1973 S. 269.

c) Als Tathandlung entspricht dem Fordern das Anbieten, dem Versprechenlassen das Versprechen und dem Annehmen das Gewähren. d) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auch darauf erstrecken muß, daß der Gegenstand der Unrechtsvereinbarung eine Ermessenshandlung ist. 2. Der Tatbestand des Abs. 2 a) Gegenstand der Tathandlung nach Abs. 2 kann nur eine künftige richterliche oder schiedsrichterliche Handlung sein, jedoch ist es gleichgültig, ob diese eine gebundene Handlung oder eine Ermessenshandlung ist. b) Subjektiv ist auch hier zumindest bedingter Vorsatz erforderlich. 3. Die behördliche Genehmigung nach Abs. 3 ist das Gegenstück zu § 331 Abs. 3; vgl. oben unter II 4.

V. Bestechung, § 334 1. Der Tatbestand der Abs. 1, 2 § 334 Abs. 1, 2 bilden auf Seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu §332 Abs. 1,2. 2. Die Regelung des Abs. 3 Abs. 3 stellt klar, daß mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils als Gegenleistung für eine künftige Diensthandlung oder richterliche Handlung nur der Versuch verbunden sein muß, den anderen zu bestimmen, bei einer gebundenen Diensthandlung seine Pflichten zu verletzen (Nr. 1) oder bei einer Ermessenshandlung dem Vorteil Einfluß auf die Entscheidung einzuräumen (Nr. 2). Ob der Versuch erfolgreich ist oder erfolglos bleibt, ist irrelevant. Auch im Falle des Abs. 3 Nr. 2 genügt bedingter Vorsatz, einer besonderen Beeinflussungsabsicht bedarf es nicht.

§ 100 Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357

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§ 100: Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357 1. Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift Unstreitig liegt die rechtliche Bedeutung der Vorschrift zunächst einmal darin, daß der Täter, der nicht schon nach den allgemeinen Regeln Mittäter oder mittelbarer Täter der vom Untergebenen begangenen Tat ist, nicht nur als Anstifter, Gehilfe oder erfolgloser Anstifter, sondern wie ein Täter bestraft wird. Für ihn sind die Strafmilderungsmöglichkeiten der §§ 27,30 ausgeschlossen. 2 Geschütztes Rechtsgut und Täter a) Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, daß der vorgesetzte oder beaufsichtigende Amtsträger die Verantwortung dafür trägt, daß in seinem Dienstbereich mit seinem Wissen keine rechtswidrigen Taten durch nachgeordnete Amtsträger begangen werden. b) Das geschützte Rechtsgut ist das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und in die ordnungsgemäße Kontrolle von Untergebenen durch Vorgesetzte und Aufsichtspflichtige. Dazu JESCHECK LK, § 357 Rdn. 1; LACKNER StGB, § 357 Anm. 1.

c) Täter und Untergebener (Abs. 1) oder Beaufsichtigender (Abs. 2) müssen Amtsträger sein, da nur dann das nötige Maß der Gefährdung des Rechtsguts erreicht ist; J E S C H E C K LK, § 357 Rdn. 5. Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. Dazu JESCHECK LK, § 357 Rdn. 1; LACKNER StGB, § 357 Anm. l.

3. Einzelheiten des Tatbestandes a) Rechtswidrige Tat im Amte muß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, vorsätzliche Tat sein. Demgegenüber wird zum Teil gefordert, unter § 357 auch solche Handlungen der Amtsvorgesetzten zu erfassen, in denen der Untergebene gutgläubig tätig wird oder nur fahrlässig handelt, wenn der Vorgesetzte wegen Fehlens der erforderlichen Täterqualität nicht selbst mittelbarer Täter sein kann. - Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die weite Auslegung möglich. Dennoch erscheint die Erweiterung der Täterstrafe auf Fälle der Urheberschaft, die nicht bereits nach allgemeinen Regeln als Fälle unmittelbarer Täterschaft faßbar sind, kriminalpolitisch nicht notwendig. So auch: D R E H E R / T R Ö N D L E § 3 5 7 Rdn. 1 i.V.m. § 11 Rdn. 33. - AA. JESCHECK LK, § 3 5 7 Rdn. 5; MAURACH/SCHROEDER B . T . 2, § 9 5 , 3 ; ROGALL G A 1979 S. 24.

b) Die Tat braucht kein Amtsdelikt im engeren Sinne zu sein, d.h. eine Tat i.S. des 28. Abschnitts des StGB, sondern eine Tat, die der Untergebene usw. in Ausübung seines Dienstes begangen hat oder begehen sollte. - In Abs. 2 muß "begangene Tat" auch als "zu begehende Tat" interpretiert werden, da die erfolglose Anstiftung hier keineswegs ausgeschlossen, sondern die Parallele des Tatbestands mit Abs. 1 voll durchgeführt werden sollte. c) Verleiten ist erfolgreiches Bestimmen, doch bezieht das Unternehmen den Versuch des Verleitens ein. Geschehenlassen setzt die tatsächliche Möglichkeit der Verhinderung der Tat voraus. Erfaßt wird aber nicht nur die Beihilfe durch Unterlassen, sondern auch die Beihilfe durch positives Tun.

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4. Zur Verdeutlichung BGHSt 3 S. 349: Der Krimmalsekretär O führte die Untersuchungsgefangene S angeblich zu einer Gegenüberstellung mit dem Hehler. Auf dem Wege dorthin erschoß er sie. Sein Dienstvorgesetzter G hatte ihm Ratschläge für die Durchfuhrung dieser Tat gegeben. BGH: O: § 211. - G: sachlich 8§ 211,27 jedoch Bestrafung als Täter gemäß § 357 i.V.m. § 211.

Paragraphenregister Die Zahlen beziehen sich auf die Seiten § § § § §§ § § § § § § § § § §§ § §§ § § § § § § § § § § § § § § § § § §§ §§ § §§ § §

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287 287 401 401 402 402 403 403 403f 404f 405 405 405f 406 406 406 402 401 402 402 407 407f 408 408 408 408f 409 410 409f 410 409 411 411 411 411 411 411 412 412 412 413 413 413 413 413 413

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108a 108b 108c 108d 109 109a 109d 109e 109f 109g 109h 109i 109k 111 113 114 120 121 123 124 125 125a 126 127 129 129a 130 130a 131 132 132a 133 134 136 138 139 140 142 144 145 145a 145c 145d 146 147 148

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357,360 359 358 355 358f 443ff, 449f 443ff, 450ff 443,452 443,452ff 459ff 443,461f 443, 457f 443, 458f 443,455,461f 435f 297f 298 298 299f 300f 303f 304f 301f 302f 315f 312, 313f 314 316 314f 310f 309f 311 316f 319f 321f 321 317 318 318f 322f 319 317 309 lOOff 103f 104 105 llOf 102 105f 99,110 63

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201 202 202a 203 204 205 211

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212 213 216 217 218 218a 218b 219 219a 219b 219c 219d 220a 221 222 223 223a 223b 224 225 226 226a 227 229 230 232 233 234 234a 235 236 237 238 239 239a 239b 240 241 241a 242 243 244 246 247

112ff 115f 121f 116ff, 121 118,121 115,116, 118 7, l l f f , 23f, 37ff, 55f, 77 7, lOf, 37ff, 55f, 77 7, 2 Iff 7,24ff 7,37,45 48ff 51ff 54f 54f 54f 50,55 50,55 49 45f 42ff 40ff 55f, 58ff, 77 63ff 72f 67ff 67ff 69f 61 74ff 73f 73 62f 63 93 127 305f 306f 312f 307 89ff 93f 94f 80ff, 92f, 309f, 428 126f 127 130,133ff, 192 148ff 156ff 159ff, 262 166ff

Paragraphenregister § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § §

248a 248b 248c 249 250 251 252 253 255 257 258 258a 259 260 263 263a 264 264a 265 265a 265b 266 266a 266b 267 268 269 271 272 273 274 275 277 278 279 281 283 283a 283b 283c 283d 284 284a 286 288 289 290 292 293 294 297 302a

168f, 253 188ff 169f 17 Iff 174f 175f 177ff 130,230ff 234f 250ff 439ff 44 lf 254ff 260 130,197ff, 266f 226ff 267ff 271ff 265ff 224ff 269ff 235ff 244f, 276f 240ff 330ff 352 34 lf 345f 347 347 348ff, 354 343 343,348 348 343,348 351,417 278ff 281 28 lf 282 283 245f 246 246f 193f 192f 190 195ff 197 197 247f 284ff

§ § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § §

303 303a 303b 303c 304 305 305a 306 307 308 309 310 310a 310b 311 311a 311b 311c 311d 311e 312 313 314 315 315a 315b 315c 315d 316 316a 316b 316c 317 318 319 320 320a 321 322 323 323a 323b 323c 324 324a 325 325a 326 327 328 329 330

130,182ff 185f 186f 188 185 184 185 369f 370 185, 368f 185, 370 371 370 365 364f 365 365 365 365,390, 397 365,397 366 366 366 371f 372f 373f 374ff 377 376f 180ff, 367 367 381 367 366 399 366, 399 400 367 367 366f 367, 382ff 367 35f, 323ff, 367 388,393f 388 388,394f 388 388, 394f 388,395, 397 397 394,398 388, 396, 398

480 § § § § § § § § § § § § § §

330a 330b 330d 331 332 333 334 335 335a 336 340 343 344 345

Paragrap 388,400 400 399 470f 472f 473f 474 469 469 462f 70ff 464 464f 465f

§ § § § § § § § § §

348 352 353 353a 353b 353d 354 355 356 357

344f 198,223 198,223f 434 433f 466f 118ff 120 467f 475f

Sachregister Abbilden, sicherheitsgefährdendes 416 Abbruch der Schwangerschaft 48 ff - Beratungs- und Feststellungssystem 54 f - Konkurrenz zu Tötungs- und Kög>erverletzungsdelikten - strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium 55 Abgabenüberhebung 223 f Absatzhilfe 258 f Absetzen 258 f Absichtsurkunde 334 Abtreibung 50 ff Ärgerniserregung 318 f Affektionswert 128 Agententätigkeit 405 -geheimdienstliche 409f - landesverräterische 410 Aids 65 ff Amtsanmaßung 417 f Androhung - eines Unterlassens 83 f - von Straftaten 290 Aneignung 142 ff Angaben, falsche 300 Angehörigenprivileg 442 Angriff, tätlicher 423 Angriffskrieg 287 Ankaufen 256 Anlage, Begriff 394 Anleiten zu Straftaten 292 f Annehmen 470 Anstellungsbetrug 218 f Anvertraut 116,119,165 f Anwerben für fremden Wehrdienst 127 Anzeigepflicht 327 Arbeitsentgelt 276 - Veruntreuung 244 f - Vorenthalten 276 f Aszendentenverletzung 62 Aufnehmen 112 Aufstacheln zum Angriffskrieg 287

Aufstachelung zum Rassenhaß 293 f Aufzug 412 Augenscheinsobjekte 331 Ausbeuten 285,320 Ausnutzen 152 Ausspähen von Daten 121 f Aussage, falsche 449 f - inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch 443 f - objektive Theorie 443 f - subjektive Theorie 444 -Pflichttheorie 444 Aussagedelikte 442 ff Aussageerpressung 464 Aussagenotstand 459 f Aussetzung 42 ff - durch Unterlassen 44 f - versuchte erfolgsqualifizierte 45 Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse 348 Aussteller 332 ff Auswanderungsbetrug 127 Ausweispapier 351 Automatenmißbrauch 224 f Bande 158 Bandendiebstahl 158 f Bankrott 278 ff - besonders schwere Fälle 281 - einzelne Tathandlungen 279 f - Täter 279 f Bannkreisverletzung 412 Baugefährdung 36o Bedrohung 126 f, 288 Befriedigung des Geschlechtstriebes, zur 12 f Besitztum, befriedetes 122 f Begünstigung 250 ff Behältnis 115,151 Behandlungsabbruch 28 ff Beibringen 74 Beischlaf 303 - zwischen Verwandten 302 f Beiseiteschaffen 194 Beleidigung 100 ff - eines Kollektivs 99 f

482 - mittels Tätlichkeit 103 - unter einer Kollektivbezeichnung 98 f Belohnung und Billigung von Straftaten 292 Bemächtigen 93 Berichterstatterprivileg 294 Berichtigung falscher Angaben 461 f Beschädigen 182 f, 193 - wichtiger Anlagen 366 Beschimpfung von Bekenntnissen 297 f Besitz 137,162 Bestechlichkeit 472 f Bestechung 474 Bestechungsdelikte 469 ff - Systematik 469 Beteiliping an einer Schlägerei Betreuungsverhältnis 314 Betrieb 267 Betrug 197 ff -Anstellungsbetrug 218f - bei Optionsgeschäften 221 f - bei Termingeschäften 221 f - Bereicherungsabsicht 213 f -Bettelbetrug 218 - Computerbetrug 226 ff - Eingehungsbetrug 216 ff - Erfüllungsbetrug 216 ff - Irrtum 200 ff - Kapitalanlagebetrug 271 ff - Kreditbetrug 269 ff - Kreditkartenerschieichung 220 f - Lastschriftenbetrug 221 - Prozeßbetrug 219 f -Rechtsgut 197 - Rentenbetrug 219 - Scheckkartenerschleichung 220 f - Sicherungsbetrug 222 f - Spendenbetrug 218 - Stoffgleicheit von Schaden und Bereicherung 214 - subjektiver Tatbestand 213 ff - Subventionsbetrug 218,267 ff - Täuschung (ausdrückliche, konkludente, durch Unterlassen) 198 f - Verfügender und Geschädigter 205 f

Sachregister - Vermögensgefährdung 210 - Vermögensschaden 206 ff - Vermögensverfügung 202 ff Bewegungsfreiheit 89 f Beweisbestimmung 334 Beweisfunktion 330 Beweiskraft, erhöhte 346 Beweismittel, Angriff gegen dessen Unversehrheit 348 ff - gegen bestimmungsgemäße Verwendung 351 Beweiszeichen 332 Bildung - bewaffneter Haufen 420 - krimineller Vereinigungen 420 f - terroristischer Vereinigungen 421 f Brandstiftung 185,368 f - besonders schwere 370 -fahrlässige 185,370 - schwere 369 f - Tätige Reue 371 - vorsätzliche 368 f Brandstiftungsdelikte 368 Computerbetrug 226 ff Computersabotage 186 ff Daten - Fälschung 341 f - Schutz 121 f, 185 ff - Unterdrückung 186, 350 - Veränderung 185 f Datenverarbeitungsanlagen, mißbräuchliche Nutzung 226 f Dauerdelikt 90, 304 Diebstahl, einfacher 133 ff - Abgrenzung zum Betrug 137 zur Erpressung 137 zur Gebrauchsanmaßung 141 zur Sachbeschädigung 141 zur Sachentziehung 141 zur Unterschlagung 133 - bewegliche Sache 133 f -fremd 134 -Rechtsgut 132 - subjektiver Tatbestand 140 ff - Wegnahme 135 ff Diebstahl geringwertiger Sachen 155 f, 168 f

Sachregister Diebstahl mit Waffen 156 ff Diebstahl, schwerer 148 ff - Geringwertigkeit des Tatobjekts 155 f - Irrtum über Vorliegen eines Regelbeispiels 152 -Versuch 152 ff Diensthandlung 422, 471 f - Unterlassen der 469 Doppelehe 301 f Do|>pelselbstmord, fehlgeschlagener Drittzueignung 145 Drohung 83,171 ff, 178 Ehre (Begriff) - normativer 97 - normativ-faktischer 97 - personaler 97 Ehrverletzungsdelikte 97 ff - Einzelheiten 100 ff - Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände 110 -Rechtfertigung 105 ff Eidesgleiche Bekräftigung 452 Eidesunmündiger, Aussagen 461 Einbrechen 149 Eindringen 123 f Eingehungsbetrug 216 ff Eingriff, gefährlicher - in den Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehr 371 f - in den Straßenverkehr 373 f Einsperren 90 Einsteigen 149 f Einwilligung - Ausschluß der 61 - Körperverletzung 61 - Tötung auf Verlangen 25 f Entdeckung 371 Enteignung 142 ff Entführen 93 f, 306,312 Entführung - gegen den Willen der Entführten 312 f - mit Willen der Entführten 306 f Entziehung - elektrischer Energie 169 f - eines Kindes 305 f Erfüllungsbetrug 216 ff

483 Ermächtigungs-(Befugnis-) theorie 139,205 . Erpresserischer Menschenraub 93 f Erpressung 230 ff - Abgrenzung vom Betrug 233 Ersatzhehlerei 256 Erschleichen - der Beförderung durch ein Verkehrsmittel 225 - der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldenetzes 225 - freien Eintritts 226 - von Leistungen 224 ff Erstattung von Anzeigen 109 Erzieherprivileg 294, 317 Euroscheckkarten 358 Euthanasie, s. Sterbehilfe 27 ff Exhibitionistische Handlungen 318 Explosionsdelikte 364 f - durch Kernenergie 365 - durch Sprengstoff 364 f -Vorbereitung 365 Fälschung - beweiserheblicher Daten 341 f - technischer Aufzeichnungen 352 ff - von Euroscheck(karten)vordrucken 358 f - von Wahlunterlagen 413 Fahrlässiger Falscheid und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt 455 Fahruntüchtigkeit 374 f Falschaussage - versuchte Anstiftung 457 f - Verleitung zur 458 f Falschbeurkundung im Amt 344 f -mittelbare 345f - schwere mittelbare 347 Falscher Schlüssel 150 Falsche Verdächtigung 435 f Falsche Versicherung an Eides Statt 452 ff Falscheid, fahrlässiger 455

484 Familiendiebstahl 166 ff - Irrtum über das Tatopfer 168 -Tatopfer 166 f Fischwilderei 197 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger 316 f Formalbeleidigung 102 Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei 403 Fotokopie 335 f Freiheitsberaubung 89 ff - in mittelbarer Täterschaft 90 f - Rechtswidrigkeit 91 - Verhältnis zur Nötigung 92 f Freiheitsdelikte 79 ff Friedensgefährdende Beziehungen 410 Fristenlösung, verkappte 51 Führen eines Fahrzeugs 374 Fundunterschlagung 161 Garantiefunktion 330 Gattungsschuld 147 Gebäude 149,184 Gebrauch falscher Beurkundungen 347 - einer Urkunde 339 f Gebrauchen, Begriff 339 Gebrauchsanmaßung - Abgrenzung zum Diebstahl 141 - strafbare 133,188 ff Gebührenüberhebung 223 Geburt 5,37 Gefährdung - der äußeren Sicherheit 485 ff - des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs 372 f - des demokratischen Rechtsstaats 402 ff - des Straßenverkehrs 374 ff - des Verkehrswesens 371 ff - einer Entziehungskur 367 Gefährdungsdelikte 363 Gefangenenbefreiung 426 ff - Teilnahme Dritter 427 f - Teilnahme durch den Gefangenen selbst 428 Gefangenenmeuterei 428 f Gefangener 426 f Gegensatztheorie 77

Sachregister Geheimdienstliche Agententätigkeit 409 f Geheimnissphäre 115 Geiselnahme 94 f Geistigkeitstheorie 333 Geld 355 Geldfälschung 354 ff -Inverkehrbringen 356ff -Nachmachen 355 - Sich verschaffen 356 -Verfälschen 356 Geldschuld 147 f Geldwerte Objekte 128 Geltungsanspruch, sozialer 98 Gemeine Gefahr 324 Gemeine Not 324 Gemeingefährliche Delikte 363 ff - Begriff 363 f - Überblick 364 ff Gemeinschädliche Sachbeschädigung 185 Geringwertig 155,168,197 Gesundheitsbeschädigung 59 Gesundheitszeugnisse, Fälschung und Gebrauch 343,348 -Ausstellung 348 Geschäftsräume 122 Gewässer 393 Gewahrsam 136 ff, 161 ff Gewahrsamsbruch 137 Gewahrsamshüter 137 Gewalt 80 ff, 171 ff, 178,293 f - Begriff 80 ff Gewerbsmäßig 151,196 Gewohnheitsmäßig 196 f, 246 Gläubigerbegünstigung 282 Glücksspiel - Begriff 245 f - Beteiligung am unerlaubten 246 Grausam 18 Habgier 13 Häusliche Gemeinschaft 167 Haus- und Familiendiebstahl 166 ff Hausfriedensbruch 122 ff -Abbruchhäuser 123 - befriedetes Besitztum 122 f - Eindringen 123 f - schwerer 125 f - Verweilen ohne Befugnis 125

Sachregister Hehlerei 250,254 ff - Ersatzhehlerei 256 -fahrlässige 260f - gewerbsmäßige 260 - Konkurrenzen und Strafe 260 - subjektiver Tatbestand 259 - Verhältnis der Vortat zur Hehlerei 255 Heileingriff, ärztlicher 59 f Heimtücke 15 ff Herbeiführen einer Brandgefahr 370 Herrschaftswille 136 f Herstellen einer unechten Urkunde 336 ff Hilfeleistung 252 Hilfeleistung, unterlassene 323 ff - beim Suizid 33 f Hilflosigkeit 151 f, 312,321 Hindernisbereiten 372 Hinterlistiger Überfall 64 Hintermann 403 Hochverrat 401 f - gegen den Bund 401 - gegen ein Land 401 Homosexuelle Handlungen 316 Hungerstreik 34 Identitätstäuschung 338 f Inbrandsetzen 368 Indikation - ethische (kriminologische oder humanitäre) 53 - eugenische (embiyopathische oder kindliche) 53 - soziale 53 f Ingebrauchnahme 188 f Intimsphäre 112 Inverkehrbringen von Falschgeld 356 Jagdwilderei 195 f Kapitalanlagebetrug 271 ff Kennzeichen 332 Kettenanstiftung 458 Kindesentziehung 305 f Kindestötung 37 Körperverletzung, einfache 58 ff Körperverletzung, fahrlässige 73

Körperverletzung, gefährliche - gefährliches Werkzeug 64 - gemeinschaftliche 64 f - hinterlistiger Überfall 64 - Infizieren mit Aids 65 f - lebensgefährdende Behandlung 65 Körperverletzung im Amt 70 ff Körperverletzung mit Todesfolge 69 f Körperverletzung, schwere und beabsichtigte schwere 67 ff - dauernde Entstellung 68 - Lähmung 68 -Siechtum 68 -Verfall 68 - wichtiges Glied 67 f Körperverletzungsdelikte 58 ff - Einwilligung 60 ff - Konkurrenzen 76 f -Systematik 58 -Züchtigungsrecht 62 Kollektiv, Begriff 99 f Kollektivbezeichnung 98 f Kompensation 63 Konkursdelikte 277 ff Kreditbetrug 269 ff Kreditgefährdung 105 Kreditkartenerscnleichung 220 f Kriminelle Vereinigung 420 Krisensituation 278 f - drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit 279 ung 278 l f - Überschuldung Kunstfreiheit 107 ff Lagertheorie 139,205 Ladendiebstahl 139 Landesverrat 407 f Landesverräterische -Agententätigkeit 410 -Fälschung 409 Landfriedensbruch 288 ff Lastschriftenbetrug 221 Lebensgefährdende Behandlung 65 Lebenslange Freiheitsstrafe 9 Lebensverkürzung - schmerzlindernde 30 f Leibesfrucht 5,48, 56

486 Leiche 134,299 -Wegnahme 299 Leichtfertigkeit, Begriff 175 Leistungskürzung 224 List 93 lucrum - ex re 141 - ex negotio cum re 141 Luftverkehr, Angriff auf 381 Meineid 450 ff Menschenhandel 321 Menschenmenge 288 Menschenraub 93 Menschenwürde 291 Menschliches Leben 5 f -Beginn 5 - Ende 6 Minima-Klausel 396 Mißbrauch - ionisierender Strahlen 365 - von Ausweispapieren 351, 417 - von Notrufen 325 f - von Scheck- und Kreditkarten 240 ff - von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 419 Mißbrauchstatbestand 237 f Mißhandlung 58 f - körperliche 58 f - rohe 73 - seelische 59 - von Schutzbefohlenen 72 f Mittelbare Falschbeurkundung 345 f - schwere 347 Mord 11 ff - gemeingefährliche Mittel 18 f - grausam 18 - Habgier 13 - Heimtücke 15 ff -Mordlust 11 f - niedrige Beweggründe 14 - Teilnahmeprobleme 37 ff - Verdeckungsabsicht 19 f - Verhältnis zu § 213 23 f - Vorsatzprobleme 20 f - zur Befriedigung des Geschlechtstriebes 12 f Mosaiktheorie 407 Nachmachen 355 f

Sachregister Nachrede, üble 103 Namenstäuschung 338 f Nichtöffentlich 112 Nichtanzeige geplanter Straftaten 326 ff Nichtehelichkeit, Irrtum über 37 Nichterweislichkeit 103 Niedrige Beweggründe 14 Nötigung 80 ff - Androhimg eines Unterlassens 83 f - des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 412 - Drohung mit einem empfindlichen Übel 83 f -Gewalt 80ff -Versuch 88 f - Verwerflichkeitsklausel 84 ff - von Verfassungsorganen 412 Obhutsverhältnis 299 Öffentlich 104,125,190,225, 246,287 ausgestellt 151 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 295 f Öffentliche Urkunden 344 f Offenbarung 120 - von Staatsgeheimnissen 408 Offenbarungspflicht 270 Parteiverrat 467 f Perpetuierung 130 Perpetuierungsdelikte 130,248 ff - Strafgrund 248 ff -Systematik 250 Personaler Vermögensbegriff 129 Personenstandsfälschung 300 f - falsche Angaben 300 -Unterdrücken 300 - Unterschieben eines Kindes 300 Persönlichkeitssphäre 112 Pfändungspfandrecht 192 Pfandkehr 192 f Pflichttheorie 444 Plündern 290 Politische Verdächtigung 127 Preisgabe von Staatsgeheimnissen 408

Sachregister Privatgeheimnis 116 Prostitution -Ausbeuten 320f, - Ausübung der verbotenen 319 - Förderung 319 f -Jugendgefährdende 317f - Nachgehen 319 Provokation, Schwere der 22 Prozeßbetrug 219 f Quälen 73 Rädelsführer 403 Räuberische Erpressung 234 f - Gesetzessystematik 234 f Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 180ff Räuberischer Diebstahl 177 ff -auf frischer Tat 177 f -Betreffen 178 - Gewalt und Drohung 178 -Irrtum bei Vortat 179 - Konkurrenzen 180 - Täterschaft und Teilnahme 179 f Raub 171 ff - Abgrenzung zum räuberischen Diebstahl 177,235 - finale Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme 171 f - Gewalt und Drohung 171 ff -Systematik 170 f - Versuch 174 - Vollendung 174 Raub mit Todesfolge 175 ff Raub, schwerer 174 f Raum, umschlossener 149 Rausch, Begriff 382 f Rauschtat 383 ff Rechtsbeugung 462 f Rechtserheblichkeit der Gedankenerklärung 330 Rechtssachen 467 Regel(fall)beispiele 149 ff Rentenbetrug 219 Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 415 f Sachbeschädigung 182 ff - Konkurrenz zu Zueigungs-

487 delikten 184 - Besondere Fälle 184 f Sache 133 f, 182 Sachentziehung, straflose 141 Sachherrschaftsverhältnis 132, 188 Sachgefahr 324 Sachsubstanztheorie 141 Sachwerttheorie 141 Scheckkartenerschleichung 220 f Scheinwaffe 157 f, 174 f Schiedsrichtervergütung 469 Schienenbahnen im Straßenverkehr 377 Schiffsgefährdung durch Bannware 247 Schlägerei 75 Schulanerbegünstigung 283 Schußwaffe 156 Schutz von Daten und Datenverarbeitung 185 ff Schutzvorrichtungen 150 f Schwächesituationen 285 f - Mangel an Urteilsvermögen 286 - Unerfahrenheit 285 f -Willensschwäche 286 - Zwangslage 285 Selbstbegünstigung 253 Sexuelle Handlung 309 Sexuelle Nötigung 309 f Sexueller Mißbrauch - gegen den Willen der Entführten 312 f - unter Mißbrauch einer Amtsstellung 314 - von Gefangenen und Verwahrten 313 f - von Kindern 314 f - von Kranken in Anstalten 312 - von Schutzbefohlenen 315 f -Widerstandsunfähiger 311 Sichbemächtigen 93 Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 416 Sicherungsbetrug 222 f Sichversprechenlassen 473 Spendenbetrug 218 Speziesschuld 147 Staatsgeheimnis 407 Sterbehilfe 27 ff -aktive 30ff

488 -Früheuthanasie 32 -passive 28ff Störpropaganda gegen die Bundeswehr 415 Störung - der Religionsausübung 298 - der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans 413 - der Totenruhe 299 f - des öffentlichen Friedens 290 f - einer Bestattungsfeier 298 - öffentlicher Betriebe 367 - von Fernmeldeanlagen 367 Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung 214,232 Strafvereitelung 438 ff - Angehörigenprivileg 442 -imAmt 441 f - zu eigenen Gunsten 441 Straßenverkehr 374 f Subvention, Begriff 267 f Subventionsbetrug 218,267 ff Suizid 32 ff - als Unglücksfall 35 f - einseitig fehlgeschlagener Doppelselbstmord 35 - Garantenstellung zur Hinderung 33 f - unaTötung auf Verlangen 32 ff - und Mitwirkung Dritter 32 ff Tätige Reue 95,181,371,381,402 Tatsachenbehauptung 101 Tötung - auf Verlangen 24 ff - auf Verlangen und Suizid 32 ff - fahrlässige 40 ff Tötungsdelikte - Konkurrenz zu Köiperverletzungsdelikten 77 - Systematik 5 ff - Teilnahmeprobleme 37 ff Totschlag 10 f - besonders schwere Fälle 11 - minder schwere Fälle 21 ff Transportgefährdung 371 Treubruchstatbestand 238 f Trunkenheit im Verkehr 376 f Überlassen 322 Überschuldung 278 f

Sachregister Überschwemmungsdelikte 366 Üble Nachrede 103 -öffentliche 104 - und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens 105 Umweltstrafnormen 387 ff -Akzessorietät 388f - Amtsträgerstrafbarkeit 390 f - einzelne Schutzbereiche 392 ff - geschütztes Rechtsgut 392 - Minima-Klausel 396 - Schutz von Gewässern 393 f - Schutz von Luft und Ruhe 394 f - Schutz vor der Verbreitung von Giften 399 f - Schutz wertvoller Bestandteile der Natur 398 - schwere Umweltgefährdung 398 f -Strahlenschutz 397f - umweltgefährdende Abfallbeseitigung 395 f Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs 133,188 ff Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen 133,190 Unbrauchbarmachen 431 Unerlaubte Veranstaltung - einer Lotterie oder Ausspielung 246 f - eines Glücksspiels 245 f Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 377 ff Unfall im Straßenverkehr 377 f Unfallbeteiligter 377 Unglücksfall 35 f, 152,323 f Unterdrücken 119,349 - beweiserheblicher Daten 350 - von Postsendungen 119 - von Urkunden 348 ff Unternehmen 267 Unternehmen einer Straftat 181 Unterschlagung 159 ff - als Grundtatbestand der Vermögensdelikte 262 - bei Ersatzleistung oder Bereitschaft zum Ersatz 164 f -Fund 161 - geringwertiger Sachen 168 f - berichtigende Auslegungen 161

Sachregister - Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft 163 f - Verhältnis zum Diebstahl 133 Untreue und untreueähnliche Delikte 235 ff - Begrenzung des Anwendungsbereichs 240 - Gesetzessystematik 235 f - Mißbrauchstatbestand 237 f - Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten 240 ff -Treubruchstatbestand 238f - Veruntreuen von Arbeitsentgelt 244 f - Vermögensschaden 239 f Urkunde - Absichtsurkunde 334 - Abschriften und Fotokopien 335 f - Augenscheinsobjekte 331 -Aussteller 332ff -Begriff 330ff - Beweisbestimmung 334 - Beweiseignung 334 -Durchschriften 335 -Fotokopien 335f - Gebrauchen 339 f - Geistigkeitstheorie 333 - Gesamturkunde 335 - Herstellen 336 ff - Identitätstäuschung 338 f - Kennzeichen 332 - Strukturelemente 330 -unechte 336 - Verfälschen 339 - verkörperte Gedankenerklärung 331 ff - Zufallsurkunden 334 - zusammengesetzte 335 Urkundenbeweisposition 349 Urkundendelikte 330 ff Urkundenfälschung 330 ff Urkundenunterdrückung 348 ff Veränderung einer Grenzbezeichnung 350 f Veräußern 194 Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen 466 f Verbreiten -Begriff 295 - von Propagandamitteln 403 f

489 Verbreitung pornographischer Schriften 322 f Verdächtigen, Begriff 435 Verdeckungsabsicht 19 f Vereinigung, kriminelle 420 Vereinigungstheorie 141 f Vereinigungsverbot 403 Vereitern der Zwangsvollstreckung 193 f Verfälschen, Begriff 339,422 Verfassungsfeindliche -Einwirkung 405f - Sabotage 405 Verfolgung aus politischen Gründen 127 - Unschuldiger 464 f Verfolgungsvereitelung 439 f Verführung 317 Vergewaltigung 310 f Vergiftung 73 f -gemeingefährliche 399 Verherrlichung von Gewalt 293 f Verlassen, Begriff 43 Verleiten - eines Untergebenen 475 f - zur Falschaussage 458 f Verletzung - amtlicher Bekanntmachungen 417 - der Buchführungspflicht 281 f - der Fürsorge- und Erziehungspflicht 304 f - der Unterhaltspflicht 303 f - der Vertraulichkeit des Wortes 112 ff - des Briefgeheimnisses 115 f - des Dienstgeheimnisses 433 f - des Post- und Fernmeldegeheimnisses 118 ff - des Steuergeheimnisses 120 - des Wahlgeheimnisses 413 - von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten 411 - von Privatgeheimnissen 116 ff Verleumdung 104 Vermögensbegriff 128 ff - dynamischer 207 -funktionaler 207 -juristischer 207 - juristisch-wirtschaftlicher 207, 209 f

490 -personaler 129,206 ff -wirtschaftlicher 208ff Vermögensdelikte 128 ff - praktische Bedeutung 130 f -Struktur 130 Vermöj^nsentziehungsdelikte Vermögensgefährdung 210 -strafbare 245 ff Vermögensschaden 129,206 ff Verrat - illegaler Geheimnisse 408 f - in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses 409 Verschleppimg 127 Versicherungsbetrug 265 ff Verstoß - gegen das Berufsverbot 442 - gegen ein Vereinigungsverbot 403 - gegen Weisungen 442 Verstrickungs- und Siegelbruch 430 ff Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst 434. Vertrauliche Äußerungen 109 Verunglimpfung - des Andenkens Verstorbener 110 f - des Bundespräsidenten usw. 406 Verunreinigung 393 Veruntreuung 165 f - anvertrauter Sachen 165 f - von Arbeitsentgelt 244 f Verwahrungsbruch 429 f Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 404 f Verwerflichkeitsklausel - Nötigung 84 ff Verwerflichkeitsprinzip 8 f Verwertung fremder Geheimnisse 118 Völkermord 45 f Volksverhetzung 291 f Vollrausch 367,382 ff - actio libera in causa 385 - rauschbedingter Irrtum 384 f -Rauschtat 383ff - Teilnahme am 386 Vollstreckung gegen Unschuldige 465 f

Sachregister Vollstreckungshandlung, Begriff 423 Vollstreckungsvereitelung 440 f Vorbereitung - der Fälschung von amtlichen Ausweisen 343 - der Fälschung von Geld 357 - eines Angriffskrieges 287 - eines hochverräterischen Unternehmens 402 Vordrucke von Euroscheck(karten) 358 Vorenthalten von Arbeitsentgelt 276 f Vorstellungspflicht 379 Vortäuschen einer Straftat 436 ff Vorteil, Begriff 471 Vorteilsannahme 470 ff Vorteilsgewährung 473 f Wählerbestechung 414 Wählernötigung 413 Wählertäuschung 413 Waffe 64,157 Wahlbehinderung 413 Wahlfälschung 413 Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdenkte 261 f Wahrheitsbeweis 102 Wahrheitspflicht des Aussagenden 446 f Wahrnehmung berechtigter Interessen 105 ff Wartepflicht 379 Wegnahme 135 ff, 192 f, 234, 299 Wehrpflichtentziehung - durch Täuschung 415 - durch Verstümmelung 414 f Weitergabe von Gerüchten 109 f Werben 420 f Wertpapierfälschung 358 Werturteil 101 Wertzeichenfälschung 360 - Vorbereitung 360 Werkzeug, gefährliches 64 Wichtiges Glied 67 f Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 422 ff - Irrtum des Widerstandleistenden 425 - besonders schwere Fälle 425 f - Verhältnis zu § 240 426

Sachregister Wilderei 195 ff Wirtschaftliche Nutzung 143, 145 Wirtschaftsdelikte 263 ff Wirtschaftskriminalität 263 ff Wohnung 122,149 Wucher 284 ff -Ausbeuten 285 - Ausbeutung der Schwächesituation 284 f Zahlungseinstellung 281 Zahlungsunfähigkeit 279 Zerstören, Begriff 183 Zerstörung - von Bauwerken 184 - wichtiger Arbeitsmittel 185

Züchtigungsrecht bei der Körperverletzung 62 Zueignung 142 ff - Drittzueignung 145 - Elemente 142 f - bei Gattungs- bzw. Speziesschuld 147 f - nach einer Zueignung 165 - rechtswidrige 146 ff - "sich" zueignen 145 f Zugänglichmachen 322 Zuhälterei 321 Zusammenrotten 125, 428 Zweckverfehlung, wirtschaftliche 129

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Harro Otto

Übungen im Straf recht

3., neu bearbeitete und ergänzte Auflage Jura Übungen Oktav. X, 206 Seiten. 1990. Kartoniert. DM 3 0 ISBN 3110124432 Dieses Übungsbuch soll den Studenten von der Übung im Strafrecht für Anfänger bis zur Klausur und Hausarbeit im Referendarexamen begleiten. Es bietet in drei Teilen Hinweise und Anleitungen für die Fallbeschreibung im Strafrecht. Im ersten Teil werden die Strafrechtsübungen in den Rahmen der juristischen Ausbildung eingepaßt und allgemeine Grundsätze der Methodik der Fallberarbeitung sowie der in Klausuren und Hausarbeiten zu beachtenden'Besonderheiten dargestellt. Im zweiten Teil wird das „Wie" der Fallösung durch Aufbauschemata der verschiedenen Deliktsarten durchschaubar gemacht. Im dritten Teil erfolgt dann die Einübung anhand von neun Klausuren und zwei Hausarbeiten, die den jeweiligen Ausbjldungsabschnitten: Anfängerübung, Vorgerücktenübung, Referendarexamen, entnommen sind. •Sie werden durch Hinweise zum Aufbau von Lösungsskizzen vorbereitet und anschließend vollständig und ausführlich gelöst. Zum Nachbereiten und zur Vertiefung der jeweiligen Schwerpunkte sind am Schluß weiterführende Hinweise gegeben. Preisänderung vorbehalten

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Harro Otto

Grundkurs Strafrecht

Allgemeine Straf rechtslehre de Gruyter Lehrbuch 3., neubearbeitete Auflage Oktav. XVIII, 382 Seiten. 1988. Plastik flexibel. DM 3 4 Mit dem Grundkurs Strafrecht wird der Leser an die Grundlagen und systematischen Zusammenhänge der Allgemeinen Strafrechtslehre herangeführt. Er erhält Gelegenheit, die Entfaltung der in der Allgemeinen Strafrechtslehre gesetzten Prämissen nachzuvollziehen und in Auseinandersetzung mit Lehre und Rechtsprechung den aktuellen Problemstand zu erschließen. Gegenüber der Vorauflage ist der Umfang erheblich erweitert worden. In den letzten Jahren sind die Zurechnungs-, Versuchs- und Täterschaftslehre wesentlich umgestaltet worden. In die Lösung einzelner Problemstellungen der Rechtfertigung, der Schuld und der Konkurrenzlehre sind neue Aspekte aufgenommen worden. Diese tief- und weitgreifende Erörterung mußte im Grundkurs Niederschlag finden, wenn er seinem selbstgesetzten Anspruch gerecht werden wollte.

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