Grundkurs Strafrecht - Die einzelnen Delikte [4. neubearb. Aufl. Reprint 2020] 9783110904123, 9783110145243


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German Pages 550 [552] Year 1995

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Grundkurs Strafrecht - Die einzelnen Delikte [4. neubearb. Aufl. Reprint 2020]
 9783110904123, 9783110145243

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de Gruyter Lehrbuch

Grundkurs Strafrecht Die einzelnen Delikte

von

Harro Otto 4., neubearbeitete Auflage

W G DE

1995 Walter de Gruyter • Berlin • New York

Dr. jur. Dr. h. c.

Zitiervorschlag.

HARRO OTTO.

O. Professor an der Universität Bayreuth

Otto, Grundkurs Strafrecht, BT, 4. Aufl. 1995, S. 100

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Otto, Harro: Grundkurs Strafrecht / von Harro Otto. — Berlin ; New York : de Gruyter. (De Gruyter Lehrbuch) Die einzelnen Delikte. - 4., neubearb. Aufl. - 1995 ISBN 3-11-014524-3

© Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck und Bindearbeiten: Kösel GmbH & Co., 87435 Kempten Einbandgestaltung: Hansbernd Lindemann, 10785 Berlin

Vorbemerkung Lerntheoretisches Ziel, Anlage und Methode dieses Teils des Grundkurses Strafrecht entsprechen denen der Allgemeinen Strafrechtslehre. Allerdings ließen diese sich nicht ohne weiteres auf die Beschreibung der einzelnen Delikte übertragen. Die Eigenart des Stoffes verlangte gewisse Modifizierungen und die Verlagerung einzelner Akzente: Der Allgemeinen Strafrechtslehre geben nämlich die Prinzipien der Zurechnungslehre ihren durchgehenden systematischen Zusammenhang. Ihre Wirksamkeit gilt es in den verschiedenen Problemkreisen des Allgemeinen Teils zu erkennen und in ihrer Bedeutung im sozialen Raum abschätzen zu lernen. Der Verschiedenheit des jeweiligen Aspekts der Zurechnung entsprechen die verschiedenen Lernziele. Die einzelnen Problemstellungen bezeichnen den jeweils zu erschließenden Raum. Eine vergleichbare Problementfaltung ist bei der Beschreibung der einzelnen Delikte nur dort von Nutzen, wo ein übergreifender Zusammenhang die einzelnen Delikte einer Gruppe in ihrem Wesen entscheidend prägt, ohne daß dies dem Wortlaut der einzelnen Gesetzestatbestände ausdrücklich zu entnehmen ist. In diesem Bereich muß das Lernziel der Einblick in die Art und Weise der Wirksamkeit dieses Zusammenhangs sein. Im übrigen kann aber das Lernziel der einzelnen Abschnitte vorweg definiert werden: Kenntnis der Art und des Umfangs des Schutzes der Rechtsgüter der einzelnen Deliktstatbestände. Innerhalb des so gewonnenen, jeweils überschaubaren Rahmens ist die Beschäftigung mit den einzelnen Delikten sodann die Fortsetzung der in der Allgemeinen Strafrechtslehre begonnenen Einübimg in das strafrechtliche Denken, dessen normativ-begrifflicher Aspekt stets der Ergänzung durch eine faktische Abschätzung der Probleme und ihrer Bedeutung im sozialen Bereich bedarf. Beide Betrachtungsweisen sind jedoch schon in der begrifflichen Begrenzung des Schutzumfangs der einzelnen Delikte weit enger miteinander verbunden, als es vielleicht den Anschein hat. Die Bestimmung des Schutzumfangs der Tatbestände und des Inhalts der einzelnen Begriffe ist heute bereits das Ergebnis harter, langer Arbeit am Begriff durch Lehre und Rechtsprechung in steter Auseinandersetzung mit einer Vielzahl verschiedener Problemstellungen. Vor allem in den gerichtlichen Entscheidungen werden die einzelnen Begriffe einer steten Bewährungsprobe unterzogen. In die Bestimmung, Modifizierung oder völlige Neuschöpfung einzelner Begriffsinhalte gehen umfangreiche kriminologische Überlegungen, kriminalpolitische Zwecksetzungen und sozialpolitische Stellungnahmen ein, auch wenn darüber nicht jeweils Rechenschaft abgelegt wird. - Der Rechtsprechung kommt daher in diesem Bereich besondere Bedeutung zu, die auch in der konkreten Zielsetzung des Grundkurses Ausdruck finden mußte: nicht nur der "fertige Jurist", auch schon der Anfänger muß die Entscheidungen, die die Praxis als besonders bedeutsam ansieht, kennenlernen. Er muß sie nicht auswendig lernen, sich aber mit ihnen auseinandersetzen, um die eigene Meinung zu begründen. In dieser Verflechtung von Theorie und Praxis ist die Eigenart dieses Bandes des Grundkurses begründet. Im übrigen ist der Umfang der Darstellung der einzelnen Deliktsgruppen nach der Bedeutung der Delikte in Ausbildung und Praxis differenziert. Der Schwerpunkt des Grundkurses aber liegt in dem Bemühen, den Leser auf wesentliche Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen, in die selbstän-

VI

Vorbemerkung

dige Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Problemen einzuüben und Wege zur weiteren Vertiefung zu zeigen. Der Leser soll am Prozeß der Meinungsbildung beteiligt werden, sich aber nicht zur freundlichen Bedienung mit fremden Meinungen eingeladen fühlen. Für ihre Mitarbeit danke ich sehr herzlich meinen Assistenten, den Herren Volker Beermann, Harald Petersen und Klaus Zacharias. Bayreuth, Januar 1995

Harro Otto

Inhaltsverzeichnis

Schrifttum..

1. Teil: Einführung § 1: Die einzelnen Tatbestände und das "System des Besonderen Teils" I. Unrecht und strafbares Unrecht II. Die Rechtsgutsverletzung als Kern des Straftatbestandes HI. Die Legalordnung 2. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen 1. Kapitel: Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter 1. Abschnitt: Delikte gegen das Leben § 2: Die Systematik der Tötungsdelikte § 3: Totschlag § 4: Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen n . Die einzelnen Qualifikationsmerkmale HI. Vorsatzprobleme § 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 n. Das Verhältnis des § 213 zu § 211 § 6: Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 II. Die Problematik der Sterbehilfe m . Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung IV. Zur Teilnahmeproblematik § 7: Kindestötung § 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte I. Prämissen der Entscheidung II. Zur Einübung § 9: Fahrlässige Tötung § 10: Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes n . Besondere Probleme des Tatbestandes

XIX

1 1 1 3 3 5 5 5 5 10 11 11 12 25 25 25 28 28 28 31 37 41 41 42 42 44 45 48 48 49

Vm

Inhaltsverzeichnis

§ 11: Völkermord I. Das geschützte Rechtsgut ü . Die Bedeutung des Tatbestandes § 12: Zur Wiederholung 2. Abschnitt: Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben § 13: Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung n . Abbruch der Schwangerschaft, § 218 m . Der gerechtfertigte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a IV. Strafausschluß beim Schwangerschaftsabbruch V. Flankierende Maßnahmen zum Schutz ungeborener Kinder VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 3. Abschnitt: Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit § 14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut n . Die Systematik des Gesetzes § 15: Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 Abs. 1 n . Zur Rechtswidrigkeit IE. Aszendentenverletzung, § 223 Abs. 2 IV. Zur Bestrafung § 16: Die gefährliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 223 a n . Die einzelnen Tatmittel m . Vorsatz IV. Sonderproblem Aids § 17: Schwere und besonders schwere Körperverletzung I. Der Aufbau der §§ 224, 225 n . Die einzelnen Merkmale HI. Versuch und Täterschaft § 18: Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 226 n . Der Strafrahmen des § 226 Abs. 2 § 19: Körperverletzung im Amt § 20: Mißhandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 223 b n . Einzelheiten zur Interpretation m . Zur sozialen Relevanz des § 223 b § 21: Fahrlässige Körperverletzung

51 51 51 51 53 53 53 55 56 58 58 59 62 62 62 62 62 62 64 67 67 68 68 69 70 70 73 73 73 74 75 75 76 76 78 78 79 79 79

Inhaltsverzeichnis

IX

§ 22: Vergiftung I. Das Wesen des § 229 II. Einzelheiten der Regelung in. Besonderheiten des Versuchs § 23: Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat n . Einzelheiten der Regelung m . Zur Einübung § 24: Konkurrenzprobleme I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte n . Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten § 25: Zur Wiederholung 4. Abschnitt: Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26: Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte II. Die Systematik der Freiheitsdelikte § 27: Nötigung I. Der objektive Tatbestand II. Der subjektive Tatbestand III. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung IV. Versuch und Vollendung § 28: Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 II. Rechtswidrigkeit HI. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung V. Menschenraub, § 234 § 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b II. Tatbestandsvoraussetzungen m . Erfolgsqualifizierung nach §§ 239 a Abs. 3, 239 b Abs. 2 IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4, 239 b Abs. 2 i.V.m. § 239 a Abs. 4 V. Konkurrenzen § 30: Zur Wiederholung 5. Abschnitt: Delikte gegen die Ehre §31: Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte ü . Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre

80 80 80 80 81 81 81 82 83 83 83 84 86 86 86 86 87 87 92 92 96 97 97 99 100 100 101 101 101 102 104 104 104 104 106 106 106 107

X

Inhaltsverzeichnis

§ 32: Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 H. Üble Nachrede, § 186 m . Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände IV. Rechtfertigung V. Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände . VI. Erfordernis des Strafantrags § 33: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 6. Abschnitt: Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich § 34: Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 n . Verletzung des Briefgeheimnisses § 202 HI. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 V. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 354 VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 VE. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204, 202 a § 35: Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 n . Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 § 36: Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut II. Die Tathandlung § 37: Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a.... n . Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h, und Auswanderungsbetrug, § 144 2. Kapitel: Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen) 1. Abschnitt: Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte § 38: Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut n . Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte m . Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte 2. Abschnitt: Die Vermögensentziehungsdelikte § 39: Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut n . Systematischer Überblick

110 110 112 113 115 120 120 121 122 122 122 125 126 128 128 130 131 132 132 135 136 136 136 137 137 138 139 139 139 139 141 141 144 144 144 145

Inhaltsverzeichnis

XI

§ 40: Diebstahl I. Der objektive Tatbestand n. Der subjektive Tatbestand

145 145 153

§ 41: Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 n. § 243 Abs. 2: Ausschluß der Strafschärfung m . Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl, § 244 IV. Schwerer Bandendiebstahl, § 244 a

161 161 168 169 173

§ 42: Unterschlagung I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1, 1. Alt n. Veruntreuung, § 246 Abs. 1, 2. Alt § 43: Haus- und Familiendiebstahl

173 173 180 180

§ 44: Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen

182

§ 45: Entziehung elektrischer Energie

184

§ 46: Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes n. Raub, § 249 m . Schwerer Raub, § 250 IV. Raub mit Todesfolge, § 251 V. Räuberischer Diebstahl, § 252 VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a § 47: Sachbeschädigung I. Sachbeschädigung, § 303 II. Besondere Fälle der Sachbeschädigung III. Schutz von Daten und Datenverarbeitung IV. Strafantrag

185 185 185 189 190 192 195 197 197 200 201 203

§ 48: Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b n. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290

204 204 206

§ 49: Zur Wiederholung

206

§ 50: Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 n . Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 in. Wilderei, §§ 292 ff

207 207 209 210

§ 51: Betrug I. Rechtsgut und Gesetzessystematik II. Der gesetzliche Tatbestand m . Der objektive Tatbestand IV. Der subjektive Tatbestand V. Versuch, Vollendung und Besonderheiten der Strafverfolgung VI. Besonders bezeichnete Betrugsfälle

213 213 213 214 231 233 233

XII

Inhaltsverzeichnis

§ 52: Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352, 353 n . Erschleichen von Leistungen, § 265 a m. Computerbetrug, § 263 a § 53: Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 n . Räuberische Erpressung, § 255 § 54: Untreue und untreueähnliche Delikte I. Rechtsgut und Aufbau des Untreuetatbestandes II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes III. Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten IV. Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 2 § 55: Strafbare Vermögensgefährdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 n . Qualifikationstatbestand, § 284 Abs. 3 III. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 284 a IV. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder einer Ausspielung, § 286 V. Schiffsgefährdung durch Bannware, § 297 3. Abschnitt: Die Perpetuierungsdelikte § 56: Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte § 57: Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur n . Einzelheiten des Tatbestandes HI. Die Regelung des § 257 Abs. 4 § 58: Hehlerei I. Hehlerei, § 259 n . Qualifikationstatbestände, §§ 260, 260 a m . Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO § 59: Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 3. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit 1. Kapitel: Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter 1. Abschnitt: Delikte gegen die Wirtschaftsordnung § 60: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht § 61: Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsbetrug, § 265 n . Subventionsbetrug, § 264 m. Kreditbetrug, § 265 b IV. Kapitalanlagenbetrug, § 264 a

240 240 242 244 249 249 253 254 254 256 260 263 264 264 266 266 266 266 266 266 266 268 269 269 269 271 272 272 279 279 279 282 282 282 282 284 284 286 289 290

Inhaltsverzeichnis V. Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 1 , 3 VI. Konkursdelikte, §§ 283-283 d VH. Wucher, § 302 a 2. Abschnitt: Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens

XTTT 295 297 303 307

§ 62: Delikte gegen den äußeren Frieden

307

§ 63: Delikte gegen den inneren Frieden I. Landfriedensbruch, §§ 125, 125 a II. Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 126 ffl. Volksverhetzung, § 130 IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 V. Anleitung zu Straftaten, § 130 a VI. Gewaltdarstellung, § 131 W . Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 3. Abschnitt: Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des

307 308

Gemeinschaftslebens

310 311 313 314 315 316 319

§ 64: Delikte gegen das Pietätsempfinden

319

§ 65: Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfälschung, § 169 n . Doppelehe, § 171 IE. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 b V. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 170 d VI. Kindesentziehung, § 235 VH. Entführung mit Willen der Entführten, § 236 § 66: Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung n . Die sexuelle Handlung, § 184 c m . Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne IV. Strafbarer Mißbrauch institutioneller Abhängigkeit V. Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution V m . Verbreitung pornographischer Schriften, § 184

322 322 324 324 325 327 327 328 330 330 331 332 336 337 341 343 346

§ 67: Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c n . Mißbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln, § 145 in. Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138, 139

347 347

§ 68: Zur Wiederholung 4. Abschnitt: Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs

352 354

§ 69: Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte

354

349 350

XIV

Inhaltsverzeichnis

§ 70: Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 II. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 m . Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 275, 276 a IV. Vorbereitung des Gebrauchs von falschen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahizeugpapieren, §§ 276, 276 a V. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277

354 354 366

§ 71: Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 II. Mittelbare Falschbeurkundung, §§ 271, 272 m . Gebrauch falscher Beurkundungen, § 273 IV. Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen, §§ 276, 276 a V. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 VI. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278

369 369 371 373

§ 72: Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt II. Unterdrückung beweiserheblicher Daten, § 274 Abs. 1 Nr. 2 DI. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 2

374 374 376 376

§ 73: Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels

377

368 368 368

373 373 374

§ 74: Fälschimg technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 m . Die Tathandlung IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt

378 378 378 379

§ 75: Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146, 147, 149, 152 n. Geldfälschung, § 146 III. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1, 1. Alt IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 V. Wertpapierfälschung, § 151 VI. Fälschimg von Vordrucken für Euroscheck und Euroscheckkarten, § 152 a VII. Einziehung

381 381 381 383 384 384

§ 76: Wertzeichenfälschung I. Wertzeichenfälschung, § 148 ü. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1, 2. Alt

386 386

§ 77: Zur Wiederholung 5. Abschnitt: Gemeingefährliche Delikte

387 389

381

385 386

387

Inhaltsverzeichnis

XV

§ 78: Systematischer Überblick I. Der Begriff des "gemeingefährlichen Delikts" II. Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick) m . Nicht gemeingefährliche Delikte im 27. Abschnitt des StGB § 79: Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen II. Brandstiftung, § 308 III. Schwere Brandstiftung, § 306 IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 307 V. Fahrlässige Brandstiftung, § 309 VI. Herbeiführen einer Brandgefahr, § 310 a VII. Tätige Reue, § 310 § 80: Gefährdungen des Verkehrswesens.... I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§ 315, 315 a II. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§315b, 315 c, 316 m . Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 IV. Angriff auf den Luft-und Seeverkehr, §316 c § 81: Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a n . Die Voraussetzungen des Tatbestandes 6. Abschnitt. Straftaten gegen die Umwelt

389 389 381 394 394 394 395 396 397 397 398 398 399

§ 82: Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafhormen II. Die grundsätzliche Problemstellung des Umweltstrafrechts in. Das geschützte Rechtsgut IV. Die einzelnen Schutzbereiche 2. Kapitel: Delikte gegen staatliche Rechtsgüter 1. Abschnitt: Delikte gegen den Bestand des Staates § 83: Hochverrat I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes ü . Die einzelnen Tatbestände § 84: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats I. Gesetzessystematik der §§ 84-91 n. Die einzelnen Tatbestände § 85: Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik II. Das Staatsgeheimnis m . Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähimg von Staatsgeheimnissen IV. Die landesverräterische Konspiration § 86: Delikte gegen ausländische Staaten

399 400 405 410 410 410 411 416 416 416 417 422 422 432 432 432 432 432 433 433 434 438 438 438 439 441 442

XVI

Inhaltsverzeichnis

I. Rechtsgut II. Die einzelnen Tatbestände HI. Voraussetzungen der Strafverfolgung, § 104 a § 87: Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d II. Die einzelnen Tatbestände § 88: Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich II. Die einzelnen Tatbestände 2. Abschnitt: Delikte gegen die Staatsgewalt § 89: Gefährdungen der staatlichen Autorität I. Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134 II. Mißbrauch von Ausweispapieren, § 281 m . Amtsanmaßung, § 132 IV. Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a § 90: Gefährdung der Staatsgewalt § 91: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113, 114 II. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 HI. Der Irrtum des Widerstandleistenden IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 V. Das Verhältnis des §113 zu §240 § 92: Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 II. Gefangenenmeuterei, § 121 § 93: Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 n . Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 m . Zur Einübung 3. Abschnitt: Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen § 94: Gefährdung öffentlicher Interessen 4. Abschnitt: Delikte gegen die Rechtspflege § 95: Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 ü . Vortäuschen einer Straftat, § 145 d § 96: Strafvereitelung und Geldwäsche I. Strafvereitelung, § 258 II. Strafvereitelung im Amt, § 258 III. Sabotage gerichtlicher Entscheidungen IV. Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßiger Vermögenswerte, § 261

442 442 443 443 443 444 446 446 446 449 449 449 449 449 451 452 454 454 455 457 458 458 459 459 461 462 462 463 465 466 466 468 468 468 470 472 472 475 476 476

Inhaltsverzeichnis § 97: Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick II. Das relevante Angriffsverhalten HI. Die einzelnen Aussagedelikte IV. Teilnahme und mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten V. Strafmilderung und Absehen von Strafe § 98: Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 336 II. Aussageerpressung, § 343 III. Verfolgung Unschuldiger, § 344 IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345 V. Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d VI. Parteiverrat, § 356 5. Abschnitt: Delikte gegen den öffentlichen Dienst § 99: Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte II. Vorteilsannahme, § 331 m . Bestechlichkeit, § 332 IV. Vorteilsgewährung, § 333 V. Bestechung, § 334 § 100: Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357 Paragraphenregister Sachregister

XVII 480 480 480 487 493 498 501 501 501 503 504 505 506 508 508 508 509 512 513 513 514 516 519

Schrifttum zum Studium des Strafrechts, Besonderer Teil Der Bezug auf den GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., betrifft den RECHT, Allgemeine Strafrechtslehre, 4. Aufl. 1992.

GRUNDKURS STRAF-

I. Alteres Schrifttum 1. Lehrbücher BINDING v. LISZT/SCHMIDT

Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2 Bde., 1./2. Aufl. 1902-1905 Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927

2. Kommentare FRANK v. OLSHAUSEN

Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931 Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1927, 12. Aufl. (nur bis § 246) 1942/43

II. Neueres Schrifttum 1. Lehrbücher ARZT/WEBER

BLEI BOCKELMANN

ESER

GÖSSEL HAFT

Strafrecht, Besonderer Teil, LH 1: Delikte gegen die Person, 3. Aufl. 1988 LH 2: Delikte gegen die Person (Randbereich), Schwerpunkt: Gefährdungsdelikte, 1983 LH 3: Vermögensdelikte (Kernbereich), 2. Aufl. 1986 LH 4: Wirtschaftsstraftaten, Vermögensdelikte (Randbereich), Fälschungsdelikte, 2. Aufl. 1989 LH 5: Delikte gegen den Staat, gegen Amtsträger und durch Amtsträger, 1982 Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. 1982 Bd. 2: Delikte gegen die Person, 1977 Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit, 1980 Strafrecht, Bd. 3: Delikte gegen die Person und Gemeinschaftswerte, 2. Aufl. 1981 Bd. 4: Vermögensdelikte, 4. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1, 1987 Strafrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl. 1991

XX KREY

MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD

SCHMIDHÄUSER WELZEL WESSELS

Schrifttum Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 9. Aufl. 1994 Bd. 2: Vermögensdelikte, 9. Aufl. 1993 Strafrecht, Besonderer Teil, Tbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 7. Aufl. 1988 Tbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 7. Aufl. 1991 Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Aufl. 1983 Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 18. Aufl. 1994 Bd. 2: Straftaten gegen Vermögenswerte, 17. Aufl. 1994

2. Kommentare ALTERNATIVKOMMENTAR (AK) DREHER/TRÖNDLE KOHLRAUSCH/LANGE LACKNER LEIPZIGER KOMMENTAR (LK)

PFEIFFER/MAUL/ SCHULTE PREISEND ANZ SCHÖNKE/SCHRÖDER SYSTEMAT. KOMMENTAR ZUM STRAFGESETZBUCH ( S K )

Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Wassermann, 3. Bd (§§ 80 - 145 d), 1986 Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 46. Aufl. 1993 Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl. 1961 StGB, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 20. Aufl. 1993 Großkommentar zum Strafgesetzbuch, 10. Aufl. 1978 ff, hrsg. von Jescheck, Ruß und Willms. 11. Aufl. 1992 ff, hrsg. von Jähnke, Laufhütte und Odersky. - Im Text als 11. Aufl. gekennzeichnet. Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1969 Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. 1978 Strafgesetzbuch, bearb. von Cramer, Eser, Lenckner und Stree, 24. Aufl. 1991 bearb. von Rudolphi, Horn und Samson, Besonderer Teil, Stand: Januar 1994

III. Verzeichnis der im Text angeführten Festschriften/Gedächtnisschriften BAUMANN, JÜRGEN BOCKELMANN, PAUL BOSCH, FR. W . BRUNS, HANS-JÜRGEN BRUNS, RUDOLF BUNDESGERICHTSHOF

Festschrift zum 70. Geburtstag, 1992 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1979 Festschrift zum 63. Geburtstag, 1976 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1978 Gedächtnisschrift, 1980 Festschrift zum 25jährigen Bestehen, "25 Jahre Bundesgerichtshof", 1975

Schrifttum DREHER, EDUARD DÜNNEBIER, HANNS DÜRIG, GÜNTER ENGISCH, KARL GALLAS, WILHELM 1 4 0 JAHRE GOLTDAMMER'S ARCHIV FÜR STRAFRECHT GÖPPINGER, HANS HEIDELBERG

HEINITZ, ERNST HELMICH, HERBEERT HENKEL, HEINRICH VON HENTIG, HANS HÜBNER, HEINZ JAUCH, GERD JESCHECK, HEINRICH KAUFMANN, ARMIN KAUFMANN, HILDE KLEINKNECHT, THEODOR KLUG, ULRICH KÜCHENHOFF, GUNTHER LACKNER, KARL LANGE, RICHARD LEFERENZ, HEINZ MAHRENHOLZ, ERNST GOTTFRIED MAURACH, REINHART MAYER, HELLMUTH MEYER, KARLHEINZ METZGER, EDMUND MIDDENDORF, WOLF NOLL, PETER O L G CELLE OEHLER, DIETRICH PALLIN, FRANZ

XXI Festschrift zum 70. Geburtstag, 1977 Festschrift zum 75. Geburtstag, 1982 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Das akzeptierte Grundgesetz", 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1969 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1973 Eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Paul-Günter Pötz, 1993 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Kriminalität Persönlichkeit, Lebensgeschichte und Verhalten, 1990 Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprechts-Karl-Universität Heidelberg, "Richterliche Rechtsfortbildung", 1986 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 60. Geburtstag, "Für Recht und Staat", 1994 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft", 1974 Festschrift zum 80. Geburtstag, "Kriminologische Wegzeichen", 1967 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1984 Festschrift zum 65. Geburtstag, "Wie würden Sie entscheiden?", 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1985 Gedächtnisschrift, 1989 Gedächtnisschrift, 1986 Festschrift zum 75. Geburtstag, Strafverfahren im Rechtsstaat", 1985 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1983 Gedächtnisschrift, "Recht und Rechtsbesinnung", 1987 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1987 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1976 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Kriminologie-PsychiatrieStrafrecht", 1983 Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, "Gegenrede", 1994 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft", 1966 Gedächtnisschrift, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1954 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1986 Gedächtnisschrift, 1984 Göttinger Festschrift zum 250jährigen Bestehen 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1985 Festschrift zum 80. Geburtstag, "Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie", 1989

XXII PETERS, KARL PFEIFFER, GERD REBMANN, KURT REIMERS, WALTER SARSTEDT, WERNER SCHAFFSTEIN, FRIEDRICH SCHMIDT, EBERHARD SCHNEIDER, PETER SCHRÖDER, HORST SCHÜLER-SPRINGORUM, HORST SCHULTZ, HANS SCHWINGE, ERICH SPENDEL, GÜNTER STREE, WALTER/ WESSELS, JOHANNES TRÖNDLE, HERBERT WELZEL, HANS WOLF, ERNST WÜRTENBERGER, THOMAS

Schrifttum Festschrift zum 70. Geburtstag, "Einheit und Vielfalt des Strafrechts", 1974 Festschrift, "Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht", 1988 Festschrift zum 63. Geburtstag, 1989 Festschrift zum 65. Geburtstag, "Aus dem Hamburger Rechtsleben", 1979 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1981 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1975 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Kritik und Vertrauen", 1990 Gedächtnisschrift, 1978 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1993 Festgabe zum 65. Geburtstag, "Lebendiges Strafrecht", 1977 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Persönlichkeit in der Demokratie", 1973 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1992 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Beiträge zur Rechtswissenschaft", 1993 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1989 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Recht und Rechtserkenntnis", 1985 Festschrift zum 70. Geburtstag, "Kultur- Kriminalität Strafrecht", 1977

Erster Teil Einführung § 1: Die einzelnen Tatbestände und das "System des Besonderen Teils" I. Unrecht und strafbares Unrecht 1. Die fragmentarische Natur des Strafrechts In der Einführung in die Allgemeine Strafrechtslehre wurde klargestellt, daß Strafrechtsnormen als Mittel der Verhaltenssteuerung und Erwartungssicherung, die auf eine gerechte Ordnung abzielen, bestimmten Grundsätzen genügen müssen, sollen sie den zur Entwicklung nötigen Handlungsspielraum des Einzelnen und der Gesamtheit garantieren, Rechtssicherheit gewähren und Willkür vorbeugen: (1) Sie müssen hinreichend bestimmt gefaßt sein, Art. 103 Abs. 2 GG. (2) Sie müssen gleiche Sachverhalte in gleicher Weise regeln, Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 GG. (3) Nur soweit Strafe als ultima ratio zur Sicherung des sozialen Miteinanders unerläßlich erscheint, sind Strafrechtsnormen legitim. a) Die angemessene Berücksichtigung dieser drei Grundsätze führt nun nicht zur gleichen Bestrafung aller Rechtsgutsbeeinträchtigungen gleicher Intensität, sondern im Gegenteil, sie macht eine Differenzierung nach der über die Rechtsgutsverletzung hinausgehenden Sozialschädlichkeit der verschiedenen Verhaltensweisen nötig. Das Unrecht, die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens, erschöpft sich nicht in der Rechtsgutsverletzung, sondern manifestiert sich lediglich in dieser! - Doch auch das gleiche Maß der Sozialgefährlichkeit oder -Schädlichkeit und damit der Strafwürdigkeit begründet dort noch keine Strafbarkeit, wo es an der Strafbedürftigkeit fehlt, weil andere, wirksamere oder gleich wirksame Mittel zur Verfügung stehen, dem strafwürdigen Verhalten zu begegnen (fragmentarische Natur des Strafrechts). b) Strafbares Unrecht ist demnach durch seine besondere Beschreibung in den Gesetzestatbeständen des Besonderen Teils jeweils als besonders vertyptes Unrecht gekennzeichnet und damit aus der Masse des allgemeinen Unrechts herausgehoben, weil der Gesetzgeber dieses Unrecht als strafwürdig und strqfbedürftig ansieht. Zur Wiederholung:

GRUNDKURS STRAFRECHT,

A.T., § 1 D 5.

c) Ein Tatbestand: "Wer das Vermögen eines anderen schädigt, wird ... bestraft", würde durchaus dem Bestimmtheits- und auch dem Gleichheitsgrundsatz genügen. Er würde aber zahllose Verhaltensweisen umfassen, die keineswegs mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden müssen, z.B. jede vermögensschädigende Vertragsverletzung. Die Einzeltatbestände, z.B. im Bereich des Vermögensstrafrechts, haben gegenüber einem einzigen umfassenden Tatbestand den kriminalpolitischen Vorzug eines gezielteren und damit sachgerechteren Vorgehens. Die damit verbundene Abgrenzungsproblematik ist nicht zu umgehen, soll der strafbare Raum möglichst scharf von dem nicht strafbaren Bereich abgegrenzt werden.

2

Einführung

2. Die strafrechtlichen Deliktstypen Die Vertypung der einzelnen Straftaten geht auf das Erlebnis der Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen zurück. Diese werden als derart sozialschädlich empfunden, daß versucht wird, ihnen mit dem stärksten zur Verfügung stehenden Abwehrmittel, der Strafe, zu begegnen. Und zwar wird die Sozialschädlichkeit, das Unrecht, nicht nur quantitativ, sondern mehr noch qualitativ erlebt. Gerade das unterschiedliche qualitative Erlebnis fuhrt zur Unrechtsvertypung, in der sich allerdings im sozialen Erlebnis zunächst ein persönlicher Typ durchsetzt: der des Mörders, Diebes, Räubers usw. Von diesem Kern anschaulicher kriminologischer Typen geht das Strafrecht in seinen Anfängen aus. Sie werden in ihrer Eigenart, aber auch in ihrer betonten Verschiedenheit als bekannt vorausgesetzt. - Im Zuge der Rechtsentwicklung ist eine derartige Gesetzestechnik aus Rechtssicherheitsgründen nicht mehr tragbar. Die Maxime "nullum crimen sine lege" fordert die abstrakte, kriminologieferne Tatbestandsfassung, d.h. den Übergang von der bloßen Kennzeichnung des Täters zur auflösenden (analysierenden) und zugleich abstrahierenden Beschreibung von Taten. Der Prozeß dieser legislatorischen Wandlung wird im geltenden StGB noch deutlich in der Verwendung normativer, d.h. wertausfüllungsbedürftiger Begriffe neben den deskriptiven Merkmalen; vgl. z.B. "niedrige Beweggründe" in § 211. In Einzelfällen hat der Gesetzgeber sogar noch gänzlich von einer Tatbeschreibung abgesehen, wie z.B. in §185: "Die Beleidigung wird ... bestraft." Die im Erlebnis der Strafwürdigkeit eines Sachverhalts begründete Vertypung von Straftatbeständen folgt allerdings nicht - vergleichbar dem Zurechnungsprinzip, das den Aufbau der Allgemeinen Strafrechtslehre strukturiert - einer einheitlichen Idee. Dennoch stehen die einzelnen Tatbestände der verschiedenen Deliktsgruppen nicht isoliert, unsystematisch nebeneinander. Als Ausdruck des gleichen Erlebnisses der Strafwürdigkeit eines umfassenderen Sachverhaltes sind sie aufeinander bezogen und damit systematisch miteinander verbunden. 3. Gesetzestatbestand und Unrechtstypus Die einzelnen im Gesetzestatbestand erfaßten Merkmale des "Unrechtstypus" beschreiben die jeweilige Rechtsgutsverletzung und ihre Modalitäten, d.h. spezifisches, strafwürdiges Unrecht unter der Voraussetzung, daß das Verhalten überhaupt Unrecht ist. So beschreiben z.B. die Tatbestände der Tötungsdelikte in den §§ 211 ff spezifisches Tötungsunrecht unter der Voraussetzung, daß die konkret zu bewertende Tötung Unrecht ist. Die einzelnen Gesetzestatbestände der Vermögensdelikte kennzeichnen spezifische Angriffe gegen das Vermögen als bestimmtes strafwürdiges Unrecht, vorausgesetzt, der Eingriff in das Vermögen ist rechtswidrig. Der Gesetzestatbestand selbst ist insoweit wertfrei, als er keine Auskunft darüber gibt, ob das von ihm beschriebene Verhalten rechtswidrig ist. Er "indiziert" auch nicht die Rechtswidrigkeit. - Er ist wertbezogen, insofern er ein Verhalten beschreibt, das auf die Prüfung der Rechtswidrigkeit bezogen ist. Ob ein rechtswidriger Eingriff einer Person in strafrechtlich geschützte Rechtsgüter einer anderen vorliegt, ergibt die Prüfling des Unrechtstatbestandes, dessen Bestandteil der Gesetzestatbestand ist. Zur Wiederholung:

GRUNDKURS STRAFRECHT,

A.T., § 51, II.

§ 1 Die einzelnen Tatbestände

3

II. Die Rechtsgutsverletzung als Kern des Straftatbestandes Aus der Natur des Strafrechts als Schutzrecht folgt, daß bestimmte Rechtsgüter gegen bestimmte Angriffe geschützt werden, weil der Schutz dieser Rechtsgüter Voraussetzung für die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft innerhalb des staatlichen Gefüges ist. Diese Güter (Werte) werden demnach nicht geschützt, weil sie als absolute Werte anerkannt werden, wobei ihre Werthaftigkeit gerade außerhalb jeder Kritik stände, sondern weil sich im steten Vollzug des Soziallebens gezeigt hat, daß bestimmte soziale Funktionseinheiten (Werte) Voraussetzung eines sozialen Zusammenlebens sind. Mit dem Wandel der Stellung zu diesen sozialen Werten ist auch eine Wandlung der strafrechtlichen Auffassung von der Schutzwürdigkeit dieser Werte verbunden. So wurde im Jahre 1969 der Straftatbestand des Ehebruchs, § 172, aus dem StGB entfernt, und die Tatbestände der Unzucht zwischen Männern, §§ 175, 175 a StGB a.F., wurden wesentlich geändert. Derartige Wandlungen rechtzeitig zu erfassen, gelingt dem Strafgesetzgeber nicht immer. Oft vollzieht sich eine Rechtsänderung auch ohne Gesetzesänderung, da eine Verschiebung des individuellen oder kollektiven Aspekts eines Rechtsguts zu einer anderen Auslegung der Vorschrift führt. Das geschützte Rechtsgut ist dem Wortlaut der einzelnen Tatbestände in der Regel nicht unmittelbar zu entnehmen, es ist durch Auslegung des einzelnen Tatbestandes oder der gesamten Deliktsgruppe zu ermitteln. Die Auslegung der einzelnen Merkmale eines Tatbestandes wiederum erfolgt im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, denn seinen Schutz gegen bestimmte Angriffe sollen diese Merkmale gerade sicherstellen. Zur Wiederholung:

GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 II 2 - 4 .

III. Die Legalordnung Innerhalb einer stark differenzierten Rechtsordnung, die zahlreiche Straftatbestände enthält, müssen diese in einer gewissen Ordnung stehen. Möglich wäre durchaus eine Einteilung nach der Schwere der angedrohten Strafe oder nach dem bei der Tat eingesetzten Angriffsmittel (z.B. Gewalt, Täuschung, List usw.). Gegen eine derartige Einteilung spricht jedoch, daß Praktikabilität und Übersichtlichkeit, aber auch der für die Auslegung der einzelnen Tatbestände höchst relevante Sachzusammenhang zwischen den einzelnen Delikten in höherem Maße Berücksichtigung finden können, wenn eine Ordnung nach der materiellen Angriffsrichtung der Delikte, d.h. nach dem geschützten Rechtsgut der einzelnen Tatbestände, angestrebt wird. Abweichungen innerhalb dieser Ordnimg, die z.B. durch die Art des Angriffs (gemeingefährliche und gemeinlästige Straftaten) bedingt sind, können dabei durchaus als Ausnahme von der Regel erfaßt werden. Unmittelbar in das Strafgesetzbuch sind Deliktsgruppen aufgenommen worden, deren Bedeutung im Laufe der historischen Entwicklung besonders in das allgemeine Bewußtsein gedrungen ist. Es sind im wesentlichen Tatbestände, die die Grundlagen jeglichen

4

Einführung

sozialen Miteinander sichern. Sie können weitgehend auf die Richtlinien des Dekalogs zurückgeführt werden. Die Tatsache des größeren Bekanntheitsgrades dieser Tatbestände darf aber nicht von der Relevanz des Strafrechts ablenken, das in anderen Gesetzen normiert ist, auch wenn diese Strafgesetze vielfach im Gegensatz zu den Vorschriften des StGB als Nebenstrafrecht bezeichnet werden. Nebenstrafrecht ist nicht nebensächliches Strafrecht! Es handelt sich vielmehr um Strafrecht, das oftmals nur von bestimmten Tätern verwirklicht werden kann. Schon das zeigt, daß es hier nicht um Bagatellstrafrecht geht.

Zweiter Teil Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen Erstes Kapitel Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen das Leben § 2: Die Systematik der Tötungsdelikte Zur Einführung: BGHSt 23 S. 119: A erschlug die schlafende M, mit der er bis dahin zusammengelebt hatte, mit einem Beil. BGH: Mord, § 211. - Strafe: Lebenslange Freiheitsstrafe. BGHSt 19 S. 321: A fiel über Frau W her, um sie zu verprügeln. Sie wehrte sich. Daraufhin faßte A den Entschluß, Frau W umzubringen. Er stürzte sie in einen Kellerschacht. Frau W kam zu Tode. BGH: Totschlag, § 212. - Strafrahmen: 5-15 Jahre Freiheitsstrafe. BGHSt 25 S. 223: A geriet bei einer Unterredung mit der B in heftige Erregung, als diese abfällige Bemerkungen über die Söhne des A machte. Hierdurch zum Zorne gereizt, erwürgte A die B. BGH: Minder schwerer Fall des Totschlags, § 213. - Strafrahmen: 6 Monate - 5 Jahre Freiheitsstrafe.

Frage: Ist es sachgerecht, im Falle der vorsätzlichen Verletzung desselben Rechtsguts Leben - besonders schwere und - unabhängig von der Schuld des Täters - minder schwere Delikte neben dem Grunddelikt zu unterscheiden? 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Tötungstatbestände ist das menschliche Leben. - Angriffsobjekt ist der geborene Mensch. a) Das Leben als Mensch fängt mit dem Beginn der Geburt an, wie sich aus § 217 ("Kind in oder gleich nach der Geburt tötet") ergibt. Als Beginn der Geburt ist das Einsetzen der sog. Eröffnungswehen anzusehen.1 Bei einer operativen Entbindung ist der die Eröffhungsperiode ersetzende Eingriff entscheidend, d.h. bei einer Schnittentbindung die Öffnung des Uterus.2 Das Kind muß im Zeitpunkt der Geburt gelebt haben, nicht erforderlich ist dagegen seine weitere Lebensfähigkeit. Geschützt wird daher auch die unreife und die mißgestaltete Leibesfrucht, nicht aber das krankhaft entartete Ei, die sogenannte Mole.

1

Vgl. BGHSt 31 S. 348; 32 S. 194; dazu ARZT FamRZ 1983 S. 1019 f; HIRSCH JR 1985 S. 336 ff; LÜTTGER N S t Z 1983 S. 481 ff.

2

Vgl. JÄHNKE LK, V o r § 2 1 1 R d n . 3; LACKNER StGB, V o r § 2 1 1 A n m . 2 a; MAURACH/SCHROEDER/

MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 8; weitergehend LÜTTGER Heinitz-Festschrift, S. 366.

6

Delikte gegen das Leben

Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 10 S. S: Die Einwirkung der A auf ihre Leibesfrucht führte zu einer nicht lebensfähigen Frühgeburt. BGH: Strafbarkeit der A nur wegen einer Abtreibung, nicht aber wegen eines Tötungsdelikts. bb) BGHSt 13 S. 21: Infolge der Einwirkung der B auf die Leibesfrucht kommt es zu einer Frühgeburt. Das Kind wird sogleich nach der Geburt getötet. BGH: B hat eine versuchte Abtreibung und einen vollendeten Totschlag in Realkonkurrenz begangen.3 cc) BGHSt 32 S. 194: A warf die schwangere S, bei der die Eröffnungswehen schon eingesetzt hatten, einen Hang hinunter. S starb, die Geburt wurde nicht mehr vollendet. BGH: Zwei vollendete Tötungsdelikte, nämlich Tötung der S und des Kindes.

Außerhalb des Schutzbereichs der Tötungsdelikte liegen Eingriffe in exkorporal befruchtete Eier sowie erzeugte Embryonen vor einem eventuellen Embryonentransfer. Strafrechtlichen Schutz gegen einzelne Eingriffe bietet hier das EmbryonenschutzG vom 13.12.1990. 4

Problematisch ist die Erfassung von schädigenden Handlungen, die vor der Geburt eines Kindes vorgenommen werden, aber erst nach der Geburt zum Tode des Kindes führen. - Entscheidend ist hier hinsichtlich der Schädigung des Kindes nicht der Zeitpunkt der Handlung, sondern der, in dem sich die Handlung bei dem Kind auswirkt, d.h. in dem die schädigende Einwirkung stattfindet. Handlungen, die dazu führen, daß ein lebendes, aber nicht überlebensfähiges Kind geboren wird, sind daher nicht als Tötung, sondern nur als Abtreibung zu erfassen.3 Bei der Infizierung eines ungeborenen Kindes mit AIDS, die zum späteren Tod des geborenen Kindes führt, kommt es danach darauf an, ob die relevante Einwirkung bereits in der Infizierung oder erst im Ausbruch der Krankheit gesehen wird. - Da das Ereignis, aus dem sich die weiteren Folgen zwingend und ohne Möglichkeit ihrer Abwendung entwickeln, die Infizierung ist, liegt in dieser die relevante Schädigung, nicht erst im Ausbruch der Krankheit. Das Kind wird bereits mit dem Schaden geboren.6 Darin liegt der Unterschied zu dem Fall einer vor Geburt bereits in Gang gesetzten Gefährdung von außen, die sich erst nach der Geburt realisiert, z.B. beim Versehen des Kinderzimmers mit einem giftigen Anstrich. b) Als Ende des Lebens wurde früher der endgültige Stillstand von Kreislauf und Atmung angesehen. Nach heute h.M. gilt als Todeszeitpunkt das irreversible Erlöschen der Gehirntätigkeit.7 3

Dazu auch: KREY B.T.l, Rdn. 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 5 Rdn. 30; SCH/SCH/ ESER § 2 1 8 R d n . 9 .

4

BGBl. I S. 2 7 4 6 ; d a z u DEUTSCH N J W 1991 S. 721 ff; JUNG JuS 1991 S. 4 3 1 f f ; KELLER/GÜNTHER/

KAISER EmbryonenschutzG, 1992.

5

Vgl. dazu BGHSt 31 S. 352; JÄHNKE LK, Vor §211 Rdn. 4; LÜTTOER NStZ 1983 S. 483; SCH/SCH/ESER V o r § 2 1 1 R d n . 15.

6

Nach geltendem Recht bleibt daher die Schädigung des Kindes straflos, da nach h.M. die Trennung zwischen den Rechtsgütern der Mutter und des Kindes auch in derartigen Fällen streng durchzuhalten ist; vgl. dazu eingehender § 13 IV.

7

Dazu GEILEN Heinitz-Festschrift, S. 373 ff; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 7 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 1 Rdn. 12; STRATENWERTH Engisch-Festschrift, S. 528 ff; WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT DER BUNDESÄRZTEKAMMER J Z 1983 S. 5 9 4 ff mit Erläuterungen v o n SCHREIBER J Z

1983 S. 593 f. - Allgemein zur rechtlichen Problematik des Todeszeitpunktes: FRITSCHE Grenzbereich zwischen Leben und Tod, 1979; KRÖSL/SCHERZER Die Bestimmung des Todeszeitpunktes,

§ 2 Die Systematik der Tötungsdelikte

7

Taugliches Tötungsobjekt können demnach auch der Todgeweihte und der Sterbende sein. Es gibt kein lebensunwertes Menschenleben. Auch "unaufhaltsam verlöschendes", "infolge irreversiblen Bewußtseinsverlustes geschädigtes Leben" ist geschützt.8 Geschützt ist auch der Anencephalus. Ihm fehlen zwar Groß-, Zwischen- und Mittelhim, doch wegen der Funktion des Stammhirns ist der Anencephalus nicht einem Hirntoten gleichzustellen. Auch er ist, als zur Gattung Mensch zugehörig, als Mensch strafrechtlich geschützt.9 2. Die Systematik der vorsätzlichen Tötungsdelikte a) Nach h.L. ist der Totschlag, § 212, als Grundtatbestand der Tötungsdelikte anzusehen. Der Mord, § 211, ist demgegenüber eine Qualifizierung; dazu weiter § 4 1 . Die Tötung auf Verlangen, § 216, und die Kindestötung, § 217, sind Privilegierungen.10 Der minder schwere Fall des Totschlags, § 213, enthält in seinem ersten Teil (Reizung zum Zorne) eine Privilegierung, in seinem zweiten Teil (sonst ein minder schwerer Fall) eine bloße Strafzumessungsregel.11 Die h.M. interpretiert auch die 1. Alt. des § 213 als bloße Strafzumessungsregel und damit als unbenannten Strafänderungsgrund. Das überzeugt nicht. - Innerhalb der Systematik der Strafänderungsgründe unterscheidet das Gesetz benannte und unbenannte Strafänderungsgründe. Da der strafmildernde Sachverhalt in § 213, 1. Alt. zwingend festgelegt wird, handelt es sich insoweit tun einen benannten Strafmilderungsgrund, d. h. um eine Privilegierung. Zwingende Beispiele unbenannter Strafänderungsgründe gibt es innerhalb dieser Systematik nicht, denn dieses wären benannte Fälle unbenannter Strafänderungsgründe! Die Konsequenz dieser Auffassung reicht allerdings weit:. Der Versuch des § 213, 1. Alt. StGB ist nämlich nicht strafbar. Hier wäre der Gesetzgeber zu einer Änderung aufgerufen, soweit man diese Konsequenz für kriminalpolitisch unangemessen hält. - Auch der BGH hat die 1. Alt. des § 213 zunächst zutreffend als Privilegierung eingeordnet. 1 ^

b) Nach Auffassung der Rechtsprechung sind § 211 und § 212 als selbständige Tatbestände anzusehen, die miteinander in keiner Weise verbunden sind. 13 Das hat den 1. Strafsenat des BGH jedoch nicht daran gehindert, die Möglichkeit von Mord und Totschlag durch Mittäter, die jeweils nuf das eine der beiden Delikte verwirklicht haben,

1973; SAERBECK Beginn und Ende des Lebens als Rechtsbegriffe, 1974; SCHICK in: Bernet (Hrsg.), Ethik und Recht an der Grenze zwischen Leben und Tod, 1993, S. 121 ff. 8 9

Der Entscheidung BGH NStZ 1992 S. 333 ist keine entgegengesetzte Auffassung zu entnehmen; vgl. JOERDEN NStZ 1993 S. 268; OTTO JK 93 StGB § 226/4; a.A. DENCKER NStZ 1992 S. 311 ff. Dazu auch: ISEMER/LILIE MedR 1988 S. 67; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 10. - A . A . HLERSCHE MedR 1984 S. 215; JÄHNKE LK, § 218 Rdn. 4 .

10

Vgl. BOCKELMANN B.T./2, § 4; GÖSSEL B.T.l, § 1 Rdn. 6; LACKNER StGB, Vor § 211 Rdn. 24; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 60 f, 65 f; WELZEL Lb, § 38; WESSELS B.T.-l, Rdn. 61. - Für Sonderdelikt: DREHER/TRÖNDLE § 216 Rdn. 1, § 217 Rdn. 1; in Bezug auf § 216: SCH/SCH/ ESER Vor § 211 Rdn. 7.

11

Str., so auch: BOCKELMANN B.T./2, § 4 I, § 2 III. - Die h.M. sieht den § 213 einheitlich als bloße Strafzumessungsregel an, vgl. DREHER/TRÖNDLE § 213 Rdn. 1; GEILEN Dreher-Festschrift, S. 358; GÖSSEL B . T . l , § 1 Rdn. 9; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 39; KREY B . T . l , Rdn. 50; LACKNER StGB,

§213 Rdn. 1. 12

Vgl. BGHSt 1 S. 203.

13

Vgl. dazu BGHSt 1 S. 370, 372; 2 S. 255; 6 S. 329; 22 S. 377; 24 S. 108; sowie zu den Konsequenzen BGHSt (GrSSt) 30 S. 105.

8

Delikte gegen das Leben

anzuerkennen. Damit ist die These, daß beide Tatbestände selbständige, von einander unabhängige Delikte beschreiben, in der Sache aufgegeben.14 c) § 213 enthält nach Auffassung der Rechtsprechung lediglich eine Strafzumessungsregel gegenüber § 212. - §§ 216, 217 werden als Sondertatbestände bezeichnet, doch meint die Rechtsprechung damit wegen des beschränkten Täterkreises unechte Sonderdelikte, d.h. in den praktischen Auswirkungen privilegierte Tatbestände.15 d) Zu den Konsequenzen der einzelnen Auffassungen in der Teilnahmelehre, vgl. § 8. 3. Die sachliche Berechtigung der Differenzierung und ihre Konsequenzen Die Sachgerechtigkeit der im deutschen Strafrecht schon in der Carolina und in vielen ausländischen Rechtsordnungen ausgeprägten Differenzierung zwischen einem Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte und einem qualifizierten Tatbestand sowie privilegierten Tötungsdelikten wird bestritten. Unabhängig von der Frage nach der Richtigkeit einzelner Entscheidungen wird die Berechtigimg der Dreiteilung als solche in Zweifel gezogen. Vorgeschlagen wird eine Differenzierung lediglich zwischen nicht privilegierter Tötung und privilegierten Tötungsfällen.16 Der Dreiteilung ist gleichwohl der Vorzug zu geben, denn in ihr findet ein Differenzierungsbedürfnis Ausdruck, das in der unterschiedlichen sozialethischen Beurteilung der Tötungstaten begründet ist. Diese sozialethische Betrachtung, die jedem rechtserheblichen Ereignis zuteil wird, weil es sich zugleich um eine sozial erhebliche Tatsache handelt, begründet die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte: Je bedeutsamer, verständlicher oder zwingender z.B. der Anlafi zur Tat erscheint, um so geringer wird ihr Unweit als Störung der sozialen Beziehungen der Rechtsgenossen untereinander empfunden. Innerhalb dieser Wertung wird die vorsätzliche Tötung ganz nüchtern als ein Mittel zur Lösung bestimmter sozialer Konflikte bewertet. Motive, Zweck, Art und Weise der Anwendung des Mittels, Aufkommen der Konfliktsituation und Stellung des Täters in ihr werden zum gewählten Mittel der Problemlösung ins Verhältnis gesetzt. Egoistische und altruistische Strebungen innerhalb der Konfliktsituation werden gegenübergestellt. Der Grundtatbestand der Tötungsdelikte, Totschlag, ist erfüllt, wenn diese Beurteilung zu dem Ergebnis führt, daß die Tat Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters ist, weil die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorgezogen werden. - Ein qualifizierter Fall des Totschlags, ein Mord, liegt hingegen vor, wenn die Tat ein derartiges Maß an Sozialgefährlichkeit des Täters erweist, daß sie nur noch als Ausdruck des krassesten und primitivsten Egoismus des Täters und einer über die Tötung selbst hinausweisenden sozialen Gefährlichkeit des Täters angesehen werden kann. - Ein privilegierter Tötungsfall ist hingegen anzunehmen, wenn die Tat als ausnahmsweise Entgleisung eines Menschen erscheint, 'die Gesinnung neben dem natürlichen Egoismus jedes Individuums auch hinreichend entwickelte soziale Tendenzen enthält, so daß man von einer ethisch guten, anständigen und deshalb auch rechtlichen Gesinnung dieses Menschen reden kann" ( B I N D E R ) . ^

Diese sozialethische Differenzierung basiert auf der Würdigung der verwerflichen Motive und Zwecksetzung des Täters - Verwerflichkeitsprinzip - sowie seiner in der Tat zum Ausdruck gekommenen Gefährlichkeit - Gefährlichkeitsprinzip -. Im Gegensatz zu dieser Auffassung wird vielfach in der Lehre versucht, die qualifizierten Totschlagsfälle nur als besonders verwerfliche Tötungen zu erfassen (Verwerflichkeitsprinzip). Die Verwerflichkeit wird zum einen in der Niedrigkeit der 14

Vgl. BGHSt 36 S. 231 mit Anm. BEULKE NStZ 1990 S. 278 f, GEPPERT JK 90, StGB § 211/18,

16

Vgl. ESER 5 3 . DJT-Gutachten, 1980, D 106 ff; BECKMANN G A 1981 S. 337 ff.

17

Eingehender dazu BINDER SchwZStr 67 (1952) S. 312 ff; OTTO ZStW 83 (1971) S. 43 ff.

KÜPPER JUS 1991 S. 639 ff, TIMPE JZ 1990 S. 97 f. Krit. Analyse der Rechtsprechung durch KÜPER JZ 1991, 761 ff, 862 ff, 9 1 0 ff. 15 Vgl. dazu BGH NJW 1953 S. 1440; GÖSSEL B.T.l, § 1 Rdn. 14; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 42.

§ 2 Die Systematik der Tötungsdelikte

9

Motivation des Täters (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, sonstige niedrige Beweggründe), zum anderen im Tatzweck (Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat) und in der Art der Tatausführung (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) gesehen. - Eine neuere Lehre erkennt demgegenüber das maßgebende Kriterium allein in der besonders gefährlichen Einstellung des Täters gegenüber Leib und Leben anderer (Gefährlichkeitsprinzip).18 Weder die Verwerflichkeit der Gesinnung des Täters noch seine Gefährlichkeit allein sind geeignet, Tötungsfälle im Bereich der vorsätzlichen Tötung als besonders qualifiziertes Unrecht zu charakterisieren. Schon der Totschlag ist durch eine verwerfliche Gesinnung des Täters gekennzeichnet, und die Tat kann auf eine besondere Gefährlichkeit des Täters hindeuten, sie muß es aber nicht, wie gerade die in der Literatur genannten Fälle besonderer Gefährlichkeit, z.B. die "Mehrfachtötung", die "Tötung mit unerlaubt mitgefühlter Schußwaffe" oder die "Tötung bei bandenmäßiger Begehung", zeigen. - Die einzelnen Fallgestaltungen könnten als Regelfallbeispiele brauchbar sein, als tatbestandliche Qualifikationsmerkmale müssen sie zu unbefriedigenden Zufallsergebnissen führen. Die Tatsache, daß z.B. jemand einen anderen mit einer unerlaubt in seinem Besitz befindlichen Waffe tötet, der ihn zuvor schwer gekränkt hat, macht die Tötung noch nicht zu einem schlechthin sozial unerträglichen Tötungsfall, gibt ihr vor allem kein anderes Gepräge als einer Tat mit erlaubt mitgefühlter Waffe. Gleiches gilt für eine Tötung durch eine Bande oder für eine Mehrfachtötung als solche.

Der BGH geht davon aus, daß der Mordtatbestand in § 211 Abs. 2 abschließend die Tatumstände jener Tötungen beschreibt, die nach dem Willen des Gesetzgebers zwingend als besonders verwerflich anzusehen sind. Eine zusätzliche Verwerflichkeitsprüfung bzgl. der einzelnen Tat komme daher nicht in Betracht, und deshalb sei eine "Typen-" oder "Tatbestandskorrektur" ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen eines Mordmerkmals erfüllt sind, auch wenn die Tötungshandlung aufgrund umfassender Gesamtwürdigung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit als nicht besonders verwerflich erscheint. Ausnahmsweise eröffnet der BGH jedoch ein Abweichen von der lebenslangen Strafe in Tötungsfällen, in denen das Merkmal "Heimtücke" erfüllt ist, aber "außergewöhnliche Umstände vorliegen, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint. In diesen Fällen ist wegen Mordes zu verurteilen, jedoch ist der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuwenden".19 Diese Flucht in eine Generalklausel anstelle des Versuchs, die Mordmerkmale unter einer gemeinsamen leitenden Hinsicht zu interpretieren, vermag weder dogmatisch noch kriminalpolitisch zu überzeugen. Zum einen muß die "Verhältnismäßigkeitskorrektur" für alle Mordmerkmale gelten, so daß hier die abgelehnte Typenkorrektur unter anderen Aspekten neu belebt wird, zum anderen ist auf diesem Weg nicht sicherzustellen, daß Fälle, die nach ihrem Sinngehalt unter § 213 fallen, aus dem Anwendungsbereich des Mordtatbestandes herausgehalten werden, wie gerade die Praxis zeigt; dazu weiter unter §5Ü. Die hier vertretene Lösung bietet bei der Anwendung des Mordtatbestandes ein höheres Maß an Sachgerechtigkeit und Rechtssicherheit und prägt zugleich die Auslegung 18 19

Zur Auseinandersetzung: HEINE Tötung aus "niedrigen Beweggründen", 1988, S. 183 ff, 195 ff. BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; dazu kritisch ALBRECHT JZ 1982 S. 697 ff; ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, R d n . 112 a; BRUNS J R 1981 S. 358 ff; DERS. Kleinknecht-Festschrift, S. 4 9 ff; DREHER/TRÖNDLE

§ 211 Rdn. 17; ESER JR 1981 S. 177 ff; DERS. NStZ 1981 S. 383 ff; FÜNFSINN Jura 1986 S. 136 ff; GÜNTHER N J W 1982 S. 353 ff; DERS. JR 1985 S. 268 ff; HASSEMER J Z 1983 S. 967 ff; KÖHLER JuS

1984 S. 762 ff; KREY B.T.l, Rdn. 67 ff; LACKNER NStZ 1981 S. 348 ff; LANGER Ernst Wolf-Fest-

schrift, S. 335 ff; OTTO Jura 1994 S. 143 f; PAEFFGEN GA 1982 S. 255 ff; SONNEN JA 1981

S. 638 ff; SPENDEL JR 1983 S. 271 ff; VEH Mordtatbestand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1986, S. 123 ff. - Zustimmend: FROMMEL StV 1982 S. 533 ff; GÖSSEL B.T.l, § 4 Rdn. 13 ff; JÄHNKE Spendel-Festschrift, S. 539 ff; KRATZSCH JA 1982 S. S. 225 ff; DERS. NStZ 1984 S. 21 ff.

401 ff; RENGIER NStZ 1982

Delikte gegen das Leben

10

des § 212 Abs. 2, da die Mordqualifikationen Beispielcharakter für die Anwendung des § 212 Abs. 2 haben. Damit wird gewährleistet, daß innerhalb des Mordtatbestandes Fälle gleicher Schwere in gleicher Weise erfaßt werden. Soweit ein Fall nicht die Merkmale des § 211 Abs. 2 erfüllt, bleibt es möglich, ihn als qualifizierten Fall des Totschlags gemäß 212 Abs. 2 einzuordnen. - Die Situationen privilegierter Tötungen heben sich demgegenüber deutlich ab: in ihnen kann niemals ein unerträglicher Egoismus des Täters und eine über die Tötung selbst hinausgehende Gefahr des Täters für die Sozietät ihren Ausdruck fmden. Mord und privilegierte Tötungsfälle schließen sich demgemäß sachlich aus, weil die Tatbestände unterschiedliche, nicht vergleichbare Fallsituationen beschreiben.20 4. Zur Reform der Tötungsdelikte ARZT Z S t W 83 (1971) S. 1 f f ; ESER 5 3 . DJT-Gutachten, D 34 ff; FUHRMANN 53. DJT-Sitzungsbericht, M 7 f f ; GEILEN J R 1980 S. 309 f f ; GÖSSEL D R i Z 1980 S. 2 8 1 ff; GRIBBOHM Z R P 1980 S. 2 2 2 f f ; JÄHNKE M D R 1980 S. 7 0 5 ff; LACKNER J Z 1977 S. 502 ff; DERS. 5 3 . DJT-Sitzungsbericht, M 2 5 ff;

OTTO ZStW 83 (1971) S. 39 ff; RÜPING JZ 1979 S. 621; SESSAR Rechtliche und soziale Prozesse einer Definition der Tötungskriminalität, 1981, S. 21 ff; WEHLING J Z 1981 S. 109 f; WOESNER N J W 1978 5 . 1025 ff; DERS. N J W 1980 S. 1136 ff; ZIPF Würtenberger-Festschrift, S. 151 f. Rechtsvergleichend: ESER/KOCH Z S t W 9 2 (1980) S. 4 9 1 ff; M o o s Z S t W 89 (1977) S. 7 9 6 ff; RENGIER

ZStW 92 (1980) S. 459 ff; SIMSON/GEERDS Straftaten gegen die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, 1969.

5. Zur Kriminologie der Tötungsdelikte DOTZAUER/JAROSCH Tötungsdelikte, 1971; GÖPPINGER/BRESSER Tötungsdelikte, 1980; KREUZER Krimi-

nalistik 1982, S. 491 ff; MIDDENDORF Kriminologie der Tötungsdelikte, 1984; RASCH/HINZ Kriminalistik 1980 S. 377 ff; STEIGLEDER Mörder und Totschläger, 1968; SLGG Begriff, Wesen und Genese des Beziehungsdelikts, 1969; SIOL Monimerkmale in kriminologischer und kriminalpolitischer Sicht, 1973.

6. Zur Kriminalistik im Bereich der Tötungsdelikte GROSS/GEERDS Handbuch der Kriminalistik, 1978, Bd. 1, S. 163 ff, Bd. 2, S. 258 ff.

7. Zur -verfassungsrechtlichen Problematik der lebenslangen Freiheitsstrafe B V e r f G E 4 5 S. 187 ff mit A n m . BECKMANN G A 1981 S. 337 ff, u n d SCHMIDHÄUSER J R 1978 S. 2 6 5 ff; ERICHSEN N J W 1976 S. 1721 ff; MÜLLER-DLETZ J u r a 1983 S. 5 7 3 f f .

§ 3: Totschlag 1. Der objektive Tatbestand a) Tötung eines Menschen Der objektive Tatbestand des Totschlags, § 212, erfordert die Tötung eines Menschen. Der Täter ist in eigener Sicht "er selbst", nicht aber "ein Mensch". Aus der Gesetzesfonnulierung in Übereinstimmung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers, den Selbstmordversuch nicht unter Strafe zu stellen, ist demgemäß davon auszugehen, daß das Opfer des Totschlags ein anderer Mensch als der Täter sein muß. Der Selbstmord erfüllt nicht den Tatbestand des § 212. Da die "rechtswidrige Tat" (Haupttat) i.S. der 20

Vgl. auch BERNSMANN J Z 1983 S. 4 5 ff; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 37; RIEB N J W 1968 S. 6 3 0 .

§ 4 Mord

11

§§ 26, 27 fehlt, entfällt die Möglichkeit, Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord als Tötungsdelikt zu bestrafen21; dazu weiter unter § 6 HI. b) Die Tathandlung Tathandlung ist jede Herbeiführung des Todes, d.h. jede Verkürzung des Lebens. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz in bezug auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes; bedingter Vorsatz genügt.22 3. Hinweis zur Subsumtion Mit den Worten: "ohne Mörder zu sein" in § 212 wollte der Gesetzgeber allein darauf hinweisen, daß die Prüfung des § 211 nicht übersehen werden darf. Dieser Hinweis ist bei der Subsumtion des § 212 selbst ohne jede Bedeutung und daher keinesfalls als Tatbestandsmerkmal anzusehen mit der Konsequenz, daß in der Prüfung des § 212 der ganze § 211 zu erörtern wäre.

4. Besonders schwere Fälle des Totschlags Nach § 212 Abs. 2 kann in besonders schweren Fällen eines Totschlags lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Zu beachten ist aber, daß § 211 als spezielle Regelung vorgeht und diese Regelung sich auf die Auslegung des § 212 Abs. 2 dahingehend auswirkt, daß als besonders schwerer Fall nur eine Tat aufgefaßt werden kann, die im Unrechts- und Schuldgehalt den in § 211 erfaßten Sachverhalten gleichkommt. Es genügt daher nicht, daß die Tatumstände den Mordmerkmalen nur nahekommen.23

§ 4: Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen Den Tatbestand des Mordes, § 211, erfüllt, wer einen Totschlag unter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgezählten qualifizierenden Umständen begeht. Gemeinsam ist den Merkmalen, die diese Tatumstände beschreiben, daß es Unrechtsmerkmale und nicht bloße Schuldmerkmale sind, da in ihnen eine erhöhte, über den einzelnen Totschlag hinausgehende Gefährlichkeit des Täters ihren Ausdruck findet.24 Zum Teil werden die Mordqualifikationen dagegen insgesamt als Schuldmerkmale interpretiert.2^ Von anderen werden die subjektiv geprägten Mordmerkmale dem Schuldtatbestand, die objektiv ausformulierten

21

H.M., vgl. dazu OTTO 56. DJT-Gutachten, 1986, D 18 ff m.e.N. - A.A. BRINGEWAT ZStW 87

(1975) S. 623 ff; KLINKENBERG JR 1978 S. 441 ff; DERS. JR 1979 S. 183 f; SCHMIDHÄUSER Welzel-

22 23

Festschrift, S. 801 ff. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unter § 24 II. Dazu BVerfG JR 1979 S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH NStZ 1981 S. 258 f; BGH JR 1983

24

Vgl. FUHRMANN JuS 1963 S. 19 ff; JÄHNKE LK, V o r § 2 1 1 R d n . 4 6 ff; MAURACH/SCHROE-

S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH StV 1987 S. 296 f; BGH NStZ 1991 S. 431; BGH StV 1993

S. 354.

25

DER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 22 ff; OTTO Jura 1994 S. 143; RÜPING JZ 1979 S. 619 f. ENGISCH G A 1955 S. 161 f f ; LANGE Schröder-Gedächtnisschrift, S. 221.

12

Delikte gegen das Leben

dem Unrechtstatbestand z u g e o r d n e t . W i e d e r qndere interpretieren einzelne Mordmerkmale als komplexe, Unrecht und Schuld betreffende Merkmale/'

II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale Der Gesetzgeber hat die Mordmerkmale in drei Gruppen unterteilt: 1. Niedrige Motive des Täters Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier sind im Gesetz ausdrücklich als Beispiele sonstiger niedriger Beweggründe genannt. a) Mordlust Nach neuerer Auffassung - auch der Rechtsprechung - liegt Mordlust vor, wenn die Tötung als solche Zweck der Tat ist. - Hier sind daher die Fälle einzuordnen, in denen es dem Täter allein darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen, sei es, daß er die Tötung aus Mutwillen, Langeweile oder Angeberei begeht oder sie als Stimulans für seine abgestumpften Nerven bzw. als "sportliches Vergnügen" betrachtet.28 Über die konkrete Tat hinaus ist der aus dieser Motivation handelnde Täter für die Sozietät gefährlich, da einem Menschenleben aus seiner Sicht nur noch Wert als Unterhaltungsoder Zeitvertreibsobjekt zukommt. Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 34 S. 59: Der A hielt sich angetrunken in einer Bahnhofsgaststätte auf. Als er dort die Toilette aufsuchte, kam er auf den Gedanken, daß es niemand hören und bemerken würde, wenn an diesem abgelegenen Ort ein Mensch umgebracht würde. In diesem Moment ging die W an ihm vorbei zur Toilette. A dachte bei sich: "jetzt oder nie, und meinte dabei bei sich selbst, entweder er bringe diese Frau jetzt um oder er lasse es überhaupt bleiben." Er folgte der W und versuchte, sie zu erwürgen. bb) BGH VRS 63 S. 119: Der A warf von einer Brücke Steine hinunter, wenn sich Fahrzeuge näherten. Er rechnete damit, daß die Steine die Windschutzscheibe des Fahrzeugs durchschlagen und den Fahrer treffen würden. Er hoffte, daß in einem solchen Fall der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren und ein Massenunfall mit unübersehbarem Sach- und Personenschaden entstehen würde. " cc) FAZ vom 3.6.1983, S. 7: Drei junge Männer im Alter von 17, 19 und 22 Jahren, die im November vergangenen Jahres einen 23 Jahre alten Stadtstreicher auf dem Bonner Venusberg zu Tode gequält hatten, sind in Bonn wegen gemeinschaftlichen Mordes zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das Opfer war, so stellte es das Gericht fest, getreten, mit Knüppeln geschlagen und stranguliert worden. Die Täter hatten den Stadtstreicher gezwungen, brennende Zigarettenkippen zu schlucken und ihm mit einer abgebrochenen Bierflasche in den Kehlkopf gestochen. dd) FAZ vom 12.9.1983, S. 7: Ein belgischer Reisebus und ein nachfolgender Personenwagen sind am Samstagmorgen auf dem Autobahnring München-Ost beschossen worden. Die Polizei teilte mit, ein Geschoß sei in die Windschutzscheibe des Omnibusses eingeschlagen und durch ein Seitenfenster wieder ausgetreten. Die Windschutzscheibe sei zertrümmert worden. Sowohl der Fahrer als auch der Beifahrer des Busses seien durch Splitter verletzt worden. Bei dem Personenwagen wurde die Motorhaube getroffen. Die Fahndung nach dem Täter, der von einem Feld aus auf die Autobahn geschossen hatte, blieb ohne Erfolg.

26

V g l . z . B . : GALLAS Z S t W 6 7 ( 1 9 5 5 ) S. 4 6 ; JESCHECK L K , V o r § 13 R d n . 7 4 ; LANGER D a s S o n d e r -

verbrechen, 1972, S. 359; SCH/SCH/LENCKNER Vor § 13 Rdn. 122. 27

Vgl. LAMPE Das personale Unrecht, 1967, S. 242; SCHMIDHÄUSER Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1975,

28

V g l . HORN S K , § 2 1 1 R d n . 9; JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 6; OTTO Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 ) S. 5 8 f f ; RÜPING J Z 1979 S. 6 2 0 ; F.-CHR. SCHROEDER JUS 1984 S. 2 7 7 f.

29

Vergleichbare Sachverhalte: F A Z v o m 2 . 1 . 1 9 9 2 , S. 7 ; F A Z v . 2 2 . 6 . 1 9 9 3 , S. 9 .

8/93.

§ 4 Mord

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ee) FAZ vom 23.5.1990, S. 9: Die Polizei nahm drei junge Männer fest, die am Ostersonntag einen 30 kg schweren Gullydeckel auf die Autobahn geworfen hatten. Nach der Verhaftung gaben die drei lakonisch an: "Wir wollten nur mal sehen, wie einer so ein Ding richtig vor die Birne kriegt". ff) BGH NStZ 1994 S. 239: Nachdem K, D, Frau W und andere gemeinsam Alkohol genossen hatten, entschloß sich K, Frau W zu töten, weil es ihm Spaß machte, andere zu schlagen und seiner Gewalttätigkeit ausgeliefert zu sehen. Es schlug auf sie ein, trat sie mit Fflßen und versuchte, ihr den Bauch mit einer Gartenschere aufzuschneiden. Schließlich wurde Frau W stranguliert.

b) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs tötet der Täter, der das Töten als ein Mittel zur geschlechtlichen Befriedigung einsetzt. Drei Fallgruppen sind zu unterscheiden: aa) Der Täter befriedigt seinen Geschlechtstrieb durch Töten. bb) Der Täter tötet, um sich an der Toten zu vergehen. BGHSt 7 S. 353: Der A faßte in anhaltender geschlechtlicher Erregung den Plan, ein Mädchen durch betäubende Schläge "still" zu machen, um mit der Bewußtlosen den ununterbrochenen Beischlaf ausüben zu können. Dieses Vorhaben führte er aus; er steckte ein Beil zu sich, schlug im Dunkeln eine radfahrende Frau von seinem Rade aus nieder, schleppte die Bewußtlose beiseite, tötete sie, weil sie sich noch bewegte, und er es deshalb für notwendig hielt, mit weiteren kräftigen Beilschlägen und befriedigte sich sodann an der Leiche.

cc) Der Täter nimmt den Tod als Folge der Gewaltanwendung beim Geschlechtsverkehr in Kauf. BGHSt 19 S. 101: A überfiel die Oberschülerin E, um sie geschlechtlich zu mißbrauchen, und würgte sie, bis sie das Bewußtsein verlor. Um sie wehrlos zu halten und ungestört mit ihr geschlechtlich verkehren zu können, schnürte er ein Taschentuch um ihren Hals, zog zu, so fest er konnte, und verknotete es zweimal. A erkannte, daß das Mädchen dadurch ersticken konnte, wollte aber auf jeden Fall - auch um den Preis des Lebens seines Opfers - zum ungestörten Geschlechtsverkehr kommen. Er führte an der mit offenen Augen krampfhaft atmenden Bewußtlosen den Geschlechtsverkehr aus. Nach dem Verkehr bemerkte er, daß die E nicht mehr atmete. Er erschrak und löste das Taschentuch. Das Mädchen war an der Drosselung erstickt. 3 "

Geht es dem Täter nicht um sexuelle Befriedigung, sondern nur um sexuelle Erregimg, so wird - je nach den Tatumständen - Mordlust oder Tötung aus niedrigen Beweggründen vorliegen.31 Das Tatopfer muß die Person sein, auf die das sexuelle Begehren des Täters gerichtet ist. Die Tötung von Personen, die aus der Sicht des Täters dem von ihm gewünschten Geschlechtsverkehr mit einer dritten Person entgegenstehen, erfüllt das Merkmal zur Befriedigung des Geschlechtstriebs nicht.32 c) Habgier Habgier als besonderes rücksichtsloses und sozialethisch anstößiges Streben nach Gewinn bedeutet ein Handeln um eines materiellen Vorteils willen in einer Handlungssituation, in der der erstrebte Vorteil in einem unerträglichen Mißverhältnis zum angerichteten Schaden steht. Das ist der Fall, wenn der Täter allein um eines Vermö-

30

Weitere Beispielsfälle: BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 102; BGH NJW 1982 S. 2565; BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 229.

31

V g l . JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 3 2 ; SCH/SCH/ ESER § 2 1 1 R d n . 16.

32

Vgl. dazu BGH GA 1963 S. 84.

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Delikte gegen das Leben

gensvorteils willen ein Menschenleben vernichtet.33 Er zeigt damit "ein Gewinnstreben, das in seiner Rücksichtslosigkeit des gewöhnliche Maß weit überschreitet. " 34 Das Streben nach dem Vorteil muß die Tat wesentlich prägen.33 Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 29 S. 317: A tötete den Z, weil er in den Besitz von 1 Gramm Heroin im Wert von DM 200.gelangen wollte, das Z besaß. BGH: A erstrebte den Vorteil auch um den Preis eines Menschenlebens, daher handelte er habgierig. Dem ist zuzustimmen. Insoweit liegt ein typischer Fall des Raubmordes vor: Der Täter tötet das Opfer, um sich einen Vermögenswert zu verschaffen. - Im konkreten Fall (Täter rauschgiftsflchtig) wäre allerdings zu erwägen, ob krankhafte Suchtabhängigkeit das Ergebnis ändern könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn die Sucht so stark gewesen wäre, daß der Täter nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich der Diskrepanz zwischen dem erstrebten Vermögensvorteil und dem Wert eines Menschenlebens bewußt zu werden. 3 " bb) OLG Hamburg NJW 1947/48 S. 350: A hatte einen Anspruch gegen die S. Da sie nicht zahlte, suchte er sie auf, um sein Geld zu erhalten. Eine Pistole nahm er vorsichtshalber mit. Als S auch bei dem Besuch die Zahlung verweigerte, erschoß A sie. OLG Hamburg: Keine Habgier, denn die beabsichtigte Gewinnerzielung müsse rechtswidrig sein. Kritik: Im Ergebnis ist dem zuzustimmen, nicht aber in der Begründung. Der Anspruch allein schließt ein habgieriges Verhalten nicht per se aus. Wohl aber wird das Vorliegen eines bestehenden oder vermeintlich bestehenden Anspruchs die Wertung der Situation zugunsten des Täters beeinflussen, wenn es etwa zur Tötung kommt, nachdem der Schuldner die Erfüllung des Anspruchs verweigert hat, obwohl ihm die Zahlung möglich ist, oder wenn er den Gläubiger fortweist mit dem Bemerken, dieser werde seine Forderung in einem Prozeß nicht beweisen können. Hier prägt nicht allein das Streben nach dem Vorteil die Tat, sondern auch das Bewußtsein der Hilflosigkeit angesichts eines nicht aussichtsreichen Rechtsweges u . ä . " cc) BGHSt 10 S. 399: A tötete die B, um von der Unterhaltslast für das von B erwartete Kind freizukommen. BGH: A handelte habgierig. 38 dd) BGH JZ 1981 S. 283: M suchte jemand, der ihr beim Selbstmord helfen sollte, dafür wollte sie ihn bezahlen. Sie flehte und bettelte den A an, sie gegen Zahlung von DM 500.- umzubringen. A führte die Tat aus. BGH: Keine Habgier, da nicht die Absicht, einen Vorteil zu erlangen, die Tat wesentlich prägte, sondern andere Motive. ee) BGH NJW 1993 S. 1664: X hatte zwei Ausländerinnen kennengelernt und sie dazu gebracht, in der Bar des A der Prostitution nachzugehen. Mit A hatte X vereinbart, daß dieser ihm je ein Viertel des Verdienstes der Frauen überlassen werde. Später wandten sich die Frauen von X ab und dem A zu. A stellte die Zahlungen an X ein und wies entsprechende Forderungen des X ab. Daraufhin erschoß X den A.

33

34

V g l . a u c h ARZT/WEBER L H 1, R d n . 125; JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 8; OTTO J u r a 1994 S . 145. - Ein-

schränkend SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 17, der "auf das von Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit getriebene und nicht auf bloße Behebung einer singuläien Konfliktlage gerichtete Streben nach Vermögensmehrung'1 abstellt.

35

BGHSt 10 S. 399. BGH StV 1986 S. 4 7 ; 1989 S. 150.

36

D a z u auch: ALWART J R 1981 S. 2 9 3 f f ; FRANKE J Z 1981 S. 5 2 5 f f ; PAEFFGEN G A 1982 S. 2 6 9 .

37

Vgl. dazu einerseits: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 130; SCHMTOHAUSER Reimers-Festschrift, S. 4 4 6 f f ; WELZEL L b . , § 3 8 II 1. - Andererseits: JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 8; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 3 3 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 17.

38

So auch: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 130; GÖSSEL B.T.l, § 4 Rdn. 39; LACKNER StGB, §211 Rdn. 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 33. - Bei bloßer Absicht, den Besitzstand zu wahren, lehnen Habgier ab: ALWART JR 1981 S. 293 f; DREHER/TRÖNDLE §211 R d n . 5; PAEFFGEN G A 1982 S. 2 5 5 .

§ 4 Mord

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BGH: X handelte nicht aus Habgier, denn das setzt voraus, daß sich das Vermögen des Täters - objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung - durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder daß durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine unmittelbare Vermögensvermehrung entsteht.

d) Niedrige Beweggründe Hinter der seit BGHSt 3 S. 132 weitgehend anerkannten, jedoch pathetisch überladen formulierten Definition der niedrigen Beweggründe als "Beweggründe, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich sind", verbirgt sich nichts anderes als die nüchterne Feststellung, daß Beweggründe niedrig sind, "wenn zwischen dem Anlaß der Tat und, ihren Folgen ein unerträgliches Mißverhältnis besteht"?9 Entsprechende Motive können Rachsucht, Neid, Haß, Wut, Eifersucht und Selbstsucht sein, sie müssen es aber nicht. Stets ist zu prüfen, ob diese Beweggründe ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen oder ob sie in der konkreten Situation menschlich verständlich erscheinen. Die Bewertung der Beweggründe hat in einer Gesamtwürdigung zu erfolgen, in der das Mißverhältnis zwischen Anlaß und Erfolg der Tat, besondere emotionelle Erregungen und ihr Anlaß, sowie Persönlichkeitsgegebenheiten zu berücksichtigen sind. Der Täter muß sich der Umstände, die sein Verhalten als besonders verwerflich erscheinen lassen, bewußt sein und die Bedeutung seiner Beweggründe und Ziele für die Bewertung der Tat erfassen; daß er sie selbst als verwerflich bewertet, ist nicht nötig. Spielen bei der Tat gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen eine Rolle, so muß der Täter in der Lage sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern, damit dem Täter die Niedrigkeit seiner Handlung vorgeworfen werden kann.^O Waren mehrere Motive für die Tat maßgeblich (Motivbündel), so ist die Tat nur dann auf niedrige Motive zurückzuführen, wenn diese das Hauptmotiv waren oder der Tat ihr Gepräge gaben.

Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 3 S. 180: Der 39jährige verheiratete A verspürte Lust zum Geschlechtsverkehr mit der 19jährigen B. Diese wies ihn entrüstet ab. Er erstach sie daraufhin, weil auch kein anderer die B haben sollte. BGH: Beweggrund niedrig.^ bb) BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 542: A, der als unbesiegbarer Schläger galt, provozierte den B durch Belästigungen, um "in eine tätliche Auseinandersetzung zu kommen.'' Als diese begann, mußte A erkennen, daß B stärker war. Dies "konnte A nicht verwinden" und stieß dem B deshalb wütend, schnell und mit aller Kraft die Klinge seines Taschenmessers in die Brust. Der tödliche Ausgang dieses Angriffs war ihm recht. BGH: Wut und Enttäuschung darüber, daß er in der Auseinandersetzung mit dem sich vollkommen rechtmäßig verhaltenden B nicht als Sieger hervorging, sind als niedrige Beweggründe anzusehen. cc) BGH NJW 1980 S. 537: A und B, zwei Türken, versuchten den St zu töten, der die Tochter bzw. Schwester geschwängert hatte, aber nicht bereit war, sie zu heiraten. Nach den Sitten ihres Heimatlandes empfanden sie dies als verbindliche Familienpflicht.

39 40 41 42

BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 725; vgl. auch BGH MDR 1993 S. 1102 f. BGH StV 1987 S. 150; StV 1987 S. 296; BGH MDR 1989 S. 654; BGH MDR 1994 S. 1102. Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1984 S. 441 f; LACKNER StGB, § 211 Rdn. 5 c. - A.A. ALWART GA 1983 S. 433 ff; SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 18. Vgl. auch BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 229.

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BGH: Keine niedrigen Beweggründe, denn bei ausländischen Tätern sind die Anschauungen ihrer Heimat bei der Wertung ihrer Motive zu berücksichtigen.^ dd) BGH NStZ 1985 S. 454: A, der Schwierigkeiten in Ehe und Beruf hatte, beschloß "auszusteigen und unterzutauchen". Um einen Unfall vorzutäuschen, tötete er den X, setzte die Leiche in seinen Wagen und zündete diesen an. BGH: Wer einen ihm unbekannten Menschen tötet, um statt seiner als tot zu gelten, sich damit aus seinen familiären und beruflichen Bindungen zu lösen und - frei von der damit einhergehenden Verantwortung ein "neues Leben" beginnen zu können, offenbart damit vielfach ein derart erhebliches MaB an Menschenverachtung, daß sein Beweggrund für die Tötung sittlich auf tiefster Stufe steht und damit niedrig im Sinne des Mordtatbestandes ist. ee) BGH NStZ 1993, 182: A hatte Anstoß genommen daran, daß der Obdachlose S sich unter einer Brücke eingerichtet hatte und dort die Umgebung verunreinigte. Er hatte ihn bereits einmal mit Gewalt vertrieben. Als er ihn dort wieder antraf, erschoß er ihn aus Wut, Zorn und Verärgerung. BGH: Nach den Feststellungen des Sachverständigen handelt es sich bei A um einen Menschen, der seine Ansichten und Überzeugungen zum alleinigen Maßstab für Recht und Ordnung macht und sich deshalb zum Herrn über Leben und Tod eines aufgrund seiner Lebensweise ihm mißliebigen Mitmenschen aufschwingt. Eine derartige Persönlichkeitsstruktur ist - für sich genommen - nicht geeignet, die Tötung eines Menschen in der beschriebenen Situation menschlich verständlich erscheinen zu lassen und bietet keinen beachtlichen Grund, der der Wertung der Handlungsantriebe des A als auf sittlich tiefster Stufe stehend, entgegenwirken könnte. ff) BGH NStZ 1993, 341: Aus "Protesthaltung" gegen Bau und Betrieb der Startbahn 18-West des Frankfurter Flughafens erschoß der A zwei Polizeibeamte, die die Startbahn gegen Demonstranten sicherten. BGH: Niedrige Beweggründe sind nicht ersichtlich: Das OLG hat die Frage, ob der A die Schüsse aus einer Gesinnung heraus abgegeben hat, die "ein willkürliches Aufwerfen zum Herrn über die körperliche Unversehrtheit der Polizeibeamten bedeutet hätte und deshalb als sittlich auf tiefster Stufe stehend zu werten gewesen wäre", geprüft und ausdrücklich verneint. Angesichts des Hintergrundes der im Zusammenhang mit einer Konfrontation begangenen Tat ist das im Ergebnis nicht zu beanstanden. Kritik: Die Entscheidung liegt durchaus auf der Linie der h.M. Diese beurteilt die Tötung eines politischen Gegners wegen seiner Uberzeugung oder Betätigung oder weil er der Durchsetzung der eigenen Überzeugung entgegensteht, bzw. diejenigen repräsentiert, die die entgegengesetzte Auffassimg vertreten, nicht grundsätzlich als niedriges Motiv. Sie stellt im konkreten Fall vielmehr darauf ab, welchen Zweck der Täter mit der Tat für sich persönlich erstrebt und wie sich dieser Zweck zu der Tötung als dem hierfür eingesetzten Mittel verhält.^ - Diese Differenzierung wird der Tötung aus politischen Motiven jedoch kaum gerecht. Egoistische Ziele im Sinne einer persönlichen Bereicherung, der Erlangung einer persönlichen Machtstellung o.ä. sind keine Kennzeichen der politischen Motivation. Relevant sind hier die Fälle, in denen der Täter zum Mittel der Tötung greift, um politisch Andersdenkende zu vernichten oder zu zeigen, daß er seine politischen Ziele konsequent weiterverfolgt und durchsetzt, auch wenn die Mittel des demokratischen Rechtsstaates ihm dieses nicht ermöglichen, so daß er dem Rechtsstaat Gewalt und die Tötung jener Personen entgegensetzt, die diesen Staat und seine Ideen repräsentieren. Der politische Gegner oder die Repräsentanten eines abgelehnten politischen Systems werden ihrer Überzeugung wegen vernichtet, um die Durchsetzung der eigenen Position zu fördern oder kenntlich zu machen, daß die eigenen Ideen weiter verfolgt werden. Diese Haltung jedoch verweist auf eine über die Einzeltat hinausgehende Gefahr für die anderen Mitglieder der Gesellschaft und ist daher als niedrig zu beurteilen, soweit nicht die Voraussetzungen des Widerstandsrechts, Art. 20 Abs. 4 GG, oder Gegebenheiten, die diesem sachlich nahe kommen, vorliegen.^

43

Dazu auch: GEILEN JK, StGB § 211/5; KÖHLER JZ 1980 S. 238; SONNEN JA 1980 S. 747.

44

Vgl. zusammenfassend ZIELKE J R 1991 S. 137; DERS JR 1992 S. 230 f.

45

V g l . auch BROCKER J R 1992 S. 13 f; DERS. N S t Z 1994 S. 33 f; JÄHNKE LK, § 211 R d n . 2 9 .

§ 4 Mord

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2. Art der Tatausfiihrung a) Heimtücke Heimtückisch tötet nach ständiger Rechtsprechung, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tötung ausnutzt.46 - Hält der Täter das Opfer irrig für arg- und wehrlos, so kann diese Vorstellung die Situation eines versuchten Mordes begründen.47 Arglos ist, wer beim Eintritt der Tat in das Versuchsstadium von dem Täter keinen Angriff auf Leib oder Leben befürchtet. Wehrlos ist, wer in seiner Abwehrbereitschaft oder -fähigkeit im Augenblick der Tat stark eingeschränkt ist. - Das Merkmal 6er feindlichen Willensrichtung blieb in der Rechtsprechimg des BGH unscharf, denn es diente über Jahre hinaus nur dazu, Fälle des sog. Mitnahmesuizids aus dem Mordtatbestand herauszuhalten: Der lebensmüde, verzweifelte Täter glaubt, "in krankhafter Verblendung", "zum Besten" seines Opfers zu handeln, wenn er ihm, statt es allein zurückzulassen dasselbe Schicksal bereitet, das er sich selbst zugedacht hat. 48 Schon in diesen Fällen fragt es sich, ob hier nicht allein eine Strafmilderung nach § 21 sachgerecht ist. Darüber hinaus aber erscheint die gesamte Situationsbegrenzung schief und wenig sachgerecht. Ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit liegt nach der Rechtsprechimg dann vor, wenn der Täter sich der tatsächlichen Umstände, die die Tötung zu einer heimtückischen machen, bewußt ist in dem Sinne, daß er gedanklich erfaßt, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.49 Die Begriffsbestimmung der Heimtücke ist wegen ihrer Weite, aber auch wegen der in ihr angelegten wenig überzeugenden Differenzierung verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die der BGH durch verschiedentliche Randkorrekturen auszugleichen versuchte. So hat der BGH zunächst angenommen, daß Arglosigkeit schon entfalle, wenn der Täter dem Opfer bei einer nur verbalen Auseinandersetzung in offener Feindschaft gegenübertritt. inzwischen hat der BGH diese Aussage allerdings eingeschränkt und läßt einen verbalen Angriff nicht genügen, wenn das Opfer bezüglich eines Angriffs auf Leib und Leben arglos bleibt.5* Eine Ausnahme von der Voraussetzung, daß das Opfer bei Beginn des Versuchs arglos sein muß, machte der BGH für den Fall, daß der Täter das Opfer "nach einem wohl überlegten Plan mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt"." Das soll allerdings nur dann gelten, wenn der Täter das Opfer "unentrinnbar" durch die von langer Hand geplante Tat in seine Gewalt gebracht hat.^3 Schließlich mildert der BGH die lebenslange Strafe über § 49 Abs. 1 in Fällen, in denen außergewöhnliche Umstände die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen.' 4 Bei diesen außergewöhnlichen Umständen muß es sich um Sachverhalte handeln, "die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen (z.B. bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit oder bei entschuldigendem

46 47 48 49 50 51 52 53 54

BGHSt 32 S. 383 f m. w. N. BGH bei Holtz, MDR 1994 S. 1071 = NStZ 1994 S. 583. Eingehend dazu GEILEN Spendel-Festschrift, S. 524. Dazu BGHSt 6 S. 121; 11 S. 144; 22 S. 80; BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 487; BGH StV 1984 S. 511; BGH GA 1987 S. 129; BGH NStZ 1987 S. 554. Vgl. BGHSt 27 S. 324; BGH NStZ 1983 S. 35. Vgl. BGHSt 30 S. 113 f; 33 S. 363; BGH NJW 1991 S. 1963 mit Anm. OTTO JR 1991 S. 382 f. BGHSt 22 S. 77; BGH NStZ 1984 S. 261. BGH NStZ 1989 S. 354 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 211/19. BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; eingehend dazu oben § 2, 3.

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Notstand i.S. von § 35 I S. 2 StGB) vergleichbar"55 oder so aufiergewöhnlich sind, daß von einem Grenzfall gesprochen werden kann." 6

An Überzeugungskraft hat die Argumentation durch diese Modifizierungen nicht gewonnen. Die vom BGH erkannte besondere Gefährlichkeit des Täters, der die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, vermag nämlich den Vorwurf eines über das Unrecht einer vorsätzlichen Tötung hinausweisenden Unrechts nicht einmal im Ansatz zu begründen. Die besondere Gefährlichkeit soll im Vorgehen des Täters liegen: "Er überrascht das Opfer in einer hilflosen Lage und hindert es dadurch, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen, den Angreifer umzustimmen, in sonstiger Weise dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder die Durchführung wenigstens durch solche Bemühungen zu erschweren.57 Diese Erwägungen bringen jedoch keine über die der vorsätzlichen Tötung typischen Gefahrenmomente zum Ausdruck. JESCHECK hat durchaus zu Recht darauf hingewiesen, daß ein bewußtes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit nicht zwangsläufig auf Verschlagenheit, List und Tücke schließen lasse; ein solches Verhalten könne auch die Waffe des Schwachen und Unterlegenen gegen Übermacht, Gewalt und Brutalität sein.58 Und schon der grundsätzliche Ansatz geht fehl. Das typische Unrecht des Totschlags wird nicht durch den edlen Ritter realisiert, er nach Ansage der Fehde dem Gegner Zeit gewährt, sich entsprechend zu rüsten. Schon der Totschlag ist Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters, weil dieser die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorzieht. Damit ist es aber noch die typische, dem Totschläger eigene Gefahr, daß er eine Handlungssituation sucht, die ihm die größten Erfolgschancen bietet. Diese Einstellung vermag das Unrecht seiner Tat nicht über das Unrecht der vorsätzlichen Tötung hinaus zu steigern. Die Literatur bietet kein einheitliches Bild. - Zum einen wird nur die Ausnutzung eines bestehenden Vertrauensverhältnisses oder der Mißbrauch entgegengebrachten Vertrauens als Heimtücke anerkannt.59 Zum anderen wird ein heimliches und tückisches Verhalten gefordert.60 Schließlich wird auf das Fehlen eines "achtenswerten Grundes"61, eine "besonders weitgehende, dem Opfer nicht erkennbare Tätervorbereitung"62, auf die Ausnutzung "kreatürlicher Arglosigkeit"63 oder den Mißbrauch "sozial-positiver Verhaltensmuster"64 abgestellt. Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder der Mißbrauch begründeten Vertrauens des Opfers zur Ausflhrung der Tat erscheinen hier als die wesentlichen Qualifikationskriterien. Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses (Freundschaft, Liebe, Ehe o.ä.) zur Durchführung der Tat oder der Mißbrauch begründeten Vertrauens des 55 56 57

BGH MDR 1982 S. 1033. Dazu auch: BGH JR 1983 S. 301; BGH NStZ 1983 S. 553. BGHSt 11 S. 143.

58

JESCHECK J Z 1957 S. 387.

59

Vgl. SCHMIDHÄUSER B . T . , 2/20.

60

Vgl. VEH Mordtatbestand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1986, S. 161 ff, 177.

61

SCHWALM M D R 1957 S. 260.

62

SCHMOLLER Z S t W 9 9 (1987) S. 3 8 9 f f , 414 f f .

63

Vgl. ARZT in: Arzt/Weber, L H 1, Rdn. 114.

64

Vgl. z.B. M . - K . MEYER J R 1979 S. 485 ff; DIES. J R 1986 S. 135 f f .

§ 4 Mord

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Opfers, das der Täter arglos gemacht hat, stellt einen über die konkrete Tötung hinausgehenden Angriff auf die Vertrauensgrundlage der Rechtsgesellschaft dar. Der bloße Mißbrauch sozial-positiver Verhaltensmuster (Hilfsbereitschaft und freundliches Entgegenkommen) erscheint demgegenüber als noch nicht so gravierende Verletzung dieser Vertrauensgrundlagen. Die hier vorgeschlagene Definition der Heimtücke fuhrt zu einer Begrenzung des Anwendungsbereiches dieses Merkmals, keineswegs aber zu einer unerträglichen Einengung des Anwendungsbereiches des Mordtatbestandes, denn aufgrund ihrer Motivation können Tötungen, bei denen der Täter die Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, durchaus Fälle der Tötung aus niedrigen Beweggründen oder Mordlust sein. Die Tatsache, daß der sog. Meuchelmord nicht als heimtückische Tötung erfaßbar ist, schließt nicht aus, solche Taten überhaupt als Mord zu bewerten! Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 3 S. 183: Der A hat seinen Stiefvater, den Landwirt Z, mit einem Prügel erschlagen. Er hatte, in einem Kornfeld versteckt, ihm aufgelauert. Als Z, wie erwartet, ahnungslos und wehrlos auf seiner Mähmaschine an ihm vorbeigefahren war, war er herausgesprungen und hatte ihn hinterrücks überfallen. BGH: A handelte heimtückisch. Kritik: Von einer Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder dem Mißbrauch entgegengebrachten Vertrauens zur Durchführung der Tat kann hier keine Rede sein. bb) BGHSt 9 S. 385: A, dem ein Verfahren wegen Unterschlagung drohte, beschloB Selbstmord zu begehen und Frau und Tochter, die er sehr liebte, mit in den Tod zu nehmen. Er glaubte, daß seine Familie die Entehrung und die Not, die er über sie gebracht hatte, nicht ertragen könnte. Deshalb meinte er, seiner Familie eine Wohltat zu erweisen, wenn er sie auslösche. Nach Tötung der Tochter und dem Versuch, die Ehefrau zu töten, brach er sein Vorhaben ab. BGH: Zwar Ausnutzung der Arg- und Wetolosigkeit der Opfer, dennoch keine Heimtücke, weil A glaubte, zum Besten seiner Opfer zu handeln."" Kritik: Die Formulierung, eine Tötung könne nicht Mord sein, wenn der Täter meint, "zum Besten des Opfers zu handeln", ist einfach schief. In der Sache geht es darum, ob der Täter sich bewußt war, das ihm entgegengebrachte Vertrauen auszunutzen bzw. zu mißbrauchen, weil er davon ausging, daß "die Schande" die Familie härter treffen würde als der Tod. cc) BGHSt. 37 S. 376: Die A war Fachschwester für Anästhesie und Intensivpflege in der Intensivstation eines Krankenhauses. Während ihres Dienstes hat sie fünf schwerstkranken Patienten dieses Krankenhauses heimlich tödliche Injektionen verabreicht, um ihnen aus Mitleid weiteres, von ihr als sinnlos angesehenes Leiden und einen Todeskampf zu ersparen, obwohl weder die Patienten noch deren Angehörige darum gebeten hatten. BGH: "Allerdings reicht nicht bei jeder Krankenhaustötung Schwerstkranker eine Mitleidsmotivation aus, um eine die Heimtücke prägende feindselige Haltung des Täters aus Rechtsgründen auszuschließen. Bei der Prüfung, ob das Tatmotiv als feindselig zu werten ist, können normative Gesichtspunkte nicht außer Betracht bleiben. In oberflächlich vorhandener Mitleidsmotivation kann sich Feindseligkeit gegenüber dem Lebensweit Schwerstkranker offenbaren. Daher kann Mitleid in Fällen dieser Art die Annahme des Heimtückemerkmals nur dann ausschließen, wenn es sich aus einer objektiv nachvollziehbaren Weitung des Täters ableitet, die der Vermeidung schwersten Leidens den Vorrang gibt." Kritik: Sachlich ist der normativen Interpretation der feindlichen Willensrichtung voll zuzustimmen. Ob damit im konkreten Fall ein sachgerechtes Ergebnis, nämlich die Ablehnimg des Mordtatbestandes überzeugend begründet werden konnte, bleibt offen. Die Analyse der einzelnen, in dem angefochtenen Urteil geschilderten Fälle weist keineswegs auf ein Handeln aus objektiv nachvollziehbarem Mitleid hin.

65

Vgl. auch BGH StV 1989 S. 390.

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Im Gegenteil, Mitleid scheint hier sehr fem gelegen zu haben. - Das materielle Unrechtskorrektiv der feindlichen Willensrichtung scheint sachgerechte Fallösungen daher kaum zu fördern.™ dd) BGHSt 8 S. 216: Die A tötete ihr drei Wochen altes Kind, indem sie Schlaftabletten unter die Babynahrung mischte. Den E, der dem Kind geholfen hätte, täuschte sie über dessen Zustand. BGH: Einem ganz kleinen Kind gegenüber kann der Täter in der Regel nicht heimtückisch handeln, weil es nicht fähig ist, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Wer ein Schlafmittel in die Nahrung eines solchen Kindes mischt, handelt aber heimtückisch, wenn er es tut, weil das Kind anderenfalls das Mittel seines Geschmacks wegen nicht zu sich nehmen würde. Möglich ist in derartigen Fällen auch ein heimtückisches Verhalten gegenüber einem schutzbereiten Dritten. Dieses setzt nicht voraus, daß der Täter dessen Arglosigkeit herbeiführt; es genügt, daß er sie ausnutzt. Die Arglosigkeit schutzbereiter Dritter tritt jedoch nur an die Stelle der Arglosigkeit dfs Opfers bei Personen, die unfähig sind, Arg zu empfinden und Abwehr zu leisten, z.B. bei Kleinkindern.*" Kritik: Im Ergebnis ist dem BGH hier zuzustimmen. Auffallig ist allerdings, daB er in seiner Begründung gleichfalls auf den Vertrauensbruch abstellt, auch wenn er die Heimtücke nicht ausdrücklich mit dem Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses begründet. ee) BGHSt 23 S. 119: Der A hat Frau M und den gemeinsamen Sohn, mit denen er bis dahin zusammengelebt hat, während beide schliefen, mit einem Beil erschlagen. BGH: Heimtückisch handelt in der Regel, wer einen Schlafenden tötet: "Der Schlafende ist in aller Regel arglos, wenn er einschläft. Wer sich zum Schlafen niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den Schlaf". Anders soll es beim Eintritt von Bewußtlosigkeit sein, da in diesem Falle die Wehrlosigkeit nicht auf der Arglosigkeit beruht. Kritik: Die Entscheidung nach dem Kriteritun des Vertrauensmißbrauchs ist hier eindeutig: Da sowohl Frau M als auch S darauf vertrauten, daß ihnen von A keine Gefahr drohe, als sie sich in der Wohnung, in der sich auch A befand, zum Schlafen niederlegten, mißbrauchte A ihm entgegengebrachtes Vertrauen. Dringt hingegen ein Dritter von außen ein, so läge kein Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses vor. Eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers müßte hingegen bejaht werden. - Unabhängig davon überzeugt die Differenzierung zwischen Schlafendem und Bewußtlosem nicht, die schon dann nicht mehr durchgehalten werden kann, wenn jemand gegen seinen Willen vom Schlaf übermannt wird. Entweder man verlangt für die Arglosigkeit das positive Bewußtsein der Sicherheit, das fehlt dem Schlafenden und Bewußtlosen, aber auch Kleinkindern, oder man läßt das Fehlen von aktuellem Argwohn genügen."" f p BGHSt (GrSSt) 30 S. 105: Der S, ein Onkel des A, hatte die Ehefrau des A vergewaltigt. Diese wollte sich daraufhin scheiden lassen. Sie unternahm mehrere Selbstmordversuche. Der S brüstete sich sogar noch mit der Tat dem A gegenüber. - Eines Abends, als S in einer Gaststätte mit anderen Karten spielte und nichts Böses ahnte, erschoß A ihn. BGH: Es liegt ein Fall heimtückischer Tötung vor, doch gebieten hier die außergewöhnlichen Tatumstände eine Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe; § 49 Abs. 1 Nr. 1 analog. Kritik: Gerade diese Entscheidung zeigt die Schwächen der Konstruktion. Obwohl der Täter der Situation des § 213 weit näher steht als der des Mordes, bleibt eine Anwendung des § 213 versagt. Die nach § 49 Abs. 1 mögliche Milderung des Strafrahmens bietet jedoch kernen Ersatz. Im konkreten Fall wurde A nach erneuter Hauptverhandlung zu 12jähriger Haft verurteilt."" Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensmißbrauchs ist dies ein unproblematischer Fall: Heimtücke ist abzulehnen.™ gg) LG Dortmund Ks 9 Js 51/92, 14 (Sch) R 1/93: Der in Scheidung befindliche A lernte die Z kennen, die gleichfalls vor der Scheidung stand. Z war von ihrem Ehemann M, der im Zuhältermilieu verkehrte, bedroht und wiederholt so geschlagen worden, daß sie erheblich verletzt wurde. M verbot ihr, trotz der Erheblichkeit der Verletzungen einen Arzt aufzusuchen. Wenn M die Z zusammengeschlagen hatte, verkehrte er gelegentlich gegen ihren Willen geschlechtlich mit ihr. Die Gewalttaten und Brutalitäten er66

Vgl. auch GEILEN Spendel-Festschrift, S. 527 ff; LANGER JR 1993 S. 133 f f , 136 f; OTTO JK 92,

67 68

Dazu auch BGHSt 18 S. 37. Vgl. zum Streitstand: OTTO Jura 1994 S. 149 m.w.N.

69

L G Münster 8 Ks 30 Js 37/79 - 2 / 8 1 .

70

Zur Auseinandersetzung mit BGHSt 30 S. 105, vgl. auch unter § 4 II 2 a.

StGB § 211/21; ROXIN NStZ 1992 S. 35 f.

§ 4 Mord

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folgten regelmäßig. Z.T. wurde Z morgens mit Schlägen, mitunter mit einer Reitpeitsche, geweckt. Die Brutalitäten steigerten sich. Im Jahre 1991 reichte Z die Scheidung ein. M wollte zu dieser Zeit auswandern und begab sich in die USA. In dieser Zeit lernte A die Z kennen und erfuhr von ihrem Schicksal. Z wurde am 4.11.91 geschieden. Am 6.11.91 kam M zurück. Die Brutalitäten, Quälereien und Vergewaltigungen der Z setzte er sogleich fort. Ihre Situation war schlimmer denn je. Sie mufite jetzt emsthaft um ihr Leben fürchten. Den Kontakt mit A verbot der M der Z. Nach einer Reihe von weiteren Quälereien, die mit Todesangst der Z verbunden waren, lauerte A dem M auf, als dieser nachts nach Hause kam, und erschlug den M, der sich der Gefahrensituation nicht bewußt war, von hinten. LG Dortmund: A wird zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. - "Der A hat sich gemäB § 211 StGB wegen Mordes strafbar gemacht, denn die Tat erfolgte heimtückisch"... "Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, daß es sich um eine allein altruistisch motivierte Tat handelt. Mit der unwiderlegbaren Einlassung des A muß davon ausgegangen werden, daß es ihm allein darum ging, die Z aus dem Martyrium ihres Mannes zu befreien. - Die Motivation ist zu billigen. Mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, daß der Getötete die Z über Jahre hinweg in schwerer Weise mißbraucht, vergewaltigt und so terrorisiert hatte, daß sie sich nicht mehr zu wehren wagte...". Hinweis: Der Sachverhalt und das Strafmaß sprechen für sich. Daß aber eine in der Tat menschlich verständliche, vom Schwurgericht sogar als billigenswert bezeichnete Motivation das schwerste Tötungsunrecht kennzeichnen soll, das das Gesetz kennt, charakterisiert die Sachgerechtigkeit der Definition der Heimtücke hinreichend. hh) BGHSt 32 S. 382: Die H hatte sich von der A im Laufe einer harmlosen Auseinandersetzung fesseln lassen. Später kam es zu einem ernsten Streit zwischen H und A. Dabei entschloß A sich spontan, die H, die sich nicht wehren konnte, zu töten. Sie nahm vor den Augen der H ein großes Kopftuch aus dem Schrank, faltete es durch mehrfaches Umschlagen auf 7 cm Breite zusammen und schritt, das Tuch an den Enden in den Händen haltend, von vorn auf die auf einer Matraze hockende H zu. Dieser war bereits beim Falten des Tuches klar geworden, was die A vorhatte. Sie rief in Todesangst um Hilfe, jedoch ohne Erfolg. Die A kniete hinter H nieder, legte ihr das gefaltete Tuch um den Hals und erdrosselte sie. BGH: Keine heimtückische Tötung, da H bei Versuchsbeginn nicht mehr arglos war. Kritik: Die Auffassung des BGH, daß in der Tötung der H kein erhöhter Unrechtsgehalt lag, weil A die Tötung ohne jegliche Heimlichkeit oder List vor den Augen des Opfers vorbereitete und ausführte, kann nicht gefolgt werden. Hier wurde - nach dem bisherigen Verhältnis der Beteiligten - begründetes Vertrauen in sozial unerträglicher Weise mißbraucht.^ ii) BGH NStZ 1989, 364: A hatte seine geschiedene Ehefrau G unter einem Vorwand in sein Auto gelockt. Er fuhr mit ihr in einen Wald, wo er sie tötete. Während der Fahrt hatte A die G ständig mit dem in der rechten Hand gehaltenen Messer bedroht und damit daran gehindert, aus dem fahrenden Wagen zu springen. BGH: Ob Heimtücke vorlag bedarf erneuter Prüfung, denn G wäre nicht wehrlos gewesen, "wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, auf den A selbst einzuwirken, um ihn - nicht von vornherein ohne jede Erfolgsaussicht - von der Tötungshandlung abzubringen". Kritik: Hier kommt es offenbar für die Beurteilung der Tat als Mord darauf an, ob G in ihrer Todesangst die "richtigen Worte" fand oder nicht. Das hat mit dem Unrecht der Tat nichts mehr zu tun.

b) Grausam Nach herrschender Meinung handelt der Täter grausam, der dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen.73 Dieser Definition ist zuzustimmen, denn im Erfordernis der gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung kommt das über den Unrechtsgehalt einer Tötung hinausweisende Unrechtselement zum 71

Vgl. zur Kritik auch: JAKOBS JZ 1984 S. 996 ff; M.-K. MEYER JR 1986 S. 133 ff; OTTO JK, StGB §211/11.

72

Vgl. auch OTTO JK 90, StGB § 211/19.

73

H.M.: BGHSt 3 S. 180; BGH NStZ 1982 S. 379 f; BGH bei Holtz, MDR 1987 S. 623; DREHER/TRÖNDLE § 2 1 1 Rdn. 7; HORN SK, § 211 Rdn. 40; JÄHNKE LK, § 2 1 1 Rdn. 5 ff; LACKNER

StGB, § 211 Rdn. 10; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 47.

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Delikte gegen das Leben

Ausdruck. Die bloße Zufiigung von Schmerzen oder Qualen, die über das zur Tötung erforderliche Maß hinausgehen, genügt diesen Anforderungen nicht.74 Die Grausamkeit muß nicht notwendig in der eigentlichen Ausführungshandlung des Täters liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird. Lediglich grausame Verletzungen, die mit Körperverletzungsvorsatz zugefügt werden und an die sich eine Tötung anschließt, genügen allerdings nicht. Notwendig ist ein vom Tötmgsvorsatz getragenes Verhalten, in dem die Herbeiführung des Todes den Schlußpunkt einer Entwicklung darstellt.75 Zur Verdeutlichung: aa) LG Hamburg DRiZ 1967 S. 19 ff: Der W hatte befohlen, daß der Straftäter P, der im Oktober 1943 mit einem Schiff von Japan nach Deutschland gebracht werden sollte, nicht in Feindeshand fallen dürfte, sondern bei Selbstversenkung des Schiffes mit diesem untergehen sollte. Als das Schiff aufgebracht wurde, blieb P in seiner Zelle eingeschlossen. Er ging mit dem Schiff unter. Der W, in seemännischer Tradition erzogen, sah es als normalen Tod an, mit dem Schiff unterzugehen, wenn keine Rettung möglich ist. LG Hamburg: W war sich zwar der Qualen des P bewußt, die dieser beim Tod des Ertrinkens leiden würde, er handelte aber nicht aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung. bb) BGH NJW 1971 S. 1189 (1190): Auf Anordnung der Haupttäter wurden Personen, denen bekannt war, daß sie in ein Vernichtungslager verbracht werden sollten, auf engem Raum zusammengetrieben, wo sie bei großer Hitze auf den Transport warten und ansehen mußten, wie alte und kranke Menschen erschossen wurden und wo sie selbst erbarmungslosen Schlägen mit Ochsenziemern und Reitpeitschen ausgesetzt waren. Sodann wurden sie abtransportiert und getötet. BGH: Tötung erfolgte grausam, denn "die Grausamkeit muß nicht notwendig in der eigentlichen Ausfüihrungshandlung der Tötung liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird". cc) BGHSt 37 S. 40: A schoß dem K mit Tötungsvorsatz in den Hals. Anschließend fügte er ihm "zusätzlich zu der durch den Schuß hervorgerufenen schweren, möglicherweise tödlichen Verletzung Qualen körperlicher und seelischer Art zu". BGH: Grausames Verhalten hätte nur vorgelegen, wenn das der Tötungshandlung (Schuß) nachfolgende Verhalten geeignet war, den Tod herbeizuführen oder zu beschleunigen oder wenn A davon ausgegangen war, durch dieses Verhalten könne der Tod eintreten, gefördert oder mitverursacht werden.

c) Gemeingefährliche Mittel Gemeingeßhrliche Mittel sind Mittel, deren Wirkungen auf Leib und Leben anderer Menschen der Täter nach den konkreten Umständen ihres Einsatzes nicht in der Hand hat. - Der Täter muß die gemeingeßhrliche Situation selbst schaffen, ihre bloße Ausnutzung genügt nicht.76 Die bloß abstrakte Gefährlichkeit des Mittels - z.B. Feuer, Sprengstoff, Gift - genügt nicht. Andererseits braucht auch noch keine konkrete Gefahr für weitere Personen real eingetreten zu sein. 77 Es ist vielmehr erforderlich, daß in der konkreten Tatsituation der Täter das Geschehen nicht so beherrscht, daß eine Gefährdung weiterer Menschen ausgeschlossen ist.

74

A . A . RÜPING J Z 1979 S. 620; SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 27.

75

So auch: B G H NJW 1971 S. 1190; B G H N J W 1990 S. 2632; JÄHNKE LK, § 211 R d n . 56; LACKNER

76

StGB, § 211 Rdn. 10. - A.A. Grausame Gesinnung muß bei Beginn der Tatausführung, d.h. bei Beginn des Versuchs vorliegen; BGH NJW 1986 S. 265 mit abl. Anm. OTTO JK, StGB § 211/14. BGHSt 34 S. 13.

77

A . A . RENGER StV 1986 S. 4 0 6 f.

§ 4 Mord

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Zur Verdeutlichung: aa) BGH VRS 63 S. 119: A warf von einer Brücke Steine auf Kraftfahrzeuge und war sich der Tatsache bewußt, daß es nach einem Treffer zu einem Massenunfall kommen könnte. BGH: A handelte mit gemeingefährlichen Mitteln. Hingegen: Wirft A mit einem Stein auf den einsamen Spaziergänger X, so liegt keine Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels vor. bb) BGH NJW 1985 S. 1477: A warf 3 Brandflaschen in ein von zwei Personen bewohntes Zimmer eines Wohnheimes. Die beiden Bewohner kamen zu Tode. Weitere Personen wurden dank der feuersicheren Bauweise des Gebäudes nicht gefährdet. A hatte sich aber nicht vorher überzeugt, wie viele Personen überhaupt im Zimmer waren. BGH: "A setzte eine Gefahr für eine unbestimmte Zahl von Personen, die dort hätten sein können. Jedenfalls dann, wenn der Täter, der ein seiner Natur nach gemeingefährliches Mittel einsetzt, nicht dessen gewiß ist, die Wirkung der von ihm entfalteten Kräfte so beschränken zu können, daß der Eintritt der Gemeingefahr ausgeschlossen ist, begeht er einen Mord". cc) BGHSt 38 S. 353: A schoß mit einer Pistole in Tötungsabsicht auf B, der sich in einem mit ca. 70 Personen besetzten Lokal befand. Der Schuß ging fehl und traf den X. BGH: A setzte kein gemeingefährliches Mittel zur Tötung ein: "Die auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Schußwaffe, mit der nur ein Schuß abgegeben werden soll, (»deutet ihrer Natur nach keine unberechenbare Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen. °

3. Verfolgte Zwecke: Um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken a) Tötung zur Ermöglichung einer Straftat Die andere Straftat muß Straftat im engeren Sinne des Wortes sein. Ordnungswidrigkeit, Disziplinarvergehen o.ä. genügen dem nicht, doch kommen dann niedrige Beweggründe in Betracht. - Es reicht aus, daß der Täter sich vorstellt, er ermögliche oder verdecke eine Straftat (subjektives Merkmal!). - Die andere Straftat braucht keine eigene Tat des Täters zu sein. - Die bezweckte Tat kann mit der Tötung tateinheitlich zusammenfallen, so z.B. typischerweise der Raub mit der Tötung beim sog. Raubmord. Zur Verdeutlichung: aa) BGH GA 1963 S. 84: A wollte ein Mädchen vergewaltigen. Er legte sich in einsamer Gegend auf die Lauer. Als sich ein Paar, die B und der C, näherte, schoß A auf den C, um ihn zu töten, weil er fürchtete, dieser werde der B zur Hilfe kommen. BGH: Tötung zur Ermöglichimg einer Straftat (Vergewaltigung). bb) BGHSt 39 S. 159: A und M hatten den Z in dessen Wohnung überfallen und mit Chloroform betäubt, um ihn ausrauben zu können. Nach ca. 30 Minuten erholte sich das Opfer. A entschloß sich nunmehr, "auf andere Weise als durch Beibringung von Chloroform endgültig dafür zu sorgen, daß sie die weitere Suche nach Geld und Wertgegenständen ... ungestört fortsetzen konnten". Er würgte sein Opfer massiv am Hals und erkannte dabei und billigte auch, daß sein Handeln zum Tode führen könnte. Der Tod trat dann auch "im Minutenbereich" ein. Frühestens 15 Minuten später verließen die Täter die Wohnung. BGH: Die Angekl. handelten, um eine andere Straftat zu ermöglichen: "Bedingter Tötungsvorsatz steht der Annahme des Mordmerkmals 'Töten zur Ermöglichung einer anderen Straftat' nicht entgegen. Die 'Tötung' muß nicht 'notwendiges' Mittel zur Begehung der anderen Straftat sein (Aufgabe der Senatsentscheidung vom 26. Februar 1980, mitgeteilt bei Holtz MDR 1980, 629); vielmehr genügt es, daß sich der Täter deshalb für die zum Tode führende Handlung entscheidet, weil er glaubt, auf diese Weise die andere Straftat schneller oder leichter begehen zu können. Es genügt, daß nicht der Tod des Opfers, sondern die zur Tötung geeignete Handlung vom Täter als Mittel zur Begehung der weiteren Straftat angesehen wird."'" 78

Vgl. auch GEPPERT JK 93, § 211/23; RENGIER JZ 1993 S. 364 f.

79

Vgl. dazu auch GEPPERT JK 94, StGB § 211/25; GRAUL JR 1993 S. 510 ff; SCHROEDER JuS 1994 S . 294 ff.

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Delikte gegen das Leben

b) Tötung zur Verdeckung einer Straftat Die Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, ist deshalb als qualifizierendes Merkmal problematisch, weil die "Selbstbegünstigungsabsicht" in anderen Tatbeständen des Gesetzes - vgl. z.B. §§ 257 Abs. 3 S. 1, 258 Abs. 5 - durchaus privilegierend berücksichtigt wird. Verallgemeinern oder auch nur auf die Tötungsdelikte übertragen läßt sich jedoch die Wertung, der "Selbstbegünstigungsabsicht" entlastende Bedeutung zuzumessen, nicht. Gerade die §§ 257, 258 zeigen, daß dort die Tatsituation eine ganz andere ist. Dort versucht der Täter die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu verhindern bzw. sich der Strafverfolgung zu entziehen, ohne den zuvor begründeten Schaden zu vergrößern. Hier aber kommt es zu einer weiteren schweren Rechtsgutsverletzung. Im übrigen aber liegt die grundsätzliche Legitimation dieses Merkmals in einer Schutzfunktion des Staates, die gegenüber den Strafverfolgungsorganen offensichtlich ist, aber durchaus einen jeden Bürger als Zeugen einer Straftat berührt. Diese Personen wären unerträglichen Risiken ausgesetzt, wenn die Selbstbegünstigungsabsicht privilegierend berücksichtigt würde. Die Wertung der Verdeckungsabsicht als sozial besonders unerträglich und unakzeptabel ist daher unter Rechtsschutzgesichtspunkten zu verteidigen. Wie bei der Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen, muß es sich bei der zu verdeckenden Straftat um eine Straftat im Sinne des § 12 StGB handeln. Es genügt aber auch hier die Vorstellung des Täters, eine andere Straftat zu verdecken (subjektives Merkmal). Die andere Tat kann eine eigene Straftat oder die eines Dritten sein. Die Vortat kann mit der Tötung tateinheitlich zusammenfallen. Es muß sich aber um eine andere Tat handeln. Das ist nicht der Fall, wenn Vorgeschehen und Tötung eine einheitliche Tötung bilden. Zur Verdeutlichung: aa) BGH JR 1991 S. 212: A hatte die B mit bedingtem Tötungsvorsatz gewürgt und getreten. Danach war ihm bewußt geworden, daß B anderen von der Tat erzählen könnte, wenn sie überlebte. Deshalb tötete A die B nunmehr mit direktem Vorsatz. BGH: Der Übergang vom bedingten zum unbedingtem Vorsatz macht die vor dem unbedingten Vorsatz liegenden Tatteile nicht zu einer anderen Tat. Die begonnene Tötung wurde nur vollendet. Allerdings ist ein Motivwechsel im Rahmen einer einheitlichen Tötung nicht irrelevant, denn auch wenn der Täter in dieser Situation keine andere Strafte verdecken kann, so kann der erneute Beweggrund doch als niedriger Beweggrund bedeutungsvoll sein."® bb) BGH NJW 1992, 583: A ließ die schwerverletzte M, die er aus Unachtsamkeit angefahren hatte, am Unfallort ohne Hilfe liegen, obwohl ihm bewußt war, daß M lebensgefährlich verletzt war. Er wollte nicht wegen des Unfalls zur Rechenschaft gezogen werden. BGH: Wenn A die Rettungsmaßnahmen unterließ, weil er die Aufdeckung der Vortat verhindern wollte, so liegt Verdeckungsabsicht vor. - Die frühere Auffassung, der Tod müsse als Mittel zur Verdeckung eingesetzt werden®!, hat der BGH inzwischen ausdrücklich aufgegeben.

80

Zur Entwicklung der Rechtsprechung - Überblick: BGHSt 35 S. 118 ff - vgl. zunächst: BGHSt 7 S. 325, sodann: BGHSt 27 S. 346, und schließlich: BGHSt 28 S. 77, 80, 82; BGH NJW 1992 S. 919 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 211/22. - Dazu auch HOHMANN/MATT JA 1989 S. 134 ff; LABER MDR 1989 S. 861 ff; OTTO Jura 1994 S. 151 f; SCHMIDHÄUSER NStZ 1989 S. 55 ff; TIMPE NStZ 1989 S. 70 ff.

81

Vgl. BGHSt 7 S. 287.

§ 5 Der minder schwere Fall des Totschlags

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III. Vorsatzprobleme 1. In der 1. Gruppe der Mordqualifikationen (niedrige Motive) muß der Täter sich der Umstände bewußt sein, die seine Tat als sozialethisch unerträglich erscheinen lassen. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen ist daher grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz möglich. Das gilt auch für das Merkmal der Mordlust. Auch derjenige handelt aus Mordlust, der Pflastersteine von einer Brücke auf die Autobahn wirft, um es "einmal so richtig krachen zu hören", auch wenn er sich nur der tödlichen Gefahr für die Autofahrer bewußt ist, nicht aber davon ausgeht, daB der Tod mit Sicherheit eintritt. 82

2. In der 2. Gruppe der Mordqualifikation muß der Täter die objektiven Merkmale (Vertrauensverhältnis, Wirkung des eingesetzten Mittels) kennen; bei der Verwirklichung des Merkmals "grausam" muß es ihm aufgrund seiner Gesinnung auf die Schmerzzufügung ankommen (dolus directus 1. Grades). 3. Bei den verfolgten Zwecken, 3. Gruppe, muß sich die Absicht im engeren Sinne auf den Zweck beziehen. Die Tötung selbst hingegen braucht nur bedingt gewollt zu sein. Zu beachten ist aber, daß nach den Gegebenheiten des Sachverhalts bedingter Vorsatz dann logisch ausgeschlossen ist, wenn der Täter seinen Zweck nur mit dem Tode des Opfers erreichen kann und den Zweck in jedem Fall erreichen will. a) BGH StV 1988 S. 486: Der A hatte die N schwer mißhandelt und verletzt, nachdem er sie der Freiheit beraubt hatte. Obwohl er sich des lebensgefährlichen Zustandes der N bewußt war, hielt er sie weiter gefangen, weil er verhindern wollte, daß er als Täter entdeckt würde, wenn der Zustand der N bekannt würde. Ergebnis: Verdeckungsabsicht liegt vor. 8 ^ b) BGH GA 1983 S. 565: A wurde bei einem Einbruch von S überrascht. Um nicht von ihr später wiedererkannt zu werden, schoß er auf sie. BGH: Kann der Täter die erstrebte Verdeckung der Straftat nur durch den Tod des Opfers erreichen, so ist die Verwirklichung der Verdeckungsabsicht nur mit direktem Tötungsvorsatz möglich. 8 ^

4. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unter § 24 II.

§ 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 1. § 213, 1. Alt.: ein privilegiertes Tötungsdelikt In seiner 1. Alt.: "War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden", enthält der Tatbestand einen benannten Strafmilderungsgrund, d.h. eine Privilegierung gegenüber § 212 mit der Konsequenz, daß der Versuch nicht strafbar ist; vgl. dazu auch oben § 2, 2 a.

82

83

Vgl. OTTO JK, StGB § 211/15. - A . A . DREHER/TRONDLE § 2 1 1 R d n . 11; LACKNER StGB, § 2 1 1

Rdn. 15.

Dazu auch: BGHSt 11 S. 269; 15 S. 291 mit Anm. JESCHECK JZ 1961 S. 752; BGH VRS 24 S. 184; JÄHNKE LK, § 2 1 1 Rdn. 2 4 .

84

Vgl. auch: BGHSt 21 S. 284 f; BGH NStZ 1985 S. 166; BGH NJW 1992 S. 583.

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Delikte gegen das Leben

Das Unrecht der Tat wird in dieser Alternative durch drei Faktoren geprägt: (1) Das spätere Opfer fügt dem späteren Täter oder einem seiner Angehörigen bewußt ein erhebliches Unrecht zu, (2) der Täter gerät dadurch in einen - seine Entscheidungsfreiheit wesentlich einengenden - Erregungszustand und (3) den Täter trifft keine Schuld daran, daß ihm ein Unrecht zugefügt worden ist. Nicht nur der schuldmindernd zu berücksichtigende Erregungszustand und ein begrenzter Bereich auslösender Faktoren kennzeichnen die Situation, sondern diese wird zugleich bestimmt durch "die Schuld des Opfers an der Tat". Die Tat erscheint daher gegenüber einer "typischen" Tötung als geringere Störung der sozialen Beziehungen. Insoweit beruht die Regelung des § 213 darauf, daß er zwar Tötungsunrecht unter Strafe stellt, jedoch im Verhältnis zu § 212 minder schweres Tötungsunrecht. Die Schwere der Provokation ist unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu ermitteln. Der Tatvorgeschichte kann daher Bedeutung zukommen.85 Auch aus der Wiederholung von Beschimpfungen kann sich die Schwere der Beleidigung ergeben.86 Ohne eigene Schuld handelt der Täter, der die beleidigende Äußerung des Opfers im gegebenen Augenblick entweder überhaupt nicht oder aber nicht vorwerfbar veranlaßt hat. 87 Hierbei ist jedoch nur ein Verhalten relevant, das "zu dem Verhalten des Getöteten in dem entscheidenden Augenblick genügende Veranlassung gegeben hatte"88, und zwar derart, daß "das Verhalten des Opfers eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes schuldhaftes Tun des Täters darstellt"89. Eine Mißhandlung kann körperlich oder seelisch erfolgen. - Beleidigung ist nicht als terminus technicus i.S. einer Ehrverletzung gemäß §§ 185 ff zu verstehen, sondern als schwere Kränkung. In Betracht kommt z.B. ein Vertrauensbruch, etwa ein Ehebruch.90 Maßgebend ist der objektive Erklärungswert des Verhaltens, nicht allein die Vorstellung des Täters, gekränkt worden zu sein, da es hier um die Feststellung des Unrechts des späteren Opfers geht.91 Die Beleidigung muß dem Täter oder einem seiner Angehörigen zugefügt worden sein. Eine analoge Anwendung auf nahestehende Personen ist aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Sie ist kriminalpolitisch auch nicht notwendig, da in einschlägigen Fällen die 2. Alternative des § 213 in Betracht kommt.92 Auf der Stelle reagiert der Täter, der noch voll unter dem Einfluß des erlittenen Unrechts steht. Zwischen Beleidigung und Reaktion Wann daher durchaus ein gewisser Zeitraum liegen. Auch kann sich das beleidigende Verhalten über längere Zeit erstrecken. Es

85 86 87 88

BGH BGH BGH BGH

89 90 91

BGH NStZ 1981 S. 479; BGH NJW 1983 S. 293. BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 110. BGH NStZ 1982 S. 27; 1986 S. 455; BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 111.

92

NJW 1987 S. 3143. NStZ 1983 S. 365. StV 1984 S. 283. NStZ 1981 S. 300; BGH NStZ 1983 S. 554.

V g l . LACKNER S t G B , § 2 1 3 R d n . 4 ; OTTO J K , S t G B § 1 1 / 2 . - A . A . DREHER/TRÖNDLE § 11

Rdn. 8 a; STRÄTZ FamRZ 1980 S. 308.

§ 5 Der minder schwere Fall des Totschlags

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genügt, daß das Verhalten unmittelbar vor der Tat "der Tropfen war, der das Faß zum Überlaufen brachte".93 Durch die Provokation ist der Täter auch dann zur Tat hingerissen worden, wenn neben der Reizung zum Zorn noch andere Motive zur Tatauslösung beigetragen haben, sofern sie den Zorn nicht in eine unerhebliche Rolle verdrängt haben.94 Die Rechtsprechung hält daran fest, daß Verhältnismäßigkeit zwischen der Schwere der Kränkung und der im Zorn verübten Tat nicht gegeben zu sein braucht. Hier ist jedoch zu beachten, daß in Fällen, in denen die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist, die Reaktion des Täters auf das Verhalten des Opfers kaum als verständlich beurteilt werden kann.95 2. § 213, 2. Alt.: ein unbenannter Strafmilderungsgrund Ein sonstiger minder schwerer Fall i.S. des § 213 braucht sozialethisch nicht auf der Ebene der Umstände des § 213, 1. Alt. zu liegen. Entscheidend ist allein, ob "das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist".96 Beleidigungen durch Dritte sowie Beleidigungen und Mißhandlungen nahestehender Personen können hier als privilegierende Umstände in Betracht kommen, wenn sie das Tatbild wesentlich prägen und damit die Tat vom Durchschnittsfall der Tötung abweicht.9^

3. Irrtum des Täters über die Beleidigung durch das Opfer a) Wird - wie es hier geschehen ist - § 213, 1. Alt. als privilegierender Tatbestand gegenüber § 212 anerkannt, so liegt ein Fall des § 16 Abs. 2 vor.98 Sachgerecht ist diese Lösung jedoch nicht. Sie würde zwar überzeugen, wenn die Privilegierung allein in schuldmindernden Erwägungen läge, denn in diesem Fall ist die psychische Situation des Täters identisch, gleichgültig, ob die objektiven Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Ist der Grund der Privilegierung aber zumindest auch in einem das Unrecht der Tat mindernden Verhalten des Opfers zu sehen, so wird dieses Verhalten über die Anwendung des § 16 Abs. 2 in bestimmten Fällen für irrelevant erklärt. - Ob der Gesetzgeber sich dieser Konsequenz in vollem Umfang bewußt war, erscheint zweifelhaft. Sachgerechter wäre die Anwendung des § 213, 2. Alt. b) Soweit § 213 insgesamt als Strafzumessungsregel interpretiert wird, kann in einem Irrtumsfall "ein anderer mildernder Umstand" i.S. des § 213, 2. Alt. gesehen werden.99 93 94 95 96 97

BGH NStZ 1982 S. 27; BGH StV 1991 S. 105. Vgl. BGH StV 1983 S. 60, StV 1983 S. 198; dazu auch GEILEN JR 1978 S. 341 ff; DERS. DreherFestschrift, S. 357 ff. Vgl. dazu einerseits: BGH NStZ 1982 S. 27; 1985 S. 216; BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 483; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 56; andererseits: GEILEN Dreher-Festschrift, S. 374 ff; NEUMANN Zurechnung und "Vorverschulden", 1985, S. 253. BGH bei Holtz, MDR 1976 S. 633. Übersicht über die Rechtsprechung: ESER NStZ 1984 S. 52 ff; DERS. Middendorff-Festschrift, S. 6 5 ff.

98

So auch: ESER NStZ 1984 S. 53.

99

Dazu BGHSt 1 S. 203; DRBHER/TRÖNDLE § 213 Rdn. 7; JÄHNKE LK, § 213 Rdn. 9.

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Delikte gegen das Leben

II. Das Verhältnis des § 213 zu § 211 1. Werden die Mordqualifikationen - wie es hier geschehen ist - als Ausdruck einer sozialethisch besonders unerträglichen, weil gefährlichen Gesinnung interpretiert, so schließen die §§211, 213 einander aus. Die Tat kann nicht zugleich Ausdruck einer schlechthin unerträglichen und einer doch menschlich verständlichen Einstellung zu dem Geschehen sein. Wer z.B. aus unbarmherziger Gesinnung einem anderen besondere Schmerzen bei der Tötung zufügt, wer das Vertrauen eines anderen mißbraucht oder wer eine andere Straftat verdecken will, tötet das Opfer genausowenig aufgrund der Erregung über ein ihm selbst zugefügtes Unrecht, wie deijenige, der mit gemeingefährlichen Mitteln Dritte in Gefahr oder zu Tode bringt, die ihm nichts Böses getan haben. 100 2. Werden die Qualifikationen - in Betracht kommt praktisch nur die Gruppe 2 - als "objektive Tatbestandsmerkmale" interpretiert, in denen keine über das Wissen der objektiven Voraussetzungen hinausgehende besondere Einstellung gefordert ist, so können in diesem Bereich sowohl die Voraussetzungen des § 211 als auch die des § 213 vorliegen. a) Nach Auffassung des BGH, der § 213 nur auf § 212 bezieht, weil er § 211 als Sondertatbestand auffaßt, schließt § 211 den § 213 aus.101 b) Soweit § 211 als Qualifizierung und § 213 als Privilegierung - allerdings nur die erste Alternative - des § 212 angesehen wird, erfolgt eine Bestrafung nur aus § 213. Grundsatz: Die Privilegierung geht der Qualifizierung vor. 102 c) Auch soweit § 213 nur als unbenannter Strafmilderungsgrund interpretiert wird, soll sein Vorliegen die Anwendung des § 211 ausschließen, wenn aufgrund einer negativen Typenkorrektur die Tötung insgesamt als nicht besonders verwerflich erscheint.103

§ 6: Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 1. Die Grundlagen der Auslegung Der Tatbestand stellt eine Form der Mitwirkung an einer Selbsttötung eines anderen unter Strafe. - Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. - Das Unrecht der Tötung ist zwar durch diese "Einwilligung" nicht ausgeschlossen, wohl aber gemindert. Es bleibt jedoch Tötungsunrecht, deshalb ist der Tatbestand als privilegiertes Tötungsdelikt anzusehen.104 100

Im Ergebnis übereinstimmend:

BERNSMANN J Z 1 9 8 3 S. 4 9

ff;

DREHER/TRÖNDLE § 2 1 3

Rdn.

1;

RIESS N J W 1 9 6 8 S . 6 3 0 .

101 Dazu BGHSt 2 S. 258 ff; 11 S. 139, 142 f; ebenso: ARZT in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 158; LACKNER StGB, Vor § 211 Rdn. 23. 1 0 2 Dazu BOCKELMANN B . T . / 2 , § 5 1 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 5 5 ("Sperrwirkung des milderen Tatbestandes"). 1 0 3 Vgl. GEILEN Dreher-Festschrift, S . 3 8 3 ff; DERS. JR 1980 S . 3 1 4 ; HORN S K , § 2 1 1 Rdn. 6 ; RENGIER M D R 1 9 8 0 S . 2 f; SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 10, § 2 1 3 R d n . 3 .

104 So auch:

Vor § 211 Rdn. 45; LACKNER StGB, § 216 Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/ Rdn. 61; WELZEL Lb., § 38 III. - Als eigenständiges Sonderdelikt interpretieren den § 216: BGHSt 2 S. 258; DREHER/TRÖNDLE § 216 Rdn. 1; SCH/SCH/ESER § 216 Rdn. 2.

JÄHNKE L K , MAIWALD B.T.l, § 2

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2. Voraussetzungen des Tatbestandes a) Die Tathandlung ist täterschaftliche Tötung eines anderen. Bloße Teilnahme an der Selbsttötung eines anderen genügt nicht. - Der Gesetzgeber sieht die Entscheidung über den eigenen Tod als so exitenziell an, "daß er die Abschiebung des Vollzugs auf einen anderen nicht zulassen will". 105 Problematisch ist jedoch, welcher konkrete Akt als der hier relevante Vollzugsakt anzusehen ist. Da die Situation der Tötung auf Verlangen zum einen wesentlich durch den Willen des Opfers geprägt wird, zum anderen das Opfer in Bezug auf die AusfQhrungshandlung gerade abhängig ist vom Willen des Täters, ist die Differenzierung problematisch. Die Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 216 auf die Fälle, in denen der Getötete nur eine Anstiftungshandlung begangen hat 1 0 ", flhrt zu willkürlichen Unterscheidungen, denn ein gewisses Maß an Mitwirkung an der Tötungshandlung ist für die Situation typisch; ihr Fehlen hingegen ändert nicht den gesamten Unrechtsgehalt. - Auch der Versuch, nach Kriterien der Tatherrschaft über das Tötungsgeschehen oder nach dem Täterwillen zu differenzieren 10 ', geht fehl, denn in der Situation des § 216 sind Täter- und Opferwille so miteinander verwoben, daß Täter und Opfer als Mitträger der Tatherrschaft angesehen werden müssen. - Gleichfalls ist die Unterscheidung nach dem "Schwergewicht des Tatbeitrags" abhängig von Zufälligkeiten bei der Tatausführung.

Maßgeblich für die Bestimmung der Täterschaft ist die Herrschaft über den Akt, mit dem über das Leben verfügt wird. Ausgangspunkt der Beurteilung ist daher die letzte Handlung des anderen. Hatte der Getötete nach diesem Tatbeitrag des Partners noch die freie Entscheidung über Leben oder Tod durch eigene Verhaltensmöglichkeiten, z.B. durch das Verlassen des Raumes, das Ausspucken einer Tablette o.ä., so hat das Unterlassen dieser Handlungsmöglichkeiten Verfügungscharakter über das Leben. Es liegt ein Suizid vor, an dem sich der andere straflos beteiligt hat. Liegt in der Handlung des Partners selbst hingegen die unmittelbare Verfügung über das Leben, weil nach seinem Tatbeitrag kein Raum mehr ist für eine freie Entscheidimg des Getöteten über Leben oder Tod, sondern die Entscheidung durch den Tatbeitrag selbst getroffen wurde - z.B. durch eine tödliche Injektion, einen Schuß mit einer Waffe o.ä. -, so liegt in diesem Tatbeitrag die strafbare täterschaftliche Tötung eines anderen.108 b) Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Es ist das wohlüberlegte eigene Verlangen, das ausdrücklich, d.h. nicht notwendig mit Worten, aber unmißverständlich erklärt sein muß. aa) RGSt 68 S. 306: Der A rief in der S Selbstmordgedanken hervor. Um S seinen Wünschen gefügig zu machen, redete er vier Stunden auf sie ein. Auf seine Aufforderung hielt schließlich die S ihren Arm hin, und nun brachte A ihr die Schnitte bei, die ihren Tod herbeiführen sollten. RG: Bloßes Einverstandensein ist kein ausdrückliches und ernstliches Verlangen i.S. des § 216: "Einverstandensein bedeutet die Billigung des bekannten Vorhabens des anderen, also zwar mehr als ein bloßes Hinnehmen und ein bloßes Geschehenlassen, aber doch nur den Ausdruck der Übereinstimmung der eigenen inneren Stellungnahme mit der des anderen. Verlangen i.S. des § 216 StGB schließt demgegenüber begrifflich eine Betätigung mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen ein." bb) BGH NJW 1987 S. 1092: Der 70jährige schwerkranke O war zur Selbsttötung entschlossen, die er mit einem Betäubungsmittel herbeiführen wollte. Dies teilte er seinem Neffen A mit und fragte ihn zugleich, ob er ihm behilflich sein würde, wenn er es nicht mehr schaffen sollte, seinen Plan zu verwirklichen. Als er sah, wie erschrocken A war, lenkte er jedoch sofort ein und versprach, den A aus der Sache herauszu105 SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 574. 106 Vgl. DREHER M D R 1964 S. 338.

107 Vgl. dazu KUTCER NStZ 1994 S. 110 ff. 108 Eingehender dazu OTTO Tröndle-Festschrift, S. 159 ff; ROXIN 140 Jahre GA-Festschrift, S. 177 ff, 178. - A.A. SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 576.

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halten. Einige Tage später kam A zu O und bemerkte, daß dieser seinen Entschluß in die Tat umgesetzt hatte. Aufgrund der näheren Umstände befürchtete er aber, daß der Selbsttötungsversuch fehlschlagen könnte. Er entschloß sich daher, das Leben des O durch eine weitere Spritze mit Sicherheit zu beenden und führte diesen Plan aus. BGH: A handelte aufgrund eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens.

Aus dem Wesen des "Verlangens" als qualifizierter Einwilligung folgt, daß - abgesehen von der Fähigkeit des Verlangenden, über das betroffene Rechtsgut verfügen zu können - die Voraussetzungen der Einwilligung in vollem Umfang vorliegen müssen. Das Verlangen muß daher insbesondere frei von Willensmängeln sein und der Verlangende muß sich der Tragweite seiner Entscheidung bewußt sein. 109 Ist das Verlangen nicht wirksam, weil es durch Täuschung erschlichen wurde oder der Verlangende gar nicht in der Lage war, die Tragweite seiner Entscheidung abzuschätzen, so ist der Tatbestand des § 216 nicht gegeben. Je nach den tatsächlichen Gegebenheiten liegen §§ 212, 211 vor. Fall: A leidet an einem harmlosen Magenleiden. Er selbst meint aber, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein. Die Beteuerungen des Arztes und seiner Ehefrau hält er für schonungsvolle Lügen. Inständig bittet er daher die E, ihn zu erlösen. Als er sein Verlangen immer eindringlicher geltend macht und von nichts anderem mehr redet, gibt E seinem Verlangen nach. - § 216 ist nicht anwendbar, denn A war sich deshalb der Tragweite seiner Entscheidung nicht bewußt, weil er seine Entscheidung von falschen Voraussetzungen her traf. E wußte dies.

c) Der Täter muß durch das Verlangen zur Tat bestimmt worden sein, d.h. das Verlangen muß als entscheidender Tatantrieb gewirkt haben. Die Initiative kann aber durchaus von dem Täter ausgehen, wenn deutlich bleibt, daß erst die Entscheidung des "Opfers" die Tatsituation grundsätzlich gestaltet und diese Entscheidung in den eigenen Überlegungen des "Opfers" ihren Grund hat. aa) Der schwerkranke T leidet fürchterliche Schmerzen. Seine Ehefrau E erfüllt dies gleichfalls mit Schmerz und auch Mitleid. Sie deutet dem T gegenüber an, daß sie bereit sei, ihm eine erlösende Spritze zu geben, falls er es wünsche. T bittet sogleich darum. Er hatte es nicht gewagt, der E gegenüber ein derartiges Verlangen zu äußern. Ergebnis: § 216 anwendbar. bb) Wie unter aa), doch E ist bereits fest entschlossen, den T zu töten, als T sie plötzlich um diese Gefälligkeit bittet. H.M.: § 216 ist nicht anwendbar, da E bereits zuvor zur Tat entschlossen war. - Die Sachgerechtigkeit des Ergebnisses ist zweifelhaft, denn an dem durch das Verlangen des T geminderten Unrecht der Tat ändert der vorgefaßte Plan nichts. - Anwendbarkeit des § 213, 2. Alt. ist daher geboten.

3. Die Motivierung durch das Verlangen a) Das "Verlangen" ist ein unrechtsmindernder Sachverhalt. Die Motivierung durch dieses Verlangen ist ein persönliches Merkmal, jedoch kein Sonderpflichtmerkmal, und daher kein besonderes Merkmal im Sinne des § 28. 1 1 0 Die Beurteilung der Teilnahme Außenstehender erfolgt daher nach den allgemeinen Grundsätzen. Fall: A bittet den B um Gift, weil er dem Verlangen des C, ihn zu töten, nachkommen will. B, dem das Schicksal des C egal ist und der dem A einen Gefallen tun will, gibt dem A das Gift. A führt die Tat aus. Ergebnis: A: § 216; B: §§ 216, 27. 109 Zu den einzelnen Voraussetzungen der Einwilligung vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT A.T., § 8 III 1. 110 Vgl. auch HORN SK, § 216 Rdn. 13. - A.A. die h.M., die § 28 aber über die Sonderpflichtmerkmale hinaus ausdehnt; z.B.: JÄHNKE LK, § 216 Rdn. 10; LACKNER StGB, § 216 Rdn. 2; SCH/SCH/ESER § 216 Rdn. 18; differenzierend: ROXIN LK, § 28 Rdn. 54; SCHÜNEMANN Jura 1980 S. 579 f.

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Nach h.M. wäre B gemäß §§ 216, 27, 28 Abs. 2 aus §§ 212, 27 zu bestrafen.

b) Geht der Täter von einem ausdrücklichen Verlangen aus, obwohl es nicht vorliegt, so kommt gem. § 16 Abs. 2 gleichfalls nur eine Bestrafimg aus § 216 als Vorsatztat in Betracht. Über die Sachgerechtigkeit dieser Lösung läßt sich streiten, denn das unrechtsmindernde Element der Einwilligung des Betroffenen wird damit für die Anwendung des Tatbestandes auf diesen Fall für irrelevant erklärt. Systemgerechter wäre eine Lösung über § 213, 2. Alt. 1 1 1

c) Handelt der Täter in Unkenntnis des Verlangens, so haftet er nach §§ 212, 211. 4. Die kriminalpolitische Berechtigung des Tatbestandes a) Beseitigung des § 216 Die vereinzelt geforderte Beseitigung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen ist weder dogmatisch noch kriminalpolitisch geboten. - Da die privaten Rechtsgüter dem Einzelnen zugeordnet werden, weil diese Zuordnung seiner Entwicklung und der der Rechtsgesellschaft am angemessensten entspricht, kann aus der Zuordnung kein Argument für eine unbeschränkte Verfügungsmacht über das Rechtsgut hergeleitet werden. Eine Beschränkung der Verfügungsmacht trotz Zuordnung des Rechtsguts zur Person des Einzelnen ist daher dogmatisch durchaus vertretbar, und auph kriminalpolitisch erscheint die Aufrechterhaltung des Tötungstabus im weitestmöglichen Umfang angemessen.112 b) Erweiterung des § 216 Der Alternativentwurf Sterbehilfe hat eine Erweiterung des § 216 dahin vorgeschlagen, daß das Gericht unter den Voraussetzungen des § 216 Abs. 1 von Strafe absehen kann, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann. 113 Diese Erweiterung des Gesetzes erscheint nicht notwendig, da die Lösung, der hier relevanten Fällen über § 34 StGB zu finden ist; vgl. dazu weiter unter II.

II. Die Problematik der Sterbehilfe 1. Sterbehilfe und Selbstbestimmung Die Problematik der Sterbehilfe im Sinne der Einflußnahme auf den Sterbeprozeß eines unheilbar Erkrankten ist in ihrer rechtlichen Dimension bereits aufgrund der Unterschiede im tatsächlichen Bereich differenziert zu beurteilen. Darüber hinaus aber wird die Ausgangssituation durch das grundgesetzlich garantierte Recht einer jeden Person, selbst zu bestimmen, ob und wie weit andere Eingriffe an ihrem Körper vornehmen dürfen, rechtlich gestaltet. 111 Vgl. JÄHNKE LK, § 216 Rdn. 2. 112 Vgl. auch: ENGISCH H. Mayer-Festschrift, S. 412; DERS. Schaffstein-Festschrift, S. 1 ff; DERS. Dreher-Festschrift, S. 318; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 775 ff; JÄHNKE LK, § 216 Rdn. 1; MÖLLERING Der Schutz des Lebens und Recht auf Sterben, 1977, S. 93; WILMS/JÄGER ZRP 1988 S. 41 ff. A.A. MARX Zur Definition des Begriffs "Rechtsgut", 1972, S. 64, 82; R. SCHMITT Maurach-Festschrift, S. 118; DERS. J Z 1979 S. 462 ff.

113 Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe, vorgelegt von BAUMANN u.a., 1986, S. 34 ff. Krit. dazu LAUTER/MEYER MschKrim 1988 S. 370 ff.

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BVerfGE 52 S. 178: "Im Lichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist das Institut der Einwilligung demgegenüber inhaltlich so zu bestimmen, daß das Recht des Patienten gewahrt bleibt, entsprechend seinen ureigensten Maßstäben seine Einwilligung zu erteilen oder zu verweigern; hierüber ist er von Verfassungs wegen allenfalls sich selbst, nicht aber dritten Personen und ihren Maßstäben Rechenschaft schuldig. Dieses Recht verdient von Verfassungs wegen Achtung und Schutz zumal dort, wo es sich - etwa wegen der Schwere seiner Krankheit, der Notwendigkeit des Eingriffs oder auch des Risikos, das mit ihm oder seinem Unterbleiben verbunden ist - um eine existentielle Entscheidung des Patienten über seine eigene Integrität handelt."

2. Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung Die Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung betrifft die Hilfe beim Sterben. Eine derartige Hilfe durch schmerzstillende oder -vermindernde Maßnahmen ist durch die Einwilligung des Betroffenen gerechtfertigt, auch wenn sie zu einer Beeinträchtigung des Bewußtseins des Betroffenen führt. Verweigert der Betroffene hingegen die Einwilligung, so ist die entsprechende Maßnahme rechtswidrig. Ob der Betroffene Schmerz und Pein auf sich nehmen will, weil er auch im Leid Sinn verwirklicht sieht oder nicht, ist allein von seiner Entscheidimg abhängig. 3. Passive Sterbehilfe Die passive Sterbehilfe bezeichnet den Verzicht auf lebensverlängernde Theraphie oder die Einstellung einer begonnenen lebensverlängernden Theraphie. Hat ein Arzt die Behandlung eines Patienten übernommen, so ist er grundsätzlich verpflichtet, das ihm Mögliche zu tun, um das Leben des Patienten zu erhalten, und zwar auch dann, wenn feststeht, daß die lebensverlängernden Maßnahmen das Ende nur um einen absehbaren Zeitraum hinausschieben. Unterläßt der Arzt eigenmächtig diese Lebenserhaltung vorsätzlich oder fahrlässig, so kann er für die dadurch begründete Lebensverkürzung wegen eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Tötungsdelikts durch Unterlassen haftbar sein. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß die Achtung der Würde der Person in bestimmten Situationen einer Hinauszögerung des Sterbeprozesses bis zum Eintritt des Todes entgegensteht, dann nämlich, wenn das Grundleiden eines Kranken irreversibel ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. 114 a) Passive Sterbehilfe im Einverständnis mit dem Betroffenen aa) Ist sich der Patient seiner Lage bewußt und bringt er klar zum Ausdruck, daß er weitere lebensverlängernde Maßnahmen oder die Einleitung einer neuen Theraphie, die Vornahme einer Operation o.ä., nicht wünscht, so bindet sein Wille auch den behandelnden Arzt. Die mit der Übernahme der Behandlung begründete Garantenposition des Arztes dem Patienten gegenüber ändert die Sach- und Rechtslage nicht. Durch Betrauung des Arztes mit der Behandlung räumt der Patient dem Arzt den zur Durchfuhrung der übernommenen Aufgabe nötigen tatsächlichen Einfluß- und Herrschaftsbereich ein. Mit der Übernahme der Behandlung entsteht eine "Beschützergarantenstellung" des Arztes gegenüber dem Patienten. Die Garantenpflicht ist auf Hilfe gegenüber dem Patienten angelegt und in Umfang und Existenz abhängig vom Willen des Patienten. Sie berechtigt nicht zu einer Bevormundung des Patienten oder gar zu körperlichen Eingriffen gegen seinen Willen. Der Versuch, den Prozeß des Sterbens gegen den Willen des Betroffenen zu beeinflussen, ist der Versuch, den eigenen Tod des Betroffenen durch einen 114 BGH IStR 357/94 v. 13.9.1994 (Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).

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fremdbestimmten Tod zu ersetzen. Der Arzt, der sich über den Willen des Betroffenen hinwegsetzt, handelt rechtswidrig.115 bb) Die Entscheidung des Betroffenen bindet auch dann noch, wenn der Betroffene bewußtlos geworden ist oder einen eigenverantwortlichen Willen nicht mehr bilden kann. Seine Willensentscheidung sollte nämlich gerade auch diese Situation seinem Willen gemäß gestalten. cc) Ob der Behandlungsabbruch durch positives Tun - z B. Abschalten des Reanimationsgeräts - oder durch Unterlassen - weitere therapeutische Maßnahmen werden nicht ergriffen - erfolgt, ist rechtlich irrelevant. Die Einstellung der Behandlungsmaßnahmen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten ist rechtmäßig, denn dieses Verhalten realisiert das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, sein Grundrecht auf Behandlungsfreiheit.116 Das Abschalten eines Geräts, um eine Behandlung abzubrechen oder zu beenden, ist keine Unterlassung, sondern positives Tun. 117 Wenn in der Lehre gleichwohl versucht wird, dieses Tun in ein Unterlassen umzudeuten118, so ist die Motivation - Begründung eines Unterschieds zur sog. aktiven Sterbehilfe - zwar anerkennenswert, aber weder dogmatisch notwendig, da es allein auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens ankommt, noch begrifflich haltbar, denn mit der Einführung des "Unterlassens durch Tun" wird der begriffliche Unterschied zwischen Tun und Unterlassen aufgehoben.119 b) Passive Sterbehilfe durch Behandlungsverzicht oder -abbruch Ist eine Entscheidung des Betroffenen über die Fortführung oder Aufnahme einer Therapie nicht möglich, weil der Betroffene nicht oder nicht mehr in der Lage ist, eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben, so muß der Arzt die Entscheidung selbstverantwortlich treffen. Er hat dabei zu prüfen, ob Anhaltspunkte für den Willen des Betroffenen 115 Vgl. im einzelnen dazu BGHSt 37 S. 376; BADE Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht, 1988, S. 140 ff; BAUMANN JZ 1975 S. 202 f; BUSCHENDORF Die strafrechtliche Problematik der Euthanasie und der Freigabe "lebensunwerten Lebens", in: Valentin (Hrsg.), Die Euthanasie, 1969, S. 59; v. DELLINGSHAUSEN Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes, 1981, S. 360 ff; ENGISCH Dreher-Festschrift, S. 322 ff; DERS. Bockelmann-Festschrift, S. 534; GEILEN Euthanasie und Selbstbestimmung, 1975, S. 12 f; GIESEN JZ 1990 S. 929 ff; HANACK Gynäkologe 1982 S. 109 f; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 796 Fn. 68; JÄHNKE LK, Vor § 211 R d n . 13; ARTHUR KAUFMANN J Z 1982 S. 485; KREY B.T. 1, Rdn. 9; LACKNER StGB, V o r § 211 R d n . 8; OTTO Recht

auf den eigenen Tod?, Gutachten zum 56. Dt. Juristentag, 1986, D 38 Fn. 86 m.w.N.

116 Vgl. auch: LG Ravensburg NStZ 1987 S. 229 mit Anm. HERZBERG JZ 1988 S. 185 ff, OTTO JK 87, StGB, § 216/3, ROXIN NStZ 1987 S. 348 ff, und eingehender rechtlicher Würdigung von STOFFERS MDR 1992 S. 621 ff, 625 ff; TRÖNDLE Göppinger-Festschrift, S. 595 ff. 117 Vgl. BAUMANN/WEBER A.T., § 18 N 1; BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, 1968, S. 112, 125 Fn. 45; DERS. W M W 1976 S. 149; MAURACH/GÖSSEL/ZLPF A . T . 2 , § 45 R d n . 32; JÄHNKE LK, V o r

§211 Rdn. 16; JESCHECK A.T., §58 II 2; LANGER Rechtliche Aspekte bei der Sterbehilfe, in: Kruse/Wagner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität, 1986, S. 123 f; RUDOLPHI SK, Vor § 13 Rdn. 47; SAMSON Welzel-Festschrift, S. 601 f; SAX JZ 1975 S. 137 ff; STRATENWERTH SchwZStR 95 (1978) S. 67; ZIMMERMANN N J W 1977 S. 2104. 118 So BOTTKE Z E E 1981 S. 126; DREHER/TRÖNDLE Vor § 211 Rdn. 17; ENGISCH Gallas-Festschrift,

S. 177 f; ESER Sterbehilfe und Euthanasie in rechtlicher Sicht, in: Eid (Hrsg.), Euthanasie oder soll man auf Verlangen töten, 1975, S. 60; GEILEN FamRZ 1968 S. 126 Fn. 35; DERS. JZ 1968 S. 151; DERS. Heinitz-Festschrift, S. 383 Fn. 22; HANACK Gynäkologe 1982 S. 112; KREY B.T.l, Rdn. 11; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 41; ROXIN Engisch-Festschrift, S. 396 ff; SCHMIDHÄUSER A . T . , Stub., 12/54.

119 Dazu eingehend: OTTO Gutachten, D 42 ff.

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auffindbar sind. Sind derartige Anhaltspunkte - z.B. eine frühere schriftliche Erklärung des Betroffenen - vorhanden, so hat er diese Willensäußerung bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Zu beachten ist aber, daß ein - insbesondere älteres - Patiententestament als solches keine bindende Wirkung hat. 120 Der Arzt ist verpflichtet, zu prüfen, ob Anhaltspunkte gegen den ursprünglich geäußerten Willen sprechen.121 Fehlen Anhaltspunkte für den Willen des Patienten, so ist grundsätzlich von der Pflicht des Arztes, den Prozeß des Sterbens hinauszuzögern, auszugehen.122 Steht jedoch fest, daß die Verlängerung des Sterbeprozesses mit Schmerzen verbunden ist, die ein bewußtes Erfassen der Umwelt, geschweige denn eine Auseinandersetzung mit ihr, unmöglich machen, so endet die Pflicht des Arztes, das Leben zu erhalten. Gleiches gilt, wenn der irreversible Bewußtseinsverlust eingetreten ist oder durch eine mögliche Operation eintreten würde.123 c) Passive Sterbehilfe gegen den Willen des Betroffenen Die grundsätzliche Pflicht des Arztes zur Erhaltung und/oder Verlängerung des Lebens endet auch gegen den Willen des Betroffenen, wenn die Todesursache definitiv gesetzt und der Bewußtseinsverlust nachweislich irreversibel ist. Die Erhaltung eines "personal entleerten Gefäßes des Humanuni" (THIELICKE), das selbst nicht mehr Subjekt, sondern nur noch Objekt sein kann, in der Situation definitiv gesetzter Todesursache, bedeutet nicht mehr Achtung der Würde der Person des Betroffenen, sondern Verletzung seiner Personenwürde durch Verweigerung des ihm als Person eigenen Todes.124 4. Aktive Sterbehilfe a) Begriff der aktiven Sterbehilfe Aktive Sterbehilfe ist die bewußte Verkürzung des verlöschenden Lebens durch aktive über den Behandlungsabbruch hinausgehende - Einflußnahme auf den Krankheitsprozeß. Als Tathandlung kommt nur aktives Tun in Betracht. Das Selbstbestimmungsrecht des aufgeklärten und im Rechtssinne frei verantwortlichen Betroffenen entbindet Garanten von ihrer Handlungspflicht. - Ist der Wille des Betroffenen hingegen nicht im Rechtssinne frei, so fehlt es an einem rechtlich bedeutsamen "ausdrücklichen und ernstlichen 120 Soweit dem Patiententestament Bindungswirkung zuerkannt wird, vgl. STERNBERG-LIEBEN NJW 1985 S. 2735 ff, wird verkannt, daß eine existentielle Entscheidung stets durch die Situation geprägt ist, so daß die Möglichkeit, eine Willensänderung zu berücksichtigen, nicht ausgeschlossen werden darf. 121 Vgl. dazu auch: Richtlinien der Bundesärztekammer für die Sterbehilfe, MedR 1985 S. 38; Resolution zur Behandlung Todkranker und Sterbender der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Der Chirurg 1979 S. 273; ACHENBACH in: Ochsmann (Hrsg.), Lebens-Ende, 1991, S. 151 f; DEUTSCH NJW 1979 S. 1907 ff; GIESEN J Z 1990 S. 938 ff; OTTO Gutachten, D 41 m . w . N . in F n . 92; ROXIN Wel-

zel-Festschrift, S. 469. 122 Vgl. auch BGH IStR 357/94 v. 13.9.1994 (Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). 123 Dazu im einzelnen: Bottke ZEE 1981 S. 126; v. Dellingshausen S. 425 f; Eser in: Eid, Euthanasie, S. 59 f; Geilen Euthanasie S. 20 f; Hanack Gynäkologe 1982 S. 110 f; Otto Gutachten, D 51 m.w.N. inFn. 116. 124 Vgl. BOTTKE ZEE 1981 S. 123 ff; ESER Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch in rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 1977, S. 130 f; DERS. Grenzen der Behandlungspflicht aus juristischer Sicht, in: Lawin/Huth (Hrsg.), Grenzen ärztlicher Aufklärungs- und Behandlungspflicht, 1982, S. 87 f; HANACK Gynäkologe 1982 S. 109 f; JÄHNKE L K , V o r § 211 Rdn. 20; KREY B . T . l , Rdn. 8 f; OTTO Gutachten, D 37 m . w . N . in F n . 80.

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Verlangen" i.S. des § 216 StGB und das Verhalten kann als vorsätzliche Tötung nach §§ 212, 211 relevant werden. 125 b) Schmerzlindernde, lebensverkürzende Sterbehilfe Auch wenn die Sterbehilfe das Sterben nur erleichtern soll, dabei aber eine Lebensverkürzung bewußt in Kauf genommen wird (sogenannte indirekte Sterbehilfe), liegt ein Fall aktiver Sterbehilfe vor. Gleichgültig, ob der Handelnde die lebensverkürzende Wirkung seiner Maßnahmen nur als Nebenwirkung ansieht oder nicht, er handelt vorsätzlich, wenn er das konkrete Risiko der Lebensverkürzung erkannt hat oder die Lebensverkürzung sogar als unvermeidliche Begleiterscheinung seiner für geboten erachteten schmerzlindernden Therapie ansieht.126 Es ist auch nicht möglich, das Verhalten in diesen Fällen aus dem Schutzbereich der Tötungsdelikte zu eliminieren, denn die Tötungshandlung steht hier außer Frage. 127 In Betracht kommt in diesen Fällen jedoch eine Rechtfertigimg über § 34 StGB, weil die Achtung der menschlichen Würde die lebensverkürzende Schmerzlinderung legitimiert. Bedrohen Schmerz, Pein und Qual den Einzelnen in der Situation definitiv gesetzter Todesursache derart, daß ihm eine geistige Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und/oder sich selbst nicht mehr möglich ist, weil der Schmerz das Bewußtsein überlagert, so kann der Arzt das höhere Interesse wahrnehmen, wenn er die zur Schmerzlinderung erforderlichen Maßnahmen trifft, selbst wenn diese nicht nur mit der abstrakt möglichen, sondern mit der konkreten Gefahr einer sicheren Lebensverkürzung verbunden sind. Die Achtung der menschlichen Würde auch im Sterben kann diese Hilfe legitimieren, deren Maß und Umfang vom Erfordernis der zur Schmerzlinderung unabweisbar nötigen Maßnahmen bestimmt wird. Sie ermöglicht es dem Betroffenen, als Person zu sterben, nicht aber als ein nur noch vom Schmerz beherrschtes Wesen, das sich seiner selbst nicht mehr bewußt werden kann. 128 c) Beendigung von Leiden durch Tötung Eine grundsätzliche Rechtfertigung einer Tötung aus Barmherzigkeit - auch in hoffnungslosen Fällen -, kommt nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers in § 216 nicht in Betracht. Auch wenn einem Arzt eine weitere Schmerzlinderung immöglich ist, so geht er über den Heilauftrag hinaus, wenn er den Todkranken tötet, um 125 Vgl. auch: BOCKELMANN Strafrecht, B.T./2, § 4 II 2 a; DETERING JUS 1983 S. 419; SCH/SCH/ESER

Vorbem. §§211 Rdn. 28; 216 Rdn. 10; KREY B.T.l, Rdn. 12 f; LACKNER StGB, Vor §211 Rdn. 15.

126 Vgl. dazu auch: ESER in: Auer/Menzel/Eser, S. 88; GEILEN Bosch-Festschrift, S. 283; HANACK in: Hiersche (Hrsg.), Euthanasie, 1975, S. 132, 147; DERS. Gynäkologe 1982 S. 113; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 15 in Verb, mit Rdn. 17; KREY B . T . l , Rdn. 12 ff; OTTO Gutachten, D 54 f f . - A . A .

BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 25, 70.

127 Vgl. dazu OTTO Gutachten, D 55. - A.A. JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 15 in Verb, mit Rdn. 17; KREY B.T.l, Rdn. 14 ff; WESSELS B.T.-l, Rdn. 26. 128 Dazu vgl. auch: BADE Arzt, S. 111 ff; BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 55 ff; v. DELLINGSHAUSEN S. 185 ff; ENGISCH Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens in strafrechtlicher Beleuchtung, 1948, S. 5 f; ESER in: Auer/Menzel/Eser S. 89 f; GEILEN Euthanasie, S. 23, 26; GIESEN J Z 1990 S. 935 f; HANACK Gynäkologe 1982 S. 113; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 795; HORN SK, § 212 Rdn. 26; LANGER Aspekte, S. 145; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 1

Rdn. 38; MÖLLERING Schutz des Lebens - Recht auf Sterben, 1977, S. 30 ff; OTTO Gutachten, D 56 ff; ROXIN Der Schutz des Lebens aus der Sicht des Juristen, in: Blaha u.a. (Hrsg.), Schutz des Lebens - Recht auf Tod, S. 87 f; SCHREIBER Beiträge zur gerichtlichen Medizin 33 (1975) S. 40; SlMSON Schwinge-Festschrift, S. 110; WIMMER FamRZ 1975 S. 438 f.

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dessen Leiden ein Ende zu bereiten. Auch in dieser Situation wird aber nicht ausnahmslos das Unrecht eines Tötungsdelikts verwirklicht. In seltenen Ausnahmesituationen kann die Achtung menschlicher Würde der Achtung des Lebens vorgehen, weil der Sterbeprozeß in ein Stadium gelangt ist, in dem der Schmerz jeden anderen Bewußtseinsinhalt verdrängt und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der Betroffene der Unerträglichkeit der Schmerzen erliegt. Fall: Ein Lastkraftwagenfahrer und sein Beifahrer waren mit dem Lastkraftwagen unterwegs. Es kam zu einem Unfall, der Wagen geriet in Brand. Der Fahrer, der hinter dem Steuerrad eingeklemmt war, begann am lebendigen Leib zu verbrennen. Der nur leicht verletzte Beifahrer hatte keine Chance, den Fahrer herauszuziehen oder sonst aus seiner Situation zu befreien. Nachdem die Brandverletzungen einen tödlichen Grad erreicht hatten und dem um Erlösung flehenden Fahrer die Stimme bereits versagte, erschlug der Beifahrer den Fahrer.

In derart extremen Ausnahmesituationen kommt eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht.129 5. Zum Sterbenlassen Schwerstgeschädigter Neugeborener (Friiheuthanasie) Auch das schwerstgeschädigte, mißgebildet geborene Kind hat als Träger der Menschenwürde Lebensrecht. In Ausnahmesituationen kann aber auch hier die Pflicht, das Leben des Kindes zu erhalten, unter dem Gesichtspunkt der Achtung menschlicher Würde begrenzt sein. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist hier, ob dem Kind eine Lebensverlängerung zugemutet werden kann, ob sinnvolles Leben überhaupt zu ermöglichen ist. Die "Einbecker Empfehlung" der Akademie für Ethik in der Medizin, Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht stellt hier zutreffend darauf ab, daß die ärztliche Behandlungspflicht nicht allein durch die Möglichkeiten der Medizin bestimmt wird, sondern ebenso an humanethischen Beurteilungskriterien und am Heilauftrag des Arztes auszurichten ist. Eine Ausschöpfung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten wird abgelehnt, "wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erfahrungen und menschlichem Ermessen das Leben des Neugeborenen nicht auf Dauer erhalten werden kann, sondern ein in Kürze zu erwartender Tod nur hinausgezögert wird". - Ein Beurteilungsrahmen für die Indikation von medizinischen Behandlungsmaßnahmen wird dem Arzt eingeräumt, "wenn diese dem Neugeborenen nur ein Leben mit äußerst schweren Schädigungen ermöglichen würden, für die keine Besserungschancen bestehen. Es entspricht dem ethischen Auftrag des Arztes zu prüfen, ob die Belastung durch gegenwärtig zur Verfügung stehende Behandlungsmög-

129 Vgl. dazu BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 64 f; GEILEN Euthanasie, S. 26 ff; DERS. Bosch-Festschrift, S. 288; GIESEN JZ 1990 S. 935; HEINITZ Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 1970, S. 17; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 795 f; OTTO Gutachten, D 60 f, M.w.N.

in Fn. 144. - Gegen eine Rechtfertigung: BADE Arzt, S. 116 ff, 124 f; BAUMANN JZ 1975 S. 202;

BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 24; DERS. B . T . / 2 , § 2 II 3; BOTTKE Z E E 1981 S. 121 ff;

ESER Suizid, S. 400; DERS. in: Auer/Menzel/Eser, S. 91; GÖSSEL B . T . l , § 2 Rdn. 29; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 14 f; KREY B.T.l, Rdn. 14; LACKNER StGB, Vor § 211 Rdn. 7; LANGER Aspekte,

S. 119 f; ROXIN in: Blahau.a., Schutz, S. 93; WESSELS B.T.-l, Rdn. 27. - Für eine Entschuldigung:

v. DELLINGSHAUSEN S. 337 ff, 353; LANGER Aspekte, S. 122 f; RUDOLPHI Welzel-Festschrift,

S. 628.

§ 6: Tötung auf Verlangen

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lichkeiten die zu erwartende Hilfe übersteigt und dadurch der Behandlungsversuch ins Gegenteil verkehrt wird". 130

III. Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung 1. Suizid und Mitwirkung Dritter Wie unter § 6 I 2 a) dargelegt, ist die Tathandlung des § 216 die täterschafitliche Tötung eines anderen. Daraus folgt: a) Hat der die Tötung Verlangende allein die Tatherrschaft über den unmittelbar das Leben beendenden Akt inne, so stellt sich die Tat als Suizid dar. Mitwirkende an der Tat sind nicht wegen eines Tötungsdelikts strafbar. Es fehlt an der Haupttat. b) Auch eine Haftung wegen fahrlässiger Tötung entfällt, wenn der Dritte durch fahrlässiges Verhalten den Selbstmord ermöglicht oder unterstützt hat. 131 c) Ist der Willensentschluß des Suizidenten nicht als freiverantwortlich anzusehen, weil er die Situation in ihrer Bedeutung verkennt, sich in einer Notstandssituation befindet oder es an seiner Einsichtsfähigkeit mangelt, so macht sich ein Dritter, der dies erkennt und dennoch aktiv an der Selbsttötung mitwirkt, sei es, daß er den fehlerhaften Suizidentschluß hervorruft oder daß er dem Suizidenten das Tötungsmittel verschafft, der Tötung des Suizidenten in mittelbarer Täterschaft durch das Opfer selbst schuldig.132 d) Eine Garantenpflicht zur Hinderung der Selbsttötung eines frei verantwortlich Handelnden besteht nicht. Auch die Garantenpflichtposition von Lebensschutzgaranten findet ihre Grenze an der frei verantwortlichen Entscheidung des Suizidenten, denn die Garantenposition begründet keine "Vormundschaftsstellung" gegenüber dem zu Schützenden. 133

130 Vgl. "Einbecker Empfehlung", Perinatal Medizin 1992 S. 126 f. - Zur Diskussion im einzelnen vgl. GIESEN J Z 1990 S. 941; HANACK M e d R 1985 S. 3 3 f f ; ARTHUR KAUFMANN J Z 1 9 8 2 S. 4 8 5 ; R .

PETERS Der Schutz des neugeborenen insbesondere des mißgebildeten Kindes, 1988, S. 242 ff; R. SCHMITT Klug-Festschrift, Bd. 2, S. 335. 131 So auch: BGHSt 24 S. 342; zustimmend: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 60; DÖLLING GA 1984 S. 71 ff; VAN ELS NJW 1972 S. 1476 f; HERZBERG Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 102; HORN S K , § 2 1 2 R d n . 2 1 ; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 2 3 ; R Ö H N Gallas-Festschrift, S. 2 4 5 ;

SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 211 ff Rdn. 35. - Kritisch: GEILEN JZ 1974 S. 145; KOHLHAAS JR 1973 S. 5 3 ; DERS. N J W 1973 S. 5 4 8 ; WELP J R 1972 S. 4 2 7 .

132 Dazu vgl. BGHSt 32 S. 38 mit Anm. ROXIN NStZ 1984 S. 71 und SCHMIDHÄUSER JZ 1984 S. 195 f; BOCKELMANN B . T . / 2 , § 2 1 2 ; BOTTKE G A 1983 S. 3 1 ff; DREHER/TRÖNDLE V o r § 2 1 1 R d n . 5; ENGISCH Euthanasie, S. 12; HERZBERG Täterschaft, S. 3 9 f f ; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 2 9 ; MUNOZ

CONDE ZStW 106 (1994) S. 562 f; OTTO Gutachten, D 65; SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 211 ff Rdn. 37; WESSELS B.T.-l, Rdn. 43.

133 Vgl. auch: OLG München NJW 1987 S. 2940; ARZT in: Arzt/Weber LH 1, Rdn. 192 ff; BOCKELMANN B . T . / 2 , § 2 I 2 a; BOTTKE G A 1983 S. 3 3 ; BRAMMSEN D i e E n t s t e h u n g s v o r a u s s e t z u n g e n d e r

Garantenpflichten, 1986, S. 163 f, 211 f; DREHER/TRÖNDLE Vor § 211 Rdn. 6; ENGISCH DreherFestschrift, S. 309; HIRSCH Welzel-Festschrift, S. 792; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 24; LACKNER StGB, Vor § 211 Rdn. 15; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 22; ROXIN DreherFestschrift, S. 349; SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 211 Rdn. 41. - A.A. BGHSt 32 S. 378 f (3. Senat) zurückhaltender aber der 2. Senat, NJW 1988 S. 1532 -; BRINGEWAT JuS 1975 S. 155 ff; DERS. ZStW 87 (1975) S. 637; GEILEN JZ 1974 S. 153 ff; HERZBERG JA 1985 S. 177 ff; KUTZER MDR 1985 S. 712 ff; SCHMIDHÄUSER Welzel-Festschrift, S. 819 ff.

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Delikte gegen das Leben

aa) Die Voraussetzungen einer auf Fürsorge gerichteten Garantenpflicht sind hier nicht niedriger anzusetzen als sonst, insbesondere ist es nicht sachgerecht, die in § 20 StGB aufgerichteten Schranken für einen auf Krankheit beruhenden Verantwortungsausschluß hier nicht zu beachten und den Suizidenten aufgrund seines Entschlusses zum Suizid als nicht frei verantwortlich Handelnden anzusehen. Untersuchungen in den USA haben zwar zu dem Ergebnis geführt, daß - je nach Studie - zwischen 93 und 100 % der Suizidenten unter Depressionen (rund 80 %), Alkoholismus (10 - 20 %) oder Schizophrenie (bis zu 10 %) litten. In diesen Fällen war jedoch nicht zwingend die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen. Wesentlich war vielmehr, daß aufgrund der Depressionen das eigene Leben, die Welt und die Zukunft völlig negativ und hoffnungslos erschienen.134 Wenn in der Literatur demgegenüber davon ausgegangen wird, daß rund 95 % aller Suizidenten nicht frei verantwortlich handeln135, so wird hier die krankhafte, seelische Entwicklung mit dem Verantwortungsausschluß identifiziert. bb) Eine Garantenpflicht zur Verhinderung der Selbsttötung aus natürlicher Verbundenheit mit dem Opfer (Ehe, Verlobung, Freundschaft) entsteht auch dann nicht, wenn der Suizident die Situation nicht mehr beherrscht, weil er bereits ein Opfer seiner selbst geworden ist. Ursprünglich hatte der BGH eine umfassende Garantenpflicht zur Abwendung des Selbstmordes bejaht. 13*> Später tendierte die Rechtsprechung dahin, eine Garantenpflicht nur noch anzunehmen, wenn der Suizident bereits ein Opfer seiner selbst geworden war, z.B. hilflos in der Schlinge h i n g ' 3 ' oder nach Gifteinnahme das Bewußtsein verloren hatte. Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Konstruktion finden sich jedoch schon in BGHSt 13 S. 162: Die Schwiegermutter des A mochte nicht mehr im Altersheim leben. A wollte sie nicht bei sich aufnehmen. Darauf erklärte die S, sie wolle aus dem Leben scheiden und in die Kerspe-Sperre gehen. A nahm dieses nicht ernst. Als sie aber an einem Teich vorbeikamen und S sagte, sie wolle hier ihr Leben beenden, erbot sich A, ihr einen besser geeigneten Teich zu zeigen. Dann fahrte A die S zum Kronenberger Hammerteich, und sie setzten sich in der Nähe nieder. Später ging S auf den Staudamm zu, setzte sich dort hin und ließ die Beine ins Wasser hängen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte A zum ersten Mal ernstlich, daß die S vorhatte, sich das Leben zu nehmen. Er ging hinter ihr her auf den Damm. Die S forderte ihn auf, sie hineinzustoßen. Ob sie das wirklich wollte, oder ob sie es nur sagte, um den A zum Widerspruch zu veranlassen und ihn zu bewegen, sie wieder zu Hause aufzunehmen, konnte nicht festgestellt werden. Der A kam dieser Aufforderung nicht nach, fühlte sich jedoch dadurch aufgefordert, ihre Selbsttötung mindestens nicht zu verhindern. Die S wiederholte die Aufforderung, sie hineinzustoßen, noch zweimal. Sie geriet dann ins Wasser. Wie das geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden. Sie starb durch Ertrinken. Außer dem A war niemand sonst zugegen. BGH: § 216 liegt nicht vor, weil A die Situation nicht beherrschen wollte. In Betracht kommt allein eine Haftung gemäß § 323 c; dazu weiter unter 2.

cc) Die Garantenpflicht von Lebensschutzgaranten entfaltet hingegen ihre volle Wirksamkeit, wenn der Suizident nicht frei verantwortlich im Rechtssinne handelt, sei es, daß der Suizident nicht schuldfähig ist oder aber in einem Irrtum über die Situation befangen ist und der Garant dieses weiß. 138 134 Dazu im einzelnen: HÄFNER Psychiatrie, Neurologie und Medizinische Psychologie 1989 S. 449 ff; vgl. auch: J.-E. MEYER MedR 1985 S. 210 ff. 135 JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 29; LANGER Aspekte, S. 118.

136 BGHSt 2 S. 150. 137 B G H J R 1961 S. 28 f mit Anm. HEINITZ S. 29 f.

138 Vgl. dazu BGH NStZ 1984 S. 73; OTTO/BRAMMSEN Jura 1985 S. 539 f.

§ 6: Tötung auf Verlangen

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dd) Hat ein Dritter sich entschlossen, den Suizidenten zu retten, und leitet einen rettenden Kausalverlauf ein, so haftet er für Schäden, die sich aus seinem Verhalten ergeben. Er kann sich nicht nachträglich auf den Selbsttötungswillen des Betroffenen berufen. Auch ein Arzt, der die rettende Behandlung eines Suizidenten übernommen hat, ist nach Aufnahme der Behandlung in einer Garantenposition.139 ee) Gibt der Suizident zu erkennen, daß er an seinem Selbsttötungsplan nicht mehr festhält, vermag er selbst aber den eingeleiteten Kausalverlauf nicht mehr zu unterbrechen, so befindet er sich in einer lebensgefährlichen Situation. - Hier gelten für die Haftung von Garanten die allgemeinen Grundsätze. Der Fall unterscheidet sich nicht von dem Fall, daß der Garant es nicht verhindert, daß sein Schützling Opfer eines Unfalles wird. - Stellt der Garant sich irrig eine derartige Situation vor, liegt ein Tötungsversuch vor. ff) Auch im Falle des Hungerstreiks gelten diese Grundsätze uneingeschränkt.140 Wer den Hungerstreik bewußt und im Rechtssinne verantwortlich als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele einsetzt, ist sich der eigenen Lebensgefährdung bewußt. Insoweit unterscheidet sich seine Situation nicht von der des Suizidenten.141 Mit der Begründung einer konkreten Gefahr für das eigene Leben ist auch hier ein Unglücksfall i.S. des § 323 c gegeben. Zumutbare Hilfe in dieser Situation kann aber nur die Aufklärung sein, daß den Forderungen nicht nachgegeben wird. Gerät der Drohende allerdings in Vollzug seines Planes in eine Lage, in der er nicht mehr fähig ist, einen rechtsverbindlichen Willen zu äußern, so wandelt sich - situationsbedingt - die zumutbare Hilfeleistung. Entsprechend der zumutbaren Hilfeleistung bei einem Suizid kann hier auch eine Lebensrettung in Betracht kommen; dazu unter 2. e) Im Falle des sog. einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes - zwei Menschen wollen gemeinsam aus dem Leben gehen, einer von beiden stirbt bei dem Unternehmen, der andere wird gerettet - liegt gleichsam eine Selbsttötung in Mittäterschaft vor. Überlebt einer der beiden Selbstmordkandidaten, so haftet er nicht wegen einer Tötung des anderen. Die Rechtsprechung ist bisher nicht bereit, von der gemeinsamen Tatherrschaft der zur Selbsttötung Entschlossenen auszugehen, sondern spaltet die gemeinsame Tatherrschaft auf. BGHSt 19 S. 13S ff: A und B wollten gemeinsam aus dem Leben gehen. Sie wollten sich vergiften, indem sie die Auspuffgase des Kraftfahrzeugs, in dem sie saßen, in das Wageninnere leiteten. A betätigte das Gaspedal. B wurde zuerst ohnmächtig, dann A. Als A und B gefunden wurden, gelang es: 1. Alternative: das Leben von B noch zu retten. - BGH: keine Bestrafung der B, da B nicht die Tatherrschaft Aber das Geschehen im entscheidenden letzten Augenblick innehatte. 2. Alternative: das Leben von A noch zu retten. - BGH: Da A im entscheidenden letzten Augenblick die Tatherrschaft innehatte, haftet er nach § 216.

Durch die Aufspaltung der gemeinschaftlich verwirklichten Selbsttötung in eine Tötung auf Verlangen und eine anschließende Selbsttötung werden tatsächliche Zufälligkeiten 139 Dazu vgl. BayObLG NJW 1973 S. 565; BRINGEWAT NJW 1973 S. 540 ff; GEILEN JZ 1973 S. 320 ff. 140 Zum Hungerstreik Inhaftierter vgl. §§ 101, 178 StVollzG sowie OLG Stuttgart NJW 1977 S. 1461; O L G K o b l e n z J R 1 9 7 7 S . 4 7 1 m i t A n m . WAGNER S. 4 7 3 ; BAUMANN Z R P 1 9 7 8 S . 3 5 f .

141 Umfassend zum Gefangenensuizid: HERZBERG ZStW 91 (1979) S. 557 ff; MICHALE Recht und Pflicht zur Zwangsernährung bei Nahrungsverweigerung in Justizvollzugsanstalten, 1983; OSTENDORF Das Recht zum Hungerstreik, 1983; TRÖNDLE Kleinknecht-Festschrift, S. 411 ff.

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Delikte gegen das Leben

wer betätigt das Gaspedal, wo werden die Auspuffgase in das Fahrzeuginnere geleitet entscheidend für die rechtliche Wertung. Das ist sachwidrig. Hier liegt ein Fall mittäterschaftlicher Verwirklichung des Todes zweier Personen vor. Beide Partner verwirklichen gemeinsam ihre Selbsttötung. Diesen Erfolg streben sie arbeitsteilig an, so daß sie Mitträger der Tatherrschaft über das Geschehen bleiben.142 2. Der Suizid als Unglücksfall i.S. des § 323 c Unabhängig von der Problematik des § 216 ist die Frage, ob der Suizid als "Unglücksfall" i.S. des § 323 c anzusehen ist. a) Wer den Unglücksfall als plötzliches, äußeres Ereignis, das erheblichen Schaden an Leib und Leben eines anderen zu bringen droht, interpretiert, kommt zu dem Ergebnis, daß der Suizid keinen Unglücksfall darstellt. Er ist kein plötzlich eintretendes äußeres Ereignis.143 b) Wird hingegen der Unglücksfall als eine Notsituation definiert, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, wenn er nicht schweren Schaden an Leib oder Leben nehmen will, so ist auch der Suizid Unglücksfall. Für die Sachgerechtigkeit dieser Definition spricht, daß die Beschränkung auf ein plötzliches, äußeres Ereignis willkürlich erscheint, da ein Verschulden des Täters am Eintritt dieses Ereignisses nach einhelliger Ansicht irrelevant ist. Nicht an Äußerlichkeit oder Innerlichkeit eines Ereignisses kann die Solidaritätspflicht anknüpfen, sondern an die Ausweglosigkeit der Situation für den Betroffenen. Und zwar ist die Unglückssituation in dem Moment gegeben, in dem der Betroffene Handlungen ins Werk setzt, die im ununterbrochenen Fortgang zur Selbsttötung führen sollen.144 c) Problematisch jedoch ist die Zumutbarkeit der Hilfeleistung im Falle des Suizids. Zumutbar ist eine Hilfeleistung nämlich zum einen dann, wenn mit ihr ohne erhebliche Gefährdung eigener Rechtsgüter die Suizidgefahr beseitigt wird. Zum anderen ist aber auch der Suizident als Person zu achten. Unzumutbar sind daher langandauernde Freiheitsentziehung oder eine über längere Zeit sich erstreckende oder mehrmals wiederholte "Zwangsernährung" eines die Nahrungsaufnahme verweigernden Suizidenten. Hier handelt es sich bereits um nicht mehr akzeptable Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts und der körperlichen Integrität des Betroffenen, die daher über der Zumutbarkeitsgrenze liegen.145 d) Befindet sich der Suizident in einer Situation irreparabler schwerer körperlicher Schäden, die die psychische Grundstruktur des Betroffenen so schwer beeinträchtigen, daß seine Personalität auf Dauer in erheblichem Maße reduziert ist, so begrenzt dieses die Hilfspflicht. Hilfe kann nicht die Belastung mit einem Weiterleben sein, das durch 142 Vgl. BOCKELMANN B . T . / 2 , § 4 II 3; FRIEBE G A 1959 S. 168 f; OTTO Tiöndle-Festschrift, S. 164 f f ;

ROXIN Täterschaft, S. 570; SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 578 ff. 143 So im Ergebnis: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 313 ff; BRAMMSEN Entstehungsvoraussetzungen, S. 164; BRÄNDEL Z R P 1985 S. 92; DREHER/TRÖNDLE § 323 c R d n . 3; RUDOLPHI SK, § 323 c R d n . 8; SCH/SCH/CRAMER § 323 c Rdn. 7 .

144 So im Ergebnis: BGHSt 6 S. 149; 13 S. 169; OLG München NJW 1987 S. 2940; DÖLLING NJW 1986 S. 1013; JÄHNKE LK, V o r § 211 R d n . 24; OTTO Gutachten, D 7 6 ff; SCHMIDHÄUSER B . T . ,

16/5. - Erst bei beendetem Suizidversuch bejahen einen Unglücksfall z.B.: GEILEN Jura 1989 S. 208; LACKNER StGB, § 323 c Rdn. 2. 145 Dazu eingehender OTTO Gutachten, D 80 ff m.w.N.

§ 7: Kindestötung

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schwere körperliche Leiden geprägt oder dem die Möglichkeit personaler Äußerungen genommen ist. In dieser Situation liegt kein Unglücksfall im Sinne des § 323 c vor. 146

IV. Zur Teilnahmeproblematik 1. Beihilfe und Anstiftung durch Dritte Strafbare Anstiftung durch einen Dritten ist durch die Tatsituation des § 216 ausgeschlossen, denn auch wenn ein Dritter das Verlangen dem späteren Täter übermittelt, setzt § 216 voraus, daß der Täter durch das Verlangen, nicht aber die Tätigkeit des Dritten zur Tat bestimmt wird. 147 Beihilfe zur Tat ist möglich. Die Strafe des Gehilfen richtet sich nach § 216, sofern dieser die Voraussetzungen dieses Tatbestandes beim Haupttäter kennt oder irrig annimmt. Bei fehlender Kenntnis haftet er aus § 212. § 28 findet keine Anwendung, da das Verlangen das Unrecht der Tat mindert, nicht aber eine Sonderpflichtposition des Täters begründet.148 2. Teilnahme des Opfers Eine Teilnahme - Anstiftung oder Beihilfe - desjenigen, der die Tötung verlangt, an der Tötung ist konstruktiv durchaus möglich, wenn auch nur in der Versuchssituation relevant. Sie bleibt aber straflos. Die Schuldsituation, die eine Strafbarkeit des versuchten Selbstmordes als sinnwidrig erscheinen läßt, ist dieselbe, gleichgültig, ob der Täter den Selbstmord als Täter begeht oder an der eigenen Tötung teilnimmt. Diese Erwägung verbirgt sich hinter dem üblichen Hinweis, die Teilnahme bleibe als notwendige Teilnahme straflos.149

§ 7: Kindestötung Die Vorschrift trägt der außergewöhnlichen psychischen Situation bei der Geburt Rechnung und privilegiert die nichteheliche Mutter daher aus Schuldgesichtspunkten.150 1. Tatbestandsvoraussetzmgen a) Nichtehelich ist ein Kind, dessen Eltern weder zur Zeit des Beischlafs noch zur Zeit der Geburt in formell gültiger Ehe miteinander verheiratet waren. - Wird eine Ehe später für nichtig erklärt, erstreckt sich die Wirkung der Nichtigkeitserklärung nicht auf den Status des Kindes, § 1591 Abs. 1 S. 1 BGB.

146 Dazu eingehend OTTO Gutachten, D 82 f. 147 HORN S K , § 2 1 6 R d n . 13. - A . A . JÄHNKE L K , § 2 1 6 R d n . 10; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n . 18.

148 Vgl. dazu § 6 I 3 a. 149 D a z u DREHER M D R 1964 S. 3 3 7 ; JÄHNKE L K , § 2 1 6 R d n . 10; OTTO L a n g e - F e s t s c h r i f t , S . 2 1 2 f ; ROXIN L X , V o r § 2 6 R d n . 3 3 ; WOLTER JUS 1982 S. 3 4 3 f f .

150 Grundsätzliche Bedenken gegen die Privilegierung bei SEEG ZStW 102 (1990) S. 292 ff; RUMP/ HAMMER NStZ 1994 S. 69 f. - Dagegen HUSSELS NStZ 1994 S. 526 ff.

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Delikte gegen das Leben

b) Die Tötungshandimg muß in oder gleich nach der Geburt erfolgen. Dieser Zeitraum endet mit dem Abklingen der durch den Geburtsvorgang hervorgerufenen Erregungsphase, die durchaus eine erhebliche Zeit dauern kann.151 2. Irrtum über die Nichtehelichkeit a) Die irrige Annahme der privilegierenden Umstände eröffnet gemäß § 16 Abs. 2 die Anwendung des §217. 152 Dabei ist es imbeachtlich, ob die Täterin einem Tatsachenirrtum unterliegt oder einem Rechtsirrtum, weil sie z.B. nicht weiß, daß die Nichtigerklärung der Ehe den Status des Kindes nicht berührt. b) Kennt die Täterin die privilegierenden Umstände nicht (Täterin glaubt, Kind sei ehelich), so sind die §§ 212, 211 anzuwenden. Kritik: Nicht die Nichtehelichkeit des Kindes ist für die Privilegierung maßgeblich, sondern allein der außergewöhnliche, durch den Geburtsvorgang ausgelöste psychische Erregungszustand. Daher ist die - historisch zu erklärende153 - Differenzierung zwischen der Tötung des nichtehelichen Kindes und der des ehelichen Kindes sachwidrig, auch wenn bei der Tötung eines ehelichen Kindes innerhalb der durch den Geburtsvorgang hervorgerufenen Erregungsphase eine Strafmilderung oder ein Strafausschluß nach §§ 21, 20 in Betracht zu ziehen ist.

§ 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte Problemstellung: Wird die Akzessorietät der Teilnahme gemäß § 28 im Bereich der Tötungsdelikte durchbrochen? Fall 1: A leistet Beihilfe zu einem Mord, den B aus Habgier begeht. Das weifi A, er selbst handelt aber nicht aus Habgier. - Ist A gemäß §§211, 27 oder §§ 212, 27 zu bestrafen? Fall 2: A leistet aus Habgier Beihilfe bei der Tötung des X durch B. B handelt nicht habgierig. - Ist A gemäß §§ 211, 27 oder §§ 212, 27 zu bestrafen?

I. Prämissen der Entscheidung Die jeweilige Stellungnahme wird durch zahlreiche Prämissen innerhalb der Interpretation des § 28 und der §§ 211 ff bedingt. Diese müssen klar erkannt werden, soll die Übersicht nicht verloren gehen. - Im wesentlichen läßt sich differenzieren:

151 H . M . vgl. DREHER/TRÖNDLE § 217 Rdn. 5; HORN SK, § 2 1 7 R d n . 8; LACKNER StGB, § 2 1 7 R d n . 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 68; SCH/SCH/ESER § 217 R d n . 5 . - Auf

den üblicherweise mit dem Geburtsvorgang verbundenen Zeitraum der Erregungsphase stellt ab:

JÄHNKE LK, § 2 1 7 R d n . 6 . - A . A . GÖSSEL B . T . 1, § 6 R d n . 11.

152 Den Rechtsirrtum bewerten hier nur als Verbotsirrtum: DREHER/TRÖNDLE § 217 Rdn. 2. - Als unbeachtlichen Subsumtionsirrtum stufen ihn ein: HORN SK, §217 Rdn. 6; JÄHNKE LK, §217 Rdn. 12. 153 Zur historischen Entwicklung des Tatbestandes: KASTNER NJW 1991 S. 1443 ff.

§ 8 Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte

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1. Persönliche Merkmale i.S. des § 28 als Sonderpflichtmerkmale a) Werden als besondere persönliche Merkmale nur Sonderpflichtmerkmale anerkannt154 und §211 als Qualifizierung des §212 begriffen, so kann § 28 im Rahmen der Tötungsdelikte keine Bedeutung erlangen. Möglich ist es allerdings, eine Ausnahme bei der Heimtücke zu machen. Das besondere Vertrauensverhältnis kann als besonderes Pflichtverhältnis und damit als besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2 interpretiert werden.155 b) Soweit eine Privilegierung innerhalb der Tötungsdelikte allein auf Schuldgesichtspunkten beruht, greift § 29 ein. Beispiel: A leistet der M Beihilfe bei der Tötung ihres nichtehelichen Kindes. M: §217. A: Haupttat: § 217. Zu dieser Haupttat hat A Hilfe geleistet. Grundsätzlich wäre A daher zu bestrafen gemäß §§ 217, 27. Da die schuldmindernde Situation aber in der Person des A nicht vorlag, versagt § 29 die Anwendung des § 217, und A haftet gemäß der eigenen Schuld aus §§ 212, 27. Ergebnis: §§ 217, 27, 29 - > 212, 27.

2. Mordqualifikationen als Schuldelemente Werden die Mordqualifikationen als Schuldelemente und § 211 als Qualifizierung des § 212 angesehen, so braucht man sich mit § 28 überhaupt nicht zu befassen, sondern läßt jeden Beteiligten "ohne Rücksicht auf die Schuld der anderen nach seiner Schuld" haften gemäß § 29. Diese Konstruktion entspricht der hier im Verhältnis von § 217 zu § 212 aufgezeigten Lösung. Hintergrund dieser Ansicht ist die Auffassung, daß alle Schuldmerkmale nur von § 29, nicht aber zugleich von § 28 Abs. 1, 2 erfaßt werden.156 Die h.M. erfaßt die im Besonderen Teil vertatbestandlichten Schuldmerkmale unter § 28 Abs. 2, nicht aber die im Allgemeinen Teil erfaßten Schuldsituationen.157 3. Tat- und täterbezogene Merkmale Die h.M. identifiziert die besonderen persönlichen Merkmale i.S. des § 28 mit sog. täterbezogenen Merkmalen. Die Mordqualifikationen der 1. und 3. Gruppe sind in diesem Denkschema subjektive, täterbezogene Merkmale, so daß auf sie § 28 Anwendung findet, während die Merkmale der 2. Gruppe (heimtückisch, grausam, gemeingefährliche Mittel) als sog. tatbezogene Merkmale nicht unter § 28 fallen sollen.158

Dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 1 3 . 155 Vgl. LANGER Länge-Festschrift, S. 262 Fn. 135. 156 Dazu JESCHECK Lehrbuch des Strafrechts, A.T., 4. Aufl. 1988, § 61 VE 4 c; LANGER Das Sonderverbrechen, 1972, S. 472 f; SCHMIDHÄUSER A.T., 2. Aufl. 1975, 14/89, 96. 157 Dazu im einzelnen: HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 72 Fn. 12; ROXIN LK, § 28 Rdn. 7 ff. 158 So im Grundsatz: ARZT in: Arzt/Weber, L H 1, Rdn. 1 0 8 ff; JÄHNKE L K , § 2 1 1 Rdn. 6 4 , 6 7 ; KREY B.T. 1, Rdn. 2 0 f; LACKNER StGB, § 2 1 1 Rdn. 16; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 2 Rdn. 51. - Im Ergebnis abereinstimmend, weil die Merkmale als straferhöhende unter § 28 fallende Schuldmerkmale interpretierend: ROXIN L K , § 2 8 Rdn. 4 7 . - Für eine Interpretation auch der 3 . Gruppe als tatbezogene Merkmale: DREHER JR 1970 S. 146 ff. 154

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4. Die Ansicht des BGH Die Rechtsprechung folgt grundsätzlich der Interpretation der Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe als täterbezogene und damit als besondere persönliche Merkmale i.S. des § 28. Da sie jedoch § 211 als einen Sondertatbestand innerhalb der Tötungsdelikte ansieht, der die Anwendung der §§ 212, 213 ausschließt, kann sie gegebenenfalls aber nur § 28 Abs. 1 anwenden.159

II. Zur Einübung Fall 1: A erschießt den B, um ihm sein Bargeld abzunehmen und sich damit nette Stunden mit der Gunstgewerblerin G zu machen. Die Pistole hat er von C, der weifi, was A vorhat, selbst aber keine materiellen Vorteile aus der Tat zieht. 1. Straßarkeit des A: § 211 (Habgier). 2. Straßarkeit des C: a) 1. Meinung (§ 28 nur Sonderpflichtmerkmale): §§211, 27 (Anwendung der §§ 28, 29 kommt nicht in Betracht). b) 2. Meinung (Mordqualifikationen: Schuldelemente, die in § 29 erfaßt sind): Haupttat: § 211, zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet, § 27. Da aber das Schuldelement der Habgier bei C fehlt, kann gemäß § 29 seine Strafe nur aus dem Grundtatbestand in Verbindung mit § 27 entnommen werden. Ergebnis: §§211, 27, 29 - > 212, 27. c) 3. Meinung (h.L.): Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende täteibezogene persönliche Merkmal der Habgier fehlt, kommt § 28 Abs. 2 zur Anwendung, so daß C gemäß §§ 212, 27 bestraft wird. Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 2 - > 212, 27. d) 4. Meinung (BGH): Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende, täteibezogene, persönliche Merkmal der Habgier fehlt, findet § 28 Abs. 1 Anwendung (Strafmilderung). Ergebnis: §§211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1. Fall 2: A erschlägt den B im Zorn, nachdem dieser ihn schwer beleidigt hat. Als A schon "vor Wut kochte" und nach einem Messer schrie, um den B "kaltzumachen", hat C, der den B beerben will, dem A ein Messer gereicht. 1. Straßarkeit des A: § 213, 1. Alt. 2. Strafbarkeit des C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 213, 27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 213, 27, 29 - > 211, 27. c) 3. Meinung (h.L.): §§ 213, 27, 28 Abs. 2 analog - > 212, 27, 28 Abs. 2 analog - > 211, 27. - § 28 wird hier von der h.L. nur analog angewandt, da sie § 213 als Strafzumessungsregel interpretiert. d) 4. Meinung (BGH): §§ 213, 27, 28 Abs. 2 analog - > 212, 27. Fall 3: Der A wollte mit der B ein Liebesverhältnis beginnen. Als diese ihn abwies, wollte er sie auch keinem anderen gönnen und erschoß sie. Die Pistole hatte er von C, der sich von B DM 100,- geliehen hatte und hier eine Möglichkeit sah, die Gläubigerin loszuwerden. 1. Straßarkeit des A: § 211 (niedriger Beweggrund). 2. Straßarkeit des C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 211, 27.

159 Dazu BGHSt 22 S. 375; 24 S. 106; BGH StV 1984 S. 69.

§ 9 Fahrlässige Tötung

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b) 2. Meinung (Schuldelement): §§211 (niedriger Beweggrund), 27, 29 - > 212, 27, da Habgier gegeben, wiederum § 29 - > 211, 27. c) 3. Meinung (h.L.): §§ 211 (niedriger Beweggrund), 27, 28 Abs. 2 - > 212, 27, 28 Abs. 2 (Habgier) - > 211,27. d) 4. Meinung (BGH): Bei strengem Durchhalten der Prämissen müßte der BGH zum Ergebnis kommen: §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1, dabei C nicht derselbe niedrige Beweggrund wie bei A vorliegt, ein Austausch verschiedener niedriger Beweggründe aber jeweils zu einem anderen Tatbild führt. Der BGH läßt jedoch innerhalb der Gruppe der niedrigen Beweggründe einen Austausch der einzelnen Merkmale zu, obwohl jedes Merkmal der Tat ihren persönlichen, eigenständigen, täterbezogenen Charakter geben soll, und kommt somit zur Ablehnung des § 28 Abs. 1, weil zwar nicht dasselbe, wohl aber ein besonderes persönliches Merkmal auch bei C vorliegt. Ergebnis: §§211, 27. Fall 4: Als die 62jährige Witwe A eine Wiederverheiratung mit dem 29jährigen Spanier S ins Auge faßte, widersprach ihre 40jährige Tochter T heftig. A lud die Tochter daher zu einer Aussprache zu sich ein. Während des Gesprächs reichte A der T einen Schnaps, der mit Arsen vermischt war. T starb. - Das Gift hatte A von C, die genau wußte, was A mit dem Gift vorhatte. 1. Strafbarkeit derA: § 211 (Heimtücke). 2. Strafbarkeit der C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§211, 27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§211, 27, 29 - > 212, 27. c) 3. Meinung (h.L.): Da Heimtücke ein tatbezogenes Merkmal ist, kommt § 28 nicht zur Anwendung. Ergebnis: §§ 211, 27. d) 4. Meinung (BGH): §§ 211, 27.

§ 9: Fahrlässige Tötung 1. Der Aufbau des Delikts Die fahrlässige Tötung unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung nicht in der objektiven Zurechnung des Erfolges zur Person des Täters, sondern allein im subjektiven Bereich. Der sorgfältige Aufbau des Delikts führt auch hier an die relevanten Probleme heran, i^1 OLG Hamm NJW 1973 S. 1422: Kraftfahrer A verursachte im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit mit seinem Kfz einen Verkehrsunfall, bei dem B schwere Bruchverletzungen davontrug. In der Klinik, in die B gebracht wurde, erhielt er im Zuge der Behandlung mehrfach gruppengleiches Blut zugeführt. Nach einigen Tagen starb B an einer sog. Serumhepatitis, die auf unreines Blut zurückzuführen war, das von hepatitiskranken Spendern stammte. Zum Zeitpunkt der Behandlung war es unmöglich, die Unreinheit der Blutkonserven zu erkennen, da ein exakter Nachweis des verantwortlichen Erregers noch nicht durchführbar war. Strafbarkeit des A a) Die in § 222 beschriebene Rechtsgutsbeeinträchtigung ist eingetreten: B ist tot. b) A hatte (durch regelgerechtes Verhalten) die tatsächliche Möglichkeit, den konkreten zum Erfolg führenden Kausalverlauf zu beeinflussen. c) Durch sein Fahren in fahruntüchtigem Zustand hat A eine Gefahr auch für das Leben des B begründet. d) Die von A begründete Gefahr realisierte sich im Tode des B, denn die behandelnden Ärzte erhöhten oder veränderten diese Gefahr nicht pflichtwidrig, sondern bemühten sich situationsbedingt um die 160 Vgl. BGHSt 23 S. 39 f, sowie ARZT JZ 1973 S. 681 ff. 161 Hinweis: Zum Aufbau des fahrlässigen Erfolgsdelikts durch Unterlassen sowie zu anderen Aufbauweisen des fahrlässigen Erfolgsdelikts, vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 10.

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Verminderung der von A begründeten Gefahr. Der gefährliche Einsatz des Blutes war dafür nötig und unter Abwägung des Risikos auch sachgemäß. e) A hatte bei seinen Fähigkeiten die Möglichkeit, den Sachverhalt zu erkennen. Er war in der Lage vorauszusehen, daß es aufgrund seiner Fahruntüchtigkeit auch zu einem tödlichen Unfall kommen könnte. Voraussehbar war auch, daß entstehende Unfallverletzungen nur noch mit selbst lebensgefährdenden Behandlungsmethoden behandelt werden können und dabei der Tod des Opfers eintritt. f) Feststellungen zur Pflichtbegrenzung: A hat die ihm obliegende Sorgfaltspflicht im Hinblick auf den eingetretenen Todeserfolg verletzt, denn er hat mit der Trunkenheitsfahrt eine Aber das erlaubte MaB hinausgehende Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer begründet. g) A hatte die Möglichkeit, sich der Sozialschädlichkeit seines Verhaltens bewußt zu werden. h) Schuld: Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die an der Schuld des A zweifeln ließen. Ergebnis: A strafbar gem. § 222.

2. Der Zusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg Auch bei der Zurechnung eines fahrlässig begründeten Erfolges geht es um die zentrale Frage, wann ein bestimmter Erfolg dem Täter als sein Werk zuzurechnen ist. Diese Frage ist nicht durch isolierte Bejahung der Erfolgsverursachung und der Sorgfaltspflichtverletzung zu beantworten, denn Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg stehen auch hier in einem funktionalen Zusammenhang. Dieser ist unter drei Aspekten besonders sorgfältiger Prüfung bedürftig. a) Nicht jedes pflichtwidrige Verhalten ist für die Zurechnung des Erfolges relevant. Maßgeblich ist, ob der Täter durch sein pflichtwidriges Verhalten eine Gefahr flir das geschützte Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus begründet oder erhöht hat. Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens allein ist nämlich dann unerheblich, wenn nachgewiesen werden kann, daß das pflichtwidrige Verhalten deshalb keine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr begründet oder erhöht hat, weil die Rechtsgutsverletzung bereits derart in dem Geschehen angelegt war, daß sie auch bei rechtmäßigem Verhalten des Täters eingetreten wäre. Z u r E i n ü b u n g u n d V e r t i e f u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 0 1 4 .

OLG Karlsruhe GA 1970 S. 313: A fuhr innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h. Er überfuhr dabei ein 4 Jahre altes Kind. Der tödliche Unfall hätte sich in gleicher Weise zugetragen, wenn A die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hätte. Ergebnis: A haftet nicht wegen fahrlässiger Tötung, da er durch sein Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit die Gefahr für das Leben des Kindes nicht über das erlaubte Maß erhöht hat. Abwandlung: Ist nicht feststellbar, ob die Gefahr bei ordnungsgemäßem Verhalten des A geringer gewesen wäre, so fehlt es an dem Nachweis, daß A durch pflichtwidriges Verhalten die Gefahr für das Rechtsgut Uber das erlaubte Maß hinaus erhöht hat. Hingegen: Beruft A sich darauf, daß der mit überhöhter Geschwindigkeit entgegenkommende Kraftfahrer X das Kind erfaßt hätte, wenn er es nicht überfahren hätte, so ist diese Einlassung irrelevant, denn die mögliche rechtswidrige Erfolgsherbeiführung durch Dritte entlastet den Täter nicht.

b) Da es nicht auf bloße Kausalität für den Erfolg ankommt, sondern auf die Zurechnung der Verantwortung für den Erfolg, ist genau zu prüfen, ob die Rechtsgutsverletzung ihren Grund in einem Verhalten des Täters, eines Dritten oder des Opfers hat (Unterbrechimg des Zurechnungszusammenhangs). aa) BayObLG JZ 1982 S. 731: X verlieh an Y, der die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß, ein Kraftfahrzeug, das nicht verkehrssicher war. Aufgrund der Mängel des Fahrzeuges und der fehlenden Fahrtüchtigkeit des Y kam es zu einem Unfall. Trotz auffälliger Warnzeichen und eindeutig unübersichtlicher Verkehrssituation fuhr A mit weit überhöhter Geschwindigkeit an die Unfallstelle heran und erfaßte den Z mit dem Kraftfahrzeug. Z hatte nach dem ersten Unfall helfen wollen. Er wurde getötet.

§ 9 Fahrlässige Tötung

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BayObLG: Der zweite Unfall war für X und Y nicht vorhersehbar. Kritik: Daß es an Unfallstellen im Straßenverkehr durch grob verkehrswidriges Verhalten Dritter zu weiteren Unfällen kommt, ist leider eine bekannte Tatsache und daher auch objektiv voraussehbar. Gleichwohl ist das Urteil des BayObLG im Ergebnis zutreffend. Die Gefahr, die sich im Tode des Z realisierte, wurde nicht von X und Y begründet, sondern von A, als dieser trotz Kenntnis der unübersichtlichen Verkehrslage seine Geschwindigkeit nicht auf das erforderliche Maß herabminderte. - Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn A aufgrund der Sachverhaltsgegebenheiten die Gefahrenstelle nicht rechtzeitig hätte wahrnehmen können. bb) BGHSt 32 S. 262: A verschaffte dem H die erforderliche Spritze für den Heroinkonsum. H injizierte sich ein Heroingemisch, das er sich zuvor besorgt hatte. Anschließend wurde er bewußtlos und starb. A, der auch Heroin genommen hatte, überlebte. Ergebnis: H hat frei verantwortlich und in voller Kenntnis der Gefahr das Risiko für sein Leben begründet. A schuf lediglich eine Voraussetzung für diese Stelbstgefährdung des H. Damit aber realisierte sich im Tode des H die von ihm selbst begründete Gefahr. cc) Wie bb), aber als H bewußtlos war, erkannte A die Notsituation, unternahm aber nichts zur Rettung desH. Ergebnis: A haftet nach § 323 c. - Der BGH kommt in entsprechenden Fällen zur Annahme eines Unterlassens des A nach vorangegangenem gefährlichen Tun. Da das die Todesgefahr begründende Tun aber ein eigenverantwortliches Tun des H war, kann es keine Haftung des A begründen. dd) BGHSt 39 S. 322; A hatte ein Wohnhaus in Brand gesetzt, in dem sich X und Y aufhielten. Um diese zu retten, stürzte sich M in das Haus. Er starb an einer Monoxydvergiftung. BGH: Der Tod des M ist dem A zuzurechnen: "Ebenso wie dem Täter bei Gelingen der Rettungshandlung die Erfolgsabwendung zugute kommt, hat er im Falle des Mißerfolgs dafür einzustehen." Kritik: Diese Ausführungen werden der Problematik des Falles nicht gerecht. Es geht hier um die Grenzen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung. Diese aber ist zu bejahen, wenn der Retter in voller Kenntnis der Gefahrenlage und der damit verbundenen Risiken die Entscheidung zur Rettung trifft. Eine derart freie Entscheidung aber lag hier vor, da die Hilfspflicht nach § 323 c von M keine konkrete Gefährdung des eigenen Lebens forderte.

c) Schließlich ist zu beachten, ob der Schutzzweck der durch den Täter verletzten Norm gerade auch auf die Vermeidung des vom Täter bewirkten Erfolges zielte. OLG Hamm MDR 1980 S. 1036: An einem mit eingeschaltetem Warnblinklicht haltenden Schulbus fuhr A mit SO km/h vorbei. Er verletzte den erwachsenen B, der in Höhe des Schulbusses trotz des herannahenden Fahrzeuges des A noch versuchte, die Fahrbahn zu überqueren. OLG: § 20 Abs. 1 a StVO, der eine vorsichtige Fahrweise beim Vorbeifahren an Schulbussen vorschreibt, dient ausschließlich der Sicherheit von Schulkindern im Straßenverkehr. Der von A bewirkte Erfolg Verletzung des B - liegt daher außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm. Auf die Verletzung des § 20 Abs. 1 a StVO Vann eine Verurteilung des A in diesem Falle daher nicht gegründet werden.

162 I m einzelnen zur Auseinandersetzung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 0 1 4 f.

163 Vgl. BGH NStZ 1984 S. 452. 164 Zur Auseinandersetzung: BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 306 f; GEPPERT JK, StGB § 222/2; HERZBERG JA 1985 S. 271, Fn. 102; OTTO Grundkurs Strafrecht, A.T., § 9 III 1. 165 Vgl. dazu auch OTTO JK 94, StGB Vor § 13/3.

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§ 10: Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes 1. Das geschützte Rechtsgut Einigkeit besteht darin, daß der Tatbestand in beiden Tatmodalitäten ein konkretes Gefährdungsdelikt beschreibt. Streitig ist, ob eine konkrete Lebensgefahr vorliegen muß oder eine Leibesgefahr ausreicht. Unter Hinweis auf § 221 Abs. 3 und darauf, daß Lebens- und Leibesgefahr nicht immer trennbar sind, wird von der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre die Begründung einer Leibesgefahr für ausreichend gehalten.166 Demgegenüber spricht die systematische Stellung des § 221 für eine restriktive Auslegung dahin, daß nur die konkrete Gefährdung des Lebens von ihm erfaßt werden soll.167 Daß bei entsprechenden Leibes- oder Gesundheitsgefahren im Regelfall bereits eine konkrete Lebensgefahr vorliegt, spricht nicht dafür, den Schutzbereich auf die Leibesgefahr zu erweitern. In diesen Fällen ist vielmehr die Anwendung des § 221 unproblematisch. Ergibt sich jedoch, daß eine konkrete Lebensgefahr nicht nachweisbar ist, so ist für § 221 kein Raum. § 221 Abs. 3, 1. Alt. betrifft lediglich eine Erfolgsqualifikation, die für eine Interpretation des Tatbestandes, eine Leibesgefahr genüge bereits, nichts hergibt, insbesondere konkretisiert Abs. 3 nicht die hier gemeinte Gefahr. 2. Einzelheiten des Tatbestandes Der Tatbestand enthält zwei Alternativen: a) Das Aussetzen einer wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflosen Person. Hilflos ist eine Person, wenn sie in der konkreten Gefahrensituation außerstande ist, sich aus eigener Kraft vor einer drohenden Lebensgefahr zu schützen und sich der Hilfe Dritter nicht sicher sein kann. - In jugendlichem Alter sind Neugeborene und Kleinkinder, darüber hinaus kommt es auf den Entwicklungsstand und die Anforderungen der Tatsituation an. Gebrechlichkeit ist die durch Alter, körperliche Leiden oder Beschwerden begründete stark herabgesetzte körperliche Betätigungsmöglichkeit. - Krankheit ist ein pathologischer Zustand, der z.B. auch starke Trunkenheit umfaßt. - Aussetzen ist das Verbringen des Hilflosen in eine konkrete Lebensgefahren begründende oder steigernde Lage. 168 b) Das Verlassen einer solchen Person in hilfloser Lage, wenn sie in der Obhut des Täters steht oder er für ihre Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme zu sorgen hat. In hilfloser Lage ist das Opfer, wenn es schutzlos der Lebensgefahr preisgegeben ist. Zur Begründung der Obhuts- und Beistandspflichten sind die Grundsätze heranzuziehen, die für die Entstehung einer Garantenpflicht gelten.169 Streitig ist, ob das Verlassen eine räumliche Trennung voraussetzt oder nicht. 166 BGHSt 4 S. 113; 21 S. 44; 25 S. 218; 26 S. 35; BOCKELMANN B . T . / 2 , § 13 I; DREHER/TRONDLE § 221 Rdn. 1; JÄHNKE LK, § 221 Rdn. 3; HORN SK, § 221 R d n . 3. 167 V g l . auch: GÖSSEL B . T . l , § 8 Rdn. 2; KREY B . T . l , Rdn. 141; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 Rdn. 2; SCHMIDHÄUSERB.T., 2/41; SCH/SCH/ESER § 221 Rdn. 1, 8. 168 Eingehend dazu KÜPER Jura 1994 S. 513 ff, 516. 169 BGHSt 26 S. 37; BGH NJW 1993 S. 262.

§ 10 Aussetzung

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Beispiel: Die Krankenschwester K verweilt untätig am Bett des Kranken, als dessen Lage sich verschlechtert und zu seiner Rettung ein kreislaufbelebendes Mittel gegeben werden müßte. - Soll hier wirklich die Haftung gemäß § 221 davon abhängen, ob K aus dem Zimmer geht oder nicht?

Die Strafwürdigkeit des Verhaltens ist nicht davon abhängig, ob der zur Hilfe Verpflichtete sich räumlich von dem Schutzbedürftigen trennt oder nicht. Maßgeblich ist, daß der Verpflichtete den Schutzbedürftigen im Stich läßt. 170

II. Besondere Probleme des Tatbestandes 1. Die "an sich rechtmäßige" Aussetzungshandlung Verbringt jemand einen anderen aus einer sicheren in eine lebensgefährliche Lage, so wird der Unrechtsgehalt des Verhaltens durch den Eingriff in den geschützten Rechtsbereich des Betroffenen geprägt. Problematisch ist es jedoch, ob der Unrechtsgehalt der gleiche ist, wenn der Täter durch sein Verhalten einem rechtswidrigen Eingriff des nunmehr Betroffenen begegnet, wenn also der Betroffene bei der Abwehr eines rechtswidrig von ihm ausgehenden Rechtsgütereingriffs in die Gefahr gerät. Auch wenn hier §§ 32, 34 nicht eingreifen, weil der Täter über die erforderliche Abwehr hinausgeht, stellt sich die Frage, ob er durch die Abwehr rechtswidrigen Verhaltens in die Schutzposition des § 221 gezwungen werden kann oder ob hier, vergleichbar der Situation, daß jemand durch Notwehr eine lebensgefährliche Lage für den Angreifer schafft 171 , nur die allgemeine Beistandspflicht gemäß § 323 c ausgelöst wird. KG JR 1973 s. 72 mit Anm. SCHRÖDER S. 73 ff: Der Gastwirt G setzte den volltrunkenen Gast K, dem er wegen Zechprellerei einen Denkzettel geben wollte, in teilweise entkleidetem Zustand auf die Straße und überließ ihn dort seinem Schicksal. KG: K war infolge einer durch Alkoholgenuß bedingten hochgradigen Bewußtseinsstörung krank i.S. des § 221. Wegen dieses Zustandes war er hilflos. In dem Verbringen des hilflosen K aus seiner bisherigen verhältnismäßig gesicherten Lage in dem Lokal in eine ihn gefährdende Lage auf der Straße liegt ein Aussetzen des K durch G. SCHRÖDER erkennt durchaus die Problematik, die darin liegt, daß G nicht verpflichtet war, den K in seinen Räumen zu dulden, er ihn "an sich" in Ausübung seines Hausrechts vor die Tür setzen durfte. Er stellt die Frage, "ob man mit der Konsequenz des § 221 StGB eine illegale Situation beseitigen darf", kommt dann aber zu dem Ergebnis, daß die Rechtsausübung durch G angesichts der möglichen Folgen einen Rechtsmißbrauch darstellt. Diese Konstruktion wird der Problematik nicht gerecht. - Als G den K hinaussetzte, verletzte er keine Obhutspflicht dem K gegenüber, sondern übte sein Hausrecht aus. Die Tatsache, daß K dadurch in eine hilflose Lage geriet, ändert die rechtliche Bewertung nicht. Auch ein Verlassen i.S. des § 221 Abs. 1, 2. Alt. kommt nicht in Betracht, weil G mit dem Hinausbefördern des K nicht den ihm rechtlich gewährten Handlungsspielraum auf Kosten des K ausdehnte. Da K jedoch in eine Unglückssituation i.S. des § 323 c geriet, war G, wollte er eine Haftung aus § 323 c vermeiden, wie jeder Dritte verpflichtet, dem K aus dieser Situation zu helfen. Indem er dieser Pflicht nicht sogleich nachkam und für die Sicherheit des K sorgte, machte er sich strafbar gemäß § 323 c. 1 7 ^

170 So auch: GÖSSEL B . T . l , § 8 Rdn. 20 f; HALL SchwZStr 46 (1932) S. 353; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 4 R d n . 8 ; SCH/SCH/ESER § 2 2 1 R d n . 7 ; SCHROEDER J Z 1 9 9 2 S . 3 7 8 f ; WALTHER N S t Z 1 9 9 2 S . 2 3 1 f f . - A . A . B G H S t 3 8 S. 7 8 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 2 1 R d n . 6 ; GEILEN J Z 1 9 7 3 S . 3 2 4 ; GEPPERT J K 9 2 , S t G B § 2 2 1 / 3 ; HORN J R 1 9 9 2 S . 2 4 8 ; JÄHNKE L K , § 2 2 1 R d n . 13;

KÜPER Jura 1994 S. 516 ff, 523; MrrsCH StV 1992 S. 319 f.

171 V g l . d a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 9 III 1 b . 172 V g l . a u c h : MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 R d n . 5 ; SCH/SCH/ESER § 2 2 1 R d n . 6 A . A . GÖSSEL B . T . 1, § 8 R d n . 11; JÄHNKE L K , § 2 2 1 R d n . 9 .

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Delikte gegen das Leben

2. Die Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen Beide Alternativen des Tatbestandes können durch positives Tun und Unterlassen begangen werden. Problematisch ist allerdings eine Begründung der Obhutspflicht aus vorangegangenem Tun. Nach einhelliger Meinung ist der Tatbestand des Aussetzens nämlich nicht erfüllt, wenn das Opfer erst durch die Aussetzungshandlung zur hilflosen Person wird. So, wenn der Kapitän den gesunden blinden Passagier auf einer einsamen Insel aussetzt.173 Diese einhellig anerkannte Absicht des Gesetzgebers wird unterlaufen, wenn die erste nicht tatbestandsmäßige Gefährdungshandlung als vorangegangenes gefährliches Tun bewertet wird, mit der Konsequenz, daß nach Eintritt der Hilflosigkeit eine Garantenstellung entsteht. Konsequenz im Beispielsfall: Nach zwei Tagen, als der ehemals gesunde Passagier durch Sonneneinwirkung und Hunger krank ist, muß der Kapitän zurückkehren, will er sich nicht nach der 2. Alt. des § 221 strafbar machen.

Will man diese Konsequenz vermeiden und ernst machen mit dem Satz, daß § 221 ausscheidet, wenn die Hilflosigkeit allein durch das Verhalten des Täters herbeigeführt wird, so muß man eine Begründung einer Obhutspflicht durch vorangegangenes Tun ablehnen.174 3. Der Versuch der erfolgsqualifizierten Aussetzung, §§ 221 Abs. 3, 23 Streitig ist bereits, ob der Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts überhaupt möglich ist, wenn der Grundtatbestand nicht erfüllt ist.175 Wird in dieser Konstellation die Möglichkeit des Versuchs anerkannt, so stellt sich im Rahmen des § 221 die Frage, ob ein Versuch gemäß §§ 221 Abs. 3, 23 in Betracht kommt, obwohl der Versuch des Grundtatbestandes, §§ 221, 23, nicht strafbar ist. Dies wird zum Teil abgelehnt mit der Erwägung, daß in dieser Konstellation die besondere Folge strafbegründend, nicht aber straferhöhend wirkt, wovon § 18 ausgeht. Die Gegenmeinung erkennt diese Konsequenz nicht in § 18 angelegt und sieht in der Tatsache, daß der Handlungsunwert des Grundtatbestandes noch nicht als strafwürdig erscheint, kein Argument dagegen, daß der Unrechtsgehalt des versuchten Grundtatbestandes und der verwirklichten (oder angestrebten) besonderen Folge bereits die Grenze der Strafwürdigkeit erreicht. Fall: A will das Kleinkind seiner Freundin B, mit der er zusammenlebt, aus dem Weg schaffen, indem er es an einem kalten Wintertag bei offenem Fenster in eine Wanne mit kaltem Wasser setzt. Beim Hineinsetzen des Kindes reagiert das Kind mit wilden Bewegungen und schlägt mit dem Kopf auf dem Wannenrand auf. K verliert das Sehvermögen auf einem Auge. Angesichts der Verletzung des Kindes gibt A seinen weiteren Plan auf. Ergebnis: A hat sich einer versuchten Aussetzung gemäß §§ 221 Abs. 3, 23 schuldig gemacht. 17

4. Aussetzung in der Situation des § 217 Hat eine Mutter ihr nichteheliches Kind gleich nach der Geburt ausgesetzt und damit fahrlässig den Tod des Kindes herbeigeführt, so sperrt der mildere Strafrahmen des 173 Dazu auch: OLG Hamm VRS 19 S. 431; BOCKELMANN B.T./2, § 13 II; JÄHNKE LK, § 221 Rdn. 8. 174 Einschränkend auch BGH NStZ 1983 S. 454. 175 Im einzelnen dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 8 I V 6.

176 So auch: LAUBENTHAL JZ 1987 S. 1067; vgl. im einzelnen zur Auseinandersetzung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18 IV 6 c. - Offengelassen wird die Problematik in BGH StV 1986 S. 201 mit Anm. ULSENHEIMER StV 1986 S. 201 ff.

§ 12 Zur Wiederholung

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§ 217 die Anwendung des Strafrahmens nach § 221 Abs. 3. Dieser Strafrahmen ist bis zum Mindestmaß des § 217 Abs. 2 zu unterschreiten.177

§11: Völkermord I. Das geschützte Rechtsgut § 220 a schützt nicht in erster Linie das Leben, sondern den humanitären Gedanken. Systematisch gehört er daher nicht zu den Tötungsdelikten.

II. Die Bedeutung des Tatbestandes 1. Praktisch ist der Tatbestand als Vorschrift des nationalen Strafrechts nutzlos, denn die Tathandlung kann bereits nach anderen Vorschriften bestraft werden. Geschieht dies jedoch nicht, so deshalb, weil der Täter mit Hilfe oder mit Billigung des Staates, auf dessen Gebiet er handelt, tätig wird. Dann aber erfolgt mit Sicherheit auch keine Bestrafung gemäß § 220 a. 2. Allerdings eröffnet § 6 Ziff. 1 die Möglichkeit der Verfolgung eines im Ausland von einem Ausländer begangenen Völkermordes.178 3. Bedeutung kann die Vorschrift, die entsprechend Art. II der Internationalen Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. 12. 1948 in das Gesetz eingeführt wurde, aber auch als Ansatzpunkt zu einem Völkerstrafrecht erlangen. 179

§ 12: Zur Wiederholung 1. In welchen Fällen ist der Schutz menschlichen Lebens durch die Tötungstatbestände streitig? - Dazu §2, 1. 2. Wie bestimmt die h. L. das Verhältnis der §§211, 212, 213 zueinander und wie der BGH? - Dazu § 2 , 2.

3. Was spricht gegen die Interpretation auch der 1. Alternative des § 213 als bloße Strafzumessungsregel? - Dazu § 2, 2 a. 4. Worin besteht die sachliche Berechtigung für die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte in einen Grundtatbestand, eine Qualifizierung sowie Privilegierungen? - Dazu § 2, 3. 5. Auf welche Weise ermöglicht der BGH ein Absehen von lebenslanger Freiheitsstrafe, obwohl er das Vorliegen einer heimtückischen Tötung bejaht? - Dazu § 2, 3. 6. Kann Anstiftung oder Beihilfe zur Selbsttötung als Teilnahme an einem Tötungsdelikt bestraft werden? -Dazu §3, 1. 7. Sind die Mordqualifikationen als Schuld- oder als Unrechtsmerkmale anzusehen? - Dazu § 4 I.

177 S o auch: KREY B . T . L , R d n . 143; LACKNER S t G B , § 2 2 1 R d n . 7 . - A . A . DREHER/TRÖNDLE § 2 2 1 R d n . 11; JÄHNKE L K , § 2 2 1 R d n . 2 8 . 178 V g l . dazu B G H N S t Z 1994 S. 2 3 2 mit A n m . OEHLER S. 4 8 5 .

179 Dazu TRIFFTERER Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg, 1966, S. 192 ff; JESCHECK A.T., § 14. - Als funktionslos sieht den Tatbestand an: CAMPBELL § 220 a StGB: Der richtige Weg zur Verhütung und Bestrafung von Genozid?, 1986, S. 172 ff.

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Delikte gegen das Leben

8. Welche drei Gruppen von Mordmerkmalen unterscheidet das Gesetz? - Dazu § 4 n . 9. Was ist unter "Mordlust" zu verstehen? - Dazu auch § 4 II 1 a. 10. Welche Fälle werden unter dem Merkmal "zur Befriedigung des Geschlechtstriebes" erfaßt? - Dazu § 4 II 1 b. 11. Was ist das wesentliche Kennzeichen der niedrigen Beweggründe? - Dazu § 4 n 1 d. 12. Wie definiert die Rechtsprechung das Merkmal "Heimtücke"? Welche Ansichten werden im Schrifttum vertreten? - Dazu § 4 II 2 a. 13. Was ist ein "gemeingefährliches Mittel"? - Dazu § 4 n 2 c. 14. Worin besteht das grundsätzliche Problem des Merkmals "um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken"? - Dazu § 4 II 3 c, bb. 13. Welcher Straftatbestand kommt in Betracht, wenn der Täter zur Tötung bereits fest entschlossen ist, bevor das Opfer sie ernstlich und ausdrücklich verlangt? - Dazu § 6 1 2 c. 16. Welche Fallgruppen der Sterbehilfe sind zu unterscheiden? - Dazu § 6 II. 17. Ist ein Arzt gegen den Willen des Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen berechtigt oder sogar verpflichtet? - Dazu § 6 II 1. 18. Ist die Selbsttötungssituation als Unglücksfall i.S. d. § 323 c anzusehen? - Dazu § 6 III 3. 19. Warum ist bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten der Zusammenhang zwischen pflichtverletzung und Erfolg besonders sorgfältig zu prüfen? - Dazu § 9 , 2 .

Sorgfalts-

20. Welche Problematik verbirgt sich hinter dem Stichwort der "an sich rechtmäßigen" Aussetzungshandlung? - Dazu § 10 II 1.

Zweiter Abschnitt Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben § 13: Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung 1. Die Entscheidung des Gesetzgebers Mit dem 5. Strafrechtsreformgesetz vom 18. Juni 1974 hatte der Gesetzgeber den Versuch unternommen, auch in der Bundesrepublik Deutschland die sog. Fristenlösung (Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft) durchzusetzen. Dieses Gesetz ist jedoch nie in Kraft getreten, denn mit Urteil vom 25. 2. 1975 hat das BUNDESVERFASSUNGSGERICHT das Gesetz für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt.1 Der Gesetzgeber hatte daraufhin durch Gesetz vom 18. 5. 1976 (15. Strafrechtsänderungsgesetz) die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vorgenommen. Diese Regelung war keine Indikationslösung, sondern enthielt Elemente einer Indikations- und einer Fristenlösung. In der ehemaligen DDR war die Schwangere gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9.3.1972 berechtigt, die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen nach deren Beginn durch einen ärztlichen Eingriff in einer geburtshilflich-gynäkologischen Einrichtung unterbrechen zu lassen. Nicht unter diese Regelung fallende unzulässige Schwangerschaftsunterbrechungen, ihre Veranlassung und Unterstützung wurden nach §§ 153 ff StGB-DDR bestraft. Mit der Wiedervereinigung traten im Beitrittsgebiet nicht die §§ 218 - 219 d in Kraft, sondern die bisherigen Regelungen blieben vorläufig gültig. Zugleich wurde gemäß Art. 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages vom 23.9.19902 die Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers darin gesehen, "spätestens bis zum 31.12.1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen ... besser gewährleistet, als dies in den beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist". Nach langwierigen Auseinandersetzungen erfolgte eine Neuregelung des Abbruchs der Schwangerschaft im Schwangeren- und FamilienhilfeG vom 4.8.1992, BGBl I, S. 1398. Erneut wurde eine Fristenregelung mit Beratungspflicht in Kraft gesetzt und der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft für nicht rechtswidrig erklärt, § 218 a Abs. 1 i.d.F. des SFHG. Die Beratung war nach § 219 des Gesetzes wesentlich auf die medizinische, soziale und juristische Information der Schwangeren ausgerichtet. - Mit Urteil vom 28.5.1993 hat das BUNDESVERFASSUNGSGERICHT die §§ 218 a Abs. 1, 219 in d.F. des SFHG für nichtig erklärt und dargelegt, daß die Schutzpflicht des Staates auch gegenüber dem ungeborenen Leben es verbietet, den Schwangerschaftsabbruch - abgesehen von Ausnahmesituationen - für

1

BVerfGE 39 S. 1.

2

BGBl. II, S. 885.

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Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben

nicht rechtswidrig zu erklären.3 Darüber hinaus müsse die Beratung der Schwangeren dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen. BVerfGE 88 S. 251: "Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene. Auch ihm gebührt der Schutz des Staates. Die Verfassung untersagt nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das ungeborene Leben, sie gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d.h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren (vgl. BVerfGE 39, 1, 42). Ihren Grund hat diese Schlitzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet; ihr Gegenstand und - von ihm her - ihr MaS werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Personalität".

Am 26.5.1994 beschloß der Deutsche Bundestag das Schwangeren- und FamilienhilfeänderungsG4, mit dem u.a. die Regelungen des Gesetzes über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung v. 27.7.19925 geändert sowie §§218, 218 a, 218 b, 218 c, 218 d, 219 neu gefaßt wurden. Auch die neue Regelung enthielt eine Fristenlösung mit Beratungspflicht, stellte jedoch klar, daß der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig ist, soweit nicht bestimmte Ausnahmesituationen vorliegen.6 Der Bundesrat verweigerte dem Gesetz die Zustimmung, so daß es nicht mehr in der 12. Legislaturperiode in Kraft treten konnte. 2. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Geschütztes Rechtsgut ist das ungeborene menschliche Leben. b) Taugliches Angriffsobjekt ist die Leibesfrucht erst nach der Nidation. Gemäß § 218 Abs. 1 S. 2 gelten Handlungen, die sich gegen die Einnistung des Eies in der Gebärmutter richten, noch nicht als Schwangerschaftsabbruch i.S. des Gesetzes. - Damit ist klargestellt, daß nidationshindernde Maßnahmen der Empfängnisverhütung nicht von § 218 erfaßt werden. Gleichfalls werden nicht von § 218 Einwirkungen erfaßt, die erst nach Beginn der Geburt - dazu vgl. oben § 2, 1 - das Kind treffen oder die auf Beseitigung einer bereits abgestorbenen Frucht oder eines krankhaft entarteten Eies (Mole) zielen. - Zum Anencephalus vgl. oben § 2, 1 b. 3. Die Systematik des Gesetzes a) Die tatbestandliche Regelung Der Grundtatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ist in § 218 Abs. 1 S. 1 beschrieben. Eine Strafschärfimg ist in den Regelbeispielen gemäß § 218 Abs. 2 (Handeln gegen den Willen der Schwangeren, leichtfertige Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren) vorgesehen. Die Tat der Schwangeren ist als privilegierter Tatbestand in § 218 Abs. 3 erfaßt. 3

BVerfGE 88 S. 203; hierzu ESER JZ 1994 S. 503 ff; GEIGER/V. LAMPE Jura 1994 S. 20 ff; GROPP GA 1994 S. 147 ff; HARTMANN NStZ 1993 S. 483 ff; HASSEMER Mahrenholz-Festschrift, S. 731 ff; HERMES/WALTHER N J W 1 9 9 3 S . 2 3 3 7 f f ; KLUTH F a m R Z 1993 S. 1 3 8 1 ff; REITER/KELLER ( H r s g . ) ,

Paragraph 218, Urteil und Urteilsbildung, 1993; SCHULZ StV 1994 S. 38 ff; STARCK JZ 1993 S. 816 ff; THOMAS/KLUTH (Hrsg.), Das zumutbare Kind, 1993; WEIß JR 1993 S. 449 ff. 4 5 6

BR-Drucks. 529/94. BGBl. I, S. 1398. Zu den einzelnen Phasen des Gesetzgebungsverfahrens: DREHER/TRÖNDLE Vor § 218 Rdn. 1 - 3 g . Zum Schrifttum in den einzelnen Regelungsphasen vgl. die umfassenden Nachweise bei DREHER/TRÖNDLE V o r § 2 1 8 R d n . 4 - 4 c .

§13 Abbruch der Schwangerschaft

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b) Rechtfertigung Speziell auf den Schwangerschaftsabbruch bezogene Rechtfertigungsgründe sind der medizinisch, § 218 a Abs. 1, der embryopathisch, § 218 a Abs. 2, und der kriminologisch, § 218 a Abs. 3, indizierte Schwangerschaftsabbruch. c) Strafausschließungsgründe aa) Einen objektiven Strafausschluß begründet § 218 Abs. 5 für den nach Beratung durch einen Arzt in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis vorgenommenen Schwangerschaftsabbruch. bb) Einen persönlichen Strafausschließungsgrund räumt der Schwangeren darüber hinaus § 218 a Abs. 4 S. 1 ein. d) Möglichkeit des Absehens von Strafe Unabhängig von den bisher genannten Fällen der Rechtfertigung oder des Strafausschlusses ermöglicht § 218 a Abs. 4 S. 2 in Fällen "besonderer Bedrängnis" ein Absehen von Strafe. e) Versuch Der Versuch der Abtreibung ist strafbar, § 218 Abs. 4 S. 1. - In der Person der Schwangeren bleibt der Versuch straffrei. Es handelt sich hier um einen persönlichen Strafausschließungsgrund, so daß Teilnehmer am Versuch der Schwangeren strafbar bleiben, § 218 Abs. 4 S. 2. f) Flankierende Maßnahmen aa) Der subsidiäre § 218 b soll die Indikationsfeststellung gewährleisten, bb) § 218 c stellt in Abs. 1 ärztliche Pflichtverletzungen bei einem Schwangerschaftsabbruch und in Abs. 2 pflichtwidrige Offenbarungen des Geschlechts des ungeborenen Kindes unter Strafe. - Die Schwangere ist nicht nach § 218 c strafbar, Abs. 3. cc) § 218 d stellt die Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruchs aus verwerflichem Eigennutz, Abs. 1, oder in einer bestimmten Notlage, Abs. 2, unter Strafe, dd) In § 219 werden die Ziele der Beratung, Abs. 1, und die Pflichten der Beratungsstelle, Abs. 2, umrissen. ee) §§ 219 a, 219 b stellen bestimmte Teilnahmehandlungen im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs als abstrakte Gefährdungsdelikte unter Strafe.

II. Abbruch der Schwangerschaft, § 218 1. Die Tathandlung a) § 218 Abs. 1 beschreibt die tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl des Abbruchs der Schwangerschaft durch einen Dritten (Fremdabtreibung) als auch den in der Rechtsfolge gemäß Abs. 3 privilegierten Abbruch der Schwangerschaft durch die Schwangere selbst. b) Die Kennzeichnung der Tathandlung als "Abbruch der Schwangerschaft" ist zwar konsequent, wenn vorausgesetzt wird, daß es hier nicht mehr allein um den Schutz des ungeborenen Lebens geht. Sachlich ist die Bezeichnung gleichwohl nur angetan, Mißverständnisse herbeizuführen, denn nach wie vor ist die relevante Tathandlung das Abtöten der Leibesfrucht. An dieser Zielsetzung fehlt es, wenn die Schwangerschaft unterbrochen

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Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben

wird, indem der Eintritt der Geburt durch wehenfördernde Mittel beschleunigt oder durch ärztlichen Eingriff die Geburt eines lebensfähigen Kindes angestrebt wird, auch wenn der Eingriff mißlingt und das Kind tot zur Welt kommt.7 c) Das Zulassen des Abbruchs durch die Schwangere ist - aufgrund des Ermöglichens der Tat - im Regelfall arbeitsteiliges Anstreben des Erfolges und daher als mittäterschaftlicher Abbruch der Schwangerschaft erfaßbar.8 2. Die Rechtfertigung Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe werden durch § 218 a Abs. 1-3 - dazu sogleich unter HI - nicht ausgeschlossen. - Die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch der Schwangerschaft hat allerdings keine rechtfertigende Wirkung. Unabhängig davon, ob man das ungeborene Leben als isoliertes Rechtsgut oder ungeborenes Leben und Körper der Schwangeren als Einheit begreift, folgt dies aus der Tatsache, daß die Tat der Schwangeren grundsätzlich unter Strafe gestellt ist. - § 34 ist auch in Fällen des Abbruchs der Schwangerschaft anwendbar. Der Regelung des § 218 a Abs. 1 ist jedoch zu entnehmen, daß der Gesetzgeber dem Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt Vorrang einräumt, so daß die Fälle "einer nicht anders abwendbaren Gefahr" selten sein dürften. 3. Die Privilegierung der Schwangeren Gemäß § 218 Abs. 3 ist die Strafe in der Person der Schwangeren gemildert. Der Gesetzgeber trägt damit ihrer persönlichen Konfliktsituation Rechnung. - Volle Straffreiheit erlangt die Schwangere gemäß § 218 a Abs. 4, wenn sie den Abbruch nach vorheriger Beratung innerhalb von 22 Wochen seit Empfängnis von einem Arzt durchführen läßt. III. Der gerechtfertigte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a 1. Die Voraussetzungen des § 218 a Der legale Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a setzt in jedem Fall die Vornahme des Eingriffs durch einen Arzt sowie die Einwilligung der Schwangeren voraus. - Im übrigen ist zu unterscheiden: a) Der medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 1 Gerechtfertigt ist der Abbruch der Schwangerschaft gemäß § 218 a Abs. 1 im Falle der medizinischen Indikation. Unter den in Absatz 1 näher beschriebenen Umständen ist die Abwendung der konkreten Gefahr für Leben oder Gesundheit der Schwangeren das höherrangige Interesse gegenüber dem Leben des Embryo. Dieser Interessenvorrang rechtfertigt den Abbruch der Schwangerschaft. Der Schwangerschaftsabbruch muß nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den Erfahrungen der ärztlichen Praxis das geeignete und angemessene Mittel sein, um eine konkrete Gefahr für das Leben oder die konkrete Gefahr einer

7

Vgl. LACKNER NJW 1976 S. 1235; LÜTTGER JR 1971 S. 133 ff.

8

Vgl. dazu DREHER/TRÖNDLB § 218 Rdn. 8; JÄHNKE LK, § 218 Rdn. 16; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T. 1, § 6 Rdn. 6; ROXIN J A 1981 S. 542; SCH/SCH/ESER § 218 Rdn. 16.

§13 Abbruch der Schwangerschaft

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schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden. Als Lebensgefahr kommt auch die Selbstmordgefahr in Betracht.9 Die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes liegt vor bei der Verursachung oder der Steigerung einer Krankheit sowie bei einer erst aufgrund einer Gesamtwürdigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse zu prognostizierenden signifikanten Verschlechterung der körperlichen oder seelischen Verfassung der Schwangeren. Aber auch dann ist der Schwangerschaftsabbruch nur gerechtfertigt, wenn die Gefahr nicht auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. b) Der embryopathisch und kriminologisch indizierte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 2, 3 Gemäß § 218 a Abs. 2, 3 wird die Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs auch im Falle der embryopathischen und der kriminologischen Indikation ausgeschlossen. Das Gesetz folgt hier der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtsdie aber durchaus problematisch ist. Angemessen erscheint es nämlich, den Schwangerschaftsabbruch in den Rechtsfolgen auch in diesen Fällen dem medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch gleichzustellen.^ Die mit der Rechtfertigung hingegen verbundene Wertung, in bestimmter Weise geschädigte ungeborene Kinder seien anderen rechtlich nicht zumutbar, daher entspreche ihre Vernichtung den Wertentscheidungen der Rechtsgesellschaft, ist mit Sicherheit nicht geeignet, die Lebensbedingungen behinderter Menschen zu verbessern. Schon heute müssen diese Menschen vielfältige Diffamierungen erleiden, weil sie von anderen als lebensunwert mißachtet werden.

aa) Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund embryopathischer Indikation ist bis zum Ende der 22. Woche nach der Empfängnis zulässig, § 218 a Abs. 2 S. 2. Dringende Gründe sprechen für die Annahme einer Schädigung, wenn die festgestellten Symptome die konkrete Gefahr der Schädigung befürchten lassen. Maßgeblich ist die Situation der jeweiligen Schwangeren. Läßt sich die Gefahr der Schädigung bei bestimmten Krankheiten nur prozentual nach ärztlichen Erfahrungswerten abschätzen, so muß ein Prozentsatz von 25 % genügen.12 Die zu erwartende Schädigung muß so schwer wiegen, daß Pflege und Erziehung des kranken Kindes die Mutter zeitlich, kräftemäßig und wirtschaftlich überfordern würden.13 Führt der Schwangerschaftsabbruch zur Geburt eines geschädigten lebenden Kindes, so ist dessen Tötung nicht straffrei, weil der Schwangerschaftsabbruch straffrei gewesen wäre. Eine Ausnahme bilden hier die Fälle der sogenannten Früheuthanasie, vgl. oben

9

Vgl. BGHSt 3 S. 7.

10 11

Vgl. BVerfGE 88 S. 257. Zu den Argumenten gegen die These, die Indikationen des früheren Rechts seien als Rechtfertigungsgiiinde anzusehen gewesen: BOSCH NJW 1987 S. 2630; BURMEISTER JR 1989 S. 52 ff; ESSER

MedR 1983 S. 57; GEIGER FamRZ 1986 S. 1 ff; DERS. Jura 1987 S. 60 ff; GRITSCHNEDER MedR

1 9 8 4 S . 9 9 , 101; KLUTH F a m R Z 1985 S. 4 4 0 ; DERS. G A 1 9 8 8 S . 5 4 7 f f ; LANGER J R 1 9 9 3 S . 1 ff; LECHLER M e d R 1985 S . 2 1 4 , 2 1 6 ; MÜLLER N J W 1984 S . 1 7 9 8 , 1 8 0 2 ; REIS D a s L e b e n s r e c h t d e s

ungeborenen Kinds als Verfassungsproblem, 1984, S. 157 ff; R. SCHMITT JZ 1975 S. 357; TRÖNDLE Jura 1987 S. 66 ff. 12

So auch: LACKNER StGB, § 218 a Rdn. 8; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 6 Rdn. 21;

RUDOLPHI SK, § 218 a Rdn. 32. - A.A. BEULKE FamRZ 1976 S. 599 (lehnt jede prozentuale Festlegung ab); DREHER/TRÖNDLE § 218 a Rdn. 16; JÄHNKE LK, § 218 a Rdn. 56 (es genügen 8 - 1 0 %).

13

Dazu BT-Drucks. VI/3434 S. 24; BVerfGE 39 S. 49.

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Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben

§ 6 II 5. - Liegen deren Voraussetzungen vor, so ist auch ein Schwangerschaftsabbruch unabhängig von der im Gesetz genannten Frist gerechtfertigt.14 bb) Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund kriminologischer Indikation ist bis zum Ende der 12. Woche nach der Empfängnis zulässig, § 218 a Abs. 3 S. 2. Vorausgesetzt wird eine rechtswidrige - nicht notwendig schuldhafte - Tat gemäß §§ 176 - 179. Dringende Gründe, d.h. Annahmen, die auf konkreten Indizien beruhen, müssen dafür sprechen, daß die Schwangerschaft ihren Grund in der Tat hat. 2. Mitwirkungspflicht Dritter Nach § 12 des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (SchKG) ist niemand verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, es sei denn, es gilt von der Schwangeren eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden. In allen anderen Fällen ist auch ein Arzt nicht zur Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch verpflichtet.

IV. Strafausschluß beim Schwangerschaftsabbruch 1. Objektiver Strafausschluß, % 218 Abs. 5 Gemäß § 218 Abs. 5 findet § 218 Abs. 1 - 4 keine Anwendung, wenn die Schwangere nach Beratung den Schwangerschaftsabbrach verlangt und dieser von einem Arzt in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vorgenommen wird. - Unter diesen Voraussetzungen begründet Abs. 5 daher einen objektiven Strafausschließungsgrund. 2. Persönlicher Strafausschluß, § 218 a Abs. 4 S. 1 Einen persönlichen Strafausschließungsgrund gibt § 218 a Abs. 4 S. 2 der Schwangeren, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung bis zur zweiundzwanzigsten Woche der Schwangerschaft von einem Arzt vorgenommen wird. 3. Absehen von Strafe, § 218 a Abs. 4S.2 Unabhängig von den Fällen der Rechtfertigung und des Strafausschlusses ermöglicht § 218 a Abs. 4 S. 2 dem Gericht ein Absehen von Strafe in Fällen besonderer Bedrängnis.

V. Flankierende Maßnahmen zum Schutz ungeborener Kinder 1. Gewährleistung der Indikationsfeststellung, § 218 b Abs. 1 S. 1 stellt - subsidiär gegenüber § 218 - den Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218 a unter Strafe, wenn er ohne ordnungsgemäße Feststellung dieser Voraussetzungen vorgenommen wird. - Abs. 1 S. 2 erfaßt die unrichtige ärztliche Feststellung, wenn sie wider besseres Wissen erfolgt.

14

Dazu EBERBACH J R 1989 S. 2 6 7 f ; HANACK Noll-Gedächtnisschrift, S . 2 0 2 f f ; HIERSCHE/JÄHNKE M D R 1986 S. 1 f f ; JÄHNKELK, § 2 1 8 a R d n . 6; KREY B . T . l , R d n . 169 a, b .

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Abs. 2 S. 1 stellt Idar, daß ein Arzt nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen bestimmter Delikte von den nach § 218 a nötigen Feststellungen ausgeschlossen ist, wenn ihm die zuständige Stelle dies untersagt hat. - Abs. 2 S. 2 ermöglicht unter den dort genannten Voraussetzungen eine vorläufige Untersagung der Feststellungen. Die Schwangere ist nicht strafbar nach Abs. 1, vgl. Abs. 1 S. 3. 2. Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch, § 218 c Abs. 1 stellt klar, daß der den Eingriff vornehmende Arzt eigenverantwortlich über den Schwangerschaftsabbruch entscheidet und sich daher über das Vorliegen seiner Voraussetzungen vergewissern und seiner ärztlichen Aufklärungspflicht nachkommen muß. Abs. 2 will Schwangerschaftsabbrüchen, die durch den Wunsch nach einem bestimmten Geschlecht des Kindes motiviert sind, entgegenwirken. Die Schwangere ist nicht strafbar nach § 218 c, vgl. Abs. 3. 3. Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruchs, § 218 d Nach Abs. 1 wird bestraft, wer aus verwerflichem Eigennutz eine Schwangere zum Abbruch der Schwangerschaft bestimmt. - Verwerflicher Eigennutz ist ein besonders anstössiges Maß an der Verfolgung eigennütziger Interessen. - Bestimmen ist eine beeinflussende Einwirkung auf den Willen der Schwangeren.15 Das Delikt ist ein Erfolgsdelikt. Der Schwangerschaftsabbruch muß erfolgt sein aufgrund des Bestimmens. Abs. 2 stellt die Verweigerung materieller Hilfe gegenüber der eigenen unter achtzehn Jahre alten Tochter oder einer vom Täter schwangeren Frau in einer materiellen Notlage unter Strafe. - Auch Abs. 2 erfaßt ein Erfolgsdelikt. Die Verweigerung der Hilfe muß zum Schwangerschaftsabbruch geführt haben. 4. Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage, § 219 § 219 umreißt die Grundlagen der Beratung nach dem SchwangerschaftskonfliktG. 5. Straßares Verhalten im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs, §§ 219 a, 219 b. Als abstrakte Gefährdungsdelikte stellen § 219 a die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft und § 219 b das In-Verkehr-Bringen von Mitteln zum illegalen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 1. Grundlagen der Argumentation Aufgrund der Trennung zwischen den Rechtsgütern der Schwangeren und denen des ungeborenen Kindes kommt die h.M. zu dem Ergebnis, daß die Rechtsgüterverletzungen auch dann strafrechtlich nebeneinander zu erfassen sind, wenn der Angriff sich nicht nur gegen das ungeborene Kind richtet, sondern zugleich gegen die Schwangere selbst. Übersehen wird dabei, daß Schwangere und ungeborenes Kind bis zur Geburt eine na15

V g l . d a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 1 1 2 .

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Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben

türliche Einheit bilden, die allerdings aus Gründen des Rechtsschutzes gedanklich getrennt werden kann und in den Fällen auch getrennt werden muß, in denen sich der Angriff gegen das ungeborene Kind richtet und der Körper der Schwangeren über das zur Tötung des ungeborenen Kindes notwendige Maß hinaus nicht verletzt werden soll. Überall dort, wo sich der Angriff gegen die Person der Schwangeren richtet, ist die Trennung der Rechtsgüter hingegen unangemessen. Sachgerechter wäre es, den Anwendungsbereich der §§ 218 ff restriktiv auf die Fälle des vorsätzlichen Angriffs auf den Embryo, der die Schwangere gerade nicht über dessen Abtötung hinaus beeinträchtigen soll, zu begrenzen. Wird dagegen die Trennung grundsätzlich akzeptiert, so wird einerseits der Strafrechtsschutz überhöht, indem Angriffe gegen das Leben einer Schwangeren auch als Abtreibung des Embryos erfaßt werden, zum anderen jedoch nivelliert, weil fahrlässige Verletzungen des Embryos strafrechtlich nicht erfaßbar sind: Der Schutz der §§ 218 ff setzt einen vorsätzlichen Angriff voraus, der Schutz der §§ 223 ff, 211 ff beginnt erst mit der Geburt. Damit sind Einwirkungen auf den Embryo vor der Geburt mit Wirkungen nach der Geburt strafrechtlich nicht erfaßt.16 2. Zur Verdeutlichung a) BGHSt I I S . 15: Der A führ mit seinem Kraftwagen von rückwärts seine auf dem Rad fahrende, nichts ahnende schwangere Ehefrau mit voller Wucht an, so daß sie durch die Luft geschleudert wurde und 12 m vom Ort des Anpralls entfernt liegenblieb. Sie erlitt schwere Verletzungen. Ihre Leibesfrucht wurde nicht abgetötet. BGH: A ist wegen versuchten Mordes in Idealkonkurrenz mit versuchter Abtreibung zu bestrafen. Nach der hier vertretenen Auffassung käme nur eine Bestrafung wegen versuchten Mordes in Betracht. ^ b) Die im 7. Monat schwangere S begeht einen Selbstmordversuch mit Gift. - Als sie besinnungslos ist, wird sie entdeckt. Sofort eingeleitete ärztliche Maßnahmen führen zur Rettung ihres Lebens, der Embryo ist jedoch nicht mehr zu retten. Ergebnis: Nach der hier vertretenen Konzeption bleibt die S straffrei. - Die h.M. muß die S wegen Abtreibung bestrafen, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 218 a Abs. 4 S. 2.*° c) BGHSt 28 S. 11 mit Anm. WAGNER JR 1979 S. 295 f: A führte Abtreibungshandlungen durch, indem er Seifenlösungen in die Gebärmutter Schwangerer spritzte. (1) Die U erlitt daraufhin erhebliche Schmerzen und eine Fehlgeburt. (2) Die S erlitt erhebliche Schmerzen, die Abtreibung jedoch führte nicht zu dem gewünschten Erfolg. (3) Die Z stieß aufgrund der Tätigkeit des A einen toten Fetus ab und verstarb selbst. BGH: Fall U: § 218 Abs. 1 verdrängt §§ 223, 223 a. Fall S: §§ 218 Abs. 1, 23, 223 a, 52. Fall Z: §§218 Abs. 1,226,52. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dem BGH in vollem Umfang zuzustimmen. Die mit der Abtreibung im Regelfall verbundene Körperverletzung gegenüber der Schwangeren wird durch § 218 Abs. 1 konsumiert (Fall U). Kommt es bei der Abtreibung jedoch zu Verletzungen im Sinne der §§ 224, 225, 226, so behalten diese ihre Selbständigkeit (Fall Z). Gelangt die Abtreibung aber nur bis zu dem Ver16 17

Vgl. hierzu oben § 2, 1 a. Zur Problematik vgl. auch JÄHNKE LK, § 218 Rdn. 8.

18

Z u r h . M . v g l . DREHER/TRÖNDLE § 2 1 8 R d n . 5 ; JÄHNKE L K , § 2 1 8 R d n . 9 ; ROXIN J A 1 9 8 1 S . 5 4 3 ; RUDOLPHI S K , § 2 1 8 R d n . 7 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 8 R d n . 11. - D a g e g e n : BOCKELMANN B . T . / 2 , § 2 I 2 b ; JESCHECKJZ 1 9 5 8 S . 7 4 9 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 3 / 1 5 .

§ 13 Abbruch der Schwangerschaft

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suchsstadium, so erhält auch die vollendete Körperverletzung im Sinne des § 223 a ihre eigenständige Bedeutung bei (Fall S), denn sie wird nicht schon bei einer versuchten Abtreibung im Regelfall als vollendete Körperverletzung verwirklicht. d) BVerfG NJW 1988 S. 2945: Durch eine fehlerhafte Diagnose bewirkte der Arzt A, daß das noch ungeborene Kind im Mutterleib verstarb. BVerfG: Fahrlässige pränatale Einwirkungen mit tödlichen Folgen sind strafrechtlich nicht erfaßt. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre der Sachverhalt als fahrlässige Körperverletzung der Schwangeren strafrechtlich zu erfassen gewesen.^

19 20

Dazu auch: OLG Bamberg NJW 1988 S. 2963; EBERBACH JR 1989 S. 267; OSTENDORF JZ 1984 S. 597 f. Zur Körperverletzung gegenüber der Schwangeren bei Tötung der Leibesfrucht auch: ARZT FamRZ 1983 S. 1020.

Dritter Abschnitt Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit § 14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Die Tat richtet sich gegen einen anderen lebenden Menschen, dazu oben § 2 , 1.

II. Die Systematik des Gesetzes 1. Der Grundtatbestand der Körperverletzungsdelikte ist § 223 Abs. 1. Qualifikationen sind §§ 223 Abs. 2, 223 a, 223 b (soweit er Körperverletzungen betrifft), 225 , 229 Abs. 1, 340 Abs. 1. - Erfolgsqualifizierte Körperverletzmgsdelikte sind beschrieben in den §§ 224, 226, 229 Abs. 2, 340 Abs. 2. 2. Fahrlässige Körperverletzung: § 230. 3. Die Beteiligung an einer Schlägerei, § 227, ist weniger Körperverletzungsdelikt als ein "Massendelikt", das dem Schutz der Allgemeinheit vor Körperverletzungen dient. 4. § 223 b ist gegenüber den Körperverletzungsdelikten als Sonderdelikt anzusehen, soweit er seelische Qualen betrifft; dazu unter § 201.

§ 15: Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 Abs. 1 1. Körperliche Mißhandlung und Gesundheitsbeschädigung Der Tatbestand des § 223 Abs. 1 enthält zyvei Alternativen: Die körperliche Mißhandlung und die Gesundheitsbeschädigung. a) Körperliche Mißhandlung ist die "üble unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperlichen Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt wird".1 Die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit braucht nicht notwendig - z.B. bei schmerzunempfindlichen oder vermindert schmerzempfindlichen Personen - mit beträchtlichen Schmerzen verbunden zu sein. Beispiele: Abscheren des Bartes (a.A. RGSt 29 S. 58), Abschneiden der Haare (BGH NJW 1953 S. 1440), Schläge gegen den Kopf einer Person, die aufgrund einer Geisteskrankheit kein Schmerzempfinden zeigt

1

Dazu: B G H S t 14 S. 269; DREHER/TRÖNDLE § 2 2 3 Rdn. 3; HIRSCH L K , § 2 2 3 R d n . 6 ; KREY B . T . l , R d n . 189; LACKNER StGB, § 2 2 3 Rdn. 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 3. - HORN - SK, § 2 2 3 R d n . 8 -

will auch unerhebliche Einwirkungen auf den Körper, sofern sie von einer fiblen unangemessenen Gesinnung charakterisiert sind, hierher zählen. Damit wird jedoch die Grenze zur Beleidigung verwischt; dazu auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 4.

§ 15 Die Körperverletzung

63

(RGSt 19 S. 136), Ohrfeige (BGH bei Daliinger, MDR 1973 S. 901), schweren Ekel erregendes Anspeien^.

aa) Eine übermäßige Schmerzempfindung (Hyperästhesie) ist bei der Beurteilung der Erheblichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen.3 - Damit wird der Strafrechtsschutz nicht zu Lasten des Täters ausgedehnt: Kennt der Täter die Hyperästhesie des Opfers nicht, so fehlt es ihm am Vorsatz. Ist sie ihm jedoch bekannt und baut er gerade auf ihr seinen verbrecherischen Plan auf, so trifft die Strafe ihn mit Recht. bb) Seelische Beeinträchtigungen sind nur dann als körperliche Mißhandlung anzusehen, wenn sie sich körperlich auswirken. b) Gesundheitsbeschädigung ist das Herbeiführen oder die Steigerung eines nicht unerheblichen anormalen körperlichen Zustandes, unabhängig von dessen Dauer. Die Ansteckung eines anderen mit einer Krankheit, zum Beispiel die Infizierung mit Aids, ist daher tatbestandsmäßig, weil der körperliche Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändert wird.4 Bloße Störungen des seelischen Wohlbefindens, die keine Verschlechterung des körperlichen Zustandes zur Folge haben, reichen nicht aus.5 Beispiele: Erregung von Trunkenheit (BGH NJW 1983 S. 462), oder sonstigen Rauschzustanden (BGH NJW 1970 S. 519), nervliche Zerrüttung durch lautstarkes Anfahren von Lastwagen zur Nachtzeit in Wohngegend (LG Kreuznach BB 1957 S. 93), wiederholte nächtliche Störanrufe (LG Hamburg MDR 1954 S, 630), schwerer Schock (OLG Koblenz VRS 42 S. 29), Hervorrufen oder Aufrechterhalten einer Sucht

2. Der ärztliche Heileingriff BGHSt 11 S. 111: A, der Chefarzt eines Krankenhauses, nahm bei der N eine Operation vor, mit der eine Gebärmuttergeschwulst entfernt werden sollte. Während der Operation ergab sich, daß die Geschwulst nicht auf der Gebärmutter saß, sondern mit ihr fest verwachsen war. Weil sie nicht anders als durch gleichzeitige Ausräumung der Gebärmutter beseitigt werden konnte, entfernte A den ganzen Gebärmutterkörper.

Die Frage, ob der ärztliche Heileingriff eine körperliche Mißhandlung darstellt, ist streitiga) Die Rechtsprechung geht davon aus, daß der ärztliche Heileingriff stets eine körperliche Mißhandlung darstellt. - Allerdings kann die Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsverletzung durch Einwilligung ausgeschlossen sein.7 b) In der Lehre wird z.T. die Ansicht vertreten, ein lege artis durchgeführter Heileingriff sei niemals eine Körperverletzung: der zu Heilzwecken vorgenommene Eingriff in

2

R G G A 5 8 (1911) S. 184; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 4 . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.l, § 9 Rdn. 4.

3

W i e hier: SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 4 a. - A . A . HIRSCH L K , § 2 2 3 R d n . 7 .

4

Vgl. dazu BGHSt 36 S. 1, 6 f m.e.N; BGH NJW 1990 S. 129. - A.A. AG Kempten NJW 1988 S. 2313; PRrrrwrrz StV 1989 S. 126 f.

5

V g l . O L G H a m m M D R 1958 S. 939; DREHER/TRÖNDLE § 2 2 3 R d n . 6 ; HORN S K , § 2 2 3 R d n . 2 3 ; LACKNER StGB, § 2 2 3 R d n . 5 . - A . A . KREY B . T . l , R d n . 195; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 6 ; WEL-

6 7

ZELLb., § 3 9 1 l b . (OLG Frankfurt NStZ 1991 S. 235; BayObLG StV 1993 S. 642), BGHSt 11 S. 111; 16 S. 309; OLG Hamm MDR 1963 S. 520; OLG Hamburg NJW 1975 S. 603; zu-

s t i m m e n d : WEBER in: A r z t / W e b e r , L H 1, R d n . 320; BAUMANN N J W 1958 S. 2 0 9 3 ; KREY B . T . l ,

Rdn. 219; SCHWALM Bockelmann-Festschrift, S. 540.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

die körperliche Integrität sei keine "üble unangemessene Behandlung des Körpers", sondern ein sinnvoller, angemessener Eingriff.8 c) Die heute wohl h.L. will hingegen nur in dem gelungenen, zur Heilung führenden, lege artis durchgeführten Heileingriff keine Körperverletzung sehen.9 d) Wieder andere verneinen nur dann eine Körperverletzung, wenn der Eingriff nicht zu einem Substanzverlust oder zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation des Patienten geführt hat.10 e) Stellungnahme: Der lege artis vorgenommene, erforderliche Heileingriff führt zu einer Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. Er ist daher keine negative Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und damit auch keine Körperverletzung, selbst wenn es zu einem Substanzverlust kommt. - Der erfolglos gebliebene oder zu einer Verschlechterung führende Eingriff hat hingegen objektiv eine negative Beeinträchtigimg der Körperintegrität zur Folge. - Wird "üble unangemessene Behandlung" als körperlich negative unangemessene Behandlung interpretiert und nicht als ein besonderer über die objektive Körperverletzung hinausweisender Handlungsunwert, so muß ein solcher Eingriff als Körperverletzung angesehen werden. Zuzustimmen ist daher der Lehre, die den gelungenen, lege artis durchgeführten Heileingriff nicht als Körperverletzung ansieht. Keine Körperverletzung ist daher nur der gelungene lege artis durchgeflihrte Heileingriff. f) Der nicht medizinisch indizierte Heileingriff, z.B. eine kosmetische Operation, die nur aus ästhetischen, nicht aber medizinischen Gründen erfolgt, und der nicht lege artis durchgeführte Eingriff sind tatbestandsmäßige Körperverletzungen.11 g) Die Tatsache schließlich, daß der Täter die Seele des Opfers über den Eingriff in die körperliche Integrität bessern will - A prügelt den boshaften B durch, um seine Seele zu bessern -, ändert nichts daran, daß es sich hier um eine Körperverletzung handelt.12 II. Zur Rechtswidrigkeit Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen kommen bei den Körperverletzungsdelikten der Einwilligung sowie nach h.M. der "mutmaßlichen Einwilligung" und dem Züchtigungsrecht besondere Bedeutung zu. - Problematisch ist dabei insbesondere der Anwendungsbereich der Einwilligung, denn streitig ist, ob und wieweit auch in eine körperliche Gefährdung eingewilligt werden kann. Zu beachten ist nämlich: Die Einwilligung als Verzicht auf Rechtsschutz gegen eine grundsätzlich strafbare Rechtsgutsbeeinträchtigung setzt voraus, daß der Täter nicht nur in eine bestimmte gefährliche Handlung einwilligt, sondern auch in ihren Erfolg. Dieses Erfolgs muß er sich minde-

8

Dazu ENGISCH ZStW 58 (1939) S. 5; EB. SCHMIDT 44. DJT-Gutachten, 1962, 4. Teil, S. 188 ff; WELZELLÖ., § 3 9 1 3 a.

9

Dazu BOCKELMANN B . T . / 2 , § 9 III 2 c, bb; GÖSSEL B . T . 1, § 13 Rdn. 68; HIRSCH L K , Vor § 223 Rdn. 3 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 8 Rdn. 29; SCHMIDHÄUSERB.T. 1/5.

10

Dazu HARDWIG G A 1965 S. 161 ff; SCHRÖDER N J W 1961 S. 951 ff; SCH/SCH/ESER § 223 R d n . 32 ff. - Weiter differenzierend: KRAUB Bockelmann-Festschrift, S. 574 ff.

11

Dazu MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 8 R d n . 38.

12

H . M . - A . A . WÜRTENBERGER D R Z 1948 S. 291 ff.

§ 15 Die Körperverletzung

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stens im Sinne des dolus eventualis bewußt sein, denn nur in diesem Fall kann der Rechtsschutzverzicht als Ausdruck der Autonomie des Einzelnen verstanden werden. Die "Einwilligung in eine Gefährdung" hat diesen Sinngehalt nicht. Das Handeln in Kenntnis einer bestimmten Gefahrensituation kann nicht verallgemeinernd als Rechtsschutzverzicht interpretiert werden. Die "Einwilligung" in die eigene Gefährdung bedeutet nicht automatisch den Verzicht auf Rechtsschutz. Hier geht es vielmehr um allgemeine Zurechnungsprobleme, die sich dann stellen, wenn sich mehrere Personen in Kenntnis einer Gefahrenlage dieser Gefahr aussetzen oder bei ihrer Verwirklichung zusammenwirken. Zu erörtern ist, ob in derartigen Fallkonstellationen die Grundsätze einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung eingreifen können, denn diese liegt nicht nur vor, wenn jemand eine bestimmte Gefahr für die eigenen Rechtsgüter kausal begründet, sondern auch dann, wenn sich jemand freiverantwortlich und in voller Kenntnis des Risikos und der Tragweite seiner Entscheidung in eine Gefahrensituation begibt. Wer in dieser Weise eine Gefahr auf sich nimmt, schließt andere von den strafrechtlichen Folgen für die Realisierung der Gefahr aus.13 1. Die Einwilligung a) Voraussetzungen aa) Der Einwilligende muß über den Schutz durch das betroffene Rechtsgut verfügen können. bb) Die Einwilligung muß sich auf künftiges Verhalten beziehen, cc) Die Einwilligung muß frei, d.h. unbeeinflußt durch Zwang oder Täuschung, und ernstlich erklärt sein. dd) Der Einwilligende muß sich der Tragweite seiner Entscheidung bewußt sein, d.h. Wesen, Bedeutung und Tragweite der gegen ihn gerichteten Tat erkennen - Irrtümer sind beachtlich, soweit der Täter sie kennt oder soweit er zur Aufklärung verpflichtet ist. ee) Subjektives Merkmal: Kenntnis der Einwilligung durch den Täter, ff) Die Tat - Körperverletzung - darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen, § 226 a. Die Sittenwidrigkeit der Tat will die h.M. nach dem Zweck der Beeinträchtigung bestimmen. Richtiger ist es jedoch, die Sittenwidrigkeit der Tat nach der Schwere der tatbestandlichen Verletzung zu beurteilen.14 b) Einwilligung in Sportverletzungen Bei der Verletzung von Teilnehmern sportlicher Wettkämpfe erkennt die Praxis die Möglichkeit einer Rechtfertigung durch Einwilligung an. BayObLG NJW 1961 S. 2072: Bei einem Fußballverbandsligaspiel stießen der Stürmer A und der Torwart M so stark zusammen, daß der M einen Bruch des linken Schien- und Wadenbeins erlitt. BayObLG: Erfolgt eine Körperverletzung bei einem gegeneinander ausgetragenen Wettkampf, so ist diese durch Einwilligung gerechtfertigt, soweit sie nicht auf grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verstoß gegen die Regeln beruht." 13 14

Vgl. dazu eingehender OTTO Tröndle-Festschrift, S. 175. Eingehender dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 III 1. - Zur Stellung der Einwilligung im V e r b r e c h e n s a u f b a u : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 III 2 .

15

Vgl. auch OLG Stuttgart MDR 1972 S. 623; OLG Stuttgart NJW 1992 S. 850.

66

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Der Gedanke der Einwilligung trägt jedoch in diesen Fällen nicht, denn der Teilnehmer an einem Wettkampf will eigene körperliche Verletzungen vermeiden, er will aber keineswegs durch Einwilligung in die Verletzungen einen Rechtsschutzverzicht zum Ausdruck bringen.16 Begibt sich der Teilnehmer an einem Wettkampf jedoch frei verantwortlich und in Kenntnis der möglichen Folgen seines Verhaltens in eine Gefahrensituation, so liegt insoweit eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, die einen durch das Handeln anderer Teilnehmer begründeten Zurechnungszusammenhang unterbricht.17 c) Verantwortung für körperliche Schäden durch Dopingmittel Auch wenn ein Sportler sich Dopingmittel verschreiben läßt, kann in diesem Verhalten keine Einwilligung in etwaige Körperverletzungen gesehen werden. Wohl aber liegt auch hier eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, wenn der Sportler die Risiken kennt und dennoch der Verabreichung freiverantwortlich zustimmt.18 d) Verantwortung für körperliche Schäden durch Trunkenheitsfahrt. Die bewußte Teilnahme an einer Trunkenheitsfahrt entspricht in ihrer rechtlichen Problematik den unter b) und c) genannten Situationen. OLG Zweibrücken Blutalkohol 1965/66 S. 388: A und S hatten an einer Betriebsfeier teilgenommen und Alkohol in erheblichen Mengen getrunken. Anschließend fuhr A (1,37 o/oo Blutalkohol) mit dem Kfz nach Hause. S fuhr mit, obwohl er wußte, daß A getrunken hatte. Es kam zu einem Unfall. S wurde leicht verletzt. OLG Zweibrücken: Ist sich der Mitfahrer der Gefährdung durch die Fahruntüchtigkeit des Fahrers bewußt, so kann im bloßen Mitfahren bereits eine rechtfertigende Einwilligung in die Körperverletzung liegen. Sachgerechter erscheint es auch hier, eine Unterbrechung des von A begründeten Zurechnungszusammenhangs durch eigenverantwortliche Selbsteefährdung anzunehmen, da S bewußt das Risiko, das sich in seiner Verletzung realisierte, auf sich nahm.

2. Die sogenannte mußmaßliche Einwilligung Nach h.M. kann in Fällen einer rechtlich zulässigen, aber tatsächlich fehlenden Einwilligung ein Verhalten durch eine sogenannte mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn eine Einwilligung des Berechtigten nicht zu erlangen ist, aber gemutmaßt werden kann, weil der Rechtsgütereingriff in seinem Interesse erfolgt. Die mutmaßliche Einwilligung soll einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund bilden. Diese Ansicht ist auf der unrichtigen Auffassung gegründet, daß im Rahmen der Rechtfertigung des § 34 nur eine objektive Interessen- und Güterabwägung stattfinden kann. Das aber ist unzutreffend, denn auch die Berücksichtigung subjektiver Interessen ist in § 34 nicht ausgeschlossen. Wird dieses erkannt und zugleich beachtet, daß die sogenannte mutmaßliche Einwilligung überhaupt kein eigenständiges Kriterium bietet, wann die Einwilligung gemutmaßt werden darf, so ist einsichtig, daß der mutmaßlichen Einwilligung keine Eigenständigkeit als Rechtfertigungsgrund zukommt. In den re16 17 18

Dazu bereits ESER JZ 1978 S. 368 ff; SCHILD Jura 1982 S. 520 ff. Dazu eingehend OTTO Tröndle-Festschrift S. 170 ff, 174. Eingehender dazu OTTO SpuRt 1994 S. 10 ff.

19

V g l . a u c h GRUNDKURS STRAFRECHT A . T . , § 6 II 3 b .

20

V g l . B G H S t 16 S. 3 1 2 ; 3 5 S . 2 4 9 ; DREHER/TRÖNDLB V o r § 3 2 R d n . 4 ; HIRSCH L K , V o r § 3 2 R d n . 1 2 9 ; HRUSCHKA D r e h e r - F e s t s c h r i f t , S. 2 0 5 ; SCH/SCH/LENCKNER V o r § 3 2 R d n . 5 6 .

§ 15 Die Körperverletzung

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levanten Fällen ist eine Prüfung der Rechtfertigung nach den Kriterien des § 34 vorzunehmen, doch wird durch den Rückgriff auf die "mutmaßliche Einwilligung" keine Fehlerquellle eröffnet.21 3. Das Züchtigungsrecht Das Züchtigungsrecht beruht auf dem familienrechtlichen Erziehungsrecht.22 Es ist in seiner Existenz streitig, doch übersehen die Gegner, daß schwerere Eingriffe in die körperliche Integrität in keinem Fall durch das Züchtigungsrecht gerechtfertigt sind, so daß das Züchtigungsrecht nicht als Deckmantel für schwere Körperverletzungen dienen kann.23 Voraussetzungen24: a) Hinreichender Anlaß zum erzieherischen Eingriff des Erziehungsberechtigten. b) Angemessenheit zur Erreichung des erzieherischen Zwecks, wobei insbesondere Alter, körperliche Konstitution, Geschlecht u.a. zu beachten sind. c) Nur maßvolle Züchtigung kann überhaupt gerechtfertigt werden. d) Subjektiv: Handeln mit Erziehungswillen.

III. Aszendentenverletzung, § 223 Abs. 2 Gemäß § 223 Abs. 2 ist die Körperverletzung qualifiziert, wenn sie sich gegen Aszendenten (Eltern, Großeltern) richtet.

IV. Zur Bestrafung 1. Der Versuch der einfachen Körperverletzung ist straflos. 2. Antrags- und Privatklagedelikt Die einfache Körperverletzung ist ein durch das Fehlen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bedingtes Antragsdelikt, § 232. a) Grundsätzlich setzt die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens einen Strafantrag des Verletzten voraus, §§ 77 ff. Sodann besteht die Möglichkeit der Privatklage, § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO, oder, bei "öffentlichem Interesse", des öffentlichen Verfahrens, § 376 StPO. b) Ist aber ein "besonderes öffentliches Interesse" zu bejahen, so kann die Staatsanwaltschaft auch ohne Strafantrag die öffentliche Klage erheben, § 232. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses unterliegt nicht derrichterlichenPrüfung.25 21

Dazu eingehender: GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 IV.

22

Vgl. dazu §§ 1626, 1631, 1705, 1800 BGB.

23

V g l . DREHER/TRÖNDLB § 223 R d n . 10 ff; HIRSCH LK, § 223 R d n . 22; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n .

24 25

20. - A.A. U. SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987, S. 210 ff m. e. N. in Fn. 87. Hierzu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 V 4; zum Züchtigungsrecht des Lehrers: § 8 V 4 c. Vgl. dazu BVerfGE 51 S. 176; BGHSt 16 S. 225; BayObLG NJW 1991 S. 1765; KRÖPIL NJW 1992 S. 654 ff.

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Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

3. Kompensation, § 233 Gemäß § 233 besteht die Möglichkeit der Kompensation von leichten Körperverletzungen mit leichten oder fahrlässigen Körperverletzungen oder Beleidigungen, soweit diese auf der Stelle erwidert werden. - Das ist der Fall, solange der durch die Ersttat ausgelöste Erregungszustand anhält. Der Gesetzgeber berücksichtigt damit die Gemütserregung des zuerst Angegriffenen sowie die Tatsache, daß der zuerst Angreifende mit der Reaktion des Angegriffenen bereits "seine Strafe" erhalten hat. a) Kompensationsfähig sind nur Körperverletzungen, die den Unrechtstatbestand der §§ 223, 230 erfüllen, und rechtswidrige Beleidigungen gemäß §§ 185 ff. b) Erfolgt die Ersttat durch einen Schuldunfähigen, so ergibt sie eine Kompensationsgrundlage nur dann, wenn der Schuldunfähige sich des materiellen Unrechts (Sozialschädlichkeit) seines Tuns bewußt ist. 26 Die Körperverletzung durch einen Schuldunfähigen zur Vergeltung der Ersttat ist hingegen wirksame Kompensationsgrundlage. c) Bei irriger Annahme einer Ersttat wird z.T. eine Anwendung des § 233 bejaht, § 16 Abs. 2 analog.27 Die Gegenmeinung verlangt das tatsächliche Vorliegen einer tatbestandsmäßigen rechtswidrigen Ersttat.28 Der erstgenannten Meinung ist zu folgen, denn auch wenn § 233 keine Notwehrlage betrifft, handelt es sich doch um Verhaltensweisen im Grenzbereich zur Notwehr, die § 233 unter privilegierende Strafzumessungsgrundsätze stellt. d) § 233 findet auch Anwendung, wenn der behauptete erste Angriff nicht erwiesen ist. Als privilegierende Strafzumessungsregel betrifft § 233 materielles Strafrecht, auf das der Grundsatz in dubio pro reo Anwendung findet.29

§ 16: Die gefährliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 223 a Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, § 223 a, qualifiziert § 223 Abs. 1 wegen der gefährlichen Begehungsweise der Körperverletzung. Weitgehend übereinstimmend wird die spezifische Gefahr der in § 223 a genannten Tatmittel in der Eignung, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen, gesehen. Diese Interpretation ist insbesondere hinsichtlich des hinterlistigen Überfalls und der gemeinschaftlichen Körperverletzung vom Wortlaut des Gesetzes her angreifbar, entspricht aber dem Bemühen um eine sachgerechte Eingrenzung des Tatbestandes. - Die von HEINRICH hiergegen erhobenen Einwände sind daher durchaus nicht von der Hand zu weisen.^ Seine Auffassung, daß es hier um den Einsatz eines in besonderem Maße die Wirksamkeit des Angriffs erhöhenden Faktors zum Zwecke der Körperverletzung geht' , ist in sich schlüssig, sprengt aber 26

Vgl. auch BayObLG NJW 1991 S. 2031.

27

O L G H a m m G A 1972 S. 29; O L G Köln M D R 1973 S. 688; DEUBNER N J W 1967 S. 63; HIRSCH LK, § 2 3 3 R d n . 13; LACKNER StGB, § 199 Rdn. 2.

28

DREHER/TRÖNDLE § 199 R d n . 1; KÜPER J Z 1968 S. 6 5 1 ff; SCH/SCH/LENCKNER § 199 R d n . 7 ; R u DOLPHISK, § 199 R d n . 8.

29

Dazu BGHSt 10 S. 373. - A.A. DREHER/TRÖNDLE § 199 Rdn. 1 zur entsprechenden Problematik bei § 199. HEINRICH, Die gefährliche Körperverletzung, 1993, S. 494 ff. Vgl. Körperverletzung S. 555 ff.

30 31

§ 16 Die gefährliche Körperverletzung

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die Grenzen des Gesetzes Wortlauts, denn sie erfafit letztlich jedes Werkzeug als qualifizierend, nicht nur "gefährliche Werkzeuge".

Bei der Körperverletzung mittels einer Waffe, eines Messers oder anderen gefährlichen Werkzeugs handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die Ausführungsweise der Körperverletzung muß die Gefahr einer erheblichen Körperverletzung begründen. Bei den drei anderen Ausführungsweisen (hinterlistiger Überfall, von mehreren gemeinschaftlich, das Leben gefährdende Behandlung) handelt es sich um abstrakt gefährliche Verhaltensweisen, weil bewußt Faktoren eingesetzt werden, die die Wirksamkeit des Angriffs in besonderem Maß erhöhen.32

II. Die einzelnen Tatmittel 1. Gefährliches Werkzeug Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ist das gefährliche Werkzeug der Oberbegriff der 1. Ausführungsart, während die Waffe - hier im technischen Sinne zu verstehen - und das Messer nur Beispiele für besonders gefährliche Werkzeuge sind. Geßhrlich ist ein Werkzeug, das als Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach seiner konkreten Anwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. - Gefährliche Werkzeuge im Sinne der Vorschrift sind nicht nur mechanisch wirksame Objekte, sondern alle Gegenstände, deren Verwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Aus dem Wortsinn "Werkzeug" wird z.T. geschlossen, daß das Werkzeug ein beweglicher Gegenstand sein müsse. Vom Zweck der Vorschrift, konkret gefährliche Körperverletzungen zu vermeiden, ist diese Differenzierung nicht überzeugend. - Körperteile sind keine Werkzeuge i.S. des § 223 a. 33 Beispiele: Schuh, wenn nach Art des Einsatzes oder der Beschaffenheit erhebliche Körperverletzungen zu befürchten sind (vgl. BGH StV 1988 S. 62; OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 920); Kleiderbügel, bei Schlägen ins Gesicht, nicht hingegen bei Schlägen aufs Gesäß (BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 367); Zange oder Schere, bei StöBen gegen den Körper, nicht hingegen, wenn eine ärztliche Zange bei einer Operation verwendet wird, da durch die sachgerechte Verwendung eines Werkzeugs bei einer Operation gerade erhebliche, über den Eingriff hinausgehende Verletzungen vermieden werden sollen (vgl. auch BGH NJW 1978 S. 1206); Spritze in der Hand nicht zugelassenen Heilpersonals3 , Salzsäure, beim Spritzen ins Gesicht einer Person (BGHSt 1 S. 1); Brennspiritus, wenn er als Trinkalkohol ausgeschenkt wird (BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 526); erhitzter Kochherd, auf den jemand mit bloßem Hintern gesetzt wird (a.A. RGSt 24, S. 372); Wand, gegen die der Kopf einer Person geschlagen wird 3 '; Zeltstange eines Festzeltes (a.A. BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 987).

2. Hinterlistiger Überfall Hinterlistig ist ein Überfall, d.h. ein unvorhergesehener Angriff, bei dem der Täter seine Angriffsabsicht planmäßig verdeckt, z.B. durch Vortäuschen von Friedfertigkeit. Bloßes Ausnutzen der Überraschung genügt nicht. Beispiele: Faustschläge gegen das nichtsahnende Opfer von hinten: kein hinterlistiger Überfall (OLG Schleswig SchlHA 1953 S. 245); desgleichen: plötzlicher Angriff auf eine gegenüberstehende Person 32

Einheitlich als konkretes Gefährdungsdelikt wird § 223 a dagegen interpretiert von HIRSCH LK, § 223 a Rdn. 3; LAMPE ZStW 83 (1971) S. 177 ff.

33

BGH GA 1984 S. 124 f.

34

BGH NStZ 1987 S. 174; dazu GEPPERT JK 87, StGB § 223 a/2; SOWADA JR 1988 S. 123 ff; WOLSH G A 1987 S. 527 ff.

35

A.A. BGHSt 22 S. 235; dazu R. SCHMITT JZ 1969 S. 304; STREE Jura 1980 S. 284 ff.

70

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

(BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267); bloße Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers (BGH GA 1989 S. 132). Dagegen: plötzlicher Überfall nach vorherigem freundschaftlichem Gruß (BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 526); Beibringung eines in Milch aufgelösten Schlafmittels (BGH NStZ 1992 S. 490).

3. Die von mehreren gemeinschaftlich begangene Körperverletzung Nach h.M. müssen mindestens 2 Personen als Mittäter mitwirken, jedoch sind eigenhändige Verletzungshandlungen jedes einzelnen Mittäters nicht erforderlich.36 Richtig erscheint es demgegenüber, das Zusammenwirken eines Täters und eines Gehilfen genügen zu lassen, die gemeinschaftlich am Tatort tätig sind, da auch in dieser Situation die Abwehrbereitschaft des Opfers durch die Verteidigung gegen mehrere Angreifer geschwächt ist. - Bei gleichzeitiger Anwesenheit am Tatort wird allerdings Beihilfe nur ausnahmsweise in Betracht kommen.37 4. Lebensgefährdende Behandlung Eine lebensgefährdende Behandlung liegt vor, wenn die konkrete Handlungsweise eine abstrakte Lebensgefahr begründet. Beispiele: Würgegriff am Hals (BGH StV 1993 S. 26); Anfahren mit Kfz (BGH VRS 14 S. 286); Abschütteln vom Moped (BGH bei Dallinger, MDR 1957 S. 652); schwere Schläge mit der Faust an den Kopf einer Frau (OLG Köln NJW 1983 S. 2274), nicht hingegen ein kräftiger Faustschlag auf die Nase (OLG Köln StV 1994 S. 247). - Zum Infizieren mit Aids, vgl. unter IV.

III. Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Umstände erfassen, aus denen sich die Gefahr ergibt. - Bei der ersten Begehungsweise muß der Täter darüber hinaus wissen, daß das Werkzeug nach seiner konkreten Anwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Bei den anderen Begehungsweisen muß der Täter sich der jeweils abstrakten Gefahr bewußt sein.38 IV. Sonderproblem Aids 1. Infizieren mit Aids Im Infizieren mit Aids hat der BGH zutreffend eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gesehen. Auch den Vorsatz hat der BGH mit dem Hinweis darauf, daß die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns ergibt, genügt, bejaht. Den Tötungsvorsatz hat der BGH im kon36

Vgl. z.B. BGH GA 1986 S. 229; (zweifelnd BGHSt 23 S. 122); DREHER/TRÖNDLE § 223 a Rdn. 4;

37

Vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1989 S. 530 mit Anm. OTTO S. 531, DEUTSCHER NStZ 1990 S. 125 ff;

LACKNER StGB, § 223 a Rdn. 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 9 Rdn. 17. BAUMANN J u S 1 9 6 3 S . 5 1 ; SCH/SCH/STREE § 2 2 3 a R d n . 11; STREE J u r a 1 9 8 0 S . 2 9 0 . 38

S t r . - W i e h i e r : BACKMANN M D R 1976 S . 9 7 6 ; HERDEGEN B G H - F e s t s c h r i f t , S . 2 0 3 ; HIRSCH L K ,

§ 223 a Rdn. 23; LACKNER StGB, § 223 a Rdn 9. - Kenntnis der Umstände, aus denen die Gefährlichkeit sich objektiv ergibt, lassen genügen: für die erste Begehungsweise: BGHSt 19 S. 352; BGH N J W 1990 S . 3 1 5 6 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 2 3 a R d n . 6 ; HORN S K , § 2 2 3 a R d n . 15; f ü r d i e vierte

Begehungsweise: BGHSt 19 S. 352; 28 S. 17; BGH NJW 1989 S. 785; DREHER/TRÖNDLE § 223 a R d n . 6 ; HORN S K , § 2 2 3 a R d n . 2 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 9 R d n . 1 7 .

§ 16 Die gefährliche Körperverletzung

71

kreten Fall mit der Erwägung abgelehnt, es sei nicht erwiesen, daß der Täter die Hemmschwelle zur Tötung überschritten habe. 39 a) Die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung bei erfolgter Infizierung beziehungsweise eines Versuchs der gefährlichen Körperverletzung bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr, wenn die Infizierung selbst nicht erfolgt oder nicht nachweisbar ist, erscheint zutreffend. Die Infizierung mit einer Krankheit ist eine Gesundheitsbeschädigung, auch wenn die Krankheit selbst noch nicht zum Ausbruch gekommen ist. Problematischer ist die Bejahung des Vorsatzes. Maßgeblich ist hier, ob nach dem derzeit bekannten Wissensstand der ungeschützte Geschlechtsverkehr bereits die konkrete Gefahr einer Ansteckung begründet oder ob dieses Risiko aufgrund des geringen Wahrscheinlichkeitsgrades einer Ansteckung als bloß abstrakte Gefahr abgetan werden kann. Geht man mit dem BGH davon aus, daß die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung nicht so gering ist, daß ihr bereits Zufallswert zukommt, so ist das Bewußtsein der konkreten Gefährdung zu bejahen, denn jeder Geschlechtsverkehr ist dann geeignet, die Krankheit zu übertragen, und dieses Wissen kann im konkreten Fall nur unter besonderen individuellen Umständen fehlen. Zieht man diese Konsequenz, dann ist sowohl der Vorsatz lebensgefahrdender Behandlung als auch der einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 224 (Siechtum) und letztlich der - auch bedingte - Tötungsvorsatz nicht auszuschließen.40 Eine Anwendung des § 229 kommt hingegen im Regelfall nicht in Betracht, da die Absicht des Täters darauf gerichtet sein muß, das Opfer an der Gesundheit zu beschädigen. Hier ist dolus directus 1. Grades erforderlich.41 b) Streitig ist, ob der kondomgeschützte Verkehr des HTV-Infizierten mit einem nicht über die Krankheit informierten Partner noch als sozialadäquates (erlaubtes) Risiko angesehen werden kann. Dagegen spricht, daß der Schutz durch ein Kondom das Risiko einer Ansteckung mindert, nicht aber ausschließt, und auch das Restrisiko noch recht erheblich ist (str.). Dafür spricht, daß öffentliche Kampagnen durch die zuständigen Gesundheitsbehörden, z.B. "Kondome schützen", das Bewußtsein geprägt haben, in diesen Fällen verbleibe nur ein irrelevantes Restrisiko. Das ist im konkreten Fall im subjektiven Tatbestand zu berücksichtigen.42 2. Einverständlicher Geschlechtsverkehr mit Aidsinfiziertem Beim Geschlechtsverkehr mit einem mit Aids infizierten Partner könnte es naheliegen, auch dann, wenn der andere Partner die Gefahr kennt und dennoch mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr einverstanden ist, den Akt als Körperverletzung des Kranken an dem 39

V g l . B G H S t 3 6 S. 1, 15 f; mit A n m . BRUNS M D R 1989 S. 199 f f ; HELGERTH N S t Z 1 9 8 9 S. 117 f ; HERZBERG J Z 1989 S. 4 7 0 f f ; PRnTWITZ StV 1989 S. 123 f f ; SCHÜNEMANN J R 1989 S . 8 9 , 9 2 f .

40

Im einzelnen zur Diskussion außer den oben genannten: BOTTKE in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von Aids, 1988, S. 171 ff; GEPPERT Jura 1987 S. 668 ff; KREUTZER ZStW 100 ( 1 9 8 8 ) S. 7 8 6 f f ; H . W . MAYER JUS 1990 S 7 8 4 ff; B . - D . MEIER G A 1989 S . 2 0 7 ff; RENGIER J u r a

1989 S. 225 ff.

41

A . A . HERZBERG J Z 1989 S. 4 8 0 f , i m Anschluß an SCHÜNEMANN J R 1989 S. 9 1 f f .

42 Eingehend zum Streitstand

KNAUER AIFO 1994 S. 466 ff. - Im übrigen vgl. einerseits FRISCH J u S 1990 S. 364; H . - W . MAYER JuS 1990 S. 786; RENGIER J u r a 1989 S. 2 3 1 ; andererseits BRUNS M D R 1989 S. 199; HERZBERG J Z 1989 S. 4 7 5 ; B . - D . MEIER G A 1989 S. 2 3 0 ; PRITTWITZ StV 1989 S. 127.

72

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

bisher gesunden Partner zu interpretieren. Diese Sicht wird dem Sachverhalt des gemeinsam ausgeübten Geschlechtsverkehrs jedoch nicht gerecht. Beide Partner sind im Hinblick auf den gefährlichen Akt Mitträger der Tatherrschaft. Damit aber läßt sich der Sachverhalt nicht als täterschaftliche Verletzung des anderen durch den infizierten Partner erfassen.43 3. Blutentnahme für verheimlichten Aids-Test Aids-Tests, die zur sachgerechten Diagnose oder Therapie bei einer ärztlichen Behandlung erforderlich sind, werden von der Einwilligung in die Untersuchung oder Behandlung erfaßt und sind daher - auch soweit dieser Eingriff als Körperverletzung angesehen wird; dazu § 15 I 2 - nicht als solche aufklärungsbedürftig.44 Bei einer Blutentnahme und ihrer Untersuchung zum Schutz Dritter (Arzt und Personal) ist die Venenpunktion in jedem Fall ein Eingriff in die körperliche Integrität, der als tatbestandsmäßige Körperverletzung anzusehen ist. Dieser Eingriff ist durch die Einwilligung in die Untersuchung und/oder Behandlung nicht gedeckt. In Betracht kommt aber eine Rechtfertigung nach § 34. Grundsätzlich wird man hier, wenn Schutzmaßnahmen aufgrund der Behandlung oder Untersuchung angezeigt sind, eine Rechtfertigung nach § 34 annehmen müssen.45 Soweit eine Ansteckungsgefahr aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen erscheint, entfällt die Rechtfertigung. 4 ^ Unter Verweis auf das Erfordernis der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel bei der Einwilligung wird eine Rechtfertigung durch Einwilligung stets dann bejaht, wenn der Betroffene über den körperlichen Eingriff aufgeklärt worden ist. Die Täuschung über den Test soll als Motivirrtum irrelevant sein. 4 ' Damit wird der Einwilligung letztlich die Bedeutung genommen, sicherzustellen, daß Eingriffe in die körperliche Integrität nur insoweit zulässig sind, wie der Rechtsgutsinhaber in voller Kenntnis der Situation über seine körperliche Integrität verfügt hat. 4 °

43

Vgl. dazu auch: BayObLG NJW 1990 S. 131 mit Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 223a/4, BOTTKE in: Rechtsprobleme, S. 182 ff, 184; DÖLUNG JR 1990 S. 4 7 5 ff; EBERBACH JR 1986 S. 231; HELGERTH NStZ 1988 S. 261 ff; HERZBERG N J W 1987 S. 1462; HERZOG/NESTLER-TREMEL StV 1987 S. 366;

OTTO Tröndle-Festschrift, 1989, S. 166 f; PRrrTWriz JA 1988 S. 432; RENGIER Jura 1989 S. 225, 230; SCHLEHOFER NJW 1989 S. 2017 ff. 44

Vgl. DRBHER/TRÖNDLE § 223 Rdn. 9 w ; LACKNER StGB, § 226 a Rdn. 15; LAUFS/LAUFS N J W 1987 S. 2257, 2263; LAUFS/NARRMedR 1987 S. 282; LESCH N J W 1989 S. 2309 ff; SCH/SCH/ESER § 223 Rdn. 41; SOLBACH/SOLBACH M e d R 1988 S. 241.

45

Vgl. auch: SOLBACH/SOLBACH J A 1988 S. 112, 116.

46

Dazu BRUNS M D R 1987 S. 355; EBERBACH N J W 1987 S. 1472; JANKER N J W 1987 S. 2 9 0 2 f;

47 48

DERS. Strafrechtliche Aspekte heimlicher Aids-Tests, 1988, S. 85 ff; MICHEL JuS 1988 S. 8, 10. Vgl. SCHLEHOFER Jura 1989 S. 265. Eingehender zur Kritik an der Lehre von der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel: GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 III 1 c.

§ 17 Schwere und besonders schwere Körperverletzung

73

§ 17: Schwere und besonders schwere Körperverletzung I. Der Aufbau der §§ 224, 225 1. Schwere Körperverletzung, § 224 § 224 qualifiziert den Grundtatbestand des § 223 aufgrund der Art und Schwere des Erfolges. Er ist erfolgsqualifiziertes Delikt. Die Aufzählung schwerer Folgen ist abschließend.49 a) In der schweren Folge muß sich eine in der Körperverletzungshandlung typischerweise angelegte Gefahr realisiert haben.50 b) Hinsichtlich der schweren Tatfolge muß dem Täter Fahrlässigkeit zur Last fallen, § 18, und zwar kommt nur noch Fahrlässigkeit in Betracht, da bei weiterreichenden subjektiven Voraussetzungen § 225 eingreift. 2. Besonders schwere Körperverletzung, § 225 § 225 qualifiziert den § 224 wegen des erhöhten subjektiven Unrechts. - Hat der Täter eine der in § 224 Abs. 1 bezeichneten Folgen leichtfertig verursacht, so greift § 225 Abs. 1 ein, bei wissentlicher und absichtlicher Verursachung der Folge wird die Strafe geschärft; § 225 Abs. 2. II. Die einzelnen Merkmale 1. Verlust eines wichtigen Gliedes, des Sehvermögens, des Gehörs, der Sprache oder der Zeugungsfähigkeit a) Wichtiges Glied ist ein Körperteil mit herausgehobener Funktion im Gesamtorganismus. Das sind nicht nur die durch Gelenke verbundenen äußeren Körperteile, z.B. Daumen oder Zeigefinger, sondern auch innere Organe, z.B. die Niere.51 Denn entscheidend für die Qualifizierung ist die Schwere der körperlichen Schädigimg, nicht aber eine formale Unterscheidung nach äußeren und inneren Organen. Wichtig bestimmt die h.M. aus der Sicht des individuell Betroffenen (wichtig z.B. der kleine Finger des Pianisten), während die Gegenmeinung die Wichtigkeit aus der Funktion für den Gesamtorganismus bestimmt.52 - Der h.M. ist zuzustimmen, denn sie eröffnet den sachgerechteren Schutz des individuellen Opfers, ohne dem Täter ein unangemessenes Risiko anzulasten, da sich seine Fahrlässigkeit, bzw. im Rahmen des § 225 seine Absicht, auf die Voraussetzungen, die das Glied zu einem wichtigen machen, beziehen muß.

49 50

Vgl. auch BGH StV 1992 S. 115. Die Problematik der Zurechnung der schweren Folge entspricht hier der des § 226; vgl. zur Auseinandersetzung daher unter § 1 8 1 1 .

51

S o a u c h : O L G N e u s t a d t N J W 1961 S . 2 0 7 6 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 2 4 R d n . 4 ; EBERT J A 1 9 7 9 S . 2 7 8 ; WESSELS B . T . - l , R d n . 2 7 1 . - A . A . B G H S t 2 8 S. 100; HIRSCH J Z 1 9 7 9 S . 1 0 9 ; HORN S K , § 2 2 4 Rdn. 5 .

52

Zur Auseinandersetzung: HIRSCH LK, § 224 Rdn. 9.

74

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Nach h.L. liegt ein Verlust des Glieds bei dauernder Unbrauchbarkeit vor. 53 Die Gegenansicht stellt hingegen auf die physische Abtrennung ab. 54 Dies überzeugt nicht, denn die physische Abtrennung ist nicht notwendig Ausdruck schwereren Unrechts, b) Ein Verlust des Seh- oder Hörvermögens liegt vor, wenn dies auf einen im täglichen Leben nicht mehr wesentlichen Rest reduziert ist.55 - Zeugungsßhigkeit ist im Sinne der Fortpflanzungsfähigkeit zu verstehen. - Bei der Prognose, ob ein Verlust als dauernd angesehen werden kann, ist die Möglichkeit einer zumutbaren operativen Wiederherstellung zu berücksichtigen. 2. Die dauernde Entstellung Eine erhebliche dauernde Entstellung liegt vor, wenn die Verunstaltung nicht in absehbarer Zeit zu beheben ist. Kann die Entstellung durch künstliche Hilfsmittel beseitigt werden, so ist dies zu berücksichtigen.56 3. Der Verfall in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit Verfall ist ein in absehbarer Zeit nicht behebbarer chronischer Krankheitszustand. Siechtum bedeutet ein Schwinden geistiger und körperlicher Kräfte, das zur allgemeinen Hilflosigkeit führt. - Lähmung ist die Beeinträchtigimg der Bewegungsfreiheit eines Körperteils, die - wenn auch mittelbar - die Bewegungsfähigkeit des ganzen Körpers in Mitleidenschaft zieht, z.B. die Versteifung des Hüftgelenks, eines Armes oder des Knies.57 III. Versuch und Täterschaft 1. Der Versuch Der Versuch des § 225 ist stets strafbar. - Die Möglichkeit des Versuchs des § 224 ist streitig: Hat der Täter die konkrete Gefahr erkannt, daß die schwere Folge eintritt - dolus eventualis genügt -, so ist auch nach h.M. ein strafbarer Versuch möglich, da die Situation der eines vorsätzlichen Erfolgsdelikts entspricht. Aber auch dann, wenn der Täter bereits beim Versuch des Grundtatbestandes die schwere Folge fahrlässig verwirklicht, liegt ein strafbarer Versuch vor.58 2. Täterschaft Ob Täterschaft oder Teilnahme vorliegt, ist nach den Beteiligungsformen am Grunddelikt zu bestimmen. - Eine Bestrafung aus § 224 setzt aber Fahrlässigkeit des jeweiligen Beteiligten bezüglich der schweren Folge voraus. 53

HIRSCH LK, § 224 R d n . 12; LACKNER StGB, § 224 Rdn. 2 ; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD

55

B.T.l, § 9 Rdn. 22. BGH NJW 1988 S. 2622 m. kritischer Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 224/2; KRATZSCH JR 1989 S. 295 f. Verminderung des Sehvermögens um 20 % noch nicht relevant; AG Köln MDR 1981 S. 780.

56

BGHSt 24 S. 315 mit A n m . HANACK JR 1972 S. 4 7 2 ff, und ULSENHEIMER J Z 1973 S. 64 ff. - Zur

54

57

Schönheitsoperation LG Berlin NStZ 1993 S. 286. Vgl. auch BGH NJW 1988 S. 2622.

58

Str.; vgl. im einzelnen GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 18 IV 6 .

§18 Körperverletzung mit Todesfolge

75

§ 18: Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 226 1. Das Verhältnis zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge a) § 226 beschreibt ein erfolgsqualifiziertes Delikt; beachte § 18. b) Einigkeit besteht heute darüber, daß zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der Herbeiführung der schweren Folge eine engere Beziehung bestehen muß als die bloße Kausalität. Der Erfolg muß sich als Realisierung der typischen (spezifischen) Gefahr des Grundtatbestandes erweisen. Da das erfolgsqualifizierte Delikt besonders gefährlichen Handlungen entgegenwirken will, ist dieser Zusammenhang dann gegeben, wenn der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausganges anhaftet und sich eben dieses, dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko im Eintritt des Erfolges verwirklicht.59 - Das ist nicht der Fall, wenn der Tod des Verletzten nicht unmittelbar durch die Körperverletzung selbst, sondern durch das Eingreifen eines Dritten oder das eigene freiverantwortliche Verhalten des Opfers herbeigeführt wird.60 c) Ein strafbarer Versuch des § 226 liegt vor, wenn der für den Täter vorhersehbare Todeserfolg beim Versuch des Grunddelikts eintritt; vgl. dazu oben § 17 m 1. - Strebt der Täter den Todeserfolg vorsätzlich an, so greifen die §§ 211 ff ein. 2. Zur Einübung a) BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 196: A benutzt eine Pistole als Schlagwerkzeug gegen B. Ungewollt löst sich ein Schufi, durch den B getötet wird. BGH: § 226 liegt vor. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Tod durch Erschießen ist nicht mehr typische Folge eines Schlages mit gefährlichem Werkzeug. Nicht die Schlaggefahr hat sich realisiert, sondern eine Gefahr, die nicht typisch war für die angestrebte Verletzung."* b) BGH NJW 1971 S. 152: A schlägt auf die B ein und verletzt sie eiheblich. Um weiteren Schlägen zu entgehen, springt B aus dem Fenster. Sie stürzt tödlich. BGH: § 226 liegt nicht vor, nur §§ 223, 222, 52. - Dem wäre im Ergebnis zuzustimmen, wenn B mit im Rechtssinn freien Willen gehandelt hätte. Da sich B jedoch in einem Nötigungsnotstand befand, war ihr Wille nicht frei, und insofern ist der Erfolg dem A zuzurechnen, nicht aber auf die freie - den Zurechnungszusammenhang unterbrechende - Entscheidung der B zurückzuführen. - Zweifelhaft ist allerdings, ob der BGH noch an dieser Rechtsprechung festhält, denn in einem Falle "selbstschädigenden Panikverhaltens" durch das Opfer hat er den Zurechnungszusammenhang bejaht. c) BGHSt 31 S. 96: A warf den Hochsitz um, auf dem der D in 3,5 m Höhe saß. D fiel herunter und brach sich den Knöchel. Der Bruch wurde operativ behandelt. Nach der Entlassung aus der Klinik blieb D fast

59

Einen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Grundtatbestandes und dem Todeserfolg fordern demgegenüber: GEILEN Welzel-Festschrift, S. 681; HIRSCH JR 1983 S. 78 ff; DERS. LK, § 226 Rdn. 3; KÜPPER Der "unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 85 ff; DERS. JUS 1990 S. 185 f; LACKNER

60

Vgl. BGHSt 31 S. 99; 32 S. 25; DREHER/TRÖNDLE § 226 Rdn. 2; PUPPE NStZ 1983 S. 22 ff; REN-

S t G B , § 2 2 6 R d n . 2 ; SCHLAPP S t V 1 9 8 3 S. 6 2 f f ; ULSENHEIMER G A 1966 S. 2 7 2 . GIER J u r a 1986 S. 143 ff; SCH/SCH/STREE § 2 2 6 R d n . 4 ; STREE J Z 1983 S. 7 5 . 61

D a z u v g l . GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 1 1 2 b , b b ; SCHMIDHÄUSERB.T., 2 / 5 0 .

62

V g l . B G H N S t Z 1992 S. 3 3 5 m i t A n m . GEPPERT J K 9 2 , S t G B § 2 2 6 / 3 ; GRAUL J R 1 9 9 2 S . 3 4 4 ff; MITSCH J u r a 1 9 9 3 S. 18 f f .

76

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

ausschließlich im Bett. Ihm war nicht gesagt worden, dafi er der Gefahr einer Lungenembolie durch Bewegung vorbeugen mäfite. D starb an einer Lungenembolie. BGH: § 226 ist gegeben. - Dem ist zuzustimmen, denn im Tode des D realisierte sich eine in einer Körperverletzung typischerweise angelegte Gefahr. Die Tatsache, daB D sachwidrig nicht auf die Emboliegefahr hingewiesen worden war, unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, da hier kein Handeln eines Dritten im vollen Bewußtsein der Gefahrensituation vorliegt. d) BGH NStZ 1992 S. 333: A hatte dem M mehrmals mit einem Gummihammer auf den Kopf geschlagen. M stürzte bewußtlos zu Boden. A hielt ihn bereits für tot und entfernte sich. Er traf den B, dem er den Vorfall schilderte. B wollte sich selbst von dem Geschehen überzeugen. Er ging in die Wohnung des M, fand diesen und hielt ihn gleichfalls für tot. Um einen Suizid vorzutäuschen, hängte er den M an der Türklinke auf. - Die Obduktion ergab, daß die Hammerschläge tödlich gewesen wären. Gestorben war M aber an der Strangulation. BGH: A ist strafbar nach § 226. - Diese Zurechnung des Verhaltens des B als Verhalten des A ist mit den auch von der Rechtsprechung anerkannten Zurechnungskriterien im Rahmen des § 226 nicht zu vereinbaren.^ . Auch der BGH betont grundsätzlich, daß der Erfolg im Sinne des § 226 nicht vorliegt, wenn der Tod erst bei der Verdeckung der Tat eintritt.®'* e) BGHSt 32 S. 25: A versetzte dem D einen kräftigen Faustschlag gegen den Kopf. Dadurch verlor D das Gleichgewicht, fiel zu Boden und schlug mit dem Schädel auf die Asphaltdecke auf. Anschließend trat N dem D unabhängig von A mit großer Wucht an den Kopf. D erlitt 2 Schädelbrüche und starb. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der durch das Aufschlagen oder durch das Zuschlagen entstandene Schädelbruch zum Tode führte oder beide zusammen. BGH: Eine Bestrafung des A nach § 226 kommt nicht in Betracht, da nicht festgestellt ist, daß sich im Tode des D die der Körperverletzung des A "anhaftende, ihr eigentümliche Gefahr verwirklicht" hat. - Aus gleichem Grunde entfällt auch die Strafbarkeit nach § 226 bei N.165

II. Der Strafrahmen des § 226 Abs. 2 Bei Vorliegen einer Provokationssituation i.S. des § 213, 1. Alt. ist zwingend ein minder schwerer Fall i.S. des § 226 anzunehmen.66

§ 19: Körperverletzung im Amt 1. Rechtsnatur des § 340 § 340 ist als qualifizierte Körperverletzung ein unechtes Amtsdelikt, und zwar § 340 Abs. 1 gegenüber § 223 Abs. 1, § 340 Abs. 2 gegenüber § 223 a und § 225. Weil der Täter bei der Verletzung eines individuellen Rechtsguts zugleich das Ansehen des Staates als Rechtsstaat gefährdet, ist die Amtseigenschaft ein straferhöhendes Merkmal, und zwar ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 6 7 2. Die Tathandlung a) Der Täter muß die Körperverletzung während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begehen oder begehen lassen. 63

Vgl. auch DENCKER NStZ 1992 S. 311 ff; OTTO JK 93, StGB § 226/4; PUPPE JR 1992 S. 511 ff.

64

65 66

Vgl. BGH StV 1 9 9 3 S. 7 5 . Vgl. auch: BGH MDR 1979 S. 279. - A.A. aber: BGH MDR 1977 S. 282; BGH MDR 1984 S. 442. BGHSt 25 S. 222; BGH NStZ 1983 S. 555; BGH StV 1990 S. 546; BGH StV 1992 S. 115; BGH StV 1 9 9 4 S. 3 1 5 .

67

H . M . - A.A. WAGNER Amtsveibrechen, 1975, S. 85 ff; DERS. Z R P 1975 S. 273 f: eigenständiges

Amtsdelikt, dessen Unrechtsgehalt in der Begehimg von Staatsunrecht liegt.

§ 19 Körperverletzung im Amt

77

Die Formulierung des Tatbestandes scheint darauf hinzudeuten, daß bei einer Körperverletzungshandlung, die zeitlich in die Ausübung des Dienstes fällt, in jedem Fall der Tatbestand erfüllt ist.68 Diese Interpretation des Tatbestandes wird seinem Wesen vgl. oben unter 1 - jedoch nicht gerecht. Nur dann, wenn die Handlung in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Ausübung des Dienstes steht, ist das qualifizierende Element - Beeinträchtigung des Ansehens des Staates als Rechtsstaat - erfüllt. Eine bei Gelegenheit der Amtsausübung begangene Körperverletzung erfüllt den Tatbestand nicht.69 b) Begehen liegt vor, wenn der Amtsträger die Körperverletzung als Täter oder Mittäter verwirklicht. - Begehenlassen bedeutet Tatausführung in mittelbarer Täterschaft. Die h.M. läßt darüberhinaus auch Anstiftung und Beihilfe für das Begehenlassen g e n ü g e n . D a m i t wird jedoch im Rghmen des § 340 letztlich vom Einheitstäterbegriff ausgegangen, dem die §§ 25 ff gerade nicht entsprechen.''

c) Nach h.M. fällt auch das garantiepflichtwidrige Unterlassen eines Amtsträgers unter die Alternative "Begehenlassen".72 - Dem ist nicht zu folgen, denn die Nichtabwendung der Körperverletzung durch einen anderen ist ein pflichtwidriges Geschehenlassen und entspricht damit gemäß § 13 dem "Begehen".73 3. Rechtfertigung a) Das Delikt ist Körperverletzungsdelikt. Hoheitliche Eingriffsrechte in die körperliche Integrität des Betroffenen rechtfertigen daher das Verhalten. b) Auch die Einwilligung des Verletzten in die Körperverletzung hat rechtfertigende Kraft. Wie ausgeführt beruht das besondere Unrecht dieses Tatbestands darauf, daß das Ansehen des Staates als Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn der Täter in Ausübung der Amtsgewalt eine Körperverletzung begeht. Körperverletzung in diesem Sinne kann aber nur der Unrechtstatbestand einer Körperverletzung sein. Liegt dieser Unrechtstatbestand wegen der Einwilligung des Verletzten nicht vor, so leidet auch das Ansehen des Staates nicht.74 4. Zur Verdeutlichung a) Der Polizeibeamte P verprügelt bei einer Vernehmung den X, weil er sich über dessen freche Antworten ärgert. Ergebnis: § 340 Abs. 1. 68

Vgl. DREHER/TRÖNDLE § 340 Rdn. 2; WAGNER ZRP 1975 S. 273.

69

H . M . , vgl. z.B. HORN SK, § 3 4 0 Rdn. 4; LACKNER StGB, § 3 4 0 SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 9 Rdn. 36; SCHMIDHÄUSERB.T., 1/20.

70

Vgl. RGSt 66 S. 59; DREHER/TRÖNDLE § 340 Rdn. 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 9 Rdn. 36; SCH/SCH/CRAMER § 340 Rdn. 4.

71

So auch HIRSCH LK, § 340 Rdn. 9.

72

Vgl. z.B.: SCH/SCH/CRAMER § 340 Rdn. 4.

73

Vgl. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 9 Rdn. 3.

74

So im Ergebnis auch: AMELUNG Dünnebier-Festschrift, S. 487 ff; AMELUNG/WEIDEMANN JuS 1984

Rdn.

2;

MAURACH/

S. 595 ff; HORN SK, § 340 Rdn. 7. - A . A . h . M . : BGH NJW 1983 S. 462; DREHER/TRÖNDLE § 340 Rdn. 1; HERZBERG JuS 1984 S. 937 ff; HIRSCH LK, § 340 Rdn. 14; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 9 Rdn. 36; SCH/SCH/CRAMER § 340 Rdn. 5; WAGNER JZ 1987 S. 662.

78

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

b) Der Gerichtsvollzieher G, der eine Pfändung vornimmt, sieht plötzlich seinen Nebenbuhler N, der mit der Pfändung nichts zu tun hat. Diesen verprügelt er. Ergebnis: § 223; str. vgl. oben 2 a. c) OLG Karlsruhe MDR 1983 S. 250: Der als Chefarzt eines Kreiskrankenhauses tätige A nimmt eine Operation ohne rechtswirksame Einwilligung vor. OLG Karlsruhe: Der Chefarzt ist zwar Amtsträger i.S. des § 340, er hat die Körperverletzung jedoch nicht "während der Ausführung seines Dienstes" oder "in Beziehung auf seinen Dienst begangen", denn die konkrete Heilbehandlung des einzelnen Patienten ist keine dienstliche Tätigkeit i.S. des § 340. Kritik: Da auch die Heilbehandlung im Rahmen der Daseinsvorsorge, die das Kreiskrankenhaus wahrnimmt, erfolgte, überzeugt diese Begründung nicht. Hier zeigen sich die mißlichen Konsequenzen der Prämisse, den Heileingriff schlechthin als Körperverletzung zu interpretieren. d) BGH NJW 1983 S. 462: Der Krankenpfleger K versorgt die in einer Entziehungsanstalt befindlichen Alkoholsüchtigen mit Alkohol. BGH: K ist strafbar nach § 340, da eine Einwilligung der Abnehmer nicht rechtfertigt. - Dem wäre nur zuzustimmen, wenn die Abnehmer aufgrund ihrer Sucht unzurechnungsfähig waren. Handelten sie im Rechtssinne freiverantwortlich, so entfällt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 340.

§ 20: Mißhandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 223 b In der Alternative der rohen Mißhandlung und der Gesundheitsschädigung erfaßt § 223 b Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit. Insoweit ist er als ein durch das Schutzverhältnis zwischen Täter und Opfer qualifiziertes Körperverletzungsdelikt anzusehen. In der Alternative des Quälens hingegen richtet sich die Tathandlung auch gegen die Psyche des Opfers. Das Delikt ist insoweit als Straftat gegen das "Seelenleben des Menschen" zu begreifen, das je nach den Tatumständen zu Körperverletzungsdelikten in Idealkonkurrenz stehen kann. Die Schutzposition ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28. In der Körperverletzungsalternative ist § 223 b demnach als unechtes Sonderdelikt zu sehen, in der Alternative des seelischen Quälens als echtes Sonderdelikt. In der Literatur wird demgegenüber eine einheitliche Interpretation des § 223 b versucht, die jedoch den Nachteil hat, daß eine der beiden Möglichkeiten, das Delikt zu verwirklichen, jeweils vernachlässigt werden muß.75

II. Einzelheiten zur Interpretation 1. Die Tatsituation Die Tatsituation ist durch die Wehrlosigkeit des Opfers sowie ein Abhängigkeitsverhältnis dem Täter gegenüber gekennzeichnet. Dem Schutzverhältnis muß eine rechtliche Verpflichtung zugrunde liegen. Bloße Gefälligkeitsverhältnisse begründen kein Fürsorgeverhältnis im Sinne des § 223 b. 7 6

75

76

Für ein qualifiziertes Köiperverletzungsdelikt: BGHSt 3 S. 20; DREHER/TRONDLE § 223 b Rdn. 1; HORN SK, § 223 b Rdn. 2; LACKNER StGB, § 223 b Rdn. 1. - Für ein gegenüber den Körperverletzungsdelikten selbständiges Delikt: HIRSCH LK, § 223 b Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 10 Rdn. 2. Vgl. BGH NJW 1982 S. 2390. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 10 Rdn. 6 f.

§ 21 Fahrlässige Körperverletzung

79

2. Die Tathandlung Quälen ist das Zufügen dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art, z.B. Versetzen eines Kindes in Todesangst.77 Eine rohe Mißhandlung ist eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung, die sich in erheblichen Folgen äußert, sei es in erheblichen Schmerzen oder in einer erheblichen Verletzung der Körperintegrität.78 Böswillig schädigt jemand einen anderen an der Gesundheit, wenn die Gesundheitsschädigung aus sozialethisch besonders verwerflichem Motiv heraus (Haß, Sadismus, nicht aber Gleichgültigkeit) erfolgt.79 Alle drei Tatbestandsalternativen können durch Unterlassen verwirklicht werden, denn aus der Begrenzung der 3. Tatalternative, Gesundheitsschädigung, auf die Fälle böswilligen Verhaltens kann nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber als Unterlassen überhaupt nur Fälle böswilligen Verhaltens erfassen wollte.80

III. Zur sozialen Relevanz des § 223 b Die Zahl der Verurteilungen hält sich relativ konstant: 1960: 235, 1975: 297, 1981: 228, 1986: 289, 1991: 254. Die Zahl der polizeilich erfaßten Fälle ist jedoch höher: 1975: 1644, 1981: 1999 Fälle, darunter 1423 Kindesmißhandlungen, 1986: 1643 Fälle, darunter 1205 Kindesmißhandlungen, 1991: 2102 Fälle, darunter 1571 Kindesmißhandlungen. - Die Dunkelziffer ist erheblich: Schätzungen gehen dahin, daß 95 % der Fälle den Behörden nicht bekannt werden.81

§ 21: Fahrlässige Körperverletzung 1. Deliktsspezifische Probleme der fahrlässigen Körperverletzung, § 230, sind nicht gegeben. Es gilt das zum Aufbau und zur Problematik der fahrlässigen Tötung Ausgeführte mit dem einzigen Unterschied, daß der Erfolg dieses Delikts nicht im Tode eines anderen Menschen besteht, sondern in einer Körperverletzung; vgl. oben § 9. 2. Zur Körperverletzung vgl. die Ausführungen zu § 223 oben § 15 I. 3. Zum Strafantrag und zur Kompensation vgl. oben § 15 IV 2, 3.

77

BGH LM Nr. 3 zu § 223 b.

78 79

BGHSt 25 S. 277. Dazu BGHSt 3 S. 20.

80 81

Vgl. BGH NStZ 1991 S. 234 mit Anm. OTTO JK 91, StGB § 223 b/1. Zur Vertiefung: ARBEITSGRUPPE KINDERSCHUTZ Gewalt gegen Kinder, 1983; GEERDS MSchr für Kinderheilkunde 1986 S. 327 ff; HONIG Kindesmißhandlung, 1982; SCHMIDT Krim 1991 S. 315 ff; URSULA SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987, S. 5 9 f f ; TRUBE-BECKER

Gewalt gegen das Kind, 2. Aufl., 1987.

80

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

§ 22: Vergiftung I. Das Wesen des § 229 1. §229 Abs. 1 enthält einen wegen seiner besonderen Gefährlichkeit (gefährliches Werkzeug, u.U. lebensgefährdende Behandlung) zur selbständigen Tat erhobenen Versuch einer gefährlichen Körperverletzung. - Das Delikt ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die beigebrachten Stoffe müssen im konkreten Fall geeignet sein, die Gesundheit zu zerstören. 2. § 229 Abs. 2 enthält erfolgsqualifizierte Delikte, beachte § 18.

II. Einzelheiten der Regelung 1. Der objektive Tatbestand Tatmittel sind Gift, d.h. chemische oder chemisch-physikalisch wirkende Substanzen und andere Stoffe, z.B. Bakterien, Viren oder auch mechanisch wirkende Substanzen, die nach Art der beigebrachten Menge, der Form der Beibringung und der Beschaffenheit des Körpers des Opfers geeignet sind, die Gesundheit zu zerstören. - Beibringen setzt die Herstellung einer Körper-Stoff-Beziehung voraus, gleichgültig ob intern, z.B. durch Schlucken, oder extern, z.B. durch Begießen mit Salzsäure. Der Eintritt einer Wirkung im Inneren des Körpers ist nicht erforderlich.82 - Geeignet zur Gesundheitszerstörung sind Stoffe, wenn sie wesentliche körperliche Funktionen nicht nur für unerhebliche Dauer gravierend zu beeinträchtigen vermögen.83 2. Der subjektive Tatbestand Der Täter muß mit der Absicht der Gesundheitsbeschädigung gehandelt haben (dolus directus 1. Grades); im übrigen genügt Vorsatz, auch bedingter. - Aus der Sicht des Täters muß aber eine erhebliche Gesundheitsbeschädigung angestrebt sein. Das hohe Strafmaß erfordert diese restriktive Auslegung des Tatbestandes. Doch bedeutet das nicht, daß nur schwerwiegende Dauerschäden, wie z.B. Blindheit oder Entstellung in Betracht kommen.84

m . Besonderheiten des Versuchs Mit dem Beibringen des Giftes ist das Delikt vollendet. Ein Rücktritt vom Versuch i.S. des § 24 ist daher nur vor diesem Zeitpunkt oder beim Versuch mit untauglichem Mittel möglich. - Übt der Täter tätige Reue, bevor die Gefahr der Gesundheitszerstörung sich

82

So auch: B G H M D R 1976 S. 7 6 8 mit A n m . D . MEYER JuS 1977 S. 5 1 7 ff; B G H S t 3 2 S. 130 mit A n m . BOTTKE NStZ 1984 S. 166 f , und SCHALL JZ 1984 S. 3 3 8 f; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 11 Rdn. 11. - A . A . u . a . : SCHRÖDER JR 1960 S. 4 6 6 ; STREEJR 1 9 8 4 S. 3 3 5 f f .

83

BGHSt 4 S. 2 7 8 .

84

Dazu BGHSt 3 2 S. 131 f.

§ 23 Beteiligung an einer Schlägerei

81

realisiert, so erscheint aber eine analoge Anwendung der §§ 83 a, 311 c Abs. 2, 316 a Abs. 2 sachgerecht.85

§ 23: Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat § 227 erfaßt ein sog. Massendelikt. Strafgrund ist nicht eine Körperverletzung, sondern die schuldhafte Beteiligung an einer Rauferei, aus der sich Gefahren für die Allgemeinheit ergeben können. Es handelt sich demnach um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.

II. Einzelheiten der Regelung 1. Der Tatbestand a) Schlägerei ist eine mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als 2 Personen mitwirken.86 - Übt einer von drei Betroffenen lediglich Schutzwehr, indem er z.B. den eigenen Kopf mit seinen Armen schützend umfaßt, so liegt noch keine Schlägerei vor. - Es ist aber nicht erforderlich, daß alle Beteiligten rechtswidrig handeln. Ein von mehreren gemachter Angriff ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung von mindestens zwei Personen.87 - Beteiligt ist jeder, der an der Auseinandersetzung im Zusammenwirken mit anderen teilnimmt, d.h. physisch oder psychisch mitwirkt. - Mittäterschaft im technischen Sinn ist nicht erforderlich, wohl aber bei den Angreifenden Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstandes und des Angriffswillens.88 b) Mit der Klarstellung, daß nicht nach § 227 bestraft wird, wer ohne sein Verschulden in die Schlägerei hineingezogen wurde, weist der Gesetzgeber lediglich darauf hin, daß ein Beteiligter gerechtfertigt oder entschuldigt sein kann. 2. Die schwere Folge Die Schlägerei oder der Angriff mehrerer muß den Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht haben. Maßgeblich ist der Zusammenhang der schweren Folge mit der Schlägerei oder dem Angriff, während es gleichgültig ist, wen die Folge trifft. Der Tatbestand ist auch dann wegen der Beteiligung an einer Schlägerei gegeben, wenn ein Gegner in Notwehr getötet wird.89

85

So auch: HIRSCH LK, § 229 Rdn. 22; HORN SK, § 229 Rdn. 9; SCH/SCH/Stree § 229 Rdn. 11. - Gegen eine strafbefreiende oder strafmildernde Analogie: DREHER/TRÖNDLE § 229 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 229 Rdn. 5.

86

BGHSt 31 S. 124.

87

BGHSt 31 S. 124.

88

BGHSt 2 S. 163.

89

Vgl. BGHSt 33 S. 100; 39 S. 305; LACKNER StGB, § 227 Rdn. 5; SCH/SCH/STREE § 227 Rdn. 14. A.A. GÜNTHER JZ 1985 S. 585, 587; HENKE Jura 1985 S. 585, 589; KREY B.T. 1, Rdn. 297; MONTENBRUCK JR 1986 S. 138, 142; SCHULZ StV 1986 S. 250 f.

82

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

Auf den Zeitpunkt der Beteiligung, vor, bei oder nach Eintritt der schweren Folge, kommt es nach h.M. nicht an. 9 0 Die Gegenmeinung beschränkt die Haftung auf diejenigen Personen, die sich zum Zeitpunkt des Eintritts der schweren Folge noch oder bereits an dem Raufhandel beteiligen. 91 - Die h.M. zieht den Kreis der Verantwortlichen zu weit, soweit sie auch Mitwirkende als Beteiligte erfaßt, die nach Eintritt der schweren Folge an der Rauferei teilgenommen haben. Die Gegenmeinung erweist sich als zu eng, da die Auswirkungen einer Beteiligung nicht mit dem Ausscheiden der tätigen Person abbrechen. Sachgerecht ist es daher, den als Beteiligten anzusehen, der vor oder bei Eintritt der schweren Folge an der Rauferei mitwirkte. Erst nachträglich Mitwirkende haften nicht für die schwere Folge. 9 2

III. Zur Einübung 1. BGHSt 14 S. 132; Zwischen Jugendlichen aus I und Sch kam es zu einer Schlägerei. G und K beteiligten sich, mußten aber aufgrund der eigenen Einbußen bald aufgeben. Sie entfernten sich. Im weiteren Verlauf der Schlägerei wurde T erstochen. BGH: Auch G und K sind strafbar nach § 227. 2. BGHSt 16 S. 130: Bei einer Schlägerei zwischen mehreren Personen brachte H dem W mehrere tödliche Stiche bei. Die Schlägerei ging aber weiter. Nunmehr beteiligte sich auch J daran. BGH: Auch J ist strafbar nach § 227. - Nach der hier vertretenen Ansicht scheidet eine Strafbarkeit des J nach § 227 aus. 3. Bei einer Schlägerei in einer Gaststätte, an der sich unter anderem X, Y und Z beteiligten, wollte der Gast G schlichten. Er begab sich unter die Raufenden und forderte diese laut zu friedlichem Verhalten auf. Im Gewühl wurde er jedoch erschlagen. Ergebnis: § 227 liegt vor. Der Getötete braucht nicht selbst an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sein, es genügt, daß sein Tod durch die Schlägerei bewirkt wurde. 4. RGSt 32 S. 33: Bei einer Schlägerei zwischen A, B, C, D, E und F wurde allein der F schwer am Körper verletzt i.S. des § 224. RG: Auch F ist strafbar nach § 227. 93 5. BGHSt 15 S. 369: C verprügelte S ohne Grund. S wehrte sich. V, der Vater des S, wollte seinem Sohn zu Hilfe kommen. A verhinderte dies, indem er den V festhielt. S kam bei der Prügelei zu Tode. BGH: Auch A ist nach § 227 strafbar, denn er nahm an einer Schlägerei teil. 6. BGHSt 39 S. 305: A beteiligte sich an einer Schlägerei. Im Laufe der Auseinandersetzung tötete er einen der Gegner in Notwehr. BGH: A ist nach § 227 strafbar.94

90

Vgl. BGHSt 14 S. 132; 16 S. 130; DREHER/TRÖNDLE § 227 Rdn. 9; GÖSSEL B.T. 1, § 17 Rdn. 11; LACKNER StGB, § 227 Rdn. 5.

91

Vgl. BLNDINGB.T. I, S. 78; KREYB.T. 1, Rdn. 297; WELZELLb., § 40 II 2.

92

So auch: BIRKHAHN M D R 1962 S. 625 f; HIRSCH LK, § 227 Rdn. 8; HORN SK, § 227 Rdn. 8; STREE

94

Dazu GEPPERT JK 94, StGB § 227/1; STREE JR 1994 S. 370 f.

JuS 1962 S. 94. 93 Vgl. auch BGHSt 33 S. 104.

§ 24 Konkurrenzprobleme

83

§ 24: Konkurrenzprobleme I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte 1. Grundsatz Die jeweils schwerere Körperverletzung konsumiert die jeweils leichtere. - Kommt es jedoch nur zum Versuch der schwereren Körperverletzung, so konkurrieren diese und die vollendete geringere idealiter, damit im Urteilstenor zum Ausdruck kommt, daß eine Körperverletzung bereits vollendet wurde. 2. Besonderheiten Infolge des von den Körperverletzungsdelikten abweichenden Strafgrundes des § 227 konkurriert § 227 idealiter mit den bei dem Raufhandel verwirklichten Körperverletzungsdelikten. - Zwischen § 340 Abs. 1 und § 223 Abs. 1 sowie § 340 Abs. 2 und § 224 besteht Gesetzeskonkurrenz (Qualifikation). Im übrigen steht § 340 zu den Körperverletzungsdelikten in Idealkonkurrenz. Im Falle der Idealkonkurrenz von §§ 340, 225 weist § 340 Abs. 2 den Mindeststrafrahmen, da nach der Entscheidung des Gesetzgebers dieser Strafrahmen bereits bei der Verwirklichung des minder schweren § 224 verbindlich ist. 3. Zur Einübung a) A schießt auf B und ist sich dabei der Gefahr bewuAt, dem B das Auge auszuschießen. Er trifft den B am Kopf, doch bleibt dem B die Sehkraft erhalten. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 223 a, 224, 23, 52. b) Wie unter a), doch will A dem B absichtlich ins Auge schießen. Er trifft, doch kommt B wider Erwarten zu Tode. Ergebnis: A strafbar gemäß § 226. §§ 225, 23 werden von § 226 konsumiert. 95 c) Bei einer Schlägerei i.S. des § 227 schlägt A dem B das Auge absichtlich aus. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 227, 225, 52.

II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten 1. Das Verhältnis des Tötungs- zum Körperverletzungsvorsatz Ausgangsfall: BGHSt 22 S. 248: A schießt mit Tötungsvorsatz aus einer Entfernung von 3 bis 4 m auf seinen Vater. Der Schuß geht durch die Schläfe auf den Augapfel bis zur Nasenwurzel. Der Vater bleibt am Leben, verliert aber das linke Auge.

a) Da jede Tötung notwendigerweise über das Stadium einer Körperverletzung verwirklicht wird, ist der Körperverletzungsvorsatz im Tötungsvorsatz als notwendiger Bestandteil enthalten; sog. Einheitstheorie.96

95

A.A. vgl. z.B.: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 29: Idealkonkurrenz. Auch hier ist Konsumtion der §§ 225, 23 durch § 226 jedoch angemessener, da der Unrechtsgehalt des beabsichtigten Delikts voll im Strafmaß des § 226 berücksichtigt werden kann.

96

Hierzu BGHSt 16 S. 122; 21 S. 265; BGH MDR 1991 S. 70 f; HIRSCH LK, Vor § 223 Rdn. 14 ff; JAKOBS Die Konkurrenz von Tötungsdelikten mit Körperverletzungsdelikten, 1967, S. 119 ff; KREY JuS 1971 S. 1 4 3 .

84

Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit

b) Diesen notwendigen Bezug zwischen Körperverletzung und Tötung verkennt die sog. Gegensatztheorie, die von einem gegenseitigen Ausschluß von Körperverletzungs- und Tötungsvorsatz ausgeht.97 2. Konsequenzen a) Das vollendete Tötungsdelikt konsumiert das jeweils verwirklichte Körperverletzungsdelikt als notwendigen Bestandteil.98 Idealkonkurrenz liegt hingegen vor, wenn bei einer fortgesetzten Körperverletzung ein Teilakt auch mit Tötungsvorsatz verwirklicht wird. 99 Auch die privilegierten Tötungsdelikte konsumieren die qualifizierten Körperverletzungsdelikte, da sonst die Absicht des Gesetzgebers, das Verhalten zu privilegieren, umgangen würde. b) Ist das Tötungsdelikt nur bis in das Versuchsstadium gelangt, eine qualifizierte Körperverletzung gemäß §§ 224, 225, 229 Abs. 2 jedoch bereits vollendet worden, so besteht zwischen versuchtem Tötungsdelikt und Körperverletzungsdelikt Idealkonkurrenz. Der Tötungsversuch konsumiert das Unrecht der vollendeten qualifizierten Körperverletzung nicht.100 3. Konsequenzen ßr den Ausgangsfall a) BGH: A ist wegen versuchten Totschlags zu bestrafen. Die schwere Körperverletzung wird konsumiert. b) Nach der hier vertretenen Ansicht wäre A gemäß §§ 224, 212, 23, 52 zu bestrafen.

§ 25: Zur Wiederholung 1. Wie ist die "körperliche Mißhandlung" zu definieren? - Dazu § 15 11 a. 2. Wie ist die "Gesundheitsbeschädigung" zu definieren? - Dazu § 15 11 b. 3. Was bedeutet die Möglichkeit der Kompensation bei der Körperverletzung? - Dazu § 15 IV 3. 4. Ist § 223 a ein abstraktes oder ein konkretes GefShrdungsdelikt? - Dazu § 16 I. 5. A verspricht dem B 10,- DM, wenn er den anwesenden C verprügelt. B tut dies. Haben mehrere gemeinschaftlich i.S. des § 223 a die Körperverletzung begangen? - Dazu § 16 II 3. 6. Wie ist der ungeschützte Geschlechtsverkehr eines Aids-Kranken mit einem unwissendem Partner strafrechtlich zu würdigen? - Dazu § 16 IV 1. 7. Ist ein Versuch der schweren Körperverletzung gemäß §§ 224, 23 möglich? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? - Dazu § 17 III 1. 8. Welcher Zusammenhang muß zwischen Todeserfolg und Körperverletzung in § 226 bestehen? - Dazu § 181. 9. Ist § 223 b ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt? - Dazu § 20 I.

97 98

Zur Gegensatztheorie: A r z t in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 230. Gleichfalls für Gesetzeskonkurrenz, wenn auch z. T. für Subsidiarität: BGHSt 16 S. 122; 22 S. 248; KREY J u S 1 9 7 1 S. 1 4 3 ; M a U R A C H / S C H R O E D E R / M a t w a l d B . T . L , § 8 R d n . 4 5 .

99

Vgl. BGH GA 1994 S. 283.

100 Vgl. auch: J A K O B S NJW 1969 S. 438; K R E Y B.T.l, Rdn. 239; R. SCHMITT JZ 1962 S. 392. - A.A. in Bezug auf § 224: BGHSt 22 S. 248; BGH bei Holtz, MDR 1986 S. 622.

§ 25 Zur Wiederholung

85

10. Wann ist der Stoff "beigebracht" i.S. des § 229? - Dazu § 22 II 1. 11. Kann deijenige nach § 227 bestraft werden, der an der Schlägerei erst teilnimmt, nachdem es zu einer tödlichen Verletzung eines anderen gekommen ist? - Dazu § 23 n 3. 12. Der Beamte A verletzt den X bei Ausübung seines Amtes mit einem Stock schwer. - Wie konkurrieren §§ 223 a, 340 Abs. 1 hier? - Dazu § 24 I. 13. A würgt die B, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. B erleidet eine Kehlkopfverletzung. - Kann A wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft werden? - Dazu § 24 II 2 b. 14. A gibt der B ein Gift, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. Durch das Gift fällt die B jedoch in Siechtum. Kann A gemäß § 229 bestraft werden? - Dazu § 24 II 2 b. 15. A versucht die B mit einem Messer zu töten. B überlebt den Anschlag. Kann A gemäß §§ 212, 23, 223 a, 52 bestraft werden? - Dazu § 24 n 3.

Vierter Abschnitt Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26: Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte Geschütztes Rechtsgut der Freiheitsdelikte ist nicht die Freiheit schlechthin, sondern die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung.

II. Die Systematik der Freiheitsdelikte 1. Die Gesetzessystematik a) Innerhalb der im 18. Abschnitt des StGB enthaltenen Delikte sind nur der Menschenraub, § 234, die Freiheitsberaubung, § 239, der erpresserische Menschenraub, § 239 a, die Geiselnahme, § 239 b, und die Nötigung, § 240, Freiheitsdelikte. b) Die Bedrohung, § 241, ist kein Freiheitsdelikt, sondern ein Delikt gegen den persönlichen Rechtsfrieden (str.; eingehender dazu unter § 36), Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a, sollen die Person gegen die Beraubung der Gemeinschaft, des rechtsstaatlichen Schutzes und der Hilfe der Gemeinschaft schützen (dazu unter § 37 II). Die Kindesentziehung, § 235, und die Entführung mit Willen der Entführten, § 236, sind Delikte gegen die familiäre Ordnung (dazu unter § 65 VI, VII), die Entführung gegen den Willen der Entführten, § 237, ist ein Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung (dazu unter § 66 III 5). c) Außerhalb des 18. Abschnittes des StGB wird in zahlreichen Tatbeständen neben anderen Rechtsgütern auch die Freiheit der Willensbetätigung geschützt, so z.B. in § 249 (Raub), § 253 (Erpressung), § 177 (Vergewaltigung) u.a. 2. Das Verhältnis der Freiheitsdelikte zueinander a) Umfassend werden Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung in § 240 unter Strafe gestellt. b) Einen Teilbereich dieses Rechtsguts, nämlich die Freiheit, den derzeitigen Aufenthaltsort zu verlassen (potentielle persönliche Bewegungsfreiheit), schützt § 239. § 239 ist gegenüber § 240 insoweit eine lex specialis. aa) § 239 Abs. 2 und Abs. 3 enthalten erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung; beachte § 18. bb) §§ 239 a, 239 b beschreiben qualifizierte Delikte gegen die persönliche Freiheit, cc) In § 234 ist ein spezieller Fall der Freiheitsberaubung geregelt.

§ 27 Nötigung

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§ 27: Nötigung I. Der objektive Tatbestand 1. Nötigen Nötigen ist die Veranlassung eines anderen zu einem von diesem nicht gewollten Verhalten (Handeln, Dulden oder Unterlassen) durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel. 2. Der Begriff der Gewalt Die Rechtsprechung des RG war von Anfang an dadurch gekennzeichnet, daß das Gericht Gewalt nicht nur in Gewalttätigkeiten sah. Als konstitutives Merkmal des Gewaltbegriffs wurden zum einen die Kraftentfaltung auf Seiten des Täters und zum anderen die Zwangswirkung dem Opfer gegenüber herausgestellt. Betont wurde, daß Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 nicht nur Gewalt an der Person oder Gewalt gegen die Person sei und daß eine körperliche Berührung des Tatopfers nicht für erforderlich gehalten werde. "Unter den Begriff der Gewalt im Sinne des § 240 fällt daher auch jede unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen, welche geeignet ist und darauf abzielt, die freie Willensentscheidung desselben zu hindern und ihn auf diese Weise zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen."1 Auch Gewalt gegen Sachen hat das RG ohne Vorbehalt dem Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Abs. 1 zugeordnet, "wenn sie auch nur indirekt gegen eine Person gerichtet ist und darauf abzielt, den Widerstand derselben zu brechen oder auszuschließen".2 a) In der Praxis hat sich das RG bei der Anwendimg des Gesetzes jedoch weniger von den begrifflichen Merkmalen leiten lassen als mehr von einem überkommenen Vorverständnis des Delikts, das auf das crimen vis publica des gemeinen Rechts zurückging. Als crimen vis publica wurde eine die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohende Betätigung von Personen erfaßt.3 Bedingt durch dieses Verständnis der Gewalt im Sinne des § 240 sah das RG kein Problem bei der Bejahung der Gewalt im Falle des Einsperrens von Personen, auch wenn das Umdrehen des Schlüssels nur mit einem minimalen Kraftaufwand verbunden war und sogar weitere Möglichkeiten bestanden, den Raum zu verlassen, dem Opfer diese aber verborgen waren.4 Die Bedrohung durch diese Verhaltensweise war evident, da der Genötigte sich als Gefangener sah. Hingegen fehlte dem Verhalten dieser schon - äußerlich - bedrohende Charakter, wenn jemand einem anderen ein betäubendes Mittel eingab, ohne hierbei wiederum selbst Gewalt anzuwenden, oder wenn das Opfer hypnotisiert wurde. Die Ablehnung der Anwendung von Gewalt durch das RG in diesen Fällen lag daher nahe.^ - Die Beurteilung des Aussperrens von Personen bereitete dem Reichsgericht hingegen erhebliche Schwierigkeiten, da der schon äußerlich bedrohliche Eindruck des Verhaltens hier nicht grundsätzlich auszuschließen war. Zunächst allerdings interpretierte das RG das Aussperren eines Mieters durch Entfernen der Türklinke als Gewaltanwendung, da der Mieter und seine Familie aufgrund dieses Verhal1 2 3

RGSt 13 S. 50. RGSt 13 S. 51. Vgl. dazu im einzelnen: JAKOBS H. Kaufinann-Gedächtnisschrift, S. 791 ff; OTTO/KREY/KÜHL Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt aus der Sicht der Strafrechtswissenschaft, Gutachten der Unterkommission VII, in: Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. n, 1990, Rdn. 51 ff.

4 5

RGSt 13 S. 49. RGSt 56 S. 87, 88 f; 58 S. 98; 64 S. 113, 115 f.

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Delikte gegen die persönliche Freiheit

tens den Witterungseinflüssen ausgesetzt waren und dieses eine körperliche Beeinträchtigung darstelltet Später lehnte es die Gewaltanwendung durch Verschließen der Eingangstür einer Werkstatt ab, weil keine Einwirkung auf den Körper des Mieters vorgelegen habe." Schließlich wurde die Gewaltanwendung wiederum bejaht, denn es reiche "eine nur mittelbar gegen eine Person gerichtete Einwirkung aus, die von dem zu Überwindenden körperlich empfunden wird".® - Die begrifflichen Voraussetzungen des Gewaltbegriffs hätten diese Differenzierungen nicht erzwungen. b) In der Rechtsprechung des BGH hat der Gewaltbegriff keine Änderung erfahren, wohl aber sind die konstitutiven Elemente des Begriffs unterschiedlich akzentuiert worden. Am Ende dieser Entwicklung ist deutlich geworden, daß auf Seiten des Täters keine erhebliche körperliche Kraftentfaltung gefordert und daß keine unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Opfers vorausgesetzt wird. Das BVerfG hat in dieser Interpretation des Gewaltbegriffs keinen Verstoß gegen die Verfassung gesehen. 9 Beispiele aus der Rechtsprechung: Überraschendes oder heimliches Beibringen von Betäubungsmitteln, LSD oder Schlafmitteln^ Absperren der Heizung in einer Frostperiode, um eine Zahlung des Mieters zu erzwingen; nicht aber bloße Unterbindung der Heizöllieferung durch entsprechende Anweisung an den Heizöllieferanten (OLG Hamm NJW 1983 S. 1505); Einflößen von Alkohol gegen den Willen des Betroffenen (BGHSt 14 S. 82); Verhindern des Überholens1'; dichtes Auffahren zur Erzwingung eines Überüolvorgangs'2; Abgabe von Schreckschüssen (BGH GA 1962 S. 145); Richten einer entsicherten Pistole auf einen anderen (BGHSt 23 S. 126); Blockaden von Straßen, Zufahrten u.a., z.B. Blockieren von Straßenbahnschienen durch Sitzstreik (BGHSt 23 S. 46); Blockieren der Zufahrt zu Munitionslager (BGHSt 35 S. 270); Verteidigung eines Parkplatzes durch einen Fußgänger gegenüber Autofahrer (OLG Köln NJW 1979 S. 2056); Wegschieben eines Fußgängers aus einer Parklücke (OLG Hamburg NJW 1968 S. 662); Erzwingen des Abbruchs einer Lehrveranstaltung durch Lärm (BGH NJW 1982 S. 189); willkürliches Abbremsen eines Kfz 13 . c) Die Entwicklung der Rechtsprechung ist in der Lehre weitgehend auf Kritik gestoßen. Es wird insbesondere geltend gemacht, daß der Gewaltbegriff jegliche Konturen verloren hat, nachdem die bloße Zwangswirkung für das Opfer an die Stelle der unmittelbaren Einwirkung auf den Körper des Opfers getreten ist, daß Sachbeschädigungen im Rahmen eines so verstandenen Gewaltbegriffs in Nötigungen umgedeutet werden können und daß die Grenze zwischen Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt vollkommen aufgehoben worden ist. Gefordert wird zum einen die Begrenzung der Gewalt auf unmittelbar körperliche Eingriffe.1"* Von anderen wird eine Begrenzung des Gewaltbegriffs auf aggressives oder gewalttätiges Veihalten befürwor-

6 7 8 9 10 11 12 13 14

RG GA 39 (1891) S. 215, 216. RGSt 20 S. 354, 356. RGSt 69 S. 327, 330. Vgl. BVerfGE 73 S. 242 f; dazu CALLES NStZ 1987 S. 209 ff; KÜHL StV 1987 S. 122 ff; OTTO NStZ 1987 S. 212 f; SCHMITT GLAESER Dürig-Festschrift, S. 91 ff; DERS. Private Gewalt im politischen Meinungskampf, 2. Aufl. 1992, S. 80 ff; STARCK JZ 1987 S. 145 ff. BGHSt 1 S. 145; BGH StV 1991 S. 149; BGH NStZ 1992 S. 490. BGHSt 18 S. 389; vgl. auch OLG Stuttgart MDR 1991 S. 467; vgl. aber auch OLG Hamm NJW 1991 S. 3230; BayObLG NJW 1993 S. 2882. BGHSt 19 S. 263; vgl. aber auch OLG Hamm NJW 1991 S. 3230; BayObLG NJW 1993 S. 2882. OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 265; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) S. 121. BERGMANN Das Unrecht der Nötigung (§ 240 StGB), 1983; KOSTARAS Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, 1982; SCHMIDHÄUSER B.T., 4/4, 4/15; SEILER Pallin-Festschrift, S. 381, 399; WEBER in: Arzt/Weber, LH1, Rdn. 582; WOLTER NStZ 1985 S. 193 ff, 245 ff.

§ 27 Nötigung

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tet.15 Schließlich wird versucht, den Gewaltbegriff normativ zu bestimmen. Daneben stehen Versuche, die vis absoluta aus dem Tatbestand der Nötigung herauszunehmen*' oder den Tatbestand auf derartige Fälle zu beschränken bzw. unter Vernachlässigung des Tatmittels auf den Verlust der Willensfreiheit des Opfers und deren Ersetzung durch den Willen des Täters abzustellen^.

d) Diese Kritik an der Rechtsprechung ist nur insoweit berechtigt, als in der Rechtsprechung die Grenze zwischen der Gewaltanwendung und der Drohung mit einem empfindlichen Übel in der Tat verwischt wird. Im übrigen aber sind alle Versuche, die Gewaltanwendung auf einen körperlichen Eingriff oder auf die Gewalttätigkeit zu beschränken von vornherein dogmatischen Zweifeln ausgesetzt, denn sie begründen nicht aktzeptable Unterschiede in der Strafbarkeit. In gleicher Weise wirksame Eingriffe in die Willensbildungs- oder Willensbetätigungsfreiheit werden rechtlich ungleich behandelt. So liegt z.B. Nötigung vor, wenn jemand zur Geschäftsaufgabe gezwungen werden soll mit der Drohung, sonst werde sein Laden rechtswidrig ausgeräumt, hingegen läge keine Nötigung vor, wenn die Geschäftsaufgabe unmittelbar durch Ausräumen des Ladens bewirkt wird. 20 Es läge Nötigung mit Gewalt vor, wenn jemand durch Festhalten am Wegfahren gehindert werden soll, hingegen bliebe das Verhalten straffrei, wenn das Wegfahren durch Blockieren der Räder des Fahrzeugs verhindert wird. e) Ausgangspunkt der Abgrenzung kann daher nur die jeweilig unterschiedliche Zwangswirkung sein, wobei die Gegenwärtigkeit der Zwangswirkung im Gegensatz zum künftig in Aussicht gestellten Übel das wesentliche Abgrenzungskriterium ist, das aber weiterer Eingrenzung bedarf. 21 Die Zwangswirkung muß nicht nur gegenwärtig sein, sie muß sich körperlich auswirken, körperlich vermittelt werden.22 Dieses ist der Fall, wenn der Genötigte ihr entweder überhaupt nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in nicht zumutbarer Weise begegnen kann. - Die Voraussetzung der Körperlichkeit wird damit allerdings normativiert, indem das maßgebliche Kriterium nicht in der körperlichen Empfindung des Zwangs, sondern in seiner körperlichen Auswirkung erkannt wird. Diese Normativierung ist aber erforderlich, weil die Beschränkung der Nötigung auf Brachialgewalt dem sozialen Sinngehalt nötigenden Verhaltens im heutigen Sozialleben nicht mehr gerecht werden würde. 23

15 16 17

CALLES Recht und Staat, 1974, S. 33; OTT Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 5. Aufl. 1987, § 15 Rdn. 9. JAKOBS H. Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 796 ff; v. HEINTSCHEL-HEINEGG Die Gewalt als Nötigungsmittel im Strafrecht, 1975, S. 236; TLMPE Die Nötigung, 1989, S. 70 ff. KÖHLER Leferenz-Festschrift, S. 511 ff, 524.

18

SOMMER N J W 1985 S . 7 6 9 , 7 7 2 .

19

Vgl. GÖSSEL in: Recht in Ost und West, hrsg. v. Institute of Comparative Law Waseda University, 1988, S. 956 ff.

20

BGH wistra 1987 S. 212.

21

22 23

Zur Gegenwärtigkeit der Zwangswirkung: HAFTB.T., § 19 II 2 a; HORN SK, § 240 Rdn. 5 ff, 9, 11;

KNODEL Der Begriff der Gewalt im Strafrecht, 1962, S. 52 ff; SCH/SCH/ESER Vor § 234 Rdn. 6, 9, 15 ff. Hierzu BROHM JZ 1985 S. 503 ff; BUSSE Nötigung im Straßenverkehr, 1968, S. 94 ff; 100 ff; GEERDS Einzelner und Staatsgewalt im geltenden Strafrecht, 1969, S. 31; KREY Zum Gewaltbegriff im Strafrecht, 1. Teil, in: BKA (Hrsg.), Was ist Gewalt?, 1986, Rdn. 136; WELZEL Lb., § 43 1 1 . DREHER/TRÖNDLE § 240 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 240 Rdn. 10; OTTO NStZ 1987 S. 212 f; SCHÄFER L K , § 2 4 0 R d n . 5 ff.

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Delikte gegen die persönliche Freiheit

Demgemäß ist Gewalt, der - nicht notwendig erhebliche - Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der sich auf die Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer (psychischer), sondern als körperlicher (physischer) Zwang auswirkt. Körperlich wirkt sich ein Zwang aus, wenn das Opfer ihm in der konkreten Situation gar nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in unzumutbarer Weise begegnen kann.24 f) Konsequenzen: Die nötigende Gewalt kann sich unmittelbar gegen die Person, die zu einem bestimmten Verhalten gezwungen werden soll, richten, sie kann ihre Zwangswirkung aber auch durch Einwirkung auf Sachen oder auf dritte Personen entfalten. Auch Gewalt gegen einen Dritten ist Gewalt gegen den zu Nötigenden, soweit diese die Willensbildung oder Willensbetätigung des zu Nötigenden in der vorausgesetzten Weise beeinträchtigt. Daß der Dritte dem zu Nötigenden in besonderer Weise nahesteht, ist nicht erforderlich, maßgeblich ist die Zwangswirkung. Zur Verdeutlichung: Fall 1: A, der selbst nicht Autofahren kann, wird gezwungen eine Fahrt abzubrechen, weil sein Chauffeur niedergeschlagen wird. Ergebnis: Gewalt gegen (toi Chauffeur zugleich Gewalt gegen A, da dem A die Betätigung seines Willens unmöglich gemacht w i r d / ' Fall 2: Wie Fall 1, aber A wird gezwungen seine Reise abzubrechen, weil sein Chauffeur in einen Keller eingesperrt wird, dessen Tür A nur mit großen Mühen aufbrechen könnte. Ergebnis: Wie Fall 1, da A dem Zwang nur mit erheblicher Kraftentfaltung begegnen könnte. Fall 3: Wie Fall 1, allerdings könnte A das Auto fahren, aber er besitzt keinen Führerschein. Ergebnis: Wie Fall 1, denn es ist dem A unzumutbar, dem Zwang durch Fahren ohne Führerschein zu entgehen.

3. Die Drohung mit einem empfindlichen Übel a) Drohung ist die Ankündigung eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende - zumindest vorgeblich - Einfluß hat. - Ob der Täter die Drohung realisieren will oder sich insgeheim vorbehält, dieses nicht zu tun, ist unwesentlich. b) Empfindlich ist das Übel, wenn es einen Nachteil von solcher Erheblichkeit bedeutet, daß seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn von dem konkret Bedrohten in seiner individuellen Lage nicht erwartet werden kann, daß er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.26

24

Vgl. dazu: BayObLG NJW 1990 S. 59; OLG Köln StV 1990 S. 266; DLERLAMM NStZ 1992 S. 575; DREHER/TRÖNDLE § 240 Rdn. 12; KREY Gewaltbegriff, Rdn. 236; LACKNER StGB, § 240 Rdn. 10; OTTO NStZ 1992 S. 570; SCH/SCH/ESER Vor § 234 Rdn. 22; SCHÄFER LK, § 240 Rdn. 5 ff; SCHMITT GLAESER Private Gewalt, S. 23; TRÖNDLE Rebmann-Festschrift, S. 494.

25 26

Vgl. auch: RGSt 17 S. 82; SCHÄFER LK, § 240 Rdn. 39. Vgl. BGH NJW 1983 S. 767; BGH wistra 1984 S. 23. - Dazu auch: MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALDB.T.1, § 13 Rdn. 26; WELZELLb., § 43 11 a. - Einen objektiven Maßstab - Eignung der Drohung "einen besonnenen Durchschnittsmenschen" zu bestimmen - fordern: BayObLGSt 1955 S. 12; KLEIN Zum Nötigungstatbestand - Strafbarkeit der Drohung mit einem Unterlassen, 1988, S. 136 ff; K R E Y B . T . l , Rdn. 326; LACKNER StGB, § 240 Rdn. 14; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 9 .

§ 27 Nötigung

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Zur Verdeutlichung: Fall 1: Dem A, einem ehemaligen Alkoholiker, bei dem schon die kleinste Menge Alkohol zum Rückfall führen kann, wird von B angedroht, er werde demnächst ein Getränk des A mit einer geringen Menge Alkohol versetzen, wenn A nicht einen bestimmten Betrag bezahlt. Ergebnis: Einen "besonnenen Durchschnittsmenschen" würde die Drohung des B sicher nicht ängstigen. Warum der A aber deshalb gegen Nötigung nicht geschützt sein soll, nur weil seine körperliche Verfassimg der des Durchschnittsmenschen nicht entspricht, ist nicht einzusehen. Fall 2: A, der etwas nervös ist, pflegt hin und wieder übersteigert zu reagieren. Als B ihn auffordert, ihn in seine Geschäftsgeheimnisse einzuweihen, sonst werde er ein Volkslied heruntergröhlen, gibt A nach. Ergebnis: Auch unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten des A liegt keine Androhung eines empfindlichen Übels vor. A reagiert nicht auf einen erheblichen Zwang, sondern auf eine bloße Störung seiner Ruhe. Auch in seiner individuellen Lage kann erwartet werden, daß er der Drohung standhält.

c) Die Androhung eines Unterlassens Fall: Abwandlung von BGHSt 31 S. 195: Die Ladendiebin B ist gefaßt worden. Der Hausdetektiv H hat eine Anzeige geschrieben und in die Post gegeben. A, ein Kollege des H, bietet der B an, diese Anzeige aus der Post zu entfernen, wenn sie mit ihm schlafe.

Z.T. wird die Ankündigimg eines Unterlassens in Lehre und Rechtsprechung nur dann als Drohung mit einem Übel verstanden, wenn eine Rechtspflicht des Drohenden zum Handeln besteht: Wer nur in Aussicht stellt, ein dem Opfer drohendes Übel durch Dritte oder einen schon in Gang befindlichen Kausalverlauf nicht abzuwenden, kündigt selbst kein Übel an, im Gegenteil, er stellt lediglich einen Vorteil in Aussicht, den er allerdings vergütet haben möchte.27 Die Gegenmeinung sieht in dieser Argumentation eine unzulässige Übertragung der Grundsätze der Haftung aus einem unechten Unterlassungsdelikt auf ein Begehungsdelikt durch Ankündigung einer Unterlassung, die kriminalpolitisch keineswegs erwünscht ist. Die generelle Ausklammerung der Ankündigung rechtmäßigen Unterlassens aus §§ 240, 253 eröffnet nämlich die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung in Fällen, in denen die Koppelung von Mittel und Zweck sozial unerträglich ist.28 Zwar erscheint die Androhung, die Abwendung eines bereits drohenden Übels zu unterlassen, objektiv als Vorteil für den Betroffenen. Subjektiv ist jedoch maßgeblich, daß dem Betroffenen ein Übel droht, auf das der Täter Einfluß zu haben vorgibt. Würde man diese Fälle bereits aus dem Tatbestand der Nötigung ausscheiden, so wäre hier die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung eröffnet. Die Problematik ist daher nicht auf der Ebene des Tatbestandes, sondern innerhalb der Rechtswidrigkeitsprüfung zu lösen.

II. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 verlangt Vorsatz, bedingter genügt.

27

V g l . B G H G A 1 9 6 0 S . 2 7 8 ; O L G H a m b u r g N J W 1 9 8 0 S. 2 5 9 2 ; BAUER J Z 1 9 5 3 S . 6 5 2 f ; FROHN

StV 1983 S. 365 f; HAFFKE ZStW 84 (1972) S. 71 Anm. 135; HERZBERG Die Unterlassung im Straf-

recht und das Garantenprinzip, 1972, S. 150; HORN NStZ 1983 S. 497 ff; OSTENDORF NJW 1980 S . 2 5 9 2 f ; R o x i N J u S 1964 S . 3 7 7 ; DERS. m o d i f i z i e r e n d J R 1 9 8 3 S . 3 3 5 f; SCHUBARTH J u S 1 9 8 1 S . 7 2 6 f f ; TIMPE JUS 1 9 9 2 S . 7 5 1 . 28

V g l . B G H S t 3 1 S . 195; DREHER/TRONDLE § 2 4 0 R d n . 18; SCHÄFER L K , § 2 4 0 R d n . 8 1 f f ; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 2 0 ; STOFFERS J R 1 9 8 8 S. 4 9 2 , 4 9 6 f; V O L K J R 1 9 8 1 S. 2 7 4 . - M o d i f i z i e -

rend: ARZT Lackner-Festschrift, S. 641, 656 f; SCHROEDERJZ 1983 S. 288.

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Delikte gegen die persönliche Freiheit

Demgegenüber wird in der Lehre z.T. ein zielgerichtetes Handeln zu Nötigungszwecken gefordert, denn es erscheint nicht überzeugend, z.B. denjenigen, der ein fremdes Kraftfahrzeug zerstört hat, auch wegen Nötigung zu bestrafen, wenn er weiß, daß der Eigentümer des Fahrzeugs durch sein Verhalten gezwungen wird, nunmehr zu Fuß nach Hause zu gehen.2^ Derartige Konsequenzen sind aber nicht durch die Beschränkung des Vorsatzes zu korrigieren. Die Vermögensdelikte schützen die gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung der Person. Soweit diese Entfaltung durch eine Sachzerstörung oder -entziehung beeinträchtigt wird, ist der Unrechtsgehalt voll durch das Vermögensdelikt erfaßt oder - falls das Verhalten als Vermögensdelikt nicht strafbar ist vom Gesetzgeber als nicht strafwürdig beurteilt worden. Erst einer darüber hinausgehenden Absicht käme im Rahmen der Nötigimg Eigenständigkeit zu. - Die Problematik liegt hier genauso wie in dem Fall, daß der Straftäter den Polizisten durch Flucht zur Verfolgung "nötigt". Diesem Verhalten kommt keinerlei Eigenständigkeit neben der zuvor erfolgten Deliktsverwirklichung zu. Daß in derartigen Fällen daher nur die beabsichtigte Nötigung eigenständig zu erfassen ist, ändert nichts daran, daß die Nötigung selbst grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz verwirklicht werden Wann 30

III. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung 1. Rechtfertigungsgrund und Verwerflichkeitsprüfung a) Schon bei der Verletzung scharf umrissener Rechtsgüter wie Leben, Körper, Eigentum o.ä. ist der Satz: "der Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund vorliegt", unrichtig, weil er von der Fiktion eines geschlossenen und bekannten Kreises von Rechtfertigungsgründen ausgeht und den dem Täter gegenüber zu erbringenden positiven Nachweis der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu dessen Lasten durch die bloße Aufzählung nicht vorliegender Rechtfertigungsgründe ersetzt. Z u r Wiederholung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 I.

Bei einem Rechtsgut, das allein schon durch seine Weite unzähligen verschiedenen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, wäre die schlichte Erwägung, ob im Falle einer solchen Beeinträchtigung ein herkömmlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt oder nicht, geradezu verhängnisvoll. - Bereits die Tatsache, daß die rechtfertigenden Situationen zunächst bei den Verletzungen von Leib und Leben ins Auge fielen und im Verständnishorizont dieser Eingriffe ausformuliert wurden, macht deutlich, daß sie gar nicht geeignet sind, die Vielfalt der hier möglichen Situationen sachgerecht zu erfassen. Eine haltlose Vielstraferei wäre die Folge, wollte man die Rechtfertigung derart begrenzen. b) Mit dem Verweis auf die Verwerflichkeit in § 240 Abs. 2 anstatt auf die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens soll daher nicht etwa die Strafbarkeit erweitert werden, so daß auch nicht rechtswidriges, aber sittlich anstößiges Verhalten strafbar wäre, sondern Zwang ausgeübt werden, genau zu prüfen, ob ein rechtswidriges Verhalten aufgrund seiner Sozialschädlichkeit oder -gefährlichkeit bereits einen solchen Grad der Strafivürdigkeit aufweist, daß es mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden muß. Daraus folgt: Ein gerechtfertigtes Verhalten ist in diesem Sinne niemals verwerflich. Die herkömmlichen Rechtfertigungsgründe sind daher vor der Verwerflichkeit zu prüfen. Mit der Ablehnung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes ist jedoch noch 29

V g l . HORN SK, § 240 Rdn. 7 ; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 13 R d n . 41; SCHMIDHÄUSER B . T . , 4 / 1 4 , 17; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 34. - Differenzierend: WESSELS B . T . - l , R d n . 404.

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Wie hier: BGHSt 5 S. 246; DREHER/TRÖNDLE § 240 Rdn. 33; GEILEN H. Mayer-Festschrift, S. 461; HAFFKE Z S t W 84 (1972) S. 51 ff; JAKOBS J R 1982 S. 2 0 6 f; WEBER in: Arzt/Weber, L H 1, R d n . 598.

§ 27 Nötigung

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nicht die Strafwürdigkeit des Verhaltens dargetan. Diese ist in der Verwerflichkeitsprüfung nachzuweisen. Der Ausschluß der Verwerflichkeit beseitigt die Strafwürdigkeit des Verhaltens, d.h. die Rechtswidrigkeit i.S. des § 240 Abs. 2. 3 1 GÜNTHER spricht hier zutreffend von einem StrafunrechtsausschluB im Gegensatz zum allgemeinen Ausschluß der Rechtswidrigkeit, da das Strafunrecht stets in besonderer Weise strafwürdiges Unrecht sein muß. 3 2

2. Der Inhalt der Verwerflichkeitsklausel a) Ob ein Verhalten verwerflich ist, darf nicht isoliert nach dem eingesetzten Mittel oder dem erstrebten Zweck beurteilt werden, sondern ist aus der sog. Mittel-Zweck-Relation, d.h. aus der Verknüpfung von Nötigungsmittel und -zweck, herzuleiten. Sachlich kommt es darauf an, ob die Nötigung aufgrund dieser Relation nach allgemeinem Urteil so sozialethisch zu mißbilligen ist, "daß sie ein als Vergehen strafwürdiges Unrecht, eine über die Erfüllung eines bloßen Übertretungstatbestandes hinausgehendes Unrecht"33, ein "sozial unerträgliches" Verhalten34 darstellt. Unter Berücksichtigung der Funktion der Verwerflichkeitsklausel bedeutet das: In einem Verfahren sozialethischer Wertung, wie es aus der Arbeit mit dem rechtfertigenden Notstand bekannt ist, gilt es zu prüfen, ob ein bestimmtes Verhalten bereits als sozialschädliche, sozialgefährliche und damit strafwürdige Verhaltensweise erscheint oder ob es noch als sozialstörendes, unerwünschtes Verhalten unterhalb der Strafwürdigkeitsgrenze angesehen werden kann. b) Bei der Bestimmimg der Mittel-Zweck-Relation sind die subjektiv verfolgten Zwecke des Täters umfassend zu würdigen. Eine Begrenzung auf den unmittelbar angestrebten Zweck - sogenanntes Nahziel - im Gegensatz zu den über das Nahziel hinausgehenden Zwecken - sogenannte Fernziele - ist sachlich unangemessen, denn es handelt sich um eine Rechtswidrigkeitsprüfung im weiteren Sinne, die methodisch auf das Verhaltens des Täters bezogen ist, das als Objektivation subjektiver Zielsetzung umfassend und nicht nur in einem Teilbereich zu würdigen ist. 35 Bei allen Rechtfertigungsgründen gibt es nämlich tatbestandsmäßige Nahziele und rechtfertigende Fernziele. Beispiel: Veranlaßt A den Autofahrer B zum Anhalten, weil hinter der nächsten Kurve ein Felsbrocken auf der Straße liegt, der für B eine tödliche Gefahr bedeutet, so wäre die Rechtswidrigkeitsprüfung unter dem Aspekt des rechtfertigenden Notstands, § 34, methodisch verfehlt, würde man den Eingriff in die Freiheit des B allein unter dem Aspekt des Nahziels: "Anhalten" des B beurteilen. Selbstverständlich ist hier zu berücksichtigen, daß das Anhalten erfolgt, um das Fernziel: "Lebensrettung" des B zu ermöglichen.

31

Vgl. BGHSt 2 S. 194, 195 f; 35 S. 270; BERGMANN Unrecht, S. 171 ff, 176; OTTO NStZ 1992 S. 571; SCHÄFER LK, § 2 4 0 Rdn. 66; SCHMIDHÄUSER B . T . , 4 / 1 8 . - A . A . Tatbestandsausschluß: HIRSCH LK, Vor § 32 R d n . 19; JAKOBS A . T . , 6/61 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 13 Rdn. 29 ff; ROXIN ZStW 82 (1970) S. 682 f; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 16.

32

Strafirechtswidrigkeit und StrafunrechtsausschluB, 1983, S. 322 f.

33

BGHSt 18 S. 391.

34

WELZEL L b . , § 43 1 3 b .

35

F0r eine Begrenzung der Beurteilung auf die sog. Nahziele dagegen: BGHSt 35 S. 270; OLG DÜSSELDORF M D R 1989 S. 840; OLG ZWEIBRÜCKEN StV 1990 S. 264; ARZT Welzel-Festschrift, S. 828 ff; BAUMANN N J W 1987 S. 37; DERS. Z R P 1987 S. 265; BROHM J Z 1985 S. 501, 511; DREHER/TRÖNDLE § 240 Rdn. 27; JAKOBS J Z 1986 S. 1064; GÖSSEL B . T . 1, § 19 R d n . 28; KÜHL StV 1987 S. 122 ff; LACKNER StGB, § 240 Rdn. 18 a; SCHÄFER L K , § 2 4 0 Rdn. 27, 61; STARCK J Z 1987

S. 145, 148; TRÖNDLE Lackner-Festschrift, S. 634; DERS. Rebmann-Festschrift, S. 481, 499 ff.

94

Delikte gegen die persönliche Freiheit

Da § 240 Abs. 2 eine Korrektur der Rechtswidrigkeitsprüfung darstellt, gelten auch hier die Kriterien, die für die Feststellung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Verhaltens maßgeblich sind. Eine ganz andere Problematik ist es hingegen, daß die Durchsetzung politischer, religiöser, weltanschaulicher und wirtschaftlicher Ziele des Täters nicht Eingriffe in Rechtsgüter Dritter legitimieren kann. Ob ein Eingriff in die Freiheit eines Dritten noch als sozial erträglich unterhalb der Grenze der Strafwürdigkeit anzusehen ist, kann nicht durch eine Differenzierung von Nah- und Femzielen entschieden werden, sondern ist nach Art, Weise, Umfang und Veranlassung des Eingriffs selbst zu bestimmen.36 c) Unter Beachtung dieser Grundsätze wird die Nötigung dann als strafwürdig anzusehen sein, wenn ein gravierender Eingriff in die Rechtsgüter eines anderen zur Durchsetzung eigener - egoistischer oder altruistischer - Zwecke erfolgt oder wenn zwei nicht zusammenhängende Lebensvorgänge willkürlich durch den Täter verknüpft werden und ein Standhalten des Opfers mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen für das Opfer verbunden ist. Das bedeutet: Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels nach Zweck, Art und Umfang des Eingriffs in die Willensbildungsoder Willensbetätigungsfreiheit nicht geringßgig und im Hinblick auf ein pflichtwidriges Vorverhalten des Genötigten unangemessen ist.37 Der Versuch, von der "Rechtfertigungsnähe" der Tat den Ausschluß der Verwerflichkeit zu begründen38, bleibt demgegenüber zu unbestimmt und erfaßt Kriterien, die den "nahen Rechtfertigungsgrund" gar nicht betreffen.39 3. Zur Verdeutlichung a) BGHSt 5 S. 254: Der Vermieter V erhält davon Kenntnis, daß sein Mieter M, mit dem er seit langem in Streit lebt, versucht hat, seine Scheune anzuzünden. V schreibt ihm, er werde ihn wegen versuchter Brandstiftung anzeigen, falls er nicht auf der Stelle ausziehe. BGH: Nötigung des M durch V nicht verwerflich, da der Sachverhalt, der das Recht zur Strafanzeige gibt, zugleich den Anspruch begründet, den V geltend macht. Das bedeutet: Die Tatsache der unerlaubten Selbsthilfe als solche ist noch nicht strafwürdig, wenn der Täter dem Betroffenen die rechtlichen Maßnahmen androht, zu denen er aufgrund des in Rede stehenden Sachverhalts berechtigt wäre oder die ihm auch im Rechtswege gewährt würden. - Anders hingegen, wenn einem noch nicht gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff unter bewußter Ausschaltung staatlicher Zwangsmittel mit rechtswidrigen Mitteln begegnet wird. "

36

Für eine umfassende Beurteilung der tatrelevanten Umstände, wenn auch mit zum Teil unterschiedlicher Gewichtung: BERGMANN Unrecht S. 184; ESER Jauch-Festschrift S. 39 f f ; ARTHUR KAUFMANN N J W 1988 S. 2583; DERS. P.-Schneider-Festschrift, S. 167; MEURER/BERGMANN JR 1988 S. 52 f; OTTO NStZ 1992 S. 571 ff; OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, Rdn. 72; REICHERT-HAMMER

37

Politische Fernziele und Unrecht, 1991, S. 75 ff; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 29. In die gleiche Richtung argumentieren: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l § 13 Rdn. 34;

SCHMITT GLAESER BayVBl 1988 S. 457 f; DERS. Dürig-Festschrift, S. 106 ff; VOLKJR 1981 S. 274;

im übrigen vgl. ARZT Welzel-Festschrift, S. 823 ff; HANSEN Die tatbestandliche Erfassung von Nötigungsunrecht, 1972, S. 154 ff; OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, R d n . 94 ff; SCHMIDHÄUSERB.T., 4/18; ROXIN JUS 1964 S. 373 ff.

38 39 40

Vgl. OLG Stuttgart NStZ 1991 S. 333; GÜNTHER Baumann-Festschrift, S. 220; REICHERT-HAMMER Fernziele, S. 293 ff, 297 ff. Dazu OTTO NStZ 1991 S. 334 f; DERS. NStZ 1992 S. 572 f. Vgl. BGHSt 39 S. 133 mit Anm. ROXIN NStZ 1993 S. 335 f.

§ 27 Nötigung

95

b) BGHSt 31 S. 195 - zum Sachverhalt vgl. oben I 3 c -: Die Verknüpfung der Beseitigung der Anzeige mit der Aufforderung zum Geschlechtsverkehr ist verwerflich. Hier werden heterogene Lebensvorgänge in einen nötigenden Zusammenhang gebracht, und ein Standhalten des Opfers ist für dieses mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden. Daher kommt es nicht darauf an, daß das Opfer keinen Rechtsanspruch auf die Beseitigung der Anzeige hatte. c) OLG Koblenz JR 1976 S. 69 mit Anm. ROXIN S. 71 ff: Die A, eine Filialleiterin, forderte von einer ertappten Ladendiebin DM 50,- als BearbeitungsgebOhr (Fangprämie), sonst werde sie Anzeige erstatten. Sie ging davon aus, daß aufgrund der Aufwendungen für Beobachtungen und des Arbeitsausfalles ein derartiger Anspruch gegen die Ladendiebin bestehe. OLG Koblenz: Nötigung. - Dagegen mit Recht ROXIN: Bestand der Anspruch, so diente die Drohung mit der Anzeige wegen Diebstahls ¿lein der Durchsetzung und Klärung des Anspruchs aus dem Diebstahl. Die A nahm dann durch Drohung mit der Anzeige ihre Rechte wahr, machte sich aber keiner verwerflichen Nötigung s c h u l d i g . - Falls A den Bestand des Anspruchs irrig annahm: vgl. Fall h). d) OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 51: Von einer Autobahnauffahrt fuhr A auf die rechte Fahrbahn der Autobahn, wobei er den notwendigen Sicherheitsabstand zu B erheblich unterschritt. B mußte sein Fahrzeug abbremsen. OLG Düsseldorf: Das Verhalten des A rechtfertigt wegen seines Bagatellcharakters nicht das Verwerflichkeitsurteil. Derartige einmalige Vorfahrtsverletzungen oder kurzfristiges, nahes Auffahren erreichen noch nicht die Grenze der Strafwürdigkeit. e) BGHSt 35 S. 270: A und andere beteiligten sich am 9. 5. 1983 an einer ganztägigen Blockadeaktion vor dem Sondermunitionslager Großengstingen. Durch Blockade der einzig befahrbaren Zufahrt zu dem Depot wollten sie "ein Zeichen setzen" und damit gegen die in ihren Augen sich ständig steigernde Hochrüstung demonstrieren. Aufforderungen, sich zu entfernen, kamen sie nicht nach. Sie ließen sich jedoch widerstandslos durch Polizeibeamte von der Fahrbahn tragen. BGH: Verhalten des A verwerflich, da die Fernziele von Straßenblockierem nicht bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung sondern ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind.^2 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Überzeugender in der Begründung ist jedoch BayObLG NJW 1988 S. 719: "Ein solches Verhalten, das Dritte zum Werkzeug, zum Objekt des Handelns Andersdenkender macht, findet seine sittliche Mißbilligung auch in der darin zum Ausdruck kommenden Mißachtung der Menschenwürde (BVerfGE 27, 6; 45, 228; BayObLGSt. 1986, 19, 24) und in dem Negieren der Handlungs- und Meinungsfreiheit anderer ... Wenn aber ... die unmittelbar gewollten oder gebilligten Wirkungen - Behinderung anderer zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für eine bestimmte politische Meinung = Nahziel - in ihrem Zusammenhang mit der Gewaltausübung als verwerflich anzusehen sind, vermag das letztlich verfolgte Fernziel - z.B. Eintreten für Frieden und Abrüstung - daran nichts zu ändern. Die Berücksichtigung solcher Fernziele im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung würde zu einer unannehmbaren Subjektivierung eines Straftatbestandes führen und den Strafrichter darüber befinden lassen, ob die von den berufenen Staatsorganen ergriffenen oder gebilligten Maßnahmen zur Wahrung des Friedens die richtigen Mittel zum - allseits anerkannten - Ziel sind (Dreher/Tröndle, StGB, 43. Aufl., § 240 Rdn. 10; Schäfer, LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 61 b; OLG Düsseldorf NJW 1986, 942, 945). Die Strafbarkeit eines Demonstrationsverhaltens kann daher nicht vom Wert oder Unwert des Demonstrationszieles abhängig gemacht werden (vgl. Otto, NStZ 1987, 213; Baumann, NJW 1987, 38)." 4 3 41

Zum Streitstand: MERTINS GA 1980 S. 47; MEURER Die Bekämpfung des Ladendiebstahls, 1976, S. 24 ff; DERS. JuS 1976 S. 300 ff; SCHULTZ M D R 1981 S. 373.

42

Z u r Auseinandersetzung mit BGHSt 35 S. 270: ARZT J Z 1988 S. 775 ff; JAHN JuS 1988 S. 9 4 6 ff; ARTHUR KAUFMANN N J W 1988 S. 2581 ff; OSTENDORF StV 1988 S. 488 ff; OTTO JK 88, StGB § 240 n / 3 ; ROGGEMANN J Z 1988 S. 1108 ff; ROXIN Schüler-Springorum-Festschrift, S. 4 5 3 ff, 456; SCHMITT GLAESER BayVBl. 1988 S. 454 ff.

43

Vgl. auch BayObLG NJW 1993 S. 212 - Eingehende Übersicht über den Streitstand bei der strafrechtlichen Beurteilung von Sitzblockaden bei OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, Rdn. 64 ff.- Zu den Tendenzen in der Rechtsprechung, durch unverhältnismäßige Anforderungen die Feststellung strafwürdigen Verhaltens unmöglich zu machen vgl. einerseits OLG Stuttgart NJW 1992 S. 2714, 2716; GRAUL JR 1994 S. 51 ff; andererseits LG Ellwangen JR 1993 S. 257 mit Anm. OTTO S. 258 ff; OFFENLOCH JZ 1992 S. 438 ff, 442. - Zum Ausschluß der Verwerflichkeit bei kurzfristigen, symbolischen Blockaden, vgl. OLG Koblenz NJW 1985 S. 2434; OLG Köln NJW 1986 S. 2443; BayObLG NJW 1993 S. 213. - Inzwischen wird die hier relevante Frist bereits sehr großzügig bestimmt; vgl.

96

Delikte gegen die persönliche Freiheit

f) BGH NStZ 1982 S. 287: H wollte mit der Freundin F des A geschlechtlich verkehren. Als F sich weigerte, äußerte A, daß es zwischen ihnen aus sei, wenn F nicht mache, was der H wolle. Daraufhin willigte F in den Geschlechtsverkehr ein. BGH: § 240 Abs. 1 entfällt bereits, weil das angedrohte Übel (Abbruch der Freundschaft) unter diesen Umstanden nicht als empfindliches anzusehen war. - Darüber läßt sich streiten, denn die Entscheidung hängt davon ab, wie weit man die Bindung der F an A zu ihren Gunsten berücksichtigt. Vertretbar daher auch die Androhung eines empfindlichen Übels. Dann war die Nötigung jedoch nicht verwerflich, da ein Standhalten der F nicht mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden war. 4 4 g) BGH NStZ 1982 S. 286: A forderte die E zum Geschlechtsverkehr auf. Für den Fall ihrer Verweigerung drohte er, sich selbst umzubringen. E gab nach. Ergebnis: Auch hier kann schon die Frage, ob A mit einem empfindlichen Übel drohte, unterschiedlich beantwortet werden. Keinesfalls war die Nötigung aber verwerflich; vgl. Fall f). h) Der Gastwirt A verwechselt den Gast G mit dem Gast Y, dem er Lokalverbot erteilt hat. Als er den G in seiner Gaststätte sieht, weist er ihn hinaus und als G nicht freiwillig geht, drängt er ihn gewaltsam auf die Straße. Ergebnis: Verwerflichkeit ist abzulehnen, denn aus der Sicht des A setzt er lediglich das Verbot mit zulässigen Mitteln durch. Des Rückgriffs auf die Irrtumslehre bedarf es hier nicht, denn wer aufgrund eines Irrtums über Tatsachen der Meinung ist, rechtmäßig zu handeln, setzt aus seiner Sicht ein erlaubtes Mittel zu einem erlaubten Zweck ein.'"

IV. Versuch und Vollendung 1. Beginn der abgenötigten Handlung und Tatvollendung BGH NStZ 1987 S. 70: A, der die H in sein Fahrzeug verbringen wollte, um mit ihr an einen entlegenen Ort zu fahren und dort den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben, versuchte die H in das Fahrzeug zu drücken. Aufgrund der Gegenwehr des Opfers gelang dieses nicht. H konnte nur z.T. in das Fahrzeug gedrängt werden. A nahm von seinem Vorhaben daher Abstand. BGH: Die Nötigung durch A war bereits vollendet.

Die h.M. bejaht eine vollendete Nötigung bereits dann, wenn das Opfer unter Einwirkung des Nötigungsmittels mit der verlangten Handlung, Duldung oder Unterlassung begonnen hat.46 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Nötigung ist ein Erfolgsdelikt. Beginnt das Opfer mit dem geforderten Verhalten, so wird in der Regel der Handlungsunwert durch den Täter verwirklicht sein. Der Erfolgsunwert ist jedoch erst eingetreten, wenn das angestrebte Handlungsziel erreicht ist. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt nur ein Versuch vor. 47 2. Vermittlung des Nötigungsetfolges durch Dritte BayObLG JZ 1990 S. 448: Die Angeklagten blockierten die Zufahrt zu einer Baustelle. Um gewaltsame Konfrontationen von Autofahrern und Blockierern zu verhindern, sperrte die Polizei den Bereich ab und hielt die Kraftfahrzeuge etwa 300 m vor der Blockade an.

44 45 46

47

einerseits OLG Köln VRS 83 (1993) S. 420 (10 Minuten), andererseits OLG Stuttgart NJW 1992 S. 2713 (Grenze im Stundenbereich). Dazu auch: SCHROEDER JZ 1983 S. 287. Zu den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten der Problematik über die Irrtumslehren: ROXIN JR 1976 S. 71 f. Vgl. DREHER/TRÖNDLE § 2 4 0 R d n . 32; LACKNER StGB, § 2 4 0 R d n . 26; SCHÄFER L K , § 240

Rdn. 58. Dazu auch: OTTO JK 87, StGB § 240/10.

§ 28 Freiheitsberaubung

97

BayObLG: Nur versuchte, nicht aber vollendete Nötigung durch die Angeklagten. "... Der Tatbestand der Nötigung lautet aber nicht: 'Wer rechtswidrig mit Gewalt ... die Handlung, Duldung oder Unterlassung eines anderen verursacht, ...", sondern: "wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt ... nötigt, ...". Daraus zieht der Senat den Schluß, daß es nicht genfigt, wenn die intendierte Handlung in irgendeiner ursachlichen Verknüpfung mit der Gewalt steht, so z.B., daß eine Straßenblockade die Polizei veranlaßt, den Verkehr anzuhalten oder umzuleiten. Vielmehr muß für die Erfüllung des Tatbestands der Nötigung und damit für die Vollendung der Tat verlangt weiden, daß die Handlung, Duldung oder Unterlassung die spezifische Folge der Gewalteinwirkung ist. Die Gewalt muß das Nötigungsopfer erreicht haben; dessen Willensentscheidung muß unter direkter Einwirkung dieser Gewalt zustande gekommen sein." Der BGH folgte dem BayObLG insoweit nicht. Er sah im vorliegenden Fall den für eine Nötigimg mit Gewalt erforderlichen spezifischen Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötieungserfolg als gewahrt an und rechnete den Blockierem den Nötigungserfolg als vollendete Nötigung zu.*®

Bei der Vermittlung des Nötigungserfolges durch Dritte ist der Erfolg dem Ersttätigen zuzurechnen, falls dieser das Verhalten des Dritten als mittelbarer Täter beherrscht oder weil das Drittverhalten noch so spezifisch mit der Ausgangsgefahr verbunden ist, daß es bereits typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint und dem Täter daher zuzurechnen ist. Ist dieses nicht der Fall, weil der Dritte in Kenntnis der Situation eine eigenverantwortliche Entscheidung trifft, ist diese Entscheidung die Grundlage für den Nötigungserfolg. Es liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs vor. Dem zunächst Tätigen ist das Verhalten nur als Versuch zuzurechnen. Im oben genannten Fall kann das Verhalten der Polizei noch als spezifisch in der Ausgangsgefahr angelegtes Verhalten interpretiert werden."

§ 28: Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Freiheit der Person, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen-, sog. potentielle persönliche Bewegungsfreiheit. Da die potentielle, nicht aber die reale persönliche Bewegungsfreiheit maßgeblich sein soll, kommt die h.M. zu dem Ergebnis, es sei bedeutungslos, ob der Betroffene die Beeinträchtigung seiner Bewegungsfreiheit wahrgenommen habe oder nicht. Sodann jedoch wird differenziert. Während einige den Grundsatz uneingeschränkt anwenden50, kommen andere zu dem Ergebnis, eine Freiheitsberaubung sei nicht möglich, wenn der Betroffene zur Tatzeit einen natürlichen Fortbewegungswillen gar nicht haben kann, weil die Möglichkeit der Willensbildung und -betätigung ausgeschaltet ist. Daher sei keine Freiheitsberaubung möglich beim sinnlos Betrunkenen, beim Ohnmächtigen, beim Tiefschlafenden oder beim Kleinstkind, hingegen könne das Opfer, das lediglich nicht merke, daß es eingesperrt sei, durchaus der Freiheit beraubt werden.51 48

B G H S t 3 7 S. 3 5 0 mit A n m . DlERLAMM N S t Z 1992 S. 9 7 3 ff, KÜPPER/BODE J u r a 1 9 9 3 S. 187 ff, WOHLERS N J W 1 9 9 2 S. 1432 f .

49

Vgl. auch OTTO JK 92, StGB §240/14.

50

Grundsätzlich auf den Schutz der potentiellen Bewegungsfreiheit, unabhängig von der Kenntnis der Situation stellen ab: BOCKELMANN B . T . / 2 , § 18 1 1 c; GEPPERT J u S 1 9 7 5 S. 3 8 7 ; LACKNER S t G B , § 2 3 9 R d n . 1; SCHMIDHÄUSERB.T., 4 / 2 6 .

51

Eine Freiheitsberaubung gegenüber Personen, denen die Freiheit fehlt, sich frei zu bewegen (z.B. sinnlos Betrunkene, Bewußtlose) lehnen ab: DREHER/TRÖNDLE § 239 Rdn. 1; KREY B.T. 1, Rdn.

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Delikte gegen die persönliche Freiheit

Diese Differenzierung bleibt willkürlich, denn schon die Annahme der Freiheitsberaubung einer Person, die überhaupt nicht bemerkt, daß sie ihrer Freiheit beraubt ist, ist mit dem Schutz der persönlichen Bewegungsfreiheit nicht in Einklang zu bringen. Zutreffender erscheint es daher, eine Freiheitsberaubung dort abzulehnen, wo der Wille des Betroffenen nicht tangiert wurde, weil sein Wille weder durch irgendwelche Einwirkungen (Hypnose, Schlafmittel) ausgeschaltet noch er selbst sich der Beraubung seiner Bewegungsfreiheit bewußt wurde (Ohnmacht, Schlaf, Beschäftigung mit anderen Dingen). Ist er sich hingegen der Tatsache bewußt geworden, daß er seinen Aufenthaltsort nicht verlassen kann, so ist es gleichgültig, ob er ihn verlassen will, unabhängig davon, ob der Betroffene zur Fortbewegung fähig ist. Insofern ist es richtig, auf die potentielle persönliche Bewegungsfreiheit abzustellen, denn schon das Bewußtsein, seinen Aufenthaltsort nicht verändern zu können, beeinflußt die Willensbildung.52 2. Die Tathandlung a) Die Freiheitsberaubung Tathandlung ist der Eingriff in die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen. Diesem wird die Möglichkeit genommen, sich nach seinem Willen fortzubewegen. Einsperren - Hinderung am Verlassen eines Raumes durch äußere Vorrichtungen - ist nur ein Beispielsfall einer Freiheitsberaubung, die z.B. auch durch Drohung, Gewalt oder Wegnahme der Kleider erfolgen kann. Maßgeblich ist allein, daß dem Opfer die Willensbetätigung zur Ortsveränderung nach allen Seiten unmöglich gemacht ist53 und zwar ist auch bei den anderen Weisen der Beraubung des Gebrauchs der persönlichen Freiheit die unmittelbare Zwangswirkung maßgeblich. Die Drohung mit einem empfindlichen Übel genügt daher den Anforderungen an eine Freiheitsberaubung nicht.54 Wird dem Opfer lediglich die Bewegung in eine Richtung unmöglich gemacht oder das Opfer in eine andere Richtung gezwungen, so liegt nur Nötigung vor. - Das Delikt ist ein Dauerdelikt, doch erfordert der Tatbestand keine lange Dauer ("ein Vaterunser lang" genügt). Ob ein u.U. verbleibender Ausweg ungewöhnlich ist oder nicht, spielt keine Rolle. Die Grenze beginnt dort, wo dem Opfer der Ausweg nicht mehr zumutbar ist, z.B. beim lebensgefährlichen Sprung aus dem Fenster eines Hochhauses oder beim Herunterklettem über eine Feuerleiter oberhalb einer belebten Straße ohne Bekleidung.

b) Mittelbare Täterschaft Grundsätzlich ohne besondere Probleme ist auch die Verwirklichung einer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft, wenn der Hintermann die Tatherrschaft innehat, weil das Werkzeug irrt oder im Nötigungsnotstand handelt. Daher wird von der h.M. auch eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft angenommen, wenn der Täter durch eine falsche Anzeige dafür ursächlich wird, daß der Angezeigte in Haft kommt.

315; SCH/SCH/ESER § 239 Rdn. 3; WOLTER NStZ 1985 S. 247. - Differenzierend bei der letztgenannten Personengruppe nach dem hypothetischen Willen: BLOY ZStW 96 (1984) S. 721 ff; SCHÄFER LK, § 239 Rdn. 13. 52

Wie hier: BINDING B.T. I, S. 98; HORN SK, § 239 Rdn. 3; WEBER in: Arzt/Weber, LH 1, Rdn. 535.

53 54

BGHSt 32 S. 187 ff. Dazu BGH NJW 1993 S. 1807 mit Anm. OTTO JK 94, StGB § 239/2.

§ 28 Freiheitsberaubung

99

Dies mag für eine falsche Anzeige vor der Polizei, die dazu führt, daß das Opfer in U-Haft genommen wird, zutreffen. 55 Soweit die Haft auf einem Urteil beruht, ist der Anzeigende nicht mehr für dieses Ergebnis als mittelbarer Täter verantwortlich. Das Gericht ist nicht Werkzeug des Anzeigenden! Es ist verpflichtet, belastende und entlastende Momente zu uberprüfen und eigenverantwortlich zu wägen. Das widerspricht seiner Werkzeugeigenschaft dort, wo ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist, evident. 56 II. Rechtswidrigkeit Die Widerrechtlichkeit ist nicht Tatbestandsmerkmal i.S. eines Merkmals des Gesetzestatbestandes, sondern allgemeines Verbrechensmerkmal. - Als Rechtfertigungsgründe kommen alle rechtfertigenden Situationen in Betracht, insbesondere die Ausübung des Sorgerechts im Rahmen der Familienpflege57 sowie das Festnahmerecht gemäß § 127 StPO. Nach h.M. schließt das Einverständnis des Opfers in die Freiheitsberaubung bereits den Tatbestand aus. 58 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, denn die Freiheitsberaubung ist kein Willensbmchsdelikt im engeren Sinne. Sie setzt begrifflich kein Handeln gegen den Willen des Betroffenen voraus. Auch List kommt als Mittel der Freiheitsberaubung in Betracht. Beim Handeln mit Willen des Betroffenen kann jedoch eine rechtfertigende Einwilligung vorliegen.59 Bei hoheitlichem Freiheitsentzug, z.B. Verbringung zur Blutentnahme, Einweisung in eine psychiatrische Anstalt, stellt die h.M. darauf ab, ob der Freiheitsentzug sachlich begründet war oder nicht, während Mängel des förmlichen Verfahrens irrelevant sein sollen.60 So verallgemeinert ist diese Aussage angreifbar. Maßgeblich kann allein sein, ob der Eingriffsakt rechtswirksam war oder nicht. Die Anfechtbarkeit begründet nicht die Rechtswidrigkeit der rechtswirksam vollzogenen Maßnahmen. Beruht der Eingriffsakt aber auf einer Täuschung durch einen Dritten - z.B. falsche Anschuldigung, die dazu führt, daß der Betroffene festgenommen wird - so liegt ein Fall der Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch ein rechtmäßig handelndes Werkzeug vor. Keinesfalls ist hier in der Person des Hintermannes nur ein Versuch gegeben61, denn die Tathandlung bleibt in der Person des Hintermannes objektiv und subjektiv rechtswidrige Freiheitsentziehung, auch wenn das Werkzeug rechtswirksam handelt.

55

Dazu BGHSt 3 S. 4.

56

Vgl. auch: OTTO NStZ 1985 S. 75 f. - A . A . AMELUNG/BRAUER J R 1985 S. 4 7 6 f; GEPPERT JK,

57 58

StGB § 239/1 m. w.N. Hierzu BGHSt 13 S. 197.

F ü r Tatbestandsausschluß: DREHER/TRÖNDLE § 2 3 9 R d n . 8; LACKNER StGB, SCH/SCH/ESER § 2 3 9 R d n . 8.

§ 2 3 9 Rdn.

2;

59

So auch: JESCHECK A . T . , § 34 1 1 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l § 12 R d n . 16.

60

B G H bei Holtz, M D R 1978 S. 624; O L G Schleswig N S t Z 1985 S. 74; SCH/SCH/ESER § 2 3 9 R d n . 8.

61

So aber AMELUNG/BRAUER J R 1985 S. 4 7 6 f; GEPPERT J K , StGB § 2 3 9 / 1 .

100

Delikte gegen die persönliche Freiheit

III. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung In § 239 Abs. 2 und Abs. 3 sind erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung geregelt. 1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen Die über eine Woche hinausgehende Freiheitsberaubung, wie auch der Tod oder die schwere Körperverletzung i.S. des § 224 müssen für den Täter vorhersehbar gewesen sein, § 18. Führt der Täter die schwere Folge vorsätzlich herbei, so ist Tateinheit mit §§211, 212, 225 möglich. - Daß das Opfer den Tod selbst herbeigeführt hat, sei es durch Selbstmord oder einen gefährlichen Fluchtversuch, ist irrelevant, da der Wille des seiner Freiheit beraubten Opfers im Rechtssinne nicht frei ist. Auch in diesen Fällen realisiert sich die der Freiheitsberaubung spezifische Gefahr.62 2. Der Versuch Der Versuch der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 ist nicht strafbar, wohl aber der Versuch der erfolgsqualifizierten Fälle, da es sich hier um Verbrechen handelt.63

IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung Die Freiheitsberaubung ist ein Spezialfall der Nötigung, wenn die Nötigung nur darauf gerichtet ist, das Opfer zu hindern nach seinem Belieben seinen Aufenthaltsort zu verändern. Im übrigen ist die Entscheidung nach dem Schwergericht des Unrechtsvorwurfs zu treffen. Das bedeutet im einzelnen: 1. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach eigenem Belieben zu verändern, weil es dem Täter darauf ankommt, das Opfer an seinem Aufenthaltsort festzuhalten: Freiheitsberaubung. Beispiel: A sperrt den B im Keller seines Hauses ein, um ungestört mit Frau B Ehebruch betreiben zu können. Ergebnis: Die Freiheitsberaubung geht als lex specialis der Nötigimg vor.

2. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach seinem Belieben zu verändern, weil es zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird und andere Verhaltensweisen ihm neben dem erzwungenen Verhalten nicht möglich sind, so liegt nur eine Nötigung vor. Beispiel: A zwingt den B mit vorgehaltener Pistole nach X zu fahren. Ergebnis: Nötigung des B, gegen seinen Willen dorthin zu fahren wohin ihn der A dirigiert. Der Tatsache, daß B nicht zugleich an einen anderen Ort fahren kann, kommt hier keine Eigenständigkeit zu. Damit konsumiert die Nötigung die Freiheitsberaubung.

62

Dazu BGH LM Nr. 4 zu § 239; BGHSt 19 S. 382 mit abl. Anm. WIDMANN MDR 1967 S. 972 f; KÜPPER "Der unmittelbare Zusammenhang" zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 104; RENGIER Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungformen, 1986, S. 196.

63

Zur Problematik der verschiedenen beim erfolgsqualifizierten Delikt möglichen Versuchskons t e l l a t i o n e n v g l . GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 8 I V 6 .

§ 29 Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme

101

3. Soll das Opfer durch den Freiheitsentzug zu einem bestimmten, über den Freiheitsentzug hinausgehenden Verhalten gezwungen werden: Nötigung und Freiheitsberaubung in Idealkonkurrenz. Beispiel: A sperrt den B ein, um ihn zu zwingen, ihm ein Geschäftsgeheimnis zu verraten. Der Plan ist erfolgreich. Ergebnis: Der Unrechtsgehalt der Freiheitsberaubung und der der Nötigung stehen gleichwertig nebeneinander; §§ 240, 239, 52 StGB.

4. Mißlingt der Versuch des Täters, eine Person an einem bestimmten Ort festzuhalten: versuchte Nötigung. Beispiel: A legt der B den Arm um den Hals, um diese am Verlassen der Wohnung zu hindern. B kann sich befreien. Ergebnis: Geht es dem Täter allein um die Freiheitsberaubung, so ist - wenn das Delikt vollendet wird § 239 lex specialis gegenüber § 240. Diese Funktion kommt dem als Vergehen straflosen Versuch der Freiheitsberaubung nicht zu. Das Unrecht wird in diesem Fall von § 239 nicht ausschließlich, sondern überhaupt nicht erfaßt. ^

V. Menschenraub, § 234 In § 234 ist ein Spezialfall der Freiheitsberaubung geregelt. Das Delikt währt so lange, wie die Bemächtigung anhält (Dauerdelikt). Einzelheiten des Tatbestandes: List ist ein geflissentliches Verbergen der verfolgten Absicht, z.B. durch Täuschung oder Ausnutzung eines Irrtums. - Bemächtigen heißt Begründen der physischen Herrschaft über eine Person. - Zur hilflosen Lage vgl. oben § 10 I 2 b. - Die Absicht, einen anderen in Sklaverei oder Leibeigenschaft zu bringen, setzt voraus, daß der Täter beabsichtigt, das Opfer einer Rechtsordnung zu unterwerfen, die die Rechtstellung eines Sklaven oder Leibeigenen noch kennt.65

§ 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b Beide Vorschriften schützen zunächst die persönliche Freiheit und Unversehrtheit des Opfers, sodann aber die persönliche Freiheit des Dritten, dessen Sorge ausgenutzt werden soll. - Dahinter tritt der in § 239 a auch erfaßte Schutz des Vermögens zurück, so daß es sachgerecht ist, beide Delikte, § 239 a und § 239 b, als Freiheitsdelikte einzuordnen.66

64

Vgl. auch: BGHSt 30 S. 235 f; DREHER/TRÖNDLE § 240 Rdn. 36; OTTO Jura 1989 S. 498; LACKNER StGB, § 2 3 9 R d n . 8; SCHMIDHÄUSER B . T . 4 / 2 8 . - A . A . JAKOBS J R 1982 S. 2 0 6 f; KREY B . T . 1, R d n . 318; SCH/SCH/ESER § 240, R d n . 4 1 .

65 66

Vgl. dazu BGHSt 39 S. 212. So auch: LACKNER StGB, § 239 a Rdn. 1; SCHÄFER LK, § 239 a Rdn. 2. - Die Nähe des § 239 a zur Erpressung betonen demgegenüber MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 15 Rdn. 19; SCH/SCH/ESER § 2 3 9 a R d n . 3.

102

Delikte gegen die persönliche Freiheit

II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Erpresserischer Menschenraub, § 239 a a) Tatopfer kann jeder Mensch sein, insbesondere auch das eigene Kind.67 b) Der Tatbestand unterscheidet zwei Alternativen: in der ersten Alternative erfolgt die "Entführung" oder das "Sich-Bemächtigen eines Dritten" bereits in der Absicht der Erpressung; in der zweiten Alternative wird ein ursprünglich aus anderen Gründen (Scherz, Rache o.ä.) hergestelltes Gewaltverhältnis später zur Erpressung ausgenutzt. Entfuhren setzt ein Verbringen an einen anderen Ort voraus, wo das Opfer dem ungehemmten Einflufi des Täters preisgegeben ist. - Sich bemächtigen bedeutet die Begründung physischer Herrschaft des Täters über das Opfer. Ein Verbringen an einen anderen Ort ist nicht begriffsnotwendig; das in Schach halten mit einer Waffe kann genügen.68 Stellt sich jemand einem anderen freiwillig zur Verfügung, damit dieser eine Geiselnahme vortäuschen kann, so entfällt der Tatbestand, da weder eine Entführung noch ein Sich-Bemächtigen vorliegt.69 c) In der 1. Alternative muß mit dem Vorsatz die Absicht des Täters verbunden sein, "die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung auszunutzen". Sorge um das Wohl des Opfers ist bereits die Befürchtung, das Opfer könne beim Fortbestehen der vom Täter geschaffenen Lage körperlichen oder seelischen Schaden erleiden. Damit handelt aus Sorge in diesem Sinne auch der Staat, der nicht unmittelbar aus Sorge um das Wohl der Geisel zahlt, sondern aus Gründen der Staatsräson dokumentiert, daß er das Leben der Geisel mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln schützt, wie auch der Bankkassierer, der vielleicht sogar den bedrohten Kunden haßt, der aber weiß, daß er selbst erhebliche Nachteile haben wird, wenn er nicht für das Wohl des Opfers sorgt und zahlt. Um eine Sorge um einen anderen im herkömmlichen Sinne des Wortes handelt es sich hier nicht mehr, sondern nur noch um die Befürchtung oder das Wissen, ein anderer werde Schaden nehmen.™ Ob der Täter wirklich die Absicht hat, dem Opfer einen Schaden zuzufügen oder nicht, ist irrelevant. Maßgeblich ist allein die Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge Dritter.71 d) Vollendet ist die Tat in der 1. Alternative, wenn der Täter einen anderen entführt oder sich eines anderen bemächtigt hat in der Absicht, die Sorge des Opfers oder die Sorge eines Dritten zu einer Erpressung auszunutzen. Es braucht nicht einmal bis zu einem Versuch einer Erpressung zu kommen. - In der 2. Alternative ist der Tatbestand vollendet, wenn der Täter die von ihm geschaffene Lage zu einer Erpressung ausnutzt, d.h. die Erpressung zumindest versucht.72 67

Dazu BGHSt 26 S. 70.

68

BGH NStZ 1986 S. 166.

69

Vgl. L G M ü n c h e n 31 Js 81385/75; BACKMANN JUS 1977 S. 449. - A . A . LAMPE J R 1975 S. 4 2 5 .

70

Eingehender dazu HANSEN GA 1974 S. 353 ff; im übrigen vgl. BGH NStZ 1987 S. 222 mit Anm. JAKOBS JR 1987 S. 340 ff, und OTTO JK 87, StGB § 253/1; BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 305;

71 72

Zu den Erfordernissen der Erpressung vgl. unter § 53 I. BGHSt 26 S. 310 (zu § 239 b).

BOHNERT J R 1982 S. 3 9 7 , 3 9 9 ; SEELMANN JuS 1986 S. 203.

§ 29 Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme

103

2. Geiselnahme, § 239 b a) Tatopfer und Tathandimg entsprechen § 239 a. Im Gegensatz zu § 239 a tritt an die Stelle der Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge eines Dritten in erpresserischer Absicht in § 239 b die Absicht einer Nötigung mit qualifiziertem Mittel (Drohung mit dem Tode oder einer schweren Körperverletzung - § 224 - des Opfers oder mit Freiheitsentzug von über einer Woche Dauer). - Der Vorbehalt des Täters, die Drohung nicht zu realisieren, ist irrelevant. Eine derartige Einschränkung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. b) Aufbau des Tatbestandes und Vollendung entsprechen § 239 a; vgl. unter 1. 3. Das Verhältnis der §§ 239 a, b zu den in der Gewaltsituation beabsichtigten Delikten a) Ursprünglich ging die Rechtsprechung davon aus, daß §§ 239 a, b in Tateinheit mit den beabsichtigten Delikten vorlagen, wenn diese verwirklicht wurden.73 Damit aber wurden typische Fälle der Vergewaltigung und der Erpressung dem hohen Strafrahmen der §§ 239 a, b unterworfen. b) Aus dieser Situation versuchte der 1. Strafsenat des BGH einen Ausweg zu finden. Er entschied: "In einschränkender Auslegung sind die §§ 239 a, 239 b StGB auf solche Fälle nicht anwendbar, in denen das Entführen oder das Sich-Bemächtigen unmittelbares Nötigungsmittel einer Vergewaltigung, einer sexuellen Nötigung oder einer räuberischen Erpressung sind und in denen eine über das hierdurch begründete Gewaltverhältnis zwischen Täter und Opfer hinausreichende Außenwirkung des abgenötigten Verhaltens nach der Vorstellung des Täter nicht eintreten soll. Danach gilt: Bemächtigt sich der Täter des Opfers allein zu dem Zweck, es zu vergewaltigen, sexuell zu nötigen oder zu erpressen, und verwirklicht er diese Absicht innerhalb des genannten Gewaltverhältnisses, so ist er lediglich nach § 177, § 178 oder §§ 253, 255 StGB zu b e s t r a f e n " .74 c) Diese auf der besonderen Heraushebung des Kriteriums der "Außenwirkung des abgepreßten Verhaltens" gegründete Rechtsprechung ist in der Literatur kritisch aufgenommen worden, denn eine Außenwirkung derart, daß das Tatopfer einen Überweisungsauftrag erteilt, den die Bank ausführt, oder einen Scheck ausstellt, den der Bezogene einlöst, kann die erhebliche Straferhöhung und die Vorverlagerung der Deliktsvollendung gegenüber dem Fall, daß das Opfer den Betrag aus mitgefiihrtem Gelde zahlt, nicht legitimieren.75 d) Auch andere Strafsenate haben Bedenken gegen diese einschränkende Auslegung der §§ 239 a, b geltend gemacht. - Auf Anfrage des 5. Strafsenats hat der 1. Strafsenat bereits zugestanden, daß die Einschränkung des § 239 b nicht im Verhältnis zu § 240 gilt, wenn aus der Sicht des Opfers sein Tod oder eine schwere Körperverletzung unmittelbar bevorstehen.76 Abgelehnt hat der 1. Strafsenat es jedoch, von der Schwere des verwirklichten Handlungsunrechts (Tod oder schwere Körperverletzung stehen unmittelbar be73

So zuletzt BGH NStZ 1993 S. 3.

74

Vgl. BGHSt 3 9 S. 36 mit Anm.TENKHOFF/BAUMANN JuS 1994 S. 836 ff; BGHSt 39 S. 330 mit Anm. KELLLER JR 1994 S. 428 f.

75

Hierzu auch BOHLANDER NStZ 1993 S. 439; GEPPERT JK 94, StGB § 239 a/4; OTTO JK 94, StGB § 239 a/5; RENZKOWSH JZ 1994 S. 498 f.

76

Vgl. BGH NStZ 1994 S. 128; BGH NStZ 1994 S. 284.

104

Delikte gegen die persönliche Freiheit

vor) her zu differenzieren.77 - Der 2. Strafsenat hat die einschränkende Auslegung für den Fall der Entführung abgelehnt und den Großen Senat angerufen.78 - Sachgerecht erscheint durchaus eine Einschränkung der §§ 239 a, b von der Schwere des Handlungsunrechts her, doch bedarf auch dieser Gedanke noch weiterer Konkretisierung.

III. Erfolgsqualifizierung nach §§ 239 a Abs. 3, 239 b Abs. 2 Die Erfolgsqualifizierungen gemäß § 239 a Abs. 3 und § 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a Abs. 3 entsprechen in ihrer Struktur dem Raub mit Todesfolge; dazu unter § 46 IV. Zu beachten ist auch hier, daß sich in der Erfolgsqualifikation die spezifische Gefahr der Verwirklichung des Grundtatbestandes realisiert haben muß. Diese Gefahr kann auch in Befreiungsaktionen zugunsten des Opfers begründet sein. Der notwendige Zusammenhang liegt hingegen nicht vor, wenn es zum Tod der Geisel kommt, weil Polizeibeamte, die von der Geiselnahme keine Kenntnis haben, auf das Fluchtfahrzeug schießen, in dem sich nach ihrer Vorstellung nur Räuber befinden. 7 "

IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4, 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a Abs. 4 Abweichend von anderen Fällen der sog. Tätigen Reue nach vollendeter Tat erfordert § 239 a Abs. 4 keine Freiwilligkeit, unterwirft aber die Strafmilderung nicht § 49 Abs. 2, sondern dem strengeren § 49 Abs. 1. Erstrebte Leistung ist in § 239 a die Beute, in § 239 b der Nötigungserfolg. - Ein Verzicht liegt vor, wenn der Täter seinen Erpressungs- oder Nötigungsplan vor Eintritt des Erfolges aufgibt, bzw. die Beute wieder herausgibt oder auf die Ausnutzung der Nötigungssituation verzichtet. - In seinen Lebenskreis zurückgelangt ist das Opfer, wenn es, aus der Gewalt des Täters entlassen, die Möglichkeit hat, seinen Aufenthaltsort frei zu bestimmen und zu erreichen.

V. Konkurrenzen Zur Konkurrenz der §§ 239 a, b mit den beabsichtigten Delikten vgl. unter II 3. § 239 b ist gegenüber § 239 a subsidiär, wenn mit der Tathandlung eine Bereicherung erstrebt wird. Soweit neben der Bereicherung noch ein anderer Zweck verfolgt wird, ist Tateinheit möglich.80

§ 30: Zur Wiederholung 1. Wie wurde "Gewalt" i.S. des § 240 ursprünglich definiert und worin unterschied sich diese Definition von der, die der BGH seinen Entscheidungen in der Regel zugrunde legt? - Dazu § 27 12. 2. Kommt es bei einer Drohung mit einem empfindlichen Übel darauf an, ob der Drohende die Drohung wirklich realisieren kann? - Dazu § 27 1 3 a.

77

Dazu BGH NStZ 1994 S. 340.

78

Vgl. BGH NStZ 1994 S. 431. - Dazu auch BGH NStZ 1994 S. 482 (3. Strafsenat).

79

Str. - Vgl. BGHSt 33 S. 322 mit Anm. FISCHER NStZ 1986 S. 314, GEPPERT JK, StGB § 239 a/1, KREHL StV 1986 S. 432, LÖFFELER JA 1986 S. 286 f, WOLTER JR 1986 S. 465 ff.

80

BGHSt 25 S. 386; 26 S. 24.

§ 30 Zur Wiederholung

105

3. Ist die Verwerflichkeit eines nötigenden Verhaltens vor den Rechtfertigungsgründen zu prüfen? - Dazu § 27 ra 1. 4. Genügt es, daß eine Nötigung sittlich anstößig ist, oder fordert die Strafbarkeit auch hier ein rechtswidriges Verhalten? - Dazu § 27 III 1 b. 5. Wann ist ein Verhalten "verwerflich" i.S. des § 240 Abs. 2? - Dazu § 27 in 2. 6. Kann ein "Bewußtloser" seiner Freiheit beraubt werden? - Dazu § 28 11. 7. Liegt eine Freiheitsberaubung vor, wenn der Betroffene seinen Aufenthaltsort nur auf "ungewöhnlichem" Wege verlassen kann? - Dazu § 2812. 8. Welche Bedenken bestehen gegen eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch eine Behörde oder ein Gericht aufgrund einer Täuschung (unwahre Aussage)? - Dazu § 28 12. 9. Was heißt "sich eines Menschen bemächtigen" in § 234? - Dazu § 28 V. 10. Wie ist das Ausnutzen der Sorge eines Dritten in §§ 239 a, b zu bestimmen? - Dazu § 29 II 1 c.

Fünfter Abschnitt Delikte gegen die Ehre § 31: Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte Einigkeit besteht darüber, daß das geschützte Rechtsgut der §§ 185 ff die Ehre ist. - Inhalt und Grenzen dieses Begriffs sind jedoch streitig, obwohl nicht zu verkennen ist, daß die verschiedenen Auffassungen über die inhaltliche Bestimmung des Ehrbegriffs sich in einem Kernbereich weitgehend angenähert haben, nachdem insbesondere ENGISCH nachgewiesen hat, daß jeder Ehrbegriff normative und faktische Elemente enthält und enthalten muß. 1 Es bleiben jedoch Divergenzen, die über bloß unterschiedliche Akzentuierungen hinausgehen. 1. Der Streitstand a) Auf der Grundlage des normativen Ehrbegriffs ist Ehre als der auf die Personenwürde gegründete innere Wert des Menschen anzusehen. Sie geht unmittelbar aus seiner sittlichen Existenz hervor und ist in ihrem Bestand allein abhängig von seinem sittlichen Habitus und seinem sittlichen Verhalten, wobei das sittliche Element z.T. auf den Gesamtbereich der Sozialethik bezogen wird.2 b) In der normativ-faktischen Betrachtungsweise wird der soziale Wert- und Achtungsanspruch wesentlich neben den aus der Personenwürde fließenden sittlichen Wertstand gestellt. Maßgeblich ist zunächst der auf der Würde der Person beruhende sittliche Geltungswert, der unmittelbar aus der sittlichen Existenz der Person hervorgeht und jedem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommt (innere Ehre). Dieser Bereich ist der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Kernbereich der Ehre, der jedem Menschen die Achtung als Mensch verbürgt. Daneben tritt der soziale Achtungsanspruch, der der Person aufgrund ihres Verhaltens in der Sozietät zuwächst, das nach sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird (äußere Ehre).3 c) Den personalen Charakter des Rechtsguts bestreitet JAKOBS, der die Beleidigung als zugleich öffentliche Interessen verletzende unwahre Zuwendung zu Lasten einer Person definiert.4

1

ENGISCH, Lange-Festschrift, S. 412 ff.

2

Vgl. HERDEGEN LK, 9. Aufl., Vor § 185 Rdn. 4 ff; HIRSCH Ehre und Beleidigung, 1967, S. 29 ff, 4 5 ff, 72 ff; ARTHUR KAUFMANN ZStW 72 (1960) S. 430 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 5/1; TENCKHOFF

Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände, 1974, S. 181 f; WELZEL Lb., § 4 2 1 1 .

3

Vgl. BVerfGE 30 S. 195; BGHSt 1 S. 288; 11 S. 70; ARZT JUS 1982 S. 718; ENGISCH Lange-Festschrift, S. 412 ff; GEPPERT Jura 1983 S. 532; ISENSEE AfP 1993 S. 626 f; LACKNER StGB, Vor § 185 Rdn. 1; MACKEPRANG Ehrenschutz im Verfassungsstaat, 1990, S. 176 ff; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 4 Rdn. 5 ff; OTTO Schwinge-Festschrift, S. 71 ff; RUDOLPHI SK, Vor § 185 Rdn. 5; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 185 ff Rdn. 1; WESSELS B . T . - l , Rdn. 455; WOLFF

ZStW 81 (1969) S. 886 f.

4

JAKOBS, Jescheck-Festschrift, S. 637 f.

§31 Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte

107

d) Einen streng faktischen Ehrbegriff - geschützt durch § 185 ist das Geltungsbewußtsein des Einzelnen, durch §§ 1 8 6 , 1 8 7 der gute Ruf - vertritt K N I T T E L 5 . 2. Stellungnahme Im Denkschema des sog. normativen Ehrbegriffs ist die Ehrminderung in der schuldhaften Verletzung sittlicher i.S. sozialethischer Pflichten zu sehen. Doch gerade diese Fixierung des Maßstabes gibt zu Bedenken Anlaß, denn unabhängig von der Vielschichtigkeit und Fragwürdigkeit sozialethischer Pflichten in einer pluralistischen Gesellschaft, führt die Begrenzung der Person und ihrer personalen Entfaltung auf das Bezugssystem von Rechten und Pflichten in diesem Bereich zu einer Beschränkung der personalen Möglichkeiten. Nur ein geringer - wenn auch bedeutender - Teil der hier relevanten Verhaltensweisen läßt sich im Gefüge von Rechtsausübung und Pflichterfüllung unterbringen. Der weitaus größere Teil ist in diesem Schema nicht zu erfassen, obwohl auch diese Verhaltensweisen durchaus sozialethischer Bewertung zugänglich sind. - An diesen Befund knüpft der normativ-faktische Ehrbegriff an. Er erfaßt die Ehre als ein zugleich faktisch und normativ zu verstehendes Beziehungsverhältnis, mit dessen Schutz die Rechtsgesellschaft unmittelbar die Fundamente menschlichen Zusammenlebens sichert. Geschützt wird die Möglichkeit der Person, mit anderen Personen Gemeinschaft zu haben, und zwar zum einen, indem jeder Person die Würde als Person zugestanden wird, zum anderen, indem der Person in bestimmtem Rahmen Möglichkeiten gesichert werden, sich in der Gesellschaft personal zu entfalten. Dieser Schutz wird dadurch erreicht, daß der Anspruch der Person geachtet und nach ihren auf Gemeinschaft bezogenen Werken eingeschätzt zu werden, gewährleistet wird. Das bedeutet: Maßgeblich fiir die Beurteilung der Person ist zunächst ihr auf der Würde der Person beruhender Wertstand, sodann aber ihr individuelles Verhalten, das unter sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird. Insoweit sind Normativität und Faktizität im Ehrbegriff miteinander verbunden.6 Die Verletzung des begründeten Achtungsanspruchs in diesem Sinne durch abwertende (ehrenrührige) Werturteile oder Tatsachenbehauptungen stellt die in §§ 185 ff erfaßte Ehrverletzung dar. Aus der Verflechtung normativer und faktischer Elemente erklärt sich auch die Möglichkeit, das Verfolgungsschicksal der Juden in der nationalsozialistischen Zeit als konstitutives Element ihres sozialen Status und damit Teil ihrer persönlichen Ehre zu begreifen.7

II. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre 1. Die Beleidigungsfähigkeit Da der soziale Geltungsanspruch auf der Menschenwürde aufbaut, ist jeder Mensch beleidigungsfähig, auch Kinder, Geisteskranke usw. 5 6

Ansehen und Geltungsbewußtsein, 1985, S. 34 f. Dazu ENGISCH Lange-Festschrift, S. 412 ff; MACKEPRANG Ehrenschutz, S. 176 ff; OTTO SchwingeFestschrift, S. 71 ff; STERN Hübner-Festschrift, S. 824 ff; WOLFF Z S t W 81 (1969) S. 8 8 6 ff.

7

Vgl. dazu BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) NJW 1993 S. 917; BGH NJW 1994 S. 1422 mit abl. A n m . JAKOBS StV 1994 S. 540 ff.

Delikte gegen die Ehre

108

2. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichrumg Selbstverständlich ist, daß mehrere Personen gemeinsam mit einem Ausspruch beleidigt werden können, z.B. "Ihr drei seid doof!" - Aber auch wenn die Betroffenen nicht genau individualisiert sind, sondern nur als Angehörige einer Personenmehrheit konkretisiert werden, ist eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung möglich derart, daß jeder Angehörige der Personenmehrheit verletzt ist. Um eine Ausuferung der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung zu vermeiden, ist die Forderung aufgestellt worden, daß sich die bezeichnete Personengruppe aufgrund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit herausheben muß, daß der Kreis der Betroffenen klar abgegrenzt ist. Damit bleibt aber ungeklärt, aus welchem Grunde den Personen der Ehrenschutz versagt wird, die unstreitig zu einer großen Personengruppe gehören. - Die Begrenzung ergibt sich jedoch aus dem Wesen des geschützten Rechtsguts. Ist nämlich aufgrund der Art der Beleidigung und der Unüberschaubarkeit der Personengruppe für jeden, der die beleidigende Äußerung zur Kenntnis nimmt, klar, daß nicht alle genannten Personen gemeint sein können, so bleibt offen, wer überhaupt gemeint ist. Der Beleidigte verliert sich in der unbestimmten Vielzahl der Betroffenen. Die Individualität geht im Kollektiv verloren.8 Beispiele: Bejaht wurde eine Beleidigung aller betroffenen Einzelner unter einer Kollektivbezeichnung für: die deutschen Offiziere (RG LZ 1915 S. 60); die deutschen Ärzte (RG JW 1932 S. 3113); die Juden, die jetzt in Deutschland leben und Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen waren (BGHSt 11 S. 208); die deutschen Patentanwälte"; die in Schutz- und Kriminalpolizei tätigen Beamten (OLG Düsseldorf MDR 1981 S. 868); die aktiven Soldaten der Bundeswehr (BGHSt 36 S. 83; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367); die an einer bestimmten Veranstaltung beteiligten Polizisten (BayObLG JZ 1988 S. 726). Verneint wurde die Beleidigungsfälligkeit für: die an der Entnazifizierung Beteiligten (BGHSt 2 S. 38); die Akademiker (BGHSt 11 S. 209); die Katholiken (BGHSt 11 S. 209); die Frauen (LG Hamburg NJW 1980 S. 56); die Robenknechte von Moabit (KG JR 1978 S. 422); die Polizei 10 .

Zielt die Ehrverletzung nur auf einen oder eine Gruppe von Angehörigen aus der Personenmehrheit, bleibt aber offen, wer gemeint ist, so kommt eine Beleidigung einzelner Mitglieder der Personenmehrheit nur in Betracht, wenn die in Frage kommende Gruppe selbst wieder einen verhältnismäßig kleinen überschaubaren Personenkreis darstellt. Dann aber sind alle Mitglieder dieser Gruppe betroffen. Andernfalls verliert sich auch hier die Beleidigung in der großen Zahl der in Betracht kommenden Personen.11 Als hinreichend bestimmte Gruppe wurden angesehen: Zwei Mitglieder der X-Fraktion in M, die Verfassungsfeinde seien (BGHSt 14 S. 48); ein bayerischer Minister, der Kunde eines Callgirl-Rings sei (BGHSt 19 S. 235). - Als zu unbestimmt wurde beurteilt: eine nicht genannte Zahl von Richtern eines mit mehr als 200 Richtern besetzten Gerichts (KG JR 1978 S. 422). Beispiele^;

8

Vgl. dazu BGHSt 11 S. 208; 36 S. 83, 85 f m.e.N.; BayObLG JZ 1988 S. 726; JZ 1990 S. 348; KG JR 1978 S. 423; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367; ANDROULAHS Die Sammelbeleidigung, 1970, S. 7 9 f f ; ARZT J Z 1989 S. 6 4 7 f ; DAU N S t Z 1 9 8 9 S. 3 6 1 f f ; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , V o r § 185 R d n . 2 2 f f ; MAIWALD J R 1989 S. 4 8 5 f f ; OTTO J K 8 9 , S t G B §§ 185 f f / 7 ; WAGNER J u S 1 9 7 8 S. 6 7 7 ;

WEHINGER Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, 1994, S. 53 ff. 9 10

BayObLG NJW 1953 S. 554 f mit zustimmender Anm. BOCKELMANN S. 554 f. OLG Düsseldorf MDR 1981 S. 337; BayObLG JZ 1990 S. 348.

11

V g l . HERDEGEN L K , 10. A u f l . , V o r § 185 R d n . 2 1 ; KREY B . T . I , R d n . 3 9 5 f f ; LACKNER S t G B , V o r § 185 R d n . 3 ; LAMPRECHT Z R P 1973 S. 2 1 5 f f ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . §§ 185 f f R d n . 5 f f .

12

Im einzelnen zu den Beispielen GEPPERT Jura 1983 S. 538 f; TENCKHOFF JUS 1988 S. 459 f.

§31 Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte

109

3. Die Beleidigung eines Kollektivs

a) In § 194 Abs. 3, 4 geht das Gesetz selbst davon aus, daß Behörden, Gesetzgebungsorgane und politische Körperschaften beleidigungsfahig sind.13 Die Rechtsprechung hat daraus den allgemeinen Schluß gezogen, daß Kollektive schlechthin beleidigungsfähig sind, wenn sie (a) eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und (b) einen einheitlichen Willen zu bilden vermögen. Beispiele: Die Bundeswehr14; Kapitalgesellschaft als Inhaberin einer Bank (OLG Köln NJW 1979 S. 1723); politische Parteien und ihre Untergliederungen (OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 692); die Mannheimer Polizei (OLG Frankfurt NJW 1977 S. 1353).

Die Ausdehnung des Ehrenschutzes von Kollektiven über den Rahmen des § 194 Abs. 3, 4 hinaus, ist in ihrer Berechtigung streitig. Das Kollektiv ist nicht auf die gleichen Möglichkeiten der personellen Entwicklung existentiell angewiesen wie die natürliche Person; ihm selbst kommt keine Personenwürde zu, so daß beim Ehrenschutz eines Kollektivs allein ein sozialer Achtungsanspruch geschützt wird.15 Darüber hinaus werden durch die Tat in der Regel die für die Willensbildung oder Tätigkeit des Kollektivs Verantwortlichen betroffen sein, so daß ein über diesen Schutz natürlicher Personen hinausgehender Schutz nicht unbedingt erforderlich ist.16 Andererseits überzeugt eine Begrenzung des Ehrenschutzes auf die in § 194 Abs. 3, 4 angeführten Institutionen nicht, denn § 194 stellt klar, wer zur Stellung eines Strafantrags berechtigt ist, trifft jedoch keine Auswahl zwischen möglicherweise beleidigungsfähigen Kollektiven.17 b) Inkonsequent argumentiert allerdings die Rechtsprechung, wenn sie eine Familienehre nicht anerkennt.18 Zum einen erfüllt die Familie die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein Kollektiv bezüglich der gesellschaftlichen Funktion (vgl. Art. 6 GG) und ist als heute gesellschaftstypische Kleinfamilie (Eltern und Kinder) auch in der Lage, einen einheitlichen Willen zu bilden, zum anderen aber steht dieses Kollektiv der Person selbst am nächsten.19 Strafbarkeitslücken begründet die Ablehnung einer Familienehre nicht, da die Interpretation derartiger Beleidigungen als Beleidigung der Familienmitglieder unter einer Kollektivbezeichnung mühelos gelingt.

13 14 15

Ablehnend gegenüber der Beleidigungsfähigkeit von Behörden: FISCHER JZ 1990 S. 73 f. BGHSt 36 S. 83; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367; OLG Hamm NZWehrR 1977 S. 70. Die Vertreter des normativen Ehrbegriffs müssen hier folgerichtig den Ehrenschutz ablehnen, denn Personenwürde kommt diesen Kollektiven unmittelbar nicht zu. - Vgl. HIRSCH Ehre, S. 113; ARTHUR KAUFMANN ZStW 72 (1960) S. 423 ff; KRUG Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden, 1965, S. 2 0 3 f f ; WELZEL L b . , § 4 2 1 1 b . - A . A . TENCKHOFF JUS 1988 S. 4 5 7 f.

16

Kritisch gegenüber der Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung auch: DREHER/TRÖNDLE § 185 Rdn. 21; WAGNER JuS 1978 S. 676.

17

Für die Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung: BRUNS NJW 1955 S. 689 ff; KREY B.T. 1, Rdn. 412; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALDB.T.I, § 24 Rdn. 14 f f .

18

BGHSt 6 S. 192; BGH MDR 1951 S. 500; BayObLGSt 1958 S. 246; vgl. auch HERDEGEN LK, Vor § 185 R d n . 25; KREY B . T . l , R d n . 413; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 24 R d n . 19; R u DOLPHISK, V o r § 185 Rdn. 10.

19

So auch: ARTHUR KAUFMANN Z S t W 7 2 (1960) S. 441; WELZEL M D R 1951 S. 5 0 1 f f .

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Delikte gegen die Ehre

§ 32: Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 1. Der objektive Tatbestand a) Beleidigung bedeutet Kundgabe der Mißachtung oder Nichtachtung der Ehre, d.h. des sittlichen und sozialen Achtungsanspruchs eines anderen. - Kundgabe ist Äußerung der Miß- oder Nichtachtung gegenüber einem anderen. Tagebuchaufzeichnungen, Monologe oder Briefe, die der Schreiber noch nicht aus der Hand gegeben hat, sind nicht als Kundgabe anzusehen. Anders hingegen, wenn das Tagebuch oder der Brief einem Dritten diktiert wird oder der Monolog für Dritte hörbar ist. - Zur "Äußerung im engsten Familienkreis" vgl. unter IV 3 a. Die Äußerung kann durch Worte, Bilder, Gesten (§185, 1. Alt.) oder auch durch Tätlichkeiten (§ 185, 2. Alt.) erfolgen; vgl. dazu unter III 1. Ob die Äußerung einen beleidigenden Inhalt hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist der objektive Sinngehalt unter Berücksichtigung des Empfängerverständnisses. b) Die Beleidigung kann auf dreierlei Weise erfolgen: aa) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber dem Betroffenen ("Du Lümmel"). bb) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber einem Dritten ("A ist ein Lümmel"). cc) Ehrverletzende Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen ("Du hast mir meine Uhr gestohlen"). c) Die Abgrenzung der Tatsachenbehauptung vom Werturteil ist nicht immer improblematisch, obwohl über die relevanten Kriterien Einigkeit besteht: Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn der Gehalt der Äußerung einer objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes dem Beweis offensteht. Ein Werturteil ist hingegen dann anzunehmen, wenn die Äußerung durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist und die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptung Sache persönlicher Überzeugung ist. 20 Bei der Beantwortung der Frage, ob es sich bei einer Äußerung um ein Tatsachenurteil oder um ein Werturteil handelt, ist der Sinn entscheidend, der sich nach dem Gesamtinhalt der Äußerung dem imbefangenen Hörer bzw. Leser aufdrängt. Da diese Beurteilung allerdings schon bei geringfügig unterschiedlicher Akzentuierung zu verschiedenen Ergebnissen führen kann, ist die Beurteilung einzelner Äußerungen oft streitig. Besonders kompliziert wird die Abgrenzung jedoch dann, wenn Tatsachenbehauptung und Werturteil in einer einheitlichen Äußerung miteinander verbunden werden oder ein Werturteil erkennbar Bezug nimmt auf ein tatsächliches Geschehen. Hier ist nach dem jeweiligen Schwergewicht abzugrenzen: aa) Ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, daß er gegenüber der subjektiven Wertung völlig in den Hintergrund tritt, so liegt nur ein Werturteil vor.

20

Vgl. BVerfGE 61 S. 1; 85 S. 14 f; BGH NJW 1982 S. 2248; OLG Celle NJW 1988 S. 354.

§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

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Gleiches gilt, wenn die Tatsachenbehauptung für jeden offensichtlich falsch ist. Auch hier dient die Tatsachenbehauptung nur der Kaschierung eines Werturteils.21 bb) Beschreibt die Äußerung das tatsächliche Geschehen hingegen so deutlich, daß auch ein nicht unterrichteter Dritter, d.h. der unbefangene Hörer, die Schlußfolgerung mitvollziehen kann und die der Wertung zugrunde liegende Tatsache erkennen kann, oder ist das Werturteil erkennbar auf ein tatsächliches Geschehen bezogen, das gleichsam nur verkürzt in dem Werturteil zusammengefaßt wird, so bleibt die Äußerung Tatsachenbehauptung. - In diesen Fällen erstreckt sich ein eventueller Wahrheitsbeweis auch auf das in der Äußerung mitliegende Werturteil. cc) Stehen ehrverletzende Tatsachenbehauptung und Werturteil isoliert nebeneinander oder geht das Werturteil weit über eine allgemein akzeptable Wertung des mitgeteilten Tatsachenkerns hinaus, so kommt der Tatsachenbehauptung und dem Werturteil bei der Beurteilung der Ehrverletzung jeweils selbständige Bedeutung zu. Zur Verdeutlichung: aa) Ehrverletzende Werturteile: Jungfaschist (OLG Karlsruhe MDR 1978 S. 421); Bezeichnung eines Polizeibeamten als Bulle 22 oder als "Scheißbulle" (OLG Oldenburg JR 1990 S. 127 mit Anm. OTTO S. 128 f); Bezeichnung als Jude, wenn mit diesem Ausdruck der im Nationalsozialismus übliche herabsetzende Sinngehalt verbunden wird (BGHSt 8 S. 323); Bezeichnung von Soldaten als vergleichbar mit Folterknechten, KZ-Aufsehern Henkern (BGH NJW 1989 S. 136S); Bezeichnung von Soldaten als Mörder bzw. potentielle Mörder 23 . bb) Ehrverletzungen durch Gesten: z.B. "einen Vogel zeigen", Zurückweisung eines Gastes beim Gaststättenbesuch (BayObLG NJW 1983 S. 2040). cc) Zur Beleidigung durch Satiren und Karikaturen vgl. IV 2.

2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muß sich bewußt sein, daß er einem anderen gegenüber eine Äußerung tut, die geeignet ist, ehrverletzend zu wirken. Eine Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. - Zur Bedeutung der Überzeugung des Täters, seine Behauptung sei wahr, vgl. unter 3. 3. Der Wahrheitsbeweis Gegenstand eines Ehrenschutzes, der auf der Personenwürde und auf der Wertung der auf "die anderen" bezogenen Handlungen einer Person fundiert ist, kann nur der begründete soziale Geltungsanspruch, nicht aber ein unbegründeter, in der Sozietät - irrtümlich - tatsächlich anerkannter Geltungsanspruch sein. Der gelungene Wahrheitsbeweis 21

22 23

Dazu BayObLG NStZ 1983 S. 126. - Weiter BVerfGE 85, 1, 15: "Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung von dem Grundrecht (seil. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) geschützt." LG Essen NJW 1980 S. 1639; a.A. KG JR 1984 S. 165 mit abl. Anm. OTTO S. 166 f. Zur Diskussion vgl. OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367; LG Frankfurt NStZ 1990 S. 233 mit Anm. BRAMMSEN S. 235 ff; BayObLG NStZ 1991 S. 186; OLG Frankfurt NJW 1991 S. 2032 mit Anm. BRAMMSEN JR 1992 S. 82 ff. - Im übrigen vgl. dazu auch BVerfG (3. Kammer des 2. Senats) NJW 1992 S. 2750; GIEHRING StV 1992 S. 194 ff, dessen Darlegungen, daß es hier um die Bestrafung "pazifistischer Äußerungen" gehe, angesichts der Äußerungen: Henker, Folterknechte, Mörder, wenig überzeugen; BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) NJW 1994 S. 2943 mit abl. Anm. HERDEGEN S. 2933 f.

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schließt daher eine Ehrverletzung aus, soweit diese sich nicht unabhängig vom Inhalt der Äußerung aus der Form oder aus den besonderen Umständen ergibt, § 192. Der tatsächlich anerkannte Geltungsanspruch ist jedoch nicht bedeutungslos: Seine Begründetheit wird zugunsten des Anspruchsberechtigten bis zum Beweis des Gegenteils vermutet.24 Nur auf der Basis dieser Vermutung kann der strafrechtliche Ehrenschutz die Entfaltung der Person im sozialen Raum gewährleisten. Das bedeutet: Nicht nur im Bereich des § 186, sondern auch in dem des § 185 ist es irrelevant, ob der Täter seine ehrverletzende Behauptung für wahr gehalten hat, maßgeblich ist vielmehr, ob sie erweislich wahr ist.25

II. Üble Nachrede, § 186 1. Der objektive Tatbestand a) § 186 erfaßt ehrverletzende Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten, nicht gegenüber dem Verletzten selbst (A äußert gegenüber B, C habe ihm seine goldene Uhr gestohlen); zur Tatsachenbehauptung vgl. oben 11 c. b) Behaupten heißt, eine Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr hinstellen. - Verbreiten ist die Weitergabe einer fremden Äußerung. Auch die Weitergabe von Gerüchten mit beleidigendem Inhalt oder von beleidigenden Äußerungen Dritter ist Kundgabe der Miß- bzw. Nichtachtung. Eine Identifizierung des Äußernden mit dem Inhalt seiner Äußerung ist nicht erforderlich; vgl. aber unter IV 3 c. c) In Beziehung auf einen anderen heißt einem Dritten, nicht nur dem Verletzten gegenüber. - Dieser Bezug ist auch gegeben, wenn der Täter verbirgt, daß er als Urheber hinter der Äußerung steht, indem er eine den Betroffenen kompromittierende Sachlage schafft. Auch in diesem Falle mindert der Täter den Achtungsanspruch des Betroffenen Dritten gegenüber.26 d) Daß die Tatsache geeignet ist, einen anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, bedeutet nichts anderes, als daß die Tatsachenbehauptung ehrverletzenden Inhalt hat. 2. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, muß die Ehrenrührigkeit der Tatsache bzw. des Werturteils und die Kundgabe an einen anderen erfassen. Eine darüber hinausgehende Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. 24

Unter Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber nur in § 186 eine Regelung getroffen hat, nach der Zweifel bezüglich der Wahrheit der bekundeten Tatsache zu Lasten des Täters gehen, wollen bei § 185 diese Zweifel zu Gunsten des Täters berücksichtigen: BayObLG NJW 1959 S. 57; OLG Köln NJW 1964 S. 2121; O L G Koblenz M D R 1977 S. 864; DREHER/TRÖNDLE § 186 Rdn. 12; ESER ffl, N r . 15 A 68; RUDOLPH: SK, § 185 Rdn. 4; SCH/SCH/LENCKNER § 185 Rdn. 6.

25

Eingehend dazu OTTO Schwinge-Festschrift, S. 82 f. - Im übrigen vgl. RGSt 64 S. 11; OLG Frankfurt M D R 1980 S. 495; HÄRTUNG N J W 1965 S. 1743 ff; HERDEGEN LK, § 185 Rdn. 36 ff; LACKNER StGB, § 185 Rdn. 11; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 5 Rdn. 18; TENCKHOFF

JuS 1989 S. 37. 26

Vgl. OTTO JK, StGB §§ 185 ff/2; STRENG GA 1985 S. 214. - A.A. BGH NStZ 1984 S. 216; DREHER/TRÖNDLE § 186 Rdn. 5; KÜPPER JA 1985 S. 459; LACKNER StGB, § 186 Rdn. 6; TENCKHOFF JuS 1988 S. 621.

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3. Der Wahrheitsbeweis Daß ein bestehender Achtungsanspruch Geltung bis zum Beweis des Gegenteils beansprucht, hat der Gesetzgeber in § 186 ausdrücklich klargestellt. Der mißlungene Wahrheitsbeweis geht hier nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers zu Lasten des Täters. Der Wahrheitsbeweis ist gefuhrt, wenn erwiesen ist, daß die Behauptung in ihrem Kern zutrifft.27 - Die h.M. interpretiert die Nichterweislichkeit der Tatsache als objektive Bedingung der Strafbarkeit.28 III. Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände 1. Beleidigung mittels Tätlichkeit, § 185, 2. Alt. Nicht jede Körperverletzung oder unsittliche Berührung ist eine Beleidigung. Es kann jedoch im Einzelfall in einer Körperverletzung - Ohrfeige mit dem Handrücken o.ä. - oder einer anderen Tätlichkeit - Anspucken29 - eine Mißachtung des sozialen Geltungsanspruchs Ausdruck finden. Gleiches gilt von unsittlichen Berührungen. Auch in einem geschlechtsbezogenen Angriff kann eine Mißachtung des personalen Geltungsanspruchs Ausdruck finden. Dies ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Keineswegs aber kann § 185 eine Lückenbüßerfunktion gegenüber den Sexualdelikten erfüllen. Freiheitsberaubungen, Vergewaltigungen und Nötigungen verletzen durchaus die Personenwürde, indem sie das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen mißachten. Die Verletzung durch diese Delikte und die damit verbundene Beeinträchtigung der Personenwürde fällt aber nicht in den Bereich der Beleidigung. Das gilt auch, wenn diese Verhaltensweisen im Einzelfall als Sexual-, Freiheitsdelikt o.ä. nicht strafbar sind. Eine eigenständige Bedeutung kommt der Beleidigung in diesem Zusammenhang nur zu, wenn der Täter durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dem Opfer komme nur ein geminderter sozialer Achtungsanspruch zu. Aus diesem Grund ist ein Ehebruch, der Geschlechtsverkehr mit einem oder einer Mindeijährigen oder die Zusendung von Prospekten mit sog. Aufklärungsinhalt noch keine Beleidigung. Hingegen ist der Tatbestand erfüllt, wenn der soziale Achtungsanspruch eines anderen auf geschlechtsbezogenem Gebiet verletzt wird dadurch, daß er nicht gemäß des ihm eigenen Verhaltens behandelt und geachtet wird, so z.B. wenn jemand unberechtigt als Prostituierte behandelt wird.30

27

Vgl. BGHSt 18 S. 182.

28

Dazu BINDING B.T. I, S. 146 f; HERDEGEN LK, § 185 R d n . 36 ff; LACKNER StGB, § 186 Rdn. 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.L, § 2 6 Rdn. 9 f f ; OTTO Schwinge-Festschrift, S. 82 ff; TENCKHOFF JuS 1989 S. 35 ff.

29

Dazu OLG Zweibrücken NStZ 1990 S. 541.

30

Vgl. dazu BGH NJW 1986 S. 2442 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 185/5; HILLENKAMP JR 1987 S. 126 ff; LAUBENTHAL JUS 1987 S. 700 ff; BGH NStZ 1987 S. 21; BGH NStZ 1988 S. 69; BGHSt 36 S. 145 mit Anm. OTTO JZ 1989 S. 803, und HILLENKAMP NStZ 1989 S. 529 f; BGH NJW 1989 S. 3029; dazu KLEHL S. 3003 ff; BGH NStZ 1992 S. 33 f; BGH NStZ 1993 S. 182; OLG Düsseldorf G A 1988 S. 473; O L G Zweibrücken N J W 1986 S. 2960; HERDEGEN L K , § 185 R d n . 2 8 f f ; HIRSCH Ehre, S. 61 ff; SICK J Z 1991 S. 330 ff; WELZEL M D R 1951 S. 501 ff.

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2. Die "öffentliche'' üble Nachrede, § 186, 2. Alt. Öffentlich ist die üble Nachrede, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis wahrnehmbar ist. - Zum Verbreiten durch Schriften: § 11 Abs. 3. 3. Verleumdung, § 187 a) Die Verleumdung im System der ehrverletzenden Delikte In den beiden ersten Alternativen ("verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen") stellt das Delikt nach allgemeiner Auffassung eine durch die Behauptung unwahrer Tatsachen qualifizierte üble Nachrede dar. Auch für die 3. Alternative ("Kredit zu gefährden") gilt nichts anderes, denn die kreditgefährdende Verleumdung ist eine besonders gefährliche Art der Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, der auch durch die Kreditwürdigkeit einer Person oder eines Kollektivs wesentlich geprägt wird.31 b) Einzelheiten des Tatbestandes Wider besseres Wissen ist sichere Kenntnis der Unwahrheit; Bewußtsein der Gefahr, daß die Tatsache unwahr ist, genügt nicht. - Kreditgefährdung ist Verletzung des Vertrauens, das jemand bezüglich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten genießt. 4. Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politschen Lebens, § 187 a a) Der gegenüber §§ 186, 187 qualifizierte Tatbestand soll der Vergiftung des politischen Lebens entgegenwirken. b) Im politischen Leben des Volkes stehen Personen, die sich für eine gewisse Dauer mit den grundsätzlichen, den Staat, seine Verfassung, Gesetzgebung oder Verwaltung unmittelbar berührenden Angelegenheiten befassen und aufgrund der ausgeübten Funktionen das politische Leben maßgeblich beeinflussen.32 Wesentliches Abgrenzungskriterium ist die Maßgeblichkeit des politischen Einflusses auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland ("des Volkes"). Unter den Schutz des § 187 a fallen daher der Bundespräsident, die Mitglieder der Bundesregierung, die Bundesverfassungsrichter, Gewerkschaftsführer und die Führer der Arbeitgeberverbände sowie anderer bedeutender Verbände. Nicht unter den Schutz des § 187 a fallen Kommunalpolitiker z.B. Landräte 33 ; Gemeinderatsmitglieder34 und einzelne Verwaltungsbeamte.

c) Zum Merkmal öffentlich vgl. oben 2., zum Merkmal Versammlung vgl. unter § 62, 2. d) Die üble Nachrede muß aus Beweggründen begangen worden sein, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen. Nicht die Tatsache der öffentlichen Position allein wirkt straferschwerend, sondern der Zusammenhang zwischen dem Beweggrund der Tat und der öffentlichen Position. § 187 a findet daher keine Anwendung, wenn ein Kanditat für ein bestimmtes Amt in seiner Eigenschaft als Kandi-

31 32 33 34

A.A. (Vermögensdelikt) h.M.: LAMPE Oehler-Festschrift, S. 283 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 25 Rdn. 32; RUDOLPHISK, § 187 Rdn. 9 m.w.N.; TENCKHOFF JuS 1988 S. 200. BayObLGJZ 1982 S. 516. OLG Frankfurt NJW 1981 S. 1569; a.A. BayObLG JZ 1989 S. 699. BayObLG JZ 1982 S. 516.

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dat diffamiert wird, auch wenn dieser Kandidat unabhängig von seiner Kandidatur öffentliche Positionen im Sinne der Vorschrift inne hat.35 e) Die Tat muß geeignet sein, das öffentliche Wirken des Betroffenen erheblich zu erschweren. Maßgeblich ist hier nur der Inhalt der Behauptung und deren abstrakte Eignung zu negativen Atiswirkungen. - Auf die Glaubwürdigkeit, Art und Weise der Verbreitung o.ä. kommt es nicht an.

IV. Rechtfertigung Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen, z.B. Notwehr und Einwilligung, können ehrverletzende Äußerungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1, 2 GG, konkretisiert in der Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193, und durch das Grundrecht der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, gerechtfertigt sein. 1. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 a) Anwendungsbereich des § 193 Nach den Prinzipien der Interessenabwägung gewährt der Gesetzgeber in § 193 die Befugnis zur Verletzung der Ehre eines anderen zur Wahrnehmimg berechtigter Interessen.36 § 193 konkretisiert die Grundsätze des Art. 5 Abs. 1, 2 GG. 37 Eine Ausdehnung des Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen auf Tatbestände, die in besonderer Weise gemeinschaftsbezogen sind und deren Schutz durch die Interessen anderer relativiert ist, zum Beispiel §§ 123, 203, kommt nicht in Betracht. § 193 trifft eine Entscheidung über die Grenzen des Ehrenschutzes gegenüber der Meinungsfreiheit. Eine allgemeine Entscheidung dahin, daß die Wahrnehmung eigener, berechtigter Interessen auch sonst die Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter anderer rechtfertigen könne, ist ihm nicht zu entnehmen.38 b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen aa) Der Ehrverletzung muß die Wahrnehmung eines rechtlich schutzwürdigen, sozialethisch billigenswerten Interesses gegenüberstehen. Hierunter fällt auch die Wahrnehmung von Interessen in Leserbriefen39, im Prozeß40, auch durch Prozeßvertreter, z.B. das Plädoyer oder die Äußerung des Strafverteidigers im Prozeß41, bb) Das Interesse muß den Äußernden nahe angehen. 35 36

Vgl. BRAUEL Ehrverletzung und Ehrenschutz im politischen Leben, 1984, S. 50; - a.A. OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 1211 f. Als Entschuldigungsgrund interpretieren § 193: ERDSIEK JZ 1969 S. 311; ROEDER Heinitz-Fests c h r i f t , s . 2 4 0 ; EIKE SCHMIDT J Z 1970 S . 8 .

37 38

Aus Art. 10 Abs. 2 EMRK sind bzgl. des Ehrenschutzes keine eigenständigen Grundsätze herzuleiten. So auch: OLG Stuttgart NStZ 1987 S. 121 mit Anm. OTTO JK 87, StGB § 193/1, und LENCKNER JuS 1 9 8 8 S . 3 4 9 f f , i n s b e s . S. 3 5 1 ff; TENCKHOFF J u S 1 9 8 9 S . 1 9 8 f M . W . N . F n . 15. - A . A . ESER

Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund, 1969, S. 15, 40; NOLL Z S t W 7 7 ( 1 9 6 5 ) S . 3 1 f f ; TIEDEMANN J Z 1 9 6 9 S. 7 2 1 .

39 40 41

OLG Düsseldorf NJW 1992 S. 1336. BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, StV 1991 S. 458. Dazu BGH NStZ 1987 S. 554; KG JR 1988 S. 52.

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Interessen der Allgemeinheit berühren jeden Bürger nahe. Die Beteiligung an einer öffentlichen politischen Auseinandersetzung oder die Diskussion sonstiger öffentlicher Belange ist daher stets Wahrnehmung eines eigenen Interesses, denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Es ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der das Lebenselement dieser Staatsordnung ist, weil er sie vor Erstarrung bewahrt.42 Auch die Presse hat die Aufgabe, an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. Ihre Beschäftigung mit allgemein interessierenden Themen ist demgemäß gleichfalls Wahrnehmung eines eigenen Interesses.43 cc) Die Äußerung muß zur Wahrnehmung des Interesses erforderlich sein. Erforderlich können auch scharfe, drastische, taktlose und überspitzte Formulierungen sein. - In der öffentlichen Auseinandersetzung können nämlich herabsetzende Äußerungen, insbesondere unter dem Aspekt des "Rechts zum Gegenschlag", in Betracht kommen, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite geäußerten Auffassungen nicht unverhältnismäßig sind und noch als adäquate Reaktion auf den vorausgegangenen Vorgang verstanden werden können, insbesondere aber einen gemeinsamen Bezug zu den konkreten, erörterten öffentlichen Interessen aufweisen. Ein Recht, Beleidigungen mit Beleidigungen heimzuzahlen, d.h. "mit gleicher Münze zurückzuzahlen", gibt es genausowenig, wie es das Recht auf Meinungsfreiheit rechtfertigen kann, Informationen mit rechtswidrigen oder sogar kriminellen Mitteln zu beschaffen. - Polemische Ausfälle, die jede Sachlichkeit vermissen lassen, gehässige und böswillige Schmähkritik und sog. Wertungsexzesse, die bewußt das Bild einer Person und ihrer Motive verzerren, sind in keinem Fall zur Interessenwahrnehmung erforderlich. Diese Grundsätze erkennt auch das BVerfG im Prinzip an, jedoch hat es ehrverletzenden Meinungsäußerungen einen darüber hinausgehenden Raum eröffnet: Weil es der Sinn von Meinungsäußerungen sei, meinungsbildend und überzeugend zu wirken, sind nach seiner Auffassung Werturteile von Art. 5 Abs. 1 GG durchweg geschützt, ohne daß es darauf ankäme, ob die Äußerung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch", "emotional" oder "rational" begründet ist.44 Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fielen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und es spreche dann, wenn es um Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geht, die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede.45 Diese Vermutung sei in diesem Zusammenhang auch nicht auf spontane, mündliche Äußerungen beschränkt.46 - Die Vermutung begründete im konkreten Fall die straffreie Kennzeichnimg der auch von dem Gericht als rechtmäßig erkannten Tätigkeit

42

Dazu BVerfGE 5 S. 205; 7 S. 207 ff; 12 S. 125; 24 S. 278; BVerfG NJW 1976 S. 1677; BVerfG NJW 1980 S. 2069; BVerfG NJW 1983 S. 1415 mit Anm. SCHMITT GLAESER JZ 1983 S. 95 und VON DER DECKEN NJW 1983 S. 1400 ff; BGHSt 12 S. 287; BGHZ 45 S. 296; OLG Koblenz NJW

43 44

Dazu BVerfGE 12 S. 126; BGHZ 31 S. 308; BGH NJW 1977 S. 1289; BGH NJW 1979 S. 267; BayObLG StV 1982 S. 576 ff. Vgl. BVerfGE 33 S. 1, 14 f; 61 S. 1.

45 46

Hierzu BVerfGE 7 S. 198, 212; 82 S. 272, 282. Vgl. BVerfGE 60 S. 234, 241; 66 S. 116, 150; 68 S. 226, 232.

1978 S. 1816; SCHWINGE M D R 1973 S. 808; TETTINGER JZ 1983 S. 323 f.

§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

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eines Beamten als "Gestapo-Methoden und Behördenwillkür"47. - Damit erfolgt in Wirklichkeit eine "Vorab-Höherbewertung" eines Grundrechts auf Kosten anderer Rechtsgüter. Derartige Privilegierungen sind aber verfassungsrechtlich nicht begründbar. 48 Im konkreten Fall hat die Privilegierung zu einer weitgehenden Beseitigung des Ehrenschutzes geführt, obwohl mit der Ehre gerade auch die Würde der Person angegriffen wird. Daß diese Grundsätze das BVerfG andererseits nicht daran hinderten, "grundrechtlichen Mausoleumsschutz"49 für HEINRICH BOLL ZU begründen50, erhöht ihre Überzeugungskraft nicht. 51 dd) Der Äußernde unterliegt einer in ihrem Ausmaß von den Umständen des Einzelfalles abhängigen Informationspflicht. Die Äußerung bewußt unwahrer Tatsachenbehauptungen ist daher in keinem Fall zu rechtfertigen. Auch leichtfertig aufgestellte Behauptungen können nicht gerechtfertigt werden.52 ee) Die Äußerung muß subjektiv zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses geschehen. Bloße Kenntnis der objektiven Rechtfertigungslage genügt nicht. Die Annahme einer Interessenverletzung durch Dritte allein rechtfertigt nicht die Ehrverletzung, vielmehr findet diese erst ihren Grund in der Interessenwahrnehmung.53 2. Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist die Freiheit der Kunst vorbehaltlos gewährleistet. Anerkannt ist jedoch heute, daß die Freiheit der Kunst vorbehaltlos, nicht aber schrankenlos gewährleistet ist. Tangieren künstlerische Werke die Ehre eines anderen, so ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des einzelnen ebensowenig der Kunstfreiheit übergeordnet, wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf. Maßgeblich im Einzelfall ist vielmehr eine Interessenabwägung, in der das Interesse an der künstlerischen Gestaltung gegen das Interesse des Schutzes des Achtungsanspruchs abzuwägen ist. - Diese Abwägung ist deshalb problematisch, weil das Bundesverfassungsgericht den Kunstbegriff weitgehend formal bestimmt: "Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie 47

BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, StV 1992 S. 268 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 193/3.

48

Kritisch: VON DER DECKEN N J W 1983 S. 1400; KIESEL N V w Z 1992 S. 1 1 9 2 f f ; KRIELE N J W 1994 S. 1897 f f ; MACKEPRANG E h r e n s c h u t z , S. 2 1 0 f f ; OTTO J R 1983 S. 6 ff; SCHMITT GLAESER J Z 1 9 8 3

S. 95; DERS. Dürig-Festschrift, S. 102 ff. - Im übrigen vgl. RUDOLPHI SK, § 193 Rdn. 23 a; SCH/SCH/LENCKNER § 193 R d n . 15 f .

49

ISENSEE A f p 1 9 9 3 S. 6 2 7 .

50 51 52

Vgl. BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, NJW 1993 S. 1462. Dazu auch KRIELE NJW 1994 S. 1899. Dazu BVerfG NJW 1989 S. 1789; BGHSt 14 S. 51; OLG Hamburg MDR 1980 S. 953; FUHRMANN JuS 1970 S. 75. So auch: BGHSt 18 S. 186; OLG Düsseldorf VRS 60 S. 115; OLG Hamburg NJW 1952 S. 903;

53

DREHER/TRÖNDLE § 193 R d n . 17; HERDEGEN LK, § 193 R d n . 2 5 . - A . A . LACKNER S t G B , § 1 9 3 R d n . 9 ; SCH/SCH/LENCKNER § 193 R d n . 2 1 .

Delikte gegen die Ehre

118

und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers." Zwar kann das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung eines Sachverhalts Auskunft über das Gewicht einer eventuellen Ehrverletzung geben. Das im Einzelfall vorrangige Interesse ist damit aber nicht bestimmt, soweit nicht der Betroffene im Kern seiner Persönlichkeit, unmittelbar in seiner Menschenwürde verletzt wird. Darüber hinaus erweist sich die Forderung nach Herstellung eines angemessenen Ausgleichs, der sachgemäßen Konkordanz, als undurchführbar, da es um die Abwägung gleichartiger Güter der Verfassung geht.54 Um überhaupt eine Grundlage für die Abwägung zu schaffen, ist zu fragen, wie weit ein Kunstwerk auf Aussagen zur Realität angelegt ist und wie weit es auf eine eigene Welt abzielt. Als Richtpunkt der Abwägung kann sodann der Grundsatz gelten, daß derjenige, der eine authentische Schilderung zu geben behauptet, sich auch an diesem Anspruch messen lassen muß, während er dann, wenn er erkennbar ein fiktives Geschehen darstellt, einen breiteren Raum künstlerischer Gestaltung beanspruchen kann, selbst wenn aus dem gestalteten Sachverhalt Ehrverletzungen für konkrete Personen herausgelesen werden können.55 Eine besondere Problematik bieten eventuelle Beleidigungen durch Satiren und Karikaturen, da diesen die Übertreibung, Verzerrung und Uberzeichnung wesenseigen ist. Nach den bereits vom Reichsgericht entwickelten Grundsätzen sind hier der erkennbare Aussagekern und seine karikativen bzw. satirischen Einkleidungen zu unterscheiden.56 Beide sind gesondert unter dem Gesichtspunkt einer Ehrverletzung zu würdigen. Als Beleidigungen sind nach dieser Differenzierung eingestuft worden: die Behauptung, ein demokratischer Politiker sei ein Faschist und/oder Kriegstreiber5' oder könne nur noch als Objekt in einer Peep-Show dienen (OLG Hamm 6 St Ss 286/82) sowie die Darstellung eines Politikers als kopulierendes Schwein (BVerfGE 75 S. 369).

Methodisch verläuft die Abwägung genau wie im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen. Gleichwohl sind die Abwägungen nicht identisch, denn das Maß der künstlerischen Gestaltung, die Verfremdung eines bestimmten Sachverhalts und seine Verallgemeinerung können durchaus im Einzelfall das Ergebnis rechtfertigen, daß eine Aussage nicht mehr unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit zulässig erscheint, wohl aber - aufgrund des Grades der Verfremdung - als "Nebenwirkung" eines Kunstwerkes hin-

54

Dazu vgl. BVerfGE 67 S. 228 mit Anm. OTTO NStZ 1985 S. 213 ff; BVerfGE 75 S. 369, 380 mit A n m . HUFEN JUS 1989 S. 136 f, WÜRKNER NStZ 1988 S. 23 ff; BVerfGE 83 S. 143, 146; O L G Hamburg J Z 1985 S. 343 mit Anm. GEPPERT JR 1985 S. 430, ISENSEE A f P 1993 S. 625 ff; KARPEN/HOFER JR 1992 S. 954 f; WÜRKNER N J W 1988 S. 317 ff.

55

Vgl. dazu auch: BVerfGE 30 S. 193; BGH(Z) NJW 1983 S. 1194; OLG Stuttgart (Z) NJW 1989 S. 396; BayObLG MDR 1994 S. 80. - Im einzelnen dazu HENSCHEL NJW 1990 S. 1940 ff; LACKNER StGB, § 193 Rdn. 14; OTTO JR 1983 S. 10; DERS. N J W 1986 S. 1210; SCH/SCH/ LENCKNER

§ 193 Rdn. 17 a; WÜRTENBERGER NJW 1982 S. 615; DERS. NJW 1983 S. 1144 ff. - Wenig überzeugend: BVerfGE 67 S. 213 mit Anm. OTTO NStZ 1985 S. 213 ff; OLG Hamburg NJW 1984 S. 1130 mit A n m . OTTO JR 1983 S. 511 ff.

56 57

RGSt 62 S. 183. OLG Hamm NJW 1982 S. 659 ff; BayObLG NStZ 1983 S. 265 f.

§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte

119

genommen werden muß. Das Interesse der Kunstfreiheit wird in jedem Fall dort seine Grenzen finden, wo es um die Verletzung der Menschenwürde anderer geht. 58 Die Würde der Person ist aber nicht erst betroffen, wenn jemand unmittelbar in seinem Menschsein angegriffen wird ("Untermensch"; kopulierendes Schwein), sondern bereits dann, wenn seine Möglichkeiten, mit anderen unvoreingenommene Gemeinschaft zu haben wesentlich beschränkt werden.39 Nicht mehr akzeptabel als Ausübung der Kunstfreiheit ist daher die Bezeichnung eines anderen als "geb. Mörder" in einer "Satire".60 3. Einzelne Probleme der Rechtfertigung a) Vertrauliche Äußerungen Bei "Äußerungen im engen Familienkreis" wird von einigen die "Kundgabe" bestritten. 61 Dem ist nicht zu folgen, denn auch der Täter, der im engsten Familienkreis ehrverletzende Tatsachen in bezug auf Dritte behauptet, gibt die Mißachtung des sozialen Geltungsanspruchs des Betroffenen kund. Weil aber das Familienverhältnis als enges Gemeinschaftsverhältnis gerade die vorbehaltlose Erörterung aller Probleme fordert, Vorbehalte irgendwelcher Art hingegen dieses Verhältnis zerstören müßten, bleibt die Äußerung in einem solchen Kreis straflos. Das Ausspracheinteresse des Äußernden im Intimkreis ist höher zu bewerten als das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten. - Ein derart hoch zu bewertendes Ausspracheinteresse ist jedoch nicht ausschließlich auf den engsten Familienkreis beschränkt. Auch im Verhältnis Anwalt und Klient sind durchaus Situationen denkbar, in denen das Ausspracheinteresse des Klienten überwiegt 62 , ohne daß damit das Bestehen einer Intimsphäre zwischen ihnen angenommen werden müßte. Grundsätzlich ist daher bei "vertraulichen" Äußerungen das Ausspracheinteresse des Äußernden und das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten im Rahmen des § 34 abzuwägen.63 b) Die Erstattung von Anzeigen Auch dann, wenn ein beleidigender Sachverhalt einer Behörde zur Kenntnis gebracht wird, deren Aufgabe in der Prüfung solcher Sachverhalte besteht - z.B. Mitteilung eines Diebstahlsverdachts gegenüber der Polizei -, kommt eine Rechtfertigung gemäß § 193 in 58

Dazu BVerfGE 30 S. 193; OLG Hamm NJW 1982 S. 660; OLG Hamburg JR 1983 S. 508 mit abl. Anm. OTTO S. 511 ff; BayObLG MDR 1994 S. 80; ERHARD Kunstfreiheit und Strafrecht, 1989, S. 210 ff; HENSCHEL N J W 1990 S. 1940 ff; ISENSEE A f P 1993 S. 626 f f ; OTTO J R 1983 S. 8; WÜRTENBERGER N J W 1983 S. 1144 ff.

59

Vgl. dazu BayObLG JR 1994 S. 471 mit Anm. OTTO S. 473 ff; BayOblG NStZ 1994 S. 588.

60

Vgl. dazu HLLLGRUBER/SCHEMMER J Z 1992 S. 946 ff;: ISENSEE A f P 1993 S. 627 f; KIESEL N V w Z

61

O L G Oldenburg G A 1954 S. 284; HANSEN JuS 1974 S. 106; KREY B . T . 1 R d n . 4 1 7 ff.

62

OLG Celle NJW 1991 S. 1189. - A.A. OLG Hamburg NJW 1990 S. 1246 mit Anm. DAHN JR 1990 S. 516 f; GEPPERT JK 90, StGB § 185/8.

63

Vgl. HERDEGEN LK, § 185 R d n . 14; OTTO Schwinge-Festschrift, S. 87 f; SCHMIDHÄUSER B . T . ,

1992 S. 1135 f. - A.A. BVerfGE 86 S. 1.

5/10; SCHENDZIELORZ Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, 1993, S. 153 ff, 188 ff, 199 ff. - Zum gleichen Ergebnis gelangen durch eine teleologische Reduktion des Tatbestandes: LACKNER StGB, § 185 Rdn. 9; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, §24 Rdn. 31; RUDOLPHI SK, Vor § 185 Rdn. 19; WESSELS B.T.-l, Rdn. 476. - Lediglich einen StrafausschluB will LENCKNER in: Schönke/Schröder Vor § 185 Rdn. 9 akzeptieren. - Zusammenfassender Überblick bei GEPPERT Jura 1983 S. 533 f.

120

Delikte gegen die Ehre

Betracht. Hier kann im Einzelfall auch eine leichtfertige Anzeige gerechtfertigt sein, wenn der Anzeigende die Tatsachen, die seine Leichtfertigkeit begründen, mitteilt und erkennbar macht, daß er davon ausgeht, die Behörde werde den Sachverhalt prüfen.64 c) Weitergabe von Gerüchten Die Weitergabe von Gerüchten ist - wie oben dargelegt - auch dann Äußerung einer Ehrverletzung, wenn der Äußernde sich nicht mit dem Inhalt des Gerüchtes identifiziert. Gibt er das Gerücht jedoch ausschließlich weiter, um dem Betroffenen eine Stellungsnahme oder Gegenwehr zu ermöglichen, so ist er durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt. V. Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände Wird den ehrverletzenden Tatbeständen ein einheitliches Rechtsgut zuerkannt, so ist §185 als Grundtatbestand der ehrverletzenden Delikte anzusehen. § 186 ist ein durch den größeren Schaden qualifizierter und § 187 ein darüber hinausgehend qualifizierter Tatbestand. Erfolgt eine Beleidigung durch eine Tatsachenbehauptung gegenüber Dritten in Anwesenheit des Verletzten oder durch eine Tatsachenbehauptung und ein ehrenrühriges Werturteil in Anwesenheit Dritter, so konsumiert § 186 den zugleich verwirklichten § 185.65 VI. Erfordernis des Strafantrags 1. Grundsatz Die Beleidigungsdelikte nach den §§ 185 - 187 a sind Antragsdelikte, § 194. 2. Ausnahmen Das Antragserfordernis entfällt bei Beleidigungen unter den Voraussetzungen des § 194 Abs. 1 S. 2, 3 (Beleidigung von Personen, die unter dem Nationalsozialismus oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verfolgt wurden).66 In den Fällen des § 194 Abs. 4 tritt an die Stelle des Strafantrags die Ermächtigung der betroffenen Körperschaft.

64 65

Dazu OLG Hamm NJW 1961 S. 520 f; RANFT MDR 1966 S. 107 ff. So auch: HERDEGEN LK, V o r § 185 R d n . 30; RUDOLPHI SK, V o r § 185 R d n . 2 1 . - F ü r Ideal-

konkuirenz: BGHSt 6 S. 161; 12 S. 292. - Für § 186 als lex specialis gegenüber § 185: SCH/SCH/ LENCKNER § 186 R d n . 2 1 .

66

Dazu KÖHLER NJW 1985 S. 2389 ff; VOGELGESANG NJW 1985 S. 2386 ff.

§ 33 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener

121

§ 33: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 1. Das geschützte Rechtsgut des § 189 Als geschütztes Rechtsgut wird die Ehre des Toten67 oder aber das Pietätsgefühl der Angehörigen und der Allgemeinheit68 angesehen. Für die erstgenannte Ansicht spricht, daß die Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, selbst wenn es sich um eine schwere Verletzung dieses Anspruchs handelt, das Pietätsgefühl einer Person nur dann stärker berühren wird, wenn ihr der Verstorbene bekannt gewesen ist. Gerade dieser Sachverhalt deutet darauf hin, daß es sich im Grunde doch um einen Angriff gegen die immer noch bestehende soziale Anerkennung des Verstorbenen handelt und nicht nur um die Verletzung eines letztlich sehr abstrakten Pietätsgefühls der Allgemeinheit. 2. Einzelheiten des Tatbestandes Verunglimpfen ist eine grobe Form der Ehrverletzung. - Als Verstorbene sind auch für tot Erklärte anzusehen. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Irrtum des Täters über den Tod des Betroffenen Wird die Ehre des Verstorbenen als Rechtsgut des § 189 begriffen, so ist der Irrtum des Täters darüber, ob der Betroffene tot ist oder nicht, irrelevant, denn die Ehre des lebenden Betroffenen ist kein aliud gegenüber der Ehre des Verstorbenen. Die Verletzung wird lediglich in zwei verschiedenen Tatbeständen erfaßt. Fall: A, der meint, der Kirchenvorsteher K sei verstorben, erzählt wider besseres Wissen, der Verstorbene habe Kirchengelder im Freudenhaus veijubelt. - K lebt und stellt Strafantrag. Ergebnis: A haftet nach § 187. - Wird hingegen das Pietätsgefühl der Angehörigen oder das der Angehörigen und der Allgemeinheit in § 189 als geschützt angesehen, so bleibt der Täter straffrei. § 187 liegt nicht vor, da A nicht die Ehre eines lebenden Menschen verletzen will. § 189 findet keine Anwendung, weil sein objektiver Tatbestand nicht gegeben ist.

4. Strafantrag Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ist Antragsdelikt, § 194 Abs 2. Auch hier entfällt der Antrag bei bestimmten Verunglimpfungen Verstorbener, die ihr Leben als Opfer der Nationalsozialisten oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verloren haben.

67

HERDEGEN LK, § 189 Rdn. 2 - 4; HIRSCH Ehre, S. 125; SCH/SCH/LENCKNER § 189 R d n . 1; WELZEL Lb., § 4 2 1 1 4 .

68

OLG Düsseldorf NJW 1967 S. 1142; LACKNER StGB, § 189 Rdn 1; RÜPING GA 1977 S. 304 f.

Sechster Abschnitt Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich § 34: Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Die Vorschrift schützt die Eigensphäre der Person durch Sicherung ihres Rechts auf Bestimmung der Reichweite einer Äußerung, und zwar geht es in Abs. 1, 2 Nr. 1 um den Schutz des Rechts am gesprochenen Wort, in Abs. 2 Nr. 2 um den Schutz vor Schädigungen durch Indiskretion -1 b) Angriffsobjekt ist das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen. aa) Nicht öffentlich ist das Wort, wenn es objektiv und nach dem Willen des Sprechers nicht über einen überschaubaren, durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis hinaus wahrnehmbar ist. - Auch vom Sprechenden unbemerkte Zuhörer schließen die NichtÖffentlichkeit aus, nicht aber illegale Lauscher.2 Amtliche Unterredungen, Telefongespräche usw. sind nicht öffentlich, wenn sie nicht mit Wissen der Beteiligten vor einem öffentlichen Zuhörerkreis stattfinden.3 bb) Auch wenn die Gedankenäußerung in Form eines Gedichtes oder Liedes gekleidet wird, bleibt der Schutz erhalten. - Steht jedoch die künstlerische Gestaltung der Aussage im Vordergrund - Gesang, Deklamation -, so greift der Schutz des § 201 nicht durch.4 2. Die einzelnen Tathandlungen a) § 201 Abs. 1 unterscheidet zwei Tathandlungen aa) Nr. 1: Aufnehmen ist das mechanische Fixieren des Wortes auf einen Tonträger, d.h. eine Vorrichtung zur wiederholten Wiedergabe von Tonfolgen (Tonband, Schallplatte o.ä.). - Das Überspielen einer Aufnahme auf einen anderen Tonträger ist nur im Rahmen der Nr. 2 erfaßt. - Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter 4.

1

Vgl. dazu LENCKNER Baumann-Festschrift, S. 141 ff m.e.N.

2

Vgl. O L G Celle JR 1977 S. 338 mit abl. A n m . ARZT S. 3 3 9 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

3

B.T.l, § 29 Rdn. 54.

Dazu OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1513 mit zust. Anm. ALBER JR 1981 S. 495 ff, und abl. Anm. OSTENDORF J R 1979 S. 4 6 8 ff; O L G Frankfurt J R 1978 S. 168 mit A n m . ARZT S. 170 f.

4

Vgl. MAIWALD Z S t W 91 (1979) S. 951; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 9 R d n . 55. -

Das gesungene Wort schließen aus: DREHER/TRÖNDLE § 201 Rdn. 2; TRÄGER LK, § 201 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 201 Rdn. 2. - Dagegen aber: SCH/SCH/LENCKNER § 201 Rdn. 5; WESSELS B.T.-l, Rdn. 518. - Jegliche StimmäuAerung bezieht ein: ARZT Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970, S. 243.

§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

123

bb) Nr. 2: Gebrauchen heißt Nutzen der Aufnahme zum Abspielen, Kopieren oder Überspielen.5 Zugänglichmachen ist die Ermöglichung des Abspielens durch Dritte. Eine so hergestellte Aufnahme ist eine unbefugt hergestellte Aufnahme. Gegenüber dem Abspielen einer befugt aufgenommenen Aufnahme ist das Abspielen einer unbefugt hergestellten Aufnahme ein schwerer Eingriff in die Eigensphäre des Berechtigten. - Das unbefugte Abspielen einer befugt hergestellten Aufnahme mag ein Vertrauensbruch sein, einen einer heimlichen Aufnahme vergleichbaren Einbruch in die Eigensphäre stellt das Verhalten im Regelfall aber nicht dar. Daher wandelt sich das in Nr. 1 als allgemeines Verbrechensmerkmal anzusehende Erfordernis der "unbefugten" Aufnahme hier in ein echtes Tatbestandsmerkmal.6 - Die Befugnis zum Gebrauchmachen hingegen ist wiederum allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter 4. b) § 201 Abs. 2 erfaßt zwei unterschiedliche Sachverhalte aa) Nr. 1: Das unbefugte Abhören mittels eines Abhörgerätes. - Abhörgerät ist hier als technische Einrichtung zu verstehen, mit der das Wort über seinen normalen Klangbereich hinaus wahrnehmbar gemacht wird. Fernsprechapparate und bei ihnen übliche Zusatzgeräte, wie z.B. Zweithörer und Lautsprecher sind keine Abhörgeräte in diesem Sinne. Der Gesetzgeber hat nicht das unbefugte Mithören unter Strafe gestellt, sondern den darüber hinausgehendenden Eingriff in die Sphäre anderer durch Nutzung besonderer technischer Geräte.7 bb) Nr. 2: Die Veröffentlichung des illegal aufgenommenen oder abgehörten nichtöffentlich gesprochenen Wortes. - Öffentlich ist die Mitteilung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis wahrnehmbar ist. - Tatbestandsmäßig ist die Mitteilung des geschützten Wortes im Wortlaut oder in seinem wesentlichen Inhalt. Gerechtfertigt ist die Mitteilung, wenn sie "zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird", Abs. 2 S. 3. Damit wird klargestellt, daß überragende öffentliche Interessen einen Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz genießen.8 - Straffrei bleibt die Mitteilung, wenn sie nicht geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Hier handelt es sich um einen objektiven Strafausschließungsgrund, nicht etwa um einen Tatbestandsausschluß, denn sonst würde im Falle eines Irrtums des Täters das Risiko, daß die Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen zu verletzen, auf den Geschützten übertragen werden. Das ist sachlich unangemessen. 3. Qualifikation, § 201 Abs. 3 a) § 201 Abs. 3 ist ein Qualifikationstatbestand für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete; dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2, 4. 5

6

So auch: LACKNER StGB, § 201 R d n . 4 ; TRÄGER L K , § 2 0 1 R d n . 14. - A . A . DREHER/TRÖNDLE § 2 0 1 R d n . 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 2 9 R d n . 5 8 .

Wie hier: ARZT Intimsphäre, S. 264; BLEI Henkel-Festschrift, S. 112 f; KREY ZStW 90 (1978) S. 180 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 9 R d n . 59; SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1 R d n .

16. - A.A. SUPPERT Studien zur Notwehr und "notwehrähnlichen Lage", 1973, S. 209 ff; WELZEL Lb., §45 m . 7

So auch: BGH(Z) NJW 1982 S. 1397; DREHER/TRÖNDLE § 201 Rdn. 6; LACKNER StGB, § 201 Rdn. 5 ; TRÄGER L K , § 2 0 1 R d n . 2 0 . - A . A . GÖSSEL B.T. 1, § 3 7 R d n . 39; KLUG Sarstedt-Festschrift, S. 106; SCH/SCH/LENCKNER § 201 R d n . 2 3 .

8

Im einzelnen dazu LENCKNER Baumann-Festschrift, S. 151 ff.

124

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

b) Das Delikt ist ein sog. unechtes Amtsdelikt. - Die öffentlich-rechtliche Position ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2. - Der Täter muß in seiner hoheitlichen Position, d.h. im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit, gehandelt haben. 4. Rechtswidrigkeit Die Tatbestände der §§ 201 ff setzen voraus, daß der Täter unbefugt handelt. Unbefugt ist jede Tathandlung, für die ein Rechtfertigungsgrund nicht besteht. a) Die rechtswirksam erteilte Befugnis zur Herstellung der Aufnahme oder zu ihrem Abspielen (Einwilligung) rechtfertigt das Verhalten.9 Der Vertrauensbruch, der darin liegt, daß eine Aufnahme, in die der Berechtigte eingewilligt hat, gegen seinen Willen einem größeren Kreis bekanntgemacht wird, ist von § 201 nicht erfaßt. Hier liegt kein Eingriff von außen in die Eigensphäre vor. b) Bei Aufnahmen, die der Abwehr von Gefahren dienen, die von dem Betroffenen ausgehen, ist zu differenzieren: aa) Dient die Aufnahme der Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs z.B. Aufnahme eines erpresserischen Anrufs, um den Erpressungsversuch abzuwehren - so kommt eine Rechtfertigung nach § 32 in Betracht, bb) Steht die Rechtsgutsverletzung noch nicht unmittelbar bevor, ist die Gefahr der späteren Rechtsgutsverletzung aber bereits begründet worden - z.B. Ankündigung des Bestrebens der zwar erfolgten, vom Prozeßgegner aber nicht beweisbaren Zahlung in einem künftigen Prozeß - so kann eine eventuelle Aufnahme gemäß § 34 gerechtfertigt sein, denn die gegenwärtige Gefahr geht weiter als der gegenwärtige Angriff. cc) Soll mit der Aufnahme lediglich die spätere Bestrafung einer Person ermöglicht werden - z.B. Überführung nach Beleidigung am Telefon -, so ist weder § 32 noch § 34 unmittelbar anwendbar. Zurückzugreifen ist auf das allgemeine Prinzip des Interessenvorrangs, wie es in §§ 34 StGB, 228, 904 BGB Ausdruck gefunden hat. 10 c) Bei behördlichen Abhörmaßnahmen kommen als gesetzliche Vorschriften, die das Verhalten rechtfertigen, §§ 100 a, b StPO und das Gesetz zu Art. 10 GG (G 10) vom 13.8.1968 in Betracht. J. Konkurrenzen Die Begehungshandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 stellen eine einheitliche Tat dar, auch wenn der Täter die unbefugte Aufnahme gebraucht oder Dritten zugänglich macht. - Die Begehungsformen der Absätze 1 und 2 können zueinander in Tateinheit stehen.11

9

Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1514; LACKNER StGB, Vor § 201 Rdn. 2; ROGALL NStZ 1983 NJW 1962 S. 686 mit zust.

S. 6; WARDA Jura 1979 S. 296. - A.A. Tatbestandsaus Schluß OLG Köln A n m . BINDOKAT N J W 1962 S. 6 8 6 f u n d abl. A n m . DREHER M D R

1 9 6 2 S. 5 9 2 ;

MAURACH/

SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 29 Rdn. 56.

10

Dazu OTTO Kleinknecht-Festschrift, S. 334 ff; DERS. Grundkurs Strafrecht A.T., § 8 VI 2 b. - Im übrigen vgl. zum Meinungsstand und zur Auseinandersetzung: BayObLG NJW 1994 S. 1671; TRÄGER L K , § 2 0 1 R d n . 2 7 f .

11

Dazu eingehend: SCH/SCH/LENCKNER § 201 Rdn. 38.

§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

125

6. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist deijenige, der das geschützte Wort gesprochen hat.

II. Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Die Vorschrift schützt die formal begrenzte Geheimsphäre gegen Indiskretion. b) Geschützt ist nicht nur das Briefgeheimnis (Art. 10 GG), sondern jeder abgeschlossene Gegenstand mit gedanklichem Inhalt sowie Abbildungen, es sei denn, der Verschluß dient nicht dazu, die inhaltliche Kenntnisnahme zu verhindern, so z.B. der Paketverschluß bei der Versendung von Romanen, allgemein zugänglichen Kochrezepten usw. c) Schriftstück ist jeder Träger von Schriftzeichen, die einen gedanklichen Inhalt ergeben. Der Brief ist ein Unterfall des Schriftstückes. 2. Die einzelnen Tathandlungen a) §202 Abs. 1 Nr. 1: Öffnen ist das Beseitigen oder Unwirksammachen des Verschlusses. - Anwendung von Gewalt oder eine Beschädigung des Verschlusses ist nicht erforderlich. b) § 202 Abs. 1 Nr. 2: Anwendung technischer Mittel bedeutet den Einsatz spezifischer technischer Hilfsmittel. - Bloßes Abtasten oder "Gegen-Licht-halten" des Schriftstückes genügt nicht.12 - Vom Inhalt des Schriftstückes hat sich der Täter "Kenntnis verschafft wenn er den Inhalt wahrgenommen hat. Verständnis des Inhalts ist nicht erforderlich.13 c) § 202 Abs. 2 erfordert ein Öffnen zum Zwecke der Kenntnisnahme. - Verschlossenes Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen - und nicht zum Betreten von Menschen - bestimmtes Raumgebilde, dessen Verschluß fremde Kenntnisnahme des Behältnisinhaltes verhindern soll. Es genügt nicht, daß der Täter aus anderen Gründen das Behältnis öffnet (z.B. um Geld daraus zu stehlen) und Kenntnis von dem Inhalt des Schriftstückes nimmt. 3. Rechtswidrigkeit a) Zur Befugnis vgl. oben 14 a. b) Die rechtfertigende Befugnis kann hier insbes. aus §§ 99, 100 StPO, § 121 KO, § 2 Überwachungsgesetz und Art. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG v. 13.8.1968 folgen.14 4. Konkurrenzen Die durch die Öffnung bewirkte Sachbeschädigung, § 303, wird von § 202 konsumiert. Gegenüber § 354 ist § 202 subsidiär, § 202 Abs. 1 a.E. - Öffnet der Täter ein durch Diebstahl oder Unterschlagung entwendetes Schriftstück unbefugt, so ist je nach den 12 13 14

BT-Drucks. 7/550 S. 237. Vgl. einerseits: LACKNER StGB, § 202 Rdn. 4; andererseits: SCH/SCH/LENCKNER § 202 Rdn. 9. Im einzelnen dazu TRÄGER LK, § 202 Rdn. 30 ff.

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Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

zeitlichen Tatmodalitäten Real- oder Idealkonkurrenz zwischen §§ 242, 246 und § 202 gegeben.15 5. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist deijenige, der zur Tatzeit das Bestimmungsrecht über die Sache hat, d.h. bei Sendungen der Absender bis zum Empfang durch den Adressaten.16

III. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 1. Rechtsgut, Tatobjekt und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die Geheimsphäre des Einzelnen und daneben das Allgemeininteresse an der Verschwiegenheit der hier genormten Personen, da diese weitgehend Voraussetzung für eine effektive Ausübung der genannten Tätigkeiten ist. 17 Der Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 steht - wenn auch nicht in vollem Umfang entsprechend - das Schweigerecht nach §§ 53, 53 a StPO, § 383 ZPO gegenüber.

b) Tatobjekt der Abs. 1 und 2 S. 1 ist ein "fremdes Geheimnis", d.h. ein Privatgeheimnis, das einen anderen Menschen als den Täter betrifft. - Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist, an deren Geheimhaltung der Betroffene ein sachlich begründetes Interesse hat und die er nicht offenbaren will. Das Geheimnis kann sich auf den persönlichen, beruflichen oder wirtschaftlichen Lebensbereich des Betroffenen beziehen. Das zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnis sowie das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis sind nur Beispiele für die hier relevanten Geheimnisse. Geheimnisse des Staates sind in den §§ 93 ff, 353 b geschützt, doch sind Überschneidungen von § 203 mit § 353 b möglich.

c) Der Täterkreis aa) Zu den einzelnen Tätergruppen vgl. Gesetzeswortlaut, Abs. 1, 2 S. 1. bb) Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. cc) Das Geheimnis muß dem Täter in seiner Eigenschaft als Arzt, Wirtschaftsprüfer, Amtsträger usw. anvertraut oder bekanntgeworden sein, d.h. die Kenntnisnahme muß in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Berufs- oder Amtstätigkeit stehen. - Anvertraut ist das Geheimnis, wenn es dem Betroffenen unter Umständen mitgeteilt worden ist, aus

15

Dazu auch: BGH JZ 1977 S. 237 mit Anm. KÜPER JZ 1977 S. 464, LENCKNER JR 1978 S. 424 f.

16

A . A . SAMSON SK, § 205 Rdn. 4.

17

Vgl. auch: KREY B.T. 1, Rdn. 457; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 9 Rdn. 4 . - Das

Allgemeininteresse akzeptieren nur für Abs. 1: DREHER/TRÖNDLE § 203 Rdn. 1; LACKNER StGB, § 203 Rdn. 1. - Für einen Vorrang des Allgemeininteresses: OLG Köln NStZ 1983 S. 412; SCHLUND JR 1977 S. 269; SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 3. - Nur das Individualinteresse sehen als geschützt an: JÄHNKE LK, § 203 Rdn. 14 f; ROGALL NStZ 1983 S. 5; SCHMIDHÄUSER B . T . , 6/27; SCHÜNEMANN ZStW 90 (1978) S. 51 f f .

§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

127

denen sich die Anforderung des Geheimhaltens ergibt. - Sonst bekanntgeworden ist dem Täter das Geheimnis, wenn er es auf andere Weise erfahren hat.18 dd) Die berufsmäßig tätigen Gehilfen der nach Abs. 1 Verpflichteten und die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf Tätigen stehen den besonders Verpflichteten gleich, § 203 Abs. 3. - Bei den Gehilfen muß es sich aber um Gehilfen in der Berufsausübung handeln, nicht etwa um sonstige Gehilfen, wie z.B. den Chauffeur oder die Putzfrau.19 ee) Nach dem Tode einer verpflichteten Person (Berufsausübender oder Gehilfe) ist in gleicher Weise verpflichtet, wer das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlaß erlangt hat, § 203 Abs. 3 S. 2. 2. Die Tathandlung a) Tathandlung ist das Offenbaren eines anvertrauten oder sonst bekannt gewordenen Geheimnisses. - Offenbaren ist Mitteilung an einen Dritten. b) Qualifiziert ist die Tat gemäß § 203 Abs. 5. aa) Bereicherungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen, bb) Schädigungsabsicht setzt den auf Schädigung gerichteten dolus directus 1. Grades voraus. 3. Rechtswidrigkeit a) Zur Befugnis vgl. oben 14 a. b) Als Befugnis kommen insbesondere in Betracht: aa) Die Einwilligung, die u.U. stillschweigend - z.B. Mitteilung des Arztes an seinen Vertreter oder Nachfolger - oder konkludent - Einwilligung zur sog. Anstellungsuntersuchung umfaßt Befugnis zur Mitteilung des Ergebnisses an anstellende Behörde bzw. Firma - erteilt werden kann. Einwilligungsberechtigter ist grundsätzlich der Träger des Geheimnisses, d.h. der vom Geheimnis Betroffene. Eine Ausnahme ist jedoch dann zu machen, wenn ein Dritter dem Täter das Geheimnis anvertraut hat und mit der Offenbarung einverstanden ist. In diesem Fall ist das Vertrauensverhältnis zwischen Betroffenem und Täter nicht verletzt.20 bb) Gesetzliche Anzeigepflichten, z.B. § 138 i.V.m. § 139 Abs. 2, Abs. 3 StGB, Geschlechtskrankheitengesetz, Bundesseuchengesetz usw. Zum staatsanwaltschaftlichen Auskunfts- und Herausgabeersuchen: §§ 160, 161, 94 I, 95 I StPO. 21

cc) Zeugnispflicht, wenn der Verpflichtete von der Schweigepflicht entbunden ist, § 53 Abs. 2 StPO. 18

Vgl. DREHER/TRÖNDLE § 2 0 3 R d n . 8; JÄHNKE LK, § 2 0 3 R d n . 31; ROGALL N S t Z 1983 S. 4 1 3 . -

Eine Kenntniserlangung im Rahmen einer typischerweise auf Vertrauen angelegten Sonderbeziehung fordert: SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 3 R d n . 15.

19

Dazu KOHLHAAS N J W 1972 S. 1502.

20

Vgl. auch: O L G Köln N S t Z 1983 S. 413; SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 3 R d n . 2 3 . - A . A . LACKNER

21

StGB, § 203 Rdn. 18; ROGALL NStZ 1983 S. 414; WAGNER JZ 1987 S. 708. Vgl. OLG Karlruhe NJW 1986 S. 145.

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Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

dd) Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB. In Fällen, in denen die Offenbarung eines Geheimnisses zur Lebensrettung eines anderen nötig ist, ist die Offenbarung durch § 34 zu rechtfertigen.22 In gleicher Weise ist gemäß $ 34 der Konflikt zwischen dem Schutz eines Geheimnisses und dem Auskunftsanspruch der Presse zu lösen." . Ein Absehen von den strengen Voraussetzungen des § 34 mit der Konsequenz, die Wahrnehmung berechtigter Interessen hier genügen zu lassen - dazu vgl. oben § 32 IV 1 a -, ist nicht geboten, da kein Anlafi besteht, dem hier geschätzten Rechtsgut geringeren Schutz zu gewähren als anderen Rechtsgütern. Die Sonderregelung des § 193 ist durch die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit legitimiert, in ihr findet aber nicht der Grundsatz Ausdruck, daß eigene berechtigte Interessen Rechte auf die Verletzung der Rechtsgüter anderer begründen.

4. Zum Strafantrag, § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist der Geheimnisberechtigte.

IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 1. Rechtsgut und Täterkreis entsprechen dem des § 203. 2. Die Tathandlung ist das Verwerten eines fremden Geheimnisses unter Verletzung von Interessen des Berechtigten, um Gewinn zu erzielen.24 Die h.M. begnügt sich demgegenüber mit einer wirtschaftlichen Nutzung zum Zwecke der Gewinnerzielung.25 3. §§ 204 und 203 schließen einander aus. Erfolgt die Gewinnerzielung durch Offenbarung des Geheimnisses an einen Dritten, z.B. Verkauf des Geheimnisses, so geht § 203 Abs. 5 dem § 204 vor. 26 4. Zum Strafantrag: § 205, vgl. III 4.

V. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 354 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt in Abs. 1, 2 Nr. 1 , 3 , Abs. 4 das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), in Abs. 2 Nr. 2, 3 das öffentliche Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Postverkehrs. 2. Der Täterkreis der Abs. 1 bis 3 a) Bedienstete der Post, Abs. 1, 2 - in den Fällen des Abs. 1 auch ausgeschiedene Bedienstete - sind die bei der Post beschäftigten Beamten, Angestellten und Arbeiter. b) Mit postdienstlichen Verrichtungen betraut, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, sind Personen, die nicht zu dem unter a) genannten Kreis gehören, aber in die Abwicklung des Post- und Fernmeldeverkehrs eingeschaltet sind.

22

B G H J Z 1983 S. 151 mit A n m . GEIGER S. 153 f.

23

Vgl. OLG Schleswig NJW 1985 S. 1090. - Allgemein hierzu LACKNER StGB, § 203 Rdn. 25;

24

V g l . MAIWALD JuS 1977 S. 362; DERS. NStZ 1984 S. 170.

25 26

Vgl. z.B.: BayObLG NStZ 1984 S. 169 f. BT-Drucks. 7/550, S. 244.

SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 3 R d n . 30.

§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs Beispiel: Bahnbedienstete, die Postsäcke befördern.

129

27

c) Personen, die eine für den öffentlichen Verkehr bestimmte Fernmeldeanlage betreiben, beaufsichtigen, bedienen oder sonst bei ihrem Betrieb tätig sind, Abs. 3 S. 1 Nr. 2. - Bei den genannten Anlagen handelt es sich um Telegrafen-, Funk- und Fernschreibanlagen, die einem allgemeinen Benutzerkreis (nicht nur behördeninterner Nutzung) zugänglich sind. d) Mit der Herstellung von Posteinrichtungen usw. oder mit Arbeiten daran betraute Personen, Abs. 3 S. 2, sind Inhaber, Angestellte und Arbeiter von Privatunternehmen, die Post- und Fernmeldeanlagen errichten und ausbessern. e) Die Täterqualität ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, denn den Täterkreis kennzeichnet eine erhöhte Pflichtenstellung in bezug auf das geschützte Rechtsgut.28 3. Die einzelnen Tatbestände der Abs. 1 bis 3 a) Abs. 1 stellt die Mitteilung von Tatsachen, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, an andere unter Strafe. - Dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegt nicht nur der Inhalt von Sendungen, Telefongesprächen, Telegrammen und Fernschreiben, sondern auch die Tatsache, daß ein Post- oder Fernmeldeverkehr zwischen bestimmten Personen stattgefunden hat, Abs. 5. b) Abs. 2 Nr. 1, 2 schützt die der Post anvertrauten Sendungen gegen Ausforschung (Nr. 1) und Unterdrückung (Nr. 2). Sendung ist jeder körperliche Gegenstand, der auf dem Post- oder Fernmeldeweg übermittelt werden soll. Die Sendung muß verschlossen sein. Sendungen, die zwar nicht offen sind, aber jederzeitiger Öffnung und Kontrolle unterliegen sollen, genügen diesem Erfordernis nicht.29 Der Post anvertraut sind alle Sendungen, die ordnungsgemäß in den Post- oder Fernmeldeverkehr gelangt sind und sich noch dort befinden. - Zu den Begriffen Öffnen und unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschaffen, vgl. oben II 2 b. - Unterdrücken heißt dem ordnungsgemäßen Postverkehr entziehen, sei es auch nur zeitweise.30 OLG Hamm NJW 1980 S. 2320: Der im Paketzustelldienst tätige Beamte A behielt die an den Absender zurückzusendenden Zahlkaitenabschnitte bei Nachnahmepaketen und die kassierten Nachnahmesummen zeitweilig zurück und lieferte sie nicht unverzüglich bei seiner Dienststelle ab. OLG: § 354 Abs. 2 Nr. 2 bezüglich der Zahlkaitenabschnitte, nicht aber bezüglich des Geldes, denn das Geld stellt keine Sendung i.S. dieser Vorschrift dar, weil es nicht körperlich dem Absender des Paketes zugeführt werden sollte.

Der Täter muß als Bediensteter, d.h. im inneren Zusammenhang mit seinem Dienst tätig geworden sein. Die Tatsache allein, daß er zur Tatzeit Postbediensteter war, genügt nicht. c) Abs. 2 Nr. 3 erfaßt das Gestatten und Fördern des Ausforschens oder Unterdrückens. - Ein Gestatten in diesem Sinne liegt nicht nur beim pflichtwidrigen Unterlassen des Ein27

BT-Drucks. 7/550, S. 285.

28

V g l . MAIWALD J u S 1977 S . 3 6 1 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 8 0 R d n . 1 8 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 3 5 4 R d n . 4 1 .

29

OLG Stuttgart NStZ 1984 S. 25; BVerwG NJW 1984 S. 2111: mit Klammern gesicherte Warenbeutel.

30

Vgl. OLG Köln NJW 1987 S. 2596.

130

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

schreitens, bei Einwilligung in die Tat oder bei Genehmigung der Tat vor, sondern auch beim Anstiften zur Tat. - Fördern ist Hilfeleistung durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen. - Die Bedeutung von Abs. 2 Nr. 3 liegt darin, daß sachliche Teilnahmehandlungen formell zum Täterverhalten erklärt werden. 4. Erweiterung des Schutzgutes gemäß Abs. 4 Abs. 4 erweitert den Strafrechtsschutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses über den postalischen Bereich hinaus. - Täter können nur Amtsträger anderer Dienstbereiche sein. Der befugte Eingriff setzt eine Rechtfertigung des Eingriffs voraus, z.B. durch §§ 99 100 b StPO. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 5. Rechtswidrigkeit Unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i.S. von rechtswidrig. - Die Befugnis kann hier insbes. auf §§ 99 - 100 b StPO, Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG, § 12 FAG oder § 5 PostG beruhen. Auch § 138 StGB kann rechtfertigend eingreifen. § 34 kommt u.U. in Betracht, soweit nicht ein in Spezialgesetzen geregelter Sachverhalt vorliegt.31 6. Besondere Täterqualifikation Im Verhältnis zu §§ 133, 202, 274 Abs. 1 Nr. 1 beschreibt Abs. 2 Nr. 1 und 2 ein unechtes Sonderdelikt, beachte § 28 Abs. 2. Im übrigen sind die in § 354 erfaßten Taten echte Sonderdelikte, beachte § 28 Abs. 1. VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 1. Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist das Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Steuergeheimnisses, die Voraussetzung eines wirksamen Besteuerungsverfahrens ist.32 b) Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 2 Nr. 2 - und bestimmte, in Abs. 2 abschließend aufgezählte Personen sein. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1 ist zu beachten. 2. Die Tathandlungen Die Verhältnisse, die dem Täter im Rahmen bestimmter Verfahren (vgl. Abs. 1 Nr. 1) bekanntgeworden sein müssen und deren Offenbarung, d.h. Mitteilung an andere, unter Strafe gestellt ist, sind alle für die steuerliche, finanzielle, wirtschaftliche und persönliche Lage einer Person relevanten Umstände, ohne Rücksicht auf einen etwaigen Geheimnischarakter, soweit sie nicht offenkundig sind oder an ihrer Geheimhaltung keinerlei Interesse erkennbar ist. - Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind nur Sonderfälle

31 32

Im einzelnen dazu SCH/SCH/LENCKNER § 354 Rdn. 14; WELP Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, 1974, S. 163 ff; DERS. ArchPF 1976 S. 783 ff. Dazu OLG Hamm NJW 1981 S. 357.

§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs

131

dieser Verhältnisse, so daß Abs. 1 Nr. 2 nur die Tathandlungen in einem Teilbereich nach Abs. 1 Nr. 1 konkretisiert. - Zum Verwerten vgl. oben IV 2. 3. Rechtfertigung §§ 30 Abs. 4 und 5, 31, 31 a AO enthalten die Gründe, die eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses gestatten und die Offenbarung zu einer befugten machen. - Der Katalog ist nicht abschließend. Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, insbes. § 34, sind daher nicht ausgeschlossen.33

VII. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204, 202 a Strafrechtlichen Datenschutz gewährt der Gesetzgeber im StGB erstens durch die Gleichstellung mit dem Geheimnisschutz in §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204 und zweitens durch den Schutz besonders gesicherter Daten, § 202 a. 34 1. Der Schutz von Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse eines anderen, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204 a) Gemäß § 203 Abs. 2 S. 2 wird der durch § 203 Abs. 2 S. 1 gewährte Geheimnisschutz auf solche Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen erweitert, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden sind, soweit solche Einzelangaben nicht anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt. Zum Täterkreis, zur Tathandlung und zur Befugnis zum Offenbaren vgl. oben m 1 c, 2,3. b) Der Schutz vor einer Verwertung des Geheimnisses, § 204, ist auf die Angaben gemäß § 203 Abs. 2 S. 2 ausgedehnt; vgl. insoweit IV. 2. Ausspähen von Daten, § 202 a a) Da es sich bei den geschützten Daten nicht notwendig um Geheimnisse handeln muß, schützt § 202 a das durch das Erfordernis besonderer Sicherung formalisierte Interesse an der Geheimhaltung bestimmter Daten.33 b) Tatobjekt sind Daten. Daten sind alle codierbaren Informationen. Deren Schutz wird gemäß Abs. 2 auf nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten beschränkt. Nicht unmittelbar wahrnehmbar sind Daten, deren Bedeutungsgehalt erst nach technischer Umformung mit den menschlichen Sinnen erfaßbar wird, z.B. neben den im Gesetz genannten elektronisch oder magnetisch fixierten Daten auch Daten auf Tonbändern, Schallplatten, Mikrofilmen u.ä. - Gespeichert sind zur Wiederverwendung erfaßte Daten. Geschützt werden diese Daten auch im Übermittlungsstadium (Anzapfen von Datenübertragungsleitungen).

33

Dazu MAIWALD JUS 1977 S. 362 f.

34

Zum weitergehenden strafrechtlichen Datenschutz vgl. § 43 BDSG.

35

Vgl.

LENCKNER/WINKELBAUER

CR

1986

S. 485;

MÖHRENSCHLAGER

wistra

1986

S . 140;

SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 58 f. - A.A. z.B. HAFT NStZ 1987 S. 9, der das Vermögen als geschätzt ansieht.

132

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

c) Nicht flir den Täter bestimmt sind Daten, die nach dem Willen des Berechtigten nicht in den Herrschaftsbereich des Täters gelangen sollen. - Gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind Daten, wenn Vorkehrungen speziell zu dem Zweck getroffen sind, den Zugriff Unberechtigter zu verhindern oder zu erschweren, z.B. durch verschlossene Behältnisse oder systemimmanente Vorkehrungen wie Geheimnummern (PINNummer) zu Magnetkarten, Paßwörter u.a. d) Sich oder einem anderen Verschaffen bedeutet Herstellung der eigenen oder der Herrschaft eines anderen über die Daten. Das bedeutet, daß der Täter entweder die Daten selbst zur Kenntnis nimmt bzw. einem anderen die Kenntnisnahme ermöglicht oder ohne Kenntnisnahme sich oder einem anderen den Besitz an den Datenträgern verschafft. - Bei verschlüsselten Daten setzt das Sichverschaffen die Entschlüsselung oder die ungehinderte Möglichkeit der Entschlüsselung voraus.36 e) Der Tatbestand erfordert Vorsatz; bedingter genügt. f) Unbefugtes Handeln ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Die Tat kann durch Gesetz - z.B. § 94 StPO -, durch Einwilligung des Berechtigten, dazu unter g), oder durch rechtfertigenden Notstand, § 34, gerechtfertigt sein. g) Die Tat ist Antragsdelikt gemäß § 205. Antragsberechtigt ist der Verletzte, d.h. der Träger des Rechtsguts. Das ist der über die Daten Verfügungsberechtigte. Dem Schutz des vom Dateninhalt Betroffenen kommt keine Eigenständigkeit zu. Sein Schutz ist durch § 43 BDSG gewährleistet.37

§ 35: Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 1. Rechtsgut und Tatobjekt a) Das Rechtsgut Geschützt ist das Hausrecht, d.h. die Freiheit der Entscheidung darüber, wer sich in den gesetzlich geschützten Bereichen aufhalten darf und wer nicht.38 Der Berechtigte braucht nicht zivilrechtlicher Eigentümer der geschützten Sphäre zu sein, es genügt, daß er ein stärkeres Recht als der Störer hat. - Bei vermieteten Räumen steht das Hausrecht in der Regel dem Mieter zu, soweit sich Ausnahmen nicht ausdrücklich aus dem Mietvertrag oder den besonderen Umständen des Falles ergeben.39 Steht das Hausrecht mehreren gemeinsam zu (z.B. Ehegatten), so muß die von dem anderen gestattete Anwesenheit Dritter im Rahmen der Zumutbarkeit geduldet werden.

36

V g l . SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 2 a R d n . 10.

37 38

Streitig, vgl. im einzelnen LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 485. Differenzierend nach der Art der Schutzsphären: SCHALL, Die Schutzfunktionen der Strafbestimmung gegen den Hausfriedensbruch, 1974, S. 134 f, 145 ff, 159 ff, 169. Dazu OLG Hamm GA 1961 S. 181; OLG Braunschweig NJW 1966 S. 263; BERNSMANN Jura 1981 S. 342 f.

39

§ 35 Hausfriedensbruch

133

b) Die einzelnen geschützten Sphären aa) Wohnung ist der Raum oder die zusammenliegende Mehrheit von Räumen, die einer Person oder mehreren Personen zur Unterkunft dient oder zur Benutzung freisteht.40 Die Wohnung braucht nicht Teil eines Hauses zu sein, daher kann z.B. auch der Wohnwagen o.ä. "Wohnung" sein. bb) Geschäftsräume sind die - hauptsächlich - zum Betrieb von Geschäften bestimmten, abgegrenzten Räume. - Raum ist auch hier nicht nur als Gebäudeteil zu verstehen, sondern als räumlicher Bezirk. Geschäftsräume können daher auch Lagerhallen, Fabrikhöfe, Zirkuszelte, u.ä. sein. cc) Das befriedete Besitztum ist eine unbewegliche Sache, die in äußerlich erkennbarer Weise mittels Schutzwehren gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert ist. Die Wehr muß aber gegen das Betreten von außen gerichtet, nicht nur dazu bestimmt sein, ein Ausbrechen nach außen zu verhindern, wie im Falle einer eingezäunten Kuhweide.41 Die Schutzwehr braucht nicht lückenlos zu sein, doch muß sie so weit gehen, daß der Sicherungscharakter klar wird. Ein bloßes Verbotsschild genügt dafür nicht. Auch sog. Abbruchhäuser sind befriedete Besitztümer, solange die vorhandenen Vorrichtungen erkennen lassen, daß der Berechtigte das Betreten durch Dritte verhindern will. - Ist das Haus hingegen derart verwahrlost, dafi Türen und Fenster weitgehend fehlen und eine einheitliche Sperrvorrichtung nicht mehr erkennbar ist, so ist das Haus kein befriedetes Besitztum i.S. dieser Vorschrift. 4 ^

dd) Abgeschlossene Räume sind zum öffentlichen Dienst bestimmt, wenn in ihnen Tätigkeiten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften ausgeübt werden, z.B. Schulen, Universitäten, Gerichtsgebäude, nicht aber eine öffentlich-rechtlich betriebene Tiefgarage, da die Tätigkeit des Garagenwächters nicht die Nutzung des Raumes kennzeichnet.43 - Zum öffentlichen Verkehr bestimmte abgeschlossene Räume sind gleichfalls nicht nur Geschäftsräume und Gebäudeteile, sondern auch dem öffentlichen Verkehr dienende Räume, wie z.B. Bahnhofshallen, Eisenbahnwagen, Straßenbahnwagen, Autobusse, Parkhäuser u.ä. - Daß das dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen auch von einer Privatperson betrieben werden kann, ist bedeutungslos. ee) Sog. Zubehötflächen, die selbst nicht abgeschlossen sind (z.B. Höfe, Vorgärten, Kaufhauspassagen), sind dann in den Schutz einbezogen, wenn sie örtlich und funktional so eng mit dem geschützten Objekt verbunden sind, daß sie für jedermann erkennbar mit diesem eine Einheit bilden, auch wenn ihr Betreten nicht durch besondere Schutzwehr erschwert ist.44

40 41

Dazu RGSt 12 S. 132 f. Dazu BayObLG JR 1969 S. 466 mit Anm. SCHRÖDER S. 467 f.

42

Vgl. OLG Hamm NJW 1982 S. 1824 u. 2676; OLG Köln NJW 1982 S. 2674 mit Anm. DEGENHART JR 1984 S. 30; OLG Düsseldorf NJW 1982 S. 2680; AG Wiesbaden NJW 1991 S. 188. - Eingehend zu der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur: SCHALL NStZ 1983 S. 241 ff. Vgl. ALLGAIER MDR 1987 S. 723. - A.A. BayObLG NJW 1986 S. 2065. So auch: BayObLG MDR 1969 S. 778; OLG Oldenburg NJW 1985 S. 1352; BLOY JR 1986 S. 81;

43 44

KREY B . T . 1, Rdn. 4 3 2 a; LACKNER StGB, § 123 Rdn. 3; SCHÄFER LK, § 123 R d n . 13. - A . A . AMELUNG J Z 1986 S. 247 ff; DERS. N J W 1986 S. 2079; ARZT in: Arzt/Weber, L H 1, R d n . 473; BEHM G A 1986 S. 547 ff; DERS. JUS 1987 S. 950 ff; MÜLLER-CHRISTMANN JUS 1987 S. 19 ff; VOLK

JR 1981 S. 167 f.

134

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

2. Widerrechtliches Eindringen a) Eindringen setzt voraus, daß der Täter - zumindest mit einem Teil des Körpers - gegen den Willen des Berechtigten in die geschützte Sphäre gelangt ist. - Der Wille des Berechtigten kann ausdrücklich oder konkludent erklärt sein, er kann auch aufgrund einer Wertung der Gesamtumstände vermutet werden. Stets geht es aber um eine Verletzung des realen Willens des Berechtigten, auch dann, wenn dieser - mangels positiver Kenntnis - nur vermutet wird. § 123 ist seinem Wesen nach ein formales Willensbruchsdelikt. Das deliktische Verhalten ist gegen den real entgegenstehenden Willen des Berechtigten gerichtet. - Hat der Berechtigte seinen Willen erklärt, so kommt es nicht auf den sog. wahren, nämlich einen hypothetischen Willen des Berechtigten an, es sei denn, seiner Erklärung kommt deshalb nicht der Sinngehalt einer Verfügung zu, weil er sich nur der Gewalt beugt und eine Verteidigung seines Hausrechts als sinnlos empfindet, da der Täter unabhängig von seiner "Zustimmung" eindringen würde. Im übrigen gilt: Genausowenig wie eine irrtumsbedingte Verfügung über eine Sache eine Gewahrsamsübertragung zu einem Gewahrsamsbruch macht, macht ein Irrtum bei der Erklärung des Einverständnisses zum Betreten der häuslichen Sphäre dieses zum widerrechtlichen Eindringen.45 Vereitelt jemand durch Täuschung die Durchsetzung eines gegen ihn individuell ausgesprochenen Hausverbots, so ändert dieses am Eindringen nichts, denn durch sein Verhalten wird das konkrete Verbot nicht beseitigt.46 Die Begehung der Tat durch unechtes Unterlassen ist möglich für den Fall, daß ein Garant, dem die Beaufsichtigung eines anderen obliegt, das Betreten der geschützten Sphäre durch diesen nicht hindert. Bloßes Verweilen in einem Raum nach Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis ist hingegen nicht als Eindringen tatbestandsmäßig.47 b) Eindringen ist ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten. Die Zustimmung des Berechtigten (Einverständnis) steht daher bereits der Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals entgegen. Die Widerrechtlichkeit des Eindringens bzw. die fehlende Befugnis zum Verweilen sind allgemeine Verbrechensmerkmale. Sie werden durch das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeschlossen. Ein Recht zum Betreten öffentlicher Dienst- und Verkehrsräume kann sich aus der öffentlichen Zweckbestimmung dieser Räume ergeben. Diese Zweckbestimmung kann der Ausschließung Einzelner entgegenstehen, soweit sie sich im Rahmen der Zweckbestimmimg halten. Daher liegt ein rechtswidriges Eindringen vor, wenn sich das Überschreiten der Zutrittserlaubnis bereits aus den äußeren Umständen ergibt, z.B. beim nächtlichen Einsteigen in die Schule oder Universität durch Schüler bzw. Studenten.

45

Vgl. AMELUNG NStZ 1985 S. 457 f; BERNSMANN Jura 1981 S. 403 f; BOHNERT G A 1983 S. 14; DREHER/TRÖNDLE § 123 R d n . 10; GEERDS JR 1982 S. 185; GEPPERT Jura 1989 S. 380 f; OSTENDORF J u s 1980 S. 664; OTTO N J W 1973 S. 668; DERS. Jura 1986 S. 333 f; STÜCKEMANN J R 1973 S. 414; WESSELS B . T . - l , R d n . 578. - A . A . O L G München N J W 1972 S. 2275; RUDOLPHISK, § 123 Rdn. 18; SCHALL Schutzfunktionen, S. 143 f; SCHÄFER LX, § 123 R d n . 27.

46

Vgl. auch SCH/SCH/LENCKNER § 123 Rdn. 24; - a . A . SCHILD NStZ 1986 S. 346 ff.

47

Vgl. dazu auch BERNSMANN Jura 1981 S. 405; RUDOLPHI SK, § 123 R d n . 19; SEIER J A 1978 S. 624. - A . A . BGHSt 21 S. 224; JANISZEWSH JA 1985 S. 570 f; LACKNER StGB, § 123 R d n . 5; SCH/SCH/LENCKNER § 123 R d n . 15.

§ 35 Hausfriedensbruch

135

Ist einem Anstaltsnutzer oder einem Anstaltsangehörigen gegenüber ein Hausverbot durch Verwaltungsakt erlassen worden, so ist ein Verstoß hiergegen ein widerrechtliches Eindringen, wenn der Betroffene keinen Widerspruch mit aufschiebender Wirkung eingelegt hat oder der Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt worden ist. Die bloße Möglichkeit, die Wirksamkeit des Hausverbots aufschiebend zu beseitigen, berechtigt als solche nicht zum weiteren Betreten.48 - Ob der Verwaltungsakt sich in einem späteren Prozeß als rechtswirksam erweist, ist demgegenüber unbeachtlich.49 Für das Recht zum Betreten privater Räume können z.B. §§ 102, 103 StPO Bedeutung haben. Auch der rechtfertigende Notstand kann eingreifen, doch können mit seiner Hilfe nicht die Voraussetzungen der speziellen Durchsuchungsrechte nach der StPO umgangen werden. 3. Verweilen ohne Befugnis Verweilen ohne Befugnis ist Aufenthalt ohne Berechtigung hierzu. Nach Ablauf eines Miet- oder Nutzungsvertrags verweilt der ehemals Berechtigte so lange nicht ohne Befugnis in den Räumen, wie er nach der Rechtsordnung Räumungsschutz genießt. Maßt er sich nach Ablauf dieser Frist ein selbständiges Recht an, z.B. durch Besetzung der Räume, so verweilt er von diesem Moment an ohne Befugnis.'"

Die Aufforderung zum Verlassen der geschützten Räume kann auch konkludent erfolgen. 4. Konkurrenzen a) Die 2. Alternative des Tatbestandes ist gegenüber der 1. Alternative subsidiär. b) Wenn mehrere Straftaten während des Hausfriedensbruchs begangen werden, stehen diese mit demselben in Idealkonkurrenz.51 5. Zum Strafantrag: § 123 Abs. 2. II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 1. Geschütztes Rechtsgut Die Vorschrift schützt neben dem Hausrecht auch den öffentlichen Frieden. 2. Einzelheiten des Tatbestandes a) Menschenmenge ist eine Personenmehrheit, deren Zahl nicht mehr sofort überschaubar ist. Maßgeblich ist, daß diese Personenmehrheit aufgrund ihres räumlichen Zusammenhangs bei Außenstehenden als räumlich verbundenes Ganzes erscheint. Eine 48 49

A.A. OLG Hamm NJW 1979 S. 728. Dazu im einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1776; OVG Lüneburg NJW 1975 S. 136; OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 116; OLG Hamburg NJW 1978 S. 2520; OLG Hamburg NJW 1980 S. 1007 m i t A n m . OEHLER J R 1 9 8 1 S. 3 3 f; O L G K a r l s r u h e J R 1 9 8 0 S . 3 4 2 m i t A n m . SCHWABE S . 3 4 4 f; BERNSMANN J u r a 1 9 8 1 S . 4 6 6 f f ; SCHALL S c h u t z f u n k t i o n , S . 2 6 f f ; TIEDEMANN J Z 1 9 6 9 S . 7 1 7 f f .

50

Vgl. OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 1088 mit Anm. DÖLLING JR 1992 S. 167 f, OTTO JK 91, StGB

51

Eingehend dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 23 II 4.

§ 123/5.

136

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein52, doch dürften gut 20 Personen im Regelfall schon eine Menge ergeben, unter bes. Umständen auch schon 15 Personen.33 - Eine Menschenmenge rottet sich zusammen, wenn sie zu einem gewaltsamen oder bedrohlichen Zweck zusammentritt, wobei der friedensstörende Wille äußerlich erkennbar in Erscheinung treten muß. - Öffentlich ist das Zusammenrotten, wenn für eine unbestimmte Zahl von Personen die Möglichkeit der Beteiligung besteht. b) Täter ist jeder, der an der Zusammenrottung und dem widerrechtlichen Eindringen teilnimmt. Das bedeutet: aa) Der Täter muß sich in Kenntnis des Zwecks der Rotte anschließen oder in ihr verbleiben und dadurch deren friedensstörende Ziele fördern.54 bb) Er muß sich beim Eindringen der Menge anschließen. Mit "eigenem Fuß" braucht er die geschützten Räume aber nicht betreten zu haben. Es genügt, daß ihm das Eindringen anderer nach den Regeln der Mittäterschaft zugerechnet wird.55 c) Der Vorsatz erfordert das zumindest bedingte Wissen um das Zusammenrotten und das Eindringen. - Die Absicht zur Begehung von Gewalttaten braucht der Täter nicht selbst zu haben, es genügt, daß er weiß, daß andere Teilnehmer diese Absicht haben. Die Gewalttätigkeiten brauchen nur beabsichtigt zu sein, sie müssen noch nicht realisiert sein. d) Konkurrenzen: Idealkonkurrenz mit § 125 ist möglich.

§ 36: Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des § 241 ist der persönliche (subjektive) Rechtsfrieden des Einzelnen.56

II. Die Tathandlung 1. Drohung mit einem Verbrechen, § 241 Abs. 1 Bestraft wird die Drohung mit der Begehung eines Verbrechen, d.h. die Ankündigung eines künftigen Verhaltens, das die Merkmale eines Verbrechens, § 12 Abs. 1, aufweist, auf dessen Begehung der Drohende Einfluß zu haben vorgibt. - Das Verbrechen muß sich angeblich gegen den Bedrohten oder eine dem Bedrohten nahestehende Person richten. a) Der Vorbehalt des Drohenden, die Drohung nicht zu realisieren, ist unbeachtlich. 52

Unter besonders unübersichtlichen Umständen können 10 Personen genügen; BGH NStZ 1994 S. 483.

53

Vgl. BGHSt 33 S. 308; LG Frankfurt StV 1983 S. 463.

54

Dazu BGH NJW 1954 S. 1694.

55

Dazu RGSt 55 S. 35.

56

A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l ,

S. 671: Willensentschließungsfreiheit.

§ 16 Rdn. 2; SCHROEDER Lackner-Festschrift,

§ 37 Delikte gegen den Schutz der Person

137

b) Daß der Bedrohte die Drohung ernst nimmt, ist nicht erforderlich, da es sich bei der Tat um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt.57 2. Vortäuschen eines Verbrechens, § 241 Abs. 2 Da der Rechtsfriede des Betroffenen in gleicher Weise bedroht ist, wenn der Täter vortäuscht, es stehe unmittelbar oder in nächster Zeit ein Verbrechen gegen den Betroffenen oder eine ihm nahestehende Person durch einen Dritten, auf den der Täter keinen Einfluß hat, bevor, stellt Abs. 2 die Vortäuschung eines Verbrechens wider besseres Wissen der Androhung eines Verbrechens i.S. des Abs. 1 gleich. - Auch hier ist nicht erforderlich, daß die schuldhafte Begehung eines Verbrechens angekündigt wird. 3. Der subjektive Tatbestand Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muß das angedrohte Verbrechen nicht selbst als Verbrechen i.S. des StGB bewerten, es genügt, wenn er sich der Umstände bewußt ist, die diese Tat zum Verbrechen machen.58 4. Konkurrenzen Idealkonkurrenz möglich mit § 126. - § 241 Abs. 1 wird von §§ 113, 177, 240, 253 konsumiert, auch wenn nur ein Versuch dieser Taten vorliegt.59

§ 37: Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a 1. Geschütztes Rechtsgut ist die Schutzmöglichkeit der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat:60 2. Ob politische Gründe vorliegen, ist materiell zu bestimmen. Die Kaschierung einer politischen Verfolgung als Verfolgung einer unpolitischen Straftat ist daher unbeachtlich. - Eine Verfolgung aus politischen Gründen liegt vor, wenn die Verfolgung durch kein Gesetz erlaubt ist, ihre Rechtsgrundlage mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Widerspruch steht oder wenn unter dem Deckmantel der Sühne kriminellen Unrechts politische Zwecke bzw. die Sicherung und weitere Entwicklung eines totalitären Regimes durch Zwangsmaßnahmen verfolgt werden.61

57

Vgl. BGH bei Daliinger, M D R 1975 S. 22; SCH/SCH/ESER § 241 Rdn. 2, 15.

58

Dazu BGHSt 17 S. 307.

59

Vgl. OLG Koblenz M D R 1984 S. 1040; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 16 Rdn. 7 .

60

Dazu HARDWIG GA 1955 S. 140 ff. - A.A. Freiheitsdelikt (WELZEL Lb., § 43 III 2, 3). - Verbrechen gegen die Menschlichkeit (MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2 § 88, Rdn. 6).

61

Vgl. LG Koblenz NStZ 1983 S. 508. - Anzeige wegen eines Devisenvergehens ist keine politische Verdächtigung: BGHSt 33, S. 238 mit Anm. SCHROEDER JR 1986 S. 162 ff.

138

Delikte gg. den persönl. Friedens- u. Geheimnisbereich

II. Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h, und Auswanderungsbetrug, § 144 Zum geschützten Rechtsgut vgl. oben 11. - Zum Teil wird das geschützte Rechtsgut des § 109 h in der Erhaltung der Wehrkraft, z.T. in der Erhaltung der Neutralität der Bundesrepublik Deutschland gesehen.62 - In der ehemaligen DDR gilt § 144 nicht.63

62

Wie hier HARDWIG GA 1955 S. 140 ff zu §§ 141, 144 a.F. - Im übrigen vgl. einerseits: LACKNER StGB, § 109 h Rdn. 1; - andererseits: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 87 Rdn. 25.

63

Vgl. Einigungsvertrag v. 23.9.1990, BGBl. 1990, II, S. 885 ff, Anl. I, Kap. m , Sachgebiet C, Abschn. III, Nr. 1.

Zweites Kapitel

Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen) Erster Abschnitt Systematik und Relevanz der Vermögensdellkte § 38: Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut 1. Geld- oder Gebrauchswert als Grundlage des Vermögensbegriffs Unter der Bezeichnung "Vermögensdelikte" wird allgemein die Gruppe jener Delikte zusammengefaßt, die sich gegen das "Vermögen" eines Rechtssubjekts richten. Je nachdem, ob ein Tatbestand das Vermögen umfassend oder nur in begrenztem Umfang - z.B. Eigentum, Besitz, Aneignungsrechte o.ä. - schützt, wird herkömmlich zwischen den Delikten gegen das gesamte Vermögen und den Delikten gegen einzelne Vermögensobjekte unterschieden. Voraussetzung dieser Differenzierung scheint ein einziger, einheitlicher Vermögensbegriff zu sein. In Wirklichkeit gehen h.L. und Rechtsprechung jedoch von zwei verschiedenen Vermögensbegriffen aus: Durch die Delikte gegen das gesamte Vermögen, z.B. durch Betrug oder Erpressung, sollen nur geldwerte Objekte geschützt sein, während sich z.B. Diebstahl und Raub auch gegen Sachen ohne Geldwert, sog. Sachen mit bloßem Affektionswert, richten können. Das bedeutet: Bei den Delikten gegen das gesamte Vermögen wird der Vermögensbegriff vom Geldwert, von der Umsatzmöglichkeit her bestimmt, bei anderen Delikten vom Gebrauchswert her. Die Sachgerechtigkeit dieser Differenzierung erscheint jedoch zweifelhaft. Denn unabhängig von der Ausgestaltung des strafrechtlichen Schutzes im einzelnen ist zunächst die grundsätzliche Frage zu stellen, ob durch den Schutz des Vermögens als einer einheitlichen Wertsumme oder einer personal strukturierten sachlichen Einheit die Aufgaben der Strafrechtsordnung am angemessensten realisiert werden können. Sodann erst ist zu überlegen, ob im Einzelfall - aus besonderen Gründen - die grundsätzlich angemessene Regelung zurücktreten muß. Ausgangspunkt der Überlegung muß die Besinnung auf die Funktion des Strafrechts sein. Die Aufgabe des Strafrechts wurde in seiner Schutzfunktion gesehen, die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen in der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Entfaltung der Persönlichkeit setzt auch die Möglichkeit des Umgangs mit Sachen voraus, denn in diesem Umgang wird sich die Person ihrer Fähigkeit zur Gestaltung ihrer Umwelt bewußt. Insoweit wird durch das Wort Vermögen "unmittelbar das Wesen der Sache selbst ausgedrückt, die durch das Daseyn jener Rechte uns zuwachsende Macht, das was wir durch sie auszurichten imstand sind oder vermögen" (SAVIGNY). Vermögen in diesem Sinne ist "gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung", die auf den wirtschaftlichen Bereich bezogen ist, sofern die Objekte, auf die die Entfaltungsmöglichkeit gerichtet ist, Güter des wirtschaftlichen Bereiches sind. Geldwerte Güter sind nur eine Untergruppe dieser Güter, da der Geldwert nur das Ergebnis

140

Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte

einer einzigen wirtschaftlichen Funktion ist, nämlich der, mit dem Gut am Handelsverkehr teilzunehmen. Daß es sich bei dem Geldwert einer Sache nur um eine Teilfunktion handelt, wird z.B. darin sichtbar, daß eine auf den Geldwert einer Sache bezogene Sozialbindung - wie sie Art. 14 GG vorsieht - eine geradezu unsinnige Vorstellung ist, während eine Sozialbindung bestimmter Gebrauchsmöglichkeiten eines Vermögensobjekts zu den selbstverständlichen Bestandteilen einer Rechtsordnung gehört, wie z.B. Wettbewerbsund Kartellrecht zeigen.

Ein Strafrecht, das den Schutz der Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums innerhalb eines gesellschaftlichen Bezuges gewährleisten will, würde eine weite Sphäre des wirtschaftlichen Bereiches schutzlos preisgeben, wenn es seinen Schutz allein auf den Geldwert beziehen würde. Den umfassenderen Schutz der Persönlichkeit bietet die Anknüpfung des Schutzes am Gebrauchswert. Vermögen in diesem Sinne ist demnach eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Sie konstituiert sich in von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden, d.h. die Gegenstand eines Rechtsgeschäfts "Tausch gegen Geld" sein können.1 - Das bedeutet: Vermögen ist wirtschaftliche Potenz des Rechtssubjekts, die auf der Herrschaftsgewalt über Objekte beruht, die die Rechtsgesellschaft als selbständige Objekte des Wirtschaftsverkehrs ansieht. Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich (sog. personaler Vermögensbegriff).2 2. Die Verletzung des Rechtsguts "Vermögen" Ein Vermögensschaden setzt stets eine Verringerung der wirtschaftlichen Potenz des Vermögensträgers voraus. - Diese Verringerung wirtschaftlicher Potenz braucht sich nicht in einer Geldsumme auszudrücken. Es genügt, daß eine wirtschaftliche Disposition zur Verfügung über wirtschaftliche Mittel führt, ohne daß der vom Berechtigten gewollte wirtschaftliche Zweck erreicht wird. Die wirtschaftliche Zweckverfehlung ist das Kriterium des Schadens, nicht ein irgendwie gearteter geldlicher Minderwert, obwohl - das darf nicht übersehen werden - oftmals beide identisch sein werden. Die Zweckverfehlung selbst ist insoweit subjektiv zu bestimmen, als die maßgebliche Zwecksetzung die des Berechtigten ist. Sie ist zugleich objektiv zu begründen, da die Feststellung, welcher wirtschaftliche Erfolg eingetreten ist und wie weit wirtschaftliche Zwecke des Berechtigten realisiert worden sind, aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters erfolgt. Ist über die Erzielung eines bestimmten wirtschaftlichen Zwecks eine Einigung mehrerer Personen zustandegekommen, so bestimmt sich der relevante Zweck nach dieser Abrede. Die bloß fehlgeschlagene Disposition als solche ist noch kein Schaden.3

1 2 3

Hierzu auch NELLES Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 437; NIGGLI Das Verhältnis von Eigentum, Vermögen und Schaden nach schweizerischem Strafgesetz, 1993, S. 59, 120 ff. Zur Entwicklung des personalen Vermögensbegriffs im einzelnen: OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 26 - 84. Zur praktischen Bedeutung der unterschiedlichen Definitionen des Vermögensbegriffs eingehender unter §51 III 4.

§ 38 Rechtsgut und systematische Gliederung

141

n. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte 1. Die Struktur der Vermögensdelikte Wird von einem einheitlichen Vermögensbegriff als Rechtsgut der Vermögensdelikte ausgegangen, so läßt sich zwar zwischen Delikten gegen spezielle Vermögenswerte und gegen das Vermögen insgesamt unterscheiden. Mehr als eine Aufzählung ist durch diese Differenzierung aber nicht zu gewinnen. Gleiches gilt für den Versuch einer Systematisierung von der Begehungsweise und vom Tatobjekt her4, auch wenn hier durchaus ein Gewinn an Übersichtlichkeit erzielt wird. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn nach der unterschiedlichen Weise des Angriffs auf das geschützte Rechtsgut unterteilt wird. Unabhängig von der Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände zeigen sich zwei in der Struktur verschiedene Weisen des Angriffs auf das Vermögen: Die Entziehung von Vermögen und die Perpetuierung einer rechtswidrigen Vermögenslage. Diesen Angriffsweisen entsprechen die Vermögensentziehungs- und die Perpetuierungsdelikte. 2. Die beiden Gruppen der Vermögensdelikte a) Die Vermögensentziehungsdelikte sind ausnahmslos gekennzeichnet durch den realen, nachweisbaren Entzug eines Vermögensobjekts, sei es, daß das Objekt vom Berechtigten auf eine andere Person übergeht (Vermögensverschiebung) oder lediglich zerstört oder beschädigt wird (bloße Vermögensentziehung). Der reale Vermögensschaden auf der Seite des Opfers des Delikts kennzeichnet diese Delikte, zu denen z.B. §§ 242, 253, 263, 303 gehören. b) Kein realer, über die schon erfolgte Vermögensentziehung hinausgehender Vermögensschaden tritt hingegen durch ein sog. Perpetuierungsdelikt ein. Die Beeinträchtigung fremden Vermögens geschieht gerade nicht durch Entziehung einer Vermögensposition. Hier geht es dem Gesetzgeber vielmehr darum, Verhaltensweisen zu verpönen, die das Vermögen des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer tatbestandsmäßig und rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage beeinträchtigen. Die bewußte Verhinderung der Wiederherstellung der rechtmäßigen Vermögenslage oder die Weiterverschiebung deliktisch erlangter Vermögensobjekte kennzeichnet das hier strafwürdige Verhalten, das der Gesetzgeber z.B. in §§ 257, 259 erfaßt hat.

III. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte Etwa 30 % der jährlichen Verurteilungen - ohne Berücksichtigung der Verkehrsdelikte sogar fast 60 % - erfolgen wegen eines Vermögensdelikts. - Die Verurteiltenstatistik gibt jedoch nur einen unvollständigen Einblick in die Verbrechenswirklichkeit. Unabhängig von der Tatsache, daß eine Dunkelziffer von 1 : 5 im Bereich des Vermögensstrafrechts sicher nicht zu hoch angesetzt ist, führt auch nur ein geringer Teil der als Straftaten erkannten Taten zu einer Verurteilung des Täters wegen dieser Tat. Die Zahl der bekanntgewordenen Straftaten ist der jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegebenen

4

Dazu SCHROEDER Jura 1987 S. 113 ff, 116.

142

Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte

"Polizeilichen Kriminalstatistik" zu entnehmen, die Zahl der Verurteilten (V) ergibt sich aus der vom Statistischen Bundesana veröffentlichten Übersicht.5

1. Verbrechen und Vergehen insgesamt 2. Verbrechen und Vergehen ohne Verkehrsdelikte 3. Diebstahl ohne erschwerende Umstände, §§ 242, 247, 248 a und § 248 b 4. Diebstahl und unbefugte Ingebrauchnahme von Kfz unter erschwerenden Umständen, §§ 243, 244 5. Unterschlagung 6. Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 7. Betrug 8. Erpressung 9. Untreue 10. Sachbeschädigung 11. Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei

T. V. T. V. T. V. T. V.

1978 3.380.516 739.044 -

1982 4.291.975 772.194 -

1987 4.444.108 691.394 -

407.010 1.067.423 122.209 1.147.992 39.415

459.689 1.227.027 139.186 1.548.750 43.432

437.611 1.060.957 122.362 1.729.892 35.527

T. V. T. V.

33.474 6.235 21.648 5.113

42.365 6.569 30.465 6.522

49.846 6.995 28.122 5.491

T. V. T. V. T. V. T. V. T. V.

228.989 28.321 3.220 422 3.239 1.461 280.954 8.068 20.775 6.084

323.675 34.720 3.650 461 5.052 1.604 343.601 9.112 28.237 6.901

358.493 48.351 2545 401 4.311 1.677 386.309 9.041 30.445 6.729

Vergegenwärtigt man sich, daß der einfache Diebstahl und der schwere Diebstahl zusammen 2/3 der bekanntgewordenen Verbrechen und Vergehen ausmachen, so dürfte bewußt werden, wie sehr diese Verhaltensweisen die soziale Realität tangieren.

5

Fachserie 10: Rechtspflege, Reihe 3: Strafverfolgung.

§ 38 Rechtsgut und systematische Gliederung

143

Für das wiedervereinigte Deutschland liegen erst die Zahlen der "Polizeilichen Kriminalstatistik" für das Jahr 1992 vor: Straftaten 1. Verbrechen und Vergehen insgesamt ohne Verkehrsdelikte (aber nicht §§ 315, 315 b und § 22 a StVG) 2. Diebstahl, §§ 242, 247 und 248 a-c 3. Diebstahl und unbefugte Ingebrauchnahme von Kfz unter erschwerenden Umständen, §§ 243,244 4. Unterschlagung 5. Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 6. Betrug 7. Erpressung 8. Untreue 9. Sachbeschädigung 10. Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei

Erfasste Fälle

Aufgeklärte Fälle

6.291.519 1.557.393

2.660.839 769.867

2.381.036 61.525

289.598 46.187

56.515 451.248 3.956 5.066 585.050

23.204 371.441 2.734 4.993 120.289

29.224

29.020

Zweiter Abschnitt Die Vermögensentziehungsdelikte § 39: Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Diebstahlstatbestände und der Unterschlagung ist die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. - Diese Position hat inne, wer seine Sachherrschaftsposition nicht aus dem Rechte eines anderen herleitet, sondern selbständige, umfassende Herrschaft ausübt. Das Sachherrschaftsverhältnis kennzeichnet damit jenen Sachverhalt, der zivilrechtlich positiviert in § 903 BGB als Eigentumsrecht erfaßt wird. Die tatsächlichen Herrschaftsmöglichkeiten, die das Eigentumsrecht gewährleistet, sind aber nicht identisch mit dem Eigentumsrecht. Rechtsgut ist daher nicht das Eigentum i.S. des Eigentumsrechts, denn das EigenXamsrecht selbst wird z.B. durch einen Diebstahl nicht verletzt.1 Es bleibt auch nach dem Diebstahl bestehen, §§ 985, 935 BGB. Die Ausübung der Sachherrschaft ist jedoch nach dem Diebstahl dem Eigentümer unmöglich geworden. Insoweit ist an seine Stelle der Dieb getreten. Auch der Gewahrsam ist mit der tatsächlichen, umfassenden Sachherrschaft nicht identisch. Gewahrsam hat auch, wer sein Besitzrecht vom Eigentümer ableitet. Diesen Gewahrsam kann der Eigentümer rechtswidrig brechen, ohne damit zum Dieb zu werden, denn Gegenstand des Diebstahls sind nur fremde Sachen. - Der Gewahrsam ist kein selbständiges Schutzobjekt des Diebstahls.2 Konsequenzen hat die unterschiedliche Bestimmung des geschützten Rechtsguts für die Frage nach dem Verletzten und damit Antragsberechtigten im Rahmen der §§ 247, 248 a. Fall: B hat gutgläubig eine dem X vor langer Zeit gestohlene Uhr erworben. A stiehlt dem B die Uhr. Nach k.M.: Geschädigt durch die Tat: B und X. Soweit im Eigentumsrecht das geschützte Rechtsgut gesehen wird: Geschädigt allein X. Nach der hier entwickelten Auffassung: Geschädigt allein der B, da die Sachherrschaftsposition des X durch die Tat des A nicht verschlechtert wurde. Weitere Konsequenzen: unter § 43, 3.

1

A.A. BINDING B.T. I, S. 294; CRAMER Vennögensbegriff und Vermögensschaden, 1968, S. 94; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 2 R d n . 1; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 1 5 .

2

D a z u HEUBEL JUS 1984 S . 4 4 5 ; OTTO S t r u k t u r , S . 2 7 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 1 , 2 . - D i e h . M .

bezeichnet demgegenüber Eigentum und Gewahrsam als Rechtsgüter des Diebstahls; dazu vgl. B G H S t 10 S . 4 0 1 ; 2 9 S . 3 2 3 ; LACKNER S t G B , § 2 4 2 R d n . 1; LAMPE G A 1 9 6 6 S . 2 2 8 ; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALDB.T.I, § 3 3 R d n . 1.

§ 40 Diebstahl

145

II. Systematischer Überblick 1. Unter Hinweis auf sonst zwischen Diebstahl und Unterschlagung eröffnete Strafbarkeitslücken wird in der Lehre z.T. die Unterschlagung als der umfassende, das Eigentum schützende Tatbestand angesehen. Im Gegensatz zum Diebstahl, der die Zueignung fremder Sachen durch Gewahrsamsbruch erfaßt, soll die Unterschlagung als Zueignung fremder Sachen ohne Gewahrsamsbruch zu interpretieren sein (sog. große berichtigende Auslegung des § 246).3 Danach wäre die Unterschlagung gleichsam als Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte anzusehen. Mit dem Wortlaut des Gesetzes: "... fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet ...", und damit mit Art. 103 Abs. 2 GG ist diese Auslegung nicht in Einklang zu bringen. Nicht die Zueignung als solche, sondern der Mißbrauch eines bestimmten Näheverhältnisses zu einer Sache durch Zueignung der Sache kennzeichnet die Unterschlagung; dazu weiter unter § 42 I 3 a. - Diebstahl und Unterschlagung stellen danach zwei selbständige,voneinander verschiedene strafrechtlich relevante Angriffsweisen auf dasselbe Rechtsgut dar. 2. Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte ist § 242. - Qualifizierte Tatbestände enthalten §§ 244, 244 a. - Einen unbenannten Straferhöhungsgrund mit Regelbeispielen beschreibt § 243 Abs. 1 (Einschränkung § 243 Abs. 2). - Für den Haus- und Familiendiebstahl stellt § 247 das Antragserfordernis auf, das gleichfalls für § 248 a, den Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen gilt, soweit kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung begründet ist. 3. Um ein dem Diebstahl ähnliches Zueignungsdelikt handelt es sich bei der Entziehung elektrischer Energie, § 248 c Abs. 1. Geht man davon aus, daß auch Strom eine Sache i.S. des § 242 ist (h.M.), so ist § 248 c Abs. 1 als lex specialis gegenüber § 242 anzusehen. 4. Fälle strafbarer Gebrauchsanmaßung, und deshalb keine Fälle eines Diebstahls, sind der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, und der unbefugte Gebrauch von Pfandsachen, § 290.

§ 40: Diebstahl Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen durch Wegnahme und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.

I. Der objektive Tatbestand Der objektive Tatbestand setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache voraus. 1. Sache Sachen i.S. des Strafrechts sind nur körperliche Gegenstände. Der Aggregatzustand (z.B. flüssig, gasförmig) ist gleichgültig. Rechte und Computerprogramme sind keine Sachen, wohl aber sind Papiere, die Rechte verbriefen (z.B. Wechsel, Sparbuch u.ä.) und Datenträger, auf denen Programme gespeichert sind, Sachen. 3

D a z u BINDING B . T . I, S . 2 7 5 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 4 0 ; WELZEL L b . , § 4 7 , 1 b .

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Tiere sind als Sachen im Sinne des Strafgesetzbuches anzusehen. - Die Regelung des § 90 a S. 1 BGB gilt ausdrücklich nur für das BGB. 4

Der Mensch als Person ist keine Sache. Auch organische Teile des Menschen - anders hingegen Fremdbestandteile, z.B. Zahnprothese - sind keine Sachen, solange sie mit dem lebenden Körper verbunden sind. Mit dem Tod endet jedoch die Personenqualität des Menschen. Die Leiche und ihre Bestandteile - wie auch vom lebenden Körper abgetrennte Bestandteile - sind Sachen.5 Streitig ist die Sachqualität der sog. Implantate. Hier jedoch ist zu differenzieren. Soweit das Implantat - z.B. künstliches Hüftgelenk, Zahnplombe, Herzschrittmacher mit dem Körper fest verbunden wird, verliert es seine Sacheigenschaft. Es wird Bestandteil des Körpers. Mit einer eventuellen Trennung wird es - wie auch natürliche Körperbestandteile, z.B. durch Unfall oder Organspende - eine Sache und wie diese geschützt.6 Zum Teil wird die Sachqualität grundsätzlich bejaht. 7 Andere differenzieren nach dem Grad der Verbindung mit dem Körper® oder unterscheiden zwischen Ersatzimplantaten, die in Form und Funktion an die Stelle defekter Körperteile treten, z.B. Zahnplomben, Stiftzähne, und Zusatzimplantaten, die insuffiziente Organe nicht ersetzen, wohl aber unterstützen, z.B. Herzschrittmacher, die ihre Sacheigenschaft behalten sollen."

2. Beweglich Beweglich sind alle Sachen, die tatsächlich fortgeschafft werden können, daher auch Grundstückszubehör und Teile unbeweglicher Sachen, soweit sie bewegbar sind oder beweglich gemacht werden. 3. Fremd Nach fast einhelliger Ansicht ist eine Sache fremd, wenn sie im zivilrechtlichen Eigentum - Miteigentum genügt - eines anderen steht.10 Zwar gesteht die h.M. zu, daß diese Bindung des Begriffs "fremd" an den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff hin und wieder der angemessenen Lösung problematischer Fälle entgegensteht. Der Klarheit der Begriffsbestimmung wird jedoch der Vorrang vor der sachlichen Angemessenheit einzelner Fallösungen eingeräumt.11 Möglich und sachlich überzeugender ist es jedoch, den Begriff "fremd" von seiner wirtschaftlichen Funktion her zu bestimmen.

4

Vgl. auch KÜPER JZ 1993 S. 435 ff, 441; WOLFF LK, 11. Aufl., § 303 Rdn. 3.

5

Vgl. v . BUBNOFF G A 1968 S. 75; EICHHOLZ NJW 1968 S. 2272 ff; GÖRGENS J R 1980 S. 140 f; KOHLHAAS N J W 1967 S. 1491. - A.A. Persönlichkeitsrückstand: R G Z 100 S. 171; MAURACH/

SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 32 Rdn. 19. 6

H.M., vgl. z.B. BGH bei Dallinger MDR 1958 S. 739; LG Mainz MedR 1984 S. 199 f; DREHER/ TRÖNDLE § 242 Rdn. 6 a; RUB LK, 11. Aufl., § 242 Rdn. 4.

7

Vgl. z.B. BR1NGEWAT JA 1984 S. 63; SAMSON SK, § 242 Rdn. 4.

8

Vgl. GÖRGENS J R 1980 S. 141.

9

Vgl. GROPP JR 1985 S. 183 SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 10.

ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD

B.T.l,

§32

Rdn.

18;

10

Zur h.M. vgl. LACKNER StGB, § 242 Rdn. 4.

11

Kritisch gegenüber der h.M.: LAMPE in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 63; LLVER Schultz-Festgabe, S. 121; OTTO Struktur, S. 143 ff; RANFT JA 1984 S. 4 f.

§ 40 Diebstahl

147

Dies ist keineswegs mit den Schwierigkeiten verbunden, die die h.M. offenbar argwöhnt, sondern erfordert allein eine genauere Analyse der rechtlichen Verhältnisse in bezug auf das Objekt des Diebstahls vom Täter her gesehen: Wirtschaftlich betrachtet ist eine Sache für den Täter fremd, wenn sie einer anderen Person gehört, wenn jemand anderes ein stärkeres Vermögensrecht, eine umfassendere Vermögensposition an der Sache hat als der Täter. - Gemeinhin wird diese stärkere Vermögensposition natürlich durch das Eigentumsrecht gewährt. Gleichwohl eröffnet die grundsätzliche Lösung vom zivilrechtlichen Eigentumsbegriff eine flexiblere Argumentation. In der Konsequenz dieses Grundsatzes sind als fremde Sachen anzusehen: die unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Sache für den Vorbehaltskäufer (OLG Düsseldorf NJW 1984 S. 810); die sicherungsübereignete Sache für den Sicherungsgeber die übergebene, aber noch nicht übereignete Sache für den Käufer; das Sammelgut, das anläßlich des Sammelaufrufs einer bestimmten Organisation zum Abholen auf die Straße gestellt wird (BayObLG JZ 1986 S. 967 f); ein staatlicher Grenzstein, selbst wenn er schon vor 200 Jahren eingesetzt worden ist (OLG Frankfürt NJW 1984 S. 2303 f); das nicht beim Telefonieren verbrauchte, im Automaten befindliche Geld in einer Telefonzelle (OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 2153); das vom Kunden einer Selbstbedienungstankstelle gezapfte Benzin"; die einer GmbH gehörenden Sachen für den Alleingesellschafter (BGH NJW 1992 S. 250 f; dazu OTTO JZ 1993 S. 560). In diesen Fällen gewährt das Eigentumsrecht die umfassende Sachherrschafitsposition, die Dritte zu achten haben. Dem Eigentümer gehören die Sachen. Dritten gegenüber sind es fremde Sachen. - Darüber hinaus aber sind z.B. auch fremde Sachen derelinquierte Sachen im Besitz des Finders, der sie selbst nicht als derelinquiert erkannt hat, und das gewilderte Tier im Besitz des Wilderers gegenüber Dritten.

Str. ist, ob eine Leiche eine fremde Sache sein kann. - Da an einer Leiche weder derivativ noch originär Eigentum erworben werden kann14, müßte die h.M. zum Ergebnis kommen, daß die Leiche keine fremde Sache sein kann, da an ihr kein zivilrechtliches Eigentum besteht. - Der strafrechtliche Schutz des Leichnams würde damit auf § 168 beschränkt.15 Von dem hier vertretenen Standpunkt aus bereitet der Schutz des Leichnams in Anatomien u.ä. keine Schwierigkeiten. Anerkannt ist nämlich, daß die Angehörigen das Recht haben, unberechtigte Eingriffe Dritter in die Leiche abzuwehren und bestimmte Verfügungen (Bestattung usw.) vorzunehmen.16 Auch wenn diese Rechte kein Aneignungsrecht im vermögensrechtlichen Sinne gewähren17, wird man den Erben doch das Recht einräumen müssen, über die Leiche oder einzelne Organe zu Gunsten Dritter verfügen zu können. Dieses vorrangige Verfügungsrecht macht den Leichnam Dritten gegenüber zu einer fremden Sache. 4. Wegnahme Wegnahme ist Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams. - Gewahrsam ist das von einem Herrschaftswillen getragene, tatsächliche Herrschaftsverhältnis einer Person über eine Sache unter Berücksichtigung der sozialen Zuordnung.

12

RGSt 61 S. 65; BGH NJW 1987 S. 2242 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 246/5.

13 OLG Hamm NStZ 1983 S. 266 mit Anm. MÜLLER-LUCKMANN S. 267; - A.A. OLG Düsseldorf JR 1982 S. 343. 14 Vgl. dazu DILCHER in: Staudinger, BGB, Bd. 2, 12. Aufl. 1980, § 90 Rdn. 19 ff. 15

Dazu RANFT JA 1984 S. 3.

16 Vgl. auch KG NJW 1990 S. 782. 17 Für ein beschränktes Aneignungsrecht, das aber zivilrechtlich nicht überzeugend begründet wird: EICHHOLZ NJW 1968 S. 2274; PEUSTER Eigentumsverhältnisse an Leichen und ihre transplantationsrechtliche Relevanz, 1971.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Gewahrsam als tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis beruht grundsätzlich auf der Möglichkeit der tatsächlichen Einwirkung auf die Sache ohne Überwindung nennenswerten Widerstandes (physisch-reales Element). Dieses "faktische" Haben wird jedoch modifiziert durch die soziale Zuordnung (normativ-soziales Element). Zum Teil wird in der Lehre stärker das tatsächliche Herrschaftselement (HerrschafKwille) betont. ^ - Zum Teil wird der Gesichtspunkt der sozialen Zuordnung in den Vordergrund gestellt. Die beiden Elemente beschränken und ergänzen einander. a) Dadurch wird das Sachherrschaftsverhältnis zum einen über das bloße "In-den-Händen-Haben" ausgedehnt. BGHSt 16 S. 273 f: "Gewahrsam ist zwar tatsächliche Sachherrschaft. Ob sie vorliegt, hängt aber nicht in erster Linie, jedenfalls nicht allein von der körperlichen Nähe zur Sache und nicht von der physischen Kraft ab, mit der die Beziehung zur Sache aufrechterhalten wird oder aufrechterhalten werden kann. Vielmehr kommt es für die Frage der Sachherrschaft entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an. Der Gewahrsamsbegriff ist wesentlich durch die Verkehrsauffassung bestimmt... Sie allein rechtfertigt die Annahme, daß ein Bauer Gewahrsam an seinem auf dem Feld zurückgelassenen Pflug behält, mag auch sein Hof weit entfernt liegen und der Pflug dem Zugriff eines körperlich kräftigeren und näher wohnenden Nachbarn unmittelbar offen stehen. Das gleiche gilt für Haustiere, die sich vorabergehend von dem Anwesen ihres Herren entfernt haben. Der Wohnungsinhaber auf Reisen bleibt Gewahrsamsinhaber nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch im Verhältnis zu der die Wohnung bewachenden Hausangestellten. Zweifellos weist die Verkehrsauffassung auch dem, der einen Gegenstand in der Tasche seiner Kleidung mit sich trägt, regelmäßig Gewahrsam zu, weil eine intensivere Herrschaftsbeziehung zur Sache kaum denkbar ist, vor allem der Ausschluß anderer besonders deutlich zum Ausdruck kommt." Außerhalb der eigenen Gewahrsamsphäre verlorene oder vergessene Sachen sind gewahrsamslos, soweit nicht der Inhaber der Gewahrsamssphäre, in der die Sache ist, Gewahrsam erlangt hat aufgrund seines generellen Herrschaftswillens. Einen derartigen subsidiären Gewahrsam wird man in öffentlich zugänglichen Gebäuden oder Räumen Bahnhof, Post, Kino, Gaststätte usw. - annehmen müssen. - Der Gewahrsamswille muß nicht jederzeit realisierbar sein. Schlafende und Bewußlose behalten aufgrund der sozialen Zuordnung Gewahrsam an ihren Sachen 20 , auch wenn der Bewußtlose stirbt, ohne das Bewußtsein wiederzuerlangen 2 1 . b) Zum anderen bedeutet die normativ-soziale Modifizierung des tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses eine Begrenzung des Sachherrschaftsverhältnisses. Trotz unmittelbarer Zugriffsmöglichkeit haben danach keinen Gewahrsam: der diebische Nachbar am Obst im Garten seines verreisten Nachbarn; die Hausangestellte an den Einrichtungsgegenständen im Haus; der Kunde, der einen Anzug im Ladengeschäft anprobiert, an diesem Anzug (BGH LM Nr. 11 zu § 242); der Gast an dem in der Gaststätte benutzten Geschirr (BayObLGSt Bd. 9 (1910) S. 376). Gewahrsam hingegen an Briefen im Briefkasten, auch wenn der Gewahrsamsinhaber gar nicht bemerkt hat, daß der Briefträger schon da war. - Gewahrsam an den in der Wohnung verlegten Sachen. - Gewahrsam auch an den Sachen, die ein Dritter in der Gewahrsamssphäre versteckt hat, die aber bei gründlicher Durchsuchung gefunden würden. - Kein Gewahrsam, wenn nach allgemeiner Voraussicht das Versteck (z.B. Hausangestellte versteckt den Ring ihrer Arbeitgeberin unter losem Dielenbrett und befestigt dieses danach) auch bei gründlichem Suchen nicht gefunden würde (str.). 18

Vgl. DREHER/TRÖNDLE § 2 4 2 Rdn. 9; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 Rdn. 14 f; SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 25.

19

Vgl. z.B.: BriTNER JUS 1974 S. 156 ff; GEILEN JR 1963 S. 446 ff; GÖSSEL ZStW 85 (1973) S. 619; WELZELGA 1960 S. 257 ff.

20 21

BGHSt 4 S. 211. BGH JR 1986 S. 294; a.A. BayObLG JR 1961 S. 188.

§ 40 Diebstahl

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c) Da nur natürliche Personen einen tatsächlichen Willen bilden können, können nur natürliche Personen Gewahrsam aktuell innehaben. Für juristische Personen können aber natürliche Personen den Gewahrsam ausüben. d) Gewahrsam können mehrere Personen gemeinsam haben. - Unproblematisch ist in diesem Zusammenhang der Mitgewahrsam von Personen, die eine gleiche Herrschaftsbeziehung zu der Sache haben. Daneben erkennt die h.M. einen über- und untergeordneten Gewahrsam an, mit der Konsequenz, daß der Träger des übergeordneten Gewahrsams beim Ansichnehmen der betroffenen Sache keinen Gewahrsamsbruch begeht, während der Träger des untergeordneten Gewahrsams einen Gewahrsamsbruch begehen kann. Diese Konstruktion ist unnötig umständlich, denn wie die Beispiele der h.M. zeigen, haben die Träger des untergeordneten Gewahrsams überhaupt keine eigene selbständige Herrschaftsposition, wohl aber Schutz- und Abwehrfunktionen in bezug auf die Sache. Diese Personen unterstützen den Vermögensinhaber bei der Ausübung seiner Herrschaftsmacht. Sie sind zu Verfügungen nur im Rahmen der unterstützenden Tätigkeit befugt. Ihre Hauptaufgabe ist der Schutz des Gewahrsams. Sie können daher am sinnvollsten als Gewahrsamshüter bezeichnet werden. Der Bruch ihrer Herrschaftsmacht ist Bruch des Gewahrsams des Gewahrsamsherren22. Beispiele: Angestellte und Verkäufer in einem Ladengeschäft, je nach Organisation: Träger von Mitgewahrsam oder Gewahrsamshüter bezüglich der Waren. - Hausangestellte bezüglich der Gegenstände des Arbeitgebers: Gewahrsamshüter. - Ladenangestellter, der mit Geld zum Wechseln geschickt wird: Gewahrsamshüter; anders jedoch, wenn er das Geld abends mitbekommt, um es am nächsten Tag umzuwechseln. - Fernfahrer bezüglich der Ladung des LKW: Inhaber des Alleingewahrsams (vgl. BGH GA 1979 S. 390 f). - Bei der Verwahrung von Gegenständen, an die der Gewahrsamsgeber allein nicht ohne weiteres herankommt: Alleingewahrsam des Verwahrers (str.). - Ist ein Behältnis verwahrt, an das der Verwahrungsgeber nur mit Hilfe des Verwahrers herankommt, weil z.B. zwei Schlüssel notwendig sind: Mitgewahrsam (str.). - Ist das Behältnis dem Verwahrungsgeber ohne weiteres zugänglich - sei es auch nur innerhalb bestimmter Öffnungszeiten-: Alleingewahrsam des Verwahrungsgebers.

e) Gebrochen ist der Gewahrsam, wenn der Berechtigte die tatsächliche Herrschaft gegen seinen Willen verloren hat. - Eine bewußte und gewollte Übertragung des Gewahrsams schließt den Bruch aus, selbst wenn sie irrtümlich - Problematik der Abgrenzung zum Betrug - erfolgt. Der Diebstahl als formelles Willensbruchsdelikt setzt die Verletzung des realen Willens des Betroffenen voraus, ein Handeln gegen einen etwaigen hypothetischen Willen des Betroffenen (wenn dieser den "wahren Sachverhalt gekannt hätte") genügt nicht. Gleiches gilt, wenn die Übertragung des Gewahrsams auf einer Nötigung beruht, die dem Berechtigten aber noch eine echte Wahlmöglichkeit offenläßt - Problematik der Abgrenzung zur Erpressung. f) Vollendet ist die Wegnahme und damit der Diebstahl mit der Begründung des neuen Gewahrsams durch den Täter oder einen Dritten. Auch hier kommt der sozialen Zuordnung besondere Bedeutung zu: Gewahrsamsbruch liegt vor, wenn jemand in einem Selbstbedienungsladen oder einer sonstigen Gewahrsamssphäre eines anderen handliche Gegenstände in der Kleidung versteckt oder in eine Tasche steckt, die er bei sich trägt2-' oder wenn er Objekte unter seiner Kleidung versteckt (OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 100). - Kein Gewahrsamsbruch, wenn Sachen im Kaufhaus im Einkaufskorb verborgen werden (OLG Köln NJW 1984 S. 810), oder beim Abtransport eines sperrigen und schweren Gegenstandes, z.B. eines 300 kg schweren Tresors, solange das Objekt sich noch in der Herrschaftssphäre (Grundstück, Geschäft) des Berechtigten befindet (BGH NStZ

22

Eingehender dazu OTTO ZStW 79 (1967) S. 80 ff.

23

Vgl. BGHSt 16 S. 271; 17 S. 208 f; 23 S. 254; BayObLG NJW 1983 S. 406.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

1981 S. 435 f; BGH StV 1984 S. 376), auch wenn das Objekt z.B. im Selbstbedienungsladen, schon an der Kasse vorbeigeschleust wurde (OLG Düsseldorf StV 1986 S. 20). g) Hinweis: Gewahrsam und unmittelbarer Besitz sind weitgehend identisch, jedoch sind die Fiktionen der §§ 855, 857 BGB nicht auf den Gewahrsam abertragbar.

h) Zur Einübung aa) BGHSt 4 S. 199: Auf einem Wochenmarkt baute die Polizei eine Diebesfalle auf: Eine Kriminalbeamtin legte eine Geldbörse auf ihren Einkaufskorb. Zwei Kriminalbeamte bewachten die Börse. Beim Zugreifen sollten sie den Dieb fassen. 1. Alternative: A ergreift die Geldbörse und im nächsten Augenblick greifen die Beamten zu und nehmen ihm die Börse aus der Hand. BGH: Nur versuchte Wegnahme: A hat noch keinen eigenen Gewahrsam begründet. - Dem ist zuzustimmen, denn mit dem bloßen Ergreifen der Geldbörse begründet A unter den gegebenen Umständen noch keine umfassende Sachherrschaft über die Börse. 2. Alternative: A ergreift die Börse, steckt sie ein und entwischt im Gewühl. BGH: Keine vollendete Wegnahme, weil die Berechtigten in die Wegnahme eingewilligt haben und damit ein Gewahrsamsbruch unmöglich geworden war. Da A aber von der Einwilligung keine Kenntnis hatte, liegt ein versuchter Diebstahl vor. Diese Überlegungen treffen im vorliegenden Fall nicht zu: Wie der BGH in der 1. Alternative ausführt, sollte nach dem Plan der Berechtigten der Täter bereits bei der Gewahrsamslockerung, d.h. beim Versuch des Gewahrsamsbruchs, gefaßt und damit der Gewahrsamsbruch verhindert werden. Von einer Einwilligung in den Gewahrsamsbruch kann daher im vorliegenden Fall keine Rede sein. - Anders wäre die Sachlage gewesen, wenn die Diebesfalle so angelegt gewesen wäre, daß der Täter die Sache in seinen Gewahrsam bringen sollte, damit diese später bei ihm gefunden würde und er überführt werden könnte. In diesem Fall hätte der Berechtigte dem Gewahrsamsübergang bewußt keinen Widerstand entgegengesetzt. Das bedeutet nicht, daß er mit dem Gewahrsamsübergang oder sogar damit einverstanden wäre, bestohlen zu werden. Er will lediglich seinen Herrschaftswillen im Zeitpunkt der Wegnahme nicht ausüben. Damit wird sein realer Herrschaftswille durch die Wegnahme nicht gebrochen. Es liegt nur ein versuchter Diebstahl vor.24 bb) OLG Hamburg MDR 1970 S. 1027 einerseits - BGH bei Dallinger, MDR 1972 S. 925 andererseits: A öffnet gewaltsam ein fremdes Kfz, schließt die Zündung kurz, fährt los, rammt aber nach 10 m wegen schlechter Sicht ein parkendes Fahrzeug. Er flieht nun zu Fuß. Das OLG hat hier eine vollendete Wegnahme bejaht, der BGH verneint, weil A noch keinen Gewahrsam begründet habe. Bei der Wegnahme sperriger Gegenstände wird man in der Tat einen Gewahrsam des Täters verneinen müssen, solange es dem Berechtigten nach den gegebenen Umständen ohne Mühe möglich ist, dem Täter die Sache wieder wegzunehmen. - Anders verhält es sich jedoch mit einem Kfz. Ist dies erst einmal in Gang gesetzt, so sind die Möglichkeiten des Eigentümers, seine Herrschaft noch auszuüben, im Regelfall vernichtet. Daß er durch Zufall seine Herrschaftsmöglichkeit wiedererlangen kann, ändert daran nichts. Nur wenn von vornherein feststeht, daß das Fahrzeug nur wenige Meter fortbewegt werden kann, weil z.B. dann eine Diebstahlssicherung die Räder blockiert oder weil noch ein Hindernis (Hoftor) überwunden werden muß, kann man einen Gewahrsam des Täters mit dem Losfahren ablehnen. cc) A erscheint bei X, gibt sich als Kriminalbeamter aus und beschlagnahmt eine Schreibmaschine. Er nimmt sie mit, weil auf der Maschine angeblich ein Typenvergleich durchgeführt werden soll. X duldet dies, denn er hofft, der Irrtum werde sich bald aufklären. Ergebnis: Gewahrsamsbruch des A. Eine Gewahrsamsübertraeung durch X lag nicht vor, er duldete lediglich die Mitnahme, da er eine Weigerung für sinnlos h i e l t / '

24

Vgl. auch: BayObLG JR 1979 S. 296 f mit Anm. PAEFFGEN S. 297 ff; OLG Celle JR 1987 S. 253 f mit Anm. HEIENKAMP S. 254 ff, GEPPERT JK 87, StGB § 242/11; OLG Düsseldorf MDR 1991 S. 786 mit Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 242/15; HEFENDEHL NStZ 1992 S. 544; JANSSEN NStZ 1992 S. 237 f. - Im einzelnen dazu OTTO Jura 1989 S. 140 f.

25

Eingehend dazu BGHSt 18 S. 223; OTTO ZStW 79 (1967) S. 74 f; SCH/SCH/CRAMER § 263 Rdn. 63.

§ 40 Diebstahl

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dd) BGH GA 1987 S. 307: A behauptete, daß er Video-Recorder und andere Waren unter Marktpreis beschaffen könne. Interessenten veranlaßte er, den Kaufpreis in einen von ihm mitgebrachten Briefumschlag zu tun, den er dann in seinen Arbeitskittel steckte, angeblich um das Geld vorher dem Lagermeister vorzuzeigen. Die Bezahlung sollte bei Warenübergabe erfolgen. - Indem A die Kaufinteressenten sodann ablenkte, tauschte er den Briefumschlag aus und gab den Interessenten einen mit Papierschnitzeln gefällten Umschlag zurück, woraufhin er sich unter einem Vorwand mit dem Geld entfernte. BGH: "Im vorliegenden Fall haben die Kaufinteressenten zwar aufgrund freier Willensentscheidung das Geld in den Briefumschlag gesteckt und diesen sodann dem A übergeben. Dadurch verloren sie aber noch nicht den Gewahrsam an dem Geld. Sie hatten es dem A nur für kurze Zeit zum Vorzeigen in ihrer Anwesenheit überlassen. Unter diesen Umständen besaßen sie nach den Anschauungen des täglichen Lebens noch eine von einem entsprechenden Willen getragene Sachherrschaft. Ob auch der A schon durch die Entgegennahme des Briefumschlages ein Gewahrsamsverhältnis begründete, bedarf nicht der Entscheidung"/ 2 " ee) OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 922: In einem Verkauftmarkt wollte A einen Winkelschleifer kaufen. Er wählte ein Gerät aus. Nachdem er durch Öffnen der Verpackung festgestellt hatte, daß Trennscheiben in der Packung nicht als Zubehör vorhanden waren, und auch ein Verkäufer bestätigt hatte, daß Trennscheiben nicht im Preise des Winkelschleifers enthalten seien, nahm A vier Trennscheiben, legte sie in den Karton und verschloß diesen wieder. An der Kasse legte A den verschlossenen Karton auf das Kassenband. Die Kassiererin berechnete den Kaufpreis für den Winkelschleifer. A bezahlte und entfernte sich aus dem Kassenbereich. Er wurde sodann durch den Hausdetektiv gestellt, der durch einen Zeugen auf das Verhalten des A aufmerksam gemacht worden war. OLG Düsseldorf: A erlangte die Trennscheiben nicht durch Gewahrsamsbruch. Aus dem festgestellten Sachverhalt folgt vielmehr, daß A "den Gewahrsam an den vier Trennscheiben aufgrund einer durch Irrtum veranlaßten Vermögensverfügung der Kassiererin erlangt hat". Dem ist zuzustimmen, denn hier kann davon ausgegangen werden, daß die Verkäuferin den Gewahrsam an dem Winkelschleifer übertragen wollte, ohne nach einzelnen Zubehörteilen zu differenzieren. - Ein Gewahrsamsbruch liegt hingegen vor, wenn der Täter eine Ware so durch die Kasse schmuggelt, daß dem Kassenpersonal verborgen bleibt, daß ein bestimmtes Objekt seinem Gewahrsam entzogen wird. 2 ' ff) OLG Hamm NJW 1969 S. 620: Frau B ließ beim Bezahlen im Selbstbedienungsladen ihr Portemonnaie an der Kasse liegen. Frau A trat nach ihr an die Kasse, zahlte und packte die gekauften Sachen ein, als die Kassiererin ihr zurief: "Vergessen Sie nicht ihr Portemonnaie!" Frau A, die genau wußte, daß ihr das Portemonnaie nicht gehörte, bedankte sich und steckte das Portemonnaie ein. OLG: Ursprünglich hatte Frau B Gewahrsam an dem Portemonnaie. Dieser ging verloren, als sie den Laden verließ und sich entfernte. Das Portemonnaie wurde damit nicht gewahrsamslos, sondern ging in den Gewahrsam des Ladeninhabers über. Für diesen übte K Gewahrsam aus. K übertrug den Gewahrsam jedoch nicht auf A. Ihr fehlte das Bewußtsein, Gewahrsam zu übertragen, denn sie ging davon aus, daß das Portemonnaie sich im Gewahrsam der A befand. Als diese das Portemonnaie einsteckte, brach sie daher den Gewahrsam des Ladeninhabers. gg) BGHSt 18 S. 221: A unterhielt Beziehungen zu Frau W, die einen Pkw besaß. Diesen Wagen hatte Frau W in einer parkhausähnlichen Garage untergestellt. Die Garage war Tag und Nacht geöffnet und wurde von einem Pförtner beaufsichtigt. Dieser hatte einen zweiten Zündschlüssel, den er auf Anforderung dem Berechtigten gab, falls dieser seinen eigenen Schlüssel vergessen hatte o.ä. Im Einverständnis mit Frau W holte A den Wagen einmal aus der Garage ab. In weiteren 6-8 Fällen setzte A aufgrund seiner Beziehungen zu Frau W deren Einverständnis voraus. Am 20.5.61 schließlich holte A ohne Wissen und Willen von Frau W den Wagen ab, um ihn sich anzueignen. BGH: Kein Diebstahl, sondern Betrug. Dem ist zuzustimmen: Hätte Frau W dem A aufgrund eines Irrtums den Wagen überlassen, so hätte eine Gewahrsamsverfügung vorgelegen. Gleiches würde gelten, wenn Frau W den Wagen einer Person zu bestimmten Verfügungen überlassen hätte, z.B. zum Verkauf, und dieser Person wäre durch Täuschung über das Vorliegen des relevanten Sachverhalts der Wagen abgeschwindelt worden, z.B. Kauf mit Falschgeld. 26

Vgl. dazu auch die in der Problematik vergleichbare Entscheidung OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/31.

27

A . A . O L G Düsseldorf N J W 1993 S. 1407 mit abl. A n m . BROCKER JuS 1994 S. 9 1 9 ff, ROBMÜLLER/ROHRER Jura 1994 S. 4 6 9 ff; STOFFERS JR 1994 S. 205 f f , VITT N S t Z 1994 S. 133 f.

Die Vermögensentziehungsdelikte

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Nun hatte P sicher keinen Gewahrsam an dem Wagen derart, daB er zu selbständigen Verfügungen berechtigt war. Er war Gewahrsamshüter, denn er sollte den Gewahrsam der Frau W schützen und ihr u.U. bei der Ausübung der Sachherrschaft behilflich sein. Wenn P sich aber - sei es auch aufgrund eines Irrtums subjektiv in dem Rahmen hält, der ihm objektiv eingeräumt worden ist, dann muß sich der Gewahrsamsinhaber die Verfügungen seines Gewahrsamshüters als eigene zurechnen lassen. Ein Gewahrsamsbruch durch den Gewahrsamshüter scheidet demnach aus, wenn dieser sich im Rahmen seiner rechtlichen Befugnisse zu halten glaubt.^" Die Gegenmeinungen stellen einerseits streng auf die rechtliche Befugnis zur Übertragung des Gewahrsams ab (Befugnis- oder Ermächtigungstheorie), andererseits darauf, ob der Verfügende "im Lager des Geschädigten steht" (Lagertheorie); dazu unten § 51 III 3 b. Zum Teil wird Idealkonkurrenz von Diebstahl und Betrug in diesen Fällen bejaht, obwohl das Objekt nur einmal erlangt w u r d e t " hh) BGHSt 35 S. 152: A entwendete dem B dessen durch einen Magnetstreifen codierte eurocheque-Karte. Mit Hilfe dieser Karte und der ihr bekannten Geheimnummer verschaffte sie sich aus Geldautomaten insgesamt 5100,- DM. Die Sparkasse belastete das Konto des B mit den abgehobenen Beträgen. BGH: Kein Gewahrsamsbruch an dem erlangten Geld. Begründet hat der BGH dieses Ergebnis, indem er Gewahrsamsbruch und Gewahrsamsverfügung nach dem äußeren Erscheinungsbild abgrenzte. Diese Abgrenzung ist allein geeignet, Zufallsergebnisse zu begründen. Dort wo ein Objekt zufällig oder - wie bei der sog. Wechselgeldfalle^" - in böser Absicht "hinund hergeschoben oder rgenommen" wird, würde die Abgrenzung auf Äußerlichkeiten, nicht aber die jeweils genaue Bestimmung der Gewahrsamssituation gegründet. Nicht auf Äußerlichkeiten, sondern auf den Gewahrsamsbruch kommt es hier an. Bei einem mechanisierten Gewahrsamsübergang ist das entscheidende Abgrenzungskriterium des Gewahrsamsbruchs von der Gewahrsamsübertragung die funktionsgerechte bzw. funktionswidrige Nutzung des Mechanismus. Wer durch Automatisierung und Standardisierung der Geldherausgabe die Uberprüfung der Berechtigung auf bestimmte Daten (Karte, Geheimnummer) begrenzt hat, kann sich nicht auf die fehlende Berechtigung des Automatenbenutzers zur Nutzung des Automaten berufen. Hier läge ein Rekurs auf einen hypothetischen Willen vor, denn der reale Wille hat in der Mechanisierung entsprechenden Ausdruck gefunden. - Für den Fall funktionsgerechter Betätigung wird Gewahrsam übertragen. Das gilt auch, wenn der Automat, z.B. durch Einführung einer gefälschten Karte, überlistet wird. Auch hier wird auf den funktionsgerechten Ablauf des Auszahlungsvorganges nicht Einfluß genommen. wird der Automat hingegen funktionswidrig betätigt - gewaltsamer Eingriff in den Ablauf, Zerstörung des Programms - so liegt wahrsamsbruch vor, denn der Mechanismus wird gerade nicht in der vorgesehenen Weise betäZur Frage der Unterschlagung des Geldes vgl. unter § 42 I 3 c, gg; zum Computerbetrug in diesen Fällen vgl. unter § 52 III 3 c, bb. Entsprechend diesen Grundsätzen ist die Problematik der Leerung von Geldspielautomaten zu entscheiden. Wird funktionswidrig auf den Automaten eingewirkt - Einführung von Gegenständen in den Mechanismus - so liegt ein Gewahrsamsbruch vor, nicht hingegen, wenn der Täter sein Wissen um den Spielablauf ausn u t z t . " - Zu den Konsequenzen der Abgrenzung des Gewahrsamsbruchs nach den Kriterien der 28

Eingehend dazu HERZBERG ZStW 89 (1977) S. 367 ff; OTTO ZStW 79 (1967) S. 76 ff.

29

HAAS G A 1990 S. 206.

30

Dazu BayObLG NJW 1992 S. 2041 mit Anm. GRAUL JR 1992 S. 520 f, OTTO JK 93, StGB § 242/16. Vgl. BGHSt 38 S. 120; a.A. RANFT NJW 1994 S. 2574 ff - Zur Gegenmeinung, der grundsätzlichen Annahme eines Gewahrsamsbruches bei der unbefugten Geldautomatennutzung, vgl. MITSCH JZ 1994 S. 879 mit w.N. inFn. 42. Vgl. auch: EHRLICHER Der Bankautomatenmißbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bekämpfung, 1989, S. 64 ff; HUFF NJW 1988 S. 981; RUB LK, 11. Aufl., § 242 Rdn. 36;

31 32

SCHMITT/EHRLICHER J Z 1988 S. 364 f; THAETER JA 1988 S. 547 ff; DERS. wistra 1988 S. 339 f. -

Zur Auseinandersetzung um die rechtliche Einordnung des Geldautomatenmißbrauchs vor der BGHEntscheidung vgl. OTTO JR 1987 S. 221 ff.

33

Vgl. auch: BayObLG JR 1982 S. 291 mit Anm. MEURER S. 292 ff; OLG Stuttgart NJW 1982 S. 1659 mit A n m . ALBRECHT JuS 1983 S. 101 ff, GEILEN JK, StGB § 242/2, SEIER JR 1982

§ 40 Diebstahl

153

funktionsgem£fien bzw. funktionswidrigen Nutzung des Mechanismusses für den Anwendungsbereich des § 265 a Abs. 1, 1. Alt. vgl. § 52 II 1.

II. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz Der Vorsatz erfordert das Bewußtsein des Täters, daß es sich bei dem Tatobjekt um eine ihm fremde, bewegliche Sache im Gewahrsam eines anderen handelt, den der Täter bricht. a) Eine Konkretisierung des Vorsatzes auf bestimmte einzelne Sachen ist nicht erforderlich. Die Tat bleibt ein einheitlicher Diebstahl, gleichgültig, ob der Täter seinen Vorsatz später erweitert oder auf ein anderes Tatobjekt bezieht. Zur Verdeutlichung: Fall 1: A will die Brieftasche des B aus dessen Schreibtischschublade stehlen. Als er sieht, daß in der Schublade Schmuck liegt, nimmt er diesen auch an sich. Ergebnis: Ein einziger Diebstahl, denn es liegt ein einheitlicher Angriff auf die umfassende Sachherrschaftsmacht des B vor: A wollte die umfassende Sachherrschaftsmacht des B brechen, das hat er getan. Daß er den Umfang seines Angriffs erweitert hat, ist irrelevant. Fall 2: Wie Fall 1, doch ist die Brieftasche gar nicht in der Schublade. A nimmt nun den Schmuck weg. Ergebnis: Ein einheitlicher Diebstahl, nicht etwa ein versuchter Diebstahl in bezug auf die Brieftasche und ein vollendeter Diebstahl bezüglich des Schmuckes; vgl. Begründung zu Fall 1.

b) Zur Vorsatzänderung auf geringwertige Objekte vgl. unten § 41 II 1 b. 2. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen a) Das Objekt der Zueignung Mit der Zueignung der Sache bringt der Täter zum Ausdruck, daß er sich selbst die Position anmaßt, die dem Eigentümer rechtlich zukommt. Er verschafft sich mehr als nur die Möglichkeit des rechtswidrigen Gebrauchs der Sache (Abgrenzung zur Gebrauchsanmaßung), und es geht ihm nicht nur darum, den Berechtigten durch Entzug der Sache zu schädigen (Abgrenzung zur Sachbeschädigung und zur straflosen Sachentziehung). - Streitig ist aber, ob das Objekt der Zueignung die Sache selbst oder der Sachwert ist. aa) Die Anhänger der sog. Sachsubstanztheorie (Substanztheorie) sehen - dem Wortlaut des Gesetzes folgend - die weggenommene Sache als den Gegenstand der Zueignung an.34 bb) Die Vertreter der sog. Sachwerttheorie sehen den Sachwert als Objekt der Zueignung an. 35 S. 509 ff; OLG Koblenz NJW 1984 S. 2424; ACHENBACH Jura 1991 S. 225 f. - A.A. LG Saarbrücken NJW 1989 S. 2272. 34

BINDING B.T. I, S. 267 ff m.e.N.; GÖSSEL 140 Jahre GA-Festschrift, S. 39 ff; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 Rdn. 43 ff; OTTO Struktur, S. 167 ff m.e.N.; RÖHN Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Aufl. 1990, S. 341 ff; RUDOLPHI GA 1965 S. 38; WELZEL Lb., § 4 6 , 1; WOLFSLAST NStZ 1994 S. 542 ff, 544.

35

Dazu RGSt 57 S. 168; FRANK StGB, § 242 Anm. VII 2 a; LAMPE GA 1966 S. 241; SAUER GA 63 (1917) S. 284.

Die Vermögensentziehungsdelikte

154

Zur Verdeutlichung der Konsequenzen (im Anschluß an Lampe GA 1966 S. 230): A wirft die Sachen des E an einer bestimmten Stelle aus dem Zug auf den Bahndamm. Später veräußert er diese an D, der Zahlung gegen Mitteilung des Fundortes leistet. Sachsubstanztheorie: A hatte im Zeitpunkt der Veräußerung noch keinen Gewahrsam an den Sachen selbst begründet. War dem Berechtigten daher auch die Sachherrschaftsposition entzogen, so fehlte es doch an der Neubegründung einer umfassenden Sachherrschaftsposition durch A. Deshalb keine Zueignung der Sachen, daran ändert der "Verkauf nichts. Sachwerttheorie: Zueignung vollendet, indem A den Kaufpreis erhält. In diesem Augenblick überführte er den Sachwert in sein Vermögen.

cc) Die h.M. ist die sog. Vereinigungstheorie. Danach soll eine Zueignung dann gegeben sein, wenn der Täter die Sache selbst oder den in ihr verkörperten Wert in sein Vermögen überfuhrt. - Allerdings wird dieser Wert im Anschluß an BOCKELMANN36 enger interpretiert als von den Vertretern der Sachwerttheorie. Maßgeblich soll für die Zueignung nur der in der Sache selbst steckende Wert ("hierum ex re") sein, nicht aber die Möglichkeit, die Sache zur Erlangung anderer Werte einzusetzen ("lucrum ex negotio cum re"). 37 Es gäbe allerdings keinen Unterschied zwischen Sachsubstanz- und Sachwerttheorie, wenn als relevanter Sachwert allein der in der Sache verkörperte, von ihr vermittelte und von ihr nicht trennbare Wert angesehen würde, denn damit wäre die Einheit von Sache und Sachwert erhalten geblieben. Jede Ausdehnung des Wertgesichtspunktes über diese Grenze hinaus führt hingegen dazu, die Grenzen zwischen den Eigentumsdelikten, den Sachzueignungsdelikten und den allgemeinen Bereicherungsdelikten zu verwischen. Die Verschaffung irgendwelcher Teilwerte der Sache wird zwangsläufig zur Zueignimg der Sache. Auch Beschränkungen auf den "Zwecknutzen" (PAULUS) u.ä. helfen über diese mißliche Konsequenz nicht hinweg. - Es eröffnet sich die in keinem Fall mehr kriminalpolitisch erstrebenswerte Möglichkeit, bei der Kenntnisnahme vom Inhalt geheimer Papiere (neue Modelle, Rezepte, Konstruktionspläne) einen Diebstahl zu bejahen, wenn das Papier selbst seinem Eigentümer nur kurzfristig entzogen wird. Der Diebstahl als ein klar konturiertes Delikt gegen fremde Sachherrschaft ist dann zu einem farblosen und in seinen Grenzen dubiosen Bereicherungsdelikt geworden. Diese Mängel der Sachwerttheorie übernimmt die Vereinigungstheorie um den Preis einer rechtsstaatlich geradezu anrüchig austauschbaren Argumentation, denn sie bedient sich willkürlich der Sachsubstanz- und der Sachwerttheorie, ohne einen Oberbegriff der Sachsubstanz- und Sachwertzueignung zu bilden. Zwar mag es richtig sein, daß Sachwert- und Substanzzueignung die verschiedenen möglichen Eigentumsverletzungen erfassen. Im dogmatischen Ausgangspunkt schließen sie einander jedoch aus.38 Auch die Betonung, daß der Sachwerttheorie innerhalb der Vereinigungstheorie nur subsidiäre Bedeutung zukommt39, ändert daran nichts.

36

ZStW 65 (1953) S. 575 ff.

37

Dazu BGHSt 4 S. 238; 19 S. 388; BGH NJW 1985 S. 812; DREHER/TRÖNDLE § 242 Rdn. 18; ESER JuS 1964 S. 481; GRIBBOHM NJW 1968 S. 1270; KREY B.T.2, Rdn. 51 ff; LACKNER StGB, § 242

Rdn. 22; PAULUS Der strafrechtliche Begriff der Sachzueignung, 1968, S. 220; Rus LK, 11. Aufl.,

§ 2 4 2 R d n . 49; SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 47; TENCKHOFF JuS 1980 S. 725; ULSENHEIMER Jura 1979 S. 178; WESSELS NJW 1965 S. 1153.

38

Dazu auch: OTTO JuS 1980 S. 491; DERS. Struktur, S. 169 ff; RUDOLPHI GA 1965 S. 33.

39

Vgl. z.B. KREY B . T . 2 , Rdn. 51; TENCKHOFF JuS 1980 S. 725; ULSENHEIMER Jura 1979 S. 175.

§ 40 Diebstahl

155

MAIWALD, Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970, S. 79: "Als Ergebnis der Betrachtung der Vereinigungslehren bleibt demgemäß der Befund, daß sie auch in ihrer heutigen Form Sachwert- und Sachsubstanztheorie jeweils nur zur kriminalpolitisch erwünschten Lückenschließung benutzen, daß sie aber beide Theorien nicht als Ausprägung eines Prinzips rechtfertigen, mit dem das Wesen der Zueignung gekennzeichnet werden könnte. Sachwert- und Sachsubstanztheorie kommen in Einzelfällen aufgrund ihrer methodisch verschiedenen Ausgangspunkte zu verschiedenen Ergebnissen. Wird behauptet, Zueignung sei Zuführung des wirtschaftliches Wertes einer Sache oder Anmaßung des Eigentums an der Substanz, so befindet man sich in der Situation des Schuljungen, der Äpfel und Birnen addiert: Der Zueignungsbegriff, der damit zustande kommt, ist ein unverbundenes Nebeneinander zweier nicht vergleichbarer Größen."

Soll der erklärte Wille des Gesetzgebers, "eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich ... zuzueignen" nicht umgangen werden, indem Wegnahme- und Zueignungsobjekt in verschiedenen Objekten gesehen werden, so ist an der Sachsubstanztheorie nicht vorbeizukommen. b) Die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffes Gemeinhin werden zwei Elemente als konstitutiv für den Zueignungsbegriff angesehen: die auf Dauer angelegte Enteignung des Berechtigten und die zumindest zeitweise Aneignung des Diebstahlsobjekts durch den Täter. Innerhalb der "Aneignimg" wird sodann mehr oder minder deutlich darauf hingewiesen, daß es dem Täter auch darum gehen muß, "Vorteile" aus der Tat zu ziehen. Diese Verquickung verschiedener Probleme begünstigt Mißverständnisse. Als Elemente des Zueignungsbegriffes sind vielmehr zu unterscheiden: aa) Die Enteignung des Berechtigten, das ist Entziehung der Sachherrschaft des Berechtigten. - Dieser entspricht gleichsam spiegelbildlich: bb) Die Aneignung durch den Täter, d.h. die Begründung einer Eigenbesitzerposition durch den Täter. cc) Darüber hinaus ist erforderlich die Absicht des Täters, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftliche Nutzung heißt allerdings nicht nur Nutzung im Wirtschaftsverkehr, sondern Gebrauchen, Verbrauchen, in Besitz haben u.ä. Hingegen ist die bloße Absicht, einem anderen die Sache zu entziehen, sei es tun ihn zu schädigen oder um ihn zu ärgern, nicht wirtschaftliche Nutzung der Sache.

Ein zeitliches Element - Entziehung der Sachherrschaft auf Dauer o.a. - ist dem Zueignungsbegriff hingegen nicht wesentlich. Nicht die Dauer des Gebrauchs ist ein brauchbares Abgrenzungskriterium zur straflosen Gebrauchsanmaßung, sondern allein die Art und Weise des Gebrauchs: Solange sich der Täter in der Rolle eines Fremdbesitzers sieht und hält, fehlt es an einer Zueignung. Der Täter maßt sich rechtswidrig den Gebrauch einer fremden Sache an. Hat der Täter jedoch gezeigt, daß er sich selbst in der Position des umfassend bestimmenden Sachherrn sieht, so hat er sich die Sache zugeeignet. Demgegenüber fordert die h.M., daß die Enteignung "auf Dauer angelegt sein muß'.^O In der Lösung problematischer Fälle mißt jedoch auch die h.M. dem Dauerelement keine Bedeutung zu. Betont wird dann nämlich, daß auf Dauer nicht unbedingt endgültig'" bzw. für immer^ heißen müsse oder das Dauer40

Vgl. BGHSt 22 S. 46; DREHER/TRÖNDLB § 242 Rdn. 19; GROPP JR 1985 S. 519; LACKNER StGB, § 2 4 2 Rdn. 25; Rus LK, 11. Aufl., § 2 4 2 Rdn. 51; SCHMIDHÄUSER Bruns-Festschrift, S. 350 f;

41

TENCKHOFF JuS 1980 S. 724.

42

BGH MDR 1985 S. 156 f.

SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 51; SEELMANN JUS 1985 S. 455.

156

Die Vermögensentziehungsdelikte schon dann bejaht, wenn der Berechtigte nicht mehr im eigenen Namen über die Sache ver-

Zueignung ist danach ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, daß er den Berechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirtschaftlich nutzen will. c) Zur Einübung: Enteignimg des Berechtigten - Aneignung durch den Täter aa) OLG Celle JR 1967 S. 3S9 44 : A nimmt im Warenhaus des B ein Taschenbuch mit, liest es durch und bringt es am nächsten Tag zurück. OLG: A hat sich das Buch zugeeignet. - Die Entscheidung erscheint bei einem Taschenbuch vertretbar, weil dieses in der Regel beim Durchlesen so viel Schaden nimmt, daß es nicht mehr als neues Verkaufsobjekt angesehen werden kann und daher wegen Funktionsverlustes bei wertender Betrachtungsweise als eine qualitativ andere Sache erscheint. - Im Falle eines gebundenen Buches, das vorsichtig behandelt wird, wäre der Entscheidung hingegen kaum zu folgen, denn auch durch das Blättern und Anlesen einzelner Teile verliert dieses Buch noch nicht seine Eigenschaft als V e r k a u f s o b j e k t . bb) BGHSt 35 S. 152: A entwendete dem B dessen eurocheque-Karte. Mit Hilfe dieser Karte und der ihr bekannten Geheimnummer will sie sich aus einem Geldautomaten Geld verschaffen. BGH: Die Wegnahme einer codierten eurocheque-Karte in der Absicht, sich unbefugt durch ihre Benutzung und die Eingabe der zugehörigen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten zu verschaffen und sie sodann dem Berechtigten zurückzugeben, ist eine straflose Gebrauchsentwendung (furtum usus). - Dem ist zuzustimmen, denn in der Scheckkaite wird nur der Sachwert der Karte selbst verkörpert, nicht aber die mit Hilfe der Karte und der Geheimnummer zu erlangende Geldsumme.^ cc) A entwendet dem B das Sparbuch, das ein Guthaben von DM 3000,- ausweist. A hebt DM 1000,- ab und verbraucht das Geld. Das Buch schickt er sodann - wie geplant - an B zurück. Ergebnis: Die Anhänger der Sachwert- und der Vereinigungstheorie bejahen hier eine Wegnahme des Buches in der Absicht der Zueignung.^' Dem kann nicht gefolgt werden: Mit der Wegnahme eines Legitimationspapieres verschafft sich der Täter zwar einen Vermögenswert. Dieser beruht auf der Möglichkeit, sich als Inhaber bestimmter Rechte zu legitimieren. Inhaber des Rechts oder eines Weites, der dem des im Papier ausgewiesenen Rechts entspricht, wild der Täter mit der Wegnahme nicht. Mit der Einziehung des Rechts realisiert der Täter nicht den in dem Papier verkörperten Wert, vielmehr verschafft er sich dabei mit Hilfe des Papiers einen anderen Wert, der auf dem Legitimationswert beruht, mit diesem jedoch nicht identisch ist. - Genausowenig wie in der Wegnahme eines Ausweises, mit dem sich der Täter als Berechtigter zur Abholung einer Sache ausweisen w ü P ° , eine Zueignung dieses Ausweises zu sehen ist, liegt in der Zueignimg eines Legitimationspapieres eine Zueignung des in dem Papier ausgewiesenen Geldbetrages. dd) BGHSt 19 S. 387: Der wehrpflichtige A merkt eines Tages, daß sein Uniformkoppel weg ist. Nachts bricht er den Schrank des B auf und nimmt dessen Koppel an sich, um dieses 3 Monate später bei der Entlassung als das ihm übergebene zurückzugeben. 43

RANFT JA 1984 S. 284.

44

Mit ANM. DEUBNER N J W 1967 S. 1921 und ANDROULAHS JUS 1968 S. 40.

45

Dazu ESERIV, Nr. 3 A 31 ff; GRIBBOHM NJW 1968 S. 1270; LACKNER StGB, § 242 Rdn. 24; OTTO

46

So auch: BayObLG NJW 1987 S. 663; OLG Hamburg NJW 1987 S. 336; EHRLICHER Bankautomatenmißbrauch, S. 39 f; HUFF NStZ 1985 S. 438 f; KREY B.T.2, Rdn. 513; LACKNER StGB,

Struktur, S. 181 f; SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 51; SCHRÖDER JR 1967 S. 390 ff.

§ 2 4 2 Rdn. 23; LENCKNER/WINKELBAUER wistra 1984 S. 85; OTTO JR 1987 S. 221; SCHMTIT/

EHRLICHER JZ 1988 S. 364; STEINHILPER Jura 1983 S. 408 ff. - A.A. OLG Düsseldorf NStE Nr. 14 zu § 242 StGB; SCHROTH NJW 1981 S. 729; SEELMANN JuS 1985 S. 289.

47

Dazu BGHSt 35 S. 157; FRANK StGB, § 242 Anm. VII 2 a; Ruß LK, 11. Aufl., § 242 Rdn. 54. Vom Standpunkt der Sachsubstanztheorie bejahen die Zueignung gleichfalls: RUDOLPHI GA 1965 S. 5 3 f; WELZEL L b . , § 46, 2 a.

48

Vgl. OLG Hamm JMB1NRW 1953 S. 153: Zechenausweis.

§ 40 Diebstahl

157

BGH: Keine Zueignung des Koppels, denn die Sachherrschaftsstellung des Eigentümers (Militärfiskus) wollte A sich nicht anmaßen. Diesem gegenüber wollte er stets Fremdbesitzer sein.'*" ee) RGSt 57 S. 199: Der A ist Lagerarbeiter auf dem Getreidespeicher des G. Dort entwendet er Getreide, füllt es in Sacke und bringt es zu B. B veräußert, wie verabredet, das Getreide wiederum an G. Den Erlös teilen A und B. RG (unter Anwendung der Sachwerttheorie): Zueignung des Getreides durch A liegt vor. - Auch vom Boden der Sachsubstanztheorie ist dem zuzustimmen, wenn A die Veräußerung an den EigentOmer als eine von mehreren relevanten Nutzungsmöglichkeiten des Getreides sah, selbst wenn der Verkauf an den Eigentümer in erster Linie ins Auge gefaßt war. - Anders hingegen, wenn ausschließlich der Verkauf an den Eigentümer geplant war und etwa bei Verhinderung dieses Verkaufs die Sache dem Eigentümer auch ohne Entgelt wieder zur Verfügung gestellt werden sollte. Dann käme nur ein Betrug in Betracht.'" ff) BGH NJW 1982 S. 2265 5 1 : A nahm den Fernseher des H, der ihm DM 900,- schuldete, eigenmächtig an sich und ließ den H wissen, daß er diesen verkaufen werde, wenn H nicht bis zu einem bestimmten Termin seine Schulden zahlen würde. BGH: Keine Zueignung des Fernseheis durch A. gg) BGH: MDR 1985 S. 155: B, die Geliebte des A, hatte diesen verlassen und befand sich mit L auf Ibiza. Um B und L zu trennen und B zu bestrafen, beschloß A, sich in den Besitz ihrer Habe zu setzen, insbesondere ihrer Kleidung, ihrer Personalpapiere und ihrer finanziellen Mittel. A hatte vor, der B die ihr gehörenden Gegenstände "möglicherweise" zurückzugeben, wenn sie nämlich zu ihm zurückkehren sollte. In Ausführung dieses Plans brach A mit einem Komplizen in das Appartement von B und L ein. Sie räumten dieses aus und brachten die Sachen über Barcelona nach Deutschland. B, die sich alsbald mit A versöhnte, erhielt einen Teil ihrer Sachen später zurück. BGH: A handelte in Zueignungsabsicht bzgl. aller Sachen: "Durch den Abtransport erlangte er, wie von ihm erstrebt, den unmittelbaren, seinem Vermögen zurechenbaren Besitz an den Sachen und dadurch in tatsächlicher Hinsicht zugleich eine dem Eigentum vergleichbare Sachherrschaft. Diese Position entzog er den Geschädigten endgültig, wenn auch hinsichtlich eines Teiles der Beute unter dem Vorbehalt späterer Wiedergutmachung ... Daß es dem Täter in einem solchen Fall nicht gerade darauf ankommt, den Berechtigten die Sache für immer vorzuenthalten, ist unter diesen Umständen nicht entscheidend." Dem ist zuzustimmen, denn in der Tat kommt es nicht darauf an, ob der Täter dem Opfer die Sache "für immer", "auf Dauer" oder sonst eine bestimmte Zeit entziehen will, sondern ob er sich eine Eigenbesitzerstellung über die Sachen verschaffen will. Diese Position wollte A aber erlangen, und er hat sie auch erlangt.

d) Zur Einübung: Wirtschaftliche Nutzung aa) BGH wistra 1988 S. 186: Der A brachte den Hund der P an sich, um ihn ins Tierheim zu bringen, weil er beobachtet hatte, daß P den Hund wiederholt gequält hatte. BGH: Keine Zueignungsabsicht des A, denn er handelte nicht, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen." bb) BGH StV 1987 S. 245: A wollte den B um Geld bestehlen, das er im Jackett des B vermutete. Er nahm das Jackett an sich und lief fort. An sicherem Ort durchsuchte er das Jackett. Da kein Geld darin enthalten war, warf er das Jackett fort.

49

Dazu auch: OLG Frankfurt NJW 1962 S. 1879; OLG Celle NdsRpfl 1964 S. 230; OLG Hamm NJW 1964 S. 1427; OLG Stuttgart NJW 1979 S. 277; ESER JuS 1964 S. 477; OTTO Struktur, S. 195; TENCKHOFF J u s 1980 S. 723; WESSELS JZ 1965 S. 631.

50

Zum Streitstand einerseits: BGHSt 24 S. 119; DREHER/TRÖNDLE § 242 Rdn. 19; KREY B.T.2, Rdn. 74; RUDOLPHI G A 1965 S. 43; WESSELS NJW 1965 S. 1156. - Andererseits: BOCKELMANN

B.T./l, § 3 II 2 b; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 111 ff; SCHRÖDER JR 1965 S. 27. 51

Mit Anm. BERNSMANN S. 2214 f. - Darüber hinaus vgl. auch BGH StV 1983 S. 329.

52

Zur Abgrenzung der wirtschaftlichen Nutzung von der Zerstörungsabsicht: BGH JR 1978 S. 171 f mit Anm. GEERDS S. 172 f, und LIEDER NJW 1977 S. 2272; OLG Düsseldorf NJW 1987 S. 2526 mit Anm. KELLER JR 1987 S. 521. - Darüberhinaus: BGH GA 1971 S. 114; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810.

Die Vermögensentziehungsdelikte

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BGH: Keine Zueignung des Jacketts, denn wenn es dem Täter allein auf den Inhalt eines Behältnisses ankommt, so will er sich das Behältnis nicht zueignen. Anders ist zu entscheiden, wenn es dem Täter darum geht, das Behältnis selbst zu nutzen, z.B. wenn er die Beute in einen Koffer des Opfers packt, um sie wegzutransportieren, auch wenn er beabsichtigt, den Koffer nach dem Transport fortzuwerfen.^

3. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen Der Täter eignet die Sache sich nicht nur zu, wenn er sie selbst benutzen oder verbrauchen will, sondern auch dann, wenn er über die Sache zum wirtschaftlichen Vorteil eines Dritten verfügen will. - Auch die Verfügung zum Vorteil Dritter ("Vermögensumverteilung") ist wirtschaftliche Nutzung einer Sache. - Allerdings setzt diese Verfügung des Täters voraus, daß er selbst zunächst - sei es auch nur kurzfristig - umfassende Sachherrschaft an der Sache erlangt hat. Die Rechtsprechung kommt bei der Zueignung an Dritte unter Anwendung der Sachwerttheorie zu einer Zueignung durch den Täter, wenn dieser von der Zuwendung einen Nutzen oder Vorteil im weitesten Sinne, und sei es auch nur mittelbar, hat. a) BGH 1 StR 73/78: K wollte sich in das Ausland absetzen. Ihm fehlten allerdings die Mittel dazu. Diese sollten durch einen Raub beschafft werden, an dem A mitwirkte, weil sie dem K zu der Reise verhelfen wollte. Das erbeutete Geld nahm K sofort an sich. BGH: Der Nutzen der A bestand darin, daß sie selbst wirtschaftlich nichts zu opfern brauchte, um das Ziel - Flucht des K -, an dem ihr viel gelegen war, zu erreichen. Das genügt zur Bejahung der Zueignungsabsicht.54 Dem ist jedenfalls dann nicht zuzustimmen, wenn A selbst zu keinem Zeitpunkt Mitherrschaft über die Beute erlangt hat oder erlangen sollte, bzw. ihr die Herrschaft der anderen nicht als Mittäterin zurechenbar wäre. Im übrigen steht diese Entscheidung nicht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH zum sog. absichtslos dolosen Werkzeug; vgl. sogleich Fall b). b) BGH bei Dallinger, MDR 1974 S. 724 f (vereinfacht): A wußte, daß H wertvolle Schmucksachen bei sich hatte. Er überredete den B, diese der H wegzunehmen und ihm gegen Zahlung von DM 500,- auszuhändigen. B lauerte der H auf, nahm ihr den Schmuck weg und überbrachte den Schmuck bald darauf dem A gegen die versprochene Summe. BGH: B hat sich den Schmuck nicht zugeeignet. Er war lediglich Werkzeug und Gehilfe beim Diebstahl des A, der sich den Schmuck zueignete, als B ihn an sich nahm. Diese Konstruktion^ beruht auf der Prämisse, daß B Werkzeug des mittelbaren Täters ist. B ist angeblich absichtslos doloses Werkzeug des A. Dem kann nicht gefolgt werden, denn eine Herrschafisposition des A über B, die die mittelbare Täterschaft voraussetzt^ liegt hier nicht vor. Der BGH erwähnt die Konstruktion in neueren Entscheidungen nicht mehr." - Um zu sachgerechten Ergebnisssen zu gelangen, bedarf es der Konstruktion aber überhaupt nicht. B entzog dem H die umfassende Sachherrschaftsposition und maßte sie sich selbst an. Dies geschah auch in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftlich nutzt der Täter das Tatobjekt nämlich nicht nur, wenn er es selbst benutzen oder verbrauchen will, sondern auch dann, wenn er durch Zueignung des Objekts an einen Dritten eine Vermögensumverteilung - sei es entgeltlich oder unentgeltlich - vornehmen will.^° c) Im Auslieferungslager der Firma X lädt der Lagerarbeiter A ohne Wissen des Kunden K zehn Zentner Kohlen auf den Wagen des K, statt der auf dem Lagerschein stehenden acht Zentner. 53 54 55

Eingehend OTTO Jura 1989 S. 143; RUE Pfeiffer-Festschrift, S. 61 ff. Vgl. auch BGHSt 17 S. 93; BGH StV 1986 S. 61; BGHSt 40 S. 20. Hierzu auch ESERIV, Nr. 4 A 14; LAMPE GA 1966 S. 240.

56

Vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 1 I V 3 f.

57

Vgl. BGH wistra 1987 S. 253 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 242/12.

58

Dazu auch: OTTO Struktur, S. 269 ff; ROXIN Tatherrschaft, S. 339 ff; RUDOLPHI GA 1965 S. 41, 51; TENCKHOFF JUS 1980 S. 726; WOLFSLAST NStZ 1994 S. 544.

§ 40 Diebstahl

159

Ergebnis: Da A niemals selbst umfassende Sachherrschaft über die Kohlen erlangt hat, hat er sie sich nicht zugeeignet. Hier liegt eine - straflose - Drittzueignung vor. d) RGSt 21 S. 110 einerseits, RGSt 47 S. 147 andererseits: A hatte dem K Bretter als eigene verkauft, die in Wirklichkeit dem X gehörten und in dessen Gewahrsam lagen. Er zeigte dem K die Bretter, und K holte die Bretter an einem der nächsten Tage ab. RGSt 21 S. 110: Keine Zueignung der Bretter durch A. Anders hingegen - unter Verwendung der Sachwerttheorie - RGSt 47 S. 147. - Auch nach der Sachsubstanztheorie_hat A sich die Bretter zugeeignet, und zwar als mittelbarer Täter mit Hilfe des gutgläubigen Werkzeugs K . ^

4. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen Die Absicht des Täters muß darauf gerichtet sein, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen, d.h. unter Umständen, die die Zueignung zu einer rechtswidrigen machen. Nun ist in Fällen, in denen der Täter einen Anspruch auf die weggenommene Sache hat - z.B. A hat von B ein Schmuckstück gekauft, B übereignet dieses aber nicht -, die eigenmächtige Wegnahme der Sache sicher rechtswidrig, soweit nicht das Selbsthilferecht nach § 229 BGB eingreift. Fraglich ist dennoch, ob diese "unerlaubte Selbsthilfe" den Täter bereits zum Täter eines Vermögensdelikts macht. Denn ausschließlich vermögensrechtlich, d.h. hier wirtschaftlich betrachtet, hat der Täter genau die Vermögenslage hergestellt, auf die er nach der Rechtslage einen Anspruch hatte, auch wenn der Weg rechtswidrig war. Vorzuwerfen ist diesem Täter daher die Art seines Vorgehens, die eingetretene Vermögenslage kann hingegen nicht als rechtswidriger Zustand angesehen werden. Damit aber liegt der Vorwurf gegen den Täter nicht darin, durch Entziehung von Vermögen eine rechtswidrige Vermögenslage geschaffen, sondern darin, einen auch von der Rechtsordnung gewünschten Zustand auf einem von der Rechtsordnung nicht gebilligten Weg herbeigeführt zu haben. Derartige Verhaltensweisen waren im gemeinen Recht als "unerlaubte Selbsthilfe" unter Strafe gestellt. Der Gesetzgeber des Reichsstrafgesetzbuches hielt einen eigenen Tatbestand nicht mehr für sinnvoll, da im Falle gravierender Rechtsverletzungen die §§ 123, 240, 223 hinreichenden Rechtsschutz gewährten. - An dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers ist auch heute noch festzuhalten: die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist streng von der angestrebten Vermögenslage her zu bestimmen, die Art und Weise des Vorgehens selbst bleibt bei diesem Wertungsvorgang unbeachtet. Die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung ist damit ein unmittelbar auf die Zueignung und damit ausschließlich auf die erstrebte Vermögenslage bezogenes Tatbestandsmerkmal-60 a) Die Rechtswidrigkeit der Zueignung entfällt demgemäß nach h.M., wenn der Täter einen fälligen Anspruch auf Übereignung der weggenommenen Sache hat (Speziesschuld). RGSt 64 S. 210: A hatte vom Forstamt bestimmte Eichenstämme gekauft. Zwei Raten hatte er bezahlt, mit dem Restkaufpreis aufgerechnet, als er die Stämme abfahren ließ, ohne daß diese ihm zuvor vom Forstamt abereignet worden waren. RGSt 64 S. 213: A eignet sich die Stämme nicht rechtswidrig zu, sondern verwirklicht lediglich seinen Rechtsanspruch auf Übereignung der Stämme. "Die Rechtswidrigkeit in diesem Sinne muß in einem vom 59 60

Eingehender dazu OTTO Struktur, S. 268 f. So auch: BGH GA 1962 S. 144 f; BGH GA 1968 S. 121; BGH wistra 1987 S. 136; BGH StV 1988 S. 529; DREHER/TRÖNDLE § 242 Rdn. 21; ESER IV, Nr. 4 A 17 ff; KREY B . T . 2 , R d n . 92; LACKNER

StGB, §242 Rdn. 27 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, §33 Rdn. 56; OTTO Struktur, S. 212 f; Ruß LK, 11. Aufl., § 242 Rdn. 68; SCHMIDHÄUSER Bruns-Festschrift, S. 359; WARDA Jura 1979 S. 77. - A . A . HIRSCH J Z 1963 S. 149; WELZELLb., § 47, 3.

160

Die Vermögensentziehungsdelikte

Recht mißbilligten Widerspruch gerade zu dem Eigentumsrechte des Verletzten (mit der rechtlichen Eigentumsordnung) stehen. Hat der Wegnehmende aber einen fälligen und unbeschränkten Anspruch auf Ubereignung einer bestimmten Sache, so schafft die Verwirklichung dieses Anspruchs durch Wegnahme und Aneignung der Sache - anders als wenn die Wegnahme einer Sache zu dem Zwecke erfolgt, sich damit wegen einer Geldforderung bezahlt zu machen - nur den vom Rechte gewollten Zustand. Darauf, ob der Täter dabei in berechtigter Selbsthilfe handelt, kommt es nicht an, da der Mangel des Rechts zur Selbsthilfe nur die Besitzentziehung, nicht aber die dem Recht gerade entsprechende Zueignung rechtswidrig machen kann."

b) Gleichfalls fehlt es an der Absicht rechtswidriger Zueignung, wenn der Täter überzeugt ist, einen Anspruch auf die konkrete Sache zu haben, der in Wirklichkeit nicht besteht. Das folgt daraus, daß es sich bei der Absicht rechtswidriger Zueignung um ein subjektives Tatbestandsmerkmal handelt.61 c) Bei Sachen, die der Gattung nach geschuldet werden, soll hingegen nach h.M. die Zueignung der geschuldeten Menge rechtswidrig sein, da der Anspruch des Täters nicht auf die konkret weggenommene Gattungssache geht. - Diese Unterscheidung ist aber dann, wenn der Sachverhalt von seiner vermögensrechtlichen, wirtschaftlichen Seite her gesehen wird, sachwidrig, denn ein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache wird auch hier nicht verletzt. Bei der Gattungsschuld kann das Wahlrecht nur deshalb vom Gesetzgeber dem Schuldner überlassen bleiben, weil der Gesetzgeber nicht bereit ist, einen relevanten wirtschaftlichen Unterschied zwischen den einzelnen Stücken anzuerkennen. Im übrigen aber spielt diese Schuld heute im Wirtschaftsleben eine Rolle bei industriellen Serienprodukten und beschränkten Vorratsschulden. Hier ist es offensichtlich, daß das Wahlrecht dem Schuldner keine wirtschaftlichen Vorteile zu bringen vermag. - Dann aber ist es nur konsequent und sachgerecht, die Rechtswidrigkeit der Zueignung immer dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig, ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld. In dieser Situation wird kein wirtschaflliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache verletzt. Fall: A hat bei B 10 Zentner Koks einer bestimmten Größenordnung gekauft und bezahlt. Trotz Mahnung liefert B nicht. Eines Nachts erscheint A und entwendet 10 Zentner Koks der vereinbarten Sorte. Dem B teilt er mit, daß die Angelegenheit erledigt sei. Ergebnis: Die h.M. würde hier eine rechtswidrige Zueignung bejahen und allenfalls einen Tatbestandsirrtum zugestehen, falls A der Unterschied zwischen Gattungs- und Speziesschuld unbekannt war. Nach der hier vertretenen Auffassung fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung.

d) Ist eine bestimmte Geldsumme Gegenstand der Schuld, so wird auch von Anhängern der h.M. zum Teil versucht, die mißlichen Konsequenzen der Bejahimg der rechtswidrigen Zueignung zu vermeiden, wenn der Gläubiger sich die entsprechende Summe mit rechtswidrigen Mitteln zueignet. Argumentiert wird, der Geldschuldner schulde keine Sache, sondern eine Geldsumme. Werde ihm daher die geschuldete Summe weggenommen, so werde ihm entzogen, was er schulde.62 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, denn wird Geld nicht als Sache, sondern als eine von einer Sache verschiedene Summe geschuldet, so fällt die Wegnahme von Geld nicht unter den Tatbestand des § 242. 61 62

Dazu GRIBBOHM NJW 1968 S. 240 f; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 1S9 ff; DERS. ZStW 91

(1979) S. 955; OTTO Struktur, S. 212.

Vgl. dazu HEUBEL JUS 1984 S. 450; ROXIN H. Mayer-Festschrift, S. 467 ff; SCH/SCH/ESER § 242

Rdn. 59.

§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls

161

BGHSt 17 S. 88: Der G schuldete dem A noch mindestens DM 20,-. Eines Tages traf A den G auf der Straße. Er forderte ihn mit den Worten: "Moos raus", zur Bezahlung seiner Zechschulden auf. G wandte sich jedoch zum Weitergehen. A hielt den G fest, durchsuchte die Taschen G's und fand darin einen Zehnmarkschein und einen Fünfmarkschein. Beide "ahm er ihm weg. BGH: Zueignung rechtswidrig, da A keinen Anspruch auf die konkret weggenommenen Geldscheine hatte. Wenn A sein Verhalten für erlaubt hielt, so kann dies ein Tatbestandsirrtum gewesen sein, wenn A davon ausging, er hätte einen Anspruch auf die konkret vorgefundenen Geldscheine.

Nach der hier vertretenen Ansicht fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung. Diese ist stets dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld, wenn in dieser Situation kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Leistung besteht.63 In einer neuen Entscheidung geht auch der BGH davon aus, daß ein "Tatbestandsirrtum hinsichtlich der erstrebten Zueignung" vorliege, wenn der Täter "an einen Zahlungsanspruch gegen den geschädigten Zeugen glaubte".64 - Fraglich aber ist, ob dieses wirklich eine Abkehr von einer überkommenen Rechtsprechung ist oder nur eine ungenaue Formulierung.

§ 41: Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 1. Die Rechtsnatur des § 243 Abs. 1 § 243 Abs. 1 eröffnet für bestimmte Diebstahlsfälle die Möglichkeit der Anwendung eines höheren Strafrahmens. Es handelt sich um Strafzumessungsgründe, und zwar um Erschwerungsgründe in Form von Regelbeispielen und nicht um Qualifikationsmerkmale, denn sie enthalten keine zwingende und abschließende Regelung.65 Das bedeutet: Trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ist der Richter nicht gezwungen, den Strafrahmen des § 243 anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigimg der Tat erhebliche, für den Täter günstige Gesichtspunkte in den Vordergrund treten läßt. Wird jedoch bei Vorliegen eines Regelbeispiels der Strafrahmen des § 243 herangezogen, so bedarf dies keiner besonderen Begründung. Darüber hinaus kann der Richter nach h.M. auf den Strafrahmen des § 243 zurückgreifen, wenn zwar kein Regelbeispiel gegeben ist, aber "das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist".66 - Mit der Forderung nach dieser Gesamtwertung wird der Versuch des Gesetzgebers, durch Regelbeispiele einen bestimmten Unrechtstypus zu beschreiben, und zwar nicht abschließend, wohl aber typisierend beispielhaft, und dadurch die unbenannten Strafänderungsgründe stärker zu konkretisieren, zunichte gemacht.

63

V g l . auch: GRIBBOHM N J W 1968 S. 2 4 0 f ; KREY B . T . 2 , R d n . 9 8 ; MAIWALD Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S. 9 5 5 ; OTTO J Z 1993 S. 564; R U B L K , 11. A u f l . , § 2 4 2 R d n . 6 9 ; SCHMIDHÄUSERB.T., 8 / 2 6 .

64

Vgl. BGH StV 1994 S. 128.

65

H . M . - A.A. qualifizierte Tatbestandsmerkmale: CALLIES JZ 1975 S. 112 ff; JAKOBS A . T . , 6/99.

66

BGHSt 29 S. 322.

162

Die Vermögensentziehungsdelikte

Aufgrund einer solchen Gesamtbewertung kann der Strafrahmen des § 243 eröffnet sein bei Anwendung von List durch den Täter, bei einem Vertrauensbruch durch den Täter, bei Anrichtung eines besonders großen Schadens und dann, wenn der Täter seine Stellung als Beamter ausnutzt."'

2. § 243 Abs. 1: Die einzelnen Regelbeispiele: a) § 243 Abs. 1 Nr. 1: Einbruchs- und Nachschlüsseldiebstahl aa) Die einzelnen Merkmale des Beispiels: Oberbegriff der geschützten Räumlichkeiten ist der umschlossene Raum, das ist ein Raumgebilde, das - mindestens auch - dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden und das mit - mindestens teilweise künstlichen - Vorrichtungen umgeben ist, die das Eindringen von Unbefugten abwehren sollen.68 Beispiele: Wohnwagen, Wohnschiffe, abgetrennte Abteilungen eines Gebäudes (BGHSt 1 S. 158 ff); umzäunte Friedhöfe bei Nacht (BGH NJW 1954 S. 1897); von Gartenhecke oder Umzäunung, die Unbefugte fernhalten soll, umgebenes Grundstack (BGH NStZ 1983 S. 168; BGH StV 1984 S. 204); Untergrundbahnhöfe (OGHSt 3 S. 113 f); Bahnhofshallen mit durchgehenden Gleisen (RGSt 55 S. 154). Nicht hingegen: Öffentliche Fernsprechzellen (OLG Hamburg NJW 1962 S. 1453), umzäunte Viehweide, da Zaun in erster Linie ein Ausbrechen des Viehs verhindern soll (OLG Bremen JR 1951 S. 88).

Das Gebäude ist ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest - wenn auch nur durch die eigene Schwere - verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet und das Unbefugte abhalten soll. 69 Beispiele: Häuser, Baracken, Baubuden.

Wohnungen sind die der Unterkunft von Menschen dienenden Räume. - Dienst- oder Geschäftsräume sind die den Dienst- oder Geschäftszwecken dienenden Räume. Einbrechen ist jedes gewaltsame Öffnen der Umschließung eines Raumes von außen. Nicht erforderlich ist, daß der Täter in den Raum eintritt, um dann zu stehlen. Es genügt, daß der Täter in den Raum hineinlangt, um zu stehlen, oder einen umschlossenen Raum (z.B. Pkw) aufbricht, um ihn wegzunehmen. Einsteigen ist das Betreten eines Raumes auf nicht ordnungsgemäßem Wege. Der Täter muß nicht mit dem ganzen Körper eingedrungen sein, es genügt, daß er sich innerhalb des geschützten Raumes einen festen Stützpunkt verschafft hat. 70 Beispiele: Durchzwängen durch Läftungsschacht, Übersteigen einer Umfriedung, Einsteigen durch ein Fenster, selbst wenn dies auch vom Berechtigten als Zugang benutzt wird, weil die Tür kaputt ist (RGSt 59 S. 171). - Durchzwängen oder Durchkriechen durch eine Hecke (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810).

Falscher Schlüssel ist jeder Schlüssel, der vom Berechtigten nicht oder nicht mehr zur Öffnung des Verschlusses bestimmt ist. 71 Der bloße Verlust macht den richtigen Schlüssel noch nicht zum "falschen". Er wird es erst dadurch, daß ihm der Berechtigte die Bestimmung zur ordnungsgemäßen Öffnung entzieht. - Dies kann konkludent geschehen, z.B. durch Beschaffung eines neuen Schlüssels, kann aber auch bei Kenntnis des Diebstahls als Regelfall unterstellt werden.72 67

Vgl. dazu BGHSt 29 S. 322 mit Anm. BRUNS JR 1981 S. 335 f; Drehhr/TröNDLE § 243 Rdn. 37 ff.

68

BGHSt 1 S. 164.

69

BGHSt 1 S. 163.

70

OLG Hamm NJW 1960 S. 1359.

71

Vgl. BGH StV 1993 S. 422.

72

BGHSt 21 S. 190.

§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls

163

Andere zur ordnungsgemcißen Öffnung nicht bestimmte Werkzeuge sind Geräte, die ordnungswidrig auf den Mechanismus des Schlosses wirken. Beispiele: Dietrich, Haken u.ä. - Nicht hingegen: Brechstange, da sie gewaltsam das SchloB sprengt.

Sich verborgen halten ist ein Aufhalten unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen gegen Entdeckung zum Zwecke der Tatausführung. Gleichgültig ist, ob der Täter legal oder illegal in die Räume gelangt ist; maßgeblich ist allein, daß sein Aufenthalt zur Tatzeit rechtswidrig ist. Beispiel: Der Kunde K versteckt sich unter einem Tisch im Warenhaus und läßt sich nach Geschäfts Schluß einschließen, um nachts in aller Ruhe zu stehlen.

bb) Der Täter muß bei der Überwindung der Gewahrsamssicherung zur Ausßhrung der Tat gehandelt haben. - Ein nachträglicher Entschluß, einen Diebstahl zu begehen, genügt nicht. Fall: A steigt in das Haus des B ein, um diesen zu verprügeln. Als er sieht, daB B abwesend ist, entwendet er ein Gemälde. Ergebnis: § 243 Abs. 1 Nr. 1 findet keine Anwendung.

cc) Nicht erforderlich ist es, daß aus dem Raum, in den der Täter eingedrungen ist, gestohlen wird. Es genügt, daß er mit seiner Tathandlung eine Gewahrsamssicherung in bezug auf das Tatobjekt überwunden hat. Beispiele: Aufbrechen eines Pkw, um diesen zu stehlen; Einbruch in einen Raum, um aus diesem den Schlüssel für den Raum, aus dem gestohlen werden soll, zu holen.

dd) Nach h.M. soll auch derjenige, der an sich zum Aufenthalt in dem umschlossenen Raum oder Gebäude berechtigt ist, die Begehungsform der Nr. 1 verwirklichen können. 73 - Dem ist nicht zuzustimmen, wenn der Täter sich auch ohne weiteres den Zugang auf ordnungsgemäße Weise hätte verschaffen können. Denn dann dient "sein Einbruch" nicht der Uberwindung einer Gewahrsamsschranke, sondern allein zur Ablenkung des Verdachts. b) § 243 Abs. 1 Nr. 2: Diebstahl besonders gesicherter Sachen aa) Schutzvorrichtungen sind technisch geschaffene Einrichtungen, die dazu geeignet und bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Beispiele: Schlösser, insbes. Lenkrad- und Fahrradschlösser. - Str.: Geldherausgabevorrichtung eines Geldspielautomaten (vgl. BayObLG JR 1982, S. 292 mit ANM. MEURER S. 292 ff). Nicht hingegen: Sicherungsetikett im Kleidungsstück, da es die Ware nicht gegen den Gewahrsamsbruch, sondern gegen die Entfernung aus dem Laden sichert (OLG Frankfurt MDR 1993 S. 671). Die in Nr. 1 genannten Gewahrsamsvorrichtungen kommen als Schutzvorrichtungen der Nr. 2 nicht in Betracht. Insoweit ist Nr. 1 als Spezialfall der Nr. 2 anzusehen.

bb) Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen dienendes und sie umschließendes Raumgebilde, das nicht dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden.75 Beispiele: Schränke, Kassetten, Registrierkassen, Kofferraum eines Pkw. - Maßgeblich: die erhöhte Gewahrsamssicherung. - Kein Behältms in diesem Sinne daher: Briefumschlag, Hosentasche, o.ä. BGH NJW 1972 S. 167: A nahm einen Automaten ("Nußglocke") aus einer Gaststätte mit, um sich zu Hause in aller Ruhe das Geld aus diesem herauszuholen. Dies gelang auch.

73 74 75

Vgl. BGHSt 22 S. 127 mit abl. Anm. SÄCKER NJW 1968 S. 2116 f. Vgl. BayObLG JR 1973 S. 507 mit Anm. SCHRÖDER S. 507 f.

Vgl. BGHSt 1 S. 163.

164

Die Vermögensentziehungsdelikte

BGH: § 243 Abs. 1 Nr. 2 findet Anwendung. - Dagegen SCHRÖDER NJW 1972 S . 778 ff: Die den Gewahrsam des Berechtigten in erhöhtem Maße schützende Funktion ist inzwischen verlorengegangen. - Dem ist zuzustimmen: Im Machtbereich des Berechtigten war die Sicherung des Geldes durch die Umhüllung des Automaten eine besondere Gewahrsamssicherung, nicht aber außerhalb dieses Bereiches.

cc) Verschlossen ist das Behältnis, wenn sein Inhalt durch eine technische Schließvorrichtung oder auf andere Weise, z.B. durch Verschnüren, gegen den ordnungswidrigen Zugriff von außen gesichert ist. Nach dem Sinn der Vorschrift scheidet ein ordnungsgemäßes Öffnen als Straferhöhungsgrund aus. Das Regelbeispiel ist daher nicht erfüllt, wenn der im Behältnis steckende Schlüssel verwendet wird oder deijenige das Behältnis öffnet, der den Schlüssel befugterweise in Besitz hat. - Zweifelhaft beim Öffnen des Behältnisses durch "Geheimtaste".76 dd) Gegen Wegnähme besonders gesichert erfordert einen spezifischen Schutzzweck der Vorrichtung gegen Wegnahme der gesicherten Sache. OLG Hamm NJW 1978 S. 769: mit Klebestreifen verschlossene Kartons in mit Schnur verschlossenem Postsack.

c) § 243 Abs. 1 Nr. 3: Gewerbsmäßiger Diebstahl Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle verschaffen will.77 Diese Einstellung kann schon bei der 1. Tat vorliegen! d) § 243 Abs. 1 Nr. 4: Kirchendiebstahl Das Tatobjekt muß dem Gottesdienst gewidmet sein, wie z.B. der Altar, Kelche o.ä., oder der religiösen Verehrung dienen, wie z.B. Heiligenbilder, Votivtafeln o.ä. Nicht erfaßt sind Einrichtungsgegenstände, Gesangbücher usw. e) § 243 Abs. 1 Nr. 5: Diebstahl von Sachen mit kultureller Bedeutung Geschützt sind nur Gegenstände von Bedeutung fiir Wissenschaft, Kunst usw., d.h. Objekte, deren Verlust für die betroffenen Bereiche eine erhebliche Einbuße bedeutet. Allgemein zugänglich ist eine - öffentliche oder private - Sammlung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich ist. Die Erhebung eines Eintrittsgeldes steht der Öffentlichkeit nicht entgegen. - Öffentlich ausgestellt sind Sachen an allgemein zugänglichen Orten. f) § 243 Abs. 1 Nr. 6: Diebstahl unter Ausnutzung der Notlage anderer aa) Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer der Tat aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, sich gegen die seiner Sachherrschaft drohende Gefahr zu schützen. BayObLG JR 1973 S. 427 mit Anm. SCHRÖDER S. 427: A besuchte seinen blinden Arbeitskollegen B. Bei diesem Besuch entwendete er Geld, das auf einem Tischchen in der Wohnung des B lag. BayObLG: § 243 Abs. 1 Nr. 6 findet Anwendung.

Maßgeblich ist, ob der Täter eine Situation ausnutzt, in der das Opfer in erhöhtem Maß schutzwürdig ist. Dieses ist z.B. der Fall, wenn der Schlaf eines Kranken, nicht der Schlaf eines Gesunden zur Tat ausgenutzt wird.7®

76 77

Dazu AG Freiburg NJW 1994 S. 400. Dazu BGHSt 1 S. 383.

78

Vgl.

B G H NStZ 1 9 9 0 S. 3 8 8 ; RUB L K , § 2 4 3 SCH/SCH/ESER § 2 4 3 R d n . 4 0 .

Rdn.

3 2 . - A . A . DREHER/TRÖNDLE § 2 4 3

Rdn.

34;

§ 41 Schwere Fälle des Diebstatals

165

bb) Unglücksfall: Eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, da ihm sonst erhebliche Gefahr an Leib und Leben droht. Beispiele: Unfall im Betrieb, Haushalt oder Verkehr (BGHSt 11 S. 135)

cc) Ob das Opfer der Tat die Notlage verschuldet hat, ist gleichgültig.79 dd) Ausnutzen liegt vor, wenn der Täter die durch die Notlage geschaffene Gelegenheit zum Diebstahl nutzt. - Die Tat braucht sich dabei nicht gegen den in Not Geratenen zu richten, Tatopfer kann z.B. auch eine Person sein, die mit Hilfsmaßnahmen beschäftigt ist. g) § 243 Abs. 1 Nr. 7: Diebstahl von Feuerwaffen Mit der Kennzeichnung des Diebstahls der hier genannten Feuerwaffen als besonders schwerer Fall wollte der Gesetzgeber den Strafrechtsschutz im Vorfeld schwerer Gewaltdelikte verstärken. - Die Verallgemeinerung einer im Einzelfall durchaus möglichen Gefahr als strafschärfendes Merkmal ist jedoch wenig überzeugend. 3. Vorsatz und Irrtum im Rahmen des § 243 Abs. 1 a) Die in § 243 Abs. 1 beschriebenen straferhöhenden Umstände müssen vom Täter vorsätzlich bewirkt werden, d.h. er muß sich der objektiven Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts bewußt sein; § 16 analog. Beispiel: A öffnet die Wohnung des B, um dort zu stehlen, mit einem Schlüssel, von dem er meint, er gehöre dem B. In Wirklichkeit ist es nicht der Schlüssel des B, doch ist das Schloß derart ausgeleiert, daß es sich mühelos mit dem von A verwendeten Schlüssel öffnen läßt. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.

b) Der Irrtum des Täters, ein Regelbeispiel zu verwirklichen, ersetzt dessen Vorliegen nicht. Der Handlungsunwert allein eröffnet nicht den erweiterten Strafrahmen des § 243 Abs. 1. Beispiel: A findet vor der Haustür des B einen Dietrich. Er kommt auf die Idee, damit in das Haus des B einzudringen und zu stehlen. - So geschieht es auch. Den Dietrich hatte jedoch B verloren. Er diente ihm seit langem zur Öffnung der Tür. - Demnach war der Dietrich das zur ordnungsgemäßen Öffnung der Tür bestimmte Werkzeug. Dies allerdings wußte A nicht. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.

4. Versuch a) Versuch und Regelbeispiel Streitig ist die Frage, ob der Strafrahmen des § 243 Abs. 1 auch dann eröffnet ist, wenn der Diebstahl selbst im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Dabei ist zunächst danach zu unterscheiden, ob der Täter beim Versuch des Diebstahls das Regelbeispiel bereits verwirklicht hat oder nicht. BGH StV 1983 S. 103: A wollte mit zwei Komplizen aus dem Hause des X stehlen. Mit einem Hebelwerkzeug brachen die Täter das Vorhängeschloß einer Holztür-auf und gelangten auf diese Weise in das Gebäude. Zur Wegnahme von Sachen kam es allerdings nicht mehr, weil sie von der Polizei überrascht wurden. BGHSt 33 S. 370: A und B wollten in eine Gaststätte einbrechen. A stand Schmiere, während B versuchte, eines der Butzenfenster der Gaststätte mit Hilfe eines Schraubenziehers aus der Bleifassung zu stemmen. Als B die Bleifassung gerade erst gelockert hatte, erschien die Polizei.

79

H.M. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 Rdn. 100.

Die Vermögensentziehungsdelikte

166

Ist im Falle eines erfolglos gebliebenen Diebstahlsversuchs ein Regelbeispiel objektiv und subjektiv verwirklicht worden80, so bestehen keine Bedenken, die Regelwirkung durchgreifen zu lassen, so daß eine Bestrafung wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall, §§ 242, 22 in Verb, mit § 243 I S. 2 Nr. 1 erfolgt.81 In diesem Falle kann die Strafe analog §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 gemildert werden, denn eine direkte Anwendung des § 23 Abs. 2 kommt nicht in Betracht, da er sich nicht auf Regelfallbeispiele bezieht.82 Von der Indizwirkung des Regelbeispiels kann hingegen keine Rede sein, wenn das Regelbeispiel im Rahmen eines versuchten83 oder vollendeten Diebstahls zwar verwirklicht werden sollte, aber nicht verwirklicht worden ist. Da der Gesetzgeber sich nicht damit begnügt hat, die Indizwirkung bereits an die geplante Erfüllung des Regelbeispiels zu knüpfen, sondern diese Wirkung an die Verwirklichung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Regelbeispiels gebunden hat, wäre eine Ausdehnung des gesetzlichen Anwendungsbereichs nur über §§ 22, 23 möglich. Diesem Weg steht jedoch Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. § 23 knüpft unmittelbar an die Regelung des § 22 an, der nur auf gesetzliche Tatbestände bezogen ist, nicht aber auf Strafzumessungsgründe. Aus § 23 Abs. 1 und Abs. 2 ist daher einzig und allein zu entnehmen, daß bei einem Deliktsversuch der Strafrahmen desjenigen Tatbestandes für die Strafzumessung entscheidend ist, zu dessen Verwirklichung der Täter im Sinne des § 22 unmittelbar angesetzt hat. Zur Bedeutung außertatbestandlicher Umstände bei dem Versuch macht § 23 Abs. 1, 2 keine Aussage. Es gibt nach dem klar zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers keinen "Versuch eines Straferschwerungsgrundes". § 243 Abs. 1 wiederum ist deutlich zu entnehmen, welche Voraussetzungen - unabhängig von der Frage, ob ein Straferschwerungsgrund außerhalb der Regelbeispiele aufgrund der Gesamtwürdigung von Tat und Täter vorliegt - erfüllt sein müssen, damit der Strafrahmen des § 243 eröffnet ist. Hätte der Gesetzgeber sich hier mit einem Handlungsunwert begnügen wollen, so hätte er dieses zum Ausdruck bringen müssen. Aus der früheren Fassung des § 243 ist jedenfalls kein Gegenargument herzuleiten, denn in dieser Fassung enthielt § 243 qualifizierte Diebstahlsfälle, so daß die Versuchsregeln sich selbstverständlich auch auf § 243 erstreckten. Dieser Bezug ist durch die Umwandlung des § 243 in einen bloßen Strafzumessungsgrund aufgehoben worden. Nunmehr setzt die Anwendung des § 243 - soweit ein Regelbeispiel in Betracht kommt - voraus, daß dieses Beispiel subjektiv und objektiv erfüllt ist.84 80

Vgl. dazu BGH StV 1985 S. 103.

81

Vgl. z . B . : B G H StV 1985 S. 103; DREHER/TRÖNDLE § 46 R d n . 48; FABRY N J W 1986 S. 18; KRBY B . T . 2 , R d n . 109; LACKNER StGB, § 46 Rdn. 15; LAUBENTHAL J Z 1987 S. 1068 ff; RUB L K , § 243

Rdn. 36; SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 44; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 184 ff; WESSELS LacknerFestschrift, S. 430. - A . A . ARZT StV 1985 S. 105; CALLES J Z 1975 S. 112 ff.

82

Für die direkte Anwendung der §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1: BGH MDR 1986 S. 250; OLG Köln MDR 1973 S. 779; WESSELS Lackner-Festschrift, S. 430. - Gegen die Zulässigkeit der Strafmilderung:

83 84

Vgl. dazu BGHSt 33 S. 376. So auch: BayObLG NJW 1980 S. 2207; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 222; OLG Düsseldorf JZ 1984 S. 1000; BOCKELMANN B.T./l, § 3 IV 5; GEPPERT JK, StGB § 243/2; KADEL JR 1985 S. 386 f; KREY B.T.2, Rdn. 110; LACKNER StGB, § 46 Rdn. 15; LIEBEN NStZ 1984 S. 538 f; V. LÖBBECKE MDR 1973 S. 375; OTTO Jura 1989 S. 201 f; SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 44; R. SCHMITT TröndleFestschrift, S. 315; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 187 f; WESSELS Lackner-Festschrift, S. 433 ff;

DREHER/TRÖNDLE § 46 R d n . 48.

§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls

167

cc) Ist bei einem zur Vollendung gelangten Diebstahl die beabsichtigte Verwirklichung des Regelbeispiels im Versuchsstadium steckengeblieben, so ist gleichfalls der Strafrahmen des § 243 nicht eröffnet. 85 Beispiel: A, der versucht mit einem Brecheisen in das Haus des B zu gelangen, erkennt plötzlich, daß die TQr gar nicht abgeschlossen ist. Er betritt das Haus und entwendet eine Uhr. Ergebnis: Bestrafung nur nach § 242.

b) Problematik des Versuchsbeginns In der Regel wird eine unmittelbare Gefährdung des Gewahrsams an der für den Diebstahl in Aussicht genommenen Sache und damit ein Ansetzen zur Verwirklichung des Diebstahlstatbestandes schon mit der Erfüllung eines Regelbeispiels vorliegen. Das muß aber nicht zwingend der Fall sein, sondern ist jeweils im Einzelfall darzulegen. Ein unmittelbares Ansetzen trotz Verwirklichung des Regelbeispiels wird etwa dann nicht zu bejahen sein, wenn der Täter die Gewahrsamsschranke nur beseitigen und in einem späteren Zeitpunkt die Wegnahme verwirklichen will. 86 Beispiel: A zerstört mit einem Brecheisen den Schließmechanismus des Garagentors des B. In der nächsten Woche, wenn B einen neuen Wagen geliefert erhalten hat, will er diesen wegnehmen. Ergebnis: Sachbeschädigung vollendet, Diebstahl erst vorbereitet.

5. Konkurrenzen a) Hat der Täter mehrere Regelbeispiele des § 243 erfüllt, so liegt dennoch nur ein Diebstahl unter besonders schweren Umständen vor. b) Bei den Regelbeispielen "Einbrechen" und "Einsteigen" wird ein evtl. verübter Hausfriedensbruch oder eine Sachbeschädigung konsumiert, und zwar selbst dann, wenn der Diebstahl nur bis zum Versuch gediehen ist. Einer Verurteilung nach §§ 123, 303 bedarf es nicht, da der Unrechtsgehalt des Hausfriedensbruchs oder der Sachbeschädigung bereits in der Strafe gemäß § 243 berücksichtigt wird. 87 6. Urteilstenor In den Urteilstenor gehört die Kennzeichnung der Tat als "besonders schwerer Fall" nicht, denn dieser hat nur die rechtliche Bezeichnung der Tat anzugeben, § 260 Abs. 4 S. 1 StPO. Während der BGH jedoch im Falle der Verurteilung Jugendlicher die Anführung des "besonders schweren Falles" im Urteilstenor beanstandet, korrigiert er im Erwachsenenstrafrecht diesen auch dort für überflüssig gehaltenen Hinweis nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen.

DERS. B.T.-2, § 3 I 2. - A . A . BGHSt 33 S. 370; FABRY NJW 1986 S. 18 ff; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 33 Rdn. 107; SCHÄFER J R 1 9 8 6 S. 522 f; ZIPF JR 1981 S. 119 ff. 85

Vgl.: BayObLG JR 1981 S. 118; KÜPERJZ 1986 S. 525; STERNBERG-LJEBEN Jura 1986 S. 187 f.

86

Vgl. im einzelnen dazu ARZT JUS 1972 S. 517; KREY B . T . 2 , Rdn. 108; STREE Peters-Festschrift, S. 180 ff; WESSELS Maurach-Festschrift, S. 305 f.

87

Dazu K G JR 1979 S. 249 mit Anm. GEERDS S. 250 ff.

168

Die Vermögensentziehungsdelikte

II. § 243 Abs. 2: Ausschluß der Strafschärfung 1. Geringwertig a) § 243 Abs. 2 stellt eine unwiderlegbare Vermutung dafür auf, daß in den Fällen des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1-6 ein besonders schwerer Fall nicht vorliegt, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.88 Der Begriff scheint auf den Verkehrswert zu verweisen und wäre, so interpretiert, durchaus abgrenzbar. Allein diese Interpretation kann im Rahmen eines Delikts, das sogar Sachen ohne Handelswert schützt, nicht richtig sein, zumal wenn man der Ansicht folgt, daß das Unrecht der Wegnahme einer Sache ohne Verkehrswert durchaus größer sein kann als das der Wegnahme einer Sache von hohem Geldwert. Überdies kann z.B. in den Fällen des Abs. 1 Nr. 4 und 5 der Verkehrswert keine Rolle spielen, denn gerade die dort genannten Gegenstände können einen minimalen Verkehrs-, wohl aber einen hohen Gebrauchs- oder Affektionswert haben. Um aber überhaupt einmal einen Ausgangspunkt für die Argumentation zu gewinnen, ist vom Verkehrswert der Sache auszugehen. Erst wenn feststeht, daß die Sache keinen oder nur einen geringen Verkehrswert hat, ist zu fragen, ob sie unter sonstigen schutzwürdigen Aspekten als wertvoll für das Opfer angesehen werden kann. - Wann der Verkehrswert noch als geringwertig anzusehen ist, kann nicht ein für alle Mal bestimmt werden. Änderungen des Preisgefüges sind zu berücksichtigen. Geringwertig derzeit: Verkehrewert unter DM 50,

b) Entscheidend dafür, ob sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht, ist nicht müder objektive Wert der weggenommenen Sache - sonst wäre § 243 Abs. 1 z.B. stets ausgeschlossen, wenn der Täter nichts wegnimmt, weil er entgegen seiner Vorstellung nichts findet -, sondern auch die Vorstellung des Täters. Nur wenn die als Gegenstand des Diebstahls ins Auge gefaßte Sache objektiv geringwertig ist und der Täter auch von dem geringen Wert ausgeht, findet § 243 Abs. 2 Anwendung. Auf diese Weise kommt es zu einem vertretbaren Ausgleich zwischen den Interessen des Täters und denen des Geschädigten. Beispiel 1: A entwendet eine Vase, die er für geringwertig hält, die aber einen Wert von DM 1000,- hat. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein, denn objektiv war die Vase nicht geringwertig. Beispiel 2: A entwendet eine Vase, die er für hochwertig hält, die aber nur einen Wert von DM 2,- hat. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein.- Beachte: § 16 Abs. 2 kann keine Anwendung finden, da es sich bei § 243 Abs. 2 nicht um einen privilegierten Tatbestand handelt.'" Beispiel 3: BGH NStZ 1987 S. 71: A hatte die verschlossene Tür eines Kfz aufgebrochen, um Sachen zu stehlen. Er fand nur geringwertige Sachen. BGH: Die Tat bezog sich nicht auf eine geringwertige S a c h e t

88 89

Vgl. dazu KÜPER NJW 1994 S. 349 ff. Vgl. OLG Düsseldorf JZ 1987 S. 632.

90

A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 33 Rdn. 102.

91

Dazu auch: BGH NJW 197S S. 1286 mit abl. Anm. BRAUNSTEFFER S. 1S70 und mit zust. Anm. GRIBBOHM S. 2213.

§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls

169

c) Eine analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 auf §§ 244, 249, 250, 252 kommt wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht in Betracht.92 2. Fortgesetzte Handimg Bei einer fortgesetzten Handlung macht die h.M. die Anwendung des § 243 Abs. 2 vom Gesamtwert des tatsächlich Erlangten abhängig, nicht vom Wert der darüber hinaus erstrebten Beute.93 Das ist inkonsequent: Wird die fortgesetzte Tat als einheitliche Tat begriffen, dann bezieht sich die Tat nicht nur auf den schon verwirklichten Teil der Tat. Geringwertig kann das Tatobjekt daher nur sein, wenn das Objekt der gesamten ins Auge gefaßten fortgesetzten Tat noch geringwertig ist. Beispiel: A hat erkannt, daß er mit einem Dietrich den Keller seines aber den Winter verreisten Nachbarn in dem Mietshaus, in dem er wohnt, öfftien kann. Er beschließt, seinen täglichen Kohlenbedarf - 1 Eimer Kohlen - jeweils mit Hilfe des Dietrichs dem Keller des Nachbarn zu entnehmen, bis dessen Vorrat verbraucht ist. Am 3. Tag wird A gefaßt. Nach h.M. ist § 243 Abs. 2 anwendbar, weil die erlangte Menge noch als geringwertig anzusehen ist. - Nach der hier vertretenen Ansicht entfällt § 243 Abs. 2, da sich die Tat nicht auf eine geringwertige (Gesamt-) Menge bezog.

Auch nachdem der BGH grundsätzlich von der Konstruktion der fortgesetzten Handlung Abstand genommen hat94, ist die Problematik hier nicht erledigt, denn der "Diebstahl in Raten" - das von Anfang an ins Auge gefaßte Diebstahlsobjekt wird sukzessive entwendet - ist durchaus ein Fall, in dem die fortgesetzte Handlung zur "Erfassung des verwirklichten Unrechts und der Schuld" angemessen ist. Der BGH scheint jedoch einen anderen Weg einzuschlagen, indem er "bei sachlichem und situativem Zusammenhang zwischen den Taten" in einer niedrigen Erhöhung der Einsatzstrafe die Problemlösung findet.95 3. Mittäterschaft Bei Mittäterschaft kommt es auf den Wert der gesamten vom Diebstahl erfaßten Menge an, nicht auf den Anteil des einzelnen Täters. - Liegt der Schaden der mittäterschaftlich begangenen Tat nämlich über der Wertgrenze, so ist dies für das Opfer keine Bagatelle mehr. III. Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl, § 244 § 244 ist ein gegenüber § 242 qualifizierter Tatbestand: die qualifizierenden Merkmale sind abschließend aufgezählt. 1. § 244 Abs. 1 Nr. 1: Diebstahl mit Schußwaffen a) Schußwaffe ist ein Werkzeug, bei dem ein Geschoß - darunter sind nicht nur körperliche Gegenstände, sondern auch gasförmige oder flüssige Stoffe zu verstehen - aus einem Lauf abgefeuert wird und das geeignet ist, Menschen körperlich zu verletzen.

92

So auch: BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 543; SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 57. - A.A. BURKHARDT NJW 1975 S. 1687 f.

93

Vgl. SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 56.

94 95

Vgl. dazu BGHSt (Gr.S) NJW 1994 S. 1663. Vgl. BGH StV 1994 S. 370.

170

Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Ein am Tatort anwesender Tatbeteiligter muß die Schußwaffe bei sich geführt haben, d.h. er braucht die Waffe nicht in der Hand gehalten zu haben, sie muß ihm jedoch derart zur Verfügung gestanden haben, daß er sich ihrer jederzeit und ohne Schwierigkeiten bedienen konnte. Auch wenn es nicht notwendig ist, daß der Täter die Waffe während des gesamten tatbestandsmäßigen Geschehens bei sich führt, so muß sie ihm doch zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tatgeschehens - Versuch bis Vollendung - zur Verfügung stehen.96 Daß der Täter dem Opfer die Waffe vor Vollendung der Tat abgenommen hat, genügt.97 Zum Teil wird der Zeitpunkt der materiellen Beendigung als genügend angesehen, so daß es ausreichen kann, daß sich die Waffe in dem Fluchtfahrzeug befindet, mit dem der Täter die Beute in Sicherheit bringt. 9 " - Flieht der Täter allerdings ohne Beute, so ist die Tat in dem Moment vollendet und beendet, in dem sich der Täter zur Flucht wendet. 99

Erforderlich ist, daß der Täter die Schußwaffe bei sich hat und dieses weiß. Die Absicht, die Waffe evtl. beim Diebstahl zu benutzen, ist nicht erforderlich. Der Gesetzgeber hat damit die Konsequenz aus der Erkenntnis gezogen, daß auch der feste Entschluß, eine Schußwaffe nicht zu benutzen, keine sichere Hemmung bedeutet, wenn der Täter in einer für ihn überraschenden Situation keinen anderen Ausweg sieht als die Anwendung von Gewalt. Die Tatsache, daß der Täter die Waffe aus beruflichen Gründen (stets) bei sich führt, schließt die Anwendung des § 244 Abs. 1 Nr. 1 daher nicht aus. 100 Da das qualifizierende Element des Diebstahls in der Gefährlichkeit der Waffe liegt, muß diese als Schußwaffe einsatzfähig sein. Als Schußwaffen können auch Luftgewehre, Luftpistolen und Gaspistolen^ in Betracht kommen, bei Bolzenschußapparaten kommt es auf die Bauart an (OLG Hamm MDR 1975 S. 420), während Schreckschußpistolen nicht unter den Begriff der Schußwaffe fallen (BGH StV 1988 S. 429).

2. § 244 Abs. 1 Nr. 2: Diebstahl mit sonstigen Waffen Waffe (im technischen Sinne) oder sonst ein Werkzeug oder Mittel ist ein Gegenstand, der seiner Art nach geeignet ist, Widerstand durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden.

96

Vgl. hierzu auch: GEPPERT Jura 1992 S. 497; HRUSCHKA J Z 1969 S. 607 f f ; DERS. J Z 1983 S. 2 1 7 f; KÜHL JuS 1982 S. 191 f; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 394.

97

Vgl. B G H StV 1988 S. 4 2 9 mit Klarstellung SALGER StV 1989 S. 66, und A n m . SCHOLDERER StV

1988 S. 429 ff sowie StV 1989 S. 153; vgl. auch BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 720. BGHSt 20 S. 194, 197 mit Anm. WEBER JZ 1965 S. 417 f; HAFT JuS 1988 S. 367 ff; RUfl LK, § 244 Rdn. 5. 99 Vgl. dazu auch BGHSt 31 S. 105; BGH StV 1988 S. 429; SALGER StV 1989 S. 66. 100 So auch: BGHSt 30 S. 44 (Polizeibeamter im Dienst); OLG Köln NJW 1978 S. 652 f (bewaffneter

98

Wachsoldat); GEPPERT Jura 1992 S. 498; HETTINGER G A 1982 S. 525 f f ; KATZER N S t Z 1982 S. 2 3 6 ff; LACKNER StGB, § 244 R d n . 3; RUB LK, § 244 R d n . 5 ; SEELMANN J u S 1985 S. 4 5 7 ; WESSELS B . T . - 2 , R d n . 256. - A . A . HAFT JuS 1988 S. 364, 368; HRUSCHKA N J W 1978 S. 1338; KOTZ JuS 1982 S. 97 ff; LENCKNER JR 1982 S. 424 f f ; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 355; SOLBACH

NZWehrr 1977 S. 161 ff.

101 Str. vgl. einerseits BGHSt 24 S. 136; OLG Düsseldorf NStZ 1991 S. 40, andererseits LACKNER StGB § 244 Rdn. 3.

§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls

171

Dies kann im Einzelfall ein Kfz (BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 987), ein Schuh am Fuß des Täters 102 , eine Flasche mit Salzsäure (BGH NJW 1994 S. 1166) oder ein Schlafmittel (BGH bei Holtz, MDR 1994 S. 434) sein.

a) Problematisch ist, ob die sog. Scheinwaffe, z.B. Attrappe einer Pistole oder ungeladene Pistole, ein "Mittel" i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 2 ist, wenn der Täter sie bei dem Diebstahl bei sich führt und nur zur Drohung, nicht aber z.B. als Schlagwerkzeug einsetzen will. Die Auslegung des § 244 Abs. 1 Nr. 2 im engen Zusammenhang mit Nr. 1, wo eindeutig die Gefährlichkeit der Waffe das qualifizierende Element ist, spricht gegen die Anwendung der Nr. 2 bei bloßer Verwendung von Scheinwaffen zur Drohung. - Andererseits kann jedoch nicht verkannt werden, daß in einer Zeit erheblich zunehmender Gewaltdelikte die besondere Ahndung jeglicher Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen ist. Aus der Sicht des Opfers ist die Drohung mit der Pistole in gleicher Weise furchterregend, unabhängig davon, ob die Pistole verwendungsfähig ist oder nicht, wenn das Opfer davon ausgehen muß, daß die Pistole verwendet werden kann. Dann liegt aber bereits im Mitführen auch einer Scheinwaffe ein qualifizierendes Element des Diebstahls. Aus dem Fehlen der objektiven Gefahr sollte dann aber die Konsequenz gezogen werden, die geringere Gefährlichkeit grundsätzlich strafmildernd zu berücksichtigen und den Tatbestand auszuschließen, wenn das Opfer die Ungefährlichkeit der Waffe erkannt hat. 103 Die Täuschung über das Vorhandensein einer Waffe genügt den Anforderungen des Tatbestandes nach Auffassung des BGH nicht. ^ Das ist konsequent, wenn auf den furchteinflößenden Eindruck des Anblicks der Waffe abgestellt wird. Inkonsequent ist es hingegen, wenn der BGH den Tatbestand auch bejaht, wenn das Opfer die Scheinwaffe als solche erkennt. 1 0 '

b) Über die Eignung des Tatmittels hinaus den Widerstand eines anderen durch Gewalt zu überwinden, wird zum Teil gefordert, daß die Tatmittel geeignet sein müssen, bei dem vom Täter geplanten Einsatz eine erhebliche Verletzung des Betroffenen herbeizuführen, also durch ihren Gebrauch die Gefahr einer erheblichen Verletzung zu begründen. Dem ist zuzustimmen, denn der Grund der Qualifikation liegt in der erheblichen Gefährdung des Opfers, nicht aber darin, daß Erleichterungen der Tatausführung mit Hilfe technischer Mittel ermöglicht werden. 106 c) Subjektiv erfordert Nr. 2, daß der Täter die Absicht hat, die Waffe, das Werkzeug oder das Mittel zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand einzusetzen, bzw. daß er die Absicht eines anderen Tatbeteiligten, in dieser Weise vorzugehen, kennt.

102 B G H S t 30 S. 375 mit abl. A n m . HETTINGER JuS 1982 S. 895 ff

103 Zum Streitstand im einzelnen vgl. bei der entsprechenden Problematik des § 250 Abs. 1 Nr. 2 unter § 46 ffl 1 b. 104 BGH NStZ 1985 S. 547 mit Anm. OTTO JK, StGB § 250/4; BGHSt 38, 116, 117. 105 Vgl. B G H J Z 1990 S. 552 mit abl. A n m . HERZOG StV 1990 S. 5 4 7 f; vgl. auch HÄUF G A 1994

S. 319 ff.

106 So auch: ESERJZ 1981 S. 768 f; GEILEN Jura 1979 S. 389 f; GEPPERT Jura 1992 S. 5 0 1 ; HETTINGER JuS 1982 S. 895 ff; HILLENKAMP JuS 1990 S. 454 ff; KÜPER JuS 1976 S. 647 f f . - A . A . B G H M D R 1989 S. 754; B G H StV 1994 S. 4 5 6 mit Anm. KELKER S. 657 f.

172

Die Vermögensentziehungsdelikte

3. § 244 Abs. 1 Nr. 3: Bandendiebstahl a) Bande ist eine auf ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung beruhende Verbindung mehrerer Personen, die auf geraume Zeit bei der Begehung selbständiger Taten nach §§ 242, 249 zusammenwirken wollen.107 aa) Der Gesetzestext "... zur fortgesetzten Begehung ..." ist ungenau. Ein Zusammenschluß zu einem Diebstahl oder Raub in Fortsetzungszusammenhang genügt nicht.108 bb) Str. ist, ob schon zwei Mitglieder eine Bande i.S. des Gesetzes bilden können. - Dafür spricht, daß § 244 Abs. 1 Nr. 3 Anwendung findet, wenn zwei Mitglieder einer größeren Bande die Tat ausführen. Von daher scheint es nur konsequent, bereits von einer Bande zu sprechen, wenn sich nur zwei Personen zusammengetan haben.109 Wesentliches Element der Gefährlichkeit der Bande ist jedoch die Tatsache, daß deren Aktivität unabhängig vom Hinzukommen und Austreten einzelner Mitglieder besteht. Diese Situation ist beim Zusammenschluß von zwei Personen nicht gegeben.110 b) Da das qualifizierende Element der gleichsam geteilten Abwehrkraft des Opfers nur von den örtlich und zeitlich am Tatort mitwirkenden Tatbeteiligten realisiert wird, ist es angemessen, § 244 Abs. 1 Nr. 3 nur auf diesen Personenkreis anzuwenden.111 c) Die Bandenmitgliedschaft ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28, denn sie ist kein besonderes pflichtbegründendes Merkmal.112 4. Konkurrenzen a) Zwischen einem vollendeten einfachen Diebstahl und einem versuchten Diebstahl nach § 244 ist Idealkonkrrenz möglich. Beispiel: A und B wollen im Hause des X stehlen. A geht dabei davon aus, daß B eine Pistole bei sich hat, von der er notfalls auch Gebrauch machen wird. - Nach dem Diebstahl stellt sich heraus, daß B keine Pistole mitgenommen hatte. Ergebnis: A: §§ 242; 244, 23; 52. - B: § 242.

107 Dazu OLG Hamm NJW 1981 S. 2207 f mit Anm. TENCKHOFF JR 1982 S. 208 f; SCHILD GA 1982 S. 80 ff. 108 D a z u B G H J Z 1986 S. 9 6 8 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 4 R d n . 10; RUB L K , § 2 4 4 R d n . 12; SCHILD G A

1982 S. 55 ff. - A.A. GEPPERT JK 87, StGB § 244/5; SAMSON SK, § 244 Rdn. 20. 109 BGH JZ 1986 S. 968; BGHSt 23 S. 239; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 Rdn. 123; SCHILD G A 1982 S. 55 f f . 110 W i e h i e r : DREHER N J W 1970 S. 1802 f f ; LACKNER StGB, § 2 4 4 R d n . 6; SCHMIDHÄUSERB.T., 8 / 3 7 ; SCHÜNEMANN J A 1980 S . 395; VOLK J R 1979 S. 4 2 6 f f . 111 V g l . auch: B G H S t 3 3 S. 5 0 f; B G H StV 1993 S. 132. - A . A . ARZT J u S 1972 S. 5 7 9 ; SCH/SCH/ESER

§ 242 Rdn. 27 mit eingehenden Nachweisen. 112 W i e hier: KREY B . T . 2 , R d n . 137; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 4 5 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 4 R d n . 2 8 ; VOGLER L a n g e - F e s t s c h r i f t , S. 2 7 8 . - A . A . B G H S t 4 S. 3 2 ; 12 S . 2 2 0 ; ARZT J u S 1972 S. 5 7 9 ; DREHER/ TRÖNDLE § 2 4 4 R d n . 13; HERZBERG Z S t W 88 (1976) S. 102; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 126; SCHILD G A 1982 S. 83; SCHÜNEMANN J A 1980 S . 3 9 5 f .

§ 42 Unterschlagung

173

b) § 244 Abs. 1 Nr. 1 ist gegenüber Nr. 2 die speziellere Regelung. Im übrigen stellen die einzelnen Tatbestände des § 244 lediglich verschiedene Begehungsformen desselben Delikts dar und begründen daher keine Idealkonkurrenz.113 IV. Schwerer Bandendiebstahl, § 244 a § 244 a ist ein gegenüber § 244 Abs. 1 Nr. 3 weiter qualifizierter Tatbestand. 1. Voraussetzungen des Tatbestandes Voraussetzung ist ein Bandendiebstahl, bei dem entweder eines der Regelbeispiele des § 243 Abs. 1 S. 2 verwirklicht oder der mit Waffen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1,2 begangen wurde. - Die Voraussetzungen der Regelbeispiele sind hier qualifizierende Tatbestandsmerkmale. 2. Ausschluß des Tatbestandes Abs. 4 - Geringwertigkeit - begründet einen Tatbestandsausschluß. - Im Gegensatz zu § 243 Abs. 2 (Ausschluß der Indizwirkung von Regelbeispielen) sind Irrtümer über die Geringwertigkeit hier nach den allgemeinen Regeln zu behandeln. 3. Konkurrenzen Zwischen einem weniger qualifizierten vollendeten Diebstahl und einem versuchten Diebstahl nach § 244 a ist Idealkonkurrenz möglich.114

§ 42: Unterschlagung Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.

I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1 , 1 . Alt. 1. Das geschützte Rechtsgut Das geschützte Rechtsgut ist identisch mit dem des § 242: Die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Zu den Begriffen fremd, bewegliche Sachen vgl. oben § 40 11 - 3. Zur Ergänzung: aa) OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 65 ff: Die Prostituierte A vereinbarte mit G ein Entgelt von DM 30,-. G gab der A einen Hundertmarkschein, nachdem sie die Rückzahlung von DM 70,- nach dem Verkehr zugesagt hatte. Später faßte sie jedoch den Plan, das ganze Geld zu behalten und verweigerte die Rückzahlung.

113 So auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 127. - A . A . DREHER/TRÖNDLE § 244

Rdn. 16; LACKNER StGB, § 244 Rdn. 10; RUB LK, § 244 Rdn. 18. - Zur Rechtsprechung des BGH vgl. einerseits BGH NStZ 1994 S. 284, andererseits BGH NStZ 1994 S. 285.

114 Vgl. LACKNER StGB § 244 a R d n . 6.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

OLG: A eignete sich eine fremde Sache zu: "Der Eigentumsübergang war von der Bedingung der Rfickübereignung von Geldscheinen im Werte von DM 70,- abhängig. Da A den Differenzbetrag von DM 70,nicht zurückgezahlt hat, ist die Bedingung für ihren Eigentumserwerb an dem Hundertmarkschein nicht eingetreten .... Der Geldschein war als fremde Sache daher taugliches Objekt einer Unterschlagung." bb) Zu den Eigentums- bzw. Übereignungsverhältnissen beim Tanken an Selbstbedienungstankstellen vgl. oben § 401 3.

b) Zueignung ist ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, daß er den Berechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft (Eigenbesitz) über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirtschaftlich nutzen will; vgl. im einzelnen dazu oben § 40 II 2. Da die Zueignung demnach durch drei Elemente - Enteignung des Berechtigten, Aneignung durch den Täter, Absicht wirtschaftlicher Nutzung - gekennzeichnet ist, kann sie sich weder in einem rein subjektiven noch in einem rein objektiven Geschehen erschöpfen. Es geht vielmehr darum, daß die Zueignung nach außen erkennbar, d.h. manifest wird. Maßgeblich ist danach, ob ein bestimmtes nach außen erkennbares Verhalten des Täters - bei Berücksichtigung des Täterplanes - zum Ausdruck bringt, daß der Täter sich die Eigenbesitzerstellung über eine fremde Sache anmaßt.115 Die Zueignungsabsicht kann sich z.B. manifestieren im Verbrauch, in der Veräußerung, im Verschenken, in der Verarbeitung, in der Vermischung von Sachen oder im Ableugnen des Besitzes. - Das blofie Unterlassen der Herausgabe einer Sache oder der Benachrichtigung des Berechtigten ttber den Verbleib seiner Sache reichen als Manifestation nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzukommen, die darauf schließen lassen, daß die Nichtherausgabe bzw. die Nichtanzeige gerade Ausdruck der Zueignung ist. Das Kopieren einer Diskette ist keine Zueignung der Diskette.1

c) Zur Einübung aa) A hat von B ein Gemälde geliehen. 1. Alternative: Am 1.4. beschließt er, es zu behalten und es dem B nicht zurückzugeben. - Am 3.4. überlegt er es sich jedoch anders und ist entschlossen, sich als ordentlicher Entleiher zu gelieren. Ergebnis: Keine Zueignung: Die Absicht des A, sich selbst die umfassende Sachherrschaft anzumaßen, ist noch nicht äußerlich manifest geworden. 2. Alternative: Am 5.4. bietet er das Gemälde zum Kauf dem C an. - In Wirklichkeit will er jedoch nur vor C angeben. Er ist entschlossen, den Kauf scheitern zu lassen, falls C Interesse zeigt. Ergebnis: Keine Zueignung. - Zwar könnte das Verhalten des A rein objektiv gesehen als Zueignung gewertet werden, da A in Wirklichkeit den B aber gar nicht aus seiner Sachherrschaftsposition entsetzen will, fehlt es bei A an der Zueignungsabsicht. 11 ' 3. Alternative: Am 8.4. bringt A das Gemälde dem Pfandleiher P. - Er will es vor dem Verfalldatum am 20.4., nach Erhalt seines Gehaltes am 15.4., wieder zurückholen. Ergebnis: Keine Zueignimg. Zwar ist die Verpfändung ein rechtswidriges Verhalten gegenüber B, doch verliert B durch dieses Verhalten noch nicht seine umfassende Sachherrschaftsposition. Noch will A dem B gegenüber nur eine Fremdbesitzerposition innehaben. 1 "

115 Dazu BGHSt 34 S. 309 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 246/5; OLG Koblenz StV 1984 S. 287 mit Anm. GEILEN JK, StGB § 246/3; CHARALAMBAHS Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda, 1985, S. 151 ff; RUB LK, § 246 Rdn. 20. - Zu eng die Begrenzung der Zueignungshandlungen auf Verbrauch, Entwertung, Veräußerung und die gesetzlichen Eigentumsübergänge durch KARGL ZStW 103 (1991) S. 136 ff, 184.

116 BayObLG NStZ 1992 S. 284 mit Anm. JULIUS JR 1993 S. 255 f, OTTO JK 92, StGB § 246/7. 117 Dazu auch OLG Schleswig SchlHA 1970 S. 195. 118 Dazu auch BGHSt 12 S. 299.

§ 4 2 Unterschlagung

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Anm • Hätte A das Gemaide sicherungshalber übereignet, so hätte er es sich zugeeignet. Sicherungseigentum ist vollgültiges Eigentum. Die umfassende Sachherrschaft übt der Sicherungseigentümer aus, auch wenn ihm schuldrechtlich gewisse Schranken auferlegt sind. 4. Alternative: Am 18.4. überlegt A es sich jedoch anders. Er will das Pfand nunmehr verfallen lassen und unternimmt nichts, um das Pfand einzulösen. Ergebnis: Jetzt liegt eine Zueignung vor. - Indem A die letzte Möglichkeit zur Einlösung des Pfandes verstreichen ließ, verfügte er eigenmächtig über das Pfand. Der Eigentümer verlor seine Sachherrschaftsposition, da A sich diese anmaßte, als er den Besitz verlorengehen ließ. Die Manifestation der Zueignung kann - wie im vorliegenden Fall - auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen liegen, wenn der Täter pflichtwidrig nichts unternimmt, um dem Berechtigten seine Sachherrschaftsstellvmg zu erhalten, und damit über das Pfand zu eigenen Gunsten (A spart den Einlösungsbetrag) verfügt. 119 bb) BGHSt 24 S. 115: Der Postbeamte A hatte einen Fehlbetrag in der Kasse. Da er fürchtete, dieser könnte entdeckt werden, legte er Geldbeträge, die mittels Zahlkarte eingezahlt wurden, zwar in die Kasse, vermerkte sie jedoch nicht in der von ihm zu führenden Einzahlungsliste, um sich so die Möglichkeit zu verschaffen, aus eigenen Mitteln den Fehlbetrag nach und nach zu erstatten. Ergebnis: Mit dem Hinweis, der Täter habe sich die Rechtsstellung des Eigentümers angemaßt, bejaht der BGH die Zueignung. - Dem kann nicht gefolgt werden: Die Entscheidung zeigt lediglich, wie letztlich jedes Verhalten als Zueignung interpretiert werden kann, wenn davon abgesehen wird, die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffs sorgfältig zu prüfen, und statt dessen mit Leerformeln, wie z.B. der "Benutzung der Sache wie ein Eigentümer", die Problematik verdeckt wird. - Selbst hatte A nämlich in keinem Moment umfassende Sachherrschaft über das Geld begründet. Er hatte stets nur die Stellung eines Fremdbesitzers. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß er nicht ordnungsgemäß mit dem Gelde umging.'20 . Der Fall ist insofern den Fällen der Wegnahme von Dienstgegenständen ähnlich; dazu oben § 40 II 2 d, dd. 3. Der maßgebliche

Zeitpunkt der Zueignimg

Der Tatbestand des § 246 bezeichnet denjenigen als Täter, der sich eine fremde bewegliche Sache rechtswidrig zueignet, die er in Besitz oder Gewahrsam hat. a) Str. ist allerdings, ob es sich hier um eine positive Festlegung des Zeitpunktes der Zueignung durch den Gesetzgeber handelt (Tatbestandsmerkmal) oder um einen gesetzestechnisch mißglückten Hinweis zur Abgrenzung der Unterschlagung v o m Diebstahl. Die Gesetzesmaterialien geben zur Entscheidung dieses Streits nichts her, da sie arg widersprüchlich sind. aa) Die streng am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung fordert, daß Gewahrsam oder Besitz bereits vor der Zueignung begründet waren.121 bb) Nach der sog. "kleinen berichtigenden Auslegung" des Tatbestandes können Gewahrsamserlangung und Zueignung zusammenfallen. 1 2 2

119 Dazu auch OLG Oldenburg NJW 1952 S. 1267; M. J. SCHMID MDR 1981 S. 806 ff; SCHÜRMANN MDR 1982 S. 374 f. 120 Dazu auch DEUBNER NJW 1971 S. 1469; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 115 f; SCHÖNEBORN MDR 1971 S. 811 f. - Für eine idealiter mit einer Untreue konkurrierende Unterschlagung: WESSELS B.T.-2, Rdn. 294. - Nur Untreue will KREY B.T.2, Rdn.177 annehmen. 121 So z . B . BOCKELMANN MDR 1953 S. 3 ff; CHARALAMBAHS S. 84 ff; GEPPERT Jura 1984 S. 6 1 6 ; OTTO Struktur, S. 2 5 4 ff; SCHÜNEMANN JuS 1968 S. 114 ff; SEELMANN JuS 1985 S. 6 9 9 ff; TENCKHOFF JuS 1984 S. 7 7 7 ; WEBER in: Arzt/Weber, L H 3, Rdn. 2 5 8 . 122 Vgl. BGH NJW 1988 S. 9 8 0 f; BGHSt 35 S. 161; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 6 Rdn. 10; KREY B . T . 2 , Rdn. 165; LACKNER StGB, § 2 4 6 Rdn. 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 3 4 Rdn. 3 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 6 R d n . 1.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

cc) Die sog. "große berichtigende Auslegung" sieht vom Erfordernis des Gewahrsams ganz ab. Danach soll die Erwähnung des Gewahrsams im Gesetzeswortlaut nur klarstellen, daß die Zueignung einer fremden Sache ohne Gewahrsamsbruch Unterschlagung ist. 123 b) Die berichtigenden Auslegungen des Tatbestandes stehen nur schwerlich mit Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang. Sie scheinen aber gegenüber der strengen Auslegung den Vorteil zu haben, Strafbarkeitslücken, die kaum gerechtfertigt sind - z.B. bei der sog. Fundunterschlagung und der Leichenfledderei -, zu vermeiden. Eine sachgerechte Anwendung der strengen Auslegung bietet jedoch die gleichen Vorteile, so daß kriminalpolitische Erwägungen keineswegs die berichtigenden Auslegungen dringend erforderlich machen. Zu beachten ist allerdings: aa) Besitz und Gewahrsam sind nicht identisch.124 Besitz umfaßt vielmehr den unmittelbaren und den mittelbaren Besitz. - Der Hinweis, der Gesetzgeber habe Besitz und Gewahrsam als Synonyme verwendet, beruht auf Mutmaßungen über den historischen Stand der Besitzlehre zur Zeit der Vorarbeiten zum StGB. Selbst wenn diese zuträfen, wäre diese enge Bindung an den Willen des historischen Gesetzgebers angesichts des entgegenstehenden Wortlauts des Gesetzes nicht gerechtfertigt.125 bb) Der relevante Zeitpunkt der Zueignung wird auch bei der sog. Fundunterschlagung in der Regel nicht mit der Gewahrsamsbegründung zusammenfallen. Der Täter wird die gefundene Sache zunächst in Augenschein nehmen. Selbst wenn er schon jetzt beschließt, sie selbst zu behalten, erscheint es nicht unangemessen, ihm einen gewissen Überlegungsspielraum zu gewähren, so daß die relevante Zueignung erst in solchen Handlungen zu sehen wäre, mit denen der Täter - nach Gewahrsamsbegründung - zum Ausdruck bringt, daß er sich die Position des umfassenden Sachherren anmaßen will. Wird dies beachtet, so dürfte auch die strenge Auslegung des Unterschlagungstatbestandes kaum zu gravierenden Strafbarkeitslücken führen. Der Theorienstreit wird damit auf sein relevantes, recht dürftiges Maß zurückgeführt.126 c) Zur Einübung aa) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch verkaufen wolle. A erklärt sich einverstanden; er verkauft und übereignet das Buch an C. Ergebnis: Mit der Einverständniserklärung, mit der A umfassende VerfÜgungsmacht bekundete und auch bekunden wollte, hat A sich das Buch - nach allen Theorien - zugeeignet. bb) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch leihen könnte. A tut dieses. Nach 8 Tagen kommt C zu A und bittet A, ihm das herrliche Buch zu verkaufen. A tut dieses. Ergebnis: Wird Besitz als Synonym für Gewahrsam verstanden, dann könnte allein mit der großen berichtigenden Auslegung eine Zueignung des Buches durch A begründet weiden. - Wird hingegen - wie es hier geschehen ist - Besitz i.S. des § 246 auch als mittelbarer Besitz interpretiert, so liegt in der Annahme des Kaufangebots durch A schon nach der strengen Auslegung des § 246 eine Zueignung.

123 Dazu SCHMIDHÄUSERB.T., 8/40, 42; WELZEL Lb., § 47 I b. 124 A . A . O L G Schleswig N J W 1979 S. 882; KLTEY B . T . 2 , R d n . 161; OSTENDORF N J W 1979 S. 8 8 3 f; RUß L K , § 2 4 6 R d n . 10; SCH/SCH/ESER § 2 4 6 R d n . 9. 125 So a u c h CHARALAMBAKIS, S. 110 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 4 R d n . 5; OTTO Struktur, S. 2 5 6 ; RANFT J A 1984 S. 2 8 6 ; SEIER J A 1979 S. 4 8 8 f; TIMMERMANN M D R 1977 S. 5 3 4 .

126 Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 254 ff.

§ 42 Unterschlagung

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cc) BGH LM Nr. 3 zu § 246: Der Dieb D hatte Drahtrollen gestohlen und später auf einem öffentlich zugänglichen Gelände liegengelassen. A sah diese Rollen, durchschaute das Geschehen und nahm die Drahtrollen in Besitz, um sie zu eigenen Zwecken zu verwenden. BGH: A eignete sich die Drahtrollen zu, als er sie in Besitz nahm, um sie eigennützig zu verwenden. Damit bekannte sich der BGH zur "kleinen berichtigenden Auslegung". Nach den hier gesetzten Prämissen läge die Zueignung in dem der Gewahrsamsbegründung folgenden ersten Akt, in dem die Absicht des A, die Drahtrollen eigennützig zu verwenden, Ausdruck gefunden hätte. dd) A trifft den B. Dieser entschuldigt sich bei ihm, weil er ein - wie er genau wüßte - dem A gehörendes Buch an C veräußert habe. Er bietet dem A die Bezahlung des Buches an. A nimmt großzügig dieses Angebot und das Geld an, schon deshalb, weil er dem B niemals ein Buch geliehen hatte. Ergebnis: Da A zu keinem Zeitpunkt reale Sachherrschaft über das Buch ausübte, läßt sich in diesem Falle - unabhängig von den verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten des § 246 - nach der Sachsubstanztheorie keine Zueignung begründen. - Die Anhänger der Sachwerttheorie könnten zwar mit Hilfe der großen berichtigenden Auslegung eine Zueignung des Buches durch A konstruieren, doch erscheint es fraglich, ob sie dieses grob unangemessene Ergebnis überhaupt wollen. ee) RGSt 73 S. 253: A war Verwalter eines Zementlagers einer Behörde. Eines Tages bot A dem H 100 Sack Zement zum Kauf an. Zu einem derartigen Verkauf war A nicht berechtigt. RGSt 73 S. 254: "Die Unterschlagung Wann sogar schon damit vollendet sein, daß der Täter die Sache einem anderen ernstlich zum Kauf anbietet. Das muß gelten, ob es sich um eine bestimmte einzelne Sache handelt oder um einen Teil einer aus vertretbaren Sachen bestehenden Sachgesamtheit, die der Menge nach bestimmt, aber von dem Reste noch nicht abgesondert ist. Denn auch in dem Angebot eines solchen Teiles einer Sachgesamtheit kommt der Wille des Anbietenden zum Ausdruck, über die Sache - und zwar über die Sachgesamtheit - wie ein Eigentümer zu verfügen." Dem kann nicht gefolgt werden: In bezug auf die Sachgesamtheit des gesamten Zementvorrats hat A niemals umfassende Sachherrschaft ausgeübt, die 100 Sack, über die er eine derartige Herrschaft anstrebte, waren jedoch noch nicht konkretisiert. - Zueignung daher erst mit dem Aussondern der Säcke. ff) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 22: Dem A waren versehentlich auf seinem Girokonto DM 900,gutgeschrieben worden. A hob den Betrag ab und verbrauchte ihn für sich. BGH: Da das Geld mit der Auszahlung in das Eigentum des A überging, eignete sich A keine fremde Sache zu. Diese Begründung ist mit der sog. kleinen berichtigenden Auslegung des § 246 nicht in Einklang zu bringen, denn danach genügt es, daß Gewahrsamserlangung und Zueignung zusammenfallen. Wenn das Ergebnis dennoch allgemein Anerkennung gefunden hat, so zeigt dies, wie wenig sich die berichtigende Auslegung im konkreten Fall durchzusetzen vermag. - Nach der strengen Auslegung des § 246 ist das Ergebnis selbstverständlich. 127 gg) BGHSt 35 S. 152: A verschaffte sich mit der rechtswidrig erlangten codierten eurocheque-Karte des B und dessen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten. BGH: "Wer mit einer dem Berechtigten weggenommenen codierten Scheckkarte unbefugt unter Eingabe der zugehörigen Geheimzahl einen Geldautomaten betätigt, eignet sich das vom Automaten herausgegebene, im Eigentum der Bank verbliebene Geld mit der Besitzerlangung rechtswidrig zu und hat sich daher vor dem Inkrafttreten des § 263 a StGB am 1.8.1986 wegen Unterschlagung des abgehobenen Geldes nach § 246 StGB strafbar gemacht." 128 Dem kann nicht gefolgt werden. In der Herausgabe des Geldes durch den Geldautomaten, der - technisch ordnungsgemäß in Betrieb gesetzt wurde, liegt eine Vermögensverfügung des Berechtigten über das Geld. Diese Verfügung schließt aber eine Besitzentziehimg, wie sie die Zueignung voraussetzt, begrifflich aus. Es fehlt an der Enteignung des Berechtigten durch den Täter. Entweder hat sich nämlich der Täter den Gewahrsam an der Sache durch Enteignung des Berechtigten verschafft, oder der Gewahrsam ist ihm durch

127 Vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 1969 S. 623 f. - Im einzelnen dazu OTTO Bankentätigkeit, S. 147 f. 128 So auch DREHER/TRÖNDLE § 242 Rdn. 19 a; EHRLICHER Der Bankautomatenmißbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bekämpfung, 1989, S. 67 ff; LACKNER StGB, § 242 Rdn. 23; RANFT wistra 1987 S. 82; DERS. JR 1989 S. 165 f; Ruß LK, § 246 Rdn. 9; WEBER in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 266. - Zur Auseinandersetzung im übrigen vgl. § 4 0 1 4 b, bb.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

den Berechtigten abertragen woiden. Jede der beiden Möglichkeiten schließt die jeweils andere aus. im Falle des Bankautomatenmißbrauchs mit gefälschter Codekarte hat auch der BGH inzwischen eine Unterschlagung ausgeschlossen.""

4. Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft bei der Unterschlagung a) Für die Bestimmung der Mittäterschaft bei der Unterschlagung gelten die allgemeinen Regeln. BGHSt 2 S. 317: A hatte als Lastkraftwagenfahrer der Fa. X Papierrollen an die Fa. Y auszuliefern. Er gab jedoch nicht alle Rollen ab, sondern behielt zwei zurück, die er auf eigene Rechnung verkaufte. B und C, Angestellte bei Y, ermöglichten dieses, indem sie fälschlich für ihre Fa. den Empfang sämtlicher Rollen quittierten. BGH: B und C können nicht Mittäter der Unterschlagung des A sein, da sie im Tatzeitpunkt die Papierrollen nicht im Besitz oder Gewahrsam hatten. Mit der Forderung, alle Mittäter einer Unterschlagung müßten Besitz oder Gewahrsam am Tatobjekt im Tatzeitpunkt haben, wird keineswegs die Konsequenz aus der kleinen berichtigenden Auslegung des Gesetzestatbestandes gezogen, denn unstreitig müssen bei einem Erfolgsdelikt nicht alle Mittäter die Tathandlung oder Tathandlungen eigenhändig begehen. Das Wesen der Mittäterschaft, eine Personenmehrheit als Einheit zu erfassen, macht es möglich, einzelnen Mittätern die Handlungen anderer Mittäter als eigene zuzurechnen. Das gilt auch für die Unterschlagung. Diese ist kein eigenhändiges Delikt, vielmehr entscheiden sich Täterschafis- und Teilnehmerfragen nach den allgemeinen Regeln. - In der Regel wird allerdings dem Zueignungsakt als solchem die zentrale Bedeutung innerhalb der Deliktsverwirklichung zukommen, so daß erst die unmittelbare Mitwirkung an diesem Akt eine Täterposition begründet. Das folgt dann aber gerade aus den Prämissen der Täterlehre, nicht aber aus besonderen "Tätererfordernissen" der Unterschlagung. ^ *

b) Auch bei der mittelbaren Täterschaft ergeben sich keine besonderen Problemstellungen: Die Täterschaft ist nach den Grundsätzen der Täterlehre zu bestimmen. Fall: Der Bauer A sieht auf der Heimfahrt von der Kartoffelernte neben der Straße zwei Säcke mit Kartoffeln liegen, die Bauer X verloren hat. Zu Hause angekommen, schickt A seinen Knecht los, die beiden Säcke zu holen, "die ihm vom Wagen gefallen sind". K holt gutgläubig die Kartoffeln und stellt sie zu den übrigen Kartoffeln in die Scheune des A. Ergebnis: Täter der Unterschlagung: A. Tatherrschaft des A gründet sich auf Irrtum des K.

5. Unterschlagung bei Ersatzleistung oder bei Bereitschaft zum Ersatz a) Eignet sich der Täter eine fremde Sache zu, ersetzt diese jedoch derart, daß ein anerkennenswertes wirtschaftliches Interesse des Berechtigten nicht verletzt ist, so fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung der fremden Sache, da der Täter den Vermögensstand des Berechtigten nicht zu dessen Nachteil vermindert; vgl. oben § 40 II 4 a. Zwar nennen die Zueignungsdelikte einen Vermögensschaden als Tatbestandsvoraussetzung nicht. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, daß auf einen derartigen Schaden verzichtet werden kann. Auch die sog. Eigentumsdelikte sind Vermögensdelikte! Der Gesetzgeber ging jedoch davon aus, daß der Vermögensschaden selbstver-

1 2 9 V g l . a u c h HUFF N J W 1 9 8 8 S . 9 8 1 ; OTTO J u r a 1 9 8 9 S . 2 0 4 ; SCHMITT-EHRLICHER J Z 1 9 8 8 S . 3 6 4 f;

SPAHN Jura 1989 S. 517 ff; THAETER wistra 1988 S. 342.

130 BGHSt 38 S. 120, 125; dazu OTTO JZ 1993 S. 567. 131 Dazu auch KÜPER ZStW 106 (1994) S. 354 ff, 379; ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Aufl. 1990, S. 387; OTTO Struktur, S. 261 ff.

§ 42 Unterschlagung

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ständlich sei, weil er in der Entziehung der umfassenden Sachherrschaft über die Sache liege. - Gemeinhin trifft dies auch zu, nicht aber ausnahmslos.132 b) Zur Einübung aa) Der Polizeibeamte A, dem durch Dienstanweisung jede eigennützige Verwendung von Geldern aus gebührenpflichtigen Verwarnungen untersagt, sogar das bloße Wechseln von Geld verboten ist, wechselt einen eigenen Fünfeigmarkschein gegen 10 Fünfmarkstücke, die aus gebührenpflichtigen Verwarnungen herrühren, weil er sich eine Erfrischung kaufen will, der Verkäufer aber einen Fünfzigmarkschein nicht wechseln kann. Ergebnis: Eine Einwilligung des Berechtigten und auch eine mutmaßliche Einwilligung scheiden hier aus; dazu RGSt 5 S. 305 f. - Dennoch liegt eine Unterschlagung nicht vor, da A die Vermögenslage des Berechtigten nicht rechtswidrig verschlechtert hat. Es fehlt die rechtswidrige Vermögensschädigung: das Geld fungiert hier nur als Wertmesser, ein wirtschaftliches Interesse an individuellen Geldscheinen besteht nicht. bb) OLG Köln NJW 1968 S. 2348: wie unter aa), aber A entnahm den Verwarnungsgeldern DM 5,-, weil er kein Geld bei sich hatte. Das Geld wollte er am nächsten Morgen bei Dienstantritt aus eigenem Geld ersetzen, obwohl er verpflichtet war, die täglichen Einnahmen bei Dienstschluß auf der Dienststelle abzugeben. Das OLG hat in diesem Falle eine Untreue bejaht. Das mag hier dahinstehen. - Jedenfalls liegt in diesem Falle eine rechtswidrige Zueignung im Verbrauchen des Geldes. A benutzt die Verwamungsgelder unerlaubt für einen Kredit. - Mag der Zeitraum auch überschaubar sein, so ist es doch nicht zu übersehen, daß hier auch vermögensrechtliche Interessen des Berechtigten verletzt sind. Die äußerste Grenze wäre hier der Ersatz innerhalb der vom Berechtigten gesetzten Frist bis zur Abgabe der Gelder, wenn die Ersatzbereitschaft außer Frage stand; z.B. wenn A den fehlenden Betrag in der Dienststelle hätte ersetzen können, weil er in seiner Kleidung noch Geld gehabt hätte.

6. Zueignung nach einer Zueignung Hat der Täter durch ein Vermögensdelikt umfassende Sachherrschaft an einer fremden Sache erlangt, so ist eine weitere Zueignung derselben Sache ausgeschlossen.133 Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluß des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vennögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat. OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 592: A hatte sich den Pkw der Fa. F rechtswidrig zugeeignet, indem er den Besitz gegenüber F abstritt und den Pkw an einen der Fa. F nicht zugänglichen Ort verbrachte. Wiederholten Herausgabeverlangen der Fa. F kam A nicht nach und verhinderte außerdem, daß es der Fa. F gelang, den Wagen ausfindig zu machen. OLG Düsseldorf: "Die Zueignung im Sinne des § 246 StGB besteht darin, daß der Täter die Sache dem eigenen Vermögen einverleibt, wobei diese Zueignung kein rein innerer Vorgang ist, sondern vielmehr erfordert, daß der Täter seinen Willen, die Sache zu behalten, durch eine nach außen erkennbare Handlung bestätigt. Mit der nach außen sichtbar vollzogenen Zueignungshandlung ist die Unterschlagung vollendet. Nachträgliche Äußerungen des Herrschaftswillens nach der Zueignung, wie etwa Verschweigen der unterschlagenen Sache oder deren Veräußerung stellen lediglich die Ausnutzung der zuvor durch Zueignung herbeigeführten eigentümerähnlichen Herrschaft dar." Dem ist zuzustimmen, denn wird Zueignung nicht als ein begrifflich konturenloser Vorgang interpretiert, sondern scharf tunrissen als Enteignung des Berechtigten und Aneignung der umfassenden Sachherrschaftsposition durch den Täter in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen, so ist die Zu132 Vgl. auch EBEL JZ 1983 S. 175 ff; OTTO Struktur, S. 263 ff; ROXIN H. Mayer-Festschrift, S. 469 ff; TLEDEMANN JUS 1970 S. 108 ff.

133 So auch BGHSt 14 S. 38 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN JuS 1968 S. 114 ff; BGHSt 16 S. 282; KREY B . T . 2 , Rdn. 174; LACKNER StGB, § 246 Rdn. 7; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 261 ff; OTTO Struktur, S. 106 f f , 112. - A.A. BAUMANN NJW 1961 S. 1141 ff; BOCKELMANN J Z 1960 S. 624; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 4 Rdn. 22 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8/44; SCH/SCH/ ESER § 246 Rdn. 19; SEELMANN JUS 1985 S. 702; TENCKHOFF JuS 1984 S. 778 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

eignung einer fremden Sache, die der Täter durch rechtswidrige Zueignung erlangt hat, ausgeschlossen. Der Täter kann nunmehr nach außen kundmachen, daß er den durch die Zueignung begründeten Zustand aufrechterhalten und nutzen will. Eine Entsetzung des Eigentümers und die Überführung der Eigentumsherrschaft auf den Täter können derartige Handlungen begriffsnotwendig jedoch nicht mehr darstellen. - Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluß des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat.

II. Veruntreuung, § 246 Abs. 1, 2. Alt. Die Unterschlagung einer anvertrauten Sache stellt einen qualifizierten Fall der Unterschlagung dar, § 246 Abs. 1, 2. Alt. 1. Die anvertraute Sache Anvertraut ist die Sache, wenn dem Täter der Gewahrsam mit der Maßgabe übertragen wurde, daß er mit der Sache in bestimmter Weise zugunsten des Berechtigten verfahre (z.B. Leihe, Miete, Verwahrung, Kauf unter Eigentumsvorbehalt). a) Das Vertrauensverhältnis selbst braucht rechtlich nicht besonders schutzwürdig zu sein, doch wird ein Vertrauensverhältnis zum Teil abgelehnt, wenn das Vertrauensverhältnis auf sittenswidriger Grundlage beruht.134 - Dem ist nicht zu folgen, denn das Vertrauensverhältnis muß nicht auf rechtlichen Normen beruhen. Vertrauen ist ein sozialer Tatbestand. Die Sittenwidrigkeit des Verhältnisses läßt daher den Vertrauensbruch nicht ohne weiteres entfallen.135 b) Ein Anvertrauen wird darüber hinaus verneint, wenn das Verwahrungsverhältnis dem "wahren Interesse" des Eigentümers widerspricht. RGSt 40 S. 222: A hatte Stoff gestohlen. Diesen gab er dem B in Verwahrung. B benutzte den Stoff zu eigenen Zwecken. Ergebnis: Keine Veruntreuung.

Dies ist, soweit keine besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauensverhältnisses gefordert wird, inkonsequent, denn die Interessen des Eigentümers berühren das persönliche Verhältnis innerhalb des Vertrauensverhältnisses nicht.136 2. Anvertrautsein "Anvertrautsein" ist ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, da durch das Vertrauensverhältnis eine besondere Pflichtenposition begründet wird. § 43: H a u s - u n d Familiendiebstahl 1. Rechtsnatur des § 247 Indem der Gesetzgeber die Verfolgbarkeit des Haus- und Familiendiebstahls sowie der unter den gleichen Umständen begangenen Unterschlagung von einem Strafantrag abhängig gemacht hat, brachte er zum Ausdruck, daß er in einem derartigen Diebstahls134 SAMSON S K , § 2 4 6 R d n . 4 9 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 6 R d n . 3 0 .

135 So auch: BGH NJW 1954 S. 889; BRUNS Mezger-Festschrift, S. 348; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 34 R d n . 4 1 ; RUß L K , § 2 4 6 R d n . 2 6 . 136 A . A . DREHER/TRÖNDLE § 2 4 6 R d n . 2 7 ; RUB L K , § 2 4 6 R d n . 2 6 .

§ 43 Haus- und Familiendiebstahl

181

oder Unterschlagungsfall nicht geringeres Unrecht oder geringere Schuld verwirklicht sieht, sondern den Erhalt der Familie und der häuslichen Gemeinschaft höher bewertet als das Interesse an der Strafverfolgung, wenn der Verletzte selbst kein Interesse an der Strafverfolgung zeigt. Das Antragserfordernis des § 247 dient daher allein der Erhaltung des Familien- bzw. Hausfriedens. Es gilt in den Fällen der §§ 242, 243 , 244, 244 a, 246, nicht aber in bezug auf §§ 249 ff; zu § 248 c vgl. unten § 45, 3. - Der Strafantrag ist Prozeßvoraussetzung. 2. Das Tatopfer a) Für den Angehörigenbegriff gilt die Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 1. b) Zum Vormund vgl. §§ 1773 ff BGB. Der Gegenvormund ist nicht Vormund i.S. des § 247, denn er steht im Gegensatz zum Vormund nicht in einem engen persönlichen Verhältnis zum Mündel, sondern überwacht den Vormund nach § 1799 BGB.137 c) Zum Betreuer vgl. §§ 1896 ff BGB. d) Eine häusliche Gemeinschaft setzt den freien und ernstlichen Willen der Mitglieder zum Zusammenleben auf eine gewisse Dauer voraus.138 Am freien Willen fehlt es z.B. bei Soldaten in der Kaserne oder bei Inhaftierten in einer Justizvollzugsanstalt. - Der ernstliche Wille fehlt, wenn es dem Täter nur darauf ankommt, das Zusammenleben zu Straftaten gegen die anderen Beteiligten auszunutzen.

Ist die häusliche Gemeinschaft nach der Tat zerbrochen, so bedarf diese eigentlich nicht mehr des besonderen Schutzes durch den Strafgesetzgeber. Gleichwohl findet § 247 auch dann Anwendung: § 247 stellt auf das Verhältnis zur Tatzeit ab. Dieser zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers ist maßgeblich.140 3. Der Antragsberechtigte Die in § 247 aufgeführten nahen persönlichen Beziehungen müssen zwischen dem Täter und dem Verletzten bestehen. Das ist nach den hier gesetzten Prämissen der umfassende Sachherr; vgl. dazu § 391. Soweit Eigentum und Gewahrsam als geschützte Rechtsgüter des Diebstahlstatbestandes angesehen werden, wird das Antragsrecht - wenn Eigentümer und Gewahrsamsinhaber verschiedene Personen sind - beiden zugestanden. Gehört nur eine dieser Personen zu der in § 247 bezeichneten Gruppe, so soll das Privileg nicht durchgreifen, der Diebstahl vielmehr von Amts wegen verfolgbar sein. 141 Bei der Unterschlagung wird zum Teil auch über den Eigentümer hinaus das Antragsrecht bloß Nutzungsberechtigten zuerkannt, z.B. dem Käufer einer Sache nach Gefahrübergang. 142 137 A . A . DREHER/TRÖNDLE § 2 4 7 R d n . 3 ; R u ß L K , § 2 4 7 R d n . 5; SCH/SCH/ESER § 2 4 7 R d n . 5 .

138 BGHSt29S. 54. 139 BGHSt29S. 54. 140 Vgl. OLG Hamm NJW 1986 S. 734; OLG Celle JR 1986 S. 385 mit Anm. STREE S. 386 ff; RUß LK, § 2 4 7 Rdn. 6 . 1 4 1 V g l . LACKNER S t G B , § 2 4 7 R d n . 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , A . A . SCH/SCH/ESER § 2 4 7 R d n . 10.

142 Vgl. BayObLG NJW 1963 S. 1464.

§ 3 3 R d n . 130. -

182

Die Vermögensentziehungsdelikte

Zur Verdeutlichung: Beispiel 1: X hat dem Y eine Sache geliehen. Dort stiehlt sie A, der Sohn des X. Verletzte nach h.M.: X und Y. § 247 findet keine Anwendung. - Verletzter nach der hier entwickelten Ansicht nur X, § 247 findet Anwendung. Beispiel 2: Wie im Beispiel 1, doch ist A der Sohn des Y. Verletzte nach h.M.: X und Y, s.o. - Nach der hier entwickelten Ansicht: Verletzter X, daher kommt § 247 nicht in Betracht. Hinweis: Eine Ausnahme macht die h.M. nur, wenn der unmittelbare Besitzer im Zeitpunkt der Tat lediglich untergeordneten Gewahrsam hat.

Diejenigen, die nur das Eigentum als das geschützte Rechtsgut der Zueignungsdelikte ansehen, kommen konsequenterweise zu dem Ergebnis, daß allein der Eigentümer Verletzter sein kann. Beispiel 3: Der Dieb D hat von E vor Jahr und Tag eine Uhr gestohlen. Eines Tages stiehlt A, der Sohn des D, diesem die Uhr. Verletzter nach der hier vertretenen Ansicht: der D; nach Ansicht derer, die das zivilrechtliche Eigentum als Rechtsgut der Zueignungsdelikte betrachten: der E.

4. Der Irrtum des Täters über das Tatopfer Da das Antragserfordernis nicht Ausfluß eines minder schweren Unrechts des Diebstahls oder einer minderen Schuld des Täters ist, sondern allein dem Erhalt des Haus- und Familienfriedens zu dienen bestimmt ist, kommt es nur zum Zuge, wenn die Tat nicht über die geschützte Sphäre hinausgeht. - Maßgeblich ist daher allein die objektive Lage. a) BGHSt 23 S. 281: A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre seiner Ehefrau. Es gehörte jedoch X. BGH: Kein Strafantrag erforderlich, da Verletzter außerhalb des "abgeschirmten Bereichs". b) A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre einer Bekannten seiner Ehefrau. In Wirklichkeit gehörte es der Ehefrau selbst. Ergebnis: § 247 findet Anwendung.

§ 16 Abs. 2 kann bei einem Irrtum des Täters darüber, daß das Opfer in den Haus- oder Familienbereich gehört, keine Anwendung finden, da der Täter über eine Prozeßvoraussetzung irrt, nicht aber einen Umstand annimmt, der den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würde.

§ 44: Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen 1. Kriminalpolitische Zielsetzung des § 248 a Mit § 248 a, der ergänzt wird durch §§ 153 Abs. 1, 153 a StPO, will der Gesetzgeber das Problem der Bagatellkriminalität im Bereich der Vermögensdelikte prozessual lösen: Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein, soweit nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt. Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 248 a nur auf die §§ 242, 246. Sachlich sind - aufgrund der Regelung der §§ 243 Abs. 2, 244 a Abs. 4 - auch §§ 243, 244 a eingeschlossen, soweit sich "die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht"; vgl. dazu oben §41 II. - Zu §248 c vgl. unten §45, 3. - Dieser Versuch des Gesetzgebers, die Problematik der vermögensstrafrechtlichen Bagatell143 Dazu BGHSt 10 S. 400 f.

§ 44 Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen

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kriminalität prozessual zu lösen, ist mit Recht in der Lehre kritisch aufgenommen worden.144 2. Geringwertige Sachen Geringwertige Sachen sind Sachen von unbedeutendem Wert; dazu vgl. oben § 41 II 1. 3. Besondere Probleme des § 248 a a) Handeln in Mittäterschaft Da das Antragserfordernis die Strafverfolgung ausschließlich von der Interessenlage des Verletzten abhängig macht, dem im Falle eines geringen Schadens die Entscheidung über die Strafverfolgung anheim gegeben ist, kommt die Anwendung des § 248 a nicht in Betracht, wenn die Gesamtbeute nicht mehr geringwertig ist. Durch den - wenn auch in Mittäterschaft begangenen - Diebstahl hat der Verletzte keinen geringen, sondern einen erheblichen Schaden erlitten. Beispiel: 4 Mann stehlen in Mittäterschaft in einem Zigarettenladen Zigaretten im Werte von DM 100,-. Ergebnis: § 248 a findet keine Anwendung.

b) Fortgesetzte Tat Zum Problem der Zusammenrechnung bei der fortgesetzten Tat vgl. oben § 41 II 2. Die Ausführungen gelten hier entsprechend. c) Irrtum des Täters über den Wert Das Antragserfordernis berücksichtigt allein Interessen des Verletzten, ist aber nicht Ausdruck geringeren Unrechts oder geringerer Schuld des Täters. Daher ist der Irrtum des Täters über den Gegenstandswert bedeutungslos; § 16 Abs. 2 fmdet keine Anwendung. aa) A nimmt wertvolle Sachen weg, die er für geringwertig hält: § 242. bb) A nimmt geringwertige Sachen weg, die er für wertvoll hält: § 248 a.

d) Versuchsproblematik Nach dem Gesetzeswortlaut findet § 248 a Anwendung, wenn der Täter eine geringwertige Sache stiehlt oder unterschlägt. Beispiel 1: A will eine wertvolle Sache stehlen, findet aber nur eine geringwertige, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, doch findet § 248 a Anwendung. Beispiel 2: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber eine wertvolle Sache, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, § 248 a findet keine Anwendung.

Übertragen auf die Versuchssituation führt diese Regelung jedoch zu Wertungswidersprüchen. Beispiel 1: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber überhaupt nichts vor. Ergebnis: § 248 a findet auf den Versuch Anwendung. Beispiel 2: A will wertvolle Sache stehlen, findet aber nur geringwertige. Da A an geringwertigen Sachen kein Interesse hat, nimmt er gar nichts mit. Ergebnis: Versuch eines Diebstahls, § 248 a findet keine Anwendung.

144 Vgl. die eingehenden Angaben bei LACKNER StGB, § 248 a Rdn. 2 f.

184

Die Vermögensentziehungsdelikte

Im Verhältnis zur Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts sind die hier begründeten Widersprüche nicht auflösbar. Auch wenn § 248 a - entsprechend der Regelung des § 243 Abs. 2 - nur auf den Versuch angewendet wird, wenn sich die Tat auf geringwertige Sachen bezieht, wird der Widerspruch nur verlagert, keineswegs aber beseitigt.145

§ 45: Entziehung elektrischer Energie 1. Entziehung elektrischer Energie in Zueignungsabsicht, § 248 c Abs. 1 a) Tatobjekt: fremde elektrische Energie. - Fremd ist die Energie für jeden, der kein Recht zur Entnahme der Energie hat. - Entzogen ist die Energie, wenn sie unbefugt entnommen wird. - Die Entziehimg muß mittels eines Leiters erfolgen, d.h. mit Hilfe einer Einrichtung, die vermöge ihrer physikalischen Eigenschaften den Strom weiterleitet, sei es auch nur im Wege der Induktion.146 b) Der Leiter muß ordnungswidrig sein, nicht nur die Entnahme der Energie. - Die rechtswidrige, weil z.B. vertragswidrige Entnahme von Strom auf ordnungsgemäßem Weg macht den Leiter noch nicht zu einem ordnungswidrigen. Ordnungswidrig daher: Überbrückung eines Zählers (OLG Celle MDR 1969 S. 597); Anbringen eines nicht zur Anlage gehörenden Kabels (BGH GA 1958 S. 369); Anzapfen einer Hochspannungsleitung u.ä. Nicht ordnungswidrig hingegen: Untermieter hat vertragswidrig nach 10 Uhr abends noch Licht an. - Benutzung eines elektrischen Heizofens, eines Bügeleisens, einer Kochplatte usw. gegen den Willen des Berechtigten. - Z.T. wird in der Lehre bei unbefugter Benutzung bestimmter Geräte danach unterschieden, ob der Berechtigte diese Geräte aufgestellt hat oder ein Nichtberechtigter. 14 ' Diese Differenzierung führt zu zufälligen Unterscheidungen in der Strafbarkeit 14 ".

c) Zueignungsabsicht ist hier die Absicht, über die Energie selbständig zum eigenen Nutzen zu verfügen. 2. Entziehung elektrischer Energie in bloßer Schädigungsabsicht, § 248 c Abs. 3 a) Das Delikt entspricht der Sachbeschädigung. Dem Täter geht es nicht darum, sich einen Vorteil zu verschaffen, sondern den Berechtigten zu schädigen. - Absicht bedeutet zielgerichtetes Wollen. b) Auch hier ist allein strafbar die entsprechende Schädigung mit Hilfe eines ordnungswidrigen Leiters. 3. Analoge Anwendung der §§ 247, 248 a Da § 248 c lediglich eine Lücke innerhalb der durch §§ 242, 246 geschützten Objekte schließen soll, ist eine analoge Anwendimg der §§ 247, 248 a in den entsprechenden Fällen angezeigt.

145 Zur Kritik vgl. auch: SEELMANN JUS 1985 S. 703. 146 So z.B. auch RGSt 39 S. 436. - A.A.: Als Leiter kommen nur elektrisch leitfähige Gegenstände in Betracht; vgl. z.B. RANFT JA 1984 S. 3. - Keine Leiter im Sinne des Gesetzes sind Rundfunk- und Fernsehwellen; vgl. STIMPFIG MDR 1991 S. 710. 147 MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 139; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 C R d n . 1 1 . 148 S o a u c h : DREHER/TRÖNDLE § 2 4 8 c R d n . 4 ; SAMSON S K , § 2 4 8 c R d n . 8 .

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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§ 46: Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Raubdelikte ist primär das Vermögen, und zwar die umfassende Sachherrschafl einer Person über eine Sache. Daneben wird die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung geschützt. 2. Die Systematik des Gesetzes a) Grundtatbestand der Raubdelikte ist § 249. Zur Interpretation des § 255 als Grundtatbestand der Raubdelikte durch den BGH vgl. § 53 II 1 b.

b) Qualifizierungen: §§ 250, 251. c) Raubähnliches Sonderdelikt: § 252. d) Ein zum eigenständigen Sonderdelikt ausgestalteter qualifizierter Fall des Raubes und der räuberischen Erpressung: § 316 a; dazu unter VI. e) Der Raub ist als eigenständiges Sonderdelikt (lex specialis) gegenüber den in ihm enthaltenen Tatbeständen der Nötigung und des Diebstahls anzusehen. §§ 247, 248 a finden daher im Bereich der Raubtatbestände keine Anwendung. II. Raub, § 249 1. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Die Gewalt gegen eine Person oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben müssen zur Begehimg eines Diebstahls eingesetzt sein, d.h. sie müssen Mittel der Wegnahme sein. aa) Gewalt ist der nicht notwendig erhebliche Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der sich auf die Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer, sondern als körperlicher Zwang auswirkt. Die Anwendung psychischen Zwanges ist hier auf die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begrenzt. Daher sind die Fälle unmittelbar wirksamen psychischen Zwanges, der sich auf das Opfer körperlich auswirkt vgl. dazu oben § 27 12 e - aus dem Gewaltbegriff herausgenommen, bb) Da die Gewalt hier aber Mittel des Gewahrsamsbruch ist, muß sie als körperlicher Zwang bei der Überwindung der Sachherrschaft des Opfers empfunden werden. List und Geschicklichkeit, mit denen der Täter die Sachherrschaft des Opfers bricht, bevor das Opfer einen körperlichen Zwang empfindet, sind nicht Gewalt i.S. des Raubes. Zur Verdeutlichung: BGHSt 18 S. 329: A schlug der B, die eine Tasche in der Hand trug, auf die Hand. B ließ daraufhin die Tasche fallen und A nahm die Tasche an sich. BGH: Raub, denn die Gewaltanwendung diente der Wegnahme. BGH StV 1990 S. 262: A versuchte der B, die eine Geldbombe "unter der linken Achsel eingeklemmt hatte", diese mit einem Ruck zu entreißen. B bemerkte allerdings das Vorhaben des A und verstärkte den Druck, so daß der Plan fehlschlug.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

BGH: Keine Wegnahme mit Gewalt, wenn nicht die eingesetzte Kraft, sondern List und Schnelligkeit das Bild der Tat prägen. - Damit wird im Gegensatz zu BGHSt 18 S. 329 eine so erhebliche Gewaltanwendung gefordert, daß sie geeignet ist, erwarteten Widerstand zu brechen, nicht nur ihn zu vermeiden oder ihm zuvorzukommen.

cc) Das Nötigungsmittel muß der Täter final zur Ermöglichung der Wegnabme einsetzen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme ist hingegen nicht erforderlich. Ob das Opfer die Wegnahme auch ohne Widerstand geduldet hätte, d.h. ob die Gewaltanwendung oder Drohung überhaupt nötig war, um die Wegnahme zu ermöglichen, ist unwesentlich. Maßgebend ist allein, daß die Nötigung zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes gegen die Wegnahme vom Täter für erforderlich gehalten wurde. Auch wenn sich die Nötigung gegen eine Person richtet, die nicht zum Widerstand gegen die Wegnahme bereit ist, so ist dies irrelevant, wenn der Täter Widerstand erwartet.149 Die Gewaltanwendung erfolgt auch dann zum Zwecke der Wegnahme, wenn der Täter zugleich weitere Ziele erreichen will. 150 Nutzt der Täter die von einem Dritten angewandte Gewalt ohne dessen Kenntnis zur Wegnahme aus, so fehlt es an dem finalen Konnex.151 b) Gewalt und Drohimg können bis zur Vollendung der Wegnahme eingesetzt werden. Werden diese Mittel hingegen erst nach Vollendung der Wegnahme zur Sicherung der Beute eingesetzt, so kann § 252 vorliegen; dazu unter V 1 b. c) Schwierige Abgrenzungsprobleme in Hinsicht auf die finale Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme ergeben sich bei einem Motivwechsel des Täters. Eine saubere Trennung der verschiedenen Fallgruppen gelingt hier nur, wenn streng zwischen der fortdauernden Nötigungswirkung und der Fortdauer des Einsatzes des Nötigungsmittels unterschieden wird: aa) Entschließt sich der Täter während des Einsatzes des Nötigungsmittels zur Wegnahme, so liegt eindeutig ein Raub vor. BGHSt 20 S. 32: A wandte gegen M Gewalt an, um sie an sich zu ziehen und zu küssen. M wehrte sich. Als A merkte, daß M eine Armbanduhr trug, streifte er die Uhr während des Handgemenges vom Arm und steckte sie ein. BGH: Raub.

bb) Wesentlich problematischer ist die Abgrenzung, wenn das Opfer nach der Gewaltanwendung Widerstand für sinnlos hält, weil es sich dem Täter ausgeliefert sieht und der Täter diese Lage ausnutzt. Hier ist zu unterscheiden: Sieht das Opfer das Verhalten des Täters als Drohimg mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben an und erkennt der Täter diesen Sachverhalt, so kann in seinem Verhalten eine konkludente Drohung liegen. Notwendig ist aber, daß der Täter in irgendeiner

149 Dazu auch: BGHSt 4 S. 210; 18 S. 331; BGH StV 1991 S. 516; DREHER/TRÖNDLE § 249 Rdn. 3; ESER N J W 1965 S . 3 7 8 ; GEILEN J u r a 1 9 7 9 S. 166; HERDEGEN L K , LACKNER S t G B , § 2 4 9 R d n . 2 ; SCHÜNEMANN J A 1980 S . 3 5 2 .

150 Vgl. BGH NStZ 1993 S. 79. 151 Dazu BGH StV 1990 S. 159.

11. A u f l . , § 2 4 9 R d n .

3;

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

187

Form schlüssig erklärt, er werde eventuellen Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen. Fall in Anlehnung an BGH bei Holtz, MDR 1987 S. 281: A und B hatten den Gastwirt G überfallen, den weit schwächeren G zusammengeschlagen und die Tageskasse entwendet. Drei Tage später erschienen sie erneut als G wiederum allein in der Gaststätte war. Sie verschlossen die Tür, verstellten dem G den Weg und A leerte die Kasse. Sie gingen davon aus, daß G angesichts ihrer Maßnahmen keinen Widerstand leisten würde. Ergebnis: Konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, denn durch ihr Verhalten brachten sie zum Ausdruck, daß im Falle eines Widerstandes dieser in gleicher Weise wie zuvor gebrochen würde.

Anders stellt sich hingegen die Situation dar, wenn der Täter davon ausgeht, daß das Opfer aufgrund einer vorangegangenen Gewaltanwendung noch so eingeschüchtert ist, daß es keinen Widerstand leisten wird, d.h. wenn der Täter nicht einmal die Möglichkeit eines Widerstandes für real hält. Der Umstand, daß der Täter diesen Widerstand in gleicher Weise brechen würde, wenn er geleistet würde, ersetzt nicht den Einsatz der Drohung, um eventuellen Widerstand zu brechen. Fall: Wie oben, aber A und B gehen davon aus, daß G keinen Widerstand leisten wird, wenn sie ihm Geld wegnehmen. Sie gehen gemeinsam in die Gaststätte des G und leeren die Kasse. Der ängstliche G widersetzt sich nicht. Ergebnis: Keine Drohimg.

Das Ergebnis aufgrund dieser Differenzierung überzeugt wenig. Es ist aber in der Entscheidung des Gesetzgebers begründet, die Ausnutzung der fortdauernden Nötigungswirkung nicht dem Einsatz des Nötigungsmittels gleichzustellen. Auch die Rechtsprechung hat den in der Differenzierung liegenden Wertungswiderspruch durchaus erkannt. Das erklärt, warum oft in Einzelfällen die Ausnutzung einer fortdauernden Nötigungswirkung der fortdauernden Gewaltanwendung gleichgestellt wurde. 152 Daß die Ausnutzung einer fortdauernden Nötigungswirkung gleichwohl etwas anderes ist als der weitere Einsatz des Nötigungsmittels ist allerdings unbestreitbar. BGHSt 32 S. 88 mit Anm. OTTO JZ 1984 S. 143 ff: A hatte den Hotelportier P gefesselt und geknebelt, damit dieser ihn nicht hindern konnte, ohne Bezahlung der Rechnung aus dem Hotel zu verschwinden. Als der A das Hotel verließ, kam er auf die Idee, den Inhalt der Hotelkasse mitzunehmen. BGH: Nur Diebstahl, kein Raub.

Auch in der Literatur ist es sachlich als unbefriedigend angesehen worden, daß derjenige, der eine selbst zuvor geschaffene Nötigungslage ausnutzt, nicht genauso bestraft wird wie derjenige, der die Nötigung zur Wegnahme einsetzt. Vorgeschlagen wurde, die Fortsetzung des Zwanges durch pflichtwidriges Aufrechterhalten der Zwangslage der Anwendimg des Nötigungsmittels gleichzusetzen.153 Diese Konstruktion einer Unterlassung nach vorangegangenem gefährlichem Tun vermag jedoch kein abweichendes Ergebnis zu begründen. Denn selbst wenn der Täter aufgrund der ursprünglichen Gewaltanwendung als Garant verpflichtet ist, von dem Opfer Schäden abzuwehren, denen es infolge seiner durch die Gewaltanwendung begründeten Hilflosigkeit ausgesetzt ist, kann die Ausnutzung der Zwangslage nicht als Gewaltanwendung durch den Unterlassungstäter interpretiert werden. Sein Unterlassen hat nicht den sozialen Sinngehalt ei152 Vgl. zur Gleichstellung: BGH NStZ 1981 S. 344; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH StV 1983 S. 460. - Andererseits: BGH bei Dallinger, MDR 1968 S. 17; BGH DRiZ 1972 S. 30; BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 455; BGH JZ 1981 S. 596; BGHSt 32 S. 88. 153 Vgl. ESER N J W 1965 S. 379 f; LACKNER StGB, § 249 R d n . 4 ; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 3 5 2 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

ner Gewaltanwendung, sondern nur den eines Fortdauernlassens der Wirkungen der Gewaltanwendung.154 Erwägenswert ist allerdings, ob in Anwendung allgemeiner Prinzipien strafrechtlicher Zurechnung, etwa entsprechend dem Grundsatz der actio libera in causa155, eine Gleichstellung des Täters, der Gewalt zur Wegnahme anwendet, mit dem, der das Opfer durch Gewaltanwendung in eine wehrlose Lage gebracht hat und diese nun zur Wegnahme ausnutzt, in Betracht kommt. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Dieser muß dem des Diebstahls entsprechen und außerdem auf Wegnahme mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gerichtet sein. - Zur Absicht rechtswidriger Zueignung vgl. oben § 40 II 2-4. Auch hier erfordert die Täterschaft die Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen.156 Die Erweiterung der Zueignungsabsicht oder der Wechsel des Zueignungsobjekts nach finalem Einsatz des Nötigungsmittels berührt den Raubvorsatz nicht; vgl. zur entsprechenden Problematik des Diebstahlstatbestands oben § 41 II 1 b. a) BGHSt 22 S. 350: A schlug den B nieder, um ihm DM 5,- wegzunehmen. Als er die Geldbörse des B geöffnet hatte und sah, daß sie erheblich viel mehr Geld enthielt, nahm er das ganze Geld an sich. BGH: Ejn einheitlicher Raub in bezug auf die Gesamtmenge; zu den verschiedenen möglichen Fallvarianten. 15 ' b) B schuldete dem A DM 30,-. Da er seine Schuld nicht zahlen wollte, schlug A ihn nieder, um ihm die geschuldete Summe wegzunehmen. Als A sah, daß B erheblich mehr Geld in der Brieftasche hatte, nahm er die ganze Summe an sich. Ergebnis: Kein Raub, denn als A Gewalt einsetzte, fehlt ihm die Absicht rechtswidriger Zueignung; dazu oben ¿ 4 0 II 2-4. Später aber nutzte er nur noch die Wirkungen der Gewaltanwendung zum Diebstahl aus. 158

3. Vollendung und Vesuch a) Vollendung und Beendigung Der Raub ist mit der Begründung neuen Gewahrsams an der Sache, auf deren Zueignung der Täter es abgesehen hat, vollendet. - Beendet ist der Raub, wenn der Täter diesen Gewahrsam gesichert hat oder der Angriff auf den Gewahrsam erfolgreich abgewehrt wurde.159 b) Versuch Versucht ist der Raub, wenn der Täter zum Zwecke der Wegnahme zur Gewaltanwendung oder Drohung unmittelbar ansetzt, d.h. wenn das angegriffene Rechtsgut aus der Sicht des Sachverhalts durch den Täter unmittelbar gefährdet ist. 154 V g l . : HERDEGEN LK, 11. A u f l . , § 2 4 9 Rdn. 16; JOERDEN JuS 1985 S. 26; KREY B . T . 2 , R d n . 193; KÜPER J Z 1981 S. 571. 155 Dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 13 N 4 .

Vgl. BGH StV 1990 S. 160; BGH StV 1994 S. 128. 157 Vgl. auch BGH StV 1990 S. 408. 158 Dazu auch: BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH StV 1990 S. 407. 159 Dazu BGH NJW 1985 S. 814 mit Bespr. KÜPER JuS 1986 S. 862 ff. 156

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 1050 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 22/14: A und B wollten den Geschäftsführer des Ratskellers ausrauben, nachdem er das Geschäft geschlossen hatte. Ab ein Uhr nachts warteten sie im Innenhof des Ratskellers. Er erschien aber nicht, da er noch länger beschäftigt war. BGH: Aus der Sicht des Täters noch keine konkrete Gefährdung des Rechtsguts, daher noch kein Versuch, wohl aber Verabredung zu einem Verbrechen, § 30 Abs. 2.

Kommt es dem Täter auf den Inhalt eines Behältnisses an, so liegt nur versuchter Raub vor, wenn das weggenommene Behältnis das Gewünschte nicht enthält. BGH StV 1983 S. 460: A wollte der B Bargeld wegnehmen, das er in ihrer Handtasche vermutete. Mit Gewalt entriß er ihr die Handtasche. - Als A feststellte, daß kein Geld in der Tasche war, warf er diese fort. BGH: Nur versuchter Raub. 1 6 0

III. Schwerer Raub, § 250 1. Die Raubqualifikationen gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 a) § 250 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 entspricht § 244 Abs. 1 Nr. 1-3; zur Problematik dieser Qualifikationsmerkmale vgl. oben § 41 HI 1-3. b) Entsprechend der Interpretation des § 244 Abs. 1 Nr. 2 - dazu oben § 41 m 2 - sieht die Rechtsprechung die sog. Scheinwaffe als Waffe i.S. des § 250 Abs. 1 Nr. 2 an. 161 Wegen Fehlens der objektiven Gefahr wäre es allerdings angezeigt, im Fall der Verwendung einer Scheinwaffe einen minder schweren Fall gemäß § 250 Abs. 2 anzunehmen. Der BGH berücksichtigt die geringere Gefährdung in der Regel jedoch nur als einen Umstand neben anderen in der Gesamtwertung.162 In jedem Fall entfällt jedoch das qualifizierende Element, wenn das Opfer die Waffe als Scheinwaffe erkennt. Hier liegt nur ein versuchter schwerer Raub in Idealkonkurrenz mit einem vollendeten einfachen Raub vor. 163 c) Will der Täter vom Versuch des schweren Raubes zurücktreten, so muß er die Wegnahmeabsicht aufgeben. Den Rücktritt von einem Teil eines Delikts kennt das Gesetz nicht. - Allein die Aufgabe des Planes, eine Waffe beim Raub zu benutzen, und das Fortwerfen der Waffe genügen den Rücktrittserfordernissen daher nicht. 164

160 Vgl. dazu auch § 40 H 2 d, bb sowie BGH bei Dallinger, MDR 1976 S. 16; BGH StV 1990 S. 205. 161 Dazu BGH NJW 1976 S. 248 mit abl. Anm. KÜPER JuS 1976 S. 645 ff; BGH NStZ 1981 S. 436 mit abl. Anm. KÜPER NStZ 1982 S. 28 f; BGHSt 38 S. 116 ff. Dem BGH folgend: DREHER/TRÖNDLE § 2 5 0 R d n . 5 ; PREISENDANZ § 2 5 0 A n m . 2 . - A . A . ESER J Z 1 9 8 1 S . 7 6 1 f f , 8 2 1 ff; GEPPERT J u r a 1 9 9 2 S . 4 9 9 ff; HERDEGEN L K , 11. A u f l . , § 2 5 0 R d n . 17 ff; LACKNER S t G B , § 2 4 4 R d n . 4 ; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 5 R d n . 2 7 .

162 Dazu BGH NStZ 1981 S. 436; BGH JZ 1982 S. 868; BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 91; BGH StV 1985 S. 456; BGH StV 1991 S. 106; BGH MDR 1993 S. 1040; ESER JZ 1981 S. 821; HEITINGER JZ 1982 S. 849 ff. - Zu den Konsequenzen dieser Rechtsprechung in der Praxis: LG Köln NStZ 1993 S. 43. 163 A.A. BGH JZ 1990 S. 552 mit abl. Anm. HERZOG StV 1990 S. 547 f, GEPPERT JK 90, StGB § 250/6. 164 Dazu BGH NStZ 1984 S. 216 mit abl. Anm. GEPPERT JK, StGB § 250/3; STRENG JZ 1984 S. 652 ff; ZACZYK NStZ 1984 S. 217.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

2. § 250 Abs. 1 Nr. 3: Gefährlicher Raub a) Bei den hier relevanten Gefahren muß es sich um konkrete, naheliegende Gefahren handeln, wie die an dem im Wortlaut gleichen §§ 113 Abs. 2 Nr. 2, 125 a Nr. 3 orientierte Auslegung ergibt. b) Der besonderen Gefährdung muß sich der Täter bewußt sein, d.h. sie muß von seinem Vorsatz umfaßt sein. § 250 Abs. 1 Nr. 3 ist kein erfolgsqualifiziertes Delikt i.S. des § 18.165 c) Tatbeteiligte sind durch § 250 Abs. 1 Nr. 3 nicht geschützt, vgl. dazu unter IV 1 c. 3. Verwirklichung mehrerer Alternativen des Tatbestandes Auch wenn der Täter mehrere Alternativen des Tatbestandes verwirklicht, liegt nur eine Raubtat vor. 166

IV. Raub mit Todesfolge, § 251 1. Die Erfolgsqualifizierung § 251 enthält gegenüber §§ 249, 250 eine Erfolgsqualifizierung. Der besondere Erfolg, der Tod eines anderen, muß auf die - zwischen Versuchsbeginn und Vollendung vorgenommene - Tathandlung des Raubes zurückzuführen sein. - Abweichend von § 18 genügt aber in bezug auf den Erfolg nicht mindestens Fahrlässigkeit, vielmehr muß der Täter den Erfolg leichtfertig verursacht haben. a) Leichtfertig ist als grob fahrlässig zu interpretieren.167 b) Entgegen dem zu weit geratenen Wortlaut des Gesetzes, aber im Einklang mit dem Wesen des Strafgrundes der "Erfolgsqualifikation", genügt es nicht, daß der Raub conditio-sine-qua-non für den Erfolg geworden ist, vielmehr muß sich der Todeserfolg aus der Raubhandlung und ihrer spezifischen Gefährlichkeit entwickelt haben. Darüber hinaus ergab der ursprüngliche Wortlaut des Gesetzes: "... durch die gegen ihn verübte Gewalt", und der systematische Zusammenhang zwischen den Raubdelikten und § 252, daß die tödliche Gewaltanwendung auf die Wegnahme gerichtet sein mußte, so daß nur eine Gewaltanwendung bis zur Vollendung des Raubs relevant war. Mit der Neufassung des § 251 durch das EGStGB: "... durch den Raub", hat der Gesetzgeber den systematischen Zusammenhang zerstört und den Anwendungsbereich des § 251 erheblich gegenüber dem § 252 erweitert. Beispiel 1: A schlägt den B, den er ausrauben will, mit einem Knüppel nieder. Er will den B zwar nicht töten, schlägt aber mit solcher Wucht zu, daß die Schädeldecke des B zertrümmert wird. B stirbt. Ergebnis: § 251. Beispiel 2: A schlägt im 2. Stock eines Hauses auf den B ein, um ihn niederzuschlagen und auszurauben. In seiner Not springt B aus dem Fenster.

165 Dazu BGHSt 2 6 S. 176 mit A n m . KÜPER NJW 1976 S. 543 ff, und MEYER-GERHARDS JUS 1976 S. 228 ff; BACKMANN M D R 1976 S. 969 ff; GEILEN Jura 1979 S. 445; SCHÜNBMANN J A 1980 S. 393. 166 B G H N J W 1994 S. 2034. 167 Dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 0 1 2 b .

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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Ergebnis: § 251. - Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch B, da der Wille des B nicht frei war. 1 6 8 Beispiel 3: Nach einem Raubüberfall kommt es zu einer Schießerei zwischen dem Räuber und mehreren Verfolgern auf offener StraBe. Durch einen SchuB wird einer der zahlreichen Passanten getroffen. Ergebnis: § 251. 1 6 9 Beispiel 4: Als die Täter nach einem Raubüberfall mit dem Auto davonrasen, überfahren sie den X. Ergebnis: §§ 249, 222, 53.

c) § 251 findet keine Anwendung, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt, denn § 251 greift nicht zugunsten dessen ein, vor dessen Tun er gerade erhöhten Schutz bieten soll. 170 2. Der Versuch Tritt der schwere Erfolg bereits beim Versuch des Raubes ein, so ist § 251 anwendbar. 171 3. Konkurrenzen a) §§ 222, 226, 250 werden von § 251 konsumiert. b) Tateinheit zwischen einem vorsätzlichen Tötungsdelikt und § 251 ist nach der jetzigen Fassung des Gesetzes ausgeschlossen: Nach dem Wortlaut des Gesetzes erfaßt der Tatbestand nicht ein mindestens leichtfertiges, sondern nur ein leichtfertiges Verhalten. 172 Damit ergibt sich der Widerspruch, daß in den Fällen des § 212 die Strafdrohung unter der des § 251 liegt, d.h. leichtfertiges Verhalten schwerer bestraft wird als vorsätzliches. - Auch wenn in den meisten Fällen, in denen der Täter tötet, um sich eine fremde Sache rechtswidrig zuzueignen, Habgier vorliegt und damit § 211 durchgreift, bleibt der Widerspruch unerträglich, denn nicht in allen Fällen der Tötung, um einen Vermögensvorteil zu erlangen, ist Habgier gegeben; dazu oben § 4 II 1 c. Die Beseitigung des Widerspruchs durch Interpretation der Strafdrohung des § 251 als Mindeststrafdrohung des § 212 bei Raub mit Tötungsvorsatz ist jedoch als Analogie zuungunsten des Täters ausgeschlossen.173 c) Zur Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung unter § 53 II 1 b. 168 Dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 1 1 2 .

169 Str., vgl. : BGHSt 38 S. 295 mit abl. Anm. GEPPERT JK 93, StGB § 251/3, RENGIER NStZ 1992 S. 590 f, SCHROEDER JZ 1993 S. 52; DREHER/TRÖNDLB § 251 Rdn. 2; GEILEN Jura 1979 S. 557; LACKNER StGB § 251 Rdn. 1; OTTO JZ 1993 S. 569. - A.A. HERDEGEN LK, 11. A u f l . , § 251 R d n .

4 f; KÜPPER Der "unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 100 f; SCHÜNEMANN JA 1980 S. 396. 170 So auch: LACKNER StGB, § 251 Rdn. 1; SCH/SCH/ESER § 251 Rdn. 3. - A . A . KUNATH J Z 1972 S. 201. 171 Str., dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 8 I V 6.

172 Dazu BGHSt 26 S. 175 mit zust. Anm. RUDOLPHIJR 1976 S. 74 f; KREY B.T.2, Rdn. 204; LACK-

NER StGB, §251 Rdn. 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, §35 Rdn. 34; RENGIER StV 1992 S. 496 ff; TENCKHOFF ZStW 88 (1976) S. 912. - A.A. BGHSt (Gr.S) 39 S. 100 mit zust. Anm. GEPPERT JK 93, StGB § 251/4; HERDEGEN LK, 11. Aufl., § 251 Rdn. 10 ff; HERZBERG JuS 1976 S. 43 f; SCHMIDHÄUSERB.T., 8/56; SCHÜNEMANN JA 1980 S. 396.

173 So auch: LAUBENTHAL JR 1988 S. 335 f; RENGIER Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Er-

scheinungsformen, 1986, S. 107; RUDOLPHI JR 1976 S. 74 f. - A.A. LACKNER StGB, § 251 Rdn. 4; TENCKHOFF ZStW 88 (1976) S. 914 ff. - Im übrigen vgl. MAIWALD G A 1974 S. 270 f .

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Die Vermögensentziehungsdelikte

V. Räuberischer Diebstahl, § 252 § 252 enthält ein raubähnliches Sonderdelikt. Deijenige, der die Beute mit den Mitteln des Raubes sichert, wird dem Räuber gleichgestellt, und zwar sind je nach den Sachverhaltsgegebenheiten §§ 249, 250, 251 anwendbar. 1. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Vortat: Diebstahl Als Vortat kommen alle privilegierten und qualifizierten Fälle des Diebstahls in Betracht und auch der Raub. Auch wenn der Gesetzestatbestand nur den Diebstahl nennt, erfolgt die Erstreckung seines Anwendungsbereichs auf den Raub noch im Einklang mit dem Gesetzestext: Auch im Raub ist ein Diebstahl enthalten. Der Konkurrenzregelung, daß der Raub dem Diebstahl als lex specialis vorgeht, kommt im Rahmen des § 252 keine Bedeutung zu. - Vom Sinn und Zweck des Gesetzes her wäre es unverständlich, daß deijenige, der nach einem Diebstahl bei der Sicherung der Beute einen anderen leichtfertig tötet, nach § 252 bestraft werden kann, nicht aber deijenige, der zuvor einen Raub, § 249, begangen hat.

b) Die Vortat muß vollendet sein Der Einsatz des Raubmittels nach Vollendung der Vortat aber vor ihrer Beendigung begründet die Annahme des § 252 anstelle des § 249. 1 7 4 BGH MDR 1987 S. 775: A quartierte sich als Demonstrant gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in der Scheune der Eheleute W ein. Diese waren damit einverstanden. In der Nacht schlich er sich in das Schlafzimmer seiner Gastgeber und entwendete dort 520,- DM sowie Schmuckgegenstände. Beides steckte er in seine Gesäßtasche und begab sich wieder in die Scheune, um seinen Rucksack zu pakken und zu verschwinden. Inzwischen hatte Frau W das Fehlen des Geldes bemerkt. Sie hatte den A sofort in Verdacht und stellte ihn deswegen in der Scheune zur Rede. A bestritt den Diebstahl. Als W ihn anflehte, das Geld zurückzugeben, schlug er ihr mit der Hand in das Gesicht, um sich den Besitz der gestohlenen Sachen zu erhalten und wandte sich zur Flucht. Um diese zu verhindern, trat ihm die W erneut in den Weg, worauf A sie bedrohte, bevor er von zwei herbeigeeilten Männern überwältigt wurde. BGH: Diebstahl noch nicht beendet, da Täter noch in der Herrschaftsphäre der Bestohlenen und daher der Gewahrsam noch nicht gesichert und gefestigt war. ^ ' '

c) Auf frischer Tat Frisch ist die Tat, die vollendet, aber noch nicht beendet ist. Nach der Sicherung des Gewahrsams durch den Täter ist kein Raum mehr für die Anwendung des § 252. Demgegenüber verlangt die Rechtsprechung einen zeitlich - räumlichen Zusammenhang zwischen Vortat und Einsatz des Nötigungsmittels, so daß auch eine noch nicht beendete Tat nicht notwendig frisch zu sein braucht.176 Umgekehrt soll die Beendigung der Vortat die Frische der Tat nicht notwendig ausschließen.177 Dem kann nicht gefolgt werden. Der Zeitpunkt der Sicherung der Beute beendet nicht nur die Notwehrsituation des Opfers, sondern bedeutet allgemein eine Zäsur in dem Geschehen. Das Verhalten kann nun nicht mehr als eine einheitliche Raubhandlung bewertet werden. Die Einheit 174 H.M. vgl. BGHSt 28 S. 224; BGH StV 1985 S. 13; BGH StV 1986 S. 530; BGH JZ 1988 S. 471; HERDEGEN L K , 11. A u f l . , § 2 5 2 R d n . 7 f f . - A . A DREHER M D R 1 9 7 9 S . 5 2 9 f f ; SCHMTOHÄUSER B.T., 8 / 5 9 .

175 Vgl. einerseits: OTTO JK 88, StGB § 252/3; andererseits: KRATZSCH JR 1988 S. 397 ff. 176 V g l . B G H S t 2 8 S . 2 2 8 ; B G H N J W 1987 S . 2 6 8 7 f ; KÜHL J A 1 9 7 9 S . 4 9 1 ; SCH/SCH/ESER § 2 5 2 R d n . 4 ; SEIER J u S 1 9 7 9 S . 3 3 8 . - D a g e g e n : DREHER M D R 1 9 7 9 S . 5 3 2 ; HERDEGEN L K , 11. A u f l . , § 2 5 2 R d n . 14; SCHNARR J R 1 9 7 9 S . 3 1 6 f .

177 Vgl. DREHER MDR 1979 S. 531; LACKNER § 252 Rdn. 4; SCH/SCH/ESER § 252 Rdn. 4.

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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des Geschehens ist aber die Rechtfertigung für die Gleichstellung der nach der Wegnahme geübten Gewaltanwendung mit der zur Wegnahme verwirklichten Gewaltanwendung durch § 252. 178 d) Das Betreffen Der Täter ist auf frischer Tat betroffen, wenn er bei der Tat mit einem anderen zusammentrifft, der ihn als Tatverdächtigen erkannt hat oder unmittelbar zu erkennen droht. BGHSt 26 S. 95: A war in die Wohnung der C in diebischer Absicht eingedrungen und hatte Schmuck u.a. in einer Aktentasche verstaut. In der Tasche hatte er außerdem noch einen Holzknflppel. Als er die Wohnung gerade verlassen wollte, hörte er, wie die WohnungstOr aufgeschlossen wurde. Er versteckte sich hinter der Zimmertür und nahm den Knüppel in die Hand. Als Frau C das Zimmer betrat, schlug er sie nieder. Dann verließ er fluchtartig die Wohnung. BGH: A ist auf irischer Tat betroffen worden. 179

Der bloße Glaube des Täters, erkannt zu sein, ersetzt das Betroffensein nicht. 180 e) Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben aa) Zum Begriff der Gewalt und zu dem der Drohung vgl. oben II 1 a, aa. bb) Das Opfer braucht nicht der Gewahrsamsinhaber zu sein oder jemand, der den Diebstahl verhindern will. Da nur erforderlich ist, daß der Täter handelt, um sich im Besitz der Beute zu halten, genügt es, daß der Täter meint, die Person, gegen die er Gewalt oder Drohung anwendet, werde die Beendigung des Diebstahls verhindern, cc) Da die Anwendung von Gewalt oder Drohung jener gleichkommen muß, mit der beim Raube die Wegnahme ermöglicht wird, ist genau zu beachten, ob sich die Gewalt auch gegen eine Person richtet. Beispiel 1: Der Eigentümer E hält den auf frischer Tat betroffenen Dieb A fest. A reißt sich los. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E. Beispiel 2: Als der E den verfolgten Dieb A einholt, wirft dieser die Beute auf den Fußboden und sich darauf. A muß von E mühsam beiseite geschoben werden. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E.

2. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz muß sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes erstrecken. Hinzu kommt die Absicht, sich im Besitz der Beute zu halten in einer Situation, in der dem Täter der unmittelbare Entzug der Beute zugunsten des Berechtigten droht.

BGH StV 1987 S. 196: A hatte dem K in der Wohnung der S während eines kurzen Einnickens Geld entwendet. Als K den Verlust bemerkte, stellte er den A zur Rede. A gab das Geld aber nicht heraus. Nun verließ K die Wohnung, um seinen Sohn herbeizuholen, der die Sache klären sollte. Um zu verhindern, daß der S ihm das Geld wieder abnehme, eilte A dem K nach und stürzte ihn die Treppe herab. K Warn zu Tode.

178 Vgl. auch BGHSt 28 S. 229; GEILEN Jura 1979 S. 670; HERDEGEN LK, 11. Aufl., § 252 Rdn. 6; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 3 9 8 .

179 Zustimmend: HERDEGEN L K , 11. Aufl., § 252 Rdn. 12. - A.A. DREHER M D R 1979 S. 529 ff; FEZER JZ 1975 S. 609 ff; GEPPERT Jura 1990 S. 556 f; SCHNARR JR 1979 S. 314 ff. 180 So auch: LACKNER StGB, § 252 Rdn. 4. - A.A. HERDEGEN L K , 11. Aufl., § 252 Rdn. 12.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

BGH: § 252 nicht erfüllt, denn A handelte nicht in der Absicht, eine gegenwärtige oder bevorstehende Gewahrsamsentziehung zu verhindern. 1 8 1 b) Die Absicht, den Besitz des gestohlenen Gutes zu behalten, muß Beweggrund des Täters sein, nicht aber einziger Beweggrund. - Stets muß es dem Täter aber auch darum gehen, sich die umfassende Sachherrschaft zu erhalten und zu sichern. BGH MDR 1987 S. 154: A und B hatten gestohlene Sachen im Kofferraum ihres Kfz verladen, als sie von W überrascht wurden. Sie griffen W tätlich an, um mit dem Kfz fliehen zu können. An die Beute dachten sie in diesem Moment nicht. BGH: Die Absicht, sich im Besitz der Beute zu eihalten, bedeutet, die Beute in das eigene Vermögen zu bringen, die Sache für sich haben zu wollen und - wenn auch nur auf begrenzte Zeit - wirtschaftlich nutzen zu wollen. Daran fehlt es h i e r . ' ° 2 c) Handelt der Täter bei der Vortat in einem Tatbestandsirrtum, so fehlt ihm das Bewußtsein, bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen zu sein, und damit der Vorsatz. § 252 setzt aber den Diebstahl objektiv und subjektiv voraus. 1 8 3 - Doch auch ein Verbotsirrtum bei der Vortat führt zum gleichen Ergebnis, denn dieser verhindert, daß sich der Täter des sozialen Sinngehalts des Geschehens bewußt wird. Er erkennt sein Verhalten nicht als Diebstahl. Damit fehlt auch hier das Bewußtsein, bei einem Diebstahl betroffen zu sein. Fall: G schuldet dem A DM 20,-, weigert sich aber zu bezahlen. A nimmt dem G DM 20,- weg, weil er meint, dies sei rechtens, und sucht das Weite. Als G den A verfolgt, schlägt dieser ihn mit einem Aschenbecher nieder. Ergebnis: Lehnt man nicht, wie es oben - vgl. § 40 II 4 - geschehen ist, eine rechtswidrige Zueignung ab, so ist der Irrtum des A nach h.M. ein Verbotsintum. Doch dieser Intum bewirkt, daß A sich nicht der Tatsache bewußt wird, einen Diebstahl begangen zu haben. Die Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale ersetzt aber nicht die Kenntnis des sozialen Sinngehaltes des Geschehens. 3. Täterschaft und Teilnahme a) Mittäter der Vortat können auch Täter des § 252 sein, wenn sie selbst nicht unmittelbar im Besitz der Beute sind. Sie handeln, um sich im Besitz der Beute zu halten, wenn der mittäterschaftlich vermittelte Besitz an der Beute erhalten bleiben soll. aa) Beispiel: A und B haben bei C eingebrochen und ein Gemälde gestohlen. Als C ihnen nachsetzt, läuft B mit dem Gemälde weiter, während A den C niederschlägt. Ergebnis: A: § 252. - Handelte A im Einvernehmen mit B, so ist § 252 auch auf B anwendbar. 18 ^ bb) BGH StV 1991 S. 349: Nach einem Diebstahl suchte F das Weite. Den sie verfolgenden X schlug A nieder, der F den Besitz der Beute eihalten wollte. BGH: Da die Absicht des A nicht dpauf gerichtet war, sich im Besitz der Beute zu halten, kommt er als Täter des § 252 nicht in Betracht.186 Nach der Beuteteilung kann jeder Mittäter nur noch eigene Sachherrschaft verteidigen.

181 Vgl. dazu auch BGHSt 9 S. 162. 182 Vgl. dazu auch OLG Zweibrücken JR 1991 S. 383 mit Anm. PERRON S. 384 f; OLG Zweibrücken StV 1994 S. 5 4 5 . 183 Vgl. BGH StV 1987 S. 534. 184 Dazu BGHSt 17 S. 88. 185 So auch: OLG Stuttgart NJW 1966 S. 1931; GEILEN Jura 1980 S. 45; HERDEGEN LK, 11. Aufl., § 2 5 2 Rdn. 18. 186 Vgl. dazu auch ENNUSCHAT JR 1991 S. 5 0 0 f; OTTO JK 91, StGB § 2 5 2 / 4 .

§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl

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b) Str. ist, ob Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein können. Fall: B hat bei C eingebrochen und ein Gemälde entwendet. A stand Schmiere. Als B von C verfolgt wird, schlägt A den C nieder.

Da "Wer ..." i.S. des § 252 nicht der Täter der Vortat sein muß, entscheidet sich die Frage danach, ob der Teilnehmer handelt, "um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten". Das setzt voraus, daß er zumindest Mitbesitzer der Beute ist. Ist er Mitbesitzer oder Besitzer der Beute, so kann er auch Täter des § 252 sein. 187 4. Konkurrenzen a) § 252 konsumiert den zuvor begangenen Diebstahl. - Wurde die Anwendung des Raubmittels jedoch nur versucht, so stehen Diebstahl und versuchter räuberischer Diebstahl in Tateinheit.188 b) War die Vortat ein Raub gemäß §§ 249, 250, 251, so konsumiert dieser den § 252 als straflose Nachtat, soweit bei der Verwirklichung des § 252 keine schwereren qualifizierenden Merkmale als bei der Vortat verwirklicht wurden. c) Erfolgt die Verwirklichung des § 252 unter schwereren Qualifikationsumständen als die Vortat - z.B. Vortat: § 249, um sich im Besitz der Beute zu halten, übt der Täter Gewalt mit einer Waffe -, so konsumiert § 252 die Vortat. VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a 1. Das Wesen der Tat Sachlich stellt § 316 a eine durch die besondere Begehungsweise qualifizierte Form des Raubes, des räuberischen Diebstahls und der räuberischen Erpressung dar. 189 Der Strafrechtsschutz ist vorverlegt für den Fall, daß der Täter seinen Angriff unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs unternimmt. Durch Gleichstellung von Versuch und Vollendung im Unternehmen der Tat hat der Gesetzgeber ein eigenständiges Raubdelikt geschaffen. a) Zu den Konsequenzen der verschiedenen Auffassungen vgl. unter 3. und 4. b) Zu den Einzelheiten der räuberischen Erpressung vgl. unten § 53 n . 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Angriff ist jede Bedrohung von Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Fahrers oder Mitfahrers eines Kraftfahrzeuges. - Angreifer können Dritte, Mitfahrer oder der Fahrer

187 So auch: BGHSt 6 S. 248; DREHER/TRÖNDLE § 252 Rdn. 9; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 35 Rdn. 40. - A.A. GEILEN Jura 1980 S. 46; SCH/SCH/ESER § 252 Rdn. 11; SCHÜNEMANN

JA 1980 S. 399. 188 So auch: HERDEGEN LK, 11. Aufl., § 252 Rdn. 21; LACKNER StGB, § 252 Rdn. 8. - A.A. OLG Karlsruhe MDR 1978 S. 244; SCH/SCH/ESER § 252 Rdn. 13.

189 So auch: KREY B.T. 2, Rdn. 224; SCH/SCH/CRAMER § 316 a Rdn. 1. - Als Verkehrsdelikt interpretiert die höchstrichterliche Rechtsprechung den Tatbestand; vgl. BGHSt 5 S. 281; 13 S. 29; 22 S. 117; HENTSCHEL JR 1986 S. 428 ff. - Als Verkehrs- und Vermögensdelikt sehen die Vorschrift: GÜNTHER J Z 1987 S. 375 ff; LACKNER StGB, § 316 a R d n . 1.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

selbst sein. Gleichgültig ist, ob der Angriff sich von außen nach innen richtet, bzw. innerhalb oder außerhalb des Kraftfahrzeuges unternommen wird. b) Die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs werden ausgenutzt, wenn die Tat in naher Beziehung zur Benutzung des Kraftfahrzeuges als Verkehrsmittel steht, indem die durch die Fortbewegung des Kraftfahrzeuges geschaffenen und ihm eigentümlichen Gefahren genutzt werden. Diese Gefahren ergeben sich für den Fahrer vor allem aus der Beanspruchung durch die Lenkung und im übrigen aus der Erschwerung der Flucht oder der Gegenwehr, daneben aber auch nach h.M. aus der Isolierung und Unerreichbarkeit fremder Hilfe. Beispiele: yerbringen des Opfers mit Kfz an eine einsame Stelle, um es dort auszurauben^, nicht aber, wenn der Überfall erst nach längerem Fußmarsch, entfernt vom Parkplatz des Kfz, erfolgen so Iii" . _ Raub eines Kfz, nachdem dessen Fahrer durch List oder Gewalt angehalten wurde (BGHSt 24 S. 321), nicht aber gewaltsame Wegnahme eines ohne Zutun des Täters auf der Straße haltenden oder parkenden Kfz (BGHSt 24 S. 321; BGH GA 1979 S. 466). - Zusammenschlagen des Opfers in dem engen Fahrzeug, so daß dessen Gegenwehr erschwert ist (BGHSt 25 S. 315; vgl. auch BGH NJW 1992 S. 989), nicht aber Erpressung eines Opfers in einem haltenden Wagen (BGH 5 StR 54/72). - Opfer wird vom fahrenden Mofa gestürzt^

c) Unternehmen heißt, einen Angriff versuchen oder vollenden, § 11 Abs. 1 Nr. 6. aa) Die Tat ist mit dem Versuch des Angriffs vollendet. - Ein Versuch des § 316 a ist als Versuch begrifflich ausgeschlossen, weil die Vollendung des Delikts bereits mit der unmittelbaren Gefährdung des geschützten Rechtsguts auf der Grundlage des Täterplans eintritt. Den Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zur Verwirklichung des Tatbestandes erkennt die Rechtsprechung sehr früh, da sie das geschützte Rechtsgut in der Sicherheit des Verkehrs erkennt: Einsteigen des Täters (BGHSt 6 S. 84); Einsteigenlassen des Opfers (BGHSt 18 S. 17); Beginn der Fahrt (BGHSt 33 S. 378; BGH NStZ 1989 S. 476).

bb) Auch der Täter, der zunächst aus anderen Gründen angegriffen hat und während dieses Angriffs erst den Raubplan faßt, unternimmt einen Angriff i.S. des § 316 a. d) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, den Angriff zu unternehmen und muß mit der Absicht verbunden sein, einen Raub, eine räuberische Erpressung oder einen räuberischen Diebstahl als Täter zu begehen. 3. Tätige Reue, § 316 a Abs. 2 Die Sicht des in § 316 a geschützten Rechtsgutes bestimmt den für einen Rücktritt möglichen Zeitpunkt. Wird § 316 a nämlich als Raubdelikt interpretiert, so ist Erfolg i.S. des § 316 a Abs. 2 die Vollendung des Raubes oder des raubähnlichen Delikts.193 Für diejenigen, die in § 316 a ein Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs sehen, ist Er-

190 Dazu BGHSt 18 S. 173; BGH NStZ 1994 S. 340; a.A. GÜNTHER JZ1987 S. 374 f. 191 B G H S t 2 2 S. 114; 33 S. 378 mit A n m . GEPPERT NStZ 1986 S. 552 f; GÜNTHER J Z 1987 S. 16 f f ;

HENTSCHEL JR 1986 S. 428 ff; vgl. auch BGHSt 37 S. 256. 192 BGHSt 39 S. 249 mit abl. Anm. GROBE NStZ 1993 S. 525 ff. 193 Vgl. BOTTKE Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979, S. 646 f; SCH/SCH/CRAMER § 316 a Rdn. 11.

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folg i.S. des § 316 a Abs. 2 der Angriff auf Leib, Leben oder Entscheidungsfreiheit des Opfers.194 4. Konkurrenzen a) Wird § 316 a als Raubdelikt interpretiert, so konsumiert er als schwerstes Delikt die anderen Raubtatbestände mit Ausnahme des § 251, gleichgültig, ob diese vollendet oder versucht sind. b) Wird § 316 a als Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs interpretiert, so besteht Idealkonkurrenz mit den Raubdelikten, deren Versuch jedoch konsumiert wird, wenn er nicht nach den §§ 250, 251 qualifiziert ist.195

§ 47: Sachbeschädigung BloBes Vermögensentziehungsdelikt, im Objekt beschränkt auf Sachen, die einem anderen gehören als dem Täter. - Der Gedanke, die rechtswidrige Vermogensbeschädigung allgemein unter Strafe zu stellen, hat sich nicht durchsetzen können, und auch zur Zeit steht die Schaiding eines - subsidiären - Auffangtatbestandes, der jede nicht durch einen anderen Tatbestand eifafite Vermögensentziehung unter Strafe stellt, nicht zur Debatte.

I. Sachbeschädigung, § 303 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt ist die umfassende Sachherrschaftsposition einer Person über eine Sache, die im Regelfall durch das Eigentumsrecht vermittelt wird. - Bei der Zerstörung oder Beschädigung von Sachen, die auch aus der Sicht des Berechtigten völlig wertlos sind und an deren Erhalt er keinerlei sachgerechtes Interesse hat, entfällt der Tatbestand, weil ein Vermögensschaden nicht vorliegt.196 2. Die einzelnen Tatbestandsmerlanale a) Sache ist - wie bei den Aneignungsdelikten - als körperlicher Gegenstand zu verstehen, d.h. als konkret wahrnehmbares, gegen andere Gegebenheiten abgegrenztes Objekt. Geschätzt sind daher auch Tiere. 19 ? Erfaßt werden femer unbewegliche Sachen, z.B. Hausruinen, Brunnenanlagen, Gärten oder Felder. Bei einer Langlaufloipe entscheidet sich die Frage, ob eine Sache i.S. des § 303 vorliegt, danach, ob diese als hinreichend abgegrenzt gegenüber ihrer Umgebung angesehen werden kann.19®

b) Zum Begriff fremd vgl. oben § 401 3.

194 Dazu BGHSt 10 S. 320; DREHER/TRÖNDLE § 316 a R d n . 6; GEPPERT JUS 1975 S. 386; LACKNER StGB, § 3 1 6 a R d n . 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 5 R d n . 61; SCHÄFER LK, § 3 1 6 a Rdn. 31.

195 Vgl. BGHSt 25 S. 373; BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 808. 196 Vgl. BayObLG NJW 1993 S. 2760. 197 Siehe oben §40 I I . 198 Dazu BayObLG JR 1980 S. 429 f mit Anm. M. J. SCHMID S. 430 f.

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c) Beschädigen ist jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert oder ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, daß die Brauchbarkeit für ihre Zwecke gemindert ist.199 Sachbeschädigung ist damit zunächst die Substanzverletzung, d.h. die Beseitigung der stofflichen Unversehrtheit einer Sache, deren stoffliche Verringerung oder Verschlechterung. Fall: Bei der Volkszählung 1987 schnitt A aus dem Volkszählungsbogen die Kennziffer, bevor er den Bogen an die zuständige Behörde zurücksandte. Ergebms: Sachbeschädigung, da die Behörde ein positives Interesse am Erhalt auch nicht ausgefüllter Bögen zur Gewinnung bestimmter Daten hatte. 200

Sachbeschädigung ist sodann die Einwirkung auf eine Sache, durch die deren bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur geringfügig beeinträchtigt wird. Nicht tatbestandsmäßig sind daher Beeinträchtigungen, deren Beseitigung keinen größeren Aufwand an Mühe, Zeit und Kosten erfordert.

Streitig ist, ob die dem Eigentümerinteresse zuwiderlaufende Zustandsveränderung einer Sache als Sachbeschädigung angesehen werden kann. BGHSt 29 S. 129: A beklebte einen Verteilerkasten der Deutschen Bundespost mit einem Plakat, ohne damit die Substanz des Kastens zu verletzen oder seine Brauchbarkeit zu beeinträchtigen. BGH: Keine Sachbeschädigung.

Die Rechtsprechung geht heute davon aus, "daß eine dem Gestaltungswillen des Eigentümers zuwiderlaufende Veränderung der äußeren Erscheinung und Form einer Sache für sich allein grundsätzlich nicht ausreicht, um den Tatbestand der Sachbeschädigung zu erfüllen".201 Diese Entscheidung wird der Zwecksetzung des Gesetzgebers, dem Eigentümer den Gebrauchsnutzen einer Sache zu erhalten und ihn in dieser Position zu schützen, nicht gerecht. Auch eine erhebliche negative Zustandsveränderung ist daher als Sachbeschädigung anzusehen, wenn der Eigentümer ein vernünftiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Zustandes hat.202 d) Zerstören ist eine so erhebliche Beschädigung, daß die Sache für ihre Zwecke völlig unbrauchbar ist. e) Die nur dauernde Sachentziehung ist weder Sachbeschädigung noch Sachzerstörung, obwohl ihr Unrechtsgehalt oft an die Sachzerstörung herankommt.203 f) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt.

199 Vgl. BGHSt 13 S. 208. 200 Vgl. auch: OLG Celle NJW 1988 S. 1101 mit zust. Anm. GEERDS JR 1988 S. 435 f; OLG Köln NJW 1988 S. 1103; OLG Düsseldorf MDR 1989 S. 89; BayObLG NJW 1989 S. 599; ENGELAGE N J W 1987 S. 2801 f; - A . A . ZACZYK StV 1988 S. 157 f f .

201 Vgl. BGHSt 29 S. 133; OLG Frankfurt StV 1988 S. 343; NJW 1990 S. 2007;- Dem folgend: BEHM JR 1988 S. 360 ff mit Entgegnung S C H R O E D E R S. 363 f; BOTTKE JA 1980 S. 541; K A T Z E R NJW 1981 S. 2036 ff; SEELMANN JuS 1985 S. 199 f; T H O S S NJW 1978 S. 1612 ff. 2 0 2 Vgl. DÖLLING N J W 1981 S. 207 f; DREHER/TRÖNDLE § 303 R d n . 6 a; GÖSSEL J R 1980 S. 184 ff; HAAS JuS 1978 S. 14 ff; KREY B . T . 2, R d n . 242 ff; MAIWALD J Z 1980 S. 2 5 6 ff; SCHROEDER J R

1987 S. 359 f. 203 Zur Sachentziehung: R. SCHMITT Stree/Wessels-Festschrift, S. 505 ff.

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3. Beispiele a) Beschmieren einer Marmorbüste mit Farbe. - RGSt 43 S. 204: Sachbeschädigung.2*** b) Die Seiten eines Buches werden mit Tinte bespritzt. - Sachbeschädigung, auch wenn man den Text noch lesen kann. Das Buch hat auch Wert als ästhetischer Gegenstand. c) Einfügen eines Teiles in eine Maschine, so daß diese nicht ordnungsgemäß arbeiten kann. - RGSt 20 S. 183: Sachbeschädigung. d) Herauslassen der Luft aus dem Reifen eines Kfz. - BGHSt 13 S. 207: Sachbeschädigung, es sei denn, es ist eine Tankstelle in der Nähe. - Die Einschränkung überzeugt nicht. Auch in der Nähe einer Tankstelle kann dieser Eingriff in die Brauchbarkeit des Kfz nicht mehr als unerheblich angesehen werden. - Zweifelhaft higjiegen ist die Einordnimg des Ablassens der Luft aus einem Fahrradreifen als Sachbeschädigung. 2 "' e) Löschen eines Tonbandes, Video-Bandes oder eines Datenträgers: Sachbeschädigung. 2 ^ - Zur Datenveränderung, § 303 a; vgl. unter in. f) Einem fremden Kanarienvogel wird die Käfigtür geöffnet. Er fliegt davon. - Bloße Sachentziehung. Ist der Vogel in Freiheit aber nicht lebensfähig, so liegt Sachzerstörung im Moment des Todes des Vogels vor. g) Ein goldener Becher wird ins Meer geworfen. - Bloße - straflose - Sachentziehung.

4. Die Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit der Sachbeschädigung ist allgemeines Verbrechensmerkmal. - Ihr kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Die Rechtswidrigkeit kann insbesondere durch die Einwilligung des Berechtigten ausgeschlossen sein. 5. Zur Konkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung a) Bekundet der Täter, der sich eine fremde Sache rechtswidrig zugeeignet hat, daß er diese Sache weiterbehalten will, so erwächst dem Eigentümer aus diesem Verhalten kein weiterer Schaden durch Entziehung eines Vermögensobjekts oder Minderung seiner Herrschaftsposition; gleiches gilt, wenn der Dieb wiederum bestohlen wird. b) Zerstört hingegen der Täter, der sich die Sache rechtswidrig zugeeignet hat, die Sache, so geht der Gegenstand des Eigentumsrechts unter und damit das Recht selbst. Insofern erleidet der Eigentümer durch diese Tat einen weiteren Schaden. Damit ist Raum für eine tatbestandsmäßige Sachbeschädigung gegeben. Dennoch wird man in diesen Fällen die Sachbeschädigung als straflose Nachtat ansehen können: Mit dem Zueignungsdelikt wird die Anmaßung der umfassenden Sachherrschaft durch den Täter bestraft. Zwar kann er - wenn die Sache dem Berechtigten abhanden gekommen ist - durch die Zueignungshandlung selbst das Eigentum des Berechtigten nicht vernichten. Er erlangt aber bereits mit der Zueignungshandlung jene Position, die ihm auch dies ermöglicht. Diese Tatsache wird bereits in der Strafe des Zueignungsdelikts erfaßt. c) Idealkonkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung liegt vor, wenn die Zueignung einer Sache zugleich die Beschädigung einer anderen Sache darstellt, z.B. wenn jemand aus einem fremden Fernseher einen Transistor herausbricht. 204 Vgl. dazu auch OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 869. 205 So aber BayObLG JZ 1987 S. 1037 mit abl. Anm. BEHM NStZ 1988 S. 275 f, GEERDS JR 1988 S. 218 f. 206 Dazu MERKEL NJW 1956 S. 778; WOLFF LK, § 303 Rdn. 6. - A.A. GERSTENBERG NJW 1956 S. 540; LAMPE GA 1975 S. 16.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

II. Besondere Fälle der Sachbeschädigung 1. Zerstörung von Bauwerken, § 305 § 305 erfaßt eine qualifizierte Sachbeschädigung. Die im Gesetz genannten Objekte müssen von einer gewissen Bedeutung sein: Schiffe i.S. des Gesetzes sind daher nur größere Wasserfahrzeuge. Als Brücke kann ein bloßer Fußgängersteg nicht angesehen werden. Das Gebäude braucht noch nicht fertig zu sein (Rohbau)207. - Zerstört ist das Bauwerk, wenn es nicht nur unerhebliche Zeit für seinen Zweck unbrauchbar ist. Eine teilweise Zerstörung liegt vor, wenn ein Teil des Bauwerks, z.B. eine Treppe, für seinen Zweck unbrauchbar gemacht worden ist. 2. Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, § 305 a § 305 a erstreckt den Strafrechtsschutz gegen Sachbeschädigungen in das Vorfeld des § 316 b. - Technisches Arbeitsmittel ist jeder aufgrund technischer Erfahrungen hergestellte Gegenstand, der geeignet und dazu bestimmt ist, die Arbeitsvorgänge bei der Errichtung der genannten Anlagen zu ermöglichen oder zu erleichtern.208 Bei den nach Abs. 1 Nr. 2 geschützten Kraftfahrzeugen kommt es nicht auf die Eigentumsverhältnisse an, sondern darauf, ob das Fahrzeug der Polizei oder der Bundeswehr von der zuständigen Stelle für dienstliche Zwecke bereitgestellt ist. 3. Brandstiftung, § 308 Abs. 1, 1. Alt. Eine durch die Tathandlung qualifizierte Sachbeschädigung enthält die 1. Alt. des § 308 Abs. 1, soweit die dort genannten Objekte in fremdem Eigentum stehen; eingehender zu Tatobjekt und Tathandlung vgl. unter § 791 2. 4. Fahrlässige Brandstiftung, § 309 In Verbindung mit § 308 Abs. 1, 1. Alt. stellt § 309 einen Fall fahrlässiger Sachbeschädigung unter Strafe; im einzelnen dazu § 79 V. 5. Gemeinschädliche Sachbeschädigung, § 304 a) Systematisch gehört die Vorschrift nicht in den Bereich der Sachbeschädigungsdelikte. Es handelt sich vielmehr um ein gemeinschädliches Delikt, das unabhängig von der Eigentumslage das allgemeine Interesse am Erhalt bestimmter zweckgebundener, insbesondere kultureller oder gemeinnütziger Objekte schützt. b) Schutzgegenstände: religiöse Objekte, dazu oben § 41 I 2 d, Gegenstände der Kunst und der Wissenschaft, dazu oben § 41 I 2 e. Der öffentliche Nutzungszweck muß sich bei den Gegenständen zum öffentlichen Nutzen unmittelbar aus den Objekten ergeben. Er muß auf einer ausdrücklichen oder aus allgemeiner Übung erwachsenen Widmung beruhen. Beispiele: Parkuhr; Verkehrszeichen; öffentliche Telefonzelle; Feuermelder; Feuerlöscher in allgemein zugänglichen Räumen (BayObLG NJW 1988 S. 837); Rettungsfahrzeuge, die nicht allein einem privaten Zweck dienen (OLG Düsseldorf MDR 1986 S. SIS); Ruhebänke im öffentlichen Park u.ä. - Nicht hinge-

207 Str., dazu BGHSt 6 S. 107. 208 Dazu vgl. BT-Drucks. 10/6635, S. 14.

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gen: Wahlplakate einer Partei 209 , Bäume in einem Park (OLG Oldenburg NJW 1988 S. 924); Hütten, in denen Verkehrs Schilder u.ä. aufbewahrt werden (BGH NStZ 1990 S. 540).

III. Schutz von Daten und Datenverarbeitung 1. Datenveränderung, § 303 a a) Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse des Verfügungsberechtigten an der unversehrten Verwendbarkeit von Daten.210 b) Daten als Handlungsobjekt Handlimgsobjekt sind nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten, § 202 a Abs. 2; vgl. dazu § 34 VH 2 b. c) Die Tathandlungen, Löschen der Daten bedeutet Zerstörung i.S. des § 303 Abs. 1, d.h. nicht wiederherstellbare vollständige Unkenntlichkeit der konkreten Speicherung.211 Unterdrücken ist ein Entziehen der Daten dem Berechtigten gegenüber, so daß dieser sie nicht seiner Vorstellung entsprechend verwenden kann. Ein Unbrauchbarmachen liegt in der Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Daten zu ihrem vorgesehenen Zweck. Verändern erfordert das Herstellen eines neuen Dateninhalts. Die Infizierung eines Programms mit einem Computervirus ist je nach der Wirkung dieses Virus auf das Programm als Unbrauchbarmachen oder Verändern von Daten anzusehen. 212

d) Die Rechtswidrigkeit der Tathandlung Tatbeständsmäßig ist nur die rechtswidrige Tathandlung. Das Merkmal rechtswidrig ist hier im Gegensatz zu § 303 nicht allgemeines Verbrechensmerkmal, sondern einschränkendes Tatbestandsmerkmal, das tatbestandsmäßiges Handeln des unbeschränkt Verfügungs- und Nutzungsberechtigten ausschließt.213 Soweit "rechtswidrig" hier als allgemeines Verbrechensmerkmal interpretiert wird, erfolgt die allgemein als notwendig anerkannte Begrenzung des Tatbestandes durch Einfügung von Merkmalen, die im Gesetz nicht genannt sind, z.B. "fremd". ^

Rechtswidrig ist das Verhalten, wenn es Verfügungs- oder Nutzungsrechte eines anderen verletzt. - Die Verletzung von Interessen des vom Dateninhalt Betroffenen i.S. des BDSG genügt hingegen nicht.215 209 LG Wiesbaden NJW 1978 S. 2107; dazu Loos JuS 1979 S. 699 ff. 210 Vgl. BayObLG wistra 1993 S. 305; DREHER/TRÖNDLE § 303 a Rdn. 2; LACKNER StGB, § 303 a R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . l , § 3 6 R d n . 3 ; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6

S. 141. - A.A. HAFT NStZ 1987 S. 10: Das Vermögen in seiner spezialisierten Ausprägung in Daten. Diese Begrenzung des Schutzes ist systematisch zwar folgerichtig, mit dem Wortlaut des Gesetzes aber nicht in Einklang zu bringen.

2 1 1 LENCKNER/WlNKELBAUER C R 1986 S. 8 2 9 .

212 Vgl. dazu auch: GRAVENREUTH NStZ 1989 S. 201 ff. 213 So auch: DREHER/TRÖNDLE § 303 a Rdn. 9; LACKNER StGB, § 303 a Rdn. 4.

214 Vgl. dazu LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 828; WELP Informatik und Recht 1988 S. 447. 215 So auch: HAFT NStZ 1987 S. 10; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 829; WELP Informatik und

Recht 1988 S. 448. - A.A. BT-Drucks. 10/5058, S. 34; DREHER/TRÖNDLE § 303 a Rdn. 9; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 141 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Z.T. wird der Tatbestand als verfassungswidrig gemäß Art. 103 Abs. 2 GG angesehen, "da es keine gesetzlichen Regelungen gibt, die die Verfflgungsbefugnis an Daten regeln". 21( > Das überzeugt nicht, da die Problematik durchaus der unbefugten Offenbarwig von Geheimnissen vergleichbar ist, wo auch nicht nur auf "gesetzliche Regelungen" abgestellt wird.21'

e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Dieser muß sich auch auf die Rechtswidrigkeit der Tathandlung i.S. der Verletzung des Verfügungs- oder Nutzungsrechts eines Dritten beziehen. f) Konkurrenzen Soweit die Substanz des Datenträgers nicht beeinträchtigt wird, ist § 303 a lex specialis gegenüber § 303. Im übrigen ist Idealkonkurrenz mit den §§ 202 a, 303, 263 a, 268, 269, sowie mit § 41 BDSG möglich. 2. Computersabotage, § 303 b a) Geschütztes Rechtsgut und Aufbau des Tatbestandes Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse von Wirtschaft und Verwaltung an der Funktionsfähigkeit ihrer Datenverarbeitung. Abs. 1 Nr. 1 enthält gegenüber § 303 a einen Qualifikationstatbestand, während Abs. 1 Nr. 2 einen selbständigen - der Sachbeschädigung vergleichbaren - Tatbestand darstellt. b) Tatobjekt Tatobjelrt ist die Datenverarbeitung, d.h. der Gesamtbereich eines datenverarbeitenden Systems mit der Gesamtheit seiner Datenverarbeitungsvorgänge sowie des weiteren Umgangs mit Daten und deren Verwendung, so daß auch Speicherung, Dokumentierung und Aufbereitung erfaßt sind. - Beschränkt ist der Schutz auf die Datenverarbeitung, die für einen fremden Betrieb, ein fremdes Unternehmen oder eine Behörde von wesentlicher Bedeutung ist. Betrieb ist eine räumlich technische Einheit, mit der ein bestimmter arbeitstechnischer oder wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird. - Der Begriff des Unternehmens ist demgegenüber weiter und erfaßt organisatorische Einheiten, die auf einer Verbindung personeller und sachlicher Mittel beruhen. Der verfolgte Zweck braucht nicht wirtschaftlicher Natur zu sein, auch karitative Organisationen sind vom Schutzzweck erfaßt. - Behörde ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, § 1 Abs. 4 VwVfG, auch Gerichte, § 11 Abs. 1 Nr. 7. Fremd sind der Betrieb und das Unternehmen, wenn sie bei rechtlich-wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht dem Vermögen des Täters zuzuordnen sind.218 Wesentliche Bedeutung hat die Datenverarbeitung für die geschützte Einrichtung, wenn deren Funktionsfähigkeit auf der Grundlage einer konkreten Arbeitsweise, Ausstattung und Organisation ganz oder zu einem erheblichen Teil von dem einwandfreien Funktionieren der Datenverarbeitung abhängt.219

216 Vgl. TOLKSDORF LK, 11. Aufl. 1992 ff, § 303 a Rdn. 7. 217 Vgl. auch BayObLG wistra 1993 S. 304 mit Anm. HILGENDORF JR 1994 S. 478 ff, OTTO JK 94, StGB § 303 a/1. 218 Vgl. LENCKNER/WINKELBAUERCR 1986 S. 830; - weiter LACKNER StGB, § 303 b Rdn. 2. 219 LENCKNER/WLNKELBAUER CR 1986 S. 830.

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c) Die Tathandlung Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 kann auch vom Eigentümer einer Datenverarbeitungsanlage verwirklicht werden, der im Auftrage anderer Daten verarbeitet. Die Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 2 können sich gleichfalls gegen Sachen des Täters richten, wenn diese in die geschützte Einrichtung auf Grund von Besitz- oder Nutzungsrechten eingegliedert sind. 220 Zum "Zerstören" vgl. I 2 d, zum "Beschädigen" vgl. I 2 c, zum " Unbrauchbarmachen" vgl. 1 c. Beseitigen liegt vor, wenn das Tatobjekt aus dem Verfügungsbereich des Berechtigten entfernt wird. d) Der Taterfolg Die Tathandlung muß zu einer Störung der Datenverarbeitung geführt haben. Eine Störung liegt vor, wenn der reibungslose Ablauf der Datenverarbeitung nicht unerheblich beeinträchtigt ist. 221 e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. f) Konkurrenzen Abs. 1 Nr. 2 ist gegenüber § 303 der speziellere Tatbestand, soweit die Voraussetzungen des § 303 vorliegen. - Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 88, 109 c, 202 a, 269, 316 b.

IV. Strafantrag Taten nach §§ 303 - 303 b werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten für geboten hält, § 303 c. Nach h.M. ist Verletzter und damit Antragsberechtigter nicht nur der Eigentümer, sondern jeder, der sonst ein dingliches oder persönliches Recht an der beschädigten Sache hat und in diesem Recht durch die Tat verletzt worden ist. 222 Für eine derartige Ausweitung des Antragsrechts besteht im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut dieser Vorschrift keinerlei Grund. Antragsberechtigt ist allein der Träger des geschützten Rechtsguts, d.h. im Regelfall der Eigentümer, ausnahmsweise der Inhaber des stärksten Vermögensrechts an der Sache, dazu oben unter I l. 2 2 3

220 Vgl. dazu LENCKNER/WLNKELBAUER CR 1986 S. 831; - weiter LACKNER StGB, § 303 b Rdn. 5. 221 BT-Drucks. 7/5058 S. 35. 222 Vgl. BayObLG JR 1982 S. 25; OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 2056; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 389; DREHER/TRÖNDLE § 303 c Rdn. 2; LACKNER StGB, § 303 c Rdn. 2; WOLFF LK, 11. Aufl., § 303 c Rdn. 2. 223 Vgl. auch: RUDOLPHI JR 1982 S. 28; SAMSON SK, § 303 c Rdn. 3; STREE JuS 1988 S. 191 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

§ 48: Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b 1. Das geschützte Rechtsgut Seiner systematischen Stellung nach gehört § 248 b in den Bereich der Delikte gegen die umfassende Sachherrschaftsposition einer Person. Diese Position wird durch die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung verletzt.224 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Tatobjekte können Kraftfahrzeuge - dazu § 248 b Abs. 4 - und Fahrräder sein. b) Ingebrauchnahme ist eine Benutzung des Fahrzeugs, "bei der der Täter sich des Fahrzeugs unter Einwirkenlassen der zu Ingangsetzung und Inganghaltung geeigneten Kräfte als Fortbewegungsmittel bedient und dabei eine ihm nicht zustehende Herrschaftsgewalt über das Fahrzeug ausübt".225 In Gang gesetzt sein muß das Fahrzeug, nicht bloß der Motor. Daher erfüllt Anlassen des Motors noch nicht den Tatbestand, wohl aber Fahren im Leerlauf. - Nicht unter § 248 b fallen: Übernachten im fremden Kfz, Mitfahren im Autobus als blinder Passagier, Anhängen des eigenen Fahrrades an ein fremdes Fahrzeug. 226

aa) Nimmt der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch, nutzt es aber dann in einer dem Willen des Berechtigten nicht mehr entsprechenden Weise, so ist zu differenzieren. Der bloß vertragswidrige Gebrauch während der Zeit der Nutzungsberechtigung erfüllt den Tatbestand nicht. LG Mannheim NJW 1965 S. 1929: Der Mieter eines Kfz, der sich vertraglich verpflichtet hatte, nicht selbst mit dem Fahrzeug zu fahren, nutzt das Fahrzeug dennoch selbst. LG: Der Mieter war Berechtigter i.S. des § 248 b. Sein bloß vertragswidriges Verhalten ist nicht tatbestandsmäßig.

Hingegen soll ein weiteres Benutzen des Fahrzeugs nach Ablauf der vertraglichen Nutzungszeit tatbestandsmäßig sein, weil das "unbefugte Inganghalten" dem "unbefugten Ingebrauchnehmen" gleichstehen.227 OLG Schleswig NStZ 1990 S. 340: Der Mieter eines Kfz verlängerte die Mietdauer mehrmals telefonisch. Dann verweigerte der Vermieter die Verlängerung des Mietvertrages. Der Mieter gab das Kfz dennoch erst Wochen später zurück. OLG: § 248 b liegt vor, da die Vorschrift auch die "Gebrauchsunterschlagung" erfaßt.

Das überzeugt nicht. Der kriminalpolitische Zweck des § 248 b liegt darin, den Entwendungen von Kraftfahrzeugen zum vorübergehenden Gebrauch gegen den Willen des Berechtigten zu begegnen, nicht aber rechtswidriges, insbes. vertragswidriges Verhalten - sei es in der Art oder Dauer der Benutzung - bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen Sachlich übereinstimmend, wenn auch auf die Verletzung des Eigentums abstellend: SAMSON SK, § 2 4 8 b Rdn. 1; SCHMIDHÄUSER B.T., 8 / 6 7 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 b Rdn. 1. - A . A . Schutz des Eigentums und jeglicher Gebrauchsrechte: BGHSt 11 S. 5 1 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 8 b Rdn. 4 ; LACKNER StGB, § 2 4 8 b Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 3 7 Rdn. 5 . 225 BGHSt 11 S. 50. 226 BGHSt 11 S. 49 f. 2 2 7 BGHSt 11 S. 5 0 ; BGH GA 1 9 6 3 S. 3 4 4 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 4 8 b Rdn. 4 ; LACKNER StGB, § 248 b Rdn. 3; RUß LK, 11. Aufl., § 248 b Rdn. 4.

224

§ 48 Strafbare Gebrauchsanmaßungen

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schlechthin zu pönalisieren. Für einen derart weiten Strafrechtsschutz von Vertragsverletzungen u.ä. besteht kein Bedürfnis.228 bb) Entsprechend der Möglichkeit einer rechtswidrigen Zueignung einer Sache, über die der Täter zunächst gutgläubig Sachherrschafit erlangte, besteht die Möglichkeit der Verwirklichung des § 248 b allerdings, wenn der Täter bei der Ingebrauchnahme meint, befugt zu sein, später aber merkt, daß dies nicht der Fall ist, er aber gleichwohl das Fahrzeug weiter benutzt. BGHSt 11 S. 47: A lieh sich von P einen PKW. Er meinte, P sei der Eigentümer. Während der Fahrt erkannte A, daß P nicht der rechtmäßige Besitzer des Wagens sein konnte. Er fuhr dennoch weiter. BGH: § 248 b.

Auch sonst ist es nicht erforderlich, daß dem Berechtigten das Kfz durch Gewahrsamsbruch entzogen wurde. Fall: M hat das von V gemietete Fahrzeug nach Vertragsende auf einem Parkplatz einfach stehen lassen. A erkennt die Sachlage und nimmt nun das Fahrzeug - ohne Zueignungsabsicht - in Gebrauch. Ergebnis: § 248 b . 2 2 9

cc) Nicht Gebrauchsanmaßimg, sondern Diebstahl liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Täter ein Kfz für eine Fahrt wegnimmt, es dann aber an irgendeiner Stelle stehen läßt und es dem Zufall überläßt, ob und wann der rechtmäßige Eigentümer es wiedererlangt. - Dem ist zuzustimmen: Zueignung, wenn der Täter ein Kraftfahrzeug wegnimmt, um es nach einer Vergnügungsfahrt zu vernichten oder dem willkürlichen Zugriff Dritter auszusetzen. Gebrauchsdiebstahl, wenn der Täter davon ausgeht, daß der Berechtigte das Kraftfahrzeug aufgrund der Art des Abstellens zurückerhält. Der Rückstellungswille darf jedoch nicht mit dem bloßen - rechtlich irrelevanten - Wünschen verwechselt werden. Der Täter muß daher das Bewußtsein haben, daß die Rückstellung nach dem üblichen Lauf der Dinge erfolgt. Es genügt nicht, daß er meint, der Eigentümer werde das Fahrzeug vielleicht zurückerhalten. Daß er sich dabei u.U. der Hilfe anderer Personen bedient, ist gleichgültig, wenn diese Hilfe mit Sicherheit einplanbar ist. 2 3°

Nicht tatbestandsmäßig ist eine Ingebrauchnahme, um dem Berechtigten den Gebrauch wieder einzuräumen. Dieses Verhalten ist nicht auf Verletzung der umfassenden Sachherrschaft des Berechtigten gerichtet, sondern auf Einräumung der Sachherrschaft. 231

228 So auch: BayObLG NJW 1953 S. 193 f; OLG Hamm NJW 1966 S. 2360; AG München NStZ 1986 S. 458; FRANKE NJW 1974 S. 1803 ff; KREY B.T. 2, Rdn. 149; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 37 Rdn. 9; SCH/SCH/ESER § 248 b Rdn. 4 a; SCHMIDHÄUSER NStZ 1986 S. 460 f; DERS.

NStZ 1990 S. 341.

229 A . A . FRANKE NJW 1974 S. 1805; SCHMIDHÄUSER NStZ 1986 S. 460 f. 230 Vgl. BGH NJW 1987 S. 266; BGHSt 22 S. 46; BGH NStZ 1982 S. 420; DREHER/TRÖNDLE § 242 Rdn. 24; KELLER JR 1987 S. 343; OTTO Struktur, S. 200 ff; RANFT JA 1984 S. 280; SCHAFFSTEIN

GA 1964 S. 107. - A.A. Rückführungswille nicht erforderlich: ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn.

238; GEPPERT JK 87, StGB § 248 b/2; RUDOLPHI GA 1965 S. 50 f; SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 54; SEELMANN JuS 1985 S. 454 f.

231 Vgl. dazu OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 590 mit Anm. OTTO JK, StGB § 248 b/1.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

3. Straf antrag Antragsberechtigt ist der Inhaber der umfassenden Sachherrschaft. Dies wird bei Kraftfahrzeugen in der Regel der Halter, bei Fahrrädern der Eigentümer sein. Gegen seine Dispositions- und Gebrauchsbefugnis richtet sich das Delikt, und zwar auch dann, wenn unmittelbar ein Dritter durch die Tat betroffen wurde, weil er das Fahrzeug z.B. geliehen oder gemietet hatte. So im Ergebnis auch diejenigen, die das geschützte Rechtsgut im Eigentum sehen. - Das Antragsrecht wollen jedem durch die Tat berührten Nutzungsberechtigten diejenigen zugestehen, die das geschützte Rechtsgut weiter fassen; dazu oben unter 1.

4. Sonderproblem: Der Verbrauch des fremden Kraftstoffs Der Verbrauch des Benzins im Tank begründet nicht die Anwendung des § 242. Insoweit ist § 248 b lex specialis gegenüber § 242, da sonst das Antragsprivileg kaum einmal zum Zuge käme.232 5. Konkurrenzen Gemäß § 248 b Abs. 1 ist die Vorschrift subsidiär gegenüber Tatbeständen gleicher oder ähnlicher Schutzrichtung. Dies gilt insbesondere gegenüber den Zueignungsdelikten, die während der Gebrauchnahme erfolgen, z.B. einer Unterschlagung.

II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 1. Ähnlich dem § 248 b schützt § 290 die umfassende Sachherrschaftsposition des Berechtigten gegen die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung der Sache. 2. Nach § 290 werden öffentliche Pfandleiher, d.h. Pfandleiher, deren Geschäft allgemein zugänglich ist (Konzession nicht entscheidend!), bestraft, wenn sie eine Pfandsache eigenmächtig nutzen. 3. Im Falle einer Zueignung des Pfandes ist § 290 subsidiär gegenüber § 246.

§ 49: Zur Wiederholung 1. Welche Ansichten werden über das geschützte Rechtsgut des Diebstahlstatbestandes vertreten und wo werden die verschiedenen Auffassungen praktisch bedeutsam? - Dazu § 391, § 43, 3. 2. Welche verschiedenen Definitionen des Begriffs "fremd" in §§ 242, 246 werden vertreten. - Führen die Unterschiede auch zu praktischen Konsequenzen? - Dazu § 40 13. 3. Wie ist der Begriff "Wegnahme" zu definieren? - Dazu § 40 14. 4. Welche Elemente bestimmen den Gewahrsamsbegriff? - Dazu § 4014. 5. 6. 7. 8.

Haben Bewußtlose noch Gewahrsam? - Dazu § 4 0 1 4 a. Geht der Gewahrsam des Erblassers mit dem Tode auf die Erben über? - Dazu § 40 14 g. Welche Elemente enthält der Begriff der "Zueignung"? - Dazu § 40 II 2 b. Was kennzeichnen die Begriffe: Sachsubstanztheorie, Sachwerttheorie, Vereinigungstheorie? - Dazu § 40 H 2 a. 9. Wann ist eine Zueignung rechtswidrig? - Dazu § 40 II 4. 232 Dazu BGHSt 14 S. 388; LACKNER StGB, § 248 b Rdn. 6; VOGLER Bockelmann-Festschrift, S. 731. Differenzierend: RANFT JA 1984 S. 281.

§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

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10. Ist es sachgerecht, beim Ausschluß der Rechtswidrigkeit der Zueignung zwischen Gattungs- und Speziesansprüchen zu differenzieren? - Dazu § 40 II 4 a. 11. Welche Möglichkeiten enthält die Gesetzestechnik der "Regelbeispiele"? - Dazu § 4 1 1 1 . 12. Welche Bedeutung hat der Irrtum über das Vorliegen eines Regelbeispiels? - Dazu § 4 1 1 3 b. 13. Kann der Strafrahmen des § 243 auf einen versuchten Diebstahl Anwendung finden? - Dazu § 4 1 1 4 . 14. Kann § 244 Abs. 1 Nr. 2 Anwendung finden, wenn der Täter eine sog. Scheinwaffe bei der Tat benutzt? - Dazu § 41 III 2. 15. Was versteht man unter der "berichtigenden Auslegung des § 246"? - Dazu § 4 2 1 3 a, b. 16. Erfordert die Mittäterschaft im Rahmen des § 246 Besonderheiten? - Dazu § 42 14 a. 17. Ist die Ersatzbereitschaft und -fähigkeit im Rahmen der Zueignungsdelikte relevant? - Dazu § 42 15. 18. Warum ist ein Irrtum darüber, daß die weggenommene Sache einem Familienmitglied gehört, im Rahmen des § 247 irrelevant? - Dazu § 43, 4. 19. Wann ist eine Sache "geringwertig"? - Dazu § 44, 2. 20. Wie müssen sich Gewaltanwendung bzw. Drohung und Wegnahme im Rahmen des Raubes zueinander verhalten? - Dazu § 46 II 1. 21. In welchem Verhältnis steht § 252 zur "Vortat"? - Dazu § 46 V 1 b. 22. Kann ein Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein? - Dazu § 46 V 3. 23. Welche Auffassungen werden über das Rechtsgut des § 316 a vertreten? - Wo wird die Verschiedenheit der Auffassungen relevant? - Dazu § 46 VI, 1,3, 4. 24. Wie ist das "Beschädigen" einer Sache zu definieren? - Dazu § 47 12 c. 25. Erfaßt § 248 b auch die vertragswidrige Benutzung eines Fahrzeuges, wenn der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch genommen hat? - Dazu § 48 12 b, aa.

§ 50: Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt wird in § 289 die Möglichkeit der Ausübung bestimmter Pfand- und Besitzrechte. Derartige Rechte sind u.a. Nutznießungsrechte233, Pfandrechte234, 235 236 Gebrauchsrechte , Zurückbehaltüngsrechte , das Anwartschaftsrecht beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt, das Gebrauchsrecht des Sicherungsgebers bei der Sicherungsübereignung. Streitig ist, ob auch das Pfändungspfandrecht zu den geschützten Rechten gehört. Dies ist zu bejahen, denn der Schutz des § 136 betrifft ein anderes Rechtsgut als das hier geschützte. 23 ' Solange der Schuldner jedoch im Besitz der gepfändeten Sache ist, dürfte eine Wegnahme kaum begründbar sein; dazu unter 2 c.

ff, 1 6 4 9 BGB. ff, 5 8 1 , 5 8 5 , 5 9 0 , 6 4 7 , 7 0 4 , 1204 ff BGB, §§ 3 9 7 , 4 1 0 , 4 2 1 HGB.

233 §§ 1030 2 3 4 §§ 5 5 9

ff, 5 8 1 ff, 5 9 8 ff, 7 4 3 BGB. 236 Z.B. §§ 273, 772 ff, 972, 1000 BGB, § 369 HGB, vertragliche Zurückbehaltüngsrechte. 2 3 5 §§ 5 3 5

2 3 7 W i e h i e r : BAUMANN N J W 1 9 5 6 S. 1866 f ; DREHER/TRÖNDLE § 2 8 9 R d n . 2 ; KREY B . T . 2 , R d n . 2 8 6 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 7 R d n . 15. - A . A . BERGHAUS D e r s t r a f r e c h t -

liche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 96; HIRSCH ZStW 82 (1970) S. 426; LACKNER StGB, § 289 Rdn. 1.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

2. Täter und Tathandlung a) Täter kann nur der Eigentümer (auch Miteigentümer) oder ein Dritter sein, der zugunsten des Eigentümers handelt. Dadurch entsteht eine Strafbarkeitslücke dann, wenn ein Dritter zu eigenen Gunsten aber ohne Zueignungsabsicht die Tat begeht. Beispiel: C hat dem B sein Kanu bis zum 1.6. vermietet. Als A dem C erklärt, er möchte das Kanu gern geliehen haben, weist ihn C auf die Miete des B hin, erklärt aber, er habe nichts dagegen, wenn B seines Besitzes verlustig gehe, ihm komme es nur darauf an, daß er das Kanu am 1.6. zur Verfügung habe. A nimmt dem B das Kanu fort und benutzt dies bis zum 1.6. Ergebnis: A und C bleiben straflos.

b) Zum Begriff der - eigenen oder fremden - beweglichen Sache vgl. oben § 401 2. c) Wegnehmen ist, wie in § 242, als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams zu verstehen. Nicht die Rechtsvereitelung schlechthin, sondern das auf die Rechtsvereitelung und den Einbruch in die tatsächliche Herrschaftsphäre des Berechtigten abzielende Verhalten des Täters begründet die Strafwürdigkeit.238 Z.T. wird das Erfordernis eines Gewahrsamsbruch abgelehnt, und nur der Bruch "eines dem Besitz ähnlichen tatsächlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisses des Berechtigten" vorausgesetzt.239 Mit dieser verschwommenen Konstruktion eines in rechtlichen Kategorien nicht mehr faßbaren besitzähnlichen Verhältnisses wird jedoch lediglich kaschiert, daß die bloße Rechtsvereitelung als das tatbestandsmäßige Verhalten angesehen wird. Konsequent ist es daher, wenn ein Teil der Lehre ausdrücklich die bloße Rechtsvereitelung genügen läßt.240 Der Unterschied wird insbesondere beim Vermieterpfandrecht bedeutsam. Doch gerade hier kann § 288 den hinreichenden Schutz g e w ä h r e n

d) Da die Tat zugunsten des Eigentümers erfolgen muß, kann ein Zerstören oder Beschädigen der Sache nicht als Wegnahme angesehen werden. Auch eine Wegnahme, um die Sache zu zerstören oder zu beschädigen, ist nicht tatbestandsmäßig, da dieses Verhalten nicht zugunsten des Eigentümers erfolgt. 3. Die Absicht rechtswidriger Wegnahme Die Absicht rechtswidriger Wegnahme erfordert den unbedingten Vorsatz des Täters, das an der weggenommenen Sache bestehende Recht, zumindest zeitweilig, zu vereiteln. - Die Rechtswidrigkeit der Wegnahme ist auch hier streng vermögensrechtlich zu bestimmen. "Rechtswidrig" ist die Absicht des Täters daher nicht, wenn er einen fälligen Besitzanspruch gegen den Besitzer hat, z.B. der Eigentümer einen fälligen Rückgabeanspruch gegen den Mieter, oder dem Pfändungspfandrecht kein materiell wirksames Forderungsrecht zugrunde liegt oder eine unpfändbare Sache gepfändet wurde.

238 Eingehend dazu OTTO JR 1982 S. 32 f; im übrigen vgl. ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 307; BOHNERT JUS 1 9 8 2 S . 2 5 6 f f ; JOERDEN JUS 1985 S. 2 2 ; LAUBENTHAL J A 1990 S . 4 1 f; SCHMTOHÄUS E R B . T . , 1 0 / 8 ; SCH/SCH/ESER § 2 8 9 R d n . 8.

239 Vgl. RGSt 25 S. 115 f; BayObLG JR 1982 S. 31 f; GEPPERT Jura 1987 S. 433; LACKNER StGB § 2 8 9 Rdn. 3 . 2 4 0 D a z u BLNDING B . T . I , S. 3 1 8 f; DREHER/TRÖNDLB § 2 8 9 R d n . 2 ; SCHÄFER L K , § 2 8 9 R d n . 12.

241 Dazu BayObLG JR 1982 S. 31 mit abl. Anm. BOHNERT JuS 1982 S. 256 f, OTTO JR 1982 S. 32 f.

§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

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4. Strafantrag Antragsberechtigt ist deijenige, dessen Recht durch die Tat vereitelt wurde oder vereitelt werden sollte.

II. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 1. Das geschützte Rechtsgut § 288 schützt die Möglichkeit des Gläubigers, aus dem Schuldnervermögen Befriedigung für einen materiellrechtlichen Anspruch zju erlangen, und zwar im Wege der Einzelzwangsvollstreckung. 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Die Zwangsvollstreckung droht, wenn aus dem Verhalten des Gläubigers ersichtlich ist, daß er die Zwangsvollstreckung ernsthaft betreiben oder durchsetzen will. Beispiele: Dringende Mahnung, Klageerhebung, Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids.242

Da § 288 dem Vermögensschutz des Gläubigers dient, liegt eine Zwangsvollstreckung i.S. des § 288 nur dann vor, wenn aus einem materiellrechtlich bestehenden Anspruch des Gläubigers vollstreckt werden soll. b) Bestandteile des Vermögens sind alle Sachen und Rechte einer Person, in die eine wirksame Einzelzwangsvollstreckung betrieben werden kann. Fall: X hat gegen den Rechtsstudenten A einen Titel erwirkt und will wegen DM 100,- die Zwangsvollstreckung betreiben. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt A seine juristische Bibliothek, die er für das Studium braucht. Ergebnis: § 288 fmdet keine Anwendung, da die Bibliothek des A unpfändbar ist, § 811 Nr. 10 ZPO. Anders, wenn X einen Titel auf die Herausgabe der Bibliothek erwirkt hätte, weil er einen Anspruch auf die Bibliothek hat.

c) Veräußern ist jede rechtsgeschäftliche Verfügung, durch die der Zwangsvollstreckungszugriff des Gläubigers verschlechtert wird. aa) Keine Veräußerung i.S. des § 288 liegt vor, wenn durch das Veräußerungsgeschäft das dem Zugriff unterliegende Vermögen des Schuldners gleich bleibt oder größer wird. Fall: Der S, gegen den J die Zwangsvollstreckung betreibt, tauscht sein lahmes Rennpferd (Wert DM 300,-) gegen ein Kfz (Wert DM 500,-) ein. Ergebnis: Kein Veräußern i.S. des § 288.

bb) Gleichfalls liegt keine Veräußerung i.S.d. § 288 vor, wenn der Schuldner mit dem Veräußerungsgeschäft nur eine vor der drohenden Zwangsvollstreckung schon bestehende rechtliche Verpflichtung erfüllt. Beispiel: A, der dem X vor Wochen sein Kfz verkauft hat, übereignet es an X, als er hört, G wolle gegen ihn die Zwangsvollstreckung betreiben.

d) Beiseiteschaffen ist das tatsächliche Entziehen des Vermögensgegenstandes vor dem Gläubigerzugriff.

242 Dazu auch BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638; GEPPERT Jura 1987 S. 427 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Beispiele: Wegschaffen, Verstecken, Zerstören. Beschädigen einer Sache, so daß sie an Wert verliert 24 ^, Einziehen einer Forderung vor Fälligkeit, o.ä. 2 4 4 . Nicht hingegen: bloßes Ableugnen des Besitzes, Behauptung gegenüber dem Gerichtsvollzieher, die Sache stehe im Eigentum eines anderen.

e) Der subjektive Tatbestand erfordert die Absicht (direkter Vorsatz) des Täters, die Befriedigung des Gläubigers - und sei es auch nur zeitweise - zu vereiteln. Im übrigen genügt zumindest bedingter Vorsatz, der die drohende Zwangsvollstreckung und die Verringerung der Befriedigungsmöglichkeiten für den Gläubiger umfassen muß. - Die Absicht fehlt bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen, wenn genügend andere Vermögenswerte vorhanden sind, die zur Befriedigung des Gläubigers ausreichen. Bei Individualansprüchen genügt es hingegen nicht, daß evtl. Schadensersatzansprüche wegen Verweigerung der Herausgabe befriedigt werden können, denn der Schuldner hat kein Recht, den Gläubiger auf einen anderen Anspruch zu verweisen.243 3. Täterschaft und Teilnahme Die Vollstreckung muß dem Täter selbst drohen. Etwaige Vertreter des Täters können gemäß § 14 haften. - Die Schuldnereigenschaft kennzeichnet die Tatsituation, nicht aber eine besondere Pflichtenstellung des Täters. Sie ist daher nicht persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. I. 2 4 6 III. Wilderei, §§ 292 ff 1. Jagdwilderei, § 292 Abs. 1 a) Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt in erster Linie das Aneignungsrecht des Berechtigten, daneben aber auch die Hege eines gesunden Wildbestandes.247 b) Die einzelnen Tatbestandsmerkmale aa) Tatobjekt der 1. Alternative ist das frei lebende jagdbare Wild, § 2 BJagdG. Nicht herrenloses Wild (z.B. Wild im Tiergarten) ist nicht Gegenstand des Jagd- sondern des Eigentumsrechts.248 - Tatobjekt der 2. Alternative sind die herrenlosen, dem Aneignungsrecht des Jagdberechtigten unterliegenden Sachen, wie verendetes Wild, Fallwild, Abwurfstangenu.ä., vgl. § 1 Abs. 5 BJagdG. bb) In der 1. Alternative wird das Nachstellen, Fangen, Erlegen und Zueignen unter Strafe gestellt. Nachstellen ist Vorbereitung der anderen Handlungen, z.B. Durchstreifen des fremden Jagdreviers mit schußbereiter Flinte o.ä. - Fangen heißt, sich des lebenden 2 4 3 R G S t 4 2 S. 6 3 ; SCHÄFER L K , § 288 R d n . 2 6 . - A . A . SCH/SCH/ESER § 2 8 8 R d n . 17. 2 4 4 R G S t 9 S. 2 3 2 ; 19 S. 2 7 ; SCHÄFER L K , § 288 R d n . 2 5 ; - a . A . HAAS w i s t r a 1 9 8 9 S . 2 5 9 f . 2 4 5 S o auch: R G S t 8 S. 5 2 ; SCHÄFER I X , § 2 8 8 R d n . 3 7 ; SCH/SCH/ESER § 2 8 8 R d n . 2 2 . - A . A . BERGHAUS S. 101; LACKNER StGB, § 2 8 8 R d n . 6. 2 4 6 So auch: GEPPERT J u r a 1987 S. 4 3 1 ; LACKNER StGB, § 2 8 8 R d n . 2 , 7 ; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . 1, § 4 7 R d n . 11; WEBER in: A r z t / W e b e r , L H 4 , R d n . 3 2 5 . - A . A . DREHER/ TRÖNDLE § 2 8 8 R d n . 14; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 3 9 .

247 So auch: DREHER/TRÖNDLE §292 Rdn. 1; LACKNER StGB, §292 Rdn. 1; SCHÄFER LK, §292 R d n . 2 ; WESSELS J A 1984 S. 2 2 1 . - A . A . N u r Aneignungsrecht: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 8 R d n . 6; SCH/SCH/ESER § 2 9 2 R d n . 1; WELZEL L b . , § 5 2 I.

248 Dazu auch BayObLG JR 1987 S. 128; NStZ 1988 S. 230.

§ SO Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte

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Tieres bemächtigen; Erlegen, es auf irgendeine Weise töten. Sich zueignen ist die Gewahrsamsbegründung mit Zueignungswillen.249 - Unter die 2. Alternative fällt Zueignen, Beschädigen oder Zerstören des entsprechenden Tatobjektes, cc) Der Jagdausübungsberechtigte erwirbt an den Objekten des Jagdrechts Eigentum mit Besitzergreifung. Die Besitzergreifung durch irgendeinen Dritten, der nicht für den Berechtigten handelt, genügt nicht.250 Dennoch ist Jagdwilderei durch einen Dritten, der dem Wilderer das Wild entwendet oder abkauft, ausgeschlossen: Das Objekt ist nicht mehr herrenlos, sondern Besitzobjekt und damit Vermögensobjekt des Wilderers, der die umfassende Sachherrschaft darüber ausübt. Es kann daher Gegenstand eines Vermögensdelikts, insbes. der Hehlerei, § 259, sein, nicht aber der Wilderei.251 dd) Zum Recht auf Ausübung der Jagd vgl. §§ 3 ff BJagdG. ee) Der Vorsatz muß sich darauf beziehen, daß es sich um jagdbares Wild oder um Gegenstände handelt, die dem Jagdrecht unterliegen, und daß der Täter das Jagdrecht eines anderen verletzt. c) Irrtum des Täters über das Tatobjekt aa) Hält der Täter eine fremde Sache irrig für ein taugliches Objekt der Jagdwilderei und eignet sich diese Sache zu, so ist - soweit nicht das Tatbestandsmerkmal des Nachstellens aufgrund des Vorgehens des Täters vorliegt - der objektive Tatbestand des § 292 nicht erfüllt. - Eine Bestrafung wegen Diebstahls oder Unterschlagung scheitert hingegen, weil dem Täter der Vorsatz fehlt, sich eine "fremde" Sache zuzueignen.252 Zum Teil wird auf das Wissen des Täters abgestellt, sich eine Sache zuzueignen, die ihm "nicht gehört". Dieses Bewußtsein soll für den Vorsatz der §§ 242^246, 292 genügen. Entscheidend für die Strafbarkeit sei daher der jeweils erfüllte objektive Tatbestand. 2 " - Wieder andere kommen zur Annahme der vollendeten Wildeiei, weil die Verletzung des Aneignungsrechts als Minus in der Verletzung des Eigentumsrechts enthalten ist. 254 Beispiel: Der Jagdberechtigte hat einen geschossenen Hasen im Unterholz versteckt, weil er ihn erst auf dem Heimweg mitnehmen will. A entdeckt den Hasen bei einem Spaziergang und meint, dieser sei - vor kurzem geschossen - verendet. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Da J den Hasen bereits in Besitz genommen hatte, war der Hase für A eine fremde, nicht aber eine herrenlose Sache, daher entfällt § 292.

bb) Hält der Täter hingegen ein Objekt des Jagdrechts für eine fremde Sache, so kann versuchter Diebstahl bzw. versuchte Unterschlagung vorliegen.255

249 Str., Zueignung an Dritte soll nach OLG Hamm NJW 1956 S. 881 genügen. 250 Vgl. dazu PALANDT/BASSENGE BGB, 53. Aufl. 1994, § 958 Rdn. 4; WOLFF/RAISER Sachenrecht, 10. Bearb. 1957, § 78 III 2. - Eigentumserwerb des Berechtigten bei Besitzergreifung irgendeiner Person bejahen BAUR/STÜRNER Lehrbuch des Sachenrechts, 16. Aufl. 1992, § 53 f III 2; HECK Grundriß des Sachenrechts, 1930, § 64 Z i f f . 6. 251 Dazu vgl. auch oben § 40 13; sowie eingehend: OTTO Struktur, S. 153 ff. 252 So z.B. auch: RGSt 63 S. 37; DREHER/TRÖNDLE § 292 Rdn. 20; KREY B.T. 2, Rdn. 271 ff; PREISENDANZ § 292 Anm. 7; WESSELS J A 1984 S. 224 f.

253 WELZELLb., §521. 254 Vgl. v . LÜBBECKE M D R 1974 S. 121; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 38 R d n . 20; SCHÄFER LK, § 292 Rdn. 80; WAIDER G A 1962 S. 183. 255 So auch: KREY B.T. 2, Rdn. 275; SCHÄFER LK, § 292 Rdn. 80; WESSELS JA 1984 S. 225. - A . A .

Vollendetes Diebstahls- oder Unterschlagungsdelikt: LACKNER StGB, § 292 Rdn. 5; MAURACH/

Die Vermögensentziehungsdelikte

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Beispiel: Nach einer Treibjagd ist ein angeschossener Hase unter einer Bank im Wald verendet. Dort entdeckt A ihn. A meint, der Jagdberechtigte habe den Hasen geschossen und dort versteckt, um ihn auf dem Rückweg mitzunehmen. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Versuchter Diebstahl des A.

d) Konkurrenzen Vermögensdelikte und Jagdwilderei schließen einander nach der hier entwickelten Ansicht aus, da sie an jeweils verschiedenen Objekten begangen werden. - Nach h.M. soll § 259 dem § 292 lediglich als lex specialis vorgehen, wenn jemand von einem Wilderer ein Objekt des Jagdrechts erwirbt.256 2. Qualifizierte Fälle der Wilderei a) Für besonders schwere Fälle droht § 292 Abs. 2 eine erhöhte Strafe an. Die fünf in § 292 Abs. 2 aufgezählten Beispiele sind zwar nicht abschließend, aber verbindlich. Daher handelt es sich insoweit um Qualifikationsmerkmale.257 Nachtzeit ist die Zeit der Dunkelheit, d.h. die Zeit zwischen dem Ende der Abenddämmerung und dem Beginn der Morgendämmerung.258 Der Täter muß unter Ausnutzung der Dunkelheit handeln. - Zur Schonzeit vgl. § 22 BJagdG in Verb, mit der Verordnung über die Schonzeit vom 2.4.1977. - Unter Anwendung von Schlingen vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 8 BJagdG. - Zur nicht waidmännischen Begehung vgl. § 19 Abs. 1 BJagdG. - Die Tat wird von mehreren mit Schußwaffen ausgerüsteten Tätern gemeinsam begangen, wenn mindestens zwei mit Schußwaffen ausgerüstete Mittäter am Tatort anwesend sind. b) Die gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Wilderei, § 292 Abs. 3, ist unstreitig ein qualifizierter Tatbestand. - Zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 I 2 c. Gewohnheitsmäßig handelt der Täter, der aus einem durch Übung ausgebildeten, selbständig fortwirkenden Hang tätig wird, so daß dessen Befriedigung ihm bewußt oder unbewußt ohne innere Auseinandersetzung gleichsam von der Hand geht. 259 3. Fischwilderei, § 293 Der Tatbestand entspricht im Aufbau der Jagdwilderei. - Fischen ist jede auf Fang oder Erlegen frei lebender Wassertiere (auch Krebse, Schildkröten, bestimmte Muscheln) gerichtete Tätigkeit. - Fische in geschlossenen Privatgewässern sind nicht herrenlos. - Das Fischereirecht ist landesrechtlich geregelt. 4. Antragsprivileg, § 294 Gemäß § 294 wird die einfache Jagd- und Fischwilderei nur auf Antrag des Verletzten verfolgt, wenn sie von einem Angehörigen oder einem Täter, der die Jagd in beschränktem Umfang ausüben durfte (z.B. Jagdgast), begangen wurde. SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 38 Rdn. 20; WELZEL Lb., § 52 I. - Diese Meinung ist nur haltbar, wenn das Rechtsgut des § 292 ausschließlich im Aneignungsrecht gesehen wird. 256 Vgl. SCHÄFER LK, § 292 Rdn. 36 m.w.N. 257 So z.B. BGHSt 5 S. 211; SCHÄFER LK, §292 Rdn. 86. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 38 R d n . 24; SCH/SCH/ESER § 2 9 2 R d n . 22; WESSELS J A 1984 S. 226.

258 KGJW 1937 S. 763. 259 Dazu auch BGHSt 15 S. 377.

§ 51 Betrug

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5. Analogie des § 248 a Eine analoge Anwendung des § 248 a zugunsten des Wilderers kommt nicht in Betracht, da sich die Wilderei nicht ausschließlich gegen das Vermögen richtet.260

§ 51: Betrug Bereicherungsdelikt. - Dem Täter geht es darum, die dem Berechtigten entzogene Vermögensposition sich oder einem anderen rechtswidrig zu verschaffen. Ein Vermögensgut wird aus einem Vermögen in das andere übertragen; die angestrebte Bereicherung entspricht dem Schaden.

I. Rechtsgut und Gesetzessystematik 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des Betrugstatbestandes ist nach heute allgemein anerkannter Ansicht allein das Vermögen. - Streitig ist jedoch die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs; dazu eingehend unter III 4 a. 2. Der Aufbau des Gesetzes a) Den Tatbestand des Betruges beschreibt § 263 Abs. 1. b) § 263 Abs. 3 enthält einen unbenannten, die Deliktsnatur nicht verändernden Strafschärfungsgrund. c) Die Verweisung auf § 243 Abs. 2 in § 263 Abs. 4 stellt klar, daß ein besonders schwerer Fall nicht angenommen werden darf, wenn sich die Tat auf einen geringen Wert bezieht, dies allerdings - entgegen dem Wortlaut des § 243 Abs. 2 - auch dann, wenn Gegenstand des Betruges keine Sache, sondern ein anderes Vermögensobjekt, z.B. eine Forderung, ist (systematische Auslegung!). Gemäß § 263 Abs. 4 finden ferner die §§ 247, 248 a auf entsprechende Betrugsfälle Anwendung. d) Speziell geregelte Fälle des Betrages enthalten die §§ 352, 353.

II. Der gesetzliche Tatbestand Die gesetzliche Formulierung des Gemeinten ist dem Gesetzgeber arg mißglückt. Zum Ausdruck kommen sollte, daß derjenige wegen Betrugs bestraft werden soll, der in der Absicht, sich oder einen anderen rechtswidrig zu bereichern, durch Täuschimg über Tatsachen einen Irrtum bei einer Person erweckt, aufgrund dessen diese Person eine vermögensschädigende Verfügung zugunsten des Täuschenden oder des von diesem Begünstigten vornimmt. Die Merkmale des Tatbestands sind danach: 1. Eine Täuschung durch den Täter. 2. Ein Irrtum des Getäuschten. 3. Eine Vermögensverßgung des Getäuschten.

260 Vgl. dazu WESSELS JA 1984 S. 226.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

4. Ein Vermögensschaden des Getäuschten oder bestimmter dritter Personen. Zwischen den unter 1. bis 4. genannten Merkmalen muß ein funktionaler Zusammenhang bestehen derart, daß das jeweils folgende Merkmal seinen Grund in dem vorangegangenen hat. - Getäuschte und verfügende Person müssen identisch sein,'nicht aber verfügende und geschädigte Person.

5. Subjektiv ist neben dem Vorsatz die Absicht des Täters erforderlich, sich oder einen Dritten um einen Vermögensvorteil rechtswidrig zu bereichern. - Der erstrebte Vorteil muß dem Schaden entsprechen.

III. Der objektive Tatbestand 1. Die Täuschung Die umständlichen Formulierungen des Gesetzgebers sollen zum Ausdruck bringen, daß der Täter über Tatsachen getäuscht haben muß, d.h. über einem Beweis zugängliche, konkrete äußere oder innere Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart. Der Gegensatz zur Täuschung über Tatsachen ist die Abgabe unrichtiger Meinungsäußerungen oder Werturteile, die jeglichen Tatsachenkerns entbehren oder nach allgemeiner Auffassung des Verkehrs nicht als Tatsachenbehauptung angesehen werden. Soweit diese Äußerungen allerdings auf einer Tatsachengrundlage beruhen, kann über diese Grundlage wiederum getäuscht werden. Beispiel 1: Aufforderung, die Aktien der X-AG zu kaufen, denn diese würden der "Renner" der nächsten Zeit: Zukunftsprognose. Beispiel 2: Aufforderung, die Aktie X zu kaufen, denn diese werde im Kurs steigen, weil der Großaktionär G Order erteilt habe, Aktien der X-AG bis zum Doppelten des derzeitigen Preises zu kaufen: Tatsachenbehauptung . Beispiel 3: Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, dieses sei der Traumwagen jedes fortschrittlich denkenden Menschen: Werturteil. Beispiel 4: Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, im Preis des Grundmodells seien bereits die Extras A - D enthalten: Tatsachenbehauptung, da Behauptung über wertbildende Faktoren.

Täuschung ist ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten. Es kann durch ausdrückliches Vorspiegeln, durch schlüssiges (konkludentes) Verhalten oder durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen.261 a) Die ausdrückliche Täuschung kann durch wörtliche Erklärungen oder täuschende Manipulationen an bzw. mit Gegenständen verwirklicht werden. Maßgeblich ist allein, daß auf die Vorstellung eines anderen eingewirkt wird oder die Veränderung der Vorstellung eines anderen verhindert wird. Täuschung: Vorlage gefälschter Urkunden, Manipulationen an Strom-, Gas- oder Kilometerzählern (LG Marburg MDR 1973 S. 65), Auswechseln von Preisschildern in einem Laden (OLG Hamm NJW 1968 S. 1894), Manipulation des Eindrucks, eine Fahrkarte sei entwertet worden (OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 924). Keine Täuschung: Wer Beförderungsleistungen in Anspruch nimmt oder sich in eine Veranstaltung einschleicht, selbst wenn die Vorstellung der Aufsichtsperson "alles sei in Ordnung", durch dieses Verhalten

261 Enger KINDHÄUSER ZStW 103 (1991) S. 398 ff: Nur Täuschungen relevant, die einen Wahrheitsanspruch des Opfers verletzen.

§ 51 Betrag

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unzutreffend wird. Im Hineinsetzen allein liegt noch keine Täuschung. Zur späteren Aufklärung hingegen ist der Täter nicht als Garant verpflichtet. 262

Stets ist das Bewußtsein des Täters erforderlich, daß zwischen dem vorgegebenen Sachverhalt und der Wirklichkeit eine Diskrepanz besteht. Insoweit hat das Merkmal Täuschung einen subjektiven Einschlag.263 b) Bei einer konkludenten Täuschung nimmt der Täter Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt derart, daß dieser Bezug den Inhalt seiner Aussage mitbestimmt. Er weiß, daß sein Verhalten nach der Verkehrssitte, Übereinkunft der Beteiligten o.ä. einen ganz bestimmten Aussagegehalt hat, auf den er sich stillschweigend bezieht, obwohl er sich nicht dem Aussagehalt gemäß verhalten oder an den Aussagegehalt halten will. Konkludente Erklärungen: Wer einen Vertrag schließt, erklärt, daß er zur Erfüllung fähig und willig ist 2 6 ^; wer einen Scheck begibt, erklärt, daß dieser bei Vorlage gedeckt,bt 2 6 ^; wer einer Bank einen Scheck einreicht, erklärt, daß dieser nach seiner Überzeugung gedeckt ist 2 6 6 ; wer ein Sparbuch zum Abheben vorlegt, erklärt, daß er dazu berechtigt i s t 2 6 ' ; wer einen Betrag von seinem Konto abheben will, erklärt, daß Deckung insoweit vorhanden ist 2 6 "; wer seiner Bank eine Lastschrift einreicht, erklärt, daß die Forderung besteht und er zum Einzug ermächtigt ist 2 6 "; wer eine Wette eingeht, erklärt, daß er das typische Wettrisjko eingehen will 2 '"; der Gastwirt, der Bier serviert, erklärt, daß es sich um frisch gezapftes Bier handelt 2 ' 1 ; der Gebrauchtwagenhändler, der ein Kraftfahrzeug ohne besonderen Hinweis anbietet, erklärt, daß es sich um ein unfallfreies Fahrzeug handelt 2 ' 2 ; wer einen Wechsel zum Diskont anbietet, erklärt, daß es sich um einen Warenwechsel handelt 2 " 3 ; wer bei einer Selbstbedienungstankstelle tankt, erklärt die Absicht der Zahlung 2 '4. - Zur Problematik des Tankens an Selbstbedienungstankstellen vgl. auch oben § 40 I 3. Keine konkludenten Erklärungen: Der Mieter eines Zimmers, der nach Vertragsabschluß zahlungsunfähig wird, erklärt durch bloßes Wohnenbleiben nicht seine Zahlungsfähigkeit. 2 '' Er ist auch nicht zu einer Offenbarung rechtlich verpflichtet. 2 ' 6 - Wer eine Forderung aus ejner Naturalobligation geltend macht, behauptet nicht, eine gerichtlich durchsetzbare Forderung zu h a b e n . 2 ' ' - Die Annahme versehent-

262 Dazu BOCKELMANN Eb. Schmidt-Festschrift, S. 439; HERZBERG GA 1977 S. 289 ff; LACKNER LK, § 263 Rdn. 18, 91; SAMSON JA 1978 S. 472; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 204. - A.A. ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 470. 263 Vgl. dazu auch BGHSt 18 S. 237. 264 BGHSt 15 S. 24. 265 BGH NJW 1983 S. 461, eingehend dazu OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 113. 266 OLG Köln NJW 1991 S. 1122. 267 Dazu OTTO Bankentätigkeit, S. 99; vgl. auch BGH StV 1992 S. 272. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2003. 268 OLG Celle StV 1994 S. 188; vgl. auch BGH NJW 1994 S. 950. 269 OLG Hamm NJW 1977 S. 1836. 270 So BGHSt 29 S. 167 mit abl. Anm. KLIMKE JZ 1980 S. 581 f; BayObLG wistra 1993 S. 306. - A.A. noch BGHSt 16 S. 120. 271 A.A. RGSt 29 S. 35. 272 BayObLG NJW 1994 S. 1078. 273 BGH NJW 1976 S. 2028. 274 BGH NStZ 1983 S. 505 mit Anm. GAUF S. 505 ff, und DEUTSCHER S. 507 f. 275 OLG Hamburg NJW 1969 S. 335 mit Anm. G. E. HIRSCH NJW 1969 S. 853 f und SCHRÖDER JR 1969 S. 110. 276 BGH G A 1974 S. 284; TRIFFTERER JuS 1971 S. 181 ff. 277 O L G Stuttgart JZ 1979 S. 575 mit Anm. FRANK NJW 1980 S. 848; HEID JuS 1982 S. 2 2 ff; JOECKS J A 1980 S. 128; LOOS NJW 1980 S. 847 f; B. MÜLLER JuS 1981 S. 255 ff.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

lieh zu viel gezahlten Geldes enthält nicht die Erklärung, daß eine Forderung auf das Geld b e s t e h t . 2 7 8 . Die Forderung eines bestimmten Effiises für einen Gegenstand enthält nicht die Erklärung, daß diese Forderung angemessen oder üblich ist 2 ™; anderes gilt nur bei üblicherweise gebundenen Preisen 28 ".

c) Eine Täuschung durch Unterlassen ist nach den Grundsätzen des garantiepflichtwidrigen Unterlassens möglich, hat jedoch Ausnahmecharakter.281 - Grundsätzlich kann die Nichthinderung der Entstehung einer Fehlvorstellung durch einen Garanten nämlich nur einer Irrtumserregung durch positives Tun gleichgestellt werden (§ 13), nicht aber einer Irrtumserregung durch Täuschimg, d.h. einem qualifizierten positiven Tun. Durch die weite Interpretation der Täuschung als ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten sind die bestehenden Schranken zwischen der bloßen Herbeiführung eines Irrtums und der Herbeiführung eines Irrtums durch Täuschung im Laufe der Zeit jedoch weitgehend eingeebnet worden. Auch heute wird man aber nur dort eine Täuschung durch Unterlassen annehmen können, wo der Garant aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses ausnahmsweise eine besondere Aufklärungspflicht hat. Diese kommt in Betracht, wo ein Geschäftspartner dem anderen in berechtigtem Vertrauen gleichsam eine Vermögensdispositionsmöglichkeit eingeräumt hat. Bloße vertragliche Nebenpflichten insbesondere aus Treu und Glauben genügen den Anforderungen nicht. Aufklärungspflichten können sich ergeben aus öffentlich-rechtlichen Mitteilungs- und Meldepflichten (z.B. §§ 16 W G , 116 BSHG); nicht aber aus allgemeinen Meldepflichten ohne konkrete Beziehung zwischen den Beteiligten (BGH wistra 1992 S. 141); aus langjähriger Geschäftspartnerschaft, wenn eine auf gegenseitigem Vertrauen basierende kontokorrentartige Geschäftsabwicklung vereinbart ist, in der auch Schweigen als Anerkennung gilt 2 8 2 ; aus Ingerenz, wenn das vorangegangene Tun einen Irrtum begründet hat (OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1975); aus angeblichem oder wirklichem Sachwissen des Vermittlers von Risikogeschäften gegenüber unerfahrenen Kunden2*". Keine Aufklärungspflicht i.S. des § 263 begründen: Normales Kontokorrentverhältnis (BGHSt 39 S. 392, 397 ff), Treu und Glauben, z.B. Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach Vertragsschluß bei Vorleistung des Vertragspartners28^; finanzielle Schwierigkeiten eines Kaufmanns, die dieser aber zu überwinden hofft 2 8 5 ; Inempfangnahme eines höheren Geldbetrages als des geschuldeten (BGH JZ 1989 S. SSO); Abheben der Rente nach Tod des Berechtigten28"; Vollstreckung aus einem Räqmungsurteil, das wegen Eigenbedarfs erging, wenn der Eigenbedarf nach Erlaß des Urteil weggefallen i s t 2 8 ' .

278 OLG Köln NJW 1987 S. 2527 mit Anm. JOERDEN JZ 1988 S. 103 ff; OLG Düsseldorf NJW 1987 S . 8 5 3 m i t A n m . MÖHLENBRUCH N J W 1 9 8 8 S . 1894 f .

279 OLG Stuttgart NStZ 198S S. 503 mit Anm. LACKNER/WERLE S. 503 ff; SCHAUER Grenzen der Preisgestaltung im Strafrecht, 1989, S. 11 ff. 2 8 0 B G H J Z 1 9 8 9 S. 7 5 9 m i t A n m . OTTO J K 9 0 , S t G B § 2 6 3 / 3 0 .

281 Zur grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Täuschung durch Unterlassen LACKNER LK, § 263 Rdn. 57 ff. - Im einzelnen dazu BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 217 ff, 313 ff; MAAB Betrug verübt durch Schweigen, 1982, S. 46 ff (Ingerenz), S. 61 ff (Solidaritätsbeziehung), S. 99 ff (Übernahmegarantie); RANFT Jura 1992 S. 67 ff. 2 8 2 B G H S t 3 9 S . 3 9 2 , 3 9 7 ff m i t A n m . GEPPERT J K 9 4 , S t G B § 2 6 3 / 4 0 , JOERDEN J Z 1994 S . 4 2 2 f , NAUCKE N J W 1994 S . 2 8 0 9 ff.

283 BGHSt 30 S. 181 f; BGH NJW 1991 S. 2575; dazu OTTO JZ 1993 S. 654. 284 BGH wistra 1988 S. 262; ALBRECHT JUS 1979 S. 52; - a.A. noch BGHSt 6 S. 196. 285 BGH bei Dallinger, MDR 1968 S. 202; OLG Stuttgart JR 1978 S. 388 mit Anm. BEULKE S. 390. 286 OLG Köln MDR 1979 S. 250 mit Anm. KÜHL JA 1979 S. 681; - a.A. OLG Hamm NJW 1987 S. 2245 mit abl. Anm. OTTO JK 88, StGB § 263/24. 287 A.A. BayObLG JZ 1987 S. 626 mit zust. Anm. HILLENKAMP JR 1988 S. 301 ff; RENGIER JuS 1989 S . 8 0 2 ff; PUNTE J u r a 1 9 8 9 S . 128 ff; u n d m i t abl. A n m . HELLMANN J A 1 9 8 8 S . 7 3 f f ; OTTO J Z 1 9 8 7 S . 6 2 8 ff; SEIER N J W 1 9 8 8 S . 1617 ff.

§ 51 Betrug

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2. Der Irrtum Der Täter muß durch Täuschung einen Irrtum, d.h. eine unrichtige Vorstellung über Tatsachen, erregt oder weiter unterhalten haben. - Die bloße Ausnutzung eines vorhandenen Irrtums genügt nicht. a) Etwaige verbleibende Zweifel desjenigen, auf den durch eine Täuschung eingewirkt wird, hindern den Irrtum nicht, wenn der Getäuschte letztlich diese Zweifel überwindet und die Fehlvorstellung für die richtige hält, denn der Zweifelnde, aber schließlich doch Überzeugte ist nicht weniger schutzwürdig als der Leichtgläubige. Erst wenn dem Getäuschten die Wahrheit der Erklärung gleichgültig ist, fehlt es an einem Irrtum. 288 Auch Leichtgläubigkeit oder Naivität beseitigen nicht den Schutz des Betrugstatbestandes wegen eines etwaigen Opfermitverschuldens. BGHSt 34 S. 199 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/22: Der A organisierte ab 1984 Werbung und Vertrieb für Veijüngungs- und Abmagerungsmittel sowie für "Haarverdicker" und "Nichtraucherpillen". Wie er wußte, waren sämtliche Mittel ebenso wirkungslos wie harmlos. Er verkaufte sie zu Preisen zwischen 46,50 DM bis 76,- DM "ohne jedes Risiko" per Nachnahme zuzüglich Versandspesen mit "Rückgaberecht innerhalb von 14 Tagen mit voller GeldzurQckgarantie". Auf Grund der Erfahrungen seiner Hinterleute ging A davon aus, daß etwaige Reklamationen von höchstens 10 % der Käufer erfolgen würden. Dieser Prozentsatz wurde aber nur bei den Schlankheitspillen erreicht. Wurde reklamiert, so erhielt der Kunde den vollen Kaufpreis zurück. - Den Produkten selbst wurden in der Werbung geradezu wundersame Wirkungen und Eigenschaften zugeschrieben. So sollte das Hollywood-Lifting-Bad, angeblich aus "taufrischem Frischzellenextrakt", im Blitztempo von nur 12 Bädern wieder schlank, straff und jung formen, und zwar "mit 100 %iger Figurgarantie". Der "Haarverdicker-Doppelhaar" verdoppele das Haar binnen 10 Minuten, auch Schuppen, Flechten, fettiges und trockenes Haar würden mit 100 %iger Garantie beseitigt. In dieser Art wurde für sämtliche Produkte geworben. Allein bei der Strafzumessung im Rahmen der Würdigung der kriminellen Energie des Täters kann ein u.U. leichtfertiges Verhalten des Opfers Berücksichtigung finden.2*"

b) Einflußnahmen auf die automatischen Operationen eines Computers sind der Beeinflussung des Willens eines Menschen nicht gleichzusetzen. Sie begründen daher keinen i.S. des § 263 relevanten Irrtum; vgl. dazu § 263 a. Zu beachten ist aber, daß der relevante Irrtum schon durch Täuschung von Kontrollpersonen hervorgerufen werden kann und daß durch die Ergebnisse des beeinflußten Computers ein Irrtum bei Personen entstehen kann.2®0 c) Kontrollpersonen, die die Richtigkeit eines Sachverhalts überprüfen sollen, sind auch dann getäuscht, wenn sie aufgrund des ihnen vorgelegten Materials davon ausgehen, daß der vorgetragene Sachverhalt zutrifft. Beispiele: Irrtum des Sparkassenangestellten, dem ein Sparbuch von einem Dritten zur Auszahlung vorgelegt wird, über die Berechtigung des Vorlegenden, denn da grobe Fahrlässigkeit des Schuldners bei der

288 So auch BGH wistra 1990 S. 305; DREHER/TRÖNDLE § 263 Rdn. 18 a; FRISCH Bockelmann-Festschrift, S. 647 ff; GÜNTHER Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 193 f; HERZBERG G A 1 9 7 7 S . 2 8 9 f f ; HILLENKAMP Vorsatztat und Opferverhalten, 1 9 8 1 , S . 18 f f ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 8 0 ; RANFT J A 1 9 8 4 S . 7 3 1 f ; SEIER D e r Kündigungsbetrug, 1 9 8 9 , S . 2 7 3 ; SEELMANN JUS 1 9 8 2 S . 2 7 0 . - A . A . AMELUNG G A 1 9 7 7 S . 6 ff; BEULKE N J W 1 9 7 7 S . 1 0 7 3 ; ELLMER B e t r u g

und Opfermitverantwortung, 1986, S. 271 ff; GIEHRING GA 1973 S. 1 ff; R. HASSEMER Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1981, S. 113 ff; SCHÜNEMANN Bockelmann-Festschrift, S. 130 f; DERS. NStZ 1986 S. 439 ff.

289 Dazu BGH StV 1983 S. 326; HILLENKAMP Vorsatztat, S. 18 ff. 290 So auch mit eingehender Begründung SIEBER Computerkriminalität, S. 203 ff, 215; DERS. Computerkriminalität, Nachtrag, S. 2/2 ff; LACKNER LK, § 263 Rdn. 86; N. SCHMID Missbräuche im modernen Zahlungs- und Kreditverkehr, 1982, S. 28 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Auszahlung die Forderung nicht zum Erlöschen b m g t ^ l , w jr(j sich der Schuldner in der Regel Gedanken über die Berechtigung des Buchinhabers machen.29z. Irrtum des Richters, dem ein unwahrer Sachverhalt im Prozeß vorgetragen WIRD.™3 _ Irrtum des Schecknehmers über die Berechtigung des Scheckbegebenden, wenn dieser einen gestohlenen oder gefälschten Scheck vorlegt, auch dann, wenn der Scheck durch Scheckkarte garantiert ist. Positives Wissen und grob fahrlässige Unkenntnis der Nichtberechtigung verhindern nämlich auch hier die Entstehung des Anspruchs. Damit ist davon auszugehen, daß der Schecknehmer selbst nur vom Berechtigten einen Scheck erhalten wijlund getäuscht ist, wenn er nach den Umständen davon ausgeht, daß der Berechtigte sein Partner IST.294 _ Irrtum des Schecknehmers der einen ungedeckten Scheck e i n l ö s t / "

3. Die Vermögensverßgung a) Verfügung und Verfügungsbewußtsein Nach h.M. wird die Vermögensverfügung definiert als ein Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. - Danach kommt es auf ein "Verfügungsbewußtsein" des Opfers nicht an. Gleichgültig soll es sein, ob der Getäuschte weiß, daß er eine Vermögensverschiebung veranlaßt, die Verfügung also bewußt oder unbewußt erfolgt. - Geradezu kurios mutet es allerdings an, wenn die Vertreter dieser Ansicht in gleicher Geschlossenheit darauf hinweisen, daß es für die Abgrenzung des Betruges vom Diebstahl entscheidend auf die Willensrichtung des Verfügenden ankomme. Diese Behauptung steht im krassen Gegensatz zu den in die Definition der Vermögensverfügung eingegangenen Prämissen und macht deutlich, daß die h.M. von zwei inhaltlich verschiedenen Verfügungsbegriffen ausgeht, was in der Rechtsprechung sogar ausdrücklich hervorgehoben wird. Einerseits BGHSt 14 S. 172: "Deijenige, der die Vermögensverfügung vornimmt, braucht sich dabei nicht bewußt zu sein, daß er auf sein Vermögen oder dasjenige eines Dritten einwirkt." Andererseits: BGH bei Daliinger, MDR 1974 S. 15: "Der Tatbestand des Betruges setzt u.a. voraus, daß der vom Täter Getäuschte aus freiem, nur durch Irrtum beeinflußten Willen über sein Vermögen oder das ihm faktisch anvertraute Vermögen eines anderen verfügt und dieses dadurch unmittelbar schädigt ... Für die Abgrenzung der beiden Tatbestände (gemeint sind Diebstahl und Betrug) kommt es somit in den Fällen, in denen sich der Täter durch Täuschung eine Sache verschaffen will, wesentlich auf die Willensrichtung des Getäuschten und auf sein Verhältnis zu der Sache an. Hiernach liegt mangels eines Verfügungswillens kein Betrug, sondern Diebstahl vor, wenn die Täuschung dem Täter nur die Herbeiführung des Schadens durch eine eigene Handlung ermöglichen soll, die den Gewahrsam des bisherigen Inhabers ohne dessen Willen eigenmächtig aufhebt.

Die Aufspaltung des Verfügungsbegriffs läßt sich auch nicht dadurch überwinden, daß dem Verfügungsbewußtsein jegliche Bedeutung abgesprochen und darauf abgestellt wird, ob das Verhalten bei einer Gesamtwürdigung als Selbstschädigung des Getäuschten erscheint oder nicht.297 Denn das entscheidende Kriterium in dieser Gesamtwertung ist zumindest beim Sachbetrug wiederum das Verfügungsbewußtsein, was auch von denen

291 Vgl. BGHZ 28 S. 368. 292 Vgl. auch LACKNER LK, § 263 Rdn. 88; MAIWALD JA 1971 S. 643; OTTO Bankentätigkeit, S. 99; a.A. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2003; MLEHE Heidelberg-Festschrift, S. 498.

293 Str. vgl. eingehender unter VI 5. 294 A . A . STEINHILPER Jura 1983 S. 413 f.

295 A.A. AG Tiergarten NJW 1989 S. 846. 296 Vgl. dazu auch: BGH GA 1987 S. 307; OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923. 297 Vgl. LACKNER LK, § 263 Rdn. 98.

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zugestanden wird, die dem Verfügungsbewußtsein zunächst jegliche Bedeutung absprechen. Entgegen der von der h.M. verteidigten Definition der Vermögensverfügung ist daher davon auszugehen, daß zumindest beim Sachbetrug allgemein anerkannt ist, daß das Verfügungsbewußtsein i.S. des Bewußtseins einer Gewahrsamsübertragung Voraussetzung der Vermögensverfügung ist. Dieses Erfordernis ist sachgerecht, denn wenn die allgemeine Typisierung des Betruges als eines Selbstschädigungsdelikts überhaupt einen Sinn haben soll, so muß das Verfügungsbewußtsein als Element der Vermögensverfügung anerkannt werden: Von einer Selbstschädigung des Opfers kann nämlich keine Rede sein, wenn sich der Getäuschte nicht einmal der Tatsache seiner Verfügung bewußt ist. Ohne dieses Bewußtsein kann der Getäuschte nämlich durchaus Werkzeug in der Hand eines Diebes sein. Das bedeutet: Der Getäuschte muß den Veifiigungscharakter seines Verhaltens kennen, nicht aber wissen, daß er eine Vermögensschädigung vornimmt. - Vermögensverfügung ist danach jedes vermögensrelevante Tim und Unterlassen des Getäuschten, das sich Unmittelbar vermögensmindernd auswirkt und dessen vermögensrelevanten Charakter der Getäuschte kennt.298 Die von der h.M. befürchteten Strafbarkeitslücken, die das Erfordernis des Verfügungsbewußtseins zur Folge haben soll, sind keineswegs so gravierend, wie die h.M. befürchtet, im Gegenteil, die Grenzfälle sind entweder als Betrog erfaßbar, auch wenn am Erfordernis des Verfügungsbewußtseins festgehalten wird, oder schon aus anderen Gründen nicht unter den Betrugstatbestand zu subsumieren. - Zwei Fallgruppen fallen hier ins Auge: aa) Die Unterlassung der Geltendmachung eines Anspruchs Fall 1: In Anlehnung an RGSt 65 S. 99: A veräußert für B eine Sache. Es ist vereinbart, daß A dem B den Kaufpreis aushändigen soll. A erlöst DM 200,-, an B führt er als Erlös nur DM 100,- ab. Fall 2: RG HRR 1939 Nr. 1383: A pachtete von B eine Kiesgrube. Der Pachtzins sollte nach der monatlich entnommenen Kiesmenge berechnet werden. A gab diese Menge jeweils zu gering an, daher fordert B jeweils einen geringeren Pachtzins als denjenigen, der ihm nach dem Vertrag zustand. Fall 3: RGSt 76 S. 170: Der mit dem Verkauf von Fahrtausweisen betraute A erklärte bei der Abrechnung wahrheitswidrig, die Kasse stimme. Fall 4: RGSt 70 S. 22S: A hatte einen Brandschaden erlitten und von seiner Versicherung Ersatz für den Verlust verschiedener, in einer Liste aufgeführter Gegenstände erhalten. Zwei dieser Gegenstände fand A später unversehrt wieder. Die Versicherung benachrichtigte er davon nicht.

Wird in der Abrechnungssituation, d.h. in der bewußten Entscheidung, eine bestimmte Abrechnung zu akzeptieren, die Verfügung über die abgerechnete Summe erkannt, so werden in den Fällen der Unterlassung der Geltendmachung von Forderungen kaum unerträgliche Strafbarkeitslücken eröffnet, wenn das Verfügungsbewußtsein als Bestandteil der Vermögensverfügung gefordert wird. Zutreffend hat HANSEN dargelegt, daß in den Fällen 1 - 3 von einer unbewußten Unterlassimg keine Rede sein könne 2 '". In diesen Fällen liege in der konkreten Abrechnungssituation ein täuschungs- und irr298 Vgl. D. GBBRDS Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1990, S. 95; HANSEN M D R 1975

S. 533 ff; HERZBERG ZStW 89 (1977) S. 369 Fn. 10; JOECKS Zur Vermögensverfügung beim Betrug, 1982, S. 108 f; RANFT Jura 1992 S. 68 ff; - sachlich nahe: MIEHE Unbewußte Verfügungen, 1987 S. 54 ff (Bewußtsein der Vermögensbewegung). 299 M D R 1 9 7 5 S. 5 3 3 ff

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Die Vermögensentziehungsdelikte

tumsbedingtes Verhalten vor. Die Abrechnung selbst sei nämlich gerade die Vertagung, die stets eine konkrete Entscheidung zum Inhalt habe und die bewußt vorgenommen werde. Unbewußt bleibe nur die Tatsache der Selbstschädigung. Im Fall 4 fehlt es hingegen an einer bewußten Entscheidung der Versicherung. Hier ist ein Betrag ausgeschlossen, wenn man ein VerfUgungsbewußtsein als Bestandteil der Verfügung fordert. Daß damit aber keine Strafbarkeitslücken auftreten, ist daran zu erkennen, daß in diesem Fidle schon die Garantenpflicht zweifelhaft ist und auch die Begründung der Täuschung und des Irrtums auf Schwierigkeiten stoßen, weil hier weniger ein Irrtum erregt oder unterhalten, als vielmehr ein vorhandener Irrtum ausgenutzt wird. Insofern ist es durchaus vertretbar, auch die Verfügung abzulehnen. 300 JOECKS kommt zu dem Ergebnis, daß die Unterlassimg der Geltendmachung einer Forderune stets als Vermögensverfügung erscheint, da sie immer einen "Umgang mit Vermögen" d a r s t e l l e . 1 Diese Argumentation gerät jedoch in Gefahr, die Möglichkeit des Umganges mit dem Vermögen dem realen Umgang mit dem Vermögen gleichzusetzen.

bb) Die Unterschriftsleistung als Vermögensverfügung Fall: A war als Provisionsvertreter von Waschmaschinen für X tätig. Er bat den B, der den Kauf einer Waschmaschine abgelehnt hatte, ihm zu bestätigen, daß er, A, ihn, den B, aufgesucht habe. Bei der Unterschriftsleistung hielt A den Biogen so, daß die Unterschrift des B auf ein Formular für den Kaufvertrag einer Waschmaschine kam. Den Vertrag reichte A bei X ein, der den B auf Abnahme einer Waschmaschine in Anspruch nahm.

Rechtsprechung und h.L. haben die Problematik der Fälle erschlichener Vertragsunterschriften allein in der Schadensfeststellung gesehen und die Unterschriftsleistung unter das Vertragsangebot unproblematisch als Vermögensverfiügung interpretiert, weil der Getäuschte damit eine Situation geschaffen habe, die tatsächlich - insbesondere unter Berücksichtigung der Beweissituation - der Eingehung einer Verpflichtung gleichkomme.302 Zuzugestehen ist in diesen Fällen, daß der Getäuschte sich bewußt seiner Unterschrift entäußert hat. Verborgen geblieben ist ihm jedoch der vermögensbezogene Charakter seines Verhaltens. Dieser Vermögensbezug wird allein durch die - dem Getäuschten nicht bewußte - Erklärung hergestellt, unter die die Unterschrift gesetzt wurde. Dadurch entsteht der Schein eines Vertragsschlusses, denn in derartigen Fällen kommt es zu keinem wirksamen - nicht nur anfechtbaren - Vertragsschluß, sondern der Vertrag selbst kommt mangels Erklärungsbewußtseins nicht zustande. Die Situation unterscheidet sich rechtlich daher nicht von jenen Fällen, in denen der Täter später über eine zuvor erschlichene Unterschrift einen Vertragstext setzt oder einen ursprünglich rechtswirksamen Vertrag inhaltlich fälscht. - In diesen zuletzt genannten Fällen stimmen jedoch Rechtsprechung und h.M. darin überein, daß der ursprünglichen Unterschrift kein Verfügungscharakter bezüglich der nun aus dem Vertragstext ersichtlichen Vermögensverfügung zukommt. Es fehlt das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen Vermögensverfugung und Vermögensschaden.303 Doch auch in den Fällen, in denen der Getäuschte seine Unterschrift unter einen Vertragstext setzt, ohne sich dessen bewußt zu sein, fehlt es an der Unmittelbarkeit zwischen 300 Zur Diskussion: einerseits GALLAS Eb. Schmidt-Festschrift, S. 421; LACKNER LK, § 263 Rdn. 98. Andererseits BOCKELMANN Eb. Schmidt-Festschrift, S. 457 Anm. 45; WELZEL L b . , § 54 1 3 .

301 JOECKS, Vermögensverfügung, S. 108 f. 302 Dazu BGHSt 22 S. 88; KG JR 1972 S. 28; OLG Köln MDR 1974 S. 157; LACKNER LK, § 263 Rdn. 98; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 41 Rdn. 73.

303 Dazu OLG Düsseldorf NJW 1974 S. 1833; OLG Celle MDR 1976 S. 66; OLG Hamm wistra 1982 S. 153.

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Unterschriftsleistung und Vermögensschaden. Der Getäuschte hat nur die Möglichkeit zu einer Vermögensschädigung durch eine weitere deliktische Handlung des Täters, nämlich die Vortäuschung eines rechtswirksamen Vertragsschlusses, geschaffen. Erst in diesem weiteren - deliktischen Verhalten gegenüber dem Getäuschten, nämlich der Inanspruchnahme aus dem angeblichen Vertrag, liegt die deliktische Vermögensschädigung. Diese kann sich als Erpressung darstellen, wenn der Getäuschte für den Fall, daß er nicht leistet, damit bedroht wird, er werde mit einem Prozeß überzogen, in dem die falsche Urkunde als Beweismittel verwendet wird. Erfolgt eine solche Androhung nicht, so liegt in der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung ein Betrug. Das bedeutet für den Ausgangsfall: 1. Möglichkeit: Aufgrund des eingereichten unterschriebenen Vertrages geht X davon aus, daß A einen Vertragsschluß vermittelt hat, er zahlt A eine Provision. Ergebnis: Betrug des A gegenüber X zu eigenen Gunsten (Provision). 2. Möglichkeit: Da B sich weigert, die Waschmaschine abzunehmen, verklagt X den B. Im Termin wird der Vertrag vorgelegt. B wird zur Abnahme und Zahlung verurteilt, da er die Täuschung nicht beweisen kann. Das Urteil wird rechtskräftig. Ergebnis: Betrug des A als mittelbarer Täter (Täuschung) gegenüber B zu Gunsten des X. - Eingehender zum sog. Prozeßbetrug unter VI S. 3. Möglichkeit: Nimmt B die Maschine ab und zahlt, weil A ihm droht, er werde im Prozeß den Vertrag vorlegen und als Zeuge aussagen, der Vertrag sei gültig zustande gekommen, so kann auch eine Erpressung, § 2S3, zu Gunsten des X vorliegen. - Die Verschlechterung der Beweissituation ist ein empfindliches Übel für B, mit dem A droht, um den B zu einer Verfügung - Abnahme der Maschine und Zahlung - zu veranlassen.

b) Verfügender und Geschädigter Die Verfügung des Getäuschten kann sein eigenes Vermögen oder das eines anderen betreffen. Daher ist Identität zwischen Getäuschten und Verfügenden nötig, nicht aber zwischen Verfügendem und Geschädigtem. Jedoch ist nicht jeder Zugriff auf das Vermögen eines Dritten als Vermögensschädigung durch Vermögensverfügung zu interpretieren. Die Möglichkeit des Gewahrsamsbraches des Täters durch Einsatz eines gutgläubigen Werkzeugs ist nicht ausgeschlossen. Allerdings muß der Geschädigte sich bestimmte Verfügungen Dritter als eigene zurechnen lassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Verfügende selbst der Vermögenssphäre des Geschädigten zuzurechnen ist, d.h. wenn er durch den Geschädigten oder durch die Rechtsordnung in eine Position eingesetzt worden ist, aufgrund derer er die Möglichkeit hat, über Vermögen des Geschädigten zu verfügen. Wird er in dieser Situation das Opfer einer Täuschung und trifft eine Verfügung, zu der er sich aufgrund der Täuschimg für berechtigt hält, so muß sich der Vermögensträger diese Verfügimg als eigene zurechnen lassen. Der Gewahrsamshüter (Mitgewahrsamsträger oder Gewahrsamsdiener), dessen Aufgabe es ist, den Gewahrsam für den Eigentümer zu bewahren, verfügt daher zu Lasten des Eigentümers, wenn ihm eine Situation vorgespiegelt wird, die - läge sie vor - ihn zu der Verfügung berechtigen würde. Ist der Getäuschte hingegen in die Sphäre des Täuschenden und nicht in die des Vermögensträgers zu rechnen, so liegt ein Diebstahl in mittelbarer Täterschaft vor. 304 304 Eingehender dazu OFFERMANN-BURCKART Vermögensverfügungen Dritter im Betrugstatbestand, 1994, S. 148 ff, 206 ff; OTTO ZStW 79 (1967) S. 76 ff; vgl. auch; BGHSt 18 S. 221 (Herausgabe eines Kfz durch einen Garagenwächter); OLG Köln MDR 1966 S. 253 (Herausgabe eines Fahrrades durch Parkplatzwächter); OLG Stuttgart NJW 1965 S. 1930 (Herausgabe des Kfz-Schlüssels durch Zimmervermieter); OLG Celle NJW 1994 S. 142 (Vertretungsverhältnis beim Forderungseinzug);

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Zum Teil wird in der Lehre stärker auf die rechtl. Verfugungsbefugnis abgestellt (sog. Befugnis- oder Ermächtigungstheorie). Danach braucht der Geschädigte sich nur solche Handlungen des Verfügenden zurechnen zu lassen, zu denen dieser - ausdrücklich oder stillschweigend - rechtlich wirksam ermächtigt war. 305 Die Gegenmeinung (sog. Lagertheorie) stellt den tatsächlichen Aspekt in den Vordergrund ihrer Überlegungen. Danach soll es wesentlich darauf ankommen, ob der Getäuschte "innerhalb der Machtsphäre des Berechtigten als dessen Gehilfe und Schützer steht" (SCHRÖDER), ob er "bildlich gesprochen im Lager des Geschädigten steht" (LENCKNER), ob er für den Geschädigten "und an dessen Stelle von einer schon bestehenden Einwirkungsmöglichkeit auf die ihm nahestehende Sache als Folge der Täuschung zum Nachteil des Geschädigten Gebrauch macht" ( D R E H E R ) . 3 0 6 Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 18 S. 221: A, der ehemalige Freund der B, der den Wagen der B wiederholt mit deren Einverständnis aus einer Sammelgarage geholt hat, erscheint nach Auflösung der Freundschaft in der Garage, tut so, als sei alles wie sonst, und fährt mit dem Wagen der B fort. Der Garagenwärter C duldet dies, da er meint, A handele nach wie vor im Einverständnis mit der B. BGH: Vermögensverfügung des C, die B sich als eigene zurechnen lassen muß. bb) Bei der Haushälterin H des Direktors D erscheint A, gibt sich als Bürobote aus und bittet die H, ihm den wertvollen Gehpelz des B auszuhändigen, da D am Abend von der Firma aus ins Theater will und mit der starken Kälte an diesem Tage nicht gerechnet habe. Die arglose H gibt den Pelz heraus, den A schleunigst ins Pfandhaus trägt. Ergebnis: Verfügung der H, die D sich als eigene zurechnen lassen muß. cc) A verkauft dem B ein an einem Haus stehendes Leitergerüst. Dieses gehört in Wirklichkeit C, während B den A für den Eigentümer hält. B fährt das Gerüst gutgläubig ab. Ergebnis: Diebstahl des A in mittelbarer Täterschaft. Kein Betrug, da A nicht Verfügungsbefugter i.S. des §263.

c) Schutzunwürdige Vermögensverfügungen Nach neuerer Auffassung des BGH fallen Dienstleistungen, die üblicherweise gegen Entgelt erbracht werden, dann aus dem Schutzbereich des § 263 heraus, wenn diese Dienstleistungen - z.B. Geschlechtsverkehr oder Telefonsex - verbotenen oder unsittlichen Zwecken dienen. Das deutet darauf hin, daß der BGH hier nicht das Vorliegen eines Vermögensschadens bestreiten will, sondern die rechtlich garantierte Handlungsfreiheit begrenzt, d.h. aber, als rechtlich relevante Vermögensverfügung nur die rechtlich akzeptierte Vermögensverfügung anerkennt.307 Der Vermögensschutz wird damit sozial-ethisch begrenzt. Das ist nicht sachgerecht.308

OLG Düsseldorf NJW 1994 S. 3366 (Nichtgeltendmachung einer Forderung durch Gerichtsvollzieher). - Für Idealkonkurrenz zwischen §§ 263, 242 in den Fällen: HAAS GA 1990 S. 206. 305 Dazu AMELUNG GA 1977 S. 14; BACKMANN Die Abgrenzung des Betrugs von Diebstahl und Unterschlagung, 1974, S. 127 ff; KREY B . T . 2, Rdn. 413; SAMSON J A 1978 S. 566; SCHÜNEMANN G A 1969 S. 4 6 ff. 306 Dazu DREHER JR 1966 S. 2 9 f; DERS. G A 1969 S. 56 ff; GEPPERT JUS 1977 S. 72; GRBBOHM N J W 1967 S. 1897; LACKNER LK, § 263 Rdn. 114; LENCKNER J Z 1966 S. 321; SCH/SCH/CRAMER § 263 R d n . 66; SCHRÖDER ZStW 60 (1941) S. 70.

307 Vgl. BGH JZ 1987 S. 684; BGH wistra 1989 S. 142; OLG Hamm NStZ 1990 S. 342; BERGMANN/FREUND JR 1988 S. 189 ff; DIES. JR 1991 S. 357 ff. 308 Vgl. dazu OTTO Jura 1993 S. 424 ff.

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d) Zusammenhang zwischen Täuschung und Verfügung Die Vermögensverfügung muß ihren Grund in dem Irrtum des Getäuschten haben, d.h. sie muß durch den Irrtum veranlaßt worden sein. Ob der Irrende auch ohne Täuschung verfügt hätte, ist irrelevant, wenn er infolge der Täuschung verfügt hat. BGHSt 13 S. 13: Der Referendar A nahm im Gerichtszimmer auf dem Richterstuhl sitzend bei B ein Darlehen auf, indem er B vorspiegelte, er könne es aufgrund des Eingangs einer größeren Summe demnächst zurückzahlen. - Dies war unwahr. B erklärte aber später, auch ohne diese Erklärung hätte er einer Amtsperson ein Darlehen gegeben. BGH: Verfügung des B beruhte auf Täuschung, nur das ist relevant. Hypothetische Überlegungen haben daneben keinen Raum.

4. Der Vermögensschaden a) Vermögen und Vermögensschaden Die Vermögensverfügung muß zur Minderung des Vermögens geführt, d.h. einen Vermögensschaden begründet haben. Die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs und damit auch die des Begriffs des Vermögensschadens sind jedoch streitig. aa) Personaler Vermögensbegriff Der oben - § 38 I - entwickelte personale Vermögensbegriff sieht Vermögen als eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Diese konstituiert sich in den von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden, weil sie Gegenstand eines Rechtsgeschäfts "Tausch gegen Geld" sein können - Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich.309 Ein Vermögensschaden liegt nicht schon im Verlust eines Vermögenswertes, sondern die Vermögensminderung ist nur - und immer dann - Vermögensschaden, wenn der mit der Vermögensminderung erstrebte wirtschaftliche Erfolg nicht erreicht wird. 310 bb) Wirtschaftlicher Vermögensbegriff Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre vertreten den sog. wirtschaftlichen Vermögensbegriff: Vermögen ist die Summe aller wirtschaftlichen (geldwerten) Güter einer Person nach Abzug der Verbindlichkeiten. - Ein Vermögensschaden liegt in der Minderung der Wertsumme, doch wird diese Minderung nicht - dem objektiven Ausgangspunkt dieser Vermögenslehre entsprechend - objektiv bestimmt, sondern objektivindividuell, d.h. aus der Sicht des Betroffenen, doch unter Berücksichtigung "objektiver Maßstäbe wirtschaftlicher Vernunft". 311 - Eine Variante des wirtschaftlichen Ver-

309 Auch der funktionale Vermögensbegriff von WEIDEMANN - Das Kompensationsproblem beim Betrug, Diss. Bonn 1972 - steht der personalen Vermögenslehre, wie sie hier entwickelt wurde, sehr nahe, vgl. dazu WEIDEMANN, S. 199 ff; desgleichen die Konzeption von JAKOBS JuS 1977 S. 228 ff. 3 1 0 E i n g e h e n d d a z u ALWART J Z 1986 S . 5 6 4 f ; BOCKELMANN B . T . / L , § 11 A II 3 e , c c ; D . GEERDS

Wirtschaftsstrafrecht, S. 125 ff; DERS. Jura 1994 S. 311; HARDWIG GA 1956 S. 17 ff; HEINITZ JR 1 9 6 8 S . 3 8 7 f; LABSCH JUS 1 9 8 1 S. 4 7 ; MAIWALD N J W

1981 S . 2 7 8 0 f; MAURACH/ SCHRO-

EDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 Rdn. 113 ff; OTTO Struktur, S. 34, und dazu MAIWALD MschrKrim 1 9 7 2 S . 194; SCHMIDHÄUSERB.T., 1 1 / 1 - 4 .

311 Dazu RGSt 16 S. 1; 44 S. 233; BGHSt 1 S. 264; 16 S. 220; ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, R d n . 4 3 6 ff; DREHER/TRÖNDLE § 2 6 3 R d n . 2 7 ; KREY B . T . 2 , R d n . 4 2 8 , 4 3 3 ; WESSELS B . T . - 2 , R d n . 5 2 1 f.

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mögensbegriffs ist der sog. dynamische Vermögensbegriff.312 Seinen Vertretern geht es darum, die Vereitelung eines Vermögenszuwachses in größerem Maße als es der Rechtsprechung möglich ist, der Vermögensschädigung gleichzusetzen.313 cc) Juristischer Vermögensbegriff Den Gegensatz zum wirtschaftlichen Vermögensbegriff bildete der sog. juristische Vermögensbegriff, der das Vermögen als Summe der Vermögensrechte und Vermögenspflichten einer Person erfaßte und den Schaden allein im Rechtsverlust sah. 314 dd) Juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der heute h.L. entspricht der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff: Er stimmt im Ausgangspunkt mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff überein, begrenzt aber den Bereich des geschützten Vermögens. Vermögen ist danach die Summe der wirtschaftlichen Güter einer Person, über die diese "rechtliche Verfügungsmacht" hat (NAGLER), die ihr "unter dem Schutz der Rechtsordnung" (WELZEL) oder wenigstens "ohne deren Mißbilligung" ( G A L L A S ) ZU Gebote stehen, bzw. die sie "unter Billigung der rechtlichen Güterordnung innehat" (CRAMER).315 - Die Unterschiede zwischen den einzelnen Spielarten dieser Vermögenslehre werden relevant beim Betrug um Besitz, den das Opfer der Tat selbst rechtswidrig erlangt hat, bei der Verfolgung rechtswidriger Zwecke mit Hingabe des Vermögensobjekts und beim Betrug um sog. nichtige Forderungen. 316 In einzelnen Entscheidungen hat auch die Rechtsprechung die Prämissen des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs anerkannt, so z.B. bei Beweismittelverschaffimg für Tilgung einer nichtbestehenden Forderung (BGHSt 20 S. 136); Lösegeld für Rückgabe der Beute aus Diebstahl (BGHSt 26 S. 346); Arbeitsleistung ohne Rechtsanspruch auf Entgelt (BGHSt 31 S. 178); Dirnenlohn 317 ; Telefonsex 3 1 8 .

b) Zur Auseinandersetzung aa) Personaler und wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der personale Vermögensbegriff gewährleistet - wie oben § 38 I gezeigt - den umfassenden Schutz der Entfaltung des Rechtssubjekts im wirtschaftlichen Bereich. Da er das Vermögenssubjekt nicht aus der Definition des Vermögensbegriffs ausspart, bietet er ein in sich geschlossenes theoretisches Gefüge. Der wirtschaftliche Vermögensbegriff hingegen, der keineswegs für sich in Anspruch nehmen kann, ein wirtschaftswissenschaftlich gebildeter Begriff zu sein, sondern vielmehr seinen Ursprung in laienhaften Vorstellun-

3 1 2 D a z u ESER G A 1962 S. 2 8 9 f f ; MOHRBOTTER G A 1969 S. 2 2 7 f f .

313 Dazu LACKNER LK, § 263 Rdn. 124 a.E.

314 Dazu BINDING B.T. I, S. 238, 341; MERKEL Kriminalistische Abhandlungen II, 1867, S. 101, 199; NAUCKE Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 215. 315 Dazu CRAMER Vermögensbegriff und Vermögensschaden im Strafrecht, 1968, S. 100 ff; FOTH GA 1966 S . 4 2 ; FRANZHEIM G A 1960 S. 2 7 7 ; GALLAS E b . Schmidt-Festschrift, S . 4 0 9 ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 123; LENCKNER J Z 1967 S. 107; NAGLER Z A k D R 1941 S. 2 9 4 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3

Rdn. 82; WELZEL Lb., § 54 I 4. - Als zivilrechtlich konstituiertes und bilanzrechtlich konkretisiertes Herrschaftsprinzip präzisiert und objektiviert HEFENDEHL - Vermögensgefährdung und Expektanzen, 1994, S. 115 ff, 166 ff - den Vermögensbegriff. 316 Dazu weiter unter e, ee - gg, sowie OTTO Struktur, S. 292 ff. 317 BGH JZ 1987 S. 684 mit Anm. BARTON StV 1987 S. 485, OTTO JK 88, StGB § 263/23, TENCKHOFF JR 1988 S. 126 ff; BGH wistra 1989 S. 142. 318 OLG Hamm NStZ 1990 S. 342 mit Anm. WÖHRMANN S. 342 f.

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gen vom "Wirtschaften" bat, kann die behauptete objektive Bestimmung des Vermögens und des Vermögensschadens nicht durchhalten. Auch der wirtschaftswissenschaftliche Wertbegriff wurde ursprünglich vom objektiven Tauschwert her bestimmt. Heute hat sich hier weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dafi der Wert einer Sache aus der Beziehung des Subjekts zu einem Objekt herrührt. "Der Wert einer Sache ist keine dieser Sache anhaftende Eigenschaft..., sondern die Auffassung eines Subjekts über die Nützlichkeit eines Objekts.

Es ist schlicht unmöglich, den Vermögensschaden bei Verlust eines Vermögensgutes objektiv zu bestimmen. Das gleiche Vermögensgut hat in der Hand verschiedener Vermögenspersonen einen unterschiedlichen Wert, so z.B. in der Hand des Herstellers, des Großhändlers, des Kleinhändlers und des Endverbrauchers. Wollen die Anhänger des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs daher nicht zu unsinnigen Ergebnissen gelangen, so müssen sie in Grenzfällen einen "individuellen Schadenseinschlag" konzedieren. Wann aber das Zugeständnis gemacht wird, bleibt letztlich dem Gutdünken des Rechtsanwendenden überlassen. Eine erhebliche Rechtsunsicherheit ist die Folge, auch wenn durchaus nicht übersehen werden kann, daß die Zufälligkeit, die durch die weitgehend ins Ermessen des Richters gestellte Berücksichtigung individueller Interessen gegeben ist, durch die Rechtsprechimg in jahrzehntelangen Bemühungen erheblich begrenzt wurde. So ist es auch verständlich, daß gerade in Extremfällen Übereinstimmung besteht. Darüber hinaus versagt der wirtschaftliche Vermögensbegriff vollkommen bei der Bestimmung des Vermögensschadens dann, wenn ein bestimmtes Vermögensobjekt keinen anerkannten Marktpreis hat, sondern der Preis des Objekts gerade durch Angebot und Nachfrage gebildet werden soll (Zuschlagspreis bei Auktionen), oder wenn eine Vermögensschädigung nicht im Rahmen eines Austauschgeschäftes, sondern bei einseitigen Leistungen in Betracht kommt. Anerkannt ist daher durchaus, daß allein der personale Vermögensbegriff in den Fällen einseitiger Leistungsverhältnisse, z.B. bei der Zahlung von Subventionen usw., den Vermögensschaden ohne Hilfe dubioser Konstruktionen erklären kann. Auch die Rechtsprechung und die h.L. bedienen sich in diesen Fällen schlicht des personalen Vermögensbegriffs, ohne dies aber ausdrücklich zuzugestehen.320 Dennoch wird gegen die allgemeine Anerkennung der personalen Vermögenslehre vorgebracht: "diese auf den ersten Blick bestechende, geradezu anthropologische Vermögensauffassung übersieht, daß der private Wirtschaftler keineswegs auf die Erreichimg bestimmter Zwecke, ja nicht einmal auf rationales Wirtschaftsverhalten festgelegt ist. Ein der Leistung vom privaten Leistenden beigelegter Zweck ist willkürlich, austauschbar und rücknehmbar. Er ist überdies als bloße Motivation des Leistenden für den Leistungsempfänger nicht immer einzusehen und stellt daher den Nachweis von Vorsatz und Bereicherungsabsicht vor grundsätzliche Schwierigkeiten". Daher eigne sich der personale Vermögensbegriff fiir die Schadensbestimmung beim Subventionsbetrug, bei dem es um öffentliche Mittel gehe, nicht aber dann, wenn die Bewertung privater Ausgaben in Rede stehe.321 319 JACOB Das Wirtschaftsstudium 1972 S. 3.

320 Dazu BGHSt 19 S. 37, 45; 19 S. 206: Erlangung von Bezugsrechten für Aktien: Schaden liegt in der zweck- und sinnlosen Fehlleitung der verfügbaren Mittel. - BGH NJW 1982 S. 2453: Investitionszulage. - BGH NJW 1992 S. 2167: Schenkung. - BGHSt 38 S. 186: Abgabe von Angeboten, die auf verbotenen Submissionsabsprachen beruhen; dazu vgl. auch unter e, ii; CRAMER Vermögensbegriff, S. 202 ff, 210; GALLAS Eb. Schmidt-Festschrift, S. 435.

321 Vgl. TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Bd. 2, 1976, S. 99 ff.

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Hier wird übersehen, daß auch im privaten Handeln der Zweck der Vermögensverfügung festgelegt ist, denn nur deshalb kommt die Verfügung zustande. Dieser Zweck ist aber der allein maßgebliche und nicht ein irgendwie - je nach den Umständen - austauschbarer Zweck. Er wird durch Täuschung und Irrtum nicht nur konkretisiert, sondern ausdrücklich vom Täter des Betrugs zum Gegenstand seines Tatverhaltens gemacht. Das Opfer der Täuschung macht ihn sich in seiner Verfügung zu eigen. Der subjektive Ausgangspunkt der personalen Vermögenslehre bedeutet auch keine Gefahr für die Ausdehnung des Schutzobjekts über den Vermögensschutz hinaus. Durch den Bezug auf das wirtschaftliche Gut im Vermögensbegriff und die wirtschaftliche Zweckverfehlung bei der Schadensberechnung ist gewährleistet, daß der subjektive Einschlag nicht über den Vermögensschutz hinaus zum Schutz bloßer Dispositionsfreiheit führt. 322 Nicht ohne weiteres abzutun ist hingegen die Überlegung, daß der personale Vermögensbegriff heute noch nicht so durchgearbeitet ist, daß alle Probleme, die mit der Personalisierung des Vermögensbegriffs verbunden sind, in ihrer Bedeutung schon voll abgeschätzt werden können.323 Gleichwohl sollte die Erörterung der bisher bekannten problematischen Fälle gezeigt haben, daß dieser Begriff aufgrund seines theoretischen Fundaments ein weit höheres Maß an Rechtssicherheit gewährleistet, als es h.M. und Rechtsprechung in immer neuen Einzelfallentscheidungen bisher erreichen konnten.324 bb) Personaler und juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff muß - soweit er auf dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff aufbaut - dessen Mängel übernehmen. Seine Bedeutung liegt daher auch nicht in der Präzisierung des Vermögensbegriffs, ihm geht es vielmehr darum, bestimmte rechtlich dubiose, wirtschaftlich aber relevante Positionen (rechtswidriger Besitz, sog. nichtige Forderungen), aus dem Schutzbereich der Vermögensdelikte zu entfernen. Damit aber setzt er sich in Gegensatz zu seinen wirtschaftlichen Prämissen, so daß die entscheidende Grenzziehung vage bleibt. In Einzelfällen (z.B. Anerkennung des rechtswidrig erlangten Besitzes als Vermögensgut) entscheiden seine Vertreter daher durchaus abweichend voneinander. c) Vermögensschaden und Schadensersatzanspruch aus dem Delikt Der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch, den das Opfer aufgrund des deliktischen Verhaltens des Täters erlangt, kann niemals den Eintritt des Vermögensschadens verhindern. Er ist Folge des Schadens, verhindert aber nicht den Eintritt des Schadens! d) Vermögensgefährdung und Vermögensschaden Auch eine "konkrete" Vermögensgefährdung kann begriffsnotwendig als solche niemals ein Vermögensschaden sein, denn die Gefahr eines Schadens ist nicht identisch mit dem eingetretenen Schaden. Es widerspricht daher eklatant dem Grundsatz der Gesetzesbe322 Dazu WEIDEMANN Kompensationsproblem, S. 118. 3 2 3 So LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 124.

324 Eingehend zur Entwicklung und Auseinandersetzung: OTTO Struktur, S. 26 - 84. - Zu den Grenzen der objektiv-individuellen Schadensberechnung D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 130 ff. - Zu Einzelfällen der Untauglichkeit des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs zur Bestimmung eines rechtlich relevanten Vermögensschadens vgl. darüber hinaus: OTTO Zahlungsverkehr, S. 17 ff (Hingabe eines Finanzwechsels als Warenwechsel); DERS. NJW 1979 S. 684 f (durch Täuschung beeinflußter Zuschlag bei Auktionen); DERS. GRUR 1979 S. 100 f (sog. Adreßbuchschwindel).

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stimmtheit, Art. 103 Abs. 2 GG, wenn die h.M. eine konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensschaden i.S. des § 263 interpretiert. Hingegen kommt der konkreten Gefahr, daß eine geschuldete Leistung nicht erbracht oder eine nicht bestehende Forderung mit rechtswidrigen Mitteln durchgesetzt wird, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise Bedeutung für die Bestimmung des realen Wertes des Vermögens zu. Hier wird berücksichtigt, daß der Wert eines Vermögens, auch wenn der Vermögensträger die Vermögensobjekte noch in der Hand hat, vermindert ist, wenn andere - sei es auch juristisch anfechtbar - derart Verfügungsmacht über Teile des Vermögens begründet haben, daß sie jederzeit nach ihrem Willen die Verfügung treffen können oder wenn der Vermögensträger trotz juristisch intakter Verfügungsmacht keine Möglichkeit hat, seine Forderung zu realisieren. - Das bedeutet: Ein Vermögensschaden kann sowohl in der Minderung des Bestandes an Vermögensobjekten als auch in der Minderung ihres Wertes liegen. M.a.W.: auch die vermögenswertmindernde Vermögensgefährdung begründet einen echten Vermögensschaden. Keineswegs ist die relevante Vermögensgefährdung nur schadensgleich. Beispiel 1: A hat eine Forderung gegen B in Höhe von DM 100 000,-. Bei Fälligkeit der Forderung kann B nicht zahlen, da seine wirtschaftlichen Verhältnisse schlecht sind. Es besteht aber Hoffnung, daß diese Verhältnisse sich in absehbarer Zeit bessern. Nach kaufmännischen Grundsätzen schreibt A die Forderung zur Hälfte ab. Gefährdet ist die Rückzahlung der Forderung. Da diese Gefahr aber - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - zu einem Wertverlust der Forderung geführt hat, ist das Vermögen des A in Höhe des Wertverlustes geschädigt. Beispiel 2: A schuldete dem B 10.000,- DM. Diese Schuld beglich er, vergaß aber, sich den Schuldschein zurückgeben zu lassen. Nunmehr fordert B unter Vorlage des Schuldscheins die Zahlung von 10.000,DM. Ergebnis: Eine Forderung gegen A ist nicht begründet. Die Belastung mit der nicht oder schwer widerlegbaren Forderung beideutet aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Vermögensminderung und damit einen Vermögens schaden.

Rechtsprechung und Literatur benutzen den Begriff der konkreten Vermögensgefährdung, die einem Vermögensschaden gleich sein soll, demgegenüber zum Teil undifferenziert und dehnen damit in Einzelfällen den Anwendungsbereich des § 263 über seinen Wortlaut hinaus aus. 325 Konsequent durchdacht macht diese Auffassung das Merkmal der Vermögensverfügung überflüssig.326 e) Zur Verdeutlichung aa) BGHSt 16 S. 321: A verkauft dem Bauern B eine Melkmaschine, an die drei Kühe angeschlossen werden können. Die Maschine kostet den üblichen Preis. 1. Alternative: B hat 10 Kühe und A hatte dem B versichert, an die Maschine könnten alle 10 Kühe zugleich angeschlossen werden. Eine Maschine für nur drei Kühe erleichtert die Arbeit des B nicht wesentlich. 2. Alternative: B hat nur 3 Kühe. Da A dem B aber vorgeschwindelt hatte, die Maschine sei aufgrund einer EinfQhrungsaktion einmalig günstig im Preis, nahm B, um die Maschine erwerben zu könne, ein Darlehen zu hohen Zinsen auf.

325 Vgl. zuletzt BGH wistra 1991 S. 307; BGH NStZ 1992 S. 233; BGH wistra 1993 S. 340; Übersicht bei RIEMANN Vermögensgefährdung und Vermögensschaden, 1989, S. 28 ff; - im übrigen vgl. OTTO Jura 1991 S. 494 ff; DERS. JZ 1993 S. 657 f.

326 Vgl. dazu LACKNER LK, § 263 Rdn. 153; PUPPE MDR 1973 S. 12 f; RIEMANN Vermögensge-

fährdung, S. 44 ff; SCHMIDHÄUSER Tröndle-Festschrift, S. 305 ff; dazu auch HANSEN Jura 1990 S. 510 ff.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

3. Alternative: Wie in der 2. Alternative, doch mußte B seine Lebensführung erheblich einschränken, um seinen Verpflichtungen aus dem Kauf der Maschine nachkommen zu können. BGHSt 16 S. 321: 'Wer sich aufgrund einer Täuschung zu einer Leistung verpflichtet und dafür eine gleichwertige Gegenleistung erhalten soll, ist allein durch die Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht ohne weiteres im Sinne des Betrugstatbestandes an seinem Vermögen geschädigt. Ein Vermögensschaden ist in diesem Fall nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten. Diese können insbesondere dann vorliegen, wenn der Erwerber (a) die angebotene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann oder (b) durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder (c) infolge der Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfügen kann, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschafts- oder Lebensführung unerläßlich sind." Diese Begründung des Schadens in der 2. und 3. Alternative ist im Rahmen des Betrugstatbestandes angreifbar. Schaden und erstrebte Bereicherung müssen sich nämlich derart entsprechen, daß der Schaden gleichsam als Kehrseite der Bereicherung erscheint. Dies sind sie aber - entgegen der Ansicht der BGH - in der 2. und 3. Alternative keineswegs. A ist weder um die Darlehenszinsen noch um den Differenzaufwand zur Bestreitung angemessener Lebenshaltungskosten bereichert, sondern um die erlangte Geldsumme aus dem Verkauf der Maschine. Daß durch die Herausgabe der Geldsumme weitere Schäden begründet wurden, ist im Rahmen des Betrugstatbestandes irrelevant. Diese Schädigungen führten zu keiner weiteren Bereicherung. - Zum Problem der Entsprechung von Schaden und Bereicherung vgl. weiter unter IV 2 b. Im Denkschema der personalen Vermögenslehre ist die Begründung des Schadens in allen drei Alternativen unproblematisch: 1. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil der übereinstimmend zugrunde gelegte wirtschaftliche Zweck: Möglichkeit, 10 Kühe zugleich zu melken, nicht erreicht werden kann. 2. und 3. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil übereinstimmend zugrunde gelegter wirtschaftlicher Zweck: Möglichkeit ein Wirtschaftsgut zu besonders günstigem Preis zu erwerben, nicht erreicht wurde. Der Kaufpreis entsprach der üblichen Kalkulation. Die Bereicherung entspricht demnach in allen drei Alternativen dem Schaden: Der Täter ist um den Kaufpreis bereichert, das Opfer ist des Kaufpreises verlustig gegangen. bb) OLG Köln NJW 1979 S. 1419: A arbeitete als Zeitschriftenwerber. Der B erklärte er, der Nettogewinn eines Zeitschriftenabonnements für ein Jahr komme entlassenen Strafgefangenen, die mit Rauschgift zu tun gehabt hätten, zugute. Daraufhin abonnierte B die Zeitschrift, weü sie diese Verwendung unterstützen wollte. OLG Köln: Daß in Wirklichkeit ein vorgetäuschter sozialer Zweck verfehlt wird, reicht für den Betrugstatbestand noch nicht aus, wenn die Zeitschrift nicht mehr kostet als sonst und wenn der Getäuschte genügend Geld dafür hat und sie brauchen kann.-"' Nach dem personalen Vermögensbegriff ist hier zumindest ein Teil des von der B auch erstrebten sozialen und damit wirtschaftlichen Zweckes nicht realisiert worden. Daher lag ein Vermögensschaden vor.3^8 cc) BGH StV 1991 S. 418: A bestellte Waren, die erst nach der Lieferung zu bezahlen waren, obwohl er wußte, daß er weder zahlungswillig noch -fähig sein würde. BGH: Betrug, wenn Aseine Zahlungsunfähigkeit sicher kannte, nicht aber, wenn er nur in geschäftlichen Schwierigkeiten war. 329 dd) BayObLG JR 1974 S. 336 mit Anm. LENCKNER S. 337 ff: A gab unter Vorspiegelung seiner Zahlungsfähigkeit sein Kraftfahrzeug zur Reparatur. Er war nicht zahlungsfähig. BayObLG: Das Unternehmerpfandrecht hindert den Eintritt des Vermögensschadens nicht.

327 Vgl. auch KÜPPER/BODE JUS 1992 S. 642 ff.

328 So auch OLG Düsseldorf wistra 1990 S. 200. 329 Vgl. auch BGH wistra 1992 S. 143.

§ 51 Betrug

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Dem ist nicht,; ht zu folgen, wenn das Untemehmerpfandrecht die Forderung deckt und mühelos verwertet 1.330 _ Gleiches würde gelten, wenn der Anspruch des Unternehmers durch eine andere Siwerden kann.' e d e t wäre, w ü r e . aaus n s dder e r eer r ssich i c h in i n vvollem o l l e m IUmfang T m f a n c j Ibefriedigen v f i r i e d i K f i könntet I r f t n n t f t y j l cherheit gedeckt ee) BGH JR 1990 S. S17: A verkauft eine Sache, die dem B gehört und die A unterschlagen hat, an den gutgläubigen C. BGH: Auch derjenige, der gutgläubig eine Sache erworben hat, kann im Sinne des Betrugstatbestandes geschädigt sein. "In solchen Fällen hängt die Beantwortung der Frage, ob eine schadensgleiche Vermögensgefährdung eingetreten ist, davon ab, ob der Erwerber nach den Umständen des Einzelfalles mit der Geltendmachung eines Herausgabeanspruches oder mit sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hatte. Die Identifizierung einer vagen Gefährdung mit einem Vermögensschaden überzeugt nicht. Maßgeblich ist auch hier, ob unter den konkreten Umständen der Entzug des Objekts im Prozeß wahrscheinlich ist. Dann allerdings ist die erlangte Position wirtschaftlich weniger wert als diejenige, die vertraglich einzuräumen war. ff) OLG Köln MDR 1972 S. 884: A versprach dem B, ihm gegen Zahlung von DM 20,- eine Prostituierte zum Geschlechtsverkehr zu verschaffen. B zahlte, A war aber von vornherein nicht leistungswillig. OLG: Der Verlust des Geldes stellt einen Schaden dar, da es kein rechtlich gegen Betrug ungeschütztes Vermögen gibt. Vom personalen Vermögensbegriff her ist dem z u z u s t i m m e n . 3 3 3 . A.A. z.T. die Anhänger des juristischwirtschaftlichen Vennögensbegriffc, mit dem Hinweis, der Getäuschte kenne die Unverbindlichkeit und schädige sich daher bewußt selbst. 334 gg) BGH JZ 1987 S. 684 3 35 : a veranlaßte die Prostituierte P durch Versprechen eines beachtlichen Entgelts zur Vornahme des Geschlechtsverkehrs mit ihm. Anschließend verweigerte er die Zahlung. BGH: Keinen Betrug begeht, wer die Prostituierte um den Lohn für verbotene oder sittenwidrige Handlungen prellt. 33 " Dem Wann nicht gefolgt werden, denn der Einsatz von Arbeitskraft in einem Bereich, der üblicherweise und nach der Abmachung der Beteiligten gegen eine Geldleistung erfolgt, ist eine geldwerte Leistung. Mit der Erbringung dieser Leistung erleidet die P daher einen Schaden. 337 hh) Abwandlung von gg): A faßt den Plan, nicht zu zahlen, erst nach dem Geschlechtsverkehr und entlohnt die P mit Falschgeld. Ergebnis: Die Arbeitsleistung hatte P nicht aufgrund einer Täuschung erbracht. Ein Rechtsanspruch der P gegen A auf Zahlung des vereinbarten Lohnes war jedoch nicht entstanden, § 138 Abs. 1 BGB. Es bestand allein die Möglichkeit, durch Einsatz rechtswidriger Mittel (z.B. Gewalt) wirtschaftliche Güter zu erlangen. Der Ausschluß sog. nichtiger Forderungen aus dem Kreis der Vermögensobjekte hat auch nicht zur Folge, daß wertvollen Wirtschaftsgütern der Schutz versagt wird, vielmehr wird nur verhindert, daß die Möglichkeit, sich durch strafbares Verhalten Vermögensgüter zu verschaffen, in den Rang eines Wirtschaftsgutes erhoben wird.33® 330 Vgl. dazu auch: BGH wistra 1985 S. 24. 331 Vgl. dazu auch BGH wistra 1992 S. 142; BGH wistra 1993 S. 265. 332 Eingehender dazu OTTO JK 91, StGB § 263/33. 3 3 3 V g l . OTTO S t r u k t u r , S . 2 9 2 ff, SCHMIDHAUSERB.T., 1 1 / 3 1 . 3 3 4 V g l . CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S . 9 4 f f ; DERS. JUS 1966 S . 4 7 2 f f . 3 3 5 M i t a b l . A n m . OTTO J K 8 8 , S t G B § 2 6 3 / 2 3 , u n d zust. A n m . TENCKHOFF J R 1 9 8 8 S . 126 ff. V g l .

auch BGH wistra 1989 S. 142. 336 So auch die Vertreter der juristisch-wirtschaftlichen Vermögenslehre; vgl. z.B. LACKNER LK, § 263 R d n . 132; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 R d n . 9 7 . 3 3 7 V g l . a u c h DREHER/TRONDLE § 2 6 3 R d n . 2 9 ; HAFT B . T . , § 2 7 II 2 d ; KREY B . T . 2 , R d n . 4 3 9 ; SCHMTOHÄUSER B . T . 1 1 / 3 1 . - Z u r A u s e i n a n d e r s e t z u n g BERGMANN/FREUND J R 1 9 8 8 S . 1 8 9 ff.

338 Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 51 ff; - zur Gegenansicht vgl. KREY B.T. 2, Rdn. 438, 430. Im übrigen vgl. BGHSt 2 S. 364.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

ii) BGHSt 38 S. 186: Bei einer öffentlichen Ausschreibung verabredeten A, B und C, Angebote so abzugeben, daß das Angebot von A das billigste war. A erhielt den Zuschlag. Sein Angebot lag unter dem Marktpreis, doch wäre ohne die Absprache ein noch billigeres Angebot erfolgt. BGH: Vermögensschaden des Auftraggebers, denn bei ordnungsgemäßem Verhalten hätte er dieselbe Leistung zu einem billigeren Preis erhalten. Dem ist aus der Sicht der personalen Vermögenslehre vorbehaltslos zuzustimmen. Mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff ist dieses Ergebnis kaum in Einklang zu b r i n g e n . " " jj) OLG Karlsruhe NStZ 1990 S. 282: Durch Täuschung verhindert A die Vollstreckung einer gegen ihn rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe. OLG: Kein Schaden des Staates im Sinne des § 2 6 3 . 3 4 0 Dem kann nicht gefolgt werden. Der Staat erleidet zwar einen Schaden, wenn die Geldstrafe nicht eingebracht wird, doch § 258 Abs. 5 steht als Spezialregelung einer Bestrafung aus § 263 entgegen. 3 4 ' kk) BGH StV 1985 S. 189: Der zahlungsunfähige A veranlafite die Bank B zur Eröffnung eines unwiderruflichen Akkreditivs zugunsten des D. BGH: Schaden mit Eröffnung des Akkreditivs entstanden, da die Bank dem Begünstigten gegenüber wie aus einem abstrakten Schuldversprechen haftet. Dem ist zuzustimmen. Ein Akkreditiv, als vertragliche Verpflichtung einer Bank für Rechnung ihres Auftraggebers innerhalb einer bestimmten Zeit unter bestimmter Voraussetzungen (Einreichung bestimmter Dokumente) Zahlung zu leisten, ist eine reale Belastung des Vermögens der Bank, da es allein von dem Dritten abhängt, ob die Forderung realisiert wird oder nicht. 11) A, der zu einer Verkaufsmesse fährt, täuscht seinen Konkurrenten B über das Datum der Messe. B erscheint nicht, A hat den doppelten Umsatz. Ergebnis: Kein Betrug des A. Die Aussicht, daß bestimmte Kunden bei B kaufen, ist nicht Vermögensbestandteil des B. Ihm gehören die Kunden nicht. Nach allgemeiner Meinung gehören bloße Hoffnungen auf Gewinn, unsichere Exspektanzen nicht zum Vermögen. Sind diese allerdings so verfestigt, daß der Geschäftsverkehr ihnen bereits einen wirtschaftlichen Wert beimißt, so sollen sie als Vermögensgut nach h.M. anerkannt werden, wobei letztlich auf die "Wahrscheinlichkeit der Gewinnrealisierung" abgestellt w i r d . 3 ^ Zutreffend beschränkt HEFENDEHL den Begriff der vermögensweiten Expektanz auf die Situation einer (zivil)rechtlich konstituierten Herrschaft, die die störungsfreie Möglichkeit der Entwicklung eines Zustandes zum Vollwert beinhalte. 3 ''' 3 mm) BayObLG NJW 1994 S. 208: Bei dem Briefmarkenversand B, der bei Erstbestellungen Gratismarken beifügte, um den Erstbesteller als Stammkunden zu gewinnen, bestellte A, der dort bereits Kunde war, unter anderem Namen als "Erstbesteller" Briefmarken. Diese und die Gratismarken erhielt er. BayObLG: Da B durch Einsatz seines Vermögens (Gratismarken) lediglich höchst Ungewisse Erwerbschancen wahrnehmen wolle, werde sein Verhalten nicht vom Schutzzweck des § 263 erfaßt. 3 4 4 Dem ist aus der Sicht des personalen Vermögensbegriffs nicht zuzustimmen, da B überhaupt nicht die Chance für seine Geldaufwendungen erhielt, die er nach den zugrundeliegenden Bedingungen erhalten sollte. Daher wurde sein Aufwand zweckentfremdet. 34 ^

339 Zur Auseinandersetzung: ACHENBACH NStZ 1993 S. 428 f; CRAMER NStZ 1993 S. 42 f; D. GEERDS DWiR 1992 S. 120 ff; HEFENDEHL JuS 1993 S. 805 ff; JOECKS wistra 1992 S. 247 ff; KRAMM JZ 1993 S. 423 ff; RANFT wistra 1994 S. 41 ff; TLEDEMANN ZRP 1992 S. 149 ff.

340 Vgl. auch BGHSt 38 S. 345, 351; BayObLG JR 1991 S. 433. 341 Dazu auch GRAUL JR 1991 S. 435 ff. 342 Vgl. BGH MDR 1987 S. 949; D. GEERDS Jura 1994 S. 311 ff; LACKNER LK, § 263 Rdn. 134 ff. 343 Vgl. HEFENDEHL Vermögensgefährdung, S. 117, zur Kundenproblematik, S. 220 ff. 344 Dazu auch HILGENDORF JuS 1994 S. 466 ff. 345 Vgl. auch GEPPERT JK 94, StGB § 263/41.

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IV. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz Der Vorsatz - bedingter Vorsatz genügt - muß alle Merkmale des objektiven Tatbestands und den zwischen ihnen bestehenden funktionalen Zusammenhang umfassen. 2. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen (Bereicherungsabsicht) a) Absicht bedeutet hier - dolus directus 1. Grades - zielgerichtetes Wollen. Absicht ist hier der auf den Vorteil gerichtete Wille, mag der Täter den Vorteil auch nur als Mittel zu einem anderweitigen Zweck anstreben. Maßgeblich ist allein, ob es ihm auf den Vorteil ankommt. Ob er die Verwirklichung seines Willens für sicher oder nur für möglich hält, ist unerheblich. - Es genügt aber nicht, wenn der Vorteil nur als notwendige, aber höchst unerwünschte Nebenfolge eines erstrebten Erfolgs eintritt. b) Vermögensvorteil ist jede günstigere Gestaltung der Vermögenslage. Stets aber ist erforderlich, daß die eigene wirtschaftliche Potenz des Täters durch den Vorteil gestärkt wird. 346 Der erstrebte Vorteil muß dem zugefügten Schaden entsprechen, gleichsam als Kehrseite des Schadens erscheinen. Dieser Zusammenhang zwischen erstrebter Bereicherung und Schaden wird gemeinhin mit dem Stichwort der Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung charakterisiert. Stoffgleichheit darf hier aber nicht als Identität verstanden werden. Es genügt, daß Schaden und Vorteil ihren Grund in derselben Vermögensverfügung haben und daß der Vorteil zu Lasten des geschädigten Vermögens geht. 347 c) Zur Verdeutlichung aa) BGHSt 21 S. 384: A verkaufte als Provisionsvertreter der Firme X Zigarettenautomaten. Durch Täuschung überredete er den B zum Vertragsabschluß. Den Vertrag reichte A bei X ein. Er erhielt eine Provision. BGH: Gegenüber B liegt ein Betrug des A zugunsten der Firma X vor. Der Gewinn aus dem Automatenverkauf floß nicht A, sondern X zu. - Gegenüber X ist jedoch ein eigennütziger Betrug des A gegeben. Er hatte keinen Rechtsanspruch auf die Provision, da der Vertrag zwar gültig aber anfechtbar zustande gekommen war und daher nicht den Wert eines ordnungsgemäßen Vertrags hatte. bb) B verspricht dem A eine Belohnung von DM 200,-, wenn der Hund des Nachbarn C, der den Schlaf des B stört, zur Ruhe gebracht werde. A geht zu C und redet ihm ein, der Hund sei tollwütig. Entsetzt erschießt C den Hund, der einen Wert von DM 200,- hatte. Ergebnis: Kein Betrug des A: Schaden des C und Bereicherung des A haben ihren Grund nicht in derselben VermögensVerfügung. - A hat eine Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft begangen. cc) In Anlehnung an OLG Köln NJW 1987 S. 2095: Die A, die bei ihrer Schwiegermutter Mitleid und Aufmerksamkeit erringen will, erzählte dieser, ihr Kind sei entführt worden. Als sie merkt, daß diese alles zur Rettung des Kindes in die Wege leiten will, berichtet sie, die Entführer hätten 1000,- DM gefordert. Sie weiß, daß die S ihr das Geld geben wird, was auch geschieht, sieht aber keine Möglichkeit, ohne Offenbarung ihrer Lüge aus der Sache herauszukommen. OLG: Keine Bereicherungsabsicht.

346 Dazu vgl. BGH MDR 1988 S. 789 mit Anm. OTTO J K 89, StGB § 253/3. 347 Dazu eingehend: LACKNER L K , § 263 Rdn. 274.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

3. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen a) Im Rahmen der Delikte gegen das gesamte Vermögen - Betrug, Erpressung - ist weitgehend anerkannt, daß rechtswidrig nur ein Vermögensvorteil ist, auf den der Täter nach materiellem Recht keinen Anspruch hat. Ein Vermögensvorteil ist dann nicht rechtswidrig, wenn die der Bereicherung zugrunde liegende Vermögensentziehung auf die Herbeiführung eines vor der Vermögensordnung rechtsbeständigen Zustandes gerichtet ist. Die Verfolgung und Abwehr von Ansprüchen mit rechtswidrigen Mitteln macht den Vermögensvorteil als solchen nicht zu einem rechtswidrigen.348 Das gleiche Ergebnis, wenn auch auf einem anderen konstruktiven Weg, wird erreicht, wenn der Eintritt eines Vermögguschadens abgelehnt wird, falls der Täter ein Vermögensgut an sich bringt, auf das er einen Anspruch hat. 3 4 " Die Konstruktion ist vom juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriff her konsequent, nicht jedoch mit den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs in Einklang zu bringen. Das Haben eines Objekts ist - wirtschaftlich gesehen - vorteilhafter als der bloße Anspruch auf das Haben. 3 ""

Da die h.M. beim Vermögensschaden und bei der Bereicherung auf den Geldwert abstellt, kommt sie hier nicht zu der - wie oben § 40 II 4 a gezeigt - kaum sachgemäßen Differenzierung zwischen Spezies- und Gattungsschulden, die die Argumentation bei den Zueignungsdelikten bestimmt. Ist der Anspruch hingegen nicht fällig, bedingt oder besteht er nur zum Teil, so ist der erstrebte Vorteil rechtswidrig; beim teilweise begründeten Anspruch, soweit der Anspruch unbegründet ist. b) Irrt der Täter über das Vorliegen eines Anspruchs, so entfällt gleichfalls die Absicht rechtswidriger Bereicherung, da es sich bei der Absicht um ein subjektives Merkmal des Tatbestandes handelt.351 c) Auf die Rechtswidrigkeit braucht sich die Absicht nicht zu erstrecken, insoweit genügt bedingter Vorsatz.352 d) Zur Einübung aa) BGHSt 3 S. 160: Im Prozeß ihres Kindes K auf Unterhalt gegen H sagte A als Zeugin falsch aus. Dadurch gewann K den Prozeß. A war jedoch fest davon überzeugt, daß der Anspruch des K gegen H begründet war. BGH: A wollte dem K keinen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen, da sie davon ausging, daß der Ansprach des K nach materiellem Recht begründet war. bb) BGH NJW 1953 S. 1479: A hatte eine Forderung gegen B aus einem Geschäft mit diesem. B zeigte sich nicht zahlungswillig. A nahm nun bei B ein Darlehen auf. Bei Fälligkeit des Darlehens rechnete er auf, was er von vornherein vorgehabt hatte. BGH: Da A auf die Leistung einen fälligen Anspruch hatte, war sein Vermögensvorteil nicht rechtswidrig. Die Aufrechnung ist eine von der Rechtsordnung anerkannte Form der Erfüllung!

348 Dazu BGH wistra 1982 S. 68; BayObLG StV 1990 S. 165; vgl. im übrigen zur entsprechenden Problematik des § 253 unten § 53 I 3. - A.A. ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 462. 3 4 9 V g l . z . B . BOCKELMANN M e z g e r - F e s t s c h r i f t , S. 3 6 7 f f ; CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S. 160; LACK-

NER LK, § 263 Rdn. 276; WELZEL NJW 1953 S. 652 f; BGHSt 20 S. 137 f; BGH NJW 1983 S. 2 6 4 6 .

350 Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 215 ff. 351 Dazu BGH StV 1992 S. 106; OLG Bamberg NJW 1982 S. 778; OLG Düsseldorf wistra 1992 S. 74. Im einzelnen dazu LACKNER LK, § 263 Rdn. 287 f. 352 BGHSt 31 S. 181.

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Andels wäre zu entscheiden gewesen, wenn die Forderung des A noch nicht fällig oder bedingt gewesen, bzw. die Aufrechnung vertraglich ausgeschlossen gewesen wäre. cc) BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 10: A machte Rentenansprache als Kriegsversehrter wegen einer Beinverletzung geltend, die er angeblich durch Granatsplitter erlitten hatte. Diese Behauptung war unwahr, doch war A lungenkrank, und es war nicht auszuschließen, daß die Lungenkrankheit auf Kriegseinwirkungen zurückzufahren war. BGH: Kein Betrug des A, wenn A nur die Rente hätte haben wollen, die ihm aufgrund der Lungenkrankheit zukam oder von der A geglaubt hätte, daß sie ihm zustände, was für ihn aber schwer beweisbar gewesen wäre. - Hatte A aufgrund der Lungenerkrankung keinen Anspruch und wußte das, so lag ein vollendeter Betrug vor. - Hatte A hingegen keine Ahnung von einem solchen Anspruch, lag dieser aber vor, so ist ein versuchter Betrug gegeben.

V. Versuch, Vollendung und Besonderheiten der Strafverfolgung 1. Der Versuch des Betruges beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen des Täters zur Täuschung, die zur Vermögensverfügung führen soll. - Eine Täuschung, die nur dazu dient, das Vertrauen des Opfers zu erlangen, um später tun so wirksamer eine auf Vermögensverfügung gerichtete Täuschung durchzuführen, ist lediglich eine Vorbereitungshandlung.353 2. Vollendet ist das Delikt mit Eintritt des Vermögensschadens. - Materiell beendet ist der Betrug mit Erlangung des erstrebten Vermögensvorteils durch den Täter. 3. Gemäß § 263 Abs. 4 ist in Bagatellfällen des Betruges § 248 a anzuwenden sowie die Strafschärfung eines besonders schweren .Falles gemäß § 243 Abs. 2 ausgeschlossen; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen oben § 44, § 41 n. - Bei einem Haus- und Familienbetrug findet gemäß § 263 Abs. 4 der § 247 Anwendung; dazu oben § 43.

VI. Besonders bezeichnete Betrugsfälle Wenn aus einer Art eine Untergruppe eine besondere Bezeichnung erhält, in der die Bezeichnung der Art wieder aufgenommen wird, so lrann man gemeinhin davon ausgehen, daß es sich hier um einen besonders typischen Fall der Art handelt. Im Bereich des Betruges ist das jedoch ein Irrtum. Bei den besonders bezeichneten Betrugsfällen handelt es sich keineswegs um besonders typische Betrugsfälle, sondern um Fälle, in denen das Vorliegen des Betruges gerade besonders problematisch ist. Dies wird jeidoch durch die besondere Bezeichnung kaschiert, denn der Rechtsanwendende begnügt sich in der Regel mit dem Nachweis, daß die Besonderheit vorliegt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob überhaupt ein Betrugsfall gegeben ist.

1. Eingehungs- und Erfüllungsbetrug Problembereich: Konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensschaden, a) Vertragsabschluß und Schadensbegründung Hat einer der Vertragspartner bei einem gegenseitigen Vertrag vor, nicht vertragsgemäß zu leisten, so hat der BGH ursprünglich schon im Vertragsschluß eine Vermögensgefährdung und damit einen Betrug erkannt. Diese Auffassung vertritt der BGH nicht mehr. Heute wird danach differenziert, ob der Vertragspartner durch den Vertragsschluß einen Anspruch erhält, der seinen Verpflichtungen gleichwertig ist.

353 Dazu BGHSt 37 S. 294 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 22/15; KIENAPFEL JR 1992 S. 122 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Zur Verdeutlichung: aa) BGH NJW 1953 S. 836: A verkaufte an B Kohle einer bestimmten Sorte. Er hatte vor, schlechtere Kohle zu liefern. BGH: Betrug schon bei Vertragsschluß. Diese Rechtsprechung ist übeiholt. Bei einer Zug-um-Zug-Leistung tritt der Schaden erst mit der vertragswidrigen Erfüllung ein.35'* bb) BGHSt 23 S. 300: A verpflichtete den B unter Täuschung zur Abnahme einer für B völlig wertlosen Zeitschrift. BGH: Schaden bei Vertragsabschluß. - Dem ist zuzustimmen, denn der Verpflichtung des B, das Abonnement zu bezahlen, stand ein Anspruch gegenüber, der für B wertlos war. cc) BGHSt 31 S. 178 355 : A, die wußte, daß sie zahlungsunfähig war, beauftragte den Makler M mit der Vermittlung einer Wohnung. Der Maklerlohn sollte mit Abschluß des notariellen Kaufvertrages fällig werden. M fand ein entsprechendes Objekt, über das ein privatschriftlicher Kaufvertrag geschlossen wurde. Der notarielle Kaufvertrag kam nicht zustande. BGH: Betrug liegt erst dann vor, wenn M aufgrund des Abschlusses des vermittelten Geschäftes einen rechtswirksamen Vergütungsanspruch gegen A erworben hat. Dem ist mit LENCKNER entgegenzuhalten, daß der Betrug bereits vollendet ist, wenn M seine Leistung erbracht hat, obwohl A zahlungsunwillig und -unfähig ist.- Der Makler, der seine Leistung erbringt, leistet im Vertrauen darauf, daß damit eine Grundlage für den Zahlungsanspruch geschaffen wird. Will der Kunde von vornherein einen solchen Anspruch nicht entstehen lassen oder ist dieser Anspruch wertlos, so schädigt sich der Makler durch seine Leistung, die er dem Kunden erbringt. Darin liegt der Vorteil des Kunden.

Zahlungsunwilligkeit oder -Unfähigkeit des Täters begründen dann keinen Vermögensschaden bei Vertragsschluß, wenn der Vertragspartner nicht verpflichtet ist, vorzuleisten.356 b) Das Verhältnis von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug aa) Führt bereits der Vertragsabschluß zu einem Schaden - vgl. oben a, bb - so ist die Realisierung der mit Vertragsabschluß begründeten Schädigung durch Erfüllung nur noch die materielle Beendigung des Betrugsdelikts. bb) Entsprechen die mit dem Vertragsschluß begründeten Forderungen der Parteivereinbarung und erbringt eine der Parteien unter Täuschung der anderen eine minderwertige Leistung, so liegt der Betrug in der Leistung eines minderwertigen Objekts an Stelle des geschuldeten Objekts.357 cc) Einheitliche oder differenzierte Betrachtung von Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft Fall: A verkauft an B einen 4 Jahre alten Mercedes 230 E mit der Zusicherung, dieser habe nur 50.000 km gelaufen für 20.000 DM als Sonderangebot, da ein Wagen mit dieser Laufleistung üblicherweise 30.000 DM kostet. Es stellt sich später heraus, daß der Wagen 150.000 km gelaufen, aber einen Handelswert von 20.000.- DM hatte. 1. Alternative: Das wußte A von Anfang an. 2. Alternative: Erst nach Abschluß des Vertrages, vor Übergabe des Fahrzeugs erfuhr A, daß der Wagen bereits 150.000 km gelaufen hatte. Er klärte den B nicht auf. 3. Alternative: Vor Übergabe des Fahrzeugs hatte A das Fahrzeug gegen ein gleich aussehendes ausgetauscht. 354 Vgl. BGH StV 1988 S. 386; OLG Düsseldorf JR 1994 S. 522 mit Anm. RANFT S. 523 ff. 355 Mit Anm. LENCKNER NStZ 1983 S. 409 ff, BLOYJR 1984 S. 123 ff, MAAS JuS 1984 S. 25 ff.

356 Vgl. B G H StV 1992 S. 117; B G H StV 1992 S. 465. 357 Dazu OLG Stuttgart JR 1982 S. 470 mit krit. Anm. BLOY S. 471 ff.

§ 51 Betrug

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Die h.M. sieht Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft als Einheit an, wenn die Täuschung bereits im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts begangen wurde. Diese einheitliche Betrachtungsweise hat die Konsequenz, daß ein Schaden abzulehnen ist, wenn die unter Täuschung erbrachte Leistung einen Wert hat, der dem Kaufpreis entspricht (1. Alternative). Ein Erfüllungsbetrug soll hingegen vorliegen, wenn sich der Täter nach Abschluß eines Austauschvertrages dazu entschließt, eine wirtschaftlich nicht vollwertige Leistung zu erbringen. Der Anspruch auf den Vertragsgegenstand war dem Vermögen des Vertragspartners bereits zugeflossen. Durch die Annahme der minderwertigen Leistung als Erfüllung wurde dieser Anspruch vereitelt (2. Alternative). Zum Teil wird für den Fall einer schon bei Vertragsschluß begangenen Täuschung ein Betrug wenigstens in den Fällen bejaht, in denen der Erfüllungsanspruch durch eine neue Tathandlung vereitelt wird (3. Alternative).358 Diese unterschiedlichen Beurteilungen von Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft überzeugen nicht. Zu differenzieren ist vielmehr grundsätzlich zwischen Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft: Hat der Getäuschte durch den Vertragsschluß einen Anspruch auf eine Leistung von einem bestimmten Wert erhalten, so ist er geschädigt, wenn er im Rahmen der Abwicklung des Geschäfts um diesen Anspruch gebracht wird, bzw. eine Leistung von geringerem Wert erhält. Ob die Täuschungshandlung zugleich mit Vertragsschluß oder später erfolgt, ist irrelevant.359 2. Leistung ohne Gegenleistung: Bettel-, Spenden- und. Subventionsbetrug Probienibereich: Vermögensschaden i.S. des § 263, wenn feststeht, daß eine Leistung ohne eine Gegenleistung erbracht werden soll, so daß das Vermögen bewußt vermindert wird. - Da in diesen Fällen von vornherein nicht beabsichtigt ist, die Vermögensminderung durch ein Äquivalent auszugleichen, stellt sich das Problem, ob hier stets ein Vermögensschaden anzunehmen ist, wenn die Vermögensverfügung durch Täuschung herbeigeführt wurde, oder niemals, bzw. ob zu differenzieren ist. 360 Zur Verdeutlichung: a) BayObLG NJW 1952 S. 798: Der Spender S wird von dem Sammler A zu einer hohen Spende für einen mildtätigen Zweck veranlaBt, indem ihm vorgespiegelt wird, seine Nachbarn hätten sehr hohe Beträge gespendet. BayObLG: Vermögensschaden des S und damit Betrug.3**1 - Aufgrund des Vorliegens einer bewußten Selbstschädigung wird der Betrug z.T. abgelehnt.362 Nach der personalen Vermögenslehre ist ein Betrugsschaden hier abzulehnen, weil der erklärte wirtschaftliche Zweck: Unterstützung einer wohltätigen Organisation, von S erreicht wurde. DaB S darüber hinaus protzen wollte, er könne mehr leisten als seine Nachbarn, ist irrelevant.3"3

358 Vgl. dazu BGHSt 16 S. 223; BayObLG NJW 1987 S. 2452; LACKNER LK, § 263 Rdn. 228, 232; TENCKHOFF Lackner-Festschrift, S. 684 ff.

359 Vgl. CRAMER Vermögensbegriff, S. 190 ff; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 161 ff; LENCKNER

NJW 1962 S. 59; PUPPE JZ 1984 S. 531 ff. - Auch der BGH folgt der Einheitstheorie nicht immer, vgl. BGHSt 32 S. 211; dazu OTTO JK, StGB § 263/16, 27.

360 Vgl. dazu RUDOLPHI Klug-Festschrift, Bd. 2, S. 315 ff; SCHMOLLER JZ 1991 S. 117 ff.

361 Dazu auch CRAMER Vermögensbegriff, S. 121 ff. 362 Dazu GUTMANN MDR 1963 S. 3.

363 Dazu OTTO Struktur, S. 59 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Fall: A erlangt durch Täuschung über den kulturellen Wert seiner Theateraufführungen eine Subvention für sein Theaterunternehmen. Ergebnis: Da kulturelle Subventionen nicht unter § 264 fallen, ist hier § 263 einschlägig. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist auch ein Schaden zu bejahen, denn wer Betläge aus haushaltsrechtlich gebundenen Mitteln erschleicht, ohne zu der im Gesetz begünstigten Bevölkerungsgruppe zu gehören, fügt dem Staat einen Vermögensschaden zu, weil dadurch die zweckgebundenen Mittel verringert werden, ohne daß der erstrebte kulturpolitische Zweck erreicht w i r d . 3 6 4 Dem ist nach den Prämissen des personalen Vermögensbegriffs zuzustimmen, denn mit diesem begründet hier der BGH den Vermögensschaden, ohne auf den wirtschaftlichen Vermögensbegriff, der hier nicht paßt, überhaupt einzugehen.

3. Der Anstellungsbetrug Problembereich: Vermögensschaden. - Der Anstellungsbetrag ist eine Unterart des Eingehungsbetrugs. Seine Problematik löst sich nach denselben Grundsätzen. a) Fall: A läßt sich bei F als Buchhalter einstellen und bezahlen, obwohl er von Buchhaltung keine Ahnung hat. Ergebnis: Betrug mit Vertragsabschluß. Der Anspruch des F auf Dienstleistung durch A ist dem Gehaltsanspruch des A nicht ä q u i v a l e n t . ^ b) Fall: A täuscht bei seiner Einstellung als Buchhalter vor, er habe 6 Semester Betriebswirtschaft studiert. Daraufhin wird er eingestellt. A ist ein vorzüglicher Buchhalter, studiert hat er jedoch niemals. BGHSt 17 S. 254: Kein Schaden des Dienstberechtigten, wenn der Dienstverpflichtete die Leistungen erbringen kann, die aufgrund seiner gehaltlichen Eingruppierung allgemein von ihm erwartet werden dürfen. c) BGH NJW 1978 S. 2042: A, der eine Vertrauensposition bei der Firma X inne hat, die es ihm ermöglicht, selbständige Dispositionen über das Vermögen der X zu treffen, hat bei seiner Einstellung darüber getäuscht, daß er wegen verschiedener Vermögensdelikte vorbestraft ist. BGH: Schon mit der Anstellung des für Vermögensstraftaten anfälligen A erlitt X einen Vermögensschaden, da das Vermögen der X der konkreten und ständigen Gefahr ausgesetzt war, daß A zum Nachteil der X über dieses Vermögen verfügte.^®" Dem kann nicht gefolgt werden. Die Vermögensgefährdung ist mit einem Vermögensschaden nicht identisch. Diskutabel ist hier allein eine Begründung des Vermögensschadens mit der Erwägung, daß eine Vertrauensstellung höher beeilt wird, als eine Stellung, in der der Angestellte erst seine Vertrauenswürdigkeit beweisen muß. d) BGHSt 5 S. 358: Ein Beamter täuscht über eine Einstellungsvoraussetzung (z.B. Abitur). Den übertragenen Dienst versieht er vorzüglich. BGH: Betrug. - Unabhängig von den erbrachten Leistungen hat die Anstellungskörperschaft einen Schaden, weil der Beamte nach bestimmten Laufbahnvorschriften bezahlt wird, nicht aber ein von seiner Leistung unmittelbar abhängiges Entgelt e r h ä l t . 3 6 8 Mit dieser Argumentation wird der Betrug von einem Vermögensdelikt in ein Delikt der Amtserschleichung uminterpretiert. Das ist nicht sachgemäß. 364 Vgl. die entsprechenden Ausführungen in BGH NJW 1982 S. 2453. 365 Vgl. BGHSt 22 S. 38; JESCHECK A.T., § 86 I 2; OTTO Lackner-Festschrift, S. 731. - A.A. DREHER/TRÖNDLE § 7 8 a R d n . 3; JÄHNKE L K , § 7 8 a R d n . 5 ; KÜHL J Z 1 9 7 8 S. 5 5 2 ; LACKNER L K , § 2 6 3 Rdn. 2 9 3 .

366 Dazu auch BGHSt 17 S. 259. 367 Dazu MEEHE JuS 1980 S. 261 ff; zum Verschweigen früherer "Stasi-Tätigkeit" : AG Tiergarten NStZ 1994 S. 243. 368 Im Ergebnis zustimmend: GUTMANN MDR 1963 S. 96; LACKNER LK, § 263 Rdn. 239; PREISENDANZ § 2 6 3 A n m . V 3 h , aa; SARSTEDT J R 1952 S. 3 0 8 f ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 R d n . 156. 3 6 9 V g l . auch: DIEKHOFF D B 1961 S. 1487 f; HARDWIG G A 1956 S. 18; KOHLRAUSCH/LANGE § 2 6 3 A n m . V 2 d ; OTTO S t r u k t u r , S. 2 8 4 ff; WELZEL L b . , § 5 4 1 4 b .

§ 51 Betrug

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4. Der Rentenbetrug Problembereich: Vermögensschaden und Vermögensgefährdung. Beispiel: A erschlich durch Täuschung eine Rentenbewilligung. Vor der ersten Zahlung wurde die Täuschung entdeckt.

Da der Rentenbescheid nur deklaratorische, nicht aber konstitutive Bedeutung hat, liegt im Erlaß des Bescheids eine Vermögensgefährdung, nicht aber ein Vermögensschaden. Ein vollendeter Betrug ist daher erst mit Auszahlung der ersten Rentensumme verwirklicht.370 5. Der Prozeßbetrug Problembereich: Irrtum, Verfügender in der Vermögenssphäre des Geschädigten? Fall 3 7 1 : A verklagt den B auf Zahlung von DM 1000,-, obwohl er genau weiß, daß B die Schuld längst bezahlt hat. Da B im Prozeß keine Quittung beibringen kann, A aber den Schuldschein vorlegt, erläßt der Richter ein Urteil gegen B. Dies wird rechtskräftig. A vollstreckt daraus.

a) Die Möglichkeit eines sog. Prozeßbetrugs hängt zunächst davon ab, ob der Richter, demgegenüber ein Prozeßpartner unwahre Angaben macht, überhaupt getäuscht wird und einem Irrtum unterliegt. Zu beachten ist nämlich, daß der Richter aufgrund der Beweislastregeln seine Entscheidimg trifft, nicht aber aufgrund der inneren Überzeugung von der Wahrheit des Parteivorbringens. Die Beweislastregelungen sind aber nicht geeignet, den Richter zum Handlanger von Deliktstätern zu degradieren. Weiß er positiv, daß seine Entscheidung auf falschen Angaben beruht, so darf er nicht entscheiden. Damit aber ist der Raum für einen Irrtum eröffnet: Er wird über die Tatsache, daß die Angaben wahr sind, getäuscht. Das bloß abstrakte Wissen, daß Prozeßparteien u.U. die Unwahrheit vortragen, schließt Täuschung und Irrtum im konkreten Fall nicht aus, solange das Rechtspflegeorgan nicht positiv weiß, daß die Angaben im konkreten Fall unwahr sind. 372 Im Mahnverfahren ist die Problematik mit § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO n.F. obsolet geworden, weil eine inhaltliche Prüfung des Anspruchs ausdrücklich ausgeschlossen ist. 3 7 3

b) Weiterhin erscheint es problematisch, ob der Richter als Person in der Vermögenssphäre dessen, der im Prozeß unterliegt, anzusehen ist. Dies ist schon deshalb zweifelhaft, weil der Richter, je nachdem, ob der Kläger oder der Beklagte den Prozeß verliert, jeweils dem Unterliegenden zugerechnet werden müßte. Ein positiver Akt des Betroffenen, der dem Richter diese Vermögensposition einräumt, liegt nicht vor. Hier muß der Richter gleichsam als Person angesehen werden, die kraft Gesetzes bestimmten Vermögenssphären zugerechnet wird. Die Unterwerfung unter das Gerichtsverfahren hat gleichsam die Einsetzung des Richters in bestimmte Vermögenspositionen zur Folge. c) Der Schaden liegt im Falle des Prozeßbetruges noch nicht im Erlaß des Urteils, sondern erst in der Ausfertigung der Vollstreckungsklausel des Urteils. Erst dann ist eine 3 7 0 V g l . B G H S t 2 7 S. 3 4 2 ; DREHER/TRÖNDLE § 7 8 a R d n . 3; KÜHL J Z 1978 S. 5 4 9 f f ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 2 9 4 ; OTTO Lackner-Festschrift, S. 7 3 2 f.

371 Zu weiteren Beispielen vgl. OLG Zweibrücken NJW 1983 S. 694 (Prozeßbetrug durch Verschweigen von Tatsachen); SEIER ZStW 102 (1990) S. 563 ff (Prozeßbetrug durch Rechts- und ungenügende Tatsachenbehauptungen). 372 Dazu BGHSt 24 S. 260 f. 373 A.A. OLG Düsseldorf NStZ 1991 S. 586 mit abl. Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 263/36.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Situation eingetreten, die der Belastung eines Vermögens mit einer Forderung vergleichbar ist. 6. Kreditkarten- und Scheckkartenerschleichung Problembereich: Schaden. BGHSt 33 S. 244: Der A verschaffte sich unter Täuschung über seine Kreditwürdigkeit eine Kreditkarte, um mit dieser Käufe zu tätigen, obwohl er sein Konto nicht ausgleichen konnte. BGH: Die Aushändigung der Kreditkarte an den stark verschuldeten A stellte eine Vennögensgefährdung dar, die das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens erfüllt.

a) Auch bei der Erschleichung von Kredit- oder Scheckkarten bedarf es keiner Gleichstellung einer Vermögensgefährdung mit einem Vermögensschaden. Bei der Überlassung einer Scheckkarte oder einer Kreditkarte im Drei-Partner-System (Eurocard, American Express, Visa u.a.) liegt in der Eröffnung der Kreditmöglichkeit, deren Realisierung allein vom Willen des Kreditnehmers abhängt, eine Belastung des Vermögens des Kreditgebers mit der Forderung auf Einräumung eines Kredits. Diese bedeutet dann einen Vennögensschaden, wenn die Bonität des Kreditnehmers nicht gewährleistet ist. 374 b) Die Erschleichung einer Kreditkarte im sog. Zwei-Partner-System, sog. Kundenkarte, insbes. von Kaufhäusern und Autovermietern, erfüllt hingegen noch nicht den Tatbestand des Betruges. Diese Karte erleichtert dem Kartengeber die Bonitätsprüfung, sie räumt dem Kartennehmer aber nicht eine Kreditmöglichkeit ein, deren Realisierung allein von seinem Willen abhängt.375 c) Die rechtliche Beurteilung der rechtsmißbräuchlichen Nutzung der Kredit- oder Scheckkarte war in Lehre und Rechtsprechung streitig. Nachdem der BGH in der mißbräuchlichen Nutzung der Scheckkarte einen Betrug gesehen hatte, während er die mißbräuchliche Nutzung der Kreditkarte für nicht strafbar hielt376, hat der Gesetzgeber mit Einführung des § 266 b als lex specialis gegenüber §§ 266, 263 eine Klarstellung vorgenommen; vgl. dazu unten § 54 m . - Der Ausschluß des § 263 durch § 266 b soll nach h.M. jedoch nur beim Kartenmißbrauch im Drei-Partner-System gelten, nicht im Zwei-Partner-System; vgl. dazu unter § 54 IE 3. 7. Lastschriftenbetrug Problembereich: Täuschung und Irrtum. Mit Einreichen einer Lastschrift erklärt der Einreichende konkludent, daß seine Forderung begründet und er zur Lastschrift berechtigt ist. Da allerdings der Sachbearbeiter in der Bank eine sachliche Prüfung des Anspruches nicht durchführt, entspricht die Problematik der des Prozeßbetruges.377

374 Vgl. dazu ARZT in: Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 452; GEPPERT JK, StGB § 263/20; OFFERMANN wistra 1986 S . 5 7 ; OTTO J Z 1985 S. 1008 f f . - A . A . BRINGEWAT N S t Z 1985 S. 536; LABSCH N J W 1986

S. 105 f; RIEMANN Vermögensgefährdung, S. 131 f. - Zur entsprechenden Problematik der Erschleichung einer Scheckkarte vgl. BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 105; LACKNER LK, § 263 Rdn. 326. 375 Vgl. dazu BGH StV 1989 S. 199 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 263/29. 376 Vgl. einerseits BGHSt 24 S. 386, andererseits BGHSt 33 S. 244. 377 Dazu OLG Hamm NJW 1977 S. 1834 sowie eingehend: OTTO Bankentätigkeit, S. 138 ff.

§ 51 Betrug

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8. Betrug bei Verkauf und Vermittlung von Termin- bzw. Temünoptionsgeschiiften Problembereich: Täuschung und Vermögensschaden. Fall: A verkaufte dem B eine Warenterminoption. Der Kaufpreis enthielt eine Provision für A in Höhe von SO % des Kaufpreises. A versprach Überwachung des Kurses und bestmögliche Verwertung der Option.

Bei der Vermittlung von Termin- oder Terminoptionsgeschäften kann eine Täuschung bereits darin liegen, daß falsche Vorstellungen über die Risiken des Geschäfts erweckt werden. Dazu zählen auch falsche Angaben über die Qualifikationen des Verkäufers, über die Seriosität der Vermittlungsfirma und über die Höhe der Vermittlungsgebühr.378 Einen Schaden in Höhe des gesamten Optionspreises hatte die Rechtsprechung ursprünglich dann bejaht, wenn der Erwerber entweder überhaupt keine oder allenfalls eine Gewinnchance von theoretischer Bedeutung erlangt hatte. Ob diese Chance einen Handelswert hatte, sollte gleichgültig sein.379 Inzwischen geht der BGH davon aus, daß bei der Berechnung eines eventuellen Schadens als wirtschaftlicher Gegenwert der Leistung die marktübliche Prämie für die Option sowie die Provision eines seriösen, inländischen Maklers zu berücksichtigen seien.380 Zutreffend war die ursprüngliche Auffassung der Rechtsprechung, daß der Käufer geschädigt ist, wenn die Chance, einen Gewinn zu machen, aufgrund der Preisgestaltung praktisch wertlos ist.381 Zum einen hat der Käufer der Option nämlich selbst keine Gelegenheit, diese zum Einkaufspreis zu veräußern, so daß der Handelswert der Option schon aus diesem Grunde nicht dem Wert des zum Erwerb eingesetzten Geldes gleichgesetzt werden kann. Zum anderen aber könnte als Entgeld der Leistungen des Verkäufers nur dann die Provision eines seriösen Vermittlers eingesetzt werden, wenn der Verkäufer auch die Leistung eines seriösen Vermittlers erbringen würde. Gerade dazu sind unseriöse Vermittler jedoch im Regelfall nicht im Stande. Hat nämlich der Erwerber die Option dem Vermittler zur sachgerechten Ausübung überlassen und ist dieser aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt nicht in der Lage, die Option sachgerecht auszuüben, so ist der Erwerber nicht nur in dem Teil seiner Leistung geschädigt, der für die - wertlosen - Beratungstätigkeiten erbracht wurde, sondern er hat einen Schaden in bezug auf seine gesamte Leistung erlitten. Er wollte eine von der Marktsituation abhängige Spekulationschance erwerben und die - versprochene - Leistung fachgerechter Ausübung dieser Option. Erworben hingegen hat er eine spekulative Chance, die einfach ausläuft, so daß es von vornherein dem Zufall überlassen bleibt, ob sich die Gewinnchance realisieren läßt oder nicht. Damit aber ist die erworbene Gewinnchance über ihren spektulativen Charakter hinaus mit Risiken behaftet, die sie letztlich wertlos machen. 9. Der Sicherungsbetrug Problembereich: Vermögensschaden Fall: A hat eine Sache des B unterschlagen. Als B Herausgabe verlangt, leugnet A, die Sache je gesehen zu haben. 378 Vgl. OLG München WM 1989 S. 1719; BGH wistra 1989 S. 19; BGH wistra 1991 S. 25. 379 Vgl. BGHSt 30 S. 177; 31 S. 115; OLG München NJW 1980 S. 794. 380 Vgl. BGHSt 30 S. 388; 32 S. 22; BGH StV 1986 S. 299. 381 Dazu ACHENBACH NStZ 1988, S. 98 f; FRANKE/RISTAU wistra 1990 S. 252 ff; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 153 ff, 179 f; LACKNER/IMO MDR 1983, S. 971 ff; OTTO Die strafrechtliche

Bekämpfimg unseriöser Geschäftstätigkeit, 1990, S. 70 f; WORMS wistra 1984 S. 123 ff.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

a) Sicherungsbetrug wird der hier - angeblich - vorliegende Betrug genannt, weil er die Sicherung einer durch ein vorangegangenes Vermögensentziehungsdelikt erlangten Beute dient. Wird dies klar ausgesprochen, so ist die Problematik der Konstruktion offensichtlich: Hat der Täter sich die Beute, z.B. eine Sache, durch einen vorangegangenen Diebstahl, eine Unterschlagung, einen Betrug, eine Erpressung o.ä., verschafft, so ist der Schaden des Vermögensträgers durch dieses Delikt eingetreten. Für einen weiteren Betrugsschaden durch Kaschieren des vorangegangenen Delikts ist kein Raum und damit auch nicht für den Betrug "als straflose Nachtat", denn auch die straflose Nachtat ist tatbestandsmäßige Tat! Die Unterscheidung zwischen nicht tatbestandsmäßiger Tat und tatbestandsmäßiger, aber strafloser Nachtat wird von der Rechtsprechung oft nicht hinreichend deutlich gemacht; BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 23: "straflose Nachtat, weil kein weiterer Schaden eintritt". 3 ' 2

b) Läßt das vorangegangene Vermögensdelikt hingegen noch Raum für einen neuen Schaden, so ist die Sachlage unproblematisch. Beide Delikte stehen in Realkonkurrenz. Fall: A hat das Kfz des B unbefugt in Besitz genommen. Er wollte es dem B am nächsten Tag zurückgeben. Am Abend veräußert er das Fahrzeug jedoch an den bösgläubigen X. Ergebnis: §§ 248 b, 246, 53.

c) Problematisch ist die Beurteilung, wenn der Täter durch seine Täuschung die Geltendmachung des Schadenersatzanspruches des Geschädigten aus der ersten Straftat, dessen sich der Geschädigte bewußt ist, zu verhindern sucht. BGH JZ 1979 S. 764: Nach einem Versicherungsbetrug fordert die geschädigte Versicherung von A den an ihn gezahlten Betrag zurück. A täuscht Ober eine Gegenforderung, um die Realisierung der Forderung zu verhindern.

Konstruktiv sind hier zwei Schädigungen zu unterscheiden: Schaden durch den Versicherungsbetrug und Schaden durch Verhinderung der Realisierung der Forderung, die allerdings aus dem ersten schädigenden Ereignis erwachsen ist. Da es wirtschaftlich jedoch um die Sicherung der Beute aus der 1. Straftat geht, ist es vertretbar, den 2. Betrug als straflose Nachtat zu werten.383 d) Zu der entsprechenden Problematik der Zueignung vgl. oben § 42 I 6. - Zur Sicherungserpressung vgl. unten § 53 I 2 c.

§ 52: Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352, 353 1. Gebührenüberhebung, § 352 a) § 352 enthält einen privilegierenden Spezialfall des Betruges.384 Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen des Opfers. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. b) Täter können nur Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2), Anwälte oder sonstige Rechtsbeistände sein, die zum eigenen Vorteil Gebühren oder Vergütungen erheben dürfen.

382 Vgl. auch BGH wistra 1992 S. 343; BGH StV 1992 S. 272; dazu OTTO Jura 1994 S. 276 ff. 383 Vgl. auch BGH JZ 1979 S. 765; OTTO JZ 1993 S. 662. 384 Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2901.

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

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c) Die Tathandlung besteht im Erheben von Gebühren oder Vergütungen, die entweder kostenrechtlich nicht oder nicht in der geforderten Höhe geschuldet werden.385 Erheben ist das Verlangen und Empfangen der Leistung, wobei das Verhalten des Täters auf Täuschimg des Schuldners über die Rechtmäßigkeit der Leistung gerichtet sein muß. 386 - Vergütung ist jedes Entgelt für eine amtliche Tätigkeit. - Gebühr ist ein Unterfall der Vergütung. d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt; Bereicherungsabsicht i.S. des § 263 ist nicht erforderlich.387 e) Begeht der Täter über die in § 352 genannte Täuschung hinaus eine zusätzliche Täuschung, so liegt Idealkonkurrenz mit § 263 vor.388 2. Abgabenüberhebung, § 353 Abs. 1 a) Auch § 353 Abs. 1 enthält einen privilegierenden Sonderfall des Betruges. Geschütztes Rechtsgut ist auch hier das Vermögen. Nach h.M. richtet sich die Tat darüber hinaus gegen den Staat, dem die erhobenen Beträge vorenthalten werden. - Damit aber wird das Delikt noch nicht zum Delikt gegen das Ansehen des Staates. 38 "

b) Täter kann nur ein Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) sein, der öffentlich-rechtliche Abgaben für eine Kasse des Bundes, des Landes, einer öffentlichen Körperschaft oder Anstalt zu erheben hat. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. c) Die Tat setzt voraus, daß der Täter Steuern, Gebühren oder andere Abgaben, die nicht oder nicht in dieser Höhe geschuldet werden, erhebt und ganz oder zum Teil nicht an die öffentliche Kasse abliefert. - Eine rechtswidrige Zueignung des Erlangten ist nicht erforderlich. Daher liefert auch der Täter, der die Abgaben nicht als solche abliefert, sondern sie zur Deckung von Fehlbeträgen der Kasse zuführt, die Abgabe i.S. der Vorschrift nicht ab. 390 d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Str. entsprechend der Auseinandersetzung bei § 352. e) Zur Konkurrenz mit § 263 vgl. oben 1 e; mit § 246 kann - je nach Sachverhalt - Idealund Realkonkurrenz vorliegen.391 3. Leistungskürzung, § 353 Abs. 2 a) Zur Deliktsnatur und zum geschützten Rechtsgut vgl. oben 2 a.

385 Vgl. OLG Köln NJW 1988 S. 503 (Gebühr für falsche Sachbehandlung); BayObLG NJW 1989 S. 2901 (unzulässige Honorarvereinbarung); OLG Karlsruhe NStZ 1991 S. 239 (Erfolgshonorar). 386 Vgl. BayObLG NStZ 1990 S. 129. 3 8 7 V g l . : DREHER/TRÖNDLE § 3 5 2 R d n . 8; LACKNER StGB, § 3 5 2 R d n . 6 ; TRÄGER L K , § 3 5 2 R d n . 2 1 .

- Für Ausschluß des bedingten Vorsatzes: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 79 Rdn. 11; SAMSON S K , § 3 5 2 R d n . 12; SCH/SCH/CRAMER § 3 5 2 R d n . 10.

388 389 390 391

Dazu BGHSt 2 S. 35. A.A. WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 214. Dazu OLG Köln NJW 1966 S. 1373. Vgl. BGHSt 2 S. 35; BGH NJW 1961 S. 1171.

242

Die Vermögensentziehungsdelikte

b) Täter kann nur ein Amtsträger sein (§11 Abs. 1 Nr. 2), der Sachwerte oder Geld amtlich ausgibt. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. c) Die Tathandlung setzt voraus, daß der Täter bei amtlich zu erbringenden Leistungen Abzüge macht, die Leistung aber als vollständig erbracht in Rechnung stellt. d) Zum Vorsatz und zu den Konkurrenzen mit § 263 vgl. oben 2 d, e.

II. Erschleichen von Leistungen, § 265 a § 265 a ergänzt den § 263 in vier Fällen. Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen.392 1. Automatenmißbrauch, § 265 a, 1. Alt. a) Nach überkommenem Verständnis kamen für die Verwirklichung der 1. Alternative nur sog. Leistungsautomaten in Betracht, z.B. Fernsprech-, Spiel- und Musikautomaten sowie Münzkassiergeräte an Fernsehern u.ä. - Die Ausleerung sog. Warenautomaten wurde, wenn sie durch Falschgeld oder sonstige Tricks bewirkt wurde, als Diebstahl erfaßt, demgegenüber § 265 a subsidiär ist. Das ließ es angemessen erscheinen, durch restriktive Auslegung des Begriffs "Automaten" bereits den Schutzbereich der Vorschrift von vornherein zu begrenzen.393 Nachdem der BGH die Frage des Gewahrsamsbruchs beim Mißbrauch des Geldautomaten nach der funktionsgerechten bzw. funktionswidrigen Nutzung des Automaten entscheidet394, erscheint es angemessen, diese Differenzierung auch hier als maßgeblich anzusehen, denn auch Warenautomaten sind heute z.T. bereits computergesteuert. Das hätte zur Konsequenz, entgegen der bisher h.M. auch die Hergabe einer Ware durch einen Automaten als Leistung eines Automaten anzusehen und die Tat bei funktionsgerechter Nutzung des Automaten als Automatenmißbrauch zu erfassen. Nach wie vor wird die funktionswidrige Nutzung des Automaten durch Einwirkung auf seinen Mechanismus von außen hingegen einen Gewahrsamsbruch und damit einen Diebstahl begründen. b) Als Tatobjekt kommen nur entgeltliche Leistungen in Betracht (Rechtsgut: Vermögen!). - Erschleichen setzt keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen voraus, jede "unbefugte Inanspruchnahme" genügt. Die Ausleerung von Automaten durch Aufbrechen erfüllt in der Regel den Diebstahlstatbestand.395 - Beim Geldspielautomaten ist zu differenzieren: Erlangt der Täter durch Manipulation kostenlose Spiele, so liegt § 265 a vor, leert er den Automaten durch funktionswidrige Nutzung, so greift § 242 ein. 396

392 Dazu FALKENBACH Die Leistungserschieichung (§ 265 a StGB), 1983, S. 78 f. 393 Im einzelnen: FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 81 ff. - Zum Streitstand: OTTO JZ 1985 S. 23.

394 Vgl. dazu § 40 14 h, hh. 395 Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1985 S. 795. 396 Vgl. OLG Koblenz NJW 1984 S. 2424.

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

243

2. Erschleichen der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldenetzes, § 265 a, 2. Alt. Als Fernmeldenetz sind z.B. Telefonnetze, Rundfunk und Fernsehen, sowie Breitbandkabelnetz, anzusehen. - Öffentlichen Zwecken dient das Netz, wenn es ganz oder z.T. im Interesse der Öffentlichkeit betrieben wird. - Zum Erschleichen vgl. oben 1 b. Da entgeltliche Leistung im Fernsprechverkehr nur die Herstellung und Aufrechterhaltung der Verbindung ist, wird die bloße Auslösung des Klingelzeichens nicht als Tathandlung erfaßt.397 3. Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel, § 265 a, 3. Alt. Beorderung durch ein Verkehrsmittel ist jede entgeltliche Transportleistung. - Erschleichen ist auch in diesem Zusammenhang jedes ordnungswidrige Verhalten, mit dem sich der Täter unberechtigt in den Genuß einer Leistung setzt und dabei Kontrollmaßnahmen umgeht oder sich den Anschein der Ordnungsmäßigkeit gibt. Die Begrenzung des Tatbestandes auf Fälle der Umgehung einer Kontrolleinrichtung überzeugt nicht.398 § 265 a soll die Fälle der Inanspruchnahme von Massenleistungen erfassen, in denen mangels Täuschung und Irrtumserregung § 263 nicht anwendbar ist. 399 Bringt der Täter jedoch ausdrücklich dem Berechtigten gegenüber zum Ausdruck, daß er die Leistung ohne Zahlung von Entgelt in Anspruch nimmt, so kann ein "Erschleichen" nicht vorliegen. BayObLG NJW 1969 S. 1042: Der Demonstrant A, der gegen die Erhöhung von Fahrgeld in der Straßenbahn demonstrierte, stieg in die Straßenbahn, fuhr mit und verkündete offen, er werde den Fahrpreis nicht zahlen. BayObLG: Kein "Erschleichen" der Beförderung, wohl aber § 123.

Diese Interpretation des Merkmals Erschleichen wird dem allgemeinen Wortsinn sicher gerecht. Mißlich ist jedoch, daß in der 1. Alternative des § 265 a auch die offen angekündigte Inanspruchnahme des Leistungsautomaten, die der Berechtigte nicht verhindern kann, als "Erschleichen" angesehen werden muß. - Damit erhält der gleiche Begriff je nach Zusammenhang einen unterschiedlichen Inhalt. Ist der Täter im Besitz einer gültigen Zeitkarte, die er lediglich nicht bei sich führt, so fehlt es am Erschleichen der Leistung, da er für diese das Entgelt entrichtet hat. 4. ErschleichenfreienEintritts, § 265 a, 4. Alt. Als Veranstaltung kommen Theater, Konzert oder Sportwettkämpfe, als Einrichtungen der Allgemeinheit zugängliche Gebäude oder Stätten wie Museen, Schwimmbäder u.ä.

397 Vgl. dazu auch: FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 85 f; LACKNER LK, § 265 a Rdn. 3; SCH/SCH/LENCKNER § 265 a Rdn. 1 0 , 1 3 . - A . A . BRAUNER/GÖHNER N J W 1978 S. 1469 FF; HERZOG G A 1975 S. 261.

398 So aber ALBRECHT NStZ 1988 S. 222; ALWART NStZ 1991 S. 589 ff; FISCHER NStZ 1991 S. 41 f; RANFT Jura 1993 S. 87; SCHALL J R 1992 S. 1 f f .

399 Vgl. BayObLG NJW 1969 S. 1042; OLG Stuttgart NJW 1990 S. 924; OLG Hamburg MDR 1991 S. 469; O L G Düsseldorf M D R 1992 S. 502; DREHER/TRÖNDLE § 265 a R d n . 3; LACKNER StGB, § 265 a R d n . 6 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 1 R d n . 218.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

in Betracht. Stets muß es sich aber um Einrichtungen handeln, zu denen gerade durch die Tathandlung der Zugang eröffnet, ermöglicht wird. 400 Das Entgelt muß aus wirtschaftlichen Gründen erhoben werden, nicht nur zur Begrenzung des Zutritts. Doch dürften die Fälle, in denen das Entgelt ausschließlich zur Begrenzung des Zutritts erhoben wird, Ausnahmecharakter haben.401 Strafbar ist die Erschleichung des Zutritts, nicht aber die Inanspruchnahme eines teureren Platzes. - Wird der zur Einlaßgewährung Berechtigte getäuscht, so kommt § 263 in Betracht. 5. Antragsprivileg Nach § 265 a Abs. 3 gelten §§ 247, 248 a entsprechend. 6. Subsidiaritätsklausel Die Subsidiaritätsklausel des § 265 a gilt nur gegenüber Vermögensdelikten. Beim Angriff gegen das Vermögen mit zugleich stärkeren Mitteln ist es angemessen, § 265 a Subsidiarität zuzuerkennen, nicht aber beim Angriff gegen ganz andere Rechtsgüter; im letzteren Fall: Idealkonkurrenz.402

III. Computerbetrug, § 263 a 1. Gesetzgeberische Intention und geschütztes Rechtsgut a) Die gesetzgeberische Intention Mit dem steigenden Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen wuchsen die Gefahren ihrer vermögensschädigenden mißbräuchlichen Nutzung, die mit den bisherigen Straftatbeständen nicht zu erfassen waren. § 263 kam nicht in Betracht, wenn kein Irrtum einer Person erregt wurde, § 266 scheiterte oft an der - von der h.M. für beide Tatbestandsalternativen geforderten - selbständigen Vermögensbetreuungspflicht. Die hier begründeten Strafbarkeitslücken sollten durch einen betrugsähnlich aufgebauten Tatbestand gegen vermögensschädigende Computennanipulationen geschlossen werden.403 In der Formulierung der Tatbestandsmerkmale ist § 263 a daher eng an § 263 angelehnt worden. Da jedoch Täuschung, Irrtum und dadurch bedingte Vermögensverfügung die Struktur des Betrugstatbestandes prägen, diese Elemente aber dem Tatbestand des Computerbetruges gerade fehlen, ist die Ähnlichkeit zwischen den Tatbeständen nur eine verbale. Strukturell unterscheiden sie sich grundlegend, da § 263 a auch Elemente der Eigentumsdelikte und der Untreue enthält.404 Allein bezogen auf den Schutzbereich 400 Vgl. dazu OLG Hamburg JR 1981 S. 390; BayObLG JR 1991 S. 433 mit Anm. GRAUL S. 435 f; OTTO JK 92, StGB § 265 a/2. 401 Dazu OLG Hamburg NJW 1981 S. 1281 mit Anm. M. J. SCHMID JR 1981 S. 391 (Bahnsteig). 402 So auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 Rdn. 221; im übrigen zu den möglichen Konkurrenzen: FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 104 ff. 403 Vgl. dazu BT-Drucks. 10/318, S. 16; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 338 ff, 2/26 ff; LACKNER Tröndle-Festschrift, S. 43 ff; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 654 ff; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 128 ff; TIEDEMANN J Z 1986 S. 868 ff. 404 Vgl. auch DREHBR/TRÖNDLE § 263 a Rdn. 1; SCH/SCH/CRAMER §263 a Rdn. 2. - A . A . LACKNER

StGB, §263 a Rdn. 2.

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

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lassen sich - im Hinblick auf die ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers - aus dem Betrugstatbestand Argumente für die Auslegung des § 263 a gewinnen. b) Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist - insoweit in Übereinstimmung mit § 263 - das Vermögen. Daß Computermißbräuche vor allem in Unternehmen verwirklicht werden, macht das Delikt nicht zu einem Wirtschaftsdelikt. Dem Schutz der Wirtschaftsordnung und ihrer Institute durch den Tatbestand kommt keine eigenständige Bedeutung zu. 405 2. Das Angriffsobjekt Angriffsobjekt der verschiedenen Tathandlungen ist das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs. - Der Begriff der Daten ist hier weit auszulegen und erfaßt alle Informationen, die sich kodieren lassen, und damit auch die der Verarbeitung dienenden Programme, da diese als fixierte Arbeitsanweisungen an den Computer aus Daten zusammengefügt sind.406 Unter Datenverarbeitung sind die technischen Vorgänge zu verstehen, bei denen durch Aufnahme von Daten und ihre Verknüpfung nach Programmen Arbeitsergebnisse erzielt werden.407 Im Wege teleologischer Auslegung ist der Anwendungsbereich des § 263 a allerdings nach dem heutigen Stand der Technik auf EDV-Systeme zu begrenzen, da nicht jede Beeinträchtigung technischer Sicherheitseinrichtungen, z.B. Zahlenkombination eines Tresorschlosses, in den Schutzbereich fällt. Gleichwohl bleibt der Anwendungsbereich des § 263 a weit, da Leistungs- und Warenautomatrai in der Regel mit Geldprüfgeräten versehen sind, die eine Datenverarbeitung bei der Prüfung vornehmen.40®

3. Die Tathandlungen a) Die unrichtige Gestaltung des Programms Da auch Programme aus Daten bestehen, handelt es sich bei der unrichtigen Gestaltung des Programms um einen Spezialfall der zweiten Handlungsalternative, der Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten. Unrichtig kann zum einen subjektiv vom Verfügungsberechtigten, zum anderen objektiv von der Vorstellung der an der Datenverarbeitung Beteiligten her bestimmt werden. - Der objektiven Betrachtungsweise ist der Vorzug zu geben, denn wenn § 263 a im Schutzbereich betrugsspezifisch interpretiert wird, so dient er nicht nur dem Schutz desjenigen, der über das Datenprogramm verfügungsberechtigt ist, sondern soll Mißbräuche mit Hilfe der Datenverarbeitung verhindern.409 Richtig ist ein Programm danach nur dann, wenn es bei Verwendung richtiger und vollständiger Daten in systematischen Arbeitsschritten das den Zwecken der Datenverarbeitung entsprechende Ergebnis liefert. 4 0 5 V g l . DREHHR/TRÖNDLE § 2 6 3 a R d n . 2 ; LACKNER S t G B , § 2 6 3 a R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . 1, § 4 1 R d n . 2 2 3 .

406 Vgl. dazu BT-Drucks. 10/5058, S. 30; LACKNER StGB, § 263 a Rdn 3; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S . 4 8 5 ; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1986 S. 132; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1,

§ 41 Rdn. 225. 407 BT-Drucks. 10/318, S. 21.

408 Vgl. dazu auch LACKNER StGB, § 263 a Rdn. 4; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 658 f. 4 0 9 V g l . : DREHER/TRONDLE § 2 6 3 a R d n . 6 ; HAFT N S t Z 1 9 8 7 S. 7 ; LACKNER S t G B , § 2 6 3 a R d n . 6 f ;

SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 87. - A.A. BTDrucks. 10/318, S. 20; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 654; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S . 132; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 a R d n . 6 .

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Die Vermögensentziehungsdelikte

Beispiel: Der Unternehmer A gestaltet das Programm seiner EDV-Anlage so, daß es den Lohn der Arbeitnehmer niedriger errechnet als es der Leistung dieser Arbeitnehmer entspräche. Ergebnis: Programm unrichtig.

b) Die Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten Der Begriff der Verwendung kann unterschiedlich weit interpretiert werden. Er kann als Nutzung der Daten bei der Datenverarbeitung oder enger als Einfuhrung von Daten in den beginnenden oder bereits ablaufenden Datenverarbeitungsvorgang verstanden werden. Ausdrücklich hat der Gesetzgeber sich in der Begründung des ursprünglichen Entwurfs der Vorschrift für den Begriff der Verwendung falscher Daten als den weiteren Begriff entschieden. Dieser Wille des Gesetzgebers hat im Gesetzeswoitlaut hinreichend Ausdruck gefunden. Damit verdient der weitere Begriffsinhalt den Voizug.410 Die Verwendung kann unmittelbar durch den Operateur oder den Terminalbenutzer erfolgen, aber auch mittelbar durch einen Hintermann, der ein gutgläubiges Werkzeug benutzt. Ob das Werkzeug dabei tauglicher Adressat einer Täuschung sein kann, weil es einer Prüfungspflicht unterliegt, ist irrelevant, da dieses die mittelbare Täterschaft nicht berührt.411 Unrichtig oder unvollständig sind die Daten, wenn sie den bezeichneten Sachverhalt nicht der Wirklichkeit entsprechend oder nicht ausreichend wiedergeben. Der unbegründete Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids im automatisierten Verfahren, fällt unter Berücksichtigung der Pflicht zum wahrheitsgemäßen Parteivortrag im Zivilprozeß unter § 263 a. ^

c) Die unbefugte Verwendung von Daten aa) Str. ist, ob die unbefugte Verwendung von Daten eine Einwirkung auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorganges voraussetzt, die bei bloß unerlaubter Inanspruchnahme z.B. eines Geld-, Spielautomaten oder des Btx- Systems nicht vorliegt. Argumentiert wird, daß der Gesetzgeber die Aufzählung der verschiedenen Tatmittel im Gesetzestext mit den Worten "oder sonst durch unbefugte Einwirkung auf den Ablauf beeinflußt", beendet. Sprachlich ordne das Wort "sonst" die vorangegangenen numerativ benannten Manipulationsformen der zuletzt genannten Form, dem unbefugten Einwirken auf den Ablauf, als bloße Beispiele unter.413 Die h.M. folgt dem nicht. Sie geht davon aus, daß auch deijenige auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs einwirkt, der das Programm in Gang setzt und interpretiert das Wort "sonst" dahingehend: "Falls nicht eine der drei vorherigen Alternativen gegeben ist". 414 - Damit entscheidet die Interpretation des Begriffs unbefugt über den Anwendungsbereich des Tatbestandes. 410 Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 20; BayObLG NStZ 1994 S. 287. - Dagegen aber ACHENBACH JR 1994 S. 293 f. 411 So auch: DREHER/TRÖNDLE § 263 a Rdn. 7; LACKNER StGB, § 263 a Rdn. 8 f. - A . A . z . B . LENCKNER/WlNKELBAUER CR 1986 S. 656; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 132.

412 So auch: BT-Drucks. 10/318, S. 20; GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 4; HAFT NStZ 1987 S. 8; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 132. - A . A . DREHER/TRÖNDLE § 263 a R d n . 7; LENCKNER/WLNKELBAUERCR 1986 S. 656; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 41 R d n . 228. 413 V g l . L G Wiesbaden N J W 1989 S. 2552; JUNGWIRTH M D R 1987 S. 542 f; KLEB-BRAUN J A 1986

S. 258 f; RANFT wistra 1987 S. 83.

414 BGHSt 38, 121; BayObLG NJW 1991 S. 440; BayObLG JR 1994 S. 289 mit Anm. ACHENBACH S. 293 ff; OLG Köln NJW 1992 S. 125; EHRLICHER Der Bankomatenmißbrauch, 1989, S. 80 ff; LACKNER Tröndle-Festschrift, S. 58; OTTO JR 1987 S. 224.

§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände

247

bb) Dem Wortsinn am ehesten gerecht wird die Interpretation der unbefugten Verwendimg von Daten als unberechtigte Verwendung. Unbefugt werden Daten danach verwendet, wenn sie zwar objektiv richtig sind und daher den Zugang zum Automaten eröffnen, aber von dem Nutzer nicht zu diesem Zweck verwendet werden dürfen.415 In der Literatur wird eine einschränkende Auslegung vorgeschlagen, indem zum einen eine unbefugte Verwendung nur dann angenommen wird, wenn die Daten gerade in Bezug auf ihre Funktion im Programm unbefugt verwendet werden416, zum anderen wird eine betrugsspezifische Auslegung vorgeschlagen, so daß eine unbefugte Verwendung nur dann angenommen wird, wenn die Befugnis des Täters zur Inanspruchnahme der Leistung seines Beziehungspartners zu den Grundlagen des jeweiligen Geschäftstypus gehört, so daß sie nach den Anschauungen des Geschäftsverkehrs auch bei Schweigen der Beteiligten als selbstverständlich vorhanden vorausgesetzt wird. 417 cc) Zur Verdeutlichung Fall 1: OLG Celle NStZ 1989 S. 367 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 263 a/3: A hatte sich rechtswidrig das Programm eines Glücksspielautomaten besorgt. In Kenntnis dieses Programms war er in der Lage, mit der sog. Risikotaste des Automaten sichere Gewinne zu erzielen, da er ermitteln konnte, an welcher Stelle das Programm jeweils war. OLG Celle: § 263 a liegt nicht vor, da der Automat äußerlich ordnungsgemäß genutzt wurde. Diese Begründung überzeugt als Lösung der str. Problematik nicht.41** Wird Verwenden als Nutzen der Daten bestimmt, so ist auch die mittelbare Verwendung der Daten noch tatbestandsmäßig. Problematisch ist dann, ob A unbefugt handelte. Das ist zu bejahen, wenn unbefugt als unberechtigt zur Nutzung der Daten bestimmt wird, abzulehnen, wenn auf die funktionsabhängige Interpretation abgestellt wird. Fall 2: BGHSt 38 S. 120: A hatte sich Kartendaten und Geheimnummern für codierte Automatenscheckkarten besorgt. Die Daten übertrug er auf Scheckkarten-Blankette und verschaffte sich mit Hilfe dieser Karten Bargeld aus Bankautomaten. BGH: A ist des Computerbetrugs, § 263 a, schuldig. Dem ist zuzustimmen, denn A nutzte den Bankautomaten zwar funktionsgerecht, aber unbefugt. 4 1 ' Unbefugt würde allerdings auch deijenige handeln, dem die richtige Karte und die Geheimnummer von dem berechtigten Inhaber vertragswidrig zur Ausführung eines Auftrags überlassen wurde. Dieses Verhalten wäre aber nicht tatbestandsmäßig, da die Absicht, sich rechtswidrig einen Vermögensvorteil zu verschaf-

415 So auch: BGH IStR 157/94 v. 10.11.1994 (Zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen); BayObLG NJW

1991

S. 440

f;

BayObLG

JR

1994

S. 289;

BÜHLER

MDR

1991

S. 16;

MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 1 R d n . 2 2 9 ; MLTSCH J Z 1994 S . 8 8 3 f ; OTTO C R 1 9 9 0 S. 7 9 8 .

416 OLG Celle NStZ 1989 S. 367 f; LG Freiburg NJW 1990 S. 2635 f; ACHENBACH JR 1994 S. 295; HERZOG S t V 1 9 9 1 S . 2 1 7 ; LENCKNER/WINKELBAUER C R

1986 S . 6 5 7 f ; SAMSON S K , § 2 6 3

a

Rdn. 8. 417 Zu der betrugsspezifischen Interpretation - mit unterschiedlichen Akzenten -: Zum einen LACKNER Tröndle-Festschrift, S. 53; BGHSt 38 S. 122; OLG Köln NJW 1992 S. 126 f; DREHER/TRÖNDLE § 263 a Rdn. 8; MEIER JUS 1992 S. 1019; zum anderen LAMPE JR 1988 S. 437 ff; schließlich

SCHLÜCHTER NStZ 1988 S. 59. - Dagegen aber RANFT NJW 1994 S. 2577. - Im einzelnen dazu

OTTO Jura 1993 S. 612 ff. 418 Vgl. BayObLG NJW 1991 S. 438 mit Anm. BÜHLER NStZ 1991 S. 343 ff, NEUMANN JR 1991 S. 302 ff, SCHLÜCHTER CR 1991 S. 105 ff; BayObLG JR 1994 S. 289; ACHENBACH Jura 1991 S . 2 2 7 f; ETTER C R 1 9 9 1 S. 84 ff.

419 Vgl. auch ACHENBACH NStZ 1993 S. 430; CRAMER JZ 1992 S. 1032; OTTO JK 92, StGB § 263 a/6; SCHLÜCHTER J R 1993 S . 4 9 3 f f ; ZIELINSKI C R 1992 S . 2 2 3 ff.

248

Die Vermögensentziehungsdelikte

fen, fehlt. Hingegen liegt diese Absicht bei demjenigen vor, der einen Auftrag flberschreitet, um sich rechtswidrig in den Besitz der Differenzsumme zu setzen.42^ Auch die mißbräuchliche Nutzung des Bankautomaten durch den berechtigten Karteninhaber, der aber unbefugt sein Konto übeizieht, erfüllt den Tatbestand , während andere dieses Verhalten unter § 266 b subsumieren wollen. 2 2 Fall 3: OLG Zweibrücken StV 1993 S. 196: A nutzte das Btx-System, obwohl er zahlungsunfähig und unwillig war. OLG Zweibrücken: A handelte nicht unbefugt, da der Computer nur die formelle, nicht aber die materielle Berechtigung prüft. Dieses Ergebnis ist nur haltbar auf der Grundlage der Abfassung, daß die Daten in Bezug auf die Funktion im Programm unbefugt verwendet werden müssen.42^

d) Die sonst unbefugte Einwirkung auf den Ablauf Die vierte Handlungsalternative ist als Auffangtatbestand gedacht, dessen unbestimmte Weite dann angemessen begrenzt wird, wenn als unbefugt die Einwirkung verstanden wird, infolge derer die Anlage die eingegebenen Informationen über Tatsachen nicht ihrem sachlichen Gehalt entsprechend verarbeitet und aus diesem Grunde zu einem abweichenden Ergebnis kommt.424 Praktische Bedeutung kann diese Handlungsalternative bei bestimmten Konsol- und Outputmanipulationen erhalten.423 4. Die Folge der Tathandlung: Die Beeinflussung des Ergebnisses des Datenverarbeitungsvorgangs Die Tathandlung muß das Ergebnis des Datenverarbeitungsvorgangs beeinflußt und dadurch einen Vermögensschaden begründet haben. - Die Tathandlung hat den Vorgang beeinflußt, wenn sie für das Ergebnis (mit-) ursächlich geworden ist. Irrelevant ist es, ob das Ergebnis verfälscht oder - vgl. oben c, bb - nur unbefugt erzielt wurde. - Das Ergebnis begründet einen Vermögensschaden, wenn es als solches unmittelbar vermögensmindernd wirkt, z.B. eine Gutschrift zugunsten des Täters oder eines Dritten bewirkt. Bedarf es zur Realisierung der Vermögensminderung noch einer deliktischen Zwischenhandlung des Täters, weil das Ergebnis der Datenverarbeitung täuschend genutzt werden soll, so fehlt es an der Unmittelbarkeit der Vermögensminderung. Im übrigen gelten bei der Beurteilung von Vermögensgefährdung und Vermögensschädigung die gleichen Grundsätze wie bei der Schadensbestimmung des Betrugs.426 420 Vgl. LACKNER StGB, § 263 a Rdn. 14; OTTO JR 1992 S. 252 ff. - A.A. OLG Köln NJW 1992

S. 125. 421 Vgl. ACHENBACH NJW 1986 S. 1838; BERNSAU Der Scheck- oder Kreditkartenmißbrauch durch den

berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 158 ff; DREHER/TRÖNDLE § 263 a Rdn. 8 a; EHRLICHER

Bankomatenmißbrauch, S. 89 f; HAFT NStZ 1987 S. 8; LACKNER Tröndle-Festschrift, S. 58 f; MAU-

RACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 41 Rdn. 229; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 133; OTTO

wistra 1986 S. 153; TLEDEMANN JZ 1986 S. 869.

422 Hierzu OLG Stuttgart NJW 1988 S. 981; BÜHLER MDR 1989 S. 22; HUFF NJW 1987 S. 815 ff; MEIER JuS 1992 S. 1020 f; MLTSCH J Z 1994 S. 881; SCH/SCH/CRAMER § 263 a Rdn. 8 ff; WEBER J Z

1987 S. 215; DERS. Küchenhoff-Gedächtnisschrift, S. 490 ff; dazu vgl. unten § 54 in 4 b. 423 Vgl. dazu OTTO Jura 1993 S. 615; grundsätzlich zur Btx-Problematik: RICHTER CR 1991 S. 361 ff. 4 2 4 Vgl. ACHENBACH JR 1994 S. 294; LACKNER Tröndle-Festschrift, S. 56.

425 Dazu im einzelnen SIEBER Computerkriminalität, S. 60 ff, 65 ff. 426 Dazu vgl. oben § 51 III 4 d; im übrigen vgl. LACKNER StGB, § 263 a Rdn. 16 ff; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 359; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 R d n . 232; MÖHREN-

SCHLAGER wistra 1986 S. 133.

§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung

249

5. Vorsatz und Bereicherungsabsicht Für den Vorsatz und die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, gelten die Ausführungen zum Betrug entsprechend; vgl. oben § 51IV. 6. Konkurrenzen Erfolgt die Vermögensschädigung sowohl durch Täuschung einer mit Prüfungskompetenz versehenen Person als auch durch Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs, so ist § 263 a aufgrund seiner Auffangfunktion als subsidiär gegenüber § 263 anzusehen. Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 268, 269, 303 a. Der Mißbrauch der Codekarte bei der Nutzung des Geldautomaten erfüllt allein den Tatbestand des § 263 a; er ist insoweit lex specialis gegenüber § 246. 427

§ 53: Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 Das Delikt, ein Bereicherungsdelikt wie der Betrug, ist diesem entsprechend aufgebaut. Dies kommt im Gesetzeswortlaut allerdings nicht zum Ausdruck, und auch der E 1962, der im Erpressungstatbestand, § 259, die Notwendigkeit einer Vermögensverfügung des Opfers hervorhob, formulierte in § 252 die Voraussetzungen des Betruges nicht so, daß der enge Zusammenhang zwischen diesen Delikten schon im Wortlaut des Gesetzes klargestellt wurde. Die enge Verwandtschaft dieser Delikte ist aber heute weitgehend anerkannt: Betrug ist die Selbstschädigung des Opfers infolge einer Täuschung über den schädigenden Charakter der Vermögensverfügung; Erpressung ist die Selbstschädigung des Opfers aufgrund einer Nötigung, wobei sich der Geschädigte Ober den Schaden durch die Vermögensverfügung im klaren ist.

1. Das geschützte Rechtsgut Geschützte Rechtsgüter des Erpressungstatbestandes sind das Vermögen und die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung, doch liegt der Schwerpunkt, der den Charakter des Delikts prägt, auf dem Vermögensschutz.428 2. Der objektive Tatbestand a) Die Tathandlung, Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, entspricht der des § 240; im einzelnen dazu oben § 27 I. b) Durch die Gewalt oder die Drohung muß das Tatopfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt werden. Str. ist, ob das abgenötigte Verhalten eine Vermögensverfiigung i.S. eines Dispositionsfreiheit voraussetzenden Opferverhaltens sein muß429 oder ob es bereits genügt, daß das Opfer den Eingriff in sein Vermögen nur pas427 Vgl. dazu LACKNER StGB, § 263 a Rdn. 28; zur Gegenansicht und zum Streitstand vgl. EHRLICHER Bankomatenmißbrauch, S. 93 f. 4 2 8 V g l . LACKNER S t G B , § 2 5 3 R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 2 R d n . 12.

429 Dazu auch: ESER IV, Nr. 16 A 13 ff; GEPPERT/KUBITZA Jura 1985 S. 276 ff; KREY B.T. 2, Rdn.

297; KÜPER NJW 1978 S. 956; LACKNER LK, § 253 Rdn. 5 ff mit eingehendem Überblick über den Streitstand in Fn. 6 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 4 2 Rdn. 6; OTTO ZStW 79

(1967) S. 85; DERS. Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 304; DERS. JZ

1984 S. 144; RENGIER JUS 1981 S. 6 5 4 ; SCHMLDHÄUSER B . T . , 1 1 / 4 9 , 5 5 f; SCH/SCH/ESER § 2 5 3 R d n . 8 ; SCHRÖDER Z S t W 6 0 ( 1 9 4 1 ) S. 83; TENCKHOFF J R 1974 S. 4 8 9 ; WERLE J u r a 1 9 7 9 S . 4 8 9 .

250

Die Vermögensentziehungsdelikte

siv duldet.430 - Der erstgenannten Ansicht ist der Vorzug zu geben, denn die durch die Vermögensverfiigung begründete Unmittelbarkeit der Vermögensschädigung durch das Opferverhalten gibt der Erpressung ihren eigenständigen Bereich innerhalb der Vermögensdelikte. Wird von dem Erfordernis der Verfügung abgesehen, so wird die Erpressung gegenüber den anderen Vermögensdelikten zum umfassenden qualifizierten Vermögensentziehungsdelikt. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, Wilderei, § 292, Pfandkehr, § 289, u.a. werden beim Einsatz von Gewalt und Drohung zur Erpressung und beim Einsatz qualifizierter Raubmittel zur räuberischen Erpressung, § 255. - Diese Interpretation des Tatbestandes ist aber weder historisch begründbar noch kriminalpolitisch notwendig. Das Verfügungsbewußtsein umfaßt hier die Kenntnis des Opfers von der schädigenden Natur der Verfügung. Allerdings ist der Begriff der Verfügung bei der Erpressung nicht in vollem Umfang identisch mit dem beim Betrug. Die Vermögensverfügung ist hier nicht nur in unmittelbar zum Vermögensschaden führenden Verhaltensweisen zu sehen, sondern auch in solchen, die notwendigerweise Voraussetzung für die Herbeiführung des Schadens sind.431 Fall: A nötigt den B durch Androhung von Gewalt, den Tresor zu öffnen, dessen Zahlenkombination B nicht kennt.

c) Nachteil ßr das Vermögen ist identisch mit Vermögensschaden i.S. des Betruges, daher treten bei der sog. Sicherungserpressung dieselben Schadensprobleme auf 432 wie beim Sicherungsbetrug; dazu oben § 51 VI 9. Auch hier kann ein Schaden darin bestehen, daß der Täter Beweismittel für eine nicht bestehende Forderung erlangt.433 d) Genötigter und Verfügender müssen identisch sein, nicht hingegen Verfügender und Geschädigter, soweit die Verfügimg dem Geschädigten als eigene zuzurechnen ist; dazu oben § 51 m 3. 3. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich darauf erstrecken, daß der Genötigte infolge der Nötigimg eine vermögensschädigende Verfügung vornimmt. b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, entspricht der Bereicherungsabsicht beim Betrug; dazu oben § 51IV 2, 3. Darausfolgt: aa) Absicht ist auch hier auf Bereicherung gerichtetes zielgerichtetes Handeln. Geht es dem Täter nur darum, einen anderen zu schädigen, so liegt nur eine Nötigung vor, selbst wenn ein Dritter mit Wissen des Täters in den Besitz eines Vermögensvorteils gelangt.

430 BGHSt 7 S. 252; 25 S. 228; 32 S. 88; OLG Hamm MDR 1972 S. 707; ARZT in Arzt/Weber, LH 3, Rdn. 356; GEILEN Jura 1980 S. 50; HERDEGEN LK, 11. Aufl., § 249 Rdn. 21 ff, § 253 Rdn. 5 ff; LÜDERSSEN G A 1 9 6 8 S . 2 5 7 f; MOHRBOTRER G A 1 9 6 8 S . 117; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S . 4 8 6 ; SEELMANN J u S 1 9 8 2 S . 9 1 4 ; SEIER J A 1984 S . 4 4 2 . 4 3 1 V g l . a u c h : KÜPER N J W 1978 S. 9 5 6 ; LACKNER L K , § 2 5 3 R d n . 10. - A . A . RENGIER J u S

1981

S. 654. 432 Dazu BGH JZ 1984 S. 146; SEIER NJW 1981 S. 2155 ff.

433 Vgl. BGH NJW 1987 S. 3144 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 253/7; BGH StV 1989 S. 478 mit A n m . SONNEN S . 4 7 9 f .

§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung

251

Beispiel: Der Mercedesfahrer M hindert den BMW-Fahrer A am Überholen, obwohl die Straßenlage das Überholen zuläßt. A verschafft sich den Namen des M und läßt ihn wissen, er werde ihn anzeigen, falls M ihm nicht innerhalb von 8 Tagen eine Quittung Ober eine Zahlung an das Rote Kreuz in Höhe von DM 100,- zukommen lasse. - M zahlt. Ergebnis: Nur Nötigung des M durch A. - Dem A kam es nicht auf eine Bereicherung des Roten Kreuzes an, sondern allein auf eine Schädigung des M.

bb) Auch bei § 253 entfällt die Absicht des Täters, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wenn der Täter nach materiellem Recht einen Anspruch auf die Bereicherung hat oder zu haben glaubt.434 cc) Erforderlich ist auch hier der unmittelbare Zusammenhang zwischen Bereicherung und Vermögensschaden derart, daß die Bereicherung sich als Kehrseite des Vermögensschadens darstellt ("Stoffgleichheit").435 dd) Darüber hinaus haben h.L. und Rechtsprechung die Anwendung des § 253 auch abgelehnt, wenn der Täter sich durch Nötigung Beweismittel über die "Tilgung" nicht bestehender Forderungen verschafft hat. Forderung und Beweismittel werden in diesem Fall als Einheit angesehen, auch wenn der Täter auf das Beweismittel keinen Anspruch hat. BGHSt 20 S. 136: A rechnete damit, daß seine von ihm getrennt lebende Ehefrau für die Vergangenheit Unterhaltsansprüche geltend machen werde. Um diesen materiell nicht bestehenden Ansprüchen entgegenzutreten, veranlagte er sie unter Androhung von Schlägen, Quittungsformulare zu unterschreiben, die er selbst entsprechend den verlangten Beträgen ausfüllen und dann zum Nachweis der Zahlung benutzen wollte. BGH: Es kommt nicht darauf an, ob ein Anspruch auf das Beweismittel besteht oder nicht. Maßgeblich ist allein das Endziel. Entspricht das Endziel der Rechtsordnung, so wird es nicht dadurch rechtswidrig, daß zu seiner Verwirklichung rechtswidrige Mittel eingesetzt werden. 4. Die

Rechtswidrigkeit

Rechtswidrig ist die Tat, auch wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, nur dann, wenn Tat und mit der Tat verfolgter Zweck verwerflich, d.h. als sozialgefährlich, sozialschädlich zu beurteilen sind; im einzelnen dazu oben § 27 m . 5. Versuch, Vollendung und Strafschärfung

Der Versuch beginnt, wenn der Täter zur Nötigungshandlung unmittelbar ansetzt. Vollendet ist die Tat mit Eintritt des Vermögensschadens, beendet mit Eintritt der Bereicherung.436 - Den Eintritt des Vermögensschadens verneint der BGH, wenn der Täter beim Empfang der Beute so unter polizeilicher Beobachtung steht, daß er mit der Beute nicht entkommen kann. 437 - Bringt der Täter durch die Nötigung ein Behältnis - Tasche o.ä. - an sich, in dem aber nicht die erwartete Beute ist, auf die es dem Täter ankommt, so liegt nur ein Versuch vor. 438 - Erlangt der Täter nur einen Teilbetrag der erstrebten

434 Dazu BGH NJW 1986 S. 1623; BGH NStZ 1988 S. 216; BGH StV 1988 S. 385; 1990 S. 205; 1991 S. 20. 435 Dazu BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 106, im übrigen vgl. oben § 51IV 2 b. 436 Dazu BGHSt 19 S. 342. 437 BGH MDR 1994 S. 1071. 438 Dazu BGH GA 1983 S. 411; BGH GA 1989 S. 171.

252

Die Vermögensentziehungsdelikte

Summe, so nimmt auch die h.M. - entgegen Stellungnahmen zur entsprechenden Problematik des Grundtatbestandes; dazu oben § 27 IV 1 - nur einen Versuch an. 439 Abs. 4 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen (gewerbsmäßiges Handeln, Handeln als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Erpressung verbunden hat). 6. Abgrenzung von Betrug und Erpressung Da es bei der Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht darauf ankommt, daß der Drohende dieses Übel wirklich realisieren kann, sondern nur darauf, daß der Drohende vorgibt, das Übel realisieren zu können, umfaßt bereits die Definition der Drohung bestimmte Täuschungshandlungen. Fall: A fordert den B zur Zahlung von DM 1000,- auf, sonst werde er den B "wegen des Geschehens am 1.12. anzeigen". B zahlt. In Wirklichkeit weil) A nur, daß B am 1.12. in irgendetwas Unangenehmes verwickelt war, eine Anzeige zu erstatten hatte A nicht vor. Hätte B dies gewußt, so hätte er nicht gezahlt.

Erfordert der Betrug, "daß das Opfer aus freiem, nur durch Irrtum beeinflußten Willen über sein Vermögen verfügt"440, so liegt eine Verfügimg im Rahmen des Betruges niemals vor, wenn das Opfer auch genötigt wird, denn dann ist seine Willensfreiheit nicht nur durch den Irrtum, sondern auch durch eine Nötigung beeinträchtigt. Genausowenig, wie die Drohung mit einer ungeladenen Pistole aus dem Gewahrsamsbrach beim Raub eine Vermögensverfügung macht, genausowenig wird eine durch Nötigung erzwungene Handlung zu einer freien, nur durch einen Irrtum beeinträchtigten Verfügung, weil die Nötigimg nur vorgeblich realisierbar ist. - Darüber hinaus verfügt das Opfer hier aber bewußt, sein Vermögen schädigend, während der Betrug gerade durch die bewußte Verfügung gekennzeichnet ist, über deren vermögensschädigenden Charakter der Täter irrt. Auch wenn daher in der Nötigung eine Täuschung enthalten ist, so kommt ihr keinerlei Eigenständigkeit zu. Erpressung und Betrug bezüglich des gleichen Objekts schließen einander aus, wenn die Verfügung des Opfers auf einer Nötigung beruht. Ob diese Nötigung wiederum auf einer Täuschung basiert, ist irrelevant.441 7. Verkauf der Deliktsbeute an das Deliktsopfer Bietet der Täter eines Vermögensdelikts die Herausgabe der z.B. gestohlenen Sache oder die Wiedergutmachung des Schadens gegen Zahlung einer bestimmten Summe an, so sieht die h.M. hierin eine Erpressung, obwohl - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Vermögensbestand durch diese Tat nicht verschlechtert, sondern verbessert wird. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise wird mit zivilrechtlichen Konstruktionen überspielt und die eigenen Prämissen werden außer Kraft gesetzt. BGH 1 StR 221/82: Dem X waren Ikonen gestohlen worden. Er ließ verbreiten, daß er bereit sei, sie zu einem angemessenen Preise wiedeizuerwerben. A, der davon gehört hatte und die Diebe kannte, bot diesen seine Vermittlung an. Die Diebe gingen darauf ein, und beauftragten den A zur Übergabe der Ikonen gegen ein bestimmtes Lösegeld. Bei der Übergabe des Geldes wurde A gefaßt. BGH: Wäre es zur Zahlung gekommen, so hätte eine vollendete Erpressung vorgelegen. 439 Vgl. BGH StV 1990 S. 206. 440 OLG Köln MDR 1973 S. 866. 441 So auch: BGHSt 23 S. 294 mit Anm. KÜPER NJW 1970 S. 2253 f; GÜNTHER ZStW 88 (1976) S . 9 6 0 f f ; OTTO Z S t W 7 9 ( 1 9 6 7 ) S . 9 4 f f . - A . A . HERZBERG J u S 1 9 7 2 S . 5 7 1 ; KREY B . T . R d n . 3 1 5 ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 3 3 0 ; SCH/SCH/ESER § 2 5 3 R d n . 3 7 .

2,

§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung

253

Dem kann nicht gefolgt werden. Der Schaden des X, der Verlust der Ikonen, war mit dem Diebstahl eingetreten. Zwar hatte X gegen den A Ansprüche auf Herausgabe, §§ 861, 985 BGB. Um diese Ansprache brachte A den X aber nicht dadurch, daß er sie nicht realisierte. Sie waren wertlos, solange X die Täter nicht kannte. - Als A dem X den Besitz gegen eine bestimmte Summe zum Kauf anbot, eröffnete er ihm die vorher tatsächlich nicht vorhandene Möglichkeit, den Besitz zurückzuerlangen. Dies lieB er sich bezahlen. Unabhängig davon, ob A hier überhaupt als Täter der Erpressung angesehen werden kann, weil er lediglich den Auftrag der Hinterleute ausführte, die vom Geschädigten ausdrücklich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert waren, ist sowohl nach den Prämissen des wirtschaftlichen als auch nach denen des personalen Vermögensbegriffs die Folgerung zwingend, den Schaden abzulehnen. - Wenn der BGH den Schaden bejaht, weil das Opfer der Tat zahlen sollte, ohne einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, so beruht dieses Ergebnis darauf, daß das Haben der Sache und der Anspruch auf die Sache identifiziert werden. Das ist vom Standpunkt des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs her konsequent, nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs hingegen falsch.*^

II. Räuberische Erpressung, § 255 1. Die Systematik des Gesetzes a) Die räuberische Erpressung ist ein qualifizierter Fall der Erpressung. Die Nötigungsmittel entsprechen denen des Raubes. - Nur die Drohung muß mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erfolgen443, nicht aber die Gewaltanwendung. b) Als qualifizierter Fall der Erpressung setzt der Tatbestand, wie der Grundtatbestand, eine Vermögensverfügung voraus; im einzelnen zur Auseinandersetzung vgl. oben 1 2 b. Als umfassenden Grundtatbestand der Raubdelikte interpretieren diejenigen den § 255, die das Erfordernis einer Vermögensverfügung ablehnen. Danach ist § 249 ein durch die Zueignungsabsicht und die Wegnahmehandlung, die rein äußerlich als "Wegnehmen" zu bestimmen ist und im Gegensatz zu dem "Weggeben" steht, spezialisierter Sonderfall des § 255. BGHSt 14 S. 386: A stieg in die Taxe des T. Durch Schüsse aus der Gaspistole zwang er den T zum Verlassen des Fahrzeuges. Dann fuhr er mit der Taxe in der Gegend herum. Nach der Fahrt wollte A die Taxe so abstellen, daß T sie in Kürze zurückerhalten hätte. BGH: § 255. - Wird § 255 als qualifizierter Fall der Erpressung interpretiert, so fehlt es hier an einer Vermögensverfügung des T, daher: §§ 223 a, 240, 248 b, S2. 4 4 4

c) Unabhängig davon, ob eine Vermögensverfügung verlangt wird oder nicht, ist eine finale Verknüpfung von Nötigung und Vermögensschädigung nötig. 445 d) Hinsichtlich des Adressaten der Drohung und der Ernsthaftigkeit der Drohung gilt dasselbe wie für § 253. BGH JZ 1985 S. 1059 446 : Nach vorher untereinander verabredetem Plan bedrohte der A die B mit einer Pistole, als diese angeblich bei einem Bankkassierer Geld wechseln wollte, und forderte von dem Kassierer Bargeld. Dieser zahlte.

442 Dazu OLG Haniburg MDR 1974 S. 330; LACKNER LK, § 263 Rdn. 122. - A.A. BGHSt 26 S. 346 mit zust. A n m . GÖSSEL J R 1977 S. 3 2 f f , und abl. Bespr. TRUNK JuS 1985 S. 944 f f .

443 Zur Gegenwärtigkeit der Gefahr BGH NJW 1989 S. 1289. 444 Vgl. auch: BGHSt 32 S. 88 mit Anm. JAKOBS JR 1984 S. 385 ff (Vereitelung eines Vennieterpfandrechts mit Gewalt). - BGH bei Holtz, MDR 1992 S. 17 (Erlangung des Gewahrsams an einer Sache). 445 Vgl. BGH StV 1984 S. 377; BGH wistra 1988 S. 348. 446 Mit abl. Anm. ZACZYK S. 1059 f, und zust. Anm. GEPPERT JK, StGB § 255/7.

254

Die Vermögensentziehungsdelikte

BGH: § 255, da es nur darauf ankommt, dafi der Nötigungsadressat von der Ernsthaftigkeit der Drohung ausgeht.

2. Vorsatzwechsel zwischen räuberischer Erpressung und Raub Versucht der Täter mit Mitteln der räuberischen Erpressung ein Vermögensobjekt zu erlangen und geht er sodann bezüglich desselben Objekts zum Raube über oder umgekehrt, so liegt nur ein vollendetes Delikt vor. Dem Versuch mit den jeweiligen anderen Mitteln kommt keine Eigenständigkeit zu, da ein selbständiger Unrechtsgehalt des Versuchs gegenüber dem des vollendeten Delikts nicht auszumachen ist. BGH StV 1982 S. 114: A versuchte unter Androhung von Gewalt den X zur Herausgabe einer Geldbombe zu bringen. Dies mißlang. Nunmehr nahm A dem X die Geldbombe unter Anwendung von Gewalt ab. BGH: Die versuchte räuberische Erpressung ist durch die Verurteilung wegen vollendeten Raubes abgegolten. Der Versuch, die Geldbombe zu erlangen, ist, wenn auch mit anderen Mitteln, durch den Raub lediglich fortgesetzt und zum Erfolg geführt worden.

§ 54: Untreue und untreueähnliche Delikte I. Rechtsgut und Aufbau des Untreuetatbestandes Vermögensschädigungsdelikt. - Eine Bereicherung des Täters braucht nicht eingetreten oder beabsichtigt zu sein. Jedoch ändert sich die Deliktsnatur nicht dadurch, daß es dem Täter bei seiner Tat um die Bereicherung durch das dem fremden Vermögen entzogene Vermögensgut oder um einen anderen wirtschaftlichen Vorteil geht.

1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist allein das Vermögen.447 Dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer oder der Redlichkeit des Rechtsverkehrs kommt keine eigenständige Bedeutung zu. 448 2. Die besondere Pflichtenposition des Täters Das Vermögen kann i.S. des § 266 nicht von jedermann verletzt werden. Der Tatbestand setzt vielmehr als Täter eine Person voraus, die dem Vermögensträger in bezug auf sein Vermögen in besonderer Weise verpflichtet ist. Nur diese Person oder ihr Vertreter i.S. des § 14 kommen als Täter in Betracht. - Die Pflichtenposition ist strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 Abs. I. 4 4 9 3. Die Gesetzessystematik §266 Abs. 1 enthält zwei Tatbestände: den Mißbrauchstatbestand, §266 Abs. 1, 1. Alt., und den Treubruchstatbestand § 266 Abs. 1, 2. Alt. In beiden Alternativen wird die Pflicht des Täters, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, vorausgesetzt. - Streitig ist jedoch der Inhalt dieser Pflicht.

447 H.M., vgl. HÜBNER LK, § 266 Rdn. 19 m.w.N. 4 4 8 A . A . DUNKEL G A 1 9 7 7 S . 3 3 4 f; ESER I V , N r . 17 A g , 11; WENTZEL D a s S c h e c k k a r t e n v e r f a h r e n

der deutschen Kreditinstitute, 1974, S. 245. 449 So auch: BGHSt 26 S. 54; DREHER/TRÖNDLE § 266 Rdn. 15; HÜBNER LK, § 266 Rdn. 105; LACKNER StGB, § 28 Rdn. 4; RÖHN LK, § 28 Rdn. 37, 40. - A.A. SCH/SCH/LENCKNER § 266 Rdn. 52.

§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte

255

a) Der überkommenen Interpretation des Mißbrauchstatbestandes entspricht die Auffassung, daß der Rahmen der Pflicht zur Vermögensfürsorge in der 1. Alternative des § 266 durch die rechtswirksame Einräumung einer Verfligungs- oder Verpflichtungsbefugnis gekennzeichnet ist.450 Die 2. Alternative des § 266 setzt hingegen die Pflicht des Täters, "fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen" voraus; dazu eingehender unter n 2. b) Mit BGHSt 24 S. 386 forderte der BGH für den Täter des Mißbrauchstatbestandes dieselbe Vermögensfürsorgepflicht wie für den Täter des Treubruchstatbestandes. Danach soll Täter in beiden Alternativen nur deijenige sein können, dem als Hauptpflicht die Betreuung fremder Vermögensinteressen obliegt.451 Die Literatur folgte dem weitgehend unter Hinweis darauf, daß der Tatbestand durch das Erfordernis der Vermögensfürsorgepflicht restriktiv begrenzt werde und an Bestimmtheit gewinne.452 c) Die restriktive Interpretation des Mißbrauchstatbestandes findet in Wirklichkeit jedoch nicht statt. Durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs des Tatbestandes auf den Mißbrauch der rechtlichen Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen oder andere zu verpflichten, war der Tatbestand hinreichend bestimmt. Das rechtliche Können konturierte die Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, eindeutig. Durch die identische Interpretation der Pflicht, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, in beiden Alternativen des § 266 werden hingegen die in der Unbestimmtheit der Vermögensfürsorgepflicht des Treubruchstatbestandes angelegten Unsicherheiten auf den Mißbrauchstatbestand übertragen und kaum akzeptable Strafbarkeitslücken eröffnet. Die Folge ist ein dogmatisches Kuriosum. Die angeblich restriktive Auslegung des § 266 führte zum Ruf nach ausdehnenden Spezialtalbeständen, dem der Gesetzgeber im 2. WiKG mit §§ 266 a Abs. 2, 266 b n a c h k a m . 4 " Zudem zeigte sich in der Rechtsprechung die Tendenz, unselbständige Vennögensfürsorgepflichten als selbständige Treuepflichten i.S.d. § 266 zu interpretieren; dazu unter II 2 d.

Darüber hinaus ist die 1. Alternative ein letztlich überflüssiger Unterfall der 2. Alternative geworden und die vom Gesetz vorgegebene Aufgliederung in zwei sich ergänzende Tatbestände aufgehoben worden. Diese Konsequenz zieht allerdings die höchstrichterliche Rechtsprechimg nicht immer. Die Selbständigkeit beider Tatbestände setzt sich gegen die sachwidrige Konstruktion durch.454 4 5 0 Dazu BOCKELMANN B . T . / l , § 18 II; DREHER/TRÖNDLE § 266 R d n . S; LABSCH Jura 1987 S. 345 f; SAMSON SK, § 266 Rdn. 13; SAX J Z 1977 S. 702.

451 So: BGHSt 24 S. 386 mit Anm. SEEBODE JR 1973 S. 117 ff, insbes. S. 119; OLG Hamburg NJW 1983 S. 768; OLG Hamm NJW 1977 S. 1835; OLG Köln NJW 1978 S. 714 mit zust. Anm. GÖSSEL JR 1978 S. 469 ff, insbes. S. 473. - Eine vermittelnde Ansicht - identische Vermögensbetreuungspflicht, aber unter nivellierten Anforderungen in beiden Alternativen - vertritt WEGEN AST Mißbrauch und Treubruch, 1994, S. 134 ff. 4 5 2 Vgl. DUNKEL G A 1977 S. 338 f; HÜBNER J Z 1973 S. 407; DERS. L K , § 2 6 6 R d n . 5 f f ; KREY B . T . 2 , Rdn. 542; LACKNER StGB, § 266 Rdn. 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 5 R d n . 18;

D. MEYER JuS 1973 S. 214 f; NELLES Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 218 ff; SCHREIBER/BEULKE JuS 1977 S. 656 ff; VORMBAUM JuS 1981 S. 20; WESSELS B . T . - 2 , R d n . 7 0 0 .

4 5 3 Vgl. auch SCHROEDER GA 1990 S. 106.

454 Dazu vgl. BGH NJW 1984, 2539 m. Anm. OTTO JR 1985, 29 ff; sodann OLG Stuttgart NStZ 1985, S. 365 f m . Anm. OTTO JK, StGB § 266/5. - I m übrigen vgl. BRINGEWAT G A 1973 S. 3 6 0 ff; DERS. NStZ 1983 S. 457 ff; ESER IV, Nr. 17 A 10 ff; HEIMANN-TROSIEN J Z 1976 S. 5 5 1 ; LABSCH Untreue

(§ 266 StGB), 1983, S. 83 ff, insbes. S. 91 ff; OTTO Bargeldloser Zahlungsverkehr und Strafrecht,

256

Die Vermögensentziehungsdelikte

II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes 1. Der Mißbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1, 1. Alt. a) Der Mißbrauchstatbestand setzt als Tathandlung den Mißbrauch einer Vertretungsmacht (Verpflichtungs- oder Verfügungsmacht) in bezug auf fremdes - verstanden im bürgerlich-rechtlichen Sinn - Vermögen voraus. Der Täter überschreitet mißbräuchlich das rechtliche Dürfen im Rahmen des rechtlichen Könnens. Der Täter hat kraft Gesetzes - z.B. als Elternteil, Vormund, Testamentsvollstrecker, Pfleger, Gerichtsvollzieher, Konkursverwalter - oder kraft behördlichen Auftrags - z.B. staatlich bestellter Treuhänder, mit dem Kassieren von Verwarnungsgeldern beauftragter Polizeibeamter - oder kraft Rechtsgeschäfts - z.B. Prokurist - Verfügungs- oder Verpflichtungsmacht übertragen erhalten, aufgrund derer er nach außen wirksame Geschäfte abschließen kann. Im Innenverhältnis ist er aber verpflichtet, von dieser Vertretungsmacht mir in bestimmter Weise Gebrauch zu machen. Hierüber setzt er sich hinweg und schließt pflichtwidrig den Vermögensträger schädigende Geschäfte ab. - Rechtliche Befugnis ist die rechtswirksam eingeräumte Befugnis. Bloßer Gutglaubensschutz genügt nicht. Trotz Anerkennung des Merkmals der "rechtlichen Befugnis" durch die Rechtsprechung, vernachlässigt diese das Merkmal in der praktischen Rechtsanwendung in zunehmendem Maße. Ein Mißbrauch der rechtlichen Befugnis, über fremdes Vermögen verfügen zu können, soll z.B. vorliegen, wenn der zum Verkauf einer Ware für DM 300,- Bevollmächtigte diese Ware für DM 160,- verkauft (OLG Köln JMB1NRW 1959 S. 138) oder wenn der Gerichtsvollzieher den Erlös der Zwangsvollstreckung eigenmächtig verbraucht (BGHSt 13 S. 276). - In diesen Fällen kann von einer Überschreitung des rechtlichen Könnens keine Rede sein, denn rechtliches Können und Dürfen gehen überhaupt nicht auseinander. Unabhängig von der Frage, ob im Einzelfall überhaupt rechtsgeschäftliche Verfügungen vorlagen, fehlte es bereits an der rechtlichen Befugnis zur Verfügung.*"

b) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß das Bewußtsein des Mißbrauchs einer rechtlichen Befugnis und die Schädigung des Vermögens umfassen. c) Zur Einübung aa) BGH LM Nr. 4 zu § 266: Die Verkäuferin A verkauft an Kunden Waren unter dem vom Geschäftsherrn festgesetzten Ladenpreis, um diesen zu schädigen. BGH: Untreue. - Gemäß § 56 HGB konnte A rechtlich wirksam Geschäfte zu den vereinbarten Preisen abschließen. Sie durfte es aber nicht. bb) BGHSt 5 S. 61: A verkauft eine von B geliehene Sache an den gutgläubigen C. BGH: A hat eine Unterschlagung begangen, aber keine Untreue, denn C wurde nicht Eigentümer aufgrund der Verfügungsbefugnis des A. §§ 932 ff BGB gewähren dem Täter keine Verfügungsbefiignis, sondern schützen allein den guten Glauben des Erwerbers. cc) OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 365: A veräußerte unter Vorlage einer ihm nach Widerruf der Vollmacht verbliebenen Vollmachtsurkunde ein Grundstück des K. OLG: §266 Abs. 1, 1. Alt. (Mißbrauchstatbestand). - Dem ist zuzustimmen, denn hier erfolgte der rechtswirksame Erwerb des Käufers nicht aufgrund guten Glaubens, sondern weil die Vollmacht gem. §§ 171, 172 BGB fortbesteht bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtsgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt worden ist.'""

1978, S. 100 f; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 R d n . 2 , 11; SIEBER Computerkriminalität u n d Strafrecht, S. 244.

455 Dazu auch BGH wistra 1990 S. 305; HÜBNER LK, § 266 Rdn. 70; LABSCH Untreue, S. 99 ff. 456 Vgl. auch LABSCH Jura 1987 S. 412; OTTO JK, StGB § 266/5; SCH/SCH/ LENCKNER § 266 Rdn. 4.

§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte

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2. Der Treubruchstatbestand, § 266 Abs. 1, 2. Alt. a) Der Treubruchstatbestand setzt die Verletzung einer Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, voraus, die zu einem Vermögensnachteil für den Berechtigten führen muß. b) Angesichts der "uferlosen Weite" der Gesetzesformulierung ist der Treubruchstatbestand seit jeher als rechtsstaatlich höchst problematisch eingestuft und als kaum vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG angesehen worden.457 c) Rechtsprechung und Lehre haben indes versucht, dem Tatbestand durch eine restriktive Interpretation der Vermögensfürsorgepflicht schärfere Konturen zu geben. Gefordert wird zum einen, daß die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen der typische und wesentliche Inhalt des Fürsorgeverhältnisses "Hauptpflicht" - sein müsse, zum anderen, daß es sich bei dem Vermögensfürsorgeverhältnis um eine Geschäftsbesorgung handeln müsse, so daß Nebenpflichten aus schuldrechtlichen Austauschverträgen von vornherein ausgeschlossen sind.458 Eine Geschäftsbesorgung in diesem Sinne setzt danach eine selbständige, eigene Überlegung erfordernde Tätigkeit wirtschaftlicher Art im Interesse des Geschäftsherrn voraus. Die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen muß der typische und wesentliche Inhalt des Vertragsverhältnisses sein. Darüber hinaus muß dem Pflichtigen eine gewisse Selbstständigkeit bei der Erfüllung seiner Pflichten eingeräumt sein, so daß er Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen hat. 4 5 "

"Selbständigkeit bei der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen ist allein, aber auch untrüglich daran zu messen, ob der Betreuer so handeln muß oder auch anders handeln darf.*60 d) Gleichwohl sind die Bemühungen um eine Konkretisierung der Vermögensfürsorgepflicht letztlich unbefriedigend geblieben, da die Rechtsprechung die durch das Erfordernis der Vermögensfürsorgepflicht in beiden Alternativen des § 266 Abs. 1 eröffnete Strafbarkeitslücke dadurch zu schließen sucht, daß sie das Merkmal der Selbständigkeit in Einzelfällen zu schlichter Bedeutungslosigkeit abwertet.461 Bejaht wurde die Vermögensfürsorgepflicht z.B. trotz Fehlens jeglicher selbständiger Entscheidungsbefugnis bei einem Bankkassierer (BGH wistra 1989 S. 60 mit Anm. OTTO JK, StGB § 266/9), bei Rechtsanwälten und Notaren, die Gelder nach Eintritt ganz bestimmter Voraussetzungen aus- oder zurückzahlen sollten, ohne daß ihnen irgendein Entscheidungsspielraum verblieb (vgl. BGH NJW 1968 S. 852 f; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 625; BGH wistra 1987 S. 65), bei einem Notar, der bei einem riskanten Geschäft nicht hinreichend belehrt hatte (BGH wistra 1991 S. 219), bei einem Rechtspfleger als Nachlaßrichter den Erben gegenüber (BGHSt 35 S. 224 mit Anm. OTTO JZ 1988 S. 883 f).

Unabhängig davon ist die Rechtsprechung jedoch auch dort, wo sie im Ergebnis Zustimmung verdient, nicht über die Bildung von Fallgruppen hinausgekommen: Taugliche Täter: Gebrechlichkeitspfleger (OLG Bremen NStZ 1989 S. 228 f); Handelsvertreter, der zugleich Lagerverwalter ist (BGH NStZ 1983 S. 74); Hauptbuchhalter (BGH GA 1979 S. 144); Konkurs457 GOSSRAU in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 8, Besonderer Teil, 79. Sitzung, S. 135; JAKOBS Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1991, 4/30; LABSCH Untreue, S. 189 ff; OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 311; WELZEL Lb., § 56 B. 458 Vgl. BGH NJW 1983 S. 461; BGH NStZ 1989 S. 72 mit Anm. OTTO JR 1989 S. 208 ff; BGH NJW

1991 S. 2574; HÜBNER LK, § 266 Rdn. 26; SCH/SCH/LENCKNER § 266 Rdn. 23 a; WEBER in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 97 f; WESSELS B.T.-2, Rdn. 721 f.

459 Dazu vgl. im einzelnen mit Nachweisen OTTO JK, StGB § 266/6. 4 6 0 HÜBNER L K , § 2 6 6 R d n . 3 2 .

461 Im einzelnen dazu die Übersicht bei HÜBNER LK, § 266 Rdn. 35 ff.

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Die Vermögeüsentziehungsdelikte

Verwalter, im Verhältnis zu den Gläubigern (BGHSt 1 S. 243) und im Verhältnis zum Gemeinschuldner (BGH 1 StR 405/73 vom 13.11.1973); Prokurist im Verhältnis zum Firmeninhaber (BGH bei Herlan, GA 1964 S. 130); Rechtsanwalt gegenüber Mandanten (BGH StV 1986 S. 204; BGH wistra 1993 S. 300); Gerichtsvollzieher (OLG Celle MDR 1990 S. 846); Vormund (BGH wistra 1991 S. 219); Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von Handelsgesellschaften und juristischen Personen (dazu BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 456; BGH NJW 1981 S. 469; BGH wistra 1993 S. 301), doch kommt es auf das Einzelgeschäft an (dazu BGH MDR 1988 S. 511; BGH NJW 1988 S. 2483 ff). Untaugliche Täter: Arbeiter, der mit Vermögen des Arbeitgebers umgeht (BGHSt 3 S. 294); Buchhalter (BGH wistra 1987 S. 27); Büroangestellte, die Schreibarbeiten zu erledigen haben (BGHSt 3 S. 294); Kellner (RGSt 69 S. 58); Minderheitsaktionär gegenüber der Aktiengesellschaft (LG Köln wistra 1988 S. 279 f); Reiseveranstalter gegenüber den Leistungsträgern (BGHSt 28 S. 20); Sicherungsgeber gegenüber Sicherungsnehmer (BGH wistra 1984 S. 143 m. Anm. SCHOMBURG S. 143 f; vgl. aber BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 888); Sicherungsnehmer gegenüber Sicherungsgebern (BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 625); Vermieter gegenüber Mieter bei Mietkautionen (OLG Düsseldorf JZ 1989 S. 352; a.A. LG Hamburg MDR 1990 S. 269); Empfänger der Einlage des stillen Gesellschafters gegenüber dem stillen Gesellschafter (OLG Karlsruhe wistra 1992 S. 233).

e) Nach h.M. braucht es sich bei dem Treueverhältnis um kein besonders schutzwürdiges Vermögensfürsorgeverhältnis zu handeln. Auch gesetz- und sittenwidrige Verhältnisse können Vermögensfürsorgeverhältnisse i.S. des § 266 begründen, doch dürften die Voraussetzungen der Vermögensfürsorgepflicht bei gesetz- oder sittenwidrigen Verhältnissen selten vorliegen. In Betracht kommt aber ein zivilrechtlich nichtiges Treueverhältnis.462 f) Eine Verletzung der Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, liegt in den Verhaltensweisen des Treupflichtigen, mit denen dieser nicht die Vermögensinteressen des Treugebers wahrt, sondern dessen Vermögen schädigt. Maßgebliches Kriterium der Treupflichtverletzung bei riskanten Geschäften ist aber nicht der objektive Erfolg, sondern die Begründung eines unerlaubten Risikos durch den Abschluß des Geschäftes. Dabei ist zu beachten, daß Risiken im Wirtschaftsleben nicht immer ausgeschlossen oder gemindert werden können. Ein unerlaubtes Risiko und damit eine Treupflichtverletzung begeht der Täter im Rahmen von Risikogeschäften daher erst, wenn er "nach Art eines Spielers bewußt und entgegen den Regeln kaufmännischer Sorgfalt eine ... äußerst gesteigerte Verlustgefahr auf sich nimmt, nur um eine höchst zweifelhafte Gewinnaussicht zu erhalten".463 g) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich beim Treubruchstatbestand auch auf die Vermögensfürsorgepflichtverletzung erstrecken und den Vermögensnachteil umfassen.464 3. Der Vermögensschaden Beide Untreuetatbestände setzen als Taterfolg einen "Nachteil" voraus, der in der Sache mit dem Vermögensschaden i.S. des § 263 identisch ist. 465 462 Wie hier: BGHSt 8 S. 254 mit Anm. BRÜNS NJW 1956 S. 151, HÄRTUNG JZ 1956 S. 572 f; DREHER/TRÖNDLE § 2 6 6 R d n . 9; HÜBNER L K , § 2 6 6 R d n . 7 9 ; KREY B . T . 2 , R d n . 5 6 3 ; - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 5 R d n . 27; SCHMTOHÄUSER B . T . , U / 6 6 ; SCH/SCH/LENCKNER § 266 Rdn. 34.

463 BGH wistra 1991 S. 220; vgl. auch BRINGEWAT JZ 1977 S. 668; HILLENKAMP NStZ 1981 S. 161 ff; HÜBNER LK, § 266 Rdn. 84 f; NACK NJW 1980 S. 1599 ff; OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 68 ff. 464 Vgl. BGH wistra 1986 S. 25; BGHSt 34 S. 390. 4 6 5 So: HÜBNER L K , § 2 6 6 R d n . 90; LACKNER StGB, § 2 6 6 R d n . 16; SAMSON S K , § 2 6 6 R d n . 3 7 ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 R d n . 3 9 ("gleichbedeutend").

§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte

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Gleichwohl ergeben sich Besonderheiten: a) Als Nachteil ist auch die pflichtwidrig unterlassene Vermögensmehrung anzusehen.466 b) An einem Nachteil fehlt es hingegen, wenn der verfügungsberechtigte Täter den Vermögensstand des Berechtigten pflichtwidrig mindert, aber jederzeit fähig und willig ist, aus eigenen flüssigen Mitteln die Vermögensminderung auszugleichen.467 c) Bei der zweckwidrigen Verwendung öffentlicher Gelder sieht die Rechtsprechung in dieser Verwendung eine Vennögensschädigung; sie folgt insoweit den Grundsätzen der personalen Vermögenslehre.468 d) Entnahmen aus dem Vermögen einer GmbH, die als solche verschleiert werden, stellen nicht notwendig eine Vermögensschädigung der GmbH dar. Sie sind vielmehr als verdeckte Gewinnentnahmen zu interpretieren. Diese sind im Einverständnis mit den Gesellschaftern zulässig, soweit durch die Entnahme nicht das Stammkapital angegriffen oder eine Überschuldung der GmbH herbeigeführt wird.469 e) Einen Vermögensschaden erleiden kann nur eine vom Täter verschiedene natürliche oder juristische Person. Bei verselbständigten Vermögensmassen (KG, OHG, BGB-Gesellschaft) kommt es darauf an, ob vom Täter verschiedene (Mit-) Träger der Vermögensmasse negativ betroffen sind.470 4. Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 266 Angesichts der mit der Bestimmung der Vermögensfürsorgepflicht grundsätzlich verbundenen Schwierigkeiten erscheint es nach wie vor sinnvoll, zu erwägen, ob über die in Lehre und Rechtsprechung erörterten einschränkenden Kriterien hinaus der gesamte Untreuetatbestand nicht erheblich zu begrenzen wäre auf die Fälle, in denen der Täter die ihm rechtswirksam eingeräumte Befugnis fremdes Vermögen zu verwalten oder über fremdes Vermögen rechtswirksam zu verfiigen, mißbraucht. Hier besteht, insbes. im Verhältnis zu den Zueignungsdelikten, eine Strafbarkeitslücke, nicht aber dort, wo schon diese Delikte eingreifen.471 Das Bedürfnis nach einer tatbestandlichen Begrenzung des § 266 wird besonders deutlich, wenn BGH und h.L. in der Veruntreuung eines auf betrügerische Weise erlangten Gegenstandes eine straflose Nachtat gegenüber dem Betrug sehen, obwohl offen

466 Dazu BGHSt 31 S. 232; BGH wistra 1984 S. 109; 1989 S. 224. 467 Dazu BGH NStZ 1982 S. 331 f; BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 281; vgl. ferner: DREHHR/TRÖNDLE § 2 6 6 R d n . 2 4 ; HÜBNER L K , § 2 6 6 R d n . 100; a b w e i c h e n d : SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 R d n . 4 2 .

468 Vgl. BGH NStZ 1984 S. 549 m. Anm. OTTO JK, StGB § 266/4; BGH NStZ 1986 S. 455 f; OLG Hamm NStZ 1986 S. 119. 469 Vgl. BGH wistra 1990 S. 99 - Widersprüchlich zuvor BGHSt 34 S. 379 m. Anm. OTTO JK 88, StGB § 266/7, VONNEMANN GmbHR 1988 S. 329 ff; BGHSt 35 S. 333 m . Anm. OTTO JK 89, StGB § 2 6 6 / 8 , REIB w i s t r a 1 9 8 9 S . 8 1 f f . I m ü b r i g e n v g l . BRAMMSEN D B 1 9 8 9 S . 1 6 0 9 f f ; FLECK Z G R 1 9 9 0 S . 3 1 f f ; GRIBBOHM Z G R 1 9 9 0 S . 1 f f ; HELLMANN w i s t r a 1 9 8 9 S . 2 1 4 f f ; ULMER P f e i f f e r - F e s t -

schrift, S. 853 ff.

470 Vgl. BGHSt 34 S. 221 ff; BGH NStZ 1987 S. 279; BGH wistra 1991 S. 183; BGH StV 1992 S. 465; LACKNER S t G B , § 2 6 6 R d n . 3 b ; SCHULTE N J W 1 9 8 4 S . 1 6 7 1 . - A . A . SCHÄFER N J W 1 9 8 3 S . 2 8 5 0 .

471 Dazu HÜBNER LK, § 266 Rdn. 32; LABSCH Untreue, S. 302 ff; OTTO Struktur, S. 312 f.

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Die Vermögensentziehungsdelikte

bleibt, wie der über den Betrugsschaden hinausgehende Untreueschaden zu begründen ist.472

III. Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266 b 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des Tatbestandes ist das Vermögen. Daß der Tatbestand im Einzelfall - insoweit durchaus §§ 263, 266 vergleichbar - auch die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs schützt, ändert nicht das Wesen des Delikts als Vermögensdelikt.473 Sachlich handelt es sich bei § 266 b um die Wiederherstellung der Möglichkeit, einen Fall der Untreue in der Alternative des Mißbrauchstatbestandes strafrechtlich zu ahnden, nachdem die sachwidrige Erstreckung der Vermögensfürsorgepflicht auf § 266 Abs. 1, 1. Alt. - dazu vgl. I 3 - insoweit eine Strafbarkeitslücke begründet hatte. 474 2. Die Täterposition a) Als Täter kommt nur der berechtigte Karteninhaber in Betracht, denn nur diesem ist durch die Überlassung eines Schecks oder einer Kreditkarte die Möglichkeit eingeräumt, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen. - Der Kartenmißbrauch durch nichtberechtigte Karteninhaber stellt in der Regel einen Betrug, § 263, dar. b) Aufgrund der dem Täter eingeräumten Vertrauensstellung ist die Tätereigenschaft besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1; vgl. dazu I 2. 3. Scheck- und Kreditkarten Als Scheckkarte ist nach dem heute im Wirtschaftsleben bestehenden Bedeutungsgehalt die eurocheque-Karte anzusehen.473 Der Begriff ist aber für andere, neu zu entwickelnde Systeme offen. - Kreditkarten im Sinne des Gesetzes sind zunächst die Kreditkarten im Drei-Partner-System, z.B. American Express-Karte, Eurocard. Sie räumen - wie die Scheckkarte - dem Karteninhaber die Befugnis ein, den Aussteller zu einer Zahlung - das ist nicht nur die Bargeldzahlung, sondern jegliche Geldleistung, insbes. im Verrechnungswege - zu veranlassen, d.h. dessen Garantieverpflichtung gegenüber einem Dritten auszulösen. Diese Eigenschaft fehlt den Karten im Zwei-Partner-System, z.B. den Karten der Kaufhäuser oder Autovermieter, da es sich hierbei lediglich um Ausweise über die zuvor erfolgte Bonitätsprüfung handelt, die es den Filialen des ausstellenden Unter-

472 Vgl. dazu BGH wistra 1991 S. 218 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 266/11. 4 7 3 Vgl. auch: LACKNER StGB, § 266 b Rdn. 1; OTTO wistra 1986 S. 152; RANFT J u S 1988 S. 675. -

Weiter: DKEHER/TRÖNDLE § 266 b Rdn. 2. - Nur den unbaren Zahlungsverkehr sieht als geschützt an: BERNSAU Der Scheck- oder Kreditkartenmißbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 63 ff. 474 Vgl. dazu auch: HIRSCH H. Kaufmann-Gedächtnisschrift, S. 152; LABSCH NJW 1986 S. 108; OTTO J Z 1985 S. 1009; TLEDEMANN J Z 1986 S. 872.

475 Eingehend zum eurocheque-System OTTO HWiStR: "Scheckkartenbetrug".

§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte

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nehmens ermöglicht, Leistungen gegenüber dem Karteninhaber zu erbringen, ohne jeweils erneut die Kreditwürdigkeit prüfen zu müssen.476 Gleichwohl erscheint eine Differenzierung nach den Kartensystemen mit der Konsequenz, daß der Mißbrauch der Karte im Zwei-Partner-System unter den schärferen § 263 fällt, nicht notwendig. Mit dem Wortlaut des Gesetzes ist die Interpretation, daß der Täter auch beim Mißbrauch dieser Karten von der "eingeräumten Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen", Gebrauch macht, noch vereinbar.477 4. Tathandlung und Tatfolgen a) Tathandlung ist der Mißbrauch der mit der Überlassung der Scheck- oder Kreditkarte dem Täter eingeräumten Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen. Das Mißbrauchsmerkmal entspricht dem des § 266 Abs. 1, 1. Alt. StGB. Es liegt vor, wenn der Täter - nach außen rechtswirksam - im Rahmen seiner Verpflichtungsbefugnis - im Zwei-Partner-System: im Rahmen der ihm eröffneten Kreditmöglichkeiten - die ihm im Innenverhältnis vom Kartenherausgeber gesetzten Grenzen überschreitet und eine Zahlung herbeiführt oder eine Zahlungsverpflichtung begründet in einer Situation, in der er nach der vertraglichen Abmachung die Karte nicht nutzen darf. Der typische Mißbrauch der Scheckkarte liegt vor, wenn der Täter einen Scheckkartenscheck begibt, obwohl er weiß, daß sein Konto weder durch ein Guthaben noch durch Kredit gedeckt ist. Der typische Mißbrauch der Kreditkarte liegt in der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder Waren unter Vorlage der Karte, obwohl der Täter weiß, daß er nicht in der Lage ist, sein Konto auszugleichen. - Nicht tatbestandsmäßig ist der Verkauf der Karte durch den Berechtigten, um Kartenmißbräuche zu ermöglichen.478 b) Streitig ist, ob der Mißbrauch der Scheck- oder Kreditkarte als Codekarte, d.h. bei der Geldentnahme aus einem Geldautomaten unter § 266 b fällt. Soweit dieses bejaht wird, geschieht es unter Hinweis darauf, daß letztlich in diesen Fällen gleiches untreueähnliches Unrecht verwirklicht wird. Da jedoch in diesen Fällen die Garantiefünktion der Karte nicht mißbraucht wird, kann das verwirklichte Unrecht - ähnlich wie beim Mißbrauch der Karte im Zwei-Partner-System - durchaus dem des Betruges nahekommen. Im übrigen aber wird die Karte hier nicht als Scheck- oder Kreditkarte, sondern aufgrund einer zufällig mit diesen Eigenschaften verbundene Funktion genutzt. Damit begründet die Erfassung des Codekartenmißbrauchs unter § 266 b wenig überzeugende Differenzierungen, denn es sind Codekarten - z.B. die S-Card der Sparkassen, die Bank Card der Volks- und Raiffeisenbanken - im Markte, die nur als Automatenkarte nutzbar sind. Sachgerechter, wenn auch das unterschiedliche Strafmaß nicht überzeugend gerechtfertigt werden kann, ist es daher, den Codekarten-Mißbrauch grundsätzlich als Computerbetrug zu erfassen. Zum Streitstand vgl. § 52 m 3 c, cc, Fall 2. 476 Vgl. dazu BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 112; WEISENSEE Die Kreditkarte - ein amerikanisches Phänomen, 1970, S. 93 ff. 477 Vgl. auch GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 9; OTTO wistra 1986 S. 152; DERS. JZ 1992 S . 1 1 3 9 f ; RANFT JUS 1 9 8 8 S . 6 8 0 f ; DERS. N S t Z 1993 S . 185 f . - A . A . B G H S t 3 8 S . 2 8 1 ; ACHEN-

BACH NStZ 1993 S. 429 f; BERNSAU Scheckkartenmißbrauch, S. 210 f; MrrsCH JR 1994 S. 885 f; LACKNER S t G B , § 2 6 6 b R d n . 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 5 R d n . 7 2 .

478 Vgl. BGH MDR 1992 S. 321 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 266 b/2. - A.A. MrrsCH JZ 1994 S. 887.

262

Die Vermögensenlziehungsdelikte

c) Der Kartenmißbrauch muß zu einem Schaden des Kartenausstellers geführt haben, und zwar zu einem Vermögensschaden. Der Gesetzgeber hat mit diesem Erfordernis klargestellt, daß - unabhängig von der Einordnung des Kartenmißbrauchs als Betrug oder Untreue - die Regelung des § 266 b StGB jene Lücke schließen soll, die bei der Anwendung dieser Bestimmungen - sei es angeblich oder realiter - offenbar wurde. Darüber hinaus begrenzt das Schadenserfordernis aber auch den Kreis der strafrechtlich relevanten Mißbrauchsfälle. Entsprechend der Schadensbestimmimg beim Untreuetatbestand ist nämlich auch hier der Schaden abzulehnen, wenn der Täter einen Scheckkartenscheck begibt, obwohl sein Konto weder durch Guthaben oder Kredit gedeckt ist, er aber jederzeit willig und fähig ist, für Deckung zu sorgen; vgl. dazu II 3 b. Bei der Verwendung der Kreditkarte stellt sich diese Problematik nicht in gleicher Weise, da es hier an einem Mißbrauch fehlt, wenn der Karteninhaber bei Begründung der Verpflichtung davon ausgeht, daß er für den Ausgleich seines Kontos sorgen kann. Nur dort ergibt sich die Problematik, wo dem Karteninhaber ein bestimmtes Limit gesetzt ist, das er nicht überschreiten darf. 5. Der subjektive Tatbestand Subjektiv fordert der Tatbestand Vorsatz des Täters. - Der Vorsatz - bedingter genügt muß das Bewußtsein des Mißbrauchs der Möglichkeit, den Kartenaussteller zur Zahlung zu veranlassen, und die Schädigung des Vermögens des Kartenausstellers umfassen. Geht der Täter aufgrund konkreter Sachverhaltsgegebenheiten davon aus, daß das Konto Deckung aufweist oder er ohne weiteres in der Lage ist, für Deckung zu sorgen, so fehlt es am Vorsatz, auch wenn es zum Schadenseintritt kommt. Allein vage Hoffnungen und Vermutungen, daß Deckung ermöglicht werden könne, schließen den Vorsatz hingegen nicht aus. 6. Antragseifordernis Abs. 2 erklärt § 248 a (Antragserfordernis bei geringem Schaden) für entsprechend anwendbar. 7. Konkurrenzen a) Sonderregelung gegenüber §§ 263, 266 Aufgrund des auch im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen Willens des Gesetzgebers, durch den neuen Tatbestand die durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Anwendung des Betrugs- und des Untreuetatbestandes zum einen (Kreditkartenmißbrauch) eröffnete, zum anderen (Scheckkartenmißbrauch) befürchtete Strafbarkeitslücke zu schließen, ist § 266 b beim Kartenmißbrauch durch den berechtigten Inhaber als lex specialis gegenüber §§ 263, 266 anzusehen.479 Die Sonderregelung greift auch bezüglich des Versuchs durch. Es ist nicht möglich, den nicht strafbaren Versuch des Scheck- und Kreditkartenmißbrauchs als strafbaren Versuch des Betrugs oder der Untreue zu ahnden. 4 8 0

479 So auch: BGH NStZ 1987 S. 120; BGH NStZ 1993 S. 283; KG JR 1987 S. 257; OLG Hamm MDR 1 9 8 7 S . 5 1 4 ; DREHER/TRÖNDLE, § 2 6 6 b R d n . 9; GEPPERT J u r a 1987 S . 165; OTTO w i s t r a 1 9 8 6

S. 153; WEBER NStZ 1986 S. 484.

480 Vgl. auch LACKNER StGB, § 266 b Rdn. 9.

§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte

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b) Verhältnis zur deliktischen Erlangung der Karte Hat der Täter die Scheck- oder Kreditkarte im Drei-Partner-System bereits durch Täuschung über seine Zahlungswilligkeit und/oder -fähigkeit erlangt, so liegt in diesem Verhalten ein Betrug. Die Möglichkeit, den Kartenaussteller jederzeit nach eigenem Gutdünken mit einer Zahlungsverpflichtung belasten zu können, stellt eine Vermögensbelastung und damit ein Vermögensschaden dar. 481 Bei der Erlangung einer Kreditkarte im Zwei-Partner-System ist eine Aber den Wert der Karte hinausgehende Schädigung abzulehnen, da diese Karte nicht die Möglichkeit einer Verpflichtung des Kartenausstellers unabhängig von seinem Willen e r ö f f n e t . ^

Gegenüber dem in der Erlangung der Karte liegenden Betrug stellt der Mißbrauch der Karte eine mitbestrafte Nachtat dar.483

IV. Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 2 1. Das geschützte Rechtsgut Im Gegensatz zu § 266 a Abs. 1, 3, die das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten schützen - dazu § 61 V 1 -, handelt es sich bei § 266 a Abs. 2 um ein Delikt gegen das Vermögen des Arbeitnehmers.484 2. Die Täterposition a) Täter kann nur der Arbeitgeber oder eine ihm gleichgestellte Person sein. - Die Täterposition charakterisiert jedoch nicht eine besondere Pflichtenstellung des Täters, sondern nur die Nähe zum geschützten Rechtsgut. Sie ist daher nicht besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. I. 485 Der Begriff des Arbeitgebers ist zivilrechtlich zu bestimmen, da der Tatbestand eine zivilrechtlich wirksame Lohnzahlungspflicht voraussetzt. b) Als Täter kommen demnach in Betracht: Arbeitgeber, d.h. nach §§611 ff BGB Dienstberechtigte, denen der Arbeitnehmer Dienste leistet und von denen er persönlich abhängig ist, Organe und Vertreter im Sinne des § 14 sowie nach Abs. 4 dem Arbeitgeber gleichgestellte Personen, die in §§ 1, 2 HeimArbG näher beschrieben sind. 3. Die Tathandlung Gegenstand der Tathandlung sind Teile des Arbeitsentgelts, die nicht unter Abs. 1 oder Abs. 2 S. 2 (Lohnsteuer) fallen, die der Arbeitgeber einbehält und die für den Arbeit-

481 Für die Kreditkarte vgl. BGHSt 33 S. 246 (schadensgleiche Vennögensgefährdung); BGH bei Holtz, M D R 1991 S. 105; OTTO J Z 1985 S. 1008. - A . A . BRINGEWAT N S t Z 1985 S. 5 3 6 ; LABSCH N J W 1986 S. 1 0 5 . - F ü r die Scheckkarte vgl. LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 3 2 6 ; SEEBODE J R 1 9 7 3 S . 119. 4 8 2 D a z u B G H w i s t r a 1989 S. 6 1 mit A n m . OTTO J K 89, S t G B § 2 6 3 / 2 9 . 4 8 3 V g l . a u c h KÜPPER N S t Z 1988 S. 6 1 f; LACKNER StGB, § 2 6 6 b R d n . 9; SCHLÜCHTER Z w e i t e s G e setz, S . 117. - A . A . ( I d e a l k o n k u n e n z ) DREHER/TRÖNDLE § 2 6 6 b R d n . 9 ; WEBER J Z 1 9 8 7 S . 2 1 6 . 4 8 4 V g l . B T - D r u c k s . 10/5058 S. 3 1 ; O L G Celle N J W 1992 S. 190; LACKNER StGB, § 2 6 6 a R d n . 1; MARTENS w i s t r a 1986 S. 155; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 a R d n . 2 . 4 8 5 So a u c h : LACKNER StGB, § 2 6 6 a R d n . 2; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 6 a R d n . 2 0 . - A . A . SAMSON SK, § 2 6 6 a Rdn. 5 7 .

264

Die Vermögensentziehungsdelikte

nehmer an einen anderen zu zahlen sind. Die Pflicht zur Abführung kann privat- oder öffentlichrechtlich begründet sein. Einbehalten sind Lohnteile, zu denen auch vermögenswirksame Leistungen gehören, wenn nur ein um die entsprechenden Teile gekürzter Lohn ausgezahlt wird. - Nicht gezahlt ist der Lohn, wenn die Zahlung nicht bei Fälligkeit erfolgt. Zur Nichtzahlung des einbehaltenen Lohnes muß hinzukommen, daß der Arbeitgeber es unterläßt, spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden, den Arbeitnehmer von der Nichtzahlung zu unterrichten. Die Unterrichtung kann sowohl schriftlich, mündlich, ausdrücklich als auch konkludent geschehen. - Vollendet ist die Tat, wenn die Unterrichtung des Arbeitnehmers nicht bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt ist. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Vorsatz muß nicht nur die pflichtbegründenden Umstände, sondern auch das Bestehen der Zahlungspflicht selbst umfassen, da dem Täter ohne diese Kenntnis der soziale Sinngehalt seines Verhaltens nicht bewußt ist.486 J. Konkurrenzen Verwirklicht die Tathandlung zugleich den Tatbestand des Betruges, so wird § 266 a konsumiert.

§ 55: Strafbare Vermögensgeföhrdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen. Dieses wird durch Glücksspiel gefährdet. Dieser strafrechtliche Schutz vor der Gefährdung des eigenen Vermögens ist unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit schwersten Zweifeln ausgesetzt. Diese Zweifel gelten in gleicher Weise für sonst genannte Schutzgüter, nämlich die "wirtschaftliche Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft"487 und die Sicherung eines ordnungsgemäßen Spielablaufs488, da der Tatbestand nicht das Falschspiel erfaßt und als Schutzvorschrift im Vorfeld des Falschspieles keineswegs ein Straftatbestand nötig wäre. Ein Ordnungswidrigkeitentatbestand entspräche der Verhältnismäßigkeit. Die Streichung des Tatbestandes insgesamt wäre daher zu begrüßen. So begründet die Vorschrift lediglich den Verdacht, daß hier staatliche Einnahmequellen strafrechtlich garantiert werden.489 486 Vgl. auch: LACKNER StGB, § 266 a Rdn. 16; SCH/SCH/LENCKNER § 266 a Rdn. 17. - A.A. DREHER/TRÖNDLE § 2 6 6 a R d n . 2 1 .

487 Dazu BGHSt I I S . 209; BayObLG NJW 1993 S. 2820 mit Anm. LAMPE JUS 1994 S. 737 ff. 488 Dazu MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 44 Rdn. 2.

489 Dazu auch GÖHLER NJW 1974 S. 833, Fn. 127; HERZOG EzSt, StGB § 284 Nr. 2, S. 7 ff; LAMPE G A 1 9 7 7 S . 5 5 ; LANGE D r e h e r - F e s t s c h r i f t , S . 5 7 3 ff; DERS. G A 1953 S . 8 ff; PETERS Z S t W 7 7 (1965) S. 4 8 2 f.

§ 55 Strafbare Vermögensgefährdung

265

2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Als Glücksspiel ist ein Spiel anzusehen, bei dem die Entscheidung über Gewinn und Verlust nicht wesentlich von den Fähigkeiten und Kenntnissen und vom Grade der Aufmerksamkeit der Spieler bestimmt wird, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall. Der vereinbarte Gewinn muß einen Vermögenswert haben, und zwar einen - nach den Verhältnissen der Durchschnittsspieler - nicht ganz unbedeutenden. Beispiele: Roulette, Bakkarat, Würfeln um Geld, Spiel am Geldspielautomaten, Poker u.ä. Lotterie und Ausspielung sind Glücksspiele, jedoch in § 286 speziell geregelt. Keine Glücksspiele sind Geschicklichkeitsspiele, bei denen Aufmerksamkeit und Fähigkeiten eines Durchschnittsspielers wesentlich über Gewinn und Verlust entscheiden. - Wetten, soweit sie der Austragung ernster Meinungsverschiedenheiten dienen und nicht Spielcharakter haben, wie z.B. die Rennwette. Unterhaltungsspiele, tei denen der Gewinn nach der Verkehrsanschauung und den Verhältnissen der Spieler imbeträchtlich ist 4 9 0 ; das sog. Hütchenspiel ist daher nach den konkreten Umständen zu beurteilen. 1

b) Öffentlich ist das Glücksspiel, wenn beliebigen Personen in erkennbarer Weise die BeteUigung ermöglicht wird. - Gemäß § 284 Abs. 2 gelten Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden, als öffentlich. Gewohnheitsmäßig braucht nicht das Verhalten jedes einzelnen Spielers zu sein, es genügt, daß der Personenkreis aufgrund eines durch Übung ausgebildeten Hanges zum Glücksspiel zusammenkommt. c) Tathandlung ist nicht das Spielen selbst, sondern das Ermöglichen des Spieles als Veranstalter, Halter oder Bereitsteller von Spieleinrichtungen. Nach h.M. ist Veranstalter deijenige, der dem Publikum die Spielgelegenheit verschafft. Diese Definition bleibt jedoch zu ungenau, da es bei dem Veranstalter darauf ankommt, daß dieser nicht nur den Spielbetrieb ermöglicht, sondern auch regelt. Treffender ist es daher, als Veranstalter denjenigen anzusehen, "der die Herrschaftsgewalt über den Spielbetrieb ausübt"492, der "verantwortlich und organisatorisch den äußeren Rahmen für die Abhaltung des Spiels schafft"493. Als Halter ist dann deijenige anzusehen, der für den konkreten Spielverlauf verantwortlich ist und sich - je nach Spielart - in qualifizierter Form an diesem beteiligt, um das Spiel zu ermöglichen.494 Bereitstellen ist ein Zur-Verfügung-Stellen von Spieleinrichtungen (Würfel, Karten, Spieltisch). d) Die behördliche Erlaubnis schließt den Tatbestand aus. Die Erlaubnis braucht nicht materiell fehlerfrei zu sein, wohl aber verwaltungsrechtlich bestandskräftig. Hat der Täter die Erlaubnis allerdings bewußt rechtswidrig erlangt durch Täuschung, Bestechung o.ä., so rechtfertigt sie sein Tun nicht, er kann sich nicht auf den formellen Rechtsschein berufen, da er selbst diesen arglistig herbeigeführt hat. 490 Zur Kettenbriefaktion vgl. BGHSt 34 S. 171 ff m. Anm. LAMPE JR 1987 S. 383 ff; OTTO in: Ja-

cobs/Lindacher/Teplitzky, (Hrsg) Großkommentar zum UWG, 1991, § 6 c Rdn. 7 ff; RICHTER wistra 1 9 8 7 S. 2 7 6 ff.

491 Vgl. BGHSt 36 S. 74 ff; LG Frankfurt NJW 1993 S. 945 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 284/1. 4 9 2 MEURER/BERGMANN J u S 1 9 8 3 S . 6 7 2 .

493 BayObLG NJW 1993 S. 2820. 494 Im einzelnen dazu BayObLG NJW 1993 S. 2820; LAMPE JUS 1994 S. 737 ff; MEURER/BERGMANN JUS 1983 S . 672.

266

Die Vermögensentziehungsdelikte

e) Der Vorsatz - bedingter genügt - muß sich auf die Öffentlichkeit, die fehlende Erlaubnis und die das Glücksspiel charakterisierenden Merkmale beziehen.

II. Qualifikationstatbestand, § 284 Abs. 3 Ein qualifizierter Fall des Glücksspiels nach Abs. 1 liegt vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt - dazu oben § 41 I 2 c - oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung - dazu oben § 41 m 3 a - von Taten nach Abs. 1 verbunden hat.

III. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 284 a Beteiligung heißt Teilnahme als Spieler, d.h. Teilnahme an der Möglichkeit von Gewinn und Verlust.

IV. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, § 286 1. § 286 erfaßt - aus historischen Gründen - Lotterie und Ausspielung als spezielle Glücksspiele. 2. Lotterie und Ausspielung sind Glücksspiele, die nach einem vom Unternehmer einseitig festgelegten Spielplan, der den Spielbetrieb (Beteiligungsmöglichkeit, Durchführung des Spieles), einen festen Einsatz und die ausgesetzten Gewinne nach Höhe, Art und Reihenfolge der Gewjnnermittlung festlegt, gespielt werden. - Lotterie und Ausspielung unterscheiden sich darin, daß der Gewinn bei der Lotterie stets in Geld, bei der Ausspielung in geldwerten Sachen oder Leistungen besteht. 3. Veranstalten ist die Eröffnung der Möglichkeit zur Beteiligung am Spiel nach festgelegtem Spielplan. - Zur Öffentlichkeit der Veranstaltung vgl. oben I 2 b. Das Spiel im privaten Kreis ist selbst dann nicht öffentlich, wenn gelegentlich ein Gast in den Kreis aufgenommen wird. 495

V. Schiffsgefährdung durch Bannware, § 297 Die Vorschrift schützt Eigentum und Vermögen des Reeders, der nicht selber Täter sein kann.496 Schiffer ist der Kapitän, Schiffsmann ein Angehöriger der Besatzung.

495 Vgl. auch FRUHMANN M D R 1993 S. 822 ff; SCHILD NStZ 1982 S. 446 ff; SCHOENE NStZ 1991 S. 469 f . 496 Dazu SCHROEDER Z R P 1978 S. 12 f.

Dritter Abschnitt Die Perpetuierungsdelikte § 56: Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte Im Gegensatz zu den Vermögensentziehungsdelikten, die eine reale Minderung des Vermögens eines anderen voraussetzen, liegt der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte in der Beeinträchtigung des Vermögens dadurch, daß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrig geschliffene Vermögenslage aufrechterhalten wird.

1. Die verschiedenen Tathandlungen Drei Arten der Schädigung des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage erscheinen dem Gesetzgeber strafwürdig: a) Die Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage durch Verschaffung der Position des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung. b) Die Perpetuierung einer rechtswidrig geschaffenen Besitzlage durch Unterstützung des Vortäters in seinem Bestreben, aus der durch die Vortat erlangten Vermögensposition den materiellen Vorteil zu ziehen, der ihm am genehmsten ist. c) Die Sicherung der Stellung des Täters eines Vermögensentziehungsdelikts gegen Entziehung der Beute zugunsten des Berechtigten. 2. Die gesetzliche Regelung Im Gesetz selbst hat die Dreiteilung nur mittelbar Ausdruck gefunden. Der Gesetzgeber hat die beiden ersten Fallgruppen im Hehlereitatbestand zusammengefaßt und die dritte Gruppe als Begünstigung selbständig pönalisiert. Darüber hinaus hat er in beiden Tatbeständen eine weitere Strafbarkeitsbegrenzung durch das Erfordernis bestimmter Einstellungen des Täters zu seinem Verhalten vorgenommen: Nur dann, wenn der Täter sich oder einen Dritten bereichern will, macht er sich einer Hehlerei schuldig. Die Begünstigung hingegen erfordert ein Handeln im Interesse des Vortäters. 3. Perpetuierungsdelikt und Vortat Da das Perpetuierungsdelikt notwendig ein Vermögensentziehungsdelikt voraussetzt, bedeutet das: a) Vortat eines Perpetuierungsdelikts kann nur ein Delikt sein, das fremde Vermögensinteressen verletzt hat, und zwar durch Entziehimg jener Vermögensgüter, auf die sich das Perpetuierungsverhalten des Täters bezieht. In diesen Kreis gehören zunächst die Delikte gegen Vermögensinteressen im engeren Sinne, wie z.B. Betrug, Erpressung, Untreue, Unterschlagung, Diebstahl, Raub, Wilderei und - hier kommt Hehlerei an eigenen Sachen in Betracht - Pfandkehr, sodann aber auch jene Delikte, die neben einem vorrangig geschützten anderen Rechtsgut auch dem Schutz von Vermögensinteressen dienen, wie z.B. die Wirtschaftsdelikte. - Der Versuch eines einschlägigen Delikts genügt, soweit er bereits zu der rechtswidrigen Besitzlage geführt hat.

§ 56 Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte

267

Nach allgemeiner Ansicht^ soll auch Hehlerei als Vortat genügen. Das ist im Ergebnis richtig, dennoch aber schief gesehen. Die Hehlerei als Vortat genügt nämlich nur, weil bereits diese Hehlerei die vor der ersten Hehlerei durch ein Vermögensentziehungsdelikt geschaffene rechtswidrige Vermögenslage aufrechterhält. Keine geeigneten Vortaten der Perpetuierungsdelikte sind hingegen: Meineid, Urkundenfälschung, Landfriedensbruch, Gewahrsams- oder Arrestbruch, Bestechung usw. In diesen Fällen ist die Vermögensentziehung nicht durch ein Vermögensentziehungsdelikt eingetreten, sondern durch ein Verhalten, das - je nach den Umständen mehr oder minder zufällig - mit der strafbaren Verletzung eines ganz anderen Rechtsguts zusammenfiel. - Steht dieses Delikt in Idealkonkurrenz mit einem Vermögensentziehungsdelikt, oder konsumiert es dieses, so ändert das an dem Vorliegen des Vermögensentziehungsdelikts nichts. Ein nicht gegen das Vermögen gerichtetes Delikt kann jedoch nicht Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein, auch wenn es im Einzelfall einmal zu einer - als Vermögensentziehungsdelikt nicht strafbaren - Vermögensentziehung führt. Auch die herrschende Meinung erkennt bei jenen Delikten, die sich ausschließlich gegen öffentliche Interessen richten, an, daß diese Delikte, auch wenn sie im Einzelfall Vermögensinteressen berühren, nicht geeignete Vortaten eines Perpetuierungsdelikt sein können, weil hier nicht der Sachentzug unter Strafe gestellt i s t / Leider hält die herrschende Meinung die Unterscheidung nicht durch und argumentiert in Einzelfällen nicht mehr von der unter Strafe gestellten Sachentziehung her, sondern stellt auf die - unter Umständen zufällige - Verletzung von Vermögensinteressen ab. Danach sollen z.B. Meineid (BGHSt 6 S. 221), Urkundenfälschung3, Nötigung (BGH bei Daliinger, MDR 1972 S. 571) geeignete Vortaten sein.

b) Durch die Neufassung des Gesetzes (EGStGB 1975) wurde die Absicht des Gesetzgebers deutlich, die Begünstigung - im Gegensatz zur Hehlerei - nicht als Vermögensdelikt zu interpretieren. Es wird nämlich im Tatbestand der Begünstigung im Gegensatz zu dem der Hehlerei keine Verletzung fremden Vermögens durch die Vortat vorausgesetzt, und die zu sichernden Vorteile brauchen keine Vermögensvorteile zu sein; gleichwohl verdient auch hier eine restriktive Interpretation des Gesetzes mit der Konsequenz, § 257 als Vermögensdelikt aufzufassen, den Vorzug; dazu unter § 57 I. c) Der Eigentumserwerb des Vortäters steht grundsätzlich weder einer Hehlerei noch einer Begünstigung entgegen. Auch der Betrug, durch den der Vortäter vollwirksam Eigentum an der erschlichenen Sache erlangt, kann daher Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein. Wo das Gesetz hingegen den Eigentumserwerb derart billigt, daß es dem z.B. durch eine Unterschlagung Verletzten keine Möglichkeit gibt, im Rechtswege die betroffenen Sachen herauszuverlangen - Eigentumserwerb nach § 950 BGB -, sondern ihn auf Geldersatz verweist, fehlt es an der für Hehlerei und Begünstigung nötigen rechtswidrigen Besitzlage. Die Verarbeitung hat nach verständiger Wertung eine neue Sache entstehen lassen, die nicht mit dem "Makel einer rechtswidrigen Tat" belastet ist. d) Das Perpetuierungsdelikt knüpft seinem Wesen nach an das Vermögensentziehungsdelikt an. - Daraus zieht die h.M. die Folgerung, die Vortat müsse rechtlich abgeschlossen sein, bevor das Perpetuierungsdelikt begangen werden kann. Das ist grundsätzlich richtig, doch bedarf die Art der Aufeinanderfolge je nach der Art der Anschlußtat der Präzisierung; dazu zur Begünstigung unten § 57 II 1 a; zur Hehlerei unten § 58 12 c.

1 2 3

Dazu BGHSt 33 S. 48. Zur h.M. vgl. LACKNER StGB, § 259 Rdn. 5; RUfl LK, 11. Aufl., § 259 Rdn. 5; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 Rdn. 9 . RUB LK, 11. Aufl., § 259 Rdn. 5; a.A. SIPPEL NStZ 1985 S. 349.

268

Die Perpetuierungsdelikte

4. Unrechtsbewußtsein des Täters der Vortat Nach dem Gesetzeswortlaut muß die Vortat eine rechtswidrige, daher eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, nicht notwendig schuldhafte Straftat sein. Problematisch ist die Frage, ob Unrechtsbewußtsein bei der Vortat vorauszusetzen ist. Wird nämlich das Unrechtsbewußtsein mit dem Bewußtsein rechtswidrigen Verhaltens identifiziert und gemäß § 17 als Schuldelement angesehen, so ist dieses Unrechtsbewußtsein nicht Voraussetzung der Vortat.4 - Sieht man hingegen in § 17 nur das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im engeren Sinne des Bewußtseins formeller Rechtswidrigkeit gerade im Gegensatz zum Bewußtsein der materiellen Rechtswidrigkeit (Sozialschädlichkeit) erfaßt und interpretiert das materielle Unrechtsbewußtsein als Element des Unrechtstatbestandes5, so erfordert die Hehlerei eine Vortat, die der Täter mit diesem Bewußtsein begangen hat, bzw. soweit eine fahrlässige Vermögensentziehung als Vortat in Betracht kommt, z.B. § 264 Abs. 3 (Leichtfertigkeit), die Möglichkeit des Täters, sich des materiellen Unrechts seiner Tat bewußt zu werden.6 Das erscheint sachlich angemessen, denn die Hehlerei knüpft an die deliktische Vermögensentziehung an und perpetuiert damit nicht nur die schlicht rechtswidrige Vermögensentziehung. Die deliktische Vermögensentziehung erhält ihren vollen Sinngehalt aber durch das Unrechtsbewußtsein des Täters des Vermögensentziehungsdelikts.7

II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte 1. Der Täter sichert die Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes im Interesse des Vortäters: Begünstigung, § 257. 2. Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Stellung eines Vermögensentziehungstäters oder hilft dem Vortäter beim Beuteabsatz, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen: a) Der Täter weiß, daß die Sachen durch eine strafbare Handlung erlangt sind: Hehlerei, § 259 - Qualifizierung: § 260. b) Der Täter - Täterkreis begrenzt - verkennt fahrlässig, daß die Sachen - Edelmetalle und Edelsteine - durch strafbare Handlung erlangt sind: fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO.

4

Vgl. BGHSt 4 S. 78; BERZ Jura 1980 S. 58; JESCHECK GA 19SS S. 104; ROTH Eigentumsschutz nach der Realisierung von Zueignungsunrecht, 1986, S. 125 ff; STREE JUS 1963 S. 429.

5

D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 7 V .

6 7

Im Ergebnis gleich; OLG Hamburg NJW 1966 S. 2228; BOCKELMANN B.T./l, § 22 II 2 b, bb. Dazu im einzelnen: OTTO Struktur, S. 322.

§ 57 Begünstigung

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§ 57: Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen.8 Nach h.M. schützt § 257 nicht das Vermögen, sondern "das durch die Vortat verletzte einzelne Individual- oder Gemeinschaftsgut und die Geltung der durch die Vortat verletzten Strafhorm einschließlich aller dadurch gesicherten Rechtsgüter" (AMELUNG). 9 Diese Interpretationen machen aus der Begünstigung ein in Angriffs- und Schutzrichtung farbloses, weitgehend unbestimmtes und kriminalpolitisch in Teilbereichen überflüssiges Delikt. - Der Gewinn hingegen ist gering, denn in der Regel der Fälle ist die Vortat in der Praxis ein Vermögensdelikt; vgl. E 1962, Begründung S. 455. Darüber hinaus bereitet die Anwendung des § 257 Abs. 4 dogmatische Schwierigkeiten, vgl. unter HL 2. Die Deliktsnatur Da der Eintritt des Erfolges der Hilfeleistung nicht vorausgesetzt wird, sondern als Hilfeleistung ein Verhalten angesehen wird, das objektiv geeignet ist, dem Vortäter die Vorteile der Vortat zu sichern - vgl. dazu im einzelnen II 1 b -, handelt es sich bei der Begünstigimg um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.10

II. Einzelheiten des Tatbestandes 1. Der objektive Tatbestand a) Die Tathandlung knüpft an die rechtswidrige Tat eines anderen (Vortäter) an, die diesem - nach der hier vertretenen Ansicht - einen Vermögensvorteil gebracht hat. Der Begünstigungserfolg, die Verbesserung der Täterposition gegen Entziehimg des Vorteils zugunsten des Berechtigten, darf frühestens nach Vollendung der Vortat eintreten, auch wenn die Handlungen schon vorher vorgenommen wurden. Doch ist darüber hinaus zu fordern, daß die Tat auch beendet war, denn eine Unterstützung des Vortäters vor Beendigung der Vortat stellt sich als Beihilfe zu dieser Vortat dar, nicht aber als Begünstigung.11

8

Vgl. auch GEERDSGA 1988 S. 263.

9

Dazu vgl. AMELUNG JR 1978 S. 227 ff, inbes. S. 231; DREHER/TRÖNDLE Vor § 257 Rdn. 2; GEPPERT Jura 1980 S. 270; KREY B . T . 1, Rdn. 629 f; LACKNER StGB, § 257 R d n . 1; SCH/SCH/STREE

§ 257 Rdn. 1; VOGLER Dreher-Festschrift, S. 414; ZLPF JuS 1980 S. 25. - Zum Teil wird der Schutz auf Individualinteressen beschränkt, vgl. SAMSON SK, § 257 Rdn. 5; zum Teil wird das Strafrecht selbst als geschützt angesehen; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 14.

10 11

Vgl. auch: BGH bei Holtz, MDR 1985 S. 447 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 257/2; GEERDS GA 1988 S. 259. Gleichfalls für die Möglichkeit einer Begünstigung erst nach Beendigung der Haupttat: GEERDS v. Hentig-Festschrift, S. 155 f; GEPPERT Jura 1994 S. 443; LAUBENTHAL Jura 1985 S. 632 f; SCH/SCH/STREE § 257 Rdn. 8; VOGLER Dreher-Festschrift, S. 417. - Hingegen lassen im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung der Tat den Willen des Helfenden entscheiden, ob sein Verhalten als Beihilfe oder Begünstigung zu beurteilen ist: BGHSt 4 S. 133; OLG Köln NJW 1990 S. 588; BAUMANN JuS 1963 S. 54. - Aufgrund der Ablehnung der Möglichkeit einer Beihilfe nach

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Die Perpetuienmgsdelikte

Zur Verdeutlichung: Fall 1: Der Hundezüchter A leiht dem Einbrecher E seine läufige Dackelhündin, damit diese ihre männlichen Artgenossen in den Villen, in die E einbricht, ablenkt. Ergebnis: Beihilfe des A zum Diebstahl des E, §§ 27, 242, 243 Abs. 1 Nr. 1. Fall 2: Als E aus einer Villa hinaus will, in der er eine goldene Taschenuhr gestohlen hat, lenkt A den Wachhund des Villenbesitzers mit seiner Dackelhündin ab, so daß E gefahrlos entwischen kann. Ergebnis: Wie Fall 1: Diebstahl zwar formell vollendet, aber noch nicht materiell beendet. Fall 3: Als A sieht, daß drei Stunden nach der Tat mit einem Polizeihund versucht wird, die Spur des Einbrechers E aufzunehmen, lenkt er den Hund mit seiner Dackelhündin ab, um E den Besitz der Beute zu erhalten. Ergebnis: Begünstigung des E, § 257. Fall 4: Wie Fall 3, aber A hatte dem E diese Art der Vorteilssicherung schon vor der Tat versprochen. Ergebnis: Beihilfe des A zum Diebstahl des E, §§ 27, 242, 243 Abs. 1 Nr. 1. - Die - zugesagte - Hilfeleistung wirkt sich bereits auf die Tat aus und fördert diese. ^

b) Hilfeleisten ist ein Verhalten, durch das die Chancen des Vortäters in bezug auf die Vorteilssicherung objektiv verbessert werden und das subjektiv darauf abzielt, die durch das Vermögensentziehungsdelikt begründete Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu sichern. - Das Verhalten braucht nicht endgültig zum Erfolg zu führen, denn Hilfeleistung liegt bereits in jeder Förderung der Chancen des Täters, die Beute zu behalten,13 2. Der subjektive Tatbestand a) Der zumindest bedingte Vorsatz muß die Vortat in ihren groben Zügen umfassen. Der Täter muß wenigstens eine allgemeine Vorstellung von der Art des Delikts haben.14 b) Die Absicht, dem Vortäter die Vorteile der Tat zu sichern, soll nach h.M. zielgerichtetes Wollen sein. Dem Täter muß es auf den Erfolg ankommen, auch wenn er noch weitere Zwecke neben der Vorteilssicherung verfolgt.15 Diese Differenzierung zwischen dem Täter, dem es darauf ankommt, dem Vortäter die Vorteile zu sichern, und jenem, der genau weiß, daß er dem Vortäter diese Vorteile sichert, überzeugt nicht. Absicht i.S. des § 257 liegt daher vor, wenn der Täter die Vorstellung hat, die Vorteilssicherung werde die sichere Folge seines Verhaltens sein. 16 c) Die Absicht in diesem Sinne muß darauf gerichtet sein, dem Vortäter die Vorteile der Vortat, d.h. die unmittelbar durch die Vortat erlangten Vorteile gegen ein Entziehen zu-

12 13

14

S. 588; BAUMANN JUS 1963 S. 54. - Aufgrund der Ablehnung der Möglichkeit einer Beihilfe nach Vollendung der Tat sehen die Hilfeleistung zur Tat grundsätzlich als Begünstigung an: ISBNBECK NJW 1965 S. 2326 ff; Ruß LK, 11. Aufl., § 257 Rdn. 5. Vgl. BGH wistra 1994 S. 94. So auch: B G H S t 4 S. 224; O L G Düsseldorf N J W 1979 S. 2 3 2 0 ; GEERDS G A 1988 S. 2 5 9 ; GEPPERT

Jura 1980 S. 274 ff; LACKNER StGB, § 257 Rdn. 3; LENCKNER NStZ 1982 S. 403; VOGLER DreherFestschrift, S. 421; ZIPF JuS 1980 S. 26 f. - A.A. SEELMANN JUS 1983 S. 34 (subjektive Hilfeleistungstendenz genügt). Dazu OLG Hamburg NJW 1953 S. 1155; OLG Düsseldorf NJW 1964 S. 2123.

15

V g l . z . B . B G H S t 4 S. 108 ff; B G H StV 1993 S. 2 7 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 5 7 R d n . 9; HRUSCHKA J R 1980 S. 225; LACKNER StGB, § 2 5 7 R d n . 5 f; RUB L K , 11. A u f l . , § 2 5 7 R d n . 18; ZIPF J u S 1980 S. 2 6 f.

16

D a z u OEHLER N J W 1966 S. 1637; SCH/SCH/STREE § 2 5 7 R d n . 2 2 .

§ 57 Begünstigung

271

gunsten des Verletzten zu sichern. Der Begriff des Vorteils ist in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu ermitteln, er ist nicht beschränkt auf eventuell unmittelbar durch die Vortat erlangte Objekte. Umwechseln von Geld, Einlösen von Schecks und Transferieren auf unterschiedliche Konten sind Hann Handlungen zur Vorteilssicherung, wenn sie die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes verhindern oder erschweren können. 1 '

Vorteilssicherung ist Sicherung gegen Wiederherstellung der rechtmäßigen Vermögenslage, z. B. durch Vereitelung des Zugriffs auf die Beute18 oder der Rückforderung des Opfers19. - Bloßes Erhalten der Sache - der Täter verhindert die Vernichtung der Sache durch Dritte oder durch Naturgewalt -, Ermöglichung der Ziehung von Gebrauchsvorteilen - Reparatur der gestohlenen Uhr -, Verkauf oder Verzehr, sind nur dann Begünstigungshandlungen, wenn damit der drohende Zugriff durch den Berechtigten vereitelt werden soll. - Stets setzt die Vorteilssicherung den Besitz des Vortäters voraus.20 3. Die Selbstbegünstigung, § 257Abs. 3 Die Selbstbegünstigung fällt nicht unter § 257 Abs. 1: "... einem anderen ...". - Klargestellt ist in Abs. 3, daß auch Mittäter und Teilnehmer an der Vortat nicht wegen Begünstigung strafbar sind, soweit sie nicht einen Tatunbeteiligten zur Begünstigung anstiften, § 257 Abs. 3 S. 2. a) Die Straffreiheit der Selbstbegünstigung beruht auf der Einsicht, daß die Motivationskraft einer Strafhorm in der Situation der genannten Personen gering ist und die Gesamtsituation der einer Vortat und der mitbestraften Nachtat entspricht. - Daß der Bestrafung aus der Vortat u. U. prozessuale Hindernisse entgegenstehen, ändert die Sachlage nicht. b) Die Strafbarkeit wegen Anstiftung eines Tatunbeteiligten zur eigenen Begünstigung ist mit dem Strafgrund der Teilnahme - mittelbare Rechtsgutsgefährdung21 - nicht in Einklang zu bringen. Zwar ist die Regelung kein Verstoß gegen die Logik des Gesetzes oder den Schuldgrundsatz, wohl aber, gemessen an den Gründen, die zur Straflosigkeit der anderen Tatbeteiligten führen, eine grob sachwidrige Regelung.22

III. Die Regelung des § 257 Abs. 4 1. Das Antragserfordemis Das Antragserfordemis gemäß § 257 Abs. 4 S. 1 ist logische Folge des Bezugs der Begünstigung zur Vortat.

17

V g l . B G H N J W 1990 S . 9 1 8 m i t A n m . GEPPERT J K 9 0 , S t G B § 2 5 7 / 4 .

18 20

BGH wistra 1993 S. 17. BGH StV 1994 S. 185. Vgl. dazu BGHSt 24 S. 166, BGH NStZ 1994 S. 187.

21

D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 I c , b b .

22

D a z u OTTO L a n g e - F e s t s c h r i f t , S . 2 1 4 ; STREB J u S 1976 S . 138; WOLTER JUS 1 9 8 2 S . 3 4 7 f .

19

272

Die Perpetuierungsdelikte

2. Die Anwendung des § 248 a a) Die sinngemäße Anwendung des § 248 a gemäß § 257 Abs. 4 S. 2 ist nach den hier gesetzten Prämissen unproblematisch. Es kommt nicht darauf an, daß die Vortat selbst unter § 248 a fällt, denn der Bezug zur Strafe der Vortat wird bereits durch § 257 Abs. 2 hergestellt. § 248 a findet vielmehr Anwendung, wenn der Vorteil aus dem Vermögensentziehungsdelikt geringwertig i.S. des § 248 a ist, d.h. letztlich, wenn sich die Vorteilssicherung auf einen geringwertigen Vermögensvorteil bezieht.23 b) Nach den Prämissen der h.M., die § 257 nicht als Vermögensdelikt interpretiert, muß § 248 a sinngemäß auf alle Vorteile, d.h. auch auf unbedeutende Vorteile nichtvermögensrechtlicher Art, angewendet werden. Damit steht der Begünstigende bei Nicht-Vermögensdelikten als Vortat erheblich günstiger als der Teilnehmer der Vortat, ohne daß für diese Differenzierung ein überzeugender Grund vorhanden wäre. Soweit versucht wird, dieser Konsequenz - entgegen den Prämissen in der Rechtsgutsbestimmung - auszuweichen und § 257 Abs. 4 S. 2 nur auf geringfügige Vermögensdelikte anzuwenden, wird letztlich § 257 Abs. 4 S. 2 für überflüssig erklärt, denn durch den Bezug zur Strafe der Vortat gemijß Abs. 2 ist ein weiterer Bezug auf bestimmte Vortaten nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht angebracht.

§ 58: Hehlerei I. Hehlerei, § 259 1. Das geschützte Rechtsgut und der Strafgrund Geschütztes Rechtsgut der Hehlerei ist das Vermögen. - Strafgrund ist die Aufrechterhaltung einer durch ein tatbestandsmäßig rechtswidriges Vermögensentziehungsdelikt geschaffenen rechtswidrigen Besitzlage im Einverständnis mit dem Vortäter. Die Gegenansicht - kumulativer Schutz von Vermögens- und allgemeinem Sicherheitsinteresse^ - hat die Eigenständigkeit des Sicherheitsinteresses bisher nicht überzeugend dargetan.

2. Täter und Tatsituation a) Der Täter der Hehlerei Der Vortäter ist als Hehler nach dem Wortlaut des Gesetzes: "Wer eine Sache, die ein anderer ...", ausgeschlossen. Eindeutig ist damit auch, daß ein Mittäter der Vortat nicht durch die Erlangung seines Beuteanteils Hehlerei begeht, denn die Konstruktion der Mittäterschaft beruht auf der Vorstellung, daß in einem bestimmten Bereich mehrere Personen als eine einzige angesehen werden, so daß hier davon ausgegangen wird, alle Mittäter hätten durch die Tat Verfügungsmacht über die Beute erlangt, unabhängig davon, ob einer oder alle Mittäter die Beute oder Teile davon bei der Tat unmittelbar in Besitz genommen haben. Zur Ausnahme bei der sog. Postpendenzfeststellung vgl. unten § 59, 1.

23

So auch: LACKNER StGB, § 257 Rdn. 10; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 101 Rdn. 13; VOGLER Dreher-Festschrift, S. 420. - A . A . DREHER/TRÖNDLE § 2 5 7 R d n . 14 a; STREB JuS 1976 S. 139.

24

Anders aber: DREHER/TRÖNDLE § 257 R d n . 14 a; STREE JUS 1976 S. 139.

25

Vgl. RUDOLPHI J A 1981 S. 4 f; SEELMANN JuS 1988 S. 39.

§ 58 Hehlerei

273

Da nach der jetzigen Gesetzesfassung der Täter der Vortat schlechthin als Täter der Hehlerei ausgeschlossen ist, muß dies auch für den Fall gelten, daß der Mittäter der Vortat nach der Beuteteilung den Beuteanteil eines anderen Mittäters erwirbt oder nach Veräußerung der eigenen Beute diese vom Käufer zurückerwirbt. Auch in diesen Fällen handelt es sich um einen Erwerb des Täters der Vortat, d.h. jener Person, die für die Vermögensentziehung und damit auch für den rechtswidrigen Besitzzustand bereits wegen des Vermögensentziehungsdelikts haftet.26 Offen läßt die Neufassung des Gesetzes jedoch die Streitfrage, ob Anstifter und Gehilfen der Vortat, die im Anschluß an die Vortat Hehlereihandlungen begehen, nicht nur der Teilnahme an der Vortat, sondern auch der Hehlerei schuldig sind. Einerseits haften die Teilnehmer der Vortat wegen der Vermögensentziehung, für die sie mittelbar mitverantwortlich sind. Gerade dann, wenn es ihnen bereits bei der Teilnahme an der Vortat um den Besitz der Beute ging, ist ihre Verantwortung für die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes offensichtlich. Andererseits haben sie die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes nur gefördert, nicht selbst durchgeführt. Insofern bleibt ein gewisser Freiraum, der es konstruktiv ermöglicht, sie selbst wegen der Perpetuierung der rechtswidrigen Besitzlage neben der Verantwortung für die Vermögensentziehimg haften zu lassen.27 b) Die Vortat Die Vortat muß eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, auf Vermögensentziehung gerichtete, nicht notwendig schuldhafte Tat sein; dazu im einzelnen oben § 56 I 3. c) Das Verhältnis der Vortat zur Hehlerei Das Gesetz fordert als Hehlereiobjekt eine Sache, die der Vortäter durch seine Vortat erlangt hat. Durch die Vortat erlangt ist die Sache, wenn der Täter, sei es auch nur als Mitgewahrsamsinhaber, sie in seine tatsächliche Sachherrschaft gebracht hat und zwar vor Beginn der Hehlerei. Grundsätzlich besteht daher Übereinstimmung, daß die Vortat abgeschlossen sein muß, bevor die Hehlerei begangen werden kann. Dieser Grundsatz führt aber nicht zwingend zu der Konsequenz, daß zeitlich ein Zwischenraum zwischen Vortat und Hehlerei liegen muß, auch wenn dies der Regelfall sein wird. Es genügt vielmehr, daß sich die Hehlerei bei wertender Betrachtungsweise deshalb als Anschlußtat an die Tat des Vortäters darstellt, weil sie gleichsam die Kehrseite dieser Tat ist, an deren Existenz angeknüpft wird. Genauso wie z.B. Übergabe und Annahme bei der Übereignung einen einheitlichen Vorgang bilden können, obwohl sie rechtlich gesehen aneinander anschliessen, können auch Vortat und Hehlerei einen zugleich einheitlichen und dennoch aneinander anschließenden Akt bilden. Sie schließen nur unmittelbar aneinander an, es fehlt die dazwischenliegende zeitliche Zäsur. Gerade diese ist aber keineswegs erforderlich dafür, daß von einem Anschluß des einen an das andere gesprochen werden kann. - Ob die bei dem deliktischen Geschehen zusammenwirkenden Personen allerdings gemeinsam

26

27

So auch DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 26; LACKNER StGB, § 259 Rdn. 18; OTTO Jura 1985 S. 152;

RUB LK, 11. Aufl., § 259 Rdn. 41 - A. A. GEPPERT Jura 1994 S. 103 f. So auch: BGHSt 7 S. 134; 22 S. 207; 33 S. 50; DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 26; LACKNER StGB, § 259 Rdn. 18; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALÜ B.T. 1, § 39 Rdn. 46; RUB LK, 11. Aufl., § 259 R d n . 4 2 ; WESSELS B . T . - 2 , R d n . 8 2 6 . - A . A . OELLERS G A 1 9 6 7 S . 15; SEELMANN JUS 1 9 8 8 S . 4 2 . -

Differenzierend: SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 56 f.

274

Die Perpetuierungsdelikte

eine Vermögensentziehung durchführen oder der eine die Beute des anderen in Empfang nimmt, ist wertend zu ermitteln. OLG Stuttgart JZ 1960 S. 289 mit Anm. MAUSACH S. 290 f: A hat eine Sache des X in Besitz. B erkundigt sich, ob A ihm diese veräußere. A sagt zu und übergibt dem B im selben Moment die Sache. OLG: A: Unterschlagung; B: Hehlerei. In der Übergabe der Sache liegt hier zugleich die Manifestation der Unterschlagung und, indem B die Sache annimmt, der Beginn der Hehlerei. Wie bei der Übergabe und Annahme im Rahmen einer Übereignung fallen beide Rechtsakte zusammen. Das ändert jedoch nichts daran, daß der eine Akt Schlußakt einer bestimmten Rechtshandlung ist, an deren Ende der andere anknüpft. Genauso ist es in den Fällen, in denen der Vortäter mit der Hingabe der Sache seine Zueignungsabsicht manifestiert und damit das Vermögensentziehungsdelikt, hier die Unterschlagung, abschließt. Hingabe und Annahme fallen ohne zeitliche Zäsur zusammen, schließen aber sachlich aneinander a n / "

d) Die durch die Vortat erlangte Sache aa) Das Problem der Ersatzhehlerei Gegenstand der Hehlerei kann nur die unmittelbar aus der Vortat stammende Sache sein. Nur an dieser kann der rechtswidrige Besitzstand perpetuiert werden. - Der Ersatz für die durch die Vortat erlangte Sache, den der Täter im Austausch mit der Sache aus der Vortat erlangt hat, ist selbst nicht unmittelbar durch die Vortat erlangt. An diesem Objekt besteht keine rechtswidrige Besitzlage, die perpetuiert werden könnte. Eine Ausnahme gilt auch nicht für vertretbare Sachen^ oder für gewechseltes Geld. Dagegen wird argumentiert, Geld sei als Wertsumme anzusehen, nicht aber als S a c h e . D o c h gerade wenn Geld keine Sache ist, so kann nach dem Wortlaut des Gesetzes § 259 auf Geld überhaupt nicht angewendet werden.31 Die durch die Straflosigkeit der Ersatzhehlerei begründeten Strafbarkeitslücken sind im übrigen geringer, als zum Teil behauptet wird 3 ^, denn oftmals wird in der Erlangung der Ersatzsache - z.B. Kaufpreis aus dem Verkauf der gestohlenen Sache an einen Gutgläubigen - eine neue Straftat liegen, die Vortat der Hehlerei sein kann. Lediglich beim Wechseln von Geld oder Einzahlen von Geld auf ein Konto, von dem dieses später wieder abgehoben wird, treten wesentliche Strafbarkeitslücken auf.

bb) Die Verarbeitung der erlangten Sache Hat der Vortäter Formulare, z.B. Euroscheck-Formulare oder Reisepaß-Formulare, erlangt und diese Formulare ausgefüllt, so sind nunmehr andere Sachen, nämlich Wertpapiere bzw. gefälschte Reisepässe entstanden. Damit sind die Objekte andere als die durch die Vortat erlangten Sachen geworden und können bei der Weitergabe nicht Gegenstand der Hehlerei sein.33

28

So auch: ESER IV, N r . 18 A 25 ff; GEERDS G A 1988 S. 255 Fn. 83; KÜPER Stree/Wessels-Fest-

schrift, S. 467 ff; OTTO Struktur, S. 327 ff; RUDOLPHI JA 1981 S. 6; SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 15. - A.A. BGH StV 1989 S. 435; OLG Düsseldorf wistra 1990 S. 108; OLG Stuttgart NStZ 1991 S. 285; BERZ Jura 1980 S. 59; DREHER/ TRÖNDLE § 259 Rdn. 10; GEPPERT Jura 1994 S. 101 f; LACKNER StGB, § 259 Rdn. 6; ROTH JA 1988 S. 199 f.

29

So aber GRIBBOHM N J W 1968 S. 240 f.

30

D . MEYER M D R 1970 S. 377 ff; ROXIN H . Mayer-Festschrift, S. 472 f f , RUDOLPHI J A 1981 S. 4.

31

Vgl. auch ROTH JA 1988 S. 198; SEELMANN JUS 1988 S. 40.

32 33

Vgl. KNAUTH NJW 1984 S. 2666 ff; gegen ihn ROTH NJW 1985 S. 2242 ff. Dazu BGH NJW 1976 S. 1950 mit Anm. D. MEYER MDR 1977 S. 372 ff; BayObLG JR 1980 S. 299 mit A n m . PAEFFGEN S. 300 ff.

§ 58 Hehlerei

275

3. Die einzelnen Tathandlungen a) Verschaffen und Ankaufen Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Sache, indem er sich oder einem Dritten tatsächliche, selbständige Verfügungsmacht über die durch ein Vermögensentziehungsdelikt erlangte Sache im Einvernehmen mit dem jetzigen Sachherrn, im Regelfall dem Vortäter, einräumen läßt (derivativer Erwerb). - Ankaufen - ein gesetzliches Beispiel für ein Verschaffen - ist die Erlangung der tatsächlichen, selbständigen Verfügungsmacht durch Kauf. An der selbständigen Verfügungsmacht des Täters fehlt es, wenn er vom Vortäter nur Mitverfügungsmacht mit diesem zusammen eingeräumt erhält oder der Vortäter ihm das Objekt zu einer einzigen ganz bestimmten Verfugung überläßt. Zur Verdeutlichung: aa) OLG Stuttgart JZ 1973 S. 739 mit Anm. LENCKNER S. 794 ff: A war Gesellschafter einer GmbH. In diese Gesellschaft wurden von anderen Gesellschaftern durch strafbare Handlungen erlangte Sachen eingebracht. Verfügungsmacht innerhalb der Gesellschaft hatten die Gesellschafter nur gemeinsam. OLG: A haftet nicht wegen Hehlerei, denn er hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht an den Sachen erlangt. - Anders wäre es, wenn jeder Gesellschafter eigenständig über die Sache hätte verfügen können.3** bb) BGH NJW 1952 S. 754: B hat bei X Schnaps gestohlen. Er lädt den A, der von dem Diebstahl weiß, ein, mitzutrinken. A tut dies. BGH: Keine Hehlerei des A, denn A hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht erlangt. 3 5 cc) BGHSt 27 S. 160 3 6 : K versetzte durch Betrug erlangte Haushaltsgeräte im städtischen Leihamt. Die Pfandscheine veräußerte er gegen Bezahlung an den A, der in Kenntnis des Sachverhalts über die Geräte zu eigenem Nutzen verfügen sollte. BGH: Der Erwerb des Pfandscheins stellt ein Sichverschaffen der durch Betrug erlangten Sachen d a r . 3 ' Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn der Pfandschein durch strafbare Handlung, z.B. Diebstahl, erlangt worden wäre. Dann hätte der Pfandschein Gegenstand einer Hehlerei sein können. Die versetzten Objekte hingegen wären durch Betrug beim Einlösen des Scheines erlangt worden.

Ein einverständlicher Erwerb der Verfügungsmacht liegt auch vor, wenn der Täter die Sache in Kenntnis des Sachverhalts von einem gutgläubigen Zwischenbesitzer erlangt, nicht aber, wenn er sie sich durch ein Vermögensentziehungsdelikt vom Vortäter oder ohne Kenntnis von der Vortat verschafft. dd) OLG Düsseldorf JR 1978 S. 465: Der Dieb C schenkt der B, die nichts von dem Diebstahl weiß, einen Ring. Diese schenkt den Ring der A, die den Sachverhalt kennt. OLG Düsseldorf: Hehlerei der A. A verschafft sich die Stellimg des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung durch derivativen Erwerb. 3 " 34 35

Dazu BGH NJW 1988 S. 3108 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 259/8. So auch: BGH bei Holtz, MDR 1992 S. 320; DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 15; GEERDS GA 1988 S . 2 5 6 ; LACKNER S t G B , § 2 5 9 R d n . 11; OTTO S t r u k t u r , S. 3 2 9 f f . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 9 R d n . 3 1 ; ROTH J A 1988 S . 2 0 3 ; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 2 4 : I n s i c h -

bringen ist die stärkste Form des Ansichbringens. 36

Mit zust. Anm. D. MEYER JR 1978 S. 253 ff, und krit. Anm. SCHALL NJW 1977 S. 2221 f.

37

S o a u c h : BERZ J u r a 1980 S . 6 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 9 R d n . 3 0 ; ROTH J A 1 9 8 8 S . 2 0 2 ; RUDOLPHI J A 1981 S . 9 1 . - A . A . GEERDS G A 1 9 8 8 S. 2 5 5 f ; SAMSON S K , § 2 5 9 Rdn. 2 0 .

38

Vgl. auch: LACKNER StGB, § 259 Rdn. 7; OTTO Jura 1985 S. 149; SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 42. A . A . PAEFFGEN J R 1978 S . 4 6 6 f ; RUDOLPHI J A 1981 S . 6 .

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Die Perpetuierungsdelikte

ee) BGH GA 1967 S. 315: A erwarb von B ein Autoradio, ohne zu wissen, daß dieses gestohlen war. Später erhielt er von dem Diebstahl Kenntnis. BGH: Als A die Verfügungsmacht über die Sache erhielt, fehlte ihm der Vorsatz, sich eine durch strafbare Handlung erlangte Sache zu verschaffen. Nach Kenntnis verschaffte er sich jedoch nicht mehr die Verfügungsmacht, sondern hatte diese bereits. Zur Möglichkeit der Unterschlagung in derartigen Fällen vgl. oben § 4 2 1 6 . ff) RGSt 35 S. 278: A nötigt den Angestellten B zur Unterschlagung von Geld und zur Aushändigung dieses Geldes an A. RG: A: §§ 253, 259, 52. - Dem ist nicht zuzustimmen. Entweder erlangt der Täter die Sache durch Vermögensentziehung, dann liegt eine Erpressung gegenüber dem Vorbesitzer B vor, oder er erlangt sie im einverständlichen Zusammenwirken mit B, dann ist kein Platz für ein Vermögensentziehungsdelikt.39

b) Absetzen oder Absetzen helfen aa) Absetzen ist die entgeltliche Übertragung der Verfügungsmacht im Einverständnis und im Interesse des Vortäters auf einen Dritten durch den selbständig handelnden Täter. - Eine Rückübertragung auf den Eigentümer genügt diesen Erfordernissen nicht, da durch dieses Verhalten nicht die rechtswidrige Besitzlage perpetuiert wird. Absatzhilfe ist jede Unterstützung des Vortäters beim Absatz, den der Vortäter oder ein anderer im Interesse des Vortäters vornimmt, z.B. Suchen eines Käufers, Aushandeln des Kaufpreises, Transport der Beute zum Käufer. - Selbständige Verfügungsmacht erfordert die Absatzhilfe jedoch nicht. Stets ist erforderlich ein Handeln im Interesse des Vortäters. Bei einem Handeln im Interesse Dritter, z.B. des Käufers, kommt Beihilfe zur Hehlerei des Dritten ("Sich Verschaffen") in Betracht. Zur Verdeutlichung: Fall 1: A und P hatten Tabakwaren gestohlen. Diese brachten sie zu E, der zuvor versprochen hatte, das Diebesgut zu lagern, bis ein Kunde gefunden sei. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen Beihilfe zum Diebstahl zu bestrafen. Fall 2: Wie in Fall 1, aber erst nach dem Diebstahl hatte E die Zusage gemacht. Ergebnis: A und P.sind wegen Diebstahls zu bestrafen, E bleibt straffrei. Die bloße Lagerung ist noch keine Absatzhilfe. 41 Fall 3: Wie in Fall 1, jedoch hatte E die Zusage gemacht, das Diebesgut selbständig zu veräußern. Ergebnis: Wie in Fall 2. - A.A. BGH, da er in der Übergabe der Beute an einen Verkaufskommissionär wenig überzeugend bereits ein Absetzen sieht, weil er diese Tätigkeit aus der Sicht des Vortäters bestimmt. ^ Fall 4: Wie in Fall 1, aber E hatte sich das Diebesgut gegen Bezahlung geben lassen, um darüber nach eigenem Gutdünken zu verfügen. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen Hehlerei (Ankaufen) zu bestrafen. Fall 5: Wie in Fall 1, E aber machte die Zusage, um die Beute zugunsten von A und P zu sichern. Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen Begünstigung (§ 257) zu bestrafen. Fall 6: wie in Fall 1, aber E machte die Zusage und nahm Verhandlungen mit X auf, um ihm die Beute zu verkaufen.

39 40 41 42

So auch OTTO Jura 1988 S. 606 ff; RUDOLPHI JA 1981 S. 6. - A.A., auch originärer Erwerb genügt: DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 16; ROTH JA 1988 S. 206 f; SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 42. In Anlehnung an BGH NJW 1989 S. 1490. Vgl. auch BGH NStZ 1993 S. 282; anders aber BGHSt 33 S. 47. Dazu OTTO JK 89, StGB § 259/9; STREE JR 1989 S. 384 ff.

§ 58 Hehlerei

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Ergebnis: A und P sind wegen Diebstahls, E wegen versuchter Hehlerei in Form der Absatzhilfe zu bestrafen; Str., vgl. sogleich unter bb). Fall 7: Wie in Fall 1, aber E hat die Beute für X gelagert, der die Beute bereits von A und P erworben hatte. Ergebnis. A und P sind wegen Diebstahls, X wegen Hehlerei und E wegen Beihilfe zur Hehlerei des X zu bestrafen.

bb) Strittig ist, ob Absetzen und Absatzhilfe schon mit den auf Absatz gerichteten Handlungen vollendet sind oder die Vollendung den Eintritt des Absatzerfolges voraussetzt. Dieser Streit ist mit einer Wandlung in der Interpretation des § 259 zu erldären. Das ursprünglich in § 259 enthaltene Verbot des "Mitwirkens zum Absatz" ging auf das Verbot des Beutehandels zurück. In dieser Alternative wurde nicht primär die Hilfe zur Verschaffung der Position des Diebes durch einen Dritten bestraft, sondern schon die Beteiligung an der auf diesen Erfolg gerichteten Handlung. Wird nun - in Abkehr von dem historischen Ausgangspunkt - der einheitliche Strafgrund des § 259 in der Herstellung der dem Täter des Vordelikts entsprechenden Stellung ohne Vermögensentziehung gesehen, bzw. in der Hilfeleistung bei einem derartigen Verhalten, so ist es konsequent, eine vollendete Tat erst mit Eintritt des Absatzerfolges zu bejahen.43 Wird das vollendete Delikt schon in den auf Absatz gerichteten Handlungen gesehen, so fuhrt das dazu, einen Versuch bereits weit im Vorfeld des Absatzes anzunehmen.44 4. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - setzt die Kenntnis der Vortat in ihren groben Zügen voraus und das Bewußtsein, die Verfügungsmacht in einverständlichem Zusammenwirken zu erlangen, d.h. das Wissen, daß die Tat keine Vermögensentziehung gegenüber dem Vortäter darstellt. - Bei Absatz und der Absatzhilfe ist außerdem das Wissen des Täters, die Interessen des Vortäters zu fördern, erforderlich. b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, entspricht der Bereicherungsabsicht beim Betrug. Gegenstand der Bereicherung kann nur ein Vermögensvorteil sein. An diesem fehlt es beim Austausch gleichwertiger Leistungen, bzw. bei einem Kaufpreis, zu dem die gleiche Sache auch im Handelsverkehr erworben werden könnte. - Jedoch genügt es, wenn der Täter den üblichen Geschäftsgewinn anstrebt.45 aa) Nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs muß die Absicht des Täters dahin gehen, den Geldwert seines Vermögens zu erhöhen. Das bloße Haben von Sachen, die keinen Handelswert haben, stellt danach keinen Vermögensvorteil dar. Nach den Grundsätzen des personalen Vermögensbegriffs stellt das Haben einer Sache, auch wenn diese keinen offiziellen Handelswert hat, einen Vermögensvorteil dar, wenn 43

So auch: OLG Köln NJW 1975 S. 987 mit zust. Anm. KÜPER JuS 1975 S. 633 ff, und krit. Anm. FEZER N J W 1975 S. 1982 f; BERZ Jura 1980 S. 65; FRANKE N J W 1977 S. 857 f; KREY B . T . 2, R d n . 591 f f ; KÜPER N J W 1977 S. 58; LACKNER Heidelberg-Festschrift, S. 61; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 39 R d n . 34; RuDOLPffl J A 1981 S. 93; SEELMANN JuS 1988 S. 4 1 . - A . A .

BGHSt 27 S. 45; 33 S. 47; BGH MDR 1990 S. 936 mit abl. Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 259/11;

DREHER/TRÖNDLE § 2 5 9 R d n . 18; D . MEYER JR 1977 S. 80 f; WESSELS B . T . - 2 , R d n . 808. - D i f f e -

44

renzierend: Absatz setzt Erfolg voraus, Absatzhilfe nicht; GEERDS GA 1988 S. 256 f. Vgl. BGH NStZ 1994 S. 395.

45

BGH GA 1978 S. 372; BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267.

278

Die Perpetuierungsdelikte

sie für den Täter Gebrauchsvorteile besitzt. Das gilt jedoch nicht für Objekte, die als solche nicht Gegenstand des Wirtschaftsverkehrs sein können.46 bb) Der Vortäter kann nicht Dritter i.S. des § 259 sein. Das ergibt sich zwingend aus dem Wortlaut des Abs. 1, denn der dort als "anderer" bezeichnete Vortäter kann nicht zugleich Dritter sein. 47 cc) Die Bereicherung, d.h. der erstrebte Vorteil, braucht sich nicht unmittelbar aus der gehehlten Sache zu ergeben. Eine Belohnung für die Absatzhilfe durch den Vortäter genügt. 48 dd) Strittig ist, ob der erstrebte Vermögensvorteil rechtswidrig sein muß 49 oder nicht50. - Die Frage ist zu verneinen, denn daß der Hehler unter Umständen einen Anspruch gegen den Vortäter hat, ändert das Perpetuierungsunrecht nicht. Hat der "Hehler" hingegen einen Anspruch auf Überlassung der Sache gegen das Opfer der Vortat, so fehlt es bereits an der Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage, da der Täter Anspruch auf den Besitz hat. 5. Konkurrenzen und Strafe a) Die Anstiftung des Vortäters zur Hehlerei ist mitbestrafte Nachtat der Vortat. b) Nach h.M. liegt neben der Hehlerei auch eine tatbestandsmäßige - allerdings von der Hehlerei konsumierte - Unterschlagung vor, wenn der Täter sich durch die Hehlerei die umfassende Sachherrschaftsposition verschafft. Nach den hier entwickelten Prämissen ist das nicht haltbar. Die Unterschlagung als Vermögensentziehungsdelikt setzt eine reale Vermögensentziehung voraus. An dieser fehlt es jedoch. Die Redeweise von der angeblichen Vertiefung des Schadens des Vermögensentziehungsdelikts durch die Hehlerei verdeckt das nur: Die Sache ist dem Berechtigten durch das Entziehungsdelikt entzogen worden. Dieses "Loch in seinem Vermögen" wird durch anschließende Hehlereihandlungen keineswegs vergrößert! Hehlerei und Vermögensentziehungsdelikt in bezug auf dieselbe Sache durch dieselbe Person schließen einander aus. 51 c) Gemäß § 259 Abs. 2 sind §§ 247, 248 a entsprechend anwendbar. - Maßgeblich für die Anwendung des § 248 a ist der Wert der gestohlenen Sache, nicht aber der Vermögensvorteil des Hehlers, denn welchen Vorteil der Hehler hat, ist für die Situation des durch das Vermögensdelikt Betroffenen gleichgültig. Gegenstand der Perpetuierung, die den Strafgrund des Delikts bildet, ist die gehehlte Sache. Der Vorteilsabsicht kommt al-

46

Vgl. B G H G A 1986 S. 559 (Führerschein); BayObLG J R 1980 S. 299 mit A n m . PAEFFGEN S. 300 ff

47

So auch: DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 22; LACKNER StGB, § 259 Rdn. 17; LACKNER/WERLE JR 1980 S. 214 ff. - A . A . B G H N J W 1979 S. 2621; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 50.

48

So auch: BGH wistra 1983 S. 29; BERZ Jura 1980 S. 67; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 39 R d n . 39; RUDOLPHI JA 1981 S. 94; STREE JuS 1976 S. 144. - A . A . ARZT NStZ 1981 S. 13 f; DREHER/TRONDLE § 259 Rdn. 23; SEELMANN JuS 1988 S. 41 f.

49

ARZT NStZ 1981 S. 12 f; ROTH JA 1988 S. 259 f.

50

(Reisepaß).

So die h.M., vgl. z.B.: LACKNER StGB, §259 Rdn. 17; Ruß LK, 11. Aufl., §259 Rdn. 37; SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 49.

51

Eingehender dazu OTTO Jura 1988 S. 606 ff.

§ 59 Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte

279

lein strafbegrenzende Funktion zu, die Rechtsgutsverletzung selbst betrifft sie unmittelbar nicht.52 II. Qualifikationstatbestände, §§ 260, 260 a 1. Gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei, § 260 Ein qualifizierter Fall der Hehlerei liegt vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt dazu § 41 I 2 c - oder als Mitglied einer Bande - dazu § 41 DI 3 a -, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat. 2. Gewerbsmäßige Bandenhehlerei, § 260 a Die gewerbsmäßige Bandenhehlerei ist - vergleichbar § 244 a im Diebstahlsbereich; dazu § 41IV - ein aus der Verbindung der Erschwerungsgründe des § 260 abgeleiteter, weiter qualifizierter Tatbestand. III. Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO In § 148 b GewO sind Fälle einer fahrlässigen Hehlerei unter Strafe gestellt. Wird das Wesen der Hehlerei in der Kollusion zwischen Hehler und Vortäter gesehen, wobei die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Besitzlage nur als Konsequenz dieser Kollusion erscheint, so ist der Schluß zwingend, diese Delikte als besondere Wirtschaftsdelikte zu interpretieren, die mit der Hehlerei nichts mehr zu tun haben. Es handelt sich dann um Vergehen, die die Vernachlässigung der Pflichten bestimmter Gewerbetreibender erfassen. - Wird hingegen als das wesentliche Moment des Hehlereidelikts die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Besitzstandes in scharfem Gegensatz zur Vermögensentziehung erkannt, so stellt sich die Kollusion zwischen Vortäter und Hehler lediglich als Folge der Tatsache dar, daß Fälle der Vermögensentziehung nicht von dem Tatbestand der Hehlerei erfaßt werden. Dann aber fällt die Verwandtschaft der Hehlerei mit der sogenannten fahrlässigen Hehlerei sofort auf. Es handelt sich sachlich um einen Fall der Hehlerei, gekennzeichnet durch das Fehlen einer Vermögensentziehung, d.h. wiederum um den Fall einer Vermögensverschiebung, deren Strafgrund darin zu sehen ist, daß die durch strafbare Vermögensentziehung bewirkte Schädigung des Berechtigten weiter aufrechterhalten bleibt, wenn auch dem Täter hinsichtlich dieser Aufrechterhaltung nur Fahrlässigkeit zur Last fällt.53

§ 59: Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 1. Die Zulässigkeit der Wahlfeststellung Nach ständiger Rechtsprechung des BGH, von der sich allerdings in letzter Zeit nicht nur die Lehre, sondern auch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zunehmend di-

52

So auch R u ß LK, 11. A u f l . , § 259 R d n . 44; SAMSON SK, § 2 5 9 R d n . 45; STREE JUS 1976 S. 144 f. A . A . DREHER/TRÖNDLE § 259 Rdn. 25; LACKNER StGB, § 2 5 9 R d n . 22.

53

Eingehender dazu OTTO Struktur, S. 244 f.

280

Die Perpetuierungsdelikte

stanzierten, ist eine Wahlfeststellung dann zulässig, wenn die zur Wahl stehenden Verhaltensweisen rechtsethisch und rechtspsychologisch gleichwertig erscheinen.54 Da im Bereich der Vermögensdelikte jedoch gerade die psychologische Verschiedenheit der einzelnen Angriffe gegen Vermögensobjekte zur Differenzierung der verschiedenen Tatbestände geführt hat, dürfte - die Prämisse ernst genommen - im Bereich der Vermögensdelikte überhaupt keine Wahlfeststellung zugelassen werden, oder man gibt die rechtsethische und rechtspsychologische Gleichwertigkeit als Kriterium für die Zulässigkeit einer solchen Verurteilung auf. Die Rechtsprechung hat dies de facto seit langem getan, auch wenn sie an der Formel selbst festhält.55 Wird jedoch das Erfordernis der rechtspsychologischen Vergleichbarkeit aufgegeben, so bestimmt sich die Zulässigkeit der Wahlfeststellung letztlich nach der Identität des Unrechtskerns. Diese Identität liegt vor, wenn sich ein deliktischer Angriff gegen dasselbe Rechtsgut oder ein Rechtsgut derselben Art, derselben Gattung richtet und der Handlungsunwert auf gleicher Ebene liegt.56 Der Unrechtskera ist bei allen Vermögensdelikten identisch, denn diese Identität des Unrechtskems ermöglicht die Zusammenfassung dieser Delikte in der Gruppe der "Vermögensdelikte". Damit ist grundsätzlich eine Wahlfeststellung zwischen den verschiedenen Vermögensdelikten zulässig. Dies gilt auch für die Vermögensdelikte, die neben dem Vermögen noch andere Rechtsgüter schützen, z.B. die Willensfreiheit, denn dieser Schutz steht nicht im gleichen Rang mit dem Vermögensschutz, wie die Einordnung dieser Delikte als Vermögensdelikte zeigt. Bei den Delikten, bei denen dem Schutz eines weiteren Rechtsguts erhebliche Bedeutung zukommt, wie z.B. dem Schutz der Willensfreiheit in den §§ 249 ff, 255, ist die Deliktsnatur zunächst auf das Vermögensdelikt zu reduzieren, wenn die Verletzung der anderen Rechtsgüter in der möglichen Alternative entfällt. a) BGHSt 25 S. 182 57 : Alternative Raub-Unterschlagung. BGH: Zu verurteilen ist auf der wahldeutigen Grundlage "Diebstahl oder Unterschlagung". b) BGH NJW 1974 S. 804: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Hehlerei zulässig. 58 c) OLG Köln GA 1974 S. 121 f: Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Unterschlagung zulässig. d) OLG Hamm NJW 1974 S. 1957: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Unterschlagung zulässig. e) BGHSt 23 S. 360 5 9 : Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Begünstigung zulässig. 54

Im einzelnen zur Situation und den Voraussetzungen der Wahlfeststellung vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 4 II.

55

Dazu HRUSCHKA NJW 1973 S. 1804 f.

56

Dazu OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 67 f; BayObLG MDR 1977 S. 860 mit Anm. HRUSCHKA JR 1978 S . 2 6 f f ; i m ü b r i g e n v g l . DEUBNER J u S 1962 S. 2 1 ff; DERS. N J W 1 9 6 7 S . 7 3 8 f ; DREHER M D R 1970 S. 3 6 9 f f ; DREHER/TRÖNDLB § 1 R d n . 12 f f ; FLECK G A 1966 S. 3 3 6 ; HARDWIG E b . S c h m i d t - F e s t s c h r i f t , S. 4 8 4 A n m . 2 8 ; HRUSCHKA N J W 1973 S. 1804 f ; JAKOBS G A 1 9 7 1 S . 2 7 0 ; LÖHR J u S 1976 S . 7 2 0 ; OTTO P e t e r s - F e s t s c h r i f t , S. 3 9 0 f; SAX J Z 1965 S. 7 4 8 ; TRÖNDLE J R 1974

S. 133 ff; DERS. LK, § 1 Rdn. 104. - Differenzierend: GÜNTHER Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, 1976, S. 218 ff, der nach dem graduellen Unwert unterscheiden will, und MONTENBRUCK Wahlfeststellung und Weittypus im Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1976, S. 384, der aus den zur Wahl stehenden Tatbeständen einen gemeinsamen weiteren Tatbestand bilden und sodann anwenden will. 57

M i t A n m . HRUSCHKA N J W 1973 S. 1804 f , TRÖNDLE J R 1974 S. 133 ff.

58

Dazu OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 65 und GÜNTHER JZ 1976 S. 665 ff.

59

M i t A n m . SCHRÖDER J Z 1971 S. 141, HRUSCHKA N J W 1971 S. 1 3 9 2 ff.

§ 59 Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte

281

In Fällen, in denen zweifelhaft bleibt, ob der Täter eine Sache als Mittäter der Vortat, z.B. Diebstahl, Betrug, Erpressung, originär erlangt hat oder derivativ von einem Täter der Vortat erworben hat, bejahen BGH und ein Teil der Lehre eine Hehlerei im Wege der sog. Postpendenzfeststellung.60 Diese Auffassung ist abzulehnen, denn ihre Prämisse, die Nachtat stehe in jedem Falle fest, zweifelhaft sei nur die Beteiligung an der Vortat, ist unrichtig. Zweifelhaft ist nämlich, ob der Täter sich durch Vermögensentziehung oder Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage die Sache verschafft hat. Damit aber ist zweifelhaft, ob er den Tatbestand der Vortat oder den der Hehlerei verwirklicht hat. Auch hier greifen sachgerecht die Grundsätze der Wahlfeststellung durch.61 Beim Alleintäter lehnt auch der BGH die Verurteilung wegen Hehlerei im Wege der Postpendenzfeststellung ab. 62 2. § 246 als Grundtatbestand der Vermögensdelikte Die Problematik der Wahlfeststellung bei der deliktischen Verschaffung von Sachen wird allerdings erheblich eingeschränkt, wenn § 246 als Grundtatbestand aller Sachzueignungsdelikte interpretiert wird; dazu oben § 39 n . Dann besteht zwischen der Unterschlagung und den anderen Vermögensentziehungsdelikten bei der Sachzueignung ein Stufenverhältnis, so daß gemäß dem Grundsatz "in dubio pro reo" stets nur wegen Unterschlagung zu bestrafen ist.63

60

Vgl. BGHSt 35 S. 86; BGH NJW 1989 S. 1867; BGH NStZ 1989 S. 574; GEPPERT JK 89, StGB § 1/7; HRUSCHKA J Z 1970 S. 6 4 0 f ; JOERDEN J Z 1988 S . 8 4 9 ; KÜPER L a n g e - F e s t s c h r i f t S. 6 5 f f ;

DERS. Probleme der Hehlerei mit ungewisser Vortatbeteiligung, 1989, mit Bespr. GÖSSEL GA 1990

S . 3 1 8 f f ; RICHTER J u r a 1994 S . 132 f ; RUDOLPHI SK, A n h . zu § 5 5 R d n . 2 4 f ; WOLTER N S t Z 1 9 8 8 S . 4 5 6 ff.

61 62 63

Vgl.: BGHSt 23 S. 360; OTTO JK 88, StGB § 1/5 und 10; RUß LK, 11. Aufl., § 259 Rdn. 41 a; TRÖNDLE LK, § 1 Rdn. 67 m.w.N. Vgl. BGH NJW 1990 S. 2476. Vgl. dazu WELZEL Lb., § 46; WOLTER Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht, 1976, S. 61 ff; DERS. GA 1974 S. 161 ff.

Dritter Teil Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit Erstes Kapitel

Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen die Wirtschaftsordnung § 60: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht 1. Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsdelikte In der Auseinandersetzung um den Begriff der Wirtschaftskriminalität wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland dem täterbezogenen Aspekt zunächst größere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Ergänzung und Ersetzung dieses Gesichtspunkts in den verschiedenen Definitionsvorschlägen deckte jedoch bald die Grenzen dieser Betrachtungsweise, aber auch die Vielschichtigkeit der hinter dem Begriff verborgenen Problematik, auf. Es zeigte sich, daß ein einziger Begriff der Wirtschaftskriminalität den unterschiedlichen Erkenntniszielen überhaupt nicht gerecht werden konnte, daß es zumindest - bedingt durch die Verschiedenheit der Ziele und Betrachtungsweisen des Erkenntnisgegenstandes - drei verschiedene Begriffe der Wirtschaftskriminalität geben muß. Einer kriminologischen und kriminalsoziologischen Betrachtungsweise ist ein mehr täterorientierter Begriff der Wirtschaftskriminalität angemessen. - Im Vordergrund kriminaltaktischer und strafprozessualer Überlegungen steht hingegen die schwierige und umfangreiche Aufklärung und Aburteilung des strafbaren Verhaltens. Die Tatsache, daß dabei wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse notwendig sind, erhält damit in einer kriminaltaktisch relevanten Definiton der Wirtschaftskriminalität besondere Bedeutung. Rechtsdogmatisch hingegen führen die kriminologischen, kriminalsoziologischen und kriminal- sowie verfahrenstaktischen Ansätze nicht weiter. Für ein Strafrecht, das auf Erhalt des Rechtsfriedens durch den Schutz bestimmter Rechtsgüter gegen bestimmte Angriffe abzielt, ist sowohl eine täterorientierte wie auch eine primär auf Schadenshöhe und Aufklärungserfordernisse bezogene Betrachtungsweise nicht von Gewinn, da von hierher keine systematisch erfaßbaren Einsichten in das Wesen der Wirtschaftskriminalität zu erlangen sind. Sie eröffnen sich erst, wenn es gelingt, als Wirtschaftskriminalität einen von anderen strafwürdigen Rechtsgutsbeeinträchtigungen abgehobenen Rechtsgüterangriff und seine Modalitäten zu erfassen und damit einen eigenständigen Unrechtsgehalt zu beschreiben und strafrechtlich sachgerecht zu würdigen. Diesem Erfordernis können allerdings Definitionen des Begriffs, die wesentlich auf die wirtschaftlich schädliche oder die schlicht wirtschaftsbezogene Verhaltensweise der Wirtschaftskriminalität abstellen, nicht genügen. Der wirtschaftliche Bezug des sozialschädlichen Verhaltens kennzeichnet kein spezifisches Unrecht, das sich von anderen rechtswidrigen strafwürdigen Verhaltensweisen abhebt. Erst der Bezug des Verhaltens auf die Verlet-

§ 60 Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht

283

zung von überindividuellen (sozialen) Rechtsgütern des Wirtschaftslebens ermöglicht die Erfassung eines spezifischen Unrechts, das sich deutlich vom Unrecht einer beliebigen Vermögensschädigung unterscheidet. Von diesem Ausgangspunkt her lassen sich als Wirtschaftsdelikte jene Verhaltensweisen bestimmen, die das Vertrauen in die geltende Wirtschaftsordnung insgesamt oder in einzelne ihrer Institute verletzen und damit den Bestand und die Arbeitsweise dieser Wirtschaftsordnung geßhrden. - Die Verwirklichung dieser Delikte macht die Wirtschaftskriminalität aus.1 2. Das Wirtschaftsstrafrecht Da der Begriff der Wirtschaftskriminalität nicht nur durch die wirtschaftlich schädliche Verhaltensweise dieser Kriminalität konkretisiert wird, kann auch das Wirtschaftsstrafrecht nicht schlicht als das Strafrecht erfaßt werden, das in bezug zu wirtschaftlichen Vorgängen steht oder sich gegen wirtschaftlich schädliches Verhalten richtet. Ein derartiger Begriff könnte wiederum kriminologische oder kriminaltaktische Bedeutung haben, rechtsdogmatisch aber wäre er unbrauchbar. Als Wirtschaftsstrafrecht im eigentlichen Sinne sind nur die Tatbestände anzusehen, die in erster Linie die Wirtschaftsordnung und ihr Funktionieren schützen sollen. Das sind zunächst einmal Normen staatlicher Wirtschaftslenkung und -Ordnung, wie z.B. das Wirtschaftsstrafgesetz oder das Außenwirtschaftsgesetz, dann aber jene Normen, die die wirtschaftliche Betätigung sowie die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Wirtschaftsgütern regeln. Da jedoch auch bei Angriffen gegen individuelle Rechtsgüter, insbesondere bei Angriffen gegen das Vermögen, Teilbereiche der Wirtschaftsordnung betroffen werden können, wird deutlich, daß auch Normen, die in erster Linie dem Schutz individueller Rechtsgüter dienen sollen, wie z.B. dem Betrugs- und dem Untreuetatbestand, gleichfalls Bedeutung bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zukommen. Dies gilt besonders für die Fälle quantitativ massierter Deliktsbegehung und bei schweren Vermögensschädigungen gegenüber wirtschaftlichen Unternehmen. Insofern sind wirtschaftsstrafrechtliche Normen zwar Tatbestände, die auf Abwehr von Wirtschaftskriminalität gerichtet sind, doch darüber hinaus realisieren auch weitere Tatbestände diesen Zweck in erheblichem Umfang.2 3. Die Gestaltung der Wirtschaftsstraftatbestände Da die einzelnen Angriffe auf die Wirtschaftsordnung und ihre Institute durch Verletzung jener Normen, die sie konstituieren, nicht zu naturwissenschaftlich meßbaren Schäden führen, bieten weder Verletzungsdelikt noch konkretes Gefährdungsdelikt die angemessene Deliktsform, um den angestrebten Schutz der Rechtsgüter zu realisieren. Das dem überindividuellen Rechtsgut und dem Angriffsobjekt als geistigen Gebilden entsprechende Mittel des strafrechtlichen Schutzes ist das abstrakte Gefährdungsdelikt.3

1 2

Im einzelnen dazu und zur Auseinandersetzung: D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1990, S. 5 ff, 15 ff; OTTO ZStW 96 (1984) S. 339 ff. Dazu im einzelnen: BOTTKE wistra 1991 S. 1 ff, 52 ff, 81 ff; GEERDS Kriminalistik 1968 S. 234; OTTO ZStW 96 (1984) S. 349; STEINKE NStZ 1994 S. 168 ff; TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, 1976, S. 54 f; WEBER in: Arzt/Weber, L H 4, Rdn. 6 ff.

3

Dazu BRAUNECK Allgemeine Kriminologie, 1974, S. 34 f; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 40 ff; OTTO ZStW 96 (1984) S. 362 f; TEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 41 f.

284

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

Der mit der Schaffung abstrakter Gefährdungsdelikte stets verbundenen Gefahr einer Ausdehnung des Strafrechts in den nicht mehr strafwürdigen und strafbedürftigen Bereich hinein, kann der Gesetzgeber in verschiedener Weise begegnen: a) Die Strafbarkeit des abstrakt gefährlichen Verhaltens kann an bestimmte konkret gefährliche Situationen geknüpft werden, sog. Krisensituationen, wie sie der Gesetzgeber z.B. in den Konkursdelikten (Überschuldung, eingetretene oder drohende Zahlungsunfähigkeit) ausgebildet hat. b) Eine weitere Möglichkeit der Strafbarkeitsbegrenzung ist das zusätzliche Erfordernis eines besonderen Erfolgsunwertes, z.B. in der Art einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit. c) Schließlich kann das Tatverhalten in die Nähe einer Vermögensverletzung oder konkreten Vermögensgefährdung gebracht oder auf solche Verhaltensweisen beschränkt werden, die regelmäßig auch zum Eintritt eines Vermögensschadens führen, um den Bereich der Strafbarkeit zu begrenzen.4

§ 61: Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsbetrug, § 265 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die soziale Leistungsfähigkeit der Versicherer. Nur der Schutz dieses Rechtsgutes erklärt die hohe Strafe und die Vorverlegung der Strafbarkeit überzeugend. Als Element der sozialen Leistungsfähigkeit mitgeschützt ist das Vermögen der Versicherer, doch kommt diesem Gesichtspunkt im Rahmen des Rechtsgutes keine eigenständige Bedeutung zu.5 Der Schutzbereich der Vorschrift ist - historisch bedingt - auf die Feuer- und Seeversicherung begrenzt. Diese Einschränkung ist heute nicht mehr sachgerecht.6 2. Tatobjekt und Tathandlung Versichert ist eine Sache, wenn sie Gegenstand eines formgültig zustande gekommenen Versicherungsvertrages geworden ist, unabhängig davon, ob der Vertrag anfechtbar oder z.B. wegen absichtlicher Überversicherung nichtig ist. Auch in diesem Falle besteht die Gefahr, daß die Versicherung zu Unrecht in Anspruch genommen wird. Darüber hinaus soll es nach h.M. auch unerheblich sein, ob der Versicherer nach § 39 Abs. 2 W G wegen Verzugs des Versicherungsnehmers von seiner Leistungspflicht frei geworden ist. Dem kann nicht gefolgt werden, soweit für den Versicherer offensichtlich ist, daß die 4

Eingehender dazu OTTO ZStW 96 (1984) S. 363 ff.

5

Vgl. dazu BGHSt 25 S. 262; 35 S. 262; GEERDS Welzel-Festschrift, S. 853; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 260 ff. - Nur das Vermögen wollen als geschütztes Rechtsgut ansehen: BOCKELMANN B . T . / l , § 12 I; RANFT Jura 1985 S. 399; SAMSON SK, § 265 R d n . 1; SCHMIDHÄUSERB.T., 11/41. -

Für den Schutz von Vermögen und sozialer Leistungsfähigkeit der Versicherer: KREY B.T. 2,

R d n . 506; LACKNER LK, § 2 6 5 R d n . 1; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 5 R d n . 1 f; WESSELS B . T . - 2 ,

Rdn. 618. - Den Aspekt der GemeingefShrlichkeit der Deliktshandlung betonen: DREHER/TRÖNDLE § 265 R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 1 R d n . 194 f.

6

Dazu GEERDS Versicherungsmißbrauch, 1991, S. 97 ff.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

285

Leistungspflicht nicht besteht. In diesem Falle ist auch eine abstrakte Gefährdung nicht gegeben.7 In Brand gesetzt ist die versicherte Sache dann, wenn sie selbständig weiterbrennen kann; vgl. dazu unten § 79 11. 3. Die betrügerische Absicht a) Betrügerische Absicht ist die Absicht des Täters, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil, nämlich die Versicherungssumme aus der Feuer- oder Seeversicherung zu verschaffen. Die Absicht, eine andere Versicherungssumme betrügerisch zu erlangen, genügt nicht.8 - Rechtswidrig ist der Vermögensvorteil, wenn der Versicherte keinen Anspruch auf die Leistung hat. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Versicherte selbst Täter oder Teilnehmer der Tat ist; § 61 W G . Dasselbe gilt, wenn der Versicherte sich das Verhalten des Täters als eigenes zurechnen lassen muß, weil der Täter als Repräsentant des Versicherten anzusehen ist. Repräsentant ist deijenige, der befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang, für den Versicherten zu handeln. Nicht erforderlich ist, daß er auch dessen Rechte und Pflichten als Versicherungsnehmer wahrzunehmen hat.®

Ein effektiver Schutz des Rechtsguts müßte die Strafbarkeit bereits an die Absicht knüpfen, einen Schaden zu begründen, um den Versicherungsfall herbeizuführen. Damit würde jedoch dem betrügerischen Element jegliche Bedeutung genommen. - Nicht erforderlich ist hingegen eine Täuschung des Täters oder des Versicherten. § 265 ist auch erfüllt, wenn der Täter davon ausgeht, daß der Versicherte gutgläubig den nicht bestehenden Anspruch gegenüber der Versicherung geltend macht.10 b) Die betrügerische Absicht wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter daran zweifelt, daß der Erfolg wirklich eintritt. Zweifel am Eintritt des Erfolgs der Tat stehen dem zielgerichteten Wollen des Erfolges nicht entgegen.11 c) Da die betrügerische Absicht subjektives Tatbestandsmerkmal ist, entscheidet für ihr Vorliegen allein die Vorstellung des Täters. Maßgeblich ist, ob der Täter sich einen Sachverhalt vorstellt, der die Leistungspflicht des Versicherers entfallen läßt. Kennt der Täter hingegen den Sachverhalt und meint nur aufgrund irriger Wertung der Anspruchsvoraussetzungen, die Leistungspflicht des Versicherers bestehe nicht, so liegt ein strafloses Wahnverbrechen vor.12

7

Vgl. RANFT Jura 1985 S. 395; DERS. StV 1989 S. 301; SCH/SCH/LENCKNER § 265 R d n . 7. - A . A . BGH N J W 1988 S. 3025; DREHER/TRÖDLE § 265 Rdn. 4 a; LACKNER LK, § 265 R d n . 2.

8 9

BGHSt 32 S. 137. BGH (Z) DWiR 1994 S. 246; vgl. auch RANFT Jura 1985 S. 396 f. - Ebenso auf die Wahrnehmung der Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers stellt ab: BGH JR 1977 S. 390 mit Anm. Gössel S. 391, Wagner JuS 1978 S. 161 ff. Enger SEIER ZStW 105 (1993) S. 330 ff, 339: Betrügerische Absicht ist die Absicht des Täters, den nachfolgenden Betrug als Täter zu begehen.

10 11

Vgl. auch: BGHSt 35 S. 325 mit Anm. GEERDS Jura 1989 S. 294 ff, und RANFT StV 1989 S. 303.

12

Vgl. auch: OTTO JK, StGB § 265/2; RANFT Jura 1985 S. 402; DERS. StV 1989 S. 301 f f ; SCHMIDHÄUSERB.T., 11/42; SCH/SCH/LENCKNER § 265 Rdn. 14. - A . A . B G H StV 1989 S. 2 9 8 ; B G H N S t Z

1992 S. 181; LACKNER LK, § 265 Rdn. 8; WAGNER JuS 1978 S. 161 ff. - Zum Versuch kommt beim

Bewertungsirrtum KÜPER 1993 S. 315 f.

286

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

4. Konkurrenz zu § 263 Der Versicherungsbetrug steht mit dem u.U. später begangenen Betrug, mit dem die Versicherungssumme kassiert wird, in Realkonkurrenz, da beide Delikte verschiedene Rechtsgüter schützen. Wird als Rechtsgut des § 26S das Vermögen angesehen, so konsumiert § 265 den § 263 als straflose Nachtat.

II. Subventionsbetrug, § 264 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse an einer sachgemäßen staatlichen Wirtschaftsförderung.13 - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt.14 2. Subvention und subventionserhebliche Tatsachen a) Den Begriff der Subvention umschreibt Abs. 6. 15 - Folgende Erfordernisse müssen erfüllt sein: aa) Leistungen aus öffentlichen Mitteln, d.h. Leistungen, die dem Staat, einer öffentlichrechtlichen Körperschaft oder Institution oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung zur Verfügung stehen. bb) Grundlagen der Leistungen müssen Vergabevorschriften aus dem Recht des Bundes, der Länder - einschließlich des Rechts der Gemeinden - oder der Europäischen Gemeinschaften sein. Es genügt der globale Ansatz in einem Haushaltsgesetz. Nach dem Willen des G^etzgebers fallen allerdings Leistungen aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften nicht unter Abs. 6.1° - In diesem Bereich haben die Regelungen des Steuerrechts ausschließlich Bedeutung.

cc) Die Leistungen müssen wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt werden. - Das ist dann der Fall, wenn die Leistung nach ihrem objektiven Wert nicht dem entspricht, was nach den konkreten Verhältnissen des betreffenden Marktes üblicherweise für die Leistung aufgewendet werden muß.

13

V g l . B T - D r u c k s . 7 / 5 2 9 1 , S. 3; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S . 2 4 4 f f ; GÖHLER/WILTS D B 1 9 7 6 S . 1 6 0 9 ; LACKNER S t G B , § 2 6 4 R d n . 1; SCH/SCH/LENCKNER § 2 6 4 R d n . 4 ; TLEDEMANN L K ,

§ 264 Rdn. 8. - A.A. Staatliches Vermögen: HACK Probleme des Tatbestands Subventionsbetrug, §264 StGB, 1982, S. 19; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 4 1 Rdn. 165; RANFT JuS 1986 S. 447 ff; SANNWALD Rechtsgut und Subventionsbegriff § 264 StGB, 1982, S. 59, 65 ff, 89; SCHMIDHÄUSERB.T., 11/96 f.

14

S t r . , w i e h i e r : BERZ B B 1976 S . 1436, DREHER/TRÖNDLE § 2 6 4 R d n . 4 ; HEINZ G A 1 9 7 7 S . 2 1 0 ;

SCH/SCH/LENCKNER § 264 Rdn. 5. - A.A. BT-Drucks. 7/5291, S. 5: Konkretes Gefährdungsdelikt; GÖHLER/WILTS DB 1976 S. 1613: Abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt. 15

Im einzelnen zum Begriff der Subvention: EBERLE Der Subventionsbetrug nach Paragraph 264 StGB Ausgewählte Probleme einer verfehlten Reform, 1983, S. 22 ff; JARASS JuS 1980 S. 115 ff; SANNWALD R e c h t s g u t , S . 7 6 f ; G . SCHMIDT G A 1 9 7 9 S . 121 f f ; VOLK in: BELKE/OEHMICHEN ( H r s g . ) ,

Wirtschaftskriminalität, 1983, S. 82 ff. 16

BT-Drucks. 7/5291, S. 11.

17

D a z u FUHRHOP N I W 1980 S . 1261 ff; MÜLLER-EMMERT/MAIER N J W 1 9 7 6 S . 1657 f f ; TIEDEMANN LK, § 2 6 4 Rdn. 1 3 2 .

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

287

dd) Die Leistung muß wenigstens zum Teil zur Förderung der Wirtschaft dienen. Es genügt jedoch, daß die Wirtschaftsförderung einer neben anderen Zwecken ist. Leistungen zur Förderung der Forschung, Bildung oder kultureller Einrichtungen fallen daher genausowenig unter den Begriff wie die sog. Sozialsubventionen (z.B. Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld).

ee) Die Leistung muß einem Betrieb oder Unternehmen gewährt werden. Betrieb ist eine auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenfassung von persönlichen und sächlichen Mitteln zur Erreichung eines - nicht unbedingt wirtschaftlichen - Zwecks ohne Rücksicht auf die Rechtsform. - Dem Unternehmen kommt gegenüber dem Betrieb nur insoweit Eigenständigkeit zu, als es ein Komplex von mehreren Betrieben sein k a n n .

b) Die in Abs. 1 genannten Tathandlungen (Täuschung, Unterlassung vorgeschriebener Angaben usw.) sind nur relevant, soweit sie sich auf subventionserhebliche Tatsachen gemäß Abs. 7 beziehen. Gemäß Abs. 7 Nr. 1 sind dies zunächst die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes vom Subventionsgeber ausdrücklich als subventionserheblich bezeichneten Tatsachen; dazu auch § 2 SubvG. - Es muß sich um klar und unmißverständlich auf den konkreten Fall bezogene Angaben handeln.19 Gemäß Abs. 7 Nr. 2 werden sodann ergänzend die materiellen Voraussetzungen der Vergabe oder Rückforderung einer Subvention als " subventionserheblich" erklärt, soweit ein Gesetz im materiellen Sinne diese Voraussetzungen regelt, auch wenn sie nicht als subventionserheblich bezeichnet worden sind. Ist die Bewilligung einer Subvention von mehreren tatsächlichen Voraussetzungen abhängig, so ist jede dieser Voraussetzungen subventionserheblich.20 3. Die Tathandlung a) Der äußere Tatbestand fordert falsche oder unvollständige Angaben gegenüber dem Subventionsgeber in bezug auf subventionserhebliche Tatsachen, die für den Erklärenden oder einen anderen vorteilhaft sind (Abs. 1 Nr. 1), die Unterlassung subventionserheblicher Angaben entgegen den Rechtsvorschriften - dazu § § 3 , 4 SubvG - über die Subventionsvergabe (Abs. 1 Nr. 2) oder den Gebrauch einer durch unrichtige oder unvollständige Angaben in einem Subventionsverfahren erlangten Bescheinigung über eine Subventionsberechtigung oder über subventionserhebliche Tatsachen (Abs. 1 Nr. 3). Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie die Aussichten des Subventionsempfängers für die Gewährung oder Belassung der beantragten Subvention oder des geltend gemachten Subventionsvorteils gegenüber der wirklichen Lage objektiv verbessern. - Nicht tatbestandsmäßig sind danach falsche Angaben, die für den Subventionsnehmer ungünstig oder indifferent sind. Daß der Täter u.U. einen anderen - nicht geltend gemachten - Subventionsanspruch hat, ändert die Beurteilung nicht. Das Verfahren ist auch in diesem Fall durch sachwidrige Erwägungen belastet und das

18

Dazu auch: DREHER/TRÖNDLE § 14 Rdn. 8; GÖHLER/WLLTS DB 1976 S. 1611; LACKNER StGB, § 11 R d n . 15; MOLLER-EMMERT/MAIER N J W 1976 S. 1658; SCH/SCH/LENCKNER § 14 R d n . 2 8 f f .

19 20

LG Düsseldorf NStZ 1981 S. 223. Dazu OLG Köln NJW 1982 S. 457; BayObLG MDR 1989 S. 1014.

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

Rechtsgut abstrakt gefährdet, denn das Delikt ist kein Vermögensdelikt, bei dem es allein auf den letztlich maßgeblichen Vermögensstand ankommt/!

Da die Angaben für den Täter oder einen anderen vorteilhaft sein müssen, kann nicht nur der Begünstigte selbst Täter sein. - Macht jedoch ein Amtsträger, der auf der Seite des Subventionsgebers den Antrag zu prüfen hat, falsche Angaben, so kommt nur Teilnahme in Betracht, denn Abs. 1 Nr. 1 erfaßt ein Tatverhalten, das sich von außen gegen den Subventionsgeber richtet. Handlungen die intern dieses Verfahren fördern, z.B. unrichtige Prüfungsvermerke, sind nicht selbst "falsche Angaben", sondern unterstützen diese nur. 22 b) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das vorsätzliche, sowie in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 das leichtfertige Verhalten, Abs. 3. 4. Besonders schwere Fälle Abs. 2 sieht eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung gemäß Abs. 1 vor. Als Regelbeispiele sind genannt: Die Erlangung einer Subvention großen Ausmaßes, Handeln aus grobem Eigennutz oder unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege (Nr. 1), Mißbrauch der Stellung als Amtsträger (Nr. 2), Mithilfe eines Amtsträgers, der seine Befugnisse oder Stellung mißbraucht (Nr. 3). 5. Tätige Reue und Nebenstrafen Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 4, zu den Nebenstrafen Abs. 5. 6. Konkurrenzen a) Werden in einem auf rechtswidrige Erlangung einer Subvention gerichteten Verfahren zunächst Bescheinigungen i.S. des Abs. 1 Nr. 3 ausgestellt und später aufgrund ihrer Vorlage die Subvention geleistet, so liegt nur eine Tat nach Abs. 1 Nr. 1 vor. Hier erhält das in Abs. 1 Nr. 3 erfaßte Verhalten keine Eigenständigkeit. Anders hingegen, wenn der Täter bei Erlangung der Bescheinigung gutgläubig war oder ein Dritter die Bescheinigung erlangt hat. - Handelte der Täter bei der Erlangung der Bescheinigung leichtfertig, Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in Verb, mit Abs. 3, bei der Vorlage der Bescheinigung aber vorsätzlich, so erscheint eine Konsumtion des leichtfertigen Verhaltens durch die vorsätzliche Tat angemessen. b) Sind mehrere Alternativen des Tatbestandes erfüllt, so liegt dennoch nur ein Delikt gemäß § 264 vor. c) Nach dem in der Höhe des Strafmaßes zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers geht § 264 dem § 263 als Sonderregelung stets dann vor, wenn das Tat21

Vgl. auch BGHSt 34 S. 265 mit zust. Anm. ACHENBACH JR 1988 S. 251 ff, MEINE wistra 1988 S. 13 ff, und abl. Anm. LÜDERSSEN wistra 1988 S. 43 ff; BGHSt 36 S. 373; D. GEERDS

Wirtschaftsstrafrecht, S. 253 ff. - A.A. OLG Karlsruhe NJW 1988 S. 1383; EBERLE Subventionsbetrug, S. 144 f; HACK Probleme des Tatbestands Subventionsbetrug, § 264 StGB, S. 106; KINDHÄUSER J Z 1991 S. 4 9 2 f f , 496; LACKNER StGB, § 264 R d n . 16; RANFT N J W 1986 S. 3166 f; SANNWALD Rechtsgut, S. 65; SCH/SCH/LENCKNER § 264 R d n . 47; TIEDEMANN LK, § 2 6 4 R d n . 6 7 .

22

A.A. h.M. vgl. BGHSt 32 S. 203 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN NStZ 1985 S. 73, und abl. Anm.

OTTO JR 1984 S. 475 ff; OLG Hamburg NStZ 1984 S. 218; RANFT JuS 1986 S. 445 ff; WAGNER JZ

1987 S. 712. - Distanzierend auch LACKNER StGB, § 264 Rdn. 16.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

289

verhalten als vollendeter Subventionsbetrug zu bewerten ist. - Betrifft die Tathandlung eine Subvention, ohne daß § 264 vollendet wird, so wird die Strafbarkeit gemäfi § 263 nicht ausgeschlossen. m . Kreditbetrag, § 265 b 1. Das geschützte Rechtsgui und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Funktionieren des Kreditwesens; daneben wird mittelbar auch das Vermögen geschützt.23 - Die Tat ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betruges. 2. Der relevante Kredit a) Relevant sind nur Kredite, die von einem Betrieb oder Unternehmen als Kreditgeber gewährt werden. Als Kreditnehmer muß gleichfalls ein Unternehmen auftreten, sei es auch nur, daß der Betrieb, das Unternehmen oder der Umfang eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs vorgetäuscht wird. b) Zum Begriff des Betriebs und Unternehmens sowie zum notwendigen Geschäftsuntfang vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 HGB. - Zum Begriff des Kredits vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 2. Nicht erfaßt werden demnach von der Vorschrift Kredite an erst zu gründende Unternehmen^ sowie Kredite an Privatpersonen und Kredite von Privatpersonen. Hier sind lediglich §§ 263, 266 einschlägig.

3. Die Tatbestandsvoraussetzungen a) Die maßgebliche Tatsituation Erforderlich ist, daß die einzelnen im Gesetz, Abs. 1 Nr. 1, 2 umschriebenen Täuschungshandlungen im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung eines Kredits vorgenommen werden. - Täuschungshandlungen im Vorfeld der Antragsstellung bleiben irrelevant, wenn es nicht zur Stellung eines Kreditantrages kommt. b) Tathandlungen sind: aa) Nach Abs. 1 Nr. 1: die Vorlage unrichtiger oder unvollständiger Unterlagen über die wirtschaftlichen Verhältnisse (Nr. 1 a) und die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger schriftlicher Angaben über wirtschaftliche Verhältnisse (Nr. 1 b), soweit diese für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Entscheidung über den Kreditantrag relevant sind, d.h. die Kreditgrundlage für den Kreditnehmer positiver erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit ist. - Wirtschaftliche Verhältnisse sind Umstände, die für die Sicherheit des Kredits von Belang sein können. - Vorgelegt sind die Unterlagen, wenn sie im Machtbereich des Kreditgebers eingegangen sind. - Vorteilhaft sind die Angaben, soweit sie geeignet sind, die Aussichten des konkreten Kreditantrags zu verbessern. 23

Vgl. dazu OLG Stuttgart NStZ 1993 S. 545; GEERDS F L F 1988 S. 96; D . GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 232 ff; KIEBNER Kreditbetrug - § 265 b StGB, 1985, S. 55 f; LAMPE Der Kreditbetrug (§§ 263, 265 b StGB), 1980, S. 37 ff; SCH/SCH/LENCKNER § 265 b Rdn. 3; TLEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 9. - Vorrangig für Vermögensschutz: DREHER/TRÖNDLE § 265 b Rdn. 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 41 Rdn. 166; SAMSON SK, § 265 b Rdn. 2.

24

BayObLG wistra 1990 S. 237.

290

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

bb) Nach Abs. 1 Nr. 2: die Verletzung der Offenbarungspflicht über Verschlechterungen der in den Unterlagen oder Angaben dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse. - Der Gesetzgeber berücksichtigt hier, daß bei der Gewährung von Krediten oftmals Unterlagen, z.B. Jahresabschlußbilanzen o.ä. vorgelegt werden, die für einen zurückliegenden Zeitpunkt erstellt wurden, so daß sie eine inzwischen eingetretene Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage noch nicht erfassen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Vorlage des Antrages. Das Verschweigen späterer Verschlechterungen, z.B. in der Zeit zwischen der Entscheidung über den Antrag und der Kreditgewährung, ist nicht tatbestandsmäßig, auch wenn damit eine kaum zu begründende Strafbarkeitslücke vorliegt. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit aber eindeutig.25 Täter des Unterlassungsdelikts nach Abs. 1 Nr. 2 ist, wer die Unterlagen vorlegt oder die Angaben macht. Es handelt sich um ein Sonderdelikt, dessen Begehung durch andere Personen nur gemäß § 14 möglich ist.26 c) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz, einschließlich des bedingten Vorsatzes. 4. Zur Tätigen Reue vgl. § 265 b Abs. 2. 5. Konkurrenzen Mit Betrug ist aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz möglich.27 IV. Kapitalanlagebetrug, § 264 a 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechtsgut Mit dem Tatbestand des Kapitalanlagebetruges wollte der Gesetzgeber auf dem Gebiete der Kapitalanlagen den nach seiner Auffassung durch das zuvor geltende Recht nicht ausreichend gewährten, jedoch dringend notwendigen Strafrechtsschutz bieten. Er machte die Strafbarkeit nicht vom Eintritt eines Vermögensschadens abhängig, und die Tathandlung muß nicht notwendig auf eine Vermögensschädigung im Sinne des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs abzielen. Auch Verhaltensweisen, die auf Vorspiegelung von Gewinnen gerichtet sind, fallen unter den Tatbestand, d.h. dieser erfaßt Verhaltensweisen, die auf Vermögensschädigung, aber auch zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichtet sind. Es handelt sich bei dem Tatbestand daher um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt, das das Vertrauen der Allgemeinheit in das Funktionieren des Kapitalmarktes schützen soll.™ 25

So auch: LACKNER StGB, § 265 b Rdn. 6; SCH/SCH/LENCKNER § 265 b Rdn. 47. - A.A. TlEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 74.

26

Dazu vgl. TlEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 75.

27

V g l . d a z u BERZ B B 1976 S. 1435 ff; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 2 4 2 f; OTTO J u r a 1 9 8 3 S. 2 3 ; TlEDEMANN L K , § 2 6 5 b R d n . 8 9 . - A . A . B G H S t 3 6 S. 130 mit A n m . KINDHÄUSER J R 1 9 9 0 S. 5 2 0 ff; HEINZ G A 1977 S. 2 2 6 ; LACKNER L K , § 2 6 3 R d n . 3 3 1 : § 2 6 5 b ist subsidiär g e g e n ü b e r

28

V g l . a u c h : B T - D r u c k s . 1 0 / 3 1 8 , S. 2 2 ; CBRNY M D R 1987 S. 2 7 2 ; DREHER/TRÖNDLE § 2 6 4 a R d n . 4 ; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 2 0 4 ff; GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 6 ; JAUTH D ü n n e b i e r - F e s t s c h r i f t , S. 6 0 7 ; KNAUTH N J W 1987 S. 28; LACKNER S t G B , § 2 6 4 a R d n . 1; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 2 S. 2 0 5 ; OTTO W M 1988 S. 7 3 6 ; TlEDEMANN J Z 1986 S. 8 7 2 ; WE-

§263.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

291

Dem auf Vermögensschädigung und zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichteten Tatverhalten kommt die Bedeutung eines Strafwürdigkeitselementes zu, daher bietet der Tatbestand sekundär auch individuellen Vermögensschutz, und zwar in umfassendem Sinne und nicht nur in dem durch den wirtschaftlichen Vermögensbegriff umrissenen.29 2. Der sachliche Anwendungsbereich In § 264 a hat der Gesetzgeber nicht die unrichtige oder auf Täuschung beruhende Anlageberatung schlechthin unter Strafe gestellt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist vielmehr begrenzt auf Wertpapiere, Bezugsrechte und Anteile, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, § 264 a Abs. 1 Nr. 1, sowie auf Anteile an einem Vermögen, daß ein Unternehmen im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung verwaltet, § 264 a Abs. 2. a) Als Anteil der eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren soll, ist jede Form der Beteiligung an einem Unternehmen zu verstehen, bei der der Anleger entweder selbst einen Gesellschaftsanteil an dem Unternehmen erwirbt oder in eine sonstige - unmittelbare - Rechtsbeziehung zu dem Unternehmen tritt, die ihm eine Beteiligung an dem Ergebnis dieses Unternehmens verschafft, z.B. Anteile an Kapitalgesellschaften, Gesellschaftsanteile an Personengesellschafiten, Beteiligungen als stiller Gesellschafter oder in Form eines partiarischen Darlehens. - Oftmals wird der Tatbestand zugleich in der Alternative des Erwerbs von Wertpapieren verwirklicht sein, da insoweit Überschneidungen möglich sind.30 Nicht anwendbar ist § 264 a hingegen auf sog. Bauherrn-, Bauträger- und Erwerbermodelle, soweit diese auf die Verschaffung von individuellem Wohnungseigentum abzielen. Sie gewähren keine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens, und zwar selbst dann nicht, wenn man die neben dem Sondereigentum an der Wohnung entstehende Miteigentümergemeinschaft an den übrigen Gebäudeteilen und dem Grundstück in die Betrachtung miteinbezieht. Hier handelt es sich, genau wie bei sog. Mietpools, um Verwaltungs- bzw. Risikogemeinschaften, die neben dem eigentlichen Anlagezweck bestehen und ihn unterstützen, das Anlageobjekt selbst aber nicht berühren.3^

b) Wertpapiere sind Urkunden, die ein Recht in der Weise verbriefen, daß es ohne die Urkunde nicht geltend gemacht werden kann. In Betracht kommen Aktien, Industrieobligationen, öffentliche Anleihen, Pfandbriefe, Investmentzertifikate u.ä. c) Bezugsrechte sind den Anteilen und Wertpapieren gleichgestellt, da sie, auch wenn sie nicht verbrieft sind - z.B. als Recht der Aktionäre einer AG oder einer KGaA bei einer Kapitalerhöhung einen ihrem Anteil an dem bisherigen Grundkapital entsprechenden Teil neuer Aktien zugeteilt zu bekommen diesen in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung durchaus entsprechen können. BER NStZ 1986 S. 486. - A.A. Vermögensschutz: JOECKS wistra 1986 S. 143 f; SAMSON SK, § 264 a Rdn. 7; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 156; WORMS Anlegerschutz durch Strafrecht, 1987, S. 312 ff. 29 Schutz des Vertrauens in den Kapitalmarkt und Vermögensschutz sehen als gleichwertige Rechtsgüter an: BGH (Z) wistra 1992 S. 214; MARTIN Criminal Securities Commodities Fraud, 1993, S. 172 f; MUTTER NStZ 1991 S. 422.

30

Im einzelnen dazu OTTO WM 1988 S. 737 m.w.N.

31

Vgl. auch: GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 6; JOECKS wistra 1986 S. 144; KALIGIN WPg 1987 S. 357; MUTTER NStZ 1991 S. 422; OTTO WM 1988 S. 737; WORMS Anlegerschutz, S. 318; DERS. wistra 1987 S. 246. - A.A. RICHTER wistra 1987 S. 118; SCHMIDT-LADEMANN WM 1986

S. 1242; beim Mietpool: FLANDERKA/HEYDEL wistra 1990 S. 256 ff.

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

292

d) § 264 a Abs. 2 erstreckt die Strafbarkeit auf Treuhandbeteiligungen in Form der "echten" Treuhand, d.h. auf Anteile an einem Treuhandvermögen, das ein Unternehmen im eigenen Namen für Rechnung der Anleger verwaltet. In Betracht kommen Treuhandbeteiligungen an Abschreibungsgesellschaften, wenn anstelle des Anlegers der Treuhänder Gesellschafter wird, an Reedereien, Immobilienfonds und sonstigen Fonds.32 3. Die Tathandlung Die Tathandlung besteht in der Täuschung der präsumtiven Anleger durch unrichtige vorteilhafte Angaben oder durch Verschweigen nachteiliger Tatsachen, die für die Anlageentscheidung erheblich sind. a) Unrichtige vorteilhafte Angaben Der Begriff der Angabe entspricht dem der Tatsache; dazu vgl. § 51 in 1. Auch Bewertungen und Prognosen fallen daher unter den Begriff der Angaben, soweit sie nicht erkennbar als bloße Meinungsäußerung oder Werturteil ohne jeglichen Tatsachenkern abgegeben werden. Unrichtig ist die Angabe, wenn sie nicht der Wahrheit entspricht, d.h. "wenn mit ihr nicht vorhandene Umstände als vorhanden oder vorhandene Umstände als nicht vorhanden bezeichnet werden".33 Werturteile, Prognosen, Schätzungen und Beurteilungen sind allerdings nur dann als unrichtig anzusehen, wenn die Angaben evident unrichtig sind derart, daß nach einheitlichem Konsens der einschlägigen Fachleute die vorgelegten Schlußfolgerungen oder Beurteilungen unvertretbar sind. Sind z.B. bei Renditeberechnungen verschiedene Methoden anerkannt, so kann nicht eine als die allein richtige angesehen werden. Der Rahmen der Vertretbarkeit ist hier vielmehr auch für die Richtigkeit maßgebend.3'*

Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie geeignet sind, die konkreten Aussichten für eine positive Anlageentscheidung zu verbessern. b) Verschweigen nachteiliger Tatsachen Das Verschweigen nachteiliger Tatsachen liegt in der Unterdrückung von Tatsachen, deren Kenntnis geeignet wäre, den eventuellen Interessenten von der Entscheidung für die Anlage abzuhalten. § 264 a begründet die Pflicht, nachteilige Tatsachen zu offenbaren. In dieser Alternative handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt.

c) Die Erheblichkeit der unrichtigen vorteilhaften Angaben oder der verschwiegenen nachteiligen Tatsachen Nur dann sind die Angaben oder Tatsachen tatbestandsmäßig, wenn sie sich auf Umstände beziehen, die für die Anlageentscheidung erheblich sind. Aufgrund der Schutzrichtung des § 264 a, den Kapitalanleger vor vermögensschädigenden und auf zweckverfehlten Mitteleinsatz abzielenden Angeboten zu schützen, sind erheblich solche Angaben und Tatsachen, die nötig sind um Wert, Chancen und Risiken der Kapitalanlage zutref-

32

Vgl. auch. BT-Drucks. 10/318, S. 22 f; JOECKS wistra 1986 S. 144; LACKNER StGB, § 264 a Rdn. 4;

33

BT-Drucks. 10/318, S. 24.

MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1982 S . 2 0 6 ; OTTO W M 1 9 8 8 S . 7 3 7 ; WORMS A n l e g e r s c h u t z , S . 3 2 0 f .

34

Dazu vgl. auch: RGSt 49 S. 363; GROTHERR DB 1986 S. 2586; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; WORMS Anlegerschutz, S. 326.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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fend zu beschreiben. Als Maßstab bietet sich hier die Entscheidung eines verständigen durchschnittlich vorsichtigen Anlegers an. 33 Unrichtige Angaben, soweit es sich nicht um Bagatellunrichtigkeiten oder entscheidungsirrelevante Angaben handelt, werden im Regelfall erheblich sein, da gerade die Unrichtigkeit der Angabe die Anlageentscheidung beeinflussen soll. Schwieriger stellt sich die Beurteilung beim Verschweigen von Tatsachen dar, da hier eine Gesamtwürdigung der Umstände der Aussage, insbes. ein Vergleich der gemachten Angaben im Verhältnis zur Risiko- und Chancenlage der Anlage nötig wird. Auch hier sind die Anforderungen an die Erheblichkeit der Tatsachen jedoch hinreichend bestimmt, wenn streng darauf gesehen wird, daß es sich bei den verschwiegenen Tatsachen um Angaben handeln muß, die Wert, Chancen oder Risiken der Kapitalanlage berühren, so daß durch ihr Verschweigen die Gefahr der Vermögensschädigung oder des zweckverfehlten Mitteleinsatzes begründet wird.36 4. Tatmodalitäten a) Die Täuschung muß im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Anteilen im Sinne des § 264 a Abs. 1 Nr. 1 oder dem Angebot, die Einlage auf diese Anteile zu erhöhen, § 264 Abs. 1 Nr. 2, gegenüber einem größeren Kreis von Personen erfolgen. Vertrieb ist eine auf Absatz einer Vielzahl von Anteilen gerichtete Tätigkeit, die sich an den Markt wendet und zu dessen Täuschung führen kann, so z.B. Werbe- und Angebotsaktionen, nicht aber allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen.37 Daß individuelle Angebote, insbes. also individuelle Anlageberatungen, nicht erfaßt werden, ergibt sich aus dem weiteren Erfordernis, daß die Tathandlung gegenüber einem größeren Kreis von Personen vorgenommen wird, d.h. gegenüber einer solch großen Zahl potentieller Anleger, daß deren Individualität gegenüber dem sie zu einem Kreis verbindenden potentiell gleichen Interesse an der Kapitalanlage zurücktritt.38 Auch eine sukzessive, planmäßig an eine Vielzahl von Personen gerichtete Werbung, z.B. die systematische Werbung von Tür zu Tür, erfüllt den Tatbestand. 3 '

Das Angebot, die Einlage zu erhöhen, betrifft nur Personen, die schon Anteile im Sinne des § 264 a Abs. 1 Nr. 1 erworben haben. Tatbestandsmäßig ist auch hier nur eine neue Kapitalsammeimaßnahme, nicht aber ein individuelles Angebot. Mit dem Erfordernis des Zusammenhangs mit dem Vertrieb wird klargestellt, daß die Täuschungshandlung im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer bestimmten 35

Vgl. dazu auch: BT-Drucks. 10/318, S. 24; BGHSt 30 S. 285; GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 7; JOECKS Der Kapitalanlagebetrug, 1987, Tz. 59, 129.

36

Vgl. auch: D . GEERDS Wirtschaftsstralrecht, S. 213 ff; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; LACKNER StGB, § 2 6 4 a R d n . 13; TLEDEMANN J Z 1986 S. 873; WORMS wistra 1987 S. 2 7 3 . - Krit. WEBER

NStZ 1986 S. 485. - Zur indiziellen Bedeutung der im Zivilrecht entwickelten Grundsätze der Prospekthaftung und der sog. Kapitalanlage-Checklisten vgl. BT-Drucks. 10/5058 S. 31; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 228 f; GROTHERR DB 1986 S. 2588; JOECKS Kapitalanlagebetrug, T z . 143 ff, 169 ff; LACKNER StGB, § 264 a Rdn. 13; OTTO W M 1988 S. 738; SCHLÜCHTER Zweites

Gesetz, S. 139 f; WORMS wistra 1987 S. 273. - Krit. GALLANDI wistra 1987 S. 316 ff.

37 38

Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 24. Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 23.

39

Vgl. auch DREHER/TRÖNDLE § 264 a R d n . 13; LACKNER StGB, § 264 a R d n . 11; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a Rdn. 3 3 .

294

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

Vertriebsmaßnahme stehen muß, so daß allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen, insbes. die Informationstätigkeit von Wirtschaftsjournalisten, nicht ausreichen, b) Beschränkt ist die Tathandlung weiter auf Angaben in Prospekten oder in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand. Prospekte sind Werbe- oder Informationsschriften, die den Eindruck erwecken, die für die Beurteilung einer Anlageentscheidung erheblichen Angaben zu enthalten und die damit zugleich Grundlage für die Anlageentscheidung sein sollen. Erkennbar lückenhafte Informationen, wie z.B. Werbezettel oder Inserate, genügen diesen Anforderungen nicht. Darstellungen sind Informationen, die den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. Sie können mündlich oder schriftlich, durch Ton- oder Bildträger gegeben werden. Übersichten über den Vermögensstand sind Vermögensübersichten, z.B. Bilanzen, die schriftlich gegeben werden und den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. 5. Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der neben der Tathandlung auch die Modalitäten der Tathandlungen umfassen muß; bedingter Vorsatz genügt. 6. Täterschaft und Teilnahme Da es sich bei § 264 a nicht um ein Sonderdelikt handelt, kann Täter jeder sein, der die Tathandlung verwirklicht. Das bedeutet aufgrund der unterschiedlichen Tatmodalitäten: a) Bei der Täuschung durch Prospekte sind Täter die Personen, die für den Prospektinhalt verantwortlich sind, weil sie an der Konzeption mitgewirkt haben. Dieses können nicht nur die Emittenten, sondern auch Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sein, während Anlageberater und Anlagevermittler, die sich erkennbar der Prospekte anderer, die für den Inhalt verantwortlich sind, bedienen, nur als Teilnehmer in Betracht kommen.40 b) Bei der Täuschimg durch Darstellungen und Übersichten sind gleichfalls Täter die für den Inhalt dieses Informationsmaterials verantwortlichen Personen. Hier kommt jedoch auch eine täterschaftliche Haftung von Anlageberatern und Anlagevermittlern in Betracht, wenn diese sich dieser Darstellung und Übersichten bedienen, ohne deutlich erkennbar zu machen, daß sie lediglich Informationen, für deren Inhalt andere verantwortlich sind, weitergeben. 7. Tätige Reue, § 264 a Abs. 3 Der modernen Gesetzestechnik bei den abstrakten Gefährdungsdelikten folgend, sieht § 264 a Abs. 3 für den Täter nach formeller Tatverwirklichung, aber vor materieller Tatbeendigung eine strafbefreiende Rücktrittsmöglichkeit vor. Straffreiheit erlangt der Täter, der nach formeller Vollendung der Tat, aber vor Erbringung der Leistung entweder die Leistung freiwillig verhindert oder sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemüht, falls die Leistung ohne sein Zutun nicht erbracht wird. - Straffrei wird der Täter allerdings auch dann, wenn der Anleger die Leistung erbringt, obwohl er vorher vom Täter über den unrichtigen Sachverhalt aufgeklärt worden

40

Vgl. auch: D . GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 213; SCHMIDT-LADEMANN W M 1986 S. 1242 f. A . A . JOECKS Kapitalanlagebetrug, Tz. 220; WORMS wistra 1987 S. 274.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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ist. Ist jedoch im Zeitpunkt der Rücktrittshandlung ein Betrug, § 263, bereits als Eingehungsbetrug vollendet, so erstreckt sich die Straffreiheit nicht auf ihn.41 8. Konkurrenzen Aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter konkurrieren §§ 263, 266 sowie § 264 a idealiter, § 52. 42 Idealkonkurrenz ist weiter möglich mit §§ 88, 89 BörsG.43 Gegenüber § 4 UWG ist § 264 a die lex specialis.44

V. Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 1, 3 1. Das geschützte Rechtsgut Die Tatbestände schützen das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung. 2. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 1, 4 a) Die Täterposition Täter kann nur der Arbeitgeber oder eine ihm gleichgestellte Person sein. Die Täterposition ist kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1; vgl. dazu § 54 IV 2 a. Da § 266 a Abs. 1 an die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers anknüpft, ist der Begriff des Arbeitgebers hier nach den im Sozialrecht geltenden Grundsätzen zu bestimmen. Danach sind neben dem zivilrechtlichen Arbeitgeber - dazu vgl. § 54 IV 2 b - auch die Personen als Arbeitgeber erfaßt, die die tatsächliche Stellung des Arbeitgebers einnehmen, sich aber z.B. eines Strohmannes bedienen45 - oder als Verleiher oder Entleiher beim illegalen Verleih von Arbeitnehmern tätig werden. - Täter können weiter die in § 14 genannten Vertreter und Organe sein. - Die nach Abs. 4 dem Arbeitgeber gleichgestellten Personen sind in § 12 SGBIV näher beschrieben. b) Die Tathandlung Beiträge des Arbeitnehmers sind die nach dem Arbeitsentgelt gemäß § 14 SGB IV zu berechnenden, auf ihn entfallenden Beitragsteile, die aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für die Sozialversicherung (Kranken- und Rentenversicherung) und für die Bundesanstalt für Arbeit zu entrichten sind. Sie sind Bestandteile des Bruttolohns, auch wenn sich der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer zur alleinigen Tragung der Beiträge verpflichtet hat oder wenn die Beteiligten vereinbart haben, keine Sozialbeiträge abzuführen 41

Vgl. auch: LACKNER StGB, § 264 a Rdn. 16; RICHTER wistra 1987 S. 120, Fn. 47; WORMS wistra

42

Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 231 f; KALIGIN WPg 1987 S. 364, RICHTER wistra

1987 S. 275. - A.A. JOECKS Kapitalanlagebetrug, Tz. 266.

1987 S. 120; SCH/SCH/CRAMER § 264 a Rdn. 41. - A.A. (Subsidiarität des §264 a): DRE-

HER/TRÖNDLE § 264 a Rdn. 3; LACKNER StGB, § 264 a Rdn. 17 in Verb, mit § 265 b Rdn. 17, so-

wie diejenigen, die bei § 264 a allein das Vermögen als geschütztes Rechtsgut ansehen.

43

Vgl. LACKNER StGB, § 264 a Rdn. 1. - A.A. für § 88 (Subsidiarität des § 88): DREHER/TRÖNDLE

44

Vgl. dazu OTTO W M 1988 S. 739, RICHTER wistra 1987 S. 120. - A.A. (Idealkonkurrenzen): JOECKS

45

Dazu BGH GA 1955 S. 81.

§ 2 6 4 a R d n . 18; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a R d n . 4 1 .

Kapitalanlagebetrug, Tz. 269; LACKNER StGB, § 264 a Rdn. 1; WORMS wistra 1987 S. 275.

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

(sog. Nettolohnabrede). Stets muß es sich aber um Beiträge handeln, die der Arbeitnehmer selbst entrichten müßte, hätte das Gesetz die Abführungsaufgabe nicht dem Arbeitgeber auferlegt, d. h. um Mittel, die materiell dem Arbeitnehmer zuzurechnen sind. Die mit einer teilweisen oder vollständig unterlassenen Lohnzahlung verbundene Nichtabführung reicht daher nicht aus.46 Nicht erfaßt werden die in den Beiträgen enthaltenen Arbeitgeberbeiträge, und zwar auch dann nicht, wenn das Gesetz die Arbeitnehmeranteile auf den Arbeitgeber abgewälzt hat; vgl. z.B. § 381 Abs. 1 RVO.47 Vorenthalten sind die Beiträge, wenn sie nicht spätestens am Fälligkeitstage an die Einzugsstelle abgeführt worden sind; zum Fälligkeitszeitpunkt vgl. § 23 I SGB IV. Die Absicht, die Beiträge auf Dauer zu behalten, ist nicht erforderlich.48 - Vorausgesetzt wird, daß dem Täter die Zahlung möglich und zumutbar ist, doch werden ihm solche Verhaltensweisen zugerechnet, mit denen er seine Handlungspflicht schuldhaft unmöglich oder ihre Erfüllung unzumutbar gemacht hat.49 3. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 3 a) Die Täterposition Täter kann nur ein Mitglied einer Ersatzkasse sein, d.h. eine Person, die von der Mitgliedschaft einer Pflichtkrankenkasse befreit und nach § 504 ff RVO in eine Ersatzkasse aufgenommen worden ist. b) Die Tathandlung Zu den relevanten Beiträgen und zum Vorenthalten, vgl. 2 b. Die Beiträge sind vom Arbeitgeber erhalten, wenn sie von diesem oder auf dessen Veranlassung unter Kennzeichnung ihrer Zweckbestimmimg dem Vermögen des Täters zugeführt worden sind. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt; im einzelnen dazu vgl. § 54IV 4. 5. Absehen von Strafe und Straffreiheit, Abs. 5 a) Absehen von Strafe Abs. 5 S. 1 eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn der Täter rechtzeitig - spätestens im Fälligkeitszeitpunkt oder unverzüglich danach, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden - schriftlich mitteilt, in welcher Höhe er Beiträge vorenthalten hat, und welche Gründe zur Unmöglichkeit der fristgerechten Zahlung geführt haben, obwohl er sich ernsthaft um die Zahlung bemüht hat. - Diese Voraussetzungen sind er-

46

Vgl. auch BENTE wistra 1992 S. 177 f; LACKNER StGB § 266 a Rdn. 8; SCH/SCH/LENCKNER § 266 a Rdn. 9. - A.A. KG NStZ 1991 S. 287, DREHER/TRÖNDLE § 266 a Rdn. 11; MARTENS wistra 1986

48

S. 156. Dazu vgl. BGH StV 1994 S. 425; LACKNER StGB, § 266 a Rdn. 7; MARTENS wistra 1986 S. 157; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 168. BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 1066 f.

49

Dazu vgl. LACKNER StGB, § 266 a Rdn. 10; SCH/SCH/LENCKNER § 266 a Rdn. 10.

47

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

297

füllt, wenn das Vorbringen des Täters die eingetretene und von ihm nur als vorübergehend beurteilte Leistungsunfähigkeit verständlich macht.50 b) Straffreiheit Straffreiheit tritt über Abs. 5 S. 1 hinaus zwingend ein, wenn nach Erfüllung der Voraussetzungen desS. 1 die Beiträge innerhalb einer von der Einzugsstelle gesetzten Frist nachentrichtet werden, Abs. 5 S. 2. - Solange die Frist läuft, ist die staatliche Strafbefugnis auflösend bedingt.51 6. Konkurrenzen Wenn die Tathandlung auch den Tatbestand des Betrugs erfüllt, ist - je nach den Tatumständen - Real- oder Idealkonkurrenz möglich, da die beiden Tatbestände verschiedene Rechtsgüter schützen.52 VI. Konkursdelikte, §§ 283 - 283 d Geschützte Rechtsgüter der Konkursdelikte sind die Vermögensinteressen der Gläubiger und die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft,53 Die Taten sind abstrakte Gefährdungsdelikte. Wird hingegen nicht die Tathandlung, sondern die Tatsituation zum Ausgangspunkt der Bestimmung des Delikts genommen, so ist die Kennzeichnung der Delikte als abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte durchaus konsequent.54 1. Bankrott, § 283 a) Angriffsobjekt und Tatzeit Angriffsobjekt ist der Anspruch des Gläubigers auf adäquate, d.h. der Rangordnung und Mehrheit der Gläubiger entsprechende Befriedigung. - Strafbar sind einzelne Bankrotthandlungen, wenn sie im Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Krise vorgenommen werden und - objektive Bedingung der Strafbarkeit - der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist. Krisensituationen sind die Überschuldung, die drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit. aa) Die Feststellung der Überschuldung setzt die Erstellung eines Vermögensstatus voraus, der auf der Aktiv- und Passivseite die wirklichen Werte zeitnah erfaßt. Über-

50

Dazu vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 31; LACKNER StGB, § 266 a Rdn. 18; WINKELBAUER wistra 1988 S. 17.

51

Vgl. BGHSt7S. 341.

52

Vgl. auch: DREHER/TRÖNDLE §266 a Rdn. 23; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 171. - A.A. (Konsumtion des § 266 a durch § 263): LACKNER StGB, § 266 a Rdn. 20; MARTENS wistra 1986 S. 158.

53

V g l . DREHER/TRÖNDLE V o r § 2 8 3 R d n . 3 ; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S . 3 5 7 f f ; LACKNER

StGB, § 283 Rdn. 1; TIEDEMANN ZRP 1983 S. 520. - A.A. (ausschließlich Vermögensinteressen): MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 8 R d n . 8 .

54

Dazu TIEDEMANN NJW 1977 S. 780 f.

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Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

schuldung liegt dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, d.h. wenn die Passiva gegenüber den Aktiva überwiegen. Streitig ist jedoch die Bewertung der Vermögenswerte. - Die strafrechtliche Literatur geht weitgehend von einer statischen Ermittlung der Überschuldung aus, wobei streitig ist, ob der Bewertung die sog. Liquidationswerte zugrunde zu legen sind55 oder die sog. Betriebsfortfuhrungswerte, d. h. die anhand einer Fortbestehungsprognose unter Berücksichtigung der Ertrags- und Lebensfähigkeit der Gesellschaft korrigierten Liquidationswerte, so daß erst dann eine Überschuldung vorliegt, wenn auch mit Ansatz dieser going-concern-Werte die Überschuldung nicht beseitigt ist.56 Der BGH in Zivilsachen hat sich inzwischen zu dem im wirtschaftsrechtlichen Schrifttum herrschenden zweistufigen Überschuldungsbegriff bekannt. Danach liegt eine Überschuldung nur vor, wenn das Vermögen bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft des Unternehmens nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (Überlebens- oder Fortbestehungsprognose).57 Diese Auffassung überzeugt, denn sie verhindert, daß leistungsfähige Unternehmen sinnlos zerschlagen werden. Auf diesem Wege läßt sich allerdings nur die Überschuldung eines Unternehmens im weitesten Sinne feststellen. Das ist auch sachgerecht, denn bei natürlichen Personen bedeutet die rechnerisch feststellbare Überschuldung im Regelfall keineswegs eine Gefährdimg der Gläubigerinteressen. Die verfassungskonforme Auslegung gebietet daher, Überschuldung nur in den Fällen als Krisensituation anzuerkennen, in denen sie auch Konkursgrund nach dem Konkursrecht ist. 58 bb) Zahlungsunfähigkeit wird definiert als das nach außen in Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des Täters, seine fälligen Geldschulden im wesentlichen zu erfüllen.59 cc) Zahlungsunfähigkeit droht, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Wahrscheinlichkeit ihres nahen Eintritts besteht.60

55

Vgl. FRANZHEIM NJW 1980 S. 2501; DERS. wistra 1984 S. 212; MÜLLER/WABNITZ Wirt-

56

So RICHTER GmbHR 1984 S. 140; SCHLÜCHTER wistra 1984 S. 43; HEDEMANN LK, Vor § 283

57

schaftskriminalität, 3. Aufl. 1993, S. 141.

Rdn. 144. Vgl. BGHZ 119 S. 201, 213 f m. e. N. zum wirtschaftsrechtlichen Schrifttum. - Grundlegend K.

SCHMIDT ZIP 1980 S. 233 ff; DERS. JZ 1982 S. 165 ff. - Zum Strafrecht: OLG München NJW 1994

S. 3112, 3114; BIENECK in: Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. § 63 Rdn. 19 ff. 58 Eingehend dazu OTTO Bruns-Gedächtnisschrift, S. 273 ff. - A.A. LACKNER StGB, § 283 Rdn. 6; TLEDEMANN LK, V o r § 283 Rdn. 137.

59 Vgl. dazu BGH StV 1987 S. 343; BGH wistra 1991 S. 26; BayObLG wistra 1988 S. 363; LACKNER

StGB, § 283 Rdn. 7; SCHLÜCHTER MDR 1978 S. 267; TlEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 118 ff. - Im

einzelnen zum dauernden Unvermögen des Schuldners und zur wesentlichen Unterdeckung: OTTO Bruns-Gedächtnisschrift, S. 277 f. 60 Dazu BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 1067; DREHER/TRÖNDLB Vor § 283 Rdn. 11; LACKNER StGB, § 283 R d n . 8; OTTO Bruns-Gedächtnisschrift, S. 278 ff; WESSELS B . T . 2 Rdn. 442. - A . A . TIEDE-

MANN LK, Vor § 283 Rdn. 129: Überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit. - Zu den betriebswirtschaftlichen Methoden der hier nötigen Feststellung: BORUP wistra 1988 S. 88 ff; HOFFMANN DB 1980 S. 1527 f; SCHLÜCHTER Der Grenzbereich zwischen Bankrottdelikten und unternehmerischen Fehlentscheidungen, 1977, S. 80 ff. - Zu den Indizien für Zahlungsunfähigkeit: BGH wistra 1993 S. 184; LG Köln wistra 1992 S. 269.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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b) Täter Täter des Bankrotts können nur Schuldner sein. Die Schuldnereigenschaft ist besonderes pflichtbegründendes Merkmal i.S. des § 28 Abs. I. 6 1 Die Schuldnereigenschaft ist zugleich besonders persönliches Merkmal i.S. des § 14, mit der Konsequenz, daß auch die dort genannten Organe und Vertreter Täter sein können. Bei den vertretungsberechtigten Organen der GmbH, d.h. bei ihren Geschäftsführern, schränkt der BGH den Täterkieis jedoch wesentlich ein. Er vertritt die Auffassung, daß als Täter gemäß § 283 nur bestraft werden kann, wer die Tathandlung für die GmbH und wenigstens auch in ihrem Interesse vorgenommen hat. Bei einem ausschließlich eigennützigen Verhalten des Täters ist dies nicht der F a l l . D i e s e Interessentheorie ist in der Literatur vielfältig airfKritik gestoßen."^ - Auch der BGH hat ihre Berechtigung in einer neueren Entscheidung offengelassen"^ und zuvor bereits die Anwendung der Theorie auf den Geschäftsführer einer KG abgelehnt." Dieser Kritik ist zuzustimmen, denn der Geschäftsführer der GmbH, der rechtswirksam über Vermögen der GmbH verfügt, handelt in seiner Eigenschaft als Organ der GmbH.

c) Die einzelnen Tathandlungen aa) Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1: Verringerung der Konkursmasse durch Beiseiteschaffen, Verheimlichen oder entgegen ordnungsgemäßer Wirtschaft Zerstören, Beschädigen oder Unbrauchbarmachen von Vermögensbestandteilen, die im Falle der Konkurseröffnung zur Konkursmasse gehören würden. Beiseiteschaffen ist das Verbringen von Vermögensbestandteilen in eine tatsächliche oder rechtliche Lage, in der den Gläubigern der Zugriff unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird, ohne daß dies im Rahmen der ordnungsgemäßen Wirtschaft liegt. Beispiele: Veräußerung, ohne daß der Masse Gegenwerte zufließen; Scheinveräußerung oder -belastung; Verbrauch von Summen, die über den angemessenen Lebensunterhalt hinausgehen (BGH JR 1982 S. 29 mit Anm. SCHLOCHTER S. 29 ff); Überweisung von Geld auf Konten Dritter (BGH StV 1988 S. 14).

Verheimlichen ist das Verschleiern der Massezugehörigkeit. - Zum Zerstören und Beschädigen vgl. oben § 47 I 2. Unbrauchbarmachen ist die Funktionsstörung oder Vernichtung ohne Substanzänderung. Abs. 1 Nr. 2: Das Eingehen bestimmter Risikogeschäfte. Verlustgeschäfte sind Geschäfte, die von vornherein auf einen Vermögensverlust angelegt sind. - Spekulationsgeschäfte beziehen sich auf besonders hohe Risikochancen. - Differenzgeschäfte sind Geschäfte, bei denen es dem Täter um die Differenz zwischen dem An- und Verkaufspreis geht, nicht aber um den Erwerb der Ware (z. B. Warenterminoptionsgeschäfte). - Unwirtschaftliche Ausgaben sind Ausgaben des Schuldners, die zu seinem Gesamtvermögen in keinem angemessenen Verhältnis stehen.66

61

Str., vgl.: DREHER/TRÖNDLB § 283 R d n . 38; RENKL JuS 1973 S. 614; SAMSON SK, § 283 R d n . 28; TIEDEMANN LK, § 2 8 3 R d n . 221. - A . A . LACKNER StGB, § 2 8 3 R d n . 25; VORMBAUM G A 1981

62

BGHSt 28 S. 371; 30 S. 127; BGH NStZ 1984 S. 119.

63

Vgl. z.B. ARLOTH NStZ 1990 S. 5 7 2 ff; GÖSSEL JR 1988 S. 2 5 6 f f ; LABSCH JuS 1985 S. 6 0 2 ff; SCHÄFER wistra 1990 S. 85; TIEDEMANN LK, V o r § 283 R d n . 7 8 ff.

64

BGH wistra 1990 S. 99.

65

Vgl. B G H StV 1988 S. 14 mit Anm. WEBER S. 16 ff, u n d WINKELBAUER J R 1988 S. 3 3 f f .

66

Dazu BT-Drucks. 7/3441, S. 34.

S. 133; WEBER in: Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 348.

300

Delikte gegen die Wirtschaftsordnung

Abs. 1 Nr. 3: Veräußerung und sonstiges Abgeben von Wertpapieren oder Waren sowie den aus diesen Waren hergestellten Sachen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Kredits erlangt wurden, erheblich unter ihrem Wert in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise. Abs. 1 Nr. 4: Vortäuschung oder Anerkennung erdichteter Rechte anderer. Abs. 1 Nr. 5: Verletzung der Pflicht, Handelsbücher in bestimmter Weise zu fuhren. Abs. 1 Nr. 6: Beiseiteschaffen, Verheimlichen, Zerstören und Beschädigen von Handelsbüchern und sonstigen Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann nach Handelsrecht verpflichtet ist. Abs. 1 Nr. 7: Erstellen falscher Bilanzen. Abs. 1 Nr. 8: In einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen Vermögensstand verringern oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlichen oder verschleiern, bb) Abs. 2 Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit über die in der Krise begangenen Handlungen auf jene Bankrotthandlungen aus, die erst die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, d.h. die Krise, herbeiflihren. d) Subjektive Voraussetzungen aa) Strafbar gemäß Abs. 1 und Abs. 2 ist zunächst die vorsätzliche Verwirklichung des Tatbestandes. Der Vorsatz muß sich auch auf die Krisensituation beziehen, bb) Gemäß Abs. 4 ist strafbar, wer die Bankrotthandlung vorsätzlich begeht, das Vorhandensein der Krise jedoch fahrlässig nicht kennt oder die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit leichtfertig herbeiführt. cc) Gemäß Abs. 5 ist strafbar, wer bestimmte Bankrotthandlungen (Abs. 1 Nr. 2, 5, 7, Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2, 5, 7) fahrlässig begeht und das Vorhandensein der Krise wenigstens fahrlässig nicht kennt, bzw. die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit wenigstens leichtfertig herbeiführt. e) Strafbarkeitsvoraussetzung Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen Fällen der Eintritt der Zahlungseinstellung, die Konkurseröffnung oder die Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse beim Schuldner. - Die systematische Auslegung des § 283 Abs. 6 ergibt, daß mit dem dort genannten Begriff "Täter" der "Schuldner" gemeint ist.67 Zahlungseinstellung liegt vor, wenn ein Schuldner wegen eines wirklichen oder angeblichen nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nach außen nicht mehr in der Lage ist, den wesentlichen Teil seiner fälligen Geldzahlungen zu erfüllen. Wesentlichkeit ist bei SO % der Nichtzahlungsquote anzunehmen.68 Die Zahlungsein-

67

V g l . LACKNER StGB, § 2 8 3 Rdn. 2 6 ; TffiDEMANN N J W 1977 S. 7 8 0 . Kritisch LABSCH wistra 1985 S. 4 .

68

V g l . BmNECK wistra 1 9 9 2 S. 9 0 ; TffiDEMANN LK, V o r § 2 8 3 Rdn. 135.

§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch

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Stellung muß nicht auf Zahlungsunfähigkeit beruhen, es genügt z. B. Zahlungsunwilligkeit.