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German Pages 582 [584] Year 2002
de Gruyter Lehrbuch
Grundkurs Strafrecht Die einzelnen Delikte
von
Harro Otto 6., neubearbeitete Auflage
W G DE
2002 Walter de Gruyter • Berlin • New York
Dr. jur. D r . h. c. HARRO OTTO, o. Professor an der Universität Bayreuth
Zitiervorschlag:
O t t o , Grundkurs Strafrecht, B T , 6. Aufl. 2 0 0 2 , § 3 1 R d n 1 0
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Otto, Harro: Grundkurs Strafrecht / von Harro Otto. - Berlin ; New York : de Gruyter (De-Gruyter-Lehrbuch) Die einzelnen Delikte. - 6., neubearb. Aufl. - 2002 ISBN 3-11-017342-5
© Copyright 2002 by Walter de Gruyter 8c Co. KG., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: buslau intercom services, Berlin Druck und Bindearbeiten: Kösel GmbH, Kempten Einbandgestaltung: Hansbernd Lindemann, Berlin
Vorbemerkung Lerntheoretisches Ziel, Anlage und Methode dieses Teils des Grundkurses Strafrecht entsprechen denen der Allgemeinen Strafrechtslehre. Allerdings ließen diese sich nicht ohne weiteres auf die Beschreibung der einzelnen Delikte übertragen. Die Eigenart des Stoffes verlangte gewisse Modifizierungen und die Verlagerung einzelner Akzente: Der Allgemeinen Strafrechtslehre geben nämlich die Prinzipien der Zurechnungslehre ihren durchgehenden systematischen Zusammenhang. Ihre Wirksamkeit gilt es in den verschiedenen Problemkreisen des Allgemeinen Teils zu erkennen und in ihrer Bedeutung im sozialen Raum abschätzen zu lernen. Der Verschiedenheit des jeweiligen Aspekts der Zurechnung entsprechen die verschiedenen Lernziele. Die einzelnen Problemstellungen bezeichnen den jeweils zu erschließenden Raum. Eine vergleichbare Problementfaltung ist bei der Beschreibung der einzelnen Delikte nur dort von Nutzen, wo ein übergreifender Zusammenhang die einzelnen Delikte einer Gruppe in ihrem Wesen entscheidend prägt, ohne dass dies dem Wortlaut der einzelnen Gesetzestatbestände ausdrücklich zu entnehmen ist. In diesem Bereich muss das Lemziel der Einblick in die Art und Weise der Wirksamkeit dieses Zusammenhangs sein. Im übrigen kann aber das Lernziel der einzelnen Abschnitte vorweg definiert werden: Kenntnis der Art und des Umfangs des Schutzes der Rechtsgüter der einzelnen Deliktstatbestände. Innerhalb des so gewonnenen, jeweils überschaubaren Rahmens ist die Beschäftigung mit den einzelnen Delikten sodann die Fortsetzung der in der Allgemeinen Strafrechtslehre begonnenen Einübung in das strafrechtliche Denken, dessen normativ-begrifflicher Aspekt stets der Ergänzung durch eine faktische Abschätzung der Probleme und ihrer Bedeutung im sozialen Bereich bedarf. Beide Betrachtungsweisen sind jedoch schon in der begrifflichen Begrenzung des Schutzumfangs der einzelnen Delikte weit enger miteinander verbunden, als es vielleicht den Anschein hat. Die Bestimmung des Schutzumfangs der Tatbestände und des Inhalts der einzelnen Begriffe ist heute bereits das Ergebnis harter, langer Arbeit am Begriff durch Lehre und Rechtsprechung in steter Auseinandersetzung mit einer Vielzahl verschiedener Problemstellungen. Vor allem in den gerichtlichen Entscheidungen werden die einzelnen Begriffe einer steten Bewährungsprobe unterzogen. In die Bestimmung, Modifizierung oder völlige Neuschöpfung einzelner Begriffsinhalte gehen umfangreiche kriminologische Überlegungen, kriminalpolitische Zwecksetzungen und sozialpolitische Stellungnahmen ein, auch wenn darüber nicht jeweils Rechenschaft abgelegt wird. - Der Rechtsprechung kommt daher in diesem Bereich besondere Bedeutung zu, die auch in der konkreten Zielsetzung des Grundkurses Ausdruck finden musste: nicht nur der "fertige Jurist", auch schon der Anfänger muss die Entscheidungen, die die Praxis als besonders bedeutsam ansieht, kennenlernen. Er muss sie nicht auswendig lernen, sich aber mit ihnen auseinandersetzen, um die eigene Meinung zu begründen. In dieser Verflechtung von Theorie und Praxis ist die Eigenart dieses Bandes des Grundkurses begründet. Im übrigen ist der Umfang der Darstellung der einzelnen Deliktsgruppen nach der Bedeutung der Delikte in Ausbildung und Praxis differenziert. Der Schwerpunkt des Grundkurses aber liegt in dem Bemühen, den Leser auf wesentliche Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen, in die selbständige Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Problemen einzuüben und Wege zur weiteren Vertiefung zu zeigen. Der Leser soll am Prozess der Meinungsbildung beteiligt werden, sich aber nicht zur freundlichen Bedienung mit fremden Meinungen eingeladen fühlen. V
Vorbemerkung In die Neuauflage wurden Rechtsprechung und Schrifttum auf den aktuellen Stand gebracht. Besonderen Raum beanspruchten dabei die Folgewirkungen des 6. Strafrechtsreformgesetzes. Dieses Gesetz hat zu zahlreichen Zweifelsfragen geführt, deren Beantwortung mit den Mitteln herkömmlicher Gesetzesauslegung nicht immer gelingt, da Widersprüche und Fehldeutungen im Gesetz selbst angelegt sind. Die notwendige Klärung hat in Rechtsprechung und Literatur noch keinen Abschluss erfahren, doch zeichnen sich vielfach Argumentationslinien ab, mit denen vertraut gemacht wird. Weitere Schwerpunkte der Neubearbeitung bildeten daneben die Sterbehilfe, die Beurteilung ehrverletzender Äußerungen im Rahmen der öffentlichen oder politischen Meinungsbildung, der Bandenbegriff, die Probleme der Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 261 StGB und der Urkundenbegriff. Für ihre Mitarbeit danke ich sehr herzlich meinen Assistenten, Frau Silvia Hirschmann, Frau Sabine Maisei sowie Herrn Harald Petersen, für die Erstellung der Druckvorlage meiner Sekretärin Frau Annemarie Trenz. Bayreuth, Oktober 2001
VI
Harro Otto
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung Schrifttum
V XIX
1. Teil: Einführung § 1 Die einzelnen Tatbestände und das System des Besonderen Teils I. Unrecht und strafbares Unrecht II. Die Rechtsgutsbeeinträchtigung als Kern des Straftatbestandes IE. Die Legalordnung
1 1 3 3
2. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen 1. Kapitel: Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter
4
1. Abschnitt: Delikte gegen das Leben
4
§ 2 Die Systematik der Tötungsdelikte
4
§3 Totschlag
10
§4 Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale HI. Vorsatzprobleme
11 11 12 26
§ 5 Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 n. Das Verhältnis des § 213 zu § 211
27 27 29
§ 6 Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 II. Die Problematik der Sterbehilfe HI. Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung IV. Zur Teilnahmeproblematik
30 30 33 41 45
§ 7 Kindestötung
45
§ 8 Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte I. Prämissen der Entscheidung II. Zur Einübung
46 46 47
§ 9 Fahrlässige Tötung
48
vn
Inhaltsverzeichnis § 10 Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes II. Besondere Probleme des Tatbestandes
51 51 52
§ 11 Völkermord I. Das geschützte Rechtsgut ü. Die Bedeutung des Tatbestandes
54 54 54
§ 12 Zur Wiederholung
55
2. Abschnitt: Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben
56
§ 13 Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung n. Abbruch der Schwangerschaft HI. Der gerechtfertigte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 2, 3 IV. Strafausschluss und Absehen von Strafe, § 218 a Abs. 4 V. Flankierende Maßnahmen zum Schutz ungeborener Kinder VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten
56 56 60 64 65 66 67
3. Abschnitt: Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit
69
§ 14 Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut n. Die Systematik des Gesetzes
69 69 69
§15 Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 H. Zur Rechtswidrigkeit m . Zur Bestrafung
69 69 71 74
§ 16 Die gefahrliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 224 n. Die einzelnen Tatmittel m . Vorsatz IV. Sonderproblem Aids
75 75 75 77 77
§17 Schwere Körperverletzung I. Der Aufbau des § 226 n. Die einzelnen Merkmale m . Versuch und Täterschaft
79 79 80 81
§ 18 Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 227
81 81
vm
Inhaltsverzeichnis II.
Der Strafrahmen des § 227 Abs. 2
84
§ 19 Körperverletzung im Amt
84
§ 20 Misshandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 225 II. Einzelheiten zur Interpretation IE. Zur sozialen Relevanz des § 225
86 86 86 87
§ 21 Fahrlässige Körperverletzung
87
§ 22 Vergiftung
87
§ 23 Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat II. Einzelheiten der Regelung m . Zur Einübung
88 88 88 89
§ 24 Konkurrenzprobleme I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten
89 89 90
§ 25 Zur Wiederholung
91
4. Abschnitt: Delikte gegen die persönliche Freiheit
92
§ 26 Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte II. Die Systematik der Freiheitsdelikte
92 92 92
§ 27 Nötigung I. Der objektive Tatbestand II. Der subjektive Tatbestand IE. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung IV. Versuch und Vollendung V. Besonders schwere Fälle der Nötigung
93 93 99 99 104 105
§ 28 Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 II. Rechtswidrigkeit HI. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung V. Menschenraub, § 234
105 105 107 107 108 109
§ 29 Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b II. Tatbestandsvoraussetzungen
109 109 109 IX
Inhaltsverzeichnis m . Erfolgsqualifizierung nach §§ 239 a Abs. 3,239 b Abs. 2 IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4,239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a Abs. 4 V. Konkurrenzen
111 112 112
§ 30 Zur Wiederholung
112
5. Abschnitt: Delikte gegen die Ehre
113
§31 Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte II. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre
113 113 114
§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 H. Üble Nachrede, § 186 DI. Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände IV. Rechtfertigung V. Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände VI. Erfordernis des Strafantrags
117 117 119 120 122 128 128
§ 33 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener
128
6. Abschnitt: Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich....
130
§ 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 II. Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 IE. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 V. Verletzung des Post-und Fernmeldegeheimnisses, § 206 VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 VH. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2,204,202 a
130 130 133 134 136 137 139 139
....
§ 35 Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124
141 141 144
§ 36 Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut II. Die Tathandlung
145 145 145
§ 37 Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat... I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a II. Anwerben für fremden Wehrdienst, §109h
146 146 146
X
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel: Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen)
147
1. Abschnitt: Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte
147
§ 38 Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte . . I. Das geschützte Rechtsgut II. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte IE. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte
147 147 149 149
2. Abschnitt: Die Vermögensentziehungsdelikte
151
§ 39 Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte.. I. Das geschützte Rechtsgut II. Systematischer Überblick
151 151 151
§ 40 Diebstahl I. Der objektive Tatbestand II. Der subjektive Tatbestand
152 152 160
§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 II. § 243 Abs. 2: Ausschluss der Strafschärfung HI. Diebstahl mit Waffen, Banden-, Wohnungseinbruchdiebstahl, § 244 IV. Schwerer Bandendiebstahl, § 244 a
169 169 176 177 182
§ 42 Unterschlagung I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1 H. Veruntreuung, § 246 Abs. 2
182 182 188
§ 43 Haus- und Familiendiebstahl
189
§ 44 Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen
191
§ 45 Entziehung elektrischer Energie
192
§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes n. Raub, §249 m. Schwerer Raub, §250 IV. Raub mit Todesfolge, § 251 V. Räuberischer Diebstahl, § 252 VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a
193 193 193 197 199 201 204
§ 47 Sachbeschädigung I. Sachbeschädigung, § 303 II. Besondere Fälle der Sachbeschädigung HI. Schutz von Daten und Datenverarbeitung
206 206 209 210 XI
Inhaltsverzeichnis IV. Strafantrag
213
§ 48 Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290
213 213 216
§ 49 Zur Wiederholung
216
§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 II. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 m . Wilderei, §§ 292 ff
217 217 218 220
§ 51 Betrug I. Rechtsgut und Gesetzessystematik II. Der gesetzliche Tatbestand m . Der objektive Tatbestand IV. Der subjektive Tatbestand V. Versuch, Vollendung, schwere Fälle des Betrugs und Besonderheiten der Strafverfolgung VI. Besonders bezeichnete Betrugsfalle
222 222 223 223 242 244 246
§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352,353 II. Erschleichen von Leistungen, § 265 a m . Computerbetrug, § 263 a
254 254 255 257
§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 II. Räuberische Erpressung, § 255
263 263 267
§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte I. Rechtsgut und Aufbau des Untreuetatbestandes II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes HI. Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266 b IV. Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 2
268 268 270 275 278
§ 55 Strafbare Vermögensgefährdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 II. Qualifikationstatbestand, § 284 Abs. 3 III. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 285 IV. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, § 287 V. Gefährdung von Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen, § 297
280 280 281 281 282 282
xn
Inhaltsverzeichnis 3. Abschnitt: Die Perpetuierungsdelikte
283
§ 56 Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte H. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte
283 283 285
§ 57 Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur II. Einzelheiten des Tatbestandes m . Die Regelung des § 257 Abs. 4
285 285 286 288
§58 Hehlerei I. Hehlerei, § 259 II. Qualifikationstatbestände, §§ 260,260 a m . Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO
289 289 296 296
§ 59 Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte
297
3. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit 1. Kapitel: Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter
299
1. Abschnitt: Delikte gegen die Wirtschaftsordnung
299
§ 60 Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht
299
§61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsmissbrauch, § 265 II. Subventionsbetrug, § 264 m. Kreditbetrug, § 265 b IV. Kapitalanlagebetrug, § 264 a V. Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 1,3 VI. Insolvenzdelikte, §§ 283 - 283 d VH. Wucher, § 291 Vin. Straftaten gegen den Wettbewerb
301 301 302 305 307 312 314 321 324
2. Abschnitt: Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens
332
§ 62 Delikte gegen den äußeren Frieden
332
§ 63 Delikte gegen den inneren Frieden I. Landfriedensbruch, §§ 125,125 a II. Störung öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 1 2 6 . . . . m. Volksverhetzung, § 130 IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 V. Anleitung zu Straftaten, § 130 a
332 333 335 336 338 338 xm
Inhaltsverzeichnis VI. Gewaltdarstellung, § 131 VH. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111
339 341
3. Abschnitt: Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftsleben
343
§ 64 Delikte gegen das Pietätsempfinden
343
§ 65 Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfalschung, § 169 H. Doppelehe, § 172 HI. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 V. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 171 VI. Entziehung Mindeijähriger, § 235 VH. Kinderhandel, § 236 § 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung H. Die sexuelle Handlung, § 184 c HI. Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne IV. Strafbarer Missbrauch institutioneller Abhängigkeit V. Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter VH. Förderung und Ausnutzung der Prostitution V E . Verbreitung pornographischer Schriften, § 184
346 346 347 348 349 351 351 353 354 354 355 355 360 361 366 367 371
§ 67 Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c II. Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungsund Nothilfemitteln, § 145 m . Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138,139
372 373 375 376
§ 68 Zur Wiederholung
378
4. Abschnitt: Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs
380
§ 69 Rechtsgut und Schutzrichtimg der Urkundendelikte
380
§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 II. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 HI. Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 275, 276 a . . . .
380 380 392
XIV
394
Inhaltsverzeichnis IV. Vorbereitung des Gebrauchs von falschen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 276,276 a . . . . V. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277,2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277
395 395
§71 Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 II. Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 HI. Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen, §§ 276, 276 a IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277,1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278
396 396 398 400 400 400
§ 72 Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1,1. Alt II. Unterdrückung beweiserheblicher Daten, § 274 Abs. 1 Nr. 2 HI. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 3 IV. Verändern von amtlichen Ausweisen, § 273
401 401 402 403 403
§ 73 Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels...
403
§ 74 Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 m. Die Tathandlung IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt
404 404 405 406 407
§ 75 Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146,147,149,152 n. Geldfälschung, § 146 HI. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1,1. Alt IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 V. Wertpapierfälschung, § 151 VI. Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks, § 152 a .
408 408 408 411 411 412 412
§ 76 Wertzeichenfalschung I. Wertzeichenfalschung, §148 II. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1, 2. Alt
413 413 414
§ 77 Zur Wiederholung
414
5. Abschnitt: Gemeingefährliche Delikte
417
§ 78 Systematischer Überblick I. Der Begriff des gemeingefährlichen Delikts
417 417 XV
Inhaltsverzeichnis II. Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick) m . Nicht gemeingefährliche Delikte im 28. Abschnitt des StGB
418 421
§ 79 Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen und Zerstören durch Brandlegung H. Brandstiftung, § 306 m. Schwere Brandstiftung, § 306 a IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 306 b V. Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c VI. Fahrlässige Brandstiftung, § 306 d Vü. Herbeiführen einer Brandgefahr, § 306 f Vm.Tätige Reue, § 306 e
421 421 422 423 424 425 425 425 425
§ 80 Gefährdungen des Verkehrswesens I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§ 315, 315 a II. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316... HI. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 IV. Angriff auf den Luft- und Seeverkehr, §316c
426 426 427 433 437
§ 81 Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a II. Die Voraussetzungen des Tatbestandes
438 438 439
6. Abschnitt: Straftaten gegen die Umwelt
444
§ 82 Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnormen n. Die grundsätzlichen Problemstellungen des Umweltstrafrechts m . Das geschützte Rechtsgut IV. Die einzelnen Schutzbereiche
444 444 445 450 451
2. Kapitel: Delikte gegen staatliche Rechtsgüter
460
1. Abschnitt: Delikte gegen den Bestand des Staates
460
§ 83 Hochverrat I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes II. Die einzelnen Tatbestände
460 460 460
§ 84 Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats I. Gesetzessystematik der §§84 - 91 II. Die einzelnen Tatbestände
461 461 461
XVI
Inhaltsverzeichnis § 85 Landesverrat und Gefahrdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik n. Das Staatsgeheimnis HI. Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen IV. Die landesverräterische Konspiration
465 465 466
§ 86 Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut II. Die einzelnen Tatbestände HI. Voraussetzung der Strafverfolgung, § 104 a
470 470 470 471
§ 87 Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d II. Die einzelnen Tatbestände
471 471 471
§ 88 Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich II. Die einzelnen Tatbestände
473 473 473
2. Abschnitt: Delikte gegen die Staatsgewalt
477
§ 89 Gefährdung der staatlichen Autorität I. Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134 II. Missbrauch von Ausweispapieren, § 281 m . Amtsanmaßung, § 132 IV. Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a . . . .
477 477 477 477 479
§ 90 Gefährdung der Staatsgewalt
480
§ 91 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§113,114 H. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 EI. Der Irrtum des Widerstandleistenden IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 V. Das Verhältnis des § 113 zu § 240
482 482 483 486 486 486
§ 92 Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 ü. Gefangenenmeuterei, §121
487 487 489
§ 93 Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 II. Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 m . Zur Einübung
490 490 491 493
466 468
xvn
Inhaltsverzeichnis 3. Abschnitt: Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen
494
§ 94 Gefahrdung öffentlicher Interessen
494
4. Abschnitt: Delikte gegen die Rechtspflege
496
§ 95 Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 II. Vortäuschen einer Straftat, § 145 d
496 496 498
§ 96 Strafvereitelung und Geldwäsche I. Strafvereitelung, § 258 II. Strafvereitelung im Amt, § 258 a HI. Sabotage gerichtlicher u. a. Entscheidungen IV. Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte § 261
500 500 504 504 505
§ 97 Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick II. Das relevante Angriffsverhalten IE. Die einzelnen Aussagedelikte IV. Teilnahme und mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten V. Strafmilderung und Absehen von Strafe
510 510 510 517 523 527
§ 98 Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 339 II. Aussageerpressung, § 343 HI. Verfolgung Unschuldiger, § 344 IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345 V. Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d VI. Parteiverrat, § 356
530 530 532 533 533 534 535
5. Abschnitt: Delikte gegen den öffentlichen Dienst
537
§ 99 Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte II. Vorteilsannahme, § 331 m. Bestechlichkeit, § 332 IV. Vorteilsgewährung, § 333 V. Bestechung, § 334
537 537 538 540 542 542
§ 100 Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357
543
Paragraphenregister
545
Sachregister
549
xvm
Schrifttum zum Studium des Strafrechts, Besonderer Teil Der Bezug auf den GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., betrifft den GRUNDKURS STRAFRECHT,
Allgemeine Strafrechtslehre, 6. Aufl. 2000. I. Älteres Schrifttum 1. Lehrbücher BINDING V. LISZT/SCHMIDT
Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2 Bde., 1./2. Aufl. 1902-1905 Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927
2. Kommentare FRANK v . OLSHAUSEN
Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931 Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1927, 12. Aufl. (nur bis § 246) 1942/43
n . Neueres Schrifttum 1. Lehrbücher und Grundrisse ARZT/WEBER BLEI BOCKELMANN
ESER
GÖSSEL HAFT HÄUF
HOHMAIJN/S ANDER
KINDHÄUSER
Strafrecht, Besonderer Teil, 2000 Strafrecht n, Besonderer Teil, 12. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. 1982 Bd. 2: Delikte gegen die Person, 1977 Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit, 1980 Strafrecht, Bd. 3: Delikte gegen die Person und Gemeinschaftswerte, 2. Aufl. 1981 Bd. 4: Vermögensdelikte, 4. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1,1987 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 2,1996 Strafrecht, Besonderer Teil, 7. Aufl. 1998 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 1996 Bd. 2: Straftaten gegen Persönlichkeitswerte, 1997 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 1998 Bd. 2: Delikte gegen die Person und gegen die Allgemeinheit, 2000 Strafrecht, Besonderer Teil H/1, Eigentumsdelikte, 2. Aufl. 1999
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Schrifttum KREY
KÜPER KÜPPER
MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD
MITSCH
RENGIER
SCHMIDHÄUSER SCHROTH WELZEL WESSELS/HETTINGER WESSELS/HILLENKAMP
Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 11. Aufl. 1998 Bd. 2: Vermögensdelikte, 12. Aufl. 1999 Strafrecht, Besonderer Teil, Definitionen mit Erläuterungen, 4. Aufl. 2000 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen Rechtsgüter der Person und Gemeinschaft, 2. Auf. 2001 Strafrecht, Besonderer Teil, Tbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 8. Aufl. 1995 Tbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 8. Aufl. 1999 Strafrecht, Besonderer Teil 2: Vermögensdelikte, Tbd. 1,1998 Tbd. 2,2001 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. I: Vermögensdelikte, 3. Aufl. 1999 Bd. II: Delikte gegen die Person und gegen die Allgemeinheit, 2. Aufl. 1999 Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Examensrelevantes Wissen, 2. Aufl. 1998 Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969 Strafrecht, Besonderer Teil/1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 24. Aufl. 2000 Strafrecht, Besonderer Teil/2: Straftaten gegen Vermögenswerte, 23. Aufl. 2000
2. Kommentare JOECKS KOHLRAUSCH/LANGE LACKNER/KÜHL LEIPZIGER KOMMENTAR (LK)
NOMOS KOMMENTAR ( N K ) PFEIFFER/MAUL/ SCHULTE PREISEND ANZ SCHÖNKE/SCHRÖDER
XX
Strafgesetzbuch - Studienkommentar, 2. Aufl. 2000 Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl. 1961 StGB, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 23. Aufl. 1999 Großkommentar zum Strafgesetzbuch, 10. Aufl. 1978 ff, hrsg. von Jescheck, Ruß und Willms. Im Text als 10. Aufl. gekennzeichnet. 11. Aufl. 1992 ff, hrsg. von Jähnke, Laufhütte und Odersky. Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1995 ff Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1969 Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. 1978 Strafgesetzbuch, bearb. von Lenckner, Eser, Cramer, Stree, Heine, Perron und Sternberg-Lieben, 26. Aufl. 2001
Schrifttum SYSTEMAT. KOMMENTAR ZUM STRAFGESETZBUCH ( S K ) TRÖNDLE/FISCHER
bearb. v. Rudolphi, Horn, Samson, Günther und Hoyer Bd. n, Besonderer Teil, 6. Aufl. 1996 ff Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 50. Aufl. 2001
III. Verzeichnis der im Text angeführten Festschriften/Gedächtnisschriften BAUMANN, JÜRGEN BEMMANN, GÜNTER BOCKELMANN, PAUL BOSCH, FR. W . BRAUNECK, ANNE-EVA BRUNS, HANS-JÜRGEN BRUNS, RUDOLF BUNDESGERICHTSHOF BUNDESGERICHTSHOF BUNDESGERICHTSHOF
BRANDNER, ERICH DREHER, EDUARD DÜNNEBIER, HANNS DÜRIG, GÜNTER ENGISCH, KARL GALLAS, WILHELM GEERDS, FRIEDRICH 1 4 0 JAHRE GOLTDAMMER'S ARCHIV FÜR STRAFRECHT GÖPPINGER, HANS GRÜNWALD, GERALD HEIDELBERG HEINITZ, ERNST HELMRICH, HERBERT HENKEL, HEINRICH VON HENTIG, HANS HIRSCH, HANS-JOACHIM HÜBNER, HEINZ JAUCH, GERD JESCHECK, HEINRICH KAUFMANN, ARMIN KAUFMANN, HILDE KLEINKNECHT, THEODOR KLUG, ULRICH KÜCHENHOFF, GUNTHER
Festschrift zum 70. Geburtstag, 1992 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1997 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1979 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1976 Ehrengabe, 1999 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1978 Gedächtnisschrift, 1980 Festschrift zum 25jährigen Bestehen, 1975 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe der Wissenschaft, Bd. IV, 2000 Festschrift aus Anlaß des Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, 2000 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1996 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1977 Festschrift zum 75. Geburtstag, 1982 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1969 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1973 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1995 Eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Paul-Günter Pötz, 1993 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1999 Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprechts-Karl-Universität Heidelberg, 1986 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 60. Geburtstag, 1994 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974 Festschrift zum 80. Geburtstag, 1967 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1999 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1984 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1985 Gedächtnisschrift, 1989 Gedächtnisschrift, 1986 Festschrift zum 75. Geburtstag, 1985 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1983 Gedächtnisschrift, 1987 XXI
Schrifttum KRIELE, MARTIN LACKNER, KARL LANGE, RICHARD LEFERENZ, HEINZ LENCKNER, THEODOR LOBKOWICZ, NICOLAUS MAHRENHOLZ, ERNST GOTTFRIED MAURACH, REINHART MAYER, HELLMUTH MEYER, KARLHEINZ METZGER, EDMUND MIDDENDORF, WOLF NISHIHARA, HARUO NOLL, PETER O L G CELLE OEHLER, DIETRICH P ALLIN, FRANZ PETERS, KARL PFEIFFER, GERD REBMANN, KURT REIMERS, WALTER REMMERS, WALTER ROXIN CLAUS SARSTEDT, WERNER SCHAFFSTEIN, FRIEDRICH SCHMIDT, EBERHARD SCHNEIDER, PETER SCHRÖDER, HORST SCHÜLER-SPRINGORUM, HORST SCHULTZ, HANS SCHWINGE, ERICH SPENDEL, GÜNTER STREE, WALTER/ WESSELS, JOHANNES TRÖNDLE, HERBERT WELZEL, HANS WOLF, ERNST WOLFF, ERNST AMADEUS WÜRTENBERGER, THOMAS ZIPF, HEINZ
xxn
Festschrift zum 65. Geburtstag, 1997 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1987 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1976 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1983 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1998 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1996 Festschrift für Emst Gottfried Mahrenholz, 1994 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1966 Gedächtnisschrift, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1954 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1986 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1998 Gedächtnisschrift, 1984 Göttinger Festschrift zum 250jährigen Bestehen, 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1985 Festschrift zum 80. Geburtstag, 1989 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974 Festschrift zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes, 1988 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1989 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1979 Festschrift für Walter Remmers, 1995 Festschrift zum 70. Geburtstag 2001 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1981 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1975 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1990 Gedächtnisschrift, 1978 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1993 Festgabe zum 65. Geburtstag, 1977 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1973 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1992 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1993 Festschrift zum 70. Geburtstag, Festschrift zum 70. Geburtstag, Festschrift zum 70. Geburtstag, Festschrift zum 70. Geburtstag, Festschrift zum 70. Geburtstag, Gedächtnisschrift, 1999
1989 1974 1985 1998 1977
Erster Teil Einführung § 1 Die einzelnen Tatbestände und das System des Besonderen Teils I. Unrecht und strafbares Unrecht 1. Die fragmentarische Natur des Strafrechts In der Einführung in die Allgemeine Strafrechtslehre wurde klargestellt, dass Strafrechtsnormen als Mittel der Verhaltenssteuerung und Erwartungssicherung, die auf eine gerechte Ordnung abzielen, bestimmten Grundsätzen genügen müssen, sollen sie den zur Entwicklung nötigen Handlungsspielraum des Einzelnen und der Gesamtheit garantieren, Rechtssicherheit gewähren und Willkür vorbeugen: (1) Sie müssen hinreichend bestimmt gefasst sein, Art. 103 Abs. 2 GG. (2) Sie müssen gleiche Sachverhalte in gleicher Weise regeln, Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 GG. (3) Nur soweit Strafe als ultima ratio zur Sicherung des sozialen Miteinanders unerlässlich erscheint, sind Strafrechtsnormen legitim. a) Die angemessene Berücksichtigung dieser drei Grundsätze führt nun nicht zur gleichen Bestrafung aller Rechtsgutsbeeinträchtigungen gleicher Intensität, sondern im Gegenteil, sie macht eine Differenzierung nach der über die Rechtsgutsbeeinträchtigung hinausgehenden Sozialschädlichkeit der verschiedenen Verhaltensweisen nötig. Das Unrecht, die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens, erschöpft sich nicht in der Rechtsgutsbeeinträchtigung, sondern manifestiert sich lediglich in dieser! - Doch auch das gleiche Maß der Sozialgefährlichkeit oder -Schädlichkeit und damit der Strafwürdigkeit begründet dort noch keine Strafbarkeit, wo es an der Strafbedürftigkeit fehlt, weil andere, wirksamere oder gleich wirksame Mittel zur Verfügung stehen, dem strafwürdigen Verhalten zu begegnen (fragmentarische Natur des Strafrechts). b) Strafbares Unrecht ist demnach durch seine besondere Beschreibung in den Gesetzestatbeständen des Besonderen Teils jeweils als besonders vertyptes Unrecht gekennzeichnet und damit aus der Masse des allgemeinen Unrechts herausgehoben, weil der Gesetzgeber dieses Unrecht als strafwürdig und strafbedürftig ansieht.
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Zur Wiederholung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 1 Rdn. 48-50.
c) Ein Tatbestand: „Wer das Vermögen eines anderen schädigt, wird ... bestraft", würde 5 durchaus dem Bestimmtheits- und auch dem Gleichheitsgrundsatz genügen. Er würde aber zahllose Verhaltensweisen umfassen, die keineswegs mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden müssen, z.B. jede vermögensschädigende Vertragsverletzung. Die Einzeltatbestände, z.B. im Bereich des Vermögensstrafrechts, haben gegenüber ei- 6 nem einzigen umfassenden Tatbestand den kriminalpolitischen Vorzug eines gezielteren und damit sachgerechteren Vorgehens. Die damit verbundene Abgrenzungsproblematik ist nicht zu umgehen, soll der strafbare Raum möglichst scharf von dem nicht strafbaren Bereich abgegrenzt werden.
1
§1
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10
Erster Teil: Einführung
2. Die strafrechtlichen Deliktstypen Die Vertypung der einzelnen Straftaten geht auf das Erlebnis der Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen zurück. Diese werden als derart sozialschädlich empfunden, dass versucht wird, ihnen mit dem stärksten zur Verfügung stehenden Abwehrmittel, der Strafe, zu begegnen. Und zwar wird die Sozialschädlichkeit, das Unrecht, nicht nur quantitativ, sondern mehr noch qualitativ erlebt. Gerade das unterschiedliche qualitative Erlebnis führt zur Unrechtsvertypung, in der sich allerdings im sozialen Erlebnis zunächst ein persönlicher Typ durchsetzt: der des Mörders, Diebes, Räubers usw. Von diesem Kern anschaulicher kriminologischer Typen geht das Strafrecht in seinen Anfangen aus. Sie werden in ihrer Eigenart, aber auch in ihrer betonten Verschiedenheit als bekannt vorausgesetzt. - Im Zuge der Rechtsentwicklung ist eine derartige Gesetzestechnik aus Rechtssicherheitsgründen nicht mehr tragbar. Die Maxime „nullum crimen sine lege" fordert die abstrakte, kriminologieferne Tatbestandsfassung, d.h. den Übergang von der bloßen Kennzeichnung des Täters zur auflösenden (analysierenden) und zugleich abstrahierenden Beschreibung von Taten. Der Prozess dieser legislatorischen Wandlung wird im geltenden StGB noch deutlich in der Verwendung normativer, d.h. wertausfüllungsbedürftiger Begriffe neben den deskriptiven Merkmalen; vgl. z.B. „niedrige Beweggründe" in § 211. In Einzelfallen hat der Gesetzgeber sogar noch gänzlich von einer Tatbeschreibung abgesehen, wie z.B. in § 185: „Die Beleidigung wird ... bestraft." Die im Erlebnis der Strafwürdigkeit eines Sachverhalts begründete Vertypung von Straftatbeständen folgt allerdings nicht - vergleichbar dem Zurechnungsprinzip, das den Aufbau der Allgemeinen Strafrechtslehre strukturiert - einer einheitlichen Idee. Dennoch stehen die einzelnen Tatbestände der verschiedenen Deliktsgruppen nicht isoliert, unsystematisch nebeneinander. Als Ausdruck des gleichen Erlebnisses der Strafwürdigkeit eines umfassenderen Sachverhaltes sind sie aufeinander bezogen und damit systematisch miteinander verbunden.
3. Gesetzestatbestand und Unrechtstypus 11 Die einzelnen im Gesetzestatbestand erfassten Merkmale des „Unrechtstypus" beschreiben die jeweilige Rechtsgutsbeeinträchtigung und ihre Modalitäten, d.h. spezifisches, strafwürdiges Unrecht unter der Voraussetzung, dass das Verhalten überhaupt Unrecht ist. So beschreiben z.B. die Tatbestände der Tötungsdelikte in den §§ 211 ff spezifisches Tötungsunrecht unter der Voraussetzung, dass die konkret zu bewertende Tötung Unrecht ist. Die einzelnen Gesetzestatbestände der Vermögensdelikte kennzeichnen spezifische Angriffe gegen das Vermögen als bestimmtes strafwürdiges Unrecht, vorausgesetzt, der Eingriff in das Vermögen ist rechtswidrig. 12 Der Gesetzestatbestand selbst ist insoweit wertfrei, als er keine Auskunft darüber gibt, ob das von ihm beschriebene Verhalten rechtswidrig ist. Er „indiziert" auch nicht die Rechtswidrigkeit. - Er ist wertbezogen, insofern er ein Verhalten beschreibt, das auf die Prüfung der Rechtswidrigkeit bezogen ist. Ob ein rechtswidriger Eingriff einer Person in strafrechtlich geschützte Rechtsgüter einer anderen vorliegt, ergibt die Prüfung des Unrechtstatbestandes, dessen Bestandteil der Gesetzestatbestand ist. Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 5 R d n . 1 - 2 1 .
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Die einzelnen Tatbestände und das System des Besonderen Teils
§1
II. Die Rechtsgutsbeeinträchtigung als Kern des Straftatbestandes Aus der Natur des Strafrechts als Schutzrecht folgt, dass bestimmte Rechtsgüter gegen be- 13 stimmte Angriffe geschützt werden, weil der Schutz dieser Rechtsgüter Voraussetzung für die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft innerhalb des staatlichen Gefüges ist. Diese Güter (Werte) werden demnach nicht geschützt, weil sie als absolute Werte anerkannt werden, wobei ihre Werthaftigkeit gerade außerhalb jeder Kritik stände, sondern weil sich im steten Vollzug des Soziallebens gezeigt hat, dass bestimmte soziale Funktionseinheiten (Werte) Voraussetzung eines sozialen Zusammenlebens sind. Mit dem Wandel der Stellung zu diesen sozialen Weiten ist auch eine Wandlung der strafrechtlichen Auffassung von der Schutzwürdigkeit dieser Werte verbunden. So wurde im Jahre 1969 der Straftatbestand des Ehebruchs, § 172, aus dem StGB entfernt, und die Tatbestände der Unzucht zwischen Männern, §§ 175, 175 a StGB a.F., wurden wesentlich geändert, später wurden diese Tatbestände aufgehoben. Derartige Wandlungen rechtzeitig zu erfassen, gelingt dem Strafgesetzgeber nicht immer. Oft vollzieht sich eine Rechtsänderung auch ohne Gesetzesänderung, da eine Verschiebung des individuellen oder kollektiven Aspekts eines Rechtsguts zu einer anderen Auslegung der Vorschrift führt. Das geschützte Rechtsgut ist dem Wortlaut der einzelnen Tatbestände in der Regel 14 nicht unmittelbar zu entnehmen, es ist durch Auslegung des einzelnen Tatbestandes oder der gesamten Deliktsgruppe zu ermitteln. Die Auslegung der einzelnen Merkmale eines Tatbestandes wiederum erfolgt im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, denn seinen Schutz gegen bestimmte Angriffe sollen diese Merkmale gerade sicherstellen. Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 R d n . 2 6 - 4 7 .
HI. Die Legalordnung Innerhalb einer stark differenzierten Rechtsordnung, die zahlreiche Straftatbestände ent- 15 hält, müssen diese in einer gewissen Ordnung stehen. Möglich wäre durchaus eine Einteilung nach der Schwere der angedrohten Strafe oder nach dem bei der Tat eingesetzten Angriffsmittel (z.B. Gewalt, Täuschung, List usw.). Gegen eine derartige Einteilung spricht jedoch, dass Praktikabilität und Übersichtlichkeit, aber auch der für die Auslegung der einzelnen Tatbestände höchst relevante Sachzusammenhang zwischen den einzelnen Delikten in höherem Maße Berücksichtigung finden können, wenn eine Ordnung nach der materiellen Angriffsrichtung der Delikte, d.h. nach dem geschützten Rechtsgut der einzelnen Tatbestände, angestrebt wird. Abweichungen innerhalb dieser Ordnung, die z.B. durch die Art des Angriffs (gemeingefährliche und gemeinlästige Straftaten) bedingt sind, können dabei durchaus als Ausnahme von der Regel erfasst werden. Unmittelbar in das Strafgesetzbuch sind Deliktsgruppen aufgenommen worden, deren 16 Bedeutung im Laufe der historischen Entwicklung besonders in das allgemeine Bewusstsein gedrungen ist. Es sind im wesentlichen Tatbestände, die die Grundlagen jeglichen sozialen Miteinander sichern. Sie können weitgehend auf die Richtlinien des Dekalogs zurückgeführt werden. Die Tatsache des größeren Bekanntheitsgrades dieser Tatbestände darf aber nicht von der Relevanz des Strafrechts ablenken, das in anderen Gesetzen normiert ist, auch wenn diese Strafgesetze vielfach im Gegensatz zu den Vorschriften des StGB als Nebenstrafrecht bezeichnet werden. Nebenstrafrecht ist nicht nebensächliches Strafrecht! Es handelt sich vielmehr um Strafrecht, das oftmals nur von bestimmten Tätern verwirklicht werden kann. Schon das zeigt, dass es hier nicht um Bagatellstrafrecht geht. Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T „ § 1 R d n . 4 - 7.
3
Zweiter Teil Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen Erstes Kapitel
Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen das Leben § 2 Die Systematik der Tötungsdelikte Zur Einfuhrung: 1 BGHSt 23 S. 119: A erschlug die schlafende M, mit der er bis dahin zusammengelebt hatte, mit einem Beil. BGH: Mord, § 211. - Strafe: Lebenslange Freiheitsstrafe. BGHSt 19 S. 321: A fiel über Frau W her, um sie zu verprügeln. Sie wehrte sich. Daraufhin fasste A den Entschluss, Frau W umzubringen. Er stürzte sie in einen Kellerschacht. Frau W kam zu Tode. BGH: Totschlag, § 212. - Strafrahmen: 5-15 Jahre Freiheitsstrafe. BGHSt 25 S. 223: A geriet bei einer Unterredung mit der B in heftige Erregung, als diese abfällige Bemerkungen über die Söhne des A machte. Hierdurch zum Zorne gereizt, erwürgte A die B. BGH: Minder schwerer Fall des Totschlags, § 213. - Strafrahmen: 1 Jahr - 1 0 Jahre Freiheitsstrafe.
2 Frage: Ist es sachgerecht, im Falle der vorsätzlichen Verletzung desselben Rechtsguts Leben - besonders schwere und - unabhängig von der Schuld des Täters - minder schwere Delikte neben dem Grunddelikt zu unterscheiden? 1. Das geschützte Rechtsgut 3 Geschütztes Rechtsgut der Tötungstatbestände ist das menschliche Leben. - Angriffsobjekt ist der geborene Mensch. 4 a) Das Leben als Mensch fangt mit dem Beginn der Geburt an. Dieses ergab sich früher aus dem Wortlaut des § 217 a. F. („Kind in oder gleich nach der Geburt tötet"), sollte aber durch die Aufhebung des § 217 a. F. nicht geändert werden. Als Beginn der Geburt ist das Einsetzen der sog. Eröffnungswehen anzusehen.1 Bei einer operativen Entbindung ist der die Eröffhungsperiode ersetzende Eingriff entscheidend, d.h. bei einer Schnittentbindung die Öffnung des Uterus.z
1
Vgl. BGHSt 31 S. 348; 32 S. 194; dazu ARZT FamRZ 1983 S. 1019 f; HIRSCH JR 1985 S. 336 ff; LÜTT-
GER NStZ 1983 S. 481 ff. - Anders GROPP GA 2000 S. 7 ff: Lebensfähiger Embryo ist spätestens ab 20. Woche als Mensch anzusehen. 2
V g l . JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 3; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 A n m . 2 a; MAURACH/
SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 8; weitergehend LÜITGER Heinitz-FS, S. 366.
4
Die Systematik der Tötungsdelikte
§2
Das Kind muss im Zeitpunkt der Geburt gelebt haben, nicht erforderlich ist dagegen 5 seine weitere Lebensfähigkeit. Geschützt wird daher auch die unreife und die missgestaltete Leibesfrucht, nicht aber das krankhaft entartete Ei, die sogenannte Mole. Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 10 S. 5: Die Einwirkung der A auf ihre Leibesfrucht führte zu einer nicht lebensfähigen Früh- 6 geburt. BGH: Strafbarkeit der A nur wegen einer Abtreibung, nicht aber wegen eines Tötungsdelikts. bb) BGHSt 13 S. 21: Infolge der Einwirkung der B auf die Leibesfrucht kommt es zu einer Frühgeburt. Das Kind wird sogleich nach der Geburt getötet. BGH: B hat eine versuchte Abtreibung und einen vollendeten Totschlag in Realkonkunenz begangen.3 cc) BGHSt 32 S. 194: A warf die schwangere S, bei der die Eröffhungswehen schon eingesetzt hatten, einen Hang hinunter. S starb, die Geburt wurde nicht mehr vollendet. BGH: Zwei vollendete Tötungsdelikte, nämlich Tötung der S und des Kindes.
Außerhalb des Schutzbereichs der Tötungsdelikte liegen Eingriffe in exkorporal befruchtete Eier sowie in in-vitro erzeugte Embryonen vor einem eventuellen Embryonentransfer. Strafrechtlichen Schutz gegen einzelne Eingriffe bietet hier das EmbryonenschutzG vom 13.12.1990 sowie das Gentechnikgesetz v. 16.12.1993.4 Problematisch ist die Erfassung von schädigenden Handlungen, die vor der Geburt eines Kindes vorgenommen werden, aber erst nach der Geburt zum Tode des Kindes führen. - Entscheidend ist hier hinsichtlich der Schädigung des Kindes nicht der Zeitpunkt der Handlung, sondern der, in dem sich die Handlung bei dem Kind auswirkt, d.h. in dem die schädigende Einwirkung stattfindet. Handlungen, die dazu führen, dass ein lebendes, aber nicht überlebensfähiges Kind geboren wird, sind daher nicht als Tötung, sondern nur als Abtreibung zu erfassen.5 Bei der Infizierung eines ungeborenen Kindes mit AIDS, die zum späteren Tod des geborenen Kindes führt, kommt es danach darauf an, ob die relevante Einwirkung bereits in der Infizierung oder erst im Ausbruch der Krankheit gesehen wird. - Da das Ereignis, aus dem sich die weiteren Folgen zwingend und ohne Möglichkeit ihrer Abwendung entwickeln, die Infizierung ist, liegt in dieser die relevante Schädigung, nicht erst im Ausbruch der Krankheit. Das Kind wird bereits mit dem Schaden geboren.6 Darin liegt der Unterschied zu dem Fall einer vor Geburt bereits in Gang gesetzten Gefährdung von außen, die sich erst nach der Geburt realisiert, z.B. beim Versehen des Kinderzimmers mit einem giftigen Anstrich. b) Als Ende des Lebens wurde früher der endgültige Stillstand von Kreislauf und Atmung angesehen. Nach heute h.M. gilt als Todeszeitpunkt der sog. Himtod, d. h. der vollständige
3
Dazu auch KREY B.T.l, Rdn. 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 6 Rdn. 28; SCH/SCH/ESER Rdn. 2 4 .
§ 218 4
B G B l . I S. 2 7 4 6 ; d a z u DEUTSCH N J W 1991 S. 7 2 1 f f ; JUNG J u S 1 9 9 1 S . 4 3 1 f f ; KELLER/GÜNTHER/
KAISER EmbryonenschutzG, 1992.
5
Vgl. dazu BGHSt 31 S. 352; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 4; LÜTTGER NStZ 1983 S. 483; SCH/SCH/ESER V o r § 2 1 1 R d n . 15, V o r § 2 1 8 R d n . 40.
6
Nach geltendem Recht bleibt daher die Schädigung des Kindes straflos, da nach h.M. die Trennung zwischen den Rechtsgütern der Mutter und des Kindes auch in derartigen Fällen streng durchzuhalten ist; vgl. dazu eingehender § 13 Rdn. 65 ff.
5
7
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§2
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
und irreversible Zusammenbruch der Gesamtfunktion des Gehirns bei noch aufrechterhaltener Kreislauffunktion im übrigen Körper. 7 11 Taugliches Tötungsobjekt können demnach auch der Todgeweihte und der Sterbende sein. Es gibt kein lebensunwertes oder minder schutzwürdiges Menschenleben. Auch „unaufhaltsam verlöschendes", „infolge irreversiblen Bewusstseinsverlustes geschädigtes Leben" ist geschützt. 8 12 Geschützt ist auch der Anencephalus. Ihm fehlen zwar Groß-, Zwischen- und Mittelhirn, doch wegen der Funktion des Stammhirns ist der Anencephalus nicht einem Hirntoten gleichzustellen. Auch er ist, als zur Gattung Mensch zugehörig, als Mensch strafrechtlich geschützt.» 13 In der Auseinandersetzung Uber die Regelungen der nötigen Einwilligung zu einer Transplantation (Einwilligung allein des Betroffenen: enge Zustimmungslösung; auch Einwilligung von Angehörigen und Vertretern relevant: weite Zustimmungslösung) wurde die h.M. zum Todeszeitpunkt zunehmend in Frage gestellt. Argumentiert wurde und wird, dass der Tod ein oft langsam voranschreitender Prozess ist, in dessen Verlauf der Ausfall einzelner Organe jeweils ein Stadium dieses schrittweise verlaufenden Prozesses darstelle. Erst mit dem unwiderruflichen Ausfall aller Organe, die an der Konstituierung des menschlichen Organismus als Einheit wesentlich beteiligt sind - Herz, Lunge, Hirn - trete daher der Tod ein. 10 - Konsequent durchdacht fahrt diese Ansicht aber entgegen der Auffassung ihrer Vertreter nicht zwingend zur engen Zustimmungslösung, sondern zu einem Schutz gegen todbringende Organentnahmen auch nach dem Hirntod, d.h. letztlich zum Verbot jeglicher Transplantationen. Das bloBe Sterbenlassen durch Abbruch einer Intensivbehandlung und die „Abkürzung" des Sterbeprozesses durch Organentnahme sind nämlich nicht identisch, denn die todbringende Organentnahme ist ein zielgerichteter lebensverkürzender Eingriff.11 Wird die Transplantation dennoch zugelassen, so findet in ihr ein - nach dem Hirntod - verminderter Schutz des Lebens seinen Ausdruck. Insofern ist es in der Tat fraglich, ob das Hinausschieben des Todeszeitpunktes über den Hirntod hinaus dem Menschen wirklich dient.12 Das Transplantationsgesetz vom 5.11.1997 (BGBl. I, S. 2631) trifft keine gesetzliche Regelung zum Todeszeitpunkt, verbietet aber eine Organentnahme vor dem Himtod, § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG.
7
Dazu Wiss. Beirat der BÄK, Dt.ÄrzteBl 1982 S. 45; 1986 S. 2940; 1993 S. 1975; 1997 S. B 1032; vgl. auch IMBACH in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, 2000, S. 223 ff; JÄHNKELK, 10. Aufl., Vor § 211 R d n . 7; KLUTH Z f L 1996 S. 8; LACKNER/KÜHL V o r § 211 R d n . 4; MERKEL Jura 1999 S. 113 f f ; SCH/SCH/ESER V o r § 211 R d n . 19; SCHREIBER R e m m e r s - F S , S. 595; STERNBERG-LIEBEN J A 1997 S. 8 0 ff; WBSSELS/HETTINGBR B. T J 1 , Rdn. 7. - Krit. demgegenüber: BAVASTRO ZRP 1999 S. 114 f f ; BECKMANN Z R P 1996 S. 2 1 9 f f ; GALLWAS J Z 1996 S. 851; HÖFLING J Z 1995 S. 2 6 f; RIXEN L e b e n s -
schutz am Lebensende, 1999, S. 269 ff; TRÖNDLE Hirsch-FS, S. 783 ff. 8
9
Der Entscheidung BGH NStZ 1992 S. 333 ist keine entgegengesetzte Auffassung zu entnehmen; vgl. JOERDEN NStZ 1993 S. 268; MrrscH JuS 1995 S. 789 f; OTTO JK 93 StGB § 226/4; PUPPE JR 1992 S. 513; a. A. DENCKER NStZ 1992 S. 311 ff. - Allerdings geht BGH NStZ-RR 1996 S. 356 davon aus, dass es strafmildernd zu berücksichtigen sei, wenn der Täter dem Tod des Opfers lediglich „vorgegriffen" hat; dagegen aber SPENDEL JZ 1997 S. 1186 ff. Dazu auch HÖFLING JZ 1995 S. 30; ISEMER/LILIE MedR 1988 S. 67; WOLFSLAST MedR 1989 S. 163. A . A . HIERSCHE M e d R 1984 S. 215; JÄHNKE L K , 10. Aufl., § 218 R d n . 4.
10
Vgl. BECKMANN Z R P 1996 S. 225; GREWEL Z R P 1995 S. 2 1 7 f; HÖFLING J Z 1995 S. 2 8 f f ; DERS. J Z
1996 S. 617 ff; HOF/IN DER SCHMITTEN in: Hof/in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, 1995, S. 153 ff; JÖRRIS in: Hof/in der Schmitten, Mensch, S. 362 ff; RIXEN ZRP 1995 S. 462 ff; TRÖNDLE Z f L 1997 S. 3 f f .
11
Dazu vgl. BOTTKE in: Bottke/Fritsche/Huber/Schreiber (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht, 1996, S. 79 ff; STEFFEN NJW 1997 S. 1619; WAGNER/BROCKER ZRP 1996 S. 2 2 9 f; WOLFSLAST M e d R 1989 S. 163 f.
12
6
D a z u OTTO Z f L 1997 S. 7 f; STEFFEN N J W 1997 S. 1620.
Die Systematik der Tötungsdelikte
§2
2. Die Systematik der vorsätzlichen Tötungsdelikte a) Nach h.L. ist der Totschlag, § 212, als Grundtatbestand der Tötungsdelikte anzusehen. 14 Der Mord, § 211, ist demgegenüber eine Qualifizierung; dazu weiter § 4 Rdn. 1 ff. - Die Tötung auf Verlangen, § 216, stellt eine Privilegierung dar.13 Der minder schwere Fall des Totschlags, § 213, enthält in seinem ersten Teil (Reizung 15 zum Zorne) eine Privilegierung, in seinem zweiten Teil (sonst ein minder schwerer Fall) eine bloße Strafzumessungsregel.14 Die h.M. interpretiert auch die 1. Alt. des § 213 als bloße Strafzumessungsregel und damit als unbenannten 16 Strafänderungsgrund. Das überzeugt nicht. - Innerhalb der Systematik der Strafänderungsgründe unterscheidet das Gesetz benannte und unbenannte Strafänderungsgründe. Da der strafmildernde Sachverhalt in § 213, 1. Alt. zwingend festgelegt wird, handelt es sich insoweit um einen benannten Strafmilderungsgrund, d. h. um eine Privilegierung. Zwingende Beispiele unbenannter Strafänderungsgründe gibt es innerhalb dieser Systematik nicht, denn dieses wären benannte Fälle unbenannter Strafänderungsgründe! Nach der Änderung des Strafmaßes des § 213 durch das 6. StrRG hat die Unterscheidung ihre praktische Bedeutung verloren, da nunmehr auch der Versuch des § 213,1. Alt. StGB strafbar ist.
b) Der BGH hat zunächst in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass 17 §211 und § 212 als selbständige Tatbestände anzusehen sind, die isoliert nebeneinander stehen. !5 Das hat den 1. Strafsenat des BGH jedoch nicht daran gehindert, die Möglichkeit von Mord und Totschlag durch Mittäter, die jeweils nur das eine der beiden Delikte verwirklicht haben, anzuerkennen. Damit ist die These, dass beide Tatbestände selbständige, von einander unabhängige Delikte beschreiben, in der Sache aufgegeben.16 Sie wurde jedoch bereits zuvor vom BGH nicht durchgehalten, da er davon ausging, dass der Teilnehmer an einer Mordtat aus niedrigen Beweggründen wegen Teilnahme am Mord bestraft werden kann, wenn er in Kenntnis der niedrigen Beweggründe des Haupttäters oder selbst aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat;17 dazu weiter unter § 8 Rdn. 1 ff. § 213 enthält nach Auffassung der Rechtsprechung lediglich eine Strafzumessungsregel 18 gegenüber § 212. - § 216 wird als Sondertatbestand bezeichnet, doch meint die Rechtsprechung damit wegen des beschränkten Täterkreises ein unechtes Sonderdelikt, d.h. in den praktischen Auswirkungen einen privilegierten Tatbestand.18 c) Zu den Konsequenzen der einzelnen Auffassungen in der Teilnahmelehre vgl. § 8. 19
13
V g l . BOCKELMANN B.T./2, § 4 ; GÖSSEL B . T . l , § 1 R d n . 6; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 2 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 6 0 f , 6 5 f; WELZEL L b , § 3 8 ; WESSELS/HETTINGER B.T./1, Rdn. 69. - Für Sonderdelikt: SCH/SCH/ESER Vor § 2 1 1 Rdn. 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 6 Rdn. 1.
14
Str., so auch BOCKELMANN B.T./2, § 41, § 2 III. - Die h.M. sieht den § 213 einheitlich als bloße Strafzumessungsregel an, vgl. GEILEN Dreher-FS, S. 358; GÖSSEL B.T.l, § 1 Rdn. 9; JÄHNKE LK, 10. Aufl., V o r § 2 1 1 R d n . 39; KREY B . T . l , R d n . 5 0 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 3 R d n . 1; MITSCH JUS 1996 S. 2 8 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 3 R d n . 1.
15
Vgl. dazu BGHSt 1 S. 370, 372; 2 S. 255; 6 S. 329; 22 S. 377; 24 S. 108; sowie zu den Konsequenzen BGHSt (GrSSt) 30 S. 105.
16
Vgl. BGHSt 36 S. 231 mit Anm. BEULKE NStZ 1990 S. 278 f, GEPPERT JK 90, StGB § 211/18, KÜPPER JuS 1991 S. 639 ff, TIMPE JZ 1990 S. 97 f. - Krit. Analyse der Rechtsprechung durch KÜPER JZ 1991, S. 761 ff, 862 ff, 910 ff. 17 Vgl. BGH NStZ 1996 S. 384 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 211/30. 18 Vgl. dazu B G H N J W 1953 S. 1440; GÖSSEL B.T.l, § 1 Rdn. 14; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 42.
7
§2
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Die sachliche Berechtigung der Differenzierung und ihre Konsequenzen 20 Die Sachgerechtigkeit der im deutschen Strafrecht schon in der Carolina und in vielen ausländischen Rechtsordnungen ausgeprägten Differenzierung zwischen einem Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte und einem qualifizierten Tatbestand sowie privilegierten Tötungsdelikten wird bestritten. Unabhängig von der Frage nach der Richtigkeit einzelner Entscheidungen wird die Berechtigung der Dreiteilung als solche in Zweifel gezogen. Vorgeschlagen wird eine Differenzierung lediglich zwischen nicht privilegierter Tötung und privilegierten Tötungsfällen.19 Der Dreiteilung ist gleichwohl der Vorzug zu geben, denn in ihr findet ein Differenzierungsbedürfnis Ausdruck, das in der unterschiedlichen sozialethischen Beurteilung der Tötungstaten begründet ist. 2 1 Diese sozialethische Betrachtung, die jedem rechtserheblichen Ereignis zuteil wird, weil es sich zugleich um eine sozial erhebliche Tatsache handelt, begründet die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte: Je bedeutsamer, verständlicher oder zwingender z.B. der Anlass zur Tat erscheint, um so geringer wird ihr Unwert als Störung der sozialen Beziehungen der Rechtsgenossen untereinander empfunden. Innerhalb dieser Wertung wird die vorsätzliche Tötung ganz nüchtern als ein Mittel zur Lösung bestimmter sozialer Konflikte bewertet. Motive, Zweck, Art und Weise der Anwendung des Mittels, Aufkommen der Konfliktsituation und Stellung des Täters in ihr werden zum gewählten Mittel der Problemlösung ins Verhältnis gesetzt. Egoistische und altruistische Strebungen innerhalb der Konfliktsituation werden gegenübergestellt. 2 2 Der Grundtatbestand der Tötungsdelikte, Totschlag, ist erfüllt, wenn diese Beurteilung zu dem Ergebnis führt, dass die Tat Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters ist, weil die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorgezogen werden. - Ein qualifizierter Fall des Totschlags, ein Mord, liegt hingegen vor, wenn die Tat ein derartiges Maß an Sozialgefährlichkeit des Täters erweist, dass sie nur noch als Ausdruck des krassesten und primitivsten Egoismus des Täters und einer über die Tötung selbst hinausweisenden sozialen Gefährlichkeit des Täters angesehen werden kann. - Ein privilegierter Tötungsfall ist hingegen anzunehmen, wenn die Tat als ausnahmsweise Entgleisung eines Menschen erscheint, „die Gesinnung neben dem natürlichen Egoismus jedes Individuums auch hinreichend entwickelte soziale Tendenzen enthält, so dass man von einer ethisch guten, anständigen und deshalb auch rechtlichen Gesinnung dieses Menschen reden kann" (BINDER).20
23 Diese sozialethische Differenzierung basiert auf der Würdigung der verwerflichen Motive und Zwecksetzung des Täters - Verwerflichkeitsprinzip - sowie seiner in der Tat zum Ausdruck gekommenen Gefährlichkeit - Gefährlichkeitsprinzip -. 24 Im Gegensatz zu dieser Auffassung wird vielfach in der Lehre versucht, die qualifizierten Totschlagsfälle nur als besonders verwerfliche Tötungen zu erfassen (Verwerflichkeitsprinzip). Die Verwerflichkeit wird zum einen in der Niedrigkeit der Motivation des Täters (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, sonstige niedrige Beweggründe), zum anderen im Tatzweck (Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat) und in der Art der Tatausführung (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) gesehen. - Eine neuere Lehre erkennt demgegenüber das maßgebende Kriterium allein in der besonders gefahrlichen Einstellung des Täters gegenüber Leib und Leben anderer (Gefährlichkeitsprinzip).21 25 Weder die Verwerflichkeit der Gesinnung des Täters noch seine Gefährlichkeit allein sind geeignet, Tötungsfälle im Bereich der vorsätzlichen Tötung als besonders qualifiziertes Unrecht zu charakterisieren. Schon der Totschlag ist durch eine verwerfliche Gesinnung des Täters gekennzeichnet, und die Tat kann auf eine besondere Gefährlichkeit des Täters hindeuten, sie muss es aber nicht, wie gerade die in der Literatur genannten Fälle besonderer Gefährlichkeit, z.B. die „Mehrfachtötung", die „Tötung mit unerlaubt mitgeführ-
19
Vgl. ESER 53. DJT-Gutachten, 1980, D 106 ff; BECKMANN G A 1981 S. 337 f f .
20
Eingehender dazu BINDER SchwZStr 67 (1952) S. 312 f f ; OTTO Z S t W 83 (1971) S. 4 3 f f .
21
Zur Auseinandersetzung: HEINE Tötung aus „niedrigen Beweggründen", 1988, S. 183 ff, 195 ff.
8
Die Systematik der Tötungsdelikte
§2
ter Schusswaffe" oder die „Tötung bei bandenmäBiger Begehung", zeigen. - Die einzelnen Fallgestaltungen könnten als Regelfallbeispiele brauchbar sein, als tatbestandliche Qualifikationsmerkmale müssen sie zu unbefriedigenden Zufallsergebnissen fuhren. Die Tatsache, dass z.B. jemand einen anderen mit einer unerlaubt in seinem Besitz befindlichen Waffe tötet, der ihn zuvor schwer gekränkt hat, macht die Tötung noch nicht zu einem schlechthin sozial unerträglichen Tötungsfall, gibt ihr vor allem kein anderes Gepräge als einer Tat mit erlaubt mitgeführter Waffe. Gleiches gilt für eine Tötung durch eine Bande oder für eine Mehrfachtötung als solche.
Der BGH geht davon aus, dass der Mordtatbestand in § 211 Abs. 2 abschließend die Tat- 26 umstände jener Tötungen beschreibt, die nach dem Willen des Gesetzgebers zwingend als besonders verwerflich anzusehen sind. Eine zusätzliche Verwerflichkeitsprüfung bzgl. der einzelnen Tat komme daher nicht in Betracht, und deshalb sei eine „Typen-" oder „Tatbestandskorrektur" ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen eines Mordmerkmals erfüllt sind, auch wenn die Tötungshandlung aufgrund umfassender Gesamtwürdigung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit als nicht besonders verwerflich erscheint. Ausnahmsweise eröffnet der BGH jedoch ein Abweichen von der lebenslangen Strafe in Tötungsfällen, in denen das Merkmal „Heimtücke" erfüllt ist, aber „außergewöhnliche Umstände vorliegen, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint. In diesen Fällen ist wegen Mordes zu verurteilen, jedoch ist der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB a n z u w e n d e n " ^ Diese Flucht in eine Generalklausel anstelle des Versuchs, die Mordmerkmale unter ei- 27 ner gemeinsamen leitenden Hinsicht zu interpretieren, vermag weder dogmatisch noch kriminalpolitisch zu überzeugen. Zum einen müsste die „Verhältnismäßigkeitskorrektur" für alle Mordmerkmale gelten,23 so dass hier die abgelehnte Typenkorrektur unter anderen Aspekten neu belebt würde, zum anderen ist auf diesem Weg nicht sicherzustellen, dass Fälle, die nach ihrem Sinngehalt unter § 213 fallen, aus dem Anwendungsbereich des Mordtatbestandes herausgehalten werden, wie gerade die Praxis zeigt; dazu weiter unter § 5 Rdn. 15 ff. Die hier vertretene Lösung bietet bei der Anwendung des Mordtatbestandes ein höheres 28 Maß an Sachgerechtigkeit und Rechtssicherheit und prägt zugleich die Auslegung des § 212 Abs. 2, da die Mordqualifikationen Beispielcharakter für die Anwendung des § 212 Abs. 2 haben. Damit wird gewährleistet, dass im Mordtatbestand Fälle gleicher Schwere in gleicher Weise erfasst werden. Soweit ein Fall nicht die Merkmale des § 211 Abs. 2 erfüllt, bleibt es möglich, ihn als besonders schweren Fall des Totschlags gemäß 212 Abs. 2 einzuordnen. - Die Situationen privilegierter Tötungen heben sich demgegenüber deutlich ab: in ihnen kann niemals ein unerträglicher Egoismus des Täters und eine Uber die Tötung selbst hinausgehende Gefahr des Täters für die Sozietät ihren Ausdruck finden. Mord und
22
BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; dazu kritisch ALBRECHT JZ 1982 S. 697 ff; ARZT/WEBER B. T„ § 2 Rdn. 17; BRUNS JR 1981 S. 358 ff; DERS. Kleinknecht-FS, S. 49 ff; ESER JR 1981 S. 177 ff; DERS. NStZ 1981 S. 3 8 3 ff; FÜNFSINN J u r a 1986 S. 136 ff; GÜNTHER N J W 1982 S. 3 5 3 ff; DERS. J R 1985 S. 2 6 8 ff; HASSEMER J Z 1983 S. 9 6 7 ff; KÖHLER J u S 1984 S. 7 6 2 f f ; KREY B . T . l , R d n . 6 7 ff; KÜPER J u S 2 0 0 0 S. 7 4 6
f; LACKNER NStZ 1981 S. 348 ff; LANGER Ernst Wolf-FS, S. 335 ff; MrrsCH JuS 1996 S. 122; MÜLLER/DIETZ Nishihara-FS, S. 254 ff; OTTO Jura 1994 S. 143 f; PAEFFGEN G A 1982 S. 255 ff; SONNEN
JA 1981 S. 638 ff; SPENDEL JR 1983 S. 271 ff; VEH Mordtatbestand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1986, S. 123 ff. - Zustimmend: FROMMEL StV 1982 S. 533 ff; GÖSSEL B.T.l, § 4 Rdn. 13 ff; JÄHNKE Spendel-FS, S. 539 ff; KRATZSCH J A 1982 S. 4 0 1 ff; RENGIER N S t Z 1982 S. 2 2 5 ff; DERS.
NStZ 1984 S. 21 ff. 23
Gerade das aber lehnt der BGH ausdrücklich ab, vgl. BGHSt 42 S. 304; zust. DÖLLING JR 1998 S. 160 f.
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§3
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
privilegierte Tötungsfälle schließen sich demgemäss sachlich aus, weil die Tatbestände unterschiedliche, nicht vergleichbare Fallsituationen beschreiben.24 4. Zur Reform der Tötungsdelikte 2 9 a) Seit langem wird in der Literatur eine Reform der Tötungsdelikte gefordert; vgl. dazu ARZT ZStW 83 (1971) S. 1 ff; ESER 53. DJT-Gutachten, D 34 ff; FUHRMANN 53. DJT-Sitzungsbericht, M 7 ff; GEILEN JR 1980 S. 309 ff; GÖSSEL DRiZ 1980 S. 281 ff; GRABBERGER MschrKrim 1999 S. 147 ff; GRIBBOHM Z R P 1980 S. 222 ff; JÄHNKE M D R 1980 S. 705 ff; LACKNER JZ 1977 S. 502 ff; DERS. 53. DJT-Sitzungsbericht,
M 25 ff; OTTO ZStW 83 (1971) S. 39 ff; RÜPING JZ 1979 S. 621; SESSAR Rechtliche und soziale Prozesse einer Definition der Tötungskriminalität, 1981, S. 21 ff; WEHUNG JZ 1981 S. 109 f; WOESNER NJW 1978 5. 1025 ff; DERS. NJW 1980 S. 1136 ff; ZlPF Würtenberger-Festschrifit, S. 151 f. Rechtsvergleichend: ESER/KOCH ZStW 92 (1980) S. 491 ff; Moos ZStW 89 (1977) S. 796 ff; RENGIER ZStW 92 (1980) S. 459 ff; SIMSON/GEERDS Straftaten gegen die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, 1969. b) Das Justizministerium hat im Februar 2000 einen Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes vorgelegt, der eine Umgestaltung der Tötungsdelikte zum Gegenstand hat. Danach soll § 211 wegfallen, in § 212 wird neben der jetzigen Regelung die des § 213 aufgenommen und in modifizierter Form der ehemalige § 217 miterfasst. Der Mordtatbestand wird mit dem Inhalt des bisherigen § 211 und der Möglichkeit einer Strafmilderung in der 2. und 3. Gruppe der Mordmerkmale zu § 213. - Diese Reformvorschläge sind von einer grundsätzlichen Reform der Tötungsdelikte weit entfernt.
5. Zur Kriminologie der Tötungsdelikte 30
DOTZAUER/JAROSCH Tötungsdelikte, 1971; GLATZEL Mord und Totschlag 1987; GÖPPINGER/B RESSER Tö-
tungsdelikte, 1980; KREUZER Kriminalistik 1982, S. 491 ff; MIDDENDORF Kriminologie der Tötungsdelikte, 1984; RASCH/HINZ Kriminalistik 1980 S. 377 ff; STEIGLEDER Mörder und Totschläger, 1968; SLGG Begriff, Wesen und Genese des Beziehungsdelikts, 1969; SlOL Mordmerkmale in kriminologischer und kriminalpolitischer Sicht, 1973.
6. Zur Kriminalistik im Bereich der Tötungsdelikte 3 1 GROSS/GEERDS Handbuch der Kriminalistik, 1978, Bd. 1, S. 163 ff, Bd. 2, S. 258 ff.
7. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der lebenslangen Freiheitsstrafe 32
BVerfGE 4 5 S. 187 ff mit Anm. BECKMANN G A 1981 S. 337 ff, und SCHMIDHÄUSER JR 1978 S. 265 ff; ERICHSEN N J W 1976 S. 1721 ff; GRÜNWALD Bemmann-FS, S. 161 ff; MÜLLER-DIEIZ Jura 1983 S. 573 ff.
§ 3 Totschlag 1. Der objektive Tatbestand a) Tötung eines Menschen 1 Der objektive Tatbestand des Totschlags, § 212, erfordert die Tötung eines Menschen. Der Täter ist in eigener Sicht „er selbst", nicht aber „ein Mensch". Aus der Gesetzesformulierung in Übereinstimmung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers, den Selbstmordversuch nicht unter Strafe zu stellen, ist demgemäss davon auszugehen, dass das Opfer des Totschlags ein anderer Mensch als der Täter sein muss. Der Selbstmord erfüllt nicht den Tatbestand des § 212. Da die „rechtswidrige Tat" (Haupttat) i.S. der §§ 26, 24
Vgl. auch BERNSMANN J Z 1983 S. 45 ff; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 37; RIEB N J W 1968
S. 630.
10
Mord
§4
27 fehlt, entfällt die Möglichkeit, Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord als Tötungsdelikt zu bestrafen25; dazu weiter unter § 6 Rdn. 41 ff. b) Die Tathandlung Tathandlung ist jede Herbeiführung des Todes, d.h. jede Verkürzung des Lebens und da- 2 mit auch die Verkürzung schon todgeweihten Lebens. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz in bezug auf die Merkmale des objektiven Tat- 3 bestandes; bedingter Vorsatz genügt.26 3. Hinweis zur Subsumtion Mit den Worten: „ohne Mörder zu sein" in § 212 wollte der Gesetzgeber allein darauf hinweisen, dass die 4 Prüfung des § 211 nicht übersehen werden darf. Dieser Hinweis ist bei der Subsumtion des § 212 selbst ohne jede Bedeutung und daher keinesfalls als Tatbestandsmerkmal anzusehen mit der Konsequenz, dass in der Prüfung des § 212 der ganze § 211 zu erörtern wäre.
4. Besonders schwere Fälle des Totschlags Nach § 212 Abs. 2 kann in besonders schweren Fällen eines Totschlags lebenslange Frei- 5 heitsstrafe verhängt werden. Zu beachten ist aber, dass § 211 als spezielle Regelung vorgeht und diese Regelung sich auf die Auslegung des § 212 Abs. 2 dahingehend auswirkt, dass als besonders schwerer Fall nur eine Tat aufgefasst werden kann, die im Unrechtsund Schuldgehalt den in §211 erfassten Sachverhalten gleichkommt. Es genügt daher nicht, dass die Tatumstände den Mordmerkmalen nur nahe kommen.2?
§ 4 Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen Den Tatbestand des Mordes, § 211, erfüllt, wer einen Totschlag unter bestimmten, im Ge- 1 setz abschließend aufgezählten qualifizierenden Umständen begeht.28 Gemeinsam ist den Merkmalen, die diese Tatumstände beschreiben, dass es Unrechtsmerkmale und nicht bloße Schuldmerkmale sind, da in ihnen neben der besonderen Verwerflichkeit der Tat eine erhöhte, über den einzelnen Totschlag hinausgehende Gefährlichkeit des Täters ihren Ausdruck findet.29 25
H.M., vgl. dazu OTTO 56. DJT-Gutachten, 1986, D 18 ff m.e.N. - A.A. BRINGEWAT ZStW 87 (1975) S. 6 2 3 f f ; KLINKENBERG J R 1979 S. 183 f; SCHMIDHÄUSER W e l z e l - F S , S. 8 0 1 ff.
26
in Fällen hochgradiger Erregung, Wut oder Alkoholisierung fordert der BGH allerdings „bei äußerst gefahrlichen Gewalthandlungen" als zusätzliches subjektives Erfordernis des bedingten Vorsatzes die Überschreitung der „gegenüber einer Tötung bestehenden hohen Hemmschwelle"; dazu im einzelnen GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 7 R d n . 4 1 , F n . 34.
27
Dazu BVerfG JR 1979 S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH NStZ 1981 S. 258 f; BGH JR 1983 S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH StV 1987 S. 296 f; BGH NStZ 1991 S. 431; BGH StV 1993 S. 354. -
Enger MOMSEN NStZ 1998 S. 487 ff. 28
Kritisch zum täterschaftlichen Mord durch Unterlassen: ARZT Roxin-FS, S. 856 ff.
29
V g l . FUHRMANN JUS 1963 S. 19 ff; HORN S K n , § 2 1 1 R d n . 2; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 4 6 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 2 2 ff; OTTO J u r a 1994 S. 1 4 3 ; RÜPING J Z 1 9 7 9 S. 6 1 9 f.
11
§4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
2 Zum Teil werden die Mordqualifikationen dagegen insgesamt als Schuldmerkmale interpretiert.30 Von anderen werden die subjektiv geprägten Mordmerkmale dem Schuldtatbestand, die objektiv ausformulierten dem Unrechtstatbestand zugeordnet.31 Wieder andere interpretieren einzelne Mordmerkmale als komplexe, Unrecht und Schuld betreffende Merkmale.32
II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale 3 Der Gesetzgeber hat die Mordmerkmale in drei Gruppen unterteilt: 1. Niedrige Motive des
Täters
4 Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier sind im Gesetz ausdrücklich als Beispiele sonstiger niedriger Beweggründe genannt. a) Mordlust 5 Nach neuerer Auffassung - auch der Rechtsprechung - liegt Mordlust vor, wenn die Tötung als solche Zweck der Tat ist. - Hier sind daher die Fälle einzuordnen, in denen es dem Täter allein darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen, sei es, dass er die Tötung aus Mutwillen, Langeweile oder Angeberei begeht oder sie als Stimulans für seine abgestumpften Nerven bzw. als „sportliches Vergnügen" betrachtet. 33 Über die konkrete Tat hinaus ist der aus dieser Motivation handelnde Täter für die Sozietät gefährlich, da einem Menschenleben aus seiner Sicht nur noch Wert als Unterhaltungs- oder Zeitvertreibsobjekt zukommt. Zur
Verdeutlichung:
6 aa) BGHSt 34 S. 59: Der A hielt sich angetrunken in einer Bahnhofsgaststätte auf. Als er dort die Toilette aufsuchte, kam er auf den Gedanken, dass es niemand hören und bemerken würde, wenn an diesem abgelegenen Ort ein Mensch umgebracht würde. In diesem Moment ging die W an ihm vorbei zur Toilette. A dachte bei sich: .jetzt oder nie, und meinte dabei bei sich selbst, entweder er bringe diese Frau jetzt um oder er lasse es überhaupt bleiben." Er folgte der W und versuchte, sie zu erwürgen. bb) BGH VRS 63 S. 119: Der A warf von einer Brücke Steine hinunter, wenn sich Fahrzeuge näherten. Er rechnete damit, dass die Steine die Windschutzscheibe des Fahrzeugs durchschlagen und den Fahrer treffen würden. Er hoffte, dass in einem solchen Fall der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren und ein Massenunfall mit unübersehbarem Sach- und Personenschaden entstehen würde.34 cc) FAZ vom 3.6.1983, S. 7: Drei junge Männer im Alter von 17, 19 und 22 Jahren, die im November vergangenen Jahres einen 23 Jahre alten Stadtstreicher auf dem Bonner Venusberg zu Tode gequält hatten, sind in Bonn wegen gemeinschaftlichen Mordes zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das Opfer war, so stellte es das Gericht fest, getreten, mit Knüppeln geschlagen und stranguliert worden. Die Täter hatten den Stadtstreicher gezwungen, brennende Zigarettenkippen zu schlucken und ihm mit einer abgebrochenen Bierflasche in den Kehlkopf gestochen.35 30
ENGISCH G A 1955 S. 161 f f ; LANGE S c h r ö d e r - G e d S , S. 2 2 1 .
31
Vgl. z.B. GALLAS ZStW 67 (1955) S. 46; JESCHECK LK, Vor § 13 Rdn. 74; LANGER Das Sonderverbrechen, 1972, S. 359; SCH/SCH/LENCKNER Vor § 13 Rdn. 122.
32
Vgl. LAMPE Das personale Unrecht, 1967, S. 242; SCHMIDHÄUSER Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1975, 8/93.
33
V g l . HORN S K , § 2 1 1 R d n . 9; KÜPER B . T . , S. 2 0 1 ; MITSCH JUS 1996 S. 123; OTTO Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 ) S. 5 8 f f ; RÜPING J Z 1 9 7 9 S. 6 2 0 ; SCHROEDER JUS 1984 S. 2 7 7 f.
34
Vergleichbare Sachverhalte: FAZ v. 26.1.1995, Nr. 22, S. 1; FAZ v. 21.2.1995, Nr. 44, S. 9; FAZ v. 8.3.1997, Nr. 57, S. 9; FAZ v. 29.2.2000, Nr. 50, S. 13; FAZ v. 2.3.2000, Nr. 52, S. 13; FAZ v. 29.11.2000, Nr. 278, S. 13; FAZ v. 29.5.2001, Nr. 123, S. 13. - Zur Annahme der Heimtücke in derartigen Fällen vgl. BGH NStZ-RR 1997 S. 294.
35
Vergleichbarer Sachverhalt (Steinigung): FAZ v. 9.5.1996, Nr. 108, S. 13.
12
Mord
§4
dd) FAZ vom 12.9.1983, S. 7: Ein belgischer Reisebus und ein nachfolgender Personenwagen sind am Samstagmorgen auf dem Autobahnring München-Ost beschossen worden. Die Polizei teilte mit, ein Geschoss sei in die Windschutzscheibe des Omnibusses eingeschlagen und durch ein Seitenfenster wieder ausgetreten. Die Windschutzscheibe sei zertrümmert worden. Sowohl der Fahrer als auch der Beifahrer des Busses seien durch Splitter verletzt worden. Bei dem Personenwagen wurde die Motorhaube getroffen. Die Fahndung nach dem Täter, der von einem Feld aus auf die Autobahn geschossen hatte, blieb ohne Erfolg. ee) FAZ vom 23.5.1990, S. 9: Die Polizei nahm drei junge Männer fest, die am Ostersonntag einen 30 kg schweren Gullydeckel auf die Autobahn geworfen hatten. Nach der Verhaftung gaben die drei lakonisch an: „Wir wollten nur mal sehen, wie einer so ein Ding richtig vor die Birne kriegt". ff) BGH NStZ 1994 S. 239: Nachdem K, D, Frau W und andere gemeinsam Alkohol genossen hatten, entschloss sich K, Frau W zu töten, weil es ihm Spaß machte, andere zu schlagen und seiner Gewalttätigkeit ausgeliefert zu sehen. Es schlug auf sie ein, trat sie mit Füßen und versuchte, ihr den Bauch mit einer Gartenschere aufzuschneiden. Schließlich wurde Frau W stranguliert. b) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs tötet der Täter, der das Töten als ein Mittel zur 7 geschlechtlichen Befriedigung einsetzt. Drei Fallgruppen sind zu unterscheiden: 8 aa) Der Täter befriedigt seinen Geschlechtstrieb durch Töten, bb) Der Täter tötet, um sich an der Toten zu vergehen. BGHSt 7 S. 353: Der A fasste in anhaltender geschlechtlicher Erregung den Plan, ein Mädchen durch betäubende Schläge „still" zu machen, um mit der Bewusstlosen den ununterbrochenen Beischlaf ausüben zu können. Dieses Vorhaben führte er aus; er steckte ein Beil zu sich, schlug im Dunkeln eine radfahrende Frau von seinem Rade aus nieder, schleppte die Bewusstlose beiseite, tötete sie, weil sie sich noch bewegte, und er es deshalb für notwendig hielt, mit weiteren kräftigen Beilschlägen und befriedigte sich sodann an der Leiche. cc) Der Täter nimmt den Tod als Folge der Gewaltanwendung beim Geschlechtsverkehr in Kauf. BGHSt 19 S. 101: A überfiel die Oberschülerin E, um sie geschlechtlich zu missbrauchen, und würgte sie, bis sie das Bewusstsein verlor. Um sie wehrlos zu halten und ungestört mit ihr geschlechtlich verkehren zu können, schnürte er ein Taschentuch um ihren Hals, zog zu, so fest er konnte, und verknotete es zweimal. A erkannte, dass das Mädchen dadurch ersticken konnte, wollte aber auf jeden Fall - auch um den Preis des Lebens seines Opfers - zum ungestörten Geschlechtsverkehr kommen. Er führte an der mit offenen Augen krampfhaft atmenden Bewusstlosen den Geschlechtsverkehr aus. Nach dem Verkehr bemerkte er, dass die E nicht mehr atmete. Er erschrak und löste das Taschentuch. Das Mädchen war an der Drosselung erstickt.36 Geht es dem Täter nicht um sexuelle Befriedigung, sondern nur um sexuelle Erregung, so 9 wird - je nach den Tatumständen - Mordlust oder Tötung aus niedrigen Beweggründen vorliegen. 37 Das Tatopfer muss die Person sein, auf die das sexuelle Begehren des Täters gerichtet 10 ist. Die Tötung von Personen, die aus der Sicht des Täters dem von ihm gewünschten Geschlechtsverkehr mit einer dritten Person entgegenstehen, erfüllt das Merkmal zur Befriedigung des Geschlechtstriebs n i c h t s
36
Weitere Beispielsfälle: BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 102; BGH NJW 1982 S. 2565; BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 229.
37
Vgl. JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 2 1 1 Rdn. 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 32;
38
Vgl. dazu BGH GA 1963 S. 84.
SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 16.
13
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§4
c ) Habgier 1 1 Habgier als besonderes rücksichtsloses und sozialethisch anstößiges Streben nach Gewinn bedeutet ein Handeln um eines materiellen Vorteils willen in einer Handlungssituation, in der der erstrebte Vorteil in einem unerträglichen Missverhältnis zum angerichteten Schaden steht. Das ist der Fall, wenn der Täter allein um eines Vermögensvorteils willen ein Menschenleben vernichtet. 3 9 E r zeigt damit „ein Gewinnstreben, das in seiner Rücksichtslosigkeit des gewöhnliche M a ß weit überschreitet." 4 0 Das Streben nach dem Vorteil muss die Tat wesentlich prägen. 4 1 Zur
Verdeutlichung:
1 2 aa) BGHSt 29 S. 317: A tötete den Z, weil er in den Besitz von 1 Gramm Heroin im Wert von DM 200.gelangen wollte, das Z besaß. BGH: A erstrebte den Vorteil auch um den Preis eines Menschenlebens, daher handelte er habgierig. Dem ist zuzustimmen. Insoweit liegt ein typischer Fall des Raubmordes vor: Der Täter tötet das Opfer, um sich einen Vermögenswert zu verschaffen. - Im konkreten Fall (Täter rauschgiftsüchtig) wäre allerdings zu erwägen, ob krankhafte Suchtabhängigkeit das Ergebnis ändern könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn die Sucht so stark gewesen wäre, dass der Täter nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich der Diskrepanz zwischen dem erstrebten Vermögensvorteil und dem Wert eines Menschenlebens bewusst zu werden.42 bb) OLG Hamburg NJW 1947/48 S. 350: A hatte einen Anspruch gegen die S. Da sie nicht zahlte, suchte er sie auf, um sein Geld zu erhalten. Eine Pistole nahm er vorsichtshalber mit. Als S auch bei dem Besuch die Zahlung verweigerte, erschoss A sie. OLG Hamburg: Keine Habgier, denn die beabsichtigte Gewinnerzielung müsse rechtswidrig sein. Kritik: Im Ergebnis ist dem zuzustimmen, nicht aber in der Begründung. Der Anspruch allein schließt ein habgieriges Verhalten nicht per se aus. Wohl aber wird das Vorliegen eines bestehenden oder vermeintlich bestehenden Anspruchs die Wertung der Situation zugunsten des Täters beeinflussen, wenn es etwa zur Tötung kommt, nachdem der Schuldner die Erfüllung des Anspruchs verweigert hat, obwohl ihm die Zahlung möglich ist, oder wenn er den Gläubiger fortweist mit dem Bemerken, dieser werde seine Forderung in einem Prozess nicht beweisen können. Hier prägt nicht allein das Streben nach dem Vorteil die Tat, sondern auch das Bewusstsein der Hilflosigkeit angesichts eines nicht aussichtsreichen Rechtsweges u.a. 43 cc) BGHSt 10 S. 399: A tötete die B, um von der Unterhaltslast für das von B erwartete Kind freizukommen. BGH: A handelte habgierig.44 dd) BGH JZ 1981 S. 283: M suchte jemand, der ihr beim Selbstmord helfen sollte, dafür wollte sie ihn bezahlen. Sie flehte und bettelte den A an, sie gegen Zahlung von DM 500.- umzubringen. A fllhrte die Tat aus.
39
Vgl. auch ARZT/WEBER B. T„ § 2 Rdn. 56; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 8; KÜPER B. T„ S. 176; OTTO Jura 1994 S. 145. - Einschränkend SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 17, der „auf das von Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit getriebene und nicht auf bloße Behebung einer singulären Konfliktlage gerichtete Streben nach Vermögensmehrung" abstellt.
40
BGHSt 10 S. 399.
41
BGH StV 1986 S. 47; BGH StV 1989 S. 150.
42
Dazu auch ALWART J R 1981 S . 293 ff; FRANKE J Z 1981 S. 525 ff; PAEFFGEN GA 1982 S. 269.
43
Vgl. dazu einerseits: ARZT/WEBER B.T., § 2 Rdn. 60; SCHMIDHÄUSER Reimers-FS, S. 446 ff; WELZEL Lb., § 38 N 1. - Andererseits: JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 8; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 33; SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 17.
44
So auch ARZT/WEBER B.T., § 2 Rdn. 60; GÖSSEL B . T . l , § 4 Rdn. 39; LACKNER/KÜHL § 211 Rdn. 4;
WESSELS/HETTINGER B.T./1, Rdn. 94. - Bei bloßer Absicht, den Besitzstand zu wahren, lehnen Habgier ab: ALWART J R 1981 S. 293 f; MITSCH JuS 1996 S. 124 f; PAEFFGEN GA 1982 S . 255; TRÖNDLE/FISCHER § 211 Rdn. 8.
14
Mord
§4
BGH: Keine Habgier, da nicht die Absicht, einen Vorteil zu erlangen, die Tat wesentlich prägte, sondern andere Motive. ee) BGH NJW 1993 S. 1664: X hatte zwei Ausländerinnen kennengelernt und sie dazu gebracht, in der Bar des A der Prostitution nachzugehen. Mit A hatte X vereinbart, dass dieser ihm j e ein Viertel des Verdienstes der Frauen überlassen werde. Später wandten sich die Frauen von X ab und dem A zu. A stellte die Zahlungen an X ein und wies entsprechende Forderungen des X ab. Daraufhin erschoss X den A. BGH: X handelte nicht aus Habgier, denn das setzt voraus, dass sich das Vermögen des Täters - objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung - durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine unmittelbare Vermögensvermehrung entsteht.
d) Niedrige Beweggründe Hinter der seit BGHSt 3 S. 132 weitgehend anerkannten, jedoch pathetisch überladen for- 13 mulierten Definition der niedrigen Beweggründe als Beweggründe, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich sind", verbirgt sich nichts anderes als die nüchterne Feststellung, dass Beweggründe niedrig sind, „wenn zwischen dem Anlass der Tat und ihren Folgen ein unerträgliches Missverhältnis besteht".45 Entsprechende Motive können Rachsucht, Neid, Hass, Wut, Eifersucht und Selbstsucht sein, sie müssen es aber nicht. Stets ist zu prüfen, ob diese Beweggründe ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen oder ob sie in der konkreten Situation menschlich verständlich erscheinen, weil sie Ausdruck von Verzweiflung, innerer Ausweglosigkeit oder berechtigtem Ärger sind.46 Die Bewertung der Beweggründe hat in einer Gesamtwürdigung zu erfolgen, in der das Missverhältnis zwischen Anlass und Erfolg der Tat, besondere emotionelle Erregungen und ihr Anlass, sowie Persönlichkeitsgegebenheiten zu berücksichtigen sind. Der Täter muss sich der Umstände, die sein Verhalten als besonders verwerflich er- 14 scheinen lassen, bewusst sein und die Bedeutung seiner Beweggründe und Ziele für die Bewertung der Tat erfassen; dass er sie selbst als verwerflich bewertet, ist nicht nötig. Spielen bei der Tat gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen eine Rolle, so muss der Täter in der Lage sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern, damit dem Täter die Niedrigkeit seiner Handlung vorgeworfen werden kann. 47 Waren mehrere Motive für die Tat maßgeblich (Motivbündel), so ist die Tat nur dann auf niedrige Motive zurückzuführen, wenn diese das Hauptmotiv waren oder der Tat ihr Gepräge gaben. 48
15
Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 3 S. 180: Der 39jährige verheiratete A verspürte Lust zum Geschlechtsverkehr mit der 19jährigen B. Diese wies ihn entrüstet ab. Er erstach sie daraufhin, weil auch kein anderer die B haben sollte. BGH: Beweggrund niedrig.4® bb) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 542: A, der als unbesiegbarer Schläger galt, provozierte den B durch Belästigungen, um „in eine tätliche Auseinandersetzung zu kommen." Als diese begann, musste A erkennen, 45
BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 725; vgl. auch BGH MDR 1993 S. 1102 f; dazu auch MITSCH JuS 1996 S. 125.
46
vgl. dazu BGH StV 1997 S. 291; BGH StV 1998 S. 25; BGH StV 1998 S. 130; BGH StV 2001 S. 229.
47
BGH StV 1987 S. 150; BGH StV 1987 S. 296; BGH MDR 1989 S. 654; BGH MDR 1994 S. 1102; BGH NStZ 1996 S. 384.
48
V g l . B G H bei Holtz, M D R 1 9 8 4 S . 4 4 1 f ; LACKNER/KÜHL § 2 1 1 R d n . 5 c . - A . A . ALWART G A 1 9 8 3
S. 433 ff; SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 18; BGH NStZ-RR 1998 S. 67. 49
Vgl. auch BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 229.
15
16
§4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
dass B stärker war. Dies „konnte A nicht verwinden" und stieß dem B deshalb wütend, schnell und mit aller Kraft die Klinge seines Taschenmessers in die Brust. Der tödliche Ausgang dieses Angriffs war ihm recht. BGH: Wut und Enttäuschung darüber, dass er in der Auseinandersetzung mit dem sich vollkommen rechtmäßig verhaltenden B nicht als Sieger hervorging, sind als niedrige Beweggründe anzusehen. 50 cc) BGH NJW 1980 S. 537: A und B, zwei Türken, versuchten den St zu töten, der die Tochter bzw. Schwester geschwängert hatte, aber nicht bereit war, sie zu heiraten. Nach den Sitten ihres Heimatlandes empfanden sie dies als verbindliche Familienpflicht. BGH: Keine niedrigen Beweggründe, denn bei ausländischen Tätern sind die Anschauungen ihrer Heimat bei der Wertung ihrer Motive zu berücksichtigen.51 dd) BGH NStZ 1985 S. 454: A, der Schwierigkeiten in Ehe und Beruf hatte, beschloss „auszusteigen und unterzutauchen". Um einen Unfall vorzutäuschen, tötete er den X, setzte die Leiche in seinen Wagen und zündete diesen an. BGH: Wer einen ihm unbekannten Menschen tötet, um statt seiner als tot zu gelten, sich damit aus seinen familiären und beruflichen Bindungen zu lösen und - frei von der damit einhergehenden Verantwortung - ein „neues Leben" beginnen zu können, offenbart damit vielfach ein derart erhebliches Maß an Menschenverachtung, dass sein Beweggrund für die Tötung sittlich auf tiefster Stufe steht und damit niedrig im Sinne des Mordtatbestandes ist. ee) BGH NStZ 1993 S. 182: A hatte Anstoß genommen daran, dass der Obdachlose S sich unter einer Brücke eingerichtet hatte und dort die Umgebung verunreinigte. Er hatte ihn bereits einmal mit Gewalt vertrieben. Als er ihn dort wieder antraf, erschoss er ihn aus Wut, Zorn und Verärgerung. BGH: Nach den Feststellungen des Sachverständigen handelt es sich bei A um einen Menschen, der seine Ansichten und Überzeugungen zum alleinigen Maßstab für Recht und Ordnung macht und sich deshalb zum Herrn über Leben und Tod eines aufgrund seiner Lebensweise ihm missliebigen Mitmenschen aufschwingt. Eine derartige Persönlichkeitsstruktur ist - für sich genommen - nicht geeignet, die Tötung eines Menschen in der beschriebenen Situation menschlich verständlich erscheinen zu lassen und bietet keinen beachtlichen Grund, der der Wertung der Handlungsantriebe des A als auf sittlich tiefster Stufe stehend, entgegenwirken könnte. ff) BGH NStZ 1993 S. 341: Aus „Protesthaltung" gegen Bau und Betrieb der Startbahn 18-West des Frankfurter Flughafens erschoss der A zwei Polizeibeamte, die die Startbahn gegen Demonstranten sicherten. BGH: Niedrige Beweggründe sind nicht ersichtlich: Das OLG hat die Frage, ob der A die Schüsse aus einer Gesinnung heraus abgegeben hat, die „ein willkürliches Aufwerfen zum Herrn über die körperliche Unversehrtheit der Polizeibeamten bedeutet hätte und deshalb als sittlich auf tiefster Stufe stehend zu werten gewesen wäre", geprüft und ausdrücklich verneint. Angesichts des Hintergrundes der im Zusammenhang mit einer Konfrontation begangenen Tat ist das im Ergebnis nicht zu beanstanden. Kritik: Die Entscheidung liegt durchaus auf der Linie der h.M. Diese beurteilt die Tötung eines politischen Gegners wegen seiner Überzeugung oder Betätigung oder weil er der Durchsetzung der eigenen Überzeugung entgegensteht, bzw. diejenigen repräsentiert, die die entgegengesetzte Auffassung vertreten, nicht grundsätzlich als niedriges Motiv. Sie stellt im konkreten Fall vielmehr darauf ab, welchen Zweck der Täter mit der Tat für sich persönlich erstrebt und wie sich dieser Zweck zu der Tötung als dem hierfür eingesetzten Mittel verhält. 52 - Diese Differenzierung wird der Tötung aus politischen Motiven jedoch kaum gerecht. Egoistische Ziele im Sinne einer persönlichen Bereicherung, der Erlangung einer persönlichen Machtstellung o.ä. sind keine Kennzeichen der politischen Motivation. Relevant sind hier die Fälle, in denen der Täter zum Mittel der Tötung greift, um politisch Andersdenkende zu vernichten oder zu zeigen, dass er seine politischen Ziele konsequent weiterverfolgt und durchsetzt, auch wenn die Mittel des demokratischen Rechtsstaates ihm dieses nicht ermöglichen, so dass er dem Rechtsstaat Gewalt und die Tötung jener Personen entgegensetzt, die diesen Staat und seine Ideen repräsentieren. Der politische Gegner oder die Repräsentanten 50
Vgl. auch BGH NStZ 1995 S. 181 einerseits, BGH StV 1995 S. 301 andererseits.
51
Dazu auch GEILEN JK, StGB § 211/5; KÖHLER JZ 1980 S. 238; SONNEN JA 1980 S. 747; BGH StV 1997 S. 566. - Einschränkend aber BGH NJW 1995 S. 602 mit Anm. FABRICIUS StV 1996 S. 209 ff. Zur Tötung Unbeteiligter um die „Familienehre zu retten", vgl. BGH NStZ-RR 2000 S. 168.
52
V g l . z u s a m m e n f a s s e n d v . SELLE N J W 2 0 0 0 S . 9 9 6 ; ZIELKE J R 1991 S. 137; DERS J R 1 9 9 2 S. 2 3 0 f.
16
Mord
§4
eines abgelehnten politischen Systems werden ihrer Überzeugung wegen vernichtet, um die Durchsetzung der eigenen Position zu fördern oder kenntlich zu machen, dass die eigenen Ideen weiter verfolgt werden. Diese Haltung jedoch verweist auf eine über die Einzeltat hinausgehende Gefahr für die anderen Mitglieder der Gesellschaft und ist daher als niedrig zu beurteilen, soweit nicht die Voraussetzungen des Widerstandsrechts, Art. 20 Abs. 4 GG, oder Gegebenheiten, die diesem sachlich nahe kommen, vorliegen.53 gg) BGH NStZ 1997 S. 81: A, der mit der X ein intimes Verhältnis hatte, wollte die Beziehung beenden. Daraufhin drohte X, die sado-masochistischen Neigungen des A zu offenbaren und von ihm dabei gefertigte Videoaufnahmen herumzuzeigen. A, der fürchtete, dass diese Offenbarung zum Scheitern seiner Ehe und zum Verlust seines sozialen Ansehens führen würde, tötete die X. BGH: Die Tötung eines Menschen zur Wahrung des eigenen sozialen Ansehens ist ein niedriger Beweggrund. Gleiches gilt, wenn sich der Täter durch die Tötung der Verantwortung für vorangegangenes Tun entziehen will.54 BGH NStZ 1999 S. 129: Um einer Gruppe junger Leute, die Streit mit einem Gastwirt angefangen hatten, zu imponieren, stach A den Gastwirt nieder. BGH: Tötung aus Imponiergehabe kann niedriger Beweggrund sein.
2. Art der Tatausführung a) Heimtücke Heimtückisch tötet nach ständiger Rechtsprechung, wer in feindlicher Willensrichtung die 17 Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.55 Arglos ist, wer beim Eintritt der Tat in das Versuchsstadium von dem Täter keinen An- 18 griff auf Leib oder Leben befürchtet. Wehrlos ist, wer in seiner Abwehrbereitschaft oder fähigkeit im Augenblick der Tat stark eingeschränkt ist; wobei die Wehrlosigkeit auf der Arglosigkeit beruhen muss. - Das Merkmal der feindlichen Willensrichtung blieb in der Rechtsprechung des BGH unscharf, denn es diente zunächst nur dazu, Fälle des sog. Mitnahmesuizids aus dem Mordtatbestand herauszuhalten: Der lebensmüde, verzweifelte Täter glaubt, „in krankhafter Verblendung", „zum Besten" seines Opfers zu handeln, wenn er ihm, statt es allein zurückzulassen, dasselbe Schicksal bereitet, das er sich selbst zugedacht hat. Das Fehlen der „feindlichen Willensrichtung" führte aber auch dazu, einen in die NSEuthanasieaktionen verstrickten Arzt56 und später Klinikpersonal bei sog. Mitleidstötungen vom Mordvorwurf zu endasten. Inzwischen aber begnügt sich der BGH in Fällen sog. Mitleidstötungen nicht mehr mit dem Fehlen einer „feindlichen Willensrichtung", sondern fordert eine objektiv nachvollziehbare Wertung, die der Beendigung schwerster Leiden Vorrang gibt. - Ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der Täter sich der tatsächlichen Umstände, die die Tötung zu einer heimtückischen machen, bewusst ist in dem Sinne, dass er gedanklich erfasst, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.57
53
Vgl. a u c h BROCKER J R 1992 S. 13 f; DERS. N S t Z 1994 S. 3 3 f; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , § 2 1 1 R d n . 29. -
54
Zur Tötung aus rassistischen Motiven: BGH NJW 1994 S. 395. Vgl. auch BGH bei Altvater, NStZ 1999 S. 19; BGH NStZ-RR 1999 S. 234 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 211/33. - Krit. dazu WALTER NStZ 1997 S. 36 ff.
55 56 57
BGHSt 32 S. 383 f m. w. N.; BGHSt 41 S. 78 f. - Dazu auch KÜPER JuS 2000 S. 740 ff; DERS. B. T„ S. 177 ff. BGH JZ 1974 S. 511. Dazu BGHSt 6 S. 121; 11 S. 144; 22 S. 80; BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 487; BGH StV 1984 S. 511; BGH GA 1987 S. 129; BGH NStZ 1987 S. 554; BGH NStZ 1997 S. 491.
17
§4 19
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Die Begriffsbestimmung der Heimtücke ist wegen ihrer Weite, aber auch wegen der in ihr angelegten wenig überzeugenden Differenzierung verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die der BGH durch verschiedentliche Randkorrekturen auszugleichen versuchte.
2 0 So hat der BGH zunächst angenommen, dass Arglosigkeit schon entfalle, wenn der Täter dem Opfer bei einer nur verbalen Auseinandersetzung in offener Feindschaft gegenübertritt.58 Inzwischen hat der BGH diese Aussage allerdings eingeschränkt und lässt einen verbalen Angriff nicht genügen, wenn das Opfer bezüglich eines Angriffs auf Leib und Leben arglos bleibt.59 2 1 Eine Ausnahme von der Voraussetzung, dass das Opfer bei Beginn des Versuchs arglos sein muss, machte der BGH für den Fall, dass der Täter das Opfer „nach einem wohl überlegten Plan mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt". 60 Das soll allerdings nur dann gelten, wenn der Täter das Opfer „unentrinnbar" durch die von langer Hand geplante Tat in seine Gewalt gebracht hat. 61 2 2 Schließlich mildert der BGH die lebenslange Strafe über § 49 Abs. 1 in Fällen, in denen außergewöhnliche Umstände die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen l a s s e n . 6 ? Bei diesen außergewöhnlichen Umständen muss es sich um Sachverhalte handeln, „die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen (z.B. bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit oder bei entschuldigendem Notstand i.S. von § 351S. 2 StGB) vergleichbar"63 oder so außergewöhnlich sind, dass von einem Grenzfall gesprochen werden kann. 64
23 An Überzeugungskraft hat die Argumentation durch diese Modifizierungen nicht gewonnen. Die vom BGH erkannte besondere Gefährlichkeit des Täters, der die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, vermag nämlich den Vorwurf eines über das Unrecht einer vorsätzlichen Tötung hinausweisenden Unrechts nicht einmal im Ansatz zu begründen. Die besondere Gefährlichkeit soll im Vorgehen des Täters liegen: „Er überrascht das Opfer in einer hilflosen Lage und hindert es dadurch, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen, den Angreifer umzustimmen, in sonstiger Weise dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder die Durchführung wenigstens durch solche Bemühungen zu erschweren."65 Diese Erwägungen bringen jedoch keine über die der vorsätzlichen Tötung typischen Gefahrenmomente zum Ausdruck. JESCHECK hat durchaus zu Recht darauf hingewiesen, dass ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit nicht zwangsläufig auf Verschlagenheit, List und Tücke schließen lasse; ein solches Verhalten könne auch die Waffe des Schwachen und Unterlegenen gegen Übermacht, Gewalt und Brutalität sein.66 Und schon der grundsätzliche Ansatz geht fehl. Das typische Unrecht des Totschlags wird nicht durch den edlen Ritter realisiert, der nach Ansage der Fehde dem Gegner Zeit gewählt, sich entsprechend zu rüsten. Schon der Totschlag ist Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters, weil diesgr die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorzieht. Damit ist es aber noch die typi58 59
Vgl. BGHSt 27 S. 324; BGH NStZ 1983 S. 35. Vgl. BGHSt 30 S. 113 f; 33 S. 363; BGH NJW 1991 S. 1963 mit Anm. OTTO JR 1991 S. 382 f; BGH
NStZ-RR 1996 S. 322; BGH NStZ-RR 1997 S. 168; BGH StV 1998 S. 543; BGH NStZ-RR 2000 S. 14. 60
BGHSt 22 S. 77; BGH NStZ 1984 S. 261. - Dazu KÜPER JuS 2000 S. 743 f.
61
BGH NStZ 1989 S. 354 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 211/19.
62
BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; eingehend dazu oben § 2 Rdn. 26 f.
63
BGH MDR 1982 S. 1033.
64
Dazu auch BGH JR 1983 S. 301; BGH NStZ 1983 S. 553; BGH NStZ 1995 S. 231.
65
BGHSt 11 S. 143.
66
JESCHECK J Z 1 9 5 7 S. 3 8 7 .
18
Mord
§4
sehe, dem Totschläger eigene Gefahr, dass er eine Handlungssituation sucht, die ihm die größten Erfolgschancen bietet. Diese Einstellung vermag das Unrecht seiner Tat nicht über das Unrecht der vorsätzlichen Tötung hinaus zu steigern.67 Die Literatur bietet kein einheitliches Bild. - Zum einen wird nur die Ausnutzung eines 24 bestehenden Vertrauensverhältnisses oder der Missbrauch entgegengebrachten Vertrauens als Heimtücke anerkannt68. Zum anderen wird ein heimliches und tückisches Verhalten gefordert.69 Schließlich wird auf das Fehlen eines „achtenswerten Grundes"70, auf eine „besonders weitgehende, dem Opfer nicht erkennbare Tätervorbereitung"71 oder auf den Missbrauch „sozial-positiver Verhaltensmuster"7? abgestellt. Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder der Missbrauch begründeten Ver- 25 trauens des Opfers zur Ausführung der Tat erscheint hier als das wesentliche Qualifikationskriterium. Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses (Freundschaft, Liebe, Ehe o.ä.) zur Durchführung der Tat oder der Missbrauch begründeten Vertrauens des Opfers, das der Täter arglos gemacht hat, stellt einen über die konkrete Tötung hinausgehenden Angriff auf die Vertrauensgrundlage der Rechtsgesellschaft dar. Der bloße Missbrauch sozial-positiver Verhaltensmuster (Hilfsbereitschaft und freundliches Entgegenkommen) erscheint demgegenüber als noch nicht so gravierende Verletzung dieser Vertrauensgrundlagen. Die hier vorgeschlagene Definition der Heimtücke führt zu einer Begrenzung des An- 26 Wendungsbereiches dieses Merkmals, keineswegs aber zu einer unerträglichen Einengung des Anwendungsbereiches des Mordtatbestandes, denn aufgrund ihrer Motivation können Tötungen, bei denen der Täter die Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, durchaus Fälle der Tötung aus niedrigen Beweggründen oder Mordlust sein. Die Tatsache, dass der sog. Meuchelmord nicht als heimtückische Tötung erfassbar ist, schließt nicht aus, solche Taten überhaupt als Mord zu bewerten! Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 3 S. 183: Der A hat seinen Stiefvater, den Landwirt Z, mit einem Prügel erschlagen. Er hatte, in 2 7 einem Kornfeld versteckt, ihm aufgelauert. Als Z, wie erwartet, ahnungslos und wehrlos auf seiner Mähmaschine an ihm vorbeigefahren war, war er herausgesprungen und hatte ihn hinterrücks überfallen. BGH: A handelte heimtückisch. Kritik: Von einer Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder dem Missbrauch entgegengebrachten Vertrauens zur Durchführung der Tat kann hier keine Rede sein. bb) BGHSt 9 S. 385: A, dem ein Verfahren wegen Unterschlagung drohte, beschloss Selbstmord zu begehen 2 8 und Frau und Tochter, die er sehr liebte, mit in den Tod zu nehmen. Er glaubte, dass seine Familie die Entehrung und die Not, die er über sie gebracht hatte, nicht ertragen könnte. Deshalb meinte er, seiner Familie eine Wohltat zu erweisen, wenn er sie auslösche. Nach Tötung der Tochter und dem Versuch, die Ehefrau zu töten, brach er sein Vorhaben ab.
67
Eingehender dazu OTTO Brauneck-EG, S. 28 ff.
6 8
V g l . SCHMIDHÄUSER B.T., 2/20.
69
Vgl. VEH Mordtatbestand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1986, S. 161 ff, 177.
70
SCHWALM M D R 1 9 5 7 S. 260.
71
SCHMOLLER ZStW 99 (1987) S. 389 ff, 414 ff.
72
V g l . z.B. M . - K . MEYER J R 1979 S. 4 8 5 f f ; DIES. JR 1986 S. 135 ff.
19
§4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
BGH: Zwar Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer, dennoch keine Heimtücke, weil A glaubte, zum Besten seiner Opfer zu handeln.73 Kritik: Die Formulierung, eine Tötung könne nicht Mord sein, wenn der Täter meint, „zum Besten des Opfers zu handeln", ist einfach schief. In der Sache geht es darum, ob der Täter sich bewusst war, das ihm entgegengebrachte Vertrauen auszunutzen bzw. zu missbrauchen, weil er davon ausging, dass „die Schande" die Familie härter treffen würde als der Tod. 2 9 cc) BGHSt. 37 S. 376: Die A war Fachschwester für Anästhesie und Intensivpflege in der Intensivstation eines Krankenhauses. Während ihres Dienstes hat sie fünf schwerstkranken Patienten dieses Krankenhauses heimlich tödliche Injektionen verabreicht, um ihnen aus Mitleid weiteres, von ihr als sinnlos angesehenes Leiden und einen Todeskampf zu ersparen, obwohl weder die Patienten noch deren Angehörige darum gebeten hatten. BGH: ,Allerdings reicht nicht bei jeder Krankenhaustötung Schwerstkranker eine Mitleidsmotivation aus, um eine die Heimtücke prägende feindselige Haltung des Täters aus Rechtsgründen auszuschließen. Bei der Prüfung, ob das Tatmotiv als feindselig zu werten ist, können normative Gesichtspunkte nicht außer Betracht bleiben. In oberflächlich vorhandener Mitleidsmotivation kann sich Feindseligkeit gegenüber dem Lebenswert Schwerstkranker offenbaren. Daher kann Mitleid in Fällen dieser Art die Annahme des Heimtückemerkmals nur dann ausschließen, wenn es sich aus einer objektiv nachvollziehbaren Wertung des Täters ableitet, die der Vermeidung schwersten Leidens den Vorrang gibt."74 Kritik: Sachlich ist der normativen Interpretation der feindlichen Willensrichtung voll zuzustimmen. Ob damit im konkreten Fall ein sachgerechtes Ergebnis, nämlich die Ablehnung des Mordtatbestandes überzeugend begründet werden konnte, bleibt offen. Die Analyse der einzelnen, in dem angefochtenen Urteil geschilderten Fälle weist keineswegs auf ein Handeln aus objektiv nachvollziehbarem Mitleid hin. Im Gegenteil, Mitleid scheint hier sehr fern gelegen zu haben. - Das materielle Unrechtskorrektiv der feindlichen Willensrichtung scheint sachgerechte Fallösungen daher kaum zu fördern.73 3 0 dd) BGHSt 8 S. 216: Die A tötete ihr drei Wochen altes Kind, indem sie Schlaftabletten unter die Babynahrung mischte. Den G, der dem Kind geholfen hätte, täuschte sie über dessen Zustand. BGH: Einem ganz kleinen Kind gegenüber kann der Täter in der Regel nicht heimtückisch handeln, weil es nicht fähig ist, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Wer ein Schlafmittel in die Nahrung eines solchen Kindes mischt, handelt aber heimtückisch, wenn er es tut, weil das Kind anderenfalls das Mittel seines Geschmacks wegen nicht zu sich nehmen würde. Möglich ist in derartigen Fällen auch ein heimtückisches Verhalten gegenüber einem schutzbereiten Dritten. Dieses setzt nicht voraus, dass der Täter dessen Arglosigkeit herbeiführt; es genügt, dass er sie ausnutzt. Die Arglosigkeit schutzbereiter Dritter tritt jedoch nur an die Stelle der Arglosigkeit des Opfers bei Personen, die unfähig sind, Arg zu empfinden und Abwehr zu leisten, z.B. bei Kleinkindern.76 Kritik: Im Ergebnis ist dem BGH hier zuzustimmen. Auffällig ist allerdings, dass er in seiner Begründung gleichfalls auf den Vertrauensbruch abstellt, auch wenn er die Heimtücke nicht ausdrücklich mit dem Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses begründet. 3 1 ee) BGHSt 23 S. 119: Der A hat Frau M und den gemeinsamen Sohn, mit denen er bis dahin zusammengelebt hat, während beide schliefen, mit einem Beil erschlagen. BGH: Heimtückisch handelt in der Regel, wer einen Schlafenden tötet: „Der Schlafende ist in aller Regel arglos, wenn er einschläft. Wer sich zum Schlafen niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den Schlaf'. Anders soll es beim Eintritt von Bewusstlosigkeit sein, da in diesem Falle die Wehrlosigkeit nicht auf der Arglosigkeit beruht.
73
Vgl. auch BGH StV 1989 S. 390. - Anders aber beim Handeln des Täters gegen den Willen des Opfers; vgl. B G H N S t Z - R R 2 0 0 0 S. 3 2 7 m i t A n m . OTTO J K 0 1 , S t G B § 2 1 1 / 3 5 .
74
Vgl. auch BGH NStZ-RR 1997 S. 42.
75
Vgl. auch GEILEN Spendel-FS, S. 527 ff; LANGER JR 1993 S. 133 ff, 136 f; OTTO JK 92, StGB
76
§ 211/21; ROXIN NStZ 1992 S. 35 f. Dazu auch FAHL JA 1999 S. 284 ff; BGHSt 18 S. 37; BGH NStZ 1995 S. 230 mit Anm. FOERSTER NStZ 1996 S. 32 f, GEPPERT JK 96, StGB § 211/27.
20
Mord
§4
Kritik: Die Entscheidung nach dem Kriterium des Vertrauensmissbrauchs ist hier eindeutig: Da sowohl Frau M als auch S darauf vertrauten, dass ihnen von A keine Gefahr drohe, als sie sich in der Wohnung, in der sich auch A befand, zum Schlafen niederlegten, missbrauchte A ihm entgegengebrachtes Vertrauen. - Dringt hingegen ein Dritter von außen ein, so läge kein Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses vor. Eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers müsste hingegen bejaht werden. - Unabhängig davon überzeugt die Differenzierung zwischen Schlafendem und Bewusstlosem nicht, die schon dann nicht mehr durchgehalten werden kann, wenn jemand gegen seinen Willen vom Schlaf übermannt wird. Entweder man verlangt für die Arglosigkeit das positive Bewusstsein der Sicherheit, das fehlt dem Schlafenden und Bewusstlosen, aber auch Kleinkindern, oder man lässt das Fehlen von aktuellem Argwohn genügen. 77 ff) BGHSt (GrSSt) 30 S. 105: Der S, ein Onkel des A, hatte die Ehefrau des A vergewaltigt. Diese wollte 3 2 sich daraufhin scheiden lassen. Sie unternahm mehrere Selbstmordversuche. Der S brüstete sich sogar noch mit der Tat dem A gegenüber. - Eines Abends, als S in einer Gaststätte mit anderen Karten spielte und nichts Böses ahnte, erschoss A ihn. BGH: Es liegt ein Fall heimtückischer Tötung vor, doch gebieten hier die außergewöhnlichen Tatumstände eine Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe; § 49 Abs. 1 Nr. 1 analog. Kritik: Gerade diese Entscheidung zeigt die Schwächen der Konstruktion. Obwohl der Täter der Situation des § 213 weit näher steht als der des Mordes, bleibt eine Anwendung des § 213 versagt. Die nach § 49 Abs. 1 mögliche Milderung des Strafrahmens bietet jedoch keinen Ersatz. Im konkreten Fall wurde A nach erneuter Hauptverhandlung zu 12jähriger Haft verurteilt.78 Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensmissbrauchs ist dies ein unproblematischer Fall: Heimtücke ist abzulehnen. 79 gg) LG Dortmund Ks 9 Js 51/92, 14 (Sch) R 1/93: Der in Scheidung befindliche A lernte die Z kennen, die 3 3 gleichfalls vor der Scheidung stand. Z war von ihrem Ehemann M, der im Zuhältermilieu verkehrte, bedroht und wiederholt so geschlagen worden, dass sie erheblich verletzt wurde. M verbot ihr, trotz der Erheblichkeit der Verletzungen einen Arzt aufzusuchen. Wenn M die Z zusammengeschlagen hatte, verkehrte er gelegentlich gegen ihren Willen geschlechtlich mit ihr. Die Gewalttaten und Brutalitäten erfolgten regelmäßig. Z.T. wurde Z morgens mit Schlägen, mitunter mit einer Reitpeitsche, geweckt. Die Brutalitäten steigerten sich. Im Jahre 1991 reichte Z die Scheidung ein. M wollte zu dieser Zeit auswandern und begab sich in die USA. In dieser Zeit lernte A die Z kennen und erfuhr von ihrem Schicksal. Z wurde am 4.11.91 geschieden. Am 6.11.91 kam M zurück. Die Brutalitäten, Quälereien und Vergewaltigungen der Z setzte er sogleich fort. Ihre Situation war schlimmer denn je. Sie musste jetzt ernsthaft um ihr Leben furchten. Den Kontakt mit A verbot der M der Z. Nach einer Reihe von weiteren Quälereien, die mit Todesangst der Z verbunden waren, lauerte A dem M auf, als dieser nachts nach Hause kam, und erschlug den M, der sich der Gefahrensituation nicht bewusst war, von hinten. LG Dortmund: A wird zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. - „Der A hat sich gemäß § 211 StGB wegen Mordes strafbar gemacht, denn die Tat erfolgte heimtückisch"... „Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, dass es sich um eine allein altruistisch motivierte Tat handelt. Mit der unwiderlegbaren Einlassung des A muss davon ausgegangen werden, dass es ihm allein darum ging, die Z aus dem Martyrium ihres Mannes zu befreien. - Die Motivation ist zu billigen. Mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Getötete die Z über Jahre hinweg in schwerer Weise missbraucht, vergewaltigt und so terrorisiert hatte, dass sie sich nicht mehr zu wehren wagte...". Hinweis: Der Sachverhalt und das Strafmaß sprechen für sich. Dass aber eine in der Tat menschlich verständliche, vom Schwurgericht sogar als billigenswert bezeichnete Motivation das schwerste Tötungsunrecht kennzeichnen soll, das das Gesetz kennt, charakterisiert die Sachgerechtigkeit der Definition der Heimtücke hinreichend. hh) BGHSt 32 S. 382: Die H hatte sich von der A im Laufe einer harmlosen Auseinandersetzung fesseln 3 4 lassen. Später kam es zu einem ernsten Streit zwischen H und A. Dabei entschloss A sich spontan, die H, die sich nicht wehren konnte, zu töten. Sie nahm vor den Augen der H ein großes Kopftuch aus dem Schrank, faltete es durch mehrfaches Umschlagen auf 7 cm Breite zusammen und schritt, das Tuch an den Enden in 77
Vgl. zum Streitstand: FAHL Jura 1998 S. 457 f; OTTO Jura 1994 S. 149 m.w.N. - Zum Schwerkranken, dessen Bewußtsein getrübt ist: BGH NStZ 1997 S. 490 mit Anm. O r r o JK 98, StGB § 211/31.
78
LG Münster 8 Ks 30 Js 37/79 -2/81.
79
Zur Auseinandersetzung mit BGHSt 30 S. 105, vgl. auch unter § 4 Rdn. 23 ff.
21
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§4
den Händen haltend, von vorn auf die auf einer Matraze hockende H zu. Dieser war bereits beim Falten des Tuches klar geworden, was die A vorhatte. Sie rief in Todesangst um Hilfe, jedoch ohne Erfolg. Die A kniete hinter H nieder, legte ihr das gefaltete Tuch um den Hals und erdrosselte sie. BGH: Keine heimtückische Tötung, da H bei Versuchsbeginn nicht mehr arglos war. Kritik: Die Auffassung des BGH, dass in der Tötung der H kein erhöhter Unrechtsgehalt lag, weil A die Tötung ohne jegliche Heimlichkeit oder List vor den Augen des Opfers vorbereitete und ausführte, kann nicht gefolgt werden. Hier wurde - nach dem bisherigen Verhältnis der Beteiligten - begründetes Vertrauen in sozial unerträglicher Weise missbraucht. 80 3 5 ii) BGH NStZ 1989, 364: A hatte seine geschiedene Ehefrau G unter einem Vorwand in sein Auto gelockt. Er fuhr mit ihr in einen Wald, wo er sie tötete. Während der Fahrt hatte A die G ständig mit dem in der rechten Hand gehaltenen Messer bedroht und damit daran gehindert, aus dem fahrenden Wagen zu springen. BGH: Ob Heimtücke vorlag bedarf erneuter Prüfung, denn G wäre nicht wehrlos gewesen, „wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, auf den A selbst einzuwirken, um ihn - nicht von vornherein ohne jede Erfolgsaussicht - von der Tötungshandlung abzubringen". Kritik: Hier kommt es offenbar für die Beurteilung der Tat als Mord darauf an, ob G in ihrer Todesangst die „richtigen Worte" gefunden hätte oder nicht. Das hat mit dem Unrecht der Tat nichts mehr zu tun. 81 b) Grausam Nach herrschender Meinung handelt der Täter grausam, der d e m Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen. 8 2 Dieser Definition ist zuzustimmen, denn i m Erfordernis der gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung k o m m t das über den Unrechtsgehalt einer Tötung hinausweisende Unrechtselement z u m A u s druck. D i e bloße Zufügung v o n Schmerzen oder Qualen, die über das zur Tötung erforderliche Maß hinausgehen, genügt diesen Anforderungen nicht. 83 37 D i e Grausamkeit muss nicht notwendig in der eigentlichen Ausführungshandlung des Täters liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird. Lediglich grausame Verletzungen, die mit Körperverletzungsvorsatz zugefügt werden und an die sich eine Tötung anschließt, genügen allerdings nicht. N o t w e n d i g ist ein vom Tötungsvorsatz getragenes Verhalten, in d e m die Herbeiführung des Todes den Schlusspunkt einer Entwicklung darstellt. 84
36
Zur
Verdeutlichung:
3 8 aa) LG Hamburg DRiZ 1967 S. 19 ff: Der W hatte befohlen, dass der Straftäter P, der im Oktober 1943 mit einem Schiff von Japan nach Deutschland gebracht werden sollte, nicht in Feindeshand fallen dürfte, sondern bei Selbstversenkung des Schiffes mit diesem untergehen sollte. Als das Schiff aufgebracht wurde, blieb P in seiner Zelle eingeschlossen. Er ging mit dem Schiff unter. Der W, in seemännischer Tradition erzogen, sah es als normalen Tod an, mit dem Schiff unterzugehen, wenn keine Rettung möglich ist.
80
v g l . zur Kritik auch JAKOBS JZ 1984 S. 996 ff; M.-K. MEYER JR 1986 S. 133 ff; OTTO JK, StGB
81 82
Vgl. auch OTTO JK 90, StGB §211/19. H.M. BGHSt 3 S. 180; BGH NStZ 1982 S. 379 f; BGH StV 1997 S. 566; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211
§211/11.
R d n . 5 5 ff; KÜPER B.T., S. 173; LACKNER/KÜHL § 2 1 1 R d n . 10; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 4 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 1 R d n . 2 3 . 83
A . A . RÜPING J Z 1 9 7 9 S. 6 2 0 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 2 7 .
84
So auch BGHSt 37 S. 41; BGH NJW 1971 S. 1190; JÄHNKE LK, 10. Aufl., §211 Rdn. 56; LACKNER/KÜHL § 211 Rdn. 10. - A.A. Grausame Gesinnung muss bei Beginn der Tatausführung, d.h. bei Beginn des Versuchs vorliegen: BGH NJW 1986 S. 265 mit abl. Anm. OTTO JK, StGB § 211/14; KÜPER B . T „ S. 175.
22
Mord
§4
LG Hamburg: W war sich zwar der Qualen des P bewusst, die dieser beim Tod des Ertrinkens leiden würde, er handelte aber nicht aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung. bb) BGH NJW 1971 S. 1189: Auf Anordnung der Haupttäter wurden Personen, denen bekannt war, dass sie 3 9 in ein Vernichtungslager verbracht werden sollten, auf engem Raum zusammengetrieben, wo sie bei großer Hitze auf den Transport warten und ansehen mussten, wie alte und kranke Menschen erschossen wurden und wo sie selbst erbarmungslosen Schlägen mit Ochsenziemern und Reitpeitschen ausgesetzt waren. Sodann wurden sie abtransportiert und getötet. BGH: Tötung erfolgte grausam, denn „die Grausamkeit muss nicht notwendig in der eigentlichen Ausführungshandlung der Tötung liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird". cc) BGHSt 37 S. 40: A schoss dem K mit Tötungsvorsatz in den Hals. Anschließend fügte er ihm „zusätzlich 4 0 zu der durch den Schuss hervorgerufenen schweren, möglicherweise tödlichen Verletzung Qualen körperlicher und seelischer Art zu". BGH: Grausames Verhalten hätte nur vorgelegen, wenn das der Tötungshandlung (Schuss) nachfolgende Verhalten geeignet war, den Tod herbeizuführen oder zu beschleunigen oder wenn A davon ausgegangen war, durch dieses Verhalten könne der Tod eintreten, gefördert oder mitverursacht werden. c) Gemeingefährliche Mittel Gemeingefährliche Mittel sind Mittel, deren Wirkungen auf Leib und Leben anderer Men- 4 1 sehen der Täter nach den konkreten Umständen ihres Einsatzes nicht in der Hand hat. Der Täter muss die gemeingefährliche Situation selbst schaffen, ihre bloße Ausnutzung genügt nicht. 85 Die bloß abstrakte Gefährlichkeit des Mittels - z.B. Feuer, Sprengstoff, Gift - reicht nicht aus. Andererseits braucht auch noch keine konkrete Gefahr für weitere Personen real eingetreten zu sein. Es ist vielmehr erforderlich, dass in der konkreten Tatsituation der Täter das abstrakt gefährliche Tatinstrument nicht so beherrscht, dass eine Gefährdung weiterer Menschen ausgeschlossen ist. 86 Das ist nicht der Fall, wenn zwar mehrere Personen in den Gefahrenbereich geraten, die Gefährdung sich aber nur in der Person eines der Betroffenen realisieren kann. Zur
Verdeutlichung:
aa) BGH VRS 63 S. 119: A warf von einer Brücke Steine auf Kraftfahrzeuge und war sich der Tatsache 4 2 bewusst, dass es nach einem Treffer zu einem Massenunfall kommen könnte. BGH: A handelte mit gemeingefährlichen Mitteln. Hingegen: Wirft A mit einem Stein auf den einsamen Spaziergänger X, so liegt keine Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels vor. bb) BGH NJW 1985 S. 1477: A warf 3 Brandflaschen in ein von zwei Personen bewohntes Zimmer eines 4 3 Wohnheimes. Die beiden Bewohner kamen zu Tode. Weitere Personen wurden dank der feuersicheren Bauweise des Gebäudes nicht gefährdet. A hatte sich aber nicht vorher überzeugt, wie viele Personen überhaupt im Zimmer waren. BGH: „A setzte eine Gefahr für eine unbestimmte Zahl von Personen, die dort hätten sein können. Jedenfalls dann, wenn der Täter, der ein seiner Natur nach gemeingefährliches Mittel einsetzt, nicht dessen gewiss ist, die Wirkung der von ihm entfalteten Kräfte so beschränken zu können, dass der Eintritt der Gemeingefahr ausgeschlossen ist, begeht er einen Mord". cc) BGHSt 38 S. 353: A schoss mit einer Pistole in Tötungsabsicht auf B, der sich in einem mit ca. 70 Per- 4 4 sonen besetzten Lokal befand. Der Schuss ging fehl und traf den X.
85 86
BGHSt 34 S. 13. V g l . a u c h v . DANNWITZ J u r a 1997 S. 5 7 5 ; KÜPER B.T., S. 2 1 9 f. - A . A . RENGIER S t V 1 9 8 6 S. 4 0 6 f
(konkrete Gefährdung Dritter erforderlich). 23
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§4
BGH: A setzte kein gemeingefährliches Mittel zur Tötung ein: „Die auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Schusswaffe, mit der nur ein Schuss abgegeben werden soll, bedeutet ihrer Natur nach keine unberechenbare Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen." 87
3. Verfolgte Zwecke: Um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken a) Tötung zur Ermöglichung einer Straftat 45 Eine Tötung zur Ermöglichung einer Straftat liegt nicht nur vor, wenn die Tötung Mittel zur Begehung der Straftat ist, sondern bereits dann, wenn der Täter meint, die Straftat aufgrund der Tötung schneller oder leichter begehen zu können. - Die andere Straftat muss eine Straftat im engeren Sinne des Wortes sein. Ordnungswidrigkeit, Disziplinarvergehen o.ä. genügen dem nicht, doch kommen dann niedrige Beweggründe in Betracht. - Es reicht aus, dass der Täter sich vorstellt, er ermögliche oder verdecke eine Straftat (subjektives Merkmal!). - Die andere Straftat braucht keine eigene Tat des Täters zu sein. - Die bezweckte Tat kann mit der Tötung tateinheitlich zusammenfallen, so z.B. typischerweise der Raub mit der Tötung beim sog. Raubmord. Zur Verdeutlichung: 46
aa) BGH GA 1963 S. 84: A wollte ein Mädchen vergewaltigen. Er legte sich in einsamer Gegend auf die Lauer. Als sich ein Paar, die B und der C, näherte, schoss A auf den C, um ihn zu töten, weil er fürchtete, dieser werde der B zur Hilfe kommen.
47
bb) BGHSt 39 S. 159: A und M hatten den Z in dessen Wohnung überfallen und mit Chloroform betäubt, um ihn ausrauben zu können. Nach ca. 30 Minuten erholte sich das Opfer. A entschloss sich nunmehr, „auf andere Weise als durch Beibringung von Chloroform endgültig dafür zu sorgen, dass sie die weitere Suche nach Geld und Wertgegenständen ... ungestört fortsetzen konnten". Er würgte sein Opfer massiv am Hals und erkannte dabei und billigte auch, dass sein Handeln zum Tode führen könnte. Der Tod trat dann auch „im Minutenbereich" ein. Frühestens 15 Minuten später verließen die Täter die Wohnung.
BGH: Tötung zur Ermöglichung einer Straftat (Vergewaltigung).
BGH: Die Angekl. handelten, um eine andere Straftat zu ermöglichen: „Bedingter Tötungsvorsatz steht der Annahme des Mordmerkmals Töten zur Ermöglichung einer anderen Straftat' nicht entgegen. Die Tötung' muss nicht 'notwendiges' Mittel zur Begehung der anderen Straftat sein (Aufgabe der Senatsentscheidung vom 26. Februar 1980, mitgeteilt bei Holtz MDR 1980,629); vielmehr genügt es, dass sich der Täter deshalb für die zum Tode führende Handlung entscheidet, weil er glaubt, auf diese Weise die andere Straftat schneller oder leichter begehen zu können. Es genügt, dass nicht der Tod des Opfers, sondern die zur Tötung geeignete Handlung vom Täter als Mittel zur Begehung der weiteren Straftat angesehen wird." 88
48 b) Tötung zur Verdeckung einer Straftat Bei der Tötung zur Verdeckung einer Straftat ist Tatmotiv das Bestreben des Täters, durch die Tötung die Aufdeckung bzw. Aufklärung einer anderen Straftat zu verhindern.89 Die bloße Absicht, sich der Strafverfolgung zu entziehen, genügt nicht. Die Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, ist deshalb als qualifizierendes Merkmal problematisch, weil die „Selbstbegünstigungsabsicht" in anderen Tatbeständen des Gesetzes - vgl. z.B. §§ 257 Abs. 3 S. 1, 258 Abs. 5 - durchaus privilegierend berücksichtigt wird. Verallgemeinem oder auch nur auf die Tötungsdelikte übertragen lässt sich jedoch die Weitung, der „Selbstbegünstigungsabsicht" entlastende Bedeutung zuzumessen, nicht.
87
V g l . auch GEPPERT J K 9 3 , S t G B § 2 1 1 / 2 3 ; RENGIER J Z 1 9 9 3 S . 3 6 4 f.
88
D a z u GEPPERT J K 9 4 , S t G B § 2 1 1 / 2 5 ; GRAUL J R 1 9 9 3 S . 5 1 0 f f ; SCHROEDER J u S 1 9 9 4 S . 2 9 4 f f ; vgl.
auch BGH NStZ 1998 S. 352. 89
24
D a z u B G H N J W 1 9 9 9 , S . 1 0 3 9 , 1 0 4 1 mit A n m . MOMSEN J R 2 0 0 0 S . 2 9 f, SCHÖCH N S t Z 1 9 9 9 S . 5 5 4 f ; KÜPER B . T „ S . 3 2 3 f.
Mord
§4
Gerade die §§ 257, 258 zeigen, dass dort die Tatsituation eine ganz andere ist. Dort versucht der Täter die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu verhindern bzw. sich der Strafverfolgung zu entziehen, ohne den zuvor begründeten Schaden zu vergrößern. Hier aber kommt es zu einer weiteren schweren Rechtsgutsverletzung. Aber nicht allein in der Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht durch den Täter ist der Qualifikationsgrund der Verdeckungsabsicht zu erkennen. Hier geht es auch um eine Schutzfunktion des Staates bestimmten Personen gegenüber und um die Klarstellung, dass der Staat den Täter, der zur Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs „über Leichen geht" mit der schwersten verfügbaren Strafe belegt. - Die Schutzfunktion, die gegenüber den Strafverfolgungsorganen offensichtlich ist, berührt einen jeden Bürger als Zeugen einer Straftat. Diese Personen, aber auch jeder Bürger, der aus der Sicht des Täters der Vereitelung des Strafanspruchs im Wege steht, wären unerträglichen Risiken ausgesetzt, wenn die Selbstbegünstigungsabsicht privilegierend berücksichtigt würde. Die Wertung der Verdeckungsabsicht als sozial besonders unerträglich und unakzeptabel ist daher unter Rechtsschutzgesichtspunkten zu verteidigen. Wie bei der Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen, muss es sich bei der zu ver- 49 deckenden Straftat um eine Straftat im Sinne des § 12 StGB handeln.90 Es genügt aber auch hier die Vorstellung des Täters, eine andere Straftat zu verdecken (subjektives Merkmal). Die andere Tat kann eine eigene Straftat oder die eines Dritten sein. Die Vortat kann mit der Tötung tateinheitlich zusammenfallen. Es muss sich aber um eine andere Tat handeln. Das ist nicht der Fall, wenn Vorgeschehen und Tötung eine einheitliche Tötung bilden, jedoch kann eine andere Tat auch vorliegen, wenn der Plan zu dieser Tat von Anfang an bestand. BGH NJW 2001 S. 763: A und B beschlossen, den C zu berauben und anschließend zur Verdeckung des Raubes zu töten. Ihren Plan führten sie aus. BGH: Verdeckungsmord. Zur Verdeutlichung: aa) BGH JR 1991 S. 212: A hatte die B mit bedingtem Tötungsvorsatz gewürgt und getreten. Danach war 50 ihm bewusst geworden, dass B anderen von der Tat erzählen könnte, wenn sie überlebte. Deshalb tötete A die B nunmehr mit direktem Vorsatz. BGH: Der Übergang vom bedingten zum unbedingtem Vorsatz macht die vor dem unbedingten Vorsatz liegenden Tatteile nicht zu einer anderen Tat. Die begonnene Tötung wurde nur vollendet. Allerdings ist ein Motivwechsel im Rahmen einer einheitlichen Tötung nicht irrelevant, denn auch wenn der Täter in dieser Situation keine andere Straftat verdecken kann, so kann der erneute Beweggrund doch als niedriger Beweggrund bedeutungsvoll sein.91 bb) BGH NJW 1992 S. 583: A ließ die schwerverletzte M, die er aus Unachtsamkeit angefahren hatte, am 51 Unfallort ohne Hilfe liegen, obwohl ihm bewusst war, dass M lebensgefährlich verletzt war. Er wollte nicht wegen des Unfalls zur Rechenschaft gezogen werden.
90
Bei der Verdeckung anderer, z.B. ehrenrühriger Sachverhalte, können jedoch niedrige Beweggründe in Betracht kommen, vgl. dazu BGH NStZ 1999 S. 243 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 211/32, sowie oben Rdn. 16, Fall gg) mit Fn. 54.
91
Zur Entwicklung der Rechtsprechung - Überblick: BGHSt 35 S. 118 ff - vgl. zunächst: BGHSt 7 S. 325, sodann: BGHSt 27 S. 346, und schließlich: BGHSt 28 S. 77, 80, 82; BGH NJW 1992 S. 919; BGH NStZ 2000 S. 498. - Dazu auch HEINE Brauneck-EG, S. 326 ff; HOHMANN/MATT JA 1989 S. 134 ff; KÜPPERB.T.l, I § 1 Rdn. 57; LABERMDR 1989 S. 861 ff; OTTO Jura 1994 S. 151 f; SCHMIDHÄUSER NStZ 1989 S. 55 ff; TIMPE NStZ 1989 S. 70 ff; WEIß Die Problematik der Verdeckungsabsicht im Mordtatbestand, 1997, S. 270 ff.
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§4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
BGH: Wenn A die Rettungsmaßnahmen unterließ, weil er die Aufdeckung der Vortat verhindern wollte, so liegt Verdeckungsabsicht vor. cc) BGHSt 41 S. 8: A hatte dem M die Lieferung von 5 kg Haschisch versprochen und bereits eine Vorauszahlung von 10.000.- DM erhalten, obwohl er wusste, dass er nicht liefern konnte. Als M auf Lieferung drängte, befürchtete A, der davon ausging, dass M ihn nicht anzeigen würde, Repressalien durch M. Um die Aufdeckung des Betrugs zu verhindern, tötete A daher den M. BGH: A handelte in Verdeckungsabsicht, denn diese erfordert nicht, dass der Täter für den Fall des Bekanntwerdens seiner vorangegangenen Straftat mit Strafverfolgung rechnet. Es genügt, dass es ihm um die Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen geht. Kritik: Der BGH lässt es hier für die Verdeckungsabsicht genügen, dass der Täter Unrecht mit weiterem Unrecht verknüpft.92 Damit wird der bisher anerkannte Schutzbereich verlassen und willkürlich ausgedehnt, denn offen bleibt, warum die Verknüpfung von Tötungsunrecht allein mit „Verdeckungsunrecht" hier qualifizierend wirken soll und anderes Unrecht nicht zu dieser Konsequenz führt.93 52 dd) BGHSt 41 S. 358: A hatte den W erstochen. Um die Tatspuren zu beseitigen, beschloss er, das Haus, in dem die Tat geschehen war, in Brand zu setzen, obwohl er wusste, dass dabei zwei in dem Hause schlafende Frauen zu Tode kommen würden. BGH: Auch beim Verdeckungsmord kommt es auf die zum Tode eines Menschen führende Verdeckungshandlung an. Der Tatbestand kann daher auch erfüllt sein, wenn von dem Getöteten selbst Entdeckung nicht zu befürchten ist.94
DI. Vorsatzprobleme 5 3 1. In der 1. Gruppe der Mordqualifikationen (niedrige Motive) muss der Täter sich der Umstände bewusst sein, die seine Tat als sozialethisch unerträglich erscheinen lassen. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen ist daher grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz möglich. 54 Das gilt auch für das Merkmal der Mordlust. Auch deijenige handelt aus Mordlust, der Pflastersteine von einer Brücke auf die Autobahn wirft, um es „einmal so richtig krachen zu hören", auch wenn er sich nur der tödlichen Gefahr für die Autofahrer bewusst ist, nicht aber davon ausgeht, dass der Tod mit Sicherheit eintritt.« 55 2. In der 2. Gruppe der Mordqualifikation muss der Täter die objektiven Merkmale (Vertrauensverhältnis, Wirkung des eingesetzten Mittels) kennen; bei der Verwirklichung des Merkmals „grausam" muss es ihm aufgrund seiner Gesinnung auf die Schmerzzufiigung ankommen (dolus directus 1. Grades). 56 3. Bei den verfolgten Zwecken, 3. Gruppe, muss sich die Absicht im engeren Sinne auf den Zweck beziehen. Die Tötung selbst hingegen braucht nur bedingt gewollt zu sein. - Zu beachten ist aber, dass nach den Gegebenheiten des Sachverhalts bedingter Vorsatz dann logisch ausgeschlossen ist, wenn der Täter seinen Zweck nur mit dem Tode des Opfers erreichen kann und den Zweck in jedem Fall erreichen will.
92
So auch BGH NStZ 1999 S. 615; FUHRMANN JUS 1963 S. 19; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 211 Rdn. 15; JOECKS StGB, § 211 R d n . 30; SAUGER Z S t W 109 (1997) S. 3 0 5 f f ; DERS. S t V 1998 S. 19 f.
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E i n g e h e n d e r zur Kritik vgl. BROCKER M D R 1996 S. 2 2 8 f ; KÜPER J Z 1995 S. 1158 f f ; OTTO J K 95, S t G B § 211/26; SOWADA J Z 2 0 0 0 S. 1035 f f .
Dazu auch FISCHER NStZ 1996 S. 416 ff; MITSCH JuS 1997 S. 788 ff; OTTO JK 96, StGB § 211/28; SALIGER ZStW 109 (1997) S. 317 ff; DERS. StV 1998 S. 22 ff; SCHROEDER JZ 1996 S. 688.
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Vgl. OTTO JK, S t G B § 211/15. - A.A. LACKNER/KÜHL § 211 R d n . 15; TRÖNDLE/FISCHER § 211 R d n . 32.
Der minder schwere Fall des Totschlags
§5
a) BGH NStZ 1996 S. 81: Nach einem Streit mit seinem Bruder B beschloss A, der keinen Führerschein 57 besaß, mit dem Pkw seiner Lebensgefährtin herumzufahren, um sich abzureagieren. Als er sich in den Wagen setzte, legte sich B quer vor dem Pkw auf den Boden, um ihn daran zu hindern, loszufahren. A bemerkte das und Überrollte den B, sodann legte er den Rückwärtsgang ein und überfuhr den B ein zweites Mal, wobei es ihm gleichgültig war, was dem B passierte. - Der schon verletzte B starb. BGH: Die Tötung braucht nur bedingt gewollt zu sein, doch ist hinsichtlich der Straftat, die durch die Tötung ermöglicht werden soll, Absicht im Sinne eines zielgerichteten Wollens erforderlich. Daran fehlte es dem A, denn sein Wollen war zielgerichtet auf Herumfahren gerichtet. Dass er dieses Ziel nur durch strafbares Handeln erreichen konnte, macht die strafbare Handlung nicht zum Handlungsziel des A. Zu prüfen war vielmehr, ob A die Verkehrsstraftat nicht lediglich als notwendige Begleiterscheinung der durch die Tötung erstrebten Handlung in Kauf nahm.96 b) BGH StV 1988 S. 486: Der A hatte die N schwer misshandelt und verletzt, nachdem er sie der Freiheit 5 8 beraubt hatte. Obwohl er sich des lebensgefährlichen Zustandes der N bewusst war, hielt er sie weiter gefangen, weil er verhindern wollte, dass er als Täter entdeckt würde, wenn der Zustand der N bekannt würde. Ergebnis: Verdeckungsabsicht liegt vor.97 c) BGH GA 1983 S. 565: A wurde bei einem Einbruch von S überrascht. Um nicht von ihr später wie- 5 9 dererkannt zu werden, schoss er auf sie. BGH: Kann der Täter die erstrebte Verdeckung der Straftat nur durch den Tod des Opfers erreichen, so ist die Verwirklichung der Verdeckungsabsicht nur mit direktem Tötungsvorsatz möglich.98
4. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unter § 24 Rdn. 4 ff.
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§ 5 Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 1. § 213, 1. Alt.: ein privilegiertes
Tötungsdelikt
In seiner 1. Alt.: „War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem 1 Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden", enthält der Tatbestand einen benannten Strafmilderungsgrund, d.h. eine Privilegierung gegenüber § 212; vgl. dazu auch § 2 Rdn. 15 ff. Das Unrecht der Tat wird in dieser Alternative durch drei Faktoren geprägt: 2 (1.) Das spätere Opfer fügt dem späteren Täter oder einem seiner Angehörigen bewusst ein erhebliches Unrecht zu, (2.) der Täter gerät dadurch in einen - seine Entscheidungsfreiheit wesentlich einengenden - Erregungszustand und (3.) den Täter trifft keine Schuld daran, dass ihm ein Unrecht zugefügt worden ist. Nicht nur der schuldmindernd zu berücksichtigende Erregungszustand und ein begrenzter 3 Bereich auslösender Faktoren kennzeichnen die Situation, sondern diese wird zugleich bestimmt durch „die Schuld des Opfers an der Tat". Die Tat erscheint daher gegenüber einer „typischen" Tötung als geringere Störung der sozialen Beziehungen. Insoweit beruht die Regelung des § 213 darauf, dass er zwar Tötungsunrecht unter Strafe stellt, jedoch im Verhältnis zu § 212 minder schweres Tötungsunrecht. 96 97
98
Dazu auch FISCHER NStZ 1996 S. 416 ff; OTTO JK 96, StGB 211/29. Dazu auch BGHSt 11 S. 269; 15 S. 291 mit Anm. JESCHECK JZ 1961 S. 752; BGH VRS 24 S. 184; BGH StV 1998 S. 24; BGH NJW 2000 S. 1734 mit Anm. OTTO JK 01, StGB § 211/34; KÜPER B. T„ S. 326 f. Vgl. auch BGHSt 21 S. 284 f; BGH NStZ 1985 S. 166; BGH NJW 1992 S. 583.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Die Schwere der Provokation ist unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu ermitteln. Der Tatvorgeschichte kann daher Bedeutung zukommen." Auch aus der Wiederholung von Beschimpfungen kann sich die Schwere der Beleidigung ergeben.100 Ohne eigene Schuld handelt der Täter, der die beleidigende Äußerung des Opfers im gegebenen Augenblick entweder überhaupt nicht oder aber nicht vorwerfbar veranlasst hat.101 Hierbei ist jedoch nur ein Verhalten relevant, das „zu dem Verhalten des Getöteten in dem entscheidenden Augenblick genügende Veranlassung gegeben hatte"102, und zwar derart, dass „das Verhalten des Opfers eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes schuldhaftes Tun des Täters darstellt"1«». Eine Misshandlung kann körperlich oder seelisch erfolgen, denn sie ist nicht als tatbestandsmäßige Körperverletzung zu verstehen.10* - Beleidigung ist nicht als terminus technicus i.S. einer Ehrverletzung gemäß §§ 185 ff gemeint, sondern als schwere Kränkung. In Betracht kommt z.B. ein Vertrauensbruch, etwa ein Ehebruch.1*» Maßgebend ist der objektive Erklärungswert des Verhaltens, nicht allein die Vorstellung des Täters, gekränkt worden zu sein, da es hier um die Feststellung des vom späteren Opfer verwirklichten Unrechts geht.106 Die Beleidigung muss dem Täter oder einem seiner Angehörigen zugefügt worden sein. Eine analoge Anwendung auf nahestehende Personen ist aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Sie ist kriminalpolitisch auch nicht notwendig, da in einschlägigen Fällen die 2. Alternative des § 213 in Betracht kommt."" Auf der Stelle reagiert der Täter, der noch voll unter dem Einfluss des erlittenen Unrechts steht. Zwischen Beleidigung und Reaktion kann daher durchaus ein gewisser Zeitraum liegen. Auch kann sich das beleidigende Verhalten über längere Zeit erstrecken. Es genügt, dass das Verhalten unmittelbar vor der Tat „der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte".10« Durch die Provokation ist der Täter auch dann zur Tat hingerissen worden, wenn neben der Reizung zum Zorn noch andere Motive zur Tatauslösung beigetragen haben, sofern sie den Zorn nicht in eine unerhebliche Rolle verdrängt haben.1*» Die Rechtsprechung hält daran fest, dass Verhältnismäßigkeit zwischen der Schwere der Kränkung und der im Zorn verübten Tat nicht gegeben zu sein braucht. Hier ist jedoch 99
BGH NJW 1987 S. 3143.
100 BGH NStZ 1983 S. 365. 101 BGH StV 1984 S. 283. 102 BGH NStZ 1981 S. 300; BGH NStZ 1983 S. 554. 103 BGH NStZ 1981 S. 479; BGH NJW 1983 S. 293. 104 BGH NJW 1995 S. 1910; BGH bei Holte, MDR 1997 S. 20. 105 BGH bei Holte, MDR 1978 S. 110; BGH StV 1990 S. 265. 106 BGH NStZ 1982 S. 27; BGH NStZ 1986 S. 455; BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 111; BGH NStZ 1996 S. 33. 107 Vgl. LACKNER/KÜHL § 2 1 3 Rdn. 4 ; OTTO J K , StGB § 11/2. - A . A . STRÄTZ FamRZ 1980 S. 308; TRÖNDLE/FISCHER § 11 Rdn. 8 a.
108 BGH NStZ 1982 S. 27; BGH StV 1991 S. 105; BGH NStZ 1995 S. 83; BGH StV 1998 S. 131. 109 Vgl. BGH StV 1983 S. 60; BGH StV 1983 S. 198; dazu auch GEILEN JR 1978 S. 341 ff; DERS. DreherFS, S. 357 ff.
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Der minder schwere Fall des Totschlags
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zu beachten, dass in Fällen, in denen die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist, die Reaktion des Täters auf das Verhalten des Opfers kaum als verständlich beurteilt werden kann, HO 2. §213, 2. Alt.: ein unbenannter Strafinilderungsgrund Ein sonstiger minder schwerer Fall i.S. des § 213 braucht sozialethisch nicht auf der Ebene 11 der Umstände des § 213,1. Alt. zu liegen. Entscheidend ist allein, ob „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist".m Beleidigungen durch Dritte sowie Beleidigungen und Misshandlungen nahestehender Personen können hier 12 als begünstigende Umstände in Betracht kommen, wenn sie das Tatbild wesentlich prägen und damit die Tat vom Durchschnittsfall der Tötung abweicht.112
3. Irrtum des Täters über die Beleidigung durch das Opfer a) Wird - wie es hier geschehen ist - § 213, 1. Alt. als privilegierender Tatbestand ge- 13 genüber § 212 anerkannt, so liegt ein Fall des § 16 Abs. 2 vor.n 3 Sachgerecht ist diese Lösung jedoch nicht. Sie würde zwar überzeugen, wenn die Privilegierung allein in schuldmindernden Erwägungen läge, denn in diesem Fall ist die psychische Situation des Täters identisch, gleichgültig, ob die objektiven Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Ist der Grund der Privilegierung aber zumindest auch in einem das Unrecht der Tat mindernden Verhalten des Opfers zu sehen, so wird dieses Verhalten über die Anwendung des § 16 Abs. 2 in bestimmten Fällen für irrelevant erklärt. b) Soweit § 213 insgesamt als Strafzumessungsregel interpretiert wird, kann in einem Irr- 14 tumsfall „ein anderer mildernder Umstand" i.S. des § 213,2. Alt. gesehen werden.114
II. Das Verhältnis des § 213 zu § 211 1. Werden die Mordqualifikationen - wie hier dargelegt - als Ausdruck einer sozialethisch 15 besonders unerträglichen, weil gefahrlichen Gesinnung interpretiert, so schließen die §§ 211, 213 einander aus. Die Tat kann nicht zugleich Ausdruck einer schlechthin unerträglichen und einer doch menschlich verständlichen Einstellung zu dem Geschehen sein. Wer z.B. aus unbarmherziger Gesinnung einem anderen besondere Schmerzen bei der Tötung zufügt, wer das Vertrauen eines anderen missbraucht oder wer eine andere Straftat verdecken will, tötet das Opfer genauso wenig aufgrund der Erregung über ein ihm selbst zugefügtes Unrecht, wie derjenige, der mit gemeingefährlichen Mitteln Dritte in Gefahr oder zu Tode bringt, die ihm nichts Böses getan haben. 115 110 Vgl. dazu einerseits: BGH NStZ 1982 S. 27; BGH NStZ 1985 S. 216; BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 483; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, §2 Rdn. 56; andererseits: GEILEN Dreher-FS, S. 374 ff; NEUMANN Zurechnung und „Vorverschulden", 1985, S. 253. H l BGH bei Holtz, MDR 1976 S. 633. 112 Übersicht über die Rechtsprechung: ESER NStZ 1984 S. 52 ff; DERS. Middendorff-FS, S. 65 ff. 113 So auch ESER NStZ 1984 S. 53. 114 Dazu BGHSt 1 S. 203, 205 f; 34 S. 37, 38; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 213 Rdn. 9; TRÖNDLE/FISCHER § 213 Rdn. 6. 115 Im Ergebnis übereinstimmend: BERNSMANN JZ 1983 S. 49 ff; RJESS NJW 1968 S. 630.
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16 2. Wird die jeweils über den konkreten Fall hinausweisende Gefährlichkeit des Täters nicht bereits in der Definition einzelner Qualifikationen erfasst, so können in diesem Bereich sowohl die Voraussetzungen des § 211 als auch die des § 213 vorliegen. 17 a) Nach Auffassung des BGH, der § 213 nur auf § 212 bezieht, weil er insoweit § 211 als Sondertatbestand auffasst, schließt § 211 den § 213 aus.11« 18 b) Soweit § 211 als Qualifizierung und § 213 als Privilegierung - allerdings nur die erste Alternative - des § 212 angesehen wird, erfolgt eine Bestrafung nur aus § 213. Grundsatz: Die Privilegierung geht der Qualifizierung vor.117 19 c) Auch soweit § 213 nur als unbenannter Strafmilderungsgrund interpretiert wird, soll sein Vorliegen die Anwendung des § 211 ausschließen, wenn aufgrund einer negativen Typenkorrektur - Berücksichtigung von Faktoren, die der mordtypischen Verwerflichkeit entgegenstehen - die Tötung insgesamt als nicht besonders verwerflich erscheint.118
§ 6 Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 1. Die Grundlagen der Auslegung 1 Der Tatbestand stellt eine Form der Mitwirkung an einer Selbsttötung eines anderen unter Strafe. - Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Das Unrecht der Tötung ist zwar durch diese „Einwilligung" nicht ausgeschlossen, wohl aber gemindert. Es bleibt jedoch Tötungsunrecht, deshalb ist der Tatbestand als privilegiertes Tötungsdelikt anzusehen.119 2. Voraussetzungen des Tatbestandes 2 a) Die Tathandlung ist täterschaftliche Tötung eines anderen. Bloße Teilnahme an der Selbsttötung eines anderen genügt nicht. - Der Gesetzgeber sieht die Entscheidung über den eigenen Tod als so existenziell an, „dass er die Abschiebung des Vollzugs auf einen anderen nicht zulassen will".120 Problematisch ist jedoch, welcher konkrete Akt als der hier relevante Vollzugsakt anzusehen ist. 3 Da die Situation der Tötung auf Verlangen zum einen wesentlich durch den Willen des Opfers geprägt wird, zum anderen das Opfer in Bezug auf die Ausführungshandlung gerade abhängig ist vom Willen des Täters, ist die Differenzierung problematisch. Die Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 216 auf die Fälle, in denen der Getötete nur eine Anstiftungshandlung begangen hat 121 , führt zu willkürlichen Unterscheidungen, 116 D a z u B G H S t 2 S. 258 ff; 11 S. 139, 142 f; ebenso: ARZT/WEBER B.T., § 2 R d n . 78; LACKNER/KÜHL Vor § 211 Rdn. 23. 117 D a z u BOCKELMANN B.T./2, § 5 I 2; MAURACH/SCHROEDER/MATWALD B . T . l , § 2 R d n . 55 („Speir-
wirkung des milderen Tatbestandes"). 118 Vgl. GEILEN Dreher-FS, S. 3 8 3 ff; HASSEMER J u S 1971 S. 630; HORN S K n , § 2 1 1 R d n . 6; SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 10, § 213 R d n . 3. - A . A . B G H S t 9 S. 385; 30 S. 114 f; GÖSSEL B . T . l , § 4 R d n . 12; JÄHNKE L K , 10. Aufl., V o r § 211 R d n . 38; KREY B.T. 1, R d n . 54; MITSCH JUS 1996 S. 121 f; OTTO Jura 1994 S. 143. 119 S o auch JÄHNKE L K , 10. Aufl., V o r § 2 1 1 Rdn. 4 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 6 R d n . 1; MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 61; WELZEL Lb., § 38 DI. - A l s eigenständiges Sonderdelikt interpretieren § 216: B G H S t 2 S. 258; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n . 2; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 6 R d n . 1. 120 SCHROEDER Z S t W 106 (1994) S. 574. 121 Vgl. DREHER M D R 1964 S. 338.
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Tötung auf Verlangen
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denn ein gewisses Maß an Mitwirkung an der Tötungshandlung ist für die Situation typisch; ihr Fehlen hingegen ändert nicht den gesamten Unrechtsgehalt. - Auch der Versuch, nach Kriterien der Tatherrschaft über das Tötungsgeschehen oder nach dem Täterwillen zu differenzieren122, geht fehl, denn in der Situation des § 216 sind Täter- und Opferwille so miteinander verwoben, dass Täter und Opfer als Mitträger der Tatherrschaft angesehen werden mässen. - Gleichfalls ist die Unterscheidung nach dem „Schwergewicht des Tatbeitrags" abhängig von Zufälligkeiten bei der Tatausführung. Als maßgebliches Kriterium bietet sich die Herrschaft über den Akt an, mit dem über das 4 Leben verfügt wird. Ausgangspunkt der Beurteilung ist daher die letzte Handlung des anderen. Hatte der Getötete nach diesem Tatbeitrag des Partners noch die freie Entscheidung über Leben oder Tod durch eigene Verhaltensmöglichkeiten, z.B. durch das Verlassen des Raumes, das Ausspucken einer Tablette o.a., so hat das Unterlassen dieser Handlungsmöglichkeiten Verfügungscharakter über das Leben. Es liegt ein Suizid vor, an dem sich der andere straflos beteiligt hat. Liegt in der Handlung des Partners selbst hingegen die unmittelbare Verfügung über das Leben, weil nach seinem Tatbeitrag kein Raum mehr ist für eine freie Entscheidung des Getöteten über Leben oder Tod, sondern die Entscheidung durch den Tatbeitrag selbst getroffen wurde - z.B. durch eine tödliche Injektion, einen Schuss mit einer Waffe o.ä. -, so liegt in diesem Tatbeitrag die strafbare täterschaftliche Tötung eines anderen.'23 - Die Möglichkeit einer Tatverwirklichung durch Unterlassen ist hier nicht gegeben. 1 2 4 b) Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Es ist 5 das wohlüberlegte eigene Verlangen, das ausdrücklich, d.h. nicht notwendig mit Worten, aber unmissverständlich erklärt sein muss. aa) RGSt 68 S. 306: Der A rief in der S Selbstmordgedanken hervor. Um S seinen Wünschen gefügig zu 6 machen, redete er vier Stunden auf sie ein. Auf seine Aufforderung hielt schließlich die S ihren Arm hin, und nun brachte A ihr die Schnitte bei, die ihren Tod herbeiführen sollten. RG: Bloßes Einverstandensein ist kein ausdrückliches und ernstliches Verlangen i.S. des § 216: „Einverstandensein bedeutet die Billigung des bekannten Vorhabens des anderen, also zwar mehr als ein bloßes Hinnehmen und ein bloßes Geschehenlassen, aber doch nur den Ausdruck der Übereinstimmung der eigenen inneren Stellungnahme mit der des anderen. Verlangen i.S. des § 216 StGB schließt demgegenüber begrifflich eine Betätigung mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen ein." bb) BGH NJW 1987 S. 1092: Der 70jährige schwerkranke O war zur Selbsttötung entschlossen, die er mit 7 einem Betäubungsmittel herbeiführen wollte. Dies teilte er seinem Neffen A mit und fragte ihn zugleich, ob er ihm behilflich sein würde, wenn er es nicht mehr schaffen sollte, seinen Plan zu verwirklichen. Als er sah, wie erschrocken A war, lenkte er jedoch sofort ein und versprach, den A aus der Sache herauszuhalten. Einige Tage später kam A zu O und bemerkte, dass dieser seinen Entschluss in die Tat umgesetzt hatte. Aufgrund der näheren Umstände befürchtete er aber, dass der Selbsttötungsversuch fehlschlagen könnte. Er entschloss sich daher, das Leben des O durch eine weitere Spritze mit Sicherheit zu beenden und führte diesen Plan aus. BGH: A handelte aufgrund eines ausdrücklichen und emstlichen Verlangens. Aus dem Wesen des „Verlangens" als qualifizierter Einwilligung folgt, dass - abgesehen 8 von der Fähigkeit des Verlangenden, über das betroffene Rechtsgut verfügen zu können die Voraussetzungen der Einwilligung in vollem Umfang vorliegen müssen. Das Ver122 vgl. dazu KUTZER NStZ 1994 S. 110 ff. 1^3 Eingehender dazu JAKOBS in: Bayr. Akad. d. Wissenschaften, Philos.-hist. Klasse, Sitzungsberichte, 1998, H e f t 2, S. 2 4 ; KÜPPER B . T . 1 , 1 § 1 R d n . 6 1 ; OTTO T r ö n d l e - F S , S. 159 f f ; RENGIER B . T . II, § 8
Rdn. 8; ROXIN 140 Jahre GA-FS, S. 177 ff, 178. - A.A. SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 576. 124 Vgl. d a z u a u c h HÄUF B . T . I, S. 3 6 ; KÜPPER B.T. 1 , 1 § 1 R d n . 6 2 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n . 10. - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 2 R d n . 61.
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langen muss daher insbesondere frei von Willensmängeln sein und der Verlangende muss sich der Tragweite seiner Entscheidung bewusst sein.125 9 Ist das Verlangen nicht wirksam, weil es durch Täuschung erschlichen wurde oder der Verlangende gar nicht in der Lage war, die Tragweite seiner Entscheidung abzuschätzen, so ist der Tatbestand des § 216 nicht gegeben. Je nach den tatsächlichen Gegebenheiten liegen §§ 212,211 vor. 1 0 Fall: A leidet an einem harmlosen Magenleiden. Er selbst meint aber, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein. Die Beteuerungen des Arztes und seiner Ehefrau hält er für schonungsvolle Lügen. Inständig bittet er daher die E, ihn zu erlösen. Als er sein Verlangen immer eindringlicher geltend macht und von nichts anderem mehr redet, gibt E seinem Verlangen nach. - § 216 ist nicht anwendbar, denn A war sich deshalb der Tragweite seiner Entscheidung nicht bewusst, weil er seine Entscheidung von falschen Voraussetzungen her traf und E dieses wusste.
11 c) Der Täter muss durch das Verlangen zur Tat bestimmt worden sein, d.h. das Verlangen muss als entscheidender Tatantrieb gewirkt haben. Die Initiative kann aber durchaus von dem Täter ausgehen, wenn deutlich bleibt, dass erst die Entscheidung des „Opfers" die Tatsituation grundsätzlich gestaltet und diese Entscheidung in den eigenen Überlegungen des „Opfers" ihren Grund hat. 1 2 aa) Fall: Der schwerkranke T leidet fürchterliche Schmerzen. Seine Ehefrau E erfüllt dies gleichfalls mit Schmerz und auch Mitleid. Sie deutet dem T gegenüber an, dass sie bereit sei, ihm eine erlösende Spritze zu geben, falls er es wünsche. T bittet sogleich darum. Er hatte es nicht gewagt, der E gegenüber ein derartiges Verlangen zu äußern. Ergebnis: § 216 anwendbar. 1 3 bb) Wie unter aa), doch E ist bereits fest entschlossen, den T zu töten, als T sie plötzlich um diese Gefälligkeit bittet. H.M.: § 216 ist nicht anwendbar, da E bereits zuvor zur Tat entschlossen war. - Die Sachgerechtigkeit des Ergebnisses ist zweifelhaft, denn an dem durch das Verlangen des T geminderten Unrecht der Tat ändert der vorgefasste Plan nichts. - Anwendbarkeit des § 213, 2. Alt. ist daher geboten.
3. Die Motivierung durch das Verlangen 14 a) Das „Verlangen" ist ein unrechtsmindernder Sachverhalt. Die Motivierung durch dieses Verlangen ist ein persönliches Merkmal, jedoch kein Sonderpflichtmerkmal, und daher kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28. 126 Fall: A bittet den B um Gift, weil er dem Verlangen des C, ihn zu töten, nachkommen will. B, dem das Schicksal des C egal ist und der dem A einen Gefallen tun will, gibt dem A das Gift. A führt die Tat aus. Ergebnis: A: § 216; B: §§ 216, 27. Nach h.M. wäre B gemäß §§ 216,27, 28 Abs. 2 aus §§ 212,27 zu bestrafen.
15 b) Geht der Täter von einem ausdrücklichen Verlangen aus, obwohl es nicht vorliegt, so kommt gem. § 16 Abs. 2 gleichfalls nur eine Bestrafung aus § 216 als Vorsatztat in Betracht. Über die Sachgerechtigkeit dieser Lösung lässt sich streiten, denn das unrechtsmindernde Element der Einwilligung des Betroffenen wird damit für die Anwendung des Tatbestandes auf diesen Fall für irrelevant erklärt. Systemgerechter wäre eine Lösung über § 213, 2. Alt. 127
125 Im einzelnen dazu vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 106 ff. 126 A.A. die h.M., die § 28 aber über die Sonderpflichtmerkmale hinaus ausdehnt; z.B.: JÄHNKE LK, 10. A u f l . , § 2 1 6 R d n . 1 0 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 6 R d n . 2 ; MITSCH J u S 1 9 9 6 S . 2 7 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 6
Rdn. 18; differenzierend: RÖHN LK, § 28 Rdn. 54; SCHÜNEMANN Jura 1980 S. 579 f. 127 Vgl. JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 216 Rdn. 2.
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c) Handelt der Täter in Unkenntnis des Verlangens, so haftet er nach §§ 212,211.
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4. Die kriminalpolitische Berechtigung des Tatbestandes a) Beseitigung des § 216 Die vereinzelt geforderte Beseitigung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen ist weder 17 dogmatisch noch kriminalpolitisch geboten. - Da die höchstpersönlichen Rechtsgüter dem Einzelnen zugeordnet werden, weil diese Zuordnung seiner Entwicklung und der der Rechtsgesellschaft am angemessensten entspricht, kann aus der Zuordnung kein Argument für eine unbeschränkte Verfügungsmacht über das Rechtsgut hergeleitet werden. Eine Beschränkung der Verfügungsmacht trotz Zuordnung des Rechtsguts zur Person des Einzelnen ist daher dogmatisch durchaus vertretbar, und auch kriminalpolitisch erscheint die Auftechterhaltung des Tötungstabus im weitestmöglichen Umfang angemessen.128 b) Erweiterung des § 216 Der Alternativentwurf Sterbehilfe hat eine Erweiterung des § 216 dahin vorgeschlagen, 18 dass das Gericht unter den Voraussetzungen des § 216 Abs. 1 von Strafe absehen kann, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann.12» Diese Erweiterung des Gesetzes erscheint nicht notwendig, da die Lösung, der hier relevanten Fällen über § 34 StGB zu finden ist; vgl. dazu weiter unter Rdn. 33 f.
II. Die Problematik der Sterbehilfe 1. Sterbehilfe und Selbstbestimmung Die Problematik der Sterbehilfe im Sinne der Einflussnahme auf den Sterbeprozess eines 19 unheilbar Erkrankten ist in ihrer rechtlichen Dimension bereits aufgrund der Unterschiede im tatsächlichen Bereich differenziert zu beurteilen. Darüber hinaus aber wird die Ausgangssituation durch das grundgesetzlich garantierte Recht einer jeden Person, selbst zu bestimmen, ob und wie weit andere Eingriffe an ihrem Körper vornehmen dürfen, rechtlich gestaltet. BVerfGE 52 S. 178: „Im Lichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist das Institut der Einwilligung demgegenüber 2 0 inhaltlich so zu bestimmen, dass das Recht des Patienten gewahrt bleibt, entsprechend seinen ureigensten Maßstäben seine Einwilligung zu erteilen oder zu verweigern; hierüber ist er von Verfassungs wegen allenfalls sich selbst, nicht aber dritten Personen und ihren Maßstäben Rechenschaft schuldig. Dieses Recht verdient von Verfassungs wegen Achtung und Schutz zumal dort, wo es sich - etwa wegen der Schwere seiner Krankheit, der Notwendigkeit des Eingriffs oder auch des Risikos, das mit ihm oder seinem Unterbleiben verbunden ist - um eine existentielle Entscheidung des Patienten über seine eigene Integrität handelt."
128 Vgl. auch ENGISCH H. Mayer-FS, S. 412; DERS. Schaffstein-FS, S. 1 ff; DERS. Dreher-FS, S. 318; HIRSCH Welzel-FS, S. 775 ff; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 216 Rdn. 1; MÖLLERING Der Schutz des Lebens und Recht auf Sterben, 1977, S. 93; RIELINGER GA 1997 S. 418; STERNBERG-LIEBEN Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, S. 117 ff; WLLMS/JÄGER ZRP 1988 S. 41 ff. - A.A. MARX Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut", 1972, S. 64, 82; R. SCHMITT Maurach-FS, S. 118; DERS. J Z 1979 S. 4 6 2 f f .
129 Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe, vorgelegt von BAUMANN u.a., 1986, S. 34 ff. - Krit. dazu LAUTER/MEYER MschKrim 1988 S. 370 ff. 33
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2. Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung 21 Die Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung betrifft die Hilfe beim Sterben. Eine derartige Hilfe durch schmerzstillende oder -vermindernde Maßnahmen ist durch die Einwilligung des Betroffenen gerechtfertigt, auch wenn sie zu einer Beeinträchtigung des Bewusstseins des Betroffenen führt. Verweigert der Betroffene hingegen die Einwilligung, so ist die entsprechende Maßnahme rechtswidrig. Ob der Betroffene Schmerz und Pein auf sich nehmen will, weil er auch im Leid Sinn verwirklicht sieht oder nicht, ist allein von seiner Entscheidung abhängig. 3. Passive Sterbehilfe 22 Die passive Sterbehilfe bezeichnet den Verzicht auf lebensverlängernde Therapie oder die Einstellung einer begonnenen lebensverlängernden Therapie. 23 Hat ein Arzt die Behandlung eines Patienten übernommen, so ist er grundsätzlich verpflichtet, das ihm Mögliche zu tun, um das Leben des Patienten zu erhalten, und zwar auch dann, wenn feststeht, dass die lebensverlängernden Maßnahmen das Ende nur um einen absehbaren Zeitraum hinausschieben. Unterlässt der Arzt eigenmächtig diese Lebenserhaltung vorsätzlich oder fahrlässig, so kann er für die dadurch begründete Lebensverkürzung wegen eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Tötungsdelikts durch Unterlassen haftbar sein. 24 a) Hilfe beim Sterben/Passive Sterbehilfe im engeren Sinne Ist das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) und hat bereits einen tödlichen Verlauf angenommen, so dass der Tod in kurzer Zeit eintreten wird, so darf auf lebensverlängernde Maßnahmen, wie Beatmung, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung, verzichtet werden, wenn auch der Bewusstseinverlust irreversibel ist. - Es gibt keine Rechtspflicht zur Erhaltung des Lebens um jeden Preis. 130 b) Passive Sterbehilfe im weiteren Sinne aa) Einverständnis des Betroffenen 25 Hat der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt, kennt der Patient jedoch seine lebensgefährliche Situation und bringt er klar zum Ausdruck, dass er weitere lebensverlängernde Maßnahmen oder die Einleitung einer neuen Therapie, die Vornahme einer Operation o.ä., nicht wünscht, so bindet sein Wille auch den behandelnden Arzt. Das gilt auch im Hinblick auf die Einstellung einer eventuellen „künstlichen Ernährung", denn die Differenzierung zwischen dem Entzug der Nahrung und anderen lebenserhaltenden Maßnahmen - z. B. dem Abstellen des Respirators - ist unter dem Gesichtspunkt der Autonomie des Patienten nicht akzeptabel.131 Die mit der Übernahme der Behandlung begründete Garantenposition des Arztes dem Patienten gegenüber ändert die Sach- und Rechtslage nicht. Durch Betrauung des Arztes mit der Behandlung räumt der Patient dem Arzt den zur Durchführung der übernommenen Aufgabe nötigen tatsächlichen Einfluss und Herrschaftsbereich ein. Mit der Übernahme der Behandlung entsteht eine „Beschützergarantenstellung" des Arztes gegenüber dem Patienten. Die Garantenpflicht ist auf Hilfe gegenüber dem Patienten angelegt und in Umfang und Existenz abhängig vom Willen des Patienten. Sie be130 Dazu vgl. auch BGHSt 40 S. 257, 260; 32, 367,379 f. 131 Vgl. dazu MERKEL ZStW 107 (1995) S. 561 f; OTTO Jura 1999 S. 437; ROXIN in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, 2000, S. 102; SALIGER JUS 1999 S. 20; TAUPITZ Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, 2000, A 48 f.
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rechtigt nicht zu einer Bevormundung des Patienten oder gar zu körperlichen Eingriffen gegen seinen Willen. Der Versuch, den Prozess des Sterbens gegen den Willen des Betroffenen zu beeinflussen, ist der Versuch, den eigenen Tod des Betroffenen durch einen fremdbestimmten Tod zu ersetzen. Der Arzt, der sich über den Willen des Betroffenen hinwegsetzt, handelt rechtswidrig.132 Die Entscheidung des Betroffenen bindet auch dann noch, wenn der Betroffene be- 26 wusstlos geworden ist oder einen eigenverantwortlichen Willen nicht mehr bilden kann. Seine Willensentscheidung sollte nämlich gerade auch diese Situation seinem Willen gemäß gestalten. Ob der Behandlungsabbruch durch positives Tun - z B. Abschalten des Reani- 27 mationsgeräts - oder durch Unterlassen - weitere therapeutische Maßnahmen werden nicht ergriffen - erfolgt, ist rechtlich irrelevant. Die Einstellung der Behandlungsmaßnahmen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten ist rechtmäßig, denn dieses Verhalten realisiert das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, sein Grundrecht auf Behandlungsfreiheit als Ausdruck seiner Handlungsfreiheit und seines Rechts auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG.133 Das Abschalten eines Geräts, um eine Behandlung abzubrechen oder zu beenden, ist 28 keine Unterlassung, sondern positives Tun.134 Wenn in der Lehre gleichwohl versucht wird, dieses Tun in ein Unterlassen umzudeuten,135 so ist die Motivation - Begründung eines Unterschieds zur sog. aktiven Sterbehilfe - zwar anerkennenswert, die Umdeutung aber weder dogmatisch notwendig, da es allein auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens ankommt, noch begrifflich haltbar, denn mit der Einführung des „Unterlassens durch Tun" wird der begriffliche Unterschied zwischen Tun und Unterlassen aufgehoben.136
1 3 2 Vgl. im einzelnen dazu BGHSt 32 S. 376; BADE Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht, 1988, S. 140 ff; BAUMANN JZ 1975 S. 202 f; BUSCHENDORF Die strafrechtliche Problematik der Euthanasie und der Freigabe „lebensunwerten Lebens", in: Valentin (Hrsg.), Die Euthanasie, 1969, S. 59; v. DELLINGSHAUSEN Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes, 1981, S. 360 ff; ENGISCH Dreher-FS, S. 322 ff; DERS. Bockelmann-FS, S. 534; GEILEN Euthanasie und Selbstbestimmung, 1975, S. 12 f; GIESEN J Z 1990 S. 9 2 9 ff; HANACK G y n ä k o l o g e 1 9 8 2 S. 109 f; HIRSCH W e l z e l - F S , S. 7 9 6 F n . 68; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 13; ARTHUR KAUFMANN J Z 1 9 8 2 S. 4 8 5 ; KREY
B.T. 1, Rdn. 9; LACKNER/KÜHL Vor § 211 Rdn. 8; OTTO, Gutachten D 38 Fn. 86 m.w.N. 133 Vgl. BGHSt 40 S. 260; LG Ravensburg NStZ 1987 S. 229 mit Anm. HERZBERG JZ 1988 S. 185 ff, OTTO JK 87, StGB § 216/3, ROXIN NStZ 1987 S. 348 ff, STOFFERS MDR 1992 S. 621 ff, 625 ff; TRÖNDLE Göppinger-FS, S. 595 ff.
134 Vgl. BAUMANN/WEBER/MITSCH A.T.,10. Aufl. 1995, § 15 Rdn. 33; BOCKELMANN Strafirecht des Arztes, 1968, S. 112,125 Fn. 45; DERS. WMW 1976 S. 149; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 16; JESCHECK/WEIGEND A.T., 5. Aufl. 1996, § 58 N 2; LANGER Rechtliche Aspekte bei der Sterbehilfe, in: Kruse/Wagner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität, 1986, S. 123 f; MAURACH/GÖSSEL/ZIPF A.T. 2, 7. Aufl. 1989, § 45 Rdn. 32; RUDOLPHI S K I , Vor § 13 Rdn. 47; SAMSON Welzel-FS, S. 601 f; SAX JZ 1975 S. 137 ff; STRATENWERTH SchwZStR 95 (1978) S. 67; ZIMMERMANN NJW 1977 S. 2104.
135 So BOTTKE ZEE 1981 S. 126; ENGISCH Gallas-FS, S. 177 f; ESER Sterbehilfe und Euthanasie in rechtlicher Sicht, in: Eid (Hrsg.), Euthanasie oder soll man auf Verlangen töten, 1975, S. 60; GEILEN FamRZ 1968 S. 126 Fn. 35; DERS. JZ 1968 S. 151; DERS. Heinitz-FS, S. 383 Fn. 22; HANACK Gynäkologe 1982 S. 112; ARTHUR KAUFMANN R o x i n - F S , S. 850; KREY B . T . l , R d n . 11; MAURACH/SCHROEDER/MAI-
WALD B.T.l, § 1 Rdn. 41; ROXIN Engisch-FS, S. 396 ff; DERS. Medizinstrafrecht, S. 95; SCHMIDHÄU-
SER A.T., Stub., 2. Aufl. 1984, 12/54; SCHNEIDER Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung, 1997, S. 144 ff, 174 ff.
136 Dazu eingehend OTTO Gutachten, D 42 ff.
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bb) Der gemutmaßte Wille des Betroffenen 29 Ist eine Entscheidung des Betroffenen über die Fortführung oder Aufnahme einer Therapie nicht möglich, weil der Betroffene nicht oder nicht mehr in der Lage ist, eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben, so ist der individuelle gemutmaßte Wille des Betroffenen zu ermitteln. Da es sich hierbei um die Ermittlung des realen Willens des Betroffenen handelt, ist dieser - wenn er festgestellt werden kann - in gleicher Weise verbindlich wie der ausdrücklich erklärte Wille. Das folgt daraus, dass der durch Mutmaßungen festgestellte Wille des Betroffenen in gleicher Weise Ausdruck seiner Autonomie ist wie der ausdrücklich erklärte Wille. Objektive Kriterien, insbes. die Beurteilung einer Maßnahme als gemeinhin „vernünftig" oder „normal" sowie den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend, haben keine eigenständige Bedeutung. Sie können lediglich Anhaltspunkte für die Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens sein.137 30 Schriftlichen und mündlichen früheren Äußerungen des Kranken kommt in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht zu, doch keine ausnahmslose, zwingende Verbindlichkeit. Existentielle Entscheidungen sind stets auch durch die Situation geprägt, so dass die Möglichkeit, eine Willensänderung zu berücksichtigen, nicht ausgeschlossen werden darf, wenn konkrete Indizien für eine Willensänderung vorliegen.138 Daher handelt es sich hier nicht um Indizien neben anderen, sondern um besonders bedeutsame Indizien, deren Gewicht und Verbindlichkeit durch Auslegung zu ermitteln ist. cc) Der mutmaßliche - hypothetische - Wille des Betroffenen 31 Fehlen Anhaltspunkte, aus denen sich der reale Wille des Betroffenen erschließen lässt, „so kann und muss auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, des Angehörigen oder einer anderen beteiligten Person. Im Einzelfall wird die Entscheidung naturgemäß auch davon abhängen, wie aussichtslos die ärztliche Prognose und wie nahe der Patient dem Tode ist: Je weniger die Wiederherstellung eines nach allgemeinen Vorstellungen menschenwürdigen Lebens zu erwarten ist und je kürzer der Tod bevorsteht, um so eher wird ein Behandlungsabbruch vertretbar erscheinen".139 Liegen daher keine Anhaltspunkte für eine andere Entscheidung des Betroffenen vor, so „wird allerdings davon auszugehen sein, dass sein (hypothetischer) Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird".140
137 Vgl. dazu auch BGHSt 35 S. 246, 249; 40 S. 257, 263; BGH NJW 2000 S. 885, 886; COEPPICUS NJW 1998 S. 3384; SCHÖCH NStZ 1995 S. 155; VERREL JR 1999 S. 7. 138
Eingehend dazu TAUPITZ Gutachten, A 105 ff; im übrigen vgl. dazu auch COEPPICUS NJW 1998 S. 3384; DÖLLING MedR 1987 S. 8; HEINE JR 1986 S. 317; HIERSCHE MedR 1987 S. 83; HIRSCH L a c k n e r - F S , 1987 S. 6 0 4 ; ARTHUR KAUFMANN M e d R 1983 S. 123; KUTZER Z R P 1997 S. 118; OTTO
Gutachten, D 41, Fn. 92; RIEGER Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch, 1998, S. 8 5 f f , 93; SCHÖCH N S t Z 1995 S. 155; SCH/SCH/ESER V o r §§ 2 1 1 ff R d n . 28; VERREL J R 1999 S. 7. -
Für Verbindlichkeit des sog. Patiententestaments: STERNBERG/LIEBEN NJW 1985 S. 2735; vgl. auch
ARZT J R 1986 S. 3 1 0 f; FÜLLMICH N J W 1990 S. 2 3 0 1 ; SAUGER JUS 1999 S. 19; SCHMITT M D R 1986
S. 620; UHLENBRUCK MedR 1983 S. 16; DERS. MedR 1992 S. 138 ff; WEIBAUER/OPDERBECKE MedR 1995 S. 459.
139 BGHSt 40 S. 257,263; dazu auch LIPP DRIZ 2000 S. 234. 140 B G H S t 3 5 S. 2 4 6 , 2 4 9 f; B G H N J W 2 0 0 0 S. 8 8 5 , 886; GEPPERT J Z 1988 S. 1026; OTTO Jura 1999 S. 4 3 8 f.
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Grundsätzlich ist danach dem Lebensschutz Vorrang einzuräumen, wenn der reale Wille des Betroffenen nicht festgestellt werden kann, keineswegs aber geht es darum, den Patienten zu zwingen, das Leiden bis zum bitteren Ende durchzustehen. Steht fest, dass die Verlängerung des Sterbeprozesses mit Schmerzen verbunden ist, die ein bewusstes Erfassen der Umwelt, geschweige denn eine Auseinandersetzung mit ihr, unmöglich machen, so endet die Pflicht des Arztes, das Leben zu erhalten. Gleiches gilt, wenn der irreversible Bewusstseinsverlust eingetreten ist oder durch eine mögliche Operation eintreten würde.141 In dieser Situation „wird ein Leben nicht mehr gewonnen oder aufrechterhalten, sondern der Verelendungsprozess durch technische Möglichkeiten hinausgezögert. Das ist vom Behandlungsauftrag nicht gedeckt. Es wird nicht das Leben verlängert, sondern das Sterben".!« dd) Gegen den Willen des Betroffenen: „Übermäßiger Lebensverlängerungswunsch" Die grundsätzliche Pflicht des Arztes zur Erhaltung und/oder Verlängerung des Lebens endet auch gegen den Willen des Betroffenen, wenn die Todesursache definitiv gesetzt und der Bewusstseinsverlust nachweislich irreversibel ist. Die Erhaltung eines „personal entleerten Gefäßes des Humanum"(TfflELiCKE), das selbst nicht mehr Subjekt, sondern nur noch Objekt sein kann, in der Situation definitiv gesetzter Todesursache, bedeutet nicht mehr Achtung der Würde der Person des Betroffenen, sondern Verletzung seiner Personenwürde durch Verweigerung des ihm als Person eigenen Todes.1« ee) Entscheidung eines Betreuers und/oder des Vormundschaftsgerichts Vor dem Hintergrund der weitreichenden und konsequenten Anerkennung und Achtung der Autonomie des Patienten, ist es aus strafrechtlicher Sicht bereits schief, wenn in der Literatur davon ausgegangen wird, dass der Betreuer „anstelle des Betroffenen die Entscheidung für das Sterben trifft"144, weil die beiden Einwilligungsmöglichkeiten „eigenständig und unabhängig nebeneinander stehen".145 Das erweckt den Eindruck, als wenn bei der Entscheidung über den Behandlungsabbruch an Stelle der ureigensten Entscheidung des Kranken die ureigene Entscheidung des Betreuers treten kann oder soll. Bei der Entscheidung des Betreuers kann es nämlich nur darum gehen, der Autonomie des Kranken Achtung zu verschaffen. Das bedeutet aber, dass die Kriterien nach denen der Betreuer zu entscheiden hat, gerade nicht in dessen ureigensten Maßstäben begründet sein können, sondern dass es hier allein darum gehen kann, dem gemutmaßten Willen des Kranken Geltung zu verschaffen oder - wenn dieser Wille nicht zu ermitteln ist - den auch sonst hier maßgeblichen „allgemeinen Wertvorstellungen".146 141 im einzelnen ANSCHÜTZ MedR 1985 S. 19; BOTTKE ZEE 1981 S. 126; v. DELLINGSHAUSEN Sterbehilfe
und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes, 1981, S. 425 f; DETERNIG JUS 1983 S. 419; DIEßENBACHER Universitas 1987 S. 912; ESER Euthanasie, S. 59 f; GEILEN Euthanasie, S. 20 f; HANACK
Gynäkologe 1982 S. 110 f; KREY B. T. 1, Rdn. 9 f; MERKEL ZStW 107 (1995) S. 573; OTTO Gutachten, D 50 f; ROXIN Medizinstrafrecht, S. 101 f; SCHÖCH NStZ 1995 S. 155; SPÖTTL Altenpflege 1994
S. 296.
142 COEPPICUS NJW 1998 S. 3386, mit eingehender Schilderung einzelner Fallgruppen S. 3385 f. 143 Vgl. dazu auch BOTTKE ZEE 1981 S. 123 ff; ESER in: Jens/Küng (Hrsg.), Menschenwürdig Sterben, 1995, S. 153; HANACK G y n ä k o l o g e 1 9 8 2 S. 109 f; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 20; KREY B .
T. 1, Rdn. 8 f; OTTO Gutachten, D 37; DERS. Jura 1999 S. 439; ROXIN Medizinstrafrecht, S. 97. 144 SENZ Z R P 1998 S. 2 4 0 . 145 COEPPICUS N J W 1998 S. 3 3 8 3 .
146 Dazu RIEGER Einwilligung, S. 116 ff, 132 ff; VERREL JR 1999 S. 8.
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Im Rahmen des Schutzes der Autonomie des Betroffenen kommt dem Vormundschaftsgericht die Bedeutung einer Kontrollinstanz zu. Das legitimiert die analoge Anwendung des § 1904 BGB: Sie ermöglicht die Prüfung der Entscheidung des Betreuers durch eine amtliche unabhängige und sachverständig beratene Stelle.14? c) Invasive Weiterbehandlung 37 Unter dem Aspekt des Schutzes und der Gewährleistung der Autonomie des Patienten ist insbes. bei Patienten mit irreversiblem apallischem Syndrom oder bei Patienten in kontinuierlicher Abhängigkeit von der Substitution vital wichtiger Funktionen, nicht erst der Abbruch der Behandlung relevant, sondern die invasive Weiterbehandlung, indem etwa eine zuvor oral direkt erfolgende Ernährung nun über eine perkutante Magensonde durch die Bauchdecke oder durch eine Nasensonde erfolgt.148 38 Ist in dieser Situation ein entsprechender Patientenwille zu ermitteln, so ist er nach dem entscheidenden Kriterium der Privatautonomie maßgeblich. Der Eingriff hat zu unterbleiben, wenn er nicht durch die Einwilligung des Patienten gedeckt ist.149 - Kann der reale Wille des Patienten nicht ermittelt werden, so ist der hypothetische Wille des Patienten zu erforschen, wobei keineswegs vorauszusetzen ist, dass der mutmaßliche Wille auf Lebenserhalt gerichtet ist. Der Lebenserhalt ist zwar der Leitaspekt in dem Schulfall, in dem nach einem Unfall ein bewusstloser Verletzter in die Klinik eingeliefert wird und der Arzt vor der Frage steht, ob er eine lebensrettende Bluttransfusion veranlassen soll oder nicht, obwohl er keinerlei Anhaltspunkte für den Willen des Betroffenen hat und weiß, dass die Mehrheit der Betroffenen in dieser Situation einer Bluttransfusion zustimmen, eine Minderheit sie ablehnen würde. Die „vernünftige" Entscheidung richtet sich hier - in Ermangelung anderer Kriterien - nach dem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad, den Willen des Betroffenen zu treffen. - Dieses Kriterium, nicht aber der Vorrang des Lebensschutzes muss jedoch auch verbindlich bleiben, wenn empirisch erwiesen ist, dass die überwiegende Mehrheit von Patienten - und zwar auch gerade solche, die an der Schwelle eines entsprechenden Risikos standen - beim Eintritt eines apallischen Syndroms nicht in eine lebenserhaltende Behandlung einwilligen würden und eine gleichwohl aufgenommene eingestellt wünschten.150 39 Damit aber verschieben sich die Gewichte innerhalb der nötigen vernünftigen Interessenabwägung. Diese hat nämlich nicht nur unter dem Aspekt eines Rechts zum Behandlungsabbruch zu erfolgen, sondern vorrangig unter dem einer Pflicht zum Abbruch der Behandlung, weil bei vernünftiger Abwägung der Interessen des Patienten nicht mehr von einer mutmaßlichen Einwilligung in die zur Fortführung der Behandlung notwendigen Eingriffe ausgegangen werden kann.151
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Eingehend dazu OLG Frankfurt JZ 1998 S. 799 f; im übrigen vgl. BERNAT RdM 1998 S. 188 f; COEPPICUS N J W 1998 S. 3 3 8 3 ; FROSCHLE J Z 2 0 0 0 S. 79; HELGARTH J R 1995 S. 3 4 0 ; DÖRNER Z R P 1996 S. 9 6 ; OTTO J u r a 1999 S. 4 4 0 ; RIEGER Einwilligung, S. 121 f f ; ROXIN M e d i z i n s t r a f t e c h t , S. 9 9 f; SAUGER J u S 1999 S. 18 f ; DERS. K r i t V j s c h r 1998 S. 118 f f ; SCHÖCH N S t Z 1995 S. 156; TAUPITZ G u t a c h t e n , A 81 f f ; VERREL J Z 1996 S. 2 2 9 ; DERS. J R 1999 S. 8; VOGEL M D R 1995 S. 3 3 7 f; WEIBAUER/OPDERBECKE M e d R 1995 S. 4 5 9 ; ZLEUNSKL A r z t R 1995 S. 193.
148 Dazu eingehender COEPPicus NJW 1998 S. 3385 f; MERKEL ZStW 108 (1995) S. 559 ff. 149 D a z u a u c h GEILEN Euthanasie, S. 8 f f ; KREY Strafrecht, B . T . 1, R d n . 9 f; LIPP D R i Z 2 0 0 0 S. 2 3 6 ; MERKEL Z S t W 107 ( 1 9 9 5 ) S. 5 5 9 f f ; OTTO, Jura 1999 S. 4 3 6 ; SCHMITT J Z 1985 S. 3 6 7 f. 150 v g l . dazu die A n g a b e n bei MERKEL Z S t W 107 ( 1 9 9 5 ) S. 5 5 9 , Fn. 39.
151 Vgl. MERKEL ZStW 107 (1995) S. 573; RoxiN Medizinstrafrecht, S. 101 f; SCHÖCH Hirsch-FS, S. 702.
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Tötung auf Verlangen
§6
4. Aktive Sterbehilfe a) Begriff der aktiven Sterbehilfe Aktive Sterbehilfe ist die bewusste Verkürzung des verlöschenden Lebens durch aktive - 40 über den Behandlungsabbruch hinausgehende - Einflussnahme auf den Krankheitsprozess. Als Tathandlung kommt nur aktives Tun in Betracht. Das Selbstbestimmungsrecht des aufgeklärten und im Rechtssinne frei verantwortlichen Betroffenen entbindet Garanten von ihrer Handlungspflicht. - Ist der Wille des Betroffenen hingegen nicht im Rechtssinne frei, so fehlt es an einem rechtlich bedeutsamen „ausdrücklichen und ernstlichen Verlangen" i.S. des § 216 StGB und das Verhalten kann als vorsätzliche Tötung nach §§ 212,211 relevant werden.152 b) Schmerzlindernde, lebensverkürzende Sterbehilfe Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation bei einem sterbenden Patienten, die 41 aber als unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigt - sog. indirekte Sterbehilfe -, stellt eine Verkürzung des verlöschenden Lebens durch aktive Einflussnahme auf den Krankheitsverlauf dar und damit eine aktive Sterbehilfe. Gleichgültig, ob der Handelnde die lebensverkürzende Wirkung seiner Maßnahmen nur als mögliche oder unvermeidbare Nebenfolge ansieht oder nicht, er handelt vorsätzlich, wenn er das konkrete Risiko der Lebensverkürzung erkannt hat oder die Lebensverkürzung sogar als unvermeidliche Begleiterscheinung seiner für geboten erachteten schmerzlindernden Therapie ansieht.153 Es ist auch nicht möglich, das Verhalten in diesen Fällen aus dem Schutzbereich der Tötungsdelikte zu eliminieren, denn die Tötungshandlung steht hier außer Frage.154 In Betracht kommt in diesen Fällen jedoch eine Rechtfertigung über § 34 StGB, weil 42 die Achtung der menschlichen Würde die lebensverkürzende Schmerzlinderung legitimiert. Bedrohen Schmerz, Pein und Qual den Einzelnen in der Situation definitiv gesetzter Todesursache derart, dass ihm eine geistige Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und/oder sich selbst nicht mehr möglich ist, weil der Schmerz das Bewusstsein überlagert, so kann der Arzt das höhere Interesse wahrnehmen, wenn er die zur Schmerzlinderung erforderlichen Maßnahmen trifft, selbst wenn diese nicht nur mit der abstrakt möglichen, sondern mit der konkreten Gefahr einer sicheren Lebensverkürzung verbunden sind. Die Achtung der menschlichen Würde auch im Sterben kann diese Hilfe legitimieren, deren Maß und Umfang vom Erfordernis der zur Schmerzlinderung unabweisbar nötigen Maßnahmen bestimmt wird. Sie ermöglicht es dem Betroffenen, als Person zu sterben, nicht aber als ein nur noch vom Schmerz beherrschtes Wesen, das sich seiner selbst nicht mehr bewusst werden kann.155 152 v g l . a u c h BOCKELMANN Strafrecht, B.T./2, § 4 Ü 2 a; DETERING JUS 1983 S. 4 1 9 ; SCH/SCH/ESER V o r b e m . § 211 R d n . 28, § 2 1 6 RDN. 10; KREY B.T.L, Rdn. 12 f; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 15.
153 Vgl. dazu auch ESER in: Auer/Menzel/Eser, S. 88; GEILEN Bosch-FS, S. 283; HANACK in: Hiersche (Hrsg.), Euthanasie, 1975, S. 132, 147; DERS. Gynäkologe 1982 S. 113; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 15 in Verb, mit Rdn. 17; KREY B.T.l, Rdn. 12 ff; OTTO Gutachten, D 54 ff. - A.A. BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 2 5 , 7 0 . 154 Vgl. d a z u DÖLLING J R 1998 S. 161; MERKEL J Z 1996 S. 1148 f f ; OTTO Gutachten, D 55; DERS. J u r a
1999 S. 440; RÖHN Medizinstraftecht, S. 90. - A.A. Herzberg NJW 1996 S. 3049; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor §211 Rdn. 15 in Verb, mit Rdn. 17; KREY B.T.l, Rdn. 14 ff; TRÖNDLE/FISCHER Vor § 211 Rdn. 20; WESSELS/HETnNGERB.T./l, Rdn. 32. 155 Dazu vgl. BGHSt 42 S. 301, 305 mit Anm. DÖLLING JR 1998 S. 160 ff, OTTO JK 97, StGB § 212/3, SCHÖCH N S t Z 1997 S. 4 0 9 ff, VERREL M e d R 1997 S. 248 f f ; B G H N J W 2 0 0 1 S. 1802, 1803; BADE
Arzt, S. 111 ff; BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 55 ff; v. DELLINGSHAUSEN S. 185 ff; EN-
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§6
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
c) Beendigung von Leiden durch gezielte Tötung 43 Eine grundsätzliche Rechtfertigung einer Tötung aus Barmherzigkeit - selbst in hoffnungslosen Fällen -, kommt nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers in § 216 nicht in Betracht. Auch wenn einem Arzt eine weitere Schmerzlinderung unmöglich ist, so geht er über den Heilauftrag hinaus, wenn er den Todkranken tötet, um dessen Leiden ein Ende zu bereiten. In dieser Situation wird aber nicht ausnahmslos das Unrecht eines Tötungsdelikts verwirklicht. In seltenen Ausnahmesituationen kann die Achtung menschlicher Würde der Achtung des Lebens vorgehen, weil der Sterbeprozess in ein Stadium gelangt ist, in dem der Schmerz jeden anderen Bewusstseinsinhalt verdrängt und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der Betroffene der Unerträglichkeit der Schmerzen erliegt. 4 4 Fall: Ein Lastkraftwagenfahrer und sein Beifahrer waren mit dem Lastkraftwagen unterwegs. Es kam zu einem Unfall, der Wagen geriet in Brand. Der Fahrer, der hinter dem Steuerrad eingeklemmt war, begann am lebendigen Leib zu verbrennen. Der nur leicht verletzte Beifahrer hatte keine Chance, den Fahrer herauszuziehen oder sonst aus seiner Situation zu befreien. Nachdem die Brandverletzungen einen tödlichen Grad erreicht hatten und dem um Erlösung flehenden Fahrer die Stimme bereits versagte, erschlug der Beifahrer den Fahrer.
45 In derart extremen Ausnahmesituationen kommt eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht. 156 5. Zum Sterbenlassen Schwerstgeschädigter Neugeborener (Früheuthanasie) 46 Auch das schwerstgeschädigte, missgebildet geborene Kind hat als Träger der Menschenwürde Lebensrecht. In Ausnahmesituationen kann aber auch hier die Pflicht, das Leben des Kindes zu erhalten, unter dem Gesichtspunkt der Achtung menschlicher Würde begrenzt sein. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist hier, ob dem Kind eine Lebensverlängerung zugemutet werden kann, ob sinnvolles Leben überhaupt zu ermöglichen ist. 47 Die „Einbecker Empfehlung" der Akademie für Ethik in der Medizin, Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht stellt hier zutreffend darauf ab, dass die ärztliche Behandlungspflicht nicht allein durch die Möglichkeiten der Medizin bestimmt wird, sondern ebenso an humanethischen Beurteilungskriterien und am Heilauftrag des Arztes auszurichten ist. Eine Ausschöpfung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten wird abgelehnt, „wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erfahrungen und menschlichem Ermessen das Leben des Neugeborenen nicht auf GISCH Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens in strafrechtlicher Beleuchtung, 1948, S. 5 f; ESER in: A u e r / M e n z e l / E s e r S. 8 9 f; GEILEN Euthanasie, S. 23, 26; GIESEN J Z 1990 S. 9 3 5 f; HANACK
Gynäkologe 1982 S. 113; HIRSCH Welzel-FS, S. 795; KUIZER ZRP 1997 S. 119; LANGER Aspekte,
S. 145; MERKEL JZ 1996 S. 1148 ff; MÖLLERING Schutz des Lebens - Recht auf Sterben, 1977, S. 30 ff; OTTO Gutachten, D 56 ff; ROXIN, Medizinstrafrecht, S. 91 f; SCHREIBER NStZ 1986 S. 340; SLMSON
Schwinge-FS, S. 110; WIMMER FamRZ 1975 S. 438 f. 156 Vgl. dazu BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 64 f; GEILEN Euthanasie, S. 26 ff; DERS. BoschFS, S. 288; GIESEN JZ 1990 S. 935; HEINITZ Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 1970, S. 17; HERZBERG N J W 1986 S. 1639; HIRSCH W e l z e l - F S , S. 7 9 5 f; JAKOBS A r t h u r - K a u f m a n n - F S , S. 4 7 0 f; ARTHUR KAUFMANN R o x i n - F S , S. 852; MERKEL J Z 1996 S. 1151; DERS. Jura 1999 S. 121; OTTO G u t -
achten, D 60 f; DERS. Jura 1999 S. 441; SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 580. - Gegen eine Rechtfertigung: BADE Arzt, S. 116 ff, 124 f; BAUMANN JZ 1975 S. 202; BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 24; DERS. B.T./2, § 2 N 3; BOTTKE Z E E 1981 S. 121 f f ; ESER Suizid, S. 4 0 0 ; DERS. in: A u -
er/Menzel/Eser, S. 91; GÖSSEL B.T.l, § 2 Rdn. 29; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 2 1 1 Rdn. 14 f; LACKNER/KÜHL Vor § 211 Rdn. 7; LANGER Aspekte, S. 119 f; ROXIN in: Blaha u.a., Schutz, S. 93; SCHICK Zipf-GdS, S. 393; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 28. - Für eine Entschuldigung: V. DELLINGSHAUSEN S. 337 f f , 353; LANGER Aspekte, S. 122 f; RUDOLPHI W e l z e l - F S , S. 628.
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Dauer erhalten werden kann, sondern ein in Kürze zu erwartender Tod nur hinausgezögert wird". - Ein Beurteilungsrahmen für die Indikation von medizinischen Behandlungsmaßnahmen wird dem Arzt eingeräumt, „wenn diese dem Neugeborenen nur ein Leben mit äußerst schweren Schädigungen ermöglichen würden, für die keine Besserungschancen bestehen. Es entspricht dem ethischen Auftrag des Arztes zu prüfen, ob die Belastung durch gegenwärtig zur Verfügung stehende Behandlungsmöglichkeiten die zu erwartende Hilfe übersteigt und dadurch der Behandlungsversuch ins Gegenteil verkehrt wird".157
HI. Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung 1. Suizid und Mitwirkung Dritter Wie unter Rdn. 2 ff dargelegt, ist die Tathandlung des § 216 die täterschaftliche Tötung eines anderen. Daraus folgt: a) Hat der die Tötung Verlangende allein die Tatherrschaft über den unmittelbar das Leben beendenden Akt inne, so stellt sich die Tat als Suizid dar. Mitwirkende an der Tat sind nicht wegen eines Tötungsdelikts strafbar. Es fehlt an der Haupttat. b) Auch eine Haftung wegen fahrlässiger Tötung entfällt, wenn der Dritte durch fahrlässiges Verhalten den Selbstmord ermöglicht oder unterstützt hat. Der Suizident wird das Opfer einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung, nicht aber eines Tötungsdelikts durch einen Dritten.158 c) Ist der Willensentschluss des Suizidenten nicht als freiverantwortlich anzusehen, weil er die Situation in ihrer Bedeutung verkennt, sich in einer Notstandssituation befindet oder es an seiner Einsichtsfähigkeit mangelt, so macht sich ein Dritter, der dies erkennt und dennoch aktiv an der Selbsttötung mitwirkt, sei es, dass er den fehlerhaften Suizidentschluss hervorruft oder dass er dem Suizidenten das Tötungsmittel verschafft, der Tötung des Suizidenten in mittelbarer Täterschaft durch das Opfer selbst schuldig. >59 d) Eine Garantenpflicht zur Hinderung der Selbsttötung eines frei verantwortlich Handelnden besteht nicht. Auch die Garantenpflichtposition von Lebensschutzgaranten findet ihre Grenze an der frei verantwortlichen Entscheidung des Suizidenten, denn die Garantenposition begründet keine „Vormundschaftsstellung" gegenüber dem zu Schützenden. >«> 157 Vgl. „Einbecker Empfehlung", Perinatal Medizin 1992 S. 126 f. - Zur Diskussion im einzelnen vgl. GIESEN J Z 1990 S. 941; HANACK M e d R 1985 S. 33 f f ; ARTHUR KAUFMANN J Z 1982 S. 4 8 5 ; MERKEL
JZ 1996 S. 1151 f; DERS. Rechtsphilosophische Hefte 8 (1998) S. 103 ff, 154 ff; R. PETERS Der Schutz des neugeborenen, insbesondere des missgebildeten Kindes, 1988, S. 242 ff; R. SCHMITT Klug-FS, Bd. 2, S. 335. 158 So auch BGHSt 24 S. 342; zustimmend: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 60; DÖLLING GA 1984 S. 71 ff; VAN ELS NJW 1972 S. 1476 f; HERZBERG Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 102; JÄHNKE
LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 23; ROXIN Gallas-FS, S. 245; SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 211 ff Rdn. 35. - Kritisch: GEILEN J Z 1974 S. 145; KOHLHAAS J R 1973 S. 53; DERS. N J W 1973 S. 5 4 8 ; WELP J R
1972 S. 427. 159 Dazu vgl. BGHSt 32 S. 38 mit Anm. ROXIN NStZ 1984 S. 71 und SCHMIDHÄUSER JZ 1984 S. 195 f; BOCKELMANN B.T./2, § 2 1 2 ; BOTTKE G A 1983 S. 31 ff; ENGISCH Euthanasie, S. 12; HERZBERG Täter-
schaft, S. 39 ff; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 29; MUNOZ CONDE ZStW 106 (1994) S. 562 f; OTTO Gutachten, D 65; SCH/SCH/ESER V o r b e m . §§ 211 ff R d n . 37; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 2 1 1 R d n . 11; WESSELS/HETTINGER B.T./1, R d n . 4 8 f. 160 v g l . a u c h O L G M ü n c h e n N J W 1987 S. 2 9 4 0 ; ARZT/WEBER B. T „ § 3 R d n . 4 5 ; BOCKELMANN B.T./2,
§ 2 1 2 a; BOTTKE GA 1983 S. 33; BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten,
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5 3 aa) Die Voraussetzungen einer auf Fürsorge gerichteten Garantenpflicht sind hier nicht niedriger anzusetzen als sonst, insbesondere ist es nicht sachgerecht, die in § 2 0 StGB aufgerichteten Schranken für einen Verantwortungsausschluss hier nicht zu beachten und den Suizidenten aufgrund seines Entschlusses zum Suizid als nicht frei verantwortlich Handelnden anzusehen. 54 Untersuchungen in den U S A haben zwar zu dem Ergebnis geführt, dass - j e nach Studie - zwischen 93 und 100 % der Suizidenten unter Depressionen (rund 80 %), Alkoholismus (10 - 2 0 %) oder Schizophrenie (bis zu 10 %) litten. In diesen Fällen war jedoch nicht zwingend die Zurechnungsfahigkeit ausgeschlossen. Wesentlich war vielmehr, dass aufgrund der Depressionen das eigene Leben, die Welt und die Zukunft völlig negativ und hoffnungslos erschienen. 161 Wenn in der Literatur demgegenüber davon ausgegangen wird, dass rund 95 % aller Suizidenten nicht frei verantwortlich handeln 162 , so wird hier die krankhafte, seelische Entwicklung mit dem Verantwortungsausschluss identifiziert. 5 5 bb) Eine Garantenpflicht zur Verhinderung der Selbsttötung aus natürlicher Verbundenheit mit dem Opfer (Ehe, Verlobung, Freundschaft) entsteht auch dann nicht, wenn der Suizident die Situation nicht mehr beherrscht, weil er bereits ein Opfer seiner selbst geworden ist. 5 6 Ursprünglich hatte der BGH eine umfassende Garantenpflicht zur Abwendung des Selbstmordes bejaht. 163 Später tendierte die Rechtsprechung dahin, eine Garantenpflicht nur noch anzunehmen, wenn der Suizident bereits ein Opfer seiner selbst geworden war, z.B. hilflos in der Schlinge hing 164 oder nach Gifteinnahme das Bewusstsein verloren hatte. 5 7 Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Konstruktion finden sich jedoch schon in BGHSt 13 S. 162: Die Schwiegermutter des A mochte nicht mehr im Altersheim leben. A wollte sie nicht bei sich aufnehmen. Darauf erklärte die S, sie wolle aus dem Leben scheiden und in die Kerspe-Sperre gehen. A nahm dieses nicht ernst. Als sie aber an einem Teich vorbeikamen und S sagte, sie wolle hier ihr Leben beenden, erbot sich A, ihr einen besser geeigneten Teich zu zeigen. Dann führte A die S zum Kronenberger Hammerteich, und sie setzten sich in der Nähe nieder. Später ging S auf den Staudamm zu, setzte sich dort hin und ließ die Beine ins Wasser hängen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte A zum ersten Mal ernstlich, dass die S vorhatte, sich das Leben zu nehmen. Er ging hinter ihr her auf den Damm. Die S forderte ihn auf, sie hineinzustoßen. Ob sie das wirklich wollte, oder ob sie es nur sagte, um den A zum Widerspruch zu veranlassen und ihn zu bewegen, sie wieder zu Hause aufzunehmen, konnte nicht festgestellt werden. Der A kam dieser Aufforderung nicht nach, fühlte sich jedoch dadurch aufgefordert, ihre Selbsttötung mindestens nicht zu verhindern. Die S wiederholte die Aufforderung, sie hineinzustoßen, noch zweimal. Sie geriet dann ins Wasser. Wie das geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden. Sie starb durch Ertrinken. Außer dem A war niemand sonst zugegen. BGH: § 216 liegt nicht vor, weil A die Situation nicht beherrschen wollte. In Betracht kommt allein eine Haftung gemäß § 323 c; dazu weiter unter Rdn. 58 ff.
1986, S. 163 f, 211 f; ENGISCH Dreher-FS, S. 309; HIRSCH Welzel-FS, S. 792; JÄHNKE LK, 10. Aufl., V o r § 2 1 1 R d n . 24; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 15; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 1
Rdn. 24; RoxiN Dreher-FS, S. 349; SCH/SCH/ESER Vorbem. §§ 211 Rdn. 41; TRÖNDLE/FISCHER Vor § 211 Rdn. 12. - A.A. BGHSt 32 S. 378 f (3. Senat) - zurückhaltender aber der 2. Senat, NJW 1988 S. 1532; BRINGEWAT JuS 1975 S. 155 ff; DERS. ZStW 87 (1975) S. 637; GEILEN JZ 1974 S. 153 ff; HERZBERG J A 1985 S. 177 ff; KURZER M D R 1985 S. 7 1 2 f f ; SCHMIDHÄUSER W e l z e l - F S , S. 8 1 9 f f .
161 Dazu im einzelnen: HÄFNER Psychiatrie, Neurologie und Medizinische Psychologie 1989 S. 449 ff; vgl. auch: LUTTEROTTI ZfL 1996 S. 24; J.-E. MEYER MedR 1985 S. 210 ff. 162 JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 211 Rdn. 29; LANGER Aspekte, S. 118.
163 BGHSt 2 S. 150. 164 B G H J R 1961 S. 28 f m i t A n m . HEINITZ S. 2 9 f.
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cc) Die Garantenpflicht von Lebensschutzgaranten entfaltet hingegen ihre volle Wirksamkeit, wenn der Suizident nicht frei verantwortlich im Rechtssinne handelt, sei es, dass der Suizident nicht schuldfähig ist oder aber in einem Irrtum über die Situation befangen ist und der Garant dieses weiß.165 dd) Hat ein Dritter sich entschlossen, den Suizidenten zu retten, und leitet einen rettenden Kausalverlauf ein, so haftet er für Schäden, die sich aus seinem Verhalten ergeben. Er kann sich nicht nachträglich auf den Selbsttötungswillen des Betroffenen berufen. Auch ein Arzt, der die rettende Behandlung eines Suizidenten übernommen hat, ist nach Aufnahme der Behandlung in einer Garantenposition.166 ee) Gibt der Suizident zu erkennen, dass er an seinem Selbsttötungsplan nicht mehr festhält, vermag er selbst aber den eingeleiteten Kausalverlauf nicht mehr zu unterbrechen, so befindet er sich in einer lebensgefahrlichen Situation. - Hier gelten für die Haftung von Garanten die allgemeinen Grundsätze. Der Fall unterscheidet sich nicht von dem Fall, dass der Garant es nicht verhindert, dass sein Schützling Opfer eines Unfalles wird. - Stellt der Garant sich irrig eine derartige Situation vor, liegt ein Tötungsversuch vor. ff) Auch im Falle des Hungerstreiks gelten diese Grundsätze uneingeschränkt.167 Wer den Hungerstreik bewusst und im Rechtssinne verantwortlich als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele einsetzt, ist sich der eigenen Lebensgefahrdung bewusst. Insoweit unterscheidet sich seine Situation nicht von der des Suizidenten.168 Mit der Begründung einer konkreten Gefahr für das eigene Leben ist auch hier ein Unglücksfall i.S. des § 323 c gegeben. Zumutbare Hilfe in dieser Situation kann aber nur die Aufklärung sein, dass den Forderungen nicht nachgegeben wird. Gerät der Drohende allerdings in Vollzug seines Planes in eine Lage, in der er nicht mehr fähig ist, einen rechtsverbindlichen Willen zu äußern, so wandelt sich - situationsbedingt - die zumutbare Hilfeleistung. Entsprechend der zumutbaren Hilfeleistung bei einem Suizid kann hier auch eine Lebensrettung in Betracht kommen; dazu unter Rdn. 62 ff.
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e) Im Falle des sog. einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes - zwei Menschen wol- 62 len gemeinsam aus dem Leben gehen, einer von beiden stirbt bei dem Unternehmen, der andere wird gerettet - liegt gleichsam eine Selbsttötung in Mittäterschaft vor. Überlebt einer der beiden Selbstmordkandidaten, so haftet er nicht wegen einer Tötung des anderen. Die Rechtsprechung ist bisher nicht bereit, von der gemeinsamen Tatherrschaft der zur 63 Selbsttötung Entschlossenen auszugehen, sondern spaltet die gemeinsame Tatherrschaft auf. BGHSt 19 S. 135 ff: A und B wollten gemeinsam aus dem Leben gehen. Sie wollten sich vergiften, indem 6 4 sie die Auspuffgase des Kraftfahrzeugs, in dem sie saßen, in das Wageninnere leiteten. A betätigte das Gaspedal. B wurde zuerst ohnmächtig, dann A. Als A und B gefunden wurden, gelang es: 1. Alternative: das Leben von B noch zu retten. - BGH: keine Bestrafung der B, da B nicht die Tatherrschaft über das Geschehen im entscheidenden letzten Augenblick innehatte.
165 vgl. dazu BGH NStZ 1984 S. 73; OTTO/BRAMMSEN Jura 1985 S. 539 f. 166 Dazu vgl. BayObLG NJW 1973 S. 565; BRINGEWAT NJW 1973 S. 540 ff; GEILEN JZ 1973 S. 320 ff!
167 Zum Hungerstreik Inhaftierter vgl. §§ 101, 178 StVollzG sowie OLG Stuttgart NJW 1977 S. 1461; O L G K o b l e n z J R 1977 S. 4 7 1 m i t A n m . WAGNER S. 4 7 3 ; BAUMANN Z R P 1 9 7 8 S . 3 5 f.
168 Umfassend zum Gefangenensuizid: HERZBERG ZStW 91 (1979) S. 557 ff; MICHALE Recht und Pflicht zur Zwangsernährung bei Nahrungsverweigerung in Justizvollzugsanstalten, 1983; OSTENDORF Das Recht zum Hungerstreik, 1983; TRÖNDLE Kleinknecht-FS, S. 411 ff.
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2. Alternative: das Leben von A noch zu retten. - BGH: Da A im entscheidenden letzten Augenblick die Tatherrschaft innehatte, haftet er nach § 216.
65 Durch die Aufspaltung der gemeinschaftlich verwirklichten Selbsttötung in eine Tötung auf Verlangen und eine anschließende Selbsttötung werden tatsächliche Zufälligkeiten wer betätigt das Gaspedal, wo werden die Auspuffgase in das Fahrzeuginnere geleitet entscheidend für die rechtliche Wertung. Das ist sachwidrig. Hier liegt ein Fall mittäterschaftlicher Verwirklichung des Todes zweier Personen vor. Beide Partner verwirklichen gemeinsam ihre Selbsttötung. Diesen Erfolg streben sie arbeitsteilig an, so dass sie Mitträger der Tatherrschaft über das Geschehen bleiben.169
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2. Der Suizid als Unglücksfall i.S. des § 323 c Unabhängig von der Problematik des § 216 ist die Frage, ob der Suizid als „Unglücksfall" i.S. des § 323 c anzusehen ist. a) Wer den Unglücksfall als plötzliches, äußeres Ereignis, das erheblichen Schaden an Leib und Leben eines anderen zu bringen droht, interpretiert, kommt zu dem Ergebnis, dass der Suizid einer freiverantwortlich handelnden Person keinen Unglücksfall darstellt. Er ist kein plötzlich eintretendes äußeres Ereignis.170 b) Wird hingegen der Unglücksfall als eine Notsituation definiert, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, wenn er nicht schweren Schaden an Leib oder Leben nehmen will, so ist auch der Suizid Unglücksfall. Für die Sachgerechtigkeit dieser Definition spricht, dass die Beschränkung auf ein plötzliches, äußeres Ereignis willkürlich erscheint, da ein Verschulden des Täters am Eintritt dieses Ereignisses nach einhelliger Ansicht irrelevant ist. Nicht an Äußerlichkeit oder Innerlichkeit eines Ereignisses kann die Solidaritätspflicht anknüpfen, sondern an die Ausweglosigkeit der Situation für den Betroffenen. Und zwar ist die Unglückssituation in dem Moment gegeben, in dem der Betroffene Handlungen ins Werk setzt, die im ununterbrochenen Fortgang zur Selbsttötung führen sollen.171 c) Problematisch jedoch ist die Zumutbarkeit der Hilfeleistung im Falle des Suizids. Zumutbar ist eine Hilfeleistung nämlich zum einen dann, wenn mit ihr ohne erhebliche Gefährdung eigener Rechtsgüter die Suizidgefahr beseitigt wird. Zum anderen ist aber auch der Suizident als Person zu achten. Unzumutbar sind daher langandauernde Freiheitsentziehung oder eine über längere Zeit sich erstreckende oder mehrmals wiederholte „Zwangsernährung" eines die Nahrungsaufnahme verweigernden Suizidenten, iiier handelt es sich bereits um nicht mehr akzeptable Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts und der körperlichen Integrität des Betroffenen, die daher über der Zumutbarkeitsgrenze liegen. 172 169 V g l . BOCKELMANN B . T . / 2 , § 4 H 3; FRIEBE G A 1 9 5 9 S. 168 f; OTTO T r ö n d l e - F S , S. 164 f f ; ROXIN
Täterschaft, S. 570; SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 578 ff. 1™ So im Ergebnis: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 313 ff; BRAMMSEN Entstehungsvorauss e t z u n g e n , S. 164; BRÄNDEL Z R P 1985 S. 9 2 ; RUDOLPHI S K n , § 3 2 3 c R d n . 8; SCH/SCH/STERNBERGLIEBEN § 3 2 3 c R d n . 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 c R d n . 3 a.
171 So im Ergebnis: BGHSt 6 S. 149; 13 S. 169; OLG München NJW 1987 S. 2940; DÖLLING NJW 1986 S. 1013; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , V o r § 2 1 1 R d n . 2 4 ; OTTO G u t a c h t e n , D 7 6 f f ; SCHMIDHÄUSER B . T . ,
16/5. - Erst bei beendetem Suizidversuch bejahen einen Unglücksfall z.B.: GEILEN Jura 1989 S. 208; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 2.
172 Dazu eingehender OTTO Gutachten, D 80 ff M.W.N.; RENGIER B.T. II, § 8 Rdn. 20.
44
Kindestötung
§7
d) Befindet sich der Suizident in einer Situation irreparabler schwerer körperlicher Schä- 71 den, die die psychische Grundstruktur des Betroffenen so schwer beeinträchtigen, dass seine Personalität auf Dauer in erheblichem Maße reduziert ist, so begrenzt dieses die Hilfspflicht. Hilfe kann nicht die Belastung mit einem Weiterleben sein, das durch schwere körperliche Leiden geprägt oder dem die Möglichkeit personaler Äußerungen genommen ist. In dieser Situation liegt kein Unglücksfall im Sinne des § 323 c vor.173
IV. Zur Teilnahmeproblematik 1. Beihilfe und Anstiftung durch Dritte Strafbare Anstiftung durch einen Dritten ist durch die Tatsituation des § 216 ausge- 72 schlössen, denn auch wenn ein Dritter das Verlangen dem späteren Täter übermittelt, setzt § 2 1 6 voraus, dass der Täter durch das Verlangen, nicht aber die Tätigkeit des Dritten zur Tat bestimmt wird.174 Beihilfe zur Tat ist möglich. Die Strafe des Gehilfen richtet sich nach § 216, sofern die- 73 ser die Voraussetzungen dieses Tatbestandes beim Haupttäter kennt oder irrig annimmt. Bei fehlender Kenntnis haftet er aus § 212. § 28 findet keine Anwendung, da das Verlangen das Unrecht der Tat mindert, nicht aber eine Sonderpflichtposition des Täters begründet. " 5 2. Teilnahme des Opfers Eine Teilnahme - Anstiftung oder Beihilfe - desjenigen, der die Tötung verlangt, an der 74 Tötung ist konstruktiv durchaus möglich, wenn auch nur in der Versuchssituation relevant. Sie bleibt aber straflos. Die Schuldsituation, die eine Strafbarkeit des versuchten Selbstmordes als sinnwidrig erscheinen lässt, ist dieselbe, gleichgültig, ob der Täter den Selbstmord als Täter begeht oder an der eigenen Tötung teilnimmt. Diese Erwägung verbirgt sich hinter dem üblichen Hinweis, die Teilnahme bleibe als notwendige Teilnahme straflos.1™
§ 7 Kindestötung § 2 1 7 a.F. trug der außergewöhnlichen psychischen Situation bei der Geburt Rechnung 1 und privilegierte die nichteheliche Mutter daher aus Schuldgesichtspunkten. Er wurde durch das 6. StrRG aufgehoben, da der Gesetzgeber ihn nicht mehr für zeitgemäß hielt und davon ausging, dass der psychischen Ausnahmesituation der Mutter, die ihr eheliches oder nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, durch Anwendung des § 213 Rechnung getragen werden könne.177
173 Dazu eingehend OTTO Gutachten, D 82 f. 174
A . A . JÄHNKE L K , 1 0 . A u f l . , § 2 1 6 R d n . 1 0 ; S C H / S C H / E S E R § 2 1 6 R d n . 1 8 .
175 Vgl. dazu § 6 Rdn. 14. 176 Dazu DREHER MDR 1964 S. 337; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 216 Rdn. 10; OTTO Lange-FS, S. 212 f; RoXIN L K , V o r § 2 6 R d n . 3 3 ; W O L T E R JUS 1 9 8 2 S . 3 4 3 ff.
177 Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 34. - Dazu TRÖNDLE/FISCHER § 213 Rdn. 16.
45
§8
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Hinzeinen
§ 8 Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte 1 Problemstellung: Wird die Akzessorietät der Teilnahme gemäß § 28 im Bereich der Tötungsdelikte durchbrochen? Fall 1: A leistet Beihilfe zu einem Mord, den B aus Habgier begeht. Das weiß A, er selbst handelt aber nicht aus Habgier. - Ist A gemäß §§ 211,27 oder §§ 212,27 zu bestrafen? Fall 2: A leistet aus Habgier Beihilfe bei der Tötung des X durch B. B handelt nicht habgierig. - Ist A gemäß §§211,27 oder §§ 212,27 zu bestrafen?
I. Prämissen der Entscheidung 2 Die jeweilige Stellungnahme wird durch zahlreiche Prämissen innerhalb der Interpretation des § 28 und der §§211 ff bedingt. Diese müssen klar erkannt werden, soll die Ubersicht nicht verloren gehen. - Im wesentlichen lässt sich differenzieren: 1. Persönliche Merkmale i.S. des § 28 als Sonderpflichtmerkmale 3 Werden als besondere persönliche Merkmale nur Sonderpflichtmerkmale anerkannt178 und § 211 als Qualifizierung des § 212 begriffen, so kann § 28 im Rahmen der Tötungsdelikte keine Bedeutung erlangen. Möglich ist es allerdings, eine Ausnahme bei der Heimtücke zu machen. Das besondere Vertrauensverhältnis kann als besonderes Pflichtverhältnis und damit als besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2 interpretiert werden.179 2. Mordqualifikationen als Schuldelemente 4 Werden die Mordqualifikationen als Schuldelemente und §211 als Qualifizierung des § 212 angesehen, so braucht man sich nach einer Auffassung mit § 28 überhaupt nicht zu befassen, sondern lässt jeden Beteiligten „ohne Rücksicht auf die Schuld der anderen nach seiner Schuld" haften gemäß § 29. Hintergrund dieser Ansicht ist die Auffassung, dass alle Schuldmerkmale nur von § 29, nicht aber zugleich von § 28 Abs. 1, 2 erfasst werden.180 5 Nach Auffassung anderer sind die im Besonderen Teil vertatbestandlichten Schuldmerkmale (sog. spezielle Schuldmerkmale) unter § 28 Abs. 2 zu erfassen, nicht aber die im Allgemeinen Teil erfassten Schuldsituationen, z.B. §§ 17, 19, 20, 33, 35.181 - Soweit nach dieser Auffassung die Mordqualifikationen der 1. und 3. Gruppe als Schuldmerkmale interpretiert werden, ist danach § 28 Abs. 2 anzuwenden, jedoch stimmen die Ergebnisse mit der unter Rdn. 3 dargelegten Ansicht überein. 3. Tat- und täterbezogene Merkmale 6 Die h.M. identifiziert die besonderen persönlichen Merkmale i.S. des § 28 mit sog. täterbezogenen Merkmalen. Die Mordqualifikationen der 1. und 3. Gruppe sind in diesem 1 7 8 D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 R d n . 18 f .
179 Vgl. LANGER Lange-FS, S. 262 Fn. 135. 180 Dazu JESCHECK/WEIGEND A.T., 5. Aufl. 1996, § 61 VII 4 c; LANGER Das Sonderverbrechen, 1972, S. 4 7 2 f; SCHMIDHÄUSER A . T . , 2 . A u f l . 1 9 7 5 , 1 4 / 8 9 , 9 6 ; WESSELS/BEULKE A . T . , 3 0 . A u f l . 2 0 0 0 , R d n . 423.
181 Dazu im einzelnen: HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 72 Fn. 12; KÜHL A.T., 3. Aufl. 1997, § 20 Rdn. 154; KÜPER Z S t W 1 0 4 ( 1 9 9 2 ) S. 5 7 7 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 8 Rdn. 1 f f ; R Ö H N L K , § 2 8 R d n . 5 2 .
46
Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte
§8
Denkschema subjektive, täterbezogene Merkmale, so dass auf sie § 28 Anwendung findet, während die Merkmale der 2. Gruppe (heimtückisch, grausam, gemeingefährliche Mittel) als sog. tatbezogene Merkmale nicht unter § 28 fallen sollen, i«2 4. Die Ansicht des BGH Die Rechtsprechung folgt grundsätzlich der Interpretation der Mordmerkmale der 1. und 3. 7 Gruppe als täterbezogene und damit als besondere persönliche Merkmale i.S. des § 28. Solange sie jedoch § 211 als einen Sondertatbestand innerhalb der Tötungsdelikte ansah, der die Anwendung der § § 2 1 2 , 213 ausschließt, konnte sie gegebenenfalls aber nur § 28 Abs. 1 anwenden 183 ; zur Brüchigkeit dieser Prämissen vgl. § 2 Rdn. 17.
II. Zur Einübung Fall 1: A erschießt den B, um ihm sein Bargeld abzunehmen und sich damit nette Stunden mit der Gunst- 8 gewerblerin G zu machen. Die Pistole hat er von C, der weiß, was A vorhat, selbst aber keine materiellen Vorteile aus der Tat zieht. 1. Strafbarkeit des A: § 211 (Habgier). 2. Strafiarkeit des C: a) 1. Meinung (§ 28 nur Sonderpflichtmerkmale): §§211, 27 (Anwendung der §§ 28, 29 kommt nicht in Betracht). b) 2. Meinung (Mordqualifikationen: Schuldelemente, die in § 29 erfasst sind): Haupttat: § 211, zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet, § 27. Da aber das Schuldelement der Habgier bei C fehlt, kann gemäß § 29 seine Strafe nur aus dem Grundtatbestand in Verbindung mit § 27 entnommen werden. Ergebnis: §§ 211, 27, 29 -> 212, 27. c) 3. Meinung (h.L. sowie Auffassung, dass spezielle Schuldelemente in § 28 Abs. 2 erfasst sind): Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende täterbezogene persönliche Merkmal der Habgier fehlt, kommt § 28 Abs. 2 zur Anwendung, so dass C gemäß §§ 212,27 bestraft wird. Ergebnis: §§ 211,27, 28 Abs. 2 212, 27. d) 4. Meinung (§211 = Sondertatbestand): Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende, täterbezogene, persönliche Merkmal der Habgier fehlt, findet § 28 Abs. 1 Anwendung (Strafmilderung). Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 1,49 Abs. 1. Fall 2: A erschlägt den B im Zorn, nachdem dieser ihn schwer beleidigt hat. Als A schon „vor Wut kochte" 9 und nach einem Messer schrie, um den B „kaltzumachen", hat C, der den B beerben will, dem A ein Messer gereicht. 1. Strafbarkeit des A: § 213, 1. Alt. 2. Strafbarkeit des C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 213, 27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 213, 27, 29 -> 212, 27, 29
211, 27.
1 8 2 S o i m G r u n d s a t z : ARZT/WEBER B . T „ § 2 R d n . 29; JÄHNKE L K , 10. A u f l . , § 2 1 1 R d n . 6 4 , 6 7 ; KREY B . T . 1, R d n . 2 0 f; LACKNER/KÜHL § 2 1 1 R d n . 16; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 2 R d n .
51; RENGIER B.T. II, § 4 Rdn. 7. - Für eine Interpretation auch der 3. Gruppe als tatbezogene Merkmale: DREHER J R 1 9 7 0 S. 146 f f .
183 Dazu BGHSt 22 S. 375; 24 S. 106; BGH StV 1984 S. 69. 47
§9
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): §§ 213, 27, 28 Abs. 2 analog -> 212, 27, 28 Abs. 2 analog 211, 27. - § 28 wird hier von der h.L. nur analog angewandt, da sie § 213 als Strafzumessungsregel interpretiert. d) 4. Meinung (§ 211 = Sondertatbestand): §§ 213,27, 28 Abs. 2 analog -» 212,27. 10 Fall 3: Der A wollte mit der B ein Liebesverhältnis beginnen. Als diese ihn abwies, wollte er sie auch keinem anderen gönnen und erschoss sie. Die Pistole hatte er von C, der sich von B DM 100,- geliehen hatte und hier eine Möglichkeit sah, die Gläubigerin loszuwerden. 1. Straßarkeit des A: § 211 (niedriger Beweggrund). 2. Straßarkeit des C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§211,27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 211 (niedriger Beweggrund), 27, 29 -> 212, 27, da Habgier gegeben, wiederum § 29 -> 211,27. c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): §§ 211 (niedriger Beweggrund), 27, 28 Abs. 2 212,27,28 Abs. 2 (Habgier) ->211,27. d) 4. Meinung (§ 211 = Sondertatbestand): Bei strengem Durchhalten der Prämissen müsste der BGH zum Ergebnis kommen: §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1, da bei C nicht derselbe niedrige Beweggrund wie bei A vorliegt, ein Austausch verschiedener niedriger Beweggründe aber jeweils zu einem anderen Tatbild führt. Der BGH lässt jedoch innerhalb der Gruppe der niedrigen Beweggründe einen Austausch der einzelnen Merkmale zu, obwohl jedes Merkmal der Tat ihren persönlichen, eigenständigen, täterbezogenen Charakter geben soll, und kommt somit zur Ablehnung des § 28 Abs. 1, weil zwar nicht dasselbe, wohl aber ein besonderes persönliches Merkmal auch bei C vorliegt.184 Ergebnis: §§211, 27. 11 Fall 4: Als die 62jährige Witwe A eine Wiederverheiratung mit dem 29jährigen Spanier S ins Auge fasste, widersprach ihre 40jährige Tochter T heftig. A lud die Tochter daher zu einer Aussprache zu sich ein. Während des Gesprächs reichte A der T einen Schnaps, der mit Arsen vermischt war. T starb. - Das Gift hatte A von C, die genau wusste, was A mit dem Gift vorhatte. 1. Straßarkeit der A: § 211 (Heimtücke). 2. Straßarkeit der C: a) /. Meinung (Sonderpflicht): §§ 211,27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 211,27,29 -> 212, 27. c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): Da Heimtücke ein tatbezogenes Merkmal ist, kommt § 28 nicht zur Anwendung. Ergebnis: §§ 211,27. d) 4. Meinung (§ 211 = Sondertatbestand): §§ 211,27.
§ 9 Fahrlässige Tötung 1. Der Aufbau des Delikts
1 Die fahrlässige Tötung unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung nicht in der objektiven Zurechnung des Erfolges zur Person des Täters, sondern allein im subjektiven
!84 Vgl. BGHSt 23 S. 39 f, sowie ARZT JZ 1973 S. 681 ff. - Nach neuerer Rechtsprechung des BGH genügt es, dass die niedrigen Beweggründe in der Person des Gehilfen vorliegen. Das ist mit der Interpretation des § 211 als Sondertatbestand nicht zu vereinen, vgl. BGH NStZ 1996 S. 384 mit Anm. OTTO JK 97, StGB §211/30. 48
Fahrlässige Tötung
§9
Bereich. Der sorgfältige Aufbau des Delikts führt auch hier an die relevanten Probleme heran. 185 OLG Hamm NJW 1973 S. 1422: Kraftfahrer A verursachte im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit 2 mit seinem Kfz einen Verkehrsunfall, bei dem B schwere Bruchverletzungen davontrug. In der Klinik, in die B gebracht wurde, erhielt er im Zuge der Behandlung mehrfach gruppengleiches Blut zugeführt. Nach einigen Tagen starb B an einer sog. Serumhepatitis, die auf unreines Blut zurückzuführen war, das von hepatitiskranken Spendern stammte. Zum Zeitpunkt der Behandlung war es unmöglich, die Unreinheit der Blutkonserven zu erkennen, da ein exakter Nachweis des verantwortlichen Erregers noch nicht durchführbar war. Strafbarkeit des A a) Die in § 222 beschriebene Rechtsgutsbeeinträchtigung ist eingetreten: B ist tot. b) Das dem A vorgeworfene Verhalten war seiner Willenssteuerung zugänglich. c) Durch sein Fahren in fahruntüchtigem Zustand hat A eine Gefahr auch flir das Leben des B begründet. d) Die von A begründete Gefahr realisierte sich im Tode des B, denn die behandelnden Ärzte erhöhten oder veränderten diese Gefahr nicht pflichtwidrig, sondern bemühten sich situationsbedingt um die Verminderung der von A begründeten Gefahr. Der gefahrliche Einsatz des Blutes war dafür nötig und unter Abwägung des Risikos auch sachgemäß. Diese Gefahr war damit aber als „Rettungsgefahr" bereits in der Verletzungsgefahr angelegt. e) A hatte bei seinen Fähigkeiten die Möglichkeit, den Sachverhalt zu erkennen. Er war in der Lage vorauszusehen, dass es aufgrund seiner Fahruntüchtigkeit auch zu einem tödlichen Unfall kommen könnte. Voraussehbar war auch, dass entstehende Unfallverletzungen nur noch mit selbst lebensgefährdenden Behandlungsmethoden behandelt werden können und dabei der Tod des Opfers eintritt. f) Feststellungen zur Pflichtbegrenzung: A hat die ihm obliegende Sorgfaltspflicht im Hinblick auf den eingetretenen Todeserfolg verletzt, denn er hat mit der Trunkenheitsfahrt eine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer begründet. g) A hatte die Möglichkeit, sich der Sozialschädlichkeit seines Verhaltens bewusst zu werden. h) Schuld: Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die an der Schuld des A zweifeln ließen. Ergebnis: A strafbar gem. § 222. 2. Der Zusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg Auch bei der Zurechnung eines fahrlässig begründeten Erfolges geht es um die zentrale 3 Frage, wann ein bestimmter Erfolg dem Täter als sein Werk zuzurechnen ist. Diese Frage ist nicht durch isolierte Bejahung der Erfolgs Verursachung und der Sorgfaltspflichtverletzung zu beantworten, denn Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg stehen auch hier in einem funktionalen Zusammenhang. Dieser ist unter drei Aspekten besonders sorgfaltiger Prüfung bedürftig. a) Nicht jedes pflichtwidrige Verhalten ist für die Zurechnung des Erfolges relevant. Maß- 4 geblich ist, ob der Täter durch sein pflichtwidriges Verhalten eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus begründet oder erhöht hat. Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens allein ist nämlich dann unerheblich, wenn nachgewiesen werden kann, dass das pflichtwidrige Verhalten zwar eine abstrakte Gefahr für ein bestimmtes Rechtsgut begründet hat, jedoch keine über das erlaubte Maß hinausgehende konkrete Gefahr für das geschützte Rechtsgut begründet oder erhöht hat, weil die Rechtsgutsverletzung auch bei rechtmäßigem Verhalten des Täters eingetreten wäre. Zur Einübung und Vertiefung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 10 Rdn. 17 ff.
185 Hinweis: Zum Aufbau des fahrlässigen Erfolgsdelikts durch Unterlassen sowie zu anderen Aufbauweisen des fahrlässigen Erfolgsdelikts, vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 10. 49
§9
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
5 OLG Karlsruhe GA 1970 S. 313: A fuhr innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h. Er überfuhr dabei ein 4 Jahre altes Kind. Der tödliche Unfall hätte sich in gleicher Weise zugetragen, wenn A die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hätte. Ergebnis: A haftet nicht wegen fahrlässiger Tötung, da er durch sein Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit die Gefahr für das Leben des Kindes nicht Uber das erlaubte Maß erhöht hat. Abwandlung: Ist nicht feststellbar, ob die Gefahr bei ordnungsgemäßem Verhalten des A geringer gewesen wäre, so fehlt es an dem Nachweis, dass A durch pflichtwidriges Verhalten die Gefahr für das Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus erhöht hat. Hingegen: Beruft A sich darauf, dass der mit überhöhter Geschwindigkeit entgegenkommende Kraftfahrer X das Kind erfasst hätte, wenn er es nicht überfahren hätte, so ist diese Einlassung IITELEVANT, denn die mögliche rechtswidrige Erfolgsherbeiführung durch Dritte entlastet den Täter nicht.
6 b) Da es nicht auf bloße Kausalität für den Erfolg ankommt, sondern auf die Zurechnung der Verantwortung für den Erfolg, ist genau zu prüfen, ob die Rechtsgutsverletzung ihren Grund in einem Verhalten des Täters, eines Dritten oder des Opfers hat (Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs). 7 aa) BayObLG JZ 1982 S. 731: X verlieh an Y, der die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß, ein Kraftfahrzeug, das nicht verkehrssicher war. Aufgrund der Mängel des Fahrzeuges und der fehlenden Fahrtüchtigkeit des Y kam es zu einem Unfall. Trotz auffalliger Warnzeichen und eindeutig unübersichtlicher Verkehrssituation fuhr A mit weit überhöhter Geschwindigkeit an die Unfallstelle heran und erfasste den Z mit dem Kraftfahrzeug. Z hatte nach dem ersten Unfall helfen wollen. Er wurde getötet. BayObLG: Der zweite Unfall war für X und Y nicht vorhersehbar. Kritik: Dass es an Unfallstellen im Straßenverkehr durch grob verkehrswidriges Verhalten Dritter zu weiteren Unfällen kommt, ist leider eine bekannte Tatsache und daher auch objektiv voraussehbar. Gleichwohl ist das Urteil des BayObLG im Ergebnis zutreffend. Die Gefahr, die sich im Tode des Z realisierte, wurde nicht von X und Y begründet, sondern von A, als dieser trotz Kenntnis der unübersichtlichen Verkehrslage seine Geschwindigkeit nicht auf das erforderliche Maß herabminderte. - Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn A aufgrund der Sachverhaltsgegebenheiten die Gefahrenstelle nicht rechtzeitig hätte wahrnehmen können. 8 bb) BGHSt 32 S. 262: A verschaffte dem H die erforderliche Spritze für den Heroinkonsum. H injizierte sich ein Heroingemisch, das er sich zuvor besorgt hatte. Anschließend wurde er bewusstlos und starb. A, der auch Heroin genommen hatte, überlebte. Ergebnis: H hat frei verantwortlich und in voller Kenntnis der Gefahr das Risiko für sein Leben begründet. A schuf lediglich eine Voraussetzung für diese Selbstgefährdung des H. Damit aber realisierte sich im Tode des H die von ihm selbst begründete Gefahr.186 9 cc) Wie bb), aber als H bewusstlos war, erkannte A die Notsituation, unternahm aber nichts zur Rettung. Ergebnis: A haftet nach § 323 c. - Der BGH kommt in entsprechenden Fällen zur Annahme eines Unterlassens des A nach vorangegangenem gefährlichen Tun. 187 Da das die Todesgefahr begründende Tun aber ein eigenverantwortliches Tun des H war, kann es keine Haftung des A begründen.188 10 dd) BayObLG JZ 1997 S. 521 mit Anm. OTTO S. 522 f. Der Arzt Dr. A stellte dem codeinabhängigen B ein Rezept über 500 ml 2,5%ige DHC-Lösung aus. Er klärte ihn darüber auf, dass er alle 8 Stunden nur 10 ml nehmen und keine anderen Medikamente einnehmen dürfe, weil dieses lebensgefährlich sei. Gleichwohl trank B ein paar Tage später 150 ml. Er starb.
186 im einzelnen zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch das Tatopfer: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 6 R d n . 5 9 f f .
187 Vgl. BGH NStZ 1984 S. 452. 188 ZUR Auseinandersetzung: BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 3 0 6 f; GEPPERT J K , S t G B § 2 2 2 / 2 ; HERZBERG J A 1985 S. 271, F n . 102; OTTO GRUNDKURS STRAF-
RECHT, A.T., § 9 Rdn. 82, Fall 6.
50
Aussetzung
§10
BayObLG: Soweit B eigenverantwortlich und in Kenntnis des Risikos handelte, verwirklichte sich in seinem Tode eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefahrdung. ee) BGHSt 39 S. 322; A hatte ein Wohnhaus in Brand gesetzt, in dem sich X und Y aufhielten. Um diese zu 1 1 retten, stürzte sich M in das Haus. Er starb an einer Monoxydvergiftung. BGH: Der Tod des M ist dem A zuzurechnen: „Ebenso wie dem Täter bei Gelingen der Rettungshandlung die Erfolgsabwendung zugute kommt, hat er im Falle des Misserfolgs dafür einzustehen." Kritik: Diese Ausführungen werden der Problematik des Falles nicht gerecht. Es geht hier um die Grenzen eigenverantwortlicher Selbstgefahrdung. Sieht man in der Handlungssituation entsprechend dem in § 35 erfassten Sachverhalt die Schuld des M und damit seine Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung als ausgeschlossen an, so ist auch der Tod des M dem A zuzurechnen, sonst hingegen nicht. 189
c) Schließlich ist zu beachten, ob der Schutzzweck der durch den Täter verletzten Norm 12 gerade auch auf die Vermeidung des vom Täter bewirkten Erfolges zielte. OLG Hamm MDR 1980 S. 1036: An einem mit eingeschaltetem Warnblinklicht haltenden Schulbus fuhr A mit SO km/h vorbei. Er verletzte den erwachsenen B, der in Höhe des Schulbusses trotz des herannahenden Fahrzeuges des A noch versuchte, die Fahrbahn zu überqueren. OLG: § 20 Abs. 1 a StVO, der eine vorsichtige Fahrweise beim Vorbeifahren an Schulbussen vorschreibt, dient ausschließlich der Sicherheit von Schulkindern im Straßenverkehr. Der von A bewirkte Erfolg - Verletzung des B - liegt daher außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm. Auf die Verletzung des § 20 Abs. 1 a StVO kann eine Verurteilung des A in diesem Falle daher nicht gegründet werden.
§ 10 Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes 1. Das geschützte Rechtsgut Der durch das 6. StrRG neugefasste § 221 beschreibt in beiden Tatmodalitäten ein konkre- 1 tes Gefährdungsdelikt, und zwar wird neben der Lebensgefahr auch die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung erfasst. Geschützte Rechtsgüter sind daher das Leben und die körperliche Unversehrtheit. 2. Einzelheiten des Tatbestandes Der Tatbestand enthält zwei Alternativen: a) Das Versetzen eines Menschen in eine hilflose Lage. Versetzen eines anderen in eine hilflose Lage setzt nicht notwendig eine Ortsveränderung 2 voraus. Es genügt vielmehr das Herbeiführen der hilflosen Lage, z.B. durch Verabreichen großer Mengen Alkohol bei kalter Witterung im Freien.190 - In hilfloser Lage ist das Opfer, wenn es ihm nicht möglich ist, sich aus eigener Kraft vor Gefahren für Leben oder körperliche Integrität zu schützen. - Der Gefahr ausgesetzt ist das Opfer, wenn durch das Versetzen in die hilflose Lage seine physische Situation verschlechtert wird, d.h. eine konkrete Gefahr für sein Leben oder einer schweren Gesundheitsschädigung entweder herbeigeführt oder intensiviert wird,191 wobei es genügt, dass dem Opfer Rettungschancen entzogen
189 Vgl. dazu m.N.: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 6 Rdn. 66, Fall 11. 1 9 0 V g l . auch HÖRNLE Jura 1 9 9 8 S . 1 7 7 ; JÄGER J u S 2 0 0 0 S . 3 2 ; JOECKS S t G B , § 2 2 1 Rdn. 6 ; KÜPER B . T . , S . 3 5 ; DERS. Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S . 4 0 f f ; RENGIER B . T . II, § 1 0 Rdn. 4 ; SCHROTH N J W 1 9 9 8 S . 2 8 6 3 . -
Zweifelnd: KREYB. T. 1, Rdn. 134.
191
V g l . dazu HALL S c h w Z S t r 4 6 ( 1 9 3 2 ) S . 3 3 0 ; JÄGER JUS 2 0 0 0 S . 3 3 ; KÜPER Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S . 4 7 ff.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
werden.1»2 - Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bedeutet die konkrete Gefahr eines langwierigen, qualvollen oder die Leistungsfähigkeit schwer beeinträchtigenden physischen oder psychischen Krankheitszustandes.193 b) Das Imstichlassen eines Menschen in hilfloser Lage, wenn er in der Obhut des Täters steht oder er ihm sonst beizustehen verpflichtet ist. 3 Imstichlassen setzt keine räumliche Trennung voraus, vielmehr genügt es, dass der Beistandspflichtige die gebotene und ihm nach den Umständen mögliche und zumutbare Hilfeleistung unterlässt und dadurch die bestehende Gefahr nicht beseitigt oder verringert.194 Auch eine nicht rechtzeitige Rückkehr zum gefährdeten Schützling ist ein Imstichlassen. Obhuts- und Beistandspflichten werden durch Garantenpositionen begründet.195 3. Qualifikationen und Erfolgsqualifikationen, Abs. 2, 3 4 Abs. 2 enthält in Nr. 1 einen Qualifikationstatbestand. Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 erfassen erfolgsqualifizierte Tatbestände. Qualifikationsmerkmale sind: 5 a) Abs. 2 Nr. 1: Der Täter begeht die Tat gegen sein Kind oder eine Person, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist. - Zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind dem Täter Personen, zu denen er in einem tatsächlichen Überordnungsverhältnis steht und für deren Persönlichkeitsbildung er Mitverantwortung trägt. Erziehung ist die Leitung und Überwachung der Lebensführung zur körperlichen und seelischen Entwicklung. Der Begriff der Betreuung in der Lebensführung geht darüber hinaus. Er kennzeichnet ein Verhältnis, in dessen Rahmen der Täter wenigstens Mitverantwortung für das geistige oder sittliche Wohl des Anvertrauten trägt und eine entsprechende Einwirkungsmöglichkeit hat. - Anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn zwischen beiden besondere Beziehungen bestehen, die zu einer gewissen Abhängigkeit der anvertrauten Person führen. 196 6 b) Abs. 2 Nr. 2: Der Täter verursacht fahrlässig, § 18, durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung - dazu vgl. Rdn. 2 - des Opfers.
II. Besondere Probleme des Tatbestandes 1. Die „an sich rechtmäßige" Aussetzungshandlung 7 Versetzt jemand einen anderen aus einer sicheren in eine lebensgefährliche Lage, so wird der Unrechtsgehalt des Verhaltens durch den Eingriff in den geschützten Rechtsbereich des Betroffenen geprägt. Problematisch ist es jedoch, ob der Unrechtsgehalt der gleiche ist, wenn der Täter durch sein Verhalten einem rechtswidrigen Eingriff des nunmehr Betroffe192 Vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/9064, S. 14; OLG Zweibrücken NStZ 1997 S. 601, 602 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 221/5. 193 Vgl. dazu BT-Drucks. VI/3434, S. 13; BT-Drucks. 13/8587, S. 28; JÄGER JuS 2000 S. 33; KÜPER ZStW 111 (1999) S. 37 f; LACKNER/KÜHL § 218 Rdn. 20. 194 Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 34; LG Zweibrücken VRS 98 (2000) S. 284 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 13/30; KÜPER B.T., S. 196,198 f. 195 Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 14; BGHSt 26 S. 37; BGH NJW 1993 S. 2628. 196 Zur Auslegung im einzelnen können die zu § 174 Abs. 1 Nr. 1 entwickelten Grundsätze herangezogen werden, BT-Drucks. 13/9064, S. 15; vgl. daher BGHSt 41 S. 139; 33 S. 340, 344 mit Anm. JAKOBS NStZ 1986 S. 216 f, GÖSSEL JR 1986 S. 516 f; BGH NStZ 1989 S. 21.
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Aussetzung nen begegnet, wenn also der Betroffene bei der Abwehr eines rechtswidrig von ihm ausgehenden Rechtsgütereingriffs in die Gefahr gerät. - Soweit die Voraussetzungen des § 32 vorliegen, handelt der Täter nicht rechtswidrig und die Notwehrhandlung begründet auch keine Garantenstellung aus Ingerenz.197 Aber auch dann, wenn § 32 nicht eingreift, weil der Täter über die erforderliche Abwehr hinausgeht, stellt sich die Frage, ob er durch die Abwehr rechtswidrigen Verhaltens in die Schutzposition des § 221 gezwungen werden kann oder ob hier nur die allgemeine Beistandspflicht gemäß § 323 c ausgelöst wird. KG JR 1973 S. 72 mit Anm. SCHRÖDER S. 73 ff: Der Gastwirt G setzte den volltrunkenen Gast K, dem er 8 wegen Zechprellerei einen Denkzettel geben wollte, in teilweise entkleidetem Zustand auf die Straße und überließ ihn dort seinem Schicksal. KG: K war infolge einer durch Alkoholgenuss bedingten hochgradigen Bewusstseinsstörung hilflos. In dem Verbringen des hilflosen K aus seiner bisherigen verhältnismäßig gesicherten Lage in dem Lokal in eine ihn gefährdende Lage auf der Straße liegt ein Aussetzen des K durch G. SCHRÖDER erkennt durchaus die Problematik, die darin liegt, dass G nicht verpflichtet war, den K in seinen Räumen zu dulden, er ihn „an sich" in Ausübung seines Hausrechts vor die Tür setzen durfte. Er stellt die Frage, „ob man mit der Konsequenz des § 221 StGB eine illegale Situation beseitigen darf', kommt dann aber zu dem Ergebnis, dass die Rechtsausübung durch G angesichts der möglichen Folgen einen Rechtsmissbrauch darstellt. Diese Konstruktion wird der Problematik nicht gerecht. - Als G den K hinaussetzte, verletzte er keine Obhutspflicht dem K gegenüber, sondern übte sein Hausrecht aus. Er überschritt jedoch das Maß erforderlicher Abwehr. Gleichwohl erscheint es fragwürdig, ob dieses Verhalten Schutzpflichten zu Gunsten des K begründete, da es letztlich durch die Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs motiviert war. Da K allerdings in eine Unglückssituation i.S. des § 323 c geriet, war G, wollte er eine Haftung aus § 323 c vermeiden, wie jeder Dritte verpflichtet, dem K aus dieser Situation zu helfen. Indem er dieser Pflicht nicht sogleich nachkam und für die Sicherheit des K sorgte, machte er sich strafbar gemäß § 323 c. 198
2. Der Versuch der erfolgsqualifizierten Aussetzung, §§ 221 Abs.2 Nr. 2, Abs. 3, 23 Str. ist bereits, ob der Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts - abgesehen von Abs. 2 9 Nr. 1 - überhaupt möglich ist, wenn der Grundtatbestand nicht erfüllt ist.i" Wird in dieser Konstellation die Möglichkeit des Versuchs anerkannt, so stellt sich im Rahmen des § 221 die Fragt, ob ein Versuch gemäß §§ 221 Abs. 2 Nr. 2, 3, 23 in Betracht kommt, obwohl der Versuch des Grundtatbestandes, §§221, 23, nicht strafbar ist. Dies wird zum Teil abgelehnt mit der Erwägung, dass in dieser Konstellation die besondere Folge strafbegründend, nicht aber straferhöhend wirkt, wovon § 18 ausgeht. Die Gegenmeinung erkennt diese Konsequenz nicht in § 18 angelegt und sieht in der Tatsache, dass der Handlungsunwert des Grundtatbestandes noch nicht als strafwürdig erscheint, kein Argument dagegen, dass der Unrechtsgehalt des versuchten Grundtatbestandes und der verwirklichten (oder angestrebten) besonderen Folge bereits die Grenze der Strafwürdigkeit erreicht. Fall: A will das Kleinkind seiner Freundin B, mit der er zusammenlebt, aus dem Weg schaffen, indem er es an einem kalten Wintertag bei offenem Fenster in eine Wanne mit kaltem Wasser setzt. Beim Hineinsetzen des Kindes reagiert das Kind mit wilden Bewegungen und schlägt mit dem Kopf auf dem Wannenrand auf. K erleidet eine schwere Gesundheitsschädigung durch Verlust des Sehvermögens auf einem Auge. Angesichts der Verletzung des Kindes gibt A seinen weiteren Plan auf.
197 Vgl. dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 9 R d n . 82, Fall 4 . 198
Vgl. a u c h MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 4 R d n . 5; SCH/SCH/ESER § 2 2 1 R d n . 4 . - A . A . GÖSSEL B.T. 1, § 8 R d n . 11; JÄHNKELK, 10. A u f l . § 2 2 1 R d n . 9.
199 i
m
einzelnen dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18 R d n . 7 8 f f .
53
§11
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Ergebnis: A hat sich einer versuchten Aussetzung gemäß §§ 221 Abs. 3, 23 schuldig gemacht.200
§ 11 Völkermord 1. Das geschützte Rechtsgut 1 § 220 a schützt nicht in erster Linie das Leben, sondern den humanitären Gedanken. Systematisch gehört er daher nicht zu den Tötungsdelikten.
II. Die Bedeutung des Tatbestandes 2 1. § 220 a erfasst bestimmte Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. - Die Absicht ist ein täterschaftsbegründendes Tatbestandsmerkmal.201 2. Praktisch ist die Bedeutung des Tatbestands als Vorschrift des nationalen Strafrechts gering, denn die Tathandlung kann bereits nach anderen Vorschriften bestraft werden. Geschieht dies jedoch nicht, so deshalb, weil der Täter mit Hilfe oder mit Billigung des Staates, auf dessen Gebiet er handelt, tätig wird. Dann aber erfolgt mit Sicherheit auch keine Bestrafung gemäß § 220 a. 3 3. Allerdings eröffnet § 6 Ziff. 1 die Möglichkeit der Verfolgung eines im Ausland von einem Ausländer begangenen Völkermordes202, wobei der BGH für diese Fälle einen „legitimierenden Anknüpfungspunkt" des Inlandsbezugs fordert.203 Dieser Inlandsbezug wird in dem vom Bundesjustizministerium vorgelegten Entwurf eines Völkerstrafrechts aufgegeben.204 - Nach § 6 Nr. 9 besteht zudem die Verpflichtung zur Verfolgung von Auslandstaten durch Ausländer, wenn die Bundesrepublik aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens zur Verfolgung verpflichtet ist. 205 4 4. Bedeutung kann die Vorschrift, die entsprechend Art. II der Internationalen Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. 12. 1948 in das Gesetz eingeführt wurde, aber auch als Ansatzpunkt zu einem Völkerstrafrecht erlangen.206 200 So auch LAUBENTHAL JZ 1987 S. 1067; a. A. BUSSMANN GA 1999 S. 23 ff. - Vgl. im einzelnen zur
Auseinandersetzung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 18 Rdn. 89 f. - Offengelassen wird die Problematik in BGH StV 1986 S. 201 mit Anm. ULSENHEIMER StV 1986 S. 201 ff.
201 Vgl. dazu BGH NJW 2001 S. 2728; 2001 S. 2732. - Im einzelnen zu den Tathandlungen: SAFFERLING JuS 2001 S. 736 ff. 202 Vgl. dazu BVerfG NJW 2001 S. 1848,1852 f; BGHSt 45 S. 64 mit Anm. AMBOS NStZ 1999 S. 404 ff, LAGOSKY/NILL-THEOBALD JR 2000 S. 205 ff, WERLE JZ 1999 S. 1181 ff; BGH NStZ 1994 S. 232 mit Anm. OEHLER S. 485; BayObLG NJW 1998 S. 392.
203 Vgl. BGHSt 45 S. 64, 66 m N. - Weiter BVerfG NJW 2001 S. 1848, 1852: „sinnvollen Anknüpfungspunkt". 204 Dazu WERLE JZ 2001 S. 885 ff. 205 Dazu BGH NJW 2001 S. 2728. 206 Dazu AMBROS ZRP 1996 S. 263 ff; DERS. NJW 2001 S. 405 ff; BECKER Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit - Überlegungen zur Problematik eines völkerrechtlichen Strafrechts, 1996; GIL GIL ZStW 112 (2000) S. 381 ff; JÄGER in: Hankel/Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschlichkeitsverbrechen, 1995, S. 325 ff; JESCHECK/WEIGEND A.T., 5. Aufl. 1996, § 14; KINKEL N J W 1997 S. 2 8 6 0 f; OSTENDORF Z R P 1996 S. 4 6 7 ; REICHART Z R P 1996 S. 134 ff; ROGGEMANN Z R P
1996 S. 388 ff; TRIFFTERER Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg, 1966, S. 192 ff; WERLE ZStW 109 (1997) S. 808 ff; DERS. JZ 2000 S. 755 ff.
54
Zur Wiederholung
§ 12 Zur Wiederholung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
In welchen Fällen ist der Schutz menschlichen Lebens durch die Tötungstatbestände streitig? - Dazu § 2 1 Rdn. 5 ff. Wie bestimmt die h. L. das Verhältnis der §§ 211, 212, 213 zueinander und wie der BGH? - Dazu § 2 Rdn. 14 ff. Was spricht gegen die Interpretation auch der 1. Alternative des § 213 als bloße Strafzumessungsregel? Dazu § 2 Rdn. 16. Worin besteht die sachliche Berechtigung für die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte in einen Grundtatbestand, eine Qualifizierung sowie Privilegierungen? - Dazu § 2 Rdn. 21 ff. Auf welche Weise ermöglicht der BGH ein Absehen von lebenslanger Freiheitsstrafe, obwohl er das Vorliegen einer heimtückischen Tötung bejaht? - Dazu § 2 Rdn. 26 ff. Kann Anstiftung oder Beihilfe zur Selbsttötung als Teilnahme an einem Tötungsdelikt bestraft werden? Dazu § 3 Rdn. 1. Sind die Mordqualifikationen als Schuld- oder als Unrechtsmerkmale anzusehen? - Dazu § 4 Rdn. 1 ff. Welche drei Gruppen von Mordmerkmalen unterscheidet das Gesetz? - Dazu § 4 Rdn. 3 ff.
9. Was ist unter „Mordlust" zu verstehen? - Dazu auch § 4 Rdn. 5 f. 10. Welche Fälle werden unter dem Merkmal „zur Befriedigung des Geschlechtstriebes" erfasst? - Dazu § 4 Rdn. 7 ff. 11. Was ist das wesentliche Kennzeichen der niedrigen Beweggründe? - Dazu § 4 Rdn. 13 ff. 12. Wie definiert die Rechtsprechung das Merkmal „Heimtücke"? Welche Ansichten werden im Schrifttum vertreten? - Dazu § 4 Rdn. 17 ff. 13. Was ist ein „gemeingefährliches Mittel"? - Dazu § 4 Rdn. 41 ff. 14. Worin besteht das grundsätzliche Problem des Merkmals „um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken"? - Dazu § 4 Rdn. 48. 15. Welcher Straftatbestand kommt in Betracht, wenn der Täter zur Tötung bereits fest entschlossen ist, bevor das Opfer sie ernstlich und ausdrücklich verlangt? - Dazu § 6 Rdn. 13. 16. Welche Fallgruppen der Sterbehilfe sind zu unterscheiden? - Dazu § 6 Rdn. 19 ff. 17. Ist ein Arzt gegen den Willen des Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen berechtigt oder sogar verpflichtet? - Dazu § 6 Rdn. 33. 18. Ist die Selbsttötungssituation als Unglücksfall i.S. d. § 323 c anzusehen? - Dazu § 6 Rdn. 66 f.
- Als funktionslos sieht den Tatbestand an: CAMPBELL § 220 a StGB: Der richtige Weg zur Verhütung und Bestrafung von Genozid?, 1986, S. 172 ff.
55
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Zweiter Abschnitt Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben § 13 Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung 1. Die Entscheidung des Gesetzgebers 1 Ursprünglich hatte der Gesetzgeber in § 218 jede nach der Empfängnis erfolgende Selbstoder Fremdabtreibung unter Strafe gestellt. - Mit dem 5. Strafrechtsreformgesetz vom 18. Juni 1974 unternahm der Gesetzgeber allerdings den Versuch, auch in der Bundesrepublik Deutschland die sog. Fristenlösung (Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft) durchzusetzen. Dieses Gesetz ist jedoch nie in Kraft getreten, denn mit Urteil vom 25. 2. 1975 hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt.1 Der Gesetzgeber hatte daraufhin durch Gesetz vom 18. 5. 1976 (15. StrÄndG) die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vorgenommen. Diese Regelung enthielt Elemente einer Indikations- und - in der Person der Schwangeren - einer Fristenlösung. 2 In der ehemaligen DDR war die Schwangere gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9.3.1972 berechtigt, die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen nach deren Beginn durch einen ärztlichen Eingriff in einer geburtshilflich-gynäkologischen Einrichtung unterbrechen zu lassen. Nicht unter diese Regelung fallende unzulässige Schwangerschaftsunterbrechungen, ihre Veranlassung und Unterstützung wurden nach §§ 153 ff StGB-DDR bestraft. 3 Mit der Wiedervereinigung traten im Beitrittsgebiet nicht d i e § § 2 1 8 - 2 1 9 d i n Kraft, sondern die bisherigen Regelungen blieben vorläufig gültig. Zugleich wurde gemäß Art. 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages vom 23.9.19902 die Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers darin gesehen, „spätestens bis zum 31.12.1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen ... besser gewährleistet, als dies in den beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist". 4 Nach langwierigen Auseinandersetzungen erfolgte eine Neuregelung des Abbruchs der Schwangerschaft im Schwangeren- und FamilienhilfeG (SFHG) vom 4.8.1992 (BGBl I, S. 1398). Erneut wurde eine Fristenregelung mit Beratungspflicht in Kraft gesetzt und der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft für nicht rechtswidrig erklärt, § 218 a Abs. 1 i.d.F. des SFHG. - Mit Urteil vom 28.5.1993 hat das Bundesverfassungsgericht die §§ 218 a Abs. 1, 219 in d.F. des SFHG für nichtig erklärt und sie für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung durch eine vorläufige Anordnung nach § 35 BVerfGG ersetzt. Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass die Schutzpflicht des Staates auch gegenüber dem ungeborenen Leben es verbietet, den Schwangerschaftsabbruch - abgesehen von Ausnahmesituationen -
1 2 56
BVerfGE 39 S. 1. BGBl, n, S. 885.
Abbruch der Schwangerschaft für nicht rechtswidrig zu erklären. 3 Darüber hinaus m ü s s e die Beratung der Schwangeren d e m Schutz des ungeborenen Lebens dienen. BVerfGE 88 S. 251: „Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene. Auch ihm gebührt der Schutz des Staates. Die Verfassung untersagt nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das ungeborene Leben, sie gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d.h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (vgl. BVerfGE 39, 1,42). Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet; ihr Gegenstand und - von ihm her - ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Personalität". N a c h verschiedenen vergeblichen Versuchen einer gesetzlichen Neuregelung erfolgte die- 5 se i m Schwangeren-FamilienhilfeänderungsG v. 2 1 . 8 . 1 9 9 5 ( B G B l I, S. 1050), das am 1 . 1 0 . 1 9 9 5 in Kraft trat* 2. Geschütztes
Rechtsgut
und
Angriffsobjekt
a) D a s geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das ungeborene menschliche Leben.5 D i e s e s hat, weil noch un- 6 geboren, keine mindere Wertqualität als das geborene L e b e n d D i e geringere Strafandrohung erklärt sich aus der besonderen Konfliktsituation der Schwangeren. 7 Zwar berücksichtigt die gesetzliche Regelung auch in erheblichem M a ß e Gesundheitsinteressen der Schwangeren, diese erlangen aber nicht den Rang eines gleichfalls geschützten Rechtsguts. 8 Der selbständige Schutz der Gesundheit der Schwangeren vor abstrakten Gesund-
3
B V e r f G E 88 S. 203; hierzu ESER J Z 1994 S. 5 0 3 f f ; GEIGER/V. LAMPE Jura 1994 S. 2 0 f f ; GROPP G A
1994 S. 147 ff; HARTMANN NStZ 1993 S. 483 ff; HASSEMER Mahrenholz-FS, S. 731 ff; HERMES/WALTHER N J W 1993 S. 2 3 3 7 f f ; KLUTH F a m R Z 1993 S. 1381 f f ; REITER/KELLER (Hrsg.), P a r a -
graph 218, Urteil und Urteilsbildung, 1993; SCHULZ StV 1994 S. 38 ff; STARCK JZ 1993 S. 816 ff; THOMAS/KLUTH (Hrsg.), Das zumutbare Kind, 1993; WEIß JR 1993 S. 449 ff. 4
5
Zu den einzelnen Phasen des Gesetzgebungsverfahrens: LACKNER/KÜHL Vor § 218 Rdn. 1 ff; RUDOLPH SK n , Vor § 218 Rdn. 1 ff. - Zum Schrifttum in den einzelnen Regelungsphasen vgl. die umfassenden Nachweise bei TRÖNDLE/FISCHER Vor § 218 Rdn. 3,5, 8,16. - Rechtsvergleichender Überblick: ESER/KOCH Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, Rechtliche Regelungen - Soziale Rahmenbedingungen - Europäische Grundlagen, Teil 1: Europa, 1988; Teil 2: Außereuropa, 1989; Teil 3: Rechtsvergleichender Querschnitt - Rechtspolitische Schlussbetrachtungen - Dokumentation zur neueren Rechtsentwicklung, 1999; dazu JAKOBS JR 2000 S. 404 ff; OTTO ZfL 2000 S. 63 f. BVerfGE 39 S. 36 f; 88 S. 251 f; BGHSt 28 S. 15; JÄHNKE LK, 10. Aufl., Vor § 218 Rdn. 15; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 6 R d n . 8 f; OTTO Jura 1996 S. 140; RUDOLPHI S K O, V o r § 2 1 8 R d n . 55; WESSELS/HETTXNGERB. T . / l , R d n . 223.
6
Dem Embryo sprechen ein Lebensrecht ab: HOERSTER Abtreibung im säkularen Staat, 1991; DERS. JuS 1995 S. 192 ff; DERS. JR 1995 S. 51 ff; SINGER Praktische Ethik, 1984, S. 162 f. - Dazu, dass die Rechtspraxis darauf hinausläuft, dem Embryo das Lebensrecht nur verbal zuzuerkennen: JAKOBS Schriftenreihe d e r J V L , Nr. 17, S. 3 4 f f ; DERS. J R 2 0 0 0 S. 4 0 7 .
7
Vgl. BT-Drucks. 7/1981, S. 5; BVerfGE 39 S. 37; BELUNG Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a S t G B haltbar?, 1987; BOCKELMANN J Z 1959 S. 4 9 8 ; ARTHUR KAUFMANN J Z 1963 S. 142. - A . A . HILGENDORF N J W 1996 S. 7 6 1 mit R e p l i k v o n HEUERMANN N J W 1996 S. 3 0 6 3 f, HOERSTER N J W 1997 S. 7 7 3 f f , WEIß N J W 1996 S. 3 0 6 4 u n d E r w i d e r u n g v o n HILGENDORF N J W 1997 S. 3 0 7 4 f; SCH/SCH/ESER V o r §§ 2 1 8 ff R d n . 9.
8
A . A . ARZT/WEBER B.T., § 5 R d n . 22; SCH/SCH/ESER V o r §§ 2 1 8 ff R d n . 12; TRÖNDLE/FISCHER V o r §
218 Rdn. 1: sekundäres/nachrangiges Rechtsgut. 57
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgttter des Einzelnen
heitsgefahren in diesem Bereich müsste als systemwidrige Sonderregelung gegenüber den Körperverletzungsdelikten erscheinen.' b) Das Angriffsobjekt 7 Taugliches Angriffsobjekt ist die Leibesfrucht, und zwar erst nach der Nidation. Gemäß § 218 Abs. 1 S. 2 gelten Handlungen, die sich gegen die Einnistung des Eies in der Gebärmutter richten, noch nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne des Gesetzes. - Damit ist klargestellt, dass nidationshindernde Maßnahmen der Empfängnisverhütung - z.B. durch die morning-after-Pille, intrauterine Pessare, Spiralen o.ä. - nicht von § 218 Abs. 1 S. 1 erfasst werden, wohl aber die sog. Abtreibungspille RU 486, die regelmäßig erst nach der Einnistung wirkt. Gleichfalls werden vom § 218 Abs. 1 S. 1 nicht Einwirkungen erfasst, die erst nach Beginn der Geburt das Kind treffen oder die auf Beseitigung einer bereits abgestorbenen Frucht oder eines krankhaft entarteten Eies (Mole) zielen. - Zum Anencephalus vgl. § 2 Rdn. 12. 8 Geschützt und damit taugliches Angriffsobjekt ist auch die - noch - lebende Leibesfrucht einer hirntoten Frau.10
9
10
11 12
3. Die Konzeption des Gesetzes Dem Anschein nach erfasst § 218 Abs. 1 S. 1 den Grundtatbestand des Schwangerschaftsabbruchs, während § 218 a Abs. 1 den Tatbestandsausschluss für den Fall der Schwangerschaftsunterbrechung nach Beratung durch einen Arzt und innerhalb der Zwölf-WochenFrist regelt. Da der Schwangerschaftsabbruch unter den in § 218 a Abs. 1 genannten Voraussetzungen aber der Regelfall sein wird, bedeutet das, dass eine Bestrafung nach § 218 Abs. 1 S. 1 nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen wird. Damit wird die Regel im Gesetz als Ausnahme dargestellt und umgekehrt. Dieses Verhältnis des § 218 zu § 218 a, das bereits im Verhältnis zu § 218 a a.F. gegeben war, hatte SCHROEDER als Beispiel unaufrichtiger Gesetzgebung gekennzeichnet, weil hier - in Verbindung mit der Regelung der besonders schweren Fälle in § 218 Abs. 2 - ein markiges Verbot des Schwangerschaftsabbruchs vorgetäuscht wird, das in Wirklichkeit nicht existiert.11 Der Vorwurf hat nach wie vor seine Berechtigung, denn dieser Kunstgriff verschleiert das der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Prinzip mit weitreichenden Folgen für die Bestimmung des Unrechtsvorwurfs in den Ausnahmefällen. Das gesetzliche Konzept ist das einer Fristenregelung mit Beratungspflicht.12 Das bedeutet: Der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis ist grundsätzlich straffrei und nur unter besonderen Ausnahmeumständen strafbar, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass ein wirksamer Lebensschutz durch Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis nicht zu erzielen ist, sondern die Beratung bessere Möglichkeiten des Lebensschutzes bietet.
9
Vgl. auch JÄHNKE L K ,
10
Vgl. dazu
10.
Aufl., Vor §
BECKMANN MedR 1993 S. 9 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 8 R d n . 3.
11
SCHROEDER Z R P 1 9 9 2 S. 409 f.
12
Vgl. auch LAUFS
58
218
Rdn.
16.
123; HILGENDORF
N J W 1995 S. 3042; SATZOER JUS 3 3 8 m . N . ; TRÖNDLE N J W 1 9 9 5 S. 3 0 1 4 .
JUS
1997
S.
1993 S. 99;
RUDOLPHI
SK n, § 218 Rdn.
801 f; SPIEKER Die neue Ordnung 1995
S.
Abbruch der Schwangerschaft 4. Die Systematik des Gesetzes Die tatbestandliche Regelung aa) Nicht tatbestandsmäßig ist der Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt auf Verlangen der Schwangeren in den ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis, § 218 a Abs. 1. bb) Durch die Ausformulierung des § 218 Abs. 1 S. 1 als scheinbarer Grundtatbestand des Schwangerschaftsabbruchs erfasst dieser sachwidrig qualitativ nicht miteinander vergleichbares Unrecht: Den Schwangerschaftsabbruch durch einen Nichtarzt oder nach der Zwölf-Wochen-Frist sowie den Schwangerschaftsabbruch unter Missachtung der Beratungspflicht. - Beide Verhaltensweisen, deren Unrecht qualitativ verschieden ist, hätten selbständig vertypt gehört, während die Klarstellung, dass der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis zwar rechtswidrig ist, jedoch straffrei bleibt, an den Beginn der gesetzlichen Regelung gehört hätte.13 cc) Gegenüber der ambivalenten Regelung des § 218 Abs. 1 S. 1 enthält § 218 Abs. 2 gesetzestechnisch eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen mit Regelbeispielen (Handeln gegen den Willen der Schwangeren, leichtfertige Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren). In der Erfassung der besonders schweren Fälle setzen sich die durch die Kaschierung der Fristenlösung in § 218 Abs. 1 S. 1 begründeten sachwidrigen Konsequenzen fort: Der Arzt, der ohne Beratung den Schwangerschaftsabbruch vornimmt und leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu vgl. § 10 Rdn. 2 - der Schwangeren verursacht, haftet nach § 218 Abs. 2 Nr. 2. Strafmaß: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Der Arzt, der nach Beratung den Schwangerschaftsabbruch vornimmt und leichtfertig die entsprechende Gefahr verursacht, bleibt straffrei, soweit nicht - zufällig - auch der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung verwirklicht ist. - Eine sachwidrige Differenzierung. dd) Die Tat der Schwangeren ist in § 218 Abs. 3 privilegiert. § 218 Abs. 3 wird ergänzt durch § 218 a Abs. 4 S. 2. Rechtfertigung Speziell auf den Schwangerschaftsabbruch bezogene Rechtfertigungsgründe sind der medizinisch-sozial, § 218 a Abs. 2, und der kriminologisch, § 218 a Abs. 3, indizierte Schwangerschaftsabbruch. c) Persönlicher Strafausschließungsgrund § 218 a Abs. 4 S. 1 räumt der Schwangeren einen persönlichen Strafausschließungsgrund ein. In ihrer Person wird damit die straffreie Fristenregelung auf die ersten 22 Wochen nach der Empfängnis ausgedehnt. d) Möglichkeit des Absehens von Strafe Unabhängig von der Möglichkeit einer Rechtfertigung oder des Strafausschlusses ermöglicht § 218 Abs. 4 S. 2 in Fällen „besonderer Bedrängnis" ein Absehen von Strafe. e) Versuch Der Versuch des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 Abs. 1 S. 1 ist strafbar, § 218 Abs. 4 S. 1. - In der Person der Schwangeren bleibt der Versuch straflos. Es handelt sich hier um einen persönlichen Strafausschließungsgrund, so dass Teilnehmer am Versuch der Schwangeren strafbar bleiben, § 218 Abs. 4 S. 2. 13
Damit wäre die Vorgabe des BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS, BVerfGE 88 S. 204, Leitsatz 11, unmittelbar umgesetzt worden.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
f) Flankierende Maßnahmen 22 aa) Der subsidiäre § 218 b - Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Feststellung; unrichtige ärztliche Feststellung - soll die Indikationsfeststellung gewährleisten. 23 bb) § 218 c stellt ärztliche Pflichtverletzungen bei einem Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. - Die Schwangere ist nicht nach § 218 c Abs. 1 strafbar, § 218 c Abs. 2. 24 cc) In § 219 werden die Ziele der Beratung, Abs. 1, und die Pflichten der Beratungsstelle, Abs. 2, umrissen. 25 dd) §§219 a, 219b stellen bestimmte Teilnahmehandlungen im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs als abstrakte Gefährdungsdelikte unter Strafe. 26 ee) § 170 Abs. 2 stellt die Verursachung des Schwangerschaftsabbruchs durch Vorenthalten des Unterhalts in verwerflicher Weise der Schwangeren gegenüber unter Strafe. - § 240 Abs. 4 Nr. 2 erfasst die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schweren Fall der Nötigung.
n. Abbruch der Schwangerschaft 1. Der nicht tatbestandsmäßige Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 1 27 § 218 a Abs. 1 bestimmt, dass der von einer Schwangeren verlangte und von einem Arzt nach Beratung durch eine Beratungsstelle gemäß § 219 Abs. 2 S. 1 in den ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis durchgeführte Schwangerschaftsabbruch nicht tatbestandsmäßig i.S. des § 218 ist. a) Tatbestandsausschluss und Rechtswidrigkeitsurteil 28 Mit dem Ausschluss des Tatbestandes ist grundsätzlich kein Urteil über das Unrecht des Verhaltens gefällt. Der Gesetzgeber hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er in dem unter den genannten Umständen durchgeführten Schwangerschaftsabbruch kein strafwürdiges und strafbedürftiges Unrecht erkennt. Der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, den Schutz ungeborenen Lebens auch durch die Klarstellung zu gewährleisten, „dass der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäss rechtlich verboten ist"14, kommt der Gesetzgeber nur implizite nach. Durch den ausdrücklichen Ausschluss der Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den Fällen des § 218 a Abs. 2, 3 lässt sich argumentieren, dass in den Fällen des § 218 a Abs. 1 der Schwangerschaftsabbruch jedenfalls nicht als rechtmäßig angesehen wird, auch wenn er nicht als strafwürdiges Unrecht beurteilt wird. b) Schwangerschaftsabbruch und Nothilfe 29 Der Gesetzgeber selbst scheint allerdings die Bedeutung des Tatbestandsausschlusses nicht zutreffend erkannt zu haben, denn in der Begründung des Gesetzes wird dargetan: „Durch den Tatbestandsausschluss als bewusste Herausnahme aus dem strafrechtlich vertypten Unrecht wird außerdem zum Ausdruck gebracht, dass Schwangerschaftsabbrüche, die unter den angeführten Voraussetzungen vorgenommen werden, im Bereich des Strafrechts nicht als Unrecht zu behandeln sind. Demnach kommt unter den Voraussetzungen der Beratungsregeln auch Nothilfe (§ 32 StGB) zugunsten des Ungeborenen mit dem Ziel einer Verhinderung des Schwangerschaftsabbruchs nicht in Betracht"15. 14 15
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BVerfGE 88 S. 255 unter Bezug auf BVerfGE 39 S. 44. - Krit. zur gesetzlichen Umsetzung: LANGER ZfL 1999 S. 47 ff. BT-Drucks. 13/1850, S. 25.
Abbruch der Schwangerschaft Diese Begründung geht an der Problematik vorbei, denn Notwehr setzt unstrittig einen 30 rechtswidrigen Angriff voraus, nicht aber einen im Sinne des Strafrechts tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen Angriff. - Der Ausschluss der Notwehr im Falle des nicht tatbestandsmäßigen Abbruchs der Schwangerschaft, den das BVerfG ausdrücklich vom Gesetzgeber gefordert hat,16 lässt sich nunmehr nur mit dem Argument begründen, dass in der Entscheidung des Gesetzgebers zum Lebensschutz unter Verzicht auf Ausübung von Zwang durch strafrechtliche Sanktionen zugleich die Wertentscheidung gegen eine zwangsweise Austragung der Schwangerschaft liegt. Dieser Verzicht eröffne aber nicht den rechtlichen Raum für privaten Zwang. Zwangsmaßnahmen gegen die Schwangere, die darauf abzielen, ihr in der Konfliktsituation den Abbruch der Schwangerschaft unmöglich zu machen, seien daher nicht als erforderliche Nothilfemaßnahmen im Sinne des § 32 anzuerkennen.17 2. Der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs, § 218 § 218 Abs. 1 S. 1 erfasst drei verschiedene Sachverhalte: Den Schwangerschaftsabbruch 31 durch einen Nichtarzt, den Schwangerschaftsabbruch nach der Zwölf-Wochen-Frist und den Schwangerschaftsabbruch unter Missachtung der Beratungspflicht, obwohl das Unrecht dieser Sachverhalte keineswegs identisch ist. a) Das Unrecht der Tathandlungen in den verschiedenen Tatsituationen Während beim Abbruch der Schwangerschaft nach der Zwölf-Wochen-Frist Tötungsun- 32 recht erfasst wird und beim Abbruch der Schwangerschaft durch einen Nichtarzt die Gesundheitsgefährdung der Schwangeren das Unrecht wesentlich prägt, wird bei der Missachtung der Beratungspflicht die Verletzung bestimmter Verfahrensvorschriften mit Tötungsunrecht identifiziert. Das ist grob sachwidrig und führt zu nicht akzeptablen Konsequenzen: Der nach der gesetzlichen Konzeption nicht strafwürdige und/oder strafbedürftige Schwangerschaftsabbruch wird nicht dadurch zu einem strafwürdigen und strafbedürftigen Verhalten, dass der Nachweis über eine Beratung fehlt, die - wenn es zum Schwangerschaftsabbruch kommt - erwiesener Maßen erfolglos und daher unter Lebensschutzaspekten wirkungslos geblieben ist. Nur weil jemand der Beratungspflicht ausgewichen ist, ändert sich der Bedeutungsgehalt des Verhaltens nicht von einem straffreien zu einem strafbaren Tötungsverhalten. Wäre das der Fall, dann hätte der Beratungsschein in der Tat den Charakter einer Tötungserlaubnis. - Eine im Rechtsstaat nur schwer nachvollziehbare Entscheidung, die dem Sachgehalt des Vorgangs nicht annähernd gerecht würde. Wird das Konzept des Gesetzgebers vorbehaltlos als das genommen, was es ist, näm- 33 lieh als eine Fristenlösung mit Beratungspflicht, so bringt derjenige, der die Beratungspflicht verletzt, zum Ausdruck, dass er die vom Gesetzgeber in der Beratung erhoffte Chance des Lebensschutzes nicht nutzen will. Das hier verwirklichte Unrecht liegt in der vorsätzlichen Verweigerung, dem Lebensschutz in dieser Situation eine Chance einzuräumen. Das damit verwirklichte Unrecht ist aber mit einem Tötungsunrecht weder identisch noch mit ihm vergleichbar. Das Tötungsunrecht wird vielmehr durch die Beratung sowie durch die weiteren Voraussetzungen des § 218 a Abs. 1 - nicht berührt. Es wird in identischer Weise verwirklicht, unabhängig davon, ob die Beratung stattgefunden hat oder nicht. Dieses Unrecht wird aber in der Konsequenz der Fristenlösung vom Gesetzgeber nicht als 16
BVerfGE 88 S. 279. - Eingehend zur Auseinandersetzung: SATZGER JUS 1997 S. 800 ff.
17
Eingehend zum Streitstand: LESCH Notwehrrecht und Beratungsschutz, 2000, S. 19 ff, sowie zur Gegenansicht S. 70 ff.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
strafbar angesehen. Das in der Verweigerung der Beratung liegende Unrecht wird davon nicht berührt. Es ist ein qualitativ anderes. - Daher kann in der Beratung und der Erteilung des Beratungsscheins auch keine Unterstützung von Tötungsunrecht liegen. Sie stellen den Versuch dar, die an Stelle des strafrechtlichen Lebensschutzes gesetzte Chance des Lebensschutzes durch Beratung zu verwirklichen.18 b) Die Tathandlung 34 § 218 Abs. 1 S. 1 erfasst sowohl den Abbruch der Schwangerschaft durch einen Dritten (Fremdabtreibung) als auch den gemäß § 218 Abs. 3 und § 218 a Abs. 4 privilegierten Abbruch der Schwangerschaft durch die Schwangere selbst. 35 aa) Die Kennzeichnung der Tathandlung als „Abbruch der Schwangerschaft" ist zwar konsequent, wenn vorausgesetzt wird, dass es hier nicht mehr allein um den Schutz des ungeborenen Lebens geht.1» Sachlich ist die Bezeichnung aber dazu angetan, Missverständnisse zu begünstigen, denn nach wie vor ist die relevante Tathandlung das Abtöten der Leibesfrucht während der Schwangerschaft.20 Ob der Tod schon im Mutterleib eintritt oder ob die Frucht zunächst lebend abgeht und erst danach - sei es auch schon als lebendes Kind - aufgrund des Eingriffs stirbt, ist irrelevant. - Nicht tatbestandsmäßig ist hingegen der Schwangerschaftsabbruch, wenn der Eintritt der Geburt durch wehenfordernde Mittel beschleunigt oder durch ärztlichen Eingriff die Geburt eines lebensfähigen Kindes angestrebt wird, auch wenn der Eingriff misslingt und das Kind tot zur Welt kommt.21 In diesen Fällen fehlt es an der Zielsetzung der Abtötung der Leibesfrucht.22 36 bb) Das Zulassen des Abbruchs durch die Schwangere ist - aufgrund des Ermöglichens der Tat, das positives Tun voraussetzt - im Regelfall arbeitsteiliges Anstreben des Erfolges und daher als (mit)täterschaftlicher Abbruch der Schwangerschaft erfassbar.23 37 cc) In Ausnahmefällen kann der Schwangerschaftsabbruch auch durch das Unterlassen eines Garanten begangen werden. Als Garant kommt auch der Erzeuger in Betracht. Dabei ist aber wiederum die Wertentscheidung des Gesetzgebers für die Fristenlösung zu beachten. Zu Handlungen gegen den Willen der Schwangeren ist er nicht verpflichtet. Er ist insoweit nicht Vormund der Schwangeren. Ihr hat der Gesetzgeber die maßgebliche Entscheidungs- und Einflussposition eingeräumt. Daher ist eine Verpflichtung des Garanten zu zwangsweisen Maßnahmen gegen die Schwangere, um den Abbruch der Schwangerschaft zu verhindern, abzulehnen. Seine Schutz- und Fürsorgepflicht kommt daher in erster Linie bei der Abwehr Dritter und im Falle einer nicht freiverantwortlichen Entscheidung der Schwangeren zur Entfaltung.
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Dazu weiter OTTO Jura 1996 S. 138.
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Kritisch daher zu diesem das geschützte Rechtsgut kaschierenden Begriff LACKNER NJW 1976 S.
20
Dazu BGHSt 31 S. 348 mit ANM. ARZT FamRZ 1983 S. 1019 f, HJRSCH JR 1985 S. 336 ff, LÜTTGER NStZ 1983 S. 481 ff.
21
V g l . LACKNER N J W 1 9 7 6 S . 1 2 3 5 ; LÜTTGER JR 1 9 7 1 S. 1 3 3 ff.
22
Vgl. BT-Drucks. VI/3434, S. 13.
1 2 3 5 ; SCHROEDER JuS 1991 S . 3 6 3 ; TRÖNDLE S p e n d e l - F S , 1 9 9 2 S. 6 2 4 .
23
Vgl. BVerfG 88 S. 256; BÜCHNER ZRP 1991 S. 433; JÄHNKE LK, 10. Aufl., § 218 Rdn. 16; LACKNER/KÜHL § 2 1 8 Rdn. 7 ; LENNARTZ M e d R 1 9 9 3 S. 1 7 9 ff; DERS. JuS 1 9 9 4 S. 9 0 3 ; OTTO Jura
1996 S. 140; SCH/SCH/ESER § 218 Rdn. 31; UNBERATH Jb. F. Recht und Ethik 1995 S. 437 ff. - A.A. BERNSMANN JUS 1 9 9 4 S. 9; v . RENESSE Z R P 1 9 9 1 S. 3 2 2 .
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Abbruch der Schwangerschaft c) Vorsatz Der Vorsatz - bedingter genügt - muss sich auf die Tötung einer Leibesfrucht richten. 38 d) Die Rechtfertigung Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe werden durch § 218 a Abs. 2, 3 - dazu sogleich 39 unter Rdn. 45 ff - nicht ausgeschlossen. - Die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch der Schwangerschaft hat allerdings keine rechtfertigende Wirkung. Dies folgt aus der Tatsache, dass die Tat der Schwangeren selbst, trotz ihrer Einwilligung - soweit nicht weitere Voraussetzungen vorliegen - unter Strafe gestellt ist. - Anwendbar aber ist § 34 auch in Fällen des Abbruchs der Schwangerschaft. Der Regelung des § 218 a Abs. 2 ist jedoch zu entnehmen, dass der Gesetzgeber dem Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt Vorzug einräumt, so dass die Fälle „einer nicht anders abwendbaren Gefahr" selten sein dürften. e) Der Versuch Der Versuch ist nur für den Dritten, nicht für die Schwangere strafbar. § 218 Abs. 4 S. 2 40 gewährt ihr einen persönlichen Strafausschließungsgrund. f) Die Privilegierung der Schwangeren Gemäß § 218 Abs. 3 ist die Strafe in der Person der Schwangeren gemildert. Der Gesetz- 41 geber trägt damit ihrer persönlichen Konfliktsituation Rechnung. - Volle Straffreiheit erlangt die Schwangere gemäß § 218 a Abs. 4 S. 1, wenn sie den Schwangerschaftsabbruch nach vorheriger Beratung innerhalb von 22 Wochen seit der Empfängnis von einem Arzt durchführen lässt. - Auch in weiteren Fällen ermöglicht aber § 218 a Abs. 4 S. 2 dem Gericht ein Absehen von Strafe, „wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat"; dazu weiter unter Rdn. 53 ff. 3. Besonders schwere Fälle des Schwangerschaftsabbruchs, § 218 Abs. 2 In besonders schweren Fällen des Schwangerschaftsabbruchs droht § 218 Abs. 2 Frei- 42 heitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren an. Diese Strafdrohung gilt aber nur gegenüber dem Fremdtäter, nicht gegenüber der Schwangeren, wie sich aus § 218 Abs. 3 und seiner Stellung im Gesetz nach Abs. 2 ergibt. a) Handlungen gegen den Willen der Schwangeren Beim Handeln gegen den Willen der Schwangeren, Abs. 2 Nr. 1, wird ein formales Wil- 43 lensbruchsdelikt erfasst. Es setzt ein Handeln gegen den ausdrücklich oder schlüssig erklärten Willen der Schwangeren voraus. Ein Handeln gegen den mutmaßlichen Willen der Schwangeren genügt, wenn ihr Wille durch Gewalt - Narkose, Drogen - ausgeschaltet wird.24 - Eine bloße Täuschung, die zur Einwilligung der Schwangeren führt, begründet hingegen kein Handeln gegen den Willen der Schwangeren.25 b) Gefährdung der Schwangeren Erforderlich ist die zumindest leichtfertige Begründung der konkreten Gefahr des Todes 44 oder einer schweren Gesundheitsschädigung, d.h. eines langwierigen, qualvollen oder die Leistungsfähigkeit schwer beeinträchtigenden physischen oder psychischen Krankheitszustandes.26 - Die Einwilligung der Schwangeren ist irrelevant.27 24
SCH/SCH/ESER § 2 1 8 R d n . 5 8 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 8 R d n . 17.
25
A . A . RUDOLPHI S K n , § 2 1 8 R d n . 30.
26
Vgl. BT-Drucks. VI/3434 S. 13; LACKNER/KÜHL § 218 Rdn. 20.
27
V g l . ARZT/WEBER B . T „ § 5 R d n . 36; LACKNER/KÜHL § 2 1 8 R d n . 2 0 .
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§ 13
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
IE. Der gerechtfertigte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 2, 3 1. Die allgemeinen Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2, 3 45 Der nicht rechtswidrige Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a Abs. 2, 3 setzt in jedem Fall die Vornahme des Eingriffs durch einen Arzt sowie die Einwilligung der Schwangeren voraus. - Sodann ist zu unterscheiden: 2. Der medizinisch-sozial indizierte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 2 a) Medizinische und medizinisch-soziale Indikation 46 Entgegen der entsprechenden Regelung des § 218 a Abs. 2 StGB in der Fassung des Schwangeren- und FamilienhilfeG v. 27.7.1992 knüpft § 218 a Abs. 2 nicht mehr an eine rein medizinische Indikation, sondern an eine medizinisch-soziale Indikation an, da bei der Feststellung einer Lebens- oder Gesundheitsgefahr die „gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren" zu berücksichtigen sind.28 Essential der medizinischen Indikation war es, dass die Tötung des Kindes nicht das Ziel der Handlung war. Es ging darum, die durch die Schwangerschaft für das Leben oder die Gesundheit der Mutter begründeten Gefahren durch Abbruch der Schwangerschaft zu beseitigen, was allerdings im Regelfall auch zum Tod des Kindes führte. Bei der embryopathischen, kriminologischen und sozialen Indikation geht es hingegen nicht darum, die Mutter von der Last der Schwangerschaft, sondern von der Last des Kindes zu befreien. Ziel der Handlung ist daher der Tod des ungeborenen Kindes, Mittel der Realisierung dieses Ziels der Schwangerschaftsabbruch.29 47 Damit wird auch die sog. embryopathische Indikation: Dringende Gründe sprechen für die Annahme, dass das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwer wiegt, dass von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, von der medizinisch-sozialen Indikation umfasst. Verzichtet wurde vom Gesetzgeber auf die Ausformulierung dieses „Rechtfertigungsgrundes", nicht aber auf seine Anerkennung.30 Das ermöglicht auch in diesen Fällen einen unbefristeten Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt, d. h. auch gegenüber einer bereits lebensfähigen Leibesfrucht b) Die weiteren Voraussetzungen der medizinisch-sozialen Indikation 48 Angezeigt ist der Schwangerschaftsabbruch, wenn er nach ärztlicher Erkenntnis, d.h. nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den Erfahrungen der ärztlichen Praxis das geeignete und angemessene Mittel ist, um eine konkrete Gefahr für das Leben oder die konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden. - Als Lebensgefahr kommt auch die Suizidgefahr in Betracht. Die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes liegt vor bei der Verursachung oder Steigerung einer Krankheit sowie bei einer aufgrund einer Gesamtwürdigung der gegenwärtigen und zukünftigen 28
V g L a u c h B G H S t 3 8 S. 1 5 7 ; BECKMANN Z f L 1 9 9 5 S. 2 8 ff; ESER JZ 1 9 9 4 S. 5 1 0 ; JÄHNKE L K , 10.
Aufl., | 218 a Rdn. 35; OTTO Jura 1996 S. 141; DERS. Z f L 1999 S. 56; TRÖNDLE NJW 1995 S. 3015. 29
Vgl. dazu einerseits BT-Drucks. 13/1850, S. 25 f, andererseits BECKMANN ZfL 1995 S. 27 f; HELMKE Z R P 1 9 9 5 S. 4 4 1 f; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 8 Rdn. 2 2 ; OTTO Z f L 1 9 9 9 S. 5 8 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 8 a Rdn. 2 1 .
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Vgl. dazu auch HEPP Der Gynäkologe 1996 S. 408; TRÖNDLE NJW 1995 S. 3015.
Abbruch der Schwangerschaft
§13
Lebensverhältnisse zu prognostizierenden signifikanten Verschlechterung der körperlichen und seelischen Verfassung der Schwangeren. - Das Erfordernis der schwerwiegenden Beeinträchtigung soll sicherstellen, dass nicht Belastungen als relevant beurteilt werden, die normalerweise mit einer Schwangerschaft verbunden sind oder deren Hinnahme unter Beachtung des Lebensinteresses des Ungeborenen keine Überforderung der Schwangeren bedeutet. - Aber auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist der Schwangerschaftsabbruch nur gerechtfertigt, wenn die Gefahr nicht auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. 3. Der kriminologisch indizierte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 3 Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund kriminologischer Indikation ist bis zum Ende der 49 12. Woche nach der Empfängnis zulässig. Vorausgesetzt wird eine rechtswidrige - nicht notwendig schuldhafte - Tat gemäß §§ 176 - 179, auf der die Schwangerschaft beruht. Dringende Gründe für die Annahme, dass die Schwangerschaft auf der Tat beruht, liegen vor, wenn konkrete Indizien dafür sprechen, dass die Schwangerschaft aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Grund in der Tat nach §§ 176-179 hat.
IV. Strafausschluss und Absehen von Strafe, § 218 a Abs. 4 Die Regelung des § 218 a Abs. 4 setzt einen tatbestandsmäßigen rechtswidrigen Schwan- 50 gerschaftsabbruch voraus. 1. Persönlicher Strafausschluss, § 218 a Abs. 4 S. 1 § 218 a Abs. 4 S. 1 gibt der Schwangeren einen persönlichen Strafausschließungsgrund, 51 wenn der Schwangerschaftsabbruch nach einer Beratung im Sinne des § 219 bis zur zweiundzwanzigsten Woche nach der Empfängnis von einem Arzt vorgenommen wird. - Die Rechtswidrigkeit der Tat und die Strafbarkeit anderer Beteiligter bleiben daher unberührt. Ob der Schwangerschaftsabbruch im Inland oder im Ausland ausgeführt wird, ist 52 gleichgültig. Irrelevant ist auch, ob eine Bescheinigung über die Beratung ausgegeben wurde. 2. Absehen von Strafe, § 218 a Abs. 4 S. 2 In der dem § 218 a Abs. 4 S. 2 entsprechenden Regelung des § 218 Abs. 3 S. 3 StGB in 53 der Fassung bis zum Inkrafttreten des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes war klargestellt, dass die Möglichkeit eines Absehens von Strafe nur für die Schwangere selbst begründet war: „Das Gericht kann von einer Bestrafung der Schwangeren ... absehen, wenn ..." - Diese Begrenzung hat der Gesetzgeber nunmehr aufgegeben. Auch wenn es daher zutrifft, dass „die Vergünstigung nach historischer und teleologischer Auslegung offensichtlich nur die Schwangere, nicht die übrigen an der Tat Beteiligten" betrifft,31 so ist diese Begrenzung mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht mehr in Einklang zu bringen. Da auch § 218 a Abs. 4 S. 2 einen rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch voraus- 54 setzt, erfordert er eine Bedrängnis, die einerseits noch keine Rechtfertigung für den Abbruch nach § 218 a Abs. 2 bietet, wohl aber durch deutlich schwerere Belastungen begründet ist, als sie üblicherweise mit einer Schwangerschaft verbunden sind. 31
V g l . d a z u LACKNER/KÜHL § 2 1 8 a R d n . 2 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 8 a R d n . 7 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 8 a 38.
Rdn.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
V. Flankierende Maßnahmen zum Schutz ungeborener Kinder 1. Gewährleistung der Indikationsfeststellung, § 218 b 55 Abs. 1 S. 1 stellt - subsidiär gegenüber § 218 - den Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2 und 3 unter Strafe, wenn er ohne ordnungsgemäße Feststellung dieser Voraussetzungen vorgenommen wird. - Abs. 1 S. 2 erfasst die unrichtige ärztliche Feststellung, wenn sie wider besseres Wissen erfolgt. 56 Abs. 2 S. 1 bestimmt, dass ein Arzt nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen bestimmter Delikte von den nach § 218 a Abs. 2 oder 3 nötigen Feststellungen ausgeschlossen ist, wenn ihm die zuständige Stelle dies untersagt hat. - Abs. 2 S. 2 ermöglicht unter den dort genannten Voraussetzungen eine vorläufige Untersagung der Feststellungen. 57 Die Schwangere ist nicht strafbar nach Abs. 1 S. 1 oder 2; vgl. Abs. 1 S. 3. 2. Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch, § 218 c 58 § 218 c Abs. 1 stellt klar, dass der den Eingriff vornehmende Arzt eigenverantwortlich über den Schwangerschaftsabbruch entscheidet und sich daher über das Vorliegen seiner Voraussetzungen vergewissern und seiner ärztlichen Aufklärungspflicht nachkommen m u s s . 3 2 59 Die Schwangere ist nicht strafbar nach § 218 c Abs. 1; vgl. Abs. 2. 3. Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage, § 219 60 § 219 gibt die Grundlagen der Beratung der Schwangeren nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wieder. Ausdrücklich betont § 219 Abs. 1 S. 1, dass die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dient. - In der Praxis wird diese Regelung aber unterlaufen, denn § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, der die Einzelheiten der Beratung regelt, lässt eine entsprechend klare Zielorientierung vermissen,33 und § 7 Abs. 3 dieses Gesetzes eröffnet entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts34 die Möglichkeit der Erteilung des Beratungsscheins, auch wenn die Schwangere eine Konfliktberatung unmöglich macht, weil sie sich weigert, die Gründe für den Schwangerschaftsabbruch mitzuteilend 4. Strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs, §§ 219 a, 219 b 61 Als abstrakte Gefahrdungsdelikte stellen § 219 a die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft und § 219 b das In-Verkehr-Bringen von Mitteln zum illegalen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. 5. Mitverursachung des Schwangerschafisabbruchs 62 Aus der Erkenntnis heraus, dass das ungeborene Leben auch vor Gefahren zu schützen ist, die von Dritten ausgehen, hatte das Bundesverfassungsgericht für Personen des familiären 32
Der Gesetzgeber ist hier den Forderungen des BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS, BVerfGE 88 S. 293, nicht hinreichend nachgekommen; vgl. auch BECKMANN ZfL 1995 S. 25 f; OTTO Jura 1996 S. 143;
33 34
Dazu eingehender OTTO Jura 1996 S. 143. BVerfGE 88 S. 210,268,284 f, 307.
35
Vgl. dazu auch LACKNER/KÜHL § 219 Rdn. 4; OTTO Jura 1996 S. 144.
TRÖNDLE N J W 1995 S. 3 0 1 6 .
66
Abbruch der Schwangerschaft Umfeldes strafbewehrte Verhaltensgebote und -verböte für unerlässlich erachtet.36 a) Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 Abs. 2 Gemäß § 170 werden Personen bestraft, die zum einen der Schwangeren gesetzlich zum 63 Unterhalt verpflichtet sind, ihr diesen Unterhalt aber vorenthalten und dadurch den Schwangerschaftsabbruch bewirken. Schon diese Situation dürfte in einem sozialen Rechtsstaat kaum relevant werden, denn Ausgleich für den materiellen Unterhalt in der hier beschriebenen Situation dürfte gewährleistet sein. Zum anderen aber muss über diese Voraussetzung hinaus der Unterhalt „in verwerflicher Weise" vorenthalten werden, so dass die Weigerung, den Unterhalt zu zahlen, allein nicht ausreicht. Das Verhalten muss über die Verweigerung hinaus noch in besonderer Weise sozial-ethisch negativ zu beurteilen sein. - Damit ist dem Tatbestand von vornherein jede Bedeutung als Mittel effektiven Lebensschutzes genommen.37 b) Der besonders schwere Fall der Nötigung, § 240 Abs. 4 Nr. 2 Die Ergänzung des Nötigungstatbestandes kann nur als Klarstellung interpretiert werden, 64 denn auch nach bisher geltendem Recht dürfte die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schwerer Fall beurteilt worden sein. Praktische Bedeutung hat diese Beurteilung jedoch nicht gehabt.
VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten Grundlagen der Argumentation Da das ungeborene Leben unabhängig von Körper und Leben der Schwangeren angegrif- 65 fen werden kann, ist es rechtlich als selbständiges Rechtsgut anzuerkennen. Sein notwendiger Schutz erfordert diese Anerkennung. Fraglich erscheint aber, ob die Anerkennung als selbständiges Rechtsgut zwingend einen durchgehenden selbständigen Rechtsschutz erfordert, oder ob die mit der Anerkennung als selbständiges Rechtsgut verbundene Trennung von den Rechtsgütern der Schwangeren nicht in Grenzbereichen zu sachwidrigen Entscheidungen führt. Die Betonung der rechtlichen Selbständigkeit kann nämlich nicht darüber hinwegführen, dass Schwangere und ungeborenes Kind bis zur Geburt eine natürliche Einheit bilden.38 Der differenzierte Schutz des Rechtsgutes ist sachgerecht und notwendig in den Fällen, 66 in denen sich der Angriff gegen das ungeborene Kind richtet und der Körper der Schwangeren über das zur Tötung des ungeborenen Kindes notwendige Maß hinaus nicht verletzt werden soll. - Richtet sich der Angriff hingegen gegen die von Mutter und Kind gebildete natürliche Einheit, so ist die auch hier von der h.M. konsequente Differenzierung der Rechtsgüter nicht überzeugend. Sachgerechter erscheint es, durch restriktive Interpretation des Anwendungsbereichs der §§ 218 ff diese auf die Fälle des vorsätzlichen Angriffs auf den Embryo, der die Schwangere gerade nicht über dessen Abtötung hinaus beeinträchtigen soll, zu begrenzen. Wird hingegen die Trennung grundsätzlich akzeptiert, so wird einerseits der Straf- 67 rechtsschutz überhöht, indem Angriffe gegen das Leben einer Schwangeren auch als Ab36
BVerfGE 88 S. 298.
37
Vgl. auch GÜNTHER SK n, § 170 b Rdn. 10; SCHTTTENHELM NStZ 1997 S. 169 ff.
38
BVerfGE 88 S. 253: „Zweiheit in Einheit".
67
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen treibung des Embryos erfasst werden, zum anderen jedoch nivelliert, weil fahrlässige Verletzungen des Embryos strafrechtlich nicht erfassbar sind: Der Schutz der §§ 218 ff setzt einen vorsätzlichen Angriff voraus, der Schutz der §§ 223 ff, 211 ff beginnt erst mit der Geburt. Damit sind Einwirkungen auf den Embryo vor der Geburt mit Wirkungen nach der Geburt strafrechtlich nicht erfasst.39 Zur
Verdeutlichung
68 a) BGHSt 11 S. 15: Der A fuhr mit seinem Kraftwagen von rückwärts seine auf dem Rad fahrende, nichts ahnende schwangere Ehefrau mit voller Wucht an, so dass sie durch die Luft geschleudert wurde und 12 m vom Ort des Anpralls entfernt hegen blieb. Sie erlitt schwere Verletzungen. Ihre Leibesfrucht wurde nicht abgetötet. BGH: A ist wegen versuchten Mordes in Idealkonkurrenz mit versuchter Abtreibung zu bestrafen. Nach der hier vertretenen Auffassung käme nur eine Bestrafung wegen versuchten Mordes in Betracht. b) Die im 7. Monat schwangere S begeht einen Selbstmordversuch mit Gift. - Als sie besinnungslos ist, wird sie entdeckt. Sofort eingeleitete ärztliche Maßnahmen fuhren zur Rettung ihres Lebens, der Embryo ist jedoch nicht mehr zu retten. Ergebnis: Nach der hier vertretenen Konzeption bleibt die S straffrei. - Die h.M. muss die S wegen Abtreibung bestrafen, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 218 a Abs. 4 S. 2. 40 c) BGHSt 28 S. 11 mit Anm. WAGNER JR 1979 S. 295 f: A führte Abtreibungshandlungen durch, indem er Seifenlösungen in die Gebärmutter Schwangerer spritzte. (1) Die U erlitt daraufhin erhebliche Schmerzen und eine Fehlgeburt. (2) Die S erlitt erhebliche Schmerzen, die Abtreibung jedoch führte nicht zu dem gewünschten Erfolg. (3) Die Z stieß aufgrund der Tätigkeit des A einen toten Fetus ab und verstarb selbst. BGH: Fall U: § 218 Abs. 1 verdrängt §§ 223, 223 a. F. Fall S: §§ 218 Abs. 1,23,223 a. F., 52. Fall Z: §§ 218 Abs. 1,226 a.F., 52. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dem BGH in vollem Umfang zuzustimmen. Die mit der Abtreibung im Regelfall verbundene Körperverletzung gegenüber der Schwangeren wird durch § 218 Abs. 1 konsumiert (Fall U). Kommt es bei der Abtreibung jedoch zu Verletzungen im Sinne der §§ 226, 227 so behalten diese ihre Selbständigkeit (Fall Z). Gelangt die Abtreibung aber nur bis zu dem Versuchsstadium, so erhält auch die vollendete Körperverletzung im Sinne des § 224 ihre eigenständige Bedeutung bei (Fall S), denn sie wird nicht schon bei einer versuchten Abtreibung im Regelfall als vollendete Körperverletzung verwirklicht. d) BVerfG NJW 1988 S. 2945: Durch eine fehlerhafte Diagnose bewirkte der Arzt A, dass das noch ungeborene Kind im Mutterleib verstarb. BVerfG: Fahrlässige pränatale Einwirkungen mit tödlichen Folgen sind strafrechtlich nicht erfasst.41 Nach der hier vertretenen Auffassung wäre der Sachverhalt als fahrlässige Körperverletzung der Schwangeren strafrechtlich zu erfassen gewesen.42
39
Vgl. hierzu oben § 2 Rdn. 8 ff.
40
Z u r h . M . v g l . JÄHNKE L K , 10. A u f l . , § 2 1 8 R d n . 9 ; ROXIN J A 1981 S. 5 4 3 ; RUDOLPH S K n , § 2 1 8 R d n . 14; SCH/SCH/ESER § 2 1 8 R d n . 2 6 ; TRONDLE/FISCHER § 2 1 8 R d n . 5. - D a g e g e n : BOCKELMANN B.T./2, § 2 1 2 b ; JESCHECK J Z 1958 S. 7 4 9 ; SCHMIDHÄUSER B.T., 3/15.
41
Vgl. OLG Bamberg NJW 1988 S. 2963; EBERBACH JR 1989 S. 267; OSTENDORF JZ 1984 S. 597 f;
42
Zur Körperverletzung gegenüber der Schwangeren bei Tötung der Leibesfrucht auch: ARZT FamRZ 1983 S. 1020.
RENGIER B . T . n , § 3 R d n . 4 f.
68
Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte
Dritter Abschnitt Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit § 14 Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die körperliche Unversehrtheit des 1 Menschen. Die Tat richtet sich gegen den Körper eines anderen lebenden Menschen, dazu oben § 2, Rdn. 1. Da der Körper als funktionale Einheit geschützt ist, fallen vom lebenden Körper abgetrennte natürliche Teile 2 vom Zeitpunkt der Trennung an nicht mehr unter den rechtlichen Schutz des Körpers, auch dann nicht, wenn diese Teile (z.B. zur Befrachtung entnommene Eizelle, Eigenblutspende) wieder in den Körper eingegliedert werden sollen.! Jedoch kann die Schädigung solcher Teile dann als Körperverletzung erfasst werden, wenn der Körper nach ihrer Wiedereingliederung negativ beeinträchtigt ist.2
II. Die Systematik des Gesetzes 1. Der Grundtatbestand der Körperverletzungsdelikte ist §223 Abs. 1. Qualifikationen 3 sind §§ 224, 225 (soweit er Körperverletzungen betrifft), 340 Abs. 1, Abs. 2 in Verb, mit §§ 224, 225. - Erfolgsqualifizierte Körperverletzungsdelikte sind beschrieben in den §§ 226, 227, 340 Abs. 2 in Verb, mit § 226 und § 227. 2. Fahrlässige Körperverletzung: § 229. 3. Die Beteiligung an einer Schlägerei, § 231, ist weniger Körperverletzungsdelikt als ein „Massendelikt", das dem Schutz der Allgemeinheit vor Körperverletzungen dient. 4. § 225 ist gegenüber den Körperverletzungsdelikten als Sonderdelikt anzusehen, soweit er seelische Qualen betrifft; dazu unter § 20 Rdn. 2.
§ 15 Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 1. Körperliche Misshandlung und Gesundheitsbeschädigung Der Tatbestand des § 223 enthält zwei Alternativen: Die körperliche Misshandlung und die 1 Gesundheitsschädigung. a) Körperliche Misshandlung ist die „üble unangemessene Behandlung, durch die das kör- 2 perliche Wohlbefinden oder die körperlichen Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt wird".3 Die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit braucht nicht not1
2 3
A . A . B G H Z 124 S. 5 2 ; d a z u LAUFS/REILING N J W 1994 S. 7 7 5 f; LILIE L K , V o r § 2 2 3 R d n . 1; OTTO J u r a 1996 S. 2 1 9 f; PAEFFGEN N K , § 2 2 3 R d n . 2; SCHROEDER H i r s c h - F S , S . 7 3 6 f; TAUPITZ N J W 1 9 9 5
S. 746 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 223 Rdn. 2. - Eingehend zur Problematik: Voß Vernichtung tiefgefrorenen Spermas als Körperverletzung, 1997, S. 80 ff. Vgl. dazu OTTO Jura 1996 S. 220. Dazu BGHSt 14 S. 269; HIRSCH LK, 10. Aufl., § 223 Rdn. 6; KREY B.T.l, Rdn. 189; LACKNER/KÜHL § 2 2 3 R d n . 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 3; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 3 R d n . 3. - HORN S K N, § 2 2 3 R d n .
8 - will auch unerhebliche Einwirkungen auf den Körper, sofern sie durch eine üble unangemessene Gesinnung charakterisiert sind, hierher zählen. Damit wird jedoch die Grenze zur Beleidigung verwischt; dazu auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 4; PAEFFGEN NK, § 223 Rdn. 9.
69
§15
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
wendig - z.B. bei schmerzunempfindlichen oder vermindert schmerzempfindlichen Personen - mit beträchtlichen Schmerzen verbunden zu sein. Beispiele: Abscheren des Bartes (a.A. RGSt 29 S. 58), Abschneiden der Haare (BGH NJW 1953 S. 1440), Schläge gegen den Kopf einer Person, die aufgrund einer Geisteskrankheit kein Schmerzempfinden zeigt (RGSt 19 S. 136), Ohrfeige (BGH bei Dallinger, MDR 1973 S. 901), schweren Ekel erregendes Anspeien, Behandlung mit Röntgen- oder Gammastrahlen4.
3 aa) Eine übermäßige Schmerzempfindung (Hyperästhesie) ist bei der Beurteilung der Erheblichkeit des Eingriffs zu berücksichtigend - Damit wird der Strafrechtsschutz nicht zu Lasten des Täters ausgedehnt: Kennt der Täter die Hyperästhesie des Opfers nicht, so fehlt es ihm am Vorsatz. Ist sie ihm jedoch bekannt und baut er gerade auf ihr seinen verbrecherischen Plan auf, so trifft die Strafe ihn mit Recht. 4 bb) Seelische Beeinträchtigungen sind nur dann als körperliche Misshandlung anzusehen, wenn sie sich körperlich auswirken. 5 b) Gesundheitsschädigung ist das Herbeiführen oder die Steigerung eines nicht unerheblichen anormalen körperlichen Zustandes, unabhängig von dessen Dauer. Die Ansteckung eines anderen mit einer Krankheit, zum Beispiel die Infizierung mit Aids, ist daher tatbestandsmäßig, weil der körperliche Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändert wird.6 Bloße Störungen des seelischen Wohlbefindens, die keine Verschlechterung des körperlichen Zustandes zur Folge haben und keinen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand begründen, reichen nicht aus.7 Beispiele: Erregung von Trunkenheit (BGH NJW 1983 S. 462) oder sonstigen Rauschzuständen (BGH NJW 1970 S. 519), nervliche Zerrüttung durch lautstarkes Anfahren von Lastwagen zur Nachtzeit in Wohngegend (LG Kreuznach BB 1957 S. 93), wiederholte nächüiche Störanrufe (LG Hamburg MDR 1954 S. 630), schwerer Schock (OLG Koblenz VRS 42 S. 29), Hervorrufen oder Aufrechterhalten einer Sucht8.
2. Der ärztliche Heileingriff 6 BGHSt 11 S. 111: A, der Chefarzt eines Krankenhauses, nahm bei der N eine Operation vor, mit der eine Gebärmuttergeschwulst entfernt werden sollte. Während der Operation ergab sich, dass die Geschwulst nicht auf der Gebärmutter saß, sondern mit ihr fest verwachsen war. Weil sie nicht anders als durch gleichzeitige Ausräumung der Gebärmutter beseitigt werden konnte, entfernte A den ganzen Gebärmutterkörper.
Die Frage, ob der ärztliche Heileingriff eine körperliche Misshandlung darstellt, ist streitig. 7 a) Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der ärztliche Heileingriff stets eine körperliche Misshandlung darstellt. - Allerdings kann die Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Einwilligung ausgeschlossen sein.«
4
BGHSt 43 S. 306; 43 S. 346 mit Anm. GEPPERT JK 98, StGB § 223/2, JEROUSCHECK JUS 1999 S. 746 f f , RIGKAHN J R 1998 S. 5 2 3 f f , WOLFSLAST N S t Z 1 9 9 9 S. 133 f.
5
6
W i e h i e r SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 4 a. - A . A . LILIE L K , § 2 2 3 R d n . 7.
Vgl. dazu BGHSt 36 S. 1,6 f m.e.N; BGH NJW 1990 S. 129. - A.A. AG Kempten NJW 1988 S. 2313; PRITTWITZ S t V 1 9 8 9 S. 126 f.
7
Vgl. BGH NStZ 1997 S. 123; BGH StV 1998 S. 76; OLG Hamm MDR 1958 S. 939; HORN SK H, § 2 2 3 R d n . 2 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 2 3 R d n . 5; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 3 R d n . 6; - A . A . KREY B . T . l , R d n . 195; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 6; WELZEL L b . , § 3 9 I I b .
8 9
OLG Frankfurt NStZ 1991 S. 235; BayObLG StV 1993 S. 642; BayObLG StV 1995 S. 589. BGHSt 11 S. 111; 16 S. 309; OLG Hamm MDR 1963 S. 520; OLG Hamburg NJW 1975 S. 603; zustimmend: ARZT/WEBER B. T„ § 6 Rdn. 99; BAUMANN NJW 1958 S. 2093; KREY B.T.l, Rdn. 219;
70
Die Körperverletzung
§15
b) In der Lehre wird z.T. die Ansicht vertreten, ein lege artis durchgeführter Heileingriff sei niemals eine Körperverletzung: der zu Heilzwecken vorgenommene Eingriff in die körperliche Integrität sei keine „üble unangemessene Behandlung des Körpers", sondern ein sinnvoller, angemessener Eingriff.10 c) Die heute wohl h.L. will hingegen nur in dem gelungenen, zur Heilung führenden, lege artis durchgeführten Heileingriff keine Körperverletzung sehen.'1 d) Wieder andere verneinen nur dann eine Körperverletzung, wenn der Eingriff nicht zu einem Substanzverlust oder zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation des Patienten geführt hat. 12 e) Stellungnahme: Der lege artis vorgenommene, erforderliche Heileingriff führt zu einer Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. Er ist daher keine negative Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und damit auch keine Körperverletzung, selbst wenn es zu einem Substanzverlust kommt. - Der erfolglos gebliebene oder zu einer Verschlechterung führende Eingriff hat hingegen objektiv eine negative Beeinträchtigung der Körperintegrität zur Folge. - Wird „üble unangemessene Behandlung" als körperlich negative unangemessene Behandlung interpretiert und nicht als ein besonderer über die objektive Körperverletzung hinausweisender Handlungsunwert, so muss ein solcher Eingriff als Körperverletzung angesehen werden. Zuzustimmen ist daher der Lehre, die den gelungenen, lege artis durchgeführten Heileingriff nicht als Körperverletzung ansieht. Keine Körperverletzung ist daher nur der gelungene lege artis durchgefiihrte Heileingriff. f) Der nicht medizinisch indizierte Heileingriff, z.B. eine kosmetische Operation, die nur aus ästhetischen, nicht aber medizinischen Gründen erfolgt, und der nicht lege artis durchgeführte Eingriff sind tatbestandsmäßige Körperverletzungen.13 g) Die Tatsache schließlich, dass der Täter die Seele des Opfers über den Eingriff in die körperliche Integrität bessern will - A prügelt den boshaften B durch, um seine Seele zu bessern -, ändert nichts daran, dass es sich hier um eine Körperverletzung handelt.14
8
9 10
11
12
13
3. Der Versuch der Körperverletzung Der Versuch der Körperverletzung ist strafbar, § 223 Abs. 2.
14
II. Zur Rechtswidrigkeit Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen kommen bei den Körperverletzungs- 15 delikten der Einwilligung sowie nach h.M. der „mutmaßlichen Einwilligung" besondere Bedeutung zu. - Problematisch ist dabei insbesondere der Anwendungsbereich der EinwilMITSCH Strafrechtlicher Schutz gegen medizinische Behandlung, 2000, S. 18 f f ; RENGIER B.T. N, § 13 R d n . 17; SCHWALM Bockelmann-FS, S. 540.
10
Dazu ENGISCH ZStW 58 (1939) S. 5; EB. SCHMIDT 44. DJT-Gutachten, 1962, 4. Teil, S. 188 ff; WELZELLb., § 3 9 1 3 a.
11
Dazu BOCKELMANN B.T./2, § 9 ffl 2 c, b b ; GÖSSEL B.T. 1, § 13 R d n . 68; HIRSCH Z i p f - G d S , S. 362; LILIE L K , V o r § 2 2 3 Rdn. 3, 5; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.l, § 8 R d n . 29; SCHMIDHÄUSER B.T. 1/5.
12
D a z u HARDWIG G A 1965 S. 161 f f ; SCHRÖDER N J W 1961 S. 9 5 1 ff; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 3 2 f f . -
Weiter differenzierend: KRAUS Bockelmann-FS, S. 574 ff. 13
D a z u MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 8 Rdn. 2 9 f.
14
H.M. - A.A. WÜRTENBERGER DRZ 1948 S. 291 ff.
71
§15
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
ligung, denn die Einwilligung in die Körperverletzung durch einen anderen ist streng von der eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung, die zu einer körperlichen Verletzung führt, zu trennen. 16 Die Einwilligung als Verzicht auf Rechtsschutz gegen eine grundsätzlich strafbare Rechtsgutsbeeinträchtigung setzt voraus, dass der Täter nicht nur in eine bestimmte gefährliche Handlung einwilligt, sondern auch in ihren Erfolg. Dieses Erfolgs muss er sich mindestens im Sinne des dolus eventualis bewusst sein, denn nur in diesem Fall kann der Rechtsschutzverzicht als Ausdruck der Autonomie des Einzelnen verstanden werden. 17 Die „Einwilligung in eine Gefahrdung" hat diesen Sinngehalt nicht. Das Handeln in Kenntnis einer bestimmten Gefahrensituation kann nicht verallgemeinernd als Rechtsschutzverzicht interpretiert werden. Die „Einwilligung" in die eigene Gefahrdung bedeutet nicht automatisch den Verzicht auf Rechtsschutz. Hier geht es vielmehr um allgemeine Zurechnungsprobleme, die sich dann stellen, wenn sich mehrere Personen in Kenntnis einer Gefahrenlage dieser Gefahr aussetzen oder bei ihrer Verwirklichung zusammenwirken. Zu erörtern ist, ob in derartigen Fallkonstellationen die Grundsätze einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung eingreifen können, denn diese liegt nicht nur vor, wenn jemand eine bestimmte Gefahr für die eigenen Rechtsgüter kausal begründet, sondern auch dann, wenn sich jemand freiverantwortlich und in voller Kenntnis des Risikos und der Tragweite seiner Entscheidung in eine Gefahrensituation begibt. Wer in dieser Weise eine Gefahr auf sich nimmt, schließt andere von den strafrechtlichen Folgen für die Realisierung der Gefahr aus.15 1. Die Einwilligung a) Voraussetzungen16 18 aa) Der Einwilligende muss über den Schutz durch das betroffene Rechtsgut verfügen können. bb) Die Einwilligung muss vor der Tat zum Ausdruck gebracht worden sein, cc) Die Einwilligung muss frei, d.h. unbeeinflusst durch Zwang oder Täuschung, und ernstlich erklärt sein. dd) Der Einwilligende muss sich der Tragweite seiner Entscheidung bewusst sein, d.h. Wesen, Bedeutung und Tragweite der gegen ihn gerichteten Tat erkennen - Irrtümer sind beachtlich, soweit der Täter sie kennt oder soweit er zur Aufklärung verpflichtet ist. ee) Subjektives Merkmal: Kenntnis der Einwilligung durch den Täter, ff) Die Tat - Körperverletzung - darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen, § 228 . - Die Sittenwidrigkeit der Tat will die h.M. nach dem Zweck der Beeinträchtigung bestimmen. Richtiger ist es jedoch, die Sittenwidrigkeit der Tat nach der Schwere der tatbestandlichen Verletzung zu beurteilen, da Verletzungen, deren Folgen weder für den Einzelnen und für die Rechtsgesellschaft abzusehen sind, sozialethisch nicht mehr akzeptabel sind.17 15
16
Eingehender dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 6 Rdn. 59 ff.
Eingehender dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 106 ff. - Zur Stellung der Einwilligung im V e r b r e c h e n s a u f b a u : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 123 f f .
17
72
Eingehender dazu OTTO Geerds-FS, S. 618 ff M.N. - Als verfassungswidrig sieht § 228 an: RÖNNAU Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, 2001, S. 169.
Die Körperverletzung
§15
b) Einwilligung in Sportverletzungen Bei der Verletzung von Teilnehmern sportlicher Wettkämpfe erkennt die Praxis die Mög- 19 lichkeit einer Rechtfertigung durch Einwilligung an. BayObLG NJW 1961 S. 2072: Bei einem FuBballverbandsligaspiel stießen der Stürmer A und der Torwart M so stark zusammen, dass der M einen Bruch des linken Schien- und Wadenbeins erlitt. BayObLG: Erfolgt eine Körperverletzung bei einem gegeneinander ausgetragenen Wettkampf, so ist diese durch Einwilligung gerechtfertigt, soweit sie nicht auf grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verstoß gegen die Regeln beruht.18
Der Gedanke der Einwilligung trägt jedoch in diesen Fällen nicht, denn der Teilnehmer an 20 einem Wettkampf will eigene körperliche Verletzungen vermeiden, er will aber keineswegs durch Einwilligung in die Verletzungen einen Rechtsschutzverzicht zum Ausdruck bringen.19 Begibt sich der Teilnehmer an einem Wettkampf jedoch frei verantwortlich und in Kenntnis der möglichen Folgen seines Verhaltens in eine Gefahrensituation, so liegt insoweit eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, die einen durch das Handeln anderer Teilnehmer begründeten Zurechnungszusammenhang unterbricht.20 c) Verantwortung für körperliche Schäden durch Dopingmittel Auch wenn ein Sportler sich Dopingmittel verschreiben lässt, kann in diesem Verhalten 21 keine Einwilligung in etwaige Körperverletzungen gesehen werden. Wohl aber liegt auch hier eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, wenn der Sportler die Risiken kennt und dennoch der Verabreichung freiverantwortlich zustimmt.21 d) Verantwortung für körperliche Schäden durch Trunkenheitsfahrt. Die bewusste Teilnahme an einer Trunkenheitsfahrt entspricht in ihrer rechtlichen Pro- 22 blematik den unter b) und c) genannten Situationen. OLG Zweibrücken Blutalkohol 1965/66 S. 388: A und S hatten an einer Betriebsfeier teilgenommen und Alkohol in erheblichen Mengen getrunken. Anschließend fuhr A (1,37 %c Blutalkohol) mit dem Kfz nach Hause. S fuhr mit, obwohl er wusste, dass A getrunken hatte. Es kam zu einem Unfall. S wurde leicht verletzt. OLG Zweibrücken: Ist sich der Mitfahrer der Gefährdung durch die Fahruntüchtigkeit des Fahrers bewusst, so kann im bloßen Mitfahren bereits eine rechtfertigende Einwilligung in die Körperverletzung liegen. Sachgerechter erscheint es auch hier, eine Unterbrechung des von A begründeten Zurechnungszusammenhangs durch eigenverantwortliche Selbstgefahrdung anzunehmen, da S bewusst das Risiko, das sich in seiner Verletzung realisierte, auf sich nahm, nicht aber in eine Körperverletzung einwilligte.22 2. Die sogenannte mutmaßliche
Einwilligung
Nach h.M. kann in Fällen einer rechtlich zulässigen, aber tatsächlich fehlenden Ein- 23 willigung ein Verhalten durch eine sogenannte mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn eine Einwilligung des Berechtigten nicht zu erlangen ist, aber gemutmaßt wer-
18 19 20 21
Vgl. auch OLG Stuttgart MDR 1972 S. 623; OLG Stuttgart NJW 1992 S. 850. Dazu bereits ESER JZ 1978 S. 368 ff; SCHILD Jura 1982 S. 520 ff. Dazu eingehend OTTO Tröndle-FS, S. 170 ff, 174. Eingehender dazu OTTO SpuRt 1994 S. 10 ff.
22
V g l . a u c h GRUNDKURS STRAFRECHT A . T . , § 6 R d n . 6 0 f f .
73
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Hinzeinen
§15
den kann, weil der Rechtsgütereingriff in seinem Interesse erfolgt. Die mutmaßliche Einwilligung soll einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund bilden.^ 24 Die Problematik der mutmaßlichen Einwilligung liegt in der Festsstellung des Interesses des Betroffenen, wenn keine Anhaltspunkte für eine bestimmte Entscheidung des Betroffenen vorliegen. Die sog. mutmaßliche Einwilligung bietet keine eigenständigen Kriterien dafür, wann die Einwilligung gemutmaßt werden darf. Letztlich ist daher in diesen Fällen eine Prüfung der Rechtfertigung nach den Kriterien des § 34 vorzunehmen, indem nach objektiven Maßstäben unter Berücksichtigung besonderer subjektiver Gegebenheiten, Einstellungen u.ä. des Betroffenen das höherrangige Interesse ermittelt wird. Wird dieses beachtet, so eröffnet die Redeweise vom selbständigen Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung keine Fehlerquellen.24 3. Das Züchtigungsrecht 25 Das Züchtigungsrecht beruhte auf dem familienrechtlichen Erziehungsrecht. Mit der am 8.11.2000 in Kraft getretenen Änderung des BGB hat der Zivilgesetzgeber das Züchtigungsrecht jedoch beseitigt, indem er in § 1631 Abs. 2 BGB festlegte: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig". - Tatbestandliche Körperverletzungen sind damit nicht mehr durch das Züchtigungsrecht rechtfertigungsfahig, sondern strafbar.M Zu prüfen ist aber stets, ob eine körperliche Bestrafung - z. B. leichter Klaps oder leichte Ohrfeige - die Voraussetzungen der körperlichen Misshandlung erfüllt. - Auch zuvor waren schwere Eingriffe in die körperliche Integrität nicht gerechtfertigt.26
III. Zur Bestrafung 26 Die einfache Körperverletzung ist ein durch das Fehlen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bedingtes Antragsdelikt, § 230. 1. Strafantrag 27 Grundsätzlich setzt die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens einen Strafantrag des Verletzten voraus, §§ 77 ff. Sodann besteht die Möglichkeit der Privatklage, § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO, oder, bei „öffentlichem Interesse", des öffentlichen Verfahrens, § 376 StPO.
23
24
Vgl. BGHSt 16 S. 312; 35 S. 249; 45 S. 219 mit Anm. HOYER JR 2000 S. 473 ff; HIRSCH LK, Vor § 32 Rdn. 129; HRUSCHKA Dreher-FS, S. 205; SCH/SCH/LENCKNER Vor § 32 Rdn. 56; TRÖNDLE/FISCHER Vor § 32 Rdn. 4. eingehender GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 129 ff.
25
Vgl. BT-Drucks. 14/1247, S. 6; dazu HILLENKAMP JUS 2001 S. 165; KELLNER NJW 2001 S. 797; OTTO Jura 2001, S. 671.
26
Vgl. SCH/SCH/ESER § 223 Rdn. 20. - A.A. U. SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987, S. 210 ff.
74
Die gefährliche Körperverletzung 2. Besonderes öffentliches Interesse Ist ein besonderes öffentliches Interesse" zu bejahen, so kann die Staatsanwaltschaft auch 28 ohne Strafantrag die öffentliche Klage erheben, § 230 Abs. 1. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses unterliegt nicht der richterlichen Prüfung.27
§ 16 Die gefahrliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 224 Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, § 224, qualifiziert § 223 Abs. 1 wegen 1 der gefährlichen Begehungsweise der Körperverletzung. Weitgehend übereinstimmend wird die spezifische Gefahr der in § 224 genannten Tatmittel in der Eignung, 2 erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen, gesehen. Diese Interpretation ist insbesondere hinsichtlich des hinterlistigen Überfalls und der gemeinschaftlichen Körperverletzung vom Wortlaut des Gesetzes her angreifbar, entspricht aber dem Bemühen um eine sachgerechte Eingrenzung des Tatbestandes. - Die von HEINRICH hiergegen erhobenen Einwände sind daher durchaus nicht von der Hand zu weisen.28 Seine Auffassung, dass es hier um den Einsatz eines in besonderem Maße die Wirksamkeit des Angriffs erhöhenden Faktors zum Zwecke der Körperverletzung geht29, ist in sich schlüssig, sprengt aber die Grenzen des Gesetzeswortlauts, denn sie erfasst letztlich jedes Werkzeug als qualifizierend, nicht nur „gefährliche Werkzeuge".
Bei der Körperverletzung mittels der Beimengung von Gift oder anderen gesundheits- 3 schädlichen Stoffen, einer Waffe, oder eines anderen gefahrlichen Werkzeugs handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die Ausfuhrungsweise der Körperverletzung muss die Gefahr einer erheblichen Körperverletzung begründen. - Bei den drei anderen Ausführungsweisen (hinterlistiger Überfall, mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich, das Leben gefährdende Behandlung) handelt es sich um abstrakt gefahrliche Verhaltensweisen, weil bewusst Faktoren eingesetzt werden, die die Wirksamkeit des Angriffs in besonderem Maß erhöhen.30
II. Die einzelnen Tatmittel 1. Gift oder andere gesundheitsschädliche Stoffe Das Unrecht der ursprünglich selbständig in § 229 a.F. geregelten Vergiftung ist durch das 4 6. StrRG als Qualifikation in § 224 erfasst worden, wobei es nunmehr ausreicht, dass die Stoffe zur Schädigung der Gesundheit geeignet sind. Tatmittel sind Gift, d.h. chemische oder chemisch-physikalisch wirkende Substanzen, 5 und andere Stoffe, z.B. Bakterien, Vifen oder auch mechanisch wirkende Substanzen, die nach Art der beigebrachten Menge, der Form der Beibringung und der Beschaffenheit des Körpers des Opfers geeignet sind, die Gesundheit zu schädigen. - Beibringen setzt die Herstellung einer Körper-Stoff-Beziehung voraus, gleichgültig ob intern, z.B. durch Schlucken, oder extern, z.B. durch Begießen mit Salzsäure. Der Eintritt einer Wirkung im 27
Vgl. dazu BVerfGE 51 S. 176; BGHSt 16 S. 225; BayObLG NJW 1991 S. 1765; KRÖPIL NJW 1992 S. 654 ff.
28
HEINRICH Die gefährliche Körperverletzung, 1993, S. 494 ff.; DERS. JA 1995 S. 601 ff.
29 30
Vgl. Körperverletzung, S. 555 ff. Einheitlich als konkretes Gefährdungsdelikt wird § 224 interpretiert von ZIESCHANG Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 292 ff, als abstraktes Gefährdungsdelikt von HORN, SK II, § 224 Rdn. 3.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Inneren des Körpers ist nicht erforderlich.31 - Geeignet zur Gesundheitsschädigung sind Stoffe, wenn sie wesentliche körperliche Funktionen nicht nur für unerhebliche Dauer in nicht unerheblicher Weise zu beeinträchtigen vermögen. 2. Gefährliches Werkzeug 6 Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ist das gefährliche Werkzeug der Oberbegriff der 2. Ausführungsart, während die Waffe - hier im technischen Sinne zu verstehen - nur ein Beispiel für ein besonders gefährliches Werkzeug ist. 7 Gefährlich ist ein Werkzeug, das als Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach seiner konkreten Anwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. - Gefährliche Werkzeuge im Sinne der Vorschrift sind nicht nur mechanisch wirksame Objekte, sondern alle Gegenstände, deren Verwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Aus dem Wortsinn „Werkzeug" wird z.T. geschlossen, dass das Werkzeug ein beweglicher Gegenstand sein müsse. Vom Zweck der Vorschrift, konkret gefährliche Körperverletzungen zu vermeiden, ist diese Differenzierung nicht überzeugend. - Körperteile sind keine Werkzeuge i.S. des § 224.32 8 Beispiele: Schuh, wenn nach Ait des Einsatzes oder der Beschaffenheit erhebliche Körperverletzungen zu befürchten sind (vgl. BGH StV 1988 S. 62; OLG Hamm StV 2001 S. 350); Kleiderbügel, bei Schlägen ins Gesicht, nicht hingegen bei Schlägen aufs Gesäß (BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 367); Zange oder Schere, bei Stößen gegen den Körper, nicht hingegen, wenn eine ärztliche Zange bei einer Operation verwendet wird, da durch die sachgerechte Verwendung eines Werkzeugs bei einer Operation gerade erhebliche, über den Eingriff hinausgehende Verletzungen vermieden werden sollen (vgl. auch BGH NJW 1978 S. 1206); Spritze in der Hand nicht zugelassenen Heilpersonals33; Salzsäure, beim Spritzen ins Gesicht einer Person (BGHSt 1 S. 1); Brennspiritus, wenn er als Trinkalkohol ausgeschenkt wird (BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 526); erhitzter Kochherd, auf den jemand mit bloßem Hintern gesetzt wird (a.A. RGSt 24, S. 372); Wand, gegen die der Kopf einer Person geschlagen wird (a. A. BGHSt 22 S. 235); Zeltstange eines Festzeltes (a.A. BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 987).
3. Hinterlistiger Überfall 9 Hinterlistig ist ein Überfall, d.h. ein unvorhergesehener Angriff, bei dem der Täter seine Angriffsabsicht planmäßig verdeckt, z.B. durch Vortäuschen von Friedfertigkeit. Bloßes Ausnutzen der Überraschung genügt nicht. Beispiele: Faustschläge gegen das nichtsahnende Opfer von hinten: kein hinterlistiger Oberfall (OLG Schleswig SchlHA 1953 S. 245); desgleichen: plötzlicher Angriff auf eine gegenüberstehende Person (BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267); bloße Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers (BGH GA 1989 S. 132). Dagegen: plötzlicher Überfall nach vorherigem freundschaftlichem Gruß (BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 526); Unbemerktes Beibringung eines Schlaf- oder Betäubungsmittels in einem Getränk (BGH NStZ 1992 S. 490; BGH bei Holtz, MDR 1996 S. 551).
31
So auch BGH MDR 1976 S. 768 mit Anm. D. MEYER JuS 1977 S. 517 ff; BGHSt 32 S. 130 mit Anm. BOTTKE N S t Z 1984 S. 166 f, SCHALL J Z 1 9 8 4 S. 3 3 8 f; KÜPER B.T., S. 6 3 ; RENGIER B . T . n , § 14 R d n . 5. - A . A . JÄGER J u S 2 0 0 0 S. 35; JOECKS S t G B , § 2 2 4 R d n . 13; LILIE L K , § 2 2 3 R d n . 15; PAEFFGEN N K , § 224 Rdn. 10.
32
BGH GA 1984 S. 124 f. - A. A. HILGENDORF ZStW 112 (2000) S. 822 ff.
33
BGH NStZ 1987 S. 174; dazu GEPPERT JK 87, StGB § 223 a/2; SOWADA JR 1988 S. 123 ff; WOLSKI
76
GA 1987 S. 527 ff.
Die gefährliche Körperverletzung 4. Die mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangene Körperverletzung Die früher str. Frage, ob die gemeinschaftlich handelnden Personen Mittäter sein müssen, 10 hat das 6. StrRG dahin entschieden, dass ein gemeinschaftliches Zusammenwirken mit einem Gehilfen ausreicht.34 Erforderlich ist aber weiterhin, dass die Beteiligten gemeinschaftlich am Tatort tätig sind, da nur in dieser Situation die Abwehrbereitschaft des Opfers durch die Verteidigung gegen mehrere Angreifer geschwächt ist. 5. Lebensgefährdende Behandlung Eine lebensgefährdende Behandlung liegt vor, wenn die konkrete Handlungsweise eine 11 abstrakte Lebensgefahr begründet. Beispiele: Würgegriff am Hals (BGH StV 1993 S. 26); Anfahren mit Kfz (BGH VRS 14 S. 286); Abschütteln vom Moped (BGH bei Dallinger, MDR 1957 S. 652); schwere Schläge mit der Faust an den Kopf einer Frau (OLG Köln NJW 1983 S. 2274); kräftiges Würgen (BGH NStZ-RR 1997 S. 67). - Nicht hingegen: ein kräftiger Faustschlag auf die Nase (OLG Köln StV 1994 S. 247); Kopfstoß gegen Oberkiefer (OLG Düsseldorf JZ 1995 S. 908). - Zum Infizieren mit Aids, vgl. unter Rdn. 13 ff.
III. Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Umstände erfassen, aus denen sich die Gefahr 12 einer erheblichen Körperverletzung ergibt. - Bei der zweiten Begehungsweise muss der Täter darüber hinaus wissen, dass das Werkzeug nach seiner konkreten Anwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Bei den anderen Begehungsweisen muss der Täter sich der jeweils abstrakten Gefahr bewusst sein.3^
IV. Sonderproblem Aids 1. Infizieren mit Aids Im Infizieren mit Aids hat der BGH zutreffend eine gefährliche Körperverletzung mittels 13 einer das Leben gefährdenden Behandlung gesehen. Auch den Vorsatz hat der BGH mit dem Hinweis darauf, dass die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns ergibt, genügt, bejaht. Den Tötungsvorsatz hat der BGH im konkreten Fall mit der Erwägung abgelehnt, es sei nicht erwiesen, dass der Täter die Hemmschwelle zur Tötung überschritten habe.36 a) Die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung bei erfolgter Infizierung bezie- 14 hungsweise eines Versuchs der gefährlichen Körperverletzung bei ungeschütztem Ge34
So auch GEPPERT JK 00, StGB § 224 I Nr. 4/1; HÖRNLE Jura 1998 S. 178; JÄGER JuS 2000 S. 35 f; KÜPER B. T., S. 52; LACKNER/KÜHL § 2 2 4 R d n . 1 b; LESCH J A 1998 S. 4 7 4 ; RENGIER B. T. U, § 14
Rdn. 15. - A. A. BGH NStZ 2000 S. 194; KREY B. T. 1, Rdn. 252 b; PAEFFGEN NK, § 224 Rdn. 23; SCHROTH N J W 1998 S. 2861 f. 35
Str. - W i e hier: BACKMANN M D R 1976 S. 976; HERDEGEN B G H - F S , S. 203; LACKNER/KÜHL § 2 2 4
Rdn 9; LILIE LK, § 224 Rdn. 38. - Kenntnis der Umstände, aus denen die Gefährlichkeit sich objektiv ergibt lassen genügen für die erste Begehungsweise: BGHSt 19 S. 352; BGH NJW 1990 S. 3156; HORN SK n, § 224 Rdn. 19; TRÖNDLE/FISCHER § 224 Rdn. 13; für die fünfte Begehungsweise: BGHSt 19 S. 352; 2 8 S. 17; B G H N J W 1989 S. 785; HORN S K II, § 2 2 4 R d n . 31; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 9 Rdn. 17; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 4 Rdn. 13.
36
Vgl. BGHSt 36 S. 1, 15 f mit Anm. BRUNS MDR 1989 S. 199 ff, HELGERTH NStZ 1989 S. 117 f, HERZBERG J Z 1989 S. 4 7 0 ff, PRITTWITZ StV 1989 S. 123 f f , SCHÜNEMANN J R 1989 S. 8 9 , 9 2 f.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
schlechtsverkehr, wenn die Infizierung selbst nicht erfolgt oder nicht nachweisbar ist, erscheint zutreffend. Die Infizierung mit einer Krankheit ist eine Gesundheitsbeschädigung, auch wenn die Krankheit selbst noch nicht zum Ausbruch gekommen ist. 15 Problematischer ist die Bejahung des Vorsatzes. Maßgeblich ist hier, ob nach dem derzeit bekannten Wissensstand der ungeschützte Geschlechtsverkehr bereits die konkrete Gefahr einer Ansteckung begründet oder ob dieses Risiko aufgrund des geringen Wahrscheinlichkeitsgrades einer Ansteckung als bloß abstrakte Gefahr abgetan werden kann. Geht man mit dem BGH davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung nicht so gering ist, dass ihr bereits Zufallswert zukommt, so ist das Bewusstsein der konkreten Gefahrdung zu bejahen, denn jeder Geschlechtsverkehr ist dann geeignet, die Krankheit zu übertragen, und dieses Wissen kann im konkreten Fall nur unter besonderen individuellen Umständen fehlen. Zieht man diese Konsequenz, dann ist sowohl der Vorsatz lebensgefahrdender Behandlung als auch der einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 (Siechtum) und letztlich der - auch bedingte - Tötungsvorsatz nicht auszuschließen.37 16 b) Streitig ist, ob der kondomgeschützte Verkehr des HTV-Infizierten mit einem nicht über die Krankheit informierten Partner noch als sozialadäquates (erlaubtes) Risiko angesehen werden kann. Dagegen spricht, dass der Schutz durch ein Kondom das Risiko einer Ansteckung mindert, nicht aber ausschließt, und auch das Restrisiko noch recht erheblich ist (str.). Dafür spricht, dass öffentliche Kampagnen durch die zuständigen Gesundheitsbehörden, z.B. „Kondome schützen", das Bewusstsein geprägt haben, in diesen Fällen verbleibe nur ein irrelevantes Restrisiko. Das ist im konkreten Fall im subjektiven Tatbestand zu berücksichtigen.38 2. Einverständlicher Geschlechtsverkehr mit Aidsinfiziertem 17 Beim Geschlechtsverkehr mit einem mit Aids infizierten Partner könnte es nahe liegen, auch dann, wenn der andere Partner die Gefahr kennt und dennoch mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr einverstanden ist, den Akt als Körperverletzung des Kranken an dem bisher gesunden Partner zu interpretieren. Diese Sicht wird dem Sachverhalt des gemeinsam ausgeübten Geschlechtsverkehrs jedoch nicht gerecht. Beide Partner sind im Hinblick auf den gefährlichen Akt Mitträger der Tatherrschaft bei einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. Damit aber lässt sich der Sachverhalt nicht als täterschaftliche Verletzung des anderen durch den infizierten Partner erfassen.3« 37
Im einzelnen zur Diskussion außer den oben genannten: BOTTKE in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von Aids, 1988, S. 171 ff; GEPPERT Jura 1987 S. 668 ff; Herzberg in: Szwarc (Hrsg), AIDS und Strafrecht, 1996, S. 61 ff; KNAUER GA 1998 S. 431 ff; KREUTZER ZStW 100 (1988) S. 786 f f ; LILIE L K , V o r § 2 2 3 R d n . 13; H. W . MAYER JUS 1990 S. 7 8 4 f f ; B . - D . MEIER G A 1989 S. 2 0 7 f f ;
PAEFFGEN NK, § 224 Rdn. 35; RENGIER Jura 1989 S. 225 ff; SCHÜNEMANN in: Szwarc (Hrsg), AIDS und Strafrecht, 1996, S. 9 ff. - Für Anwendung des § 330 a: WLSENSCHIL ZRP 1998 S. 63.
38
Eingehend zum Streitstand KNAUER AIFO 1994 S. 466 ff; DERS. GA 1998 S. 439 ff. - Im übrigen vgl. einerseits FRISCH JuS 1990 S. 364; H. - W. MAYER JuS 1990 S. 786; RENGIER Jura 1989 S. 231; ande-
rerseits BRUNS MDR 1989 S. 199; HERZBERG JZ 1989 S. 475; DERS. in: Szwarc (Hrsg.), Rechtsprop l e m e , S. 83; B . - D . MEIER G A 1 9 8 9 S. 2 3 0 ; PRITTWITZ S t V 1 9 8 9 S. 127.
39
Vgl. dazu auch BayObLG NJW 1990 S. 131 mit Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 223a/4; BOTTKE in: R e c h t s p r o b l e m e , S. 182 f f , 184; DÖLLING J R 1990 S. 4 7 5 f f ; EBERBACH J R 1986 S. 2 3 1 ; HELGERTH N S t Z 1988 S. 2 6 1 f f ; HERZBERG N J W 1987 S. 1462; HERZOG/NESTLER-TREMEL S t V 1 9 8 7 S. 3 6 6 ; OTTO T r ö n d l e - F S , 1989, S. 166 f; PRITTWITZ J A 1988 S. 4 3 2 ; RENGIER J u r a 1 9 8 9 S. 2 2 5 , 2 3 0 ; SCHLEHOFER N J W 1989 S. 2 0 1 7 ff.
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Schwere Körperverletzung 3. Blutentnahme flir verheimlichten
Aids-Test Aids-Tests, die zur sachgerechten Diagnose oder Therapie bei einer ärztlichen Behandlung 18 erforderlich sind, werden von der Einwilligung in die Untersuchung oder Behandlung erfasst und sind daher - auch soweit dieser Eingriff als Körperverletzung angesehen wird; dazu § 15 Rdn. 6 ff - nicht als solche aufklärungsbedürftig.40 Bei einer Blutentnahme und ihrer Untersuchung zum Schutz Dritter (Arzt und Personal) 19 ist die Venenpunktion in jedem Fall ein Eingriff in die körperliche Integrität, der als tatbestandsmäßige Körperverletzung anzusehen ist. Dieser Eingriff ist durch die Einwilligung in die Untersuchung und/oder Behandlung nicht gedeckt. In Betracht kommt aber eine Rechtfertigung nach § 34. Grundsätzlich wird man hier, wenn Schutzmaßnahmen aufgrund der Behandlung oder Untersuchung angezeigt sind, eine Rechtfertigung nach § 34 annehmen müssen.41 Soweit eine Ansteckungsgefahr aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen erscheint, entfällt die Recht- 20 fertigung.42 Unter Verweis auf das Erfordernis der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel bei der Einwilligung wird eine Rechtfertigung durch Einwilligung stets dann bejaht, wenn der Betroffene über den körperlichen Eingriff aufgeklärt worden ist. Die Täuschung über den Test soll als Motivirrtum irrelevant sein.43 Damit wird der Einwilligung letztlich die Bedeutung genommen, sicherzustellen, dass Eingriffe in die körperliche Integrität nur insoweit zulässig sind, wie der Rechtsgutsinhaber in voller Kenntnis der Situation über seine körperliche Integrität verfügt hat.44
§ 17 Schwere Körperverletzung I. Der Aufbau des § 226 1. Die fahrlässige
und bedingt vorsätzliche Tatbegehung, Abs. 1 § 226 qualifiziert den Grundtatbestand des § 223 aufgrund der Art und Schwere des Er- 1 folges. Er ist erfolgsqualifiziertes Delikt. Die Aufzählung schwerer Folgen ist abschließend.45 a) In der schweren Folge muss sich eine in der Körperverletzungshandlung typischerweise 2 angelegte Gefahr realisiert haben.46
40
V g l . LACKNER/KÜHL, § 2 2 8 R d n . 15; LAUFS/LAUFS N J W 1987 S. 2 2 6 3 ; LAUFS/NARR M e d R 1987 S. 2 8 2 ; LESCH N J W 1989 S. 2 3 0 9 f f ; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 4 1 ; SOLBACH/SOLBACH M e d R 1988 S. 2 4 1 .
41
Vgl. auch BOITKE in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von AIDS, 1988, 226; SCHÜNEMANN in: Busch (Hrsg.), HIV/AIDS und Straffälligkeit, 1991, S. 144; SOLBACH/SOLBACH JA 1988 S. 116.
42
D a z u BRUNS M D R
1987 S. 3 5 5 ; EBERBACH N J W 1987 S. 1472; JANKER N J W 1987 S. 2 9 0 2 f ;
DERS. Strafrechtliche Aspekte heimlicher Aids-Tests, 1988, S. 85 ff; MICHEL JuS 1988 S. 10. 43
Vgl. SCHLEHOFER Jura 1989 S. 265.
44
Eingehender zur Kritik an der Lehre von der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel: OTTO GeerdsFS, S. 615 ff.
45 46
Vgl. auch BGH StV 1992 S. 115. Die Problematik der Zurechnung der schweren Folge entspricht hier der des § 227; vgl. zur Auseinandersetzung daher unter § 18 Rdn. 1 ff.
79
§ 17
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3 b) Die Körperverletzung muss vorsätzlich, die in Abs. 1 beschriebene schwere Folge fahrlässig oder bedingt vorsätzlich verursacht worden sein, § 18, da sonst eine Strafbarkeitslücke zwischen Abs. 1 und Abs. 2 begründet würde. 2. Die absichtliche oder wissentliche Tatbegehung, Abs. 2 4 § 226 Abs. 2 qualifiziert den § 226 Abs. 1 wegen des erhöhten subjektiven Unrechts. - Hat der Täter eine der in § 226 Abs. 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich verursacht, so greift § 226 Abs. 2 ein.
II. Die einzelnen Merkmale 1. Verlust des Sehvermögens, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit, Abs. 1 Nr. 1 5 Ein Verlust des Sehvermögens, des Gehörs oder des Sprechvermögens liegt vor, wenn dies auf einen im täglichen Leben nicht mehr wesentlichen Rest reduziert ist.47 - Sprechvermögen ist die Fähigkeit zu artikuliertem Reden. - Fortpflanzungsfähigkeit erfasst Zeugungsund Empfängnisfähigkeit.48 Bei der Prognose, ob ein Verlust als dauernd angesehen werden kann, ist die Möglichkeit einer zumutbaren operativen Wiederherstellung zu berücksichtigen. 2. Verlust oder Unbrauchbarkeit eines wichtigen Glieds, Abs. 1 Nr. 2 6 Wichtiges Glied ist ein Körperteil mit herausgehobener Funktion im Gesamtorganismus. Das sind nicht nur die durch Gelenke verbundenen äußeren Körperteile, z.B. Daumen oder Zeigefinger, sondern auch innere Organe, z.B. die Niere.49 Denn entscheidend für die Qualifizierung ist die Schwere der körperlichen Schädigung, nicht aber eine formale Unterscheidung nach äußeren und inneren Organen. 7 Wichtig bestimmt die h.M. aus der Sicht des individuell Betroffenen (wichtig z.B. der kleine Finger des Pianisten), während die Gegenmeinung die Wichtigkeit aus der Funktion für den Gesamtorganismus bestimmt.'0 - Der h.M. ist zuzustimmen, denn sie eröffnet den sachgerechteren Schutz des individuellen Opfers, ohne dem Täter ein unangemessenes Risiko anzulasten, da der subjektive Tatbestand sich auf die Voraussetzungen, die das Glied zu einem wichtigen machen, beziehen muss. 8 Dem Verlust des Gliedes, d.h. der Abtrennung des Körperteils, hat der Gesetzgeber die dauernde Unbrauchbarkeit, d.h. die dauernde Funktionsuntüchtigkeit gleichgestellt.51 3. Die dauernde Entstellung, Abs. 1 Nr. 3, 1. Alt. 9 Eine erhebliche dauernde Entstellung liegt vor, wenn die Verunstaltung der Gesamterscheinung nicht in absehbarer Zeit zu beheben ist. Kann die Entstellung durch künstliche 47
48 49
Verminderung des Sehvermögens um 20 % noch nicht relevant; AG Köln MDR 1981 S. 780. Vgl. BT-Drucks. 13/9064 S. 16. So auch OLG Neustadt NJW 1961 S. 2076; EBERT JA 1979 S. 278; KÜPER B. T„ S. 171; RENGIER BGH-FG, S. 471 f. - A.A. BGHSt 28 S. 100; HIRSCH JZ 1979 S. 109; JÄGER JuS 2000, S. 37; PAEFFGEN N K , § 2 2 4 R d n . 2 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 6 R d n . 6.
50
Zur Auseinandersetzung: PAEFFGEN NK, § 226 Rdn. 24.
51
Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 16; dazu RENGIER ZStW 111 (1999) S. 16.
80
Körperverletzung mit Todesfolge Hilfsmittel beseitigt werden, so ist dies zu berücksichtigen.52 4. Der Verfall in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit, Abs. 1 Nr. 3, 2.- 5. Alt. Verfall ist ein in absehbarer Zeit nicht behebbarer chronischer Krankheitszustand. - Siech- 10 tum bedeutet ein Schwinden geistiger und körperlicher Kräfte, das zur allgemeinen Hilflosigkeit führt. - Lähmung ist die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit eines Körperteils, die - wenn auch mittelbar - die Bewegungsfähigkeit des ganzen Körpers in Mitleidenschaft zieht, z.B. die Versteifung des Hüftgelenks, eines Armes oder des Knies.53 - Geisteskrankheiten sind die exogenen und endogenen Psychosen. - Die Behinderung meint gleichfalls geistige Behinderungen, wie der enge Bezug auf die Geisteskrankheit und die Selbständigkeit des Merkmals ergeben, das sonst die Nr. 1 weitgehend enthalten würde. Erfasst werden als geistige Behinderung die dauerhaften geistigen Beeinträchtigungen, die nicht psychiatrisch behandelbar sind.54
III. Versuch und Täterschaft 1. Der Versuch Soweit der Täter die schwere Folge vorsätzlich anstrebt oder sich ihrer Verwirklichung 11 bewusst ist, § 226 Abs. 2, bzw. die konkrete Gefahr ihrer Verwirklichung erkannt hat und dennoch handelt (bedingter Vorsatz), § 226 Abs. 1, ist nach h.M. ein strafbarer Versuch möglich, da die Situation der eines vorsätzlichen Erfolgsdelikts entspricht. Aber auch dann, wenn der Täter bereits beim Versuch des Grandtatbestandes die schwere Folge fahrlässig verwirklicht, § 226 Abs. 1, liegt ein strafbarer Versuch vor.55 2. Täterschaft Ob Täterschaft oder Teilnahme vorliegt, ist nach den Beteiligungsformen am Grunddelikt 12 zu bestimmen. - Eine Bestrafung aus § 226 setzt aber die im einzelnen geforderten subjektiven Voraussetzungen bei dem jeweiligen Beteiligten bezüglich der schweren Folge voraus.
§ 18 Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 227 1. Das Verhältnis zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge a) § 227 beschreibt ein erfolgsqualifiziertes Delikt; beachte § 18. 1 b) Einigkeit besteht heute darüber, dass zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der Herbeiführung der schweren Folge eine engere Beziehung bestehen muss als die bloße Kausalität. Der Erfolg muss sich als Realisierung der typischen (spezifischen) Gefahr des Grundtatbestandes erweisen.56 52
B G H S t 2 4 S. 3 1 5 m i t A n m . HANACK J R 1 9 7 2 S. 4 7 2 f f , u n d ULSENHEIMER J Z 1 9 7 3 S . 6 4 f f . - Z u r
53
Schönheitsoperation LG Berlin NStZ 1993 S. 286. Vgl. auch BGH NJW 1988 S. 2622.
54
Vgl. HÖRNLE Jura 1998 S. 179; WOLTERS JuS 1998 S. 585. - Einschr. SCHROTH NJW 1998 S. 2862 f.
55
Str. vgl. i m e i n z e l n e n GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 18 R d n . 7 8 f f .
56
Ursprünglich hatte die Rechtsprechung hier auf das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der besonderen Folge abgestellt - vgl. BGHSt 14 S. 112; 19 81
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§18
2
Da das erfolgsqualifizierte Delikt besonders gefährlichen Handlungen entgegenwirken will, ist dieser Zusammenhang dann gegeben, wenn der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausganges anhaftet und sich eben dieses spezifische, der Tathandlung eigene Risiko im Eintritt des Erfolges verwirklicht.57 - Maßgeblich ist es daher nicht in erster Linie, ob der Tod nach einer Körperverletzung durch den Täter, das Opfer selbst oder einem Dritten herbeigeführt wurde,58 wohl aber fehlt es an dem nötigem Zusammenhang, wenn der Tod auf dem freiverantwortlichem Verhalten eines Dritten oder des Opfers in voller Kenntnis der Gefahrensituation beruht.59 3 c) Bei einer mittäterschaftlichen Körperverletzung kann der unmittelbar von einem Mittäter verursachte Todeserfolg den anderen Mittätern zugerechnet werden, wenn die körperverletzende Handlung im Rahmen des gemeinschaftlichen Körperverletzungsvorsatzes lag und auch den anderen Mittätern hinsichtlich des Todeserfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt.«» 4 e) Ein straßarer Versuch des § 227 liegt vor, wenn der für den Täter vorhersehbare Todeserfolg beim Versuch des Grunddelikts eintritt; vgl. dazu oben § 17 Rdn. 11.- Strebt der Täter den Todeserfolg vorsätzlich an, so greifen die §§ 211 ff ein, § 227 ist subsidiär. 2. Zur Einübung 5 a) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 196: A benutzt eine Pistole als Schlagwerkzeug gegen B. Ungewollt löst sich ein Schuss, durch den B getötet wird. BGH: § 226 a.F. liegt vor. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Tod durch Erschießen ist nicht mehr typische Folge eines Schlages mit gefährlichem Werkzeug. Nicht die Schlaggefahr hat sich realisiert, sondern eine Gefahr, die nicht typisch war für die angestrebte Verletzung.61 6 b) BGH NJW 1971 S. 152: A schlägt auf die B ein und verletzt sie erheblich. Um weiteren Schlägen zu entgehen, springt B aus dem Fenster. Sie stürzt tödlich. BGH: § 226 a.F. liegt nicht vor, nur §§ 223, 222, 52. - Dem wäre im Ergebnis zuzustimmen, wenn B mit im Rechtssinn freien Willen gehandelt hätte. Da sich B jedoch in einem Nötigungsnotstand befand, war ihr Wille nicht frei, und insofern ist der Erfolg dem A zuzurechnen, nicht aber auf die freie - den Zurechnungszusammenhang unterbrechende - Entscheidung der B zurückzuführen. - Zweifelhaft ist allerdings,
S. 387; 24 S. 215 -, später diese zu engen Grenzen jedoch gesprengt - vgl. BGHSt 31 S. 98 f; 32 S. 27 f; BGH NJW 1992 S. 1708 f -, ohne sich jedoch ausdrücklich vom Unmittelbarkeitserfordernis zu distanzieren; vgl. dazu auch GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 11 Rdn. 4 ff; PAEFFGEN NK, § 227 Rdn. 8. 57
Vgl. B G H StV 1998 S. 2 0 3 m i t A n m . OTTO J K 9 8 , S t G B § 2 2 6 a. F./8; LAUBENTHAL J Z 1987 S. 1068;
PAEFFGEN NK, § 227 Rdn. 9; WOLTER JR 1986 S. 466. - Einen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Grundtatbestandes und dem Todeserfolg fordern demgegenüber: GEILEN W e l z e l - F S , S. 6 8 1 ; HIRSCH J R 1983 S. 7 8 ff; DERS. L K , § 2 2 7 R d n . 5; KÜPPER D e r „ u n m i t t e l b a r e "
Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 8 5 f f ; DERS. Hirsch-FS, S. 6 1 7 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 2 7 R d n . 2; SCHLAPP StV 1983 S. 6 2 ff; ULSENHEIMER G A 1966 S. 2 7 2 .
58
Vgl. BGH StV 1998 S. 203.
59
Vgl. B G H S t 31 S. 9 9 ; 3 2 S. 2 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 2 7 R d n . 2 ; PUPPE N S t Z 1983 S. 2 2 ff; RENGIER Jura 1986 S. 143 f f ; SCH/SCH/STREE § 2 2 6 R d n . 4 ; STREE J Z 1983 S. 75; TRöNDLE/FlSCHER § 2 2 7 Rdn. 2.
60
Vgl. BGH NStZ 1994 S. 339 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 226/5; BGH StV 1997 S. 581 mit Anm.
61
D a z u vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 11 R d n . 12; SCHMIDHÄUSER B.T., 2/50.
STEIN S. 5 8 2 f; LACKNER/KÜHL § 2 2 7 R d n . 3; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 7 R d n . 5.
82
Körperverletzung mit Todesfolge ob der BGH noch an dieser Rechtsprechung festhält, denn in einem Falle „selbstschädigenden Panikverhaltens" durch das Opfer hat er den Zurechnungszusammenhang bejaht.62 c) BGHSt 31 S. 96: A warf den Hochsitz um, auf dem der D in 3,5 m Höhe saß. D fiel herunter und brach 7 sich den Knöchel. Der Bruch wurde operativ behandelt. Nach der Entlassung aus der Klinik blieb D fast ausschließlich im Bett. Ihm war nicht gesagt worden, dass er der Gefahr einer Lungenembolie durch Bewegung vorbeugen müsste. D starb an einer Lungenembolie. BGH: § 226 a.F. ist gegeben. - Dem ist zuzustimmen, denn im Tode des D realisierte sich eine in einer Körperverletzung typischerweise angelegte Gefahr. Die Tatsache, dass D sachwidrig nicht auf die Emboliegefahr hingewiesen worden war, unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, da hier kein Handeln eines Dritten im vollen Bewusstsein der Gefahrensituation vorliegt. d) BGH NStZ 1994 S. 394: P und S hatten die H zusammengeschlagen. H, die alkoholkrank war, wurde 8 schwerverletzt in ein Krankenhaus gebracht. Obwohl der H mitgeteilt worden war, dass sie stationär behandelt werden müsse, weil Lebensgefahr bestehe, begab sie sich in ihre Wohnung zurück, um dort weiter zu trinken. - H starb drei Tage später an Verletzungen, die durch die Fausthiebe von P und S ausgelöst worden waren. Im Falle einer Behandlung der H wäre der Tod verhindert worden. BGH: In dem Tod der H hat sich die dem Grundtatbestand des § 223 StGB anhaftende eigentümliche Gefahr niedergeschlagen, da der Eintritt des Todes nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag. - Diese Überlegungen gehen an der Problematik des Falles vorbei, denn bei der Frage, ob jemand aufgrund eigenverantwortlicher Selbstgefahrdung für einen Erfolg verantwortlich ist oder nicht, geht es nicht darum, ob dem „Erstgefährdenden die eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers nach aller Lebenserfahrung vorhersehbar war oder nicht." Es geht darum, ob der Ersttäter auch für ein selbstgefahrdendes Verhalten des Opfers verantwortlich ist oder nicht. Das aber ist der Erstgefährdende nicht, wenn das Opfer den durch das für den Erfolg kausale Verhalten des Ersttäters begründeten Zurechnungszusammenhang dadurch unterbricht, dass es diesen von der Einflussnahme auf das Geschehen ausschließt oder sich frei verantwortlich in voller Kenntnis des Risikos diesem aussetzt.63 e) BGH NStZ 1992 S. 333: A hatte dem M mehrmals mit einem Gummihammer auf den Kopf geschlagen. 9 M stürzte bewusstlos zu Boden. A hielt ihn bereits für tot und entfernte sich. Er traf den B, dem er den Vorfall schilderte. B wollte sich selbst von dem Geschehen überzeugen. Er ging in die Wohnung des M, fand diesen und hielt ihn gleichfalls für tot. Um einen Suizid vorzutäuschen, hängte er den M an der Türklinke auf. - Die Obduktion ergab, dass die Hammerschläge tödlich gewesen wären. Gestorben war M aber an der Strangulation. BGH: A ist strafbar nach § 226 a.F. - Diese Zurechnung des Verhaltens des B als Verhalten des A ist mit den auch von der Rechtsprechung anerkannten Zurechnungskriterien im Rahmen des § 226 a.F. nicht zu vereinbaren.64 - Auch der BGH betont grundsätzlich, dass der Erfolg im Sinne des § 226 a.F. nicht vorliegt, wenn der Tod erst bei der Verdeckung der Tat eintritt.65 f) BGHSt 32 S. 25: A versetzte dem D einen kräftigen Faustschlag gegen den Kopf. Dadurch verlor D das 10 Gleichgewicht, fiel zu Boden und schlug mit dem Schädel auf die Asphaltdecke auf. Anschließend trat N dem D unabhängig von A mit großer Wucht an den Kopf. D erlitt 2 Schädelbrüche und starb. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der durch das Aufschlagen oder durch das Zuschlagen entstandene Schädelbruch zum Tode führte oder beide zusammen. BGH: Eine Bestrafung des A nach § 226 a.F. kommt nicht in Betracht, da nicht festgestellt ist, dass sich im Tode des D die der Körperverletzung des A „anhaftende, ihr eigentümliche Gefahr verwirklicht" hat. - Aus gleichem Grunde entfallt auch die Strafbarkeit nach § 226 a.F. bei N. 66
62
V g l . B G H N S t Z 1 9 9 2 S. 3 3 5 m i t A n m . GEPPERT J K 9 2 , S t G B § 2 2 6 / 3 ; GRAUL J R 1 9 9 2 S . 3 4 4 f f ;
MITSCH Jura 1993 S. 18 ff. 63
Vgl. auch OTTO JK 95, StGB §226/6.
64
Vgl. auch DENCKER NStZ 1992 S. 311 ff; OTTO JK 93, StGB § 226/4; PUPPE JR 1992 S. 511 ff. - Ver-
65
66
gleichbar in der Argumentation aber wiederum BGH NStZ 2001 S. 29. Vgl. BGH StV 1993 S. 7 5 . Vgl. auch BGH MDR 1979 S. 279. - A.A. aber: BGH MDR 1977 S. 282; BGH MDR 1984 S. 442.
83
§19
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
11 g) BGH NJW 1995 S. 3194: B, der Lebensgefährte der A wirkte auf den füni]ährigen Sohn der A derart gewalttätig ein, dass dieser schwer verletzt wurde. Das Kind schrie, verweigerte jede Nahrung und fiel schließlich in Bewusstlosigkeit. - Zu diesem Zeitpunkt hätte das Kind aber nicht gerettet werden können. Als es später ins Krankenhaus gebracht wurde, war es bereits tot. BGH: A ist nicht der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig, denn unmittelbare Ursache für den Tod des Kindes war nicht der Umstand, dass die A trotz des sich drastisch verschlechternden Umstandes nichts zu dessen Rettung unternahm, sondern die von B verursachten Verletzungen. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn auch im Unterlassen der Verhinderung der weiteren Verschlechterung des Körperzustandes ist eine vorsätzliche Körperverletzung zu sehen, deren spezifische Gefahr darin lag, dass durch diese Unterlassung der Tod des Kindes nicht verhindert wurde.67
n. Der Strafrahmen des § 227 Abs. 2 12 Bei Vorliegen einer Provokationssituation i.S. des § 213, 1. Alt. ist zwingend ein minder schwerer Fall i.S. des § 227 Abs. 2 anzunehmen.68
§ 19 Körperverletzung im Amt 1. Rechtsnatur des § 340 1 § 340 ist als qualifizierte Körperverletzung ein unechtes Amtsdelikt, und zwar § 340 Abs. 1, 2 gegenüber § 223. - § 340 Abs. 3 erstreckt die Alternative des „Begehenlassens" des § 340 Abs. 1 auf die §§ 224 - 229. 2 Weil der Täter bei der Verletzung eines individuellen Rechtsguts zugleich das Ansehen des Staates als Rechtsstaat gefährdet, ist die Amtseigenschaft ein straferhöhendes Merkmal, und zwar ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2.69 2. Die Tathandlung 3 a) Der Täter muss die Körperverletzung während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begehen oder begehen lassen. 4 Die Formulierung des Tatbestandes scheint darauf hinzudeuten, dass bei einer Körperverletzungshandlung, die zeitlich in die Ausübung des Dienstes fällt, in jedem Fall der Tatbestand erfüllt ist.70 Diese Interpretation des Tatbestandes wird seinem Wesen - vgl. oben unter Rdn. 2 - jedoch nicht gerecht. Nur dann, wenn die Handlung in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Ausübung des Dienstes steht, ist das qualifizierende Element - Beeinträchtigung des Ansehens des Staates als Rechtsstaat - erfüllt. Eine bei Gelegenheit der Amtsausübung begangene Körperverletzung erfüllt den Tatbestand nicht.71 5 b) Begehen liegt vor, wenn der Amtsträger die Körperverletzung als Täter oder Mittäter verwirklicht. - Begehenlassen bedeutet Tatausführung in mittelbarer Täterschaft. 67 68 69
Vgl. auch O r r o JK 96, StGB § 226/7; WOLTERS JR 1996 S. 471 ff. - Anders aber INGELFINGER GA 1997 S. 5 7 3 ff, 5 9 0 . BGHSt 25 S. 222,224; BGH NStZ-RR 2000 S. 80. H.M. - A.A. WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 85 ff; DERS. ZRP 1975 S. 273 f: eigenständiges Amtsdelikt, dessen Unrechtsgehalt in der Begehung von Staatsunrecht liegt.
70
V g l . TRÖNDLE/FISCHER § 3 4 0 R d n . 2; WAGNER Z R P 1975 S. 2 7 3 .
71
H . M . , vgl. z.B. AMELUNG/WEIDEMANN JUS 1 9 8 4 S. 5 9 7 ; KUHLEN N K , § 3 4 0 R d n . 8; LACKNER/KÜHL § 3 4 0 R d n . 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 9 R d n . 37; SCHMIDHÄUSERB.T., 1/20.
84
Körperverletzung im Amt Die h.M. lässt darüber hinaus auch Anstiftung und Beihilfe für das Begehenlassen genügen.72 Damit wird jedoch im Rahmen des § 340 letztlich vom Einheitstäterbegriff ausgegangen, dem die §§ 25 ff gerade nicht entsprechen.73 c) Nach h.M. fallt auch das garantiepflichtwidrige Unterlassen eines Amtsträgers unter die 6 Alternative ,3egehenlassen". 7 4 - D e m ist nicht zu folgen, denn die Nichtabwendung der Körperverletzung durch einen anderen ist ein pflichtwidriges Geschehenlassen und entspricht damit gemäß § 13 dem b e g e h e n " . 7 ' 3.
Rechtfertigung
a) Das Delikt ist Körperverletzungsdelikt. Hoheitliche Eingriffsrechte in die körperliche 7 Integrität des Betroffenen rechtfertigen daher das Verhalten. b) Auch die Einwilligung des Verletzten in die Körperverletzung hat rechtfertigende Kraft. 8 Wie ausgeführt beruht das besondere Unrecht dieses Tatbestands darauf, dass das Ansehen des Staates als Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn der Täter in Ausübung der Amtsgewalt eine Körperverletzung begeht. Körperverletzung in diesem Sinne kann aber nur der Unrechtstatbestand einer Körperverletzung sein. Liegt dieser Unrechtstatbestand wegen der Einwilligung des Verletzten nicht vor, so leidet auch das Ansehen des Staates nicht. Durch den Verweis auf § 228 in Abs. 3 stellt das Gesetz diesen Sachverhalt nunmehr klar.7* Zur
Verdeutlichung
a) Der Polizeibeamte P verprügelt bei einer Vernehmung den X, weil er sich über dessen freche Antworten 9 ärgert. Ergebnis: § 340 Abs. 1. b) Der Gerichtsvollzieher G, der eine Pfändung vornimmt, sieht plötzlich seinen Nebenbuhler N, der mit der Pfändung nichts zu tun hat. Diesen verprügelt er. Ergebnis: § 223; str. vgl. oben Rdn. 4. c) OLG Karlsruhe MDR 1983 S. 250: Der als Chefarzt eines Kreiskrankenhauses tätige A nimmt eine Operation ohne rechtswirksame Einwilligung vor. OLG Karlsruhe: Der Chefarzt ist zwar Amtsträger i.S. des § 340, er hat die Körperverletzung jedoch nicht „während der Ausführung seines Dienstes" oder „in Beziehung auf seinen Dienst begangen", denn die konkrete Heilbehandlung des einzelnen Patienten ist keine dienstliche Tätigkeit i.S. des § 340. Kritik: Da auch die Heilbehandlung im Rahmen der Daseinsvorsorge, die das Kreiskrankenhaus wahrnimmt, erfolgte, überzeugt diese Begründung nicht. Hier zeigen sich die misslichen Konsequenzen der Prämisse, den Heileingriff schlechthin als Körperverletzung zu interpretieren. d) BGH NJW 1983 S. 462: Der Krankenpfleger K versorgt die in einer Entziehungsanstalt befindlichen Alkoholsüchtigen mit Alkohol. BGH: K ist strafbar nach § 340 Abs. 1, da eine Einwilligung der Abnehmer nicht rechtfertigt. - Dem wäre nur zuzustimmen, wenn die Abnehmer aufgrund ihrer Sucht unzurechnungsfähig waren. Handelten sie im Rechtssinne freiverantwortlich, so entfällt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 340.
7 2
Vgl. R G S t 6 6 S. 5 9 ; KUHLEN N K , § 3 4 0 R d n . 10; LACKNER/KÜHL § 3 4 0 R d n . 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 9 R d n . 37; SCH/SCH/CRAMER § 3 4 0 R d n . 4.
73
So auch HIRSCH LK, 10. Aufl., § 340 Rdn. 9.
74
V g l . z.B. KUHLEN N K , § 3 4 0 R d n . 10; LACKNER/KÜHL § 3 4 0 R d n . 2.
75
Vgl. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 37.
76
V g l . a u c h KUHLEN N K , § 3 4 0 R d n . 5; LACKNER/KÜHL § 3 4 0 R d n . 4 ; RENGIER B . T . n , § 6 2 R d n . 5.
85
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§20
§ 20 Misshandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 225 1 In der Alternative der rohen Misshandlung und der Gesundheitsschädigung erfasst § 225 Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit. Insoweit ist er als ein durch das Schutzverhältnis zwischen Täter und Opfer qualifiziertes Körperverletzungsdelikt anzusehen. 2 In der Alternative des Quälens hingegen richtet sich die Tathandlung auch gegen die Psyche des Opfers. Das Delikt ist insoweit als Straftat gegen das „Seelenleben des Menschen" zu begreifen, das je nach den Tatumständen zu Körperverletzungsdelikten in Idealkonkurrenz stehen kann.77 3 Die Schutzposition ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28. In der Körperverletzungsalternative ist § 225 demnach als unechtes Sonderdelikt zu sehen, in der Alternative des seelischen Quälens als echtes Sonderdelikt.
II. Einzelheiten zur Interpretation 1. Die Tatsituation 4 Die Tatsituation ist durch die Mindeijährigkeit bzw. die Wehrlosigkeit des Opfers sowie ein Abhängigkeitsverhältnis dem Täter gegenüber gekennzeichnet. Dem Schutzverhältnis muss eine rechtliche Verpflichtung zugrunde liegen. Bloße Gefälligkeitsverhältnisse begründen kein Fürsorgeverhältnis im Sinne des § 225.78 2. Die Tathandlung 5 Quälen ist das Zufügen dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Wird das Quälen durch mehrere Handlungen verwirklicht, so bilden diese eine tatbestandliche Handlungseinheit.79 Eine rohe Misshandlung ist eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung, die sich in erheblichen Folgen äußert, sei es in erheblichen Schmerzen oder in einer erheblichen Verletzung der Körperintegrität.80 Auf böswilliger Vernachlässigung der Sorgepflicht beruht die Gesundheitsschädigung, wenn diese aus sozialethisch besonders verwerflichem Motiv heraus (Hass, Sadismus, nicht aber Gleichgültigkeit) erfolgt.»» 6 Alle drei Tatbestandsalternativen können durch Unterlassen verwirklicht werden, denn aus der Begrenzung der 3. Tatalternative, Gesundheitsschädigung, auf die Fälle böswilli-
77
V g l . B G H N J W 1 9 9 9 S. 7 2 ; KREY B . T . 1, R d n . 3 0 9 ; RENGIER B . T . II, § 17 R d n . 1. - F ü r ein g e g e n -
über den Körperverletzungsdelikten selbständiges Delikt: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 10 Rdn. 2; W. MEURER Probleme des Tatbestandes der Misshandlung Schutzbefohlener (§ 223 b StGB), Diss. Köln 1997, S. 93 f; WESSELS/HETTINGER B. T./1, Rdn. 310. 78
Vgl. BGH NJW 1982 S. 2390. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 10 Rdn. 6 f.
79
Vgl. dazu BGHSt 41 S. 113 mit Anm. HIRSCH NStZ 1996 S. 37; OTTO JK 96, StGB § 223 b/2; WOLFSLAST/SCHMEISSER JR 1996 S. 338 f; im einzelnen dazu W. MEURER Probleme, S. 42 ff; WARDA Hirsch-FS, S. 391 ff.
80
BGHSt 25 S. 277.
81
Dazu BGHSt 3 S. 20.
86
Fahrlässige Körperverletzung
§21
gen Verhaltens kann nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber als Unterlassen überhaupt nur Fälle böswilligen Verhaltens erfassen wollte.82 3. Qualifizierte Tatbestände Abs. 2 nennt zwei Qualifikationstatbestände: Zum einen, dass die Schutzbefohlene Person 7 in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 gebracht worden ist (Nr. 1), zum anderen in die konkrete Gefahr einer erheblichen Entwicklungsbeschädigung im Sinne von § 171 (Nr. 2).
III. Zur sozialen Relevanz des § 225 Die Zahl der Verurteilungen hält sich relativ konstant: 1960: 235, 1975: 297, 1981: 228, 8 1986: 289, 1991: 254, 1996: 248. Die Zahl der polizeilich erfassten Fälle ist jedoch höher: 1975: 1644, 1981: 1999 Fälle, darunter 1423 Kindesmisshandlungen, 1986: 1643 Fälle, darunter 1205 Kindesmisshandlungen, 1991: 2102 Fälle, darunter 1571 Kindesmisshandlungen, 1996: 2818 Fälle, darunter 1972 Kindesmisshandlungen. - Die Dunkelziffer ist erheblich: Schätzungen gehen dahin, dass 95 % der Fälle den Behörden nicht bekannt werdend
§ 21 Fahrlässige Körperverletzung 1. Deliktsspezifische Probleme der fahrlässigen Körperverletzung, § 229, sind nicht ge- 1 geben. Es gilt das zum Aufbau und zur Problematik der fahrlässigen Tötung Ausgeführte mit dem einzigen Unterschied, dass der Erfolg dieses Delikts nicht im Tode eines anderen Menschen besteht, sondern in einer Körperverletzung; vgl. dazu § 9. 2. Zur Körperverletzung vgl. die Ausführungen zu § 223 unter § 15 Rdn. 1 ff. 3. Zum Strafantrag vgl. § 15 Rdn. 27 f.
§ 22 Vergiftung Der Tatbestand der Vergiftung wurde durch das 6. StrRG aufgehoben und der Einsatz von 1 Gift und anderen gesundheitsschädlichen Stoffen bei der Körperverletzung als Qualifikation, § 224 Abs. 1 Nr. 1, erfasst.
82
vgl. BGH NStZ 1991 S. 234 mit Anm. OTTO JK 91, StGB § 223 h/1; BGH NStZ-RR 1996 S. 197; PAEFFGEN N K , § 225 Rdn. 18 m. N. - Z u r Gegenansicht: W . MEURER Probleme, S. 7 6 ff m.N.
83
Zur Vertiefung: ARBEITSGRUPPE KINDERSCHUTZ Gewalt gegen Kinder, 1983; GEERDS MSchr für Kinderheilkunde 1986 S. 327 ff; DERS. A r c h K r i m 1995 S. 9 ff, 131 f f ; HONIG Kindesmisshandlung, 1982; SCHMIDT Krim 1991 S. 315 ff; URSULA SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie,
1987, S. 59 ff; TRUBE-BECKER Gewalt gegen das Kind, 2. Aufl., 1987.
87
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§23
§ 23 Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat 1 § 231 erfasst ein sog. Massendelikt. Strafgrund ist nicht eine Körperverletzung, sondern die schuldhafte Betgiligung an einer Rauferei, aus der sich Gefahren für die Allgemeinheit ergeben können. Es handelt sich demnach um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.
II. Einzelheiten der Regelung 1. Der Tatbestand 2 a) Schlägerei ist eine mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als 2 Personen mitwirken.84 - Übt einer von drei Betroffenen lediglich Schutzwehr, indem er z.B. den eigenen Kopf mit seinen Armen schützend umfasst, so liegt noch keine Schlägerei vor. - Es ist aber nicht erforderlich, dass alle Beteiligten rechtswidrig handeln. 3 Ein von mehreren gemachter Angriff ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung von mindestens zwei Personen.8* Beteiligt ist jeder, der an der Auseinandersetzung im Zusammenwirken mit anderen teilnimmt, d.h. physisch oder psychisch mitwirkt. - Mittäterschaft im technischen Sinn ist nicht erforderlich, wohl aber bei den Angreifenden Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstandes und des Angriffswillens. 4 b) Mit der Klarstellung, dass nicht nach Abs. 1 strafbar ist, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne dass ihm dies vorzuwerfen ist, Abs. 2, stellt der Gesetzgeber klar, dass deijenige straffrei bleibt, der an der Schlägerei oder dem Angriff zu keinem Zeitpunkt in vorwerfbarer Weise beteiligt war. Er verweist damit auf rechtfertigende oder entschuldigende Situationen.8« 2. Die schwere Folge 5 Die Schlägerei oder der Angriff mehrerer muss den Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht haben. Die schwere Folge ist objektive Bedingung der Strafbarkeit, braucht also nicht einmal vorhersehbar gewesen zu sein. Maßgeblich ist der Zusammenhang der schweren Folge mit der Schlägerei oder dem Angriff, während es gleichgültig ist, wen die Folge trifft. Der Tatbestand ist auch dann wegen der Beteiligung an einer Schlägerei gegeben, wenn ein Gegner in Notwehr getötet wird.87 Das stellt der Gesetzeswortlaut nunmehr ausdrücklich klar, indem er betont, dass die Beteiligung an der Schlägerei oder dem Angriff das strafbare Verhalten darstellt. 6 Auf den Zeitpunkt der Beteiligung, vor, bei oder nach Eintritt der schweren Folge, kommt es nach h.M. nicht an.88 Die Gegenmeinung beschränkt die Haftung auf diejenigen 84
B G H S t 3 1 S. 124.
85
B G H S t 3 1 S. 124.
86
IM einzelnen dazu ELSELE JR 2 0 0 1 S. 2 7 1 ff.
87
Vgl. B G H S t 3 3 S. 100; 3 9 S. 305, 3 0 7 ff; LACKNER/KÜHL § 231 Rdn. 5; SCH/SCH/STREE § 231 Rdn. 14; ZOPFS Jura 1999 S. 180 f. - A . A . GÜNTHER JZ 1985 S. 5 8 7 ; HENKE Jura 1985 S. 5 8 9 ; K R E Y B . T . 1, Rdn. 2 9 9 ; RÖNNAU/BRÖCKERS G A 1995 S. 5 6 3 ff; SCHULZ StV 1986 S. 2 5 0 f.
88
v g l . B G H S t 14 S. 132; 16 S. 130; GÖSSEL B.T. 1, § 17 Rdn. 11; LACKNER/KÜHL § 231 Rdn. 5.
88
Konkurrenzprobleme
§24
Personen, die sich zum Zeitpunkt des Eintritts der schweren Folge noch oder bereits an dem Raufhandel beteiligen.«' - Die h.M. zieht den Kreis der Verantwortlichen zu weit, soweit sie auch Mitwirkende als Beteiligte erfasst, die nach Eintritt der schweren Folge an der Rauferei teilgenommen haben. Die Gegenmeinung erweist sich als zu eng, da die Auswirkungen einer Beteiligung nicht mit dem Ausscheiden der tätigen Person abbrechen. Sachgerecht ist es daher, den als Beteiligten anzusehen, der vor oder bei Eintritt der schweren Folge an der Rauferei mitwirkte. Erst nachträglich Mitwirkende haften nicht für die schwere Folge. 9 0
III. Zur Einübung 1. BGHSt 14 S. 132; Zwischen Jugendlichen aus I und Sch kam es zu einer Schlägerei. G und K beteiligten 7 sich, mussten aber aufgrund der eigenen Einbußen bald aufgeben. Sie entfernten sich. Im weiteren Verlauf der Schlägerei wurde T erstochen. BGH: Auch G und K sind strafbar wegen Beteiligung an einer Schlägerei. 2. BGHSt 16 S. 130: Bei einer Schlägerei zwischen mehreren Personen brachte H dem W mehrere tödliche Stiche bei. Die Schlägerei ging aber weiter. Nunmehr beteiligte sich auch J daran. BGH: Auch J ist strafbar nach § 227 a.F., jetzt § 231. - Nach der hier vertretenen Ansicht scheidet eine Strafbarkeit des J nach § 227 a.F., jetzt § 231 aus. 3. Bei einer Schlägerei in einer Gaststätte, an der sich unter anderem X, Y und Z beteiligten, wollte der Gast G schlichten. Er begab sich unter die Raufenden und forderte diese laut zu friedlichem Verhalten auf. Im Gewühl wurde er jedoch erschlagen. Ergebnis: § 227 a.F., jetzt §231 liegt vor. Der Getötete braucht nicht selbst an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sein, es genügt, dass sein Tod durch die Schlägerei bewirkt wurde. 4. RGSt 32 S. 33: Bei einer Schlägerei zwischen A, B, C, D, E und F wurde allein der F schwer am Körper verletzt i.S. des § 224 a.F., jetzt § 226. RG: Auch F ist strafbar nach § 227 a.F., jetzt § 231.®! 5. BGHSt 15 S. 369: C verprügelte S ohne Grund. S wehrte sich. V, der Vater des S, wollte seinem Sohn zu Hilfe kommen. A verhinderte dies, indem er den V festhielt. S kam bei der Prügelei zu Tode. BGH: Auch A ist nach § 227 a.F., jetzt § 231 strafbar, denn er nahm an einer Schlägerei teil. 6. BGHSt 39 S. 305: A beteiligte sich an einer Schlägerei. Im Laufe der Auseinandersetzung tötete er einen der Gegner in Notwehr. BGH: A ist nach § 227 a.F., jetzt § 231 s t r a f b a r . 9 ?
§ 24 Konkurrenzprobleme I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte 1.
Grundsatz
Die jeweils schwerere Körperverletzung konsumiert die jeweils leichtere. - Kommt es je- 1 doch nur zum Versuch der schwereren Körperverletzung, so konkurrieren diese und die 89
V g l . BINDING B . T . I, S. 7 8 ; KREY B . T . 1, R d n . 2 9 7 ; WELZEL L b . , § 4 0 O 2.
90
S o a u c h BIRKHAHN M D R 1 9 6 2 S. 6 2 5 f; HIRSCH L K , § 2 3 1 R d n . 8; JOECKS S t G B , § 2 3 1 R d n . 10; PAEFFGEN N K , § 2 3 1 R d n . 8; RENGIER B . T . II, § 19 R d n . 11;STREEJUS 1 9 6 2 S. 94.
91
Vgl. auch BGHSt 33 S. 104; ZOPFS Jura 1999 S. 179 f. - A. A. GÜNTHER JZ 1985 S. 786 f.
92
D a z u GEPPERT J K 94, S t G B § 2 2 7 / 1 ; STREE J R 1994 S. 3 7 0 f; WAGNER JUS 1995 S. 2 9 6 ff.
89
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§24
vollendete geringere idealiter, damit im Urteilstenor zum Ausdruck kommt, dass eine Körperverletzung bereits vollendet wurde. 2. Besonderheiten 2 Infolge des von den Körperverletzungsdelikten abweichenden Strafgrundes des § 231 konkurriert §231 idealiter mit den bei dem Raufhandel verwirklichten Körperverletzungsdelikten. - Zwischen § 340 Abs. 1, 2 und § 223 Abs. 1, 2 besteht Gesetzeskonkurrenz (Qualifikation). - Im Verhältnis des § 225 zu §§ 226,227 besteht Idealkonkurrenz."» 3. Zur Einübung 3 a) A schießt auf B und ist sich dabei der Gefahr bewusst, dem B das Auge auszuschießen. Er trifft den B am Kopf, doch bleibt dem B die Sehkraft erhalten. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 224, 226 Abs. 1, 23,52. b) Wie unter a), doch will A dem B absichtlich ins Auge schießen. Er trifft, doch stirbt B wider Erwarten. Ergebnis: A strafbar gemäß § 227. §§ 226 Abs. 2,23 werden von § 227 konsumiert.?4 c) Bei einer Schlägerei i.S. des § 231 schlägt A dem B das Auge absichtlich aus. Ergebnis: A strafbar gemäß §§ 231, 226 Abs. 2,52.
II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten 1. Das Verhältnis des Tötungs- zum Körperverletzungsvorsatz 4 Ausgangsfall: BGHSt 44 S. 196: A stach mit einem Klappmesser in bedingtem Tötungsvorsatz auf die P ein und verletzte ihren linken Lungenflügel. Dann entfernte sich A. Das Leben der P wurde gerettet.
5 a) Da jede Tötung notwendigerweise über das Stadium einer Körperverletzung wirklicht wird, ist der Körperverletzungsvorsatz im Tötungsvorsatz als notwendiger standteil enthalten; sog. Einheitstheorie.95 6 b) Diesen notwendigen Bezug zwischen Körperverletzung und Tötung verkennt die Gegensatztheorie, die von einem gegenseitigen Ausschluss von KörperverletzungsTötungsvorsatz ausgeht.96
verBesog. und
2. Konsequenzen 7 a) Das vollendete Tötungsdelikt konsumiert das jeweils verwirklichte Körperverletzungsdelikt als notwendigen Bestandteil.97 8 Auch die privilegierten Tötungsdelikte konsumieren die qualifizierten Körperverletzungsdelikte, da sonst die Absicht des Gesetzgebers, das Verhalten zu privilegieren, umgangen würde. 93
V g l . B G H N J W 1 9 9 9 S . 7 2 ; HIRSCH L K , § 2 2 5 R d n . 2 9 ; SCH/SCH/STREE § 2 2 5 R d n . 17.
94
Vertretbar auch Idealkonkurrenz, vgl. dazu im einzelnen PAEFFGEN NK, § 227 Rdn. 29. Hierzu BGHSt 16 S. 122; 21 S. 265; BGH MDR 1991 S. 70 f; JAKOBS Die Konkurrenz von Tötungsde-
95
likten mit Körperverletzungsdelikten, 1967, S. 119 ff; KREY JuS 1971 S. 143; LILIE LK, Vor § 223
Rdn. 15,16. 96
Zur Gegensatztheorie: ARZT/WEBER B. T., § 2 Rdn. 86.
97
Gleichfalls für Gesetzeskonkurrenz, wenn auch z. T. für Subsidiarität: BGHSt 16 S. 122; 22 S. 248; KREY J u S 1 9 7 1 S . 1 4 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 8 R d n . 4 7 f.
90
Zur Wiederholung
§25
b) Ist das Tötungsdelikt nur bis in das Versuchsstadium gelangt, eine Körperverletzung 9 jedoch bereits vollendet worden, so besteht zwischen versuchtem Tötungsdelikt und Körperverletzungsdelikt Idealkonkurrenz. Der Tötungsversuch konsumiert das Unrecht der vollendeten Körperverletzung nicht. - Auch versuchte Tötung und schwere Körperverletzung schließen einander nicht aus, wenn der Täter alternativ zur beabsichtigten Tötung die schwere Folge voraussieht. 98 3. Konsequenzen für den
Ausgangsfall
BGH: A ist wegen versuchten Totschlags in Idealkonkurrenz mit schwerer Körperverletzung, §§ 212, 23, 10 224,52, zu bestrafen."
§ 25 Zur Wiederholung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
98 99
Wie ist die „körperliche Misshandlung" zu definieren? - Dazu § 15 Rdn. 2. 1 Wie ist die „Gesundheitsschädigung" zu definieren? - Dazu § 15 Rdn. 5. Ist § 224 ein abstraktes oder ein konkretes Gefährdungsdelikt? - Dazu § 16 Rdn. 2 f. Was sind „gesundheitsschädliche Stoffe"? - Dazu § 16 Rdn. 5. A verspricht dem B 10,- DM, wenn er den anwesenden C verprügelt. B tut dies. Haben mehrere gemeinschaftlich i.S. des § 224 die Körperverletzung begangen? - Dazu § 16 Rdn. 10. Wie ist der ungeschützte Geschlechtsverkehr eines Aids-Kranken mit einem unwissendem Partner strafrechtlich zu würdigen? - Dazu § 16 Rdn. 14 f. Ist ein Versuch der schweren Körperverletzung gemäß §§ 226, 23 möglich? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? - Dazu § 17 Rdn. 11 f. Welcher Zusammenhang muss zwischen Todeserfolg und Körperverletzung in § 227 bestehen? - Dazu § 18 Rdn. 2 f. Ist § 225 ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt? - Dazu § 20 Rdn. 1 f. Wann ist der Stoff „beigebracht" i.S. des § 224 Abs. 1 - Dazu § 22 Rdn. 5. Kann deijenige nach § 231 bestraft werden, der an der Schlägerei erst teilnimmt, nachdem es zu einer tödlichen Verletzung eines anderen gekommen ist? - Dazu § 23 Rdn. 3 f. Der Beamte A verletzt den X bei Ausübung seines Amtes mit einem Stock schwer. - Wie konkurrieren §§ 224, 340 Abs. 1 hier? - Dazu § 19 Rdn. 4. A würgt die B, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. B erleidet eine Kehlkopfverletzung. - Kann A wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 9. A gibt der B ein Gift, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. Durch das Gift fällt die B jedoch in Siechtum. Kann A gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 9. A versucht die B mit einem Messer zu töten. B überlebt den Anschlag. Kann A gemäß §§ 212, 23, 224, 52 bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 4, 10.
Dazu BGH StV 2001 S. 163. Vgl. dazu auch GEPPERT JK 99, StGB § 212/4; SATZGER JR 1999 S. 203 ff. 91
§26
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Vierter Abschnitt Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26 Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte 1 Geschütztes Rechtsgut der Freiheitsdelikte ist nicht die Freiheit schlechthin, sondern die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung.
II. Die Systematik der Freiheitsdelikte 1. Die Gesetzessystematik 2 a) Innerhalb der im 18. Abschnitt des StGB enthaltenen Delikte sind der Menschenraub, § 234, die Freiheitsberaubung, § 239, der erpresserische Menschenraub, § 239 a, die Geiselnahme, § 239 b, und die Nötigung, § 240, Freiheitsdelikte. 3 b) Die Bedrohung, § 241, ist kein Freiheitsdelikt, sondern ein Delikt gegen den persönlichen Rechtsfrieden (str.; eingehender dazu unter § 36), Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a, sollen die Person gegen die Beraubung der Gemeinschaft, des rechtsstaatlichen Schutzes und der Hilfe der Gemeinschaft schützen (dazu unter § 37 Rdn. 1). Die Entziehung Mindeijähriger, § 235, ist ein Delikt gegen die familiäre Ordnung (dazu unter § 65 Rdn. 34), während § 236 Abs. 1 die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes schützt und § 236 Abs. 2 die in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVermiG festgelegten Vermittlungsverbote strafrechtlich absichert. 4 c) Außerhalb des 18. Abschnittes des StGB wird in zahlreichen Tatbeständen neben anderen Rechtsgütern auch die Freiheit der Willensbetätigung geschützt, so z.B. in § 249 (Raub), § 253 (Erpressung), § 177 (Vergewaltigung) u.a. 2. Das Verhältnis der Freiheitsdelikte zueinander 5 a) Umfassend werden Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung in § 240 unter Strafe gestellt. 6 b) Einen Teilbereich dieses Rechtsguts, nämlich die Freiheit, den derzeitigen Aufenthaltsort zu verlassen (potentielle persönliche Bewegungsfreiheit), schützt § 239. - § 239 ist gegenüber § 240 insoweit eine lex specialis. aa) § 239 Abs. 3 und Abs. 4 enthalten erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung; beachte § 18. bb) §§ 239 a, 239 b beschreiben qualifizierte Delikte gegen die persönliche Freiheit, cc) In § 234 ist ein spezieller Fall der Freiheitsberaubung geregelt.
92
Nötigung
§27
§ 27 Nötigung I. Der objektive Tatbestand 1. Nötigen Nötigen ist die Veranlassung eines anderen zu einem von diesem nicht gewollten Ver- 1 halten (Handeln, Dulden oder Unterlassen) durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel. 2. Der Begriff der Gewalt Die Rechtsprechung des RG war von Anfang an dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht 2 Gewalt nicht nur in Gewalttätigkeiten sah. Als konstitutives Merkmal des Gewaltbegriffs wurden zum einen die Kraftentfaltung auf Seiten des Täters und zum anderen die Zwangswirkung dem Opfer gegenüber herausgestellt. Betont wurde, dass Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 nicht nur Gewalt an der Person oder Gewalt gegen die Person sei und dass eine körperliche Berührung des Tatopfers nicht für erforderlich gehalten werde. „Unter den Begriff der Gewalt im Sinne des § 240 fällt daher auch jede unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen, welche geeignet ist und darauf abzielt, die freie Willensentscheidung desselben zu hindern und ihn auf diese Weise zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen."i Auch Gewalt gegen Sachen hat das RG ohne Vorbehalt dem Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Abs. 1 zugeordnet, „wenn sie auch nur indirekt gegen eine Person gerichtet ist und darauf abzielt, den Widerstand derselben zu brechen oder auszuschließen".^ a) In der Praxis hat sich das RG bei der Anwendung des Gesetzes jedoch weniger von den 3 begrifflichen Merkmalen leiten lassen als mehr von einem überkommenen Vorverständnis des Delikts, das auf das crimen vis publica des gemeinen Rechts zurückging. Als crimen vis publica wurde eine die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohende Betätigung von Personen erfasst.3 Bedingt durch dieses Verständnis der Gewalt im Sinne des § 240 sah das RG kein Problem bei der Bejahung 4 der Gewalt im Falle des Ginsperrens von Personen, auch wenn das Umdrehen des Schlüssels nur mit einem minimalen Kraftaufwand verbunden war und sogar weitere Möglichkeiten bestanden, den Raum zu verlassen, dem Opfer diese aber verborgen waren.4 Die Bedrohung durch diese Verhaltensweise war evident, da der Genötigte sich als Gefangener sah. Hingegen fehlte dem Verhalten dieser schon - äußerlich - bedrohende Charakter, wenn jemand einem ande- 5 ren ein betäubendes Mittel eingab, ohne hierbei wiederum selbst Gewalt anzuwenden, oder wenn das Opfer hypnotisiert wurde. Die Ablehnung der Anwendung von Gewalt durch das RG in diesen Fällen lag daher nahe.5 - Die Beurteilung des Aussperrens von Personen bereitete dem Reichsgericht hingegen erhebliche Schwierigkeiten, da der schon äußerlich bedrohliche Eindruck des Verhaltens hier nicht grundsätzlich auszuschließen war. Zunächst allerdings interpretierte das RG das Aussperren eines Mieters durch Entfernen der 1 2
RGSt 13 S. 50. RGSt 13 S. 51.
3
Vgl. dazu im einzelnen: JAKOBS H. Kaufmann-GedS, S. 791 ff; OTTO/KREY/KÜHL Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt aus der Sicht der Strafrechtswissenschaft, Gutachten der Unterkommission VE, in: Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. n, 1990, Rdn. 5 1 ff.
4 5
RGSt 13 S. 49. RGSt 56 S. 87, 88 f; 58 S. 98; 64 S. 113,115 f.
93
§27
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Türklinke als Gewaltanwendung, da der Mieter und seine Familie aufgrund dieses Verhaltens den Witterungseinflüssen ausgesetzt waren und dieses eine körperliche Beeinträchtigung darstellte.6 Später lehnte es die Gewaltanwendung durch Verschließen der Eingangstür einer Werkstatt ab, weil keine Einwirkung auf den Körper des Mieters vorgelegen habe.7 Schließlich wurde die Gewaltanwendung wiederum bejaht, denn es reiche „eine nur mittelbar gegen eine Person gerichtete Einwirkung aus, die von dem zu Überwindenden körperlich empfunden wird".8 - Die begrifflichen Voraussetzungen des Gewaltbegriffs hätten diese Differenzierungen nicht erzwungen. 6 b) In der Rechtsprechung des BGH hat der Gewaltbegriff keine Änderung erfahren, wohl aber sind die konstitutiven Elemente des Begriffs unterschiedlich akzentuiert worden. A m Ende dieser Entwicklung ist deutlich geworden, dass auf Seiten des Täters keine erhebliche körperliche Kraftentfaltung gefordert und dass keine unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Opfers vorausgesetzt wird. Das BVerfG hatte zunächst in dieser Interpretation des Gewaltbegriffs keinen Verstoß gegen die Verfassung gesehen.» 7 Beispiele aus der Rechtsprechung: Überraschendes oder heimliches Beibringen von Betäubungsmitteln, LSD oder Schlafmitteln10; Absperren der Heizung in einer Frostperiode, um eine Zahlung des Mieters zu erzwingen; nicht aber bloße Unterbindung der Heizöllieferung durch entsprechende Anweisung an den Heizöllieferanten (OLG Hamm NJW 1983 S. 1505); Einflößen von Alkohol gegen den Willen des Betroffenen (BGHSt 14 S. 82); Verhindern des Überholens11; dichtes Auffahren zur Erzwingung eines Überholvorgangs12; Abgabe von Schreckschüssen (BGH GA 1962 S. 145); Richten einer entsicherten Pistole auf einen anderen (BGHSt 23 S. 126); Blockaden von Straßen, Zufahrten u.a., z.B. Blockieren von Straßenbahnschienen durch Sitzstreik (BGHSt 23 S. 46); Blockieren der Zufahrt zu Munitionslager (BGHSt 35 S. 270); Verteidigung eines Parkplatzes durch einen Fußgänger gegenüber Autofahrer (OLG Köln NJW 1979 S. 2056); Wegschieben eines Fußgängers aus einer Parklücke (OLG Hamburg NJW 1968 S. 662); Zufahren auf Fußgänger mit Kfz (OLG Köln VRS 95 (1998) S. 375; OLG Naumburg VRS 94 (1998) S. 338); Erzwingen des Abbruchs einer Lehrveranstaltung durch Lärm (BGH NJW 1982 S. 189); willkürliches Abbremsen eines Kfz (OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) S. 121); Anbringen von Hindernissen auf Gleisen". 8 c) Die Entwicklung der Rechtsprechung ist in der Lehre weitgehend auf Kritik gestoßen. Es wurde und wird insbesondere geltend gemacht, dass der Gewaltbegriff jegliche Konturen verloren hat, nachdem die bloße Zwangs Wirkung für das Opfer an die Stelle der unmittelbaren Einwirkung auf den Körper des Opfers getreten ist, dass Sachbeschädigungen im Rahmen eines so verstandenen Gewaltbegriffs in Nötigungen umgedeutet werden können und dass die Grenze zwischen Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt vollkommen aufgehoben worden ist.
6 7 8 9
RG GA 39 (1891) S. 215, 216. RGSt 20 S. 354,356. RGSt 69 S. 327,330. Vgl. BVerfGE 73 S. 242 f; dazu CALLES NStZ 1987 S. 209 ff; KÜHL StV 1987 S. 122 ff; OTTO NStZ 1987 S. 212 f; SCHMITT GLAESER Dürig-FS, S. 91 ff; DERS. Private Gewalt im politischen Meinungskampf, 2. Aufl. 1992, S. 80 ff; STARCK JZ 1987 S. 145 ff.
10 11
BGHSt 1 S. 145; BGH StV 1991 S. 149; BGH NStZ 1992 S. 490. BGHSt 18 S. 389; vgl. auch OLG Stuttgart MDR 1991 S. 467; vgl. aber auch OLG Hamm NJW 1991 S. 3230; BayObLG NJW 1993 S. 2882; OLG Düsseldorf StV 2001 S. 350. BGHSt 19 S. 263; BayObLG NJW 1993 S. 2882; OLG Hamm NJW 1991 S. 3230; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1998 S. 58. - Anders bei kurzem Abbremsen wegen knappen Einscherens; dazu OLG Köln
12
V R S 9 8 ( 2 0 0 0 ) S. 124, 127 mit A n m . GEPPERT J K 0 0 , S t G B § 240/20.
13
BGHSt 44 S. 34, 39 mit Anm. DIETMEIER JR 1998 S. 470 ff, OTTO NStZ 1998 S. 513 f.
Nötigung
§27
Gefordert wird zum einen die Begrenzung der Gewalt auf unmittelbar körperliche Eingriffe.14 Von anderen 9 wird eine Begrenzung des Gewaltbegriffs auf aggressives oder gewalttätiges Verhalten befürwortet.13 Schließlich wird versucht, den Gewaltbegriff normativ zu bestimmen16 oder als physischen Angriff auf den Gegenstand eines absoluten Rechts zu interpretieren.17 Daneben stehen Versuche, die vis absoluta aus dem Tatbestand der Nötigung herauszunehmen18 oder den Tatbestand auf derartige Fälle zu beschränken19 bzw. unter Vernachlässigung des Tatmittels auf den Verlust der Willensfreiheit des Opfers und deren Ersetzung durch den Willen des Täters abzustellen.20 d) Im Jahre 1995 entschied das BVerfG, dass die Auslegung des Gewaltbegriffs i m Zu- 1 0 sammenhang mit Sitzblockaden durch die Strafgerichte insoweit verfassungswidrig sei, als „die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist." 21 Die Entscheidung ist in der Literatur überwiegend kritisch aufgenommen worden. 2 2 Der 11 BGH hingegen folgerte aus ihr, dass eine Auslegung des Gewaltbegriffs nur dann verfassungswidrig sei, wenn die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit bestehe und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur sei. 2 3 Diese Situation sieht er bei dem ersten Kraftfahrer als gegeben an, der vor einem Demonstranten, der die Fahrbahn blockiert, anhält, nicht aber dann, wenn der Demonstrant dieses Kraftfahrzeug bewusst dazu benutzt, andere Fahrzeuge an der Durchfahrt zu hindern, weil das erste Kraftfahrzeug für die weiteren Kraftfahrzeuge nicht ein psychisches, sondern ein physisches Hindernis darstellt. 24 Es ist durchaus möglich, in dieser Argumentation „eine Missachtung der Ge14
BERGMANN Das Unrecht der Nötigung (§ 240 StGB), 1983; KOSTARAS Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, 1982; SCHMIDHÄUSER B.T., 4/4,4/15; SEILER Pallin-FS, S. 399; WE-
BER in: Arzt/Weber, LH1, Rdn. 582; WOLTER NStZ 1985 S. 193 ff, 245 ff. 15
CALLIES Recht und Staat, 1974, S. 33; Orr Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 5. Aufl. 1987,
16
JAKOBS H. Kaufmann-GS, S. 796 ff; v. HEINTSCHEL-HEINEGG Die Gewalt als Nötigungsmittel im
§ 15 Rdn. 9; PAEFFGEN Grünwald-FS, S. 463. Strafrecht, 1975, S. 236; TIMPE Die Nötigung, 1989, S. 70 ff; vgl. auch SCHROEDER NJW 1996 S. 2629. - Zur Auseinandersetzung HERZBERG GA 1997 S. 254 ff. 17
Vgl. KINDHÄUSER N K , V o r § 2 4 9 R d n . 13.
18
HRUSCHKA J Z 1995 S. 7 4 0 ; KÖHLER L e f e r e n z - F S , S. 524. - Z u r A u s e i n a n d e r s e t z u n g HERZBERG G A
19
SOMMER NJW 1985 S. 769,772.
20
Vgl. GÖSSEL in: Recht in Ost und West, hrsg. v. Institute of Comparative Law Waseda University, 1988, S. 956 ff. BVerfGE92S. 1,18. Dazu im einzelnen: ALTVATER NStZ 1995 S. 278 ff; AMELUNG NJW 1995 S. 2584 ff; HERZBERG GA
1997 S. 257 ff; KARGL Roxin-FS, S. 906 ff.
21 22
1996 S. 5 5 7 f f ; ISENSEE J Z 1996 S. 1089; KREY J R 1995 S. 2 6 5 f f ; LESCH J A 1995 S. 8 8 9 f f ; OTTO J K
95, StGB § 2401/15; ROELLECKE NJW 1995 S. 1525 ff; TRÖNDLE Odersky-FS, S. 284 ff; DERS. BGHFG, S. 530 ff; SCHOLZ NStZ 1995 S. 417 ff; SCHROEDER JuS 1995 S. 875 ff. - Anders jedoch: ARNOLD JuS 1997 S. 289 ff (gegen ihn Herzberg JuS 1997 S. 1067 ff); GUSY JZ 1995 S. 783 ff; HESELHAUS JA 1995 S. 7 4 8 ff; HRUSCHKA N J W 1996 S. 160 f f .
23
BGHSt 41 S. 182. - Ähnlich BayObLG MDR 1996 S. 409: Gewalt, wenn eingehakt sitzende Demonstranten die Fahrbahn blockieren.
24
Vgl. auch BGH NJW 1995 S. 2862; BGH NStZ 1995 S. 592; OLG Hamm VRS 92 (1997) S. 208; OLG Karlsruhe NJW 1996 S. 1551; OLG Zweibrücken NJW 1996 S. 2246. - Zust. KREY/JAEGER NStZ 1995 S. 542 ff; GEPPERT JK 96, StGB § 240/17; RHEINLÄNDER Bemmann-FS, S. 404 ff; Schmidt JuS 1995 S. 1135 ff; SCH/SCH/ESER V o r § 2 3 4 R d n . 10; TRÖNDLE B G H - F G , S. 5 2 7 f, 5 4 0 ff; TRÖNDLE/FISCHER §
240 Rdn. 25. - Ablehnend OLG Koblenz NJW 1996 S. 3351 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 240 1/18; OLG Koblenz NStZ-RR 1990 S. 46 ff; AMELUNG NStZ 1996 S. 230 f; HOYER JuS 1996 S. 200 ff; 95
§27
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
waltverneinung durch das BVerfG" zu erkennen.25 Diese erscheint jedoch legitim, denn die Entscheidung des BVerfG ist unter diesem Gesichtswinkel selbst als Missachtung des in jahrzehntelanger Praxis konkretisierten Gesetzestextes zu beurteilen, da es dem Gericht offenbar darum ging, bestimmte Täter aus dem Nötigungstatbestand herauszudefinieren, und das selbst um den Preis „absurder Ergebnisse".26 12 Wird nämlich zum einen eine „erhebliche Kraftentfaltung" seitens des Täters gefordert, so könnten weder der Schuss mit der Pistole, noch der Einsatz anderer technischer Hilfsmittel, die mit weniger Kraftaufwand eingesetzt werden können, z.B. Presslufthammer, Dampfwalze, Kraftfahrzeug, technische Hilfsmittel (Reizgas, Betäubungsmittel) als Gewaltanwendung interpretiert werden.27 - Die Hoffnung, dass man nicht annehmen könne, „dass das BVerfG einen solchen Unsinn gewollt haben sollte"28, mag tröstlich sein, ändert jedoch nichts an den begrifflichen Vorgaben des Gerichts. Zum anderen wird durch den Ausschluss von „Zwangswirkungen, die nicht auf den Einsatz körperlicher Kraft, sondern auf geistig-seelischem Einfluss beruhen" aus dem Gewaltbegriff dieser - vom Gesetzgeber ausdrücklich gewählte Begriff - auf den der Gewalttätigkeit reduziert. - Schläge, mit denen das Opfer „weichgeklopft" werden soll, z.B. ein Betriebsgeheimnis zu verraten, könnten nicht mehr als Gewalt angesehen werden, weil ihre Wirkung auf „geistig-seelischem Einfluss" beruht, nämlich auf der Angst vor weiteren Schlägen. Immerhin lässt sich hier noch eine Drohung konstruieren. Kurios aber wird es schlicht, wenn das Festhalten einer Person an einem Ort als Gewalt angesehen wird, nicht aber das Blockieren der Räder des Fahrzeugs, mit dem der gleiche Effekt erreicht wird; wenn die Drohung, den Laden eines anderen auszuräumen, um diesen zur Geschäftsaufgabe zu zwingen, als Nötigung erfasst wird, nicht aber das Ausräumen selbst, mit dem das gewünschte Ziel erreicht wird,29 oder wenn, um auf die Sitzblockaden zurückzukommen - die Drohung, sich vor ein Fahrzeug zu werfen, falls der Fahrer nicht anhalte, als Nötigung bestraft wird, nicht aber die Ausführung des Verhaltens ohne vorherige Ankündigung, mit der das Fahrzeug wirksam blockiert wird! - Die hier begründeten Differenzierungen sind willkürlich und damit rechtsstaatlich nicht mehr erträglich. 13 e) Ausgangspunkt der Abgrenzung der Gewaltanwendung von der Drohung und anderen nicht gewaltsamen Eingriffen kann nur die jeweilig unterschiedliche Zwangswirkung sein, wobei die Gegenwärtigkeit der Zwangswirkung im Gegensatz zum künftig in Aussicht gestellten Übel das wesentliche Abgrenzungskriterium ist, das aber weiterer Eingrenzung bedarf.30 Die Zwangswirkung muss nicht nur gegenwärtig sein, sie muss sich körperlich
HERZBERG G A 1 9 9 6 S. 5 6 2 ; HRUSCHKA N J W 1 9 9 6 S. 1 6 0 f f ; KNIESEL N J W 1 9 9 6 S. 2 6 1 0 ; LESCH S t V
1996 S. 152; PRIESTER Bemmann-FS, S. 383 f. 25
HERZBERG G A 1 9 9 6 S. 5 6 2 .
26
AMELUNG NStZ 1996 S. 231.
27
Vgl. auch AMELUNG NJW 1995 S. 2590; SCHROEDER JUS 1995 S. 877 f. - A.A. OLG Koblenz NStZRR 1998 S. 47 mit dem Argument, Tathandlung sei in diesen Fällen nicht die „Fingerbewegung", sondern das „ A u s l ö s e n der Explosion" u.a. Warum dafür aber erhebliche Kraft aufgewendet worden sein soll, erklärt das OLG Koblenz nicht.
28
SCHROEDER JUS 1995 S. 878; dazu auch HERZBERG GA 1996 S. 563.
29
Dazu BGH wistra 1987 S. 212; OLG Köln NJW 1996 S. 472.
30
Z u r G e g e n w ä r t i g k e i t d e r Z w a n g s w i r k u n g : HAFT B . T . , § 19 I I 2 a; HORN S K N, § 2 4 0 R d n . 9 ; KNÖDEL
Der Begriff der Gewalt im Strafrecht, 1962, S. 52 ff; SCH/SCH/ESER Vor § 234 Rdn. 6,9, 15 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 240 Rdn. 25 (Unmittelbarkeit).
96
Nötigung
§27
auswirken, körperlich vermittelt werden.31 Dieses ist der Fall, wenn der Genötigte ihr entweder überhaupt nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in nicht zumutbarer Weise begegnen kann. - Die Voraussetzung der Körperlichkeit wird damit allerdings normativiert, indem das maßgebliche Kriterium nicht in der körperlichen Empfindung des Zwangs, sondern in seiner körperlichen Auswirkung erkannt wird.32 Diese Normativierung ist aber erforderlich, weil die Beschränkung der Nötigung auf Brachialgewalt dem sozialen Sinngehalt nötigenden Verhaltens im heutigen Sozialleben nicht mehr gerecht werden würde.33 Demgemäss ist Gewalt, der - nicht notwendig erhebliche - Einsatz körperlicher Kraft- 14 entfaltung, der sich auf die Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer (psychischer), sondern als körperlicher (physischer) Zwang auswirkt. Körperlich wirkt sich ein Zwang aus, wenn das Opfer ihm in der konkreten Situation gar nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in unzumutbarer Weise begegnen kann.34 f) Konsequenzen: Die nötigende Gewalt kann sich unmittelbar gegen die Person, die zu 15 einem bestimmten Verhalten gezwungen werden soll, richten, sie kann ihre Zwangswirkung aber auch durch Einwirkung auf Sachen oder auf dritte Personen entfalten. Auch Gewalt gegen einen Dritten ist Gewalt gegen den zu Nötigenden, soweit diese die Willensbildung oder Willensbetätigung des zu Nötigenden in der vorausgesetzten Weise beeinträchtigt. Dass der Dritte dem zu Nötigenden in besonderer Weise nahe steht, ist nicht erforderlich, maßgeblich ist die Zwangswirkung. Zur Verdeutlichung: Fall 1: A, der selbst nicht Autofahren kann, wird gezwungen eine Fahrt abzubrechen, weil sein Chauffeur 16 niedergeschlagen wird. Ergebnis: Gewalt gegen den Chauffeur zugleich Gewalt gegen A, da dem A die Betätigung seines Willens unmöglich gemacht wird.35 Fall 2: Wie Fall 1, aber A wird gezwungen seine Reise abzubrechen, weil sein Chauffeur in einen Keller eingesperrt wird, dessen Tür A nur mit großen Mühen aufbrechen könnte. Ergebnis: Wie Fall 1, da A dem Zwang nur mit erheblicher Kraftentfaltung begegnen könnte. Fall 3: Wie Fall 1, allerdings könnte A das Auto fahren, aber er besitzt keinen Führerschein. 31
32
Hierzu BROHM JZ 1985 S. 503 ff; BUSSE Nötigung im Straßenverkehr, 1968, S. 94 ff; 100 ff; GEERDS
Einzelner und Staatsgewalt im geltenden Strafrecht, 1969, S. 31; KREY Zum Gewaltbegriff im Strafrecht, 1. Teil, in: BKA (Hrsg.), Was ist Gewalt?, 1986, Rdn. 136; WELZELLb., § 4311. Gegen die Gleichsetzung der körperlichen Auswirkung mit der körperlichen Einwirkung HERZBERG GA 1997 S. 268 f. Er selbst zieht die Konsequenz, auf die körperliche Einwirkung zu verzichten und als Nötigende Gewalt das reale Schaffen von Tatsachen zu sehen, die beim Opfer antreibenden oder hemmenden Zwang bewirken; vgl. GA 1997 S. 251 ff, 277 f. - Damit jedoch geht die Differenz zur Drohung in erheblichem Maße verloren, wie HERZBERG durchaus erkennt; vgl. GA 1997 S. 273 ff. - HERZBERG erkennt in der Sitzblockade eine Drohung mit empfindlichem Übel, GA 1996 S. 577 ff, dagegen aber HOYER GA 1997 S. 451 ff mit Replik von HERZBERG GA 1998 S. 211 ff.
33
KÜPER J u S 1996 S. 7 8 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 10; LESCH J A 1995 S. 8 9 4 ; OTTO NSTZ 1 9 8 7 S. 2 1 2 f; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 4 0 R d n . 5 f f ; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 4 0 R d n . 2 5 .
34
Vgl. dazu BayObLG NJW 1990 S. 59; OLG Köln StV 1990 S. 266; BUCHWALD DRiZ 1997 S. 522; DERLAMM N S t Z 1 9 9 2 S. 5 7 5 ; KREY G e w a l t b e g r i f f , R d n . 2 3 6 ; KÜPER B.T., S. 159 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 10; OTTO N S t Z 1 9 9 2 S. 5 7 0 ; SCH/SCH/ESER V o r § 2 3 4 R d n . 2 2 ; SCHÄFER L K , 10. A u f l . ,
§ 240 Rdn. 5 ff; SCHMITT GLAESER Private Gewalt, S. 23; TRÖNDLE Rebmann-FS, S. 494; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 4 0 R d n . 23.
35
Vgl. auch RGSt 17 S. 82; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 39.
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§27
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Ergebnis: Wie Fall 1, denn es ist A unzumutbar, dem Zwang durch Fahren ohne Führerschein zu entgehen. 3. Die Drohung mit einem empfindlichen
Übel
17 a) Drohung ist die Ankündigung eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende - zumindest vorgeblich - Einfluss hat. - Ob der Täter die Drohung realisieren will oder sich insgeheim vorbehält, dieses nicht zu tun, ist unwesentlich. 18 b) Empfindlich ist das Übel, wenn es einen Nachteil von solcher Erheblichkeit bedeutet, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn von dem konkret Bedrohten in seiner individuellen Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. 36 Zur
Verdeutlichung:
19 Fall 1: Dem A, einem ehemaligen Alkoholiker, bei dem schon die kleinste Menge Alkohol zum Rückfall führen kann, wird von B angedroht, er werde demnächst ein Getränk des A mit einer geringen Menge Alkohol versetzen, wenn A nicht einen bestimmten Betrag bezahlt. Ergebnis: Einen „besonnenen Durchschnittsmenschen" würde die Drohung des B sicher nicht ängstigen. Warum der A aber deshalb gegen Nötigung nicht geschützt sein soll, nur weil seine körperliche Verfassung der des Durchschnittsmenschen nicht entspricht, ist nicht einzusehen. 2 0 Fall 2: A, der etwas nervös ist, pflegt hin und wieder übersteigert zu reagieren. Als B ihn auffordert, ihn in seine Geschäftsgeheimnisse einzuweihen, sonst werde er ein Volkslied heruntergröhlen, gibt A nach. Ergebnis: Auch unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten des A liegt keine Androhung eines empfindlichen Übels vor. A reagiert nicht auf einen erheblichen Zwang, sondern auf eine bloße Störung seiner Ruhe. Auch in seiner individuellen Lage kann erwartet werden, dass er der Drohung standhält. c) Die Androhung eines Unterlassens 2 1 Fall: Abwandlung von BGHSt 31 S. 195: Die Ladendiebin B ist gefasst worden. Der Hausdetektiv H hat eine Anzeige geschrieben und in die Post gegeben. A, ein Kollege des H, bietet der B an, diese Anzeige aus der Post zu entfernen, wenn sie mit ihm schlafe. 2 2 Z.T. wird die Ankündigung eines Unterlassens in Lehre und Rechtsprechung nur dann als Drohung mit einem Übel verstanden, wenn eine Rechtspflicht des Drohenden zum Handeln besteht: Wer nur in Aussicht stellt, ein dem Opfer drohendes Übel durch Dritte oder einen schon in Gang befindlichen Kausalverlauf nicht abzuwenden, kündigt selbst kein Übel an, im Gegenteil, er stellt lediglich einen Vorteil in Aussicht, den er allerdings vergütet haben möchte. 3 7
36
Vgl. BGH NJW 1983 S. 767; BGH wistra 1984 S. 23. - Dazu auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 13 Rdn. 26; WELZELLb., § 43 I 1 a. - Einen objektiven Maßstab - Eignung der Drohung, „einen besonnenen Durchschnittsmenschen" zu bestimmen - fordern: BayObLGSt 1955 S. 12; KLEIN Zum Nötigungstatbestand - Strafbarkeit der Drohung mit einem Unterlassen, 1988, S. 136 ff; KREY B.T.l, Rdn. 326; LACKNER/KÜHL § 240 Rdn. 14; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 9. - Das empfindliche Übel setzen mit einem rechtswidrigen Übel gleich: AMELUNG GA 1999 S. 192; JAKOBS Peters-FS, S. 76. - Aus BVerfGE 92, 1 leitet HOYER GA 1997 S. 451 ff, die Forderung einer Einschränkung des Übel-Begriffs ab.
37
Vgl. BGH GA 1960 S. 278; OLG Hamburg NJW 1980 S. 2592; AMELUNG GA 1999 S. 201; BAUER JZ 1953 S. 652 f; FROHN StV 1983 S. 365 f; GUTMANN Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2001, S. 296 ff;
HAFFKE ZStW 84 (1972) S. 71 Anm. 135; HERZBERG Die Unterlassung im Strafrecht und das Garan-
tenprinzip, 1972, S. 150; HORN NStZ 1983 S. 497 ff; OSTENDORF NJW 1980 S. 2592 f; ROXIN JuS 1964 S. 377; DERS. m o d i f i z i e r e n d J R 1983 S. 3 3 5 f; SCHUBARTH J u S 1981 S. 7 2 6 f f ; TIMPE J u S 1992
S. 751. 98
Nötigung
§27
Die Gegenmeinung sieht in dieser Argumentation eine unzulässige Übertragung der 23 Grundsätze der Haftung aus einem unechten Unterlassungsdelikt auf ein Begehungsdelikt durch Ankündigung einer Unterlassung, die kriminalpolitisch keineswegs erwünscht ist. Die generelle Ausklammerung der Ankündigung rechtmäßigen Unterlassens aus §§ 240, 253 eröffnet nämlich die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung in Fällen, in denen die Koppelung von Mittel und Zweck sozial unerträglich ist.38 Zwar erscheint die Androhung, die Abwendung eines bereits drohenden Übels zu un- 24 terlassen, objektiv als Vorteil für den Betroffenen. Subjektiv ist jedoch maßgeblich, dass dem Betroffenen ein Übel droht, auf das der Täter Einfluss zu haben vorgibt. Würde man diese Fälle bereits aus dem Tatbestand der Nötigimg ausscheiden, so wäre hier die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung eröffnet. Die Problematik ist daher nicht auf der Ebene des Tatbestandes, sondern innerhalb der Rechtswidrigkeitsprüfung zu lösen.
II. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 verlangt Vorsatz, bedingter genügt.
25
Demgegenüber wird in der Lehre z.T. ein zielgerichtetes Handeln zu Nötigungszwecken gefordert, denn es 2 6 erscheint nicht überzeugend, z.B. denjenigen, der ein fremdes Kraftfahrzeug zerstört hat, auch wegen Nötigung zu bestrafen, wenn er weiß, dass der Eigentümer des Fahrzeugs durch sein Verhalten gezwungen wird, nunmehr zu Fuß nach Hause zu gehen.35 Derartige Konsequenzen sind aber nicht durch die Beschränkung des Vorsatzes zu korrigieren. Die Ver- 2 7 mögensdelikte schützen die gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung der Person. Soweit diese Entfaltung durch eine Sachzerstörung oder -entziehung beeinträchtigt wird, ist der Unrechtsgehalt voll durch das Vermögensdelikt erfasst oder - falls das Verhalten als Vermögensdelikt nicht strafbar ist - vom Gesetzgeber als nicht strafwürdig beurteilt worden. Erst einer darüber hinausgehenden Absicht käme im Rahmen der Nötigung Eigenständigkeit zu. - Die Problematik liegt hier genauso wie in dem Fall, dass der Straftäter den Polizisten durch Flucht zur Verfolgung „nötigt". Diesem Verhalten kommt keinerlei Eigenständigkeit neben der zuvor erfolgten Deliktsverwirklichung zu. Dass in derartigen Fällen daher nur die beabsichtigte Nötigung eigenständig zu erfassen ist, ändert nichts daran, dass die Nötigung selbst grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz verwirklicht werden kann. 40
HI. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung 1. Rechtfertigungsgrund und Verwerflichkeitsprüfung a) Schon bei der Verletzung scharf umrissener Rechtsgüter wie Leben, Körper, Eigentum 28 o.ä. ist der Satz: „der Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund vorliegt", unrichtig, weil er von der Fiktion eines geschlossenen und bekannten Kreises von Rechtfertigungsgründen ausgeht und den dem Täter gegenüber zu erbringenden positiven Nachweis der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu dessen Lasten durch die bloßie Aufzählung nicht vorliegender Rechtfertigungsgründe ersetzt.
38
Vgl. BGHSt 31 S. 195, 201 f; HERDEGEN LK, § 253 Rdn. 4; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 81 ff; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 2 0 ; STOFFERS J R 1988 S. 4 9 6 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 0 R d n . 34; VOLK J R 1981 S. 2 7 4 . - M o d i f i z i e r e n d : ARZT L a c k n e r - F S , S. 6 5 6 f; SCHROEDER J Z 1 9 8 3 S . 2 8 8 .
39
V g l . HORN S K N, § 2 4 0 R d n . 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.L, § 13 R d n . 4 8 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 4 / 1 4 , 1 7 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 3 4 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / 1 , R d n . 4 1 9 .
40
Wie hier: BGHSt 5 S. 246; GEILEN H. Mayer-FS, S. 461; HAFFKE ZStW 84 (1972) S. 51 ff; JAKOBS JR 1 9 8 2 S. 2 0 6 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 0 R d n . 5 3 .
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 3 f.
29 Bei einem Rechtsgut, das allein schon durch seine Weite unzähligen verschiedenen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, wäre die schlichte Erwägung, ob im Falle einer solchen Beeinträchtigung ein herkömmlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt oder nicht, geradezu verhängnisvoll. - Bereits die Tatsache, dass die rechtfertigenden Situationen zunächst bei den Verletzungen von Leib und Leben ins Auge fielen und im Verständnishorizont dieser Eingriffe ausformuliert wurden, macht deutlich, dass sie gar nicht geeignet sind, die Vielfalt der hier möglichen Situationen sachgerecht zu erfassen. Eine haltlose Vielstraferei wäre die Folge, wollte man die Rechtfertigung derart begrenzen. 30 b) Mit dem Verweis auf die Verwerflichkeit in § 240 Abs. 2 anstatt auf die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens soll daher nicht etwa die Strafbarkeit erweitert werden, so dass auch nicht rechtswidriges, aber sittlich anstößiges Verhalten strafbar wäre, sondern Zwang ausgeübt werden, genau zu prüfen, ob ein rechtswidriges Verhalten aufgrund seiner Sozialschädlichkeit oder -gefährlichkeit bereits einen solchen Grad der Strafwürdigkeit aufweist, dass es mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden muss. 31 Daraus folgt: Ein gerechtfertigtes Verhalten ist in diesem Sinne niemals verwerflich. Die herkömmlichen Rechtfertigungsgründe sind daher vor der Verwerflichkeit zu prüfen. Mit der Ablehnung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes ist jedoch noch nicht die Strafwürdigkeit des Verhaltens dargetan. Diese ist in der Verwerflichkeitsprüfung nachzuweisen. Der Ausschluss der Verwerflichkeit beseitigt die Strafwürdigkeit des Verhaltens, d.h. die Rechtswidrigkeit i.S. des § 240 Abs. 2.« 3 2 GÜNTHER spricht hier zutreffend von einem Strafunrechtsausschluss im Gegensatz zum allgemeinen Ausschluss der Rechtswidrigkeit, da das Strafunrecht stets in besonderer Weise strafwürdiges Unrecht sein muss. 42
2. Der Inhalt der Verwerflichkeitsklausel 33 a) Ob ein Verhalten verwerflich ist, darf nicht isoliert nach dem eingesetzten Mittel oder dem erstrebten Zweck beurteilt werden, sondern ist aus der sog. Mittel-Zweck-Relation, d.h. aus der Verknüpfung von Nötigungsmittel und -zweck, herzuleiten. Sachlich kommt es darauf an, ob die Nötigung aufgrund dieser Relation nach allgemeinem Urteil so sozialethisch zu missbilligen ist, „dass sie ein als Vergehen strafwürdiges Unrecht, eine über die Erfüllung eines bloßen Übertretungstatbestandes hinausgehendes Unrecht"43, ein „sozial unerträgliches" Verhalten44 darstellt. 34 Unter Berücksichtigung der Funktion der Verwerflichkeitsklausel bedeutet das: In einem Verfahren sozialethischer Wertung, wie es aus der Arbeit mit dem rechtfertigenden Notstand bekannt ist, gilt es zu prüfen, ob ein bestimmtes Verhalten bereits als sozialschädliche, sozialgefährliche und damit strafwürdige Verhaltensweise erscheint oder ob es noch als sozialstörendes, unerwünschtes Verhalten unterhalb der Strafwürdigkeitsgrenze angesehen werden kann. 41
Vgl. BGHSt 2 S. 194, 195 f; 35 S. 270; BERGMANN Unrecht, S. 171 ff, 176; OTTO NStZ 1992 S. 571; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 66; SCHMIDHÄUSER B.T., 4/18. - A.A. Tatbestandsausschluss: HIRSCH L K , V o r § 3 2 R d n . 19; JAKOBS A . T . , 6 / 6 1 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 13 R d n . 4 3 f f ; ROXIN Z S t W 8 2 ( 1 9 7 0 ) S. 6 8 2 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 16.
42
Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, 1983, S. 322 f.
43
BGHSt 18 S. 391.
44
WELZEL L b . , § 4 3 1 3 b ; vgl. a u c h KÜPER B . T . , S . 2 2 6 f.
100
Nötigung
§27
b) Bei der Bestimmung der Mittel-Zweck-Relation sind die subjektiv verfolgten Zwecke 35 des Täters umfassend zu würdigen. Eine Begrenzung auf den unmittelbar angestrebten Zweck - sogenanntes Nahziel - im Gegensatz zu den über das Nahziel hinausgehenden Zwecken - sogenannte Fernziele - ist sachlich unangemessen, denn es handelt sich um eine Rechtswidrigkeitsprüfung im weiteren Sinne, die methodisch auf das Verhaltens des Täters bezogen ist, das als Objektivation subjektiver Zielsetzung umfassend und nicht nur in einem Teilbereich zu würdigen ist.45 Bei allen Rechtfertigungsgründen gibt es nämlich tatbestandsmäßige Nahziele und rechtfertigende Fernziele. Beispiel: Veranlasst A den Autofahrer B zum Anhalten, weil hinter der nächsten Kurve ein Felsbrocken auf 3 6 der Straße liegt, der für B eine tödliche Gefahr bedeutet, so wäre die Rechtswidrigkeitsprüfung unter dem Aspekt des rechtfertigenden Notstands, § 34, methodisch verfehlt, würde man den Eingriff in die Freiheit des B allein unter dem Aspekt des Nahziels: ,.Anhalten" des B beurteilen. Selbstverständlich ist hier zu berücksichtigen, dass das Anhalten erfolgt, um das Fernziel: „Lebensrettung" des B zu ermöglichen.
Da § 240 Abs. 2 eine Korrektur der Rechtswidrigkeitsprüfung darstellt, gelten auch hier 37 die Kriterien, die für die Feststellung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Verhaltens maßgeblich sind. Eine ganz andere Problematik ist es hingegen, dass die Durchsetzung politischer, religiöser, weltanschaulicher und wirtschaftlicher Ziele des Täters nicht Eingriffe in Rechtsgüter Dritter legitimieren kann. Ob ein Eingriff in die Freiheit eines Dritten noch als sozial erträglich unterhalb der Grenze der Strafwürdigkeit anzusehen ist, kann nicht durch eine Differenzierung von Nah- und Fernzielen entschieden werden, sondern ist nach Art, Weise, Umfang und Veranlassung des Eingriffs selbst zu bestimmen.46 c) Unter Beachtung dieser Grundsätze wird die Nötigung dann als strafwürdig anzusehen 38 sein, wenn ein gravierender Eingriff in die Rechtsgüter eines anderen zur Durchsetzung eigener - egoistischer oder altruistischer - Zwecke erfolgt oder wenn dessen Autonomie dadurch gravierend beeinträchtigt wird, dass zwei nicht zusammenhängende Lebensvorgänge willkürlich durch den Täter verknüpft werden und ein Standhalten des Opfers mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen für das Opfer verbunden ist. Das bedeutet: Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die An- 39 drohung des Übels nach Zweck, Art und Umfang des Eingriffs in die Willensbildungs- oder Willensbetätigungsfreiheit nicht geringfügig und im Hinblick auf ein pflichtwidriges Vorverhalten des Genötigten unangemessen istA1 45
Für eine Begrenzung der Beurteilung auf die sog. Nahziele dagegen: BGHSt 35 S. 270; OLG DÜSSELDORF M D R 1989 S. 840; O L G ZWEIBRÜCKEN StV 1990 S. 2 6 4 ; ARZT W e l z e l - F S , S. 8 2 8 f f ; BAUMANN N J W 1987 S. 37; DERS. Z R P 1987 S. 265; BROHM J Z 1985 S . 5 0 1 , 5 1 1 ; JAKOBS J Z 1986 S. 1064; GÖSSEL B.T. 1, § 19 R d n . 28; KÜHL StV 1987 S. 122 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 18 a; SCHÄFER L K , § 2 4 0 R d n . 27, 6 1 ; STARCK J Z 1987 S. 145, 148; TRÖNDLE L a c k n e r - F S , S. 6 3 4 ; DERS.
Rebmann-FS, S. 481,499 ff. Nicht durchgehalten wird die Differenzierung in Nah- und Fernziele in BGH NStZ 1997 S. 494 mit A n m . OTTO J K 98, S t G B § 240/19.
46
Für eine umfassende Beurteilung der tatrelevanten Umstände, wenn auch mit zum Teil unterschiedlicher Gewichtung: BERGMANN Unrecht S. 184; ESER Jauch-FS, S. 39 ff; ARTHUR KAUFMANN NJW 1988 S. 2 5 8 3 ; DERS. P.-Schneider-FS, S. 167; KÜPPER B . T . 1 , 1 § 3 R d n . 62; MEURER/BERGMANN J R
1988 S. 52 f; OTTO NStZ 1992 S. 571 ff; OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, Rdn. 70 ff; NEUMANN ZStW
109 (1997) S. 13 ff, 15; RENGIER B.T. n , § 23 Rdn. 68; REICHERT-HAMMER Politische Fernziele und Unrecht, 1991, S. 75 ff; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 29.
47
IN die gleiche Richtung argumentieren: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 13 Rdn. 34 f; SCHMITT GLAESER B a y V B l 1988 S. 4 5 7 f; DERS. Dürig-FS, S. 106 f f ; VOLK J R 1981 S. 2 7 4 ; i m ü b r i g e n
101
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§27
40 Der Versuch, von der „Rechtfertigungsnähe" der Tat den Ausschluss der Verwerflichkeit zu begründen48, bleibt demgegenüber zu unbestimmt und erfasst Kriterien, die den „nahen Rechtfertigungsgrund" gar nicht betreffen. 4 ' 3. Zur
Verdeutlichung
41 a) BGHSt 5 S. 254: Der Vermieter V erhält davon Kenntnis, dass sein Mieter M, mit dem er seit langem in Streit lebt, versucht hat, seine Scheune anzuzünden. V schreibt ihm, er werde ihn wegen versuchter Brandstiftung anzeigen, falls er nicht auf der Stelle ausziehe. BGH: Nötigung des M durch V nicht verwerflich, da der Sachverhalt, der das Recht zur Strafanzeige gibt, zugleich den Anspruch begründet, den V geltend macht. Das bedeutet: Die Tatsache der unerlaubten Selbsthilfe als solche ist noch nicht strafwürdig, wenn der Täter dem Betroffenen die rechtlichen Maßnahmen androht, zu denen er aufgrund des in Rede stehenden Sachverhalts berechtigt wäre oder die ihm auch im Rechtswege gewährt würden, selbst wenn der Erfolg im Rechtswege mit Zeitaufwand verbunden ist.50 - Anders, wenn einem noch nicht gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff unter bewusster Ausschaltung staatlicher Zwangsmittel mit rechtswidrigen Mitteln begegnet wird.51 4 2 b) BGHSt 31 S. 195 - zum Sachverhalt vgl. oben Rdn. 21: Die Verknüpfung der Beseitigung der Anzeige mit der Aufforderung zum Geschlechtsverkehr ist verwerflich. Hier werden heterogene Lebensvorgänge in einen nötigenden Zusammenhang gebracht, und ein Standhalten des Opfers ist für dieses mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden. Daher kommt es nicht darauf an, dass das Opfer keinen Rechtsanspruch auf die Beseitigung der Anzeige hatte. 4 3 c) OLG Koblenz JR 1976 S. 69 mit Anm. ROXIN S. 71 ff: Die A, eine Filialleiterin, forderte von einer ertappten Ladendiebin DM 50,- als Bearbeitungsgebühr (Fangprämie), sonst werde sie Anzeige erstatten. Sie ging davon aus, dass aufgrund der Aufwendungen für Beobachtungen und des Arbeitsausfalles ein derartiger Anspruch gegen die Ladendiebin bestehe. OLG Koblenz: Nötigung. - Dagegen mit Recht ROXIN: Bestand der Anspruch, so diente die Drohung mit der Anzeige wegen Diebstahls allein der Durchsetzung und Klärung des Anspruchs aus dem Diebstahl. Die A nahm dann durch Drohung mit der Anzeige ihre Rechte wahr, machte sich aber keiner verwerflichen Nötigung schuldig.52 - Falls A den Bestand des Anspruchs irrig annahm: vgl. Fall h). 4 4 d) BGHSt 44 S. 251 mit Anm. OTTO JK, StGB § 253/5: A verband die Forderung nach Schmiergeldern gegenüber B, indem er zum einen einen rechtswidrigen Vertragsbruch androhte, zum anderen aber drohte, eine Erweiterung des bisherigen Auftragsvolumens zu unterlassen. BGH: Im ersten Fall verwerfliche Nötigung, nicht aber im zweiten. 45 e) BGHSt 35 S. 270: A und andere beteiligten sich am 9. 5. 1983 an einer ganztägigen Blockadeaktion vor dem Sondermunitionslager Großengstingen. Durch Blockade der einzig befahrbaren Zufahrt zu dem Depot wollten sie „ein Zeichen setzen" und damit gegen die in ihren Augen sich ständig steigernde Hochrüstung demonstrieren. Aufforderungen, sich zu entfernen, kamen sie nicht nach. Sie ließen sich jedoch widerstandslos durch Polizeibeamte von der Fahrbahn tragen.
vgl. ARZT Welzel-FS, S. 823 ff; HANSEN Die tatbestandliche Erfassung von Nötigungsunrecht, 1972, S. 154 f f ; OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, R d n . 9 4 f f ; SCHMIDHÄUSER B.T., 4 / 1 8 ; ROXIN J u S 1964 S. 3 7 3
49 50
ff. Vgl. OLG Stuttgart NStZ 1991 S. 333; GÜNTHER Baumann-FS, S. 220; REICHERT-HAMMER Fernziele, S. 293 ff, 297 ff. Dazu OTTO NStZ 1991 S. 334 f; DERS. NStZ 1992 S. 572 f. Vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996 S. 296,297 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 240 D/4.
51
Vgl. BGHSt 39 S. 133 mit Anm. ROXIN NStZ 1993 S. 335 f.
48
52
Zum Streitstand: MERTINS GA 1980 S. 47; MEURER Die Bekämpfung des Ladendiebstahls, 1976, S. 24 f f ; DERS. J u S 1976 S. 3 0 0 ff; SCHULTZ M D R 1981 S. 3 7 3 .
Nötigung
§27
BGH: Verhalten des A verwerflich, da die Fernziele von Straßenblockierern nicht bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung, sondern ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind.33 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Überzeugender in der Begründung ist jedoch BayObLG NJW 1988 S. 719: „Ein solches Verhalten, das Dritte zum Werkzeug, zum Objekt des Handelns Andersdenkender macht, findet seine sittliche Missbilligung auch in der darin zum Ausdruck kommenden Missachtung der Menschenwürde (BVerfGE 27, 6; 45, 228; BayObLGSt. 1986, 19, 24) und in dem Negieren der Handlungsund Meinungsfreiheit anderer ... Wenn aber ... die unmittelbar gewollten oder gebilligten Wirkungen - Behinderung anderer zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für eine bestimmte politische Meinung = Nahziel - in ihrem Zusammenhang mit der Gewaltausübung als verwerflich anzusehen sind, vermag das letztlich verfolgte Fernziel - z.B. Eintreten für Frieden und Abrüstung - daran nichts zu ändern. Die Berücksichtigung solcher Fernziele im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung würde zu einer unannehmbaren Subjektivierung eines Straftatbestandes führen und den Strafrichter darüber befinden lassen, ob die von den berufenen Staatsorganen ergriffenen oder gebilligten Maßnahmen zur Wahrung des Friedens die richtigen Mittel zum - allseits anerkannten - Ziel sind (Dreher/Tröndle, StGB, 43. Aufl., § 240 Rdn. 10; Schäfer, LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 61 b; OLG Düsseldorf NJW 1986, 942, 945). Die Strafbarkeit eines Demonstrationsverhaltens kann daher nicht vom Wert oder Unwert des Demonstrationszieles abhängig gemacht werden (vgl. Otto, NStZ 1987,213; Baumann, NJW 1987,38)."54 f) BGH NStZ 1982 S. 287: H wollte mit der Freundin F des A geschlechtlich verkehren. Als F sich weigerte, 46 äußerte A, dass es zwischen ihnen aus sei, wenn F nicht mache, was der H wolle. Daraufhin willigte F in den Geschlechtsverkehr ein. BGH: § 240 Abs. 1 entfallt bereits, weil das angedrohte Übel (Abbruch der Freundschaft) unter diesen Umständen nicht als empfindliches anzusehen war. - Darüber lässt sich streiten, denn die Entscheidung hängt davon ab, wie weit man die Bindung der F an A zu ihren Gunsten berücksichtigt. Vertretbar daher auch die Androhung eines empfindlichen Übels. Dann war die Nötigung jedoch nicht verwerflich, da ein Standhalten der F nicht mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden war.55 g) BGH NStZ 1982 S. 286: A forderte die E zum Geschlechtsverkehr auf. Für den Fall ihrer Verweigerung 47 drohte er, sich selbst umzubringen. E gab nach. Ergebnis: Auch hier kann schon die Frage, ob A mit einem empfindlichen Übel drohte, unterschiedlich beantwortet werden. Keinesfalls war die Nötigung aber verwerflich; vgl. Fall f). h) Der Gastwirt A verwechselt den Gast G mit dem Gast Y, dem er Lokalverbot erteilt hat. Als er den G in 4 8 seiner Gaststätte sieht, weist er ihn hinaus und als G nicht freiwillig geht, drängt er ihn gewaltsam auf die Straße. Ergebnis: Verwerflichkeit ist abzulehnen, denn aus der Sicht des A setzt er lediglich das Verbot mit zulässigen Mitteln durch. Des Rückgriffs auf die Irrtumslehre bedarf es hier nicht, denn wer aufgrund eines Irr-
53
Zur Auseinandersetzung mit BGHSt 35 S. 270: ARZT JZ 1988 S. 775 ff; JAHN JUS 1988 S. 946 ff; ARTHUR KAUFMANN N J W 1 9 8 8 S. 2 5 8 1 f f ; OSTENDORF S t V 1988 S . 4 8 8 f f ; OTTO J K 88, S t G B § 2 4 0 H / 3 ; ROGGEMANN J Z 1988 S. 1 1 0 8 f f ; R Ö H N S c h ü l e r - S p r i n g o r u m - F S , S . 4 5 3 f f , 4 5 6 ; SCHMITT
GLAESER BayVBl. 1988 S. 454 ff. 54
Vgl. auch BayObLG NJW 1993 S. 212 - Eingehende Übersicht über den Streitstand bei der strafrechtlichen Beurteilung der Verwerflichkeit von Sitzblockaden bei OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, Rdn. 64 ff.- Zu den Tendenzen in der Rechtsprechung, durch unverhältnismäßige Anforderungen die Feststellung strafwürdigen Verhaltens unmöglich zu machen vgl. einerseits OLG Stuttgart NJW 1992 S. 2714, 2716; GRAUL JR 1994 S. 51 ff; andererseits LG Ellwangen JR 1993 S. 257 mit Anm. OTTO
55
S. 258 ff; OFFENLOCH JZ 1992 S. 438 ff, 442. - Zum Ausschluss der Verwerflichkeit bei kurzfristigen, symbolischen Blockaden, vgl. einerseits BayObLG NJW 1993 S. 213; BayObLG NJW 1995 S. 269; OLG Koblenz NJW 1985 S. 2434; OLG Köln VRS 83 (1993) S. 420; OLG Köln VRS 87 (1994) S. 426; andererseits OLG Stuttgart NJW 1992 S. 2713 (Grenze im Stundenbereich). Dazu auch SCHROEDER JZ 1983 S. 287. 103
§27
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
tums über Tatsachen der Meinung ist, rechtmäßig zu handeln, setzt aus seiner Sicht ein erlaubtes Mittel zu einem erlaubten Zweck ein. 56
IV. Versuch und Vollendung 1. Beginn der abgenötigten Handlung und Tatvollendung 49
BGH NStZ 1987 S. 70: A, der die H in sein Fahrzeug verbringen wollte, um mit ihr an einen entlegenen Ort zu fahren und dort den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben, versuchte die H in das Fahrzeug zu drücken. Aufgrund der Gegenwehr des Opfers gelang dieses nicht. H konnte nur z.T. in das Fahrzeug gedrängt werden. A nahm von seinem Vorhaben daher Abstand. BGH: Die Nötigung durch A war bereits vollendet.
50 Die h.M. bejaht eine vollendete Nötigung bereits dann, wenn das Opfer unter Einwirkung des Nötigungsmittels mit der verlangten Handlung, Duldung oder Unterlassung begonnen hat.57 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Nötigung ist ein Erfolgsdelikt. Beginnt das Opfer mit dem geforderten Verhalten, so wird in der Regel der Handlungsunwert durch den Täter verwirklicht sein. Der Erfolgsunwert ist jedoch erst eingetreten, wenn das angestrebte Handlungsziel erreicht ist. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt nur ein Versuch vor.5« 2. Vermittlung des Nötigungserfolges durch Dritte 51
BayObLG JZ 1990 S. 448: Die Angeklagten blockierten die Zufahrt zu einer Baustelle. Um gewaltsame Konfrontationen von Autofahrern und Blockierern zu verhindern, sperrte die Polizei den Bereich ab und hielt die Kraftfahrzeuge etwa 300 m vor der Blockade an. BayObLG: Nur versuchte, nicht aber vollendete Nötigung durch die Angeklagten. „... Der Tatbestand der Nötigung lautet aber nicht: „Wer rechtswidrig mit Gewalt... die Handlung, Duldung oder Unterlassung eines anderen verursacht,...", sondern: „wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt... nötigt,...". Daraus zieht der Senat den Schluss, dass es nicht genügt, wenn die intendierte Handlung in irgendeiner ursächlichen Verknüpfung mit der Gewalt steht, so z.B., dass eine Straßenblockade die Polizei veranlasst, den Verkehr anzuhalten oder umzuleiten. Vielmehr muss für die Erfüllung des Tatbestands der Nötigung und damit für die Vollendung der Tat verlangt werden, dass die Handlung, Duldung oder Unterlassung die spezifische Folge der Gewalteinwirkung ist. Die Gewalt muss das Nötigungsopfer erreicht haben; dessen Willensentscheidung muss unter direkter Ginwirkung dieser Gewalt zustande gekommen sein." Der BGH folgte dem BayObLG insoweit nicht. Er sah im vorliegenden Fall den für eine Nötigung mit Gewalt erforderlichen spezifischen Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg als gewahrt an und rechnete den Blockierern den Nötigungserfolg als vollendete Nötigung zu. 59
52 Bei der Vermittlung des Nötigungserfolges durch Dritte ist der Erfolg dem Ersttätigen zuzurechnen, falls dieser das Verhalten des Dritten als mittelbarer Täter beherrscht oder weil das Drittverhalten noch so spezifisch mit der Ausgangsgefahr verbunden ist, dass es bereits typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint und dem Täter daher zuzurechnen ist. Ist dieses nicht der Fall, weil der Dritte in Kenntnis der Situation eine eigenverantwortliche Entscheidung trifft, ist diese Entscheidung die Grundlage für den Nö56
Zu d e n verschiedenen Lösungsmöglichkeiten der Problematik über die Irrtumslehren: ROXIN J R 1976 S. 71 f.
57
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 2 6 ; SCHÄFER L K , 10. Aufl., § 2 4 0 Rdn. 5 8 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 0
58
Dazu auch KG J R 1979 S. 163; OTTO J K 87, StGB § 240/10; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 58.
Rdn. 55. 59
BGHSt 37 S. 350 mit Anm. DIERLAMM NStZ 1992 S. 973 ff, ESCHENBACH Jura 1995 S. 14 ff; KÜPPER/BODE J u r a 1 9 9 3 S . 187 ff, WOHLERS N J W 1 9 9 2 S . 1 4 3 2 f .
104
Freiheitsberaubung
§28
tigungserfolg. Es liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs vor. Dem zunächst Tätigen ist das Verhalten nur als Versuch zuzurechnen. Im oben genannten Fall kann das Verhalten der Polizei noch als spezifisch in der Ausgangsgefahr angelegtes 5 3 Veihalten interpretiert werden.60
V. Besonders schwere Fälle der Nötigung Abs. 4 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle, und zwar die Nötigung zu sexu- 54 eilen Handlungen (Nr. 1), die Nötigung einer Schwangeren zum Schwangerschaftsabbruch (Nr. 2) und den Missbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger (Nr. 3).
§ 28 Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Freiheit der Person, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen-, sog. 1 potentielle persönliche Bewegungsfreiheit. Da die potentielle, nicht aber die reale persönliche Bewegungsfreiheit maßgeblich sein 2 soll, kommt die h.M. zu dem Ergebnis, es sei bedeutungslos, ob der Betroffene die Beeinträchtigung seiner Bewegungsfreiheit wahrgenommen habe oder nicht Sodann jedoch wird differenziert. Während einige den Grundsatz uneingeschränkt anwenden,61 kommen andere zu dem Ergebnis, eine Freiheitsberaubung sei nicht möglich, wenn der Betroffene zur Tatzeit einen natürlichen Fortbewegungswillen gar nicht haben kann, weil die Möglichkeit der Willensbildung und -betätigung ausgeschaltet ist. Daher sei keine Freiheitsberaubung möglich beim sinnlos Betrunkenen, beim Ohnmächtigen, beim Tiefschlafenden oder beim Kleinstkind, hingegen könne das Opfer, das lediglich nicht merke, dass es eingesperrt sei, durchaus der Freiheit beraubt werden.62 Diese Differenzierung bleibt willkürlich, denn schon die Annahme der Freiheits- 3 beraubung einer Person, die überhaupt nicht bemerkt, dass sie ihrer Freiheit beraubt ist, ist mit dem Schutz der persönlichen Bewegungsfreiheit nicht in Einklang zu bringen. Zutreffender erscheint es daher, eine Freiheitsberaubung dort abzulehnen, wo der Wille des Betroffenen nicht tangiert wurde, weil sein Wille weder durch irgendwelche Einwirkungen (Hypnose, Schlafmittel) ausgeschaltet noch er selbst sich der Beraubung seiner Bewegungsfreiheit bewusst wurde (Ohnmacht, Schlaf, Beschäftigung mit anderen Dingen). Ist er sich hingegen der Tatsache bewusst geworden, dass er seinen Aufenthaltsort nicht verlassen kann, so ist es gleichgültig, ob er ihn verlassen will, unabhängig davon, ob der Be60
Vgl. auch OTTO JK 92, StGB § 240/14.
61
Grundsätzlich auf den Schutz der potentiellen Bewegungsfreiheit, unabhängig von der Kenntnis der Situation, stellen ab: BOCKELMANN B.T./2, § 18 I 1 c ; GEPPERT JUS 1975 S . 3 8 7 ; KARGL J Z 1 9 9 9 S. 78; KÜPER B.T., S. 133 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 3 9 R d n . 1; RENGIER B . T . n , § 2 2 R d n . 1; SCHMIDHÄUSER B.T., 4 / 2 6 .
62
Eine Freiheitsberaubung gegenüber Personen, denen die Freiheit fehlt, sich frei zu bewegen (z.B. sinnlos Betrunkene, Bewußtlose) lehnen ab: KREY B.T. 1, Rdn. 315; KÜPPER B.T. 1, I § 3 Rdn. 2; SCH/SCH/ESER § 239 Rdn. 3; WOLTER NStZ 1985 S. 247. - Differenzierend bei der letztgenannten Personengruppe nach dem hypothetischen Willen: BLOY ZStW 96 (1984) S. 721 ff; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 239 Rdn. 13.
105
§28
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
troffene zur Fortbewegung fähig ist. Insofern ist es richtig, auf die potentielle persönliche Bewegungsfreiheit abzustellen, denn schon das Bewusstsein, seinen Aufenthaltsort nicht verändern zu können, beeinflusst die Willensbildung.63 2. Die Tathandlung a) Die Freiheitsberaubung 4 Tathandlung ist der Eingriff in die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen. Diesem wird die Möglichkeit genommen, sich nach seinem Willen fortzubewegen. Einsperren - Hinderung am Verlassen eines Raumes durch äußere Vorrichtungen - ist nur ein Beispielsfall einer Freiheitsberaubung, die z.B. auch durch Drohung, Gewalt oder Wegnahme der Kleider erfolgen kann. Maßgeblich ist allein, dass dem Opfer die Willensbetätigung zur Ortsveränderung nach allen Seiten unmöglich gemacht ist«4 und zwar ist - auch bei den anderen Weisen der Beraubung der Freiheit - die unmittelbare Zwangswirkung maßgeblich. Die Drohung mit einem empfindlichen Übel genügt daher den Anforderungen an eine Freiheitsberaubung nicht.65 Wird dem Opfer lediglich die Bewegung in eine Richtung unmöglich gemacht oder das Opfer in eine andere Richtung gezwungen, so liegt nur Nötigung vor. - Das Delikt ist ein Dauerdelikt, doch erfordert der Tatbestand keine lange Dauer („ein Vaterunser lang" genügt). 5 Ob ein u.U. verbleibender Ausweg ungewöhnlich ist oder nicht, spielt keine Rolle. Die Grenze beginnt dort, wo dem Opfer der Ausweg nicht mehr zumutbar ist, z.B. beim lebensgefährlichen Sprung aus dem Fenster eines Hochhauses oder beim Herunterklettern über eine Feuerleiter oberhalb einer belebten Straße ohne Bekleidung. - Die Einsperrung muss daher nicht unüberwindbar sein.66
b) Mittelbare Täterschaft 6 Grundsätzlich ohne besondere Probleme ist auch die Verwirklichung einer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft, wenn der Hintermann die Tatherrschaft innehat, weil das Werkzeug irrt oder im Nötigungsnotstand handelt. 7 Daher wird von der h.M. auch eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft angenommen, wenn der Täter durch eine falsche Anzeige dafür ursächlich wird, dass der Angezeigte in Haft kommt. Dies mag für eine falsche Anzeige vor der Polizei, die dazu führt, dass das Opfer in U-Haft genommen wird, zutreffen. Soweit die Haft auf einem Urteil beruht, ist der Anzeigende nicht mehr für dieses Ergebnis als mittelbarer Täter verantwortlich. Das Gericht ist nicht Werkzeug des Anzeigenden! Es ist verpflichtet, belastende und entlastende Momente zu überprüfen und eigenverantwortlich zu wägen. Das widerspricht seiner Werkzeugeigenschaft dort, wo ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist, evident.67
63
W i e hier: BINDING B . T . I, S. 9 8 ; HORN S K II, § 2 3 9 R d n . 3; PARK/SCHWARZ J u r a 1995 S. 2 9 5 f. - E n -
ger: ARZT/WEBER B. T., § 9 Rdn. 13; TRÖNDLE/FISCHER § 239 Rdn. 5 (maßgeblich allein tatsächlicher Wille des Opfers). 64
BGHSt 32 S. 187 ff.
65
Dazu BGH NJW 1993 S. 1807 mit Anm. OTTO JK 94, StGB § 239/2.
66
Dazu BGH NStZ 2001 S. 420.
67
Vgl. auch OTTO NStZ 1985 S. 75 f. - A.A. AMELUNG/BRAUER JR 1985 S. 476 f; GEPPERT JK, StGB
106
§ 239/1 m.w.N.
Freiheitsberaubung
§28
n. Rechtswidrigkeit Als Rechtfertigungsgründe kommen alle rechtfertigenden Situationen in Betracht, insbe- 8 sondere die Ausübung des Sorgerechts im Rahmen der Familienpflege68 sowie das Festnahmerecht gemäß § 127 StPO. Nach h.M. schließt das Einverständnis des Opfers in die Freiheitsberaubung bereits den 9 Tatbestand aus.69 Das ist konsequent für diejenigen, die ein Handeln gegen den tatsächlichen Willen des Betroffenen als Rechtsgutsverletzung verlangen, aus der Sicht der h. M. jedoch grob inkonsequent, denn nach ihren Prämissen ist die Freiheitsberaubimg kein Willensbruchsdelikt im engeren Sinne. Sie setzt begrifflich kein Handeln gegen den Willen des Betroffenen voraus. Beim Handeln mit Willen des Betroffenen kann jedoch eine rechtfertigende Einwilligung vorliegen.70 Bei hoheitlichem Freiheitsentzug, z.B. Verbringung zur Blutentnahme, Einweisung in 10 eine psychiatrische Anstalt, stellt die h.M. darauf ab, ob der Freiheitsentzug sachlich begründet war oder nicht, während Mängel des förmlichen Verfahrens irrelevant sein sollen.7! So verallgemeinert ist diese Aussage angreifbar. Maßgeblich kann allein sein, ob der Eingriffsakt rechtswirksam war oder nicht. Die Anfechtbarkeit begründet nicht die Rechtswidrigkeit der rechtswirksam vollzogenen Maßnahmen. Beruht der Eingriffsakt aber auf einer Täuschung durch einen Dritten - z.B. falsche Anschuldigung, die dazu führt, dass der Betroffene festgenommen wird - so liegt ein Fall der Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch ein rechtmäßig handelndes Werkzeug vor. Keinesfalls ist hier in der Person des Hintermannes nur ein Versuch gegeben72, denn die Tathandlung bleibt in der Person des Hintermannes objektiv und subjektiv rechtswidrige Freiheitsentziehung, auch wenn das Werkzeug rechtswirksam handelt.
DI. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung In § 239 Abs. 3 und Abs. 4 sind erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung geregelt.
11
1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen Die über eine Woche hinausgehende Freiheitsberaubung, wie auch der Tod oder die 12 schwere Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - müssen für den Täter vorhersehbar gewesen sein, § 18.73 Führt der Täter die schwere Folge vorsätzlich herbei, so ist Tateinheit mit §§ 211, 212, und je nach den Umständen § 226, möglich. - Dass das Opfer den Tod selbst herbeigeführt hat, sei es durch Selbstmord oder einen gefährlichen Fluchtversuch, ist irrelevant, da der Wille des seiner Freiheit beraubten Opfers im Rechtssinne nicht 68 69
Hierzu BGHSt 13 S. 197. Konsequent daher TRÖNDLE/FISCHER § 239 Rdn. 3, 12. - Inkonsequent die h. M. vgl. z. B. LACKNER/KÜHL § 239 Rdn. 5; SCH/SCH/ESER § 239 Rdn. 8; WESSELS/HETTINGER B. T./1, Rdn. 374.
70
S o auch JESCHECK/WEIGEND A.T., 5. Aufl. 1996, § 34 I 1 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l
71
B G H bei Holtz, M D R 1978 S. 624; O L G Schleswig NSTZ 1985 S. 74; SCH/SCH/ESER § 239 Rdn. 8.
72 73
So aber AMELUNG/BRAUER JR 1985 S. 476 f; GEPPERT JK, StGB § 239/1. Trotz der abweichenden Formulierung ist Abs. 3 Nr. 1 nach wie vor als Erfolgsqualifikation anzusehen, da den Gesetzesmaterialien eine Einschränkung des bisherigen Schutzbereichs nicht zu entnehmen ist;
§ 12 Rdn. 16.
vgl. auch LACKNER/KÜHL § 239 Rdn. 9; RENGIER B. T. n , § 2 2 Rdn. 11. - A. A.: Qualifikation: FlSCHER/TRÖNDLE § 239 Rdn. 15; NELLES, Einf. in das 6. StrRG, 1998, S. 5 6 f; WESSELS/HETTINGER B. TV 1, Rdn. 377.
107
§28
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
frei ist. Auch in diesen Fällen realisiert sich die der Freiheitsberaubung spezifische Gefahr.™ 2. Täter als Verursacher der besonderen Folge 13 Nach der früheren Fassung des § 239 waren besondere Folgen, die ein Tatteilnehmer verursacht hatte, auch dem Täter zuzurechnen, wenn sie für ihn vorhersehbar gewesen waren. Nach der Neufassung des Gesetzes durch das 6. StrRG muss der Täter (Mittäter) der Verursacher der besonderen Folge sein. 3. Der Versuch 14 Der Versuch der Freiheitsberaubung ist strafbar, § 239 Abs. 2.
IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung 15 Die Freiheitsberaubung ist ein Spezialfall der Nötigung, wenn die Nötigung nur darauf gerichtet ist, das Opfer zu hindern nach seinem Belieben seinen Aufenthaltsort zu verändern. Im übrigen ist die Entscheidung nach dem Schwergewicht des Unrechtsvorwurfs zu treffen. Das bedeutet im einzelnen: 16 1. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach eigenem Belieben zu verändern, weil es dem Täter darauf ankommt, das Opfer an seinem Aufenthaltsort festzuhalten: Freiheitsberaubung. Beispiel: A sperrt den B im Keller seines Hauses ein, um ungestört mit Frau B Ehebruch betreiben zu können. Ergebnis: Die Freiheitsberaubung geht als lex specialis der Nötigung vor.
17 2. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach seinem Belieben zu verändern, weil es zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird und andere Verhaltensweisen ihm neben dem erzwungenen Verhalten nicht möglich sind, so liegt nur eine Nötigung vor. Beispiel: A zwingt den B mit vorgehaltener Pistole nach X zu fahren. Ergebnis: Nötigung des B, gegen seinen Willen dorthin zu fahren wohin ihn der A dirigiert. Der Tatsache, dass B nicht zugleich an einen anderen Ort fahren kann, kommt hier keine Eigenständigkeit zu. Damit konsumiert die Nötigung die Freiheitsberaubung.
18 3. Soll das Opfer durch den Freiheitsentzug zu einem bestimmten, über den Freiheitsentzug hinausgehenden Verhalten gezwungen werden: Nötigung und Freiheitsberaubung in Idealkonkurrenz. Beispiel: A sperrt den B ein, um ihn zu zwingen, ihm ein Geschäftsgeheimnis zu verraten. Der Plan gelingt. Ergebnis: Der Unrechtsgehalt der Freiheitsberaubung und der der Nötigung stehen gleichwertig nebeneinander; §§ 240,239,52 StGB.
19 4. Misslingt der Versuch des Täters, eine Person an einem bestimmten Ort festzuhalten: versuchte Nötigung. Beispiel: A legt der B den Arm um den Hals, um diese am Verlassen der Wohnung zu hindern. B kann sich befreien. 74
108
Dazu BGH LM Nr. 4 zu § 239; BGHSt 19 S. 382 mit abl. Anm. WIDMANN MDR 1967 S. 972 f; KÜPPER „Der unmittelbare Zusammenhang" zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 104; RENGIER Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungformen, 1986, S. 196.
Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme
§29
Ergebnis: Geht es dem Täter allein um die Freiheitsberaubung, so ist - wenn das Delikt vollendet wird § 239 lex specialis gegenüber § 240. Das gilt auch flir die Versuchssituation.
V. Menschenraub, § 234 In § 234 ist ein Spezialfall der Freiheitsberaubung geregelt. Das Delikt währt so lange, wie 20 die Bemächtigung anhält (Dauerdelikt). Einzelheiten des Tatbestandes: List ist ein geflissentliches Verbergen der verfolgten Ab- 21 sieht, z.B. durch Täuschung oder Ausnutzung eines Irrtums. - Bemächtigen heißt Begründen der physischen Herrschaft über eine Person. - Aussetzen in hilfloser Lage bedeutet, das Opfer in eine Lage zu verbringen, in der es - zur Selbsthilfe unfähig - auf fremde Hilfe angewiesen und konkret an Leib oder Leben gefährdet ist. - Die Absicht, einen anderen in Sklaverei oder Leibeigenschaft zu bringen, setzt voraus, dass der Täter beabsichtigt, das Opfer einer Rechtsordnung zu unterwerfen, die die Rechtstellung eines Sklaven oder Leibeigenen noch kennt.75
§ 29 Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b Beide Vorschriften schützen zunächst die persönliche Freiheit und Unversehrtheit des 1 Opfers, sodann aber die persönliche Freiheit des Dritten, dessen Sorge ausgenutzt werden soll. - Dahinter tritt der in § 239 a auch erfasste Schutz des Vermögens zurück, so dass es sachgerecht ist, beide Delikte, § 239 a und § 239 b, als Freiheitsdelikte einzuordnen.?®
II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Erpresserischer Menschenraub, § 239 a a) Tatopfer kann jeder Mensch sein, insbesondere auch das eigene Kind.77 2 b) Der Tatbestand unterscheidet zwei Alternativen: in der ersten Alternative erfolgt die 3 „Entführung" oder das „Sichbemächtigen eines Dritten" bereits in der Absicht der Erpressung; in der zweiten Alternative wird ein ursprünglich aus anderen Gründen (Scherz, Rache o.ä.) hergestelltes Gewaltverhältnis später zur Erpressung ausgenutzt. Entfuhren setzt ein Verbringen an einen anderen Ort voraus, wo das Opfer dem unge- 4 hemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist. Die Ortsveränderung muss gegen den Willen des Opfers durch List, Drohung oder Gewalt - dazu § 28 Rdn. 21,27, § 66 Rdn. 14, 17 - geschehen sein.7« - Sichbemächtigen bedeutet die Begründung physischer Herrschaft des Täters über das Opfer. Ein Verbringen an einen anderen Ort ist nicht begriffsnotwendig; das in Schach halten mit einer Waffe kann genügen.7? Stellt sich jemand einem anderen 75 76
Vgl. dazu BGHSt 39 S. 212. V g l . LACKNER/KÜHL § 2 3 9 a R d n . 1; MITSCH B . T . D/2, § 2 R d n . 6 2 ; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 3 9 a
Rdn. 2. - Die Nähe des § 239 a zur Erpressung betonen demgegenüber MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 15 R d n . 19; SCH/SCH/ESER § 2 3 9 a R d n . 3.
77
Dazu BGHSt 26 S. 70.
78
Vgl. dazu BGH NStZ 1996 S. 276 f.
79
BGH NStZ 1986 S. 166.
109
§29
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Hinzeinen
freiwillig zur Verfügung, damit dieser eine Geiselnahme vortäuschen kann, so entfällt der Tatbestand, da weder eine Entführung noch ein Sichbemächtigen vorliegt.80 5 c) In der 1. Alternative muss mit dem Vorsatz die Absicht des Täters verbunden sein, „die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung auszunutzen". Sorge um das Wohl des Opfers ist bereits die Befürchtung, das Opfer könne beim Fortbestehen der vom Täter geschaffenen Lage körperlichen oder seelischen Schaden erleiden. Damit handelt aus Sorge in diesem Sinne auch der Staat, der nicht unmittelbar aus Sorge um das Wohl der Geisel zahlt, sondern aus Gründen der Staatsräson dokumentiert, dass er das Leben der Geisel mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln schützt, wie auch der Bankkassierer, der vielleicht sogar den bedrohten Kunden hasst, der aber weiß, dass er selbst erhebliche Nachteile haben wird, wenn er nicht für das Wohl des Opfers sorgt und zahlt. Um eine Sorge um einen anderen im herkömmlichen Sinne des Wortes handelt es sich hier nicht mehr, sondern nur noch um die Befürchtung oder das Wissen, ein anderer werde Schaden nehmen.81 6 Ob der Täter wirklich die Absicht hat, dem Opfer einen Schaden zuzufügen oder nicht, ist irrelevant. Maßgeblich ist allein die Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge Dritter.»2 7 d) Vollendet ist die Tat in der 1. Alternative, wenn der Täter einen anderen entführt oder sich eines anderen bemächtigt hat in der Absicht, die Sorge des Opfers oder die Sorge eines Dritten zu einer Erpressung auszunutzen. Es braucht nicht einmal bis zu einem Versuch einer Erpressung zu kommen. In der 2. Alternative ist der Tatbestand vollendet, wenn der Täter die von ihm geschaffene Lage zu einer Erpressung ausnutzt, d.h. die Erpressung zumindest versucht.83 2. Geiselnahme, § 239 b 8 a) Tatopfer und Tathandlung entsprechen § 239 a. Im Gegensatz zu § 239 a tritt an die Stelle der Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge eines Dritten in erpresserischer Absicht in § 239 b die Absicht einer Nötigung mit qualifiziertem Mittel (Drohung mit dem Tode oder einer schweren Körperverletzung - § 226 - des Opfers oder mit Freiheitsentzug von über einer Woche Dauer). - Der Vorbehalt des Täters, die Drohung nicht zu realisieren, ist irrelevant. Eine derartige Einschränkung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. 9 b) Aufbau des Tatbestandes und Vollendung entsprechen § 239 a; vgl. unter Rdn. 4.3. Das Verhältnis der §§ 239 a, b zu den in der Gewaltsituation beabsichtigten Delikten 10 a) Nachdem das StrÄndG 1989 die §§ 239 a, b, die bis dahin eine Dreiecksstruktur (Täter Entführter - Genötigter) voraussetzten, auf Zwei-Personen-Verhältnisse (Täter-Entführungsopfer) ausgedehnt hatte, ging die Rechtsprechimg davon aus, dass §§ 239 a, b in Tateinheit mit den beabsichtigten Delikten vorlagen, wenn diese verwirklicht wurden.84 Damit 80
Vgl. LG München 31 Js 81385/75; BACKMANN JUS 1977 S. 449; MITSCH B.T. II/2, § 2 Rdn. 62, 76. A . A . LAMPE J R 1975 S. 4 2 5 .
81
Eingehender dazu HANSEN GA 1974 S. 353 ff; im übrigen vgl. BGH NStZ 1987 S. 222 mit Anm. JAKOBS JR 1987 S. 340 ff, und O r r o JK 87, StGB § 253/1; BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 305; BOHNERT JR 1982 S. 397,399; SEELMANN JuS 1986 S. 203.
82
Zu den Erfordernissen der Erpressung vgl. unter § 53 Rdn. 3.
83
BGHSt 26 S. 310 (zu § 239 b); MITSCH B.T. H/2, § 2 Rdn. 109.
84
So zuletzt BGH NStZ 1993 S. 3.
110
Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme
§29
aber wurden typische Fälle der Vergewaltigung und der Erpressung dem hohen Strafrahmen der §§ 239 a, b unterworfen. b) Aus dieser Situation versuchte der 1. Strafsenat einen Ausweg zu finden, indem er bei 11 Zwei-Personen-Verhältnissen eine „AußenWirkung des abgenötigten Verhaltens" außerhalb des unmittelbaren Gewaltverhältnisses voraussetzte,^ der 5. Senat stellte auf die besondere „Intensität der Zwangslage" ab.«« Der Große Senat für Strafsachen lehnte diese Tatbestandsreduktionen ab und interpretierte §§ 239 a, b als gleichsam zweiaktiges Delikt dahin, dass zwischen der Bemächtigungs-/Entführungslage und der vom Täter angestrebten Nötigung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang bestehen müsse, der der Bemächtigungs-ZEntführungssituation eigenständige Bedeutung aufgrund einer gewissen Stabilisierung der Lage verschaffe.87 Der Tatbestand sei daher nicht gegeben, wenn die zur Bemächtigung führende Nötigung - z.B. das Vorhalten einer Schusswaffe - zugleich dazu dient, das Opfer zu den weiteren Handlungen - z.B. Herausgabe von Bargeld - zu veranlassen88 oder wenn die Leistung, die der Täter erpressen will, erst nach Beendigung der Bemächtigungslage erbracht werden soll.89 Jedoch soll es genügen, wenn eine „Teilleistung" schon vor Beendigung der Bemächtigungslage erbracht wird.90 Überzeugend ist auch diese restriktive Auslegung der §§ 239 a, b nicht, denn sie privi- 12 legiert den besonders brutal vorgehenden Täter, der mit der Bemächtigungshandlung von vornherein zugleich qualifizierte Drohungen einsetzt.91
III. Erfolgsqualifizierung nach §§ 239 a Abs. 3, 239 b Abs. 2 Die Erfolgsqualifizierungen gemäß § 239 a Abs. 3 und § 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a 13 Abs. 3 entsprechen in ihrer Struktur dem Raub mit Todesfolge; dazu unter § 46 Rdn. 40 ff. Zu beachten ist auch hier, dass sich in der Erfolgsqualifikation die spezifische Gefahr der Verwirklichung des Grundtatbestandes realisiert haben muss. Diese Gefahr kann auch in Befreiungsaktionen zugunsten des Opfers begründet sein. Der notwendige Zusammenhang liegt hingegen nicht vor, wenn es zum Tod der Geisel kommt, weil Poli- 14 zeibeamte, die von der Geiselnahme keine Kenntnis haben, auf das Fluchtfahrzeug schießen, in dem sich nach ihrer Vorstellung nur Räuber befinden.92
85
Vgl. BGHSt 39 S. 36; 39 S. 330; BOHLANDER NStZ 1993 S. 439 f; GEPPERT JK 94, StGB § 239 a/4; R. KELLER J R 1 9 9 4 S. 4 2 8 f; OTTO J K 9 4 , S t G B § 2 3 9 a / 5 ; RENZDCOWSKI J Z 1 9 9 4 S. 4 9 3 f f ; TENCKHOFF/BAUMANN JUS 1994 S. 8 3 6 f f .
86
BGH NJW 1994 S. 2163.
87
BGHSt 40 S. 350; dazu FAHL Jura 1996 S. 456 ff; GEPPERT JK 95, StGB § 239 a/6 a, b; HÄUF NStZ 1 9 9 5 S. 184 f; MOLLER-DIETZ J u S 1996 S. 110 f f ; RENZIKOWSKI J R 1 9 9 5 S. 3 4 9 f ; B G H N S t Z 1 9 9 9 S.
509 mit Anm. GEPPERT JK 00, StGB § 239 a/7.
88
Vgl. BGH NStZ 1996 S. 277; BGH StV 1996 S. 266; BGH StV 1996 S. 577.
89
Vgl. BGH NStZ 1996 S. 277; BGH StV 1997 S. 302; BGH StV 1997 S. 303. - Eingehend zur Entwicklung der Rechtsprechung: HEINRICH NStZ 1997 S. 365 ff.
90
B G H N J W 1 9 9 7 S. 1 0 8 2 m i t A n m . GEPPERT J K 9 8 , S t G B § 2 3 9 h / 1 , RENZIKOWSKI J R 1 9 9 8 S. 1 2 6 f.
91
Vgl. dazu RHEINLÄNDER Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme (§§ 239 a, 239 b StGB), 2 0 0 0 , S. 2 7 4 ff; RENZIKOWSKI J R 1 9 9 5 S. 3 4 9 f; DERS. S t V 1 9 9 9 S. 6 4 8 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 3 9 a
Rdn. 8. - Zust. aber IMMEL NStZ 2001 S. 67 ff; MITSCH B.T. N/2, § 2 Rdn. 99 ff. 92
Str. - Vgl. BGHSt 33 S. 322 mit Anm. FISCHER NStZ 1986 S. 314, GEPPERT JK, StGB § 239 a/1, KREHL S t V 1986 S. 4 3 2 , LÖFFELER J A 1986 S. 2 8 6 f, WOLTER J R 1 9 8 6 S. 4 6 5 ff.
111
§30
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4, 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a Abs. 4 15 Abweichend von anderen Fällen der sog. Tätigen Reue nach vollendeter Tat erfordert § 239 a Abs. 4 keine Freiwilligkeit, unterwirft aber die Strafmilderung nicht § 49 Abs. 2, sondern dem strengeren § 49 Abs. 1. 16 Erstrebte Leistung ist in § 239 a die Beute, in § 239 b der Nötigungserfolg. - Ein Verzicht liegt vor, wenn der Täter seinen Erpressungs- oder Nötigungsplan vor Eintritt des Erfolges aufgibt, bzw. die Beute wieder herausgibt oder auf die Ausnutzimg der Nötigungssituation verzichtet. - In seinen Lebenskreis zurückgelangt ist das Opfer, wenn es, aus der Gewalt des Täters entlassen, die Möglichkeit hat, seinen Aufenthaltsort frei zu bestimmen und zu erreichen.93
V. Konkurrenzen 17 Zur Konkurrenz der §§ 239 a, b mit den beabsichtigten Delikten vgl. unter Rdn. 10 ff. § 239 b ist gegenüber § 239 a subsidiär, wenn mit der Tathandlung eine Bereicherung erstrebt wird. Soweit neben der Bereicherung noch ein anderer Zweck verfolgt wird, ist Tateinheit möglich.»4
§ 30 Zur Wiederholung 1 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Wie wurde „Gewalt" i.S. des § 240 ursprünglich definiert und worin unterschied sich diese Definition von der, die der BGH seinen Entscheidungen in der Regel zugrunde legt? - Dazu § 27 Rdn. 2 ff. Kommt es bei einer Drohung mit einem empfindlichen Übel darauf an, ob der Drohende die Drohung wirklich realisieren kann? - Dazu § 27 Rdn. 17. Ist die Verwerflichkeit eines nötigenden Verhaltens vor den Rechtfertigungsgründen zu prüfen? - Dazu §27 Rdn. 31. Genügt es, dass eine Nötigung sittlich anstößig ist, oder fordert die Strafbarkeit auch hier ein rechtswidriges Verhalten? - Dazu § 27 Rdn. 33. Wann ist ein Verhalten „verwerflich" i.S. des § 240 Abs. 2? - Dazu § 27 Rdn. 35 ff. Kann ein ,3ewusstloser" seiner Freiheit beraubt werden? - Dazu § 28 Rdn. 2. Liegt eine Freiheitsberaubung vor, wenn der Betroffene seinen Aufenthaltsort nur auf „ungewöhnlichem" Wege verlassen kann? - Dazu $ 28 Rdn. 5.
8.
Welche Bedenken bestehen gegen eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch eine Behörde oder ein Gericht aufgrund einer Täuschung (unwahre Aussage)? - Dazu § 28 Rdn. 6 f. 9. Was heißt „sich eines Menschen bemächtigen" in § 234? - Dazu § 28 Rdn. 21. 10. Wie ist das Ausnutzen der Sorge eines Dritten in §§ 239 a, b zu bestimmen? - Dazu § 29 Rdn. S.
93 94
112
Vgl. BGH NJW 2001 S. 2895. BGHSt 25 S. 386; 26 S. 24.
Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte
§31
Fünfter Abschnitt
Delikte gegen die Ehre § 31 Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte Einigkeit besteht darüber, dass das geschützte Rechtsgut der §§ 185 ff die Ehre ist. - Inhalt 1 und Grenzen dieses Begriffs sind jedoch streitig, obwohl nicht zu verkennen ist, dass die verschiedenen Auffassungen über die inhaltliche Bestimmung des Ehrbegriffs sich in einem Kernbereich weitgehend angenähert haben, nachdem insbesondere ENGISCH nachgewiesen hat, dass jeder Ehrbegriff normative und faktische Elemente enthält und enthalten muss.i Es bleiben jedoch Divergenzen, die über bloß unterschiedliche Akzentuierungen hinausgehen. 1. Der Streitstand a) Auf der Grundlage des normativen Ehrbegriffs ist Ehre als der auf die Personenwürde 2 gegründete innere Wert des Menschen anzusehen. Sie geht unmittelbar aus seiner sittlichen Existenz hervor und ist in ihrem Bestand allein abhängig von seinem sittlichen Habitus und seinem sittlichen Verhalten, wobei das sittliche Element z.T. auf den Gesamtbereich der Sozialethik bezogen wird.2 b) In der normativ-faktischen Betrachtungsweise wird der soziale Wert- und Ach- 3 tungsanspruch wesentlich neben den aus der Personenwürde fließenden sittlichen Wertstand gestellt. Maßgeblich ist zunächst der auf der Würde der Person beruhende sittliche Geltungswert, der unmittelbar aus der sittlichen Existenz der Person hervorgeht und jedem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommt (innere Ehre). Dieser Bereich ist der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Kembereich der Ehre, der jedem Menschen die Achtung als Mensch verbürgt. Daneben tritt der soziale Achtungsanspruch, der der Person aufgrund ihres Verhaltens in der Sozietät zuwächst, das nach sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird (äußere Ehre).3 c) Den nur personalen Charakter des Rechtsguts bestreitet JAKOBS, der die Beleidigung als 4 zugleich öffentliche Interessen verletzende unwahre Zurechnung zu Lasten einer Person
1
ENGISCH L a n g e - F S , S. 4 1 2 ff.
2
Vgl. HERDEGEN LK, 10. Aufl., Vor § 185 Rdn. 4 ff; HIRSCH Ehre und Beleidigung, 1967, S. 29 ff, 45 f f , 7 2 f f ; DERS. E. A . W o l f f - F S , S. 133 f f ; ARTHUR KAUFMANN Z S t W 7 2 (1960) S. 4 3 0 f; SCHMIDHÄU-
SER B.T., 5/1; SPINELLIS Hirsch-FS, S. 759 ff; TENCKHOFF Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände, 1974, S. 181 f; WELZEL Lb., § 4211. - Vgl. auch ISENSEE KrieleFS, S. 8 ff. 3
Vgl. BVerfGE 30 S. 195; BGHSt 1 S. 288; 11 S. 70; ARZT JuS 1982 S. 718; ENGISCH Lange-FS, S. 412 f f ; GEFPERT J u r a 1983 S. 532; ISENSEE A f P 1993 S. 6 2 6 f; KÜPER B.T., S. 110 f f ; LACKNER/KÜHL V o r § 185 R d n . 1; MACKEPRANG Ehrenschutz i m Verfassungsstaat, 1990, S. 176 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 4 R d n . 5 f f ; OTTO Schwinge-FS, S. 7 1 ff; RUDOLPHI S K II, V o r § 185 R d n . 5; SCHRAMM Lenckner-FS, S. 5 4 5 f; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . § § 1 8 5 ff R d n . 1; WESSELS/HET-
TINGER B.T./1, Rdn. 464; WOLFFZStW 81 (1969) S. 886 f; ZACZYK NK, Vor § 185 Rdn. 1.
113
§31
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
definiert.4 - Eine erhebliche Einschränkung des Ehrenschutzes fordert BEMMANN, für eine Abschaffung des strafrechtlichen Ehrenschutzes plädieren KUBICIEL und WINTERE 2. Stellungnahme 5 Im Denkschema des sog. normativen Ehrbegriffs ist die Ehrminderung in der schuldhaften Verletzung sittlicher i.S. sozialethischer Pflichten zu sehen. Doch gerade diese Fixierung des Maßstabes gibt zu Bedenken Anlass, denn unabhängig von der Vielschichtigkeit und Fragwürdigkeit sozialethischer Pflichten in einer pluralistischen Gesellschaft, führt die Begrenzung der Person und ihrer personalen Entfaltung auf das Bezugssystem von Rechten und Pflichten in diesem Bereich zu einer Beschränkung der personalen Möglichkeiten. Nur ein geringer - wenn auch bedeutender - Teil der hier relevanten Verhaltensweisen lässt sich im Gefüge von Rechtsausübung und Pflichterfüllung unterbringen. Der weitaus größere Teil ist in diesem Schema nicht zu erfassen, obwohl auch diese Verhaltensweisen durchaus sozialethischer Bewertung zugänglich sind. - An diesen Befund knüpft der normativ-faktische Ehrbegriff an. Er erfasst die Ehre als ein zugleich faktisch und normativ zu verstehendes Beziehungsverhältnis, mit dessen Schutz die Rechtsgesellschaft unmittelbar die Fundamente menschlichen Zusammenlebens sichert. 6 Geschützt wird die Möglichkeit der Person, mit anderen Personen Gemeinschaft zu haben, und zwar zum einen, indem jeder Person die Würde als Person zugestanden wird, zum anderen, indem der Person in bestimmtem Rahmen Möglichkeiten gesichert werden, sich in der Gesellschaft personal zu entfalten. Dieser Schutz wiid dadurch erreicht, dass der Anspruch der Person geachtet und nach ihren auf Gemeinschaft bezogenen Werken eingeschätzt zu weiden, gewährleistet wird. Das bedeutet: Maßgeblich für die Beurteilung der Person ist zunächst ihr auf der Würde der Person beruhender Wertstand, sodann aber ihr individuelles Verhalten, das unter sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird. 7 Insoweit sind Normativität und Faktizität im Ehrbegriff miteinander verbunden.® Die Verletzung des begründeten Achtungsanspruchs in diesem Sinne durch abwertende (ehrenrührige) Werturteile oder Tatsachenbehauptungen stellt die in §§ 185 ff erfasste Ehrverletzung dar. 8 Aus der Verflechtung normativer und faktischer Elemente erklärt sich auch die Möglichkeit, das Verfolgungsschicksal der Juden in der nationalsozialistischen Zeit als konstitutives Element ihres sozialen Status und damit Teil ihrer persönlichen Ehre zu begreifen.7
n. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre 1. Die Beleidigungsfiihigkeit 9 Da der soziale Geltungsanspruch auf der Menschenwürde aufbaut, ist jeder Mensch beleidigungsfähig, auch Kinder, Geisteskranke usw. 4
JAKOBS J e s c h e c k - F S , S. 6 3 7 .
5
Vgl. BEMMANN E. A. Wolff-FS, S. 38; sowie KUBICIEL/WINTER ZStW 113 (2001) S. 305 ff.
6
Dazu ENGISCH Lange-FS, S. 412 ff; MACKEPRANG Ehrenschutz, S. 176 ff; OTTO Schwinge-FS, S. 71 ff; STERN Hübner-FS, S. 824 ff; WoLFFZStW 81 (1969) S. 886 ff.
1
Vgl. dazu BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) NJW 1993 S. 917; BGHSt 40 S. 97 mit abl. Anm. JAKOBS StV 1994 S. 540 ff; BayObLG NStZ 1997 S. 283 mit abl. Anm. JAKOBS JR 1997 S. 344 f, und
zust. Anm. PEGLAU NStZ 1998 S. 196 f, der den Rechtsgüterschutz der §§ 185 ff aber erweitert; OTTO Jura 1995 S. 279 f.
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Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte
§31
2. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung Selbstverständlich ist, dass mehrere Personen gemeinsam mit einem Ausspruch beleidigt 10 werden können, z.B. „Ihr drei seid doof!" - Aber auch wenn die Betroffenen nicht genau individualisiert sind, sondern nur als Angehörige einer Personenmehrheit konkretisiert werden, ist eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung möglich derart, dass jeder Angehörige der Personenmehrheit verletzt ist. Um eine Ausuferung der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung zu vermeiden, 11 ist die Forderung aufgestellt worden, dass sich die bezeichnete Personengruppe aufgrund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit herausheben muss, dass der Kreis der Betroffenen klar abgegrenzt ist. Damit bleibt aber ungeklärt, aus welchem Grunde den Personen der Ehrenschutz versagt wird, die unstreitig zu einer großen Personengruppe gehören. - Die Begrenzung ergibt sich jedoch aus dem Wesen des geschützten Rechtsguts. Ist nämlich aufgrund der Art der Beleidigung und der Unüberschaubarkeit der Personengruppe für jeden, der die beleidigende Äußerung zur Kenntnis nimmt, klar, dass nicht alle genannten Personen gemeint sein können, so bleibt offen, wer überhaupt gemeint ist. Der Beleidigte verliert sich in der unbestimmten Vielzahl der Betroffenen. Die Individualität geht im Kollektiv verloren,8 es sei denn, die Diffamierung knüpft an ethische, rassische, körperliche, geistige oder durch eine bestimmte Berufsausbildung erworbenen Merkmale an, die jedes Mitglied der Gruppe kennzeichnen. Beispiele: Bejaht wurde eine Beleidigung aller Betroffenen unter einer Kollektivbezeichnung für: die deut- 12 sehen Offiziere (RG LZ 1915 S. 60); die deutschen Ärzte (RG JW 1932 S. 3113); die Juden, die in Deutschland leben und Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen waren (BGHSt I I S . 208); die deutschen Patentanwälte9; die in Schutz- und Kriminalpolizei tätigen Beamten (OLG Düsseldorf MDR 1981 S. 868); die aktiven Soldaten der Bundeswehr1"; die an einer bestimmten Veranstaltung beteiligten Polizisten (BayObLG JZ 1988 S. 726). - Verneint wurde die Beleidigungsfähigkeit für: die an der Entnazifizierung Beteiligten (BGHSt 2 S. 38); die Akademiker (BGHSt 11 S. 209); die Katholiken (BGHSt 11 S. 209); die Frauen (LG Hamburg NJW 1980 S. 56); die Robenknechte von Moabit (KG JR 1978 S. 422); die Polizei1'.
Zielt die Ehrverletzung nur auf einen oder eine Gruppe von Angehörigen aus der Per- 13 sonenmehrheit, bleibt aber offen, wer gemeint ist, so kommt eine Beleidigung einzelner Mitglieder der Personenmehrheit nur in Betracht, wenn die in Frage kommende Gruppe selbst wieder einen verhältnismäßig kleinen überschaubaren Personenkreis darstellt. Dann aber sind alle Mitglieder dieser Gruppe betroffen. Andernfalls verliert sich auch hier die Beleidigung in der großen Zahl der in Betracht kommenden Personen.1? Beispiele13: Als hinreichend bestimmte Gruppe wurden angesehen: Zwei Mitglieder der X-Fraktion in M, 14 die Verfassungsfeinde seien (BGHSt 14 S. 48); ein bayerischer Minister, der Kunde eines Callgirl-Rings sei 8
Vgl. dazu BGHSt 11 S. 208; 36 S. 83, 85 f m.e.N.; BayObLG JZ 1988 S. 726; JZ 1990 S. 348; KG JR 1978 S. 423; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367; ANDROULAJOS Die Sammelbeleidigung, 1970, S. 79 ff; ARZT JZ 1989 S. 647 f; DAU NStZ 1989 S. 361 ff; HERDEGEN LK, 10. Aufl., Vor § 185 Rdn. 22 ff; IGNOR D e r S t r a f t a t b e s t a n d d e r B e l e i d i g u n g , 1995, S. 7 6 f f , 191 f ; MAIWALD J R 1 9 8 9 S. 4 8 5 f f ; OTTO
JK 89, StGB §§ 185 ff/7; WAGNER JÜS 1978 S. 677; WEHINGER Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, 1994, S. 53 ff; ZACZYK NK, Vor § 185 Rdn. 30 ff.
9 10
BayObLG NJW 1953 S. 554 f mit zust. Anm. BOCKELMANN S. 554 f. BGHSt 36 S. 83; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367. - Dazu auch BVerfGE 93 S. 302 f.
11
OLG Düsseldorf MDR 1981 S. 337; BayObLG JZ 1990 S. 348.
12
V g l . HERDEGEN L K , 10. A u f l . , V o r § 185 R d n . 21; KREY B . T . 1, R d n . 3 9 5 f f ; LACKNER/KÜHL V o r § 185 R d n . 3; LAMPRECHT Z R P 1 9 7 3 S. 2 1 5 f f ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . §§ 185 f f R d n . 7 b .
13
Im einzelnen zu den Beispielen GEPPERT Jura 1983 S. 538 f; TENCKHOFF JuS 1988 S. 459 f. 115
§31
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgttter des Einzelnen
(BGHSt 19 S. 235). - Als zu unbestimmt wurde beurteilt: eine nicht genannte Zahl von Richtern eines mit mehr als 200 Richtern besetzten Gerichts (KG JR 1978 S. 422).
3. Die Beleidigung eines Kollektivs 15 a) In § 194 Abs. 3, 4 geht das Gesetz selbst davon aus, dass Behörden, Gesetzgebungsorgane und politische Körperschaften beleidigungsfähig sind.14 Die Rechtsprechung hat daraus den allgemeinen Schluss gezogen, dass Kollektive schlechthin beleidigungsfahig sind, wenn sie (a) eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und (b) einen einheitlichen Willen zu bilden vermögen. 16 Beispiele: Die Bundeswehr^; Kapitalgesellschaft als Inhaberin einer Bank (OLG Köln NJW 1979 S. 1723); politische Parteien und ihre Untergliederungen (OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 692); die Mannheimer Polizei (OLG Frankfurt NJW 1977 S. 1353).
17 Die Ausdehnung des Ehrenschutzes von Kollektiven über den Rahmen des § 194 Abs. 3,4 hinaus, ist in ihrer Berechtigung streitig. Das Kollektiv ist nicht auf die gleichen Möglichkeiten der personellen Entwicklung existentiell angewiesen wie die natürliche Person; ihm selbst kommt keine Personenwürde zu, so dass beim Ehrenschutz eines Kollektivs allein ein sozialer Achtungsanspruch geschützt wird.16 Darüber hinaus werden durch die Tat in der Regel die für die Willensbildung oder Tätigkeit des Kollektivs Verantwortlichen betroffen sein, so dass ein über diesen Schutz natürlicher Personen hinausgehender Schutz nicht unbedingt erforderlich ist.' 7 Andererseits überzeugt eine Begrenzung des Ehrenschutzes auf die in § 194 Abs. 3, 4 angeführten Institutionen nicht, denn § 194 stellt klar, wer zur Stellung eines Strafantrags berechtigt ist, trifft jedoch keine Auswahl zwischen möglicherweise beleidigungsfähigen Kollektiven.18 18 b) Inkonsequent argumentiert allerdings die Rechtsprechung, wenn sie eine Familienehre nicht anerkennt, w Zum einen erfüllt die Familie die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein Kollektiv bezüglich der gesellschaftlichen Funktion (vgl. Art. 6 GG) und ist als heute gesellschaftstypische Kleinfamilie (Eltern und Kinder) auch in der Lage, einen einheitlichen Willen zu bilden, zum anderen aber steht dieses Kollektiv der Person selbst am nächsten.20 Strafbarkeitslücken begründet die Ablehnung einer Familienehre nicht, da die Interpretation derartiger Beleidigungen als Beleidigung der Familienmitglieder unter einer Kollektivbezeichnung mühelos gelingt. 14
15 16
Ablehnend gegenüber der Beleidigungsfähigkeit von Behörden: FISCHER JZ 1990 S. 73 f. BGHSt 36 S. 83; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367; OLG Hamm NZWehrR 1977 S. 70. Die Vertreter des normativen Ehrbegriffs müssen hier folgerichtig den Ehrenschutz ablehnen, denn Personenwürde kommt diesen Kollektiven unmittelbar nicht zu. - Vgl. HIRSCH Ehre, S. 113; ARTHUR KAUFMANN ZStW 72 (1960) S. 423 ff; KRUG Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden, 1965, S. 2 0 3 f f ; WELZEL Lb., § 4 2 1 1 b . - A . A . TENCKHOFF JUS 1988 S. 4 5 7 f.
Kritisch gegenüber der Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung auch: TRONDLE/FISCHER § 185 Rdn. 14 f; WAGNER J u S 1978 S. 676; ZAZCYK N K , V o r § 185 R d n . 12.
18
Für die Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung: BRUNS NJW 1955 S. 689 ff; KREY B.T.l, Rdn. 412; LACKNER/KÜHL V o r § 185 R d n . 5; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 4 R d n . 14 f f .
19
BGHSt 6 S. 192; BGH MDR 1951 S. 500; BayObLGSt 1958 S. 246; vgl. auch HERDEGEN LK, 10. Aufl.,Vor § 185 Rdn. 25; KREY B.T.l, Rdn. 413; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 24 Rdn.
20
So auch ARTHUR KAUFMANN ZStW 72 (1960) S. 441; WELZEL MDR 1951 S. 501 ff.
19; RUDOLPHISK n , V o r § 185 R d n . 10.
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§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 1. Der objektive Tatbestand a) Beleidigung bedeutet Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung der Ehre, d.h. des sittlichen und sozialen Achtungsanspruchs eines anderen. - Kundgabe ist Äußerung der Miss- oder Nichtachtung gegenüber einem anderen. Tagebuchaufzeichnungen, Monologe oder Briefe, die der Schreiber noch nicht abgesandt hat, sind nicht als Kundgabe anzusehen. Anders, wenn das Tagebuch oder der Brief einem Dritten diktiert wird oder der Monolog für Dritte hörbar ist. - Zur,¡Äußerung im engsten Familienkreis" vgl. Rdn. 52. Die Äußerung kann durch Worte, Bilder, Gesten (§ 185, 1. Alt.) oder auch durch Tätlichkeiten (§ 185, 2. Alt.) erfolgen; vgl. dazu unter Rdn. 22 ff. Ob die Äußerung einen beleidigenden Inhalt hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist der objektive Sinngehalt unter Berücksichtigung des Empfängerverständnisses. b) Die Beleidigung kann auf dreierlei Weise erfolgen: aa) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber dem Betroffenen („Du Lümmel"). bb) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber einem Dritten („A ist ein Lümmel"). cc) Ehrverletzende Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen („Du hast mir meine Uhr gestohlen"). c) Die Abgrenzung der Tatsachenbehauptung vom Werturteil ist nicht immer unproblematisch, obwohl über die relevanten Kriterien Einigkeit besteht: Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn der Gehalt der Äußerung einer objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes dem Beweis offen steht. Ein Werturteil ist hingegen dann anzunehmen, wenn die Äußerung durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, und die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptung Sache persönlicher Überzeugung ist.21 Bei der Beantwortung der Frage, ob es sich bei einer Äußerung um ein Tatsachenurteil oder um ein Werturteil handelt, ist der Sinn entscheidend, der sich nach dem Gesamtinhalt der Äußerung dem unbefangenen Hörer bzw. Leser aufdrängt. Kompliziert wird die Abgrenzung jedoch dann, wenn Tatsachenbehauptung und Werturteil in einer einheitlichen Äußerung miteinander verbunden werden oder ein Werturteil erkennbar Bezug nimmt auf ein tatsächliches Geschehen. Hier ist nach dem jeweiligen Schwergewicht abzugrenzen22: aa) Ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, dass er gegenüber der subjektiven Wertung völlig in den Hintergrund tritt, so liegt nur ein Werturteil vor. Gleiches gilt, wenn die Tatsachenbehauptung für jeden offensichtlich falsch ist. Auch hier dient die Tatsachenbehauptung nur der Kaschierung eines Werturteils.23
21 22
Vgl. BVerfGE 61 S. 1,9; 85 S. 1,14 f; BGH NJW 1982 S. 2248; OLG Celle NJW 1988 S. 354. Vgl. dazu BVerfGE 61 S. 1, 9; BGHSt 6 S. 162; OLG Stuttgart JZ 1969 S. 77; LACKNER/KÜHL § 186 R d n . 3; OTTO J R 1 9 8 3 S. 5; SCH/SCH/LENCKNER § 1 8 6 R d n . 4 .
23
Dazu BayObLG NStZ 1983 S. 126.
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10 bb) Beschreibt die Äußerung das tatsächliche Geschehen hingegen so deutlich, dass auch ein nicht unterrichteter Dritter, d.h. der unbefangene Hörer, die Schlussfolgerung mitvollziehen kann und die der Wertung zugrunde liegende Tatsache erkennen kann, oder ist das Werturteil erkennbar auf ein tatsächliches Geschehen bezogen, das gleichsam nur verkürzt in dem Werturteil zusammengefasst wird, so bleibt die Äußerung Tatsachenbehauptung.24 - In diesen Fällen erstreckt sich ein eventueller Wahrheitsbeweis auch auf das in der Äußerung mitliegende Werturteil. 11 cc) Stehen ehrverletzende Tatsachenbehauptung und Werturteil isoliert nebeneinander oder geht das Werturteil weit über eine allgemein akzeptable Wertung des mitgeteilten Tatsachenkerns hinaus, so kommt der Tatsachenbehauptung und dem Werturteil bei der Beurteilung der Ehrverletzung jeweils selbständige Bedeutung zu. Zur Verdeutlichung: 12 aa) Ehrverletzende Werturteile: Jungfaschist (OLG Karlsruhe MDR 1978 S. 421); Bezeichnung eines Polizeibeamten als Bulle25 oder als „Scheißbulle" (OLG Oldenburg JR 1990 S. 127 mit Anm. OTTO S. 128 f); Bezeichnung als Jude, wenn mit diesem Ausdruck der im Nationalsozialismus übliche herabsetzende Sinngehalt verbunden wird (BGHSt 8 S. 325); Bezeichnung von Soldaten als vergleichbar mit Fblterknechten, KZ-Aufsehem, Henkern (BGH NJW 1989 S. 1365); Bezeichnung von Soldaten als Mörder bzw. potentielle Mörder26. bb) Ehrverletzungen durch Gesten: z.B. „einen Vogel zeigen", Zurückweisung eines Gastes beim Gaststättenbesuch (BayObLG NJW 1983 S. 2040). cc) Zur Beleidigung durch Satiren und Karikaturen vgl. unter Rdn. 45 ff.
2. Der subjektive Tatbestand 13 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muss sich bewusst sein, dass er einem anderen gegenüber eine Äußerung tut, die geeignet ist, ehrverletzend zu wirken. Eine Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. - Zur Bedeutung der Überzeugung des Täters, seine Behauptung sei wahr, vgl. unter Rdn. 15. 3. Der Wahrheitsbeweis 14 Gegenstand eines Ehrenschutzes, der auf der Personenwürde und auf der Wertung der auf „die anderen" bezogenen Handlungen einer Person fundiert ist, kann nur der begründete soziale Geltungsanspruch, nicht aber ein unbegründeter, in der Sozietät - irrtümlich - tatsächlich anerkannter Geltungsanspruch sein. Der gelungene Wahrheitsbeweis schließt daher eine Ehrverletzung aus, soweit diese sich nicht unabhängig vom Inhalt der Äußerung aus der Form oder aus den besonderen Umständen ergibt, § 192. Der tatsächlich anerkannte Geltungsanspruch ist jedoch nicht bedeutungslos: Seine Begründetheit wird zugunsten 24
25 26
A.A. in seiner neueren Rechtsprechung das BVerfG, das eine Äußerung dann bereits als Werturteil beurteilt, „wenn eine Trennung der weitenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte"; BVerfGE 85 S. 1, 15; dazu vgl. auch HUFEN JuS 1992 S. 963; KREY JR 1995 S. 2 2 5 . LG Essen NJW 1980 S. 1639; a.A. KG JR 1984 S. 165 mit abl. Anm. OTTO S. 166 f. A.A. BVerfGE 93 S. 266; zust. DENCKER Bemmann-FS, S. 292 ff. - Vgl. aber das abweichende Votum der Richterin HAAS BVerfGE 93 S. 313 ff, sowie zur grundsätzlichen Problematik: BRAMMSEN JR 1 9 9 2 S. 8 2 f f ; GRASNICK J R 1 9 9 5 S. 162 f f ; HERDEGEN N J W 1994 S . 2 9 3 3 f; HOFMANN L o b k o w i t z F S , S. 3 3 3 ff; OTTO N S t Z 1 9 9 6 S. 127 f; SCHMITT GLAESER N J W 1996 S. 8 7 4 ; STARK J u S 1995 S.
692; STEINKAMM NZWehrR 1995 S. 48 ff; TEITINGER Die Ehre ein ungeschütztes Verfassungsgut, 1995, S. 4 2 f ; TRÖMDLE O d e r s k y - F S , S. 2 7 8 ; ZUCK J Z 1996 S . 3 6 4 ff.
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des Anspruchsberechtigten bis zum Beweis des Gegenteils vermutet.27 Nur auf der Basis dieser Vermutung kann der strafrechtliche Ehrenschutz die Entfaltung der Person im sozialen Raum gewährleisten. Das bedeutet: Nicht nur im Bereich des § 186, sondern auch in dem des § 185 ist es ir- 15 relevant, ob der Täter seine ehrverletzende Behauptung für wahr gehalten hat, maßgeblich ist vielmehr, ob sie erweislich wahr ist.2*
n. Üble Nachrede, § 186 1. Der objektive Tatbestand a) § 186 erfasst ehrverletzende Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten, nicht ge- 16 genüber dem Verletzten selbst (A äußert gegenüber B, C habe ihm seine goldene Uhr gestohlen); zur Tatsachenbehauptung vgl. Rdn. 5. b) Behaupten heißt, eine Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr hinstellen. - Ver- 17 breiten ist die Weitergabe einer fremden Äußerung. Auch die Weitergabe von Gerüchten mit beleidigendem Inhalt oder von beleidigenden Äußerungen Dritter ist Kundgabe der Miss- bzw. Nichtachtung. Eine Identifizierung des Äußernden mit dem Inhalt seiner Äußerung ist nicht erforderlich; vgl. aber unter Rdn. 54. c) In Beziehung auf einen anderen heißt einem Dritten, nicht nur dem Verletzten ge- 18 genüber. - Dieser Bezug ist auch gegeben, wenn der Täter verbirgt, dass er als Urheber hinter der Äußerung steht, indem er eine den Betroffenen kompromittierende Sachlage schafft. Auch hier mindert der Täter die Ehre des Betroffenen Dritten gegenüber.» d) Dass die Tatsache geeignet ist, einen anderen verächtlich zu machen oder in der öf- 19 fentlichen Meinung herabzuwürdigen, bedeutet nichts anderes, als dass die Tatsachenbehauptung ehrverletzenden Inhalt hat. 2. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Ehrenrührigkeit der Tatsache bzw. des Werturteils 20 und die Kundgabe an einen anderen erfassen. Eine darüber hinausgehende Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich.
27
Unter Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber nur in § 186 eine Regelung getroffen hat, nach der Zweifel bezüglich der Wahrheit der bekundeten Tatsache zu Lasten des Täters gehen, wollen bei § 185 diese Zweifel zu Gunsten des Täters berücksichtigen: BayObLG NJW 1959 S. 57; OLG Köln NJW 1964 S. 2121; O L G Koblenz M D R 1977 S. 864; ESER M , Nr. 15 A 68; GEPPERT Jura 1993 S. 587; RENGIER B.T. N, § 2 9 Rdn. 31; RUDOLPHI SK 0 , § 185 Rdn. 4; SCH/SCH/LENCKNER § 185 Rdn. 6; TRÖNDLE/FISCHER § 186 Rdn. 15; ZACZYK NK, § 185 Rdn. 11.
28
Eingehend dazu OTTO Schwinge-FS, S. 82 f. - Im übrigen vgl. RGSt 64 S. 11; OLG Frankfurt MDR 1980 S. 495; HÄRTUNG N J W 1965 S. 1743 ff; HERDEGEN LK, 10. Aufl., § 185 Rdn. 36 f f ; HIRSCH E h e und Beleidigung, 1967 S. 204 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 25 Rdn. 18; TENCKHOFF
JuS 1989 S. 37. 29
Vgl. GÖSSEL B.T. 1, § 31 Rdn. 15; OTTO JK, StGB §§ 185 W2\ STRENG G A 1985 S. 214. - A.A. B G H
NStZ 1984 S. 216; FUHR Die Äußerung im Strafgesetzbuch, 2001, S. 48 ff; KÜPER B.T., S. 277 f; KÜPPER J A 1985 S. 459; LACKNER/KÜHL § 186 Rdn. 6; TENCKHOFF JUS 1988 S. 621; TRÖNDLE/FISCHER § 186 Rdn. 9; ZACZYK NK, § 186 Rdn. 12.
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3. Der Wahrheitsbeweis 21 Dass ein bestehender Achtungsanspruch Geltung bis zum Beweis des Gegenteils beansprucht, hat der Gesetzgeber in § 186 ausdrücklich klargestellt. Der misslungene Wahrheitsbeweis geht hier nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers zu Lasten des Täters. Der Wahrheitsbeweis ist geführt, wenn erwiesen ist, dass die Behauptung in ihrem Kern zutrifft.3" - Die h.M. interpretiert die Nichterweislichkeit der Tatsache als objektive Bedingung der Strafbarkeit, die Gegenauffassung fordert hinsichtlich der Unwahrheit wenigstens sorgfaltspflichtwidriges Verhalten.31
III. Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände 1. Beleidigung mittels Tätlichkeit, § 185, 2. Alt. 22 Nicht jede Körperverletzung oder unsittliche Berührung ist eine Beleidigung. Es kann jedoch im Einzelfall in einer Körperverletzung - Ohrfeige mit dem Handrücken o.ä. - oder einer anderen Tätlichkeit - Anspucken32 - eine Missachtung des sozialen Geltungsanspruchs Ausdruck finden. Gleiches gilt von unsittlichen Berührungen. Auch in einem geschlechtsbezogenen Angriff kann eine Missachtung des personalen Geltungsanspruchs Ausdruck finden. Dies ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Keineswegs aber kann § 185 eine Lückenbüßerfunktion gegenüber den Sexualdelikten erfüllen. 23 Freiheitsberaubungen, Vergewaltigungen und Nötigungen verletzen durchaus die Personenwürde, indem sie das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen missachten. Die Verletzung durch diese Delikte und die damit verbundene Beeinträchtigung der Personenwürde fallt aber nicht in den Bereich der Beleidigung. Das gilt auch, wenn diese Verhaltensweisen im Einzelfall als Sexual-, Freiheitsdelikt o.ä. nicht strafbar sind. Eine eigenständige Bedeutung kommt der Beleidigung in diesem Zusammenhang nur zu, wenn der Täter durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dem Opfer komme nur ein geminderter sozialer Achtungsanspruch zu. 24 Aus diesem Grund ist ein Ehebruch, der Geschlechtsverkehr mit einem oder einer Minderjährigen oder die Zusendung von Prospekten mit sog. Aufklärungsinhalt noch keine Beleidigung. Hingegen ist der Tatbestand erfüllt, wenn der soziale Achtungsanspruch eines anderen auf geschlechtsbezogenem Gebiet verletzt wird dadurch, dass er nicht gemäß des ihm eigenen Verhaltens behandelt und geachtet wird, so z.B. wenn jemand unberechtigt als Prostituierte behandelt wird.33 30
Vgl. BGHSt 18 S. 182.
31
Z u r h. M . vgl. B G H S t 11 S. 2 7 4 ; ARZT/WEBER B . T „ § 7 R d n . 18; GÖSSEL B . T . 1, § 3 1 R d n . 2 5 ; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 185 R d n . 3 6 f f ; LACKNER/KÜHL § 186 R d n . 7 ; OTTO S c h w i n g e - F S , S. 8 2 f f ; TENCKHOFF JUS 1 9 8 9 S . 3 5 f f . - Z u r G e g e n a n s i c h t : HIRSCH E . A . W o l f f - F S , S. 144 f f ; KINDHÄUSER
Gefährdung als Straftat, 1989, S. 305 ff; KÜPPER JA 1985 S. 459; RUDOLPHI SK H, § 186 Rdn. 15; STRENG G A 1985 S. 2 2 6 ; WESSELS/HETTINGER B . T./1, R d n . 5 0 1 ; ZACZYK N K , § 186 R d n . 19.
32
Dazu OLG Zweibrücken NStZ 1990 S. 541.
33
Vgl. dazu BGH NJW 1986 S. 2442 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 185/5, HILLENKAMP JR 1987 S. 126 ff, LAUBENTHAL JuS 1987 S. 700 ff; BGH NStZ 1987 S. 21; BGH NStZ 1988 S. 69; BGHSt 36 S. 145 mit Anm. OTTO JZ 1989 S. 803 und HILLENKAMP NStZ 1989 S. 529 f; BGH NJW 1989 S. 3029; dazu KLEHL S. 3003 ff; BGH NStZ 1992 S. 33 f; BGH NStZ 1993 S. 182; BGH NStZ 1995 S. 129; OLG Düsseldorf GA 1988 S. 473; OLG Zweibrücken NJW 1986 S. 2960; HERDEGEN LK, 10. Aufl., § 185 Rdn. 28 ff; HIRSCH Ehre, S. 61 ff; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, 2000, Rdn. 90; SICK JZ 1991 S. 3 3 0 f f ; WELZEL M D R 1951 S. 5 0 1 f f ; ZACZYK N K , V o r § 185 R d n . 25.
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2. Die „öffentliche" üble Nachrede, § 186, 2. Alt. Öffentlich ist die üble Nachrede, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität un- 25 bestimmten Kreis wahrnehmbar ist. - Zum Verbreiten durch Schriften: § 11 Abs. 3. 3. Verleumdung, §187 a) Die Verleumdung im System der ehrverletzenden Delikte 26 In den beiden ersten Alternativen („verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen") stellt das Delikt nach allgemeiner Auffassung eine durch die Behauptung unwahrer Tatsachen qualifizierte üble Nachrede dar. Auch für die 3. Alternative („Kredit zu gefährden") gilt nichts anderes, denn die kreditgefährdende Verleumdung ist eine besonders gefährliche Art der Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, der auch durch die Kreditwürdigkeit einer Person oder eines Kollektivs wesentlich geprägt wird.34 b) Einzelheiten des Tatbestandes 27 Wider besseres Wissen ist sichere Kenntnis der Unwahrheit; Bewusstsein der Gefahr, dass die Tatsache unwahr ist, genügt nicht. - Kreditgefährdung ist Verletzung des Vertrauens, das jemand bezüglich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten genießt. 4. Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens, §188 a) Der gegenüber §§ 186, 187 qualifizierte Tatbestand soll der Vergiftung des politischen 28 Lebens entgegenwirken. b) Im politischen Leben des Volkes stehen Personen, die sich für eine gewisse Dauer mit 29 den grundsätzlichen, den Staat, seine Verfassung, Gesetzgebung oder Verwaltung unmittelbar berührenden Angelegenheiten befassen und aufgrund der ausgeübten Funktionen das politische Leben maßgeblich beeinflussen.3^ Wesentliches Abgrenzungskriterium ist die Maßgeblichkeit des politischen Einflusses 30 auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland („des Volkes"). Unter den Schutz des § 188 fallen daher der Bundespräsident, die Mitglieder der Bundesregierung, die Bun- 3 1 desverfassungsrichter, Gewerkschaftsführer und die Führer der Arbeitgeberverbände sowie anderer bedeutender Verbände. - Nicht unter den Schutz des § 188 fallen Kommunalpolitiker z.B. Landräte 36 ; Gemeinderatsmitglieder37 und einzelne Verwaltungsbeamte.
c) Zum Merkmal öffentlich vgl. Rdn. 25, zum Merkmal Versammlung vgl. § 62 Rdn. 4. 32 d) Die üble Nachrede muss aus Beweggründen begangen worden sein, die mit der Stellung 33 des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen. Nicht die Tatsache der öffentlichen Position allein wirkt straferschwerend, sondern der Zusammenhang zwischen dem Beweggrund der Tat und der öffentlichen Position. § 188 findet daher keine Anwendimg, wenn ein Kandidat für ein bestimmtes Amt in seiner Eigenschaft als Kandidat diffamiert wird, auch wenn dieser Kandidat unabhängig von seiner Kandidatur öffentliche Positionen im Sinne der Vorschrift inne hat.38 34
A.A. (Vermögensdelikt) h.M.: LAMPE Oehler-FS, S. 283 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l,
35 36 37 38
BayObLG JZ 1982 S. 516. OLG Frankfurt NJW 1981 S. 1569; a.A. BayObLG JZ 1989 S. 699. BayObLG JZ 1982 S. 516. Vgl- BRAUEL Ehrverletzung und Ehrenschutz im politischen Leben, 1984, S. 50. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 1211 f.
§ 2 5 R d n . 3 3 f f ; RUDOLPHI S K D , § 187 R d n . 9 m . w . N . ; TENCKHOFF JUS 1 9 8 8 S. 2 0 0 .
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34 e) Die Tat muss geeignet sein, das öffentliche Wirken des Betroffenen erheblich zu erschweren. Maßgeblich ist hier nur der Inhalt der Behauptung und deren abstrakte Eignung zu negativen Auswirkungen. - Auf die Glaubwürdigkeit, Art und Weise der Verbreitung 0.a. kommt es nicht an.
IV. Rechtfertigung 35 Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen, z.B. Notwehr und Einwilligung, können ehrverletzende Äußerungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1, 2 GG, konkretisiert in der Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193, und durch das Grundrecht der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, gerechtfertigt sein. 1. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 a) Anwendungsbereich des § 193 36 Nach den Prinzipien der Interessenabwägung gewährt der Gesetzgeber in § 193 die Befugnis zur Verletzung der Ehre eines anderen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen.39 § 193 konkretisiert die Grundsätze des Art. 5 Abs. 1, 2 GG.40 Eine Ausdehnung des Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen auf Tatbestände, die in besonderer Weise gemeinschaftsbezogen sind und deren Schutz durch die Interessen anderer relativiert ist, zum Beispiel §§ 123, 203, kommt nicht in Betracht. § 193 trifft eine Entscheidung über die Grenzen des Ehrenschutzes gegenüber der Meinungsfreiheit. Eine allgemeine Entscheidung dahin, dass die Wahrnehmung eigener, berechtigter Interessen auch sonst die Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter anderer rechtfertigen könne, ist ihm nicht zu entnehmen.41 b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen 37 aa) Der Ehrverletzung muss die Wahrnehmung eines rechtlich schutzwürdigen, sozialethisch billigenswerten Interesses gegenüberstehen. Hierunter fällt auch die Wahrnehmung von Interessen in Leserbriefen«, im Prozess oder in Schriftsätzen43, auch durch Prozessvertreter, z.B. das Plädoyer oder die Äußerung des Strafverteidigers im Prozess44.
39
Als Entschuldigungsgrund interpretieren § 193: ERDSIEK JZ 1969 S. 311; ROEDER Heinitz-FS, S. 240; EIKE SCHMIDT J Z 1970 S . 8.
40
Vgl. MEURER Hirsch-FS, S. 655, krit demgegenüber: MERZ Strafrechtlicher Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, 1998, S. 59; ZACZYK NK, § 193 Rdn. 6. - Aus Art. 10 Abs. 2 EMRK sind bzgl. des Ehrenschutzes keine eigenständigen Grundsätze herzuleiten, jedoch zieht der EGMR die Grenzen der Meinungsfreiheit gegenüber betroffenen Politikern weiter als gegenüber Privatpersonen; vgl. EGMR NJW 1999 S. 1318; 1999 S. 1321.
41
So auch: OLG Stuttgart NStZ 1987 S. 121 mit Anm. OTTO JK 87, StGB § 193/1, und LENCKNER JuS
42
1989 S. 198 f m.w.N. Fn. 15. - A.A. ESER Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund, 1969, S. 15,40; NOLL ZStW 77 (1965) S. 31 ff; TIEDEMANN JZ 1969 S. 721. OLG Düsseldorf NJW 1992 S. 1336.
1988 S. 3 4 9 f f , insbes. S. 3 5 1 f f ; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 1 R d n . 4 5 , § 2 0 3 R d n . 131; TENCKHOFF JUS
43
BVerfG StV 1991 S. 458; BVerfG NJW 2000 S. 199 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 193/5; BVerfG NJW 2000 S. 31%; BayObLG NJW 2000 S. 3079; BayObLG JZ 2001 S. 717 mit Anm. OTTO S. 719 f.
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Dazu BGH NStZ 1987 S. 554; KG JR 1988 S. 522; KG StV 1998 S. 83; OLG Düsseldorf NJW 1998 S. 3214 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 185/9.
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bb) Das Interesse muss den Äußernden nahe angehen. 38 Interessen der Allgemeinheit berühren jeden Bürger nahe. Die Beteiligung an einer öffentlichen politischen Auseinandersetzung oder die Diskussion sonstiger öffentlicher Belange ist daher stets Wahrnehmung eines eigenen Interesses, denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Es ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der das Lebenselement dieser Staatsordnung ist, weil er sie vor Erstarrung bewahrt.4* - Auch die Presse hat die Aufgabe, an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. Ihre Beschäftigung mit allgemein interessierenden Themen ist demgemäss gleichfalls Wahrnehmung eines eigenen Interesses.46 cc) Die Äußerung muss zur Wahrnehmung des Interesses erforderlich sein. 39 Erforderlich können auch scharfe, drastische, taktlose und überspitzte Formulierungen sein. - In der öffentlichen Auseinandersetzung können nämlich herabsetzende Äußerungen, insbesondere unter dem Aspekt des „Rechts zum Gegenschlag", in Betracht kommen, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite geäußerten Auffassungen nicht unverhältnismäßig sind und noch als adäquate Reaktion auf den vorausgegangenen Vorgang verstanden werden können, insbesondere aber einen gemeinsamen Bezug zu den konkreten, erörterten öffentlichen Interessen aufweisen. Ein Recht, Beleidigungen mit Beleidigungen heimzuzahlen, d.h. „mit gleicher Münze zurückzuzahlen", gibt es genauso wenig, wie es das Recht auf Meinungsfreiheit rechtfertigen kann, Informationen mit rechtswidrigen oder sogar kriminellen Mitteln zu beschaffen. - Polemische Ausfalle, die jede Sachlichkeit vermissen lassen, gehässige und böswillige Schmähkritik und sog. Wertungsexzesse, die bewusst das Bild einer Person und ihrer Motive verzerren, sind in keinem Fall zur Interessenwahrnehmung erforderlich; zur Rechtsprechung des BVerfG zu Äußerungen im Rahmen öffentlicher oder politischer Meinungsbildung vgl. unter Rdn. 42 ff.47 dd) Der Äußernde unterliegt einer in ihrem Ausmaß von den Umständen des Einzelfalles 40 abhängigen Informationspflicht. Die Äußerung bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen ist daher in keinem Fall zu rechtfertigen. Auch leichtfertig aufgestellte Behauptungen können nicht gerechtfertigt werden, jedoch ist der Umfang der dem Täter obliegenden Prüfungspflicht situations- und konfliktabhängig.48 ee) Die Äußerung muss subjektiv zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses ge- 41 schehen. Bloße Kenntnis der objektiven Rechtfertigungslage genügt nicht. Die Annahme einer Interessenverletzung durch Dritte allein rechtfertigt nicht die Ehrverletzung, vielmehr findet diese erst ihren Grund in der Interessenwahmehmung.49 45
Dazu BVerfGE 5 S. 205; 7 S. 207 ff; 12 S. 125; 24 S. 278; BVerfG NJW 1976 S. 1677; BVerfG NJW 1 9 8 0 S. 2 0 6 9 ; B V e r f G N J W 1983 S. 1415 m i t A n m . SCHMITT GLAESER J Z 1 9 8 3 S. 9 5 u n d VON DER
DECKEN NJW 1983 S. 1400 ff; BGHSt 12 S. 287; BGHZ 45 S. 296; OLG Koblenz NJW 1978 S. 1816; SCHWINGE M D R 1973 S. 8 0 8 ; TETTINGER J Z 1983 S. 3 2 3 f.
46
Dazu BVerfGE 12 S. 126; BGHZ 31 S. 308; BGH NJW 1977 S. 1289; BGH NJW 1979 S. 267; BayObLG StV 1982 S. 576 ff.
47 48
Vgl. dazu OLG Hamburg JR 1997 S. 521 mit Anm. Fora S. 522 f; OLG Celle NStZ 1998 S. 88. Dazu BVerfG NJW 1989 S. 1789; BGHSt 14 S. 51; OLG Hamburg MDR 1980 S. 953; FUHRMANN JUS
49
So auch BGHSt 18 S. 186; OLG Düsseldorf VRS 60 S. 115; OLG Hamburg NJW 1952 S. 903; HER-
1970 S. 7 5 ; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 193 R d n . 21. DEGEN L K , 10. A u f l . , § 193 R d n . 25; TRöNDLE/FlSCHER § 193 R d n . 17. - A . A . LACKNER/KÜHL § 193 R d n . 9 ; SCH/SCH/LENCKNER § 193 R d n . 23.
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§32
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
2. Äußerungen im Rahmen öffentlicher und politischer Meinungsbildung 42 Bei Äußerungen im Rahmen öffentlicher und politischer Meinungsbildung hat das BVerfG ehrverletzenden Äußerungen einen so weiten Raum eröffnet, dass den §§ 185, 186 kaum noch Bedeutung zukommt, indem es eine „Wechselwirkung" zwischen dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG und den in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken der Meinungsäußerungsfreiheit konstruierte und diese „Wechselwirkung" nicht nur auf Meinungsäußerungen, sondern auch auf Tatsachenäußerungen erstreckte. 43 a) Weil es der Sinn von Meinungsäußerungen sei, meinungsbildend und überzeugend zu wirken, sind nach Auffassung des BVerfG Werturteile von Art. 5 Abs. 1 GG durchweg geschützt, ohne dass es darauf ankäme, ob die Äußerung „wertvoll" oder „wertlos", „richtig" oder „falsch", „emotional" oder „rational" begründet ist.so Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fielen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und es bestehe eine „Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben".31 Diese Vermutung sei in diesem Zusammenhang auch nicht auf spontane, mündliche Äußerungen beschränkte - In späteren Entscheidungen baute das BVerfG die Vermutungsformel zur „Supervermutungsformer" aus, so dass „gegen das Äußern einer Meinung nur in äußersten Fällen eingeschritten werden darf'.54 - Der Schutz gegen ehrenrührige Meinungsäußerungen in der öffentlichen Auseinandersetzung war damit weitgehend beseitigt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit hatte in der Rechtsprechung des BVerfG einen Rang weit über dem des Rechts der Ehre erlangt.« Für den Ehrenschutz bedeutet das in der Praxis, dass ehrverletzende Meinungsäußerungen im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung grundsätzlich durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sind, es sei denn, sie stellen eine offensichtliche Verletzung des Anspruchs auf Achtung der Personenwürde dar, wie z.B. die Bezeichnung eines Behinderten als Krüppel.56 Dies gilt selbst dann, wenn die Äußerung in Form der Schmähkritik erfolgt, denn verbal lehnt das BVerfG zwar die Rechtfertigung von Schmähungen ab57, definiert jedoch den Begriff der Schmähkritik so eng - Äußerung, der jeder Sachbezug fehlt 58 -,
50
Vgl. BVerfGE 33 S. 14 f; 61 S. 1.
51
Hierzu BVerfGE 7 S. 208; 82 S. 282.
52 53
Vgl. BVerfGE 60 S. 241; 66 S. 150; 68 S. 232. Dazu KRIELE NJW 1994 S. 1898; OTTO Jura 1997 S. 141; STARCK Ehrenschutz in Deutschland, 1996, S. 1 1 3 ff; TRÖNDLE Odersky-FS, S. 2 6 6 .
54
BVerfGE 61 S. 12.
55
Kritisch dazu: BUSCHER N V W Z 1997 S. 1060 f; VON DER DECKEN NJW 1983 S. 1400; KIESEL N V W Z 1 9 9 2 S. 1 1 9 2 ff; KRIELE N J W 1 9 9 4 S. 1 8 9 7 ff; KREY JR 1995 S. 2 2 5 ; MACKEPRANG Ehrenschutz, S.
210 ff; MERZ Ehrenschutz, S. 174; OTTO JR 1983 S. 6 ff; DERS. Jura 1997 S. 140 f; SCHMITT GLAESER JZ 1 9 8 3 S. 9 5 ; DERS, Diirig-FS, S. 1 0 2 f f ; STARCK JZ 1 9 9 6 S. 1 0 3 6 ; DERS. Ehrenschutz, 1996, S. 113 ff; TETTINGER JUS 1 9 9 7 S. 7 7 0 ff; TRÖNDLE O d e r s k y - F S , S. 2 6 6 ff; ZACZYK Hirsch-FS, S. 8 2 0 f f .
56
BVerfGE 86 S. 13 f.
57
vgl. dazu BVerfGE 82 S. 283 f.
58
Vgl. dazu auch KRIELE NJW 1994 S. 1899; SCHMTIT GLAESER NJW 1996 S. 877; STARCK Ehrenschutz, S. 67 ff.
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Die einzelnen ehrverletzenden Delikte
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dass diesem kein relevanter Anwendungsbereich bei Äußerungen in der öffentlichen Auseinandersetzung zukommt.59 b) Im Hinblick auf Tatsachenäußerungen erstreckte das BVerfG den Schutz des Art. 5 44 Abs. 1 GG - gegen den Wortlaut des § 186 - auf leichtfertig aufgestellte unwahre Tatsachenbehauptungen, so dass nur noch den bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen der Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 versagt bleibt.«» 3. Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist die Freiheit der Kunst vorbehaltlos gewährleistet. An- 45 erkannt ist jedoch heute, dass die Freiheit der Kunst zwar schrankenlos, nicht aber grenzenlos gewährleistet ist. Tangieren künstlerische Werke die Ehre eines anderen, so ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des einzelnen ebenso wenig der Kunstfreiheit übergeordnet, wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf. Maßgeblich im Einzelfall ist vielmehr eine Interessenabwägung, in der das Interesse an der künstlerischen Gestaltung gegen das Interesse des Schutzes des Achtungsanspruchs abzuwägen ist. - Diese Abwägung ist deshalb problematisch, weil das Bundesverfassungsgericht den Kunstbegriff weitgehend formal bestimmt: „Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers." Zwar kann das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung eines Sachverhalts Auskunft 46 über das Gewicht einer eventuellen Ehrverletzung geben. Das im Einzelfall vorrangige Interesse ist damit aber nicht bestimmt, soweit nicht der Betroffene im Kern seiner Persönlichkeit, unmittelbar in seiner Menschenwürde verletzt wird. Darüber hinaus erweist sich die Forderung nach Herstellung eines angemessenen Ausgleichs, der sachgemäßen Konkordanz, als undurchführbar, da es um die Abwägung gleichartiger Güter der Verfassung geht.«1 Um überhaupt eine Grundlage für die Abwägung zu schaffen, ist zu fragen, wie weit 47 ein Kunstwerk auf Aussagen zur Realität angelegt ist und wie weit es auf eine eigene Welt abzielt. Als Richtpunkt der Abwägung kann sodann der Grundsatz gelten, dass deijenige, der eine authentische Schilderung zu geben behauptet, sich auch an diesem Anspruch messen lassen muss, während er dann, wenn er erkennbar ein fiktives Geschehen darstellt, einen
59
Vgl. dazu BVerfGE 93 S. 294; BGH(Z) NJW 2000 S. 1036; NJW 2000 S. 3422; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 S. 165; OLG Frankfurt JR 1996 S. 250, 251 mit abl. Anm. FOTH S. 252 ff. - Zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG vgl. OTTO Jura 1997 S. 140 ff; ZACZYK Hirsch-FS, S. 820 ff.
60
Vgl. dazu BVerfG NJW 1991 S. 2074, 2075; NJW 2000 S. 199 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 193/5; NJW 2000 S. 3196; OLG Bremen StV 1999 S. 534.
61
Dazu vgl. BVerfGE 67 S. 228 mit Anm. OTTO NStZ 1985 S. 213 ff; BVerfGE 75 S. 369, 380 mit Anm. HUFEN JuS 1989 S. 136 f, WÜRKNER NStZ 1988 S. 23 ff; BVerfGE 83 S. 143, 146; OLG Hamburg JZ 1985 S. 3 4 3 m i t A n m . GEPPERT JR 1985 S. 4 3 0 , ISENSEE A f P 1 9 9 3 S . 6 2 5 f f ; KARPEN/HOFER JR 1 9 9 2 S. 9 5 4 f; WÜRKNER N J W 1988 S. 3 1 7 f f .
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
breiteren Raum künstlerischer Gestaltung beanspruchen kann, selbst wenn aus dem gestalteten Sachverhalt Ehrverletzungen für konkrete Personen herausgelesen werden können.62 48 Eine besondere Problematik bieten eventuelle Beleidigungen durch Satiren und Karikaturen, da diesen die Übertreibung, Verzerrung und Uberzeichnung wesenseigen ist. Nach den bereits vom Reichsgericht entwickelten Grundsätzen sind hier der erkennbare Aussagekern und seine karikativen bzw. satirischen Einkleidungen zu unterscheiden.« Beide sind gesondert unter dem Gesichtspunkt einer Ehrverletzung zu würdigen. 4 9 Als Beleidigungen sind nach dieser Differenzierung eingestuft worden: die Behauptung, ein demokratischer Politiker sei ein Faschist und/oder Kriegstreiber64 oder könne nur noch als Objekt in einer Peep-Show dienen (OLG Hamm 6 St Ss 286/82) sowie die Darstellung eines Politikers als kopulierendes Schwein (BVerfGE 75 S. 369).
50 Methodisch verläuft die Abwägung genau wie im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen. Gleichwohl sind die Abwägungen nicht identisch, denn das Maß der künstlerischen Gestaltung, die Verfremdung eines bestimmten Sachverhalts und seine Verallgemeinerung können durchaus im Einzelfall das Ergebnis rechtfertigen, dass eine Aussage nicht mehr unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit zulässig erscheint, wohl aber - aufgrund des Grades der Verfremdung - als „Nebenwirkung" eines Kunstwerkes hingenommen werden muss. Das Interesse der Kunstfreiheit wird in jedem Fall dort seine Grenzen finden, wo es um die Verletzung der Menschenwürde anderer geht.65 51 Die Würde der Person ist aber nicht erst betroffen, wenn jemand unmittelbar in seinem Menschsein angegriffen wird („Untermensch"; kopulierendes Schwein), sondern bereits dann, wenn seine Möglichkeiten, mit anderen unvoreingenommene Gemeinschaft zu haben wesentlich beschränkt werden.66 Nicht mehr akzeptabel als Ausübung der Kunstfreiheit ist daher die Bezeichnung eines anderen als „geb. Mörder" in einer „Satire".6? 4. Einzelne Probleme der Rechtfertigung a) Vertrauliche Äußerungen 52 Bei,Äußerungen im engen Familienkreis" wird von einigen die „Kundgabe" bestritten.6« 62
vgl. dazu auch BVerfGE 30 S. 193; BGH(Z) NJW 1983 S. 1194; OLG Stuttgart (Z) NJW 1989 S. 396; BayObLG MDR 1994 S. 8 a - Im einzelnen dazu GOUNALAKIS NJW 1995 S. 809 ff; HENSCHEL NJW 1990 S. 1940 ff; LACKNER/KÜHL § 193 Rdn. 14; OTTO J R 1983 S. 10; DERS. N J W 1986 S . 1210; SCH/SCH/LENCKNER § 193 Rdn. 19; WÜRTENBERGER N J W 1982 S. 615; DERS. N J W 1983 S. 1144 ff. -
Wenig überzeugend: BVerfGE 67 S. 213 mit Anm. OTTO NStZ 1985 S. 213 ff; OLG Hamburg NJW 1984 S. 1130 mit Anm. OTTO JR 1983 S. 511 ff. 63
RGSt 62 S. 183; vgl. auch BVerfGE 7 S. 377 f; BVerfG NJW 1998 S. 1387.
64
OLG Hamm NJW 1982 S. 659 ff; BayObLG NStZ 1983 S. 265 f.
65
Dazu BVerfGE 30 S. 193; OLG Hamm NJW 1982 S. 660; OLG Hamburg JR 1983 S. 508 mit Anm. OTTO S. 511 ff; BayObLG MDR 1994 S. 80; ERHARD Kunstfreiheit und Strafrecht, 1989, S. 210 ff; HENSCHEL N J W 1990 S. 1940 ff; ISENSEE AfP 1993 S . 6 2 6 ff; OTTO J R 1983 S. 8; WÜRTENBERGER N J W 1983 S. 1144 ff.
66
Vgl. dazu BayObLG JR 1994 S. 471 mit Anm. OTTO S. 473 ff; BayOWG NStZ 1994 S. 588; OTTO Jura 1995 S. 278 f. - Zur Verletzung der Menschenwürde im Rahmen des § 130 durch Bezeichnung als „Asylbetriiger" oder „Sozialparasit" vgl. unter § 63 Rdn. 33.
67
Vgl. dazu HILLGRUBER/SCHEMMER J Z 1992 S. 9 4 6 ff; ISENSEE AfP 1993 S. 6 2 7 f; KIESEL N V w Z 1992
68
O L G Oldenburg G A 1954 S . 2 8 4 ; HANSEN JuS 1974 S. 106; KREY B . T . 1, Rdn. 4 1 7 ff; KÜPPER B . T. 1 , 1 § 4 Rdn. 10; ZACZYK N K , V o r § 185 Rdn. 38.
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S. 1135 f. - A.A. BVerfGE 86 S. 1.
Die einzelnen ehrverletzenden Delikte
§32
Dem ist nicht zu folgen, denn auch der Täter, der im engsten Familienkreis ehrverletzende Tatsachen in bezug auf Dritte behauptet, gibt die Missachtung des sozialen Geltungsanspruchs des Betroffenen kund. Weil aber das Familienverhältnis als enges Gemeinschaftsverhältnis gerade die vorbehaltlose Erörterung aller Probleme fordert, Vorbehalte irgendwelcher Art hingegen dieses Verhältnis zerstören müssten, bleibt die Äußerung in einem solchen Kreis straflos. Das Ausspracheinteresse des Äußernden im Intimkreis ist höher zu bewerten als das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten. - Ein derart hoch zu bewertendes Ausspracheinteresse ist jedoch nicht ausschließlich auf den engsten Familienkreis beschränkt. Auch im Verhältnis Anwalt und Klient sind durchaus Situationen denkbar, in denen das Ausspracheinteresse des Klienten überwiegt,69 ohne dass damit das Bestehen einer Intimsphäre zwischen ihnen angenommen werden müsste. Grundsätzlich ist daher bei „vertraulichen" Äußerungen das Ausspracheinteresse des Äußernden und das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten im Rahmen des § 34 abzuwägen.70 - Das gilt nicht uneingeschränkt, wenn der Äußernde weiß, dass seine Äußerung Dritten zur Kenntnis kommt, z.B. bei der Kontrolle der Post von Strafgefangenen.71 b) Die Erstattung von Anzeigen Auch dann, wenn ein beleidigender Sachverhalt einer Behörde zur Kenntnis gebracht wird, 53 deren Aufgabe in der Prüfung solcher Sachverhalte besteht - z.B. Mitteilung eines Diebstahlsverdachts gegenüber der Polizei -, kommt eine Rechtfertigung gemäß § 193 in Betracht. Hier kann im Einzelfall auch eine leichtfertige Anzeige gerechtfertigt sein, wenn der Anzeigende die Tatsachen, die seine Leichtfertigkeit begründen, mitteilt und erkennbar macht, dass er davon ausgeht, die Behörde werde den Sachverhalt prüfen. In dieser Situation reduziert sich die Informationspflicht des Anzeigenden auf die Pflicht, keine unrichtigen Angaben zu machen. Solange der Anzeigende daher den Sachverhalt nicht verfälscht oder mit unrichtigen Beweismitteln untermauert, genügt er seiner Informationspflicht, wenn er den Sachverhalt aus seiner Sicht schildert und darlegt, warum er zu dieser Sicht gelangt ist.72 c) Weitergabe von Gerüchten Die Weitergabe von Gerüchten ist - wie oben dargelegt - auch dann Äußerung einer Ehr- 54 Verletzung, wenn der Äußernde sich nicht mit dem Inhalt des Gerüchtes identifiziert. Gibt er das Gerücht jedoch ausschließlich weiter, um dem Betroffenen eine Stellungnahme oder Gegenwehr zu ermöglichen, so ist er durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt.
69
OLG Celle NJW 1991 S. 1189. - A.A. OLG Hamburg NJW 1990 S. 1246 mit Anm. DAHN JR 1990 S. 516 f, GEPPERT JK 90, StGB § 185/8.
70
Vgl. HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 185 R d n . 14; OTTO S c h w i n g e - F S , S. 8 7 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 5/10;
SCHENDZIELORZ Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, 1993, S. 153 ff, 188 ff, 199 ff. - Zum gleichen Ergebnis gelangen durch eine teleologische Reduktion des Tatbestandes: HLLLENKAMP J u S 1997 S. 8 2 4 f f ; DERS. Hirsch-FS, S. 571 f f ; LACKNER/KÜHL § 185 R d n . 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 2 4 R d n . 3 0 ff; RUDOLPHISK N, V o r § 185 R d n . 18 f.. - L e d i g l i c h
einen Strafausschluss akzeptiert SCH/SCH/LENCKNER Vor § 185 Rdn. 9 a. 71
Vgl. dazu BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) JR 1995 S. 379 mit abl. Anm. KIESEL S. 381 ff; OLG Frankfurt NStZ 1994 S. 404.
72
Dazu OLG Hamm NJW 1961 S. 520 f; OLG Köln NJW 1997 S. 1247 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 193/4.
127
§33
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
V. Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände 55 Wird den ehrverletzenden Tatbeständen ein einheitliches Rechtsgut zuerkannt, so ist § 185 als Grundtatbestand der ehrverletzenden Delikte anzusehen. § 186 ist ein durch den größeren Schaden qualifizierter und § 187 ein darüber hinausgehend qualifizierter Tatbestand. 56 Erfolgt eine Beleidigung durch eine Tatsachenbehauptung gegenüber Dritten in Anwesenheit des Verletzten oder durch eine Tatsachenbehauptung und ein ehrenrühriges Werturteil in Anwesenheit Dritter, so konsumiert § 186 den zugleich verwirklichten § 185.73
VI. Erfordernis des Strafantrags 1. Grundsatz 57 Die Beleidigungsdelikte nach den §§ 185 - 188 sind Antragsdelikte, § 194. 2. Ausnahmen 58 Das Antragserfordernis entfallt bei Beleidigungen unter den Voraussetzungen des § 194 Abs. 1 S. 2, 3 (Beleidigung von Personen, die unter dem Nationalsozialismus oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verfolgt wurden).™ In den Fällen des § 194 Abs. 4 tritt an die Stelle des Strafantrags die Ermächtigung der betroffenen Körperschaft.
§ 33 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 1. Das geschützte Rechtsgut des §189 1 Als geschütztes Rechtsgut wird die Ehre des Tötend oder aber das Pietätsgefühl der Angehörigen und der Allgemeinheit76 angesehen.77 Für die erstgenannte Ansicht spricht, dass die Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, selbst wenn es sich um eine schwere Verletzung dieses Anspruchs handelt, das Pietätsgefühl einer Person nur dann stärker berühren wird, wenn ihr der Verstorbene bekannt gewesen ist. Gerade dieser Sachverhalt deutet darauf hin, dass es sich im Grunde doch um einen Angriff gegen die immer noch bestehende soziale Anerkennung des Verstorbenen handelt und nicht nur um die Verletzung eines letztlich sehr abstrakten Pietätgefühls der Allgemeinheit. 2. Einzelheiten des Tatbestandes 2 Verunglimpfen ist eine grobe Form der Ehrverletzung. - Als Verstorbene sind auch für tot Erklärte anzusehen. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt.
73
So auch HERDEGEN LK, lO.Aufl., Vor§ 185 Rdn. 30; RUDOLPH SK N, Vor § 185 Rdn. 21.-Für Idealkonkurrenz: BGHSt 6 S. 161; 12 S. 292. - Für § 186 als lex specialis gegenüber § 185: SCH/SCH/ LENCKNER§ 186 R d n . 21.
74 75
Dazu KÖHLER NJW 1985 S. 2389 ff; VOGELGESANG NJW 1985 S. 2386 ff. HERDEGEN LK, 10. Aufl., § 189 Rdn. 2 - 4; HIRSCH Ehre, S. 125; DERS. E. A. Wolff-FS, S. 141 ff; HUNGER Das Rechtsgut des § 189 StGB, 1996, S. 81 ff, 115; WELZEL Lb., § 42 N 4.
76
O L G Düsseldorf N J W 1967 S. 1142; LACKNER/KÜHL § 189 R d n 1; RÜPING G A 1977 S. 3 0 4 f.
77
Abweichend ZACZYK NK, § 189 Rdn. 1: Ehre des Adressaten in ihrem besonderen Verhältnis zum Andenken des Verstorbenen.
128
Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener
§33
3. Irrtum des Täters über den Tod des Betroffenen Wird die Ehre des Verstorbenen als Rechtsgut des § 189 begriffen, so ist der Irrtum des 3 Täters darüber, ob der Betroffene tot ist oder nicht, irrelevant, denn die Ehre des lebenden Betroffenen ist kein aliud gegenüber der Ehre des Verstorbenen. Die Verletzung wird lediglich in zwei verschiedenen Tatbeständen erfasst. Fall: A, der meint, der Kirchenvorsteher K sei verstorben, erzählt wider besseres Wissen, der Verstorbene habe Kirchengelder im Freudenhaus verjubelt. - K lebt und stellt Strafantrag. Ergebnis: A haftet nach § 187. - Wird hingegen das Pietätsgefiihl der Angehörigen oder das der Angehörigen und der Allgemeinheit in § 189 als geschützt angesehen, so bleibt der Täter straffrei. § 187 liegt nicht vor, da A nicht die Ehre eines lebenden Menschen verletzen will. § 189 findet keine Anwendung, weil sein objektiver Tatbestand nicht gegeben ist.
4. Strafantrag Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ist Antragsdelikt, § 194 Abs. 2. - Auch 4 hier entfallt der Antrag bei bestimmten Verunglimpfungen Verstorbener, die ihr Leben als Opfer der Nationalsozialisten oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verloren haben.
129
§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Sechster Abschnitt Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich § 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt 1 a) Die Vorschrift schützt die Eigensphäre der Person durch Sicherung ihres Rechts auf Bestimmung der Reichweite einer Äußerung, und zwar geht es in Abs. 1, 2 Nr. 1 um den Schutz des Rechts am gesprochenen Wort, in Abs. 2 Nr. 2 um den Schutz vor Schädigungen durch Indiskretion 2 b) Angriffsobjekt ist das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen. aa) Nicht öffentlich ist das Wort, wenn es objektiv und nach dem Willen des Sprechers nicht über einen überschaubaren, durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis hinaus wahrnehmbar ist. - Auch vom Sprechenden unbemerkte Zuhörer schließen die NichtÖffentlichkeit aus, nicht aber illegale Lauscher.2 Amtliche Unterredungen, Telefongespräche usw. sind nicht öffentlich, wenn sie nicht mit Wissen der Beteiligten vor einem öffentlichen Zuhörerkreis stattfindend 3 bb) Auch wenn die Gedankenäußerung in Form eines Gedichtes oder Liedes gekleidet wird, bleibt der Schutz erhalten. - Steht jedoch die künstlerische Gestaltung der Aussage im Vordergrund - Gesang, Deklamation -, so greift der Schutz des § 201 nicht durch.4 2. Die einzelnen Tathandlungen a) § 201 Abs. 1 unterscheidet zwei Tathandlungen 4 aa) Nr. 1: Aufnehmen ist das mechanische Fixieren des Wortes auf einen Tonträger, d.h. eine Vorrichtung zur wiederholten Wiedergabe von Tonfolgen (Tonband, Schallplatte o.ä.). Die Aufnahme muss nicht notwendig heimlich geschehen, denn die Unbefangenheit desjenigen, der sich äußert, ist bereits dann gravierend tangiert, wenn er weiß, dass gegen seinen Willen das „was als flüchtige Lebensäußerung gemeint war, in eine jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt wird".5- Das Überspielen einer Aufnahme auf einen
1
Vgl. dazu LENCKNER Baumann-FS, S. 141 ff m.e.N.
2
V g l . O L G C e l l e J R 1977 S . 3 3 8 m i t abl. ANM. ARZT S . 3 3 9 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
3
B.T.l, § 29 RDN. 57. Dazu OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1513 mit zust. Anm. ALBER JR 1981 S.495 ff, und abl. Anm. OSTENDORF J R 1 9 7 9 S. 4 6 8 ff; O L G F r a n k f u r t J R 1978 S. 168 m i t A n m . ARZT S. 170 f.
4
V g l . MAIWALD Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S. 9 5 1 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 9 R d n . 5 8 . - D a s
gesungene Wort schließen aus: LACKNER/KÜHL § 201 Rdn. 2; SCHÜNEMANN LK, § 201 Rdn. 6; TRÖNDLE/FISCHER § 2 0 1 R d n . 2. - D a g e g e n aber: JUNG N K , § 2 0 1 R d n . 3; SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1
Rdn. 5; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 526. - Jegliche Stimmäußerung bezieht ein: ARZT Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970, S. 243. 5
GALLAS ZStW 75 (1963) S. 19; vgl. auch OLG Jena NStZ 1995 S. 502 mit Anm. JOERDEN JR 1996 S. 2 6 5 ff, OTTO J K 9 5 , S t G B § 2 0 1 / 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 0 1 R d n . 3; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 1 R d n . 11; WESSELS/HETTINGER B.T./1, R d n . 5 2 9 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1 R d n . 13.
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Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs
§34
anderen Tonträger ist nur im Rahmen der Nr. 2 erfasst. - Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter Rdn. 10. bb) Nr. 2: Gebrauchen heißt Nutzen der Aufnahme zum Abspielen, Kopieren oder Über- 5 spielen.6 Zugänglichmachen ist die Ermöglichung des Abspielens durch Dritte. - Eine so hergestellte Aufnahme ist eine nach Nr. 1 unbefugt hergestellte Aufnahme.7 Gegenüber dem Abspielen einer befugt aufgenommenen Aufnahme ist das Abspielen einer unbefugt hergestellten Aufnahme ein schwerer Eingriff in die Eigensphäre des Berechtigten. - Das unbefugte Abspielen einer befugt hergestellten Aufnahme mag ein Vertrauensbruch sein, einen einer heimlichen Aufnahme vergleichbaren Einbruch in die Eigensphäre stellt das Verhalten im Regelfall aber nicht dar. Daher wandelt sich das in Nr. 1 als allgemeines Verbrechensmerkmal anzusehende Erfordernis der „unbefugten" Aufnahme hier in ein echtes Tatbestandsmerkmal.8 - Die Befugnis zum Gebrauchmachen hingegen ist wiederum allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter Rdn. 11. b) § 201 Abs. 2 erfasst zwei unterschiedliche Sachverhalte aa) Nr. 1: Das unbefugte Abhören mittels eines Abhörgerätes. - Abhörgerät ist hier als 6 technische Einrichtung zu verstehen, mit der das Wort über seinen normalen Klangbereich hinaus wahrnehmbar gemacht wird. Fernsprechapparate und bei ihnen übliche Zusatzgeräte, wie z.B. Zweithörer und Lautsprecher sind keine Abhörgeräte in diesem Sinne. Der Gesetzgeber hat nicht das unbefugte Mithören unter Strafe gestellt, sondern den darüber hinausgehenden Eingriff in die Sphäre anderer durch Nutzung besonderer technischer Geräte.9 bb) Nr. 2: Die Veröffentlichung des illegal aufgenommenen oder abgehörten nichtöf- 7 fentlich gesprochenen Wortes. - Öffentlich ist die Mitteilung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis wahrnehmbar ist - Tatbestandsmäßig ist die Mitteilung des geschützten Wortes im Wortlaut oder in seinem wesentlichen Inhalt. - Gerechtfertigt ist die Mitteilung, wenn sie „zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird", Abs. 2 S. 3. Damit wird klargestellt, dass überragende öffentliche Interessen einen Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz genießen.10 - Straffrei bleibt die Mitteilung, wenn sie nicht geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Hier handelt es sich um einen objektiven Strafausschließungsgrund, nicht etwa um einen Tatbestandsausschluss, denn sonst würde im Falle eines Irrtums des Täters das Risiko, dass die Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen zu verletzen, auf den Geschützten übertragen werden. Das ist sachlich unangemessen.
6
So auch LACKNER/KÜHL § 2 0 1 Rdn. 4; SCHÜNEMANN LK, § 2 0 1 Rdn. 14. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 29 Rdn. 61; TRÖNDLE/FISCHER § 201 Rdn. 4.
7
Vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 1995 S. 975 mit Anm. SCHMIDT JuS 1995 S. 651 ff.
8
Wie hier ARZT Intimsphäre, S. 264; BLEI Henkel-FS, S. 112 f; KREY ZStW 90 (1978) S. 180 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.l, § 29 Rdn. 59; SCH/SCH/LENCKNER § 201 Rdn. 16. - A.A. SUPPERT
Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage", 1973, S. 209 ff; WELZEL Lb., § 45 m . 9
So auch BGH(Z) NJW 1982 S. 1397; KÜPER B.T., S. 3; LACKNER/KÜHL § 201 Rdn. 5; TRÖNDLE/FISCHER § 201 Rdn. 5. - A.A. GÖSSEL B.T. 1, § 37 Rdn. 39; JUNG NK, § 201 Rdn. 9; KLUG SarstedtFS, S. 106; SCH/SCH/LENCKNER § 201 Rdn. 19.
10
Im einzelnen dazu LENCKNER Baumann-FS, S. 151 ff.
131
§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Qualifikation, § 201 Abs. 3 8 a) § 201 Abs. 3 ist ein Qualifikationstatbestand für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete; dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2,4. 9 b) Das Delikt ist ein sog. unechtes Amtsdelikt. - Die öffentlich-rechtliche Position ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2. - Der Täter muss in seiner hoheitlichen Position, d.h. im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit, gehandelt haben. 4. Rechtswidrigkeit 10 Die Tatbestände der §§ 201 ff setzen voraus, dass der Täter unbefugt handelt. Unbefugt ist jede Tathandlung, für die ein Rechtfertigungsgrund nicht besteht. 11 a) Die rechtswirksam erteilte Befugnis zur Herstellung der Aufnahme oder zu ihrem Abspielen (Einwilligung) rechtfertigt das Verhalten.11 Der Vertrauensbruch, der darin liegt, dass eine Aufnahme, in die der Berechtigte eingewilligt hat, gegen seinen Willen einem größeren Kreis bekannt gemacht wird, ist von § 201 nicht erfasst. Hier liegt kein Eingriff von außen in die Eigensphäre vor. 12 b) Bei Aufnahmen, die der Abwehr von Gefahren dienen, die von dem Betroffenen ausgehen, ist zu differenzieren: aa) Dient die Aufnahme der Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs - z.B. Aufnahme eines erpresserischen Anrufs, um den Erpressungsversuch abzuwehren - so kommt eine Rechtfertigung nach § 32 in Betracht. bb) Steht die Rechtsgutsverletzung noch nicht unmittelbar bevor, ist die Gefahr der späteren Rechtsguts Verletzung aber bereits begründet worden - z.B. Ankündigung des Bestreiten der zwar erfolgten, vom Prozessgegner aber nicht beweisbaren Zahlung in einem künftigen Prozess - so kann eine eventuelle Aufnahme gemäß § 34 gerechtfertigt sein, denn die gegenwärtige Gefahr geht weiter als der gegenwärtige Angriff.12 cc) Soll mit der Aufnahme lediglich die spätere Bestrafung einer Person ermöglicht werden - z.B. Überführung nach Beleidigung am Telefon -, so ist weder § 32 noch § 34 unmittelbar anwendbar. Zurückzugreifen ist auf das allgemeine Prinzip des Interessenvorrangs, wie es in §§ 34 StGB, 228,904 BGB Ausdruck gefunden hat." 13 c) Bei behördlichen Abhörmaßnahmen kommen als gesetzliche Vorschriften, die das Verhalten rechtfertigen, §§ 100 a, b StPO und das Gesetz zu Art. 10 GG (G 10) vom 13.8.1968 in Betracht.
11
Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1514; ROGALL NStZ 1983 S. 6; SCHÜNEMANN LK, § 201 Rdn. 32;
WARDA Jura 1979 S. 296. - A.A. Tatbestandsausschluss: OLG Köln NJW 1962 S. 686 mit zust. Anm. BINDOKAT N J W 1 9 6 2 S . 6 8 6 f u n d abl. A n m . DREHER M D R 1962 S. 5 9 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 0 1 R d n .
9; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 29 Rdn. 59. Differenzierend FRANK Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tonbandaufnahmen Privater, 1996, S. 50 ff, 63 f. 12 13 132
Vgl. dazu BGHZ 27 S. 290; BayObLG StV 1995 S. 65, 66 mit Anm. PREUß S. 66 ff; GROPP StV 1989 S. 216 ff; WÖLFL Jura 2000 S. 233. Dazu OTTO Kleinknecht-FS, S. 334 ff.- Im übrigen vgl. zum Meinungsstand und zur Auseinandersetzung: BayObLG NJW 1994 S. 1671; SCHÜNEMANN LK, § 201 Rdn. 41 ff.
Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs
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5. Konkurrenzen Die Begehungshandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 stellen eine einheitliche Tat dar, auch 14 wenn der Täter die unbefugte Aufnahme gebraucht oder Dritten zugänglich macht. - Die Begehungsformen der Absätze 1 und 2 können zueinander in Tateinheit stehen.14 6. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist derjenige, der das geschützte Wort ge- 15 sprachen hat.
II. Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Die Vorschrift schützt die formal begrenzte Geheimsphäre gegen Indiskretion. 16 b) Geschützt ist nicht nur das Briefgeheimnis (Art. 10 GG), sondern jeder abgeschlossene 17 Gegenstand mit gedanklichem Inhalt sowie Abbildungen, es sei denn, der Verschluss dient nicht dazu, die inhaltliche Kenntnisnahme zu verhindern, so z.B. der Paketverschluss bei der Versendung von Romanen, allgemein zugänglichen Kochrezepten usw. c) Schriftstück ist jeder Träger von Schriftzeichen, die einen gedanklichen Inhalt ergeben. 18 Der Brief ist ein Unterfall des Schriftstückes. 2. Die einzelnen Tathandlungen a) § 202 Abs. 1 Nr. 1: Öffnen ist das Beseitigen oder Unwirksammachen des Verschlusses. 19 - Anwendung von Gewalt oder eine Beschädigung des Verschlusses ist nicht erforderlich. b) § 202 Abs. 1 Nr. 2: Anwendung technischer Mittel bedeutet den Einsatz spezifischer 20 technischer Hilfsmittel. - Bloßes Abtasten oder „Gegen-Licht-halten" des Schriftstückes genügt nicht.15 - Vom Inhalt des Schriftstückes hat sich der Täter „Kenntnis verschafft", wenn er den Inhalt wahrgenommen hat. Verständnis des Inhalts ist nicht erforderlich.16 c) § 202 Abs. 2 erfordert ein Öffnen zum Zwecke der Kenntnisnahme. - Verschlossenes 21 Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen - und nicht zum Betreten von Menschen - bestimmtes Raumgebilde, dessen Verschluss fremde Kenntnisnahme des Behältnisinhaltes verhindern soll. Es genügt nicht, dass der Täter aus anderen Gründen das Behältnis öffnet (z.B. um Geld daraus zu stehlen) und Kenntnis von dem Inhalt des Schriftstückes nimmt. 3. Rechtswidrigkeit a) Zur Befugnis vgl. Rdn. 11. 22 b) Die rechtfertigende Befugnis kann hier insbes. aus §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB, 23 §§ 99, 100 StPO, § 99 InsO, § 2 Überwachungsgesetz und Art. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG v. 13.8.1968 folgen.17
14 15
Dazu eingehend: SCH/SCH/LENCKNER § 201 Rdn. 38. BT-Drucks. 7/550 S. 237.
16
Vgl. einerseits: LACKNER/KÜHL § 202 Rdn. 4; andererseits: SCH/SCH/LENCKNER § 202 Rdn. 9.
17
Im einzelnen dazu SCHÜNEMANN LK, § 202 Rdn. 35 ff. 133
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
4. Konkurrenzen 24 Die durch die Öffnung bewirkte Sachbeschädigung, § 303, wird von § 202 konsumiert. Gegenüber § 206 ist § 202 subsidiär, § 202 Abs. 1 a.E. - Öffnet der Täter ein durch Diebstahl oder Unterschlagung entwendetes Schriftstück unbefugt, so ist je nach den zeitlichen Tatmodalitäten Real- oder Idealkonkurrenz zwischen §§ 242,246 und § 202 gegeben.1« 5. Zum Strafantrag: § 205 25 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist deijenige, der zur Tatzeit das Bestimmungsrecht über die Sache hat, d.h. bei Sendungen der Absender bis zum Empfang durch den Adressaten.19
IE. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 /. Rechtsgut, Tatobjekt und Täterkreis 26 a) Geschütztes Rechtsgut ist die Geheimsphäre des Einzelnen und daneben das Allgemeininteresse an der Verschwiegenheit der hier genannten Personen, da diese weitgehend Voraussetzung für eine effektive Ausübung der genannten Tätigkeiten ist.2« Der Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 steht - wenn auch nicht in vollem Umfang entsprechend - das Schweigerecht nach §§ 53,53 a StPO, § 383 ZPO gegenüber.
27 b) Tatobjekt der Abs. 1 und 2 S. 1 ist ein „fremdes Geheimnis", d.h. ein Privatgeheimnis, das einen anderen Menschen als den Täter betrifft. - Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist, an deren Geheimhaltung der Betroffene ein sachlich begründetes Interesse hat und die er nicht offenbaren will. - Das Geheimnis kann sich auf den persönlichen, beruflichen oder wirtschaftlichen Lebensbereich des Betroffenen beziehen. Das zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnis sowie das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis sind nur Beispiele für die hier relevanten Geheimnisse. Geheimnisse des Staates sind in den §§ 93 ff, 353 b geschützt, doch sind Überschneidungen von § 203 mit § 353 b möglich.
c) Der Täterkreis 28 aa) Zu den einzelnen Tätergruppen vgl. Gesetzeswortlaut, Abs. 1,2 S. 1. 29 bb) Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. 30 cc) Das Geheimnis muss dem Täter in seiner Eigenschaft als Arzt, Wirtschaftsprüfer, Amtsträger usw. anvertraut oder bekanntgeworden sein, d.h. die Kenntnisnahme muss in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Berufs- oder Amtstätigkeit stehen. - Anvertraut ist das Geheimnis, wenn es dem Betroffenen unter Umständen mitgeteilt worden ist, aus 18
Dazu auch BGH JZ 1977 S. 237 mit Anm. KÜPER JZ 1977 S. 464, LENCKNER JR 1978 S. 424 f.
19 20
Im einzelnen dazu SCHÜNEMAHN LK, § 205 Rdn. 4. Vgl. auch KREY B.T. 1, Rdn. 457; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 29 Rdn. 4. - Das Allgemeininteresse akzeptieren nur für Abs. 1: LACKNER/KÜHL § 203 Rdn. 1; MICHALOWSKI ZStW 109 (1997) S. 522; TRÖNDLE/FISCHER § 203 Rdn. 1 b. - Für einen Vonang des Allgemeininteresses: OLG Köln NStZ 1983 S. 412; SCHLUND JR 1977 S. 269; SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 3. - Nur das Individualinteresse sehen als geschützt an: NIEDERMAIR in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, 2000, S. 3 8 8 ; ROGALL N S t Z 1 9 8 3 S. 5 ; SCHMIDHÄUSER B.T., 6 / 2 7 ; SCHMITZ J A 1996 S. 7 7 2 ; SCHÜNEMANN Z S t W 9 0 ( 1 9 7 8 ) S. 51 ff; DERS. L K , § 2 0 3 R d n . 14.
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Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs
denen sich die Anforderung des Geheimhaltens ergibt. - Sonst bekanntgeworden Täter das Geheimnis, wenn er es auf andere Weise erfahren hat.21
§34 ist dem
dd) Die berufsmäßig tätigen Gehilfen der nach Abs. 1 Verpflichteten und die bei ihnen zur 31 Vorbereitung auf den Beruf Tätigen stehen den besonders Verpflichteten gleich, § 203 Abs. 3. - Bei den Gehilfen muss es sich aber um Gehilfen in der Berufsausübung handeln, nicht etwa um sonstige Gehilfen, wie z.B. den Chauffeur oder die Putzfrau.22 ee) Nach dem Tode einer verpflichteten Person (Berufsausübender oder Gehilfe) ist in 32 gleicher Weise verpflichtet, wer das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlass erlangt hat, § 203 Abs. 3 S. 2.
2. Die Tathandlung a) Tathandlung ist das Offenbaren eines anvertrauten oder sonst bekannt gewordenen Ge- 33 heimnisses. - Offenbaren ist Mitteilung an einen Dritten, dass dieser Dritte selbst schweigepflichtig ist, ändert nichts an der Offenbarung.^ Hingegen liegt kein Offenbaren in der Weitergabe einer Mitteilung im ordnungsgemäßen Behördengang.24 b) Qualifiziert ist die Tat gemäß § 203 Abs. 5. 34 aa) Bereicherungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, bb) Schädigungsabsicht
setzt auf Schädigung gerichteten dolus directus 1. Grades voraus.
3. Rechtswidrigkeit a) Zur Befugnis vgl. oben Rdn. 11. 35 b) Als Befugnis kommen insbesondere in Betracht: aa) Die Einwilligung, die u.U. stillschweigend bei beruflicher Notwendigkeit - z.B. Mittei- 36 lung des Arztes an seinen Vertreter oder Nachfolger - oder konkludent - Einwilligung zur sog. Anstellungsuntersuchung umfasst Befugnis zur Mitteilung des Ergebnisses an anstellende Behörde bzw. Firma - erteilt werden kann. Einwilligungsberechtigter ist grundsätzlich der Träger des Geheimnisses, d.h. der vom Geheimnis Betroffene. Eine Ausnahme ist jedoch dann zu machen, wenn ein Dritter dem Täter das Geheimnis anvertraut hat und mit der Offenbarung einverstanden ist. In diesem Fall ist das Vertrauensverhältnis zwischen Betroffenem und Täter nicht verletzt.23 bb) Gesetzliche Anzeigepflichten, z.B. § 138 i.V.m. § 139 Abs. 2, Abs. 3 StGB, Ge- 37 schlechtskrankheitengesetz, Bundesseuchengesetz usw. Zum staatsanwaltschaftlichen Auskunft*- und Herausgabeersuchen: §§ 160,161,941,951 StPO. 21
Vgl. ROGALL NStZ 1983 S. 4 1 3 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 3 Rdn. 3 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 0 3 Rdn. 8. -
22
Dazu KOHLHAAS NJW 1972 S. 1502. - Zum Service- und Wartungspersonal von Computern vgl. OTTO wistra 1999 S. 203.
23
Vgl. B a y O b L G N J W 1995 S. 1623 mit Anm. GROPP J R 1996 S. 4 7 8 ff.
Eine Kenntniserlangung im Rahmen einer typischerweise auf Vertrauen angelegten Sonderbeziehung fordert: SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 15.
24
Vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 S. 69.
25
Vgl. auch OLG Köln NStZ 1983 S. 413; ARZT/WEBER B. T„ § 8 Rdn. 33; JUNG NK, § 203 Rdn. 10; SCHMITZ J A 1 9 9 6 S. 951 f. - A.A. LACKNER/KÜHL § 2 0 3 Rdn. 18; ROGALL NStZ 1983 S . 4 1 4 ; WAG-
NER JZ 1987 S. 708. - Für Ausschluss des Strafunrechts: SCHÜNEMANN LK, § 203 Rdn. 99.
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§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
38 cc) Zeugnispflicht nach Entbindung von der Schweigepflicht, § 53 Abs. 2 StPO. dd) Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB. In Fällen, in denen die Offenbarung eines Geheimnisses zur Lebensrettung oder zum Schutz vor schweren Gesundheitsschäden eines anderen nötig ist, ist die Offenbarung durch § 34 zu rechtfertigen.26 In gleicher Weise ist gemäß § 34 der Konflikt zwischen dem Schutz eines Geheimnisses und dem Auskunftsanspruch der Presse zu lösen27, sowie der Konflikt der Kenntnisnahme von Geheimnissen durch Service- und Wartungspersonal von Computern.28 - Ein Absehen von den strengen Voraussetzungen des § 34 mit der Konsequenz, die Wahrnehmung berechtigter Interessen hier genügen zu lassen - dazu vgl. § 32 Rdn. 36 ff -, ist nicht geboten, da kein Anlass besteht, dem hier geschützten Rechtsgut geringeren Schutz zu gewähren als anderen Rechtsgütern. Die Sonderregelung des § 193 ist durch die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit legitimiert, in ihr findet aber nicht der Grundsatz Ausdruck, dass eigene berechtigte Interessen Rechte auf die Verletzung der Rechtsgüter anderer begründen.29 39 ee) Die Mutmaßliche Einwilligung kann Bedeutung haben bei der Benachrichtigung von bewusstlosen oder geisteskranken Patienten. Sie kommt jedoch nicht in Betracht, wenn der Betroffene befragt werden kann. Die Weitergabe von Patientendaten an Verrechnungsstellen zur Einziehung von Forderungen und die Abtretung von ärztlichen oder anwaltlichen30 Honorarforderungen oder der Verkauf einer ärztlichen oder anwaltlichen Praxis mit Überlassung der Akten31 ist durch mutmaßliche Einwilligung nicht gerechtfertigt. 4. Zum Strafantrag, § 205 40 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist der Geheimnisberechtigte.
IV. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 41 1. Rechtsgut und Täterkreis entsprechen dem des § 203. 42 2. Die Tathandlung ist das Verwerten eines fremden Geheimnisses unter Verletzung von Interessen des Berechtigten, um Gewinn zu erzielen.32 Die Gegenmeinung begnügt sich demgegenüber mit einer wirtschaftlichen Nutzung zum Zwecke der Gewinnerzielung.33 26
BGH JZ 1983 S. 151 mit Anm. GEIGER S. 153 f. - Zur Verpflichtung des Arztes, der Ehefrau eines AIDS-kranken Patienten die Krankheit zu offenbaren: OLG Frankfurt NStZ 2001 S. 149 und S. 150 mit Anm. OTTO JK 01, StGB § 203/2, SCHLUND JR 2000, S. 376 f, WOLFSLAST NStZ 2001 S. 151 m.w.N.
27
Vgl. OLG Schleswig NJW 1985 S. 1090; hingegen: OLG Hamm NJW 2000 S. 1278 (Rechtfertigung nach Pressegesetz). - Allgemein hierzu LACKNER/KÜHL § 203 Rdn. 25; SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 30.
28
Eingehender dazu OTTO wistra 1999 S. 204 ff. - Eine Offenbarung HAT in diesen Fällen für zweifelhaft:
29
Vgl. grundsätzlich dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 145 f. - Sodann SCHÜNEMANN LK, § 203 Rdn. 131. - A.A. OLG Köln NJW 2000 S. 3656, 3657 mit abl. Anm. OTTO JK 01, StGB § 203/1.
30
Vgl. zu ärztl. Forderungen: BGHZ 115 S. 123 mit Anm. EMMERICH JuS 1992 S. 153 ff; BGH NJW
SCHÜNEMANN L K , § 2 0 3 Rdn. 4 1 .
1 9 9 2 S . 2 3 4 8 m i t A n m . SCHLUND JR 1 9 9 3 S . 2 5 ff; B G H N J W 1 9 9 3 S. 2 3 7 1 ; B G H N J W 1 9 9 6 S. 7 7 5 . V g l . z u A n w a l t s f o r d e r u n g e n : B G H Z 1 2 2 S. 1 1 5 mit A n m . EMMERICH JuS 1 9 9 3 S. 8 6 6 ff; B G H N J W
1993 S. 1912; BGH NJW 1993 S. 2795. 31
Dazu BGH ZIP 1995 S. 1016.
32
V g l . MAIWALD JuS 1 9 7 7 S . 3 6 2 ; DERS. N S t Z 1 9 8 4 S . 1 7 0 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 4 Rdn. 6.
33
Vgl. z.B. BayObLG NStZ 1984 S. 169 f.
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3. §§ 204 und 203 schließen einander aus. Erfolgt die Gewinnerzielung durch Offenbarung 43 des Geheimnisses an einen Dritten, z.B. Verkauf des Geheimnisses, so geht § 203 Abs. S d e m § 2 0 4 vor.34
4. Zum Strafantrag: § 205, vgl. Rdn. 40.
44
V. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 206 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), sowie das öffent- 45 liehe Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Post- und Fernmeldeverkehrs. 2. Der Täterkreis der Abs. 1 bis 3 a) Inhaber oder Beschäftigte eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt, Abs. 1, 2 - in den Fällen des Abs. 1 auch ausgeschiedene Beschäftigte oder ehemalige Inhaber. - Telekommunikationsdienste sind Telekommunikationsdienstleistungen i.S. des § 3 Nr. 18 TKG, d.h. das gewerbliche Angebot von Telekommunikation einschließlich des Angebots von Übertragungswegen für Dritte. - Telekommunikation ist gemäß § 3 Nr. 16 TKG der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Nachrichten jeglicher Art in der Form von Zeichen, Sprache, Bildern oder Tönen mittels Telekommunikationsanlagen. - Telekommunikationsanlagen, § 3 Nr. 17 TKG, sind technische Einrichtungen oder Systeme, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können. b) Personen, die Aufgaben der Aufsicht über die unter a) genannten Post- und Telekommunikationsunternehmen ausüben, Abs. 3 Nr. 1. Das sind vor allem Beschäftigte innerhalb der verbliebenen Hoheitsverwaltung des Bundes im Post- und Telekommunikationsbereich.35 c) Personen, die mit dem Erbringen von Post- oder Telekommunikationsdiensten betraut sind, Abs. 3 Nr. 2. Das sind Personen, die nicht zu dem unter a) genannten Kreis gehören, aber in die Abwicklung des Post- und Fernmeldeverkehrs eingeschaltet sind. d) Mit der Herstellung einer dem Betrieb eines Post- oder Telekommunikationsunternehmens dienenden Anlage oder mit Arbeiten daran betraute Personen, Abs. 3 Nr. 3. Das sind Inhaber, Angestellte und Arbeiter von Hersteller- und Serviceunternehmen für technische Anlagen. e) Die Täterqualität ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, denn den Täterkreis kennzeichnet eine erhöhte Pflichtenstellung in bezug auf das geschützte RechtsgUt.36
34
BT-Dmcks. 7/550, S. 244.
35
Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8016, S. 29.
36
V g l . MAIWALD JUS 1 9 7 7 S. 3 6 1 ; TRÄGER L K , § 2 0 6 Rdn. 5 ; WELP L e n c k n e r - F S , S. 4 3 0 .
137
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§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Die einzelnen Tatbestände der Abs. 1 bis 3 51 a) Abs. 1 stellt die Mitteilung von Tatsachen, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, an andere unter Strafe. - Dem Post- und Femmeldegeheimnis unterliegt nicht nur der Inhalt von Postsendungen und der Inhalt der Telekommunikation, sondern auch die Tatsache, dass ein Post- oder Femmeldeverkehr zwischen bestimmten Personen stattgefunden hat und die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche, Abs. 5. 52 b) Abs. 2 Nr. 1, 2 schützt die den Post- und Telekommunikationsunternehmen anvertrauten Sendungen gegen Ausforschung (Nr. 1) und Unterdrückung (Nr. 2). Sendung ist jeder körperliche Gegenstand, der auf dem Post- oder Fernmeldeweg übermittelt werden soll. Die Sendung muss verschlossen sein. Sendungen, die zwar nicht offen sind, aber jederzeitiger Öffnung und Kontrolle unterliegen sollen, genügen diesem Erfordernis nicht.37 53 Den Unternehmen anvertraut sind alle Sendungen, die ordnungsgemäß in den Post- oder Fernmeldeverkehr gelangt sind und sich noch dort befinden. - Zu den Begriffen Öffnen und unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschaffen, vgl. unter Rdn. 19 ff. Unterdrücken heißt dem ordnungsgemäßen Übermittlungsverkehr entziehen, sei es auch nur zeitweise.38 54 Der Täter muss als Inhaber oder Beschäftigter, d.h. im inneren Zusammenhang mit seiner Funktion tätig geworden sein. Die Tatsache allein, dass er zur Tatzeit in dem Unternehmen tätig war, genügt nicht. 55 c) Abs. 2 Nr. 3 erfasst das Gestatten und Fördern des Ausforschens oder Unterdrückens. Ein Gestatten in diesem Sinne liegt nicht nur beim pflichtwidrigen Unterlassen des Einschreitens, bei Einwilligung in die Tat oder bei Genehmigung der Tat vor, sondern auch beim Anstiften zur Tat. - Fördern ist Hilfeleistung durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen. - Die Bedeutung von Abs. 2 Nr. 3 liegt darin, dass sachliche Teilnahmehandlungen formell zum Täterverhalten erklärt werden. 4. Erweiterung des Schutzgutes gemäß Abs. 4 56 Abs. 4 erweitert den Strafrechtsschutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses über den Post- und Telekommunikationsbereich hinaus. - Täter können nur Amtsträger anderer Dienstbereiche sein. Der befugte Eingriff setzt eine Rechtfertigung des Eingriffs voraus, z.B. nach §§ 99 - 100 b StPO. -Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 5. Rechtswidrigkeit 57 Unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i.S. von rechtswidrig. - Die Befugnis kann hier insbes. auf §§ 99 - 100 b StPO oder auf Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG beruhen. - Zur Begrenzung der Zulässigkeit der Weitergabe: § 39 Abs. 3 S. 3 PostG, § 85 Abs. 3 S. 3 TKG.3»
37
OLG Stuttgart NStZ 1984 S. 25; BVerwG NJW 1984 S. 2111: mit Klammem gesicherte Warenbeutel; WELP Lenckner-FS, S. 641.
38 39
138
Vgl. OLG Köln NJW 1987 S. 2596; WELP Lenckner-FS, S. 643 f. Im einzelnen dazu SCH/SCH/LENCKNER § 206 Rdn. 13 f.
Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs
§34
6. Besondere Täterqualifikation Im Verhältnis zu §§ 133, 202, 274 Abs. 1 Nr. 1 beschreibt Abs. 2 Nr. 1 und 2 ein unechtes 58 Sonderdelikt, beachte § 28 Abs. 2. Im übrigen sind die in § 206 erfassten Taten echte Sonderdelikte, beachte § 28 Abs. 1.
VI. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 1. Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist das Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen und das 59 Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Steuergeheimnisses, die Voraussetzung eines wirksamen Besteuerungsverfahrens ist.40 b) Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 2 Nr. 2 - und bestimmte, in Abs. 2 aufge- 60 zählte Personen sein. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1 ist zu beachten. 2. Die Tathandlungen Die Verhältnisse, die dem Täter im Rahmen bestimmter Verfahren (vgl. Abs. 1 Nr. 1) be- 61 kanntgeworden sein müssen und deren Offenbarung, d.h. Mitteilung an andere, unter Strafe gestellt ist, sind alle für die steuerliche, finanzielle, wirtschaftliche und persönliche Lage einer Person relevanten Umstände, ohne Rücksicht auf einen etwaigen Geheimnischarakter, soweit sie nicht offenkundig sind oder an ihrer Geheimhaltung keinerlei Interesse erkennbar ist. - Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind nur Sonderfälle dieser Verhältnisse, so dass Abs. 1 Nr. 2 nur die Tathandlungen in einem Teilbereich nach Abs. 1 Nr. 1 konkretisiert. - Zum Verwerten vgl. Rdn. 42. 3. Rechtfertigung §§ 30 Abs. 4 und 5, 31, 31 a AO enthalten die Gründe, die eine Durchbrechung des Steu- 62 ergeheimnisses gestatten und die Offenbarung zu einer befugten machen. - Der Katalog ist nicht abschließend. Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, insbes. § 34, sind daher nicht ausgeschlossen.41
VII. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204, 202 a Strafrechtlichen Datenschutz gewährt der Gesetzgeber im StGB erstens durch die Gleich- 63 Stellung mit dem Geheimnisschutz in §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204 und zweitens durch den Schutz besonders gesicherter Daten, § 202 a; zum weitergehenden strafrechtlichen Datenschutz vgl. § 43 BDSG. 1. Der Schutz von Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse eines anderen, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204 a) Gemäß § 203 Abs. 2 S. 2 wird der durch § 203 Abs. 2 S. 1 gewährte Geheimnisschutz 64 auf solche Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen erweitert, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfasst worden sind, soweit solche 40
Dazu OLG Hamm NJW 1981 S. 357.
41
Dazu MAIWALD JUS 1977 S. 362 f.
139
§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Einzelangaben nicht anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt. - Zu nennen sind hier z. B. Daten aus dem PAD-System der Polizei.42 Zum Täterkreis, zur Tathandlung und zur Befugnis zum Offenbaren vgl. Rdn. 28 ff. 65 b) Der Schutz vor einer Verwertung des Geheimnisses, § 204, ist auf die Angaben gemäß § 203 Abs. 2 S. 2 ausgedehnt; vgl. insoweit Rdn. 41 ff. 2. Ausspähen von Daten, § 202 a 66 a) Da es sich bei den geschützten Daten nicht notwendig um Geheimnisse handeln muss, schützt § 202 a das durch das Erfordernis besonderer Sicherung formalisierte Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung bestimmter Daten.43 67 b) Tatobjekt sind Daten. Daten sind alle codierbaren Informationen. Deren Schutz wird gemäß Abs. 2 auf nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten beschränkt. Nicht unmittelbar wahrnehmbar sind Daten, deren Bedeutungsgehalt erst nach technischer Umformung mit den menschlichen Sinnen erfassbar wird, z.B. neben den im Gesetz genannten elektronisch oder magnetisch fixierten Daten auch Daten auf Tonbändern, Schallplatten, Mikrofilmen u.ä.44 - Gespeichert sind zur Wiederverwendung erfasste Daten. Geschützt werden diese Daten auch im Übermittlungsstadium (Anzapfen von Datenübertragungsleitungen). 68 c) Nicht flir den Täter bestimmt sind Daten, die nach dem Willen des Verfügungsberechtigten nicht in den Herrschaftsbereich des Täters gelangen sollen. Die generelle Zugangsberechtigung schließt daher den Tatbestand aus.45 - Gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind Daten, wenn Vorkehrungen speziell zu dem Zweck getroffen sind, den Zugriff Unberechtigter zu verhindern oder zu erschweren, z.B. durch verschlossene Behältnisse oder systemimmanente Vorkehrungen wie Geheimnummern (PINNummer) zu Magnetkarten, Passwörter u.a. 69 d) Sich oder einem anderen Verschaffen heißt Herstellung der eigenen oder der Herrschaft eines anderen über die Daten. Das bedeutet, dass der Täter entweder die Daten selbst zur Kenntnis nimmt bzw. einem anderen die Kenntnisnahme ermöglicht oder ohne Kenntnisnahme sich oder einem anderen den Besitz an den Datenträgern verschafft.46 - Bei verschlüsselten Daten setzt das Sichverschaffen die Entschlüsselung oder die ungehinderte Möglichkeit der Entschlüsselung voraus.47 70 e) Der Tatbestand erfordert Vorsatz; bedingter genügt.
42 43
A.A. (Privatgeheimnisse): LG Ulm NJW 2000 S. 822 mit Anm. BEHM NStZ 2001 S. 153 ff. V g l . HILGENDORF JUS 1996 S . 5 1 1 ; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 4 8 5 ; MÖHRENSCHLAGER
wistra 1986 S. 140; SCHÜNEMANN LK, § 202 a Rdn. 2. - A.A. z.B. HAFT NStZ 1987 S. 9, der das Ver-
44
mögen als geschützt ansieht. IM einzelnen dazu HILGENDORF JUS 1996 S. 511.
45
Dazu BayObLG StV 1999 S. 214.
46
Enger HILGENDORF JuS 1996 S. 705; SCHÜNEMANN LK, § 202 a Rdn. 6, die Reproduzierbarkeit der
Daten voraussetzen. 47
140
V g l . SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 2 a R d n . 10; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 2 a R d n . 6. - A . A . HILGENDORF JUS 1996 S. 7 0 5 .
Hausfriedensbruch
§35
f) Unbefugtes Handeln ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Die Tat kann durch Gesetz - 71 z.B. § 94 StPO -, durch Einwilligung des Berechtigten, dazu unter Rdn. 36 ff, oder durch rechtfertigenden Notstand, § 34, gerechtfertigt sein. g) Die Tat ist Antragsdelikt gemäß § 205. Antragsberechtigt ist der Verletzte, d.h. der Trä- 72 ger des Rechtsguts. Das ist der über die Daten Verfügungsberechtigte, der die Daten besonders gesichert hat. Dem Schutz des vom Dateninhalt Betroffenen kommt keine Eigenständigkeit zu. Sein Schutz ist durch § 43 BDSG gewährleistet.48
§ 35 Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 1. Rechtsgut und Tatobjekt a) Das Rechtsgut Geschützt ist das Hausrecht, d.h. die Freiheit der Entscheidung darüber, wer sich in den 1 gesetzlich geschützten Bereichen aufhalten darf und wer nicht.49 Der Berechtigte braucht nicht zivilrechtlicher Eigentümer der geschützten Sphäre zu 2 sein, es genügt, dass er ein stärkeres Recht als der Störer hat. - Bei vermieteten Räumen steht das Hausrecht in der Regel dem Mieter zu, soweit sich Ausnahmen nicht ausdrücklich aus dem Mietvertrag oder den besonderen Umständen des Falles e r g e b e n d Steht das Hausrecht mehreren gemeinsam zu (z.B. Ehegatten), so muss die von dem anderen gestattete Anwesenheit Dritter im Rahmen der Zumutbarkeit geduldet werden.51 b) Die einzelnen geschützten Sphären aa) Wohnung ist der Raum oder die zusammenliegende Mehrheit von Räumen, die einer Person oder mehreren Personen zur Unterkunft dient oder zur Benutzung freisteht.52 Die Wohnung braucht nicht Teil eines Hauses zu sein, z.B. beim Wohnwagen, bb) Geschäftsräume sind die - hauptsächlich - zum Betrieb von Geschäften bestimmten, abgegrenzten Räume. - Raum ist auch hier nicht nur als Gebäudeteil zu verstehen, sondern als räumlicher Bezirk. Darunter fallen Lagerhallen, Fabrikhöfe, Zirkuszelte, u.ä. cc) Das befriedete Besitztum ist eine unbewegliche Sache, die in äußerlich erkennbarer Weise mittels Schutzwehren gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert ist. Die Wehr muss aber gegen das Betreten von außen gerichtet, nicht nur dazu bestimmt sein, ein Ausbrechen nach außen zu verhindern, wie im Falle einer eingezäunten Kuhweide.53 Die Schutzwehr braucht nicht lückenlos zu sein, doch muss sie so weit gehen, dass der Sicherungscharakter klar wird. Ein bloßes Verbotsschild genügt dafür nicht.
48
Streitig, vgl. im einzelnen LENCKNER/WLNKELBAUER CR 1986 S. 485.
49
Differenzierend nach der Art der Schutzsphären: SCHALL, Die Schutzfunktionen der Strafbestimniung gegen den Hausfriedensbruch, 1974, S. 134 f, 145 ff, 159 ff, 169. Dazu OLG Hamm GA 1961 S. 181; OLG Braunschweig NJW 1966 S. 263; BERNSMANN Jura 1981 S. 342 f.
50 51 52 53
Dazu HEINRICH JR1997 S. 92 ff. Dazu RGSt 12 S. 132 f. Dazu BayObLG JR 1969 S. 466 mit Anm. SCHRÖDER S. 467 f. 141
3 4 5
6
§35
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Auch sog. Abbruchhäuser sind befriedete Besitztümer, solange die vorhandenen Vorrichtungen erkennen lassen, dass der Berechtigte das Betreten durch Dritte verhindern will. - Ist das Haus hingegen derart verwahrlost, dass Türen und Fenster weitgehend fehlen und eine einheitliche Sperrvorrichtung nicht mehr erkennbar ist, so ist das Haus kein befriedetes Besitztum i.S. dieser Vorschrift.54
7 dd) Abgeschlossene Räume sind zum öffentlichen Dienst bestimmt, wenn in ihnen Tätigkeiten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften ausgeübt werden, z.B. Schulen, Universitäten, Gerichtsgebäude, nicht aber eine öffentlich-rechtlich betriebene Tiefgarage, da die Tätigkeit des Garagenwächters nicht die Nutzung des Raumes kennzeichnet.55 - Zum öffentlichen Verkehr bestimmte abgeschlossene Räume sind gleichfalls nicht nur Geschäftsräume und Gebäudeteile, sondern auch dem öffentlichen Verkehr dienende Räume, wie z.B. Bahnhofshallen, Eisenbahnwagen, Straßenbahnwagen, Autobusse, Parkhäuser u.ä. - Dass das dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen auch von einer Privatperson betrieben werden kann, ist bedeutungslos. 8 ee) Sog. Zubehörflächen, die selbst nicht abgeschlossen sind (z.B. Höfe, Vorgärten, Kaufhauspassagen), sind dann in den Schutz einbezogen, wenn sie örtlich und funktional so eng mit dem geschützten Objekt verbunden sind, dass sie für jedermann erkennbar mit diesem eine Einheit bilden, auch wenn ihr Betreten nicht durch besondere Schutzwehr erschwert ist> 2. Widerrechtliches Eindringen 9 a) Eindringen setzt voraus, dass der Täter - zumindest mit einem Teil des Körpers - gegen den Willen des Berechtigten in die geschützte Sphäre gelangt ist. - Der Wille des Berechtigten kann ausdrücklich oder konkludent erklärt sein, er kann auch aufgrund einer Wertung der Gesamtumstände vermutet werden. Stets geht es aber um eine Verletzung des realen Willens des Berechtigten, auch dann, wenn dieser - mangels positiver Kenntnis nur vermutet wird. § 123 ist seinem Wesen nach ein formales Willensbruchsdelikt. Das deliktische Verhalten ist gegen den real entgegenstehenden Willen des Berechtigten gerichtet, daher genügt ein Betreten ohne Willen des Berechtigten nicht.57 - Hat der Berechtigte seinen Willen erklärt, so kommt es nicht auf den sog. wahren, nämlich einen hypothetischen Willen des Berechtigten an, es sei denn, seiner Erklärung kommt deshalb nicht der Sinngehalt einer Verfügung zu, weil er sich nur der Gewalt beugt und eine Verteidigung seines Hausrechts als sinnlos empfindet, da der Täter unabhängig von seiner „Zustimmung" eindringen würde. Im übrigen gilt: Genauso wenig wie eine irrtumsbedingte Verfügung über eine Sache eine Gewahrsamsübertragung zu einem Gewahrsamsbruch macht, macht ein Irrtum bei der Erklärung des Einverständnisses zum Betreten 54
Vgl. OLG Hamm NJW 1982 S. 1824 u. 2676; OLG Köln NJW 1982 S. 2674 mit Anm. DEGENHART JR 1984 S. 30; OLG Düsseldorf NJW 1982 S. 2680; AG Wiesbaden NJW 1991 S. 188. - Eingehend zu der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur: SCHALL NStZ 1983 S. 241 ff.
55 56
Vgl. ALLGAIER MDR 1987 S. 723. - A.A. BayObLG NJW 1986 S. 2065. So auch BayObLG MDR 1969 S. 778; OLG Oldenburg NJW 1985 S. 1352; BLOY JR 1986 S. 81; KREY B.T. 1, R d n . 4 3 2 a; LACKNER/KÜHL § 123 R d n . 3; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 123 R d n . 13. - A . A . AMELUNG J Z 1986 S. 2 4 7 f f ; DERS. N J W 1986 S. 2 0 7 9 ; ARZT/WEBER B. T „ § 8 R d n . 8; BEHM G A 1986 S. 5 4 7 ff; DERS. J u S 1987 S. 9 5 0 f f ; VOLK J R 1981 S. 167 f.
57
Vgl. KÜPER B. T., S. 113; LACKNER/KÜHL § 123 R d n . 5 ; LUDWIG/LANGE JUS 2 0 0 0 S. 4 4 8 f; TRÖNDLE/FISCHER § 123 R d n . 13; WESSEL/HETTINGER B. T./1, R d n . 5 8 4 f. - A . A . AMELUNG N S t Z 1985 S.
457; RUDOLPHI SK N, § 123 Rdn. 12; SCHALL Schutzfunktionen, S. 142. - Gegen das Erfordernis der Willenswidrigkeit: KARGL JZ 1999 S. 938.
142
Hausfriedensbruch
§35
macht ein Irrtum bei der Erklärung des Einverständnisses zum Betreten der häuslichen Sphäre dieses zum widerrechtlichen Eindringen.58 Vereitelt jemand durch Täuschung die Durchsetzung eines gegen ihn individuell ausgesprochenen Hausverbots, so ändert dieses am Eindringen nichts, denn durch sein Verhalten wird das konkrete Verbot nicht beseitigt.5' Die Begehung der Tat durch unechtes Unterlassen ist möglich für den Fall, dass ein Garant, dem die Beaufsichtigung eines anderen obliegt, das Betreten der geschützten Sphäre durch diesen nicht hindert. Bloßes Verweilen in einem Raum nach Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis ist hingegen nicht als Eindringen tatbestandsmäßig.60 b) Eindringen ist ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten. Die Zustimmung des Berechtigten (Einverständnis) steht daher bereits der Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals entgegen. Die Widerrechtlichkeit des Eindringens bzw. die fehlende Befugnis zum Verweilen sind allgemeine Verbrechensmerkmale. Sie werden durch das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeschlossen.
10 11
12 13
Ein Recht zum Betreten öffentlicher Dienst- und Verkehrsräume kann sich aus der öffentlichen Zweckbe- 1 4 Stimmung dieser Räume ergeben. Diese Zweckbestimmung kann der Ausschließung Einzelner entgegenstehen, soweit sie sich im Rahmen der Zweckbestimmung halten. Daher liegt ein rechtswidriges Eindringen vor, wenn sich das Überschreiten der Zutrittserlaubnis bereits aus den äußeren Umständen ergibt, z.B. beim nächtlichen Einsteigen in die Schule oder Universität durch Schüler bzw. Studenten. Ist einem Anstaltsnutzer oder einem Anstaltsangehörigen gegenüber ein Hausverbot durch Verwaltungsakt 15 erlassen worden, so ist ein Verstoß hiergegen ein widerrechtliches Eindringen, wenn der Betroffene keinen Widerspruch mit aufschiebender Wirkung eingelegt hat oder der Verwaltungsakt fiir sofort vollziehbar erklärt worden ist. Die bloße Möglichkeit, die Wirksamkeit des Hausverbots aufschiebend zu beseitigen, berechtigt als solche nicht zum weiteren Betreten.61 - Ob der Verwaltungsakt sich in einem späteren Prozess als rechtswirksam erweist, ist demgegenüber unbeachtlich.62 Für das Recht zum Betreten privater Räume können z.B. §§ 102, 103 StPO Bedeutung haben. Auch der 1 6 rechtfertigende Notstand kann eingreifen, doch können mit seiner Hilfe nicht die Voraussetzungen der speziellen Durchsuchungsrechte nach der StPO umgangen werden.
3. Verweilen ohne Befiignis Verweilen ohne Befiignis ist Aufenthalt ohne Berechtigung hierzu.
58
17
Vgl. AMELUNG N S t Z 1985 S . 4 5 7 f; BERNSMANN Jura 1981 S . 4 0 3 f; BOHNERT G A 1983 S. 14;
GEERDS JR 1982 S. 185; GEPPERT Jura 1989 S. 380 f; HÄUF B.T. II, S. 148; Küpper B.T. 1,1 § 5 Rdn. 11; OSTENDORF JuS 1980 S. 664; OTTO N J W 1973 S. 668; DERS. Jura 1986 S. 3 3 3 f; STÜCKEMANN J R 1973 S. 4 1 4 ; TRÖNDLE StGB, § 123 R d n . 10; WESSELS/HETNNGER B.T./1, R d n . 587. - A . A . B G H N S t Z - R R 1997 S. 9 7 ; O L G M ü n c h e n N J W 1972 S. 2 2 7 5 ; RUDOLPH S K II, § 123 R d n . 18; SCHALL
Schutzfunktionen, S. 143 f; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 123 Rdn. 27. 59
v g l . auch SCH/SCH/LENCKNER § 123 R d n . 24/25. - A.A. SCHILD N S t Z 1986 S. 3 4 6 ff.
60
vgl. dazu auch BERNSMANN Jura 1981 S. 405; KÜPER Jura 1983 S. 212; MITSCH JuS 1998 S. 309; RENGIER B. T. n , § 30 Rdn. 14 f f ; RUDOLPHI SK n , § 123 R d n . 19; SEIER J A 1978 S. 624. - A . A . B G H S t 21 S. 224, 225 f; KAREKLÄS, Lenckner-FS, S. 4 6 6 f f ; LACKNER/KÜHL § 123 R d n . 5; SCH/SCH/LENCKNER § 123 R d n . 13.
61 62
A.A. OLG Hamm NJW 1979 S. 728. Dazu im einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1776; OVG Lüneburg NJW 1975 S. 136; OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 116; OLG Hamburg NJW 1978 S. 2520; OLG Hamburg NJW 1980 S. 1007 mit A n m . OEHLER J R 1981 S. 3 3 f; O L G Karlsruhe J R 1980 S. 3 4 2 mit A n m . SCHWABE S. 3 4 4 f; BERNSMANN Jura 1981 S. 4 6 6 f f ; SCHALL Schutzfiinktion, S. 2 6 f f ; TIEDEMANN J Z 1969 S. 7 1 7 ff.
143
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§35
Nach Ablauf eines Miet- oder Nutzungsvertrags verweilt der ehemals Berechtigte so lange nicht ohne Befugnis in den Räumen, wie er nach der Rechtsordnung Räumungsschutz genießt. Maßt er sich nach Ablauf dieser Frist ein selbständiges Recht an, z.B. durch Besetzung der Räume, so verweilt er von diesem Moment an ohne Befugnis.63
18 Die Aufforderang zum Verlassen der geschützten Räume kann auch konkludent erfolgen. 4. Konkurrenzen 19 a) Die 2. Alternative des Tatbestandes ist gegenüber der 1. Alternative subsidiär. 20 b) Wenn mehrere Straftaten während des Hausfriedensbruchs begangen werden, können diese - je nach ihrem Schweregrad - mit demselben in Real- oder Idealkonkurrenz stehen.64 5. Zum Strafantrag: § 123 Abs. 2.
II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 1. Geschütztes Rechts gut 21 Die Vorschrift schützt neben dem Hausrecht auch den öffentlichen Frieden. 2. Einzelheiten des Tatbestandes 22 a) Menschenmenge ist eine Personenmehrheit, deren Zahl nicht mehr sofort überschaubar ist. Maßgeblich ist, dass diese Personenmehrheit aufgrund ihres räumlichen Zusammenhangs bei Außenstehenden als räumlich verbundenes Ganzes erscheint. Eine Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein«, doch dürften gut 20 Personen im Regelfall schon eine Menge ergeben, unter bes. Umständen auch schon 15 Personen.66 - Eine Menschenmenge rottet sich zusammen, wenn sie zu einem gewaltsamen oder bedrohlichen Zweck zusammentritt, wobei der friedensstörende Wille äußerlich erkennbar in Erscheinung treten muss. - Öffentlich ist das Zusammenrotten, wenn für eine unbestimmte Zahl von Personen die Möglichkeit der Beteiligung besteht. 23 b) Täter ist jeder, der an der Zusammenrottung und dem widerrechtlichen Eindringen teilnimmt. Das bedeutet: aa) Der Täter muss sich in Kenntnis des Zwecks der Rotte anschließen oder in ihr verbleiben und dadurch deren friedensstörende Ziele fördern.6? bb) Er muss sich beim Eindringen der Menge anschließen. Mit „eigenem Fuß" braucht er die geschützten Räume aber nicht betreten zu haben. Es genügt, dass ihm das Eindringen anderer nach den Regeln der Mittäterschaft zugerechnet wird.68
63
Vgl. OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 1088 mit Anm. DÖLLING JR 1992 S. 167 f, OTTO JK 91, StGB
64
Eingehend dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 23 Rdn. 22 ff.
65 66
Unter besonders unübersichtlichen Umständen können 10 Personen genügen; BGH NStZ 1994 S. 483. Vgl. BGHSt 33 S. 308; LG Frankfurt StV 1983 S. 463.
67 68
Dazu BGH NJW 1954 S. 1694. Dazu RGSt 55 S. 35.
§ 123/5.
144
Bedrohung
§36
c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter Vorsatz genügt. - Die Absicht 24 zur Begehung von Gewalttaten braucht der Täter nicht selbst zu haben. d) Konkurrenzen: Idealkonkurrenz mit § 125 ist möglich. 25
§ 36 Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des § 241 ist der persönliche Rechtsfrieden des E i n z e l n e n 1
II. Die Tathandlung 1. Drohung mit einem Verbrechen, § 241 Abs. 1 Bestraft wird die Ankündigung eines künftigen Verhaltens, das die Merkmale eines Ver- 2 brechens, § 12 Abs. 1, aufweist, auf dessen Begehung der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. - Das Verbrechen muss sich angeblich gegen den Bedrohten oder eine dem Bedrohten nahestehende Person richten. Die nahestehende Person muss real existieren.™ a) Der Vorbehalt des Drohenden, die Drohung nicht zu realisieren, ist unbeachtlich. 3 b) Dass der Bedrohte die Drohung ernst nimmt, ist nicht erforderlich, da es sich bei der Tat 4 um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt.71 2. Vortäuschen eines Verbrechens, § 241 Abs. 2 Da der Rechtsfriede des Betroffenen in gleicher Weise bedroht ist, wenn der Täter vor- 5 täuscht, es stehe unmittelbar oder in nächster Zeit ein Verbrechen gegen den Betroffenen oder eine ihm nahestehende Person durch einen Dritten, auf den der Täter keinen Einfluss hat, bevor, stellt Abs. 2 die Vortäuschung eines Verbrechens wider besseres Wissen der Androhung eines Verbrechens i.S. des Abs. 1 gleich. - Auch hier ist nicht erforderlich, dass die schuldhafte Begehung eines Verbrechens angekündigt wird. 3. Der subjektive Tatbestand Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muss das angedrohte Verbrechen 6 nicht selbst als Verbrechen i.S. des StGB bewerten, es genügt, wenn er sich der Umstände bewusst ist, die diese Tat zum Verbrechen machen.72 4. Konkurrenzen Idealkonkurrenz möglich mit § 126. - § 241 Abs. 1 wird von §§ 113, 177, 240, 253 kon- 7 sumiert, auch wenn nur ein Versuch dieser Taten vorliegt.73 69
A.A. SCHROEDER Lackner-FS, S. 671: Willensentschließungsfreiheit.
70
Vgl. BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) NJW 1995 S. 2776 mit Anm. KÜPER JUS 1996 S. 783 ff, OTTO JK
71
Vgl. BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 22; SCH/SCH/ESER § 241 Rdn. 2,15.
72
Dazu BGHSt 17 S. 307.
73
Vgl. OLG Koblenz MDR 1984 S. 1040; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.I, § 16 Rdn. 7.
96, StGB § 1/14. - Das zutreffende Ergebnis der Entscheidung ändert nichts daran, dass das BVerfG mit der Auslegung einfachen Rechts in den Kompetenzbereich der Fachgerichte eingegriffen hat.
145
§37
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§ 37 Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a 1 1. Geschütztes Rechtsgut ist die Schutzmöglichkeit der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat.74 2 2. Ob politische Gründe vorliegen, ist materiell zu bestimmen. Die Kaschierung einer politischen Verfolgung als Verfolgung einer unpolitischen Straftat ist daher unbeachtlich. Eine Verfolgung aus politischen Gründen liegt vor, wenn die Verfolgung durch kein Gesetz erlaubt ist, ihre Rechtsgrundlage mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Widerspruch steht oder wenn unter dem Deckmantel der Sühne kriminellen Unrechts politische Zwecke bzw. die Sicherung und weitere Entwicklung eines totalitären Regimes durch Zwangsmaßnahmen verfolgt werden.75 3 In der DDR erstattete Anzeigen wegen Republikflucht erfüllen nach Auffassung des BGH nur in seltenen Ausnahmefällen den Tatbestand. Da der BGH davon ausgeht, dass ein Richter wegen Freiheitsberaubung nur zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn er eine Rechtsbeugung begangen habe,76 diese aber eine schwere und offensichtliche Menschenrechtsverletzung voraussetze,77 müsse diese Restriktion auch für einen Anzeigeerstatter gelten.78 Soweit der Tatbestand aber erfüllt ist, gilt das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn die Tat in der DDR gegen einen DDR-Bürger begangen wurde.79
II. Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h 4 Zum geschützten Rechtsgut vgl. unter Rdn. 1. - Zum Teil wird das geschützte Rechtsgut des § 109 h in der Erhaltung der Wehrkraft, z.T. in der Erhaltung der Neutralität der Bundesrepublik Deutschland gesehen.80
74
Dazu HARDWIG GA 1955 S. 140 ff.
75 76 77
Vgl. LG Koblenz NStZ 1983 S. 508. Vgl. BGHSt 10 S. 298; 32 S. 364; 40 S. 125. Vgl. BGHSt 40 S. 30.
78
Vgl. BGHSt 40 S. 125 mit krit. Anm. REIMER NStZ 1995 S. 84 f, SEEBODE JZ 1995 S. 417, WASSERMANN NJW 1995 S. 931 ff; BGH NStZ 1995 S. 289.
79 80
BGHSt 40 S. 125; BGH NStZ 1997 S. 435 mit Anm. SCHROEDER S. 436 f. wie hier HARDWIG GA 1955 S. 140 ff zu §§ 141,144 a.F.
146
Zweites Kapitel
Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen) Erster Abschnitt Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte § 38 Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut 1. Geld- oder Gebrauchswert als Grundlage des Vermögensbegriffs Unter der Bezeichnung „Vermögensdelikte" wird allgemein die Gruppe jener Delikte zusammengefasst, die sich gegen das „Vermögen" eines Rechtssubjekts richten. Je nachdem, ob ein Tatbestand das Vermögen umfassend oder nur in begrenztem Umfang - z.B. Eigentum, Besitz, Aneignungsrechte o.ä. - schützt, wird herkömmlich zwischen den Delikten gegen das gesamte Vermögen und den Delikten gegen einzelne Vermögensobjekte unterschieden. Voraussetzung dieser Differenzierung scheint ein einziger, einheitlicher Vermögensbegriff zu sein. In Wirklichkeit gehen h.L. und Rechtsprechung jedoch von zwei verschiedenen Vermögensbegriffen aus: Durch die Delikte gegen das gesamte Vermögen, z.B. durch Betrug oder Erpressung, sollen nur geldwerte Objekte geschützt sein, während sich z.B. Diebstahl und Raub auch gegen Sachen ohne Geldwert, sog. Sachen mit bloßem Affektikonswert, richten können. Das bedeutet: Bei den Delikten gegen das gesamte Vermögen wird der Vermögensbegriff vom Geldwert, von der Umsatzmöglichkeit her bestimmt, bei anderen Delikten vom Gebrauchswert her. Die Sachgerechtigkeit dieser Differenzierung erscheint jedoch zweifelhaft. Denn unabhängig von der Ausgestaltung des strafrechtlichen Schutzes im einzelnen ist zunächst die grundsätzliche Frage zu stellen, ob durch den Schutz des Vermögens als einer einheitlichen Wertsumme oder einer personal strukturierten sachlichen Einheit die Aufgaben der Strafrechtsordnung am angemessensten realisiert werden können. Sodann erst ist zu überlegen, ob im Einzelfall - aus besonderen Gründen - die grundsätzlich angemessene Regelung zurücktreten muss. - Ausgangspunkt der Überlegung muss die Besinnung auf die Funktion des Strafrechts sein. Die Aufgabe des Strafrechts wurde in seiner Schutzfunktion gesehen, die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen in der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Entfaltung der Persönlichkeit setzt auch die Möglichkeit des Umgangs mit Sachen voraus, denn in diesem Umgang wird sich die Person ihrer Fähigkeit zur Gestaltung ihrer Umwelt bewusst. Insoweit wird durch das Wort Vermögen „unmittelbar das Wesen der Sache selbst ausgedrückt, die durch das Daseyn jener Rechte uns zuwachsende Macht, das was wir durch sie auszurichten imstand sind oder vermögen" (SAVIGNY). Vermögen in diesem Sinne ist „gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung", die auf den wirtschaftlichen Bereich bezogen ist, sofern die Objekte, auf die die Entfaltungsmöglichkeit gerichtet ist, Güter des wirtschaftlichen Bereiches sind. Geldwerte Güter sind nur eine Untergruppe dieser Güter, da der Geldwert nur das Ergebnis einer ein-
147
1
2
3
4
§38
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
zigen wirtschaftlichen Funktion ist, nämlich der, mit dem Gut am Handelsverkehr teilzunehmen. 5 Dass es sich bei dem Geldwert einer Sache nur um eine Teilfunktion handelt, wird z.B. darin sichtbar, dass eine auf den Geldwert einer Sache bezogene Sozialbindung - wie sie Art. 14 GG vorsieht - eine geradezu unsinnige Vorstellung ist, während eine Sozialbindung bestimmter Gebrauchsmöglichkeiten eines Vermögensobjekts zu den selbstverständlichen Bestandteilen einer Rechtsordnung gehört, wie z.B. Wettbewerbsund Kartellrecht zeigen.
6 Ein Strafrecht, das den Schutz der Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums innerhalb eines gesellschaftlichen Bezuges gewährleisten will, würde eine weite Sphäre des wirtschaftlichen Bereiches schutzlos preisgeben, wenn es seinen Schutz allein auf den Geldwert beziehen würde. Den umfassenderen Schutz der Persönlichkeit bietet die Anknüpfung des Schutzes am Gebrauchswert. 7 Vermögen in diesem Sinne ist eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Sie konstituiert sich in von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden, d.h. die Gegenstand eines Rechtsgeschäfts „Tausch gegen Geld" sein können.1 - Das bedeutet: Vermögen ist wirtschaftliche Potenz des Rechtssubjekts, die auf der Herrschaftsgewalt über Objekte beruht, die die Rechtsgesellschaft als selbständige Objekte des Wirtschaftsverkehrs ansieht. Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich (sog. personaler Vermögensbegriff).2 2. Die Verletzung des Rechtsguts „ Vermögen " 8 Ein Vermögensschaden setzt stets eine Verringerung der wirtschaftlichen Potenz des Vermögensträgers voraus. - Diese Verringerung wirtschaftlicher Potenz braucht sich nicht in einer Geldsumme auszudrücken. Es genügt, dass eine wirtschaftliche Disposition zur Verfügung über wirtschaftliche Mittel führt, ohne dass der vom Berechtigten gewollte wirtschaftliche Zweck erreicht wird. Die wirtschaftliche Zweckverfehlung ist das Kriterium des Schadens, nicht ein irgendwie gearteter geldlicher Minderwert, obwohl - das darf nicht übersehen werden - oftmals beide identisch sein werden. 9 Die Zweckverfehlung selbst ist insoweit subjektiv zu bestimmen, als die maßgebliche Zwecksetzung die des Berechtigten ist. Sie ist zugleich objektiv zu begründen, da die Feststellung, ob ein wirtschaftlicher Erfolg eingetreten ist und wie weit wirtschaftliche Zwecke des Berechtigten realisiert worden sind, aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters erfolgt. Ist über die Erzielung eines bestimmten wirtschaftlichen Zwecks eine Einigung mehrerer Personen zustande gekommen, so bestimmt sich der relevante Zweck nach dieser Abrede. Die bloß fehlgeschlagene Disposition als solche ist noch kein Schaden.
1
Hierzu auch NELLES Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 437; NIGGLI Das Verhältnis von Eigentum, Vermögen und Schaden nach schweizerischem Strafgesetz, 1993, S. 59, 120 ff. - Streng auf die Gebrauchsmöglichkeit stellt ab: WINKLER Der Vermögensbegriff beim Betrug und das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, 1995, S. 175 ff, 180.
2
Zur Entwicklung des personalen Vermögensbegriffs im einzelnen: OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 26 - 84.
148
Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte
§ 38
II. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte 1. Die Struktur der Vermögensdelikte Wird von einem einheitlichen Vermögensbegriff als Rechtsgut der Vermögensdelikte aus- 10 gegangen, so lässt sich zwar zwischen Delikten gegen spezielle Vermögenswerte und gegen das Vermögen insgesamt unterscheiden. Mehr als eine Aufzählung ist durch diese Differenzierung aber nicht zu gewinnen. Gleiches gilt für den Versuch einer Systematisierung von der Begehungsweise und vom Tatobjekt her3, auch wenn hier durchaus ein Gewinn an Übersichtlichkeit erzielt wird. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn nach der unterschiedlichen Weise des Angriffs auf 11 das geschützte Rechtsgut unterteilt wird. Unabhängig von der Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände zeigen sich zwei in der Struktur verschiedene Weisen des Angriffs auf das Vermögen: Die Entziehung von Vermögen und die Perpetuierung einer rechtswidrigen Vermögenslage. Diesen Angriffsweisen entsprechen die Vermögensentziehungs- und die Perpetuierungsdelikte. 2. Die beiden Gruppen der Vermögensdelikte a) Die Vermögensentziehungsdelikte sind ausnahmslos gekennzeichnet durch den realen, 12 nachweisbaren Entzug eines Vermögensobjekts, sei es, dass das Objekt vom Berechtigten auf eine andere Person übergeht (Vermögensverschiebung) oder lediglich zerstört oder beschädigt wird (bloße Vermögensentziehung). Der reale Vermögensschaden auf der Seite des Opfers des Delikts kennzeichnet diese Delikte, zu denen z.B. §§ 242,253,263,303 gehören. b) Kein realer, über die schon erfolgte Vermögensentziehung hinausgehender Vermö- 13 gensschaden tritt hingegen durch ein sog. Perpetuierungsdelikt ein. Die Beeinträchtigung fremden Vermögens geschieht gerade nicht durch Entziehung einer Vermögensposition. Hier geht es dem Gesetzgeber vielmehr darum, Verhaltensweisen zu verpönen, die das Vermögen des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer tatbestandsmäßig und rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage beeinträchtigen. Die bewusste Verhinderung der Wiederherstellung der rechtmäßigen Vermögenslage oder die Weiterverschiebung deliktisch erlangter Vermögensobjekte kennzeichnet das hier strafwürdige Verhalten, das der Gesetzgeber z.B. in §§ 257, 259 erfasst hat.
III. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte Etwa 30 % der jährlichen Verurteilungen - ohne Berücksichtigung der Verkehrsdelikte 14 sogar fast 60 % - erfolgen wegen eines Vermögensdelikts. - Die Verurteiltenstatistik gibt jedoch nur einen unvollständigen Einblick in die Verbrechenswirklichkeit. Unabhängig von der Tatsache, dass eine Dunkelziffer von 1 : 5 im Bereich des Vermögensstrafrechts sicher nicht zu hoch angesetzt ist, führt auch nur ein geringer Teil der als Straftaten erkannten Taten zu einer Verurteilung des Täters wegen dieser Tat. Die Zahl der erfassten Straftaten (E) und der Tatverdächtigen (T) sind der jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegebenen „Polizeilichen Kriminalstatistik" zu entnehmen, die Zahl der Verurteilten (V) ergibt sich aus der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Übersicht.4 Ab 1992 sind auch die neuen Bundesländer berücksichtigt. 3
Dazu SCHROEDER Jura 1987 S. 113 ff, 116.
4
Fachserie 10: Rechtspflege, Reihe 3: Strafverfolgung.
149
§ 38
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
1. Verbrechen u. Vergehen ohne Verkehrsdelikte
E. T. V.
1978 3.380.516 1.271.025 407.000
1987 4.444.108 1.290.441 437.611
1992 6.291.519 1.833.069 451.014
1998 6.456.996 2.319.895 554.127
2. Diebstahl ohne erschw. Umstände, §§ 242,247, 248 a - c
E. T. V.
1.067.423 392.877 122.768
1.060.957 409.981 123.106
1.557.393 646.745 134.717
1.525.869 697.486 135.449
3. Diebstahl u. unbefugte Ingebrauchnahme von Kfz unter erschw. Umständen, § | 243 - 244a
E. T. V.
1.147.992 176.856 39.588
1.729.892 118.945 35.527
2.381.036 158.557 28.154
1.798.120 156.473 28.851
4. Unterschlagung, §§ 246, 247,248a
E. T. V.
33.474 26.237 6.235
49.846 36.503 6.995
61.525 43.177 6.683
78.324 53.027 7.809
5. Raub, räuberische Erpressung u. räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, §§ 249 - 252,255, 316a
E. T. V.
21.648 16.699 5.113
28.122 17.233 5.491
56.515 29.076 6.313
64.405 42.004 7.809
6. Betrug, §§ 263,263a, 264,264a, 265,265a, 265b
E. T. V.
228.989 156.121 40.133
358.493 216.770 66.468
451.248 258.234 65.176
705.529 373.766 98.088
7. Erpressung, § 2531, IV
E. T. V.
3.220 2.167 422
2545 2.118 401
3.956 3.352 365
7.206 6.996 691
8. Untreue
E. T. V.
3.239 2.409 1.461
4.311 3.953 1.677
5.066 4.308 1.454
11.892 6.938 1.939
9. Sachbeschädigung, §§ 303-305a
E. T. V.
280.954 81.947 8.068
386.309 92.403 9.052
585.050 121.128 8.519
646.907 165.313 10.280
10. Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei
E. T. V.
20.775 19.139 6.084
30.445 27.523 6.729
29.224 26.132 5.487
30.166 28.796 5.665
16 Vergegenwärtigt man sich, dass der einfache Diebstahl und der schwere Diebstahl zusammen 2/3 der bekanntgewordenen Verbrechen und Vergehen ausmachen, so dürfte bewusst werden, wie sehr diese Verhaltensweisen die soziale Realität tangieren.
150
Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte
§ 39
Zweiter Abschnitt
Die Vermögensentziehungsdelikte § 39 Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Diebstahlstatbestände und der Unterschlagung ist die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. - Diese Position hat inne, wer seine Sachherrschaftsposition nicht aus dem Rechte eines anderen herleitet, sondern selbständige, umfassende Herrschaft ausübt. Das Sachherrschaftsverhältnis kennzeichnet damit jenen Sachverhalt, der zivilrechtlich positiviert in § 903 BGB als Eigentumsrecht erfasst wird.i Die tatsächlichen Herrschaftsmöglichkeiten, die das Eigentumsrecht gewährleistet, sind aber nicht identisch mit dem EigentumsrecA/. Rechtsgut ist daher nicht das Eigentum i.S. des Eigentumsrechts, denn das Eigentumsrecht selbst wird z.B. durch einen Diebstahl nicht verletzt. Es bleibt auch nach dem Diebstahl bestehen, §§ 985,935 BGB. Die Ausübung der Sachherrschaft ist aber nach dem Diebstahl dem Eigentümer unmöglich geworden. An seine Stelle ist der Dieb getreten. Auch der Gewahrsam ist mit der tatsächlichen, umfassenden Sachherrschaft nicht identisch. Gewahrsam hat auch, wer sein Besitzrecht vom Eigentümer ableitet. Diesen Gewahrsam kann der Eigentümer rechtswidrig brechen, ohne damit zum Dieb zu werden, denn Gegenstand des Diebstahls sind nur fremde Sachen. - Der Gewahrsam ist kein selbständiges Schutzobjekt des Diebstahls.2 Konsequenzen hat die unterschiedliche Bestimmung des geschützten Rechtsguts für die Frage nach dem Verletzten und damit Antragsberechtigten im Rahmen der §§ 247, 248 a. Fall: B hat gutgläubig eine dem X vor langer Zeit gestohlene Uhr erworben. A stiehlt dem B die Uhr. Soweit Eigentum und Gewahrsam als geschützt angesehen werden: Geschädigt durch die Tat: B und X. Soweit im Eigentumsrecht das geschützte Rechtsgut gesehen wird: Geschädigt allein X.
1
2
3
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5 6
Nach der hier entwickelten Auffassung: Geschädigt allein der B, da die Sachherrschaftsposition des X durch die Tat des A nicht verschlechtert wurde. - Zu weiteren Konsequenzen: unter § 43 Rdn. 7 ff.
II. Systematischer Überblick 1. Unter Hinweis auf sonst zwischen Diebstahl und Unterschlagung eröffnete Straf- 7 barkeitslücken wurde schon zuvor in der Literatur die Unterschlagung z.T. als der umfassende, das Eigentum schützende Tatbestand angesehen.3 1
Die h. M. sieht demgemäß das Eigentum als Rechtsgut des Diebstahls an; vgl. ARZT/WEBER B. T., § 13 R d n . 30; KINDHÄUSER B. T. n / 1 , § 2 Rdn. 6; MITSCH B . T . N/1, § 1 R d n . 6; SCHMIDTHÄUSER B. T., 8/15; TRöNDLE/FLSCHER § 2 4 2 R d n . 1; WESSELS/HILLENKAMP B. T./2, R d n . 57.
2
Dazu HEUBEL JUS 1984 S. 4 4 5 ; KINDHÄUSER N K , Vor § 2 4 2 Rdn. 5; OTTO Struktur, S. 274; SCH/SCH/-
ESER § 242 Rdn. 1,2.- Eigentum und Gewahrsam sehen als Rechtsgüter des Diebstahls an: BGHSt 10 S. 401; 2 9 S. 323; HOYER S K II, § 2 4 2 R d n . 1; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 1; LAMPE G A 1966 S. 2 2 8 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 33 Rdn. 1; RENGIER B . T. I, § 2 Rdn. 1. 3
Dazu BINDING B.T. I, S. 275; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/40; WELZEL Lb., § 4 7 , 1 b.
151
§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
8
Nachdem das 6. StrRG die in § 246 a.F. enthaltene Begrenzung der Tatsituation „... fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet ..." beseitigt hat, enthält § 246 den Grundtatbestand der Zueignungsdelikte. Der Gesetzgeber hat diese Konsequenz umgehen wollen, indem er durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel § 246 als ,Auffangtatbestand behandelt"4. Diese Interpretation des § 246 ändert aber nichts daran, dass § 246 sachlich nunmehr der Grundtatbestand der Zueignungsdelikte ist, während Diebstahl und Raub spezielle Zueignungsdelikte erfassen. 9 2. Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte ist § 242. - Qualifizierte Tatbestände enthalten §§ 244, 244 a. - Einen unbenannten Straferhöhungsgrund mit Regelbeispielen beschreibt § 243 Abs. 1 (Einschränkung § 243 Abs. 2). - Für den Haus- und Familiendiebstahl stellt § 247 das Antragserfordernis auf, das gleichfalls für § 248 a, den Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen gilt, soweit kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung begründet ist. 10 3. Um ein dem Diebstahl ähnliches Zueignungsdelikt handelt es sich bei der Entziehung elektrischer Energie, § 248 c Abs. 1. Geht man davon aus, dass auch Strom eine Sache i.S. des § 242 ist (h.M.), so ist § 248 c Abs. 1 als lex specialis gegenüber § 242 anzusehen. 11 4. Fälle strafbarer Gebrauchsanmaßung, und deshalb keine Fälle eines Diebstahls, sind der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, und der unbefugte Gebrauch von Pfandsachen, § 290.
§ 40 Diebstahl 1 Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen durch Wegnahme und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.
I. Der objektive Tatbestand 2 Der objektive Tatbestand setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache voraus. 1. Sache 3 Sachen i.S. des Strafrechts sind nur körperliche Gegenstände. Der Aggregatzustand (z.B. flüssig, gasförmig) ist gleichgültig. Rechte und Computerprogramme sind keine Sachen, wohl aber sind Papiere, die Rechte verbriefen (z.B. Wechsel, Sparbuch u.ä.) und Datenträger, auf denen Programme gespeichert sind, Sachen. 4 Tiere sind als Sachen im Sinne des Strafgesetzbuches anzusehen. - Die Regelung des § 90 a S. 1 BGB gilt ausdrücklich nur für das BGB. 5
5 Der Mensch als Person ist keine Sache. Auch organische Teile des Menschen - anders hingegen Fremdbestandteile, z.B. Zahnprothese - sind keine Sachen, solange sie mit dem lebenden Körper verbunden sind. Mit der Trennung - sei diese auch nur vorübergehend ge-
4
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 43 f.
5
V g l . a u c h GRAUL JUS 2 0 0 0 S. 2 1 9 ; KÜPER JZ 1 9 9 3 S. 4 4 1 ; WOLFF L K , § 3 0 3 Rdn. 3.
152
Diebstahl
§40
plant - erlangen sie jedoch Sacheigenschaft.6 - Da mit dem Tod die Personenqualität des Menschen endet, sind die Leiche und ihre Bestandteile Sachen.7 Streitig ist die Sachqualität der sog. Implantate. Hier jedoch ist zu differenzieren. So- 6 weit das Implantat - z.B. künstliches Hüftgelenk, Zahnplombe, Herzschrittmacher - mit dem Körper fest verbunden wird, verliert es seine Sacheigenschaft. Es wird Bestandteil des Körpers. Mit einer eventuellen Trennung wird es - wie auch natürliche Körperbestandteile, z.B. durch Unfall oder Organspende - eine Sache und wie diese geschützt.8 Zum Teil wird die Sachqualität grundsätzlich bejaht. 9 Andere differenzieren nach dem Grad der Verbindung 7 mit dem Körper 1 0 oder unterscheiden zwischen Ersatzimplantaten, die in Form und Funktion an die Stelle defekter Körperteile treten, z.B. Zahnplomben, Stiftzähne, und Zusatzimplantaten, die insuffiziente Organe nicht ersetzen, wohl aber unterstützen, z.B. Herzschrittmacher, die ihre Sacheigenschaft behalten sollen. 11
2. Beweglich Beweglich sind alle Sachen, die tatsächlich fortgeschafft werden können, daher auch 8 Grundstückszubehör und Teile unbeweglicher Sachen, soweit sie bewegbar sind oder beweglich gemacht werden. 3. Fremd Nach fast einhelliger Ansicht ist eine Sache fremd, wenn sie im zivilrechtlichen Eigentum 9 - Miteigentum genügt - eines anderen steht.12 Zwar gesteht die h.M. zu, dass diese Bindung des Begriffs „fremd" an den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff hin und wieder der angemessenen Lösung problematischer Fälle entgegensteht. Der Klarheit der Begriffsbestimmung wird jedoch der Vorrang vor der sachlichen Angemessenheit einzelner Fallösungen eingeräumt.^ Möglich und sachlich überzeugender ist es jedoch, den Begriff „fremd" von seiner wirt- 10 schaftlichen Funktion her zu bestimmen. Dies ist keineswegs mit den Schwierigkeiten verbunden, die die h.M. offenbar arg- 11 wöhnt, sondern erfordert allein eine genauere Analyse der rechtlichen Verhältnisse in bezug auf das Objekt des Diebstahls vom Täter her gesehen: Wirtschaftlich betrachtet ist eine Sache für den Täter fremd, wenn sie einer anderen Person gehört, wenn jemand anderes ein stärkeres Vermögensrecht, eine umfassendere Vermögensposition an der Sache 6
Str., eingehend dazu OTTO Jura 1996 S. 219 f; SASSE Zivil- und strafrechtliche Aspekte der Veräußerung von Organen Verstorbener und Lebender 1996, S. 55 ff; Voß Vernichtung tiefgefrorenen Spermas als Körperverletzung?, 1997, S. 80 ff.
7
Vgl. v . BUBNOFF G A 1968 S. 7 5 ; EICHHOLZ N J W 1968 S. 2 2 7 2 f f ; GÖRGENS J R 1980 S. 140 f; KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 10; MITSCH B . T . I I / l , § 1 R d n . 13. - A . A . Persönlichkeitsrückstand: R G Z 100 S. 171; GÖSSEL B.T. 2, § 4 R d n . 9; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 3 2 R d n . 19.
8
Vgl. BGH bei Daliinger MDR 1958 S. 739; LG Mainz MedR 1984 S. 199 f; RUß LK, § 242 Rdn. 4; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 8; WESSELS/HILLENKAMP B . T./2, R d n . 65.
9
Vgl. z.B. BRINGEWAT J A 1984 S. 63; SONNEN J A 1984 S. 571.
10
Vgl. GÖRGENS J R 1980 S. 141.
11
V g l . GROPP J R 1985 S. 183 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 11; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 2 R d n . 18; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 10.
12
Z u r h . M . vgl. KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 14 f f .
13
Kritisch gegenüber der h.M.: LAMPE in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 63; LLVER Schultz-FG, S. 121; OTTO Struktur, S. 143 f f ; RANFT J A 1984 S. 4 f.
153
§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
hat als der Täter. - Gemeinhin wird diese stärkere Vermögensposition natürlich durch das Eigentumsrecht gewährt. Gleichwohl eröffnet die grundsätzliche Lösung vom zivilrechtlichen Eigentumsbegriff eine flexiblere Argumentation. 12 In der Konsequenz dieses Grundsatzes sind als fremde Sachen anzusehen: die unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Sache für den Vorbehaltskäufer (OLG Düsseldorf NJW 1984 S. 810); die sicherungsübereignete Sache für den Sicherungsgeber14; die übergebene, aber noch nicht übereignete Sache für den Käufer; das Sammelgut, das anlässlich des Sammelaufrufs einer bestimmten Organisation zum Abholen auf die Straße gestellt wird (BayObLG JZ 1986 S. 967 f); ei" staatlicher Grenzstein, selbst wenn er schon vor 200 Jahren eingesetzt worden ist (OLG Frankfurt NJW 1984 S. 2303 f); das nicht beim Telefonieren verbrauchte, im Automaten befindliche Geld in einer Telefonzelle (OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 2153); das vom Kunden einer Selbstbedienungstankstelle gezapfte Benzin13; die einer GmbH gehörenden Sachen für den Alleingesellschafter (BGH NJW 1992 S. 250 f; dazu OTTO JZ 1993 S. 560). 13 In diesen Fällen gewährt das Eigentumsrecht die umfassende Sachherrschaftsposition, die Dritte zu achten haben. Dem Eigentümer gehören die Sachen. Dritten gegenüber sind es fremde Sachen. - Darüber hinaus aber sind z.B. auch fremde Sachen derelinquierte Sachen im Besitz des Finders, der sie selbst nicht als derelinquiert erkannt hat, und das gewilderte Tier im Besitz des Wilderers gegenüber Dritten.
14 Str. ist, ob eine Leiche eine fremde Sache sein kann. - Da an einer Leiche weder derivativ noch originär Eigentum erworben werden kann'«, müsste die h.M. zum Ergebnis kommen, dass die Leiche keine fremde Sache sein kann, da an ihr kein zivilrechtliches Eigentum besteht. - Der strafrechtliche Schutz des Leichnams würde damit auf § 168 beschränkt.17 Von dem hier vertretenen Standpunkt aus bereitet der Schutz des Leichnams in Anatomien u.ä. keine Schwierigkeiten. Anerkannt ist nämlich, dass die Angehörigen das Recht haben, unberechtigte Eingriffe Dritter in die Leiche abzuwehren und bestimmte Verfügungen (Bestattung usw.) vorzunehmen.1« Auch wenn diese Rechte kein Aneignungsrecht im vermögensrechtlichen Sinne gewähren19, so berechtigen sie doch zu bestimmten Verfügungen. Dieses vorrangige Verfügungsrecht macht den Leichnam Dritten gegenüber zu einer fremden Sache. - Gleiches gilt für Teile der menschlichen Leiche. 4. Wegnahme 15 Wegnahme ist Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams. - Gewahrsam ist das von einem Herrschaftswillen getragene, tatsächliche Herrschaftsverhältnis einer Person über eine Sache unter Berücksichtigung der sozialen Zuordnung. 15 Gewahrsam als tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis beruht grundsätzlich auf der Möglichkeit der tatsächlichen Einwirkung auf die Sache ohne Überwindung nennenswerten Widerstandes (physisch-reales Element). Dieses „faktische" Haben wird jedoch modifiziert durch die soziale Zuordnung (normativ-soziales Element).
15
RGSt 6 1 S. 6 5 ; BGH NJW 1 9 8 7 S. 2 2 4 2 mit Anm. G E P P E R T JK 8 7 , StGB § OLG Hamm NStZ 1983 S. 266. - A.A. OLG Düsseldorf JR 1982 S. 343.
16
Die h.M. erkennt allerdings ein Aneignungsrecht Dritter unter bestimmten Umständen an; vgl. dazu
17
Dazu
18 19
Vgl. auch KG NJW 1990 S. 782; zur Organentnahme: § 4 TPG. Für ein beschränktes Aneignungsrecht, das aber zivilrechtlich nicht überzeugend begründet wird: E I C H H O L Z NJW 1 9 6 8 S . 2 2 7 4 ; P E U S T E R Eigentumsverhältnisse an Leichen und ihre transplantationsrechtliche Relevanz, 1971.
14
246/5.
KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 2 8 M . N .
154
KINDHÄUSER N K ,
§ 242 Rdn. 27; R A N F T JA 1984 S. 3.
Diebstahl
§40
Zum Teil wird in der Lehre stärker das tatsächliche Herrschaftselement (Herrschaftswille) betont. 20 - Zum 17 Teil wird der Gesichtspunkt der sozialen Zuordnung in den Vordergrund gestellt.21 D i e beiden Elemente beschränken und ergänzen einander.
18
a) Dadurch wird das Sachherrschaftsverhältnis zum einen über das bloße , Jn-den-HändenHaben" ausgedehnt.
19
BGHSt 16 S. 273 f: „Gewahrsam ist zwar tatsächliche Sachherrschaft. Ob sie vorliegt, hängt aber nicht in erster Linie, jedenfalls nicht allein von der körperlichen Nähe zur Sache und nicht von der physischen Kraft ab, mit der die Beziehung zur Sache aufrechterhalten wird oder aufrechterhalten werden kann. Vielmehr kommt es für die Frage der Sachherrschaft entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an. Der Gewahrsamsbegriff ist wesentlich durch die Verkehrsauffassung bestimmt... Sie allein rechtfertigt die Annahme, dass ein Bauer Gewahrsam an seinem auf dem Feld zurückgelassenen Pflug behält, mag auch sein Hof weit entfernt liegen und der Pflug dem Zugriff eines körperlich kräftigeren und näher wohnenden Nachbarn unmittelbar offen stehen. Das gleiche gilt für Haustiere, die sich vorübergehend von dem Anwesen ihres Herren entfernt haben. Der Wohnungsinhaber auf Reisen bleibt Gewahrsamsinhaber nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch im Verhältnis zu der die Wohnung bewachenden Hausangestellten. Zweifellos weist die Verkehrsauffassung auch dem, der einen Gegenstand in der Tasche seiner Kleidung mit sich trägt, regelmäßig Gewahrsam zu, weil eine intensivere Herrschaftsbeziehung zur Sache kaum denkbar ist, vor allem der Ausschluss anderer besonders deutlich zum Ausdruck kommt." Außerhalb der eigenen Gewahrsamsphäre verlorene oder vergessene Sachen sind g e - 2 0 wahrsamslos, soweit nicht der Inhaber der Gewahrsamssphäre, in der die Sache ist, G e wahrsam erlangt hat aufgrund seines generellen Herrschaftswillens. Einen derartigen subsidiären Gewahrsam wird man in öffentlich zugänglichen Gebäuden oder Räumen - Bahnhof, Post, Kino, Gaststätte usw. - annehmen müssen. - Der Gewahrsamswille muss nicht jederzeit realisierbar sein. Schlafende und B e w u s s t l o s e behalten aufgrund der sozialen Zuordnung Gewahrsam an 2 1 ihren Sachen, 2 2 auch wenn der B e w u s s t l o s e stirbt, ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen.23 b) Z u m anderen bedeutet die normativ-soziale Modifizierung des tatsächlichen Herr- 2 2 schaftsverhältnisses eine Begrenzung des Sachherrschaftsverhältnisses. Trotz unmittelbarer Zugriffsmöglichkeit haben danach keinen Gewahrsam: der diebische Nachbar am Obst 2 3 im Garten seines veiTeisten Nachbarn; die Hausangestellte an den Einrichtungsgegenständen im Haus; der Kunde, der einen Anzug im Ladengeschäft anprobiert, an diesem Anzug (BGH LM Nr. 11 zu § 242); der Gast an dem in der Gaststätte benutzten Geschirr (BayObLGSt Bd. 9 (1910) S. 376). Gewahrsam besteht hingegen an Briefen im Briefkasten, auch wenn der Gewahrsamsinhaber gar nicht be- 2 4 merkt hat, dass der Briefträger schon da war. - Gewahrsam an den in der Wohnung verlegten Sachen. - Gewahrsam auch an den Sachen, die ein Dritter in der Gewahrsamssphäre versteckt hat, die aber bei gründlicher Durchsuchung gefunden würden. - Kein Gewahrsam, wenn nach allgemeiner Voraussicht das Versteck (z.B. Hausangestellte versteckt den Ring ihrer Arbeitgeberin unter losem Dielenbrett und befestigt dieses danach) auch bei gründlichem Suchen nicht gefunden würde (str.). c) D a nur natürliche Personen einen tatsächlichen Willen bilden können, können nur na- 2 5 türliche Personen Gewahrsam aktuell innehaben. Für juristische Personen können aber natürliche Personen den Gewahrsam ausüben. 20
Vgl. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 33 Rdn. 14 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 25; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 11.
21
Vgl. z.B.: BITTNER JuS 1974 S. 156 f f ; GEILEN J R 1963 S. 4 4 6 f f ; GÖSSEL Z S t W 85 (1973) S. 619; KARGL JUS 1996 S. 976; LING Z S t W 110 (1998) S. 939 f f ; WELZEL G A 1960 S. 257 f f .
22
BGHSt 4 S. 211.
23
BGH JR 1986 S. 294. - A.A. BayObLG JR 1961 S. 188. 155
§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
26 d) Gewahrsam können mehrere Personen gemeinsam haben. - Unproblematisch ist in diesem Zusammenhang der Mitgewahrsam von Personen, die eine gleiche Herrschaftsbeziehung zu der Sache haben. Daneben erkennt die h.M. einen über- und untergeordneten Gewahrsam an, mit der Konsequenz, dass der Träger des übergeordneten Gewahrsams beim Ansichnehmen der betroffenen Sache keinen Gewahrsamsbruch begeht, während der Träger des untergeordneten Gewahrsams einen Gewahrsamsbruch begehen kann. Diese Konstruktion ist unnötig umständlich, denn wie die Beispiele der h.M. zeigen, haben die Träger des untergeordneten Gewahrsams überhaupt keine eigene selbständige Herrschaftsposition, wohl aber Schutz- und Abwehrfunktionen in bezug auf die Sache. Diese Personen unterstützen den Vermögensinhaber bei der Ausübung seiner Herrschaftsmacht. Sie sind zu Verfügungen nur im Rahmen der unterstützenden Tätigkeit befugt. Ihre Hauptaufgabe ist der Schutz des Gewahrsams. Sie können daher am sinnvollsten als Gewahrsamshüter bezeichnet werden. Der Bruch ihrer Herrschaftsmacht ist Bruch des Gewahrsams des Gewahrsamsherren24. 27 Beispiele: Angestellte und Verkäufer in einem Ladengeschäft, je nach Organisation: Träger von Mitgewahrsam oder Gewahrsamshüter bezüglich der Waren. - Hausangestellte bezüglich der Gegenstände des Arbeitgebers: Gewahrsamshüter. - Sekretärin, deren Aufgabe es ist, im Falle der Abwesenheit des Geschäftsführers Rechnungen mit den ihr zur Verfügung gestellten Blanko-Schecks zu bezahlen: Gewahrsamshüter (BGH NStZ-RR 1996 S. 131 mit Anm. Orro JK 96, StGB § 246/10). - Fernfahrer bezüglich der Ladung des LKW: Inhaber des Alleingewahrsams (vgl. BGH StV 2000 S. 13). - Angestellter, der eigenverantwortlich eine Kasse verwaltet: Alleingewahrsam (BGH NStZ-RR 2001 S. 268). - Bei der Verwahrung von Gegenständen, an die der Gewahrsamsgeber allein nicht ohne weiteres herankommt: Alleingewahrsam des Verwahrers (str.). - Ist ein Behältnis verwahrt, an das der Verwahrungsgeber nur mit Hilfe des Verwahrers herankommt, weil z.B. zwei Schlüssel notwendig sind: Mitgewahrsam (str.). - Ist das Behältnis dem Verwahrungsgeber ohne weiteres zugänglich - sei es auch nur innerhalb bestimmter Öffnungszeiten -: Alleingewahrsam des Verwahrungsgebers.
28 e) Gebrochen ist der Gewahrsam, wenn der Berechtigte die tatsächliche Herrschaft gegen seinen Willen verloren hat. - Eine bewusste und gewollte Übertragung des Gewahrsams schließt den Bruch aus, selbst wenn sie irrtümlich - Problematik der Abgrenzung zum Betrug - erfolgt. Der Diebstahl als formelles Willensbruchsdelikt setzt die Verletzung des realen Willens des Betroffenen voraus, ein Handeln gegen einen etwaigen hypothetischen Willen des Betroffenen (wenn dieser den „wahren Sachverhalt gekannt hätte") genügt nicht. Gleiches gilt, wenn die Übertragung des Gewahrsams auf einer Nötigung beruht, die dem Berechtigten aber noch eine echte Wahlmöglichkeit offen lässt - Problematik der Abgrenzung zur Erpressung. 29 f) Vollendet ist die Wegnahme und damit der Diebstahl mit der Begründung des neuen Gewahrsams durch den Täter oder einen Dritten. 30 Auch hier kommt der sozialen Zuordnung besondere Bedeutung zu: Gewahrsamsbruch liegt vor, wenn jemand in einem Selbstbedienungsladen oder einer sonstigen Gewahrsamssphäre eines anderen handliche Gegenstände in der Kleidung versteckt oder in eine Tasche steckt, die er bei sich trägt25 oder wenn er Objekte unter seiner Kleidung26 oder im Einkaufswagen beim Passieren der Kasse verbirgt27. - Kein Gewahr24 25 26 27
156
Eingehender dazu OTTO ZStW 79 (1967) S. 80 ff. Vgl. BGHSt 16 S. 271; 17 S. 208 f; 23 S. 254; BayObLG NJW 1983 S. 406; BayObLG NJW 1995 S. 3000. - A.A. (Versuch): KAHLO in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a.M. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrecht, S. 137 f. OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 100.-A.A. LG Köln StV 1997 S. 27 mit Anm. GEFPERTJK 97, StGB § 242/18. BGHSt 41 S. 198 mit Anm. HILLENKAMP JuS 1997 S. 217 ff, OTTO JK 96, StGB § 242/17, SCHEFFLER JR 1996 S. 342 ff, ZOPFS NStZ 1996 S. 190 f; dazu auch Rdn. 36. - Eingehend zur Problematik der Wegnahme in Selbstbedienungsläden: OTTO Jura 1997 S. 465 ff.
Diebstahl
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samsbruch, wenn Sachen im Kaufhaus noch vor der Kasse im Ginkaufskorb verborgen werden (OLG Köln NJW 1984 S. 810), oder beim Abtransport eines sperrigen und schweren Gegenstandes, z.B. eines 300 kg schweren Tresors, solange das Objekt sich noch in der Herrschaftssphäre (Grundstück, Geschäft) des Berechtigten befindet (BGH NStZ 1981 S. 435 f; BGH StV 1984 S. 376), auch wenn das Objekt z.B. im Selbstbedienungsladen, schon an der Kasse vorbeigeschleust wurde (OLG Düsseldorf StV 1986 S. 20). g) Hinweis: Gewahrsam und unmittelbarer Besitz sind weitgehend identisch, jedoch sind die Fiktionen der 31 §§ 855, 857 BGB nicht auf den Gewahrsam übertragbar. h) Zur Einübung aa) BGHSt 4 S. 199: Auf einem Wochenmarkt baute die Polizei eine Diebesfalle auf: Eine Kriminalbeamtin 32 legte eine Geldbörse auf ihren Einkaufskorb. Zwei Kriminalbeamte bewachten die Börse. Beim Zugreifen sollten sie den Dieb fassen. 1. Alternative: A ergreift die Geldbörse und im nächsten Augenblick greifen die Beamten zu und nehmen ihm die Börse aus der Hand. BGH: Nur versuchte Wegnahme: A hat noch keinen eigenen Gewahrsam begründet. - Dem ist zuzustimmen, denn mit dem bloßen Ergreifen der Geldbörse begründet A unter den gegebenen Umständen noch keine umfassende Sachherrschaft über die Börse. 2. Alternative: A ergreift die Börse, steckt sie ein und entwischt im Gewühl. BGH: Keine vollendete Wegnahme, weil die Berechtigten in die Wegnahme eingewilligt haben und damit ein Gewahrsamsbruch unmöglich geworden war. Da A aber von der Einwilligung keine Kenntnis hatte, liegt ein versuchter Diebstahl vor. Diese Überlegungen treffen im vorliegenden Fall nicht zu: Wie der BGH in der 1. Alternative ausführt, sollte nach dem Plan der Berechtigten der Täter bereits bei der Gewahrsamslockerung, d.h. beim Versuch des Gewahrsamsbruchs, gefasst und damit der Gewahrsamsbruch verhindert werden. Von einer Einwilligung in den Gewahrsamsbruch kann daher im vorliegenden Fall keine Rede sein. - Anders wäre die Sachlage gewesen, wenn die Diebesfalle so angelegt gewesen wäre, dass der Täter die Sache in seinen Gewahrsam bringen sollte, damit diese später bei ihm gefunden würde und er überführt werden könnte. In diesem Fall hätte der Berechtigte dem Gewahrsamsübergang bewusst keinen Widerstand entgegengesetzt. Das bedeutet nicht, dass er mit dem Gewahrsamsübergang einverstanden wäre, denn dann läge zugleich eine Einwilligung in die Zueignung vor, da in der vermeintlichen Wegnahme des Täters zugleich die Manifestation der Zueignung hegt.28 Er will lediglich seinen Herrschaftswillen im Zeitpunkt der Wegnahme nicht ausüben. Damit wird sein realer Herrschaftswille durch die Wegnahme nicht gebrochen. Es hegt nur ein versuchter Diebstahl vor.29 bb) OLG Hamburg MDR 1970 S. 1027 einerseits - BGH bei Daliinger, MDR 1972 S. 925 andererseits: A 33 öffnet gewaltsam ein fremdes Kfz, schließt die Zündung kurz, fährt los, rammt aber nach 10 m wegen schlechter Sicht ein parkendes Fahrzeug. Er flieht nun zu Fuß. Das OLG hat hier eine vollendete Wegnahme bejaht, der BGH verneint, weil A noch keinen Gewahrsam begründet habe. Bei der Wegnahme sperriger Gegenstände wird man in der Tat einen Gewahrsam des Täters verneinen müssen, solange es dem Berechtigten nach den gegebenen Umständen ohne Mühe möglich ist, dem Täter die Sache wieder wegzunehmen. - Anders verhält es sich jedoch mit einem Kfz. Ist dies erst einmal in Gang gesetzt, so sind die Möglichkeiten des Eigentümers, seine Herrschaft noch auszuüben, im Regelfall vernichtet. Dass er durch Zufall seine Herrschaftsmöglichkeit wiedererlangen kann, ändert daran nichts. Nur wenn von vornherein feststeht, dass das Fahrzeug nur wenige Meter fortbewegt werden kann, weil z.B. dann eine
28
29
Vgl. dazu auch HILLENKAMP JR 1987 S. 255 ff; KREY B.T. 2, Rdn. 35 in Verb, mit Fn. 76 c; RENGIER
B.T. I, § 2 Rdn. 33. Vgl. auch BayObLG JR 1979 S. 296 f mit Anm. PAEFFGEN S. 297 ff; OLG Celle JR 1987 S. 253 f mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 242/11, HILLENKAMP JR 1987 S. 254 ff; OLG Düsseldorf MDR 1991 S. 786 mit Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 242/15; DUTTGE/FAHNENSCHMIT Jura 1997 S. 287; GÖSSEL B . T . 2, § 7 R d n . 51; HÄUF B.T. I, S. 20; HEFENDEHL N S t Z 1 9 9 2 S. 5 4 4 ; JANSSEN N S t Z 1 9 9 2 S. 2 3 7 f;
KINDHÄUSER B.T. n/1, § 2 Rdn. 50 ff. - Im einzelnen dazu OTTO Jura 1989 S. 140 f.
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§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Diebstahlssicherung die Räder blockiert oder weil noch ein Hindernis (Hoftor) überwunden werden muss, kann man einen Gewahrsam des Täters mit dem Losfahren ablehnen. 3 4 cc) A erscheint bei X, gibt sich als Kriminalbeamter aus und beschlagnahmt eine Schreibmaschine. Er nimmt sie mit, weil auf der Maschine angeblich ein Typenvergleich durchgeführt werden soll. X duldet dies, denn er hofft, der Irrtum werde sich bald aufklären. Ergebnis: Gewahrsamsbruch des A. Eine Gewahrsamsübertragung durch X lag nicht vor, er duldete lediglich die Mitnahme, da er eine Weigerung für sinnlos hielt. 3 5 dd) BGH GA 1987 S. 307: A behauptete, dass er Video-Recorder und andere Waren unter Marktpreis beschaffen könne. Interessenten veranlasste er, den Kaufpreis in einen von ihm mitgebrachten Briefumschlag zu tun, den er dann in seinen Arbeitskittel steckte, angeblich um. das Geld vorher dem Lagermeister vorzuzeigen. Die Bezahlung sollte bei Warenübergabe erfolgen. - Indem A die Kaufinteressenten sodann ablenkte, tauschte er deü Briefumschlag aus und gab den Interessenten einen mit Papierschnitzeln gefüllten Umschlag zurück, woraufhin er sich unter einem Vorwand mit dem Geld entfernte. BGH: „Im vorliegenden Fall haben die Kaufinteressenten zwar aufgrund freier Willensentscheidung das Geld in den Briefumschlag gesteckt und diesen sodann dem A übergeben. Dadurch verloren sie aber noch nicht den Gewahrsam an dem Geld. Sie hatten es dem A nur für kurze Zeit zum Vorzeigen in ihrer Anwesenheit überlassen. Unter diesen Umständen besaßen sie nach den Anschauungen des täglichen Lebens noch eine von einem entsprechenden Willen getragene Sachherrschaft. Ob auch der A schon durch die Entgegennahme des Briefumschlages ein Gewahrsamsverhältnis begründete, bedarf nicht der Entscheidung".31 3 6 ee) OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 922 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 263/28: In einem Verkaufsmarkt wollte A einen Winkelschleifer kaufen. Er wählte ein Gerät aus. Nachdem er durch Öffnen der Verpackung festgestellt hatte, dass Trennscheiben in der Packung nicht als Zubehör vorhanden waren, und auch ein Verkäufer bestätigt hatte, dass Trennscheiben nicht im Preise des Winkelschleifers enthalten seien, nahm A vier Trennscheiben, legte sie in den Karton und verschloss diesen wieder. An der Kasse legte A den verschlossenen Karton auf das Kassenband. Die Kassiererin berechnete den Kaufpreis für den Winkelschleifer. A bezahlte und entfernte sich aus dem Kassenbereich. Er wurde sodann durch den Hausdetektiv gestellt, der durch einen Zeugen auf das Verhalten des A aufmerksam gemacht worden war. OLG Düsseldorf: A erlangte die Trennscheiben nicht durch Gewahrsamsbruch. Aus dem festgestellten Sachverhalt folgt vielmehr, dass A „den Gewahrsam an den vier Trennscheiben aufgrund einer durch Irrtum veranlassten Vermögensverfügung der Kassiererin erlangt hat". Dem ist zuzustimmen, denn hier kann davon ausgegangen werden, dass die Verkäuferin den Gewahrsam an dem Winkelschleifer übertragen wollte, ohne nach einzelnen Zubehörteilen zu differenzieren. - Ein Gewahrsamsbruch liegt hingegen vor, wenn der Täter eine Ware so durch die Kasse schmuggelt, dass dem Kassenpersonal verborgen bleibt, dass ein bestimmtes Objekt seinem Gewahrsam entzogen wird.32 3 7 ff) OLG Hamm NJW 1969 S. 620: Frau B ließ beim Bezahlen im Selbstbedienungsladen ihr Portemonnaie an der Kasse liegen. Frau A trat nach ihr an die Kasse, zahlte und packte die gekauften Sachen ein, als die Kassiererin ihr zurief: „Vergessen Sie nicht ihr Portemonnaie!" Frau A, die genau wusste, dass ihr das Portemonnaie nicht gehörte, bedankte sich und steckte das Portemonnaie ein. OLG: Ursprünglich hatte Frau B Gewahrsam an dem Portemonnaie. Dieser ging verloren, als sie den Laden verließ und sich entfernte. Das Portemonnaie wurde damit nicht gewahrsamslos, sondern ging in den Gewahrsam des Ladeninhabers über. Für diesen übte K Gewahrsam aus. K übertrug den Gewahrsam jedoch nicht auf A. Ihr fehlte das Bewusstsein, Gewahrsam zu übertragen, denn sie ging davon aus, dass das Portemonnaie sich im Gewahrsam der A befand. Als diese das Portemonnaie einsteckte, brach sie daher den Gewahrsam des Ladeninhabers.
30
Eingehend dazu BGHSt 18 S. 223; OTTO ZStW 79 (1967) S. 74 f. - A. A. MITSCH B.T. II/l, § 1 Rdn. 79.
31
Vgl. dazu auch die in der Problematik vergleichbare Entscheidung OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/31. Vgl. BGHSt 41 S. 198 mit Anm. HILLENKAMP JUS 1997 S. 217 ff, OTTO JK 96, StGB § 242/17,
32
SCHEFFLER J R 1996 S. 3 4 2 f f , ZOPFS N S t Z 1996 S . 190 f.
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Diebstahl
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gg) BGHSt 18 S. 221: A unterhielt Beziehungen zu Frau W, die einen Pkw besaß. Diesen Wagen hatte Frau 3 8 W in einer parkhausähnlichen Garage untergestellt. Die Garage war Tag und Nacht geöffnet und wurde von einem Pförtner beaufsichtigt. Dieser hatte einen zweiten Zündschlüssel, den er auf Anforderung dem Berechtigten gab, falls dieser seinen eigenen Schlüssel vergessen hatte o.a. Im Einverständnis mit Frau W holte A den Wagen einmal aus der Garage ab. In weiteren 6-8 Fällen setzte A aufgrund seiner Beziehungen zu Frau W deren Einverständnis voraus. Am 20.5.61 schließlich holte A ohne Wissen und Willen von Frau W den Wagen ab, um ihn sich anzueignen. BGH: Kein Diebstahl, sondern Betrug. Dem ist zuzustimmen: Hätte Frau W dem A aufgrund eines Irrtums den Wagen überlassen, so hätte eine Gewahrsamsverfügung vorgelegen. Gleiches würde gelten, wenn Frau W den Wagen einer Person zu bestimmten Verfügungen überlassen hätte, z.B. zum Verkauf, und dieser Person wäre durch Täuschung über das Vorliegen des relevanten Sachverhalts der Wagen abgeschwindelt worden, z.B. Kauf mit Falschgeld. Nun hatte P sicher keinen Gewahrsam an dem Wagen derart, dass er zu selbständigen Verfügungen berechtigt war. Er war Gewahrsamshüter, denn er sollte den Gewahrsam der Frau W schützen und ihr u.U. bei der Ausübimg der Sachherrschaft behilflich sein. Wenn P sich aber - sei es auch aufgrund eines Irrtums - subjektiv in dem Rahmen hält, der ihm objektiv eingeräumt worden ist, dann muss sich der Gewahrsamsinhaber die Verfugungen seines Gewahrsamshüters als eigene zurechnen lassen. Ein Gewahrsamsbruch durch den Gewahrsamshüter scheidet demnach aus, wenn dieser sich im Rahmen seiner rechtlichen Befugnisse zu halten glaubt.33 Die Gegenmeinungen stellen einerseits streng auf die rechtliche Befugnis zur Übertragung des Gewahrsams ab (Befugnis- oder Ermächtigungstheorie), andererseits darauf, ob der Verfügende ,4m Lager des Geschädigten steht" (Lagertheorie); dazu unter § 51 Rdn. 44 ff. Zum Teil wird Idealkonkurrenz von Diebstahl und Betrug in diesen Fällen bejaht, obwohl das Objekt nur einmal erlangt wurde.34 hh) BGHSt 35 S. 152: A entwendete dem B dessen durch einen Magnetstreifen codierte Eurocheque-Karte. 3 9 Mit Hilfe dieser Karte und der ihr bekannten Geheimnummer verschaffte sie sich aus Geldautomaten insgesamt 5100,- DM. Die Sparkasse belastete das Konto des B mit den abgehobenen Beträgen. BGH: Kein Gewahrsamsbruch an dem erlangten Geld. Begründet hat der BGH dieses Ergebnis, indem er Gewahrsamsbruch und Gewahrsamsverfugung nach dem äußeren Erscheinungsbild abgrenzte. Diese Abgrenzung ist allein geeignet, Zufallsergebnisse zu begründen. Dort wo ein Objekt zufällig oder - wie bei der sog. Wechselgeldfalle35 - in böser Absicht „hin- und hergeschoben oder -genommen" wird, würde die Abgrenzung auf Äußerlichkeiten, nicht aber die jeweils genaue Bestimmung der Gewahrsamssituation gegründet. Nicht auf Äußerlichkeiten, sondern auf den Gewahrsamsbruch kommt es hier an. Bei einem mechanisierten Gewahrsamsübergang ist das entscheidende Abgrenzungskriterium des Gewahrsamsbruchs von der Gewahrsamsübertragung die funktionsgerechte bzw. funktionswidrige Nutzung des Mechanismus. Wer durch Automatisierung und Standardisierung der Geldherausgabe die Überprüfung der Berechtigung auf bestimmte Daten (Karte, Geheimnummer) begrenzt hat, kann sich nicht auf die fehlende Berechtigung des Automatenbenutzers zur Nutzung des Automaten berufen. Hier läge ein Rekurs auf einen hypothetischen Willen vor, denn der reale Wille hat in der Mechanisierung entsprechenden Ausdruck gefunden. - Für den Fall funktionsgerechter Betätigung wird Gewahrsam übertragen. Das gilt auch, wenn der Automat, z.B. durch Einführung einer gefälschten Karte, überlistet wird. Auch hier wird auf den funktionsgerechten Ablauf des Auszahlungsvorganges nicht Einfluss genommen.36 Wird der Automat hingegen funkti-
33
E i n g e h e n d dazu HERZBERG Z S t W 8 9 (1977) S. 367 ff; O r r o Z S t W 7 9 (1967) S. 7 6 f f .
34
HAAS G A 1990 S. 206; MITSCH B.T. N/1, § 1 Rdn. 82.
35
Dazu B a y O b L G N J W 1992 S. 2041 mit A n m . GRAUL J R 1992 S. 5 2 0 f, OTTO J K 93, S t G B § 242/16.
36
Vgl. B G H S t 38 S. 120; KINDHÄUSER B.T. N/1, § 2 Rdn. 56. - A . A. RANFT N J W 1994 S. 2 5 7 4 f f ; REN-
GIER B.T. I, § 2 Rdn. 35. - Zur Gegenmeinung, der grundsätzlichen Annahme eines Gewahrsamsbruches bei der unbefugten Geldautomatennutzung, vgl. MITSCH JZ 1994 S. 879 m.w.N. in Fn. 42. 159
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onswidrig betätigt - gewaltsamer Eingriff in den Ablauf, Zerstörung des Programms - so liegt ein Gewahrsamsbruch vor, denn der Mechanismus wird gerade nicht in der vorgesehenen Weise betätigt.37 Zur Frage der Unterschlagung des Geldes vgl. unter § 42 Rdn. 16 f; zum Computerbetrug in diesen Fällen vgl. unter § 52 Rdn. 44. Entsprechend diesen Grundsätzen ist die Problematik der Leerung von Geldspielautomaten zu entscheiden. Wird funktionswidrig auf den Automaten eingewirkt - Einführung von Gegenständen in den Mechanismus so liegt ein Gewahrsamsbruch vor, nicht hingegen, wenn der Täter sein Wissen um den Spielablauf ausnutzt38 oder auf den Ablauf mit präparierten Münzen Einfluss nimmt.39- Zu den Konsequenzen der Abgrenzung des Gewahrsamsbruchs nach den Kriterien der funktionsgemäßen bzw. funktionswidrigen Nutzung des Mechanismusses für den Anwendungsbereich des § 265 a Abs. 1,1. Alt. vgl. § 52 Rdn. 15 f.
II. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz 40 Der Vorsatz erfordert das Bewusstsein des Täters, dass es sich bei dem Tatobjekt um eine ihm fremde, bewegliche Sache im Gewahrsam eines anderen handelt, den der Täter bricht. 41 a) Eine Konkretisierung des Vorsatzes auf bestimmte einzelne Sachen ist nicht erforderlich. Die Tat bleibt ein einheitlicher Diebstahl, gleichgültig, ob der Täter seinen Vorsatz später erweitert oder auf ein anderes Tatobjekt bezieht. Zur
Verdeutlichung:
42 Fall 1: A will die Brieftasche des B aus dessen Schreibtischschublade stehlen. Als er sieht, dass in der Schublade Schmuck liegt, nimmt er diesen auch an sich. Ergebnis: Ein einziger Diebstahl, denn es liegt ein einheitlicher Angriff auf die umfassende Sachherrschaftsmacht des B vor: A wollte die umfassende Sachherrschaftsmacht des B brechen, das hat er getan. Dass er den Umfang seines Angriffs erweitert hat, ist irrelevant. Fall 2: Wie Fall 1, doch ist die Brieftasche gar nicht in der Schublade. A nimmt nun den Schmuck weg. Ergebnis: Ein einheitlicher Diebstahl, nicht etwa ein versuchter Diebstahl in bezug auf die Brieftasche und ein vollendeter Diebstahl bezüglich des Schmuckes; vgl. Begründung zu Fall 1. 43 b) Zum Diebstahl geringwertiger Objekte vgl. unter § 44. 2. Absicht, sich oder einem Dritten die Sache rechtswidrig zuzueignen a) Das Objekt der Zueignung 44 Mit der Zueignung der Sache bringt der Täter zum Ausdruck, dass er sich selbst die Position anmaßt, die dem Eigentümer rechtlich zukommt. Er verschafft sich mehr als nur die Möglichkeit des rechtswidrigen Gebrauchs der Sache (Abgrenzung zur Gebrauchsanmaßung), und es geht ihm nicht nur darum, den Berechtigten durch Entzug der Sache zu 37
Vgl. auch EHRLICHER Der Bankautomatenmissbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bekämpfung, 1989, S. 64 ff; HUFF NJW 1988 S. 981; RUB LK, § 242 Rdn. 36; SCHMITT/EHRLICHER JZ 1988 S. 364 f; THAETER JA 1988 S. 547 ff; DERS. wistra 1988 S. 339 f. - Zur Auseinandersetzung um die
rechtliche Einordnung des Geldautomatenmissbrauchs vor der BGH-Entscheidung vgl. OTTO JR 1987 S. 221 ff. 38
Vgl. auch BayObLG JR 1982 S. 291 mit Anm. MEURER S. 292 ff; OLG Stuttgart NJW 1982 S. 1659 m i t A n m . ALBRECHT JUS 1 9 8 3 S. 101 f f , GEILEN J K , S t G B § 2 4 2 / 2 , SEIER J R 1 9 8 2 S. 5 0 9 f f ; O L G
Koblenz NJW 1984 S. 2424; ACHENBACH Jura 1991 S. 225 f. - A.A. LG Saarbrücken NJW 1989 S. 2272. 39
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A . A . O L G C e l l e N J W 1997 S. 1518 m i t A n m . HILGENDORF J R 1997 S. 3 4 7 f f , MITSCH J u S 1998 S.
307 ff; dazu auch OTTO Jura 1997 S. 467 f.
Diebstahl
§40
schädigen (Abgrenzung zur Sachbeschädigung und zur straflosen Sachentziehung). - Streitig ist aber, ob das Objekt der Zueignung die Sache selbst oder der Sachwert ist. aa) Die Anhänger der sog. Sachsubstanztheorie (Substanztheorie) sehen - dem Wortlaut 45 des Gesetzes folgend - die weggenommene Sache als den Gegenstand der Zueignung an.40 bb) Die Vertreter der sog. Sachwerttheorie sehen den Sachwert als Objekt der Zueignung 46 an.4i Zur Verdeutlichung der Konsequenzen (im Anschluss an Lampe GA 1966 S. 230): A wirft die Sachen des E 4 7 an einer bestimmten Stelle aus dem Zug auf den Bahndamm. Später veräußert er diese an D, der Zahlung gegen Mitteilung des Fundortes leistet. Sachsubstanztheorie: A hatte im Zeitpunkt der Veräußerung noch keinen Gewahrsam an den Sachen selbst begründet. War dem Berechtigten daher auch die Sachherrschaftsposition entzogen, so fehlte es doch an der Neubegründung einer umfassenden Sachherrschaftsposition durch A. Deshalb keine Zueignung der Sachen, daran ändert der „Verkauf nichts. Sachwerttheorie: Zueignung vollendet, indem A den Kaufpreis erhält. In diesem Augenblick überführte er den Sachwert in sein Vermögen.
cc) Die h.M. ist die sog. Vereinigungstheorie. Danach soll eine Zueignung dann gegeben 48 sein, wenn der Täter die Sache selbst oder den in ihr verkörperten Wert in sein Vermögen überführt. - Allerdings wird dieser Wert im Anschluss an BOCKELMANN42 enger interpretiert als von den Vertretern der Sachwerttheorie. Maßgeblich soll für die Zueignung nur der in der Sache selbst steckende Wert („hierum ex re") sein, nicht aber die Möglichkeit, die Sache zur Erlangung anderer Werte einzusetzen („lucrum ex negotio cum re").43 Es gäbe allerdings keinen Unterschied zwischen Sachsubstanz- und Sachwerttheorie, 49 wenn als relevanter Sachwert allein der in der Sache verkörperte, von ihr vermittelte und von ihr nicht trennbare Wert angesehen würde, denn damit wäre die Einheit von Sache und Sachwert erhalten geblieben. Jede Ausdehnung des Wertgesichtspunktes über diese Grenze hinaus führt hingegen dazu, die Grenzen zwischen den Eigentumsdelikten, den Sachzueignungsdelikten und den allgemeinen Bereicherungsdelikten zu verwischen. Die Verschaffung irgendwelcher Teilwerte der Sache wird zwangsläufig zur Zueignung der Sache. Auch Beschränkungen auf den „Zwecknutzen" (PAULUS) u.ä. helfen über diese missliche Konsequenz nicht hinweg. - Es eröffnet sich die in keinem Fall mehr kriminalpolitisch erstrebenswerte Möglichkeit, bei der Kenntnisnahme vom Inhalt geheimer Papiere (neue Modelle, Rezepte, Konstruktionspläne) einen Diebstahl zu bejahen, wenn das Papier selbst seinem Eigentümer nur kurzfristig entzogen wird.
40
BINDING B.T. I, S. 267 ff m.e.N.; GÖSSEL 140 Jahre GA-FS, S. 39 ff; KINDHÄUSER NK, § 242 Rdn. 75; DERS. B . T . n / 1 , § 2 R d n . 82; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 4 3 f f ; OTTO S t r u k t u r ,
S. 167 ff m.e.N.; ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 7. Aufl. 2000, S. 341 ff; RUDOLPHI GA 1965 S. 38; WELZEL L b . , § 4 6 , 1 ; WOLFSLAST N S t Z 1994 S. 5 4 2 f f , 544.
41
Dazu RGSt 57 S. 168; FRANK StGB, § 242 Anm. VD 2 a; LAMPE GA 1966 S. 241; SAUER GA 63
42
ZStW 65 (1953) S. 575 ff.
43
Dazu BGHSt 4 S. 238; 19 S. 388; BGH NJW 1985 S. 812; ESER JUS 1964 S. 481; GRIBBOHM NJW
(1917) S. 284.
1 9 6 8 S. 1270; KREY B . T . 2 , R d n . 5 1 f f ; KÜPER B . T . , S. 4 1 2 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 2 2 ; MITSCH
B.T. D/1, § 1 Rdn. 141; PAULUS Der strafrechtliche Begriff der Sachzueignung, 1968, S. 220; RENGIER B . T . I, § 2 R d n . 4 1 ; RUB L K , § 2 4 2 R d n . 4 9 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 4 9 ; TENCKHOFF JUS 1 9 8 0 S. 7 2 5 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 35; ULSENHEIMER J u r a 1 9 7 9 S. 178; WESSELS N J W 1965 S. 1153.
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§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
50
Der Diebstahl als ein klar konturiertes Delikt gegen fremde Sachherrschaft ist dann zu einem farblosen und in seinen Grenzen dubiosen Bereicherungsdelikt geworden. 51 Diese Mängel der Sachwerttheorie übernimmt die Vereinigungstheorie um den Preis einer rechtsstaatlich geradezu anrüchig austauschbaren Argumentation, denn sie bedient sich willkürlich der Sachsubstanz- und der Sachwerttheorie, ohne einen Oberbegriff der Sachsubstanz- und Sachwertzueignung zu bilden. 52 Zwar mag es richtig sein, dass Sachwert- und Substanzzueignung die verschiedenen möglichen Eigentumsverletzungen erfassen. Im dogmatischen Ausgangspunkt schließen sie einander jedoch aus.44 Auch die Betonung, dass der Sachwerttheorie innerhalb der Vereinigungstheorie nur subsidiäre Bedeutung zukommt45, ändert daran nichts. 5 3 MAIWALD, Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970, S. 79: „Als Ergebnis der Betrachtung der Vereinigungslehren bleibt demgemäss der Befund, dass sie auch in ihrer heutigen Form Sachwert- und Sachsubstanztheorie jeweils nur zur kriminalpolitisch erwünschten LückenschlieBung benutzen, dass sie aber beide Theorien nicht als Ausprägung eines Prinzips rechtfertigen, mit dem das Wesen der Zueignung gekennzeichnet werden könnte. Sachwert- und Sachsubstanztheorie kommen in Einzelfällen aufgrund ihrer methodisch verschiedenen Ausgangspunkte zu verschiedenen Ergebnissen. Wird behauptet, Zueignung sei Zuführung des wirtschaftliches Wertes einer Sache oder Anmaßung des Eigentums an der Substanz, so befindet man sich in der Situation des Schuljungen, der Äpfel und Birnen addiert: Der Zueignungsbegriff, der damit zustande kommt, ist ein unverbundenes Nebeneinander zweier nicht vergleichbarer Größen."
54 Soll der erklärte Wille des Gesetzgebers, „eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten ... zuzueignen", nicht umgangen werden, so ist an der Sachsubstanztheorie nicht vorbeizukommen, denn das Gesetz verlangt eine Zueignung der Sache, begnügt sich aber nicht mit der Verschaffung des Wertes der Sache. b) Die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffes 55 Gemeinhin werden zwei Elemente als konstitutiv für den Zueignungsbegriff angesehen: die auf Dauer angelegte Enteignung des Berechtigten und die zumindest zeitweise Aneignung des Diebstahlsobjekts durch den Täter. Innerhalb der .Aneignung" wird sodann mehr oder minder deutlich darauf hingewiesen, dass es dem Täter auch darum gehen muss, „Vorteile" aus der Tat zu ziehen. Diese Verquickung verschiedener Probleme begünstigt Missverständnisse. Als Elemente des Zueignungsbegriffes sind vielmehr zu unterscheiden: 56 aa) Die Enteignung des Berechtigten, das ist Entziehung der Sachherrschaft des Berechtigten. - Dieser entspricht gleichsam spiegelbildlich: bb) Die Aneignung durch den Täter, d.h. die Begründung einer Eigenbesitzerposition durch den Täter. • cc) Darüber hinaus ist erforderlich die Absicht des Täters, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftliche Nutzung heißt allerdings nicht nur Nutzung im Wirtschaftsverkehr, sondern Gebrauchen, Verbrauchen, in Besitz haben u.a. Hingegen ist die bloße Absicht, einem anderen die Sache zu entziehen, sei es um ihn zu schädigen oder um ihn zu ärgern, nicht wirtschaftliche Nutzung der Sache.
57 Ein zeitliches Element - Entziehung der Sachherrschaft auf Dauer o.ä. - ist dem Zueignungsbegriff hingegen nicht wesentlich. Nicht die Dauer des Gebrauchs ist ein brauch44
Dazu auch OTTO JuS 1980 S. 491; DERS. Struktur, S. 169 ff; RuDOLPffl GA 1965 S. 33.
45
Vgl. z.B. KREY B.T.2, R d n . 51; MITSCH B.T. n / 1 , § 1 R d n . 141; TENCKHOFF J u S 1980 S. 7 2 5 ; ULSEN-
HEIMER Jura 1979 S. 175.
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Diebstatal
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bares Abgrenzungskriterium zur straflosen Gebrauchsanmaßung, sondern allein die Art und W e i s e des Gebrauchs: Solange sich der Täter in der Rolle eines Fremdbesitzers sieht und hält, fehlt e s an einer 5 8 Zueignung. Der Täter maßt sich rechtswidrig den Gebrauch einer fremden Sache an. Hat der Täter jedoch gezeigt, dass er sich selbst in der Position des umfassend bestimmenden Sachherrn, des Eigenbesitzers sieht, so hat er sich die Sache zugeeignet. 4 6 Demgegenüber fordert die h.M., dass die Enteignung „auf Dauer angelegt sein muss". 47 In der Lösung prob- 5 9 lematischer Fälle misst jedoch auch die h.M. dem Dauerelement keine Bedeutung zu. Betont wird dann nämlich, dass auf Dauer nicht unbedingt endgültig48 bzw. für immer 49 heißen müsse oder das Dauerelement wird schon dann bejaht, wenn der Berechtigte nicht mehr im eigenen Namen über die Sache verfugen kann. 50 Zueignung ist danach ein Verhalten, mit dem der Täter z u m Ausdruck bringt, dass er den 6 0 Berechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirtschaftlich nutzen will. c) Zur Einübung:
Enteignung des Berechtigten - Aneignung durch den Täter
61
aa) OLG Celle JR 1967 S. 389 5 ': A nimmt im Warenhaus des B ein Taschenbuch mit, liest es durch und 6 2 bringt es am nächsten Tag zurück. OLG: A hat sich das Buch zugeeignet. - Die Entscheidung erscheint bei einem Taschenbuch vertretbar, weil dieses in der Regel beim Durchlesen so viel Schaden nimmt, dass es nicht mehr als neues Verkaufsobjekt angesehen werden kann und daher wegen Funktionsverlustes bei wertender Betrachtungsweise als eine qualitativ andere Sache erscheint. - Im Falle eines gebundenen Buches, das vorsichtig behandelt wird, wäre der Entscheidung hingegen kaum zu folgen, denn auch durch das Blättern und Anlesen einzelner Teile verliert dieses Buch noch nicht seine Eigenschaft als Verkaufsobjekt.52 bb) BGHSt 35 S. 152: A entwendete dem B dessen Eurocheque-Karte. Mit Hilfe dieser Karte und der ihr 6 3 bekannten Geheimnummer will sie sich aus einem Geldautomaten Geld verschaffen. BGH: Die Wegnahme einer codierten Eurocheque-Karte in der Absicht, sich unbefugt durch ihre Benutzung und die Eingabe der zugehörigen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten zu verschaffen und sie sodann dem Berechtigten zurückzugeben, ist eine straflose Gebrauchsentwendung (furtum usus). - Dem ist zuzustimmen, denn in der Scheckkarte wird nur der Sachwert der Karte selbst verkörpert, nicht aber die mit Hilfe der Karte und der Geheimnummer zu erlangende Geldsumme.33 46
D a z u a u c h KINDHÄUSER G e e r d s - F S , S. 6 6 1 ; DERS. N K , § 2 4 2 R d n . 81 f f ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2
Rdn. 33. 47
V g l . B G H S t 2 2 S. 4 6 ; B G H J R 1999 S. 3 3 6 m i t A n m . GRAUL S. 3 3 8 f f ; GÖSSEL B . T . 2, § 6 R d n . 57; GROPP JUS 1999 S. 1043; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 25; R u ß L K , § 2 4 2 R d n . 51; SCHMIDHÄUSER B r u n s - F S , S. 3 5 0 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 51; SEELMANN J u S 1985 S. 4 5 5 ; TRÖNDLE/FISCHER
48
TENCKHOFF JUS 1980 S. 7 2 4 .
§ 242 Rdn. 35. 49
BGH NJW 1985 S. 812,813 mit Anm. GROPP JR 1985 S. 518 ff, OTTO JK, StGB § 242/4.
50
RANFT J A 1984 S. 284.
51
M i t A n m . DEUBNER N J W 1967 S. 1921 u n d ANDROULAKIS JUS 1968 S. 4 0 .
52
D a z u ESER IV, N r . 3 A 31 ff; GRIBBOHM N J W 1968 S. 1270; GROPP JUS 1999 S. 1044; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 24; MÜSCH B.T. n / 1 , § 1 R d n . 145; OTTO Struktur, S. 181 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 53; SCHRÖDER J R 1967 S. 3 9 0 f f .
53
so auch BayObLG NJW 1987 S.663; OLG Hamburg NJW 1987 S. 336; EHRLICHER Bankautomatenmissbrauch, S. 39 f; HUFF NStZ 1985 S. 438 f; KREY B.T.2, Rdn. 513 e; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 23; LENCKNER/WINKELBAUER wistra 1984 S. 85; OTTO J R 1987 S. 2 2 1 ; SCHMITT/ EHRLI-
CHER JZ 1988 S. 364; STEINHILPER Jura 1983 S. 408 ff. - A.A. OLG Düsseldorf NStE Nr. 14 zu § 242 StGB; ALTENHAIN JZ 1997 S. 752 f (ftir die zum „electronic-cash-Verfahren" geeigneten Karten); 163
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
6 4 cc) A entwendet dem B das Sparbuch, das ein Guthaben von DM 3000,- ausweist. A hebt DM 1000,- ab und verbraucht das Geld. Das Buch schickt er sodann - wie geplant - an B zurück. Ergebnis: Die Anhänger der Sachwert- und der Vereinigungstheorie bejahen hier eine Wegnahme des Buches in der Absicht der Zueignung.54 Dem kann nicht gefolgt werden: Mit der Wegnahme eines Legitimationspapieres verschafft sich der Täter zwar einen Vermögenswert. Dieser beruht auf der Möglichkeit, sich als Inhaber bestimmter Rechte zu legitimieren. Inhaber des Rechts oder eines Wertes, der dem des im Papier ausgewiesenen Rechts entspricht, wird der Täter mit der Wegnahme nicht. Mit der Einziehung des Rechts realisiert der Täter nicht den in dem Papier verkörperten Wert, vielmehr verschafft er sich dabei mit Hilfe des Papiers einen anderen Wert, der auf dem Legitimationswert beruht, mit diesem jedoch nicht identisch ist. - Genauso wenig wie in der Wegnahme eines Ausweises, mit dem sich der Täter als Berechtigter zur Abholung einer Sache ausweisen will 55 , eine Zueignung dieses Ausweises zu sehen ist, liegt in der Zueignung eines Legitimationspapieres eine Zueignung des in dem Papier ausgewiesenen Geldbetrages. 6 5 dd) BGHSt 19 S. 387: Der wehrpflichtige A merkt eines Tages, dass sein Uniformkoppel weg ist. Nachts bricht er den Schrank des B auf und nimmt dessen Koppel an sich, um dieses 3 Monate später bei der Entlassung als das ihm übergebene zurückzugeben. BGH: Keine Zueignung des Koppels, denn die Sachherrschaftsstellung des Eigentümers (Militärfiskus) wollte A sich nicht anmaßen. Diesem gegenüber wollte er stets Fremdbesitzer sein. 56 6 6 ee) RGSt 57 S. 199: Der A ist Lagerarbeiter auf dem Getreidespeicher des G. Dort entwendet er Getreide, füllt es in Säcke und bringt es zu B. B veräußert, wie verabredet, das Getreide wiederum an G. Den Erlös teilen A und B. RG (unter Anwendung der Sachwerttheorie): Zueignung des Getreides durch A liegt vor. - Auch vom Boden der Sachsubstanztheorie ist dem zuzustimmen, wenn A die Veräußerung an den Eigentümer als eine von mehreren relevanten Nutzungsmöglichkeiten des Getreides sah, selbst wenn der Verkauf an den Eigentümer in erster Linie ins Auge gefasst war. - Anders hingegen, wenn ausschließlich der Verkauf an den Eigentümer geplant war und etwa bei Verhinderung dieses Verkaufs die Sache dem Eigentümer auch ohne Entgelt wieder zur Verfügung gestellt werden sollte. Dann käme nur ein Betrug in Betracht.57 6 7 ff) BGH NJW 1982 S. 226558: A nahm den Fernseher des H, der ihm DM 900,- schuldete, eigenmächtig an sich und ließ den H wissen, dass er diesen verkaufen werde, wenn H nicht bis zu einem bestimmten Termin seine Schulden zahlen würde. BGH: Keine Zueignung des Fernsehers durch A. 6 8 gg) BGH: MDR 1985 S. 155: B, die Geliebte des A, hatte diesen verlassen und befand sich mit L auf Ibiza. Um B und L zu trennen und B zu bestrafen, beschloss A, sich in den Besitz ihrer Habe zu setzen, insbesondere ihrer Kleidung, ihrer Personalpapiere und ihrer finanziellen Mittel. A hatte vor, der B die ihr gehörenden Gegenstände „möglicherweise" zurückzugeben, wenn sie nämlich zu ihm zurückkehren sollte. In Ausführung dieses Plans brach A mit einem Komplizen in das Appartement von B und L ein. Sie räumten SCHROTH NJW 1981 S. 729; SEELMANN JUS 1985 S. 289. - Zur Wegnahme einer sog. elektronischen Geldbörse: ALTENHAIN JZ 1997 S. 759 f.
54
Dazu BGHSt 35 S. 157; FRANK StGB, § 242 Anm. VII2 a; RUß LK, § 242 Rdn. 54. - Vom Standpunkt der Sachsubstanztheorie bejahen die Zueignung gleichfalls: RUDOLPHI GA 1965 S. 53 f; WELZEL Lb., § 4 6 , 2 a.
55 56
Vgl. OLG Hamm JMB1NRW 1953 S. 153: Zechenausweis. Dazu auch OLG Stuttgart NJW 1979 S. 277; ESER JuS 1964 S. 477; GÖSSEL B.T. 2, § 6 Rdn. 28; MITSCH B.T. n / 1 , § 1 R d n . 117; OTTO Struktur, S. 195; RENGIER B.T. I, § 2 R d n . 58; TENCKHOFF J u S 1980 S. 723; WESSELS J Z 1965 S. 631.
57
Zum Streitstand einerseits: BGHSt 24 S. 119; KINDHÄUSER Geerds-FS, S. 663; KREY B.T.2, Rdn. 74; RUDOLPHI G A 1965 S. 43; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 35; WESSELS N J W 1965 S. 1156. - A n d e r e r seits: HOYER S K H, § 2 4 2 R d n . 9 4 f; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S. 111 f f ; MITSCH B.T. U/1, § 1
Rdn. 115. - Entsprechend zu beurteilen ist die Wegnahme von Pfandflaschen u.ä., um das Pfandgeld einzulösen; differenzierend hier: HELLMANN JuS 2001 S. 354 f. 58
Mit Anm. BERNSMANN S. 2214 f. - Darüber hinaus vgl. auch BGH StV 1983 S. 329; StV 1999 S. 315 m i t A n m . OTTO J K 99, S t G B § 242/19.
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dieses aus und brachten die Sachen über Barcelona nach Deutschland. B, die sich alsbald mit A versöhnte, erhielt einen Teil ihrer Sachen später zurück. BGH: A handelte in Zueignungsabsicht bzgl. aller Sachen: „Durch den Abtransport erlangte er, wie von ihm erstrebt, den unmittelbaren, seinem Vermögen zurechenbaren Besitz an den Sachen und dadurch in tatsächlicher Hinsicht zugleich eine dem Eigentum vergleichbare Sachherrschaft. Diese Position entzog er den Geschädigten endgültig, wenn auch hinsichtlich eines Teiles der Beute unter dem Vorbehalt späterer Wiedergutmachung ... Dass es dem Täter in einem solchen Fall nicht gerade darauf ankommt, den Berechtigten die Sache für immer vorzuenthalten, ist unter diesen Umständen nicht entscheidend." Dem ist zuzustimmen, denn in der Tat kommt es nicht darauf an, ob der Täter dem Opfer die Sache „für immer", „auf Dauer" oder sonst eine bestimmte Zeit entziehen will, sondern ob er sich eine Eigenbesitzerstellung über die Sachen verschaffen will. Diese Position wollte A aber erlangen, und er hat sie auch erlangt.59 d) Zur Einübung: Wirtschaftliche Nutzung aa) BGH wistra 1988 S. 186: Der A brachte den Hund der P an sich, um ihn ins Tierheim zu bringen, weil er 6 9 beobachtet hatte, dass P den Hund wiederholt gequält hatte. BGH: Keine Zueignungsabsicht des A, denn er handelte nicht, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen.60 bb) BGH StV 1987 S. 245: A wollte den B um Geld bestehlen, das er im Jackett des B vermutete. Er nahm 7 0 das Jackett an sich und lief fort. An sicherem Ort durchsuchte er das Jackett. Da kein Geld darin enthalten war, warf er das Jackett fort. BGH: Keine Zueignung des Jacketts, denn wenn es dem Täter allein auf den Inhalt eines Behältnisses ankommt, so will er sich das Behältnis nicht zueignen. Anders ist zu entscheiden, wenn es dem Täter darum geht, das Behältnis selbst zu nutzen, z.B. wenn er die Beute in einen Koffer des Opfers packt, um sie wegzutransportieren, auch wenn er beabsichtigt, den Koffer nach dem Transport fortzuwerfen.61 3. Absicht, sich oder einem Dritten die Sache rechtswidrig zuzueignen Der Zueignungsakt Bis zum Inkrafttreten des 6. StrRG setzte § 242 a.F. voraus, dass der Täter beabsichtigte, 71 sich die Sache zuzueignen. Das 6. StrRG dehnte die Zueignung auf die Drittzueignung aus. Die Problematik der Abgrenzung hat dadurch andere Schwerpunkte erhalten, ist aber keineswegs obsolet geworden, denn nach wie vor wird eine Sachzueignung verlangt, nicht aber eine bloße Wertverschaffung. Von einer Zueignung der weggenommenen Sache, sei es an den Täter oder einen Dritten, kann aber nur die Rede sein, wenn der Täter durch sein Verhalten, zumindest die Besitzposition an der Sache geändert hat. Er muss sich in einer Position befinden, die es ihm ermöglicht, besitzändernde Verfügungen durchzuführen. Damit aber hat sich die Abgrenzungsproblematik nicht erledigt, sondern lediglich verschoben. Es gilt jetzt, die Drittzueignung von der Ermöglichung der Zueignung durch einen Dritten abzugrenzen. 62 59 60
Vgl. dazu auch OLG Köln NJW 1997 S. 2611. Zur Abgrenzung der wirtschaftlichen Nutzung von der Zerstörungsabsicht: BGH JR 1978 S. 171 f mit Anm. GEERDS S. 172 f und LIEDER NJW 1977 S. 2272; OLG Düsseldorf NJW 1987 S. 2526 mit Anm. KELLER JR 1987 S. 521. - Darüber hinaus: BGH GA 1971 S. 114; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810.
61
Eingehend OTTO Jura 1989 S. 143; Ruß Pfeiffer-FS, S. 61 ff.
62
Vgl. dazu auch GROPP J u S 1999 S. 1045; JÄGER JUS 2000 S. 6 5 1 f; MITSCH Z S t W 111 (1999) S. 6 7 f;
OTTO Jura 1998 S. 551; RÖNNAU GA 2000 S. 417 ff. - Das Ermöglichen des Zugriffs auf die Sache durch einen Dritten lassen als Drittzueignung genügen: CANTZLER JA 2001 S. 571; WESSELS/HLLLENKAMP B.T./2, R d n . 281.
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Zur
Verdeutlichung
7 2 aa) BGH 1 StR 73/78: K wollte sich in das Ausland absetzen. Ihm fehlten allerdings die Mittel dazu. Diese sollten durch einen Raub beschafft werden, an dem A mitwirkte,' weil sie dem K zu der Reise verhelfen wollte. Das erbeutete Geld nahm K sofort an sich. BGH: A hat sich die Beute zugeeignet, denn sie hatte einen Nutzen aus der Tat, weil sie selbst wirtschaftlich nichts zu opfern brauchte, um das von ihr angestrebte Ziel - Unterstützung der Flucht des K - zu erreichen.63 Eine derart extreme Ausdehnung der Sachwerttheorie ist nach der neuen Gesetzeslage überflüssig geworden. Da A an dem Gewahrsamsbruch und der Begründung des Gewahrsams des K mitwirkte, eignete auch sie die Beute dem K zu. 7 3 bb) BGH bei Dallinger, MDR 1974 S. 724 f (vereinfacht): A wusste, dass H wertvolle Schmucksachen bei sich hatte. Er überredete den B, diese der H wegzunehmen und ihm gegen Zahlung von DM 500,- auszuhändigen. B lauerte der H auf, nahm ihr den Schmuck weg und überbrachte den Schmuck bald darauf dem A gegen die versprochene Summe. BGH: B hat sich den Schmuck nicht zugeeignet. Er war lediglich Werkzeug und Gehilfe beim Diebstahl des A, der sich den Schmuck zueignete, als B ihn an sich nahm. Diese Konstruktion beruht auf der Prämisse, dass B Werkzeug des mittelbaren Täters ist. B ist angeblich absichtslos doloses Werkzeug des A. Dem kann nicht gefolgt werden, denn eine HerTSchaftsposition des A über B, die die mittelbare Täterschaft voraussetzt64 liegt hier nicht vor. Der BGH erwähnt die Konstruktion in neueren Entscheidungen nicht mehr. 65 - Um zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen, bedarf es der Konstruktion aber überhaupt nicht. B entzog dem H die umfassende Sachherrschaftsposition und maßte sie sich selbst an. Dies geschah auch in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftlich nutzt der Täter das Tatobjekt nämlich nicht nur, wenn er es selbst benutzen oder verbrauchen will, sondern auch dann, wenn er durch Zueignung des Objekts an einen Dritten eine Vermögensumverteilung - sei es entgeltlich oder unentgeltlich - vornehmen will. 66 7 4 cc) BGHSt (GrS) 41 S. 187 mit Anm. OTTO JZ 1996 S. 582 ff: A war als Leiter der Abteilung M des Ministeriums für Staatssicherheit (MfG) der DDR für die Postkontrolle zuständig. Schwerpunkt der Tätigkeit der Abteilung M war das Einbehalten von Zahlungsmitteln und Wertgegenständen, die bei der Postkontrolle gefunden wurden. Diese wurden nach Anweisung des A der Abteilung Finanzen des MfS zugeführt und anschließend dem Staatshaushalt der DDR zur Verfügung gestellt. BGH: A hat sich die Zahlungsmittel nicht zugeeignet, da er aus der Tat keinen Nutzen wirtschaftlicher Art erlangte - Der Große Senat in Strafsachen wies damit den - sachgerechten - Versuch des 5. Strafsenats des BGH, die Selbstzueignung von der umfassenden Sachherrschaftsstellung des Täters der zu bestimmen, zurück. 67 Die Entscheidung des Großen Senats war mit ein Grund für die Gesetzesänderung.68 Unproblematisch kann jetzt - wenn man die Selbstzueignung sachwidrig wegen eines fehlenden eigenen wirtschaftlichen Nutzens ablehnt - eine Drittzueignung bejaht werden. 7 5 dd) Im Auslieferungslager der Firma X lädt der Lagerarbeiter A ohne Wissen des Kunden K zehn Zentner Kohlen auf den Wagen des K, statt der auf dem Lagerschein stehenden acht Zentner. Ergebnis: Da A niemals selbst umfassende Sachherrschaft über die Kohlen erlangt hat, hat er sie sich nicht zugeeignet. Hier liegt eine Drittzueignung vor.
63
Vgl. auch BGHSt 17 S. 93; BGH StV 1986 S. 61; BGHSt 40 S. 20; OLG Düsseldorf NJW 1996 S. 66.
64
Vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 21 Rdn. 99 in Verb. m. Rdn. 93 ff.
65
Vgl. BGH wistra 1987 S. 253 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 242/12; BGH NStZ-RR 1997 S. 297 f.
66
Dazu auch KINDHÄUSER Geerds-FS, S. 666; DERS. NK, § 242 Rdn. 94 ff; OTTO Struktur, S. 269 ff; ROXIN Tatherrschaft, S. 3 3 9 ff; RUDOLPHI G A 1965 S. 51; TENCKHOFF JUS 1980 S. 726; WOLFSLAST
NStZ 1994 S. 544. 67
Vgl. BGH NStZ 1995 S. 131 mit Anm. BROCKER wistra 1995 S. 292 ff, HÄUF DRiZ 1995 S. 144 ff,
68
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 43.
SCHROEDER JR 1995 S. 95 ff; BGH NStZ 1995 S. 442.
166
Diebstahl
§40
ee) RGSt 21 S. 110 einerseits, RGSt 47 S. 147 andererseits: A hatte dem K Bretter als eigene verkauft, die in 7 6 Wirklichkeit dem X gehörten und in dessen Gewahrsam lagen. Er zeigte dem K die Bretter, und K holte die Bretter an einem der nächsten Tage ab. RGSt 21 S. 110: Keine Zueignung der Bretter durch A. Anders hingegen - unter Verwendung der Sachwerttheorie - RGSt 47 S. 147. - Diese Entscheidung ist evident unrichtig, denn da der „Verkauf* der Bretter die Besitzsituation überhaupt nicht verändert hatte, läge hier eine Zueignung vor der Wegnahme vor. Allein die Sachsubstanztheorie eröffnet hier die Möglichkeit der Annahme einer Zueignung, wenn man das Ansichnehmen der Bretter durch den gutgläubigen K dem A als Zueignung in mittelbarer Täterschaft zurechnet.69
4. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen Die Absicht des Täters muss darauf gerichtet sein, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen, 77 d.h. unter Umständen, die die Zueignung zu einer rechtswidrigen machen. Nun ist in Fällen, in denen der Täter einen Anspruch auf die weggenommene Sache hat 78 - z.B. A hat von B ein Schmuckstück gekauft, B übereignet dieses aber nicht -, die eigenmächtige Wegnahme der Sache sicher rechtswidrig, soweit nicht das Selbsthilferecht nach § 229 BGB eingreift. Fraglich ist dennoch, ob diese „unerlaubte Selbsthilfe" den Täter bereits zum Täter eines Vermögensdelikts macht. Denn ausschließlich vermögensrechtlich, d.h. hier wirtschaftlich betrachtet, hat der Täter genau die Vermögenslage hergestellt, auf die er nach der Rechtslage einen Anspruch hatte, auch wenn der Weg rechtswidrig war. Vorzuwerfen ist diesem Täter daher die Art seines Vorgehens, die eingetretene Vermögenslage kann hingegen nicht als rechtswidriger Zustand angesehen werden. Damit aber liegt der Vorwurf gegen den Täter nicht darin, durch Entziehung von Vermögen eine rechtswidrige Vermögenslage geschaffen, sondern darin, einen auch von der Rechtsordnung gewünschten Zustand auf einem von der Rechtsordnung nicht gebilligten Weg herbeigeführt zu haben. Derartige Verhaltensweisen waren im gemeinen Recht als „unerlaubte Selbsthilfe" unter Strafe gestellt. Der Gesetzgeber des Reichsstrafgesetzbuches hielt einen eigenen Tatbestand nicht mehr für sinnvoll, da im Falle gravierender Rechtsverletzungen die §§ 123, 240, 223 hinreichenden Rechtsschutz gewährten. - An dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers ist auch heute noch festzuhalten: die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist streng von der angestrebten Vermögenslage her zu bestimmen, die Art und Weise des Vorgehens selbst bleibt bei diesem Wertungsvorgang unbeachtet. Die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung ist damit ein unmittelbar auf die Zueignung und damit ausschließlich auf die erstrebte Vermögenslage bezogenes Tatbestandsmerkmal.70 a) Die Rechtswidrigkeit der Zueignung entfällt demgemäss nach h.M., wenn der Täter 79 einen fälligen Anspruch auf Übereignung der weggenommenen Sache hat (Speziesschuld). RGSt 64 S. 210: A hatte vom Forstamt bestimmte Eichenstämme gekauft. Zwei Raten hatte er bezahlt, mit dem Restkaufpreis aufgerechnet, als er die Stämme abfahren ließ, ohne dass diese ihm zuvor vom Forstamt übereignet worden waren. RGSt 64 S. 213: A eignet sich die Stämme nicht rechtswidrig zu, sondern verwirklicht lediglich seinen Rechtsanspruch auf Übereignung der Stämme. „Die Rechtswidrigkeit in diesem Sinne muss in einem vom Recht missbilligten Widerspruch gerade zu dem Eigentumsrechte des Verletzten (mit der rechtlichen Eigentumsordnung) stehen. Hat der Wegnehmende aber einen falligen und unbeschränkten Anspruch auf Über69 70
Eingehender dazu OTTO Struktur, S. 268 f. So auch BGH GA 1962 S. 144 f; BGH GA 1968 S. 121; BGH wistra 1987 S. 136; BGH StV 1988 S. 529; B G H N J W 1990 S. 2 8 3 2 ; ESER IV, Nr. 4 A 17 f f ; KREY B . T . 2 , R d n . 9 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 2
Rdn. 27 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 33 Rdn. 56; OTTO Struktur, S. 212 f; Ruß LK, § 242 Rdn. 68;SCHMIDHÄUSER Bruns-FS, S. 359; TRÖNDLE/FISCHER § 242 Rdn. 49; WARDA Jura 1979 S. 77. - A . A . HIRSCH J Z 1963 S. 149; WELZEL Lb., § 47, 3.
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§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
eignung einer bestimmten Sache, so schafft die Verwirklichung dieses Anspruchs durch Wegnahme und Aneignung der Sache - anders als wenn die Wegnahme einer Sache zu dem Zwecke erfolgt, sich damit wegen einer Geldforderung bezahlt zu machen - nur den vom Rechte gewollten Zustand. Darauf, ob der Täter dabei in berechtigter Selbsthilfe handelt, kommt es nicht an, da der Mangel des Rechts zur Selbsthilfe nur die Besitzentziehung, nicht aber die dem Recht gerade entsprechende Zueignung rechtswidrig machen kann."
80 b) Gleichfalls fehlt es an der Absicht rechtswidriger Zueignung, wenn der Täter überzeugt ist, einen Anspruch auf die konkrete Sache zu haben, der in Wirklichkeit nicht besteht. Das folgt daraus, dass es sich bei der Absicht rechtswidriger Zueignung um ein subjektives Tatbestandsmerkmal handelt.71 81 c) Bei Sachen, die der Gattung nach geschuldet werden, soll hingegen nach h.M. die Zueignung der geschuldeten Menge rechtswidrig sein, da der Anspruch des Täters nicht auf die konkret weggenommene Gattungssache geht. - Diese Unterscheidung ist aber dann, wenn der Sachverhalt von seiner vermögensrechtlichen, wirtschaftlichen Seite her gesehen wird, sachwidrig, denn ein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache wird auch hier nicht verletzt. Bei der Gattungsschuld kann das Wahlrecht nur deshalb vom Gesetzgeber dem Schuldner überlassen bleiben, weil der Gesetzgeber nicht bereit ist, einen relevanten wirtschaftlichen Unterschied zwischen den einzelnen Stücken anzuerkennen. Im übrigen aber spielt diese Schuld heute im Wirtschaftsleben eine Rolle bei industriellen Serienprodukten und beschränkten Vorratsschulden. Hier ist es offensichtlich, dass das Wahlrecht dem Schuldner keine wirtschaftlichen Vorteile zu bringen vermag. - Dann aber ist es nur konsequent und sachgerecht, die Rechtswidrigkeit der Zueignung immer dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig, ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld. In dieser Situation wird kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache verletzt. 8 2 Fall: A hat bei B 10 Zentner Koks einer bestimmten Größenordnung gekauft und bezahlt. Trotz Mahnung liefert B nicht. Eines Nachts erscheint A und entwendet 10 Zentner Koks der vereinbarten Sorte. Dem B teilt er mit, dass die Angelegenheit erledigt sei. Ergebnis: Die h.M. würde hier eine rechtswidrige Zueignung bejahen und allenfalls einen Tatbestandsirrtum zugestehen, falls A der Unterschied zwischen Gattungs- und Speziesschuld unbekannt war. - Nach der hier vertretenen Auffassung fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung.
83 d) Ist eine bestimmte Geldsumme Gegenstand der Schuld, so wird auch von Anhängern der h.M. zum Teil versucht, die misslichen Konsequenzen der Bejahung der rechtswidrigen Zueignung zu vermeiden, wenn der Gläubiger sich die entsprechende Summe mit rechtswidrigen Mitteln zueignet. Argumentiert wird, der Geldschuldner schulde keine Sache, sondern eine Geldsumme. Werde ihm daher die geschuldete Summe weggenommen, so werde ihm entzogen, was er schulde.72 84 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, denn wird Geld nicht als Sache, sondern als eine von einer Sache verschiedene Summe geschuldet, so fallt die Wegnahme von Geld nicht unter den Tatbestand des § 242. BGHSt 17 S. 88: Der G schuldete dem A noch mindestens DM 20,-. Eines Tages traf A den G auf der Straße. Er forderte ihn mit den Worten: „ M o o s raus", zur Bezahlung seiner Zechschulden auf. G wandte sich
71
Vgl. B G H StV 1988 S. 526; B G H S t V 1988 S. 5 2 9 ; B G H N J W 1990 S. 2 8 3 2 ; GRIBBOHM N J W 1968
S. 240 f; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 159 ff; DERS. ZStW 91 (1979) S. 955; OTTO Struktur, S. 212.
Als obj. Tatbestandsmerkmal interpretiert „rechtswidrig": KÖSCH Der Status des Merkmals „rechtswidrig" in Zueignungs- und Bereicherungsabsicht, 1999, S. 217 f. 72
168
Vgl. dazu HEUBEL JuS 1984 S. 450; ROXIN H. Mayer-FS, S. 467 ff.
Schwere Fälle des Diebstahls
§41
jedoch zum Weitergehen. A hielt den G fest, durchsuchte die Taschen G's und fand darin einen Zehnmarkschein und einen Fünfmarkschein. Beide nahm er ihm weg. BGH: Zueignung rechtswidrig, da A keinen Anspruch auf die konkret weggenommenen Geldscheine hatte. Wenn A sein Verhalten für erlaubt hielt, so kann dies ein Tatbestandsintum gewesen sein, wenn A davon ausging, er hätte einen Anspruch auf die konkret vorgefundenen Geldscheine.
Nach der hier vertretenen Ansicht fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung. Diese 85 ist stets dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld, wenn in dieser Situation kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Leistung besteht.73
§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 1. Die Rechtsnatur des § 243 Abs. 1 § 243 Abs. 1 eröffnet für bestimmte Diebstahlsfälle die Möglichkeit der Anwendung eines 1 höheren Strafrahmens. Es handelt sich um Strafzumessungsgründe, und zwar um Erschwerungsgründe in Form von Regelbeispielen und nicht um Qualifikationsmerkmale, denn sie enthalten keine zwingende und abschließende Regelung.74 Das bedeutet: Trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ist der Richter nicht gezwungen, 2 den Strafrahmen des § 243 anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Tat erhebliche, für den Täter günstige Gesichtspunkte in den Vordergrund treten lässt. Wird jedoch bei Vorliegen eines Regelbeispiels der Strafrahmen des § 243 herange- 3 zogen, so bedarf dies keiner besonderen Begründung. Darüber hinaus kann der Richter nach h.M. auf den Strafrahmen des § 243 zurückgreifen, wenn zwar kein Regelbeispiel gegeben ist, aber „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafirahmens geboten ist".75 - Mit der Forderung nach dieser Gesamtwertung wird der Versuch des Gesetzgebers, durch Regelbeispiele einen bestimmten Unrechtstypus zu beschreiben, und zwar nicht abschließend, wohl aber typisierend beispielhaft, und dadurch die unbenannten Strafänderungsgründe stärker zu konkretisieren, zunichte gemacht. Aufgrund einer solchen Gesamtbewertung kann der Strafrahmen des § 243 eröffnet sein bei Anwendung von 4 List durch den Täter, bei einem Vertrauensbruch durch den Täter, bei Anrichtung eines besonders großen Schadens und dann, wenn der Täter seine Stellung als Beamter ausnutzt.76
73
V g l . GRIBBOHM N J W 1968 S. 2 4 0 f; KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 119; KREY B . T . 2 , R d n . 9 8 ; MAI-
WALD ZStW 91 (1979) S. 955; OTTO JZ 1993 S. 564; Ruß LK, § 242 Rdn. 69. 74
H.M. - A.A. qualifizierte Tatbestandsmerkmale: CALLES JZ 1975 S. 112 ff; DERS. NJW 1998 S. 929 ff, 935; JAKOBS A.T., 2. Aufl. 1991, 6/99.
75
BGHSt29S. 322.
76
Vgl. dazu BGHSt 29 S. 322 mit Anm. BRUNS JR 1981 S. 335 f; TRÖNDLE/FISCHER § 243 Rdn. 23. -
Krit. zur Gesetzestechnik: ZIESCHANG Jura 1999 S. 563 f. 169
§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
2. § 243 Abs. 1: Die einzelnen Regelbeispiele a) § 243 Abs. 1 Nr. 1: Einbruchs- und Nachschlüsseldiebstahl 5 aa) Die einzelnen Merkmale des Beispiels: Oberbegriff der geschützten Räumlichkeiten ist der umschlossene Raum, das ist ein Raumgebilde, das - mindestens auch - dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden und das mit - mindestens teilweise künstlichen - Vorrichtungen umgeben ist, die das Eindringen von Unbefugten abwehren sollen.77 6 Beispiele: Bauwagen, Schiffe, abgetrennte Abteilungen eines Gebäudes (BGHSt 1 S. 158 ff); umzäunte Friedhöfe bei Nacht (BGH NJW 1954 S. 1897); von Gartenhecke oder Umzäunung, die Unbefugte fernhalten soll, umgebenes Grundstück (BGH NStZ 1983 S. 168; BGH StV 1984 S. 204); Untergrundbahnhöfe (OGHSt 3 S. 113 f); Bahnhofshallen mit durchgehenden Gleisen (RGSt 55 S. 154); umzäunter Lagerplatz (BGH StV 2000 S. 310 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 243/4). Begrifflich sind auch Wohnungen umschlossene Räume. Den „Wohnungseinbruch" hat das 6. StrRG jedoch als qualifizierten Diebstahlsfall in § 244 Abs. 1 Nr. 3 erfasst. Nicht hingegen: öffentliche Fernsprechzellen (OLG Hamburg NJW 1962 S. 1453), umzäunte Viehweide, da Zaun in erster Linie ein Ausbrechen des Viehs verhindern soll (OLG Bremen JR 1951 S. 88).
7 Das Gebäude ist ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest - wenn auch nur durch die eigene Schwere - verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet und das Unbefugte abhalten soll.™ Beispiele: Häuser, Baracken, Baubuden.
8 Dienst- oder Geschäftsräume sind die den Dienst- oder Geschäftszwecken dienenden Räume. 9 Einbrechen ist jedes gewaltsame Öffnen der Umschließung eines Raumes von außen. Es erfordert daher eine nicht ganz unerhebliche Kraftentfaltung. - Nicht erforderlich ist, dass der Täter in den Raum eintritt, um dann zu stehlen. Es genügt, dass der Täter in den Raum hineinlangt, um zu stehlen, oder einen umschlossenen Raum (z.B. Pkw) aufbricht, um ihn wegzunehmen. 10 Einsteigen ist das Betreten eines Raumes auf nicht ordnungsgemäßem Wege unter Überwindung von Hindernissen und unter Entfaltung einer gewissen Geschicklichkeit oder Kraft.79 Der Täter muss nicht mit dem ganzen Körper eingedrungen sein, es genügt, dass er sich innerhalb des geschützten Raumes einen festen Stützpunkt verschafft hat. Beispiele: Durchzwängen durch Lüftungsschacht, Übersteigen einer Umfriedung, Einsteigen durch ein Fenster, selbst wenn dies auch vom Berechtigten als Zugang benutzt wird, weil die Tür kaputt ist (RGSt 59 S. 171). - Durchzwängen oder Durchkriechen durch eine Hecke (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810).
11 Falscher Schlüssel ist jeder Schlüssel, der vom Berechtigten nicht oder nicht mehr zur Öffnung des Verschlusses bestimmt ist.80 Der Wille, dass andere Personen den Schlüssel nicht benutzen sollen,81 oder der bloße Verlust macht den richtigen Schlüssel noch nicht zum „falschen". Er wird es erst dadurch, dass ihm der Berechtigte die Bestimmung zur 77
BGHSt 1 S. 164.
78
BGHSt 1 S. 163.
79
Vgl. B G H S t 14 S . 1 9 8 , 2 0 0 ; KINDHÄUSER B.T. D/1, § 3 Rdn. 14; KREY B.T. 2, Rdn. 105; KÜPER B.T., S. 120 f; LACKNER/KÜHL § 243 Rdn. 11; MITSCH B.T. n / 2 , § 1 Rdn. 192; RUB LK, § 243 Rdn. 12; TRÖNDLE/FLSCHER § 243 Rdn. 6; WESSELS/HLLLENKAMP B.T./2, Rdn. 216.
80
Vgl. BGH StV 1993 S. 422.
81
Vgl. dazu BGH StV 1998 S. 204.
170
Schwere Fälle des Diebstahls
§41
ordnungsgemäßen Öffnung entzieht. - Dies kann konkludent geschehen, z.B. durch Beschaffung eines neuen Schlüssels, kann aber auch bei Kenntnis des Diebstahls als Regelfall unterstellt werden.82 Andere zur ordnungsgemäßen Öffnung nicht bestimmte Werkzeuge sind Geräte, die ord- 12 nungswidrig auf den Mechanismus des Schlosses wirken. Beispiele: Dietrich, Haken u.ä. - Nicht hingegen: Brechstange, da sie gewaltsam das Schloss sprengt.
Sich verborgen halten ist ein Aufhalten unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen gegen 13 Entdeckung zum Zwecke der Tatausführung. Gleichgültig ist, ob der Täter legal oder illegal in die Räume gelangt ist; maßgeblich ist allein, dass sein Aufenthalt zur Tatzeit rechtswidrig ist. Beispiel: Der Kunde K versteckt sich unter einem Tisch im Warenhaus und lässt sich nach Geschäftsschluss einschließen, um nachts in aller Ruhe zu stehlen.
bb) Der Täter muss bei der Überwindung der Gewahrsamssicherung zur Ausfuhrung der 14 Tat gehandelt haben. - Ein nachträglicher Entschluss, einen Diebstahl zu begehen, genügt nicht. Fall: A steigt in das Haus des B ein, um diesen zu verprügeln. Als er sieht, dass B abwesend ist, entwendet er ein Gemälde. Ergebnis: § 243 Abs. 1 Nr. 1 findet keine Anwendung.
cc) Nicht erforderlich ist es, dass aus dem Raum, in den der Täter eingedrungen ist, ge- 15 stöhlen wird. Es genügt, dass er mit seiner Tathandlung eine Gewahrsamssicherung in bezug auf das Tatobjekt überwunden hat. Beispiele: Aufbrechen eines Pkw, um diesen zu stehlen; Einbruch in einen Raum, um aus diesem den Schlüssel für den Raum, aus dem gestohlen werden soll, zu holen.
dd) Nach h.M. soll auch derjenige, der an sich zum Aufenthalt in dem umschlossenen 16 Raum oder Gebäude berechtigt ist, die Begehungsform der Nr. 1 verwirklichen können.83 Dem ist nicht zuzustimmen, wenn der Täter sich auch ohne weiteres den Zugang auf ordnungsgemäße Weise hätte verschaffen können. Denn dann dient „sein Einbruch" nicht der Überwindung einer Gewahrsamsschranke, sondern allein zur Ablenkung des Verdachts, b) § 243 Abs. 1 Nr. 2: Diebstahl besonders gesicherter Sachen aa) Schutzvorrichtungen sind technisch geschaffene Einrichtungen, die dazu geeignet und 17 bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Beispiele: Schlösser, insbes. Lenkrad- und Fahrradschlösser. - Str.: Geldherausgabevorrichtung eines Geldspielautomaten (vgl. BayObLG JR 1982, S. 292 mit ANM. MEURER S. 292 ff). Nicht hingegen: Sicherungsetikett im Kleidungsstück, da es die Ware nicht gegen den Gewahrsamsbruch, sondern gegen die Entfernung aus dem Laden sichert (OLG Frankfurt MDR 1993 S. 671; OLG Düsseldorf StV 1998 S. 204). Die in Nr. 1 genannten Gewahrsamsvorrichtungen kommen als Schutzvorrichtungen der Nr. 2 nicht in Betracht. Insoweit ist Nr. 1 als Spezialfall der Nr. 2 anzusehen.84
bb) Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen dienendes und sie umschließendes Raum- 18 gebilde, das nicht dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden.^ Beispiele: Schränke, Kassetten, Registrierkassen, Kofferraum eines Pkw. - Maßgeblich: die erhöhte Gewahrsamssicherung. - Kein Behältnis in diesem Sinne daher: Briefumschlag, Hosentasche, o.ä. 82
BGHSt21 S. 190.
83 84 85
Vgl. BGHSt 22 S. 127 mit abl. Anm. SÄCKER NJW 1968 S. 2116 f. Vgl. BayObLG JR 1973 S. 507 mit Anm. SCHRÖDER S. 507 f. Vgl. BGHSt 1 S. 163.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
BGH NJW 1972 S. 167: A nahm einen Automaten („Nussglocke") aus einer Gaststätte mit, um sich zu Hause in aller Ruhe das Geld aus diesem herauszuholen. Dies gelang auch. BGH: § 243 Abs. 1 Nr. 2 findet Anwendung. - Dagegen SCHRÖDER NJW 1972 S. 778 ff: Die den Gewahrsam des Berechtigten in erhöhtem Maße schützende Funktion ist inzwischen verlorengegangen. - Dem ist zuzustimmen: Im Machtbereich des Berechtigten war die Sicherung des Geldes durch die Umhüllung des Automaten eine besondere Gewahrsamssicherung, nicht aber außerhalb dieses Bereiches.
19 cc) Verschlossen ist das Behältnis, wenn sein Inhalt durch eine technische Schließvoirichtung oder auf andere Weise, z.B. durch Verschnüren, gegen den ordnungswidrigen Zugriff von außen gesichert ist. Nach dem Sinn der Vorschrift scheidet ein ordnungsgemäßes Öffnen als Straferhöhungsgrund aus. Das Regelbeispiel ist daher nicht erfüllt, wenn der im Behältnis steckende Schlüssel verwendet wird oder derjenige das Behältnis öffnet, der den Schlüssel befugterweise in Besitz hat. - Gleiches gilt beim Öffnen des Behältnisses durch einen Nothebel oder eine „Geheimtaste", die den Täter bekannt ist.86 20 dd) Gegen Wegnahme besonders gesichert erfordert einen spezifischen Schutzzweck der Vorrichtung gegen Wegnahme der gesicherten Sache. OLG Hamm NJW 1978 S. 769: mit Klebestreifen verschlossene Kartons in mit Schnur verschlossenem Postsack.
21 22
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c) § 243 Abs. 1 Nr. 3: Gewerbsmäßiger Diebstahl Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle verschaffen will.87 Diese Einstellung kann schon bei der 1. Tat vorliegen. d) § 243 Abs. 1 Nr. 4: Kirchendiebstahl Das Tatobjekt muss dem Gottesdienst gewidmet sein, wie z.B. der Altar, Kelche o.ä., oder der religiösen Verehrung dienen, wie z.B. Heiligenbilder, Votivtafeln o.ä. Nicht erfasst sind Einrichtungsgegenstände, Gesangbücher usw. e) § 243 Abs. 1 Nr. 5: Diebstahl von Sachen mit kultureller Bedeutung Geschützt sind nur Gegenstände von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst usw., d.h. Objekte, deren Verlust für die betroffenen Bereiche eine erhebliche Einbuße bedeutet. - Allgemein zugänglich ist eine - öffentliche oder private - Sammlung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich ist. Die Erhebung eines Eintrittsgeldes steht der Öffentlichkeit nicht entgegen. - Öffentlich ausgestellt sind Sachen an allgemein zugänglichen Orten. f) § 243 Abs. 1 Nr. 6: Diebstahl unter Ausnutzung der Notlage anderer aa) Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer der Tat aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, sich gegen die seiner Sachherrschaft drohende Gefahr zu schützen. BayObLG JR 1973 S. 427 mit Anm. SCHRÖDER S. 427: A besuchte seinen blinden Arbeitskollegen B. Bei diesem Besuch entwendete er Geld, das auf einem Tischchen in der Wohnung des B lag. BayObLG: § 243 Abs. 1 Nr. 6 findet Anwendung.
25 Maßgeblich ist, ob der Täter eine Situation ausnutzt, in der das Opfer in erhöhtem Maß schutzwürdig ist. Dieses ist z.B. der Fall, wenn der Schlaf eines Kranken, nicht der Schlaf eines Gesunden zur Tat ausgenutzt wird.88 86 87
Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 243 Rdn. 15. - A.A. OLG Frankfurt NJW 1988 S. 3028; AG Freiburg NJW 1994 S. 400. Dazu BGHSt 1 S. 383.
88
Vgl. BGH NStZ 1990 S. 388; Ruß LK, § 243 Rdn. 32; TRÖNDLE/FISCHER § 243 Rdn. 34; - A.A. SCH/SCH/ESER § 2 4 3 R d n . 39.
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Schwere Fälle des Diebstahls
§41
bb) Unglücksfall: Eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen an- 26 gewiesen ist, da ihm sonst erhebliche Gefahr an Leib und Leben droht. Beispiele: Unfall im Betrieb, Haushalt oder Verkehr (BGHSt 11 S. 135)
cc) Ob das Opfer der Tat die Notlage verschuldet hat, ist gleichgültig.^ 27 dd) Ausnutzen liegt vor, wenn der Täter die durch die Notlage geschaffene Gelegenheit 28 zum Diebstahl nutzt. - Die Tat braucht sich dabei nicht gegen den in Not Geratenen zu richten, Tatopfer kann z.B. auch eine Person sein, die mit Hilfsmaßnahmen beschäftigt ist. g) § 243 Abs. 1 Nr. 7: Diebstahl von Feuerwaffen Mit der Kennzeichnung des Diebstahls der hier genannten Feuerwaffen als besonders 29 schwerer Fall wollte der Gesetzgeber den Strafrechtsschutz im Vorfeld schwerer Gewaltdelikte verstärken. - Die Verallgemeinerung einer im Einzelfall durchaus möglichen Gefahr als strafschärfendes Merkmal ist jedoch wenig überzeugend. 3. Vorsatz und Irrtum im Rahmen des § 243 Abs. 1 a) Die in § 243 Abs. 1 beschriebenen straferhöhenden Umstände müssen vom Täter vor- 30 sätzlich bewirkt werden, d.h. er muss sich der objektiven Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts bewusst sein; § 16 analog. Beispiel: A öffnet die Wohnung des B, um dort zu stehlen, mit einem Schlüssel, von dem er meint, er gehöre dem B. In Wirklichkeit ist es nicht der Schlüssel des B, doch ist das Schloss derart ausgeleiert, dass es sich mühelos mit dem von A verwendeten Schlüssel öffnen lässt. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.
b) Der Irrtum des Täters, ein Regelbeispiel zu verwirklichen, ersetzt dessen Vorliegen 31 nicht. Der Handlungsunwert allein eröffnet nicht den erweiterten Strafrahmen des § 243 Abs. 1. Beispiel: A findet vor der Haustür des B einen Dietrich. Er kommt auf die Idee, damit in das Haus des B einzudringen und zu stehlen. - So geschieht es auch. Den Dietrich hatte jedoch B verloren. Er diente ihm seit langem zur Öffnung der Tür. - Demnach war der Dietrich das zur ordnungsgemäßen Öffnung der Tür bestimmte Werkzeug. Dies allerdings wusste A nicht. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.
4. Versuch a) Versuch und Regelbeispiel Streitig ist die Frage, ob der Strafrahmen des § 243 Abs. 1 auch dann eröffnet ist, wenn der 32 Diebstahl selbst im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Dabei ist zunächst danach zu unterscheiden, ob der Täter beim Versuch des Diebstahls das Regelbeispiel bereits verwirklicht hat oder nicht. BGH StV 1985 S. 103: A wollte mit zwei Komplizen aus dem Hause des X stehlen. Mit einem Hebelwerkzeug brachen die Täter das Vorhängeschloss einer Holztür auf und gelangten auf diese Weise in das Gebäude. Zur Wegnahme von Sachen kam es allerdings nicht mehr, weil sie von der Polizei überrascht wurden. BGHSt 33 S. 370: A und B wollten in eine Gaststätte einbrechen. A stand Schmiere, während B versuchte, eines der Butzenfenster der Gaststätte mit Hilfe eines Schraubenziehers aus der Bleifassung zu stemmen. Als B die Bleifassung gerade erst gelockert hatte, erschien die Polizei.
89
H . M . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 9 9 .
173
§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
33 Ist im Falle eines erfolglos gebliebenen Diebstahlsversuchs ein Regelbeispiel objektiv und subjektiv verwirklicht worden90, so bestehen keine Bedenken, die Regelwirkung durchgreifen zu lassen, so dass eine Bestrafung wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall, §§ 242,22 in Verb, mit § 243 IS. 2 Nr. 1 erfolgte 34 In diesem Falle kann die Strafe analog §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 gemildert werden, denn eine direkte Anwendung des § 23 Abs. 2 kommt nicht in Betracht, da er sich nicht auf Regelfallbeispiele bezieht.92 35 Von der Indizwirkung des Regelbeispiels kann hingegen keine Rede sein, wenn das Regelbeispiel im Rahmen eines versuchten^ oder vollendeten Diebstahls zwar verwirklicht werden sollte, aber nicht verwirklicht worden ist. Da der Gesetzgeber sich nicht damit begnügt hat, die Indizwirkung bereits an die geplante Erfüllung des Regelbeispiels zu knüpfen, sondern diese Wirkung an die Verwirklichung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Regelbeispiels gebunden hat, wäre eine Ausdehnung des gesetzlichen Anwendungsbereichs nur über §§ 22, 23 möglich. Diesem Weg steht jedoch Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. § 23 knüpft unmittelbar an die Regelung des § 22 an, der nur auf gesetzliche Tatbestände bezogen ist, nicht aber auf Strafzumessungsgründe. Aus § 23 Abs. 1 und Abs. 2 ist daher einzig und allein zu entnehmen, dass bei einem Deliktsversuch der Strafrahmen desjenigen Tatbestandes für die Strafzumessung entscheidend ist, zu dessen Verwirklichung der Täter im Sinne des § 22 unmittelbar angesetzt hat. Zur Bedeutung außertatbestandlicher Umstände bei dem Versuch macht § 23 Abs. 1, 2 keine Aussage. Es gibt nach dem klar zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers keinen „Versuch eines Straferschwerungsgrundes". § 243 Abs. 1 wiederum ist deutlich zu entnehmen, welche Voraussetzungen - unabhängig von der Frage, ob ein Straferschwerungsgrund außerhalb der Regelbeispiele aufgrund der Gesamtwürdigung von Tat und Täter vorliegt - erfüllt sein müssen, damit der Strafrahmen des § 243 eröffnet ist. Hätte der Gesetzgeber sich hier mit einem Handlungsunwert begnügen wollen, so hätte er dieses zum Ausdruck bringen müssen. Aus der früheren Fassung des § 243 ist jedenfalls kein Gegenargument herzuleiten, denn in dieser Fassung enthielt § 243 qualifizierte Diebstahlsfälle, so dass die Versuchsregeln sich selbstverständlich auch auf § 243 erstreckten. Dieser Bezug ist durch die Umwandlung des § 243 in einen bloßen Strafzumessungsgrund aufgehoben worden. Nunmehr setzt die Anwendung des § 243 - soweit ein Regelbeispiel in Betracht kommt - voraus, dass dieses Beispiel subjektiv und objektiv erfüllt ist.94 90
Vgl. dazu BGH StV 1985 S. 103.
91
Vgl. z.B.: B G H StV 1985 S. 103; FABRY N J W 1986 S. 18; GÖSSEL B.T. 2, § 8 Rdn. 67; KINDHÄUSER N K , § 2 4 3 R d n . 55; KREY B.T.2, Rdn. 109; LACKNER/KÜHL § 4 6 Rdn. 15; LAUBENTHAL J Z 1987
S. 1068 ff; MrrsCH B.T. U/2, § 1 Rdn. 179; RENGIER B.T. I, § 3 Rdn. 29; Ruß LK, § 243 Rdn. 36; SCH/SCH/ESER § 2 4 3 Rdn. 44; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 184 f f ; TRÖNDLE/FLSCHER § 4 6 R d n . 97; WESSELS Lackner-FS, S. 430. - A . A . ARZT StV 1985 S. 105; CALLES J Z 1975 S. 112 f f .
92
Für die direkte Anwendung der §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1: BGH MDR 1986 S. 250; OLG Köln MDR 1973 S. 779; WESSELS Lackner-FS, S. 430.
93
Vgl. dazu BGHSt 33 S. 376.
94
So auch BGH (5. Strafsenat) NStZ-RR 1997 S. 442 mit Anm. GRAUL JuS 1999 S. 852 ff, 856 f, OTTO JK 98, StGB § 22/19 (zu § 176 I, ffl); im übrigen vgl. BayObLG NJW 1980 S. 2207; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 222; OLG Düsseldorf JZ 1984 S. 1000; GÖSSEL B.T. 2, § 8 Rdn. 69; HOHMANN/SANDER B.T. I, § 1 Rdn. 176; KADEL J R 1985 S. 3 8 6 f; KREY B.T.2, R d n . 110; LACKNER/KÜHL § 4 6 R d n . 15; LIEBEN N S t Z 1984 S. 5 3 8 f; MITSCH B.T. D/2, § 1 R d n . 180; OTTO Jura 1989 S. 201 f; RENGIER B.T. I, § 3 Rdn. 3 0 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 3 Rdn. 4 4 ; R. SCHMITT Tröndle-FS, S. 315; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 187 f; WESSELS Lackner-FS, S. 4 3 3 f f ; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 207; ZIESCHANG
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Schwere Fälle des Diebstahls
§41
cc) Ist bei einem zur Vollendung gelangten Diebstahl die beabsichtigte Verwirklichung 36 des Regelbeispiels im Versuchsstadium steckengeblieben, so ist gleichfalls der Strafrahmen des § 243 nicht eröffnet.95 Beispiel: A, der versucht mit einem Brecheisen in das Haus des B zu gelangen, erkennt plötzlich, dass die Tür gar nicht abgeschlossen ist. Er betritt das Haus und entwendet eine Uhr. Ergebnis: Bestrafung nur nach § 242.
b) Problematik des Versuchsbeginns In der Regel wird eine unmittelbare Gefährdung des Gewahrsams an der für den Diebstahl 37 in Aussicht genommenen Sache und damit ein Ansetzen zur Verwirklichung des Diebstahlstatbestandes schon mit der Erfüllung eines Regelbeispiels vorliegen. Das muss aber nicht zwingend der Fall sein, sondern ist jeweils im Einzelfall darzulegen. Ein unmittelbares Ansetzen trotz Verwirklichung des Regelbeispiels wird etwa dann nicht zu bejahen sein, wenn der Täter die Gewahrsamsschranke nur beseitigen und in einem späteren Zeitpunkt die Wegnahme verwirklichen will.96 Beispiel: A zerstört mit einem Brecheisen den Schließmechanismus des Garagentors des B. In der nächsten Woche, wenn B einen neuen Wagen geliefert erhalten hat, will er diesen wegnehmen. Ergebnis: Sachbeschädigung vollendet, Diebstahl erst vorbereitet.
5. Konkurrenzen a) Hat der Täter mehrere Regelbeispiele des § 243 erfüllt, so liegt dennoch nur ein Dieb- 38 stahl unter besonders schweren Umständen vor. b) Bei den Regelbeispielen „Einbrechen" und „Einsteigen" wird ein evtl. verübter Haus- 39 friedensbrach oder eine Sachbeschädigung konsumiert, und zwar selbst dann, wenn der Diebstahl nur bis zum Versuch gediehen ist. Einer Verurteilung nach §§ 123, 303 bedarf es nicht, da der Unrechtsgehalt des Hausfriedensbruchs oder der Sachbeschädigung bereits in der Strafe gemäß § 243 berücksichtigt wird.97 6. Urteilstenor In den Urteilstenor gehört die Kennzeichnung der Tat als „besonders schwerer Fall" nicht, 40 denn dieser hat nur die rechtliche Bezeichnung der Tat anzugeben, § 260 Abs. 4 S. 1 StPO. Während der BGH jedoch im Falle der Verurteilung Jugendlicher die Anführung des „besonders schweren Falles" im Urteilstenor beanstandet, korrigiert er im Erwachsenenstrafrecht diesen auch dort für überflüssig gehaltenen Hinweis nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen.
Jura 1999 S. 565 f. - A.A. BGHSt 33 S. 370; BayObLG NStZ 1997 S. 442 mit Anm. SANDER/MALKOWSKI NStZ 1999 S. 36, WOLTERS JR 1999 S. 37 ff; FABRY N J W 1986 S. 18 ff; HOYER SK II, § 2 4 3 Rdn. 54; KINDHÄUSER NK, § 243 Rdn. 58 ff; KÜPER JZ 1986 S. 518; LAUBENTHAL JZ 1987 S. 1069; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 33 Rdn. 107; SCHÄFER JR 1986 S. 522 f; ZLPF JR 1981 S. 119 ff. 95
Vgl. B a y O b L G JR 1981 S. 118; KÜPER JZ 1986 S. 525; STERNBERG-LIEBEN Jura 1986 S. 187 f.
96
Vgl. ARZT JuS 1972 S. 517; STREE Peters-FS, S. 180 ff; WESSELS Maurach-FS, S. 305 f.
97
Dazu K G JR 1979 S. 249 mit Anm. GEERDS S. 250 ff.
175
§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
II. § 243 Abs. 2: Ausschluss der Strafschärfung 1. Geringwertig 41 a) § 243 Abs. 2 stellt eine unwiderlegbare Vermutung dafür auf, dass in den Fällen des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1-6 ein besonders schwerer Fall nicht vorliegt, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht. - Nach seinem Wortlaut gilt Abs. 2 nur für die Nr. 1 - 6 , nicht für die „ungeregelten" schweren Fälle. Nach seiner ratio ist er aber auch auf diese Fälle anzuwenden.98 42 Der Begriff scheint auf den Verkehrswert zu verweisen und wäre, so interpretiert, durchaus abgrenzbar. Allein diese Interpretation kann im Rahmen eines Delikts, das sogar Sachen ohne Handelswert schützt, nicht richtig sein, zumal wenn man der Ansicht folgt, dass das Unrecht der Wegnahme einer Sache ohne Verkehrswert durchaus größer sein kann als das der Wegnahme einer Sache von hohem Geldwert. Überdies kann z.B. in den Fällen des Abs. 1 Nr. 4 und 5 der Verkehrswert keine Rolle spielen, denn gerade die dort genannten Gegenstände können einen minimalen Verkehrs-, wohl aber einen hohen Gebrauchs- oder Affektikonswert haben. 43 Um aber überhaupt einmal einen Ausgangspunkt flir die Argumentation zu gewinnen, ist vom Verkehrswert der Sache auszugehen. Erst wenn feststeht, dass die Sache keinen oder nur einen geringen Verkehrswert hat, ist zu fragen, ob sie unter sonstigen schutzwürdigen Aspekten als wertvoll für das Opfer angesehen werden kann. - Wann der Verkehrswert noch als geringwertig anzusehen ist, kann nicht ein für alle Mal bestimmt werden. Änderungen des Preisgefüges sind zu berücksichtigen. Geringwertig derzeit: Verkehrswert unter DM 100,-."
44 b) Entscheidend dafür, ob sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht, ist nicht nur der objektive Wert der weggenommenen Sache - sonst wäre § 243 Abs. 1 z.B. stets ausgeschlossen, wenn der Täter nichts wegnimmt, weil er entgegen seiner Vorstellung nichts findet -, sondern auch die Vorstellung des Täters. Nur wenn die als Gegenstand des Diebstahls ins Auge gefasste Sache objektiv geringwertig ist und der Täter auch von dem geringen Wert ausgeht, findet § 243 Abs. 2 Anwendung. Auf diese Weise kommt es zu einem vertretbaren Ausgleich zwischen den Interessen des Täters und denen des Geschädigten. 45 Beispiel 1: A entwendet eine Vase, die er flir geringwertig hält, die aber einen Wert von DM 1000,- hat. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein, denn objektiv war die Vase nicht geringwertig.100 Beispiel 2: A entwendet eine Vase, die er für hochwertig hält, die aber nur einen Wert von DM 2,- hat. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein, doch kann in diese Situation auf Grund einer Gesamtwertung von Tat und Täter u.U. ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen sein.101
98
V g l . d a z u KÜPER N J W 1994 S. 3 5 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 3 R d n . 4. - A . A . JOECKS S t G B , § 2 4 3 R d n . 3; MITSCH Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 7 3 ff.
99
Vgl. OLG Zweibrücken StV 2000 S. 298.
100 v g l . a u c h KÜPER B.T., S. 153; LACKNER/KÜHL § 2 4 3 R d n . 5; R u ß L K , § 2 4 3 R d n . 4 1 . - A . A . KINDHÄUSER N K , § 2 4 3 R d n . 7 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 102. 101 V g l . a u c h KÜPER N J W 1994 S. 3 5 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 3 R d n . 5; RUß L K , § 2 4 3 R d n . 4 1 . - A . A . -
Versuchter Diebstahl in einem besonders schweren Fall -: HOYER SK II, § 243 Rdn. 49; KINDHÄUSER NK, § 243 Rdn. 73; SEELMANN JUS 1985 S. 457. - Für vollendeten einfachen Diebstahl: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 102.
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Schwere Fälle des Diebstahls
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Beispiel 3: BGH NStZ 1987 S. 71: A hatte die verschlossene Tür eines Kfz aufgebrochen, um Sachen zu stehlen. Er fand nur geringwertige Sachen. BGH: Die Tat bezog sich nicht auf eine geringwertige Sache.102
c) Eine analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 auf §§ 244, 249, 250, 252 kommt wegen des 46 Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht in Betracht. 2. Wegnahme mehrerer Sachen Erfolgt die Wegnahme mehrerer Sachen unter den Voraussetzungen einer natürlichen oder 47 tatbestandlichen Handlungseinheit104, so ist der Gesamtwert der Beute maßgeblich. - Aber auch wenn die Voraussetzungen der Handlungseinheit nicht vorliegen, aber „zwischen den einzelnen Taten ein sachlicher und situativer Zusammenhang besteht", eröffnet der BGH einen Weg, bei der Strafzumessung zu Ergebnissen zu gelangen, wie sie die nunmehr von ihm preisgegebene Konstruktion der fortgesetzten Handlung ermöglichte, indem lediglich eine niedrige Erhöhung der Einsatzstrafe vorgenommen wird.105 3. Mittäterschaft Bei Mittäterschaft kommt es auf den Wert der gesamten vom Diebstahl erfassten Menge 48 an, nicht auf den Anteil des einzelnen Täters. - Liegt der Schaden der mittäterschaftlich begangenen Tat nämlich über der Wertgrenze, so ist dies für das Opfer keine Bagatelle mehr.
HI. Diebstahl mit Waffen, Banden-, Wohnungseinbruchdiebstahl, § 244 § 244 ist ein gegenüber § 242 qualifizierter Tatbestand: die qualifizierenden Merkmale 49 sind abschließend aufgezählt. 1. § 244 Abs. 1 Nr. 1: Diebstahl mit Waffen a) Abs. 1 Nr. 1 a: Beisichführen von Waffen oder gefährlichen Gegenständen 50 Nach § 244 Abs. 1 a.F. war allein das bloße Beisichführen von (gebrauchsbereiten) Schusswaffen beim Diebstahl qualifizierend erfasst. Das 6. StrRG hat diese Tatbestandsaltemative erheblich erweitert. Nunmehr genügt das Beisichführen von Waffen oder von gefahrlichen Werkzeugen, Abs. 1 Nr. 1 a. Waffen sind Schusswaffen - d.h. Werkzeuge, bei denen ein Geschoss aus einem Lauf 51 abgefeuert wird, das geeignet ist, Menschen körperlich zu verletzen - sowie andere Waffen im technischen Sinne, z.B. Hieb-, Stoß- und Stichwaffen, aber auch Handgranaten oder ein Schlagring. - Zur Gefährlichkeit der Waffe vgl. unter § 46 Rdn. 33.
102 Dazu auch BGH NJW 1975 S. 1286 mit abl. Anm. BRAUNSTEFFER S. 1570 und mit zust. Anm. GRIBBOHM s . 2 2 1 3 .
103 So auch BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 543; SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 57. - A.A. BURKHARDT N J W 1975 S. 1687
f.
104 v g l . d a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 3 R d n . 8 f f .
105 Vgl. B G H StV 1994 S. 370. 177
§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Als Schusswaffen können auch Luftgewehre und Luftpistolen in Betracht kommen. Str. ist, ob Gaspistolen als Schusswaffen anzusehen sind. Um Waffen im technischen Sinn handelt es sich jedenfalls,106 während es bei Bolzenschussapparaten auf die Bauart (OLG Hamm MDR 1975 S. 420), bei Schreckschusspistolen auf die Art der Verwendung ankommt (BGH StV 1988 S. 429; StV 1999 S. 92).
52 Zum Begriff des gefährlichen Werkzeugs verweisen die Gesetzesmaterialien auf den entsprechenden Begriff in § 224. 10? - Diese Verweisung ist irreführend, denn in § 224 wird das gefährliche Werkzeug danach bestimmt, ob es nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art der Verwendung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen; vgl. § 16 Rdn. 6 ff. Hier kommt es jedoch auf das bloße Beisichführen an und gerade nicht auf die Art eines u.U. geplanten Einsatzes. - Um nicht jeden Gegenstand, der bei einem hypothetisch gedachten Einsatz erhebliche Verletzungen herbeiführen kann, als gefährliches Werkzeug einordnen zu müssen, sind in der Literatur zahlreiche Versuche einer restriktiven Auslegung des Begriffs vorgeschlagen worden, wobei sich subjektivierende und objektivierende Auffassungen unterscheiden lassen. 53 Die subjektivierenden Auffassungen nehmen ein gefährliches Werkzeug nur an, wenn der Täter den mitgeführten Gegenstand zum Einsatz gegen Menschen tatsächlich benutzen wollte.108 - Mit dem Gesetzeswortlaut, der zwischen Beisichführen und Beisichführen in Verwendungsabsicht differenziert, ist das jedoch nicht mehr in Einklang zu bringen. Mit den objektivierenden Auffassungen ist daher auf die typische, erfahrungsgemäße, nach Art des Gegenstandes naheliegende Verwendungsart als Angriffs- oder Verletzungsmittel abzustellen.109 Gefährliche Werkzeuge sind danach Tapetenmesser oder Salzsäure (BT-Drucks. 13/9064, S. 18), zusammengeklapptes Taschenmesser (BayObLG StV 2001 S. 17110), Brecheisen, aber auch ein Schraubenzieher oder ein Kfz, das zur Wegnahme eingesetzt wird, sowie sog. Scheinwaffen - dazu unter Rdn. 59 -, die als Schlagwerkzeuge Verwendung finden können.
54 Ein am Tatort anwesender Tatbeteiligter muss die Waffe oder das gefahrliche Werkzeug bei sich geführt haben, d.h. er braucht die Waffe oder das Werkzeug nicht in der Hand gehalten zu haben, sie muss ihm jedoch derart zur Verfügung gestanden haben, dass er sich ihrer jederzeit und ohne Schwierigkeiten bedienen konnte. - Auch wenn es nicht not106 im einzelnen dazu BGHSt 24,136,137; 45 S. 92,93 mit Anm. DENCKER JR 1999 S. 33 ff, GEPPERT JK 99, S t G B § 2 5 0 U/1, ZOPFS J Z 1 9 9 9 S. 1 0 6 2 ff; B G H J R 1 9 9 9 S. 3 3 ; RÜPER B . T . , S. 4 1 4 f; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 4 4 R d n . 3.
107 vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 18. 108 vgl. BGH NStZ 1999 S. 302; BayObLG NJW 1999 S. 2535; GEPPERT Jura 1999 S. 602; GRAUL Jura 2 0 0 0 S. 2 0 5 f; GÜNTHER S K II, § 2 5 0 R d n . 8 , 1 1 ; KÜPER J Z 1999 S. 192; DERS. B . T . , S. 4 3 1 ; RENGIER
B.T. I, § 4 Rdn. 24 ff; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 262 ff.
109 Typische, erfahrungsgemäße Verletzungseignung: DENCKER JR 1999 S. 35 f; SCHROTH NJW 1998 S. 2864; ZIESCHANG JuS 1999 S. 51 f. - Gefährlich unter den konkreten Umständen des Mitführens: JÄGER JuS 2000 S. 654; JOECKS StGB § 244 Rdn. 13. - Ausschließliche Nutzung als Gewaltmittel sinnvoll: SCHLOTHAUER/SÄTTELE StV 1998 S. 505. - Keine Zweckentfremdung bei Einsatz als Gewaltmittel: HÖRNLE Jura 1998 S. 172; KREY B.T. 2, Rdn. 134 a. - Beschaffenheit läßt Herbeiführung von Verletzungen vermuten: HOYER SK II, § 244 Rdn. 9 ff; KINDHÄUSER NK, § 244 Rdn. 7. - Auf die gesetzlich nicht freie Verfügbarkeit des Gegenstandes stellt ab: LESCH GA 1999 S. 376. - Die allgemeine oder bestimmungsgemäße Dienlichkeit als Angriffsmittel stellt heraus: MAATSCH GA 2001 S. 83. - In der „Waffenersatzfunktion" sieht das entscheidende Kriterium: STRENG GA 2001 S. 359 ff. H O M i t A n m . ERB J R 2 0 0 1 S. 2 0 6 f, GEPPERT J K 01, S t G B § 2 4 4 1 N r . 1 a/1, KINDHÄUSER/WALLAU S t V 2 0 0 1 S. 18 f. - Z u m B u t t e r f l y - M e s s e r : O L G HAMM S t V 2 0 0 1 S. 3 5 2 m i t A n m . KINDHÄUSER/WALLAU
S. 352 ff.
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Schwere Fälle des Diebstahls
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wendig ist, dass der Täter die Waffe oder das gefährliche Werkzeug während des gesamten tatbestandsmäßigen Geschehens bei sich führt, so muss sie ihm doch zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tatgeschehens - Versuch bis Vollendung - zur Verfügung stehen.111 Dass der Täter dem Opfer die Waffe oder das Werkzeug vor Vollendung der Tat abgenommen hat, genügt.1^ Zum Teil wird der Zeitpunkt der materiellen Beendigung als genügend angesehen, so dass es ausreichen 5 5 kann, dass sich die Waffe in dem Fluchtfahrzeug befindet, mit dem der Täter die Beute in Sicherheit bringt.113 - Flieht der Täter allerdings ohne Beute, so ist die Tat in dem Moment vollendet und beendet, in dem sich der Täter zur Flucht wendet.114
Erforderlich ist, dass der Täter die Waffe oder das Werkzeug bei sich hat und dieses weiß. 56 Die Tatsache, dass der Täter die Waffe oder das gefahrliche Werkzeug aus beruflichen Gründen (stets) bei sich führt, schließt die Anwendung des Abs. 1 Nr. 1 daher nicht aus.1'5 - Bei Schusswaffen liegt auch im bloßen Beisichführen eine - erhebliche - abstrakte Gefahr für das Opfer. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch der feste Entschluss des Täters, die Waffe nicht zu benutzen, keine sichere Hemmung bedeutete, wenn der Täter in einer für ihn unüberschaubaren Situation keinen anderen Ausweg sieht als die Anwendung von Gewalt. Die Art und Weise dieser Anwendung ist dann gleichsam vorgegeben. Auf das Beisichführen von gefährlichen Werkzeugen schlechthin ist dieser Gedanke nicht übertragbar, denn gerade wenn erst die Zweckentfremdung eines Werkzeugs, z.B. eines Schraubenziehers oder einer Werkzeugkiste, dieses zum gefährlichen Werkzeug machen kann, ist nicht gesagt, dass der Täter diese mögliche Zweckentfremdung auch verwirklichen würde. Der Anwendungsbereich des Tatbestandes erfasst daher grundsätzlich unterschiedliche Situationen.11® b) Abs. 1 Nr. 1 b: Beisichführen bestimmter Objekte in Verwendungsabsicht Ein Werkzeug oder Mittel ist ein Gegenstand, der seiner Art nach geeignet ist, Widerstand 57 durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Auch in diese Tatalternative muss der Täter das Werkzeug oder Mittel bei sichßhren. Dies sieht der BGH 5 8 außer in den oben - Rdn. 54 - beschriebenen Situationen auch dann als gegeben an, wenn der Täter dem Opfer überhaupt nicht gegenübertritt, sondern seine Drohung nur schriftlich oder mündlich übermittelt und
Hl
Vgl. hierzu auch GEPPERT Jura 1992 S. 497; HRUSCHKA JZ 1969 S. 607 ff; DERS. JZ 1983 S. 217 f; KÜHL J u S 1982 S. 191 f; SCHÜNEMANNJA 1980 S. 394.
112 v g l . B G H StV 1988 S. 4 2 9 mit Klarstellung SALGER StV 1989 S. 6 6 u n d A n m . SCHOLDERER StV 1988
S. 429 ff sowie StV 1989 S. 153; vgl. auch BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 720; OLG Hamm StV 2001 S. 3 5 2 mit abl. A n m . KINDHÄUSER/WALLAU S. 354.
U 3 BGHSt 20 S. 194, 197 mit Anm. WEBER JZ 1965 S. 417 f; BGH NStZ 1998 S. 354; Küper B.T., S. 65 ff; RUß LK, § 244 Rdn. 5. 114 Vgl. dazu auch BGHSt 31 S. 105; BGH StV 1988 S. 429; SALGER StV 1989 S. 66. 115 So auch BVerfG (2. Kammer des 2. Senats) NStZ 1995 S. 76; BGHSt 30 S. 44 (Polizeibeamter im Dienst); OLG Köln NJW 1978 S. 652 f (bewaffneter Wachsoldat); GEPPERT Jura 1992 S. 498; GÜNTHER S K II, § 2 5 0 Rdn. 16; HETTINGER G A 1982 S. 5 2 5 f f ; KATZER N S t Z 1982 S. 2 3 6 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 4 4 R d n . 3; MITSCH B.T. II/2, § 1 R d n . 241; RUB L K , § 2 4 4 R d n . 5; SEELMANN J u S 1985 S. 457; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 257. - A . A . HAFT J u S 1988 S. 364, 368; HRUSCHKA N J W 1978 S. 1338; KOTZ JUS 1982 S. 97 f f ; LENCKNER J R 1982 S . 4 2 4 f f ; SCHÜNEMANN J A 1980
S. 355; SOLBACH NZWehrr 1977 S. 161 ff.
116 Krit. auch HORNLE Jura 1998 S. 172.
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§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
dabei auf das Mittel verweist, das sich in seiner Herrschaftsmacht befindet. 117 - Die unmittelbare, in der Tatsituation angelegte Gefahr derartige Mittel wird damit nicht mehr erfasst.118
59 Der Gesetzgeber wollte in dieser Alternative sog. Scheinwaffen, z.B. Attrappen einer Pistole oder ungeladene Pistolen, erfassen, die zur gewaltsamen Überwindung des Opfers eingesetzt werden sollen, ohne hierbei objektiv eine Leibes- oder Lebensgefahr zu begründen. Die Verwendung derartiger „Hilfsmittel" als qualifizierendes Diebstahlselement war im Hinblick auf § 244 Abs. 1 Nr. 2 a.F. umstritten. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die § 244 Abs. 1 Nr. 2 a.F. in diesen Fällen bejahte, stand die h.L. gegenüber. Diese hat ihren Standpunkt nunmehr der Rechtsprechung angepasst und lässt die Bedrohung durch eine Scheinwaffe ausreichen,119 wobei der Rechtsprechung und dem Willen des Gesetzgebers weitgehend gefolgt wird und Gegenstände, die nur die Täuschung stützen sollen, der Täter verfüge über ein Mittel, mit dem der Widerstand des Opfers überwunden werden könne - z.B. Plastikrohr oder Lippenstift, mit dem Vorhandensein einer Pistole vorgetäuscht wird -, ausgeklammert werden.12" 60 Subjektiv erfordert Nr. 1 b, dass der Täter die Absicht hat, die Waffe, das Werkzeug oder das Mittel zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand einzusetzen, bzw. dass er die Absicht eines anderen Tatbeteiligten, in dieser Weise vorzugehen, kennt. 2. § 244 Abs. 1 Nr. 2: Bandendiebstahl 61 a) Bande ist eine auf ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung beruhende Verbindung mehrerer Personen, die auf geraume Zeit bei der Begehung selbständiger Taten nach §§ 242, 249 zusammenwirken wollen. - Strittig in Literatur und Rechtsprechung sind jedoch die einzelnen Voraussetzungen des Bandenbegriffs, ob nämlich schon zwei Mitglieder eine Bande bilden können und ob § 244 Abs. 1 Nr. 2 nur auf örtlich und zeitlich am Tatort mitwirkende Tatbeteiligte anzuwenden ist. 62 aa) Für eine Mindestzahl von zyvei Mitgliedern spricht, dass § 244 Abs. 1 Nr. 2 Anwendung findet, wenn zwei Mitglieder einer größeren Bande die Tat ausführen. Von daher scheint es nur konsequent, bereits von einer Bande zu sprechen, wenn sich nur zwei Personen zusammengetan haben.121 Wesentliches Element der Gefährlichkeit der Bande ist jedoch die Tatsache, dass deren Aktivität unabhängig vom Hinzukommen und Austreten
117 Vgl. BGH StV 1994 S. 656. 118 Vgl. dazu auch KELKER StV 1994 S. 657 f; OTTO Jura 1997 S. 474. 1 1 9 V g l . B G H JZ 1 9 9 8 S. 7 4 0 m i t A n m . LESCH S t V 1 9 9 9 S. 9 3 f , MITSCH JUS 1 9 9 9 S. 6 4 0 f f , OTTO JK 9 9 ,
StGB § 250/9; BGH StV 1998 S. 487; BGH NStZ 1999 S. 136. - DENCKER JR 1999 S. 33; KÜPER B.T., S. 4 4 0 ; KUDLICH JR 1 9 9 8 S. 3 5 8 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 4 R d n . 4 ; MITSCH Z S t W 1 1 1 ( 1 9 9 9 ) S. 8 0 ; RENGIER B . T . I, § 4 Rdn. 3 1 ; SCHROTH N J W 1 9 9 8 S. 2 8 6 5 ; SEIER J A 1 9 9 9 S. 6 7 0 ; WES-
SELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 265. - Zweifelnd: HÖRNLE Jura 1998 S. 174. - A.A. KINDHÄUSER B.T. 11/1, § 4 Rdn. 13 f f ; LESCH G A 1 9 9 9 S. 3 7 1 f f .
120 vgl. dazu BT-Drucks. 13/9064, S. 18; BGHSt 38 S. 116; BGH NStZ 1997 S. 184; KUDLICH JR 1998 S. 3 5 9 ; RENGIER B . T . I, § 4 R d n . 3 2 f f ; SCHROTH N J W 1 9 9 8 S. 2 8 6 5 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , Rdn.
266. - Als inkonsequent lehnen diese Einschränkung ab: KINDHÄUSER B.T. n/1, § 4 Rdn. 14; KLESCZEWSKI G A 2 0 0 0 S. 2 5 9 f f ; KÜPER B . T . , S. 4 4 2 .
121 BGHSt 23 S. 239 f; 31 S. 27 f; 42 S. 257 f; BGHStV 2000 S. 259; 2000 S. 311; ARZT/WEBER B.T., § 14 R d n . 6 0 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 4 R d n . 3 0 ; KÜPER B . T . , S. 4 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 123; SCHILD G A 1 9 8 2 S. 5 5 f f .
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Schwere Fälle des Diebstahls
§41
einzelner Mitglieder besteht. Diese Situation ist beim Zusammenschluss von zwei Personen nicht gegeben.122 bb) Nach der früheren Rechtsprechung konnte nur Täter sein, wer als Bandenmitglied mit 63 einem anderen Bandenmitglied örtlich und zeitlich am Tatort zusammenwirkte,1^ während das Schrifttum überwiegend dafür plädierte, ein Bandenmitglied auch dann als Täter zu bestrafen, wenn es bei der Ausführung des Diebstahls nicht unmittelbar mitwirkte, aber am Diebstahl täterschaftlich beteiligt war und der Diebstahl von zwei weiteren Bandenmitglie'dern in örtlich zeitlichem Zusammenwirken am Tatort begangen wurde. Dem schlössen sich die BGH-Strafsenate z. T. an.12* - Der 4. Strafsenat allerdings wollte ein Zusammenwirken von zwei Bandenmitgliedern genügen lassen, ohne dass diese örtlich und zeitlich am Tatort zusammenwirken mussten.125 cc) Der Große Senat für Strafsachen126 entschied die Streitfragen dahin, dass der Begriff 64 der Bande den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraussetzt. Diese müssen sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps zu begehen. Nicht vorausgesetzt wird, dass wenigstens zwei Bandenmitglieder örtlich und zeitlich den Diebstahl zusammen begehen. Es reicht aus, wenn ein Bandenmitglied als Täter und ein anderes Bandenmitglied beim Diebstahl in irgendeiner Weise zusammenwirken. Die Wegnahmehandlung selbst kann sogar durch einen bandenfremden Täter ausgeführt werden. c) Die Bandenmitgliedschaft ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28, denn 65 sie ist kein besonderes pflichtbegründendes Merkmal.127 3. § 244 Abs. 1 Nr. 3: Wohnungseinbruchsdiebstahl Wohnungen sind die der Unterkunft von Menschen dienenden Räume, die diesen zugleich 66 eine räumlich abgegrenzte Privat- oder Intimsphäre vermitteln.128 - Zu den einzelnen Tathandlungen vgl. unter Rdn. 5 ff, da der Gesetzgeber den ursprünglich in § 243 Abs. 1 Nr. 1 a.F. enthaltenen Wohnungseinbruch lediglich als Qualifikationstatbestand in § 244 Abs. 1 Nr. 3 übernommen hat. - § 244 Abs. 1 Nr. 3 enthält eine Spezialregelung gegenüber § 243 122 Vgl. BGH (4. Strafsenat) JZ 2000 S. 627 sowie NJW 2001 S. 380; DREHER NJW 1970 S. 1802 ff; ENGLÄNDER JZ 2000 S. 630; DERS. JR 2001 S. 78; ERB NStZ 1999 S. 187 f; GEILEN Jura 1979 S. 446;
HOHMANN NStZ 2000 S. 259; JOECKS StGB, § 244 Rdn. 21; OTTO Jura 1989 S. 203; DERS. StV 2000 S. 314; RENGIER B.T. I, § 4 R d n . 4 5 ; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/37; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 395; VOLK
JR 1979 S. 426 ff. - Zur kriminologischen Differenzierung bei der Zweierbande: SCHÖCH NStZ 1996 S. 166 ff. 123 Vgl. BGHSt 33 S. 50 f; BGHStV 1993 S. 132; BGH StV 1995 S. 586; BGH StV 1996 S. 545; BGH StV 1997 S. 247; GÖSSEL B.T. 2, § 9 Rdn. 35; LACKNER/KÜHL § 2 4 4 R d n . 8; MJEHE S t V 1997 S. 248.
124 Vgl. BGHSt 46 S. 120 mit Anm. HOHMANN NStZ 2000 S. 258 f, O r r o StV 2000 S. 313 ff; BGH NJW 2 0 0 0 S. 2 9 0 7 ; ENGLÄNDER J R 2 0 0 1 S. 78 f; JOERDEN StV 1985 S. 329; KÜPER G A 1997 S. 3 3 2 f f ; MEYER JUS 1986 S. 189; M r r s c H B.T. H/2, § 1 R d n . 2 6 1 ; SCHMITZ N S t Z 2 0 0 0 S. 4 7 7 f; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 272.
125 BGH JZ 2000 S. 627; BGH NJW 2001 S. 380; dazu ALTENHAIN ZStW 113 (2001) S. 129 ff, 144 f. 126 BGH NJW 2001 S. 2266. 127 w i e hier KREY B.T.2, Rdn. 137; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 4 5 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 4 R d n . 28; VOGLER
Lange-FS, S. 278. - A.A. BGHSt 4 S. 32; 12 S. 220; BGHZ NStZ 1996 S. 128 mit Anm. GEPPERT JK 96, S t G B § 244/6; ARZT JUS 1972 S. 579; HERZBERG Z S t W 8 8 (1976) S. 102; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 33 Rdn. 126; SCHILD G A 1982 S. 83; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 3 9 5 f.
128 Dazu OLG Schleswig NStZ 2000 S. 479.
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§42
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Abs. 1 Nr. 1, soweit dieser beim Einbruch in eine Wohnung zugleich erfüllt ist, weil der Wohnungseinbruch sich auch als Einbruch in ein Gebäude darstellt. 4. Konkurrenzen 67 a) Zwischen einem vollendeten einfachen Diebstahl und einem versuchten Diebstahl nach § 244 ist Idealkonkurrenz möglich. Beispiel: A und B wollen im Hause des X stehlen. A geht dabei davon aus, dass B eine Pistole bei sich hat, von der er notfalls auch Gebrauch machen wird. - Nach dem Diebstahl stellt sich heraus, dass B keine Pistole mitgenommen hatte. Ergebnis: A: §§ 242; 244 Abs. 1 Nr. 1 a, 23; 52. - B: § 242.
68 b) § 244 Abs. 1 Nr. 1 a und Nr. 1 b schließen einander aus, im übrigen stellen die einzelnen Tatbestände des § 244 lediglich verschiedene Begehungsformen desselben Delikts dar und begründen daher keine Idealkonkurrenz.129
IV. Schwerer Bandendiebstahl, § 244 a 69 § 244 a ist ein gegenüber § 244 Abs. 1 Nr. 2 weiter qualifizierter Tatbestand. 1. Voraussetzungen des Tatbestandes 70 Der schwere Bandendiebstahl setzt einen Bandendiebstahl i. S. des § 244 Abs. 1 Nr. 2, der entweder unter den weiteren Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 - 7, mit Waffen i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 1 oder als Wohnungseinbruch i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 3 begangen wird. Für die Ausübung der Tat unter Mitwirkung eines Bandenmitglieds sind die Tatmodalitäten des § 244 Abs. 1 Nr. 2 maßgeblich.130 - Die Voraussetzungen der Regelbeispiele sind hier qualifizierende Tatbestandsmerkmale. 2. Konkurrenzen 71 Zwischen einem weniger qualifizierten vollendeten Diebstahl und einem versuchten Diebstahl nach § 244 a ist Idealkonkurrenz möglich.
§ 42 Unterschlagung 1 Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.
I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1 1. Das geschützte Rechtsgut 2 Das geschützte Rechtsgut ist identisch mit dem des § 242: Die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache.
129
S o auch LACKNER/KÜHL § 2 4 4 Rdn. 12; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 127; R u ß
LK, § 244 Rdn. 18. - A.A. TRONDLE/FISCHER § 244 Rdn. 28 (Idealkonkurrenz). - Zur Rechtsprechung des BGH vgl. einerseits BGH NStZ 1994 S. 284, andererseits BGH NStZ 1994 S. 285. 130 Dazu im einzelnen BGH NJW2001 S. 2266.
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Unterschlagung
§42
2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Zu den Begriffen bewegliche Sachen, fremd vgl. oben § 40 Rdn. 3 Zur Ergänzung:
ff.
3
aa) OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 65 ff: Die Prostituierte A vereinbarte mit G ein Entgelt von DM 30,-. G 4 gab der A einen Hundertmarkschein, nachdem sie die Rückzahlung von DM 70,- nach dem Verkehr zugesagt hatte. Später fasste sie jedoch den Plan, das ganze Geld zu behalten und verweigerte die Rückzahlung. OLG: A eignete sich eine fremde Sache zu: „Der Eigentumsübergang war von der Bedingung der Rückübereignung von Geldscheinen im Werte von DM 70,- abhängig. Da A den Differenzbetrag von DM 70,nicht zurückgezahlt hat, ist die Bedingung für ihren Eigentumserwerb an dem Hundertmarkschein nicht eingetreten .... Der Geldschein war als fremde Sache daher taugliches Objekt einer Unterschlagung." bb) BGH StV 2000 S. 619: A kaufte von B Rauschmittel und bezahlte mit Geld, das er dem B später wieder wegnahm. BGH: Das Geld war für A keine fremde Sache, da das Übereignungsgeschäft nichtig war. cc) Zu den Eigentums- bzw. Übereignungsverhältnissen beim Tanken an Selbstbedienungstankstellen vgl. oben § 40 Rdn. 12.
b) Zueignung ist ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, dass er den Be- 5 rechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft (Eigenbesitz) über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirtschaftlich nutzen will; vgl. im einzelnen dazu oben § 40 Rdn. 44 ff. Da die Zueignung demnach durch drei Elemente - Enteignung des Berechtigten, An- 6 eignung durch den Täter, Absicht wirtschaftlicher Nutzung - gekennzeichnet ist, kann sie sich weder in einem rein subjektiven noch in einem rein objektiven Geschehen erschöpfen. Es geht vielmehr darum, ob ein bestimmtes, nach außen erkennbares Verhalten des Täters - bei Berücksichtigung des Tatplans - zum Ausdruck bringt, dass der Täter sich selbst oder einem Dritten die umfassende Sachherrschaftsposition anmaßt, so dass die Zueignung nach außen erkennbar, d.h. manifest wird.i3i - § 246 a.F. setzte eine bereits bestehende Besitzposition des Täters an der Sache im Zeitpunkt der Zueignung voraus. Diese Begrenzung der Tatsituation ist durch das 6. StrRG beseitigt worden. Dennoch lässt sich die Zueignung auch jetzt in den Fällen, in denen der Täter das Tatobjekt bereits vor der Zueignung in Besitz oder Gewahrsam hat, als Anmaßung des Eigenbesitzes durch den Fremdbesitzer kennzeichnen. Die Zueignungsabsicht kann sich z.B. manifestieren im Verbrauch, in der Veräußerung, im Verschenken, in 7 der Verarbeitung, in der Vermischung von Sachen oder im Ableugnen des Besitzes. - Das bloße Unterlassen der Herausgabe einer Sache (zur Nichtrückgabe einer Mietsache vgl. OLG Hamm wistra 1999 S. 112 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 246/12) oder der Benachrichtigung des Berechtigten über den Verbleib seiner Sache reichen als Manifestation nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzukommen, die darauf schlie-
131
Eingehender dazu OTTO Jura 1 9 9 6 S. 3 8 3 ff; im übrigen vgl. CHARALAMBAKIS Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda, 1 9 8 5 , S. 151 ff; GÖSSEL B.T. 2 , § 11 Rdn. 4 ; KÜPER B.T., S. 459 ff; RUB LK, § 246 Rdn. 20. - Zu eng ist die Begrenzung der Zueignungshandlungen auf Verbrauch, Entwertung, Veräußerung und die gesetzlichen Eigentumsübergänge durch KARGL ZStW 1 0 3 ( 1 9 9 1 ) S. 1 3 6 ff, 1 8 4 . - In der Tendenz vergleichbar: DEGENER JZ 2 0 0 1 S. 3 9 8 : .Zueignung ist Enteignung mit Aneignungsabsicht".
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
ßen lassen, dass die Nichtherausgabe bzw. die Nichtanzeige gerade Ausdruck der Zueignung ist.132 - Das Kopieren einer Diskette ist keine Zueignung der Diskette.133 8 In den Fällen, in denen der Täter vor der Zueignung keine Besitzposition am Tatobjekt hat, sind Enteignungsakt durch den Täter und Aneignung durch diesen oder Zueignung an einen Dritten nötig. Maßgeblich ist auch hier insoweit die Begründung einer Herrschaftsposition im Sinne der Sachsubstanztheorie; - dazu vgl. auch § 4 0 Rdn. 45 - durch einen „Verfügungsakt" des Täters. Die bloße „Wertzueignung" ist nicht Zueignung der Sache i.S. des § 246. 1 3 4 Der schon aus dem Altertum bekannte Gauner, der gutgläubigen Neureichen das Forum romanum verkaufte, war und ist kein Täter, der sich mit Zahlung des Kaufpreises dieses zueignete oder zueignet, sondern ein Betrüger. - Zur Abgrenzung der Drittzueignung von der Ermöglichung der Zueignung durch einen Dritten vgl. unter § 4 0 Rdn. 71 ff. c) Zur Einübung 9 aa) A hat von B ein Gemälde geliehen. 1. Alternative: Am 1.4. beschließt er, es zu behalten und es dem B nicht zurückzugeben. - Am 3.4. überlegt er es sich jedoch anders und ist entschlossen, sich als ordentlicher Entleiher zu gelieren. Ergebnis: Keine Zueignung: Die Absicht des A, sich selbst die umfassende SachheiTschaft anzumaßen, ist noch nicht äußerlich manifest geworden. 2. Alternative: Am 5.4. bietet er das Gemälde zum Kauf dem C an. - In Wirklichkeit will er jedoch nur vor C angeben. Er ist entschlossen, den Kauf scheitern zu lassen, falls C Interesse zeigt. Ergebnis: Keine Zueignung. - Zwar könnte das Verhalten des A rein objektiv gesehen als Zueignung gewertet werden, da A in Wirklichkeit den B aber gar nicht aus seiner Sachherrschaftsposition entsetzen will, fehlt es bei A an der Zueignungsabsicht. 3. Alternative: Am 8.4. bringt A das Gemälde dem Pfandleiher P. - Er will es vor dem Verfalldatum am 20.4., nach Erhalt seines Gehaltes am 15.4., wieder zurückholen. Ergebnis: Keine Zueignung. Zwar ist die Verpfändung ein rechtswidriges Verhalten gegenüber B, doch verliert B durch dieses Verhalten noch nicht seine umfassende Sachherrschaftsposition. Noch will A dem B gegenüber nur eine Fremdbesitzerposition innehaben.135 Anm.: Hätte A das Gemälde sicherungshalber übereignet, so hätte er es sich zugeeignet. Sicherungseigentum ist vollgültiges Eigentum. Die umfassende Sachherrschaft übt der Sicherungseigentümer aus, auch wenn ihm schuldrechtlich gewisse Schranken auferlegt sind. 4. Alternative: Am 18.4. überlegt A es sich jedoch anders. Er will das Pfand nunmehr verfallen lassen und unternimmt nichts, um das Pfand einzulösen. Ergebnis: Jetzt liegt eine Zueignung vor. - Indem A die letzte Möglichkeit zur Einlösung des Pfandes verstreichen ließ, verfügte er eigenmächtig über das Pfand. Der Eigentümer verlor seine Sachherrschafts132 Vgl. BGHSt 34 S. 309, 312 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 246/5; OLG Koblenz StV 1984 S. 287; CHARALAMBAKIS Unterschlagungstatbestand, S. 151 f f ; GÖSSEL B . T . 2, § 11 R d n . 7 f; LACKNER/KÜHL § 2 4 6 R d n . 4 ; OTTO J Z 1985 S. 25; R u ß L K , § 2 4 6 R d n . 13; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 6 R d n . 15. - A . A .
(Unterlassen genügt nicht): MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 34 Rdn. 30; SCHÜNEMANN MDR 1982 S. 374. 133 BayObLG NStZ 1992 S. 284 mit Anm. Juuus JR 1993 S. 255 f, OTTO JK 92, StGB § 246/7.
134 v g l . dazu BUSSMANN StV 1999 S. 6 1 5 f; CANTZLER J A 2 0 0 1 S. 5 6 9 ; JÄGER J u S 2 0 0 0 S. 1167 f; JOECKS S t G B , § 2 4 6 R d n . 2 3 f; KINDHÄUSER B.T. H/1, § 6 R d n . 6, 6 6 f f ; KUDLICH JUS 2 0 0 1 S. 7 7 2 ;
KÜPER B.T., S. 465; LACKNER/KÜHL § 246 Rdn. 8; MITSCH ZStW 111 (1999) S. 90; OTTO Jura 1998
S. 552; RENGIER Lenkner-FS, S. 810 f; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 293. - Enger (Besitz oder Gewahrsam erforderlich): JAHN in: Institut f. Kriminalw. und Rechtsphilos. Frankfurt a. M. (Hrsg.), Irrwege der Strafgesetzgebung, 1999, S. 214 f; KREY, B.T. 2, Rdn. 165 d, f. - Für Vorteil auf Seiten des Täters bei Drittzueignung: DUTTGE/FAHNENSCHMIDT ZStW 110 (1998) S. 917 f. 135 Dazu auch BGHSt 12 S. 299. 184
Unterschlagung
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Position, da A sich diese anmaßte, als er den Besitz verloren gehen ließ. Die Manifestation der Zueignung kann - wie im vorliegenden Fall - auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen liegen, wenn der Täter pflichtwidrig nichts unternimmt, um dem Berechtigten seine Sachherrschaftsstellung zu erhalten, und damit über das Pfand zu eigenen Gunsten (A spart den Einlösungsbetrag) verfügt. 136 bb) BGHSt 24 S. 115: Der Postbeamte A hatte einen Fehlbetrag in der Kasse. Da er fürchtete, dieser könnte 10 entdeckt werden, legte er Geldbeträge, die mittels Zahlkarte eingezahlt wurden, zwar in die Kasse, vermerkte sie jedoch nicht in der von ihm zu führenden Einzahlungsliste, um sich so die Möglichkeit zu verschaffen, aus eigenen Mitteln den Fehlbetrag nach und nach zu erstatten. Ergebnis: Mit dem Hinweis, der Täter habe sich die Rechtsstellung des Eigentümers angemaßt, bejaht der BGH die Zueignung. - Dem kann nicht gefolgt werden: Die Entscheidung zeigt lediglich, wie letztlich jedes Verhalten als Zueignung interpretiert werden kann, wenn davon abgesehen wird, die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffs sorgfältig zu prüfen, und statt dessen mit Leerformeln, wie z.B. der „Benutzung der Sache wie ein Eigentümer", die Problematik verdeckt wird. - Selbst hatte A nämlich in keinem Moment umfassende Sachherrschaft über das Geld begründet. Er hatte stets nur die Stellung eines Fremdbesitzers. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er nicht ordnungsgemäß mit dem Gelde umging. 137 . Der Fall ist insofern den Fällen der Wegnahme von Dienstgegenständen ähnlich; dazu oben § 40 Rdn. 65. cc) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des 11 Buches hält, ob dieser ihm das Buch verkaufen wolle. A erklärt sich einverstanden; er verkauft und übereignet das Buch an C. Ergebnis: Mit der Einverständniserklärung, mit der A umfassende Verfügungsmacht bekundete und auch bekunden wollte, hat A sich das Buch zugeeignet. dd) A hat von B ein Buch entliehen. C sieht dieses bei A und fragt den A, den er für den Eigentümer des 12 Buches hält, ob dieser ihm das Buch leihen könnte. A tut dieses. Nach 8 Tagen kommt C zu A und bittet A, ihm das herrliche Buch zu verkaufen. A tut dieses. Ergebnis: In der Annahme des Kaufangebots durch A liegt die Zueignung. ee) BGH LM Nr. 3 zu § 246: Der Dieb D hatte Drahtrollen gestohlen und später auf einem öffentlich zu- 13 gänglichen Gelände liegengelassen. A sah diese Rollen, durchschaute das Geschehen und nahm die Drahtrollen in Besitz, um sie zu eigenen Zwecken zu verwenden. BGH: A eignete sich die Drahtrollen zu, als er sie in Besitz nahm, um sie eigennützig zu verwenden. ff) A trifft den B. Dieser entschuldigt sich bei ihm, weil er ein - wie er genau wüsste - dem A gehörendes 14 Buch an C veräußert habe. Er bietet dem A die Bezahlung des Buches an. A nimmt großzügig dieses Angebot und das Geld an, schon deshalb, weil er dem B niemals ein Buch geliehen hatte. Ergebnis: Da A zu keinem Zeitpunkt reale Sachherrschaft über das Buch ausübte, lässt sich in diesem Falle nach der Sachsubstanztheorie keine Zueignung begründen. - Die Anhänger der Sachwerttheorie könnten zwar eine Zueignung des Buches durch A konstruieren' doch erscheint es fraglich, ob sie dieses grob unangemessene Ergebnis überhaupt wollen. gg) RGSt 73 S. 253: A war Verwalter eines Zementlagers einer Behörde. Eines Tages bot A dem H 100 Sack 15 Zement zum Kauf an. Zu einem derartigen Verkauf war A nicht berechtigt. RGSt 73 S. 254: „Die Unterschlagung kann sogar schon damit vollendet sein, dass der Täter die Sache einem anderen ernstlich zum Kauf anbietet. Das muss gelten, ob es sich um eine bestimmte einzelne Sache handelt oder um einen Teil einer aus vertretbaren Sachen bestehenden Sachgesamtheit, die der Menge nach bestimmt, aber von dem Reste noch nicht abgesondert ist. Denn auch in dem Angebot eines solchen Teiles einer Sachgesamtheit kommt der Wille des Anbietenden zum Ausdruck, über die Sache - und zwar über die Sachgesamtheit - wie ein Eigentümer zu verfügen."
136 Dazu auch OLG Oldenburg NJW 1952 S. 1267; M. J. SCHMID MDR 1981 S. 806 ff; SCHÜRMANN MDR 1982 S. 374 f. 137 Dazu auch DEUBNER NJW 1971 S. 1469; KINDHÄUSER B.T. m/1, § 6 Rdn. 30; MAIWALD Zueignungs-
begriff, S. 115 f; SCHÖNEBORN MDR 1971 S. 811 f. - Für Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang der Untreue: WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 289. - Nur Untreue will KREY B.T.2, Rdn.177, annehmen.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Dem kann nicht gefolgt werden: In bezug auf die Sachgesamtheit des gesamten Zementvorrats hat A niemals umfassende Sachherrschaft ausgeübt, die 100 Sack, über die er eine derartige Herrschaft anstrebte, waren jedoch noch nicht konkretisiert. - Zueignung daher erst mit dem Aussondern der Säcke. 16 hh) BGHSt 35 S. 152: A verschaffte sich mit der rechtswidrig erlangten codierten Eurocheque-Karte des B und dessen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten. BGH: „Wer mit einer dem Berechtigten weggenommenen codierten Scheckkarte unbefugt unter Eingabe der zugehörigen Geheimzahl einen Geldautomaten betätigt, eignet sich das vom Automaten herausgegebene, im Eigentum der Bank verbliebene Geld mit der Besitzerlangung rechtswidrig zu und hat sich daher vor dem Inkrafttreten des § 263 a StGB am 1.8.1986 wegen Unterschlagung des abgehobenen Geldes nach § 246 StGB strafbar gemacht."13» Dem kann nicht gefolgt werden. In der Herausgabe des Geldes durch den Geldautomaten, der - technisch ordnungsgemäß in Betrieb gesetzt wurde, liegt eine Vermögensverfügung des Berechtigten über das Geld. Diese Verfügung schließt aber eine Besitzentziehung, wie sie die Zueignung voraussetzt, begrifflich aus. Es fehlt an der Enteignung des Berechtigten durch den Täter. Entweder hat sich nämlich der Täter den Gewahrsam an der Sache durch Enteignung des Berechtigten verschafft, oder der Gewahrsam ist ihm durch den Berechtigten übertragen worden. Jede der beiden Möglichkeiten schließt die jeweils andere aus. 139 Im Falle des Bankautomatenmissbrauchs mit gefälschter Codekarte hat auch der BGH inzwischen eine Unterschlagung ausgeschlossen.140 17 ii) BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 22: Dem A waren versehentlich auf seinem Girokonto DM 900,- gutgeschrieben worden. A hob den Betrag ab und verbrauchte ihn für sich. BGH: Da das Geld mit der Auszahlung in das Eigentum des A überging, eignete sich A keine fremde Sache zu. Diese Begründung überzeugt nicht. Auch hier schließt aber die EigentumsÜbertragung die Zueignung i.S. des § 246 aus; vgl. dazu Rdn. 16. 18 jj) A unterhielt sich in einer Gastwirtschaft mit B. Als dieser ihm erzählte, er suche gerade ein Baugerüst, teilte A ihm mit, dass ihm das Gerüst am Hause gegenüber der Gastwirtschaft gehöre und er es gerne veräußern wolle. A und B besichtigten das Gerüst, wurden handelseinig und B zahlte an A 6.000.- DM. - Den A sah B nicht wieder. Das Gerüst gehörte dem X, der sich dem Abtransport durch B am nächsten Tage energisch widersetzte. Ergebnis: A hat das Gerüst weder sich noch dem B zugeeignet, denn der „Verkauf' des Gerüsts änderte die bestehende Sachherrschaftsposition nicht. 3. Unterschlagung
bei Ersatzleistung
oder bei Bereitschaft
zum
Ersatz
19 a) Eignet sich der Täter eine fremde Sache zu, ersetzt diese jedoch derart, dass ein anerkennenswertes wirtschaftliches Interesse des Berechtigten nicht verletzt ist, so fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung der fremden Sache, da der Täter den Vermögensstand des Berechtigten nicht zu dessen Nachteil vermindert; vgl. oben § 4 0 Rdn. 78 f. 20 Zwar nennen die Zueignungsdelikte einen Vermögensschaden als Tatbestandsvoraussetzung nicht. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass auf einen derartigen Schaden verzichtet werden kann. Auch die sog. Eigentumsdelikte sind Vermögensdelikte! Der Gesetzgeber ging jedoch davon aus, dass der Vermögensschaden selbstverständlich
138 So auch ARZT/WEBER B.T., § 15 Rdn. 16; EHRLICHER Der Bankautomatenmissbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bekämpfung, 1989, S. 67 ff; KINDHÄUSER NK, § 246 Rdn. 17; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 23; RANFT wistra 1987 S. 82; DERS. J R 1989 S. 165 f; R u ß L K , § 2 4 6 R d n .
9. - Zur Auseinandersetzung im übrigen vgl. OTTO Jura 1997 S. 472. 139 v g l . a u c h HUFF N J W 1988 S. 9 8 1 ; OTTO Jura 1989 S. 2 0 4 ; SCHMITT-EHRLICHER J Z 1988 S. 3 6 4 f;
SPAHN Jura 1989 S. 517 ff; THAETER wistra 1988 S. 342. 140 BGHSt 38 S. 120,125; dazu OTTO JZ 1993 S. 567.
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Unterschlagung
§42
sei, weil er in der Entziehung der umfassenden Sachherrschaft über die Sache liege. - Gemeinhin trifft dies auch zu, nicht aber ausnahmslos. 141 b) Zur Einübung aa) Der Polizeibeamte A, dem durch Dienstanweisung jede eigennützige Verwendung von Geldern aus ge- 2 1 bührenpflichtigen Verwarnungen untersagt, sogar das bloße Wechseln von Geld verboten ist, wechselt einen eigenen Fünfzigmarkschein gegen 10 Fünfmarkstücke, die aus gebührenpflichtigen Verwarnungen herrühren, weil er sich eine Erfrischung kaufen will, der Verkäufer aber einen Fünfzigmarkschein nicht wechseln kann. Ergebnis: Eine Einwilligung des Berechtigten und auch eine mutmaßliche Einwilligung scheiden hier aus; dazu RGSt 5 S. 305 f. - Dennoch liegt eine Unterschlagung nicht vor, da A die Vermögenslage des Berechtigten nicht rechtswidrig verschlechtert hat. Es fehlt die rechtswidrige Vermögensschädigung: das Geld fungiert hier nur als Wertmesser, ein wirtschaftliches Interesse an individuellen Geldscheinen besteht nicht, bb) OLG Köln NJW 1968 S. 2348: wie unter aa), aber A entnahm den Verwarnungsgeldern DM 5,-, weil er 2 2 kein Geld bei sich hatte. Das Geld wollte er am nächsten Morgen bei Dienstantritt aus eigenem Geld ersetzen, obwohl er verpflichtet war, die täglichen Einnahmen bei Dienstschluss auf der Dienststelle abzugeben. Das OLG hat in diesem Falle eine Untreue bejaht. Das mag hier dahinstehen. - Jedenfalls liegt in diesem Falle eine rechtswidrige Zueignung im Verbrauchen des Geldes. A benutzt die Verwarnungsgelder unerlaubt für einen Kredit. - Mag der Zeitraum auch überschaubar sein, so ist es doch nicht zu übersehen, dass hier auch vermögensrechtliche Interessen des Berechtigten verletzt sind. Die äußerste Grenze wäre hier der Ersatz innerhalb der vom Berechtigten gesetzten Frist bis zur Abgabe der Gelder, wenn die Ersatzbereitschaft außer Frage stand; z.B. wenn A den fehlenden Betrag in der Dienststelle hätte ersetzen können, weil er in seiner Kleidung noch Geld gehabt hätte. 4. Zueignung nach einer
Zueignung
Hat der Täter durch ein Vermögensdelikt umfassende Sachherrschaft an einer fremden 2 3 Sache erlangt, so ist eine weitere Zueignung derselben Sache ausgeschlossen. 1 4 2 - Daran hat die Subsidiaritätsklausel des § 246 nichts geändert, da sie voraussetzt, dass die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Auf „wiederholte" Zueignungen kann sie sich daher nicht beziehen. 1 4 3 Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluss des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat. OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 592: A hatte sich den Pkw der Fa. F rechtswidrig zugeeignet, indem er den Be- 2 4 sitz gegenüber F abstritt und den Pkw an einen der Fa. F nicht zugänglichen Ort verbrachte. Wiederholten Herausgabeverlangen der Fa. F kam A nicht nach und verhinderte außerdem, dass es der Fa. F gelang, den Wagen ausfindig zu machen.
141 Vgl. auch EBEL JZ 1983 S. 175 ff; OTTO Struktur, S. 263 ff; ROXIN H. Mayer-FS, S. 469 ff; TIEDEMANN J u S 1970 S. 108 f f .
142 So auch BGHSt 14 S. 38 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN JUS 1968 S. 114 ff; BGHSt 16 S. 282; GÖSSEL B . T . 2, § 11 R d n . 9 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 6 R d n . 4 6 ; KREY B . T . 2 , R d n . 174; LACKNER/KÜHL § 2 4 6
Rdn. 7; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 261 ff; OTTO Struktur, S. 106 ff, 112. - A.A. (straflose Nachtat): ARZT/WEBER B.T., § 15 R d n . 4 4 ; BAUMANN N J W 1961 S. 1141 f f ; BOCKELMANN J Z 1 9 6 0 S . 6 2 4 ;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 34 Rdn. 22 f; MITSCH ZStW 111 (1999) S. 92 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/44; SCH/SCH/ESER § 2 4 6 R d n . 19; SEELMANN JUS 1985 S . 7 0 2 ; TENCKHOFF J u S 1 9 8 4
S. 778 f. 143 DENCKER in: Dencker/Struensee/Nells/Stein (Hrsg.), Einführung in das 6. StrRG 1998,25; KÜPER B.T., S . 4 6 5 f; LACKNER/KÜHL § 2 4 6 R d n . 7 ; MITSCH Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 9 2 ; RENGIER B . T . I, § 5 R d n . 2 4 ;
TRÖNDLE/FISCHER § 246 Rdn. 20. - Diff. MURRMANN NStZ 1999 S. 15 ff.
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§42
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
OLG Düsseldorf: „Die Zueignung im Sinne des § 246 StGB besteht darin, dass der Täter die Sache dem eigenen Vermögen einverleibt, wobei diese Zueignung kein rein innerer Vorgang ist, sondern vielmehr erfordert, dass der Täter seinen Willen, die Sache zu behalten, durch eine nach außen erkennbare Handlung bestätigt. Mit der nach außen sichtbar vollzogenen Zueignungshandlung ist die Unterschlagung vollendet. Nachträgliche Äußerungen des Herrschaftswillens nach der Zueignung, wie etwa Verschweigen der unterschlagenen Sache oder deren Veräußerung stellen lediglich die Ausnutzung der zuvor durch Zueignung herbeigeführten eigentümerähnlichen Herrschaft dar." Dem ist zuzustimmen, denn wird Zueignung nicht als ein begrifflich konturenloser Vorgang interpretiert, sondern scharf umrissen als Enteignung des Berechtigten und Aneignung der umfassenden Sachherrschaftsposition durch den Täter in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen, so ist die Zueignung einer fremden Sache, die der Täter durch rechtswidrige Zueignung erlangt hat, ausgeschlossen. Der Täter kann nunmehr nach außen kundmachen, dass er den durch die Zueignung begründeten Zustand aufrechterhalten und nutzen will. Eine Entsetzung des Eigentümers und die Überführung der Eigentumsherrschaft auf den Täter können derartige Handlungen begriffsnotwendig jedoch nicht mehr darstellen. - Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluss des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat.
25
5. Bedeutung der Subsidiaritätsklausel Indem § 246 schlechthin die Zueignung einer fremden beweglichen Sache erfasst, ist er der Sache nach zum Grundtatbestand aller Zueignungsdelikte geworden. Der Gesetzgeber hat diese Konsequenz zwar umgehen wollen, indem er durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel § 246 als .Auffangtatbestand behandelt, der alle Formen rechtswidriger Zueignung fremder beweglicher Sachen umfasst, die nicht einen mit schwererer Strafe bedrohten eigenständigen Straftatbestand ... verwirklichen".144 Dies erweist sich jedoch als gesetzgeberische Fehlleistung. Zwar ist die Frage, ob im Falle einer durch ein anderes Zueignungsdelikt verwirklichten Zueignung dieses Delikt den § 246 als lex specialis oder Qualifikation ausschließt oder ob § 246 diesem Delikt gegenüber subsidiär ist,145 von minderem Rang. Schlicht sachwidrig aber ist die Subsidiarität des § 246 gegenüber allen „in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedrohten Delikten". Eine Begrenzung auf andere Zueignungsdelikte ist mit der Rechtsprechung des BGH nämlich nicht in Einklang zu bringen, so dass die Subsidiaritätsklausel z. B. auch gegenüber § 267 durchgriffe.146
II. Veruntreuung, § 246 Abs. 2. 26 Die Unterschlagung einer anvertrauten Sache stellt einen qualifizierten Fall der Unterschlagung dar, § 246 Abs. 2
144 BT-Drucks. 13/8587, S. 43 f. - Zur grundsätzlichen Kritik der Subsidiaritätsklausel: MURRMANN NStZ 1999 S. 15 ff; OTTO Jura 1998 S. 551; WAGNER Grünwald-FS, S. 801 ff. 145 F ü r Subsidiarität z. B . JÄGER J u S 2 0 0 0 S. 1170; KÜPER B.T., S. 4 6 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 6 R d n . 7 ;
MTTSCH ZStW 111 (1999) S. 92; TRÖNDLE/FISCHER § 246 Rdn. 20; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 300. - Für Tatbestandsausschluss: KREY B.T. 2, Rdn. 173 a.
146 vgl. dazu BGH JZ 1998 S. 470, sowie einerseits: HOYER SK 11, § 246 Rdn. 48; MITSCH ZStW 111 ( 1 9 9 9 ) S. 9 2 ; OTTO J u r a 1998 S. 5 5 1 ; RENGIER B . T . I, § 5 R d n . 2 9 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 6 R d n . 2 9 ;
WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 300, andererseits: LACKNER/KÜHL § 246 Rdn. 14; NOACK Dritt-
zueigung und 6. StrRG, 1999, S. 110; WAGNER Grünwald-FS, S. 110. 188
Haus- und Familiendiebstahl
§43
1. Die anvertraute Sache Anvertraut ist die Sache, wenn dem Täter der Gewahrsam mit der Maßgabe übertragen 27 wurde, dass er mit der Sache in bestimmter Weise zugunsten des Berechtigten verfahre (z.B. Leihe, Miete, Verwahrung, Kauf unter Eigentumsvorbehält). a) Das Vertrauensverhältnis selbst braucht rechtlich nicht besonders schutzwürdig zu sein, 28 doch wird ein Vertrauensverhältnis zum Teil abgelehnt, wenn es auf sittenwidriger Grundlage beruht. - Dem ist nicht zu folgen. Vertrauen ist ein sozialer Tatbestand. Die Sittenwidrigkeit lässt daher den Vertrauensbruch nicht ohne weiteres entfallen.147 b) Ein Anvertrauen wird darüber hinaus verneint, wenn das Verwahrungsverhältnis dem 29 „wahren Interesse" des Eigentümers widerspricht. RGSt 40 S. 222: A hatte Stoff gestohlen. Diesen gab er dem B in Verwahrung. B benutzte den Stoff zu eigenen Zwecken. Ergebnis: Keine Veruntreuung.
Dies ist, soweit keine besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauensverhältnisses gefordert wird, inkonsequent, denn die Interessen des Eigentümers berühren das persönliche Verhältnis innerhalb des Vertrauensverhältnisses nicht. 2. Anvertrautsein „Anvertrautsein" ist ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, da durch 25 das Vertrauensverhältnis eine besondere Pflichtenposition begründet wird.
§ 43 Haus- und Familiendiebstahl 1. Rechtsnatur des §247 Indem der Gesetzgeber die Verfolgbarkeit des Haus- und Familiendiebstahls sowie der 1 unter den gleichen Umständen begangenen Unterschlagung von einem Strafantrag abhängig gemacht hat, brachte er zum Ausdruck, dass er in einem derartigen Diebstahlsoder Unterschlagungsfall nicht geringeres Unrecht oder geringere Schuld verwirklicht sieht, sondern den Erhalt der Familie und der häuslichen Gemeinschaft höher bewertet als das Interesse an der Strafverfolgung, wenn der Verletzte selbst kein Interesse an der Strafverfolgung zeigt. Das Antragserfordernis des § 247 dient daher allein der Erhaltung des Familien- bzw. Hausfriedens. Es gilt in den Fällen der §§ 242, 243, 244, 244 a, 246, 248 c nicht aber in bezug auf §§ 249 ff. - Der Strafantrag ist Prozessvoraussetzung. 2. Das Tatopfer a) Für den Angehörigenbegriff gilt die Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 1. 2 b) Zum Vormund vgl. §§ 1773 ff BGB. Der Gegenvormund ist nicht Vormund i.S. des 3 § 247, denn er steht im Gegensatz zum Vormund nicht in einem engen persönlichen Verhältnis zum Mündel, sondern überwacht den Vormund nach § 1799 BGB.14« c) Zum Betreuer vgl. §§ 1896 ff BGB. 4 147 So auch B G H N J W 1954 S. 889; BRUNS Mezger-FS, S. 348; GÖSSEL B.T. 2, § 11 R d n . 4 0 ; KÜPER
B.T., S. 23 f. - MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 34 Rdn. 41; Ruß LK, § 246 Rdn. 26. - A. A. KINDHÄUSER N K , § 2 4 6 R d n . 60; SCH/SCH/ESER § 246 Rdn. 30. 148 A . A . RUß L K , § 247 R d n . 5; SCH/SCH/ESER § 2 4 7 Rdn. 5; TRÖNDLE/FISCHER § 247 R d n . 2.
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§43
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
5 d) Eine häusliche Gemeinschaft setzt den freien und ernstlichen Willen der Mitglieder zum Zusammenleben auf eine gewisse Dauer voraus. Am freien Willen fehlt es z.B. bei Soldaten in der Kaserne oder bei Inhaftierten in einer Justizvollzugsanstalt. - Der ernstliche Wille fehlt, wenn es dem Täter nur darauf ankommt, das Zusammenleben zu Straftaten gegen die anderen Beteiligten auszunutzen.
6 Ist die häusliche Gemeinschaft nach der Tat zerbrochen, so bedarf diese eigentlich nicht mehr des besonderen Schutzes durch den Strafgesetzgeber. Gleichwohl findet § 247 auch dann Anwendung: § 247 stellt auf das Verhältnis zur Tatzeit ab. Dieser zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers ist maßgeblich.149 3. Der Antragsberechtigte 7 Die in § 247 aufgeführten nahen persönlichen Beziehungen müssen zwischen dem Täter und dem Verletzten bestehen. Das ist nach den hier gesetzten Prämissen der umfassende Sachherr; vgl. dazu § 39 Rdn. 6. 8 Soweit Eigentum und Gewahrsam als geschützte Rechtsgüter des Diebstahlstatbestandes angesehen werden, wird das Antragsrecht - wenn Eigentümer und Gewahrsamsinhaber verschiedene Personen sind - beiden zugestanden. Gehört nur eine dieser Personen zu der in § 247 bezeichneten Gruppe, so soll das Privileg nicht durchgreifen, der Diebstahl vielmehr von Amts wegen verfolgbar sein.150 9 Bei der Unterschlagung wird zum Teil auch über den Eigentümer hinaus das Antragsrecht bloß Nutzungsberechtigten zuerkannt, z.B. dem Käufer einer Sache nach Gefahrübergang.151 Zur Verdeutlichung: 1 0 Beispiel 1: X hat dem Y eine Sache geliehen. Dort stiehlt sie A, der Sohn des X. Verletzte nach h.M.: X und Y. § 247 findet keine Anwendung. - Verletzter nach der hier entwickelten Ansicht nur X, § 247 findet Anwendung. Beispiel 2: Wie im Beispiel 1, doch ist A der Sohn des Y. Verletzte nach h.M.: X und Y, s.o. - Nach der hier entwickelten Ansicht: Verletzter X, daher kommt § 247 nicht in Betracht. Hinweis: Eine Ausnahme macht die h.M. nur, wenn der unmittelbare Besitzer im Zeitpunkt der Tat lediglich untergeordneten Gewahrsam hat. 152
11 Diejenigen, die nur das Eigentum als das geschützte Rechtsgut der Zueignungsdelikte ansehen, kommen konsequenterweise zu dem Ergebnis, dass allein der Eigentümer Verletzter sein kann. Beispiel 3: Der Dieb D hat von E vor Jahr und Tag eine Uhr gestohlen. Eines Tages stiehlt A, der Sohn des D, diesem die Uhr. Verletzter nach der hier vertretenen Ansicht: der D; nach Ansicht derer, die das zivilrechtliche Eigentum als Rechtsgut der Zueignungsdelikte betrachten: der E.
14
9 Vgl. OLG Hamm NJW 1986 S. 734; OLG Celle JR 1986 S. 385 mit Anm. STREE S. 386 ff; Ruß LK, § 247 Rdn. 6.
150 Vgl. GÖSSEL B.T. 2, § 10 R d n . 4; LACKNER/KÜHL § 247 Rdn. 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T.l, § 33 Rdn. 130.
151 Vgl. BayObLG NJW 1963 S. 1464. 152 Dazu BGHSt 10 S. 400 f.
190
Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen
§44
4. Der Irrtum des Täters über das Tatopfer Da das Antragserfordernis nicht Ausfluss eines minder schweren Unrechts des Diebstahls 12 oder einer minderen Schuld des Täters ist, sondern allein dem Erhalt des Haus- und Familienfriedens zu dienen bestimmt ist, kommt es nur zum Zuge, wenn die Tat nicht über die geschützte Sphäre hinausgeht. - Maßgeblich ist daher allein die objektive Lage. a) BGHSt 23 S. 281: A entwendete ein Annband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre seiner 13 Ehefrau. Es gehörte jedoch X. BGH: Kein Strafantrag erforderlich, da Verletzter außerhalb des „abgeschirmten Bereichs". b) A entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre einer Bekannten seiner 14 Ehefrau. In Wirklichkeit gehörte es der Ehefrau selbst. Ergebnis: § 247 findet Anwendung.
§ 16 Abs. 2 kann bei einem Irrtum des Täters darüber, dass das Opfer in den Haus- oder 15 Familienbereich gehört, keine Anwendung finden, da der Täter über eine Prozessvoraussetzung irrt, nicht aber einen Umstand annimmt, der den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würde.
§ 44 Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen 1. Kriminalpolitische Zielsetzung des § 248 a Mit § 248 a, der ergänzt wird durch §§ 153 Abs. 1, 153 a StPO, will der Gesetzgeber das 1 Problem der Bagatellkriminalität im Bereich der Vermögensdelikte prozessual lösen: Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein, soweit nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt. Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 248 a nur auf die §§ 242, 246. Sachlich sind - aufgrund der Regelung der §§ 243 Abs. 2, 248 c Abs. 3 - auch §§ 243, 248 c eingeschlossen, soweit sich „die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht"; vgl. dazu oben § 41 Rdn. 41 ff. 2. Geringwertige Sachen Geringwertige Sachen sind Sachen von unbedeutendem Wert; dazu vgl. § 41 Rdn. 42 f.
2
3. Besondere Probleme des § 248 a a) Handeln in Mittäterschaft Da das Antragserfordernis die Strafverfolgung ausschließlich von der Interessenlage des 3 Verletzten abhängig macht, dem im Falle eines geringen Schadens die Entscheidung über die Strafverfolgung anheim gegeben ist, kommt die Anwendung des § 248 a nicht in Betracht, wenn die Gesamtbeute nicht mehr geringwertig ist. Durch den - wenn auch in Mittäterschaft begangenen - Diebstahl hat der Verletzte keinen geringen, sondern einen erheblichen Schaden erlitten. Beispiel: 4 Mann stehlen in Mittäterschaft in einem Zigarettenladen Zigaretten im Werte von DM 200,-. Ergebnis: § 248 a findet keine Anwendung.
b) Mehrere Sachen als Tatobjekt Zum Problem der Zusammenrechnung bei der Wegnahme mehrerer Sachen im Rahmen 4 einer Tat vgl. oben § 41 Rdn. 47. Die Ausführungen gelten hier entsprechend.
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§45
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
c) Irrtum des Täters über den Wert 5 Das Antragserfordemis berücksichtigt allein Interessen des Verletzten, ist aber nicht Ausdruck geringeren Unrechts oder geringerer Schuld des Täters. Daher ist der Irrtum des Täters über den Gegenstandswert bedeutungslos; § 16 Abs. 2 findet keine Anwendung. aa) A nimmt wertvolle Sachen weg, die er für geringwertig hält: § 242. bb) A nimmt geringwertige Sachen weg, die er für wertvoll hält: § 248 a.
d) Versuchsproblematik 6 Nach dem Gesetzeswortlaut findet § 248 a Anwendung, wenn der Täter eine geringwertige Sache stiehlt oder unterschlägt. Beispiel 1: A will eine wertvolle Sache stehlen, findet aber nur eine geringwertige, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, doch findet § 248 a Anwendung. Beispiel 2: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber eine wertvolle Sache, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, § 248 a findet keine Anwendung.
7 Übertragen auf die Versuchssituation führt diese Regelung jedoch zu Wertungswidersprüchen. Beispiel 1: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber überhaupt nichts vor. Ergebnis: § 248 a findet auf den Versuch Anwendung. Beispiel 2: A will wertvolle Sache stehlen, findet aber nur geringwertige. Da A an geringwertigen Sachen kein Interesse hat, nimmt er gar nichts mit. Ergebnis: Versuch eines Diebstahls, § 248 a findet keine Anwendung.
8 Im Verhältnis zur Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts sind die hier begründeten Widersprüche nicht auflösbar. Auch wenn § 248 a - entsprechend der Regelung des § 243 Abs. 2 - nur auf den Versuch angewendet wird, wenn sich die Tat auf geringwertige Sachen bezieht, wird der Widerspruch nur verlagert, keineswegs aber beseitigt. 153
§ 45 Entziehung elektrischer Energie 1. Entziehung elektrischer Energie in Zueignungsabsicht, § 248 c Abs. 1 1 a) Tatobjekt: fremde elektrische Energie. - Fremd ist die Energie für jeden, der kein Recht zur Entnahme der Energie hat. - Entzogen ist die Energie, wenn den Berechtigten durch die Entnahme eine Energieverlust entsteht. - Die Entziehung muss mittels eines Leiters erfolgen, d.h. mit Hilfe einer Einrichtung, die vermöge ihrer physikalischen Eigenschaften den Strom weiterleitet, sei es auch nur im Wege der Induktion.154 2 b) Der Leiter muss ordnungswidrig sein, nicht nur die Entnahme der Energie. - Die rechtswidrige, weil z.B. vertragswidrige Entnahme von Strom auf ordnungsgemäßem Weg macht den Leiter noch nicht zu einem ordnungswidrigen. Ordnungswidrig daher: Überbrückung eines Zählers (OLG Celle MDR 1969 S. 597); Anbringen eines nicht zur Anlage gehörenden Kabels (BGH GA 1958 S. 369); Anzapfen einer Hochspannungsleitung u.a. - Nicht ordnungswidrig hingegen: Untermieter hat vertragswidrig nach 10 Uhr abends noch Licht an. - Benutzung eines elektrischen Heizofens, eines Bügeleisens, einer Kochplatte usw. gegen den Willen des Berechtigten. 153 Zur Kritik vgl. auch SEELMANN JUS 1985 S. 703. 154 V g l . R G S t 3 9 S. 4 3 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 8 c R d n . 2; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 c R d n . 9 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 8 c R d n . 3. - A . A . GÖSSEL B . T . 2, § 18 R d n . 4 5 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 8 c R d n . 10;
RANFT JA 1984 S. 2 f; Ruß LK, § 248 c Rdn. 4. - Keine Leiter sind elektromagnetische Wellen im Bereich der Telekommunikation; vgl. STOMPFIG MDR 1991 S. 710.
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Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§ 46
Z.T. wird in der Lehre bei unbefugter Benutzung bestimmter Geräte danach unterschieden, ob der Berechtigte diese Geräte aufgestellt hat oder ein Nichtberechtigter.155 Diese Differenzierung führt zu zufälligen Unterscheidungen in der Strafbarkeit.
c) Zueignungsabsicht ist hier die Absicht, über die Energie selbständig zum eigenen Nut- 3 zen oder zum Nutzen eines Dritten zu verfügen. 2. Entziehung elektrischer Energie in bloßer Schädigungsabsicht, § 248 c Abs. 4 a) Das Delikt entspricht der Sachbeschädigung. Dem Täter geht es nicht darum, sich oder 4 einem Dritten einen Vorteil zu verschaffen, sondern den Berechtigten zu schädigen. - Absicht bedeutet zielgerichtetes Wollen. b) Auch hier ist allein strafbar die entsprechende Schädigung mit Hilfe eines ord- 5 nungswidrigen Leiters. 3. Anwendung der §§ 247, 248 a Gemäß § 248 c Abs. 3 gelten §§ 247, 248 a entsprechend; vgl. dazu §§ 43,44.
6
§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Raubdelikte ist primär das Vermögen, und zwar die umfassende 1 Sachherrschaft einer Person über eine Sache. Daneben wird die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung geschützt. 2. Die Systematik des Gesetzes a) Grundtatbestand der Raubdelikte ist § 249.
2
Zur Interpretation des § 255 als Grundtatbestand der Raubdelikte durch den BGH vgl. § 53 Rdn. 25 f.
b) Qualifizierungen: §§ 250, 251. c) Raubähnliches Sonderdelikt: § 252. d) Ein zum eigenständigen Sonderdelikt ausgestalteter qualifizierter Fall des Raubes und der räuberischen Erpressung: § 316 a; dazu unter Rdn. 69 ff. e) Der Raub ist als eigenständiges Sonderdelikt (lex specialis) gegenüber den in ihm enthaltenen Tatbeständen der Nötigung und des Diebstahls anzusehen. §§ 247, 248 a finden daher im Bereich der Raubtatbestände keine Anwendung.
D. Raub, § 249 1. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Die Gewalt gegen eine Person oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib 3 oder Leben müssen zur Begehung eines Diebstahls eingesetzt sein, d.h. sie müssen Mittel der Wegnahme sein. 155 MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 3 R d n . 140; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 c R d n . 11.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
4 aa) Gewalt ist der nicht notwendig erhebliche Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der von der Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer, sondern als körperlicher Zwang empfunden wird. Die Anwendung psychischen Zwanges ist hier auf die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begrenzt. 5 bb) Da die Gewaltanwendung hier Mittel der Wegnahme, d.h. des Gewahrsamsbruchs ist, muss sie als körperlicher Zwang zur Überwindung eines realen oder erwarteten Widerstands eingesetzt werden. Die Kraft muss wesentlicher Bestandteil der Wegnahme und so erheblich sein, dass sie geeignet ist, Widerstand des Opfers zu brechen.156 Zur
Verdeutlichung:
6 BGHSt 18 S. 329: A schlug der B, die eine Tasche in der Hand trug, auf die Hand. B ließ daraufhin die Tasche fallen und A nahm die Tasche an sich. BGH: Raub, denn die Gewaltanwendung diente der Wegnahme. BGH StV 1990 S. 262: A versuchte der B, die eine Geldbombe „unter der linken Achsel eingeklemmt hatte", diese mit einem Ruck zu entreißen. B bemerkte allerdings das Vorhaben des A und verstärkte den Druck, so dass der Plan fehlschlug. BGH: Keine Wegnahme mit Gewalt, wenn nicht die eingesetzte Kraft, sondern List und Schnelligkeit das Bild der Tat prägen. - Das dürfte im vorliegenden Fall kaum zutreffen, wohl aber dann, wenn dem Opfer z. B. eine lose in der Hand hängende Handtasche aus der Hand genommen wird, bevor das Opfer fester zupacken kann.
7 cc) Das Nötigungsmittel muss der Täter final zur Ermöglichung der Wegnahme einsetzen. Es genügt nicht, dass die Nötigung lediglich „Begleiterscheinung" der Wegnahme ist, die Wegnahme „gelegentlich" der Nötigungshandlung erfolgt oder dass sie der Nötigung nur zeitlich nachfolgt, ohne dass eine finale Verknüpfung bestünde.157 Ein kausaler Zusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme ist hingegen nicht erforderlich. 8 Ob das Opfer die Wegnahme auch ohne Widerstand geduldet hätte, d.h. ob die Gewaltanwendung oder Drohung überhaupt nötig war, um die Wegnahme zu ermöglichen, ist unwesentlich. Maßgebend ist allein, dass die Nötigung zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes gegen die Wegnahme vom Täter für erforderlich gehalten wurde. Auch wenn sich die Nötigung gegen eine Person richtet, die nicht zum Widerstand gegen die Wegnahme bereit ist, so ist dies irrelevant, wenn der Täter Widerstand erwartet.15« 9 Die Gewaltanwendung erfolgt auch dann zum Zwecke der Wegnahme, wenn der Täter zugleich weitere Ziele erreichen will.15» 10 Nutzt der Täter die von einem Dritten angewandte Gewalt ohne dessen Kenntnis zur Wegnahme aus, so fehlt es an dem finalen Konnex.1«) 11 dd) Eine Besonderheit beim Raub im Verhältnis zum Diebstahl ergibt sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit, als diese die Wegnahme nicht vom Gewahr156 Vgl. dazu BGH StV 1986 S. 61 mit Anm. OTTO JK StGB § 249/6; HERDEGEN LK, § 249 Rdn. 6. - Für eine Begrenzung auf „Eingriffe von einigem Gewicht", unabhängig von der Situation: LG Gera mit abl. Anm. OTTO JK 01, § 249/7; dagegen auch TRÖNDLE/FISCHER § 249 Rdn. 4. 157 Vgl. BGHSt NStZ 1982 S. 380; BGH StV 1995 S. 416. 158 Dazu auch BGHSt 4 S. 210; 18 S. 331; BGH StV 1991 S. 516; ESER NJW 1965 S. 378; GEILEN Jura 1 9 7 9 S. 166; HERDEGEN L K , § 2 4 9 R d n . 3; HOHMANN/SANDER B . T . I, § 5 R d n r . 12; LACKNER/KÜHL § 2 4 9 R d n . 2 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S. 3 5 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 9 R d n . 3. - A . A . KINDHÄUSER N K , § 2 4 9 R d n . 3 0 ; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/50; SEELMANN J u S 1986 S. 2 0 3 f.
159 Vgl. BGH NStZ 1993 S. 79. 160 Dazu BGH StV 1990 S. 159. 194
Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
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samsbruch her erfasst, sondern bei der Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung die Zuordnung nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat vornimmt. Mit dieser Konstruktion ist die auch von der Rechtsprechung geteilte These, dass in jedem Raub ein Diebstahl enthalten ist, nicht vereinbar, da die unterschiedlichen Definitionen zu unterschiedlichen Schutzbereichen der Tatbestände führen; im übrigen vgl. dazu weiter unter 53 Rdn. 25 ff. b) Gewalt und Drohung können bis zur Vollendung der Wegnahme eingesetzt werden. - 12 Werden diese Mittel hingegen erst nach Vollendung der Wegnahme zur Sicherung der Beute eingesetzt, so kann § 252 vorliegen; dazu unter Rdn. 50 ff. c) Schwierige Abgrenzungsprobleme in Hinsicht auf die finale Verknüpfung von Nötigung 13 und Wegnahme ergeben sich bei einem Motivwechsel des Täters. Eine saubere Trennung der verschiedenen Fallgruppen gelingt hier nur, wenn streng zwischen der fortdauernden Nötigungswirkung und der Fortdauer des Einsatzes des Nötigungsmittels unterschieden wird: aa) Entschließt sich der Täter während des Einsatzes des Nötigungsmittels zur Wegnahme, 14 so liegt eindeutig ein Raub vor. BGHSt 20 S. 32: A wandte gegen M Gewalt an, um sie an sich zu ziehen und zu küssen. M wehrte sich. Als A merkte, dass M eine Armbanduhr trug, streifte er die Uhr während des Handgemenges vom Arm und steckte sie ein. BGH: Raub.
bb) Wesentlich problematischer ist die Abgrenzung, wenn das Opfer nach der Ge- 15 waltanwendung Widerstand für sinnlos hält, weil es sich dem Täter ausgeliefert sieht und der Täter diese Lage ausnutzt. Hier ist zu unterscheiden: 16 Sieht das Opfer das Verhalten des Täters als weiter aufrecht erhaltene Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben an und erkennt der Täter diesen Sachverhalt, so kann in seinem Verhalten eine konkludente Drohung liegen. Notwendig ist aber, dass der Täter in irgendeiner Form schlüssig erklärt, er werde eventuellen Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen. Fall in Anlehnung an BGH bei Holtz, MDR 1987 S. 281: A und B hatten den Gastwirt G überfallen, den 17 weit schwächeren G zusammengeschlagen und die Tageskasse entwendet. Drei Tage später erschienen sie erneut als G wiederum allein in der Gaststätte war. Sie verschlossen die Tür, verstellten dem G den Weg und A leerte die Kasse. Sie gingen davon aus, dass G angesichts ihrer Maßnahmen keinen Widerstand leisten würde. Ergebnis: Konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, denn durch ihr Verhalten brachten sie zum Ausdruck, dass im Falle eines Widerstandes dieser in gleicher Weise wie zuvor gebrochen würde.
Anders stellt sich hingegen die Situation dar, wenn der Täter davon ausgeht, dass das Op- 18 fer aufgrund einer vorangegangenen Gewaltanwendung noch so eingeschüchtert ist, dass es keinen Widerstand leisten wird, d.h. wenn der Täter nicht einmal die Möglichkeit eines Widerstandes für real hält. Der Umstand, dass der Täter diesen Widerstand in gleicher Weise brechen würde, wenn er geleistet würde, ersetzt nicht den Einsatz der Drohung, um eventuellen Widerstand zu brechen. Fall: Wie oben, aber A und B gehen davon aus, dass G keinen Widerstand leisten wird, wenn sie ihm Geld wegnehmen. Sie gehen gemeinsam in die Gaststätte des G und leeren die Kasse. Der ängstliche G widersetzt sich nicht. Ergebnis: Keine Drohung. 195
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19 Das Ergebnis aufgrund dieser Differenzierung überzeugt wenig. Es ist aber in der Entscheidung des Gesetzgebers begründet, die Ausnutzung der fortdauernden Nötigungswirkung nicht dem Einsatz des Nötigungsmittels gleichzustellen. Auch die Rechtsprechung hat den in der Differenzierung liegenden Wertungswiderspruch durchaus erkannt. Das erklärt, warum oft in Einzelfällen die Ausnutzung einer fortdauernden Nötigungswirkung der fortdauernden Gewaltanwendung gleichgestellt wurde.161 Dass die Ausnutzung einer fortdauernden Nötigungswirkung gleichwohl etwas anderes ist als der weitere Einsatz des Nötigungsmittels ist allerdings unbestreitbar. BGHSt 32 S. 88: A hatte den Hotelportier P gefesselt und geknebelt, damit dieser ihn nicht hindern konnte, ohne Bezahlung der Rechnung aus dem Hotel zu verschwinden. Als der A das Hotel verließ, kam er auf die Idee, den Inhalt der Hotelkasse mitzunehmen. BGH: Nur Diebstahl, kein Raub.
20 Auch in der Literatur ist es sachlich als unbefriedigend angesehen worden, dass deijenige, der eine selbst zuvor geschaffene Nötigungslage ausnutzt, nicht genauso bestraft wird wie deijenige, der die Nötigung zur Wegnahme einsetzt. Vorgeschlagen wurde, die Fortsetzung des Zwanges durch pflichtwidriges Aufrechterhalten der Zwangslage der Anwendung des Nötigungsmittels gleichzusetzen.1^ Diese Konstruktion einer Unterlassung nach vorangegangenem gefährlichem Tun vermag jedoch kein abweichendes Ergebnis zu begründen. Denn selbst wenn der Täter aufgrund der ursprünglichen Gewaltanwendung als Garant verpflichtet ist, von dem Opfer Schäden abzuwehren, denen es infolge seiner durch die Gewaltanwendung begründeten Hilflosigkeit ausgesetzt ist, kann die Ausnutzung der Zwangslage nicht als Gewaltanwendung durch den Unterlassungstäter interpretiert werden. Sein Unterlassen hat nicht den sozialen Sinngehalt einer Gewaltanwendung, sondern nur den eines Fortdauernlassens der Wirkungen der Gewaltanwendung.163 21 Erwägenswert ist allerdings, ob in Anwendung allgemeiner Prinzipien strafrechtlicher Zurechnung, etwa entsprechend dem Grundsatz der actio libera in causa164, eine Gleichstellung des Täters, der Gewalt zur Wegnahme anwendet, mit dem, der das Opfer durch Gewaltanwendung in eine wehrlose Lage gebracht hat und diese nun zur Wegnahme ausnutzt, in Betracht kommt. 2. Der subjektive Tatbestand 22 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Dieser muss dem des Diebstahls entsprechen und außerdem auf Wegnahme mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gerichtet sein. - Zur Absicht rechtswidriger Zueignung vgl. § 40 Rdn. 44 ff. 23 Die Erweiterung der Zueignungsabsicht oder der Wechsel des Zueignungsobjekts nach finalem Einsatz des Nötigungsmittels berührt den Raubvorsatz nicht; vgl. zur entsprechenden Problematik des Diebstahlstatbestands unter § 40 Rdn. 41 f. 161 Vgl. zur Gleichstellung: BGH NStZ 1981 S. 344; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH StV 1983 S. 460. - Andererseits: BGHSt 32 S. 88 mit Anm. JAKOBS JR 1984 S. 385 ff, OTTO JZ 1984 S. 143 ff;
BGH NStZ-RR 1997 S. 298.
162 V g l . ESER N J W 1965 S. 3 7 9 f; LACKNER/KÜHL § 2 4 9 R d n . 4 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S. 3 5 2 f. - Falls
bereits Anwendung der Gewalt dem Täter als Unterlassen zugerechnet wird, auch: KINDHÄUSER B.T. II/l, § 13 Rdn. 28. 163 V g l . GÜNTHER S K II, § 2 4 9 R d n . 3 4 ; HERDEGEN L K , § 2 4 9 R d n . 16; JOERDEN J u S 1985 S. 2 6 ; KREY B . T . 2 , R d n . 193; KÜPER J Z 1 9 8 1 S. 5 7 1 ; RENGIER B . T . I, § 7 R d n . 16; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , Rdn. 3 3 6 . 164 D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 13 R d n . 15 f f .
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a) BGHSt 22 S. 350: A schlug den B nieder, um ihm DM 5,- wegzunehmen. Als er die Geldbörse des B 2 4 geöffnet hatte und sah, dass sie erheblich viel mehr Geld enthielt, nahm er das ganze Geld an sich. BGH: Gin einheitlicher Raub in bezug auf die Gesamtmenge. 165 b) B schuldete dem A DM 30,-. Da er seine Schuld nicht zahlen wollte, schlug A ihn nieder, um ihm die 2 5 geschuldete Summe wegzunehmen. Als A sah, dass B erheblich mehr Geld in der Brieftasche hatte, nahm er die ganze Summe an sich. Ergebnis: Kein Raub, denn als A Gewalt einsetzte, fehlt ihm die Absicht rechtswidriger Zueignung; dazu oben § 40 Rdn. 44 ff. Später aber nutzte er nur noch die Wirkungen der Gewaltanwendung zum Diebstahl aus. 166
3. Vollendung und Versuch a) Vollendung und Beendigung Der Raub ist mit der Begründung neuen Gewahrsams an der Sache, auf deren Zueignung 26 der Täter es abgesehen hat, vollendet. - Beendet ist der Raub, wenn der Täter diesen Gewahrsam gesichert hat oder der Angriff auf den Gewahrsam erfolgreich abgewehrt wurde.167 b) Versuch Versucht ist der Raub, wenn der Täter zum Zwecke der Wegnahme zur Gewaltanwendung 27 oder Drohung unmittelbar ansetzt, d.h. wenn das angegriffene Rechtsgut aus der Sicht des Sachverhalts durch den Täter unmittelbar gefährdet ist. BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 1050 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 22/14: A und B wollten den Geschäftsführer des Ratskellers ausrauben, nachdem er das Geschäft geschlossen hatte. Ab ein Uhr nachts warteten sie im Innenhof des Ratskellers. Er erschien aber nicht, da er noch länger beschäftigt war. BGH: Aus der Sicht des Täters noch keine konkrete Gefährdung des Rechtsguts, daher noch kein Versuch, wohl aber Verabredung zu einem Verbrechen, § 30 Abs. 2.
Kommt es dem Täter auf den Inhalt eines Behältnisses an, so liegt nur versuchter Raub 28 vor, wenn das weggenommene Behältnis das Gewünschte nicht enthält. BGH StV 1983 S. 460: A wollte der B Bargeld wegnehmen, das er in ihrer Handtasche vermutete. Mit Gewalt entriss er ihr die Handtasche. - Als A feststellte, dass kein Geld in der Tasche war, warf er diese fort. BGH: Nur versuchter Raub. 16 «
Ein bloßer Irrtum über den Umfang der Beute steht der Vollendung aber nicht entgegen.
29
BGH NStZ 1996 S. 599: A nahm dem T mit Gewalt dessen Geldbörse weg, weil er das Geld des T haben wollte. Als er später sah, dass die Geldbörse nur Münzen enthielt, warf er diese mit der Geldbörse weg. BGH: Der Raub ist vollendet. A wollte den T um sein Geld berauben. Dieses Ziel hat er erreicht.
m . Schwerer Raub, § 250 1. Die Raubqualifikationen gemäß § 250 Abs. 1 a) § 250 Abs. 1 Nr. 1 a, b, Nr. 2 entsprechen § 244 Abs. 1 Nr. 1 a, b, Nr. 2; zur Problema- 30 tik dieser Qualifikationsmerkmale und insbes. zur Problematik der sog. Scheinwaffen, vgl. unter § 41 Rdn. 50 ff, 59.
165 Zu den verschiedenen möglichen Fallvarianten vgl. auch BGH StV 1990 S. 408. 166 Dazu auch BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH StV 1990 S. 407. 167 Dazu BGH NJW 1985 S. 814 mit Bespr. KÜPER JUS 1986 S. 862 ff. 168 Vgl. dazu auch § 40 Rdn. 70 sowie BGH bei Dallinger, MDR 1976 S. 16; BGH StV 1990 S. 205.
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31 b) Während in § 250 Abs. 1 Nr. 3 a.F. „die Gefahr einer schweren Körperverletzung (§ 224)" als qualifizierendes Element erfasst war, hat das 6. StrRG den Rahmen erweitert und stellt nunmehr auf die Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung durch den Raub ab, Abs. 1 Nr. 1 c; zum Begriff der schwerwiegenden Gesundheitsschädigung vgl. § 10 Rdn. 2. 32 c) Will der Täter vom Versuch des schweren Raubes zurücktreten, so muss er die Wegnahmeabsicht aufgeben. Den Rücktritt von einem Teil eines Delikts kennt das Gesetz nicht. - Allein die Aufgabe des Planes, ein Werkzeug zur Überwindung des Widerstandes des Opfers durch Gewalt beim Raub zu benutzen, und das Fortwerfen dieses Werkzeugs genügen den Rücktrittserfordernissen daher nicht.16' 2. §250 Abs. 2 33 a) Abs. 2 Nr. 1 erfasst als qualifizierendes Element die Verwendung einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs. - Zum Begriff der Waffe vgl. § 41 Rdn. 51. - Der Begriff des gefährlichen Werkzeugs kann hier im Gegensatz zu § 244 Abs. Nr. 1 Nr. 1 a, wo bereits das Beisichführen des gefährlichen Werkzeugs straferhöhend berücksichtigt wird, in Anlehnung an § 224 Abs. 1 Nr. 2 interpretiert werden: Gefahrlich ist ein Werkzeug, das bei seiner konkreten Anwendung zur Durchführung des Raubs geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen; vgl. dazu auch § 16 Rdn. 7 f.17" - Nicht funktionsfähige oder ungeladene Waffen, die nicht als Schlagwerkzeug eingesetzt werden sollen, genügen diesen Anforderungen nicht.171 - Ein Verwenden der Waffe oder des gefährlichen Werkzeugs liegt nicht nur beim Einsatz gegen den Körper des Opfers vor, sondern bereits dann, wenn dieses nur zur Drohung eingesetzt wird.172 34 b) Abs. 2 Nr. 2 qualifiziert den Bandenraub gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 2 für den Fall, dass einer der Tatbeteiligten eine Waffe bei sich führt. - Zum Begriff der Waffe vgl. § 41 Rdn. 51. 35 c) Abs. 2 Nr. 3 a erfasst die schwere körperliche Misshandlung als qualifizierendes Element. - Eine schwere körperliche Misshandlung setzt eine gravierende körperliche Beeinträchtigung voraus.173 36 d) Abs. 2 Nr. 3 b qualifiziert den Raub, wenn eine andere Person durch die Tat in die konkrete, naheliegende Gefahr des Todes gebracht wird. 37 Der besonderen Gefährdung muss sich der Täter bewusst sein, d.h. sie muss von seinem Vorsatz umfasst sein. § 250 Abs. 2 Nr. 3 b ist kein erfolgsqualifiziertes Delikt i.S. des § 18.
38 Tatbeteiligte sind durch § 250 Abs. 2 Nr. 3 b nicht geschützt, vgl. dazu unter Rdn. 44. 3. Verwirklichung mehrerer Alternativen des Tatbestandes 39 Auch wenn der Täter mehrere Alternativen des Tatbestandes verwirklicht, liegt nur eine Raubtat vor. 169 Dazu BGH NStZ 1984 S. 216 mit abl. Anm. GEPPERT JK, StGB § 250/3; STRENG JZ 1984 S. 652 ff; ZACZYK NStZ 1984 S. 217. - Eingehend zum Streitstand: KÜPER JZ 1997 S. 233 f. 170 Vgl. BGHSt 44 S. 103; BGH NJW 1998 S. 2916; BGH StV 1999 S. 209. 171 Vgl. BGHSt 45 S. 249; BGH NStZ 1999 S. 135; 1999 S. 448; BGH NStZ-RR 1999 S. 103. 172 Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 45; BGHSt 45, S. 92,94 ff; BGH StV 1998 S. 487. 173 Vgl. BGH StV 1998 S. 488.
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IV. Raub mit Todesfolge, § 251 1. Die Erfolgsqualifizierung a) § 251 enthält gegenüber §§ 249, 250 eine Erfolgsqualifizierung. Der besondere Erfolg, 40 der Tod, braucht nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht auf der zur Wegnahme eingesetzten Gewaltanwendung zu beruhen, so dass nur eine Nötigungshandlung mit tödlichem Ausgang, die auf die Wegnahme gerichtet ist, den Tatbestand des § 250 erfüllt.174 Entgegen dem zu weit geratenen Wortlaut des Gesetzes, aber im Einklang mit dem We- 41 sen des Strafgrundes der „Erfolgsqualifikation", genügt es zwar nicht, dass der Raub conditio-sine-qua-non für den Erfolg geworden ist, vielmehr muss sich der Todeserfolg aus der Raubhandlung und ihrer spezifischen Gefährlichkeit entwickelt haben.175 Darüber hinaus ergab der ursprüngliche Wortlaut des Gesetzes: „... durch die gegen ihn verübte Gewalt", und der systematische Zusammenhang zwischen den Raubdelikten und § 252, dass die tödliche Gewaltanwendung auf die Wegnahme gerichtet sein musste, so dass nur eine Gewaltanwendung bis zur Vollendung des Raubs relevant war. Mit der Neufassung des § 251 durch das EGStGB: „... durch den Raub", hat der Gesetzgeber den systematischen Zusammenhang zerstört und den Anwendungsbereich des § 251 gegenüber dem § 252 erweitert. Beispiel 1: A schlägt den B, den er ausrauben will, mit einem Knüppel nieder. Er will den B zwar nicht 4 2 töten, schlägt aber mit solcher Wucht zu, dass die Schädeldecke des B zertrümmert wird. B stirbt. Ergebnis: § 251. Beispiel 2: A schlägt im 2. Stock eines Hauses auf den B ein, um ihn niederzuschlagen und auszurauben. In seiner Not springt B aus dem Fenster. Ergebnis: § 251. Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs. Der Wille des B war nicht frei. 176 Beispiel 3: Nach einem Raubüberfall kommt es zu einer Schießerei zwischen dem Räuber und mehreren Verfolgern auf offener Straße. Durch einen Schuss wird einer der zahlreichen Passanten getroffen. Ergebnis: § 251. 177 Beispiel 4: Als die Täter nach einem Raubüberfall mit dem Auto davonrasen, überfahren sie den X. Ergebnis: §§ 249, 222, 53.
b) Abweichend von § 18 genügt in bezug auf den Erfolg nicht mindestes Fahrlässigkeit, 43 erforderlich ist wenigstens Leichtfertigkeit, d.h. ein grob fahrlässiges Verhalten. c) § 251 findet keine Anwendung, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt, denn § 251 44 greift nicht zugunsten dessen ein, vor dessen Tun er gerade erhöhten Schutz bieten soll. 174 Nicht ausreichend ist es aber, wenn das Fehlen der weggenommenen Sache, z. B. ein Medikament, zum Tode führt; vgl. dazu GÜNTHER SK n , § 251 Rdn. 13; HERDEGEN LK, § 251 Rdn. 2; KINDHÄUSER NK, § 251
Rdn. 6.
175 vgl. BGH NStZ 1998 S. 511; BGH NJW 1999 S. 1039; GEILEN Jura 1979 S. 557; LACKNER/KÜHL § 2 5 1 R d n . 1; OTTO J Z 1993 S. 5 6 9 ; TRÖNDLE/RSCHER § 2 5 1 R d n . 2; WOLTER G A 1984 S. 4 5 0 ; DERS. J R 1986 S. 4 6 5 ff. 176 D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 11 R d n . 4 ff.
177 BGHSt 38 S. 298 f; BGH NJW 1999 S. 1039; JESCHECK Welzel-FS, S. 698; LACKNER/KÜHL § 251 R d n . 1; OTTO J Z 1993 S. 569; TRÖNDLE/FISCHER § 251 R d n . 3; WOLTER G A 1984 S. 4 5 0 . - A . A . GEPPERT J K 93, S t G B § 2 5 1 / 3 ; GÜNTHER Hirsch-FS, S. 5 4 6 f; HERDEGEN L K , § 2 5 1 R d n . 6; KINDHÄUSER N K , § 2 5 1 R d n . 7; KÜPER J u S 1986 S. 8 6 8 f f ; MITSCH B.T.II/2, § 3 R d n . 9 5 ; RENGIER N S t Z 1992 S. 5 9 0 f.
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2. Versuch und „Rücktritt" 45 a) Zielt die Gewaltanwendung zugleich auf den Tod des Opfers, ohne dass dieser eintritt, so bietet der Versuch - sog. versuchte Erfolgsqualifizierung keine besonderen Probleme. Bleibt das Grunddelikt hingegen im Versuchsstadium stecken, während die besondere Folge des erfolgsqualifizierten Delikts bereits aufgrund der Versuchshandlung eintritt, sog. erfolgsqualifizierter Versuch so ist die Möglichkeit der Bestrafung aus dem erfolgsqualifizierten Delikt strittig. Soweit grundsätzlich oder hinsichtlich bestimmter erfolgsqualifizierter Delikte davon ausgegangen wird, dass sich die besondere Folge gerade aus dem Erfolg des Grunddelikts entwickelt haben muss, ist die Möglichkeit eines Versuchs in diesen Fällen zu verneinen, weil es schon am Erfolg des Grunddelikts fehlt. In der Konsequenz dieser Auffassung ist ein Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts überhaupt nicht möglich, da das erfolgsqualifizierte Delikt einen vollendeten Grundtatbestand voraussetzt.178 Wird der für die Verwirklichung der besonderen Folge relevante Anknüpfungspunkt nicht im Erfolg des Grundtatbestandes gesehen, sondern in der besonders gefährlichen Handlung des Grundtatbestandes, so kann ein erfolgsqualifizierter Versuch bejaht werden, wenn sich bereits bei der Verwirklichung der Handlung des Grundtatbestandes die besondere Gefahr dieser Handlung im besonderen Erfolg realisiert.179 46 b) Wird insoweit die Möglichkeit eines Versuchs bejaht, stellt sich die Frage nach den Voraussetzungen, unter denen ein Rücktritt von diesem Versuch möglich ist. Die h.M. bejaht hier zutreffend die Möglichkeit des Rücktritts unter den Voraussetzungen des § 24 StGB, weil es sich formal um ein versuchtes Delikt handelt, denn die Deliktsnatur bestimmt sich nach dem Grundtatbestand.180 Dass die besondere Gefahr sich bereits in der besonderen Folge realisiert hat, ändert an der Versuchssituation nichts181, da der Verwirklichung der Qualifikation keine Aussage über die Vollendung des Delikts zu entnehmen ist. 3. Konkurrenzen 47 a) §§ 222, 227, 250 werden von § 251 konsumiert, während versuchter Raub mit Todesfolge und Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit stehen.182 48 b) Tateinheit zwischen einem vorsätzlichen Tötungsdelikt und § 251 ist nach der jetzigen Fassung des Gesetzes möglich: Nach dem Wortlaut des Gesetzes erfasst der Tatbestand wenigstens leichtfertiges, d.h. aber auch vorsätzliches Verhalten. 49 c) Zur Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung unter § 53 Rdn. 4 f. 178 Vgl. GÖSSEL Lange-FS, S. 238; MAURACH/GÖSSEL/ZIPF, A.T. 2, 7. Aufl. 1989, § 43 Rdn. 117; SCHMTOHÄUSER A.T., Stub, 2. Aufl. 1984,11/107. 1 7 9 v g l . GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 18 R d n . 8 4 ; B G H N J W 2 0 0 1 S. 2 1 8 7 ; SCHRÖDER JZ 1 9 6 7 S . 3 6 8 ; WOLTER G A 1 9 8 4 S. 4 4 5 f.
180 vgl. BGH NJW 1996 S. 2663 mit Anm. GEPPERT JK 97, StGB § 251/5; GÜNTHER Hirsch-FS, S. 553; KÜPER JZ 1 9 9 7 S. 2 3 2 f; LACKNER/KÜHL § 2 4 R d n . 2 2 ; OTTO Jura 1 9 9 7 S . 4 7 6 ; PAEFFGEN N K , § 18 R d n . 1 3 0 f; RUDOLPH S K I , § 18 R d n . 8 a; SCHROEDER L K , § 18 R d n . 4 2 ; SOWADA Jura 1 9 9 5 S. 6 5 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 18 R d n . 4 . 181 A . A . HERDEGEN L K , § 2 5 1 R d n . 16; JÄGER N S t Z 1 9 9 8 S. 1 6 1 ; ULSENHEIMER B o c k e l m a n n - F S , S. 4 1 5 f; WOLTER JUS 1 9 8 1 S. 1 7 8 .
182 vgl. BGHSt 46 S. 24 mit Anm. GEPPERT JK 00, StGB § 251/7; KINDHÄUSER NStZ 2001 S. 31 f; KUDLICH StV 2000 S. 669; STEIN JR 2001 S. 72 f.
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Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
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V. Räuberischer Diebstahl, § 252 § 252 enthält ein raubähnliches Sonderdelikt. Derjenige, der die Beute mit den Mitteln des 50 Raubes sichert, wird dem Räuber gleichgestellt, und zwar sind je nach den Sachverhaltsgegebenheiten §§ 249,250, 251 anwendbar. 1. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Vortat: Diebstahl Als Vortat kommen alle privilegierten und qualifizierten Fälle des Diebstahls in Betracht 51 und auch der Raub. Auch wenn der Gesetzestatbestand nur den Diebstahl nennt, erfolgt die Erstreckung seines Anwen- 5 2 dungsbereichs auf den Raub noch im Einklang mit dem Gesetzestext: Auch im Raub ist ein Diebstahl enthalten. Der Konkurrenzregelung, dass der Raub dem Diebstahl als lex specialis vorgeht, kommt im Rahmen des § 252 keine Bedeutung zu. - Vom Sinn und Zweck des Gesetzes her wäre es unverständlich, dass deijenige, der nach einem Diebstahl bei der Sicherung der Beute einen anderen leichtfertig tötet, nach § 252 bestraft werden kann, nicht aber derjenige, der zuvor einen Raub, § 249, begangen hat.
b) Die Vortat muss vollendet sein Der Einsatz des Raubmittels nach Vollendung der Vortat begründet die Annahme des 53 § 252 anstelle des § 249.1« c) Auf frischer Tat Frisch ist die Vortat, solange mit ihr ein enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang 54 besteht. Mit Beendigung der Vortat ist dieser Zusammenhang a b g e b r o c h e n . I M - Nach anderer Auffassung soll die Beendigung der Vortat die Frische der Tat nicht notwendig auss c h l i e ß e n . ^ Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Zeitpunkt der Sicherung der Beute beendet nicht nur die Notwehrsituation des Opfers, sondern bedeutet allgemein eine Zäsur in dem Geschehen. Das Verhalten kann nun nicht mehr als eine einheitliche Raubhandlung bewertet werden. Die Einheit des Geschehens ist aber die Rechtfertigung für die Gleichstellung der nach der Wegnahme geübten Gewaltanwendung mit der zur Wegnahme verwirklichten Gewaltanwendung durch § 252.186 - Auch vor Beendigung wird eine Frische der Tat in Ausnahmefällen abgelehnt, doch erscheint hier eine Zäsur willkürlich.1«7 d) Das Betreffen Der Täter ist auf frischer Tat betreffen, wenn er bei der Tat mit einem anderen zu- 55 sammentrifft, der ihn als Tatverdächtigen erkannt hat oder unmittelbar zu erkennen droht. BGHSt 26 S. 95: A war in die Wohnung der C in diebischer Absicht eingedrungen und hatte Schmuck u.a. in einer Aktentasche verstaut. In der Tasche hatte er außerdem noch einen Holzknüppel. Als er die Wohnung gerade verlassen wollte, hörte er, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Er versteckte sich hinter der 183 H.M. vgl. BGHSt 28 S. 229; BGH StV 1985 S. 13; BGH StV 1986 S. 530; BGH JZ 1988 S. 471; GÜNTHER Hirsch-FS, S. 544; HERDEGEN L K , § 2 5 2 Rdn. 7 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 Rdn. 11; KÜPER Jura
2000 S. 22 f. - A.A. (Beendeter Diebstahl wird vorausgesetzt): DREHER MDR 1979 S. 529 ff; SCHMIDHAUSERB.T., 8/59. 184 Vgl. B G H S t 2 8 S. 229; B G H N J W 1987 S. 2687; B G H J Z 1988 S. 4 7 1 ; GEILEN Jura 1979 S. 6 7 0 ; GEPPERT Jura 1990 S. 556; HERDEGEN L K , § 2 5 2 Rdn. 6, 14; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 17; MITSCH B . T . N/2, § 4 R d n . 39; PERRON G A 1989 S. 148; SCH/SCH/ESER § 2 5 2 R d n . 4. 185 v g l . DREHER M D R 1979 S. 531; GÖSSEL B.T. 2, § 15 R d n . 13 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 4. 186 v g l . a u c h B G H S t 2 8 S. 229; GEILEN J u r a 1979 S. 670; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 6; PERRON G A 1989 S. 1 6 6 , 1 6 9 ; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 398. 187 Vgl. HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 14. - A . A . B G H S t 28 S. 228; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 366.
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§46
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Zimmertür und nahm den Knüppel in die Hand. Als Frau C das Zimmer betrat, schlug er sie nieder. Dann verließ er fluchtartig die Wohnung. 56 BGH: A ist auf frischer Tat betroffen worden.188
Der bloße Glaube des Täters, erkannt zu sein, ersetzt das Betroffensein nicht.189 e) Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben 57 aa) Zum Begriff der Gewalt und zu dem der Drohung vgl. oben Rdn. 3 f. 58 bb) Das Opfer braucht nicht der Gewahrsamsinhaber zu sein oder jemand, der den Diebstahl verhindern will. Da nur erforderlich ist, dass der Täter handelt, um sich im Besitz der Beute zu halten, genügt es, dass der Täter meint, die Person, gegen die er Gewalt oder Drohung anwendet, werde die Beendigung des Diebstahls verhindern.190 59 cc) Da die Anwendung von Gewalt oder Drohung jener gleichkommen muss, mit der beim Raube die Wegnahme ermöglicht wird, ist genau zu beachten, ob sich die Gewalt auch gegen eine Person richtet. Beispiel 1: Der Eigentümer E hält den auf frischer Tat betroffenen Dieb A fest. A reißt sich los. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E. Beispiel 2: Als der E den verfolgten Dieb A einholt, wirft dieser die Beute auf den Fußboden und sich darauf. A muss von E mühsam beiseite geschoben werden. Ergebnis: Keine Gewalt des A gegen E.
2. Der subjektive Tatbestand 60 a) Der Vorsatz muss sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes erstrecken. Hinzu kommt die Absicht, sich im Besitz der Beute zu halten in einer Situation, in der dem Täter der unmittelbare Entzug der Beute zugunsten des Berechtigten droht. BGH StV 1987 S. 196: A hatte dem K in der Wohnung der S während eines kurzen Einnickens Geld entwendet. Als K den Verlust bemerkte, stellte er den A zur Rede. A gab das Geld aber nicht heraus. Nun verließ K die Wohnung, um seinen Sohn herbeizuholen, der die Sache klären sollte. Um zu verhindern, dass der S ihm das Geld wieder abnehme, eilte A dem K nach und stürzte ihn die Treppe herab. K kam zu Tode. BGH: § 252 nicht erfüllt, denn A handelte nicht in der Absicht, eine gegenwärtige oder bevorstehende Gewahrsamsentziehung zu verhindern.191
61 b) Die Absicht, den Besitz des gestohlenen Gutes zu behalten, muss Beweggrund des Täters sein, nicht aber einziger Beweggrund. - Stets muss es dem Täter aber auch darum gehen, sich die umfassende Sachherrschaft zu erhalten und zu sichern.192 188 Z u s t i m m e n d : GÖSSEL B . T . 2, § 15 R d n . 17; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 12; LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 4 ; RENGIER B . T . I, § 10 R d n . 6; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 2 R d n . 6. - A . A . DREHER M D R 1979 S. 5 2 9 f f ;
FEZER JZ 1975 S. 609 ff; GEPPERT Jura 1990 S. 556 f; WESSELS/HLLLENKAMP B.T./2, Rdn. 368. - Differ e n z i e r e n d : KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 14; MITSCH B . T . n / 1 , § 4 R d n . 3 1 f. 189 S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 4. - A . A . HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 12.
190 Str., eingehend dazu KÜPER JZ 2001 S. 734 f. 191 V g l . B G H S t 2 8 S. 2 2 4 , 2 3 1 ; GEPPERT J u r a 1990 S. 5 5 7 ; MITSCH B . T . H/1, § 4 R d n . 52; PERRON G A
1989 S. 159; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 371. - Die Notwendigkeit der gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Gefahr der Gewahrsamsentziehung bestreiten: GEILEN Jura 1980 S. 44 f; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 17; LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 5; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 2 6 ; RENGIER
B.T. 1,8 10 Rdn. 13.
192 HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 17; vgl. auch OLG Zweibrücken JR 1991 S. 383 mit Anm. PERRON S. 384 f; O L G Z w e i b r ü c k e n S t V 1 9 9 4 S. 5 4 5 m i t A n m . GEPPERT J K 9 5 , S t G B § 2 5 2 / 5 ; GÖSSEL B . T . 2, § 15 R d n . 2 0 ; KÜPER B.T., S. 8 3 f.
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BGH MDR 1987 S. 154: A und B hatten gestohlene Sachen im Kofferraum ihres Kfz verladen, als sie von W überrascht wurden. Sie griffen W tätlich an, um mit dem Kfz fliehen zu können. An die Beute dachten sie in diesem Moment nicht. BGH: Die Absicht, sich im Besitz der Beute zu erhalten, bedeutet, die Beute in das eigene Vermögen zu bringen, die Sache für sich haben zu wollen und - wenn auch nur auf begrenzte Zeit - wirtschaftlich nutzen zu wollen. Daran fehlt es hier.
c) Handelt der Täter bei der Vortat in einem Tatbestandsirrtum, so fehlt ihm das Bewusst- 62 sein, bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen zu sein, und damit der Vorsatz. § 252 setzt aber den Diebstahl objektiv und subjektiv voraus. - Doch auch ein Verbotsirrtum bei der Vortat führt zum gleichen Ergebnis, denn dieser verhindert, dass sich der Täter des sozialen Sinngehalts des Geschehens bewusst wird. Er erkennt sein Verhalten nicht als Diebstahl. Damit fehlt auch hier das Bewusstsein, bei einem Diebstahl betroffen zu sein. Fall: G schuldet dem A DM 20,-, weigert sich aber zu bezahlen. A nimmt dem G DM 20,- weg, weil er meint, dies sei rechtens, und sucht das Weite. Als G den A verfolgt, schlägt dieser ihn mit einem Aschenbecher nieder. Ergebnis: Lehnt man nicht, wie es oben - vgl. § 40 Rdn. 77 ff - geschehen ist, eine rechtswidrige Zueignung ab, so ist der Intum des A nach h.M. ein Verbotsirrtum.193 Doch dieser Irrtum bewirkt, dass A sich nicht der Tatsache bewusst wird, einen Diebstahl begangen zu haben. Die Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale ersetzt aber nicht die Kenntnis des sozialen Sinngehaltes des Geschehens.
3. Täterschaft und Teilnahme a) Mittäter der Vortat können auch Täter des § 252 sein, wenn sie selbst nicht unmittelbar 63 im Besitz der Beute sind. Sie handeln, um sich im Besitz der Beute zu halten, wenn der mittäterschaftlich vermittelte Besitz an der Beute erhalten bleiben soll. aa) Fall: A und B haben bei C eingebrochen und ein Gemälde gestohlen. Als C ihnen nachsetzt, läuft B mit dem Gemälde weiter, während A den C niederschlägt. Ergebnis: A: § 252. - Handelte A im Einvernehmen mit B, so ist § 252 auch auf B anwendbar.194 bb) BGH StV 1991 S. 349: Nach einem Diebstahl suchte F das Weite. Den sie verfolgenden X schlug A nieder, der F den Besitz der Beute erhalten wollte. BGH: Da die Absicht des A nicht darauf gerichtet war, sich im Besitz der Beute zu halten, kommt er als Täter des § 252 nicht in Betracht.195
Nach der Beuteteilung kann jeder Mittäter nur noch eigene Sachherrschaft verteidigen. b) Str. ist, ob Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein können.
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Fall: B hat bei C eingebrochen und ein Gemälde entwendet. A stand Schmiere. Als B von C verfolgt wird, schlägt A den C nieder.
Da „Wer ..." i.S. des § 252 nicht der Täter der Vortat sein muss, entscheidet sich die Frage 65 danach, ob der Teilnehmer handelt, „um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten". Das setzt voraus, dass er zumindest Mitbesitzer der Beute ist. Ist er Mitbesitzer oder Besitzer der Beute, so kann er auch Täter des § 252 sein.196 193 Dazu BGHSt 17 S. 88. 194 so auch BGHSt 6 S. 250; OLG Stuttgart NJW 1966 S. 1931; GEILEN Jura 1980 S. 45; GÖSSELB.T. 2, § 15 R d n . 23; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 18; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 34.
195 Vgl. dazu auch ENNUSCHAT JR 1991 S. 500 f; OTTO JK 91, StGB § 252/4.
196 So auch BGHSt 6 S. 248, 250 f; GEPPERT Jura 1990 S. 558; GÜNTHER SK II, § 252 Rdn. 25; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 5 R d n . 40. - A . A . ARZT/WEBER B.T., § 17 R d n . 26; GEILEN JU-
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4. Konkurrenzen 66 a) § 252 konsumiert den zuvor begangenen Diebstahl. - Wurde die Anwendung des Raubmittels jedoch nur versucht, so stehen Diebstahl und versuchter räuberischer Diebstahl in Tateinheit. 197 67 b) War die Vortat ein Raub gemäß §§ 249, 250, 251, so konsumiert dieser den § 252 als straflose Nachtat, soweit bei der Verwirklichung des § 252 keine schwereren qualifizierenden Merkmale als bei der Vortat verwirklicht wurden. 198 68 c) Erfolgt die Verwirklichung des § 252 unter schwereren Qualifikationsumständen als die Vortat - z.B. Vortat: § 249, um sich im Besitz der Beute zu halten, übt der Täter Gewalt mit einer Waffe -, so konsumiert § 252 die Vortat. 1 "
VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a 1. Das Wesen der Tat 69 Sachlich stellt § 316 a eine durch die besondere Begehungsweise qualifizierte Form des Raubes, des räuberischen Diebstahls und der räuberischen Erpressung dar.200 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale 70 a) Angriff ist jede Bedrohung von Leib, Leben oder Entschlussfreiheit des Fahrers oder Mitfahrers eines Kraftfahrzeuges. - Angreifer können Dritte, Mitfahrer oder der Fahrer selbst sein. Gleichgültig ist, ob der Angriff sich von außen nach innen richtet, bzw. innerhalb oder außerhalb des Kraftfahrzeuges unternommen wird. 71 b) Die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs werden ausgenutzt, wenn der Täter eine Gefahrenlage nutzt, die dem fließenden Straßenverkehr eigen ist, d. h. wenn nach dem Tatplan das Kraftfahrzeug als Verkehrsmittel für die Begehung des Gewaltdelikts eine Rolle spielt. - Angriffe auf Fahrzeuginsassen im ruhenden Verkehr fallen daher nicht unter den Tatbestand, doch ist damit nicht automatisch der Angriff auf Personen außerhalb des Kraftfahrzeugs ausgeschlossen. Hier kommt es allein auf das Ausnutzen von vor- oder noch fortwirkenden Verhältnissen des Straßenverkehrs an.201 r a 1980 S. 4 6 ; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 18; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 32; MITSCH B.T. n / 1 , § 4 R d n . 24; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 399; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 2 R d n . 11.
197 So auch HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 21; LACKNER/KÜHL § 252 Rdn. 8. - A.A. OLG Karlsruhe MDR 1978 S. 244; SCH/SCH/ESER § 2 5 2 R d n . 13.
198 Vgl. BGHSt 21 S. 380; BGH GA 1969 S. 348; BGH StV 1983 S. 104. 199 Vgl. GÜNTHER S K H, § 2 5 2 R d n . 29; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 39; KUDLICH JUS 1998 S. 996; LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 8; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 2 R d n . 12. 2 0 0 S o a u c h HERZOG N K , § 316 a R d n . 5; KREY B.T. 2, Rdn. 224; MEURER-MEICHSNER U n t e r s u c h u n g e n
zum Gelegenheitsgesetz im Strafrecht, 1974, S. 96 ff. - Als Verkehrsdelikt interpretiert die höchstrichterliche Rechtsprechung den Tatbestand; vgl. BGHSt 5 S. 281; 13 S. 29; 22 S. 117; HENTSCHEL JR 1986 S. 428 ff. - Als Verkehrs- und Vermögensdelikt sehen die Vorschrift: GEPPERT Jura 1995 S. 311 f; GÖSSEL B.T. 2, § 15 Rdn. 27; GÜNTHER J Z 1987 S. 3 7 5 ff; LACKNER/KÜHL § 3 1 6 a R d n . 1; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 1 6 a R d n . 1.
201 So auch BGHSt 18 S. 173; KINDHÄUSER B.T. n/1, § 19 Rdn. 17; KÜPER B.T., S. 21; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 386. - A . A . FISCHER J u r a 2 0 0 0 S. 4 3 7 f; GÜNTHER J Z 1987 S. 373 f f ; JOECKS StGB, § 316 a R d n . 14; RENGIER B.T. I, § 12 R d n . 10 a.
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Beispiele: Verbringen des Opfers mit Kfz an eine einsame Stelle, um es dort auszurauben, nicht aber, wenn 7 2 der Überfall erst nach einem Fußmarsch, entfernt vom Parkplatz des Kfz, erfolgen soll.202 - Raub eines Kfz, nachdem dessen Fahrer durch List oder Gewalt angehalten wurde, 203 nicht aber gewaltsame Wegnahme eines ohne Zutun des Täters auf der Straße haltenden oder parkenden Kfz. 204 - Zusammenschlagen des Opfers in dem engen Fahrzeug, so dass dessen Gegenwehr erschwert ist, oder Gewaltanwendung im Rahmen einer räuberischen Erpressung,205 nicht aber Erpressung eines Opfers durch Drohimg in einem haltenden Wagen 206 oder Wegnahme der Geldbörse eines Taxifahrers unter Gewaltanwendung auf Grund eines erst noch dem Anhalten gefassten Plans.207
c) Einen Angriff verübt, wer ihn ausführt, d. h. eine unmittelbar auf Verletzung von Leib, Leben oder Entschlussfreiheit zielende Handlung vornimmt.208 d) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, den Angriff zu verüben 73 und muss mit der Absicht verbunden sein, einen Raub, eine räuberische Erpressung oder einen räuberischen Diebstahl als Täter zu begehen. Dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Ziel u.U. auch gewaltlos zu erreichen, schließt die Absicht nicht notwendig aus. - Der Raubplan muss spätestens während der Ausführung der Angriffshandlung gefasst sein.209 3. Erfolgsqualifizierung, Abs. 3 Abs. 3 erfasst die wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines anderen Men- 74 sehen als Erfolgsqualifikation; im einzelnen dazu vgl. unter § 46 Rdn. 40 ff. 4. Konkurrenzen a) Wird § 316 a als Raubdelikt interpretiert, so konsumiert er als schwerstes Delikt die 75 anderen Raubtatbestände mit Ausnahme des § 251, gleichgültig, ob diese vollendet oder versucht sind. b) Wird § 316 a als Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs interpretiert, so be- 76 steht Idealkonkurrenz mit den Raubdelikten, deren Versuch jedoch konsumiert wird, wenn er nicht nach den §§ 250,251 qualifiziert ist.210
202 BGHSt 19 S. 173; 22 S. 114; 33 S. 370, 378 mit Anm. GEPPERT NStZ 1986 S. 552 f; 37 S. 256; BGH NStZ 1996 S. 435. 203 BGHSt 24 S. 321. 204 BGHSt 24 S. 321; BGH GA 1979 S. 466; vgl. auch BGH NStZ 1996 S. 389; BGH StV 1997 S. 356; BGH NStZ-RR 1997 S. 356. 205 BGHSt 25 S. 317; BGH NJW 1992 S. 989; BGH NJW 2001 S. 764. 206 BGH 5 StR 54/72. 207 BGH NStZ 2000 S. 144. 2 0 8 V g l . KÜPER B . T . S. 18; LACKNER/KÜHL § 3 1 6 a R d n . 4 ; MITSCH B . T . D/2, § 2 R d n . 14; WES-
SELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 383. - Enger: FISCHER Jura 2000 S. 440 (nur objektiv zur Erfolgsher-
beiführung geeignete Handlungen); INGELFINGER JR 2000 S. 232 (den Kernbereich der Opfersphäre berührende Angriffstätigkeit). 209 Vgl. BGH NStZ 1997 S. 236. 210 Vgl. BGHSt 25 S. 373; BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 808.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§ 47 Sachbeschädigung 1 Bloßes Vermögensentziehungsdelikt, im Objekt beschränkt auf Sachen, die einem anderen gehören als dem Täter. - Der Gedanke, die rechtswidrige Vermögensbeschädigung allgemein unter Strafe zu stellen, hat sich nicht durchsetzen können, und auch zur Zeit steht die Schaßung eines - subsidiären - Auffangtatbestandes, der jede nicht durch einen anderen Tatbestand erfasste Vermögensentziehung unter Strafe stellt, nicht zur Debatte.
I. Sachbeschädigung, § 303 1. Das geschützte Rechtsgut 2 Geschützt ist die umfassende Sachherrschaftsposition einer Person über eine Sache, die im Regelfall durch das Eigentumsrecht vermittelt wird.211 - Bei der Zerstörung oder Beschädigung von Sachen, die auch aus der Sicht des Berechtigten völlig wertlos sind und an deren Erhalt er keinerlei sachgerechtes Interesse hat, entfallt der Tatbestand, weil ein Vermögensschaden nicht vorliegt.212 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale 3 a) Sache ist - wie bei den Aneignungsdelikten - als körperlicher Gegenstand zu verstehen, d.h. als konkret wahrnehmbares, gegen andere Gegebenheiten abgegrenztes Objekt. Geschützt sind daher auch Tiere.213 Erfasst werden ferner unbewegliche Sachen, z.B. Hausruinen, Brunnenanlagen, Gärten oder Felder. Bei einer Langlaufloipe entscheidet sich die Frage, ob eine Sache i.S. des § 303 vorliegt, danach, ob diese als hinreichend abgegrenzt gegenüber ihrer Umgebung angesehen werden kann. 214 Zur Sacheigenschaft von Körperteilen und Leichen vgl. § 40 Rdn. 5.
4 b) Zum Begrifffremd vgl. oben § 40 Rdn. 9 ff. 5 c) Beschädigen ist jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre Unversehrtheit verletzt, ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit beeinträchtigt oder ihr äußerer Zustand nachteilig verändert wird. 6 aa) Sachbeschädigung ist damit zunächst die Substanzverletzung, d.h. die Beseitigung der stofflichen Unversehrtheit einer Sache, deren stoffliche Verringerung oder Verschlechterung. Fall: Bei der Volkszählung 1987 schnitt A aus dem Volkszählungsbogen die Kennziffer, bevor er den Bogen an die zuständige Behörde zurücksandte. Ergebnis: Sachbeschädigung, da die Behörde ein positives Interesse am Erhalt auch nicht ausgefüllter Bögen zur Gewinnung bestimmter Daten hatte.215
21 1 Vgl. auch SAX Laufke-FS, S. 322. - Das formale Eigentumsrecht sehen als geschützt an: BGHSt. 29 S. 129; LACKNER/KÜHL § 303 Rdn. 1; WOLFF LK, § 303 Rdn. 1. - Für den Schutz der formalen Rechtsposition und der sich dazu ergebenden inhaltlichen Rechtsmacht: GÖSSEL JR 1980 S. 185. 2 1 2 V g l . B a y O b L G N J W 1993 S. 2 7 6 0 ; GÖSSEL B . T . 2, § 4 R d n . 36; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 3 R d n . 2; WOLFF L K , § 3 0 3 R d n . 3.
213 Siehe oben § 40 Rdn. 4. 214 Dazu BayObLG JR 1980 S. 429 f mit Anm. M. J. SCHMID S. 430 f. 215 Vgl. auch OLG Celle NJW 1988 S. 1101 mit zust. Anm. GEERDS JR 1988 S. 435 f; OLG Köln NJW 1988 S. 1103; OLG Düsseldorf MDR 1989 S. 89; BayObLG NJW 1989 S. 599; ENGELAGE NJW 1987 S. 2 8 0 1 f; - A . A . ZACZYK S t V 1988 S. 157 f f .
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Sachbeschädigung
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bb) Sachbeschädigung ist sodann die Einwirkung auf eine Sache, durch die deren be- 7 stimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur geringfügig beeinträchtigt wird. RG HRR 1936 Nr. 854: A bespritzt die Kleidung des B mit Urin.
Die Brauchbarkeitsminderung kann auch durch Hinzufügen eines Gegenstandes, z. B. Be- 8 festigung von Hindernissen auf Gleisen erfolgen.216 cc) Streitig ist, ob die dem Eigentümerinteresse zuwiderlaufende Zustandsveränderung einer Sache als Sachbeschädigung angesehen werden kann. BGHSt 29 S. 129: A beklebte einen Verteilerkasten der Deutschen Bundespost mit einem Plakat, ohne damit die Substanz des Kastens zu verletzen oder seine Brauchbarkeit zu beeinträchtigen. BGH: Keine Sachbeschädigung.
Die Rechtsprechung geht heute davon aus, „dass eine dem Gestaltungswillen des Eigentümers zuwiderlaufende Veränderung der äußeren Erscheinung und Form einer Sache für sich allein grundsätzlich nicht ausreicht, um den Tatbestand der Sachbeschädigung zu erfüllen". 2 " Diese Entscheidung wird der Zwecksetzung des Gesetzgebers, dem Eigentümer den Gebrauchsnutzen einer Sache zu erhalten und ihn in dieser Position zu schützen, nicht gerecht. Auch eine erhebliche negative Zustandsveränderung durch unmittelbare stoffliche Einwirkung auf die Sache ist daher als Sachbeschädigung anzusehen, wenn der Eigentümer ein vernünftiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Zustandes hat.218 - In seiner praktischen Bedeutung entschärft wird der Streit, wenn Substanzverletzungen, die bei der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands eintreten, dem Täter als Sachbeschädigung zugerechnet werden.219 d) Zerstören ist eine so erhebliche Beschädigung, dass die Sache für ihre Zwecke völlig unbrauchbar ist. e) Die nur dauernde Sachentziehung ist weder Sachbeschädigung noch Sachzerstörung, obwohl ihr Unrechtsgehalt oft an die Sachzerstörung herankommt. f) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt.
216 Vgl. BGHSt 44 S. 34, 38 mit Anm. DIETMEIER JR 1998 S. 470 ff, OTTO NStZ 1998 S. 513.
217 Vgl. BGHSt 29 S. 129, 133; BayObLG StV 1999 S. 543; KG NJW 1999 S. 1200; OLG Düsseldorf NJW 1999 S. 1199; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 S. 209; OLG Karlsruhe StV 1999 S. 544. - Dem folgend: BEHM JR 1988 S. 360 ff mit Entgegnung SCHROEDER S. 363 f; DERS. NStZ 1999 S. 511 f; BOITKE J A 1980 S. 5 4 1 ; JOECKS S t G B , § 3 0 3 R d n . 8; KARGL J Z 1 9 9 7 S. 2 8 9 ; KATZER N J W 1 9 8 1 S. 2 0 3 6 f f ; MITSCH B . T . n / 1 , § 5 R d n . 2 3 f; SEELMANN J u S 1985 S. 199 f; THOSS N J W 1 9 7 8 S. 1 6 1 2
ff; TRÖNDLE/FISCHER | 303 Rdn. 6 a; WOLFF LK, § 303 Rdn. 12. - Gegen diese Interpretation von BGHSt 29 S. 129: SCHEFFLER NStZ 2001 S. 290 ff.
2 1 8 V g l . DÖLUNG N J W 1981 S. 2 0 7 f; GÖSSEL J R 1980 S. 184 f f ; HAAS J u S 1978 S. 14 f f ; KREY B . T . 2, R d n . 2 4 2 f f ; KINDHÄUSER B.T., § 2 0 R d n . 2 9 ; KÜPER B.T., S. 2 3 8 ; MAIWALD J Z 1980 S . 2 5 6 ff; MOMSEN J R 2 0 0 0 S. 175; OTTO J K 00, S t G B § 3 0 3 / 3 ; SCHROEDER J R 1 9 8 7 S . 3 5 9 f; ZACZYK N K , § 3 0 3 Rdn. 12.
219 So BGHSt 29 S. 129, 131; BayObLG StV 1999 S. 543; OLG Düsseldorf NJW 1999 S. 1192; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 S. 209; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 28. - Zutreffend gegen diese K o n s t r u k t i o n : MAIWALD J Z 1 9 8 0 S. 2 5 9 ; MOMSEN J R 2 0 0 0 S. 173 f; ZACZYK N K , § 3 0 3 R d n . 12.
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3. Beispiele 13 a) Beschmieren einer Marmorbüste mit Farbe. - RGSt 43 S. 204: Sachbeschädigung.220 b) Die Seiten eines Buches werden mit Tinte bespritzt. - Sachbeschädigung, auch wenn man den Text noch lesen kann. Das Buch hat auch Wert als ästhetischer Gegenstand. c) Einfügen eines Teiles in eine Maschine, so dass diese nicht ordnungsgemäß arbeiten kann. - RGSt 20 S. 183: Sachbeschädigung. d) Herauslassen der Luft aus dem Reifen eines Kfz. - BGHSt 13 S. 207: Sachbeschädigung, es sei denn, es ist eine Tankstelle in der Nähe. - Die Einschränkung überzeugt nicht. Auch in der Nähe einer Tankstelle kann dieser Eingriff in die Brauchbarkeit des Kfz nicht mehr als unerheblich angesehen werden. - Zweifelhaft hingegen ist die Einordnung des Ablassens der Luft aus einem Fahrradreifen als Sachbeschädigung.221 e) Löschen eines Tonbandes, Video-Bandes oder eines Datenträgers: Sachbeschädigung.222 - Zur Datenveränderung, § 303 a; vgl. unter Rdn. 27 ff. f) Einem fremden Kanarienvogel wird die Käfigtür geöffnet. Er fliegt davon. - Bloße Sachentziehung. Ist der Vogel in Freiheit aber nicht lebensfähig, so liegt Sachzerstörung im Moment des Todes des Vogels vor. g) Ein goldener Becher wird ins Meer geworfen. - Bloße - straflose - Sachentziehung.
4. Die
Rechtswidrigkeit
14 Die Rechtswidrigkeit der Sachbeschädigung ist allgemeines Verbrechensmerkmal. - Ihr kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Die Rechtswidrigkeit kann insbesondere durch die Einwilligung des Berechtigten ausgeschlossen sein.223 Hat der Täter einen rechtswirksamen Anspruch auf Übereignung oder Zerstörung der Sache, so entfällt die Rechtswidrigkeit der Tathandlung. 5. Zur Konkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und
Sachbeschädigung
15 a) Bekundet der Täter, der sich eine fremde Sache rechtswidrig zugeeignet hat, dass er diese Sache weiterbehalten will, so erwächst dem Eigentümer aus diesem Verhalten kein weiterer Schaden durch Entziehung eines Vermögensobjekts oder Minderung seiner Herrschaftsposition; gleiches gilt, wenn der Dieb wiederum bestohlen wird. 16 b) Zerstört hingegen der Täter, der sich die Sache rechtswidrig zugeeignet hat, die Sache, so geht der Gegenstand des Eigentumsrechts unter und damit das Recht selbst. Insofern erleidet der Eigentümer durch diese Tat einen weiteren Schaden. Damit ist Raum für eine tatbestandsmäßige Sachbeschädigung gegeben. Dennoch wird man in diesen Fällen die Sachbeschädigung als straflose Nachtat ansehen können: Mit dem Zueignungsdelikt wird die Anmaßung der umfassenden Sachherrschaft durch den Täter bestraft. Zwar kann er wenn die Sache dem Berechtigten abhanden gekommen ist - durch die Zueignungshandlung selbst das Eigentum des Berechtigten nicht vernichten. Er erlangt aber bereits mit der
220 Vgl. dazu auch OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 869. - Zur Sachbeschädigung durch Graffiti: OLG Köln StV 1995 S. 592; BayObLG StV 1997 S. 80; StV 1999 S. 543; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 S. 209; OLG Karlsruhe StV 1999 S. 544. 221 So aber BayObLG JZ 1987 S. 1037 mit Anm. BEHM NStZ 1988 S. 275 f, GEERDS JR 1988 S. 218 f. 2 2 2 D a z u MERKEL N J W 1956 S. 7 7 8 ; WOLFF L K , § 3 0 3 R d n . 6. - A . A . GERSTENBERG N J W 1956 S. 5 4 0 ; LAMPE G A 1975 S. 16.
223 Zur Frage, ob die Einwilligung zum Tatbestandsausschluss oder zur Rechtfertigung führt, vgl. einerseits GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 R d n . 123 f f , andererseits GROPENCTEBER J R 1998 S. 9 1 f
m.N.
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Zueignungshandlung jene Position, die ihm auch dies ermöglicht. Diese Tatsache wird bereits in der Strafe des Zueignungsdelikts erfasst.224 c) Idealkonkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung liegt vor, wenn die 17 Zueignung einer Sache zugleich die Beschädigung einer anderen Sache darstellt, z.B. wenn jemand aus einem fremden Fernseher einen Transistor herausbricht.
II. Besondere Fälle der Sachbeschädigung 1. Zerstörung von Bauwerken, § 305 § 305 erfasst eine qualifizierte Sachbeschädigung. 18 Die im Gesetz genannten Objekte müssen von einer gewissen Bedeutung sein: Schiffe i.S. des Gesetzes sind daher nur größere Wasserfahrzeuge. Als Brücke kann ein bloßer Fußgängersteg nicht angesehen werden. Das Gebäude braucht noch nicht fertig zu sein (Rohbau)225. - Zerstört ist das Bauwerk, wenn es nicht nur unerhebliche Zeit für seinen Zweck unbrauchbar ist. Eine teilweise Zerstörung liegt vor, wenn ein Teil des Bauwerks, z.B. eine Treppe, für seinen Zweck unbrauchbar gemacht worden ist. 2. Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, § 305 a § 305 a erstreckt den Strafrechtsschutz gegen Sachbeschädigungen in das Vorfeld des 19 §316 b. - Technisches Arbeitsmittel ist jeder aufgrund technischer Erfahrungen hergestellte Gegenstand, der geeignet und dazu bestimmt ist, die Arbeitsvorgänge bei der Errichtung der genannten Anlagen zu ermöglichen oder zu erleichtern.22® - Der bedeutende Wert der Arbeitsmittel bemisst sich nach seinem Verkehrs wert im Tatzeitpunkt. Er wird z.Zt. bei rd. 1200,- DM anzusetzen sein.22? Bei den nach Abs. 1 Nr. 2 geschützten Kraftfahrzeugen kommt es nicht auf die Ei- 20 gentumsverhältnisse an, sondern darauf, ob das Fahrzeug der Polizei oder der Bundeswehr von der zuständigen Stelle für dienstliche Zwecke bereitgestellt ist. 3. Brandstiftung, § 306 Eine durch die Tathandlung qualifizierte Sachbeschädigung enthält § 306; eingehender zu 21 Tatobjekt und Tathandlung vgl. unter § 79 Rdn. 1 ff. 4. Erfolgsqualiflzierte Fälle der Brandstiftung Erfolgsqualifizierte Fälle der Brandstiftung stellen die besonders schwere Brandstiftung 22 gemäß § 306 b Abs. 1 und die Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c, dar; im einzelnen dazu unter § 79 Rdn. 13 ff. 5. Fahrlässige Brandstiftung, § 306 d Die fahrlässige Sachbeschädigung stellt § 306 d unter Strafe; im einzelnen dazu unter § 79 23 Rdn. 17 ff. 224 vgl. auch BGH NStZ-RR 1998 S. 294. 225 Str., dazu BGHSt 6 S. 107. 226 Dazu vgl. BT-Drucks. 10/6635, S. 14. 227 Vgl. dazu WOLFF LK, § 305 a Rdn. 6 m.N.; BayObLG StV 1998 S. 267 für § 315 c: über 1450.- DM.
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6. Gemeinschädliche Sachbeschädigung, § 304 24 a) Systematisch gehört die Vorschrift nicht in den Bereich der Sachbeschädigungsdelikte. Es handelt sich vielmehr um ein gemeinschädliches Delikt, das unabhängig von der Eigentumslage das allgemeine Interesse am Erhalt bestimmter zweckgebundener, insbesondere kultureller oder gemeinnütziger Objekte schützt. 25 b) Schutzgegenstände: religiöse Objekte, dazu oben § 41 Rdn. 22, Gegenstände der Kunst und der Wissenschaft, dazu oben § 41 Rdn. 23. Der öffentliche Nutzungszweck muss sich bei den Gegenständen zum öffentlichen Nutzen unmittelbar aus den Objekten ergeben. Er muss auf einer ausdrücklichen oder aus allgemeiner Übung erwachsenen Widmung beruhen. - Die besondere Zweckbestimmung muss durch die Tathandlung beeinträchtigt sein.228 Beispiele: Parkuhr; Verkehrszeichen; öffentliche Telefonzelle; Feuermelder; Feuerlöscher in allgemein zugänglichen Räumen (BayObLG NJW 1988 S. 837); Rettungsfahrzeuge, die nicht allein einem privaten Zweck dienen (OLG Düsseldorf MDR 1986 S. SIS); Ruhebänke im öffentlichen Park u.a. - Nicht hingegen: Wahlplakate einer Partei (LG Wiesbaden NJW 1978 S. 2107 mit Anm. Loos JuS 1979 S. 699 ff), Bäume in einem Park (OLG Oldenburg NJW 1988 S. 924); Hütten, in denen Verkehrsschilder u.ä. aufbewahrt werden (BGH NStZ 1990 S. 540).
7. Tätige Reue 26 Gemäß § 306 e Abs. 1 kann das Gericht in den Fällen der §§ 306, 306 b die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wenn der Täter den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Im Falle des § 306 d tritt in dieser Situation Straffreiheit ein, § 306 e Abs. 2. - § 306 e Abs. 3 eröffnet die Möglichkeiten der Strafmilderung und Strafbefreiung für den Fall ernstlichen Bemühens des Täters um Schadensabwendung, wenn der Brand ohne Zutun des Täters gelöscht wird, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist.
HL Schutz von Daten und Datenverarbeitung 1. Datenveränderung, § 303 a a) Das geschützte Rechtsgut 27 Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse des Verfügungsberechtigten an der unversehrten Verwendbarkeit von Daten.229
b) Daten als Handlungsobjekt 28 Handlungsobjekt sind nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten, § 202 a Abs. 2; vgl. dazu § 34 Rdn. 67. c) Die Tathandlungen 29 Löschen der Daten bedeutet Zerstörung i.S. des § 303 Abs. 1, d.h. nicht wiederherstellbare vollständige Unkenntlichkeit der konkreten Speicherung.230 Unterdrücken ist ein Entziehen der Daten dem Berechtigten gegenüber, so dass dieser sie nicht seiner Vorstellung 228 vgl. dazu BayObLG StV 1999 S. 543. 229 Vgl. BayObLG wistra 1993 S. 305; GÖSSEL B.T. 2, § 18 Rdn. 56; LACKNER/KÜHL § 303 a Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 6 R d n . 3; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 141; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 3 a R d n . 2. - A . A . HAFT N S t Z 1 9 8 7 S. 10; WELP iur 1988 S. 4 3 5 : D a s V e r m ö g e n i n
seiner spezialisierten Ausprägung in Daten. Diese Begrenzung des Schutzes ist systematisch zwar folgerichtig, mit dem Wortlaut des Gesetzes aber nicht in Einklang zu bringen. 2 3 0 LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 8 2 9 .
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entsprechend verwenden kann. Ein Unbrauchbarmachen liegt in der Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Daten zu ihrem vorgesehenen Zweck durch Eingriff in den Datenbestand. Verändern erfordert das Herstellen eines neuen Dateninhalts. Die Infizierung eines Programms mit einem Computervirus ist je nach der Wirkung dieses Virus auf das Programm als Unbrauchbarmachen oder Verändern von Daten anzusehen. 23 !
d) Die Rechtswidrigkeit der Tathandlung Tatbestandsmäßig ist nur die rechtswidrige Tathandlung. Das Merkmal rechtswidrig ist 30 hier im Gegensatz zu § 303 nicht allgemeines Verbrechensmerkmal, sondern einschränkendes Tatbestandsmerkmal, das tatbestandsmäßiges Handeln des unbeschränkt Verfiigungs- und Nutzungsberechtigten ausschließt232, da jedermann Daten verändern darf, über die er verfügungsberechtigt ist. Soweit „rechtswidrig" hier als allgemeines Verbrechensmerkmal interpretiert wird, erfolgt die allgemein als notwendig anerkannte Begrenzung des Tatbestandes durch Einfügung von Merkmalen, die im Gesetz nicht genannt sind, z.B. „fremd". 233
Verfügungsberechtigt ist derjenige, der die Speicherung oder Übermittlung der Daten 31 selbst unmittelbar bewirkt hat oder dem das Verfügungsrecht vom unmittelbaren Verfügungsberechtigten übertragen wurde.234 Irrelevant ist demgegenüber das Eigentum am Datenträger, die Urheberschaft am Speicherungs- oder Übertragungsvorgang oder das bloße Betroffensein von Dateninhalt i.S. des BDSG.235 Z.T. wird der Tatbestand als verfassungswidrig gemäß Art. 103 Abs. 2 GG angesehen, „da es keine gesetzlichen Regelungen gibt, die die Verfiigungsbefugnis an Daten regeln". 236 Das überzeugt nicht, da die Problematik durchaus der unbefugten Offenbarung von Geheimnissen vergleichbar ist, wo auch nicht nur auf „gesetzliche Regelungen" abgestellt wird. 237
e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Dieser muss sich auch auf 32 die Rechtswidrigkeit der Tathandlung i.S. der Verletzung des Verfugungs- oder Nutzungsrechts eines Dritten beziehen. f) Konkurrenzen Soweit die Substanz des Datenträgers nicht beeinträchtigt wird, ist § 303 a lex specialis 33 gegenüber § 303. Im übrigen ist Idealkonkurrenz mit den §§ 202 a, 303, 263 a, 268, 269, sowie mit § 43 BDSG möglich.
231 Vgl. dazu auch GRAVENREUTH NStZ 1989 S. 201 ff. 2 3 2 v g l . HILGENDORF JUS 1996 S. 8 9 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 0 3 a R d n . 4 ; MITSCH B . T . D/2, § 5 R d n . 2 0 2 ; TRÖNDLE/FLSCHER § 3 0 3 a R d n . 9 ; ZACZYK N K , § 3 0 3 a R d n . 12.
233 Vgl. dazu LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 828; WELP Informatik und Recht 1988 S. 447. 2 3 4 v g l . B a y O b L G J R 1994 S. 4 7 7 ; GÖSSEL B.T. 2, § 18 R d n . 6 6 ; HILGENDORF J R 1994 S. 4 7 9 ; WELP i u r 1988 S. 4 4 7 .
235 So auch HAFT NStZ 1987 S. 10; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 829; WELP Informatik und R e c h t 1988 S. 4 4 8 . - A . A . B T - D r u c k s . 10/5058, S. 3 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 3 a R d n . 9 ; MÖHREN-
SCHLAGER wistra 1986 S. 141 f. 2 3 6 v g l . TOLKSDORF L K , § 3 0 3 a R d n . 7.
237 Vgl. auch BayObLG wistra 1993 S. 304 mit Anm. HILGENDORF JR 1994 S. 478 ff, OTTO JK 94, StGB §303 a/1.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
2. Computersabotage, § 303 b a) Geschütztes Rechtsgut und Aufbau des Tatbestandes 34 Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse von Wirtschaft und Verwaltung an der Funktionsfähigkeit ihrer Datenverarbeitung. Abs. 1 Nr. 1 enthält gegenüber § 303 a einen Qualifikationstatbestand, während Abs. 1 Nr. 2 einen selbständigen - der Sachbeschädigung vergleichbaren - Tatbestand darstellt. b) Tatobjekt 35 Tatobjekt ist die Datenverarbeitung, d.h. der Gesamtbereich eines datenverarbeitenden Systems mit der Gesamtheit seiner Datenverarbeitungsvorgänge sowie des weiteren Umgangs mit Daten und deren Verwendung, so dass auch Speicherung, Dokumentierung und Aufbereitung erfasst sind.238 - Beschränkt ist der Schutz auf die Datenverarbeitung, die für einen fremden Betrieb usw. von wesentlicher Bedeutung ist. 36 Betrieb ist eine räumlich technische Einheit, mit der ein bestimmter arbeitstechnischer oder wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird. - Der Begriff des Unternehmens ist demgegenüber weiter und erfasst organisatorische Einheiten, die auf einer Verbindung personeller und sachlicher Mittel beruhen. Der verfolgte Zweck braucht nicht wirtschaftlicher Natur zu sein, auch karitative Organisationen sind vom Schutzzweck erfasst. - Behörde ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, § 1 Abs. 4 VwVfG, auch Gerichte, § 11 Abs. 1 Nr. 7. 37 Fremd sind der Betrieb und das Unternehmen, wenn sie bei rechtlich-wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht dem Vermögen des Täters zuzuordnen sind.239 38 Wesentliche Bedeutung hat die Datenverarbeitung für die geschützte Einrichtung, wenn deren Funktionsfahigkeit auf der Grundlage einer konkreten Arbeitsweise, Ausstattung und Organisation ganz oder zu einem erheblichen Teil von dem einwandfreien Funktionieren der Datenverarbeitung abhängt.24« c) Die Tathandlungen 39 Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 setzt eine Veränderung von Daten im Sinne des § 303 a voraus, an denen ein anderer als der Täter ein Verfügungsrecht hat. - Täter kann daher auch der Eigentümer einer Datenverarbeitungsanlage sein, der im Auftrage anderer Daten verarbeitet. 40 Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 2 richtet sich gegen die Hardware. - Sie kann sich auch gegen Sachen des Täters richten, wenn diese in die geschützte Einrichtung auf Grund von Besitz- oder Nutzungsrechten eingegliedert sind.241 - Zum Zerstören vgl. Rdn. 10 f, zum Beschädigen vgl. Rdn. 5 f, zum Unbrauchbarmachen vgl. Rdn. 29. Beseitigen liegt vor, wenn das Tatobjekt aus dem Verfügungsbereich des Berechtigten entfernt wird. d) Der Taterfolg 41 Die Tathandlung muss zu einer Störung der Datenverarbeitung geführt haben. Eine Störung liegt vor, wenn der reibungslose Ablauf der Datenverarbeitung nicht unerheblich beeinträchtigt ist.242
2 3 8 v g l . BT-Drucks. 1 0 / 5 0 5 8 S. 3 6 . 2 3 9 v g l . LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 8 3 0 ; weiter LACKNER/KÜHL § 3 0 3 b Rdn. 2. 2 4 0 LENCKNER/WINKELBAUER CR 1 9 8 6 S. 8 3 0 . 241
V g l . dazu LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 8 3 1 ; weiter LACKNER/KÜHL § 3 0 3 b Rdn. 5.
2 4 2 BT-Drucks. 7 / 5 0 5 8 S. 35.
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Strafbare Gebrauchsanmaßungen
§48
e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 42 f) Konkurrenzen Abs. 1 Nr. 2 ist gegenüber § 303 der speziellere Tatbestand, soweit die Voraussetzungen 43 des § 303 vorliegen. - Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 88,202 a, 269,316 b.
IV. Strafantrag Taten nach §§ 303 - 303 b werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Straf- 44 verfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten für geboten hält, § 303 c. Nach h.M. ist Verletzter und damit Antragsberechtigter nicht nur der Eigentümer, son- 45 dem jeder, der ein dingliches oder persönliches Recht an der beschädigten Sache hat und in diesem Recht durch die Tat verletzt worden ist. 2 « Für eine derartige Ausweitung des Antragsrechts besteht im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut dieser Vorschrift keinerlei Grund. Antragsberechtigt ist allein der Träger des geschützten Rechtsguts, d.h. im Regelfall der Eigentümer, ausnahmsweise der Inhaber des stärksten Vermögensrechts an der Sache, dazu oben unter Rdn. 2.244
§ 48 Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b 1. Das geschützte Rechtsgut Seiner systematischen Stellung nach gehört § 248 b in den Bereich der Delikte gegen die 1 umfassende Sachherrschaftsposition einer Person. Diese Position wird durch die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung verletzt.245 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Tatobjekte können Kraftfahrzeuge - dazu § 248 b Abs. 4 - und Fahrräder sein. 2 b) Ingebrauchnahme ist eine Benutzung des Fahrzeugs, „bei der der Täter sich des Fahr- 3 zeugs unter Einwirkenlassen der zu Ingangsetzung und Inganghaltung geeigneten Kräfte als Fortbewegungsmittel bedient und dabei eine ihm nicht zustehende Herrschaftsgewalt über das Fahrzeug ausübt".246
243 Vgl. BayObLG JR 1982 S. 25; OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 2056; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 389; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 3 c R d n . 2; WOLFF L K , § 303 c R d n . 2. 2 4 4 v g l . a u c h LACKNER/KÜHL § 3 0 3 c Rdn. 3; RUDOLPHI J R 1982 S. 28; STREE J u S 1988 S. 191 f; ZACZYK
NK, § 303 c Rdn. 4. 245 Sachlich übereinstimmend, wenn auch auf die Verletzung des Eigentums abstellend: HOYER SK n, § 248 b Rdn. 1; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/67; SCH/SCH/ESER § 248 b Rdn. 1. - A.A. Schutz des Eigen-
tums und jeglicher Gebrauchsrechte: BGHSt 11 S. 51; LACKNER/KÜHL §248 b Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 37 Rdn. 5. - Für Schutz des Nutzungsrechts, u.U. auch gegenüber dem Eigentum: GÖSSEL B.T. 2, § 18 Rdn. 27; KINDHÄUSER NK, § 248 b Rdn. 2; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 396.
246 BGHSt I I S . 50. 213
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§48
In Gang gesetzt sein muss das Fahrzeug, nicht bloß der Motor. Daher erfüllt das Anlassen des Motors noch nicht den Tatbestand, wohl aber das Fahren im Leerlauf. - Nicht unter § 248 b fallen: Übernachten im fremden Kfz, Mitfahren im Autobus als blinder Passagier, Anhängen des eigenen Fahnades an ein fremdes Fahrzeug.247
4 aa) Nimmt der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch, nutzt es aber dann in einer dem Willen des Berechtigten nicht mehr entsprechenden Weise, so ist zu differenzieren: Der bloß vertragswidrige Gebrauch während der Zeit der Nutzungsberechtigung erfüllt den Tatbestand nicht. LG Mannheim NJW 1965 S. 1929: Der Mieter eines Kfz, der sich vertraglich verpflichtet hatte, nicht selbst mit dem Fahrzeug zu fahren, nutzt das Fahrzeug dennoch selbst. LG: Der Mieter war Berechtigter i.S. des § 248 b. Sein bloß vertragswidriges Verhalten ist nicht tatbestandsmäßig.
5 Hingegen soll ein weiteres Benutzen des Fahrzeugs nach Ablauf der vertraglichen Nutzungszeit tatbestandsmäßig sein, weil das „unbefugte Inganghalten" dem „unbefugten Ingebrauchnehmen" gleichstehe.248 OLG Schleswig NStZ 1990 S. 340: Der Mieter eines Kfz verlängerte die Mietdauer mehrmals telefonisch. Dann verweigerte der Vermieter die Verlängerung des Mietvertrages. Der Mieter gab das Kfz dennoch erst Wochen später zurück. OLG: § 248 b liegt vor, da die Vorschrift auch die „Gebrauchsunterschlagung" erfasst.
6 Das überzeugt nicht. Der kriminalpolitische Zweck des § 248 b liegt darin, den Entwendungen von Kraftfahrzeugen zum vorübergehenden Gebrauch gegen den Willen des Berechtigten zu begegnen, nicht aber rechtswidriges, insbes. vertragswidriges Verhalten sei es in der Art oder Dauer der Benutzung - bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen schlechthin zu pönalisieren. Für einen derart weiten Strafrechtsschutz von Vertragsverletzungen u.ä. besteht kein Bedürfnis.24' 7 bb) Entsprechend der Möglichkeit einer rechtswidrigen Zueignung einer Sache, über die der Täter zunächst gutgläubig Sachherrschaft erlangte, besteht die Möglichkeit der Verwirklichung des § 248 b allerdings, wenn der Täter bei der Ingebrauchnahme meint, befugt zu sein, später aber merkt, dass dies nicht der Fall ist, er aber gleichwohl das Fahrzeug weiter benutzt. BGHSt 11 S. 47: A lieh sich von P einen PKW. Er meinte, P sei der Eigentümer. Während der Fahrt erkannte A, dass P nicht der rechtmäßige Besitzer des Wagens sein konnte. Er fuhr dennoch weiter. BGH: § 248 b.
8 Auch sonst ist es nicht erforderlich, dass dem Berechtigten das Kfz durch Gewahrsamsbruch entzogen wurde. Fall: M hat das von V gemietete Fahrzeug nach Vertragsende auf einem Parkplatz einfach stehen lassen. A erkennt die Sachlage und nimmt nun das Fahrzeug - ohne Zueignungsabsicht - in Gebrauch. Ergebnis: § 248 b.250 247 BGHSt I I S . 49 f. 2 4 8 B G H S t 11 S. 50; B G H G A 1963 S. 3 4 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 8 b R d n . 3; RENGIER B.T. I, § 6 R d n . 7; RUß L K , § 2 4 8 b R d n . 4 ; TRÖNDLE/FISCHER 2 4 8 b R d n . 4 .
249 So auch BayObLG NJW 1953 S. 193 f; OLG Hamm NJW 1966 S. 2360; AG München NStZ 1986 S. 4 5 8 ; FRANKE N J W 1974 S. 1803 f f ; KREY B.T. 2, R d n . 149; KÜPER B.T., S. 2 0 6 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 37 R d n . 9; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 b R d n . 4 a; SCHMIDHÄUSER
NStZ 1986 S. 460 f; DERS. NStZ 1990 S. 341. 2 5 0 A . A . FRANKE N J W 1974 S. 1805; SCHMIDHÄUSER N S t Z 1986 S. 4 6 0 f.
214
Strafbare Gebrauchsanmaßungen
§48
cc) Nicht Gebrauchsanmaßung, sondern Diebstahl liegt nach ständiger Rechtsprechung 9 vor, wenn der Täter ein Kfz für eine Fahrt wegnimmt, es dann aber an irgendeiner Stelle stehen lässt und es dem Zufall überlässt, ob und wann der rechtmäßige Eigentümer es wiedererlangt. - Dem ist zuzustimmen: Zueignung, wenn der Täter ein Kraftfahrzeug wegnimmt, um es nach einer Vergnügungsfahrt zu vernichten oder dem willkürlichen Zugriff Dritter auszusetzen, denn hier maßt der Täter sich umfassende Sachherrschaft über das Fahrzeug an. Gebrauchsanmaßung, wenn der Täter sich lediglich die Position eines Fremdbesitzers anmaßt und davon ausgeht, dass der Berechtigte das Kraftfahrzeug aufgrund der Art des Abstellens zurückerhält. Der Rückstellungswille darf jedoch nicht mit dem bloßen - rechtlich irrelevanten - Wünschen verwechselt werden. Der Täter muss daher das Bewusstsein haben, dass die Rückstellung nach dem üblichen Lauf der Dinge erfolgt. Es genügt nicht, dass er meint, der Eigentümer werde das Fahrzeug vielleicht zurückerhalten. Dass er sich dabei u.U. der Hilfe anderer Personen bedient, ist gleichgültig, wenn diese Hilfe mit Sicherheit einplanbar ist.251 Nicht tatbestandsmäßig ist eine Ingebrauchnahme, um dem Berechtigten den Gebrauch 10 wieder einzuräumen. Dieses Verhalten ist nicht auf Verletzung der umfassenden Sachherrschaft des Berechtigten gerichtet, sondern auf Einräumung der Sachherrschaft.252 3. Strafantrag Antragsberechtigt ist der Inhaber der umfassenden Sachherrschaft. Dies wird bei Kraft- 11 fahrzeugen in der Regel der Halter, bei Fahrrädern der Eigentümer sein. Gegen seine Dispositions- und Gebrauchsbefugnis richtet sich das Delikt, und zwar auch dann, wenn unmittelbar ein Dritter durch die Tat betroffen wurde, weil er das Fahrzeug z.B. geliehen oder gemietet hatte. So im Ergebnis auch diejenigen, die das geschützte Rechtsgut im Eigentum sehen. - Das Antragsrecht wollen 12 jedem durch die Tat berührten Nutzungsberechtigten diejenigen zugestehen, die das geschützte Rechtsgut weiter fassen; dazu oben unter Rdn. 1.
4. Sonderproblem: Der Verbrauch des fremden Kraftstoffs Der Verbrauch des Benzins im Tank begründet nicht die Anwendung des § 242. Insoweit 13 ist § 248 b lex specialis gegenüber § 242, da sonst das Antragsprivileg kaum einmal zum Zuge käme.253 5. Konkurrenzen Gemäß § 248 b Abs. 1 ist die Vorschrift subsidiär gegenüber Tatbeständen gleicher oder 14 ähnlicher Schutzrichtung. Dies gilt insbesondere gegenüber den Zueignungsdelikten, die während der Gebrauchnahme erfolgen, z.B. einer Unterschlagung.
251 Vgl. BGH NJW 1987 S. 266; BGHSt 22 S. 46; BGH NStZ 1982 S. 420; BGH NStZ 1996 S. 38 mit A n m . OTTO J K 9 6 , S t G B § 2 4 8 b / 3 ; KELLER J R 1987 S. 3 4 3 ; OTTO S t r u k t u r , S. 2 0 0 ff; RANFT J A 1 9 8 4 S. 2 8 0 ; SCHAFFSTEIN G A 1964 S. 107; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 3 9 . - A . A . R ü c k f ü h r u n g s w i l l e
nicht erforderlich: ARZT/WEBER, B.T., § 13 Rdn. 128; GEPPERT JK 87, StGB § 248 b/2; RUDOLPHI GA 1965 S. 5 0 f; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 54; SEELMANN JUS 1985 S. 4 5 4 f.
252 vgl. dazu OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 590 mit Anm. OTTO JK, StGB § 248 h/1. 253 D ^ BGHSt 14 S. 388; LACKNER/KÜHL § 248 b Rdn. 6; VOGLER Bockelmann-FS, S. 731. - Differenzierend: RANFT JA 1984 S. 281. - Krit. MITSCH B.T.n/2, § 1 Rdn. 42. - Zu den unterschiedlichen Konstruktionen: KINDHÄUSER NK, § 248 b Rdn. 26.
215
§49
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 15 1. Ähnlich dem § 248 b schützt § 290 die umfassende Sachherrschaftsposition des Berechtigten gegen die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung der Sache. 2. Nach § 290 werden öffentliche Pfandleiher, d.h. Pfandleiher, deren Geschäft allgemein zugänglich ist (Konzession nicht entscheidend!), bestraft, wenn sie eine Pfandsache eigenmächtig nutzen. 17 3. Im Falle einer Zueignung des Pfandes ist § 290 subsidiär gegenüber § 246.
§ 49 Zur Wiederholung 1 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.
Welche Ansichten werden über das geschützte Rechtsgut des Diebstahlstatbestandes vertreten und wo werden die verschiedenen Auffassungen praktisch bedeutsam? - Dazu § 39 Rdn. 1 ff, § 43 Rdn. 8 ff. Welche verschiedenen Definitionen des Begriffs „fremd" in §§ 242, 246 werden vertreten. - Führen die Unterschiede auch zu praktischen Konsequenzen? - Dazu § 40 Rdn. 9 ff. Wie ist der Begriff „Wegnahme" zu definieren? - Dazu § 40 Rdn. 15. Welche Elemente bestimmen den Gewahrsamsbegriff? - Dazu § 40 Rdn. 16 ff. Haben Bewusstlose noch Gewahrsam? - Dazu § 40 Rdn. 21. Geht der Gewahrsam des Erblassers mit dem Tode auf die Erben über? - Dazu § 40 Rdn. 31. Welche Elemente enthält der Begriff der „Zueignung"? - Dazu § 40 Rdn. 55 ff. Was kennzeichnen die Begriffe: Sachsubstanztheorie, Sachwerttheorie, Vereinigungstheorie? - Dazu § 40 Rdn. 45 ff. Wann ist eine Zueignung rechtswidrig? - Dazu § 40 Rdn. 77. Ist es sachgerecht, beim Ausschluss der Rechtswidrigkeit der Zueignung zwischen Gattungs- und Speziesansprüchen zu differenzieren? - Dazu § 40 Rdn. 79. Welche Möglichkeiten enthält die Gesetzestechnik der „Regelbeispiele"? - Dazu § 41 Rdn. 1 ff. Welche Bedeutung hat der Irrtum über das Vorliegen eines Regelbeispiels? - Dazu § 41 Rdn. 31. Kann der Strafrahmen des § 243 auf einen versuchten Diebstahl Anwendung finden? - Dazu § 41 Rdn. 32 ff. Kann der Begriff des gefährlichen Werkzeugs gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 a in Anlehnung an § 224 Abs. 1 Nr. 2 definiert werden? - Dazu § 41 Rdn. 52. Ist die Ersatzbereitschaft und -fähigkeit im Rahmen der Zueignungsdelikte relevant? - Dazu § 42 Rdn. 19 f. Warum ist ein Irrtum darüber, dass die weggenommene Sache einem Familienmitglied gehört, im Rahmen des § 247 irrelevant? - Dazu § 43 Rdn. 15.
17. Wann ist eine Sache „geringwertig"? - Dazu § 44 Rdn. 2. 18. Wie müssen sich Gewaltanwendung bzw. Drohung und Wegnahme im Rahmen des Raubes zueinander verhalten? - Dazu § 46 Rdn. 3 ff. 19. Was heißt Verwenden i.S. des § 250 Abs. 2 Nr. 1? - Dazu § 46 Rdn. 33. 20. Genügt es für die Anwendung des § 250 Abs. 2 Nr. 3 b, dass durch den Raub ein Mittäter in die Gefahr des Todes gebracht wird? - Dazu § 46 Rdn. 36 ff. 21. In welchem Verhältnis steht § 252 zur „Vortat"? - Dazu § 46 Rdn. 53. 22. Kann ein Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein? - Dazu § 46 Rdn. 63. 23. Welche Auffassungen werden über das Rechtsgut des § 316 a vertreten? - Wo wird die Verschiedenheit der Auffassungen relevant? - Dazu § 46 Rdn. 69,75 f. 24. Wie ist das ,3eschädigen" einer Sache zu definieren? - Dazu § 47 Rdn. 5. 25. Erfasst § 248 b auch die vertragswidrige Benutzung eines Fahrzeuges, wenn der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch genommen hat? - Dazu § 48 Rdn. 4.
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Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte
§50
§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt wird in § 289 die Möglichkeit der Ausübung bestimmter Pfand- und Besitz- 1 rechte. Derartige Rechte sind u.a. Nutznießungsrechte254, Pfandrechte255, Gebrauchsrechte25«, Zurückbehaltüngsrechte257, das Anwartschaftsrecht beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt, das Gebrauchsrecht des Sicherungsgebers bei der Sicherungsübereignung. Streitig ist, ob auch das Pfandungspfandrecht zu den geschützten Rechten gehört. Dies ist zu bejahen, denn 2 der Schutz des § 136 betrifft ein anderes Rechtsgut als das hier geschützte.258 Solange der Schuldner jedoch im Besitz der gepfändeten Sache ist, dürfte eine Wegnahme kaum begründbar sein; dazu unter Rdn. 6 f.
2. Täter und Tathandlung a) Täter kann nur der Eigentümer (auch Miteigentümer) oder ein Dritter sein, der zu- 3 gunsten des Eigentümers handelt. Dadurch entsteht eine Strafbarkeitslücke dann, wenn ein Dritter zu eigenen Gunsten aber ohne Zueignungsabsicht die Tat begeht. Beispiel: C hat dem B sein Kanu bis zum 1.6. vermietet. Als A dem C erklärt, er möchte das Kanu gern 4 geliehen haben, weist ihn C auf die Miete des B hin, erklärt aber, er habe nichts dagegen, wenn B seines Besitzes verlustig gehe, ihm komme es nur darauf an, dass er das Kanu am 1.6. zur Verfügung habe. A nimmt dem B das Kanu fort und benutzt dies bis zum 1.6. Ergebnis: A und C bleiben straflos.
b) Zum Begriff der - eigenen oder fremden - beweglichen Sache vgl. oben § 40 Rdn. 3 ff. 5 c) Wegnehmen ist, wie in § 242, als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams 6 zu verstehen. Nicht die Rechtsvereitelung schlechthin, sondern das auf die Rechtsvereitelung und den Einbruch in die tatsächliche Herrschaftssphäre des Berechtigten abzielende Verhalten des Täters begründet die Strafwürdigkeit.259 Z.T. wird das Erfordernis eines Gewahrsamsbruchs abgelehnt, und nur der Bruch „eines 7 dem Besitz ähnlichen tatsächlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisses des Berechtigten" vorausgesetzt.260 Mit dieser verschwommenen Konstruktion eines in rechtlichen Kategorien nicht mehr fassbaren besitzähnlichen Verhältnisses wird jedoch lediglich kaschiert, dass die bloße Rechtsvereitelung als das tatbestandsmäßige Verhalten angesehen 254 §§ 1030 ff, 1649 BGB. 255 §§ 559 ff, 581,585,590,647,704,1204 ff BGB, §§ 397,410,421 HGB. 256 §§535 ff, 581 ff, 598 ff, 743 BGB. 257 z.B. §§ 273,772 ff, 972,1000 BGB, § 369 HGB, vertragliche Zurückbehaltüngsrechte. 2 5 8 w i e hier: BAUMANN N J W 1956 S. 1866 f; KINDHÄUSER B . T . n / 1 , § 10 R d n . 4; KREY B . T . 2, R d n . 2 8 6 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 37 R d n . 15; TRÖNDLE/FISCHER § 2 8 9 R d n . 1; WOH-
LERS NK, § 289 Rdn. 11.- A.A. BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 96; HIRSCH ZStW 82 (1970) S. 426; LACKNER/KÜHL § 289 Rdn. 1. - Diff. MITSCH B.T. n/2, § 5
Rdn. 121.
259 Eingehend dazu OTTO JR 1982 S. 32 f; im übrigen vgl. ARZT/WEBER, B.T., § 16 Rdn. 25; BOHNERT J u S 1 9 8 2 S. 2 5 6 f f ; JOERDEN JUS 1985 S. 2 2 ; LAUBENTHAL J A 1990 S. 4 1 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 10/8; SCH/SCH/HEINE § 2 8 9 R d n . 8; WOHLERS N K , § 2 8 9 R d n . 19 f f .
260 Vgl. RGSt 25 S. 115 f; BayObLG JR 1982 S. 31 f; GEPPERT Jura 1987 S. 433; KÜPER B.T., S. 422 f; LACKNER/KÜHL § 2 8 9 R d n . 3; MITSCH B . T . H/2, § 5 R d n . 126; RENGIER B . T . I, § 2 8 R d n . 7.
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§50
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
wird. Konsequent ist es daher, wenn ein Teil der Lehre ausdrücklich die bloße Rechtsvereitelung genügen lässt.2«! 8 Der Unterschied wird insbesondere beim Vermieterpfandrecht bedeutsam. Doch gerade hier kann § 288 den hinreichenden Schutz gewähren.262
9 d) Da die Tat zugunsten des Eigentümers erfolgen muss, kann ein Zerstören oder Beschädigen der Sache nicht als Wegnahme angesehen werden. Auch eine Wegnahme, um die Sache zu zerstören oder zu beschädigen, ist nicht tatbestandsmäßig, da dieses Verhalten nicht zugunsten des Eigentümers erfolgt. 3. Die Absicht rechtswidriger Wegnahme 10 Die Absicht rechtswidriger Wegnahme erfordert den unbedingten Vorsatz des Täters, das an der weggenommenen Sache bestehende Recht, zumindest zeitweilig, zu vereiteln. - Die Rechtswidrigkeit der Wegnahme ist auch hier streng vermögensrechtlich zu bestimmen. „Rechtswidrig" ist die Absicht des Täters daher nicht, wenn er einen fälligen Besitzanspruch gegen den Besitzer hat, z.B. der Eigentümer einen falligen Rückgabeanspruch gegen den Mieter, oder dem Pfändungspfandrecht kein materiell wirksames Forderungsrecht zugrunde liegt oder eine unpfändbare Sache gepfändet wurde. 4. Strafantrag 11 Antragsberechtigt ist deijenige, dessen Recht durch die Tat vereitelt wurde oder vereitelt werden sollte.
n. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 1. Das geschützte Rechtsgut 12 § 288 schützt die Möglichkeit des Gläubigers, aus dem Schuldnervermögen Befriedigung für einen materiellrechtlichen Anspruch zu erlangen, und zwar im Wege der Einzelzwangsvollstreckung. 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale 13 a) Die Zwangsvollstreckung droht, wenn aus dem Verhalten des Gläubigers ersichtlich ist, dass er die Zwangsvollstreckung ernsthaft betreiben oder durchsetzen will. Beispiele: Dringende Mahnung, Klageerhebung, Antrag auf Grlass eines Mahnbescheids.263
14 Da § 288 dem Vermögensschutz des Gläubigers dient, liegt eine Zwangsvollstreckung i.S. des § 288 nur dann vor, wenn aus einem materiellrechtlich bestehenden Anspruch des Gläubigers vollstreckt werden soll. 15 b) Bestandteile des Vermögens sind alle Sachen und Rechte einer Person, in die eine wirksame Einzelzwangsvollstreckung betrieben werden kann.
2 6 1 V g l . BINDINGB.T. I, S. 3 1 8 f; SCHAFER L K , 10. A u a , § 2 8 9 R d n . 12; TRÖNDLE/FISCHER § 2 8 9 R d n . 2.
262 Dazu BayObLG JR 1982 S. 31 mit abl. Anm. BOHNERT JUS 1982 S. 256 f, OTTO JR 1982 S. 32 f.
263 Dazu BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638; GEPPERT Jura 1987 S. 427 f; GÖSSEL B.T. 2, § 28 Rdn. 73; MITSCH B . T . n / 2 , § 5 R d n . 9 2 .
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Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte
§50
Fall: X hat gegen den Rechtsstudenten A einen Titel erwirkt und will wegen DM 100,- die Zwangsvollstreckung betreiben. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt A seine juristische Bibliothek, die er für das Studium braucht. Ergebnis: § 288 findet keine Anwendung, da die Bibliothek des A unpfändbar ist, § 811 Nr. 10 ZPO. - Anders, wenn X einen Titel auf die Herausgabe der Bibliothek erwirkt hätte, weil er einen Anspruch auf die Bibliothek hat.
c) Veräußern ist jede rechtsgeschäftliche Verfügung, durch die der Zwangsvoll- 16 streckungszugriff des Gläubigers verschlechtert wird. aa) Keine Veräußerung i.S. des § 288 liegt vor, wenn durch das Veräußerungsgeschäft das 17 dem Zugriff unterliegende Vermögen des Schuldners gleich bleibt oder größer wird. Fall: Der S, gegen den J die Zwangsvollstreckung betreibt, tauscht sein lahmes Rennpferd (Wert DM 300,-) gegen ein Kfz (Wert DM 500,-) ein. Ergebnis: Kein Veräußern i.S. des § 288.
bb) Gleichfalls liegt keine Veräußerung i.S.d. § 288 vor, wenn der Schuldner mit dem Ver- 18 äußerungsgeschäft nur eine vor der drohenden Zwangsvollstreckung schon bestehende rechtliche Verpflichtung erfüllt. Beispiel: A, der dem X vor Wochen sein Kfz verkauft hat, übereignet es an X, als er hört, G wolle gegen ihn die Zwangsvollstreckung betreiben.
d) Beiseiteschaffen ist das tatsächliche Entziehen des Vermögensgegenstandes vor dem 19 Gläubigerzugriff. Beispiele: Wegschaffen, Verstecken, Zerstören, Beschädigen einer Sache, so dass sie an Wert verliert264, Einziehen einer Forderung vor Fälligkeit, o.ä. 265 - Nicht hingegen: bloßes Ableugnen des Besitzes, Behauptung gegenüber dem Gerichtsvollzieher, die Sache stehe im Eigentum eines anderen.
e) Der subjektive Tatbestand erfordert die Absicht (direkter Vorsatz) des Täters, die Be- 20 friedigung des Gläubigers - und sei es auch nur zeitweise - zu vereiteln. Im übrigen genügt zumindest bedingter Vorsatz, der die drohende Zwangsvollstreckung und die Verringerung der Befriedigungsmöglichkeiten für den Gläubiger umfassen muss. - Die Absicht fehlt bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen, wenn genügend andere Vermögenswerte vorhanden sind, die zur Befriedigung des Gläubigers ausreichen. Bei Individualansprüchen genügt es hingegen nicht, dass evtl. Schadensersatzansprüche wegen Verweigerung der Herausgabe befriedigt werden können, denn der Schuldner hat kein Recht, den Gläubiger auf einen anderen Anspruch zu verweisen.266 3. Täterschaft und Teilnahme Die Vollstreckung muss dem Täter selbst drohen. Etwaige Vertreter des Täters können 21 gemäß § 14 haften. - Die Schuldnereigenschaft kennzeichnet die Tatsituation, nicht aber eine besondere Pflichtenstellung des Täters. Sie ist daher nicht persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. I.26? 2 6 4 R G S t 4 2 S . 6 3 ; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 8 8 R d n . 26. - A . A . GÖSSEL B . T . 2, § 2 8 R d n . 7 9 ; HOYER S K n , § 2 8 8 R d n . 15; MITSCH B . T . n / 2 , § 5 R d n . 98.
265 RGSt 9 S. 232; 19 S. 27; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 288 Rdn. 25. - A.A. HAAS wistra 1989 S. 259 f. 266 So auch RGSt 8 S. 52; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 288 Rdn. 37; SCH/SCH/HEINE § 288 Rdn. 19-22. A . A . BERGHAUS S. 101; LACKNER/KÜHL § 2 8 8 R d n . 6. 2 6 7 S o a u c h GEPPERT J u r a 1987 S. 4 3 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 8 R d n . 2, 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 7 R d n . 11; MTTSCH B . T . N/2, § 5 R d n . 110; R o x i n L K , § 2 8 R d n . 5 6 ; WOHLERS N K , § 2 8 8 R d n . 9. - A . A . HOYER S K D, § 2 8 8 R d n . 11; TRONDLE/FISCHER § 2 8 8 R d n . 14.
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§50
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
in. Wilderei, §§ 292 ff 1. Jagdwilderei, § 292 Abs. 1 a) Das geschützte Rechtsgut 22 Die Vorschrift schützt in erster Linie das Aneignungsrecht des Berechtigten, daneben aber auch die Hege eines gesunden Wildbestandes,268 b) Die einzelnen Tatbestandsmerkmale 23 aa) Tatobjekt des Abs. 1 Nr. 1 ist das frei lebende jagdbare Wild, § 2 BJagdG. Nicht herrenloses Wild (z.B. Wild im Tiergarten) ist nicht Gegenstand des Jagd- sondern des Eigentumsrechts.269 - Tathandlungen sind das Nachstellen, Fangen, Erlegen und sich oder einem Dritten Zueignen. Nachstellen ist Vorbereitung der anderen Handlungen, z.B. Durchstreifen des fremden Jagdreviers mit schussbereiter Flinte o.ä. - Fangen heißt, sich des lebenden Tieres bemächtigen; Erlegen, es auf irgendeine Weise töten. Sich oder einem Dritten zueignen ist die Gewahrsamsbegründung mit Zueignungswillen.2™ 24 bb) Tatobjekt des Abs. 1 Nr. 2 sind die herrenlosen, dem Aneignungsrecht des Jagd- bzw. Jagdausübungsberechtigten unterliegenden Sachen, wie verendetes Wild, Fallwild, Abwurfstangen o.ä., vgl. § 1 Abs. 5 BJagdG. - Tathandlungen sind das sich oder einem Dritten Zueignen, das Beschädigen - dazu vgl. § 47 Rdn. 5 - und das Zerstören der entsprechenden Tatobjekte. 25 cc) Der Jagdausübungsberechtigte erwirbt an den Objekten des Jagdrechts Eigentum mit Besitzergreifung. Die Besitzergreifung durch irgendeinen Dritten, der nicht für den Berechtigten handelt, genügt nicht.271 Dennoch ist Jagdwilderei durch einen Dritten, der dem Wilderer das Wild entwendet oder abkauft, ausgeschlossen: Das Objekt ist nicht mehr herrenlos, sondern Besitzobjekt und damit Vermögensobjekt des Wilderers, der die umfassende Sachherrschaft darüber ausübt. Es kann daher Gegenstand eines Vermögensdelikts, insbes. der Hehlerei, § 259, sein, nicht aber der Wilderei.272 26 dd) Zum Jagdrecht und Jagdausübungsrecht vgl. §§ 3 Abs. 1,11 Abs. 1 BJagdG. 27 ee) Der Vorsatz muss sich darauf beziehen, dass es sich um jagdbares Wild oder um Gegenstände handelt, die dem Jagdrecht unterliegen, und dass der Täter das Jagd- oder Jagdausübungsrecht eines anderen verletzt.
2 6 8 SO a u c h LACKNER/KÜHL § 2 9 2 R d n . 1; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 9 2 R d n . 2; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 2 R d n . 1 a; WESSELS J A 1984 S. 2 2 1 . - A . A . N u r A n e i g n u n g s r e c h t : ARZT/WEBER B.T., § 16 R d n . 10; GÖSSEL B . T . 2, § 19 R d n . 1; SCH/SCH/HEINE § 2 9 2 R d n . 1 a; WELZELU)., § 5 2 1 .
269 Dazu auch BayObLG JR 1987 S. 128; BayObLG NStZ 1988 S. 230. 270 Bereits nach altem Recht ließen eine Zueignung an Dritte genügen: OLG Hamm NJW 1956 S. 881; SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 292 Rdn. 56.
271 Vgl. dazu PALANDT/BASSENGE BGB, 60. Aufl. 2001, § 958 Rdn. 4; WOLFF/RAISER Sachenrecht, 10. Bearb. 1957, § 78 III 2. - Eigentumserwerb des Berechtigten bei Besitzergreifung irgendeiner Person bejahen BAUR/STÜRNER Lehrbuch des Sachenrechts, 16. Aufl. 1992, § 53 f III 2; HECK Grundriß des Sachenrechts, 1930, § 64 Ziff. 6. 272 Dazu vgl. auch oben § 40 Rdn. 13, sowie eingehend: OTTO Struktur, S. 153 ff. - A.A. KREY B.T. 2, Rdn. 272 m.w.N.
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Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte
§50
c) Irrtum des Täters über das Tatobjekt aa) Hält der Täter eine fremde Sache irrig für ein taugliches Objekt der Jagdwilderei und 28 eignet sich diese Sache zu, so ist - soweit nicht das Tatbestandsmerkmal des Nachstellens aufgrund des Vorgehens des Täters vorliegt - der objektive Tatbestand des § 292 nicht erfüllt - Eine Bestrafung wegen Diebstahls oder Unterschlagung scheitert hingegen, weil dem Täter der Vorsatz fehlt, sich eine „fremde" Sache zuzueignen.273 Zum Teil wird auf das Wissen des Täters abgestellt, sich eine Sache zuzueignen, die ihm „nicht gehört". 2 9 Dieses Bewusstsein soll für den Vorsatz der §§ 242, 246,292 genügen. Entscheidend für die Strafbarkeit sei daher der jeweils erfüllte objektive Tatbestand.274 Andere kommen zur Annahme der vollendeten Wilderei, weil die Verletzung des Aneignungsrechts als Minus in der Verletzung des Eigentumsrechts enthalten ist. 273 Beispiel: Der Jagdberechtigte hat einen geschossenen Hasen im Unterholz versteckt, weil er ihn erst auf dem Heimweg mitnehmen will. A entdeckt den Hasen bei einem Spaziergang und meint, dieser sei - vor kurzem geschossen - verendet. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Da J den Hasen bereits in Besitz genommen hatte, war der Hase für A eine fremde, nicht aber eine herrenlose Sache, daher entfällt § 292.
bb) Hält der Täter hingegen ein Objekt des Jagdrechts für eine fremde Sache, so kann ver- 30 suchter Diebstahl bzw. versuchte Unterschlagung vorliegen.27« Beispiel: Nach einer Treibjagd ist ein angeschossener Hase unter einer Bank im Wald verendet. Dort entdeckt A ihn. A meint, der Jagdberechtigte habe den Hasen geschossen und dort versteckt, um ihn auf dem Rückweg mitzunehmen. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Versuchter Diebstahl des A.
d) Konkurrenzen Vermögensdelikte und Jagdwilderei schließen einander nach der hier entwickelten Ansicht 31 aus, da sie an jeweils verschiedenen Objekten begangen werden. - Nach h.M. soll § 259 dem § 292 lediglich als lex specialis vorgehen, wenn jemand von einem Wilderer ein Objekt des Jagdrechts erwirbt.277 2. Besonders schwere Fälle der Wilderei Abs. 2 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle der Wilderei: 32 a) Nr. 1: Die gewerbs- und gewohnheitsmäßige Wilderei. - Zur Gewerbsmäßigkeit vgl. § 41 Rdn. 21. Gewohnheitsmäßig handelt der Täter, der aus einem durch Übung ausgebildeten, selbständig fortwirkenden Hang tätig wird, so dass dessen Befriedigung ihm bewusst oder unbewusst ohne innere Auseinandersetzung gleichsam von der Hand geht.278
2 7 3 S o z . B . a u c h R G S t 6 3 S. 3 7 ; KREY B . T . 2, R d n . 2 7 0 ; MITSCH B . T . N/2, § 1 R d n . 8 9 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 2 R d n . 2 0 ; WESSELS J A 1 9 8 4 S. 2 2 4 f.
274 WELZELLb., §521. 2 7 5 v g l . v . LÜBBECKE M D R 1974 S . 121; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 8 R d n . 2 0 ; SCHÄ-
FER LK, 10. Aufl., § 292 Rdn. 80; WAIDER GA 1962 S. 183. 2 7 6 SO a u c h KREY B . T . 2, R d n . 2 7 5 ; SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 9 2 R d n . 8 0 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 2 R d n .
20; WESSELS JA 1984 S. 225. - A.A. Vollendetes Diebstahls- oder Unterschlagungsdelikt: LACKNER/KÜHL § 2 9 2 R d n . 5; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 3 8 R d n . 2 0 ; WELZELLb., § 5 2 I. -
Diese Meinung ist nur haltbar, wenn das Rechtsgut des § 292 ausschließlich im Aneignungsrecht gesehen wird. 277 Vgl. SCHÄFER LK, 10. Aufl., § 292 Rdn. 36 m.w.N. 278 Dazu auch BGHSt 15 S. 377.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§51
33 b) Nr. 2: Die nicht waidmännische Jagd. - Nachtzeit ist die Zeit der Dunkelheit, d.h. die Zeit zwischen dem Ende der Abenddämmerung und dem Beginn der Morgendämmerung.279 Der Täter muss unter Ausnutzung der Dunkelheit handeln. - Zur Schonzeit vgl. § 22 BJagdG in Verb, mit der Verordnung über die Schonzeit vom 2.4.1977. - Unter Anwendung von Schlingen vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 8 BJagdG. - Zur nicht waidmännischen Begehung vgl. § 19 Abs. 1 BJagdG. 34 c) Nr. 3: Die von mehreren mit Schusswaffen ausgerüsteten Beteiligten gemeinschafilich begangene Tat. - Erforderlich ist, dass mindestens zwei Tatbeteiligte (Täter oder Teilnehmer) je eine Schusswaffe bei sich führen.28«) 3. Fischwilderei, § 293 35 Der Tatbestand entspricht im Aufbau dem § 292 Abs. 1. - Fischen ist jede auf Fang oder Erlegen frei lebender Wassertiere (auch Krebse, Schildkröten, bestimmte Muscheln) gerichtete Tätigkeit. - Fische in geschlossenen Privatgewässern sind nicht herrenlos. - Das Fischereirecht ist landesrechtlich geregelt. 4. Antragsprivileg, § 294 36 Gemäß § 294 wird die einfache Jagd- und die Fischwilderei nur auf Antrag des Verletzten verfolgt, wenn sie von einem Angehörigen oder einem Täter, der die Jagd in beschränktem Umfang ausüben durfte (z.B. Jagdgast), begangen wurde. 5. Analogie des § 248 a 37 Eine analoge Anwendung des § 248 a zugunsten des Wilderers kommt nicht in Betracht, da sich die Wilderei nicht ausschließlich gegen das Vermögen richtet.281
§ 51 Betrug 1 Bereicherungsdelikt. - Dem Täter geht es darum, die dem Berechtigten entzogene Vermögensposition sich oder einem anderen rechtswidrig zu verschaffen. Ein Vermögensgut wird aus einem Vermögen in das andere übertragen; die angestrebte Bereicherung entspricht dem Schaden.
I. Rechtsgut und Gesetzessystematik 1. Das geschützte Rechtsgut 2 Geschütztes Rechtsgut des Betrugstatbestandes ist nach heute allgemein anerkannter Ansicht allein das Vermögen. - Streitig ist jedoch die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs; dazu eingehend unter Rdn. 53 ff. 2. Der Aufbau des Gesetzes 3 a) Den Tatbestand des Betruges beschreibt § 263 Abs. 1. 4 b) § 263 Abs. 3 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle des Betrugs und § 263 Abs. 5 enthält einen Qualifikationstatbestand. 279
K G J W 1937 S. 763.
280 v g l . BT-Drucks. 13/9064, S. 21.
281 Vgl. dazu WESSELS JA 1984 S. 226.
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Betrug
§51
c) Die Verweisung auf § 243 Abs. 2 in § 263 Abs. 4 stellt klar, dass ein besonders schwe- 5 rer Fall nicht angenommen werden darf, wenn sich die Tat auf einen geringen Wert bezieht, dies allerdings - entgegen dem Wortlaut des § 243 Abs. 2 - auch dann, wenn Gegenstand des Betruges keine Sache, sondern ein anderes Vermögensobjekt, z.B. eine Forderung, ist (systematische Auslegung!). Gemäß § 263 Abs. 4 finden ferner die §§ 247, 248 a auf entsprechende Betrugsfalle Anwendung. d) Speziell geregelte Fälle des Betruges enthalten die §§ 352,353.
6
II. Der gesetzliche Tatbestand Die gesetzliche Formulierung des Gemeinten ist dem Gesetzgeber arg missglückt. Zum 7 Ausdruck kommen sollte, dass deqenige wegen Betrugs bestraft werden soll, der vorsätzlich und in der Absicht, sich oder einen anderen rechtswidrig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen einen Irrtum bei einer Person erweckt und damit erreicht, dass diese eine Verfügung über ihr Vermögen oder das eines anderen, über das sie Verfügungsmöglichkeiten hat, vornimmt, durch die sie das Vermögen unmittelbar schädigt. Die Merkmale des Tatbestands sind danach: 8 1. Eine Täuschung durch den Täter. 2. Ein Irrtum des Getäuschten. 3. Eine Vermögensverfügung des Getäuschten. 4. Ein Vermögensschaden des Getäuschten oder bestimmter dritter Personen. Zwischen den unter 1. bis 4. genannten Merkmalen muss ein funktionaler Zusammenhang bestehen derart, dass das jeweils folgende Merkmal seinen Grund in dem vorangegangenen hat. - Getäuschte und verfugende Person müssen identisch sein, nicht aber verfugende und geschädigte Person.
5. Subjektiv ist neben dem Vorsatz die Absicht des Täters erforderlich, sich oder einen Dritten um einen Vermögensvorteil rechtswidrig zu bereichern. - Der erstrebte Vorteil muss dem Schaden entsprechen.
IQ. Der objektive Tatbestand 1. Die Täuschung Die umständlichen Formulierungen des Gesetzgebers sollen zum Ausdruck bringen, dass 9 der Täter über Tatsachen getäuscht haben muss, d.h. über einem Beweis zugängliche, konkrete äußere oder innere Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart. Der Gegensatz zur Täuschung über Tatsachen ist die Abgabe unrichtiger Meinungs- 10 äußerungen oder Werturteile, die jeglichen Tatsachenkerns entbehren oder nach allgemeiner Auffassung des Verkehrs nicht als Tatsachenbehauptung angesehen werden, weil in der Äußerung das subjektive Meinen, Dafürhalten des Äußernden offen erkennbar ist. Soweit diese Äußerungen allerdings auf einer Tatsachengrundlage beruhen, kann über diese Grundlage wiederum getäuscht werden. - Problematisch ist die Beurteilung der Äußerung von Rechtsauffassungen, da in ihnen stets ein Wertungselement steckt, zugleich aber auch eine Tatsachenbehauptung versteckt sein kann, wenn sie mit der Behauptung der Maßgeblichkeit und Verbindlichkeit verbunden wird. 282 Entscheidend ist hier die Auslegung 282 im einzelnen dazu BGH JR 1958 S. 106; OLG Koblenz NJW 2001 S. 1364; OLG Stuttgart NJW 1979 S. 2673 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 263/5, Loos NJW 1980 S. 847 f, MÜLLER JuS 1981 S. 255 ff,
223
§51
Zweiter T e i l : Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
der einzelnen Äußerung dahin, ob sie lediglich eine subjektive Auffassung des Äußernden wiedergibt. - Ob der Äußernde vorgibt, an die Richtigkeit seiner Äußerung zu glauben oder nicht, ist irrelevant, da dieser Glaube die Informationsgrundlage des Äußerungsempfängers nicht in relevanter Weise tangiert. 11
Beispiel 1: Aufforderung, die Aktien der X - A G zu kaufen, denn diese würden der „Renner" der nächsten Zeit: Zukunftsprognose. Beispiel 2 : Aufforderung, die Aktie X zu kaufen, denn diese werde im Kurs steigen, weil der Großaktionär G Order erteilt habe, Aktien der X - A G bis zum Doppelten des derzeitigen Preises zu kaufen: Tatsachenbehauptung. Beispiel 3 : Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, dieses sei der Traumwagen jedes fortschrittlich denkenden Menschen: Werturteil. Beispiel 4 : Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, im Preis des Grundmodells seien bereits die Extras A - D enthalten: Tatsachenbehauptung, da Behauptung über wertbildende Faktoren. Beispiel 5: A schreibt dem B , dass dieser ihm aus einer (unstr.) Vertragsverletzung auch ein Schmerzensgeld schulde: Äußerung einer Rechtsauffassung und damit bloßes Werturteil. Beispiel 6 : A behauptet, aufgrund eines rechtskräftigen Urteils eine bestimmte Forderung gegen B zu haben: Tatsachenbehauptung.
12 Täuschung ist ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten. Es kann durch ausdrückliches Vorspiegeln, durch schlüssiges (konkludentes) Verhalten oder durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen.283 13 a) Die ausdrückliche Täuschung kann durch wörtliche Erklärungen oder täuschende Manipulationen an bzw. mit Gegenständen verwirklicht werden, soweit diesen im Rahmen einer Erklärung die Bedeutung einer Tatsachenäußerung zukommt. Maßgeblich ist allein, dass durch eine Erklärung auf die Vorstellung eines anderen eingewirkt wird oder die Veränderung der Vorstellung eines anderen verhindert wird. Täuschung: Vorlage gefälschter Urkunden, Manipulationen an Strom-, Gas- oder Kilometerzählern (LG Marburg MDR 1973 S. 65), Auswechseln von Preisschildern in einem Laden (OLG Hamm NJW 1968 S. 1894), Manipulation des Eindrucks, eine Fahrkarte sei entwertet worden (OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 924). Vorlage einer als Rechnung aufgemachten Offerte (BGH NJW 2001 S. 2187). Keine Täuschung: Wer Beförderungsleistungen in Anspruch nimmt oder sich in eine Veranstaltung einschleicht, selbst wenn die Vorstellung der Aufsichtsperson „alles sei in Ordnung", durch dieses Verhalten unzutreffend wird. Im Hineinsetzen allein liegt keine Erklärung über die Zahlung und damit keine Täuschung. Zur späteren Aufklärung hingegen ist der Täter nicht als Garant verpflichtet. 284
dagegen: HEID JUS 1982 S. 22 ff, mit Entgegnung: MÜLLER JUS 1982 S. 25 ff; OLG Frankfurt NJW 1996 S. 2172 mit Anm. OTTO J K 97, StGB § 263/47; GRAUL JZ 1995 S. 600 ff; HILGENDORF Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 219 ff; KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 108 ff; SEIER ZStW 102 (1990) S. 568 ff; TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 18 f; WALTER Betrugsstrafrecht in Frankreich und Deutschland, 1999, S. 66 ff, 71 ff. 283 im einzelnen dazu TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 21 ff. - Enger KINDHÄUSER ZStW 103 (1991) S. 398 ff, modifiziert BEMMANN-FS, S. 354; PAWLK Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, 1999, S. 74 ff, 139 ff: Nur Täuschungen relevant, die einen Wahrheitsanspruch des Opfers verletzen. 284 Dazu BOCKELMANN Eb. Schmidt-FS, S. 439; GÜNTHER S K n , § 263 Rdn. 22; HERZBERG GA 1977 S. 289 ff; KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 128 ff; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 204; TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 23. - A.A. ARZT/WEBER B.T., § 20 Rdn. 47.
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Betrug
§51
Stets ist das Bewusstsein des Täters erforderlich, dass zwischen dem vorgegebenen Sach- 14 verhalt und der Wirklichkeit eine Diskrepanz besteht. Insoweit hat das Merkmal Täuschung einen subjektiven Einschlag. 285 b) Bei einer konkludenten Täuschung nimmt der Täter Bezug auf einen bestimmten Sach- 15 verhalt derart, dass dieser Bezug den Inhalt seiner Aussage mitbestimmt. Er weiß, dass sein Verhalten nach der Verkehrssitte, Übereinkunft der Beteiligten o.ä. einen ganz bestimmten Aussagegehalt hat, auf den er sich stillschweigend bezieht, und er weiß zugleich, dass das vermittelte Vorstellungsbild unrichtig ist. Konkludente Erklärungen: Wer einen Vertrag schließt, erklärt, dass er zur Erfüllung fähig und willig 16 ist;286 wer einen Scheck begibt, erklärt, dass dieser bei Vorlage gedeckt ist;287 wer einer Bank einen Scheck einreicht, erklärt, dass dieser nach seiner Überzeugung gedeckt ist;288 wer ein Sparbuch zum Abheben vorlegt, erklärt, dass er dazu berechtigt ist, wie auch deijenige, der einen Betrag von seinem Konto abheben will, erklärt, dass Deckung insoweit vorhanden ist 289 (diese Deckung ist vorhanden, auch wenn der Ausweis der Deckung auf einer Fehl- oder Falschbuchung beruht);290 wer seiner Bank eine Lastschrift einreicht, erklärt, dass die Forderung besteht und er zum Einzug ermächtigt ist;291 wer eine Wette eingeht, erklärt, dass er das typische Wettrisiko eingehen will;292 wer in einem - auch privaten - Vergabeverfahren ein Angebot abgibt, erklärt, dass dieses nicht auf einer Absprache beruht; 293 der Gastwirt, der Bier serviert, erklärt, dass es sich um frisch gezapftes Bier handelt (a.A. RGSt 29 S. 35); der Gebrauchtwagenhändler, der ein Kraftfahrzeug ohne besonderen Hinweis anbietet, erklärt, dass es sich um ein unfallfreies Fahrzeug handelt;294 wer einen Wechsel zum Diskont anbietet, erklärt, dass es sich um einen Warenwechsel handelt;295 wer bei einer Selbstbedienungstankstelle tankt, erklärt die Absicht der Zahlung.296 - Zur Problematik des Tankens an Selbstbedienungstankstellen vgl. auch oben § 40 Rdn. 12. Keine konkludenten Erklärungen: Der Mieter eines Zimmers, der nach Vertragsabschluss zahlungsun- 17 fähig wird, erklärt durch bloßes Wohnenbleiben nicht seine Zahlungsfähigkeit.297 Er ist auch nicht zu einer Offenbarung rechtlich verpflichtet.298 - Wer eine Forderung aus einer Naturalobligation geltend macht, be-
285 vgl. dazu auch BGHSt 18 S. 237; KÜPER B.T., S. 267; RENGIER B.T. I, § 13 Rdn. 5; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 4 9 3 . - A . A . MLTSCH B . T . n / 1 , § 7 R d n . 2 5 ; TLEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 23; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 6.
286 287 288 289
BGHSt 15 S. 24; eingehend dazu KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 156. BGH NJW 1983 S. 461, eingehend dazu OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 113. OLG Köln NJW 1991 S. 1122. Vgl. zum Sparbuch: KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 169; OTTO Bankentätigkeit, S. 99; vgl. auch BGH StV 1992 S. 272. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2003. - Zur Abhebung vom Konto: OLG Celle StV 1994 S. 188. - A.A. OLG Frankfurt NStZ-RR 1998 S. 333 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 263/52. 290 vgl. BGHSt 46 S. 196, 200 ff mit Anm. GEPPERT JK 01, StGB § 263/58, HEFENDEHL NStZ 2001 S. 281 ff, JOERDEN JZ 2001 S. 614 ff, RANFT JuS 2001 S. 854 ff. - Noch BGH 39 S. 392 hatte zwischen Fehlüberweisung und Falschbuchung differenziert. 291 OLG Hamm NJW 1977 S. 1836. 292 SO BGHSt 29 S. 167 mit abl. Anm. KLIMKE JZ 1980 S. 581 f; BayObLG wistra 1993 S. 306. - A.A. noch BGHSt 16 S. 120. 293 BGH StV 2001 S. 514. 294 BayObLG NJW 1994 S. 1078. 295 BGH NJW 1976 S. 2028. 2 9 6 B G H N S t Z 1983 S. 5 0 5 m i t A n m . GAUF S. 5 0 5 f f , u n d DEUTSCHER S. 5 0 7 f. 2 9 7 O L G H a m b u r g N J W 1969 S. 3 3 5 m i t A n m . G . E . HIRSCH S. 8 5 3 f, SCHRÖDER J R 1 9 6 9 S. 1 1 0 . 2 9 8 B G H G A 1 9 7 4 S . 2 8 4 ; TRIFFTERER J u S 1971 S. 181 ff.
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§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
hauptet nicht, eine gerichtlich durchsetzbare Forderung zu haben. 299 - Die Annahme versehentlich zu viel gezahlten Geldes enthält nicht die Erklärung, dass eine Forderung auf das Geld besteht.300 Die Vorlage einer formal richtigen Kassenanweisung enthält nicht die Behauptung, dass der Anspruch materiell besteht.301 Die Forderung eines bestimmten Preises für einen Gegenstand enthält nicht die Erklärung, dass diese Forderung angemessen oder üblich ist, 302 anderes gilt nur bei üblicherweise gebundenen Preisen.303
18 c) Eine Täuschung durch Unterlassen ist nach den Grundsätzen des garantiepflichtwidrigen Unterlassens möglich, hat jedoch Ausnahmecharakter.304 - Grundsätzlich kann die Nichthinderung der Entstehung einer Fehlvorstellung durch einen Garanten nämlich nur einer Irrtumserregung durch positives Tun gleichgestellt werden (§ 13), nicht aber einer Irrtumserregung durch Täuschung, d.h. einem qualifizierten positiven Tun. - Durch die weite Interpretation der Täuschung als ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten sind die bestehenden Schranken zwischen der bloßen Herbeiführung eines Irrtums und der Herbeiführung eines Irrtums durch Täuschung im Laufe der Zeit jedoch weitgehend eingeebnet worden. Auch heute wird man aber nur dort eine Täuschung durch Unterlassen annehmen können, wo der Garant aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses ausnahmsweise eine besondere Aufklärungspflicht hat. Diese kommt in Betracht, wo ein Geschäftspartner dem anderen in berechtigtem Vertrauen gleichsam eine Vermögensdispositionsmöglichkeit eingeräumt hat.3°5 Bloße vertragliche Nebenpflichten insbesondere aus Treu und Glauben genügen diesen Anforderungen nicht. 19 Aufklärungspflichten können sich ergeben aus öffentlich-rechtlichen Mitteilungs- und Meldepflichten (z.B. §§16 W G , 116 BSHG); nicht aber aus allgemeinen Meldepflichten ohne konkrete Beziehung zwischen den Beteiligten (BGH wistra 1992 S. 141); aus langjähriger Geschäfitspartnerschaft, wenn eine auf gegenseitigem Vertrauen basierende kontokorrektartige Geschäftsabwicklung vereinbart ist, in der auch Schweigen als Anerkennung gilt; 306 aus Ingerenz, wenn das vorangegangene Tun einen Irrtum begründet hat (OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1975); aus angeblichem oder wirklichem Sachwissen des Vermittlers von Risikogeschäften gegenüber unerfahrenen Kunden.307
2 9 9 O L G Stuttgart J Z 1979 S. 5 7 5 mit A n m . FRANK N J W 1980 S. 848, HEID J u S 1982 S. 2 2 f f , JOECKS J A 1980 S. 128, L o o s N J W 1980 S. 847 f, B. MÜLLER JuS 1981 S. 2 5 5 f f . 3 0 0 O L G K ö l n N J W 1987 S. 2 5 2 7 mit A n m . JOERDEN J Z 1988 S. 103 f f ; O L G Düsseldorf N J W 1987 S. 8 5 3 mit A n m . MÖHLENBRUCH N J W 1988 S. 1894 f.
301 Als Irrtumsproblem sieht der BGH den Sachverhalt, vgl. BGHSt NStZ 1997 S. 281 mit Anm. OTTO JK, S t G B § 263/49; B G H N S t Z 2 0 0 0 S. 376.
302 OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 503 mit Anm. LACKNER/WERLE S. 503 ff; SCHAUER Grenzen der Preisgestaltung im Strafrecht, 1989, S. 11 ff. 303 B G H J Z 1989 S. 7 5 9 mit A n m . OTTO J K 90, S t G B § 263/30. 3 0 4 z u r Auseinandersetzung: GÜNTHER S K H, § 2 6 3 R d n . 4 0 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 181 f f ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 51, 73 f. - I m einzelnen dazu BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 217 f f , 3 1 3 ff; GÖSSEL B.T. 2, § 21 R d n . 4 3 f f ; MAAB B e t r u g verübt
durch Schweigen, 1982, S. 46 ff (Ingerenz), S. 61 ff (Solidaritätsbeziehung), S. 99 ff (Übernahmegarantie); RANFT Jura 1992 S. 6 7 ff. 305 B G H S t 39 S. 3 9 2 , 4 0 1 ; B G H N J W 2 0 0 0 S. 3 0 1 3 mit A n m . OTTO J K 01, S t G B § 263/57; OTTO J Z 1993 S. 653; RANFT Jura 1992 S. 66; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 203; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 66; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 13. 3 0 6 B G H S t 3 9 S. 392, 397 ff mit A n m . GEPPERT J K 94, S t G B § 263/40, JOERDEN J Z 1994 S. 4 2 2 f, NAUCKE N J W 1994 S. 2 8 0 9 ff. 307 B G H S t 3 0 S. 181 f; B G H N J W 1991 S. 2575; d a z u OTTO J Z 1993 S. 654; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 Rdn. 61.
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Betrog
§51
Keine Aulklärungspflicfat i.S. des § 263 begründen: Normales KontokorTentverhältnis (BGHSt 39 S. 392, 2 0 397 ff); Girovertrag (BGH NJW 2001 S. 454 f); Treu und Glauben, z.B. Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach Vertragsschluss bei Vorleistung des Vertragspartners;308 finanzielle Schwierigkeiten eines Kaufmanns, die dieser aber zu überwinden hofft; 309 Inempfangnahme eines höheren Geldbetrages als des geschuldeten (BGH JZ 1989 S. 550); Abheben der Rente nach Tod des Berechtigten;3") Vollstreckung aus einem Räumungsurteil, das wegen Eigenbedarfs erging, wenn der Eigenbedarf nach Erlass des Urteil weggefallen ist.311 2. Der
Irrtum
Der Täter muss durch Täuschung einen Irrtum, d.h. eine unrichtige Vorstellung über Tat- 2 1 Sachen, erregt oder weiter unterhalten haben. - Die bloße Ausnutzung eines vorhandenen Irrtums genügt nicht. a) Etwaige verbleibende Zweifel desjenigen, auf den durch eine Täuschung eingewirkt 2 2 wird, hindern den Irrtum nicht, wenn der Getäuschte letztlich diese Zweifel überwindet und die Fehlvorstellung für die richtige hält, denn der Zweifelnde, aber schließlich doch Überzeugte ist nicht weniger schutzwürdig als der Leichtgläubige. Erst wenn dem Getäuschten die Wahrheit der Erklärung gleichgültig ist, fehlt es an einem Irrtum. 3 ^ Auch Leichtgläubigkeit oder Naivität beseitigen nicht den Schutz des Betrugs- 2 3 tatbestandes wegen eines etwaigen Opfermitverschuldens. BGHSt 34 S. 199 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/22: Der A organisierte ab 1984 Werbung und Vertrieb für 2 4 Veijüngungs- und Abmagerungsmittel sowie für „Haarverdicker" und „Nichtraucherpillen". Wie er wusste, waren sämtliche Mittel ebenso wirkungslos wie harmlos. Er verkaufte sie zu Preisen zwischen 46,50 DM bis 76,- DM „ohne jedes Risiko" per Nachnahme zuzüglich Versandspesen mit „Rückgaberecht innerhalb von 14 Tagen mit voller Geldzurückgarantie". Auf Grund der Erfahrungen seiner Hinterleute ging A davon aus, dass etwaige Reklamationen von höchstens 10 % der Käufer erfolgen würden. Dieser Prozentsatz wurde aber nur bei den Schlankheitspillen erreicht. Wurde reklamiert, so erhielt der Kunde den vollen Kaufpreis zurück. - Den Produkten selbst wurden in der Werbung geradezu wundersame Wirkungen und Eigenschaften zugeschrieben. So sollte das Hollywood-Lifting-Bad, angeblich aus „taufrischem Frischzellenextrakt", im Blitztempo von nur 12 Bädem wieder schlank, straff und jung formen, und zwar „mit 100 %iger Figurgarantie". Der „Haarverdicker-Doppelhaar" verdoppele das Haar binnen 10 Minuten, auch Schuppen, Flechten, fettiges und trockenes Haar würden mit 100 %iger Garantie beseitigt. In dieser Art wurde für sämtliche Produkte geworben.
308 BGH wistra 1988 S. 262; ALBRECHT JUS 1979 S. 52. - A.A. noch BGHSt 6 S. 196. 309 BGH bei Dallinger, MDR 1968 S. 202; OLG Stuttgart JR 1978 S. 388 mit Anm. BEULKE S. 390. 310 OLG Köln MDR 1979 S. 250 mit Anm. KÜHL JA 1979 S. 681. - A.A. OLG Hamm NJW 1987 S. 2245 m i t abl. A n m . OTTO J K 88, S t G B § 2 6 3 / 2 4 .
311 A.A. BayObLG JZ 1987 S. 626 mit zust. Anm. HILLENKAMP JR 1988 S. 301 ff; RENGIER JuS 1989 S . 8 0 2 f f ; PUNTE J u r a 1989 S . 128 f f ; u n d m i t abl. A n m . HELLMANN J A 1988 S. 7 3 ff; OTTO J Z 1 9 8 7 S. 6 2 8 f f ; SEIER N J W 1 9 8 8 S . 1617 f f .
312 Vgl. BGH wistra 1990 S. 305; FRISCH Bockelmann-FS, S. 647 ff; GÜNTHER Strafrechtswidrigkeit und S t r a f u n r e c h t s a u s s c h l u s s , 1983, S. 193 f; DERS. S K D, § 2 6 3 R d n . 5 3 ff, 5 8 ; HERZBERG G A 1 9 7 7 S. 2 8 9
ff; HILLENKAMP Vorsatztat und Opferverhalten, 1981, S. 18 ff; KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 221; KRACK List als S t r a f t a t b e s t a n d s m e r k m a l , 1994, S . 3 8 ff; KÜPER B . T . , S. 2 1 3 ; LOOS/KRACK JUS 1995 S . 2 0 4 ff; RANFT J A 1984 S. 7 3 1 f; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 2 1 ; SEIER D e r K ü n d i g u n g s b e t r u g , 1989, S. 2 7 3 ; SEELMANN JUS 1 9 8 2 S. 2 7 0 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 86; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 18. - A . A . AMELUNG G A 1977 S. 6 ff; BEULKE N J W 1977 S . 1073; ELLMER B e t r u g u n d O p f e r m i t v e r a n t -
wortung, 1986, S. 271 ff; GIEHRING GA 1973 S. 1 ff; R. HASSEMER Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1981, S. 113 ff; SCHÜNEMANN Bockelmann-FS, S. 130 f; DERS. NStZ 1986 S. 439 ff. 227
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgttter des Einzelnen
BGH: Allein bei der Strafzumessung im Rahmen der Würdigung der kriminellen Energie des Täters kann ein u.U. leichtfertiges Verhalten des Opfers Berücksichtigung finden.313
25 b) Einflussnahmen auf die automatischen Operationen eines Computers sind der Beeinflussung des Willens eines Menschen nicht gleichzusetzen. Sie begründen daher keinen i.S. des § 263 relevanten Irrtum; vgl. dazu § 263 a. Zu beachten ist aber, dass der relevante Irrtum schon durch Täuschung von Kontrollpersonen hervorgerufen werden kann und dass durch die Ergebnisse des beeinflussten Computers ein Irrtum bei Personen entstehen kann.314 26 c) Kontrollpersonen, die die Richtigkeit eines Sachverhalts überprüfen sollen, sind auch dann getäuscht, wenn sie aufgrund des ihnen vorgelegten Materials davon ausgehen, dass der vorgetragene Sachverhalt zutrifft. 27 Beispiele: Irrtum des Sparkassenangestellten, dem ein Sparbuch von einem Dritten zur Auszahlung vorgelegt wird, über die Berechtigung des Vorlegenden, denn da grobe Fahrlässigkeit des Schuldners bei der Auszahlung die Forderung nicht zum Erlöschen bringt,313 wird sich der Schuldner in der Regel Gedanken über die Berechtigung des Buchinhabers machen.316 - Irrtum des Richters, dem ein unwahrer Sachverhalt im Prozess vorgetragen wird.317 - Irrtum des Schecknehmers über die Berechtigung des Scheckbegebenden, wenn dieser einen gestohlenen oder gefälschten Scheck vorlegt, auch dann, wenn der Scheck durch Scheckkarte garantiert ist. Positives Wissen und grob fahrlässige Unkenntnis der Nichtberechtigung verhindern nämlich auch hier die Entstehung des Anspruchs. Damit ist davon auszugehen, dass der Schecknehmer selbst nur vom Berechtigten einen Scheck erhalten will und getäuscht ist, wenn er nach den Umständen davon ausgeht, dass der Berechtigte sein Partner ist.318 - Irrtum des Schecknehmers, der einen ungedeckten Scheck einlöst.319
3. Die Vermögensverfligung a) Verfügung und Verfügungsbewusstsein 28 Nach h.M. wird die Vermögensverfligung definiert als ein Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. - Danach kommt es auf ein „Verfügungsbewusstsein" des Opfers nicht an. Gleichgültig soll es sein, ob der Getäuschte weiß, dass er eine Vermögensverschiebung veranlasst, die Verfügung also bewusst oder unbewusst erfolgt. - Geradezu kurios mutet es allerdings an, wenn die Vertreter dieser Ansicht in gleicher Geschlossenheit darauf hinweisen, dass es für die Abgrenzung des Betruges vom Diebstahl entscheidend auf die Willensrichtung des Verfugenden ankomme.320 Diese Behauptung steht im krassen Gegensatz zu den in die Definiti-
313 Dazu auch B G H StV 1983 S. 326; HILLENKAMP Vorsatztat, S. 18 ff. 314 So auch mit eingehender Begründung SIEBER Computerkriminalität, S. 203 ff, 215; DERS. Computerkriminalität, Nachtrag, S. 2/2 ff; TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 92; N. SCHMID Missbräuche im modernen Zahlungs- und Kreditverkehr, 1982, S. 28 f. 315 Vgl.BGHZ28S.368. 316 Vgl. auch KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 Rdn. 234; LACKNER LK, 10. Aufl., § 2 6 3 Rdn. 88; MAIWALD JA 1971 S. 643; OTTO Bankentätigkeit, S. 99. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2003; OLG Köln NJW 1991 S. 1122; MIEHE Heidelberg-FS, S. 498. - Dazu auch TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 Rdn. 18 a. 317 Str. vgl. eingehender unter Rdn. 137 ff. 318 Dazu im einzelnen BayObLG NJW 1999 S. 1648 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 263/54. 319 A.A. AG Tiergarten NJW 1989 S. 846. 320 vgl. z.B. BGH N J W 1995 S. 3130; ARZT/WEBER B.T., § 20 Rdn. 74; BACKMANN Die Abgrenzung des Betrugs von Diebstahl und Unterschlagung, 1974, S. 28; JOECKS Zur Vermögensverfügung beim Be-
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Betrug
§51
on der Vermögensverfügung eingegangenen Prämissen und macht deutlich, dass die h.M. von zwei inhaltlich verschiedenen Verfügungsbegriffen ausgeht, was in der Rechtsprechung sogar ausdrücklich hervorgehoben wird. Einerseits BGHSt 14 S. 172: „Derjenige, der die Vermögensverfügung vornimmt, braucht sich dabei nicht 2 9 bewusst zu sein, dass er auf sein Vermögen oder dasjenige eines Dritten einwirkt." Andererseits: BGH bei Dallinger, MDR 1974 S. 15: „Der Tatbestand des Betruges setzt u.a. voraus, dass der vom Täter Getäuschte aus freiem, nur durch Irrtum beeinflussten Willen über sein Vermögen oder das ihm faktisch anvertraute Vermögen eines anderen verfugt und dieses dadurch unmittelbar schädigt ... Für die Abgrenzung der beiden Tatbestände (gemeint sind Diebstahl und Betrug) kommt es somit in den Fällen, in denen sich der Täter durch Täuschung eine Sache verschaffen will, wesentlich auf die Willensrichtung des Getäuschten und auf sein Verhältnis zu der Sache an. Hiernach liegt mangels eines Verfügungswillens kein Betrug, sondern Diebstahl vor, wenn die Täuschung dem Täter nur die Herbeiführung des Schadens durch eine eigene Handlung ermöglichen soll, die den Gewahrsam des bisherigen Inhabers ohne dessen Willen eigenmächtig aufhebt."321
Die Aufspaltung des Verfügungsbegriffs lässt sich auch nicht dadurch überwinden, dass dem Verfügungsbewusstsein als Element des Verfügungsbegriffs die Bedeutung abgesprochen und darauf abgestellt wird, ob das Verhalten bei einer Gesamtwürdigung als Selbstschädigung des Getäuschten erscheint oder nichts22 Denn das entscheidende Kriterium in dieser Gesamtwertung ist zumindest beim Sachbetrug wiederum das Verfügungsbewusstsein, was auch von denen zugestanden wird, die dem Verfügungsbewusstsein zunächst jegliche Bedeutung absprechen. Entgegen der von der h.M. verteidigten Definition der Vermögensverfügung ist daher davon auszugehen, dass zumindest beim Sachbetrug weithin anerkannt ist, dass das Verfügungsbewusstsein i.S. des Bewusstseins einer Gewahrsamsübertragung Voraussetzung der Vermögensverfügung ist. Dieses Erfordernis ist sachgerecht, denn wenn die allgemeine Typisierung des Betruges als eines Selbstschädigungsdelikts überhaupt einen Sinn haben soll, so muss das Verfügungsbewusstsein als Element der Vermögensverfügung anerkannt werden: Von einer Selbstschädigung des Opfers kann nämlich keine Rede sein, wenn sich der Getäuschte nicht einmal der Tatsache seiner Verfügung bewusst ist. Ohne dieses Bewusstsein kann der Getäuschte nämlich durchaus Werkzeug in der Hand eines Diebes sein. Das bedeutet: Der Getäuschte muss den Verfügungscharakter seines Verhaltens kennen, nicht aber wissen, dass er eine Vermögensschädigung vornimmt. - Vermögensverfiigung ist danach jedes vermögensrelevante Tun und Unterlassen des Getäuschten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt und dessen vermögensrelevanten Charakter der Getäuschte kennte Die von der h.M. befürchteten Strafbarkeitslücken, die das Erfordernis des Verfügungsbewusstseins zur Folge haben soll, sind keineswegs so gravierend, wie die h.M. befürchtet, im Gegenteil, die Grenzfalle sind entweder als Betrug erfassbar, auch wenn am Erfordernis des Verfügungsbewusstseins festgehalten wird, oder schon aus anderen Gründen nicht unter den Betrugstatbestand zu subsumieren. - Zwei Fallgruppen fallen hier ins Auge: trug, 1982, S. 135; KÜPER B.T., S. 365; RENGIER B.T. I, § 13 Rdn. 24. - Konsequent demgegenüber GÖSSEL B.T.2, § 21 Rdn. 130 ff. - Eingehend zur Kritik: PAWLIK Verhalten, S. 236 ff. 321 vgl. dazu auch BGH GA 1987 S. 307; OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923. 3 2 2 S o a b e r GÜNTHER S K n , § 2 6 3 R d n . 8 7 a ; TLEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 118.
323 Vgl. D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1990, S. 95; HANSEN MDR 1975
S. 533 ff; HERZBERG ZStW 89 (1977) S. 369 Fn. 10; JOECKS Zur Vermögensverfügung beim Betrug, 1982, S. 108 f; RANFT Jura 1992 S. 68 ff; - sachlich nahe: MIEHE Unbewußte Verfügungen, 1987, S. 54 ff (Bewußtsein der Vermögensbewegung).
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
aa) Die Unterlassung der Geltendmachung eines Anspruchs 3 4 Fall 1: In Anlehnung an RGSt 65 S. 99: A veräußert für B eine Sache. Es ist vereinbart, dass A dem B den Kaufpreis aushändigen soll. A erlöst DM 200,-, an B führt er als Erlös nur DM 100,- ab. Fall 2: RG HRR 1939 Nr. 1383: A pachtete von B eine Kiesgrube. Der Pachtzins sollte nach der monatlich entnommenen Kiesmenge berechnet werden. A gab diese Menge jeweils zu gering an, daher fordert B jeweils einen geringeren Pachtzins als denjenigen, der ihm nach dem Vertrag zustand. Fall 3: RGSt 76 S. 170: Der mit dem Verkauf von Fahrtausweisen betraute A erklärte bei der Abrechnung wahrheitswidrig, die Kasse stimme. Fall 4: RGSt 70 S. 225: A hatte einen Brandschaden erlitten und von seiner Versicherung Ersatz für den Verlust verschiedener, in einer Liste aufgeführter Gegenstände erhalten. Zwei dieser Gegenstände fand A später unversehrt wieder. Die Versicherung benachrichtigte er davon nicht. 3 5 Wird in der Abrechnungssituation, d.h. in der bewussten Entscheidung, eine bestimmte Abrechnung zu akzeptieren, die Verfügung über die abgerechnete Summe erkannt, so werden in den Fällen der Unterlassung der Geltendmachung von Forderungen kaum unerträgliche Strafbarkeitslücken eröffnet, wenn das Verfügungsbewusstsein als Bestandteil der Vermögensverfiigung gefordert wird. 36 Zutreffend hat HANSEN dargelegt, dass in den Fällen 1 - 3 von einer unbewussten Unterlassung keine Rede sein könne.324 In diesen Fällen liege in der konkreten Abrechnungssituation ein täuschungs- und irrtumsbedingtes Verhalten vor. Die Abrechnung selbst sei nämlich gerade die Verfügung, die stets eine konkrete Entscheidung zum Inhalt habe und die bewusst vorgenommen werde. Unbewusst bleibe nur die Tatsache der Selbstschädigung. 3 7 Im Fall 4 fehlt es hingegen an einer bewussten Entscheidung der Versicherung. Hier ist ein Betrug ausgeschlossen, wenn man ein Verfügungsbewusstsein als Bestandteil der Verfügung fordert. Dass damit aber keine Strafbarkeitslücken auftreten, ist daran zu erkennen, dass in diesem Falle schon die Garantenpflicht zweifelhaft ist und auch die Begründung der Täuschung und des Irrtums auf Schwierigkeiten stoßen, weil hier weniger ein Irrtum erregt oder unterhalten, als vielmehr ein vorhandener Irrtum ausgenutzt wird. Insofern ist es durchaus vertretbar, auch die Verfügung abzulehnen.325 JOECKS kommt zu dem Ergebnis, dass die Unterlassung der Geltendmachung einer Forderung stets als Vermögensverfügung erscheint, da sie immer einen „Umgang mit Vermögen" darstelle.326 Diese Argumentation gerät jedoch in Gefahr, die Möglichkeit des Umganges mit dem Vermögen dem realen Umgang mit dem Vermögen gleichzusetzen. bb) Die Unterschriftsleistung als Vermögensverfügung 3 8 Fall: A war als Provisionsvertreter von Waschmaschinen für X tätig. Er bat den B, der den Kauf einer Waschmaschine abgelehnt hatte, ihm zu bestätigen, dass er, A, ihn, den B, aufgesucht habe. Bei der Unterschriftsleistung hielt A den Bogen so, dass die Unterschrift des B auf ein Formular für den Kaufvertrag einer Waschmaschine kam. Den Vertrag reichte A bei X ein, der den B auf Abnahme einer Waschmaschine in Anspruch nahm. 3 9 Rechtsprechung und h.L. haben die Problematik der Fälle erschlichener Vertragsunterschriften allein in der Schadensfeststellung gesehen und die Unterschriftsleistung unter das Vertragsangebot unproblematisch als Vermögensverfügung interpretiert, weil der Ge-
MDR 1975 S. 5 3 3 ff 325 ZM Diskussion: einerseits GALLAS Eb. Schmidt-FS, S. 421; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 98. 324
Andererseits BOCKELMANN Eb. Schmidt-FS, S. 457 Anm. 45; WELZEL Lb., § 5 4 1 3 . 326 JOECKS Vermögensverfiigung, S. 108 f.
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täuschte damit eine Situation geschaffen habe, die tatsächlich - insbesondere unter Berücksichtigung der Beweissituation - der Eingehung einer Verpflichtung gleichkomme.327 Zuzugestehen ist in diesen Fällen, dass der Getäuschte sich bewusst seiner Unterschrift 40 entäußert hat. Verborgen geblieben ist ihm jedoch der vermögensbezogene Charakter seines Verhaltens. Dieser Vermögensbezug wird allein durch die - dem Getäuschten nicht bewusste - Erklärung hergestellt, unter die die Unterschrift gesetzt wurde. Dadurch entsteht der Schein eines Vertragsschlusses, denn in derartigen Fällen kommt es zu keinem wirksamen - nicht nur anfechtbaren - Vertragsschluss, sondern der Vertrag selbst kommt mangels Erklärungsbewusstseins nicht zustande. Die Situation unterscheidet sich rechtlich daher nicht von jenen Fällen, in denen der Tä- 41 ter später über eine zuvor erschlichene Unterschrift einen Vertragstext setzt oder einen ursprünglich rechtswirksamen Vertrag inhaltlich fälscht. - In diesen zuletzt genannten Fällen stimmen jedoch Rechtsprechung und h.M. darin überein, dass der ursprünglichen Unterschrift kein Verfügungscharakter bezüglich der nun aus dem Vertragstext ersichtlichen Vermögensverfügung zukommt. Es fehlt das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen Vermögensverfügung und Vermögensschaden.328 Doch auch in den Fällen, in denen der Getäuschte seine Unterschrift unter einen Ver- 42 tragstext setzt, ohne sich dessen bewusst zu sein, fehlt es an der Unmittelbarkeit zwischen Unterschriftsleistung und Vermögensschaden. Der Getäuschte hat nur die Möglichkeit zu einer Vermögensschädigung durch eine weitere deliktische Handlung des Täters, nämlich die Vortäuschung eines rechtswirksamen Vertragsschlusses, geschaffen. Erst in diesem weiteren - deliktischen Verhalten gegenüber dem Getäuschten, nämlich der Inanspruchnahme aus dem angeblichen Vertrag, liegt die deliktische Vermögensschädigung. Diese kann sich als Erpressung darstellen, wenn der Getäuschte für den Fall, dass er nicht leistet, damit bedroht wird, er werde mit einem Prozess überzogen, in dem die falsche Urkunde als Beweismittel verwendet wird. Erfolgt eine solche Androhung nicht, so liegt in der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung ein Betrug. Das bedeutet für den Ausgangsfall: 43 1. Möglichkeit: Aufgrund des eingereichten unterschriebenen Vertrages geht X davon aus, dass A einen Vertragsschluss vermittelt hat, er zahlt A eine Provision. Ergebnis: Betrug des A gegenüber X zu eigenen Gunsten (Provision). 2. Möglichkeit: Da B sich weigert, die Waschmaschine abzunehmen, verklagt X den B. Im Termin wird der Vertrag vorgelegt. B wird zur Abnahme und Zahlung verurteilt, da er die Täuschung nicht beweisen kann. Das Urteil wird rechtskräftig. Ergebnis: Betrug des A als mittelbarer Täter (Täuschung) gegenüber B zu Gunsten des X. - Eingehender zum sog. Prozessbetrug unter Rdn. 137 ff. 3. Möglichkeit: Nimmt B die Maschine ab und zahlt, weil A ihm droht, er werde im Prozess den Vertrag vorlegen und als Zeuge aussagen, der Vertrag sei gültig zustande gekommen, so kann auch eine Erpressung, § 253, zu Gunsten des X vorliegen. - Die Verschlechterung der Beweissituation ist ein empfindliches Übel für B, mit dem A droht, um den B zu einer Verfügung - Abnahme der Maschine und Zahlung - zu veranlassen.
327 Dazu BGHSt 22 S. 88; KG JR 1972 S. 28; OLG Köln MDR 1974 S. 157; GÜNTHER SK II, § 263 Rdn. 8 2 ; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 2 4 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 1 R d n . 7 3 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 109; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 24.
328 Dazu OLG Düsseldorf NJW 1974 S. 1833; OLG Celle MDR 1976 S. 66; OLG Hamm wistra 1982 S. 153; vgl. a u c h GÖSSEL B . T . 2, § 2 1 R d n . 190; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 2 6 .
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§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
b) Verfügender und Geschädigter 44 Die Verfügung des Getäuschten kann sein eigenes Vermögen oder das eines anderen betreffen. Daher ist Identität zwischen Getäuschtem und Verfügendem nötig, nicht aber zwischen Verfügendem und Geschädigtem. Jedoch ist nicht jeder Zugriff auf das Vermögen eines Dritten als Vermögensschädigung durch Vermögensverfügung zu interpretieren. Die Möglichkeit des Gewahrsamsbruches des Täters durch Einsatz eines gutgläubigen Werkzeugs ist nicht ausgeschlossen. Allerdings muss der Geschädigte sich bestimmte Verfügungen Dritter als eigene zurechnen lassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Verfügende selbst der Vermögenssphäre des Geschädigten zuzurechnen ist, d.h. wenn er durch den Geschädigten oder durch die Rechtsordnung in eine Position eingesetzt worden ist, aufgrund derer er die Möglichkeit hat, über Vermögen des Geschädigten zu verfügen. Wird er in dieser Situation das Opfer einer Täuschung und trifft eine Verfügung, zu der er sich aufgrund"der Täuschung für berechtigt hält, so muss sich der Vermögensträger diese Verfügung als eigene zurechnen lassen. Der Gewahrsamshüter (Mitgewahrsamsträger oder Gewahrsamsdiener), dessen Aufgabe es ist, den Gewahrsam für den Eigentümer zu bewahren, verfügt daher zu Lasten des Eigentümers, wenn ihm eine Situation vorgespiegelt wird, die - läge sie vor - ihn zu der Verfügung berechtigen würde. - Ist der Getäuschte hingegen in die Sphäre des Täuschenden und nicht in die des Vermögensträgers zu rechnen, so liegt ein Diebstahl in mittelbarer Täterschaft vor.329 45 Zum Teil wird in der Lehre stärker auf die rechtl. Verfügungsbefugnis abgestellt (sog. Befugnis- oder Ermächtigungstheorie). Danach braucht der Geschädigte sich nur solche Handlungen des Verfügenden zurechnen zu lassen, zu denen dieser - ausdrücklich oder stillschweigend - rechtlich wirksam ermächtigt war.330 46 Die Gegenmeinung (sog. Lagertheorie) stellt den tatsächlichen Aspekt in den Vordergrund ihrer Überlegungen. Danach soll es wesentlich darauf ankommen, ob der Getäuschte „innerhalb der Machtsphäre des Berechtigten als dessen Gehilfe und Schützer steht" (SCHRÖDER), ob er „bildlich gesprochen im Lager des Geschädigten steht" (LENCKNER), ob er für den Geschädigten „und an dessen Stelle von einer schon bestehenden Einwirkungsmöglichkeit auf die ihm nahestehende Sache als Folge der Täuschung zum Nachteil des Geschädigten Gebrauch macht" (DREHER).33I
329 Eingehender dazu OFFERMANN-BURCKART Vermögensverfügungen Dritter im Betrugstatbestand, 1994, S. 148 ff, 206 ff; OTTO ZStW 79 (1967) S. 76 ff; PAWUK Verhalten, S. 212 ff; vgl. auch: BGHSt 18 S. 221 (Herausgabe eines Kfz durch einen Garagenwächter); OLG Köln MDR 1966 S. 253 (Herausgabe eines Fahrrades durch Parkplatzwächter); OLG Stuttgart NJW 1965 S. 1930 (Herausgabe des KfzSchlüssels durch Zimmervermieter); OLG Celle NJW 1994 S. 142 mit Anm. KNACK/RADTKE JuS 1995 S. 17 ff (Vertretungs-Verhältnis beim Forderungseinzug); OLG Düsseldorf NJW 1994 S. 3366 (Nichtgeltendmachung einer Forderung durch Gerichtsvollzieher). - Für Idealkonkurrenz zwischen §§ 263, 242 in diesen Fällen: HAAS GA 1990 S. 206. 330 Dazu AMELUNG GA 1977 S. 14; BACKMANN Die Abgrenzung des Betrugs von Diebstahl und Unters c h l a g u n g , 1974, S. 127 f f ; GÜNTHER S K II, § 2 6 3 R d n . 9 3 f f ; JOECKS S t G B , § 2 6 3 R d n . 5 4 ; KINDHÄUSER B e m m a n n - F S , S. 3 6 0 ; KREY B . T . 2, R d n . 4 1 3 ; MITSCH B . T . n / 1 , § 7 R d n . 7 4 ; SAMSON J A 1 9 7 8 S. 5 6 6 ; SCHÜNEMANN G A 1 9 6 9 S. 4 6 ff. 3 3 1 D a z u DREHER J R 1966 S. 2 9 f; DERS. G A 1969 S. 5 6 f f ; GEPPERT J u S 1977 S. 7 2 ; GRIBBOHM N J W 1967 S . 1897; HÄUF B . T . I, S. 125; KÜPER B . T . , S. 3 7 7 f f ; LENCKNER J Z 1966 S. 3 2 1 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 R d n . 6 6 ; SCHRÖDER Z S t W 6 0 ( 1 9 4 1 ) S. 7 0 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 116; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 6 4 1 .
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Betrug
§51
Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 18 S. 221: A, der ehemalige Freund der B, der den Wagen der B wiedelholt mit deren Ein- 4 7 Verständnis aus einer Sammelgarage geholt hat, erscheint nach Auflösung der Freundschaft in der Garage, tut so, als sei alles wie sonst, und fährt mit dem Wagen der B fort. Der Garagenwärter C duldet dies, da er meint, A handele nach wie vor im Einverständnis mit der B. BGH: Vermögensverfiigung des C, die B sich als eigene zurechnen lassen muss. bb) Bei der Haushälterin H des Direktors D erscheint A, gibt sich als Bürobote aus und bittet die H, ihm den 4 8 wertvollen Gehpelz des B auszuhändigen, da D am Abend von der Firma aus ins Theater will und mit der starken Kälte an diesem Tage nicht gerechnet habe. Die arglose H gibt den Pelz heraus. Ergebnis: Verfügung der H, die D sich als eigene zurechnen lassen muss. cc) A verkauft dem B ein an einem Haus stehendes Leitergerüst. Dieses gehört in Wirklichkeit C, während B 4 9 den A für den Eigentümer hält. B fährt das Gerüst gutgläubig ab. Ergebnis: Diebstahl des A in mittelbarer Täterschaft. Kein Betrug, da A nicht Verfügungsbefugter i.S. des §263.
c) Schutzunwürdige Vermögensverfügungen Nach neuerer Auffassung des BGH fallen Dienstleistungen, die üblicherweise gegen Ent- 50 gelt erbracht werden, dann aus dem Schutzbereich des § 263 heraus, wenn diese Dienstleistungen - z.B. Geschlechtsverkehr oder Telefonsex - verbotenen oder unsittlichen Zwecken dienen. Das deutet darauf hin, dass der BGH hier nicht das Vorliegen eines Vermögensschadens bestreiten will, sondern die rechtlich garantierte Handlungsfreiheit begrenzt, d.h. aber, als rechtlich relevante Vermögensverfiigung nur die rechtlich akzeptierte Vermögensverfügung anerkennt.332 Der Vermögensschutz wird damit sozial-ethisch begrenzt. Das ist nicht sachgerecht, denn auch deijenige, der wirtschaftliche Leistungen zu sittenwidrigen Zwecken erbringt, ist unter vermögensrechtlichen Aspekten nicht schutzunwürdig gegenüber Vermögensschädigungen, die auf Täuschung gegründet sind.333 d) Zusammenhang zwischen Täuschung und Verfügung Die Vermögensverfügung muss ihren Grund in dem Irrtum des Getäuschten haben, d.h. sie 51 muss durch den Irrtum veranlasst worden sein (Motivationszusammenhang).334 Ob der Irrende auch ohne Täuschung verfügt hätte, ist irrelevant, wenn er infolge der Täuschung verfügt hat. BGHSt 13 S. 13: Der Referendar A nahm im Gerichtszimmer auf dem Richterstuhl sitzend bei B ein Dar- 5 2 lehen auf, indem er B vorspiegelte, er könne es aufgrund des Eingangs einer größeren Summe demnächst zurückzahlen. - Dies war unwahr. B erklärte aber später, auch ohne diese Erklärung hätte er einer Amtsperson ein Darlehen gegeben. BGH: Verfügung des B beruhte auf Täuschung, nur das ist relevant. Hypothetische Überlegungen haben daneben keinen Raum.
3 3 2 v g l . B G H J Z 1987 S. 6 8 4 mit abl. A n m . OTTO J K 88, S t G B § 2 6 3 / 2 3 , u n d zust. A n m . TENCKHOFF J R
1988 S. 126 ff; BGH wistra 1989 S. 142; OLG Hamm NStZ 1990 S. 342 mit Anm. WÖHRMANN S. 3 4 2 f; BERGMANN/FREUND J R 1988 S. 189 ff; DIES. J R 1991 S. 3 5 7 ff; HECKER JUS 2 0 0 1 S. 2 2 9 ; LACKNER L K , 10 A u f l . , § 2 6 3 R d n . 2 4 2 ; MITSCH B.T. n / 1 , § 7 R d n . 41; OTTO J u r a 1 9 9 3 S. 4 2 5 f.
333 v g l . dazu KG NJW 2001 S. 86 mit Anm. OTTO JK 01, StGB § 263/59; OTTO Jura 1993 S. 424 ff. - Zur Gegenansicht: HECKER JuS 2001 S. 231 f. 3 3 4 B G H N S t Z 1999 S. 5 5 8 m i t A n m . OTTO J K 00, S t G B § 2 6 3 / 5 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n . 54; PAWLIK Verhalten, S. 2 4 9 f; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 122; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 5 2 2 f.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
4. Der Vermögensschaden a) Vermögen und Vermögensschaden 53 Die Vermögensverfügung muss zur Minderung des Vermögens geführt, d.h. einen Vermögensschaden begründet haben. Die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs und damit auch die des Begriffs des Vermögensschadens sind jedoch streitig. aa) Personaler Vermögensbegriff 54 Der oben - § 38 Rdn. 3 ff - entwickelte personale Vermögensbegriff sieht Vermögen als eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Diese konstituiert sich in den von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden, weil sie Gegenstand eines Rechtsgeschäfts „Tausch gegen Geld" sein können - Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich. Ein Vermögensschaden liegt nicht schon im Verlust eines Vermögenswertes, sondern die Vermögensminderung ist nur - und immer dann - Vermögensschaden, wenn der mit der Vermögensminderung erstrebte wirtschaftliche Erfolg nicht erreicht wird.335 bb) Wirtschaftlicher Vermögensbegriff 55 Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre vertreten den sog. wirtschaftlichen Vermögensbegriff: Vermögen ist die Summe aller wirtschaftlichen (geldwerten) Güter einer Person nach Abzug der Verbindlichkeiten. - Ein Vermögensschaden liegt in der Minderung der Wertsumme, doch wird diese Minderung nicht - dem objektiven Ausgangspunkt dieser Vermögenslehre entsprechend - objektiv bestimmt, sondern objektiv-individuell, d.h. aus der Sicht des Betroffenen, doch unter Berücksichtigung „objektiver Maßstäbe wirtschaftlicher Vernunft".336 - Eine Variante des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs ist der sog. dynamische Vermögensbegriff.337 Seinen Vertretern geht es darum, die Vereitelung eines Vermögenszuwachses in größerem Maße als es der Rechtsprechung möglich ist, der Vermögensschädigung gleichzusetzen. cc) Juristischer Vermögensbegriff 56 Den Gegensatz zum wirtschaftlichen Vermögensbegriff bildete der sog. juristische Vermögensbegriff, der das Vermögen als Summe der Vermögensrechte und Vermögens335 Eingehend dazu ALWART JZ 1986 S. 564 f; BOCKELMANN B.T./1, § 11 A N 3 e, cc; D. GEERDS Wirts c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 125 f f ; DERS. J u r a 1994 S . 3 1 1 ; HARDWIG G A 1956 S. 17 ff; HEINITZ J R 1 9 6 8 S. 3 8 7 f; LABSCH JUS 1981 S. 4 7 ; MAIWALD N J W 1981 S. 2 7 8 0 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T. 1, § 41 Rdn. 113 ff; OTTO Struktur, S. 34, und dazu MAIWALD MschrKrim 1972 S. 194; SCHMID-
HÄUSER B.T., 11/1 - 4. Gegen das Kriterium der Zweckverfehlung: GÖSSEL B.T. 2, § 21 Rdn. 172; GRAUL B r a n d n e r - F S , S. 8 0 1 f f ; JORDAN J R 2 0 0 0 S. 133 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 3 2 9 f f ;
SCHMOLLER JZ 1991 S. 119 ff; TIEDEMANN LK, Vor § 263 Rdn. 33. Sie bestreiten letztlich die Mög-
lichkeit der Abgrenzung wirtschaftlicher Zwecke zu sonstigen subjektiven Zwecksetzungen, übersehen aber, dass die wirtschaftliche Zielsetzung bereits in der Bestimmung wirtschaftlicher Güter - auch im Rahmen des wirtschaftlichen und juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs - konstitutive Bedeutung hat. - Der personalen Vermögenslehre nahe steht der funktionale Vermögensbegriff von WEIDEMANN - Das Kompensationsproblem beim Betrug, Diss. Bonn 1972, dazu insbes. S. 199 ff - und die Konzeption von JAKOBS JuS 1977 S. 228 ff.
336 Dazu RGSt 16 S. 1; 44 S. 233; BGHSt 1 S. 264; 16 S. 220; KG NJW 2001 S. 86; ARZT/WEBER B.T., § 2 0 R d n . 15; KREY B . T . 2, R d n . 4 2 8 , 4 3 3 ; TRONDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 2 7 ; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 5 3 4 f. 3 3 7 D a z u ESER G A 1 9 6 2 S. 2 8 9 ff; MOHRBOTTER G A 1 9 6 9 S. 2 2 7 ff.
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pflichten einer Person erfasste und den Schaden allein im Rechtsverlust sah.338 . E j n e deutliche Hinwendung zum juristischen Vermögensbegriff findet sich in den neuesten vorgetragenen Konzeptionen des Vermögens als „vergegenständlichter Handlungsfreiheit" (PAWLK) und als „Summe der übertragbaren Rechte" (KINDHÄUSER)»' dd) Juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der heute h.L. entspricht der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff: Er stimmt im 57 Ausgangspunkt mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff überein, begrenzt aber den Bereich des geschützten Vermögens. Vermögen ist danach die Summe der wirtschaftlichen Güter einer Person, über die diese „rechtliche Verfügungsmacht" hat (NAGLER), die ihr „unter dem Schutz der Rechtsordnung" (WELZEL) oder wenigstens „ohne deren Missbilligung" (GALLAS) zu Gebote stehen, bzw. die sie „unter Billigung der rechtlichen Güterordnung innehat" (CRAMER).340 - Die Unterschiede zwischen den einzelnen Spielarten dieser Vermögenslehre werden relevant beim Betrug um Besitz, den das Opfer der Tat selbst rechtswidrig erlangt hat, bei der Verfolgung rechtswidriger Zwecke mit Hingabe des Vermögensobjekts und beim Betrug um sog. nichtige Forderungen.341 In einzelnen Entscheidungen hat auch die Rechtsprechung die Prämissen des juristisch-wirtschaftlichen 5 8 Vermögensbegriffs anerkannt, so z.B. bei Beweismittelverschaffung für Tilgung einer nichtbestehenden Forderung (BGHSt 20 S. 136); Lösegeld für Rückgabe der Beute aus Diebstahl (BGHSt 26 S. 346); Arbeitsleistung ohne Rechtsanspruch auf Entgelt (BGHSt 31 S. 178); kriminell eingesetzte Arbeitsleistung (BGH wistra 2001 S. 340); Dirnenlohn, Telefonsex.342
b) Zur Auseinandersetzung aa) Personaler und wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der personale Vermögensbegriff gewährleistet - wie unter § 38 Rdn. 3 ff gezeigt - den um- 59 fassenden Schutz der Entfaltung des Rechtssubjekts im wirtschaftlichen Bereich. Da er das Vermögenssubjekt nicht aus der Definition des Vermögensbegriffs ausspart, bietet er ein in sich geschlossenes theoretisches Gefüge. Der wirtschaftliche Vermögensbegriff hingegen, der keineswegs für sich in Anspruch nehmen kann, ein wirtschaftswissenschaftlich gebildeter Begriff zu sein, sondern vielmehr seinen Ursprung in laienhaften Vorstellungen vom „Wirtschaften" hat, kann die behauptete objektive Bestimmung des Vermögens und des Vermögensschadens nicht durchhalten. Auch der wirtschaftswissenschaftliche Wertbegriff wurde ursprünglich vom objektiven Tauschwert her be- 6 0 stimmt. Heute hat sich hier weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Wert einer Sache aus der Be-
338 Dazu BlNDING B.T. I, S. 238, 341; MERKEL Kriminalistische Abhandlungen N, 1867, S. 101, 199; NAUCKE Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 215. 3 3 9 V g l . d a z u PAWLIK V e r h a l t e n , S. 2 6 3 f f ; KINDHÄUSER B T . U/1, § 1 R d n . 10; DERS. N K , § 2 6 3 R d n . 4 8 ;
vgl. auch KARGL JA 2001 S. 716 f.
340 D ^ CRAMER Vermögensbegriff und Vermögensschaden im Strafrecht, 1968, S. 100 ff; FOTH GA 1966 S. 4 2 ; FRANZHEIM G A 1960 S. 2 7 7 ; GALLAS Eb. S c h m i d t - F S , S. 4 0 9 ; GÖSSEL B . T . 2, § 2 1 R d n . 120 f f ; GÜNTHER S K II, § 2 6 3 R d n . 112 f f ; KÜPER B.T., S. 3 3 9 , 3 4 1 ; LENCKNER J Z 1 9 6 7 S . 107; MITSCH B . T . H/1, § 7 R d n . 8 4 ; NAGLER Z A k D R 1941 S. 2 9 4 ; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 5 5 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 R d n . 82; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 132; WELZEL L b . , § 5 4 1 4 ; ZIESCHANG
Hirsch-FS, S. 837 ff. - Als zivilrechtlich konstituiertes und bilanzrechtlich konkretisiertes Herrschaftsprinzip präzisiert und objektiviert HEFENDEHL - Vermögensgefährdung und Expektanzen, 1994, S. 115 ff, 166 ff - den Vermögensbegriff. 341 Dazu weiter unter Rdn. 81, sowie OTTO Struktur, S. 292 ff. 342 Vgl. dazu auch TIEDEMANN BGH-FG, S. 558.
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Ziehung des Subjekts zu einem Objekt herrührt. „Der Wert einer Sache ist keine dieser Sache anhaftende Eigenschaft ..., sondern die Auffassung eines Subjekts über die Nützlichkeit eines Objekts."343
61 Es ist schlicht unmöglich, den Vermögensschaden bei Verlust eines Vermögensgutes objektiv zu bestimmen. Das gleiche Vermögensgut hat in der Hand verschiedener Vermögenspersonen einen unterschiedlichen Wert, so z.B. in der Hand des Herstellers, des Großhändlers, des Kleinhändlers und des Endverbrauchers. Wollen die Anhänger des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs daher nicht zu unsinnigen Ergebnissen gelangen, so müssen sie in Grenzfällen einen „individuellen Schadenseinschlag" konzedieren. Wann aber das Zugeständnis gemacht wird, bleibt letztlich dem Gutdünken des Rechtsanwendenden überlassen. Eine erhebliche Rechtsunsicherheit ist die Folge, auch wenn durchaus nicht übersehen werden kann, dass die Zufälligkeit, die durch die weitgehend ins Ermessen des Richters gestellte Berücksichtigung individueller Interessen gegeben ist, durch die Rechtsprechung in jahrzehntelangen Bemühungen erheblich begrenzt wurde. So ist es auch verständlich, dass gerade in Extremfällen Übereinstimmung besteht. 62 Darüber hinaus versagt der wirtschaftliche Vermögensbegriff vollkommen bei der Bestimmung des Vermögensschadens dann, wenn ein bestimmtes Vermögensobjekt keinen anerkannten Marktpreis hat, sondern der Preis des Objekts gerade durch Angebot und Nachfrage gebildet werden soll (Zuschlagspreis bei Auktionen), oder wenn eine Vermögensschädigung nicht im Rahmen eines Austauschgeschäftes, sondern bei einseitigen Leistungen in Betracht kommt. 63 Anerkannt ist daher durchaus, dass allein der personale Vermögensbegriff in den Fällen einseitiger Leistungsverhältnisse, z.B. bei der Zahlung von Subventionen usw., den Vermögensschaden ohne Hilfe dubioser Konstruktionen erklären kann. Auch die Rechtsprechung und die h.L. bedienen sich in diesen Fällen schlicht des personalen Vermögensbegriffs, ohne dies aber ausdrücklich zuzugestehen.344 64 Dennoch wird gegen die allgemeine Anerkennung der personalen Vermögenslehre vorgebracht: „diese auf den ersten Blick bestechende, geradezu anthropologische Vermögensauffassung übersieht, dass der private Wirtschaftler keineswegs auf die Erreichung bestimmter Zwecke, ja nicht einmal auf rationales Wirtschaftsverhalten festgelegt ist. Ein der Leistung vom privaten Leistenden beigelegter Zweck ist willkürlich, austauschbar und rücknehmbar. Er ist überdies als bloße Motivation des Leistenden für den Leistungsempfänger nicht immer einzusehen und stellt daher den Nachweis von Vorsatz und Bereicherungsabsicht vor grundsätzliche Schwierigkeiten". Daher eigne sich der personale Vermögensbegriff für die Schadensbestimmung beim Subventionsbetrug, bei dem es um öffentliche Mittel gehe, nicht aber dann, wenn die Bewertung privater Ausgaben in Rede stehe.3« 65 Hier wird übersehen, dass auch im privaten Handeln der Zweck der Vermögensverfügung festgelegt ist, denn nur deshalb kommt die Verfügung zustande. Dieser Zweck ist aber der allein maßgebliche und nicht ein irgendwie - je nach den Umständen - austauschbarer Zweck. Er wird durch Täuschung und Irrtum nicht nur konkretisiert, sondern 343 JACOB Das Wirtschaftsstudium 1972 S. 3.
344 Dazu BGHSt 19 S. 37, 45; 19 S. 206: Erlangung von Bezugsrechten für Aktien: Schaden liegt in der zweck- und sinnlosen Fehlleitung der verfügbaren Mittel. - BGH NJW 1982 S. 2453: Investitionszulage. - BGH NJW 1992 S. 2167: Schenkung. - BGHSt 38 S. 186; BGH StV 2001 S. 516 f: Abgabe von Angeboten, die auf verbotenen Submissionsabsprachen beruhen; dazu vgl. auch unter Rdn. 82; CRAMER Veimögensbegriff, S. 202 ff, 210; GALLAS Eb. Schmidt-FS, S. 435; TIEDEMANN LK, Vor § 263
Rdn. 30.
345 Vgl. TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Bd. 2,1976, S. 99 ff.
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ausdrücklich vom Täter des Betrugs zum Gegenstand seines Tatverhaltens gemacht. Das Opfer der Täuschung macht ihn sich in seiner Verfügung zu eigen. Der subjektive Ausgangspunkt der personalen Vermögenslehre bedeutet auch keine Gefahr für die Ausdehnung des Schutzobjekts über den Vermögensschutz hinaus. Durch den Bezug auf das wirtschaftliche Gut im Vermögensbegriff und die wirtschaftliche Zweckverfehlung bei der Schadensberechnung ist gewährleistet, dass der subjektive Einschlag nicht über den Vermögensschutz hinaus zum Schutz bloßer Dispositionsfreiheit führt.346 Nicht ohne weiteres abzutun ist hingegen die Überlegung, dass der personale Vermögensbegriff heute noch nicht so durchgearbeitet ist, dass alle Probleme, die mit der Personalisierung des Vermögensbegriffs verbunden sind, in ihrer Bedeutung schon voll abgeschätzt werden können.347 Gleichwohl sollte die Erörterung der bisher bekannten problematischen Fälle gezeigt haben, dass dieser Begriff aufgrund seines theoretischen Fundaments ein weit höheres Maß an Rechtssicherheit gewährleistet, als es h.M. und Rechtsprechung in immer neuen Einzelfallentscheidungen bisher erreichen konnten.348 bb) Personaler und juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff muss - soweit er auf dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff aufbaut - dessen Mängel übernehmen. Seine Bedeutung liegt daher auch nicht in der Präzisierung des Vermögensbegriffs, ihm geht es vielmehr darum, bestimmte rechtlich dubiose, wirtschaftlich aber relevante Positionen (rechtswidriger Besitz, sog. nichtige Forderungen), aus dem Schutzbereich der Vermögensdelikte zu entfernen. Damit aber setzt er sich in Gegensatz zu seinen wirtschaftlichen Prämissen, so dass die entscheidende Grenzziehung vage bleibt. In Einzelfällen (z.B. Anerkennung des rechtswidrig erlangten Besitzes als Vermögensgut) entscheiden seine Vertreter daher durchaus abweichend voneinander. c) Vermögensschaden und Schadensersatzanspruch aus dem Delikt Der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch, den das Opfer aufgrund des deliktischen Verhaltens des Täters erlangt, kann niemals den Eintritt des Vermögensschadens verhindern. Er ist Folge des Schadens, verhindert aber nicht den Eintritt des Schadens! d) Vermögensgefahrdung und Vermögensschaden Auch eine „konkrete" Vermögensgefährdung kann begriffsnotwendig als solche niemals ein Vermögensschaden sein, denn die Gefahr eines Schadens ist nicht identisch mit dem eingetretenen Schaden. Es widerspricht daher eklatant dem Grundsatz der Gesetzesbestimmtheit, Art. 103 Abs. 2 GG, wenn die h.M. eine konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensschaden i.S. des § 263 interpretiert. Hingegen kommt der konkreten Gefahr, dass eine geschuldete Leistung nicht erbracht oder eine nicht bestehende Forderung mit rechtswidrigen Mitteln durchgesetzt wird, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise Bedeutung für die Bestimmung des realen Wertes des Vermögens zu. Hier wird berücksichtigt, dass der Wert eines Vermögens, auch wenn der Vermögensträger die Vermögensob346
347 348
Dazu WEIDEMANN Kompensationsproblem, S . SO LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 124.
118.
Eingehend zur Entwicklung und Auseinandersetzung: O T T O Struktur, S. 2 6 - 8 4 . - Zu den Grenzen der objektiv-individuellen Schadensberechnung D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 130 ff. - Zu Einzelfällen der Untauglichkeit des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs zur Bestimmung eines rechtlich relevanten Vermögensschadens vgl. darüber hinaus: O T T O Zahlungsverkehr, S. 17 ff (Hingabe eines Finanzwechsels als Warenwechsel); DERS. NJW 1979 S. 6 8 4 f (durch Täuschung beeinflusster Zuschlag bei Auktionen); DERS. GRUR 1979 S. 100 f (sog. Adreßbuchschwindel).
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jekte noch in der Hand hat, vermindert ist, wenn andere - sei es auch juristisch anfechtbar derart Verfügungsmacht über Teile des Vermögens begründet haben, dass sie jederzeit nach ihrem Willen die Verfügung treffen können oder wenn der Vermögensträger trotz juristisch intakter Verfügungsmacht keine Möglichkeit hat, seine Forderung zu realisieren. - Das bedeutet: Ein Vermögensschaden kann sowohl in der Minderung des Bestandes an Vermögensobjekten als auch in der Minderung ihres Wertes liegen. M.a.W.: auch die vermögenswertmindernde Vermögensgefährdung begründet einen echten Vermögensschaden. Keineswegs ist die relevante Vermögensgefahrdung nur schadensgleich. 3 4 9 71 Beispiel 1: A hat eine Forderung gegen B in Höhe von DM 100 000,-. Bei Fälligkeit der Forderung kann B nicht zahlen, da seine wirtschaftlichen Verhältnisse schlecht sind. Es besteht aber Hoffnung, dass diese Verhältnisse sich in absehbarer Zeit bessern. Nach kaufmännischen Grundsätzen schreibt A die Forderung zur Hälfte ab. Gefährdet ist die Rückzahlung der Forderung. Da diese Gefahr aber - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - zu einem Wertverlust der Forderung geführt hat, ist das Vermögen des A in Höhe des Wertverlustes geschädigt. 7 2 Beispiel 2: A schuldete dem B 10.000,- DM. Diese Schuld beglich er, vergaß aber, sich den Schuldschein zurückgeben zu lassen. Nunmehr fordert B unter Vorlage des Schuldscheins die Zahlung von 10.000,- DM. Ergebnis: Eine Forderung gegen A ist nicht begründet. Die Belastung mit der nicht oder schwer widerlegbaren Forderung bedeutet aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Vermögensminderung und damit einen Vermögensschaden. Beispiel 3: A schuldet dem B 10.000,- DM. Da A nicht zahlt, hat B einen Vollstreckungstitel erwirkt. Durch Täuschung verhindert A die Vollstreckung. Diese wäre aber erfolglos gewesen, weil A inzwischen vermögenslos ist. Ergebnis: Kein Vermögensschaden des B durch Verhinderung der Vollstreckung; vgl. auch BGH wistra 2001 S. 338. 7 3 Rechtsprechung und Literatur benutzen den Begriff der konkreten Vermögensgefährdung, die einem Vermögensschaden gleich sein soll, demgegenüber zum Teil undifferenziert und dehnen damit in Einzelfällen den Anwendungsbereich des § 263 über seinen Wortlaut hinaus aus.350 Konsequent durchdacht macht diese Auffassung das Merkmal der Vermögensverfügung überflüssig. 351 Zur
Verdeutlichung
7 4 aa) BGHSt 16 S. 321: A verkauft dem Bauern B eine Melkmaschine, an die drei Kühe angeschlossen werden können. Die Maschine kostet den üblichen Preis. 1. Alternative: B hat 10 Kühe und A hatte dem B versichert, an die Maschine könnten alle 10 Kühe zugleich angeschlossen werden. Eine Maschine für nur drei Kühe erleichtert die Arbeit des B nicht wesentlich. 2. Alternative: B hat nur 3 Kühe. Da A dem B aber vorgeschwindelt hatte, die Maschine sei aufgrund einer Einführungsaktion einmalig günstig im Preis, nahm B, um die Maschine erwerben zu können, ein Darlehen zu hohen Zinsen auf.
349 Vgl. dazu HEFENDEHL Vermögensgefährdung, S. 52 ff; HIRSCH Tröndle-FS, S. 32, OTTO Jura 1991 S.
494 ff; DERS. Lackner-FS, S. 723; TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 168 ff; WABMER Untreue bei Risikogeschäften, 1997, S. 131 ff. 350 Vgl. zuletzt BGH wistra 1991 S. 307; BGH NStZ 1992 S. 233; BGH wistra 1993 S. 340; Übersicht bei GÜNTHER SK II, § 263 Rdn. 166; RIEMANN Vermögensgefährdung und Vermögensschaden, 1989, S. 28
ff; im übrigen vgl. OTTO Jura 1991 S. 494 ff; DERS. JZ 1993 S. 657 f. 351 Vgl. dazu PUPPE MDR 1973 S. 12 f; RIEMANN Vermögensgefährdung, S. 44 ff; SCHMIDHAUSER Trönd-
le-FS, S. 305 ff; dazu auch HANSEN Jura 1990 S. 510 ff. 238
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3. Alternative: Wie in der 2. Alternative, doch musste B seine Lebensführung erheblich einschränken, um seinen Verpflichtungen aus dem Kauf der Maschine nachkommen zu können. BGHSt 16 S. 321: „Wer sich aufgrund einer Täuschung zu einer Leistung verpflichtet und dafür eine gleichwertige Gegenleistung erhalten soll, ist allein durch die Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht ohne weiteres im Sinne des Betrugstatbestandes an seinem Vermögen geschädigt. Ein Vermögensschaden ist in diesem Fall nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten. Diese können insbesondere dann vorliegen, wenn der Erwerber (a) die angebotene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann oder (b) durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder (c) infolge der Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfügen kann, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschaftsoder Lebensführung unerlässlich sind." Diese Begründung des Schadens in der 2. und 3. Alternative ist im Rahmen des Betrugstatbestandes angreifbar. Schaden und erstrebte Bereicherung müssen sich nämlich derart entsprechen, dass der Schaden gleichsam als Kehrseite der Bereicherung erscheint. Dies sind sie aber - entgegen der Ansicht der BGH - in der 2. und 3. Alternative keineswegs. A ist weder um die Darlehenszinsen noch um den Differenzaufwand zur Bestreitung angemessener Lebenshaltungskosten bereichert, sondern um die erlangte Geldsumme aus dem Verkauf der Maschine. Dass durch die Herausgabe der Geldsumme weitere Schäden begründet wurden, ist im Rahmen des Betrugstatbestandes irrelevant. Diese Schädigungen führten zu keiner weiteren Bereicherung. - Zum Problem der Entsprechung von Schaden und Bereicherung vgl. weiter unter Rdn. 90. Im Denkschema der personalen Vermögenslehre ist die Begründung des Schadens in allen drei Alternativen unproblematisch: 1. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil der übereinstimmend zugrunde gelegte wirtschaftliche Zweck: Möglichkeit, 10 Kühe zugleich zu melken, nicht erreicht werden kann. 2. und 3. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil übereinstimmend zugrunde gelegter wirtschaftlicher Zweck: Möglichkeit ein Wirtschaftsgut zu besonders günstigem Preis zu erwerben, nicht erreicht wurde. Der Kaufpreis entsprach der üblichen Kalkulation. Die Bereicherung entspricht demnach in allen drei Alternativen dem Schaden: Der Täter ist um den Kaufpreis bereichert, das Opfer ist des Kaufpreises verlustig gegangen. bb) OLG Köln NJW 1979 S. 1419: A arbeitete als Zeitschriftenwerber. Der B erklärte er, der Nettogewinn 7 5 eines Zeitschriftenabonnements für ein Jahr komme entlassenen Strafgefangenen, die mit Rauschgift zu tun gehabt hätten, zugute. Daraufhin abonnierte B die Zeitschrift, weil sie diese Verwendung unterstützen wollte. OLG Köln: Dass in Wirklichkeit ein vorgetäuschter sozialer Zweck verfehlt wird, reicht für den Betrugstatbestand noch nicht aus, wenn die Zeitschrift nicht mehr kostet als sonst und wenn der Getäuschte genügend Geld dafür hat und sie brauchen kann. Nach dem personalen Vermögensbegriff ist hier zumindest ein Teil des von der B auch erstrebten sozialen und damit wirtschaftlichen Zweckes nicht realisiert worden. Daher lag ein Vermögensschaden vor. 352 cc) BGH StV 1991 S.418: A bestellte Waren, die erst nach der Lieferung zu bezahlen waren, obwohl er 7 6 wusste, dass er weder zahlungswillig noch -fähig sein würde. BGH: Betrug, wenn A seine Zahlungsunfähigkeit sicher kannte, nicht aber, wenn er nur in geschäftlichen Schwierigkeiten war. 353 dd) BayObLG JR 1974 S. 336 mit Anm. LENCKNER S. 337 ff: A gab unter Vorspiegelung seiner Zah- 7 7 lungsfähigkeit sein Kraftfahrzeug zur Reparatur. Er war nicht zahlungsfähig. 352 $ 0 a u c h OLG Düsseldorf wistra 1990 S. 200. - Hingegen begründet die Täuschung über den Einsatz beruflich tätiger Werber für einen gemeinnützigen Zweck keinen Vermögensschaden; vgl. dazu BGH N J W 1995 S. 5 3 9 mit A n m . DEUTSCHER/KÖRNER JUS 1996 S. 2 9 6 f f , OTTO J K 95, S t G B § 2 6 3 / 4 3 ,
RUDOLPH! NStZ 1995 S. 289 f. 353 Vgl. auch BGH wistra 1992 S. 143; wistra 1998 S. 177.
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BayObLG: Das Untemehmerpfandrecht hindert den Eintritt des Vermögensschadens nicht. Dem ist nicht zu folgen, wenn das Untemehmeipfandrecht die Forderung deckt und mühelos verwertet werden kann. 354 - Gleiches würde gelten, wenn der Anspruch des Unternehmers durch eine andere Sicherheit gedeckt wäre, aus der er sich in vollem Umfang befriedigen könnte.355 7 8 ee) BGH JR 1990 S. 517: A verkauft eine Sache, die dem B gehört und die A unterschlagen hat, an den gutgläubigen C. BGH: Auch deijenige, der gutgläubig eine Sache erworben hat, kann im Sinne des Betrugstatbestandes geschädigt sein. „In solchen Fällen hängt die Beantwortung der Frage, ob eine schadensgleiche Vermögensgefährdung eingetreten ist, davon ab, ob der Erwerber nach den Umständen des Einzelfalles mit der Geltendmachung eines Herausgabeanspruches oder mit sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hatte. Die Identifizierung einer vagen Gefährdung mit einem Vermögensschaden überzeugt nicht. Maßgeblich ist auch hier, ob unter den konkreten Umständen der Entzug des Objekts im Prozess wahrscheinlich ist. Dann allerdings ist die erlangte Position wirtschaftlich weniger wert als diejenige, die vertraglich einzuräumen war.35® 7 9 ff) OLG Köln MDR 1972 S. 884: A versprach dem B, ihm gegen Zahlung von DM 20,- eine Prostituierte zum Geschlechtsverkehr zu verschaffen. B zahlte, A war aber von vornherein nicht leistungswillig. OLG: Der Verlust des Geldes stellt einen Schaden dar, da es kein rechtlich gegen Betrug ungeschütztes Vermögen gibt. Vom personalen Vermögensbegriff her ist dem zuzustimmen.357 - A.A. z.T. die Anhänger des juristischwirtschaftlichen Vermögensbegriffs, mit dem Hinweis, der Getäuschte kenne die Unverbindlichkeit und schädige sich daher bewusst selbst.358 8 0 gg) BGH JZ 1987 S. 684: A veranlasste die Prostituierte P durch Versprechen eines beachtlichen Entgelts zur Vornahme des Geschlechtsverkehrs mit ihm. Anschließend verweigerte er die Zahlung. BGH: Keinen Betrug begeht, wer die Prostituierte um den Lohn für verbotene oder sittenwidrige Handlungen prellt.35® Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Einsatz von Arbeitskraft in einem Bereich, der üblicherweise und nach der Abmachung der Beteiligten gegen eine Geldleistung erfolgt, ist eine geldwerte Leistung. Mit der Erbringung dieser Leistung erleidet die P daher einen Schaden.360 8 1 hh) Abwandlung von gg): A fasst den Plan, nicht zu zahlen, erst nach dem Geschlechtsverkehr und entlohnt die P mit Falschgeld. Ergebnis: Die Arbeitsleistung hatte P nicht aufgrund einer Täuschung erbracht. Ein Rechtsanspruch der P gegen A auf Zahlung des vereinbarten Lohnes war jedoch nicht entstanden, § 138 Abs. 1 BGB. Es bestand allein die Möglichkeit, durch Einsatz rechtswidriger Mittel (z.B. Gewalt) wirtschaftliche Güter zu erlangen. Der Ausschluss sog. nichtiger Forderungen aus dem Kreis der Vermögensobjekte hat auch nicht zur Folge, dass wertvollen Wirtschafitsgütem der Schutz versagt wird, vielmehr wird nur verhindert, dass die Möglich354 Vgl. dazu auch BGH wistra 1985 S. 24. 355 Vgl. dazu auch BGH wistra 1992 S. 142; BGH wistra 1993 S. 265; BGH StV 1995 S. 254; BGH StV 1997 S. 416; BGH wistra 2000 S. 350. - Eingehend dazu OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 102 ff. 356 Eingehender dazu OTTO JK 91, StGB § 263/33. 3 5 7 Vgl. OTTO Struktur, S. 2 9 2 f f , SCHMIDHÄUSER B.T., 11/31. 3 5 8 v g l . einerseits: KÜHL J u S 1989 S. 5 0 8 f; KÜPER B.T., S. 3 4 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n . 35; TIEDE-
MANN LK, § 263 Rdn. 138; ZLESCHANG Hirsch-FS, S. 845 f; andererseits: CRAMER Vermögensbegriff, S. 9 4 ff; DERS. J u S 1966 S. 4 7 6 f; RENZIKOWSKI G A 1 9 9 2 S. 175.
359 So auch die Vertreter der juristisch-wirtschaftlichen Vermögenslehre; vgl. z.B. TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 138; SCH/SCH/CRAMER § 263 Rdn. 97. - Dazu vgl. auch Rdn. 50. 3 6 0 V g l . a u c h B G H N J W 2 0 0 1 S. 9 8 1 ; HAFT B.T., § 2 7 II 2 d; HEINRICH G A 1997 S. 2 4 f f ; KREY B . T . 2, R d n . 4 3 9 ; SCHMIDHÄUSER B . T . 11/31; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 2 9 b.
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keit, sich durch strafbares Verhalten Vermögensgüter zu verschaffen, in den Rang eines Wirtschaftsgutes erhoben wird. 361 ii) BGHSt 38 S. 186: Bei einer öffentlichen Ausschreibung verabredeten A, B und C, Angebote so ab- 8 2 zugeben, dass das Angebot von A das billigste war. A erhielt den Zuschlag. Sein Angebot lag unter dem Marktpreis, doch wäre ohne die Absprache ein noch billigeres Angebot erfolgt. BGH: Vermögensschaden des Auftraggebers, denn bei ordnungsgemäßem Verhalten hätte er dieselbe Leistung zu einem billigeren Preis erhalten. Dem ist aus der Sicht der personalen Vermögenslehre vorbehaltlos zuzustimmen. Mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff ist dieses Ergebnis kaum in Einklang zu b r i n g e n . 3 ® jj) OLG Karlsruhe NStZ 1990 S. 282: Durch Täuschung verhindert A die Vollstreckung einer gegen ihn 83 rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe. OLG: Kein Schaden des Staates im Sinne des § 263. 363 Dem kann nicht gefolgt werden. Der Staat erleidet zwar einen Schaden, wenn die Geldstrafe nicht eingebracht wird, doch § 258 Abs. 5 steht als Spezialregelung einer Bestrafung aus § 263 entgegen.364 kk) BGH StV 1985 S. 189: Der zahlungsunfähige A veranlasste die Bank B zur Eröffnung eines unwi- 8 4 derruflichen Akkreditivs zugunsten des D. BGH: Schaden mit Eröffnung des Akkreditivs entstanden, da die Bank dem Begünstigten gegenüber wie aus einem abstrakten Schuldversprechen haftet. Dem ist zuzustimmen. Ein Akkreditiv, als vertragliche Verpflichtung einer Bank für Rechnung ihres Auftraggebers innerhalb einer bestimmten Zeit unter bestimmter Voraussetzungen (Einreichung bestimmter Dokumente) Zahlung zu leisten, ist eine reale Belastung des Vermögens der Bank, da es allein von dem Dritten abhängt, ob die Forderung realisiert wird oder nicht. 11) A, der zu einer Verkaufsmesse fahrt, täuscht seinen Konkurrenten B über das Datum der Messe. B er- 8 5 scheint nicht, A hat den doppelten Umsatz. Ergebnis: Kein Betrug des A. Die Aussicht, dass bestimmte Kunden bei B kaufen, ist nicht Vermögensbestandteil des B. Ihm gehören die Kunden nicht. Nach allgemeiner Meinung gehören bloße Hoffnungen auf Gewinn, unsichere Exspektanzen nicht zum Vermögen. Sind diese allerdings so verfestigt, dass der Geschäftsverkehr ihnen bereits einen wirtschaftlichen Wert beimisst, so sollen sie als Vermögensgut nach h.M. anerkannt werden, wobei letztlich auf die „Wahrscheinlichkeit der Gewinnrealisierung" abgestellt wird.365
361 Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 51 ff; zur Gegenansicht vgl. KREY B.T. 2, Rdn. 438,430. Im übrigen vgl. BGH wistra 2001 S. 340 im Gegensatz zu BGHSt 2 S. 364. 362 z u r Auseinandersetzung: BGH StV 2001 S. 514, 515 f; ACHENBACH NStZ 1993 S. 428 f; CRAMER N S t Z 1 9 9 3 S. 4 2 f; D . GEERDS D W i R 1 9 9 2 S. 120 ff; GÜNTHER S K n , § 2 6 3 R d n . 146 a - d ; HEFENDEHL J u S 1 9 9 3 S. 8 0 5 ff; JOECKS wistra 1 9 9 2 S. 2 4 7 ff; KRAMM J Z 1 9 9 3 S. 4 2 3 f f ; OTTO Z R P 1 9 9 6 S. 3 0 3 f f ; RANFT wistra 1994 S. 4 1 ff; TIEDEMANN Z R P 1992 S. 149 f f .
Mit Einführung des § 298 hat der Gesetzgeber in diesen Bereich eine Bestrafung auch ermöglicht, wenn der Vermögensschaden nicht nachweisbar ist; vgl. dazu weiter unter § 61 Rdn. 142 ff. - Anwendbar bleibt § 263 aber im Falle des Nachweises eines Vermögensschadens; vgl. BT-Drucks. 13/5584, S. 14. Einen Vermögensschaden erleidet der Auftraggeber auch, wenn die Absprache zur Abwendung eines ruinösen Wettbewerbs erfolgte; vgl. dazu BGH wistra 2001 S. 103. 363 Vgl. auch BGHSt 38 S. 345, 351; 43 S. 381,400 ff; BGH StV 1998 S. 194; BayObLG JR 1991 S. 433; GÜNTHER S K n , § 2 6 3 R d n . 149 a; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 3 0 3 .
364 Dazu auch GRAUL JR 1991 S. 435 ff. Überzeugend: JÄNICKE Gerichtliche Entscheidungen als Vermögensverfügung im Sinne des Betrugstatbestands, 2001, S. 398 ff: Schutzbereich des § 263 nicht betroffen, weil mit der Strafe nicht vermögensrechtliche Ziele verfolgt werden. 365 v g l . BGH MDR 1987 S. 949; BGH wistra 1997 S. 144; D. GEERDS Jura 1994 S. 311 ff; TIEDEMANN
LK, § 263 Rdn. 135 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 263 Rdn. 28. - Zu den Aussichten, als Erbe eingesetzt zu
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Zutreffend beschränkt HEFENDEHL den Begriff der Vermögenswerten Exspektanz auf die Situation einer (zivil)rechtlich konstituierten Herrschaft, die die störungsfreie Möglichkeit der Entwicklung eines Zustandes zum Vollwert beinhalte. 366 8 6 mm) BayObLG NJW 1994 S. 208: Bei dem Briefmarkenversand B, der bei Erstbestellungen Gratismarken beifügte, um den Erstbesteller als Stammkunden zu gewinnen, bestellte A, der dort bereits Kunde war, unter anderem Namen als „Erstbesteller" Briefmarken. Diese und die Gratismarken erhielt er. BayObLG: Da B durch Einsatz seines Vermögens (Gratismarken) lediglich höchst ungewisse Erwerbschancen wahrnehmen wolle, werde sein Verhalten nicht vom Schutzzweck des § 263 erfasst. 367 Dem ist aus der Sicht des personalen Vermögensbegriffs nicht zuzustimmen, da B überhaupt nicht die Chance fur seine Geldaufwendungen erhielt, die er nach den zugrundeliegenden Bedingungen erhalten sollte. Daher wurde sein Aufwand zweckentfremdet. 368
IV. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz 87 Der Vorsatz - bedingter Vorsatz genügt - muss alle Merkmale des objektiven Tatbestands und den zwischen ihnen bestehenden funktionalen Zusammenhang umfassen. 2. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen (Bereicherungsabsicht) 88 a) Absicht bedeutet - dolus directus 1. Grades - zielgerichtetes Wollen. Absicht ist hier der auf den Vorteil gerichtete Wille, mag der Täter den Vorteil auch nur als Mittel zu einem anderweitigen Zweck anstreben. Maßgeblich ist allein, ob es ihm auf den Vorteil ankommt. Ob er die Verwirklichung seines Willens für sicher oder nur für möglich hält, ist unerheblich. - Es genügt aber nicht, wenn der Vorteil nur als notwendige, aber höchst unerwünschte Nebenfolge eines erstrebten Erfolgs eintritt. 89 b) Vermögensvorteil ist jede günstigere Gestaltung der Vermögenslage. Stets aber ist erforderlich, dass die eigene wirtschaftliche Potenz des Täters oder die des begünstigten Dritten durch den Vorteil gestärkt wird.369 90 Der erstrebte Vorteil muss dem zugefügten Schaden entsprechen, gleichsam als Kehrseite des Schadens erscheinen. Dieser Zusammenhang zwischen erstrebter Bereicherung lind Schaden wird gemeinhin mit dem Stichwort der Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung charakterisiert. Stoffgleichheit darf hier aber nicht als Identität verstanden werden. Es genügt, dass Schaden und Vorteil ihren Grund in derselben Vermögensverfugung haben und dass der Vorteil zu Lasten des geschädigten Vermögens geht.370
werden vgl. einerseits: OLG Stuttgart NStZ 1999 S. 246 mit Anm. THOMAS S. 622 ff; JÜNEMANN NStZ 1998 S. 393 ff; andererseits: SCHROEDER NStZ 1997 S. 585 f. 366 Vgl. HEFENDEHL Vermögensgefährdung, S. 117 f, zur Kundenproblematik, S. 220 ff. 367 Dazu auch HILGENDORF JUS 1994 S. 466 ff. 368 v g l . auch GEPPERT JK 94, StGB § 263/41.
369 Dazu vgl. BGH MDR 1988 S. 789 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 253/3. 3 7 0 D a z u e i n g e h e n d GÜNTHER S K II, § 2 6 3 R d n . 188 f f ; KÜPER B . T . , S. 8 2 f; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n .
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Betrag Zur
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Verdeutlichung
aa) BGHSt 21 S. 384: A verkaufte als Provisionsvertreter der Firme X Zigarettenautomaten. Durch Täuschung 9 1 überredete er den B zum Vertragsabschluss. Den Vertrag reichte A bei X ein. Er erhielt eine Provision. BGH: Gegenüber B liegt ein Betrug des A zugunsten der Firma X vor. Schaden des B entspricht dem Vermögensvorteil der Fa. X. - Gegenüber X ist jedoch ein eigennütziger Betrug des A gegeben. Er hatte keinen Rechtsanspruch auf die Provision, da der Vertrag zwar gültig, aber anfechtbar zustande gekommen war und daher nicht den Wert eines ordnungsgemäßen Vertrags hatte. bb) B verspricht dem A eine Belohnung von DM 200,-, wenn der Hund des Nachbarn C, der den Schlaf des 9 2 B stört, zur Ruhe gebracht werde. A geht zu C und redet ihm ein, der Hund sei tollwütig. Entsetzt erschießt C den Hund, der einen Wert von DM 200,- hatte. Ergebnis: Kein Betrug des A: Schaden des C und Bereicherung des A haben ihren Grund nicht in derselben Vermögensverfügimg. - A hat eine Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft begangen. cc) In Anlehnung an OLG Köln NJW 1987 S. 2095: Die A, die bei ihrer Schwiegermutter Mitleid und Auf- 9 3 merksamkeit erringen will, erzählte dieser, ihr Kind sei entführt worden. Als sie merkt, dass diese alles zur Rettung des Kindes in die Wege leiten will, berichtet sie, die Entführer hätten 1000,- DM gefordert. Sie weiß, dass die S ihr das Geld geben wird, was auch geschieht, sieht aber keine Möglichkeit, ohne Offenbarung ihrer Lüge aus der Sache herauszukommen. OLG: Keine Bereicherungsabsicht. 3. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen schaffen
Vermögens vorteil zu ver-
a) Im Rahmen der Delikte gegen das gesamte Vermögen - Betrug, Erpressung - ist weit- 9 4 gehend anerkannt, dass rechtswidrig nur ein Vermögensvorteil ist, auf den der Täter nach materiellem Recht keinen Anspruch hat. Ein Vermögensvorteil ist dann nicht rechtswidrig, wenn die der Bereicherung zugrunde liegende Vermögensentziehung auf die Herbeiführung eines vor der Vermögensordnung rechtsbeständigen Zustandes gerichtet ist. D i e Verfolgung berechtigter und Abwehr unberechtigter Ansprüche mit rechtswidrigen Mitteln macht den Vermögensvorteil als solchen nicht zu einem rechtswidrigen. 371 Das gleiche Ergebnis, wenn auch auf einem anderen konstruktiven Weg, wird erreicht, wenn der Eintritt 9 5 eines Vermögensschadens abgelehnt wird, falls der Täter ein Vermögensgut an sich bringt, auf das er einen Anspruch hat. 372 Die Konstruktion ist vom juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriff her konsequent, nicht jedoch mit den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs in Einklang zu bringen. Das Haben eines Objekts ist - wirtschaftlich gesehen - vorteilhafter als der bloße Anspruch auf das Haben.373 Da die h.M. beim Vermögensschaden und bei der Bereicherung auf den Geldwert abstellt, 9 6 kommt sie hier nicht zu der - wie unter § 4 0 Rdn. 7 9 gezeigt - kaum sachgemäßen Differenzierung zwischen Spezies- und Gattungsschulden, die die Argumentation bei den Zueignungsdelikten bestimmt. Ist der Anspruch hingegen nicht fällig, bedingt oder besteht er nur zum Teil, so ist der 9 7 erstrebte Vorteil rechtswidrig; beim teilweise begründeten Anspruch, soweit der Anspruch unbegründet ist.
371 Dazu im einzelnen KÜPER B.T., S. 75 ff; sodann BGHSt 42 S. 271 f; BGH wistra 1982 S. 68; BGH NStZ-RR 1997 S. 257; BayObLG StV 1990 S. 165; BayObLG StV 1995 S. 303; vgl. im übrigen zur entsprechenden Problematik des § 253 unten § 53 Rdn. 10 ff. 3 7 2 V g l . z . B . B G H S t 2 0 S. 137 f; B G H N J W 1983 S. 2 6 4 6 ; BOCKELMANN M e z g e r - F S , S. 3 6 7 f f ; CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S. 160; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 186, 194; WELZEL N J W 1953 S. 6 5 2 f.
373 Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 215 ff. 243
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
9 8 b) Irrt der Täter über das Vorliegen eines Anspruchs, so entfällt gleichfalls die Absicht rechtswidriger Bereicherung, da es sich bei der Absicht um ein subjektives Merkmal des Tatbestandes handelte 7 4 9 9 c ) Auf die Rechtswidrigkeit braucht sich die Absicht nicht zu erstrecken, insoweit genügt bedingter Vorsatz. 3 7 5 d) Zur
Einübung
1 0 0 aa) BGHSt 3 S. 160: Im Prozess ihres Kindes K auf Unterhalt gegen H sagte A als Zeugin falsch aus. Dadurch gewann K den Prozess. A war jedoch fest davon überzeugt, dass der Anspruch des K gegen H begründet war. BGH: A wollte dem K keinen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen, da sie davon ausging, dass der Anspruch des K nach materiellem Recht begründet war. 1 0 1 bb) BGH NJW 1953 S. 1479: A hatte eine Forderung gegen B aus einem Geschäft mit diesem. B zeigte sich nicht zahlungswillig. A nahm nun bei B ein Darlehen auf. Bei Fälligkeit des Darlehens rechnete er auf, was er von vornherein vorgehabt hatte. BGH: Da A auf die Leistung einen fälligen Anspruch hatte, war sein Vermögensvorteil nicht rechtswidrig. Die Aufrechnung ist eine von der Rechtsordnung anerkannte Form der Erfüllung! Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn die Forderung des A noch nicht fällig oder bedingt gewesen, bzw. die Aufrechnung vertraglich ausgeschlossen gewesen wäre. 1 0 2 cc) BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 10: A machte Rentenansprüche als Kriegsversehrter wegen einer Beinverletzung geltend, die er angeblich durch Granatsplitter erlitten hatte. Diese Behauptung war unwahr, doch war A lungenkrank, und es war nicht auszuschließen, dass die Lungenkrankheit auf Kriegseinwirkungen zurückzuführen war. BGH: Kein Betrug des A, wenn A nur die Rente hätte haben wollen, die ihm aufgrund der Lungenkrankheit zukam oder von der A geglaubt hätte, dass sie ihm zustände, was für ihn aber schwer beweisbar gewesen wäre. - Hatte A aufgrund der Lungenerkrankung keinen Anspruch und wusste das, so lag ein vollendeter Betrug vor. - Hatte A hingegen keine Ahnung von einem solchen Anspruch, lag dieser aber vor, so ist ein versuchter Betrug gegeben. 1 0 3 dd) BGHSt 42 S. 268 mit ANM. GEPPERT JK 97 § 263/49: A geht img davon aus, dass ein gegen ihn geltend gemachter Anspruch wirksam besteht. Gleichwohl will er dessen Durchsetzung durch Täuschung vereiteln. BGH: Versuchter Betrug, nicht etwa ein bloßes Wahndelikt.376
V. Versuch, Vollendung, schwere Fälle des Betrugs und Besonderheiten der Strafverfolgung 1. Der
Versuch
1 0 4 Der Versuch des Betruges beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen des Täters zur Täuschung, die zur Vermögensverfügung führen soll. - Eine Täuschung, die nur dazu dient, das Vertrauen des Opfers zu erlangen, um später um so wirksamer eine auf Vennögens-
374 Dazu BGH StV 1992 S. 106; OLG Bamberg NJW 1982 S. 778; OLG Düsseldorf wistra 1992 S. 74. Im einzelnen dazu TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 268 f; TRONDLE/FISCHER § 263 Rdn. 43. 375 BGHSt 31 S. 181; 42 S. 268. 376 vgl. auch LG Mannheim NJW 1995 S. 3398 mit Anm. BEHM NStZ 1996 S. 317 ff, GEPPERT JK 96, S t G B § 263/44, SCHEFFLER J u S 1 9 9 6 S . 1 0 7 0 f ; B G H N S t Z 1 9 9 7 S . 4 3 1 mit A n m . KUDUCH S . 4 3 2 f f .
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Verfügung gerichtete Täuschung durchzuführen, ist lediglich eine Vorbereitungshandlung.377 2. Die Vollendung der Tat Vollendet ist das Delikt mit Eintritt des Vermögensschadens. - Materiell beendet ist der 105 Betrug mit Erlangung des erstrebten Vermögensvorteils durch den Täter. 3. Schwere Fälle des Betrugs a) Besonders schwere Fälle des Betrugs. - Regelbeispiele für besonders schwere Fälle des Betrugs nennt Abs. 3: aa) Nr. 1: Gewerbsmäßiges Handeln - dazu § 41 Rdn. 21 - und Handeln als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat; dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 41 Rdn. 61. bb) Nr. 2: Herbeiführung eines Vermögensverlustes größeren Ausmaßes, d.h. Begründung eines erheblichen Vermögensschadens.378 - Der Täter handelt mit der Absicht, eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, wenn z.B. bei Firmenzusammenbriichen oder betrügerisch vertriebenen Vermögensanlagen die konkrete Gefahr des Vermögensverlustes für eine erhebliche Zahl von Personen begründet werden soll. - Personen sind - entsprechend dem Gesetzeswortlaut - nur natürliche Personen.37» cc) Nr. 3: In wirtschaftlicher Not wird eine Person gebracht, wenn sie in eine Lage versetzt wird, in der sie in ihrer wirtschaftlichen Lebensführung objektiv so eingeengt ist, dass sie auch lebenswichtige Aufwendungen nicht mehr bestreiten kann. dd) Nr. 4: Ein Missbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger liegt vor, wenn der Täter seine Befugnisse zu rechtswidrigen Handlungen nutzt oder unter Ausnutzung der ihm gegebenen Möglichkeiten Handlungen außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs begeht. ee) Nr. 5: Vortäuschung eines Versicherungsfalles. - Das durch das 6. StrRG geschaffene Regelbeispiel übernimmt im wesendichen den Regelungsinhalt des § 265 a.F. - Tatobjekt des § 265 a.F. waren bestimmte versicherte Sachen. Der Wortlaut des § 263 Abs. 3 Nr. 5 geht darüber hinaus, denn ein Versicherungsfall kann auch vorgetäuscht werden, indem darüber getäuscht wird, dass es sich bei der zerstörten Sache um die versicherte Sache gehandelt hat; im übrigen vgl. zur Versicherung einer Sache § 61 Rdn. 2. Der bedeutende Wert einer Sache hängt von ihrem Verkehrswert ab. In Anlehnung an § 315 ff wird man auch hier von einem Wert von mindestens 1.400.- DM ausgehen können. - Zum Inbrandsetzen und zum ganz oder teilweise durch Brandlegung Zerstören vgl. § 79 Rdn. 2 f. Vorgetäuscht wird der Versicherungsfall, wenn der Täter keinen Anspruch aus der Versicherung hat, diesen aber gleichwohl geltend macht.
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Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Versicherte selbst Täter oder Teilnehmer der Tat ist; § 61 112 W G . Dasselbe gilt, wenn der Versicherte sich das Verhalten des Täters als eigenes zurechnen lassen muss, weil der Täter als Repräsentant des Versicherten anzusehen ist. Repräsentant ist derjenige, der befugt ist, 377 Dazu BGHSt 37 S. 294 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 22/15, KIENAPFEL JR 1992 S. 122 f; BGH StV 2001 S. 272,273. 378 Vgl. dazu BGH NJW 1991 S. 2575; TRÖNDLE/FISCHER § 263 Rdn. 49. 379 Vgl. BGH wistra 2001 S. 59.
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selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang, für den Versicherten zu handeln. Nicht erforderlich ist, dass er auch dessen Rechte und Pflichten als Versicherungsnehmer wahrzunehmen hat.380 113 b) Qualifizierter Fall des Betrugs: Banden und gewerbsmäßiges Handeln Nach Abs. 5 liegt ein qualifizierter Fall des Betrugs vor, wenn der Täter die Merkmale des Abs. 3 Nr. 1 kumulativ verwirklicht. Das Betätigungsfeld der Bande ist erweitert. 5. Bagatellfälle sowie Haus- und Familienbetrug 114 Gemäß § 263 Abs. 4 ist in Bagatellfällen des Betruges § 248 a anzuwenden sowie die Strafschärfung eines besonders schweren Falles gemäß § 243 Abs. 2 ausgeschlossen; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 44 Rdn. 1, § 41 Rita. 41 ff. - Bei einem Haus- und Familienbetrug findet gemäß § 263 Abs. 4 der § 247 Anwendung; dazu oben §43.
VI. Besonders bezeichnete Betrugsfalle 115 Wenn aus einer Art eine Untergruppe eine besondere Bezeichnung erhält, in der die Bezeichnung der Art wieder aufgenommen wird, so kann man gemeinhin davon ausgehen, dass es sich hier um einen besonders typischen Fall der Art handelt. Im Bereich des Betruges ist das jedoch ein Irrtum. Bei den besonders bezeichneten Betrugsfällen handelt es sich keineswegs um besonders typische Betrugsfälle, sondern um Fälle, in denen das Vorliegen des Betruges gerade besonders problematisch ist. Dies wird jedoch durch die besondere Bezeichnung kaschiert, denn der Rechtsanwendende begnügt sich in der Regel mit dem Nachweis, dass die Besonderheit vorliegt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob überhaupt ein Betrugsfall gegeben ist. 1. Eingehungs- und Erflillungsbetrug 116 Problembereich: Konkrete Vermögensgefahrdung als Vermögensschaden, a) Vertragsabschluss und Schadensbegründung 117 Hat einer der Vertragspartner bei einem gegenseitigen Vertrag vor, nicht vertragsgemäß zu leisten, so hat der BGH ursprünglich schon im Vertragsschluss eine Vermögensgefahrdung und damit einen Betrug erkannt. Diese Auffassung vertritt der BGH nicht mehr. Heute wird danach differenziert, ob der Vertragspartner durch den Vertragsschluss einen Anspruch erhält, der seinen Verpflichtungen gleichwertig ist oder nicht. Zur Verdeutlichung: 118 aa) BGH NJW 1953 S. 836: A verkaufte an B Kohle einer bestimmten Sorte. Er hatte vor, schlechtere Kohle zu liefern. BGH: Betrug schon bei Vertragsschluss. Diese Rechtsprechung ist überholt. Bei einer Zug-um-Zug-Leistung tritt der Schaden erst mit der vertragswidrigen Erfüllung ein.381 119 bb) BGHSt 23 S. 300: A verpflichtete den B unter Täuschung zur Abnahme einer für B völlig wertlosen Zeitschrift. BGH: Schaden bei Vertragsabschluss. - Dem ist zuzustimmen, denn der Verpflichtung des B, das Abonnement zu bezahlen, stand ein Anspruch gegenüber, der für B wertlos war.
380 Vgl. B G H ( Z ) D W i R 1994 S. 246; B G H J R 1977 S. 390 mit Anm. GÖSSEL S. 391; WAGNER JuS 1978 S. 161 f f ; RANFT Jura 1985 S. 396 f. 381 Vgl. B G H StV 1988 S. 386; B G H StV 1995 S. 255; B G H NStZ 1998 S. 85 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 263/50; O L G Düsseldorf J R 1994 S. 522 mit Anm. RANFT S. 523 ff.
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cc) BGHSt 31 S. 178 382 : A, die wusste, dass sie zahlungsunfähig war, beauftragte den Makler M mit der 1 2 0 Vermittlung einer Wohnung. Der Maklerlohn sollte mit Abschluss des notariellen Kaufvertrages fallig werden. M fand ein entsprechendes Objekt, über das ein privatschriftlicher Kaufvertrag geschlossen wurde. Der notarielle Kaufvertrag kam nicht zustande. BGH: Betrug liegt erst dann vor, wenn M aufgrund des Abschlusses des vermittelten Geschäftes einen rechtswirksamen Vergütungsanspruch gegen A erworben hat. Dem ist mit LENCKNER entgegenzuhalten, dass der Betrug bereits vollendet ist, wenn M seine Leistung erbracht hat, obwohl A zahlungsunwillig und -unfähig ist.- Der Makler, der seine Leistung erbringt, leistet im Vertrauen darauf, dass damit eine Grundlage für den Zahlungsanspruch geschaffen wird. Will der Kunde von vornherein einen solchen Anspruch nicht entstehen lassen oder ist dieser Anspruch wertlos, so schädigt sich der Makler durch seine Leistung, die er dem Kunden erbringt. Darin liegt der Vorteil des Kunden.
Zahlungsunwilligkeit oder -Unfähigkeit des Täters begründen dann keinen Vermögens- 121 schaden bei Vertragsschluss, wenn der Vertragspartner nicht verpflichtet ist, vorzuleisten.383 b) Das Verhältnis von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug aa) Führt bereits der Vertragsabschluss zu einem Schaden, so ist die Realisierung der mit 122 Vertragsabschluss begründeten Schädigung durch Erfüllung nur noch die materielle Beendigung des Betrugsdelikts. bb) Entsprechen die mit dem Vertragsschluss begründeten Forderungen einander wertmä- 123 ßig und erbringt eine der Parteien unter Täuschung der anderen eine minderwertige Leistung, so scheint es offensichtlich zu sein, dass in der Leistung eines minderwertigen Objekts an Stelle des geschuldeten Objekts ein Betrug liegt. Fall: A verkauft an B einen 4 Jahre alten Mercedes 230 E mit der Zusicherung, dieser habe nur 50.000 km 1 2 4 gelaufen für 20.000 DM als Sonderangebot, da ein Wagen mit dieser Laufleistung üblicherweise 30.000 DM kostet. Es stellt sich später heraus, dass der Wagen 150.000 km gelaufen, aber einen Handelswert von 20.000.- DM hatte. 1. Alternative: Das wusste A von Anfang an. 2. Alternative: Erst nach Abschluss des Vertrages, vor Übergabe des Fahrzeugs erfuhr A, dass der Wagen bereits 150.000 km gelaufen hatte. Er klärte den B nicht auf. 3. Alternative: Vor Übergabe des Fahrzeugs hatte A das Fahrzeug gegen ein gleich aussehendes ausgetauscht.
Die h.M. sieht Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft als Einheit an, wenn die Täuschung 125 bereits im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts begangen wurde (sog. unechter Erfüllungsbetrug). Diese einheitliche Betrachtungsweise hat die Konsequenz, dass ein Schaden abzulehnen ist, wenn die unter Täuschung erbrachte Leistung einen Wert hat, der dem Kaufpreis entspricht (1. A l t e r n a t i v e ) . 3 8 4 Ein Erfüllungsbetrug soll hingegen vorliegen, wenn sich der Täter nach Abschluss eines Austauschvertrages dazu entschließt, eine wirtschaftlich nicht vollwertige Leistung zu erbringen (sog. echter Erfüllungsbetrug). Der Anspruch auf den Vertragsgegenstand war dem Vermögen des Vertragspartners bereits zugeflossen. Durch die Annahme der minderwertigen Leistung als Erfüllung wurde dieser An-
3 8 2 M i t Anm. LENCKNER N S t Z 1 9 8 3 S . 4 0 9 ff, BLOY J R 1 9 8 4 S . 123 ff, MAAS JUS 1 9 8 4 S . 2 5 ff. 383
vgl. BGH StV 1 9 9 2 S. 1 1 7 ; BGH StV 1 9 9 2 S. 4 6 5 .
384 Vgl. BGHSt 16 S. 220, 223; BayObLG NJW 1999 S. 633 mit Anm. BOSCH wistra 1999 S. 411 ff, MARTIN JUS 1 9 9 9 S . 5 0 7 f, RENGIER JUS 2 0 0 0 S. 6 4 4 ff; GÜNTHER S K II, § 2 6 3 Rdn. 175 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 Rdn. 5 3 ; TENCKHOFF L a c k n e r - F S , S . 6 8 6 ff; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 Rdn. 2 0 1 .
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
spruch vereitelt (2. Alternative). 3 ^ Zum Teil wird für den Fall einer schon bei Vertragsschluss begangenen Täuschung ein Betrug wenigstens in den Fällen bejaht, in denen der Erfiillungsanspruch durch eine neue Tathandlung vereitelt wird (3. Alternative).386 126 Diese unterschiedlichen Beurteilungen von Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft überzeugen nicht. Zu differenzieren ist vielmehr grundsätzlich zwischen Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft: Hat der Getäuschte durch den Vertragsschluss einen Anspruch auf eine Leistung von einem bestimmten Wert erhalten, so ist er geschädigt, wenn er im Rahmen der Abwicklung des Geschäfts um diesen Anspruch gebracht wird, bzw. eine Leistung von geringerem Wert erhält. Sein zivilrechtlicher Anspruch auf Minderung bzw. Wandlung wird gleichsam für irrelevant erklärt. Ob die Täuschungshandlung zugleich mit Vertragsschluss oder später erfolgt, ist irrelevant.387 2. Leistung ohne Gegenleistung: Bettel-, Spenden- und Subventionsbetrug 127 Problembereich: Vermögensschaden i.S. des § 263, wenn feststeht, dass eine Leistung ohne eine Gegenleistung erbracht werden soll, so dass das Vermögen bewusst vermindert wird. - Da in diesen Fällen von vornherein nicht beabsichtigt ist, die Vermögensminderung durch ein Äquivalent auszugleichen, stellt sich das Problem, ob hier stets ein Vermögensschaden anzunehmen ist, wenn die Vermögensverfügung durch Täuschung herbeigeführt wurde, oder niemals, bzw. ob zu differenzieren ist.388 Zur Verdeutlichung: 1 2 8 a) BayObLG NJW 1952 S. 798: Der Spender S wird von dem Sammler A zu einer hohen Spende für einen mildtätigen Zweck veranlasst, indem ihm vorgespiegelt wird, seine Nachbarn hätten sehr hohe Beträge gespendet. BayObLG: Vermögensschaden des S und damit Betrug. 389 Nach der personalen Vermögenslehre ist ein Betrugsschaden hier abzulehnen, weil der erklärte wirtschaftliche Zweck: Unterstützung einer wohltätigen Organisation, von S erreicht wurde. Dass S darüber hinaus protzen wollte, er könne mehr leisten als seine Nachbarn, ist irrelevant. 390 1 2 9 b) Fall: A erlangt durch Täuschung über den kulturellen Wert seiner Theateraufführungen eine Subvention für sein Theaterunternehmen. Ergebnis: Da kulturelle Subventionen nicht unter § 264 fallen, ist hier § 263 einschlägig. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist auch ein Schaden zu bejahen, denn wer Beträge aus haushaltsrechtlich gebundenen Mitteln erschleicht, ohne zu der im Gesetz begünstigten Bevölkerungsgruppe zu gehören, fügt dem Staat einen Vermögensschaden zu, weil dadurch die zweckgebundenen Mittel verringert werden, ohne dass der
385 Vgl. CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S. 184 f f ; GÖSSEL B.T. 2, § 21 Rdn. 180; KÜPER B.T., S. 3 6 0 f f ; LACKNER/KÜHL § 263 R d n . 53; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 202.
386 vgl. dazu TENCKHOFF Lackner-FS, S. 689 ff. 387 Vgl. CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S. 190 f f ; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 161 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 386 f f ; LENCKNER M D R 1961 S. 6 5 3 ff; OTTO J Z 1993 S. 657; PUPPE J Z 1984 S. 531
ff; SCHNEIDER JZ 1996 S. 916 ff; SEYFFERT JUS 1997 S. 31 ff. - Die Rechtsprechung hält ihre Differenzierung keineswegs konsequent durch; vgl. OTTO JK, StGB § 263/16, 17; TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 202. 388 Vgl. d a z u GÜNTHER S K n , § 2 6 3 R d n . 151 f f ; RUDOLPHI Klug-FS, Bd. 2, S. 3 1 5 ff; SCHMOLLER J Z 1991 S. 117 f f ; TIEDEMANN B G H - F G , S. 559. 389 SO auch CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S. 121 ff; GÖSSEL B.T. 2, § 2 1 Rdn. 173. - A . A . GUTMANN M D R 1963 S. 3.
390 Dazu OTTO Struktur, S. 59 f; WINKLER Vermögensbegriff, S. 198.
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Betrug
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erstrebte kulturpolitische Zweck erreicht wird.391 - Dem ist nach den Prämissen des personalen Vermögensbegriffs zuzustimmen.
3. Der Anstellungsbetrug Problembereich: Vermögensschaden. - Der Anstellungsbetrug ist eine Unterart des Ein- 130 gehungsbetrugs. Seine Problematik löst sich nach denselben Grundsätzen. a) Fall: A lässt sich bei F als Buchhalter einstellen, obwohl er von Buchhaltung keine Ahnung hat. 131 Ergebnis: Betrug mit Vertragsabschluss. Der Anspruch des F auf Dienstleistung durch A ist dem Gehaltsanspruch des A nicht äquivalent.392 b) Fall: A täuscht bei seiner Einstellung als Buchhalter vor, er habe 6 Semester Betriebswirtschaft studiert. 132 Daraufhin wird er eingestellt. A ist ein vorzüglicher Buchhalter, studiert hat er jedoch niemals. BGHSt 17 S. 254: Kein Schaden des Dienstberechtigten, wenn der Dienstverpflichtete die Leistungen erbringen kann, die aufgrund seiner gehaltlichen Eingruppierung allgemein von ihm erwartet werden dürfen. c) BGH NJW 1978 S. 2042: A, der eine Vertrauensposition bei der Firma X inne hat, die es ihm ermöglicht, 133 selbständige Dispositionen über das Vermögen der X zu treffen, hat bei seiner Einstellung darüber getäuscht, dass er wegen verschiedener Vermögensdelikte vorbestraft ist. BGH: Schon mit der Anstellung des für Vermögensstraftaten anfälligen A erlitt X einen Vermögensschaden, da das Vermögen der X der konkreten und ständigen Gefahr ausgesetzt war, dass A zum Nachteil der X über dieses Vermögen verfügte. 393 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Vermögensgefahrdung ist mit einem Vermögensschaden nicht identisch. Nur dann ist hier ein Vermögensschaden gegeben, wenn die Stelle besonderes Vertrauen und besondere Zuverlässigkeit erfordert und daher höher bezahlt wird.394 d) BGHSt 5 S. 358: Ein Beamter täuscht über eine Einstellungsvoraussetzung (z.B. Abitur). Den über- 134 tragenen Dienst versieht er vorzüglich. BGH: Betrug. - Unabhängig von den erbrachten Leistungen hat die Anstellungsköiperschaft einen Schaden, weil der Beamte nach bestimmten Laufbahnvorschriften bezahlt wird, nicht aber ein von seiner Leistung unmittelbar abhängiges Entgelt erhält.395 Mit dieser Argumentation wird der Betrug von einem Vermögensdelikt in ein Delikt der Amtserschleichung uminterpretiert. Das ist nicht sachgemäß.396
391 Vgl. die entsprechenden Ausführungen unter § 54 Rdn. 35. 392 v g l . BGHSt 1 S. 13, 14; 17 S. 254; GEPPERT Hirsch-FS, S. 529; KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 381; KREY B . T . 2, R d n . 4 8 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n . 5 2 ; MITSCH B . T . n / 1 , § 7 R d n . 106; O r r o J Z 1 9 9 9 S. 7 3 8 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 223; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 3 2 d ; WES-
SELS/HLLLENKAMP B.T./2, Rdn. 577.
393 Dazu auch BGHSt 17 S. 259. 3 9 4 D a z u MFFIHE J u S 1980 S. 2 6 5 ; OTTO J Z 1999 S. 7 3 9 f; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 2 6 6 . 3 9 5 I M E r g e b n i s z u s t i m m e n d : GÖSSEL B . T . 2, § 2 1 R d n . 157; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 3 8 3 ; KREY B . T . 2, R d n . 4 8 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n . 5 2 ; MITSCH B . T . N/1, § 7 R d n . 106; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 9 9 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 224; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 3 2 d; WESSELS/HILLENKAMP B . T . 2, R d n . 5 7 7 .
396 vgl. auch LG Berlin NStZ 1998 S. 302; DIEKHOFF DB 1961 S. 1487 f; GEPPERT Hirsch-FS, S. 539 ff; HARDWIG GA 1956 S. 18; OTTO Struktur, S. 284 ff; WELZEL Lb., § 5 4 1 4 b. - Zur Einstellung eines frü-
heren MfS-Mitarbeiters als Beamter vgl. BVerfG NJW 1998 S. 2589; BGHSt 45 S. 1, 11 ff mit Anm. GEPPERT N S t Z 1999 S. 3 0 5 f, JEROUSCHECK/KOCH G A 2 0 0 1 S. 2 7 3 f f , OTTO J Z 1 9 9 9 S. 7 3 8 f f , PRITTWITZ JUS 2 0 0 0 S. 3 3 5 f, SEELMANN J R 2 0 0 0 S. 164 f; O L G D r e s d e n N S t Z 2 0 0 0 S. 2 5 9 .
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
4. Der Rentenbetrug 135 Problembereich: Vermögensschaden und Vermögensgefährdung. Beispiel: A erschlich durch Täuschung eine Rentenbewilligung. Vor der ersten Zahlung wurde die Täuschung entdeckt.
136 Da der Rentenbescheid nur deklaratorische, nicht aber konstitutive Bedeutung hat, liegt im Erlass des Bescheids eine Vermögensgefahrdung, nicht aber ein Vermögensschaden. Ein vollendeter Betrug ist daher erst mit Auszahlung der ersten Rentensumme verwirklicht.397 5. Der Prozessbetrug 137 Problembereich: Irrtum, Verfügender in der Vermögenssphäre des Geschädigten? Fällig; A verklagt den B auf Zahlung von DM 1000,-, obwohl er genau weiß, dass B die Schuld längst bezahlt hat. Da B im Prozess keine Quittung beibringen kann, A aber den Schuldschein vorlegt, erlässt der Richter ein Urteil gegen B. Dies wird rechtskräftig. A vollstreckt daraus.
138 a) Die Möglichkeit eines sog. Prozessbetrugs hängt zunächst davon ab, ob der Richter, demgegenüber ein Prozesspartner unwahre Angaben macht, überhaupt getäuscht wird und einem Irrtum unterliegt. Zu beachten ist nämlich, dass der Richter aufgrund der Beweislastregeln seine Entscheidung trifft, nicht aber aufgrund der inneren Überzeugung von der Wahrheit des Parteivorbringens. Die Beweislastregelungen sind aber nicht geeignet, den Richter zum Handlanger von Deliktstätern zu degradieren. 139 Weiß er positiv, dass seine Entscheidung auf falschen Angaben beruht, so darf er nicht entscheiden. Damit aber ist der Raum für einen Irrtum eröffnet: Er wird über die Tatsache, dass die Angaben wahr sind, getäuscht. Das bloß abstrakte Wissen, dass Prozessparteien u.U. die Unwahrheit vortragen, schließt Täuschung und Irrtum im konkreten Fall nicht aus, solange das Rechtspflegeorgan nicht positiv weiß, dass die Angaben im konkreten Fall unwahr sind. 3 " Im Mahnverfahren ist die Problematik mit § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO n.F. obsolet geworden, weil eine inhaltliche Prüfung des Anspruchs ausdrücklich ausgeschlossen ist. 400
140 b) Weiterhin erscheint es problematisch, ob der Richter als Person in der Vermögenssphäre dessen, der im Prozess unterliegt, anzusehen ist. Dies ist schon deshalb zweifelhaft, weil der Richter, je nachdem, ob der Kläger oder der Beklagte den Prozess verliert, jeweils dem Unterliegenden zugerechnet werden müsste. Ein positiver Akt des Betroffenen, der dem Richter diese Vermögensposition einräumt, liegt nicht vor. Hier muss der Richter gleichsam als Person angesehen werden, die kraft Gesetzes bestimmten Vermögenssphären zugerechnet wird. Die Unterwerfung unter das Gerichtsverfahren hat gleichsam die Einsetzung des Richters in bestimmte Vermögenspositionen zur Folge.401 397 Vgl. BGHSt 27 S. 342; KÜHL JZ 1978 S. 549 ff; OTTO Lackner-FS, S. 732 f.
398 Zu weiteren Beispielen vgl. OLG Zweibrücken NJW 1983 S. 694 (Prozessbetrug durch Verschweigen von Tatsachen); OLG Karlsruhe NStZ 1996 S. 282 mit Anm. KINDHÄUSER JR 1997 S. 301 ff, KUNERT NStZ 1996 S. 283 f, OTTO JK 96, StGB § 263/45 (Möglichkeit des Prozessbetrugs vor BVerfG; dazu JÄNICKE Entscheidungen, S. 626 ff), SEEER ZStW 102 (1990) S. 563 ff (Prozessbetrug durch Rechtsund ungenügende Tatsachenbehauptungen). 399 D ^ BGHSt 24 S. 260 f; vgl. auch TEDEMANN LK, § 263 Rdn. 235 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 263 Rdn.
21 ff. Eingehend dazu JÄNICKE Entscheidungen, S. 472 ff, 512ff, 556 ff.
4
00
V g l . a u c h OTTO J Z 1 9 9 3 S. 6 5 5 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 2 2 ; JÄNICKE E n t s c h e i d u n g e n , S. 5 3 9 f f .
- A.A. OLG Düsseldorf NStZ 1991 S. 586 mit abl. Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 263/36. 401 Kritisch dazu FAHL Jura 1996 S. 77 f.
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c) Der Schaden liegt im Falle des Prozessbetruges noch nicht im Erlass des Urteils, son- 141 dem erst in der Ausfertigung der Vollstreckungsklausel des Urteils. Erst dann ist eine Situation eingetreten, die der Belastung eines Vermögens mit einer Forderung vergleichbar ist. 6. Kreditkarten- und Scheckkartenerschleichung Problembereich: Schaden.
142
BGHSt 33 S. 244: Der A verschaffte sich unter Täuschung über seine Kreditwürdigkeit eine Kreditkarte, um mit dieser Käufe zu tätigen, obwohl er sein Konto nicht ausgleichen konnte. BGH: Die Aushändigung der Kreditkarte an den stark verschuldeten A stellte eine Vermögensgefährdung dar, die das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens erfüllt.
a) Auch bei der Erschleichung von Kredit- oder Scheckkarten bedarf es keiner Gleich- 143 Stellung einer Vermögensgefährdung mit einem Vermögensschaden. Bei der Überlassung einer Scheckkarte oder einer Kreditkarte im Drei-Partner-System (Eurocard, American Express, Visa u.a.) hegt in der Eröffnung der Kreditmöglichkeit, deren Realisierung allein vom Willen des Kreditnehmers abhängt, eine Belastung des Vermögens des Kreditgebers mit der Forderung auf Einräumung eines Kredits. Diese bedeutet dann einen Vermögensschaden, wenn die Bonität des Kreditnehmers nicht gewährleistet ist.4«? b) Die Erschleichung einer Kreditkarte im sog. Zwei-Partner-System, sog. Kundenkarte, 144 insbes. von Kaufhäusern und Autovermietern, erfüllt hingegen noch nicht den Tatbestand des Betruges. Diese Karte erleichtert dem Kartengeber die Bonitätsprüfung, sie räumt dem Kartennehmer aber nicht eine Kreditmöglichkeit ein, deren Realisierung allein von seinem Willen abhängt.403 c) Die rechtliche Beurteilung der rechtsmissbräuchlichen Nutzung der Kredit- oder 145 Scheckkarte war in Lehre und Rechtsprechung streitig. Nachdem der BGH in der missbräuchlichen Nutzung der Scheckkarte einen Betrug gesehen hatte, während er die missbräuchliche Nutzung der Kreditkarte für nicht strafbar hielt404, hat der Gesetzgeber mit Einführung des § 266 b als lex specialis gegenüber §§ 266, 263 eine Klarstellung vorgenommen. - Der Ausschluss des § 263 durch § 266 b soll nach h.M. aber nur beim Kartenmissbrauch im Drei-Partner-System gelten, nicht im Zwei-Partner-System; § 54 Rdn.45 ff. 7. Lastschriftenbetrug Problembereich: Täuschung und Irrtum. Mit Einreichen einer Lastschrift erklärt der Einreichende konkludent, dass seine Forderung 146 begründet und er zur Lastschrift berechtigt ist. Da allerdings der Sachbearbeiter in der
402
Vgl. dazu BGHSt 33 S. 246; BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 105; ARZT/WEBER B.T., § 20 Rdn. 100; GEPPERT J K , S t G B § 2 6 3 / 2 0 ; OFFERMANN wistra 1986 S. 5 7 ; OTTO J Z 1985 S. 1008 f f ; SEEBODE J R 1 9 7 3 S. 119; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 110. - A . A . BRINGEWAT N S t Z 1 9 8 5 S. 5 3 6 ; LABSCH N J W
1986 S. 105 f; RIEMANN Vermögensgefährdung, S. 131 f. - Vergleichbar liegt die Problematik beim Erschleichen einer für das „electronic-cash-Verfahren" geeigneten Karte; a.A. ALTENHAIN JZ 1997 S. 757.
403 Vgl. dazu BGH StV 1989 S. 199 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 263/29; RANFT Jura 1992 S. 69 f; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 110. 404
Vgl. einerseits BGHSt 24 S. 386, andererseits BGHSt 33 S. 244. - Zur Verwendung von für das „electronic-cash-Verfahren" geeigneten Karten vgl. ALTENHAIN JZ 1997 S. 753 ff.
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§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Bank eine sachliche Prüfung des Anspruches nicht durchführt, entspricht die Problematik der des Prozessbetruges . Bestraft wird gemäß Abs. 1 das vorsätzliche, sowie in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 das leichtfertige Verhalten, Abs. 4.
16
Dazu OLG Köln NJW 1982 S. 457; BayObLG MDR 1989 S. 1014.
17
Vgl. auch BGHSt 34 S. 265, 270 mit zust. Anm. ACHENBACH JR 1988 S. 251 ff, MEINE wistra 1988 S. 13 ff, und abl. Anm. LÜDERSSEN wistra 1988 S. 43 ff; BGHSt 36 S. 373, 374; D. GEERDS Wirts c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 2 5 3 f f ; GÖSSEL B . T . 2, § 2 3 R d n . 50; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 4 R d n . 20. - A . A .
OLG Karlsruhe NJW 1981 S. 1383; EBERLE Subventionsbetrug, S. 144 f; GÜNTHER SK n , § 264 Rdn. 58; HACK P r o b l e m e , S . 106; KINDHÄUSER J Z 1991 S. 4 9 2 ff, 4 9 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 R d n . 18; MITSCH B . T . n / 2 , § 3 R d n . 56; RANFT N J W 1986 S. 3 1 6 6 f; RENGIER B . T . I, § 17 R d n . 5; SANNWALD
Rechtsgut, S. 65; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 689. - Differenzierend: ACHENBACH BGH-FG, S. 6 1 0 f f ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 4 R d n . 4 7 ; TENCKHOFF B e m m a n n - F S , S . 4 6 9 ff, 4 7 8 ; TIEDEMANN L K ,
§ 264 Rdn. 84. 18
Dazu auch GÖSSEL B.T. 2, § 23 Rdn. 52. - A.A. BGHSt 32 S. 203 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN NStZ 1985 S. 73, und abl. Anm. OTTO JR 1984 S. 475 ff; OLG Hamburg NStZ 1984 S. 218; MITSCH B.T. U/2, § 3 R d n . 5 2 ; RANFT JUS 1986 S. 4 4 5 ff; WAGNER J Z 1987 S. 7 1 2 .
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Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch
§61
4. Schwere Fälle des Subventionsbetrugs a) Die Qualifikationen des § 263 Abs. 5 gelten für § 264 entsprechend, Abs. 2. 22 b) Abs. 3 sieht eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle der vorsätzlichen Tatbe- 23 standsverwirklichung gemäß Abs. 1 vor. - Als Regelbeispiele sind genannt: Die Erlangung einer Subvention großen Ausmaßes, Handeln aus grobem Eigennutz oder unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege (Nr. 1), Missbrauch der Stellung als Amtsträger (Nr. 2), Mithilfe eines Amtsträgers, der seine Befugnisse oder Stellung missbraucht (Nr. 3). 5. Tätige Reue und Nebenstrafen Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 5, zu den Nebenstrafen Abs. 6.
24
6. Konkurrenzen a) Werden in einem auf rechtswidrige Erlangung einer Subvention gerichteten Verfahren 25 zunächst Bescheinigungen i.S. des Abs. 1 Nr. 4 ausgestellt und später aufgrund ihrer Vorlage die Subvention geleistet, so liegt nur eine Tat nach Abs. 1 Nr. 1 vor. Hier erhält das in Abs. 1 Nr. 4 erfasste Verhalten keine Eigenständigkeit. Anders hingegen, wenn der Täter bei Erlangung der Bescheinigung gutgläubig war oder ein Dritter die Bescheinigung erlangt hat. - Handelte der Täter bei der Erlangung der Bescheinigung leichtfertig, Abs. 1 Nr. 1 oder 3 in Verb, mit Abs. 4, bei der Vorlage der Bescheinigung aber vorsätzlich, so erscheint eine Konsumtion des leichtfertigen Verhaltens durch die vorsätzliche Tat angemessen. b) Sind mehrere Alternativen des Tatbestandes erfüllt, so liegt dennoch nur ein Delikt ge- 26 mäß § 264 vor. c) Nach dem in der Höhe des Strafmaßes zum Ausdruck kommenden Willen des Ge- 27 setzgebers geht § 264 dem § 263 als Sonderregelung stets dann vor, wenn das Tatverhalten als vollendeter Subventionsbetrag zu bewerten ist.19 - Betrifft die Tathandlung eine Subvention, ohne dass § 264 vollendet wird, so wird die Strafbarkeit gemäß § 263 nicht ausgeschlossen.2*)
m . Kreditbetrug, § 265 b 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Funktionieren des Kreditwesens; daneben wird mittelbar 28 auch das Vermögen geschützt.21 - Die Tat ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betruges. 19
V g l . B G H S t 3 2 S. 2 0 6 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 Rdn. 3 0 ; MITSCH B . T . n / 2 , § 3 Rdn. 4 2 ; TIEDEMANN
LK, § 264 Rdn. 161. - Für Idealkonkurrenz: ACHENBACH JR 1988 S. 254; GÖSSELB.T. 2, § 23 Rdn. 68. 20
B G H wistra 1 9 8 7 S. 2 3 ; RANFT N J W 1 9 8 6 S. 3 1 6 4 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 Rdn. 162; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 4 Rdn. 39.
21
Vgl. dazu OLG Stuttgart NStZ 1993 S. 545; GEERDS FLF 1988 S. 96; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 232 ff; KIEBNER Kreditbetrug - § 265 b StGB, 1985, S. 55 f; LAMPE Der Kreditbetrug (§§ 263, 265 b StGB), 1980, S. 37 ff; SCH/SCH/PERRON § 265 b Rdn. 3; TIEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 9. - Vorrangig für V e r m ö g e n s s c h u t z : GÜNTHER S K n , § 2 6 5 b Rdn. 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 1 Rdn. 166; MITSCH B . T . D / 2 , § 3 Rdn. 173; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 5 b Rdn. 6.
305
§61
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Der relevante Kredit 29 a) Relevant sind nur Kredite, die von einem Betrieb oder Unternehmen als Kreditgeber gewährt werden. Als Kreditnehmer muss gleichfalls ein Unternehmen auftreten, sei es auch nur, dass der Betrieb, das Unternehmen oder der Umfang eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs vorgetäuscht wird. 30 b) Zum Begriff des Betriebs und Unternehmens sowie zum notwendigen Geschäftsumfang vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 HGB. - Zum Begriff des Kredits vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 2. Nicht erfasst werden demnach von der Vorschrift Kredite an erst zu gründende Unternehmen22 sowie Kredite an Privatpersonen und Kredite von Privatpersonen. Hier sind lediglich §§ 263,266 einschlägig.
3. Die Tatbestandsvoraussetzungen a) Die maßgebliche Tatsituation 31 Erforderlich ist, dass die einzelnen im Gesetz, Abs. 1 Nr. 1, 2 umschriebenen Täuschungshandlungen im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung eines Kredits vorgenommen werden. - Täuschungshandlungen im Vorfeld der Antragsstellung bleiben irrelevant, wenn es nicht zur Stellung eines Kreditantrages kommt. b) Tathandlungen sind: 32 aa) Nach Abs. 1 Nr. 1: die Vorlage unrichtiger oder unvollständiger Unterlagen über die wirtschaftlichen Verhältnisse (Nr. 1 a) und die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger schriftlicher Angaben über wirtschaftliche Verhältnisse (Nr. 1 b), soweit diese für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Entscheidung über den Kreditantrag relevant sind, d.h. die Kreditgrundlage für den Kreditnehmer positiver erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit ist. - Wirtschaftliche Verhältnisse sind Umstände, die für die Sicherheit des Kredits von Belang sein können. - Vorgelegt sind die Unterlagen, wenn sie im Machtbereich des Kreditgebers eingegangen sind. - Vorteilhaft sind die Angaben, soweit sie geeignet sind, die Aussichten des konkreten Kreditantrags zu verbessern. 33 bb) Nach Abs. 1 Nr. 2: die Verletzung der Offenbarungspflicht über Verschlechterungen der in den Unterlagen oder Angaben dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse. - Der Gesetzgeber berücksichtigt hier, dass bei der Gewährung von Krediten oftmals Unterlagen, z.B. Jahresabschlussbilanzen o.ä. vorgelegt werden, die für einen zurückliegenden Zeitpunkt erstellt wurden, so dass sie eine inzwischen eingetretene Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage noch nicht erfassen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Vorlage des Antrages. Das Verschweigen späterer Verschlechterungen ist nicht tatbestandsmäßig, auch wenn damit eine kaum zu begründende Strafbarkeitslücke vorliegt. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit aber eindeutig.23 34 Täter des Unterlassungsdelikts nach Abs. 1 Nr. 2 ist, wer die Unterlagen vorlegt oder die Angaben macht. Es handelt sich um ein Sonderdelikt, dessen Begehung durch andere Personen nur gemäß § 14 möglich ist.24 35 c) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz, einschließlich des bedingten Vorsatzes. 22
BayObLG wistra 1990 S. 237.
23
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 6 5 b R d n . 6; SCH/SCH/PERRON § 2 6 5 b R d n . 4 7 . - A . A . TIEDEMANN L K , § 2 6 5 b Rdn. 9 5 .
24
Dazu vgl. TIEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 96.
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4. Zur Tätigen Reue vgl. § 265 b Abs. 2.
36
5. Konkurrenzen Mit Betrug ist aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz 37 möglich.25
IV. Kapitalanlagebetrug, § 264 a 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechtsgut Mit dem Tatbestand des Kapitalanlagebetruges wollte der Gesetzgeber auf dem Gebiete 38 der Kapitalanlagen den nach seiner Auffassung durch das zuvor geltende Recht nicht ausreichend gewährten, jedoch dringend notwendigen Strafrechtsschutz bieten. Er machte die Strafbarkeit nicht vom Eintritt eines Vermögensschadens abhängig, und die Tathandlung muss nicht notwendig auf eine Vermögensschädigung im Sinne des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs abzielen. Auch Verhaltensweisen, die auf Vorspiegelung von Gewinnen gerichtet sind, fallen unter den Tatbestand, d.h. dieser erfasst Verhaltensweisen, die auf Vermögensschädigung, aber auch zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichtet sind. Es handelt sich bei dem Tatbestand daher um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das das Vertrauen der Allgemeinheit in das Funktionieren des Kapitalmarktes schützen soll.26 Dem auf Vermögensschädigung und zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichteten Tat- 39 verhalten kommt die Bedeutung eines Strafwürdigkeitselementes zu, daher bietet der Tatbestand sekundär auch individuellen Vermögensschutz, und zwar in umfassendem Sinne und nicht nur in dem durch den wirtschaftlichen Vermögensbegriff umrissenen.27 2. Der sachliche Anwendungsbereich In § 264 a hat der Gesetzgeber nicht die unrichtige oder auf Täuschung beruhende Anla- 40 geberatung schlechthin unter Strafe gestellt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist vielmehr begrenzt auf Wertpapiere, Bezugsrechte und Anteile, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, § 264 a Abs. 1 Nr. 1, sowie auf Anteile an einem Vermögen, dass ein Unternehmen im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung verwaltet, § 264 a Abs. 2. 25
Vgl. dazu BERZ BB 1976 S. 1435 ff; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 242 f; OTTO Jura 1983 S. 23; TIEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 115; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 695. - A.A. BGHSt 36 S. 130 mit A n m . KINDHÄUSER J R 1990 S. 5 2 0 f f ; GÜNTHER S K n , § 2 6 5 b R d n . 2 8 ; HEINZ G A 1977 S. 226:
§ 265 b ist subsidiär gegenüber § 263. 26
Vgl. auch BT-Drucks. 10/318, S. 22; CERNY MDR 1987 S. 272; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 2 0 4 ff; GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 6; JAATH Dünnebier-FS, S. 6 0 7 ; KNAUTH N J W 1987 S. 28; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 1; MJTSCH B.T. n / 2 , § 3 R d n . 87; MÖHRENSCHLAGER wistra 1982 S. 205; OTTO W M 1988 S. 736; TIEDEMANN J Z 1986 S. 872; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 4 a R d n . 4 ; WE-
BER NStZ 1986 S. 486; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 692. - A.A. Vermögensschutz: JOECKS wistra 1986 S. 143 f; GÖSSEL B.T. 2, § 23 Rdn. 69; GÜNTHER S K n , § 2 6 4 a R d n . 7; JACOBI D e r Straf-
tatbestand des Kapitalanlagebetrugs (§ 264 a StGB), 2000, S. 51; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 156; WORMS Anlegerschutz durch Strafrecht, 1987, S. 3 1 2 ff. 27
Schutz des Vertrauens in den Kapitalmarkt und Vermögensschutz sehen als gleichwertige Rechtsgüter an: BGH (Z) wistra 1992 S. 214; MARTIN Criminal Securities Commodities Fraud, 1993, S. 172 f; MUTTER NStZ 1991 S. 422.
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41 a) Als Anteil, der eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren soll, ist jede Form der Beteiligung an einem Ünternehmen zu verstehen, bei der der Anleger entweder selbst einen Gesellschaftsanteil an dem Unternehmen erwirbt oder in eine sonstige unmittelbare - Rechtsbeziehung zu dem Unternehmen tritt, die ihm eine Beteiligung an dem Ergebnis dieses Unternehmens verschafft, z.B. Anteile an Kapitalgesellschaften, Gesellschaftsanteile an Personengesellschaften, Beteiligungen als stiller Gesellschafter oder in Form eines partiarischen Darlehens. - Oftmals wird der Tatbestand zugleich in der Alternative des Erwerbs von Wertpapieren verwirklicht sein, da insoweit Überschneidungen möglich sind.28 4 2 Nicht anwendbar ist § 264 a hingegen auf sog. Bauherrn-, Bauträger- und Erwerbermodelle, soweit diese auf die Verschaffung von individuellem Wohnungseigentum abzielen. Sie gewähren keine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens, und zwar selbst dann nicht, wenn man die neben dem Sondereigentum an der Wohnung entstehende Miteigentümergemeinschaft an den übrigen Gebäudeteilen und dem Grundstück in die Betrachtung miteinbezieht. Hier handelt es sich, genau wie bei sog. Mietpools, um Verwaltungs- bzw. Risikogemeinschaften, die neben dem eigentlichen Anlagezweck bestehen und ihn unterstützen, das Anlageobjekt selbst aber nicht berühren.29
43 b) Wertpapiere sind Urkunden, die ein Recht in der Weise verbriefen, dass es ohne die Urkunde nicht geltend gemacht werden kann.3° In Betracht kommen Aktien, Industrieobligationen, öffentliche Anleihen, Pfandbriefe, Investmentzertifikate u.ä. 44 c) Bezugsrechte sind den Anteilen und Wertpapieren gleichgestellt, da sie, auch wenn sie nicht verbrieft sind - z.B. als Recht der Aktionäre einer AG oder einer KGaA bei einer Kapitalerhöhung einen ihrem Anteil an dem bisherigen Grundkapital entsprechenden Teil neuer Aktien zugeteilt zu bekommen -, diesen in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung durchaus entsprechen können. 45 d) § 264 a Abs. 2 erstreckt die Strafbarkeit auf Treuhandbeteiligungen in Form der „echten" Treuhand, d.h. auf Anteile an einem Treuhandvermögen, das ein Unternehmen im eigenen Namen für Rechnung der Anleger verwaltet. In Betracht kommen Treuhandbeteiligungen an Abschreibungsgesellschaften, wenn anstelle des Anlegers der Treuhänder Gesellschafter wird, an Reedereien, Immobilienfonds und sonstigen Fonds.31 3. Die Tathandlung 46 Die Tathandlung besteht in der Täuschung der präsumtiven Anleger durch unrichtige vorteilhafte Angaben oder durch Verschweigen nachteiliger Tatsachen, die für die Anlageentscheidung erheblich sind. a) Unrichtige vorteilhafte Angaben 47 Der Begriff der Angabe entspricht dem der Tatsache; dazu vgl. § 51 Rdn. 9. Auch Bewertungen und Prognosen fallen daher unter den Begriff der Angaben, soweit sie nicht er28
im einzelnen dazu OTTO WM 1988 S. 737 m.w.N.
29
Vgl. auch GÖSSEL B.T. 2, § 23 Rdn. 75; GRANDERATH DB 1986, Beilage 18, S. 6; JOECKS wistra 1986 S. 144; KALIGIN W P g 1987 S. 357; MARTIN Securities, S. 168; MUTTER N S t Z 1991 S. 4 2 2 ; OTTO W M
1988 S. 737; Tiedemann LK, § 264 a Rdn. 29; WORMS Anlegerschutz, S. 318; DERS. wistra 1987 S. 246. - A.A. RICHTER wistra 1987 S. 118; SCHMIDT-LADEMANN WM 1986 S. 1242; beim Mietpool: FLANDERKA/HEYDEL wistra 1990 S. 256 ff. 30
Zum Teil enger, zum Teil weiter: TIEDEMANN LK, § 264 a Rdn. 22.
31
Vgl. B T - D r u c k s . 10/318, S. 2 2 f; JOECKS wistra 1986 S. 144; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 4 ; MÖHRENSCHLAGER wistra 1982 S. 2 0 6 ; OTTO W M 1988 S. 7 3 7 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 3 0 f; WORMS
Anlegerschutz, S. 320 f.
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kennbar als bloße Meinungsäußerung oder Werturteil ohne jeglichen Tatsachenkern abgegeben werden. Unrichtig ist die Angabe, wenn sie nicht der Wahrheit entspricht, d.h. „wenn mit ihr nicht vorhandene Umstände als vorhanden oder vorhandene Umstände als nicht vorhanden bezeichnet werden" 32 Werturteile, Prognosen, Schätzungen und Beurteilungen sind allerdings nur dann als unrichtig anzusehen, 4 8 wenn die Angaben evident unrichtig sind derart, dass nach einheitlichem Konsens der einschlägigen Fachleute die vorgelegten Schlussfolgerungen oder Beurteilungen unvertretbar sind. Sind z.B. bei Renditeberechnungen verschiedene Methoden anerkannt, so kann nicht eine als die allein richtige angesehen werden. Der Rahmen der Vertretbarkeit ist hier vielmehr auch für die Richtigkeit maßgebend.33
Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie geeignet sind, die konkreten Aussichten für eine 49 positive Anlageentscheidung zu verbessern. b) Verschweigen nachteiliger Tatsachen Das Verschweigen nachteiliger Tatsachen liegt in der Unterdrückung von Tatsachen, de- 50 ren Kenntnis geeignet wäre, den eventuellen Interessenten von der Entscheidung für die Anlage abzuhalten. § 264 a begründet die Pflicht, nachteilige Tatsachen zu offenbaren. In dieser Alternative handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt.
c) Die Erheblichkeit der unrichtigen vorteilhaften Angaben oder der verschwiegenen nachteiligen Tatsachen Nur dann sind die Angaben oder Tatsachen tatbestandsmäßig, wenn sie sich auf Umstände 51 beziehen, die für die Anlageentscheidung erheblich sind. Aufgrund der Schutzrichtung des § 264 a, den Kapitalanleger vor vermögensschädigenden und auf zweckverfehlten Mitteleinsatz abzielenden Angeboten zu schützen, sind erheblich solche Angaben und Tatsachen, die nötig sind, um Wert, Chancen und Risiken der Kapitalanlage zutreffend zu beschreiben. Als Maßstab bietet sich hier die Entscheidung eines verständigen durchschnittlich vorsichtigen Anlegers an.34 Unrichtige Angaben, soweit es sich nicht um Bagatellunrichtigkeiten oder ent- 52 scheidungsirrelevante Angaben handelt, werden im Regelfall erheblich sein, da gerade die Unrichtigkeit der Angabe die Anlageentscheidung beeinflussen soll. Schwieriger stellt sich die Beurteilung beim Verschweigen von Tatsachen dar, da hier eine Gesamtwürdigung der Umstände der Aussage, insbes. ein Vergleich der gemachten Angaben im Verhältnis zur Risiko- und Chancenlage der Anlage nötig wird. Auch hier sind die Anforderungen an die Erheblichkeit der Tatsachen jedoch hin- 53 reichend bestimmt, wenn streng darauf gesehen wird, dass es sich bei den verschwiegenen Tatsachen um Angaben handeln muss, die Wert, Chancen oder Risiken der Kapitalanlage berühren, so dass durch ihr Verschweigen die Gefahr der Vermögensschädigung oder des zweckverfehlten Mitteleinsatzes begründet wird.35 32 33
BT-Drucks. 10/318, S. 24. Dazu vgl. auch RGSt 49 S. 363; GROTHERR DB 1986 S. 2586; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 5 4 ; WORMS A n l e g e r s c h u t z , S. 3 2 6 .
34
Vgl. dazu auch BT-Drucks. 10/318, S. 24; BGHSt 30 S. 285; GÖSSEL B.T. 2, § 23 Rdn. 77; GRANDERATH D B 1986, B e i l a g e 18, S. 7; JOECKS D e r K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , 1987, T z . 59, 129; TEEDEMANN L K , § 2 6 4 a Rdn. 49.
35
Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 213 ff; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 13; TIEDEMANN J Z 1986 S. 8 7 3 ; DERS. L K , § 2 6 4 a R d n . 4 7 f f ; WORMS w i s t r a 1987
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4. Tatmodalitäten 54 a) Die Täuschung muss im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Anteilen im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 oder dem Angebot, die Einlage auf diese Anteile zu erhöhen, Abs. 1 Nr. 2, gegenüber einem größeren Kreis von Personen erfolgen. 55 Vertrieb ist eine auf Absatz einer Vielzahl von Anteilen gerichtete Tätigkeit, die sich an den Markt wendet und zu dessen Täuschung führen kann, so z.B. Werbe- und Angebotsaktionen, nicht aber allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen.36 56 Dass individuelle Angebote, insbes. also individuelle Anlageberatungen, nicht erfasst werden, ergibt sich aus dem weiteren Erfordernis, dass die Tathandlung gegenüber einem größeren Kreis von Personen vorgenommen wird, d.h. gegenüber einer solch großen Zahl potentieller Anleger, dass deren Individualität gegenüber dem sie zu einem Kreis verbindenden potentiell gleichen Interesse an der Kapitalanlage zurücktritt.37 Auch eine sukzessive, planmäßig an eine Vielzahl von Personen gerichtete Werbung, z.B. die systematische Werbung von Tür zu Tür, erfüllt den Tatbestand.38
57 Das Angebot, die Einlage zu erhöhen, betrifft nur Personen, die schon Anteile im Sinne des § 264 a Abs. 1 Nr. 1 erworben haben. Tatbestandsmäßig ist auch hier nur eine neue Kapitalsammeimaßnahme, nicht aber ein individuelles Angebot. 58 Mit dem Erfordernis des Zusammenhangs mit dem Vertrieb wird klargestellt, dass die Täuschungshandlung im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer bestimmten Vertriebsmaßnahme stehen muss, so dass allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen, insbes. die Informationstätigkeit von Wirtschaftsjournalisten, nicht ausreichen. 59 b) Beschränkt ist die Tathandlung weiter auf Angaben in Prospekten oder in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand. 60 Prospekte sind Werbe- oder Informationsschriften, die den Eindruck erwecken, die für die Beurteilung einer Anlageentscheidung erheblichen Angaben zu enthalten und die damit zugleich Grundlage für die Anlageentscheidung sein sollen. Erkennbar lückenhafte Informationen, wie z.B. Werbezettel oder Inserate, genügen diesen Anforderungen nicht. Darstellungen sind Informationen, die den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. Sie können mündlich oder schriftlich, durch Ton- oder Bildträger gegeben werden. Übersichten über den Vermögensstand sind Vermögensübersichten, z.B. Bilanzen, die schriftlich gegeben werden und den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. 5. Subjektiver Tatbestand 61 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der neben der Tathandlung auch die Modalitäten der Tathandlungen umfassen muss; bedingter Vorsatz genügt.
S. 273. - Krit. WEBER NStZ 1986 S. 485. - Zur indiziellen Bedeutung der im Zivilrecht entwickelten Grundsätze der Prospekthaftung und der sog. Kapitalanlage-Checklisten vgl. BT-Drucks. 10/5058, S. 31; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 2 2 8 f; GROTHERR D B 1 9 8 6 S. 2 5 8 8 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 4 a R d n . 37; JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 143 f f , 169 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 13; OTTO W M
36
1988 S. 738; SCHLOCHTER Zweites Gesetz, S. 139 f; WORMS wistra 1987 S. 273. - Krit. GALLANDI wistra 1987 S. 316 ff. Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 24.
37
Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 23.
38
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 11; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a R d n . 33; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 4 a Rdn. 13.
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6. Täterschaft und Teilnahme Da es sich bei § 264 a nicht um ein Sonderdelikt handelt, kann Täter jeder sein, der die 62 Tathandlung verwirklicht. Das bedeutet aufgrund der unterschiedlichen Tatmodalitäten: a) Bei der Täuschung durch Prospekte sind Täter die Personen, die für den Prospektinhalt 63 verantwortlich sind, weil sie an der Konzeption mitgewirkt haben oder weil sie als Verantwortliche für die Richtigkeit des Prospekts auftreten. Dieses können nicht nur die Emittenten, sondern auch Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sein, während Anlageberater und Anlagevermittler, die sich erkennbar der Prospekte anderer, die für den Inhalt verantwortlich sind, bedienen, nur als Teilnehmer in Betracht kommen.39 b) Bei der Täuschung durch Darstellungen und Übersichten sind gleichfalls Täter die für 64 den Inhalt dieses Informationsmaterials verantwortlichen Personen. Hier kommt jedoch auch eine täterschaftliche Haftung von Anlageberatern und Anlagevermittlern in Betracht, wenn diese sich dieser Darstellung und Übersichten bedienen, ohne deutlich erkennbar zu machen, dass sie lediglich Informationen, für deren Inhalt andere verantwortlich sind, weitergeben. 7. Tätige Reue, § 264 a Abs. 3 Der modernen Gesetzestechnik bei den abstrakten Gefährdungsdelikten folgend, sieht 65 § 264 a Abs. 3 für den Täter nach formeller Tatverwirklichung, aber vor materieller Tatbeendigung eine strafbefreiende Rücktrittsmöglichkeit vor. Straffreiheit erlangt der Täter, der nach formeller Vollendung der Tat, aber vor Er- 66 bringung der Leistung entweder die Leistung freiwillig verhindert oder sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemüht, falls die Leistung ohne sein Zutun nicht erbracht wird. - Straffrei wird der Täter allerdings auch dann, wenn der Anleger die Leistung erbringt, obwohl er vorher vom Täter über den unrichtigen Sachverhalt aufgeklärt worden ist. Ist jedoch im Zeitpunkt der Rücktrittshandlung ein Betrug, § 263, bereits als Eingehungsbetrug vollendet, so erstreckt sich die Straffreiheit nicht auf ihn.40 8. Konkurrenzen Aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter konkurrieren §§ 263, 266 so- 67 wie § 264 a idealiter, § 52.41 Idealkonkurrenz ist weiter möglich mit §§ 88, 89 BörsG.42 Gegenüber § 4 UWG ist § 264 a die lex specialis.«
39
Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 213; SCHMIDT-LADEMANN W M 1986 S. 1242 f. - A.A. GÖSSEL B . T . 2, § 2 3 R d n . 87; JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 2 2 0 ; TEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 7 5 ;
WORMS wistra 1987 S. 274. 40
Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 264 a Rdn. 16; RICHTER wistra 1987 S. 120, Fn. 47; WORMS wistra 1987
4 1
Vgl. a u c h D . GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 2 3 1 f; KAUGIN W P g 1987 S. 364; MITSCH B . T . D/2, § 3 R d n . 88; RICHTER wistra 1987 S. 120; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a R d n . 4 1 ; TRÖNDLE/RSCHER § 2 6 4 a
S. 2 7 5 . - A . A . JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 266; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 71.
Rdn. 3; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 693. - A.A. (Subsidiarität des § 264 a): LACKNER/KÜHL §
264 a Rdn. 17; sowie diejenigen, die bei § 264 a allein das Vermögen als geschütztes Rechtsgut ansehen. 42
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 7. - A . A . (Subsidiarität d e s § 88): SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a R d n . 4 1 ; TRONDLE/FISCHER § 2 6 4 a R d n . 18.
43
Vgl. dazu OTTO WM 1988 S. 739, RICHTER wistra 1987 S. 120. - A.A. (Idealkonkurrenz): JOECKS Kapitalanlagebetrug, Tz. 269; LACKNER/KÜHL § 264 a Rdn. 7; WORMS wistra 1987 S. 275.
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V. Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 1, 3 1. Das geschützte Rechtsgut 68 Die Tatbestände schützen das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung. 2. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 1, 4 a) Die Täterposition 69 Täter kann nur der Arbeitgeber oder eine ihm gleichgestellte Person sein. Die Täterposition ist kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1; vgl. dazu § 54 Rdn. 57. 70 Da § 266 a Abs. 1 an die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers anknüpft, ist der Begriff des Arbeitgebers hier nach den im Sozialrecht geltenden Grandsätzen zu bestimmen. Danach sind neben dem zivilrechtlichen Arbeitgeber - dazu vgl. § 54 Rdn. 59 - auch die Personen als Arbeitgeber erfasst, die die tatsächliche Stellung des Arbeitgebers einnehmen, sich aber z.B. eines Strohmannes bedienen** oder als Verleiher oder Entleiher beim illegalen Verleih von Arbeitnehmern tätig werden. - Täter können weiter die in § 14 genannten Vertreter und Organe sein. - Die nach Abs. 4 dem Arbeitgeber gleichgestellten Personen sind in § 12 SGBIV näher beschrieben. b) Die Tathandlung 71 Beiträge des Arbeitnehmers sind die nach dem Arbeitsentgelt gemäß § 14 SGB IV zu berechnenden, auf ihn entfallenden Beitragsteile, die aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für die Sozialversicherung (Kranken- und Rentenversicherung) und für die Bundesanstalt für Arbeit zu entrichten sind. Sie sind Bestandteile des Bruttolohns, auch wenn sich der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer zur alleinigen Tragung der Beiträge verpflichtet hat oder wenn die Beteiligten vereinbart haben, keine Sozialbeiträge abzuführen.45 Stets muss es sich aber um Beiträge handeln, die der Arbeitnehmer selbst entrichten müsste, hätte das Gesetz die Abführungsaufgabe nicht dem Arbeitgeber auferlegt, d. h. um Mittel, die materiell dem Arbeitnehmer zuzurechnen sind. Die mit einer teilweisen oder vollständig unterlassenen Lohnzahlung verbundene Nichtabführung reicht daher nicht aus.46
44 45 46
Dazu BGH GA 1955 S. 81; OLG Hamm NStZ-RR 2001 S. 173. Vgl. BGHSt 38 S. 285 mit Anm. FRANZHEIM JR 1993 S. 75; 39 S. 146,157 f. Vgl. auch OLG Hamm GmbHR 1999 S. 1030; BENTE wistra 1992 S. 177 f; BITTMANN wistra 1999 S. 4 4 1 ; BÜHLER N S t Z 1998 S. 2 8 4 f; GIESECKE G m b H R 1999 S. 1032 f; GRIBBOHM L K , § 2 6 6 a R d n . 3 0 f f ; JAESTAED G m b H R 1998 S. 6 7 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 8; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 a R d n . 9; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 a R d n . 116 - A . A . B G H (Z) N S t Z 2 0 0 1 S. 9 1 mit A n m . BITTMANN S. 9 5 f f ,
HEGHMANNS wistra 2001 S. 51 ff, OTTO JK 00, StGB § 266a/l, RANFT DStR 2001 S. 132 ff, WEGNER
NStZ 2001 S. 94 f; KG NStZ 1991 S. 287; OLG Celle JR 1997 S. 478 mit abl. Anm. GRIBBOHM S. 479 ff; OLG Dresden NStZ-RR 2000 S. 304; OLG Düsseldorf GmbHR 1997 S. 650; OLG Naumburg BB 1999 S. 1621; OLG Rostock BB 1998 S. 34; HEY GmbHR 1999 S. 760 f; MARTENS wistra 1986 S. 156; MITSCH J Z 1994 S. 888; DERS. B.T. H/2, § 4 R d n . 15; RÖNNAU wistra 1997 S. 16; TAG D a s
Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung sowie das Veruntreuen von Arbeitsentgelt, 1994 S. 105 ff; WEGNER wistra 1998 S. 286 f. 312
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Nicht erfasst werden die in den Beiträgen enthaltenen Arbeitgeberbeiträge, und zwar auch dann nicht, wenn das Gesetz die Arbeitnehmeranteile auf den Arbeitgeber abgewälzt hat; vgl. z.B. § 381 Abs. 1 RVCM? Vorenthalten sind die Beiträge, wenn sie nicht spätestens am Fälligkeitstage an die Ein- 72 zugsstelle abgeführt worden sind; zum Fälligkeitszeitpunkt vgl. § 23 I SGB IV. Die Absicht, die Beiträge auf Dauer zu behalten, ist nicht erforderlich. - Vorausgesetzt wird, dass dem Täter die Zahlung möglich und zumutbar ist, doch werden ihm - nach den Regeln der omissio libera in causa - solche Verhaltensweisen zugerechnet, mit denen er seine Handlungspflicht schuldhaft unmöglich oder ihre Erfüllung unzumutbar gemacht hat.48 Ein Vorrang der Ansprüche des Sozialversicherungsträgers vor anderen fälligen zivilrechtlichen Verbindlichkeiten lässt sich jedoch nicht begründen.^ 3. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 3 a) Die Täterposition Täter kann nur ein Mitglied einer Ersatzkasse sein, d.h. eine Person, die von der Mit- 73 gliedschaft einer Pflichtkrankenkasse befreit und nach § 504 ff RVO in eine Ersatzkasse aufgenommen worden ist. b) Die Tathandlung Zu den relevanten Beiträgen und zum Vorenthalten, vgl. Rdn. 71 ff. Die Beiträge sind vom 74 Arbeitgeber erhalten, wenn sie von diesem oder auf dessen Veranlassung unter Kennzeichnung ihrer Zweckbestimmung dem Vermögen des Täters zugeführt worden sind. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt; dazu vgl. § 54 Rdn. 63.
75
5. Absehen von Strafe und Straffreiheit, Abs. 5 a) Absehen von Strafe Abs. 5 S. 1 eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn der Täter 76 rechtzeitig - spätestens im Fälligkeitszeitpunkt oder unverzüglich danach, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden - schriftlich mitteilt, in welcher Höhe er Beiträge vorenthalten hat, und welche Gründe zur Unmöglichkeit der fristgerechten Zahlung geführt haben, obwohl er sich ernsthaft um die Zahlung bemüht hat. - Diese Voraussetzungen können nicht wörtlich genommen werden, da die Unmöglichkeit fristgerechter Zahlung ein tatbestandsmäßiges Verhalten ausschließt. Sie müssen daher als erfüllt angesehen werden, wenn das Vor-
47
Dazu vgl. auch BGH StV 1994 S. 425; LACKNER/KÜHL § 266 a Rdn. 7; MARTENS wistra 1986 S. 157; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 168.
48
V g l . GÜNTHER S K n , § 2 6 6 a R d n . 2 7 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a Rdn. 10; MITSCH B . T . H / 2 , § 4 R d n . 19; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 a R d n . 10, TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 a R d n . 10.
49
So auch OLG Dresden ZIP 1997 S. 1037; BENTE wistra 1997 S. 105; FRISTER JR 1998 S. 63; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 3 1 ; LÜCKE/MULANSKY Z I P 1 9 9 8 S. 6 7 5 f f ; STEIN DSTR 1 9 9 8 S. 1 0 6 0 ; TAG B B 1 9 9 7 S . 1 1 6 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 a R d n . 12; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 7 8 7 . - A . A . B G H Z 1 3 4 S. 3 0 4 m i t zust. A n m . HEGER JuS 1 9 9 8 S. 1 0 9 0 f f ; HELLMANN JZ 1 9 9 7 S. 1 0 0 5 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 10.
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bringen des Täters die Nichtzahlung aufgrund von Bemühungen, den Betrieb zu retten o.ä. verständlich macht.50 b) Straffreiheit 77 Straffreiheit tritt über Abs. 5 S. 1 hinaus zwingend ein, wenn nach Erfüllung der Voraussetzungen des S. 1 die Beiträge innerhalb einer von der Einzugsstelle gesetzten Frist nachentrichtet werden, Abs. 5 S. 2. - Solange die Frist läuft, ist die staatliche Strafbefugnis auflösend bedingt.51 6. Konkurrenzen 78 Wenn die Tathandlung auch den Tatbestand des Betrugs erfüllt, ist - je nach den Tatumständen - Real- oder Idealkonkurrenz möglich, da die beiden Tatbestände verschiedene Rechtsgüter schützen.52
VI. Insolvenzdelikte, §§ 283 - 283 d 7 9 Mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1.1.1999 wurden die ehemaligen Konkursstraftaten in Insolvenzstraftaten umbenannt, an Stelle der Konkurseröffnung trat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Konkursmasse wurde zur Insolvenzmasse und das Konkursverfahren zum Insolvenzverfahren. Insoweit handelte es sich nur um Änderungen begrifflicher Art. Sachlich nahm die InsO jedoch auch Einfluss auf die strafrechtlichen Regelungen, weil das Insolvenzverfahren schneller und leichter zu eröffnen ist als das bisherige Konkursverfahren.53
80 Geschützte Rechtsgüter der Insolvenzdelikte sind die Vermögensinteressen der Gläubiger und die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft.54 81 Die Taten sind abstrakte Gefährdungsdelikte. Wird hingegen nicht die Tathandlung, sondern die Tatsituation zum Ausgangspunkt der Bestimmung des Delikts genommen, so ist die Kennzeichnung der Delikte als abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte durchaus konsequent.55
50
Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 31; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 38 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 18; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 a R d n . 23; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 a R d n . 22; WINKELBAUER wistra 1988 S. 17.
51
Vgl.BGHSt7S.341.
52
Vgl. auch: GRIBBOHM L K , § 2 6 6 a R d n . 110; MAURACH/SCHOEDER/MAIWALD B.T. 1, § 4 5 R d n . 71;
SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 171. - A.A. (Konsumtion des § 266 a durch § 263): GÜNTHER SK n, § 2 6 6 a Rdn. 58; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a Rdn. 20; MARTENS wistra 1986 S. 158.
53 54
Vgl. dazu BT-Drucks. 12/2443, S. 84; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 10, 88. Vgl. D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 357 ff; MOOSMAYER Einfluss der Insolvenzordnung 1999 auf das Insolvenzstrafrecht, 1997, S. 133 ff; OTTO Bruns-GdS, S. 266; TIEDEMANN ZRP 1983 S. 520; WES-
SELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 458. - A.A. (Vermögen und gesamtwirtschaftliches System):
LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 1; SCH/SCH/HEINE § 2 8 3 R d n . 2; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 2 8 3 R d n . 3;
(ausschließlich Vermögensinteressen): GÖSSEL B.T. 2, § 28 Rdn. 2; KINDHÄUSER NK, Vor §§ 283 2 8 3 d R d n . 20; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 4 8 R d n . 8; PENZLIN Strafrechtliche A u s -
wirkungen der Insolvenzordnung, 2000, S. 32 ff. 55
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Dazu TIEDEMANN NJW 1977 S. 780 f.
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1. Bankrott, § 283 a) Angriffsobjekt und Tatzeit Angriffsobjekt ist der Anspruch des Gläubigers auf adäquate, d.h. der Rangordnung und Mehrheit der Gläubiger entsprechende Befriedigung. - Strafbar sind einzelne Bankrotthandlungen, wenn sie im Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Krise vorgenommen werden und - objektive Bedingung der Strafbarkeit - der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffhungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist. Krisensituationen sind die Überschuldung, die drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit. aa) Die Feststellung der Überschuldung setzt die Erstellung eines Vermögensstatus voraus, der auf der Aktiv- und Passivseite die wirklichen Werte zeitnah erfasst. Überschuldung liegt - schlagwortartig gekennzeichnet - dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, d.h. wenn die Passiva gegenüber den Aktiva überwiegen. Diese knappe Definition ist jedoch unzureichend, um die Bestimmung der Überschuldung eindeutig zu ermöglichen. - Die strafrechtliche Literatur ging vor Inkrafttreten der InsO z.T. von einer statischen Ermittlung der Überschuldung aus, wobei streitig war, ob die sog. Liquidationswerte maßgeblich sein sollten oder die sog. Betriebsfortführungswerte, d. h. die anhand einer Fortbestehungsprognose unter Berücksichtigung der Ertrags- und Lebensfähigkeit der Gesellschaft korrigierten Liquidationswerte, so dass erst dann eine Überschuldung vorlag, wenn auch mit Ansatz dieser going-concern-Werte die Überschuldung nicht beseitigt war. Der BGH in Zivilsachen hatte sich inzwischen zu dem im wirtschaftsrechtlichen Schrifttum herrschenden modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff bekannt. Danach lag eine Überschuldung nur vor, wenn das Vermögen bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckte (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft des Unternehmens nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreichte (Überlebens- oder Fortbestehungsprognose).56 Die InsO bestimmt in § 19 Abs. 2, dass Überschuldung vorliegt, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. - Diese Grundentscheidung sieht das strafrechtliche Schrifttum überwiegend auch als maßgeblich für das Strafrecht an, wobei z. T. allerdings gefordert wird, die Bewertung nach Fortführungswerten müsse schon durchgreifen, wenn das Weiterbestehen des Unternehmens nicht ganz unwahrscheinlich ist. An den Problemen der Insolvenz geht diese Auffassung jedoch vorbei:. Die InsO bestimmt in § 19 Abs. 2, dass Überschuldung vorliegt, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen,
56
Zur Beurteilung nach Zerschlagungswerten: FRANZHEIM wistra 1984 S. 212; KINDHÄUSER NK, Vor §§ 283 - 283 d Rdn. 95. - Zur Beurteilung nach Fortfiihrungswerten: RICHTER GmbHR 1984 S. 140; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 154 ff. - Zum modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff: BGHZ 119 S. 2 0 1 , 2 1 3 f; 129 S . 136.
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wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.57 - An den Problemen der Insolvenz geht diese Auffassung jedoch vorbei. Bei Zugrundelegung der echten Liquidationswerte wäre z. B. ein großer Teil der Unternehmen am Neuen Markt überschuldet, während realistische Fortführungswerte allein dann festzustellen sind, wenn ein Unternehmensverkauf durchführbar ist. Gerade diese Möglichkeit fehlt im Insolvenzfall regelmäßig. Nach wie vor überzeugt der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff. Seine Anwendung verhindert, dass leistungsfähige Unternehmen sinnlos zerschlagen werden.58 Auf diesem Wege lässt sich allerdings nur die Überschuldung eines Unternehmens im weitesten Sinne feststellen. Das ist auch sachgerecht, denn bei natürlichen Personen bedeutet die rechnerisch feststellbare Überschuldung im Regelfall keineswegs eine Gefährdung der Gläubigerinteressen. Die Anwendung der §§ 283 ff auf die Verbraucherinsolvenz stößt nicht nur an Wortlautgrenzen im Rahmen des § 283, sie ist grob sachwidrig.59 bb) Zahlungsunfähigkeit wurde vor Inkrafttreten der InsO definiert als das nach außen in Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des Täters, seine fälligen Geldschulden im wesentlichen zu erfüllen.60- Nach § 17 Abs. 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit hingegen bereits gegeben, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Ob im Insolvenzrecht damit die Merkmale der Wesentlichkeit, Dauerhaftigkeit und der ernsthaften Einforderung entfallen sind, ist str. Im Strafrecht besteht für eine derartige Verschärfung der strafbaren Situation kein Sachgrund. Zahlungsstockungen begründen keine Strafbarkeit.61 cc) Nach § 18 Abs. 2 droht die Zahlungsunfähigkeit, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Das bedeutet, Zahlungsunfähigkeit droht, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Wahrscheinlichkeit ihres nahen Eintritts besteht.62 b) Täter Täter des Bankrotts können nur Schuldner sein, und zwar jeder Schuldner, also auch Nichtkaufleute.63 Die Schuldnereigenschaft ist besonderes pflichtbegründendes Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1.« 57
Vgl. zur Grundsatzentscheidung: BIENECK StV 1999 S. 4 4 ; HÖFFNER B B 1999 S. 2 5 3 f f ; LACKNER/KÜHL 8 2 8 3 R d n . 6; MOOSMAYER Einfluss, S. 164; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n . 155; WESSELS/HLLLENKAMP B.T./2, Rdn. 461. - Z u r U m k e h r der Wahrscheinlichkeitsprognose: BIENECK, LACKNER/KÜHL, TIEDEMANN, WESSELS/HILLEN KAMP; gegen die U m k e h r : BITTMANN wistra 1999 S. 17.
58 59
Vgl. auch PENZLIN Auswirkungen, S. 155 ff; DERS. NZG 2000 S. 466 ff. bereits OTTO Bruns-GedS, S. 273 ff; im übrigen vgl. MOOSMAYER Einfluss, S. 70 ff; PENZLIN A u s w i r k u n g e n , S. 2 0 3 f f . - A . A . LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 6; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n . 147. -
Zum Privatkonkurs aufgrund von Zahlungsunfähigkeit: BGH NJW 2001 S. 1874,1875. 60
Vgl. dazu BGH StV 1987 S. 343; BGH wistra 1991 S. 26; BayObLG wistra 1988 S. 363.
61
Vgl. auch BITTMANN wistra 1998 S. 323; PENZLIN Auswirkungen, S. 150 ff; DERS. NZG 1999 S. 1203 f f ; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 2 8 3 R d n . 9; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 462. - Differenzierend:
MOOSMAYER Einfluss, S. 155 ff; Tiedemann LK, Vor § 283 Rdn. 125 ff. - A.A. BIENECK StV 1999 S. 4 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 7.
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Dazu BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 1067; OTTO Bruns-GedS, S. 278 ff; TRÖNDLE/FISCHER Vor § 283 Rdn. 10; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2 Rdn. 462. - Krit. zur drohenden Zahlungsunfähigkeit: PENZLIN Auswirkungen, S. 113 ff, 162. Dazu BGH wistra 2001 S. 306, 307. Str., vgl. KINDHÄUSER N K , § 2 8 3 R d n . 11; MITSCH B.T. n / 2 , § 5 R d n . 146; RENKL J u S 1973 S. 614; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 R d n . 228; TRÖNDLE/FISCHER § 2 8 3 R d n . 38. - A . A . ARZT/WEBER B.T., § 16
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Die Schuldnereigenschaft ist zugleich besonders persönliches Merkmal i.S. des § 14, 90 mit der Konsequenz, dass auch die dort genannten Organe und Vertreter Täter sein können. Bei den vertretungsberechtigten Organen der GmbH, d.h. bei ihren Geschäftsführern, schränkt der BGH den Täterkreis jedoch wesentlich ein. Er vertritt die Auffassung, dass als Täter gemäß § 283 nur bestraft werden kann, wer die Tathandlung für die GmbH und wenigstens auch in ihrem Interesse vorgenommen hat. Bei einem ausschließlich eigennützigen Verhalten des Täters ist dies nicht der Fall. Diese Interessentheorie ist in der Literatur vielfältig auf Kritik gestoßen.65 - Auch der BGH hat ihre Berechtigung in einer neueren Entscheidung offengelassen66 und zuvor bereits die Anwendung der Theorie auf den Geschäftsführer einer KG abgelehnt.67 Dieser Kritik ist zuzustimmen, denn der Geschäftsführer der GmbH, der rechtswirksam über Vermögen der GmbH verfügt, handelt in seiner Eigenschaft als Organ der GmbH.
c) Die einzelnen Tathandlungen aa) Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1: Verringerung der Insolvenzmasse durch Beiseiteschaffen, Verheimlichen 91 oder entgegen den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft Zerstören, Beschädigen oder Unbrauchbarmachen von Vermögensbestandteilen, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören würden. Beiseiteschaffen ist das Verbringen von Vermögensbestandteilen in eine tatsächliche oder 92 rechtliche Lage, in der den Gläubigern der Zugriff unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird, ohne dass dies im Rahmen der ordnungsgemäßen Wirtschaft liegt. Beispiele: Veräußerung, ohne dass der Masse Gegenwerte zufließen; Scheinveräußerung oder -belastung; Verbrauch von Summen, die über den angemessenen Lebensunterhalt hinausgehen (BGH JR 1982 S. 29 mit Anm. SCHLÜCHTER S. 29 ff); Überweisung von Geld auf Konten Dritter (BGH StV 1988 S. 14); Übertragen von Vermögenswerten auf anderes Unternehmen des Täters (OLG Frankfurt NStZ 1997 S. 551).
Verheimlichen ist das Verschleiern der Massezugehörigkeit. - Zum Zerstören und Be- 93 schädigen vgl. oben § 47 Rdn. 5 ff. Unbrauchbarmachen ist die Funktionsstörung oder Vernichtung ohne Substanzänderung. Der Widerspruch zu den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist zeitlich aus einer 94 ex-ante-Perspektive zu bestimmen, wobei maßgebliche Kriterien die wirtschaftlich vernünftige Zielsetzung, die sorgfältige Risikoabwägung und eine hinreichende Informationsgrundlage sind.68 Abs. 1 Nr. 2: Das Eingehen bestimmter Risikogeschäfte. Verlustgeschäfte sind Geschäfte, 95 die von vornherein auf einen Vermögensverlust angelegt sind. - Spekulationsgeschäfte beziehen sich auf besonders hohe Risikochancen. - Differenzgeschäfte sind Geschäfte, bei denen es dem Täter um die Differenz zwischen dem An- und Verkaufspreis geht, nicht aber um den Erwerb der Ware (z. B. Warenterminoptionsgeschäfte). - Unwirtschaftliche
R d n . 6 7 ; GÖSSEL B . T . 2, § 2 8 R d n . 16; JAKOBS Strafrecht, A . T . , 2. A u f l . 1991, 2 3 / 2 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 2 5 ; VORMBAUM G A 1981 S. 133.
65
Zur Rechtsprechung des BGH: BGHSt 28 S. 371; 30 S. 127; 34 S. 223; BGH NStZ 1984 S. 119. - Zur Krititk: ARLOTHNStZ 1990 S. 572 ff; GÖSSEL JR 1988 S. 256 ff; KINDHÄUSER NK, Vor §§ 283 - 283 d R d n . 5 2 f f ; LABSCH J u S 1985 S. 6 0 2 f f ; SCHÄFER wistra 1990 S . 85; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n .
78 ff. 66
BGH wistra 1990 S. 99.
67
V g l . B G H S t V 1988 S. 14 m i t A n m . WEBER S. 16 f f , u n d WINKELBAUER J R 1 9 8 8 S. 3 3 ff.
68
Im einzelnen dazu KINDHÄUSER NK, Vor §§ 283 - 283 d Rdn. 71 ff; KRAUSE Ordnungsgemäßes Wirtschaften und erlaubtes Risiko, 1995, S. 367 ff; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 106 ff.
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Ausgaben sind Ausgaben des Schuldners, die zu seinem Gesamtvermögen in keinem angemessenen Verhältnis stehen. Abs. 1 Nr. 3: Veräußerung und sonstiges Abgeben von Wertpapieren oder Waren sowie von den aus diesen Waren hergestellten Sachen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Kredits erlangt wurden, erheblich unter ihrem Wert in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise. Abs. 1 Nr. 4: Vortäuschung oder Anerkennung erdichteter Rechte anderer. Abs. 1 Nr. 5: Verletzung der Pflicht, Handelsbücher in bestimmter Weise zu führen. Abs. 1 Nr. 6: Beiseiteschaffen, Verheimlichen, Zerstören und Beschädigen von Handelsbüchern und sonstigen Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann nach Handelsrecht verpflichtet ist. Abs. 1 Nr. 7: Erstellen unübersichtlicher Bilanzen und Unterlassen der Aufstellung der Bilanz oder des Inventars. Das Unterlassen der Aufstellung der Bilanz oder des Inventars setzt voraus, dass dem Täter die Vornahme der Handlung rechtlich und tatsächlich möglich ist.69 Abs. 1 Nr. 8: In einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen Vermögensstand verringern oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlichen oder verschleiern, bb) Abs. 2 Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit über die in der Krise begangenen Handlungen auf jene Bankrotthandlungen aus, die erst die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, d.h. die Krise, herbeiführen. d) Subjektive Voraussetzungen aa) Strafbar gemäß Abs. 1 und Abs. 2 ist zunächst die vorsätzliche Verwirklichung des Tatbestandes. Der Vorsatz muss sich auch auf die Krisensituation beziehen. bb) Gemäß Abs. 4 ist strafbar, wer die Bankrotthandlung vorsätzlich begeht, das Vorhandensein der Krise jedoch fahrlässig nicht kennt oder die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit leichtfertig herbeiführt. cc) Gemäß Abs. 5 ist strafbar, wer bestimmte Bankrotthandlungen (Abs. 1 Nr. 2, 5, 7, Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2, 5, 7) fahrlässig begeht und das Vorhandensein der Krise wenigstens fahrlässig nicht kennt, bzw. die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit wenigstens leichtfertig herbeiführt. e) Strafbarkeitsvoraussetzung Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen Fällen der Eintritt der Zahlungseinstellung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens mangels Masse beim Schuldner. - Die systematische Auslegung des § 283 Abs. 6 ergibt, dass mit dem dort genannten Begriff „Täter" der „Schuldner" gemeint ist.70 Zahlungseinstellung liegt vor, wenn ein Schuldner wegen eines wirklichen oder angeblichen nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nach außen nicht mehr in der Lage ist, den wesentlichen Teil seiner fälligen Geldzahlungen zu erfüllen. Wesent69
Vgl. dazu BGHSt 28 S. 231; BGH wistra 1998 S. 178; BGH NJW 1998 S. 2836; BGH NStZ 2000 S. 206; OLG Düsseldorf DB 1998 S. 1856.
70
V g l . KINDHÄUSER N K , V o r §§ 2 8 3 - 2 8 3 d R d n . 4 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 2 6 ; TIEDEMANN N J W
1977 S. 780. - Kritisch LABSCH wistra 1985 S. 4.
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lichkeit ist bei 50 % der Nichtzahlungsquote anzunehmen.7' Die Zahlungseinstellung muss nicht auf Zahlungsunfähigkeit beruhen, es genügt z. B. Zahlungsunwilligkeit.72 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Abwägung des Antrags auf Eröffnung 103 (§§ 13, 26 InsO) erfolgt durch Beschluss des Amtsgerichts. Maßgebender Zeitpunkt ist der der Rechtskraft des Beschlusses. - Eröffnungsgründe sind die Zahlungsunfähigkeit ( § 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit, wenn der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt (§18 InsO), und die Überschuldung (§19 InsO). f) Zusammenhang zwischen Krisensituation und objektiver Bedingung der Strafbarkeit Auch wenn die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit nicht vom Vorsatz und von der 104 Fahrlässigkeit umfasst sein müssen, so stehen sie doch nicht ohne inneren Zusammenhang zu den anderen Tatbestandsmerkmalen. - Die h.M. fordert eine „tatsächliche Beziehung" zwischen der Bankrotthandlung und dem Bankrott derart, dass die Krise, in der die Bankrotthandlung vorgenommen wurde, nicht bis zur Verwirklichung der Strafbarkeitsbedingung behoben wurde. Dieser Zusammenhang ist jedoch zu ungenau. Es kommt vielmehr darauf an, dass sich im Eintritt der Strafbarkeitsbedingung jene Gefahr realisiert hat, die in der Krisensituation ihren Ausdruck fand.73 g) Versuch und Konkurrenzen Der Versuch ist nur in den Fällen der Verwirklichung der Absätze 1,2 strafbar; Abs. 3. 105 Mehrere Bankrotthandlungen innerhalb einer Krise, die zum Bankrott geführt haben, sind als eine Handlungseinheit aufzufassen. Die Rechtsprechung neigt demgegenüber zur Tatmehrheit, soweit nicht die einzelnen Bankrotthandlungen selbst durch eine einheitliche Handlung begangen wurden.74 2. Besonders schwere Fälle des Bankrotts, § 283 a § 283 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit zwei Regelbeispielen (Ge- 106 winnsucht und wirtschaftliche Gefahrdung einer größeren Zahl von Personen). - Zur Gewinnsucht vgl. unten § 65 Rdn. 41. 3. Verletzung der Buchführungspflicht, § 283 b a) § 283 b Abs. 1 Nr. 1-3 stellt die vorsätzliche, außerhalb der Krisenzeit (sonst greift 107 § 283 Abs. 1 Nr. 5, 6, 7 ein) begangene Verletzung bestimmter handelsrechtlicher Buchführungspflichten unter Strafe. b) Gemäß § 283 b Abs. 2 ist in den Fällen des § 283 b Abs. 1 Nr. 1 und 3 auch diefahrläs- 108 sige Tatbegehung strafbar. c) Auch hier sind die Zahlungseinstellung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die 109 Ablehnung des Antrags auf Eröffnung objektive Bedingungen der Strafbarkeit, vgl. Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6. 71
Vgl. BDENECK S t V 1999 S. 4 5 ; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n . 145.
72
Vgl. B G H G A 1953 S. 73; BIENECK StV 1999 S. 45; GÖSSEL B.T. 2, § 2 8 R d n . 12; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 27; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 2 8 3 R d n . 13. - A . A . MOOSMAYER Einfluss, S. 178 f f ; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n . 143 f; WESSELS/HILLENKAMP B. T./2, R d n . 468.
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Dazu eingehend OTTO Bruns-GedS, S. 281 ff; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 91 ff m.w.N. - Zum „äußeren Zusammenhang": BGHSt 28 S. 231,233; LACKNER/KÜHL § 283 Rdn. 29; MITSCH B.T. H/2, § 5 R d n . 147; MOOSMAYER Einfluss, S. 183 f f ; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 4 6 9 .
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B G H G A 1978 S. 185; B G H N J W 1955 S. 394.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Die Verletzung der Buchführungspflicht muss symptomatischen Gehalt hinsichtlich ihrer gefährlichen Eignung zur Herbeiführung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs haben. Auch hier besteht daher ein Zusammenhang zwischen der objektiven Bedingung der Strafbarkeit und der Tathandlung, der strafrechtlich dahin relevant wird, dass der Ausschluss eines jeden Zusammenhangs zwischen dem Buchführungsmangel und dem Unternehmenszusammenbruch zur Straffreiheit fuhren muss. 75
110 d) Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. oben Rdn. 89 f. 4. Die Gläubigerbegünstigung, § 283 c 111 a) Die Gläubigerbegünstigung ist ein privilegierter Fall des Bankrotts. - Bestraft wird der Schuldner, der in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit absichtlich oder wissentlich einen Gläubiger vor den übrigen Gläubigern begünstigt, indem er diesem aus seinem dem Konkurs unterliegenden Vermögen eine inkongruente Sicherung oder Befriedigung gewährt. Der Anspruch des Gläubigers muss vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit begründet sein.76 Da das privilegierende Element in der Gläubigerstellung begründet ist, findet § 283 c und nicht § 283 Abs. 1 Nr. 1 Anwendung, wenn der für den Schuldner nach § 14 handelnde Täter selbst der Gläubiger ist. 77
112 b) Subjektiv erfordert der Tatbestand neben der sicheren Kenntnis der Zahlungseinstellung direkten Vorsatz in bezug auf den Begünstigungserfolg, während für die Tathandlung bereits bedingter Vorsatz genügt. Handelt der Täter nur mit bedingtem Vorsatz bezüglich des Begünstigungserfolges, so bleibt er straffrei. Keineswegs ist in dieser Situation wiederum die Strafbarkeit aus dem Grundtatbestand des § 283 eröffnet, denn das verwirklichte Unrecht liegt im Schweregrad unter dem im privilegierten § 283 c erfassten Unrecht.
113 c) Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. 114 d) Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist auch hier: Zahlungseinstellung, Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Ablehnung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6. Der Zusammenhang zwischen objektiver Bedingung der Strafbarkeit und Tathandlung liegt vor, wenn Objekte in der Krisensituation dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen entzogen wurden, aus der sich die objektive Bedingung der Strafbarkeit entwickelt hat. 115 e) Durch bloße Annahme der Begünstigung macht sich der begünstigte Gläubiger nicht wegen Beihilfe strafbar (notwendige Teilnahme). Strafbar ist jedoch die Anstiftung des Schuldners und die, jollenüberschreitende Beihilfe" zur Gläubigerbegünstigung.78 5. Schuldnerbegünstigung, § 283 d 116 a) Nach § 283 d Abs. 1 wird bestraft, wer Vermögensbestandteile eines anderen, die zur Masse gehören würden, mit dessen Einwilligung oder zu dessen Gunsten in einer be75
Vgl. BGHSt 28 S. 231; OLG Hamburg NJW 1987 S. 1342; TIEDEMANN LK, § 283 Rdn. 97 f. - A.A. BENECK wistra 1992 S. 81; SCHÄFER wistra 1990 S. 87 f.
76
Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 283 C Rdn. 2; VORMBAUM GA 1981 S. 107. - A.A. BGHSt 35 S. 361 mit A n m . OTTO J K 89, S t G B § 2 8 3 d / 1 ; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 C R d n . 8; SCH/SCH/HEINE § 2 8 3 C R d n . 12; TRÖNDLE/FISCHER § 2 8 3 C R d n . 2.
77
V g l . HARTWIG B e m m a n n - F S , S. 3 1 1 f f , 3 3 8 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 8 R d n . 37;
RENKL JuS 1973 S. 613; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 477. - A.A. BGHSt 34 S. 221 mit abl. A n m . WEBER S t V 1 9 8 8 S. 16 f f , WINKELBAUER J R 1988 S. 3 3 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 8 3 C R d n . 3; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 C R d n . 10 f ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 8 3 C R d n . 2.
78
320
Dazu BGH NStZ 1993 S. 239; MLTSCH BT. n/2, § 5 Rdn. 154; OTTO Lange-FS, S. 214.
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stimmten Krisenzeit beiseite schafft, verheimlicht oder in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht. Seinem Wortlaut nach eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, auch den Gläubiger wegen Schuldnerbegünstigung zu bestrafen, der sich in einvernehmlichem Zusammenwirken mit dem Schuldner Vermögensgegenstände zur Absicherung seiner Forderung verschafft. Auch dieser Täter schafft Bestandteile" des Vermögens eines anderen, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören, mit Einwilligung des Schuldners beiseite. Diese Auslegung würde jedoch dem Sinngehalt des § 283 d widersprechen. Die Vorschriften über die Insolvenzstraftaten begründen eine besondere strafrechtliche Verantwortlichkeit des Schuldners und der für ihn nach § 14 tätigen Personen. Zwischen ihm und den Insolvenzgläubigern besteht eine scharfe Trennung. Daher wäre es ein Widerspruch, wenn das Gesetz einen NichtSchuldner mit der hohen Strafdrohung der §§ 283 Abs. 1 Nr. 1, 283 d Abs. 1 belegte, wo es dem Schuldner die Privilegierung des § 283 c zugute kommen lässt. Von der Tatvariante des Beiseiteschaffens mit Einwilligung des Schuldners werden daher einvernehmlich zwischen Schuldner und Gläubiger vorgenommene Handlungen, wie sie in § 283 c näher unterschieden sind, nicht erfasst.79 Krisenzeiten sind hier die dem anderen drohende Zahlungsunfähigkeit, die Zeit nach Zahlungseinstellung, das Insolvenzverfahren und das Verfahren zur Herbeifühung der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eines anderen. b) Subjektiv erfordert die Tathandlung Kenntnis der einem anderen drohenden Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Nr. 1), d.h. direkten Vorsatz, im übrigen genügt bedingter Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. c) Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen (Gewinnsucht, wirtschaftliche Gefährdung einer größeren Anzahl von Personen). d) Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist auch hier, dass der andere seine Zahlungen eingestellt hat, über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antrag auf Eröffnung mangels Masse abgewiesen worden ist, Abs. 4. Zum Zusammenhang zwischen Tathandlung und objektiver Bedingung der Strafbarkeit vgl. Rdn. 114. e) Täter kann jeder außer dem Gemeinschuldner sein. - Die Schuldnerbegünstigung ist nicht etwa eine nur verselbständigte Teilnahme am Bankrott des Schuldners, sondern ein eigenständiges Delikt. Daraus folgt, dass Täterschaft gemäß § 283 d und Teilnahme an § 283 idealiter konkurrieren können und dass der begünstigte Schuldner Teilnehmer der Tat sein kann.
117
118 119 120 121 122 123
VH. Wucher, § 291 1. Der Schutzbereich und das geschützte Rechtsgut § 291 erfasst die verschiedenen Formen des IndividualWuchers. - Sozialwucher i.S. der 124 Ausnutzung der Notlage der Allgemeinheit wird nach §§ 3-6 WiStG erfasst. - Durch wucherisches Verhalten, insbesondere wenn es quantitativ massiert auftritt, wird der Wirtschaftsverkehr schwer beeinträchtigt. - Geschütztes Rechtsgut ist daher das Vertrauen in 79
V g l . B G H S t 3 5 S. 3 5 7 m i t A n m . OTTO J K 89, S t G B § 2 8 3 d / 1 , SOWADA G A 1995 S. 6 0 f f ; GÖSSEL B . T . 2, § 2 8 R d n . 6 4 ; M r r s C H B.T. D/2, § 5 R d n . 159; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 d R d n . 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 8 3 d R d n . 1; VORMBAUM G A 1981 S. 130.
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das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschaft, daneben wird auch das Vermögen geschützt. 1 2 5 Die h.M. sieht nur das Vermögen als das geschützte Rechtsgut an. 80 Dieser Meinung ist zuzugestehen, dass der Tatbestand in seiner derzeitigen Auslegung durch die Rechtsprechung, insbesondere durch restriktive Interpretation des Merkmals der Unerfahrenheit, zu einem Delikt gegen das Vermögen von Personen in bestimmten Ausnahmesituationen geworden ist. Ihm kann auf diese Weise keine Bedeutung für die Wirtschaftsordnung zukommen.
2. Die Tathandlung 126 Strafbar ist die Ausbeutung der Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) eines anderen dadurch, dass der Täter sich oder einem Dritten für die Gewährung oder Vermittlung einer Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. 127 a) Vorausgesetzt wird ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, in dem einer Leistung gleich welcher Art eine Gegenleistung gegenübersteht. Mietwucher (Abs. 1 Nr. 1), Kreditwucher (Abs. 1 Nr. 2) und Vermittlungswucher (Abs. 1 Nr. 4) sind nur Beispielsfälle und nennen die kriminalpolitisch bedeutsamsten Fälle des Wuchers. 128 b) Zwischen der angebotenen und der erbrachten Leistung und dem dem Täter oder einem Dritten versprochenen Vermögensvorteil besteht dann ein auffälliges Missverhältnis, wenn dem Kundigen - sei es auch erst nach genauer Prüfung des Sachverhalts - ein unverhältnismäßiger Wertunterschied zwischen Leistung und Vorteil ins Auge springt. Zu vergleichen ist die Gesamtheit der Leistungen mit den dem Täter oder dem Dritten zugeflossenen oder versprochenen Vermögensvorteilen. Vorteile, die das Tatopfer aus der Verwertung oder Nutzung der Leistung des Täters zieht, bleiben hingegen beim Leistungsvergleich unberücksichtigt. Bei kombinierten Geschäften unter den Beteiligten sind die Gesamtleistungen und die Gesamtvorteile zu vergleichen.si 129 aa) Beim Mietwucher ist der Beurteilung in Anlehnung an § 5 WiStG die ortsübliche Miete zugrunde zulegen. Waren jedoch Gestehungskosten und Aufwendungen des Vermieters so hoch und bei ordnungsgemäßer Wirtschaft nicht zu vermeiden, dass die ortsübliche Miete nicht kostendeckend ist, so ist dies zu berücksichtigen.82 130 bb) Beim Kreditwucher sind die verkehrsüblichen, bei vergleichbarem Risiko geforderten Zinsen zum Vergleichsmaßstab zu wählen. Beim Ratenkredit ist der sog. Schwerpunktzins aus den Monatsberichten der DEUTSCHEN BUNDESBANK als Grundlage des Vergleichs ge-
eignet, doch ist der Vergleichsmaßstab zu modifizieren, soweit im konkreten Fall Risiko-
8 0
V g l . GÖSSEL B . T . 2, § 3 2 R d n . 2; LACKNER/KÜHL § 2 9 1 R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T. 1, § 43 Rdn. 7; MITSCH B.T. II/2, § 5 Rdn. 49; SICKENBERGER Wucher als Wirtschaftsstraftat,
1985, S. 57. - Vermögen und Willensfreiheit sieht SCHEFFLER GA 1992 S. 13 f, die Vertragsfreiheit KINDHÄUSER NStZ 1994 S. 106, den Schutz vor krasser wirtschaftlicher Übervorteilung TRÖNDLE/FISCHER § 291 Rdn. 3, als das geschützte Rechtsgut an. 81
Vgl. auch KINDHÄUSER NK, § 291 Rdn. 44; TRÖNDLE/FISCHER § 291 Rdn. 16. - A.A. OLG Karlsruhe J R 1985 S . 167 m i t abl. A n m . OTTO S. 169 f.
82
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 9 1 R d n . 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 3 R d n . 17. - A . A . B G H S t 3 0 S. 2 8 0 m i t abl. A n m . SCHEU J R 1 9 8 2 S. 4 7 4 f; GÖSSEL B.T. 2, § 3 2 R d n . 2 2 ; KINDHÄUSER
NK, § 291 Rdn. 48; SICKENBERGER Wucher, S. 82.
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maßstäbe oder Laufzeit abweichen oder der Verdacht begründet ist, dass der Schwerpunktzins durch nicht kostendeckende Zinsen manipuliert ist.83 Die Leistungen des Kreditnehmers werden im sog. effektiven Jahreszins ausgedrückt, 131 der nicht nur Zinsen des Kredits im technischen Sinne, sondern die Gesamtkosten des Kredits erfasst, d.h. Bearbeitungsgebühren, evtl. Auskunftsgebühren, Vermittlungskosten und in angemessener Weise die Kosten der Restschuldversicherung.84 Einen festen Richtwert für die Überschreitung der Strafbarkeitsschwelle akzeptiert der BGH nicht. Immerhin dürfte aber ein gegenüber dem Schwerpunktzins 100 % höherer effektiver Jahreszins ein ausreichendes Indiz für einen wucherischen Zinssatz sein.85 c) Wirken bei einem wirtschaftlich einheitlichen Geschäftsvorgang mehrere Personen in 132 verschiedenen Rollen mit, die dafür jeweils selbständig Vermögensvorteile beanspruchen, und entsteht dadurch ein auffalliges Missverhältnis zwischen der Summe der Vermögensvorteile und der Summe der Gegenleistungen, so ist gemäß Abs. 1 S. 2 bereits der Mitwirkende strafbar, der die Schwächesituation des anderen für sich oder einen Dritten zur Erzielung eines übermäßigen Vermögensvorteils ausnutzt. Abs. 1 S. 2 findet jedoch keine Anwendung, wenn die Mitwirkenden ihre Tatbeiträge nicht selbständig erbringen, sondern als Mittäter oder als Täter und Teilnehmer. Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn Kreditvermittler und Kreditgeber bei der Vergabe eines wucherischen Kredits zusammenwirken.
d) Ein Ausbeuten liegt vor, wenn der Täter bewusst die bedrängte Lage des Opfers zur 133 Erlangung übermäßiger Vermögensvorteile ausnutzt und damit missbraucht. Eine besonders anstößige Ausnutzung der Lage ist hingegen nicht erforderlich.86 3. Die einzelnen Schwächesituationen a) Zwangslage ist eine Situation schwerwiegender, nicht notwendig existenzbedrohender 134 wirtschaftlicher Bedrängnis, die schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt oder befürchten lässt. b) Unerfahrenheit ist nach h.M. die auf Mangel an Geschäftskenntnis und Lebens- 135 erfahrung beruhende Eigenschaft des Ausgebeuteten, durch die er gegenüber dem Durchschnittsmenschen benachteiligt ist. Die bloße Unkenntnis der Bedeutung eines Geschäfts genügt diesen Erfordernissen nicht.87 Schon vom Wortsinn her ist es schief, die Unerfahrenheit als Eigenschaft einer Person 136 anzusehen. Diese kann höchstens auf bestimmten Eigenschaften einer Person beruhen, doch eine derart biologische Begrenzung dieses Tatbestandsmerkmales ist nicht notwendig. Von Unerfahrenheit kann vielmehr schon dann gesprochen werden, wenn es einer 83
Dazu im einzelnen: BGH(Z) 80 S. 153; BGH(Z) NJW 1983 S. 2780; BGH(Z) NJW 1988 S. 1661 ; OLG Stuttgart wistra 1982 S. 36; OLG Karlsruhe NJW 1988 S. 1154 ff; HABERSTROH NStZ 1982 S. 265 ff;
84
Dazu im einzelnen: BGH(Z) 80 S. 166 ff; OLG Stuttgart© NJW 1979 S. 2411; OLG Hamburg NJW
85
Dazu BGH(Z) NJW 1988 S. 818; OLG Stuttgart(Z) NJW 1979 S. 2410; KINDHÄUSER NK, § 291 Rdn.
86
S o B G H S t 11 S. 187; BERNSMANN G A 1981 S. 165; GÖSSEL B . T . 2, § 3 2 R d n . 13; HOYER S K II, § 291 R d n . 19; KINDHÄUSER N K , § 291 Rdn. 35; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 4 3 N R d n . 21. A . A . LACKNER/KÜHL § 2 9 1 R d n . 8; SCH/SCH/HEINE § 2 9 1 R d n . 29; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 1 R d n . 14.
KINDHÄUSER N K , § 291 Rdn. 50; N A C K M D R 1981 S. 621 f f ; OTTO N J W 1982 S. 2 7 4 5 f f . 1982 S. 943; N A C K M D R 1981 S. 623; OTTO N J W 1982 S. 2 7 4 7 f. 50; N A C K M D R 1981 S. 624; OTTO N J W 1982 S. 2748 f.
87
BGHSt 13 S. 233; BGH NJW 1983 S. 2780 mit Anm. NACK NStZ 1984 S. 23 f, OTTO JR 1984 S. 252 f f ; GÖSSEL B.T. 2, § 3 2 R d n . 9; SCH/SCH/HEINE § 291 R d n . 25; TRÖNDLE/FISCHER § 291 R d n . 11.
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Person nicht möglich ist, trotz Nutzung der ihr gegebenen Fähigkeiten, sich einen Überblick über den Marktpreis zu verschaffen.88 - In genau diesem Sinne interpretiert auch der BGH die Unerfahrenheit in einer neueren Entscheidung zum Lohnwucher.89 Unerfahrenheit würde damit genau wie in § 89 BörsenG dahin interpretiert werden, dass unerfahren deijenige ist, der infolge fehlender geschäftlicher Einsicht die Tragweite eines Geschäftes nicht überblicken kann. 137 c) Mangel an Urteilsvermögen ist ein individueller, nicht durch bloße Erfahrung ausgleichbarer Leistungsmangel, der es dem Betroffenen unmöglich macht oder erheblich erschwert, bei einem Rechtsgeschäft Leistung und Gegenleistung richtig abzuwägen und die wirtschaftlichen Folgen des Geschäftsabschlusses vernünftig zu bewerten. 138 d) Willensschwäche ist jeder Mangel an Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischen Reizen. Sie ist erheblich, wenn sie im Wirkungsgrad den anderen Schwächesituationen vergleichbar ist. 4. Der subjektive Tatbestand 139 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der die besondere Situation und das auffällige Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung umfassen muss. 5. Besonders schwere Fälle 140 Abs. 2 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen. a) Das Opfer gerät durch die Tat in wirtschaftliche Not (Nr. 1), d.h. es ist in seiner Lebensführung so beeinträchtigt, dass es lebenswichtige Aufwendungen nicht mehr bestreiten kann. b) Die Tat wird gewerbsmäßig begangen (Nr. 2); zum Begriff der Gewerbsmäßigkeit vgl. § 41 Rdn. 21. c) Die wucherischen Vermögensvorteile werden durch Wechsel versprochen (Nr. 3).
Vm. Straftaten gegen den Wettbewerb 141 Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption v. 13.8.1997 hat der Gesetzgeber Straftaten gegen den Wettbewerb in das StGB eingefügt. Diese schützen den freien Wettbewerb, daneben aber - wie auch die anderen Wirtschaftsdelikte des StGB - das Vermögen bestimmter Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr.90 1. Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen, § 298 142 Mit Aufnahme des § 298 in das StGB beendete der Gesetzgeber eine über Jahrzehnte währende Diskussion ob und wie der sog. Submissionsbetrug strafrechtlich zu erfassen sei. In 88
D a z u NACK M D R 1981 S. 6 2 4 ; OTTO N J W 1 9 8 2 S. 2 7 4 9 f.
89
Vgl. BGHSt 43 S. 53, 59 mit Anm. BERNSMANN JZ 1998 S. 629, 631 ff; OTTO JK 98, StGB § 302 a a.F./l; RENZKOWSKI JR 1999 S. 166 ff.
90
BT-Drucks. 13/5584, S. 13; vgl. auch ACHENBACH WUW 1997 S. 959; HEINRICH Der Amtsträgerbegriff i m S t r a f r e c h t , 2 0 0 1 , S. 6 0 5 f; LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 1; MITSCH B . T . H/2, § 3 R d n . 196; OTTO
wistra 1999 S. 41; TRÖNDLE/FISCHER Vor § 298 Rdn. 6; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 699. -
Nur Schutz des freien Wettbewerbs: RUDOLPH SK n, § 298 Rdn. 3. - Nur Schutz des Vermögens: MAURACH/SCHRÖ-DER/MAIWALD B.T. 2, § 68 Rdn. 2. - Zum freien Wettbewerb als Rechtsgut vgl. einerseits DANNECKER/BIERMANN in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, Vor § 81 Rdn. 9 f, andererseits LÜDERSSEN BB 1996, Beilage 11 zu Heft 25, S. 6 ff. 324
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diesen Jahren hatten Preisabsprachen in verschiedenen Wirtschaftszweigen, vor allem in der Bauwirtschaft, Kartell-, Strafverfolgungsbehörden und Öffentlichkeit kontinuierlich beschäftigt. Geldbußen in Millionenhöhe waren nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 8 GWB a. F. (jetzt: § 81 Abs. 1 Nr.l GWB) verhängt worden, hatten aber offensichtlich keine generalpräventive Wirkung entfaltet.91 Die Erfassung zumindest bestimmter Submissionsabsprachen als Betrug, § 263, scheiterte in der Praxis an Beweisschwierigkeiten im Hinblick auf den Vermögensschaden. Nachdem sodann im Zusammenhang mit Bestechungsdelikten weitreichende Submissionsabsprachen aufgedeckt worden waren, entschloss sich der Gesetzgeber, einen Teilbereich der bisher als Ordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1, 8 GWB a. F. (jetzt: § 81 Abs. 1 Nr.l GWB) unter Bußgeld stehenden Verhaltensweisen, zu kriminalisieren. Bewusst wurde auf das Erfordernis eines Vermögensschadens verzichtet.92 Der Tatbestand zielt als abstraktes Gefahrdungsdelikt auf den Schutz des freien Wettbewerbs.93 a) Die Tathandlung Tathandlung ist die Abgabe eines Angebots, das auf einer rechtswidrigen Absprache bei 143 einer - beschränkten oder unbeschränkten - Ausschreibung über Waren oder gewerbliche Leistungen, Abs. 1, beruht. Der Ausschreibung gleichgestellt sind freihändige Vergaben nach einem Teilnehmerwettbewerb, Abs. 2. Handlungen im Vorfeld, insbes. die Absprache selbst, sind straflos. - Erfasst sind nicht nur Vergabeverfahren der öffentlichen Hand, sondern auch Ausschreibungen und freihändige Vergaben nach Teilnahmewettbewerben durch Private. Diese Unternehmen sind bei ihren Vergabeverfahren allerdings nicht an die Bestimmungen der VOB/A und VOL/A gebunden, daher ist an Hand dieser Bestimmungen festzustellen, ob das Vergabeverfahren einer Ausschreibung oder einer freihändigen Vergabe nach einem Teilnahmewettbewerb im Sinne dieser Vorschriften entspricht.9* Die Begriffe Waren und gewerbliche Leistungen sind im Sinne der kartellrechtlichen 144 Bestimmungen zu verstehen. Ware ist danach, was Gegenstand des geschäftlichen Verkehrs sein kann, also auch Immobilien und Immaterialgüter.95 Leistungen sind Tätigkeiten für einen anderen, bei dem der Erfolg nur diesem, nicht aber dem Tätigen selbst zufällt. Gewerblich ist eine Leistung, wenn sie im geschäftlichen Verkehr erbracht wird. Das sind nicht nur die Leistungen eines Gewerbebetreibers, sondern Leistungen aller Unternehmen im Sinne des Kartellrechts, also auch Leistungen der freien Berufe sowie des Staates im privatwirtschaftlichen Bereich.9« b) Der Inhalt der Absprache Absprache ist ein - aus der Sicht der Beteiligten bindendes - Übereinkommen unter den 145 potentiellen Anbietern, über das Verhalten im Ausschreibungsverfahren bzw. bei der frei91 92
Im einzelnen zur Entwicklung OTTO ZRP 1996 S. 300 ff. Dazu BT-Drucks. 13/5584, S. 13; DÖLLING Gutachten für den 61. Dt. Juristentag, 1996, C 93 ff; KÖNIG JR 1997 S. 4 0 1 .
93
V g l . a u c h KÖNIG J R 1 9 9 7 S. 4 0 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 1; MITSCH B . T . n / 2 , § 3 R d n . 195, 197; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 101 a; RUDOLPH S K D, § 2 9 8 R d n . 3; SCH/SCH/HEINE § 2 9 8 R d n . 1;
TRÖNDLE/FISCHER § 298 Rdn. 5. - A.A. (Erfolgs- und Verletzungsdelikt): WALTER GA 2001 S. 134 ff,
der durchaus überzeugend - S. 132 f - einen strukturellen Unterschied zwischen Tätigkeits- und Erfolgsdelikten bestreitet. 94
Vgl. BT-Drucks. 13/5584, S. 14; dazu auch LACKNER/KÜHL § 298 Rdn. 2.
95
Dazu TIEDEMANN LK, § 298 Rdn. 26.
96
Dazu TIEDEMANN LK, § 298 Rdn. 27.
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händigen Vergabe. Bloße Kontakte, Gespräche darüber, wer an der Vergabe interessiert ist und ein Angebot abgeben will o.ä., reichen nicht aus.97 Rechtswidrig ist die Absprache, wenn sie nach § 1 GWB verboten ist.98 Die Absprache muss darauf gerichtet sein, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Nicht erforderlich ist, dass die Absprache vor dem Veranstalter der Ausschreibung verheimlicht wird, obwohl gerade eine Verheimlichung als gleichsam betrügerisches Element Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit des Verhaltens wesentlich geprägt hätte. Der Gesetzgeber wollte durch den Verzicht auf das Merkmal des Verheimlichen auch die Fälle erfassen, bei denen der Bieter kollusiv mit dem Veranstalter oder einem Mitarbeiter des Veranstalters, dessen Kenntnis dem Veranstalter zugerechnet werden kann, zusammenarbeitet.99 c) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der neben der Abgabe des Angebots auch den Inhalt der rechtswidrigen Absprache umfassen muss;100 bedingter Vorsatz genügt. d) Täterschaft und Teilnahme Da es sich bei § 298 nicht um ein Sonderdelikt handelt, kann auch ein Nichtkartellmitglied Täter sein. Die Strafbarkeit dieser Beteiligten und die von Kartellmitgliedern ist nach den allgemeinen Regeln über Täterschaft und Teilnahme zu beurteilen und richtet sich nach dem jeweiligen Tatbeitrag.i01 e) Tatvollendung Mit der Abgabe des Angebots ist die Tat vollendet. Abgegeben ist das Angebot noch nicht mit der Entäußerung durch den Täter, sondern - entsprechend den Äußerungsdelikten - mit Zugang beim Veranstalter. Kenntnisnahme ist bei schriftlichen Angeboten nicht nötig, bei mündlichen Angeboten genügt es, dass der Adressat die Erklärung aufgenommen hat. Nicht erforderlich ist, dass er sie in ihrer vollen Bedeutung erfasst hat. f) Tätige Reue, Abs. 3 Abs. 3 sieht für den Täter nach formeller Tatverwirklichung, aber vor materieller Tatbeendigung eine strafbefreiende Rücktrittsmöglichkeit vor. Straffreiheit erlangt der Täter, der nach Abgabe des Angebots aber vor Erbringung der Leistung entweder die Leistung freiwillig verhindert oder sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemüht, falls die Leistung ohne sein Zutun nicht erbracht wird.
97
V g l . d a z u B R - D r u c k s . 229/1/82, S. 7 ; KÖNIG J R 1997 S. 4 0 2 ; OTTO wistra 1999 S. 4 1 ; RUDOLPHI S K H, § 2 9 8 R d n . 7 ; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 9 8 R d n . 12.
98
B T - D r u c k s . 13/5584, S. 14; LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 3 ; RUDOLPHI S K H, § 2 9 8 R d n . 8; WESSELS/HlLLENKAMP B.T./2, R d n . 700.
99
BT-Drucks. 13/5584, S. 14; vgl. dazu auch DÖLLING Gutachten, C 95; KÖNIG JR 1997 S. 402; LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 3; OTTO wistra 1999 S. 41; RUDOLPHI S K n , § 2 9 8 R d n . 10; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 9 8 R d n . 14; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 7 0 0 .
100 Die Rechtswidrigkeit der Absprache ist Tatbestandsmerkmal; vgl. LACKNER/KÜHL § 298 Rdn. 3; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 7 0 0 ; WOHLERS JUS 1998 S. 1102. - A . A . RUDOLPHI S K n , § 2 9 8 R d n . 8; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 68 R d n . 5 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 8 R d n . 17. 101 Vgl. B T - D r u c k s . 13/5584, S. 14; KÖNIG JR 1997 S. 4 0 2 ; KÖRTE N S t Z 1997 S. 5 1 6 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 8 R d n . 6; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 8 R d n . 15.
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g) Konkurrenzen Aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter konkurrieren §§ 263, 298 idea- 151 liter, § 52.102 § 81 Abs. 1 Nr. 1 in Verb, mit § 1 GWB tritt gemäß § 21 OWiG hinter § 298 zurück. - Ein eventueller strafbefreiender Rücktritt nach § 298 Abs. 3 erstreckt die Straffreiheit nicht auf einen bereits vollendeten Eingehungsbetrug; zur entsprechenden Problematik des § 264 a vgl. Rdn. 66. h) Untemehmensbuße Zur Verhängung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG sind gemäß § 82 GWB 152 die Kartellbehörden zuständig. Diese .Aufspaltung der Sanktionierungsbefugnisse" ist nicht unproblematisch.'03 2. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 Unter redaktioneller Anpassung an die §§ 331 ff hat der Gesetzgeber die aktive und passi- 153 ve Bestechung im geschäftlichen Verkehr aus dem UWG herausgenommen und in das StGB verlagert. Er versprach sich mit dieser Regelung, die ohne Not den ehemaligen § 12 UWG aus dem durch das UWG begründeten Sachzusammenhang riss, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen, „dass es sich auch bei der Korruption im geschäftlichen Bereich um eine Kriminalitätsform handelt, die nicht nur die Wirtschaft selbst betrifft, sondern Ausdruck eines allgemein sozialethisch missbilligten Verhaltens ist".104 In der Praxis hatte § 12 UWG eine geringe Bedeutung, obwohl dem Schmiergeldwesen eine erheblich den Wettbewerb verzerrende Bedeutung zugeschrieben wird und auch spektakuläre Einzelfälle die Öffentlichkeit permanent beschäftigten. Ein Hindernis effektiver Strafverfolgung wurde im Antragserfordernis des § 12 UWG gesehen. Daneben wurde der Ausschluss der Strafbarkeit des unlauteren Wettbewerbs um den privaten Kunden als sachwidrige Begrenzung des Tatbestandes beurteilt.105
a) Der Tatbestand der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, Abs. 1 aa) Täter der Bestechlichkeit können nur Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen 154 Betriebes sein. Die Täterposition ist Sonderpflichtmerkmal im Sinne des § 28 Abs. I. 106 Angestellter ist, wer aufgrund eines Vertrages in einem entgeltlichen oder unentgeltlichen Dienstverhältnis zu einem geschäftlichen Betrieb steht und den Weisungen des Geschäftsherrn unterworfen ist. Beauftragter ist, wer ohne Inhaber oder Angestellter eines geschäftlichen Betriebes zu sein, befugtermaßen - sei es u.U. auch aufgrund eines nichtigen Vertrages oder als sog. faktischer Geschäftsführer - berechtigt oder verpflichtet ist, für den Betrieb dauernd oder gelegentlich geschäftlich tätig zu werden. Eine selbständige Stellung innerhalb des Betriebes steht der Eigenschaft als Beauftragter nicht entgegen. - Die Angestellten oder Beauftragten müssen unmittelbar oder mittelbar auf die den Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen betreffenden Entscheidungen des Betriebes Einfluss neh102 v g l . a u c h ACHENBACH W u W 1997 S. 9 5 9 ; KÖRTE N S t Z 1997 S. 5 1 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 9 ; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 6 9 9 .
103 Dazu ACHENBACH wistra 1998 S. 168 ff; DANNECKER/BIERMANN in: Immenga/Mestmäcker, § 82 Rdn. 7 f f ; KÖRTE N S t Z 1997 S. 5 1 7 f; WOLTERS J u S 1998 S. 1103.
104 BT-Drucks. 13/5584, S. 15. - Krit. zur isolierten Herausnahme des § 12 aus dem UWG: DÖLLING Gutachten, C 84 f; KÖNIG JR 1997 S. 401.
105 IM einzelnen dazu OTTO in: Großkommentar UWG, hrsgeg. von Jacobs, Lindacher, Teplitzky, 1991 ff, § 12 Rdn. 3. 106 v g l . LACKNER/KÜHL § 2 9 9 R d n . 3; RUDOLPH S K n , § 2 9 9 R d n . 3; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 9 R d n . 5; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, R d n . 702.
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men können, um als taugliche Täter in Betracht zu kommen - Geschäftlicher Betrieb ist jede auf Dauer angelegte Unternehmung, die außerhalb des reinen Privatbereichs am Wirtschaftsverkehr durch Austausch von Leistung und Gegenleistung teilnimmt.107 Den Gegensatz zum geschäftlichen Betrieb bildet die rein private Betätigung der Person außerhalb von Erwerb und Berufsausübung. 155 bb) Die Tathandlung ist das Fordern, Sichversprechenlassen oder Annehmen eines Vorteils für sich oder einen Dritten als Gegenleistung für die zukünftige unlautere Bevorzugung eines anderen im geschäftlichen Verkehr bei dem Bezug von Waren oder Leistungen im Wettbewerb. 156 Fordern ist das ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck gebrachte einseitige Verlangen des Täters, einen Vorteil als Gegenleistung für die unlautere Bevorzugung eines anderen für sich oder einen Dritten haben zu wollen. Das Verlangen ist daher eine auf Abschluss einer Unrechtsvereinbarung zielende E r k l ä r u n g , d i e dem ins Auge gefassten Vorteilsgeber oder seinem Mittelsmann zur Kenntnis gebracht werden muss. Ob dieser die Bedeutung des Ansinnens erkennt oder nicht, ist irrelevant.109 Es genügt, dass der Täter auf die Unrechtsvereinbarung abzielt, d.h. dass er davon ausgeht, der Erklärungsempfänger werde die Bedeutung des Ansinnens erkennen.110 - Sichversprechenlassen ist die Annahme eines auch nur bedingten Angebotes der späteren Zuwendung eines Vorteils. Ob die spätere Zuwendung wirklich erfolgt, ist irrelevant. Die Annahme kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, inhaltlich muss sie zum Ausdruck bringen, dass der Täter die ihm von dem Vorteilsgeber angebotene Unrechtsvereinbarung annimmt.111 - Annehmen ist die tatsächliche Entgegennahme des Vorteils mit dem Willen, über diesen zu eigenen Zwecken nach eigenem Willen oder zu Gunsten eines Dritten zu verfügen.112 Der Vorbehalt, den Vorteil u.U. später zurückzugeben, hindert die Annahme nicht,113 hingegen genügt nicht die Entgegennahme, wenn es dem Empfänger nur darum geht, Beweismittel für das unlautere Verhalten des Vorteilsgebers zu erlangen.114 Vorteil ist jede unentgeltliche Leistung, auf die der Vorteilsempfänger oder der Drittbegünstigte keinen Anspruch hat und die die wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage des Empfängers objektiv verbessert.11' Vorteile sind daher nicht nur Vermögensvorteile, sondern auch Zuwendungen immaterieller Art. 116 Bei immateriellen Vorteilen wird man jedoch eine Erheblichkeit derart fordern müssen, dass es sich um eine persönliche Besserstellung handelt, die der Besserstellung durch einen erheblichen materiellen Vorteil vergleichbar ist. Daher ist die Gewährung des Geschlechtsverkehrs (BGH StV 1994 S. 527) als Vorteil anzuerkennen, nicht aber flOchtige Zärtlichkeiten (BGH MDR 1960 S. 63), die Zusage sexueller Handlungen (BGH NJW 1989 S. 914), die Befriedigung von Ehrgeiz, Eitelkeit oder auch Geltungsbedürfnis (A.A. BGHSt 14 S. 128).
107 Dazu BGHSt 2 S. 403; 10 S. 365; vgl. auch LACKNER/KÜHL § 299 Rdn. 2; OTTO, GK UWG, § 4 Rdn. 127 f f ; RUDOLPHI S K H, § 2 9 9 R d n . 5.
108 Vgl. BGHSt 15 S. 97. 109 Vgl. BGHSt 10 S. 241. HO Dazu BGHSt 15 S. 98. H l Vgl. BGHSt 15 S. 97. 112 Vgl. BGHSt 14 S. 127. H3 BGH GA 1963 S. 148. 114 BGHSt 15 S. 97. 115 BGHSt 31 S. 279, eingehender dazu OTTO GK UWG, § 12 Rdn. 9 ff. 116 Prinzipiell gegen die Anerkennung immaterieller Vorteile GEERDS JR 1982 S. 385.
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Sozialadäquate Zuwendungen, d.h. kleine Aufmerksamkeiten, deren Angebot den Regeln der Höflichkeit oder der Verkehrssitte entspricht - Angebote einer Zigarette, einer Tasse Kaffee, eines Kalenders oder ähnlichen Werbegeschenkes, Neujahrsgeschenke an Briefträger, die Angestellten der Müllabfuhr u.ä. - sind keine Vorteile i.S. des Gesetzes.117 Eine Begrenzung auf eine bestimmte Summe118 ist demgegenüber sachwidrig. Damit wird die Käuflichkeit von Diensthandlungen nämlich grundsätzlich akzeptiert. cc) Der Vorteil als Gegenleistung: Die Unrechtsvereinbarung. - Zwischen der angestrebten Bevorzugung durch den Vorteilsnehmer und dem Vorteil muss ein Zusammenhang dahin bestehen, dass der Vorteil als Gegenleistung für die Bevorzugung gedacht ist. Der Vorteilsgeber muss daher mit seinem Verhalten auf eine Unrechtsvereinbarung mit dem Vorteils-Empfänger derart abzielen, dass der Vorteil die Gegenleistung für die erwartete unlautere Bevorzugung sein soll.119 Dass der Vorteilsnehmer das Ziel der Unrechtsvereinbarung erkennt, ist nicht erforderlich. dd) Das Ziel des Täters: Die Bevorzugung beim Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen. Die angestrebte Unrechtsvereinbarung muss darauf abzielen, dass der Vorteilsgeber oder ein Dritter von dem Vorteilsnehmer in unlauterer Weise beim Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen bevorzugt wird. - Eine Bevorzugung ist eine Besserstellung des Täters oder des von ihm begünstigten Dritten im Wettbewerb gegenüber Wettbewerbern dadurch, dass er einen Vorteil erlangt, auf den er oder der Dritte keinen Anspruch hat. - Unlauter ist die Bevorzugung, die nicht in sachlichen Erwägungen begründet, sondern durch den Vorteil motiviert ist. Eigenständige Bedeutung kommt dem Merkmal daher nicht zu.120 Zum Begriff der Ware und den der gewerblichen Leistung vgl. Rdn. 144. ee) Der Täter muss im geschäftlichen Verkehr handeln. Dazu gehört jede Tätigkeit, die in irgendeiner Weise der Förderung eines beliebigen eigenen oder fremden Geschäftszwecks dient.121 ff) Der subjektive Tatbestand. - In allen drei Tatalternativen muss der Täter den objektiven Tatbestand bewusst, d.h. vorsätzlich verwirklichen, und zwar genügt bedingter Vorsatz. Im Falle des Forderns muss der Täter darüber hinaus den Abschluss einer Unrechtsvereinbarung anstreben. Hier ist Absicht im Sinne eines zielgerichteten Wollens, d.h. dolus directus 1. Grades erforderlich. Dem Täter muss es darauf ankommen, dass der ins Auge gefasste Vorteilsgeber die angebotene Unrechtsvereinbarung erkennt und auf diese eingeht. Im Falle des Sichversprechenlassens und der Annahme genügt es hingegen, dass der Täter sich der Unrechtsvereinbarung bewusst ist.
117 Dazu vgl. auch BGH wistra 1991 S. 221; CREIFELDS GA 1962 S. 33 ff; FUHRMANN GA 1959 S. 97 ff; LACKNER/KÜHL § 2 9 9 R d n . 4 ; MlTSCH B.T. D/2, § 3 R d n . 2 2 3 ; RUDOLPHI S K H, § 2 9 9 R d n . 9.
118 Dazu GRIBL Der Vorteilsbegriff bei den Bestechungsdelikten, 1993, S. 96 ff, 146. 119 Vgl. BGHSt 15, 97; 15, 249, BGH wistra 1983 S. 258; 1991 S. 101; OLG Düsseldorf JR 1987 S. 168 mit A n m . GEERDS S. 1 1 9 ff; PFEIFFER V. G a m m - F S , S. 136; RUDOLPHI S K N, § 2 9 9 R d n . 8.
120 in! einzelnen dazu OTTO GK UWG, § 12 Rdn. 29 ff; vgl. auch TIEDEMANN ZStW 86 (1974) S. 1030; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 9 R d n . 14. - A . A . RUDOLPH S K II, § 2 9 9 R d n . 8.
121 Im einzelnen dazu OTTO GK UWG, § 12 Rdn. 37 ff; vgl. auch LACKNER/KÜHL § 299 Rdn. 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B. T . 2, § 68 R d n . 11.
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Da dem Merkmal „unlauter" keine eigenständige Bedeutung zukommt, handelt der Täter im Bewusstsein unlauterer Bevorzugung, wenn er sich der Tatsache bewusst ist, dass die Bevorzugung in der erstrebten oder erreichten Vorteilszuwendung ihren Grund hat.122 gg) Eine Rechtfertigung durch eine Einwilligung oder Genehmigung des Geschäftsherrn kommt nicht in Betracht, da er nicht über das geschützte Rechtsgut verfügen kann. hh) Die Tatvollendung. - In der Tatalternative des Forderns ist die Tat vollendet, wenn der Täter dem in Aussicht genommenen Vorteilsgeber seine entsprechende Willensäußerung zur Kenntnis gebracht hat. Dieser braucht ihren inhaltlichen Charakter - Abzielen auf Abschluss einer Unrechtsvereinbarung - nicht erkannt zu haben.123 In den Tatalternativen des Sichversprechenlassens und des Annehmens muss der Vorteilsgeber der Unrechtsvereinbarung zugestimmt haben.124 ii) Täter der Bestechlichkeit können nur Angestellte oder Beauftragte des geschäftlichen Betriebs sein. - Dritte Personen können aber - je nach den Tatumständen - Anstifter oder Gehilfen sein. Das Verhalten des Vorteilsnehmers ist abschließend in Abs. 1 erfasst. Er kann wegen seines Verhaltens nicht als Teilnehmer einer Tat nach Abs. 2 bestraft werden, b) Der Tatbestand der Bestechung im geschäftlichen Verkehr, Abs. 2 aa) Abs. 2 entspricht dem Abs. 1 in den Grundzügen spiegelbildlich. - Die Tathandlung ist das Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines Vorteils für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür, dass er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren in unlauterer Weise bevorzuge. Anbieten (einer gegenwärtigen Leistung) und Versprechen (einer zukünftigen Leistung) sind auf Abschluss einer Unrechtsvereinbarung gerichtete, ausdrückliche oder stillschweigende Erklärungen,125 die auch in vorsichtig formulierten Fragen und Sondierungen bestehen können und die dem anderen Beteiligten zur Kenntnis gebracht werden müssen.126 - Gewähren ist die tatsächliche Übergabe mit dem Willen, dass die Verfügungsgewalt auf den Vorteilsnehmer übergehen soll. bb) Zum Vorteil als Gegenleistung vgl. Rdn. 158, zur unlauteren Bevorzugung vgl. Rdn. 159, zum Begriff der Ware und dem der gewerblichen Leistung vgl. Rdn. 144. cc) Der Täter muss im geschäftlichen Verkehr - dazu vgl. Rdn. 160 - zu Zwecken des Wettbewerbs handeln. Objektiv zu Zwecken des Wettbewerbs handelt der Täter, wenn sein Verhalten geeignet ist, den eigenen Absatz oder den des begünstigten Dritten zu fördern und den anderer Wettbewerber zu beeinträchtigen, bzw. den eigenen Kundenkreis oder den des begünstigten Dritten auf Kosten von Mitbewerbern zu erweitern. Vorausgesetzt wird beim Handeln zu Wettbewerbszwecken ein bestehendes oder bevorstehendes Wettbewerbsverhältnis, d.h. ein Konkurrenzverhältnis zwischen Begünstigtem und Geschädigten. - Mitbewerber sind alle Gewerbetreibenden, die Waren oder Leistungen gleicher oder verwandter Art herstellen oder in den geschäftlichen Verkehr bringen.127 122 Vgl. BGH NStZ 1984 S. 25. - Anders soweit dem Merkmal eigenständige Bedeutung zugemessen wird; dazu RUDOLPHI SK II, § 299 Rdn. 10. 123 Vgl. B G H S t 10 S. 2 4 1 ; MITSCH B.T. N/2, § 3 Rdn. 234.
124 Vgl. BGHSt 15 S. 97; 15 S. 242. 125 Vgl. BGHSt 16 S. 46. 126 Vgl. BGHSt 15 S. 97; 16 S. 46. 127 vgl. BGHSt 10 S. 368; BGH wistra 1991 S. 101; BGHZ 13 S. 249; 18 S. 181 f.
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dd) Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz des Täters hinsiehtlieh der Merkmale des objektiven Tatbestands und die Absicht, d.h. dolus directus 1. Grades, zu Zwecken des Wettbewerbs zu handeln sowie zu einer Unrechtsvereinbarung zu gelangen. - Zu Zwecken des Wettbewerbs handelt der Täter, wenn er mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils beabsichtigt, den eigenen Absatz oder den eines Dritten auf Kosten der Mitbewerber zu fordern. Der Täter muss ein Verhalten beabsichtigen, das im Falle seiner Verwirklichung äußerlich geeignet ist, den Absatz oder Bezug einer Person zum Nachteil einer anderen zu begünstigen. ee) Zur Rechtfertigung vgl. Rdn. 162. ff) Vollendet ist die Tat beim Anbieten und beim Versprechen eines Vorteils, wenn der Täter dem in Aussicht genommenen Vorteilsnehmer seine entsprechende Willensäußerung zur Kenntnis gebracht hat. Beim Gewähren eines Vorteils muss der Vorteilsnehmer den Vorteil angenommen haben. Bedeutungslos ist es, ob der Vorteilsnehmer die Bevorzugung vornimmt oder vornehmen will.128 gg) Täter der Bestechung können Mitbewerber und für sie handelnde Personen sein. Privatleute, die nicht im Interesse eines Mitbewerbers handeln, kommen als Täter nicht in Betracht. Sie können - je nach den Umständen des konkreten Falles - aber Anstifter oder Gehilfe sein. c) Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und der Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 300 § 300 sieht eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen vor und nennt als Regelbeispiele den Vorteil großen Ausmaßes, auf den sich die Tat bezieht (Nr. 1) und das gewerbs- oder bandenmäßige Handeln (Nr. 2). d) Strafverfolgung, § 301 Die Strafverfolgung setzt bei beiden Tatbeständen einen Strafantrag voraus, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält, § 301 Abs. 1. - Zur Antragsberechtigung vgl. Abs. 2. e) Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall, § 302 § 302 eröffnet in bestimmten Fallkonstellationen die Verhängung einer Vermögensstrafe und den Erweiterten Verfall.
128 V g l . B G H S t 15 S. 97; MITSCH B.T. H/2, § 3 Rdn. 240.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Zweiter Abschnitt
Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens § 62 Delikte gegen den äußeren Frieden 1 Die Delikte gegen den äußeren Frieden, d.h. gegen den Frieden zwischen den Völkern, sind selbständige, vom Staatsschutz getrennte Straftaten.
2 Geschütztes Rechtsgut ist der zwischenstaatliche Frieden als überstaatliches Rechtsgut. Dieser Frieden ist gegen zwei Gefährdungen geschützt: 1. Gegen die Vorbereitung eines Angriffskrieges, § 80 3 Angriffskrieg ist die völkerrechtswidrige, bewaffnete Aggression. Der Begriff ist umstritten. Maßgeblicher Orientierungspunkt aber ist die Resolution 3314 (XXIX) der Generalversammlung der UN v. 14.12.1974, die in Art. 3 die Angriffshandlung definiert.1 - Die dort genannten Fälle haben den Charakter von Regelfällen.2 Streitig ist, ob die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland nur den Fall erfasst, dass die Bundesrepublik angreift, oder auch jenen, dass die Bundesrepublik angegriffen werden soll. Da jedoch das geschützte Rechtsgut in beiden Fällen in gleicher Weise bedroht ist, erscheint die Gleichbehandlung beider Fälle a n g e m e s s e n . 3 Vorbereitung sind alle Maßnahmen, die geeignet sind, einen kriegerischen Konflikt herbeizuführen. - Die Gefahr des Krieges muss konkret gegeben sein. 2. Gegen das Aufstacheln zum Angriffskrieg, § 80 a 4 Öffentlich ist die Tat, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis von Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind, wahrnehmbar ist, und zwar unabhängig davon, ob der Tatort ein öffentlicher ist - Versammlung ist das Beisammensein einer größeren Zahl von Personen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks.4 Dieser Zweck braucht nicht auf politische Meinungsbildung gerichtet zu sein.5 5 Aufstacheln ist eine emotionell gesteigerte Form des Anreizens.6 Eine konkrete Kriegsgefahr braucht nicht begründet zu sein.
§ 63 Delikte gegen den inneren Frieden 1 Die Delikte gegen den inneren Frieden richten sich gegen die soziale Friedensordnung, d. h. die öffentliche Sicherheit, die ihrerseits erst die Grundlage für den Staat und andere soziale Verbände abgibt.7 1
Text bei MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B. T. 2, § 90 Rdn. 3 f.
2
Vgl. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 9 0 R d n . 5.
3
So auch BT-Drucks. V/2860, S. 2; LAUFHÜTTE LK, § 80 Rdn. 2. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 9 0 R d n . 6.
4
RGSt 21 S. 71.
5
So auch LAUFHÜTTE LK, § 90 Rdn. 8; TRÖNDLE/FISCHER, § 80 a Rdn. 2. - A.A. OLG Koblenz MDR 1981 S. 600; differenzierend: LACKNER/KÜHL § 80 a Rdn. 2.
6
LG Köln NStZ 1981 S. 261, dazu KLUG Jescheck-FS, Bd. 1, S. 594 ff.
1
So auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 60 Rdn. 6. - Z.T. werden die Individualrechtsgüter, die von den Tathandlungen betroffen werden, mit in den Schutzbereich einbezogen, vgl.
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Delikte gegen den inneren Frieden
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I. Landfriedensbruch, §§ 125,125 a Der Landfriedensbruch setzt voraus, dass aus einer Menschenmenge heraus bestimmte 2 Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen erfolgen. 1. Der objektive Tatbestand a) Menschenmenge ist eine räumlich vereinigte, nicht sofort übersehbare Anzahl von Per- 3 sonen. Eine Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein, doch dürften gut 20 Personen im Regelfall schon eine Menge abgeben.8 Unter besonders unübersichtlichen Gegebenheiten können 10 Personen genügen.®
Die Menge braucht nicht im ganzen unfriedlich zu sein. Es genügt, dass innerhalb einer 4 größeren Menge eine kleinere Gruppe, die isoliert dem Mengenbegriff genügen würde, die aggressiven Absichten des oder der Täter mitträgt. - Richten sich Gewalttätigkeiten von Mitgliedern einer Menge gegen andere Mitglieder dieser Menge, so wird dieses Verhalten vom Tatbestand nur erfasst, wenn die aggressiv Tätigen wiederum eine Menschenmenge bilden, die sich von den anderen Personen abhebt.10 b) Gewalttätigkeit ist der Einsatz physischer Kraft, die sich aggressiv gegen Menschen 5 oder Sachen richtet. Ein bloß passives Verhalten ist keine Gewalttätigkeit in diesem Sinne. Beispiele: Errichten von Barrikaden aus Parkbänken und Geräteteilen von einem Kinderspielplatz11; Vorrücken der Menge gegen Polizei (RGSt 54 S. 90); Wegdrängen von Polizeibeamten; Umwerfen von Kraftfahrzeugen (BGHSt 23 S. 53 f); Werfen mit Blutbeuteln auf Kraftfahrzeug des Bundesverteidigungsministers12; Bewerfen mit Erdklumpen (BayObLG MDR 1990 S. 356) oder faulen Eiern (OLG Köln NStZ 1997 S. 234). - Nicht hingegen: der „Sitzstreik" (BVerfG NJW 1995 S. 1141; BGHSt 23 S. 51 f).
c) Bedrohung ist das Inaussichtstellen einer Gewalttätigkeit. - Erfasst ist hier nicht nur die 6 Gewalt gegen Menschen, denn Bedrohungen von Menschen" ist nicht als Gegensatz zur Bedrohung von Sachen" zu verstehen, sondern nur Ausdruck der Selbstverständlichkeit, dass durch die Bedrohung auf den Willen eines Menschen eingewirkt werden soll. d) Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn die Allgemeinheit in ihrem Gefühl, gegen 7 Rechtsgüterbeeinträchtigungen geschützt zu sein, beeinträchtigt ist. Richten sich die Gewalttätigkeiten gegen eine einzelne Person, so ist die öffentliche Sicherheit nicht nur gefährdet, wenn sie das zufällige Opfer aus einer bestimmten Vielzahl ist, es also auch jede andere Person hätte sein können, sondern auch, wenn sie als Opfer nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe ausgewählt wurde, mit ihr also die von ihr repräsentierte Personengruppe getroffen werden sollte.13 e) Mit vereinten Kräften bedeutet eine Tätigkeit mehrerer aus der Menge. 8 z.B. LACKNER/KÜHL § 125 Rdn. 1; z. T. nur die Individualrechtsgüter als geschützt angesehen, vgl. RUDOLPHI S K H , § 125 R d n . 2.
8 9
Dazu BGHSt 33 S. 308; LG Frankfurt StV 1983 S. 463. BGH NStZ 1994 S. 483.
10 11
Dazu BGHSt 33 S. 306,308 mit Anm. OTTO NStZ 1986 S. 70 f. OLG Köln NJW 1970 S. 260; einschränkend OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 869: Gewalttätigkeiten gegen Sachen nur tatbestandsmäßige Handlungen im Sinne des § 303.
12
OLG Hamburg JR 1983 S. 250 mit abl. Anm. RUDOLPH! S. 252 ff.
13
Vgl. BGH NStZ 1993 S. 538; OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 2416; BayObLG NStZ-RR 1999 S. 269; TRÖNDLE/FLSCHER § 125 Rdn. 8. - Weiter: SCH/SCH/LENCKNER § 125 Rdn. 11. 333
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
9 f) Als Täter des Landfriedensbruchs bestimmt das Gesetz bestimmte an den Tathandlungen beteiligte Personen, aa) Täter des Landfriedensbruchs ist danach: 10 Zum einen jeder, der aus einer Menschenmenge heraus als Täter oder Teilnehmer an der Gewalttätigkeit oder Bedrohung mitwirkt. Beispiele: Wer aus der Menge heraus Steine wirft, auch wenn diese nicht treffen; wer die gewalttätige Gruppe aufreizt oder gegen die Polizei „abschirmt".
11 Zum anderen jeder, der auf die Menschenmenge einwirkt, d.h. sie psychisch beeinflusst, um ihre Bereitschaft zur Gewalttätigkeit oder Bedrohung mit Gewalttätigkeiten (zielgerichte-tes Wollen!) zu fördern, sei es durch Erwecken oder Bestärken des Tatentschlusses. Dies kann auch durch Personen geschehen, die nicht am Tatort anwesend sind, z.B. geistige Anführer, Organisatoren.14 Dem Teilnehmer ist nachzuweisen, dass er durch sein Verhalten die Gefahr der Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Täter konkret erhöht hat. Dieser Nachweis ist dann zu führen, wenn bewiesen werden kann, dass jemand den Werfern Steine zugeliefert, Hinweise auf Ziele gegeben, Gewalttäter durch Ablenken der Polizei gedeckt und dadurch weitere Gewalttaten ermöglicht hat.
12 bb) Das Erfordernis des Nachweises der eigenen Beteiligung an den Gewaltmaßnahmen begründet die Kritik an dem Tatbestand. Zum einen bleibt der passiv in einer gewalttätigen Menge Verweilende straffrei, selbst wenn sich die Gewalttäter durch seine physische Präsenz gestärkt fühlen, sie als Ermutigimg deuten oder als Deckung nutzen. Zum anderen verlocken die Schwierigkeiten der Beweisführung einzelne Personen dazu, sich unter dem Schutz der Menschenmenge an den Ausschreitungen zu beteiligen, weil sie sich sicher fühlen, dass die mit der Gefahrenabwehr beschäftigte Polizei den Täternachweis später nicht führen können wird. Damit aber sind Chancen gewaltorientierter Demonstrationsstrategien eröffnet, die dem Wesen des Demonstrationsrechts als einem Mittel geistiger Auseinandersetzung eklatant widersprechen. Wenn derartige Möglichkeiten als Besitzstand verteidigt werden, so ist dies ein hinreichender Beweis dafür, dass der Sachverhalt mit der grundgesetzlich gesicherten Demonstrationsfreiheit nur noch Ähnlichkeiten aufweist.15 2. Der subjektive Tatbestand 13 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Anstiftung und Beihilfe 14 Anstiftung und Beihilfe zum Landfriedensbruch kann nur begehen, wer sich nicht selbst in der Menschenmenge befindet. 4. Rechtfertigung 15 Eine Rechtfertigung der Tat durch Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Art. 5, 8 GG, kommt nicht in Betracht, da diese Grundrechte der geistigen Auseinandersetzung Raum geben sollen, nicht aber Gewalttätigkeiten; dazu auch oben § 27 Rdn. 47. 14
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BVerfG StV 1994 S. 74 f; BVerfG NStZ 1990 S. 487; BGHSt 32 S. 165 mit Anm. WILLMS JR 1984 S. 120; OLG Braunschweig NStZ 1991 S. 492; OLG Naumburg NJW 2001 S. 2034. - Krit. zu der Gleichstellung unter Strafwürdigkeitsaspekten: M.-K. MEYER GA 2000 S. 459 ff. Im einzelnen dazu OTTO/KREY/KÜHL in: Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. 2, 1990, Gutachten der Unterkommission v n , Rdn. 123 ff.
Delikte gegen den inneren Frieden
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5. §125 Abs. 2 Soweit die relevanten Handlungen den Tatbestand des § 113 erfüllen, gelten auch hier 16 § 113 Abs. 3 und 4 entsprechend, dazu unten § 91 Rdn. 16 ff. 6. Konkurrenzen § 125 ist subsidiär, wenn die Tat nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht 17 ist, z.B. nach §§211, 212, 224 f f > - Mit § 27 VersG ist Tateinheit möglich. 7. Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, § 125 a § 125 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit vier Regelbeispielen. a) Nr. 1: Mitführen einer Schusswaffe-, dazu oben § 41 Rdn. 50. b) Nr. 2: Mitführen einer anderen Waffe, um diese bei der Tat zu verwenden. - Das Gesetz fordert hier, dass der Täter selbst, nicht auch ein anderer Beteiligter, die Waffe führt.17 Waffe ist im untechnischen Sinne als gefahrliches Werkzeug zu verstehen. Wesentlich ist, dass beabsichtigt ist, das Werkzeug unmittelbar oder mittelbar gegen Menschen einzusetzen.18 c) Nr. 3: Mit Gefahr des Todes oder schwerer Gesundheitsschädigung verbundene Gewalttätigkeiten; dazu § 46 Rdn. 33, § 10 Rdn. 2. d) Nr. 4: Plünderung oder Anrichten eines bedeutenden Schadens. - Plündern ist Wegnähme oder Abnötigen von Sachen in der Absicht rechtswidriger Zueignung unter Ausnutzung der Situation.
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II. Störung öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 126 1. Androhen von Straftaten, Abs. 1 Abs. 1 soll den öffentlichen Frieden gegen die Androhung bestimmter, im einzelnen auf- 23 gezählter Straftaten schützen. - Androhung ist die Ankündigung, dass ein im Katalog genanntes Delikt durch den Drohenden oder kraft seines Einflusses tatsächlich oder vorgeblich verwirklicht werden kann. Das Delikt - und zwar genügt eine rechtswidrige, nicht unbedingt schuldhafte Tat - muss in seinen wesentlichen Zügen konkretisiert sein. Die Tathandlungen müssen nur nach den Umständen geeignet sein, den öffentlichen 24 Frieden zu stören. - Eine Friedensstörung braucht daher nicht eingetreten zu sein, es genügt, dass die Tathandlung die konkrete Besorgnis rechtfertigt, der Angriff werde den Friedenszustand oder das Vertrauen in seine Fortdauer erschüttern.19 - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tat braucht nicht öffentlich begangen zu werden, es genügt, wenn nach den Umständen mit dem Bekanntwerden in der Bevölkerung zu rechnen ist.20 16 17
Dazu BGHSt 43 S. 237 mit Anm. RUDOLPH JZ 1998 S. 471 f. Vgl. auch BGHSt 27 S. 56; BGH StV 1981 S. 74; v. BUBNOFF LK, § 125 a Rdn. 11 f; TRÖNDLE/FISCHER 1 1 2 5 a R d n . 3. - A . A . RUDOLPHI S K n , § 125 a R d n . 5 ; SCH/SCH/LENCKNER § 125 a R d n . 8.
18
Vgl. auch BayObLG JZ 1986 S. 1123 mit Anm. DÖLLING JR 1987 S. 467 ff; LG Berlin NStZ 1992 S. 37.
19 20
BGHSt 34 S. 329. BGHSt 29 S. 27.
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§63
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Vortäuschen von Straftaten, Abs. 2 25 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf die Fälle, in denen der Täter vortäuscht, andere Personen, auf die er keinen Einfluss hat, planten die genannten Straftaten. Der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn der Täter vorgibt, die Tat stehe unmittelbar oder in nächster Zukunft bevor. Auch hier genügt die Vortäuschung einer rechtswidrigen, nicht unbedingt schuldhaften Tat. 3. Der subjektive Tatbestand 26 Im Falle der Androhung, Abs. 1, erfordert der Tatbestand Vorsatz, bedingter genügt; insbesondere muss der Täter erkennen, dass seine Androhung ernst genommen wird. - Die Tat gemäß Abs. 2 erfordert direkten Vorsatz.
m . Volksverhetzung, § 130 1. Das geschützte Rechtsgut 27 Geschützte Rechtsgüter sind der öffentliche Friede sowie in Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 auch die Würde des Einzelnen. 2. Die Deliktsnatur 28 Für die Tathandlungen des § 130 genügt deren Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören. Der Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein. Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. 3. Einzelheiten der Regelung 29 a) Zur Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören vgl. Rdn. 24. 30 b) Abs. 1 unterscheidet zwei Tathandlungen: die Aufstachelung zum Hass gegen Teile der Bevölkerung sowie die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie (Nr. 1) und den Angriff auf die Menschenwürde anderer (Nr. 2). 31 aa) Teile der Bevölkerung sind von der Gesamtbevölkerung durch ein gemeinsames soziologisches Merkmal abgrenzbare Gruppen, seien diese nun nationale, rassische, religiöse oder politische, wirtschaftliche oder beiufliche Gruppierungen. Beispiele: Die Juden (BGHSt 31 S. 231); die Ausländer (OLG Hamm NStZ 1995 S. 136); die ausländischen Gastarbeiter (OLG Celle NJW 1970 S. 2257); insbes. die Türken2!; ¡j, Deutschland lebende Neger22 oder dunkelhäutige Menschen (OLG Zweibriicken NStZ 1994 S. 491); die ,Asylbetrüger"23 und Asylbewerber ohne Anerkennungsanspruch (OLG Düsseldorf MDR 1995 S. 948; Soldaten der Bundeswehr24. - Nicht hingegen: die Grenzschutzgruppe 9 (OLG Hamm NJW 1981 S. 591).
32 Zum Hass aufstacheln bedeutet nachhaltig auf Sinne und Gefühle anderer mit dem Ziel einwirken, Hass im Sinne von Feindschaft zu erzeugen oder zu steigern. - Auffordern ist ein Verhalten, mit dem erkennbar von einem anderen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen
21
O L G F r a n k f u r t N J W 1985 S. 1720; LOSE N J W 1985 S. 1679.
22
O L G H a m b u r g N J W 1975 S. 1088 mit A n m . GEILEN N J W 1976 S. 2 7 9 f f .
23 24
BayObLG NJW 1995 S. 145; OLG Frankfurt NJW 1995 S. 143; OLG Karlsruhe MDR 1995 S. 735. OLG Koblenz NJW 1984 S. 2373; OLG Düsseldorf NJW 1986 S. 2518; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1369. - A . A . GIEHRING StV 1985 S. 30; STRENG Lackner-FS, S. 523.
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Delikte gegen den inneren Frieden
§63
verlangt wird. - Gewalt- und Willkürmaßnahmen sind gewaltsame und andere Eingriffe ohne Rechtsgrundlage. bb) Die Menschenwürde ist angegriffen, wenn den angegriffenen Personen „ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft" bestritten wird und sie als „unterwertige Wesen" behandelt werden - Untermensch -. Bloße Ehrverletzungen und Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts genügen dem nicht.25 Problematisch ist hingegen, ob die Menschenwürde bereits angegriffen ist, wenn das „soziale Lebensrecht" der Betroffenen bestritten wird und ihnen damit die Möglichkeit genommen wird, unvoreingenommen Gemeinschaft mit anderen zu haben, z. B. indem sie als Schmarotzer oder Kriminelle gebrandmarkt werden. Das ist zu bejahen, denn Teil der Menschenwürde ist auch die Möglichkeit des Einzelnen, unvoreingenommen Gemeinschaft mit anderen zu haben. Dieses Element der Menschenwürde wird hier beeinträchtigt, auch wenn dem Betroffenen die Menschenwürde als solche nicht abgesprochen wird.26 Beschimpfen ist eine besonders verletzende Missachtenskundgebung. - Böswilliges Verächtlichmachen liegt in einer Herabwürdigung des Angegriffenen aus feindseliger, des Unrechts bewusster Gesinnung. - Zur Verleumdung vgl. § 32 Rdn. 126 ff. c) Tatgegenstand Tatgegenstand des Abs. 2 Nr. 1 sind Schriften und andere Darstellungen - dazu § 11 Abs. 3 -, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung - dazu Rdn. 31 f oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe, d.h. in dieser Weise verbundene Personenmehrheit, aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern - dazu Rdn. 32 - oder in der in Abs. 1 Nr. 2 genannten Weise, die Menschenwürde dieser Personen angreifen. - Ob die Schriften vor- oder nachkonstitutioneller Herkunft sind, ist irrelevant.27 Nach Abs. 2 Nr. 2 ist die Darbietung des in Abs. 2 Nr. 1 bezeichneten Inhalts durch den Rundfunk der Verbreitung von Schriften gleichgestellt. Die Tathandlungen (Verbreiten, öffentlich Ausstellen, usw.) beschreiben Formen des Zugänglichmachens der Tatgegenstände und dazu dienendes Vorverhalten. d) Abs. 3 erfasst die öffentliche oder in einer Versammlung - dazu oben § 62 Rdn. 4 - erfolgende Billigung, Leugnung oder Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung gemäß § 220 a Abs. 1, in einer Art und Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Abs. 3 erfasst damit das Bestreiten der Gaskammermorde, sog. Auschwitzlüge.28 - Zur sog. qualifizierten Auschwitzlüge (Leugnung der systematischen Vernichtung der Juden unter der nationalsozialistischen Herrschaft: BGH NJW 1994 S. 1421. - Zum sog. Auschwitz-Mythos: AG Hamburg NJW 1995 S. 1039; LG Hamburg NStZ-RR 1996 S. 262. - Zur Verharmlosung des Holocausts durch Verteidigerhandeln: BGHSt 43
25 26
Vgl. BGHSt 36 S. 90; dazu auch BVerfG NJW 2001 S. 63. Dazu KG JR 1998 S. 213, 215; BayObLG NJW 1991 S. 1493; BayObLG NJW 1994 S. 952 mit Anm. HUFEN JuS 1994 S. 977 ff, OTTO JR 1994 S. 473 ff; OLG Celle NJW 1982 S. 1545 f; OLG Düsseldorf MDR 1995 S. 948; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367 ff; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000 S. 368 mit A n m . KARGL Jura 2001 S. 176 ff; LACKNER/KÜHL § 130 Rdn. 3; MAIWALD J R 1989 S. 488; OTTO Jura 1995 S. 277 ff; STRENG Lackner-FS, S. 511.
27
Vgl. dazu OLG Celle JR 1998 S. 79 mit Anm. POPP S. 80 ff.
28
Vgl. dazu krit. BEISEL N J W 1995 S. 997 ff; HUSTER N J W 1996 S. 487 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 130
Rdn. 19 f. - Grundsätzlich zustimmend: STEGBAUER NStZ 2000 S. 281 ff.
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S. 36 mit A n m . STEGBAUER J R 2001 S. 37 f, STRENG JZ 2001 S. 205 ff. - Zur Verbreitung der Auschwitzlü-
ge im Internet: BGHSt 46 S. 212; dazu HÖRNLE NStZ 2001 S. 309 ff; KUDLICH StV 2001 S. 397 ff; SCHWARZENEGGER s i e ! 2 0 0 1 S 2 4 0 f f ; SIEBER Z R P 2 0 0 1 S . 9 7 f f ; VASSILAKI C R 2 0 0 1 S . 2 6 2 f f .
38 e) Die Verbreitung von Schriften mit dem in Abs. 3 genannten Inhalt in der in Abs. 2 beschriebenen Weise ist strafbar gemäß Abs. 4. 39 f) Die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 gilt in den Fällen des Abs. 2, Abs. 3 sowie Abs. 4 in Verb, mit Abs. 2 entsprechend, Abs. 5.
IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 40 § 140 will den öffentlichen Frieden durch Verhinderung eines psychischen Klimas schützen, in dem Delikte der in § 138 Abs. 1 Nr. 1-5 und § 126 Abs. 1 genannten Art gedeihen können. Es geht um den Schutz des Gefühls der Rechtssicherheit der Bevölkerung.29 - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 2. Einzelheiten der Regelung 41 a) Belohnung ist die nachträgliche Gewährung irgendwelcher Vorteile, Billigung das Gutheißen der Straftaten durch eine aus sich heraus verständliche, anderen wahrnehmbare Zustimmung. - Die Billigung muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören;30 dazu Rdn. 24. 42 b) Öffentlich ist die Billigung, wenn der Zuhörerkreis nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden oder so groß ist, dass er nach Zahl und Individualität unbestimmbar ist.31 43 c) Die nachträgliche Belohnung oder Billigung des Versuchs einer der genannten Taten genügt, soweit der Versuch dieser Tat strafbar ist. Dass der konkrete Täter wegen des Versuchs bestraft werden kann, ist jedoch nicht erforderlich. Insoweit ist der Gesetzeswortlaut: „in strafbarer Weise versucht worden ist", missverständlich.
V. Anleitung zu Straftaten, § 130 a 1. Geschütztes Rechtsgut und Aufbau des Tatbestandes 44 § 130 a will den öffentlichen Frieden durch die Verhinderung eines psychischen Klimas schützen, in dem Delikte der in § 126 Abs. 1 genannten Art gedeihen können32; vgl. auch Rdn. 40.
29
Kritisch zur Strafwürdigkeit des Verhaltens: BEMMANN Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 16; DENCKER StV 1987 S. 121; JAKOBS ZStW 97 (1985) S. 779; KÜHL NJW 1987 S. 745; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 12.
30
im einzelnen dazu BGHSt 22 S. 282; HANACK LK, § 140 Rdn. 14 ff; RUDOLPm ZRP 1979 S. 219.
31
Dazu OLG Hamm MDR 1980 S. 159.
32
Vgl. BT-Drucks. 10/6286, S. 8. - Krit. dazu DEMSKI/OSTENDORF StV 1989 S. 30 ff; DENCKER StV 1 9 8 7 S. 121.
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Der Tatbestand erfasst zum einen das Verbreiten und Zugänglichmachen von An- 45 leitungsschriften, zum anderen die Anleitung in der Öffentlichkeit oder in Versammlungen. 2. Einzelheiten der Regelung a) Anleitung zu einer Katalogtat nach § 126 Abs. 1 Anleiten ist die Information über die tatsächlichen, insbes. technischen Möglichkeiten der Tatausführung mit der Tendenz, die Begehung einer Vorsatztat zu fördern. b) Abs. 1 betrifft die eigentlichen Anleitungsschriften Die Schrift - dazu vgl. auch § 11 Abs. 3 - muss zum einen geeignet sein, als Anleitung zu einer Katalogtat zu dienen, zum anderen muss sich aus ihrem Inhalt ihre Zweckbestimmung ergeben, die Bereitschaft anderer zur Begehung einer solchen Tat zu fördern oder zu wecken, d.h. den Tatwillen anderer zu bestärken oder zu verursachen. Verbreitet wird die Schrift, indem sie einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird. - Zugänglichmachen heißt die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch andere eröffnen. - Ausstellen, Anschlagen und Vorfiihren sind Beispiele für ein Zugänglichmachen. c) Abs. 2 Nr. 1 betrifft „neutrale" Anleitungsschriften Anstelle der in Abs. 1 erforderlichen Zweckbestimmung der Schrift tritt hier die entsprechende Absicht des Täters, die Bereitschaft anderer zur Tatbegehung zu fördern oder zu wecken. d) Abs. 2 Nr. 2 erfasst die mündliche Anleitung Tathandlung ist das Anleiten zu einer Katalogtat in der Absicht, die Tatbereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken. Zu den Begriffen öffentlich, und in einer Versammlung vgl. § 62 Rdn. 4. e) Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, erfordert Kenntnis des Täters von den Tatumständen und ihres Bedeutungsgehalts. Eine Subsumtion der Tat unter § 126 Abs. 1 ist jedoch nicht erforderlich; es genügt die Vorstellung von der Tat selbst. - Absicht im Sinne des Abs. 2 ist zielgerichtetes Wollen. f) Die Sozialadäquanzklausel, § 130 a Abs. 3 Die Sozialadäquanzklausel, dazu § 86 Abs. 3, ist für Abs. 2 kaum relevant, da sich die unterschiedliche Zwecksetzung ausschließt.
46 47
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VI. Gewaltdarstellung, § 131 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechtsgut Die kriminalpolitisch sehr problematische Vorschrift beruht auf wenig gesicherten Grund- 52 lagen, ihre Grenzen sind aufgrund der Verwendung zu vieler normativer Begriffe vage. Ein Schaden braucht nicht einzutreten; das Delikt ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. Es soll den öffentlichen Frieden vor sozialschädlicher Aggression und Hetze schützen, daneben aber auch dem Jugendschutz dienlich sein.33
33
D a z u GERHARDT N J W 1975 S. 3 7 5 ; LANGE Heinitz-FS, S. 5 9 3 f f ; RUDOLPHI J A 1 9 7 9 S . 2.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Einzelheiten der Regelung 53 a) Tatgegenstand sind Schriften und andere Darstellungen; dazu § 11 Abs. 3. Gemäß Abs. 2 ist die Verbreitung durch den Rundfunk der Verbreitung von Schriften gleichgestellt. Die Tathandlungen (Verbreiten der Schriften usw.) beschreiben Formen des Zugänglichmachens der Tatgegenstände und dazu dienendes Vorfeldverhalten. 54 b) Gewalttätigkeiten gegen Menschen setzen den Einsatz physischer Gewalt durch positives Tun unmittelbar gegen einen Menschen voraus, um seine körperliche Integrität zu verletzen. Gerade im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift, sozialschädliche Aggressionen zu verhindern, ist die Beschränkung auf positives Tun, die aber im Wortlaut „Gewalttätigkeit" angelegt ist, sachwidrig. Auch die Schilderung wie jemand z.B. verbrennt oder von Ameisen gefressen wird, ohne dass ihm geholfen wird, obwohl dies möglich wäre, dürfte gleiches Gewicht haben wie die Schilderung einer Gewalttätigkeit durch positives Tun.
55 Zum Merkmal grausam vgl. oben § 4 Rdn. 36 f; unmenschlich ist die menschenverachtende Einstellung des Täters. - Verherrlichend ist eine positiv wertende Darstellung, verharmlost wird das Geschehen durch bewusste Bagatellisierung als akzeptables Mittel zur Lösung von Konflikten.34 - Eine die Menschenwürde verletzende Darstellungsart liegt vor, wenn Schmerz und Qualen von Menschen gezielt als bloßes Unterhaltungsmittel zum Aufputschen der Nerven eingesetzt werden. Enger BVerfG NJW 1993 S. 1457: „Darstellungen von grausamen oder unmenschlichen Gewalttätigkeiten, die darauf angelegt sind, beim Betrachter eine Einstellung zu erzeugen oder zu verstärken, die den jedem Menschen zukommenden fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet."
56 Die Art der Schilderung muss die Gewalttätigkeiten verherrlichen oder verharmlosen oder sie in einer die Menschenwürde verletzende Weise darstellen. Die Strafwürdigkeit liegt demnach wesentlich in der Art und Weise der Schilderung begründet. 57 c) Der Vorsatz - bedingter genügt - muss sich darauf erstrecken, dass in der Schrift Gewalt verherrlicht wird usw. - Eine Absicht des Täters, dieses Ziel zu erreichen, ist nicht erforderlich. Der Täter braucht diese Tendenzen seiner Handlung nicht einmal zu billigen. d) Ausschluss des Tatbestandes 58 aa) Das Berichterstatterprivileg nach § 131 Abs. 3 schließt den Tatbestand aus. - Berichterstattung ist jede auf Reproduktion der tatsächlichen Ereignisse gerichtete Überlieferung, auch die Dokumentation, die in fiktiver Nachgestaltung wirkliche Vorgänge vor Augen führen will. - Übertreibungen, pädagogisch motivierte Schilderungen erdichteter Vorgänge und Verfälschungen der tatsächlichen Ereignisse fallen hingegen nicht unter das Privileg. 59 Sachlich kommt dem Berichterstatterprivileg des § 131 Abs. 3 im wesentlichen nur klarstellende Funktion zu, denn die historisch getreue Berichterstattung erfüllt nicht die im Tatbestand geforderte Art der Schilderung. Werden hingegen historische Ereignisse verzerrt in der beschriebenen Weise geschildert, so greift Abs. 3 nicht ein. 60 bb) Zum Erzieherprivileg des § 131 Abs. 4 vgl. auch unten § 66 Rdn. 62. 3. Zur Rechtfertigung 61 Nur in Ausnahmefallen wird eine der in § 131 erfassten Gewaltschilderungen und Äußerungen als Kunstwerk anerkannt werden können, da die künstlerische Verarbeitung, selbst 34
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Vgl. OLG Koblenz MDR 1986 S. 256.
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wenn die Schilderung grausam oder unmenschlich ist, kaum eine Verherrlichung oder Verharmlosung der Gewalttaten ausdrücken wird. Sollte im Einzelfall allerdings ein Werk, das den Anforderungen des § 131 entspricht, 62 als Kunstwerk anerkannt werden, so wird eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG regelmäßig in Betracht kommen.3'
VII. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 1. Das Wesen des Tatbestandes und das geschützte Rechtsgut a) § 111 Abs. 1 ist ein gegenüber der Anstiftung, § 26, und der versuchten Anstiftung, § 30 63 Abs. 1, erweiterter Auffangtatbestand. Die rechtswidrige Tat, zu der der Täter auffordert, muss ihrer Art und ihrem rechtlichen Wesen nach bestimmt sein. Im Gegensatz zu §§ 26, 30 ist jedoch nicht erforderlich, dass der Aufgeforderte als ganz bestimmte Person schon feststeht und Zeit, Ort sowie Objekt der Tat bereits in den wesentlichen Zügen konkretisiert sind. b) Geschützt wird der innere Gemeinschaftsfrieden.36 64 2. Die Aufforderung gemäß Abs. 1 a) Aufforderung ist eine Äußerung, mit der erkennbar von einem anderen ein bestimmtes 65 Tun oder Unterlassen verlangt wird. Ein bloßes .Anreizen" zur Tat, Gutheißen3? oder Befürworten der Tat38 genügt nicht. - Nicht vorausgesetzt wird, dass sich unter den Aufgeforderten ein tauglicher Täter der Tat, zu der aufgefordert wird, befindet. Das Delikt ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt.3» Aufforderung und Bestimmen i.S. des § 26 sind danach identisch, wenn für das Bestimmen mehr verlangt wird als die bloße Verursachung des Tatentschlusses.40 Bei der Aufforderung zu Sitzblockaden, §§ 111, 240, hat das BVerfG allerdings die Aufforderung als nicht hinreichend bestimmt angesehen, wenn entsprechende Flugblätter nicht die für die Bewertung der Rechtswidrigkeit maßgebenden Umstände enthalten.41 - Da der Täter im Zweifel überhaupt keinen Anlass zu derartigen Mitteilungen sieht, ist § 111 damit in bezug auf die Aufforderung zu Sitzblockaden tatsächlich außer Kraft gesetzt sowie Wesen, Schutzzweck und tatbestandliche Besonderheit des § 111 gründlich verkannt worden.42
Zum Begriff öffentlich vgl. oben § 62 Rdn. 4; in einer Versammlung: vgl. oben § 62 Rdn. 66 4; Verbreiten heißt die Schriften (§11 Abs. 3) einem größeren, nicht notwendig unbe35
Im einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. oben § 32 Rdn. 45 ff.
36
Vgl. dazu BGHSt 29 S. 267; v. BUBNOFF LK, § 111 Rdn. 5. - A.A. LACKNER/KÜHL § 111 Rdn. 1;
SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 13: das durch die Straftat beeinträchtigte Rechtsgut; PLATE ZStW 84 (1972) S. 303: empirische Geltung der Rechtsordnung; JAKOBS ZStW 97 (1985) S. 777: Rechtsfriedensstörung.
37 38 39
BGHSt 32 S. 310. Dazu OLG Karlsruhe NStZ 1993 S. 389. Vgl. BayObLG NJW 1994 S. 396.
40
D a z u vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 R d n . 3 2 f f .
41
Vgl. BVerfG NStZ 1991 S. 279; BVerfG NJW 1992 S. 2688.
42
V g l . d a z u B a y O b L G J R 1 9 9 3 S. 117 m i t A n m . NEHM S. 120 f f ; v . BUBNOFF L K , § 111 R d n . 2 3 ; OTTO J R 1993 S. 2 5 9 ; SCHMITT GLAESER J R 1991 S. 16 f. - A n d e r s : GRAUL J R 1994 S. 5 5 f f .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
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stimmten Personenkreis zugänglich machen, den der Täter nicht mehr kontrollieren kann. Das bloße Anbieten zum Kauf ist noch kein Verbreiten.43 67 b) Der Vorsatz ist gegenüber dem Anstiftungsvorsatz weiter, da keine konkrete Person zur Tat bestimmt werden muss. Er erfordert das Bewusstsein, dass die Aufgeforderten eine rechtswidrige Tat begehen, wozu auch die Teilnahme zählt, nicht aber Ordnungswidrigkeiten. Der Vorsatz, dass die Aufgeforderten die Tat vollenden, ist im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut nicht erforderlich, so dass auch ein agent provocateur unter § 111 fällt.44 68 c) Die Bestrafung nach Abs. 1 setzt voraus, dass die Aufforderung Erfolg gehabt hat, d.h. dass es zu der rechtswidrigen vollendeten Tat oder zu einem mit Strafe bedrohten Versuch gekommen ist. 69 d) Die Strafverfolgung nach § 111 setzt keinen Antrag voraus, auch wenn das Delikt, zu dem aufgefordert wird, ein Antragsdelikt ist.45 3. Die erfolglose Aufforderung gemäß Abs. 2 70 Im Hinblick auf den Erfolg der Tat hat Abs. 2 die Funktion des § 30 Abs. 1 gegenüber § 26. Entgegen § 30 Abs. 1 sieht § 111 Abs. 2 jedoch nicht eine Strafmilderung vor, sondern bietet einen selbständigen Strafrahmen. Diese in die Gesetzessystematik nur schwer einzupassende Regelung führt zu der Konsequenz, dass Beihilfehandlungen zur Tat nach Abs. 2 - im Gegensatz zur Beihilfe bei der erfolglosen Anstiftung gemäß § 30 Abs. 1 strafbar sind.46 4. Konkurrenzen 71 Wird der Täter wegen der Tat, zu der er aufgefordert hat, als Täter, Anstifter oder erfolgloser Anstifter, §§ 25,26,30, bestraft, so wird § 111 konsumiert.47
43 44
KGStV 1983 S. 461. S o a u c h v . BUBNOFF L K , § 111 R d n . 2 7 ; LACKNER/KÜHL § 111 R d n . 6. - A . A . SCH/SCH/ESER § 111
Rdn. 17. 45 46
OLG Stuttgart NJW 1989 S. 1939. Dazu BGHSt 29 S. 266 f.
47
Für Tateinheit: SCH/SCH/ESER § 111 Rdn. 23; TRÖNDLE/FISCHER § 111 Rdn. 9. - Für Subsidiarität des § 1 1 1 : LACKNER/KÜHL § 1 1 1 R d n . 10; SCHROEDER Straftaten, S . 30.
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§64
Delikte gegen das Pietätsempfinden
Dritter Abschnitt Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens § 64 Delikte gegen das Pietätsempfinden 1. Das geschützte Rechtsgut der §§ 166 -168 Die Bezeichnung der hier relevanten Straftaten als Delikte gegen das Pietätsempfinden ist 1 ungenau. Geschützt wird - genauso wenig wie bei der Beleidigung das subjektive Ehrempfinden - keineswegs das subjektive Pietätsempfinden des Einzelnen, sondern der öffentliche Frieden durch das Gebot, das Pietätsempfinden anderer zu achten. Es geht um die Wahrung von Anstand und Würde bei religiösen und weltanschaulichen Äußerungen, i 2. Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen, §166 Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt, maßgeblich ist die Eignung der Tathandlung, den 2 öffentlichen Frieden zu stören.2 a) Schutz religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse, Abs. 1 Die öffentlich - vgl. dazu oben § 62 Rdn. 4 - oder durch Verbreiten von Schriften - zur 3 Gleichstellung mit Schriften vgl. § 11 Abs. 3 - erfolgende Beschimpfung, d.h. nach Form und Inhalt besonders verletzende Missachtensäußerung, muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören - dazu oben § 63 Rdn. 24 -. Die Friedensstörung kann auch bei der Beschimpfung eines individuellen Bekenntnisses gegeben sein, denn es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen sich getroffen fühlen, sondern ob Art und Weise der Äußerung den nach den Grundsätzen friedlichen Zusammenlebens gebotenen Anstand und die erforderliche Würde im religiösen oder weltanschaulichen Bereich verletzen. Als religiöses Bekenntnis ist ein Bekenntnis anzusehen, das inhaltlich wesentlich durch 4 den Glauben an Gott als den letzten Weltgrund bestimmt wird. Dem weltanschaulichen Bekenntnis ist dieser metaphysische Bezug nicht wesentlich, denn der Weltanschauung geht es um eine Deutung der Welt und der Stellung des Einzelnen in ihr ohne diesen Bezug. Daher ist die nach h.M. durch Art. 4 Abs. 1, 140 GG in Verb, mit Art. 137 Abs. 7 WRV gebotene Gleichstellung des religiösen mit dem weltanschaulichen Bekenntnis recht dubios. Das religiöse Bekenntnis ist nämlich andersartigen und auch in andere Dimensionen weisenden Angriffen ausgesetzt als ein weltanschauliches Bekenntnis, und zwar aufgrund seines metaphysischen Bezugs sowie der anderen als den Gläubigen nicht nachvollziehbaren Verbindung des Einzelnen mit Gott im Glaubensakt.
b) Schutz bestimmter Institutionen, Abs. 2 Weltanschauungsvereinigungen sind Personenvereinigungen, die sich zu einer bestimmten 5 Weltanschauung bekennen. - Ob die Religionsgesellschaft als Körperschaft des öffentli1
Vgl. dazu HARDWIG GA 1962 S. 257 ff; WORMS Die Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB und die Lehre vom Rechtsgut, 1984, S. 88 ff, 133 ff. - Für eine differenzierte Betrachtungsweise bei den einzelnen Tatbeständen, wobei im wesentlichen auf den Schutz des öffentlichen Friedens abgestellt wird: LACKNER/KÜHL § 166 Rdn. 1, § 167 Rdn. 1, § 168 Rdn. 1; MAURACH/SCHROEDER/MAI-WALD B . T .
2,
§ 61
Rdn.
2;
RUDOLPHI S K
n,
Vor
§ 166
R d n . 1,
3;
SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 166 ff Rdn. 2. - Als unselbständigen Teil des § 130 Nr. 3 interpretiert FISCHER G A 1 9 8 9 S. 4 5 6 f f , 4 6 4 , d e n § 166.
2
Vgl. auch OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 S. 238 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 166/1; TRÖNDLE/FISCHER § 166 Rdn. 8. - A.A. (konkretes Gefährdungsdelikt): GALLAS Heinitz-FS, S. 182; HERZOG N K , § 166 R d n . 1; RUDOLPHI S K n , § 166 R d n . 14; SCH/SCH/LENCKNER § 166 R d n . 12.
343
§64
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
chen Rechts anerkannt ist, spielt keine Rolle. - Einrichtungen sind die für die innere und äußere Verfassung oder die Ausübung der Religion bzw. Weltanschauung verbindlichen Ordnungen der Gruppe. Beispiele: Konfirmation; Singen von Kirchenliedern; Messe; Priestertum; Predigt u.ä.
6 Gebräuche sind allgemeine, tatsächliche Übungen der Gruppe, z.B. Kollektenwesen, Bekreuzigung, Reliquienverehrung. c) Zur Rechtfertigung 7 Die Rechtfertigung einer Beschimpfung aufgrund der Wahrnehmung der Freiheit der Kunst, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, wird nur in Grenzfällen in Betracht kommen. Die Beachtung des grundgesetzlichen Wertsystems und der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Wertordnung wird hier nur selten zu einem Vorrang der Kunstausübung führen. Die religiöse Beschimpfung z.B. tangiert aufgrund ihrer Eignung, den existentiellen Persönlichkeitsbereich in seinem Glaubensbezug zu verletzen, die Freiheit der Religionsausübung, die grundsätzlich der Kunstfreiheit gleichwertig ist.3 3. Störung der Religionsausübung, § 167 a) Störung des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung, Abs. 1 Nr. 1 8 Gottesdienst ist die Vereinigung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft zur religiösen Verehrung oder Anbetung Gottes. Politische Demonstrationen in Form einer religiösen Andacht genießen nicht den Schutz des § 167.4 - Gottesdienstliche Handlung ist eine auf dem religiösen Kult beruhende Handlung, die außerhalb des Gottesdienstes der Gottesverehrung dient oder die Verbundenheit mit Gott zeigen soll, z.B. Taufe, Trauung, Prozession. Die Störung, d.h. Behinderung oder Erschwerung, muss absichtlich, also zielgerichtet, unternommen sein; im übrigen genügt Vorsatz, auch bedingter Vorsatz. b) Beschimpfender Unfug an geweihtem Ort, Abs. 1 Nr. 2 9 Beschimpfender Unfug ist eine grob ungehörige Verletzung der Achtung des religiösen oder weltanschaulichen Empfindens anderer. - Ein bestimmter Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein, die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 10 c) Dem Gottesdienst gleichgestellt sind entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden weltanschaulichen Vereinigung, Abs. 3. 4. Störung einer Bestattungsfeier, § 167 a 11 Bestattungsfeiern sind nicht nur Beerdigung und Einäscherung, sondern auch die dazu gehörenden Feierlichkeiten, wie z.B. der Leichenzug und die Trauerfeier. 5. Störung der Totenruhe, § 168 a) Die unbefugte Wegnahme von Leichen u.a., Abs. 1,1. Alt. 12 aa) Der Körper eines verstorbenen Menschen ist geschützt, solange er noch nicht zerfallen oder Gegenstand des Rechtsverkehrs, z.B. Anatomieleiche, geworden ist; zum Zeitpunkt 3
Im einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. oben § 32 Rdn. 45 ff. - Speziell zur Beschimpfung durch Karikaturen und Satiren: OLG Köln NJW 1982 S. 657; OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 1211; WÜRTENBERGER NJW 1982 S. 610 ff. Grundsätzlich zum Konflikt zwischen Glaubensfreiheit und Kunstfreiheit: KRAUSS Noll-GedS, S. 209 ff.
4
Vgl. OLG Celle NJW 1997 S. 1167.
344
Delikte gegen das Pietätsempfinden
§64
des Beginns des Lebens als Mensch vgl. oben § 2 Rdn. 4, zum Zeitpunkt des Todes vgl. oben § 2 Rdn. 10. - Teile des Körpers sind die natürlichen Bestandteile des Körpers, auch das Leichenblut und Gewebeteile, s Dem Körper eingefügte fremde Bestandteile, z.B. Prothesen, Herzschrittmacher, sind durch die Eigentumsdelikte hinreichend geschützt und daher nicht als Körperteile i.S. des § 168 anzusehen.« - Leibesfrucht ist die menschliche Frucht vom Zeitpunkt der Nidation an. bb) Wegnahme ist hier nicht als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams i.S. 13 der Eigentumsdelikte zu verstehen, sondern als Entfernung aus einem tatsächlichen Obhutsverhältnis. Dieses Obhutsverhältnis ist nicht rein normativ im Sinne eines bloßen Obhutsrechts zu verstehen, sondern wird durch das Hinzutreten einer faktischen Komponente begründet. Das ist der Fall, wenn der Obhutsberechtigte, d. h. die Person, der die Bestattung obliegt, nach Benachrichtigung vom Tode dem gegenüber, der die Leiche in Gewahrsam hat, zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Obhut übernimmt.7 Gewahrsam an der Leibesfrucht wird im Regelfall der Leiter des Krankenhauses haben, 14 in dem die tote Leibesfrucht durch Schwangerschaftsabbruch angefallen ist.8 Ein Obhutsverhältnis Angehöriger ist hier nur bei ausdrücklichem Verlangen, die Leibesfrucht in Obhut zu nehmen, begründet.' Diese Bestimmung des Obhutsverhältnisses hat die Konsequenz, dass eine eigenmächtige Sektion oder Entnahme von Organen zur Transplantation vor der Benachrichtigung der Angehörigen nicht unter den Tatbestand des § 168 fallt. Gleichfalls nicht erfasst ist im Regelfall auch die Verwertung der Leibesfrucht durch die Leitung eines Krankenhauses. cc) Die Wegnahme von Leichenteilen erfolgt befugt, d. h. gerechtfertigt, soweit der Ver- 15 storbene eingewilligt hat oder öffentlich-rechtliche Vorschriften - z. B. § 87 Abs. 3, 91 StPO - sie gestatten. - Die Organentnahme zum Zweck der Transplantation regelt das Transplantationsgesetz v. 5.11.1997. Dieses ermöglicht gemäß § 3 eine Organentnahme auch mit Zustimmung von Angehörigen (erweiterte Zustimmungslösung).>o b) Die Verübung beschimpfenden Unfugs an einer Leiche u.a., Abs. 1,2. Alt. Zur Verübung beschimpfenden Unfugs vgl. § 64 Rdn. 9. 16 c) Zerstörung von Aufbahrungsstätten u.a., Abs. 2 Während Aufbahrungsstätten Orte sind, an denen Tote aufgebahrt sind, brauchen sich an 17 Totengedenkstätten keine Toten zu befinden. Der Begriff der Beisetzungsstätte kann dem Schutz des Rechtsgutes gemäß nicht nur unmittelbar auf das Grab beschränkt, sondern
5
K G N J W 1990 S. 782.
6
Dazu § 39 Rdn. 5 f; im übrigen vgl. BRINGEWAT JUS 1981 S. 213; DERS. JA 1984 S. 61 ff; LACKNER/
KÜHL § 168 Rdn. 2; RUDOLPHI Jura 1979 S. 46. - Differenzierend nach der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität durch die Entfernung: DIPPEL LK, 10. Aufl., § 168 Rdn. 14; HERZOG NK, § 168 R d n . 6; TRÖNDLE/FISCHER § 168 R d n . 4 .
7
O L G Z w e i b r ü c k e n J R 1992 S. 2 1 2 mit A n m . LAUBENTHAL S. 2 1 3 ; LACKNER/KÜHL § 168 R d n . 3;
OTTO Jura 1992 S. 667 f; TRÖNDLE/FISCHER § 168 Rdn. 8. - A.A. (Obhutsrecht): DIPPEL LK, 10 Aufl., § 168 R d n . 24; STERNBERG-LIEBEN N J W 1987 S. 2062.
8
BT-Drucks. 10/3758, S. 4.
9
A . A . STERNBERG-LIEBEN N J W 1987 S. 2 0 6 2 .
1°
Im einzelnen zu den Regelungen des TPG: LACKNER/KÜHL § 168 Rdn. 5; TRÖNDLE/FISCHER § 168
Rdn. 13 ff. 345
§65
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
muss auch auf die unmittelbar zum Grab gehörenden Gegebenheiten - Grabdenkmäler, Umfriedung - erstreckt werden. - Zum Zerstören und Beschädigen vgl. § 47 Rdn. 5; zum Verüben beschimpfenden Unfugs vgl. § 64 Rdn. 9.
§ 65 Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfälschung, § 169 1. Das geschützte Rechtsgut und das Angriffsobjekt 1 a) § 169 schützt die Allgemeinheit und damit mittelbar auch die jeweils Betroffenen vor den Gefahren falscher behördlicher Personenstandsfeststellungen. Personenstand ist der Familienstand, d.h. das familienrechtliche, auf Abstammung oder Rechtsakt beruhende Verhältnis einer Person zu einer anderen Person. 2 b) Angriffsobjekt ist allein der Personenstand eines anderen, d.h. nicht der eigene oder der Personenstand einer nicht existierenden Person. 2. Die Regelung im einzelnen 3 a) Unterschieben eines Kindes ist die Gefährdung des Personenstandes dadurch, dass ein Kind aufgrund einer Täuschung in eine so enge tatsächliche Beziehung zu einer bestimmten Frau gebracht wird, dass es nach der äußeren Sachlage als deren leibliches Kind erscheint. Die Gefahr einer unrichtigen behördlichen Feststellung des Personenstandes, z.B. durch unrichtige Eintragung im Geburtenbuch, braucht nicht konkret gegeben zu sein, es genügt vielmehr, dass das Verhalten geeignet ist, unrichtige behördliche Feststellungen zu begründen. Eine derartige Gefahr ist über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu fordern, denn ist diese Gefahr ausgeschlossen, so dass nur andere Personen aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten getäuscht werden, liegt eine Personenstandsfälschung nicht vor. 11
4 Falsche Angaben sind unwahre Erklärungen gegenüber der zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde. - Unterdrücken ist die Herbeiführung eines Zustandes, der die behördliche Feststellung verhindert oder erschwert. Bloßes Unterlassen ist nur in einer Garantenposition strafbar. - Die Zuständigkeit zur Führung von Personenstandsbüchern ist im PStG geregelt. - Zuständig zur Feststellung des Personenstandes sind die Behörden, die durch Entscheidung für und gegen jedermann dazu berufen sind, den Personenstand eines Menschen amtlich festzustellen oder zu verändern oder bei einer Veränderung mitzuwirken. Beispiele: Standesbeamter, Vormundschaftsgericht o.ä.
5 b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muss wissen, dass er den Personenstand eines anderen falsch angibt oder unterdrückt und dass die zuständige Behörde von dem unrichtigen Personenstand Kenntnis erlangt. 6 c) Die Tat ist Zustandsdelikt, d.h. sie ist mit der Herbeiführung des unrichtigen Zustandes beendet. - Vollendet ist das Delikt, wenn die falsche Angabe usw. derart in den Wahrnehmungsbereich der entsprechenden Behörde gelangt ist, dass der zuständige Beamte sie zur Kenntnis nehmen kann.
11
346
D a z u BOHNERT JUS 1977 S. 7 4 7 ; STURM J Z 1974 S. 2.
Delikte gegen die familiäre Ordnung
§65
Zur Verdeutlichung: a) Die Ehefrau A hat nach einem Ehebruch mit X ein Kind bekommen. Sie meldet dies als eheliches Kind 7 zur Eintragung beim Standesamt an. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor. Bis zur Anfechtung der Ehelichkeit gilt das Kind als ehelich, § 1591 BGB. Gleiches gilt bei der Anerkennung eines Kindes als ehelich nach §§ 1600 a ff BGB.12 b) Die A weigert sich, den Erzeuger ihres nichtehelichen Kindes anzugeben. Dadurch kann das Jugendamt die nötigen gerichtlichen Personenstandsfeststellungen nicht in die Wege leiten. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor, da die A nicht Garantin gegenüber der Behörde ist.13 In gleicher Weise fehlt die Garantenstellung beim Arzt, der über die Herkunft des Samens bei heterologer Insemination schweigt.14 c) Die A, die eine Fehlgeburt erlitten hat, gibt ihrem Ehemann (E) gegenüber das Kind ihrer Freundin F als ihr eigenes aus. Die F ist einverstanden. Sie wollte das Kind zur Adoption freigeben. E meldet das Kind beim Standesamt als eigenes an. Ergebnis: A unterschiebt ein Kind.15 d) A gibt dem Finanzamt gegenüber fälschlicherweise den X als Vater ihres nichtehelichen Kindes an. Sie meint, das Finanzamt sei auch eine zur Feststellung des Personenstandes zuständige Behörde. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor; A begeht ein Wahndelikt. Ihr Irrglaube erweitert die behördliche Zuständigkeit nicht. e) A meldet seine Freundin F beim Einwohnermeldeamt als seine Ehefrau an. Ergebnis: § 169 nicht gegeben, das Einwohnermeldeamt ist nicht zuständige Behörde i.S. des § 169.
II. Doppelehe, § 172 1. Das geschützte Rechtsgut §172 schützt die staatliche Eheordnung als Teil der Familienordnung. - Verheiratet ist, 8 wer in formell gültiger Ehe lebt, § 1310 BGB. 2. Die Tathandlung Tathandlung ist das Schließen einer formell gültigen Ehe in einem Zeitpunkt, in dem der 9 Täter oder der Partner noch formell gültig verheiratet ist. BGHSt 4 S. 6: A, der damit rechnete, dass seine Ehefrau noch lebte, ließ diese für tot erklären und heiratete nach Rechtskraft der Todeserklärung die B. BGH: Da die erste Ehe erst durch die neue Eheschließung aufgelöst wird, § 1319 Abs. 2 BGB, ging A eine Doppelehe ein. - Nicht notwendig ist es, dass nach der Tat zwei Ehen bestehen. Dem ist mit SCH/SCH/LENCKNER § 172 Rdn. 5, entgegenzuhalten, dass in diesen Fällen ein Strafbedürfnis nach § 172 nicht besteht, da die staatliche Eheordnung durch die Tat nicht betroffen wird, weil nach der Tat nur eine formell gültige Ehe besteht.
12
13
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 1 6 9 R d n . 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 3 R d n . TRÖNDLE/FISCHER § 169 R d n . 5.
17;
Vgl. DIPPEL LK, 10. Aufl., § 169 Rdn. 20 m.e.N. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 63
Rdn. 16: Rechtspflicht zur Familienstandsangabe gegenüber Behörde genügt.
14
BT-Drucks. VI/3521, S. 11.
15
V g l . R G S t 3 6 S. 137; TRÖNDLE/FISCHER § 169 R d n . 4. - A . A . LACKNER/KÜHL § 169 R d n . 3.
347
§65
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
10 Führt die erneute Eheschließung nicht zu einer gültigen, wenn u.U. auch anfechtbaren Ehe, sondern zu einer bloßen Nichtehe, so ist der Tatbestand nicht erfüllt.1« 3. Die Deliktsnatur 11 a) Die Tat ist Zustands-, nicht Dauerdelikt. Sie ist daher mit Abgabe der Erklärungen gemäß § 1311 BGB vollendet und beendet. 12 b) Auf Teilnehmer findet § 28 Abs. 1 keine Anwendung, denn der Zustand des „Verheiratetseins" ist keine pflichtbegründende Gegebenheit, sondern allein Voraussetzung für einen wirksamen Angriff auf das geschützte Rechtsgut. i7
IE. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 1. Das geschützte Rechtsgut 13 Geschütztes Rechtsgut ist die innere Familienordnung. Die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verwandten ist lange Zeit unter Hinweis auf die Möglichkeit psychischer, eugenischer und genetischer Schäden begründet worden. Diese Argumentation ist vielfachen Zweifeln ausgesetzt. Gleichwohl erscheint das Verhalten im Hinblick auf mögliche psychische Schäden durchaus strafwürdig. 14 Die Familie gibt den einzelnen Mitgliedern nur dann Möglichkeiten zu einer ausgeglichenen personalen Entwicklung im emotionalen Bereich, wenn sie die Überlastung oder einseitige Belastung der Psyche des Einzelnen verhindert. - Die nicht intakte, d.h. tatsächlich unvollständige oder aufgrund der Verkennung der jeweiligen Rollenstellung unausgeglichene Familie ist ein kriminogener Faktor ersten Ranges. - Sexuelle Beziehungen zwischen den engsten Familienmitgliedern neben den Ehepartnern stellen sodann eine emotionelle Belastung der unmittelbar Betroffenen wie auch der anderen Familienmitglieder dar, die die Gefahr gestörter Persönlichkeitsentwicklungen begründet, i« Da das Gesetz nach wie vor auf die leibliche Verwandtschaft abstellt, kommt dieser Schutzgedanke nur unvollständig in der Vorschrift selbst zum Tragen. 2. Die Tathandlung 15 a) Tathandlung ist der Beischlaf, das ist jede Vereinigung der Geschlechtsteile, gleichviel wie weit das männliche Glied in die Scheide eingeführt wird.1' Differenzierungen danach, ob das männliche Glied nur in den Scheidenhof oder in die Scheide selbst gelangt, erscheinen wegen der Schwierigkeiten der Feststellungen nicht sinnvoll.20
16 b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, der sich auf die wirklichen blutsmässigen Verhältnisse beziehen muss. 16
Vgl. LG Hamburg NStZ 1990 S. 280; zur Frage des anwendbaren Rechts bei ausländischer Eheschließung: LIEBELT NStZ 1993 S. 544 f. - Zur Mehrehe eines Ausländers in Deutschland: StA München NStZ 1996 S. 436.
17
E b e n s o HORN S K II, § 1 7 2 R d n . 7 ; LACKNER/KÜHL § 172 R d n . 7; R o x i n L K , § 2 8 R d n . 6 8 ; SCH/SCH/ LENCKNER § 1 7 2 R d n . 8. - A . A . TRÖNDLE/FISCHER § 172 R d n . 5.
18 19 20
Im einzelnen dazu BT-Drucks. VI/1552, S. 14; VI/3521, S. 17. BGHSt 16 S. 177. Dazu BGHSt 16 S. 177; BGH bei Dallinger, MDR 1973 S. 17; BGH NJW 2001 S. 455.
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Delikte gegen die familiäre Ordnung
§65
3. Die Deliktsnatur Die Tat ist eigenhändiges Delikt, so dass mittelbare Täterschaft ausscheidet. - Die Be- 17 teiligung des Deszendenten (Abs. 1) oder Aszendenten (Abs. 2 S. 1) ist als Teilnahmehandlung nicht eigenständig strafbar, so dass jeder nur aus dem für ihn geltenden Tatbestand bestraft werden kann. Die Teilnahme Dritter richtet sich nach Abs. 1. Da die Verwandtschaft hier die erhöhte sozialethische Pflicht begründet, für eine angemessene psychische Entwicklung der anderen Familienmitglieder Sorge zu tragen, ist die Verwandtschaft besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. I.21 4. Strafausschluss §173 Abs. 3 enthält einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Deszendenten und 18 Geschwister unter 18 Jahren, der eine Strafbarkeit Dritter wegen Anstiftung nicht ausschließt.^
IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützes Rechtsgut des Abs. 1 ist die materielle Sicherstellung des Berechtigten, dane- 19 ben die Schonung der öffentlichen Finanzen.2* - Abs. 2 dient dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Entscheidungsfreiheit der SchwangerenM 2. Die Regelung des Abs. 1 a) Das Bestehen einer Unterhaltspflicht richtet sich nach bürgerlichem Recht. Wenn und 20 solange ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch besteht, ist auch eine gesetzliche Unterhaltspflicht i.S. des § 1570 BGB gegeben. Die Voraussetzungen des Anspruchs hat der Straftichter selbständig zu prüfen; dabei ist er an die Beweisvermutung der §§1591 ff, 1600 m, 1600 o BGB gebunden. Ein eventuell vorliegendes Unterhaltsurteil bindet den Strafrichter nicht, wohl aber ist der Strafrichter an die im Statusverfahren rechtskräftig festgestellten Fakten (z.B. Vaterschaft) gebunden.25
21
So auch BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 174. - A.A. BGHSt 39 S. 326, 328 mit Anm. DIPPEL NStZ 1994 S. 182 f, OTTO J K 9 4 , S t G B § 28/1, STEIN StV 1995 S. 2 5 1 f f ; LACKNER/KÜHL § 1 7 3 R d n . 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 3 R d n . 9 0 .
22 23
Vgl. BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 174; STURM JZ 1971 S. 3. Dazu BVerfGE 50 S. 142 f.
24
Daher handelt es sich bei Abs. 2 um ein selbständiges Delikt gegenüber Abs. 1; vgl. SCHTITKNHELM NStZ 1997 S. 169 f; SCH/SCH/LENCKNER § 170 Rdn. 1 a. - Für einen Qualifikationstatbestand, da Abs. 2 auch dem Schutz der Rechtsgüter in Abs. 1 dient: GÜNTHER SK II, § 170 b Rdn. 11 f; LACKNER/KÜHL § 170 R d n . 1.
25
Str., wie hier: BGHSt 5 S. 106; BayObLG NJW 1967 S. 1287; BayObLG StV 2001 S. 349; OLG Celle StV 2001 S. 349; OLG Düsseldorf StV 1991 S. 68. - Für eine Bindungswirkung des klageabweisenden Unterhaltsurteils: SCH/SCH/LENCKNER § 170 Rdn. 13; SCHWAB NJW 1960 S. 2169 ff. - Allgemein für
eine Bindungswirkung des Unterhaltsurteils: KAISER NJW 1972 S. 1847 f. - Ablehnend auch gegenüber Statusurteilen: EGGERT MDR 1974 S. 445 ff.
349
§65
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Mangels Verletzung inländischer Interessen liegt eine Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht i.S. § 170 nicht vor, wenn ein im Inland lebender Ausländer26 oder Deutscher27 sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht.
21 b) Als Unterhaltsleistung kommen in erster Linie Ansprüche auf Geldleistungen in Betracht. Soweit die Verpflichtung eines Unterhaltsverpflichteten auf Pflege und Erziehung gerichtet ist, vgl. § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB, gehört zum Unterhalt die Vornahme aller der Handlungen, die normalerweise im Haushalt zu erbringen sind.28 Voraussetzung der Unterhaltspflicht ist, dass der Verpflichtete überhaupt imstande ist zu leisten, und zwar muss es ihm möglich sein, den Anspruch zu erfüllen, ohne seinen eigenen notwendigen Lebensbedarf oder den vorrangig Berechtigter zu gefährden. Einschränkungen seines Lebensstandards muss er in diesem Rahmen hinnehmen. Er ist zur Ausschöpfung von Verdienstmöglichkeiten zur Realisierung seiner Leistungsmöglichkeit verpflichtet.29 22 c) Entziehen ist vorrangig ein echtes Unterlassen. Es kann aber auch durch positives Tun Vereitelung des Anspruchs durch Herbeiführung der Leistungsunfähigkeit - begangen werden. 3° 23 d) Der angemessene Lebensbedarf, nicht der notwendige, muss gefährdet sein. - Die Abwendung der Gefährdung durch Dritte ist dem Täter dann nicht zuzurechnen, wenn diese nur handeln, weil der Unterhaltsverpflichtete seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt, d.h. wenn eine Unterhaltssicherung erforderlich ist und mit der Hilfeleistung bezweckt wird. Zwischen der Unterhaltsverweigerung und der Hilfe Dritter oder der öffentlichen Hilfe muss daher ein innerer Zusammenhang bestehen. Erfolgt die Hilfe Dritter unabhängig von der verweigerten Unterhaltszahlung, so ist der Tatbestand nicht erfüllt.31 24 e) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Er muss sich auf die Entziehung von der Unterhaltsverpflichtung erstrecken und die dadurch bewirkte Gefährdung des Unterhaltsberechtigten umfassen.32 25 f) Die Tat ist Dauerdelikt. 3. Die Regelung des Abs. 2
26 a) Abs. 2 setzt wie Abs. 1 das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus. - Da der nichteheliche Vater nach § 1615 1 Abs. 1 BGB Unterhalt regelmäßig erst ab sechs Wochen vor der Geburt, frühestens ab vier Monaten vor der Entbindung, § 1615 1 Abs. 2 BGB, schuldet, scheidet er in der Regel als Täter aus, obwohl das BVerfG ihm eine besondere Verantwortungsposition der Schwangeren gegenüber zugewiesen hat.33 26
Dazu BGHSt 29 S. 85 mit Anm. KUNZ NJW 1980 S. 1201 ff, und OEHLER JR 1980 S. 381 f.
27 28 29
BayObLG NJW 1982 S. 1243. Dazu BVerfGE 50 S. 153 f. BayObLG NJW 1990 S. 3284; BayObLG NStZ 1991 S. 39; OLG Düsseldorf NJW 1994 S. 672; OLG Hamburg StV 1989 S. 206; OLG Hamm NStZ-RR 1998 S. 207. - Zur Anforderung und Weiterleitung von Kindergeld: OLG Celle NJW 1984 S. 317. So BGHSt 14 S. 165; 18 S. 379, LG Stuttgart NStZ 1996 S. 234.
30 31 32
BVerfGE 50 S. 154; BGH NStZ 1985 S. 166; OLG Zweibrücken NStZ 1984 S. 458; OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 399. Vgl. auch BayObLG StV 1994 S. 429.
33
V g l . BECKMANN Z f L 1995 S. 3 1 ; GÜNTHER S K H , § 170 b R d n . 4 1 ; TRÖNDLE N J W 1995 S. 3 0 1 7 .
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Delikte gegen die familiäre Ordnung
§65
b) Der Unterhalt muss der Schwangeren vorenthalten werden. Das entspricht dem Entziehen des Abs. 1 und bedeutet die Nichtleistung des Unterhalts. c) Das Vorenthalten muss in verwerflicher Weise erfolgen, d.h. in sozial-ethisch besonders negativ zu beurteilender Weise.34 d) Das Vorenthalten des Unterhalts muss den Schwangerschaftsabbruch bewirkt haben, d.h. für diesen ursächlich gewesen sein. e) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt.
27 28 29 30
V. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 171 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist die ungestörte Entwicklung eigener oder fremder Kinder. - Das 31 Delikt ist konkretes Gefährdungsdelikt. 2. Die Tathandlung a) Die Fürsorge- oder Erziehungspflicht kann auf Gesetz, Vertrag, öffentlich-rechtlichem 32 Aufgabenbereich oder tatsächlicher Übernahme beruhen. Die Gefahr, in der körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, erfasst nicht jede Möglichkeit, dass das Kind Schaden erleiden kann. Es muss zu befürchten sein, dass der normale Ablauf des körperlichen oder geistig-seelischen Reifeprozesses dauernd oder nachhaltig gestört wird.35 - Ein krimineller Lebenswandel liegt vor, wenn der Betroffene nicht unerhebliche, vorsätzliche Straftaten wiederholt begeht. - Der Prostitution nachgehen ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung, nicht erst die Vornahme und das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen. - Zum Begriff der Prostitution: § 66 Rdn. 75. b) Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Gefährdung des Schutzbefohlenen umfassen. 33
VI. Entziehung Mindeijähriger, § 235 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das elterliche oder sonstige familienrechtliche Sorgerecht. - 34 Daneben dient die Vorschrift auch dem Schutz des Mindeijährigen. 2. Die Tathandlung gemäß Abs. 1 Eine Entziehung ist dann gegeben, wenn das aus dem Sorgerecht sich ergebende Recht des 35 Sorgeberechtigten, das Kind zu erziehen, es zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen, auf eine hinsichtlich der Ausübung des Sorgerechts nicht nur unwesentliche Zeit durch räumliche Trennung unwirksam gemacht oder doch so wesentlich beeinträchtigt wird, dass es nicht ausgeübt werden kann.36 - Ein Vorenthalten liegt vor, wenn der gleiche
34
V g l . d a z u GÜNTHER S K H , § 170 b R d n . 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 170 R d n . 13; OTTO J u r a 1996 S. 144. -
Jegliche Bedeutung sprechen dem Merkmal ab: SCMTTENHELM NStZ 1997 S. 171; SCH/SCH/LENCKNER | 170 Rdn. 34 c. 35 36
Dazu BGH NStZ 1982 S. 328; 1995 S. 178. Vgl. BGHSt 1 S. 200; 10 S. 378; 16 S. 58 ff; BGH NStZ 1996 S. 333; dazu auch GEPPERT H. Kaufmann-GedS, S. 781; LACKNER/KÜHL § 235 Rdn. 3.
351
§65
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Taterfolg dadurch erreicht wird, dass eine räumliche Trennung aufrechterhalten wird. Geschützt sind Personen unter achtzehn Jahren, Abs. 1 Nr. 1, sowie Kinder, Abs. 1 Nr. 2. 36 Täter des Delikts kann jeder außer dem Mindeijährigen selbst sein, auch ein Elternteil gegenüber dem (mit-)sorgeberechtigten anderen Elternteil. Die Beeinträchtigung des persönlichen Umgangs des nicht sorgeberechtigten Elternteils ist nicht tatbestandsmäßig, da geschütztes Rechtsgut das Sorgerecht ist. Der Hinweis der Gegenmeinung, die Verletzung des Rechts auf persönlichen Umgang des Eltemteils, dem das Personensorgerecht ausdrücklich abgesprochen ist, genüge, weil dieses Recht aus der Personensorge erwachse, überzeugt nicht. Dem nicht Personensorgeberechtigten gegenüber kann das Personensorgerecht nicht verletzt werden.37 Wird nicht nur die Ausübung des Sorgerechts beeinträchtigt, sondern - z.B. durch falsche Angaben vor dem Vormundschaftsgericht - das Sorgerecht selbst dem Berechtigten entzogen, so ist streitig, ob § 235 Anwendung findet. Das ist vom Gesetzeszweck her zu bejahen, denn die Entziehung des Sorgebefohlenen durch Beseitigung des Sorgerechts ist ein besonders gravierender Fall der Rechtsgutsbeeinträchtigung.38
37 Zu den Tatmitteln: Gewalt vgl. § 27 Rdn. 14; Drohung mit einem empfindlichen Übel vgl. § 27 Rdn. 17 f; List vgl. § 28 Rdn. 21. 3. Die Tathandlung gemäß Abs. 2 38 Abs. 2 erfasst in Nr. 1 die Entziehung eines Kindes, um es ins Ausland zu verbringen, und in Nr. 2 das Vorenthalten eines Kindes im Ausland. 4. Der Versuch 39 Der Versuch ist in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 und des Abs. 2 Nr. 1 strafbar, Abs. 3. 5. Die Tatbeteiligung des Sorgebefohlenen 40 Die Einwilligung des Mindeijährigen ist unerheblich. Seine Mitwirkung an der Tat, selbst wenn sie sich als Anstiftung oder Beihilfe darstellt, bleibt straffrei, da die Norm auch seinem Schutze dient und sein Wille nicht als entscheidend angesehen wird.39 6. Qualifizierte und erfolgsqualifizierte Fälle a) Qualifikationen 41 Ein qualifizierter Fall gemäß Abs. 4 Nr. 1 liegt vor, wenn das Opfer durch die Tat in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsscfüidigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung gebracht wird. - Zum Inhalt der einzelnen Begriffe vgl. die entsprechenden Ausführungen unter § 16 Rdn. 3. Abs. 4 Nr. 2 nennt als weitere Qualifikation das Handeln gegen Entgelt, d.h. gegen Zahlung eines Entgelts, sowie in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, d.h. sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen.
37
Vgl. auch GEPPERT H. Kaufmann-GedS, S. 773 ff. - A.A. BGHSt 10 S. 376; 44 S. 355; LACKNER/KÜHL
38
Vgl. auch GRIBBOHM LK, § 235 Rdn. 44; TRÖNDLE/FISCHER § 235 Rdn. 9. - A.A. OLG Stuttgart NJW
39
IM einzelnen dazu OTTO Lange-FS, S. 210 ff.
§ 2 3 5 R d n . 2; SCH/SCH/ESER § 2 3 5 R d n . 11. 1968 S . 1342; GEPPERT H . K a u f m a n n - G e d S , S. 7 7 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 3 5 R d n . 3.
352
Delikte gegen die familiäre Ordnung
§65
7. Strafantrag Gemäß Abs. 7 wird die Tat in den Fällen der Abs. 1 - 3 nur auf Antrag verfolgt, es sei 42 denn es liegt ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vor.
VII. Kinderhandel, § 236 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des Abs. 1 ist die ungestörte körperliche und seelische Entwicklung 43 des Kindes. Ein tatsächlicher Schaden braucht aber nicht eingetreten zu sein. Es handelt sich daher um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt.4" - Abs. 2 dient der strafrechtlichen Absicherung der in § 5 Abs. 1,4 S. 1 AdVermiG festgelegten Vermittlungsverbote. 2. „Kauf" und „Verkauf" eines Kindes, Abs. 1 Abs. 1 S. 1 erfasst den „Verkauf' eines Kindes, d.h. das Überlassen des Kindes an einen 44 anderen auf Dauer, wenn der Täter unter grober Vernachlässigung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht - dazu vgl. Rdn. 32 - und gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern - dazu vgl. Rdn. 41 -, handelt. - Abs. 1 S. 2 regelt die Strafbarkeit des „Käufers", d.h. jener Personen, die in den Fällen des Abs. 1 das Kind auf Dauer bei sich aufnehmen und dafür ein Entgelt zahlen. Auf Seiten der „Verkäufer" kann die Tat nur von Eltern oder einem Elternteil - auch Adoptiveltern - gegen ein noch nicht vierzehn Jahre altes Kind begangen werden. 3. Verstoß gegen Vermittlungsverbote, Abs. 2 Gemäß Abs. 2 S. 1 wird der vorsätzliche Verstoß gegen die in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVer- 45 miG festgelegten Vermittlungsverbote unter Strafe gestellt, wenn der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, handelt. - Abs. 2 S. 2 sieht eine Strafschärfung für den Fall vor, dass die nach Abs. 2 S. 1 vermittelte Person vom Ausland in das Inland oder vom Inland in das Ausland verbracht wird. 4. Qualifikationen Eine Strafschärfung sieht Abs. 4 Nr. 1 vor, wenn der Täter aus Gewinnsucht, d.h. aus ei- 46 nem auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß gesteigerten Erwerbssinn heraus, gewerbsmäßig - dazu vgl. § 41 Rdn. 21 - oder bandenmäßig - dazu vgl. entsprechend § 41 Rdn. 61 - handelt. - Abs. 4 Nr. 2 erfasst den Fall, dass das Kind über die vermittelte Person durch die Tat in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung - dazu § 20 Rdn. 7 - gebracht wird. 5. Strafmilderung oder Absehen von Strafe Abs. 5 sieht in den Fällen des Abs. 1 bei bestimmten Beteiligten und in Abs. 2 bei be- 47 stimmten Teilnehmern die Möglichkeit einer Strafmilderung oder das Absehen von Strafe vor.
40
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 4 0 f; vgl. auch LACKNER/KÜHL § 236 Rdn. 1; WESSELS/HETTINGER
B.T./1, Rdn. 445.
353
§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Mit der Entscheidung des Gesetzgebers im 4. StrRG, das am 28. 11. 1973 in Kraft trat, die früheren sogenannten Sittlichkeitsdelikte unter der Bezeichnung Strafiaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zusammenzufassen, sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass diese Tatbestände nicht mehr eine bestimmte sexuelle Ordnung schützen, sondern ein individuelles Rechtsgut. - Gleichwohl ist die überkommene Einordnung dieser Delikte als Straftaten gegen überindividuelle Rechtsgüter nach wie vor sachgerecht. Geschützt werden soll nämlich die sexuelle Selbstbestimmung nur im Rahmen einer bestimmten Sexualordnung, die - wie Art. 6 GG zeigt - auf Ehe und Familie und damit auf Integrität, Achtung der Menschenwürde des anderen auch im Sexualbereich und schließlich auf dem Schutz des Sexuallebens vor seiner völligen Vermarktung beruht. Erst vor diesem Hintergrund erhalten die §§ 176,180 a, 181 a, 182,183,184,184 a und 184 b eine befriedigende Erklärung. 2. Die systematische Gliederung des Gesetzes 2 Nach der unterschiedlichen Akzentuierung im Schutzumfang des Rechtsguts sind sechs Deliktsgruppen zu unterscheiden.41 3 a) Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne aa) bb) cc) dd) ee)
Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung, § 177 Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge, § 178 Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, § 179 Sexueller Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen, § 174 a Abs. 2 Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174 c
b) Strafbarer Missbrauch institutioneller Abhängigkeit aa) Sexueller Missbrauch von gefangenen und verwahrten Personen, § 174 a Abs. 1 bb) Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174 b.
c) Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person (Jugendschutz) aa) bb) cc) dd) ee) ff) gg)
Sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 a Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge, § 176 b Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, § 174 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, § 180 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen, § 182 Jugendgefährdende Prostitution, § 184 b.
d) Sexuelle Belästigung Unbeteiligter
aa) Exhibitionistische Handlungen, § 183 bb) Erregung öffentlichen Ärgernisses, § 183 a cc) Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 a.
e) Förderung und Ausnutzung der Prostitution aa) bb) cc) dd)
Förderung der Prostitution, § 180 a Menschenhandel, § 180 b Schwerer Menschenhandel, § 181 Zuhälterei, § 181 a.
f) Verbreitung pornographischer Schriften, § 184 41
354
Hierzu SCHROEDER Das neue Sexualstrafrecht, 1975, S. 16 f.
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
n. Die sexuelle Handlung, § 184 c 1. Die Definition des Begriffs Der Gesetzgeber hat die im früheren Recht zentralen Begriffe der „unzüchtigen Handlung" und der „Un- 4 zucht" durch den der sexuellen Handlung ersetzt, ohne ihn jedoch zu definieren. Damit wurde die Chance vertan, den Anwendungsbereich der Tatbestände gesetzlich zu präzisieren.
a) Sexuelle Handlungen sind zunächst alle Handlungen, die nach ihrem äußeren Erschei- 5 nungsbild aus der Sicht eines objektiven Beobachters die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Subjektiv muss der Täter sich dieses Bezugs bewusst sein. Ein Handeln aus wollüstiger Absicht ist nicht erforderlich.« Handlungen, die in ihrem objektiv zu ermittelnden Handlungssinn mehrdeutig sind, 6 z.B. Faustschläge gegen die Brust einer Frau, Schläge auf das Gesäß eines Kindes oder gynäkologische Untersuchungen, sind dann als sexuelle Handlungen anzusehen, wenn sie nicht durch einen sachbezogenen Zweck, z.B. Untersuchungs- oder Erziehungszweck, in der durchgeführten Art und Weise gerechtfertigt und durch die Absicht der Erregung oder Befriedigung von Geschlechtslust motiviert sind.43 Auf das Erkennen der Sexualbezogenheit durch das Opfer kommt es nicht an. b) Relevant sind nur Handlungen von einiger Erheblichkeit, d.h. Handlungen, die für das 7 in den einzelnen Tatbeständen jeweils geschützte Rechtsgut nach Art und Intensität des Angriffs gefährlich erscheinen und nicht als bloße Belanglosigkeit abzutun sind.44 2. Sexuelle Handlung „an" und „vor" einer Person Das Gesetz unterscheidet zwischen sexuellen Handlungen an und vor einer Person. 8 a) Die sexuelle Handlung vor einem anderen muss von diesem anderen wahrgenommen werden, § 184 c Nr. 2. Das setzt räumliche Anwesenheit des Täters voraus.45 Dass der andere die sexuelle Bedeutung der Handlung begreift, ist nicht erforderlich. b) Die sexuelle Handlung an einer Person setzt eine körperliche Berührung dieser Person voraus, braucht aber von dieser weder bewusst wahrgenommen noch als sexuelle Handlung verstanden zu werden.4*
DI. Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne Mit dem 33. Strafrechtsänderungsgesetz vom 1.7.1997 hatte der Gesetzgeber die rechtliche Differenzierung 9 zwischen der Nötigung zu außerehelichen und ehelichen sexuellen Handlungen beseitigt und das Verhältnis der sexuellen Nötigung zur Vergewaltigung neu geregelt: In § 177 a.F. war die Strafbarkeit der Vergewalti42
Dazu BGHSt 29 S. 336 mit Anm. HORN JR 1981 S. 251 ff; BGH NStZ 1983 S. 167; BGH NJW 1992 S. 3 2 5 ; BAUMANN J R 1974 S . 3 7 1 ; DREHER J R 1974 S. 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 184 c R d n . 2 , 4 ; LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , 2 0 0 0 , R d n . 6 3 ; MAIWALD G A 1 9 7 9 S. 154; SCH/SCH/LENCKNER § 1 8 4 C
Rdn. 8. 43
Dazu BGH NStZ 1985 S. 24; BGH JR 1983 S. 158 mit Anm. LENCKNER S. 159 ff; LACKNER/KÜHL § 184 c R d n . 2 ; SCH/SCH/LENCKNER § 184 c R d n . 9. - A . A . LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , R d n . 6 5 ; LAUFHÜTTE L K , § 184 C R d n . 6 ff; MAIWALD G A 1979 S. 154.
44
Dazu BGH NStZ 1992 S. 432; BGH StV 1999 S. 307; 2000 S. 197; BGH NStZ 2001 S. 370; OLG Zweibrücken NStZ 1998 S. 357 mit Anm. MICHEL S. 357 f.
45 46
Vgl. BGHSt 41 S. 285. Vgl. auch BGH NStZ 1992 S. 433.
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§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
gung geregelt. Grund für diese besondere Hervorhebung der Vergewaltigung im Bereich gewaltsamer sexueller Handlungen war nicht nur die Gefahr kriminell erzwungener und damit unerwünschter Schwangerschaften, sondern auch die besondere Schwere des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung der Frau. Der Gesetzgeber geht nunmehr aufgrund neuerer kriminologischer Erkenntnis davon aus, dass auch andere Sexualpraktiken einen vergleichbar massiven Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers darstellen und von diesem in gleicher Weise erniedrigend empfunden werden wie der erzwungene Beischlaf. Derartige Verhaltensweisen waren bisher nach § 178 a.F. mit einer milderen Strafe bedroht. Um diese Diskrepanz zu beseitigen, wurden §§ 177, 178 a.F. zu einem einheitlichen, differenzierten Tatbestand zusammengefasst. Die Regelung des § 179 a.F. wurde der des § 177 angepasst. - Das 6. StrRG stellte die Aufgliederung in drei Tatbestände wieder her. Diese wurden redaktionell sowie im Bereich der besonders schweren Fälle, mit Einfügung eines erfolgsqualifizierten Delikts und in den Strafdrohungen den anderen inhaltlich und strukturell vergleichbare Vorschriften des 6. StrRG angeglichen.47
1. Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung, § 177
10 a) Tathandlung ist die Nötigung einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, zur Duldung sexueller Handlungen des Täters oder eines Dritten oder zur Vornahme an dem Täter oder einem Dritten. Zum Begriff der Gewalt vgl. oben § 27 Rdn. 2 ff. Auch nach BVerfGE 92, 1 hat der BGH mehrfach betont, dass Gewalt hier keine erhebliche Kraftentfaltung voraussetzt.48 Zum Begriff der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben vgl. § 27 Rdn. 17 ff. Der Begriff der Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, entspricht dem der hilflosen Lage. Hilflos ist die Lage des Opfers, wenn seine Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten in einem Maße vermindert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist. Worauf die schutzlose Lage beruht und wer sie geschaffen hat, ist irrelevant.49
Die einzelnen Alternativen des Tatbestandes stehen eigenständig nebeneinander und erfassen je eigene Unrechtsgehalte.50 11 Die Nötigung des Opfers zu sexuellen Handlungen an sich selbst oder zu Handlungen ohne körperliche Berührung - Nacktausziehen, Einnahme sexuell aufreizender Positionen o.ä. - fällt nur unter § 240. 12 b) Die Nötigung muss mit der sexuellen Handlung final verknüpft sein, d.h. der Täter muss die Nötigung einsetzen, um die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung zu erzwingen. Dieser Zusammenhang liegt auch vor, wenn Gewalt gegen einen Dritten vom Opfer als motivierender Zwang empfunden wird, während Gewalt gegen (schutzwillige) Dritte als solche nicht genügt.51 - Bei der Verwirklichung der 3. Tatalternative des Abs. 1 hat das Erfordernis der Nötigung keinen eigenständigen Gehalt. Es genügt, dass der Täter sich die schutzlose Lage des Opfers bewusst zunutze macht.52 47
im einzelnen zur Gesetzesgeschichte OTTO Jura 1998 S. 210 ff.
48
Vgl. BGH bei Miebach, NStZ 1997 S. 120; BGH NStZ 1999 S. 506.
49
Vgl. BT-Drucks. 13/2463, S. 6; BGHSt 44 S. 228, 231 f mit Anm. LAUBENTHAL JZ 1999 S. 583 f, OTTO JK 9 9 , S t G B § 1 7 7 / 4 ; B G H S t 4 5 S. 2 5 3 , 2 5 5 f; B G H N J W 1 9 8 9 S. 9 1 7 m i t A n m . OTTO JR 1 9 8 9
S. 340; FISCHER ZStW 112 (2000) S. 83; RENZKOWSKI NStZ 1999 S. 379 f. - Ein Verursachen der schutzlosen Lage durch den Täter fordern LACKNER/KÜHL § 177 Rdn. 6. 50
v g l . d a z u B G H S t 4 4 S. 2 2 8 , 2 3 0 mit. A n m . LAUBENTHAL J Z 1 9 9 9 S. 5 8 3 f , OTTO J K 9 9 , S t G B 1 7 7 / 4 .
51
Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 177 Rdn. 4. - A.A. BGHSt 42 S. 378 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 178/1.
52
Vgl. BGHSt 45 S. 253, 257 ff mit Anm. FISCHER NStZ 2000 S. 142 f; GRAUL JR 2001 S. 117 ff; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 153.
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Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
Bei Vorsatzwechsel nach zunächst aus anderem Grund erfolgter Nötigung genügt es, wenn der Täter bei Vorsatzwechsel das Nötigungsmittel weiter einsetzt oder die vorherige Gewaltanwendung fortwirkt, so dass sie als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung anzusehen ist, nicht hingegen wenn der Täter lediglich den zuvor aus anderem Grund geschaffenen Nötigungserfolg ausnutzt. Stellt die Gewaltanwendung selbst die sexuelle Handlung dar, z.B. beim Faustschlag auf die Brust einer Frau, so fehlt die finale Verknüpfung.53
c) Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die finale Verknüpfung von Nötigung und sexueller Handlung umfassen. d) Das Einverständnis des Opfers in die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung lässt die Nötigung entfallen. - In Betracht kommt u.U. ein Versuch. e) Ändert der Täter im Versuchsstadium seinen Plan, eine bestimmte sexuelle Handlung vorzunehmen, indem er sich für eine andere sexuelle Handlung entscheidet, so liegt kein strafbefreiender Rücktritt i.S.d. § 24 vor, da der Täter den Plan, das geschützte Rechtsgut in strafbarer Weise zu beeinträchtigen, nicht aufgegeben hat.54 f) Eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen sieht Abs. 2 vor und nennt Regelbeispiele in Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 2. aa) Nr. 1 erfasst zunächst den erzwungenen Beischlaf, d.h. den bisherigen Tatbestand der Vergewaltigung, § 177 a.F., als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles. Erforderlich ist, dass der Täter (Mittäter) selbst den Beischlaf ausübt.55 Dem erzwungenen Beischlaf - zum Begriff vgl. § 65 Rdn. 15 - werden sodann ähnliche sexuelle Handlungen gleichgestellt, die das Opfer besonders erniedrigen. Damit ist vor allem das Eindringen des Geschlechtsteils in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst, aber auch das Eindringen mit Gegenständen kann durchaus einen besonders schweren Fall darstellen. - Eindringen erfasst das Eindringen in den Körper des Opfers als auch in den des Täters. Gewaltanwendung ist kein Element des Eindringens, es ergibt sich bei § 177 aus dem Erfordernis der Nötigung.56 bb) Nr. 2 nennt die gemeinschaftlich begangene Tat als Regelbeispiel, weil nach Auffassung des Gesetzgebers die Mitwirkung mehrerer Personen die Abwehrchancen des Opfers vermindert und die Gefahr besonders massiver sexueller Handlungen besteht. g) Als Qualifikation erfasst Abs. 3 zum einen tatqualifizierende Nötigungsmittel - Nr. 1: Das Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs; dazu vgl. § 46 Rdn. 33; Nr. 2: Das Beisichführen eines sonstigen zur Verhinderung oder Überwindung eines Widerstandes bestimmten Werkzeugs oder Mittels; dazu vgl. § 46 Rdn. 33 - sowie das Verbringen des Opfers in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung; dazu vgl. § 10 Rdn. 2. h) Als weiteren Qualifikationstatbestand erfasst Abs. 4 Nr. 1 die Verwendung einer Waffe oder eines anderen gefahrlichen Werkzeugs bei der Tat. Da der Gesetzgeber einen Einsatz als Nötigungsmittel nicht ausdrücklich fordert, genügt dem auch der ausschließliche Einsatz zur Vornahme der sexuellen Handlung.57 - Abs. 4 Nr. 2 erfasst die schwere Misshandlung des Opfers bei der Tat sowie den Fall, dass das Opfer durch die Tat in die Gefahr des Todes gebracht wird. - Im einzelnen dazu vgl. § 41 Rdn. 50 ff; § 10 Rdn. 2.
54 55 56
53
BGH JR 1983 S. 158 mit Anm. LENCKNER S. 159 ff. BGHSt 33 S. 142 mit Anm. STRENG NStZ 1985 S. 359 f. - A.A. BGH NStZ 1997 S. 385. Vgl. BGH NJW 1999 S. 2909; BGH StV 2001 S. 450. Vgl. BGHSt 45 S. 131,132 f mit. Anm. HÖRNLE NStZ 2000 S. 310 f.
57
Vgl. BGHSt 46 S. 225 mit Anm. LAUBENTHAL NStZ 2001 S. 367 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Toderfolge, § 178. 21 Verursacht der Täter wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers durch die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung so wird die Tat als erfolgsqualifiziertes Delikt erfasst; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 46 Rdn. 40 ff. 3. Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, §179 § 179 Abs. 1 Nr. 1, 2 ist im Verhältnis zu § 177 Abs. 1 Nr. 3 ein Auffangtatbestand, der die Fälle erfasst, in denen eine Beugung eines der Tat entgegenstehenden Willens durch den Täter nicht vorliegt.58 a) Abs. 1 22 Zum Widerstand unfähig ist, wer gegenüber dem sexuellen Ansinnen des Täters nicht imstande ist, den zur Abwehr nötigen Widerstandswillen zu bilden, zu äußern oder zu betätigen. Die hier gemeinte Unfähigkeit bezieht sich nicht auf den Widerstand gegen etwaige Gewaltakte, sondern schlechthin auf den Widerstand gegen das sexuelle Ansinnen.59 2 3 Die psychische Widerstandsunßhigkeit, Abs. 1 Nr. 1, muss auf bestimmten Faktoren beruhen: Geistige Krankheiten sind exogene Psychosen, die nachweisbar auf himorganischen Ursachen oder auf anderen körperlichen Krankheitsvorgängen beruhen, die sich im Gehirn auswirken, seelische Krankheiten sind endogene Psychosen, deren somatische Ursachen noch nicht hinreichend geklärt sind, aber auf Grund des bisherigen Erkenntnisstandes vermutet werden. Geistige Behinderungen sind angeborene oder frühzeitig erworbene Intelligenzdefekte, seelische Behinderungen sind bleibende psychische Beeinträchtigungen, die Folge von psychischer Krankheit sind. - Bei den Suchtkrankheiten wird nicht unterschieden zwischen seelisch und geistig bedingten Suchtkrankheiten. - Tiefgreifende Bewusstseinsstörungen sind erhebliche, nicht krankhafte Trübungen und Einengungen des Bewusstseins, bei denen der Zusammenhang des Bewusstseins und die örtliche, zeitliche Wahrnehmung verloren gehen. Als tiefgreifende Bewusstseinsstörung kommt hier auch Schlaf in Betracht.60 - Die körperliche Widerstandsunfähigkeit, Abs. 1 Nr. 2, kann auf äußeren Einwirkungen - z.B. Fesselung - oder auf körperlichem Defekt - z.B. Lähmung - beruhen.
24 Der Täter nutzt den Zustand aus, wenn die Widerstandsunfähigkeit den sexuellen Zugriff ermöglicht oder erleichtert und der Täter sich dessen bewusst ist.61 In der bewussten Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit liegt der vom Gesetz geforderte Missbrauch des anderen. - Tathandlungen sind die Vornahme sexueller Handlungen an der widerstandsunfähigen Person durch den Täter oder die Veranlassung derartiger Handlungen an dem Täter durch die widerstandsunfähige Person. b) Abs. 2 25 Abs. 2 stellt die Vornahme sexueller Handlungen an einem Dritten und die Veranlassung derartiger Handlungen von einem Dritten an der widerstandsunfähigen Person unter den Umständen des Abs. 1 den Tathandlungen des Abs. 1 gleich.
58
Vgl. BT-Drucks. 13/7663, S. 4, 5; BGHSt 45 S. 253, 260 f mit. Anm. FISCHER NStZ 2001 S. 142 f,
59
Dazu BGH NStZ 1981 S. 139; BGHSt 30 S. 144, 146; BGH JR 1983 S. 254 mit Anm. GEERDS S. 254 ff.
60
Vgl. BGHSt 38 S. 68.
61
So auch BGHSt 32 S. 186 mit Anm. GEERDS JR 1984 S. 430 ff, HERZBERG/SCHLEHOFER JZ 1984
GRAUL J R 2 0 0 1 S. 117 f f ; RENZKOWSH N S t Z 1999 S. 3 8 0 .
S. 4 8 1 f; B G H J Z 1985 S. 1115; LACKNER/KÜHL § 179 R d n . 7 ; LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , R d n .
240; SCHALL JuS 1979 S. 105; SCHROEDER Sexualstrafrecht, S. 32. - Enger: LG Mainz MDR 1984 S. 7 7 3 ; LAUFHÜTTE L K , § 179 R d n . 13; TRÖNDLE/FISCHER § 179 R d n . 17.
358
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
c) Abs. 3 Der Versuch der Tat ist strafbar. d) Abs. 4 Abs. 4 enthält als Verbrechen eingestufte Qualifikationstatbestände, die § 176 a Abs. 1 Nr. 1 - 3 StGB in der Fassung des 6. StrRG nachgebildet und - ergänzt um die Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung - bereits in § 177 Abs. 1, 3 StGB enthalten sind; vgl. im einzelnen dazu Rdn. 17 und Rdn. 19. e) Abs. 5 Abs. 5 gibt einen Strafrahmen für minder schwere Fälle. f) Abs. 6 Abs. 6 erklärt § 176 a Abs. 4 und § 176 b StGB für entsprechend anwendbar und ermöglicht damit erhebliche Strafschärfungen in schwersten Fällen sexueller Übergriffe gegen geistig oder körperlich beeinträchtigte Menschen; im einzelnen vgl. dazu Rdn. 53, 54. g) § 179 will den Schutz der sexuellen Freiheit (geschlechtliche Selbstbestimmung) des widerstandsunfähigen Opfers gewährleisten. Die Tat ist daher nicht eigenhändiges Delikt. Täterschafts- und Teilnahmeprobleme sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu lösen.62
26 27
28 29 30
4. Sexueller Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen, § 174 a Abs. 2 a) Tathandlungen sind die Vornahme sexueller Handlungen an der geschützten Person 31 oder die Veranlassung derartiger Handlungen durch die geschützte Person an dem Täter. Geschützt sind die in den genannten Einrichtungen zur Behandlung und Pflege aufgenommenen Patienten. - Zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut sind die Patienten jenen Personen, denen ihnen gegenüber Betreuungsaufgaben übertragen sind, z.B. Ärzte, Pfleger, Wärter, u.U. aber auch Angehörige des Verwaltungsdienstes. - Der Missbrauch setzt zunächst objektiv voraus, dass das Opfer selbst krank oder hilfsbedürftig ist. Dieses nutzt der Täter aus, wenn der Zustand die Tathandlung ermöglicht oder erleichtert. - Subjektiv ist erforderlich, dass der Täter sich dieser Umstände bewusst ist. - Eine Motivation zur Tat durch die Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit ist hingegen nicht erforderlich; strittig, vgl. zur entsprechenden Auseinandersetzung Rdn. 24. b) Die Tat ist eigenhändiges Delikt. - Als Täter kommen nur die für die Beaufsichtigung 32 oder Betreuung verantwortlichen Personen in Betracht. Die Täterposition kennzeichnet eine besondere Pflichtenposition; beachte § 28 Abs. l . ö Der Schutzbefohlene bleibt auch als Teilnehmer straffrei, da die Vorschrift seinem Schutze dient und sein eigener Wille rechtlich nicht als voll wirksam angesehen wird.64
62
W i e hier: HERZBERG JUS 1975 S. 172; RENZIKOWSKI N S t Z 1 9 9 9 S. 3 8 5 ; SCHALL JUS 1 9 7 9 S . 109; SCH/SCH/PERRON § 179 R d n . 8; SCHROEDER S e x u a l s t r a f r e c h t , S. 33. - A . A . K G N J W 1 9 7 7 S. 8 1 7 ; DREHER J R 1974 S. 4 8 ; LACKNER/KÜHL § 179 R d n . 2; LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , R d n . 2 3 1 ; TRÖNDLE/FISCHER § 179 R d n . 7.
63
w i e hier z.B. ARZT/WEBER B . T., § 10 R d n . 19; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 39. - A . A . LACKNER/KÜHL § 174 a R d n . 12; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 18 R d n . 4 5 ; SCH/SCH/PERRON § 174 a R d n . 13.
64
Dazu OTTO Lange-FS.S. 210 ff.
359
§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
5. Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174 c 33 a) Zur Tathandlung gemäß Abs. 1 vgl. Rdn. 10 ff. - Zur Opfersituation vgl. Rdn. 23, 31. Zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn es ihm fremdbestimmt überantwortet wird (z.B. der oder die Jugendliche durch die Eltern), als auch dann, wenn es sich von sich aus in die Beratung, Behandlung oder Betreuung begeben hat."65 Das Betreuungsverhältnis ist hier als tatsächliches Obhutsverhältnis zu verstehen.66 - Unter Missbrauch seiner Stellung handelt der Täter, der die Gelegenheit, die seine durch das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis begründete Vertrauensstellung bietet, bewusst zu sexuellen Kontakten mit den ihm anvertrauten Personen ausnutzt. Abhängigkeit oder Hilflosigkeit des Opfers sind nicht erforderlich.67 34 b) Abs. 2 stellt das psychiatrische Behandlungsverhältnis den in Abs. 1 genannten Vertrauensverhältnissen gleich. 35 c) Der Versuch ist strafbar, Abs. 3.
IV. Strafbarer Missbrauch institutioneller Abhängigkeit 1. Sexueller Missbrauch von gefangenen oder verwahrten Personen, § 174 a Abs. 1 36 a) Geschützt wird die geschlechtliche Selbstbestimmung gefangener und behördlich verwahrter Personen, da deren Entscheidungsfreiheit einerseits in diesem Bereich wesentlich durch das Abhängigkeitsverhältnis eingeschränkt ist, andererseits die Versuchung erheblich ist, durch Duldung der Tathandlung die eigene Lage zu bessern. - Daneben kommt aber auch dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität der Behandlung der genannten Personen eine gewisse Bedeutung zu.68 Das wird deutlich in der Ablehnung der Anwendung des Tatbestandes auf Fälle der Ausnutzung eines nur vorgespiegelten Abhängigkeitsverhältnisses. 37 b) Gefangene Personen sind Personen, denen in Ausübung von Polizei- oder Staatsgewalt die Freiheit entzogen ist, so dass sie sich in der Gewalt einer zuständigen Behörde befinden.6» Beispiele: Strafgefangener, Untersuchungsgefangener; von einem Polizeibeamten nach § 127 StPO vorläufig Festgenommener.
38 Auf behördliche Anordnung verwahrte Personen sind Personen, die - außer den Gefangenen - aufgrund hoheitlicher Gewalt eingeschlossen sind. Beispiele: Personen, die nach §§61 ff in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt, einer sozialtherapeutischen Anstalt oder in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind. - Personen in Auslieferungs- oder Abschiebehaft. - Personen in Fürsorgeerziehung.
39 c) Erziehung ist die Leitung und Überwachung der Lebensführung zur Förderung der körperlichen und seelischen Entwicklung. Ausbildung ist die Vermittlung größeren Wissens 65
BT-Drucks. 13/8267, S. 6 f.
66
Vgl. LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 275.
67 68
Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8267, S. 7; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 276. Vgl. BT-Drucks. VI/3521, S. 25; LACKNER/KÜHL § 174 a Rdn.l; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 2 8 3 . - A . A . HORN S K n , § 174 a R d n . 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 19 R d n . 3.
69
360
Vgl.RGSt73S.347.
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
oder besseren Könnens zu einem bestimmten Ausbildungsziel, insbes. zum Erwerb von Berufserfahrung. - Beaufsichtigung üben Personen aus, die dem Schutzbefohlenen gegenüber die Funktion von Wachpersonal haben. - Ein Betreuungsverhältnis liegt vor, wenn zwischen Täter und gefangener oder verwahrter Person ein Verhältnis besteht, in dessen Rahmen der Täter wenigstens Mitverantwortung für das geistige und sittliche Wohl dieser Person trägt und eine entsprechende Einwirkungsmöglichkeit hat. Auf dieser Grundlage muss sich zwischen Täter und Opfer ein Verhältnis der Über- und Unterordnung herausgebildet haben. - Anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn zwischen beiden besonders enge Beziehungen bestehen, die zu einer gewissen Abhängigkeit der gefangenen oder verwahrten Personen führen.™ Beispiele: Lehrer; Werkmeister; Geistlicher; Sporttrainer u.a.
Ein Missbrauch der Stellung des Täters liegt bereits vor, wenn der Täter eine durch die 40 Stellung gebotene Gelegenheit zur Tathandlung wahrnimmt. Auf eine Ausnutzung der Abhängigkeit kommt es hier nicht an. d) Zu Täterschaft und Teilnahme vgl. Rdn. 32. 41 2. Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174 b a) Zum geschützten Rechtsgut vgl. Rdn. 36. - Zum Begriff des Amtsträgers vgl. § 11 42 Abs. 1 Nr. 2. - Das Strafverfahren beginnt, indem Ermittlungen gegen einen bestimmten Täter angestellt werden. b) Der Missbrauch der Abhängigkeit liegt vor, wenn der Täter die auf seiner Macht ge- 43 genüber dem Schutzbefohlenen beruhende innere Abhängigkeit des Schutzbefohlenen für seine Zwecke ausnutzt, wobei beiden Teilen der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewusst sein muss.71 c) Konkurrenzen: §§ 174 a und 174 b überschneiden sich z.B. beim Untersuchungs- 44 gefangenen, der dem Richter bei der Vernehmung im Gericht zur Beaufsichtigung anvertraut ist und der zugleich im Strafverfahren von ihm abhängig ist. Die h.M. nimmt in diesen Fällen Idealkonkurrenz zwischen den §§ 174 a, 174 b an.
V. Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person Geschützt wird die ungestörte sexuelle Entwicklung Jugendlicher.
45
Die Einwilligung des Jugendlichen in die Tathandlung ist in der Regel irrelevant, da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass er die Reife noch nicht hat, die Tragweite derartiger Entscheidungen abzuschätzen. - Ausnahmsweise, z.B. in Fällen echter Liebesbeziehungen, kann die Einwilligung jedoch einen Missbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses o.a. ausschließen.
1. Sexueller Missbrauch von Kindern, §176 a) Tathandlung gemäß Abs. 1 ist die Vornahme sexueller Handlungen an einem Kind - 46 geschützt ist auch das schlafende Kind72 - oder die Veranlassung derartiger Handlungen durch das Kind an dem Täter. Täter kann nur der Inhaber der Autoritätsstellung sein. Die 70
Vgl. dazu BGHSt 33 S. 344 f.
71
BGHSt 28 S. 367; BGH NStZ 1982 S. 329; BGH NStZ 1991 S. 81 f; OLG Zweibrücken NJW 1996 S. 330. Vgl. BGHSt 38 S. 6.
72
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Tat ist ein eigenhändiges Delikt.?3 Gemäß Abs. 2 ist dem gleichgestellt die Bestimmung des Kindes, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen. Zur sexuellen Handlung vgl. oben Rdn. 5 f. - Bestimmen ist eine beeinflussende Einwirkung auf den Willen des Kindes.74 47 b) Gemäß Abs. 3 wird die - gemilderte - Strafandrohung auf sexuelle Handlungen ohne unmittelbaren Körperkontakt (Nr. 1 und Nr. 2) und auf pornographisches Verhalten (Nr. 3) erstreckt, das nicht in § 184 c erfasst ist. - In diesem Bereich kommt der Erheblichkeit des Verhaltens besondere Bedeutung zu.75 Eingewirkt werden i.S. der Nr. 3 kann auch von einem Täter, der ortsabwesend ist, z.B. durch telefonische Reden.76
48 c) Der Versuch der Taten nach Abs. 1, 2,3 Nr. 1,2 ist strafbar, Abs. 4. 49 50
51
52 53
2. Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 a § 176 a erfasst einen qualifizierten sexuellen Missbrauch von Kindern. a) Abs. 1 Die Qualifikationsmerkmale des Abs. 1 Nr. 1,2 (Beischlaf und ähnliche Handlungen, gemeinschaftliche Tatausführung) sind den § 177 Abs. 2 Nr. 1,2 nachgebildet; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 17 f - Abs. 3 erfasst die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung und Nr. 4 die wiederholte Tat als Qualifikationsmerkmale. - Zur Fristberechnung der Tat nach Abs. 1 Nr. 4 und zur ausländischen Verurteilung vgl. Abs. 5. b) Abs. 2 Abs. 2 enthält als weiteren Qualifikationstatbestand den Fall, dass der Täter oder ein anderer Tatbeteiligter an dem sexuellen Missbrauch von vornherein in der Absicht handelt, eine kinderpornographische Schrift herzustellen oder zu verbreiten. - Beteiligte sind Mittäter und Teilnehmer. c) Abs. 3 Abs. 3 sieht eine Strafmilderung in minder schweren Fällen der Abs. 1,2 vor. d) Abs. 4 Zusätzlich qualifiziert ist die Tat, wenn das Kind in den Fällen des Abs. 1, 2 körperlich schwer misshandelt (Nr. 1) oder durch die Tat in die Gefahr des Todes gebracht wird (Nr. 2); dazu vgl. § 10 Rdn. 2.
3. Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge, § 176 b 54 Verursacht der Täter wenigstens leichtfertig den Tod des Kindes durch den sexuellen Missbrauch, so wird die Tat als erfolgsqualifiziertes Delikt erfasst; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 46 Rdn. 40. 73
Vgl. BGHSt 41 S. 242 mit Anm. SCHROEDER JR 1996 S. 211.
74
Vgl. zur entspr. Problematik bei der Anstiftung GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 22 Rdn. 32 ff. - Die Rechtsprechung begnügt sich auch hier mit einem bloßen Verursachen des vom Gesetz umschriebenen Verhaltens; vgl. BGHSt 41 S. 245 f; BGH NJW 1985 S. 924.
75 76
Vgl. auch BGH NJW 1991 S. 3162. BGHSt 29 S. 29.
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Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
4. Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, §174 a) Der Tatbestand unterscheidet drei Gruppen von Schutzbefohlenen: 55 aa) Abs. 1 Nr. 1: Personen unter 16 Jahren, die dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind.77 bb) Abs. 1 Nr. 2: Personen unter 18 Jahren, die dem Täter entweder i.S. der Nr. 1 anvertraut oder ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind, soweit der Täter das Abhängigkeitsverhältnis missbraucht,78 cc) Abs. 1 Nr. 3: Das noch nicht 18 Jahre alte leibliche, d.h. blutmäßig vom Täter abstammende Kindw, oder Adoptivkind des Täters. b) Tathandlungen sind: 56 aa) Nach Abs. 1: Sexuelle Handlungen des Täters an dem Schutzbefohlenen oder von diesem am Täter vorgenommene sexuelle Handlungen; vgl. dazu Rdn. 5 ff. - Subjektiv ist Vorsatz, bedingter genügt, erforderlich, der sich auf die Tatumstände und auf das Alter erstrecken muss. bb) Nach Abs. 2: Vornahme sexueller Handlungen vor dem Schutzbefohlenen (Abs. 2 Nr. 1) oder Bestimmen des Schutzbefohlenen dazu, sexuelle Handlungen vor dem Täter vorzunehmen (Abs. 2 Nr. 2). Zur sexuellen Handlung vgl. oben Rdn. 5 ff; zum Bestimmen vgl. oben 46.
In dieser Tataltemative erfordert der Tatbestand neben dem Vorsatz die Absicht des Täter (dolus directus 1. Grades), sich oder den Schutzbefohlenen durch die Tathandlung sexuell zu erregen. c) Absehen von Strafe, Abs. 4 Gemäß Abs. 4 kann bei Taten gegen die in Abs. 1 Nr. 1 genannten Schutzbefohlenen in 57 besonderen Konfliktsfallen - echte Liebesbeziehung, Verführung durch sexuell erfahrenen Schutzbefohlenen - von Strafe abgesehen werden. d) Die Tat ist ein eigenhändiges Delikt.«) Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. Rdn. 32. 58 e) Konkurrenzen Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 wird von Nr. 3 und die nach Abs. 1 Nr. 2 von Nr. 1 59 und Nr. 3 konsumiert (gestufte Verschärfung der Voraussetzungen für den Schutz desselben Rechtsguts).»1 Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 173,174 a, 174 b, 176,177 und 240.
77
Zum Inhalt der Begriffe Erziehung, Ausbildung, Betreuung in der Lebensfiihrung vgl. oben Rdn. 39 sowie BGHSt 41 S. 139; 33 S. 340, 344 mit Anm. JAKOBS NStZ 1986 S. 216 f, GÖSSEL JR 1986 S. 516 f; BGH NStZ 1989 S. 21; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 408 ff. - Nach Ende des Obhutsverhältnisses ist die Tat nicht mehr tatbestandsmäßig; vgl. BGH NStZ 1999 S. 360.
78 79
Dazu vgl. Rdn. 31. Dazu BGHSt 29 S. 38; BGH bei Miebach, NStZ 1995 S. 222.
80
Vgl. BGHSt 41 S. 242 mit abl. Anm. SCHROEDER JR 1996 S. 211.
81
Dazu eingehend: LACKNER/KÜHL § 174 Rdn. 18. - A.A. BGHSt 30 S. 358 f; TRÖNDLE/FISCHER § 174 Rdn. 18: Abs. 1 Nr. 2 lex specialis gegenüber Abs. 1 Nr. 1.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
5. Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, §180 60 a) Die verpönten Handlungen nach Abs. 1 - 3 beziehen sich auf sexuelle Handlungen der geschützten Personen an oder vor einem Dritten oder eines Dritten an der geschützten Person; dazu Rdn. 8. 61 b) Drei verschiedene Förderungshandlungen unterscheidet das Gesetz, je nach der verschiedenen Schutzaltersgrenze des Opfers. 62 aa) Abs. 1: Schutzaltersgrenze 16 Jahre; Vorschubleisten, das ist die Förderung der sexuellen Handlung, ohne dass es zu dieser kommen muss; d.h. erfolgreiche oder erfolglose Beihilfe zu der sexuellen Handlung. - Das Vorschubleisten muss entweder durch Vermittlungen (Nr. 1) oder Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit geschehen (Nr. 2). Vermittlung ist die Herstellung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Dritten und der geschützten Person, welche die sexuellen Handlungen zum Inhalt hat. - Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit liegt z.B. im Bereitstellen von Räumlichkeiten, in der Organisation von Zusammenkünften und sexuellen Kontakten. Nach Abs. 1 S. 2 schließt das Erzieherprivileg die Anwendung des Abs. 1 Nr. 2 aus, wenn der Personensorgeberechtigte die Tat begeht und dadurch nicht seine Erziehungspflicht gröblich vernachlässigt. - Das Erzieherprivileg begründet für den Personensorgeberechtigten einen Tatbestandsausschluss, und zwar auch dann, wenn er lediglich als Teilnehmer tätig wird („handelt"). Dritten kommt das Privileg auch dann nicht zugute, wenn sie mit Einwilligung des Sorgeberechtigten tätig werden. - Teilnahme an der Tat des Sorgeberechtigten ist mangels einer Haupttat nicht möglich.82
63 bb) Abs. 2: Schutzaltersgrenze 18 Jahre; Bestimmen ist hier im Sinne von Anstiftung zu verstehen; vgl. Rdn. 46. Das Entgelt braucht nicht in Geld zu bestehen, es genügen auch Sachwerte.83 Unerheblich ist, ob das Entgelt dem Opfer oder Dritten zufließen soll.84- Vorschubleisten genügt hier nur in der Form der Vermittlung, doch muss es zu den sexuellen Handlungen auch gekommen sein.«5 64 cc) Abs. 3: Schutzaltersgrenze 18 Jahre; Missbrauch bestimmter Abhängigkeitsverhältnisse; dazu im einzelnen Rdn. 31. 65 c) Eine Teilnahme der geschützten Person bleibt als notwendige Teilnahme straflos. Aber auch der an der Tat beteiligte Dritte bleibt nach § 180 straflos, denn die Tat ist als tatbestandlich verselbständigte Teilnahme an den nicht oder nur nach anderen Tatbeständen strafbaren sexuellen Handlungen des Schutzbefohlenen und des Dritten anzusehen.8« 6. Sexueller Missbrauch Jugendlicher, § 182 66 a) Abs. 1 schützt Personen unter sechzehn Jahren vor sexuellem Missbrauch durch Personen über achtzehn Jahre. 67 Das verpönte Verhalten bezieht sich auf sexuelle Handlungen, die
82
Näher zu dem auch vom Bestimmtheitsgrundsatz her umstrittenen Erzieherprivileg: BECKER/RUTHE FamRZ 1974 S. 508 ff; LACKNER/KÜHL § 180 Rdn. 9; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 465 ff;
SCHROEDERLange-FS, S. 391 ff.
83 84
BGH NJW 1997 S. 335. BGH NStZ 1995 S. 540.
85
BGH NJW 1997 S. 335.
86
S o a u c h BINDOKAT N J W 1961 S. 1731; HERZBERG G A 1971 S. 10; HORN S K II, § 180 R d n . 24; ARMIN KAUFMANN M D R 1958 S. 177; LACKNER/KÜHL § 180 R d n . 14; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T .
1, § 20 Rdn. 35. - A.A. BGHSt 15 S. 377, 382; LAUFHÜTTE LK, § 180 Rdn. 19 f.
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Nr. 1: an der geschützten Person vorgenommen werden oder die diese an sich vornehmen lässt oder Nr. 2: von der geschützten Person an Dritten oder von einem Dritten an ihr vorgenommen werden sollen. Problematisch ist, ob dieser Schutz gegen sexuelle Handlungen schlechthin angemessen ist und ob das Merkmal der Erheblichkeit - dazu oben Rdn. 7 - hinreicht, nicht strafwürdige Verhaltensweisen hier auszuschließen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es jedoch nicht möglich, sexuelle Handlungen im Sinne des § 182 auf den Vaginal-, Oral- oder Analverkehr zu beschränken.87 Zwei Missbrauchshandlungen nennt das Gesetz: die Ausnutzung einer Zwangslage, d.h. die Ausnutzung einer ernsten wirtschaftlichen oder persönlichen Bedrängnis des Opfers,88 und das Handeln gegen Entgelt, dazu § 11 Abs. 1 Nr. 9. Während es im Falle der Nr. 1 zu den dort genannten sexuellen Handlungen gekommen sein muss, genügt es im Falle der Nr. 2, dass der Täter die geschützte Person bestimmt hat, die Handlungen vorzunehmen oder an sich vornehmen zu lassen, d. h. dass der Entschluss, die Handlungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen auf die Einflussnahme des Täters zurückzuführen ist.89 Die Ausnutzung der Zwangslage ist missbräuchlich, wenn der Täter die Zwangssituation der geschützten Person erkannt hat und sich der Tatsache bewusst ist, dass die Bereitschaft zu den sexuellen Handlungen auf der Zwangssituation beruht. - Beim Handeln gegen Entgelt liegt der Missbrauch in der Kommerzialisierung der sexuellen Handlungen. Insoweit kommt dem Missbrauchsmerkmal daher keine eigenständige Bedeutung zu.90 b) Abs. 2 schützt Personen unter 16 Jahren vor sexuellem Missbrauch durch Personen über einundzwanzig Jahre. Die relevanten sexuellen Handlungen entsprechen denen des Abs. 1. Tatbestandsmäßig gemäß Abs. 2 ist jedoch die Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung. Das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit ist missbräuchlich, wenn der Täter die psychische Situation des Opfers kennt und sich der Tatsache bewusst ist, dass die Bereitschaft zu den sexuellen Handlungen auf dem Fehlen der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung beruht. c) Die geschützte Person bleibt auch als Teilnehmer straffrei, da die Vorschrift ihrem Schutze dient und ihr eigener Wille rechtlich nicht als voll wirksam angesehen wird, vgl. Rdn. 32. d) Abs. 3 enthält in Bezug auf den Strafantrag eine dem § 230 Abs. 1 S. 1 entsprechende Regelung; dazu oben § 15 Rdn. 26 ff. e) Abs. 4 eröffnet die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.91
87
Vgl. auch LACKNER/KÜHL §
182 Rdn. 3; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 501. - A.A.
KUSCH/MÖSSLE N J W 1994 S. 1506.
88
Dazu BGHSt 42 S. 399.
89
Zum Begriff des Bestimmens vgl. Rdn. 46.
90
Vgl. auch KUSCH/MÖSSLE N J W 1994 S. 1507; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 511. - Enger: SCHROEDER N J W 1994 S. 1504.
91
Vgl. auch KUSCH/MÖSSLE N J W 1994 S. 1507.
365
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72 73 74
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
7. Jugendgefährdende Prostitution, § 184 b 75 § 184 b stellt die Prostitution unter Strafe, wenn diese in der Nähe einer Schule oder anderen Örtlichkeit, die zum Besuch von Personen unter 18 Jahren bestimmt ist (Nr. 1) oder in einem Haus, in dem Personen unter 18 Jahren wohnen, ausgeübt wird (Nr. 2). - Dem Merkmal der sittlichen Gefährdung kommt nur insoweit Bedeutung zu, als es klarstellt, dass die geschützten Personen die Ausübung der Prostitution konkret wahrgenommen haben müssen. Prostitution ist die auf gewisse Dauer angelegte Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt an oder vor wechselnden Partnern oder Zuschauern oder die Duldung derartiger Handlungen an sich durch Dritte.92
VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter 76 Geschützt wird die Person vor Konfrontationen mit sexuellen Handlungen gegen ihren Willen. Damit wird hier der Schutz bestimmter sozialethischer Grundordnungen besonders deutlich. 93 1. Exhibitionistische Handlungen, § 183 77 a) Eine exhibitionistische Handlung ist das Entblößen des Geschlechtsteils vor einem anderen ohne dessen Einverständnis, um sich durch die Wahrnehmung durch den anderen oder durch dessen Reaktion geschlechtlich zu befriedigen, zu erregen oder eine geschlechtliche Erregung zu steigern.94 78 Täter kann nur ein Mann sein. - Durch die exhibitionistische Handlung muss der andere belästigt werden, d.h. er muss schockiert, erschreckt oder mit Abscheu erfüllt werden. Der Eintritt des Deliktserfolgs ist Tatbestandsvoraussetzung. Bloßer Unmut genügt nicht. Die exhibitionistische Handlung muss wegen ihrer sexuellen Tendenz absichtlich begangen werden. Bezüglich des Belästigungserfolges genügt hingegen bedingter Vorsatz.95 79 b) § 183 Abs. 2 enthält in bezug auf den Strafantrag eine dem § 230 Abs. 1 S. 1 entsprechende Regelung; dazu oben § 15 Rdn. 26 ff. 80 c) § 183 Abs. 3 bietet die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung, auch wenn erst durch eine längere Heilbehandlung eine günstige Prognose ermöglicht wird.9« Gemäß Abs. 4 ist Abs. 3 anwendbar, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder nach § 174 Abs. 2 Nr. 1 oder § 176 Abs. 3 Nr. 1 bestraft wird. - In diesem Rahmen werden auch exhibitionistische Handlungen von Frauen relevant. 81 d) Konkurrenzen: Tateinheit ist möglich mit §§174 Abs. 2 Nr. 1,176 Abs. 3 Nr. 1, da das jeweils geschützte Rechtsgut verschieden akzentuiert ist.97
92
93 94
So auch LACKNER/KÜHL § 180 a Rdn. 1 a; TRÖNDLE/FISCHER § 180 a Rdn. 2. - Enger: Auf partnerschaftliche Sexualhandlungen beschränkt: HORN SKII, § 180 a Rdn. 4; SCH/SCH/PERRON § 180 a Rdn. 5. Krit. dazu SANDER Zur Beurteilung exhibitionistischer Handlungen, 1995; DERS. ZRP 1997 S. 447 ff. Dazu LG Koblenz NStZ-RR 1997 S. 104; Bay ObLG NJW 1999 S. 72; LAUBENTHAL Sexualstraftaten,
95 96
Dazu OLG Düsseldorf NJW 1977 S. 262. Dazu BGHSt 34 S. 150 mit Anm. SCHALL JR 1987 S. 397 ff.
Rdn. 529; SCHROEDER Sexualstrafrecht, S. 61.
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2. Erregung öffentlichen Ärgernisses, § 183 a Öffentlich vorgenommen ist eine sexuelle Handlung, wenn eine unbestimmte Vielzahl 82 oder eine bestimmte, nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundene Mehrzahl von Personen sie wahrgenommen hat oder hätte wahrnehmen können.98 Im Falle einer durch persönliche Beziehungen verbundenen Gruppe muss auch der Täter in die persönlichen Beziehungen eingeschlossen sein."
Ein Ärgernis ist erregt, wenn eine Person erheblich in ihrem Empfinden, nicht mit sexu- 83 eilen Handlungen gegen ihren Willen konfrontiert zu werden, verletzt ist (Erfolgsdelikt). Zum subjektiven Tatbestand vgl. Rdn. 78. 3. Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 a a) § 184 a enthält einen gegenüber § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG qualifizierten Tatbestand. - 84 Zur Ausfüllung des Blanketts bedarf es einer Rechtsverordnung, zu deren Erlass Art. 297 EGStGB ermächtigt. - Ein beharrliches Zuwiderhandeln setzt eine wiederholte Tatbegehung voraus, mit der der Täter erkennen lässt, dass er nicht bereit ist, sich an das Verbot zu halten, und das deshalb eine weitere Wiederholung indiziert.100 - Der Prostitution Nachgehen ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung der Prostitution, nicht erst die Vornahme oder das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen.101 - Zum Begriff der Prostitution vgl. Rdn. 75. b) Die Tat ist ein eigenhändiges Delikt. - Teilnahme ist nach allgemeinen Regeln möglich. 85 Die Beharrlichkeit ist kein Sonderpflichtmerkmal und damit nicht besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28.102 Der Partner des oder der Prostituierten, dessen Rolle sich auf die des zahlenden Freiers 86 beschränkt, ist als notwendiger Teilnehmer straflos.103 Die Überlassung von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt zur Förderung der Prostitution ist in § 180 a abschließend geregelt, so dass sie nicht auf dem Umweg über die Teilnahme an Taten nach § 184 a kriminalisiert werden darf.104
VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution Geschützt wird die Unabhängigkeit von Menschen im Prostitutionsmilieu. 9 7
98 99
87
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 183 R d n . 11; SCH/SCH/PERRON § 1 8 3 R d n . 15; TRÖNDLE/FISCHER § 183 R d n . 11. - A . A . LAUFHÜTTE L K , § 183 R d n . 14; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 2 2 R d n . 7 :
Spezialität. BGHSt I I S . 282. So auch LACKNER/KÜHL § 183 a Rdn. 2; SCHRÖDER JR 1970 S. 429 f. - A.A. OLG Köln NJW 1970 S. 6 7 0 ; LAUFHÜTTE L K , § 183 a R d n . 4 .
100 Dazu OLG Köln GA 1984 S. 333. 101 Dazu BayObLG JZ 1989 S. 52 mit Anm. BEHM S. 301 f. 102 A.A. BayObLG NJW 1985 S. 1566; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 569; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 2 0 R d n . 61. 103 S o LACKNER/KÜHL § 184 a R d n . 7 ; LAUFHÜTTE L K , § 184 a R d n . 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 184 a R d n .
7. - A.A. GRAALMANN-SCHEERER GA 1995 S. 352 f.- Krit. LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 570. 104 So auch HORN SK H, § 184 a Rdn. 5; LACKNER/KÜHL § 184 a Rdn. 7. - A.A. BayObLG NJW 1981 S. 2 7 6 6 ; GEERDS J R 1985 S. 4 7 3 f; SCH/SCH/PERRON § 184 a R d n . 7.
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§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
1. Förderung der Prostitution, § 180 a 88 Geschützt wird die Person davor, zur Prostitution gebracht, darin festgehalten und ausgebeutet zu werden. - Zum Begriff der Prostitution vgl. Rdn. 75; zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 Rdn. 21. Zum Begriff Prostitution Nachgehen vgl. Rdn. 84. 89 a) Abs. 1 enthält das Verbot von Bordellen oder bordellartigen Betrieben, d.h. Einrichtungen, die durch organisatorische und räumliche Einbindung von mindestens 2 Prostituierten dem Zwecke dienen, aus den entgeltlichen Sexualkontakten Gewinne zu erzielen. 105 90 aa) Nr. 1 erfordert, dass zumindest eine Prostituierte106 in dem Betrieb in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden. Persönliche Abhängigkeit liegt vor, wenn der Betroffene in seiner Lebensführung, einschließlich der Ausübung seines Gewerbes, weitgehend der Disposition durch andere unterworfen ist, d.h. wenn das Ob, Wo und Wie der Prostitution durch andere bestimmt wird. Wirtschafllich abhängig ist, wer hinsichtlich seiner Einkünfte und der Sicherung seines Lebensunterhalts im wesentlichen einer Fremdbestimmung unterliegt. Halten setzt eine gezielte Ginwirkung auf die persönliche oder wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus. - Es ist nicht erforderlich, dass der Täter die Abhängigkeit selbst begründet hat.
91 bb) Nach Nr. 2 genügt auch ein Betrieb, in dem die Prostitutionsausübung durch Maßnahmen gefördert wird, die über die Wohnungs-, Unterkunfts- oder Aufenthaltsgewährung und die dabei üblichen Nebenleistungen hinausgehen. Sie brauchen keine Knebelung der Prostituierten zu bezwecken, sondern es genügt, dass sie günstige Bedingungen für die Ausübung der Prostitution schaffen. Beispiele: Veranstaltung von Nackttänzen und Vorführung pornographischer Filme zur Anregung der Gäste (KG JR 1978 S. 296; KG JR 1980 S. 121); Unterhalt einer Sauna zur Förderung der Kontakte; Schaffung intimer Atmosphäre und günstiger Arbeitsbedingungen107; Alkoholausschank (OLG Hamm MDR 1990 S. 1034); Festsetzung von Gästequoten (KG NJW 1976 S. 813); zentrales Kassieren und anteiliges Verteilen des Dirnenlohnes (BT-Drucks. 7/514, S. 9).
92 b) Abs. 2 erfasst die Wohnungs- und gewerbsmäßige Unterkunfts- und Aufenthaltsgewährung an noch nicht 18jährige zur Prostitution, Nr. 1, und das Gewähren von Wohnung zur Prostitution, wenn damit, Nr. 2, ein Ausbeuten, d.h. ein planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle verbunden ist, durch das die Prostituierte in eine schlechtere wirtschaftliche Lage gebracht wird.10« 93 c) Konkurrenzen: § 180 a Abs. 1 Nr. 2 wird von Nr. 1 konsumiert.10» 2. Menschenhandel, § 180 b 94 Der Tatbestand des § 180 b schützt gegen die Rekrutierung von Menschen beiderlei Geschlechts für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse Dritter. 95 a) Abs. 1 richtet sich vor allem gegen Vermittler, die Prostitutionsbetriebe mit Nachwuchs versorgen oder sich sonst am internationalen Menschenhandel beteiligen.
105 vgl. BayObLG NStZ 1994 S. 396. 106 vgl. dazu BGH NJW 1995 S. 1686. 107 BGH NJW 1986 S. 596 mit Anm. KÖBERER StV 1986 S. 295 ff, und NrrzE NStZ 1986 S. 359 ff; BGH MDR 1987 S. 948. 108 BGH GA 1987 S. 261; BGH NStZ 1998 S. 349. 109 BGH NStZ 1990 S. 80.
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Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
Einwirken ist eine intensive Beeinflussung des Willens des Opfers, z.B. durch Überreden, Versprechungen, Täuschung, Einschüchterung, Drohung, Gewalteinwirkung.110 Vermögensvorteil ist jede wirtschaftliche Verbesserung der Vermögenslage, auch die durch den üblichen Geschäftsgewinn. Es muss dem Täter darauf ankommen (zielgerichtetes Wollen), einen bestimmten Erfolg zu erreichen und zwar: aa) Abs. 1 S. 1: Das Opfer zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen. 96 Dabei genügt es, dass das Opfer bestimmt wird die Prostitution unter veränderten, seine Lage verschlechternden Bedingungen fortzusetzen.111 Der Täter muss in Kenntnis einer tatsächlichen Zwangslage des Opfers handeln, d.h. einer ernsten persönlichen oder wirtschaftlichen Bedrängnis des Opfers. bb) Abs. 1 S. 2: Das Opfer zu bestimmten sexuellen Handlungen zu bringen. - Die Kennt- 97 nis des Täters muss sich auf die objektiv bestehende oder erwartete Hilflosigkeit des Opfers beziehen. - Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer aufgrund des Aufenthalts in dem fremden Land und in der konkreten Lage nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht im Stande ist, sich dem Ansinnen der ihm unerwünschten sexuellen Betätigung aus eigener Kraft zu entziehen.112 b) Abs. 2 schützt unabhängig von einer Zwangslage und einer Vorteilsabsicht des Täters 98 Personen vor der Prostitution in einem fremden Land, Nr. 1, sowie umfassend Personen unter einundzwanzig Jahren, Nr. 2. Der Schutz richtet sich gegen Einwirkungen, die darauf zielen, das Opfer zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen - dazu Rdn. 69 - oder dazu zu bringen, die Prostitution aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Einwirkung setzt hier nicht voraus, dass die Person, auf die eingewirkt wird, den aktuellen Willen hat, die Prostitutionsausübung zu beenden. Es genügt, dass der Täter davon ausgeht, dass sie möglicherweise die Prostitution beenden will.113 - Dazu bringen heißt, das Opfer in einer Weise in den Einwirkungsbereich des Prostitutionsmilieus zu bringen, dass es sich trotz vorausgegangener Unentschlossenheit oder Abwehr der Prostitutionsausübung zuwendet. Im Falle des Abs. 2 Nr. 1 muss der Täter in der Kenntnis der besonderen Hilflosigkeit des Opfers - dazu Rdn. 97 - handeln. c) Der Versuch ist nur in den Fällen des Abs. 2 strafbar.
99
3. Schwerer Menschenhandel, § 181 Die Vorschrift schützt gegen die Rekrutierung von Menschen beiderlei Geschlechts für die 100 Befriedigung sexueller Bedürfnisse Dritter unter Einsatz qualifizierter Tatmittel. Sie erfasst daher dem § 180 b vergleichbares, besonders schweres Unrecht, doch kann § 180 b nicht als Grundtatbestand zu § 181 interpretiert werden. a) Abs. 1 Nr. 1: Bestimmen - dazu Rdn. 69 -. Zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitu- 101 tion durch Gewalt - dazu § 27 Rdn. 14 - Drohung mit empfindlichem Übel - dazu § 27 Rdn. 17 f - oder durch List - dazu § 28 Rdn. 21. - Es genügt, dass das zur Aufgabe der
110 Vgl. BGHSt 45 S. 161; BGH NJW 1990 S. 196. 111 V g l . B G H S t 4 2 S. 179 mit A n m . BOTTKE JR 1997 S. 2 5 0 f f , SCHROEDER JZ 1997 S. 155 f , WOLTERS
NStZ 1997 S. 339 ff; DENCKER NStZ 1989 S. 251; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 647. 112 Vgl. auch BT-Drucks. 7/514, S. 10; VI/3521, S. 49; BGH NStZ 1999 S. 349. 113 Vgl. BGHSt 45 S. 158,161.
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§ 66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Prostitution entschlossene Opfer zu deren Fortsetzung114 oder das der Prostitution nachgehende Opfer zu einer qualitativ andersartigen Prostitutionsausübung bestimmt wird.11? - Nicht geschützt ist das Recht der Prostituierten, über ihre Einnahmen nach Belieben zu verfügen.116 - Vollendet ist die Tat mit Vornahme der ersten Handlung des Opfers, die unmittelbar auf eine entgeltliche Betätigung abzielt.117 102 b) Abs. 1 Nr. 2: Zu den Tatmitteln vgl. Rdn. 101. - Anwerben ist das vom Täter durch die Einflussnahme auf das Opfer erreichte Einvernehmen mit diesem über dessen Bereitschaft zur Vornahme bestimmter sexueller Handlungen. - Entführen gegen den Willen setzt voraus, dass der Täter das Opfer durch Verbringen an einen anderen Ort für eine gewisse Dauer so in seine Gewalt bringt, dass es seinem ungehemmten Einfluss preisgegeben ist. Gegen ihren Willen ist Tatbestandsmerkmal. - Zur Kenntnis der durch den Aufenthalt im fremden Land begründeten Hilflosigkeit vgl. Rdn. 97. 103 c) Abs. 1 Nr. 3: Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle verschaffen will. - Die gewerbsmäßige Tätigkeit muss im Anwerben liegen. Gewerbsmäßige Weitervermittlung der von anderen angeworbenen Personen genügt dem Erfordernis des Anwerbens nicht.118 104 105
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4. Zuhälterei, § 181 a Alle Formen der Zuhälterei setzen voraus, dass der Täter zu der oder dem Prostituierten im Hinblick auf die Tathandlung Beziehungen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. a) Abs. 1 Nr. 1 erfasst das Ausbeuten einer der Prostitution nachgehenden Person. Ausbeuten erfordert, dass der Täter auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses durch planmäßiges und eigennütziges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle eine spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten herbeiführt. Eine zwangsweise Unterwerfung der Prostituierten ist nicht erforderlich. Es genügt aber die Ausnutzung nach gefühlsmäßiger Bindung durch Täuschung. - Das bloße Ausgehaltenwerden reicht selbst bei erheblichen Leistungen dazu nicht aus. b) Abs. 1 Nr. 2 beschreibt die sog. „dirigierende Zuhälterei". Der Täter muss den Einsatz der Prostituierten durch besondere Organisationsmaßnahmen regeln und durchsetzen und damit Herrschaft ausüben, d.h. bestimmend auf den Willen der Prostituierten einwirken.11» Bloßes Beschützen der Dirne, Vertreiben der Konkurrenten, Vermittlung von Partnern u.ä. genügt nicht. - Maßnahmen gegen das Aufgeben der Prostitution sind Vorkehrungen, die das Lösen aus dem Prostitutionsmilieu erschweren oder unmöglich machen, z.B. Entzug von Geldmitteln, Drohungen, Täuschungen u.ä. - Der Täter muss seines Vermögensvorteils wegen handeln, d.h. dieser Vorteil muss sein Motiv sein. c) § 181 a Abs. 2 stellt die gewerbsmäßige Förderung der Prostitution durch Vermittlung sexuellen Verkehrs - Unterhalt eines Call-Girl-Ringes, Schleppertätigkeit - unter Strafe. -
114 Dazu BGHSt 33 S. 353 mit Anm. BOTTKE JR 1987 S. 33 f, BÜRGER StV 1987 S. 64 ff. 115 Vgl. DENCKER NStZ 1989 S. 251; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 676. 116 BGH StV 1995 S. 23; BGH StV 1996 S. 481. 117 BGH NStZ-RR 1997 S. 294. 118 Vgl. BGH NStZ 1992 S. 434; BGH NStZ 1994 S. 78. 119 BGH bei Holtz.MDR 1990 S. 294.
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Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
Der Tatbestand setzt voraus, dass es zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs gekommen iSt. 120 d) Abs. 3 bedroht zuhälterische Handlungen in bezug auf den Ehegatten ohne Rücksicht 108 darauf mit Strafe, ob hier Beziehungen im Hinblick gerade auf die zuhälterische Handlung unterhalten werden.
Vin. Verbreitung pornographischer Schriften, § 184 Der Schutzzweck der Norm ist uneinheitlich; vgl. dazu unter Rdn. 111. 1. Pornographische
109
Schriften
Pornographisch sind Schriften (auch Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Dar- 110 Stellungen, § 11 Abs. 3), wenn sie nach ihrem objektiven Gehalt zum Ausdruck bringen, dass sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei den Betrachtern abzielen und eindeutig die Grenzen allgemein anerkannten sexuellen Anstandes überschreiten. 121 Nach dem wesentlich durch formale Kriterien bestimmten Kunstbegriff des BVerfG schließen Kunst und Pornographie einander nicht begrifflich aus. Im Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz ist der jeweilige Vorrang durch eine einzelfallbezogene Abwägung zu finden.122 2. Die einzelnen
Tathandlungen
a) Tatbestände des Die Abs. 1 Nr. 1-5, 7, 8 dienen vorwiegend dem Jugendschutz, doch ist 111 in ihnen auch das Interesse, nicht gegen den eigenen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden, geschützt. Anbieten ist die Erklärung der Bereitschaft zur Überlassung von Pornographie. Das Angebot muss nach seinem Aussagegehalt für den durchschnittlich interessierten und informierten Betrachter den pornographischen Bezug deutlich machen; BGHSt 34 S. 94. - Überlassen ist die Übertragung des Gewahrsams. - Zugänglichmachen heißt Eröffnung von Wahrnehmungsmöglichkeiten. Ausstellen, Anschlagen und Vorführen sind Beispiele dafür. - Der Versandhandel braucht nicht auf Verkauf angelegt zu sein, es genügt Vermietung; BVerfG NJW 1982 S. 1512. - Ein gewerblicher Filmverleih ist nach der Intention des Gesetzes, das gemäß § 11 Abs. 3 Schriften und Filme gleichstellt, als Leihbücherei i.S. des § 184 Abs. 1 Nr. 3 anzusehen; a.A. BGHSt 29 S. 69. - Ankündigen und Anpreisen müssen den pornographischen Charakter der Objekte erkennen lassen; BGH NJW 1977 S. 1695; OLG Stuttgart MDR 1977 S. 246. - Das Entgelt wird überwiegend für die Vorführung verlangt, wenn deren wirtschaftlicher Wert den der anderen Leistungen, z.B. Getränke, Rauchwaren u.ä., übersteigt.123 b) Abs. 1 Nr. 6 sowie Abs. 2 schützen ausschließlich das Interesse, nen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden.
nicht gegen den eige-
120 BGH StV 2000 S. 309. 121 Vgl. dazu BT-Drucks. VI/3521, S. 60; LACKNER/KÜHL § 184 Rdn. 2; LAUFHÜTTE JZ 1974 S. 47. - Zu abweichenden Konzeptionen vgl. LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 721 ff; SCHROEDER Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit, 1992, S. 28 f, 54. 122 Dazu BVerfG NStZ 1991 S. 188; BGHSt 37 S. 55 mit Anm. MAIWALD JZ 1990 S. 1141 ff; vgl. auch LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 727 ff; SCHROEDER Pornographie, S. 47 ff.
123 Dazu BVerfGE 47 S. 109; BGHSt 29 S. 68; KG JR 1978 S. 167; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 262; ROGALL J Z 1 9 7 9 S. 7 1 5 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Dem Abs. 2 kommt nur für Live-Sendungen des für die Allgemeinheit bestimmten Bild- und Hörfunks Bedeutung zu, da die Ausstrahlung von Bild- und Tonaufzeichnungen bereits unter die verschiedenen Alternativen des Abs. 1 fallen. - Täter sind die für die Sendung verantwortlichen Personen.
113 c) Abs. 1 Nr. 9 gehört überhaupt nicht in den in § 184 geregelten Zusammenhang, denn hier wird die sexuelle Selbstbestimmung in keiner Weise tangiert, vielmehr geht es um staatliche Interessen, die bei einer Ausfuhr von Pornographie verletzt werden können. 114 d) Abs. 3 richtet sich gegen die sog. harte Pornographie. Er soll der kriminogenen und sozial desintegrierenden Wirkung sadistischer, pädophiler und sodomistischer Pornographie durch ein Herstellungs- und Verbreitungsverbot begegnen. Zur Verbreitung pornographischer Schriften über Internet: Bay ObLG StV 2001 S. 16. Zum Begriff der Gewalttätigkeiten vgl. oben § 63 Rdn. 54 f. - Sexuellen Missbrauch von Kindern haben Darstellungen von Handlungen i.S. des § 176 zum Gegenstand. Das kann auch der Fall sein, wenn die Darstellungen nur die Vornahme sexueller Handlungen der Kinder an sich selbst zeigen, die Kinder aber von anderen dazu aufgefordert wurden (BGHSt 45 S. 41 mit Anm. RENZIKOWSKI NStZ 2000 S. 28 f)- - Sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren erfordern körperlichen Kontakt.
115 e) Abs. 4 droht eine verschärfte Strafe an, wenn in Fällen des Abs. 3 die Schrift - dazu § 11 Abs. 3 - den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand hat und ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt und der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt. - Abs. 5 stellt das Unternehmen der Besitzverschaffung und den Besitz solcher Schriften unter Strafe. Zum Sichverschaffen von Kinderpornographie durch fotographische Aufnahmen: BGHSt 43 S. 366.
3. Strafausschluss 116 a) Das Erzieherprivileg gemäß Abs. 6 schließt die Anwendung des Abs. 1 Nr. 1 aus, selbst wenn das Verhalten des Erziehungsberechtigten eine grobe Verletzung der Erziehungspflicht darstellt. 117 b) Nach Abs. 6 S. 2 gilt Abs. 1 Nr. 3 a nicht, wenn die Handlung im Geschäftsverkehr mit gewerblichen Entleihern erfolgt. 118 c) Abs. 6 S. 3 schließt Abs. 5 aus, wenn die Handlung ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten diente.
§ 67 Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität 1 Eine allgemeine Pflicht, anderen zu helfen, kann wegen ihrer Weite nicht Gegenstand einer Rechtsordnung sein. Wohl aber kann eine Rechtsordnung eine Pflicht zur Hilfeleistung in Situationen, in denen die Allgemeinheit oder der Einzelne besonderen, existenzbedrohenden Gefahren ausgesetzt ist, statuieren. Sie greift damit auf jene Grundlagen der Gesellschaft zurück, die ein soziales Miteinander erst ermöglichen, nämlich auf das Minimum der Solidarität zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft. Geschütztes Rechtsgut ist in diesem Bereich daher die mitmenschliche Solidarität, auf die der Einzelne oder die Allgemeinheit in bestimmten Situationen vertraut.124
124 vgl. auch KÜPPER B.T. 1, II § 5 Rdn. 58; NEUMANN JA 1987 S. 255. - Für Schutz der bedrohten Individualrechtsgüter: GEILEN J u r a 1 9 8 3 S. 7 8 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 1; RUDOLPHI S K n , § 3 2 3 c R d n . 1; SEELMANN N K , § 3 2 3 c R d n . 8; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 2 9 ; KAHLO D i e H a n d l u n g s f o r m d e r
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Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität
§67
I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c 1. Die Tatsituation Voraussetzung der Hilfspflicht i.S. des § 323 c ist ein Unglücksfall, gemeine Gefahr oder gemeine Not. a) Ursprünglich ging die Rechtsprechung davon aus, dass Unglücksfall ein plötzliches äußeres Ereignis sei, das erhebliche Schäden an Personen oder Sachen verursacht und weiteren Schaden zu verursachen droht. - Der BGH hat diese Definition dahin konkretisiert, dass eine Situation, in der Schaden erst drohe, genüge und dass es gleichgültig sei, ob die Gefährdung dem Betroffenen von außen zustößt oder von ihm selbst herbeigeführt ist. aa) Mit der Anerkennung der bloßen Sachgefahr gerät die Definition jedoch zu weit. Das Vorliegen einer bloßen Sachgefahr begründet selbst dann keinen Unglücksfall, wenn bedeutende Sachwerte gefährdet sind. Dies folgt aus der Gleichstellung des Unglücksfalles mit der gemeinen Gefahr und gemeinen Not, die dann überflüssig wäre, wenn schon eine Sachgefahr als Unglücksfall anzusehen wäre.12S bb) Zu folgen ist dem BGH hingegen in der Erstreckung des Unglücksfalles auf NotSituationen, die der Betroffene selbst herbeigeführt hat. Ein Unglücksfall liegt danach auch in der Suizidsituation, und zwar bereits dann, wenn der Täter den Suizidplan ernsthaft ins Werk setzt, nicht erst dann, wenn der Täter das Opfer seiner selbst geworden ist oder sich von seinem Plan distanziert hat; dazu eingehend oben § 6 Rdn. 58 f. cc) Im Gegensatz zur Suizidsituation liegt kein Unglücksfall vor, wenn ein lebensgefährlich Erkrankter in voller Kenntnis der Situation aufgrund freier Entscheidung eine Behandlung ablehnt; dazu eingehend oben § 6 Rdn. 60. b) Daraus folgt für die Definition des Unglücksfalls: Unglücksfall ist eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, weil ihm erheblicher Schaden an Leib, Leben, Freiheit oder einem anderen höchstpersönlichen Rechtsgut droht. Das Vorliegen des Unglücksfalles ist ex post festzustellen.12« c) Gemeine Gefahr ist eine Situation, in der die Möglichkeit des Schadens an Leib oder Leben oder an bedeutenden Sachwerten für unbestimmt viele Personen begründet ist; z.B. Überschwemmung, Brand. d) Gemeine Not ist eine Notlage der Allgemeinheit.
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2. Das Tatverhalten Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt, mit dem das Unterlassen der erforderlichen und 10 zumutbaren Hilfeleistung unter Strafe gestellt wird. Unterlassung als Kriminaldelikt, 2001, S. 325 f. - In der sozialen Stabilisierung sieht PAWLIK GA 1995 S. 365, das Rechtsgut. 125 So auch ARZT/WEBER B.T., § 39 Rdn. 3; FRELLESEN Die Zumutbarkeit der Hilfeleistung, 1980, S. 150 f f ; KAHLO H a n d l u n g s f o r m . S. 3 3 2 f f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 16/5; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 2 3 c
Rdn. 5; SEELMANN JUS 1995 S. 284; VERMANDER Unfallsituation und Hilfspflicht im Rahmen des § 330 c StGB, 1969, S. 24 ff, 50. - Eine Gefahr für bedeutende Sachwerte lassen genügen: GEILEN Jura 1983 S. 8 6 f f ; KÜPER B.T., S. 2 8 6 ; PAWLIK G A 1995 S. 3 6 7 ; RUDOLPHISK H, § 3 2 3 c R d n . 5 ; SPENDEL
LK, § 323 c Rdn. 37. - Sachgefahr genügt: LACKNER/KÜHL § 323 c Rdn. 2; TRÖNDLE/FISCHER § 323 c
Rdn. 2 a.
126 vgl. BGHSt 14 S. 216; 32 S. 381; AG Tiergarten NStZ 1991 S. 236 mit ANM. OTTO JK 91, StGB § 323 c/3; SEELMANN J u S 1995 S. 2 8 4 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 er R d n . 81. - A . A . RUDOLPHI N S t Z 1991 S. 2 3 7 f.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
11 a) Erforderlich ist die Hilfe, wenn aus der Sicht eines Beobachters der Situation - ex-anteBeurteilung - die Chance besteht, den drohenden Schaden abzuwenden. Ob dies wirklich gelingt, ist hingegen irrelevant.127 12 b) Die Hilfeleistung muss dem Täter zumutbar sein. Die Zumutbarkeit der Hilfe ist Tatbestandsmerkmal. 128 Die Zumutbarkeit ist zum einen nach dem Grad der eigenen Gefährdung, der Beziehung des Hilfsfahigen zum Geschehen, insbesondere auch nach seinen persönlichen Fähigkeiten, Hilfsmitteln, Erfahrungen und der Möglichkeit, z.B. am schnellsten Hilfe leisten zu können, zu bestimmen. Zum anderen aber ist die Situation des Hilfsbedürftigen zu berücksichtigen und zu beachten, welche Hilfsmaßnahmen ihm - unter Beachtung seines Persönlichkeitsrechts - zumutbar sind; dazu vgl. oben § 6 Rein. 62. Die erhebliche Gefährdung eigener Rechtsgüter und die Pflichtenkollision sind Beispiele für den Ausschluss der Zumutbarkeit. Dies gilt auch dann, wenn die Pflichtenkollision nicht rechtfertigt, sondern nur entschuldigt oder eine Kollision rechtlicher und religiöser Pflichten vorliegt.129 - Die Gefahr einer Strafverfolgung schließt die Zumutbarkeit hingegen grundsätzlich nicht aus, 130 wohl aber die Gefahr eigener schwerer Körperverletzungen.131
13 c) Der zumindest bedingte Vorsatz muss die Notsituation, die Möglichkeit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Hilfe umfassen. 14 d) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter die Hilfspflicht erkannt hat und keine Hilfeleistung erbringt. Keineswegs muss die Chance erfolgreicher Hilfe zur Vollendung des Delikts bereits versäumt sein. Ein Rücktritt vom vollendeten Delikt ist in analoger Anwendung der Grundsätze tätiger Reue möglich, so lange keine Verschlechterung der Situation eingetreten ist. 132
3. Konkurrenzen 15 § 323 c begründet keine Garantenstellung zur Abwendung von Gefahren die dem Hilfsbedürftigen drohen. Der aus anderem Grunde verpflichtete Garant, der die Hilfe, zu der er verpflichtet ist, unterlässt, haftet aus dem entsprechenden Erfolgsdelikt. Das unechte Unterlassungsdelikt, auch der Versuch, konsumieren die unterlassene Hilfeleistung. - Idealkonkurrenz zwischen einem fahrlässigen Unterlassungsdelikt, z.B. § 222, und unterlassener Hilfeleistung ist möglich. - Bleibt zweifelhaft, ob jemand sich als Täter oder Teilnehmer an der einen Unglücksfall bildenden Straftat beteiligt hat, so kann er nach § 323 c bestraft werden.133 127 Dazu BGHSt 17 S. 170 f; BGH NStZ 1985 S. 409; GEILEN Jura 1983 S. 142 ff. 128 V g l . d a z u HRUSCHKA JUS 1979 S . 3 9 1 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 7; NAUCKE W e l z e l - F S , S . 7 6 7 f f ; PAWLDC G A 1995 S. 3 7 2 . - A . A ( S c h u l d e l e m e n t ) : MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 5 5 R d n . 2 3 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 159.
129 Dazu BVerfGE 32 S. 98. 130 Vgl. BGHSt 11 S. 353; ULSENHEIMERGA 1972 S. 16 f.
131 Vgl. LG Mannheim NJW 1990 S. 2212; im einzelnen dazu SPENDEL LK, § 323 c Rdn. 122 ff. 132 SO auch LACKNER/KÜHL § 323 c Rdn. 11; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 2 3 c Rdn. 30. - A.A.
BGHSt 14 S. 217; SCHAFFSTEIN Dreher-FS, S. 154. - Zum gleichen Ergebnis wie diejenigen, die die Anwendung der Grundsätze tätiger Reue befürworten, kommen diejenigen, die die Vollendung erst mit Verlust der Hilfschance annehmen; vgl. RUDOLPHI SK II, § 323 c Rdn. 17; SEELMANN NK, § 323 c R d n . 5 0 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 9 7 f f .
133 Vgl. BGHSt 39 S. 164 mit zust. Anm. GEPPERT JK 93, StGB § 323 c/4, und abl. Anm. TAG JR 1995 S. 133 ff; BGH NStZ 1997 S. 127.
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Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität
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II. Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungsund Nothilfemitteln, § 145 1. Das Wesen des § 145 Das in § 145 umschriebene abstrakte Gefahrdungsdelikt soll gleichsam im Vorfeld des 16 § 323 c die Voraussetzungen einer wirksamen Hilfeleistung erhalten helfen, und zwar dadurch, dass verhindert wird, dass nicht erforderliche Hilfe zur Gefahrenabwehr angefordert wird (Abs. 1) oder Präventivmaßnahmen, die zur Verhütung oder Bewältigung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr getroffen wurden, beeinträchtigt werden (Abs. 2). 2. Die Regelung im einzelnen a) § 145 Abs. 1 Nr. 1: Notrufe oder Notzeichen sind akustisch oder optisch wahrnehmbare 17 Kurzäußerungen, die auf das Vorhandensein einer Not- oder Gefahrenlage und die Notwendigkeit fremder Hilfe aufmerksam machen. Beispiele: Betätigung des Notnifmelders einer mit münzfreier Notrufeinrichtung versehenen öffentlichen Fernsprechzelle (OLG Oldenburg NJW 1983 S. 1573); missbräuchliches Wählen der Notrufnummer 110 (BGHSt 34 S. 4, Str.); Betätigung von Polizeinotrufanlagen, Feuermeldern; das Abgeben von SOS-Funk-, Blink- und Winksignalen auf Gewässern und im Gebirge; das Abschießen notanzeigender Leuchtkugeln u.ä. Missbrauch ist jeder Gebrauch des Rufs oder Zeichens, obwohl keine Not oder Gefahr besteht.
18
b) § 145 Abs. 1 Nr. 2 erfasst den Fall, dass anders als durch Notruf oder Notzeichen eine 19 Notlage vorgetäuscht wird. Zum Unglücksfall, zu gemeiner Gefahr oder Not vgl. Rdn. 3 ff.
c) § 145 Abs. 2 schützt Einrichtungen, deren konkrete Zweckbestimmung in der genannten 20 Schutzfunktion liegt. Beseitigen erfordert räumliche Entfernung. - In seinem Sinn entstellt oder unbrauchbar ist der Gegenstand, wenn er den konkreten Schutzzweck nicht mehr erfüllt. Beispiele für Nr. 1: Verkehrszeichen, die Warn- und Verbotsfunktionen haben; 134 Wamtafeln an Berghängen, Gewässern, Hochspannungsleitungen o.ä. Beispiele für Nr. 2: Brückengeländer; Schwimmwesten; Rettungsringe.
d) Der Tatbestand erfordert absichtliches oder wissentliches Handeln, bedingter Vorsatz 21 genügt nicht. 3. Konkurrenzen a) Fallen Tathandlungen nach Nr. 1 und 2 zusammen, so liegt die Verwirklichung mehre- 22 rer Alternativen desselben Delikts vor. b) Abs. 2 ist subsidiär gegenüber §§ 303, 304, auch wenn der Strafantrag, § 303 Abs. 3, 23 nicht gestellt wird: „mit Strafe bedroht ist", § 145 Abs. 2.i3s
134 Dazu HÄNDEL DAR 1975 S. 59. 135 SO a u c h : LACKNER/KÜHL § 145 R d n . 9; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 5 7 R d n . 3 9 . A . A . v . BUBNOFF L K , § 145 R d n . 3 1 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 145 R d n . 2 2 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§67
III. Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138, 139 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 24 a) Abweichend von der hier vertretenen Auffassung - mitmenschliche Solidarität - werden zum geschützten Rechtsgut unterschiedliche Meinungen vertreten: Straftat gegen das Strafrecht,136 Delikt gegen die durch die anzeigepflichtigen Straftaten bedrohten Rechtsgüter,137 Delikt gegen die Rechtspflege und die durch die anzeigepflichtigen Straftaten bedrohten Rechtsgüter.13« 25 b) Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt. 2. Die Regelung des § 138 im einzelnen 26 a) Abs. 1: Nur die hier genannten Straftaten - mit Ausnahme der §§ 129 a Abs. 3, 310 Abs. 1 Nr. 2 handelt es sich um Verbrechen - sind anzeigepflichtig. - Die Tat kann auch die Tat eines Schuldunfahigen sein. - Glaubhaft erfahren hat der Täter von der Tat, wenn diese ernstlich geplant oder schon ausgeführt wird und er selbst mit ihrer VerÜbung rechnet. Rechtzeitig ist die Anzeige an die Behörde oder den Bedrohten, wenn die Ausführung der Tat bzw. (bei Kenntniserlangung erst nach Beginn der Tat) der Erfolg der Tat noch abgewendet werden kann.139 - Abs. 1 setzt für das Unterlassen der Anzeige Vorsatz voraus. 27 b) Gemäß Abs. 2 wird die Strafbarkeit auf „das Vorhaben oder die Ausführung einer Straftat nach § 129 a" ausgedehnt. - Hier ist die Benachrichtigung der Behörde erforderlich. Die Tat erfordert Vorsatz. 28 c) Gemäß § 138 Abs. 3 wird auch das leichtfertige Unterlassen der Anzeige bestraft. 3. Entfallen der Anzeigepflicht 29 a) Nicht anzeigepflichtig ist der untaugliche Versuch einer der genannten Straftaten, da dieser keine Notsituation begründen kann. 30 b) Der von der Tat Bedrohte ist nur anzeigepflichtig, wenn sich die Tat auch noch gegen andere Personen richtet. Ist er allein Tatopfer, so verletzt er nicht das Vertrauen in die mitmenschliche Solidarität, wenn er keine Hilfe in Anspruch nimmt. 31 c) Nicht anzeigepflichtig sind die an der geplanten Tat als Täter oder Teilnehmer Beteiligten. Ihre Strafbarkeit ergibt sich aus dem Grade ihrer Tatbeteiligung. Diese jedoch begründet keine Pflicht zur Verhinderung der geplanten Tat.140
136
SCHROEDER
Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 9 ff, 32.
137 HANACK L K , § 1 3 8 R d n . 2; LACKNER/KÜHL § 1 3 8 R d n . 1; RUDOLPHI S K II, § 1 3 8 R d n . 2; SCHMID-
HÄUSER Bockelmann-FS, S. 688 ff. 1 3 8 K R E Y B . T . 1, R d n . 6 3 5 ; REGNER B . T . H, § 5 2 R d n . 1; TRÖNDLE/FISCHER § 1 3 8 R d n . 1.
139 Dazu BGHSt 42 S. 86 mit zust. Anm. LAGODNY JZ 1997 S. 48 f, OTTO JK 97, StGB § 138/2; RuDOLPHI Roxin-FS, S . 827 ff, und abl. bzw. diff. Anm. LOOS/WESTENDORF Jura 1998 S. 403 ff, OSTENDORF JZ 1997 S. 1107, PUPPE NStZ 1996 S. 597 f; HANACK LK, § 138 Rdn. 23; LACKNER/KÜHL § 138 Rdn. 5. - Für die ex ante am besten zur Erfolgsverhinderung geeignete Handlung: RUDOLPHI SK II, § 138 Rdn. 14. 1 4 0 H.M., a.A. bezüglich des Teilnehmers SCHMIDHÄUSER Bockelmann-FS, S. 683 ff, und sachlich auch JOERDEN Jura 1990 S. 636.
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Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität
§67
d) Nach Auffassung der Rechtsprechung war nicht nur der Tatbeteiligte, sondern auch der 32 nur Tatverdächtige von der Anzeigepflicht befreit.141 Diese Ansicht hat der BGH nunmehr dahin modifiziert, dass nur derjenige von der Anzeigepflicht befreit ist, der auch noch nach Abschluss der Beweisaufnahme der nicht angezeigten Tat verdächtig bleibt.142 Diese Auffassung wird dem Sachproblem nicht gerecht, denn dann müsste man dem 33 Anzeigepflichtigen fairerweise eine Frist bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Beweisaufnahme geben, weil erst dann seine Anzeigepflicht zweifelsfrei besteht bzw. nicht besteht. - Ein unsinniges Ergebnis! Auszugehen ist davon, dass die Anzeigepflicht grundsätzlich unabhängig von einem 34 etwaigen Verdacht der Tatbeteiligung besteht. Sodann ist zu differenzieren: Erweist sich der Verdacht der Tatbeteiligung im Laufe des Verfahrens als berechtigt, so haftet der Betroffene wegen seiner Beteiligung an der Tat. Wird der Verdacht der Tatbeteiligung ausgeräumt, so bleibt es bei der Verletzung der Anzeigepflicht nach § 138. Die Verletzung der Anzeigepflicht und die Tatbeteiligung stehen nämlich - vergleichbar der Teilnahme und Täterschaft - in einem normativen Stufenverhältnis.143 Sie erfassen einen Angriff auf die geschützten Rechtsgüter in unterschiedlicher Intensität. Das ist offensichtlich, wenn § 138 als Delikt gegen die durch die anzeigepflichtige Straftat bedrohten Rechtsgüter interpretiert wird. Gleiches gilt für die hier vertretene Auffassung, dass § 138 als Delikt gegen die mitmenschliche Solidarität angesehen wird. Grundlage dieser Solidarität ist nämlich das Vertrauen des einzelnen auf die Solidarität der anderen in existenzbedrohenden Situationen. Diesen Situationen wollen auch die Katalogtaten in § 138 wehren. Wird § 138 hingegen als Straftat gegen das Strafrecht oder als Delikt gegen die Rechtspflege und die durch die anzeigepflichtigen Straftaten geschützten Rechtsgüter angesehen, so ist die Annahme eines normativen Stufenverhältnisses ausgeschlossen. Auch eine Wahlfeststellung kommt nicht in Betracht, da der Unrechtskern nicht identisch ist. Von diesen Prämissen her erfordert der Grundsatz in dubio pro reo einen Freisprach. 4. Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten, §139 a) Ist die anzeigepflichtige Tat weder begangen noch versucht worden, so hat das Gericht 35 die Möglichkeit, von Strafe bei dem Anzeigepflichtigen abzusehen, § 139 Abs. 1. Ist die Tat versucht worden, aber wegen Rücktritts des Täters für diesen straffrei, so findet § 139 Abs. 1 auf den Anzeigepflichtigen keine Anwendung. b) Die Pflicht zur Anzeige entfällt nach § 139 Abs. 2 für Geistliche bei Mitteilungen, die 36 ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden sind. § 139 Abs. 2 enthält den vom Gesetzgeber geregelten Fall einer rechtfertigenden Pflichtenkollision und ist daher als Rechtfertigungsgrund anzusehen.144
141 Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1986 S. 794; TAG JR 1995 S. 133 ff. 142 vgl. BGHSt 36 S. 170. 143 V g l . d a z u HANACK L K , § 138 R d n . 7 4 f; JOERDEN J u r a 1990 S. 6 4 0 ; LACKNER/KÜHL § 138 R d n . 6; OTTO J K 87, S t G B § 138/1; RUDOLPH R o x i n - F S , S. 8 3 6 f. 144 S o a u c h HANACK L K , § 139 R d n . 13; LACKNER/KÜHL § 139 R d n . 2; RUDOLPHI S K II, § 139 R d n . 3;
TRÖNDLE/FISCHER § 139 Rdn. 4. - Für Tatbestandsausschluss: BLOY Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976, S. 135 Fn. 1; KIELWEIN GA 1955 S. 231; KREY B.T. 1, Rdn. 641; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 139 Rdn. 2.- Zum Begriff des Geistlichen: LING GA 2001
S. 3 2 5 ff.
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§68
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
37 c) Straffrei bleiben nach § 139 Abs. 3 S. 1 Angehörige des oder der Täter, wenn sie sich ernsthaft bemüht haben, den oder die Täter von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn, die geplante Tat ist: 1. ein Mord oder Totschlag, 2. ein Völkermord in den Fällen des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 oder 3. ein erpresserischer Menschenraub, § 239 a Abs. 1, eine Geiselnahme, § 239 b Abs. 1, oder ein Angriff auf den Luft- oder Seeverkehr, § 316 c Abs. 1, durch eine terroristische Vereinigung, § 129 a. - § 139 Abs. 3 S. 1 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.145 38 d) Unter den gleichen Voraussetzungen entfallt nach § 139 Abs. 3 S. 2 die Anzeigepflicht für Rechtsanwälte, Verteidiger und Arzte, soweit ihnen die Kenntnis von dem Verbrechen in ihrer Berufseigenschaft anvertraut worden ist. § 139 Abs. 3 S. 2 enthält einen Rechtfertigungsgrund; vgl. dazu Rdn. 36. 39 e) Pflichtwidrig handelt gemäß § 139 Abs. 4 S. 1 deijenige nicht, der die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet. Auch wenn das Gesetz nur die Straffreiheit des Täters feststellt, liegt hier ein Ausschluss des Tatbestandes vor, da der Täter seiner mitmenschlichen Pflicht nachgekommen ist.146 40 f) Straffrei bleibt schließlich gemäß § 139 Abs. 4 S. 2 der Anzeigepflichtige, der sich ernsthaft bemüht hat, den Erfolg abzuwenden, wenn die Ausführung der Tat oder der Erfolg ohne sein Zutun unterbleiben. § 139 Abs. 4 S. 2 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.
§ 68 Zur Wiederholung 1 1. Durch welche Delikte wird der äußere Frieden als überstaatliches Rechtsgut geschützt? - Dazu § 62. 2. Kann sogen, passive Gewalt, z.B. ein Sitzstreik, als „Gewalttätigkeit" i.S. des § 125 angesehen werden? Dazu § 63 Rdn. 5. 3. Wann ist die öffentliche Sicherheit i.S. des § 125 gefährdet? - Dazu § 63 Rdn. 7. 4. Setzt § 140 voraus, dass der Täter der belohnten oder gebilligten Tat schuldhaft gehandelt hat? - Dazu § 63 Rdn. 40,43. 5. Was ist das ,3erichterstatterprivileg"? - Dazu § 63 Rdn. 58 f. 6. 7. 8. 9.
Wie sind die sog. Delikte gegen das Pietätsempfinden genauer zu bezeichnen? - Dazu § 64 Rdn. 1. Wie wird Wegnahme i.S. des § 168 definiert? - Dazu § 64 Rdn. 13. Welches Rechtsgut schützt § 173? - Dazu § 65 Rdn. 13. In welchen Fällen ist § 173 anwendbar? a) A verkehrt mit der nichtehelichen Tochter seiner Frau geschlechtlich. b) A verkehrt mit seiner Stiefschwester geschlechtlich. c) A verkehrt mit der in der Ehe geborenen Tochter seiner Ehefrau, deren Ehelichkeit er nicht angefochten hat, geschlechtlich. - Dazu § 65 Rdn. 13.
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S o a u c h LACKNER/KÜHL § 139 R d n . 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 9 8 R d n . 2 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 139 R d n . 6. - F ü r E n t s c h u l d i g u n g s g r u n d z.B.: GEILEN J u S 1965 S. 4 3 1 f; HANACK L K , § 139 R d n . 2 3 ; KREY B . T . 1, R d n . 6 4 2 ; RUDOLPHI S K II, § 139 R d n . 6; SCH/SCH/STERNBERGLIEBEN§ 139 R d n . 4.
So auch im Ergebnis: BLOY Die dogmatische Bedeutung, S. 135 ff; RUDOLPHI SK n, § 139 Rdn. 16; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 139 Rdn. 6. - A.A. Persönlicher Strafaufhebungsgrund: HANACK LK, § 139 R d n . 37; LACKNER/KÜHL § 139 R d n . 4.
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Zur Wiederholung
§68
10. Macht sich ein im Inland lebender Ausländer oder Deutscher, der sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht, nach § 170 strafbar? - Welches ist der entscheidende Gesichtspunkt. - Dazu § 65 Rdn. 20. 11. Welche Angriffsrichtungen sind innerhalb der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu unterscheiden? - Dazu § 66 Rdn. 3. 12. Was ist eine „sexuelle Handlung"? - Dazu § 66 Rdn. 5 f. 13. Kann ein Schutzbefohlener i.S. des § 174 strafbar zum sexuellen Missbrauch anstiften? - Dazu § 66 Rdn. 32. 14. Welche Restriktion des Begriffs der sexuellen Handlung i.S. des § 182 StGB wird diskutiert? - Dazu § 66 Rdn. 68. 15. Wann ist ein öffentliches Ärgernis i.S. des § 183 erregt? - Dazu § 66 Rdn. 82 f. 16. Was sind Delikte gegen die „mitmenschliche Solidarität"? - Dazu § 67 Rdn. 1. 17. Ist die Suizidsituation ein Unglücksfall i.S. des § 323 c? - Dazu § 67 Rdn. 5. 18. Begründet § 323 c eine Garantenstellung? - Dazu § 67 Rdn. 15.
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§69
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Vierter Abschnitt Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs § 69 Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Geschütztes Rechtsgut der Urkundendelikte ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Beweisverkehrs mit Urkunden und beweiserheblichen Daten. Für den Schutz der individuellen Dispositionsfreiheit vor manipulierten Beweismitteln: HOYER SK II, Vor § 2 6 7 R d n . 12; PUPPE B G H - F G , S. 5 6 9 f f ; DIES. N K , § 2 6 7 R d n . 6 ff.
2. Die Schutzrichtung 2 Der Gesetzgeber hat vier verschiedene Arten des Angriffs auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs in den Urkundendelikten verpönt: a) Den Angriff gegen die Echtheit der Urkunde, §§ 267, 275, 276, 276 a, 277, 2. und 3. Alt., 279 in Verbindung mit § 277, und beweiserheblicher Daten, § 269. - Relevant ist hier, ob der angegebene Aussteller auch der wirkliche ist. b) Den Angriff gegen die inhaltliche Wahrheit der Urkunde, §§271, 276, 276 a, 277, 1. Alt., 279 in Verbindung mit §§ 277, 278, 348 Abs. 1, und der in öffentlichen Dateien gespeicherten Daten, §§ 271, 348 Abs. 1. - Relevant ist hier, ob der Inhalt der Urkunde oder der Daten sachlich richtig ist. c) Den Angriff gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels: §§ 273, 274. - Relevant ist hier der körperliche Fortbestand des Objekts als Beweismittel. d) Den Angriff gegen die bestimmungsgemäße Verwendung des Beweismittels: § 281. 3 Diese starke Differenzierung der strafbaren Angriffsweisen, die zugleich eine scharfe Begrenzung der jeweiligen Schutzbereiche zur Folge hat, begründet die grundsätzliche Problematik der Urkundendelikte, die letztlich auch im Streit um den „richtigen" Urkundenbegriff zum Vorschein kommt: Überall dort, wo der gewährte Schutz als unzureichend empfunden wird, liegt der Versuch nahe, durch Umdeutung der Schutzrichtung den Schutzbereich auszudehnen.
§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 1. Der Begriff der Urkunde a) Strukturelemente des Urkundenbegriffs 1 Der Urkundenbegriff muss drei Funktionen gerecht werden: aa) In der Urkunde ist eine menschliche Gedankenerklärung verkörpert (Perpetuierungsfunktion). bb) Der Gedankenerklärung kommt Rechtserheblichkeit zu (Beweisfunktion), cc) Die Urkunde muss erkennen lassen, wer für die Erklärung einzustehen hat (Garantiefunktion). 380
§70
Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
b) Die verschiedenen Urkundenbegriffe Trotz einheitlicher Anerkennung der drei Funktionen werden für den Urkundenbegriff unterschiedliche Konsequenzen gezogen. aa) Die h.M. vertritt den weitesten Urkundenbegriff: Urkunden sind sinnlich wahrnehmbare Gegenstände der Außenwelt, die nach Gesetz, Herkommen oder Vereinbarung der Beteiligten dazu bestimmt und geeignet sind, über ihr körperliches Dasein hinaus eine Gedankenäußerung des Urhebers darzustellen und fiir bestimmte rechtliche Beziehungen Beweis zu erbringen, und ihren Aussteller erkennen lassen.1 bb) Die Mindermeinung in der Lehre beschränkt den Urkundenbegriff auf Schriftstücke: Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche und zum Beweis geeignete und bestimmte Erklärung eines bestimmten Ausstellers verkörpert.2 cc) Einen gegenüber der h.M. engeren, gegenüber der Mindermeinung aber weiteren Urkundenbegriff vertritt KIENAPFEL: Urkunden sind schriftlich verkörperte Erklärungen, die ihren Aussteller erkennbar machen.3
2 3
4 5
c) Stellungnahme aa) Die verkörperte Gedankenerklärung In der Urkunde muss die Kundgabe eines Gedankeninhalts mit einer körperlichen Sache 6 fest verbunden sein. Die Beweiskraft der Urkunde beruht nämlich auf ihrem Inhalt, nicht auf einem bestimmten So-Sein des Objektes im Gegensatz zum So-Sein anderer Objekte. Die Urkunde ist selbst nur Mittel zu einer Beweisführung durch eine verkörperte Gedankenerklärung. Ein rechtsverbindlicher Erklärungswille ist nicht erforderlich, es genügt, dass sich der Erklärende bewusst ist, dass er einen Gedanken äußert und ihn zur Kenntnisnahme anderer körperlich fixiert.4 (1.) Die Erklärung selbst muss optisch-visuell erkennbar sein. Aufzeichnungen auf Ton- 7 trägem sind daher keine Urkunden.5 (2.) Bloße Augenscheinsobjekte - Blutflecke, Einschüsse, Fingerabdrücke - und technische Aufzeichnungen - Fahrtenschreiberdiagramme -, die durch ihr So-Sein Beweis erbringen, sind keine Urkunden, da sie keine Gedankenerklärung verkörpern. Das gleiche gilt von Blanketten oder Formularen, die erst durch Ausfüllen eine bestimmte Gedankenerklärung erhalten.6 1
Dazu RGSt 6 S. 290; 64 S. 49; BGHSt 18 S. 70; ARZT/WEBER, B. T., § 31 Rdn. 1; ESER IV, Nr. 19 A 9; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 4 ; KREYB.T. 1, R d n . 6 7 9 f f ; KÜPER B . T . S. 2 9 1 ; KÜPPER B . T . , N § 1 R d n . 3; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 2; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 2 ; TRONDLE/RSCHER § 2 6 7 R d n . 2;
WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 790. 2
Dazu BINDING B.T. II 1, S. 170; SAMSON Urkunden und Beweiszeichen, 1968, S. 94 ff; DERS. JUS 1970
S. 372; SCHILLING Der strafrechtliche Schutz des Augenscheinsbeweises, 1965, S. 86; DERS. Reform der Urkundenverbrechen, 1971, S. 70 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 14/10; WELZEL Lb., § 59 H 1.
3
Dazu KIENAPFEL ZStW 82 (1970) S. 367 ff; DERS. GA 1970 S. 193 ff; DERS. Maurach-FS, S. 440; DERS. JZ 1972 S. 396 f; vgl. auch PUPPE Jura 1979 S. 636; DIES. NK, § 267 Rdn. 16.
4 5
D a z u GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 1 8 , 2 2 ; PUPPE Jura 1979 S. 6 3 6 f; SAMSON J A 1979 S. 5 2 9 . So a u c h
GERSTENBERG N J W
1956 S. 5 4 0 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7
R d n . 6; SIEBER
Compu-
terkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 284 und Nachtrag 2/22; WESSELS/HETTINGER B.T./l, R d n . 794. - A . A . z.B.: ARMIN KAUFMANN Z S t W 71 (1959) S. 4 1 6 .
6
Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 625; LG Berlin wistra 1985 S. 242 f. 381
§70
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
(3.) Keine Urkunden sind sog. Kennzeichen, d.h. Zeichen, die lediglich der Unterscheidbarkeit, der Kennzeichnung, der Herkunfts- oder Eigentumsbezeichnung dienen. Hingegen sollen sog. Beweiszeichen nach h.M. Urkundenqualität haben. Als bloße Kennzeichen sollen anzusehen sein: Spielchips in einem Spielcasino (RGSt 55 S. 98); der Dienststempelabdruck in der Diensthose als Eigentümerzeichen (RG GA 77 (1933) S. 202); der Waldhammerschlag als Eigentumszeichen (RGSt 25 S. 244); Fabriknummer auf Industrieerzeugnissen (RG GA 59 (1912) S. 352); Autogramm (RGSt 23 S. 214), Verkehrszeichen (OLG Köln NJW 1999 S. 1042 mit Anm. GEPPERT JK 99, StGB § 267/27, WRAGE NStZ 2000 S. 32 f). Hingegen hat die Rechtsprechung als Beweiszeichen angesehen: Färb-, Grenz-, Kerb-, Pfahl-, Pfand-, Prägeund Sperrzeichen, z.B. Merkzeichen auf Bierfilzen (RG DStR 1919 S. 77), Eichstempel an der Waage (RGSt 56 S. 355); Waldhammerschlag, der Eigentumsübergang kennzeichnen sollte (RGSt 14 S. 180); Korkbrand (BGHSt 9 S. 238); Fahrgestell-, Motornummer und amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen7. TÜVPlakette (OLG Celle VRS 82 (1992) S. 29); Künstlerzeichen auf einem Bild (OLG Frankfurt NJW 1970 S. 673; LÖFFLER NJW 1993 S. 1423 f); Preisetiketten an einer Ware (OLG Köln NJW 1979 S. 729; OLG Düsseldorf NJW 1982 S. 2268).
8 Trotz jahrelanger Bemühungen ist der Rechtsprechung eine überzeugende Abgrenzung zwischen Kennzeichen und Beweiszeichen nicht gelungen: „Für das Pygmäenvolk der Beweiszeichen, der Kennzeichen, der Identitäts- und Unterscheidungszeichen wurden Abscheidungskriterien, die im einzelnen Fall überzeugende Ergebnisse liefern, nicht gefunden ..."8. Diese Abgrenzung kann auch nicht gelingen, denn in Wirklichkeit fehlt es den Beweiszeichen genau wie den Kennzeichen an einer in dem Zeichen selbst verkörperten Gedankenerklärung, durch die die Beweisführung ermöglicht wird. Die Beweisführung erfolgt vielmehr aufgrund der Tatsache, dass das Zeichen einem bestimmten Gegenstand eine andere Beschaffenheit verleiht als einem Gegenstand mit einem anderen Zeichen. Damit wird aber offensichtlich, dass die h.M. sich mit der Anerkennung der Beweiszeichen als Urkunde zu ihren eigenen Prämissen in Widerspruch setzt. Prägnant und zutreffend hat das Reichsgericht dies zum Ausdruck gebracht: ..."immer aber muss ein Gegenstand, wenn er als Urkunde angesehen werden soll, durch seinen gedanklichen Inhalt als Erklärung einer Person zum Beweis für rechtserhebliche Tatsachen in Betracht kommen. Sachen, die lediglich ihr Dasein und ihre sichtbaren Eigenschaften beweisen, sind keine Urkunden, sondern lediglich Augenscheinsgegenstände"9. 9 (4.) Für das Erfordernis der verkörperten Gedankenerklärung folgt daraus: Der Erklärende kann sich einer Fremdsprache bedienen, Stenographie oder eine „Geheimschrift" benutzen, wenn und solange der Inhalt der Erklärung noch aus sich heraus oder mit den üblichen Mitteln der Auslegung einer Erklärung verständlich ist: Stets aber muss es sich um eine schriftliche Gedankenerklärung handeln. Bloße, in ihrer Bedeutung willkürlich, ohne jede Änderung ihrer Gestalt austauschbare Zeichen enthalten keine zum Urkundenbeweis fähige Gedankenerklärung. Es sind Zeichen, denen unter Eingeweihten eine bestimmte Bedeutung zukommt, die jederzeit ausgetauscht werden kann, ohne dass das Zeichen verändert wird. Das aber ist mit dem Erfordernis einer im Gegenstand verkörperten Gedankenerklärung nicht vereinbar.10 7
BGHSt 16 S. 94. - Danach ist das Ändern des Kennzeichens ein Verfälschen einer Urkunde, nicht aber das Auftragen reflektierender Mittel; vgl. BGHSt 45 S. 197 mit Anm. KRACK NStZ 2000 S. 423 ff, KUDLICH JZ 2000 S. 426 f.
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TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 69. - Dazu auch JAKOBS Urkundenfälschung, 2000, S. 46 Fn. 81. RGSt 55 S. 98. Dazu eingehender OTTO JUS 1987 S. 762 f.
Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
§70
bb) Der Aussteller einer Urkunde Die Urkunde muss von einem bestimmten Aussteller, ihrem „Urheber", herrühren. Aussteller ist nach der heute herrschenden sog. Geistigkeitstheorie derjenige, von dem die Erklärung geistig herrührt, nicht aber derjenige, der sie körperlich hergestellt hat, wie es die sog. Körperlichkeitstheorie forderte.11 Wie TRÖNDLE jedoch darlegt, ist auch nach Auffassung der Vertreter der Geistigkeitstheorie als Aussteller nicht der gemeint, „auf den etwa die Erklärung in ihrer sprachlichen Gestalt oder als geistig-schöpferische Idee zurückgeht, sonst wären Aussteller von Urkunden, die mit rechtskundiger Hilfe zustande gekommen sind, die beteiligten Anwälte oder Notare"12. - Auch derjenige, der durch Täuschung zur Unterschrift veranlasst wurde, steht keineswegs geistig hinter der Erklärung oder fühlt sich an diese gebunden. Zivilrechtlich wird ihm die Erklärung, wenn die Täuschung nicht so weit ging, dass der Unterzeichnende überhaupt keinen Erklärungswillen hatte, aber noch als eigene zugerechnet. An dieser Zurechnung sollte auch das Strafrecht festhalten. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass Aussteller derjenige ist, der sich die Erklärung - nach außerstrafrechtlichen Normen - rechtlich zurechnen lassen muss. Die sog. Geistigkeitstheorie ist ihrem Wesen nach daher eine Zurechnungstheorie.13 Allerdings führt die unbegrenzte Übertragung zivilrechtlicher Zurechnungsgrundsätze zu einer bedenklichen Begrenzung des Strafrechtsschutzes, denn auch derjenige, der sich kraft Rechtsscheins eine Erklärung zurechnen lassen muss, wäre hiernach noch als Aussteller anzusehen. Es ist aber etwas anderes, ob jemand eine Urkunde selbst herstellt oder aber ob er einen Rechtsschein setzt, der es ihm später unmöglich macht, sich einer bestimmten, in einer Urkunde benannten Verpflichtung zu entziehen.14 Zutreffend erreicht die h.M. die hier nötige Begrenzung durch die Aufstellung der weiteren Rechtssicherheitserfordernisse, dass eine Zurechnung nur dann stattfindet, wenn (1) Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung nicht rechtlich vorgeschrieben ist, (2) der Namensträger sich vertreten lassen und (3) der Unterzeichner den Namensträger vertreten will.15 Daraus folgt, dass - entgegen zivilrechtlicher Zurechnung - eine Urkundenfälschung vorliegt, wenn der „Vertreter" zwar mit Wissen des „Vertretenen" handelt, dieser sich aber nicht zu der Erklärung bekennen, sondern eine Fälschung behaupten will.16
11
Vgl. RGSt 22 S. 379; 75 S. 47; BGHSt 13 S. 385; BayObLG NJW 1981 S. 773; ARZT/WEBER, B.T., § 31 R d n . 15 f f ; GRIBBOHM L K , § 267 R d n . 29; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 14; RHEINECK Fälschungs-
begriff und Geistigkeitstheorie, 1979, S. 38 ff, 53 ff; SAMSON JUS 1970 S. 375; SCH/SCH/CRAMER § 267 Rdn. 16, 55; WESSELS/HETTINGER B.T./1, Rdn. 801. - Kritisch: STEINMETZ Der Echtheitsbegriff
im Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), 1991, S. 50 ff. 12
TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 17.
13
Vgl. auch OTTO J R 1990 S. 2 5 2 ff; PAEFFGEN J R 1986 S. 114 ff; PUPPE Jura 1979 S. 6 3 7 ff; DIES. J R 1981 S. 4 4 1 ff; DIES. N K , § 267 R d n . 61; SCHROEDERGA 1974 S. 230; ZIELINSKI wistra 1994 S. 4.
14
Gegen eine Begrenzung PUPPE Jura 1986 S. 25 Fn. 10; DIES. JuS 1989 S. 361. - Grundsätzlich bindet den Urkundenbegriff an die ziviliechtliche Zurechnung: ENNUSCHAT Der Einfluss des Zivilrechts auf die strafrechtliche Begriffsbestimmung am Beispiel der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB, 1998. Vgl. BGHSt 33 S. 161 f; BayObLG NJW 1989 S. 2142; GRIBBOHM LK, § 267 Rdn. 33; MAU-
15
RACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 65 R d n . 5 0 f; WESSELS/HETTINGER B.T./1, R d n . 829.
16
Vgl. RGSt 76 S. 126; BayObLG NJW 1988 S. 1401 mit abl. Anm. PUPPE JZ 1991 S. 449; GRIBBOHM LK, § 267 Rdn. 36; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 65 Rdn. 51. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 1872 mit abl. Anm. OTTO JK 93, StGB, § 267/18; PUPPE NK, § 267 Rdn. 64.
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Irrelevant ist es hingegen, dass die hergestellte Urkunde aufgrund ihres Inhalts zur Täuschung im Rechtsverkehr benutzt werden soll, wenn die als Aussteller ersichtliche Person sich als Aussteller bekennen will und Eigenhändigkeit der Unterschrift nicht vorgeschrieben ist. 17 Vertreten in diesem Sinne aber kann nur heißen: bei der Unterschrift tatsächlich vertreten, nicht aber: rechtswirksame Verpflichtungen oder Berechtigungen für den Vertretenen herbeiführen. Das, was für den unmittelbar Handelnden keine Urkundenfälschung ist, kann auch für denjenigen keine Urkundenfälschung sein, der einen anderen mit dessen Wissen bei der Unterschriftsleistung vertritt, wenn der „Vertretene" sich zu der Unterschrift als seiner bekennen will und nicht Eigenhändigkeit rechtlich vorgeschrieben ist. cc) Die Erkennbarkeit des Ausstellers Der Urkunde muss - sei es auch wiederum im Wege der Auslegung ihres Textes - der Aussteller entnehmbar sein als eine konkrete, zumindest aber konkretisierbare Person, von der die Erklärung herrührt. Aus der Urkunde erkennbar ist der Aussteller stets dann, wenn sie vom Aussteller unterzeichnet oder der Aussteller im Text der Urkunde benannt ist. Anonyme Gedankenerklärungen sind keine Urkunden. Das ist eindeutig im Fall der offenen Anonymität. Hier will der Erklärende gerade den Zusammenhang mit seiner Person verbergen. Er will verheimlichen, dass er hinter der Erklärung steht, gleichgültig ob die Erklärung überhaupt nicht unterschrieben ist, einen Phantasienamen oder ähnliches enthält, z.B. Christoph Kolumbus. - Gleiches gilt für die versteckte Anonymität, d.h. wenn der Urheber trotz namentlicher Unterzeichnung nicht auf eine bestimmte Person als den Erklärenden hinweisen will, z.B. bei der Unterzeichnung mit einem Allerweltsnamen ohne jeden Zusatz. - Will der Urheber sich hingegen hinter dem Allerweltsnamen verbergen, dem Erklärungsadressaten gegenüber aber vortäuschen, dass eine ganz bestimmte Person diese Erklärung abgegeben habe, so liegt kein Fall einer Anonymität vor.18 dd) Die Beweiseignung Das von der h.M. geforderte Merkmal der Beweiseignung der Urkunde ist für die Rechtspraxis bedeutungslos. Das Merkmal selbst ist letztlich konturen- und inhaltslos geblieben. Zutreffend hat bereits das Reichsgericht dargelegt, dass „unter den leblosen Gegenständen auf der Erde kein einziger existiert, der nicht u.U. beweisfähig (beweisgeeignet) für irgendeine Tatsache sein könnte"19. ee) Die Beweisbestimmung Überflüssig ist auch das Merkmal der Beweisbestimmung als selbständiges Element des Urkundenbegriffes. Da es nach h. M. nicht darauf ankommen soll, ob der Aussteller der Gedankenerklärung die Beweisbestimmung gibt oder ein Dritter, ist es zur Differenzierung zwischen Urkunden und bloßen Urkundenentwürfen o.ä. untauglich. Der Entwurf kann von einem Dritten durchaus zum Beweis bestimmt werden. In gleicher Weise untauglich ist dieses Merkmal zur Begründung der Gleichstellung von Absichtsurkunden (Urkunde erhält die Beweisbestimmung bei der Anfertigung durch den Aussteller) und Zufallsurkunden (Beweisbestimmung erfolgt erst später, sei es durch 17
A . A . B a y O b L G J R 1990 S. 2 5 1 m i t abl. A n m . OTTO S. 2 5 2 f f , PUPPE J Z 1 9 9 1 S. 4 5 0 .
18
D a z u B G H S t 5 S. 151; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 59; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 14; SEIER J A 1979 S. 135.
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RGSt 17 S. 105. - Dazu FREUND Urkundenstraftaten, 1996, Rdn. 101; KIENAPFEL Urkunden im Strafrecht, 1967, S. 215 f, 311; PUPPE JZ 1986 S. 938; TRÖNDLELK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 66.
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den Aussteller oder Dritte). Warum die Beweisbestimmung durch den Aussteller der durch einen Dritten gleichgestellt wird, ist dem Merkmal gerade nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, das Merkmal verdeckt, dass aufgrund der Beweisbestimmung ganz verschiedener Personen unterschiedliche Sachverhalte bedenkenlos gleich behandelt werden.20 Relevanz kommt der Beweisbestimmung nur in einer Beziehung zu, nämlich insoweit, 22 als das Merkmal darauf hinweist, dass die Urkunde für den Rechtsverkehr bestimmt ist. Dieses Element ist jedoch mit dem Erfordernis der Rechtserheblichkeit des Urkundeninhalts hinreichend erfasst. ff) Die Rechtserheblichkeit der Erklärung Neben der Beweisbestimmung hat das Merkmal der Rechtserheblichkeit der Erklärung in 23 der Praxis selten eigenständige Bedeutung erlangt. Überflüssig ist es dennoch nicht. Zum einen weist es auf die Einheitlichkeit des Urkundenbegriffs in § 267 und in § 271 hin, zum anderen ist es geeignet, jene Erklärungen aus dem Urkundenschutz herauszunehmen, denen zumindest jetzt keinerlei Rechtserheblichkeit mehr zukommt, d) Konsequenzen für den Urkundenbegriff Eine Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche Erklärung eines bestimmten 24 Ausstellers verkörpert. 2. Besondere Formen strafrechtlich geschützter Urkunden a) Die Gesamturkunde Eine Gesamturkunde liegt vor, wenn mehrere einzelne Urkunden oder Schriftstücke zu 25 einem einheitlichen Ganzen (Bogen, Buch, Akteneinheit) vereinigt werden derart, dass eine neue rechtserhebliche Erklärung entsteht, deren Inhalt (Aussage) über den der Einzelteile hinausgeht. - In der Regel wird es der Inhalt der Gesamterklärung sein, dass die Einzelerklärungen erschöpfend über bestimmte Rechtsverhältnisse Auskunft geben.21 Beispiele: Handelsbücher (RGSt 69 S. 398); Posteinlieferungsbuch (RG LZ 1931 Sp. 259); Bierlieferungsbuch (RGSt 51 S. 38); Melderegister bei Meldebehörden (BGH LM Nr. 19 zu § 267); Personalakte (OLG Düsseldorf NStZ 1981 S. 25 f).
b) Die zusammengesetzte Urkunde Eine zusammengesetzte Urkunde liegt vor, wenn eine Urkunde mit einem Augenscheins- 26 objekt, auf das sich ihre Erklärung inhaltlich bezieht, räumlich fest zu einer „Beweiseinheit" verbunden ist. Beispiele: Lichtbildausweis (BGHSt 17 S. 97); beglaubigte Abschriften und beglaubigte Fotokopien.
c) Durchschriften Mehrere Ausfertigungen derselben Urkunde, Durchschriften und Hektographien sind selb- 27 ständige Urkunden.22 d) Abschriften und als Reproduktionen erkennbare Wiedergaben Abschriften und Fotokopien, die als solche erkennbar sind, unterfallen nicht dem Ur- 28 kundenbegriff, weil der Aussteller der Urschrift für die Richtigkeit der Wiedergabe nicht einzustehen hat und auch keine andere Person als Aussteller erscheint.23 20 21
Dazu PUPPE Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972, S. 125 f; DIES. NK, § 267 Rdn. 12 ff. Dazu m.N. KÜPER B.T., S. 297 f. - Kritisch gegenüber der Konstruktion der Gesamturkunde: HOYER
22
Vgl. GEPPERT J u r a 1990 S. 2 7 1 f f ; KÜPER B.T., S. 295; WELP Stree/Wessels-FS, S. 5 1 6 f f .
23
Vgl. BGHSt 24 S. 140 f; BGH StV 1993 S. 524; BayObLG NJW 1990 S. 3221; BayObLG NJW 1992
S K ü , § 2 6 7 R d n . 77 f f ; LAMPE G A 1964 S. 3 2 3 f f ; PUPPE N K , § 2 6 7 R d n . 4 0 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
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Allerdings soll nach der Rechtsprechung die Vorlage der Kopie ein Gebrauchmachen von der falschen Urkunde sein, von der die Kopie gefertigt wurde. Das soll selbst dann gelten, wenn die Vorlage der Kopie durch Aufeinanderkleben von Unterschrift und Text selbst niemals zur Täuschung geeignet war, weil jedermann sofort erkennen konnte, dass hier keine einheitliche Urkunde vorlag, sondern eine Unterschrift auf einen bestimmten Text geklebt worden ist.24 Beim bloßen Aufeinanderlegen von Text und Unterschrift fehlt es allerdings an einer verkörperten Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen lässt. Es fehlt daher an einem Original der Urkunde, von dem durch Benutzung der Fotokopie Gebrauch gemacht sein könnte. Hier lehnt auch die Rechtsprechung ein Gebrauchmachen beim Benutzen der Kopie ab.25
e) Fernkopien im Telefaxverfahren 29 Fernkopien im Telefaxverfahren entsprechen in ihrer rechtlichen Einordnung den Fotokopien. Sie sind keine Urkunden.26 f) Als Reproduktion nicht erkennbare Fotokopie u.ä. 30 Wird eine Reproduktion einer Urkunde angefertigt, die den Anschein einer Originalurkunde erweckt, so enthält das Schriftstück keine Aussage über das, was in einem anderen Schriftstück enthalten ist, sondern es wird der Anschein erweckt, dass hier eine eigene Erklärung des angeblichen Ausstellers vorliegt, für die dieser einstehen wolle. Damit liegt eine unechte Urkunde vor.27 g) Computerausdrucke 31 Computerausdrucke, denen der Aussteller zu entnehmen ist und die vom Aussteller autorisiert wurden, sind Urkunden, wenn sie eine rechtserhebliche Erklärung enthalten.2»
S. 3311; OLG Dresden wistra 2001 S. 360; ERB GA 1998 S. 577 ff; GRIBBOHM LK, § 267 Rdn. 105, 111; KÜPER B . T . , S. 2 9 5 f f ; RENGIER B . T . II, § 3 2 R d n . 2 5 f f ; ZACZYK N J W 1 9 8 9 S. 2 5 1 6 . - A . A .
FREUND Urkundenstraftaten, Rdn. 127; GEPPERT Jura 1990 S. 273 f; MLTSCH NStZ 1994 S. 88 f; PUPPE N K , § 2 6 7 R d n . 2 0 f f ; DIES. B G H - F G , S. 5 7 6 f f ; SCHRÖDER J R 1971 S. 4 6 9 .
24
Vgl. BGHSt 5 S. 291; BGH NStZ 1994 S. 88; BayObLG NJW 1991 S. 2163; OLG Düsseldorf JR 2001 S. 82 mit Anm. ERB NStZ 2001 S. 317 f, WOHLERS JR 2001 S. 83 f; FREUND NStZ 2001 S. 234 ff; ein-
schränkend BGHSt 20 S. 17. - Dagegen mit Recht ablehnend: ERB GA 1998 S. 590 f; HOYER SK II, §
2 6 7 R d n . 88; JESCHECK G A 1 9 5 5 S . 105; KÜPER B.T., S . 3 0 4 f; D . MEYER M D R 1 9 7 3 S. 9 f f ; OTTO
JuS 1987 S. 768; PUPPE BGH-FG, S. 576. - Im Ergebnis auch BayObLG NJW 1992 S. 3311 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 267/16, das der Vorlage für eine Kopie, die nur zum Kopieren geschaffen wurde, die Urkundenqualität abspricht. 25
BGH bei Holtz, MDR 1976 S. 813; OLG Düsseldorf NJW 2001 S. 167 mit Anm. PUPPE NStZ 2001 S. f. Vgl. auch OLG Zweibrücken NJW 1998 S. 2918 mit Anm. BECKEMPER JuS 2000 S. 123 ff, GEPPERT
482
26
JK 99, StGB § 267/25; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 65 Rdn. 39; TRÖNDLE/FISCHER § 267 Rdn. 12 b; WESSELS/HETTINGER B.T./1, Rdn. 811. - A.A. FREUND Urkundenstraftaten, Rdn. 127; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 123; HARDTUNG J u S 1 9 9 8 S. 7 2 2 ; HOYER S K H § 2 6 7 R d n . 2 1 f; PUPPE
NK, § 267 Rdn. 20 ff. 27
Vgl. OLG Zweibrücken NJW 1982 S. 2268; OLG Köln StV 1987 S. 297; BayObLG JZ 1988 S. 727; BayObLG NJW 1992 S. 3311 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 267/16; HEFENDEHL Jura 1992 S. 375; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 16; ZACZYK N J W 1 9 8 9 S. 2 5 1 5 .
28
D a z u HEINRICH C R 1997 S. 6 2 6 ; KÜPER B . T . , S. 2 9 9 ; WELP S t r e e / W e s s e l s - F S , S. 5 1 9 ; ZIELINSKI A r -
min Kaufmann-GedS, S. 605 ff, 627. - Zur Urkundenfälschung mittels Scanner und Bildbearbeitung in einem PC: BGH wistra 1999 S. 423.
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3. Die unechte Urkunde Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von dem herrührt, der aus ihr als Aussteller 32 hervorgeht. Auf die inhaltliche Wahrheit oder Unwahrheit der Erklärung kommt es hingegen nicht an. Wer „schriftlich lügt", stellt keine unechte, sondern eine echte, aber unwahre Urkunde her. 4. Die einzelnen Tathandlungen Der Tatbestand unterscheidet drei Alternativen: Das Herstellen einer unechten Urkunde (1. Alternative), das Verfälschen einer echten Urkunde (2. Alternative) und das Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde (3. Alternative). Diese Tathandlungen setzen jeweils voraus, dass der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt, a) Herstellen einer unechten Urkunde Eine unechte Urkunde stellt her, wer den Anschein erweckt, dass sie von einer anderen Person als dem wirklichen Aussteller herrührt, aa) Vertretung bei der Unterzeichnimg Wie bei der Bestimmung des Ausstellers der Urkunde klargestellt wurde, ist Aussteller der Urkunde nicht deijenige, der sie körperlich herstellt, sondern deijenige, dem sie als Aussteller - unter bestimmten Voraussetzungen; vgl. dazu Rdn. 10 ff - zugerechnet wird. Bei der Abgabe unwahrer Erklärungen durch einen Vertreter im Sinne des Urkundenstrafrechts ist danach entscheidend dafür, ob eine unechte Urkunde hergestellt wird oder nicht, wie weit dem Vertretenen - nach den unter Rdn. 10 ff genannten Kriterien - die Erklärung als eigene zugerechnet wird..
33
34 35 36
BayObLG NJW 1981 S. 774: A hatte vor Antritt der Fahrt mit dem Kraftfahrzeug die Diagrammscheibe des Fahrtenschreibers mit dem erfundenen Namen „S" ausgefüllt, um bei einer eventuellen Kontrolle eine Lenkzeitüberschreitung zu verheimlichen. BayObLG: A hat eine unechte Urkunde hergestellt, wenn er die Eintragung ohne Einwilligung des Fahrzeughalters vorgenommen hat. „... Dann kann dem Halter die Erklärung im Sinne der Geistigkeitstheorie nicht zugerechnet werden, was zur Unechtheit der Urkunde führt. Bei solcher Fallgestaltung wird der Halter als Aussteller vorgetäuscht, während die Urkunde in Wirklichkeit in dieser Form vom Angeklagten herrührt, so dass eine Täuschung über die Person des Ausstellers als dem geistigen Urheber der Erklärung vorliegt".
Dass es in diesen Fällen darauf ankommt, wie weit der unmittelbar Handelnde zur Abgabe 37 von Erklärungen ermächtigt ist, und insbesondere, ob seine Ermächtigung auch die Abgabe unwahrer Erklärungen umfasst, ist in der Rechtsprechung nicht immer deutlich genug herausgearbeitet worden. In vielen Entscheidungen wird der Eindruck erweckt, als komme es nur darauf an, ob eine Urkundenfälschung vorläge, wenn der Vertretene selbst gehandelt hätte.29 In anderen Entscheidungen stellen die Gerichte nicht die Frage, wer sich als Aussteller 38 zu der Erklärung bekennen will und soll, sondern stellen darauf ab, ob der „Vertreter" eine rechtswirksame Erklärung für den „Vertretenen" abgegeben hat. BayObLG JR 1990 S. 251 mit Anm. OTTO S. 252 ff: Der A unterschrieb eine Lohnbescheinigung mit Kenntnis und Billigung der Ehefrau mit ihrem Namen, um dem Finanzamt eine Aushilfstätigkeit seiner Ehe-
29
Vgl. KG VRS 57 S. 121 mit Anm. GEILEN JK, StGB § 267/3; OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1223; dazu OTTO JUS 1987 S. 764 f; PUPPE JZ 1986 S. 943; deutlich differenzierend wiederum BayObLG NJW 1988 S. 1401 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 267/11, PUPPE JUS 1989 S. 361 f; BayObLG NJW 1988 S. 2190; BayObLG wistra 1992 S. 113.
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§70
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
frau vorzutäuschen und dadurch den Lohn für von ihm selbst geleistete Arbeit ohne Abzüge ausgezahlt zu bekommen. BayObLG: Da A den Namen seiner Ehefrau, wenn auch mit deren Erlaubnis, benutzte, um im Rechtsverkehr über den Empfänger des Geldes zu täuschen, liegt eine Urkundenfälschung vor. Dem kann nicht gefolgt werden, denn das BayObLG identifiziert hier die Täuschung über die Person des Ausstellers mit einer Täuschung über das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses.
39 Grundsätzlicher Ausgangspunkt der Zurechnung einer Erklärung des „Vertreters" als Erklärung des „Vertretenen" ist in den Fällen des Handelns für eine andere natürliche Person jedoch stets der Wille des „Vertreters", befugt für den „Vertretenen" zu handeln, sowie der Wille des „Vertretenen", sich zu der Erklärung zu bekennen. - Diese Theorie der Zurechnung einer Erklärung wird in der Rechtsprechung beim Handeln für Behörden, juristische Personen oder Handelsgesellschaften, d.h. für nicht natürliche Personen, zu einer reinen Theorie der inhaltlichen Zurechnung der relevanten Erklärung ausgedehnt. Die fehlende rechtliche Befugnis, bestimmte Erklärungen abzugeben, wird zur Grundlage der Urkundenfälschung nicht aber die Täuschung über die Person des Ausstellers. Das hat die Konsequenz, dass die Unterzeichnung einer Urkunde mit eigenem Namen, aber mit der Behauptung, für eine andere natürliche Person zu handeln, als schriftliche Lüge behandelt wirdso, während die Täuschung über die Vertretungsmacht einer Gesellschaft die Urkunde zur unechten macht. BGHSt 17 S. 11: A, ein Kommanditist, der nicht zur Vertretung der KG berechtigt war, stellte für die KG Wechsel aus und akzeptierte sie filr diese, wobei er unter Beisetzung des Firmenstempels mit seinem richtigen Namen unterzeichnete. BGH: A ist der Urkundenfälschung schuldig.31
40 Damit wird das Delikt der Urkundenfälschung uminterpretiert. Aus dem Delikt gegen die Echtheit der Urkunde ist ein Delikt gegen die inhaltliche Wahrheit der Urkunde geworden. Mittel dieser Umdeutung ist eine unterschiedliche Verwendung des Begriffs des Ausstellers der Urkunde. Wird das Urkundendelikt als Delikt gegen die Echtheit der Urkunde bestimmt, so kann Aussteller nur deijenige sein, der die Urkunde hergestellt hat, d.h. eine natürliche Person. Hat diese Person eine andere Person befugt bei der Herstellung der Urkunde vertreten, so wird der Begriff des Herstellers erweitert, weil der körperliche Akt der Urkundenherstellung dann vernachlässigt werden kann, wenn der aus der Urkunde ersichtliche Hersteller sich lediglich bei der Anfertigung der Urkunde vertreten ließ. Hier will und soll er deijenige sein, auf den die Urkunde als ihren Urheber zurückverweist. Eine Behörde, Handelsgesellschaft oder juristische Person kann in diesem Sinne niemals Urheber einer Urkunde sein. Wenn sie als Aussteller einer Urkunde benannt wird, dann geht es nicht um die Kennzeichnung des Urhebers der Urkunde, sondern um den Ausweis des aus der Urkunde rechtlich Befugten oder Verpflichteten. Geschützt wird nicht das Vertrauen, dass der aus der Urkunde als Unterzeichner ersichtliche Hersteller der Urkunde diese auch hergestellt hat, geschützt wird nunmehr das Vertrauen, dass der aus einer Urkunde ersichtliche Verpflichtete oder Berechtigte auch rechtswirksam verpflichtet oder berechtigt ist. Relevanter Prüfungsgegenstand ist nun nicht mehr, ob , 3 rief und Siegel" derart überein30 Vgl. BGH NJW 1993 S. 2759 mit Anm. OTTO JK 94, StGB § 267/19. 31 Vgl. dazu auch BGHSt 7 S. 149; 9 S. 44; BGH StV 1986 S. 156; BGH StV 1993 S. 307;
GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 175 f; HOYER S K II, § 2 6 7 R d n . 6 1 ; KREY B . T . 1, R d n . 7 1 1 ; KÜPPER B.T., n § 1 R d n . 3 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 19; PUPPE N K , § 2 6 7 R d n . 7 3 ; RENGIER B . T . II, § 3 3 R d n . 10. - A . A . OTTO JuS 1987 S. 766; RHEINECK Fälschungsbegriff, S. 154; SAMSON JuS 1970 S. 374 f; STEINMETZ
Echtheitsbegriff, S. 80.
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Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
§70
stimmen, dass der aus der Unterschrift ersichtliche Namensträger sich auch zu der Erklärung bekennt, bzw. ob sie ihm zuzurechnen ist. Wesentlich allein ist jetzt die Frage, ob der aus der Urkunde ersichtliche Unterzeichner Vollmacht zur Abgabe der Erklärung für das aus dem Briefkopf u.ä. ersichtliche Unternehmen hatte. Leider hält die Rechtsprechung in derartigen Fällen ihre Prämisse, dass die Urkunden- 41 falschung in der Täuschung über die Vertretungsbefugnis liege, nicht konsequent durch. BGHSt 33 S. 159: Der A war Inhaber mehrerer Firmen, deren Geschäfte er faktisch führte, während nach außen so getan wurde, als seien dritte Personen (Strohmänner) Inhaber dieser Firmen. A bezweckte mit diesem Verschleierungsmanöver, fingierte Rechnungen unter dem Namen der Strohmänner an sich selbst auf den Firmenbögen auszustellen, um staatlichen Stellen Aufwendungen vorzuspiegeln, für die er Ersatz verlangen konnte. BGH: Die von A gefertigten Rechnungen waren unechte Urkunden, denn wirklicher und nach außen hin für den beteiligten Personenkreis nicht erkennbarer Aussteller war der A. Gerade auf die Identität des Ausstellers erstreckte sich aber der Beweisweit der Belege. Dieses Ergebnis kann nicht befriedigen, denn A als Inhaber und faktischer Geschäftsführer der Firmen war zumindest nach den Grundsätzen der faktischen Geschäftsführung - befugt, Erklärungen für die ihm gehörenden Firmen abzugeben. Wenn der BGH dennoch zu dem Ergebnis kommt, A habe über den Aussteller der Urkunden getäuscht, setzt er sich damit zu den von ihm bisher vertretenen Prämissen in Widerspruch.32
Maßgeblich ist die Rechtswirksamkeit der Erklärung hingegen, wo eine höchstpersönliche 42 Unterzeichnung rechtlich vorgeschrieben ist. Eine unechte Urkunde stellt daher auch her, wer unzulässigerweise mit fremdem Namen unterzeichnet, so z.B., wenn ein Testament mit dem Namen des Erblassers von einem Dritten unterzeichnet wird oder jemand unter dem Namen eines anderen eine höchstpersönliche Prüfungsleistung erbringt. Wer hingegen eine schriftliche Gedankenerklärung zu seiner eigenen macht und damit zum Ausdruck bringt, dass er sich zu ihr bekennt und sich an sie gebunden fühlt, stellt keine unechte Urkunde her, selbst wenn die Verwendung der fremden Gedankenerklärung verboten ist. So z.B., wenn jemand eine fremde Prüfungsleistung als eigene ausgibt33 oder ein von einem anderen geschriebenes Testament als eigenes unterschreibt.34
bb) Namenstäuschung und Identitätstäuschung Die Täuschung über die Identität des Ausstellers der Urkunde erfolgt im Regelfall durch 43 Namenstäuschung. Die Namenstäuschung ist aber keineswegs zwingende Tatvoraussetzung. Einerseits kann die Täuschung über die Identität des Ausstellers auch beim Gebrauch 44 des richtigen Namens erfolgen, wenn andere Personaldaten nach der Verkehrssitte zur Identifizierung dienen oder genügen, so z.B. wenn dem Namen die Bezeichnung „sen.", ein unrichtiges Geburtsdatum oder eine unrichtige Anschrift zugefügt wird.35 Andererseits ist nicht jede Namenstäuschung als Identitätstäuschung zu interpretieren. Maßgeblich ist vielmehr, ob trotz Verwendung eines falschen Namens im Kreise der Beteiligten ein Irrtum
32
V g l . d a z u OTTO J u S 1987 S. 7 6 5 f f ; PAEFFGEN J R 1986 S. 114 f f ; PUPPE J u r a 1986 S. 2 2 f f ; DIES. J Z 1986 S. 9 4 2 f; WEIDEMANN N J W 1986 S. 1976 ff.
33
BayObLG NJW 1981 S. 772 mit Anm. SCHROEDER JUS 1981 S. 417 ff.
34
Vgl. auch WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 830. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1966 S. 749 mit Anm.
35
BGHSt 40 S. 2 0 3 , 2 0 5 ff mit zust. Anm. MEURER NJW 1995 S. 1655, OTTO JK 95, StGB § 267/20, und
MOHRBOTTER S. 1421 f, OHR J u S 1967 S . 2 5 5 ff. abl. A n m . PUPPE J Z 1997 S. 4 9 2 , SANDER/FEY J R 1995 S. 2 0 9 f; FREUND U r k u n d e n s t r a f t a t e n , R d n . 160; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 19.
389
§70
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
über die Person des Ausstellers ausgeschlossen ist, weil seine Identität unzweifelhaft ist oder aber keinerlei Interesse an dieser Identität besteht.36 45 Keine unechte Urkunde stellt demgemäss her, wer mit einem ihn allgemein oder in den beteiligten Kreisen hinreichend kennzeichnenden Namen, z.B. einem Decknamen, Künstlernamen, Spitznamen oder sonstigen Pseudonym, unterschreibt. Gleiches gilt für denjenigen, der ständig unter falschem Namen lebt und daher ohne weiteres als ausstellende Person identifiziert werden kann. Schließlich kann auch bei einer schlichten Namenstäuschung eine echte Urkunde hergestellt werden, wenn ein Irrtum über die Person des Ausstellers in den beteiligten Kreisen ausgeschlossen ist oder keinerlei Interesse an der Identität besteht. 46 Die bloße Möglichkeit einer Verwechslung der Identität begründet noch keine Täuschung über den Aussteller, wenn dieser sich persönlich zu seiner Erklärung bekennen will. Keine unechte Urkunde wird daher bei der Unterzeichnung im eigenen Namen hergestellt, wenn eine andere Person gleichen Namens für den Aussteller gehalten werden soll. Hier liegt u.U. ein Betrug, nicht aber eine Urkundenfälschung vor. Beispiel: Der vermögenslose X unterzeichnet einen Wechsel in der Hoffnung, dieser Wechsel werde als Wechsel seines vermögenden Namensvetters angesehen. Niemand käme auch nur auf die Idee, die Herstellung einer unechten Urkunde läge vor, wenn der im Beispielsfall genannte X nicht vermögenslos wäre, sondern genauso wohlhabend wie sein Namensvetter.37 Anders natürlich, wenn der Namenszug des Namensvetters nachgeahmt wird, denn hier kommt in der Urkunde die Identitätstäuschung zum Ausdruck.
b) Verfälschen einer echten Urkunde 47 Verfälscht ist eine Urkunde, wenn sie durch eine unbefugte, nachträgliche Änderung etwas anderes aussagt als der Aussteller erklärt hat. BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 23: Sachlich handelt es sich hier um die Vernichtung einer echten Urkunde und um das Herstellen einer neuen, unechten Urkunde, so dass Verfälschen statt Vernichtung und Herstellung dann vorliegt, wenn nach der Tat eine Urkunde desselben Ausstellers wie zuvor, jedoch mit anderem Inhalt, gegeben ist.
48 Eine selbständige Bedeutung soll das Verfälschen hingegen haben, wenn der Aussteller selbst der Urkunde nachträglich einen anderen Inhalt gibt, nachdem ein Dritter bereits ein Beweisführungsrecht an der Urkunde erlangt hat. KG wistra 1984 S. 233: A hatte Steuervorteile für in Berlin produzierte Waren und angefallene Dienstleistungen in Anspruch genommen. Der Beweis dieser Leistungen wurde durch Vorlage von Rechnungsdurchschlägen geführt. Es ergab sich, dass die auf den Originalrechnungen vorhandenen erforderlichen Herkunftsvermerke auf einer Reihe von Rechnungsdurchschriften fehlten. A, der befürchtete, die Steuervorteile zurückerstatten zu müssen, lieB die Vermerke nachträglich auf die Rechnungsdurchschläge setzen. KG: A hat die Rechnungsdurchschriften verfälscht. „Unter 'Verfälschen' wird nach einhelliger Ansicht jede nachträgliche Veränderung des gedanklichen Inhalts einer Urkunde verstanden, durch die der Anschein erweckt wird, als habe der Aussteller die Erklärung von Anfang an so abgegeben, wie sie nach der Veränderung vorliegt. Entscheidend hierfür ist, dass die Urkunde infolge des Eingriffs eine andere rechtserhebliche Tatsache zu beweisen scheint als vorher, dass sich auch ihre ursprüngliche Beweisrichtung geändert hat".
36
Dazu RGSt 48 S. 241; BGHSt 1 S. 121; 33 S. 160; BGH StV 1997 S. 636; OLG Celle NJW 1986 S. 2 7 7 2 ; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 166; KSEY B . T . 1, R d n . 7 0 4 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 18; OTTO J u S 1987 S. 7 6 7 f. - A . A . HOYER S K n , § 2 6 7 R d n . 58; PUPPE J u r a 1986 S. 26.
37
V g l . B G H S t V 1986 S. 156 m i t A n m . OTTO J K , S t G B § 2 6 7 / 8 ; PUPPE N K , § 2 6 7 R d n . 70. - A . A . O L G
Schleswig SchlHA 1973 S. 184; KREY B.T. 1, Rdn. 706; LACKNER/KÜHL § 267 Rdn. 19; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 5 R d n . 58.
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Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
§70
Dieses Ergebnis entspricht der einst h.M.38, ist heute jedoch in Frage gestellt, denn durch 49 die nicht „ausstellerbezogene", sondern zugleich „erklärungsbezogene" Interpretation des Merkmals „echt" in § 267 wird in Wirklichkeit der Schutzbereich des § 267 in diesem Einzelfall um den des § 274 erweitert: Dem Angriff auf die Echtheit der Urkunde wird der Angriff auf den inhaltlichen Fortbestand der Urkunde gleichgestellt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Bestandsschutz von Urkunden von weiteren Strafwürdigkeitselementen - § 274 I Nr. 1: Nachteilsabsicht; § 133: dienstliche Verwahrung - abhängig zu machen, wird damit missachtet und umgangen, der vom Gesetzgeber gewährte Strafrechtsschutz über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt.39 c) Gebrauch einer unechten oder verfälschten Urkunde Gebraucht ist die unechte oder verfälschte Urkunde, wenn sie der Wahrnehmung des zu 50 Täuschenden so zugänglich gemacht ist, dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme ohne weiteres besteht. Das bloße Mitsichfiihren der Urkunde (BGH StV 1989 S. 304) oder das Hinterlegen, um die Kenntnisnahme demnächst zu eröffnen (BGHSt 36 S. 64), ist demgemäss noch kein Gebrauchmachen.
Zum Gebrauchmachen von der Urkunde durch Vorlage einer Fotokopie vgl. Rdn. 28.
51
5. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muss neben der Tathandlung (Herstellen, Verfälschen, 52 Gebrauchmachen) die Merkmale umfassen, die die Urkundeneigenschaft begründen. b) Zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt, wer einen anderen über die Echtheit der Ur- 53 künde täuschen und dadurch zu einem rechtlich erheblichen Verhalten veranlassen will. Beispiele: Absicht der Täuschung im Rechtsverkehr ist gegeben, wenn die Urkunde im Prozess als Beweismittel dienen soll, wenn die Polizei irregeführt oder aufgrund der Urkunde ein Kredit erschlichen werden soll. - Auch wenn der Beweis über ein wirklich bestehendes Rechtsverhältnis mit einer verfälschten Urkunde erbracht wird, so ändert das nichts daran, dass von einer verfälschten Urkunde Gebrauch gemacht wird. Gleiches gilt, wenn, wie bei einem Führerschein, die Urkunde durch die Verfälschung als ganze ungültig geworden ist. 40 - Nicht hingegen, wenn jemand nur vor anderen angeben oder aus Eitelkeit über sein Alter täuschen will.
Des rechtserheblichen Verhaltens des anderen muss sich der Täter bewusst sein (direkter 54 Vorsatz), es braucht ihm nicht darauf anzukommen.41 38
Zur h.M. vgl. BGHSt 13 S. 382; BGH wistra 1989 S. 100 mit krit. Anm. PUPPE JZ 1991 S. 550 f; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 715 mit zust. Anm. KÜHL JA 1978 S. 527, und krit. Anm. PUPPE JR 1978 S. 206 ff; OLG Koblenz NJW 1995 S. 1624 mit Anm. Otto JK 95, StGB § 267/21, PUPPE JZ 1997 S. 491; GRIBBOHM L K , § 267 Rdn. 204; JAKOBS Urkundenfälschung, S. 67; LACKNER/KÜHL § 267 R d n . 21; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 65 Rdn. 64 f; PAEFFGEN J u r a 1980 S. 4 8 7 ; RENGIER B.T.
D, § 33 Rdn. 24; TRÖNDLE/FISCHER § 267 Rdn. 19 a. - Einschränkend: OLG Düsseldorf NJW 1998 S. 692 mit Anm. KRACK JR 1998 S. 479, OTTO JK 98, StGB § 267/24, wenn die nachträgliche Änderung inhaltlich der Wahrheit entspricht. 39
S o auch FREUND Urkundenstraftaten, R d n . 2 9 ff, 35; HOYER S K II, § 267 R d n . 83; ARMIN KAUFMANN Z S t W 7 1 (1959) S. 4 1 1 ; KIENAPFEL J R 1975 S. 515; KÜPPER B . T . l , N § 1 R d n . 4 3 ; LAMPE G A 1964 S. 327 ff; MAIWALD Z S t W 91 (1979) S. 958; OTTO JUS 1987 S. 7 6 8 f; PUPPE J R 1978 S. 2 0 7 ; DIES. J Z 1986 S. 9 4 4 f; DIES. N K , § 267 R d n . 86 f f ; SCHILLING Schutz, S. 110 f f ; SCHMIDHÄUSER B.T., 14/20; SCH/SCH/CRAMER § 267 R d n . 68.
40
BGHSt 33 S. 105; dazu OTTO JUS 1987 S. 770 m.w.N. Fn. 91 ff.
41
So auch: BayObLG NJW 1998 S. 2917 mit Anm. GEPPERT JK 99, StGB § 267/25; CRAMER JZ 1968 S. 30; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 270; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 25; LENCKNER N J W 1967 S. 1890 f f . - A . A . HOYER S K N, § 267 Rdn. 91.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
55 c) Nach der Klarstellung durch § 270 handelt der Täter auch dann zur Täuschung im Rechtsverkehr, wenn er die fälschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitung, die sich im konkreten Fall auf rechtserhebliche Daten bezieht, bewirken will. 6. Schwere Fälle der Urkundenfälschung a) Besonders schwere Fälle, Abs. 3 56 Mit dem 6. StrRG hat der Gesetzgeber Regelbeispiele für besonders schwere Fälle der Urkundenfälschung in das Gesetz aufgenommen. Gewerbs- und bandenmäßiges Handeln (Nr. 1), Vermögensverlust großen Ausmaßes (Nr. 2), erhebliche Gefährdung des Rechtsverkehrs (Nr. 3) und den Missbrauch der Stellung als Amtsträger (Nr. 4). - Bei der erheblichen Gefahrdung des Rechtsverkehrs muss der Rechtsverkehr konkret gefährdet sein, im übrigen vgl. zu den anderen Beispielen § 51 Rdn. 107 f, 110,113. b) Qualifizierte Urkundenfälschung, Abs. 4 57 Qualifiziert ist die Urkundenfälschung bei banden- und gewerbsmäßigem Handeln, Abs. 4; im einzelnen dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 51 Rdn. 107,113. 7. Das Verhältnis der einzelnen Alternativen zueinander 58 Hat der Täter von Anfang an die Absicht, die gefälschte oder verfälschte Urkunde in bestimmter Weise zu gebrauchen, so bilden Fälschung oder Verfälschung und Gebrauch eine natürliche Handlungseinheit. Mit dem Gebrauchmachen wird das Delikt materiell beendet. Es liegt nur eine Tat vor. Das gilt auch, wenn der Täter von Anfang an die Urkunde mehrfach gebrauchen will. - Entspricht der spätere Gebrauch hingegen nicht dem früheren Plan oder fasst der Täter nach einem Gebrauch einen erneuten Entschluss, weiter von der Urkunde Gebrauch zu machen, so liegen zwei selbständige Handlungen vor.42
II. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 1. Das Angriffsobjekt a) Beweiserhebliche Daten 59 Der Begriff der Daten umfasst - wie beim Computerbetrug; vgl. § 52 Rdn. 31 - alle Informationen, die sich kodieren lassen. Ausdrücklich begrenzt ist der relevante Bereich der Daten jedoch auf beweiserhebliche Daten. Wie sich allerdings aus dem gesetzlich zwingend geforderten hypothetischen Vergleich mit der Urkunde ergibt, kommt dem Merkmal der Beweiserheblichkeit nur deklaratorische Bedeutung zu, denn wenn die relevanten Daten im Falle ihrer visuellen Wahrnehmung einer (unechten oder verfälschten) Urkunde entsprechen sollen, so müssen sie - abgesehen von ihrer visuellen Wahrnehmbarkeit - den Urkundsvoraussetzungen - vgl. dazu Rdn. 1 - genügen: Sie müssen - wenn auch nicht visuell erkennbar - stofflich fixiert, d.h. verkörpert sein (Perpetuierungsfunktion), sie müssen eine Gedankenerklärung enthalten, die im Rechtsverkehr Bedeutung erlangen kann (Beweisfunktion), und sie müssen ihre Aussteller, d.h. denjenigen, der für die Erklärung einzustehen hat, erkennen lassen (Garantiefunktion).«
42
V g l . B G H S t 5 S. 2 9 3 ; 17 S. 9 7 ; B G H N S t Z - R R 1998 S. 2 6 9 m i t A n m . GEPPERT J K 9 9 , S t G B § 2 6 7 / 2 6 ; MIEHE G A 1967 S. 2 7 5 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 7 9 b.
4 3
V g l . d a z u a u c h LACKNER/KÜHL § 2 6 9 R d n . 4 ; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 8 2 5 .
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Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
§70
b) Mehrheit von Daten Ob der rechtserhebliche Aussagegehalt sich aus einem einzigen Datum, aus einer Mehrheit von Daten oder erst aus einem Datum im Kontext mit anderen bereits gespeicherten Daten ergibt, ist irrelevant. Möglich sind auch Konstellationen, die der Gesamturkunde - mehrere Datenbestände enthalten rechtserhebliche Aussagen, deren Zusammenfassung eine selbständige, über den bisherigen Aussagegehalt hinausgehende Aussage enthält - oder der zusammengesetzten Urkunde - beweiserhebliche Daten sind in körperlichen Gegenständen gespeichert, die mit anderen Objekten, auf die sich die Daten beziehen, fest zu einer ,3eweiseinheit" verbunden sind; vgl. dazu die Ausführungen unter Rdn. 25 f - entsprechen. c) Erkennbarkeit des Ausstellers Aus der Garantiefunktion der Daten folgt, dass ihr Aussteller erkennbar sein muss. Diese Erkennbarkeit braucht sich nicht aus der Datenspeicherung als solcher zu ergeben. Aus dem Gesamtsystem der gespeicherten Daten und den Möglichkeiten, sie visuell wahrnehmbar zu machen, muss sich aber der Aussteller identifizieren lassen. Daher genügt es, wenn der Aussteller z.B. durch den Ausdruck der Daten, durch Programmanweisungen oder durch Zugangsbeschränkungen für die Teilnehmer am Datenverkehr ersichtlich wird.44 Ist jedoch auch nach Nutzung eventuell vorhandener .Auslegungsbehelfe" kein bestimmter Aussteller erkennbar, so entfällt der Tatbestand. Da Inhaber und Betreiber einer Datenverarbeitungsanlage sowie für das Programm Verantwortliche und Verfügungsberechtigte in der Regel verschiedene Personen sind, ist der Aussteller, wie bei der Urkundenfälschung - dazu Rdn. 10 -, nach den Regeln der normativ modifizierten sog. Geistigkeitstheorie zu bestimmen: Aussteller ist, wer sich die Daten - nach außerstrafrechtlichen Regeln - rechtlich zurechnen lassen muss.
60
61
62 63
2. Die Tathandlung Tathandlungen sind das dem Herstellen einer unechten Urkunde entsprechende Speichern 64 unechter Daten, das der Verfälschung einer echten Urkunde entsprechende Verändern von Daten sowie das dem Gebrauchmachen unechter oder verfälschter Urkunden entsprechende Gebrauchen unechter oder veränderter Daten. Unecht gespeichert sind Daten, wenn bei ihrer Wahrnehmung eine unechte Urkunde 65 vorläge, d.h. wenn der Speichernde den Anschein erweckt, für die Datenspeicherung sei nicht er verantwortlich, sondern deijenige, dem die Daten zugerechnet werden. - Verändert sind Daten, wenn bei ihrer Wahrnehmung eine verfälschte Urkunde vorläge, d.h. wenn der Täter den Anschein erweckt, die Daten hätten den durch die Veränderung erlangten Inhalt von Anfang an besessen bzw. die Veränderung hätte der Berechtigte vorgenommen. - Gebraucht sin^ die unechten oder verfälschten Daten, wenn sie dem zu Täuschenden - z.B. durch Sichtbarmachen auf dem Bildschirm - zur Kenntnis gebracht oder verfügbar gemacht worden sind. Erfolgt das Gebrauchmachen allerdings durch Vorlage eines Ausdrucks der
4 4
V g l . a u c h GRANDERATH D B 1 9 8 6 , B e i l a g e 18, S. 5; LACKNER/KÜHL § 2 6 9 R d n . 6; MÖHRENSCHLAGER
wistra 1986 S. 134 f. 4 5
V g l . d a z u LACKNER/KÜHL § 2 6 9 R d n . 6; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 8 2 5 ; MÖHRENSCHLA-
GER wistra 1986 S. 135; PUPPE NK, § 269 Rdn. 9; ZLELINSKI Armin Kaufmann-GedS, S. 620 ff, 627.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
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Daten, der den Aussteller erkennen lässt, so erfüllt dieses Verhalten bereits den Tatbestand des § 267.46 3. Der subjektive Tatbestand 66 Subjektiv muss der Täter vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und zur Täuschung im Rechtsverkehr - dazu vgl. Rdn. 53 ff - handeln. 4. Schwere Fälle der Fälschung beweiserheblicher Daten, Abs. 3 67 Gemäß Abs. 3 gelten für schwere Fälle der Fälschung beweiserhebliche Daten § 263 Abs. 3,4 entsprechend, vgl. dazu unter Rdn. 56. 5. Konkurrenzen 68 a) Für die verschiedenen Begehungsweisen des § 269 untereinander gelten die für § 267 entwickelten Grundsätze; vgl. Rdn. 58. 69 b) Bei einem Zusammentreffen von §§ 268, 269 besteht aufgrund der verschiedenen geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz. 70 c) Wird der unechte Datenbestand zu einer unechten Urkunde ausgedruckt und diese zur Täuschung in Rechtsverkehr gebraucht, so wird § 269 von § 267 konsumiert. Zwar sind §§ 267, 269 nach Unrechtsart und -qualität gleichwertig. Nach der Intention des Gesetzgebers kommt dann § 269 aber gegenüber § 267 die Funktion zu, Strafbarkeitslücken zu schließen. Das rechtfertigt es, § 267 beim Zusammentreffen mit § 269 Vorrang einzuräumen.47 - Kommt es nur zum Versuch des § 267, so konsumiert § 269 diesen als mitbestrafte Nachtat.
HI. Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 275, 276 a 71 1. Als strafbare Vorbereitungshandlungen zur Urkundenfälschung nach § 267 stellt § 275 bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Fälschung amtlicher Ausweise selbständig unter Strafe. - Ausweise in diesem Sinne sind nur von Behörden oder anderen Stellen der öffentlichen Verwaltung ausgestellte Urkunden, die die Identität einer Person oder ihre persönlichen Verhältnisse nachweisen. Die Erleichterung des Identitätsnachweises aufgrund einer Bescheinigung durch eine mit hoheitlicher Prüfungsgewalt ausgestattete Stelle kennzeichnet den Ausweis. Als amtliche Ausweise kommen Pässe, Personal-, Dienst- und Studentenausweise, Führerscheine o.ä. in Betracht. Keine Ausweise in diesem Sinne sind Kraftfahrzeugschein und -brief (OLG Koblenz VRS SS (1978) S. 428), Scheck- und Kreditkarten.
72 2. Tätige Reue führt zur Straffreiheit gemäß § 275 Abs. 3 i. V. m. § 149 Abs. 2, 3.
46
Vgl. im einzelnen dazu LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 825 f; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 135; PUPPE N K , § 2 6 9 R d n . 3 6 .
47
394
V g l . a u c h LACKNER/KÜHL § 2 6 9 R d n . 12; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 826. - A . A . PUPPE N K , § 2 6 5 R d n . 3 9 ; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 6 9 R d n . 9.
Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
§70
3. Das vollendete Urkundendelikt gemäß § 267 konsumiert die Vorbereitungshandlung 73 nach § 275, daher sind Täter und Teilnehmer der entsprechenden Urkundenfälschung nach § 267 nicht strafbar nach § 275.« 4. Gemäß § 276 a werden den Ausweisen aufenthaltsrechtliche Papiere und bestimmte 74 Fahrzeugpapiere gleichgestellt. 5. Gewerbs- oder bandenmäßiges Handeln qualifizieren die Tat, §§ 275 Abs. 2. 75
IV. Vorbereitung des Gebrauchs von falschen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 276, 276 a Als Vorbereitungshandlungen zum Gebrauch falscher Urkunden stellen §§ 276, 276 a das 76 Unternehmen des Ein- oder Ausflihrens, das Verschaffen, Verwahren oder Überlassen unechter oder verfälschter amtlicher (auch ausländischer) Ausweise, aufenthaltsrechtlicher Papiere und Fahrzeugpapiere in der Absicht, deren Gebrauch zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen, unter Strafe. - Gewerbs- oder bandenmäßiges Handeln qualifiziert die Tat, § 276 Abs. 2.
V. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 1. Die Verfälschung von Gesundheitszeugnissen § 277 unterscheidet drei Alternativen: Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus, wobei 77 er sich unbefugt als Medizinalperson ausgibt (1. Alt.; dazu § 71 Rdn. 28). - Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus und handelt unter fremdem Namen als Medizinalperson (2. Alt.). - Der Täter verfälscht das echte Gesundheitszeugnis einer Medizinalperson (3. Alt.). Die 2. und 3. Alt. des § 277 sind Spezialfälle der 1. und 2. Alt. des § 267. Sie gehen diesen jeweils als leges speciales vor. - Da es sich um Fälle des Angriffs gegen die Echtheit, nicht die Wahrheit der Urkunde handelt, kommt es nicht darauf an, ob das Zeugnis inhaltlich wahr ist oder nicht. a) Gesundheitszeugnisse sind Erklärungen über den (jetzigen, früheren oder künftigen) 78 Gesundheitszustand einer Person. b) Approbierte Medizinalpersonen sind Personen, die mit staatlicher Erlaubnis einen aka- 79 demischen Heilberuf ausüben. Beispiele: Arzt, Apotheker, Zahnarzt.
c) Die Tat ist zweiaktiges Delikt. Sie ist erst mit dem Gebrauch der Urkunde zur Täu- 80 schung einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft vollendet. Behörden in diesem Sinne sind nur Stellen, die den Gesundheitszustand bestimmter Personen beurteilen (BGHSt 43 S. 346, 352 f mit Anm. RIGIZAHN JR 1998 S. 523 ff, 525 f). 2. Der Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 279 in Verb, mit § 277 Die Tat setzt ein im Sinne des § 277 objektiv falsches Gesundheitszeugnis voraus, bei dem 81 überdies die Diagnose falsch sein muss, denn nur dann kann über den Gesundheitszustand getäuscht werden. 48
V g l . O L G K ö l n N S t Z 1994 S. 2 8 9 ; LACKNER/KÜHL § 2 7 5 R d n . 4. - A . A . PUPPE N K , § 2 6 7 R d n . 13.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
82 a) Es ist nicht vorausgesetzt, dass der Täter, der das Zeugnis ausgestellt hat, zur Täuschung i.S. des § 277 gehandelt hat. 83 b) § 277 konsumiert § 279.
§ 71 Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 1. Schutzbereich und Täterkreis 1 a) Die Vorschrift stellt die Herstellung bestimmter echter, aber inhaltlich unrichtiger Urkunden und in öffentlichen Dateien gespeicherter Daten unter Strafe. 2 b) Die Tat ist echtes Amtsdelikt. - Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2 sein, die nach Bundes- und Landesrecht zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt sind. Maßgeblich ist hier die sachliche, nicht auch die örtliche Zuständigkeit, da der öffentliche Glaube an die sachliche Zuständigkeit anknüpft, während die örtliche Zuständigkeit für denjenigen, der die Urkunde zur Kenntnis nimmt, kaum durchschaubar ist.49 3 Soweit zuständige Amtsträger bei der Erstellung der Urkunde zusammenwirken, können sie Mittäter sein, während eine Haftung Außenstehender nur als Anstifter oder Gehilfe in Betracht kommt; zu beachten ist hier aber § 28 Abs. 1. Mittelbare Täterschaft bei § 348 ist möglich, wenn der beurkundende Amtsträger gutgläubig und der Täter selbst Amtsträger ist, der die Beurkundung selbst vornehmen könnte.50 2. Der Begriff der öffentlichen Urkunde 4 Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichen Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen (§ 415 Abs. 1 ZPO) und die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen. - Öffentliche Bücher oder Register sind dementsprechend Bücher oder Register, die öffentlichen Glauben haben, d.h. Beweis für und gegen jedermann begründen. Gleiches gilt für öffentliche Dateien, die beweiserhebliche Daten enthalten. Die Redeweise, die Urkunde müsse Beweiskraft „für und gegen jedermann" haben, ist missverständlich. Entscheidend ist vielmehr der Ausweis der Richtigkeitsprüfung durch eine hierzu berufene amtliche Person, d.h. die besondere amtliche Richtigkeitsbestätigung.si 5 Der Bezugsgegenstand der erhöhten Beweiskraft erschließt sich daher in der Frage: Was hat die Behörde oder die mit öffentlichem Glauben versehene Person als von ihr geprüft (gesehen, erkannt) beurkundet? Die Reichweite der Beweiskraft ist durch Auslegung zu ermitteln, die beurkundete Tatsache muss sich jedoch aus der Urkunde ergeben und nicht erst aus gedanklichen Schlussfolgerungen. Gegenstand erhöhter Beweiskraft können nach Auffassung der Rechtsprechung nur Angaben sein, die gesetzlich zwingend vorge49
S o a u c h ARZT/WEBER, B . T . , § 3 3 R d n . 8; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 6 R d n . 7 . - A . A . B G H S t 1 2 S. 8 6 ; PUPPE N K , § 3 4 8 R d n . 3; SCH/SCH/CRAMER § 3 4 8 R d n . 5; TRÖNDLE/FLSCHER § 3 4 8 Rdn. 2.
50
So auch LACKNER/KÜHL § 271 Rdn. 7; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 348 Rdn. 3.
51
Vgl. FREUND Urkundenstraftaten, Rdn. 306 f.
396
Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde
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schrieben sind. - Bei öffentlichen Urkunden, die eine Verfügung, Anordnung oder Entscheidung enthalten, ist besonders darauf zu achten, ob die Voraussetzungen des Verwaltungsaktes beurkundet sind oder nur der Akt selbst. So erbringt der Tauglichkeitsstempel des Fleischbeschauers Beweis für die Untersuchung des Viehs und ihr Ergebnis, die Aufenthaltserlaubnis eines Ausländers nur Beweis über die Erteilung der Erlaubnis, nicht aber für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen.'2 Weitere Beispiele für öffentliche Urkunden und ihre Beweiskraft: Eintragung der nächsten Hauptuntersu- 6 chung eines Kraftfahrzeugs im Kraftfahrzeugschein: Beweis für Zeitpunkt dieser Untersuchung (BGHSt 26 S. 11). - Kraftfahrzeugschein: Beweis für die Zulassung eines bestimmten Kraftfahrzeugs mit dem entsprechenden Kennzeichen (OLG Hamburg NJW 1966 S. 1827). - Eintragungen im Sparbuch einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse: Beweis für Ein- und Auszahlungen (BGHSt 19 S. 19). - Erbschein: Beweis der Erbfolge (BGHSt 19 S. 87). - Gefangenenbuch: Beweis der Identität (BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 283). Ausfuhrbescheinigung: Beweis für best. Steuerrückerstattungsansprttche (BayObLG NJW 1990 S. 655). Führerschein: Beweis für Personalangaben (BGHSt 34 S. 299) und Fahrzeugklasse (BGHSt 37 S. 207). Beispiele für öffentliche Bücher oder Register: Annahmebücher der Post über Wertsendungen (RGSt 67 S. 271). - Grundbuch (OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 365). - Amtliche Wiegebücher (BGH bei Dallinger, MDR 1958 S. 140). - Tagebuch des amtlich bestellten Fleischbeschauers (RGSt 40 S. 341). Keine öffentlichen Urkunden sind die für den inneren dienstlichen Verkehr angefertigte Vermerke (dazu BGHSt 7 S. 94) und schriftliche Erklärungen eines Amtsträgers, die in einem Prozess als Beweismittel dienen sollen (OLG Celle NStZ 1987 S. 282). Gleiches gilt für Polizeiprotokolle (OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 217). Nicht von öffentlichem Glauben erfasst: Falsche Ortsangabe im notariellen Kaufvertrag (BGHSt 44 S. 186 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 348/6). - Unrichtige Angabe über Beurkundungszeitpunkt (OLG Karlsruhe NJW 1999 S. 1044). Als hier relevante Dateien kommen insbesondere solche in Betracht, in denen der Inhalt öffentlicher Urkunden, Bücher oder Register gespeichert wird. 53
3. Die Tathandlung Falsch beurkundet, eingetragen oder eingegeben ist eine Tatsache, wenn das Beurkundete 7 usw. mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. 4. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz - bedingter genügt - muss die Unrichtigkeit der Erklärung und die Merkmale 8 umfassen, die die Eigenschaft der öffentlichen Urkunde begründen. 5. Die Vollendung des Delikts Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das Delikt vollendet, wenn der Amtsträger die Be- 9 urkundung oder Eintragung bewirkt hat. Da aber nicht der Urkundenbestand als solcher geschützt ist, sondern der Beweisverkehr mit öffentlichen Urkunden, muss der Tatbestand restriktiv dahin interpretiert werden, dass die Vollendung des Delikts nur dann eintritt, wenn der Täter im Bewusstsein handelt, dass die Urkunde in den Beweisverkehr gelangt oder gelangen soll. Dieses „Entäußerungselement" kommt in § 267 im Merkmal „zur Täuschung" und in § 278 im Merkmal „zum Gebrauch bei einer Behörde ..." zum Ausdruck. Auch wenn § 348 eine derartige Einschränkung im objektiven bzw. subjektiven Tatbestand 52
Dazu OLG Karlsruhe Die Justiz 1967 S. 152; OLG Köln JR 1979 S. 255 mit Anm. PUPPE S. 256 ff; vgl. auch BayObLG NStZ-RR 1999 S. 79 mit Anm. PUPPE NStZ 1999 S. 576 f (Prüfplakette).
53
BT-Drucks. 10/318, S. 34.
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§71
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
nicht enthält, so erscheint es aufgrund der Gleichartigkeit der Problemlage sachgerecht, auch hier den Tatbestand noch nicht als erfüllt anzusehen, wenn der Täter ein Werk anfertigt, das nach seiner Vorstellung den Beweisverkehr niemals gefährden soll.'4
II. Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 1. Die Bedeutung des § 271 10 § 271 ist als Ergänzung des § 348 zu verstehen. Da der Täter des § 348 ein Amtsträger sein muss, ist eine mittelbare Täterschaft durch einen Nicht-Amtsträger bei der Verwirklichung des § 348 nicht möglich. Diese Lücke schließt der § 271. 2. Der Schutzbereich des § 271 11 Bewirken i.S. des § 271 ist jedes Verursachen einer unwahren Beurkundung oder Speicherung, das nicht als Anstiftung oder mittelbare Täterschaft zur Falschbeurkundung im Amt, § 348, erfassbar ist. 12 Damit werden folgende Fälle von § 271 erfasst: 13 a) Der Täter bewirkt, dass ein zuständiger gutgläubiger Amtsträger etwas Unwahres zu öffentlichem Glauben beurkundet oder speichert. BGHSt 8 S. 293: A erreicht durch Täuschung, dass der Notar N eine inhaltlich unrichtige Beurkundung vornimmt. Ergebnis: A: § 271.
14 b) Der Täter hält den Amtsträger irrig für gutgläubig. - Eine Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt, §§ 348, 26, entfällt hier, weil der Täter den Amtsträger nicht zu einer vorsätzlichen Tat bestimmen will. Beispiel: A will durch Täuschung erreichen, dass der Notar N gutgläubig etwas Unrichtiges beurkundet. N durchschaut den A jedoch. Gleichwohl fertigt er die Urkunde, weil er dadurch dem X schaden will. Ergebnis: N: § 348; A: § 271.
15 A hat den in § 271 pönalisierten Erfolg erreicht. Dass er über die Art des Bewirkens irrte, ist eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs, da der Gesetzgeber die verschiedenen Weisen des Bewirkens gleich bewertet.55 16 c) Der Täter hält den Amtsträger irrig für bösgläubig. - Hier läge ohne die Regelung des § 271 nur eine straflose erfolglose Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt vor, weil es entgegen der Vorstellung des Täters nicht zur Haupttat kommt. Beispiel: A bittet den Notar N, eine inhaltlich unrichtige Urkunde herzustellen. Er geht jedoch davon aus, dass N gemerkt hat, dass die Urkunde inhaltlich unwahr sein wird. - N hat dies jedoch nicht erfasst. Er geht davon aus, dass die Urkunde inhaltlich wahr ist. E r g e b n i s : A : § 271.56
54
So auch ESER IV, Nr. 20 A 52. - Noch weiter: BGH NJW 1952 S. 1064; LACKNER/KÜHL § 348 Rdn. 9; Puppe NK, § 348 Rdn. 23; RÖHMEL JA 1978 S. 199; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 348 Rdn. 20.
55
S o a u c h ESER I V , N r . 2 0 A 4 0 ; GRIBBOHM L K , § 2 7 1 R d n . 8 7 ; KREY B . T . 1, R d n . 7 3 7 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 1 R d n . 3 0 . - A . A . BOCKELMANN B . T . / 3 , § 14 N 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAJ-
WALD B.T. 2, § 66 Rdn. 21: nur Versuch. 56
D a z u ESER I V , N r . 2 0 A 4 1 ; GRIBBOHM L K , § 2 7 1 R d n . 8 8 ; HRUSCHKA J Z 1 9 6 7 S. 2 1 2 ; KREY B . T . 1, R d n . 7 3 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 6 R d n . 2 1 . - A . A . : SCH/SCH/CRAMER § 2 7 1
Rdn. 30: Straflosigkeit.
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Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde
§71
3. Der Bezug der Beweiskraft Es genügt nicht, dass irgendwelche Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen unrichtig 17 beurkundet werden, es muss sich vielmehr um Angaben handeln, auf die sich die erhöhte Beweiskraft erstreckt. Beispiele: Vgl. Rdn. 6.
4. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz - bedingter genügt - muss insbesondere die inhaltliche Unrichtigkeit und die 18 Rechtserheblichkeit der Erklärung umfassen. 5. Der Gebrauch falscher Beurkundungen oder Datenspeicherungen, Abs. 2 1. Gemäß Abs. 2 wird der Gebrauch einer unwahren öffentlichen Urkunde oder gespeicherter Daten in Täuschungsabsicht unter Strafe gestellt. a) Der Gesetzeswortlaut - Beurkundung oder Datenspeicherung der in Abs. 1 bezeichneten Art" - ist zu eng geraten. Der Gesetzgeber meinte nicht den Entstehungsakt, sondern das Ergebnis. Ob der Herstellungsakt nach Abs. 1 bestraft worden ist oder werden kann, ist demgegenüber irrelevant. Die Beurkundung kann daher schuldlos durch den Gebrauchenden bewirkt worden, aber auch ohne Zutun eines anderen durch Irrtum des Amtsträgers entstanden sein. Schließlich genügt es, dass die Urkunde durch den Amtsträger unter Verletzung des § 348 hergestellt worden ist.57 b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 2. Der Gebrauch der Urkunde durch den nach § 271 oder § 348 strafbaren Täter steht zu der vorangegangenen Falschbeurkundung im selben Konkurrenzverhältnis wie das Fälschen und Gebrauchmachen bei der Urkundenfälschung; vgl. oben § 70 Rdn. 58. 6. Schwere mittelbare Falschbeurkundung, Abs. 3 Abs. 3 ist ein Qualifikationstatbestand gegenüber Abs. 1, und zwar tritt eine Strafschärfung ein, wenn der Täter die Tat des Abs. 1 gegen Entgelt - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 9 - in der Absicht begeht, sich oder einem Dritten zu bereichern oder eine andere Person zu schädigen. a) Absicht ist hier der auf den Erfolg zielgerichtete Wille. Es genügt aber, dass es dem Täter auf den Erfolg ankommt, weil dieser ein Mittel zur Erzielung eines weiteren Erfolges ist. b) Die Bereicherung muss - entgegen dem Gesetzeswortlaut - eine rechtswidrige i.S. der Vermögensdelikte - dazu oben § 40 Rdn. 77 ff - sein, denn nur die auf eine weitere rechtswidrige Tat gerichtete Absicht erklärt die schärfere Strafe sinnvoll.5» c) Schaden ist nach h.M. jeder Nachteil, nicht nur ein Vermögensnachteil. Es soll genügen, dass jemand Spott, eine Ehrkränkung oder Nachteile durch die Einleitung eines Strafverfahrens erfährt. - Diese weite Ausdehnung des Tatbestandes erscheint kriminalpolitisch keineswegs angebracht. Es muss sich zumindest um einen erheblichen Nachteil i.S. einer 57 58
Dazu LACKNER/KÜHL § 271 Rdn. 10. S o a u c h BINDING B . T . N 1, S. 2 6 4 ; HOYER S K N, § 2 7 1 R d n . 3 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 7 1 R d n . 11; PUP-
PE NK, § 271 Rdn. 61; SCH/SCH/CRAMER § 271 Rdn. 43. - A.A. RGSt 52 S. 93; OLG Hamm NJW 1956 S. 6 0 2 ; GRIBBOHM L K , § 2 7 1 R d n . 9 6 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 6 R d n . 2 2 ; TRÖNDLE/FISCHER | 2 7 1 R d n . 18.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
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bedeutsamen Rechtsgutsbeeinträchtigung handeln, so dass bloßer Spott nicht genügt.39 Auch hier wird z. T. auf die Rechtswidrigkeit des Schadens verzichtet; dazu vgl. die entsprechenden Ausfuhrungen unter Rdn. 25.
III. Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen, §§ 276, 276 a 27 Als strafbare Vorbereitungshandlung zum Gebrauch von Falschbeurkundungen stellen §§ 276, 276 a das Unternehmen des Ein- oder Ausfuhrens, das Verschaffen, Verwahren oder Überlassen amtlicher (auch ausländischer) Ausweise, aufenthaltsrechtlicher Papiere und Fahrzeugpapiere, die eine Falschbeurkundung nach §§271, 348 enthalten, in der Absicht, deren Gebrauch zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen, unter Strafe.
IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277,1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 28 1. Die 1. Alternative des § 277: „Wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand ausstellt und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht", enthält einen Fall der schriftlichen Lüge über den Beruf des Täters. - Zu den Einzelheiten des Tatbestandes vgl. oben § 70 Rdn. 77 ff. 29 2. Zum Gebrauch des unrichtigen Gesundheitszeugnisses vgl. die entsprechenden Ausführungen unter § 70 Rdn. 81 f.
V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278 1. Einzelheiten des Tatbestandes 30 a) § 278 erfasst die schriftliche Lüge eines Arztes oder einer anderen approbierten Medizinalperson - dazu § 70 Rdn. 79 - über den Gesundheitszustand eines anderen. Einem Gesundheitszeugnis kommt besonderer Beweiswert zu, weil die angegebene Diagnose in einer pflichtgemäßen sachverständigen Unterrichtung, im Zweifel einer dem Fall angemessenen Untersuchung, begründet ist. - Ein unrichtiges Zeugnis ist demgemäss ein Zeugnis, das einen unrichtigen Befund enthält. Unrichtig ist der Befund, der nicht das zutreffende Ergebnis einer pflichtgemäßen Untersuchung (Unterrichtung) wiedergibt.6» 31 b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der bezüglich der inhaltlichen Unrichtigkeit des Zeugnisses direkter Vorsatz sein muss, im übrigen genügt dolus eventualis. 32 c) Vollendet ist das Delikt mit dem Ausstellen des Zeugnisses.61
59
Dazu auch BINDINGB.T. II 1, S. 267 Fn. 1.
60
Dazu RGSt 74 S. 231; BGHSt 6 S. 90; OLG Düsseldorf MDR 1957 S. 372. - Einschränkend: OLG Z w e i b r i i c k e n J R 1 9 8 2 S. 2 9 4 m i t abl. A n m . OTTO S. 2 9 6 f. - A . A . HOYER S K n , § 2 7 8 R d n . 2; PUPPE
NK, § 278 Rdn. 2. 61
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S o a u c h GRIBBOHM L K , § 2 7 8 R d n . 13; TRÖNDLE/FISCHER § 2 7 8 R d n . 3. - A . A . HOYER S K n , § 2 7 8 R d n . 4 ; PUPPE N K , § 2 7 8 R d n . 2.
Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels
§72
2. Verhältnis des § 278 zu § 348 Stellt ein beamteter Arzt in seinem Amtsbezirk in einer öffentlichen Urkunde ein un- 33 richtiges Gesundheitszeugnis aus, so verdrängt § 348 den § 278 als lex specialis.
§ 72 Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1,1. Alt. 1. Der objektive Tatbestand § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. sichert die Brauchbarkeit von Urkunden und technischen Auf- 1 Zeichnungen als Beweismittel. a) Zum Begriff der Urkunde vgl. § 70 Rdn. 1. b) Zum Begriff der technischen Aufzeichnungen vgl. § 74 Rdn. 4 ff. Die Urkunde bzw. technische Aufzeichnung gehört dem Täter dann nicht, wenn ein ande- 2 rer berechtigt ist, die Urkunde als Beweismittel zu gebrauchen. Dies ist dann der Fall, wenn der andere bereits Verfugungsbefugnis erlangt, ein Recht auf Herausgabe der oder auf Einsichtnahme in die Urkunde hat. - Ein solches Recht zur Einsichtnahme haben z.B. Behörden in Personalausweise und Reisepässe, daher gehören diese dem Täter nicht im Sinne des § 274, vgl. dazu weiter Rdn. 14. Im Falle öffentlich-rechtlicher Aufbewahrungs- und Vorlegungspflichten (z.B. von Schaublättern in Fahrtenschreibern) wird zum Teil bestritten, dass diese Pflicht bereits eine Vorlagepflicht i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 1 begründet. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden, denn das Recht auf Vorlage und Einsichtnahme ist hier gesetzlich ausdrücklich vorgesehen. - Wenn aber die Verletzung der Vorlage- und Aufbewahrungspflicht selbständig als Ordnungswidrigkeit unter Strafe gestellt sind, so ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, dass insoweit noch kein strafwürdiges Unrecht vorliegt, zu beachten. Diese Urkunden sind kraft gesetzlicher Entscheidung dem Anwendungsbereich des § 274 Abs. 1 Nr. 1 entzogen.62
c) Zum Vernichten und Beschädigen vgl. oben § 47 Rdn. 5, 10. 3 d) Unterdrücken ist jede Verhinderung der Benutzung der Urkunde als Beweismittel durch 4 den Berechtigten, und sei sie auch nur vorübergehend. OLG Celle NJW 1966 S. 557; BayObLG NJW 1968 S. 1896: A hat den Wagen des B angefahren und an dem Wagen des B eine Visitenkarte mit dem Hinweis darauf, dass er den Schaden verursacht hat, angebracht. Später entfernt er die Karte wieder. OLG: Die Karte „gehörte" nicht mehr dem A, da sie bereits in den Macht- und damit Verfügungsbereich des B gelangt war.
2. Der subjektive Tatbestand Der Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht des Täters, einem 5 anderen Nachteile zuzufügen. Für die Absicht, einem anderen Nachteile zuzufügen, soll nach h.M. direkter Vorsatz g e n ü g e n . « Dem kann nicht gefolgt werden. § 274 Abs. 1 Nr. 1 stellt nicht die Entziehung 62
Vgl. zur Problematik: BGHSt 29 S. 195; OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 1231 mit Anm. OTTO JK, StGB § 274/3; OLG Düsseldorf MDR 1990 S. 73 mit Anm. BOTTKE JR 1991 S. 252 ff; BayObLG NJW 1989 S. 676 mit Anm. GEPPERT JK 89, StGB § 274/4; GRIBBOHM LK, § 274 Rdn. 7 ff. - A.A. A G
Elmshorn NJW 1989 S. 3295; PUPPE NK, § 274 Rdn. 4; SCHNEIDER NStZ 1993 S. 16 ff. 63
Dazu BGH bei Dallinger, MDR 1958 S. 140; BAUMANN NJW 1964 S. 705 ff; GRIBBOHM LK, § 274 R d n . 57; LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 5 R d n . 104; SIE-
BER Computerkriminalität, S. 327.
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§72
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
oder Vernichtung von Beweismitteln schlechterdings unter Strafe, sondern die Entziehung einer Urkundenbeweisposition. 6 Daraus folgt: Es muss dem Täter darum gehen, dem Opfer einen Nachteil durch Entzug der Urkundenbeweisposition zuzufügen. - Absicht ist daher als zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades) zu verstehen, auch wenn der Erfolg Mittel zu einem anderen Zweck sein kann. Nachteil i.S. des § 274 ist die Beeinträchtigung der Urkundenbeweis-position. Falls die Absicht nicht vorliegt, bietet § 303 hinreichenden Schutz.64 Zur Verdeutlichung: 7 Beispiel 1: A, der gesetzliche Erbe des X, vernichtet ein Testament, in dem B von X als Erbe eingesetzt war, um in den Besitz der Erbschaft zu gelangen. Ergebnis: § 274 Abs. 1 Nr. 1. Beispiel 2: A hat die Brieftasche des B gestohlen, in der sich auch ein notarieller Kaufvertrag befand. - Da A mit dem Kaufvertrag nichts anfangen kann, vernichtet er ihn. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung. Beispiel 3: Der Pyromane A steckt das Gerichtsgebäude in Brand. Er weiß, dass in dem Gebäude viele Urkunden liegen. Dies ist ihm egal, denn ihm geht es nur darum, das Feuer zu sehen. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung. Die h.M. müsste auch hier § 274 anwenden.
3. Rechtswidrigkeit 8 Die Einwilligung des Berechtigten schließt die Rechtswidrigkeit aus, denn die Einwilligung hebt die Beweisführungsbefugnis nicht auf, sondern stellt eine Ausübung dieser Befugnis d a r . « Die Einwilligung muss den auch sonst nötigen Erfordernissen genügen.66 Der für die Körperverletzung geltende Ausschluss der Rechtfertigung, wenn die Tat trotz der Einwilligung sittenwidrig ist, beruht auf der besonderen Bedeutung des Rechtsguts der Körperintegrität und kann auf andere Anwendungsbereiche nicht ausgedehnt werden.6?
II. Unterdrückung beweiserheblicher Daten, § 274 Abs. 1 Nr. 2 1. Der objektive Tatbestand 9 § 274 Abs. 1 Nr. 2 schützt das Recht mit bestimmten Daten Beweis zu erbringen, jedoch ist der Zusammenhang der Nr. 2 mit der Nr. 1 zu sehen. Die Unterdrückung von Daten kann sinnvollerweise als „Urkundendelikt" nicht in weiterem Maße strafbar sein, als die Fälschung von Daten i.S.d. § 269. Daraus folgt: Beweiserhebliche Daten i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 2 sind nur Daten mit Urkundscharakter.68 10 Die Verweisung auf § 202 a Abs. 2 begrenzt den Anwendungsbereich des Tatbestandes auf Daten, die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden. Das Merkmal Verfugen dürfen entspricht inhaltlich dem Gehören nach Abs. 1 Nr. 1. 64
Dazu auch FRANK StGB, § 274 Anm. I 3; HOYER SK H, § 274 Rdn. 17; KOHLRAUSCH/LANGE § 274 Anm. m.
65
V g l . d a z u LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 4 ; PUPPE N K , § 2 7 4 R d n . 15; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n . U . A . A . GRIBBOHM L K , § 2 7 4 R d n . 5 3 ; KIENAPFEL Jura 1983 S. 188 f.
66
Vgl. dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 106 ff.
67
Vgl. dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 118 ff. - A.A. BGHSt 6 S. 251.
6 8
So a u c h PUPPE N K , § 2 7 4 R d n . 8; LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 5. - A . A . LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 8 2 7 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n . 2 2 c.
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Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels
§ 73
2. Der subjektive Tatbestand Zur Problematik des subjektiven Tatbestandes vgl. Rdn. 5 f.
11
ID. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 3 § 274 Abs. 1 Nr. 3 schützt keinen Urkunden-, sondern einen bestimmten Augenscheins- \ 2 beweis. Die Veränderung von Grenzmerkmalen wird ohne Rücksicht auf das Eigentum oder ein sonstiges Recht an dem Merkmal unter Strafe gestellt, selbst wenn diese Merkmale tatsächlich an falscher Stelle stehen. - Auch hier muss es dem Täter darum gehen, dem Berechtigten einen Nachteil durch Änderung des Augenscheinsbeweises zuzufügen; dazu vgl. Rdn. 6. Diese Nachteilszufügung durch Änderung des Augenscheinsbeweises setzt keine Ent- 13 fernung dieses Beweises aus dem Herrschaftsbereich des Berechtigten voraus. Wegnahme ist hier daher die Entfernung des Augenscheinsobjekts von der Stelle, für welche es von dem hierzu Berechtigten als Beweiszeichen bestimmt wurde.69
IV. Verändern von amtlichen Ausweisen, § 273 Da höchstrichterliche Rechtsprechung und h.L. davon ausgingen, dass Reisepässe und 14 Führerscheine und die darin enthaltenen weiteren Eintragungen urkundenstrafrechtlich ausschließlich dem Inhaber des Ausweises „gehören", konnten sie auf die Veränderung dieser Ausweise § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. nicht anwenden.™ Die damit begründete Strafbarkeitslücke soll § 273 schließen, doch hat der Gesetzgeber durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel klargestellt, dass § 273 einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entgegenstehen würde.71 - Zum Begriff des amtlichen Ausweises vgl. § 70 Rdn. 71. Gebraucht ist der Ausweis, wenn er der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist.
§ 73 Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels 1. Das Wesen des § 281 §281 enthält weniger ein Urkundendelikt, als vielmehr ein Delikt gegen die Autorität der 1 Staatsverwaltung-, dazu unten § 89. - Dieses Delikt steht den Urkundendelikten aber insoweit nahe, als es den Beweiswert einer echten Urkunde für die Persönlichkeitsfeststellung schützt. 2. Einzelheiten der Regelung a) Ausweispapiere, § 281 Abs. 1, sind die von einer hoheitlichen Stelle ausgestellten Pa- 2 piere, die dem Nachweis der Identität oder der persönlichen Verhältnisse einer Person dienen; vgl. § 70 Rdn. 71. 69
Vgl. LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 6; LAUBENTHAL J A 1990 S. 4 3 ; OTTO Jura 1992 S. 668.
70
Vgl. BayObLG NJW 1990 S. 264; BayObLG NJW 1997 S. 1597 mit Anm. GEPPERT JK 97, StGB § 274/5; MÄTZLE M D R 1996 S. 19 f ; PUPPE N K , § 2 7 4 R d n . 3; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n . 5; TRÖNDLE/FISCHER § 2 7 4 R d n . 2; WESSELS/HETTINGER B.T./1, Rdn. 889.
71
Vgl. dazu BT-Drucks. 13/9064, S. 20.
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§74
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgttter der Gesamtheit
Beispiele: Reisepass; Personalausweis; Führerschein; Schülerausweis.
3 b) Den Ausweispapieren stehen Zeugnisse und Urkunden gleich, die im Verkehr als Ausweis verwendet werden, § 281 Abs. 2. - Nach der Schutzfunktion des Tatbestandes und aufgrund der Gleichwertigkeit mit den Ausweispapieren ist auch hier zu fordern, dass die Papiere von einer hoheitlichen Stelle ausgestellt sind und ihnen Ausweisfunktion zukommt. Beispiele: Geburtsurkunde (RGSt 12 S. 385); Taufschein; Zeugnis über Staatsprüfungen. Nicht hingegen: Scheckkarten; private Werksausweise.
4 Die h.M. erstreckt demgegenüber den Schutz des § 281 Abs. 2 auf jede Bescheinigung, die im Rechtsverkehr zum Identitätsnachweis genutzt wird.72 5 c) Bestraft wird der Gebrauch oder das Überlassen der Urkunde an einen anderen zur Täuschung im Rechtsverkehr. 6 aa) Gebraucht ist das Papier, wenn es der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist. Die Vorlage einer Fotokopie wird hier vom BGH nicht als Gebrauch des Ausweises interpretiert.73 7 bb) Bei der Täuschung im Rechtsverkehr muss es sich um eine Identitätstäuschung handeln. Die Täuschung über die Berechtigung zur Verwendung des Papiers genügt nicht.74 3. Das Verhältnis der beiden Alternativen des § 281 zueinander 8 Wer ein Ausweispapier i.S. des § 281 gebraucht, ist Täter der 1. Alternative. Eine eventuelle Teilnahme am Überlassen des Ausweispapieres wird durch die Täterschaft konsumiert. Umgekehrt zehrt die Verwirklichung des Tatbestandes in der Form des Überlassens des Ausweispapieres alle Möglichkeiten der Teilnahme am Gebrauchmachen auf/"
§ 74 Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich 1. Das geschützte Rechtsgut 1 § 268 schützt die Sicherheit der Informationsgewinnung durch technische Geräte J 2. Die unechte Aufzeichnung 2 Dem geschützten Rechtsgut entsprechend ist die Echtheit der Aufzeichnung nicht auf den Aussteller zu beziehen, sondern auf die Herkunft aus einem unbeeinflussten Herstellungsvorgang eines ordnungsgemäß arbeitenden technischen Geräts. - Unecht ist die Aufzeichnung, wenn sie überhaupt nicht oder nicht in ihrer konkreten Gestalt aus einem in
72
V g l . GRIBBOHM L K , § 2 8 1 R d n . 5; SCH/SCH/CRAMER § 2 8 1 R d n . 4. - W i e hier: HECKER G A 1 9 9 7 S. 5 3 1 ; PUPPE N K , § 2 8 1 R d n . 12 f; RENGIER B . T . n , § 3 8 R d n . 5.
73
Vgl. BGHSt 20 S. 17.
74
BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 280.
75
Im einzelnen dazu R. SCHMITT NJW 1977 S. 1811 f.
76
Dazu im einzelnen: BGHSt 40 S. 26, 30; GRIBBOHM LK, § 268 Rdn. 2 f; KUNZ JUS 1977 S. 604; SIEBER Computerkriminalität, S. 297 ff; PUPPE NK, § 268 Rdn. 10.
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Fälschung technischer Aufzeichnungen
§74
seinem automatischen Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt, obwohl sie diesen Eindruck macht. 3. Die Bedeutung der Vorschrift Die gesetzgeberisch wenig geglückte Vorschrift hat in der Praxis bisher überhaupt nur bei 3 Manipulationen am Fahrtenschreiber, § 57 a StVZO, und der Zeituhr des EG-Kontrollgeräts bei Lastwagen Bedeutung erlangt.77
II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 Den Begriff der technischen Aufzeichnung hat der Gesetzgeber in § 268 Abs. 2 definiert, 4 doch ist ihm hier keine überzeugende Leistung gelungen, wie die bisherigen Kontroversen zeigen. - Treffender kommt das Gemeinte in der Definition von PUPPE zum Ausdruck: technische Aufzeichnung ist die dauerhafte automatische Registrierung eines Zustandes oder Geschehensablaufs J* 1. Die technische Aufzeichnung als Darstellung Als Darstellung ist dementsprechend eine Aufzeichnung anzusehen, bei der die In- 5 formation in einem selbständig und dauerhaft verkörperten, vom Gerät abtrennbaren Stück enthalten ist.79 Die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Mess- oder Zählgerät - z.B. Gas-, Strom-, Kilometerzähler - ist nicht Darstellung in diesem Sinne, weil ihr die Dauerhaftigkeit der Aufzeichnung fehlt.«« 2. Die ganz oder teilweise selbständige Wirkungsweise des Geräts a) Selbständig bewirkt das Gerät die Aufzeichnung, wenn seine Leistung darin besteht, 6 durch einen in Konstruktion oder Programmierung festgelegten automatischen Vorgang einen Aufzeichnungsinhalt mit neuem Informationsgehalt hervorzubringen.81 Fotokopien, Fotografien, Film- und Fernsehaufnahmen sind keine technischen Aufzeichnungen in diesem Sinne, soweit sie lediglich einen von einem Menschen unmittelbar erfassten Vorgang festhalten.82 b) Da auch die teilweise selbständige Herstellung genügt, ist menschliche Mitwirkung z.B. ^ durch ständiges Auslösen des Aufzeichnungsvorganges, nicht ausgeschlossen, soweit das 77
Dazu im einzelnen: GRIBBOHM LK, § 268 Rdn. 4; BayObLG JZ 1986 S. 604.
78
PUPPE, Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972, S. 114.
79
BGHSt 29 S. 205. - Dazu auch: GRIBBOHM LK, § 268 Rdn. 6; KIENAPFEL JR 1980 S. 429; LACKNER/KÜHL § 2 6 8 R d n . 3; PUPPE Fälschung, S. 7 9 ff, 232; DIES. J R SELS/HETTINGERB.T./1, R d n . 862.
80
1978 S. 125; WES-
S o a u c h B G H S t 2 9 S. 2 0 4 mit A n m . KIENAPFEL J R 1980 S. 4 2 9 ; ESER IV, N r . 19 A 78; GRIBBOHM L K , § 2 6 8 R d n . 6; HIRSCH Z S t W 8 5 ( 1 9 7 3 ) S. 7 1 6 ; KREY B.T. 1, R d n . 7 2 4 ; PUPPE N K , § 2 6 8 R d n . 24. -
WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 864. - A.A. FREUND Urkundenstraftaten, Rdn. 250; HOYER SK n , § 268 Rdn. 10; SCHILLING Fälschung technischer Aufzeichnungen (§ 268 StGB), 1970, S. 10 f. 81
Dazu im einzelnen: SIEBER Computerkriminalität, S. 310 ff; vgl. auch PUPPE NK, § 268 Rdn. 18 ff.
82
So a u c h B G H S t 2 4 S. 142; ESER I V N r . 19 A 7 9 ; GRIBBOHM L K , § 2 6 8 R d n . 17; KIENAPFEL J Z 1971 S. 165 f; KREY B.T. 1, R d n . 7 2 0 ; KÜPER B.T., S. 26; PUPPE F ä l s c h u n g , S. 76; SCHMIDHÄUSER B.T.,
14/29; SIEBER Computerkriminalität, S. 304,311. - A.A. HOYER SK n , § 268 Rdn. 19 f; SCHILLING Fäl-
schung, S. 17,76; SCH/SCH/CRAMER § 268 Rdn. 17.
405
§74
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Gerät einen Aufzeichnungsinhalt unbeeinflusst von menschlichen Interessen und Einwirkungen herstellt. 3. Der Gegenstand der Aufzeichnung 8 Die technische Aufzeichnung muss den Gegenstand der Aufzeichnung allgemein oder für Eingeweihte erkennen lassen. Das bedeutet, dass der konkrete Sachverhalt, welcher der Aufzeichnung zugrunde gelegen hat und auf den sich die aufgezeichneten Informationen beziehen, erkennbar sein muss.83 4. Die Beweisbestimmung 9 Die Aufzeichnung muss zum Beweis einer rechtlich erheblichen Tatsache bestimmt sein. Da es hier nicht darauf ankommen soll, ob ihr die Bestimmung schon bei der Herstellung oder später vom Halter des technischen Gerätes oder Dritten gegeben wird, verbirgt sich hinter der Beweisbestimmung nichts anderes als die Feststellung, dass der Aufzeichnung Rechtserheblichkeit zukommen muss; vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 23.
m . Die Tathandlung 1. Herstellen, Verfälschen, Gebrauchen, Abs. 1 10 Gemäß § 268 Abs. 1 wird das Herstellen einer unechten technischen Aufzeichnung das Verfälschen einer technischen Aufzeichnung und der Gebrauch einer unechten oder verfälschten technischen Aufzeichnung bestraft. Herstellen ist das Anfertigen der unechten - dazu oben Rdn. 2 - technischen Aufzeichnung. - Verfälschen ist die inhaltliche Veränderung einer bisher echten technischen Aufzeichnung. - Gebraucht ist die Aufzeichnung, wenn sie dem zu Täuschenden zugänglich gemacht worden ist. 2. Die störende Einwirkung, Abs. 3 11 Wird eine Aufzeichnung dann als unecht angesehen, wenn sie nicht aus einem in seinem Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt, obwohl sie diesen Eindruck erweckt vgl. Rdn. 2 -, so enthält § 268 Abs. 3 einen Unterfall der Herstellung einer unechten Aufzeichnung. - Störend in diesem Sinne ist eine auf eine unechte technische Aufzeichnung zielende Einwirkung, die den Aufzeichnungsvorgang derart beeinflusst, dass das Gerät die ihm eingegebenen Sachverhalte zu einer von der Programmierung abweichenden Aufzeichnung verarbeitet.84
83
D a z u GRIBBOHM LK, § 2 6 8 Rdn. 2 1 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 8 Rdn. 5; PUPPE JR 1978 S. 125.
84
Vgl. BGHSt 40 S. 26 mit Anm. GEPPERT JK 94, StGB § 268/4; PUPPE JZ 1997 S. 495; OLG Stuttgart VRS 85 (1994) S. 196; OLG Stuttgart NStZ 1993 S. 344 mit Anm. PUPPE JR 1993 S. 330 ff; GRIBBOHM L K , § 2 6 8 Rdn. 31; HIRSCH Z S t W 8 5 ( 1 9 7 3 ) S. 7 1 9 ; KREY B.T. 1, Rdn. 7 3 0 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 8 Rdn. 8; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 6 5 Rdn. 86; SIEBER Computerkriminalität, S. 324.
406
Fälschung technischer Aufzeichnungen
§74
Beispiele: Zeitweiliges Unterbrechen des Aufzeichnungsvorgangs;83 Einlegen eines für das Gerät nicht bestimmten Schaublattes (BGHSt 40 S. 26); Verstellen einer mit dem Gerät verbundenen Zeituhr;86 Verbiegen des Schreibstiftes des Geräts (BayObLG wistra 1995 S. 316). - Nicht hingegen: Verwendung einer „Gegenblitzanlage" bei Radarkontrolle (LG Flensburg NJW 2000 S. 1664).
3. Die Ausnutzung eines defekten Gerätes Wird für die Definition der echten Aufzeichnung allein auf den ungestörten automatischen 12 Herstellungsvorgang abgestellt, so ist es für die Frage, ob eine Aufzeichnung echt ist, unwesentlich, ob der Herstellungsvorgang vorsätzlich, versehentlich oder zufallig beeinflusst worden ist. Gleichwohl ist zu differenzieren: a) Die bloße Ausnutzung eines Defekts ist nicht tatbestandsmäßig i.S. des Abs. 1 Nr. 1 13 oder Abs. 3, wenn der Defekt selbst nicht auf einem störenden menschlichen Eingriff beruht. Der menschliche Eingriff in den programmierten funktionalen Ablauf des Geräts ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Tatgeschehens.87 b) Beruht der Defekt hingegen auf einem menschlichen Eingriff - sei es des Täters oder 14 eines Dritten - und weiß der Täter dieses, so erfüllt das bewusste Ausnutzen des Defekts zur Herstellung eines unrichtigen Aufzeichnungsergebnisses den Tatbestand des Abs. 1 Nr. 1 in Verb, mit Abs. 3 durch aktives Tun. - Ein Unterlassen kommt nur in Betracht, wenn der Garant störende Einwirkungen Dritter nicht hindert oder seine eigene vorausgegangene unvorsätzliche Einwirkung nicht rückgängig macht.88 4. Subjektiver Tatbestand und Konkurrenzen Zum Vorsatz, zur Täuschung im Rechtsverkehr und zur Konkurrenz von Fälschen und Ge- 15 brauchmachen der technischen Aufzeichnung vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 52 ff, 56 f. 5. Schwere Fälle der Fälschung technischer Aufzeichnungen, Abs. 5 Gemäß Abs. 5 gelten für schwere Fälle der Fälschung technischer Aufzeichnungen § 263 16 Abs. 3,4 entsprechend; vgl. dazu unter § 70 Rdn. 56 f.
IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. Zum Begriff der technischen Aufzeichnung vgl. § 74 Rdn. 4 ff; im übrigen vgl. die ent- 17 sprechenden Ausführungen § 72 Rdn. 1 ff.
85
D a z u LAMPE G A 1975 S. 17; PUPPE N J W 1974 S. 1174.
86
BayObLG JZ 1986 S. 604; dazu PUPPE JZ 1991 S. 553.
87
Dazu BGHSt 28 S. 300, 307 mit Anm. KIENAPFEL JR 1980 S. 347 f; LACKNER/KÜHL § 268 Rdn. 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 6 5 R d n . 86; PUPPE F ä l s c h u n g , S. 2 6 2 .
88
Vgl. dazu auch BGHSt 28 S. 300, 307; LACKNER/KÜHL § 268 Rdn. 9; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 8 8 1 . 407
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§75
§ 75 Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146,147,149,152 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Die Geldfälschungstatbestände sind Spezialfälle der Urkundenfälschung. Sie schützen das allgemeine Interesse an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs. 2 Da das Bargeld volkswirtschaftlich gesehen als Zahlungsmittel jedoch keineswegs die bedeutendste Rolle spielt, wird gelegentlich geltend gemacht, Umfang und Beginn des Strafrechtsschutzes seien in diesem Bereich zu weit ausgedehnt. Diese Betrachtungsweise stellt die Vermögensschädigung des einzelnen Opfers, die im übrigen von § 263 erfasst wird, zu stark in den Vordergrund. Der durch die §§ 146 ff gewährte Schutz des Funktionierens des Geldverkehrs geht nämlich in eine andere Richtung: Der Verlust des Vertrauens, die dem Wert des Geldes entsprechenden Leistungen für das staatliche Geld zu erhalten, begründet ein tiefes und allgemeines Misstrauen in die Fähigkeit des Staates, seine Garantien erfüllen zu können. Der Betroffene sieht sich hier nicht nur - wie sonst beim Betrüge - als Opfer der List eines Dritten, sondern zugleich als Opfer der Unfähigkeit des Staates, seinen Verpflichtungen nachzukommen. 2. Geschützt sind Papier- und Metallgeld 3 Geld ist jedes vom Staat - zu ausländischen Staaten vgl. § 152 - oder von einer durch ihn ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigtes, zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmtes Zahlungsmittel ohne Rücksicht auf einen allgemeinen Annahmezwang.89 Diese Objekte behalten ihre Geldeigenschaft bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie durch einen staatlichen Willensakt außer Kurs gesetzt werden, d.h. aus dem Zahlungsmittelumlauf herausgenommen werden und zwar unabhängig davon, ob noch eine Umtauschverpflichtung für das außer Kurs gesetzte Geld besteht oder nicht.90 - Falsch ist Geld, wenn es unecht ist, d.h. nicht oder nicht in der vorliegenden Form von demjenigen stammt, der aus ihm als Aussteller hervorgeht.
H. Geldfälschung, § 146 I. Nachmachen und Verfälschen von Geld, Abs. 1 Nr. 1 4 a) Nachmachen, Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt., ist das Herstellen unechten Geldes, das geeignet ist, einen Arglosen im gewöhnlichen Zahlungsverkehr zu täuschen.9! 5 aa) Dass der Fälschung ein echtes Vorbild zugrunde liegt, ist nicht erforderlich.9^ - Auch der 30-DM-Schein ist daher unechtes Geld i.S. der §§ 146 ff, denn er ist geeignet, das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs sowie die Autorität des Staates, der als Garant hinter dem Geld steht, zu verletzen. - Dieses Rechtsgut ist aber nicht 89
BGHSt 12 S. 345.
90
S o a u c h GEISLER G A 1981 S. 5 1 5 f; PUPPE N K , § 146 R d n . 8; TRÖNDLE/FISCHER § 146 R d n . 2. - A . A . LACKNER/KÜHL § 146 R d n . 2; R u ß L K , § 146 R d n . 5 ; SCH/SCH/STREE § 146 R d n . 3.
91
Vgl. BGH NJW 1994 S. 1423; BGH NStZ 1995 S. 440. - Enger: OLG Düsseldorf NJW 1995 S. 1846; dazu HEFENDEHL JR 1996 S. 353 ff; Puppe JZ 1997 S. 497 f. BGHSt 30 S. 71.
92
408
Geldfälschung
§75
beeinträchtigt, wenn ein Phantasieprodukt eines nicht existierenden Staates (500Krachmen-Schein der Inselrepublik Krota) in den Verkehr gebracht wird. Die Verletzung des Vertrauens in eine real nicht existierende Staatsautorität ist nicht geeignet, realer Staatsautorität zu schaden.93 bb) Auch die von einer staatlichen Münzanstalt ohne staatlichen Auftrag hergestellten 6 Münzen sind unecht, denn Aussteller ist auch hier nicht deijenige, der die Münzen körperlich herstellt, sondern deijenige, dem sie rechtlich zugerechnet werden.94 cc) Manipulationen echten Geldes (Änderungen der Jahreszahl, Serie o.ä.), die dieses Geld 7 nicht ungültig machen, berühren die Echtheit nicht, auch wenn dadurch Sammler getäuscht werden können.'* b) Verfälschen, Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt., ist ein Verändern echten Geldes in einer Weise, dass 8 für einen Arglosen der Anschein eines höheren Nominalwertes hervorgerufen wird. 2. Sich Verschaffen von Falschgeld, § 146 Abs. 1 Nr. 2 Grundsätzlich verschafft sich Falschgeld, wer allein oder gemeinsam mit einem Mittäter 9 Verfügungsgewalt an dem Geld begründet.96 - Str. ist jedoch, ob dieses mit dem Willen geschehen muss, eigenständige Verfügungen über das Geld zu treffen. Wird dieser Wille gefordert, so entfällt ein Sicherverschaffen bei Personen, die den Gewahrsam nur für einen Dritten ausüben wollen, z. B. bei sog. Verteilungsgehilfen, Empfangsboten und Verwahrern.97 Das überzeugt durchaus bei Personen, die überhaupt nicht eigenständig über das Geld verfugen wollen, sondern nur als Bote, Transportgehilfe oder Verwahrer tätig werden wollen,nicht aber für den Verteilungsgehilfen, der auf Weisung oder für Rechnung eines anderen handelt. Sein Ausschluss aus dem Täterkreis ist nur auf der Grundlage einer unangemessenen, extrem subjektiven Täterlehre möglich.99 3. Das Inverkehrbringen, Abs. 1 Nr. 3 a) In den Verkehr gebracht ist das Falschgeld, wenn ein anderer tatsächlich in die Lage 10 versetzt wird, sich seiner zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen. - Als Inverkehrbringen als echt interpretiert die h.M. nicht nur die Weitergabe an einen gut-
93
Vgl. auch BARTHOLME JA 1993 S. 199. - A.A. h.M. vgl. BGHSt 30 S. 71 mit zust. Anm. STREE JR 1 9 8 1 S. 4 2 7 f f , u n d abl. A n m . OTTO N S t Z 1 9 8 1 S. 4 7 8 f; R u ß L K , § 1 4 6 R d n . 6; TRÖNDLE/FISCHER §
146 Rdn. 3. 94
V g l . B G H S t 2 7 S. 2 5 5 m i t A n m . DREHER JR 1 9 7 8 S. 4 5 f f , GEISLER N J W 1 9 7 8 S. 7 0 8 f , STREE JUS
1978 S. 236 ff; Ruß LK, § 146 Rdn. 10 m.N. - A.A. LG Karlsruhe NJW 1977 S. 1301; SONNEN JA 1 9 7 7 S. 4 8 1 .
95
Vgl. LG Karlsruhe NJW 1977 S. 1301; RUß LK, § 146 Rdn. 8; TRÖNDLE/FISCHER § 146 Rdn. 3. - A.A.
96
BGH StV 1984 S. 330. Enger (quasi-rechtsgeschäftlicher Erwerb erforderlich): FRISTER GA 1994 S.
HAFKE M D R 1 9 7 6 S. 2 7 8 f f . 559.
97
Vgl. BGHSt 3 S. 154; 4 4 S. 6 2 mit Anm. MARTIN JuS 1998 S. 959, OTTO JK 99, StGB, § 146/2, PUPPE
NStZ 1998, S. 460 f; BGH NStZ 2000 S. 530; LG Gera StV 1996 S. 155 mit Anm. ST. CRAMER NStZ 1 9 9 7 S. 8 4 f; LACKNER/KÜHL § 1 4 6 R d n . 6; RUDOLPHI S K II, § 1 4 6 R d n . 9 ; R u ß L K , § 1 4 6 R d n . 2 0 ;
WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 929. 98
V g l . PUPPE N K , § 1 4 6 R d n . 2 2 .
99
V g l . PUPPE N K , § 1 4 6 Rdn. 2 1 .
409
§75
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
gläubigen, sondern auch an den eingeweihten Abnehmer, sofern sie den ersten Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel bedeutet.1«' 11 Diese Interpretation des Inverkehrbringens ist mit dem Gesetzes Wortlaut nicht in Einklang zu bringen, denn in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 unterscheidet der Gesetzgeber ausdrücklich zwischen der Absicht des Inverkehrbringens als echt und der Absicht des Ermöglichens solchen Inverkehrbringens. Diese Differenzierung ist allein sinnvoll, wenn als Inverkehrbringen als echt die Weitergabe an einen Gutgläubigen angesehen wird, denn dann ist das Ermöglichen des Inverkehrbringens das Weitergeben an einen Bösgläubigen, der es seinerseits wiederum an einen Gutgläubigen weitergeben will. Wird hingegen die Weitergabe an einen Gutgläubigen und an einen Bösgläubigen als Inverkehrbringen als echt interpretiert, so bleibt der Begriff „Ermöglichen solchen Inverkehrbringens" inhaltsleer. ioi 12 b) Nur deijenige kann Täter des Abs. 1 Nr. 3 sein, der das Falschgeld durch eine Tat nach Abs. 1 Nr. 1 oder 2 erlangt hat. 4. Der subjektive Tatbestand 13 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Bedingter Vorsatz genügt. Die in Abs. 1 Nr. 1,2 vorausgesetzte Absicht ist zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades).102 5. Konkurrenzen 14 a) Zur Konkurrenz des Nachmachens, Verfalschens und Verschaffens mit dem Inverkehrbringen gemäß § 146 Abs. 1 Nr. 3 vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 56 f. - Das Inverkehrbringen ist auch hier die materielle Beendigung der zuvor vollendeten Tat.103 15 Eigenständige Bedeutung kommt dem § 146 Abs. 1 Nr. 3 nur zu, wenn der einheitliche Vorgang des Nachmachens, Verfälschens oder Verschaffens des Geldes und des Inverkehrbringens dieses Geldes unterbrochen wird. Beispiel 1: Nach rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 bringt der Täter erneut Falschgeld aus der alten Quelle in Verkehr.104 Beispiel 2: Nach endgültiger Aufgabe des Planes, das Geld in den Verkehr zu bringen, fasst der Täter eines Tages einen neuen Entschluss und bringt nun das Geld in den Verkehr.
100 BGHSt 29 S. 311 mit abl. Anm. OTTO JR 1981 S. 82 ff; 35 S. 21, 23; 42 S. 162, 168; OLG Düsseldorf N J W 1998 S. 2 0 6 7 ; ARZT/WEBER B.T. § 3 4 R d n . 13; LACKNER/KÜHL § 147 R d n . 2; R u ß L K , § 146 R d n . 24; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 146 R d n . 5; STREE J u S 1978 S. 2 3 9 f; TRÖNDLE/RSCHER § 147 R d n . 2; WESSELS B o c k e l m a n n - F S , S. 6 7 7 f.
101 So auch OLG Stuttgart NJW 1980 S. 2089 mit Anm. OTTO JR 1981 S. 83; LG Kempten NJW 1979 S. 2 2 5 m i t A n m . OTTO N J W 1979 S. 2 2 6 ; BARTHOLME J A 1993 S. 199 f; BOCKELMANN B.T./3, § 16 N 2 d ; JAKOBS J R 1988 S. 122; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 67 R d n . 27; PRITTWITZ N S t Z 1989 S. 10; PUPPE J Z 1986 S. 9 9 4 ; DIES. J Z 1991 S. 612; RUDOLPHI S K II, § 146 R d n . 12 f, § 147 R d n . 6; SCHMIDHÄUSER B.T., 14/50; STEIN/ONUSSEIT J u S 1980 S. 104 f f ; WESSELS/HETTINGER B.T./L, R d n . 9 3 3 a.
102 So auch BGHSt 27 S. 259; 35 S. 22; LACKNER/KÜHL § 146 Rdn. 11; RUß LK, § 146 Rdn. 15. - A.A. (einfacher Vorsatz): PUPPE NK, § 146 Rdn. 13. 103 Vgl. auch BGHSt 34 S. 108; BGH StV 1995 S. 470; 2000 S. 306. 104 Vgl. LACKNER/KÜHL § 146 R d n . 9; R u ß L K , § 146 R d n . 3; TRÖNDLE/FISCHER § 146 R d n . 8. - A . A . PUPPE N K , § 146 R d n . 32.
410
Geldfälschung
§75
b) Mit § 263 besteht Idealkonkurrenz, denn die Tat richtet sich gegen unterschiedliche 16 Rechtsgüter, los 6. Qualifizierte Geldfälschung, Abs. 2 Qualifiziert ist die Geldfälschung bei gewerbsmäßigem oder bandenmäßigem Handeln, 17 Abs. 2; im einzelnen dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 51 Rdn. 107,113.
HI. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1,1. Alt. Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Geldfälschung stellt § 149 Abs. 1, 1. Alt. als 18 selbständiges Delikt unter Strafe. 1. § 149 ist subsidiär gegenüber § 146. Er tritt zurück, sobald der Versuch der Fälschungstat begonnen hat. 2. Zur Möglichkeit der Tätigen Reue vgl. § 149 Abs. 2,3.
IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 Nach § 147 werden die Fälle des Inverkehrbringens von Falschgeld als echt erfasst, die nicht unter § 146 Abs. 1 Nr. 3 fallen. - Das ist etwa dann der Fall, wenn Falschgeld in Verkehr gebracht wird, das zunächst ohne Verbreitungsabsicht nachgemacht worden ist, oder wenn als echt empfangenes Falschgeld an Gutgläubige abgegeben wird. Durch die Interpretation des Inverkehrbringens des Falschgeldes als echt auch bei Weitergabe an einen eingeweihten Dritten, sofern dies der erste Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel ist, wird z.T. versucht, das Ermöglichen des Inverkehrbringens als echt als Inverkehrbringen als echt zu erfassen; vgl. dazu Rdn. 10 f. Damit fallt auch die Weitergabe als echt empfangenen Falschgeldes an einen Eingeweihten unter § 147. - Dem kann aus den unter Rdn. 10 f dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. Aber auch die Gegenmeinung, die in diesem Falle eine Beihilfe an der Tat des eingeweihten Dritten annimmt, wenn dieser sich das Geld geben lässt, um es als echt in den Verkehr zu bringen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27, wird dem Sachproblem nicht gerecht. Der gutgläubige Empfänger von Falschgeld, der dieses selbst an einen Gutgläubigen weitergibt, macht sich lediglich eines Vergehens nach § 147 Abs. 1 schuldig. Schaltet er hingegen einen Dritten ein, so soll er wegen Beihilfe zu einem Verbrechen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27, d.h. wegen eines Verbrechens strafbar sein.10« Dieser Widerspruch ist nicht akzeptabel. - Sachlich angemessen wäre eine Privilegierung desjenigen, der gutgläubig Falschgeld erhalten hat und dieses jetzt weitergibt, sowie jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen. Diese Personen sollten gemäß § 147 bestraft werden, der Erstempfanger sodann gemäß §§ 147, 27.107 Diese Differenzierung ist jedoch mit dem Gesetzeswortlaut der §§ 146 Abs. 1 Nr. 2, 147 nicht in Einklang zu bringen. Möglich aber ist es, aufgrund der Gleichheit im Unrechtsgehalt auf das Verhalten des gutgläubigen Empfangers von Falschgeld, der dieses weitergibt, und jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen, das Strafmaß des § 147 1°5 So auch h.M., vgl. BGHSt 3 S. 156; 31 S. 380 mit Anm. KIENAPFEL JR 1984 S. 162 f. - A.A. RUDOLPHI SK D, § 146 Rdn. 19: Konsumtion des § 263. 106 So OLG Stuttgart NJW 1980 S. 2089; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 67 Rdn. 27. 107
D a z u PUPPE N K , § 1 4 7 Rdn. 15; RUDOLPHI S K D , § 147 R d n . 6; STEIN/ONUSSEIT JUS 1 9 8 0 S . 1 0 7 f .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§75
analog anzuwenden, unabhängig von der dogmatischen Erfassung des strafbaren Verhaltens.
V. Wertpapierfälschung, § 151 23 Gemäß § 151 werden bestimmte Wertpapiere - Aufzählung erschöpfend - dem Gelde gleichgestellt. Auswahlkriterien für den Gesetzgeber waren das massenhafte Vorkommen dieser Papiere im Wirtschaftsverkehr und die dem Papiergeld ähnliche tatsächliche Ausstattung. Die Papiere müssen gegen Nachahmung besonders gesichert sein, und zwar durch Gestaltung des Druckes und durch die Auswahl der Papierart.108 - Die an den Börsen der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Papiere genügen diesen Anforderungen ausnahmslos. 24 Die Fälschung braucht - ebenso wenig wie das Geld - kein echtes Vorbild zu haben, doch ist auch hier zu fordern, dass als Aussteller eine wirklich existierende Person angegeben wird, denn nur die Verletzung des Vertrauens in das konkrete Unternehmen des Ausstellers des relevanten Papiers rechtfertigt den erhöhten Strafrechtsschutz; vgl. zum Streitstand Rdn. 5 f.
VI. Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks, § 152 a 1. Das geschützte Rechtsgut 25 Geschütztes Rechtsgut ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Dem damit verbundenen Vermögensschutz kommt keine Eigenständigkeit ZU. 109
2. Das Tatobjekt 26 Tatobjekt sind falsche oder echte inländische oder ausländische Zahlungskarten - zum Begriff der Zahlungskarte vgl. Abs. 4 - sowie Vordrucke für Euroschecks. Die Kodierzeile gehört nicht zum Vordruck, denn sie ist nicht durch Druckart und Druckbild besonders geschützt. Zu erwägen aber ist die Strafbarkeit nach § 267 beim unberechtigten Einfügen einer Kodierzeile, da nun der Scheckvordruck einem bestimmten Konto zugeordnet wird.110 Falsch sind die Karten oder Vordrucke, wenn sie nicht von dem berechtigten, aus dem Vordruck ersichtlichen Aussteller (Kreditinstitut) herrühren. - Aussteller ist auch hier nicht derjenige, der die Vordrucke körperlich herstellt, sondern deijenige, dem sie rechtlich zugerechnet werden. 3. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 27 a) Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 sind das Nachmachen, d.h. das Herstellen - im einzelnen dazu vgl. § 75 Rdn. 4 f - und das Verfälschen, das eine Veränderung an einer echten 108 vgl. BGH NStZ 1987 S. 504. 1 0 9 V g l . B T - D r u c k s . 1 0 / 5 0 5 8 , S . 2 6 ; LACKNER/KÜHL § 1 5 2 a R d n . 1; O T T O w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 5 3 ; RUDOLPHI S K H , § 1 5 2 a R d n . 1 ; R U ß L K § 1 5 2 a R d n . 2 ; TRONDLE/FISCHER § 1 5 2 a R d n . 1. - A . A . PUPPE N K , § 1 5 2 a Rdn. 3 ff.
110 A.A. BGHSt 46 S. 48 mit Anm. KRACK NStZ 2001 S. 139 ff, OTTO JK 01, StGB § 152 a/1; TRÖNDLE/FISCHER | 1 5 2 a R d n . 2. - Z u r P r o b l e m a t i k v g l . a u c h PUPPE N K , § 1 5 2 a R d n . 1 0 ; RUDOLPHI S K N , § 1 5 2 a Rdn. 5 .
412
Wertzeichenfälschung
§76
Karte oder einem echten Vordruck voraussetzt - dazu im einzelnen § 75 Rdn. 8 -. Es genügt, wenn eine Karte nachgemacht oder verfälscht wird. Der im Gesetzeswortlaut gewählte Plural hat sprachliche, nicht sachliche Gründe.111 b) Subjektiv ist neben dem auf die Tathandlung bezogenen Vorsatz, bedingter genügt, er- 28 forderlich, dass der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr oder um eine solche Täuschung zu ermöglichen, handelt. - Zur Täuschung im Rechtsverkehr vgl. § 70 Rdn. 53. 4. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 2 Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 2 sind das sich oder einem anderen Verschaffen, d.h. das 29 Erlangen der alleinigen oder gemeinsamen Verfügungsmacht über die Karten oder Vordrucke für sich oder einen Dritten, das Feilhalten, d.h. das erkennbare Bereithalten der Karten oder Vordrucke zum Verkauf an andere, das Überlassen des Gewahrsams an den Karten oder Vordrucken an einen anderen und das Gebrauchen - dazu vgl. § 70 Rdn. 50 -, das bereits beim Gebrauch einer einzigen Karte vorliegt.112 Der subjektive Tatbestand entspricht dem der Nr. 1, vgl. Rdn. 28. 5. Qualifizierte Fälschung, Abs. 2 Qualifiziert ist das Delikt nach Abs. 1 bei gewerbsmäßigem oder bandenmäßigem Han- 30 dein, Abs. 2; im einzelnen dazu die entsprechenden Ausführungen § 51 Rdn. 107,113. 6. Vorbereitungshandlungen Durch Verweis auf § 149 werden Vorbereitungshandlungen zur Fälschung von Zahlungs- 31 karten und Euroschecks erfasst.
§ 76 Wertzeichenfälschung I. Wertzeichenfälschung, § 148 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt Rechtsgut des § 148 ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs mit 1 Wertzeichen. - Die Objekte selbst sind nach h.M. nicht Urkunden, sondern Augenscheinsobjekte, denn sie verkörpern keine Gedankenerklärung.113 2. Das amtliche Wertzeichen Amtliche Wertzeichen sind vom Staat, einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen Kör- 2 perschaft oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts ausgegebene Marken oder ähnliche Zeichen, die Zahlung gleicher Art (wie von Gebühren, Steuern, Abgaben, Beiträgen und
111 Vgl. auch BGHSt 46 S. 146, 150 ff mit Anm. OTTO JK 01, StGB § 152 a/2, PUPPE JZ 2001 S. 471 f; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 152 a R d n . 5; TRÖNDLE/FISCHER § 1 5 2 a R d n . 4 . - A . A . PUPPE N K , § 152 a R d n . 14; RUDOLPH S K n , § 152 a R d n . 6; R u ß L K , § 1 5 2 a R d n . 4 .
112 Vgl. BT-Drucks. 13/8557, S. 29 f; BGH wistra 2001 S. 17. - A.A. PUPPE NK, § 152 a Rdn. 24; RUDOLPHI SK D, § 152 a Rdn. 6; RUß LK, § 152 a Rdn. 4. 113 Dagegen mit überzeugenden Gründen PUPPE NK, § 148 Rdn. 3; G. SCHMIDT ZStW 111 (1999) S. 420 f f ; TRÖNDLE/FISCHER § 148 R d n . 2.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§77
dergleichen) vereinfachen, sicherstellen oder nachweisen sollen.114 Auch ausländische Zeichen sind geschützt, soweit sie den Anforderungen genügen. Beispiele: Stempelpapiere; Stempelmarken; Beitragsmarken zur Sozialversicherung; Gerichtskostenmarken o.a. Keine amtlichen Wertzeichen sind die Briefmarken der Dt. Post AG. 115 - Ihr strafrechtlicher Schutz erfolgt im Rahmen des § 261.n6
3. Die Tathandlungen 3 a) Die Tathandlungen gemäß Abs. 1 entsprechen denen der Geldfälschung, vgl. dazu oben § 75 Rdn. 4 ff. 4 b) Gemäß Abs. 2 wird die Wiederverwendung und das in den Verkehr bringen bereits entwerteter amtlicher Wertzeichen bestraft, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist. Der Versuch der Tat beginnt, wenn der Täter sich - nach seinem Vorstellungsbild vom Sachverhalt - anschickt, von den Wertzeichen erneut Gebrauch zu machen. Das ist z.B. bei der Wiederverwendung entwerteter Briefmarken der Fall, wenn der Täter sich anschickt, den mit entwerteten Zeichen versehenen Brief in den Machtbereich der Post gelangen zu lassen.117
4. Konkurrenzen 5 a) Mit § 263 kann § 148 Abs. 1 Nr. 3 in Tateinheit stehen.11« - Vgl. dazu § 75 Rdn. 14 f. 6 b) Abs. 2 ist gegenüber § 263 lex specialis, da sonst der mildere Strafrahmen nicht zum Zuge käme.119
II. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1, 2. Alt. 7 Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wertzeichenfälschung stellt § 149 Abs. 1, 2. Alt. als selbständiges Delikt unter Strafe; vgl. dazu § 75 Rdn. 18.
§ 77 Zur Wiederholung 1 1. Welches Rechtsgut schtltzen die Utkundendelikte? - Dazu $ 69 Rdn. 1. 2. Welche vier verschiedenen Arten des Angriffs auf dieses Rechtsgut sind im StGB unter Strafe gestellt? Dazu § 69 Rdn. 2.
114 BGHSt 32 S. 75. 1 1 5 V g l . G . SCHMIDT Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 4 0 3 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 148 R d n . 2 ; TRÖNDLE/FLSCHER § 1 4 8 R d n . 2.
116 Vgl. auch RUDOLPHI SK II, § 148 Rdn. 2; RUß LK, § 148 Rdn. 4; SCH/SCH/STERNBERG-LlEBEN § 148 R d n . 1; TRÖNDLE/FISCHER § 1 4 8 R d n . 2 .
117 A.A. OLG Koblenz NJW 1983 S. 1625 mit abl. Anm. KÜPER NJW 1984 S. 777 f, und LAMPE JR 1984 S. 164 f, wo letztlich bereits die erste Verwendung der Briefmarke als Versuch der Wiederverwendung interpretiert wird. 118 BGHSt 31 S. 380 mit Anm. KIENAPFEL JR 1984 S. 162 f. 1 1 9 V g l . KIENAPFEL J R 1 9 8 4 S. 1 6 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 4 8 R d n . 10. - A . A . G . SCHMIDT Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 4 2 1 .
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Zur Wiederholung 3. 4.
§77
Wie wird der Begriff „Urkunde" nach den verschiedenen Meinungen jeweils definiert? - Zeigen Sie den entscheidenden Unterschied auf! - Dazu § 70 Rdn. 2 ff, 6 ff. Welche der folgenden Gegenstände lassen sich nach dem engeren, welche nach dem weiten Urkundenbegriff der h.M. als Urkunde einordnen: Fahrgestell- und Motornummer sowie amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen, Autogramm, Merkstrich auf Bierfilzen, Fahrtenschreiberdiagramm, Tonbandaufzeichnung, Fabriknummer auf einem Industrieerzeugnis, unausgefüllter Scheckvordruck, stenographisches Schuldanerkenntnis, Quittung, Dienststempel in einer Diensthose zur Eigentümerkennzeichnung? - Dazu § 70 Rdn. 6 ff.
5.
Welche Bedeutung hat die sog. Geistigkeitstheorie für die Ermittlung des Ausstellers einer Urkunde? Dazu § 70 Rdn. 10 ff.
6.
In welchem der folgenden Fälle ist der Aussteller erkennbar, so dass von einer Urkunde gesprochen werden kann? a) Der A unterschreibt einen Erpresserbrief mit „King Kong". b) Die B zeichnet ein dem unbekannten Unfallgegner C iibergebenes Schuldanerkenntnis fälschlich mit „Müller". c) Udo Jürgens bestellt schriftlich unter diesem Künstlernamen ein neues Klavier. d) Der C trägt sich im Anmeldeformular eines Hotels unzutreffend mit „Klaus Schultz" ein, um anonym zu bleiben. - Dazu § 70 Rdn. 16 f, 43 f.
7. 8.
Was ist eine „Gesamturkunde"? Was ist eine „zusammengesetzte Urkunde"? - Dazu § 70 Rdn. 25 f. Was versteht man unter dem Herstellen einer unechten, was unter dem Verfälschen einer echten Urkunde? - Dazu § 70 Rdn. 34 ff, 47 ff. Macht deijenige von einer „unechten oder verfälschten Urkunde" Gebrauch, der eine Fotokopie vorlegt, die er geschickt durch bloßes Aufeinanderlegen von Einzelbestandteilen erstellt hat? - Dazu § 70 Rdn. 28 f.
9.
10. Der A fügt dem zu seinen Gunsten von B ausgestellten Scheck über DM 100,- gekonnt eine weitere Null hinzu und legt diesen 1000,- DM-Scheck - seinem Plan gemäß - seiner Bank zur Gutschrift vor. Welche Urkundenfälschungen hat A begangen und wie verhalten sich die Taten zueinander? - Dazu § 70 Rdn. 58. 11. Was versteht man unter einer „öffentlichen Urkunde"? - Dazu § 71 Rdn. 4 f. 12. Ist das Delikt der Falschbeurkundung im Amt, § 348, schon mit der bloßen Beurkundung oder Eintragung durch den Amtsträger vollendet? - Dazu § 71 Rdn. 9. 13. Wie ist die Strafbarkeit der Personen in folgenden Fällen zu beurteilen, wenn man davon ausgeht, dass § 271 als lückenschließende Ergänzung zu § 348 zu verstehen ist? a) A will den vermeintlich gutgläubigen Amtsträger N durch Täuschung zu einer unrichtigen Beurkundung bewegen. N fertigt diese Urkunde an, obwohl er A durchschaut hat. b) A gibt dem Amtsträger N Falsches zur Beurkundung, wobei er annimmt, dem N werde dies bei der Urkundenerstellung bewusst sein. N bemerkt hiervon jedoch nichts. - Dazu § 71 Rdn. 14 f, 16. 14. Welche unterschiedlichen Auffassungen werden zur Benachteiligungsabsicht in § 274 Abs. 1 Nr. 1 vertreten? - Dazu § 72 Rdn. 5 f. 15. Ist die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Mess- oder Zählgerät, z.B. einem Kfz-Kilometerzähler, eine „technische Aufzeichnung" i.S. des § 268? Begründen Sie die Antwort aus der Begriffsdefinition! - Dazu § 74 Rdn. 5. 16. Fällt das Ergebnis eines bloß reproduzierenden Vorgangs, z.B. Fotografien, Film- und Fernsehaufnahmen, unter den Begriff der „technischen Aufzeichnung"? Zeigen Sie den entscheidenden Gesichtspunkt auf! - Dazu § 74 Rdn. 6. 17. In welchen der folgenden Fälle ist § 268 verwirklicht? a) A bewirkt, dass sein Fahrtenschreiber bei hoher Geschwindigkeit aussetzt. Die fehlenden Diagrammteile zeichnet er später mit der Hand ein. b) Der Kraftfahrer A gibt seinem Chef ein altes Diagramm anstelle des am selben Tage angefertigten ab.
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§77
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit c) B heftet in seine Krankenakte ein Elektrokardiogramm, das in Wirklichkeit für X angefertigt wurde. - Dazu § 74 Rdn. 2,4 ff, 10 ff.
18. Ist § 146 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt, wenn der Täter erfundene Geldscheine eines nicht existierenden Staates herstellt? - Dazu § 75 Rdn. 5. 19. Kann die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten als ein Inverkehrbringen „als echt" i.S. der §§ 146, 147 interpretiert werden? - Skizzieren Sie die hierzu vertretenen Meinungen und ihre jeweiüge Begründung! - Dazu § 75 Rdn. 10 f, 19 ff. 20. Worin liegt der in der geltenden Gesetzesfassung begründete Wertungswiderspruch, wenn man die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten, das dieser an Gutgläubige weitergibt, als Beihilfe zur Tat des Eingeweihten gem. §§ 146 Abs. 1 Nr. 3,27 beurteilt? - Dazu § 75 Rdn. 20 f.
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Systematischer Überblick
§78
Fünfter Abschnitt
Gemeingefährliche Delikte § 78 Systematischer Überblick I. Der Begriff des gemeingefährlichen Delikts 1. Vom gemeingefährlichen Delikt zum Gefährdungsdelikt 1 Die im 28. Abschnitt des StGB zusammengefassten Delikte sind nicht durch den Angriff auf ein gemeinsames Rechtsgut gekennzeichnet, sondern durch die Begehungsweise. Sachlich handelt es sich daher bei den hier erfassten Delikte um konkrete oder abstrakte Gefahrdungsdelikte. Die konkreten Gefährdungsdelikte setzen den Nachweis einer tatsächlich eingetretenen Gefahrensituation voraus, in der es aus der Sicht eines Beobachters der Situation allein zufallsbedingt ist, wenn es nicht zu einer Rechtsgutsverletzung kommt. Abstrakte Gefährdungsdelikte sind Delikte, die ein typischerweise gefährliches Verhalten verpönen, unabhängig davon, ob es zum Eintritt einer konkreten Gefahr kommt oder nicht.
Als gemeingefährlich, d.h. gefährlich für individuell nicht bestimmte Personen oder Sach- 2 werte, können die hier relevanten Delikte daher nicht wegen eines bestimmten Gefahrdungserfolges, sondern allein wegen ihrer Handlungstendenz angesehen werden. 2. Der Ausschluss der Realisierung der Gefahr Eine grundsätzliche Frage stellt sich bei allen abstrakten Gefährdungsdelikten: Wird der 3 Tatbestand auch dann erfüllt, wenn sichergestellt ist, dass die abstrakte Gefahr sich nicht realisieren kann? a) Folgende Vorschläge zur Lösung der Problematik werden erörtert: 4 aa) Es soll der Gegenbeweis der Ungefährlichkeit des Verhaltens im Einzelfall zugelassen werden, i bb) Die Tatbestände sind durch das - ungeschriebene - Merkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsbeeinträchtigung zu ergänzen.2 cc) Die Tathandlung soll nur dann tatbestandsmäßig sein, wenn sie in bezug auf das geschützte Rechtsgut sorgfaltspflichtwidrig war.3 dd) Die abstrakten Gefährdungsdelikte sind in verschiedene Kategorien einzuteilen, mit der Konsequenz entsprechend differenzierter Lösungen der Problematik.4 ee) Ein .Ausschluss der Strafbarkeit" ist gegeben bei absoluter Unmöglichkeit des Schadenseintritts im Einzelfall.5 1 2
3
Vgl. RABL D e r G e f ä h r d u n g s v o r s a t z , 1983, S. 21; SCHRÖDER Z S t W 81 ( 1 9 6 9 ) S. 15 f; TIEDEMANN in:
Belke/Oehmichen (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, S. 28. Vgl. CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 67 f. Vgl. dazu BERZ Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz, 1986, S. 113 f; BREHM Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdeliktes, 1973, S. 126 f; HORN Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 11, 28, 94; RUDOLPHI Maurach-FS, S. 56 f; WOLTER Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981, S. 284 ff.
4
V g l . SCHÜNEMANN J A 1975 S. 7 9 8 .
5
Vgl. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 5 0 R d n . 39.
417
§78
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
ff) Zum Teil wird eine vom Schutzzweck abgeleitete einschränkende Auslegung der abstrakten Gefährdungsdelikte grundsätzlich abgelehnt.6 5 b) Stellungnahme: Die Problematik, dass der Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts ein Verhalten erfasst, das im konkreten Fall das geschützte Rechtsgut überhaupt nicht beeinträchtigen kann, hat nicht nur strafrechtliche, sondern verfassungsrechtliche Dimensionen, denn ein Verhalten, das sich in einem formalen Verstoß gegen das gesetzliche Verbot erschöpft, ist nicht strafwürdig. Hier fragt es sich, ob nicht das Gesetz bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen Reaktionsmöglichkeiten vorsehen muss, die eine Bestrafung des Betroffenen in diesen Fällen verhindern.7 6 Solange diese gesetzliche Grundlage fehlt, ist jedoch durch Auslegung der entsprechenden Tatbestände sicherzustellen, dass eine Bestrafung nicht strafwürdigen Verhaltens unterbleibt. Zur Realisierung dieses Ziels sind die verschiedenen Vorschläge jedoch unterschiedlich geeignet: 7 Die Zulassung des Gegenbeweises der Ungefahrlichkeit ist mit dem Schuldgrundsatz nicht in Einklang zu bringen. Darüber hinaus erscheint diese Lösung, wie auch die Forderung nach einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsbeeinträchtigung oder nach einer Sorgfaltspflichtverletzung in bezug auf das geschützte Rechtsgut, zu weitgehend. Durch die Eröffnung tatbestandsausschließender Irrtümer wird der vom Gesetzgeber gewollte Schutzbereich eingeengt. Eine Differenzierung zwischen den abstrakten Gefahrdungsdelikten kann die Problematik sicher weiter erhellen, erscheint aber nicht unabweisbar notwendig. - Ist die Realisierung der abstrakten Gefahr im Einzelfall jedoch absolut ausgeschlossen und hat der Täter dies durch geeignete Maßnahmen sichergestellt oder sich vom Gefahrenausschluss zumindest überzeugt, so kann dieser Sachverhalt als persönlicher Strafausschließungsgrund akzeptiert werden. - Diese Konstruktion ermöglicht auch problemlos eine Strafmilderung, wenn zwar die Realisierung der Gefahr nicht sicher ausgeschlossen war, der Täter sich dieses jedoch vorstellte.8
II. Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick) 8 1. Die Brandstiftungsdelikte, §§ 306-306f: dazu unten § 79 2. Die Explosionsdelikte, §§ 307 - 312 9 a) Das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion erfasst § 308. Die Tat ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Tathandlung ist das Herbeifuhren einer Explosion, d.h. eines chemischen oder physikalischen Vorgangs, bei dem durch eine plötzliche Volumenvergrößerung Kräfte frei werden, die eine zerstörende Wirkung ausüben können.' 6
V g l . BOHNERT JUS 1984 S. 182 f f ; KINDHÄUSER G e f ä h r d u n g als Straftat, 1989, S. 2 9 6 ; KORIATH G A
2001 S. 65 ff, 74; KRATZSCH Veihaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 111 ff, 274 f f ; KREY B.T. 1, R d n . 7 6 5 ; RENGŒR J u S 1998 S. 399; SCHNEIDER Jura 1988 S. 4 6 0 f.
7
Dazu GRAßHOF BVerfGE 90 S. 202, 207.
8
In gleicher Richtung der Argumentation: BGHSt 26 S. 121 mit Anm. BREHM JuS 1976 S. 22 ff; BGH N J W 1982 S. 2 3 2 9 m i t A n m . BOHNERT J u S 1984 S. 182 f f , HLLGER N S t Z 1982 S. 4 2 1 f , SEIER J A 1983
S. 45 f; BGHSt 34 S. 115, 119; GEPPERT Jura 1989 S. 424 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 5 0 R d n . 37 f f ; WESSELS/HEITINGERB.T./1, R d n . 968.
9
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KG NStZ 1989 S. 369.
Systematischer Überblick
§78
Eine Gefährdung durch Implosion oder Schallwellen fällt nicht unter den Begriff der Explosion.10 Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: 10 aa) Das vorsätzliche Herbeiführen einer Explosion, Abs. 1. bb) Das vorsätzliche Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, Abs. 5. cc) Das fahrlässige Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, Abs. 6. dd) Die erfolgsqualifizierte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion - schwere Gesundheitsbeschädigung eines anderen Menschen, dazu vgl. § 10 Rdn. 2, oder Gesundheitsbeschädigung einer großen Zahl von Menschen - erfasst Abs. 2. ee) Eine weitere Erfolgsqualifikation - wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines anderen Menschen - ist geregelt in Abs. 3. b) Eine Sonderregelung gegenüber § 308 (lex specialis) stellt § 307, Herbeiführen einer 11 Explosion durch Kernenergie, dar. aa) Die Tat ist konkretes Gefährdungsdelikt und im Falle des Abs. 1 (vorsätzliche Gefährdung durch vorsätzliche Tathandlung) Unternehmensdelikt, bb) Abs. 2 erfasst die vorsätzliche Herbeiführung einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung. cc) Abs. 3 sieht eine Erfolgsqualifikation für die wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat vor. dd) Abs. 4 erfasst die fahrlässige Herbeiführung der Explosion mit fahrlässiger Gefährdung. c) Missbrauch ionisierender Strahlen, § 309 12 Gemäß § 309 wird die konkrete Gefährdung von Menschen (Abs. 1) und bestimmten Sachen (Abs. 6) durch ionisierende Strahlen bestraft. aa) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht (dolus directus 1. Grades), die Gesundheit eines anderen zu schädigen (Abs. 1) oder die Brauchbarkeit der betroffenen Sache zu beeinträchtigen (Abs. 6). bb) Abs. 2 enthält einen Qualifikationstatbestand zu Abs. 1. Unübersehbar ist eine Zahl, wenn so viele Menschen betroffen sind, dass ein objektiver Beobachter sie nicht ohne nähere Prüfung bestimmen kann.
cc) Abs. 3 und Abs. 4 erfassen die erfolgsqualifizierte Deliktsbegehung entsprechend dem § 308 Abs. 2, 3; vgl. dazu Rdn. 11. d) Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens, § 310 13 Die Vorschrift schützt über § 30 hinaus gegen Handlungen, die zur Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens nach §§ 307 Abs. 1, 309 Abs. 2 oder § 308 Abs. 1 begangen werden. Die Tat muss in der Vorstellung des Täters bereits in den Grundzügen bestimmt sein. e) Tätige Reue, § 314 a 14 Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 1, 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) führen kann, ist für die Explosionsdelikte in § 314 a besonders geregelt.
10
S o a u c h HERZOG N K , § 3 0 8 R d n . 4 ; HORN S K n , § 3 0 8 R d n . 4 ; SCH/SCH/HEINE § 3 0 8 R d n . 3. - A . A . LACKNER/KÜHL § 3 0 8 R d n . 2; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 8 R d n . 3; W O L F F L K , § 3 1 1 R d n . 4 .
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§78
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
15 3. Freisetzen ionisierender Strahlen § 311; dazu vgl. § 82 Rdn. 90 ff. 16 4. Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage, § 312\ vgl. § 82 Rdn. 88. 5. Herbeiführen einer Überschwemmung, § 313 17 a) Der Grundtatbestand, Abs. 1, erfasst die konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert durch die Herbeiführung einer Überschwemmung. 18 b) Die vorsätzliche Herbeiführung der Überschwemmung und fahrlässige Begründung der Gefahr sowie die fahrlässige Herbeiführung der Überschwemmung und die fahrlässige Herbeiführung der Gefahr werden entsprechend § 308 Abs. 5,6, erfasst, Abs. 2. 19 c) Qualifizierte und erfolgsqualifizierte Fälle der Herbeiführung einer Überschwemmung werden entsprechend § 308 Abs. 2,3 erfasst, Abs. 2; vgl. dazu Rdn. 12. 20 d) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 314 a besonders geregelt. 21 6. Die Gefährdung des Verkehrswesens, §§ 315-316, 316 c; dazu § 80. 7. Die Beschädigung wichtiger Anlagen, § 318 22 a) Das konkrete Gefährdungsdelikt des Abs. 1 stellt die vorsätzliche Beschädigung oder Zerstörung bestimmter wichtiger Bauten (Wasserleitungen, Schleusen, Wehre, usw.) unabhängig vom Eigentum an diesen Objekten unter Strafe, wenn die Tat eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen begründet. 23 b) Die vorsätzliche Beschädigung wichtiger Anlagen mit fahrlässiger Gefährdung erfasst Abs. 6 Nr. 1. 24 c) Die fahrlässige Beschädigung wichtiger Anlagen mit fahrlässiger Gefährdung erfasst Abs. 6 Nr. 2. 25 d) Erfolgsqualifizierte Fälle oder Beschädigung wichtiger Anlagen sind in Abs. 3 (schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen - dazu § 10 Rdn. 2 - Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen) und Abs. 4 (Verursachung des Todes eines anderen Menschen) geregelt. 26 e) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 27 8. Die gemeingefährliche Vergiftung, § 314; dazu § 82 Rdn. 101 f. 9. Die Baugefährdung, §319 28 Erfasst wird die konkrete Gefährdung von Leib und Leben anderer durch die Verletzung der in der Praxis allgemein anerkannten Regeln der Baukunst bei Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder Einbaues oder bei Änderung technischer Einrichtungen in einem Bauwerk, und zwar: a) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und vorsätzliche Gefährdung, Abs. 1, 2. b) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, Abs. 3. c) Fahrlässige Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, Abs. 4. 420
Brandstiftungsdelikte
§79
d) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 10. Vollrausch, § 323 a § 323 a kann formell in die Gruppe der gemeingefährlichen Delikte eingefügt werden, 29 wenn man die Unbeherrschbarkeit der ausgelösten Kräfte stärker betont und weniger ihre Art (Naturgewalt, technische Kraft); dazu § 81. 11. Führungsaufsicht und Einziehung, §§ 321, 322 Zur Möglichkeit der Führungsaufsicht und Einziehung vgl. §§321, 322.
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HI. Nicht gemeingefährliche Delikte im 28. Abschnitt des StGB 1. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a; dazu § 46 Rdn. 69 ff.
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2. Störung öffentlicher Betriebe, § 316 b Die Vorschrift schützt lebenswichtige Betriebe gegen gewaltsame Eingriffe.11
32
3. Störung von Telekommunikationsanlagen, §317 §317 dient dem Schutz von besonders wichtigen öffentlichen Einrichtungen. - Zum Beg- 33 riff der Telekommunikationsanlagen vgl. § 34 Rdn. 46. Verhindern des Betriebs bedeutet die Schaffung eines Zustandes, in dem die Anlage nicht mehr für ihren Zweck benutzt werden kann. Der Betrieb ist gefährdet, wenn der Eintritt von Funktionsstörungen wahrscheinlich ist.12 Auch der einzelne private Fernsprechanschluss ist Teil einer öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsanlage.13 4. Gefährdung einer Entziehungskur, § 323 b Die Vorschrift schützt behördlich angeordnete oder sonst ohne Einwilligung des Be- 34 troffenen veranlasste Entziehungskuren gegen Störung durch Dritte. Es handelt sich daher um ein den Rechtspflegedelikten verwandtes Delikt. 35
5. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c; dazu § 67 Rdn. 2 ff.
§ 79 Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen und Zerstören durch Brandlegung Die ursprünglich im Gesetz allein vorgesehene Tathandlung des „Inbrandsetzens" ist durch 1 das 6. StrRG durch die Merkmale der ganz oder teilweisen Zerstörung durch eine Brandlegung ergänzt worden. Dadurch sollen auch solche Schädigungen erfasst werden, die nicht 11 12 13
Zum Begriff der der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienenden Einrichtung: BGHSt 31 S. 1; 31 S. 185 mit Anm. STREE JuS 1983 S. 839 f; OLG Stuttgart NStZ 1997 S. 342 f. Vgl. auchWOLFFLK,§317Rdn.6. B G H S t 3 9 S. 2 8 8 m i t abl. A n m . HELGERTH S. 122 f, HAHN N S t Z 1 9 9 4 S. 190 f; LACKNER/KÜHL § 3 1 7
Rdn. 2; WOLFF LK § 317 Rdn. 3. - A.A. BayObLG NJW 1971 S. 528; BayObLG NJW 1993 S. 1215; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 1 7 R d n . 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 1 7 R d n . 2 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
auf ein ,3rennen mit heller Flamme" zurückgehen; sondern z.B. auf Ruß-, Rauch- und Hitzeentwicklung oder auf eine Explosion des Zündstoffs u.ä. Brandlegung ist danach jede Handlung, die auf das Verursachen eines Brandes zielt.14 - Ganz zerstört ist das Objekt, wenn es vernichtet wird oder seine bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig verliert, teilweise zerstört, wenn Teile des Objekts unbrauchbar geworden sind, die für den bestimmungsgemäßen Gebrauch wesentlich sind. 2 1. Inbrandgesetzt ist ein Objekt, wenn es vom Feuer in einer Weise erfasst ist, die ein Fortbrennen aus eigener Kraft ermöglicht.15 Das bloße Brennen des Zündstoffes oder z.B. von Inventar eines Gebäudes reicht nicht aus, wohl aber der Brand von Teilen des Gebäudes, die für dessen bestimmungsmäßigen Gebrauch wesentlich sind (z.B. Tür, Fußboden, Treppe, nicht aber Regale, Schrank, Tapeten, Fußbodensockelleisten), wenn die Möglichkeit besteht, dass das Feuer auf das übrige Objekt übergreift.16
3 2. Das Inbrandsetzen eines schon brennenden Objekts an anderer Stelle genügt. - Das bloße Verstärken des Brandes ist auch Inbrandsetzen. Die Brandstiftungsdelikte sind, soweit es um das Inbrandsetzen geht, abstrakte Gefährdungsdelikte. In der gefährlichen Verhaltensweise hat der Gesetzgeber das strafwürdige Verhalten erblickt. Unter dem Aspekt dieser Gefahrdung ist es aber bedeutungslos, ob eine Gefahr begründet oder eine vorhandene Gefahr intensiviert wird. Die besondere Gefährdung ist auch zu besorgen, wenn ein schon bestehender Brandherd durch Intensivieren vergrößert wird, gleichgültig ob durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen der Erfolgsabwendung.17 4 3. Versucht ist die Brandstiftung in der Regel, wenn der Täter sich anschickt, den Zündstoff in Brand zu setzen. Sollen Ausschütten (Benzin) oder Anbringen eines Zündstoffs und Entzünden nach dem Tatbild des Täters eine Einheit bilden, so beginnt der Versuch bereits mit dem Ausschütten bzw. Anbringen des Zündstoffs.18 II. Brandstiftung, § 306 5 1. Geschützt sind: Nr. 1: Gebäude - auch Rohbauten1' und instandsetzungsfähige Ruinen2 - oder Hütten. Nr. 2: Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, insbes. Maschinen. Nr. 3: Warenlager oder Warenvorräte. Nr. 4: Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge. Nr. 5: Wälder, Heiden oder Moore. Nr. 6: Land-, emährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse. 14
Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8587, S. 69; 13/9064, S. 22; GEPFERT Jura 1998 S. 599, HÖRNLE Jura 1998 S.
15 16
likte, 1998, S. 207 ff; DERS., ZStW 110 (1998) S. 871; RENGIER JuS 1998 S. 398. - Enger (Ausschluss von Explosionen): STEIN in: Dencker/Struensee/Nelles/Stein (Hrsg.), Einfuhrung in das 6. Strafrechtsreformgesetz, 1998, S. 85; WRAGE JR 2000 S. 363. BGHSt 18 S. 364. BGH StV 1984 S. 245; BGH StV 1991 S. 50; BGH NStZ 1994 S. 130.
17
Zum Streitstand: GEPPERT Jura 1989 S. 422 f m.N.; RENGIER JuS 1998 S. 398.
18 19 20
Dazu auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 51 Rdn. 6. BGHSt 6 S. 107. BGH bei Holtz,MDR 1977 S. 810.
181; KÜPER B.T., S. 204; LACKNER/KÜHL § 3 0 6 R d n . 4; RADTKE Die D o g m a t i k der Brandstiftungsde-
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Brandstiftungsdelikte
§79
2. Da der Schutz fremden Eigentums im Vordergrund steht, nicht aber die Abwehr einer 6 Gemeingefahr, handelt es sich hier um ein qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt; vgl. auch § 47 Rdn. 19 f. Eine rechtfertigende Einwilligung ist hier möglich.21 3. Zum Ausschluss der Realisierung der abstrakten Gefahr, vgl. § 78 Rdn. 2. 4. Konkurrenzen: § 306 verdrängt § 305 bei der Zerstörung eines Gebäudes durch Brandstiftung. - § 306 Abs. 1 Nr. 1 wird konsumiert von § 306 a Abs. 1 Nr. 1 und § 306 b Abs. 2 Nr. 1 in Verb, mit § 306 a Abs. 1 Nr. I.22
EI. Schwere Brandstiftung, § 306 a 1. Schwere Brandstiftung, Abs. 1 Abs. 1 schützt bestimmte menschliche Wohn- und Aufenthaltsstätten ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall eine konkrete Gefahr für Menschen entstanden ist. - Es handelt sich soweit es um ein Inbrandsetzen geht - um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. a) Gebäude, Schiffe und Hütten und andere Räumlichkeiten sind geschützt, soweit sie tatsächlich Menschen zum Wohnen dienen, d. h. tatsächlich von einem Menschen bewohnt werden, Nr. 1. Ob die Gebäude usw. zum Wohnen bestimmt oder geeignet sind, ist genauso unerheblich wie eine vorübergehende Abwesenheit der Bewohner. Dient das Gebäude tatsächlich noch nicht zum Wohnen (Neubau) oder aber hat der Berechtigte die Wohnungseigenschaft aufgegeben, so greift Nr. 1 nicht ein. - Die Aufgabe der Wohnungseigenschaft kann auch konkludent durch Inbrandsetzen des Gebäudes durch den berechtigten Bewohner erfolgen.^ Dient das Gebäude zum Teil zum Wohnen und zum anderen Teil anderen, z.B. gewerblichen Zwecken, so ist der Tatbestand bereits erfüllt, wenn es sich um ein einheidiches Gebäude handelt und der andere Teil in Brand gesetzt wird. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass ein für den Gebrauch als Wohnung wesentlicher Teil des Gebäudes in Brand gesetzt werden muss, es genügt vielmehr, dass irgendein wesentlicher Bestandteil des Gebäudes vom Feuer erfasst wird.24 b) Umfassend geschützt sind Kirchen und andere der Religionsausübung dienende Gebäude, Nr. 2. c) Andere Räumlichkeiten (z.B. Büro, Wohnwagen, Scheunen, Stallungen) sind geschützt, wenn sie - sei es auch nur zeitweise - dem Aufenthalt von Menschen dienen, und zwar zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen, Nr. 3. Eine Begrenzung des Anwendungsbereiches versucht der BGH durch das Erfordernis einer gewissen Bewegungsfreiheit in der Räumlichkeit zu erreichen, die z.B. bei Telefonzellen und einem Pkw nicht gegeben
21
V g l . a u c h GEPPERT J u r a 1998 S. 5 9 9 ; KREB J R 2 0 0 1 S . 3 1 7 m i t F n . 2 5 ; LACKNER/KÜHL § 3 0 6 R d n . 1; RENGIER J u S 1998 S. 3 9 8 ; WESSELS/HEITINGER B . T . / 1 , R d n . 9 5 6 .
22
B G H S t V 2 0 0 1 S. 2 3 1 m i t A n m . KREB J R 2 0 0 1 S. 315 f f ; B G H S t V 2 0 0 1 S. 2 3 2 .
23
Dazu BGH JZ 1988 S. 55 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 306 Nr. 2/3; BGH NStZ 1992 S. 541; BGH NStZ 1994 S. 130 mit Anm. GEPPERT JK 95, StGB § 306 Nr. 2/4.
24
So auch BGHSt 34 S. 115, 118 ff; 35 S. 283, 285 f mit Anm. KINDHÄUSER StV 1990 S. 161 ff; BGH N S t Z 1991 S. 4 3 3 ; SCHNEIDER J u r a 1988 S. 4 6 5 f f ; WOLFF L K , § 3 0 6 R d n . 9. - A . A . HERZOG N K , § 3 0 6 a R d n . 12; KINDHÄUSER S t V 1990 S. 161; SCH/SCH/HEINE § 3 0 6 a R d n . 11.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
ist.25 Diese Begrenzung ist nicht nötig, wenn der Ausschluss der Gefahr als persönlicher Strafausschließungsgrund - wie oben § 78 Rdn. 2 darlegt - anerkannt wird, da dann in den nicht strafwürdigen Fällen die Strafbarkeit entfällt.
11 Nach Auffassung des BGH setzt der Tatbestand voraus, dass die geschützte Räumlichkeit zu dem Zeitpunkt brennt, in dem Personen anwesend sind. Es genügt nicht, dass der zum Brand führende Ursachenverlauf zu dieser Zeit in Gang gesetzt wird. - Das wird dem Delikt als abstraktem Gefährdungsdelikt nicht gerecht. Die abstrakte Gefahr entsteht bereits mit der Begründung der Brandquelle.26 2. Gesundheitsgefährdung anderer, Abs. 2 12 Abs. 2 erfasst den Fall der Inbrandsetzung bzw. der ganz oder teilweisen Zerstörung durch Brandlegung der Tatobjekte nach § 306 Abs. 1, wenn die Tat einen anderen Menschen in die konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt. - Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Bezugnahme nur die Objekte betreffen, nicht aber die Eigentumslage. Das ist durchaus sachgerecht, hätte aber klargestellt werden können.27
IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 306 b 13 1. Abs. 1 enthält einen erfolgsqualifizierten Fall der Brandstiftung: Verursachung einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - oder einer Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen;28 beachte § 18. 14 2. Abs. 2 erfasst qualifizierte Fälle des § 306 a: Der Täter bringt einen anderen Menschen durch die Tat in die konkrete Gefahr des Todes (Nr. 1), er handelt in der Absicht, eine andere Straftat (auch die eines anderen) zu ermöglichen oder zu verdecken - dazu vgl. § 4 Rdn. 45 wobei im Gegensatz zur früheren Rechtslage nicht eine die Notsituation des Opfers ausnützende Straftat verlangt wird, 2 ' (Nr. 2) oder er verhindert bzw. erschwert das Löschen des Brandes (Nr. 3). 15 Nr. 1 greift nicht ein, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt. Der Tatbestand dient nicht dem Schutz von Personen, die bewusst, sei es unmittelbar oder mittelbar, die Brandgefahr begründet haben, die sich nun in der Todesgefahr realisiert. Hier handelt es sich vielmehr um Tatbeteiligte, vor deren Tun § 306 b Schutz gewähren soll.30
25
BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638. - A.A. OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 1042.
26
A.A. BGHSt 36 S. 221 mit abl. Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 306 Nr. 3/1; HERZOG NK, § 306 a Rdn.
27
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 87 f; BGH NStZ 1999 S. 32 mit Anm. GEPPERT JK 99, StGB § 306 a n.
16.
F./1 a, b, WOLTERS J R 1 9 9 9 S. 2 0 8 f f ; B G H N S t Z 2 0 0 0 S. 2 0 9 ; GEPPERT J u r a 1998 S. 6 0 2 ; HÖRNLE Jura 1 9 9 8 S. 181; LACKNER/KÜHL § 3 0 6 a R d n . 7; RENGIER JUS 1 9 9 8 S. 3 9 9 ; SCHROEDER G A 1998 S. 5 7 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 6 a R d n . 10 b; WOLTERS J R 1999 S. 2 7 2 f.
28
Das sind mindestens 10 Menschen; vgl. auch BGHSt 44,175,178; NAGEL Jura 2001 S. 589 f m.N..
29
Vgl. BGHSt 45 S. 211 mit Anm. RADTKE JR 2000 S. 428 ff, RÖNNAU JUS 2001 S. 328 ff; BGH StV 2000 S. 136 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 306 b/1, SCHLOTHAUER StV 2000 S. 138 ff; ELLBOGEN Jura 1998 S. 4 8 8 ; KREY B . T . 2, R d n . 7 6 5 a; RADTKE D o g m a t i k , S. 3 3 2 ff; STEIN E i n f ü h r u n g , R d n . 6 7 . A . A . GEPPERT J u r a 1 9 9 8 S. 6 0 4 ; HECKER G A 1 9 9 9 S. 3 3 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 0 6 b R d n . 4 ; MITSCH
ZStW 111 (1999) S. 114. 30
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WOLF L K , § 3 0 7 R d n . 3. - A . A . GEPPERT J u r a 1989 S. 4 7 5 ; SCH/SCH/HEINE § 3 0 6 a R d n . 2 1 .
Brandstiftungsdelikte
§79
V. Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c Als erfolgsqualifizierte Brandstiftung erfasst § 306 c den Fall, dass der Täter durch eine 16 Brandstiftung nach §§ 306 - 306 b wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen verursacht hat. Das Opfer braucht sich nicht zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten befunden zu haben.
VI. Fahrlässige Brandstiftung, § 306 d 1. Abs. 1,1. Alt. knüpft an die Tatbestände der §§ 306 Abs. 1 und 306 a Abs. 1 an. Gegen- 17 stand der Handlung können daher nur die in diesen Tatbeständen genannten Objekte sein. Abs. 1, 2. Alt. stellt die vorsätzliche Brandstiftung gemäß § 306 a Abs. 2, die fahrlässig einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt, unter Strafe. 2. Abs. 2 erfasst die fahrlässige Brandstiftung und fahrlässige Gefahrbegründung gemäß 18 § 306 a Abs. 2. 3. Der Strafrahmen in den Fällen des § 306 d Abs. 1, 1. und 3. Alt. sowie Abs. 2 ist im Verhältnis zu § 306 Abs. 1 unhaltbar widersprüchlich.31
VII. Herbeiführen einer Brandgefahr, § 306 f 1. Abs. 1 erfasst die vorsätzliche, Abs. 3, 1. Alt. die fahrlässige Herbeiführung einer kon- 19 kreten Brandgefahr für bestimmte Objekte mit bestimmten Tatmitteln. 2. Abs. 2 erfasst die vorsätzliche, Abs. 3, 2. Alt. die fahrlässige Herbeiführung einer kon- 20 kreten Brandgefahr für die in Abs. 1 Nr. 1 - 4 bezeichneten Sachen, wenn dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden. - Entsprechend der Bezugnahme in § 306 c Abs. 2 soll der Bezug auf Abs. 1 nur die dort genannten Objekte nicht aber die Eigentumslage betreffen. 32
Vm. Tätige Reue, § 306 e 1. In den Fällen der §§ 306, 306 a und 306 b kann das Gericht die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wenn der Täter den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, Abs. 1. - Freiwillig handelt der Täter, der sich aufgrund autonomer Motive zur Löschung des Brandes entschließt. 2. In den Fällen des § 306 d erlangt der Täter Straffreiheit, wenn er den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, Abs. 2. 3. Wird der Brand ohne Zutun des Täters gelöscht, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen dieses Ziel zu erreichen, Abs. 3. 4. Konnte eine Brandstiftung aufgrund des § 310 a.F., der § 306 e in der Sache entspricht, nicht bestraft werden, so sollte eine Bestrafung nach § 310 a a.F., dem nunmehr § 306 f entspricht, gleichwohl möglich sein. Diese Auffassung war nach der alten Gesetzeslage sachwidrig und ist es auch jetzt. § 306 f erfasst weitgehend die Gefährdung der gleichen 31
Dazu vgl. FISCHER NStZ 1999 S. 13; IMMEL StV 2001 S. 478 f.
32
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 88.
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§80
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Rechtsgüter, die durch die Brandstiftungsdelikte geschützt werden. Der Rücktritt vom Verletzungsdelikt muss dann aber auf das Gefährdungsdelikt erstreckt werden, da auch dessen Strafgrund in der Person des Täters mit der Beseitigung der Gefahr hinfällig wird. Das spricht für eine analoge Anwendung des § 306 e.33
§ 80 Gefährdungen des Verkehrswesens I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§315, 315 a 1. Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, §315 a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur 1 § 315 erfasst die Transportgefährdung als konkretes Gefährdungsdelikt. - Angriffsobjekte sind Schienenbahnen auf besonderen Gleiskörpern - beachte § 315 d -, Seilbahnen sowie Einrichtungen der Schiff- und Luftfahrt. Geschützt ist die Sicherheit dieser Verkehrsarten. - Der konkreten Gefährdung von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Einzelnen sowie fremden Eigentums von bedeutendem Wert - z. Zt. etwa 1500.- DM - kommt nur Bedeutung für das Maß der Gefahr zu. Die Gefahrdung ist nur unwiderlegbarer Maßstab für die Höhe der Gefahr, nicht aber Beeinträchtigung eines eigenständig geschützten Rechtsguts; dazu auch unter Rdn. 27 ff. Keine fremde Sache i.S. des § 315 Abs. 1 ist das vom Täter geführte Tatfahrzeug, unabhängig davon, ob er Eigentümer ist oder nicht. Dieses ist Mittel, nicht aber Objekt der Gefährdung.34
b) Einzelheiten zu den Tathandlungen 2 aa) Die Sicherheit des Verkehrs ist beeinträchtigt, wenn durch den Eingriff gegenüber Menschen oder Einrichtungen, die in Beziehung zu einem bestimmten Verkehrsvorgang stehen, eine Steigerung der normalen Betriebsgefahr eingetreten ist. 3 Für die Beeinträchtigung genügt nicht jedes Mittel, sondern nur ein Eingriff der in Abs. 1 Nr. 1-3 beispielhaft aufgeführten Art oder ein ähnlicher und ebenso gefährlicher Eingriff. Ahnlich und ebenso gefährlich ist ein Eingriff, der unmittelbar auf einen Verkehrsvorgang einwirkt und nach Art und Gefahr den genannten Eingriffen gleichwertig ist. Beispiele: Steinwurf auf den Zugführer, Verdecken von Signalen; Stören des die Flug- und Wasserwege sichernden Funk- und Signalverkehrs.
4 bb) Ein Hindernis bereitet, wer körperliche Gegenstände, die ihrer Beschaffenheit nach zur Hemmung oder Verzögerung des ordnungsgemäßen Betriebs geeignet sind, in den Fahrbereich der Bahn bringt oder als Garant dort belässt, z.B. Steine auf Schienen oder Metallbügel auf Oberleitungen legt.3' c) Die subjektiven Voraussetzungen 5 Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: 33
Vgl. auch GEPPERT Jura 1998 S. 606. - A.A. LACKNER/KÜHL § 306 f Rdn. 3; RADTKE ZStW 110 ( 1 9 9 8 ) S. 8 8 1 ; RENGIER J u S 1 9 9 8 S. 4 0 1 .
34
35
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Vgl. BayObLG NJW 1983 S. 2827; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 315 Rdn. 14. - A.A. BGHSt 27 S. 44; HERZOG NK, § 315 Rdn. 12; LACKNER/KÜHL § 315 Rdn. 7. - Eingehend zu dem Widerspruch
dieser Interpretation im Verhältnis zu der der §§ 315 b, c: KÖNIG LK, § 315 Rdn. 77 ff. Vgl. BGH NStZ 1988 S. 178.
Gefährdungen des Verkehrswesens
§80
aa) § 315 Abs. 1 erfasst die vorsätzliche Begehung, bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muss das Bewusstsein der Beeinträchtigung der Betriebssicherheit und das der Herbeiführung der konkreten Gefahr haben. bb) Handelt der Täter in der Absicht - zielgerichtetes Wollen -, einen Unglücksfall - dazu § 67 Rdn. 3 - herbeizufuhren oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken dazu § 4 Rdn. 45 - so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3 Nr. 1. - Eine Ordnungswidrigkeit ist keine Straftat i.S. des § 315 Abs. 3 Nr. 1 b.36 cc) Einen erfolgsqualifizierten Fall - schwere Gesundheitsschädigung oder GesundheitsSchädigung einer großen Zahl von Menschen - erfasst Abs. 3 Nr. 2. dd) Bei vorsätzlichem Eingriff, aber nur fahrlässiger Gefährdung greift Abs. 5 ein, bei fahrlässigem Eingriff und fahrlässiger Gefährdung Abs. 6.
6 7
8 9
d) Tätige Reue Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) führen 10 kann, ist in § 320 besonders geregelt. 2. Gefährdung des Bahn-, Schiff- oder Luftverkehrs, § 315 a a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur § 315 a ergänzt den § 315 dadurch, dass er auch bestimmte betriebsinterne Gefährdungen unter Strafe stellt. Auch hier müssen Leib oder Leben eines anderen oder bedeutende fremde Sachwerte konkret gefährdet worden sein. b) Einzelheiten zu den Tathandlungen aa) Abs. 1 Nr. 1 erfasst das Fahren in einem fahruntüchtigen, rauschbedingten Zustand; dazu vgl. Rdn. 23 f. bb) Abs. 1 Nr. 2 enthält ein Sonderdelikt. - Fahrzeugführer und sonst für die Sicherheit des Verkehrs verantwortliche Personen werden für grob pflichtwidrige Verletzungen von Sicherheitsvorschriften bestraft. Die das Blankett ausfüllenden Vorschriften müssen förmliche Gesetze oder Rechtsverordnungen sein. c) Subjektive Voraussetzungen Die Strafdrohung des § 315 a ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Abs. 1 setzt die vorsätzliche Tathandlung und eine vorsätzliche konkrete Gefährdung voraus. bb) Gemäß Abs. 3 Nr. 1 wird bestraft, wer die Tathandlung vorsätzlich vornimmt, jedoch nur fahrlässig gefährdet, nach Abs. 3 Nr. 2, wer die Tathandlung fahrlässig begeht und die Gefahr fahrlässig verursacht. d) Tätige Reue Eine Möglichkeit tätiger Reue sieht § 320 für § 315 a nicht vor.
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n. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316 1. Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 315 b a) Der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 In Aufbau und Schutzrichtung entspricht § 315 b dem § 315 - vgl. oben Rdn. 1 - mit der 16 Maßgabe, dass es hier um den Schutz des Straßenverkehrs geht, d.h. um die Sicherheit des 36
BGHSt 28 S. 93 mit Anm. RÜTH JR 1979 S. 516 f.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Verkehrs auf Wegen, Plätzen usw., die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen. - Im Gegensatz zu § 315 Abs. 1 Nr. 2 fehlt bei der Aufzählung der Tathandlungen das Geben falscher Signale und Zeichen, doch kann in einem derartigen Verhalten ein „ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff' liegen. 17 Das Merkmal des Hindernisbereitens und das des ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriffs sind hier jedoch enger zu fassen: § 315 b erfasst zunächst verkehrsfremde, von aussen kommende Eingriffe in die Sicherheit des Straßenverkehrs. Vorgänge des fließenden oder ruhenden Verkehrs werden von § 315 b nur dann erfasst, wenn sie bewusst zweckentfremdet werden, d.h. wenn der Verkehrsvorgang in erster Linie dem Zweck eines gefahrlichen Eingriffs dienen soll. Dies ergibt sich aus dem Verhältnis des § 3 1 5 b z u § 3 1 5 c.37 Sodann soll der Tatbestand nicht jeden behindernden Verkehrsteilnehmer erfassen, sondern nur Einwirkungen von besonderem Gewicht.38 18 Bloße Fehlleistungen des Fahrzeugführers in der Bewältigung von Vorgängen des fließenden und ruhenden Verkehrs fallen unter § 315 c, nicht aber unter § 315 b. - Ob dies auch für Mitfahrer gilt, ist Str., doch erscheint es angemessen, Eingriffe des Mitfahrers, die der Bewältigung der Verkehrssituation dienen oder dienen sollen, gleich zu behandeln.3' Verkehrsfremder Eingriff: Spannen eines Drahtes über die Fahrbahn; Hinterlassen einer Ölspur.40 - Liegenlassen eines Balkens auf der Fahrbahn. - Absichtliches Abschneiden des Weges eines anderen Verkehrsteilnehmers mit einem Fahrzeug (BGHSt 21 S. 301). - Zufahren auf einen anderen mit Tötungs(BGHSt 26 S. 176) oder Körperverletzungsvorsatz, wenn das Opfer nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahr ausweichen kann.41 - Abgabe eines Schusses auf einen Fahrzeugführer (BGHSt 25 S. 306). - Bewusstes Befahren der Autobahn in falscher Richtung. - Geisterfahrer.42 - Willkürliches, scharfes Abbremsen bei hoher Geschwindigkeit43. Aufspringen auf Motorhaube eines fahrenden Fahrzeugs (OLG Zweibrücken VRS 93 S. 101). - Vorsätzliches Verursachen eines Unfalls.44 Kein verketarsfremder Eingriff: Unvorsichtiges Überholen. - Überholen über mehrere Kilometer. des Beifahrers in das Steuer, um das Fahrzeug in eine Straßeneinmündung zu lenken (BGH NZV S. 35). - Flucht vor einer Polizeikontrolle45. - Einvernehmlich herbeigeführter Unfall, bei dem Dritte gefährdet werden (BGH StV 1999 S. 317). - Hinausstoßen des Mitfahrers aus fahrendem Fahrzeug, dass Dritte gefährdet werden (BGH StV 1999 S. 317). - Sog. Auto-Surfen (OLG Düsseldorf NStZ-RR
Griff 1990 nicht ohne 1997
S. 3 2 5 m i t A n m . HAMMER JUS 1998 S. 7 8 5 f, SAAL N Z V 1998 S. 4 9 f f ) .
Zur Gefährdung des vom Täter selbst geführten Fahrzeugs vgl. die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 36.
37
vgl. OLG Hamm NJW 1969 S. 1976; OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 3212; BGH StV 2000 S. 22 mit Anm. FREUND JUS 2000 S. 754 ff, KUDLICH StV 2000 S. 23 ff; GEPPERT Jura 1996 S. 641.
38
vgl. BGHSt 22 S. 366 f; 26 S. 178; 28 S. 89, 41 S. 231, 237 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 315 b/5; RANFT J R 1997 S. 2 1 0 ff.
39
Vgl. BGH NJW 2000 S. 2686; OLG Hamm NJW 1969 S. 1975; OLG Köln NJW 1971 S. 670. - A.A. OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 1391; GEPPERT Jura 1996 S. 644 f.
40
OLG Stuttgart NJW 1959 S. 254; BayObLG JZ 1989 S. 704.
41
B G H N J W 1983 S. 1624 m i t A n m . CRAMER J Z 1983 S. 8 1 2 ff.
42
OLG Stuttgart NJW 1976 S. 2223 mit Anm. RÜTH JR 1977 S. 255 f. - A.A. OLG Stuttgart JR 1980 S. 4 7 0 m i t A n m . KÜRSCHNER S. 4 7 2 f.
43 44
OLG Düsseldorf VRS 77 (1989) S. 280; OLG Karlsruhe VRS 93 (1997) S. 102. BGH NStZ 1992 S. 182 mit Anm. SCHEFFLER NZV 1993 S. 463 ff; BGH NStZ 1995 S. 31.
45
BGHSt 28 S. 87; BGH NStZ 1985 S. 267; BGH NStZ-RR 1997 S. 261 mit Anm. GEPPERT JK 98, StGB § 315 b/7; OLG Hamm NStZ-RR 2001 S. 105.
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Gefahrdungen des Verkehrswesens
§80
b) Subjektive Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: 19 aa) Gemäß § 315 b Abs. 1 wird bestraft wer die Tathandlung vorsätzlich begeht und die bestimmte konkrete Gefahr vorsätzlich verwirklicht. - Zur relevanten Gefährdung vgl. Rdn. 27. bb) Handelt der Täter in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3 in Verb, mit § 315 Abs. 3 Nr. 1. - Einen erfolgsqualifizierten Fall erfasst Abs. 3 in Verb, mit § 315 Abs. 3 Nr. 2. cc) Bei vorsätzlicher Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung greift Abs. 4, bei fahrlässiger Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung Abs. 5 ein. c) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) füh- 20 ren kann, ist in § 320 besonders geregelt. 2. Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315 c a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur Das konkrete Gefährdungsdelikt schützt die Sicherheit des Straßenverkehrs; dazu vgl. 21 Rdn. 16. b) Führen eines Fahrzeugs Das Gesetz setzt in Nr. 1 ausdrücklich, in den meisten Tatbeständen der Nr. 2 still- 22 schweigend voraus, dass der Täter ein Fahrzeug führt. - Ein Fahrzeug fuhrt, wer es unmittelbar in Bewegung bringt und die Fortbewegung unter Nutzung der technischen Vorrichtungen ganz oder teilweise leitet. Das Lösen der Handbremse, das Anlassen des Motors oder das Einschalten des Lichtes genügen noch nicht.4« c) Tathandlungen aa) Gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a wird bestraft, wer ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge 23 des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel (z.B. Opium, Heroin, Kokain usw.) nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Die Tat ist eigenhändiges Delikt. - Nach neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit (Kfz, Motorrad, Mofa) bei 1,1 Promille Blutalkohol.47 Als absolut fahruntüchtig wird auch deijenige angesehen, der in der Anflutungsphase nach einem Sturztrunk zwar noch weniger als 1,1 Promille hat, diese Grenze jedoch später erreicht. Bei Radfahrern nimmt die Rechtsprechung absolute Fahruntüchtigkeit bisher bei 1,6 Promille Blutalkohol an.48 - Eine absolute Fahruntüchtigkeitsgrenze nach Genus von Rauschgift ist zur Zeit noch nicht festgestellt.«
Im Bereich von 0,3 bis zur Grenze von 1,1 Promille - relative Fahruntüchtigkeit - bedarf 24 die Feststellung der Fahruntüchtigkeit besonderer Beweisanzeichen.
46
Vgl. BGHSt 35 S. 390; OLG Celle NStZ 1988 S. 411; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) S. 454.
47
BGHSt 37 S. 89 mit Anm. JANISZEWSKI NStZ 1990 S. 493 f. - Zur Entwicklung der Rechtsprechung: OTTO BGH-FG, S. 111 ff.
48
Vgl. BayObLG NJW 1992 S. 1906; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 S. 356.
49
Vgl. BGHSt 44 S. 219 mit Anm. BERZ NStZ 1999 S. 407 f, GEPPERT JK 99, StGB § 316/6; OLG Düss e l d o r f s 1999 S. 474 mit Anm. HENTSCHEL S. 476 ff.
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§80
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Als solche Beweisanzeichen werden z.B. angesehen: Fahren in Schlangenlinien (OLG Hamm VRS 49 S. 270); mit überhöhter Geschwindigkeit (OLG Köln VRS 37 S. 200); Geradeausfahren in Kurven oder grundloses Abkommen von der Fahrbahn (BGH VRS 47 S. 19); bewusst verkehrswidriges Verhalten auf Flucht vor Polizei (OLG Düsseldorf VRS 93 (1997) S. 167.)
25 bb) Abs. 1 Nr. 1 b erfasst den Täter, der im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. 26 cc) Abs. 1 Nr. 2 erfasst grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verstöße gegen bestimmte näher aufgeführte Verkehrsregeln.50 d) Gefährdung durch die Tathandlung 27 Durch die Tathandlung muss eine konkrete - nicht bloß abstrakt mögliche - Gefahr für Leib und Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert begründet werden. - Das Gefahrenurteil wird aufgrund einer objektiven nachträglichen Prognose gefallt.51 28 Die konkrete Gefahr setzt eine Situation voraus, in der es aus der Sicht des Beobachters allein zufallsbedingt ist, dass es nicht zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt; vgl. § 78 Rdn. 1. Damit muss über ein typischerweise gefährliches Verhalten (abstrakte Gefahr) hinaus eine Situation eingetreten sein, in der sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände bereits die Gefahr zu realisieren droht. Eine konkrete Gefahr liegt daher z.B. im Heranfahren an eine Person auf 2 bis 6 Meter bei rund 160 km/h (BayObLG bei Janiszewski NStZ 1987 S. 114), beim Einscheren in eine Fahrbahn mit 160 km/h im Abstand von 2 Metern vor dem überholten Fahrzeug.52 - Keine konkrete Gefahr für mitfahrende Personen begründet die absolute Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugführers als solche. Erst wenn er sich der konkreten Fahrsituation nicht gewachsen zeigt, beginnt die konkrete Gefährdung.53 Gleiches gilt für das Durchtrennen eines Bremsschlauchs.54
29 Die Gefahrdung muss durch die Tathandlung erfolgen. Eine nur gelegentlich der Handlung entstehende Gefahr genügt nicht. 30 aa) Streitig ist, ob sich der Gefährdungserfolg in einer Person objektivieren kann, die sich bewusst und eigenverantwortlich in den „abstrakten Gefahrenbereich" begeben hat. 31 Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre bejahen dieses unter Hinweis darauf, dass die gefährdete Person nicht der alleinige Träger des durch §§ 315 b, 315 c StGB geschützten Rechtsguts sei und deshalb deren Einwilligung in die Gefährdung die Rechtswidrigkeit der herbeigeführten Gefahr nicht beseitigen könne. Der Eintritt der konkreten Gefahr ist nach dieser Auffassung auch hier nur ein Indiz für die Gefährlichkeit des Täters, so dass die Tatsache der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung irrelevant ist.55 50
51 52 53
Im einzelnen dazu RANFT Jura 1987 S. 612 f. Dazu LACKNER Das konkrete Gefahrdungsdelikt im Straßenverkehr, 1967, S. 15; MEYER-GERHARDS JuS 1976 S. 228. BayObLG NJW 1988 S. 273; vgl. auch Brandenburgisches OLG VRS 93 (1997) S. 103. Diese in der Rechtsprechung zeitweilig str. Frage - dazu OTTO BGH-FG, S. 118 f - ist nunmehr dahin entschieden, dass die konkrete Gefahr für den Beifahrer nach den allgemein anerkannten Kriterien zur Begründung der konkreten Gefahr zu bestimmen ist; vgl. dazu BGH NJW 1995 S. 3131, 3132 mit A n m . BERZ N S t Z 1996 S. 85, HÄUF N Z V 1995 S. 4 6 9 ; B G H N J W 1 9 9 6 S. 330.
54
B G H N J W 1996 S. 3 2 9 , 3 3 0 m i t A n m . RENZIKOWSKI J R 1997 S. 115 f f ; GEPPERT J u r a 1996 S. 5 0 f. -
Anders noch BGH NStZ 1985 S. 263. 55
Vgl. BGHSt 23 S. 261; OLG Karlsruhe NJW 1967 S. 2321; OLG Stuttgart NJW 1976 S. 1904; KÖNIG L K , § 3 1 5 c R d n . 161; LACKNER G e f ä h r d u n g s d e l i k t , S. 12; LACKNER/KÜHL § 3 1 5 c R d n . 3 2 ; SCHAFF-
STEIN Welzel-FS, 1974, S. 574; SCHMIDHÄUSER B.T., 15/81.
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Gefährdungen des Verkehrswesens
§80
Die Gegenmeinung will der Einwilligung auch in eine Lebensgefahr eine die RechtsWidrigkeit ausschließende Wirkung beimessen, weil der Tatbestand der §§315 b, 315c erst erfüllt sei, wenn eine konkrete Individualgefahr eingetreten ist, über die der dann Betroffene verfügen könne. - Nach dieser Auffassung käme der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung daher im Ergebnis eine strafbarkeitsausschließende Bedeutung zu, letztlich aber wird eine Verfügungsmöglichkeit über ein überindividuelles Rechtsgut anerkannt.56 Gleichwohl ist dieser Meinung im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung, die weit überzeugender in der Ausgangsüberlegung der Rechtsprechung angelegt ist, zuzustimmen. Zutreffend geht die Rechtsprechung nämlich davon aus, dass §§ 315 b, 315 c eine Gefahrdung erfordern, „die dem besonderen verkehrsrechtlichen Schutz Dritter entspricht, den der Gesetzgeber für den Bereich des Straßenverkehrs geschaffen hat. Dieser geht dahin, dass durch eine Teilnahme am Straßenverkehr nicht in den durch Verkehrsvorschriften geschützten Rechtskreis eines anderen eingegriffen werden darf'. 57 Damit ist der entscheidende Gesichtspunkt der - sachwidrig - als Einwilligungsproblematik erörterten Problemkonstellation erfasst: Wer sich eigenverantwortlich in einen Gefahrenbereich begibt und damit zum Ausdruck bringt, dass er mit der Gefährdung einverstanden ist, wird nicht das Opfer der Gefährdung durch einen anderen, der in seinen geschützten Rechtskreis eingreift. Er selbst begründet vielmehr die Gefahr für seine Rechtsgüter, da er die Gefahr bewusst auf sich nimmt. §§ 315 b, 315 c erfassen hingegen die Fälle der Gefährdung durch einen anderen. In der Sache liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zwischen dem gefährlichen Zustand des Kraftfahrzeugführens und der Gefährdung des Dritten vor, so dass das Unrecht der §§ 315 b, 315 c durch dieses Verhalten nicht verwirklicht wird.58 Dieser Argumentation steht die Rechtsprechung sachlich allerdings weit näher als es die Erörterung der „Einwilligungsproblematik" vermuten lässt. Einigkeit besteht nämlich in Rechtsprechung und Schrifttum weithin darüber, dass „Tatbeteiligte" nicht in den Schutzbereich der §§ 315 b, 315 c fallen.» bb) Für die Frage, ob die bedrohte Sache einen bedeutenden Wert hat, kommt es auf den Verkehrswert an, nicht auf den Wert der Sache für den Berechtigten. Nicht nur der Wert der Sache als solcher ist entscheidend, sondern auch der ihr drohende Schaden muss bedeutend sein. Ein bedeutender Wert ist gefährdet bei einer zu befürchtenden Schadenssumme, die über 1.500.- DM liegt.60
56
Dazu BREHM Zur Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte, 1973, S. 34 ff; OELLERS NJW 1970 S. 2121; OSTENDORF JuS 1982 S. 431; PAUL Zusammengesetztes Delikt und Einwilligung, 1998, S. 107 ff; SCHROEDER JuS 1994 S. 846 ff. - Differenzierend zwischen Leibes- und Lebensgefahr: BLCKELHAUFT N J W 1 9 6 7 S. 7 1 3 f; HILLENKAMP J u S 1 9 7 7 S. 1 7 0 .
57
BGHSt 27 S. 43.
58
Vgl. GEPPERT Jura 1996 S. 49; OTTO Jura 1991 S. 444 f; RANFT Jura 1987 S. 614 f. - In der Sache übereinstimmend: ROXIN Gallas-FS, S. 252 f.
59
Vgl. BGHSt 27 S. 43; BGH NJW 1991 S. 1120 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 315 b/4; BGH VRS 83 (1993) S. 185; GEILEN Jura 1979 S. 206; LACKNER/KÜHL § 315 c Rdn. 25; RANFT Jura 1987 S. 614; TRÖNDLE/FISCHER § 3 1 5 c R d n . 17. - A . A . O L G Stuttgart N J W 1 9 7 6 S. 1 9 0 4 ; GRAUL JUS 1 9 9 2 S . 3 2 3 f; HILLENKAMP JUS 1 9 7 7 S. 1 6 7 f f ; KÖNIG L K , § 3 1 5 c Rdn. 1 6 0 in V e r b , m i t § 3 1 5 b R d n . 7 1 f f ; RENGIER B . T . II, § 4 4 R d n . 8; SCHROEDER JUS 1 9 9 4 S. 8 4 7 .
60
Vgl. BayObLG StV 1998 S. 267.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
36 cc) Das vom Täter geflihrte Fahrzeug ist Mittel, nicht aber Objekt der Gefahrdung, auch wenn es nicht Eigentum des Täters ist.61 e) Die subjektiven Voraussetzungen 37 Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Abs. 1 erfordert in bezug auf die Tathandlung und die Gefahrdung Vorsatz - bedingter genügt - des Täters. bb) Wird die Tathandlung vorsätzlich begangen, die Gefahr hingegen fahrlässig verursacht, so greift Abs. 3 Nr. 1 ein. cc) Abs. 3 Nr. 2 findet Anwendung, wenn Tathandlung und Gefährdung fahrlässig erfolgt sind. f) Der Versuch, § 315 c Abs. 2 38 Der Versuch erfordert Vorsatz auch in bezug auf die Gefahrdung, denn der Versuch ist nur in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1, nicht aber in denen des Abs. 3, mit Strafe bedroht. g) Gefährdung mehrerer Personen 39 Werden durch eine Handlung i.S. des § 315 c Abs. 1 mehrere Personen gefährdet, so ist der Tatbestand der Gefährdung im Straßenverkehr dennoch nur einmal verwirklicht. h) Verhältnis der einzelnen Alternativen des § 315 c zueinander 40 Verletzt der Täter bei einer Fahrt mehrere Alternativen des § 315 c, so liegt dennoch nur eine einheitliche Tat vor.62 3. Trunkenheit im Verkehr, § 316 41 a) Das Führen eines Fahrzeuges im Verkehr in rauschbedingtem fahruntüchtigem Zustand, ohne dass es zur Gefährdung anderer kommt, stellt § 316 als abstraktes Gefährdungsdelikt unter Strafe. 42 b) Täter kann nur der Führer der genannten Fahrzeuge sein. 43 c) Das Delikt ist vorsätzlich (§ 316 Abs. 1) und fahrlässig (§ 316 Abs. 2) begehbar. - Der Vorsatz erfordert zumindest das Bewusstsein des Täters von der konkreten Gefahr, fahruntüchtig zu sein. Der schlichte Schluss von der genossenen Alkoholmenge auf den Vorsatz ist unzulässig.63 4. Schienenbahnen im Straßenverkehr, § 315 d 44 Soweit Schienenbahnen am Straßenverkehr teilnehmen, d.h. wenn ihr Verkehrsraum zugleich dem Straßenverkehr dient oder die Trennung von der Straße nicht scharf durchgeführt ist, so dass der Fahrzeugfiihrer sein Verhalten nach dem allgemeinen Strassenverkehr zu richten hat, gelten für den Betrieb dieser Bahnen nur §§ 315 b, 315 c. §§ 315,315 a finden keine Anwendung.
61
Dazu BGHSt 27 S . 4 0 mit abl. Anm. RÜTH JR 1977 S.432 f; BGH NStZ-RR 1998 S. 150; LACKNER/KÜHL § 3 1 5 c Rdn. 2 5 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 5 0 R d n . 2 5 ; RANFT Jura 1 9 8 7 S. 6 1 5 ; RENGIER B . T . II, § 4 4 R d n . 10; TRÖNDLE/FISCHER § 3 1 5 c R d n . 17. - A . A . HÄRTUNG N J W 1 9 6 7 S. 9 0 9 ; KÖNIG L K , § 3 1 5 C R d n . 1 6 8 .
62
BayObLG JZ 1987 S. 788.
63
Vgl. dazu OLG Düsseldorf VRS 86 (1994) S. 110; OLG Celle VRS 91 (1996) S. 177; OLG Frankfurt NJW 1996 S. 1358; OLG Hamm VRS 96 (1999) S. 103; OLG Karlsruhe NJW 1993 S. 1282.
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§80
III. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 1. Das geschützte Rechtsgut §142 erfasst kein gemeingefährliches oder auch nur gemeinschädliches Delikt, sondern 45 eine gegen Vermögensinteressen des Einzelnen gerichtete Straftat. Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse Unfallbeteiligter oder Geschädigter an möglichst umfassender Aufklärung des Unfallhergangs zu dem Zwecke, Schadensersatzansprüche zu sichern oder abzuwehren. - Die Darstellung hier erfolgt aus Gründen des Sachzusammenhanges. 2. Der Täter des Delikts a) Täter kann nur ein Unfallbeteiligter sein, d.h. jemand, dessen Verhalten nach den Um- 46 ständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann, Abs. 5. - Als Unfallbeteiligter kommt daher nicht nur der Fahrer eines Kfz in Betracht, sondern alle Personen, die beim aktuellen Unfallgeschehen zugegen waren und deren Verhalten den Unfall nach dem äußeren Schein zumindest mitverursacht haben kann. Dies kann z.B. der Beifahrer sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er den Fahrer behindert oder in seinem verkehrswidrigen Verhalten bestärkt hat, der beim Unfallgeschehen am Unfallort anwesende Fahrzeughalter, der das Fahrzeug einem fahruntüchtigen oder ungeeigneten Fahrer überlassen hat oder einer Garantenpflicht zuwider die Weiterfahrt nicht verhindert hat.64 - Der nicht mitfahrende oder erst später am Unfallort erscheinende Fahrzeughalter ist hingegen nicht wartepflichtig, da sein Verhalten nicht zu den Verhaltensweisen gehört, die unmittelbar am Unfallort feststellbar sind.
b) Da Täter nur ein Unfallbeteiligter sein kann, handelt es sich beim unerlaubten Entfernen 47 vom Unfallort um ein Sonderdelikt. Die Unfallbeteiligung begründet jedoch keine Sonderpflichtenposition i.S. des § 28, sondern charakterisiert nur die Positionsnähe zum Rechtsgut.« 3. Der Unfall im Straßenverkehr Unfall im Straßenverkehr ist ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr auf Wegen und Plätzen, das mit dessen Gefahren im ursächlichen Zusammenhang steht und zu einem Personen- oder Sachschaden eines anderen geführt hat. a) Zum Begriff des Straßenverkehrs vgl. § 80 Rdn. 16. Es genügen Vorkommnisse im ruhenden Verkehr und mit ausschließlicher Beteiligung von Fußgängern.66 b) Ein Personenschaden bedeutet Tötung oder nicht ganz unerhebliche Körperverletzung eines anderen. c) Ein Sachschaden ist völlig belanglos i.S. des § 142, wenn der Schadensersatz nicht über DM 50,- hinausgeht.67
64
So auch BGH VRS 24 (1963) S. 34; BGHSt 30 S. 160; BayObLG VRS 12 S. 115; OLG Düsseldorf V R S 8 4 ( 1 9 9 3 ) S. 4 4 0 ; O L G K ö l n V R S 8 6 (1994) S. 2 7 9 ; LACKNER/KÜHL § 1 4 2 R d n . 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 142 R d n . 1 3 , 1 3 a.
65
66
HERZBERG Z S t W 8 8 ( 1 9 7 6 ) S. 83; R Ö H N L K , § 2 8 R d n . 6 8 ; SCHILD N K , § 1 4 2 R d n . 124.
Vgl. OLG Stuttgart VRS 18 (1960) S. 117; OLG Koblenz MDR 1993 S. 366; GEPPERT Jura 1990 S. 80; LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 6; RUDOLPHI S K n , § 1 4 2 R d n . 14; TRÖNDLE/FISCHER § 1 4 2 R d n . 10. A . A . BERZ J u S 1 9 7 3 S. 5 5 8 ; SCHILD N K , § 1 4 2 R d n . 4 8 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 1 4 2 R d n . 17.
67
OLG Düsseldorf VRS 93 (1997) S. 165: 40.- DM; im einzelnen zu unterschiedlichen Wertgrenzen: SCHILD N K , § 142 R d n . 4 4 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
52 d) Str. ist, ob auch eine vorsätzliche Schädigung eines anderen mit dem Kfz - A Uberfährt B in Tötungsabsicht - als Verkehrsunfall anzusehen ist. Dies ist zu bejahen, wenn die Schädigung - etwa bedingt vorsätzlich - bei der Teilnahme am Straßenverkehr erfolgt, denn dann ist das schädigende Ereignis noch auf einen den typischen Verkehrsgefahren zugehörenden Vorgang zurückzuführen. Wird das Kfz hingegen ausschließlich als Tatmittel bei der Verwirklichung eines Delikts - Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Tötung - eingesetzt oder wird das Kfz vorsätzlich durch nicht den typischen Verkehrsgefahren zugehörige Verhaltensweisen beschädigt, so liegt kein Unfall vor. Das Verhalten wird von den die betroffenen Rechtsgüter unmittelbar schützenden Vorschriften hinreichend erfasst.68 4. Die Systematik des § 142 53 a) Abs. 1 regelt die Pflichten des Täters am Unfallort. Das Gesetz unterscheidet zwei Alternativen: sind feststellungsbereite Personen anwesend, so muss der Unfallbeteiligte gemäß Abs. 1 Nr. 1 warten und darüber hinaus die Angabe machen, dass er am Unfall beteiligt ist (Warte- und Vorstellungspflicht). - Sind feststellungsbereite Personen nicht anwesend, so muss er nur eine angemessene Zeit warten (Wartepflicht), Abs. 1 Nr. 2. 54 b) Abs. 2 regelt den Fall, dass der Unfallbeteiligte sich durch Verlassen des Unfallortes nicht strafbar gemacht hat, sei es, dass er nach angemessener Wartefrist den Unfallort verlassen durfte, Abs. 2 Nr. 1, oder aber dass er sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat, Abs. 2 Nr. 2. In diesen Fällen muss er die Feststellungen unverzüglich nachträglich ermöglichen. 5. Die einzelnen Tathandlungen a) § 142 Abs. 1 55 Tathandlung des § 142 Abs. 1 ist das Sich-Entfernen vom Unfallort. Er setzt voraus, dass der Verpflichtete deshalb nicht mehr zu den erforderlichen Feststellungen an Ort und Stelle zur Verfügung steht, weil er den Bereich verlassen hat, in dem der Zusammenhang mit dem Unfall ohne weiteres erkennbar ist.69 In Betracht kommt nur ein willentliches Verlassen des Unfallortes, u.U. auch als garantenpflichtiger Unterlassender, der die Weiterfahrt nicht verhindert, obwohl er dazu in der Lage wäre. Zu unterscheiden ist sodann: 56 aa) Sind Personen, die bereit sind, Feststellungen zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten zu treffen, anwesend oder erscheinen sie während der Anwesenheit des Unfallbeteiligten, so trifft diesen eine Warte- und Vorstellungspflicht, Abs. 1 Nr. 1. 57 Die Wartepflicht dauert solange, bis die nötigen Feststellungen getroffen sind. Sind keine Feststellungen nötig, weil alle Beteiligten auf weitere Feststellungen verzichten oder die erforderlichen Feststellungen bereits getroffen sind, so entfällt die Wartepflicht.
68
Dazu auch OLG Hamm NJW 1982 S. 2456; LACKNER/KÜHL § 142 Rdn. 8; MAGDOWSKI Die Verkehrsunfallflucht in der Strafrechtsreform, 1980, S. 89; SCHILD NK, § 142 Rdn. 49; TRONDLE/FISCHER § 142 Rdn. 12. - Offengelassen in: BGHSt 24 S. 382 mit Anm. BERZ JUS 1973 S. 558 ff, EICH MDR
1973 S. 814 ff, FORSTER NJW 1972 S. 2319 f. - Sehr weit BayObLG JZ 1986 S. 912.
69
Dazu OLG Stuttgart NJW 1981 S. 878 mit Anm. HENTSCHEL JR 1981 S. 211 f; GEPPERT Jura 1990 S. 82; RUDOLPH S K 0 , § 142 R d n . 35. - W e i t e r KÜPER J Z 1 9 8 1 S . 2 1 5 ; SCHILD N K , § 142 R d n . 9 2 .
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Gefährdungen des Verkehrswesens
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Die Vorstellungspflicht enthält die Pflicht zu Angabe, dass sich ein Unfall ereignet hat und 58 eigene (Mit-)Verursachung in Betracht kommt. Sie beginnt unmittelbar nach dem Unfall und dauert solange an, wie ihre Befolgung möglich ist. - Problematisch allerdings ist die Weite der Vorstellungspflicht. Die h.M. begrenzt diese auf die Angabe des Unfallbeteiligten, dass sich ein Unfall ereignet hat und dass eine eigene (Mit-)Verursachung in Frage kommt. Die Gegenmeinung fordert hingegen die Angabe des Namens und der Anschrift.™ Sie erscheint mehr sachgerecht, denn die Vorstellung soll dem Beteiligten gerade auch die Möglichkeit eröffnen, von einer weiteren Anwesenheit des Unfallbeteiligten abzusehen. Das aber erfordert die über die Beteiligung hinausgehenden Angaben. Die unterschiedliche Bestimmung der Vorstellungspflicht führt zu wesentlichen Konsequenzen: Führt der Unfallbeteiligte das Einverständnis Feststellungsberechtigter durch Täuschung über die relevanten Angaben herbei und entfernt sich dann, so hat er die ihm aus Abs. 1 Nr. 1 obliegende Pflicht nicht erfüllt und damit die Vorstellungspflicht verletzt.71 Der Versuch, in diesen Fällen eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 zu begründen72, schlägt fehl, da der Täter sich weder berechtigt noch entschuldigt vom Unfallort entfernt hat. 73
Verzichtet der Unfallgegner auf die weitere Anwesenheit des Unfallbeteiligten am Un- 59 fallort, so liegt darin eine rechtfertigende Einwilligung in das Entfernen vom Unfallort.74 bb) Sind keine feststellungsbereiten Personen am Unfallort erschienen, so trifft den Un- 60 fallbeteiligten eine Wartepflicht, Abs. 1 Nr. 2. - Die Länge der Wartepflicht bestimmt sich nach dem Grad des Feststellungsinteresses und der Zumutbarkeit. Maßgeblich sind dafür Ort und Schwere des Unfalls, Verkehrsdichte, Witterung und Tageszeit. Positive Maßnahmen zur Aufklärung verkürzen die Wartezeit. - Die Pflicht entfällt, wenn in absehbarer Zeit überhaupt nicht mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen ist. Im einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1107: 10 Minuten genügen ausnahmsweise bei einem geschätzten Schaden von DM 400,-, wenn kein Anhaltspunkt für baldiges Eintreffen feststellungsbereiter Personen vorliegt. - OLG Hamm VRS 59 S. 258: 30 Minuten genügen bei Schaden bis DM 600,-. - OLG Koblenz VRS 49 S. 180: 15 Minuten in der Nacht genügen nicht bei Schaden in Höhe von DM 1500,-. - OLG Stuttgart DAR 1977 S. 22: 20 Minuten bei Schaden von DM 600,- gegen Abend genügen nicht. - Bei Tötung und schwerer Verletzung von Personen ist mindestens 1 Stunde Wartezeit erforderlich.
cc) Der Vorsatz, bedingter genügt, muss das Bewusstsein umfassen, möglicherweise einen 61 Unfall verursacht und nach den Umständen erforderliche Feststellungen nicht ermöglicht zu haben, b) § 142 Abs. 2 Abs. 2 begründet die Pflicht zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung der Fest- 62 Stellungen i.S. des Abs. 1, wenn: aa) der Unfallbeteiligte sich nach Ablauf der Wartefrist, Abs. 1 Nr. 1, oder bb) berechtigt oder entschuldigt, Abs. 2 Nr. 2, vom Unfallort entfernt hat. 70
V g l . B G H S t 16 S. 139; JAGUSCH N J W 1976 S. 504; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 4 9 R d n . 36. - A . A . B a y O b L G J R 1985 S. 163; BERZ D A R 1975 S. 3 1 1 ; KÜPER G A 1 9 9 4 S. 6 0 ; LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 18. - D i f f e r e n z i e r e n d : SCHILD N K , § 142 R d n . 6 8 .
71
So auch OLG Stuttgart NJW 1982 S. 2266; JANISZEWSKI NStZ 1990 S. 272; LACKNER/KÜHL § 142 Rdn. 17; TRÖNDLE/FISCHER § 142 Rdn. 29. - A.A. BayObLG NJW 1984 S. 66, 1365; OLG Frankfurt N J W 1990 S. 1189; KÜPER J Z 1 9 9 0 S. 5 1 0 f f ; RUDOLPHI S K N, § 142 R d n . 31; SCHILD N K , § 142 R d n .
72
105. Vgl. BayObLG NJW 1984 S. 1365; OLG Frankfurt NJW 1990 S. 1198.
73
Vgl. auch GEPPERT JK 90, StGB § 142/16; JANISZEWSKI NStZ 1983 S. 403.
74
vgl. dazu OLG Düsseldorf NZV 1991 S. 77 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 142/17.
435
§80 63
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67
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Berechtigt hat sich der Unfallbeteiligte entfernt, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorlag, wobei besonders Einwilligung und nach der Rechtsprechung auch mutmaßliche Einwilligung in Betracht kommen in Fällen, in denen der Berechtigte nach den Umständen - Bestehen freundschaftlicher oder verwandtschaftlicher Beziehungen, Bagatellschaden - mutmaßlich an Feststellungen uninteressiert ist.75 Entschuldigt erfolgt die Entfernung bei Vorliegen von Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründen, auch bei vorübergehender Schuldunfähigkeit oder unvermeidbarem Verbotsirrtum. - Ist der Schuldausschluss allerdings rauschbedingt, so kommt wegen des Entfernens vom Unfallort eine Strafbarkeit nach § 323 a in Betracht. In diesem Fall entfällt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 142 Abs. 2 Nr. 2, denn der Täter hat sich nicht entschuldigtermaßen vom Unfallort entfernt, sondern schuldhaft im Sinne der Schuldanforderung des § 323 a gehandelt.76 Nicht tatbestandsmäßig i.S. des § 142 Abs. 2 handelt der Täter, der sich unvorsätzlich vom Unfallort entfernt, weil er keine Kenntnis vom Unfall hat. Die Interpretation des BGH, es genüge, dass der Täter im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall von diesem Kenntnis erlangt habe77, geht über die durch den Wortlaut gesetzten Grenzen des § 142 hinaus.78 In gleicher Weise nicht mit dem Gesetz vereinbar ist die Annahme, die unvorsätzliche, von Dritten veranlasste oder erzwungene Entfernung des Täters vom Unfallort stehe einer berechtigten oder entschuldigten Entfernung gleich. Dies mag vom Gesetzessinn her zutreffen, ist jedoch angesichts des engen Wortlauts des Abs. 2 eine Analogie zu Ungunsten des Täters.79 cc) Die Mindestvoraussetzungen der nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen, die der Unfallbeteiligte erfüllen muss, um straffrei zu bleiben, beschreibt Abs. 3. Da der Verpflichtete gemäß Abs. 2 unverzüglich handeln muss, hat er die Wahl der Benachrichtigung, soweit das Unverzüglichkeitsgebot nicht verletzt wird. - Unverzüglich erfordert Handeln ohne vorwerfbares Zögern. Das bedeutet, dass dann, wenn eine der zur Wahl stehenden Möglichkeiten zu einer zeitlichen Verzögerung führt, die andere Möglichkeit zu realisieren ist.80 75
Vgl. BayObLG StV 1985 S. 109; OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 2725; OLG Frankfurt NJW 1960 S. 2067.
76
Vgl. auch BayObLG NJW 1989 S. 1685 mit Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 142/15, KELLER JR 1989 S. 3 4 3 f, KÜPER N J W 1990 S. 2 0 9 ; BEULKE N J W 1979 S. 4 0 4 ; RENGER B . T . D, § 4 6 R d n . 3 2 ; R u DOLPHI S K H , § 142 R d n . 39; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 142 R d n . 5 4 . - A . A . BERZ J u r a 1 9 7 9 S. 129; DORNSEIFER J Z 1980 S. 3 0 3 ; KÜPER N J W 1 9 9 0 S. 2 1 0 ; MISERE J u r a 1991 S. 2 9 9 f; TRÖNDLE/FISCHER § 142 R d n . 4 0 .
77
BGHSt28S. 129.
78
S o a u c h BERZ J u r a 1979 S. 128; BEULKE N J W 1979 S. 4 0 0 f f ; BOTTKE J A 1980 S. 5 1 6 ; DORNSEIFER J Z 1980 S. 3 0 1 f; GEPPERT J u r a 1 9 9 0 S. 85; KREY B . T . 2, R d n . 6 4 6 ; LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 2 5 ; MAGDOWSKI V e r k e h r s u n f a l l f l u c h t , S. 160 f f ; RUDOLPHI J R 1 9 7 9 S. 2 1 0 f f ; WESSELS/HETITNGER
B.T./1, Rdn. 1014. - A.A. OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 544; KÜPER Heidelberg-FS, S.451; MAURACH/SCHROE-DER/MAIWALD B . T . 1, § 4 9 R d n . 5 4 ; RENGIER B . T . II, § 4 6 R d n . 2 7 ; SCHILD N K , § 142 R d n . 138; VOLK D A R 1982 S. 85. 79
V g l . LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 2 5 ; RUDOLPHI S K II, § 142 R d n . 3 5 a; SCHILD N K , § 142 R d n . 9 4 . -
A.A. BGHSt 30 S. 160 mit Anm. BÄR JR 1982 S. 379; BayObLG NJW 1982 S. 1059 mit abl. Anm. KLINKENBERG/LIPPOLD/BLUMENTHAL N J W 1982 S. 2 3 5 9 f, JAKOB M D R 1 9 8 3 S. 4 6 1 f , SCHWAB M D R 1983 S. 454 f.
80
436
Vgl. BGHSt 29 S. 138.
Gefahrdungen des Verkehrswesens
§80
dd) Der Vorsatz, bedingter genügt, umfasst Kenntnis des Verkehrsunfalls und der möglichen Beteiligung sowie das Bewusstsein, dass nachträgliche Feststellungen erschwert oder vereitelt werden. c) Tätige Reue aa) Nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, d. h. wenn das Unfallereignis selbst dem fließenden Verkehr nicht zuzuordnen ist,si und wenn der Unfall nicht bedeutenden Sachschaden - nicht über 2000,- DM - zur Folge hat, kann das Gericht die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von vierundzwanzig Stunden freiwillig die Feststellungen nachträglich ermöglicht, Abs. 4. - Freiwillig handelt der Unfallbeteiligte, wenn er aufgrund autonomer Motive handelt. bb) Aber auch dann, wenn der Unfallbeteiligte nach Vollendung des Delikts, aber bevor ein Feststellungsverlust eingetreten ist, freiwillig die Feststellungen ermöglicht, ist kein Strafbedürfnis gegeben. Eine analoge Anwendung des § 306 e sollte hier erwogen werden, auch wenn dem die Tatsache entgegensteht, dass der Gesetzgeber dem Rücktritt einen erheblich geringeren Raum gibt. d) Konkurrenzen In der Regel besteht zwischen § 142 und der durch den Unfall verursachten Tat Realkonkurrenz. Das gilt auch, wenn der Täter vor und nach dem Unfall eine Dauerstraftat, § 316, begeht. Mit dem Entschluss, sich vom Unfallort zu entfernen, beginnt eine neue Tat.82
68
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71
IV. Angriff auf den Luft- und Seeverkehr, § 316 c 1. Die Vorschrift schützt die Sicherheit des zivilen Flug- und Seeverkehrs. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 2. § 316 c Abs. 1 Nr. 1 erfasst die eigentliche Luft- und Seepiraterie. Ziel des Täters muss die Herrschaft über das Luftfahrzeug bzw. Schiff oder die Einwirkung auf dessen Führung sein, und zwar durch Gewaltanwendung, durch Angriff auf die Entschlussfähigkeit einer Person oder durch Vornahme sonstiger Machenschaften, die in der Wirkung einem Ausschluss der Entschlussfreiheit der Flugzeug- oder Schiffsführung gleichkommen.«3 3. § 316 c Abs. 1 Nr. 2 erfasst Handlungen, die in der Absicht der Zerstörung oder BeSchädigung des Luftfahrzeugs, des Schiffs oder seiner Ladung unternommen werden. 4. § 316 c Abs. 3 enthält eine Erfolgsqualifikation (wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen). - § 316 c Abs. 4 dehnt die Strafbarkeit bereits auf bestimmte Vorbereitungshandlungen aus. 5. Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 1) oder zum Strafausschluss (Abs. 3 Nr. 2) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 6. Konkurrenzen: Da sich das Delikt gegen die Sicherheit des zivilen Luft- und SeeVerkehrs richtet, ist Idealkonkurrenz mit den durch die u.U. erfolgte Verletzung persönlicher Rechtsgüter begangenen Delikten (z.B. §§ 240, 223,212,239 b) möglich. 81
82 83
V g l . d a z u O L G K ö l n V R S 9 8 ( 2 0 0 0 ) S. 122; SCHILD N K , § 142 R d n . 122; TRÖNDLE/FISCHER § 1 4 2
Rdn. 53. Dazu BayObLG JR 1982 S. 249 mit Anm. HENTSCHEL S. 250 f; OLG Celle GA 1982 S. 41. DAZU gehören nicht Bestechung und Überredung; vgl. SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 316 C Rdn. 16. A . A . KUNATH J Z 1 9 7 2 S. 2 0 1 .
437
72 73
74 75 76 ^7
§81
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§ 81 Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a 1 § 323 a stellt die Herbeiführung eines gemeingefährlichen Zustandes i.S. eines unberechenbaren, unbeherrschbaren und damit für die Rechtsgüter anderer gefahrlichen Zustandes unter Strafe. Geschützte Rechtsgüter sind die in den übrigen Delikten strafrechtlich geschützten Rechtsgüter anderer. Diese Weite des Rechtsgutsschutzes macht deutlich, dass es sich sachlich um eine Ausdehnung der strafrechtlichen Haftung über den Vorsatzund Fahrlässigkeitsbereich hinaus in einen subjektiven Verantwortungsbereich hinein handelt, der nicht mehr die Vorhersehbarkeit der konkreten Rechtsgutsbeeinträchtigung zur Voraussetzung hat, sondern das allgemeine Wissen von der Gefährlichkeit und Nichtsteuerbarkeit einer bestimmten Situation. In der Sache ist § 323 a daher als Ergänzung der §§ 20, 21 und Erweiterung der subjektiven HaftungsVoraussetzungen über die Fahrlässigkeit hinaus anzusehen.»4 Formell handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da der Gesetzgeber davon abgesehen hat, diese allgemeine Haftungsausdehnung im Allgemeinen Teil zu regeln, wo sie sachlich hingehört hätte.85 Sachlich enthält § 323 a eine Schuldzurechnungsregelung, und zwar eine Ergänzung der §§20, 21, die durchaus mit dem Schuldgrundsatz in Einklang steht, wenn als subjektives Tatbestandsmerkmal des § 323 a die Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustands für die Begehung von Delikten vorausgesetzt wird.86 2 Auch die Rechtsprechung, die z.T. ausdrücklich betont, dass sie § 323 a als abstraktes Gefährdungsdelikt interpretiert87, kommt sachlich zum gleichen Ergebnis, indem sie Strafrahmenverschiebungen bei der Rauschtat nach §§ 27 Abs. 2 S. 2, 23 Abs. 2, 21 Abs. 2 gemäß § 323 a Abs. 2 sowie die Zahl der Rauschtaten und einen Rücktritt von der versuchten Rauschtat innerhalb der Schuld des Vollrausches berücksichtigt.88
84
85
Dazu auch HARDWIG Eb. Schmidt-FS, S. 473 ff; DERS. GA 1964 S. 144 f; HRUSCHKA Strafrecht, A.T.,
2. Aufl. 1988, S. 298; MAURACH/ZIPF Strafrecht, A.T. 1, 8. Aufl. 1992, § 36 Rdn. 65; NEUMANN Zurechnung und „Vorverschulden", 1985, S. 125 ff; OTTO Jura 1986 S. 478 ff; DERS. BGH-FG, S. 131 f; STRENG JZ 1984 S. 118 ff; DERS. ZStW 101 (1989) S. 318 ff. Die h.M. ordnet den § 323 a schlicht als abstraktes Geftihrdungsdelikt ein, vgl. CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 17 ff m.w.N.; DENCKER NJW 1980 S. 2 1 5 9 ; KREY B.T. 1, R d n . 7 9 7 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 1; PUPPE G A 1974 S. 115; DIES. Jura 1982 S. 2 8 1 ; SCHMIDHÄUSER B.T., 15/19; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 a R d n . 1; WESSELS/HETTINGER
B.T./1, Rdn. 1028. - Als konkretes Gefährdungsdelikt interpretieren den Tatbestand: ARZT/WEBER B.T., § 4 0 R d n . 12; HEINITZ J R 1957 S. 3 4 7 f f ; LANGE J R 1957 S. 2 4 2 f f ; RANFT M D R 1972 S. 7 4 1 ;
DERS. JA 1983 S. 194; WELZEL Lb., § 68 II. - Für eine Aufspaltung in einen engeren und einen weiteren Vollrauschtatbestand: PAEFFGEN NK, § 323 a Rdn. 14 ff; WOLTER NStZ 1982 S.58 ff. 86
So im Ergebnis auch BEMMANN GA 1961 S. 73; CRAMER Vollrauschtatbestand, 1962, S. 106; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 9 6 R d n . 3; MONTENBRUCK G A 1978 S. 2 4 0 f; OTTO Jura 1986
S. 481; SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 70; STRENG JR 1993 S. 37 f. - Einen Verstoß gegen das Schuldprinzip sieht in § 323 a ARTHUR KAUFMANN JZ 1963 S. 425 ff; dazu auch NEUMANN Zurechnung, S. 128; STRENG J Z 1984 S. 119. - D i f f e r e n z i e r e n d : PAEFFGEN Z S t W 9 7 ( 1 9 8 5 ) S. 5 3 8 ; WOLTER N S t Z 1982 S. 5 4 ff.
87
Vgl. BGHSt 16 S. 124; 20 S. 284.
88
vgl. dazu BGH JR 1993 S. 33 mit Anm. STRENG S. 35 ff, PAEFFGEN NStZ 1993 S. 66 ff; BGH NStZ 1994 S. 131 mit A n m . KUSCH S. 132, OTTO J K 94, S t G B § 3 2 3 a/5; B G H StV 1994 S. 3 0 4 .
438
Vollrausch
§81
II. Die Voraussetzungen des Tatbestandes 1. Die Tathandlung Tathandlung ist das Sichversetzen in einen Rausch durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel, z.B. Rauschgift. - Rausch ist das für das jeweilige Rauschmittel typische, die psychischen Fähigkeiten durch Intoxikation beeinträchtigende Zustandsbild. Einen bestimmten Schweregrad setzt das Gesetz nicht voraus. Gleichwohl geht die h.M. davon aus, dass ein Rausch i.S. des § 323 a nur vorliegt, wenn die Intoxikation durch Rauschmittel einen Grad erreicht hat, in dem die Schuldfähigkeit des Täters mit Sicherheit zumindest erheblich vermindert ist i.S. des § 21, und zwar soll die verminderte Schuldfähigkeit in Bezug auf die Rauschtat bestimmt werden.89 Die Abhängigkeit des Rauschbegriffs von der Schuldunfahigkeit bzw. der verminderten Schuldfähigkeit wird vom BGH inzwischen in Frage gestellt*», und auch in der Literatur wird zunehmend eine eigenständige Definition des Rauschbegriffs vorgeschlagen. Zum Teil wird der Rausch interpretiert als „Zustand, in dem der Täter infolge Rauschmittelkonsums hinsichtlich irgendeines (Straf-) Normverstoßes in irgendeiner Situation bereits nur noch vermindert schuldfahig wäre"91, oder kurz als Zustand der Sozialunfahigkeit92, während andere auf die absolute Fahruntüchtigkeit93 bzw. auf die biologische Komponente der §§ 20, 2194 abstellen wollen. Die Lösung des Rauschbegriffs von der Definition der Schuldunfahigkeit bzw. der verminderten Schuldfähigkeit ist ein Postulat vernünftiger Gesetzesauslegung, denn würde bereits der Rausch den sicheren Nachweis zumindest verminderter Schuldfähigkeit voraussetzen, so wäre das gesetzliche Erfordernis, dass der Täter in Folge des Rausches schuldunfähig war oder dies nicht auszuschließen ist, sinnlos. Es verwiese auf eine schlichte Tautologie. Jedoch auch der Bezug auf die Fahruntüchtigkeit oder einzelne Aspekte der Schuldunfahigkeit bleibt willkürlich.^ Das Erfordernis des Rausches im Tatbestand des § 323 a stellt lediglich klar, dass die Gefahrensituation auf einem Rausch und nicht auf anderen Sachverhalten beruhen muss. Ein bestimmter Mindestschweregrad des Rausches ist daher nicht als Voraussetzung des Rauschbegriffs zu akzeptieren.9^
89
FORSTER/RENGIER N J W 1 9 8 6 S. 2 8 7 2 ; HORN JR 1 9 8 0 S. 1 f f ; KREY B . T . l , R d n . 8 0 5 ; KÜPER B . T . , S. 2 3 3 f; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a Rdn. 4; PAEFFGEN N S t Z 1 9 8 5 S. 8; RANFT Jura 1 9 8 8 S. 1 3 8 ; RENGIER
B.T. H, § 41 Rdn. 22. 90
BGHSt 32 S. 48.
91
DENCKER N J W 1 9 8 0 S. 2 1 6 2 ; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 5 6 f f .
92
PUPPE Jura 1982 S. 285.
93
MONTENBRUCK G A 1 9 7 8 S. 2 2 5 f f .
94
HORN J R 1 9 8 0 S . 7 .
95
Im einzelnen zur Auseinandersetzung mit diesen Definitionen LACKNER Jescheck-FS, S. 659 ff.
96
Vgl. dazu DÖLLING Heidelberger Jahrbücher XLIII (1999) S. 149 ff; JAKOBS Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1 9 9 1 , 1 7 / 6 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 9 6 Rdn. 18; OTTO Jura 1 9 8 6 S. 4 8 2 f ; DERS. B G H - F G , S. 1 2 9 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 3 1 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 1 5 4 ; TRÖNDLE J e s c h e c k F S , S. 6 8 2 f f ; TRONDLE/FISCHER § 3 2 3 a Rdn. 5 a f f .
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§81
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Die Rauschtat 7 Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist die Rauschtat, d.h. eine rechtswidrige Tat i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 5, für die der Täter nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies zumindest nicht auszuschließen ist. Auch im Falle mehrerer Rauschtaten während des Rausches liegt nur ein Delikt des Vollrausches vor, bei dem mehrere objektive Bedingungen der Strafbarkeit erfüllt wurden.?? Die Rauschtat muss den vollen objektiven und subjektiven Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen.^ 8 a) Die Rauschtat kann ein Begehungs- oder Unterlassungsdelikt sein. Ist der Täter infolge seines Rausches jedoch nicht mehr handlungsfähig, so kommt eine Haftung nicht in Betracht. § 323 a soll der Gefahr begegnen, die ein handlungsfähiger aber berauschter und daher in seiner Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit beeinträchtigter Täter verwirklicht, nicht aber den Haftungsrahmen über die Handlungsmöglichkeiten im konkreten Fall hinaus ausdehnen. Auch unterlassene Hilfeleistung, § 323 c, kann Rauschtat sein, wenn der Täter in der Lage ist zu erkennen, dass der in Not Geratene auf seine Hilfe angewiesen und ihm die Hilfeleistung möglich ist."
9 b) Ist die Rauschtat nur als vorsätzliche Tat mit Strafe bedroht, so muss der Täter die Kenntnis der Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes sowie den Verwirklichungswillen (finales Element des Vorsatzes = natürlicher Vorsatz) gehabt haben. 10 c) Soweit die Rauschtat eine besondere Absicht voraussetzt, muss der zielgerichtete Wille des Täters vorhanden gewesen sein. Ist diese Absicht im Gesetz als spezifisch rechtswidrige Absicht gekennzeichnet, wie z.B. die Absicht rechtswidriger Zueignung in § 242 oder die Absicht rechtswidriger Bereicherung in §§ 253, 263, so lässt die h.M. dieses Erfordernis in Wirklichkeit entfallen, indem sie lediglich die „natürliche zielgerichtete Absicht" voraussetzt.100 - Dies ist nicht sachgerecht, denn gerade die Absicht rechtswidriger Zueignung bzw. Bereicherung gibt diesen Delikten ihre spezifische Angriffsrichtung, vgl. dazu § 38 Rdn. 12. 11 Da der Täter jedoch im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit nicht mehr fähig ist, das Unerlaubte seines Verhaltens einzusehen oder sich danach zu richten, kann er die geforderte rechtsfeindliche Einstellung seiner Zueignungs- bzw. Bereicherungsabsicht gerade nicht erkennen, bzw. sich danach richten. Damit aber kann er das geforderte Spezifikum der Absicht nicht verwirklichen. 12 Im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit kann daher eine Rauschtat, die die Realisierung einer rechtswidrigen Absicht fordert, nicht verwirklicht werden. Dies ist jedoch kein Mangel, denn da bei den entsprechenden Delikten eine unabänderbare Sachlage durch die Tat im Rausch nicht eintritt, ist das Verhalten des Täters im zurechnungsfähigen Zu-
97 98
BGH StV 1990 S. 404; BGH StV 1994 S. 128. A.A. SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 201: Mindestvoraussetzung eine objektiv-strafiatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat.
99
S o a u c h B a y O b L G N J W 1974 S. 1520; DENCKER N J W 1980 S. 2 1 6 5 ; DERS. JUS 1980 S. 2 1 4 ; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 7 0 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 175; STRENG J Z 1984 S. 114 f f . - A . A . BACKMANN J u S 1975 S. 7 0 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 6; LENCKNER J R 1975 S. 3 1 ff.
100 vgl. dazu BayObLG NJW 1992 S. 2040 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 323 a/3.
440
Vollrausch
§81
stand für die strafrechtliche Beurteilung relevant. Eignet er sich in diesem Zustand z.B. eine fremde Sache rechtswidrig zu, so haftet er nach § 246.101 d) Ein Irrtum des Täters, der nicht auf seinem Rausch beruht, ist nach allgemeiner Ansicht genauso zu behandeln wie ein Irrtum eines nüchternen Täters. Beim rauschbedingtem Irrtum will die Rechtsprechung den Täter hingegen nicht entlasten. Dem ist nicht zu folgen. Das Erfordernis der Rauschtat hat eine strafbarkeitsbegrenzende Funktion. - Pflichtwidrig handelt der Täter, weil er sich vorsätzlich oder fahrlässig in den gemeingefährlichen Rauschzustand versetzt hat. Bestraft wird er jedoch nur, wenn er in diesem Zustand eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat begeht. - Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Unrechtstatbestandes dieser Tat müssen gegeben sein. Da der Täter die Tat aber in einem Zustand begangen hat, in dem zumindest nicht auszuschließen ist, dass er unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ist das Unrechtsbewusstsein, und zwar im umfassenden Sinne - materielles und formelles Unrechtsbewusstsein102 -, nicht Voraussetzung der Rauschtat. Das hat die Konsequenz, dass ein sog. Tatbestandsirrtum, wenn er auf den Rausch zurückzuführen ist, nicht anders zu behandeln ist als ein nicht rauschbedingter Irrtum. Hingegen kann ein sog. Verbotsirrtum, der darauf beruht, dass der Täter aufgrund seines Rauschzustandes nicht mehr in der Lage ist einzusehen, was erlaubt ist, ihn nicht entlasten. 103 e) Der Rücktritt vom Versuch der Rauschtat entlastet den Täter. - Der Gesetzeswortlaut des § 323 a Abs. 1: „... rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war ...", ist dahin zu interpretieren: „... rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfahig war." - Ob der Rücktritt im berauschten Zustand oder schon nüchtern erfolgte, ist irrelevant. Da der natürliche Vorsatz zur Begründung des Versuchs genügt, muss er für den Rücktritt hinreichen. 104
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3. Die subjektiven Voraussetzungen des Vollrausches Der Täter muss sich vorsätzlich oder fahrlässig in den Rauschzustand versetzt haben. Be- 17 ruht der Rauschzustand auf dem Zusammenwirken von Rauschmitteln und anderen Grün-
101 Für Erfassung des Unrechts des Gesamtverhaltens durch das Eigentumsdelikt im nüchternen Zustand: WESSELS/HETTINGER B . T . / 1 , R d n . 1 0 4 0 : m i t b e s t r a f t e V o r t a t ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 2 3 a
Rdn. 32: Subsidiarität. Das Eigentumsdelikt sieht als mitbestrafte Nachtat an: OLG Celle NJW 1962 S. 1833. 1 0 2 D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , §§ 7 R d n . 6 2 f f , 13 R d n . 3 9 f f . 1 0 3 SO a u c h DENCKER N J W 1 9 8 0 S. 2 1 6 4 f ; KREY B . T . 1, R d n . 8 0 1 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 9 6 R d n . 13; PAEFFGEN N K , 3 2 3 a R d n . 7 3 ff; RANFT J A 1 9 8 3 S . 2 4 1 f ; SCHULER-SPRINGORUM M s c h r K r i m 1 9 7 3 S . 3 6 3 f f ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 a R d n . 13. - A . A . B G H N J W 1 9 5 3 S. 1 4 4 2 ; O L G C e l l e N J W 1 9 6 9 S. 1 7 7 5 ; BOCKELMANN B . T . / 3 , § 2 5 I V 2 ; KUSCH D e r V o l l r a u s c h ,
1984, S. 88 ff m.w.N. 104 Vgl. BGH NStZ 1994 S. 131 mit zust. Anm. OTTO JK 94, StGB § 323 a/5, und abl. Anm. KUSCH NStZ 1994 S. 132; BGH StV 1994 S. 304; BGH StV 2000 S. 596; BGH NStZ-RR 2001 S. 15; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 10; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 8 0 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 a R d n . 10. A . A . RANFT M D R 1 9 7 2 S. 7 4 3 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 2 2 1 .
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§81
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
den - Erregung, Medikamenten -, so muss die Vorhersehbarkeit des Täters sich darauf erstrecken, dass im Zusammenwirken dieser Gegebenheiten ein Rauschzustand entsteht.105 Weiter muss der Täter die allgemeine Kenntnis haben, dass ein Rauschzustand gefährlich ist, weil es in einem derartigen Zustand zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen Dritter kommen kann, und zwar unabhängig, ob das Delikt als abstraktes Gefährdungsdelikt oder als Erweiterung des Haftungsrahmens über §§ 20, 21 hinaus interpretiert wird. Die allgemeine Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustandes ist Mindesterfordernis des Schuldgrundsatzes.106 18 a) Hat der Täter sich vorsätzlich in einen Rausch versetzt, um eine Straftat im Rauschzustand zu begehen, so haftet er nicht aus § 323 a, sondern aus dem Tatbestand der verwirklichten Tat wegen einer actio libera in causa.1"7 19 b) Hat der Täter Vorkehrungen gegen die Realisierung von Gefahren im Rausch getroffen, die mit Sicherheit eine Realisierung der Gefahren ausgeschlossen hätten, so haftet er nicht, wenn durch bewusstes Eingreifen Dritter diese Vorkehrungen beseitigt werden. Ihm fehlt in dieser Situation die allgemeine Kenntnis von der Gefährlichkeit seines konkreten Zustandes.108 4. Teilnahme am Vollrausch 20 Teilnahme am Vollrausch, § 323 a, ist ausgeschlossen. Dies folgt daraus, dass es sich hier sachlich um kein eigenständiges Delikt handelt, sondern um eine Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen in einer bestimmten Situation für bestimmte Personen.109 Die Beteiligung an der Rauschtat richtet sich nach den allgemeinen Regeln. 5. Wahlfeststellung 21 Eine Wahlfeststellung zwischen der Rauschtat und dem Vollrausch kommt nicht in Betracht, da zwischen der im Rausch begangenen Rechtsgutsbeeinträchtigung und der voll verantwortlich verwirklichten Rechtsgütsbeeinträchtigung ein normatives Stufenverhältnis besteht. 22 Ist nicht nachweisbar, ob der Täter die Rauschtat im Zustand der Schuldunfähigkeit, der verminderten Schuldfahigkeit oder - trotz Rausches - in einem Zustand voller Zurechnungsfähigkeit begangen hat, so ist er, wenn der Rausch erwiesen ist, aus § 323 a zu bestrafen. Der Rauschtäter, der - wenn er schuldfähig gewesen wäre - aus der für die im 105 Dazu BGH NJW 1979 S. 1370; BGH NStZ 1982 S. 116; BGH StV 1987 S. 246 mit Anm. NEUMANN S. 247 ff. - Zum erstmaligen Auftreten eines pathologischen Rausches vgl. BGHSt 40 S. 198. 106 Dazu auch BGHSt 10 S. 251. 107 Dazu sowie zur fahrlässigen Haftung trotz Rausches GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 13 Rdn. 15 ff. 108 Vgl. auch BGHSt 10 S. 247; BGH JR 1958 S. 28; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 96 Rdn. 5; OTTO Jura 1986 S. 486; SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 64. - A.A. OLG Hamburg JR 1982 S. 345 mit A n m . HORN S. 3 4 7 f f ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 14; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 6 4 ; PUPPE G A 1974 S. 84.
109 Str., die Stellungnahmen sind wesentlich durch die jeweilige Auffassung über die Rechtsnatur des § 323 a geprägt, doch Uberwiegt die Auffassung, dass eine Teilnahme am Vollrausch nicht möglich ist. V g l . dazu H A F T B . T . , § 3 7 II 5; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 17; RANFT J A 1 9 8 3 S. 2 4 4 ; WELZEL L b . , § 6 8 II 4 a. - A . A . B G H S t 10 S. 2 4 8 ; BRUNS J Z 1958 S. 105 f f ; LANGE J Z 1 9 5 3 S. 4 0 8 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 9 6 R d n . 2 3 f; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 6 6 ; ROXIN T ä -
terschaft und Tatherrschaft, 6. Aufl. 1994, S. 431 f; SCHMIDHÄUSERB.T., 15/33; SCH/SCH/STERNBERGLEBEN § 3 2 3 c R d n . 2 5 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 2 6 9 f f .
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Vollrausch
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Rausch begangene Tat geltenden Norm verurteilt werden müsste, ist durch die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo" nicht schlechter gestellt, wenn gegen ihn wegen nicht ausgeschlossener Schuldunfähigkeit die weniger gravierende Norm des § 323 a zur Anwendung kommt.110 Eine Strafbarkeitslücke ist allerdings auch innerhalb dieser Konzeption begründet: Ist 23 nicht nachweisbar, ob der Täter einen Rausch hatte oder nicht, so kann er weder aus dem Vollrausch noch aus der Rauschtat bestraft werden.111 6. Die Strafe Die Strafe ist begrenzt durch den Strafrahmen der Rauschtat, § 323 a Abs. 2; zum Straf- 24 antrag vgl. Abs. 3.
110 Vgl. BGHSt 32 S. 54 ff; BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 407; DREHER MDR 1970 S. 370 f; HEISS NStZ 1 9 8 3 S . 6 9 ; OTTO P e t e r s - F S , S . 3 8 2 f ; DERS. B G H - F G , S . 1 3 1 f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 3 1 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 1 5 4 f f ; TRÖNDLE J e s c h e c k - F S , S . 6 7 8 f f ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 a R d n . 5 a ; W O L -
TER Wahlfeststellung und in dubio pro reo, 1987, S. 75 ff. 1 1 1 V g l . B G H S t 3 2 S . 4 8 , 5 4 ; DENCKER N J W 1 9 8 0 S . 2 1 6 0 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 5 ; OTTO B G H F G , S . 1 3 2 f ; SCHUPPNER/S 1PPEL N S t Z 1 9 8 4 S. 6 7 f f . - A . A . SCHEWE B A 1 9 8 3 S . 5 3 1 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 a R d n . 5 b .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Sechster Abschnitt Straftaten gegen die Umwelt § 82 Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnonnen 1. Die Intention des Gesetzgebers 1 Mit dem am 1.7.1980 in Kraft getretenen 18. Strafrechtsänderungsgesetz - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - hat der Gesetzgeber wichtige Tatbestände zum Schutz der Umwelt, die zuvor in Spezialgesetzen des Nebenstrafrechts - z.B. im WasserhaushaltsG, Bundes-ImmissionsschutzG, AbfallG und AtomG - enthalten waren, erweitert, modifiziert und im Strafgesetzbuch zusammengefasst. Weniger bedeutsame Vorschriften - z.B. § 148 GewerbeO, §§ 51, 52 LebensmittelG, §§ 63 ff Bundes-SeuchenG, § 74 TierschutzG, § 39 PflanzenschutzG - blieben in den Spezialgesetzen. 2 Mit der Regelung des Umweltstrafrechts im Strafgesetzbuch wollte der Gesetzgeber das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Sozialschädlichkeit von Umwelteingriffen schärfen, die Anerkennung selbständiger Umweltschutzgüter fördern, die Vereinheitlichung der Materie erleichtern und eine Erhöhung der generalpräventiven Wirkung dieser Normen erzielen. i 2. Die Verwirklichung der gesetzten Ziele 3 Diese Zielsetzung fand damals in der Literatur breite Zustimmung und wird auch heute weithin positiv beurteilt.2 Kritisiert wurde jedoch, dass die Intentionen des Gesetzgebers sich nicht realisiert haben. Eingehende Untersuchungen, die für die Bundesrepublik Deutschland belegen, dass das Strafrecht in seiner wichtigsten Zielsetzung, schwerwiegende Umweltbeeinträchtigungen zu ahnden und die Effizienz der Umweltschutznormen zu stärken, versagt und zugleich im Bagatellbereich Überreaktion erzeugt, mehrten den Verdacht, dass „das Umweltstrafrecht rechtliche Potenz nur vorgaukele"3 und begründeten die Forderung in der Öffentlichkeit nach einer Verschärfung des Strafrechts.
1
BT-Drucks. 8/2382, S. 1, 9; 8/3633, S. 1 f, 19.
2
Vgl. zum einen: LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER ZStW 92 (1980) S. 912 ff; RANSIEK NK, Vor § 324 Rdn. 30 ff; TffiDEMANNDie Neuordnung des Umweltstrafrechts, 1980, S. 13; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, 1980, S. 30, jeweils mit w.N.; zum anderen: Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe „Umwelthaftungs- und Umweltstrafrecht" - Arbeitskreis „Umweltstrafrecht" v. 19.12.1988, S. 26, 38; Beschlüsse Nr. 1, 2 der strafrechtlichen Abteilung des 57. DJT, in: Verhandlungen des 57. DJT Mainz 1988, Bd. D, 1988, L 279 ff.
3
HEINE N J W 1 9 9 0 S. 2 4 2 5 . - V g l . a u c h BREUER J Z 1 9 9 4 S. 1 0 8 0 ; HEINE/MEINBERG G u t a c h t e n z u m 5 7 . D J T M a i n z , 1 9 8 8 , D 7 2 f f ; MEINBERG Z S t W 1 0 0 ( 1 9 8 8 ) S. 1 1 2 f f ; SCHALL N J W 1 9 9 0 S. 1 2 6 3 f f ; DERS.
wistra 1992 S. 1 ff.
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§ 82
Mit dem Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität v. 27.6.1994 4 (2. UKG) hat der Gesetzgeber die einzelnen Tatbestände des Umweltstrafrechts ergänzt und z.T. modifiziert.4
II. Die grundsätzlichen Problemstellungen des Umweltstrafrechts 1. Die Akzessorietät des Umweltstrafrechts Das Umweltstrafrecht ist wesentlich geprägt durch eine enge Verflechtung präventivverwaltungsrechtlicher und sanktionsrechtlicher Regelungen, die jeweils aufeinander bezogen sind. Das damit verbundene hohe Maß an Begriffs-, Verwaltungs- und Verwaltungsrechtsakzessorietät der strafrechtlichen Regelungen begründet ihre grundsätzliche Problematik. a) Die begriffliche Akzessorietät Die begriffliche Akzessorietät des Umweltstrafrechts besteht in der Übernahme von Begriffen des Umweltverwaltungsrechts - z.B. Abfall, kerntechnische Anlagen - in das Umweltstrafrecht. Diese Akzessorietät ist aufgrund des zwischen den Materien bestehenden Sachzusammenhangs sachgerecht und fördert die Rechtssicherheit. Zu beachten ist aber, dass die unterschiedlichen Schutzfunktionen der Regelungen in den verschiedenen Sachgebieten inhaltliche Abweichungen in der Bestimmung einzelner Begriffe begründen können. Das aber fördert Rechtsunsicherheit. b) Die Verwaltungsrechtsakzessorietät Im Falle der Verwaltungsrechtsakzessorietät ist der strafrechtliche Tatbestand als Blankettnorm ausformuliert, der die Zuwiderhandlung gegen eine verwaltungsrechtliche Norm voraussetzt. Problematisch ist diese Gesetzestechnik vor allem, da einzelne Strafrechtsnormen an die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten und damit an Rechtsvorschriften anderer Gesetzgeber anknüpfen; vgl. z.B. §§ 311, 325 Abs. 1, 2, 326 Abs. 3, 328 Abs. 3 in Verb, mit § 330 d Nr. 4 a. Die hiergegen vorgebrachten Bedenken hat das B VerfG jedoch insoweit zurückgewiesen, als die ausfüllende Norm sich darauf beschränkt, das zu spezifizieren und zu konkretisieren, was im Strafgesetz und in der Ermächtigungsnorm schon im wesentlichen mit hinreichender Bestimmtheit entschieden ist.5 c) Die Verwaltungsakzessorietät Verwaltungsakzessorietät liegt vor, wenn die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens von der Einzelanordnung einer Verwaltungsbehörde, einem Verwaltungsakt, abhängig ist, wie z.B. in §§ 325 Abs. 1, 2 in Verb, mit § 330 d Nr. 4, 327, 328 Abs. 1, oder das Fehlen einer Befugnis - vgl. §§ 324, 326 - voraussetzt. Im Einzelfall können hier Art. 103 Abs. 2 und Art. 92 GG berührt sein.«
4
Vgl. dazu auch MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 513 ff, 566 ff; OTTO Jura 1995 S. 134 ff; SCHMIDT/SCHÖNE N J W 1 9 9 4 S. 2 5 1 4 f f .
5
Dazu BVerfGE 75 S. 342; 78 S. 382; KÜHL Lackner-FS, S. 824 ff; OTTO Jura 1991 S. 310 f; SCHALL NJW 1990 S. 1266; DERS. wistra 1992 S. 4 f; STEINDORF LK, Vor § 324 Rdn. 28. - Vgl. auch MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 515; OTTO Jura 1995 S. 138 f.
6
D a z u BREUER J Z 1 9 9 4 S. 1 0 8 3 f f , 1 0 8 9 f f ; KÜHL L a c k n e r - F S , S. 8 3 4 f f , 8 3 9 ff; OTTO Jura 1 9 9 1 S . 3 1 1 f f ; RANSIEK N K , V o r § 3 2 4 Rdn. 18 f f ; SCHALL N J W 1 9 9 0 S. 1 2 6 6 f f ; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n .
22 ff; TIEDEMANN Handwörterbuch des Umweltrechts (HdUR), Bd. II, 1994, S. 2450 f; WINKELBAUER Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, 1985, S. 34 ff.
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5
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Soweit sich die Verwaltung im Rahmen der Konkretisierung und Spezifizierung der gesetzlichen Vorgaben hält, ist die Akzessorietät gegenüber einem formell und materiell rechtmäßigen Verwaltungsakt jedoch zu akzeptieren. Die Probleme liegen in der Bindung an rechtswidrige Verwaltungsakte, die zwar anfechtbar, aber bis zur Rücknahme rechtswirksam sind; vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG. Ihre Wirksamkeit ist aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auch im Strafrecht grundsätzlich anzuerkennen.7 Den durch diese Bindung an u.U. rechtswidriges Verwaltungshandeln begründeten Gefahren ist je nach der unterschiedlichen Sachlage zu begegnen. 10 aa) Der durch die Bindung an einen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt begründeten Gefahr, dass im Einzelfall nicht ein sozialschädlicher Eingriff in Umweltrechtsgüter bestraft wird, sondern schlichter Ungehorsam gegenüber der Verwaltung, bzw. ein nur formaler Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, kann dadurch begegnet werden, dass auch hier ein persönlicher Strafausschließungsgrund für die Fälle anerkannt wird, in denen das Verhalten des Täters das Rechtsgut nicht beeinträchtigte und der Täter dieses auch wusste, bzw. ein persönlicher Strafaufhebungsgrund nach Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts.8 11 bb) Der Gefahr rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte, z.B. rechtswidriger Genehmigungen, die dem Täter eine Befugnis einzuräumen scheinen, die Umwelt sozialschädlich zu beeinträchtigen, sind Rechtsprechung und h.L. bereits zuvor durch Begrenzung der Wirksamkeit in Fällen des Rechtsmissbrauchs begegnet. Derjenige konnte sich nicht auf einen begünstigenden Verwaltungsakt berufen, der ihn durch Täuschung, Drohung und kollusives Zusammenwirken mit der Umweltbehörde erlangt hatte.9 12 Mit § 330 d Nr. 5 hat der Gesetzgeber im 2. UKG den Rechtsmissbrauchsgedanken nunmehr positiviert und seine Grenzen gesetzlich fixiert: Der durch Drohung, Bestechung, falsche Angaben oder Kollusion erlangte Verwaltungsakt begründet keine rechtswirksamen Handlungsbefugnisse. Unter Kollusion versteht der Gesetzgeber den Fall gemeinschaftlichen Rechtsbruchs des Täters mit Personen, die auf Seiten der Genehmigungsbehörde in das Verfahren eingeschaltet sind.10
13 Dadurch, dass das Handeln aufgrund einer erschlichenen Befugnis dem ohne Befugnis gleichgestellt wird, geht die Regelung ihrem Wortlaut nach über den Gehalt des Rechtsmissbrauchsgedankens hinaus. Nicht nur dem Täter wird die Berufung auf den Verwal7
Dazu BGHSt 23 S. 91; 31 S. 314; OLG Köln wistra 1991 S. 74; DÖLLING JZ 1985 S. 465 f; HEINE/MEINBERG Gutachten, D 4 9 ; LENCKNER P f e i f f e r - F S , S. 2 8 ; PAPIER NUR 1986 S. 3 f ; RUDOLPHI
NStZ 1984 S. 197; TIEDEMANN Neuordnung, S. 39. - A.A. Für eine eigenständige Bestimmung der Nichtigkeitsgründe eines Verwaltungsakts im Strafrecht: RENGIER ZStW 101 (1989) S. 897 f; SCHÜNEMANN wistra 1986 S. 239. - Für eine grundsätzliche Bindimg nur an materiell rechtmäßige Verwaltungsakte: KÜHL Lackner-FS, S. 842 ff m.w.N.; SCHALL NJW 1990 S. 1266 ff; DERS. NStZ 1992 S. 213 f. 8
Vgl. auch FRISCH Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafirecht, 1993, S. 42 ff; HEINE/MEINBERG Gutachten, D 50; OTTO Jura 1991 S. 312; SCH/SCH/HEINE Vorbem. §§ 324 ff Rdn. 21; SCHWARZ GA 1993 S. 318 ff; WÜTERICH NStZ 1987 S. 108. - Zur Situation des An-
spruchs auf die Genehmigung vgl. KINDHÄUSER Helmrich-FS, S. 983; RUDOLPHI ZfW 1992 S. 209. Zur grundsätzlichen Problematik des unbefugten, aber nicht rechtsgutsgefährdenden Verhaltens vgl. unter § 7 8 Rdn. 5 ff. 9 10
Vgl. BGHSt 39 S. 387; OLG Celle NdsRpfl. 1986 S. 218; LG Hanau NJW 1988 S. 576; StA Mannheim NJW 1976 S. 586. Vgl. BT-Drucks. 12/7300, S. 25. - Im einzelnen zu der Neuregelung PASCHKE wistra 1996 S. 161 ff; ROGALL G A 1995 S. 2 9 9 ff; STEINDORF L K , § 3 3 0 d R d n . 7.
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tungsakt versagt, dieser wird vielmehr dem nichtigen Verwaltungsakt gleichgestellt. Das kann Probleme für die Beurteilung des Verhaltens gutgläubiger Dritter begründen. - Im Wege restriktiver Auslegung ist § 330 d Nr. 5 daher auf den Rechtsmissbrauchsgedanken zurückzuführen: Deijenige, der eine Befugnis erschlichen hat oder vom Erschleichen Kenntnis hat, kann sich bei seinem Handeln nicht auf diese berufen.1) cc) Keine Gefahren für die Anwendung der Strafrechtsnormen bilden rechtswidrige Dul- 14 düngen der Verwaltungsbehörden. Sie mögen im Einzelfall einen strafrechtlich relevanten Irrtum des Täters begründen, ihnen kommt jedoch keine legalisierende Wirkung zu.12 d) Abhängigkeit von gerichtlichen Entscheidungen Die gleichen Probleme wie bei der Verwaltungsakzessorietät stellen sich dort, wo die Ver- 15 letzung verwaltungsrechtlicher Pflichten an gerichtliche Entscheidungen anknüpft, § 330 d Nr. 4 b. 2. Die Strqfbarkeit der Amtsträger Da vielfach die wenig erfreuliche tatsächliche Umweltsituation auf rechtswidriges Ver- 16 halten von Amtsträgern zurückgeführt wird, ist der Ruf nach einem Sondertatbestand für Amtsträger erhoben worden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber auch im 2. UKG davon abgesehen, einen Sondertat- 17 bestand über die Verantwortlichkeit von Amtsträgern in das Gesetz aufzunehmen, und es bei den allgemeinen strafrechtlichen Regeln belassen. Er ging davon aus, dass die Praxis bisher keine gravierenden Strafbarkeitslücken offenbart habe und dass ein derartiger Tatbestand die Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Umweltbehörden erschweren könne." In der Tat bietet das geltende Recht hinreichend Möglichkeiten, kriminelles Fehlverhalten von Amtsträgern im Umweltbereich zu ahnden. - Es ist jedoch zu differenzieren: a) Sonderdelikte Im Falle eines Sonderdelikts, das nur ganz bestimmte Personen als taugliche Täter zulässt, 18 z.B. als Adressat verwaltungsrechtlicher Pflichten, §§ 311, 325, oder als Betreiber einer Anlage, §§ 327, 329, kommt eine Strafbarkeit des Amtsträgers in der Regel nur unter dem Aspekt der Beihilfe in Betracht. Zu nicht mehr akzeptablen Ausdehnungen der Sonderpflicht vgl. unter Rdn. 24.
b) Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft Bei den Allgemeindelikten, z.B. §§ 324, 326 sind Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft 19 des Amtsträgers konstruktiv durchaus möglich, doch dürften die Fälle der Mit- oder Alleintäterschaft des Amtsträgers Ausnahmecharakter haben. - Das hat die Rechtsprechung jedoch nicht gehindert, Täterschaft des Amtsträgers anzunehmen.
11
V g l . a u c h PAETZOLD N S t Z 1996 S. 173; STEINDORF L K , § 3 3 0 d R d n . 6; WOHLERS J Z 2 0 0 1 S. 8 5 6 . A . A . WEBER H i r s c h - F S , S. 802.
12
S o a u c h O L G K a r l s r u h e Z f W 1996 S. 4 0 9 ; BREUER N J W 1988 S. 2 0 8 2 ; DÖLLING J Z 1 9 8 5 S. 4 6 9 ; FLUCK NUR 1990 S. 197 f f ; HEINE N J W 1990 S. 2 4 3 3 f; LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER Z S t W 9 2 ( 1 9 8 0 ) S. 9 3 1 f; PFOHL N J W 1 9 9 4 S. 4 2 2 ; R o g a l l N J W 1995 S . 9 2 2 f f ; SCHALL N S t Z 1 9 9 2 S . 2 1 4 f. A . A . z.B. DAHS/PAPE N S t Z 1 9 8 8 S. 3 9 5 ; WASSMUTH/KOCH N J W 1 9 9 0 S. 2 4 3 9 ff; WERNICKE N J W 1977 S. 1664.
13
Vgl. BT-Drucks. 12/7300, S. 21, 27; MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 515 f; OTTO Jura 1995 S. 139 f; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n . 4 9 f f .
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Bei der Mittäterschaft hat der BGH Rückgriff auf eine weit interpretierte Interessentheorie genommen und Mittäterschaft bejaht, wenn der rechtswidrig an der Erteilung einer Genehmigung mitwirkende Amtsträger ein eigenes Interesse am Erfolg hat, weil er seinem Ruf als effizienter Abfallmanager gerecht werden will. - Mittelbare Täterschaft des Amtsträgers soll bereits dann vorliegen, wenn der Amtsträger unter Verstoß gegen das Umweltrecht die Tatbestands Verwirklichung durch einen Gutgläubigen „freigibt".14 21 Die Täterschaft ist in diesen Fällen jedoch nicht mehr auf Tatherrschaft gründbar, denn die Erteilung einer rechtswidrigen Befugnis begründet keine Tatherrschaft und damit keine Täterschaft des Amtsträgers. Dieser beherrscht die Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Erteilung der Genehmigung nicht planend. Der Empfanger der Genehmigung entscheidet darüber, ob und wie er von der Genehmigung Gebrauch macht. Die Genehmigung verpflichtet nicht zum Gebrauch. Damit aber beherrscht der Amtsträger das Geschehen weder objektiv, noch hat er den Willen, das Geschehen steuernd zu lenken. Ihm kommt aufgrund der Beseitigung normativer Schranken auch keine „normative Tatherrschaft" zu, denn Tatherrschaft gründet auf reale Beherrschung des tatsächlichen Geschehens. Mit der Anerkennung einer „normativen Tatherrschaft" werden die Grundlagen der Tatherrschaftslehre verlassen.15 c) Fahrlässige Täterschaft 22 Eine strafrechtliche Haftung des Amtsträgers wegen fahrlässiger Umweltbeeinträchtigung ist möglich, wenn der Amtsträger pflichtwidrig gehandelt hat und der Begünstigte ohne die rechtswidrig erteilte Befugnis die Umweltbeeinträchtigung nicht vorgenommen hätte. 16 d) Unterlassungstäterschaft 23 aa) Den Umweltbehörden ist in ihrem Aufgabenbereich und innerhalb der ihnen zugewiesenen Befugnisse der Schutz der Umweltgüter anvertraut. Die zuständigen Amtsträger haben in diesem Rahmen diesen Gütern Schutz zu gewähren, sie sind daher Beschützergaranten, die rechtswidrige Eingriffe in die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Umweltgüter abzuwehren haben.17 14
Vgl. dazu BGHSt 39 S. 381 mit zust. Anm.HoRN JZ 1994 S. 636, RUDOLPHI NStZ 1994 S. 433 ff, und abl. A n m . MLCHALKE N J W 1994 S. 1696 f f , OTTO J K 94, S t G B V o r §§ 3 2 4
15
Uli.
D a z u BREUER N J W 1988 S. 2 0 8 4 ; IMMEL Z R P 1989 S. 107; LACKNER/KÜHL V o r § 3 2 4 R d n . 10; ML-
CHALKE Umweltstrafsachen, 2. Aufl. 2000, Rdn. 62; OTTO Jura 1991 S. 314 f; SCHALL NJW 1990 S. 1269; DERS. wistra 1992 S. 3 f; ROGALLNJW 1995 S. 9 2 5 , F n . 51; TRÖNDLE M e y e r - G e d S , S. 6 1 3 f f . - A . A . B G H S t 3 9 S. 381; O L G F r a n k f u r t N J W 1987 S. 2 7 5 7 ; HORN N J W 1981 S. 4 ; KELLER J R 1988 S. 174; MEINBERG N J W 1986 S. 2 2 2 2 ; RENGIER B.T. n , § 4 7 R d n . 25; RUDOLPHI D ü n n e b i e r - F S ,
S. 566; DERS. NStZ 1984 S. 198; STEINDORF LK, Vor § 324 Rdn. 53; TIEDEMANN/KINDHÄUSER NStZ 1988 S. 345; WINKELBAUER NStZ 1986 S. 151.
16 17
Vgl. auch OTTO Jura 1991 S. 315; RUDOLPHI Dünnebier-FS, S. 567; TRÖNDLE Meyer-GedS, S. 617. Weiter WINKELBAUER NStZ 1986 S. 152. Vgl. B G H S t 38 S. 3 2 5 mit A n m . MICHALKE N J W 1994 S. 1693 f f , NESTLER G A 1994 S. 5 1 4 ff, OTTO
JK 93, StGB § 13/21, SCHALL JuS 1993 S. 719 ff, SCHWARZ NStZ 1993 S. 285 f; OLG Saarbrücken NJW 1991 S. 3045 mit Anm. KÜHNE S. 3020; LG Bremen NStZ 1982 S. 164; BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 197 f; KUHLEN WiVerw. 1992 S. 299; LACKNER/KÜHL V o r § 3 2 4 R d n . 11; MÖHRENSCHLAGER NUR 1983 S. 2 1 2 ; RANFT J Z 1987 S. 9 1 6 ; RANSIEK N K , § 3 2 4 R d n . 69; RENGIER B.T. n , § 4 7 RDN. 31; ROGALL D i e S t r a f b a r k e i t v o n A m t s t r ä -
gem im Umweltbereich, 1991, S. 223; SCHULTZ Amtswalterunterlassen, 1984, S. 166 ff; STEINDORF L K , § 3 2 4 R d n . 56; WINKELBAUER N S t Z 1986 S. 151. - A . A . GEISLER N J W 1982 S. 12; RUDOLPHI D ü n n e b i e r - F S , S. 5 8 0 ; SCHALL N J W 1990, S. 1270; SCHÜNEMANN wistra 1986 S. 2 4 3 f; TRÖNDLE
Meyer-GedS, S. 618 ff; TRÖNDLE/FLSCHER Vor § 324 Rdn. 18.
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bb) Eine Haftung des Amtsträgers als Überwachungsgarant wird nur in Ausnahmefällen 24 in Betracht kommen, in denen ein Amtsträger Garant dafür ist, dass Gefahren, die in einer bestimmten Anlage begründet sind, sich nicht in einer Umweltbeeinträchtigung realisieren.^ Zu weit geht es, aus der Herrschaft über ein Grundstück bereits eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Müllablagerungen Dritter zu begründen, denn der Grundstückseigentümer ist nicht Garant für das rechtmäßige Verhalten Dritter.1' cc) Hingegen ist eine Haftung wegen Unterlassens nach vorangegangenem gefährlichen 25 Tun möglich, wenn der Amtsträger nach Erteilung einer rechtswidrigen Genehmigung nicht von einer möglichen Rücknahme Gebrauch macht. - Garant ist in diesem Fall aber nur der Amtsträger, der die rechtswidrige Befugnis erteilt hat. Die Haftung aus vorangegangenem gefährlichen Tun erstreckt sachlich die Begehungshaftung über den Zeitraum der Kongruenz von subjektivem und objektivem Tatbestand hinaus. In diese Position kann kein Täter durch Amtsnachfolge hineinwachsen, er selbst muss die Gefahr begründet habend 3. Grenzen des strafrechtlichen Umweltschutzes Selbst schwerste Umweltbeeinträchtigungen sind strafrechtlich nicht ahndbar, wenn sie auf 26 Summations-, Kumulations- oder synergetischen Effekten beruhen, die ihrerseits durch legale, d.h. Genehmigungen und Auflagen nicht überschreitende Handlungen verursacht werden.21 Darüber hinaus können Umweltbeeinträchtigungen nach den Zurechnungsregeln des 27 Strafrechts Personen nur als Einzel- oder Mittäter zugerechnet werden. Die Praxis der letzten Jahre hat jedoch gezeigt, dass gerade besonders schwere Umweltbelastungen durch Unternehmen auf Organisations- und Aufsichtsmängeln beruhen, die sich im Laufe von Jahren entwickelt haben, ohne dass sie auf das Fehlverhalten einzelner Personen derart zurückgeführt werden können, dass diese für die eingetretenen Schäden verantwortlich gemacht werden könnten. Damit entfallt nach geltendem Recht auch eine Haftung der Unternehmen, denn diese knüpft an die Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten einzelner leitender Personen an. Die Änderungen der §§ 29, 130 OWiG durch das 2. UKG können daher noch nicht das 28 letzte Wort sein. Sie knüpfen immer noch an die Taten einzelner Verantwortlicher an, nicht aber an fehlerhafte Organisation und mangelnde Kontrolle innerhalb des Unternehmens. In der Sache muss es jedoch darum gehen, die Geldbuße als wirtschaftsauf-
18 19
Dazu auch SCHALL NJW 1990 S. 1270; TRÖNDLE Meyer-GedS, S. 620. Vgl. auch RUDOLPHI SK I, § 13 Rdn. 28. - A.A. OLG Stuttgart NuR 1987 S. 281; LG Koblenz NStZ 1987 S. 281; StA Landau M D R 1994 S. 9 3 5 mit abl. A n m . OTTO J K 95, S t G B § 327/1; IBURG N J W
1988 S. 2338; RANSIEK NK, § 324 Rdn. 33. - Einschränkend: OLG Braunschweig NSTZ-RR 1998 S. 177; STEINDORF L K , § 3 2 6 Rdn. 106. 20
Vgl. auch OTTO Jura 1991 S. 315; SCHÜNEMANN wistra 1986 S. 244; TRÖNDLE Meyer-GedS, S. 621 f; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 3 2 4 R d n . 20. - A.A. z.B. RUDOLPHI Dünnebier-FS, S. 578; SCHALL N J W 1990 S. 1269; STEINDORF L K , V o r § 324 Rdn. 57; WINKELBAUER N S t Z 1986 S. 151.
21
Vgl. LACKNER/KÜHL Vor § 324 Rdn. 5; OTTO Jura 1995 S. 141; dazu auch HERZOG Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 141 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
sichtsrechtliches Sanktionsinstrument zu nutzen, wenn der „organisierten Unverantwortlichkeit" Einhalt geboten werden soll.22
III. Das geschützte Rechtsgut 1. Die Definition des Rechtsguts 29 Geschütztes Rechtsgut der Umweltschutztatbestände ist die Umwelt in ihren verschiedenen Medien (Boden, Luft, Wasser) und Erscheinungsformen (Tier- und Pflanzenwelt). Doch dürfen diese nicht isoliert gesehen werden. Schutzwürdig ist die Umwelt in ihrer Funktion, den Menschen der Gegenwart humane, d.h. menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewähren und auch künftigen Generationen zu erhalten. Umwelt ist nicht nur wirtschaftlicher Reichtum, sondern vor allem Raum zur menschlichen Entfaltung, die immer mehr als bloß wirtschaftliche Entfaltung ist.23 2. Die systematische Einordnung des geschützten Rechtsguts 30 Die Umweltschutzgüter sind selbständige Rechtsgüter, auch wenn sie als den existentiellen Rechtsgütern des Menschen (Leben, Gesundheit) nur vorgelagert erscheinen. Ihr Schutzbereich ist nämlich keineswegs auf diese Rechtsgüter beschränkt, sondern beansprucht einen eigenständigen Raum. 31 Aus diesem Grunde ist es auch nicht zutreffend, die Umweltkriminalität als Unterfall der Wirtschaftskriminalität zu erfassen. Der Lebensraum des Menschen ist zweifellos besonders durch Emissionen aus Wirtschaftsbetrieben (Luft-, Gewässer-, Bodenverunreinigung und Verursachung von Lärm) bedroht. Auch hier geht es um den Schutz eines überindividuellen Rechtsguts, das sachgerecht durch abstrakte Gefährdungsdelikte geschützt werden kann. Gleichwohl darf „die Parallelität in der Rechtsgutsbestimmung, der Tatbestandskonstruktion und der Betroffenheit der Wirtschaft"24 nicht dazu führen, diese Delikte der Wirtschaftskriminalität zuzurechnen. Andernfalls würden die Grenzen des rechtsdogmatisch brauchbaren Begriffs der Wirtschaftskriminalität gesprengt und der Verlust der Eigenständigkeit des durch die Umweltschutztatbestände geschützten Rechtsguts müsste zwangsläufig zu einer Nivellierung des Schutzes dieses bedeutenden Rechtsguts führen, soweit dieses nicht durch Wirtschaftsbetriebe, sondern durch Privatpersonen verletzt wird.2'
22
Eingehend dazu DANNECKER GA 2001 S. 102 ff; OTTO Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, 1993, S. 6 ff, 25 ff; RANSIEK NK, Vor § 324 Rdn. 38.
23
im einzelnen dazu BT-Drucks. 8/2382, S. 10; 8/3633, S. 19; BLOY JUS 1997 S. 579 ff; KÜHL in: NidaRümelin/v. d. Pforden (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 1995, S. 245 ff, 261; KUHLEN ZStW 105 (1993) S. 701; MEURER NJW 1988 S. 2067; RENGIER NJW 1990 S. 2506; ROGALL NStZ 1992 S. 363; L. SCHULZ in: Nida-Rümelin/v. d. Pforden, S. 276 ff, 277; STEINDORF LK, Vor § 324 Rdn.
9 ff.- Zur Bestimmung des Rechtguts Umwelt als natürliche Lebensgrundlage des Menschen in der Ausgestaltung durch das Verwaltungsrecht: RANSIEK NK, Vor § 324 Rdn. 12. 24
TIEDEMANN Neuordnung, S. 11 f.
25
A.A. KAISER Kriminologie, 3. Aufl. 1996, § 75 Rdn. 7; WEBER ZStW 96 (1984) S. 376 ff.
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IV. Die einzelnen Schutzbereiche Eine systematische Gliederung der §§ 324 - 330 d ist kaum möglich, denn den Regelungen 32 liegt kein einheitliches Gliederungsprinzip zugrunde. Der Gesetzgeber hat einmal bestimmte Schutzobjekte (§ 324: Gewässer; § 324 a: Boden; § 325: Luft), ein anderes Mal den Umgang mit gefährlichen Stoffen (§ 328: radioaktive Stoffe und andere gefährliche Stoffe und Güter; § 330 a: Gifte) und schließlich bestimmte Tätigkeiten (§ 326: Umgang mit Abfallen; § 327: Betreiben von Anlagen) zum Anknüpfungspunkt seiner Regelungen gemacht. Immerhin ermöglichen diese Anknüpfungspunkte die Beschreibung bestimmter Schutzbereiche. 1. Der Schutz von Gewässern a) Gewässerverunreinigung, § 324 § 324 schützt Gewässer in den ihnen in ihrem Naturzustand innewohnenden Funktionen 33 für die Umwelt und den Menschen vor unbefugter (äußerlich sichtbarer) Verunreinigung oder sonstiger nachteiliger Veränderung ihrer Eigenschaften.26 aa) Gewässer i.S. des Gesetzes ist ein oberirdisches Gewässer, d.h. ständig oder zeitweilig 34 in Betten fließendes oder stehendes oder aus Quellen wild abfließendes Wasser - dazu § 1 Abs. 1 Nr. 1 WHG -, das Grundwasser und das Meer, § 330 d Nr. 1. - Verunreinigung ist die nachteilige Veränderung der Wassereigenschaft durch Einbringung von Stoffen, die zu einer Verschlechterung der physikalischen, chemischen, biologischen oder thermischen Beschaffenheit des Wassers führt. - Eine sonstige nachteilige Veränderung der Eigenschaften des Gewässers liegt vor, wenn die physikalische, chemische, biologische oder thermische Beschaffenheit des Wassers anders als durch Verunreinigung negativ beeinträchtigt wird. - In beiden Alternativen sind allerdings nur erhebliche - sozialinadäquate - Beeinträchtigungen tatbestandsmäßig. Verunreinigungen z.B.: Überlaufenlassen eines Öltanks (BT-Drucks. 8/2382, S. 13); Einleiten von Schadstoffen in Kanalisation (OLG Hamm NJW 1975 S. 747); weitere Verunreinigung schon verschmutzter Gewässer (OLG Hamburg ZfW 1983 S. 112; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 2753). Sonstige nachteilige Veränderungen z.B.: Einleitung von Kühlwasser aus einem Kraftwerk; Verringerung der Fließgeschwindigkeit durch Stauung, so dass die Selbstreinigungskraft des Flusses beeinträchtigt wird (BT-Dnicks. 8/2382, S. 14); Absenken des Wasserspiegels (OLG Stuttgart MDR 1995 S. 89).
bb) Strafbar sind die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, und die fahrlässige 35 Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 3. cc) Unbefugt bedeutet rechtswidrig i.S. des allgemeinen Verbrechensmerkmals der 36 Rechtswidrigkeit. Verwaltungsrechtlich wirksame Genehmigungen, Bewilligungen und
26
Ökologische Sichtweise, vgl. BGH NStZ 1987 S. 324; OLG Stuttgart wistra 1989 S. 276; OLG Köln Z f W 1989 S . 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 4 R d n . 1; RENGIER N J W 1990 S. 2 5 0 7 f f ; STEINDORF L K , § 3 2 4
Rdn. 3; TLEDEMANN/KLNDHÄUSER NStZ 1988 S. 340. - Die demgegenüber vertretene wasserwirtschaftliche - geschützt die optimale Bewirtschaftung durch die Wasserbehörden; dazu PAPIER NuR 1986 S. 1 ff; BRAHMS Definition des Erfolges der Gewässerverunreinigung, 1994, S. 94, 170, - und formell administrative Betrachtungsweise - geschützt das staatliche Bewirtschaftungsmonopol; dazu BLCKEL in: Meinberg/Möhrenschlager/Link (Hrsg.), Umweltstrafrecht, 1989, S. 273 ff, bzw. die behördliche Kontrollfunktion; dazu FRANZHEIM GA 1993 S. 339 - können weder für das Meer Geltung beanspruchen, noch den Monopolanspruch begründen.
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Erlaubnisse schließen die Rechtswidrigkeit aus.27 Darüber hinaus haben hier Bedeutung für den Ausschluss der Rechtswidrigkeit: Gewohnheitsrechtlich anerkannte Befugnisse, die rechtfertigende Pflichtenkollision und der rechtfertigende Notstand, § 34. - Die Erhaltung von Arbeitsplätzen rechtfertigt allerdings keineswegs eine ständige Gewässerverunreinigung. Eine Rechtfertigung kommt aber z.B. in Betracht, wenn einer einmaligen Verunreinigung der dauernde Verlust von Arbeitsplätzen o.ä. gegenübersteht.28 dd) Vollendet ist die Tat mit der nachteiligen Veränderung des Gewässers. Der Versuch ist strafbar, § 324 Abs. 2. b) Gefährdungen im Vorfeld aa) Gefährdungshandluhgen erfassen § 324 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 (Gefahr der Gewässerschädigung), § 325 Abs. 2, 3, 4 Nr. 2 (Freisetzen von Schadstoffen), § 326 Abs. 1 Nr. 4 a, Abs. 5 (Lagerung und Beseitigung gewässerverunreinigungsgeeigneter Abfälle) und § 329 Abs. 2,4 Nr. 1 (Eingriff in Wasser- und Heilquellenschutzgebiete). bb) Im Vorfeld des Schutzes von Gewässern ist in § 327 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 bereits der unbefugte Betrieb einer Rohrleitungsanlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. c) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. 2. Der Schutz des Bodens
a) Bodenverunreinigung, § 324 a 41 § 324 a schützt den Boden gegen Einträge und Einwirkungen gefährlicher Stoffe. Das Einbringen und Eindringenlassen von Stoffen in den Boden sowie das Freisetzen, d.h. das Schaffen einer Lage, in der sich der Stoff ganz oder teilweise unkontrolliert im Boden ausbreiten kann, unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften2» wird unter zwei Voraussetzungen bestraft. Zum einen - § 324 a Abs. 1 Nr. 1 -, wenn die Tathandlung generell geeignet ist, die Gesundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert oder ein Gewässer zu schädigen. Zum anderen - § 324 a Abs. 1 Nr. 2 -, wenn der Boden durch die Tathandlung in bedeutendem Umfang verunreinigt oder nachteilig verändert wird. 42 aa) Die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. - Als Sachen von bedeutendem Wert kommen Objekte von wirtschaftlichem, ökologischem oder historischem Wert in Betracht, wenn ein gewichtiges Allgemein- oder Individualinteresse an ihrer Erhaltung besteht.30 - Bei der Schädigung kommt es allerdings - entsprechend der Gefährdung dieser Objekte in anderen Tatbeständen - vgl. dazu Rdn. 30 f - entgegen den dem Wortlaut des Gesetzes nicht auf den bedeutenden Wert der geschädigten Sache, sondern auf die Bedeutung des Schadens an der geschützten Sache an.
27
V g l . d a z u KUHLEN S t V 1986 S. 5 4 4 f f ; STEINDORF L K , § 3 2 4 R d n . 7 2 ; TIEDEMANN/KINDHÄUSER N S t Z
28
1988 S. 340. - Zur vorsätzlich rechtswidrig erlangten Befugnis vgl. § 330 d Nr. 5. Dazu auch BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 723; OLG Stuttgart ZfW 1977 S. 118, 124; OVG Münster ZIP 1984 S. 1224; LG Bremen NStZ 1982 S. 164 mit Anm. MÖHRENSCHLAGER S. 165 f; SCHALL NStZ 1992 S. 215 f.
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Dazu im einzelnen SANDEN wistra 1996 S. 285 ff. - Krit. Dazu HOFMANN wistra 1997 S. 90 ff. Dazu RENGIER Spendel-FS, S. 559 ff; 570 ff.
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Zur Verunreinigung und zur nachteiligen Veränderung vgl. die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 34. - Das Erfordernis des bedeutenden Umfangs stellt klar, dass die Beeinträchtigung von einigem Gewicht sein muss.31 bb) Strafbar sind die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, und die fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 3. cc) Zur rechtswidrig erlangten Befugnis vgl. § 330 d Nr. 5. dd) Vollendet ist die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 mit der Tathandlung, die nach Abs. 1 Nr. 2 mit der nachteiligen Veränderung des Bodens. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. b) Gefährdungen im Vorfeld Gefährdungshandlungen im Vorfeld erfassen § 325 Abs. 2, 3, 4 Nr. 2 (Freisetzen von Schadstoffen), § 326 Abs. 1 Nr. 4 a, Abs. 5 (Lagerung und Beseitigung gefährlicher Abfälle) und § 329 Abs. 3,4 Nr. 2 (Eingriffe in geschützte Gebiete). c) Strafschärfung in besonders schweren Fälle: § 330
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3. Der Schutz der Luft a) Luftverunreinigung, § 325 § 325 schützt die Luft gegen bestimmte Veränderungen, Abs. 1, und gegen das Freisetzen 49 von Schadstoffen, Abs. 2. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. aa) Tathandlung nach Abs. 1 ist die Verursachung der Veränderung der natürlichen Zu- 50 sammensetzung der Luft in einer Weise, die geeignet ist, die Gesundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert - vgl. Rdn. 42 - zu schädigen. Tathandlung nach Abs. 2 ist das Freisetzen - vgl. Rdn. 41 - von Schadstoffen, Abs. 4, in bedeutendem Umfang; Rdn. 43. Die Tathandlungen sind unter drei Aspekten begrenzt: Zum einen sind die Tathandlungen auf den Betrieb einer Anlage beschränkt. - Anlagen sind auf gewissen Dauer vorgesehene, als Funktionseinheit organisierte Einrichtungen von nicht ganz unerheblichen Ausmaßen, die der Verwirklichung bestimmter Zwecke dienen.32 - Ausgenommen sind die in Abs. 5 genannten Anlagen. Beispiele: Heizungsanlage, Baumaschine, Landmaschine, Flugplätze u.a.
Zum anderen ist erforderlich, dass die Tathandlung nach Abs. 1 unter Verletzung ver- 51 waltungsrechtlicher Pflichten - dazu § 330 d Nr. 4 - und dass die Tathandlung nach Abs. 2 unter grober Verletzung dieser Pflichten erfolgt. Die Verletzung der verwaltungsrechtlichen Pflichten ist Tatbestandsvoraussetzung. Verwaltungsrechtlich zulässiges Verhalten ist daher nicht tatbestandsmäßig. - Zur erschlichenen Befugnis vgl. § 330 d Nr. 5.
Schließlich ist nur die Eignung zur Schädigung außerhalb des zur Anlage gehörenden Be- 52 reiches, d.h. der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit, relevant. - Für Schädigungen innerhalb der Anlage kommen allein die Körperverletzungs- und Tötungsdelikte in Betracht, bb) Strafbar sind die vorsätzliche, Abs. 1, 2, und die fahrlässige, Abs. 3, Tatbe- 53 Standsverwirklichung. - Bedingter Vorsatz genügt. cc) Da die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten bereits Voraussetzung der Tatbe- 54 standsmäßigkeit des Verhaltens ist, wird eine Rechtfertigung des Verhaltens nur in Aus-
31
Vgl. dazu BT-Drucks. 12/192, S. 17; MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 517; STEINDORF LK, § 324 a
32
Rdn. 57. - Krit. dazu HOFMANN wistra 1997 S. 96; SANDEN wistra 1996 S. 284. Vgl. BayObLG wistra 1994 S. 237; LACKNER/KÜHL § 325 Rdn. 2.
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nahmefällen in Betracht kommen; auch hier ist aber z.B. die Möglichkeit einer Rechtfertigung nach § 34 nicht ausgeschlossen. dd) Der Versuch der Luftverunreinigung gemäß Abs. 1 ist strafbar, b) Gefahrdungen im Vorfeld aa) Gefährdungshandlungen im Vorfeld erfassen § 326 Abs. 1 Nr. 4 a, Abs. 5 (Lagerung und Beseitigung gefährlicher Abfalle) und § 329 Abs. 1, 4 Nr. 1 (Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete). bb) Im Vorfeld des Schutzes der Luft ist in § 327 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 bereits der unbefugte Betrieb einer nach dem BImSchG - dort § 4 - genehmigungsbedürftigen Anlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt.« c) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330 4. Der Schutz vor Lärm, Erschütterungen und nichtionisierenden Strahlen a) Verursachen von Lärm, Erschütterungen und nichtionisierenden Strahlen, § 325 a § 325 a Abs. 1 dient dem Schutz gegen unangenehmen Lärm, Abs. 2 soll bestimmten konkreten Gefährdungen durch Erschütterungen und nichtionisierende Strahlen wehren. - Die Tat nach Abs. 1 ist abstraktes, die nach Abs. 2 konkretes Gefährdungsdelikt. Tathandlung nach Abs. 1 ist die Verursachung von Lärm, der geeignet ist, die Gesundheit eines anderen zu schädigen. - Die Tathandlung ist entsprechend der Tathandlung des § 325 Abs. 1 begrenzt, vgl. dazu Rdn. 50 - Tathandlung nach Abs. 2 ist die Gefahrdung der Gesundheit eines anderen, von Tieren, die dem Täter nicht gehören, oder von fremden Sachen von bedeutendem Wert Dabei kommt es aber für die Tathandlung nicht auf den bedeutenden Wert der gefährlichen Sache, sondern auf die Bedeutung des drohenden Schadens an der gefährdeten Sache an.34 Begrenzt ist die Tathandlung auf den Betrieb einer Anlage sowie auf die Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften, die dem Schutz vor Lärm, Erschütterungen oder nichtionisierenden Strahlen dienen. Die Verletzung der verwaltungsrechtlichen Pflichten ist Tatbestandsvoraussetzung; vgl. dazu Rdn. 51. Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, 2, sowie die fahrlässige, Abs. 3, Tatbestandsverwirklichung. b) Gefährdungshandlungen im Vorfeld erfasst § 329 Abs. 1, 4 Nr. 1 (Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete). - Im Vorfeld des Lärmschutzes ist in § 327 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 bereits der unbefugte Betrieb einer nach dem BImSchG - dort § 4 - genehmigungsbedürftigen Anlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. c) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. d) Tätige Reue Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung im Rahmen des § 325 a Abs. 2, 3 Nr. 2 vgl. Rdn. 106.
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Vgl. dazu BayObLG MDR 1991 S. 77; JR 1992 S. 516 mit Anm. SACK S. 518. Vgl. BGH JR 1990 S. 512,513 mit Anm. LAUBENTHAL S. 513 ff; dazu auch SCHALL NStZ 1997 S. 422 m.N.
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5. Unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen a) Umweltgefährdende Abfallbeseitigung, § 326 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 § 326 schützt neben allen Umweltmedien auch die menschliche Gesundheit sowie die Tier- und Pflanzenwelt gegen unzulässige Abfallbeseitigung. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Begriff des Abfalls ist in Anlehnung an § 1 Abs. 1 AbfallG, aber ohne die Beschränkung des § 1 Abs. 3 AbfallG zu bestimmen. Zu unterscheiden sind: Sog. gewillkürter Abfall, das sind bewegliche Sachen, derer sich der Benutzer als für ihn wertlos entledigen und die er nicht unmittelbar einer Weiterverwendung oder Weiterverarbeitung zuführen will. Dass eine wirtschaftliche Wiederverwertung nach der Entsorgung noch möglich ist, ändert die Abfalleigenschäft nicht (obj. Abfallbegriff). Sog. Zwangsabfall, das sind bewegliche Sachen, die für den Besitzer gegenwärtig keinen Gebrauchswert haben und deren geordnete Entsorgung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere des Schutzes der Umwelt, geboten ist (subj. Abfallbegriff). Beide Arten des Abfalls werden von § 326 erfasst.35. M Es kann sich um feste, flüssige oder in festen Behältern erfasste gasförmige Stoffe handeln. aa) Tatobjekte sind nur gefährliche Abfälle, die Gifte - dazu oben § 16 Rdn. 5 - und Seuchenerreger enthalten oder hervorbringen können, Abs. 1 Nr. 1, die für den Menschen krebserzeugend, fruchtschädigend oder erbgutverändernd, Abs. 1 Nr. 2, die explosionsgefährlich - dazu §§ 1 ff SprengstoffG - selbstentzündlich - dazu § 1 Abs. 1 Nr. 3 a ArbeitsstoffVO - oder nicht nur geringfügig radioaktiv sind, Abs. 1 Nr. 3, und sog. Sonderabfälle, Abs. 1 Nr. 4. Letztere müssen die Eigenschaft haben, nachhaltig, d.h. in erheblichem Umfang und für längere Dauer, eines der genannten Medien zu verunreinigen oder sonst nachteilig zu verändern, Nr. 4 a, oder einen Bestand von Tieren oder Pflanzen zu gefährden, Nr. 4 b.37 bb) Tathandlung ist das Beseitigen, d.h. jedes Verhalten, das dazu dient, sich des gefahrlichen Abfalls zu entledigen.38 Nur besonders genannte Beispielsfälle des Beseitigens sind das Behandeln, d.h. hier die Aufbereitung, Zerkleinerung, Verbrennung usw., die der Beseitigung und nicht der wirtschaftlichen Nutzung dienen, das Lagern, d.h. die vorübergehende Zwischenlagerung, die - endgültige - Ablagerung und das Ablassen, d.h. Abfließenlassen.
35
Vgl. dazu BGHSt 37 S. 333, 334 ff mit Anm. HORN JZ 1991 S. 886 f, SACK JR 1991 S. 338 ff; BGH N S t Z 1997 S. 5 4 4 ; HEINE N J W 1998 S. 3 6 6 6 f; KÜPER B.T., S. 1; LACKNER/KÜHL § 3 2 6 R d n . 2 a; RANSIEK N K , § 3 2 6 R d n . 8; SCHALL N S t Z - R R 1998 S. 354; DERS. N S t Z - R R 2 0 0 1 S. 1 f; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 6 R d n . 2 b. - A . A . MICHALKE U m w e l t s t r a f s a c h e n , R d n . 2 5 3 ; STEINDORF L K , § 3 2 6 Rdn. 16.
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Zur Einordnung von Autowracks als Abfall oder Wirtschaftsgut vgl. SCHALL NStZ-RR 1998 S. 355 f; DERS. NStZ-RR 2001 S. 2 f jeweils mit Rechtsprechungsübersicht. Vgl. dazu OLG Zweibrücken NJW 1992 S. 2841 mit Anm. WEBER/WEBER NStZ 1994 S. 36, WlNKELBAUER JuS 1994 S. 112 ff; dazu auch SCHALL NStZ 1997 S. 465. Vgl. OLG Köln NJW 1986 S. 1118 f; OLG Düsseldorf wistra 1994 S. 73. - A.A. STEINDORF LK, § 326 Rdn. 98, der auf die Nichterfüllung der Überlassungspflicht an den Entsorgungspflichtigen abstellt. Unterlassen in Garantenstellung ist möglich.
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69 cc) Der Tatbestand entfällt bei Beseitigung im Rahmen dafür zugelassener Anlagen und außerhalb solcher Anlagen3', aber im Rahmen zulässiger Verfahren. 70 dd) Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 1,5 Nr. 1. 71 ee) Unbefugt ist auch hier rechtswidrig i.S. der Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal. Ein ordnungsgemäßes Verhalten (zugelassene Anlagen; zulässiges Verfahren) schließt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens aus. 72 ff) Der Versuch ist strafbar, Abs. 4. b) Grenzüberschreitende Verbringung von Abfallen, Abs. 2,5 Nr. 1 73 Die Regelung soll den Auswüchsen des sog. Abfalltourismus wehren. 74 aa) Erforderliche Genehmigungen sind insbes. die nach § 13 AbfG und § 11 StrlSchV. 75 bb) Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 2, 5 Nr. 1. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 4. c) Verletzung der Pflicht zur Ablieferung radioaktiver Stoffe, Abs. 3, 5 Nr. 2 76 aa) Wegen der besonderen Gefährlichkeit radioaktiver Abfälle ist die Nichtablieferung unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten - dazu § 330 d Nr. 4 - unter Strafe gestellt. 77 bb) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter über die Stoffe Besitz erlangt hat und ihm die Ablieferung möglich und zumutbar ist, d.h. unverzügliches Handeln ist erforderlich.40 78 cc) Der Tatbestand kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 3,5 Nr. 2. 79 d) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330 e) Tätige Reue 80 Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung vgl. Rdn. 106. f) Minima-Klausel, Abs. 6 81 Abs. 6 enthält einen objektiven Strafausschließungsgrund, der jedoch sachwidrig begrenzt ist durch den Bezug auf die Abfallmenge anstatt auf die Gefahrenlage.41 Schädliche Einflüsse sind offensichtlich ausgeschlossen, wenn keine vernünftigen Zweifel an der Unschädlichkeit aufkommen können. g) Ungenehmigter Betrieb einer Abfallbeseitigungsanlage, § 327 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 82 § 327 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 stellt den vorsätzlichen oder fahrlässigen Betrieb einer Abfallbeseitigungsanlage ohne Planfeststellung oder Genehmigung unter Strafe.42 - Der Verstoß gegen Auflagen macht das Betreiben der Anlage noch nicht zu einem Betreiben ohne Genehmigung.43 83 h) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330 39
Dazu vgl. BGHSt 39 S. 385.
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So auch LACKNER/KÜHL StGB, § 326 Rdn. 9; TRIFFTERER Umweltstrafrecht, S. 213. - A.A. BTDrucks. 8/2382, S. 19 (rechtzeitig, wenn Eintritt von Gefahren vermieden wird).
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Dazu ROGALL JZ-GD 1980 S. 115; SCHTITENHELM GA 1983 S. 318 ff, TIEDEMANN Neuordnung, S. 37;
TRJFFTERER Umweltstrafrecht, S. 214. - Zum Grenzfall des Nichtbeseitigens von Hundekot: OLG Düsseldorf NStZ 1991 S. 335. Dazu ROGALL NStZ 1992 S. 564 ff. - Zum Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage durch Unterlassen StA Landau/Pfalz MDR 1994 S. 935 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 327/1. Vgl. dazu OLG Köln NStZ-RR 1999 S. 270; dazu SCHALL NStZ-RR 2001 S. 4 f.
Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafhormen
§ 82
6. Strahlenschutz a) Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage, § 312 § 312 stellt die fehlerhafte Herstellung und Lieferung von kerntechnischen Anlagen - dazu § 330 d Nr. 2 - oder zu ihrem Betrieb bestimmter Gegenstände unter Strafe, wenn durch Kernspaltungsvorgänge oder Strahlung eine Gefahr für Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert entstanden ist. - Die Tat ist konkretes Gefahrdungsdelikt. aa) Herstellen bedeutet Bearbeiten oder Verarbeiten von Werkstoffen zur Gestaltung eines Gegenstandes. Liefern bedeutet Überlassen zum bestimmungsgemäßen Gebrauch. Fehlerhaft ist die Leistung, wenn die Tauglichkeit des Objekts zum bestimmungsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder wesentlich gemindert ist. bb) Gemäß Abs. 1 ist für die Tathandlung und für die Gefährdung Vorsatz - bedingter genügt - erforderlich. Die fahrlässige Gefahrherbeiführung bei vorsätzlicher Tathandlung erfasst Abs. 6 Nr. 1. - Abs. 6 Nr. 2 stellt die fahrlässige Gefahrherbeiführung durch leichtfertiges Handeln im Sinne des Abs. 1 unter Strafe. cc) Erfolgsqualifizierte Fälle erfassen entsprechend § 308 Abs. 2,3 die Abs. 3,4. b) Unerlaubtes Betreiben kerntechnischer Anlagen, § 327 Abs. 1, 3 Nr. 1 § 327 Abs. 1 Nr. 1 stellt den ungenehmigten Betrieb, die Innehabung, die wesentliche Änderung und den Abbau kerntechnischer Anlagen - dazu vgl. § 330 d Nr. 2 -, Abs. 1 Nr. 2 die Veränderung von Betriebsstätten, in denen Kernbrennstoffe verwendet werden, sowie deren Lageveränderung unter Strafe. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tathandlung setzt ein verwaltungsrechtlich unzulässiges Verhalten voraus. - Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1. - Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. c) Freisetzen ionisierender Strahlen, § 311 aa) § 311 Abs. 1 stellt zum Schutz von Leib, Leben und Eigentum das verbotene Freisetzen von ionisierenden Strahlen und das Bewirken von Kernspaltungsvorgängen unter Strafe. - Da eine konkrete Schädigung oder Gefahrdung nicht vorausgesetzt wird, handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Tatbestand setzt die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten voraus; dazu § 330 d Nr. 4. bb) Die Tat nach Abs. 1 erfordert Vorsatz, bedingter Vorsatz genügt. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. cc) Im Fahrlässigkeitsbereich, Abs. 3, ist die Tathandlung begrenzt, und zwar gemäß Abs. 3 Nr. 1 auf Handlungen beim Betrieb einer Anlage - dazu Rdn. 50 -, die geeignet sind, eine Schädigung außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereichs herbeizuführen, sowie nach Abs. 3 Nr. 2 auf Handlungen unter grober Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften. d) Unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern, § 328 aa) § 328 Abs. 1 Nr. 1 erfasst die ungenehmigte Verwendung, Aufbewahrung, Beförderung, Be- und Verarbeitung sowie Ein- und Ausfuhr von Kernbrennstoffen - dazu § 2 Abs. 1 AtomG. Abs. 1 Nr. 2 stellt die entsprechenden grob pflichtwidrig verwirklichten Tathandlungen in Bezug auf sonstige radioaktive Stoffe, die nach Art, Beschaffenheit oder Menge geeignet sind, durch ionisierende Strahlen den Tod oder eine schwere Gesundheitsbeschädigung eines anderen, d.h. einen langwierigen, qualvollen oder die Lei457
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
stungsfahigkeit schwer beeinträchtigenden psychischen oder physischen Krankheitszustand herbeizuführen, unter Strafe.44 - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. bb) § 328 Abs. 2 stellt die Verletzung von Pflichten nach dem Atomgesetz zur Ablieferung von Kernbrennstoffen in Nr. 1 unter Strafe sowie in Nr. 2 die Abgabe und Vermittlung der Abgabe von Kernbrennstoffen und gefährlichen Stoffen in Sinne des Abs. 1 Nr. 2 an Unberechtigte. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. cc) § 328 Abs. 3 erfasst den illegalen Umgang mit gefährlichen Stoffen, der die Gesundheit eines anderen, dem Täter nicht gehörende Tiere oder fremde Sachen von bedeutendem Wert - dazu unter Rdn. 42 - gefährdet. Abs. 3 Nr. 1 stellt die Lagerung, Bearbeitung, Verarbeitung oder sonstiger Verwendung von radioaktiven Stoffen oder Gefahrstoffen im Sinne des Chemikaliengesetzes45 unter Strafe. - Begrenzt ist die Tathandlung dadurch, dass sie unter grober Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften - dazu § 330 d Nr. 4 - und beim Betrieb einer Anlage - dazu Rdn. 50 - erfolgen muss. - Abs. 3 Nr. 2 erfasst die Beförderung, den Versand, die Verpackung, das Auspacken, das Verladen, das Entladen, die Entgegennahme und das Überlassen an andere von gefahrlichen Gütern schlechthin. Die Tathandlung ist durch die grobe Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten - dazu § 330 d Nr. 4 - begrenzt. - Das Delikt ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. dd) Die einzelnen Tathandlungen können vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 5. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 4. ee) Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung vgl. Rdn. 106. e) Zur Beseitigung radioaktiver Abfälle, § 326 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3,5 vgl. Rdn. 64 ff.
7. Schutz wertvoller Bestandteile der Natur 100 Schwerwiegende Beeinträchtigungen von Naturschutzgebieten - vgl. § 13 BNatSchG -, einstweilig dafür sichergestellten Flächen - dazu § 12 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG - sowie Nationalparks - dazu § 14 BNatSchG - werden in § 329 Abs. 3, 4 unter Strafe gestellt. - Da die Tathandlungen - vgl. dazu Abs. 3 Nr. 1-8 - zwar eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Schutzzwecks der zum Schutz der Gebiete erlassenen Rechtsvorschrift oder vollziehbaren Untersagung voraussetzen, nicht aber eine Umweltgefährdung oder -Schädigung, handelt es sich um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt. Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 3, und fahrlässig, Abs. 4 Nr. 2, verwirklicht werden. - Zur Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. 8. Schutz vor der Verbreitung von Giften a) Gemeingefährliche Vergiftung, § 314 101 aa) Bestraft wird gemäß § 314 die vorsätzliche Vergiftung von Wasser in gefassten Quellen, in Brunnen, in Leitungen oder Trinkwasserspeicher, Abs. 1 Nr. 1, sowie von Gegenständen, die zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmt sind, Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. - Dem Vergiften steht das Beimischen von gesundheitsschädlichen Stoffen, gleich, Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. Strafbar ist ferner das Inverkehrbringen (z.B. Verkaufen, Feilhalten) derart vergifteter Stoffe Abs. 1 Nr. 2,3. Alt. - Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. 44 45
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Vgl. dazu auch BT-Drucks. VI/3434, S. 13. Dazu vgl. BayObLG JR 1996 S. 299,300 mit Anm. HEINE S. 300 ff.
Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen
§ 82
bb) Erfolgsqualifizierte Fälle entsprechend § 308 Abs. 2, 3 sind durch Abs. 2 erfasst. cc) Zur Strafmilderung oder zum Absehen von Strafe aufgrund Tätiger Reue vgl. § 314 a Abs. 2 Nr. 1. b) Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften, § 330 a aa) Abs. 1 erfasst die Verbreitung oder Freisetzung, d.h. die Ermöglichung unkontrollierter Ausbreitung von Stoffen, die Gift enthalten oder Hervorbringen, erfordert jedoch, dass dadurch die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - eines anderen oder die Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht wird. Die Tat ist damit konkretes Gefährdungsdelikt. bb) Gemäß Abs. 1 ist Vorsatz - bedingter genügt - für Tathandlung und Gefährdung erforderlich. Die fahrlässige Herbeiführung der Gefahr durch eine vorsätzliche Tathandlung erfasst Abs. 4 und Abs. 5 die fahrlässige Gefahrherbeiführung durch eine leichtfertige Tathandlung. Abs. 2 erfasst einen erfolgsqualifizierten Fall - Verursachung des Todes eines anderen Menschen -. cc) Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung vgl. Rdn. 106.
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9. Tätige Reue, § 330 b a)§ 330 b Abs. 1 Wendet der Täter freiwillig die Gefahr ab oder beseitigt er freiwillig den von ihm verar- 106 sachten Zustand, bevor ein eriieblicher Schaden entstanden ist, so gewährt ihm § 330 b Abs. 1 S. 1 einen fakultativen Strafmilderungs- oder Strafaufhebungsgrund in den Fällen des § 325 a Abs. 2 (konkrete Gefährdung durch Lärm usw.), § 326 Abs. 1 - 3 (Umweltgefährdende Abfallbeseitigung), § 328 Abs. 1 - 3 (Unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern) und § 330 a Abs. 1 - 4(Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften). Unter den gleichen Voraussetzungen ist die Strafaufhebung nach § 330 b Abs. 1 S. 2 zwingend angeordnet in den Fällen des § 325 a Abs. 3 Nr. 2 (Fahrlässige konkrete Gefahrdung durch Lärm usw.), § 326 Abs. 5 (Fahrlässige umweltgefährdende Abfallbeseitigung), § 328 Abs. 5 (Fahrlässiger unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern) und § 330 a Abs. 5 (Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften bei leichtfertigem Handeln und fahrlässiger Gefahrverursachung).46 b) § 330 b Abs. 2 Nach Abs. 2 genügt - in den in Abs. 1 genannten Fällen - das freiwillige und ernsthafte 107 Bemühen des Täters die Gefahr abzuwenden oder den rechtswidrig verursachten Zustand zu beseitigen, wenn dieser Erfolg ohne sein Zutun verwirklicht worden ist.
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Das Gesetz nennt hier § 330 a Abs. 4. - Offenbar hat der Gesetzgeber die Änderung der Abs. 3, 4 in Abs. 4, 5 nicht gesehen, so dass es sich hier um ein Redaktionsversehen zu Ungunsten des Täters handelt.
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§83
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Zweites Kapitel Delikte gegen staatliche Rechtsgüter Erster Abschnitt
Delikte gegen den Bestand des Staates § 83 Hochverrat I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Geschütztes Rechtsgut der §§ 81-83 a ist die territoriale und verfassungsmäßige Integrität des Bundes und der Bundesländer. 2. Aufbau des Gesetzes 2 a) Nach § 81 wird der Hochverrat gegen die Bundesrepublik, nach § 82 der gegen ein Bundesland bestraft. 3 b) § 83 erfasst die Vorbereitung des Hochverrats als selbständiges Delikt. 4 c) § 83 a regelt Rücktritt und Tätige Reue in den Fällen der §§ 81 bis 83.
II. Die einzelnen Tatbestände 1. Hochverrat gegen den Bund, § 81 5 Zu unterscheiden sind der Bestandshochverrat und der Verfassungshochverrat. 6 a) Abs. 1 Nr. 1: Angriffsobjekt des Bestandshochverrats ist der Bestand der Bundesrepublik Deutschland; dazu § 92 Abs. 1. - Tathandlung ist das Unternehmen, diesen Bestand mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu beeinträchtigen. - Der Gewaltbegriff entspricht grundsätzlich dem der Nötigung, doch ist hier eine gewisse Erheblichkeit in Anbetracht des betroffenen Rechtsguts zu fordern. 7 b) Abs. 1 Nr. 2: Angriffsobjekt des Verfassungshochverrats ist die verfassungsmäßige Ordnung in der konkreten Ausgestaltung, die die Grundsätze einer freiheitlichen Demokratie auf dem Boden des Grundgesetzes gefunden haben. - Tathandlung ist das Unternehmen, die verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, d.h. ein Verfassungsorgan zu beseitigen o.ä. Die bloße Störung der Tätigkeit eines Verfassungsorgans genügt nicht.1 2. Hochverrat gegen ein Land, § 82 8 § 82 ist dem § 81 nachgebildet, erfasst jedoch im Rahmen des Bestandshochverrats nur den Gebietsverrat. - In der Regel wird zwischen den §§ 81, 82 Idealkonkurrenz bestehen.
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BGHSt 6 S. 352; SCHROEDER Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 417 ff.
Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats
§84
3. Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, § 83 § 83 erhebt die Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens nach 9 §§81, 82 zum selbständigen Delikt. Es muss sich um ein Unternehmen handeln, d.h. eine Tat nach §§ 81, 82, deren Angriffsgegenstand und -ziel feststeht und die nach Ort, Zeit und Art der Durchführung bereits in ihren Grundzügen konkretisiert ist. - Die Realisierung des Unternehmens muss aus der Sicht der Täter zwar nicht unmittelbar, doch in absehbarer Zeit bevorstehen.2 Vorbereitung ist jede ihrer Art nach gefahrliche Handlung, die das geplante Unternehmen fördern soll, ohne selbst bereits Teil des Unternehmens zu sein.3 4. Rücktritt und Tätige Reue, §83 a Die Voraussetzungen der Tätigen Reue, § 83 a, sind von der vorgesehenen Tat her diffe- 10 renziert: § 83 a Abs. 1 enthält die Voraussetzungen in bezug auf §§81, 82; § 83 a Abs. 2 die in bezug auf § 83.
§ 84 Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats Da die verfassungsmäßige Ordnung nicht nur mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt gefährdet und be- 1 einträchtigt werden kann, erfassen §§ 84 bis 90 b andere gefährliche Angriffe auf die verfassungsmäßige Ordnung.
1. Gesetzessystematik der §§ 84 - 91 7. Die einzelnen Tatbestände lassen sich in 3 Gruppen aufgliedern: a) Die eigentlichen Organisationsdelikte, §§ 84-86 a, erfassen die Unterstützung ver- 2 botener Vereinigungen. b) Staatsgefahrdende Eingriffe (Sabotage, Zersetzung) in das Funktionieren des staatlichen 3 Lebens werden gemäß §§ 87-89 bestraft. c) Die §§ 90-90 b schützen den Staat, seine höchsten Repräsentanten und Organe vor ver- 4 fassungsverräterischer Beschimpfung. - Die hier erfassten Verunglimpfungen stellen einen Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat dar, da sie geeignet sind, sein Ansehen zu untergraben. 2. Geltungsbereich In § 91 ist der Geltungsbereich der §§ 84, 85 und 87 abweichend von § 9 besonders ge- 5 regelt. - Nebenfolgen und Einziehung: §§ 92 a, b.
II. Die einzelnen Tatbestände 7. Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei, § 84 § 84 stellt Tätigkeiten unter Strafe, die dazu bestimmt sind, den Organisationszu- 6 sammenhalt verbotener Parteien aufrechtzuerhalten. 2
Dazu auch BGHSt 7 S. 11; LAUFHÜTTE LK, § 83 Rdn. 3 f; kritisch: SCHROEDER NJW 1980 S. 920 ff; WAGNER N J W 1980 S. 9 1 3 ff.
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Dazu BGHSt 6 S. 336.
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§84
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
7 a) Abs. 1 und 2 setzen voraus, dass das BVerfG die Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG in Verb, mit § 46 BVerfGG für verfassungswidrig erklärt oder gemäß § 33 Abs. 1 ParteienG festgestellt hat, dass es sich bei der Partei um eine Ersatzorganisation einer verbotenen Partei handelt. - Zum Begriff der Partei vgl. § 2 ParteienG. Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist eine Partei, wenn sie die verfassungswidrigen Bestrebungen der verbotenen Partei weiterverfolgt, § 33 Abs. 1 ParteienG. 8 aa) Tathandlung nach Abs. 1 ist jede aktive, auf das Aufrechterhalten des organisierten Zusammenhaltes der Partei gerichtete Tätigkeit. - Rädelsführer ist, wer in der Organisation eine führende Rolle spielt, Hintermann, wer als Außenstehender geistig oder wirtschaftlich maßgeblichen Einfluss auf die Führung der Organisation hat. 9 bb) Nach Abs. 2 wird die fördernde Tätigkeit als Mitglied und die Unterstützung der Organisation durch Nichtmitglieder bestraft. 10 b) Abs. 3 ergänzt Abs. 1, 2 und erfasst das Zuwiderhandeln gegen bestimmte Sachentscheidungen, die das BVerfG in den in Abs. 3 genannten Verfahren getroffen hat. 11 c) Tätige Reue eröffnet Abs. 5, die Möglichkeiten der Strafmilderung Abs. 4,5. 2. Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot, § 85 12 Nach § 85 wird bestraft, wer als Rädelsführer oder Hintermann den organisatorischen Zusammenhalt einer Vereinigung aufrechterhält, die sich gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung, Art. 9 Abs. 2 GG, richtet. 13 a) Abs. 1 setzt voraus, dass im Verfahren nach § 33 Abs. 3 ParteienG unanfechtbar durch die Verwaltungsbehörden festgestellt ist, dass die Partei oder Vereinigung Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist. 14 b) Abs. 2 setzt voraus, dass die Vereinigung im Verfahren nach §§ 3 ff VereinsG unanfechtbar verboten oder dass im Verfahren nach § 8 Abs. 2 VereinsG unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer solchen Vereinigung ist. 15 c) Zum Begriff des Hintermannes und Rädelsführer vgl. oben Rdn. 8. - Vereinigung in diesem Sinne ist der in § 2 Abs. 1 VereinsG definierte Verein.4 16 d) Zur Tätigen Reue und zur Strafmilderung vgl. § 84 Abs. 4, 5, die gemäß § 85 Abs. 3 entsprechend gelten. 3. Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, § 86 17 § 86 richtet sich gegen das Verbreiten staatsfeindlicher Propagandamittel bestimmter verbotener Parteien oder Vereinigungen als mittelbares Organisations- und abstraktes Gefährdungsdelikt. 18 a) Bestraft wird das Verbreiten, Herstellen, Vorrätighalten, Ein-, Ausführen oder in Datenspeichern öffentlich Zugänglichmachen von Schriften (§11 Abs. 3), deren Inhalt gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist (Propagandamittel, § 86 Abs. 2). Verbreiten bedeutet, die Schrift einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich machen, und zwar der Substanz nach, während ein öffentliches Zugänglichmachen von Datenspeichern bereits vorliegt, wenn die Schrift inhaltlich zur Kenntnis genommen werden kann. - Herstellen, Vorrätighalten, Ein- und Ausführen sind 4
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Dazu BGHSt 16 S. 298.
Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats
§84
Vorbereitungshandlungen zum Verbreiten und öffentlich in Datenspeichern Zugänglichmachen. Hergestellt ist ein Werk, wenn der Inhalt endgültig feststeht.5 b) Es muss sich um Propagandamittel einer für verfassungswidrig erklärten Partei, verbotenen Vereinigung (Abs. 1 Nr. 1, 2) oder bestimmter ausländischer Stellen handeln (Abs. 1 Nr. 3) bzw. um nationalsozialistische Propagandamittel (Abs. 1 Nr. 4). Ob auch vorkonstitutionelle Schriften (z.B. Hitlers „Mein Kampf') oder nur neonazistisches Propagandamaterial, das sich ausdrücklich gegen die Bundesrepublik Deutschland als demokratischen Rechtsstaat richtet, unter Abs. 1 Nr. 4 fällt, ist str. - Angemessen ist es, hier nicht zu unterscheiden, wenn der Inhalt der Schrift sich grundsätzlich gegen die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats wendet.6 c) Gemäß Abs. 3 entfällt der Tatbestand des Abs. 1, wenn das Propagandamittel oder die Tathandlung der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient (Gedanke der Sozialadäquanz). d) Gleichfalls ist Abs. 1 nicht anwendbar auf Zeitungen oder Zeitschriften, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB in ständiger, regelmäßiger Folge erscheinen und dort allgemein und öffentlich vertrieben werden, Art. 296 EGStGB. e) Konkurrenz: Dient die Verbreitung der Propagandamittel zugleich dem Zweck, die verbotene Vereinigung zusammenzuhalten, so können §§ 84, 85 und § 86 idealiter konkurrieren.7
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4. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, § 86 a § 86 a bezweckt als abstraktes Gefährdungsdelikt den Schutz des demokratischen Rechts- 23 staats und des öffentlichen Friedens. Er stellt das Verwenden oder Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Parteien und verbotener Vereinigungen oder diesen zum Verwechseln ähnlicher Kennzeichen unter Strafe. a) Das Kennzeichen wird durch seinen Symbolgehalt geprägt. 24 Außer den in Abs. 2 genannten Kennzeichen kommen in Betracht: der „Deutsche Gruß", das Horst-WesselLied, akustische oder optische Erkennungszeichen, wie zum Beispiel das Hakenkreuz oder ihm ähnliche Abbildungen, die aber beim unbefangenen Beobachter den Eindruck eines Hakenkreuzes vermitteln, SS-Runen u.a.8, nicht aber das Keltenkreuz (BGH NStZ 1996 S. 81), ein Armdreieck (Bay ObLG NStZ 1999 S. 190), die Lebensrune (Bay ObLG NStZ 1999 S. 191).
Verwenden ist jeder Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar 25 macht.9 Das kann auch durch Einsatz einer Mailbox oder im Wege grenzüberschreitender Fernsehübertragung erfolgen. io - Verbreiten bedeutet, die Kennzeichen einem größeren Personenkreis zugänglich machen.
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Dazu BGHSt 32 S. 1.
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S o POPP J R 1998 S. 81. - A . A . B G H S t 2 9 S. 7 3 mit A n m . BOTTKE J A 1980 S. 125 f.
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Dazu BGHSt 26 S. 261. Dazu BANEFELD DRiZ 1993 S. 430 ff. BGHSt 23 S. 267. Vgl. dazu OLG Frankfurt wistra 1999 S. 30 mit Anm. RüCKERT S. 31 f; KG NJW 1999 S. 3500 mit Anm. HEINRICH NStZ 2000 S. 533 f.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
26 b) Gemäß § 86 a Abs. 3 gilt die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 entsprechend. Danach erfasst der Tatbestand Handlungen, die ihn formell erfüllen, dann nicht, wenn sie sachlich seinem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen. Als Schutzzweck in diesem Sinne vgl. Rdn. 23 - ist nicht nur die Abwehr der Wiederbelebung der verbotenen Organisation und der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verstehen, sondern auch die Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet werden.1' Tatbestandsmäßig daher die Verbreitung von Hakenkreuzen auf originalgetreuen Flugzeugnachbildungen (BGHSt 28 S. 394); Darstellung des Buchstaben ,3" durch SS-Runen (OLG Frankfurt NStZ 1982 S. 333; BGH NStZ 1983 S. 261); Tragen eines Hitlerbildes auf einem T-Shirt (LG Frankfurt NStZ 1986 S. 167); Singen des Horst-Wessel-Liedes, auch mit verfremdetem Text (OLG Oldenburg NJW 1988 S. 351); Singen des Liedes: „Es zittern die morschen Knochen" (OLG Celle NJW 1991 S. 1497). Nicht tatbestandsmäßig hingegen antiquarischer Handel mit Kennzeichen, wenn sich das Angebot im wesentlichen an Museen und wissenschaftlich Interessierte wendet (BGHSt 31 S. 383); Verknüpfung von Hakenkreuz und Davidstern, um zur Versöhnung aufzurufen (BayObLG NJW 1988 S. 2901); Hitlergruß, um Protest gegen für nazistisch gehaltene Methoden auszudrucken (OLG Oldenburg NStZ 1986 S. 166).
5. Agententätigkeit zu Sabotagezwecken, § 87 27 a) § 87 stellt die Vorbereitung rechtsstaatsgefährdender Sabotagehandlungen unter Strafe. 28 b) Der Begriff der Sabotagehandlung ist in Abs. 2 abschließend umschrieben. - Voraussetzungen aller Tathandlungen ist die Steuerung des Sabotageagenten von außen, d.h. das Vorliegen eines dem Täter erteilten Auftrags einer in Abs. 1 genannten, außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB befindlichen Stelle. - Der Auftrag muss auf die Vorbereitung von Sabotageakten, die im Geltungsbereich des StGB begangen werden sollen, gerichtet sein, doch brauchen die Akte selbst noch nicht konkret bestimmt zu sein. 29 c) Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 3. 6. Verfassungsfeindliche Sabotage, § 88 30 Gemäß § 88 wird bestraft, wer als Rädelsführer oder Hintermann - dazu vgl. Rdn. 8 - einer Gruppe oder als einzelner ohne Rücksicht auf eine Gruppe rechtsstaatsgefahrdende Sabotage betreibt. - Angriffsgegenstand sind bestimmte Verkehrs- oder Fernmelde- sowie bestimmte Versorgungseinrichtungen. 31 a) Absichtlich handelt der Täter, wenn es ihm auf die Stillegung oder Zweckentfremdung ankommt. 32 b) Gerechtfertigt sind die Störungen dann, wenn sie im Rahmen eines arbeitsrechtlich zulässigen Streiks erfolgen. 7. Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane, §89 33 Bestraft wird die planmäßige, gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete, auf Zersetzung der pflichtgemäßen Einsatz11
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BGHSt 25 S. 33; 31 S. 387. - Zur satirischen Verwendung von NS-Kennzeichen: BVerfG NStZ 1990 S. 333.
Landesverrat und Gefahrdung der äußeren Sicherheit
§85
bereitschaft abzielende Einwirkung auf Bundeswehrangehörige oder Angehörige eines öffentlichen Sicherheitsorgans. a) Öffentliche Sicherheitsorgane sind z.B. die kasernierte Bereitschaftspolizei, der Bundesgrenzschutz, die Verfassungsschutzämter und die Nachrichtendienste. Die Adressaten müssen bereits Angehörige der Sicherheitsorgane sein. 12 - Einwirken ist jede Tätigkeit zur Beeinflussung auch nur eines Angehörigen des betroffenen Personenkreises. b) Auf das Ziel der Zersetzung muss es dem Täter ankommen (Absicht). c) Das Parteienprivile:g, Art. 21 Abs. 2 GG, steht der Bestrafung nicht entgegen.13 d) Erfolgt die Tat durch Verbreitung einer Druckschrift, so greifen nicht die kurzen Verjährungsfristen nach den Pressegesetzen ein, weil nicht der Inhalt der Druckschrift strafbar ist, sondern nur das Verbreiten der Druckschrift in einem bestimmten Personenkreis.14 8. Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staates und seiner Symbole sowie verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, §§ 90, §90a, §90b Die Vorschriften schützen Amt und Person des Bundespräsidenten, die Bundesrepublik Deutschland, ihre Länder und Symbole sowie bestimmte Verfassungsorgane gegen öffentliche Herabsetzung. 15 a) Verunglimpfen ist eine nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder den Beweggründen erheblichere Ehrenkränkung i.S. der §§ 185-187.16 - Beschimpfen ist eine nach Form und Inhalt besonders verletzende Missachtungskundgebung. - Böswillig Verächtlichmachen bedeutet, trotz Kenntnis des Unrechts, den Angriffsgegenstand als der Achtung der Bürger unwert und unwürdig hinzustellen. b) Im Konflikt mit der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, sind die betroffenen Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen in den Grundrechten Dritter und anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern.18 c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht einer Bestrafung nicht entgegen.19 d) § 90 a Abs. 3 enthält einen Qualifikationstatbestand.
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§ 85 Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik 1. Im Gegensatz zu den in den §§ 83, 84 des GRUNDKURSES behandelten Straftaten richtet 1 sich der Landesverrat gegen die äußere Sicherheit, d.h. die Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu fremden Staaten. 12 13 14 15 16
BGHNJW 1989 S. 1363. BVerfGE 47 S. 130; BGHSt 27 S. 59. BGHSt 27 S. 353. Dazu ROGGEMANN JZ 1992 S. 934 ff. BGHSt 12 S. 364.
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BGH NStZ 2000S. 643. Vgl. BVerfGE 81 S. 278 und S. 298 mit Anm. GUSY JZ 1990 S. 640 f, HUFEN JUS 1991 S. 687 ff; BVerfG NJW 2001 S. 596; BGH NStZ 1998 S. 408; VOLK JR 1984 S. 441 ff; WÜRTENBERGER NJW 1983 S. 1147 ff. Dazu BVerfGE 47 S. 231 (zu § 90 a); BGHSt 29 S. 50 (zu § 90 b).
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465
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§85
2 2. Die Tatbestände lassen sich unterteilen in die Gruppe der landesverräterischen Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen und ähnlich geschützter Sachverhalte: §§ 94 - 97 b, 100 a, und in die Gruppe der im Vorfeld des Verrats liegenden landesverräterischen Konspiration: §§ 98-100.
II. Das Staatsgeheimnis 1. §93 Abs. 1 3 Gemäß §93 Abs. 1, der den sog. materiellen Geheimnisbegriff positiviert, sind Staatsgeheimnisse Sachverhalte, die als Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen, d.h. ihrem Schutzbereich zuzurechnen sind, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. 2. §93 Abs. 2 4 a) Kein Staatsgeheimnis i.S. des Gesetzes ist das sog. illegale Staatsgeheimnis i.S. des § 93 Abs. 2. Da der Verrat derartiger Geheimnisse daher keinen Verrat von Staatsgeheimnissen darstellt, ist Abs. 2 als Tatbestandseinschränkung jener Tatbestände zu verstehen, die den Verrat von Staatsgeheimnissen unter Strafe stellen.20 Die Offenbarung derartiger Geheimnisse ist jedoch nicht ohne Ausnahme straflos; dazu weiter unter Rdn. 17 f. 5 b) Abs. 2 erfasst nicht alle geheimhaltungsbedürftigen rechtswidrigen Sachverhalte. Eine Offenbarung dieser Sachverhalte kann jedoch gemäß § 34 im Einzelfall gerechtfertigt sein. 3. Mosaiktheorie 6 Da als Staatsgeheimnis allein Sachverhalte in Betracht kommen, die nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich sind, werden Erkenntnisse, die durch systematische Auswertung allgemein zugänglicher Tatsachen erarbeitet werden, nicht mehr geschützt, auch wenn das Ergebnis der Auswertung selbst ein Staatsgeheimnis ist.
HI. Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen 1. Landesverrat, § 94 7 § 94 schützt die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gegen den Verrat von Staatsgeheimnissen. 8 a) Strafbar ist, wer ein Staatsgeheimnis einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt (Abs. 1 Nr. 1) oder sonst an einen Unbefugten gelangen lässt bzw. öffentlich bekannt macht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine
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So auch BT-Drucks. V/2860, S. 16; RUDOLPHI SK II, § 93 Rdn. 35. - A.A. (Rechtfertigungsgrund): JESCHECK Engisch-FS, S. 592; PAEFFGEN Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97 b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, 1979, S. 190 ff.
Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit
§85
fremde Macht zu begünstigen (Abs. 1 Nr. 2), und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.21 Unbefugter ist jeder, der nicht rechtmäßig zur Kenntnisnahme befugt ist. Gelangen las- 9 sen bedeutet bei körperlichen Gegenständen Überführung in den Gewahrsam des Empfangers, sonst Kenntnisnahme durch den Empfänger. - Die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland muss konkret nachweisbar sein. b) Abs. 2 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen für be- 10 sonders schwere Fälle (Missbrauch einer verantwortlichen Stellung, Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland). c) Eine zum selbständigen Delikt erhobene Vorbereitungshandlung zur Tat nach § 94 stellt 11 § 96 Abs. 1 unter Strafe. 2. Offenbaren von Staatsgeheimnissen, § 95 § 95 konkretisiert die Grenzen der Pressefreiheit, indem er die Preisgabe von Staatsge- 12 heimnissen in Publikationsorganen unter Berücksichtigung des Widerstreits zwischen Pressefreiheit und Geheimnisschutz regelt. a) Der Tatbestand unterscheidet sich von dem des Landesverrats dadurch, dass 13 aa) das Staatsgeheimnis zur Zeit der Tat von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird und bb) die Offenbarung nicht in Schädigungs- oder Begünstigungsabsicht begangen sein darf. b) Eine Vorbereitungshandlung zur Begehung des § 95 stellt § 96 Abs. 2 als selbständiges 14 Delikt unter Strafe. 3. Preisgabe von Staatsgeheimnisse, § 97 a) Gemäß § 97 Abs. 1, dessen objektiver Tatbestand dem des § 95 entspricht, wird bestraft, 15 wer die Tathandlung vorsätzlich begeht, bzgl. des Gefährdungserfolgs jedoch nur fahrlässig handelt. b) Personen, denen ein Staatsgeheimnis kraft Amtes, Dienststellung oder eines von amt- 16 licher Stelle erteilten Auftrags zugänglich ist, werden gemäß § 97 Abs. 2 bestraft, wenn sie das Staatsgeheimnis leichtfertig an einen Unbefugten gelangen lassen und damit fahrlässig eine Staatsgefährdung begründen. 4. Verrat illegaler Geheimnisse, § 97 a a) Die Vorschrift löst in Verbindung mit § 93 Abs. 2 die Kollision zwischen dem Recht 17 zur Rüge von Missständen im öffentlichen Leben und der Pflicht, Staatsgeheimnisse zu wahren. Gemäß § 93 Abs. 2 geht das Interesse an der Mitteilung und Entdeckung rechtswidriger Geheimnisse der Wahrung äußerer Sicherheit vor. Ausgenommen sind nur solche Verratshandlungen, die trotz des Rechtsverstoßes im Hinblick auf einen effektiven Staatsschutz nicht mehr erträglich erscheinen, weil sie nicht auf öffentliche Diskussion des Missstandes zielen, sondern zumindest objektiv eine andere Macht begünstigen: die Mit21
Zur Strafbarkeit früherer Geheimdienstmitarbeiter der DDR vgl. BVerfGE 92 S. 277 mit Anm. ARNDT N J W 1995 S. 1803 f, CLASSEN N S t Z 1995 S. 371 ff, DOEHRING Z R P 1995 S. 2 9 3 ff, HUBER Jura 1996
S. 301 ff, SCHROEDER JR 1995, S. 441 ff, VOLK NStZ 1995 S. 367 ff; BGHSt 41 S. 292 mit Anm. SCHLÜCHTER/DUTTGE N S t Z 1996 S. 4 5 7 ; BayObLG JR 1 9 9 6 S. 4 2 7 mit A n m . W . SCHMIDT S. 4 3 0 ff.
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§85
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
teilung des Geheimnisses unmittelbar an eine fremde Macht oder ihre Mittelsmänner, bzw. die Ausspähung des Geheimnisses, § 96 Abs. 1, in dieser Mitteilungsabsicht. 18 b) Praktisch erfolgt die Anwendung des § 97 a dadurch, dass in § 94 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 sowie in § 96 Abs. 1 in Verb, mit § 94 Abs. 1 Nr. 1 an die Stelle des Staatsgeheimnisses das Geheimnis i.S.d. § 93 Abs. 2 tritt. 5. Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses, § 97 b 19 § 97 b enthält keinen selbständigen Tatbestand, sondern eine besondere Irrtumsvorschrift (Rechtsfolgenverweisung) für den Fall des Verrats eines Staatsgeheimnisses, das der Täter irrig für ein Geheimnis i.S. des § 93 Abs. 2 hält. - Nötig wurde diese Vorschrift, weil der Gesetzgeber - unter der Prämisse, § 93 Abs. 2 enthält einen Tatbestandsausschluss - das bei der Anwendung der allgemeinen Irrtumsregeln zwingende Ergebnis: Straffreiheit des Irrenden, ausschließen wollte.22 20 Mit dem Schuldgrundsatz ist die Gleichstellung des irrenden Täters mit dem Täter, der bewusst ein Staatsgeheimnis verrät, nicht in Einklang zu bringen. Die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift erfordert daher eine Milderung des Strafrahmens.^ 6. Landesverräterische Fälschung, § 100 a 21 § 100 a schützt nicht nur die äußere Sicherheit, sondern die äußere Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im ganzen gegen landesverräterische Fälschung. 22 a) Gemäß § 100 a Abs. 1 wird bestraft, wer bestimmte gefälschte oder unwahre Sachverhalte an einen anderen gelangen lässt und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere staatliche Sicherheit oder die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeiführt. - Gefälscht oder verfälscht ist ein Sachverhalt, wenn er zum Zwecke der Täuschung derart angefertigt oder verändert wurde, dass er den Anschein eines wahren Sachverhalts erweckt. - Der Sachverhalt braucht kein Staatsgeheimnis zu sein. 23 b) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz in bezug auf die Tathandlung und die Gefahrdung sowie die Absicht des Täters, einer fremden Macht die Echtheit oder Wahrheit der verratenen Sachverhalte vorzutäuschen. Der Täter muss die Unechtheit oder Unwahrheit der verratenen Sachverhalte positiv kennen („wider besseres Wissen"). 24 c) Nach § 100 a Abs. 2 sind Vorbereitungshandlungen zu Abs. 1 als selbständiges Delikt strafbar.
IV. Die landesverräterische Konspiration 1. Geheimdienstliche Agententätigkeit, § 99 25 § 99 schützt als umfassender Spionagetatbestand gegen geheimdienstliche Tätigkeit.
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So im Ergebnis auch: PAEFFGEN Verrat, S. 229. - Für selbständigen Tatbestand: SCH/SCH/STREE § 97 b Rdn. 1; für negativ formulierten Rechtfertigungsgrund: JESCHECK Engisch-FS, S. 596. Dazu auch PAEFFGEN Verrat, S. 170.
Landesverrat und Gefahrdung der äußeren Sicherheit
§85
a) Gemäß Abs. 1 Nr. 1 wird die Ausübung einer geheimdienstlichen Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland, die auf Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, bestraft.24 Gemäß Art. 7 Abs. 1 Nr. 4 des 4. StrÄG ist der Schutz auf diejenigen Nato-Vertragsstaaten, die Truppen im Bundesgebiet haben, ausgedehnt. Geheimdienst ist in der Regel eine im staatlichen Bereich organisierte Einrichtung, die der Beschaffung und Auswertung von Nachrichten aus fremden Machtbereichen dient, ihre Tätigkeit in diesen Bereichen vor den fremden Behörden geheimhält und daher konspirative Methoden anwendet. - Ausüben wird vom BGH als tätig sein interpretiert, ohne dass es auf eine Konspiration ankommt,^ während in der Literatur z.T. eine auf gewisse Dauer angelegte Tätigkeit gefordert wird.26 Die Begrenzung des Tatbestandes auf länger angelegte Tätigkeit führt jedoch zu nicht berechtigten Strafbarkeitslücken. - Bloßes Ausgeforschtwerden oder Sich-ausfragen-lassen ist allerdings noch keine Ausübung der Tätigkeit i.S. des Gesetzes.27 - Gegen die Bundesrepublik Deutschland heißt gegen deren Interessen, nicht nur gegen die einzelner Personen oder Gruppen, doch werden nicht nur staatliche Interessen, sondern auch wirtschaftliche, wissenschaftliche und andere Interessen erfasst.28 b) Nach Abs. 1 Nr. 2 ist der Tätigkeit das ernstliche Bereiterklären zu dieser Tätigkeit gegenüber einer fremden Macht oder ihren Mittelsmännern gleichgestellt. - Die Erklärung mit der sich der Täter bereit erklärt, muss dem Empfanger zugegangen sein.29 c) Besonders schwere Fälle sind als Regelfälle in Abs. 2 genannt; die Möglichkeit Tätiger Reue eröffnet Abs. 3 in Verb, mit § 98 Abs. 2.
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2. Landesverräterische Agententätigkeiten, § 98 § 98 erfasst als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht nur Vorbereitungshandlungen zum Lan- 30 desverrat (§ 94) oder zur Ausspähung (§ 96 Abs. 1), sondern deckt deren Vorfeld ab, auch wenn noch gar kein konkreter Tatplan i.S. dieser Vorschrift besteht. Im Gegensatz zu § 99 ist eine geheimdienstliche Tätigkeit aber nicht erforderlich, jedoch muss die Agententätigkeit auf ein Staatsgeheimnis gerichtet sein. Zur Strafbarkeit des Bereiterklärens vgl. Abs. 1 Nr. 2, zur Strafbarkeit besonders schwerer Fälle'. Abs. 1 S. 2. - Tätige Reue ist unter den Voraussetzungen des Abs. 2 möglich.
3. Friedensgefährdende Beziehungen, §100 § 100 schützt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gegen friedensgefährdende 31 Agententätigkeit. a) Die Vorschrift erfasst nicht eine bestimmte Tätigkeit wie §§ 98, 99, sondern die staats- 32 gefährdende Aufnahme und Unterhaltung von Beziehungen zu einer bestimmten Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB oder zu einem ihrer Mittelsmänner in staatsgefährdender Absicht. - Die Tat muss in der 24
Zw Strafbarkeit früherer Geheimdienstmitarbeiter der DDR vgl. Fn. 20.
25
BGH NJW 1989 S. 1371.
26
Vgl. SCHROEDER JZ 1983 S. 671 ff.
27
BVerfGE 57 S. 265 f; BGHSt 30 S. 294.
28
Dazu JEROUSCHECK/KÖLBEL NJW 2001 S. 1602.
29
Vgl. OLG Celle NJW 1991 S. 579.
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§86
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Absicht erfolgen, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen, z.B. „Einmarsch zwecks friedlicher Besetzung"30 gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. 33 b) Täter kann nur ein Deutscher sein, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat. 4. Nebenfolgen und Einziehung 34 Zu den Nebenfolgen und zur Einziehung bei Verurteilung wegen einer Straftat nach dem 2. Abschnitt des StGB vgl. §§ 101,101 a.
§ 86 Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut 1 Die Überschrift des 3. Abschnitts des StGB: „Straftaten gegen ausländische Staaten", bringt die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, mit diesen Vorschriften nicht nur die guten Beziehungen zu den ausländischen Staaten, sondern diese selbst und ihre Organe sowie Organträger zu schützen. Gleichwohl steht im Vordergrund der Regelung der Schutz normaler Auslandsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland und damit der Schutz des eigenen Staates, wie insbes. die Regelung des § 104 a zeigt.
n. Die einzelnen Tatbestände 1. Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, § 102 2 Bestraft wird der Angriff auf Leib oder Leben ausländischer Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder oder beglaubigter Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung, während sich der Angegriffene in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält. 2. Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, §103 3 Die Vorschrift enthält einen gegenüber den §§ 185 ff speziellen Beleidigungstatbestand zum Schutz bestimmter ausländischer Staatsmänner. 4 a) Die §§ 190, 192, 193 finden auf § 103 Anwendung, da sie allgemeine Grundsätze des Beleidigungsrechts enthalten.31 5 b) Kann aus § 103 aus einem Grunde nicht bestraft werden, so greifen die allgemeinen Vorschriften, §§ 185 ff, durch. 3. Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten, §104 6 Geschützt sind alle ausländischen Flaggen und Hoheitszeichen in Anlehnung an § 90 a Abs. 2.
30
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 8 5 R d n . 6 8 .
31
BVerwG NJW 1982 S. 1008.
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§87
III. Voraussetzung der Strafverfolgung, § 104 a 1. Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen unter II dargestellten Tatbeständen: a) das Bestehen normaler diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu dem be- 7 treffenden Staat, b) die tatsächliche Verbürgung der Gegenseitigkeit. 2. Prozessvoraussetzung ist: a) das Vorliegen eines Strafverlangens durch die ausländische Regierung und b) die Ermächtigung der Bundesregierung zur Verfolgung der Täter.
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§ 87 Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d 1. Geschütztes Rechtsgut der Tatbestände dieses Abschnittes ist die in staatlichen An- 1 gelegenheiten gewährleistete Willensbildung und die verfassungsrechtlich gesicherte Willensbetätigung der Verfassungsorgane. Diese sollen vor Terror und Verfälschung bewahrt werden. - Der nötigende Druck muss so erheblich sein, dass er geeignet erscheint, den Willen des Verfassungsorgans zu beugen.32 2. Angriffe gegen die Verfassungsorgane und deren Mitglieder sind in den §§ 105-106 b 2 erfasst, die §§ 107-108 d schützen die Wahlen.
II. Die einzelnen Tatbestände 1. Nötigung von Verfassungsorganen, § 105 Die Vorschrift schützt bestimmte Verfassungsorgane (Gesetzgebungsorgane des Bundes 3 und der Länder, Bundesversammlung, Bundesregierung und Landesregierungen sowie das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder) und ihre Untergliederungen (Ausschüsse) als Ganzes gegen Nötigung. Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 entsprechend anzuwenden; dazu § 27 Rdn. 28 ff. 2. Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans, §106 Während § 105 das Verfassungsorgan als Ganzes schützt, ist § 106 auf den Schutz des 4 Bundespräsidenten und einzelner Mitglieder der in § 105 genannten Verfassungsorgane gegen Nötigung in ihrem Aufgabenbereich gerichtet. Soweit zu diesem Aufgabenbereich auch bloßes Verwaltungshandeln gehört, z.B. beim Minister als Leiter oberster Bundesoder Landesbehörden, werden auch derartige Tätigkeiten erfasst.33
32
BGHSt 32 S. 165 mit Anm. WILLMS JR 1984 S. 120 f.
33
TRÖNDLE/FISCHER § 106 R d n . 1; WOHLERS N K , § 106 R d n . 4 . - A . A . O L G D ü s s e l d o r f N J W 1978 S. 2 5 6 2 m i t abl. A n m . SCHOREIT M D R 1 9 7 9 S. 6 3 3 f.
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§87
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
3. Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans, § 106 b 5 § 106 b schützt die Polizeigewalt in Gebäuden und den dazu gehörenden Grundstücken der Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder. 6 a) Abs. 1 erfasst den Verstoß gegen Hausordnungsvorschriften, durch den die Tätigkeit des Organs gestört oder gehindert wird. Derartige Vorschriften können insbesondere in Geschäftsordnungen der Gesetzgebungsorgane enthalten sein.34 7 Gebäude meint das jeweilige Gebäude, in dem das Gesetzgebungsorgan gerade tagt und für das die Anordnung erlassen ist. - Hindern heißt die Tätigkeit - sei es auch nur für kurze Zeit - unmöglich machen. Stören bedeutet erschweren der Tätigkeit.
8 b) Gemäß Abs. 2 können Parlaments- oder Regierungsmitglieder nicht Täter sein. 4. Als Delikte gegen Wahlen - Legaldefinition in § 108 d - sind erfasst: a) Wahlbehinderung, § 107 9 Geschützt ist der Wahlvorgang in seinem Gesamtablauf. b) Wahlfälschung, § 107 a 10 aa) Abs. 1 erfasst die Herbeiführung eines falschen Ergebnisses vor Beendigung der Wahl und die Verfälschung des Ergebnisses nach diesem Zeitpunkte 11 Es genügt jede Handlung, die ein unrichtiges Ergebnis bewirkt.36 - Unbefugt wählt auch, wer unter anderem Namen den Kandidaten wählt, den auch der Vertretene gewählt hätte.37 12 bb) Abs. 2 betrifft die falsche Verkündung eines Wahlergebnisses. - Täter kann nur sein, wer die amtliche Aufgabe hat, das Ergebnis öffentlich zu verkünden oder verkünden zu lassen oder wer sich diese Befugnis anmaßt. c) Fälschung von Wahlunterlagen, § 107 b 13 Die Vorschrift stellt bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wahlfälschung selbständig unter Strafe. d) Verletzung des Wahlgeheimnisses, § 107 c 14 Bestraft wird die Verletzung von Vorschriften, die dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienen, in der Absicht, sich oder einem anderen Kenntnis darüber zu verschaffen, wie jemand gewählt hat. - Als das Blankett ausfüllende Normen kommen z.B. § 34 BWahlG, §§ 50, 51 BWahlO in Betracht. e) Wählernötigung, § 108 15 aa) Geschützt ist der einzelne Bürger gegen Nötigung bei der Ausübung seines Wahlrechts. bb) Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 anwendbar. f) Wählertäuschung, § 108 a
34
OLG Celle NStZ 1986 S. 410.
35
Zur Wahlfälschung bei Kommunalwahlen in der DDR: BVerfG (2. K., 2. S.) NJW 1993 S. 2524; BGHSt 39 S. 54 NJW 1993 S. 1019 mit Anm. KÖNIG JR 1993 S. 207 ff; BGHSt 40 S. 307 mit Anm. WEBER JR 1995 S. 403 ff; BezG Dresden NStZ 1992 S. 438 mit Anm. HÖCHST JR 1992 S. 433 ff, LORENZ NStZ 1992 S. 422, DERS. MDR 1993 S. 705 ff, SCHROEDER NStZ 1993 S. 216 ff.
36 37
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Dazu OLG Zweibrücken NStZ 1986 S. 554. Dazu BGHSt 29 S. 380 mit Anm. OEHLER JR 1981 S. 519 f.
Delikte gegen die Landesverteidigung
§88
Geschützt ist der Wähler gegen Täuschung beim Wahlakt, nicht gegen Täuschung bei der Willensbildung in bezug auf die Entscheidung für eine bestimmte Partei, z.B. durch falsche Wahlversprechen o.ä. g) Wählerbestechung, § 108 b Die Vorschrift stellt Bestechung und Bestechlichkeit des Wählers unter Strafe. - Maßgeblich ist hier eine personale Beziehung zwischen dem Bestechenden und dem zu bestechenden Wähler, die zumindest zu einer gefühlsmäßigen Verpflichtung des Wählers, in der vom Bestechenden beabsichtigten Weise abzustimmen, führen kann.38 Ob und wie der Wähler wählt, ist unerheblich, sein geheimer Vorbehalt, sich durch die Bestechung nicht beeinflussen zu lassen, ist irrelevant. h) Nebenfolgen Zu den Nebenfolgen vgl. § 108 c. i) Abgeordnetenbestechung, § 108 e Bestraft wird das Unternehmen des Kaufs und Verkaufs der Stimme für eine Wahl oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände.
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Auch wenn Kauf und Verkauf nicht im zivilrechtlichen Sinne, sondern „im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs bildlich zu verstehen" sind 3 ', so ist doch eine konkrete Unrechtsvereinbarung zwischen dem Abgeordneten und dem Dritten erforderlich, die Stimme bei einer konkreten Abstimmung in bestimmter Art und Weise abzugeben. Damit soll gewährleistet werden, dass nicht jede Ausrichtung des Abstimmungsverhaltens an eigennützigen Interessen des Abgeordneten strafbar ist, sondern nur eine solche, die verwerflich ist und nicht „politisch übliches und sozialadäquates Verhalten" betrifft 40 . - Praktisch ist der Tatbestand damit bedeutungslos.41
§ 88 Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich Die Delikte des 5. Abschnitts des StGB dienen dem Schutz der Landesverteidigung, und 1 zwar ihrem Wortlaut nach gegenüber Angriffen auf das Kräftepotential der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland. Gemäß Art. 7 des 4. StrÄG ist der strafrechtliche Schutz der §§ 109 d-109 g, 109 i aber auf die militärische Sicherheit der Vertragsstaaten der NATO und ihrer in Deutschland stationierten Truppen ausgedehnt worden.
II. Die einzelnen Tatbestände 1. Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung, §109 Die Vorschrift will die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht und damit das Wehr- 2 Potential der Bundesrepublik Deutschland sichern. a) Nach Abs. 1 wird der Täter bestraft, der sich oder einen anderen mit dessen Ein- 3 willigung in bestimmter Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder ma38 39 40
Vgl. dazu BGHSt 33 S. 336 mit Anm. DÖLLING NStZ 1987 S. 69 f, GEERDS JR 1986 S. 253 ff. Vgl. BT-Drucks. 12/5927, S. 5. BT-Drucks. 12/5927, S. 4 f.
41
Vgl. bereits BARTON NJW 1994 S. 1098 ff, 1100 f. - Im einzelnen: EPP Die Abgeordnetenbestechung § 108 e StGB, 1997. 473
§88
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
chen lässt. - Führt allerdings ein Soldat die Untauglichkeit an sich oder einem anderen Soldaten herbei, so greift § 17 WStG als Spezialvorschrift ein. Zur Wehrpflicht vgl. §§ 1-3 WehrpflG. - Untauglich, der Wehrpflicht zu genügen, ist der Wehrpflichtige, wenn er wegen körperlicher oder geistiger Mängel nicht mehr in der Art oder dem Umfang wehrtauglich ist wie vorher. - Verstümmelung ist unmittelbare mechanische Einwirkung auf den Körper, Untauglichmachen in anderer Weise kann z.B. durch Einnahme gesundheitsschädlicher Medikamente o.ä. erfolgen.
4 b) Milder bestraft wird das Delikt gemäß Abs. 2, wenn die Untauglichkeit nur für eine gewisse Zeit oder eine einzelne Art der Verwendung herbeigeführt wird. 5 c) Fehlt die Einwilligung bei der Fremdverstümmelung, so greifen nur die §§ 223 ff ein. Die Einwilligung gehört bei § 109 Abs. 1, 2. Alt. zum gesetzlichen Tatbestand. 6 d) Konkurrenzen: Zwischen dem Versuch nach Abs. 1 und der Vollendung nach Abs. 2 ist Idealkonkurrenz möglich.42 - Die Einwilligung ist Tatbestandsvoraussetzung. Fehlt sie, so sind nur die §§ 223 ff a n w e n d b a r . « - Die Einwilligung, § 228, rechtfertigt nach h.M. die Körperverletzung nicht. Mit den §§ 223, 224 besteht Tateinheit.-" Wird die Sittenwidrigkeit hingegen von der Schwere der Verletzung abhängig gemacht45, so greift in den Fällen der §§ 223, 224 die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund durch. Mit §§ 226, 227 ist hingegen Idealkonkurrenz möglich.« 2. Wehrpflichtentziehung durch Täuschung, § 109 a 7 Die Vorschrift will die Erfüllung der Wehrpflicht sichern. 8 a) Bestraft wird, wer sich oder einen anderen durch arglistige, auf Täuschung beruhende Machenschaften der Erfüllung der Wehrpflicht in bestimmter Weise entzieht. 9 Machenschaften bezeichnen ein methodisches, über die bloße Lüge hinausgehendes, berechnendes Vorgehen, das auf Täuschung gerichtet sein muss. Die Kennzeichnung der Machenschaft als arglistig ist tautologisch, da die Machenschaft bereits ein gewisses Raffinement voraussetzt. Beispiele: Scheinverlegung des Wohnsitzes in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes (OLG Celle NJW 1965 S. 1675; OLG Celle NStZ 1986 S. 168); systematisches Vortäuschen körperlicher Mängel (RGSt 29 S. 218).
10 Für Soldaten ist die Wehrpflichtentziehung durch Täuschung in § 18 WStG speziell geregelt. 3. Störpropaganda gegen die Bundeswehr, § 109 d 11 Die Vorschrift soll der geistigen Sabotage gegen die Bundeswehr entgegenwirken. Bestraft wird das Aufstellen und Verbreiten verleumderischer Tatsachenbehauptungen gegen die Bundeswehr in der Absicht der Wehrkraftzerstörung. - Aufgrund der in der Regel kaum nachweisbaren subjektiven Voraussetzungen hat der Tatbestand nur geringe Bedeutung.
42
V g l . LACKNER/KÜHL § 109 R d n . 7 ; SCHROEDER L K , § 109 R d n . 23.
43
V g l . LACKNER/KÜHL § 109 R d n . 5 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 8 7 R d n . 8.
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V g l . LACKNER/KÜHL § 109 R d n . 7.
45
D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 118 f f .
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V g l . a u c h WOHLERS N K , § 109 R d n . 14.
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Delikte gegen die Landesverteidigung
§88
4. Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln, § 109 e § 109 e bezweckt den Schutz der Funktionstüchtigkeit von Wehrmitteln sowie bestimmter 12 Einrichtungen und Anlagen. a) Bestraft wird nach Abs. 1 die Sabotage an Gegenständen der Landesverteidigung. 13 Wehrmittel sind Gegenstände, die für den bewaffneten Einsatz der Truppe geeignet und bestimmt sind. Einrichtungen und Anlagen dienen der Landesverteidigung oder dem Schutz der Zivilbevölkerung gegen Kriegsgefahren, wenn ihr Zweck, sei es auch nur mittelbar, auf die Landesverteidigung oder den Schutz der Zivilbevölkerung abzielt. Beispiele: Munitionslager; Flugsicherungsanlagen; Rüstungsbetriebe.
Die Tat muss eine konkrete Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Trappe oder ein bzw. mehrere Menschenleben begründet haben. b) Unbefligt handelt, wer zu seinem Verhalten nicht zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich befugt ist. - Die geschützten Güter (Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Schlagkraft der Truppe, ein oder mehrere Menschenleben) müssen konkret gefährdet sein. c) Der aktiven Sabotage (Abs. 1) wird gemäß Abs. 2 die fehlerhafte Herstellung oder Lieferung eines Gegenstandes der Landesverteidigung oder des dafür bestimmten Werkstoffs gleichgesetzt, wenn der Täter dadurch die in Abs. 1 genannten Gefahren herbeiführt. d) Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Die Tat nach Abs. 1 erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auch auf die Gefährdung beziehen muss. - Abs. 2 setzt für die Tathandlung und Gefährdung Wissentlichkeit voraus. bb) Erfolgt die Tathandlung i.S. des Abs. 1 vorsätzlich, doch trifft den Täter Fahrlässigkeit bezüglich der Herbeiführung der Gefahr, so haftet er gemäß Abs. 5. - Gleiches gilt für den Täter, der die Tathandlung i.S. des Abs. 2 wissentlich begeht, die Gefährdung jedoch zumindest bedingt vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt. e) § 109 e ist lex specialis gegenüber §§ 303-305.47
14 15 16 17
18
5. Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst, § 109 f Bestraft wird der militärische Nachrichtendienst für eine Stelle außerhalb der Bundesre- 19 publik Deutschland oder für eine verbotene Vereinigung i.S. der §§ 84, 85. - Das Delikt erfasst Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit. Liegt daher bereits eine geheimdienstliche Tätigkeit i.S. der §§ 93 ff, insbes. des § 99 vor, so wird § 109 f konsumiert. 6. Sicherheitsgefährdendes Abbilden, § 109 g Die Vorschrift erfasst Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats. 20 a) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das Abbilden oder Beschreiben militärischer Objekte sowie das Gelangenlassen solcher Abbildungen und Beschreibungen an andere, wenn dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet wird. b) Nach Abs. 2 wird bestraft, wer vorsätzlich von einem Luftfahrzeug aus eine Lichtbildaufnahme eines Gebiets oder Gegenstandes im räumlichen Geltungsbereich des
47
V g l . WOHLERS N K , § 109 e R d n . 10. - A . A . I d e a l k o n k u r r e n z z . B . SCHROEDER L K , § 109 e R d n . 17.
475
§88
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§ 109 g anfertigt oder eine solche Aufnahme an einen anderen gelangen lässt und dadurch wissentlich den Gefährdungserfolg herbeiführt. 7. Nebenfolgen und Einziehung 21 Zu den möglichen Nebenfolgen bei einer Verurteilung nach den §§ 109 e und 109 f sowie zur Einziehung bei einer Straftat nach den §§ 109 d-109 g vgl. §§ 109 i, 109 k.
476
Gefährdung der staatlichen Autorität
§89
Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Staatsgewalt § 89 Gefährdung der staatlichen Autorität I. Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134 1. Das geschützte Rechtsgut §134 soll der Diskreditierung der Staatsgewalt wehren. Geschützt ist die Autorität der 1 Staatsgewalt. Bekanntmachungen öffentlicher Dienststellen sollen so, wie sie bekanntgemacht worden sind, der Bevölkerung zur Kenntnis kommen. 2. Die Tathandlung a) Bestraft wird das Zerstören, Beseitigen, Verunstalten, Unkenntlichmachen und die Ent- 2 Stellung des Sinnes von öffentlich angeschlagenen oder ausgelegten dienstlichen Schriftstücken, auch wenn deren Inhalt nur eine bestimmte Person betrifft, wie z.B. im Falle der öffentlichen Zustellung. Dienstlich ist jedes von Behörden oder anderen Dienststellen öffentlich-rechtlicher Körperschaften gefertigte Schriftstück, das amtlichen Inhalt hat. - Zur Bekanntmachung öffentlich angeschlagen oder ausgelegt ist das Schriftstück, wenn die Allgemeinheit Kenntnis nehmen kann und soll. - Zum Zerstören vgl. § 47 Rdn. 10. Beseitigen bedeutet Entziehung durch Ortsveränderung gegen den Willen des Berechtigten. - Verunstalten, Unkenntlichmaehung und Entstellen des Sinnes sind Einwirkungen auf die inhaltliche Aussage.
b) Aus dem Schutz herausnehmen will die h.M. Schriftstücke offensichtlich verfassungs- 3 oder gesetzwidrigen Inhalts. - Dies ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen, vielmehr handelt es sich hier um eine Frage der Rechtfertigung im Einzelfall.1
II. Missbrauch von Ausweispapieren, § 281 Dazu vgl. oben § 73.
4
HI. Amtsanmaßung, § 132 1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt wird die Autorität des Staates und seiner Organe, und zwar durch Schutz des 5 allgemeinen Vertrauens in die Echtheit und Zuverlässigkeit von Hoheitsakten.2 2. Der Tatbestand Der Tatbestand enthält zwei Alternativen: 6 a) Die 1. Alternative erfasst die Fälle, in denen sich der Täter als Inhaber eines in- 7 ländischen öffentlichen Amtes, d.h. als Organ der Staatsgewalt, ausgibt und eine diesem Amt zurechenbare Tätigkeit ausübt. 1 2
S o a u c h MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 7 2 R d n . 22; SCHMIDHÄUSER B.T., 22/3. - Z u r h . M . vgl. O L G H a m b u r g M D R 1953 S. 247; LACKNER/KÜHL § 134 R d n . 3. Vgl. GEPPERT Jura 1986 S. 591; RUDOLPHISK n , § 132 R d n . 1 m . w . N . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/
MAIWALD B.T. 2, § 79 Rdn. 1: Staatliche Organisationsgewalt.
477
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§89
Beispiele: Täter gibt sich als Kriminalbeamter aus und trifft eine Polizeiverfügung3; Täter führt als Polizeibeamter verkleidet Verkehrskontrollen durch; Täter pfändet eine Sache als angeblicher Gerichtsvollzieher. Keine Amtsanmaßung: Täter bezeichnet sich einem privaten Bekannten gegenüber als Polizeidirektor; Täter fordert in der Bahn einen Sitzplatz mit dem Hinweis, er sei der Bundesbahnpräsident; Täter gibt sich beim fiskalischen Einkauf als Hoheitsträger aus (OLG Oldenburg MDR 1987 S. 604); Täter verfälscht amtliches Schriftstück (BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 719).
8 b) Die 2. Alternative erfasst jene Fälle, in denen der Täter zwar nicht vortäuscht, Inhaber eines Amtes zu sein, jedoch den Eindruck hoheitlichen Handelns hervorruft. Beispiele: Privatperson stellt am öffentlichen Weg ein amtliches Verkehrszeichen auf, durch das der Verkehr beeinflusst wird; Täter klebt eine Pfandmarke auf einen bestimmten Gegenstand, der dadurch als der gepfändete erscheint; Anbringen eines vom eigenen Kfz entfernten Verwamungszettels an fremdem Kfz. - Wird hingegen ein Verwarnungszettel am eigenen Kraftfahrzeug angebracht, um die Polizei zu täuschen, so ist der Tatbestand nicht erfüllt, da hier nicht dem Bürger ein hoheitliches Handeln vorgetäuscht wird.4
9 Bei Durchsuchungen, Verhaftungen usw. kommt es darauf an, ob der Täter - ohne ein bestimmtes Amt vorzugeben - anderen gegenüber, sei es ausdrücklich, sei es konkludent, den Anschein einer Amtshandlung hervorruft. Beispiel 1: A erscheint bei B, erklärt, er vermute in der Wohnung des B ein ihm gestohlenes Bild und besteht auf einer Durchsuchung. Ergebnis: § 132 nicht erfüllt. Beispiel 2: A erscheint bei B und erklärt, die letzte Verhaftung in der Diebstahlssache X habe hinreichenden Verdacht begründet, dass das gestohlene Gut in der Wohnung des B sei. A müsse die Wohnung durchsuchen und B verhaften, falls dieser sich widersetze. Ergebnis: § 132,2. Alt. ist geben, obwohl A nicht vorgespiegelt hat, ein bestimmter Amtsträger zu sein.3
10 c) Unbefugt handelt, wer nicht durch seine Amtsstellung oder besonderen öffentlichrechtlichen Ermächtigungsakt zur Vornahme der Handlung berechtigt ist. Unbefugt ist Tatbestandsmerkmal. 3. Täter 11 a) Täter der Amtsanmaßung kann jeder sein, auch ein Amtsträger, soweit er sich Befugnisse anmaßt, die mit seinem Amte nicht verbunden sind. Ist die Amtshandlung jedoch nach außen wirksam, verstößt sie aber gegen Weisungen oder Zuständigkeitsverteilungen innerhalb der Behörde oder ist sie von jemandem erlassen worden, der die Amtsstellung erschlichen hat, so liegt eine Amtsanmaßung nicht vor. Dieses Verhalten tangiert das geschützte Rechtsgut nicht. 12 b) Die Tat kann auch in mittelbarer Täterschaft begangen werden. Jedoch fällt die Veranlassung einer Amtshandlung durch einen getäuschten Amtsträger nicht unter § 132, da der Tatbestand nur die Durchbrechung der Amtsgewalt, nicht aber ihre Überlistung erfasst. 4. Das Verhältnis der beiden Alternativen des Tatbestandes
zueinander
13 Da die 1. Alternative im Gegensatz zur 2. Alternative das Vortäuschen einer Amtseigenschaft voraussetzt, besteht zwischen beiden Alternativen Exklusivität.6 3
A.A. OLG Koblenz NStZ 1989 S. 268 mit abl. Anm. KRÜGER S. 477 f, GEPPERT JK 90, StGB §132/1, und zust. Anm. OSTENDORF JZ 1994 S. 558.
4
D a z u a u c h BAUMANN N J W 1964 S. 7 0 8 ; SCHRÖDER J R 1 9 6 4 S . 2 3 0 ; SCHÜNEMANN J A 1974 S. 107.
5
Dazu RGSt 59 S. 295; BGHSt 40 S. 8 mit Anm. GEPPERT JK 94, StGB § 132/2.
6
S o a u c h KÜPER J R 1967 S. 4 5 1 f f . - A . A . v . BUBNOFF L K , § 132 R d n . 2 4 ; MAURACH/SCHROEDER/
478
Gefährdung der staatlichen Autorität
§89
IV. Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a 1. Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift dient weniger dem Schutz staatlicher Autorität oder der Autorität einzelner 14 Titel usw., als vielmehr dem Schutz der Allgemeinheit vor Hochstaplern, die sich durch falsche Titel und Bezeichnungen den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit geben.7 2. Die Tathandlung a) Das Führen eines Titels usw. (Abs. 1 Nr. 1-3) setzt eine aktive Tätigkeit des Täters vor- 15 aus, mit der er Dritten gegenüber in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise und Intensität den Titel usw. in Anspruch nimmt. - Bloßes Dulden der Anrede genügt nicht, desgleichen ist ein einmaliger Gebrauch des Titels, insbes. im privaten Verkehr, noch nicht tatbestandsmäßig.8 - Der Täter muss die förmliche Dienst-, Amts- oder Berufsbezeichnung führen. Es genügt das Weiterführen einer Dienstbezeichnung nach der Entlassung.' - Wer sich z.B. schlechthin als „Polizeibeamter" ausgibt, führt damit noch keine Amtsbezeichnung.10 b) Das Tragen einer Uniform usw. (Abs. 1 Nr. 4) setzt voraus, dass der Täter den Eindruck 16 erweckt, er sei hierzu öffentlich-rechtlich befugt. Nicht tatbestandsmäßig daher der Besuch eines Maskenballs in einer Uniform.11
c) Unbefugt - dazu Rdn. 10 - ist Tatbestandsmerkmal.
17
Die Genehmigung zum Führen eines ausländischen Titels ersetzt nicht dessen Verleihung, daher ist das Führen trotz der Genehmigung unbefugt.12
d) Die Führung von Bezeichnungen usw., die denen in Abs. 1 genannten zum Verwechseln 18 ähnlich sind, ist gemäß Abs. 2 entsprechend Abs. 1 zu bestrafen. Zum Verwechseln ähnlich ist die Bezeichnung usw., wenn nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen Beobachters eine Verwechslung möglich ist.
e) Zum Schutz der Amtsbezeichnungen usw. der Kirchen und anderer Religions- 19 gesellschaften des öffentlichen Rechts vgl. Abs. 3. 3. Die Tat ist eigenhändiges Delikt. 20
MAIWALD B.T. 2, § 7 9 R d n . 12: Spezialität. - HERZBERG J u S 1 9 7 3 S. 2 3 6 ; LACKNER/KÜHL § 1 3 2 R d n .
7
10: Konsumtion. - RGSt 59 S. 295: Idealkonkurrenz. Dazu BGH GA 1966 S. 279; BayObLG NJW 1979 S. 2359; OLG Oldenburg JR 1984 S. 468; GEPPERT Jura 1986 S. 594; MEURER JR 1984 S. 473.
8 9
BGHSt 31 S. 61. - Zur Unterzeichnung einer Satire mit Dr.-Grad: LG Saarbrücken NJW 1996 S. 2665. BGH NJW 1990 S. 918. - Zum Führen einer Stellenbezeichnung, die einer Amtsbezeichnung zum Verwechseln ähnlich sein kann, unter Zufttgung des Zusatzes „a. D." vgl. OLG Dresden NJW 2000 S. 2515 mitAnm. OTTO JK 01, StGB § 132 a/1.
10
Dazu BGHSt 26 S. 267; KAHLE Der Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen Rechtsgut, Schutzzweck und Anwendungsbereich des § 132 StGB, 1995, S. 165.
11 12
Vgl. BayObLG NStZ-RR 1997 S. 135. Vgl. BGH NStZ 1994 S. 236 mit abl. Anm. ZIMMERLING S. 238 f. - Im einzelnen dazu OLG Düsseldorf NJW 2000 S. 1052.
479
§90
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§ 90 Gefährdung der Staatsgewalt 1. Bildung bewaffneter Gruppen, § 127 1 In erster Linie dient die Vorschrift der Sicherung der internen Staatsgewalt, daneben wird auch die Sicherung der Neutralität nach außen miterfasst.13 2 Drei Tatbestände sind zu unterscheiden: 3 a) Unbefugtes Bilden oder Befehligen einer Gruppe, die über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge verfügt, § 127 S. 1, 1. Alt. - Zu einer Gruppe gehören mindestens 3 Personen, zwischen denen aber nicht notwendig ein räumlicher Zusammenhang bestehen muss.14 - Andere gefährliche Werkzeuge sind Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen.^ Das setzt voraus, dass über einen eventuellen Einsatz zumindest bestimmte Vorstellungen bestehen. b) Der Anschluss an eine derartige Gruppe, § 127 S. 1, 2. Alt. c) Versorgung der Gruppe mit Waffen oder Geld oder sonstige Unterstützung, § 127 S. 1, 3. Alt. - Hier handelt es sich um einen Fall der zur Täterschaft verselbständigten Beihilfe. 2. Bildung krimineller Vereinigungen, § 129 4 Geschützt ist die staatliche Zwangsgewalt, die durch einen auf strafbare Handlungen gerichteten Zusammenschluss mehrerer Personen gefährdet ist16 a) Die Tathandlung 5 Bestraft wird gemäß Abs. 1 die Gründung oder die Beteiligung als Mitglied an einer auf strafbare Handlungen gerichteten Vereinigung sowie die Werbung für derartige Vereinigungen und ihre Unterstützung. 6 Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Vereinigung ein im räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes bestehender auf Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame (kriminelle) Zwecke verfolgen oder gemeinsame (kriminelle) Tätigkeiten entfalten und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen, i? - Zur Erfassung Organisierter Kriminalität ist dieser Begriff untauglich, da die dort agierenden Gruppen in der Regel hierarchisch aufgebaut sind.18
13
A . A . v . BUBNOFFLK, § 127 R d n . 2; LACKNER/KÜHL § 127 R d n . 1; SCH/SCH/LENCKNER § 127 R d n . 1:
Schutz des öffentlichen Friedens. 14 15
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 28; 13/9064, S. 9. Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 9.
16
A . A . B G H S t 4 1 S. 4 7 m i t A n m . GEPPERT J K 96, § 129/5, KREHL J R 1996 S. 2 0 8 f f , OSTENDORF J Z
17 18
480
1996 S. 55 f, SCHTITENHELM NStZ 1995 S. 343 f; BayObLG StV 1998 S. 266 (Voraussetzung erheblicher Gefahr); LACKNER/KÜHL § 129 Rdn. 1: Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. - RuDOLPHI Bruns-FS, S. 317; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 9, 28: Vorverlegung des Strafrechtsschutzes in das Vorbereitungsstadium. BGHSt 31 S. 204 f; 31 S. 239; BGH MDR 1991 S. 1182. Vgl. dazu SlEBER/BöGEL Logistik der Organisierten Kriminalität, 1993, S. 358. - Einen weiteren Spielraum entnimmt den Kriterien des BGH: SCHEIFF Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen (§ 129 StGB)?, 1997, S. 36 ff.
Gefährdung der Staatsgewalt
§90
Kriminell ist die Vereinigung, wenn sie nach dem Willen der führenden Funktionäre die 7 Begehung einer Mehrheit von Straftaten anstrebt oder verwirklicht. - Es genügt die öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111, wenn durch die Aufforderung nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit heraufbeschworen wird.1' Damit unterscheidet sich die kriminelle Vereinigung von der bloBen Mittäterschaft i.S. des § 25 Abs. 2 darin, dass diese nur die gemeinschaftliche Tatbegehung, d.h. ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken der Tatgenossen mit Täterwillen voraussetzt. Der Unterschied zur Bande liegt darin, dass bei dieser eine lose Zusammenfugung ohne besondere Organisationsform ausreicht.20 Darüber hinaus lässt die Rechtsprechung für die Bande schon zwei Mitglieder genügen; vgl. § 41 Rdn. 63. Von der Gruppe unterscheidet sich die Vereinigung durch die Zielsetzung und durch den Grad der Organisation.
Gründen erfordert führende Mitwirkung bei der Schaffung des Zusammenschlusses oder 8 der Umwandlung einer legalen Vereinigung in eine kriminelle. - Beteiligung als Mitglied setzt nicht formelle Mitgliedschaft, wohl aber auf Fortdauer gerichtete Teilnahme am Verbandsleben voraus.21 - Unterstützen ist die zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe eines Nichtmitglieds, die auf Fortbestand oder Verwirklichung der Ziele der Vereinigung gerichtet ist.22 - Werben ist die mit Mitteln der Propaganda betriebene Tätigkeit, die auf Weckung oder Stärkung der Bereitschaft Dritter zur Förderung einer bestimmten Vereinigung gerichtet ist.23 b) Der Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Strafbarkeit der Zwecke bzw. der Tätigkeit der 9 Vereinigung umfassen. c) Tatbestandsausschluss gemäß Abs. 2 Gemäß Abs. 2 ist Abs. 1 nicht anwendbar auf politische Parteien, die nicht vom BVerfG für verfassungswid- 1 0 rig erklärt sind und andere bestimmte, im Regelfall politische Vereinigungen, bei denen strafbare Handlungen, z.B. Abreißen von Plakaten, Beschmieren von Wänden u.ä., nur Nebenzweck der im übrigen verfolgten Tätigkeit sind. 24
d) Rechtfertigung Handlungen von Beschuldigten und Verteidigern, die sachlich die Voraussetzungen der 11 Tathandlungen erfüllen, sind dann gerechtfertigt, wenn sie sich in den Grenzen prozessual zulässiger Verteidigung halten.25
19
V g l . B G H N S t Z 2 0 0 0 S. 2 7 ; TRONDLE/RSCHER § 129 R d n . 6.
20
DazuBGHSt31 S. 205.
21 22
Dazu BGHSt 29 S. 114; BGH NStZ 1993 S. 37; BGH NJW 2001 S. 1734,1735. Dazu BGHSt 29 S. 99; 32 S. 243; BGH MDR 1987 S. 1039. - Einschr. Bornas JR 1985 S. 123; RUDOLPH Bruns-FS, S. 327.
23
Dazu BGHSt 28 S. 26 mit abl. Anm. RUDOLPHI JR 1979 S. 33 ff, REBMANN NStZ 1981 S. 457 ff; BGHSt 33 S. 16; BayObLG NStZ-RR 1996 S. 7.
24
Vgl. aber BGHSt 41 S. 47.
25
Dazu BGHSt 29 S. 99; BGHSt 31 S. 16, 19 mit Anm. GÖSSEL JR 1983 S. 118 ff; OLG Hamburg JZ 1 9 7 9 S. 2 7 5 m i t A n m . OSTENDORF S. 2 5 2 f f . - A . A . BOTTKE J A 1980 S. 4 4 8 ; GIEMULLA J A 1 9 8 0
S. 253 f; I. MÜLLER StV 1981 S. 97; MÜLLER-DLETZ JR 1981 S. 76 ff: Tatbestandsausschluss. Soweit
Äußerungen allerdings der Verteidigung dienen, wird ihnen der werbende Charakter fehlen. In diesem Falle sind sie nicht tatbestandsmäßig; vgl. BGH StV 1990 S. 200.
481
§91
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
e) Versuch 12 Der Versuch, eine kriminelle Vereinigung zu gründen, ist strafbar, Abs. 3. - Der Versuch beginnt mit jenen Handlungen, die unmittelbar darauf gerichtet sind, einen ZusammenSchluss von Personen zur Vereinigung herbeizuführen, d.h. die unmittelbare Gefahr begründen, die abstrakt gefährliche Situation entstehen zu lassen.26 f) Besonders schwere Fälle, Abs. 4 13 Abs. 4 nennt besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen: Rädelsführer und Hintermann; dazu § 84 Rdn. 8. g) Fakultatives Absehen von Strafe 14 Zum Absehen von Strafe und zur Tätige Reue vgl. Abs. 5,6. h) Konkurrenzen 15 Mehrere tatbestandsmäßige Handlungen als Mitglied einer Vereinigung bilden eine natürliche Handlungseinheit. Die einzelnen von der Vereinigung begangenen Taten und die Mitgliedschaft in der Vereinigung werden nach der Rechtsprechung durch § 129 zu einer Handlungseinheit verklammert, soweit nicht wegen des größeren Unwerts eines Aktes die Klammerwirkung entfällt.27 3. Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129 a 16 a) Abs. 1 enthält einen Qualifikationstatbestand gegenüber § 129 Abs. 1, soweit die Vereinigung auf die Begehung der in § 129 a Abs. 1 Nr. 1-3 genannten Straftaten gerichtet ist. 17 b) Abs. 2 qualifiziert den Tatbestand des Abs. 1 für Rädelsführer und Hintermänner - dazu § 84 Rdn. 8 - zu einem Verbrechen. 18 c) Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a Abs. 1 ist in Abs. 3 zur selbständigen Deliktsform erhoben worden; dazu Rdn. 8. - Vorausgesetzt wird eine bereits existierende Vereinigung.2» 19 d) Zum Absehen von Strafe und zur Tätigen Reue vgl. Abs. 4, 5. - Zur Nebenstrafe vgl. Abs. 6.
§ 91 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113,114 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Geschütztes Rechtsgut ist die rechtmäßig betätigte Vollstreckungsgewalt des Staates durch den Schutz der zu ihrer Ausführung berufenen Organe.29
26 27 28 29
im einzelnen dazu SCHEIFF Strafrechtsschutz, S. 171 ff, der zwar das Gefährdungsstadium als Kriterium ablehnt, die gefährliche Situation aber recht anschaulich in Beispielen erfaßt. Dazu BGHSt 29 S. 288 mit Anm. RIESS NStZ 1981 S. 74 f. Dazu BayObLG NJW 1998 S. 2542 mit Anm. RADTKE JR 1999 S. 84 ff. Vgl. v . BUBNOFF LK, § 113 Anm. 2; LACKNER/KÜHL § 113 Rdn. 1; PAEFFGEN NK, § 113 Rdn. 6; SCH/SCH/ESER § 113 Rdn. 2; TRÖNDLE/FISCHER § 113 Rdn. 1; WESSELS/HEITINGERB.T./1, Rdn. 620.
- Den Schutz der Person stellen in den Vordergrund: HORN SK n, § 113 Rdn. 2; ZLEUNSKI AK, § 113 Rdn. 4.
482
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
§91
2. Der geschützte Personenkreis a) Geschützt sind gemäß § 113 Abs. 1 inländische Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) sowie 2 Soldaten der Bundeswehr, denen die Verwirklichung des auf den Einzelfall konkretisierten Staatswillens, notfalls durch unmittelbaren Zwang, übertragen ist. Das sind z.B. Polizeibeamte (RGSt 54 S. 323); Gerichtsvollzieher (RGSt 41 S. 85); Vollstreckungsbeamte der Finanzämter (OLG Frankfurt NJW 1972 S. 268); Bahnpolizeibeamte (BGHSt 21 S. 334); Richter in Ausübung der Sitzungspolizei (RGSt 15 S. 227).
b) Gemäß § 114 Abs. 1 ist der geschützte Personenkreis darüber hinaus erweitert auf Per- 3 sonen, die - ohne Amtsträger zu sein - die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind. Das sind z.B. die bestätigten Jagdaufseher nach § 25 Abs. 2 BJagdG und können nach § 152 Abs. 2 GVG ernannte Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sein. Wird der Gedanke der Privilegierung des Widerstandes gegen hoheitliche Vollstreckungshandlungen konsequent realisiert, dann ist es angemessen, §§ 113, 114 auf Jagd- und Fischereiausübungsberechtigte nach Landesrecht, die das Recht zu hoheitlichen Vollstreckungshandlungen (z.B. Wegnahme von Wildereigerät) haben, ohne in der bezeichneten Pflichtenposition zu stehen, analog anzuwenden.30
c) Erfasst sind schließlich die von den Vollstreckungsbeamten zur Unterstützung bei der 4 Amts- oder Diensthandlung zugezogenen Hilfskräfte, § 114 Abs. 2. Beispiel: Schlosser, der für den Gerichtsvollzieher eine Tür öffnet, damit die Vollstreckung durchgeführt werden kann. - Zeugen bei einer Hausdurchsuchung gemäfi § 105 Abs. 2 StPO.
II. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 1. Die Diensthandlung Diensthandlung i.S. des § 113 ist eine Vollstreckungshandlung. Die Vollstreckungs- 5 handlung ist auf Verwirklichung des konkretisierten Willens des Staates zur Regelung eines bestimmten Falles gegenüber bestimmten Personen oder Sachen notfalls mit Gewalt gerichtete Bloße Überwachungs- und Ermittlungstätigkeiten, bei denen nicht einem bestimmten Verdacht nachgegangen wird, genügen nicht. VoUstreckungshandlungen: Durchsuchung; vorläufige Festnahme; Pfändung durch Gerichtsvollzieher; Durchführung allgemeiner Verkehrskontrollen; Ausweiskontrolle als Identifizierungsmaßnahme. Keine VoUstreckungshandlungen: Streifenfahrten von Polizeibeamten (OLG Zweibrücken NJW 1966 S. 1086); Streifengang von Soldaten im Kasemengelände (BGH GA 1983 S.411); Begleitung eines Demonstrationszugs (KG StV 1988 S. 437); Beobachtung einer Personengruppe (KG NStZ 1989 S. 121 mit Anm. GEPPERT JK 89, StGB § 113/1).
2. Die Tathandlung Tathandlung ist die gegen die Vollstreckungshandlung gerichtete Widerstandsleistung des 6 Täters mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt sowie durch einen tätlichen Angriff, a) Die Vollstreckungshandlung muss bereits begonnen haben oder unmittelbar be- 7 vorstehen. Sie darf noch nicht beendet sein. Die Vollstreckungshandlung beginnt mit der Vornahme der gegen die Person oder Sache gerichteten Handlung. - Unmittelbar bevor steht die Vollstreckungshandlung, wenn 30
Dazu SCH/SCH/ESER § 114 Rdn. 3.
31
BGHSt 25 S. 314. 483
§91
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
der Vollstreckungsbeamte in den „Kontaktbereich" des Betroffenen kommt. - Beendet ist die Vollstreckungshandlung, wenn zwischen dem Vollstreckungsbeamten und der Person oder Sache, gegen die sich die Vollstreckung richtet, eine räumliche Trennung eingetreten ist derart, dass auch für einen objektiven Beobachter erkennbar ist, dass der unmittelbare Kontakt zu der Person oder Sache nicht mehr besteht, weil der durch die Vollstrekkungshandlung begründete Interaktionsprozess zum Abschluss gekommen ist.32 8 b) Widerstand ist nur das aktiv gegen das Vollstreckungsorgan gerichtete Vorgehen, nicht bloße Verweigerung der Mitwirkung an einer gegen die eigene Person gerichteten Vollstreckungshandlung. Diese Tendenz ist bei der Definition des Begriffs der Gewalt LS. des § 113 zu berücksichtigen: Es ist die unmittelbar oder mittelbar gegen den Beamten gerichtete Kraftentfaltung, die sich derart auswirkt, dass dieser seine Amtshandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen.33 Die Widerstandsleistung muss sich im Zeitpunkt der Amtshandlung auswirken, sie kann schon vorher ins Werk gesetzt worden sein, wie z.B. beim Versperren des Zugangs durch Hindernisse o.ä. - Tätlicher Angriff ist jede in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf den Erfolg.34 Widerstandsleistung durch Gewalt, z.B.: Zufahren auf einen Beamten mit Kfz; Losfahren mit Kfz, auf dessen Trittbrett der Beamte steht, damit dieser herunterfällt; Strampeln und Festhalten, um Abtransport zu verhindern; Hinlegen vor Polizeifahrzeug, damit dieses nicht weiterfahren kann; Einschließen des Gerichtsvollziehers; Aussperren des Gerichtsvollziehers durch Veirammeln der Tür. Keine Widerstandsleistung: Der auf der Fahrbahn sitzende Demonstrant muss weggetragen werden; KfzFahrer beachtet das Haltezeichen eines Polizeibeamten nicht, ohne den Beamten zu gefährden.
3. Die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung 9 Die Vollstreckungshandlung, gegen die sich der Widerstand richtet, muss rechtmäßig sein. a) Dogmatische Einordnung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung 10 Innerhalb des Verbrechensaufbaus ist die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung ein pflichtbegrenzendes Merkmal. Die Pflicht, die Vollstreckungshandlung hinzunehmen, besteht nur gegenüber rechtmäßigen Vollstreckungshandlungen. Formell handelt es sich also um ein objektives pflichtbegrenzendes Merkmal außerhalb des Gesetzestatbestandes, das sachlich gleiche Funktionen hat wie ein Rechtfertigungsgrund, nämlich die Grenzen einer Rechtspflicht anzugeben. Insoweit ist es Metkmal des Unrechts-, nicht aber des Gesetzestatbestandes im engeren Sinne.35 b) Die inhaltliche Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung
32
Dazu eingehender BayObLG MDR 1988 S. 517; OTTO JR 1983 S. 73 f.
33
BGHSt 18 S. 135; OLG Hamm NStZ 1995 S. 547 mit Anm. GEPPERT JK 96, StGB § 113/2; OLG Düsseldorf VRS 92 (1997) S. 9 mit Anm. GEPPERT JK 97, StGB § 113/4. RGSt 59 S. 265.
34 35
Sachlich wie hier: v. BUBNOFF LK, § 113 Rdn. 23; DREHER Heinitz-FS, S. 221; DERS. JR 1984 S. 401 f f ; HERDEGEN B G H - F S , S. 2 0 2 ; HIRSCH K l u g - F S , B d . 2, S. 2 4 6 f f ; PAEFFGEN J Z 1979 S. 521; SCHOLZ
Dreher-FS, S. 482; TRÖNDLE/FLSCHER § 113 Rdn. 10. - Als „modifizierte objektive Bedingung der Strafbarkeit" interpretieren die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung: KG NJW 1972 S. 781; BOCKELMANN B.T./3, § 18 VI 2; HAFT B.T., S. 4; WESSELS/HETTINGER B.T./1, Rdn. 633. Diese Interpretation ist mit Abs. 4 nicht in Einklang zu bringen. - Als Tatbestandsmerkmal sehen die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung an: NAUCKE Dreher-FS, S. 472; SAX JZ 1976 S. 15 f, 430; SCH/SCH/ESER § 113 Rdn. 20. - Für Strafausschließungsgrund: BOTTKE JA 1980 S. 98; SCHMIDHÄUSERB.T., 22/24, 31.
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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
§91
aa) Die h.M. vertritt den sog. strafrechtlichen Rechtsmäßigkeitsbegriff. - Danach ist zu differenzieren: (1.) Vollzieht der Vollstreckungsbeamte unmittelbar ein materielles Gesetz, so ist allein entscheidend, ob er im Rahmen seiner örtlichen und sachlichen Zuständigkeit gehandelt, die wesentlichen Förmlichkeiten für den betreffenden Vollstreckungsakt beachtet und bei Ermessenshandlungen sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. (2.) Vollzieht der Vollstreckungsbeamte einen Staatsakt (Urteil, Beschluss oder Verfiigung) eines Gerichts oder den Verwaltungsakt einer Verwaltungsbehörde, so ist nur dessen rechtliche Wirksamkeit, nicht dessen materielle Rechtmäßigkeit zu fordern. Die Diensthandlung ist daher in der Regel nur dann rechtswidrig, wenn der Staatsakt nichtig oder nicht vollstreckbar ist. Ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der Diensthandlung, der nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht, schließt die Rechtmäßigkeit nicht aus, wohl aber ein Irrtum über die Grenzen der Amtsbefugnis. (3.) Handelt der Vollstreckungsbeamte auf Anordnung, so handelt er rechtmäßig, wenn er einen von einem örtlich oder sachlich zuständigen Vorgesetzten erteilten dienstlichen, nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehl im Vertrauen auf seine Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht. Der Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist dann i.S. des § 113 rechtmäßig, wenn der Vollstreckungsbeamte nicht oder nicht weiter zur Prüfung der Rechtmäßigkeit berechtigt oder verpflichtet ist; vgl. dazu § 56 BBG, § 11 SoldatenG, § 5 I WStrafG.36 bb) Die Gegenansicht geht zutreffend davon aus, dass die Bestimmung der Rechtswidrigkeit in § 113 sich am öffentlichen Recht orientieren muss. Danach sind bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit eines Vollstreckungsakts zwei Wertungsstufen zu unterscheiden: Die Beurteilung der Ermächtigungsgrundlage und die Beurteilung der sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen. Handelt es sich bei der Ermächtigungsgrundlage um eine zwar rechtswidrige aber vollstreckbare, so bietet sie der Vollstreckungshandlung eine hinreichende rechtliche Grundlage. Nur die nichtige Ermächtigungsgrundlage schlägt auf den Vollstreckungsakt durch mit der Folge seiner Rechtswidrigkeit. - Ist die Ermächtigungsgrundlage in diesem Sinne hinreichend, so kann sich aus der Verletzung von Vollstreckungsvorschriften jedoch die Rechtswidrigkeit des Vollstreckungsakts ergeben. Maßgeblich ist hier, ob der Akt nach Verwaltungsrecht rechtswidrig ist (Vollstreckbarkeitstheorie).37
36
Zur h.M. vgl. BGHSt 21 S. 334; 24 S. 130; BayObLG JR 1981 S. 28 mit abl. Anm. THIELE S. 30 f; KG StV 2001 S. 260 mit Anm. GEPPERT JK 01, StGB § 113/5; OLG Köln NJW 1975 S. 889; OLG Köln N S t Z 1986 S. 2 3 5 ; V. BUBNOFFLK, § 113 R d n . 2 5 f f ; GEPPERT J u r a 1989 S. 2 7 6 ; GÜNTHER N J W 1973 S. 3 0 9 f f ; HAFT B.T., S. 4 f; KÜPPER B . T . l , N § 3 Rdn. 4 5 f f ; LACKNER/KÜHL § 113 R d n . 8 f f ; NEU-
HEUSER Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln im Strafrecht, 1996, S. 196 ff, 207; TRÖNDLE/FISCHER § 113 Rdn. 11 ff; VITT ZStW 106 (1994) S. 581 ff; WESSELS/HETTINGER B.T./1, § 14 Rdn. 635 f. 37
Grundsätzlich ü b e r e i n s t i m m e n d : AMELÜNO JUS 1986 S. 3 3 6 f ; DERS. Z R P 1991 S. 143 f ; BACKES/ RANSIEK J u S 1989 S. 6 2 7 f f ; BENFER N S t Z 1985 S. 2 5 5 f ; OSTENDORF J Z 1989 S. 5 7 3 f; PAEFFGEN N K , § 113 R d n . 4 1 ; REINHART N J W 1997 S. 9 1 1 ; ROXIN P f e i f f e r - F S , S. 4 8 f f ; SCHÜNEMANN J A 1 9 7 2
S. 709 f, 775; THIELE JR 1975 S. 353 ff. - Zum Teil wird in der Literatur nur der nichtige Vollstreckungsakt als rechtswidrig i.S.d. § 113 angesehen (Wirksamkeitstheorie); vgl. z.B. KREY B.T. 1, Rdn. 511; W . MEYER N J W 1972 S. 1845 f f ; DERS. N J W 1973 S. 1074 f; WAGNER J u S 1975 S. 2 2 4 f f .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
HI. Der Irrtum des Widerstandleistenden 1. Irrtum bei rechtswidriger Vollstreckungshandlung 16 Ist die Vollstreckungshandlung nicht rechtmäßig, der Täter hält sie aber für rechtmäßig, so läge nach allgemeinen Grundsätzen - je nach Art des Irrtums - ein Wahndelikt oder ein Versuch vor. Dieser Versuch ist jedoch nicht strafbar, weil der Versuch der Widerstandsleistung gemäß § 113 nicht strafbar ist. Dies stellt Abs. 3 S. 2 noch einmal klar. KG GA 1975 S. 213: A schlug den rechtswidrig handelnden Gerichtsvollzieher nieder, ohne die Rechtswidrigkeit der gegen ihn gerichteten Handlung zu erkennen. KG: § 113 entfällt, § 113 Abs. 3 S. 2.
2. Irrtum bei rechtmäßiger Vollstreckungshandlung 17 Ist die Diensthandlung rechtmäßig, doch hält der Täter sie für rechtswidrig, so gilt abweichend von den allgemeinen Irrtumsgrundsätzen: 18 a) War der Irrtum vermeidbar, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder bei geringer Schuld von Strafe absehen, Abs. 4 S. 1. 19 b) War der Irrtum nicht vermeidbar und war es dem Täter nach den ihm bekannten Umständen nicht zumutbar, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nach § 113 nicht strafbar, Abs. 4 S. 2,1. Teil. 20 c) War der Irrtum nicht vermeidbar, dem Täter aber zuzumuten, Rechtsbehelfe statt des Widerstandes zu ergreifen, so ist die Strafe nur zu mildern, Abs. 4 S. 2, 2. Teil. Zumutbar ist der Rechtsweg in der Regel dann, wenn die Diensthandlung nicht zu einem später nicht wiedergutzumachenden Schaden führt.
IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 21 Abs. 2 enthält eine Strafschärfungsvorschrift mit zwei Regelbeispielen: 1. Mitführen einer Waffe, die bei der Tat Verwendung finden soll: dazu § 63 Rdn. 20. 2. Mit der konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - verbundene Gewalttätigkeit.
V. Das Verhältnis des § 113 zu § 240 22 Gegenüber § 240 ist § 113 ein privilegierter Tatbestand. Dies begründet eigenartige Konsequenzen: 23 1. Der Schutz des Vollstreckungsbeamten ist geringer als der, den der Bürger allgemein gegen Nötigung genießt. Der Hinweis auf den „affektähnlichen Zustand" des Betroffenen in der Vollstreckungssituation kann zwar als nachträgliche Rationalisierung einer im Ergebnis weitgehend als sachgerecht empfundenen Lösung akzeptiert werden, trifft den Grund der Regelung jedoch nicht, denn diese Regelung geht auf ein Versehen des Gesetzgebers des Jahres 1943 zurück.38
24 2. Wird der Vollstreckungsbeamte nicht durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt genötigt, sondern durch Drohung mit einem anderen empfindlichen Übel, z.B. der Androhung einer 38
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Dazu HIRSCH Klug-FS, Bd. 2, S. 236 ff. - Konsequent daher ZOPFS GA 2000 S. 542 f, der § 113 als eigenständiges Delikt interpretiert.
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Anzeige wegen einer dem Täter aus anderem Zusammenhang bekannten Straftat, so findet § 113 jedenfalls keine Anwendung. Geht man nun davon aus, § 113 sei eine abschließende Regelung des Widerstandes ge- 25 gen Vollstreckungsbeamte, so wäre dieses Verhalten straffrei.39 Ein derart weitgehender Ausschluss der Strafbarkeit von Nötigungen ist aber weder den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, noch als vernünftige Lösung der Nötigungsproblematik anzuerkennen. Da der in § 113 geregelte Fall nicht vorliegt, greift § 240 durch, doch gebietet es die Sachlage, § 113 Abs. 3,4 und den Strafrahmen des § 113 analog anzuwenden.4«
§ 92 Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die amtliche Verwahrungsgewalt des Staates. b) Täter kann jeder sein mit Ausnahme des Gefangenen selbst.
1
Der Gesetzgeber hat aus kriminalpolitischen Gründen - Wirkungslosigkeit der Norm in der psychischen Situation des Gefangenen - von einer Strafbarkeit des Gefangenen als Täter des Delikts abgesehen.
2. Gefangene und gleichgestellte Personen Gefangener ist, wem in Ausübung von Polizei- oder Strafgewalt die Freiheit rechts- 2 wirksam entzogen worden ist, so dass er sich in der Gewalt der zuständigen Behörden befindet. - Die Gefangenschaft beginnt mit der Begründung des Gewahrsams und endet mit dessen faktischer Aufhebung. Maßgeblich ist die formell ordnungsgemäße Ingewahrsamsnahme. Ob diese sich später als sachlich ungerechtfertigt erweist, ist unbeachtlich.41 Beispiele: Straf- und Untersuchungsgefangene; der von einem Strafverfolgungsorgan gemäß § 127 StPO Festgenommene; der in Zwangs- oder Ordnungshaft Befindliche; der Jugendairestant. Nicht dagegen: Der gem. § 81 a StPO zur Blutprobe Gebrachte (BayObLG NJW 1984 S. 1192); der gem. § 127 Abs. 1 StPO von einer Privatperson Festgenommene.
Vollzugslockerungen, wie z. B. offener Vollzug, § 10 Abs. 1 StVollzG, Freigang, § 11 3 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG, Ausgang, § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG oder Urlaub, § 13 Abs. 1 StVollzG, heben den Gefangenenstatus nicht auf.42 Gemäß § 120 Abs. 4 steht dem Gefangenen gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.
39
S o in der Tat ARZT/WEBER B. T „ § 45 Rdn. 25; BACKES/RANSIEK J u S 1989 S. 629; HORN S K II, § 113 R d n . 23; KÜPPER B . T . l , II § 3 R d n . 53; PAEFFGEN N K , § 113 R d n . 90; SCH/SCH/ESER § 113 R d n . 3, 4 3 , 4 5 , 6 8 ; ZOPFS G A 2 0 0 0 S. 539.
40
S o auch v . BUBNOFF L K , § 113 R d n . 65; EHLEN/MEURER N J W 1974 S. 1777; HIRSCH Klug-FS, Bd. 2, S. 2 4 2 f; LACKNER/KÜHL § 113 R d n . 26; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 7 0 R d n . 3; TRÖNDLE/FISCHER § 113 R d n . 1.
41
K G J R 1980 S. 513.
42
Vgl. B G H M D R 1991 S. 981; GEPPERT J K 92, StGB § 120/2; LACKNER/KÜHL § 120 R d n . 3; LAUBENTHAL J u S 1989 S. 830; RÖSSNER J Z 1984 S. 1067; TRÖNDLE/FISCHER § 120 R d n . 4. - A . A . v . BUBNOFF L K , § 120 R d n . 2 3 f f ; KUSCH N S t Z 1985 S. 387; SCH/SCH/ESER § 120 R d n . 6; ZIELINSKI S t V 1992 S. 228.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Beispiele: Sicherungsverwahrte; nach §§63, 64 Untergebrachte; nach § 126 a StPO einstweilig Untergebrachte; Fürsorgezöglinge.
3. Die Tathandlung 4 Der Tatbestand enthält drei Begehungsweisen: a) Die Befreiung eines Gefangenen. - Befreiung bedeutet Aufhebung der amtlichen Gewalt über den Gefangenen trotz bestehenden Haftrechts. Wird der Haftbefehl durch Täuschung beseitigt, so liegt keine Befreiung i.S. des Gesetzes vor.« 5 b) Das Verleiten zum Entweichen und das Fördern des Entweichens. Hier hat der Gesetzgeber zwei Begehungsformen zu einem selbständigen Delikt erhoben, die - gäbe es einen Tatbestand der strafbaren Selbstbefreiung - als Anstiftung und Beihilfe zu diesem Tatbestand strafbar wären. 6 c) Vollendet ist die Tat in allen drei Alternativen erst, wenn der Verwahrungsgewahrsam über den Gefangenen gebrochen ist und der Gefangene die Freiheit erlangt hat. 4. Teilnahme a) Teilnahme Dritter 7 Teilnahme an den verschiedenen Begehungsformen des Delikts ist nach den allgemeinen Regeln möglich, doch stellt sich hier ein Abgrenzungsproblem: 8 Da die Anstiftung eines Dritten zur Befreiung eines Gefangenen zugleich ein Fördern des Entweichens darstellt und z.B. auch die Hilfe eines Dritten beim Fördern der Gefangenenbefreiung durch einen anderen selbst wiederum Förderung dieser Gefangenenbefreiung ist, scheint hier die Anstiftung zur 1. Alternative (Befreiung) und auch die Hilfe oder Anstiftung zur 3. Alternative (Fördern) zugleich Täterschaft i.S. der 3. Alternative zu sein. - Diesen Effekt wollte der Gesetzgeber jedoch nicht erzielen. Leider ist aber eine inhaltliche Differenzierung der verschiedenen „Förderungshandlungen" kaum möglich. Es bleibt nur die formelle Abgrenzungsmöglichkeit: Die unmittelbaren Teilnahmehandlungen an der Befreiung des Gefangenen sind Täterhandlungen i.S. des § 120, nur mittelbare Teilnahmehandlungen gelten auch hier bloß als Teilnahme.44 Zur Verdeutlichung: A gibt dem Gefangenen G während der Sprechstunde einen Nachschlüssel, mit dem dieser aus dem Gefängnis entweicht. Den Schlüssel hat B nachgemacht, der wusste, wozu A ihn verwenden wollte. A war zur Tat durch C angestiftet worden. Ergebnis: G: straffrei. - A: § 120, 3. Alternative; A hat das Entweichen des G gefördert. - B: §§ 120, 3. Alternative, 27. - C: §§ 120, 3. Alternative, 26.
b) Teilnahme durch den Gefangenen selbst 9 aa) Nach der Rechtsprechung ist eine strafbare Teilnahme des Gefangenen (Beihilfe oder Anstiftung) an seiner eigenen Befreiung möglich, es sei denn, die Teilnahme dient der gegenseitigen Selbstbefreiung.4^ 10 bb) Konstruktiv ist gegen dieses Ergebnis nichts einzuwenden. - Sachlich befriedigt es jedoch nicht, da die täterschaftliche Selbstbefreiung mit Rücksicht auf die psychische Situation des Gefangenen straflos gelassen worden ist. Die psychische Situation des Ge43
Dazu auch KREY Jura 1979 S. 322.
4 4
Vgl. a u c h v . BUBNOFF L K , § 120 R d n . 31; SCH/SCH/ESER § 120 R d n . 11/12; TENCKHOFF/ARLOTH JUS 1985 S. 134. - A . A . LACKNER/KÜHL § 120 R d n . 8.
45
Dazu BGHSt 4 S. 400; 17 S. 369, 373.
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fangenen ist jedoch insoweit bei der Teilnahme identisch mit der bei der Täterschaft. Daher ist es angemessen, die Teilnahme auch hier straffrei zu lassen.** 5. Strafschärfung nach Abs. 2 Abs. 2 sieht eine Strafschärfung für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders 11 Verpflichtete vor, die gehalten sind, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern (unechtes Amtsdelikt).
n. Gefangenenmeuterei, § 121 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Vorschrift ist die amtliche Gewalt. Diese wird gegen den Bruch 12 eines Verwahrungsgewahrsams (Rechtsgut des § 120) und gegen die Beeinträchtigung ihrer rechtmäßigen Betätigung (Rechtsgut des § 113) geschützt. 2. Täter und Tathandlung a) Täter können nur Gefangene - dazu Rdn. 2 - und Sichemngsverwahrte sein (Abs. 4).
13
Außenstehende kommen als Teilnehmer in Betracht. Da die Eigenschaft als Gefangener oder Sicherungsverwahrter aber keine besondere PflichXenposition kennzeichnet, sondern nur die besondere Nähe und damit Gefährlichkeit der Betroffenen für das geschützte Rechtsgut erfasst, ist § 28 Abs. 1 nicht anwendbar,47
b) Tathandlung ist das Zusammenrotten, d.h. die räumliche Vereinigung von mindestens 14 zwei Gefangenen - auch bei Schuldunfahigkeit des einen -48, um mit vereinten Kräften, d.h. mit gegenseitiger - sei es auch nur psychischer - Unterstützung, die in Abs. 1 Nr. 1-3 beschriebenen Handlungen zu verwirklichen: Nr. 1: Nötigung oder tätlicher Angriff gegen bestimmte Personen. Nr. 2: Gewaltsamer Ausbrach, wobei Gewalt gegen Sachen (Aufbrechen von Zellentüren; Aufbrechen von Schränken, um Werkzeuge zum Ausbruch oder Zivilkleidung zu erlangen) genügt. Nr. 3: Gewaltsames Verhelfen zum Ausbrach. Hierbei handelt es sich um einen qualifizierten Fall des § 120 (Fördern des Entweichens). c) Vollendet ist das Delikt im Falle der Nr. 1 mit Eintritt des Nötigungserfolgs, in den Fäl- 15 len der Nr. 2 und Nr. 3, wenn der Ausbruch gelungen ist.49 3. Das Verhältnis der verschiedenen Begehungsweisen zueinander Die drei Alternativen sind verschiedene Tatmodalitäten eines Delikts.50
16
46
S o a u c h DEUBNER N J W 1 9 6 2 S. 2 2 6 0 f f ; HERZBERG T ä t e r s c h a f t u n d T e i l n a h m e , 1977, S. 136; KREY B . T . 1, R d n . 5 3 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T. 2, § 7 2 R d n . 13.
47
So auch BLAUTH „Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, 1968, S. 7 7 , 107; v . BUBNOFF L K , § 121 R d n . 10; LACKNER/KÜHL § 121 R d n . 2 . - A . A . TRÖNDLE/FISCHER § 2 8 Rdn. 5.
48
Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1999 S. 804.
49
BGH bei Daliinger, MDR 1975 S. 542.
50
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 121 R d n . 9 ; SCH/SCH/ESER § 121 R d n . 23. - A . A . TRÖNDLE/FISCHER § 121
Rdn. 16: Tateinheit.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
4. Strafschärfung, Abs. 3 17 Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen für besonders schwere Fälle: a) Nr. 1: Mitführen einer Schusswaffe; dazu § 41 Rdn. 50. b) Nr. 2: Mitführen einer Waffe, die bei der Tat verwendet werden soll; dazu vgl. oben § 63 Rdn. 20. c) Nr. 3: Mit der konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung verbundene Gewalttätigkeit; vgl. dazu § 46 Rdn. 35 f.
§ 93 Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt 1 a) Geschützt wird die staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen in dienstlichem (Abs. 1) oder kirchenamtlichem (Abs. 2) Verwahrungs- oder Aujbewahrungsbesitz in ihrem tatsächlichen Bestand und das Vertrauen in die staatliche Herrschaftsgewalt, nämlich das Vertrauen, dass Gegenstände, die sich kraft staatlicher Hoheitsrechte im Besitz des Staates befinden und denen der Staat seine Fürsorge in erkennbarer Weise zugewendet hat, auch ordnungsgemäß aufbewahrt werden.51 2 b) Angriffsobjekt kann jede bewegliche Sache sein, insbes. neben den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Schriftstücken auch vertretbare und verbrauchbare Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind. 3 Dienstlicher Verwahrungsbesitz, ist gegeben, wenn der Zweck der dienstlichen Verwahrung darin liegt, die Sache vor unbefugtem Zugriff zu bewahren und in ihrem Bestand in der Verfügungsgewalt des Hoheitsträgers zu erhalten, um einen über das bloße Funktionsinteresse der Behörde hinausgehenden Zweck sicherzustellen. Beispiele: Laufende oder in Staatsarchiven untergebrachte Behördenakten (BGHSt 3 S. 291); behördlich geführte Register (RGSt 67 S. 229); in Büchern zusammengeheftete Belege, die von der Behörde best. Zeit aufzubewahren sind (AG Koblenz wistra 1999 S. 397); beschlagnahmte Gegenstände; nach § 81 a StPO entnommene Blutprobe (BayObLG JZ 1988 S. 726); vom StA im Rahmen der dienstlichen Aufgaben entgegengenommene Schriftstücke, Beweismittel, Zahlungen, Schecks.52 Nicht in Verwahrungsbesitz sondern in bloßem Amtsbesitz befinden sich Sachen, die zum Ge- oder Verbrauch durch den Hoheitsträger bestimmt sind, z.B. sog. Überstücke von Anklageschriften, die zu Ausbildungszwecken genutzt werden sollen53, Führerscheinformulare oder andere Blankourkunden, die von der Behörde zur Anfertigung einer Urkunde benutzt werden sollen (BGHSt 33 S. 190). - Gleiches gilt von Sachen, deren Rückgabe nur gattungsmäßig geschuldet wird, sowie Sachen, deren Aufbewahrung unmittelbar Interessen der Öffentlichkeit dient, wie z.B. Gemälde und Bücher in Museen und Bibliotheken.
4 c) Dienstlich ist ein Gegenstand dann in Verwahrung genommen, wenn dem Empfanger dienstliche Herrschaftsgewalt übertragen wurde.
51 52
BGHSt 5 S. 159 f; 38 S. 385. BGHSt 38 S. 381, 386 mit Anm. BRAMMSEN NStZ 1993 S. 543 ff.
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O L G K ö l n J R 1980 S. 3 8 2 m i t A n m . RUDOLPHI S. 3 8 3 f, u n d OTTO J u S 1980 S. 4 9 0 f f .
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Verwahrungs-, Veistrickungs- und Siegelbruch
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2. Die Tathandlung a) Abs. 1 Zum Zerstören und Beschädigen vgl. § 47 Rdn. 5, 10. - Unbrauchbarmachen meint eine 5 Beeinträchtigung der Sache für ihre Funktion ohne Substanzverletzung. - Der dienstlichen Verfügung entzogen ist die Sache, wenn dem dienstlich Berechtigten der Zugriff auf die Sache unmöglich ist. Die Entziehung setzt ein Handeln gegen den Willen des Verwahrers voraus.54 Eine Ortsveränderung ist dazu nicht unbedingt erforderlich.55 b) Abs. 2 Abs. 2 stellt klar, dass auch die kirchenamtliche Verwahrung vom Tatbestand erfasst wird. 6 3. Qualifizierung, Abs. 3 Qualifiziert ist die Tat nach Abs. 3 für Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) und Personen i.S. 7 des § 11 Abs. 1 Nr. 4, sofern ihnen die Sache aufgrund dieser besonderen Eigenschaft anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist (unechtes Amtsdelikt). - Anvertraut als Amtsträger usw. ist dem Täter die Sache, wenn er aufgrund dienstlicher Anordnung Verfügungsmacht über sie hat und kraft seines Amtsverhältnisses verpflichtet ist, für ihre Erhaltung und Gebrauchsfähigkeit zu sorgen.
II. Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschützt ist die durch formell wirksame Beschlagnahme oder Siegelung begründete 8 staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen (bewegliche und unbewegliche). Forderungen fallen nicht unter den Schutz der Vorschrift.
Ob eine wirksame Verstrickung vorliegt, d.h. eine wirksame Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelung, richtet sich nach den Vorschriften, aufgrund derer der Akt erfolgt.56 b) Täter kann jeder sein, auch der Amtsträger, der die staatliche Herrschaftsgewalt be- 9 gründet hat, es sei denn, er kann noch über die Freigabe rechtswirksam entscheiden. 2. Die Tathandlung nach Abs. 1 (Verstrickungsbruch) Zerstören und Beschädigen: vgl. § 47 Rdn. 5. - Unbrauchbarmachen'. Rdn. 5, 10. - Der 10 Verstrickung entziehen heißt die Verfügungsgewalt der Behörde dauernd oder vorübergehend beseitigen. Ein obligatorischer Vertrag über die Sache entzieht die Sache selbst der Verstrickung noch nicht. - Eine nur unerhebliche Erschwerung der Pfändung ist nicht als tatbestandsmäßiger Verstrickungsbruch anzusehen.57
54 55
BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 719. Zu einem Grenzfall des Verbergens eines Objekts im Schreibtisch vgl. BGHSt 35 S. 340 mit Anm.
BRAMMSEN Jura 1989 S. 81 ff.
56
Dazu GEPPERTAVEAVER Jura 2000 S. 46 ff.
57
Dazu OLG Hamm NJW 1980 S. 2537; OstendorfGA 1982 S. 333 ff.
491
§93
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
3. Die Tathandlung nach Abs. 2 (Siegelbruch) 11 a) Angelegt ist das Siegel, wenn es mit einer Sache verbunden ist, sei es auch nur mit einer Stecknadel.58 - Siegel ist eine von einer Behörde oder einem Amtsträger herrührende Kennzeichnung mit Beglaubigungscharakter. - Siegel ausländischer Behörden sind dann relevant, wenn ihnen aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung innerstaatliche Wirkung beigelegt ist.59 12 b) Beschädigen: vgl. § 47 Rdn. 5; Ablösen bedeutet Beseitigung der Siegels. - Ein Unwirksammachen des Verschlusses liegt in der Missachtung der mit der Siegelung gebildeten dienstlichen Sperrung, z.B. im Betreten eines Raumes, dessen Tür versiegelt ist, nach Ausheben des Fensters. 4. Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, Abs. 3 13 Gemäß Abs. 3 ist die Tat nicht strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig war. a) Zur dogmatischen Einordnung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung: § 91 Rdn. 10. 14 b) Bei der inhaltlichen Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung stellt die h.M. entsprechend den Überlegungen zu § 113 Abs. 3 auf den „strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff' ab; dazu § 91 Rdn. 11. 5. Der subjektive Tatbestand 15 Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Tatumstände nach Abs. 1 bzw. Abs. 2 umfassen. 6. Der Irrtum des Täters 16 a) Geht der Täter davon aus, dass die Verstrickung überhaupt nicht erfolgt oder erloschen ist, so irrt er über das Vorliegen der staatlichen Herrschaftsgewalt und handelt in einem Tatbestandsirrtum i.S. des § 16.«) 17 b) Der Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ist nach § 16 Abs. 4 in Verb, mit § 113 Abs. 4 zu bewerten; vgl. dazu § 91 Rdn. 21. 7. Konkurrenzen 18 Zwischen § 136 Abs. 1 und Abs. 2 ist Idealkonkunenz möglich.«» - Dient die Entfernung des Siegels aber nur der Verdeckung eines Verstrickungsbruchs, so konsumiert Abs. 1 den Abs. 2.62
58 59
BGH bei Dallinger, MDR 1952 S. 658. Vgl. BGH NStZ 1996 S. 229 (Portugiesische Zollplombe); KREHL NJW 1992 S. 604 ff.
60
S o a u c h GEPPERT J u r a 1 9 8 7 S. 4 1 ; LACKNER/KÜHL § 136 R d n . 8; NIEMEYER J Z 1976 S. 3 1 6 . - A . A . D .
61
D a z u KREY B . T . 1, R d n . 5 5 1 ; LACKNER/KÜHL § 136 R d n . 9; TRÖNDLE/FISCHER § 136 R d n . 12. - A . A .
MEYER JuS 1971 S. 643 f: Verbotsirrtum.
BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 129; RUDOLPHI SK n, § 136 R d n . 31; SCHMIDHÄUSERB.T., 2 2 / 1 6 : Subsidiarität.
62
492
Dazu D. MEYER JUS 1971 S. 646.
Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch
§93
III. Zur Einübung Fall: Durch Vorlage eines gefälschten Schuldscheins über eine Schuld von DM 1000,- hat B ein vollstreckbares Urteil gegen den Rechtsreferendar A erwirkt. B betreibt die Vollstreckung aus diesem Urteil. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt A seine Schmucksachen im Keller. Als der Gerichtsvollzieher nunmehr weiter nichts findet, pfändet er die juristische Bibliothek des A. Sobald der Gerichtsvollzieher gegangen ist, entfernt A die Pfandmarken und verkauft die Bücher, damit B sie nicht versteigern lassen kann. Hat A sich strafbar gemacht? Lösungsskizze: 1. Vergraben des Schmuckes: a) Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288: hegt nicht vor. - Dem A droht die Zwangsvollstreckung, doch B ist nicht Gläubiger i.S. des § 288, da er keinen materiell-rechtlich wirksamen Anspruch gegen A hat. b) Betrug, § 263: entfallt, da es auf jeden Fall an einem Schaden des B fehlt. 2. Entfernen der Marken a) § 136 Abs. 2: liegt vor. Pfändungsmarke war dienstliches Siegel, das angelegt war, um die Bücher in Beschlag zu nehmen (Pfändung). Das Siegel hat A abgelöst. Er handelte bewusst und gewollt. § 136 Abs. 3 schließt die Rechtswidrigkeit nicht aus: Zwar waren die Bücher unpfändbar (§811 Nr. 10 ZPO), damit war die Pfändung anfechtbar, aber nicht nichtig. b) Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1: entfällt, da dem A die Absicht fehlte, den B zu schädigen. c) Sachbeschädigung, § 303: Tatbestand hegt vor, doch § 136 lex specialis. d) Verwahrungsbruch, § 133: entfällt, da Gerichtsvollzieher die Bücher nicht in Besitz genommen hat. e) Pfandkehr, § 289: entfällt; nach h.M. fallt das Pfändungspfandrecht nicht unter § 289, doch kann dies dahinstehen, da § 289 das Bestehen eines wirksamen materiellen Anspruchs, auf dem das Pfandrecht beruht, voraussetzt. 3. Verkauf der Bücher: a) Betrug, § 263: entfällt. Durch Vertragsschluss noch kein Schaden, im übrigen würde der gutgläubige Käufer lastenfrei erwerben. b) § 136 Abs. 1: entfällt, da der Verkauf allein die Sache der Verstrickung noch nicht entzieht. 4. Ergebnis: A ist strafbar gemäß §136 Abs. 2.
493
§94
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Dritter Abschnitt Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen § 94 Gefährdung öffentlicher Interessen 1. Verletzung des Dienstgeheimnisses, § 353 b 1 Geschützt werden wichtige öffentliche Interessen vor Gefährdungen durch Verletzung der Amtsverschwiegenheit oder besonders auferlegter Geheimhaltungspflichten. Damit kommen nur solche Geheimnisse in Betracht, die sich nach Inhalt und Gegenstand auf wichtige öffentliche Interessen beziehen. Dass durch Verletzung der Verschwiegenheitspflicht das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung erschüttert wird, genügt nicht.1 a) Abs. 1 2 aa) Täter können nur Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2), für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§11 Abs. 1 Nr. 4), Personen mit Aufgaben im Personalvertretungsrecht und gemäß § 48 Abs. 1, 2 WStG Soldaten sein. - Die Tat ist ein echtes Amtsdelikt. 3 bb) Dienstgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zugänglich sind und ihrer Natur nach oder aufgrund einer Rechtsvorschrift oder besonderen Anordnung der Geheimhaltung bedürfen. Beispiele: Prüfungsaufgaben (RGSt 74 S. 110; BGHSt 11 S. 401); dienstliche Beurteilungen (BGHSt 10 S. 108); Ermittlungsverfahren (BGHSt 10 S. 276); polizeiliche Erkenntnisse2; Codewort für Halterabfragen beim Kraftfahrtbundesamt3; Auskunft, dass keine Eintragung im polizeilichen Register vorhanden ist (BGH NStZ 2001 S. 372).
4 cc) Tathandlung ist das Offenbaren eines Geheimnisses, das dem Täter im inneren Zusammenhang mit der Ausübung seines Dienstes bekannt geworden ist. - Zum Offenbaren vgl. § 34 Rdn. 33. Die Offenbarung muss eine konkrete Gefahr für öffentliche Interessen begründet haben.4 5 dd) Subjektive Voraussetzungen: Bestraft wird die vorsätzliche Offenbarung und vorsätzliche Gefährdung gemäß Abs. 1 S. 1 und die vorsätzliche Offenbarung, die mit einer fahrlässigen Gefährdung verbunden ist, gemäß Abs. 1 S. 2. 6 ee) Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i.S. von rechtswidrig. Unbefugt ist die Offenbarung, die nicht gerechtfertigt ist. Eine Rechtfertigung kann sich z.B. aus § 61 BBG, § 54 StPO, § 376 StPO, § 28 Abs. 2 BVerfGG ergeben. Die Einwilligung des Betroffenen in die Offenbarung eines Privatgeheimnisses rechtfertigt die Tat, selbst wenn öffentliche Interessen verletzt werden, da der Tatbestand nur die öffentlichen Interessen gegen Verletzung durch unbefugte Offenbarung eines Geheimnisses schützt, jedoch die Verfügung über das Geheimnis nicht beschränkt.5
1
Vgl. ARZT/WEBER B.T., § 4 9 R d n . 101; HOYER S K n , § 3 5 3 b R d n . 8; KUHLEN N K , § 3 5 3 b R d n . 2 5 ; SCH/SCH/PERRON § 3 5 3 b R d n . 6 ; SCHUMANN N S t Z 1985 S. 170. - A . A . B G H N S t Z 2 0 0 0 S . 5 9 6 ; B a y
ObLG NStZ 1999 S. 568 mit Anm. BEHM A f P 2000 S. 41 ff, OTTO JK 00, StGB § 353 h/1; TRÄGER LK, 10. Aufl., § 353 b Rdn. 26; TRÖNDLE/FISCHER § 353 b Rdn. 13.
2
OLG Köln NJW 1988 S. 2489; OLG Düsseldorf NStZ 1989 S. 324.
3
OLG Zweibrücken JR 1991 S. 292 mit Anm. KELLER S. 293 f.
4
Dazu OLG Zweibrücken JR 1991 S. 293 m.w.N.
5
V g l . a u c h HOYER S K n, § 3 5 3 b R d n . 15. - A . A . h.M. vgl. z.B. LACKNER/KÜHL § 3 5 3 b R d n . 13; SCH/SCH/PERRON § 3 5 3 b R d n . 21.
494
Gefährdung öffentlicher Interessen
§94
ff) Die Strafverfolgung setzt die Ermächtigung der zuständigen Behörde voraus, Abs. 4. b) Abs. 2 aa) Täter können nur besonders verpflichtete Personen nach Nr. 1 und 2 sein. Die Verpflichtung bedarf einer außerstrafrechtlichen Rechtsgundlage oder der Vereinbarung zwischen den Beteiligten. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt. Die Tathandlung nach Abs. 2 setzt Gegenstände und Nachrichten voraus, das sind alle tatsächlichen Vorgänge und Zustände, alle körperlichen Gegenstände und alle gedanklichen Sachverhalte sowie Nachrichten darüber, zu deren Geheimhaltung der Täter verpflichtet ist. bb) Zum Begriff: an einen anderen gelangen lassen vgl. § 85 Rdn. 9. - Zur öffentlichen Bekanntmachung vgl. § 89 Rdn. 2. Auch hier muss die Tathandlung zu einer konkreten Gefahr für wichtige öffentliche Interessen geführt haben. cc) Strafbar ist nur die vorsätzliche Tatbegehung. dd) Zum Merkmal unbefugt vgl. Rdn. 6. ee) Strafveifolgungsvoraussetzung ist die Ermächtigung durch die zuständige Behörde, Abs. 4.
7 8
9 10 11 12
2. Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst, § 353 a Die Vorschrift, die diplomatischen Ungehorsam und diplomatische Falschberichte straf- 13 rechtlich erfasst,6 ist systematisch nur schwer anderen Bestimmungen zuzuordnen. Die Weite des Begriffs „wichtige öffentliche Interessen" ermöglicht ihre Einordnung an dieser Stelle, denn durch die Tathandlung können durchaus wichtige öffentliche Interessen der Bundesrepublik im diplomatischen Verkehr gefährdet werden. a) Täter kann nur ein diplomatischer Vertreter der Bundesrepublik Deutschland sein. b) Der Falschbericht muss Tatsachen betreffen. c) Die Tat erfordert Vorsatz. Dieser muss beim Falschbericht mit der Absicht (zielgerichtetes Wollen) der Irreleitung verbunden sein.
6
Im einzelnen dazu HEINRICH ZStW 110 (1998) S. 327 ff.
495
§95
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Vierter Abschnitt Delikte gegen die Rechtspflege § 95 Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Geschütztes Rechtsgut ist die Funktionsfähigkeit der inländischen staatlichen Rechtspflege-, dass daneben auch Interessen des unmittelbar Betroffenen geschützt werden, ändert die Schutzrichtung des Delikts nicht.1 2. Einzelheiten des Tatbestandes 2 a) Abs. 1 3 Der Tatbestand des Abs. 1 setzt voraus, dass jemand einen bestimmten anderen bei einer Behörde (dazu § 11 Abs. 1 Nr. 7), einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger (Polizeibeamter, Staatsanwalt), einem militärischen Vorgesetzten oder öffentlich (dazu oben § 62 Rdn. 4) einer rechtswidrigen Tat oder einer Dienstpflichtverletzung verdächtigt. Die Person, die verdächtigt wird, muss so weit bestimmt sein, dass ihre Identifizierung möglich ist. Anzeige gegen Unbekannt, Hinweis auf den „großen Unbekannten" usw. genügen nicht. 4 Verdächtigen heißt, einen Verdacht gegen eine bestimmte Person begründen, auf diese umlenken oder einen bestehenden Verdacht verstärken, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffung bestimmter Indizien, insbes. durch die Manipulation von Beweismaterial.2 Bloßes Leugnen der Täterschaft, durch das automatisch der Tatverdacht auf einen anderen fällt, ist kein Verdächtigen im Sinne des Gesetzes, da der Leugnende keine Verdacht gegen einen Dritten begründende Tatsache behauptet.3 - Im Gegensatz zum bloßen Leugnen eigener Tatbeteiligung beeinflusst das ausdrückliche Bezichtigen eines Dritten das Verdachtsurteil gegen diesen und erweitert die Tatsachengrundlage für die Herbeiführung eines behördlichen Verfahrens.4
5 Rechtswidrige Tat in diesem Sinne ist nur eine strafbare, verfolgbare Tat. Dies folgt aus dem Sinn des Tatbestandes, die Rechtspflege vor unnützer Inanspruchnahme zu schützen. 1
Vgl. GEERDS Jura 1985 S. 617 f; LANGER Die falsche Verdächtigung, 1973, S. 64 f; RUDOLPHI SK Ü,
§ 164 Rdn. 1. - Für den Schutz der staatlichen Rechtspflege sowie des Einzelnen gegen unbegründete Zwangsmaßnahmen: BGHSt 9 S. 240; GEILEN Jura 1984 S. 251; KREY B. T. 1, Rdn. 589 f; LACKNER/KÜHL § 164 R d n . 1; RUB L K , § 164 R d n . 2; WESSELS/HETTINGER B . T./1, R d n . 6 8 6 f f . - A l -
lein für den Schutz des individuellen Interesses: HIRSCH Schröder-GedS, S. 307 ff; SCHMDHÄUSER B.T., 6/6; VORMBAUM Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 449 f. 2
V g l . KREY B . T . 1, R d n . 5 9 2 ; RUDOLPHI S K N, § 164 R d n . 7; RUB L K , § 164 R d n . 5; SCH/SCH/LENCKNER § 164 R d n . 8; WELP JUS 1 9 6 7 S. 5 1 0 . - A . A . LANGER L a c k n e r - F S , S . 5 4 2 ; VORMBAUM N K , § 164 R d n . 21.
3
Vgl. LANGER Lackner-FS, S. 541 ff, 560; RUB LK, § 164 Rdn. 6.
4
Eingehend dazu LANGER Lackner-FS, S. 564 ff. - A.A. BayObLG JZ 1985 S. 753 mit Anm. FAHRENHORST J u S 1987 S. 7 0 7 f, GEPPERT J K , S t G B § 164/1, KELLER J R 1 9 8 6 S. 3 0 f, LANGER J Z 1987
S. 804 ff; OLG Düsseldorf NJW 1992 S. 1119 mit Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 164/3, MITSCH JZ 1992 S. 979 f; OLG Frankfurt DAR 1999 S. 225 mit Anm. GEPPERT JK 99, StGB § 164/4; RUß LK, § 164 Rdn. 6 m. N. - Differenzierend VORMBAUM NK, § 164 Rdn. 28.
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Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat
§95
Die Schilderung eines Sachverhalts, der nicht zur Einleitung eines behördlichen Verfahrens geeignet ist - mit der Straftat wird z.B. zugleich ein entschuldigender Sachverhalt geschildert wird vom Tatbestand nicht erfasst,s wohl aber die Schilderung eines tatbestandsmäßigen Sachverhalts unter Verschweigen der rechtfertigenden Umstände.6 Gleichermaßen muss die Verletzung der Dienstpflicht disziplinarisch ahndbar sein. Die Verdächtigung muss unwahr sein. Entscheidend ist, ob die vom Täter behaupteten 6 Tatsachen oder Verdachtsgründe der Realität entsprechen. Dabei kommt es auf den Kern der Verdächtigung an. Bloßes Ausschmücken des wahren Kerns ist noch nicht tatbestandsmäßig, wohl aber das unwahre Vorbringen qualifizierender Merkmale o.ä. Der Kern der Verdächtigung ist auch dann unwahr, wenn die behaupteten Tatsachen wahr sind, der Täter jedoch weiß, dass der Verdacht, auf den sie hinweisen, unbegründet ist, so z.B. wenn A, der das Haus der B angesteckt hat, bei der Polizei wahrheitsgemäß erzählt, der X habe vor einigen Tagen geäußert, dem B gehöre der rote Hahn aufs Dach gesetzt.
Ob sich der Verdacht später als richtig erweist, ist irrelevant, wenn der Täter falsche Be- 7 hauptungen aufgestellt oder falsche Indizien begründet hat. Die Tat kann sich daher gegen einen Unschuldigen oder auch gegen einen Schuldigen, der mit falschen Angaben verdächtigt wird, richten.? Subjektiv ist erforderlich, dass der Täter die Unwahrheit der Verdächtigung positiv 8 kennt (wider besseres Wissen) und die Absicht hat, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Verdächtigten herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. b) Abs. 2 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf das Aufstellen von Behauptungen tatsächlicher Art, 9 die geeignet sind, ein behördliches Verfahren oder eine andere behördliche Maßnahme gegen den Verdächtigten herbeizuführen. Beispiele: Sicherungsverfahren; Bußgeldverfahren; Verfahren zur Entziehung der Fahr- oder Gewerbeerlaubnis oder des Sorgerechts.
c) Tatvollendung und Rücktritt Vollendet ist die Tat, wenn die Verdächtigung der Behörde oder Stelle zugegangen oder 10 wenn die Vernehmung, in der die Verdächtigung geäußert wurde, abgeschlossen ist. Eine spätere Berichtigung ist kein Rücktritt i.S. des § 24, da das Delikt vollendet ist. Ist aber die behördliche Maßnahme noch nicht eingeleitet worden, so kommt eine analoge Anwendung des § 158 in Betracht.8 d) Abs. 1 ist gegenüber Abs. 2 lex specialis. 11
5 6
Dazu GEILEN Jura 1984 S. 257; LANGER Verdächtigung, S. 16. Dazu OLG Brandenburg NJW 1997 S. 141; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 S. 37.
1
V g l . DEUTSCHER J u S 1 9 8 8 S. 5 2 6 f f ; GEERDS J u r a 1985 S. 6 2 0 ; KÜPER B . T . , S. 3 2 1 ; LACKNER/KÜHL § 164 R d n . 7; LANGER T r ö n d l e - F S , S. 2 7 8 f f ; OTTO J u r a 2 0 0 0 S. 2 1 7 f; R u ß L K , § 164 R d n . 10; SCHMIDHÄUSER B . T . , 6 / 8 ; SCH/SCH/LENCKNER § 164 R d n . 16, 30. - A . A . B G H S t 3 5 S. 5 0 m i t abl. A n m . DEUTSCHER JUS 1988 S. 5 2 6 f f , FEZER N S t Z 1 9 8 8 S. 177 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T. 2, § 99 Rdn. 14; SCHILLING Armin Kaufmann-GedS, S. 595 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 164 Rdn. 6. 8
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 164 R d n 10; SCH/SCH/LENCKNER § 164 R d n . 3 5 ; VORMBAUM N K , § 164 R d n . 73. - A . A . RUDOLPH S K n , § 164 R d n . 36.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§95
II. Vortäuschen einer Straftat, § 145 d 1. Das geschützte Rechtsgut 12 Die Vorschrift schützt die Rechtspflege (Abs. 1 Nr. 1, 2 Nr. 1) und die präventiv polizeilich tätigen Organe des Staates (Abs. 1 Nr. 2, 2 Nr. 2) gegen unberechtigte Inanspruchnahme des inländischen staatlichen Verfolgungsapparates.9 2. Die Tathandlung 13 a) Gemäß Abs. 1 wird bestraft, wer einer Behörde oder einer zu Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht, dass eine rechtswidrige Tat begangen wurde (Nr. 1) oder die Verwirklichung einer der in § 126 Abs. 1 genannten Taten bevorstehe (Nr. 2). Als zuständige Stellen ohne Behördencharakter sind - soweit man hier nicht schon eine Behörde annimmt die einzelnen nach § 158 StPO zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten anzusehen, im übrigen kommen parlamentarische Untersuchungsausschüsse als derartige Stellen in Betracht. Nach dem Gesetzeswortlaut - „rechtswidrige Tat" - genügt eine tatbestandsmäBig rechtswidrige Tat (auch Versuch und Teilnahme). Der Tatbestand ist aber restriktiv auszulegen. Daher entfallt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens, wenn der Täter einen Sachverhalt vortäuscht, der keine Tätigkeit des Rechtspflegeorgans auslöst, z.B. Vortäuschung einer Tat im entschuldigenden Notstand. - Auch erfasst der Tatbestand nicht die Schilderung einer rechtswidrigen Tat, wobei ein entschuldigender oder ein ein Verfahrenshindernis begründender Sachverhalt verschwiegen wird.10
14 aa) Vortäuschen ist das Erregen oder Verstärken eines Verdachts, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffen einer verdachtserregenden Beweislage. Der Verdacht muss falsch sein. Erweist er sich hinterher als richtig, so ist - im Gegensatz zu § 164 - der Tatbestand auch dann nicht erfüllt, wenn der Täter zum Beweis der Tat unrichtige Behauptungen aufgestellt hat, weil die Inanspruchnahme der Behörde nicht überflüssig war. Die Vortäuschung muss geeignet sein, das behördliche Einschreiten auszulösen. Ob sie Erfolg hat, ist unerheblich, daher ist auch die verfahrensfehlerhafte Äußerung grundsätzlich geeignet.11 - Maßgeblich ist, dass eine rechtswidrige Tat begangen worden ist. Problematisch ist, ob „Täuschungen mit Wahrheitskern", z.B. Übertreibungen, den Tatbestand erfüllen. Die Rechtsprechung versucht diese Problematik wertend danach zu entscheiden, ob die Täuschungen mit erheblicher Mehrarbeit für die Behörden verbunden sind oder nicht.12 Ia der Literatur werden z.T. formale Kriterien genannt, z.B. der Übergang vom Vergehen zum Verbrechen13 oder vom Privatklage- bzw. Antragsdelikt zum Offizialdelikt14, z.T. wird darauf abgestellt, ob das geschilderte Geschehen tatsächlich eine rechtswidrige Tat enthalte. Treffe dieses zu, so entfalle der Tatbestand, da die Behörden insoweit zur umfas9
Vgl. BGH NStZ 1984 S. 360; OLG Düsseldorf JR 1983 S. 75 mit Anm. BOTTKE S. 76; RUß LK, § 145 d Rdn. 1, SCHILD NK, § 145 d Rdn. 4; SAAL Die Vortäuschung einer Straftat (§ 145 d StGB) als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1997,97 ff.
10
Vgl. LACKNER/KÜHL § 145 d Rdn. 4; RUDOLPm SK n , § 145 d Rdn. 7; RUß LK, § 145 d Rdn. 9; SCHILD NK, § 145 d Rdn. 10. - A.A. SAAL Vortäuschung S. 137 ff, 146.
11 12
Vgl. GEPPERT JK 96, StGB § 145 d/7. - A.A. OLG Hamburg StV 1995 S. 588. Vgl. OLG Hamm NStZ 1987 S. 578 (Vollendung, statt Versuch); BayObLG NJW 1988 S. 83 (Schadensumfang); OLG Karlsruhe MDR 1992 S. 1166 (vollendete Körperverletzung bei einem Mordversuch).
13
KRÜMPELMANN ZStW 96 (1984) S. 1071 ff.
14
STREE NStZ 1987 S. 559 f.
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Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat
§95
senden Aufklärung verpflichtet seien.15 - Diese Ansicht verdient den Vorzug, da sie präzis auf die strafrechtlich relevante Mehrarbeit abstellt. Dass der Täter sich selbst als Täter der rechtswidrigen Tat bezichtigt, steht seiner Strafbarkeit nicht entgegen. Geht die Täuschung des Täters aber dahin, eine wirklich begangene Tat zu vertuschen, d.h. darüber zu täuschen, dass gar keine Tat begangen worden ist, so liegt nach Sinn und Zweck des § 145 d der Tatbestand nicht vor. Dieser Täter will der Rechtspflege Arbeit ersparen, sie aber nicht unnötig belasten! Daher handelt nicht tatbestandsmäßig, wer über den Täter täuscht, wenn die Tat in der Person des angeblichen Täters keine Straftat wäre.1® bb) Der subjektive Tatbestand verlangt ein Handeln wider besseres Wissen, d.h. mit dolus directus bzgl. des täuschenden Verhaltens. b) Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit aus auf Täter, die die in Abs. 1 bezeichneten Stellen über die Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat oder an einer bevorstehenden Tat gemäß § 126 Abs. 1 zu täuschen suchen. Eine Täuschung liegt vor, wenn der Tatverdacht auf Unbeteiligte gelenkt werden soll. Eine Strafanzeige gegen Unbekannt genügt daher.17 - Bloßes Leugnen, die Tat selbst nicht begangen zu haben, genügt aber nicht, selbst dann nicht, wenn dadurch der Verdacht auf einen anderen fällt, der aber nicht vom Täter benannt worden ist, sonst würde der Täter mit einer dem deutschen Strafprozess fremden Wahrheitspflicht belastet werden; im einzelnen dazu Rdn. 4. aa) Auch die bloße Entlastung des wirklichen Täters oder die Ablenkung des Tatverdachts von einem Tatbeteiligten, z.B. durch ein falsches Alibi, erfüllt den Tatbestand, denn im Gegensatz zu Abs. 1, wo beim Fehlen einer rechtswidrigen Tat keine weiteren Ermittlungen nötig werden, macht ein derartiges Verhalten dann, wenn feststeht, dass die Tat begangen worden ist, den Strafverfolgungsbehörden erhebliche, unnütze Arbeit.18 bb) Streitig ist, ob in Fällen der Nr. 2 die Tat wirklich begangen worden sein muss oder ob es genügt, dass der Täter aufgrund eines Irrtums davon ausgeht, dass eine Tat begangen worden ist. Die h.M. lässt es unter Berufung auf den Zweck der Vorschrift - Ersparnis unnützer Aufklärungsarbeit - genügen, dass der Täter beim Vorliegen konkreter Verdachtsgründe die Tatbegehung irrig annimmt. - Das erscheint nicht überzeugend, denn solange noch zu klären ist, ob überhaupt eine Tat vorliegt, erscheint dieses Verhalten nur strafwürdig, soweit Abs. 1 erfüllt ist. Weiß die Behörde überdies im Gegensatz zum Täter, dass keine rechtswidrige Tat begangen worden ist oder eine Tat i.S. des § 126 Abs. 1 nicht geplant ist, so bewirkt die Anzeige keine Mehrarbeit.19 15
V g l . GEPPERT J u r a 2 0 0 0 S. 3 8 5 ; RUDOLPH S K D, § 145 d R d n . 9 a - c.
16
BGHSt 19 S. 305; OLG Celle JR 1981 S. 34 mit Anm. GEERDS S. 35 ff; LG Dresden NJW 1998 S. 2544.
17
BGHSt 6 S. 255; LACKNER/KÜHL § 145 d Rdn. 7. - A.A. FEZER Stree/Wessels-FS, S. 674.
18
V g l . ARZT/WEBER B . T „ § 4 8 R d n . 2 7 ; GEPPERT J u r a 2 0 0 0 S. 3 8 7 ; SAAL V o r t ä u s c h u n g , S . 189 f f ; TRÖNDLE/FISCHER § 145 d R d n . 8. - A . A . B a y O b L G J R 1 9 8 5 S . 2 9 4 m i t A n m . KÜHL S . 2 9 6 f f , u n d abl. OTTO J K , S t G B § 145 d / 3 ; K G J R 1 9 8 9 S. 26; RUDOLPHI S K II, § 145 d R d n . 14; STREE L a c k n e r - F S , S. 5 2 7 ff.
19
So auch OLG Hamburg MDR 1949 S. 309 mit Anm. HÜNEMÖRDER S. 309 f; OLG Frankfurt NJW 1975 S. 1896; KG JR 1989 S. 26; KREY B.T.l, Rdn. 607; KRÜMPELMANN ZStW 96 (1984) S. 999 ff; SCHMIDHÄUSER B . T . , 2 3 / 5 ; RENGIER B . T . n , § 5 1 R d n . 8; TRÖNDLE/FISCHER § 145 d R d n . 7. - A . A .
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§96
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
21 cc) Der subjektive Tatbestand fordert Handeln wider besseres Wissen, d.h. mit dolus directus bzgl. des vortäuschenden Verhaltens; im übrigen genügt dolus eventualis. 3. Selbst- oder Angehörigenbegünstigungsabsicht 22 Im Rahmen des § 258, der im Regelfall durch unwahre Angaben gegenüber der Polizei begangen wird, hat der Gesetzgeber der persönlichen Situation des Täters durch die Strafausschließungsgründe der Selbst- und Angehörigenbegünstigung, § 258 Abs. 5, 6, Rechnung getragen. Eine vergleichbare Situation ist bei der Vortäuschung einer Straftat nicht gegeben. Die Absicht, sich oder einen Angehörigen der Strafe zu entziehen, steht einer Bestrafung nach § 145 d nicht entgegen. Die Subsidiaritätsklausel wird nur wirksam, wenn der Täter wirklich aus dem schwereren Delikt bestraft wird. Scheitert eine Bestrafung nach § 258 z.B. an § 258 Abs. 6, so greift die Subsidiaritätsklausel nicht durch.20 4. Tatvollendung 23 Vollendet ist die Tat, wenn die Behörde oder zuständige Stelle von der Tat Kenntnis erlangt hat.
§ 96 Strafvereitelung und Geldwäsche I. Strafvereitelung, § 258 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt 1 Geschützt ist die staatliche Rechtspflege, und zwar in ihrem Anspruch auf Durchsetzung der gesetzmäßigen Strafen und Maßregeln.21 2. Gesetzessystematik 2 Das Gesetz unterscheidet zwischen der Verfolgungsvereitelung (Abs. 1) und der Vollstreckungsvereitelung (Abs. 2) sowie der Strafvereitelung im Amt als qualifiziertem Tatbestand (§ 258 a). 3. Die Verfolgungsvereitelung, § 258 Abs. 1 3 Den objektiven Tatbestand erfüllt, wer ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5) bestraft oder einer Maßnahme (§11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird. 4 a) Voraussetzung der Tat ist demnach eine Vortat, aus der ein staatlicher Straf- oder Maßnahmeanspruch erwachsen ist. O L G H a m m N J W 1 9 6 3 S. 2 1 3 8 m i t A n m . MORNER N J W 1 9 6 4 S. 3 1 0 ; LACKNER/KÜHL § 1 4 5 d R d n . 7
(Ausnahme: rechtl. Irrtum); MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 99 Rdn. 29; SAAL Vortäuschen, S. 173 ff, 179; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 145 d Rdn. 13. - Differenzierend: KÜPER B. T., S. 2 7 4 ; RUDOLPHI S K Ü , § 1 4 5 d R d n . 12; R u ß L K , § 1 4 5 d R d n . 14.
20 21
Vgl. dazu BayObLG NJW 1978 S. 2563 mit zust. Anm. STREE JR 1979 S. 253 ff, RUDOLPHI JUS 1979 S. 859, 862; BayObLG JR 1985 S. 294; OLG Celle JR 1981 S. 34 mit Anm. GEERDS S. 35 ff. Vgl. BGHSt 43 S. 82, 84; U. GÜNTHER Das Unrecht der Strafvereitelung (§ 258 StGB), 1998, S. 25 ff; LACKNER/KÜHL § 2 5 8 R d n . 1. - D i f f e r e n z i e r e n d : AMELUNG JR 1 9 7 8 S. 2 3 1 ; LENCKNER S c h r ö d e r -
GedS, S. 344; RUDOLPHI Kleinknecht-FS, S. 384; A. SCHRÖDER Vortat und Tatobjekt der Strafvereitelung, § 258,1999, S. 37.
500
Strafvereitelung und Geldwäsche
§96
Das bedeutet: Bei der Vereitelung einer Bestrafung ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte Tat Voraussetzung, deren Verfolgung kein persönlicher Strafaufhebungs-, Strafausschließungsgrund oder ein Verfolgungshindernis entgegenstehen darf. Das Vorliegen der Vortat ist von dem erkennenden Gericht in eigener Verantwortung zu prüfen. b) Vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der staatliche Zugriff rechtswidrig infolge 5 der Handlung für geraume Zeit nicht verwirklicht worden ist. Beispiele: Verstecken des Täters; Vernichten von Beweismitteln; Beiseiteschaffen von Ermittlungsakten; Fluchthilfe; falsche Aussagen, die das Verfahren beeinflussen.
aa) Das erfordert den Nachweis, dass der Strafanspruch ohne das Täterverhalten zumindest 6 früher verwirklicht worden wäre. - Die Zeitspanne selbst ist streitig, doch geht es zu weit, jede zeitliche Verzögerung schon als kriminelle Deliktsvollendung einzuordnen. Als Richtwert erscheint eine Frist von zehn Tagen angemessen.22 bb) Durch die Tathandlung selbst muss die Möglichkeit der Verwirklichung des Strafan- 7 spruchs verschlechtert worden sein. Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Vereitelungshandlung in einem strukturell täterschaftlichen Handeln des Vereitelnden besteht, so dass bloße Unterstützungen des Vortäters bei dessen Selbstvereitelung nicht genügen,23 jedoch muss sie eigenständigen Gehalt haben, indem sie einen sachlichen Zustand darstellt. Handlungen, die nur darin bestehen, den Selbstschutzwillen des Vortäters hervorzurufen oder zu bestärken genügen dem nicht.24 cc) Sozialadäquate Verhaltensweisen, d.h. Verhaltensweisen in denen sich der auch sonst 8 übliche soziale Umgang mit einem anderen realisiert, sind nicht tatbestandsmäßig, da sie nicht auf rechtswidrige Beeinträchtigung des staatlichen Strafanspruchs abzielen. Zusammenwohnen mit einem flüchtigen Straftäter (BGH NJW 1984 S. 135), Gewährung von Arbeit und Wohnung sind daher nur dann Vereitelungshandlungen, wenn ihnen durch die Ausgestaltung im einzelnen der Charakter der Versteckgewährung zukommt.25
dd) Macht der Täter von einem eigenen Recht Gebrauch, oder wendet sein Verteidiger 9 prozessrechtlich zulässige Mittel an, um den Täter der Strafe zu entziehen, so liegt gleichfalls keine Vereitelungshandlung i.S. des Tatbestandes vor. Nicht prozessrechtsgemäßes Verteidigerhandeln, insbes. täuschende Maßnahmen, können hingegen den Tatbestand erfüllen.26 22
Dazu einerseits: BGH NJW 1959 S. 495 (sechs Tage genügen nicht); OLG Stuttgart NJW 1976 S. 2084 (zehn Tage sind ausreichend); BGH wistra 1995 S. 143 (Verzögerung der Ermittlungshandlungen um 14 Tage genügt nicht). - Enger: LENCKNER Schröder-GedS, S. 342 ff; RUDOLPH JuS 1979 S. 860 ff (jede zeitliche Verzögerung). - Weiter: SAMSON JA 1982 S. 181 ff; SCHMITZ Unrecht und Zeit, 2001, S. 81 ff, 87; WAPPLER Der Erfolg der Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB), 1998, S. 172 ff (bei zeitlicher Verzögerung nur Versuch).
23
So aber EBERT ZRG 1993 S. 56 ff; LENCKNER Schröder-GedS, S. 352 ff; RUDOLPHI Kleinknecht-FS, S. 3 8 9 f f ; RANSIEK wistra 1999 S. 4 0 8 f; SCHOLDERER S t V 1 9 9 3 S. 2 2 9 f; STUMPF w i s t r a 2 0 0 1 S. 126
ff. 24
V g l . FRISCH J u S 1 9 8 3 S. 9 1 9 f; KÜPER G A 1997 S. 3 1 5 f f ; LACKNER H e i d e l b e r g - F S , S. 4 2 f f ; R u ß L K ,
25
Dazu OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1569 mit Anm. FRISCH JuS 1983 S. 915 ff; OLG Koblenz NJW 1982
26
Im einzelnen: BGHSt 46 S. 53, 56 mit Anm. ST. CRAMER/PAPADO-POULOS NStZ 2001 S. 148 f; GEPPERT JK 01, StGB § 258/14,; SCHEFFLER JR 2001 S. 294 ff; OLG Düsseldorf StV 1998 S. 66 mit Anm.
§ 258 Rdn. 35. S. 2 7 8 5 m i t A n m . FRISCH N J W 1983 S. 2 4 7 1 f f ; KÜPPER G A 1 9 8 7 S. 3 9 9 f f ; R u ß L K , § 2 5 8 R d n . 10 b .
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§96
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Tatbestandsmäßig z.B.: Erwirken falscher Zeugenaussage27; Erschleichung von Informationen durch Täuschen28; Veranlassung des Angeklagten, nicht zur Hauptverhandlung zu kommen (OLG Koblenz NStZ 1992 S. 146); Ermöglichen von Lügen des Angeld. (BGH NStZ 1999 S. 188). Nicht tatbestandsmäßig: Rat des Verteidigers, vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen (BGHSt 10 S. 393) oder keine Angaben zu machen (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 970); prozessual zulässige Information des Mandanten aus Akten29; Information anderer Verteidiger30; Stellung eines Beweisantrags zu spätem Zeitpunkt (OLG Düsseldorf JZ 1986 S. 408); zulässige Informationen oder Ratschläge31. 10 Soweit der Verteidiger nicht wider besseres Wissen handelt, darf und muss er auch Zeugen benennen und Beweise vorlegen, an deren Glaubwürdigkeit oder Richtigkeit er Zweifel hat. 32 Vereiteln kann auch durch Unterlassen erfolgen, soweit der Unterlassende der Rechtspflege gegenüber eine Garantenpflicht zum Handeln hat. 33 11 c) Teilweise vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der Vortäter besser gestellt wird, als es der materiellen Rechtslage entspricht, z.B. wenn die Strafschärfung aus einem Erschwerungsgrund verhindert wird, wenn nur wegen Beihilfe statt Täterschaft bestraft oder wenn der erlangte Gewinn nur teilweise eingezogen werden kann. 12 d) Subjektiv muss der Täter die Besserstellung erstrebt oder doch als sichere Folge seines Verhaltens erkannt haben. Hinsichtlich der Vortat genügt bedingter Vorsatz. e) Versuch und Vollendung 13 aa) Versucht ist die Straftat, wenn der Täter nach seinem Vorstellungsbild v o m Sachverhalt unmittelbar zur Vereitelung, z.B. zur Täuschung des Rechtspflegeorgans ansetzt. Dies ist noch nicht der Fall, wenn eine falsche Aussage versprochen34 oder verabredet35 wird, wenn der Zeuge zu einer falschen Aussage aufgefordert wird 36 oder wenn ein Zeuge dem Angekl. eine falsche Erklärung vor der Hauptverhandlung aushändigt (BGH StV 1992 S. 146). Leider hält der BGH diese Abgrenzung nicht durch, wenn es nicht um eine Bestrafung wegen Strafvereitelung geht, sondern um prozessuale Konsequenzen aus rechtswidrigem Verteidigerhandeln. In diesem O r r o JK 98, StGB § 258/11; BEULKE Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989; KREKELER NStZ 1989 S. 146 ff; MÜLLER-DIETZ Jura 1979 S. 242 ff; OSTENDORF J Z 1989 S. 578 f; OTTO Jura 1987 S. 329 ff;
PFEIFFER DRiZ 1984 S. 341 ff; WOHLERS StV 2001 S. 422. - Als straffrei will PAULUS - NStZ 1992 S. 305 ff - alle Prozesshandlungen des Verteidigers ansehen; dagegen HAAS NStZ 1993 S. 173. - Zur sog. Konfliktverteidigung: JAHN ZRP 1998 S. 103 ff. 27
Dazu B G H N J W 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE NStZ 1983 S. 504 f, BOTTKE JR 1984 S. 300 ff.
28
BGH NStZ 1983 S. 556 mit Anm. MEHLE S. 557 ff.
29
B G H N J W 1980 S. 64 mit Anm. GLEMULLA J A 1980 S. 253 f.
30
OLG Frankfurt NStZ 1981 S. 144 mit Anm. SEIER JuS 1981 S. 806 ff.
31
OLG Düsseldorf StV 1992 S. 57; OLG Karlsruhe StV 1991 S. 519.
32
Vgl. BGHSt 4 3 S. 56; BEULKE Strafbarkeit, S. 33; OTTO JZ 2001 S. 437 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 258
Rdn. 7. 33
Dazu BGH NJW 1997 S. 2059 mit Anm. GEPPERT JK 98, StGB § 258/10, KLESCZEWSKI JZ 1998 S. 313 ff, MARTIN JuS 1997 S. 1047 f, RUDOLPHI NStZ 1997 S. 599 ff; OLG Hamburg NStZ 1996 S. 102 mit Anm. GEPPERT JK 96, StGB § 258/9, KLESCZEWSKI NStZ 1996 S. 103 f; OLG Koblenz StV 1999 S. 541 mit Anm. GEPPERT JK 99, StGB § 258/13.
34
O L G Hamburg N J W 1981 S. 771 mit Anm. RUDOLPHI JR 1981 S. 160 ff.
35
BGHSt 31 S. 10 mit Anm. BEULKE NStZ 1982 S. 330 f; OLG Bremen JR 1981 S. 474 mit Anm. MÜLLER-DLETZ S. 475 ff; LENCKNER NStZ 1982 S. 401 ff; O L G Düsseldorf N J W 1988 S. 84.
36
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K G JR 1984 S. 250; O L G Frankfurt StV 1992 S. 360 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 258/8.
Strafvereitelung und Geldwäsche
§96
Zusammenhang wird bereits der Versuch der Strafvereitelung im Einwirken auf den Zeugen37 und in der Benennung eines präparierten Zeugen (BGH StV 1987 S. 195) gesehen. Auffallend ist, dass der BGH in diesen Entscheidungen nicht von der konkreten Gefährdung des Rechtsguts vom Vorstellungsbild des Täters her argumentiert, sondern sich mit dem Hinweis begnügt, der Täter habe seinerseits alles Erforderliche getan, um den Erfolg herbeizuführen. bb) Hält der Täter ein nicht strafbares Verhalten für eine rechtswidrige Vortat, so liegt nur 14 ein Wahnverbrechen vor.38 cc) Vollendet ist die Tat mit Eintritt des Vereitelungserfolges. 4. Vollstreckungsvereitelung,
15
§ 258 Abs. 2
a) Bestraft wird das Vereiteln der Vollstreckung einer rechtskräftig gegen einen anderen 16 verhängten und mindestens zum Teil noch nicht vollstreckten Strafe oder Maßnahme. - Ob die rechtskräftige Verurteilung materiell zu Recht erfolgt ist, hat das Gericht nicht zu prüfen. Beispiele: Gefangenenbefreiung; Beiseiteschaffen von Vollstreckungsakten; VerbüBung der Freiheitsstrafe für einen anderen. Bei der Zahlung einer Geldstrafe durch einen anderen wird die Auffassung vertreten, es liege eine Vereitelung vor, gleichgültig, ob die Zahlung unmittelbar durch den Dritten erfolgt 3 ' oder der Dritte dem Verurteilten das Geld zur Zahlung schenkt. Dem kann nicht gefolgt werden. Voraussetzung der Beitreibung, d.h. der Vollstreckung einer Geldstrafe, ist, dass der Verurteilte die Strafe nicht zahlt oder nicht zahlen kann. Zahlt der Verurteilte fristgerecht, so fehlt es an der nötigen Voraussetzung einer zulässigen Vollstreckung. Erst wenn die Voraussetzungen für eine Beitreibung gegeben sind, liegt daher überhaupt eine Vollstreckungssituation vor. Vollstreckungsvereitelung hinsichtlich einer Geldstrafe ist demgemäss die Ver- oder Behinderung des Beitreibens der Geldstrafe. Keineswegs ist es gerechtfertigt, Vollstreckung hier umfassender als Realisierung des gerichtlich verhängten Strafübels zu verstehen.40 b) Zum subjektiven Tatbestand vgl. Rdn. 12. 5. Strafvereitelung
17
zu eigenen Gunsten, Abs. 5
a) Wer als Täter einen gegen ihn selbst gerichteten Strafanspruch vereitelt, erfüllt nicht den 18 Tatbestand der Abs. 1,2: „... dass ein anderer...". b) Dass aber auch deijenige, der Dritte zur Vereitelung eines gegen ihn gerichteten Strafanspruchs anstiftet oder ihnen bei der Tat Beihilfe leistet, straffrei bleibt, stellt Abs. 5 klar. - Allerdings lehnt der BGH die Anwendung des Abs. 5 ab, wenn Vortat und Vereitelungshandlung im Verhältnis von vorheriger Zusage eines falschen Alibis und der späteren Einlösung der Zusage stehen. 41 Das ist nur zutreffend, wenn die Zusage des falschen Alibis
37
BGH NJW 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE NStZ 1983 S. 504 f.
38
Vgl. BayObLG NJW 1981 S. 772 mit Anm. STREE JR 1981 S. 297 ff.
39
S o z . B . O L G F r a n k f u r t S t V 1990 S. 112 m i t abl. A n m . NOACK S. 113 f, OTTO J K 90, S t G B § 2 5 8 / 6 ; HILLENKAMP L a c k n e r - F S , S. 4 6 6 ; KÜPPER B . T . , N § 2 R d n . 14; MÜLLER-DIETZ J u r a 1 9 7 9 S. 2 4 6 ; R u ß
40
LK, § 258 Rdn. 24 a; SCHOLL NStZ 1999 S. 603 ff. Vgl. auch BGHSt 37 S. 226 mit zust. Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 258/7, KREY JZ 1991 S. 889 f, MÜLLER-CHRISTMANN J u S 1 9 9 2 S. 3 7 9 f f , u n d abl. A n m . HILLENKAMP J R 1 9 9 2 S. 7 4 f f , WODICKA
NStZ 1991 S. 487 f; ARZT/WEBER B.T., § 26 Rdn. 12; ENGELS Jura 1981 S. 581; A. SCHRÖDER Vortat,
S.
41
159.
BGHSt 43 S. 356 mit Anm. Geerds NStZ 1999 S. 31 f; GUBITZ/WOLTERS NJW 1999 S. 764 f; JOERDEN J u S 1999 S. 1063 f f ; OTTO J K 98, S t G B § 258/12; SEEBODE J Z 1998 S. 7 8 1 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
nicht als Beihilfe bestraft werden kann, denn sonst stehen Zusage und Einlösung der Zusage sachlich im Verhältnis der vor- und mitbestraften Nachtat. c) Straffrei bleibt nur die Strafvereitelung als solche, nicht aber eine damit zusammenfallende Straftat, wie z.B. ein Betrug, eine Anstiftung zum Meineid o.a. 6. Straf vereitelung zugunsten eines Angehörigen, Abs. 6 19 Straffrei bleibt auch die Strafvereitelung, die der Täter ausschließlich oder doch zugleich zugunsten eines Angehörigen begeht, Abs. 6. Kenntnis der Angehörigeneigenschaft ist nicht erforderlich, es kommt allein auf die objektive Lage an.42
EL Strafvereitelung im Amt, § 258 a 20 1. Die Vorschrift ist gegenüber § 258 ein durch die besondere Tätereigenschaft qualifizierter Tatbestand. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die besondere Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 21 2. Täter kann nur ein Amtsträger sein, der zur Mitwirkung bei dem Straf- oder Anordnungsverfahren oder zur Mitwirkung bei der Vollstreckung der Strafe oder Maßnahme berufen ist. Täter können z.B. sein: Richter; Staatsanwälte; Polizeibeamte; Geschäftsstellenbeamte der Gerichte; Bahnpolizeibeamte usw. Die Tathandlung wird oft in einem Unterlassen, z.B. Nichtweiterleiten einer Anzeige, Nichtbearbeitung einer Akte o.a. liegen. Bei privaten Kenntnissen des Amtsträgers von der Vortat besteht nur bei schweren, die Öffentlichkeit besonders berührenden Straftaten eine Pflicht zur weiteren Verfolgung der Angelegenheit.43
22 3. Das Angehörigenprivileg, § 258 Abs. 6, gilt im Rahmen des § 258 a nicht, wohl aber das Selbstbegünstigungsprivileg des § 258 Abs. 5.
III. Sabotage gerichtlicher u. a. Entscheidungen 23 Sachlich in die Nähe der Strafvereitelung gehören die Fälle der Sabotage gerichtlicher u. a. Entscheidungen, die die Wirksamkeit gerichtlich angeordneter Maßnahmen gefährden. 1. Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht, § 145 a 24 Bestraft wird als echtes Sonderdelikt der Verstoß gegen Weisungen gemäß § 68 b Abs. 1, wenn sich aus dem Verstoß gegen die Weisung in Verbindung mit dem Gesamtverhalten des Verurteilten die Wahrscheinlichkeit ergibt, dass er sich nicht mehr zu einer die Straf-
42
So auch BAUMANN/WEBER/MITSCH Strafrecht, A.T., 10. Aufl. 1995, § 24 Rdn. 6; Ruß LK, § 258 Rdn. 37. - A . A . LACKNER/KÜHL § 2 5 8 R d n . 17; STREE J u S 1976 S. 141; WARDA J u r a 1 9 7 9 S. 2 9 2 .
43
So z.B. BGHSt 5 S. 225; 12 S. 277; OLG Karlsruhe NStZ 1988 S. 503 mit Anm. GEERDS JR 1989 S. 212; BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 194 f; OTTO JuS 1987 S. 761. - Einschränkend: BGHSt 38 S. 388,391 f mit Anm. BERGMANN StV 1993 S. 518 ff, LAUBENTHAL J u S 1 9 9 3 S. 9 0 7 f f , MITSCH N S t Z 1 9 9 3 S. 3 8 4 f f , RUDOLPHI J R 1995 S. 167 f f ; B G H N S t Z
2000 S. 147 mit Anm. Otto JK 00, StGB § 13/29: Schwerwiegende Delikte, die während der Dienstausübung fortwirken. - A.A. KRAUSE JZ 1984 S. 548 ff; WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 294: Keine Verfolgungspflicht. - ARTKÄMPFER Krim. 2001 S. 433 f: Nur bei Verbrechen. - Z. T. wird nur auf Verbrechen, im Sinne des § 138 abgestellt, vgl. dazu GEPPERT JK 99, StGB § 258/13.
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gesetze respektierenden Lebensführung motivieren lässt.44 - Die Tätereigenschaft kennzeichnet die Rechtsgutsbezogenheit der Tatsituation, nicht jedoch eine besondere Pflichtenposition. Sie ist daher kein persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. 2. Verstoß gegen das Berufsverbot, § 145 c Bestraft wird jede Handlung, die sich als die. untersagte Berufs- oder Gewerbeausübung 25 darstellt. - § 145 c betrifft nur die Berufsverbote nach § 70 StGB und § 132 a StPO, die überdies hinreichend bestimmt sein m ü s s e n « - Für Verbote der Verwaltungsbehörden greifen die Vorschriften der GewO (§ 146 Abs. 1 Nr. 6 i. Verb, mit § 35 Abs. 1) ein. Der Irrtum über die Wirksamkeit des Berufsverbots ist Tatbestandsirrtum.46 3. Unerlaubter Umgang mit gefährlichen Hunden, § 143 26 Bestraft wird der Verstoß gegen landesrechtliche Verbote im Umgang mit gefahrlichen Hunden, Abs. 1, sowie die Hundehaltung ohne Genehmigung, Abs. 2.47
IV. Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte §261 1. Geldwäsche und Organisierte Kriminalität Unter Geldwäsche ist die Einschleusung von Vermögensgegenständen aus Organisierter 27 Kriminalität in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf zum Zweck der Tarnung zu verstehen. Der Wert soll erhalten, zugleich aber dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen werden. Da das StGB nur unzulängliche Möglichkeiten hatte, die Geldwäsche zu bekämpfen48, und in Umsetzung internationalen und europäischen Rechts 4 ' hat der Gesetzgeber den Tatbestand der Geldwäsche in das OrgKG v. 15. 7. 1992, BGBl I, S. 1302, aufgenommen und in das StGB eingefügt. Mit diesem Tatbestand und dem GeldwäscheG v. 25. 10. 1993, BGBl I, S. 1770, meinte der Gesetzgeber hinreichende rechtliche Grundlagen zur effektiven Bekämpfung der Geldwäsche geschaffen zu haben. - Der bisherige Erfolg ist allerdings eher dürftig.50
44
im einzelnen zum Tatbestand: GROTH NJW 1979 S. 743 ff.
45
Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1995 S. 446 mit Anm. ST. CRAMER NStZ 1996 S. 136, STREE NStZ 1995 S. 447 f.
46
BGH NJW 1989 S. 1939.
47
Zur Verfassungswidrigkeit der Vorschrift aufgrund fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes: v.
48
Zu den unzulänglichen Möglichkeiten des früheren Rechts, Geldwäsche zu bekämpfen: ARZT NStZ 1990 S. 2; FORTHAUSER Geldwäscherei de lege lata et ferenda, 1992, S. 18 ff; LÖWE-KRAHL wistra
49
Zur Umsetzung internationalen und europäischen Rechts: CARL/KLOS Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und ihre Anwendung in der Praxis, 1994, S. 49 ff. - Eingehend zu Erscheinungsformen, Bekämpfungsansätzen und Fehlschlägen der Bekämpfung der Geldwäsche: SUENDORF Geldwäsche,
50
Überblick über die bisherigen Stellungnahmen zu § 261 bei MEYER/HETZER NJW 1998 S. 1018, Fn. 6. - Hoffnungsfroh beurteilt die Situation KILCHLING wistra 2000 S. 245 ff.
COELLN NJW 2001 S. 2834 ff.
1993 S. 123, OTTO Jura 1993 S. 329 f.
2001.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Das geschützte Rechtsgut 28 § 261 schützt die inländische Rechtspflege in ihrer Aufgabe, die Wirkung von Straftaten zu beseitigen. Diesem für Abs. 1 anerkannten Schutzzweck wird für Abs. 2 der Schutz der durch die Vortat verletzten Interessen hinzugefügt.51 - Diese Ausweitung des Rechtsgüterschutzes gegenüber dem Abs. 1 ist weder notwendig noch sachgerecht. Sie macht den Abs. 2 vielmejir zu einem in Angriffs- und Schutzrichtung farblosen Delikt, dessen „Rechtsschutzverdoppelung" kriminalpolitisch überflüssig ist; vgl. zur identischen Problematik des § 257 unter § 57 Rdn. 1.
3. Der Verschleierungstatbestand, Abs. 1 a) Der Täter 29 Nach der ursprünglichen Fassung des Gesetzes war klargestellt, dass der Vortäter nicht Täter der Geldwäsche sein konnte. Im Wege der sog. Postpendenzfeststellung hatte der BGH allerdings bei Zweifeln an einer mittäterschaftlichen Beteiligung an der Vortat die Verurteilung wegen Geldwäsche ermöglicht. Damit wurde der Gesetzeswortlaut missachtet, denn auch der Mittäter der Vortat ist Täter der Vortat.52 Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4.5.1998 (BGBl. I, S. 845) hat der Gesetzgeber die Strafbarkeit wegen Geldwäsche auch auf den Vortäter erstreckt. Da die Tathandlungen des Abs. 1 im Hinblick auf den Vortäter typische Selbstbegünstigungshandlungen sind, die Interpretation des § 261 als straflose Nachtat nach einem Individualdelikt jedoch nicht sachgerecht sein kann, hat der Gesetzgeber in Anlehnung an die Konstruktion der straflosen Nachtat in Abs. 9 einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Beteiligte an der Vortat geschaffen.
b) Das Tatobjekt 30 Tatobjekt sind Gegenstände, die aus bestimmten Straftaten herrühren. Der Begriff umfasst alle Rechtsobjekte, d. h. „Sachen und Rechte, also zum Beispiel bewegliche und unbewegliche Sachen, Edelmetalle und -steine, Grundstücke und Rechte an solchen, Geld (Bargeld, Buchgeld in inländischen und ausländischen Währungen), Wertpapiere und Forderungen"53, aber auch know how und Computerprogramme lassen sich mühelos unter dem Begriff erfassen.54 31 Diese Gegenstände müssen aus einer in Abs. 1 S. 2 genannten rechtswidrigen Tat Verbrechen (Nr. 1), Vergehen nach § 332 Abs. 1, § 334, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG oder § 29 Abs. 1 Nr. 1 des GrundstoffüberwachungsG (Nr. 2), Vergehen nach § 373 AO, und wenn der Täter gewerbsmäßig handelt, nach § 374 AO jeweils auch in Verb, mit § 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation (Nr. 3), Vergehen nach den §§ 180 b, 180 a, 242, 246, 253, 259,263 - 264, 266,267,269, 284,326 Abs. 1, 2 und 4 sowie § 328 Abs. 1, 2 und 4, nach § 92 a AusländerG und § 84 AsylverfG die gewerbsmäßig oder die von einem Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, begangen worden sind (Nr. 4), und Vergehen, die von einem Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangen wurden (Nr. 5), herrühren. - In den Fällen der Nr. 3 gilt Abs. 1 S. 1 auch für Gegenstände, hinsichtlich deren Abgaben hinterzo51
Vgl. BT-Drucks. 12/989, S.27; BURR Geldwäsche, 1995, S. 26 f; LACKNER/KÜHL §261 Rdn. 1; MITSCH B . T . n / 2 , § 5 R d n . 3; RENGIER B . T . I, § 2 3 R d n . 4 .
52
Vgl. BGH NStZ 1995 S. 500 mit Anm. KÖRNER wistra 1995 S. 311 f, OTTO JK 96, StGB § 261/1; BGH
wistra 1998 S. 25. - BR-Drucks. 554/96, S. 1,12 f. 53
BT-Drucks. 12/989, S. 27.
54
Vgl. CEBULLA wistra 1999 S. 286.
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Strafvereitelung und Geldwäsche
§96
gen worden sind. - Ergänzt wird der Katalog der Vortaten durch Abs. 8. Danach reichen im Ausland begangene Taten der in Abs. 1 bezeichneten Art als Anknüpfungstaten aus, wenn sie am Tatort mit Strafe bedroht sind. Mit dem Begriff des Herrührens wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass auch eine Kette 32 von Verwertungshandlungen erfasst wird, bei welcher der ursprüngliche Gegenstand unter Beibehaltung seines Wertes durch einen anderen ersetzt wird. Er war sich der relativen Unbestimmtheit des Begriffs bewusst, denn er betont, dass bei der Auslegung des Begriffs zu beachten sei, dass einerseits ein Interesse besteht, den Zugriff nicht schon nach einem Waschvorgang zu verlieren, andererseits der Rückgriff aber dort seine Grenze finden müsse, wo der Wert des in Betracht kommenden Gegenstandes durch Weiterverarbeitung im wesentlichen auf eine selbständige spätere Leistung Dritter zurückzuführen ist.55 Danach rührt ein Gegenstand aus einer Katalogtat her, wenn - entsprechend der Bestimmung des Vorteils im Sinne des § 257; dazu vgl. § 57 Rdn. 10 f - zwischen ihm und der Vortat ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht.56 c) Die Tathandlungen Die Tathandlungen umschreiben Verhaltensweisen, die den Zugriff der Strafver- 33 folgungsorgane auf Gegenstände aus den genannten Vortaten verhindern oder erschweren. Tathandlungen sind das Verbergen der Gegenstände, d.h. das Verheimlichen vor dem Zugriff, das Verschleiern der Herkunft, d.h. das irreführende Verhalten, mit dem die wirklichen wirtschaftlichen Verhaltensweisen verdeckt werden sollen, sowie das Vereiteln oder Gefährden der Ermittlung der Herkunft, der Auffindung, des Verfalls, der Einziehung (§§ 73 ff StGB) oder der Sicherstellung (§§ 111 b ff StPO) der Gegenstände. - Das Vereiteln ist Erfolgsdelikt, das Gefährden konkretes Gefährdungsdelikt. 4. Der Erwerbs-, Besitz- und Verwendungstatbestand, Abs. 2 a) Täter und Tatobjekt Durch die Verweisung auf „einen in Abs. 1 bezeichneten Gegenstand" ist klargestellt, dass 34 das Tatobjekt aus einer der dort genannten rechtswidrigen Taten eines anderen herrühren muss. Der Vortäter ist daher auch in Abs. 2 als Täter nicht ausgeschlossen, im übrigen gelten die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 29 ff. b) Die Tathandlungen Tathandlung der Nr. 1 ist, dass der Täter den bezeichneten Gegenstand sich oder einem 35 anderen verschafft. Das Gesetz knüpft damit bewusst an die entsprechende Formulierung des § 259, doch nicht an den Strafgrund des § 259 an. Während es dort um die Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage im Einverständnis mit dem Vortäter geht, kommt es hier allein auf die Perpetuierung einer bestimmten Vermögenslage an. Ein Handeln im Einverständnis mit dem Vortäter oder in dessen Interesse ist daher nicht erforderlich. Es ist sogar begrifflich ausgeschlossen, wenn der Vortäter als Täter den inkriminierten Gegen55
BT-Drucks. 12/989, S. 27; im einzelnen vgl. ARZT JZ 1993 S. 913 ff; BARTON NStZ 1993 S. 163; BOTTKE wistra 1995 S. 90 f; LAMPE JZ 1994 S. 127; LANG/SCHWARZ/KIPP Regelungen zur Bekämp-
fung der Geldwäsche, 1999 S. 176; LEIP Der Straftatbestand der Geldwäsche, 2. Aufl. 1999, S. 66 ff, 92 ff; OTTO Jura 1993 S. 331.
56
Vgl. dazu auch BURR Geldwäsche, S. 66 ff; FLATTEN Zur Strafbarkeit von Bankangestellten bei der Geldwäsche, 1996, S. 76 f; LEIP Straftatbestand, S. 101; LEIP/HARDTKE wistra 1997 S. 282 ff; Otto Jura 1993 S. 331. - Der geschäftsübliche Erwerb schließt das Herrühren nicht aus - anders aber SPISKE Pecunia olet?, 1998, S. 123 ff, 157 -, doch ist hier Abs. 6 von besonderer Bedeutung; vgl. auch Rdn. 37.
507
§96
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
stand einem Dritten verschafft. Demgemäß verschafft der Täter sich oder einem Dritten die Sache, indem er für sich oder den Dritten die tatsächliche, selbständige Verfügungsgewalt begründet.57 36 Durch Nr. 2 sollen neben dem Verwahren des Gegenstandes vor allem die vielfältigen Geldgeschäfte erfasst werden. Verwenden ist daher jede wirtschaftliche Nutzung des Gegenstandes, insbesondere Verfügungen über den Gegenstand als eigenen oder zu eigenen Zwecken. 37 Objektiv eingeschränkt wird der Bereich der Strafbarkeit des Abs. 2 durch Abs. 6: Die Tat ist nicht strafbar, wenn zuvor ein Dritter den Gegenstand erlangt hat, ohne hierdurch eine Straftat zu begehen. Damit wird die Kette der strafbaren Handlungen bereits durch geschäftsübliche Tätigkeiten, insbes. die Einzahlung des Betrages auf ein Bankkonto unterbrochen, wenn dem Geschäftspartner, z. B. dem Bankangestellten, hinsichtlich der Herkunft des Geldes nicht einmal Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist; vgl. dazu MAIWALD Hirsch-FS, S. 637 ff. - Das begrenzt den Anwendungsbereich des § 261 Abs. 2 erheblich. Gleichwohl sieht der BGH darin keine beunruhigende Strafbarkeitslücke begründet, weil oft § 261 Abs. 1 und Abs. 2 durch die gleiche Tathandlung erfüllt werden, und der BGH dem Abs. 2 bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 6 keine Sperrwirkung im Hinblick auf Abs. 1 zuerkennt.58
Subjektiv eingeschränkt wird der Tatbestand durch die Klausel der Nr. 2: Der Tatbestand setzt voraus, dass der Täter die illegale Herkunft des Gegenstandes zu dem Zeitpunkt gekannt hat, zu dem er ihn erlangt hat; spätere Kenntnis ist unschädlich. 5. Der subjektive Tatbestand 38 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter Vorsatz genügt. - Der Täter muss die Vortat nicht in ihren konkreten Einzelheiten kennen, es genügt, dass er weiß, dass der Gegenstand aus einer der in Abs. 1, 8 genannten Taten herrührt. 6. Der Versuch 39 Der Versuch ist strafbar, Abs. 3. 7. Strafschärfung in besonders schweren Fällen, Abs. 4 40 Als Regelbeispiele besonders schwerer Fälle nennt das Gesetz gewerbsmäßiges - dazu § 41 Rdn. 21 - Handeln und das Handeln als Mitglied einer Bande - dazu § 41 Rdn. 63. 8. Ausdehnung der Strafbarkeit auf leichtfertiges Handeln, Abs. 5 41 Abs. 5 dehnt die Strafbarkeit aus auf den Fall, dass der Täter die Herkunft des Tatgegenstandes aus den in Abs. 1 genannten rechtswidrigen Taten leichtfertig verkennt, im übrigen aber vorsätzlich handelt. - Leichtfertiges Verhalten ist eine gravierende Form bewusster oder unbewusster Fahrlässigkeit, die der „groben Fahrlässigkeit" des Zivilrechts entspricht. Die Herkunft des Gegenstandes aus einer Katalogtat muss sich dem Täter geradezu aufdrängen und er dennoch handeln, weil er dies aus grober Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit außer Acht lässt.59 57
V g l . a u c h LACKNER/KÜHL § 2 6 1 R d n . 8; MITSCH B.T. II/2, § 5 R d n . 33; OTTO J u r a 1993 S. 3 3 1 ;
SPISKE Pecunia, S. 133. - A. A. BT-Drucks. 12/989, S. 27; BURR Geldwäsche, S. 82; FLATTEN Strafbarkeit, S. 80; WESSELS/HILLENKAMP B. T./2, Rdn. 898.
58
Vgl. BGH StV 2001 S. 506,509.
59
V g l . B G H S t 4 3 S. 1 5 8 , 1 6 8 m i t ANM. ARZT J R 1 9 9 9 S. 8 0 f; OTTO J K 98, S t G B § 2 6 1 / 2 .
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Strafvereitelung und Geldwäsche
§96
9. Begrenzung des Tatbestands gegen seinen Wortlaut In einer viel beachteten Entscheidung lehnte das HansOLG Hamburg die Anwendung des 42 § 261 Abs. 2 Nr. 1 auf die Annahme eines Honorars durch einen Verteidiger selbst für den Fall ab, dass der Verteidiger die Herkunft der Mittel gekannt habe. Die streng am Wortlaut des Gesetzes orientierte Auslegung der Vorschrift würde nach Auffassung des Gerichts einen nicht erforderlichen, unverhältnismäßigen Eingriff sowohl in das Recht des Strafverteidigers auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG als auch in das nach § 137 StPO in Verb, mit Art. 6 m c EMRK sowie Art. 2 Abs. 1, 2 und Art. 20 Abs. 3 GG bestehende und verfassungsrechtlich verbürgte Recht des Beschuldigten, sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, bedeuten. - Die Entscheidung ist teils auf Ablehnung, teils auf Zustimmung gestoßen. Aber obwohl ihr zuzugestehen ist, dass sie die wenig sachgerechte Regelung der Geldwäsche deutlich macht, kann ihr nicht gefolgt werden, denn sie setzt das Recht auf Verteidigung mit dem auf Wahlverteidigung gleich und geht über den gesetzlich zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers hinaus.«) 10. Strafaufhebung und Strafmilderung, Abs. 9, 10 a) Die Vergünstigung der persönlichen Strafaufhebung, Abs. 9, und der persönlichen 43 Strafmilderung, Abs. 10, entsprechend § 31 Nr. 1 BtMG, sollen Anreize zur Aufklärung strafbarer Geldwäsche, der Vortat und zur Sicherstellung des gewaschenen Gegenstandes geben. Die Vergünstigung des Abs. 9 kommt nicht nur dem Anzeigeerstatter (z.B. dem Geschäftsleiter eines Kreditinstituts), sondern auch dem Veranlasser (z.B. einem Angestellten der Bank, der den Geschäftsleiter zur Anzeige veranlasst) zugute. Voraussetzung ist aber, dass die Anzeige freiwillig erstattet wird und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem die Tat weder ganz oder z.T. entdeckt ist oder aber, wenn die Entdeckung erfolgt ist, der Täter dieses nicht wusste und bei verständiger Würdigung der Sachlage nicht damit rechnen musste. Ein Vorsatztäter nach Abs. 1 oder Abs. 2 erlangt die Vergünstigung nach Abs. 9 nur, wenn er die Anzeige im Sinne des Abs. 9 erstattet oder veranlasst hat und durch die freiwillig erstattete oder veranlasste Anzeige die Sicherstellung des „bemakelten" Gegenstandes herbeigeführt hat. Bei leichtfertigem Verhalten nach Abs. 5 genügt zur Erlangung der Vergünstigung die freiwillig erstattete oder veranlasste Anzeige im Sinne des Abs. 9 Nr. 1; vgl. dazu Abs. 9 Nr. 2, der sich nur auf Abs. 1, 2, nicht aber auf Abs. 5 bezieht. b) Für Personen, die wegen Beteiligung an der Vortat strafbar sind, enthält Abs. 9 einen 44 persönlichen Strafausschließungsgrund, der konstruktiv der straflosen Nachtat nachgebildet wurde.
60
HansOLG NJW 2000 S. 673 zustimmend (z. T. nur im Ergebnis): BERNSMANN StV 2000 S. 40 ff; v. GALEN StV 2000 S. 575 ff; GEPPERT JK 00, StGB § 261/3; GRÜNER/WASSERBURG GA 2000 S. 4 3 0 ff; HAMM N J W 2000 S. 636 ff; LÜDERSSEN StV 2000 S. 205 ff; MÜTHER Jura 2001 S. 318 ff; vgl. auch DIONYSSOPOULOU Der Tatbestand der Geldwäsche, 1999, S. 135 ff. - Ablehnend: B G H StV 2001 S. 506; ARZT/WEBER B. T „ § 29 Rdn. 49; BURGER/PEGLAU wistra 2000 S. 161 ff; HEFENDEHL Roxin-FS, S. 161 ff; HETZER wistra 2000 S. 281 ff; KATHOLNIGG NJW 2001 S. 2044; OTTO J Z 2001 S. 439 ff; REICHERT NStZ 2000 S. 316 ff; SCHAEFER/WITTIG N J W 2000 S. 1388 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 261
Rdn. 31. - Zu dem von BARTON gemachten Vorschlag, Geschäfte des täglichen Lebens aus dem Tatbestand herauszunehmen vgl. StV 1993 S. 161 ff, 163; DIONYSSOUPOU-LOU Tatbestand, S. 130 ff.
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§97
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§ 97 Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Geschütztes Rechtsgut der Aussagedelikte ist die staatliche Rechtspflege, und zwar im Sinne des Schutzes des Vertrauens in die Funktion der Rechtspflegeorgane, Tatsachen zu ermitteln. Ein wenig gebt der Schutz durch die Aussagedelikte über diesen Rahmen hinaus, da §§ 153, 154, insbes. aber § 156, auch falsche uneidliche und eidliche Aussagen bzw. falsche eidesstattliche Versicherungen vor bestimmten Verwaltungsbehörden und anderen staatlichen Stellen, z.B. parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, erfassen. Die staatliche Rechtspflege ist jedoch der wesentliche Anwendungsbereich der §§ 153 ff, und die darüber hinaus geschützte staatliche Tätigkeit steht der Rechtspflege sachlich nahe. Das rechtfertigt es, das geschützte Rechtsgut kurz als die staatliche Rechtspflege zu kennzeichnen.6!
2. Die Deliktsnatur 2 Die Rechtspflege als Institution und das Vertrauen in die Funktionsweise der Rechtspflege werden nicht erst dann beeinträchtigt, wenn aufgrund falscher Aussagen oder eidesstattlicher Versicherangen gegen einen Verfahrensbeteiligten eine sachlich unrichtige Entscheidung ergangen oder die konkrete Gefahr einer derartigen Entscheidung begründet worden ist Schon die Tatsache, dass falsche Aussagen Grundlagen des gerichtlichen Entscheidungsprozesses werden können, untergräbt das Vertrauen in die sachgemäße richterliche Tatsachenfeststellung. Die Aussagedelikte sind demgemäss abstrakte Gefährdungsdelikte. 3. Die Gesetzessystematik 3 a) Aussagedelikte sind die falsche uneidliche Aussage, § 153, der Meineid und der fahrlässige Falscheid, §§ 154, 155, 163, sowie die vorsätzliche und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt, §§ 156,163. b) Die Teilnahme- und Täterschaftsregelungen des Allgemeinen Teils ergänzende Bestimmungen enthalten §§ 159,160. c) Möglichkeiten der Strafmilderung und des Absehens von Strafe bieten die Vorschriften der §§ 157,158.
II. Das relevante Angriffsverhalten 1. Die falsche Aussage oder Versicherung an Eides Statt 4 Geschützt wird durch die §§ 153 ff die staatliche Rechtspflege in ihrer Funktionsweise nicht schlechthin, sondern nur gegen falsche Aussagen oder falsche eidesstattliche Versicherungen. a) Die inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch
61
510
A.A. VORMBAUM Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 139 ff, 178 ff; DERS. NK, Vor § 153 Rdn. 11 ff: Verfahrensziel des jeweiligen Verfahrens.
Aussagedelikte
§97
aa) Nach der herrschenden objektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie inhaltlich 5 nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Gegenstand der Aussage können äußere und innere Tatsachen sein.62 Fall 1: A sagt als Zeuge vor Gericht aus, B sei am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft des G gewesen. A hat eine Aussage über eine äußere Tatsache, d.h. über einen außerhalb seiner selbst liegenden Sachverhalt gemacht. Diese Aussage ist richtig, wenn B in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst dann, wenn A glaubt, B sei in Wirklichkeit nicht dort anwesend gewesen. Die Aussage ist falsch, wenn B am Abend des 1.3. nicht in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst dann, wenn A glaubt, B sei dort anwesend gewesen. Fall 2: A sagt als Zeuge vor Gericht aus, er erinnere sich, den B am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft des G gesehen zu haben. In diesem Fall hat A eine Aussage über eine innere Tatsache (das sind Wahrnehmungen, Empfindungen, Wissen, Überzeugungen o.ä.) gemacht. Diese Aussage ist richtig, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat, gleichgültig, ob B am 1.3. wirklich in der Gastwirtschaft war. Die Aussage ist falsch, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild nicht zutreffend wiedergegeben hat, und zwar unabhängig davon, ob B am 1.3. wirklich in der Gaststätte war. bb) Nach der subjektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie inhaltlich nicht dem 6 aktuellen Vorstellungsbild und Wissen des Aussagenden entspricht. 63 Konsequenzen im Fall 1: Die Aussage des A ist richtig, wenn A der Überzeugung ist, B sei am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob B wirklich anwesend war. Die Aussage ist falsch, wenn A in Wirklichkeit der Überzeugung ist, B sei nicht in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob B anwesend war oder nicht. Bei der Bekundung äußerer Tatsachen kommen objektive und subjektive Theorie im Falle der Diskrepanz zwischen wirklichem Geschehen und der Vorstellung des Aussagenden von diesem Geschehen zu genau entgegengesetzten Ergebnissen. - Bei der Bekundung innerer Tatsachen hingegen besteht dieser Gegensatz nicht. Werden Wahrnehmungen, Empfindung o.ä. unrichtig wiedergegeben, d.h. entgegen der wirklichen Wahrnehmung, Empfindung usw., so ist die Aussage nach beiden Theorien falsch, denn die Aussage bezieht sich nicht auf das Objekt der Wahrnehmung, Empfindungen o.ä., sondern auf diese selbst. Konsequenzen im Fall 2: Genau wie nach der Beurteilung durch die objektive Theorie ist die Aussage richtig, wenn A sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat; die Aussage ist falsch, wenn dies nicht der Fall ist. - Unerheblich ist es, ob B am 1.3. wirklich in der Gaststätte war oder nicht. cc) Nach der Pflichttheorie ist die Aussage falsch, mit der der Aussagende seine prozess- 7 rechtliche Wahrheitspflicht verletzt. Dann und nur dann sagt der Aussagende falsch aus, wenn seine Aussage nicht das Wissen wiedergibt, das der Aussagende bei prozessordnungsgemäßem Verhalten, d.h. bei kritischer Prüfung seines Erinnerungs- bzw. Wahrnehmungsvermögens, reproduzieren könnte. 64
62
Vgl. B G H S t 7 S. 148; ARZT/WEBER B. T „ § 4 7 Rdn. 4 0 ; HRUSCHKA/KÄSSER J u s 1972 S. 7 1 0 ; KREY B.T./1, Rdn. 552; KÜPER B.T., S. 3 2 f; KÜPPER B.T., N § 2 R d n . 4 ff; LACKNER/KÜHL V o r § 153 R d n . 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 7 5 Rdn. 14 f f ; RENGIER B.T. N, § 4 9 R d n . 8; R u ß L K , V o r § 153 Rdn. 13; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . §§ 153 f f R d n . 6; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 153 R d n .
63
Dazu BINDING B.T. H 1, S. 134; GALLAS G A 1957 S. 3 1 5 ff; NIETHAMMER D S t r R 1940 S. 161 ff; SCHAFFSTEIN J W 1938 S. 145 ff.
64
Eingehender entwickelt wurde die Theorie von SCHMIDHÄUSER OLG Celle-FS, S. 207 ff; im übrigen
5; WOLF JUS 1991 S. 179 ff. - Modifizierend PAULUS Küchenhoff-GedS, 1987, S. 435 ff.
vgl. OTTO J u S 1984 S. 162; SCHMIDHÄUSER B.T., 23/10; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 153 R d n . 7. - In der
511
§97
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Konsequenzen für Fall 1 und Fall 2: Falsch ist die Aussage, wenn A bei situationsangemessenem Einsatz seiner Verstandeskräfte eine inhaltlich andere Aussage gemacht hätte, weil sein reproduzierbares Erinnerungsbild nicht seiner Aussage entsprach. Richtig ist die Aussage, wenn die Aussage des A nach kritischer Überprüfung und Wahrnehmung der ihm eigenen Verstandeskräfte das ihm erreichbare Wissen, d.h. das Erinnerungsbild wiedergegeben hat, dessen Wiedergabe ihm möglich war. - Ob B am Abend des 1.3. wirklich in der Gastwirtschaft war, ist für die Beurteilung der Aussage nur mittelbar von Bedeutung.
b) Stellungnahme 8 Auf den ersten Blick erscheint die Richtigkeit der objektiven Theorie evident: eine die Wirklichkeit zutreffend wiedergebende Aussage ist offenbar ungeeignet, die Rechtspflege zu gefährden. Der wirksame Schutz des Rechtsguts scheint daher für die objektive Theorie zu sprechen und dieser kriminalpolitischen Vorrang zu gewähren. Darüber hinaus wird als systematisches Argument geltend gemacht, allein die objektive Theorie ermögliche eine sachgerechte Anwendung der §§ 160,163. Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten zeigt jedoch, dass die objektive Theorie sowohl von ihren logischen Voraussetzungen als auch unter rechtsdogmatischen, kriminalpolitischen und gesetzessystematischen Aspekten durchgreifenden Einwänden ausgesetzt ist: 9 aa) Jede Aussage - dieses Argument hat bereits BINDING geltend gemacht - kann stets nur eine „Tatsache des Innenlebens", ein von menschlicher Unvollkommenheit im räumlichen Erfassen und Bewahren beeinflusstes Vorstellungsbild wiedergeben, weil derjenige, der aussagt und schwört, immer nur das Bild des äußeren Vorgangs offenbaren kann, das er in seinem Inneren vorfindet.« 10 Die Differenzierung zwischen Aussagen über äußere und über innere Tatsachen beruht demnach auf einer sachwidrigen Fiktion. Die Vorstellung, dass eine Aussage über eine äußere Tatsache zur Aussage über eine innere Tatsache wird, nur weil der Aussagende erklärt, wie er zu der konkreten Aussage kommt, ist offensichtlich falsch, denn die Aussage selbst kann durch eine derartige Erklärung in ihrem Wesen nicht verändert werden. Gleichgültig, ob eine entsprechende Erklärung abgegeben wird oder nicht: der Aussagende kann ausnahmslos nur wiedergeben, was zu leisten ihm seine Sinnes- und Geisteskräfte gestatten. Dies aber kann stets nur die Wiedergabe dessen sein, was er wahrgenommen hat, für richtig hält, zu wissen glaubt usw., d.h. eine innere Tatsache, mag diese selbst wiederum auf eine äußere oder innere Tatsache bezogen sein. Stets gibt der Zeuge ein subjektives Bild wieder, er kann gar keine objektiv gültigen, von ihm als Subjekt unabhängigen Feststellungen treffen, mag er dies nun ausdrücklich erwähnen oder nicht. 11 bb) Nun ließe sich die tatsächliche Unmöglichkeit einer über die menschliche Leistungsfähigkeit hinausgehenden Bekundung im rechtlichen Bereich mit einer Fiktion überbrücken, wenn so der angestrebte Rechtsgüterschutz besser realisiert werden könnte. 12 Die insoweit möglich Fiktion erweist sich jedoch rechtsdogmatisch als sachwidrig, denn sie missachtet die prozessuale Rollenverteilung in den hier relevanten Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverfahren: Der Richter (oder die sonstigen Vernehmungspersonen), nicht aber der Zeuge hat die Aufgabe, den wirklich geschehenen Sachverhalt aufzudecken und darzulegen. Der Zeuge ist insofern nur ein Mittel der Aufklärung Sache nahe, lediglich im Maßstab differenzierend: die modifizierte objektive Theorie („Wahmehmungstheorie") von MÜLLER Falsche Zeugenaussage und Beteiligungslehre, 2000, S. 82 f; RUDOLPHI SK n, Vor § 153 Rdn. 40 ff; VORMBAUM NK, § 153 Rdn. 80 ff: Falsch ist die Aussage, wenn sie nicht die „Wahrnehmung im Zeitpunkt des relevanten Vorgangs" wiedergibt (MÜLLER). 65
512
V g l . BINDING B.T. II 1, S. 134; NIETHAMMER D S t r R 1940 S. 171.
Aussagedelikte
§97
unter anderen, denn der Richter bildet seine Überzeugung aufgrund einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Beweise. Die Grundlage dieser Wertung wird aber verfälscht, wenn der Aussagende sich gar nicht nach Kräften bemüht, sein eigenes Vorstellungsbild wiederzugeben oder sogar bewusst einen Sachverhalt schildert, von dem er zwar meint, dass er dem wirklichen Geschehen entspreche, der aber seine eigenen Wahrnehmungen nicht enthält. Der richterlichen Überzeugungsbildung, auf der die Funktionsweise der Rechtspflege 13 wesentlich beruht, ist daher nur dann wirklich gedient, wenn der Aussagende nach kritischer Prüfung seines Erinnerungsvermögens sein Vorstellungsbild oder Wissen zu dem Beweisthema mit allen Zweifeln und ihm ernst erscheinenden Vorbehalten wiedergibt. Unwesentlich ist es demgegenüber, ob die Aussage damit dem wirklichen Geschehen entspricht (obj. Theorie) oder ob der Aussagende der Meinung ist, so wie er den Sachverhalt schildere, habe sich dieser wirklich zugetragen (subj. Theorie). Er genügt seiner prozessualen Wahrheitspflicht allein, wenn er das beste ihm erreichbare Erinnerungs- oder Wissensbild wiedergibt. Die Würdigung dieser Aussage ist dann nicht mehr seine Aufgabe, sondern die des Gerichts.66 cc) Auch kriminalpolitisch führen objektive und subjektive Theorie zu nicht akzeptablen 14 Konsequenzen, denn nach diesen Theorien ist es durchaus straflos möglich, beliebige Aussagen über angebliche äußere Tatsachen zu machen sowie andere zu solchen Aussagen aufzufordern und anzuwerben, soweit man nur von der inhaltlichen Richtigkeit der Aussage überzeugt ist. Eine sich in der Bekundung einer äußeren Tatsache erschöpfende Aussage ist aber wertlos. Daher wird ein Richter, der seine Aufgabe ernst nimmt, stets aufklären, wie der Aussagende zu seinem Wissen gelangt ist. Nimmt der Richter seine Funktion in der Rechtspflege ordnungsgemäß wahr, so darf er sich niemals mit einer schlicht eine äußere Tatsache bekundenden Aussage abfinden. Daher ist der Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Theorie nur solange relevant, als sich Lehre und Rechtsprechung mit sachwidrig herbeigeführten Prozessergebnissen begnügen. Aber auch allein die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit eines Sachverhalts rechtfertigt nicht eine entsprechende Aussage. Die Feststellung, wie das Geschehen sich wirklich ereignete, ist Aufgabe richterlicher Würdigung der Beweise. Der Aussagende hingegen soll nicht mitteilen, was er für richtig hält, sondern das ihm mögliche beste subjektive Erinnerungs- bzw. Wissensbild wiedergeben.
dd) Systematisch schließlich ist - unabhängig von Einzelheiten zu den §§ 163, 160; dazu 15 Rdn. 67 f, 85 f - anzumerken, dass überhaupt nur die subjektive Theorie, wenn auch in sehr eng gestecktem Rahmen, und die Pflichttheorie die fahrlässige Falschaussage begründen können. Die Frage nach der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens kann nämlich stets nur dahin gehen, ob es dem Täter bei entsprechender Anstrengung seiner Geistesgaben möglich gewesen wäre, eine inhaltlich andere Aussage als die abgegebene zu machen. Der mögliche Bezugspunkt kann daher stets nur die erreichbare Aussage sein, nicht aber unmittelbar das wirkliche Geschehen.
66
D a z u vgl. OTTO J u S 1984 S. 162 f; SCHMIDHÄUSER O L G C e l l e - F S , S. 2 0 7 f f ; VORMBAUM N K , § 153
Rdn. 74; WILLMS LK, 10. Aufl., Vor § 153 Rdn. 9 ff.
513
§97
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Die Wahrheitspflicht des Aussagenden a) Der Vernehmungsgegenstand 16 Der strafrechtlich relevante Inhalt einer Aussage wird stets durch die prozessuale Wahrheitspflicht des Aussagenden begrenzt. Dieser Wahrheitspflicht unterliegen alle Angaben, die Gegenstand der Vernehmung sind: 17 aa) Im Zivilprozess wird der Gegenstand der Vernehmung zunächst durch den Beweisbeschluss förmlich bezeichnet (§§ 358, 359 ZPO). Die dort gestellten Beweisfragen bestimmen den Umfang der Zeugnispflicht. 18 bb) Im Strafprozess ist Gegenstand der Vernehmung allgemein der „Gegenstand der Untersuchung", der dem Zeugen vor seiner Vernehmung mitzuteilen ist, § 69 Abs. 1 StPO. Die Aussagepflicht - und damit die Wahrheitspflicht - umfasst hier alle Tatsachen, die mit der Tat i.S. des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können. 19 cc) Im Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ist Aussagegegenstand der Gegenstand des Untersuchungsauftrags.67 20 dd) Im Zivil- und Strafprozess kann der Vernehmungsgegenstand und damit die Aussageund Wahrheitspflicht durch Fragen des Gerichts und anderer Verfahrensbeteiligter erweitert werden. Auf die Erheblichkeit der Aussage für das betreffende Verfahren kommt es nicht an, doch gehören völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die mit dem Verfahren offensichtlich nichts zu tun haben - Antwort auf die Frage des Vorsitzenden an den Zeugen, ob ihm die Wartezeit lang geworden sei - nicht zum Gegenstand der Vernehmung. 68
21 Auch durch unzulässige Fragen können Beweisthema und Wahrheitspflicht eines Zeugen erweitert werden, wenn die Fragen nicht vom Gericht zurückgewiesen werden.69 Allerdings will der BGH die Wahrheitspflicht auf die enge, wörtliche Beantwortung der Frage begrenzen und vervollständigende Angaben von der Wahrheitspflicht ausschließen.™ Spontane Äußerungen des Aussagenden, die den Vernehmungsgegenstand überschreiten, fallen nach h.M. nur dann unter die Wahrheitspflicht, wenn sie auf nachträgliche Erweiterung des Beweisthemas durch den vernehmenden Richter hin bestätigt werden.™
67
Vgl. OLG Koblenz StV 1988 S. 531. - Die Rechtsstellung der Aussageperson vor dem Untersuchungsausschuß richtet sich danach, ob es sich um eine parlamentarische Untersuchung mit personellbestimmtem (Ermittlungen strafbarer Handlungen best. Personen) oder mit generell-bestimmtem Ermittlungszweck (Aufklärung eines best. Ereignisses) handelt. Im ersten Fall haben die Betroffenen eine dem Beschuldigten, im zweiten Fall eine dem Zeugen vergleichbare Position; vgl. dazu BGHSt 17,128, 129 f; OLG Köln NJW 1998 S. 2487; DEICHMANN Grenzfälle der Sonderstraftat, 1994, S. 84; WAGNER GA 1976 S. 266.
68
im einzelnen dazu MÜLLER Zeugenaussage, S. 100 ff, 105; Ruß LK, Vor § 153 Rdn. 25.
69
Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 1021 mit Anm. OTTO JK 92, StGB Vor § § 1 5 3 ff/2; Ruß LK, Vor § 153 R d n . 2 9 f; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . §§ 153 ff R d n . 15. - A . A . LACKNER/KÜHL § 154 R d n . 6; RUDOLPHI S K n , V o r § 153 R d n . 23.
70 71
Vgl. BGHSt 2 S. 90; BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 1021; BRUNS GA 1960 S. 172 f, 179 f. Vgl. dazu BGHSt 25 S. 244; BGH NStZ 1982 S. 464; KG JR 1978 S. 78 mit Anm. WILLMS S. 78 ff; D E M U T H N J W 1974 S. 7 5 8 ; R u ß L K , V o r § 153 R d n . 2 8 ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . §§ 153 ff R d n .
15. - A.A., wenn entscheidungserhebliche Tatsachen betroffen sind: LACKNER/KÜHL § 154 Rdn. 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 7 5 R d n . 2 7 ; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S. 102 f; OTTO J u S 1984 S. 164; RUDOLPHI J R 1974 S. 2 9 3 f f .
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ee) Die oben unter Rdn. 17 und Rdn. 20 beschriebene Begrenzung des Vernehmungs- 22 gegenständes im Zivilprozess erscheint jedoch nicht sachgerecht. Es ist nicht einzusehen, warum im Zivilprozess neben den Aussagen zu dem durch den Beweisbeschluss und etwaige Fragen der Verfahrensbeteiligten bezeichneten Beweisthema nicht auch jene Äußerungen den Gegenstand der Aussage bilden sollten, die mit dem Beweisthema in so engem Zusammenhang stehen, dass sie für das Verfahren erheblich sein könnten. Damit wird nicht an versteckter Stelle der überwundene Gegensatz zwischen erheblichen und unerheblichen Aussagen wieder für die Aussagedelikte aktualisiert. Da es nämlich auf die bloße Möglichkeit der Erheblichkeit für das Verfahren ankommt, wird lediglich eine schon oben getroffene Feststellung bestätigt: Völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die offensichtlich mit der Sache, um die es geht, mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen o.ä. nichts zu tun haben, die gleichsam nur Äußerungen bei Gelegenheit der Vernehmung sind, gehören nicht zum Gegenstand der Vernehmung. Sie begründen keine Falschaussage i.S. der Aussagedelikte. Der Glaube des Täters, sich durch derartige Äußerungen strafbar zu machen, ersetzt die Strafbarkeit des Verhaltens nicht, sondern stellt lediglich ein strafloses Wahndelikt dar. - In diesem Rahmen ist die Straflosigkeit sachlich auch angemessen, da eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeschlossen ist.
b) Das Verschweigen prozesserheblichen Wissens Unbefragt muss der Aussagende bei der Mitteilung seines Wissens alle Tatsachen an- 23 geben, die unmittelbar das Beweisthema betreffen oder in so engem Zusammenhang mit ihm stehen, dass sie für das Verfahren erheblich sein könnten. Schweigt der Aussagende insoweit pflichtwidrig, so wird seine Aussage falsch. - Nicht erfasst wird jedoch das Schweigen zu nichtgenannten, wenn auch prozesserheblichen Themen. Der Zeuge, der die Beweisfrage wörtlich und auch dem Sinne nach wahrheitsgemäß beantwortet, jedoch verfahrenserhebliches Wissen zu einem nicht gefragten Thema verschweigt, macht keine falsche Aussage. BGHSt 3 S. 221: Die A wurde im Unterhaltsprozess ihres nichtehelichen Kindes darüber vernommen, ob sie in der gesetzlichen Empfängniszeit mit B und/oder C geschlechtlich verkehrt habe. Dies verneinte sie, verschwieg aber, dass sie in dieser Zeit mit D verkehrt hatte. Ergebnis: Keine falsche Aussage. - Zwar war die Tatsache des Geschlechtsverkehrs mit D auch für den Prozess erheblich, die Beweisfrage betraf aber nur den Verkehr mit B und C. Diese Frage hatte A jedoch zutreffend beantwortet.
Zur ungefragten Äußerung von Vermutungen ist der Aussagende nicht verpflichtet.72
24
3. Die prozessrechtswidrige falsche Aussage a) Der anerkannte Bereich Einhellig anerkannt und nach dem Gesetz zwingend ist, dass eine falsche Aussage oder 25 eine falsche Versicherung an Eides Statt nur vor einer zur eidlichen Vernehmung bzw. zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zuständigen Stelle erfolgen kann und dass ein Meineid die Beachtung der wesentlichen Formeifordernisse der Eidesleistung voraussetzt. Verfahrensmängel in diesem Bereich schließen ein vollendetes Aussagedelikt aus. b) Die in ihren Auswirkungen umstrittenen Verfahrensfehler aa) Andere Verfahrensmängel sollen hingegen nach h.M. auf die Tatbestandsmäßigkeit 26 falscher Aussagen keinen Einfluss haben. Gleichgültig soll es demgemäss sein, ob die Aussage unter Verletzung der Belehrungspflicht über ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht oder unter Verletzung der §§ 69, 241 Abs. 2 StPO, 396 ZPO (keine Bezugnahme auf frühere Aussagen, Erforderlichkeit der Belehrung über den Gegenstand des 72
BGH Stv 1990 S. 110.
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Verfahrens, Zurückweisung sachfremder Fragen) zustande gekommen ist. Auch die Verletzung von Vereidigungsverboten soll unbeachtlich sein, obwohl auch § 157 Abs. 2 offensichtlich davon ausgeht, dass der Meineid eines Eidesunmündigen nicht tatbestandsmäßig ist. Verfahrensfehler sollen lediglich strafmildernd Berücksichtigung finden können.^ 2 7 bb) Die insbesondere von RUDOLPHI begründete Gegenmeinung hingegen sieht eine falsche Aussage oder falsche eidesstattliche Versicherung nur dann als tatbestandsmäßig i.S. der §§ 153 ff an, wenn sie prozessual verwertbar ist.74 c) Stellungnahme 28 Zuzugeben ist der h.M., dass auch eine prozessual unverwertbare Aussage tatsächlich das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigen kann, wenn sie nämlich trotz des Verwertungsverbots verwertet wird. Jedoch liegt die hier relevante Problematik nicht in der Beeinträchtigung der Rechtspflege als solcher, sondern in der Zuweisung der Verantwortung für diese Beeinträchtigung: Wenn durch die Verwertung einer unverwertbaren Aussage im Prozess das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigt wird, so ist dafür nicht der Aussagende verantwortlich, sondern deijenige, der der Garant des prozessordnungsmäßigen Verfahrens ist, nämlich der Richter, der solche Aussagen gegen das Gesetz Eingang in das Verfahren finden lässt. Daraus folgt: Eine prozessual unverwertbare Aussage ist grundsätzlich nicht tatbestandsmäßig i.S. der §§ 153 ff. Allerdings - und hier lässt der Gedanke der Verantwortungszuweisung eine Einschränkung zu - muss das Gericht die Möglichkeit gehabt haben, die Unverwertbarkeit der Aussage zu erkennen. 29 Diese Modifizierung der Mindermeinung beseitigt zwei grundlegende Einwände dieser Ansicht gegenüber: Zum einen - darauf haben die Vertreter dieser Meinung stets hingewiesen - ist nicht jeder Verstoß gegen die Verfahrensregeln schon geeignet, die unter Verletzung dieser Regeln zustande gekommene Aussage aus dem Bereich der Wahrheitspflicht auszugrenzen. Zum anderen aber ist sichergestellt, dass dem Gericht nicht erkennbare oder sogar durch Täuschung aufgedrängte Mängel keine materiellrechtliche Wirksamkeit erlangen derart, dass sie die Grenzen der Wahrheitspflicht bestimmen.7* Beispiel: V, die Verlobte des Angeklagten A, wird im Prozess gegen A als Zeugin vernommen. Sie verschweigt, dass sie mit A verlobt ist. - Auch den Akten ist kein Hinweis auf die Verlobung zu entnehmen, weil A und V übereingekommen sind, erst einmal abzuwarten, welche Konsequenzen die falsche Aussage der V für den weiteren Prozessverlauf hat. Hier fällt die Tatsache, dass die V nicht über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist, nicht in den Verantwortungsbereich des Gerichts, denn das Gericht hat keinen Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht schuldhaft übergangen. Mag die Aussage daher prozessual auch unverwertbar sein, so ist es dennoch sachgerecht, sie nicht von vornherein aus dem tatbestandsmäßigen Bereich der §§ 153 ff auszuklammern. 73
Vgl. BGHSt 8 S. 187 ff; 17 S. 136; 23 S. 31 f; 27 S. 75; BGH StV 1988 S. 427; BGH wistra 1993 S. 258; OLG Düsseldorf wistra 1995 S. 353 (Eid); ARZT/WEBER B. T„ § 47 Rdn. 105 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 7 5 Rdn. 23; RENGIER B.T. II, § 4 9 Rdn. 36; TRÖND-LE/FISCHER
Vor § 153 Rdn. 11. - Einschränkend: Ruß LK, Vor § 153 Rdn. 29 f; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff R d n . 23, 24; WLLLMS J R 1978 S. 79.
74
Dazu RUDOLPHI GA 1969 S. 140 ff; DERS. SK H, Vor § 153 Rdn. 34 f; im übrigen vgl. DEDES Schröder-GedS, S. 335; GEPPERT Jura 1988 S. 4 9 8 ; HRUSCHKA/KÄSSER J u S 1972 S. 711; SCHNEIDER G A
1956 S. 341; VORMBAUM Schutz, S. 267 ff; ders. NK, § 153 Rdn. 32 ff. - Differenzierend: MEINECKE Die Auswirkungen von Verfahrensfehlern auf die Strafbarkeit nach den Aussagedelikten, 1996, S. 171 ff; MÜLLER Zeugenaussage, S. 114 f.
75 516
Vgl. auch VORMBAUM NK, § 153 Rdn. 34; Ruß LK, Vor § 153 Rdn. 29 f. - Für eine grundsätzliche Differenzierung auch BRUNS GA 1960 S. 178, und SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 23.
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4. Konsequenzen aus der Wahrheitspflicht Den Aussagenden trifft, wie dargelegt, eine persönlich zu erfüllende prozessuale Wahr- 30 heitspflicht, die er durch seine falsche Aussage oder eidesstattliche Versicherung verletzt. Die Aussagedelikte sind daher eigenhändige Delikte. Ihre Begehung im Wege der mittelbaren Täterschaft ist ausgeschlossen. Die Wahrheitspflicht ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1, da 31 sie nur die Grenzen der Angriffsmöglichkeiten auf die Rechtspflege umschreibt, nicht aber eine pflichtbegründende Sonderposition des Aussagenden gegenüber Dritten.76
III. Die einzelnen Aussagedelikte 1. Falsche uneidliche Aussage, § 153 a) Die objektive Tatbestand setzt voraus, dass der Täter vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger falsch aussagt. aa) Gerichte sind die inländischen staatlichen Gerichte in allen ihren Funktionen, z.B. der Rechtspfleger, soweit dieser nach §§ 3, 4 RPflG richterliche Aufgaben wahrnimmt und insoweit das Gericht repräsentiert,77 nicht dagegen die privaten Schiedsgerichte, §§ 1025 ff ZPO. Andere zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständige Stellen sind Behörden, denen der Gesetzgeber das Recht der eidlichen Vernehmung gegeben hat, z.B. das Bundespatentamt (§ 46 PatG), nicht hingegen Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzämter und andere Verwaltungsbehörden. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind den in § 153 Abs. 1 genannten Stellen gleichgestellt, § 153 Abs. 2. - Die den Eid abnehmende Amtsperson muss staats- und gerichtsverfassungsgemäß in ihr Amt berufen worden sein. bb) Die Aussage - die auch die Angaben zur Person und zum Beruf umfasst - muss unmittelbar vor dem Vernehmenden erfolgen. Das bedeutet, dass Aussage hier als mündliche Erklärung zu verstehen ist. Eine Ausnahme macht nur § 186 GVG, der eine schriftliche Verständigung zwischen dem Vernehmenden und einer tauben oder stummen Person zulässt.78 cc) Der Täter muss als Zeuge oder Sachverständiger ausgesagt haben. - Die Angeklagten im Strafprozess, die Parteien im Zivilprozess oder die Beteiligten im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind nicht taugliche Täter. Gleiches gilt für, den Betroffenen im Verfahren vor einem personell-bestimmten parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
76
So auch MÜLLER Zeugenaussage, S. 359; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 42. - A.A. HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 103 f; LANGER Ernst Wolf-FS, S. 343 ff; RUDOLPHI SK N, Vor § 153 Rdn. 9; VORMBAUM N K , § 153 R d n . 111.
77
OLG Hamburg NJW 1984 S. 935; Lackner/Kühl § 153 Rdn. 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 7 4 R d n . 32. - A . A . RUDOLPHI S K n , § 153 Rdn. 4; R u ß L K , § 153 R d n . 5; VORMBAUM N K , § 153 Rdn. 4 6 .
78
So auch OLG München MDR 1968 S. 939; RUDOLPHI SK II, § 153 Rdn. 2; RUB LK, § 153 Rdn. 4; TRÖNDLE/RSCHER § 153 Rdn. 2; VORMBAUM NK, § 153 Rdn. 7. - Eine schriftliche „Beweisaussage" lassen dort, wo die Prozessgesetze diese gestatten, genügen: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 7 5 Rdn. 35; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . §§ 153 ff R d n . 22; WAGNER G A 1976 S. 272.
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Die Tatbeteiligung selbst schließt hingegen die Zeugenrolle nicht aus, vgl. §§ 55, 60 Nr. 2 StPO. Wird jedoch ein Tatbeteiligter willkürlich in die Zeugenrolle gedrängt, um ihn u.U. sogar dem Eideszwang auszusetzen, ist er nicht Zeuge und § 153 bleibt unanwendbar.79
36 b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muss sich darauf erstrecken, dass die Aussage falsch ist, d.h. mit dem wirklichen oder erreichbaren Erinnerungsbild nicht übereinstimmt, dass die Aussage unter die Wahrheitspflicht fällt und vor einer zuständigen Stelle stattfindet. - Ist sich der Täter dieser Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes bewusst, so handelt er vorsätzlich. 37 c) Vollendet ist die falsche Aussage mit dem Abschluss der Vernehmung. Dies ist der Fall, wenn der Vernehmende zu erkennen gibt, dass er von dem Zeugen oder Sachverständigen keine weitere Auskunft über den Vernehmungsgegenstand erwartet, und der Aussagende, dass er seinerseits nichts mehr zu bekunden hat das bisher Bekundete als seine verantwortliche Aussage gelten lassen will. - Berichtigt der Aussagende bis zu diesem Zeitpunkt eine falsche Aussage, so bleibt er straffrei, da der Versuch der uneidlichen Aussage straflos ist. Wird der Aussagende in mehreren Terminen desselben Rechtszuges zu demselben Beweisthema gehört, ohne dass es bereits zu einem Abschluss der Vernehmung gekommen ist, und sagt falsch aus, so liegt nur eine einheitliche falsche Aussage vor. 2. Meineid, § 154 38 a) § 154 stellt - soweit es um den Meineid eines Zeugen oder Sachverständigen geht - einen gegenüber § 153 qualifizierten Tatbestand dar, im übrigen - Parteieid - ein selbständiges Delikt. 39 b) Die Tathandlung besteht in falschem Schwören, d.h. in der Bekräftigung einer falschen Aussage mit dem Eide vor Gericht oder einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle. Der Eid kann als „Voreid" vor der Vernehmung oder als „Nacheid", nach der Vernehmung abgenommen werden. Er ist nur tatbestandsmäßig, wenn die wesentlichsten Formerfordemisse gewahrt wurden. Unerlässlich ist die vom Schwörenden zu sprechende Formel: „Ich schwöre".
40 aa) Täter können alle Personen sein, die nach dem Verfahrensrecht eidespflichtig gemacht werden können. Das sind nicht nur Zeugen oder Sachverständige, sondern z.B. auch die Parteien im Zivilprozess. Wird ein Eidesunmündiger, d.h. eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, vereidigt, so liegt kein tatbestandsmäßiger Eid vor, da eine solche Person das Wesen des Eids nach der unwiderlegbaren Vermutung des Gesetzes nicht versteht; davon geht offenbar auch § 157 Abs. 2 aus.80
41 bb) Das Gericht oder die zuständige Stelle muss zur Abnahme von Eiden gesetzlich ermächtigt sein. Darüber hinaus muss in dem konkreten Verfahren ein Eid der geleisteten
79
Dazu BGHSt 10 S. 10; RUB LK, § 153 Rdn. 10; VORMBAUM NK, § 153 Rdn. 25.
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Vgl. KREY B.T. 1, R d n . 563; KÜPPER B.T., n § 2 R d n . 18; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 7 5 R d n . 23; OTTO JUS 1984 S. 166; QUEDENFELD J Z 1973 S. 2 3 8 f f ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m .
§§ 153 ff Rdn. 25; WESSELS/HETITNGER B. T./l, Rdn. 754. - Für tatbestandlichen Ausschluss bereits aus grundsätzlichen Erwägungen (prozessuale Unverwertbarkeit): HRUSCHKA/KÄSSER JuS 1972 S. 711; RUDOLPHIGA 1969 S. 140 f f ; DERS. S K n , § 154 R d n . 8; VORMBAUM N K , § 154 R d n . 38. - A . A . (Tat-
bestand erfüllt): BGHSt 10 S. 144; LACKNER/KÜHL § 154 Rdn. 2; Ruß LK, § 154 Rdn. 10; TRÖNDLE/FISCHER Vor | 153 Rdn. 11. - Zur verfahrenswidrigen Beeidigung im übrigen vgl. die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 41. 518
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Art gesetzlich zugelassen sein.81 Daran fehlt es nach h.M. beim Parteieid im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit.82 Ferner muss die den Eid abnehmende Person nach den verbindlichen Gesetzen zu diesem Akt berechtigt sein, was z.B. bei einem Referendar gemäß § 10 S. 2 GVG nicht der Fall ist. c) Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz, bedingter genügt. 42 aa) Der Vorsatz muss sich darauf erstrecken, dass die Aussage falsch ist, dass sie unter den 43 Eid fallt und dass der Eid vor einer zuständigen Stelle erfolgt. bb) Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum liegt daher vor, wenn der Täter sich nicht der Tatsache bewusst ist, dass seine Aussage nicht seinem wirklichen oder dem erreichbaren Erinnerungsbild entspricht, wenn er nicht weiß, dass seine Aussage noch Gegenstand der Vernehmung ist und damit der Wahrheitspflicht unterfallt oder dass seine Aussage vor Gericht oder einer entsprechenden Behörde erfolgt. Es genügt jedoch, dass der Täter sich der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehaltes bewusst ist. Hat er dieses Bewusstsein, glaubt sich aber dennoch zu einer Falschaussage berechtigt, so kann dieser Irrtum nur im Rahmen des § 17 berücksichtigt werden.83
d) Vollendet ist der Meineid beim Voreid mit Abschluss der Aussage, beim Nacheid mit 44 der Beendigung des Schwurs. aa) Ein strqßarer Versuch des Meineids liegt demgemäss beim Voreid vor, wenn der Tä- 45 ter zu der falschen Aussage, und beim Nacheid, wenn er zur Leistung des Eides unmittelbar ansetzt, d.h. mit dem Sprechen der Eidesworte. - Ein strafbarer untauglicher Versuch ist nach allgemeinen Grundsätzen anzunehmen, wenn der Täter irrig einen Sachverhalt annimmt, der, läge er vor, die Voraussetzungen des Meineids vor einer zuständigen Behörde erfüllen würde. - Ein Wahndelikt hingegen ist gegeben, wenn der Täter den Sachverhalt kennt, die den Eid abnehmende Stelle aber aufgrund falscher rechtlicher Erwägungen für zuständig hält, obwohl diese es nicht ist.84 Beispiel: A wird in einer Verkehrssache als Zeuge von der Polizei gehört. Der Polizist vereidigt den A, der der Ansicht ist, auch die Polizei dürfe Zeugen vereidigen. Ergebnis: Wahndelikt des A.
bb) Nach dem Gesetzesaufbau zwingend ist der Nacheid selbst nicht mehr Teil der fal- 46 sehen Aussage, sondern schließt an diese an. Das hat die Konsequenz, dass der Täter, der vom Versuch des Meineids straffrei gemäß § 24 Abs. 1,1. Alt. zurücktritt, wegen der bereits vollendeten falschen Aussage strafbar bleibt, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe gemäß § 158. Kriminalpolitisch sinnvoll ist diese Konstruktion nicht, denn damit wird dem Eid die Fähigkeit als gesteigertes Druckmittel zur Bewirkung wahrer Aussagen weitgehend genommen: Der Täter steht nicht vor der
Zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages: GÜTHER/SEILER NStZ 1993 S. 305 ff. 82
Vgl. dazu BGHSt 10 S. 272; Ruß LK, § 154 Rdn. 7 , 9 . - A.A. TRÖNDLE/FISCHER § 154 Rdn. 3; VORMBAUM N K , § 154 R d n . 2 6 .
83
vgl. dazu BGHSt 5 S. 118; 10 S. 15.
84
Wie hier: OLG Bamberg NJW 1949 S. 876; KREY B.T. 1, Rdn. 559; Ruß LK, § 154 Rdn. 21; SCH/SCH/LENCKNER § 154 Rdn. 15; VORMBAUM § 154 Rdn. 49. - A.A. RGSt 72 S. 80; BGHSt 3 S. 253 f; HERZBERG JUS 1980 S. 472 ff; JESCHECK/WEIGEND Strafrecht, A.T., 5. Aufl. 1996, § 50 II 2. -
Diff.: SCHLÜCHTER Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, 1983, S. 155 ff.
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Entscheidung, durch den Rücktritt insgesamt Straffreiheit zu erlangen, denn ihm ist jetzt bereits die Bestrafung nach § 153 sicher. Dieser Gewissheit steht dann lediglich noch das Risiko einer geringfügig höheren Strafe nach § 154 gegenüber, wenn er seine falsche Aussage zusätzlich beschwört.
3. Eidesgleiche Bekräftigung, § 155 47 § 155 stellt dem Eid als Tatbestandsmerkmal des § 154 gleich: 48 a) Gemäß § 155 Nr. 1: die den Eid ersetzende Bekräftigung der Wahrheit, die vorgesehen ist für Personen, die sich aus Glaubens- oder Gewissensgründen weigern, einen Eid zu leisten; vgl. §§ 66 d StPO, 484 ZPO. 49 b) Gemäß § 155 Nr. 2: die Berufung des Aussagenden - bloßer Hinweis des Richters genügt nicht - auf einen früheren Eid oder eine früheren Bekräftigung. Diese kommt in Betracht: 1. Alt.: Bei der Berufung auf einen in derselben Sache früher geleisteten Partei-, Zeugenoder Sachverständigeneid, bzw. die entsprechende Bekräftigung; vgl. §§ 67, 72 StPO, 398 Abs. 3,402,451 ZPO. 2. Alt.: Zur Berufung eines allgemein vereidigten Sachverständigen auf den von ihm geleisteten Eid oder eine entsprechende Bekräftigung; vgl. §§ 79 Abs. 3 StPO, 410 Abs. 2 ZPO. Zu beachten ist hier, dass ein früher geleisteter Sachverständigeneid bei Berufung auf ihn nicht eine spätere Zeugenaussage erfasst. 85
50 c) Zur Berufung eines Beamten auf den von ihm geleisteten Diensteid: § 386 Abs. 2 ZPO. 4. Falsche Versicherung an Eides Statt, § 156 51 Eidesstattliche Versicherungen sind ein wichtiges Mittel zur Glaubhaftmachung tatsächlicher Behauptungen, vgl. §§ 294 Abs. 1, 807,920 Abs. 2,936 ZPO; 56,74 Abs. 3 StPO. 52 a) Der objektive Tatbestand verlangt die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung vor einer zuständigen Behörde oder eine falsche Aussage vor einer solchen Behörde unter Berufung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung. 53 aa) Falsch ist die Versicherung entsprechend der falschen Aussage, wenn sie nicht das wirkliche oder erreichbare Wissens- oder Erinnerungsbild des Versichernden wiedergibt. 54 bb) Zuständig ist die Behörde nicht schon dann, wenn sie allgemein zuständig zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Behörde die konkrete Versicherung über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, und in dem Verfahren, in dem sie eingereicht wird, abnehmen darf und dass die Versicherung selbst nicht rechtlich völlig bedeutungslos ist. Das bedeutet auch, dass der Versichernde in seiner verfahrensrechtlichen Stellung eine derartige Versicherung zu dem angestrebten Zweck überhaupt abgeben darf.86
85
Dazu OLG Köln MDR 1955 S. 183.
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Vgl. dazu BGHSt 17 S. 303 (Wiederaufnahmeverfahren); BGHSt 25 S. 92 (Wiedereinsetzungsverfahren); BGH StV 1990 S. 111 (Konkursverfahren); BayObLG wistra 1990 S. 70 (Vollstreckungsverfahren); BayObLG wistra 1990 S. 199, BayObLG StV 1991 S. 467 (Wiedereinsetzungsverfahren); BayObLG NJW 1998 S. 1577 (Ermittlungsverfahren); Bay ObLG StV 1999 S. 319 (Haftprüfungsverfahren); LACKNER/KÜHL § 156 R d n . 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 7 5 R d n . 5 9 f f ; RUDOLPHI S K H , § 156 R d n . 5 ; RUB L K , § 156 R d n . 7 .
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cc) Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung und die Aussage unter Bern- 55 fung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung können sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen. Mündlich erfolgt die Erklärung durch die Äußerung unmittelbar vor der Behörde mit deren Hinverständnis. Eine schriftliche Erklärung ist abgegeben, wenn die Erklärung in den Machtbereich der Behörde gelangt, bei der sie zu Beweiszwecken dienen soll. Kenntnisnahme durch den zuständigen Sachbearbeiter ist nicht erforderlich.
dd) Bezüglich der Wahrheitspflicht ergeben sich bei der eidesstattlichen Versicherung in- 56 sofern Besonderheiten, als es bei spontanen Versicherungen an einer Festlegung des Beweisthemas durch eine Behörde fehlt. In diesen Fällen ist zur Bestimmung des „Versicherungsgegenstandes" die Versicherung selbst auszulegen. Das Beweisthema, wie es nach dem Gegenstand und Stand des Verfahrens zu formulieren gewesen wäre, kann nicht maßgeblich sein, da dieses dem Erklärenden oftmals überhaupt nicht bekannt ist oder auch nur bekannt sein kann.«7 Gegenstand der falschen Versicherung ist aber nicht jede in der Versicherung enthaltene unrichtige Bekundung. Die Wahrheitspflicht erfasst auch hier nur die Äußerungen, die für das konkrete Verfahren möglicherweise von Bedeutung sein könnenfi* Danach entscheidet sich auch die Frage, wieweit ein Verschweigen die Versicherung zu 57 einer falschen macht: Verschweigen von Tatsachen macht eine Versicherung zu einer falschen, wenn Tatsachen verschwiegen werden, die mit dem gewählten Beweisthema so eng zusammenhängen, dass ihre Offenbarung die Erklärung inhaltlich ändern würde, weil ihr Sinngehalt ein anderer würde. Beispiel 1: (nach BGH NJW 1959 S. 1235): Der Großhändler A versichert in einem An-estverfahren an Eides Statt, dass ihm die Namen und Orte der Gastwirtschaften, in denen bestimmte Münzautomaten aufgestellt worden waren, unbekannt seien. - Er verschwieg, dass er jederzeit durch Rückfrage bei einem engen Mitarbeiter und Provisionsvertreter die Standorte der Geräte hätte erfahren können. BGH: Trotz wörtlicher Richtigkeit der Erklärung gab A eine falsche Versicherung an Eides Statt ab. Beispiel 2: OLG Frankfurt NStZ-RR 1998 S. 72: A versicherte an Eides Statt gemäß § 5 StVG, dass er seinen Führerschein verloren habe. Das stimmte auch. Er verschwieg aber, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen war. OLG Frankfurt: Die Versicherung bezog sich nur auf den Verlust des Führerscheins, nicht auf dessen Gültigkeit.
b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muss wissen, 58 dass seine Versicherung falsch ist und vor einer zuständigen Behörde erfolgt. Auch hier genügt aber die Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts. Eine gleichwohl bestehende Vorstellung des Täters, zur falschen Versicherung berechtigt zu sein, kann im Rahmen des § 17 Berücksichtigung finden.
c) Von besonderer Bedeutung in der Praxis ist die Versicherung des Schuldners nach 59 §807 ZPO. Hat eine Pfändung des Gläubigers nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt oder macht der Gläubiger glaubhaft, dass er durch Pfändung seine Befriedigung nicht vollständig erlangen könne, so ist der Schuldner auf Antrag verpflichtet, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und an Eides Statt zu versichern, „dass er die von ihm ver87
S o a u c h RUDOLPM S K H , § 156 R d n . 10; R u ß L K , § 156 R d n . 17; VORMBAUM/ZWIEHOFF N K , § 156 R d n . 4 6 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 156 R d n . 5.
88
Vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 1848; OLG Karlsruhe NStZ 1985 S. 412; BLOMEYER JR 1976 S. 441 ff; ST. CRAMER Jura 1998 S. 337; Ruß LK, § 156 Rdn. 17.
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langten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe". - Die Offenbarungs- und damit Wahrheitspflicht wird durch den Zweck der Norm, dem Gläubiger eine Vollstreckung in das vorhandene Schuldnervermögen zu ermöglichen, konkretisiert: Nur solche wahrheitswidrigen Angaben machen die Versicherung zu einer falschen, die unter die Offenbarungspflicht fallen und geeignet sind, den Gläubigerzugriff zu vereiteln oder zu erschweren.89 Die Entscheidung, ob im Zweifel ein Objekt unter die Offenbarungspflicht fällt, ist nicht dem Schuldner überlassen. Daraus folgt: aa) Offenbarungspflichtig ist das gesamte gegenwärtige Vermögen sowie früheres Vermögen, soweit ein Rückübertragungsanspruch besteht oder nach dem AnfechtungsG - vgl. § 807 Abs. 1 Nr. 1-3 ZPO, § 3 AnfechtungsG - zur Entstehung gebracht werden kann, auch wenn eine eventuelle Gegenforderung der Forderung wertgleich ist. Streitige und unpfändbare Forderungen gehören hierher, denn über den Erfolg einer Zwangsvollstreckung entscheidet nicht das Ermessen des Schuldners, sondern das Urteil der entsprechenden Gerichtsorgane, wenn der Gläubiger deren Entscheidung herbeigeführt haben will.9" Künftige Forderungen, die bereits jetzt Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein können, und Anwartschaftsrechte mit Vermögenswert91 sowie Einnahmen aus angebahnten, aber noch nicht abgewickelten Maklergeschäften92 sind anzugeben, nicht aber ist ein umfassender Überblick über die Tätigkeit zu gewähren, wenn aus dieser Tätigkeit erst später Vermögenserwerbsmöglichkeiten erwachsen.^ bb) Anzugeben sind neben den Vermögensobjekten auch die Umstände, die für die Zugriffsmöglichkeit des Gläubigers von Bedeutung sind, z.B. der Name eines Drittschuldners, der Stand einer Erbauseinandersetzung u.ä. cc) Offensichtlich völlig wertlose Gegenstände oder eindeutig im Wege der Zwangsvollstreckung nicht verwertbare Objekte z.B. die Firma, Firmenmantel des Kaufmanns sowie die Mittel des täglichen Lebensbedarfs brauchen nicht angegeben zu werden.9-» dd) Die Angabe fingierter Vermögensstücke macht die Versicherung hingegen falsch, denn dadurch kann der Gläubiger zu zwecklosen Vollstreckungshandlungen veranlasst werden.95 ee) Dass der Versichernde sich durch eine wahrheitsgemäße Angabe einer Straftat bezichtigen würde, berührt die Offenbarungspflicht nicht, doch unterliegen diese Angaben in bezug auf ein Strafverfahren einem Verwertungsverbot.9® ff) Der Irrtum über die Offenbarungspflicht hinsichtlich bestimmter Vermögensgegenstände ist Tatbestandsintum.97
89
Dazu BGHSt 8 S. 400; 19 S. 126 ff; BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 813; BayObLG NStZ 1999 S. 563; OLG Celle MDR 1995 S. 1056; OLG Köln StV 1999 S. 319.
90
B G H N J W 1 9 5 3 S . 3 9 0 m i t ANM. SCHMIDT-LEICHNER; B G H N J W 1956 S. 7 5 6 .
91 92 93
BGHSt 15 S. 130; BGH GA 1966 S. 243; OLG Hamm GA 1975 S. 180; BayObLG wistra 1993 S. 73. BGHSt 37 S. 340. BGH StV 1990 S. 111.
94 95 96
BGHSt 13 S. 348 f; 14 S. 349; BayObLG MDR 1991 S. 1079. BGHSt 7 S. 375. Dazu BVerfG NJW 1981 S. 1431 ff; BGHSt 37 S. 340.
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K G J R 1985 S . 161.
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5. Fahrlässiger Falscheid und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt, § 163 a) Die objektiven Voraussetzungen des § 163 entsprechen denen der §§ 154, 155, 156. - 66 Falsch ist auch hier eine Aussage oder Versicherung, die nicht das wirkliche oder reproduzierbare Erinnerungs- bzw. Wissensbild des Äußernden wiedergibt. b) Die Fahrlässigkeit des Täters kann im wesentlichen auf drei verschiedenen Gründen 67 beruhen: aa) Der Täter erkennt nicht, dass seine Angaben falsch sind, obwohl er bei entsprechender 68 Anspannung seiner Geistesgaben die Diskrepanz zwischen den Angaben und seinem Erinnerungsbild hätte erkennen können. Bei einem Zeugen ist dies der Fall, wenn er aus Nachlässigkeit sein noch im Gedächtnis bestehendes Erinnerungsbild nicht dementsprechend wiedergibt, wenn er etwas Unzutreffendes als sicheres Erinnerungsbild hinstellt, obwohl er es wegen fehlender Überlegung nicht als sicheres Wissen ausgeben darf, oder wenn er es vorwerfbar unterlässt, tatsächliche Anhaltspunkte oder äußere Hilfsmittel zu benutzen, die sich ihm während der Vernehmung darbieten und die geeignet sind, mindestens Zweifel an der Richtigkeit seines Erinnerungsbildes zu wecken.98 Beispiel: Der Vertreter A sagt vor Gericht als Zeuge aus, er sei am 1.3. bei G in dessen Gastwirtschaft gewesen. In Wirklichkeit war er erst am 2.3. bei G. Dem A ist bekannt, dass andere Zeugen ihn dort nur am 2.3. gesehen haben wollen. Da A jedoch sicher glaubt, am 1.3. in der Gaststätte gewesen zu sein, ist er über die Aussagen der anderen Zeugen sehr verblüfft. Er hält es gleichwohl nicht für nötig, in seinem Auftragsbuch, in dem der Besuch bei G verzeichnet ist, noch einmal nachzuschauen. Ergebnis: Nach den ihm gegebenen Möglichkeiten hätte er erkennen können, dass sein Erinnerungsbild falsch war. Wenn er es dennoch wiedergab, ohne von den ihm zur Verfügung stehenden Prüfungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, handelte er sorgfaltspflichtwidrig und damit fahrlässig. Im Gegensatz zum Zeugen, der keine Vorbereitungspflicht, sondern nur eine Konzentrations- und Prüfungspflicht hat, haben der Sachverständige, die Prozesspartei und der zur Offenbarung seines Vermögens verpflichtete Schuldner aufgrund ihrer Verfahrensstellung eine Informationspflicht vor der Aussage, d.h. eine Vorbereitungspflicht."
bb) Der Täter ist sich bewusst, dass er falsche Angaben macht, erkennt aber nicht, dass 69 diese Angaben noch zum wahrheitspflichtigen Inhalt seiner Aussage gehören, d.h. unter die Wahrheitspflicht fallen. cc) Der Täter hält die den Eid bzw. die die Versicherung abnehmende Behörde irrig für 70 unzuständig.
IV. Teilnahme und mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten 1. Teilnahme Die Interpretation der Aussagedelikte als eigenhändige Straftaten schließt zwar die Täter- 71 Schaft von Außenstehenden, nicht aber deren Teilnahme aus. Anstiftung und Beihilfe bestimmen sich nach den allgemeinen Regeln. - Als Teilnehmer haftet jedoch nicht, wer durch sein Prozessverhalten ausschließlich die Möglichkeit eröffnet, dass ein anderer ohne vorheriges Einvernehmen - ein Aussagedelikt begeht. a) Teilnahme durch positives Tun aa) Eine Teilnahme durch positives Tun aufgrund prozessordnungsgemäßer Äußerungen 72 und Prozesshandlungen eines Prozessbeteiligten scheidet von vornherein aus, denn nach 98 Dazu OLG Köln MDR 1980 S. 421; OLG Koblenz JR 1984 S. 422 mit Anm. BOHNERT S. 425 ff. 99 Dazu RUß LK, § 163 Rdn. 8, 16,17.
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materiellem Recht können nicht Verhaltensweisen mit Strafe bedroht werden, die die entsprechende Prozessordnung ausdrücklich erlaubt. Schweigen oder Leugnen des Angeklagten, das eine falsche Aussage verursacht, kann als solches keine Strafbarkeit des Angeklagten begründen.
73 bb) Aber auch für ein prozessordnungswidriges Verhalten gilt gleiches: Wer wider besseres Wissen einen Anspruch bestreitet oder behauptet und dadurch die Benennung eines Zeugen veranlasst oder sogar selbst den Zeugen benennt, haftet für dieses Verhalten allein noch nicht als Teilnehmer. Die zivilprozessuale Wahrheitspflicht, § 138 ZPO, ändert daran nichts, denn sie bürdet demjenigen, der sich prozessordnungswidrig verhält, noch nicht die Verantwortung für das strafbare Verhalten eines anderen auf, der eine falsche Aussage macht, ohne hierbei im Einverständnis mit dem Benennenden tätig zu werden. Die bloße Eröffnung der Möglichkeit, ein Delikt zu begehen, zu dem sich ein anderer sodann im Rechtssinne frei verantwortlich entschließt, begründet noch keine strafrechtliche Haftung als Teilnehmer. ioo b) Teilnahme durch Unterlassen 74 Auch eine Haftung als Teilnehmer durch Unterlassen kann ein prozessordnungswidriges Verhalten als solches nicht begründen, soll nicht letztlich aus § 138 ZPO wiederum eine Verantwortung für fremdes deliktisches Verhalten hergeleitet werden. 75 aa) Unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung stellte der BGH in BGHSt 17 S. 321 fest, dass das wahrheitswidrige Bestreiten allein noch keine Garantenpflicht zur Verhinderung des Meineids eines Zeugen auslöse, dass Vorverhalten müsse vielmehr eine prozessinadäquate, besondere Gefahr einer Falschaussage begründen. Als solche Gefahren sollen die Beschränkung der Entschlussfreiheit des Zeugen, z.B. durch die Fortsetzung des ehewidrigen Verhaltens während des Scheidungsprozesses, und die Ausnutzung der Tatsache, dass der Zeuge unterwürfig ist und sich bereits durch Lügen im Vorfeld des Prozesses „festgefahren hat", angesehen werden. Es sollen verwandtschaftliche, eheliche oder sonstige persönliche Bindungen eine Rolle spielen.101 76 bb) Doch auch diese Begrenzung der Garantenpflicht ist noch zu weit. Eheliche oder sonstige persönliche Bindungen begründen keine Garantenpflicht gegenüber der Rechtspflege.1® Das Vorverhalten muss vielmehr als solches bereits eine inadäquate Gefährdung der Rechtspflege darstellen derart, dass die Möglichkeiten sachgemäßer Tatsachenerinittlung bereits durch dieses Verhalten beeinträchtigt werden. Dies ist erörterungswürdig in dem Fall, dass z.B. jemand einen anderen zu einer uneidlichen falschen Aussage vor Ge-
100 So auch BGHSt 17 S. 323; OLG Hamm NJW 1992 S. 1977 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 153/2, SCHEFFLER G A 1993 S. 3 4 1 f f , SEEBODE N S t Z 1993 S. 8 3 f; L G M ü n s t e r StV 1994 S. 134; HEINRICH J u S 1995 S. 1118 f; PRTlTWrrz StV 1995 S. 2 7 2 f f ; RUDOLPHI S K II, V o r § 153 R d n . 51;
SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 37; SERING Beihilfe durch Unterlassen, 2001, S. 148 ff; VORMBAUM Schutz, S. 2 9 3 f; DERS. N K , § 153 R d n . 112 a. - A . A . BRAMMSEN StV 1994 S. 137 f f ;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 75 Rdn. 80. - Differenzierend zwischen wissentlicher und nur filr möglich gehaltener „Falschbenennung": MÜLLER Zeugenaussage, S. 208. 101 Dazu BGH 4 StR 306/55 S. 4; BGHSt 6 S. 322; BGHSt 17 S. 321; BGH 1 StR 504/60 S. 5; KG JR 1969 S. 2 7 mit abl. A n m . LACKNER S. 2 9 ff; O L G D ü s s e l d o r f N J W 1994 S. 2 7 2 mit abl. A n m . OTTO
JK 94, StGB | 154/3; OLG Köln NStZ 1990 S. 594. 102 Vgl. a u c h HEINRICH J u S 1995 S. 1119 f; KREY B . T . 1, R d n . 5 7 8 ; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S. 305; SERING Beihilfe, S. 152 ff, VORMBAUM N K , § 153 R d n . 119.
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rieht angestiftet hat und es nun zu einer Vereidigung kommen lässt, ohne aufklärend einzugreifen.103 2. Versuch der Anstiftung zur Falschaussage, §159 Eine Bestrafung wegen versuchter Anstiftung zu einem Aussagedelikt unter Anwendung 77 des § 30 ist allein beim Meineid, §§ 154,155, möglich (Verbrechen). In § 159 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 (Versuch der Anstiftung zu einem Verbrechen) auf die Taten nach §§ 153, 156 erweitert, weil er die versuchte Anstiftung auch hier als besonders gefahrlich einstufte. Diese Regelung ist kriminalpolitisch gleichwohl wenig überzeugend, denn da der Ver- 78 such der Falschaussage bzw. der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung nicht unter Strafe gestellt ist, ergeben sich eigenartige Konsequenzen für den Fall, dass die Tat des Haupttäters nur zum Versuch gediehen ist: Der Haupttäter bleibt straflos, obwohl seine kriminelle Energie im Regelfall größer ist als die des erfolglos anstiftenden Hintermannes. - Die hier begründeten Diskrepanzen will der BGH dadurch mildern, dass er § 159 dann nicht anwenden will, wenn die Tätigkeit des Angestifteten aufgrund des Tatplans nur zu einem untauglichen Versuch führen kann. BGHSt 24 S. 38: A fordert die V auf, eine falsche eidesstattliche Versicherung zur Vorlage beim Strafrichter abzugeben, in der sie versichert, sie wisse, A sei unschuldig. BGH: A ist nicht strafbar, da die Tat der V nur zu einem untauglichen Versuch geführt hätte.
Unabhängig von der Frage, ob im konkreten Fall nicht in der Person der V ein Wahn- 79 verbrechen vorgelegen hätte104, so dass A aus diesem Grund straffrei bleiben musste, lässt sich eine Differenzierung zwischen tauglichem und untauglichem Versuch sowie völligem Fehlschlag der Anstiftung aus § 159 nicht entnehmen. Es kommt allein auf die Vorstellung des Anstiftenden an, dass der Angestiftete das entsprechende Delikt begehen wird. So kriminalpolitisch begrüßenswert die Einschränkung des § 159 hier auch sein mag, mit dem Gesetz ist sie nicht in Einklang zu bringen.1»» a) Objektiv setzt § 159 einen Versuch des Bestimmens voraus, d.h. Handlungen, mit denen 80 der Täter unmittelbar zur Willensbeeinflussung des Anzustiftenden ansetzt. Verabredungen zu einem Gespräch, Erkundigungen über das Wissen eines anderen oder über seine Stellung zu anderen Verfahrensbeteiligten genügen dazu noch nicht.
b) Die Anstiftung darf nicht zum Erfolg (falsche uneidliche Aussage, falsche Versicherung 81 an Eides Statt) geführt haben. Der Grund des Misslingens - Anstiftungsbrief wird vom Adressaten ungelesen vernichtet, es kommt nicht zur Vernehmung, der Anzustiftende ist schon zuvor zur falschen Aussage entschlossen, der Zeuge erkennt den Anstiftungsversuch nicht und sagt gutgläubig falsch aus - ist gleichgültig.
c) Der Vorsatz des Anstifters, bedingter genügt, muss sich darauf beziehen, einen anderen 82 zu einer falschen uneidlichen Aussage oder Versicherung an Eides Statt zu bestimmen. 103 Vgl. dazu auch BGH NStZ 1993 S. 489; OLG Köln NStZ 1990 S. 594; RUDOLPHI SK II, Vor § 153 Rdn. 52 f; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 40. 104 Dazu KREY B.T. 1, Rdn. 585. 105 s o a u c h ARZT/WEBER B . T „ § 4 7 R d n . 137; DREHER M D R 1971 S. 4 1 0 f; LACKNER/KÜHL § 159 R d n . 3; RUDOLPHI S K D , § 159 R d n . 3; R u ß L K , § 159 R d n . 1 a; SCHRÖDER J Z 1 9 7 1 S. 5 6 3 f; TRÖNDLEGA 1 9 7 3 S. 3 3 7 ; WESSELS/HETTINGER B . T./1, R d n . 781. - A . A . KREY B . T . 1, R d n . 5 8 7 f; MÜLLER Z e u -
genaussage, S. 374 ff; VORMBAUM GA1986 S. 367.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Der Vorsatz braucht sich nicht auf alle Einzelheiten der Tat zu erstrecken, muss sie aber in ihren groben Umrissen erfassen.
83 d) § 159 verweist uneingeschränkt auf § 30 Abs. 1. Strafbar gemäß §§ 159, 30 Abs. 1 ist daher auch die versuchte Anstiftung zur Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage und Versicherung an Eides Statt (Kettenanstiftung).106 Straflos ist hingegen die versuchte Anstiftung zur Beihilfe und die Beihilfe zum Anstiftungsversuch. 84 e) Die Rücktrittsvorschriften des § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 gelten gemäß § 159 entsprechend. 3. Verleitung zur Falschaussage, § 160 85 Da die Aussagedelikte eigenhändige Delikte sind, kommt bei ihnen nach den allgemeinen Regeln eine mittelbare Täterschaft nicht in Betracht. Die hier befürchtete Strafbarkeitslücke soll § 160 schließen: Bestraft wird, wer bewirkt, dass ein anderer unvorsätzlich gutgläubig einen falschen Eid leistet, eine falsche Versicherung an Eides Statt abgibt oder eine falsche uneidliche Aussage macht. Während § 159 voraussetzt, dass der Aussagende bösgläubig handelt, verlangt das Verleiten in § 160 Gutgläubigkeit des Aussagenden. Er ist Werkzeug in der Hand des Hintermannes. 86 a) Nach der Pflichttheorie ist die Aussage auch hier falsch, wenn der Erklärende aufgrund der Einflussnahme des Hintermannes eine Aussage macht oder Erklärung abgibt, die nicht seinem möglichen Erinnerungsbild bzw. Wissensbild entspricht, was ihm selbst allerdings nicht bewusst ist. 87 Ist es dem Verleiteten aufgrund des Einflusses jedoch nicht möglich, zu erkennen, dass seine Aussage von seinem ursprünglichen Erinnerungs- oder Wissensbild abweicht, so dass er nicht einmal fahrlässig bei der Abgabe der Aussage bzw. Erklärung handelt, kann von einer pflichtwidrigen Aussage in seiner Person keine Rede sein. Konsequent muss die Pflichttheorie hier eine falsche Aussage verneinen, will sie nicht im Rahmen des § 160 zur objektiven Theorie Zuflucht nehmen oder als falsch bereits die Aussage ansehen, die nicht mit dem Wissens- oder Erinnerungsbild des Verleiteten vor der Einflussnahme durch den Hintermann übereinstimmt. - Nennenswerte Strafbarkeitslücken dürften allerdings durch die konsequente Anwendung der Pflichttheorie auch im Rahmen des § 160 nicht eröffnet werden, denn der Fall, dass der Hintermann so sorgfältig und erfolgreich arbeitet, dass der Verleitete überhaupt nicht mehr erkennen kann, dass sein Wissens- oder Erinnerungsbild verfälscht wurde, dürfte äußerst selten sein.107
88 b) Das Verleiten kann durch beliebige Mittel erfolgen, nicht genügt aber auch hier die bloße Eröffnung der Möglichkeit zur Aussage durch Benennung als Zeuge o.ä., da das Verleiten - wie die mittelbare Täterschaft - eine über die bloße Eröffnung der Möglichkeit, eine Aussage zu machen oder eine Erklärung abzugeben, hinausgehende Einwirkung auf das „Werkzeug" voraussetzt. 89 c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muss sich insbesondere darauf erstrecken, dass die Aussageperson gutgläubig eine falsche Aussage macht. 90 d) Der Irrtum des Hintermanns über die Gutgläubigkeit der Aussageperson.
106 V g l . HEINRICH J u S 1995 S. 1117; OTTO JUS 1 9 8 4 S . 170. - A . A . RUDOLPHI S K n , § 1 5 9 R d n . 8; SCH/SCH/LENCKNER § 159 R d n . 7; VORMBAUM N K , § 159 R d n . 13.
107 Dazu vgl. auch SCHMIDHÄUSER OLG Celle-FS, S. 227.
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Aussagedelikte
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aa) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig für gutgläubig, so ist er objektiv Anstifter, 91 hält sich aber für einen Verleitenden i.S. des § 160. Beispiel: A versucht dem B, der als Zeuge vor Gericht über die Anwesenheit des A an einem bestimmten Ort am 20.10. aussagen soll, einzureden, dass sie sich dort getroffen haben. In Wirklichkeit fand das Treffen am 19.10. statt. - B merkt, dass A ihm etwas Falsches einreden will, lässt sich aber nichts anmerken und sagt im Sinne des A aus. Der BGH und ein Teil der Lehre wollen Vollendung des § 160 bejahen und geben diesem damit die Funktion eines Auffangtatbestandes für alle Fälle, in denen keine Bestrafung wegen Anstiftung möglich ist. 108
Für diese Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 160 besteht jedoch kein Anlass, da 92 der Versuch der Verleitung zur Falschaussage strafbar ist, § 160 Abs. 2, und in der hier relevanten Fallkonstellation ein Versuch vorliegt. Die vom Hintermann beabsichtigte Gefährdung der Rechtspflege durch ein gutgläubiges Werkzeug, zu der der Hintermann durch Einflussnahme auf den Aussagenden unmittelbar ansetzte, ist nicht gelungen. Der Hintermann ist wegen eines Versuchs der Verleitung zur Falschaussage strafbar.109 bb) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig für bösgläubig, so will er selbst Anstifter 93 sein, während er objektiv den Aussagenden verleitet. OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 S. 141: A will B dazu bestimmen, eine falsche eidesstattliche Versicherung abzugeben. B merkt dies nicht und glaubt sich an das Geschehen so zu erinnern, wie A es ihr darstellt. Sie gibt die falsche Versicherung an Eides Statt gutgläubig ab. OLG: Wenn die Beweisperson entgegen der Vorstellung des Hintermanns allenfalls fahrlässig die falsche Versicherung an Eides Statt abgibt, liegt ein Versuch der Anstiftung zur falschen Versicherung an Eides Statt nach §§ 159, 30 Abs. 1 v o r . H 0
e) Da der Versuch des § 160 strafbar ist, reicht die Strafbarkeit des Verleitenden hier wei- 94 ter als die des Täters der §§ 153, 156, weil dort der Versuch nicht strafbar ist. - Über die kriminalpolitische Angemessenheit dieses Ergebnisses lässt sich streiten, nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es jedoch zwingend.111
V. Strafmilderung und Absehen von Strafe 1. Aussagenotstand, § 157 Abs. 1 a) Über die allgemeinen Notstandsvorschriften, §§ 34, 35, hinausgehend, eröffnet § 157 95 Abs. 1 die Möglichkeit einer Strafmilderung für jene Zwangslage, die dadurch entstehen kann, dass die Beweisperson einerseits durch wahre Angaben sich selbst oder einen Angehörigen - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 1 - der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt, andererseits jedoch einer zwangsweise durchsetzbaren prozessualen Aussagepflicht unterworfen ist. 108 Vgl. dazu BGHSt 21 S. 116; ARZT/WEBER B. T„ § 47 Rdn. 132; HRUSCHKA/KÄSSER JuS 1972 S. 713; KÜPER B . T . , S. 127 f; KÜPPER B . T . , n § 2 R d n . 3 2 f; LACKNER/KÜHL § 160 R d n . 4 ; REGNIER B . T . N , § 4 9 R d n . 5 6 ff; RUDOLPH S K n , § 160 R d n . 4; SCH/SCH/LENCKNER § 160 R d n . 9; VORMBAUM N K , §
160 Rdn. 12,22. 109 V g l . ESCHENBACH J u r a 1 9 9 3 S. 4 0 8 ff; GALLAS E n g i s c h - F S , S. 6 0 0 ; KREY B . T . 1, R d n . 5 7 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 7 5 R d n . 102; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S. 3 8 9 ; WESSELS/HETITNGER B . T./1, R d n . 7 8 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 160 R d n . 3; WELZEL L b . , § 7 7 V 2 e .
110 So auch GALLAS Engisch-FS, S. 619 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 75 Rdn. 102; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S. 3 9 1 . - F ü r §§ 2 6 , 1 5 4 b z w . §§ 2 6 , 1 5 3 , 156: TRÖNDLE/FISCHER § 160 R d n . 3. 111 V g l . a u c h R u ß L K , § 160 R d n . 7 ; SCH/SCH/LENCKNER § 160 R d n . 10. - A . A . HIRSCH J Z 1 9 5 5 S. 2 3 4 f; VORMBAUM N K , § 160 R d n . 2 6 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Daraus folgt: 96 aa) Nur Zeugen und Sachverständigen ist die Berufung auf die Zwangslage eröffnet, nicht dagegen Parteien, da diese nicht unter Aussage- und Eideszwang stehen. Auch eine analoge Anwendung des § 157 kommt hier nicht in Betracht. bb) Die Anwendung des § 157 Abs. 1 wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Zeuge die Aussage verweigern könnte, denn die Angabe der Gründe der Auskunftsverweigerung kann ihn in die gleich Zwangslage bringen."2 - Unschädlich ist es auch, dass der Zeuge sich selbst zur Aussage anbot, denn es ist ohne Belang, ob der Täter die Konfliktslage verschuldet hat oder nicht.1]3 cc) Anstifter und Gehilfen sowie dem Verleitenden nach § 160 kommt § 157 Abs. 1 nicht zugute, da sie nicht unmittelbar in der Zwangssituation stehen. n4 dd) Eine Erstreckung des § 157 auf Mitglieder einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft führt über den Gesetzeswortlaut hinaus.115 97 b) Der Täter muss die Unwahrheit gesagt haben, um die Gefahr abzuwenden, bestraft oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung unterworfen zu werden. Die Gefahrabwendung muss nicht der einzige, wohl aber ein entscheidender Beweggrund sein. - Maßgeblich ist die Absicht des Täters. Ob eine solche Gefahr bestand, ist daher nach den Vorstellungen des Täters festzustellen.1 iß 98 aa) Strafe ist Bestrafung durch die ordentlichen Strafgerichte. Die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit genügt nicht. - Die freiheitsentziehenden Maßregeln ergeben sich aus
§§ 63-66.
99 bb) Auch dann, wenn der Täter die Strafe nicht abwenden, sondern nur mildern will, ist § 157 Abs. 1 anwendbar. BGH NJW 1980 S. 2264: Die A sagte im Strafverfahren gegen ihren Ehemann wegen Totschlags, § 212, falsch aus, um eine Anwendung des § 213 zu ermöglichen. BGH: § 157 Abs. 1 ist anwendbar.
100 cc) Wer unbewusst von der Wahrheit abweicht, kann damit nicht die geforderte Absicht verbinden. Beim fahrlässigen Aussagedelikt, § 163, kommt § 157 Abs. 1 daher nicht zur Anwendung. 101 c) Die Bestrafung muss wegen einer Straftat drohen, die zeitlich vor der falschen uneidlichen Aussage oder dem Meineid liegt. - In Betracht kommt jedes Delikt. 112 Dazu BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 460; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 711; OLG Düsseldorf MDR 1993 S. 561. 113 Vgl. BGHSt 7 S. 332; BGH StV 1995 S. 250; RUB LK, § 157 Rdn. 5. - Einschränkend bei verschuldeter Zwangslage: OLG Düsseldorf StV 1991 S. 68; RUDOLPHI SK II, § 157 Rdn. 14; SCH/SCH/LENCKNER § 157
Rdn. 11.
114 V g l . B G H S t 1 S. 2 8 ; 2 S. 3 7 9 ; 7 S. 5 ; KREY B . T . 1, R d n . 5 7 3 ; LACKNER/KÜHL § 157 R d n . 1; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S. 3 6 5 ; OTTO JUS 1 9 8 4 S. 171; TRÖNDLE/FISCHER § 157 R d n . 1. - A . A . BEMMANN H . M a y e r - F S , S. 4 9 1 ; HEUSEL J R 1 9 8 9 S. 4 2 9 .
115 Vgl. BayObLG NJW 1986 S. 202 mit zust. Anm. OTTO JK, StGB § 11/2, und abl. Anm. KRÜMPELMANN/HENSEL JR 1987 S. 41 f; OLG Braunschweig NStZ 1994 S. 344 mit zust. Anm. GEPPERT JK 95, StGB § 157/13, und abl. Anm. HAUFNStZ 1995 S. 35; OLG Celle NJW 1997 S. 1084. 116 Vgl. dazu BGHSt 8 S. 317; OLG Düsseldorf NJW 1986 S. 1822. - Weiter BGH NJW 1988 S. 2391; BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 1039; BayObLG NJW 1996 S. 2244: Es genügt für die Anwendung des § 157, dass der genannte Beweggrund nicht auszuschließen ist.
528
Aussagedelikte
§97
aa) Unanwendbar ist § 157 Abs. 1 danach aber, wenn der Zeuge in gleicher Instanz eine 102 oder mehrere falsche Aussagen in einem späteren Tennin beschwört. Aussage und Meineid bilden eine Tateinheit, es fehlt an der Vortat, auch wenn andere Delikte mit den falschen Aussagen in Idealkonkurrenz begangen wurde. Es liegt nur eine Tat vor.117 bb) Wird der zur Deckung einer Falschaussage geleistete Meineid erst in einer späteren 103 Instanz geleistet oder eine falsche Aussage in einer späteren Instanz wiederholt, so bleibt § 157 Abs. 1 anwendbar.118 cc) § 157 bleibt anwendbar, wenn der Eid im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt, um fal- 104 sehe Aussagen im ersten Verfahren zu decken, auch wenn wegen dieser Aussagen schon ein rechtskräftiger Freispruch erfolgte, da die Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht kommen könnte, § 362 Nr. 4 StPO.11« 2. Aussagen Eidesunmündiger, § 157 Abs. 2 §157 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit der Milderung oder des Absehens von Strafe für 105 uneidliche Aussagen eines Eidesunmündigen, auch wenn keine Zwangslage i.S. des § 157 Abs. 1 bestand. 3. Berichtigung einer falschen Angabe, §§ 158,163 Abs. 2 a) Der Anwendungsbereich des § 158 aa) Personell ist § 158 nicht nur auf Zeugen und Sachverständige anwendbar, sondern 106 auch auf Parteien und Teilnehmer. Eine analoge Anwendung kommt für den Verleitenden i.S. des § 160 in Betracht, denn maßgeblich ist die Zielsetzung des § 158, möglichst umfassend eine Abwendung der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu ermöglichen, bb) Sachlich setzt § 158 eine vollendete falsche Aussage voraus. Daran kann es z.B. bei 107 konkludentem Widerruf vorheriger falscher Angaben und anschließender berechtigter Aussageverweigerung fehlen.120 Im Falle des versuchten Meineids ist § 158 neben § 24 anwendbar. Das ist bedeutsam, 108 da § 158 keine freiwillige, sondern nur eine rechtzeitige Berichtigung verlangt. Beispiel (nach BGHSt 4 S. 175): Beim Aussprechen der Eidesformel besinnt sich A, der eine falsche Aussage beschwören wollte, eines Besseren. Er bricht die Eidesleistung ab, gesteht, dass seine Aussage falsch war, und bekundet nunmehr die Wahrheit. 1. Alternative: Dies geschah, weil A sich nicht eines Meineids schuldig machen wollte. 2. Alternative: Dies geschah, weil A bewusst wurde, dass seine Aussage bereits als falsch erkannt worden war, so dass er den gewünschten Einfluss auf den Prozess nicht mehr nehmen konnte. Ergebnis in der 1. Alternative: Straffreiheit bzgl. des versuchten Meineids, § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt.; Anwendung des § 1S8 bzgl. der falschen Aussage. Ergebnis in der 2. Alternative: § 24 Abs. 1 S. 1, l."Alt. nicht anwendbar, da A nicht freiwillig handelte; Anwendung des § 158 aber auf falsche Aussage und versuchten Meineid.
117 Vgl. dazu BGHSt 8 S. 319; 9 S. 121 mit Anm. ARMIN KAUFMANN JZ 1956 S. 605 f. 118 V g l . B G H S t V 1995 S. 2 4 9 m i t A n m . GEPPERT J K 9 6 , S t G B § 157/4; BUSCH G A 1 9 5 5 S. 2 6 4 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 157 R d n . 8 , 1 1 .
119 Dazu BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 280. 120
BGH StV 1 9 8 2 S. 4 2 0 .
529
§98
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
b) Die Berichtigung 109 Berichtigung ist die Ersetzung der falschen Angabe in allen wesentlichen Punkten durch Mitteilung der Wahrheit. - Jedoch ist zu beachten: aa) Für die Berichtigung genügt es, dass der Aussagende mit der Erklärung, so etwas nie gesagt zu haben oder es nicht so gesagt zu haben, von seiner früheren falschen Darstellung eindeutig abweicht und sie durch eine wahrheitsgemäße Aussage ersetzt. 121 bb) Ist nicht aufklärbar, ob die zweite oder die erste Aussage richtig war, so soll § 158 nach h.M. in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo" Anwendimg finden.122 c) Die Berichtigungsstelle 110 Gemäß § 158 Abs. 3 kann die Berichtigung bei der Behörde erfolgen, bei der die Falschaussage erstattet wurde oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem beliebigen Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde. d) Der Zeitpunkt der Berichtigung 111 Die Berichtigung muss rechtzeitig erfolgen. - Verspätet ist die Berichtigung gemäß § 158 Abs. 2: aa) Wenn sie bei der Entscheidung - das sind nur Sachentscheidungen, die den Fall ganz oder teilweise erledigen - nicht mehr berücksichtigt werden kann; bb) wenn aus der Tat schon ein - über die bloße Verschlechterung der Prozesslage hinausgehender - Nachteil für einen anderen entstanden ist; cc) wenn bereits gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchimg eingeleitet worden ist. Maßgeblich für den Zeitpunkt ist der Eingang der Berichtigung bei einer der zuständigen Behörden, nicht der der Kenntnisnahme durch den zuständigen Beamten. e) Rechtsfolgen 112 Die Rechtsfolgen gemäß § 158 Abs. 1 und § 163 Abs. 2 sind unterschiedlich: Bei den Falschaussagen i.S. der §§ 153, 154, 156 kann der Richter die Strafe gemäß § 49 Abs. 2 mildern oder ganz von Strafe absehen. - Bei den fahrlässigen Falschaussagen ist die Straflosigkeit obligatorisch.
§ 98 Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 339 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege in ihrer speziellen Aufgabe, richtiges Recht zu sprechen. Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 2. Rechtssache und Partei 2 Rechtssache ist eine Rechtsangelegenheit, bei der mehrere Beteiligte mit widerstreitenden rechtlichen Belangen einander gegenüberstehen können, wenn über sie nicht durch Verwaltungsmaßnahmen zu befinden ist, sondern in einem rechtlich geregelten Verfahren eine 121 OLG Hamburg JR 1981 S. 383 mit Anm. RUDOLPHIS. 384 ff. 122 vgl. BayObLG NJW 1976 S. 860 mit Anm. KÜPER NJW 1976 S. 1828 ff, STREE JR 1976 S. 470 ff; DERS. In dubio pro reo, 1962, S. 29 ff. - A.A. UlBEL NJW 1960 S. 1893 f.
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Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren
§98
richterliche oder eine dieser gleichkommende - unparteiische - Entscheidung zu treffen ist.123 - Partei ist jeder Beteiligte an der Rechtssache. Rechtssachen sind danach alle Rechtsstreitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten sowie Verfahren vor den Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs-, Finanz- und Verfassungsgerichten, Disziplinarverfahren und das Verwaltungsvorverfahren, das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, soweit alleinverantwortliche Entscheidungen der StA in Betracht kommen. 124 Keine Rechtssachen sind das Steuerfestsetzungs- und Steuerveranlagungsverfahren (BGHSt 24 S. 326; OLG Celle NStZ 1986 S. 513); Kostenfestsetzungsverfahren durch Rechtspfleger (OLG Düsseldorf MDR 1987 S. 604); Sozialhilfeverfahren (OLG Koblenz GA 1987 S. 553); Abnahme der Meisterprüfung (OLG Koblenz MDR 1993 S. 1104); Tätigkeit des Gerichtsvollziehers (OLG Düsseldorf NJW 1997 S. 2124).
3. Die Tathandlung Das Recht beugt, wer Gesetz und Recht dadurch verletzt, dass er die ihn treffenden Pflich- 3 ten als Richter (nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 auch Schöffen!), Amtsträger oder Schiedsrichter bei der Ermittlung des Sachverhalts oder der Anwendung des Rechts verletzt.125 - Auf der Basis einer grundsätzlich objektiven Bestimmung des Begriffs der Rechtsbeugung schränkt der BGH den Tatbestand in seiner neueren Rechtsprechung dadurch wesentlicher ein, dass er als Rechtsbeugung nur den „schwerwiegenden Rechtsbruch" ansieht.126 Diese Begrenzung des Tatbestandes findet im Gesetzesentwurf keine Grundlage.12? Die Tathandlung muss zu einem schädlichen Erfolg, der Verbesserung oder der Verschlechterung der Lage einer Partei geführt haben. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auf die Ver- 4 letzung der Rechtspflichten und deren begünstigende oder benachteiligende Wirkung für eine Partei beziehen muss.128 5. Schüttfunktion zugunsten des Entscheidenden § 339 hat für den Entscheidenden in einer Rechtssache eine nicht unerhebliche Schutz- 5 funktion: Wer wegen seiner Tätigkeit bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssa123 BGHSt 24 S. 327; 34 S. 146; OLG Hamm NJW 1999 S. 2291. 124 Vgl. dazu BGHSt 32 S. 357; OLG Bremen NStZ 1986 S. 120. 125 So auch BEHRENDT JUS 1989 S. 946 ff; GEPPERT Jura 1981 S. 80; RUDOLPHI ZStW 82 (1970) S. 628 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 23/44; WAGNER Amtsveibrechen, 1975, S. 199 ff (Pflichttheorie). - Auf die objektive Rechtsverletzung stellen ab: BEMMANN GA 1969 S. 65 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 2, § 77 Rdn. 10; SEEBODE JUS 1969 S. 204; SPENDEL LK, § 339 Rdn. 41 (objektive Theorie). - Das
Handeln des Täters gegen seine Rechtsüberzeugung halten für maßgeblich: SARSTEDT Heinitz-FS, S. 427 ff; v. WEBER NJW 1950 S. 272 ff (subjektive Theorie). 126 Vgl. BGHSt 32 S. 363 f; 34 S. 149; 38 S. 383; 40 S. 40; 40 S. 178; 40 S. 283; 41 S. 251; 42 S. 345; B G H N J W 1997 S. 1452. - Zust.: LACKNER/KÜHL § 3 3 9 R d n . 5 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 3 9 R d n . 5 b. 127 Z u r Kritik vgl. BEMMANN J Z 1995 S. 127; BRAMMSEN N S t Z 1993 S. 5 4 2 ; HOHMANN D t Z 1996 S.
237; RUDOLPHI SK II, § 339 Nr. 11 a; SCHOLDERER Rechtsbeugung im demokratischen Rechtsstaat, 1993, S. 644; SCHROEDER D R i Z 1996 S. 2 2 2 ; SCHULZ StV 1995 S. 2 0 8 f; SEEBODE J R 1994 S. 1 f f ; DERS. J u r a 1997 S. 4 2 0 f; DERS. J R 1997 S. 4 7 4 ff; SOWADA G A 1998 S. 178 f f ; SPENDEL J R 1994 S. 2 2 2 ; DERS. J R 1996 S. 177 ff; DERS. J Z 1998 S. 8 6 f; STANGLOW J u S 1995 S. 9 7 5 ; VOLK N S t Z 1997 S. 4 1 2 f; WAGNER J Z 1987 S. 661. 128 Vgl. B G H N S t Z - R R 2 0 0 1 S. 244. - A . A . H . G . KRAUSE N J W 1977 S. 2 8 5 f; I. MÜLLER N J W 1980
S. 2390 ff.
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§98
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
che zur Verantwortung gezogen wird, kann auch nach anderen Vorschriften als § 339 (insbes. nach §§ 211, 212, 239) nur dann verurteilt werden, wenn ihm eine Rechtsbeugung i.S. des § 339 nachgewiesen wird.129 6. Rechtsbeugung in der ehemaligen DDR 6 Bei der Beurteilung von Handlungen in einem anderen Rechtssystem sind die Besonderheiten dieses Rechtssystems zu berücksichtigen. Das gilt auch für die jeweils geltenden Maßstäbe der Gesetzesauslegung. - Für die Bestrafung von Richtern der DDR wegen Rechtsbeugung folgt daraus, dass diese nur in Betracht kommt, wenn die Rechtswidrigkeit der Entscheidung offensichtlich war, insbes. weil die Entscheidung wegen Verletzung von Menschenrechten als willkürlich anzusehen war.iso
II. Aussageerpressung, § 343 7 Geschützt ist die Rechtspflege. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2.131 1. Der objektive Tatbestand 8 Vorausgesetzt wird, dass ein Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2), der zur Mitwirkung an bestimmten Verfahren berufen ist, einen anderen körperlich misshandelt - dazu § 15 Rdn. 2, gegen ihn sonst Gewalt anwendet - dazu § 27 Rdn. 14 -, ihm Gewalt androht - dazu § 27 Rdn. 15 - oder ihn seelisch quält - dazu § 20 Rdn. 17. 9 Die Verfahren - Strafverfahren, Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung (Abs. 1 Nr. 1), Bußgeld- (Abs. 1 Nr. 2), Disziplinarverfahren, ehrengerichtliche oder berufsgerichtliche Verfahren (Abs. 1 Nr. 3) - sind abschließend aufgezählt. Zum Strafverfahren gehören auch das Jugendgerichtsverfahren sowie das Verfahren zur Anordnung einer Maßnahme gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 8. Der Anordnung einer behördlichen Verwahrung dienen z.B. die Verfahren zur Anordnung der Fürsorgeerziehung und zur Unterbringung Geistes- und Suchtkranker. - Zum Bußgeldverfahren vgl. §§ 35 ff OWiG; zu den Disziplinarverfahren z.B. die BDO; zu den ehren- und berufsgerichtlichen Verfahren z.B. §§ 116ffBRAO, §§46ff SteuerberatG.
2. Der subjektive Tatbestand 10 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands und die Absicht (zielgerichtetes Wollen), das Opfer zu einer verfahrensrelevanten Aussage oder Erklärung oder zu deren Unterlassung zu nötigen. 129 Vgl. BGHSt 10 S. 294; 32 S. 364; 41 S. 255; OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 396 mit Anm. OTTO JK 90, S t G B § 3 3 6 / 3 ; LACKNER/KÜHL § 3 3 9 R d n . 11; RUDOLPH S K II, § 3 3 9 R d n . 2 2 ; SCHROEDER G A 1 9 9 3 S. 3 9 4 f; SPENDEL L K , § 3 3 9 R d n . 129. - A . A . BEGEMANN N S t Z 1996 S. 3 8 9 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 3 9
Rdn. 7. 130 Vgl. dazu BVerfG NJW 1998 S. 2585; BGHSt 40 S. 30 mit Anm. BÄNDEL NStZ 1994 S. 439 f, GEPPERT J K 1994, S t G B § 3 3 6 / 4 , SPENDEL J R 1994 S. 2 2 1 , ROGGEMANN J Z 1994 S. 7 6 9 f f ; 4 0 S. 178; 4 1 S. 2 5 1 ; 4 4 S. 2 7 5 m i t A n m . SPENDEL J R 1999 S. 2 2 1 f f , SCHROEDER N S t Z 1999 S. 6 2 0 f; BURIAN Z S t W 1 1 2 ( 2 0 0 0 ) S. 125 f f ; MAIWALD N J W 1993 S. 1881 f f ; SCHROEDER G A 1 9 9 3 S. 4 0 1 ff; SEEBODE
Lenckner-FS, S. 602 ff; WASSERMANN NJW 1992 S. 878 f. - Überblick über die Rechtsprechung: RoGALL BGH-FG, S. 430 ff; SPENDEL Recht und Politik 2000 S. 226 ff. 131 D a z u MAIWALD J u S 1977 S. 3 5 8 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 4 3 R d n . 1. - A . A . GEPPERT J u r a 1981 S. 81; KUHLEN N K , § 3 4 3 R d n . 18; LACKNER/KÜHL, § 3 4 3 R d n . 1; TRÖNDLE/FISCHER § 3 4 3 R d n . 1: e c h t e s
Amtsdelikt.
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Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren
§98
ID. Verfolgung Unschuldiger, § 344 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1. Bestraft wird die Verfolgung Unschuldiger in bestimmten Verfahren.
11
1. Der objektive Tatbestand a) § 344 Abs. 1 S. 1 setzt voraus, dass ein Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Straf- 12 verfahren - abgesehen von dem Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßregel (§11 Abs. 1 Nr. 8) - berufen ist, einen Unschuldigen, d.h. jemanden, der wegen der dem Verfahren zugrunde liegenden Tat nicht strafbar ist, oder jemanden, der nach dem Gesetz nicht verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, d.h. eine prozessual unzulässige Verfolgung betreibt.132 Strafbare Verfolgung ist jedes dienstliche Tätigwerden im Rahmen eines Strafverfahrens. Das Hinwirken auf eine solche Verfolgung erfasst die Tätigkeit von Hilfsorganen, die nicht selbst die Verantwortung für die Verfolgung tragen. Da es darauf ankommt, dass der Betroffene nicht verfolgt werden darf, entfallt der Tatbestand, wenn nach den einschlägigen Prozessgesetzen eine Untersuchung trotz Kenntnis der Unschuld einer Person zu führen oder weiterzuführen ist, z.B. nach Eröffnung des Hauptverfahrens.133
b) In Abs. 1 S. 2 wird die entsprechende Tätigkeit eines Amtsträgers, der zur Mitwirkung 13 an einem Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung berufen ist, erfasst. c) Abs. 2 S. 1 erfasst die entsprechende Tätigkeit des Amtsträgers im Verfahren zur An- 14 Ordnung einer nichtfreiheitsentziehendenMaßnahme, § 11 Abs. 1 Nr. 8. d) Gemäß Abs. 2 S. 2 tritt an die Stelle der Verfolgung wegen einer Straftat oder rechts- 15 widrigen Tat die wegen einer Ordnungswidrigkeit, eines disziplinarischen Vergehens oder solcher Vergehen, die im ehrengerichtlichen oder berufsgerichtlichen Verfahren geahndet werden. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Absicht oder Wissentlichkeit; bedingter Vorsatz genügt 16 nicht. Dem Täter muss es daher entweder darauf ankommen, dass die Verfolgung jemanden trifft, der nicht verfolgt werden darf, oder er muss das der Verfolgung entgegenstehende Hindernis positiv kennen.134 3. Konkurrenzen Gegenüber § 339 ist § 344 lex specialis.135
17
IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345
Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1. 132 Vgl. GEERDS Spendel-FS, S. 511; LANGER JR 1989 S. 96, 98 f. - A.A.: Unschuldig ist, wer wegen der ihm zur Last gelegten Tat aus materiell-rechtlichen Gründen nicht strafbar ist; vgl. dazu KUHLEN N K , § 344 Rdn. 9,12 f m . w. N. 133 Vgl. auch JESCHECK LK, § 344 Rdn. 5. 1 3 4 Vgl. dazu JESCHECK L K , § 3 4 4 Rdn. 10; KUHLEN N K , § 3 4 4 Rdn. 16; LACKNER/KÜHL § 135 Vgl. GEERDS Spendel-FS, S. 516; JESCHECK L K , § 344 Rdn. 13. - A.A. (Tateinheit):
344
Rdn.
GEPPERT
6.
Jura
1 9 8 1 S. 8 3 ; KUHLEN N K , § 3 4 4 R d n . 2 5 ; SPENDEL LK, § 3 3 9 R d n . 1 2 3 .
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§98
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Bestraft wird die Vollstreckung von Strafen oder Maßregeln, die nach dem Gesetz nicht oder nicht so vollstreckt werden dürfen. 1. § 345 Abs. 1, 2 19 a) Abs. 1, 2 erfassen die mit Freiheitsentzug verbundene rechtswidrige Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§61 Nr. 1-4) oder einer freiheitsentziehenden behördlichen Verwahrung. - Vollstrekkung ist jede fienstliche Tätigkeit und jedes pflichtwidrige Unterlassen, das den Erfolg der vollständigen oder teilweisen Vollziehung einer Rechtsfolge herbeiführt. 20 b) Die Tat muss zumindest bedingt vorsätzlich (Abs. 1) oder leichtfertig (Abs. 2) begangen werden. - Leichtfertig bedeutet grob fahrlässig.136 2. §345 Abs. 3 21 a) Abs. 3 erfasst in Satz 1 die rechtswidrige Vollstreckung von nicht freiheitsentziehenden Strafen (z.B. Geldstrafe) und Maßnahmen (§ 61 Nr. 5-7) sowie in Satz 2 die Vollstreckung weiterer, erschöpfend aufgezählter Maßregeln (Jugendarrest, Geldbuße oder Nebenfolge nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht, Ordnungsgeld, Ordnungshaft, disziplinarische, ehrengerichtliche und berufsgerichtliche Maßnahmen). 22 b) Die Tat gemäß Abs. 3 erfordert zumindest bedingten Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar. 3. Konkurrenzen 23 Tateinheit ist möglich mit § 339. - Gegenüber § 239 ist § 345 lex specialis.
V. Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d 24 Die Vorschrift schränkt das Recht, aus Gerichtsverhandlungen oder Gerichtsakten Mitteilungen zu machen, für bestimmte Fälle ein, in denen dies zum Schutz der durch das Strafverfahren Betroffenen nötig erscheint. - Mittelbar geschützt wird damit auch die Rechtspflege.137 1. Der objektive Tatbestand der einzelnen Alternativen 25 a) Nr. 1: Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot der öffentlichen Mitteilung über den sachlichen Inhalt einer Gerichtsverhandlung, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder über den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Schriftstücks. Ein gesetzliches Verbot der Mitteilung findet sich z.B. in § 174 Abs. 2 GVG. - Die Öffentlichkeit muss durch gerichtliche Anordnung ausgeschlossen worden sein, vgl. z.B. § 172 GVG. 26 b) Nr. 2: Verstoß gegen die Schweigepflicht; dazu § 174 Abs. 3 GVG.
136 OLG Hamm NStZ 1983 S. 459 mit Anm. MÜLLER-DIETZ S. 460. 137 Vgl. WALDNER MDR 1983 S. 424; WILHELM NJW 1994 S. 1521. - Für den Schutz der Unbefangenheit d e r V e r f a h r e n s b e t e i l i g t e n : MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 7 6 R d n . 6; SCHMIDHÄUSER B.T.,
23/56; SCH/SCH/PERRON § 353 d Rdn. 40. - Für einen gleichberechtigten Schutz beider Rechtsgüter: B V e r f G E 7 1 S. 2 1 6 f f ; BOTTKE N S t Z 1 9 8 7 S. 3 1 6 f; LACKNER/KÜHL § 3 5 3 d R d n . 1; TRÖNDLE/FISCHER § 3 5 3 d R d n . 1.
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Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren
§98
Unbefugt heißt hier rechtswidrig und ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Als Befugnis, d.h. Rechtfertigungsgrund, kommt insbes. eine gesetzliche Aussagepflicht in Betracht, c) Nr. 3: Verstoß gegen das Verbot, Anklageschrift und bestimmte andere amtliche 27 Schriftstücke im Wortlaut öffentlich mitzuteilen, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.13» Im Wortlaut öffentlich mitteilen setzt wortgetreue öffentliche Wiedergabe voraus, und zwar wesentlicher Teile des Schriftstücks.139 Mitteilungen durch den Betroffenen selbst, z.B. den Angeklagten, sind nicht tatbestandsmäßig, da sie das geschützte Rechtsgut nicht verletzen. 14 Private Schriftstücke werden nicht dadurch amtlich, dass sie in die Strafakten gelangen.141 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz.
28
VI. Parteiverrat, § 356
1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis
a) Die Vorschrift schützt die Rechtspflege, d.h. das Vertrauen in die Integrität der Rechts- 29 pflege. Die Schutz der persönlichen Treueverpflichtung gegenüber dem Auftraggeber ist nur Reflex dieses Schutzes. b) Rechtssachen sind alle Angelegenheiten des Zivil-, Straf-, Verwaltungsrechts und der 30 freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei denen mehrere Beteiligte in entgegengesetztem Interesse einander gegenüberstehen können und die nach Rechtsgrundsätzen zu entscheiden sind.142 c) Täter kann jeder Rechtsbeistand im weiteren Sinne sein, der zur geschäftsmäßigen Be- 31 sorgung fremder Rechtsangelegenheiten amtlich zugelassen ist. - Es ist nicht erforderlich, dass der Täter den Beruf eines Rechtsbeistandes auf Dauer ausübt. Beispiele: Rechtsanwälte, jedoch nicht als Konkursverwalter (BGHSt 13 S. 231); Vormund (BGHSt 24 S. 191) oder Syndikus, wenn dieser weisungspflichtig tätig wird (dazu § 46 BRAO). - Patentanwälte; Hochschullehrer nach § 138 StPO; Referendare nach §§ 138 Abs. 2 und 142 Abs. 2 StPO; Prozessagenten nach § 157 ZPO (str.143).
Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1.
32
2. Der Grundtatbestand, Abs. 1 a) Abs. 1 erfasst das Verhalten des Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes, der bei den ihm 33 in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien dient. 138 Zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift: BVerfGE 71 S. 206 mit Anm. BOTTKE NStZ 1987 S. 314 ff, u n d HOFFMANN-RIEM J Z 1986 S. 4 9 4 f.
139 im einzelnen dazu OLG Köln JR 1980 S. 473 mit Anm. BOTTKE S. 474 ff; SCHOMBURG ZRP 1982 S. 142 f f ; TOBBENS G A 1 9 8 3 S. 9 7 f f .
140 vgl. auch LG Mannheim NStZ-RR 1996 S. 361; AG Weinheim NJW 1994 S. 1543 mit Anm. WILHELM S. 1520 ff. - Anders wenn die Rechtspflege als geschütztes Rechtsgut angesehen wird; vgl. AG N ü r n b e r g M D R 1983 S. 4 2 4 m i t A n m . WALDNER S. 4 2 4 f; LACKNER/KÜHL § 3 5 3 d R d n . 4 .
141 So auch AG Hamburg NStZ 1988 S. 411 mit Anm. STRATE S. 412; LACKNER/KÜHL § 353 d Rdn. 4. A.A. OLG Hamburg NStZ 1990 S. 283 mit abl. Anm. SENFFT StV 1990 S. 411 f; TRAEGER LK, 10.
Aufl., § 353 d Rdn. 48. 142 BGHSt 18 S. 192; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 S. 298. 143 IM einzelnen dazu KUHLEN NK, § 356 Rdn. 11.
535
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§98 34
Anvertrauen ist bereits die Übertragung der Interessenwahrnehmung. - Parteien sind die an einer Rechtssache rechtlich beteiligten Personen. - Dienen ist jede berufliche Tätigkeit in der Eigenschaft als Anwalt oder Rechtsbeistand, rechtlicher oder tatsächlicher Art, durch die das Interesse einer Partei gefördert werden soll144. - Der Täter muss beiden Parteien dienen; die Verfolgung eigener Interessen gegen den früheren Auftraggeber ist daher nicht tatbestandsmäßig. - Ob dieselbe Rechtssache vorliegt, ist nach dem Interessenkreis zu beurteilen, den der Auftraggeber dem Täter anvertraut hat. Dabei kommt es nicht auf die Identität der einzelnen Ansprüche oder des Verfahrens an, sondern darauf, ob die sich aus dem Gesamtsachverhalt ergebenden Interessen möglicherweise identisch sind. Beispiele: Zwei aufeinanderfolgende Scheidungsprozesse, bei denen jeweils die andere Partei vertreten wird (BGHSt 17 S. 305; 18 S. 192); Strafverfahren und damit zusammenhängende Schadensersatzklage (BGH GA 1961 S. 203); Verteidigung des Ehemannes im Verfahren wegen eines Sexualdelikts und Vertretung der Ehefrau im Scheidungsverfahren (OLG Düsseldorf NJW 1959 S. 1050); Beratung von Miterben (BayObLG JR 1991 S. 163 mit Anm. RANFT S. 164 ff); Beratung des Angekl. und eines als Alternativtäter in Betracht kommmenden Zeugen;145 Verteidigung des Angekl. und Schadensersatzprozess gegen den Angekl.146
35
Pflichtwidrig dient der Anwalt, wenn er der anwaltlichen Berufspflicht (§ 45 Nr. 2 BRAO) zuwiderhandelt, d.h. wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache bereits in entgegengesetztem Interesse beraten oder vertreten hat. Entscheidend ist der Interessengegensatz, der auf der Grundlage der konkreten Ziele der Parteien und des erteilten Auftrags zu ermitteln ist.147 Dass er in beiden Verfahren denselben Rechtsstandpunkt vertritt, ist unerheblich.148 - Eine Einwilligung des Auftraggebers ist irrelevant, da nicht seine Interessen, sondern die der Rechtspflege geschützt werden.149 - Eine Vertretung zweier Parteien durch Anwälte derselben Sozietät ist nicht pflichtwidrig.15" 36 b) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz. Der Täter muss sich insbes. „der Identität des materiellen Rechtsverhältnisses"151 und des Interessengegensatzes bewusst sein.152
3. Die Qualifikation, Abs. 2 37 Abs. 2 qualifiziert den Abs. 1 zum Verbrechen, wenn der Täter im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei handelt. Der Nachteil (Schaden) aufgrund der Tätigkeit des Täters braucht nicht eingetreten zu sein. Es genügt, dass sich der Täter der Verschlechterung der Rechtslage der anderen Partei bewusst ist. 153
144 Vgl. BGHSt 20 S. 41. 145 Vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1995 S. 35 mit Anm. DAHS S. 16 ff, GEPPERT JK 95, StGB § 356/4, NIBBELINGJR 1995 S.479 ff.
146 Vgl. BayObLG NJW 1995 S. 606 mit Anm. RANFT JR 1996 S. 256 f. 147 Vgl. BGHSt 5 S. 307 f; 7 S. 20; 9 S. 347; 18 S. 198; 34 S. 192; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 S. 237 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 356/5; im einzelnen dazu MENNICKE ZStW 112 (2000) S. 859 ff.
148 BGHSt 34 S. 190. 149 BGH NStZ 1985 S. 74. 150 BGH NJW 1994 S. 2302. - Zur Sozietät auch BGHSt 40 S. 188. 151 BGHSt 15 S. 338. 152 Dazu RANFT JR 1991 S. 164 ff.
153 OLG Düsseldorf wistra 1989 S. 316.
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Bestechungsdelikte
§99
Fünfter Abschnitt Delikte gegen den öffentlichen Dienst § 99 Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die öffentliche Verwaltung, und zwar das Vertrauen in die Un- 1 käuflichkeit von Trägern staatlicher Funktionen und in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen als Voraussetzung für ein sachgerechtes Funktionieren der Verwaltung.1 2. Die Systematik des Gesetzes Das Gesetz unterscheidet zwischen passiver und aktiver Bestechung. a) Grundtatbestand der passiven Bestechung ist § 331 Abs. 1 (Vorteilsannahme). Qualifiziert ist der Tatbestand in § 331 Abs. 2 für Richter und Schiedsrichter hinsichtlich ihrer richterlichen Tätigkeit. Eine weitere Qualifizierung des § 331 Abs. 1, 2 findet sich sodann in § 332 Abs. 1, 2 (Bestechlichkeit). Das qualifizierende Element besteht in der pflichtwidrigen Diensthandlung. Der Zusammenhang zwischen pflichtwidriger Diensthandlung und Käuflichkeit begründet eine stärkere Erschütterung des Vertrauens in die Sachlichkeit der Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern als der Zusammenhang zwischen pflichtgemäßer Diensttätigkeit und Käuflichkeit. b) Grunddelikt der aktiven Bestechung ist § 333 (Vorteilsgewährung). Einen qualifizierten Tatbestand enthält § 334 (Bestechung). c) Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und der Bestechung erfasst § 335. d) § 336: Unterlassen der Diensthandlung, stellt klar, dass der Vornahme einer Diensthandlung oder einer richterlichen Handlung i.S. der §§331 - 335 auch das (vergangene oder künftige) Unterlassen der Handlung gleichsteht. e) § 337: Schiedsrichtervergütung, stellt klar, dass der sich gegen beide Parteien richtende Vergütungsanspruch des Schiedsrichters nicht als Vorteil i.S. der §§ 331 - 334 anzusehen ist. f) § 338 regelt die Voraussetzung der Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls in den Fällen der §§ 332, 334.
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3. Tatbeteiligte a) Täter des Delikts nach § 331 Abs. 1 können nur Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) oder für 9 den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§11 Abs. 1 Nr. 4) sein. Diesen sind als Täter des § 331 Abs. 1, 332 Abs. 1, 336 gemäß § 48 Abs. 1 WStG Offiziere und Unteroffiziere und gemäß § 48 Abs. 2 WStG auch Mannschaften als Täter nach §§ 332 Abs. 1, 336 1
Vgl. B G H 15 S. 96 f; B G H StV 1997 S. 129; GEPPERT Jura 1981 S. 46; JESCHECK LK, Vor § 331 Rdn. 17; KREY B.T. 1, Rdn. 660; KÜPPERB.T.l, II § 4 Rdn. 5; LACKNER/KÜHL § 331 Rdn. 1; LOOS WelzelFS, S. 890; RUDOLPH SK II, § 331 Rdn. 4; SCHLÜCHTER Geerds-FS, S. 715. - Für Sachlichkeit der
Amtsführung als Rechtsgut: DÖLLING ZStW 112 (2000) S. 335; RANSIEK StV 1996 S. 450. - Für Funktionsfähigkeit der staatlichen Verwaltung: HEINRICH Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001, S. 275 ff, 288.
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§99
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
gleichgestellt. Täter des Delikts nach § 331 Abs. 2 und 332 Abs. 2 kann nur ein Richter (§ 11 Abs. 1 Nr. 3) oder ein Schiedsrichter (dazu z.B. §§ 1025, 1048 ZPO) sein. - Die Täterposition ist strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1. Diese Personen haften wegen ihrer Tatbeteiligung allein gemäß §§ 331, 332 und nicht als Teilnehmer an der Tat des Vorteilsgebers (§§ 333, 334), auch wenn sie diesen zur Tat angestiftet oder über das notwendige Maß hinaus Beihilfe geleistet haben. Die §§331, 332 enthalten für den dort genannten Täterkreis eine Exklusivregelung. b) Umgekehrt ist das Verhalten des Vorteilsgebers abschließend in §§ 333, 334 erfasst. Er kann wegen seines Verhaltens nicht als Teilnehmer einer Tat nach §§331, 332 bestraft werden. c) Die Teilnahme Dritter ist in den §§ 331 ff nicht ausdrücklich geregelt. Damit erscheinen die allgemeinen Regeln anwendbar mit der Konsequenz, dass der Teilnehmer auf Seiten des Vorteilsnehmers nach §§ 26, 27 i.V.m. §§ 331, 332 haftet, der Teilnehmer auf Seiten des Vorteilsgebers nach §§ 26,27 i.V.m. §§ 333,334. Diese Differenzierung geht jedoch an der Tatsache vorbei, dass die Tat des Vorteilsgebers im Regelfall einen schwereren Unrechtsgehalt verwirklicht als die eines Außenstehenden, gleichgültig, ob er auf den Vorteilsnehmer oder -geber einwirkt, bzw. einen oder beide unterstützt. Daher erscheint es angemessen, allein den Vorteilsnehmer gemäß §§331, 332 zu erfassen, das Verhalten des Vorteilsgebers und an der Tat teilnehmender Dritter aber nach §§ 333, 334, bzw. unter Anwendung des Strafrahmens der §§ 333, 334 zu bestrafen.2
n. Vorteilsannahme, § 331 1. Der Tatbestand des Abs. 1 14 Tathandlungen nach Abs. 1 sind das Fordern, Sichversprechenlassen oder Annehmen eines Vorteils für sich oder einen Dritten für die Dienstausübung, die als solche nicht nachweisbar dienstpflichtwidrig ist. Das Verhalten muss daher auf eine „Unrechtsvereinbarung" gerichtet sein, die aber im Gegensatz zum früheren Recht nicht mehr auf eine konkrete Diensthandlung „als Gegenleistung" gerichtet sein muss. Bezugspunkt ist nunmehr die dienstliche Tätigkeit, so dass es genügt, dass die Zuwendung in dem Bewusstsein erfolgt, dass der Amtsträger hierfür eine dienstliche Tätigkeit vorzunehmen hat oder künftig vornehmen werde. 3 Die Unrechtsvereinbarung braucht in der Alternative des Forderns nicht zum Abschluss gekommen zu sein, während sie in den Alternativen des Sichversprechenlassens oder des Annehmens zustande gekommen sein muss. Keine Annahme daher, wenn der Vorteil ordnungsgemäß weitergeleitet oder nur zu Beweiszwecken genommen wird, da es dann an der übereinstimmenden Unrechtsvereinbarung fehlt.
2
Vgl. auch JESCHECK LK, § 334 Rdn. 8; KREY B.T. 1, Rdn. 675; RUDOLPHI S K II, § 334 Rdn. 10.
3
Der Gesetzgeber folgte hier dem Vorschlag von DÖLLING Gutachten für den 61. Dt. Juristentag, 1996, C 64 ff; vgl. dazu auch DÖLUNG ZStW 112 (2000) S. 344; GEERDS JR 1996 S. 310; KÖNIG JR 1997 S. 399. - Krit. dazu LÜDERSSEN StV 1997 S. 321 ff.
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Bestechungsdelikte
§99
a) Vorteil ist jede Leistung, auf die der Amtsträger oder der begünstigte Dritte keinen Ansprach hat und die die wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage des Begünstigten objektiv verbessert.4 Sozialadäquate Zuwendungen, d.h. kleine Aufmerksamkeiten, deren Angebot den Regeln der Höflichkeit oder der Verkehrssitte entspricht - Angebote einer Zigarette, einer Tasse Kaffee, eines Kalenders oder ähnlichen Werbegeschenkes, Neujahrsgeschenke an Briefträger, die Angestellten der Müllabfuhr u.ä. - sind keine Vorteile i.S. des Gesetzes.5 Eine Begrenzung auf eine bestimmte Summe« ist demgegenüber sachwidrig. Damit wird die Käuflichkeit von Diensthandlungen nämlich grundsätzlich akzeptiert. Entgegen der früheren gesetzlichen Regelung werden jetzt nicht nur Vorteile erfasst, die die Amtsperson selbst besser stellen, sondern auch Zuwendungen an Dritte, denn auch in Fällen der Bevorteilung Dritter wird das geschützte Rechtsgut „Verkauf der dienstlichen Tätigkeit" beeinträchtigt, doch ist auch dann zu fordern, dass der Vorteil mittelbar oder unmittelbar dem Täter zu Gute kommt, so dass Zahlungen an karitative Einrichtungen, zu denen der Täter in keiner Beziehung steht, dem Begriff nicht genügen.7 b) Fordern ist das einseitige Verlangen des Vorteils. Sichversprechenlassen ist die Annähme eines auch nur bedingten Angebotes der späteren Zuwendung. - Annehmen ist das tatsächliche Empfangen des angebotenen Vorteils.8
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Keine Diensthandlungen sind erkennbare Privathandlungen, auch wenn diese bei Gelegenheit des Dienstes oder mit Kenntnissen aus dem Dienst wahrgenommen werden, wie z.B. Privat-Unterricht eines"Lehrers (BGH GA 1966 S. 377); Detektivtätigkeit eines Polizeibeamten in seiner Freizeit (OLG Zweibrücken JR 1982 S. 381 mit Anm. GEERDS S. 384 ff); Zeugenaussage eines Polizeibeamten über private Wahrnehmung (OLG Köln NJW 2000 S. 3727).
c) Zwischen der Dienstausübung und dem Vorteil muss eine Beziehung bestehen. 19 Ob eine bestimmte dienstliche Tätigkeit wirklich vorgenommen worden ist oder vorgenommen wird, ist unbeachtlich. - Auch wenn der Täter nur vortäuscht, dass er eine Diensthandlung vorgenommen habe oder vornehmen werde, hat er eine Unrechtsvereinbarung erstrebt und damit das Vertrauen in seine Amtsführung erschüttert.9 Dies ist unstreitig für künftige Diensthandlungen, gilt aber auch für in der Vergangenheit liegende Diensthandlungen, da die Beeinträchtigung des geschütztes Rechtsguts insoweit identisch ist.10 d) Der Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz. 20 4 5
Im einzelnen dazu BGH NJW 2001 S. 2558; OLG Hamburg StV 2001 S. 277; OLG Hamburg StV 2001 S. 284; OLG Karlsruhe StV 2001 S. 289 mit zusammenfassender Anm. ZIESCHANG S. 290 ff. Dazu auch BGH wistra 1991 S. 221; CREIFELDS GA 1962 S. 33 ff; DÖLLING ZStW 112 (2000) S. 344; ESER R o x i n - F S , S. 2 0 3 f f ; FUHRMANN G A 1 9 5 9 S. 9 7 ff; GEERDS B e s t e c h u n g s d e l i k t e , S. 7 6 ff.
6 7 8
Dazu GRIBL Der Vorteilsbegriff bei den Bestechungsdelikten, 1993, S. 96 ff, 146. Zu den damit begründeten Problemen altruistischer Leistungen vgl. GRIBL Der Vorteilsbegriff bei den Bestechungsdelikten, 1993, S. 96 ff, 146; KÖRTE NStZ 1997 S. 515. Zu den Problemen der Drittmittelforschung und der Förderung klinischer Forschung: LG Bonn StV 2 0 0 1 S. 2 9 2 ; CRAMER R o x i n - F S , S. 9 4 8 ; DAUSTER N S t Z 1 9 9 9 S. 6 3 f f , 6 7 ; LÜDERSSEN J Z 1 9 9 7 S. 112; OSTENDORF N J W 1999 S. 6 1 7 ; PFEIFFER N J W 1997 S. 7 8 2 f; WALTER Z R P 1 9 9 9 S. 2 9 2 ff; ZIESCHANG
Wissenschaftsrecht 1999 S. 111 ff. 9
Vgl. auch RUDOLPHI SK n , § 331 Rdn. 17 a.
10
v g l . GEERDS J R 1981 S. 3 0 1 ff; JESCHECK L K , § 3 3 1 R d n . 14; LACKNER/KÜHL § 3 3 1 R d n . 11; RUDOLPHI S K H, § 3 3 1 R d n . 17 a. - A . A . B G H S t 2 9 S. 3 0 0 ; DÖLLING J u S 1981 S. 5 7 2 f f ; GÜLZOW M D R
1982 S. 802 ff; MAIWALD NJW 1981 S. 2777 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§99
2. Der Tatbestand des Abs. 2 21 Die Tathandlungen gemäß Abs. 2 unterscheiden sich von denen des Abs. 1 nur dadurch, dass sie sich auf eine konkrete richterliche Handlung beziehen, d.h. auf Handlungen, die nach den geltenden Rechtsvorschriften in den Zuständigkeitsbereich eines Richters oder Schiedsrichters fallen. 3. Die behördliche Genehmigung, Abs. 3 22 a) Nach Abs. 3 ist ein „Sichversprechenlassen" und „Annehmen" i.S. des Abs. 1 nicht strafbar, wenn die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse die Annahme des Vorteils entweder vorher oder nach unverzüglicher Anzeige durch den Amtsträger genehmigt hat. - Eine Genehmigung der Annahme vom Täter geforderter Vorteile kommt nicht in Betracht. 23 Maßgeblich ist nicht die formelle Genehmigung, sondern die tatsächliche Genehmigungsfähigkeit der Vorteilsannahme. Dann aber ist es angemessen, die Genehmigung als Rechtfertigungsgrund zu interpretieren und die Rechtfertigung auch dann durchgreifen zu lassen, wenn die Genehmigung zuvor nicht erteilt und eine Annahme unter Vorbehalt (Einladung zum Essen) nicht möglich war11 oder die Genehmigung pflichtwidrig verweigert wird. 24 b) Wird die Genehmigung erteilt, obwohl die Vorteilsannahme nicht genehmigungsfahig war, so hat die Genehmigungsbehörde sich nicht im Rahmen ihrer Befugnisse gehalten. Die Genehmigung kann keine rechtfertigenden Befugnisse entfalten, doch kommt für den Amtsträger ein Verbotsirrtum in Betracht.12
m. Bestechlichkeit, § 332 1. Der Tatbestand 25 a) § 332 qualifiziert § 331 für den Fall, dass die Unrechtsvereinbarung auf eine pflichtwidrige Dienst- oder richterliche Handlung abzielt. Gegenstand der Unrechtsvereinbarung ist hier - ausdrücklich oder konkludent - die Gewährung eines Vorteils an den Empfänger als Gegenleistung für eine von ihm vorzunehmende oder vorgenommene konkrete pflichtwidrige Dienst- oder richterliche Handlung. Die pflichtwidrige Handlung muss in ihrem sachlichen Gehalt mindestens in groben Umrissen erkennbar und festgelegt sein.13 26 b) Eine Verletzung der Dienstpflicht liegt vor, wenn die Diensthandlung selbst - nicht nur die Vorteilsannahme - gegen ein auf Gesetz, Dienstvorschrift oder Einzelanordnung beruhendes Verbot oder Gebot verstößt. Sie ist auch dann gegeben, wenn der Täter eine dienst-
11
So im Ergebnis auch MAIWALD JUS 1977 S. 357. - Die h.M. fordert demgegenüber die Genehmigungsfähigkeit und die Absicht des Täters, unverzüglich Anzeige zu erstatten; vgl. ESER M, Nr. 18 A 5 0 ; GEPPERT J u r a 1981 S. 5 0 ; JESCHECK L K , § 3 3 1 R d n . 16; KREY B . T . 1, R d n . 6 7 0 ; LACKNER/KÜHL § 3 3 1 R d n . 16; TRÖNDLE/FLSCHER § 3 3 1 R d n . 25.
12
Vgl. HARDTUNG Erlaubte Vorteilsannahme, 1994, S. 135 ff, 155; MAIWALD JUS 1977 S. 356; RUDOLPH S K II, § 3 3 1 R d n . 4 7 . - A . A . SCH/SCH/CRAMER § 3 3 1 R d n . 5 1 .
13
V g l . B G H S t 3 2 S. 2 9 1 ; 3 9 S. 4 5 , 4 7 m i t ANM. GEERDS J R 1 9 9 3 S. 2 1 1 f f , OTTO J K 93, S t G B § 3 3 1 / 4 ,
WAGNER JZ 1993 S. 473 f; BGH StV 1994 S. 243; BGH wistra 1999 S. 271.
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Bestechungsdelikte
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lieh verbotene Handlung vornimmt, die ihm gerade durch seine Dienststellung ermöglicht wird.14 c) Eine Klarstellung über den Umfang des Tatbestandes enthält Abs. 3. Danach finden 27 Abs. 1, 2 auch Anwendung, wenn der Vorteilsnehmer sich in bezug auf eine künftige Diensthandlung dem Vorteilsgeber gegenüber bereit zeigt, seine Pflichten zu verletzen oder, im Falle von Ermessenshandlungen, dem Vorteil Einfluss auf die Entscheidungen einzuräumen. - Der geheime Vorbehalt des Täters, den Vorteil nicht zu beachten oder die pflichtwidrige Handlung nicht zu begehen, entlastet ihn nicht. Diese Entscheidung des Gesetzgebers, mit der eine langjährige Rechtsprechung posi- 28 tiviert wurde, ist konsequent: Auch in den unmittelbar in Abs. 1 und Abs. 2 genannten Fällen kommt es auf die Unrechtsvereinbarung an, nicht darauf, ob die Handlung dann später in der vorgesehenen Weise vorgenommen wird. In den Fällen des Abs. 3 ist der Gehalt der Unrechtsvereinbarung, selbst wenn diese erst bis zur Bereiterklärung gediehen ist, von gleich negativer Wirkung für das geschützte Rechtsgut. - Die Vereinbarung muss aber objektiv auf ein pflichtwidriges Verhalten oder die Berücksichtigung des Vorteils bei einer Ermessensentscheidung gerichtet sein. Gibt der Vorteilsnehmer eine rechtmäßige Entscheidung lediglich als pflichtwidrig aus, oder täuscht er die Ermessenshandlung nur vor, so liegt nur § 331 (u.U. in Idealkonkurrenz mit § 263) vor, weil die Unrechtsvereinbarung objektiv nicht über pflichtwidriges Verhalten, sondern nur über ein scheinbar pflichtwidriges Verhalten zustande gekommen ist. Zur Verdeutlichung: BGH NStZ 1984 S. 24: A, dem die Überprüfung oblag, ob ausreisende Lkw-Fahrer einer Verkehrsgenehmigung bedurften, erweckte bei den Fahrern den Eindruck, er erteile die Verkehrsgenehmigung, obwohl die Voraussetzungen nicht vorlägen, wenn er ein Entgelt erhalte. In Wirklichkeit lagen die Voraussetzungen vor. BGH: Dem A kann der Anschein der Käuflichkeit für pflichtwidriges Handeln nur dann strafrechtlich zugerechnet werden, wenn die Diensthandlung objektiv pflichtwidrig und ihm die Pflichtwidrigkeit bewusst ist. Dies ist hier nicht der Fall.
d) Subjektiv erfordert der Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz.
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2. Die Tatvollendung Die Tat ist mit dem Zustandekommen der Unrechtsvereinbarung in den Alternativen des 30 Sichversprechenlassens und Annehmens vollendet, beim Fordern mit Geltendmachung der Forderung. 3. Behördliche Genehmigung Eine Rechtfertigung durch behördliche Genehmigung kommt nicht in Betracht, weil die 31 Tat auf eine Pflichtverletzung gerichtet ist. 4. Strafschärfung, Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, auch in 32 Verb, mit Abs. 3, erfasst § 335. Als Regelbeispiele nennt § 335 Abs. 2 den Vorteil großen Ausmaßes, die fortgesetzte Annahme von Vorteilen, die als Gegenleistung für Aufträge 14
Dazu BGH NJW 1983 S. 462 mit krit. Anm. AMELUNGAVEIDEMANN JuS 1984 S. 595 ff; BGH NStZ 1987 S. 3 2 6 m i t A n m . LETZGUS S . 3 0 9 ff, OTTO J K 87, S t G B § 3 3 2 / 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 3 1 R d n . 8. A . A . E B E R T G A 1979 S. 3 6 1 ff; WAGNER J Z 1987 S. 5 9 8 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
oder Diensthandlungen gefordert wurden sowie das gewerbsmäßige Handeln und das Handeln als Mitglied einer Bande. § 338 Abs. 1 eröffnet die Möglichkeit der Verhängung einer Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls.
IV. Vorteilsgewährung, § 333 1. Der Tatbestand des § 333 Abs. 1 33 a) § 333 bildet auf seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu §331, jedoch mit einer Modifizierung: Die Tat kann nicht nur gegenüber den in § 331 genannten Amtspersonen, sondern auch gegenüber Soldaten (§ 1 Abs. 1 SoldatenG) begangen werden. - Da der einfache Soldat in § 331 nicht mit Strafe bedroht ist, vgl. § 48 Abs. 1 WStG, bleibt dieser als Nehmer des Vorteils straflos, während der Geber nach § 333 bestraft wird. - Eine wenig überzeugende Regelung. 34 b) Als Tathandlung entspricht dem Fordern das Anbieten, dem Versprechenlassen das Versprechen und dem Annehmen das Gewähren: im einzelnen dazu § 61 Rdn. 165. 35 c) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz.
2. Der Tatbestand des Abs. 2 36 a) Gegenstand der Tathandlung nach Abs. 2 ist eine bereits vorgenommene oder künftig vorzunehmende richterliche oder schiedsrichterliche Handlung. b) Subjektiv ist auch hier zumindest bedingter Vorsatz erforderlich. 37 3. Die behördliche Genehmigung nach Abs. 3 ist das Gegenstück zu § 331 Abs. 3; vgl. da-
zu Rdn. 22 f.
V. Bestechung, § 334 1. Der Tatbestand der Abs. 1, 2 38 § 334 Abs. 1, 2 bilden auf seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu § 332 Abs. 1, 2.
2. Die Regelung des Abs. 3 39 Abs. 3 stellt klar, dass mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils als Gegenleistung für eine künftige Diensthandlung oder richterliche Handlung nur der Versuch verbunden sein muss, den anderen zu bestimmen, bei einer gebundenen Diensthandlung seine Pflichten zu verletzen (Nr. 1) oder bei einer Ermessenshandlung dem Vorteil Einfluss auf die Entscheidung einzuräumen (Nr. 2). Ob der Versuch erfolgreich ist oder erfolglos bleibt, ist irrelevant. Auch im Falle des Abs. 3 Nr. 2 genügt bedingter Vorsatz, einer besonderen Beeinflussungsabsicht bedarf es nicht.
3. Strafschärfung 40 Besonders schwere Fälle der Bestechung nach § 334 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, jeweils auch in Verb, mit Abs. 3 erfasst § 335; dazu vgl. Rdn. 32. 542
Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat,
§ 100
§ 338 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit der Verhängung der Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls in best. Fällen des § 334.
§ 100 Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357; 1. Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift liegt darin, dass der Täter, der nicht schon nach 1 den allgemeinen Regeln Mittäter oder mittelbarer Täter der vom Untergebenen begangenen Tat ist, nicht nur als Anstifter, Gehilfe oder erfolgloser Anstifter, sondern wie ein Täter bestraft wird. Für ihn sind die Strafmilderungsmöglichkeiten der §§ 27, 30 ausgeschlossen. 2. Geschütztes Rechtsgut und Täter a) Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass der vorgesetzte oder beaufsichtigende 2 Amtsträger die Verantwortung dafür trägt, dass in seinem Dienstbereich mit seinem Wissen keine rechtswidrigen Taten durch nachgeordnete Amtsträger begangen werden. b) Das geschützte Rechtsgut ist das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Verwal- 3 tungshandelns und in die ordnungsgemäße Kontrolle von Untergebenen durch Vorgesetzte und Aufsichtspflichtige.15 c) Täter und Untergebener (Abs. 1) oder Beaufsichtigender (Abs. 2) müssen Amtsträger 4 sein, da nur dann das nötige Maß der Gefahrdung des Rechtsguts erreicht ist.16 Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1." 3. Einzelheiten des Tatbestandes a) Rechtswidrige Tat im Amte muss eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, vorsätzliche 5 Tat sein. Demgegenüber wird zum Teil gefordert, unter § 357 auch solche Handlungen der Amtsvorgesetzten zu erfassen, in denen der Untergebene gutgläubig tätig wird oder nur fahrlässig handelt, wenn der Vorgesetzte wegen Fehlens der erforderlichen Täterqualität nicht selbst mittelbarer Täter sein kann.18 - Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die weite Auslegung möglich. Dennoch erscheint die Erweiterung der Täterstrafe auf Fälle der Urheberschaft, die nicht bereits nach allgemeinen Regeln als Fälle unmittelbarer Täterschaft fassbar sind, kriminalpolitisch nicht notwendig.
b) Die Tat braucht kein Amtsdelikt im engeren Sinne zu sein, d.h. eine Tat i.S. des 28. 6 Abschnitts des StGB, sondern eine Tat, die der Untergebene usw. in Ausübung seines Dienstes begangen hat oder begehen sollte. - In Abs. 2 muss „begangene Tat" auch als „zu begehende Tat" interpretiert werden, da die erfolglose Anstiftung hier keineswegs ausgeschlossen, sondern die Parallele des Tatbestands mit Abs. 1 voll durchgeführt werden sollte. 15
Dazu JESCHECKLK, 10. Aufl., § 357 Rdn. 1; KUHLEN NK, § 357 Rdn. 3.
16
JESCHECK LK, 10. Aufl., § 357 Rdn. 5. - Zur Gegenansicht KUHLEN NK, § 357 Rdn. 5.
17
D a z u JESCHECK L K , 10. A u f l . , § 3 5 7 R d n . 1; KUHLEN N K , § 3 5 7 R d n . 13; LACKNER/KÜHL § 3 5 7 R d n .
1. - A.A. RUDOLPH] SK N, § 357 Rdn. 1; TRÖNDLE/FISCHER § 357 Rdn. 1: Unechtes Amtsdelikt, soweit §§ 26,27 oder 30 Abs. 1 erfüllt sind. 18
JESCHECK L K , 10. A u f l . , § 3 5 7 R d n . 5; KUHLEN N K , § 3 5 7 R d n . 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2, § 9 7 R d n . 6; ROGALL G A 1 9 7 9 S. 2 4 .
543
§357
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
7 c) Verleiten ist erfolgreiches Bestimmen, doch bezieht das Unternehmen den Versuch des Verleitens ein. Geschehenlassen setzt die tatsächliche Möglichkeit der Verhinderung der Tat voraus. Erfasst wird aber nicht nur die Beihilfe durch Unterlassen, sondern auch die Beihilfe durch positives Tun. Zur Verdeutlichung 8 BGHSt 3 S. 349: Der Kriminalsekretär O führte die Untersuchungsgefangene S angeblich zu einer Gegenüberstellung mit dem Hehler. Auf dem Wege dorthin erschoss er sie. Sein Dienstvorgesetzter G hatte ihm Ratschläge für die Durchführung dieser Tat gegeben. BGH: O: § 211. - G: sachlich §§ 211, 27 jedoch Bestrafung als Täter gemäß § 357 i.V.m. § 211.
544
Paragraphenregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Paragraphen, die mageren auf deren Randnummem. §80 § 80 §81 §82 § 83 §84 §85 §86 § 86 §87 §88 §89 §90 § 90
a a
a
a
§ 90 b §93 §94 §95 §97 § 97 a
§ 97 b §98 §99 § 100 § 100 a § 102 § 103 §104 § 104 a §105 §106 § 106 b § 107 § 107 a § 107 b § 107 c § 108 § 108 a § 108 b § 108 e § 109 § 109 a § 109 d
62 3 62 4 f 83 5 ff 83 8 f 83 10 84 6 ff 84 12 ff 84 17 ff 84 23 ff 84 27 ff 84 30 ff 84 33 ff 84 38 ff 84 38 ff 84 38 ff 85 3 ff 85 7 ff 85 12 ff 85 15 f 85 17 f 85 19 f 85 30 85 25 ff 85 31 ff 85 21 ff 862 86 3 ff 866 86 7 f 87 3 f 87 4 87 5 ff 87 9 87 10 ff 87 13 87 14 87 15 f 87 17 87 18 87 20 88 2 ff 88 7 ff 88 11
§ 109 e § 109 f § 109 g § 109 h § 111 § 113 § 114 § 120 § 121 § 123 § 124 § 125 § 125 a § 126 §127 §129 § 129 a §130 § 130 a §131 § 132 § 132 a § 133 § 134 § 136 § 138 §139 § 140 § 142 § 143 § 145 § 145 a § 145 c § 145 d § 146 §147 §148 §149 §151 § 152 § 152 a §153 § 154
88 12 ff 8819 88 20 37 4 63 63 ff 9 1 1 ff 91 l f 9 2 1 ff 92 12 ff 3 5 1 ff 35 21 ff 63 2 ff 63 18 ff 63 23 ff 90 1 ff 9 0 4 ff 90 16 ff 63 27 ff 63 44 ff 63 52 ff 89 5ff 89 14 ff 9 3 1 ff 8 9 1 ff 93 8 ff 67 26 ff 67 35 ff 63 40 ff 80 45 ff 96 26 67 16 ff 96 24 96 25 95 12 ff 75 4 ff 75 19 ff 7 6 1 ff 7518 75 23 f 75 3 75 25 ff 97 32 ff 97 38 ff
§ § § § § § § § § § § § § §
155 156 157 158 159 160 163 164 166 167 167 a 168 169 170
§ 170 n
§ 171 § 172 §173 § 174 § 174 a § 174 b § 174 c § 176 § 176 a § 176 b § 177 § 178 § 179 § 180 § 180 a § 180 b § 181 § 181 a § 182 § 183 § 183 a §184 § 184 a § 184 b § 184 c § 185 § 186 § 187
97 47 ff 97 51 ff 97 95 ff 97 106 ff 97 77 ff 97 85 ff 97 66 ff 95 1 ff 64 2 ff 64 8 ff 6411 64 12 ff 6 5 1 ff 65 19 ff 13 63 65 31 ff 65 8 ff 65 13 ff 66 55 ff 66 31 ff 66 42 ff 66 33 ff 66 46 ff 66 49 ff 66 54 ff 66 10 ff 66 21 66 22 ff 66 60 ff 66 88 ff 66 94 ff 66 100 ff 66 104 ff 66 66 ff 66 77 ff 66 82 f 66 109 ff 66 84 ff 6675 66 4 ff 3 2 1 ff 32 16 ff 32 26 f 545
Paragraphenregister
§ 188 § 189 §193 § 194 §201 §202 §202 a §203 §204 §205 §206 §211 §212 §213 §216 §218 §218 a § 218 b § 218 c §219 §219 a § 219 b §220 a §221 §222 §223 §224 §225 §226 §227 §228 §229 §231 §234 §234 a §235 §236 §239 §239 a § 239 b §240 §240IV §241 §241 a §242 §243 §244 546
32 28 ff 33 Iff 32 36 ff 32 57 f 34 1 ff 34 16 ff 34 66 ff 34 26ff 34 41 ff 3415 34 45 ff 4 1 ff 3 1 ff 5 1 ff 6 1 ff 13 31 ff 13 27 ff 13 55 13 58 f 13 60 13 61 13 61 11 Iff 10 Iff 9 1 ff 15 Iff 16 1 ff 20 Iff 17 Iff 18 Iff 15 18 211 23 Iff 28 20 f 37 Iff 65 34 ff 65 43 ff 28 Iff 29 2 ff 29 8 ff 27 Iff 13 64 27 54 36 Iff 37 Iff 40 1 ff 41 1 ff 4149 ff
§244 a 41 69 ff §246 42 Iff §247 43 Iff §248 a 44 Iff § 248 b 48 1 ff 45 Iff § 248 c 46 3 ff §249 §250 46 30ff §251 46 40ff §252 46 50 ff §253 53 Iff §255 53 23 ff §257 57 Iff §258 96 1 ff §258 a 96 20ff §259 58 Iff §260 58 33 58 34 §260 a §261 96 26 ff 51 2 ff §263 §263 a 52 28 ff §264 61 8 ff §264 a 61 38 ff §265 61 Iff 52 13 ff §265 a § 265 b 61 28 ff §266 54 1 ff § 266 a I, in 6168 ff § 266 a H 54 56ff § 266 b 54 41 ff §267 70 1 ff §268 74 Iff 70 59 ff §269 §270 70 55 71 10 ff §271 §273 72 14 §274 72 Iff, 74 17 §275 70 71 ff §276 70 76, 7127 §276 a 70 76, 71 27 70 77 ff, §277 71 28 f 71 30 ff §278 §279 70 81 ff 73 1 ff §281
§283 §283 a § 283 b § 283 c § 283 d §284 §285 §287 §288 §289 §290 §291 §292 §293 §294 §297 §298 §299 §300 §301 §302 §303 §303 a § 303 b §304 §305 §305 a §306 §306 a § 306 b § 306 c § 306 d §306 e § 306 f §307 §308 §309 §310 §311 §312 §313 §314 §314 a §315 §315 a § 315 b § 315 c
61 82 ff 61 106 61 107 ff 61 111 ff 61116 ff 55 1 ff 55 13 55 14 ff 50 12 ff 50 Iff 48 15 ff 61 124 ff 50 22 ff 50 35 50 36 55 18 61 142 ff 61 153 ff 61 172 61173 61174 47 2 ff 47 27 ff 47 34 ff 47 24 f 47 18 47 19 f 79 5 f 797 ff 79 13 ff 7916 79 17 f 79 21 ff, 47 26 79 19 f 7811 78 9 f 78 12 78 13 82 90 ff 82 84 ff 78 17 ff 82 101 f 7814 80 1 ff 80 11 ff 80 16 ff 80 21 ff
Paragraphenregister § 315 d §316 §316 a § 316b § 316c §317 §318 §319 §320 § 323 a § 323 b § 323 c §324
80 44 80 41 ff 46 69 ff 78 32 80 72 ff 78 33 78 22 ff 78 28 80 20 8 1 1 ff 78 34 67 2 ff 6 66 ff 82 33 ff
§324 §325 §325 §326 §327 §328 §329 §330 § 330 §331 §332 §333 §334 §339
a a
a b
82 41 ff 82 4 9 f 82 59 ff 82 64 ff 82 89 82 93 ff 82100 82 103 ff 82 106 f 99 14 ff 99 25 ff 99 33 ff 99 38 ff 98 I f f
§340 §343 §344 §345 §348 §352 §353 §353 a § 353 b § 353 d §355 §356 §357
19 I f f 98 7 ff 98 11 ff 98 18 ff 7 1 1 ff 52 I f f 52 7 ff 9413 94 I f f 98 24 ff 34 59 ff 98 29 ff 100 1 ff
547
Sachregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Paragraphen, die mageren auf deren Randnummern. Abbilden, sicherheitsgefährdendes 88 20 Abbruch der Schwangerschaft 13 1 ff - Beratungs- und Feststellungssystem 13 9 ff - gerechtfertigter 13 39 - Indikation 13 46 ff - Konkurrenz zu Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 13 65 ff - Strafausschluß 13 50 ff - strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium 13 61 ff Abfallbegriff 82 64 ff Abfallbeseitigung, umweltgefährdende 82 64 ff Abgabenüberhebung 52 7 ff Abhören 34 6 ff Absatzhilfe 58 17 ff Absetzen 58 17 f Abtreibung 13 1 ff Affektionswert 38 2 , 4 1 4 2 Agententätigkeit 84 27 ff - geheimdienstliche 85 25 ff - landesverräterische 85 30 Aids 15 5; 16 13 ff Akzessorietät - der Teilnahme 8 1 ff - des Umweltstrafrechts 82 5 ff Amtsanmaßung 89 5 ff Androhung - eines Unterlassens 27 21 ff - von Straftaten 63 23 f Aneignung 40 55 ff Angehörigenprivileg 96 19 Angriffskrieg 62 3 Ankaufen 58 14 f Anleiten zu Straftaten 63 44 ff Anstellungsbetrug 51130 ff Anvertraut - Geheimnis 34 30 - Sache 42 27 ff
- Gefangene und Verwahrte 66 39 - als Amtsträger 93 7 Anwerben für fremden Wehrdienst 37 4 Anzeigepflicht 67 29 ff Arbeitsentgelt - Veruntreuung 54 56 ff - Vorenthalten 61 68 ff Ärgerniserregung 66 82 f Aufstacheln zum Angriffskrieg 62 4 f Aufstachelung zum Rassenhaß 63 27 ff Augenscheinsobjekte 70 7 Ausnutzen 41 28 Aussage, falsche 97 1 ff - inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch 97 5 ff - objektive Theorie 97 5 - subjektive Theorie 97 6 - Pflichttheorie 97 7 Aussagedelikte 97 1 ff Aussageerpressung 98 7 ff Aussagenotstand 97 95 ff Ausschreibungsbetrug 61 142 ff Aussetzung 10 1 ff - versuchte erfolgsqualifizierte 10 9 Ausspähen von Daten 34 66 ff Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse 71 30 ff Aussteller 70 10 ff Ausweispapier 73 2 Automatenmissbrauch 52 14 ff Bande 41 61 ff Bandendiebstahl 41 61 ff - schwerer 41 69 ff Bandenhehlerei 58 33 f Bankrott 61 82 ff - besonders schwere Fälle 61106 - einzelne Tathandlungen 61 91 ff - Täter 61 89 f
549
Sachregister Baugefährdung 78 28 Bedrohung 36 1 ff Befriedigung des Geschlechtstriebes 4 7 ff Begünstigung 57 1 ff Behältnis 34 21,4118 Behandlungsabbruch 6 27 ff Beischlaf zwischen Verwandten 65 13 ff Beiseiteschaffen 50 19 Beleidigung 32 1 ff - eines Kollektivs 3115 ff - mittels Tätlichkeit 32 22 ff - unter einer Kollektivbezeichnung 31 10 ff Belohnung von Straftaten 63 40 ff Berichterstatterprivileg 63 58 ff Berichtigung falscher Angaben 97 106 ff Beschädigen 47 5 ff - wichtiger Anlagen 78 22 ff Beschimpfung von Bekenntnissen 64 2 ff Besitztum, befriedetes 35 5 f Bestechlichkeit 61153 ff, 87 18,99 25 ff Bestechung 61153 ff, 99 1 ff, 38 ff Bestechungsdelikte 99 1 ff - Systematik 99 2 ff Beteiligung an einer Schlägerei 23 1 ff Betrieb 6114 Betrug 511 ff - Anstellungsbetrug 51130 ff - bei Optionsgeschäften 51147 ff - bei Termingeschäften 51147 ff - Bereicherungsabsicht 51 88 ff - Bettelbetrug 51127 ff - Computerbetrug 52 28 ff - Eingehungsbetrug 51116 ff - Erfüllungsbetrug 51116 ff - Irrtum 51 21 ff - Kapitalanlagebetrug 61 38 ff - Kreditbetrug 61 28 ff - Kreditkartenerschieichung 51142 ff - Lastschriftenbetrug 51146 - Motivationszusammenhang 5151 - Prozeßbetrug 51137 ff - Rechtsgut 512 - Rentenbetrug 51 135 f 550
-
Scheckkartenerschleichung 51 142 ff Sicherungsbetrug 51151 ff Spendenbetrug 51127 ff Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung 51 89 f - subjektiver Tatbestand 51 87 ff - Subventionsbetrug 61 8 ff - Täuschung (ausdrückliche, konkludente, durch Unterlassen) 51 9 ff - Verfügender und Geschädigter 5144 ff - Vermögensgefährdung 5170 ff - Vermögensschaden 51 53 ff - Vermögensverfügung 51 28 ff Bewegungsfreiheit 28 2 f Beweisbestimmung 70 20 ff Beweisfunktion 70 1 Beweiskraft, erhöhte 7 1 4 f Beweismittel, Angriff - gegen dessen Unversehrtheit 72 1 ff - gegen bestimmungsgemäße Verwendung 73 1 ff Beweiszeichen 70 7 Bildung - bewaffneter Gruppen 90 1 ff - krimineller Vereinigungen 90 4 ff - terroristischer Vereinigungen 90 16 ff Billigung von Straftaten 63 40 ff Brandlegung 79 1 Brandstiftung 79 1 ff - besonders schwere 79 13 ff - fahrlässige 79 17 f - schwere 79 7 ff - Tätige Reue 79 21 ff - vorsätzliche 79 5 ff - mit Todesfolge 79 16 Brandstiftungsdelikte 79 1 ff Briefgeheimnis, Verletzung 34 16 ff Buchführungspflicht, Verletzung der 61 107 ff Computerbetrug 52 28 ff
Sachregister Daten - Fälschung 70 59 ff - Schutz 34 63 f, 47 27 ff - Unterdrückung 72 9 f - Veränderung 47 27 f - Ausspähen von 34 66 ff Datenverarbeitungsanlagen, missbräuchliche Nutzung 52 31 ff Diebstahl 40 1 ff - Abgrenzung zum Betrug 40 28 zur Erpressung 40 28 zur Unterschlagung 39 7 f - Bandendiebstahl 41 61 ff - Beisichfiihren von Waffen oder gefährlichem Werkzeugen 41 50 ff - Beisichfiihren bestimmter Objekte in Verwendungsabsicht 4157 ff - bewegliche Sache 40 3 ff - fremd 40 9 ff - geringwertiger Sachen 4141 ff - Geringwertigkeit des Tatobjekts 41 41 ff - Irrtum über Vorliegen eines Regelbeispiels 4144 - mit Waffen 41 50 ff - Rechtsgut 39 1 ff - schwerer 411 ff - subjektiver Tatbestand 40 40 ff - Versuch 41 32 ff - Wegnahme 40 15 ff Diensthandlung 91 5 Doppelehe 65 8 ff Doppelselbstmord, fehlgeschlagener 6 62 ff Drittzueignung 40 71 ff Drohung 27 17 ff Ehre (Begriff) 311 ff - normativer 31 2 - normativ-faktischer 31 3 - personaler 3 1 4 Ehrverletzungsdelikte 31 ff - Einzelheiten 32 1 ff
- Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände 32 55 f - Rechtfertigung 32 35 ff Eidesgleiche Bekräftigung 97 47 ff Eidesunmündiger, Aussagen 97 105 Einbrechen 4 l 5 ff Eindringen 35 9 ff Eingehungsbetrug 51116 ff Eingriff, gefährlicher - in den Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehr 80 11 ff - in den Straßenverkehr 80 16 ff Einheitstheorie 24 5 Einsperren 28 4 Einsteigen 4110 Einwilligung - Körperverletzung 15 15 ff - Tötung auf Verlangen 6 5 ff - mutmaßliche 15 23 f - Voraussetzungen 15 18 Enteignung 40 56 ff Entführen 29 4 Entziehung - elektrischer Energie 45 1 ff - Mindeijähriger 65 34 ff Erfüllungsbetrug 51 116 ff Ermächtigungs-(Befugnis-)theorie 40 38, 5144 ff Erpresserischer Menschenraub 29 2 ff Erpressung 53 1 ff - Abgrenzung vom Betrug 53 18 ff Ersatzhehlerei 58 9 ff Erschleichen - der Beförderung durch ein Verkehrsmittel 52 19 ff - der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldenetzes 52 17 ff - freien Eintritts 52 23 ff - von Leistungen 52 13 ff Erstattung von Anzeigen 32 53 Erzieherprivileg 63 60,66 62 Euthanasie 6 1 ff - Früheuthanasie 6 46 f 551
Sachregister Exhibitionistische Handlungen 66 77 ff Explosionsdelikte 78 9 ff - durch Kernenergie 78 11 - durch Sprengstoff 78 9 f Fahrlässiger Falscheid und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt 97 66 ff Fahruntüchtigkeit 80 23 ff Falschaussage 97 4 ff - versuchte Anstiftung 97 77 ff - Verleitung zur 97 85 ff Falschbeurkundung im Amt 7 1 1 ff - mittelbare 7110 ff - schwere mittelbare 71 23 ff Falsche uneidliche Aussage 97 32 ff Falsche Verdächtigung 95 1 ff Falsche Versicherung an Eides Statt 97 51 ff Falscheid, fahrlässiger 97 66 ff Falscher Schlüssel 4111 Fälschung - beweiserheblicher Daten 70 59 ff - technischer Aufzeichnungen 74 1 - von Euroscheck(karten)vordrucken 75 25 ff - von Wahlunterlagen 87 13 Familiendiebstahl 43 1 ff - Irrtum über das Tatopfer 43 12 ff Fischwilderei 50 35 Förderung sexueller Handlungen Mindeijähriger 66 60 ff Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei 84 6 ff Fotokopie 70 28 ff Freiheitsberaubung 28 1 ff - mittelbare Täterschaft 28 6 f - Rechtswidrigkeit 28 8 ff - Verhältnis zur Nötigung 28 15 ff Freiheitsdelikte 26 1 ff Friedensgefährdende Beziehungen 85 31 ff Fristenlösung, Beratungspflicht 13 9 ff Führen eines Fahrzeugs 80 22 552
Garantiefunktion 70 1 Gattungsschuld 40 8 1 , 5 1 9 6 ff Gebäude 41 7 Gebrauch - einer Urkunde 70 50 - falscher Beurkundungen 71 19 ff - Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen 7127 Gebrauchen, Begriff 70 50 f Gebrauchsanmaßung - Abgrenzung zum Diebstahl 40 44 - strafbare 48 1 ff Gebührenüberhebung 52 1 ff Geburt 2 4 ff Gefährdung - des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs 80 11 ff - des demokratischen Rechtsstaats 84 1 ff - des Straßenverkehrs 80 16 ff - des Verkehrswesens 80 1 ff Gefährdungsdelikte 78 1 ff Gefährlichkeitsprinzip 2 23 ff Gefangenenbefreiung 92 1 ff - Teilnahme Dritter 92 7 f - Teilnahme durch den Gefangenen selbst 92 9 f Gefangenenmeuterei 92 12 ff Gefangener 92 2 Gegensatztheorie 24 6 Geheimdienstliche Agententätigkeit 85 25 ff Geheimnissphäre 34 16 ff Geiselnahme 29 8 f Geistigkeitstheorie 70 10 ff Geldfälschung 75 1 ff - Inverkehrbringen 75 10 ff, 19 ff - Nachmachen 75 4 ff - Sich verschaffen 75 9 - Verfälschen 75 8 Geldschuld 40 83 ff Geldwäsche 96 27 ff - Begrenzung des Tatbestandes 96 42
Sachregister - Erwerbs-, Besitz- und Verwendungstatbestand 96 34 ff - Leichtfertiges Handeln 96 41 - Organisierte Kriminalität 96 27 - Strafaufhebung 96 42 - Strafmilderung 96 42 - Verschleierungstatbestand 96 29 ff Geldwerte Objekte 38 2 Geltungsanspruch, sozialer 31 3 Gemeine Gefahr 67 8 Gemeine Not 67 9 Gemeingefährliche Delikte 78 1 ff - Begriff 78 1 f - Überblick 78 8 ff Gemeingefährliche Mittel 4 41 ff Gemeinschädliche Sachbeschädigung 47 24 ff Geringwertig 4141 ff Geschäftsräume 35 4,41 8 Gesundheitsschädigung 15 5 Gesundheitszeugnisse - Ausstellung unrichtiger 71 30 ff - Fälschung und Gebrauch falscher 70 77 ff, 71 28 f Gewahrsam 40 16 ff Gewahrsamsbruch 40 28 ff Gewahrsamshüter 40 26 f Gewalt 27 2 ff Gewässer 82 34 Gewerbsmäßig 41 21,50 32 Gewohnheitsmäßig 50 32 Gift 16 4 f Gläubigerbegünstigung 61111 Glücksspiel - Begriff 55 3 - Beteiligung am unerlaubten 55 13 Grausam 4 36 ff Habgier 4 11 ff Haus- und Familiendiebstahl 43 1 ff Hausfriedensbruch 35 1 ff - befriedetes Besitztum 35 5 f - Eindringen 35 9 ff
- schwerer 35 21 ff - Verweilen ohne Befugnis 35 17 f Häusliche Gemeinschaft 43 5 f Hehlerei 58 1 ff - Ersatzhehlerei 58 9 ff - fahrlässige 58 35 - gewerbsmäßige 58 33 f - Konkurrenzen und Strafe 58 29 ff - subjektiver Tatbestand 58 23 ff - Verhältnis der Vortat zur Hehlerei 58 7f Heileingriff, ärztlicher 15 6 ff Heimtücke 4 17 ff Herbeiführen einer Brandgefahr 79 19 f Herrschafts wille 40 17 ff Herstellen einer unechten Urkunde 70 34 ff Hilfeleistung 57 6,67 2 ff Hilfeleistung, unterlassene 67 2 ff - beim Suizid 6 66 ff Hilflosigkeit 10 2,66 97 Hindernisbereiten 80 17 Hinterlistiger Überfall 16 9 Hintermann 28 6 f, 10 Hochverrat 83 1 ff - gegen den Bund 83 5 ff - gegen ein Land 83 8 Hunde, gefährliche 96 26 Hungerstreik 6 61 Identitätstäuschung 70 32 Imstichlassen 10 3 Inbrandsetzen 79 1 ff Indikation 13 46 ff - medizinisch-soziale 13 46 ff - kriminologische 13 49 Ingebrauchnahme 48 3 Insolvenzdelikte 61 79 ff Intimsphäre 32 52 Inverkehrbringen von Falschgeld 75 10 ff, 19 ff Irrtum 51 21 ff
553
Sachregister Jagdwilderei 50 22 ff Kapitalanlagebetrug 61 38 ff Kennzeichen 70 7,84 23 ff Kettenanstiftung 97 83 Kinderhandel 65 43 ff Kollektivbeleidigung 3 1 1 0 ff Körperverletzung - einfache 15 1 ff - dauernde Entstellung 17 9 - fahrlässige 2 1 1 - gefährliche 16 1 ff - gefährliches Werkzeug 16 6 ff - gemeinschaftliche 16 10 - Gift oder andere gesundheitsschädliche Stoffe 16 4 f - hinterlistiger Überfall 16 9 - im Amt 19 1 ff - Infizieren mit Aids 16 13 ff - Lähmung 17 10 - lebensgefährdende Behandlung 16 11 - mit Todesfolge 18 1 ff - schwere 17 1 ff - Siechtum 17 10 - Verfall 17 10 - wichtiges Glied 17 6 f Körperverletzungsdelikte 15 1 ff - Einwilligung 15 15 ff - Konkurrenzen 24 1 ff - Systematik 14 1 ff - Züchtigungsrecht 15 25 Kreditbetrug 61 28 ff Kreditgefährdung 32 27 Kreditkartenerschleichung 51142 ff Kreditwucher 61130 Kriminelle Vereinigung 90 6 ff Krisensituation 61 82 ff - drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit 61 87 f - Überschuldung 61 83 ff Kunstfreiheit 32 45 ff
554
Lagertheorie 40 38 Landesverrat 85 7 ff Landesverräterische - Agententätigkeit 85 30 Landfriedensbruch 63 2 ff Lastschriftenbetrug 51146 Lebensgefährdende Behandlung 16 11 Lebenslange Freiheitsstrafe 2 26 ff Lebensverkürzung - schmerzlindernde 6 41 f Leibesfrucht 2 5 ff; 13 6 ff Leiche - fremd 40 14 - Wegnahme 64 12 ff Leichtfertigkeit, Begriff 46 43 Leistungskürzung 52 12 hierum - ex re 40 48 - ex negotio cum re 40 48 Luftverkehr, Angriff auf 80 11 ff Meineid 97 38 ff Meinungsbildung - öffentliche und politische 32 42 ff Menschenhandel 66 94 ff Menschenmenge 35 22,63 3 Menschenraub 28 20 f - erpresserischer 29 1 ff Menschliches Leben 2 3 ff - Beginn 2 5 ff - Ende 2 10 ff Mietwucher 61129 Minima-Klausel 82 81 Missbrauch - von Ausweispapieren 73 1 ff - von Notrufen 67 16 ff - von Scheck- und Kreditkarten 54 41 ff - von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 89 14 ff - von Automaten 52 14 ff Missbrauchstatbestand 54 12 ff Misshandlung 5 6; 15 2 - körperliche 15 2
Sachregister - rohe 20 5 - seelische 15 4 - von Schutzbefohlenen 20 1 ff Mittelbare Falschbeurkundung 7 1 1 0 f - schwere 71 23 ff Mord 4 1 ff - gemeingefährliche Mittel 4 41 ff - grausam 4 36 ff - Habgier 4 11 f - Heimtücke 4 17 ff - Mordlust 4 5 f - niedrige Beweggründe 4 13 ff - Teilnahmeprobleme 8 1 ff - Verdeckungsabsicht 4 45 ff - Verhältnis zu § 213 5 15 ff - Vorsatzprobleme 4 53 ff - zur Befriedigung des Geschlechtstriebes 4 7 ff Mosaiktheorie 85 6
Nachmachen 75 4 ff Nachrede, üble 32 16 ff Namenstäuschung 70 32 Nichtanzeige geplanter Straftaten 67 24 ff Nichterweislichkeit 32 21 Niedrige Beweggründe 4 13 ff Nötigung 27 1 ff - Androhung eines Unterlassens 27 21 ff - des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 87 4 - Drohung mit einem empfindlichen Übel 27 17 ff - Gewalt 27 2 ff - Versuch 27 49 ff - Verwerflichkeitsklausel 27 28 ff - von Verfassungsorganen 87 3
Offenbarung - von Geheimnissen 34 26 ff Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 63 63 ff
Öffentliche Urkunden 7 1 4 ff
Parteiverrat 98 29 ff Perpetuierungsdelikte 56 1 ff - Systematik 56 14 ff Perpetuierungsfunktion 70 1 Personaler Vermögensbegriff 38 1 ff, 51 54 Personenstandsfalschung 65 1 ff - falsche Angaben 65 4 - Unterschieben eines Kindes 65 3 Persönlichkeitssphäre 34 1 Pfandkehr 50 1 ff Pfandungspfandrecht 50 2 Pflichttheorie 97 7 Politische Verdächtigung 37 1 ff Post- und Fernmeldegeheimnis, Verletzung 34 45 ff Preisgabe von Staatsgeheimnissen 85 15 f Privatgeheimnis 34 26 Prostitution - Ausbeuten 66 92 - Ausübung der verbotenen 66 84 ff - Förderung 66 88 ff - jugendgefährdende 66 75 - Nachgehen 66 84 Provokation - Körperverletzung mit Todesfolge 18 12 - minder schwerer Fall des Totschlags 5 4 Prozeßbetrug 51137 ff
Quälen 20 5
Rädelsführer 84 8 Raub 46 1 ff - Abgrenzung zum räuberischen Diebstahl 46 12 ff - finale Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme 46 7 ff - Gewalt und Drohung 46 3 ff 555
Sachregister - mit Todesfolge 46 40 ff - schwerer 46 30 ff - Systematik 46 2 - Versuch 46 27 ff Räuberische Erpressung 53 23 ff Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 46 69 ff Räuberischer Diebstahl 46 50 ff - auf frischer Tat 46 54 - Betreffen 46 55 - Gewalt und Drohung 46 57 - Irrtum bei Vortat 46 62 - Konkurrenzen 46 66 ff - Täterschaft und Teilnahme 46 63 f Raum, umschlossener 4 1 5 ff Rausch, Begriff 81 3 ff Rauschtat 81 7 ff Rechtsbeugung 98 1 ff Rechtserheblichkeit der Gedankenerklärung 70 23 Rechtssachen 98 2 Regel(fall)beispiele 411 ff Rentenbetrug 51135 f
Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 88 12 ff Sachbeschädigung 47 1 ff - Konkurrenz zu Zueignungsdelikten 47 15 ff - Besondere Fälle 47 18 ff Sachentziehung, straflose 47 11 Sachgefahr 67 4 ff Sachheirschaftsverhältnis 40 15 ff Sachsubstanztheorie 40 45 Sachwerttheorie 40 46 Scheckkartenerschleichung 51142 ff Scheinwaffe 41 59 Schiedsrichtervergütung 99 7 Schienenbahnen im Straßenverkehr 80 44 Schiffsgefährdung durch Bannware 55 18 Schlägerei 23 2 ff Schuldnerbegünstigung 61116 ff Schusswaffe 4151 556
Schutz von Daten und Datenverarbeitung 34 63 f, 47 27 ff Schutzvorrichtungen 4117 Schwächesituationen 61134 ff - Mangel an Urteilsvermögen 61137 - Unerfahrenheit 61135 f - Willensschwäche 61138 - Zwangslage 61134 Selbstbegünstigung 57 12 ff Sexuelle Belästigung Unbeteiligter 66 76 Sexuelle Handlung 66 5 ff Sexuelle Nötigung 66 10 ff Sexueller Missbrauch - Jugendlicher 66 66 ff - unter Ausnutzung einer Amtsstellung 66 42 ff - unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses 66 33 ff - von gefangenen und verwahrten Personen 66 66 ff - von Kranken und Hilfsbedürftigen 66 31 f - von Schutzbefohlenen 66 55 ff - widerstandsunfähiger Personen 66 22 ff Sichbemächtigen 29 4 Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 88 19 Sicherungsbetrug 51151 ff Sichversprechenlassen 99 14 Spendenbetrug 51127 ff Speziesschuld 40 79 Staatsgeheimnis 85 3 ff Sterbehilfe 6 1 ff - aktive 6 40 ff - passive 6 22 ff - Früheuthanasie 6 46 f Steuergeheimnis, Verletzung 34 59 ff Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung 51 89 f Störpropaganda gegen die Bundeswehr 88 11 Störung - der Religionsausübung 64 8 ff
Sachregister - der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans 87 8 ff - der Totenruhe 64 12 ff - des öffentlichen Friedens 63 23 ff - einer Bestattungsfeier 64 11 - öffentlicher Betriebe 78 32 - von Telekommunikationsanlagen 78 33 Strafvereitelung 96 1 ff - Angehörigenprivileg 96 19 - im Amt 96 20 ff - zu eigenen Gunsten 96 18 Straßenverkehr 80 16 Submissionsbetrug 61142 ff Subvention, Begriff 61 9 Subventionsbetrug 61 8 ff Suizid 6 48 ff - als Unglücksfall 6 66 ff - einseitig fehlgeschlagener Doppelselbstmord 6 62 ff - Garantenstellung zur Hinderung 6 53 ff - und Tötung auf Verlangen 6 48 ff - und Mitwirkung Dritter 6 48 ff Tatsachenbehauptung 32 5 Täuschung 519 ff Telekommunikation 34 46 - Anlagen 34 46 - Dienste 34 46 - Dienstleistungen 34 46 Totschlag 3 1 ff - besonders schwere Fälle 3 5 - minder schwere Fälle 5 1 ff Tötung - auf Verlangen 6 1 ff - auf Verlangen und Suizid 6 48 ff - fahrlässige 9 1 ff Tötungsdelikte - Konkurrenz zu Körperverletzungsdelikten 24 4 ff - Systematik 2 1 ff - Teilnahmeprobleme 8 1 ff Transportgefährdung 80 1 ff
Treubruchstatbestand 54 18 ff Trunkenheit im Verkehr 80 23 ff, 80 41 ff Überschuldung 61 83 ff Überschwemmungsdelikte 78 17 ff Üble Nachrede 32 16 ff - öffentliche 32 25 - und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens 32 28 ff Umweltstrafnormen 82 1 ff - Akzessorietät 82 5 ff - Amtsträgerstrafbarkeit 82 16 ff - einzelne Schutzbereiche 82 32 ff - geschütztes Rechtsgut 82 29 ff - Minima-Klausel 82 81 - Schutz von Gewässern 82 33 ff - Schutz von Luft 82 49 ff - Schutz vor der Verbreitung von Giften 82 101 ff - Schutz wertvoller Bestandteile der Natur 82 100 - Strahlenschutz 82 84 ff - umweltgefährdende Abfallbeseitigung 82 64 ff - Schutz vor Lärm, Erschütterungen und nichtionisierenden Strahlen 82 59 ff Unbefugter Gebrauch - eines Fahrzeugs 48 1 ff - von Pfandsachen 48 15 ff Unbrauchbarmachen 93 5 Unerlaubte Veranstaltung - einer Lotterie oder Ausspielung 55 14 ff - eines Glücksspiels 55 1 ff Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 80 45 ff Unfall im Straßenverkehr 80 48 ff Unfallbeteiligter 80 46 f Unglücksfall 6 66 ff, 4126,67 3 ff Unterdrücken - Beweiserheblicher Daten 72 9 f - von Postsendungen 34 51 ff - von Urkunden 72 1 ff 557
Sachregister Unterhaltspflicht, Verletzung der 65 19 ff Unternehmen 61 41 Untemehmensbuße 6 1 1 5 2 Unterschlagung 42 1 ff - bei Ersatzleistung oder Bereitschaft zum Ersatz 42 19 ff - geringwertiger Sachen 44 1 ff - Subsidiaritätsklausel 42 2 3 , 2 5 - Verhältnis zum Diebstahl 39 7 f Untreue und untreueähnliche Delikte 54 lff - Begrenzung des Anwendungsbereichs 54 38 - Gesetzessystematik 54 4 ff - Missbrauchstatbestand 54 12 ff - Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten 54 41 ff - Treubruchstatbestand 54 18 ff - Veruntreuen von Arbeitsentgelt 54 56 ff - Vermögensschaden 54 32 ff Urkunde 70 1 ff - Absichtsurkunde 70 21 - Abschriften und Fotokopien 70 28 ff - Augenscheinsobjekte 70 7 - Aussteller 70 10 ff - Begriff 70 1 ff - Beweisbestimmung 70 20 ff - Beweiseignung 70 18 f - Durchschriften 70 27 - Fernkopien im Telefaxverfahren 70 29 - Fotokopien 70 28 - Gebrauchen 70 50 - Geistigkeitstheorie 70 10 ff - Gesamturkunde 70 25 - Herstellen 70 34 ff - Identitätstäuschung 70 32 - Kennzeichen 70 7 - Strukturelemente 70 1 - unechte 70 32 - Verfälschen 70 47 ff - verkörperte Gedankenerklärung 70 6 f - zusammengesetzte 70 26 Urkundendelikte 69 ff 558
Urkundenfälschung 70 1 ff Urkundenunterdrückung 72 1 ff
Verändern von amtlichen Ausweisen 72 14 Veränderung einer Grenzbezeichnung 72 12 f Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen 98 24 ff Verbreitung pornografischer Schriften 66 109 ff Verdächtigen 95 4 f Verdeckungsabsicht 4 45 ff Vereinigung, kriminelle 90 6 ff Vereinigungstheorie 40 48 ff Vereinigungs verbot 84 12 ff Vereiteln der Zwangsvollstreckung 50 12 ff Verfälschen, Begriff 70 47 ff Verfassungsfeindliche - Einwirkung 84 33 ff - Sabotage 84 30 ff Verfolgung - aus politischen Gründen 37 2 - Unschuldiger 98 11 ff Verfolgungsvereitelung 96 3 ff Vergewaltigung 66 10 ff Vergiftung - gemeingefährliche 82 101 f Verherrlichung von Gewalt 63 52 ff Verleiten - eines Untergebenen 100 1 ff - zur Falschaussage 97 85 ff Verletzung - amtlicher Bekanntmachungen 89 1 ff - der Buchführungspflicht 6 1 1 0 7 ff - der Fürsorge- und Erziehungspflicht 65 31 ff - der Unterhaltspflicht 65 19 ff - der Vertraulichkeit des Wortes 34 1 ff - des Briefgeheimnisses 34 16 ff - des Dienstgeheimnisses 94 1 ff - des Post- und Fernmeldegeheimnisses 34 45 ff - des Steuergeheimnisses 34 59 ff
Sachregister - des Wahlgeheimnisses 87 14 - von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten 86 6 - von Privatgeheimnissen 34 26 ff Verleumdung 32 26 f Vermögensbegriff 5154 ff - dynamischer 51 55 - juristischer 51 56 - juristisch-wirtschaftlicher 51 57 ff - personaler 38 3 ff 4 5154 - wirtschaftlicher 51 55 Vermögensdelikte 38 1 ff - praktische Bedeutung 38 14 ff - Struktur38 lOff Vermögensentziehungsdelikte 39 1 ff Vermögensgefährdung 5170 ff Vermögensschaden 51 53 ff Vermögensverfügung 5128 ff Verrat - illegaler Geheimnisse 85 17 ff - in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses 85 19 f Verschaffen 58 12 ff Verschleierung unrechtmäßiger Vermögenswerte 96 29 ff - Geldwäsche 96 26 ff Verschleppung 37 1 ff Versetzen in hilflose Lage 10 2 Versicherungsmissbrauch 611 ff Verstoß - gegen das Berufsverbot 96 25 - gegen ein Vereinigungsverbot 84 12 ff - gegen Weisungen 96 24 Verstrickungs- und Siegelbruch 93 8 ff Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst 94 13 Vertrauliche Äußerungen 32 52 Verunglimpfung - des Andenkens Verstorbener 33 1 ff - des Bundespräsidenten usw. 84 38 ff Veruntreuung 42 26 ff - anvertrauter Sachen 42 26 ff - von Arbeitsentgelt 54 56 ff Verwahrungsbruch 93 1 ff
Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 84 23 ff Verwerflichkeitsklausel - Nötigung 27 28 ff Verwerflichkeitssprinzip 2 23 ff Verwertung fremder Geheimnisse 34 41 ff Völkermord 111 ff Volksverhetzung 63 27 ff Vollrausch 811 ff - actio libera in causa 8118 - rauschbedingter Irrtum 8113 ff - Rauschtat 81 7 ff - Teilnahme am 81 20 Vollstreckung gegen Unschuldige 98 18 ff Vollstreckungshandlung 91 6 ff Vollstreckungs Vereitelung 96 16 ff Vorbereitung - der Fälschung von amtlichen Ausweisen 70 71 ff - der Fälschung von Geld 75 1 ff - des Gebrauchs von falschen Ausweisen 70 76 - eines Angriffskrieges 62 3 - eines hochverräterischen Unternehmens 83 9 Vordrucke von Euroschecks 75 25 ff Vorenthalten von Arbeitsentgelt 61 68 ff Vorstellungspflicht 80 58 Vortäuschen einer Straftat 95 12 ff Vortäuschen eines Versicherungsfalles 51 lllf Vorteil 99 15 ff Vorteilsannahme 99 14 ff Vorteilsgewährung 99 33 ff
Waffe 16 6, 41 50 ff Wahlbehinderung 87 9 Wählerbestechung 87 18 Wählernötigung 87 15 f Wählertäuschung 87 17 Wahlfälschung 87 10 f Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 59 1 ff 559
Sachregister Wahrheitsbeweis 32 14 f, 21 Wahrnehmung berechtigter Interessen 32 36 ff Wartepflicht 80 57 Wegnahme 40 15 ff Wehrpflichtentziehung - durch Täuschung 88 7 ff - durch Verstümmelung 88 2 ff Weitergabe von Gerüchten 32 54 Werben 90 8 Werkzeug, gefährliches 16 6 ff, 41 52 ff, 46 33 Wertpapierfälschung 75 23 f Werturteil 32 6 ff Wertzeichenfälschung 76 1 ff - Vorbereitung 76 7 Wettbewerbsdelikte 61141 ff Wichtiges Glied 17 6 f Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 91 1 ff - Irrtum des Widerstandleistenden 91 16 ff
- besonders schwere Fälle 9121 - Verhältnis zu § 240 91 22 ff Wilderei 50 22 ff Wirtschaftliche Nutzung 40 56 ff
560
Wirtschaftsdelikte 60 1 ff Wirtschaftskriminalität 60 1 ff Wohnung 35 3,41 66 Wucher 61124 ff - Ausbeuten 61 133 Zahlungseinstellung 61102 Zahlungskarten 75 25 ff Zahlungsunfähigkeit 61 87 ff Zerstören, Begriff 47 10 ff Zerstörung - von Bauwerken 47 18 - wichtiger Arbeitsmittel 47 19 f Züchtigungsrecht 15 25 Zueignung 40 44 ff - Drittzueignung 40 71 ff - Elemente 40 55 ff - bei Gattungs- bzw. Speziesschuld 40 79 ff - nach einer Zueignung 42 23 ff - rechtswidrige 40 77 ff Zugänglichmachen 66 111 Zuhälterei 66 104 ff Zusammenrotten 35 22,92 14 Zweckverfehlung, wirtschaftliche 38 8 f